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German Pages 336 [331] Year 2009
WOLFGANG WIPPERMANN
Faschismus Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2009 by Primus Verlag, Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Redaktion: Rainer Wieland, Berlin Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt Layout und Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth Printed in Germany www.primusverlag.de ISBN: 978-3-89678-367-7
Inhalt „Faschismus wäre Bündlertum“ – Einleitung
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WESTEUROPA „Weder rechts noch links“ – Bonapartismus und Faschismus in Frankreich
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„Risorgimento“ – Bonapartismus und Faschismus in Italien
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„Deutsche Katastrophe“ – Bonapartismus, und Faschismus in Deutschland
50
„Ständestaat“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Österreich
69
„Cruzada“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Spanien
84
„Kein Exportartikel“ – Faschismus in anderen nord- und westeuropäischen Staaten
101
OSTEUROPA „Zone der Gegenrevolution“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Osteuropa 128 „Königsdiktaturen“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Südosteuropa
146
„Fruchtbarer Schoß“ – Faschismus in Russland
168
AMERIKA „All men are created equal“– Fundamentalismus und Faschismus in den USA
182
„Dependencia“ – Bonapartismus und Faschismus in Lateinamerika
203
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Inhalt
AFRIKA „Rassegesellschaft“ – Fundamentalismus und Faschismus in Südafrika
218
„Herz der Finsternis“ – Bonapartismus und Faschismus in Schwarzafrika
227
FERNER UND NAHER OSTEN „Himmlischer Souverän“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Japan
248
„Wiedergeburt“ – Bonapartismus und Faschismus in Ägypten, Syrien und dem Irak
256
„Dschihad“ – Fundamentalismus und Faschismus in Ägypten, Palästina und Persien
266
„Hat es Faschismus überhaupt gegeben?“ – Zusammenfassung und Ausblick
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ANHANG Anmerkungen Bibliographischer Essay Literatur Namenregister
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„Faschismus wäre Bündlertum“ Einleitung
„Ein fascio ist ein Verein, ein Bund, Faschisten sind Bündler und Faschismus wäre Bündlertum“.1 Mit diesen Worten hat der deutsche Sozialdemokrat Fritz Schotthöfer schon 1924 auf einen wichtigen, aber viel zu wenig beachteten Sachverhalt verwiesen. Der aus dem italienischen Wort für Bund – fascio – abgeleitete Begriff Faschismus ist gewissermaßen inhaltsleer. Er sagt so gut wie nichts über das Wesen dessen aus, was faschistisch ist oder sein soll. Darin unterscheidet sich dieser „Ismus“ ganz entscheidend von anderen „Ismen“ wie Konservativismus, Liberalismus, Sozialismus et cetera.2 Was Faschismus ist oder sein soll wurde vornehmlich von seinen Gegnern bestimmt, die Theorien des oder besser: über den Faschismus entwickelt haben.3 Kommunisten suchten das Wesen des Faschismus mit dem Hinweis auf seine kapitalistische soziale Funktion zu erklären und definierten ihn als „Diktatur einiger Elemente des Finanzkapitals“. Sie konnten diese instrumentalistische Deutung jedoch empirisch nicht beweisen und waren sich zudem uneinig darüber, ob der Faschismus nun das Produkt des hoch oder des unterentwickelten Kapitalismus sei. Schließlich vermochten sie nicht zu erklären, warum eine dezidiert prokapitalistische Erscheinung wie der Faschismus von sozialen Schichten gewählt und unterstützt wurde, die vom Kapitalismus nichts Gutes zu erwarten hatten. Hier setzten verschiedene sozialdemokratische Autoren an und behaupteten, dass das Wesen des Faschismus durch seine kleinbürgerliche soziale Basis geprägt werde. Empirische Belege für diese These fehlen jedoch, haben sich die bisherigen bekannten faschistischen Bewegungen doch nachweislich aus Angehörigen aller sozialen Schichten rekrutiert, weshalb sie mehr den Charakter von Volks- denn von Mittelstandsparteien hatten. Außerdem war es nicht die soziale Herkunft allein, die viele Menschen bewogen hat, zu Faschisten zu werden. Waren es ganz überwiegend psychologische Motive, und wenn ja, welche? Innerhalb der sozialpsychologischen Faschismustheorien gibt es
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Einleitung
dafür verschiedene, sich teilweise völlig widersprechende Vermutungen – sollen es doch sowohl Gefühle der Angst wie der Aggression gewesen sein, die für den Faschismus anfällig gemacht haben. Wirklich bewiesen wurde weder das eine noch das andere. Der entscheidende Einwand, der sowohl gegen die sozialen wie die sozialpsychologischen Theorien erhoben wurde, ist aber, dass sich die wie auch immer gearteten sozialen Interessen und psychologischen Merkmale ihrer Mitglieder kaum auf die Politik der faschistischen Parteien und so gut wie gar nicht auf die der faschistischen Staaten ausgewirkt haben. Denn dabei handelte es sich um Diktaturen, die eine Politik betreiben konnten, die keineswegs immer und vollständig im Interesse ihrer Anhänger und finanziellen Gönner war. Andererseits ist es auch nicht möglich, die Politik dieser Diktaturen einzig und allein auf den Willen ihrer Führer zurückzuführen. Die faschistischen Führer vermochten viel, aber eben nicht alles. Die Politik der faschistischen Staaten hing auch von den politischen und sozioökonomischen Voraussetzungen des jeweiligen Landes ab. Diese waren wiederum sehr unterschiedlich, weshalb der Faschismus an der Macht sowohl als Produkt der Moderne wie als eine Wirtschaft und Gesellschaft modernisierende Entwicklungsdiktatur definiert wurde. Insgesamt konnte keine dieser ebenso globalen wie monokausalen Faschismustheorien hinreichend bewiesen und empirisch abgesichert werden – weder die über die soziale Funktion noch die über die soziale Basis des Faschismus und die sozialpsychologischen Motive seiner Anhänger. Überhaupt keine Einigkeit konnte über die Frage der – fortgeschrittenen oder rückständigen – sozioökonomischen Voraussetzungen und die Frage der – modernen oder reaktionären – Ziele der faschistischen Staaten erzielt werden. Die bisher entwickelten Faschismustheorien sind daher allenfalls als Theorien „mittlerer Reichweite“ anzusehen, mit denen nur einzelne Phasen in der Geschichte des Faschismus beziehungsweise der Faschismen erklärt werden können. Und es sieht nicht so aus, als ob die Suche nach einer alles umfassenden und erklärenden Theorie des Faschismus jemals erfolgreich sein wird. Hinzu kommt der Doppelcharakter des Faschismus als politische Theorie und als politischer Kampfbegriff, der ziemlich wahl- und unterschiedslos auf alle möglichen politischen Phänomene und Personen angewandt wurde – und heute immer noch wird. Diese missbräuchliche
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Anwendung wurde durch einige der monokausalen Theorien begünstigt. Das gilt insbesondere für die instrumentalistischen: Denn wenn Faschismus nur mit dem Hinweis auf seine prokapitalistische und antikommunistische Funktion definiert wurde, dann lag es nahe, auch andere politische Phänomene als „faschistisch“ zu bezeichnen, denen zu Recht oder zu Unrecht eine prokapitalistische und antikommunistische Haltung und Politik unterstellt wurde. Aus kommunistischer Sicht traf dies in erster Linie auf die Sozialdemokraten zu, die folglich ebenfalls als „Faschisten“ beziehungsweise „Sozialfaschisten“ bezeichnet und bekämpft wurden.4 Die ebenso falsche wie politisch gefährliche Sozialfaschismusthese ist zwar revidiert worden, doch nicht die ihr zugrunde liegende Reduktion des Faschismus auf seine soziale Funktion. An ihr beziehungsweise an der sogenannten (aber gar nicht von diesem entwickelten) DimitroffDefinition hat man in den kommunistischen Staaten bis zum Schluss wie an einem Dogma festgehalten oder auf Anordnung der jeweiligen Partei- und Staatsführungen festhalten müssen. „Faschismus“ war hier wirklich „nur ein Schlagwort“5, das während des Kalten Krieges wie eine Waffe gegen die demokratischen Staaten des Westens eingesetzt wurde. Umso erstaunlicher und eigentlich unentschuldbar war, dass dies den Beifall zwar nicht aller, aber einiger „Neuer Linker“ im Westen fand, welche die westlichen Demokratien, allen voran die USA sowie die Bundesrepublik, als „faschistisch“ oder, wie das neue und unsinnige Modewort lautete, als „faschistoid“ attackierten. Einige von ihnen nicht nur verbal, sondern mit gewaltsamen und terroristischen Methoden. Verständlich war daher, dass diese missbräuchliche und inflationäre Verwendung des Faschismusbegriffs auf scharfe Kritik stieß. Diese war aber häufig ebenfalls politisch motiviert, weil ernsthaft befürchtet wurde, dass die Anwendung des Faschismusbegriffs generell (und keineswegs nur des marxistischen) zu einer Unterhöhlung des westlichen demokratischen Systems führe. Dem als antidemokratisch angesehenen Faschismuskonzept wurde daher das demokratische Totalitarismuskonzept entgegengestellt.6 Überzeugend war und ist dies nicht. Anders verhält es sich mit einer anderen Kritik an der Verwendung eines generischen, das heißt nicht allein auf Italien bezogenen Faschismusbegriffs. Gemeint ist der Hinweis auf die fundamentalen Unterschiede zwischen den Faschismen. Sie sind nämlich ohne Zweifel vor-
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Einleitung
handen. Dennoch gibt es auch unverkennbare Gemeinsamkeiten. Unterschiede wie Gemeinsamkeiten weisen zudem auch andere generische Phänomene wie Absolutismus, Konservativismus und Liberalismus auf. Dennoch hat kaum jemand die Legitimität dieser generischen Begriffe und die Existenz von Absolutismus, Konservativismus und Liberalismus infrage gestellt. Warum soll das beim Faschismus anders sein? Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. An keinem Maß gemessen wird ein weiteres Argument gegen die Verwendung eines allgemeinen und auch den Nationalsozialismus einbeziehenden Faschismusbegriffs. Dies ist der Hinweis auf die absolute Singularität des Holocaust, worunter nur der Rassenmord an den Juden und nicht etwa auch der an den Sinti und Roma und anderer Opfer des nationalsozialistischen „Rassenstaates“ verstanden wird. Damit wird eine Hierarchisierung der Opfer nicht nur des deutschen, sondern auch der übrigen Faschismen vorgenommen, die unter wissenschaftlichen wie moralischen Gesichtspunkten fragwürdig ist. Schließlich haben auch andere Faschismen rassistisch motivierte Morde verübt und andere Gewalttaten begangen. Man denke nur an den Rassenkrieg des faschistischen Italien in Abessinien, die rassistisch geprägte Ermordung von Juden, Roma und Serben durch die faschistische Ustascha in Kroatien und die Verbrechen des Franco-Regimes in Spanien. Auch angesichts der deutschen Megaverbrechen dürfen die der anderen faschistischen Staaten nicht relativiert werden. Doch hier wird es schwierig, weil moralisch und philosophisch. Daher sollte man die geschichtswissenschaftlichen von den geschichtsphilosophischen Argumenten trennen und auf jeden Fall beides nicht für geschichtspolitische Zwecke ausnutzen. Anders als bei uns in Deutschland, wo die gesamte von Ernst Nolte begonnene Faschismusforschung noch vor einigen Jahren vor einem „Scherbenhaufen“ stand,7 hat man dies im westlichen Ausland auch erkannt und die Diskussion über den Sinn und Nutzen eines generischen Faschismusbegriffs unbeirrt fortgeführt. Gekennzeichnet ist sie einmal durch den Abschied von den erwähnten Globaltheorien des Faschismus und zum anderen durch die Entwicklung eines faschistischen Idealtypus. Diese Versuche basieren, auch wenn dies nicht immer zugegeben wird, auf der „historisch-phänomenologischen“ Faschismusdefinition Ernst Noltes,8 der in seinen späteren Arbeiten so etwas wie ein „faschistisches Minimum“ entwickelt hat, wozu er neben dem Antimarxismus
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auch den Antiliberalismus, das Führerprinzip und den Totalitätsanspruch des, auf eine Parteiarmee gestützten, Faschismus gezählt hat.9 Daran hat der amerikanische Historiker Stanley Payne angeknüpft und neben der nationalistischen, antikommunistischen, antiliberalen und tendenziell auch antikonservativen Ideologie den auf Massenmobilisierung und Führerprinzip basierenden politischen Stil zum „faschistischen Minimum“ gerechnet.10 Andere Autoren haben sich bei der Bestimmung des „faschistischen Minimums“ auf die Ideologie des Faschismus beschränkt. Roger Eatwell wies in diesem Zusammenhang auf sowohl rechte wie linke Elemente hin.11 Damit bekräftigte er die von Zeev Sternhell schon früher betonte allgemeine Ambivalenz des Faschismus, der „weder links noch rechts“ gewesen sei.12 Roger Griffin schließlich reduzierte die, wiederum idealtypisch verstandene, faschistische Ideologie auf den Nationalismus und definierte Faschismus kurz und bündig als „palingenetischen (das heißt auf Wiedergeburt abzielenden) Ultranationalismus“.13 Diese Zauberformel bezeichnete Griffin selber als „new consensus“,14 womit er viel Aufmerksamkeit erhielt, aber auch beträchtliche Kritik hervorrief.15 Einen etwas anderen Weg hat Robert O. Paxton beschritten.16 Er definiert Faschismus praxeologisch17 als Form eines spezifischen „politischen Verhaltens“, das durch Ideologie (in deren Zentrum wiederum der Nationalismus steht) geprägt gewesen sei, und das in insgesamt fünf idealtypischen Stadien unterschiedliche Formen angenommen habe. Das Stadium der Machtergreifung hätten nur solche faschistischen Bewegungen erreicht, denen es gelungen sei, mit den „traditionellen Eliten“ ein Bündnis abzuschließen. Im Anschluss an einige zeitgenössische Theoretiker und spätere Forscher wie Wolfgang Schieder habe ich dagegen vorgeschlagen, anstatt einen faschistischen Idealtypus zu konstruieren, von einem Realtypus auszugehen, der vom italienischen Faschismus geprägt und repräsentiert wird.18 Aufgrund dieser realtypischen Definition könnten solche Bewegungen und Regime als faschistisch bezeichnet werden, die wesentliche Gemeinsamkeiten mit dem namen- und stilbildenden italienischen Faschismus aufweisen. Dies gilt für das Erscheinungsbild der faschistischen Parteien und ihren politischen Stil sowie ihre Ideologie und die Form der Machtergreifung und Machtfestigung. Dies führte zu folgender Definition:
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Einleitung
Faschistische Parteien waren hierarchisch nach dem Führerprinzip gegliedert, verfügten über uniformierte und bewaffnete Abteilungen und wandten einen damals neuartigen und spezifischen politischen Stil an, wobei man auf Massenaufmärschen und -kundgebungen den jugendlichen und zugleich männlichen Charakter betonte und ihn mit pseudoreligiösen und gewaltbetonten Riten und Ritualen feierte. Im Mittelpunkt stand jedoch das Bekenntnis zur und die Ausübung von schrankenloser Gewalt gegen verschiedene und durchaus austauschbare „Feinde“. In der Regel waren dies Kommunisten und Sozialisten sowie Juden und andere rassistisch stigmatisierte Minderheiten. Diese Gewaltausübung wurde mit dem Hinweis auf eine Ideologie begründet, die mehr war als bloß verschleiernde Propaganda, sondern einen programmatischen Charakter hatte. Die faschistische Ideologie setzte sich aus einem rassistischen Kern zusammen, um den sich weitere antisemitische, antimarxistische, antidemokratische, antifeministische und vor allem nationalistische Elemente gruppierten. Zur Macht gelangten diese Parteien in der Situation eines politischen und sozialen Gleichgewichts durch einen Putsch oder ein Bündnis mit den konservativen Kräften, in dem sich die Faschisten aber gegenüber ihren konservativen Partnern durchsetzen und, gestützt auf ihre Parteiarmee und im Besitz der Exekutive, einen weitgehend totalen Staat errichten konnten. Das Problem an dieser vorgeblich realtypischen Definition des Faschismus ist einmal, dass sie von den erwähnten idealtypischen kaum zu trennen ist.19 Andererseits ist sie wieder sehr eng am italienischen Faschismus orientiert, weshalb sie einige andere Varianten des Faschismus nicht erfassen kann.20 Das gilt einmal für faschistische Regime, die nicht von unten durch die Machtergreifung einer faschistischen Partei, sondern von oben gebildet worden sind. In der Forschung hat man in diesem Zusammenhang von „Faschismus von oben“ gesprochen. Ebenfalls nicht erfasst werden Bewegungen und Regime, die keinen religionsfeindlichen, sondern einen fundamentalistisch religiösen Charakter hatten, weshalb sie verschiedentlich auch als „klerikalfaschistisch“ eingeschätzt worden sind. Ein weiteres Manko der realtypischen Faschismusdefinition ist, dass sie nur unter großen Schwierigkeiten auf solche faschistischen Bewegungen und Regime angewandt werden kann, die in einem anderen Raum- und Zeitkontext entstanden sind als der italienische Faschismus
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zwischen 1922 und 1945. Gemeint sind die „präfaschistischen“ und die „neofaschistischen“ Bewegungen und Regime innerhalb und außerhalb Europas. Wenn es sich beim Faschismus um ein generisches Phänomen gehandelt hat, woran meines Erachtens nicht mehr gezweifelt werden kann, dann ist eine Eingrenzung auf eine Epoche und einen Kontinent weder möglich noch notwendig. Ähnlich wie Konservativismus, Liberalismus und Sozialismus ist Faschismus ein epochenübergreifendes und zugleich globales Phänomen. „Faschismus global“ soll mit der folgenden „Dreiecksdefinition“ bestimmt werden: Faschismus Bonapartismus
Fundamentalismus
Faschistisch im engeren beziehungsweise klassischen Sinne sind Parteien, die sich durch ihr Erscheinungsbild (uniformierte und bewaffnete und nach dem Führerprinzip aufgebaute Partei), ihren politischen Stil (Terror und Propaganda) und ihre Ideologie (Nationalismus, Rassismus, Antidemokratismus, Antikommunismus, Antisemitismus, Führerkult) von anderen rechten und linken Parteien sowohl unterscheiden wie ihnen gleichen, das heißt „weder rechts noch links“ sind. Bonapartistisch sind Regime, die in der Situation eines politischen, von rechten und linken Parteien gebildeten, oder eines Klassengleichgewichts entstanden sind und sich auf Polizei und Armee, aber nicht oder kaum auf eine Partei stützten.21 Derartige Regime können sich zu bonapartistisch-faschistischen entwickeln, wenn sie sich mit faschistischen Parteien verbünden oder selber Einheits- beziehungsweise Staatsparteien aufbauen, welche die Funktionen der „klassischen“ faschistischen Parteien übernehmen, das heißt die Bevölkerung sowohl kontrollieren wie mobilisieren. Diese Variante des Faschismus ist auch als „Faschismus von oben“ bezeichnet worden. Fundamentalistisch ist eine nach der amerikanischen protestantischen Schriftenreihe The Fundamentals. A Testimony of Truth, Chicago 1910–1915, benannte Ideologie, wonach die Religion die Politik prägen soll und zur politisierten Religion beziehungsweise „politischen Religion“ wird. Fundamentalistische Ideologien haben sowohl Parteien wie (diktatorische) Regime beeinflusst und sie zu fundamentalistisch-faschistischen gemacht, wenn sie eine Verbindung mit anderen spezifisch
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Einleitung
faschistischen Ideologemen eingegangen sind, vor allem mit Antisemitismus und Antikommunismus, Nationalismus und Rassismus. Dabei werden diese faschistischen Ideologeme religiös begründet und religiöse Glaubenssätze zur Rechtfertigung faschistischer Politikbereiche benutzt. Betroffen sind vor allem die jeweiligen Gegner und Feinde, die im wörtlichen religiösen und übertragenen politischen Sinne dämonisiert werden, um gegen sie einen „Heiligen Krieg“ führen zu können.22 Katholisch fundamentalistische Bewegungen und Regime sind bisher auch als „klerikalfaschistisch“ bezeichnet worden. Für islamischfundamentalistische scheint sich dagegen der Begriff „Islamofaschismus“ einzubürgern. Beide Begriffe sind problematisch, weil sie ganze Religionsgemeinschaften und keineswegs nur ihre fundamentalistischen Ausprägungen in die Nähe des Faschismus rücken. Faschismus im generischen, nicht allein in Italien anzutreffenden Sinne ist folglich die Bezeichnung für ein globales, das heißt weltweites Phänomen, das über eine klassische, bonapartistische und fundamentalistische Variante verfügt und sowohl im 19. wie im 20. Jahrhundert anzutreffen war – und bis heute anzutreffen ist. Seine Geschichte wird in den folgenden insgesamt 16 Kapiteln behandelt. Dabei beschränke ich mich nicht auf Italien, Deutschland und einige andere westeuropäische Länder, sondern beziehe auch das in vieler Hinsicht andersartige Osteuropa mit ein. Danach wird untersucht, ob es auch in anderen Teilen der Welt Faschismus gegeben hat und immer noch gibt: in Nord- und Südamerika, Afrika und Asien.23 In fast jedem der insgesamt 16 Kapitel ist ein biographischer Zugriff gewählt, weil alle drei Varianten des Faschismus ohne „Führer“ nicht denkbar sind. Die Geschichte der einzelnen Bewegungen und Regime ist zwar nicht mit der Biographie der jeweiligen Führer identisch, aber ohne sie auch nicht zu begreifen. Daher muss beides berücksichtigt werden. Doch zunächst und vor allem wird die jeweilige Geschichte erzählt – in bewusst knapper Form und in einer allgemein verständlichen Sprache.24 Wendet sich das vorliegende Buch doch keineswegs nur an die Spezialisten, sondern an alle, die sich für die Geschichte des Faschismus interessieren, die sich nicht nur bei uns in Europa ereignet hat und mit dem Untergang des europäischen Faschismus auch keineswegs zu Ende gegangen ist. Faschismus global ist nicht Vergangenheit, er stellt eine gegenwärtige und weltweite Gefahr dar.
WESTEUROPA
„Weder rechts noch links“ – Bonapartismus und Faschismus in Frankreich
„Weder rechts noch links“ soll der (klassische) Faschismus nach der Meinung des israelischen Historikers Zeev Sternhell gewesen sein.1 Wenn dies zutrifft, dann liegen seine Ursprünge nicht in Italien, sondern in Frankreich. Dies ist keine neue These, und Sternhell ist keineswegs der Einzige, der sie vertritt. Schon Ernst Nolte hat die „Action française“ von Charles Maurras zu den drei Hauptvarianten beziehungsweise, wie es in der englischen Übersetzung hieß, faces (Gesichter) des Faschismus gezählt, mit der er sein Standardwerk über die Epoche des Faschismus begonnen hat.2 Noltes These wird inzwischen auch von einigen anderen Historikern geteilt. Neben dem schon genannten Sternhell trifft dies auch auf Michel Winock, Jean François Sirinelli, Pierre Milza und andere zu.3 Ich meine dagegen, dass man noch weiter zurückgreifen und mit dem Mann beginnen sollte, der das erste Regime geschaffen hat, das „weder rechts noch links“ war und zum Vorbild und Ausgangspunkt des späteren Faschismus wurde – mit dem Bonapartismus Louis Bonapartes. 4 Bonaparte und der Bonapartismus Louis Bonaparte wurde am 20. April 1808 geboren, sein Vater war der König von Holland und Bruder Napoleons I. Dieser hieß ebenfalls Louis mit Vornamen und war mit der Stieftochter Napoleons, Hortense de Beauharnais, verheiratet. Nach dem Untergang des ersten französischen Kaiserreichs ging Hortense mit ihren Kindern ins Exil nach Deutschland. Hier, genauer gesagt am Bodensee, wuchs Louis Bonaparte auf, bevor er sich in der Schweiz zum Artillerieoffizier ausbilden ließ. Vorbild war natürlich sein großer Onkel, der seine militärische Karriere auch als Offizier der Artillerie begonnen hatte. Sonst hatten beide Bonapartes wenig gemeinsam. Dies änderte sich, als Napoleons einziger Sohn, den er mit der österreichischen Kaisertochter Marie Louise hatte, starb. In der bonapartistischen Thronfolge, die
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freilich ohne praktische Bedeutung war, rückte Louis Bonaparte damit auf, weshalb er von den Bonapartisten als Napoleon III. tituliert wurde. Natürlich war dies nicht mehr als Schall und Rauch, aber es spornte Louis Bonaparte an, es seinem großen Onkel gleichzutun und den Anspruch auf den Thron zu erheben. Doch zunächst waren alle Anstrengungen vergeblich. 1836 scheiterte sein Versuch, ein Straßburger Regiment zum Putsch gegen den „Bürgerkönig“ Louis Philippe zu überreden, kläglich. Louis Bonaparte wurde aus Frankreich ausgewiesen und ging zunächst in die Vereinigten Staaten, dann nach England. Von hier aus startete er 1840 einen erneuen Putschversuch. Mit nur 60 Gefolgsleuten fuhr er nach Boulogne, um die dortige Garnison zum Marsch auf Paris zu bewegen. Alles endete mit einem Desaster und der Verurteilung Louis Bonapartes zu lebenslanger Festungshaft. Diese verbrachte er sehr kommod mit dem Studium der Lehren der Frühsozialisten, was ihn veranlasste, selber eine Broschüre über nichts Geringeres als die „Ausrottung der Volksarmut“ zu schreiben. Ein löbliches Unterfangen, zu dem Louis Bonaparte aber alle Voraussetzungen fehlten. Zunächst die seiner Freiheit. Sie erlangte er 1846 wieder – durch den Ausbruch aus dem Gefängnis und seine Flucht nach England. Zwei Jahre später konnte er auch nach Frankreich zurückkehren. Hier war nämlich im Februar 1848 die Revolution ausgebrochen. Nach dem Willen vieler Revolutionäre sollte aus der politischen Umwälzung eine soziale werden, sie schlug aber stattdessen den Rückwärtsgang ein. Die Linken konnten von dem von ihnen eingeführten allgemeinen (Männer-)Wahlrecht nicht profitieren, erzielten sie doch bei den im April 1848 durchgeführten Wahlen zur Nationalversammlung nur 200 von insgesamt 900 Sitzen. Sieger waren die von Ledru-Rollin angeführten liberalen Republikaner mit 350 Sitzen, die sich weigerten, die Sozialisten unter der Führung Auguste Blanquis in die fünfköpfige Exekutivkommission aufzunehmen. Blanqui und seine Genossen protestierten dagegen ergebnislos. Deren Niederlage nahm die neue Regierung zum Anlass, um im Juni 1848 die Nationalwerkstätten wieder zu schließen, die gerade von den Linken mit dem Ziel eingerichtet worden waren, die Arbeitslosigkeit durch staatliche Arbeitsbeschaffung zu bekämpfen. Der daraufhin von Blanqui angezettelte Aufstand wurde von dem neuen Kriegsminister (und faktischen Diktator) Eugène Cavaignac nie-
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Westeuropa
dergeschlagen – und zwar äußerst blutig durch den Einsatz von mit Kartätschen geladenen Kanonen. Mehr als 3000 Aufständische wurden in den Straßen von Paris niederkartätscht beziehungsweise, wie man dieses Morden nach dem Verantwortlichen nannte, „cavaignisiert“. Die Folge war die Beseitigung weiterer Zugeständnisse an die Arbeiter und der Erlass einer neuen Verfassung, in der die konservativen Werte „Familie“, „Eigentum“ und vor allem „öffentliche Ordnung“ beschworen und fixiert wurden. Jetzt schlug – zum ersten Mal – die Stunde des damals weitgehend mittellosen und nur wegen seines Familiennamens einigermaßen bekannten Louis Bonapartes. Unterstützt von den Orleanisten, den Anhängern des gestürzten Louis Philippe, und durch den Einsatz geschickter propagandistischer Methoden gewann er die Präsidentschaftswahl vom Dezember 1848 haushoch. Mehr als fünf Millionen Franzosen stimmten für ihn, nur 1,4 Millionen für Cavaignac und 400 000 für Ledru-Rollin. Der Rollback ging weiter. Die Rechte und (angemaßten) Befugnisse der Katholischen Kirche im Bildungswesen wurden wiederhergestellt und das allgemeine Wahlrecht faktisch abgeschafft. Die treibende Kraft hierbei war die bürgerliche „Partei der Ordnung“. Sie triumphierte bei den Parlamentswahlen vom Mai 1849. Ihren 500 Abgeordneten standen nur noch 100 republikanische gegenüber. Da die Linken, die sich jetzt in Erinnerung an die Große Französische Revolution Montagnards nannten, immerhin 200 Sitze errungen hatten, war noch nicht alles entschieden. Es herrschte in Frankreich so etwas wie ein labiles politisches Gleichgewicht zwischen den linken und rechten Kräften. Marx wollte darin sogar ein „Klassengleichgewicht“ zwischen Bourgeoisie und Proletariat sehen, weil das Proletariat „noch nicht“ fähig sei, die politische Macht zu erobern, während die Bourgeoisie „nicht mehr“ fähig sei, sie zu behaupten. Daher, so Marx weiter, zeige sie sich bereit, auf ihre mit dem und durch das Parlament ausgeübte politische Macht zugunsten der Exekutive zu verzichten. Ihr Chef war Louis Napoleon. Mit der Absetzung des Kommandeurs der Pariser Nationalgarde gelang es ihm, diese zu entmachten und dem Bürgertum damit sein letztes politisches Machtmittel zu nehmen. Doch verfügte er selber noch keineswegs über die ganze Macht. Seine Amtszeit war nämlich begrenzt und lief 1852 aus. Für eine Verlängerung wäre eine Dreiviertelmehrheit im Parlament notwendig gewesen. Doch ein diesbezüglicher Versuch schei-
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terte. Bonapartes Antrag fand nicht die verfassungsgemäß notwendige Stimmenzahl. Daraufhin schlug Bonaparte am 2. Dezember zu. Ein symbolkräftiges Datum: An einem 2. Dezember beziehungsweise, wie er damals nach dem revolutionären Kalender genannt wurde, an einem 18. Brumaire, war sein großer Onkel 1804 zum Kaiser gekrönt worden. Louis Bonapartes Putsch des 18. Brumaire war erfolgreich, kostete aber weit mehr als hundert Menschen das Leben. Tausende wurden verhaftet, wovon wiederum die meisten in die Kolonien deportiert wurden. Viele Oppositionelle, darunter der Schriftsteller Victor Hugo, konnten sich diesem Schicksal nur durch die Flucht ins Ausland entziehen. Dennoch, trotz oder wegen dieses Terrors, gewann Louis Bonaparte das noch im Dezember 1851 durchgeführte Referendum zur Bestätigung seines Staatsstreiches haushoch. Er erhielt 7,4 Millionen Ja-Stimmen. Nur 600 000 Franzosen votierten gegen ihn und 1,5 Millionen enthielten sich – und dies obwohl das Plebiszit auf der Basis des wieder eingeführten allgemeinen Wahlrechts durchgeführt worden war. Marx und Engels schnaubten im britischen Exil vor Wut, ereiferten sich über die Feigheit der Franzosen im Allgemeinen, des französischen Proletariats im Besonderen und wollten fortan im (demokratischen) allgemeinen Wahlrecht nur einen finsteren bonapartistischen Trick erblicken. Auch Bonapartes Krönung zum Kaiser Napoleon III. ein Jahr später wurde durch ein Plebiszit bestätigt. Dieses Mal stimmten nur noch 253 000 gegen und über 8 Millionen für den von Marx so geschmähten „Neffen seines Onkels“. Wie man es auch drehte und wendete: Louis Bonaparte war unbestrittener und allgemein anerkannter Kaiser beziehungsweise – nach den Worten von Marx und Engels – Chef der „verselbstständigten Exekutive“, vor der alle Klassen niederknieten. Diese „Verselbstständigung“ der Exekutive sei jedoch nur partiell, weil die Bourgeoisie ja noch im Besitz ihrer sozialen Macht sei. Diese werde sie über kurz oder lang nutzen, um wieder in den vollen Besitz auch der politischen Macht zu gelangen. Daher handele es sich nur um eine temporäre Verselbstständigung der Exekutive. Doch genau wie das Provisorische recht konstant sein kann, kann sich das Temporäre als dauerhaft erweisen. Im Falle des Bonapartismus sollte es fast 20 Jahre währen. Warum konnte sich Napoleon III. so lange an der Macht halten, obwohl doch Marx und Engels fast im Einjahresrhythmus seinen unmittelbar bevorstehenden Sturz durch eine Revolution angekündigt haben?
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Zunächst und vor allem, weil er doch mehr war als nur der „Neffe seines Onkels“. Napoleon III. ist sicherlich nicht so verklärt worden wie Napoleon I., dennoch war er bei den Franzosen zweifellos populär. Beigetragen haben dazu nicht so sehr seine militärischen Erfolge. Er war kein großer Eroberer wie es Napoleon I. war. Napoleon III. hat das französische Staatsgebiet nur um Nizza und Savoyen erweitert sowie den Kolonialbesitz in Afrika und Asien befestigt und vergrößert. Sein Versuch, auch auf dem amerikanischen Kontinent wenigstens indirekt Fuß zu fassen, scheiterte auf der ganzen Linie mit der Niederlage des von Napoleon III. in Mexiko eingesetzten „Kaisers“ Maximilian. Der mexikanische Präsident Benito Juárez ließ diese französische Marionette auf dem Thron ohne Urteil erschießen. Nicht erschossen, wohl aber gefangen genommen wurde Napoleon III. dann selber nach der totalen Niederlage seines Heeres bei Sedan. Vorausgegangen war die von Bismarck provozierte Kriegserklärung Frankreichs an Preußen. Die Niederlage gegen Preußen, die Napoleon I. einst das Fürchten gelehrt hatte, verziehen die Franzosen ihrem Kaiser nicht. Sie setzten ihn ab und riefen die (dritte) Republik aus. Der finale militärische Misserfolg Napoleons III. verdeckt seine vorherigen innenpolitischen Erfolge. Der dritte und nicht der erste Napoleon war es, der Frankreich der nachrevolutionären Erstarrung entrissen und das Land modernisiert hat, vor allem durch den Ausbau der Infrastruktur. Das französische Eisenbahnnetz wurde in seiner Regierungszeit von 2000 auf 18 000 Kilometer erweitert. Völlig neu war das Telegraphennetz. Das heutige Erscheinungsbild von Paris mit seinen prächtigen Boulevards und eindrucksvollen Häusern wurde unter Napoleon III. durch den von ihm beauftragten Präfekten Georges-Eugène Haussmann gestaltet. Dadurch wurde zugleich die Bauwirtschaft gefördert. Die Mittel dafür sowie die für den Ausbau der Eisen- und Textilindustrie wurden nicht durch erhöhte Steuern, sondern durch eine geschickte Finanzpolitik aufgebracht, wobei sich die neuen Kreditinstitute das Kapital durch öffentliche Anleihen beschafften. Der unzweifelhafte wirtschaftliche Aufschwung Frankreichs erfolgte zudem nicht auf den Rücken und zu Lasten der Arbeiter. Die Grundzüge der modernen Sozialpolitik wurden von Napoleon III. gelegt – durch den Bau von staatlichen Schulen und Krankenhäusern, die eben auch den ärmeren Schichten der Bevölkerung offenstanden. Hier folgte Napoleon III. den Lehren einiger Frühsozialisten, allen voran denen
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Saint-Simons. Einige Schüler Saint-Simons standen dann auch Napoleon III. bei dessen Sozial- und Wirtschaftspolitik beratend zur Seite. Wegen dieser Erfolge und vor allem auch wegen seiner Popularität konnte Napoleon III. es dann sogar wagen, den diktatorischen Zwang zu lockern und einen liberaleren Kurs in der Innenpolitik einzuleiten. Einige Zeitgenossen sprachen schließlich sogar von einem „liberalen Empire“. Diese Einschätzung ging sicherlich zu weit, doch unterschied sich das bonapartistische von den früheren und gleichzeitigen absolutistischen Regimen durch seinen insgesamt viel moderneren und volkstümlicheren Charakter. Dennoch war Napoleon III. ein Diktator, dessen Macht letzten Endes auf dem Militär und nicht so sehr auf einer Massenpartei basierte. Insoweit war sein Regime vielleicht nicht „weder links noch rechts“, wohl aber in einer neuartigen Weise sowohl links wie auch rechts, was in Frankreich bewundert wurde und im Ausland zur Nachahmung anregte. Doch 1870 war es mit dem Bonapartismus in Frankreich erst einmal vorbei. Napoleon III. war gestürzt worden und Frankreich war wieder Republik, die sich zudem mit einem sozialistischen Aufstandsversuch konfrontiert sah. Er wurde zwar schnell niedergeschlagen, weil er sich auf Paris konzentrierte, dennoch rief das kurzlebige Regiment der Commune in Paris bei den Bürgerlichen Angst hervor. Bei Marx und Engels dagegen so große Begeisterung, dass sie in der Commune das Vorbild und schon Beispiel für die künftige „Diktatur des Proletariats“ erblicken wollten – habe doch die Bourgeoisie mit dem untergegangenen Bonapartismus gewissermaßen ihre letzte Karte gegen die Revolution ausgespielt. Auf jeden Fall sei der Bonapartismus die „schließliche“ Form der Herrschaft der Bourgeoisie. Nach ihr könne nur noch die Revolution kommen. Doch wieder kam alles anders als prophezeit. Anstelle der von Marx und Engels immer erwarteten und immer wieder als unmittelbar bevorstehend ausgerufenen Revolution kam es zu einem erneuten und wiederum völlig unerwarteten „Rückfall“ beziehungsweise zu dem, was Engels den „dritten Anfall des bonapartistischen Fiebers“ nannte.5 Verursacher oder Erreger dieses „bonapartistischen Fiebers“ war kein Bonaparte, sondern ein heute nahezu unbekannter General. Sein Name war Georges Ernest Boulanger.
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Boulanger Der 1837 geborene Boulanger hatte eine glanzvolle militärische Karriere gemacht und sich in mehreren Kriegen durch persönliche Tapferkeit und Tollkühnheit ausgezeichnet. Das machte ihn im ganzen Land populär, und man sah darüber hinweg, dass sich Boulanger an der Niederschlagung der Commune beteiligt hatte. 1886 wurde Boulanger, der es inzwischen bis zum General gebracht hatte, zum Kriegsminister ernannt. Als dieser sprach er sich in der ihm eigenen Forschheit für einen Revanchekrieg gegen Deutschland aus und forderte eine weitere forcierte Aufrüstung. Für seine Ministerkollegen war dies etwas zu forsch, weshalb Boulanger schon ein Jahr später sein Ministeramt aufgeben musste. Gegen seine erzwungene Entlassung protestierte Boulanger öffentlich und opponierte gegen die Regierung – letzteres in Zusammenarbeit mit der „Ligue des Patriotes“ Paul Déroulèdes. Die Regierung konnte und wollte diese politische Betätigung eines Offiziers nicht hinnehmen und entließ Boulanger aus der Armee. Jetzt wurde Boulanger erst recht politisch. 1888 gründete er eine eigene Partei, die „Republikanisches Komitee des nationalen Protestes“ hieß und inoffiziell nach ihrem Führer als „boulangistisch“ bezeichnet wurde. Sie gewann sofort ein Mandat in der Nationalversammlung, das natürlich von Boulanger selber wahrgenommen wurde. Damit gab er sich nicht zufrieden. Bei den nächsten Wahlen trat er gleichzeitig in drei Departements an – und gewann alle drei Mandate. Sie übergab er seinen Anhängern, um sofort selber bei einer Nachwahl in Paris anzutreten, die er wiederum gewann. Dies alles geschah innerhalb von zwei Jahren und deutete auf einen weiteren kometenhaften Aufstieg Boulangers hin, der zudem keineswegs nur von den Anhängern seiner eigenen Partei, sondern auch von den Bonapartisten, einigen Royalisten und selbst von Sozialisten unterstützt wurde. Zu letzteren gehörten die Guesdisten, deren prominentestes Mitglied der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafargue, war. Dass sich selbst Linke wie Lafargue für Boulanger engagierten, versetzte Engels in höchste Alarmbereitschaft. Doch nicht nur ihn. Auch die französische Regierung fürchtete eine Wiederholung der Geschichte in Gestalt eines neuen 18. Brumaires. Um einen drohenden Putsch Boulangers zu verhindern, klagte sie diesen der „Verschwörung und des Attentats auf die Sicherheit des Staates“ an. Jetzt machte der
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kampferprobte und bisher politisch so erfolgreiche Boulanger einen entscheidenden Fehler. Anstatt sich dem Gericht zu stellen, floh er nach Brüssel. Dies war sein politisches Ende, dem wenig später das physische folgte. Am Grab seiner kurz zuvor gestorbenen Geliebten (und finanziellen Gönnerin) beging er 1891 Selbstmord. Mit diesem theatralischen Abgang seines Repräsentanten war die von Engels befürchtete dritte Phase des Bonapartismus endgültig vorbei, noch bevor sie eigentlich begonnen hatte. Eine neue Phase des Bonapartismus beziehungsweise, wie man jetzt sagen kann, des Faschismus begann wenige Jahre später. Ursache und Auslöser war die Dreyfus-Affäre, die das politische Frankreich in zwei etwa gleich große und sich erbittert gegenüberstehende Lager spaltete. 6 Dreyfus und die Dreyfusards 1894 wurde der Hauptmann Alfred Dreyfus von einem Militärgericht in einem nicht öffentlichen Verfahren wegen Spionage zugunsten Deutschlands zu lebenslanger Haft auf der Teufelsinsel Cayenne verurteilt. Die französische Öffentlichkeit hätte von diesem Vorfall vermutlich kaum Notiz genommen, wenn der aus dem Elsass stammende Dreyfus nicht Jude gewesen wäre. Dies heizte den in Frankreich bisher kaum virulenten Antisemitismus an. Schon bei der öffentlichen Degradierung von Dreyfus kam es zu antisemitischen Kundgebungen, die verschiedene Zeitgenossen entsetzten. Darunter befand sich ein Korrespondent einer Wiener Zeitung, der in einem kurz darauf publizierten Buch die Lösung der „Judenfrage“ durch Gründung eines „Judenstaates“ forderte. Sein Name war Theodor Herzl. Die Dreyfus-Affäre war aber nicht nur die Geburtsstunde des Zionismus, sondern in gewisser Hinsicht auch die des französischen Faschismus. Und dies kam so: Zwei Jahre nach der Verurteilung Dreyfus’ entdeckte der Chef des französischen Geheimdienstes, Major Picquart, Dokumente, die darauf hindeuteten, dass nicht Dreyfus, sondern der französische Offizier Ferdinand Walsin-Esterházy für die Deutschen spioniert hatte. Picquart wurde daraufhin von seinen Vorgesetzten nach Algier versetzt und damit kalt gestellt. Dies wollte er sich nicht gefallen lassen, weshalb er einige dieser Dokumente an einen Bruder von Alfred Dreyfus weitergab. Dieser Mathieu Dreyfus setzte sich für eine sofortige Wiederaufnahme des Verfahrens gegen seinen Bruder ein. Zunächst mit geringem Erfolg, bis sich der bekannte und einflussreiche Schriftsteller Émile Zola der
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Sache annahm und in seiner Schrift J’accuse die französischen Behörden des Rechtsbruchs anklagte. Damit löste er eine heftige Kontroverse aus, welche die französische Gesellschaft in rechte Gegner Dreyfus’ und linke Anhänger, die sogenannten „Dreyfusards“, spaltete. Sie endete mit einem Sieg der linken Dreyfusards. 1899 wurde das Strafmaß gegen Alfred Dreyfus in einem neuen Verfahren auf zehn Jahre Festungshaft verringert. 1906 wurde Dreyfus völlig rehabilitiert, wieder in die Armee aufgenommen und mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet. Dieser Erfolg stärkte die gesamte französische Linke. Sie hatte die Wahl von 1902 gewonnen und setzte einige ihrer Programmpunkte in die Tat um. Darunter gehörte 1905 die – endgültige – Trennung von Staat und Kirche. Die Erfolge der Linken radikalisierte die Rechten, die Bewegungen ins Leben riefen, die sich nicht nur scharf und kompromisslos gegen die Linken wandten, sondern der gesamten französischen Republik den Kampf ansagten. Déroulède und Maurras Zu ihnen gehörte einmal die bereits erwähnte „Patriotenliga“ Paul Déroulédes, die schon Boulanger unterstützt hatte, später aber wieder in der Bedeutungslosigkeit versunken war.7 Durch die Dreyfus-Affäre gewann sie an Zulauf, was ihren Führer Déroulède 1899 veranlasste, das Militär zu einem antirepublikanischen Putsch aufzuwiegeln. Der aber war erfolglos und führte zur Verurteilung Déroulèdes zu zehn Jahren Verbannung, die dieser in Spanien verbrachte. Nach einem gescheiterten politischen Comeback im Jahr 1906 zog sich Déroulède aus der Politik zurück, er starb 1914. Er wäre heute völlig vergessen, wenn Déroulède nicht in Charles Maurras einen viel bekannteren und wichtigeren faschistischen oder zumindest präfaschistischen Nachfolger gefunden hätte. Charles Maurras wurde 1868 als Sohn einer bürgerlichen und betont konservativ katholischen Familie in Aix-en-Provence geboren.8 Nach der Schulzeit in seiner Heimatstadt ging er nach Paris, wo er bald zu einem bekannten Literaturkritiker und Essayisten wurde. 1895 kam er in Kontakt mit dem boulangistischen Abgeordneten und extremen Nationalisten Maurice Barrès. 1898 beteiligte sich Maurras an der rechten Kampagne gegen Dreyfus und die linken Dreyfusards und trat einem zu diesem Zweck gegründeten „Comité d’Action française“ bei. Dieses Komitee wandelte Maurras in einen straff organisierten Verband namens
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„Ligue d’Action française“ um. Diese „ligue“ vertrat einen sogenannten integralen Nationalismus, der monarchistische, chauvinistische und antisemitische Züge trug. Verbreitet wurde er von der Zeitschrift La Revue de l’Action française, die Maurras zusammen mit Léon Daudet herausgab. Sie wurde von Mitgliedern einer Jugendorganisation verteilt und verkauft, die „Les camelots du roi“ (Hausierer des Königs) genannt wurde. Dabei kam es zu – provozierten – Auseinandersetzungen mit Linken, was die Anziehungskraft der gesamten Action française erhöhte und sie zu einer einflussreichen politischen Bewegung machte, die – wie schon erwähnt – von einigen Historikern als faschistisch eingestuft worden ist. Dennoch gelang es Maurras nicht, zum allseits anerkannten Führer des französischen Faschismus zu werden, stattdessen wurde er zunehmend isoliert und marginalisiert. Beigetragen dazu hatte seine Befürwortung des Burgfriedens zwischen Linken und Rechten während des Ersten Weltkrieges. Damit galt er in den Augen der späteren französischen Faschisten als nicht rechts genug. Für die Katholische Kirche war der überzeugte Katholik Maurras dagegen offensichtlich zu links – jedenfalls wurden seine Schriften vom Papst auf den Index gesetzt. Wegen seiner (eher halbherzigen) Unterstützung des Vichy-Regimes wurde Maurras 1944 verhaftet und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Ein Jahr nach seiner Begnadigung ist er 1952 gestorben. Seine Vorstellungen von einem „integralen Nationalismus“ wurden und werden jedoch bis heute von verschiedenen Kreisen und Organisationen vertreten, die sich stolz und unbeirrt auf Maurras berufen. Erste faschistische Welle: Valois, Bucard, Dorgères und de la Rocque Nach dem Ersten Weltkrieg schien Frankreich von einer faschistischen Welle geradezu überschwemmt zu werden. Dies geschah in Gestalt verschiedener Parteien oder, wie sie sich nach dem Vorbild der Ligue d’Action française auch nannten, „Ligen“, die sowohl von den französischen Vorläufern wie vom neuen italienischen Faschismus beeinflusst waren. Letzteres trifft vor allem auf eine Partei zu, die „Le Faisceau“ genannt und von Georges Valois gegründet wurde.9 Valois ist 1878 als Alfred-Georges Gressent geboren worden. Er war zunächst Anarcho-Syndikalist, dann Anhänger des Sozialphilosophen Georges Sorel, um sich schließlich der Action française Charles Maurras’ anzuschließen. Als deren Mitglied gründete er 1911 unter dem
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Pseudonym Georges Valois den „Cercle Proudhon“, der sich um eine Vereinigung von linken Syndikalisten und rechten Nationalisten bemühte und daher von Zeev Sternhell als Urform des Faschismus angesehen wird. Mit Unterstützung von naturgemäß rechten französischen Unternehmern rief Valois 1925 die Partei „Le Faisceau“ ins Leben. Ihre Mitglieder imitierten das italienische Vorbild, indem sie in der Öffentlichkeit in einer Art Parteiuniform auftraten. Allerdings nicht in schwarzen, sondern blauen Hemden, zu denen sie dunkelblaue Jacken und Hüte trugen. Zu diesen äußerlichen Ähnlichkeiten kamen solche im Bereich der antikapitalistischen, antisozialistischen, nationalistischen und auch antisemitischen Ideologie. In politischer Hinsicht war der „Faisceau“ aber längst nicht so erfolgreich wie sein italienisches Vorbild, weshalb er schon 1928 aufgelöst wurde. Valois selber machte nach der gescheiterten Machtergreifung der faschistischen Parteien im Februar 1934 eine bemerkenswerte Linkswendung und wollte sich der Sozialistischen Partei (SFIO) anschließen, was diese aber ablehnte. Valois ließ sich nicht abweisen und beteiligte sich aktiv an der linken Résistance. Von den Deutschen verhaftet und nach Deutschland deportiert, ist er 1945 im KZ Bergen-Belsen an Typhus gestorben. Ein völlig anderes Schicksal hatte sein temporärer politischer Weggefährte Marcel Bucard, der sich 1924 dem „Faisceau“ angeschlossen hatte und nach dessen Auflösung eine eigene faschistische Partei gründete, die sich „Mouvement franciste“ und dann „Parti franciste“ nannte. Sie soll von Mussolini finanziell gefördert worden sein und hat sich dann zusammen mit anderen Parteien und Ligen an der versuchten Machtergreifung am 6. Februar 1934 beteiligt.10 Bucard wurde daraufhin verhaftet, aber bald wieder freigelassen. 1941 reaktivierte er seine Parti franciste und kollaborierte mit den Deutschen. Zusammen mit den Faschisten Jacques Doriot und Marcel Déat (von denen noch die Rede sein wird) gründete er die „Légion des volontaires français contre le bolchévisme“, die dann in die Waffen-SS integriert wurde. 1946 wurde er wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die mit 420 000 Mitgliedern stärkste faschistische Partei der ersten Welle war die nach ihren grünen Hemden „chemises vertes“ benannte Partei Henri Dorgères. Offiziell hieß sie „Comités de défense paysanne“ und war zunächst eine bäuerliche Interessenorganisation. Ihr war aber kein so großer Erfolg wie den deutschen und italienischen faschisti-
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schen Parteien beschieden, deren Basen ja ebenfalls vor allem auf dem Lande und unter der Landbevölkerung gelegen hatten. Die Grünhemden Dorgères’ vermochten es nämlich nicht, der konservativen Bauernorganisation „Fédération Nationale des Exploitants Agricoles“ den Rang abzulaufen. Dennoch kann an ihrem – in Frankreich vielfach bestrittenen – faschistischen Charakter kein Zweifel sein.11 Umso bemerkenswerter ist die Nachkriegskarriere Dorgères’. 1944 gefangen genommen und wegen Kollaboration zu zehn Jahren Haft verurteilt, ist er auf Fürsprache einiger Résistance-Kämpfer schon 1946 amnestiert worden. Er schloss sich der poujadistischen Partei an, als deren Abgeordneter er 1956 ins französische Parlament einzog. Die letzte der hier noch zu erwähnenden faschistischen Parteien war vermutlich gar keine. Gemeint sind die „Croix de Feu“ (Feuerkreuzler) François de la Rocques12, die aus einer Veteranenorganisation hervorgegangen sind. Daran erinnert auch ihr Name, der auf den hohen (dem Eisernen Kreuz vergleichbaren) französischen Orden Croix de Guerre Bezug nimmt. Unter der Leitung des ehemaligen Offiziers de la Rocques vertraten die Feuerkreuzler eine nationalistische, autoritäre, antikommunistische, aber kaum antisemitische Ideologie und verfügten über dispots (abgeleitet von französisch disponible = bereit) genannte paramilitärische Einheiten. Ob dies ausreicht, sie als faschistisch zu klassifizieren, ist, wie gesagt, umstritten. Dafür spricht jedoch die Beteiligung der Croix de Feu am Marsch auf das Parlament vom 6. Februar 1934, weshalb sie wie die anderen faschistischen Bewegungen von der Volksfrontregierung verboten wurden. Ihre ebenfalls von de la Rocque gegründete und geleitete Nachfolgeorganisation hieß „Parti Social Français“ (PSF). Sie hätte möglicherweise die Parlamentswahl von 1940 gewonnen, wenn sie denn stattgefunden hätte. Dazu ist es nicht gekommen, weil in Frankreich nach der Niederlage gegen Deutschland eine Diktatur etabliert wurde, die nach ihrem südfranzösischen Regierungssitz als Vichy-Regime bezeichnet wurde. Vichy (Pétain und Laval, Doriot und Déat) Am 22. Juni 1940 musste das geschlagene Frankreich in Compiègne den Waffenstillstand unterzeichnen – an jenem Ort, wo 22 Jahre zuvor das kaiserliche Deutschland einen ebenso demütigenden Vertrag unterzeichnet hatte. Er sah unter anderem die Teilung Frankreichs in einen von deutschen Truppen besetzten und einen sogenannten freien Teil
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vor. „Chef d’Etat“ (Staatschef) des unbesetzten Frankreichs wurde nach einer vom Parlament mit großer Mehrheit gebilligten Verfassungsänderung der greise und als „Held von Verdun“ gefeierte ehemalige Marschall des Ersten Weltkriegs Henri Philippe Pétain.13 In außenpolitischer Hinsicht versuchte Pétain, einen Neutralitätskurs zu steuern, was ihm – natürlich, kann man im Rückblick sagen – nicht gelang. Tatsächlich gestaltete sich die ursprünglich von Pétain durchaus gewollte Zusammenarbeit beziehungsweise Kollaboration mit Hitler-Deutschland immer enger – und verwerflicher. Die gesamte französische Industrie musste für die Zwecke und Bedürfnisse der deutschen Kriegswirtschaft produzieren, und immer mehr französische Arbeiter wurden gezwungen, in Deutschland zu arbeiten. Zunächst geschah dies in der Absicht, die französischen Kriegsgefangenen auszulösen, doch dann wurde daraus im großen Stil Zwangsarbeit unter sich immer weiter verschlechternden Bedingungen im deutschen Feindesland. Noch schlechter erging es den von den Behörden Vichy-Frankreichs verhafteten und an Deutschland ausgelieferten Juden – zunächst den nach Frankreich geflüchteten ausländischen Juden, dann jüdischen Männern mit französischer Staatsbürgerschaft und schließlich auch Frauen und Kindern. Diese Form der Kollaboration war nichts anderes als Beihilfe zum Massen-, ja Völkermord. Für diese Verbrechen verantwortlich waren Pétain selber und sein Ministerpräsident Pierre Laval. Diese verbrecherische Kollaboration mit dem faschistischen Deutschland allein rechtfertigt aber nicht, das von Pétain geführte Vichy-Regime als faschistisch einzustufen. Zu berücksichtigen ist auch seine Innenpolitik. Sie stand im Zeichen der von Pétain proklamierten „Révolution Nationale“, die an die Stelle der republikanischen Werte „Liberté, Égalité, Fraternité“ die scheinbar nur konservativen Ziele „Travail, Famille, Patrie“ setzte und verwirklichen sollte. Tatsächlich näherte man sich dabei der faschistischen Ideologie an. Denn „Arbeit“ bedeutete letzten Endes Arbeit für das faschistische Deutschland; unterstützt und gefördert wurden nur „arische“ und sozial und politisch angepasste „Familien“; und im so verherrlichten „Vaterland“ war eine immer brutaler werdende Diktatur errichtet worden, die zumindest als bonapartistisch zu bezeichnen ist. Nach dem Willen einiger französischer Faschisten sollte zudem aus der bonapartistischen eine vollends faschistische Diktatur werden.
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An erster Stelle ist hier Jacques Doriot zu nennen, der mit Abstand wichtigste und radikalste französische Faschist.14 Diese Entwicklung war nicht vorherzusehen gewesen, entstammte der 1898 geborene Doriot doch einer Arbeiterfamilie. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er sich der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) angeschlossen, in der er schnell Karriere machte. Schon 1922 wurde er in das Exekutivkomitee der PCF aufgenommen. Ein Jahr später war er Chef der kommunistischen Jugendorganisation, 1924 Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und 1931 Bürgermeister von St. Denis. Doriot wäre mit ziemlicher Sicherheit zum Führer der gesamten kommunistischen Partei Frankreichs geworden, wenn er sich nicht zur Unzeit, nämlich schon 1934, für eine Einheitsfront mit den Sozialisten ausgesprochen hätte. Zwei Jahre später schwenkte seine Partei um und beteiligte sich an der Volksfrontregierung Léon Blums. Doch da war Doriot schon aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden und hatte eine eigene, faschistische gegründet. Sie hieß „Parti populair français“ und vertrat wie die übrigen faschistischen Parteien eine antikommunistische, antisemitische und antidemokratische Zielsetzung. Dennoch oder gerade deshalb verfügte sie mit ihren 200 000 Anhängern über eine Massenbasis. Ihre Stunde schien mit der Etablierung des Vichy-Regimes zu kommen. Es sollte nach dem Willen Doriots zu einem faschistischen umgewandelt werden. Doriot wollte dies aber nicht allein mit seiner faschistischen Partei erreichen, sondern verbündete sich mit Marcel Déat, mit dem zusammen er das „Rassem-blement pour la Révolution National“ (RRN) gründete. Ihm folgte 1941 die schon erwähnte und ebenfalls zusammen mit Déat (und Bucard) ins Leben gerufene „Légion des volontaires français contre le bolchévisme“.15 Es kam dann zu heftigen Kompetenzkonflikten zwischen Doriot und Déat einerseits, Pétain und vor allem Laval andererseits, durch die das gesamte Vichy-Regime zwar weiter radikalisiert wurde, aber letzten Endes dann doch nicht in ein eindeutig faschistisches umgewandelt wurde. Doch das lag keineswegs an dem Willen oder Unwillen der französischen Faschisten und sonstigen Kollaborateure, sondern an den Deutschen, die (auch aufgrund eigener Kompetenzkonflikte) meinten, dass ihre politischen und militärischen Interessen durch ein Kollaborationsregime besser gewahrt würden als durch einen faschistischen Staat, der möglicherweise nach mehr Eigenständigkeit gestrebt hätte.
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Doch ob nun faschistisch oder „nur“ bonapartistisch: An dem grundsätzlich verbrecherischen Charakter des Vichy-Regimes ändert diese noch nicht beendete wissenschaftliche Debatte nicht das Geringste. Hinzu kommt, dass Frankreichs Vichy-Vergangenheit keineswegs als „bewältigt“ anzusehen ist. Dies geht auch aus den – sehr unterschiedlichen – Schicksalen der politischen Repräsentanten des Vichy-Regimes hervor. Während Doriot 1945 in Sigmaringen, wohin sich die gesamte VichyRegierung abgesetzt hatte, bei einem Fliegerangriff umkam, ist Déat die Flucht nach Italien gelungen, wo er sich bis zu seinem Tod im Jahr 1955 in einem Kloster versteckt hielt. Pétain ist zwar zum Tode verurteilt worden, dann aber von de Gaulle begnadigt und in die Verbannung geschickt worden. Dort ist er auf der Insel Île d’Yeu 1951 als freier Mann gestorben. Lediglich Laval wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Viele weitere Repräsentanten des Vichy-Regimes im Allgemeinen und ihrer berüchtigten Polizei im Besonderen blieben jedoch unbehelligt. Einige konnten sogar ihre politische Karriere fortsetzen. Die von der Vichy-Regierung begangenen Verbrechen, insbesondere ihre Mitschuld am Holocaust sind erst in den letzten Jahren erkannt und öffentlich benannt worden. Zu dieser nicht bewältigten Vergangenheit gesellt sich in Frankreich nach 1945 eine Reihe von faschistischen Bewegungen von Poujade bis Le Pen. Von Poujade bis Le Pen Die erste dieser faschistischen Bewegungen nach 1945 trug den harmlosen Namen „L’Union de défense des commercants et artisans“. Gegründet wurde diese Union zur Verteidigung der Kaufleute und Handwerker im Jahr 1955 von Pierre Poujade.16 Der 1920 als Sohn eines Architekten geborene Poujade hatte eine Druckerlehre absolviert und war zum Inhaber eines Papiergeschäfts geworden, das wie viele andere mittelständische Unternehmen nach dem Krieg mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte. Verursacht seien sie nach Poujades Meinung durch die viel zu hohen Steuern, die von einer, wie Poujade sich auszudrücken beliebte, „Fiskalgestapo“ eingetrieben würden. Darüber hinaus mischte sich Poujades Partei auch in den ausgebrochenen Konflikt um das damals noch französische Algerien ein – natürlich auf der Seite der Algerienfranzosen, was mit scharfen und rassistischen Angriffen auf „die Araber“ verbunden war. Hinzu kam ein Antisemitismus, der seit
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der Dreyfus-Affäre in Frankreich weit verbreitet war. Vermutlich vor allem deshalb war Poujades faschistische Partei temporär erfolgreich. 1956 gewann sie bei den Parlamentswahlen 11,6 Prozent der abgegebenen Stimmen und konnte mehrere Abgeordnete in die Nationalversammlung entsenden. Unter ihnen befand sich auch der schon erwähnte Dorgères und der junge Jean-Marie Le Pen, auf den noch näher einzugehen ist. Poujade hätte wahrscheinlich von der Krise profitieren können, in welche die Vierte Republik wegen des Algerienkonflikts geraten war, und zu einem, wie die Franzosen spöttelten, „Poujadolf“ werden können, wenn es nicht zur Etablierung eines Regimes gekommen wäre, das zumindest große Ähnlichkeiten mit den vorherigen bonapartistischen hatte – und bis heute hat. Gemeint ist die Fünfte Republik, die von Charles de Gaulle mit einem Staatsstreich gegründet wurde. Charles de Gaulle wurde 1890 als Sohn einer bürgerlichen Familie (die daher eigentlich De Gaulle hieß) geboren.17 Anders als sein Vater, der ein liberaler Schullehrer gewesen war, schlug der junge de Gaulle eine militärische Laufbahn ein, die sehr erfolgreich verlief. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er als mehrfach verwundeter und wegen Tapferkeit ausgezeichneter Hauptmann zurück, um danach in den französischen Militärmissionen in Polen, dem Libanon und Deutschland tätig zu sein. Gleichzeitig machte er sich durch das Verfassen von militärischen Schriften über die Panzerwaffe einen Namen. 1940 war er Oberst und Kommandeur einer, und zwar der einzigen erfolgreichen französischen Panzerdivision. Zum Brigadegeneral befördert, wurde er Staatssekretär im letzten Kabinett vor der Pétain-Regierung. Er lehnte den von Pétain abgeschlossenen Waffenstillstand ab und floh nach England, von wo aus er sich in der berühmt gewordenen Rede vom 25. Juni 1940 seinen Landsleuten als Führer des „Freien Frankreichs“ und Chef der „Freien französischen Streitkräfte“ vorstellte und diese zum Widerstand aufforderte. Zunächst mit geringem Erfolg, von der später so gefeierten Résistance war damals nämlich noch nicht viel vorhanden. 1944 konnte de Gaulle schließlich in das befreite Frankreich zurückkehren und die Regierungsgewalt übernehmen. 1945 musste er jedoch das Amt des Ministerpräsidenten aufgeben. Sein Versuch, es mit seiner neu gegründeten Partei, dem „Rassemblement du Peuple Français“ zurückzugewinnen, scheiterte, weshalb sich de Gaulle 1953 ins Privatleben zurückzog.
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1958 kehrte er als neu ernannter Ministerpräsident mit umfangreichen Befugnissen ins politische Leben zurück und ließ eine neue Verfassung ausarbeiten, die bei einem Referendum von 83 Prozent der Franzosen gebilligt wurde. Sie sah eine Stärkung der Exekutive vor, die wesentlich durch das wieder eingeführte Amt des Präsidenten erreicht wurde. Gestützt auf die ihm damit verliehenen weitreichenden Befugnisse, gelang es ihm gegen erbitterten innenpolitischen Widerstand, den Algerienkonflikt durch einen Waffenstillstand mit der algerischen Befreiungsbewegung zu beenden. Dagegen und gegen die Ausweisung aller Franzosen aus Algerien wandte sich eine neu gegründete faschistische Bewegung, die sich „Organisation de l’armée secrète“ nannte und ihre politischen Ziele durch terroristische Gewalt zu erreichen suchte. Dabei scheute sie selbst vor Attentaten auf den Präsidenten nicht zurück, die dieser freilich alle überlebte. Entscheidend dafür, dass de Gaulle die faschistische Bedrohung abwenden konnte, war aber die loyale Haltung der Armee, aus der zuvor hunderte von Offizieren entlassen worden waren. Von der Unterstützung durch die Armee wollte sich de Gaulle nicht dauerhaft abhängig machen, weshalb er 1962 eine ernute Verfassungsänderung durchsetzte, durch welche die Stellung des jetzt direkt gewählten französischen Präsidenten noch weiter gestärkt wurde. Dies wurde aber nur noch von 55 Prozent der in einem Referendum befragten Franzosen gebilligt. Auf die weitere Außen- und Innenpolitik des keineswegs nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland und einigen anderen westlichen Ländern bewunderten und gefeierten de Gaulle soll und muss hier nicht weiter eingegangen werden. Interessant ist sein Ende, weil es dem seines präsidialen Vorgängers – Louis Bonaparte – ähnelte oder zu ähneln schien. Im Mai 1968 wurde Frankreich von Streiks der Arbeiter und machtvollen Demonstrationen vieler Studenten erschüttert. Einige Zeitgenossen fühlten sich angesichts der in Paris errichteten Barrikaden an die Revolution von 1848 und an die Commune von 1871 erinnert. So scheint es auch de Gaulle selber gesehen zu haben. Jedenfalls empfand er die Situation als so bedrohlich, dass er sich der Hilfe der Führung der Armee versicherte, die vermutlich gegen die demonstrierenden Studenten und streikenden Arbeiter eingesetzt werden sollte. Diese ebenso ängstliche wie überhastete Reaktion auf die Demonstrationen im Mai 1968 führte zu einem Ansehensverlust de Gaulles. Noch einmal griff de
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Gaulle nach dem von ihm stets erfolgreich eingesetzten Mittel des Plebiszits, doch diesmal blieb ihm der Erfolg versagt. Nachdem die französische Bevölkerung das von ihm eingebrachte Referendum für eine Verwaltungsreform ablehnte, trat de Gaulle zurück. Eineinhalb Jahre nach seinem Rücktritt starb er am 9. November 1970. De Gaulles Fall stärkte die Linke, was wiederum besorgte Reaktionen auf der Rechten hervorrief. Die traditionelle Angst vor „den Roten“ und der durch den Zuzug von Arabern und Afrikanern aus den früheren französischen Kolonien um sich greifende Rassismus ist dann von einer weiteren faschistischen Partei mit temporärem Erfolg ausgenützt worden. Sie nennt sich „Front National“ und wird bis heute von dem inzwischen über 80-jährigen Jean-Marie Le Pen angeführt.18 Le Pen ist 1928 in der Bretagne als Sohn eines Fischers geboren worden. Schon während seiner Studienzeit in Paris war er ein aktives Mitglied einiger rechter Hochschulgruppen. 1953 trat er in die Fremdenlegion ein und beteiligte sich an den Kämpfen in Indochina, Ägypten und Algerien. 1956 zog er, wie bereits erwähnt, als Abgeordneter der poujadistischen Partei in die französische Nationalversammlung ein. Nachdem er dieses Mandat 1962 verloren hatte, wandte er sich für einige Zeit von der Politik ab und arbeitete als – erfolgreicher – Unternehmer. 1972 hat er dann seine eigene faschistische Partei gegründet – den Front National, der 1984 erstmals in das Europaparlament einzog und dort bis heute mit einigen Abgeordneten, darunter Le Pen selber, vertreten ist. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Partei im Jahr 2002, als Le Pen bei der Präsidentenwahl 16,8 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichte, womit er den Sozialisten Jospin überrundete. Er kam in die Stichwahl, die dann aber deutlich von Jacques Chirac gewonnen wurde. Bei der letzten Präsidentenwahl 2007 gewann Le Pen respektable 10,4 Prozent. Sein politischer Stern ist also noch längst nicht erloschen. Mit dieser wegen ihrer nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Ideologie und Politik eindeutig als faschistisch einzustufenden Partei ist nach wie vor zu rechnen – zumal sie es verstanden hat, auch und gerade in Teilen der französischen Arbeiterschaft Fuß zu fassen, die sich von den afrikanischen und islamischen Einwanderern bedroht sieht. Auf jeden Fall scheint die Geschichte sowohl des Bonapartismus wie des Faschismus, beziehungsweise des bonapartistischen Faschismus in Frankreich nicht abgeschlossen zu sein.
„Risorgimento“ – Bonapartismus und Faschismus in Italien
Risorgimento (Wiedergeburt) wird die italienische Einigungsbewegung genannt. Die Metapher beziehungsweise das Ideologem einer nationalen Wiedergeburt findet man aber auch in der Ideologie nahezu aller Faschismen. Hat das eine etwas mit dem anderen zu tun? Welche politischen und ideologischen Beziehungen und Kontinuitäten gibt es zwischen risorgimento und Faschismus? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir weit in die Geschichte des 19. Jahrhunderts zurückgreifen.19 Wir beginnen mit dem Mann, der den italienischen Einigungsprozess mit Methoden vorangetrieben hat, die an die Bismarcks erinnern, weshalb er – wie Bismarck – schon von den Zeitgenossen als gelehriger Schüler Louis Bonapartes angesehen wurde: Camillo Benso Graf von Cavour.20 Cavour Camillo Cavour, wie er sich unter Weglassung seines Adelstitels meistens nannte, wurde 1810 in Turin geboren und schlug nach Schule und Universität die Offizierslaufbahn ein. 1832 verließ er die Armee, um Politiker zu werden – mit dem Ziel, sein Heimatland Piemont-Sardinien zu modernisieren und zu befähigen, ganz Italien von der Fremdherrschaft zu befreien und zu einigen. Das schien nur mithilfe von Kriegen möglich zu sein. Der erste italienische Einigungskrieg scheiterte jedoch auf der ganzen Linie. Piemont-Sardinien wurde von Österreich, das damals noch große Teile Nordostitaliens besetzt hatte, 1848 vernichtend geschlagen. Elf Jahre später versuchte es der inzwischen zum Ministerpräsidenten von Sardinien-Piemont aufgestiegene Cavour erneut. Dieses Mal erfolgreich mit Unterstützung Napoleons III., der sich seine militärische Hilfe im Krieg gegen Österreich durch die Abtretung von Nizza und Savoyen an Frankreich bezahlen ließ. Sardinien-Piemont wurde jedoch durch den Gewinn der ehemals österreichischen Territorien ent-
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schädigt. Außerdem schlossen sich Sardinien-Piemont weitere nordund mittelitalienische Gebiete an, das jetzt mit Ausnahme des Kirchenstaates und Venetiens, das österreichisch blieb, über ganz Nord- und Mittelitalien herrschte. 1860 brach dann im Königreich beider Sizilien ein von Giuseppe Garibaldi angeführter Aufstand aus, der von Sardinien-Piemont unterstützt wurde. Nach dem Sieg über die sizilianischen und vatikanischen Truppen wurde Viktor Emanuel II. von Sardinien-Piemont von einem gesamtitalienischen Parlament zum König von Italien ausgerufen. 1861 und 1870 kamen (mit preußischer Hilfe) noch das österreichische Venetien sowie große Teile des Kirchenstaates hinzu, der auf den heute noch bestehenden Vatikan-Ministaat reduziert wurde. Diese vollendete „Wiedergeburt“ Italiens hat der 1861 gestorbene Cavour jedoch nicht mehr miterleben dürfen. Das sowohl von unten (durch die Truppen Garibaldis) wie von oben (durch die geschickte Diplomatie Cavours) geschaffene neue Italien war zwar staatsrechtlich, aber noch keineswegs sozial und wirtschaftlich vereint.21 Das größte Problem war der Gegensatz zwischen dem unterentwickelten Süden, wo die politische Macht nach wie vor von den adligen Großgrundbesitzern und der Mafia ausgeübt wurde, und dem Norden, wo es in einigen Städten – vor allem Mailand und Turin – zu einer vom Staat geförderten Industrialisierung und zur Entstehung einer Bourgeoisie kam. Da diese auch über großen Landbesitz verfügte, wurde sie keineswegs nur von dem entstehenden Industrieproletariat, sondern auch von Teilen der ebenfalls unterdrückten Landarbeiterschaft bekämpft. Zu diesem Klassengleichgewicht kam ein politisches zwischen den liberalen und konservativen Parteien, die sich im Parlament in etwa die Waage hielten. Es führte zur Entstehung eines politischen Systems, das im Italienischen trasformismo genannt wurde, was in etwa mit Überformung übersetzt werden kann. Giolitti Erfinder und Meister dieses trasformismo-Prinzips war der Ministerpräsident Giovanni Giolitti, der das Land mit wenigen Unterbrechungen von 1892 bis 1914 regierte. Dies durch die wiederholten Versuche, oppositionelle Politiker durch politische und materielle Versprechungen und durch unverschleierte Korruption in das Regierungslager hinüber-
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zuziehen. Das stärkte zwar die Stellung der Exekutive gegenüber dem Parlament, das zunächst nur von zwei bis sieben Prozent der Gesamtbevölkerung gewählt wurde (beziehungsweise wegen des rigiden Zensuswahlrechts gewählt werden durfte), hemmte aber die immer notwendiger werdende Modernisierung des Land und vertiefte die Spaltung zwischen den linken und rechten politischen Kräften. Giolitti versuchte in bonapartistischer beziehungsweise sozialimperialistischer Weise, von diesen wirtschaftlichen, sozialen und innenpolitischen Problemen und Schwierigkeiten durch die Erringung von außenpolitischen Ersatz-Erfolgen abzulenken. Da er es nicht wagte und angesichts der militärischen Schwäche Italiens auch nicht wagen konnte, Österreich anzugreifen, um von ihm die von den italienischen Nationalisten eingeforderten „unerlösten Gebiete“ (irredenta) zu gewinnen, verlagerte Giolitti die kriegerischen Aktivitäten auf den afrikanischen Kontinent. Zunächst mit Erfolg, gelang es doch, neben Libyen auch Somalia und Eritrea zu gewinnen. Doch genau wie der Appetit beim Essen kommt, verlangten diese imperialistischen Aktivitäten der verspäteten italienischen Nation nach mehr. Hier bot sich das an die italienischen Kolonien Somalia und Eritrea angrenzende Äthiopien geradezu an, das als einziges afrikanisches Land noch nicht zum Opfer des europäischen Imperialismus geworden war. Der italienische Angriff auf Äthiopien scheiterte jedoch auf der ganzen Linie. Die italienischen Invasionstruppen wurden 1896 bei Adua vernichtend geschlagen. Italien war damit die erste und einzige europäische Nation, die von einem afrikanischen Land besiegt wurde. Dies wurde als beispiellose nationale Schmach empfunden und radikalisierte den italienischen Nationalismus. Angeführt und repräsentiert wurde er von einer Gruppe von Nationalisten, die unter Führung Enrico Corradinis im Jahr 1910 eine neuartige nationalistische und antiparlamentarische Organisation ins Leben riefen. Diese „Associazione Nazionalista Italiana“ konnte schon wegen ihrer antiparlamentarischen Ausrichtung und extrem nationalistischen Zielsetzung nicht in das bonapartistische trasformismo-System Giolittis integriert werden.22 Außerdem bemühten sich diese Nationalisten – zu nennen sind neben Corradini Luigi Federzoni, Giovanni Papini, Vilfredo Pareto, Giuseppe Prezzolini und Alfredo Rocco – um einen Ausgleich zwischen den Ideologien des Nationalismus und Sozialismus in Gestalt
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eines, wie sie es nannten, „proletarischen Nationalismus“. Sein Kerngedanke war, dass die italienische Nation eine „proletarische“ sei, weshalb sich der italienische Sozialismus dem Nationalismus öffnen könne und müsse. Die „Associazione Nazionalista“ wies also sowohl rechte wie linke ideologische Elemente auf. Daher kann sie als eine Vorform des Faschismus angesehen werden. Die Initiative zur Gründung des Faschismus ging jedoch von einem Mann aus, der nicht von rechts, sondern von links kam: Benito Mussolini.23 Mussolini Der nach dem mexikanischen Revolutionär Benito Juarez benannte Benito Mussolini wurde 1883 in Predappio in der Romagna geboren. Sein Vater war Schmied und Funktionär der italienischen Arbeiterbewegung, seine Mutter eine energische und erfolgreiche Lehrerin. Nach Beendigung der Schule in einem Internat des Salesianerordens wurde Mussolini zunächst Hilfslehrer. Er entschied sich, als Gastarbeiter in die Schweiz zu gehen, weil er sich so dem Militärdienst entziehen konnte. In der Schweiz wurde Mussolini innerhalb der Bauarbeitergewerkschaft politisch aktiv. Diese politische Tätigkeit setzte er auch nach seiner Rückkehr nach Italien fort, wo er nun doch den Militärdienst absolvierte. 1909 wurde er hauptberuflicher Sekretär der Sozialistischen Arbeiterkammer im damals österreichischen Trient. Ein Jahr später nahm er am Jahreskongress der Sozialistischen Partei Italiens teil, wo er sich durch eine gegen die Parteiführung gerichtete, prononciert antireformistische Rede profilierte. 1912 gelang es ihm zusammen mit der Partei-Linken Angelica Balabanoff, den Parteiführer Leonida Bissolati zu stürzen. Dies brachte Mussolini das sehr wichtige und einflussreiche Amt eines Chefredakteurs des Parteiorgans Avanti (Vorwärts) ein. Mussolini wäre ohne Zweifel zum Führer der Sozialistischen Partei Italiens geworden, wenn er sich nicht gegen den ausdrücklichen Willen seiner Partei für den Kriegseintritt Italiens auf der Seite der Entente eingesetzt hätte. Seinem eigenen Parteiausschluss kam er durch seinen Austritt zuvor. Von nun an widmete er sich ganz der Agitation für den italienischen Kriegseintritt. Zu diesem Zweck rief er 1915 die „Fasci d’Azione Rivoluzionaria“ ins Leben. Trotz ihres revolutionären und linken Namens (auch der Begriff fascio war damals eher links konnotiert) handelte es sich bei diesen „Bünden der revolutionären Aktion“ um eine
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betont antipazifistische und rechte Organisation, die auch von bellizistischen rechten Kräften im In- und Ausland unterstützt wurde. Mussolini selber nahm dann von 1915 bis 1917 am Krieg teil, zuletzt im Rang eines Feldwebels. Nach einer Verwundung (wegen des unsachgemäßen Umgangs mit einer Handgranate) konnte er ins Zivilleben zurückkehren. Er übernahm die Leitung der von ihm gegründeten Zeitung Il Popolo. Diese Zeitung hetzte gegen die immer erfolgreicher werdenden Linken und nach Kriegsende gegen den Friedensschluss, der von vielen Italienern als vittorio mutilata (verstümmelter Sieg) bezeichnet wurde, weil Italien keineswegs alle der erhofften Gebiete aus der Erbmasse der zerfallenen Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie zugesprochen bekommen hatte. Mussolini machte sich diese nationalistische Agitation zu eigen und plante, die an Jugoslawien gefallene Stadt Rijeka, die von den Italienern Fiume genannt wurde, zu besetzen. Zu diesem Zweck gründete er am 23. März 1919 eine Organisation, die mit den deutschen Freikorps vergleichbar war und sich wie diese aus ehemaligen Soldaten zusammensetzte: die „Fasci di Combattimento“.24 Mussolinis Kampfbund kamen jedoch die ebenfalls aus ehemaligen Soldaten gebildeten Freischaren Gabriele D’Annunzios zuvor. Sie nahmen Rijeka ein, um dort ein Besatzungsregime zu errichten, das vieles von dem vorwegnahm, was den späteren faschistischen Staat auszeichnen sollte. Dies traf vor allem auf den von D’Annunzio entwickelten politischen Stil zu. Ständig ließ dieser seine uniformierten Anhänger aufmarschieren, damit sie ihrem Führer (duce) mit Gesängen und anderen merkwürdigen pseudomilitärischen Ritualen huldigen konnten. Jeglicher Widerstand vonseiten der Kroaten wurde mit terroristischen Methoden unterdrückt. D’Annunzios Vorgehen, das gegen nationale Gesetze und gegen das Völkerrecht verstieß, wurde zunächst von der italienischen Regierung toleriert. Erst auf Druck Jugoslawiens sowie der Westmächte griffen italienische Truppen ein und beendeten im Dezember 1920 das terroristische Regime D’Annunzios in Rijeka. Sie wagten aber nicht, D’Annunzio zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Unbehelligt konnte er sich in seine Villa am Gardasee zurückziehen, wo er schließlich 1938 verstarb. Damit war das politische Feld für Mussolinis fascisti frei geworden, die in sqadre (Geschwader) organisiert waren, weshalb sie auch squadristi genannt wurden. Zunächst bekämpften sie die slawischen Minderheiten
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im Nordosten Italiens, die samt und sonders des Kommunismus verdächtigt wurden und daher als slavo-comunisti bezeichnet wurden.25 Nach diesen slawischen wurden die italienischen Kommunisten und Sozialisten zu Objekten des faschistischen Terrors. Mussolinis uniformierte und mit Handfeuerwaffen sowie, manganelli genannten, Knüppeln bewaffneten fascisti zogen mit Lastwagen übers Land, um in den Dörfern und Städten die Gewerkschaftshäuser und Parteizentralen der Kommunisten und Sozialisten zu überfallen und diejenigen, die sich ihnen widersetzten, niederzuschlagen, zu foltern und nicht selten zu ermorden. Dieser Terrorfeldzug wurde von den staatlichen Organen toleriert und von Industriellen sowie Großagrariern offen mit Geld und durch die Bereitstellung von Waffen und Lastkraftwagen unterstützt. Der Hintergrund dafür waren die zahlreichen Streiks und Fabrik- und Landbesetzungen der industriellen und Landarbeiter, die 1920 ein solches Ausmaß annahmen, dass Italien vor dem Beginn einer sozialen Revolution zu stehen schien. Verhindert wurde ihr Ausbruch durch die Faschisten, die jedoch von ihrem terroristischen Tun auch dann nicht ablassen wollten, als die revolutionäre Situation vorbei war.26 Zu Opfern des fortgesetzten Terrors wurden jetzt keineswegs mehr nur Kommunisten und Sozialisten, sondern auch Mitglieder der neu geschaffenen katholischen Volkspartei der „Popolari“ und die staatlichen Organe, die es wagten, sich den Angehörigen der inzwischen über 200 000 Mann starken „Fasci di Combattimento“ zu widersetzen. Tatsächlich strebte Mussolini jetzt nach mehr, nämlich nach der ganzen Macht. Zu diesem Zweck rief er am 7. Novemer 1921 den „Partito Nazionale Fascista“ (PNF) ins Leben, ohne die „Fasci di Combattimento“ aufzulösen, um mit beiden eine politisch-terroristische Doppelstrategie zu betreiben. Die faschistischen Terrorbanden sollten ein Klima der Angst und des Schreckens schaffen, das von der faschistischen Partei ausgenutzt werden sollte, um die politische Macht im Staat zu ergreifen. Dieses Kalkül ging auf. Obwohl der PNF bei den Parlamentswahlen vom April 1922 nur 35 Mandate von insgesamt über 500 gewinnen konnte, drohte Mussolini im Oktober des gleichen Jahres mit der Machtergreifung beziehungsweise einem „Marsch auf Rom“. Anstatt diesen durch den Einsatz von Polizei und der Armee zu verhindern, gab der bürgerliche Staat auf der ganzen Linie nach. Mussolini wurde schließlich am 28. Oktober
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1922 von König Viktor Emanuel III. mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Dies ermöglichte Mussolini, seine politisch terroristische Doppelstrategie zu steigern und zu radikalisieren. Seine fascisti stießen jetzt bei ihrem fortgesetzten Terrorfeldzug auf keinerlei Gegenwehr mehr. Außerdem verschaffte sich Mussolini durch eine Veränderung des Wahlgesetzes eine Mehrheit im Parlament. Aufgrund des neuen Wahlgesetzes, das nach einem Abgeordneten namens Acerbo „Legge Acerbo“ genannt wurde, sollte eine Partei, die bei den Wahlen als stärkste abschnitt und mindestens 25 Prozent der Stimmen errungen hatte, zwei Drittel der Mandate bekommen. Mussolinis PNF, dem sich inzwischen auch die nationalistische Partei angeschlossen hatte, schaffte dies bei den Wahlen im April 1924 auf Anhieb, er erhielt 65 Prozent aller Sitze. Mussolini schien am Ziel zu sein. Doch da raffte sich die schon geschlagene und zerstrittene Opposition noch einmal auf und zog geschlossen aus dem Parlament aus, um eine Art Gegenparlament auf dem römischen Aventin zu gründen. Vorausgegangen war die Ermordung des angesehenen sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti durch faschistische Terroristen, die in der italienischen Öffentlichkeit Entsetzen hervorrief. Diese verbrecherische Tat seiner fascisti konnte Mussolini weder ableugnen noch wagte er es, sich hinreichend davon zu distanzieren, um seine gewaltbereite faschistische Anhängerschaft nicht zu verprellen. Mussolinis noch keineswegs gefestigtes Regime geriet in eine schwere Krise. Sie konnte aber überwunden werden, weil neben dem König und der Armee auch die politisch einflussreiche italienische Industrie zu Mussolini hielt. Gewissermaßen als Dank dafür führte Mussolini am 2. Oktober 1925 ein neues Wirtschaftssystem ein, das die Industriellen begünstigte und ihnen die Gewähr bot, nicht von aufsässigen Arbeitern belästigt zu werden. Streiks waren nämlich fortan verboten. Die Löhne wurden von den neugeschaffenen Korporationen ausgehandelt, in denen die Arbeitgeber das Sagen hatten. Ein Jahr später, 1926, wurden durch die „Leggi Fascistissime“ die noch bestehenden Reste der parlamentarischen Demokratie beseitigt: Die in Italien traditionell wichtigen und auch relativ mächtigen Stadtverordnetenversammlungen wurden aufgelöst. Alle Parteien außer dem PNF wurden verboten. Das Vereins- und Versammlungsrecht wurde aufgehoben und die Pressefreiheit beseitigt. Schließlich wurden alle op-
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positionellen Beamten entlassen und die Rechte und Befugnisse der Geheimpolizei fast grenzenlos ausgedehnt. Die Errichtung der faschistischen Diktatur ließ sich Mussolini vom italienischen Volk durch ein Plebiszit bestätigen. Außerdem fand er die noch wichtigere Zustimmung des Papstes, der sich im Februar 1929 bereitfand, mit Mussolini die sogenannten Lateranverträge abzuschließen. Damit war Mussolinis Regime von der höchsten Instanz der (katholischen) Christenheit anerkannt. Insgesamt schien Mussolini das erreicht zu haben, was ihm die italienischen Antifaschisten immer vorgeworfen hatten – die Schaffung eines stato totalitario, der von verschiedenen Antifaschisten mit dem „totalitären“ Staat Lenins und Stalins verglichen wurde. Doch davon konnte nicht die Rede sein. Das faschistische Regime war längst nicht so totalitär wie das bolschewistische und ist deshalb auch kaum mit diesem zu vergleichen. Es basierte einerseits auf dem Bündnis zwischen Faschisten und Konservativen und zum anderen auf der Fähigkeit Mussolinis, sowohl die innerparteilichen Konkurrenten wie die staatlichen und gesellschaftlichen Gruppen und Personen nach der traditionellen Herrschaftsmaxime divide et impera gegeneinander auszuspielen. Dies gelang ihm zunächst sehr gut, wobei ihm seine bei großen Teilen der Bevölkerung unzweifelhaft vorhandene Popularität zugute kam. Die von der faschistischen Propaganda entsprechend gefeierten Erfolge in der Innen- und Wirtschafts- sowie der Außen- und Militärpolitik taten ein Übriges. Insgesamt war das System jedoch ganz und gar auf Mussolini zugeschnitten und hatte ein sehr spezifisches, nämlich italienisches Gepräge. Dies war ganz im Interesse Mussolinis, der sich anders als etwa Lenin nicht als Ideologe und Begründer einer politischen Bewegung mit einem europaweiten oder gar globalen Anspruch fühlte. Das hat verschiedene ausländische Parteien nicht daran gehindert, sich im Hinblick auf ihre Ideologie und ihr Erscheinungsbild am Vorbild der italienischen zu orientieren oder sich sogar selber als faschistisch zu bezeichnen. Einige von ihnen riefen im Dezember 1934 eine „Faschistische Internationale“ ins Leben, die trotz ihres anspruchsvollen Namens längst nicht die Bedeutung erlangte wie die Kommunistische.27 Außerdem war Mussolini in Gestalt eines seiner ehemaligen Schüler und Bewunderer ein Konkurrent erwachsen, der seinen Lehrmeister überrunden und schließlich sogar völlig beherrschen sollte – Adolf Hitler.
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Mussolini scheint dies geahnt zu haben, weshalb er die viel weitergehende faschistische „Machtergreifung“ in Deutschland keineswegs begrüßt und es ein Jahr später – 1934 – gewagt hat, Hitler in den Arm zu fallen und den schon damals drohenden „Anschluss“ Österreichs an Deutschland zu verhindern. Doch wiederum ein Jahr später war Mussolini auf die zunächst wirtschaftliche Hilfe Hitler-Deutschlands angewiesen. Anlass war der italienische Überfall auf Äthiopien, der militärisch erfolgreich war, aber Italien politisch isolierte und wirtschaftlich schwächte, weil es vom Völkerbund mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen belegt worden war. Aus dieser Klemme wurde das faschistische Italien vom nationalsozialistischen Deutschland befreit, das die so dringend benötigten Rohstoffe, vor allem Kohle, lieferte.28 Aus der wirtschaftlichen wurde eine immer enger werdende militärische und politische Zusammenarbeit, die Hitler immer angestrebt und in seinem programmatischen Buch Mein Kampf auch angekündigt hatte. 1936 griffen die beiden faschistischen Mächte mit Luft- und Landstreitkräften aufseiten Francos in den Spanischen Bürgerkrieg ein, der dadurch zu einem europäischen wurde, in dem sich, wie damals viele meinten, Faschisten und Antifaschisten gegenüberstanden. Dass sich Italien 1937 bereitfand, dem zuerst zwischen Deutschland und Japan abgeschlossenen Antikominternpakt beizutreten, wurde als Bestätigung für die Existenz eines faschistischen Bündnisses oder, wie es nach dem Abschluss des Dreimächtepaktes vom 27. September 1940 auch offiziell genannt wurde, einer faschistischen „Achse“ empfunden. Tatsächlich verfolgten die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan sehr unterschiedliche und zugleich sehr eigensüchtige Ziele. Während sich Japan aus dem von Hitler angezettelten europäischen Krieg heraushielt und sich auf die Errichtung eines großjapanischen Reiches in Ostasien konzentrierte, wurde Italien in diesen Krieg hineingezogen, den es schon wegen seiner eigenen militärischen Schwäche nicht gewinnen konnte. Daran war Mussolini nicht schuldlos. Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte er am 22. Mai 1939 mit Hitler einen Bündnisvertrag – den sogenannten Stahlpakt – abgeschlossen, der ihn letztlich verpflichtete, an der Seite Deutschlands in den Krieg einzutreten.29 Formal geschah dies erst am 10. Juni 1940, als Italien dem schon von der deutschen Wehrmacht geschlagenen Frankreich den Krieg erklärte.
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Bei seiner eigenen Kriegführung auf dem Balkan und dann in Afrika war Italien zudem auf die Hilfe des militärisch weitaus mächtigeren und zunächst auch erfolgreicheren Deutschland angewiesen. Diese militärische Schwäche brachte Italien immer mehr in die Abhängigkeit von Deutschland. Mussolini wusste das, fand sich aber auch dann nicht bereit, sich aus dieser Umklammerung durch Hitler-Deutschland zu befreien, als alliierte Truppen in Italien gelandet waren und unaufhaltsam auf die Hauptstadt Rom vorrückten. Seine eigenen Parteifreunde sahen dies jedoch anders. Auf einer am 24. Juli 1943 einberufenen Versammlung des „Faschistischen Großen Rates“, der seinem bombastischen Namen zum Trotz ein gänzlich machtloses Beratungsgremium Mussolinis gewesen war, wurde der allmächtig scheinende Duce einfach abgesetzt. Einen Tag später verlor Mussolini auch noch das Amt des capo del governo, weil ihm der König das Vertrauen entzog und ihm die sonst so ergebenen Militärs nicht zur Hilfe kamen. Während Mussolini verhaftet und auf eine abgelegene Bergfestung auf dem Gran Sasso gebracht wurde, schloss sein Nachfolger Pietro Badoglio einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Damit war der Krieg für Italien aber keineswegs zu Ende, gelang es doch der Wehrmacht in einem letzten, heute fast vergessenen Krieg gegen den ehemaligen Bundesgenossen, die italienischen Truppen zu entwaffnen und ganz Nord- und Mittelitalien zu besetzen. Mussolini wurde aus seinem Gefängnis befreit und mit der Bildung einer neuen faschistischen Regierung beauftragt, die in Salò am Gardasee residierte.30 Diese „Soziale Republik Italiens“ beteiligte sich nicht nur an dem Kampf der Wehrmacht gegen die Alliierten, sondern führte ebenfalls in Zusammenarbeit mit den deutschen Terrorbanden von Gestapo, Sicherheitsdienst und SS einen Rassenkrieg gegen die noch im Lande verbliebenen italienischen Juden und Sinti und Roma.31 Die Faschisten sahen sich aber einem immer stärker werdenden Widerstand ausgesetzt, dem schließlich auch Mussolini selber zum Opfer fiel. Er wurde am 28. April 1945 von Angehörigen der Resistenza gefangen genommen und auf der Stelle erschossen. Seine Leiche wurde zusammen mit der seiner Freundin Clara Petacci an den Füßen aufgehängt und zur Schau gestellt.
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Mussolinis Erben Diese Tat wurde als Symbol dafür verstanden, dass sich Italien selber befreit und aus eigener Kraft den Faschismus überwunden habe. Beides stimmte zwar so nicht, wurde aber dennoch behauptet – es schuf den Gründungsmythos der neuen italienischen Republik. In dessen Zentrum steht die nachträgliche Konstruktion eines parteiübergreifenden und zugleich einigenden Widerstandes bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Aufarbeitung der faschistischen Zeit, die von vielen Italienern als zumindest partiell gut und temporär auch erfolgreich empfunden wurde.32 Diese merkwürdige und selektive Wahrnehmung der Geschichte des italienischen Faschismus wird ebenso schön wie eindrucksvoll durch einen (italienischen!) Witz dokumentiert, wonach Italien eigentlich 80 Millionen Einwohner habe: müsse man doch zu den 40 Millionen Faschisten vor 1943 die 40 Millionen Antifaschisten danach hinzuzählen. Im krassen Gegensatz zu diesem antifaschistischen Selbstbefreiungsmythos stand (und steht bis heute) die Tatsache, dass im Nachkriegsitalien die faschistische Vergangenheit kaum „bewältigt“ wurde, sondern stattdessen mit der demokratischen Gegenwart verbunden blieb. Davon zeugen einmal die vielen Bauten der faschistischen Zeit, die keineswegs zerstört wurden und immer noch zu bewundern sind, was Italien vom postfaschistischen Deutschland unterscheidet.33 Hinzu kommen die vielen personellen Kontinuitäten, die das postfaschistische Italien wiederum mit Deutschland gemeinsam hat – konnten doch viele ehemalige faschistische Funktionsträger ihre politische Karriere im Staatsapparat des demokratischen Italien fortsetzen.34 Aber nicht nur hier, sondern auch in einer Partei, die bruchlos aus der faschistischen Mussolinis hervorgegangen ist. Ihr Gründer und langjähriger Führer war Giorgio Almirante.35 Der 1914 bei Parma geborene Almirante hatte im faschistischen Italien als Herausgeber der einflussreichen radikalfaschistischen Zeitschrift La difesa della razza eine steile politische Karriere gemacht, die 1943 keineswegs abbrach: diente er doch Mussolini noch als Kultusminister der Republik von Salò. Wie so viele andere seiner Parteifreunde ist er dafür gerichtlich nicht zur Verantwortung gezogen worden. Schon 1945 konnte er eine Partei gründen, die faktisch eine Fortsetzung des Partito Nazionale Fascista Mussolinis war. Auf die Patenschaft Mussolinis deutet schon ihr Name hin. Almirantes „Movimento Sociale Itali-
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ana“ (MSI) rief eine durchaus gewollte Assoziation an den Familiennamen des Duce hervor. Doch nicht nur deshalb wurde sie von Freund und Feind als „neofaschistisch“ bezeichnet. Hinzu kam die unverkennbare Anlehnung an die Ideologie und die terroristische Praxis des klassischen Faschismus. Ihr sind mehrere Menschen zum Opfer gefallen. Allein beim Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980 starben 85 Personen. Dennoch ist diese eindeutig faschistische Partei niemals verboten worden. Grund waren schlicht und einfach ihre Wahlerfolge. Der MSI erreichte bei allen Wahlen um die zehn Prozent der abgegebenen Stimmen – temporär sogar noch mehr – und war in allen italienischen Nachkriegsparlamenten vertreten. Hier bot sie sich mehrmals, aber letztlich erfolglos, der Democrazia Christiana als Koalitionspartner an. Ihr Führer Almirante, der aus seiner Bewunderung für Mussolini kein Hehl gemacht hat, verfügte noch von 1979 bis zu seinem Tod 1988 über einen Sitz im Europaparlament. Die Erfolge Almirantes wurden durch die seines Nachfolgers Gianfranco Fini noch in den Schatten gestellt. Unter Führung des jungen, 1952 geborenen Fini gewann die Partei bei den 1994 abgehaltenen Wahlen 13,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Zwei Jahre später, 1996, waren es sogar 15,7 Prozent; und 2001 immerhin noch zwölf Prozent. Noch wichtiger und noch bedenklicher war, dass Fini 1994 zum Minister im ersten Kabinett Berlusconis wurde. Dies wiederholte sich 2001, als Berlusconi erneut die Wahl gewann und wiederum Fini in die Regierung aufnahm.36 Auch in dem im April 2008 gebildeten dritten Kabinett Berlusconis ist Finis Partei wieder vertreten. Wie kann eine neofaschistische Partei in der Regierung eines demokratischen Staates vertreten sein, ohne dass dies bei den anderen europäischen Demokratien auf nennenswerte Kritik gestoßen ist? Eine, aber keineswegs befriedigende, Erklärung dafür ist, dass Fini eine fast perfekte Mimikry betrieb, indem er dem „Movimento Sociale Italiana“ einen neuen und scheinbar unverfänglicheren Namen gab: „Alleanza Nazionale“. Außerdem untersagte er den Mitgliedern seiner Nationalen Allianz das unter seinem Vorgänger Almirante noch weitverbreitete Zeigen des sogenannten Römischen Grußes und das öffentliche Auftreten in den Schwarzen Hemden der fascisti Mussolinis. Generell war der selber immer perfekt gekleidete und mit Schlips und Kragen auftretende Fini um ein modernes und moderates Image seiner Partei bemüht.
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Doch all diese Mimikry konnte zumindest die ideologischen Kontinuitäten zwischen dem scheinbar neuen und dem alten Faschismus nicht verdecken. Sein Schöpfer – Mussolini – wurde weiterhin verherrlicht und seine Verbrechen wurden geradezu systematisch verharmlost. Diese Relativierung des verbrecherischen Faschismus Mussolinis stieß innerhalb der italienischen Öffentlichkeit kaum noch auf Kritik, ist es hier doch zu einer ebenso weitgehenden wie weitverbreiteten Neubewertung Mussolinis und seines faschistischen Regimes gekommen. Verantwortlich dafür war vor allem der Mussolini-Biograph Renzo de Felice, der in einigen sehr einflussreichen Arbeiten den italienischen strikt vom deutschen Faschismus unterschied. Die italienische Variante des Faschismus sei viel moderner, nicht oder kaum rassistisch und generell längst nicht so schlimm wie der Nationalsozialismus gewesen. Diese geschichtspolitische Offensive de Felices, die übrigens in vieler Hinsicht an den von Ernst Nolte angezettelten deutschen „Historikerstreit“ erinnert, war schon deshalb erfolgreicher als die diesbezüglichen deutschen Bemühungen, weil sich zur gleichen Zeit auch in vielen anderen Ländern die Zweifel an der Legitimität eines allgemeinen Faschismusbegriffs mehrten. Im Zentrum dieser Kritik stand die These von der absoluten Singularität des Holocaust, der zudem von Historikern wie Daniel Goldhagen kurz und bündig als „deutsches Produkt“ bezeichnet wurde. Diese deutsche und internationale Diskussion wurde in Italien aufmerksam verfolgt und dankbar angenommen. Übersehen, und dies ganz bewusst, wurde dabei, dass sich auch die faschistische Republik von Salò am Holocaust beziehungsweise am Judenmord beteiligt hat. Außerdem wurde von italienischer Seite weiterhin strikt geleugnet, dass auch das faschistische Italien eine Rassenpolitik betrieben und in Äthiopien einen Rassenkrieg geführt hat.37 Zu einer schleichenden Aufwertung des italienischen Faschismus hat auch die ebenfalls von de Felice angestoßene Abwertung des Antifaschismus beigetragen, der zudem nicht mehr als ideologische Klammer zwischen der italienischen Linken und der Democrazia Christiana gebraucht wurde, weil Letztere mit dem Zusammenbruch des alten italienischen Parteiensystems faktisch von der politischen Bühne verschwand. Nutznießer dieser politischen und damit einhergehenden ideologischen Wandlungen war Finis Partei, die man offensichtlich nicht
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mehr nach den alten Kriterien beurteilen wollte, ohne dass man neue für sie erfand. Außerdem profitierte Finis Mimikry von der Tatsache, dass im politischen Vakuum nach dem Zerfall des alten Parteiensystems zwei weitere Parteien entstanden, die sich in ihrer politischen Ausrichtung keineswegs grundlegend von der Alleanza Nazionale unterscheiden. Gemeint ist einmal die „Lega Nord“ Umberto Bossis.38 Der 1941 geborene Bossi hat sich nach seinem (abgebrochenen) Medizin- und Jurastudium politisch an der Autonomiebewegung im italienischen Aostatal beteiligt. Daraus entstand die „Lega Lombarda“, die von Bossi mit gegründet worden war und als deren Abgeordneter er 1987 ins italienische Parlament einzog. Unter seiner Führung wurde die 1989 in „Lega Nord“ umbenannte Bewegung zu einer Massenpartei mit einer separatistischen Zielsetzung, verlangte Bossi doch allen Ernstes die Abtrennung der gesamten Poebene von dem als durch und durch korrupt angesehenen italienischen Gesamtstaat. Die Errichtung eines neuen Teil-Staates, Padanien genannt, wurde aber nicht nur mit dem durchaus berechtigten Hinweis auf die Unfähigkeit Roms begründet, die drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes – vor allem den Nord-Süd-Gegensatz – zu lösen; Bossi bediente sich zusätzlich einiger Argumente und Ideologeme, die eine fatale Ähnlichkeit mit der faschistischen Ideologie und Propaganda hatten. Vom nationalsozialistischen „Blut-und-Boden-Kult“ abgekupfert scheint die Verherrlichung des Flusses Po zu sein, nach dem das künftige Padanien genannt ist. Dabei wurde in merkwürdigen und schon fast possenhaft anmutenden Riten und Ritualen das Wasser dieses Flusses auf einer Boots-Prozession von seiner Quelle bis zur Mündung in die Adria gebracht. Noch merkwürdiger ist die Verherrlichung der Kelten, die hier vor der römischen Zeit lebten und von Bossi als die eigentlichen Ahnen der „Padanier“ bezeichnet werden. Man mag all dies komisch finden, aber absolut nicht komisch ist, dass Bossi und seine Partei in letzter Zeit durch eine abstoßende rassistische Hetze gegen Ausländer im Allgemeinen und afrikanische Einwanderer im Besonderen aufgefallen sind. In Italien ist die Lega Nord nicht nur im Parlament, sondern auch in der Regierung vertreten. Das ist jetzt zum dritten Mal der Fall. Dies allein sagt viel über den gegenwärtigen politischen Zustand Italiens aus.
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Hier ist es nach dem Zusammenbruch des alten Systems zur Entstehung einer neuen politischen Ordnung gekommen, die sich schon deshalb einer angemessenen Einstufung und Bewertung entzieht, weil sie völlig neu und mit allen anderen italienischen und europäischen Regimen kaum zu vergleichen ist. Dies schon wegen seines Schöpfers und erneuten Führers, der einen Politikertyp repräsentiert, den es so in der Geschichte des Parlamentarismus noch nicht gegeben hat: Silvio Berlusconi.39 Der 1936 in Mailand geborene Berlusconi entstammt einer zwar nicht armen, aber auf jeden Fall auch nicht reichen Familie. Seinen Aufstieg zum mit großem Abstand reichsten Mann Italiens verdankt er seiner eigenen Tüchtigkeit und Geschicklichkeit, sein Vermögen wird auf mindestens elf Milliarden Dollar geschätzt. Offiziell und nach eigenen Angaben hat es Berlusconi zunächst im Bereich des Bauwesens und des Immobilienhandels erwirtschaftet. Da in diesen wirtschaftlichen Sektoren die Korruption weitverbreitet ist (was übrigens keineswegs nur auf Italien zutrifft), hat es immer wieder Spekulationen über einige dunkle – und letztlich zur Mafia führende – Kanäle gegeben. Bewiesen ist dies alles jedoch nicht, hat Berlusconi doch bisher alle gegen ihn angestrengten Prozesse gewonnen – oder seine politische Macht dazu ausgenutzt, um schon ihre Einleitung zu verhindern. Seine wie auch immer gewonnenen finanziellen Mittel hat Berlusconi im Medienbereich investiert, vor allem im damals neuen privaten Fernsehen. Die von ihm gegründeten und geleiteten Privatsender zeichneten sich zwar durch eine denkbar schlechte Qualität ihrer Programme aus, waren aber äußerst lukrativ. Dies befähigte Berlusconi, sich auch in den Bereichen des Handels, der Versicherungen und nicht zuletzt des Sports, vor allem des Fußballs, zu betätigen. Wiederum mit großem finanziellen Erfolg. Mit seiner so gewonnenen wirtschaftlichen und medialen Macht im Rücken hat er die Bühne der Politik bestiegen. Dies nicht in den Reihen der alten, durch zahlreiche Korruptionsskandale geschwächten und schließlich ruhmlos untergegangenen Parteien, sondern durch die Gründung einer neuen Partei, der er den unverfänglichen Namen „Forza Italia“ gab. Berlusconi stellte sich mit seiner „italienischen Kraft“ als Wunderheiler der italienischen Korruptions-Krankheit und unbeugsamen Bekämpfer des Kommunismus auf, der durch den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa äußerst geschwächt
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war. Schritt für Schritt verschwand die einstmals so mächtige Kommunistische Partei Italiens (PCI), die 1991 den Begriff „kommunistisch“ aus ihrem Namen strich und sich in „Demokratische Partei der Linken“ umbenannte, von der politischen Bildfläche. In dem im April 2008 gewählten italienischen Parlament ist sie nicht mehr vertreten. Der Niedergang des PCI hatte aber wenig mit Berlusconis Politik zu tun, die dieser 1994/1995 und dann 2001 bis 2006 als Ministerpräsident einer aus der Forza Italia sowie den Parteien Bossis und Finis gebildeten Regierung führte. Dass er dennoch zweimal und 2008 sogar zum dritten Mal mit einer komfortablen Mehrheit gewählt wurde, verdankte er hauptsächlich der Schwäche der Linken, die sich zunächst gar nicht und schließlich viel zu spät unter sich und gegen Berlusconi einigen konnten. Die Linke vermochte es auch nicht, die vielen politischen und moralischen Schwächen zu nutzen, die Berlusconi bot und immer noch bietet. Dazu gehört einmal der schon erwähnte Korruptionsverdacht, der aber bisher nicht bewiesen werden konnte, und Berlusconis inzwischen bewiesene temporäre Mitgliedschaft in einer Geheimorganisation, die sich „Propaganda Due“ (PZ) nannte. Ende der 1970er-Jahre bereitete diese einen faschistischen Putschversuch vor, der erst in letzter Sekunde aufgedeckt und verhindert wurde. Berlusconi hat daraus die Lehre gezogen und hat sich mit allzu offenen profaschistischen Äußerungen zurückgehalten. Antisemitische Äußerungen sind überhaupt nicht nachweisbar. Den Holocaust hat er mehrmals öffentlich scharf verurteilt, ohne allerdings dabei auf die italienische Mithilfe einzugehen. Dagegen ist er mehrmals mit hetzerischen und rassistisch geprägten Äußerungen gegen Ausländer hervorgetreten. Es ist zu früh, ein Fazit zu ziehen und über Berlusconi ein abschließendes Urteil zu fällen: Berlusconi war und ist erneut Chef einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung. Daher kann sein Regime weder als bonapartistisch noch gar als faschistisch bezeichnet werden. Andererseits gibt es gewisse politische und ideologische Kontinuitäten zwischen Berlusconis – noch – demokratischem und Mussolinis faschistischem Regime, weshalb Berlusconi und seine Mitstreiter Bossi und Fini mit Fug und Recht und ohne jegliche Häme und Polemik als Mussolinis Erben anzusehen sind. Ob sie dieses Erbe antreten und erfüllen werden, wird die Zukunft zeigen.
„Deutsche Katastrophe“ – Bonapartismus und Faschismus in Deutschland
Die deutsche Katastrophe war der Titel des Buches, das der damalige Nestor unter den deutschen Historikern, Friedrich Meinecke, im Jahr 1946 veröffentlichte.40 Es war damals äußerst erfolgreich und wurde als „Versuch zur deutschen Vergangenheitsbewältigung“ angesehen.41 Tatsächlich hat Meinecke die Verantwortung für die „deutsche Katastrophe“ keineswegs nur Hitler und einigen führenden Nationalsozialisten, sondern den Deutschen zuerkannt. Daher könne man die Geschichte des „Dritten Reichs“ auch nicht mit 1933 beginnen, sondern müsse weiter in die deutsche Geschichte zurückgreifen. Nicht bis zu Friedrich den Großen oder gar Luther, wohl aber bis zu Bismarck. „Keime des späteren Unheils“ des „Dritten Reichs“ seien nämlich bereits im Kaiserreich angelegt gewesen. Meinecke stand und steht mit dieser Meinung nicht allein. Sie wird fälschlich – in der Geschichte gibt es nämlich keine „Normalwege“ – als Sonderwegsthese bezeichnet und ist nach wie vor heftig umstritten. Unstrittig ist jedoch, dass der Faschismus nicht einfach vom Himmel gefallen oder aus dem Ausland importiert worden ist, sondern über eine Vorgeschichte verfügt, die vom Bonapartismus des 19. bis hin zum Faschismus des 20. Jahrhunderts reicht. Diese von mir sogenannte „bonapartistisch-faschistische Kontinuitätslinie“42 soll im Folgenden kurz und eher stichwortartig nachgezeichnet werden.43 Dabei konzentrieren wir uns wieder auf Leben und Wirken einiger Personen. Bonapartistisch-faschistische Kontinuität Zu beginnen ist mit Otto von Bismarck, dessen Regime von einigen Zeitgenossen und späteren Historikern als bonapartistisch eingeschätzt worden ist.44 Ist dies berechtigt und was ist darunter zu verstehen?45 Der 1815 in Schönhausen im heutigen Sachsen-Anhalt als Sohn eines Gutsbesitzers geborene Bismarck hatte nach dem Schulbesuch in Berlin und dem Studium in Göttingen sowie der Absolvierung des juristischen
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Referendariats das Gut seines Vaters übernommen. Gutsherr wäre er vermutlich auch geblieben, wenn es nicht zum Ausbruch der Revolution von 1848 gekommen wäre. Sie hat Bismarck politisiert und zu einem bald ebenso bekannten wie angefeindeten Politiker der äußersten Rechten gemacht. Dazu trugen seine reaktionären Reden als Abgeordneter im Preußischen Landtag und seine antirevolutionären Artikel in der von ihm mitbegründeten konservativen Neuen Preußischen Zeitung bei, die nach dem Eisernen Kreuz auf dem Titel auch Kreuz-Zeitung genannt wurde. Dies fand den Beifall des preußischen Königs, der Bismarck nach der Niederschlagung der Märzrevolution in den Staatsdienst berief. Von 1851 bis 1859 war Bismarck Gesandter Preußens am Bundestag in Frankfurt, danach Botschafter in St. Petersburg und in Paris. 1862 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt. Hier profilierte er sich durch seine unnachgiebige Haltung gegenüber der liberalen Mehrheit im Landtag. Als diese die von der Regierung beantragte Heeresreform ablehnte, zögerte Bismarck nicht, sie dennoch durchzuführen, womit er gegen die Verfassung verstieß. Dieser Rechts- und Verfassungsbruch ist ihm schnell verziehen worden. Grund dafür waren seine außenpolitischen und militärischen Erfolge über Dänemark 1864 und 1866 über Österreich und die mit diesen verbündeten süddeutschen Staaten. Mit der 1867 erfolgten Gründung des Norddeutschen Bundes hatte Bismarck fast schon das erreicht, woran die Liberalen 1848 gescheitert waren – die Einigung Deutschlands. Vollendet wurde sie 1871 nach dem Sieg über den „Erbfeind“ Frankreich mit der Ausrufung des deutschen Kaiserreichs, zu dessen Reichskanzler Bismarck ernannt wurde. Damit war die „deutsche Frage“ gelöst. Allerdings im kleindeutschen Sinne und unter Ausschluss der Deutsch sprechenden Bewohner der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie. Doch dies wurde – bis auf die sogenannten Alldeutschen, die möglichst alle Deutschen heim ins Deutsche Reich holen wollten – allgemein akzeptiert. Dass all das von oben und nicht von unten und auf demokratischem Wege geschehen war, wurde wenn nicht von allen, so doch von vielen Deutschen hingenommen und bejubelt. Auf zunehmende Kritik stieß jedoch Bismarcks autoritärer Regierungsstil, den er zunächst gegenüber den Katholiken im sogenannten Kulturkampf, dann gegenüber den Linksliberalen und schließlich und vor allem gegenüber den Sozialdemokraten anwandte.
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Um sich ihrer Opposition zu erwehren, griff Bismarck zu Methoden, die schon von den Zeitgenossen als bonapartistisch bezeichnet und kritisiert worden sind. Dazu gehörten die Ablenkung von inneren Problemen durch die Erringung von Ersatzerfolgen im außen-, vor allem kolonialpolitischen Bereich und die Vermischung von sowohl repressiven wie integrativen Mitteln innerhalb der Sozialpolitik. Diese waren jedoch nur sehr bedingt erfolgreich. Die SPD ließ sich durch die Verbotsmaßnahmen des Sozialistengesetzes nicht schrecken und gewann unter den Arbeitern immer mehr an Anhängern, die durch die Sozialgesetze – die Einführung der Kranken-, Unfall- und Altersversicherung – nicht so integriert und pazifiziert wurden, wie sich Bismarck das gedacht hatte. Im Unterschied zur nationalen war die soziale Frage also keineswegs gelöst. Dies versuchte ein bis dahin außerhalb seiner Kirche kaum bekannter Pastor durch die Gründung einer Partei zu erreichen, welche die soziale mit der nationalen Frage verbinden und so einer Lösung zuführen wollte: Adolf Stoecker.46 Stoecker wurde 1835 als Sohn eines Schmiedes und späteren Gefängnisaufsehers in Halberstadt geboren. Trotz seiner Herkunft aus dem Handwerks- beziehungsweise unteren Mittelstand konnte er Theologie studieren. Danach hatte er verschiedene Pfarrstellen inne, am deutsch-französischen Krieg nahm er als Divisionspfarrer teil. 1874 wurde er Hof- und Domprediger in Berlin und Mitglied der Generalsynode der Kirche der altpreußischen Union. Zu diesen hohen kirchlichen Ämtern kam 1877 das des Leiters der Berliner Stadtmission hinzu. Spätestens jetzt wurde Stoecker mit dem Leid großer Teile der Arbeiterschaft konfrontiert. Deren Leid wollte seine Kirche mithilfe der sogenannten inneren Mission lindern, die sich auf die moralische Besserung und Bildung der Arbeiter konzentrierte. Sehr erfolgreich war das schon deshalb nicht, weil für dieses Leid nicht die Not leidenden Arbeiter selbst, sondern das von Staat und Kirche unterstützte kapitalistische System verantwortlich war. Dies war vielen Arbeitern durchaus bewusst – oder wurde ihnen von den marxistisch geschulten Sozialdemokraten bewusst gemacht. Folglich wandten sie sich sowohl gegen den Staat wie die Kirche, weil diese den Staat bedingungslos unterstützte. Um die sowohl staats- wie kirchenfeindlich gewordenen Arbeiter für Kirche und Staat wieder zurückzugewinnen, gründete Stoecker 1878 eine Partei, die dieses Ziel schon in ihrem Namen zum Ausdruck brachte.
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Die von Stoeckers „Christlich-Sozialer Arbeiterpartei“ umworbenen Arbeiter ließen diese jedoch zunächst links beziehungsweise rechts liegen und lachten ihren Gründer bei dessen erstem öffentlichen Auftreten einfach aus. Der so düpierte Stoecker wusste einen guten, oder besser, teuflischen Rat. Er gab den Sozialdemokraten in einem Punkt recht: Nicht die Arbeiter seien schuld an der Not, sondern das kapitalistische System. Allerdings nicht das gesamte, sondern nur das von Juden kontrollierte. „Die Juden“ übten einen viel zu großen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft aus. Ihre „Kapitalskraft“ sei für die „sozialen Übelstände“ verantwortlich. Der „überhand nehmenden Herrschaft des Judentums“ müsse man einen „Damm“ entgegensetzen. Zur Ehre der damaligen deutschen Arbeiter ist jedoch zu sagen, dass der von Stoecker gepredigte national-soziale Antisemitismus bei ihnen nicht erfolgreich war. Jedenfalls zunächst nicht. Stoeckers inzwischen nur noch „Christlich-Sozial“ genannte Partei wurde kaum von Arbeitern, sondern weit mehr von Angehörigen des unteren und oberen Mittelstandes gewählt. Außerdem handelte es sich um eine relativ kleine Partei, deren Stimmengewinne in der Folgezeit sogar zurückgingen. Doch dies darf nicht über ihren tatsächlichen politischen Einfluss hinwegtäuschen. Dies gilt einmal für die Antisemiten-Petition, mit der 1880/81 von Bismarck die Rücknahme der Emanzipation und die Ausweisung aller aus dem Osten eingewanderten Juden gefordert wurde. Auf Drängen Stoeckers hat dann auch die Deutschkonservative Partei antisemitische Forderungen in ihr sogenanntes Tivoli-Programm von 1892 aufgenommen. Generell war die antisemitische Christlich-Soziale Partei ein Faktor und Indikator für die weitere Verbreitung und Radikalisierung des Antisemitismus, der nach den Worten der israelischen Historikerin Shulamit Volkov in Deutschland zum „Code“ der gesamten bürgerlichen Gesellschaft wurde. Und dies schon lange vor Hitler. Stoecker selber hat davon aber nicht profitieren können. Er musste auf Veranlassung Bismarcks 1889 auf jede weitere aktive politische Betätigung verzichten. Ein Jahr später verlor er auch sein Hofpredigeramt. Er hat dann noch einige Jahre für die Deutschkonservativen im Reichstag gesessen, denen sich die Christlich-Sozialen angeschlossen hatten, wurde hier aber auf die hinteren Bänke verbannt. Daraufhin zog er sich ins Privatleben zurück. 1909 ist er gestorben. Vergessen war er nicht. Er
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gilt heute als einer der, wenn nicht sogar der wichtigste Vorläufer Hitlers, mit dessen Aufstieg zur Macht wir uns jetzt beschäftigen wollen. Hitlers Aufstieg Adolf Hitler wurde 1889 im österreichischen Braunau am Inn geboren.47 Sein Vater war ein Postbeamter, der ein gutes Gehalt bekam, von dem er sich ein relativ großes Haus leisten konnte. Auch nach dessen frühen Tod lebte seine Familie keineswegs in Armut, wie dies Adolf Hitler später immer wieder behauptet hat. Ein Beweis dafür ist, dass es Hitler nach Beendigung seiner Schulzeit nicht nötig hatte, einen Beruf zu erlernen oder überhaupt zu arbeiten. Sein müßiggängerisches Leben setzte er dann auch in Wien fort, wo er von der dortigen Kunstakademie wegen Unfähigkeit abgewiesen wurde. Auch jetzt dachte Hitler nicht daran, sich eine Arbeitsstelle zu suchen und eine Familie zu gründen. Um sich der Wehrpflicht zu entziehen, ging er schließlich ins Ausland, genauer gesagt nach München. Auf Wunsch der österreichischen Militärbehörden wurde er hier Anfang 1914 von der bayerischen Polizei verhaftet und nach Salzburg überstellt. Aus nicht bekannten Gründen wurde Hitler aber nicht bestraft und auch nicht zum österreichischen Militär eingezogen, sondern freigelassen und nach München zurückgeschickt. Im August 1914 meldete er sich aber doch zum Militär und zog als Soldat der bayerischen Armee in den Krieg. Hier zeichnete er sich durch Tapferkeit aus, weshalb ihm das Eiserne Kreuz zweiter und dann auch erster Klasse verliehen wurde. Seine militärische Karriere verlief dagegen mehr als bescheiden. Am Ende des Krieges war Hitler Gefreiter. Anders als die meisten seiner Kameraden kehrte er nicht ins Zivilleben zurück, sondern blieb bei der nun stark reduzierten Armee. In München wurde der inzwischen zum Obergefreiten beförderte Hitler als Spitzel beziehungsweise, wie es offiziell hieß, als „Vertrauensmann“ eingesetzt. In dieser Eigenschaft besuchte er im September 1919 die Veranstaltung einer kleinen rechtsradikalen Gruppe, die sich „Deutsche Arbeiterpartei“ (DAP) nannte. Anstatt sich, wie es sich für einen Spitzel gehörte, Aufzeichnungen über die staatsfeindlichen Reden dieser staatsfeindlichen Splitterpartei zu machen, hielt Hitler selber eine Rede. Sie wurde mit großem Beifall aufgenommen und brachte Hitler das Angebot ein, der DAP beizutreten. Hitler akzeptierte und betätigte sich fortan als erfolgreicher Propagandist der Partei, die auf seinen Vor-
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schlag hin in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) umbenannt wurde. Im Juli 1921 wurde er von seinen Parteigenossen zum Vorsitzenden gewählt. Damit hatte der knapp 30-jährige berufslose Adolf Hitler endlich einen Beruf gefunden. Nach seinem Selbstverständnis war es eine Berufung. Sie verleitete ihn schon zwei Jahre später im November 1923 dazu, seinem großem Vorbild Mussolini nachzueifern und einen Putschversuch zu starten, der zu einem „Marsch auf Berlin“ führen sollte. Er endete jedoch schon in München an der Feldherrnhalle, wo ein Demonstrationszug der Nationalsozialisten von der Polizei mit Waffengewalt aufgehalten wurde. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben. Hitlers, wie er in der angloamerikanischen Forschung leicht abschätzig genannt wird, „Bierhallenputsch“ war ein grandioser Fehlschlag, machte Hitler aber dennoch mit einem Schlag in ganz Deutschland bekannt. Dafür sorgte nicht Hitler selbst, denn den kannte damals außerhalb Münchens und Bayerns kaum jemand, sondern sein prominenter Putsch-Kamerad, der allseits verehrte Feldmarschall und Sieger von Tannenberg, Erich Ludendorff. Eine unbezahlbare Propaganda für Hitler leisteten dann die bayerischen Richter, die ihn im April 1924 in einem aufsehenerregenden Prozess zu nur fünf Jahren Festungshaft verurteilten. (Ludendorff wurde sogar freigesprochen.) Ein Jahr dieser sehr komfortablen Haft verbrachte Hitler in Landsberg, wo er sein Buch Mein Kampf schrieb, das zu einem Bestseller werden sollte, der allerdings von vielen Käufern kaum gelesen und noch weniger ernst genommen worden ist. 1925 konnte der vorzeitig entlassene Hitler die zwischenzeitlich verbotene NSDAP neu aufbauen und dabei alle innerparteilichen Gegner ausschalten. Als unbestrittener „Führer“ der gesamten Partei veränderte er auch ihre Taktik. Statt wie bisher nach dem Vorbild der italienischen Faschisten gewaltsam und durch einen Putsch zur Macht kommen zu wollen, verfolgte er fortan eine Art Doppelstrategie. Sie bestand in einer Kombination aus formal legalen und eindeutig illegalen politischen Methoden. Öffentlich verkündetes Ziel war die Erringung einer parlamentarischen Mehrheit, um im Anschluss das parlamentarische System abzuschaffen und eine faschistische Diktatur zu errichten, wobei, wie Hitler offen zugab, auch „Köpfe rollen“ würden. Gleichzeitig tolerierte Hitler jedoch die eindeutig illegale Gewaltanwendung seiner SA-Kampftruppen und spornte sie zu ihrem terroristischen
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Feldzug gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und vereinzelt auch Juden an. Dass dies zur Gegengewalt der kommunistischen und sozialdemokratischen Wehrverbände „Rotfrontkämpferbund“ und „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ führte, war durchaus eingeplant und wurde zugleich propagandistisch ausgenutzt – versicherte Hitler dem durch die bürgerkriegsähnlichen Unruhen verschreckten und verunsicherten Bürgertum doch, dass er die Ordnung wiederherstellen und die „Roten“ vernichten werde. Die mit dieser Doppelstrategie erzielten parlamentarischen Erfolge hielten sich jedoch zunächst in Grenzen. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1928 erreichte die NSDAP 2,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Doch bei den Wahlen im September 1930 waren es 18,3 Prozent. Die NSDAP war mit einem Schlag zur zweitstärksten Partei geworden und zog mit 107 (vorher 12) Abgeordneten in den Reichstag ein. Hier verfolgte sie eine totale Obstruktionspolitik, die schon deshalb erfolgreich war, weil sich die demokratischen Parteien nicht auf ein gemeinsames Vorgehen und noch nicht einmal auf eine mehrheitsfähige Regierung einigen konnten. Die Reichskanzler, zunächst Heinrich Brüning, dann Franz von Papen und schließlich Kurt von Schleicher, griffen in dieser Situation zu einem verfassungsrechtlich äußerst problematischen Mittel: Unter Berufung auf den Notstandsartikel 48 der Weimarer Reichsverfassung erließen sie Gesetze gegen das Parlament und ohne es überhaupt zu befragen. Unter diesen befanden sich solche, durch die das ohnehin schwach entwickelte und kaum leistungsfähige soziale System der Weimarer Republik noch weiter abgebaut wurde. Die Folge war, dass die durch die Weltwirtschaftskrise arbeitslos gewordenen Menschen in eine beispiellose soziale Not gerieten. Das war Wasser auf die Mühlen der nationalsozialistischen Propaganda. Wusste sie doch eine einfache Antwort: Schuld an allem sei „der Jude“; und „Rettung“ könne allein von Hitler kommen. Diese Propagandafloskeln wurden unter Verwendung der modernsten Methoden durch die einsatzbereiten Mitglieder seiner Partei und durch Hitler selber in ganz Deutschland verbreitet. Und zwar mit zunehmendem Erfolg. Im Juli 1932 wurde die NSDAP mit 37,2 Prozent der bei der Reichstagswahl abgegebenen Stimmen zur stärksten Partei. Von ihrem eigentlichen Ziel, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, war sie damit aber noch weit entfernt, zumal sie bei den Wahlen
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im November des gleichen Jahres wieder vier Prozent verlor. Außerdem weigerte sich Reichspräsident von Hindenburg, die Ernennung des, wie er ihn verachtungsvoll nannte, „böhmischen Gefreiten“ zum Reichskanzler auch nur in Erwägung zu ziehen.48 „Machtergreifung“ Am 30. Januar 1933 beugte sich Hindenburg jedoch den auf ihn vonseiten einiger Industrieller und vor allem von den immer noch mächtigen ostelbischen Junkern und Großgrundbesitzern ausgeübten Druck und betreute Hitler mit der Bildung einer Minderheitsregierung, der neben drei Nationalsozialisten – Hitler, Göring und Frick – neun Konservative angehörten. Von einer „Machtergreifung“, wie die nationalsozialistische Propaganda durch einen spontan veranstalteten Fackelzug suggerierte, konnte damit keine Rede sein. Im Gegenteil: Die beiden Koalitionspartner NSDAP und DNVP hatten bei den letzten Parlamentswahlen zusammen nur 43 Prozent der Stimmen gewonnen, weshalb ihre Minderheitsregierung jederzeit vom Reichstag hätte gestürzt werden können. Die zahlenmäßig stärkeren und sich auch stärker fühlenden konservativen Minister glaubten, ihren Chef Hitler „eingerahmt“ zu haben. „In zwei Monaten“, so Vizekanzler von Papen, werde Hitler „in die Ecke gedrückt“ sein, „dass er quietscht“. Das war ein Trugschluss. Hitler setzte durch, dass der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen für den 5. März 1933 ausgeschrieben wurden. Den Wahlkampf führten die Nationalsozialisten von Anfang an mit ungleichen Mitteln und Methoden. Die NSDAP erhielt nicht nur große finanzielle Mittel vonseiten der Industrie, sie setzte auch staatliche Institutionen für Parteizwecke ein. So die preußische Polizei, die von dem zum kommissarischen preußischen Innenminister ernannten Göring befehligt und durch 40 000 SA- und SS-Männer verstärkt wurde, die zu Hilfspolizisten ernannt wurden. Sie wurden nach dem Brand des Reichstages am 27. Februar, für den die Nationalsozialisten die Kommunisten verantwortlich machten, zur Verhaftung von Tausenden von Kommunisten eingesetzt, die in die neu geschaffenen Konzentrationslager verschleppt wurden. Viele von diesen kamen dort um. Der Terror wurde am 28. Februar durch eine weitere Notverordnung des Reichspräsidenten „legitimiert“. Diese sogenannte Reichstagsbrandverordnung setzte die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung – wie Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsfreiheit, Versamm-
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lungsfreiheit, Post- und Fernsprechgeheimnis und Unverletzlichkeit von Eigentum und Wohnung et cetera – außer Kraft. Doch trotz ihres mit gewaltsamen Methoden geführten Wahlkampfes erreichte die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 „nur“ 43,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sie konnte aber zusammen mit ihrem Koalitionspartner, der DNVP, die auf acht Prozent der Stimmen kam, eine Regierungsmehrheit bilden. Zudem wurden die 81 Mandate, die von der KPD errungen worden waren, annulliert. Doch das reichte Hitler nicht. Am 23. März 1933 brachte er das sogenannte Ermächtigungsgesetz in den Reichstag ein, das der Regierung das Recht einräumte, selbst verfassungsändernde Gesetze zu erlassen, ohne das Parlament zu befragen. Es wurde mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit angenommen, weil auch die Abgeordneten der bürgerlichen Parteien und des Zentrums dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Nur die Abgeordneten der SPD votierten mit Nein. Durch das Ermächtigungsgesetz wurde der Reichstag faktisch ausgeschaltet. Jetzt folgte die „Gleichschaltung“ der Länder. Schon unmittelbar nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 waren die Innenminister derjenigen Länder, in denen die Nationalsozialisten noch nicht regierten, durch sogenannte Reichskommissare ersetzt worden. Am 31. März wurden die Parlamente der Länder aufgrund des „Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ nach den Ergebnissen der Reichstagswahl umgebildet. Damit verfügten die Nationalsozialisten (und die mit ihnen verbündeten Konservativen) in allen Ländern über die Mehrheit. Am 7. April folgte der nächste Schritt. Durch das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ wurden die Landesregierungen aufgelöst. An ihre Stelle traten sogenannte Reichsstatthalter. Danach begann die Ausschaltung der Parteien und Verbände. Den Anfang machten die freien Gewerkschaften des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), die am 2. Mai 1933 verboten wurden. An die Stelle der freien Gewerkschaften trat die am 10. Mai gegründete „Deutsche Arbeitsfront“, der alle bisherigen Verbände der Angestellten und Arbeiter zwangsweise eingegliedert wurden. Die SPD wurde am 22. Juni verboten. Die übrigen christlichen, konservativen und liberalen Parteien hatten sich schon vorher selber aufgelöst. In Deutschland gab es nur noch eine Partei: die NSDAP. Dieser Zustand wurde am 14. Juli durch das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ festgeschrieben.
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„Führerstaat“ In Deutschland war innerhalb von nur sechs Monaten eine faschistische Diktatur errichtet worden, die der in Italien ähnelte, für deren Errichtung Mussolini sechs Jahre gebraucht hatte. Mussolinis vorgeblicher stato totalitario wurde aber sehr bald von Hitlers „Führerstaat“ übertroffen. Gelang es Hitler doch bereits im Juni 1934, jegliche denkbare innerparteiliche Opposition auszuschalten. Gemeint ist die blutige Niederschlagung des angeblichen „Röhm-Putsches“, wobei die Führer der SA zusammen mit einigen anderen konservativen Widersachern Hitlers ermordet wurden. Zwei Monate später übernahm Hitler auch die Amtsbefugnisse des am 2. August 1934 gestorbenen Reichspräsidenten von Hindenburg als, wie er sich nun offiziell nannte, „Führer und Reichskanzler“. Damit verbunden war der Oberbefehl über die Reichswehr, die auf Hitlers Person vereidigt wurde. Allerdings unterstand die jetzt in „Wehrmacht“ umbenannte Reichswehr noch einem Reichskriegsminister – Werner von Blomberg – und wurde von einem Oberbefehlshaber – Werner von Fritsch – kommandiert. Beide wurden 1938 aus ihren Ämtern gedrängt – durch schmierige Tricks und Intrigen: Blomberg wurde der angebliche unsittliche Lebenswandel seiner Frau und Fritsch seine angebliche homosexuelle Neigung zur Last gelegt. Die damit gewissermaßen kopflos gewordene Wehrmacht folgte ihrem „Führer“ willenund widerspruchslos in den Krieg und schließlich in den Untergang. Nennenswerten Widerstand gab es erst spät – zu spät. Außerdem wurde er nur von einigen wenigen Offizieren getragen. Dennoch ist diesen am 20. Juli 1944 fast das gelungen, was sich ein Jahr zuvor in Italien ereignet hatte: der Sturz des faschistischen Diktators. Der bei dem Attentat nur leicht verletzte Hitler nahm blutige Rache. Fast alle am Aufstandsversuch Beteiligten wurden ermordet. Sie verdienen wie die übrigen deutschen Widerstandskämpfer, die ihren Widerstand gegen das NSRegime mit dem Leben bezahlten mussten, unseren Respekt. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass der deutsche Widerstand, an dem sich neben den erwähnten bürgerlich militärischen Kreisen auch viele Angehörige der deutschen Arbeiterbewegung beteiligt haben, erstens erfolglos und zweitens ein Widerstand ohne, ja fast schon gegen das Volk war. Denn dies war in seiner überwältigenden Mehrheit ihrem „Führer“ treu ergeben, und zwar bis zu dessen und dem fast vollständigen Untergang „seines“ Volkes. Es ist nicht zu leugnen, dass Hit-
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ler ähnlich wie Mussolini, ja noch weit mehr als dieser, äußerst populär war. Auch das hatte mehrere Gründe. Hinzuweisen ist einmal auf die allgegenwärtige und von einem zentralen Ministerium geleitete Propaganda, in deren Zentrum der um Hitlers Person betriebene Führerkult stand. Zur Propaganda kam der ebenso allgegenwärtige und alle Bereiche der Gesellschaft erfassende Terror. Ausgeübt wurde er sowohl von parteilichen wie staatlichen Instanzen. Federführend hierbei war das Reichssicherheitshauptamt, das 1939 aus einem Zusammenschluss der Zentralen von Polizei – Gestapo und Kriminalpolizei – und Sicherheitsdienst (SD) der SS entstand. Hinzu kam die überaus willfährige Justiz. Keineswegs nur der berüchtigte „Volksgerichtshof“, sondern auch die normalen, nicht weniger terroristischen Gerichtshöfe mit ihren „Blutrichtern“ und „furchtbaren Juristen“. Diese und andere Institutionen des Terrors konnten sich auf die willfährige Zuarbeit der denunziationswütigen Volks- sowie der Parteigenossen verlassen, deren Zahl in die Millionen ging und die Meldungen über jegliches abweichendes Verhalten machten. Von den Block- über die Kreis- und die Gauleiter wurden diese bis hin zur zentralen Parteileitung weitergereicht oder direkt an Gestapo und SD übermittelt. Die in verschiedene Unterorganisationen gegliederte Partei trug ferner zur Indoktrination des gesamten Volkes bei. Sie erfolgte vor allem durch die Hitlerjugend, der (zumindest seit 1939) jeder männliche und weibliche deutsche Jugendliche beitreten musste. Nach der HJ kam der ebenso sowohl für Männer wie Frauen verpflichtende Arbeitsdienst. Außerdem waren viele Deutsche freiwillig und gezwungen Mitglieder in anderen NS-Organisationen wie der Frauenschaft, dem Kraftfahrerkorps, dem Studentenbund, der Volkswohlfahrt sowie von SA und SS. Kein anderes faschistisches Regime hat eine derart weitgehende Erfassung und Kontrolle der Bevölkerung durch Propaganda und Terror sowie den freiwilligen und erzwungenen Beitritt zur faschistischen Massenpartei und ihren Untergliederungen erreicht. Dennoch oder gerade deshalb war die Zustimmung der Bevölkerung in keinem anderen faschistischen Regime so groß wie in Hitlers „Führerstaat“. Wesentlich dazu beigetragen hat auch die nationalsozialistische Sozial- und Wirtschaftspolitik. Sie war nämlich erfolgreich oder wurde zumindest von der Mehrheit des deutschen Volkes so empfunden. Jedenfalls von denen, die nicht als „fremdvölkisch“ und „rassenfremd“
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oder „asozial“ und „erbkrank“ angesehen, ausgegrenzt und verfolgt wurden. Obwohl die Arbeiter mit dem Verbot der Gewerkschaften ihrer Interessenvertretung beraubt waren, stiegen ihre – formal und gesetzlich festgeschriebenen – Löhne. Das faschistische Deutschland erlebte einen Wirtschaftsboom, der sehr schnell dazu führte, dass die Arbeitslosigkeit überwunden und von einem Arbeitskräftemangel abgelöst wurde, der es den Arbeitern ermöglichte, faktisch mehr Lohn von den Arbeitgebern zu verlangen. Um ihre immensen Profitraten nicht zu gefährden, zeigten sich die Arbeitgeber zu höheren Löhnen auch bereit – obwohl oder weil sie vom Regime nicht gleichgeschaltet worden waren. Die staatsinterventionistischen Eingriffe in das Wirtschaftsleben hielten sich in Grenzen und gingen nicht über die hinaus, welche es auch in anderen Ländern – nicht zuletzt in den USA zur Zeit des new deal Roosevelts – gab, in denen ein freies privatkapitalistisches System herrschte. All das wirkte auf viele Zeitgenossen wie ein Wunder, konkret ein „Wirtschaftswunder“ – das war es aber nicht. Erkauft wurde es nämlich durch eine rücksichtslose Aufrüstung, die bald kaum noch bezahlbar war und Deutschland an den Rand eines Staatsbankrotts brachte. Verhindert wurde dieser nur durch die Ausbeutung der deutschen Juden – und den Krieg, der von Anfang an als Raub- und Rassenkrieg geplant war und schließlich auch so geführt wurde. Ein Krieg, der letztlich zum Untergang führte und führen musste. Untergang Dass dieser Raub- und Rassenkrieg Hitlers eigentliches und oberstes Ziel war, hätte jedem klar sein können, der sein programmatisches Buch Mein Kampf gelesen hatte. Doch wer hatte das schon getan. Außerdem hat Hitler zu Beginn seiner Herrschaft alles getan, um die kommunistische Propagandaformel zu widerlegen, wonach Hitler gleichbedeutend mit „Krieg“ war und zu einem solchen führen musste. Am 17. Mai 1933 hielt er eine viel beachtete „Friedensrede“ vor dem Reichstag. Am 20. Juli des gleichen Jahres schloss er ein Abkommen (Konkordat) mit dem Papst ab, das ihm die Achtung und den Respekt der höchsten Instanz des katholischen Christentums einbrachte. Im Januar 1934 schloss er sogar einen Nichtangriffspakt mit Polen ab, in dem faktisch auf die Wiedergewinnung der 1918 verloren gegangenen deutschen Ostgebiete verzichtet wurde.
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Doch durch den Austritt aus dem Völkerbund, die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 und den Einmarsch in das aufgrund des Versailler Vertrages entmilitarisierte Rheinland ein Jahr später zeigte Hitler, dass er nur Kreide gefressen und sein eigentliches aggressives Programm keineswegs vergessen hatte. Um es zu verwirklichen, musste er zunächst noch nicht einmal Krieg führen. Die Westmächte erfüllten nämlich alle seine Forderungen, um ihn, wie es hieß, zu beschwichtigen. Im Zeichen dieser sogenannten Appeasement-Politik erhielt HitlerDeutschland 1935 das bis dahin unter französischem Protektorat stehende Saarland zurück. 1938 folgten Österreich und das sogenannte Sudetenland, das die Tschechoslowakei auf Druck Englands und Frankreichs abtreten musste. Die Westmächte sahen dann 1939 auch noch der Zerschlagung der „Rest-Tschechei“ und der Annexion des Memelgebiets zu. Erst als Hitler offen mit der gewaltsamen Wiedergewinnung einiger der früheren deutschen Ostgebiete drohte, gaben die Westmächte ihre Appeasement-Politik auf und sicherten Polen ihre Unterstützung zu. Diese Garantieerklärung der territorialen Integrität des polnischen Staates kam jedoch entschieden zu spät und wurde zugleich von Hitler durch den Abschluss des Nichtangriffspakts mit der Sowjetunion unterlaufen. In dem geheimen, aber bald darauf bekannt gewordenen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 hatten die beiden Diktatoren die Teilung Polens untereinander vereinbart. Dies ermöglichte den Angriff auf Polen, das am 1. September 1939 überfallen und innerhalb von knapp vier Wochen geschlagen wurde. Die Westmächte hatten Deutschland zwar am 3. September 1939 den Krieg erklärt, konnten oder wollten aber dem bedrängten Polen nicht zur Hilfe kommen. Außerdem sahen sie ungerührt zu, als die Sowjetunion ebenfalls noch im September 1939 die Osthälfte Polens sowie 1940 Teile Rumäniens und die baltischen Staaten annektierte. Dem von der Roten Armee ebenfalls 1940 angegriffenen, sich tapfer verteidigenden Finnland kam man auch nicht zur Hilfe. Diese Untätigkeit der Westmächte rächte sich. Die Wehrmacht konnte fast völlig ungehindert sowohl Dänemark wie Norwegen besetzen und durch die Niederlande und Belgien nach Frankreich vorstoßen, das in wenigen Wochen geschlagen wurde und kapitulieren musste. Das britische Expeditionskorps vermochte es nur mit Mühe und Not und unter Zurücklassung ihres gesamten schweren Geräts, über Dünkir-
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chen nach England zu entkommen. Die jetzt möglich gewordene Invasion Englands wurde mit Luftangriffen auf englische Städte vorbereitet. Die damit begonnene Luftschlacht um England – „Battle of Britain“ – ging für Deutschland aber letztlich verloren. Dies war Hitlers erste Niederlage. Kriegsentscheidend war sie jedoch nicht beziehungsweise noch nicht: gelang es den Achsenmächten Deutschland und Italien doch noch 1941, Jugoslawien und Griechenland zu schlagen und einen ebenfalls zunächst erfolgreichen Feldzug auf dem afrikanischen Kontinent zu beginnen. Die eigentliche Wende kam mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die auf der ganzen Linie von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer vorrückende Wehrmacht eroberte zwar mithilfe von finnischen, ungarischen, rumänischen, italienischen und slowakischen Hilfstruppen große Teile der westlichen Sowjetunion, aber nicht die Hauptstadt Moskau. Vor den Toren von Moskau wurde der unaufhaltsam scheinende Vormarsch gestoppt. Im Dezember 1941 startete die Rote Armee eine erste Gegenoffensive. Sie konnte aber abgewehrt werden, wodurch es der Wehrmacht möglich wurde, im Sommer 1942 noch einmal weit in den Süden der Sowjetunion vorzustoßen, um dann in Stalingrad eine vernichtende Niederlage zu erleiden. Ihr folgten weitere auf allen Kriegsschauplätzen; auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft. Der weitere Verlauf des Weltkrieges soll hier ebenso wenig geschildert werden wie der parallel dazu stattfindende Rassenkrieg gegen Juden, Roma, Russen und weitere slawische Völker. Dies gehört eher in die allgemeine Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, die mit der des (generischen) Faschismus zwar verbunden, aber kein integraler Teil von ihr ist. Insgesamt sind dem Holocaust und dem Krieg weit über 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Darunter sechs Millionen Juden – und fünf Millionen Deutsche. Verantwortlich für all das war nicht allein, aber doch vor allem ein Mann – Adolf Hitler, der sich seiner Verantwortung jedoch durch Selbstmord entzog. Kaum fassbar, dass es auch nach Hitlers Tod Deutsche gab und immer noch gibt, die Hitler trotz allem bewundern und daher als seine – faschistischen – Epigonen zu bezeichnen sind.49
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Hitlers Epigonen Zu den ersten Epigonen Hitlers gehörte sein letzter, testamentarisch ernannter Propagandaminister: Werner Naumann.50 Der 1909 in Schlesien geborene Naumann hatte nach dem Studium der Volkswirtschaft eine steile Karriere innerhalb der NSDAP gemacht, der er bereits 1928 beigetreten war. 1933 war er SS-Brigadeführer. 1938 wechselte er als persönlicher Referent von Goebbels ins Reichspropagandaministerium über. 1942 wurde er zum Ministerialdirigenten und 1944 zum Staatssekretär ernannt. Zwischenzeitlich hatte er noch in den Reihen der „Leibstandarte Adolf Hitler“ gekämpft. Am 2. Mai 1945 gelang dem, wie schon erwähnt zum Nachfolger Goebbels bestimmten, Naumann die Flucht aus dem „Führerbunker“. Unter falschem Namen tauchte er in Süddeutschland unter. Nach der Gründung der Bundesrepublik fühlte er sich jedoch bereits so sicher, dass er sich unter seinem richtigen Namen bei einer Düsseldorfer Firma bewarb, die ihn 1950 auch einstellte. Gleichzeitig setzte er seine abgebrochene politische Karriere fort. Dieses Mal in den Reihen der FDP, aus der er eine Art Ersatz-NSDAP machen wollte. Er gründete eine Gruppe, die nach ihrem regionalen Schwerpunkt als „Düsseldorfer Kreis“, nach ihrem führenden Kopf als „Naumann-Kreis“ bezeichnet wurde. Ihm gehörten verschiedene Nationalsozialisten an, von denen einige nach dem Tod von Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und Heydrich aus der zweiten und dritten Reihe in die Führungsriege des NS-Staates vorgerückt waren. Neben Naumann waren das der Stellvertreter Heydrichs im Reichssicherheitshauptamt, Werner Best, der Leiter des Amtes II. des Reichssicherheitshauptamtes, Franz Alfred Six, der Reichsstudentenführer, Gustav Adolf Scheel, der Reichskommentator des Rundfunks, Hans Fritzsche, der Leiter der „Antikomintern“-Abteilung im Reichspropagandaministerium, Eberhard Taubert, der Attaché an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst Achenbach, und verschiedene andere mehr. Fast alle der hier Genannten waren an den Verbrechen des NS-Staates beteiligt gewesen, deswegen auch verurteilt, aber inzwischen amnestiert worden. Einige verfügten bereits wieder über politische Ämter – so der Bundestagsabgeordnete der FDP Ernst Achenbach, der Landesgeschäftsführer der FDP in Nordrhein-Westfalen (und frühere Gebietsführer der Hitlerjugend) Horst Huisgen und Werner Naumann selber. Doch dies wurde danach von kaum jemandem bemerkt und skandaliert.
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Doch es waren nicht nur die Kontakte zu der bereits weitgehend von Nationalsozialisten unterwanderten FDP in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus, die den Naumann-Kreis so gefährlich machten, sondern auch die vielfältigen Beziehungen, über die diese ehemaligen Nationalsozialisten zu ihren Gesinnungsgenossen in anderen parlamentarischen und außerparlamentarischen Organisationen verfügten. Ihr Plan war eine, man kann es ruhig so nennen, „Machtergreifung“ – die in letzter Sekunde von der britischen Besatzungsmacht verhindert wurde. Dies geschah Anfang 1953. Naumann und einige andere Mitglieder seines Kreises wurden auf Drängen der Briten verhaftet, aber bald darauf von den deutschen Stellen wieder freigelassen. Das vom Bundesgerichtshof angestrengte Verfahren gegen sie ist im Sommer 1953 eingestellt worden. Naumann selber ging in die Wirtschaft zurück und wurde Direktor eines Metallwerks in Lüdenscheid. Dort ist er im Jahr 1982 gestorben. Hitlers zweiter Epigone war Otto Ernst Remer.51 Der 1912 geborene Remer war 1933 Berufssoldat geworden und hatte es bis 1944 zum hoch dekorierten Major gebracht. Als solcher kommandierte er das Berliner Wachbataillon, das wesentlich an der Niederschlagung des Aufstandes vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Zum Dank dafür wurde Remer von Hitler persönlich zum Oberst ernannt. Am Ende des Krieges war Remer Generalmajor. Da war er 33 Jahre alt. Doch auch nach 1945 hat er sich der Rettung Hitlers ausdrücklich gerühmt und fortan nahezu alles getan, um ein würdiger Epigone Hitlers zu sein. Zwei Jahre befand er sich in britischer Kriegsgefangenschaft, und unmittelbar nach der Entlassung trat er 1947 den Nachfolgeorganisationen der NSDAP – der „Deutschen Rechtspartei“ (DRP) und der „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) – bei. Die SRP wurde 1952 als bisher einzige faschistische beziehungsweise, wie es damals hieß, „rechtsradikale“ Partei verboten, was vom Bundesverfassungsgericht auch bestätigt wurde. Dennoch wurde Remer wegen seiner Tätigkeit für diese verfassungsfeindliche Partei nicht belangt. Doch als er fortfuhr, sich seiner Verdienste bei der Niederschlagung des, wie er meinte, „landesverräterischen Putsches“ vom 20. Juli zu rühmen und die daran Beteiligten als „Landesverräter“ zu schmähen, wurde er 1952 wegen „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ in einem viel beachteten Prozess zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Remer entzog sich jedoch der Haft durch Flucht – zunächst nach Ägypten, dann nach Syrien.
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Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, gründete er 1983 zusammen mit Thies Christophersen die „Deutsche Freiheitsbewegung“, deren Vorsitzender er bis 1989 war. Obwohl es sich bei dieser „Freiheitsbewegung“ um eine eindeutig als faschistisch einzustufende Partei handelte, ließ man Remer gewähren. Erst als er in der von ihm herausgegebenen Remer-Depesche den Holocaust mehrmals geleugnet hatte, wurde er schließlich aufgrund des 1985 verabschiedeten „Auschwitz-Lüge-Gesetzes“ zu 22 Monaten Haft verurteilt. Doch wiederum konnte er sich der Haft durch die Flucht entziehen, diesmal nach Spanien. Trotz eines Begehrens der Bundesrepublik wurde er nicht ausgeliefert. Im Jahr 1997 starb er friedlich und unbehelligt in Marbella. In der rechtsextremen Szene wird er nach wie vor als deutscher Held und deutscher Faschist gefeiert. Bei Adolf von Thadden ist dies etwas anders – wurde doch nach von Thaddens Tod bekannt, dass er zwischenzeitlich für den britischen Geheimdienst MI 6 gearbeitet hat. 52 Deshalb sind seine „Verdienste“, die er sich aus faschistischer Sicht erworben hat, weitgehend in Vergessenheit geraten. Diese hat sich der aus einer bekannten pommerschen Adelsfamilie stammende Adolf von Thadden (ein Neffe von ihm ist der liberale Historiker Rudolf von Thadden) auch erst nach 1945 erworben. Einmal durch seine Tätigkeit für die bereits erwähnte DRP, für die er von 1949 bis 1953 im ersten deutschen Bundestag saß und deren Vorsitzender er bis 1961 war. 1964 gehörte von Thadden dann zu den Mitgründern der NPD, die ihn 1967 zu ihrem Führer wählte. Unter von Thaddens Leitung errang die NPD bemerkenswerte Wahlerfolge und zog in die Landtage verschiedener Länder ein. Thadden selber war von 1967 bis 1970 Abgeordneter im Parlament Niedersachsens. Doch dann begann sein politischer Stern zu sinken. Anlass war die unerwartete Wahlniederlage der NPD bei der Bundestagswahl von 1969. Sie scheiterte an der Fünfprozenthürde, allerdings äußerst knapp. 1971 wurde von Thadden gezwungen, vom Amt des Parteivorsitzenden zurückzutreten. Vier Jahre später trat er aus der NPD aus. Bis zu seinem Tod im Jahre 1996 ist er politisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Auch in der Öffentlichkeit wurde er kaum noch wahrgenommen. Seinen Platz nahmen andere Faschisten ein.53 Zunächst Franz Schönhuber. Seine temporäre Bekanntheit verdankte Schönhuber in erster Linie einem Buch –seiner 1981 unter dem Titel Ich war dabei veröffentlichten Autobiographie. Mit dem „Dabeisein“ meinte
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Schönhuber seinen Dienst in der Waffen-SS, in der er es bis zum Unterscharführer (Unteroffizier) gebracht hatte. Keine große Karriere, die zudem im Vergleich mit seinen Altersgenossen keineswegs ungewöhnlich war. In der Öffentlichkeit wurde jetzt, das heißt Anfang der 1980erJahre, seine Zugehörigkeit zur SS, die im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als „kriminelle Organisation“ bezeichnet worden war, als anstößig empfunden. Schönhuber wurde vom Bayerischen Rundfunk, für den er als (eher liberal eingestellter) Journalist gearbeitet hatte, fristlos entlassen. Zwei Jahre später gründete Schönhuber zusammen mit einem ehemaligen Abgeordneten der CSU namens Franz Handlos eine neue Partei, die sich zwar „Die Republikaner“ nannte, aber einen eindeutig antidemokratischen und zunehmend auch rassistischen Kurs verfolgte – nicht ohne Erfolg: Schönhubers Partei gelang auf Anhieb der Einzug in mehrere Landesparlamente, darunter auch in das West-Berlins, wo die „Republikaner“ bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Jahr 1989 auf fast zehn Prozent der Stimmen kamen. Wider Erwarten konnten die „Republikaner“ jedoch von der kurz darauf erfolgten Wiedervereinigung nicht profitieren. Schönhuber selber saß noch bis 1994 im Europaparlament, wurde dann aber von seiner eigenen Partei zum Rückzug gezwungen. 2005 trat er als Kandidat der NPD im Wahlkreis Dresden auf, erreichte hier aber nur 2,4 Prozent der Stimmen. Er ist dann im gleichen Jahr – 2005 – gestorben. Seine Partei „Die Republikaner“ gibt es aber immer noch. Keineswegs von der politischen Bildfläche verschwunden ist auch die „Deutsche Volksunion“ (DVU) Gerhard Freys.54 Der 1933 in Cham in der Oberpfalz geborene Gerhard Frey ist sicherlich nicht der gefährlichste Epigone Hitlers. Selbst seine Anhänger sprechen ihm das Charisma ab, sie können und wollen in ihm nicht ihren „Führer“ sehen. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen, das auf 250 Millionen Euro geschätzt wird, hat er vor allem mit der Verbreitung seiner faschistischen und rechtsradikalen Ideologie gemacht. Einmal mit der Deutschen NationalZeitung, deren alleiniger Besitzer und Herausgeber er ist. Zum anderen mit dem Vertrieb von Schriften, die wegen ihres faschistischen und antisemitischen Inhalts häufig indiziert wurden. Doch das hat dem Geschäftserfolg seiner „Freiheitlichen Buch- und Zeitschriftenverlags GmbH“ nicht geschadet. Finanziell lukrativ war auch seine bisherige politische Tätigkeit als Vorsitzender der 1987 gegründeten „Deutschen Volksunion“, die mehr-
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mals in einigen Landesparlamenten vertreten war – und immer noch ist. Ihre Wahlkämpfe finanzierte Frey mit den Gewinnen seiner publizistischen Unternehmungen. Das vorgeschossene Geld erhielt er dann durch die staatliche Wahlkampfrückerstattung mit Zins und Zinseszins wieder zurück. Frey hat sich jedoch nicht nur die Großzügigkeit, um nicht zu sagen: Dummheit, des Staates, sondern auch die Klugheit seiner obersten Richter zunutze gemacht. So war der führende Grundgesetz-Kommentator Theodor Maunz – ein Jurist mit NS-Vergangenheit – mehrmals beratend für Frey tätig. Und zwar mit großem Erfolg. Frey hat auch nach Maunz’ Tod alle gegen ihn angestrengten gerichtlichen Verfahren abwenden können. Ein Verbot seiner Partei wird heute (2008) noch nicht einmal diskutiert – zu Unrecht: Die von den staatlichen Organen bisher in Ruhe gelassene, ja geradezu gehätschelte DVU kann ihren gegenwärtigen Schwächezustand schnell überwinden und zu einer wirklichen Gefahr werden. Allerdings nur dann, wenn es ihr gelingen sollte, die verschiedenen unter sich zerstrittenen parlamentarischen und außerparlamentarischen faschistischen Gruppierungen zu vereinen. Doch dazu wäre eine Führer-Figur notwendig. Frey wird dies wohl nie werden. Doch genau wie man den Tag nicht vor dem Abend loben soll, sollte uns die Tatsache, dass die gegenwärtigen faschistischen Parteien schwach sind und über keinen wirklichen Führer verfügen, nicht beruhigen und zufrieden stellen. All das kann sich nämlich, wie die Geschichte gezeigt hat, sehr schnell ändern. Gibt es doch in der Bevölkerung ein faschistisches, beziehungsweise „rechtsextremes“ Einstellungspotential, das von einigen Rechtsextremismus-Forschern auf etwa 20 Prozent geschätzt wird.55 Die Zustimmungsbereitschaft zu zentralen Punkten der faschistischen Ideologie wie Antisemitismus, Antiziganismus und generell Rassismus ist nachweislich noch höher.56 Und so schwach die faschistischen Parteien im Bund und in den meisten Ländern auch zur Zeit sind, so sehr sollte beachtet werden, dass sie in einigen kleineren Städten und selbst Regionen Ost- und jetzt auch Westdeutschlands eine gewisse hegemoniale Stellung errungen haben. Schließlich und nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang auf die scheinbar widersinnige Tatsache zu verweisen, dass der Faschismus in einigen unserer west- und vor allem osteuropäischen Nachbarländer viel stärker entwickelt ist als bei uns, was im Zeichen und in der Ära der Globalisierung Rückwirkungen auf uns haben kann.57
„Ständestaat“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Österreich
Als „Ständestaat“ ist das Dollfuß/Schuschnigg-Regime der Jahre 1932 bis 1938 in Österreich bezeichnet worden.58 Eine merkwürdige und auch völlig unpassende Bezeichnung. Denn diese Stände gab es nur auf dem Papier. Genauer gesagt in einer Verfassung, die eine Wiederbelebung des vormodernen Ständewesens vorsah, was natürlich vergebens war. Tatsächlich handelte es sich bei diesem vorgeblichen „Ständestaat“ um eine Diktatur, die große Ähnlichkeit mit der faschistischen in Italien hatte, weshalb sie auch von vielen Zeitgenossen und einigen Historikern als „faschistisch“ beziehungsweise „austrofaschistisch“ charakterisiert wurde. Dies deshalb, weil die österreichische Variante des Faschismus einige Besonderheiten aufwies. Gab es hier doch nicht eine, sondern zwei faschistische Parteien: die Heimwehren auf der einen, die österreichischen Nationalsozialisten auf der anderen Seite. Hinzu kommt die starke Unterstützung seitens der katholischen Kirche, was wiederum einige Historiker veranlasst hat, von „Klerikalfaschismus“ zu sprechen.59 All dies bedarf der genaueren Klärung. Hierzu muss man wiederum ins 19. Jahrhundert zurückgehen und sich zunächst mit zwei Personen beschäftigen, die als Vorläufer und Leitfiguren der beiden Flügel des österreichischen Faschismus angesehen werden können.60 Schönerer und Lueger Beginnen wir mit Schönerer.61 Georg Ritter von Schönerer wurde 1842 als Sohn eines reichen und später geadelten Eisenbahnunternehmers und Gutsbesitzers in Niederösterreich geboren. Nach seiner Schulzeit und dem Besuch der Landwirtschaftlichen Akademien in Stuttgart-Hohenheim und Ungarisch-Altenburg übernahm der junge von Schönerer 1869 das väterliche Gut, kurz darauf wechselte er in die Politik. 1873 wurde er Abgeordneter der Fortschrittspartei im Reichsrat. Drei Jahre
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später verließ er diese Partei jedoch, um seine eigene zu gründen, die er „Deutschnationale Bewegung“ nannte. Der Name war Programm. Schönerers Partei war groß- beziehungsweise alldeutsch orientiert und setzte sich für einen Anschluss der deutschsprachigen Gebiete der Österreichisch-Ungarischen Monarchie an das Deutsche Reich ein. Zum (groß-)deutschen Nationalismus kamen ein radikaler Antisemitismus und vehementer Antiliberalismus. Neu an Schönerers Partei – und darin unterschied sie sich von allen anderen rechten Vereinigungen – war ihr Antiklerikalismus, der im katholischen Österreich völlig ungewöhnlich war. Der übte eine gewisse Anziehungskraft auf Personen aus, die sonst eher liberal oder sogar links eingestellt waren. Sie störten sich auch nicht an Schönerers Antisemitismus. Dieser stand im Mittelpunkt des Linzer Programms der Partei und wurde von Schönerer selber auch in zahlreichen Schriften verbreitet. So in seiner Zeitschrift Unverfälschte deutsche Worte, in der er gegen die „Judenbibel“ und den zum „Nichtarier“ gemachten Jesus hetzte und Slogans verkündete wie „Ohne Juda ohne Rom / wird erbaut Germaniens Dom.“ Zu diesem, wenn man so will, antichristlichen Antisemitismus kam ein rassistisch motivierter, der besonders deutlich in dem viel zitierten Spruch Schönerers zum Ausdruck kam: „Was der Jude denkt ist einerlei / in der Rasse steckt die Schweinerei.“ Diese drastischen Aussagen wurden von einem ebensolchen Auftreten Schönerers begleitet, was ihm häufige öffentliche Rügen und 1888 sogar eine viermonatige Gefängnisstrafe wegen „Randalierens“ einbrachte. Zeitweise wurde ihm auch der Adelstitel aberkannt. All das erhöhte jedoch seinen Bekanntheitsgrad und tat seiner Beliebtheit vor allem bei vielen Studenten keinen Abbruch. Eine unleugbare Anziehungskraft übte Schönerer auch auf Bauern und Handwerker aus, die seine sozialpolitischen Forderungen und auch seine Petitionen gegen die Einwanderung der sogenannten Ostjuden goutierten. 1897 verlor Schönerer jedoch sein Mandat im Parlament, das er über zehn Jahre innegehabt hatte. Dies leitete den langsamen Rückgang der Schönerer-Bewegung ein. Er wurde zwar nach wie vor von den Antisemiten und dann auch von den Nationalsozialisten als Prophet und Vorkämpfer der Bewegung verehrt, konnte aber selber keine weiteren politischen Ämter mehr bekleiden. 1922 ist er gestorben und auf seinen testamentarischen Wunsch hin im Sachsenwald bei Hamburg beerdigt worden, wo sich der Ruhesitz des von ihm verehrten Bismarck befand.
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Schönerer wiederum ist vor allem von seinem österreichischen Landsmann Hitler bewundert worden.62 Dieses Lob teilte Schönerer mit dem von Hitler ebenfalls gepriesenen Karl Lueger. Lueger wurde 1844 in Wien geboren und kam aus der Unterschicht. Dennoch gelang es ihm, Rechtswissenschaft zu studieren. Als Rechtsanwalt setzte er sich für seine ehemaligen Klassengenossen beziehungsweise, wie sie allgemein genannt wurden, die „kleinen Leute“ ein. Damit verschaffte er sich großes Ansehen. Er wurde in den Wiener Gemeinderat, dann auch in den Reichsrat gewählt. 1893 gründete er seine eigene, die „Christlichsoziale Partei“. Sie war wie die Schönerers antisemitisch und antiliberal, aber nicht großdeutsch und schon gar nicht antikatholisch eingestellt. Außerdem hatte sie eine gewisse soziale und fast schon links anmutende ideologische Ausrichtung. Ihr (Pseudo-)Sozialismus wie ihr vehementer Antisemitismus hatten eine spezifisch christliche, genauer gesagt katholisch-fundamentalistische Färbung. 1895 wurde Lueger Vizebürgermeister und zwei Jahre später Bürgermeister von Wien. Dieses Amt übte er bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1910 aus, und zwar äußerst erfolgreich. Lueger war es, der Wien durch den Bau neuer Straßen, die Anlegung von Grüngürteln sowie die Verbesserung der in kommunalen Besitz übergegangenen Gas- und Stromversorgung ebenso verschönte wie modernisierte. Außerdem führte Lueger in Wien eine Sozialfürsorge ein, die diesen Namen auch verdiente. All das haben die Wiener nicht vergessen und es ihm durch die Errichtung eines Lueger-Denkmals (es steht heute noch) sowie die Namensgebung des „Dr.-Karl-Lueger-Ringes“ und der „Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche“ auf dem Wiener Zentralfriedhof gedankt. Dass Lueger nicht nur ein erfolgreicher Kommunal- und Sozialpolitiker, sondern auch ein radikaler Antisemit gewesen ist, wird dagegen häufig verschwiegen. Und dies noch nicht einmal schamhaft. Es blieb dem aus Wien stammenden Regisseur Billy Wilder vorbehalten, darauf offen und in der ihm eigenen unnachahmlichen Weise hinzuweisen. Als Wilder nach dem Krieg seine Heimatstadt besuchte und auf die Frage, wer denn jetzt Bürgermeister von Wien sei, einen ihm unbekannten Namen zur Antwort bekam, erklärte Wilder: „Na, Hauptsach’, der Lueger ist es nicht mehr.“ Dies ist komisch. Gar nicht komisch ist, dass sich die „Österreichische Volkspartei“ heute nach wie vor als Nachfolgerin der katholisch-fundamentalistischen und antisemitischen „Christlichsozialen Partei“ ver-
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steht, weshalb sie ihrem Parteigründer Lueger auch ein ehrendes Angedenken angedeihen lässt. Hat man bei der ÖVP vergessen, dass Luegers christlichsoziale Antisemiten zur Machtergreifung ihres Parteifreundes Engelbert Dollfuß beigetragen haben? Dollfuß und Schuschnigg Engelbert Dollfuß wurde 1892 in Niederösterreich als unehelicher Sohn einer Bauerntochter geboren, kam also aus wirklich kleinen Verhältnissen.63 Versehen mit einem kirchlichen Stipendium, konnte er das Knabenseminar der Erzdiözese Wien besuchen. 1913 wechselte er ins Wiener Priesterseminar. Offensichtlich sollte oder wollte er Priester werden. Dollfuß entschied jedoch anders und nahm das Studium der Rechtswissenschaft auf. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zur Armee, wurde aber zunächst nicht angenommen. Grund war seine körperliche Statur – maß Dollfuß doch ganze 151 Zentimeter. Andernorts ließ man ihn zu. An der Front wurde er mehrfach ausgezeichnet und zum Offizier befördert. Nach dem Ende des Krieges setzte Dollfuß sein Studium fort und beteiligte sich als Mitglied von zwei katholischen Studentenverbindungen an der Hochschulpolitik. Er war Mitbegründer der „Deutschen Studentenschaft“ in Österreich. 1919 wurde er Sekretär des Niederösterreichischen Bauernbundes und 1927 dessen Direktor. Nachdem er 1930 auch Präsident der Österreichischen Bundesbahn geworden war, wechselte er in die Politik. 1931 machte ihn seine Partei – die Christlichsozialen – zum Landwirtschaftsminister und ein Jahr später zum Bundeskanzler. Damit trat der knapp 40 Jahre alte Dollfuß ein schweres Amt an, befand sich die erste österreichische Republik doch in einer tiefen Krise. Sie hatte vor allem strukturelle Ursachen. Österreich beziehungsweise, wie es bewusst so genannt wurde, „Deutsch-Österreich“ war von Anfang an ein Staat, der nicht leben konnte und nicht sterben durfte – dies sowohl aus wirtschaftlichen wie ideologischen, genauer gesagt nationalen Gründen.64 Der von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges förmlich dekretierte Reststaat der vormaligen Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie schien wirtschaftlich nicht lebensfähig zu sein. Von seinen einstigen wirtschaftlichen Zentren in der jetzigen Tschechoslowakei und den profitablen agrarischen Gebieten in den übrigen Ländern war
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er abgeschnitten. Diese hatten unter der Vormachtstellung Österreichs besonders gelitten, weshalb sie auch aus nationalen Gründen die Zusammenarbeit mit dem stark verkleinerten und vom Krieg schwer gezeichneten Rest-Österreich ablehnten. Ein Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich lag schon aus wirtschaftlichen Gründen nahe und war von vielen Österreichern damals auch durchaus gewollt, von den Siegermächten aber strikt verboten worden. Gleichzeitig verweigerten diese Österreich zunächst die für das wirtschaftliche Überleben notwendigen finanziellen Hilfen und Kredite. Die Folge von all dem waren soziale Not, von der auch viele Beamten betroffen waren, die nicht mehr benötigt und entlassen wurden, sowie eine nationale Frustration, die alle Parteien einigte. Sie alle hätten sich lieber Deutschland angeschlossen, als die ungeliebte Republik wirtschaftlich, politisch und mental zu konsolidieren. Außerdem verzettelten sich die beiden großen Parteien – die Sozialisten auf der einen, die Christlichsozialen auf der anderen Seite – in Konkurrenzkämpfen, die zur innenpolitischen Schwäche und schließlich zur Instabilität des gesamten Staates führten. Der anfangs erreichte Ausgleich zwischen Sozialisten und Christlichsozialen, die 1919 noch eine große Koalition hatten bilden können, wurde nach dem Wahlsieg der Christlichsozialen ein Jahr später nicht mehr gefunden und auch gar nicht mehr gesucht. Beide Parteien standen sich fortan unversöhnlich und zunehmend feindselig gegenüber. Ihr wechselseitiges Misstrauen führte dazu, dass sie uniformierte und zum Teil sogar bewaffnete Verbände bildeten, welche in einer funktionierenden Demokratie nicht notwendig und vielleicht auch gar nicht möglich gewesen wären. Auf christlichsozialer Seite waren das die „Heimwehren“, die aus Freikorps hervorgegangen waren, die kurz nach dem Ende des Krieges zum Schutz der neuen Grenze gegen Übergriffe vor allem von jugoslawischer Seite aus gebildet worden waren.65 Das sozialistische Pendant zu dieser potentiellen Bürgerkriegstruppe hieß „Republikanischer Schutzbund“, der aber seine Aufgabe eher darin sah, die Sozialistische Partei zu schützen als die Republik. Beide Wehrverbände beschränkten sich in der Folgezeit darauf, ihre Anhänger und die Mitglieder ihrer Parteien gegen die Übergriffe der jeweils anderen Parteimiliz zu verteidigen.66 Die Situation eskalierte, als zu Beginn des Jahres 1927 ein achtjähriger Junge von Heimwehr-Leuten erschossen wurde. Sie gaben vor, in Not-
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wehr gehandelt zu haben, als sie in gewaltsame Auseinandersetzungen mit Schutzbündlern verwickelt gewesen seien. Das wurde ihnen vom Gericht geglaubt, welches die Mörder des kleinen Jungen freisprach. Dieses Fehlurteil entfachte einen Entrüstungssturm. Eine aufgebrachte Menge erstürmte den Wiener Justizpalast und setzte ihn in Brand. Spätestens jetzt hätten sich die beiden Parteien um einen Ausgleich bemühen müssen. Doch das Gegenteil geschah. Die Christlichsozialen fühlten sich von den Sozialisten bedroht, die bei den im April 1927 veranstalteten Wahlen nur zwei Mandate weniger als sie selbst (71 zu 73) erzielt hatten, und verstärkten den Ausbau der Heimwehren. Diese wiederum fühlten sich dazu berechtigt, ihre paramilitärischen Verbände in eine Partei umzuwandeln, die eine deutliche Ähnlichkeit mit der faschistischen in Italien hatte – was durchaus gewollt war und im sogenannten Korneuburger Gelöbnis vom Mai 1930 auch öffentlich bekannt gegeben wurde. Unter ihrem Führer Rüdiger von Starhemberg traten die Heimwehren als eigenständige Partei bei den Parlamentswahlen an und gewannen aus dem Stand sechs Prozent der Stimmen. Dieser parlamentarische Erfolg veranlasste wiederum einen regionalen Führer der Heimwehr namens Pfrimer, in der Steiermark einen Putschversuch zu unternehmen.67 Er scheiterte zwar, wurde aber auch nicht zum Anlass genommen, die Heimwehren zu verbieten. Die führenden christlichsozialen Politiker hielten die Heimwehren nach wie vor für unverzichtbar. Nicht nur zur Abwehr der Sozialisten und ihres Republikanischen Schutzbundes, sondern auch um die österreichischen Nationalsozialisten zu bekämpfen, die zwar – noch – zahlenmäßig schwach waren, aber durch verschiedene terroristische Akte auf sich aufmerksam gemacht hatten. Die politische Krise wurde durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise verschärft und führte zu einer Situation, die an die im Frankreich Louis Bonapartes erinnerte. Hier wie dort gab es ein „Gleichgewicht der Klassenkräfte“. Diese historische Parallele war vielen Sozialisten, vor allem den „Austromarxisten“ unter ihnen, sehr wohl bewusst.68 Doch kaum jemand von ihnen ahnte, dass ausgerechnet Dollfuß daraus als Sieger hervorgehen sollte – der bei Louis Bonaparte in die Lehre gegangen war. Der „achtzehnte Brumaire des Engelbert Dollfuß“ kam, als im März 1933 alle drei Präsidenten des Nationalrates zurücktraten und somit
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eine Pattsituation, ja ein politisches Vakuum entstand. Dollfuß, seit einem Jahr Bundeskanzler, nutze dies sofort aus und ließ mit Genehmigung des Bundespräsidenten das Parlament auflösen. Fortan regierte er mit Notverordnungen – auf der Grundlage eines Gesetzes, das schon 1917 erlassen worden war und „kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz“ hieß. Nun ging es Schlag auf Schlag gegen die Demokratie. Eine Pressezensur wurde eingeführt und ein allgemeines Aufmarschverbot verkündet. Von ihm betroffen war vornehmlich der Republikanische Schutzbund, der kurz darauf aufgelöst wurde, während die (äußerst schwache) KPÖ ausdrücklich verboten wurde. Diejenigen Sozialisten (und auch einige Kommunisten), die sich dem widersetzten, wurden ohne richterliche Verfügung in Konzentrationslager gesperrt, die in Österreich „Anhaltelager“ genannt wurden. Im Juni 1933 ließ Dollfuß darüber hinaus die österreichische NSDAP verbieten. Für diesen auch außenpolitisch risikoreichen Schritt – schließlich war die NSDAP im benachbarten Deutschland an der Macht – hatte sich Dollfuß bei einem Besuch in Rom der Zustimmung Mussolinis versichert. Mit Einverständnis des Duce, der zu einer Art Paten des österreichischen Diktators wurde, rief Dollfuß im Mai 1933 eine am italienischen Vorbild orientierte faschistische Partei ins Leben. Sie hieß „Vaterländische Front“ und nahm die noch bestehende Christlichsoziale Partei in sich auf. Außerdem mussten ihr die österreichischen Beamten beitreten. Die Heimwehren wurden faktisch zur Parteimiliz der „Vaterländischen Front“.69 Damit war Österreich ohne Zweifel faschistisch geworden beziehungsweise fundamentalistisch-faschistisch, wenn man die Unterstützung der katholischen Kirche in Betracht zieht. Seine faschistische Orientierung gab Dollfuß aber nicht offen zu. Stattdessen kündigte er am 11. September 1933 in Wien die Errichtung eines „sozialen, christlichen, deutschen Staates Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung“ an. In ideologischer Hinsicht basierte dieser, wie er allgemein genannt wurde, „Ständestaat“ auf den Vorstellungen des konservativen Theoretikers Othmar Spann. Diese sahen die völlige Abschaffung eines von Parteien getragenen und durch sie repräsentierten parlamentarischen Systems vor. An die Stelle von Parteidelegierten sollten Vertreter einzelner Berufsgruppen beziehungsweise, wie es altertümlich hieß, „Stände“ treten, die in einem Pseudo-Parlament zusammentreffen, um den Diktator Doll-
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fuß zu beraten. Seine endgültige Gestalt erhielt der „Ständestaat“ in der neuen Verfassung vom 1. Mai 1934. Sie enthielt detaillierte Bestimmungen über die Errichtung von sogenannten Räten (Bundesrat, Kulturrat, Wirtschaftsrat, Länderrat, Staatsrat), deren Mitglieder von Dollfuß ernannt werden sollten. Nur der Bundespräsident sollte weiter vom Volk gewählt werden. Das Konstrukt war mehr als vage und bot keinerlei Garantie für die Lebens- und Funktionsfähigkeit des „Ständestaates“. Immerhin war es Dollfuß und seinem Vizekanzler, dem Heimwehrführer Fey, kurz zuvor, im Februar 1934, gelungen, den Aufstand des Republikanischen Schutzbundes in Linz und in Wien mithilfe von Polizei und Bundesheer niederzuschlagen.70 Wenig später wurde die Sozialdemokratische Partei verboten. Dollfuß scheint geahnt zu haben, dass sein „Ständestaat“ auf tönernen Füßen stand, weshalb er sich noch enger an das faschistische Italien anschloss, mit dem er (zusammen mit Ungarn) am 17. März 1934 in den „Römischen Protokollen“ eine enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit vereinbarte. Dies war eindeutig gegen Hitler gerichtet und kostete Dollfuß schließlich das Leben. Am 25. Juli 1934 wurde er von österreichischen Nationalsozialisten ermordet. Dem Ständestaat gewährte es eine Überlebensfrist von knapp vier Jahren.71 Angesichts der drohenden Haltung Mussolinis wagte es Hitler nämlich nicht, politisch oder gar militärisch zu intervenieren. Hitler fand sich im Juli 1936 sogar bereit, mit Dollfuß’ Nachfolger, Kurt Schuschnigg, ein Abkommen zu schließen, in dem Hitler die Eigenstaatlichkeit Österreichs anerkannte. Allerdings als eines, wie es bezeichnenderweise hieß, „deutschen Staates“. Außerdem musste sich Schuschnigg verpflichten, die Propaganda gegen die österreichischen Nationalsozialisten einzustellen und eine Amnestie für verurteilte Parteianhänger zu verkünden. Der Handlungsspielraum Schuschniggs war also begrenzt. Nur ein geschickter und charismatischer Politiker hätte ihn nutzen und erweitern können. Doch das war der 1898 als Sohn eines geadelten Offiziers slowenischer Abstammung geborene Kurt Schuschnigg (ursprünglich: Šušnik) beileibe nicht. Er war nach seiner Studienzeit, in der er sich wie Dollfuß einer katholischer Studentenverbindung angeschlossen hatte, Anwalt geworden, bevor er sich entschied, in die Politik zu gehen. Als Abgeordneter der Christlichsozialen blieb er auf die Hinterbänke des Parlaments verbannt, bis ihn seine Parteifreunde 1932 überraschender-
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weise zum Justizminister machten. Dass der blasse und kaum bekannte Schuschnigg zum Nachfolger Dollfuß’ werden konnte, war noch überraschender. Hitler nutzte Schuschniggs Schwäche skrupellos aus, als er ihn am 12. Februar 1938 in seinen Berchtesgadener Urlaubssitz zitierte, um ihm in ultimativer Weise zu befehlen, den Führer der österreichischen Nationalsozialisten, Arthur Seyß-Inquart, in die Regierung zu berufen. Schuschnigg gab nach – auch deshalb, weil der letzte Garant der österreichischen Unabhängigkeit und Pate des „Ständestaates“, Mussolini, inzwischen zum Bundesgenossen Hitlers geworden war. Dann wagte es Schuschnigg doch noch, sich Hitlers Willen zu widersetzen, indem er ein Plebiszit ankündigte, bei dem die Österreicher darüber entscheiden sollten, ob sie Österreicher bleiben oder sich dem faschistischen Deutschland anschließen wollten. Obwohl dieses Plebiszit mit großer Wahrscheinlichkeit zu seinen Gunsten ausgegangen wäre, empfand Hitler es als Affront und zwang Schuschnigg am 12. März 1938 zum Rücktritt. Stunden später rückten deutsche Truppen in Österreich ein, wo sie auf keinerlei Widerstand stießen, sondern mit frenetischem Beifall begrüßt wurden. Als Hitler in seine österreichische Heimat einzog, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Für die österreichischen Juden gab es keinen Anlass für Begeisterung – wurden sie doch zu Opfern landesweiter Pogrome. Außerdem wurden die deutschen antisemitischen Gesetze auf die, wie sie jetzt genannt wurde, „Ostmark“ übertragen. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb (der Antisemitismus war nämlich in Österreich mindestens so weit verbreitet wie in Deutschland) stimmten bei einer am 10. April 1938 abgehaltenen Volksabstimmung 99,7 Prozent der wahlberechtigten Österreicher für den „Anschluss“. Vom Täter zum Opfer Sicherlich waren nicht alle Österreicher, die für den Anschluss an Hitler-Deutschland gestimmt hatten und die Hitler so begeistert empfangen hatten, fanatische Faschisten – aber Opfer einer deutschen Aggression war Österreich auf keinen Fall. Widerstand gab es zunächst überhaupt nicht. Schon gar nicht vonseiten der katholischen Kirche, die schnell aus dem Lager des österreichischen in das des deutschen Faschismus wechselte, was ihre führenden Repräsentanten öffentlich unter Zeigen des Hitlergrußes bekannten. Die Österreicher nahmen es
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auch klaglos hin, als mit dem „Ostmarkgesetz“ vom 1. Mai 1939 die letzten Reste österreichischer Eigenständigkeit beseitigt wurden. Österreich beziehungsweise die „Ostmark“ wurde nämlich in verschiedene „Reichsgaue“ eingeteilt, welche die gleichen Rechte hatten wie die Gaue im „Altreich“ – nämlich gar keine. Die österreichische Industrie ordnete ihr nicht unbeträchtliches wirtschaftliches Potenzial fortan den Bedürfnissen und Zielen der deutschen Rüstungsindustrie unter – was kaum bemerkenswert ist. Bemerkenswert ist dagegen der überproportional hohe Anteil von Österreichern innerhalb des nationalsozialistischen Terrorapparates. Hier seien nur Adolf Eichmann, die KZ-Kommandanten Irmfried Eberl und Franz Stangel, der Einsatzgruppenführer Odilo Globocnik und der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und Nachfolger Heydrichs, Ernst Kaltenbrunner, genannt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch die Offiziere und Soldaten der alten österreichischen Armee sowie die vielen österreichischen Wehrpflichtigen genauso willig und fanatisch wie ihre reichsdeutschen Kameraden für Hitler bis zum vermeintlichen „Endsieg“ kämpften – und sich auch an den Verbrechen der großdeutschen Wehrmacht beteiligten. Obwohl sie von der Täterschaft der oder zumindest vieler Österreicher wussten, erklärten die Alliierten in ihrer Moskauer Deklaration von 1943 Österreich zum „ersten Opfer“ der deutschen Aggression. Wenn sie damit gehofft und beabsichtigt haben sollten, eine nennenswerte Zahl von Österreichern zum Widerstand zu animieren, sahen sie sich getäuscht. Es hat zwar auch in Österreich Widerstand gegeben, doch der war wie der reichsdeutsche schwach und gänzlich erfolglos, weil es sich um einen Widerstand – fast – ohne das Volk handelte. Die Österreicher konnten sich daher nicht beklagen, dass auch ihr Land wie Deutschland von den Siegermächten besetzt und in vier Besatzungszonen eingeteilt wurde. Allerdings gab es einen bemerkenswerten Unterschied zu Deutschland: Die Alliierten ließen es nämlich zu, dass die wiedergegründeten Parteien – SPÖ, KPÖ sowie die aus den Christlichsozialen hervorgegangene Österreichische Volkspartei (ÖVP) – schon 1945 eine provisorische Staatsregierung für ganz Österreich bilden konnten, zu deren Chef der hoch betagte Sozialist Karl Renner gewählt wurde. Dadurch konnte eine Teilung des Landes in einen westlichen und östlichen Teil verhindert werden.
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Mit diplomatischem Geschick nutzten dann die diesmal einigen sozialistischen und konservativen österreichischen Politiker die Latenzphase des Kalten Krieges nach dem Tode Stalins im Jahr 1953 aus, um in zähen und letztlich erfolgreichen Verhandlungen nicht nur die westlichen Besatzungsmächte, sondern auch die Sowjetunion dazu zu bewegen, ihre Truppen abzuziehen und Österreich die volle Souveränität wiederzugeben. Allerdings musste sich Österreich im Staatsvertrag von 1955 dazu verpflichten, neutral zu bleiben und sich keinem der neu entstandenen Militärblöcke anzuschließen. Dies wurde damals als politisches Wunder angesehen – und das war es wohl auch. Allerdings wurde es auch mit der Ideologie beziehungsweise Legende vom österreichischen Opferstatus erkauft. Dies sollte schwerwiegende innenpolitische Folgen haben. Weil man sich als Opfer fühlte, sah man sich in Österreich nicht dazu veranlasst, die doppelte faschistische Vergangenheit aufzuarbeiten – die nationalsozialistische und noch mehr die austrofaschistische. Alle vor der Unabhängigkeit betriebenen und äußerst zögerlichen Entnazifizierungsversuche wurden abgebrochen und auch später nicht mehr aufgenommen. Dies war zwischen den führenden Parteien – ÖVP und SPÖ und der neuen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) – absolut unstrittig: hatten doch alle drei keinerlei Skrupel, selbst hochrangige ehemalige Faschisten und Nationalsozialisten aufzunehmen oder in ihren Reihen zu dulden. Letzteres galt vor allem für die ÖVP, die sich als Nachfolgerin der Christlichsozialen und damit auch des Dollfuß/ Schuschnigg-Regimes verstand. Die FPÖ war dagegen so etwas wie eine notdürftig getarnte Fortsetzung der österreichischen NSDAP. Ihr erster Parteiobmann, Anton Reinthaller, war unter Seyß-Inquart NS-Landwirtschaftsminister und SS-Brigadeführer. Und trotz ihrer antifaschistischen Bekundungen hatte auch die SPÖ kaum etwas gegen die nationalsozialistische Vergangenheit vieler ihrer Mitglieder und selbst Funktionäre einzuwenden. Diese österreichische Form der „Vergangenheitsbewältigung“ stieß auch nicht auf die Kritik des führenden und bald äußerst erfolgreichen Politikers der SPÖ, Bruno Kreisky. Das war überraschend: war Kreisky doch wegen seiner jüdischen Herkunft und linken Gesinnung einst in die Emigration gegangen. Sofort nach Ende des Krieges war er in seine Heimat zurückgekehrt, wo er sich am Aufbau des Landes, dessen politischer Einigung und der Stärkung seiner Partei beteiligte. In dieser Rei-
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henfolge – Kreisky war nämlich in erster Linie ein glühender österreichischer Patriot – manche sagen sogar: der erste wirklich überzeugte Österreicher –, der nicht nur seiner Partei, sondern seinem Land dienen wollte. Dazu gehörte vor allem die Überwindung des Antagonismus zwischen dem linken und rechten Parteilager, der ja letzten Endes zur Errichtung der austrofaschistischen Diktatur und dem nachfolgenden Untergang Österreichs geführt hatte. Tatsächlich fanden sich jetzt die beiden großen Parteien – SPÖ und ÖVP – zur Zusammenarbeit bereit – auf der Ebene der Regierung und im gesamten Land, wo ein politisches Proporzsystem eingeführt wurde. Es sah nicht nur die Aufteilung der Ministerposten in den Kabinetten der großen Koalition, sondern auch die Verteilung der Stellen in der gesamten öffentlichen Verwaltung nach dem Parteibuch der Amtsinhaber und Bewerber vor. Die damit erreichte politische Stabilität wurde aber um den Preis einer gewissen Immobilität im wirtschaftlichen und sozialen Bereich erkauft. Österreichs wirtschaftlicher Wiederaufstieg erfolgte viel langsamer und war zunächst auch längst nicht so erfolgreich wie der im benachbarten (West-)Deutschland. Eine durchgreifende Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wurde verhindert oder zumindest aufgehalten. In den 1960er-Jahren brach dann die lange verdeckte Krise aus. Zunächst traf sie das Proporzsystem, an das sich die ÖVP nicht mehr halten wollte, weil sie die Wahlen gewonnen und 1966 eine Alleinregierung hatte bilden können. Dadurch und durch die (in Österreich aber äußerst geringen) Auswirkungen der internationalen Revolte der 68er kam es zu erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den siegreichen Konservativen und den oppositionellen Sozialisten. Bei den Wahlen von 1970 siegten die Sozialisten, konnten aber nur eine Minderheitsregierung bilden. Bundeskanzler wurde Bruno Kreisky, der sich von der FPÖ tolerieren ließ, die damit die Linkswendung ihrer deutschen Schwesterpartei FDP nachzuvollziehen schien. Dennoch kam es nicht wie in Deutschland zur Bildung einer sozialliberalen Koalition, weil Kreisky ein Jahr später die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewann und allein regieren konnte – dies über einen langen Zeitraum, nämlich bis 1983, und mit großen außen- und innenpolitischen Erfolgen. Die überfällige Modernisierung Österreichs wurde von Kreisky vorangetrieben. Sein Nachfolger Fred Sinowatz war dagegen längst nicht so erfolgreich. Die von ihm gebildete Koalitionsregierung mit der FPÖ
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brach 1986 auseinander, weil es innerhalb der FPÖ zu einer Rechtswendung gekommen war. Verantwortlich dafür war der neue Parteiobmann der FPÖ, Jörg Haider.72 Haider Jörg Haider wurde 1950 in Oberösterreich als Sohn eines Schuhmachers geboren, der, was im damaligen Österreich offensichtlich selten war und als bemerkenswert empfunden wurde, mit der Tochter eines Arztes verheiratet war. Trotz ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft hatten die Eheleute Haider gemeinsame politische Interessen: Beide waren nämlich aktive Nationalsozialisten. Inwiefern die nationalsozialistische Gesinnung seiner Eltern auch die des jungen Haider beeinflusst hat, weiß man nicht. In Deutschland zumindest sind damals viele seiner Generation trotz oder wegen ihres braunen familiären Hintergrunds links, zum Teil sogar radikal links geworden. Nach Schule und Wehrdienst hat Jörg Haider Rechts- und Staatswissenschaft studiert. Schon während seines Studiums hat er sich nicht nur einer der in Österreich besonders rechts gesinnten Burschenschaften angeschlossen, sondern auch der damals ebenfalls sehr rechts eingestellten Jugendorganisation der FPÖ. Zwischen 1971 und 1975 war Haider Bundesjugendführer dieses „Ringes Freiheitlicher Jugend“. Wegen seiner politischen Tätigkeit hat er dann auch die angestrebte universitäre Laufbahn abgebrochen und ist zum Berufspolitiker geworden. Von 1976 bis 1983 war er Landesparteisekretär seiner Partei in Kärnten, die ihn 1979 auch als Abgeordneten in den Nationalrat entsandte. 1986 wurde Haider Bundesobmann der FPÖ. Ihren Rechtskurs setzte Haider unbeirrt und in einer immer radikaler werdenden Weise fort. Dies wurde von vielen Wählern goutiert. 1989 wurde Haider in Kärnten zum Landeshauptmann (einem deutschen Ministerpräsidenten entsprechend) gewählt. Drei Jahre später verlor er das Amt, 1999 wurde er wiedergewählt. Ein Jahr später – 2000 – bildete Haiders FPÖ mit der ÖVP in Österreich eine Koalitionsregierung. Dies entfachte innerhalb und vor allem außerhalb Österreichs einen Proteststurm. Verschiedene Staaten der EU verhängten sogar Sanktionen gegen Österreich. Ein einmaliger Vorgang, welcher der Erklärung bedarf. Grund waren einmal einige Äußerungen Haiders über den Faschismus, vor allem den deutschen, dessen „gute Sozialpolitik“ er lobte,
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ohne gleichzeitig auf dessen Verbrechen hinzuweisen. Zu den positiven Aussagen über den Nationalsozialismus kamen negative über „die Juden“ in den USA (hier gebrauchte Haider das antisemitische Stereotyp von der angeblich von Juden beherrschten „Ostküste“) und in Österreich (hier griff Haider vor allem den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden persönlich an). Ferner agitierte Haider im In- und Ausland gegen „Ausländer“, „Asylbewerber“ und sonstige „Sozialschmarotzer“. Für Österreich bemerkenswert war seine Infragestellung der österreichischen Identität – rechnete Haider die Österreicher doch immer noch zur „deutschen Nation“. Nicht spezifisch österreichisch waren seine Angriffe gegen die „Parteibonzen“ und generell gegen die Repräsentanten der Demokratie. Insgesamt eine bunte und keineswegs erbauliche Mischung aus rechten und rechtsradikalen Ideologemen und Sprüchen. Doch rechtfertigen sie, Haider als „Rechtsradikalen“ und „Faschisten“ abzustempeln oder war er nur ein „Rechtspopulist“? Die Antwort ist schwierig. Einmal, weil die in diesem Zusammenhang gegen Haider verwandten Begriffe Rechtsradikalismus oder Rechtspopulismus niemals hinreichend präzise definiert worden sind. Zum anderen weil eine Anwendung des (sehr wohl hinreichend definierten) Faschismusbegriffs hier kaum möglich ist, weil die infrage kommenden Äußerungen Haiders teilweise aus dem Zusammenhang gerissen worden sind und keinem fest gefügten faschistischen Programm entstammen. Außerdem, und dies ist das Wichtigste, hat Haider sein Programm, wenn er denn eins hatte, nicht in die politische Realität umsetzen können. Stattdessen wurde er immer mehr in innerparteiliche Auseinandersetzungen verwickelt, die dazu führten, dass er schließlich aus der FPÖ ausgeschlossen wurde. Während die FPÖ mit Haider ihr mediales und propagandistisches Aushängeschild verlor, blieb Haiders neue und gegen die FPÖ gerichtete Partei „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) relativ erfolglos. Umso überraschender war der Ausgang der letzten österreichischen Parlamentswahlen vom 28. September 2008. Erreichten doch BZÖ und FPÖ zusammen mehr als 28 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der strahlende Wahlsieger Haider konnte sich Hoffnung machen, wieder in die österreichische Regierung aufgenommen zu werden. Doch dann kam Haider am 11. Oktober 2008 bei einem Autounfall ums Leben. Seine Beerdigung wurde zu einem Massenevent. Haider selber wurde
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postum zu einem großen österreichischen Politiker erklärt. Seine zumindest profaschistischen Bekundungen und Erklärungen schienen vergessen zu sein. Dafür wurde er von eben den Medien, die ihn umjubelt und groß gemacht hatten, als Homosexueller geoutet. Dies scheint aber zur endgültigen Demontage des Haider-Mythos zu führen. Ein merkwürdiges Ende, aber kein Ende der Geschichte. Auf jeden Fall nicht der Geschichte des österreichischen Faschismus.
„Cruzada“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Spanien
Cruzada (Kreuzzug) stand auf einem Poster, das 1936 im bereits von den Faschisten besetzten Teil Spaniens erschien. Auf diesem Poster ist eine Weltkugel abgebildet, die mit der Unterschrift „Spanien ist der geistige Führer der Welt“ versehen war. Das noch keineswegs siegreiche und gefestigte Franco-Regime gab sich hier als Führungsmacht im Kampf gegen den „gottlosen Bolschewismus“ aus, gegen den ein „Kreuzzug“ geführt werden sollte. Das wirkte auf viele ebenso anmaßend wie abstoßend – jedenfalls in den Ländern der westlichen Welt. Wurden hier doch Kreuzzüge als Kennzeichen des notorisch dunklen und unaufgeklärten Mittelalters empfunden. In Spanien war dies jedoch anders. Hier traf die fundamentalistische Kreuzzugspropaganda Francos auf große Zustimmung. Zumindest bei dem fundamentalistisch-katholisch und zutiefst reaktionär eingestellten Teil der spanischen Gesellschaft. Ihm stand das aufgeklärte und demokratische Spanien gegenüber, das von den liberalen und sozialistischen Parteien repräsentiert wurde. Dies war keineswegs erst während des Bürgerkrieges der Fall. Spanien war schon seit längerem in einen relativ fortschrittlichen und liberalen und einen extrem reaktionären Teil zerfallen.73 Zwei Spanien Zur Entstehung der sich unversöhnlich gegenüberstehenden zwei Spanien ist es zu Beginn des 19. Jahrhunderts gekommen, als das Land unter die französische Fremdherrschaft geraten war. Gegen diese wurde ähnlich wie in Deutschland ein Befreiungskrieg geführt, der aber noch länger dauerte und noch blutiger war als der deutsche – möglicherweise deshalb, weil Spanien nicht (wie etwa Preußen) reformiert und modernisiert worden war. Einige spanische Politiker wollten dies nachholen, indem sie noch während des Krieges 1812 in Cádiz eine moderne und liberale Verfassung ausarbeiteten. Die wurde aber von dem aus dem Exil
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zurückgekehrten König Ferdinand VII. nicht akzeptiert, der das Land nach der Vertreibung der Franzosen im Jahre 1814 wieder als absoluter Monarch regierte. Natürlich fand dies nicht den Beifall der spanischen Liberalen, die progresistas oder exaltados genannt wurden. Durch einen Militärputsch – spanisch pronunciamiento – erzwangen sie 1820 die Wiederherstellung der Verfassung von 1812. Die Cortes – das aus den Reichsständen hervorgegangene Parlament – wurden wiedereinberufen. Sie beschlossen, die zwischenzeitlich eingeführte Inquisition wieder abzuschaffen. Außerdem wurden weitere Reformen eingeleitet. Dazu gehörten die Presseund Vereinsfreiheit und die Kontrolle der übermächtigen katholischen Kirche.74 König Ferdinand VII. empfand all das als Bedrohung seines absolutistischen Regimes und bat 1823 Frankreich um militärische Hilfe. Eine französische Invasionsarmee in Stärke von 100 000 Mann drang in Spanien ein, beendete die dreijährige Herrschaft der Liberalen und ermöglichte die Fortsetzung der absolutistischen Herrschaft Ferdinands VII. Die Liberalen gaben aber keineswegs auf. In ihrer Opposition gegen die reaktionäre Politik Ferdinands VII. suchten und fanden sie Unterstützung auch in den Reihen der politisierten spanischen Armee.75 Außerdem nutzten sie den Streit aus, der um die Nachfolge Ferdinands entbrannte. Dieser hatte seine einzige Tochter Isabella (II.) im Rahmen einer pragmatischen Sanktion zu seiner Nachfolgerin bestimmt. Sein Bruder Carlos war mit diesem Bruch der in Spanien geltenden sogenannten Salischen Erbfolge nicht einverstanden und beanspruchte die Königswürde für sich. Wegen dieser dynastischen Frage kam es 1833 zum Ausbruch des (ersten) sogenannten Carlistenkrieges, der sich bis 1840 hinzog und alle Elemente eines spanischen Bürgerkrieges enthielt. Die beiden Anwärter auf den Thron – Carlos auf der einen, Maria Christina, die für ihre minderjährige Tochter Isabella die Regentschaft führte, auf der anderen Seite – suchten und fanden im Parteienlager der Liberalen (Maria Christina) und der Konservativen (Carlos) Unterstützung. Da hinter den Konservativen die Kirche stand, handelte es sich auch um einen Kulturkampf zwischen Staat und Kirche. Hinzu kam eine nationale Komponente – wurde Carlos doch vor allem von den Basken unterstützt, die ihre regionalen Sonderrechte, die sogenannten fueros, gegen die Ansprüche der spanischen Zentralmacht verteidigten.
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In diesem Bürgerkrieg der zwei Spanien siegten schließlich die Liberalen. Sie erzwangen von der Regentin Maria Christina die erneute Einführung der Verfassung von 1812. Die Konservativen gaben sich jedoch nicht geschlagen. Spanien befand sich weiterhin in der Situation eines politischen Gleichgewichts. Es wurde dann von einem General genutzt, der ein bonapartistisches Regime errichtete, welches von Karl Marx als positiv und fortschrittlich eingeschätzt wurde.76 Der „spanische Bonaparte“ hieß Baldomero Espartero. Espartero Der 1792 als Sohn eines Stellmachers geborene Espartero hatte sich nach dem Besuch des Priesterseminars 1808 freiwillig zur Armee gemeldet, um gegen die französische Besatzung zu kämpfen. Nach dem Sieg über Napoleon nahm der inzwischen zum Leutnant beförderte Espartero am Krieg gegen die aufständischen südamerikanischen Kolonien Spaniens teil. Es folgte eine blendende militärische Karriere: Schon 1817 war er Oberstleutnant, 1822 Oberst und 1823 Brigadegeneral. Im (ersten) Carlistenkrieg stieg er zum Kommandierenden General auf, dem der Sieg über die aufständischen Carlisten zugeschrieben wurde. 1840 führte er mit Unterstützung der progresistas einen Staatsstreich durch, löste die Cortes auf und ließ sich zum Ministerpräsidenten ernennen. Auf sein Drängen dankte die Regentin Maria Christina ein Jahr später ab, worauf Espartero von den Cortes zum Regenten und faktischen Diktator gewählt wurde. Noch 1843 war es ihm gelungen, einen von den Anhängern Maria Christinas durchgeführten Militärputsch niederzuschlagen, doch kurz darauf wurde er durch einen Putsch des Generals Ramón Maria Narváez gestürzt und ins Exil nach England gezwungen. 1848 gelang ihm die Rückkehr nach Spanien, wo er 1854 an einem Putsch der progresistas unter Leitung Leopoldo O’Donnells teilnahm, der ihn nach dem Sieg zum Ministerpräsidenten ernannte. Nach Auseinandersetzungen mit O’Donnell zog sich Espartero 1856 ins Privatleben zurück. Dabei blieb es, weil er auch die ihm 1868 nach der Vertreibung Königin Isabellas II. angebotene Krone ablehnte. Spanien wurde 1873 zur Republik, die sich aber als unfähig erwies, die anhaltende Krise zu überwinden. Schon ein Jahr später wurde sie wieder abgeschafft. An ihre Stelle trat eine konstitutionelle Monarchie. Sie dauerte unter der Herrschaft der Könige Alfons XII. und Alfons XIII. bis 1931. In diesem langen Zeitraum ist es keinem spanischen Politiker ge-
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lungen, die strukturelle Krise zu überwinden, die zu einer dramatischen Schwächung Spaniens im innen- und außenpolitischen Bereich führte. Jedenfalls versucht hat es einer: Antonio Maura y Montaner. Maura Der 1853 in Palma de Mallorca geborene Maura hatte sich 1881 nach einem Studium der Rechtswissenschaft der neu gegründeten Liberalen Partei Mateo Sagastas angeschlossen. Hier machte er schnell politisch Karriere. Er wurde Abgeordneter und Vizepräsident der Cortes und 1892 erstmals Minister. Nach der Übernahme verschiedener Ministerämter wurde er 1903 zum Ministerpräsidenten gewählt, er hielt das Amt mit mehreren Unterbrechungen bis 1922 inne. Maura war ohne Zweifel der wichtigste und zugleich auch mächtigste spanische Politiker seiner Zeit. Von ihm wäre eine Lösung der vielfältigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu erwarten gewesen. Er hätte so etwas wie ein „spanischer Bismarck“ werden können. Doch dies war nicht der Fall. Seine Sozial- und Wirtschaftspolitik scheiterte auf der ganzen Linie. Spanien blieb ein überwiegend agrarisch geprägtes rückständiges Land.77 Eine Industrialisierung fand nur im Baskenland und Katalonien statt. Die spanische Zentralregierung tat nichts, um diese ungleiche wirtschaftliche Entwicklung aufzuhalten, durch die zudem die nationalen Gegensätze zwischen den nach Autonomie drängenden Basken und Katalanen und der übrigen Landesteile noch verschärft wurden. Außerdem versäumte sie es, die sozialen Spannungen zu beseitigen oder wenigstens zu dämpfen, die im Norden zwischen den Industriearbeitern und Kapitalisten und im Süden zwischen den Landarbeitern und Oligarchen entstanden waren und immer mehr eskalierten. Gewisse Erfolge erzielte Maura dagegen im innenpolitischen Bereich. Hier hatten die Parteiführer der Konservativen und Liberalen, Cánovas del Castillo und Sagasta, im Pakt von Prado 1885 einen alternierenden Regierungswechsel vereinbart, um in Zukunft Militärputsche zu vermeiden. Stattdessen sollte der jeweilige konservative oder liberale Regierungschef nach gewisser Zeit von seinem jeweiligen Opponenten abgelöst werden – ohne dass hierfür Wahlen stattfanden. Dieses in Europa einzig dastehende und mit parlamentarischen Regeln unvereinbare System konnte von Maura schrittweise abgeschafft werden. Er scheiterte aber bei dem Bestreben, ein funktions- und leistungsfähiges parlamen-
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tarisches Regierungssystem an seine Stelle zu setzen, da es Maura nicht gelang, das Klientelwesen zu beseitigen. Dieses wurde nach den südamerikanischen Indianerhäuptlingen – Kaziken – caciquismo genannt und verhinderte eine wirkliche Parlamentarisierung schon im Ansatz – wurden doch alle Wahlen von den örtlichen Honoratioren oder caciques systematisch gefälscht. Mithilfe des von ihnen aufgebauten klientelischen Netzwerkes waren die Kaziken zudem in der Lage, nahezu alle politischen Maßnahmen des Staates und der Parteien in ihrem Sinne zu beeinflussen oder gegebenenfalls auch zu verhindern. Maura hat dann wenigstens versucht, den zunehmenden Machtverlust seiner eigenen Partei zu verhindern, indem er danach strebte, ihr eine Massenbasis zu verschaffen. Zu diesem Zweck führte er verschiedene Massenveranstaltungen durch, auf denen die von ihm selber geschaffene Ideologie des maurismo propagiert wurde. Sie sah eine Erneuerung des spanischen Konservativismus vor, ohne dessen zutiefst katholische Fundierung zu beseitigen. Verstärkt wurden die nationalistischen, aber auch die antisozialistischen, antimasonischen und auch antisemitischen Bestandteile – mit dem Ziel, eine Art Querfront zwischen den rechten und linken politischen Gruppierungen herzustellen. Der Maurismus nahm insofern vieles vom späteren Faschismus vorweg. Zu seiner Akzeptanz bei der spanischen Rechten trugen die außenpolitischen Niederlagen und weiteren innenpolitischen Krisen Spaniens bei. 1898 gingen mit Kuba, Puerto Rico und den Philippinen fast die letzten Reste des einstigen weltumspannenden spanischen Kolonialbesitzes verloren. In dem ihm noch verbleibenden Spanisch-Marokko wurde Spanien ab 1909 in einen blutigen Kolonialkrieg mit den aufständischen Rifkabylen unter Abd el-Krim verstrickt. Sie bereiteten der spanischen Armee in der Schlacht von Annual von 1921 eine verheerende Niederlage, die über 9000 spanischen Soldaten das Leben kostete. Im Innern kam es zu einem Erstarken der spanischen Arbeiterbewegung, in der die Anarchisten eine führende Position einnahmen. Die Anarchisten führten immer wieder kleinere und größere Aufstände durch, die mit Mühe und Not von der Armee und der Guardia Civil niedergeschlagen wurden. Die 1917 fast landesweit ausgebrochenen Streiks führten dann zu einer Situation, die große Ähnlichkeiten mit den gleichzeitigen Vorgängen in Russland hatte. Einige Beobachter
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nannten die Zeit von 1918 bis 1920 trienio bolchevique (bolschewistisches Triennium). Dazu, das heißt zu einer sozialen Revolution, kam es zwar nicht, weil die spanische Linke in sich zerstritten und in einen anarchistischen und einen sozialistischen Flügel gespalten war. Dennoch bestand kein Zweifel, dass sich Spanien in einer existenzbedrohenden Krise befand. Sie hatte Mnisterpräsident Maura weder aufhalten noch lösen können. Daher trat er 1922 von allen seinen Ämtern zurück. Zu seinem Nachfolger wurde gegen Mauras Protest der General Primo de Rivera bestimmt.78 Primo de Rivera Der 1870 geborene Miguel Primo de Rivera war Offizier geworden und hatte an den Kämpfen in Kuba, den Philippinen und Spanisch-Marokko teilgenommen. 1922 war er als Generalkapitän von Katalonien für die blutige Niederschlagung des dortigen Arbeiteraufstandes verantwortlich. Dies wurde ihm von Alfons XIII. als Verdienst angerechnet, weshalb Primo de Rivera mit Billigung des Königs 1923 eine Militärdiktatur errichten konnte. An dessen Spitze stand ein aus Militärs und einigen Zivilisten gebildetes Direktorium, das dem Diktator hörig war. Um seine Macht noch weiter zu festigen, rief Primo de Rivera ein Jahr später eine Regierungspartei namens „Unión Patriótica“ ins Leben. Sie war mit ihrer antiliberalen Ideologie und ihrem Führerkult stark von der Partei Mussolinis beeinflusst, weshalb sie von Zeitgenossen und auch von einigen der späteren Forscher als faschistisch eingeschätzt wurde. Daran sind Zweifel erlaubt – es wäre auch kein hinlänglicher Grund, das gesamte Regime Primo de Riveras als faschistisch zu klassifizieren.79 Eher hat Primo de Rivera die auf eine Revolution von oben abzielende Politik seines Vorgängers Maura fortgesetzt – dies aber mit moderneren Mitteln. Dazu gehörten die Mobilisierung und die Repression der Massen durch seine Partei und die verstärkte Polizei. Hinzu kam der – zunächst erfolgreiche – Versuch einer wirtschaftlichen Modernisierung des Landes. Die lange Zeit völlig vernachlässigte Infrastruktur Spaniens wurde ausgebaut. Zu diesem Zweck griff der Staat auch in das Wirtschaftsleben ein. Schließlich wurde mit einer Sozialpolitik begonnen, die ihrem Namen gerecht wurde. All dies brachte Primo de Rivera die Zustimmung großer Teile der Arbeiterschaft ein. Die Sozialistische Partei tolerierte und unterstützte ihn sogar.
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Die Auswirkungen der beginnenden Weltwirtschaftskrise machten jedoch alle Reformen zunichte. Der wirtschaftliche Aufschwung, den Spanien während des Ersten Weltkriegs (an dem es selber nicht beteiligt war) und auch danach erlebt hatte, ging abrupt zu Ende. Es kam wieder zu Streiks und sozialen Unruhen. Sie hätte Primo de Rivera gewaltsam niederschlagen können. Doch das um Hilfe gebetene Militär versagte ihm die Gefolgschaft. Daher trat Primo de Rivera 1930 zurück und ging ins Exil nach Frankreich, wo er noch im selben Jahr verstarb. Wenig später, 1931, wurde auch sein Gönner König Alfons XIII. vertrieben und die (zweite) Republik ausgerufen. Carlisten und Faschisten Die kurze, von 1931 bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 währende Zeit der spanischen Republik war von immer heftiger werdenden Auseinandersetzungen zwischen der Linken und der Rechten geprägt.80 Das 1931 aus Republikanern und Sozialisten gebildete Kabinett unter Alcalá Zamora musste schon 1934 einer rechten Koalitionsregierung weichen, in der die extrem rechte CEDA („Confederación Española de Derechas Autónomas“ – Spanische Konföderation der Autonomen Rechten) unter Führung von José María Gil-Robles das Sagen hatte. Die CEDA wurde von ihren linken Gegnern nicht selten als faschistisch eingestuft und beschimpft – eine These, die von der modernen Forschung aber nicht bestätigt wurde. Einen faschistischen, genauer gesagt fundamentalistisch-faschistischen Charakter hatte dagegen die von den Carlisten ins Leben gerufene Partei, die den merkwürdigen Namen „Comunión Tradicionalista“ (Traditionalistische Glaubensgemeinschaft) trug.81 Zu ihrer schon im Parteinamen angedeuteten katholisch-fundamentalistischen ideologischen Ausrichtung kamen einige Elemente der faschistischen Ideologie. Dazu gehörten ein radikaler Antikommunismus und Antidemokratismus sowie der in Spanien seit dem 19. Jahrhundert besonders ausgeprägte Antimasonismus. Neu war dagegen das Element des Antisemitismus.82 Obwohl es seit ihrer Vertreibung im Jahr 1492 in Spanien gar keine Juden mehr gab, beschuldigte man sie, sich zusammen mit den Freimaurern gegen das rechtgläubige katholische Spanien verschworen zu haben, um es mithilfe der Sozialisten und Kommunisten zu zerstören. Auch im Hinblick auf ihr Erscheinungsbild wies die Comunión Tradicionalista Ähnlichkeiten mit den übrigen faschistischen Parteien im
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Europa der Zwischenkriegszeit auf – verfügte sie doch über eine uniformierte, bewaffnete und militärisch gut trainierte Parteimiliz, die nach den militärischen Verbänden der Carlistenkriege „Requeté“ genannt wurden. Außerdem gab es noch eine Frauenorganisation – „Margaritas“ – und eine Jugendorganisation namens „Pelayos“. Neben dieser fundamentalistisch-faschistischen gab es noch mehrere kleinere Parteien, die sich hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrem Erscheinungsbild und politischen Stil am Vorbild des faschistischen Italien orientierten und daher als klassisch faschistisch einzuschätzen sind.83 Die eine war aus der „Unión Patriótica“ Primo de Riveras hervorgegangen und nannte sich „Renovación Española“. Wie in ihrem Namen zum Ausdruck kam, zielte sie auf eine Erneuerung Spaniens mithilfe eines starken Staates. Zur Erringung dieses Zieles fehlte es ihr jedoch so ziemlich an allem. An erster Stelle an Mitgliedern, gehörten ihr doch nur wenige ehemalige Monarchisten und Intellektuelle an. Mit ihrer Zeitschrift Acción Española verfügte sie jedoch über ein innerhalb der rechten Szene bekanntes und viel gelesenes Organ, in dem ihre nationalistische, antidemokratische und radikal antisemitische Ideologie verbreitet wurde. Außerdem stand sie im Kontakt mit einer geheimen Militärorganisation, die „Unión Militar“ genannt wurde, und der unter anderem Franco angehört hat. Die zweite faschistische Partei hieß „Partido Nacionalista Español“ und wurde 1930 von einem Neurochirugen namens José María Albiñana gegründet und angeführt. Sie verfügte mit den „Legionarios de España“ über eine uniformierte Parteimiliz, die in der Öffentlichkeit zunächst mit dem Kreuz des heiligen Santiago, dann mit dem Hakenkreuz auftrat. Die von Albiñana angestrebte Mobilisierung der Massen gelang jedoch nicht, weil die Partei schon 1932 verboten wurde und nur noch in kleinen illegalen Gruppierungen weiterexistierte. Diese schlossen sich 1937 der francistischen Staatspartei an. Hinzu kamen noch drei weitere kleinere faschistische Parteien, die sich dann aber zu einer – der Falange – zusammenschlossen. Einmal die von dem Philosophiestudenten Ramiro Ledesma Ramos im Jahr 1931 in Madrid gegründeten „Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista“ (JONS). Sie vereinigten sich mit den ebenfalls 1931 von dem Juristen Onésimo Redondo Ortega ins Leben gerufenen „Juntas Castellanas de Actuación Hispánica“. Hinzu kam drittens die „Falange Española“ José Antonio Primo de Riveras, des Sohns des vormaligen Diktators. Die
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schließlich 1934 aus allen drei Gruppierungen gebildete Partei trug den ebenso langen wie komplizierten Namen „Falange Española de las Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista“ (Spanische Phalanx der nationalsyndikalistischen Offensive). Er deutet auf die äußerst heterogene ideologische Ausrichtung der Gesamtpartei hin. Verfügte sie doch mit dem Nationalsyndikalisten Ledesma Ramos an der Spitze über einen eher linken Flügel, der sich in Opposition zu den eher konservativ ausgerichteten Falangisten um Onésimo Redondo und José Antonio Primo de Rivera befand. Alle drei Gruppen einte jedoch das Bekenntnis zum Vorbild des italienischen Faschismus. Sowohl Heterogenität wie Gemeinsamkeit wurden auch äußerlich und symbolisch zum Ausdruck gebracht. An die linke beziehungsweise syndikalistische Ausrichtung erinnert die schwarz-rote Fahne der Partei. Das Joch-und-Pfeile-Emblem in ihrer Mitte war dagegen ein konservatives Symbol, das an die glorreiche nationale Vergangenheit Spaniens unter den Katholischen Königen Ferdinand II. und Isabella I. erinnern sollte. Nach dem Vorbild der italienischen Faschisten traten die spanischen ebenfalls uniformiert auf. Allerdings nicht in schwarzen, sondern in blauen Hemden. Auf weitere Einzelheiten muss hier nicht eingegangen werden, blieb die Falange doch zahlenmäßig äußerst schwach. Darüber konnte auch ihr martialisches Auftreten in der Öffentlichkeit nicht hinwegtäuschen, wobei es nicht selten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit ihren politischen Gegnern auf der Linken kam. Damit konnte die Falange zwar auf sich aufmerksam machen, aber Wahlerfolge errang sie nicht. Im nationalen Parlament der Cortes war sie nicht vertreten. Die Falange wäre heute wahrscheinlich völlig vergessen, wenn es nicht zum Ausbruch des Bürgerkrieges gekommen wäre. Dieser war keineswegs geplant und von langer Hand vorbereitet: wollten die aufständischen Offiziere doch „nur“ die Krise der spanischen Republik mit Hilfe eines traditionellen pronunciamiento und der Errichtung einer – temporären – Militärdiktatur lösen. Ebenfalls nicht geplant und auch in keiner Weise vorhersehbar war, dass sich einer der putschenden Generäle zum faschistischen Diktator entwickeln würde, der das Land mit brutalem Terror fast vierzig Jahre regieren sollte: Francisco Franco y Bahamonde.84
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Franco Franciso Franco wurde 1892 als Sohn eines Marineoffiziers in Ferrol in Galicien geboren. Wie sein Vater wollte er zur Marine gehen, wurde aber als ungeeignet abgewiesen. Daher absolvierte der junge Franco seine Militärausbildung bei der Armee. Hier machte er schnell Karriere: 1912 wurde er zum Leutnant, 1915 zum Hauptmann und schon ein Jahr später zum Major befördert. Diesen schnellen Aufstieg verdankte er seiner militärischen Tüchtigkeit und seiner Brutalität im Krieg gegen die Rifkabylen in Spanisch-Marokko. Dabei war Franco alles andere als eine imposante Erscheinung. Klein von Statur, intellektuell beschränkt und wegen seines galicischen Dialekts oft belächelt und verspottet, verdankte er seinen Aufstieg einmal dem Umstand, dass man ihn unterschätzte, und zum anderen seiner schon erwähnten Brutalität und Skrupellosigkeit. Diese Eigenschaften stellte er 1934 bei der blutigen Unterdrückung des asturischen Bergarbeiteraufstands unter Beweis. Dafür wurde er 1935 zum Oberbefehlshaber der Armee ernannt. Er musste dieses Amt aber ein Jahr später nach dem Sieg der Volksfront aufgeben. Die neue Volksfront-Regierung versetzte ihn Anfang 1936 auf die Kanarischen Inseln und meinte, ihn damit unschädlich gemacht zu haben. Doch dies war ein Irrtum, schmiedete Franco doch zusammen mit den Generälen Emilio Mola und José Sanjurjo sogleich erste Putschpläne. Nach der Ermordung des rechten Politikers und Monarchisten José Calvo Sotelos schlugen die Putschisten im Juli 1936 los. Mola und Sanjurjo wiegelten die Garnisonen im Norden Spaniens auf, und Franco übernahm den Befehl über die in Spanisch-Marokko stationierten Truppen. Darunter befand sich die berüchtigte und schon vorher von ihm befehligte spanische Fremdenlegion, in der viele Marokkaner dienten, die von den Spaniern moros (die Schwarzen) genannt wurden und die sie ebenso fürchteten wie verachteten.85 Doch vorerst konnte Franco mit seinen Truppen nicht in das Geschehen auf dem spanischen Festland eingreifen, da die spanische Marine zur rechtmäßigen Regierung der Republik hielt. Franco war nicht in der Lage, Verbindung mit den übrigen Putschisten aufzunehmen, die in einigen Regionen Nordspaniens gesiegt hatten. Aus dieser Klemme befreite ihn Hitler, der Flugzeuge nach Spanisch-Marokko sandte, die Francos Truppen nach Spanien transportierten.86 Damit war zwar das Scheitern des Putsches verhindert, aber noch längst nicht sein Erfolg
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gewährleistet. Die republikanischen Truppen konnten nämlich den Vorstoß auf Madrid abwehren. Unterstützt wurden sie dabei von den Internationalen Brigaden, die aus Antifaschisten aus vielen europäischen Ländern und auch aus den USA gebildet wurden und eine Gesamtstärke von 59 000 Mann erreichten. Es gelang ihnen, den italienischen Interventionstruppen schwere Niederlagen beizubringen. Doch gegen die deutschen Kampfflugzeuge der Legion Condor waren sie und die übrigen republikanischen Truppen ziemlich machtlos – verfügten sie doch nur über wenige Flugzeuge, welche die Sowjetunion zusammen mit anderen Waffen geliefert hatte. Durch das indirekte Eingreifen der Sowjetunion und das massive Eingreifen der faschistischen Mächte Deutschland und Italien war aus dem spanischen faktisch ein europäischer Bürgerkrieg zwischen, wie viele Zeitgenossen meinten, Faschismus und Antifaschismus geworden. Doch dies stimmte nur zum Teil und traf lediglich auf die internationale Komponente zu. Das aufständische Spanien war nämlich noch keineswegs vollständig faschisiert – weder von außen durch die deutschen und italienischen Truppen, die sich naturgemäß auf den militärischen Sieg konzentrierten, der auf sich warten ließ; noch von innen durch Franco, der sich zunächst darauf konzentrierte, seine Mit-Putschisten auszuschalten und sich selber zum, wie er sich titulieren ließ, „Generalissimus“ zu machen. Am 30. September 1936 ließ er sich zum Chef einer Militärregierung beziehungsweise Junta ernennen, die in Burgos residierte. Sie wurde als neue spanische Regierung am 18. November 1936 von Deutschland und Italien anerkannt. Kurz darauf folgte der Vatikan, der damit seine Parteinahme für Franco und gegen die rechtmäßige republikanische Regierung bekundete. Außerdem billigte der Papst den von den spanischen Bischöfen ausgerufenen „Kreuzzug“ gegen die als „kommunistisch“ und „gottlos“ verteufelte Republik.87 Dies war keine bloße Rhetorik. Der mittelalterliche Kreuzzugsgedanke prägte die Ideologie der Francisten, die wiederum von ihren republikanischen Gegnern als „Faschisten“ bezeichnet wurden. Diese wechselseitige ideologische Feinderklärung, ja Verteufelung, erklärt vielleicht die unfassbaren Grausamkeiten, die von beiden Seiten in diesem Bürgerkrieg begangen wurden, aber es entschuldigt sie nicht. Nicht nur an der Front wurden sie verübt, sondern weit mehr noch im Hinterland, das zum Austragungsort eines erbitterten Kampfes zwischen Revolu-
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tion und Konterrevolution wurde. Auf den Terror der „Roten“, dem zahlreiche Angehörige der Oberschicht und auch viele Geistliche zum Opfer fielen, reagierten die „Faschisten“ mit einem Terror, der an den der Weißen im russischen Bürgerkrieg erinnerte und auch so genannt wurde. Tausende von tatsächlichen oder vermeintlichen Anarchisten, Sozialisten und Republikanern wurden verfolgt und ermordet. Und dies keineswegs nur von Francos Truppen, sondern auch von einfachen Mitgliedern seiner Partei, die er am 20. April 1937 gebildet und seiner alleinigen Führung unterstellt hatte. Sie hieß nach ihren Bestandteilen – der Falange und den JONS auf der einen, den Traditionalisten auf der anderen Seite – „Falange Española Tradicionalista y de las Juntas de Ofensiva National Sindicalista“. Ihr fundamentalistisch-faschistischer Flügel war weitaus stärker als der durch die Falange repräsentierte (klassisch-)faschistische. Die Falange hatte zwar nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges an Mitgliedern gewonnen, konnte es aber nach wie vor nicht mit den zahlenmäßig viel stärkeren und militärisch besser geschulten Carlisten aufnehmen. Außerdem hatte die Falange mit José Antonio Primo de Rivera ihren Führer verloren. Er war von den Republikanern inhaftiert und im November 1936 ermordet worden. Sein Nachfolger Manuel Hedilla blieb schwach und wurde, als er sich dem absoluten Führungsanspruch Francos widersetzte, von diesem abgesetzt und verhaftet. Auch in ideologischer Hinsicht hatte das im Entstehen begriffene faschistische Regime in Spanien einen fundamentalistisch-faschistischen Charakter.88 Darauf deutet nicht nur die erwähnte Kreuzzugs-Ideologie hin, sondern auch die Tatsache, dass sich die katholische Kirche nach und neben dem Militär zur stärksten und wichtigsten Stütze der terroristischen Diktatur Francos entwickelte. Dies zeigte sich vollends nach dem Ende des Bürgerkrieges. Die Kirche sah dem fortdauernden Terror, dem noch weitere 200 000 Spanier zum Opfer fallen sollten, nicht nur tatenlos zu, sie billigte ihn ausdrücklich. Auch dies geschah mit Zustimmung des Papstes, der weiterhin zu Franco hielt und mit ihm 1953 ein Konkordat abschloss.89 Dies obwohl Franco-Spanien damals in aller Welt – der östlichen wie der westlichen – als faschistisch angesehen und demgemäß boykottiert und geächtet wurde.90 Andererseits wurden aber auch keine Versuche von außen unternommen, Franco zu stürzen. Der auch nach dem Ende des Bürgerkrieges in
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Gestalt des Partisanenkampfes – maquis genannt – fortgesetzte Widerstand wurde auch nicht vom Westen unterstützt. Formal wurde dies damit begründet, dass sich Franco ja nicht direkt am Zweiten Weltkrieg beteiligt hatte, sondern Hitler-Deutschland nur in materieller Hinsicht und durch die Entsendung einer Kampftruppe, der „blauen Division“, an die Ostfront unterstützt hatte. Nach Ausbruch des Kalten Krieges war es mit der ohnehin nur halbherzigen Ächtung Francos vorbei. Die USA schlossen 1953 mit Spanien ein Stützpunktabkommen, um mit der zumindest indirekten Hilfe des nach wie vor faschistischen Regimes den Kommunismus zu bekämpfen. Zwei Jahre später wurde Spanien, wiederum auf Veranlassung der USA, sogar in die UNO aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch die übrigen westlichen Staaten, allen voran die Bundesrepublik, enge politische und vor allem wirtschaftliche Beziehungen mit FrancoSpanien aufgenommen. Letztere waren für beide Seiten, vor allem aber für Spanien lukrativ – erlebte doch das immer noch rückständige und unter den wirtschaftlichen Folgen des Bürgerkrieges leidende Land einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung. Dazu trug nicht zuletzt die zunehmende Zahl von Touristen bei, die sich nicht daran störten, dass sie ihren wohlverdienten Urlaub in einem faschistischen Land verlebten, in dem Oppositionelle gefoltert und mit der Garotte hingerichtet wurden.91 Der wirtschaftliche Aufschwung war aber nur um den Preis einer gewissen politischen Öffnung zu haben. Presseerzeugnisse aus demokratischen Ländern konnten in Spanien ungehindert vertrieben werden – zumindest in den Tourismusgebieten. Außerdem sorgten die vielen in den westlichen Nachbarländern tätigen spanischen Gastarbeiter dafür, dass ihre Landsleute mit unzensierten Informationen versorgt wurden. Wegen dieser Verbesserungen im materiellen und mentalen Bereich kam es auch zu einer Wiederbelebung des Widerstandes. Jetzt nicht mehr in Gestalt des gewaltsamen Partisanenkampfes in den Wäldern und Bergen Spaniens, sondern in Form von kleinen und gut getarnten Gruppen von Arbeitern und Studenten in den Städten und industriellen Zentren. Daraus erwuchsen die comisiones obreras (Arbeitergruppen), Organisationen, die zunehmend auch von Arbeiterpriestern und anderen Angehörigen der sonst unbeirrt zu Franco stehenden katholischen Kirche unterstützt wurden.
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Auch die vom Franco-Regime unterdrückten Autonomiebewegungen im Baskenland und in Katalonien erwachten wieder zu neuem Leben. Der baskischen, damals noch nicht terroristischen, ETA gelang dann der, wie sich zeigen sollte, entscheidende Schlag gegen das Franco-Regime. Gemeint ist das erfolgreiche Attentat auf Francos rechte Hand und mutmaßlichen Nachfolger, Luis Carrero Blanco. Dies war im Dezember 1973. Zwei Jahre zuvor hatte Franco selber mit der Nominierung des jungen Juan Carlos zum künftigen König gewissermaßen die Axt an die Wurzel seiner Herrschaft gelegt. Doch auch diese Entwicklung war nicht vorhersehbar, galt Juan Carlos doch als politisch unbedarftes, williges Werkzeug Francos. Doch als der greise Diktator im November 1975 starb, sollte alles anders kommen. Der zum König ernannte Carlos entwickelte eine politische Geschicklichkeit, die ihm wohl keiner zugetraut hätte. Gestützt auf die Armee, die auf seine Person vereidigt wurde, leitete er einen Demokratisierungsprozess ein, der mit dem Namen transición versehen wurde. Die unter Franco verbotenen demokratischen Parteien wurden wieder zugelassen und dann auch die Kommunistische Partei. Am 15. Juni 1977 fanden zum ersten Mal seit 1936 freie Wahlen statt. Auf eine zunächst konservative folgte schließlich eine sozialistische Regierung. Die als allmächtig angesehene faschistische Partei, die allgemein nur noch als movimiento (die Bewegung) bezeichnet wurde, war schon vorher, 1976, durch einen Federstrich des Königs aufgelöst worden. Die fast vierzigjährige faschistische Herrschaft war damit vorbei. Spanien wurde zur Demokratie; und ist es geblieben, obwohl es hier wie in den anderen postfaschistischen Staaten noch Überbleibsel des alten Faschismus gab und gibt. Ähnlich wie in Deutschland und Italien sind auch in Spanien keineswegs alle faschistischen Funktionsträger durch demokratische ausgetauscht worden. Fraga Iribarne und Escrivá Das prominenteste Beispiel hierfür ist Manuel Fraga Iribarne. Der 1922 geborene Fraga Iribarne stammt wie Franco aus Galicien. Hier, das heißt an der renommierten katholischen Universität in Santiago de Compostela hatte er studiert und danach Karriere im faschistischen Staatsapparat gemacht. 1951 wurde er Generalsekretär des Instituts für Hispa-
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nische Kultur und später Mitarbeiter im Erziehungsministerium. Von 1962 bis 1969 war er Abgeordneter im faschistischen (Schein-)Parlament und diente Franco als Tourismus- und Informationsminister. Im Jahr 1973 wurde Fraga Iribarne letzter Botschafter des faschistischen Spanien in London. Trotz dieser eindeutig faschistischen Vergangenheit ging seine Karriere mit dem Tod Francos nicht zu Ende. In der ersten frei gewählten Regierung des Konservativen Adolfo Suárez wurde er 1975 Innenminister. Zusammen mit Suárez rief er 1976 das „Alianza Popular“ genannte Bündnis der rechten Parteien ins Leben. Nach dem Sieg des Sozialisten Felipe González führte er die Opposition im Parlament an. 1989 wurde er Vorsitzender des „Partido Popular“. Von seinem Parteifreund José María Aznar verdrängt, wurde Fraga Iribarne ein Jahr später als Regierungschef nach Galicien abgeschoben. Dieses Amt, das in etwa dem eines deutschen Ministerpräsidenten gleichkommt, bekleidete er bis zum Jahr 2005. Dieses Beispiel einer faschistischen Kontinuität muss nicht weiter kommentiert werden. Es zeigt ebenso wie der Fortbestand der faschistischen Denkmäler und Straßen- und Städtenamen, dass die viel gelobte transición nicht von einem Prozess der Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit begleitet war.92 Dies soll sich unter dem 2008 wiedergewählten sozialistischen Ministerpräsidenten José Zapatero ändern. Fraglich ist jedoch, ob man sich in diesem Zusammenhang auch der Geschichte und Gegenwart des „Opus Dei“ widmen wird.93 Dabei war gerade diese katholische Organisation die wichtigste Stütze des spanischen Faschismus. Zumindest in seiner Endphase, als die faschistische Staatspartei des movimiento kaum noch etwas zu sagen hatte. Warum wird darüber so wenig gesprochen? Die Antwort darauf ist ebenso einfach wie verblüffend: weil es der Gründer und Führer des Opus Dei inzwischen zum Seligen und Heiligen gebracht hat. Gemeint ist Josemaría Escrivá. Der 1902 in Aragonien geborene Escrivá war Priester geworden und hatte 1928 im Alter von knapp 26 Jahren eine katholische Organisation ins Leben gerufen, die er „Werk Gottes“ nannte. Zweck des ordensähnlichen Opus Dei sollte die „Heiligung“ des Alltagslebens seiner Mitglieder sein, zu denen neben Priestern auch Laien gehörten (seit 1930 waren auch Frauen zugelassen). Dies sollte durch eine
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strikt hierarchische Organisation gewährleistet werden, an deren Spitze ein Prälat steht, der wiederum von einem Generalrat unterstützt wird. Ursprünglich war dieser geistliche Führer dem regionalen Bischof unterstellt, seit 1982 ist Opus Dei jedoch direkt dem Papst untergeordnet. Die verheirateten Mitglieder heißen „Supernumerarier“, die anderen „Numerarier“. Außerdem gibt es noch „Assoziierte“. Alle sind zum unbedingten Gehorsam und zur Geheimhaltung verpflichtet. Die „Supernumerarier“ müssen darüber hinaus einen Teil ihres Einkommens an den Orden abgeben. Dadurch und durch weitere Spenden brachte es das Opus Dei sehr schnell zu Reichtum. Dass damit auch die Gewinnung von politischer Macht verbunden war, wurde von Escrivá nicht geleugnet, sondern in seiner 1934 veröffentlichten programmatischen Schrift Der Weg mit deutlichen Anleihen an die faschistische Ideologie gerechtfertigt. Escrivá muss von seiner politischen Bedeutung gewusst haben, jedenfalls floh er nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges aus dem republikanischen in den von den Truppen Francos besetzten Teil Spaniens. Hier unterstützte er Francos antirepublikanischen „Kreuzzug“ sowohl in religiöser wie politischer Hinsicht. Dennoch wurde das Opus Dei nicht in die faschistische Einheitspartei integriert. Das führte aber keineswegs zu seinem Machtverlust, im Gegenteil: Dem Opus Dei gelang es in der Spätphase des Franco-Regimes, das movimiento an Macht und Einfluss zu übertreffen und schließlich sogar völlig in den Schatten zu stellen. Deutlich wird dies daran, dass die letzten Franco-Kabinette mehrheitlich von Mitgliedern des Opus Dei besetzt waren, die zudem die Schlüsselressorts innehatten. Der mit dem eigenen Machtverlust korrespondierende unaufhaltsame Aufstieg des Opus Dei wurde zwar von den alten Falange-Mitgliedern, die sich selber camisas viejas (Althemden) nannten, kritisiert, doch daran ändern konnten sie nichts. Schließlich mussten sie es hinnehmen, dass ihre eigene Partei – das moviemiento – 1976 verboten wurde. Im gesamten Bildungs- und Wirtschaftsleben Spaniens übte das Opus Dei einen zunehmenden und bis heute prägenden Einfluss aus. Dies wird jedoch selten offen ausgesprochen. Dazu hat auch die Karriere des 1975 verstorbenen Escrivá beigetragen. Schon 1982 und damit nur 17 Jahre nach seinem Tod wurde er vom Papst selig gesprochen. Die „Beförderung“ zum Heiligen erfolgte 2002.
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Bemerkenswert ist auch die indirekte Parteinahme, die Papst Benedikt XVI. 2007 für die Franco-Faschisten zeigte – hat er es doch für notwendig gehalten, verschiedene von Republikanern während des Spanischen Bürgerkrieges ermordete Geistliche selig zu sprechen, ohne die vielen Opfer der fundamentalistisch-faschistischen Franco-Diktatur auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
„Kein Exportartikel“ – Faschismus in anderen nord- und westeuropäischen Staaten
Faschismus ist „kein Exportartikel“, hat Mussolini mehrmals versichert, um die Befürchtungen der demokratischen Staaten vor einer Faschisierung von außen zu zerstreuen. Das war keine Lüge. Obwohl Mussolini stolz darauf war, dass sich so viele ausländische Parteien am Vorbild seines Partito Nazionale Fascista orientierten, hat er nur wenige von ihnen finanziell und politisch unterstützt und sich ansonsten vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten der europäischen Staaten gehütet. Anders als der Kommunismus war und wollte der Faschismus keine internationale Erscheinung sein. Der 1934 von einigen kleineren faschistischen Parteien in Montreux gegründeten „Faschistischen Internationalen“ stand Mussolini daher skeptisch gegenüber.94 Alle nord- und westeuropäischen Parteien, die sich selber so nannten oder von ihren Gegnern als faschistisch bezeichnet wurden, waren keine italienischen Export-Produkte. Ihre Erfolge und Misserfolge hingen allein von nationalen Faktoren ab, genauer von der politischen Stabilität der einzelnen demokratischen Staaten sowie – im geringeren Maße – von deren wirtschaftlicher Stärke. Keiner der hier zu behandelnden (klassisch-)faschistischen Parteien ist es zudem gelungen, an die Macht zu kommen; es sei denn als ziemlich machtlose und noch dazu willfährige Vollzugsorgane der deutschen Besatzungsmacht, die von ihren Landsleuten verächtlich als „Quislinge“ bezeichnet wurden. Daher ist auch strikt zwischen den Parteien zu unterscheiden, die ihre eigentliche Bedeutung erst unter deutscher Besatzung erhielten, sowie jenen, die in den Ländern bestanden, die ihre Unabhängigkeit bewahren konnten. Wir beginnen mit letzteren, behandeln dann die Quisling-Parteien, um schließlich einen Blick auf Finnland zu werfen, das zwar in politischer Hinsicht zum Westen gehört, geographisch aber im (Nord-) Osten Europas liegt. Wie in den vorherigen und nachfolgenden Kapiteln enden die Betrachtungen nicht mit dem Jahr 1945; vielmehr wird
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danach gefragt, ob es in den genannten Ländern auch später noch Bewegungen gegeben hat, die aus den faschistischen der Zwischen- und Kriegszeit erwachsen sind. Schweden, Schweiz und England In Schweden hat es nur äußerst schwache faschistische Parteien gegeben.95 Die erste wurde schon 1924 von den Brüdern Birger, Gunnar und Sigurd Furugård gegründet. Sie nannte sich zunächst „Svenska Nationalsocialistika Frihetsförbundet“ (SNF, Schwedischer Nationalsozialistischer Freiheitsverband), dann „Svenska Nationalsocialistika Bondeoch Arbetarpartiet“ (Schwedische Nationalsozialistische Bauern- und Arbeiterpartei). Schon die Namensgebung deutet auf ihre Beeinflussung durch die NSDAP hin. Doch anders als sein deutsches Vorbild gelang es dem SNF nie, eine nennenswerte Zahl der umworbenen Bauern und Arbeiter zu gewinnen. Außerdem mussten sich die Brüder Furugård der Konkurrenz von zwei weiteren faschistischen Parteien erwehren. Die eine war die von Elof Eriksson 1925 gegründete „Nationella Samlingsrörerlsen“ (Nationale Sammlungsbewegung), die aber bedeutungslos blieb und sich schließlich 1935 selber auflöste. Die andere hieß ursprünglich „Sveriges Fascistika Kamporganisation“ (Faschistische Kampforganisation Schwedens) und seit 1930 „Sveriges Nationalsocialistika Partiet“ (Nationalsozialistische Partei Schwedens). Gegründet und geleitet wurde sie von dem ehemaligen Feldwebel Sven-Olof Lindholm. Auch sie blieb schwach und einflusslos. Bei den Wahlen von 1936 erreichte sie nur 0,6 Prozent der Stimmen. Ein Grund für diesen Misserfolg war die Imitation des deutschen Vorbilds, was die Schweden eher abstieß als anzog. Lindholm zog daraus die Konsequenz und benannte seine Partei 1938 in „Svensk Socialistik Samling“ (Schwedische Sozialistische Sammlung) um, die statt des bisherigen Haken- das sogenannte Wasakreuz als Parteisymbol verwandte. Doch auch diese Mimikry zahlte sich nicht aus. Dagegen fand der von beiden schwedischen faschistischen Parteien vertretene Antisemitismus einen gewissen Anklang bei Studenten, die entweder allein oder zusammen mit den Faschisten Demonstrationen veranstalteten, auf denen sie die Regierung aufforderten, den „Jude importen“ zu stoppen, womit die Einwanderung von jüdischen Akademikern aus Deutschland gemeint war, die von diesen Studenten als Konkurrenz empfunden wurden. Die schwedische Regierung kam diesem
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Drängen nach und ließ (wie es zur gleichen Zeit auch in der Schweiz geschah) die Pässe der deutschen Juden mit einem roten „J“ stempeln. Die schwedischen Faschisten profitierten dann auch von der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die das neutrale Schweden auch nach Ausbruch des Krieges mit Hitler-Deutschland unterhielt. Aus Angst vor dem übermächtigen deutschen Nachbarn wagten es die schwedischen Behörden nämlich nicht, mit repressiven Methoden gegen die einheimischen Faschisten vorzugehen. Immerhin widersetzte sich die schwedische Regierung ihrem Drängen, dem Antikominternpakt beizutreten, tolerierte es aber, dass sich fast tausend schwedische Staatsbürger freiwillig zum Dienst in der Wehrmacht und der Waffen-SS meldeten. Erst als einige schwedische Faschisten im von Deutschland besetzten Norwegen die „Bruna Gardet“ (Braune Garde) aufstellten, deren Aufgabe es sein sollte, die Deutschen bei einer Besetzung Schwedens zu unterstützen, war es mit der bisherigen Zurückhaltung vorbei. Die schwedische Regierung ließ die Führer dieser Braunen Garde verhaften und zu einer – allerdings kurzen – Gefängnishaft verurteilen. Dies war 1944, als die Niederlage Hitler-Deutschlands absehbar war und der Stimmenanteil der faschistischen Parteien in Schweden auf unter ein Prozent gesunken war. Verboten wurden die faschistischen Parteien aber erst zwei Jahre später, 1946. Das zu diesem Zweck erlassene schwedische Antidiffamierungsgesetz ist seither niemals wieder angewandt worden. Musste es auch nicht, weil alle weiteren faschistischen Gruppierungen äußerst schwach blieben und keine von ihnen es ins schwedische Parlament schaffte. Umso erstaunlicher ist, dass man in Schweden erst sehr spät mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit begonnen hat, die wegen der Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland und auch wegen der Existenz der schwedischen faschistischen Parteien nicht so makellos rein gewesen ist, wie sich das viele Schweden immer noch vorstellen.96 In der Schweiz war und ist dies nicht viel anders. Auch hier wurden sowohl die Beziehungen zum faschistischen Deutschland wie die Tatsache, dass es dort auch faschistische Parteien gegeben hat, lange Zeit verschwiegen und tabuisiert.97 All das passte nicht in das Bild hinein, das sich die Schweizer von sich und ihrer Demokratie machten. Faschismus galt und gilt als „unschweizerisch“. Tatsächlich haben sich die „Fronten“ genannten faschistischen Gruppierungen, die sich Anfang der 1930er-Jahre in der Schweiz bildeten, in
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organisatorischer und ideologischer Hinsicht sehr stark am Vorbild der NSDAP orientiert. Dabei handelte es sich einmal um eine Studentengruppe, die im Juli 1930 von Robert Tobler an der Universität Zürich gegründet wurde. Diese „Neue Front“ vereinigte sich im Oktober 1930 mit der „Nationalen Front“ Hans Vonwys. Der Schwerpunkt der vereinigten Front lag in den deutschsprachigen Kantonen. Hier erreichte sie bei Kommunal- und Kantonswahlen einige Erfolge. In Zürich waren es 1933 6,2 Prozent und in der kleinen Grenzstadt Schaffhausen sogar 27,1 Prozent der Stimmen. Dagegen war die Zahl ihrer Mitglieder relativ gering und blieb immer unter der Marke von 10 000. Von der tatsächlichen Schwäche der „Neuen Front“ konnte auch ihre radikale antisemitische und antidemokratische Agitation nicht ablenken, die auf einen völligen Stopp der jüdischen Immigration und eine Tansformierung des demokratischen Systems der Schweiz hin zu einer Diktatur abzielte. Die demokratischen Institutionen der Schweiz nahmen dies jedoch nicht widerstandslos hin, weshalb der „Frontenfrühling“ zu Ende ging, bevor er eigentlich richtig begonnen hatte. Schon im Februar 1934 wurde das Schweizer Gegenstück zur SA im Kanton Zürich verboten. Sechs Jahre später wurde auch der deren Führer Robert Tobler verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt war die Front aber schon fast bedeutungslos geworden, hatte sie doch alle der zwischenzeitlich in Zürich und anderswo errungenen Mandate wieder verloren. Den Schlussstrich setzte die Schweizer Regierung, die im Herbst 1943 alle noch bestehenden Gruppierungen der Fronten verbot.98 Zu einem ähnlich drastischen Mittel hat man schließlich auch in England gegriffen. Dies ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Einmal, weil ein Parteiverbot mit dem englischen Demokratieverständnis eigentlich unvereinbar ist, weshalb es auch weder vorher noch nachher nochmals ausgesprochen worden ist. Zum anderen, weil es vielleicht gar nicht nötig gewesen ist, weil alle englischen faschistischen Parteien schwach waren und es keiner von ihnen jemals gelungen ist, auch nur ein Mandat im Parlament zu gewinnen. Andererseits war und ist es ein Alarmsignal, dass es auch im Mutterland der Demokratie faschistische Parteien gegeben hat – und immer noch gibt.99 Ihre Geschichte beginnt schon Anfang der 1920er-Jahre mit einer Partei, die sich ganz am italienischen Vorbild orientierte, was sie schon durch ihren Namen zum Ausdruck brachte – nannte sie sich doch „British Facisti“. Da dies etwas zu fremdartig für englische Ohren klang,
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wurde sie 1923 in „British Fascists“ umbenannt. Anders als ihr großes italienisches Vorbild blieb sie jedoch bedeutungslos und konnte in keiner Weise Kapital aus der allgemeinen Krise schlagen, die auch in England unübersehbar war. Wegen der Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft war es auch in England zu Massenentlassungen von Arbeitern gekommen, die daraufhin in Not gerieten. Das unterentwickelte britische Sozialsystem vermochte diese kaum zu mildern. Dies rief die Gewerkschaften auf den Plan, die mehrere Streiks und 1926 sogar einen Generalstreik durchführten. Doch auch er brachte keine befriedigenden Ergebnisse. Die britischen Arbeitgeber waren zu Lohnerhöhungen nicht bereit. Diese sozialen Konflikte stärkten die damals strikt sozialistisch ausgerichtete Labour Party. Sie errang bei den Parlamentswahlen, die seit 1918 nach dem allgemeinen Wahlrecht (wahlberechtigt waren Männer ab 21 und Frauen ab 30 Jahren) abgehalten wurden, große Erfolge. 1924 konnte Labour mit Ramsay MacDonald zum ersten Mal den Premierminister stellen. MacDonald musste zwar noch im gleichen Jahr zurücktreten, kehrte aber fünf Jahre später wieder auf den Posten zurück, da es auch seinem konservativen Nachfolger James Baldwin nicht gelang, die ökonomische und soziale Krise zu lösen. Sie verschärfte sich nach dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise so sehr, dass sich die ansonsten so verfeindeten Konservativen und Sozialisten 1931 gezwungen sahen, eine Koalitionsregierung zu bilden. Dieses sogenannte Nationale Kabinett wurde wiederum von MacDonald angeführt. In diese sowohl wirtschaftlich wie politisch turbulente Zeit fällt der temporäre Aufstieg des britischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley. Der 1896 geborene Mosley entstammt einer angesehenen und vor allem wohlhabenden britischen Adelsfamilie. Nach der standesgemäßen Ausbildung in Winchester College und an der Royal Academy in Sandhurst war er 1918 im Alter von nur 22 Jahren Parlamentsabgeordneter der Konservativen geworden. Doch wenige Jahre später trat er aus Protest gegen ihre Irland- und Wirtschaftspolitik aus der Konservativen Partei aus, um sich 1924 Labour anzuschließen. Ein für einen britischen Aristokraten (der inzwischen auch mit einer Aristokratin, nämlich der Tochter des ehemaligen Vizekönigs von Indien, Lord Curzon, verheiratet war) bemerkenswerter und daher auch viel beachteter Schritt. In der Labour Party machte Mosley schnell Karriere und wurde 1929 im (zweiten) Kabinett Ramsay MacDonalds Minister ohne Geschäftsbe-
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reich. Hier setzte er sich für eine antizyklische und von den Theorien Keynes’ beeinflusste Wirtschaftspolitik ein. Zu diesem Zweck entwarf er ein umfassendes Programm, das sogenannte Mosley-Memorandum, das verschiedene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vorsah. Es wurde jedoch vom Kabinett verworfen. Aus Enttäuschung darüber trat Mosley daraufhin aus der Labour Party aus und gründete eine neue Partei, die zunächst auch so genannt wurde, nämlich „New Party“. Sie wurde 1932 in „British Union of Fascists“ (BUF) umbenannt. Vorausgegangen war ein Besuch Mosleys bei Mussolini, von dem er sich sehr beeindruckt zeigte. Tatsächlich orientierte sich Mosleys Partei am Vorbild der Partei Mussolinis. Dies zeigte sich einmal an Äußerlichkeiten wie der Einführung einer Parteiuniform – natürlich ein schwarzes Hemd – und die Begrüßung des „Leaders“ Mosley durch das Erheben des rechten Arms. Selbst das Parteiabzeichen der BUF war dem faschistischen Rutenbündel nachgebildet. Hinzu kamen die Orientierung an dem korporativen Wirtschaftssystem des faschistischen Italien und die Imitierung des faschistischen politischen Stils. Wie die italienischen squadristi veranstalteten die Angehörigen von Mosleys „Defence Force“ in den Arbeitervierteln Londons Propagandamärsche, die regelmäßig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Sozialisten und anderen Antifaschisten führten – und auch führen sollten, weil dies die Anziehungskraft der Partei vornehmlich auf Männer erhöhte, die durch diese Schlägereien ihre Männlichkeit unter Beweis stellen wollten.100 Zum bevorzugten Ziel der faschistischen Stoßtrupps wurde das Londoner East End, wo verschiedene, meist arme jüdische Immigranten lebten. Sie wurden dann vor allem angegriffen, was nicht mehr „nur“ mit antisozialistischen, sondern auch mit antisemitischen Motiven begründet wurde. Dies war neu und zeigte zugleich, dass sich Mosley mehr und mehr am Vorbild des deutschen Faschismus zu orientieren begann. Seine Bewunderung Hitlers brachte er öffentlich zum Ausdruck, und auch dessen aggressive Außenpolitik unterstützte er.101 Sowohl Mosleys Antisemitismus wie seine zunehmende Verherrlichung Hitler-Deutschlands102 brachten ihm die Kritik der englischen Öffentlichkeit ein. Zu ihrem Sprecher machte sich der Pressebaron Lord Rothermere, der die ihm gehörenden Zeitungen anwies, negative Berichte über Mosley und seine britischen Faschisten zu veröffentlichen. Dies sowie die zunehmenden Demonstrationen gegen Mosley zeitigten Erfolge. Seine finanziellen Gönner (zu denen zunächst auch Lord
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Rothermere gehört hatte) wandten sich von ihm ab103 und veranlassten schließlich die Regierung, scharfe Maßnahmen gegen den Terror der BUF zu ergreifen. Nach einer blutigen Straßenschlacht in der Londoner Cable Street wurde 1936 der „Public Order Act“ erlassen, der das Tragen von Parteiuniformen untersagte und – für britische Verhältnisse neu und ungewöhnlich – auch die Demonstrationsfreiheit einschränkte. Dies führte zu einem rapiden Rückgang der Mitgliederzahl der BUF, die ohnehin nie mehr als 50 000 betrug.104 Auch die bis dahin errungenen Wahlerfolge der BUF hielten sich in Grenzen. Im Parlament war sie niemals vertreten. Nur in ihrer Londoner „Hochburg“, wo sich mit dem „Schwarzen Haus“ auch das Hauptquartier der BUF befand, konnte sie 1937 18 Prozent der abgegebenen Stimmen erringen, was aber nicht für ein Mandat ausreichte. Die BUF war nicht mehr als eine Splitterpartei. Dass sie überhaupt in der Öffentlichkeit so stark beachtet wurde, lag mehr an dem Bekanntheitsgrad ihres Führers Mosley und dessen Sympathie für Hitler als an ihrer tatsächlichen politischen Stärke.105 Doch das hätte sich nach einer Invasion Englands durch das faschistische Deutschland ändern können. Um es dazu gar nicht erst kommen zu lassen und einen möglichen „englischen Quisling“ zu verhindern, entschied sich die britische Regierung schließlich im Mai 1940 dazu, Mosley und 800 seiner Anhänger zu internieren. Zu diesem Zweck wurde ein eigenes Gesetz erlassen – das „Defence Regulation 18B“. Wie aus seinem Namen hervorgeht, wurde es mit der Notwendigkeit begründet, Großbritannien vor einem befürchteten deutschen Angriff zu schützen. Als sich die militärische Situation nach der siegreichen „Battle of Britain“ entspannte, wurden verschiedene der verhafteten BUF-Faschisten wieder freigelassen. Mosley selber wurde unter Hausarrest gestellt. Gebessert wurde Mosley dadurch nicht. Unmittelbar nach seiner endgültigen Freilassung im Jahr 1945 machte er dort weiter, wo er 1940 aufhören musste – mit der Fortführung seiner faschistischen Partei unter einem veränderten Namen. Mosleys „Union Movement“ war aber überhaupt kein Erfolg beschieden, weshalb Mosley 1951 England verließ, um zunächst nach Irland und dann nach Frankreich zu gehen. Doch als es 1958 zu den ersten englischen Rassenunruhen kam, die übrigens von der Union Movement geschürt worden waren, kehrte Mosley nach England zurück, um sich für einen Sitz im Parlament zu bewerben – ohne Erfolg. Nach diesem erneuten Rückschlag zog sich Mosley aus
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der Politik zurück und schrieb seine Memoiren, die 1968 unter dem Titel My Life publiziert wurden. 1980 ist er gestorben. Damit war die Geschichte des britischen Faschismus aber keineswegs vorbei – trat doch die 1967 gegründete „National Front“ das direkte Erbe von Mosleys Partei an. Dies zunächst mit gewissem Erfolg, konnte die National Front doch ihre Mitgliederzahl auf 20 000 erhöhen und bei Kommunalwahlen Erfolge erzielen. Zu einem Mandat im Parlament reichte es dennoch nicht. Außerdem fehlte der National Front ein die Massen anziehender Führer. Dies hätte der zwar umstrittene, aber durchaus charismatische Enoch Powell werden können.106 Der 1912 als Sohn eines Lehrerehepaars geborene Powell hatte nach dem Studium in Cambridge zunächst die Universitätslaufbahn eingeschlagen und war mit knapp 25 Jahren Professor für Griechisch an einer australischen Universität geworden. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte er sofort nach England zurück, um sich zur britischen Armee zu melden. Hier diente er sich vom einfachen Gefreiten bis zum Brigadier hoch. Diese militärische Leistung ebnete ihm den Weg in die Politik. 1950 wurde Powell zum Parlamentsabgeordneten der Konservativen gewählt. In der Folgezeit bekleidete er mehrere hohe Ämter in verschiedenen konservativen Regierungen. Doch dann kam es zu einem vorzeitigen Stopp seiner politischen Karriere. Anlass war eine rassistische Rede, die Powell 1968 und ausgerechnet am 20. April, das heißt an Hitlers Geburtstag, gehalten hat. In ihr hatte Powell die liberale Einwanderungspolitik der britischen Regierung scharf angegriffen. Wenn sie nicht sofort beendet werde, würde es unweigerlich zu weiteren Rassenunruhen kommen, bei denen dann, so Powell wörtlich, „Ströme von Blut fließen“ würden. Während die liberale Öffentlichkeit auf diese Rede Powells mit Abscheu und Entsetzen reagierte, fand sie bei der National Front ungeteilten Beifall und veranlasste sie, Powell die Führerschaft in ihrer faschistischen Partei anzutragen. Powell lehnte jedoch ab und schloss sich stattdessen den Ulster Unionisten an, für die er ins Parlament einzog. Dort profilierte er sich als scharfer Kritiker nicht nur der Nordirland-, sondern auch der Europapolitik Großbritanniens insgesamt. 1990 machte er noch einmal von sich reden, als er die damalige Premierministerin Margaret Thatcher aufforderte, im Verein mit der Sowjetunion die Wiedervereinigung Deutschlands zu verhindern.
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Die National Front war zu diesem Zeitpunkt bereits in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken. An ihre Stelle sind einige rassistische Gruppierungen wie „Blood and Honour“, „Srew Driver“ und „Flag Group“ getreten, die zwar alle als faschistisch zu bezeichnen sind, aber sich bisher nicht zu einer wirklich bedeutsamen und gefährlichen faschistischen Partei zusammengeschlossen haben. Quislinge Als „Quislinge“ sind die norwegischen, dänischen, holländischen und belgischen Faschisten verachtungsvoll bezeichnet worden, die während des Zweiten Weltkrieges mit der deutschen Besatzungsmacht zusammengearbeitet haben. Und immer war mit dieser Bezeichnung eine besondere Geringschätzung dieser Faschisten verbunden, die eher als Agenten einer fremden Macht denn als Produkt des eigenen politischen Systems angesehen wurden. Dieser Einschätzung wird die „Nasjonal Samling“ (Nationale Sammlung) Vidkun Quislings in Norwegen auf keinen Fall gerecht.107 Der 1887 als Sohn eines Pastors geborene Quisling hatte zunächst die militärische Laufbahn eingeschlagen. 1911 wurde er als Militärattaché an die norwegische Botschaft in St. Petersburg entsandt. Hier wurde er dann unmittelbarer Zeuge der revolutionären Ereignisse ab 1917. Mit dem russischen Volk zeigte er eine gewisse schwärmerische Verbundenheit. Sie veranlasste ihn dazu, dem Nansenschen Hilfskomitee des Roten Kreuzes beizutreten, um der hungernden russischen Bevölkerung zu helfen. Von 1927 bis zu seiner Rückkehr nach Norwegen im Jahr 1929 war er dann wieder als Gesandtschaftsrat an der norwegischen Botschaft in Moskau tätig. Die in Russland gemachten Erfahrungen scheinen Quisling nachhaltig beeinflusst zu haben.108 Seine anfängliche Sympathie für das revolutionäre Russland war in einen abgrundtiefen Hass auf das von Lenin errichtete bolschewistische System umgeschlagen, das nach Quislings Meinung den gesamten Westen bedrohte. Dieser Bedrohung seitens des Bolschewismus von außen wie von innen würden die westlichen Demokratien nicht standhalten. Dies sei nur mit diktatorischen Methoden und mit Hilfe eines starken Staates möglich, der gleichzeitig einige Strukturelemente des Bolschewismus übernehmen müsse. Quisling nannte dies „Sowjets ohne Kommunismus“. Das war eine genuin faschistische Idee.
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In Norwegen war sie aber nur schwer zu vermitteln, sah sich das Land doch weder von außen noch von innen vom Kommunismus bedroht. Von den reformistisch eingestellten norwegischen Sozialisten ging schon gar keine Gefahr aus. Quisling ließ sich davon aber nicht beeindrucken und versuchte, seine antikommunistische Ideologie innerhalb der norwegischen Bauernpartei zu verbreiten, der er beigetreten war. Als deren Vertreter zog Quisling 1931 in eine bürgerliche Minderheitsregierung ein, in der er das Amt des Verteidigungsministers übernahm. Doch als die Bauernpartei mit den bei den Wahlen von 1933 erfolgreichen Sozialisten eine Koalitionsregierung bildete, trat der darob mehr als erzürnte Quisling aus der Partei aus. Er versuchte, die restlichen bürgerlichen Parteien dazu zu bewegen, sich zu einer betont antisozialistischen und nationalistischen Sammlungspartei zusammenzuschließen. Auch dies misslang. Quislings im Mai 1933 gegründete „Nasjonal Samling“ bestand nur aus drei kleineren faschistischen Gruppierungen und blieb politisch äußerst schwach. Darüber konnte auch ihre überdimensionierte Organisation nicht hinwegtäuschen. Sie war ganz nach dem Muster der NSDAP gestaltet. Neben einer SA-ähnlichen Parteimiliz namens „Hird“ (Gefolge) gab es die „Småhird“ (kleines Gefolge) genannten Jugendgruppen, welche die HJ imitierten. Dagegen konnte der Plan, auch die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) nachzuahmen, nicht verwirklicht werden. Dazu war die „Nasjonal Samling“ mit zunächst nur 8500 Mitgliedern einfach zu klein. Auch bei den Wahlen war ihr kein Erfolg beschieden. Bei den Parlamentswahlen vom Oktober 1933 erreichte sie nur 2,2 Prozent der abgegebenen Stimmen, was nicht für ein Mandat ausreichte. Bei den nachfolgenden Kommunal- und Parlamentswahlen ging ihr Stimmanteil auf unter zwei und schließlich sogar auf unter ein Prozent zurück. Diesen Misserfolg hatte Quisling vor allem seiner kritiklosen Übernahme der antisemitischen, antisozialistischen und rassistischen Bestandteile des Parteiprogramms der NSDAP zu verdanken. In Norwegen, wo es insgesamt nur etwas mehr als 1000 Juden gab, war Antisemitismus unpopulär, ja faktisch kaum vorhanden. Angesichts der äußerst schwachen Kommunistischen Partei und der betont reformistisch ausgerichteten sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die mehrmals mit bürgerlichen Parteien koalierte und fest in das norwegische politische System integriert war, liefen auch seine antisozialistischen Tiraden ins
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Leere. Kein Verständnis hatten auch die norwegischen Bauern für Quislings rassistische „Blut-und-Boden-Parole“, „heim og oett“ (Heim und Herd). Der von Quisling ebenfalls aus Deutschland übernommene Wikinger-Kult wurde von den meisten Norwegern als heidnisch angesehen und daher abgelehnt. Dennoch sollte man die Bedeutung von Quislings Partei nicht unterschätzen. Er selber war ein belesener, redegewandter und in gewisser Hinsicht sogar charismatischer Politiker. Seine große Stunde schien 1940 zu kommen. Unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf Norwegen und der Flucht des Königs bildete Quisling am 15. April 1940 eine Regierung, welche die norwegische Armee aufforderte, jeglichen Widerstand einzustellen. Dies war ebenso vergeblich wie die Hoffnung Quislings, dass ihn seine Landsleute als ihren fører (Führer) anerkennen würden. Das Gegenteil war der Fall. Quisling erntete nur Verachtung, seine Regierung dauerte nicht mehr als fünf Tage. Entscheidend dafür war, dass Hitler die von Quisling angebotenen Dienste zurückwies und stattdessen den deutschen Gauleiter Josef Terboven zum „Reichskommissar“ ernannte. Terboven verwaltete das Land mit äußerst harter Hand. Dabei nahm er die Hilfe der „Nasjonal Samling“ in Anspruch. Zum Dank dafür wurde ihr fører Quisling im Februar 1942 dann doch noch zum Ministerpräsidenten ernannt. Seine Regierung war jedoch nicht viel mehr als das dienstwillige Werkzeug der deutschen Besatzer. Und auch an deren Verbrechen war sie beteiligt – so an der Deportation von etwa der Hälfte der norwegischen Juden. Trotz oder gerade wegen ihrer Kollaborationsbereitschaft konnte die norwegische faschistische Partei ihre Mitgliederzahl auf 57 000 steigern, was in etwa einem Bevölkerungsanteil von 1,8 Prozent entsprach. Von der ganz überwältigenden Mehrheit der Norweger wurden Quisling und seine Anhänger entschieden und kompromisslos abgelehnt. Über sie wurde nach der Befreiung Norwegens im Mai 1945 ein hartes Strafgericht verhängt. Viele ihrer Anhänger wurden zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, Quisling wegen Hochverrats zum Tode. Am 24. Oktober 1945 wurde er erschossen. Dieses Strafgericht hat ganz offensichtlich dazu beigetragen, dass es in Norwegen keinerlei faschistische Nachfolgeparteien gegeben hat. Auch heute noch findet man in Norwegen allenfalls einige wenige, aber bedeutungslose faschistische oder neofaschistische Skinhead-Gruppen.
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In Dänemark ist es etwas anders. Hier haben wir heute mit der von Pia Kjærsgaard angeführten „Dansk Folkeparti“ (Dänische Volkspartei) eine im Parlament vertretene Gruppierung109, die mindestens so weit rechts steht wie die FPÖ zur Zeit Haiders, weshalb sie wie diese auch als „rechtspopulistisch“ eingeschätzt wird.110 Überzeugend ist das nicht. Man wird sie jedenfalls schwerlich als faschistisch charakterisieren können, auch weil die Partei Kjærsgaards ganz offensichtlich über keinerlei personelle oder ideologische Kontinuitäten mit der in Dänemark vor 1945 bestehenden faschistischen Partei verfügt.111 Diese wurde von einem 1893 im damals deutschen Nordschleswig geborenen Arzt namens Frits Clausen im Jahr 1930 gegründet und trug den Namen „Danmarks Nationalsocialistike Arbejder Parti“ (DNSAP). Wie schon aus ihrem Namen hervorgeht, handelte es sich um eine – wenig originelle – Kopie des deutschen Vorbilds. Clausens nationalsozialistische Partei war aber längst nicht so erfolgreich wie die deutsche. Bei den dänischen Parlamentswahlen von 1935 und 1939 erreichte sie jeweils nur zwei Prozent der abgegebenen Stimmen. Wegen der Schwäche seiner Partei konnte Clausen dann auch nicht die Nachfolge der 1943 von der deutschen Besatzungsmacht abgesetzten dänischen Regierung antreten. Um zu einem dänischen Quisling zu werden, fehlten dem außerdem noch alkoholkranken Clausen alle Voraussetzungen, er besaß keine charismatischen Eigenschaften. Seine dänischen Landsleute quittierten das mit dem ironischen Spruch: „Gott erhalte den König – und Frits Clausen.“ Umso unnachsichtiger wurden die Gefolgsleute Clausens, die mit der deutschen Besatzungsherrschaft zusammenarbeiteten, von der dänischen Widerstandsbewegung bestraft. Dies reichte von der sozialen Ächtung ganzer Familien bis hin zur Ermordung einzelner Anhänger Clausens. Die Deutschen reagierten darauf sowie auf die weiteren Aktionen der dänischen Widerstandsbewegung, der es 1943 gelang, fast alle dänischen Juden über die Ostsee nach Schweden in Sicherheit zu bringen, mit zunehmendem Terror. Tausende von dänischen Widerstandskämpfern wurden in dem an der Grenze bei Flensburg errichteten Zwangslager Fröslev inhaftiert oder in deutsche Konzentrationslager wie Neuengamme und Buchenwald deportiert. Für diesen Terror, der bei vielen Deutschen heute in Vergessenheit geraten ist, wurden nach dem Krieg neben den dänischen Faschisten auch viele Angehörige der deutschen Minderheit in Dänemark hart be-
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straft – zunächst durch die Inhaftierung im ehemaligen deutschen Zwangslager Fröslev, dann durch die Verurteilung zu häufig langjährigen Freiheitsstrafen. Der schon 1944 von seinen eigenen Anhängern entmachtete Clausen gehörte nicht dazu. Er verstarb 1947, noch bevor ein Prozess gegen ihn eröffnet wurde. Dem Faschistenführer in den Niederlanden erging es anders und schlechter. Sein Name war Adriaan Mussert. Es handelte sich um einen Wasserbauingenieur, der – ohne dass er vorher politisch aufgefallen wäre – im Jahr 1932 die „Nationaal-Socialistische Beweging“ (NSB) gründete.112 Wie schon aus ihrem Namen hervorgeht, orientierte sich diese faschistische Partei strikt am Vorbild der NSDAP. Dies gilt einmal in organisatorischer Hinsicht: Als Pendant zur deutschen SA wurde eine uniformierte „Weerafdeling“ (Wehrabteilung) aufgebaut. Wie die deutschen vertraten auch die holländischen Nationalsozialisten eine betont nationalistische, antisozialistische und antiparlamentarische Zielsetzung. Geringer ausgeprägt war jedoch zunächst der Antisemitismus. Unterstützung fand die NSB vornehmlich bei Beamten, Kaufleuten, Offizieren, Akademikern und anderen Angehörigen des oberen Mittelstandes. 1936 verfügte sie bereits über 47 000 Mitglieder. Schon ein Jahr zuvor hatte die NSB bei den Parlamentswahlen respektable acht Prozent der abgegebenen Stimmen erringen können. Damit war sie zu einem ernst zu nehmenden politischen Faktor geworden. Doch durch die Ereignisse im benachbarten nationalsozialistischen Deutschland gewarnt, fanden sich in den Niederlanden Staat und Gesellschaft zur Gegenwehr bereit. Nachdem bereits 1934 den Beamten der Beitritt zur NSB untersagt worden war, wurde ein Jahr später auch die „Weerafdeling“ verboten und aufgelöst. Für Mussert war dies ein schwerer Schlag. Ein weiterer Einbruch in die Wählerklientel der Katholiken, Protestanten und Sozialdemokraten gelang ihm nicht mehr. Das in diese drei Gruppen segmentierte politische und gesellschaftliche System der Niederlande – Verzuiling (wörtlich: Versäulung) genannt – bewies seine Festigkeit und demokratische Struktur. Erst nach der Okkupation der Niederlande durch die deutschen Truppen im Frühjahr 1940 gewann die NSB wieder an Bedeutung.113 Mussert wurde zwar nicht, wie er gehofft und erwartet hatte, Chef eines Quisling-Regimes und musste sich mit dem ihm von Hitler verliehenen bedeutungslosen Titel eines „Führers des holländischen Volkes“ begnü-
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gen, doch viele Mitglieder seiner Partei wurden am deutschen Besatzungsregiment beteiligt. Dabei haben sie auch an der Deportation der niederländischen Juden und an der häufig unter Zwang durchgeführten Verschickung niederländischer Arbeiter nach Deutschland mitgewirkt. Dadurch zogen sie sich den Hass und die Verachtung ihrer niederländischen Landsleute zu. Nach der Befreiung von der Nazi-Herrschaft kam es auch in den Niederlanden zu einer harten Abrechnung. Ihr fiel auch Mussert zum Opfer, der in einem Hochverratsprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Viele andere Kollaborateure und „Arisierer“ des Eigentums ihrer jüdischen Landsleute sind jedoch ihrer Strafe entgangen. Dies mit Wissen und Duldung ihrer niederländischen Landsleute, welche die Verantwortung für das Leid der niederländischen Juden, von denen über 90 Prozent ermordet wurden, auf die deutschen Besatzer abwälzten. Im Gegensatz zu vielen Deutschen waren und sind den Niederländern die Verantwortlichen für den faschistischen Terror in ihrem Land – „Reichskommissar“ Seyß-Inquart, Polizeichef Rauter und eben Mussert – durchaus geläufig. Dieses bessere Wissen hat die Niederländer immerhin vor Nachfolgern Musserts bewahrt – zumindest bisher. Schon die kurzlebige, von 2002 bis 2008 bestehende Partei Pim Fortuyns ist von einigen Beobachtern als faschistisch eingestuft worden;114 und wie sich die 2004 von dem Filmemacher Geert Wilders gegründete „Partij voor de Vrijheid“ entwickeln wird, ist keineswegs abzusehen.115 Im heutigen Belgien ist die faschistische Gefahr dagegen unübersehbar –in Gestalt des „Vlaams Belang“ (Flämisches Interesse). Dabei handelt es sich um eine Partei, die aus einer der schon in der Zwischenkriegszeit entstandenen faschistischen Bewegungen hervorgegangen ist.116 Grund für diese in Europa fast einmalige faschistische Kontinuität ist der bis heute nicht überwundene Konflikt zwischen den beiden Sprach- und Volksgruppen in Belgien: den Französisch sprechenden Wallonen auf der einen und den Flamen auf der anderen Seite, die einen niederländischen Dialekt benutzen. Dieser Konflikt kennzeichnet die Geschichte des 1830 unabhängig gewordenen Belgiens von Anfang an und eskalierte nach dem Ersten Weltkrieg, als sich die belgische Zentralregierung weigerte, den Flamen die geforderte sprachliche Gleichberechtigung zu gewähren. Die sich auch in sozialer Hinsicht benachteiligt fühlenden Flamen gründeten
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1919 eine flämische National- beziehungsweise Autonomiebewegung, die „Frontpartij“ (Frontpartei) genannt wurde.117 Sie hatte wegen ihrer extrem nationalistischen Ausrichtung gewisse Ähnlichkeiten mit den faschistischen Parteien Westeuropas. Doch für eines ihrer Mitglieder war sie nicht nationalistisch und faschistisch genug. Er hieß Joris van Severen. Der 1894 im flämischen Wakken geborene van Severen hatte sich 1915 den belgischen Truppen angeschlossen, die in dem noch nicht von Deutschland besetzten Landesteil gegen die Deutschen kämpften. Dies jedoch unter dem Oberbefehl der französischen Armee, die darauf bestand, dass Französisch die einzige Kommandosprache sein sollte. Wie verschiedene andere flämische Soldaten auch fühlte sich van Severen, der inzwischen wegen Tapferkeit ausgezeichnet und zum Offizier befördert worden war, diskriminiert. Er gründete eine Protestbewegung, die sich gegen die ungleiche Behandlung der flämischen Soldaten wandte. Als Sprecher dieser flämischen Frontbewegung wurde van Severen vom französischen Oberkommando gerügt, bestraft und schließlich sogar degradiert. Dieses Erlebnis scheint ihn politisiert und radikalisiert zu haben. Nach dem Ende des Krieges schloss er sich der Frontpartei an und zog für sie ins belgische Parlament ein, wo er sich durch scharfe antibelgische Attacken profilierte. Nachdem er 1929 nicht mehr wiedergewählt wurde, rief er eine eigene politische Organisation ins Leben. Sie hieß „Verbond van Dietse Nationaal Solidaristen“ (Verdinaso). Dieser Kampfbund der „Dietsen“, das heißt der großniederländischen National-Solidaristen, hatte eine große Ähnlichkeit mit der faschistischen Partei in Italien und verfügte wie diese über eine paramilitärische Organisation, die „Dietse Militanten Orde“ (Großniederländischer Militanter Orden) genannt wurde. Ihm gehörten immerhin 2500 Mann an. Der weitere politische Aufstieg des Verdinaso wurde dann jedoch gestoppt, weil sich van Severen seit 1934 für die Errichtung eines Großreichs nach dem Vorbild des mittelalterlichen Burgund einsetzte. Dieser phantastische Plan wurde von den flämischen Nationalisten abgelehnt – nicht wegen seiner Irrealität, sondern wegen seiner mangelnden Kompatibilität mit dem flämischen Nationalismus. Das mittelalterliche Burgund war nämlich von sowohl Französisch wie Niederländisch sprechenden Menschen bevölkert gewesen. Obwohl er sich mit seiner großburgundischen „Niuwen Marsrichting“ (neuen Marschrichtung) bereits ins politische Aus katapul-
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tiert hatte, wurde van Severen zusammen mit einigen anderen flämischen Nationalisten im Mai 1940 von den belgischen Behörden verhaftet und beim Vorrücken der deutschen Truppen an Frankreich ausgeliefert. In Abbeville wurde er kurz darauf erschossen. Daher ist er nicht zum belgischen Quisling geworden. Diese Rolle haben gleich mehrere seiner belgischen Landsleute übernommen. Einer von ihnen war Staf de Clercq. Der 1884 geborene und ebenfalls aus dem flämischen Teil Belgiens stammende de Clercq hatte unter dem Eindruck der faschistischen „Machtergreifung“ im benachbarten Deutschland im August 1933 den „Vlaams Nationaal Verbond“ (VNV) gegründet. Bei diesem Flämischen Nationalen Verband handelte es sich eindeutig um eine faschistische Partei. Unter dem Namen „Vlaams Nationaal Blok“ (Flämischer Nationaler Block) trat sie bei den Parlamentswahlen von 1936 an und gewann dabei auf Anhieb sieben Prozent der in ganz Belgien abgegebenen Stimmen.118 Der VNV strebte die Schaffung eines „Dietsland“ an, das aus Flandern sowie einigen angrenzenden französischen Gebieten und den Niederlanden gebildet werden sollte. Ihr Parteisymbol war ein Dreieck, das für das Delta der Flüsse Schelde, Maas und Rhein stand. Ihre zum Teil uniformierten männlichen und weiblichen Mitglieder grüßten unter Emporrecken des rechten Arms mit „Houzee!“, was so viel wie „Halte stand!“ bedeutet, und vertraten eine keineswegs nur nationalistische und antifranzösische, sondern auch antisemitische Ideologie. Diese faschistische Einstellung qualifizierte sie im besonderen Maße für die spätere Kollaboration mit dem faschistischen Deutschland. Doch dies traf auch auf verschiedene ihrer ungeliebten Landsleute im wallonischen Teil Belgiens zu. Hier ist es ebenfalls zur Entstehung einiger faschistischer Parteien gekommen.119 Zu erwähnen ist einmal die schon 1924 gegründete „Action Nationale“, die neben einer betont antiflämischen eine antidemokratische und vor allem antibolschewistische Zielsetzung vertrat und sich nach italienischem Vorbild für die Errichtung eines korporativen Systems einsetzte. Die „Action Nationale“ ging dann in der ursprünglich von Kriegsveteranen gegründeten „Légion Nationale“ auf. Diese Partei wurde von Paul Hoornaert angeführt, der ihr eine deutlich erkennbare faschistische Prägung gab. So verfügte sie mit den „Jeunes Gardes“ über eine uniformierte und zum Teil sogar bewaffnete Parteimiliz. Die „Légion Nati-
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onale“ blieb jedoch mit nicht mehr als 4000 Mitgliedern eine Splitterpartei. Verschiedene ihrer Mitglieder haben sich während des Krieges an der belgischen Widerstandsbewegung beteiligt. Dies galt auch für Paul Hoornaert, der von den Deutschen gefangen genommen und in ein Konzentrationslager deportiert wurde, wo er 1944 umkam. Die Entwicklung der faschistischen „Rex“-Partei verlief völlig anders.120 Gegründet wurde sie 1935 von Léon Degrelle. Der 1906 geborene Degrelle entstammte einer wohlhabenden katholischen Familie und war nach seinem ohne Examen beendeten Studium für die katholische Kirche tätig geworden, und zwar unter anderem als Leiter des katholischen „Christkönigsverlages“. Nachdem er sich vergeblich dafür eingesetzt hatte, die katholische Kirche Belgiens zu einem schärferen antikommunistischen und nationalistischen Kurs zu bewegen, rief er die nach dem gleichnamigen katholischen Verlag genannte „Rex“-Partei ins Leben. Sie vertrat ein eklektisches Programm, wobei jedoch bald die spezifisch faschistischen die originär katholischen Momente überwogen. Anders als die flämischen Faschisten vertraten die Rexisten Degrelles aber keine separatistische Zielsetzung. Dennoch oder gerade deshalb fand Degrelle Unterstützung vonseiten des belgischen Militärs und der Beamtenschaft. Nicht unbedeutende finanzielle Mittel erhielt Degrelle auch aus Kreisen des belgischen Großkapitals – und von Mussolini. Der Erfolg blieb nicht aus. Bei den Parlamentswahlen 1936 erreichte die „Rex“-Partei 11,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. In den wallonischen Provinzen waren es sogar 25 Prozent. 21 „Rexisten“ traten in das belgische Parlament ein. Hier setzten sie sich sofort für eine Neuwahl in einzelnen Bezirken, darunter der belgischen Hauptstadt ein. Degrelle wollte die Wahl zu einem Plebiszit für sich und seine Partei nutzen. Er selber trat gegen den Kandidaten der Katholischen Partei, den früheren Ministerpräsidenten Paul van Zeeland an. Dieser versicherte sich jedoch nicht nur der Unterstützung der übrigen Parteien, einschließlich der Kommunisten. Auch der katholische Erzbischof von Malines setzte sich für van Zeeland ein, indem er zwei Tage vor der Wahl die „Rex“-Bewegung förmlich ächtete, weil sie eine „Gefahr für das Land und die Kirche“ darstelle. Die Nachwahl fand im April 1937 statt und endete mit einer verheerenden Niederlage Degrelles. Er erhielt nur 25 Prozent der abgegebenen Stimmen. Knapp 75 Prozent der Wähler votierten für van Zeeland.
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Degrelle steigerte daraufhin seine antikatholischen und antisemitischen Attacken, konnte jedoch den Zerfall seiner Partei nicht aufhalten. Bei den Wahlen von 1939 erzielte der „Rex“ nur noch 4,4 Prozent der Stimmen. Dennoch hielten es die belgischen Behörden nach dem Einmarsch Deutschlands im Mai 1940 für notwendig, Degrelle zu verhaften und an Frankreich auszuliefern. Dort wurde er jedoch von der Wehrmacht befreit, weshalb er nach Belgien zurückkehren konnte, um mit den deutschen Besatzern zu kollaborieren. Doch damit stand er keineswegs allein: In Belgien gab es viele Quislinge und keineswegs alle von ihnen waren Faschisten. Die belgische Kollaboration wurde von König Leopold III. begonnen. Er war es nämlich gewesen, der in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Armee am 28. Mai 1940 den Befehl zur Kapitulation der belgischen Truppen gegeben hatte. Damit konnte zwar die Integrität des belgischen (Gesamt-)Staates bewahrt werden, der nicht in einen flämischen und einen wallonischen Teil getrennt wurde; doch war dies nur um den Preis einer fast bedingungslosen Kollaboration zu erreichen.121 An ihr beteiligten sich große Teile des belgischen Beamtenapparates, der die Befehle der deutschen Militärverwaltung mehr oder minder widerspruchslos ausführte. Dies galt vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Die belgische Industrie arbeitete voll und ganz für die deutsche. Immer mehr belgische Arbeiter wurden gezwungen, nach Deutschland zu gehen, um dort als „Fremd“- beziehungsweise Zwangsarbeiter tätig zu sein. Mit Wissen und zum Teil auch mithilfe der belgischen Verwaltung konnten die deutsche Sicherheitspolizei und der SD viele belgische Juden und Roma verhaften. Diese wurden in einem Lager im belgischen Mecheln konzentriert, von wo aus sie deportiert wurden. Insgesamt waren es 25 000 Juden und 350 Roma. Kaum einer von ihnen kehrte lebend zurück. Die Kollaboration der belgischen Faschisten ging noch weiter.122 Die Mitglieder des flämischen „Vlaams Nationaal Verbond“ waren in großer Zahl in der mittleren und höheren Verwaltung vertreten und beteiligten sich in zwei flämischen Waffen-SS-Divisionen am Vernichtungskrieg im Osten. Degrelle wollte dem nicht nachstehen und stellte 1941 ebenfalls eine Division der Waffen-SS auf. Sie wurde „Wallonie“ genannt und kämpfte und mordete unter der persönlichen Führung Degrelles ebenfalls im Osten. Schließlich war sie noch 1945 an der Verteidigung Berlins beteiligt. Degrelle war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr darunter. Er war vorher in das faschistische Spanien geflohen.
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Von seinem Exilland Spanien aus beteiligte er sich nach 1945 an dem Aufbau der „Organisation Odessa“, welche die Flucht hochrangiger deutscher und europäischer Faschisten nach Spanien und Südamerika organisierte. Außerdem hat Degrelle mit verschiedenen neofaschistischen Parteien und Holocaustleugnern zusammengearbeitet. Ohne jemals für seine faschistischen Taten und Verbrechen zur Verantwortung gezogen worden zu sein, ist Degrelle 1994 in Spanien gestorben. Seine faschistische „Rex“-Partei fand in Belgien keine Nachfolger. Bei ihrem flämischen Gegenstück, dem VNV, war dies anders. Er wurde zwar nach der Befreiung Belgiens verboten, doch dies hinderte verschiedene seiner Funktionäre nicht, ihre politische Karriere im wieder unabhängig und demokratisch gewordenen Belgien fortzusetzen. Der letzte Führer des VNV, Hendrik Elias, der 1942 die Nachfolge des verstorbenen de Clercq angetreten hatte, wurde zwar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, doch bereits 1959 wieder frei gelassen. Im Jahr 1971 erschien seine Autobiographie unter dem Titel Vijfentwintig jaar Vlaamse Beweging. Gemeint war die flämische Bewegung des 1936 gegründeten VNV, dessen 25-jähriges Jubiläum ihr ehemaliger und offenbar unbelehrbarer Führer hier feierte. Fünf Jahre später, 1978, hielt es der VNV sogar für angebracht, sich unter dem Namen „Vlaams Blok“ erstmals wieder an Wahlen zu beteiligen.123 Dies mit zunehmendem Erfolg. Zunächst in Flandern selber, wo der „Vlaams Blok“ in seiner Hochburg Antwerpen auf 33 Prozent kam. 1987 zog er erstmals ins belgische Parlament ein. Bis 2004, als der „Vlaams Blok“ sich in „Vlaams Belang“ umbenannte, konnte diese eindeutig faschistische Partei, die wie ihre Vorgängerin über eine paramilitärische Organisation namens „Vlaamse Militanten Orde“ verfügt, bei Parlamentswahlen über zehn Prozent der abgegebenen Stimmen erzielen. Ein weiterer Stimmenzuwachs ist zu erwarten, da die übrigen Parteien ihre Blockadehaltung aufgegeben haben. Dies obwohl der „Vlaams Belang“ die nationalistische Zielsetzung des VNV fortgesetzt hat und offen für die Abtrennung Flanderns vom belgischen Gesamtstaat plädiert. Hinzu kommt die rassistische Hetze gegen Ausländer und die schon fast systematisch zu nennende Leugnung des Holocaust. In Belgien ist die Geschichte des Faschismus nicht nur nicht zu Ende, sie scheint erst richtig zu beginnen – bedroht der „Vlaams Belang“ doch nicht nur die territoriale Integrität Belgiens, sondern auch seine demokratische Struktur.
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Finnland Finnland ist das einzige demokratische und auch demokratisch gebliebene Land Europas, in dem es eine starke faschistische Partei gegeben hat, die fast die Macht ergriffen hat und temporär sogar in einer (demokratischen!) Regierung vertreten war.124 Um diese Sonderstellung Finnlands zu verstehen, muss man etwas weiter in die Geschichte zurückgreifen.125 Obwohl Finnland zu diesem Zeitpunkt noch formal zum autoritär regierten Russland gehörte, ist hier schon 1905 ein demokratisches System geschaffen worden. Es basierte auf der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer und – erstmals in Europa – auch für Frauen. All dies geschah gegen den Willen der zaristischen Regierung in St. Petersburg, die noch dazu bestrebt war, Finnland so weit wie möglich zu russifizieren. Gegen diese sowohl antidemokratischen wie nationalistischen Pressionen der russischen Zentralregierung konnte sich das frei gewählte finnische Parlament wehren und das Land aus dem Ersten Weltkrieg heraushalten. Umso mehr war Finnland dann von den revolutionären Ereignissen in Russland betroffen. Zunächst von der russischen Februarrevolution, die dazu führte, dass sich auch in Finnland Arbeiter- und Soldatenräte bildeten, die ganz offen nach der Macht strebten. Das wurde jedoch vom finnischen Parlament verhindert, das am 18. Juli 1917 die Regierungsgewalt übernahm. Wenige Monate später spitzte sich die Situation erneut und dramatisch zu. Schon acht Tage nach der russischen Oktoberrevolution vom 6. November 1917 riefen die Führer der finnischen Arbeiter- und Soldatenräte zu einem Generalstreik auf, der ganz offensichtlich die Bolschewisierung Finnlands zum Ziel hatte. Diese Bestrebungen seiner finnischen Genossen wurden jedoch von Lenin nicht unterstützt. Dieser erkannte nämlich die am 6. Dezember 1917 vom finnischen Parlament ausgerufene Unabhängigkeit Finnlands an. Die finnische Linke ließ sich dadurch aber nicht einschüchtern. Die Entscheidung des finnischen Parlaments, eine Armee unter Führung Carl Gustaf Emil Mannerheims aufzubauen, nahm sie zum Anlass, um am 27. Januar 1918 einen Umsturz des demokratischen Systems Finnlands zu versuchen. Der Aufstand war im Süden Finnlands und in der Hauptstadt Helsinki erfolgreich. Die bürgerlichen Politiker flohen in das nordfinnische Vaasa, wo sie eine Gegenregierung bildeten und sofort mit der Aufstel-
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lung einer Armee begannen. Ihren Kern bildeten die sogenannten Jäger, die eine militärische Ausbildung in Deutschland absolviert hatten. Die, wie sie analog zum russischen Bürgerkrieg genannt wurden, „Weißen“ gingen zum Angriff gegen die „Roten“ über und eroberten am 6. April 1918 die Stadt Tampere. Wenige Tage später stießen die um Hilfe gebetenen deutschen Truppen unter General Graf von der Goltz von Süden vor und besetzten Helsinki. Damit waren die „Roten“ geschlagen. Ihre letzten militärischen Verbände ergaben sich am 5. Mai 1918. Der finnische Bürgerkrieg richtete nicht nur große Zerstörungen an, sondern erwies sich auch als eine schwere Hypothek für die Stabilität des finnischen Staates nach innen und nach außen. Im Innern bestand die wechselseitige Feindschaft zwischen Linken und Rechten weiter. Hinzu kam die Angst vor dem übermächtigen sowjetischen Nachbarn. Mit ihm hatten die Finnen zwar 1920 einen Friedensvertrag abgeschlossen, in dem die territoriale Integrität Finnlands von der Sowjetunion anerkannt wurde, doch sicher fühlten sich die Finnen damit keineswegs. Stattdessen erwarteten sie einen sowjetischen Angriff, der auch von den eigenen finnischen Kommunisten unterstützt werden würde. Belastend für die Innenpolitik waren auch die Spannungen zwischen der finnischen Mehrheit und der schwedischen Minderheit, aus der sich die intellektuelle und politische Führerschaft des Landes rekrutiert hatte. Dieses Problem konnte aber durch einen Sprachenkompromiss weitgehend gelöst werden. Ganz Finnland wurde offiziell für zweisprachig erklärt. Die Vorboten der Weltwirtschaftskrise führten schließlich 1929 zu einer Verschärfung des sozialen und politischen Gegensatzes zwischen den überwiegend armen und zugleich extrem konservativ eingestellten Bauern und der kleinen, immer noch revolutionär eingestellten finnischen Arbeiterschaft. Nun genügte ein Funke, um das explosive Gemisch in dem politisch und sozial zerstrittenen Land zur Entladung zu bringen. Dies geschah im November 1929, als es in einem ostbottnischen Dorf, das im Finnischen Lapua, im Schwedischen Lappo hieß, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen einigen kommunistischen Arbeitern und konservativen Bauern kam, bei denen die letzteren obsiegten. Die Kunde von diesem Sieg der „Weißen“ im fortgesetzten „Freiheitskampf“ gegen die „Roten“ verbreitete sich im ganzen Land und regte zur Nachahmung an. Zunächst locker organisierte Kampf-
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truppen überfielen die Redaktionsgebäude linker Zeitungen und zerstörten deren Druckmaschinen. Es folgten Angriffe auf einzelne Kommunisten oder auch nur als Kommunisten verdächtigte Personen, die zusammengeschlagen wurden und nicht selten über die Grenze nach Russland getrieben wurden. Zu Opfern dieser, wie sie zynisch genannt wurden, „Abschiebungen“ wurden auch der frühere Präsident Ståhlberg und dessen Frau. Die Organe des Staates tolerierten die eindeutig ungesetzlichen Aktionen dieser Banden, die nach dem Ausgangspunkt der Unruhen Lapuaoder (schwedisch) Lappo-Bewegung genannt wurden. Selbst als 12 000 Mann der Lapua-Bewegung unter Führung Vihtori Kosolas nach italienischem Vorbild am 7. Juli 1930 zu einem „Marsch auf Helsinki“ starteten, wurde das Treiben dieser finnischen sqadristi nicht unterbunden. Im Gegenteil: Der bürgerliche Staat beugte sich der Gewalt und erfüllte die politischen Forderungen der Lapua-Bewegung. Er ließ die kommunistischen Parlamentsabgeordneten verhaften und das Parlament auflösen. Bei der somit fällig gewordenen Neuwahl durften keine Kommunisten mehr antreten. Die damit keineswegs mehr als frei zu bezeichnende Parlamentswahl endete mit einem überwältigenden Sieg der bürgerlichen Parteien, die auf Druck der Lapua-Faschisten ein Staatsschutzgesetz verabschiedeten, durch das alle kommunistischen Organisationen verboten wurden. Finnland befand sich auf dem Wege zur Diktatur. Diesen Prozess wollte die Lapua-Bewegung sowohl beschleunigen wie ausnutzen und rief offen zum Staatsstreich auf. Ausgeführt werden sollte er von einem Ort in der Nähe Helsinkis namens Mäntsälä. Erst jetzt griff der Staat ein. Der konservative Präsident Svinhufvud mobilisierte die Armee, die alle Zufahrtswege nach Mäntsälä blockierte, wodurch das Treffen der Lapua-Bewegung verhindert wurde. Es folgte ein Parteiverbot, das jedoch zwei Jahre später – 1932 – durch die Gründung einer Nachfolgepartei unterlaufen wurde, die „Isänmaallinen kansanliike“ (Vaterländische Front) genannt wurde. Die, wie ihre Abkürzung lautete, IKL war von Anfang an und ganz eindeutig eine faschistische Partei. Ihre Mitglieder trugen eine Art Uniform – schwarze Hemden mit blauen Krawatten – und verfügten über eine ebenfalls nach faschistischem Vorbild aufgebaute Jugendorganisation namens „Sinimustat“. Sie wurde von dem Pastor Elias Simojoki angeführt, dem es aber nicht gelang, sich innerhalb der Gesamtpartei durchzusetzen. Die
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IKL besaß wie ihre Vorgängerin keinen starken Führer. Doch dies war der einzige Unterschied zu den anderen faschistischen Parteien im Europa der Zwischenkriegszeit. Gemeinsamkeiten bestanden im Hinblick auf die Ideologie der IKL. Sie war vor allem antikommunistisch. Hinzu kam ein sowohl politisch motivierter, gegen den angeblichen „jüdischen Bolschewismus“ gerichteter, wie ein religiös geprägter Antisemitismus. Letzterer wurde von verschiedenen evangelischen Pastoren vertreten, die sich in großer Zahl der IKL angeschlossen hatten. Schwach ausgeprägt waren aber die bei anderen faschistischen Parteien anzutreffenden pseudo-sozialistischen Elemente. Die konservative „Kokoomus“-Partei fand sich dann 1933 bereit, mit der IKL ein Wahlbündnis abzuschließen, von dem die IKL weit mehr als die Konservativen profitierte. Während die Konservativen fast die Hälfte ihrer bisherigen Mandate verloren und nur noch auf 24 Sitze kamen, zog die IKL mit 14 Abgeordneten in das neu gewählte Parlament ein. Der neue Vorsitzende der konservativen „Kokoomus“-Partei, Juho Kusti Paasikivi, ging daraufhin auf Distanz zu diesem faschistischen Rivalen. Der sozialdemokratische Innenminister Urho Kekkonen verhängte 1938 sogar ein Parteiverbot. Dies wurde zwar von einem Gericht wieder aufgehoben, verhinderte aber den weiteren ungehemmten Aufstieg der IKL, die bei den nächsten Parlamentswahlen im Jahr 1939 nur noch acht Sitze errang. Doch nach dem Ausbruch des sogenannten Winterkrieges gegen die Sowjetunion wurde die „Vaterländische Volksbewegung“ in die neu gebildete Allparteienregierung aufgenommen. Allerdings konnte sie in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung keinen nennenswerten Einfluss auf die finnische Außen- und Innenpolitik ausüben. Finnland konnte auch als Bundesgenosse des deutschen Faschismus seine demokratische Struktur bewahren. Angesichts der sich ankündigenden deutschen Niederlage kündigte Finnland dann 1944 das Bündnis mit Hitler-Deutschland auf und vertrieb die noch in Finnland stationierten deutschen Truppen. Um den Abschluss des Waffenstillstandsvertrages mit der Sowjetunion nicht zu gefährden, wurde schließlich auch die IKL am 19. September 1944 verboten. Dabei blieb es. Aus Angst vor dem übermächtigen sowjetischen Nachbarn im Osten haben die finnischen Nachkriegsregierungen keine Wiederzulassung der IKL oder einer anderen faschistischen Gruppierung
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erlaubt. Jedenfalls bis 1993, als sich die IKL unter dem Namen „Isänmaallinen Kansallis-Liitto“ (Vaterländische Volksbewegung) neu gründete. Doch bisher ist ihr kein Erfolg beschieden. Fazit Versucht man ein kurzes Fazit zu ziehen, so ist zunächst einmal zu betonen, dass sich zwar alle der behandelten faschistischen Bewegungen am Vorbild des italienischen und dann mehr des deutschen Faschismus orientiert haben, ohne jedoch bloße Imitationen oder Importe der beiden großen Faschismen gewesen zu sein. Ihr Aufstieg hing aber ganz wesentlich von der Politik der faschistischen Mächte ab. Dies im positiven wie negativen Sinne. Die Orientierung am ausländischen faschistischen Vorbild wirkte sich zunächst negativ aus. Vorteile konnten einige faschistische Parteien jedoch aus der Besetzung ihres Landes durch das faschistische Deutschland ziehen. Zur wirklichen Macht gelangten sie dennoch nicht. Bei dem norwegischen Beispiel handelte es sich um ein bloßes Kollaborationsregime. Nach dem Norweger Vidkun Quisling sind dann auch die Mitglieder der sonstigen nord- und westeuropäischen faschistischen Parteien verachtungsvoll als „Quislinge“ bezeichnet worden. Doch dies geschah meist erst nach 1945 und wird der Tatsache nicht gerecht, dass sie ihre temporäre Stärke mehr nationalen als internationalen Faktoren verdankten. Welche waren das? In der Forschung wird meist an erster Stelle auf die Weltwirtschaftskrise verwiesen. Doch dies erscheint zweifelhaft. Die allgemeinen Folgen der Weltwirtschaftskrise waren in allen Ländern durchaus ähnlich – doch nicht die Stärke der jeweiligen faschistischen Parteien. Die relative Stärke des Faschismus in Ländern wie Belgien und Finnland ist mehr auf eine politische Krise zurückzuführen. In Belgien war es der Nationalitätenkonflikt zwischen Flamen und Wallonen; in Finnland der auch nach dem Bürgerkrieg nicht überwundene Antagonismus zwischen Rechten und Linken. Von ihm ist im heutigen Finnland kaum etwas zu spüren, was wohl ursächlich dafür ist, dass es hier keine einzige erwähnenswerte faschistische Partei mehr gibt. In Belgien dagegen ist die faschistische Partei des flämischen Bevölkerungsteils, die sich jetzt „Vlaams Belang“ nennt, immer noch mächtig und wird es von Tag zu Tag mehr. Grund ist die immer noch nicht gelöste Nationalitätenfrage, die den Bestand des bel-
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gischen Gesamtstaates bedroht. Belgien ist aber keineswegs das einzige westeuropäische Land, in dem es eine nahezu ungebrochene Kontinuität zwischen dem Faschismus vor und dem nach 1945 gibt. Ähnliches gilt auch für England und selbst für Finnland, wo die Lappo-Bewegung ein allerdings erfolgloses Comeback geprobt hat. Derartige faschistische Kontinuitäten sind jedoch innerhalb der Forschung (in der ohnehin mehr von Rechtsextremismus als von Faschismus die Rede ist) für Nord- und Westeuropa kaum gesehen und für Ost- und Südosteuropa sogar strikt geleugnet worden. Dennoch gibt es sie, was in den beiden folgenden Kapiteln gezeigt werden soll.
OSTEUROPA
„Zone der Gegenrevolution“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Osteuropa
In fast ganz Osteuropa habe sich eine „Zone der Gegenrevolution“ gebildet, meinte der sozialdemokratische Theoretiker Alexander Schifrin im Jahr 1931. Die „Gegenrevolution“ habe hier entweder „bereits als Diktatur gesiegt“ oder kämpfe als „faschistische Bewegung um die Staatsmacht“.1 In einem ebenfalls 1931 veröffentlichten Buch stimmte Arkadij Gurland der Einschätzung Schifrins zu und führte das Ausbreiten des Faschismus auf einige sozioökonomische Faktoren zurück, die nicht nur, aber vor allem in Osteuropa anzutreffen seien.2 Der, wie Gurland formulierte, „faschistische Brandherd“ habe sich in Osteuropa nicht wie in einigen westeuropäischen Staaten an einem „Zuviel an Kapitalismus“, sondern an „einem Zuwenig an Kapitalismus, an Industrialisierung, an industrialisiertem Proletariat“ entzündet.3 Nicht der hoch entwickelte Kapitalismus, wie die sonstigen marxistischen Faschismustheoretiker meinten, sondern der unterentwickelte, ja „lebensunfähige Kapitalismus“ führe in Osteuropa zum Faschismus. Sei der Kapitalismus hier doch „auf eine stagnierende, unter riesiger Übervölkerung stöhnende Landwirtschaft [...] aufgepfropft“ worden. Die „politische Demokratie“ sei hier in Ländern errichtet worden, in denen es „klassenmäßig zusammengeschweißte, politisch aktive Massen einer städtischen Bevölkerung“ nicht gäbe, „die mit bestimmten ökonomischen Funktionen verwachsen“ wäre.4 Treffen Schifrins und Gurlands Thesen, die auch von einigen neueren Faschismusforschern aufgegriffen worden sind, zu? Hat es in Osteuropa einen spezifischen, eben „osteuropäischen Faschismus“ gegeben, dessen Besonderheit auf die genannten sozioökonomischen Faktoren zurückgeführt werden kann? Wir wollen diese Fragen am Beispiel einiger osteuropäischer Länder überprüfen und beginnen mit den baltischen Staaten.
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Baltische Staaten Die baltischen Staaten waren in den 1920er-Jahren wie die übrigen osteuropäischen Länder noch weitgehend agrarisch geprägt. Außerdem handelte es sich um relativ junge Nationalstaaten, die nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Boden des ehemaligen Zarenreiches entstanden waren. Diese Gebiete wurden jedoch von dessen Nachfolger, der Sowjetunion, ganz oder zumindest in Teilen beansprucht. Daher war die territoriale Integrität aller baltischen Staaten von Anfang an bedroht. Zur außenpolitischen Bedrohung kamen innenpolitische Konflikte zwischen der Linken und der Rechten sowie mit den jeweiligen nationalen Minderheiten. Estland hatte sich seine schon am 24. Februar 1918 verkündete Unabhängigkeit in einem bis 1920 andauernden Krieg mit der Sowjetunion hart erkämpfen müssen.5 Auch nachdem die Sowjetunion die estnische Unabhängigkeit vertraglich „auf alle Zeiten“ anerkannt hatte, fühlte sich das kleine, kaum zwei Millionen Einwohner zählende Land von dem übermächtigen Nachbarn im Osten bedroht. Zu diesem außenpolitischen kam ein innenpolitisches Problem. Das war die deutschbaltische Minderheit, die sich vornehmlich aus Adligen zusammensetzte, die nicht bereit waren, ihre Rolle als soziale und politische Herrenschicht aufzugeben, welche sie jahrhundertelang eingenommen hatten. Auch die übrigen Deutschbalten standen dem neu geschaffenen estnischen Nationalstaat und ihrem Gründer und langjährigen Präsidenten äußerst kritisch gegenüber. Der hieß Konstantin Päts. Der 1874 geborene Päts hatte sich nach seinem Studium und dem Dienst in der (russischen) Armee ganz der estnischen nationalen Sache verschrieben. Mehrmals war er von den russischen Behörden verhaftet und schließlich ins Exil getrieben worden. 1918 nach Estland zurückgekehrt, übernahm Päts in der ersten provisorischen estnischen Regierung das Amt des Ministerpräsidenten, das er dann auch in den folgenden Jahren mit wenigen Unterbrechungen ausübte. Päts bis dahin unangefochtene Machtstellung wurde aber Anfang der 1930er-Jahre durch eine Partei infrage gestellt, die aus einem Veteranenverband hervorgegangen war und sich daher auch so nannte, nämlich „Eesti Vabadussõjalaste Liit“ (Verband der Freiheitskämpfer), abgekürzt EVL.6 Ähnlich wie die österreichischen Heimwehren orientierten sich die estnischen „Freiheitskämpfer“ in ideologischer und äu-
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ßerlicher Hinsicht am Vorbild der italienischen Faschisten. Dazu gehörten das Tragen von – hier grau-grünen – Hemden und die Übernahme anderer nationalistischer und gewaltverherrlichender Rituale. Dies hat schon einige zeitgenössische Beobachter wie den österreichischen Sozialisten Julius Deutsch veranlasst, die „Freiheitskämpfer“ als faschistisch einzustufen.7 Der EVL wurde zu einer Massenbewegung, die im Oktober 1933 eine Volksabstimmung zur Abschaffung des parlamentarischen Systems organisierte. Nicht weniger als 72,7 Prozent der Esten stimmten mit Ja. Die Machtergreifung der „Freiheitskämpfer“ schien bevorzustehen. Doch dies geschah nicht. Verhindert wurde sie durch Konstantin Päts, der im März 1934 den Belagerungszustand ausrief, die Armee mit der vollziehenden Gewalt beauftragte und sich selber zum „Riigihoidja“ (Reichsprotektor) ausrufen ließ. Gestützt auf seine diktatorischen Machtbefugnisse gab Päts der EVL den Befehl, sich selber aufzulösen, und ließ sie, nachdem sie sich geweigert und einen Aufstandsversuch unternommen hatte, im Dezember 1935 verbieten. Damit war die Gefahr einer faschistischen Machtergreifung von unten gebannt – aber nicht die einer Machtergreifung von oben. Päts dachte nämlich nicht daran, die Demokratie wiederherzustellen und den Ausnahmezustand aufzuheben, sondern baute seine bonapartistische Züge tragende Diktatur weiter aus. Dazu gehörte die Schaffung des „Isamaaliit“ (Vaterländischer Verband), einer Massenorganisation, die große Ähnlichkeit mit der „Vaterländischen Front“ Dollfuß’ aufwies. Ob das Päts-Regime daher wie das „austrofaschistische“ als „estnofaschistisch“ oder nach meiner Terminologie als bonapartistisch-faschistisch eingestuft werden kann, ist jedoch umstritten. Die heutigen estnischen Historiker weisen das mit aller Entschiedenheit zurück und betonen stattdessen den Opferstatus von Päts, der nach der Besetzung Estlands durch sowjetische Truppen gefangen genommen wurde und bis zu seinem Tod 1956 in verschiedenen sowjetischen Strafanstalten und psychiatrischen Kliniken festgehalten wurde, wo er nachweisbar auch gefoltert worden ist. Von großen Teilen des estnischen Volkes wird Päts darüber hinaus als großer estnischer Patriot, Staatsgründer und Verteidiger der Unabhängigkeit gefeiert und geradezu verehrt. Im benachbarten Lettland ist dies ähnlich. Hier erfreut sich der frühere „Vadonis“ (Führer) Kārlis Ulmanis ebenfalls einer weitverbreite-
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ten Verehrung seitens des lettischen Volkes, das froh und stolz darauf ist, 1990 seine Unabhängigkeit wiedererlangt zu haben. Schließlich war der 1877 geborene Ulmanis auch für die erstmals 1918 errungene Unabhängigkeit Lettlands zumindest mitverantwortlich – als Angehöriger der lettischen Unabhängigkeitsbewegung sowie als Gründer und Vorsitzender des Lettischen Volksrates („Latvijas Tautas Padome“), der am 18. November 1918 die Unabhängigkeit Lettlands von Russland proklamierte.8 Ähnlich wie die estnische musste auch die lettische Unabhängigkeit gegen eine „Rote Armee“ verteidigt werden, der neben russischen auch einige lettische Bolschewisten angehörten. Mit der Unterstützung von Freikorps, die aus Soldaten der ehemaligen kaiserlichen Armee sowie Angehörigen der deutsch-baltischen Herrenschicht gebildet worden waren, konnte die Rote Armee aus dem Land verdrängt und die Sowjetunion gezwungen werden, die lettische Republik anzuerkennen. Zu ihrem ersten Premierminister wurde Kārlis Ulmanis gewählt, der gleichzeitig dem mächtigen Lettischen Bauernverband vorstand.9 Seine zunächst demokratische und durchaus erfolgreiche Regierung wurde jedoch von einer Partei angegriffen, die von Gustavs Celmiņš gegründet worden war und sich „Ugunkrusts“ (Glühendes Kreuz), dann „Pērkonkrusts“ (Donnerkreuz) nannte. Bei Celmiņš’ „Donnerkreuzlern“ handelte es sich eindeutig um eine faschistische Bewegung, die aber nicht die Bedeutung gewann wie die EVL in Estland. Daher konnte sie auch ohne große Schwierigkeiten mithilfe eines Gesetzes aufgelöst werden, das von den Sozialdemokraten im lettischen Parlament eingebracht worden war. Da sich auch die estnischen Kommunisten von ihrer im Bürgerkrieg erlittenen Niederlage nicht mehr erholt hatten, schien die lettische Demokratie stabil und gefestigt zu sein. Umso überraschender war, dass der Regierungschef Ulmanis am 15. Mai 1934 das Parlament auflöste und zwei Jahre später auch noch das Amt des Präsidenten übernahm. Durch diesen Staatsstreich Ulmanis’ war auch in Lettland eine Diktatur etabliert worden. Handelte es sich um eine „nur“ bonapartistische Diktatur, die sich vor allem auf Polizei und Armee und nicht auf eine Partei stützte, oder war in Lettland die bonapartistische Variante des Faschismus zur Macht gekommen? Für letzteres spricht einmal die Tatsache, dass Ulmanis den schon 1934 ausgerufenen Ausnahmezustand nicht beendet, sondern immer
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wieder verlängert hat. Das hat ihn in die Lage versetzt, Oppositionelle zu verhaften und ohne förmliche Gerichtsverfahren in einem Sondergefängnis in Lipaw zu internieren, das mit gewissem Recht als Konzentrationslager bezeichnet werden kann. Hinzu kommt zweitens, dass Ulmanis alle Parteien mit Ausnahme seiner eigenen verbieten ließ. Dieser „Bauernverband“ verfügte über eine, „Aizargi“ genannte, Parteimiliz, der 35 000 uniformierte und zum Teil auch bewaffnete Männer angehörten. Sie verstärkten die Angehörigen der lettischen Polizei und Armee, die wiederum auf den alleinigen Befehl des lettischen Diktators hörten, der sich nicht selten als „Führer“ beziehungsweise lettisch „Vadonis“ bezeichnen ließ. Dass Ulmanis bei großen Teilen der Bevölkerung, insbesondere der lettischen Bauernschaft äußerst populär war, ist ebenfalls kein Argument gegen die Charakterisierung seines Regimes als bonapartistisch-faschistisch. Denn populär waren die übrigen faschistischen Führer auch – jedenfalls solange sie Erfolge aufzuweisen hatten. Diese sind auch Ulmanis nicht abzusprechen, gelang ihm doch eine gewisse Modernisierung des Landes, vor allem im Bereich der Bildungspolitik. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf sein immer noch vornehmlich agrarisch geprägtes Land konnte er relativ gering halten. Schließlich löste er noch das Problem mit der deutschbaltischen Minderheit – allerdings auf eine radikale Weise. Aufgrund eines mit Hitler-Deutschland am 31. Oktober 1939 abgeschlossenen Vertrages wurden 48 600 Deutschbalten faktisch gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und ins „Reich“ zu ziehen. Wenn Ulmanis gemeint haben sollte, sich damit der Unterstützung Hitlers versichert zu haben, so sah er sich darin ein Jahr später grausam getäuscht. Mit Zustimmung Hitlers und aufgrund des am 23. August 1939 mit Stalin abgeschlossenen Vertrags wurde Lettland (genau wie Estland und Litauen) am 17. Juni 1940 von sowjetischen Truppen besetzt und gewaltsam in die Sowjetunion integriert. 100 000 Letten wurden nach Sibirien deportiert. Darunter befand sich auch Kārlis Ulmanis, der am 20. September 1942 in einer sowjetischen Haftanstalt verstarb – man kann auch sagen: ermordet wurde. Wie so viele seiner Landsleute ist Ulmanis zum Opfer des stalinistischen Terrors geworden. Doch dies rechtfertigt nicht, über seinen eigenen Terror hinwegzusehen und seine faschistische Herrschaft zu verharmlosen oder gar zu verherrlichen. Dennoch geschieht dies im heu-
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tigen Lettland, wo es selbst Briefmarken mit dem Konterfei Ulmanis’ gibt. Hinzu kommt, dass auch die lettischen Soldaten öffentlich gefeiert werden, die in den Reihen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS gegen die Sowjetunion gekämpft haben. Über jene Letten, die sich innerhalb der deutschen Terrorbanden sowie in lettischen Organisationen an der Verfolgung und Ermordung der lettischen Juden beteiligt haben, wird dagegen geschwiegen. Lettland verfügt so über eine doppelte unbewältigte Vergangenheit, die von heutigen lettischen rechtsradikalen oder faschistischen Gruppierungen ausgenutzt werden kann. Das ist aber bisher kaum geschehen. Ebenso wie in Estland gibt es im heutigen Lettland nur sehr wenige Rechtsradikale. Ein Grund dafür ist sicherlich der rasante wirtschaftliche Aufschwung, den Lettland genau wie Estland und auch Litauen nach dem Beitritt zur EU erlebt hat. Litauen, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, wird ebenfalls zu den baltischen Ländern gezählt, obwohl es sich im Hinblick auf die – katholische – Konfession seiner Einwohner von den überwiegend protestantischen Letten (die aber der gleichen, nämlich baltischen Völkerfamilie angehören) und den Esten (deren Sprache wiederum große Ähnlichkeit mit der finnischen aufweist) unterscheidet. Die konfessionellen und damit auch mentalen Unterschiede sind historisch bedingt, gehörte Litauen doch seit 1386 zu Polen, wo die Reformation nicht erfolgreich war. Im Zuge der Teilungen Polens fiel ganz Litauen am Ende des 18. Jahrhunderts an Russland. Gegen die russische Unterdrückung haben sich dann im 19. Jahrhundert viele Litauer gewehrt und sich an den polnischen Aufständen beteiligt. Doch mit dem Erwachen eines spezifisch litauischen Nationalgefühls wurde die Zusammenarbeit mit der polnischen Nationalbewegung aufgekündigt. Hauptstreitpunkt war die Frage, wo die Grenze zwischen dem künftigen polnischen und dem litauischen Nationalstaat verlaufen sollte. Sie wurde 1918 zuungunsten Litauens entschieden, das große Teile seines beanspruchten Staatsgebietes, darunter die historische Hauptstadt Wilna, an das wiedererstandene Polen abtreten musste. Die Beziehungen des 1918 ebenfalls unabhängig gewordenen Litauen zu seinem übermächtigen polnischen Nachbarn waren daher von Anfang an gespannt. Beide verfeindete Staaten waren wiederum von den Revisionsforderungen der Sowjetunion bedroht. Doch davon war zu Beginn der 1920er-Jahre noch wenig zu spüren. Anders als Estland und Lett-
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land musste sich Litauen seine Unabhängigkeit nicht gegen die Sowjetunion und deren Anhänger im eigenen Lande erkämpfen. Wiederum anders als in Estland und Lettland (sowie in Polen) gab es in Litauen auch keine politisch bedeutsame Minderheitenfrage. Von sozialen Spannungen zwischen der bäuerlichen Mehrheit und den adligen und bürgerlichen Eliten konnte ebenfalls nicht gesprochen werden. Ein wie auch immer geartetes klassenbewusstes Proletariat war überhaupt nicht vorhanden. Kurz: Litauen war sicherlich keine demokratische Insel der Seligen, aber alles andere als ein Krisenherd. Dennoch ist das hier 1918 installierte und durchaus funktionsfähige demokratische System schon 1926 abgeschafft und durch eine Diktatur ersetzt worden. Ihr Schöpfer und langjähriger Repräsentant war Antanas Smetona.10 Smetona hatte sich genau wie der ebenfalls 1874 geborene Päts und der drei Jahre jüngere Ulmanis schon früh der Nationalbewegung seines Landes angeschlossen und gehörte sowohl zu den Mitgründern der „Litauischen Demokratischen Partei“ wie des „Litauischen Rats“, der am 16. Februar 1918 die Unabhängigkeit Litauens ausrief. Daher war es geradezu folgerichtig, dass Smetona ein Jahr später zum ersten Präsidenten ernannt wurde. Doch dieses Amt musste er schon 1920 aufgeben. Er zog sich aus der Politik zurück, um fortan an der Universität in Kaunas Geschichte und Philosophie zu lehren. Am 17. Dezember 1926 kam Smetona durch einen Militärputsch erneut zur Macht – und er dachte nicht daran, sie wieder abzugeben. Unter Umgehung des existierenden Parlaments ließ er eine neue Verfassung in Kraft setzen, die ihm weitgehende Machtbefugnisse zuerkannte. Darunter auch das Recht, den Ministerpräsidenten abzusetzen und auch dessen Amt zu übernehmen. Obwohl sich Smetona auch weiterhin – allerdings gesteuerten und gefälschten – Wahlen stellte, war er unzweifelhaft zum alleinigen Führer Litauens geworden. Smetonas Diktatur basierte vor allem auf der Polizei und der Armee, die auf ihn vereidigt wurde. Darüber hinaus nahm Smetona auch die Hilfe einer faschistischen Partei in Anspruch, die „Lietuvių Tautininkų Sajunga“ (Litauischer Volksverband) hieß. Diese Partei war mit ihren 8000 Mitgliedern zwar klein, verfügte aber über einen Jugendverband namens „Jaunoji Lietuva“ (Litauische Jugend), dem immerhin 25 000 Litauer angehörten, was bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 2,5 Millionen nicht wenig war.
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In Gestalt einer anderen faschistischen Partei, die „Geležinis Vilkas“ (Eiserner Wolf) genannt wurde, erhielt Smetona jedoch eine unerwartete Konkurrenz. Sie wurde von dem von Smetona abgesetzten Ministerpräsidenten Augustinas Voldemaras angeführt und steuerte einen noch radikaleren, am Vorbild des nationalsozialistischen Deutschland ausgerichteten Kurs. Den Putschversuch der „Eisernen Wölfe“ Voldemaras’ konnte Smetona jedoch ohne größere Schwierigkeiten niederschlagen, er bewog ihn aber dazu, eine SA-ähnliche Miliz aufzustellen, die aus den Angehörigen des „Litauischen Volksverbandes“ sowie weiteren Beamten und Offizieren gebildet wurde. Diese Parteimiliz sollte nach dem Willen Smetonas im Juli 1940 mobilisiert werden und zusammen mit der litauischen Armee gegen die sowjetischen Truppen eingesetzt werden, um den drohenden Anschluss an die Sowjetunion abzuwenden. Doch daraus wurde nichts, weil die Litauer den Befehl ihres Führers verweigerten und sich kampflos ergaben. Smetona selber entzog sich seiner Gefangennahme (und wahrscheinlichen Ermordung) durch die Sowjets, indem er zunächst nach Deutschland, dann in die Schweiz und schließlich in die USA floh. Hier, genauer gesagt in Cleveland (Ohio), ist er bei einem Brand seines Hauses 1944 ums Leben gekommen. Seine litauischen Landsleute gerieten nach der Befreiung Litauens von der deutschen Besatzungsherrschaft, der fast alle litauischen Juden zum Opfer gefallen sind, wieder unter das harte sowjetische Regiment. Es stieß jedoch in den folgenden Jahrzehnten mehr und mehr auf Widerstand, der – anders als in Estland und Lettland und ähnlich wie in Polen – von der (katholischen) Kirche unterstützt wurde. Die 1987 gegründete litauische Widerstandsorganisation „Sajūdis“ konnte dann im Februar 1990 die ersten freien Wahlen für sich entscheiden und schließlich nach blutigen Kämpfen mit Moskau-treuen Kommunisten, die auch von Angehörigen der sowjetischen Besatzungsarmee unterstützt wurden, die erneute Unabhängigkeit Litauens ausrufen. Sie wurde nach dem fehlgeschlagenen Moskauer Putsch vom August 1991 auch von der Sowjetunion beziehungsweise von Russland anerkannt. Wie Estland und Lettland gehört Litauen heute zur Europäischen Union und zum westlichen Verteidigungsbündnis NATO. Trotz der – erneuten – Zugehörigkeit Litauens zum Westen tut sich das Land immer noch schwer, sich seiner (bonapartistisch-)faschistischen Vergangenheit zu stellen. Stattdessen konzentriert man sich hier
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auf die Betonung der Opferrolle Litauens während der sowjetischen Zeit. Dass Litauen vorher unter der faschistischen Herrschaft Smetonas auch Täter war – oder zumindest gewesen sein könnte – wird von litauischen Historikern nicht ernsthaft diskutiert. Polen Im heutigen Polen ist die Lage ähnlich. Der (ohnehin nur von wenigen ausländischen Historikern erhobene) Vorwurf einer faschistischen Vergangenheit Polens wird von polnischen Forschern unisono zurückgewiesen.11 Dies meist mit dem Hinweis auf die Opferrolle Polens, ist doch das bis 1918 unter Deutschland, Österreich und Russland aufgeteilte Polen 1939 erneut geteilt und besetzt worden: zunächst von Deutschland und der Sowjetunion und ab 1941 allein von Hitler-Deutschland. 1945 befreit, geriet Polen bis 1990 unter eine kommunistische Zwangsherrschaft.12 Bei dieser Opferthese wird jedoch übersehen, dass Polen zwischen 1918 und 1939 zwar kein Täter, aber auch kein willenloses Objekt der ausländischen Mächte gewesen ist. Polen hat in dieser Zeit eine eigenständige Außen- und Innenpolitik führen können. Sie war aber alles andere als erfolgreich. Im Innern wurde das anfangs demokratische durch ein diktatorisches System ersetzt. Dadurch wurde Polen auch in außenpolitischer Hinsicht geschwächt und isoliert, weshalb es sich 1939 der deutsch-sowjetischen Aggression nicht erwehren konnte. Polen wurde wie im ausgehenden 18. Jahrhundert zum Opfer der aggressiven Politik seiner Nachbarn im Westen und Osten, war daran aber selbst nicht ganz schuldlos. Verantwortlich dafür waren vor allem zwei Männer, die sich nicht darauf einigen konnten, wie denn das neu gegründete Polen regiert werden sollte, was zur Entstehung einer zunächst bonapartistischen, dann bonapartistisch-faschistischen Diktatur führte: Roman Dmowski und Józef Piłsudski. Dmowski und Piłsudski waren fast gleich alt und hatten neben ihrer gemeinsamen adligen Herkunft auch ein gemeinsames politisches Ziel: die Wiederherstellung Polens. Dies jedoch mit unterschiedlichen Mitteln und in unterschiedlicher Gestalt. Dmowski wollte mithilfe der Westmächte das Territorium der piastischen Dynastie vor 1370 wiederherstellen, was den Einschluss großer ostdeutscher Gebiete beinhaltete. Piłsudski setzte dagegen auf die sogenannte jagiellonische Lösung der
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polnischen Frage durch eine Ostexpansion auf Kosten Russlands. Diese wollte Piłsudski zunächst mit deutscher Hilfe, dann aus eigener militärischer Kraft erreichen. Auch in innenpolitischer Hinsicht vertraten Dmowski und Piłsudski unterschiedliche Standpunkte. Während der rechtsliberal (und radikal antisemitisch) eingestellte Dmowski mit seiner Nationaldemokratischen Partei eine parlamentarische Demokratie nach westlichem Muster errichten wollte, hat sich der Gründer und langjährige Führer der „Sozialistischen Partei Polens“ (PPS) Piłsudski in dieser Frage nicht festlegen lassen wollen. Zunächst schien es so, als ob sich Piłsudski gegenüber seinem Rivalen Dmowski durchsetzen würde. Am 11. November 1918 wurde ihm die kommissarische Staatsgewalt in der am gleichen Tage ausgerufenen polnischen Republik übertragen. Wenige Monate später wurde er vom ersten freien polnischen Parlament zum Staatspräsidenten gewählt. Außerdem war er als „Marschall von Polen“ faktisch Kommandeur der neuen polnischen Armee, die er mit Hochdruck weiter ausbauen ließ. Gestützt auf diese neu geschaffene Macht wagte es Piłsudski, die von der Pariser Friedenskonferenz vorgeschlagene polnische Ostgrenze (entlang der sogenannten Curzon-Linie) abzulehnen. Am 26. April 1920 gab er seinen Truppen den Angriffsbefehl gegen Sowjetrussland. Die polnische Armee rückte zunächst fast bis Kiew vor, bevor sie von der Roten Armee Trotzkis bis nach Warschau zurückgedrängt wurde. Hier kam es zur Entscheidungsschlacht, die Piłsudski gewann. Daraufhin erkannte die Sowjetunion am 18. März 1921 die neue polnische Ostgrenze an, die etwa 150 Kilometer östlich der Curzon-Linie verlief. Piłsudski hatte die von ihm angestrebte jagiellonische Lösung der polnischen Frage fast erreicht. Nur das in der Zeit der Jagiellonen ebenfalls zu Polen gehörende Litauen konnte seine Unabhängigkeit bewahren, musste aber auf seine Hauptstadt Wilna verzichten. Trotz oder vielleicht auch wegen seiner Erfolge im außenpolitischen Bereich konnte Piłsudski seine innenpolitischen Ziele nicht durchsetzen. Die von ihm geforderte starke Stellung des Präsidenten wurde vom Parlament abgelehnt. Schuld daran waren die Nationaldemokraten Dmowskis, die im November 1922 auch die Parlamentswahlen gewannen. Piłsudski hielt es für zwecklos, erneut für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und zog sich 1923 ins Privatleben zurück.
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Einen ebenbürtigen Nachfolger fand er nicht. Die in der Folge meist von den Nationaldemokraten gestellten Regierungen waren schwach, wechselten oft und waren in keiner Weise in der Lage, die dringenden innenpolitischen Probleme des Landes zu lösen. Dazu zählten vor allem wirtschaftliche: Industriebetriebe gab es kaum, und die wenigen vorhandenen lagen vornehmlich in den ehemaligen preußischen Landesteilen, die weiter entwickelt waren als die russischen im Osten Polens. Die Landwirtschaft im agrarisch geprägten Polen war äußerst ineffektiv. Notwendig wäre eine umfassende Landreform gewesen. Sie blieb in Ansätzen stecken und betraf faktisch nur die Güter der deutschen und ukrainischen Großgrundbesitzer. Dadurch fühlten sich die Angehörigen der deutschen und die der ukrainischen Minderheit in ihrer Ablehnung des neuen polnischen Staates bestärkt. Dagegen wurde die durchaus loyale jüdische Minderheit, der etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung angehörte, von Anfang an diskriminiert und sah sich wachsenden Anfeindungen vonseiten der mächtigen katholischen Kirche und der nicht weniger antisemitisch eingestellten Nationaldemokraten ausgesetzt.13 Mit dem erklärten Ziel, die strukturellen Probleme Polens zu lösen und das Land einer allgemeinen „Heilung“ (sanacja) zuzuführen, unternahm Piłsudski im Mai 1926 mithilfe der Armee und unter aktiver Unterstützung der Sozialisten einen Putsch, der zur fast gänzlichen Abschaffung des demokratischen Systems führte. An dessen Stelle trat eine, wie sie von Piłsudski genannt wurde, „moralische Diktatur“, die von ihm selber repräsentiert wurde. In seiner Dreifachfunktion als Ministerpräsident, Verteidigungsminister und Kommandeur der Armee gebot er über die gesamte Exekutive. Ihr stand jedoch das Parlament gegenüber, in dem sich die oppositionellen Parteien 1929 zu einem Block zusammenschlossen – dem „Centrolew“. Dieser Opposition konnte sich Piłsudski durch die Bildung einer Massenorganisation erwehren, des „Bezpartyjny Blok Współpracy z Rza˛dem“ (Parteiloser Block der Zusammenarbeit mit der Regierung) genannt wurde. Ihm gelang es, die Wahlen von 1930 zu gewinnen.14 Allerdings durch den Einsatz von terroristischen Methoden wie der Verhaftung von insgesamt 88 „Centrolew“-Abgeordneten, die ohne Urteil in der Festung Brest-Litowsk interniert wurden. Aufgrund der im Januar 1935 verabschiedeten neuen Verfassung wurden dann die letzten Reste des parlamentarischen Systems beseitigt.
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An seine Stelle war eine ganz auf die Person des von großen Teilen des Volkes durchaus verehrten Piłsudski zugeschnittene Diktatur getreten, die aber insgesamt eher bonapartistischen denn faschistischen Charakter hatte. Dies sollte sich unter den Nachfolgern Piłsudskis – er verstarb im Mai 1935 – ändern. Davon gab es mehrere: einmal die Anhänger des Staatspräsidenten Mościcki, zum anderen eine Gruppe von Obristen, die von Rydz-Śmigly angeführt wurde. Ihre internen Streitigkeiten führten zur Auflösung des noch von Piłsudski geschaffenen Regierungsblocks. An seine Stelle sollte eine von dem Obersten Adam Koc geschaffene Massenorganisation treten, die „Obóz Zjednoczenia Narodowego“ (Lager der Nationalen Einigung, OZN) hieß. Diese war bereits in ideologischer und organisatorischer Hinsicht von der faschistischen Staatspartei Italiens geprägt. Eindeutig faschistisch war das „Obóz Narodowo-Radykalny-Falanga“ (National-Radikale Lager Falanga, ONR), welches Bołeslaw Piasecki aus der Jugendorganisation der Nationaldemokratischen Partei Dmowskis gebildet hatte. Insgesamt gab es in Polen also zwei faschistische Organisationen, die sich erbittert bekämpften. Das faschistische ONR Piaseckis stand in Opposition zum Obristenregime, das sich wiederum auf das zumindest halbfaschistische OZN Kocs stützte. Das polnische Obristenregime weist große Ähnlichkeiten mit den Regimen von Päts in Estland, Ulmanis in Lettland und Smetona in Litauen auf und kann wie diese als bonapartistisch-faschistisch eingestuft werden. Darüber hinaus betrieb das Obristenregime eine ebenso autoritäre wie letztlich verhängnisvolle Innen- und Außenpolitik. Im Innern wurde die autoritäre Politik Piłsudskis und die antisemitische Dmowskis fortgesetzt. In außenpolitischer Hinsicht wurde zunächst die Anlehnung an Hitler-Deutschland gesucht, was sowohl Dmowski wie Piłsudski strikt abgelehnt hatten. Letzterer hatte zwar am 26. Januar 1934 mit Hitler einen Nichtangriffspakt geschlossen, der Polen faktisch die Anerkennung seiner Westgrenze einbrachte, das Ansinnen Hitlers, es möge sich an einem Angriffskrieg gegen die Sowjetunion beteiligen, aber strikt zurückgewiesen. Piłsudskis kurzsichtige Nachfolger hielten es dagegen für nötig, sich im September 1938 an Hitlers aggressivem Vorgehen gegen die Tschechoslowakei zu beteiligen, was mit der polnischen Annexion des tschechischen Olsagebietes belohnt wurde. Doch Hitler wollte mehr – mindestens den freien Zugang nach Ostpreußen mittels
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einer exterritorialen Autobahn. Dies lehnten nun wiederum die Obristen ab, wobei sie von den Westmächten unterstützt wurden. England und Frankreich sicherten Polen seine territoriale Integrität zu. Sie waren dann aber nicht bereit, Polen wirkungsvolle Unterstützung zu gewähren, als dieses am 1. September 1939 von der deutschen Wehrmacht überfallen wurde. Die Rote Armee griff am 17. September Polen von Osten aus an. Es wurde schließlich gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 entlang der Curzon-Linie zwischen Deutschland und der Sowjetunion geteilt. In beiden Teilen Polens stießen die deutschen und sowjetischen Aggressoren auf keinerlei Kollaboration. Polnische Quislinge, gleich welcher Couleur, hat es nicht gegeben. Weder vonseiten der äußerst schwachen, von Stalin schließlich aufgelösten kommunistischen Partei noch vonseiten der verschiedenen polnischen faschistischen Gruppierungen. Polen aller politischen Lager kämpften gegen die zunächst deutschen und sowjetischen, dann nur noch deutschen Besatzer. Zu ihnen gehörte auch der Führer der faschistischen Falanga-Partei Bołeslaw Piasecki. Er wurde von der Gestapo verhaftet, aber auf Drängen seiner italienischen faschistischen Gesinnungsgenossen wieder freigelassen. Der polnische Widerstand war beachtlich. Allerdings war er ein Widerstand vornehmlich für Polen und nicht für die am meisten verfolgten polnischen Juden. Ihrem Schicksal stand man weitgehend gleichgültig gegenüber. Eine Ausnahme bildet die polnische Organisation „Hilfe für Juden“ (Żegota), welcher der spätere polnische Außenminister Władisław Bartoszewski angehörte. Doch dies war eine Ausnahme. Sowohl die bürgerliche Widerstandsbewegung der „Heimatarmee“, die aus Anhängern Piłsudskis und Dmowskis gebildet wurde, wie die kommunistische „Volksarmee“ haben sich kaum für die verfolgten Juden eingesetzt. Deren heldenhafter Aufstand im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943 fand kaum Unterstützung. Überlebende des Ghetto-Aufstands, die sich in die Wälder zu den Partisanen hatten retten können, sind sogar von diesen getötet worden. Der im polnischen Volk weitverbreitete Antisemitismus wurde weder von den Widerstandsbewegungen noch von der katholischen Kirche eingedämmt, die selbst antisemitisch eingestellt war. Dabei war es schon 1941 beim Einmarsch der Deutschen in das vorher von der Sowjetunion beherrschte Ostpolen zu Pogromen gekommen, vor allem in der ostpol-
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nischen Kleinstadt Jedwabne.15 Den Jedwabe-Pogromen folgten dann im Jahre 1946 weitere, in der Stadt Kielce und anderswo. All dies ist Anzeichen genug, dass der zentrale Bestandteil der faschistischen Ideologie, der Antisemitismus, in Polen sowohl die Kriegs- wie die deutsche Besatzungszeit überdauert hat, ohne dass er in der Zeit der kommunistischen Herrschaft hinreichend bekämpft worden wäre. Dabei waren es gerade die polnischen Kommunisten, die sich in der Nachkriegszeit zu den eifrigsten Gegnern des Antisemitismus aufschwangen. Übersehen wurde dabei, dass der polnische Antisemitismus auch von dem neuen kommunistischen Partei- und Staatsapparat tradiert wurde. Dies unter anderem von dem ehemaligen kommunistischen Partisanen und späteren langjährigen Innenminister Mieczysław Moczar, der für die antisemitische Welle von 1968 verantwortlich war, die letztlich dazu führte, dass nahezu alle der jüdisch-polnischen Überlebenden des Holocaust ihr Heimatland verließen. Ein weiteres Beispiel für diese antisemitische und nicht zuletzt auch faschistische Kontinuität ist die Karriere des ehemaligen Führers der faschistischen Falanga-Partei Bołeslaw Piasecki, die dieser als Repräsentant der regimekonformen katholischen PAX-Organisation und als Sejm-Abgeordneter bis zu seinem Tod im Jahr 1979 fortsetzen konnte. Auch Polen verfügt über eine unbewältigte antisemitische und faschistische Vergangenheit, die bisher kaum aufgearbeitet worden ist. Weder von der immer noch mächtigen katholischen Kirche, die nach wie vor über den Antisemitismus in ihren Reihen schweigt, noch von der siegreichen Solidarność-Bewegung, in der es von Anfang an auch Antisemiten und nationalistische Antidemokraten gegeben hat. Daher ist die Frage weder polemisch noch unberechtigt, ob sich nicht auch einige der heutigen demokratischen Parteien zu faschistischen wandeln können – oder bereits gewandelt haben. Letzteres gilt mit Sicherheit für die „Liga Polnischer Familien“ (LPR) Roman Giertychs und möglicherweise auch für die von Andrzej Lepper angeführte Bauernpartei, die sich „Selbstverteidigung der Republik Polens“ (Samoobrona Rzeczpospolitej Polskiej) nennt. Beide Parteien waren im Kabinett des inzwischen wieder abgewählten Jarosław Kaczyński vertreten. Dessen Zwillingsbruder ist der noch amtierende Präsident Polens, Lech Kaczyński, der sich mehrmals öffentlich für die Errichtung eines autoritären Systems ausgesprochen hat, was ihm den Vorwurf eingebrachte, ein bonapartistisches Regime in Polen etablieren zu wollen.
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Wie immer man dies beurteilen mag, eins ist sicher: Polen war nicht immer und nicht nur Opfer und kann sich daher mit dem Hinweis auf seine Opferrolle weder entschuldigen noch rechtfertigen. Faschismus hat es auch in Polen gegeben – und es gibt ihn immer noch. Slowakei Dies trifft auch, ja in noch stärkerem Maße auf die Slowakei zu, die sich nach dem Untergang des osteuropäischen Kommunismus von der Tschechischen Republik getrennt hat und 1993 wieder unabhängig geworden ist. Das kleine Wort „wieder“ verweist jedoch auf ein großes Problem. Der Vorgänger der jetzigen Slowakei verdankt nämlich seine Existenz dem faschistischen Deutschland und war wie dieses faschistisch, was jedoch, und hier liegt ein weiteres Problem, von der heutigen Slowakei geleugnet wird. Und dieses doppelte Problem hat einen Namen: Jozef Tiso. Der 1887 geborene Tiso ist 1910 zum katholischen Priester geweiht worden. Er gab sein Priesteramt nicht auf, als er sich der „Slowakischen Volkspartei“ Andrej Hlinkas anschloss. Für sie trat er 1925 ins Parlament ein, in der Folgezeit hatte er verschiedene Ministerämter inne. 1938 wurde er zum Nachfolger des verstorbenen Hlinka gewählt.16 Hlinkas beziehungsweise dann Tisos Partei war in einem fundamentalistischen Sinne katholisch geprägt. Außerdem war sie extrem nationalistisch und strebte, wenn schon nicht nach der Unabhängigkeit, so doch nach der Autonomie des slowakischen Landesteils. Damit stellte er die Existenz des tschechoslowakischen Gesamtstaates infrage – der einzigen wirklich funktionierenden Demokratie in Ostmitteleuropa, die außerdem ihren Minderheiten im Land weitgehende Rechte gewährte. Hinzu kam, dass die Slowakische Volkspartei bei ihrer nationalistischen und antitschechischen Politik direkt und indirekt mit der Partei der deutschsprachigen Minderheit zusammenarbeitete. Diese nannte sich „Sudetendeutsche Partei“, eine doppelt falsche und bewusst irreführende Bezeichnung. Einmal, weil es gar keinen „sudetendeutschen“ und mit dem der Bayern, Sachsen und Thüringer vergleichbaren Volksstamm gibt. Die deutschsprachigen Bewohner des historischen Böhmen haben sich nämlich immer als Böhmen bezeichnet. Das nach einem Gebirgsteil benannte Kunstwort „Sudetendeutsche“ ist erst Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden worden. Außerdem war die „Sudetendeut-
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sche Partei“ Konrad Henleins nichts anderes als ein Zweig der NSDAP Hitlers, dessen Befehlen Henlein willig ergeben war. Die Zusammenarbeit mit der faschistischen Partei Henleins färbte auf die Hlinkas ab, vertrat die Slowakische Volkspartei doch neben ihrer immer aggressiver werdenden nationalistischen auch eine unverkennbare antisemitische und antikommunistische Zielsetzung. Für ihre Annäherung an das faschistische Vorbild spricht auch, dass sie über eine uniformierte Parteimiliz verfügte, die zunächst „Rodobrana“ (Heimwehr), dann schlicht und einfach „Hlinka-Garde“ genannt wurde. Die Annäherung an das faschistische Deutschland zahlte sich für Tiso und seine Partei aus. Im September 1938 wurde die Tschechoslowakei von Hitler und mit Zustimmung der Westmächte im Münchener Abkommen gezwungen, der Slowakei einen weitgehenden Autonomiestatus zu gewähren. Doch das reichte Tiso nicht. Er nutzte den mit der Abtretung der sogenannten sudetendeutschen Gebiete einhergehenden eingetretenen Schwächezustand der tschechoslowakischen Republik für sich: Im März 1939 proklamierte er die Unabhängigkeit der Slowakei und ernannte sich selber zu ihrem Ministerpräsidenten. Tiso wurde daraufhin von der Zentralregierung, die Truppen in die abtrünnige Slowakei entsandte, abgesetzt – und wenig später von Hitler wieder eingesetzt, der im Zusammenhang mit der Zerschlagung der sogenannten „Resttschechei“ einen formal unabhängigen slowakischen Staat schuf. Präsident von Hitlers Gnaden wurde Tiso, der am 23. März 1939 einen „Schutzvertrag“ mit HitlerDeutschland abschloss.17 Die so geschaffene Slowakei war zwar nicht viel mehr als ein Satellitenstaat Deutschlands, doch kein bloßes Quisling-Regime. Gestützt auf seine Partei, die nach der Auflösung aller übrigen zur einzigen Staatspartei erklärt wurde, und mithilfe ihrer SA-ähnlichen „HlinkaGarde“ errichtete Tiso ein faschistisches Regime, das wegen seiner fundamentalistisch katholischen Ausrichtung schon von den Zeitgenossen als „klerikalfaschistisch“ bezeichnet worden ist. Zu dessen Hauptopfern wurden die slowakischen Juden. Aufgrund eines nach deutschem Vorbild am 18. April 1939 erlassenen Gesetzes wurden sie diskriminiert, entrechtet und weitgehend ausgebeutet. Mindestens 7000 Juden sind dann in die deutschen Vernichtungslager deportiert worden, wo fast alle von ihnen umkamen. Dies nicht nur mit Wissen, sondern mit Zustimmung Tisos und der katholischen Kirche.
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Ein Grund für diese katholische Kollaboration am Völkermord war die weitverbreitete Angst vor dem Kommunismus, der auch im slowakischen Fall für weit schlimmer gehalten wurde als der Faschismus. Tatsächlich ist es dann im August 1944 zu einem vornehmlich von Kommunisten getragenen Aufstand gekommen, der jedoch von deutschen Truppen blutig niedergeschlagen wurde. Auch dies fand den Beifall des Präsidenten Tiso. Nach der Besetzung der Slowakei durch sowjetische Truppen im Frühjahr 1945 floh Tiso ins bayerische Altötting, wo er von den Amerikanern aufgespürt und an die tschechoslowakischen Behörden ausgeliefert wurde. Er wurde 1947 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Wie schon erwähnt, wird Tiso heute von vielen Slowaken als Opfer der Kommunisten und Tschechen gefeiert. Für die katholische Kirche ist er sogar ein Märtyrer. Von „Vergangenheitsbewältigung“ kann in der zweiten slowakischen Republik nicht die Rede sein. Hinzu kommt eine unbewältigte Gegenwart – in Gestalt von extrem rechten Politikern wie Vladimir Mečiar, der in den 1990er-Jahren mehrmals Ministerpräsident war, sowie von einigen, allerdings kleinen, faschistischen Parteien. Erwähnt seien auch die zahlreichen rassistisch motivierten Überfälle auf Angehörige der Minderheit der Roma, die schon fast an die antisemitischen Ausschreitungen unter Tiso erinnern. Die heutige Slowakei ist sicherlich nicht als faschistisch zu bezeichnen, doch ob sie wirklich über eine gefestigte Demokratie verfügt, ist alles andere als sicher. Fazit Dies trifft auch auf die meisten anderen osteuropäischen Staaten zu. Die hier nach dem Zusammenbruch des Kommunismus errichteten Demokratien sind von zwei Seiten bedroht. Einmal von oben durch die Errichtung von bonapartistischen oder gar bonapartistisch-faschistischen Regimen. Zum anderen von unten durch faschistische oder neofaschistische Bewegungen. Beides gibt es auch in Westeuropa – oder kann es zumindest geben. Doch in Osteuropa ist beides viel stärker ausgeprägt. Ist das ein (nachträglicher) Beweis für die eingangs erwähnten Thesen Arkadij Gurlands und Alexander Schifrins, wonach es in Osteuropa eine besondere und besonders virulente Form des Faschismus gegeben hat? Ja und Nein. Gurlands Behauptung beziehungsweise Vermutung, dass die sozioökonomische Rückständigkeit der osteuropäischen Län-
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der zur Entstehung eines, wie Gurland formulierte, „faschistischen Brandherds“ geführt hat, kann nicht bestätigt werden. Damals nicht und heute schon gar nicht. Die relative wirtschaftliche Unterentwicklung dieser Länder hat nicht oder zumindest nicht allein zur Entstehung von faschistischen Bewegungen und bonapartistisch-faschistischen Regimen geführt und muss auch heute nicht dazu führen. Wichtiger waren und sind politische und ideologische Faktoren, die zur Instabilität der damaligen und der jetzt wieder neu entstandenen demokratischen Nationalstaaten beigetragen haben. An erster Stelle ist ein radikaler fremden- beziehungsweise minderheitenfeindlicher Nationalismus zu nennen. Hinzu kamen und kommen wieder Antisemitismus und ein Antikommunismus, der in der Zwischenkriegszeit angesichts der unzweifelhaften Bedrohung durch die kommunistische Sowjetunion noch verständlich war, jetzt aber ein eher irrealer und nachgeholter Antikommunismus ist. Erstaunlich und erklärungsbedürftig ist, dass sich dies alles nach dem Untergang der kommunistischen Regime zu wiederholen scheint. Warum? Sind dafür die schon mehrmals angedeuteten politischen, ideologischen und vor allem mentalitätsgeschichtlichen Kontinuitäten zwischen der vor- und der nachkommunistischen Zeit verantwortlich? Beweisbar ist dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Dennoch erscheint es sinnvoll und grundsätzlich auch machbar zu sein, Faschismus und Kommunismus nicht, wie dies die Totalitarismustheoretiker getan haben, miteinander zu vergleichen und gleichzusetzen, sondern das Eine aus dem Anderen im Sinne einer faschistisch-kommunistischen beziehungsweise kommunistisch-faschistischen Kontinuität abzuleiten. Auf diese Kontinuitätsthese wird in den folgenden Kapiteln über Faschismus in Südosteuropa und Russland noch einzugehen sein.
„Königsdiktaturen“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Südosteuropa
Als „Königsdiktaturen“ haben die Zeitgenossen die Regime bezeichnet, die in der Zwischenkriegszeit in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Jugoslawien errichtet worden sind.18 Eine merkwürdige Bezeichnung, denn normalerweise sind Könige keine Diktatoren. In absolutistischen Monarchien regieren sie ohne, in konstitutionellen mit dem Parlament, und in parlamentarischen Monarchien haben sie nur noch repräsentative Funktionen. In den genannten Ländern haben die jeweiligen Monarchen dagegen eine Position eingenommen, die sonst bonapartistischen Herrschern und faschistischen Führern vorbehalten war. Schon deshalb stellt sich die Frage, ob die Königsdiktaturen nicht besser entweder als bonapartistisch oder (bonapartistisch-)faschistisch zu bezeichnen sind.19 Dies soll im Folgenden überprüft werden. Wir beginnen mit Ungarn. Ungarn Das Ungarn der Zwischenkriegszeit war offiziell eine Monarchie, aber ohne König. Sein Thron galt als „vakant“.20 Die monarchische Funktion wurde von einem „Reichsverweser“ ausgeübt, der es im Ersten Weltkrieg zum Admiral gebracht hatte, weshalb er sich auch so anreden ließ und in Admiralsuniform auftrat – obwohl das binnenländische Ungarn nach dem Krieg über keine Flotte verfügte. Er hieß Miklós Horthy. Vitéz Nagybányai Horthy Miklós, wie sein voller ungarischer Name lautete, entstammte einer ungarischen Adelsfamilie protestantischer, genauer calvinistischer Konfession.21 Er wurde Berufsoffizier innerhalb der österreichisch-ungarischen Marine. Hier machte er eine steile Karriere, die im Oktober 1918 mit der Ernennung zum Vizeadmiral endete. Kurz darauf gab es kein Österreich-Ungarn mehr und folglich auch keine österreichisch-ungarische Marine. Der damals bereits 60 Jahre
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alte Horthy hatte seinen Beruf verloren und hätte sich ins Privatleben zurückziehen können. Stattdessen ging er in die Politik. Zunächst war er Verteidigungsminister der neu entstandenen ungarischen Republik, die in erbitterte Kämpfe mit der von Béla Kun ausgerufenen Räterepublik verwickelt wurde. Der ungarische Bürgerkrieg endete 1920 mit einem Sieg der „Weißen“ über die „Roten“ Béla Kuns. Er konnte aber nur durch das militärische Eingreifen Rumäniens errungen werden, das sich diese Hilfe mit der Annexion ungarischer Gebiete bezahlen ließ. Rumäniens Einverleibung des ungarischen Siebenbürgen wurde von den Siegermächten nicht unterbunden, im Gegenteil. Sie zwangen Ungarn mit dem Vertrag von Trianon, auch noch auf weitere Territorien zu verzichten. Insgesamt verlor Ungarn fast 70 Prozent seines früheren Staatsgebietes. Seine Rückgewinnung kam schon wegen der militärischen Schwäche Ungarns nicht infrage, wurde aber dennoch angestrebt. Zu den außenpolitischen kamen wirtschaftliche Probleme. Ungarn war ähnlich wie Österreich von seinen traditionellen Absatzmärkten und Rohstoffgebieten abgeschnitten. Dies bekam die schwach entwickelte und nur auf einige Regionen beschränkte ungarische Industrie zu spüren. Die Landwirtschaft war insgesamt unproduktiv, weil sie überwiegend von kleinen Bauern betrieben wurde, die sich kaum selber ernähren konnten. Mit diesen vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten wäre auch ein gefestigtes demokratisches System kaum fertig geworden. Doch dies gab es in Ungarn von Anfang an nicht. Stattdessen wurde eine parlamentarisch verbrämte Diktatur errichtet. Repräsentiert wurde sie von Horthy, der am 1. März 1920 von der ungarischen Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit zum „Regenten“ beziehungsweise „Reichsverweser“ des ungarischen Königreiches gewählt wurde. In dieser pseudomonarchischen Funktion gebot Horthy über die gesamte Exekutive. Außerdem konnte er sich auf eine, aus Konservativen und Liberalen gebildete, Regierungspartei stützen. Die KleinlandwirtePartei, die sozialdemokratische und eine kleine christliche Partei stellten die Opposition. Deren möglicher Wahlsieg wurde jedoch von Anfang an durch ein manipuliertes Wahlrecht (nur knapp die Hälfte der Ungarn war wahlberechtigt) sowie durch zahlreiche, noch dazu ziemlich offene Wahlfälschungen verhindert.
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Mit Demokratie hatte all das wenig gemein, wohl aber mit Bonapartismus. Das Horthy-Regime orientierte sich dann in den 1930er-Jahren immer mehr an dem faschistischen in Deutschland. Zuerst in außenpolitischer Hinsicht, meinte Horthy doch, mithilfe Hitlers seine revisionistische Politik erfolgreich fortsetzen zu können. Die außenpolitische Anlehnung an Deutschland wurde von einer innenpolitischen Anpassung begleitet. Das galt vor allem für die ungarische Judenpolitik. Sie wurde von dem selber extrem antisemitisch eingestellten Ministerpräsidenten Gyula Gömbös verschärft. Die ab 1938 erlassenen neuen antisemitischen Gesetze orientierten sich an den Nürnberger Gesetzen im faschistischen Deutschland. Außerdem nahm die Regierung gegenüber den ungarischen faschistischen Parteien eine immer nachsichtiger werdende Haltung ein.22 Während die „Nationalsozialistische Ungarische Arbeiterpartei“ Zoltán Bösczörményis23 nach einem Putschversuch verboten worden war, sah man dem Aufstieg einer anderen faschistischen Partei tatenlos zu. Dabei handelte es sich um die von Ferenc Szálasi im Jahr 1935 gegründete „Partei des Nationalen Willens“, die nach ihrem Parteiabzeichen „Pfeilkreuzler“ genannt wurde. Die „Pfeilkreuzler“ vertraten eine extrem nationalistische, antidemokratische, antikommunistische und vor allem antisemitische Zielsetzung. An ihrem faschistischen Charakter besteht daher kein Zweifel. Dennoch oder gerade deshalb war sie äußerst erfolgreich. Bei den ungarischen Parlamentswahlen von 1939 gewann sie 18 Prozent der abgegebenen Stimmen. Damit war sie zur zweitstärksten Partei geworden. In den Arbeiterbezirken von Budapest hatten die „Pfeilkreuzler“ sogar die Regierungspartei Horthys überrunden können. Außerdem hatten die ungarischen Faschisten Einbrüche in die Wählerklientel der Kleinlandwirte-Partei erzielt. Diese Erfolge kamen nicht von ungefähr, setzte sich die Mitgliederschaft der „Pfeilkreuzler“ doch vornehmlich aus ländlichen und proletarischen Schichten zusammen. Mehr als 40 Prozent der insgesamt 250 000 Pfeilkreuzler sollen Arbeiter gewesen sein. Damit unterschied sich die ungarische wesentlich von allen anderen faschistischen Parteien der Zwischenkriegszeit, deren Mitglieder vornehmlich aus dem Mittelstand stammten. Zum weiteren Aufstieg der „Pfeilkreuzler“-Partei trug jedoch nicht nur ihre eigene Stärke, sondern weit mehr die zunehmende Schwäche des Horthy-Regimes bei. Grund dafür war die bereits erwähnte außen-
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politische Anlehnung Ungarns an das faschistische Deutschland. Sie hatte sich zunächst als sehr profitabel erwiesen, erzielte Ungarn doch einige territoriale Gewinne. Dazu gehörten Teile der von Hitler zerschlagenen Tschechoslowakei, die Rückerstattung des nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien abgetretenen Siebenbürgen und einige Grenzgebiete Jugoslawiens. Der politische Preis, den Ungarn dafür zu zahlen hatte, war jedoch hoch. Auf Druck Hitlers beteiligte es sich 1941 am Überfall auf die Sowjetunion. Dadurch geriet Ungarn mehr und mehr in die politische und militärische Abhängigkeit Hitler-Deutschlands. Nach dem Sturz Mussolinis im Sommer 1943 versuchte Horthy jedoch, sich vom übermächtigen deutschen Alliierten zu lösen. Ohne Rücksprache mit Deutschland nahm er Friedensverhandlungen mit den westlichen Alliierten und der Sowjetunion auf. Tatsächlich gelang es ihm noch im Oktober 1944, ein Waffenstillstandsabkommen mit der Sowjetunion abzuschließen. Doch das half Horthy und Ungarn nicht mehr. Deutsche Truppen hatten das Land besetzt und führten die schon vorher und mit Wissen Horthys begonnene Deportation der ungarischen Juden fort. Horthy wurde gefangen genommen und nach Deutschland verbracht. Jetzt, im Oktober 1944, schlug die Stunde des von den Deutschen zum Ministerpräsidenten und „Führer“ ernannten Szálasi und seiner „Pfeilkreuzler“. In enger Kooperation mit Adolf Eichmann, der SS und der Gestapo, wurden 500 000 ungarische Juden in die deutschen Vernichtungslager im Osten deportiert. Weitere 50 000 wurden in Ungarn von den „Pfeilkreuzlern“ massakriert. Von den insgesamt etwa 800 000 ungarischen Juden haben nur knapp 200 000 den Krieg und den Völkermord überlebt. Für diesen Völkermord waren neben den Deutschen auch Szálasi und seine „Pfeilkreuzler“ sowie letztlich auch Horthy verantwortlich. Zur Verantwortung gezogen wurde aber nur Szálasi. Er wurde wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zum Tode verurteilt und am 12. März 1946 in Budapest hingerichtet. Horthy dagegen wurde zwar ebenfalls von den Alliierten verhaftet und in Nürnberg inhaftiert, doch nicht angeklagt. Am Nürnberger Prozess hat er nur als Zeuge teilgenommen. Danach konnte er sich ungehindert ins Exil nach Portugal zurückziehen, wo er seine Memoiren schrieb. Sie wurden unter dem Titel Ein Leben für Ungarn publiziert. In Portugal ist er dann 1957 im Alter von
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fast 90 Jahren gestorben. Seine Gebeine sind 1993 nach Ungarn überführt und in Horthys Heimatstadt Kenderes beigesetzt worden. Ein symbolkräftiger Akt, der im Ausland sowie in Ungarn als Beweis dafür angesehen wurde, dass das neue demokratisierte Ungarn wieder vom Faschismus bedroht ist oder zumindest sein kann. Diese Vermutung ist nicht völlig unbegründet. Hat es doch schon in der ersten postkommunistischen Regierung Ungarns mit Lajos Für einen Minister gegeben, der durch seine antisemitischen und profaschistischen Reden unangenehm aufgefallen ist. 1998 zog mit der MIÉP (Partei für ungarische Gerechtigkeit und Leben) eine Partei ins ungarische Parlament ein, die von vielen Beobachtern als faschistisch eingestuft wurde. 2002 verschwand sie wieder aus dem Parlament, bei den Wahlen von 2006 errang sie zusammen mit einer Partnerpartei namens „Jobbik“ (Bewegung für ein rechtes und besseres Ungarn) 2,9 Prozent der abgegebenen Stimmen und scheiterte damit an der 5-ProzentHürde. Die von Gábor Vona angeführte Jobbik-Partei rief im August 2007 eine paramilitärische Organisation ins Leben, die „Magyar Gárda“ (Ungarische Garde). Bei dieser „Ungarischen Garde“ handelt es sich um nichts anderes als eine Neuauflage der Pfeilkreuzler-Partei. Sie ist wie diese radikal antisemitisch eingestellt und strebt wie schon die Pfeilkreuzler nach der Wiederherstellung Großungarns. Noch deutlicher sind die äußerlichen Ähnlichkeiten. Zeigt die „Ungarische Garde“ doch in der Öffentlichkeit das Abzeichen der Partei des Faschisten Szálasi – das Pfeilkreuz. Zum Beispiel auf einer viel beachteten Kundgebung in der Budapester Burg, bei der Angehörige der „Ungarischen Garde“ in der schwarzen Uniform der historischen Pfeilkreuzler auftraten. Dazu trugen sie die offensichtlich auch in Ungarn modisch gewordenen amerikanischen Baseball-Caps. Die Bilder dieser modebewussten modernen Faschisten gingen um die Welt. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass es Faschismus immer noch gibt – keineswegs nur in Ungarn. Rumänien Anders als Ungarn gehörte Rumänien zu den Gewinnern des Ersten Weltkrieges, weshalb sein Territorium nicht wie das Ungarns verkleinert, sondern um fast das Doppelte vergrößert wurde.24 Dies hatte Rumänien aber die Feindschaft seiner Nachbarn eingebracht – allen voran der
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Sowjetunion und Ungarns. Außerdem hatte Rumänien mit den neuen Gebieten auch neue Minderheiten bekommen. Dazu gehörten neben den mehr als widerwillig zu rumänischen Staatsbürgern gewordenen Ungarn die siebenbürgischen Deutschen, die sich aber loyal verhielten, und die überwiegend noch nicht assimilierten Juden, die etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten. Hinzu kamen die – noch nicht einmal als Minderheit anerkannten – Roma. Schwerwiegender als das Minderheitenproblem waren die wirtschaftlichen Probleme des Landes. Industriebetriebe gab es kaum. Die rumänischen Erdölfelder, mit denen damals fast der gesamte Benzin-Bedarf Europas gedeckt wurde, befanden sich zu über 90 Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen, die kaum Steuern oder sonstige Abgaben an den rumänischen Staat zahlten. Die Landwirtschaft war bis auf die großen Güter der Bojaren unproduktiv und kaum in der Lage, die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten, von der über 80 Prozent auf dem Lande lebte. Das Rumänien der Zwischenkriegszeit hatte mehr Ähnlichkeiten mit den heutigen Ländern der sogenannten Dritten Welt als mit den damaligen viel weiter entwickelten Staaten Westund selbst Osteuropas. Auch in politischer Hinsicht wies Rumänien einige Besonderheiten auf. Formell war es eine parlamentarische Monarchie, in der jedoch die Regierungen nicht durch Wahlen gebildet wurden, sondern umgekehrt die Wahlen von den Regierungen bestimmt wurden. Wahlfälschungen waren gang und gäbe, dazu gab es eine verfassungsrechtliche Bestimmung, wonach diejenige Partei, die mehr als 40 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt, weit über die Hälfte der Parlamentssitze beanspruchen konnte. Jede Regierungspartei, die sich einer solchen Scheinwahl stellte, konnte sich ziemlich sicher sein, sie auch zu gewinnen. Für einen Regierungswechsel sorgte der König, der das Recht hatte, Regierungen ein- und abzusetzen und Neuwahlen zu veranstalten. Die großen Parteien – die Liberalen auf der einen, die Bauernpartei auf der anderen Seite – ließen sich dieses undemokratische System gefallen, weil sie hofften, auf diese Weise selber an die Regierung zu kommen. So konnte es geschehen, dass sich die ursprünglich parlamentarische Monarchie mehr und mehr zu einer „Königsdiktatur“ entwickelte. Dies war in Ansätzen schon unter König Ferdinand der Fall, der 1927 verstarb. Doch vollendet wurde die Errichtung der Diktatur durch dessen Sohn Carol II., der erst 1930 auf den Thron gelangte, nachdem er vorher
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wegen seines als unsittlich angesehenen Lebenswandels von der Thronfolge ausgeschlossen und ins Exil getrieben worden war. Carol II. begründete den Ausbau seiner Königsdiktatur mit dem Hinweis auf eine Partei, die sich nicht in das scheinparlamentarische System Rumäniens einfügen lassen wollte und es stattdessen mit allen, auch gewalttätigen Mitteln bekämpfte. Gemeint ist die im Jahre 1927 gegründete „Legion des Erzengels Michael“, die seit 1930 auch über eine uniformierte und bewaffnete Parteimiliz namens „Eiserne Garde“ verfügte. Ihr unbestrittener Führer und gleichzeitig wirkungsmächtiger Ideologe war Corneliu Zelea Codreanu.25 Codreanu wurde 1899 geboren. Seine Mutter war eine geborene Brunner, und sein Vater hieß ursprünglich Zielinski (oder: Zelinschi), was auf eine polnische Abstammung schließen lässt. Trotz seiner, wenn man so will, nicht rein rumänischen Herkunft entwickelte sich der junge Codreanu zu einem glühenden rumänischen Nationalisten – und Antisemiten. Sein Nationalismus und Antisemitismus wies eine starke religiöse, fundamentalistisch-orthodoxe Färbung auf.26 Deutlich wird dies bereits an dem Namen von Codreanus Partei. Der Erzengel Michael wird von den christlichen Kirchen im Allgemeinen und der orthodoxen im Besonderen als Kämpfer gegen das Böse verehrt, weshalb er meist mit einem Schwert in der Hand abgebildet wird. Fahnen mit dem Bildnis des Erzengels Michael sind von verschiedenen christlichen Heeren verwandt worden, die sich untereinander bekämpft oder gemeinsam gegen die verteufelten Muslime gewandt haben. Letzteres vor allem in den mittelalterlichen Kreuzzügen. An ihnen haben sich zwar ausschließlich katholische Christen beteiligt, dennoch schien der Kreuzzugsgedanke auch der orthodoxen Kirche nicht ganz fremd zu sein. Dies traf vor allem auf die rumänische orthodoxe Kirche zu, die lange unter der Herrschaft der muslimischen Osmanen hatte leben müssen. Nur so ist es zu erklären, dass sich Codreanus Partei nicht nur auf den Erzengel Michael berief, sondern ihren politischen Kampf gegen das Böse in Gestalt vornehmlich der Juden und der Vertreter des verhassten rumänischen Staates mit Riten und Ritualen führte, die an die der mittelalterlichen Kreuzfahrer erinnerten. Tatsächlich sind Codreanus „Legionäre“, die sich aus der Bauern- und Studentenschaft rekrutierten27, auch teilweise als „Kreuzfahrer“ bezeichnet worden. Dies scheint sie dazu angespornt zu haben, mit großer Brutalität gegen ihre politischen
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Gegner und zunehmend auch gegen Juden vorzugehen. Wie alle fundamentalistisch begründete Gewalt konnte sie sich auf die höchste Instanz, auf das Wohlgefallen Gottes berufen. Codreanus fundamentalistisch-faschistische Partei war trotz, ja gerade wegen ihres religiös begründeten Terrors bei den Wahlen relativ erfolgreich. 1937 gewann sie 16 Prozent der Stimmen und damit 66 (von insgesamt 390) Parlamentssitze. Dieser parlamentarische Erfolg hielt die „Legion des Erzengels Michael“ nicht davon ab, ihren Terrorfeldzug fortzusetzen, bei dem es nicht mehr um die konkrete Bekämpfung eines politischen Gegners zu gehen schien, sondern um Terror um des Terrors willen. Dies konnte kein Staat tolerieren, auch der rumänische nicht. Auf persönlichen Befehl König Carols II. wurde Codreanu im April 1938 verhaftet und im November des gleichen Jahres erschossen – und zwar, wie es bezeichnenderweise hieß, „auf der Flucht“. Codreanus Partei war damit aber keineswegs ausgeschaltet. Unter ihrem neuen Führer Horia Sima wartete sie auf ihre Chance. Sie kam im Sommer 1940, als König Carol II. von der aufgebrachten rumänischen Bevölkerung ins Exil getrieben wurde, nachdem er sich Hitlers Druck gebeugt und den nördlichen Teil Siebenbürgerns wieder an Ungarn übergeben hatte. Die Zeit der „Königsdiktatur“ war damit vorbei. Anstelle des noch minderjährigen Königs Michael übernahm General Ion Antonescu die Macht – in einem Bündnis mit Simas Partei, die jetzt nach ihrem Wehrverband allgemein nur noch „Eiserne Garde“ genannt wurde. Rumänien war damit zu einer faschistischen, genauer gesagt fundamentalistisch-faschistischen Diktatur geworden. Zu deren ersten Opfern gehörten viele Juden, die von Banden der Eisernen Garde ermordet wurden. Wenn Horia Sima gehofft haben sollte, damit seine und die Macht seiner faschistischen Partei zu stärken, sah er sich getäuscht. Sein Regierungspartner Antonescu wagte den offenen Machtkampf mit Horia Sima – und gewann ihn. Der Aufstand der rumänischen Faschisten wurde im Januar 1941 blutig niedergeschlagen, ohne dass dies von Hitler verhindert worden wäre. Hitler meinte nämlich, in Antonescu den besseren Bundesgenossen im bevorstehenden Kampf gegen die Sowjetunion zu haben. Der nach Deutschland geflohene Horia Sima wurde im Konzentrationslager Buchenwald interniert und erst nach dem Sturz Antonescus am 23. August 1944 wieder freigelassen. Er wurde dann als Chef einer rumänischen Exilregierung von Deutschlands Gnaden ein-
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gesetzt. Sie konnte jedoch nicht mehr in die Geschicke Rumäniens eingreifen, da es bereits von sowjetischen Truppen besetzt war. Die Besetzung Rumäniens und die nachfolgende Installierung eines kommunistischen beziehungsweise stalinistischen Regimes wurde von den sowjetischen Siegern und ihren rumänischen Gesinnungsgenossen in den Reihen der – äußerst schwachen – Kommunistischen Partei als „Befreiung vom Faschismus“ ausgegeben. Umso erstaunlicher war es, dass die faschistischen Führer, allen voran Codreanu und auch Antonescu, in der Spätphase des stalinistischen Regimes rehabilitiert wurden. Dies von einem Mann, der sich selber als „Führer“ (conducator) feiern ließ und neben diesem Führerkult eine Ideologie vertrat, die große Ähnlichkeiten mit dem faschistischen Blut-und-Boden-Kult hatte: Nikolae Ceauşescu. Zu einer stalinistisch-faschistischen Metamorphose Rumäniens nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist es jedoch nicht mehr gekommen, weil Ceauşescu im Dezember 1989 gestürzt und in einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt wurde. Noch am selben Tag ist er erschossen worden. In Rumänien kam es zur Wiederherstellung der Demokratie, die aber von Anfang an einige Strukturfehler aufwies. Dazu gehörte die Behandlung der Minderheiten, vor allem der Roma, deren Zahl auf weit über eine Million geschätzt wird. Die rumänischen Roma wurden und werden nicht nur diskriminiert und weitgehend vom normalen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, sondern auch von Angehörigen einiger kleinerer faschistischer Gruppierungen verfolgt, die sich auf den Willen der Mehrheitsbevölkerung berufen können. In Fußballstadien ist sogar offen zur Vernichtung der Roma aufgerufen worden. Dagegen erhebt sich weder im In- noch im Ausland nennenswerter Protest.28 Im Jahr 2007 wurde Rumänien in die EU aufgenommen. Nimmt man die Lage von Minderheiten im Allgemeinen und die der Roma im Besonderen zum Maßstab, um Grad und Qualität der demokratischen Verfasstheit eines Landes einzuschätzen, so ist dem heutigen Rumänien kein gutes Zeugnis auszustellen. Bulgarien Auch im Königreich Bulgarien ist das nach dem Ersten Weltkrieg errichtete demokratische System bald wieder abgeschafft worden.29 1923 wurde die Regierung des Chefs der Bauernpartei, Alexander Stambolijskis, durch einen Militärputsch gestürzt, der mit Wissen und Unterstüt-
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zung von König Boris III. erfolgte. Stambolijski kam dabei um, sein Nachfolger wurde Aleksandar Zankow, der einen diktatorischen Regierungsstil einführte. Davon betroffen waren vor allem die bulgarischen Kommunisten. Ihre Partei wurde verboten und viele ihrer Mitglieder blutig verfolgt. Zankow wurde in der europäischen Öffentlichkeit geächtet und von vielen Linken als „Faschist“ bezeichnet. Tatsächlich rief er 1930 mit der „Sozialen Volksbewegung“ eine Partei ins Leben, die als faschistisch einzuschätzen ist und mit über 100 000 Mitgliedern auch über eine Massenbasis verfügte. Eine mögliche Machtergreifung wurde 1934 jedoch durch einen Putsch einer Offiziersgruppe verhindert, die sich „Zveno“ (Die Glocke oder das Kettenglied) nannte. Die von dem Obersten Kimon Georgiew angeführten Offiziere wagten es aber nicht, die Monarchie abzuschaffen. König Boris III. nutzte dies ein Jahr später aus, um den Offiziersbund aufzulösen und ihrem Repräsentanten Georgiew das Amt des Ministerpräsidenten zu entziehen. Fortan regierte der König mehr oder minder allein und ohne Hilfe einer wie auch immer gearteten faschistischen Partei. Das deshalb als bonapartistisch zu charakterisierende Bulgarien hat sich dann zwar an der Seite der faschistischen Achsenmächte am Krieg gegen Jugoslawien und Griechenland beteiligt, nicht aber an dem nachfolgenden Überfall auf die Sowjetunion. Außerdem hat es sich geweigert, die bulgarischen Juden (im Gegensatz zu denen in den neu gewonnenen Gebieten) an Hitler-Deutschland auszuliefern. Gedankt worden ist Bulgarien beides nicht. Weder von den Westmächten noch von der Sowjetunion, die Bulgarien noch im September 1944 den Krieg erklärte und das Land ihrem Herrschaftsbereich einverleibte, ohne dass es daran von den Westmächten gehindert worden wäre. Bulgarien wurde kommunistisch, die Monarchie 1946 durch Volksabstimmung abgeschafft. Unter der langjährigen, von 1954 bis 1989 reichenden Herrschaft Todor Schiwkows wurde jedoch eine Politik verfolgt, die man als nationalkommunistisch bezeichnen kann. Sie zielte auf eine „ethnische Säuberung“ Bulgariens ab und gipfelte in der Vertreibung von 380 000 Bulgaren türkischer Herkunft und Sprache. Dieses Verbrechen wurde jedoch damals weder im Westen noch gar im Osten kritisiert und ist heute weitgehend vergessen. Zusammen mit Rumänien ist Bulgarien 2007 in die EU aufgenommen worden, obwohl es wie Rumänien keineswegs alle dazu notwendigen Kriterien erfüllt. Zu den ungelösten ökonomischen Problemen
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kommen instabile innenpolitische Verhältnisse und die Behandlung der Minderheiten, wiederum vor allem der Roma, denen die ihnen zustehenden Minderheitenrechte verwehrt werden und die wie in Rumänien Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt sind. Andererseits scheint es im gegenwärtigen Bulgarien keine, jedenfalls keine nennenswerten faschistischen Bewegungen zu geben. Griechenland Griechenland stand (und steht im Grunde bis heute) unter dem Schock der Niederlage, die es im Krieg mit der Türkei im Jahr 1922 erlitten hat.30 Das galt (und gilt) keineswegs nur in ideologie- und mentalitätsgeschichtlicher, sondern auch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, musste das ohnehin schon arme Land doch 1,5 Millionen Landsleute aufnehmen und integrieren, die von den Türken aus ihrer kleinasiatischen Heimat vertrieben worden waren, wo sie seit den Zeiten Homers ansässig waren. Die dadurch entstandenen Probleme hätte auch ein festgefügtes demokratisches System kaum lösen können. Doch dies war in Griechenland nicht vorhanden. Alle griechischen Nachkriegsregierungen scheiterten und lösten sich in schneller Folge ab. Die unverkennbare Schwäche und auch Unfähigkeit des parlamentarischen Systems nahm dann der 1935 wieder nach Griechenland zurückgerufene König Georg II. zum Anlass, um es 1936 völlig abzuschaffen und durch ein autoritäres zu ersetzen. Repräsentiert und geführt wurde es jedoch nicht vom König selber, sondern von dem zum Regierungschef ernannten General Ioannis Metaxas.31 Metaxas regierte das Land mit diktatorischen Befugnissen auf der Grundlage eines immer wieder verlängerten Ausnahmezustandes. Nach faschistischem Vorbild hat er zwar 1937 eine Jugendorganisation ins Leben gerufen, die sich „Ethniki Organosis Neolaias“ ( Nationale Jugendorganisation) nannte, doch zu einer weiteren ideologischen und organisatorischen Anlehnung an die faschistischen Systeme in Italien und Deutschland ist es nicht mehr gekommen. Im Gegenteil: Metaxas widersetzte sich der drohenden Okkupation Griechenlands durch das faschistische Italien. Berühmt geworden ist sein knappes „Nein!“, mit dem er am 28. Oktober 1940 das italienische Ultimatum zur Kapitulation ablehnte. Daraufhin wurde Griechenland von Italien angegriffen. Die von Metaxas persönlich geführte griechische Armee wehrte sich tapfer und zunächst auch erfolgreich. Erst durch die von Mussolini um
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Hilfe gerufene deutsche Wehrmacht konnte der griechische Widerstand gebrochen werden. Griechenland wurde erobert und unter den deutschen und italienischen Besetzern aufgeteilt.32 Gegen die deutsche und italienische Besatzungsherrschaft regte sich jedoch sofort Widerstand. Obwohl beide faschistischen Mächte darauf mit brutalem Terror reagierten (dem auch die meisten der griechischen Juden zum Opfer fielen), war der Widerstand letztlich erfolgreich. Schon vor dem Eintreffen der alliierten Truppen waren große Teile Griechenlands von den Widerstandsorganisationen der kommunistischen ELAS („Griechische Volksbefreiungsarmee“) und der antikommunistisch eingestellten EDES („GriechischDemokratische Nationalarmee“) befreit worden. Doch dann kam es zum Streit zwischen beiden Widerstandsgruppen. Anlass war einmal die Behandlung der griechischen Kollaborateure, die nach Ansicht der kommunistischen Widerstandskämpfer zu milde ausfiel. Die Konservativen beschuldigten dagegen ihre ehemaligen kommunistischen Kampfgenossen, mit ihrem Wahlboykott die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster zu blockieren. Die Auseinandersetzungen eskalierten und führten zu einem blutigen Bürgerkrieg, der mehr als 100 000 Opfer kostete und erst durch das massive Eingreifen englischer und dann auch US-amerikanischer Truppen im Oktober 1949 mit dem Sieg der bürgerlichen Kräfte endete.33 Der griechische Bürgerkrieg hatte nicht nur große Verwüstungen angerichtet, sondern das Land auch politisch tief gespalten.34 Linke und Rechte standen sich unversöhnlich gegenüber und beschuldigten sich wechselseitig, entweder Kommunisten oder Faschisten zu sein.35 Dieses gespannte innenpolitische Klima hielt auch noch in den 1960er-Jahren an und führte schließlich zu einem Militärputsch. Teile der griechischen Armee, die den für sicher gehaltenen Wahlsieg der Linken unter Andreas Papandreou in den bevorstehenden Wahlen verhindern wollten, rissen die Macht an sich. Mit Wissen und wahrscheinlich auch mit ausdrücklicher Zustimmung der amerikanischen Regierung wurde im April 1967 eine Militär-Junta gebildet, in welcher der Oberst Papadópoulos eine führende Stellung einnehmen sollte. All dies hatte eine große Ähnlichkeit mit den spanischen Vorgängen dreißig Jahre zuvor, die zur Etablierung der faschistischen Diktatur Francos geführt hatten. Tatsächlich setzte Papadópoulos die Verfassung
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außer Kraft, ließ alle Parteien verbieten und eine rigide Pressezensur einführen. Die sich rasch bildende Opposition wurde unterdrückt. Ein Studentenaufstand am Athener Polytechnikum wurde blutig niedergeschlagen. Viele Oppositionelle wurden verhaftet oder zur Emigration gezwungen. Dort setzten sie ihren publizistischen und politischen Kampf gegen das von vielen als faschistisch charakterisierte Papadópoulos-Regime fort. Diese Klassifizierung war jedoch von Anfang an umstritten und dies mit gutem Grund: Schließlich verzichtete Papadópoulos darauf, nach dem Muster der faschistischen Diktaturen der Zwischenkriegszeit eine faschistische Massenorganisation ins Leben zu rufen. Sein Regime stützte sich ausschließlich auf Polizei und Militär. Deshalb ist es eher als bonapartistisch denn als faschistisch einzustufen. Das machte es natürlich nicht besser, weshalb auch die direkte und indirekte politische und wirtschaftliche Unterstützung seitens der USA und einiger anderer westlicher Staaten schwerlich zu rechtfertigen war. Schon gar nicht mit dem Hinweis auf die prosperierende griechische Wirtschaft, die von den diktatorischen Verhältnissen profitierte und sich zur stärksten Stütze der griechischen Diktatur entwickelte. 1974 brach das Papadópoulos-Regime dann – unvermittelt und unerwartet – zusammen. Anlass war ein von Papadópoulos persönlich angeregter Putsch von Angehörigen des griechischen Bevölkerungsanteils auf Zypern. Dies rief die türkische Armee auf den Plan, welche die Insel besetzte. Dies führte schließlich zur Spaltung Zyperns in einen türkischen und einen griechischen Teil, die bis heute nicht überwunden ist. In Griechenland sah man das als nationale Schmach an, für die das Obristenregime verantwortlich gemacht wurde, weshalb es 1974 gestürzt wurde. Griechenland wurde wieder demokratisch – und ist es bis heute geblieben. Zwar gibt es auch in Griechenland faschistische Splittergruppen, doch sie stellen keine wirkliche Gefahr für den Bestand der neuen griechischen Demokratie dar. Jugoslawien Jugoslawien ist heute Geschichte. An seine Stelle sind verschiedene Nationalstaaten getreten. Das endgültige Scheitern des „jugoslawischen Experiments“ (Holm Sundhaussen) war jedoch keineswegs unvermeidlich und ist kein Grund, dem jugoslawischen Vielvölkerstaat, der 1918 entstanden war, von vornherein die Lebensfähigkeit abzusprechen.36
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Jugoslawien beziehungsweise, wie es sich bis 1929 nannte, das „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ war zwar arm, weil überwiegend agrarisch geprägt, konnte seine Bevölkerung aber ernähren, ohne dabei auf ausländische Hilfe angewiesen zu sein. In außenpolitischer Hinsicht hatte sich Jugoslawien durch den Beitritt zur Kleinen Entente vor den Revisionsforderungen einiger seiner Nachbarn abgesichert. Im innenpolitischen Bereich schienen die Verhältnisse stabil, eine mächtige und revolutionär eingestellte Arbeiterbewegung gab es nicht. Jugoslawiens einziges und, wie sich zeigen sollte, unlösbares Problem war die Minderheiten- und Nationalitätenfrage. Zu den nationalen Minderheiten gehörten die Albaner und Mazedonier sowie einige Deutsche, die dort in der Zeit der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie angesiedelt worden waren. Hinzu kamen Juden und Roma, denen nicht einmal der Status der Minderheit zugesprochen wurde. Diese Gruppen stellten jedoch den Bestand des Gesamtstaates nicht infrage und wären wohl mit Autonomierechten zufrieden gewesen. Beides traf nicht auf die Kroaten und Slowenen zu. Obwohl sie wie die Serben zu den drei Staatsvölkern im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gezählt wurden, fühlten sie sich von den Serben unterdrückt und wollten ihren eigenen Nationalstaat. In Jugoslawien lebten also alle möglichen Minderheiten und Nationen – nur keine Jugoslawen. Die Existenz eines derartigen multiethnischen, multinationalen und noch dazu multikonfessionellen Staates im Zeitalter der Nationalstaaten und der konfessionellen Intoleranz zu sichern schien fast ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch hat man es versucht, zunächst sogar mit demokratischen Methoden. Das Königreich der Serben, Slowenen und Kroaten war nämlich anfangs eine parlamentarische Monarchie. Doch die im Parlament vertretenen Parteien unterschieden sich nicht primär im Hinblick auf ihre politische Ausrichtung, sondern auf die nationale Zugehörigkeit ihrer Mitglieder, weshalb sie alle partikulare Zielsetzungen verfolgten. Hier einen Konsens zu finden, der dem Wohl des ganzen Landes diente, war äußerst schwer. Seit 1928 wurde es völlig unmöglich. In diesem Jahr wurde der Führer der gemäßigt nationalistischen Kroatischen Bauernpartei, Stjepan Radić, ermordet. Dies noch dazu mitten in einer Sitzung des Parlaments, das schon allein deswegen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen konnte.37 König Alexander I. nutzte diesen Schwächezustand aus, indem er das Parlament auflöste, alle Parteien verbot und an die Stelle des bisherigen
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parlamentarischen ein autoritäres Regime errichtete, das allein von ihm angeführt wurde. Allerdings ohne die Hilfe einer etwaigen faschistischen Staatspartei, die zog Alexander I. nicht in Betracht. Daher hatte seine „Königsdiktatur“ keinen faschistischen, sondern bonapartistischen Charakter. Er zeigte sich zudem bemüht, eine Lösung der jugoslawischen Krise zu finden, die den Interessen aller Völker und Minderheiten gerecht wurde – vor allem durch die Schaffung von „Banaten“ genannten neuen Verwaltungseinheiten, welche dem jugoslawischen Staat eine eher föderalistisch geprägte Struktur geben sollten. Doch diese Reformen stießen auf den erbitterten Widerstand einer neuen faschistischen Partei, die zunächst „Domobran“ (Heimwehr), dann „Ustascha“ (der Aufständische) genannt wurde.38 Die im Jahr 1929 vom Zagreber Rechtsanwalt Ante Pavelić gegründete Ustascha proklamierte den gewaltsamen Kampf für die völlige Unabhängigkeit Kroatiens, was mit terroristischen Methoden erreicht werden sollte. Ihre nationalistische und antiserbische Einstellung verband sie mit einem immer vehementer werdenden Antisemitismus, der eine ausgesprochen katholisch-fundamentalistische Färbung hatte. Schon wegen ihres extrem gewalttätigen Charakters und ihrer nationalistischen und antisemitischen Ideologie hatte die Partei von Ante Pavelić eine große Ähnlichkeit mit den faschistischen Parteien in anderen Ländern. Dies wurde auch von Mussolini erkannt und goutiert, weshalb er der Ustascha ein Ausbildungslager zur Verfügung stellte, in dem sie ihren terroristischen Kampf gegen den jugoslawischen Staat vorbereitete. Mussolini meinte, davon profitieren und seine eigenen revisionistischen Forderungen auf Gebiete an der adriatischen Küste durchsetzen zu können. Zunächst waren diese Bestrebungen jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Ein 1932 von der Ustascha durchgeführter Aufstandsversuch wurde vom jugoslawischen Militär niedergeschlagen. Auch ein von UstaschaTerroristen zwei Jahre später, 1934, auf König Alexander ausgeführtes Attentat führte nicht zu dem von Pavelić erwarteten Aufstand des kroatischen Volkes. An die Stelle des ermordeten Alexander trat sein Sohn beziehungsweise ein Regentschaftsrat, dem es gelang, den Einfluss der Ustascha zurückzudrängen und einige wirtschaftliche Probleme des Landes zu lösen. Letzteres aber durch die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland, das mit Jugoslawien bilaterale Handelsverträge abschloss. Sie waren für Jugoslawien sehr vorteilhaft, brachten es aber immer mehr in die wirtschaftliche Abhängigkeit von
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Deutschland. Folge dieser Wirtschaftspolitik war die politische Unterminierung des französischen Bündnissystems auf dem Balkan, dem Jugoslawien seine außenpolitische Integrität verdankte. Obwohl Jugoslawien als Mitglied der Kleinen Entente faktisch mit Frankreich verbündet war, blieb es beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges neutral. Im März 1941 entschloss sich die jugoslawische Regierung sogar, dem Drei-Mächte-Pakt der faschistischen Mächte Deutschland, Italien und Japan beizutreten. Diese Entscheidung stieß jedoch in Kreisen des jugoslawischen Militärs auf heftige Kritik und veranlasste diese, die Regierung durch einen Militärputsch zu stürzen. Das nahmen nun wiederum Deutschland und Italien zum Anlass, um Jugoslawien anzugreifen. Sie besiegten es in einem verhältnismäßig kurzen Krieg und teilten es unter sich auf. Während Serbien unter deutsche Militärverwaltung gestellt wurde, annektierte Italien Slowenien, Dalmatien, Montenegro und das Kosovo. In den nicht von Italien besetzten Gebieten Kroatiens konnte Ante Pavelić mit italienischer Billigung einen „Unabhängigen Kroatischen Staat“ ausrufen.39 Mithilfe seiner Ustascha, die zur einzigen Staatspartei erklärt wurde, errichtete Pavelić, der sich als poglavnik (Führer) ansprechen und feiern ließ, ein Terrorregime, das wiederum von der katholischen Kirche unterstützt wurde. Zu seinen Opfern wurden Hunderttausende von Serben, Juden und Roma, die unter aktiver Mithilfe von Angehörigen der katholischen Kirche an Ort und Stelle massakriert wurden, wenn sie sich nicht von katholischen Priestern zwangstaufen ließen. Etwa 85 000 Juden sowie ungezählte Roma und Serben wurden in dem berüchtigten Konzentrationslager Jasenovac ermordet. Der kroatische Ustascha-Staat ist wegen seines totalitären Charakters, seines Führerkults und seines extremen Terrors nicht nur als „prä“oder „halbfaschistisch“40, sondern eindeutig als faschistisch einzustufen. Genauer gesagt handelt es sich um eine weitere Variante des fundamentalistischen Faschismus – nicht nur wegen der bis zur Beihilfe zum Massenmord reichenden Kollaboration der katholischen Kirche, sondern auch wegen der Ideologie der Ustascha. Ihre nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Bestandteile wiesen nämlich eine unverkennbare religiöse Färbung auf. Die „Ustaschi“ begründeten ihren Vernichtungskampf gegen Serben, Juden und Roma keineswegs nur mit rassistischen Argumenten – als vermeintliche Nachkommen der Goten fühlten sie sich den slawischen Serben und den ebenso „rassisch
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minderwertigen“ Juden und Roma „rassisch“ überlegen –, sie sahen sich in erster Linie als gute und gottesfürchtige Katholiken an, die einen modernen Kreuzzug gegen das Übel in Gestalt der teuflischen Juden und Roma sowie der nicht rechtgläubigen orthodoxen Serben führten. Nach dem Sprichwort, wonach der, welcher Gewalt sät, Sturm ernten wird, stieß die fanatische Vernichtungswut der Ustascha auf eine ebensolche ihrer Gegner in den Reihen der serbischen Widerstandsorganisation der „Cetniks“ und der (gesamt-)jugoslawischen kommunistischen unter Tito. Obwohl sich Cetniks und Tito-Partisanen auch untereinander bekämpften, hielten sie gegenüber der Ustascha zusammen. Schon vor dem endgültigen Sieg über die deutschen und italienischen Besatzer wurde die Ustascha gnadenlos verfolgt. Der Kampf gegen die (mit Recht) als faschistisch angesehene Ustascha wurde auch nach der Befreiung ganz Jugoslawiens unter Tito fortgesetzt – mit ausdrücklicher Billigung auch der Westmächte. Die Engländer lieferten 150 000 gefangen genommene kroatische Soldaten an Tito aus, der 40 000 von ihnen sofort erschießen ließ. Tausende weitere Ustaschi wurden in der Folgezeit zum Tode oder zu langjährigen Haftstrafen in Zuchthäusern und in eigens zu diesem Zweck errichteten Lagern verurteilt. Die Rache der Sieger kannte keine Grenzen – und rief wiederum Gegengewalt hervor. Zunächst in Kroatien selber, dann mehr und mehr auch im Ausland, in das sich viele Ustaschi, darunter auch ihr Führer Ante Pavelić hatten retten können. Terroranschläge der in einigen Exilländern weiterexistierenden Ustascha beantwortete der Geheimdienst des kommunistischen Jugoslawien mit ebensolcher terroristischer Gewalt.41 Außerdem wurden jegliche Anzeichen einer neuen kroatischen Nationalbewegung bekämpft und im Ansatz zunichte gemacht. Nicht oder zu spät bemerkt wurde jedoch, dass sich der kroatische Nationalismus auch innerhalb der kommunistischen Nomenklatura zu verbreiten begann. Dessen Sprecher und Hauptvertreter war Franjo Tudjman.42 Der 1922 geborene Tudjman hatte sich anders als viele seiner kroatischen Landsleute nicht der Ustascha angeschlossen, sondern diese in den Reihen der Tito-Partisanen bekämpft. Dies ermöglichte ihm eine militärische Karriere innerhalb der Jugoslawischen Volksarmee. Doch 1961 verließ der zum General aufgestiegene Tudjman die Armee, um Historiker zu werden, und zwar mit zunehmend nationalistischer Ausprägung. Wegen seiner Verherrlichung der kroatischen Vergangenheit
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wurde Tudjman 1967 aus der KP ausgeschlossen. Dies machte ihn vollends zum kroatischen Nationalisten und politischen Dissidenten. Wegen „staatsfeindlicher Propaganda“ wurde er mehrmals zu Gefängnisstrafen verurteilt. Nach deren Verbüßung ging er ins westliche Ausland, wo er Vorträge über die kroatische Nationalbewegung hielt, die ihn als kroatischen Nationalisten und Dissidenten bekannt machten. 1989 kehrte er in das vor dem Zerfall stehende Jugoslawien zurück, um die „Kroatische Demokratische Union“ zu gründen, die ein Jahr später die ersten freien Parlamentswahlen in Kroatien gewann. Am 30. Mai 1990 wurde Tudjman zum Präsidenten der damaligen „Sozialistischen Teilrepublik Kroatien“ gewählt. 1991 ließ er ein Referendum veranstalten, bei dem sich über 90 Prozent der Wahlberechtigten für die kroatische Souveränität aussprachen. Sie konnte in einem Krieg gegen die jugoslawische Zentralregierung durchgesetzt werden. Präsident der zunächst von der Bundesrepublik und dann auch von den anderen westlichen Staaten anerkannten souveränen Republik Kroatien wurde Franjo Tudjman. Sein zunehmend autoritärer Regierungsstil und seine nicht nur nationalistischen, sondern auch antisemitischen Reden brachten ihm viel Kritik, ja sogar den Vorwurf ein, in Kroatien eine faschistische Diktatur installiert zu haben.43 Doch dies scheint Tudjman wenig beeindruckt zu haben. 1994 begann er den Krieg mit Serbien um den Besitz Bosniens und Herzegowinas, der von beiden Seiten mit entsetzlicher Brutalität geführt wurde und erst durch die massive Intervention von NATOTruppen mit dem Abkommen von Dayton vom 21. November 1995 beendet werden konnte. Erst jetzt nahm man im Westen wahr, dass nicht nur die Serben Miloševićs, sondern auch die Kroaten Tudjmans Kriegsverbrechen begangen hatten. Tatsächlich begann der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag damit, auch gegen Tudjman zu ermitteln. Zur Eröffnung eines förmlichen Verfahrens ist es aber nicht mehr gekommen, weil Tudjman am 10. Dezember 1999 starb. Sein Tod wurde von dem Kroaten Misha Glenny mit den Worten kommentiert: Tudjman war ein „Monstrum“, aber „im Unterschied zu Milošević war er unser Monstrum“. Kein schönes, aber ein treffendes Wort für einen Mann, der seine politische Karriere als Kommunist begann, um zu einem Nationalkommunisten, Nationalisten und schließlich fast zu einem Faschisten zu werden.
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Eine ähnliche Entwicklung hat Slobodan Milošević genommen. Der 1941 geborene Milošević hatte eine erfolgreiche Karriere innerhalb des jugoslawischen Partei- und Staatsapparates absolviert, die ihn bis in die höchsten Ämter geführt hatte. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Präsidenten der jugoslawischen Teilrepublik Serbien im Jahr 1989 hielt er anlässlich des 700. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 eine nationalistische Rede, die ihn mit einem Schlag bekannt machte. Dafür reichte schon die Wahl des Ortes – hatte es Milošević doch für notwendig gehalten, am Ort des historischen Geschehens, das heißt in der damaligen autonomen Region Kosovo (Amselfeld), zu sprechen. Dies wurde von der albanischen Bevölkerungsmehrheit als Provokation angesehen. Doch das kümmerte Milošević wenig, bekannte er sich doch schon in seiner Amselfeld-Rede offen zu seinem eigentlichen politischen Ziel. Das war die Schaffung eines Groß-Serbiens, das den jugoslawischen Staat ersetzen, zugleich aber große Teile seines Territoriums umfassen sollte. Dazu sollte auf jeden Fall das Kosovo gehören, dessen Autonomiestatus daher aufgekündigt wurde. Außerdem unterstützte Milošević die Bestrebungen der serbischen Minderheit in Bosnien-Herzegowina, eine Milizarmee aufzustellen, die den Auftrag hatte, den Anschluss möglichst ganz Bosnien-Herzegowinas an Serbien mit allen, auch militärischen Mitteln zu gewährleisten. Insgesamt besteht kein Zweifel daran, dass der serbische Nationalist Milošević wesentlich zum endgültigen Zerfall Jugoslawiens beigetragen hat. Er erfolgte 1995 nach einem schrecklichen und von allen Seiten mit entsetzlicher Grausamkeit geführten Bürgerkrieg beziehungsweise besser: Nationalitätenkampf. Nach der Loslösung von Kroatien, Slowenien sowie Bosnien-Herzegowina baute Milošević im serbischen Rest-Jugoslawien sein autoritäres Herrschaftssystem weiter aus. Wahlen wurden systematisch gefälscht. Mandate, die dennoch von der Opposition errungen worden waren, wurden einfach annulliert. Protestdemonstrationen wurden gewaltsam von der Polizei aufgelöst, und einzelne Oppositionelle von der Geheimpolizei verhaftet und nicht selten gefoltert. Noch härter und unerbittlicher als gegen die serbische Opposition ging Milošević gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kosovo-Albaner vor. Hier drohte ganz offensichtlich ein neuer Völkermord. Das veranlasste die NATO zur militärischen Intervention. Der Kosovokrieg endete 1999 mit einem faulen, aus serbischer Sicht aber schmerzlichen
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Kompromiss. Das Kosovo gehörte zwar weiterhin formell zur Bundesrepublik Jugoslawien, erhielt aber faktisch einen von den Vereinten Nationen gesicherten Autonomiestatus. Dieser erneute und durchaus selbstverschuldete Misserfolg Miloševićs aktivierte die Opposition. Hinzu kam, dass der Internationale Strafgerichtshof Milošević im Mai 1999 wegen der während des Jugoslawienkrieges begangenen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anklagte. Diesem inneren und äußeren Druck hielt Milošević jedoch zunächst noch stand. Erst im Oktober 2000 wurde er durch einen Volksaufstand gestürzt und im April 2001 an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgeliefert. Das Ende des 2002 begonnenen Prozesses gegen ihn hat Milošević nicht erlebt. Er ist am 11. März 2006 in der Haft gestorben. Über die Bewertung seiner Person und seines Regimes wird noch gestritten. Für die einen war er nur ein serbischer Nationalist, der völlig zu Unrecht verhaftet und angeklagt worden ist. Andere halten ihn jedoch für einen Faschisten, der durchaus auf eine Stufe mit anderen Faschisten, ja selbst mit Mussolini und Hitler gestellt werden kann.44 Fazit Versucht man ein Fazit zu ziehen, gerät man leicht in die Versuchung, einige Stereotypen über den „Brandherd Balkan“ für wahr zu halten. Tatsächlich weist der geographische Raum, den wir heute lieber als Südosteuropa denn als Balkan bezeichnen, einige Besonderheiten auf, die ihn im besonderen Maße für den Faschismus anfällig machten und ganz offensichtlich wieder machen. Doch dies hat, allen Balkan-Geostereotypen zum Trotz, mit der geographischen Lage nicht das Geringste zu tun.45 Der Hinweis auf die sozioökonomische Rückständigkeit der südosteuropäischen Länder hat auch keinen großen und auf jeden Fall keinen überzeugenden Erklärungswert. Die meisten dieser Länder waren zwar in der Zwischenkriegszeit noch überwiegend agrarisch strukturiert (und sind es zum Teil heute noch), doch dies war nicht der einzige und entscheidende Grund für ihre politische Instabilität. Weit wichtiger waren andere Faktoren. Einmal die Tatsache, dass die im Westen entwickelte Idee der parlamentarischen Demokratie hier nicht verwirklicht wurde und auch gar nicht verwirklicht werden konnte, was damit zu tun hatte, dass in die-
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sen Ländern keine Nationalstaaten nach westlichem Muster entstehen und funktionieren konnten aufgrund der Existenz von nationalen Minderheiten, die sich nicht in die angestrebten Nationalstaaten integrieren lassen wollten und konnten. Dies weckte und radikalisierte wiederum den Nationalismus derjenigen Nationen, die Staatsnationen waren oder sein wollten. Der Faschismus fand also gerade in Südosteuropa günstige Voraussetzungen vor. Dennoch konnte er hier keineswegs überall und vor allem keineswegs sofort und direkt „die Macht ergreifen“. Grund dafür war die Politik der damals und auch heute noch viel gescholtenen Königsdiktaturen, die seinen Aufstieg behinderten und sich auch lange Zeit weigerten, mit ihm ein Bündnis abzuschließen. Letzteres geschah erst während des Zweiten Weltkrieges und meist auf Druck der großen faschistischen Mächte Deutschland und Italien. Die faschistischen Regime, die kurzzeitig in Rumänien und dann in Ungarn und Kroatien entstanden, waren aber weit mehr als bloße faschistische Satellitenstaaten und zeichneten sich durch eine unerhörte Brutalität aus, mit der sie die Angehörigen der nationalen Minderheiten und vor allem die Juden verfolgten. Ihr Sturz erfolgte durch äußerst blutige Bürgerkriege, die tiefe Wunden hinterließen und bei den jeweiligen Tätern und Opfern unvergessen blieben. Hinzu kamen die auch in den nachfolgenden kommunistischen Staaten nicht gelösten Nationalitätenkonflikte. Die niemals überwundenen Antagonismen zwischen den Nationalitäten und den als „faschistisch“ und „antifaschistisch“ angesehenen Parteien eskalierten nach dem Untergang der kommunistischen Staaten und führten vor allem im ehemaligen Jugoslawien zur Katastrophe. Genauer zu Bürgerkriegen, in denen es wiederum um Nation und Religion sowie um Antifaschismus gegen Faschismus ging. Generell ist die Geschichte des Faschismus in Südosteuropa keineswegs vorbei. Blickt man auf die hier fast überall wieder oder neu entstandenen faschistischen Bewegungen, so könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass wir vor einer neuen Phase des Faschismus stehen. Anzeichen und Voraussetzungen dafür gibt es genug. Gemeint ist nicht nur die politische Instabilität einiger Länder. Noch wichtiger sind die immer noch nicht gelösten Nationalitätenkonflikte. Der gefährlichste Faktor ist jedoch der Antiziganismus, der in allen südosteuropäischen Ländern weit verbreitet ist und in einigen
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bereits zu pogromartigen Ausschreitungen geführt hat, die an die antisemitischen der 1930er – und selbst noch der 1940er-Jahre – erinnern. Was der Antisemitismus für den „klassischen Faschismus“ war, scheint der Antiziganismus für den heutigen zu werden – jedenfalls in Südosteuropa.46
„Fruchtbarer Schoß“ – Faschismus in Russland
Der Schoß ist fruchtbar noch – hieß der Obertitel eines Buches von Walter Laqueur aus dem Jahr 1993.47 Wer erwartet haben sollte, dass mit diesem etwas abgegriffenen Brecht-Zitat der (Neo-)Faschismus in Deutschland gemeint war, sah sich jedoch getäuscht. Laqueurs Studie handelte vom „militanten Nationalismus der russischen Rechten“, die über eine „präfaschistische“, bis ins vorrevolutionäre Russland zurückreichende „Tradition“ verfüge.48 Am Anfang dieser Traditionslinie stünden die „Schwarzhunderter“. Der von ihnen geprägte und verbreitete Antisemitismus sei dann vor, während und nach der bolschewistischen Revolution fortgesetzt worden und auch noch in der sowjetischen Zeit anzutreffen gewesen. Meist jedoch getarnt als Antizionismus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei der Antisemitismus zum gemeinsamen Kennzeichen verschiedener rechtsradikaler beziehungsweise faschistischer Bewegungen geworden. Stimmt das? Können die extrem antisemitisch eingestellten „Schwarzhunderter“ als faschistisch eingestuft werden, und führt von dem von ihnen verbreiteten Antisemitismus eine Kontinuitätslinie, die über die Russische Revolution und die anschließende sowjetische Zeit bis hin zu den heutigen antisemitischen und faschistischen Bewegungen in Russland reicht? Schwarzhunderter Die Charakterisierung der antisemitischen „Schwarzhunderter“-Banden als faschistisch oder zumindest präfaschistisch ist innerhalb der westlichen Faschismusforschung äußerst selten anzutreffen.49 In der sowjetischen Historiographie wurde sogar geleugnet, dass es in Russland jemals eine faschistische Bewegung gegeben hat. Dabei war es kein anderer als Lenin gewesen, der wahrscheinlich als erster einen Vergleich zwischen den russischen „Schwarzhunderten“ und den ebenfalls schwarz uniformierten italienischen Faschisten gezogen hat. In einem
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Diskussionsbeitrag auf dem Vierten Kongress der Kommunistischen Internationale im November/Dezember 1922 ermahnte er seine italienischen Genossen, bei der Bekämpfung ihrer „schwarzen Banden“, womit die italienischen Faschisten gemeint waren, ein „Stück der russischen Erfahrung“ aufzunehmen. Das würde ihnen „gute Dienste“ leisten und ihnen zeigen, dass sie eben „noch nicht so gebildet“ seien wie die russischen Bolschewiki, die mit den russischen „schwarzen Banden“ ( Schwarzhundertern) so gut fertig geworden seien.50 Ist der von Lenin angestellte Vergleich zwischen den russischen „Schwarzhundertern“ und den italienischen Faschisten zutreffend und berechtigt? „Schwarzhunderter“ war ein Sammelname für verschiedene antirevolutionäre und antisemitische Bewegungen, die unmittelbar nach der Revolution von 1905 entstanden. Einige von ihnen verfügten über schwarz uniformierte und in Hundertschaften eingeteilte Parteimilizen.51 Ob sie deshalb als „Schwarzhunderter“ bezeichnet wurden, ist umstritten. Einige Historiker meinen, dass diese Bezeichnung auf die dienenden und nicht dienenden Personen im mittelalterlichen Russland zurückgeht, wobei die letzteren auch als „schwarz“ bezeichnet wurden. Doch möglicherweise ist alles ganz anders und viel einfacher. Schwarz ist nämlich eine in fast allen Sprachen und Kulturen negativ konnotierte Farbe. Schwarz ist oder soll der Teufel sein, aber natürlich auch die Nacht und der Tod. Auf jeden Fall ruft die Farbe Schwarz Furcht und Schrecken hervor. Und genau das wollten offensichtlich die Banden der russischen „Schwarzhunderter“ auch erreichen. Zu Opfern der von ihnen ausgeübten terroristischen Gewalt wurden Tausende von russischen Juden, die bei den initiierten antijüdischen Ausschreitungen umkamen, welche nach dem ukrainischen Wort für „Aufruhr“ und „Zerstörung“ Pogrome genannt wurden.52 Diese Pogrome hatten zwar schon 1881 nach der Ermordung Zar Alexanders II. begonnen, wurden dann aber von den „Schwarzhundertern“ systematisch vorbereitet und geleitet, ohne dass diese von den Organen des Staates daran gehindert worden wären.53 Rückhalt und Unterstützung bei ihrem Tun fanden die „Schwarzhunderter“ auch bei der orthodoxen Kirche.54 Sie lieferte die Ideologie, welche den fundamentalistisch-faschistischen Charakter der „Schwarzhunderter“ prägen sollte.55 Dies muss näher erklärt werden. Die russisch-orthodoxe Kirche war niemals reformiert worden und hatte sich auch von den Gedanken der Aufklärung in keiner Weise be-
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eindrucken lassen. Sie war durch und durch fundamentalistisch und vertrat einen Antisemitismus, der mit judenfeindlichen Stellen im Neuen Testament begründet wurde. Danach galten die Juden als Nachfahren der im Neuen Testament erwähnten „Christusmörder“ und „Teufelskinder“, die sich gegen die rechtschaffenen Christen und die von Gott gewollte Obrigkeit verschworen hätten. In diesem Zusammenhang griff man auch auf die mittelalterlichen Ritualmordlegenden zurück. Ein Opfer eines angeblichen Ritualmordes namens Gavriil wurde sogar heiliggesprochen. Die von der orthodoxen Kirche verbreiteten und vom Volk auch geglaubten Ritualmordlegenden wurden mit chiliastischen Endzeiterwartungen verbunden, die wiederum auf dem ebenfalls antisemitisch geprägten Glauben vom Kommen des Antichristen basierten. Dies alles geschah in einer Situation, als Russland von schweren ökonomischen und sozialen Krisen erschüttert wurde, für welche „die Juden“ verantwortlich gemacht wurden. Die alten diabolischen antisemitischen Verschwörungsideologien wurden mit den aus Westeuropa importierten modernen und sozial motivierten verbunden. Sie wurden mit den gefälschten beziehungsweise fiktiven Protokollen der Weisen von Zion begründet, auf die sich nach den „Schwarzhunderten“ auch alle anderen späteren faschistischen Bewegungen berufen haben. Dies bis heute und vor allem in Russland. Daher soll hier kurz und exkursartig auf den Charakter und die Wirkungsgeschichte dieser Protokolle eingegangen werden.56 Die „Weisen von Zion“ Wer letztlich für die Fälschung verantwortlich war, weiß man bis heute nicht oder zumindest nicht genau. Sicher ist jedoch, dass die Protokolle in Russland verfasst wurden. Denn alle drei der zwischen 1903 und 1905 hergestellten Fassungen lagen ursprünglich in russischer Sprache vor. Die älteste überlieferte wurde im Jahre 1903 in der St. Petersburger Zeitschrift Znamja anonym gedruckt. Verfasser soll Pavolaki Aleksandrowitsch Krucevan gewesen sein. Die am meisten beachtete und insofern auch wirkungsvollste Fassung wurde von dem russischen Schriftsteller und gelernten Juristen Sergei Nilus im Anhang seines fundamentalistisch religiösen Buches Das Große im Kleinen veröffentlicht.57 Die (je nach Sprache und Ausgabe) zwischen 40 und 60 Seiten langen Protokolle sind in 24 Abschnitte eingeteilt.58 Sie handeln jeweils von einer
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Sitzung der ominösen „Weisen von Zion“, die von einem – wiederum fiktiven – Juden aufgezeichnet worden sein soll. Inhaltlich bestehen die Protokolle aus zwei Teilen: aus einer Verschwörungsideologie und einer negativen Herrschaftsutopie. Im ersten, verschwörungsideologischen Teil wird beschrieben, wie „die Juden“ angeblich die „Weltherrschaft“ erringen wollen. Dabei beriefen sie sich auf das „Recht des Starken“ und stützten sich auf ihre „Herrschaft des Geldes“. Sie nutzten die Dummheit der „Massen“ und ihren „Parteienhader“ aus und würden sich ohne Wenn und Aber zum Einsatz von schrankenlosem „Terror bekennen“. Durch die Anzettelung von „Wirtschaftskriegen“ im außen- und durch die „Verteuerung der Lebensmittel“ im innenpolitischen Bereich hetzten sie die „Massen“ gegen die „christlichen Staaten“ auf, um schließlich selber die Macht zu übernehmen. Dabei scheuten „die Juden“ nicht vor Terroranschlägen gegen einzelne Personen und Staaten zurück. Zu diesem Zweck nutzten sie die „Stollen der Untergrundbahnen“ in den „Hauptstädten der Welt“, um von hier aus „ganze Städte mit den Staatsleitungen, Ämtern, Urkundensammlungen und den Nichtjuden mit ihrem Hab und Gut in die Luft [zu] sprengen“. Interessanter, aber weniger beachtet, ist der zweite utopische Teil der Protokolle. Hier wird das auf den Trümmern der alten Welt nach einem gleichzeitig in der ganzen Welt durchgeführten „Staatsstreich“ errichtete „jüdische Weltreich“ beschrieben. Der banale Inhalt der Protokolle erklärt nicht ihre ungeheure Wirkungsgeschichte in Russland, das zum Zeitpunkt des ersten Erscheinens der Protokolle von zwei unerwarteten Katastrophen betroffen war.59 Die eine war die militärische Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg. Sie kam nicht nur überraschend, sie wurde auch als besonders demütigend empfunden, war man doch nicht von einer Macht im Westen, die man bewunderte und nachahmte, sondern von einem asiatischen Land geschlagen worden. Dies weckte traumatische Erinnerungen an die jahrhundertelange mongolische Fremdherrschaft. Zur äußeren kam die innere Katastrophe – die Revolution von 1905. Auch sie brach unerwartet über das Land herein, befand sich Russland doch in einem rasanten Prozess der wirtschaftlichen Modernisierung, die zu einigen, allerdings zögerlichen politischen Reformen geführt hatte. Dass beide Faktoren, der Modernisierungsprozess und die halbherzige politische Reaktion darauf, zum Ausbruch der Revolution ge-
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führt hatten, wollten die Machthaber nicht sehen. Man suchte nach Sündenböcken und meinte in vertrauter antisemitischer Manier, sie in den Juden gefunden zu haben. Sie wurden vielfach als Drahtzieher der Revolution von 1905 angesehen. Zum Beweis dieser Behauptung wurde auf die Protokolle verwiesen. Das Muster kehrte 1917 wieder.60 Die bürgerliche Februar- und die bolschewistische Oktoberrevolution wurden als Werk „der Juden“ angesehen, wobei die Protokolle wiederum als eine Art self-fulfilling prophecy gelesen wurden. Dazu trugen weitere Ereignisse und Gerüchte bei. 1918 fanden Angehörige der „Weißen Truppen“ im Zimmer der ermordeten Zarin neben der Bibel und Tolstois Krieg und Frieden auch ein Exemplar der Protokolle der Weisen von Zion. Das von wem auch immer in einen Fensterrahmen eingeritzte Hakenkreuz, das schon damals als antisemitisches Symbol galt, wurde als zusätzlicher Beweis dafür aufgefasst, dass die bolschewistische Revolution, wie in den Protokollen vorhergesagt, von „den Juden“ angezettelt worden sei. Schließlich wurde auf die tatsächliche oder auch nur angebliche jüdische Herkunft einiger führender Bolschewisten verwiesen. Der Kreis hatte sich geschlossen: Das Schlagwort vom „jüdischen Bolschewismus“ wurde mit dem Hinweis auf die Protokolle, und deren Echtheit wiederum mit dem Hinweis auf die hier erwähnten jüdischen Revolutionäre begründet.61 „Judobolschewismus“ Das Feindbild vom „Judobolschewismus“ wurde dann noch weiter ausgemalt, wobei die tatsächlichen oder auch nur angeblichen Schreckenstaten der Bolschewiki vornehmlich den „jüdischen Bolschewisten“ in die Schuhe geschoben wurden. Dies galt vor allem für die Terrorakte der Tscheka, der sowjetrussischen politischen Polizei, die als spezifisch „jüdisch“ angesehen wurden, weil sie von Juden mit „typisch jüdischer“ Grausamkeit begangen worden seien. Nun ist nicht zu bestreiten, dass die Tscheka wirklich Verbrechen begangen hat. Sie sind wie der gesamte „rote Terror“ nicht zu rechtfertigen. Auch nicht durch den Hinweis auf den gleichzeitig stattfindenden „weißen Terror“. Der Bürgerkrieg ist von beiden Seiten mit unfassbar grausamen Methoden geführt worden. Dennoch gibt es einen Unterschied. Und dies ist die Tatsache, dass dem „weißen Terror“ eben nicht nur Bolschewiken, sondern auch viele unbeteiligte und völlig unschuldige Juden zum Opfer gefallen sind. Die genaue Zahl ist bis heute nicht
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bekannt. Doch wenn man bedenkt, dass von den insgesamt 1,2 Millionen Juden in der Ukraine (welche die meiste Zeit unter der Herrschaft der „Weißen“ stand) nachweislich 200 000 ermordet wurden, dann dürfte die Gesamtzahl bei weit über einer Million gelegen haben. Begangen wurde dieser, wie man durchaus sagen kann, Völkermord vor allem von Angehörigen der während der Februarrevolution formal verbotenen, aber dennoch weiterexistierenden „Schwarzhunderter“ oder zumindest von solchen Antibolschewisten, die von den Bolschewiki mit diesem Sammelbegriff bezeichnet wurden.62 Ihnen vor allem wurde der rücksichtslose Kampf angesagt.63 Lenin selber hat in einer öffentlichen (und auf Schallplatte überlieferten) Rede den „Pogromhelden“ die schärfsten Strafen angedroht.64 Tatsächlich sind dann verschiedene Antisemiten und vermeintliche „Schwarzhunderter“ hingerichtet beziehungsweise ohne förmliches Urteil erschossen worden. Als Indiz für ihre antisemitische Gesinnung reichte oftmals der bloße Besitz eines Exemplars der Protokolle der Weisen von Zion aus. Dennoch war die bolschewistische Abwehr des Antisemitismus bedingt und hatte auch nur sehr bedingte Erfolge. Befanden sich die Bolschewiki doch gewissermaßen in einer Zwickmühle. Denn je mehr und je entschiedener sie den Antisemitismus bekämpften, umso mehr zogen sie bei ihren Feinden und auch bei vielen ihrer Anhänger den Verdacht auf sich, projüdisch gesinnt oder gar selber verkappte Juden zu sein. Aus der Sicht ihrer Feinde bestätigten sie damit die antisemitischen Bilder und Zuschreibungen vom „jüdischen Bolschewismus“ im Allgemeinen, den „jüdischen Kommissaren“ und „jüdischen Tschekisten“ im Besonderen. Um diesem Dilemma zu entgehen, entkoppelten die Bolschewiken die öffentliche Kampagne gegen den Antisemitismus von der nicht öffentlich betriebenen Repression der Antisemiten. Hinzu kam eine weitgehende Duldung von antisemitischen Exzessen auch in ihren Reihen – vor allem innerhalb der legendären Reiterarmee Budjonnys – und eine vorgeblich nur gegen den „Klassenfeind“ gerichtete, tatsächlich aber auch als antisemitisch zu bezeichnende Verfolgung von „jüdischen Bourgeois“ und jüdischen Abweichlern innerhalb der bolschewistischen Partei. Zu diesen wurden vor allem die führenden Mitglieder der Jüdischen Sektion der Partei – der „Jewsekzija“ – gerechnet, die im Juni 1919 aufgelöst wurde.65 Dabei hatte sich gerade diese Organisation bei der Bekämpfung des Antisemitismus hervorgetan. Doch dies zählte jetzt nicht mehr, sondern wurde im Zuge der nach dem Bürgerkrieg um einen po-
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litischen und sozialen Ausgleich bemühten Politik der Parteiführung verschwiegen und geradezu tabuisiert. Im, wie es später genannt wurde, „Vaterland der Werktätigen“ konnte und durfte es keinen Antisemitismus mehr geben, weil ja alles allen und eben nicht mehr den – nichtjüdischen oder jüdischen – Bourgeois gehörte. Antisemitismus und Antizionismus in der Sowjetunion Trotz der Beseitigung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gab es in der Sowjetunion weiterhin Antisemitismus.66 Einmal im Volk, zweitens in Teilen der Partei und drittens schließlich an deren Spitze. Lenins Nachfolger Stalin wurde, wenn er es nicht schon von Anfang an gewesen ist, zu einem vehementen Antisemiten. Davon zeugt einmal die Schaffung des jüdischen „Autonomen Gebiets Birobidshan“ im unwirtlichen Grenzgebiet zu China ab Mitte der 1920er-Jahre, in das möglichst viele der russischen Juden verbracht werden sollten (ein Vorhaben, das, wäre es wie geplant verwirklicht worden, einer „territorialen Lösung der Judenfrage“ gleichgekommen wäre). Zum anderen die „Liquidierung“ der gesamten Führung des „Jüdischen Antifaschistischen Komitees“ im Zuge der „großen Säuberung“ von 1936. Auch in der Kampagne gegen die, wie sie offiziell genannt wurden, „trotzkistischen Schädlinge“ verwendete die inzwischen von Stalin persönlich kontrollierte sowjetische Propaganda ein antisemitisches Vokabular, das eine fatale Ähnlichkeit mit dem im nationalsozialistischen Deutschland hatte. In den Jahren 1939 bis 1941, als Stalins Sowjetunion mit Hitlers Deutschland verbündet war, ist es sogar zu einer antisemitischen Verfolgungswelle gekommen, die erst mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 aufhörte. Doch auch während des „Großen Vaterländischen Krieges“ verschwand der Antisemitismus keineswegs vollständig. Zu spüren bekamen ihn auch viele jüdische Soldaten und Offiziere, die innerhalb der Roten Armee für ihre Befreiung und die ihres Landes kämpften. Dies, weil sie in Stalin nicht nur das kleinere antisemitische Übel sahen, sondern den Garanten dafür, nicht der antisemitischen Vernichtungswut der deutschen Invasoren zum Opfer zu fallen. Viele sowjetische Juden sind jedoch auch von ihren eigenen Landsleuten verfolgt worden, die in den deutschen Invasoren die Befreier vom Joch des „Judobolschewismus“ sehen wollten, weshalb sie sich an dessen Vernichtung beteiligten – aus antibolschewistischen wie antisemi-
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tischen Motiven. Ohne die deutsche Hauptschuld am Völkermord an den sowjetischen Juden in irgendeiner Weise relativieren zu wollen: Die Mitschuld dieser Kollaborateure darf nicht verschwiegen werden. Tatsächlich sind viele von ihnen nach der Befreiung ihres Landes von den sowjetischen Behörden zu langjährigen Freiheitsstrafen oder zum Tode verurteilt worden. Darunter befanden sich allerdings auch Unschuldige und solche, die aus politischen und nationalen Motiven ermordet wurden. Dennoch besteht kein Anlass, sie alle als unschuldige Opfer von Stalins Terror zu bezeichnen und zu betrauern, wie dies nach dem Zerfall der Sowjetunion vor allem in den baltischen Staaten geschehen ist. Generell gibt es in der neueren westlichen und teilweise selbst in der russischen Forschung die Tendenz, alle, auch die antisemitischen, Formen und Varianten des Antikommunismus als demokratisch zu bezeichnen und gutzuheißen.67 Dabei waren viele der führenden Kommunisten selber Antisemiten – und blieben es bis zum Zerfall der Sowjetunion.68 Stalin hat in seinen letzten Lebensjahren, in denen er sich immer mehr seinem trotz allem bewunderten Gegner Hitler anglich69, ganz offensichtlich geplant, viele, wenn nicht die meisten sowjetischen Juden, die den Holocaust überlebt hatten, zu ermorden. Vorbereitet und begründet wurde dies in klassischer antisemitischer Manier mit dem Hinweis auf eine „Verschwörung“ von, selbstverständlich, „jüdischen“ Ärzten. Wegen Stalins Tod am 5. März 1953 kam es nicht mehr zur Verwirklichung dieses „letzten Verbrechens“ Stalins.70 Doch auch nach Stalins Tod und selbst nach dem XX. Parteitag der KPdSU von 1956, auf dem zumindest einige seiner Verbrechen angeprangert wurden, hat es Antisemitismus in der Sowjetunion und in verschiedenen Ländern des Ostblocks gegeben, einschließlich der DDR. Allerdings meist getarnt als „Antizionismus.“ Dies ist von nur wenigen Oppositionellen kritisiert worden. Einige Oppositionelle waren sogar selber überzeugte Antisemiten. Antisemitismus und Faschismus im postkommunistischen Russland Nach dem Untergang der Sowjetunion hat dieser parteiübergreifende Antisemitismus in verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken und vor allem in Russland selber ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen.71 Dabei ist es auch zu einer Renaissance und sogar zur Radikalisierung der Ideologie vom „jüdischen Bolschewismus“ gekommen. Die Protokolle der Weisen von Zion, in denen die Ideologien des Antisemi-
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tismus und Antikommunismus miteinander verbunden worden waren, sind im heutigen Russland zu einem „Kultbuch“ geworden, das man überall und ungehindert in preisgünstigen Nachdrucken kaufen kann. Der russische Antisemitismus ist dann von verschiedenen rechtsradikalen beziehungsweise faschistischen Bewegungen aufgegriffen worden, die hier fast wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.72 Die erste hieß „Pamjat“ (Gedächtnis). Hervorgegangen ist sie aus einem Kulturklub, der schon in den 1980er-Jahren von dem Schauspieler und Fotografen Dmitri Wassiljew gegründet worden war. „Pamjat“ war eine fast vollständige Kopie der „Schwarzhunderter“. Dies gilt einmal für die schwarzen Uniformen, in denen seine Mitglieder auftraten, und zum anderen für deren radikal antisemitische Ideologie, die sich wiederum auf die Protokolle der Weisen von Zion stützte. Außerdem hat sich ihr selbsternannter „Führer“, Wassiljew, auch mehrmals positiv über Hitler geäußert. In der Sowjetunion, wo Hitler das absolut Böse verkörperte und der Faschismus mit dem Nationalsozialismus geradezu identifiziert wurde, war das ein unerhörter Tabubruch. „Pamjat“ zerfiel zu Beginn der 1990er-Jahre in verschiedene Fraktionen. Das lag auch an der persönlichen Unfähigkeit Wassiljews, der nichts Charismatisches an sich hatte und daher bei seinen eigenen Anhängern umstritten war. Heute spielt die Bewegung keine Rolle mehr. Dies trifft auch auf eine andere ebenfalls eindeutig als faschistisch einzustufende Partei zu, die von Alexander Barkaschow gegründet wurde und sich „Russische Nationale Einheit“ nannte. In den 1990erJahren stand sie im Mittelpunkt der Berichterstattung der russischen und auch der ausländischen Medien: traten ihre Mitglieder doch in der Öffentlichkeit in schwarzen Uniformen unter einem nur leicht modifizierten Hakenkreuz auf, wobei – als Gipfel der offensichtlich auch angestrebten Provokation – auch der Hitler-Gruß gezeigt wurde. Dennoch übte diese faschistische Partei wie alle ihre Vorgängerinnen einen unbezweifelbaren Einfluss auf vor allem junge Männer aus, die in eigenen paramilitärischen Camps auf ihre Aufgabe vorbereitet wurden, das „internationale Judentum“ sowie Angehörige der Minderheiten im Allgemeinen und der aus dem Kaukasus im Besonderen zu bekämpfen. Politische Erfolge, vor allem Wahlerfolge, waren der Partei von Alexander Barkaschow nicht beschieden, weshalb sie mehr und mehr an den Rand gedrängt wurde. Heute ist sie bis auf einige, den westlichen Skinheads ähnliche, Gruppierungen nicht mehr vorhanden.
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Bei der „Liberaldemokratischen Partei“ Wladimir Schirinowskis ist dies anders. Sie ist nach wie vor im Parlament vertreten und hat einen geradezu kometenhaften Aufstieg erlebt, der sie fast an die Macht gebracht hat. Dies verdankte sie einmal der wirtschaftlichen und politischen Schwäche, die das postkommunistische Russland zunächst auszeichnete. Hinzu kam die Medienpräsenz ihres Führers Schirinowski, der diese faschistische Partei nicht nur gegründet, sondern auch ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit geprägt hat. Daher ist auch hier ein Blick auf seine Biographie interessant und aussagekräftig. Wladimir Schirinowski wurde 1946 in der ehemaligen Hauptstadt Kasachstans, Alma-Ata, geboren. Sein Vater war jüdischer Herkunft, was Schirinowski zunächst zu verschweigen versucht hat. Nach eigenen Angaben – Schirinowski hat bereits seine Autobiographie vorgelegt – soll er eine schwere Kindheit gehabt haben. Nach Absolvierung seines Wehrdienstes, den er im Kaukasus ablegte, hat er in Moskau Turkologie studiert, um dann für einen Verlag zu arbeiten. Anfang 1991 gründete er die „Liberaldemokratische Partei“, die gewissermaßen aus dem Stand heraus bei den ersten wirklich freien Duma-Wahlen vom Dezember 1993 fast 23 Prozent der abgegebenen Stimmen gewann. Damit war sie mit Abstand zur stärksten Partei des neuen Russland geworden. Obwohl er bereits ein Schattenkabinett gebildet hatte, wurde Schirinowski vom damaligen Präsidenten Boris Jelzin nicht mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Die „Liberaldemokratische Partei“ verblieb in der Opposition. Und ist es bis heute, obwohl sie sich dem von Jelzin und dann von seinem Nachfolger Putin in der Innen- und noch mehr in der Außenpolitik vertretenen Kurs immer mehr angepasst hat. Letzteres ist deshalb so erstaunlich, weil sich Schirinowski öffentlich und in eigens zu diesem Zweck verfassten Schriften für eine expansive Politik Russlands eingesetzt hat. Sie zielte zunächst auf die, wie Schirinowski es nannte, „Wiedervereinigung“ mit den baltischen Republiken ab. In – allerdings widersprüchlichen und schließlich wieder dementierten – Verlautbarungen hat Schirinowski darüber hinaus die „Rückgewinnung“ großer Teile Polens und selbst Finnlands gefordert. Das Hauptexpansionsziel sollte dagegen im Süden und Südosten Russlands liegen. Neben den „abtrünnigen“ Ländern im asiatischen Teil der früheren Sowjetunion sollten Afghanistan, der Iran sowie die Türkei wieder- oder neu erobert werden. Dies hat Schirinowski in seinem Hauptwerk Der letzte Sprung nach Süden mit geopolitischen Erwägungen
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begründet, wonach Russland über den Zugang zu „warmen Gewässern“ verfügen müsse, zu denen vor allem der Indische Ozean zu rechnen sei. All dies wirkt mehr als abstrus, hat aber gerade deshalb große Ähnlichkeit mit dem von vielen Zeitgenossen ebenfalls für abstrus gehaltenen außenpolitischen Programm, das Hitler in Mein Kampf niedergelegt hat. Diesen Hitler-Vergleich hat Schirinowski übrigens keineswegs energisch zurückgewiesen, im Gegenteil: In seinen Ausführungen über die künftige Innenpolitik Russlands hat er sich am Vorbild des „großen Diktators“ orientiert. Dies gilt für seinen großrussischen Nationalismus ebenso wie für den Antidemokratismus, Antiamerikanismus und nicht zuletzt auch Antisemitismus. Schirinowskis „Liberaldemokratische Partei“ ist ohne Zweifel als faschistisch einzustufen. Eine faschistische Partei in einem Land, das so sehr unter dem (deutschen) Faschismus gelitten hat – wie konnte das passieren? Ein Grund dafür ist, dass man im heutigen Russland immer noch die sowjetische Lesart vertritt, wonach Faschismus erstens die „Diktatur einiger Elemente des Finanzkapitals“ ist, und zweitens historisch nur in Gestalt des deutschen Faschismus beziehungsweise des Nationalsozialismus verkörpert worden ist. Mithin kann es in Russland per definitionem keinen Faschismus geben. Doch dieser Zirkelschluss ist falsch. Es hat eben auch in Russland faschistische Parteien gegeben wie die „Schwarzhunderter“ und verschiedene Ideologen wie die sogenannten Eurasier, Nationalbolschewisten und Vertreter einer spezifisch russischen „Konservativen Revolution“, die zumindest eine geistige Nähe zum Faschismus aufgewiesen haben – und es gibt sie immer noch. Der bedeutendste von ihnen ist Alexander Dugin. Er hat aus den gefährlichen Gedanken der russischen und vor allem der deutschen konservativ-faschistischen Ideologen ein noch gefährlicheres Gebräu gemischt, das er unter Beifügung von esoterischen und okkulten Elementen erfolgreich und in der russischen Öffentlichkeit verkauft und verbreitet. Daher sollte man ihn nicht als närrischen und weithin einflusslosen bloßen Ideologen abtun. Seine „Eurasien“ genannte Splitterpartei ist schwach, doch seine ideologischen Vorstellungen üben einen immer größer werdenden Einfluss auf die russische Gesellschaft aus. Inzwischen findet man sie auch in den Reihen der Kommunistischen Partei Russlands, die sich immer noch und mit sichtbarem Stolz auf Lenin beruft. Dies obwohl sie sich unter Leitung ihres Führers Gennadi Sjuganow von einer ursprünglich internationalistisch ausgerichteten
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zu einer nationalistischen gewandelt hat, die zunehmend durch antisemitische und rassistische Äußerungen aufgefallen ist. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich schon die KPdSU Stalins einer nationalistischen Rhetorik bedient hat. Der von Stalin eingeleitete nationalkommunistische Kurs ist auch von seinen Nachfolgern weitergeführt worden. Zum nationalkommunistischen Flügel der KPdSU gehörte auch der 1944 geborene Sjuganow, der es nach Studium und Militärdienst innerhalb des Parteiapparates zum stellvertretenden Leiter der Abteilung für Agitation und Propaganda des Zentralkomitees gebracht hatte. Nach Jelzins Auflösung der KPdSU schloss sich Sjuganow zunächst einer kleineren rechtsradikalen Organisation an, bevor er zur „Kommunistischen Partei der Russischen Föderation“ (KPRF) überwechselte, die ihn im Jahr 1993 zu ihrem Vorsitzenden wählte. Dies obwohl oder weil Sjuganow seine nationalistische Einstellung nicht verheimlichte, sondern sie in zahlreichen, viel gelesenen Publikationen offen verkündete. Wegen seiner ultranationalistischen Ideologie, in deren Zentrum der auch von Faschisten unterschiedlicher Couleur verwandte Begriff der „Wiedergeburt“ steht, ist Sjuganow von einigen Historikern als Faschist klassifiziert worden. Dies geht sicherlich zu weit und trifft vor allem nicht auf die von ihm angeführte Kommunistische Partei insgesamt zu. Doch ist Sjuganow keineswegs am Ende seiner politischen Karriere angelangt, die ihn einmal fast in das Amt des russischen Präsidenten geführt hätte. Er wurde 1996 von Jelzin nur knapp und 2000 von Putin mit deutlichem Abstand geschlagen. Bei den 2008 veranstalteten Präsidentschaftswahlen blieb er jedoch gegenüber dem Kandidaten der Putin-Partei, Dmitri Medwedew, chancenlos. Dennoch scheint sein erneuter politischer Aufstieg nicht ausgeschlossen zu sein. Ähnliches gilt für die übrigen genannten faschistischen Bewegungen. Sie können von den immer noch labilen politischen Verhältnissen im postkommunistischen Russland profitieren, wo sich die Demokratie keineswegs durchgesetzt hat. Dies hat einige Beobachter veranlasst, das Regime Putins als bonapartistisch einzuschätzen. Wenn das zutrifft, gibt es zwei Möglichkeiten. Putin kann die faschistischen Parteien weiterhin von der Macht fernhalten, er kann sich aber auch mit ihnen verbünden und zum Chef eines bonapartistisch-faschistischen Regimes werden. Doch was auch immer geschehen wird, eins ist sicher: Walter Laqueur hat mit seiner eingangs erwähnten Bemerkung recht, wonach der „faschistische Schoß“ in Russland besonders „fruchtbar“ ist.
AMERIKA
„All men are created equal“ – Fundamentalismus und Faschismus in den USA
„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal“, heißt es in der von Thomas Jefferson geschriebenen Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten aus dem Jahr 1776. Der hier beschworene Gleichheitsgedanke ist das Grundprinzip der Demokratie, während die Leugnung des Gleichheitsgedankens das Grundprinzip des Faschismus ist. Für die USA folgt daraus Folgendes. Obwohl, ja gerade weil die USA immer und von Anfang an eine Demokratie waren, sind sie mehrmals vom Faschismus bedroht worden.1 Anlass und Ursache war jeweils eine Krise ihres demokratischen Systems, die von Bewegungen und Personen geschaffen und ausgenutzt wurde, von denen einige als faschistisch einzuschätzen sind. Das „früheste Phänomen“, das „funktionell mit dem Faschismus in Verbindung gebracht werden kann“, war der heute noch bestehende Ku-Klux-Klan.2 Daher ist mit ihm zu beginnen. KKK Der nach dem griechischen Wort für Kreis, kyklos, und den schottischen clans benannte Ku-Klux-Klan (KKK) wurde 1865 in Pulaski, Tennessee, von einigen Offizieren der Armee der geschlagenen Südstaaten gegründet. Ursprünglich wies der Klan Ähnlichkeiten mit den amerikanischen Studentenverbindungen – den fraternities – auf, die bekanntlich griechische Bezeichnungen beziehungsweise Buchstabenkombinationen als Namen tragen.3 Wie die Verbindungsbrüder huldigten die „Brüder“ oder „Ritter“ des Klans merkwürdigen Riten und betrieben allerlei Schabernack: Sie hüllten sich in weiße Bettlaken, verbrannten Holzkreuze und erschreckten ihre schwarzen Mitbürger. Diese „Dummejungenstreiche“ waren ihnen aber bald nicht genug, weshalb sie dazu übergingen, die Afroamerikaner zu terrorisieren, die gerade erst ihre Bürgerrechte erworben und das Wahlrecht erhalten hatten. Dem eskalierenden Terror des Klans fielen dann Hunderte, wenn nicht Tausende von
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Schwarzen zum Opfer, die mit ausgeklügelten und immer grausamer werdenden Methoden gefoltert, verstümmelt (kastriert) und ermordet wurden. Diese Gewalttaten und atavistischen Gewaltrituale ähnelten denen der späteren europäischen Faschisten. Ähnlich wie den italienischen squadristi und den deutschen SA-Männern gelang es den clansmen, in wachsenden Teilen der Südstaaten so etwas wie eine „alternative Zivilautorität“ zu errichten.4 Diese Ähnlichkeiten sind nicht zufällig, entstand der Klan doch wie der spätere europäische Faschismus in einer Krisensituation – in doppelter Hinsicht. Zum einen starben in dem entsetzlichen Bürgerkrieg mehr Amerikaner als in allen anderen Kriegen danach. Dazu kamen seine besonderen Folgen für die geschlagenen und zur bedingungslosen Kapitulation gezwungenen Südstaatler. Diese verloren nicht nur die unmittelbare Herrschaft über ihre Sklaven, sondern auch ihre politische Macht und gesellschaftliche Stellung. Von Präsident Lincoln geplant und angedroht war außerdem eine strenge Bestrafung der SüdstaatenElite. Doch dazu kam es nicht. Lincolns Nachfolger Andrew Johnson betrieb stattdessen eine Politik der reconstruction, die dazu führte, dass die weißen Südstaatler ihre hegemoniale Stellung im politischen und gesellschaftlichen Bereich zurückerhielten. All dies geschah auf Kosten der formal befreiten Schwarzen, die ihre politische Gleichstellung wieder verloren und denen nach und nach sogar das Wahlrecht entzogen wurde. Von der ihnen versprochenen sozialen Gleich- oder zumindest Besserstellung war überhaupt nicht mehr die Rede. Sie verfügten weiterhin über fast kein Land und mussten für ihre vormaligen Sklavenhalter als Knechte oder Kleinbauern arbeiten. Als solche waren sie gezwungen, mindestens 50 Prozent ihres Erwerbs an den Grundeigentümer abzutreten. Im gesamten Süden der USA war an die Stelle der Sklavenhalterordnung eine feudale Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung getreten, die im eklatanten Widerspruch zum demokratischen Charakter des Gesamtstaates stand. Die rassistische Diskriminierung der Schwarzen wurde religiös begründet – genauer mit dem Hinweis auf die im Alten Testament zu findende Ham-Geschichte. Der dort erwähnte ungezogene Sohn Noahs muss seinen Brüdern dienen und soll außerdem der Stammvater aller Afrikaner gewesen sein. Die weißen Amerikaner sahen sich dagegen als Nachfahren des anderen, guten Sohns Noahs namens Japhet an. Daher
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beanspruchten sie die Herrschaft über die versklavten Schwarzen. Außerdem fühlten sie sich als die wahren Nachkommen des „auserwählten Volkes“. Ihr Rassismus wurde also mit einer fundamentalistischen Auslegung der Bibel begründet.5 Fundamentalismus und Rassismus standen auch im Mittelpunkt der Ideologie des Klans, mit welcher der Terror gegen die Schwarzen begründet wurde. Dieser wurde von den Behörden der Südstaaten zunächst toleriert. Erst im Jahr 1871 wurde ein Gesetz – der sogenannte „Ku Klux Klan Act“ – verabschiedet, durch das die Bundesbehörden ermächtigt wurden, die terroristischen Aktivitäten des Klans zu unterbinden. Das führte zu einem sukzessiven Rückgang und allmählichen Verschwinden des Klans. Zu seiner Neubelebung kam es im Jahr 1915. Äußerer Anlass war der berühmte und von Cineasten gerühmte Film The Birth of a Nation. In ihm war auch der Klan erwähnt worden, und zwar äußerst positiv. Dies reizte zur Nachahmung beziehungsweise zu einem Revival. Ein vermutlich selbst ernannter „Colonel“ namens William J. Simmons gründete den Klan neu. Und dies an einem symbolkräftigen Tag – Thanksgiving – und Ort, nämlich auf dem Gipfel des Stone Mountain im Südstaat Georgia. Durch intensive Werbung und reichlich fließende Spendengelder wurde der neue Klan sehr schnell zu einer Massenbewegung. 1921 sollen ihm bereits 100 000 Mitglieder angehört haben. Sie mussten relativ hohe Aufnahmegebühren zahlen und die entsprechend teuren Kostüme vom Klan erwerben, der daraus ein Geschäft machte. Nutznießer war vor allem der Führer beziehungsweise „Imperial Wizard“ (Imperialer Hexenmeister), der ein nicht unbeträchtliches Vermögen ansammeln konnte. Simmons nutzte das Medienecho, auch das negative, skrupellos aus. Selbst aus seinem Auftritt vor einem Untersuchungsausschuss des Kongresses machte er einen propagandistischen Erfolg, was er mit dem zynischen Satz kommentierte: „Congress made us.“ Simmons’ Handicap war jedoch seine Alkoholsucht. Sie wurde von seinen Unterführern bekannt gemacht und zugleich skandalisiert. Daraufhin trat Simmons 1924 von seinen Ämtern zurück – gegen Zahlung einer Abfindung von nicht weniger als 146 000 Dollar. Simmons’ Nachfolger wurde ein Zahnarzt aus Dallas namens Hiram Wesley Evans. Diesem gelang nicht nur eine weitere Steigerung der Mitgliederzahl des Klans, die 1925 die Viermillionen-Marke überschritten
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haben soll, sondern auch die Ausdehnung des Klans in den Norden der USA, wo Stützpunkte (realms) errichtet wurden. Mit der territorialen Erweiterung war auch eine Veränderung der politisch-ideologischen Stoßrichtung verbunden. Der Klan wandte sich jetzt keineswegs mehr nur gegen die weitgehend entrechteten und rassistisch diskriminierten Afroamerikaner, sondern auch gegen Juden sowie Kommunisten. Damit verband er seinen ursprünglichen Rassismus mit einem ebenfalls vornehmlich religiös begründeten Antisemitismus und Antikommunismus, wodurch der Klan eine fatale Ähnlichkeit mit den zeitgenössischen faschistischen Bewegungen in Europa erhielt. Anders als die europäischen faschistischen Bewegungen hat der Klan jedoch niemals ernsthaft an eine wie auch immer geartete „Machtergreifung“ gedacht. Der „Führer“ beziehungsweise „Imperial Wizard“ Evans ließ sich schließlich eine Abfindung auszahlen, in Höhe von 220 000 Dollar. Diese Summe rief die amerikanische Steuerfahndung auf den Plan. Sie durchforstete die Unterlagen des Klans und forderte Steuernachzahlungen ein, die der Klan nicht leisten konnte oder wollte. Daher löste er sich 1944 formell selber auf. In den 1950er-Jahren erschien er jedoch wieder auf der politischen Bildfläche. „Red Scare“ Die zweite und eindeutig faschistische Phase des Klans fiel in eine weitere Krisenzeit der USA. Sie wird als „Red Scare“ bezeichnet und auf die Jahre unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg datiert. Die Ursachen dieser – unbegründeten – „Angst vor den Roten“ liegen jedoch im ausgehenden 19. Jahrhundert, als es auch in den USA zur Entstehung einer, allerdings äußerst schwach bleibenden, Arbeiterbewegung gekommen war.6 Die schnelle und erfolgreiche Industrialisierung nach dem Bürgerkrieg hatte die USA mit einer sozialen Frage konfrontiert, deren Lösung mindestens so dringlich war wie in Deutschland und anderen industrialisierten europäischen Ländern. Doch diese war nicht in Sicht. Jedenfalls nicht vonseiten des Staates, der sich nicht in das Wirtschaftsleben einmischen wollte, auch weil dies auf den energischen Widerstand der oligarchisch herrschenden amerikanischen Industriellen gestoßen wäre. Die meisten amerikanischen Arbeiter, vor allem die gerade aus Europa eingewanderten, wurden ausgebeutet und lebten in sozialen
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Verhältnissen, die weitaus schlechter waren als die in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern. Der amerikanischen Arbeiterbewegung bot sich also ein breites Betätigungsfeld, was zu ihrem Erstarken hätte führen müssen. Doch dazu kam es nicht. Die Gewerkschaftsbewegung blieb schwach, und die sozialistischen Parteien, die im Lande entstanden, waren fast bedeutungslos. Die „Socialist Labor Party“ hatte 1880 ganze 1500 Mitglieder. Die Gewerkschaften waren zudem von Spitzeln der Arbeitgeber unterwandert und wurden nicht selten von korrupten Funktionären angeführt. Bedeutung hatten sie ohnehin nur auf regionaler Ebene. Die einzige Gewerkschaft, die fast im ganzen Land vertreten war, war die 1886 gegründete „American Federation of Labor“ (AFL). Doch gerade sie war strikt reformistisch gesinnt und beschränkte sich auf eine „reine und einfache“ Gewerkschaftspolitik, wie sie es selber nannte. Die Gründe für die relative Schwäche der amerikanischen Arbeiterbewegung waren vielfältig. Einmal ist auf die schiere Größe des Landes zu verweisen, durch die der Aufbau einer zentralen und im ganzen Land operierenden Gewerkschaft oder Partei etwa nach dem Muster der SPD erschwert wurde. Die Vormachtstellung der beiden traditionellen großen Parteien wurde anders als in England niemals durch eine Arbeiterpartei infrage gestellt. Generell blieb das auf den Prinzipien der individuellen Freiheit und ökonomischen Chancengleichheit basierende amerikanische politische System auch deshalb stabil, weil es eine unbezweifelbare Anziehungskraft auch auf die neuen Immigranten ausübte, die von seiner Gerechtigkeit überzeugt waren. Hinzu kamen die großen ethnischen und zunächst auch sprachlichen Unterschiede zwischen den eingewanderten Arbeitern, die ihre Organisation und Schulung zu „klassenbewussten Proletariern“ so schwierig machten. Schließlich wurde die Klassenfrage immer wieder durch die in Amerika in Gestalt der Afroamerikaner real existierende „Rassenfrage“ konterkariert, weil der Rassismus auch innerhalb der Arbeiterschaft verbreitet war. Verschiedene Angehörige der Oberschicht und des politischen und ökonomischen Systems sahen dies jedoch anders. Sie fürchteten eine Verbindung der sozialen mit der nationalen, ja selbst mit der „Rassenfrage“ – konkret ein Bündnis der meist katholischen, jüdischen oder gar atheistischen Immigranten aus Süd- und Osteuropa mit den als „Neger“ bezeichneten und diskriminierten Afroamerikanern gegen das herrschende Establishment der „White Anglo-Saxon Protestants“.
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Die Angst der WASPs vor diesem halluzinierten und zugleich als „unamerikanisch“ denunzierten enemy within schlug in Aggression um.7 Anfang Mai 1886 war dies in Chicago der Fall. In dieser gewaltig expandierenden Industriestadt hatten sich einige anarchistische Gruppen gebildet, die unter den deutschen, jüdischen, italienischen und osteuropäischen Immigranten einige tausend Mitglieder rekrutiert hatten. Am 1. Mai 1886 organisierten sie einen Streik, um für die Einführung des 8-Stunden-Tages zu demonstrieren, die ihre australischen Kollegen in der damaligen britischen Kolonie Victoria schon 1856 erstritten hatten. Doch am 3. Mai 1886 kam es auf dem Chicagoer Haymarket zu einem Zusammenstoß mit der Polizei, der einige Tote und Verletzte forderte. Anlass soll der Bombenwurf eines Demonstranten gewesen sein, durch den ein Polizist getötet wurde. Obwohl keineswegs sicher geklärt werden konnte, wer die Bombe tatsächlich geworfen hatte, wurden vier angebliche Rädelsführer verhaftet, zum Tode verurteilt und ein Jahr später hingerichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm dann die „Angst vor den Roten“ geradezu hysterische Züge an. Ursache dafür war einmal das Erstarken der amerikanischen Gewerkschaften, die während des Krieges einige Lohnerhöhungen hatten erkämpfen können. Sie sollten jetzt bei der Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft wieder rückgängig gemacht werden. Um dieses eigennützige Ziel zu begründen, wiesen die Wirtschaftsbosse im Verein mit einigen konservativen Politikern auf die angeblich drohende außenpolitische Gefahr hin. Gemeint war die damals in einen blutigen Bürgerkrieg verstrickte Sowjetunion, die durch diesen geschwächt war und sich daher auch beim besten Willen nicht in die inneramerikanischen Angelegenheiten einmischen oder gar die USA militärisch angreifen konnte. Dennoch wurde ihr das mit der Behauptung unterstellt, dass es in den USA bereits so etwas wie eine „fünfte Kolonne“ der Sowjetunion gäbe. Gemeint war damit vor allem die neue militante Gewerkschaft der „Industrial Workers of the World“ (IWW), die sich der radikalen Rhetorik der Bolschewisten bediente, aber natürlich nicht im Ernst daran dachte, in den USA eine bolschewistische Revolution auszurufen. Doch genau das wurde den Teilnehmern der Streiks vorgeworfen, die sich, ausgehend von Seattle im Westen, in der ersten Hälfte des Jahres 1919 fast über das ganze Land ausbreiteten. Die Rede von der „roten Gefahr“ (red menace) machte die Runde. Die Wirtschaftsbosse baten sogar die Zentralregierung um Hilfe.
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Dies war neu und kam überraschend. Einmal, weil ein nationales Eingreifen die Existenz eines starken Staates voraussetzte, der jedoch in Amerika gemäß dem „American Creed“ nicht vorgesehen war. Unter dem Präsidenten Woodrow Wilson war der Staat sogar besonders schwach, weil Wilson sich auf das Engagement Amerikas in Europa und die Annahme des Versailler Vertrages konzentrierte. Als seine Bemühungen, die Lage zu beruhigen, fehlschlugen, resignierte der inzwischen auch durch einen Schlaganfall körperlich geschwächte Präsident. Das Land war in dieser schwierigen innenpolitischen Situation nahezu führerlos. Das war die Stunde des bis dahin kaum bekannten Generalstaatsanwalts (Attorney General) Alexander Mitchell Palmer, der eine Serie von niemals aufgeklärten Bombenanschlägen, dem auch sein eigenes Haus zum Opfer fiel, zum Anlass nahm, um eine neue Kampagne gegen die vermeintliche „rote Gefahr“ zu starten. Zu diesem Zweck rief er eine im Justizministerium angesiedelte „General Intelligence Division“ ins Leben, die von dem damals 24-jährigen John Edgar Hoover geleitet wurde. Dieser speziell zur Bekämpfung der „roten Gefahr“ in Amerika gegründete Geheimdienst platzierte Agenten in den verschiedensten linken Organisationen und Gewerkschaften und sammelte Informationen über diese. Obwohl schon im Herbst 1919 Ausmaß und Zahl der Streiks zurückgingen, nicht zuletzt weil die meisten von der Polizei mit gewaltsamen Methoden zerschlagen wurden – obwohl also die „rote Gefahr“ schon vorüber war, wenn es sie denn gegeben hatte, schlugen Palmer und Hoover zu. Zur Verfügung standen ihnen nicht nur die Polizei und andere Bundesbehörden, sondern auch eine, wie es hieß, „geheime Armee von Freiwilligen“.8 Die wichtigste war der gerade (1919) gegründete Veteranenverband „American Legion“, der hier eine ähnliche Funktion übernahm wie die zur gleichen Zeit aktiven „Heimwehren“ in Österreich. Im November 1919 überfielen Bundespolizisten und Legionäre in zwölf Städten der USA die Büros der „Union of Russian Workers“. Die Unterlagen dieser kleinen gewerkschaftlichen Gruppe wurden beschlagnahmt und Tausende ihrer Mitglieder verhaftet. Viele – insgesamt waren es 249 Personen – wurden zudem zu unerwünschten Ausländern erklärt und ausgewiesen. Anfang 1920 wurden in über dreißig Städten die Geschäftsstellen und Versammlungsorte der ein Jahr zuvor gegründeten
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Kommunistischen Partei der USA (CPUSA) Opfer dieser, wie sie genannt wurden, „Palmer Raids“ (Palmerschen Razzien). Zwischen fünfund zehntausend tatsächliche oder angebliche Kommunisten wurden gefangen genommen. Kurz zuvor hatten in der Stadt Centralia im Bundesstaat Washington Angehörige der „American Legion“ Mitglieder der „Industrial Workers of the World“ überfallen. Die, wie sie meist genannt wurden, „Wobblies“ wehrten sich jedoch und erschossen drei Legionäre, worauf diese mit dem Lynchmord an einem Gewerkschafter antworteten. All das erinnert an die gleichzeitigen Vorgänge in Italien, Österreich und dann auch Deutschland. Dennoch ist aus Palmer kein „amerikanischer Mussolini“ und aus der „American Legion“ keine amerikanische faschistische Partei geworden. Anders als in Italien, Österreich und Deutschland erwiesen sich nämlich die amerikanischen demokratischen Institutionen als stabil. Hinzu kam, dass sich auch in der amerikanischen Öffentlichkeit ein Prozess der Ernüchterung durchsetzte. Beigetragen dazu hatte, allerdings unfreiwillig, der Initiator der „Palmer Raids“ selber. Hatte Palmer doch persönlich vor einem Aufstand der Linken gewarnt, der am 1. Mai 1920 stattfinden sollte, aber eben nicht stattfand, weshalb die überall im Lande mobilisierten Polizei- und Armeeeinheiten unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Damit hatte sich Palmer lächerlich gemacht. Außerdem wurde er von führenden Anwälten des Landes beschuldigt, mit seinen Überfällen gegen Gesetze verstoßen und unschuldige Bürger verhaftet zu haben. Palmer verschwand von der politischen Bildfläche. Auch seine Hilfsorganisation „American Legion“ widmete sich wieder ihrer ureigenen Aufgabe, nämlich der Betreuung von Veteranen im sozialen und gesundheitlichen Bereich. Doch 1931 wurde eine, „Sons of the American Legion“ genannte, Unterorganisation verdächtigt, einen Putsch gegen den Präsidenten Roosevelt zu planen. Der gegenüber der „American Legion“ erhobene Faschismusverdacht war also so unbegründet nicht. Einige andere Parteien, die in dieser Krisenzeit der USA entstanden, hatten dagegen einen ganz offensichtlichen faschistischen Charakter.9 Father Coughlin und andere Faschisten Die mit dem Börsencrash von 1929 einsetzende Wirtschaftskrise führte nicht nur zur plötzlichen Verarmung auch großer Teile des amerika-
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nischen Mittelstandes, sie stellte zentrale Bestandteile des amerikanischen Selbstbewusstseins infrage. Zum „American Creed“ gehörte auch das Vertrauen in das freie Unternehmertum, das für alle segensreich sei. Die unkontrollierte freie Marktwirtschaft garantiere die Verwirklichung des in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 festgeschriebenen pursuit of happiness. Doch jetzt wurden aus Tellerwäschern keine Millionäre, sondern Millionäre zu Tellerwäschern. Es kam zu einer Massenarmut, die das Eingreifen des Staates erforderlich machte. Dies geschah dann auch durch Roosevelts „New Deal“. Seine an den Lehren des Ökonomen Keynes orientierte Wirtschaftspolitik war jedoch zunächst wenig erfolgreich. Außerdem kosteten die eingeleiteten Sozialmaßnahmen Geld, das die amerikanischen Steuerzahler nicht aufbringen wollten. Man suchte nach Schuldigen für die Misere. Einige machten den als „liberal“ und „unamerikanisch“ angesehenen Präsidenten Roosevelt verantwortlich. Andere beschuldigten wieder einmal den ominösen inneren Feind. Zu diesem enemy within wurden jetzt neben Kommunisten auch Juden gezählt. Zum Sprecher und Hauptvertreter dieser antisemitischen Verschwörungsideologie wurde der Autokönig Henry Ford. Er ließ in der Werkszeitung der Detroiter Fordwerke – The Dearborn Independent – verschiedene antisemitische Artikel, darunter Auszüge aus den Protokollen der Weisen von Zion, drucken, die er dann unter seinem Namen als Buch veröffentlichte. Es trug den Titel: The International Jew – the World’s Foremost Problem. Fords Buch wurde sofort in andere Sprachen, darunter auch ins Deutsche, übersetzt10 und fand in Europa, vor allem im nationalsozialistischen Deutschland, begeisterte Leser. In Amerika war dies jedoch anders. Fords Verschwörungshypothesen über die Macht „der Juden“, die hinter allem, vor allem aber der bolschewistischen Revolution stünden, wurden von vielen nüchterner denkenden Amerikanern in Zweifel gezogen und als „unamerikanisch“ empfunden, weil damit eine ganze religiöse Gemeinschaft diffamiert wurde. Als jüdische Organisationen mit dem Boykott der Autos des Ford-Konzerns drohten, stand Ford vor der Wahl, entweder Antisemitismus zu verbreiten oder Autos zu verkaufen. Er entschied sich für Letzteres und zog sein antisemitisches Buch zurück. Nicht mehr rückgängig zu machen war jedoch die von Henry Ford gezogene Verbindung zwischen der Ideologie des Antikommunismus und der des Antisemitismus. Aufgegriffen wurde sie einmal von Charles
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Coughlin.11 Bei dem 1891 geborenen Coughlin handelt es sich um einen katholischen Priester, der durch einige Rundfunkreden bekannt geworden war, in denen er sowohl gegen den Kommunismus wie gegen den Kapitalismus gewettert hatte, weil beide von Juden gesteuert seien. Damit stieß er bei vielen seiner Zuhörer auf ein positives Echo, was ihn 1935 dazu veranlasste, eine eigene Partei zu gründen, die zunächst „National Union for Social Justice“ dann „Union Party“ genannt wurde. Sie warb den republikanischen Kongressabgeordneten William Lemke als Präsidentschaftskandidaten gegen Roosevelt an. Bei den 1936 stattfindenden Wahlen erhielt der Kandidat der „Union Party“ allerdings nur zwei Prozent der abgegebenen Stimmen. Dieser politische Misserfolg spornte Coughlin zu weiteren antikommunistischen und antisemitischen Ausfällen an, die er mit der offenen Bewunderung für Hitlers Kampf gegen Kommunisten und Juden verband. Dies ging so weit, dass er in seiner Partei den Hitler-Gruß einführte und eine am Vorbild der SA orientierte Terrororganisation namens „Christian Front“ ins Leben rief. Sie wurde jedoch bereits 1940 vom FBI verboten, weil sie zum Mord an Juden und Kommunisten aufgerufen haben soll. Das veranlasste die katholische Kirche, sich von ihrem fehlgeleiteten Hirten zu distanzieren. Der Bischof von Detroit untersagte 1942 Father Coughlin jegliche weitere politische Tätigkeit. Fortan beschränkte sich Coughlin auf das Verfassen von antikommunistischen Pamphleten. Große Beachtung fanden sie nicht. Als Coughlin 1979 starb, war dieser erste originär amerikanische Faschist fast vergessen. Ähnlich ist es Coughlins Gesinnungsgenossen Gerald Burton Winrod ergangen. Von ihm weiß man nur das Geburtsdatum – 1881 –, aber nicht seinen Todestag. Dabei repräsentierte Winrod noch mehr als Coughlin das, was man als den amerikanischen fundamentalistischen Faschismus bezeichnen kann. Diesen Ruf hat er sich durch die Gründung einer Bewegung erworben, die „Defenders of the Christian Faith“ hieß und die einen religiös begründeten Antikommunismus und Antisemitismus verbreitete – in einer Zeitschrift mit Namen The Defender, die 1937 in einer Auflage von über 100 000 Stück erschien. In fundamentalistischer Tradition wurden die USA darin als das „gelobte Land“ gefeiert, das jedoch einer Verschwörung des Teufels ausgesetzt sei, zu dessen Agenten neben Kommunisten und Juden auch der amerikanische Präsident Roosevelt gehöre. Rettung erwartete Winrod dagegen von Hitler. Diese offene Bewunderung für den deutschen Diktator war
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den amerikanischen Behörden zu viel. Sie ließen Winrod 1942 verhaften. Verhaftet wurde schließlich auch der wohl wichtigste amerikanische Faschist dieser Phase. Sein Name ist William Dudley Pelley.12 Auch der 1890 als Sohn eines methodistischen Pfarrers in Massachusetts geborene Pelley verfügte über einen fundamentalistischen Hintergrund. Über sein religiöses Erweckungserlebnis verfasste er ein Buch mit dem Titel My seven minutes in eternity. Dies war 1928. Kurz danach stiftete er in North Carolina ein College, das auf „soziale Metaphysik“ spezialisiert war. 1933 scheint er dann in Hitler seinen Retter und Erlöser gesehen zu haben. Um auch seine Landsleute davon zu überzeugen, gründete er noch im gleichen Jahr eine Partei. Sie hieß „Silver Legion“, ihre Mitglieder wurden wegen ihrer silbernen Hemden „Silver Shirts“ genannt. Wie ihre europäischen Vorbilder vertrat diese faschistische Partei eine sowohl antikommunistische wie antisemitische Zielsetzung, die sie jedoch mit Anleihen an ein fundamentalistisch verstandenes Christentum verknüpfte. Eine merkwürdige ideologische Mischung, die allerdings einige Anziehungskraft besaß. Dies veranlasste Pelley, bei der Präsidentschaftswahl von 1936 gegen Roosevelt anzutreten. Seine Kandidatur hatte keine Aussicht auf Erfolg, scheint aber die amerikanischen Sicherheitsbehörden alarmiert zu haben. Sie ließen Pelleys Partei 1940 verbieten und ihren Anführer verhaften. Die Hauptanklagepunkte gegen ihn – Volksverhetzung und Hochverrat – wurden wieder fallengelassen, er wurde dann wegen Steuerhinterziehung zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. 1950 kam Pelley wieder frei. Bis zu seinem Tod im Jahr 1965 ist Pelley nicht mehr politisch aktiv geworden. Das ist insofern erstaunlich, weil es gerade in dieser Zeit zu einer weiteren Krise des politischen Systems der USA gekommen ist, welche die Entstehung weiterer faschistischer Bewegungen begünstigt hat. McCarthyismus und Faschismus Diese Krise ist nach dem Namen des Senators aus Wisconsin Joseph McCarthy als McCarthyismus bezeichnet worden.13 Das ist eine missverständliche und im Grunde sogar verharmlosende Bezeichnung – war es doch keineswegs McCarthy allein, der zu der nach ihm benannten antikommunistischen Hexenjagd aufgerufen hat, welche schwerwie-
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gende Strukturfehler des demokratischen Systems der USA bloßgelegt hat. Diese sind dann von einigen weiteren faschistischen Bewegungen ausgenutzt worden.14 Zunächst ist die Krise selber zu beschreiben. Ihre Ursprünge liegen schon in der Ära Roosevelt. Denn dieser Präsident hatte bereits die amerikanische Rechts- und Sicherheitspolitik wesentlich verschärft. Unter anderem durch die Gründung des „House Committee on Un-American Activities“ (Ausschuss für unamerikanische Umtriebe, HUAC), dem die Aufgabe zugewiesen wurde, als „unamerikanisch“ geltende Bestrebungen von rechter wie linker Seite zu überwachen und gegebenenfalls zu unterbinden. Gemeint waren sowohl faschistische wie kommunistische Gruppierungen, weil beide „Varianten der gleichen repressiven autoritären Gesinnung“ seien.15 Tatsächlich wurden vom HUAC und dem FBI, der inzwischen von dem schon erwähnten J. Edgar Hoover geleitet wurde, sowohl der „German American Bund“ und andere rechtsradikale Organisationen wie auch die Kommunistische Partei der USA (CPUSA) überwacht, die vom liberalen Zeitgeist hatte profitieren und ihre Mitgliederzahl hatte steigern können.16 Von einer Massenpartei war sie jedoch noch weit entfernt. Sieht man genauer hin, so verdankte die CPUSA ihr temporäres Wachstum weniger der Anziehungskraft des Kommunismus, sondern einem parteiübergreifenden Antifaschismus, zu dem sich die Kommunistische Internationale auf ihrem VII. Weltkongress 1935 bekannt hatte. Die in Moskau beschlossene neue Volksfrontstrategie wurde auch von der CPUSA propagiert und mit gewissem Erfolg betrieben. Es gelang ihr, 1936 ein nach Abraham Lincoln benanntes Freiwilligenbataillon aufzustellen und nach Spanien zu senden, wo es in den Reihen der Internationalen Brigaden gegen den Faschismus kämpfte. Dieses antifaschistische Engagement der kommunistischen Partei fand den Beifall verschiedener amerikanischer Intellektueller – und letztlich auch den der Regierung der USA, die 1941 mit der bisher verteufelten Sowjetunion ein Bündnis einging, um den Faschismus zu schlagen. Nachdem dies gelungen war, zerbrach es sogleich. Anlass dafür waren die erneute sowjetische Annexion der baltischen Staaten und Ostpolens und die Etablierung kommunistischer Regime in Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Jugoslawien, Polen und schließlich 1948 auch noch in der Tschechoslowakei. Präsident Truman, der 1945 die Nachfolge des verstorbenen Roosevelt angetreten hatte, wollte dies nicht dulden und beschloss, den befürchteten weiteren kommunistischen Vor-
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marsch „einzudämmen“. Diese außenpolitische Politik des containment wirkte sich dann auch auf die Innenpolitik aus. In den USA war es unmittelbar nach der Beendigung der Kampfhandlungen in Europa und Asien zu ausgedehnten Streiks gekommen, weil die neu organisierten und selbstbewusster gewordenen amerikanischen Gewerkschaften ihre während des Krieges errungene Position nicht kampflos aufgeben wollten. Die Unternehmer wiederum machten vornehmlich „die Kommunisten“ für diese Arbeitskämpfe verantwortlich. Glaubwürdig war dies nicht, denn die Kommunistische Partei der USA hatte nach wie vor eher den Charakter einer politischen Sekte denn einer machtvollen Partei der Arbeiterbewegung. Doch hatte sie nicht in Gestalt der Sowjetunion einen mächtigen Freund und Auftraggeber?, fragten sich viele Amerikaner. Dass derartige Verschwörungshypothesen gerade Ende der 1940erJahre auf so fruchtbaren Boden fielen, kam nicht von ungefähr – wurden doch zu dieser Zeit verschiedene Spionagefälle aufgedeckt und weitere vermutet.17 Die amerikanische Regierung witterte wieder den ominösen „inneren Feind“. Um ihm entgegenzutreten, wurde 1947 ein „Federal Employee Loyality Program“ verkündet, das die Entlassung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes vorsah, sofern sie folgende Delikte begangen hatten: 1. Sabotage und Spionage; 2. Verrat und Aufhetzung (sedition); 3. Eintreten für den gewaltsamen Sturz der Regierung; 4. absichtliche und unerlaubte Weitergabe geheimer Informationen; 5. nicht im Interesse der USA stehender Dienst für eine ausländische Regierung; 6. Mitgliedschaft in einer Organisation, die vom Generalstaatsanwalt als totalitär, faschistisch, kommunistisch oder subversiv eingestuft worden ist.18 Damit nicht genug, wurden auch alle Handlungen und selbst Gesinnungen, die mit der amerikanischen Verfassung als unvereinbar galten, als Grund angegeben, um aus dem Staatsdienst entlassen werden zu können. Letzteres galt auch für Personen, die nur Kontakte zu solchen hatten, denen eine „illoyale“ Haltung unterstellt wurde, womit vor allem Mitglieder der Kommunistischen Partei gemeint waren.19 Dies nannte man „Schuld durch Bekanntschaft“ (guilt by association). Dem allgemeinen Denunziantenunwesen wurde damit Tür und Tor geöffnet. Andererseits schürte dies die Angst vieler Amerikaner, sich einer politischen Organisation anzuschließen oder sich überhaupt politisch zu betätigen. Unbegründet war die Angst nicht, konnten sie doch
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jederzeit vor den erwähnten Ausschuss für „unamerikanische Aktivitäten“ gezerrt und mit der berühmt gewordenen Frage konfrontiert werden: „Are you now or have you ever been a member of the Communist Party?“ Die Frage wurde erstmals im August 1947 einigen (insgesamt 19) Filmschaffenden gestellt.20 Diese „Inquisition“ richtete sich gegen Regisseure, Schauspieler und Drehbuchschreiber, von denen keiner politisch hervorgetreten war. Prominent war nur einer von ihnen: Bertolt Brecht, der danach befragt wurde, ob in seinen Stücken eine kommunistische Tendenz zu erkennen sei. Brecht zog sich aus der Affäre, indem er die Richtigkeit der englischen Übersetzung seiner Werke anzweifelte und erklärte: „No, I wrote a German poem, but that (die englische Übersetzung) was very different from this“21. Diese Notlüge wurde Brecht vom Vorsitzenden geglaubt, der offensichtlich weder Deutsch konnte noch das Werk Brechts kannte. Brecht selber war sich jedoch seiner Sache nicht sicher und hat die USA zwei Tage nach seiner Vorladung fluchtartig verlassen. Zehn seiner Mitangeklagten ist es jedoch bedeutend schlechter gegangen. Sie wurden wegen Missachtung des Kongresses angeklagt und zu Gefängnisstrafen zwischen sechs und zwölf Monaten verurteilt.22 Nach den „Hollywood Ten“ wurden weitere Beamte und Politiker vor den Untersuchungsausschuss gezerrt und von McCarthy, der vom einfachen Mitglied zum Vorsitzenden aufgestiegen war, mit Methoden verhört, die einer Demokratie unwürdig waren. Schließlich verstieg sich McCarthy dazu, nicht nur dem gesamten State Department, sondern auch noch der amerikanischen Armee eine kommunistische Unterwanderung zu unterstellen. Dies war zu viel – schließlich hatte diese Armee gerade einen antikommunistischen Krieg in Korea geführt. McCarthys vielversprechende politische Karriere ging 1954 abrupt zu Ende. Doch nicht der McCarthyismus. Er wurde nämlich von einigen Politikern fortgeführt und radikalisiert, die dadurch das wurden, was McCarthy –noch – nicht war, nämlich eindeutige Faschisten. Zu erwähnen ist einmal Robert W. Welch. Der 1899 geborene Welch war durch den Verkauf von Süßigkeiten reich geworden, was ihn jedoch nicht ausfüllte. 1958 gründete er eine Bewegung, die nach einem von chinesischen Kommunisten ermordeten Missionar namens John Birch „John Birch Society“ genannt wurde.23 Diese merkwürdige Gesellschaft verbreitete noch merkwürdigere Verschwörungsideologien. Danach
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sollen die Kommunisten des 20. Jahrhunderts nur der äußerlich sichtbare Teil einer großen Verschwörung gewesen sein, die Welch auf die Illuminaten des 18. Jahrhunderts zurückführte. Zum Beweis dieser These wies Welch darauf hin, dass der historische Illuminaten-Orden Adam Weishaupts an einem 1. Mai gegründet worden sei.24 Außerdem hätten die „Illuminaten-Kommunisten“ bereits 35 000 chinesische Soldaten in Mexiko stationiert. Und so weiter. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser abstrusen Verschwörungsideologien war Welchs „John Birch Society“ relativ einflussreich und mitgliederstark. Nach dem Tode Welchs im Jahr 1985 verfügte die Gesellschaft noch über 50 000 Mitglieder. Darunter befanden sich auch einige Kongressabgeordnete. Doch ob man sie als faschistisch einstufen kann, ist unter den amerikanischen Historikern umstritten. Bei der „American Nazi Party“, deren Entstehung ebenfalls noch in die McCarthy-Krise fällt, ist dies jedoch nicht der Fall.25 Sie war ohne Zweifel faschistisch. Allerdings handelte es sich bei ihr um eine zahlenmäßig äußerst kleine und politisch nahezu bedeutungslose faschistische Splittergruppe. Dass sie überhaupt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, lag an ihrem selbst ernannten „Führer“ George Lincoln Rockwell, der so gar nicht dem Bild entsprach, das sich viele Amerikaner von den Faschisten machten, die ihnen in Film und Fernsehen als Hacken schlagende und um sich brüllende deutsche Monster gezeigt wurden. Der 1918 in Illinois als Sohn eines Schauspieler-Ehepaars geborene Rockwell war vielmehr zunächst das, was die Amerikaner als einen all American boy bezeichnen und schätzen. Nach dem Besuch der angesehenen Brown Universität in Rhode Island hatte sich Rockwell freiwillig zur Kriegsmarine gemeldet und sowohl am Zweiten Weltkrieg wie am Koreakrieg teilgenommen. Mehrfach ausgezeichnet, schied er als Fregattenkapitän aus dem Dienst. Nichts hatte bis dahin auf seine faschistische Gesinnung hingedeutet. Natürlich war Rockwell ein Antikommunist und ein Bewunderer des antikommunistischen Senators McCarthy. Doch diese Einstellung teilte er mit vielen seiner Landsleute. Ungewöhnlich war nur, dass Rockwell im Jahr 1958 damit anfing, vor seinem Haus eine riesige Hakenkreuzfahne zu hissen. Das brachte ihm sofort die Beachtung nicht nur von erzürnten Nachbarn, sondern auch der amerikanischen Medien ein. Seinen damit erreichten Bekanntheitsgrad nutzte Rockwell aus,
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indem er ein Jahr später in Arlington, Virginia, die „American Nazi Party“ gründete. Rockwells Nazis machten Schlagzeilen, weil sie uniformiert und mit Hakenkreuzfahnen durch Washington marschierten und dabei „Sieg Heil!“ grölten. All dies hätte man vielleicht als einen geschmacklosen Publicity-Gag ansehen können. Doch dann demonstrierte Rockwells Partei zusammen mit dem Ku-Klux-Klan gegen die Bürgerrechtsbewegung, wobei es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam. Außerdem deutete sich eine Fusion zwischen Rockwells Splittergruppe und dem wiedererstarkten Klan an. Um sie vorzubereiten, wurde die „American Nazi Party“ in „National Socialist White People’s Party“ umbenannt. Ihre Mitglieder grüßten nicht mehr mit dem deutschen „Sieg Heil!“, sondern dem englischen „White Power!“. Damit konzentrierten sie sich auf den enemy within, den viele Amerikaner nun in Gestalt der Bürgerrechtsbewegung erblicken wollten. Aus Rockwells platter Imitation der untergegangenen NSDAP hätte eine größere amerikanische faschistische Partei werden können. Doch dazu kam es nicht, weil Rockwell 1967 von einem ehemaligen Mitglied seiner Partei ermordet wurde und diese, führerlos, in der Bedeutungslosigkeit versank. An ihre Stelle traten andere und gefährlichere fundamentalistisch faschistische Bewegungen.26 Ihr gemeinsames Kennzeichen ist das Bekenntnis zu einer fundamentalistisch verstandenen „Christian Identity“.27 Christian Identity Im Zentrum dieser christlichen oder besser fundamentalistischen Bewegung der „Christlichen Identität“ steht die „Two Seedline Doctrine“. Danach sind die US-Amerikaner (genau wie vor ihnen die Briten) als das von Gott „auserwählte Volk“ anzusehen. (Nach anderer Auffassung sind sie einer der verlorenen zehn Stämme des alten Israel.) Die Juden gelten dagegen als Abkömmlinge Esaus, des Brudermörders Kain oder einer sexuellen Beziehung, die Eva mit der Schlange im Paradies gehabt haben soll. Die bei Johannes 8,44 tatsächlich als „Kinder des Teufels“ bezeichneten Juden, sollen sich gegen die „wahren Juden“ beziehungsweise die „weiße Rasse“ verschworen haben. Ihr Angriff könne jedoch abgewehrt werden, wenn man sich auf die in der Offenbarung des Johannes vorhergesagte Endschlacht von Armageddon vorbereitet, und zwar durch paramilitärisches Training im Hier und Jetzt.
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Dieses ungenießbare ideologische Gebräu aus Fundamentalismus und Faschismus wird von einigen faschistisch-fundamentalistischen Bewegungen gelehrt und verabreicht, die sich (auch um in den Genuss der Steuerfreiheit zu kommen) „Kirchen“ nennen. Im Jahr 1997 sollen es fast 100 gewesen sein. Besonders wichtig und zugleich gefährlich waren zwei. Einmal die „Church of Jesus Christ-Christian/Aryan Nations“, die von dem ehemaligen Mitglied des Ku-Klux-Klans Wesley Swift gegründet und nach dessen Tod im Jahr 1970 von Richard Butler fortgesetzt wurde. Butler unterhielt im Bundesstaat Idaho ein Trainingszentrum, das so etwas wie ein „Rassenstaat“ im Miniformat war, in dem diese „christlichen Arier“ nicht nur militärisch auf die Endschlacht von Armageddon vorbereitet, sondern auch in die rassistischen und eugenischen Lehren der Nazis eingeweiht wurden, die sie bei ihrer Partnerwahl zu berücksichtigen hatten. Die Behörden des Staates Idaho interessierten sich nicht für das Treiben der Butler-Faschisten. Das änderte sich, als im Jahr 1998 Mitglieder der Familie Keenan vor Butlers Anwesen von dessen Wachen angegriffen und beschossen wurden. Diesen Vorfall nahmen nun antifaschistische Organisationen zum Anlass, um Butler mithilfe von einigen tüchtigen Anwälten auf Schadensersatz in Höhe von 6,3 Millionen Dollar zu verklagen. Das Gericht folgte ihrem Antrag. Butler konnte die Entschädigungssumme nicht zahlen, und sein „Rassenstaat“ war bankrott. Über das gegenwärtige Wirken dieser faschistischen „Church of Jesus Christ-Christian/Aryan Nations“ ist nichts bekannt. Von der „World Church of the Creator“, die von einem ehemaligen Mitglied von Butlers Kirche, dem 1971 geborenen Matthew F. Hale, gegründet worden ist, hört man auch nicht mehr viel. Bei dieser „Kirche“, zu deren „Pontifex Maximus“ sich Hale ernannt hatte, handelte es sich ebenfalls um eine faschistische Partei. Sie wurde durch verschiedene rassistisch motivierte Gewalttaten bekannt, denen auch ein Richter zum Opfer fiel. Wegen Beihilfe zum Mord ist der „Pontifex Maximus“ Hale 2003 zu vierzig Jahren Gefängnis verurteilt und bisher auch nicht wieder frei gelassen worden. Mit ziemlicher Gewissheit werden noch weitere fundamentalistischfaschistische Bewegungen in den USA entstehen – gewinnt dort der, auch Evangelikalismus genannte, protestantische Fundamentalismus doch immer größere politische Bedeutung. Bisher haben sich die zahl-
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reichen rechten Evangelikalen aber darauf beschränkt, die Politik der Republikaner und ihrer Präsidenten, vor allem die von George W. Bush, zu beeinflussen.28 Andere Fundamentalisten haben dagegen versucht, den immer noch bestehenden Ku-Klux-Klan in eine fundamentalistisch faschistische Partei umzuwandeln. In diesem Zusammenhang ist einmal der 1938 in Indiana geborene Tom Metzger zu erwähnen. Metzger, der sowohl Mitglied der „John Birch Society“ wie des Klan gewesen war, hat 1982 die „White American Political Association“ gegründet, die kurz darauf in „White Aryan Resistance“ („Weißer Arischer Widerstand“) umbenannt wurde. Der Name war Programm: Metzgers rassistische und radikal antisemitische Bewegung wurde immer gewalttätiger. Das konnten die Behörden nicht dulden. Mehrere von Metzgers Gefolgsleuten wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt; Metzger selber zu einer Geldstrafe von 12 Millionen Dollar. Dies führte zu seinem finanziellen Ruin und offensichtlich auch zum Untergang seiner Partei. Allerdings wirken seine abstrusen, gleichwohl gefährlichen politischen Gedanken weiter. Dies trifft auch auf die Ansichten William Luther Pierce’ zu, der zum wichtigsten Ideologen des amerikanischen Faschismus der Gegenwart geworden ist. Dies war nicht vorhersehbar. 1933 in Georgia als Spross einer alten und angesehenen Südstaaten-Familie geboren, absolvierte Pierce nach Schule und Militärakademie eine akademische Karriere. Er studierte an der Rice University in Houston, Texas, und promovierte in Boulder, Colorado. 1962 wurde er als Professor an die Oregon State Universität berufen. Hier wurde er mit der Anti-Vietnam- und Bürgerrechtsbewegung konfrontiert. Für den patriotischen Pierce war dies ein Schock. Für den Aufruhr hatte er schnell zwei Schuldige ausgemacht: Kommunisten und Juden. Um sich dieser jüdisch-kommunistischen Verschwörung zu erwehren, trat Pierce zunächst der „John Birch Society“ und dann Rockwells „American Nazi Party“ bei. Nach Rockwells Tod 1967 wurde Pierce Führer der „National Youth Alliance“, die 1974 zur „National Alliance“ wurde. Ihr Parteisymbol war die Lebens-Rune, und ihre Ideologie war rassistisch im anthropologischen und eugenischen Sinne: rief Pierce doch zu einer „rassischen Säuberung“ (racial cleansing) des amerikanischen „Herrenvolkes“ auf. Dieses antisemitisch-rassistische ideologische Gemisch erweiterte er durch einen fundamentalistischen „Kosmotheismus“. Damit ist die Lehre gemeint, wonach in allem Gott, und
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Gott in allem sei. Pierce verbreitete seine Ideologie mithilfe der von ihm gegründeten „Cosmotheist Community Church“. Ihr wurde aber 1986 die Steuerfreiheit aberkannt, was den enttäuschten Pierce veranlasste, sich nach West Virginia in seinen Wohnwagen zurückzuziehen, wo er 2002 starb. Einen bis heute nachwirkenden Eindruck hat sein Buch The Turner Diaries hinterlassen, das er 1978 unter dem Pseudonym Andrew MacDonald veröffentlicht hat. Es handelt sich um eine mit fiktiven Dokumenten angereicherte negative Utopie, in der ein amerikanischer Rassenkrieg beschrieben wird, der zur Zerstörung des Pentagon durch ein „nukleares Selbstmordkommando“ führt. Der Krieg wird schließlich von den „Guten“ gewonnen, die eine „Rassensäuberung“ durchführen und die „Rassenverräter“ aufhängen. Die Turner Diaries wurden zum Kultbuch verschiedener weiterer faschistischer Gruppierungen wie der „Silent Brotherhood“ und einer Geheimorganisation, die schlicht „The Order“ heißt. Von Pierce’ Machwerk beeinflusst zeigte sich auch Timothy McVeigh, der 1995 das Attentat in Oklahoma verübte, dem 168 Menschen zum Opfer fielen. Die amerikanische Justiz wollte in McVeigh, der 1997 zum Tode verurteilt und 2001 mit der Giftspritze hingerichtet wurde, einen terroristischen Einzelgänger sehen. Inzwischen ist der Terroranschlag von Oklahoma von dem New Yorker Anschlag vom 11. September 2001 verdrängt worden. Die terroristische Gefahr wird fast ausschließlich in islamistischen und nicht mehr in faschistischen Kreisen verortet. Dies könnte eine Fehleinschätzung sein. Auf jeden Fall ist die Geschichte des Faschismus in den USA nicht vorbei – schon deshalb nicht, weil sich der amerikanische mit dem europäischen Faschismus vernetzt hat. Verantwortlich dafür sind vor allem Gary Lauck und David Duke. Gary Lauck und David Duke Gary oder, wie er sich später nannte, Gerhard Lauck wurde 1953 in Milwaukee, Wisconsin, geboren. Nach eigenen Angaben entstammt er einer deutsch-amerikanischen Familie. 1964 zog er mit seiner Familie nach Lincoln, Nebraska, wo sein Vater eine Professur übernommen hatte. Nach Beendigung seines Studiums und einer kurzen Tätigkeit in einem Chicagoer Versandhaus kehrte er nach Lincoln zurück, um hier eine kleine Splitterpartei zu gründen, die den Namen
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NSDAP/AO (Aufbau- beziehungsweise Auslandsorganisation der NSDAP) führt. 29 Tatsächlich handelt es sich eher um eine faschistische Briefkastenfirma, die NS-Devotionalien und faschistische Pamphlete in alle Welt, vor allem aber nach Deutschland sandte. Hier fanden sie reißenden Absatz, was die amerikanische Presse wiederum veranlasste, besorgte Artikel über das Ausbreiten des deutschen Nazismus zu verfassen, der von den deutschen Behörden nicht verhindert werde. Allerdings betrieb Lauck sein faschistisches Geschäft auch unter Ausnutzung der liberalen Bestimmungen des amerikanischen Postverkehrs. Die düpierten deutschen Behörden setzten Lauck auf die Fahndungsliste, was Lauck selber offensichtlich nicht wusste. Jedenfalls wurde er 1995 bei einem Besuch Dänemarks verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert, wo er wegen Aufstachelung zum Rassenhass, Volksverhetzung und Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Diese hat aber auf Lauck wenig Eindruck gemacht. Nach seiner Rückkehr in die USA arbeitete er mit Ernst Zündel, Fred Leuchter, Germar Rudolf und anderen Auschwitzleugnern im „Institute for Historical Review“ zusammen, das sich auf die systematische Leugnung des Holocaust spezialisiert hat.30 Dieses Kernelement der heutigen faschistischen Ideologie wird mithilfe einer „Kampagne für das freie Wort“ („Free Speech Campaign“) in aller Welt verbreitet, die es sich zunutze macht, dass die Verbreitung der „Auschwitz-Lüge“ in den USA wie in den meisten Ländern nicht unter Strafe steht. Von dieser gefährlichen Toleranz profitieren auch andere amerikanische Faschisten. Der gefährlichste von ihnen ist David Duke.31 Der 1950 in Oklahoma geborene Duke ist nach seinem Studium an der Louisiana State Universität in Baton Rouge 1967 dem Ku-Klux-Klan beigetreten und zum „Grand Wizard“ („Großen Hexenmeister“) des Klans in Louisiana aufgestiegen. Trotz oder gerade wegen seiner Mitgliedschaft im Klan hat er eine temporär erfolgreiche politische Karriere sowohl in den Reihen der Demokraten wie der Republikaner gemacht. Doch damit war es 1980 vorbei, als Duke seine eigene rassistisch-faschistische Partei gründete, die „National Association for the Advancement of White People“ genannt wurde. Sie arbeitete von Anfang an eng mit Ernst Zündel und anderen Auschwitzleugnern vom „Institute for Historical Review“ zusammen.
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Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat Duke auch Kontakte mit russischen Faschisten aufgenommen und in Russland 2003 sein antisemitisches Machwerk Jewish Supremacism: My Awakening on the Jewish Question publiziert, das in verschiedene Sprachen, darunter Farsi, übersetzt wurde. Letzteres deutet darauf hin, dass Duke inzwischen auch mit Islamisten zusammenarbeitet, die ebenfalls antisemitisch gesinnt sind, den Holocaust leugnen und den israelischen Geheimdienst Mossad und den vormaligen Ministerpräsidenten Ariel Sharon für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich machen. Für Duke ist Sharon „der schlimmste Terrorist der Welt“. In den Jahren 2002 und 2003 musste Duke jedoch eine 15-monatige Gefängnisstrafe wegen finanzieller Delikte absitzen. Nach seiner Freilassung reiste er nach Syrien und organisierte 2005 in der Ukraine eine Konferenz mit dem Titel „Zionismus als größte Bedrohung der Modernen Zivilisation“. 2006 nahm er auf Einladung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad an der berüchtigten Konferenz der HolocaustLeugner in Teheran teil. All das deutet darauf hin, dass wir noch mehr von David Duke hören werden. Er scheint zu einer Führungsfigur keineswegs nur des amerikanischen, sondern des internationalen Faschismus geworden zu sein.
„Dependencia“ – Bonapartismus und Faschismus in Lateinamerika
Dependencia heißt Abhängigkeit – und in eine solche sind viele lateinamerikanische Länder nach ihrer Befreiung von der spanischen und portugiesischen Kolonialherrschaft geraten. Und zwar von den USA, die ihren zumindest wirtschaftlichen Herrschaftsanspruch auf ihre „westliche Hemisphäre“ beziehungsweise ihren backyard mit sowohl politischen wie auch militärischen Mitteln durchgesetzt hat. Letzteres war vor allem in einigen mittelamerikanischen Ländern der Fall, die einer direkten militärischen Intervention seitens der USA ausgesetzt waren. Nicht selten war dafür das ökonomische Interesse großer Konzerne wie der „United Fruit Company“ verantwortlich, die ihre nahezu unbeschränkte Macht in diesen „Bananenrepubliken“ mittels der Marines durchsetzte oder wiederherstellte. Abgesehen davon beschränkten sich die USA auf die Etablierung von Diktaturen, die nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer und militärischer Hinsicht von ihnen abhängig waren. Schon deshalb können sie genau wie die „Bananenrepubliken“ nicht als faschistisch eingestuft werden, setzt doch die Anwendung dieses Begriffs eine gewisse Unabhängigkeit und nationale Souveränität der infrage kommenden Länder voraus. Allerdings können es, was den dort ausgeübten Terror betrifft, Regime wie das Batistas in Kuba oder („Papa Doc“) Duvaliers in Haiti durchaus mit faschistischen aufnehmen.32 Andererseits können und sollen auch die „nationalen Befreiungsbewegungen und -regime“, die sich gegen die Abhängigkeit von den USA gewandt und diesen feindlich gegenübergestanden haben, nicht als faschistisch klassifiziert werden.33 Dies trifft auf das kommunistische Kuba sowie einige „linkspopulistische“ Regime in Bolivien, Nicaragua und Venezuela zu. Einen Sonderfall stellt die peruanische Befreiungsbewegung „Leuchtender Pfad“ dar. Sie gilt allgemein als maoistisch, weist aber auch einige Ähnlichkeiten mit faschistischen Bewegungen auf.34
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Im Folgenden konzentrieren wir uns auf einige größere Länder, die nicht oder nicht mehr so abhängig von den USA waren und eine sozioökonomische Struktur aufwiesen, die mit der europäischen zumindest vergleichbar war. Konkret auf Argentinien, Brasilien und Chile, wo es zur Entstehung von Parteien und Regimen gekommen ist, die wenigstens temporär und zumindest von Teilen der Forschung als faschistisch eingestuft worden sind. Argentinien Argentinien ist 1816 aus dem spanischen Vizekönigreich Peru entstanden.35 Die ebenfalls zu diesem Vizekönigreich Peru gehörenden Länder Paraguay sowie Bolivien und Uruguay hatten sich abgespaltet und waren 1816 beziehungsweise 1825/28 ebenfalls unabhängig geworden. Zu Grenzkonflikten mit seinen Nachbarstaaten kam es jedoch nicht. Jedenfalls zunächst nicht. Das Land war groß genug, um die anfangs wenigen spanischen Einwanderer aufzunehmen. Im Süden war es von den kriegerischen Mapuche-Indianern bewohnt. Sie wurden erst Ende der 1870er-Jahre besiegt und nahezu ausgerottet. Dadurch wurde Platz für die neuen, vor allem aus Südeuropa stammenden Einwanderer geschaffen. Diese haben dann zu einem bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung Argentiniens beigetragen. Dabei war das Land bis auf die Hauptstadt Buenos Aires kaum industrialisiert. Sein wachsender Wohlstand basierte auf einer leistungsfähigen und exportorientierten Landwirtschaft. Sie belieferte den europäischen Markt mit Weizen und vor allem mit Rindfleisch, dessen Export nach Europa durch Konservierungs- und Gefriertechniken möglich und preisgünstig geworden war. Von diesem Agrarboom profitierten aber vor allem die Großgrundbesitzer, die riesige Ländereien mit relativ wenigen und schlecht bezahlten Landarbeitern bewirtschafteten. Dies führte zu sozialen und politischen Spannungen zwischen den ländlichen Oligarchen und den Repräsentanten der industriellen Bourgeoisie. Letztere setzten sich für die Einführung von Schutzzöllen und auch für eine gewisse Demokratisierung des Landes ein, was von den Oligarchen aus wirtschaftlichen und politischen Gründen strikt abgelehnt wurde. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Argentinien so etwas wie ein Gleichgewicht der Klassenkräfte zwischen Großagrariern und Industriellen. Es wurde vollends labil, als der Präsident Hipólito Yrigoyen 1916 einen vorsichtigen Demokratisierungskurs einleitete. Dabei verlor er
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jedoch die Unterstützung der industriellen Bourgeoisie. Sie fühlte sich in ihren sozialen Besitzständen bedroht, als es 1919 zu den ersten großen Streiks im Lande kam, die von der argentinischen Arbeiterbewegung initiiert worden waren.36 Der in den 1920er-Jahren einsetzende Verfall der Agrarpreise minderte zudem den Reichtum der ländlichen Oligarchen. Schließlich wandte sich auch das Militär gegen Yrigoyen, 1930 wurde er gestürzt. Das Militär konnte sich jedoch nicht auf einen gemeinsamen und von allen anerkannten Führer einigen. Stattdessen wechselten die Militärdiktaturen in schneller Folge. Argentinien stürzte nach der ökonomischen in eine politische Krise. Diese mehr als instabile Phase, die in Argentinien als la década infame (schändliche Dekade) bezeichnet wird, wurde ab 1930 zunächst durch das Regime des Generals José Uriburu unterbrochen, der das korporative Wirtschaftssystem des faschistischen Italien kopierte, weshalb er von einigen Zeitgenossen als „Faschist“ angesehen wurde. Doch dies war falsch oder zumindest voreilig: Uriburus allenfalls als bonapartistisch einzustufendes Regime wurde bald vom Militär gestürzt. Den auf Uriburu folgenden Militärdiktatoren gelang es ebenfalls nicht, die wirtschaftliche und soziale Krise des Landes zu überwinden, welche durch die Weltwirtschaftskrise noch verschärft wurde. Außerdem sahen sie sich dem wachsenden außenpolitischen Druck der USA ausgesetzt, die Argentinien zwingen wollten, gegen Hitler-Deutschland in den Krieg zu ziehen. Dies stieß in Argentinien auf große Ablehnung. Einmal bei der deutschen Minderheit, die von der argentinischen Auslandsorganisation der NSDAP weitgehend nazifiziert war. Außerdem sympathisierten auch viele argentinische Offiziere mit Hitler, weil sie hofften, von diesem in ihrem Kampf gegen den US-amerikanischen Imperialismus unterstützt zu werden.37 Eine betont antiamerikanische und in gewisser Hinsicht auch profaschistische Politik wurde vor allem von der 1943 zur Macht gekommenen Militärjunta betrieben, in welcher der bis dahin weitgehend unbekannte Oberst Juan Perón das Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt übernommen hatte.38 Perón nutzte seine mit dem Amt verbundenen Machtbefugnisse ebenso geschickt wie skrupellos aus. Er vereinte die unterschiedlichen und untereinander verfeindeten Organisationen der argentinischen Arbeiterbewegung zu einer Einheitsorganisation, der „Confederación General del Trabajo“ (CGT), die ihm zwar nicht for-
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mell, aber faktisch unterstand. Außerdem bemühte sich Perón um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der argentinischen Arbeiterschaft. Unschätzbare propagandistische Hilfe erhielt er dabei von seiner späteren Frau, Eva Duarte. Sie entstammte sehr einfachen Verhältnissen, was sie jedoch keineswegs verschwieg, sondern für ihre fulminanten Angriffe gegen die argentinische Oligarchie nutzte. Dabei bediente sie sich der neuen Massenmedien, vor allem des Radios. Auch dies steigerte die Popularität Juan Peróns. Seine Beliebtheit kam ihm im Oktober 1945 zugute, als seine von der Militärjunta schon verkündete Absetzung durch eine Massendemonstration verhindert wurde. Diese fand am 17. Oktober 1945 in Buenos Aires statt und wurde geradezu legendär. Wegen der in Buenos Aires herrschenden brütenden Hitze hatten sich viele demonstrierende Arbeiter die Hemden ausgezogen und marschierten mit bloßem Oberkörper durch die Straßen. Die hemdlosen argentinischen Arbeiter wurden dann achtungsvoll als descamisados bezeichnet und mit den sans-culottes der Französischen Revolution verglichen. (Dabei wurde jedoch übersehen, dass die französischen Sansculotten keineswegs ohne Hosen herumgelaufen waren, sondern nur nicht in den damals beim Adel üblichen, culottes genannten, Kniebundhosen.) Gleichwohl: Perón und seine geschickten Propagandisten machten die descamisados zum Mythos und den 17. Oktober 1945 zum nationalen Feiertag. Perón kamen jedoch nicht nur die hemdlosen argentinischen Arbeiter, sondern auch der hemdsärmelige Botschafter der USA zur Hilfe, der sich ungeniert in die argentinische Innenpolitik einmischte, um die Interessen seines Landes und die seiner eigenen Firma durchzusetzen. In den Augen der nationalbewussten Argentinier verkörperte dieser Spruille Braden, der sich offen gegen Perón stellte,39 geradezu den hässlichen Amerikaner und Yankee. Perón machte sich dies zunutze und zog mit dem Slogan „Braden oder Perón?“ in den Wahlkampf – und wurde mit großer Mehrheit zum Präsidenten Argentiniens gewählt. Der politische Sieg Peróns wurde vom Militär anerkannt und respektiert. Doch darauf wollte sich Perón offensichtlich nicht verlassen, weshalb er eine neue und ganz von ihm abhängige Massenpartei gründete. Sie wurde „Partido Justicialista“ („Gerechtigkeits-Partei“) genannt. Der Name war Programm, setzte sich diese dann einfach als „peronistisch“ bezeichnete Partei doch für eine gerechtere soziale Ordnung ein. Und dies mit Erfolg: Die Reallöhne der Arbeiter stiegen zwischen 1946 und
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1948 um 35 Prozent. Hinzu kamen sozialpolitische Verbesserungen im Bereich des Unfallschutzes und der Altersrente, welche die Argentinier schon zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr in Anspruch nehmen konnten. Eine nicht dem Staat, sondern der Partei unterstehende und von Eva Perón geleitete Sozialhilfeorganisation kümmerte sich außerdem um den Bau neuer Krankenhäuser, Schulen und Waisenhäuser. All diese sozialen Wohltaten wurden in den weitgehend gleichgeschalteten argentinischen Massenmedien gefeiert, was ihren Zweck nicht verfehlte. Perón war ein äußerst populärer Diktator – vor allem wegen seiner plebiszitären beziehungsweise bonapartistischen Herrschaftstechniken. Sie bestanden aus einer Mischung aus zunächst nur selektiv und zurückhaltend angewandten repressiven und den genannten sozialpolitischen integrativen Methoden. All dies vermittelt durch eine allgegenwärtige moderne und äußerst wirkungsvolle Propaganda. In ihrem Mittelpunkt stand Perón selber, der sich wie ein faschistischer „Führer“ feiern ließ. Übertroffen wurde er dabei noch von seiner Frau Eva, die in einer religiös anmutenden und geradezu ekstatischen Weise von breiten Volksschichten verehrt wurde. Eva Perón war schon zu ihren Lebzeiten ein politischer Star. Nach ihrem Tod im Jahr 1952 wurde sie fast zu einer politischen Heiligen und zu einem bis heute wirkenden Mythos.40 So etwas hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Die Popularität Peróns basierte jedoch nicht nur auf der Propaganda. Es ist ihm in den ersten Jahren seiner Herrschaft wirklich gelungen, einen Wohlfahrtsstaat zu errichten, der in der damaligen amerikanischen Hemisphäre beispiellos war. Große Ähnlichkeiten hatte dieser dagegen mit dem nationalsozialistischen „Volksstaat“.41 Dies vor allem deshalb, weil im politischen Bereich die Mitwirkungsrechte der Bevölkerung beseitigt wurden und im wirtschaftlichen Sektor das faschistische Korporativsystem zur Anwendung kam. Sowohl die industrielle Bourgeoisie wie die agrarischen Oligarchen nahmen dies hin, fürchteten sie doch, nach ihrer politischen auch noch ihre soziale Macht zu verlieren. Doch auch diese wurde von Perón angetastet. Um die einseitige agrarische Orientierung und die Abhängigkeit der argentinischen Wirtschaft vom Ausland zu verringern, griff Perón zu staatsinterventionistischen Maßnahmen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der nationalsozialistischen Autarkiepolitik hatten. Dies galt für die staatliche Förderung der Industrie im Zuge eines Fünfjahresplans ebenso wie für die Ver-
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staatlichung einheimischer und selbst ausländischer Betriebe und Banken. All das rief naturgemäß den Protest der ausländischen, vor allem nordamerikanischen Unternehmen hervor und steigerte den Widerstand der agrarischen Oligarchen, die am ungehinderten Export ihrer Agrargüter interessiert waren, der durch die Einführung von Schutzzöllen für die Industrie gefährdet war. Tatsächlich waren die nach dem Krieg enorm gestiegenen Preise für Agrargüter auf dem Weltmarkt inzwischen wieder dramatisch gesunken. Der Rückgang des Nationaleinkommens konnte auch durch die immer noch schwache argentinische Industrie nicht aufgefangen werden. Die von Perón eingeleitete Autarkiepolitik war gescheitert. Hinzu kam, dass sich die argentinischen Industriellen weigerten, die von den peronistischen Gewerkschaften geforderten Lohnerhöhungen zu akzeptieren. Perón geriet in eine Zwickmühle – und gab nach. Ausländischen Unternehmen wie der mächtigen „Standard Oil Company“ wurde die Erschließung und Ausbeutung der argentinischen Erdölvorkommen gestattet. Die Reallöhne der Arbeiter wurden gesenkt und Streiks unterdrückt. Den Industriellen und Großagrariern waren die Zugeständnisse nicht genug. Sie forderten eine grundlegende Revision der peronistischen Sozialpolitik. Dies wiederum konnte Perón nicht akzeptieren, weil er sonst die Unterstützung der Gewerkschaften verloren hätte. Tatsächlich hielten diese weiter zu Perón und zeigten sich auch bereit, für ihn zu kämpfen. Doch einen gewaltsamen Kampf wagte Perón nicht, weil er inzwischen die Unterstützung des argentinischen Militärs verloren hatte, das ihm die blutige Niederschlagung des Putsches eines Generals im Jahr 1951 nicht verzeihen wollte. Daher gab Perón 1955 auf und ging ins Exil nach Spanien. 1973 und damit fast zwanzig Jahre später gelang ihm, was keinem anderen faschistischen Diktator weder vorher noch nachher gelungen ist. Peron kehrte nach Argentinien zurück und wurde wieder zum Präsidenten gewählt. Dieses Amt konnte er sogar nach seinem Tod 1974 an seine (dritte) Frau Isabel Perón vererben. Diese zweite Phase des Peronismus war aber noch kürzer als die erste. Das Regime der politisch gänzlich unfähigen Isabel Perón wurde schon 1976 durch einen Militärputsch gestürzt. Sein Führer war der General Jorge Videla, der eine Militärdiktatur errichtete, die weitaus terroristischer war als die peronistische. Ihr fielen bis zu Videlas Sturz im Jahr 1981 Tausende von Argentiniern zum Opfer, die von Angehörigen der Armee, der Geheim-
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polizei sowie von eigens zu diesem Zweck gebildeten paramilitärischen Einheiten erschossen, zu Tode gefoltert oder – eine perfide Besonderheit dieser Diktatur – von Flugzeugen aus ins Meer geworfen wurden. Der Terror der Militärdiktatur Videlas hat offensichtlich dazu beigetragen, dass das Regime Peróns heute in einem anderen und helleren Licht erscheint. Hinzu kam die Wandlung der peronistischen Partei in den darauf folgenden Jahren, in denen sich der linke Flügel schließlich durchsetzte und dem Peronismus insgesamt einen anderen Charakter verlieh. Die peronistische Partei Argentiniens hat heute mehr Ähnlichkeit mit einer sozialdemokratischen als mit einer faschistischen Partei. Die, wenn man so will, Entfaschisierung seiner Partei hat Zweifel an der faschistischen Charakterisierung Peróns selber geweckt. In der heutigen Forschung wird im Peronismus mehr eine Variante des Populismus gesehen als eine des Faschismus.42 Doch wird der Begriff des Populismus völlig unterschiedlich definiert und erweist sich allein schon deshalb als ungenügend. Anders scheint es mit der Anwendung des Terminus Bonapartismus zu sein, den man in Teilen der älteren Literatur antrifft.43 Tatsächlich erfolgte die Etablierung der peronistischen Diktatur in der Situation eines „Gleichgewichts der Klassenkräfte“, das wiederum eine „Verselbstständigung der Exekutive“ ermöglichte, weil die herrschenden Schichten zugunsten ihrer sozialen Macht auf die politische verzichteten. Perón hat sich dann wie die anderen bonapartistischen Herrscher vor allem auf das Militär gestützt. Hinzu kam jedoch die von ihm geschaffene und angeführte „justizialistische“ Partei, die weit mehr war als die „Dezemberbande“ Louis Bonapartes und daher unverkennbare Ähnlichkeit mit den faschistischen Bewegungen aufwies. Insgesamt spricht also alles dafür, die peronistische Diktatur als bonapartistisch-faschistisch zu charakterisieren. Brasilien Die Anwendung der Begriffe Bonapartismus und/oder Faschismus auf Brasilien ist schon deshalb schwer, wenn nicht sogar unmöglich, weil sich dieses riesige Land in gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht sowohl von den anderen lateinamerikanischen wie (in noch größerem Maße) von den europäischen Ländern unterscheidet. Aus der ursprünglichen portugiesischen Siedlungskolonie wurde schon im 16. und 17. Jahrhundert eine Plantagenwirtschaftskolonie, die sich auf den Anbau und den Export von Zucker und dann vor allem
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von Kaffee konzentrierte. Dies mit Hilfe von aus Afrika importierten Sklaven, die schließlich fast die Hälfte der Bevölkerung stellten. Erst 1888 wurden sie befreit. Ganz Brasilien war bis dahin eine Sklavenhaltergesellschaft, die ihresgleichen suchte und allenfalls mit der in den Südstaaten der USA verglichen werden kann. Sowohl die Sklaverei wie die nachfolgende Diskriminierung der schwarzen und farbigen Brasilianer wurden zudem mit einer rassistischen Ideologie begründet, die von dem Soziologen und Autor des Buches Herrenhaus und Sklavenhütte Gilberto Freyre „Luso-Tropicalismo“ genannt wurde. Die Essenz des Luso-Tropicalismo besteht in der Behauptung, dass die schwarzen und farbigen Brasilianer ihre eigene Versklavung und nachfolgende Diskriminierung als positiv empfunden hätten, weil ihre weißen Landsleute keine Scheu gehabt hätten, mit ihnen sexuelle Kontakte zu unterhalten. Dass diese sexuellen Kontakte meist nicht freiwillig waren, weil die schwarzen Frauen von ihren weißen Herren geradezu als sexuelles Freiwild angesehen wurden, wird dabei verschwiegen. Diese ebenso rassistische wie sexistische Ideologie des brasilianischen Rassenstaates bestimmte auch dessen politische Verfasstheit. Aus der ursprünglich portugiesischen Kolonie war 1815 ein mit dem Mutterland gleichberechtigtes Königreich geworden. 1822 proklamierte dieses brasilianische Königreich beziehungsweise, wie es sich jetzt nannte, Kaiserreich seine Unabhängigkeit. Das Kaiserreich Brasilien wurde dann 1889 gestürzt und durch eine föderative Republik ersetzt, in der jedoch die agrarischen Oligarchen weiterhin das Sagen hatten. Deren soziale und politische Macht blieb bis zum Ende der 1920er-Jahre ungebrochen. Doch dann führte die Weltwirtschaftskrise zur Beendigung des brasilianischen Kaffee-Booms, was das gesamte wirtschaftliche und politische System Brasiliens ins Wanken brachte – und die Grundlage schuf für den Aufstieg faschistischer Parteien.44 Die wichtigste war die 1932 gegründete „Ação Integralista Brasileira“, deren Mitglieder nach der Farbe ihrer Parteiuniform auch „Grünhemden“ genannt wurden.45 Ihr Führer war der 1895 in São Paulo geborene Journalist Plínio Salgado, der sich durch das 1922 publizierte Buch Der Fremde innerhalb der Intellektuellenszene Brasiliens einen Namen gemacht hatte. Salgado verstand es, die am ausländischen faschistischen Vorbild orientierten Elemente im Erscheinungsbild und in der Ideologie seiner Partei mit spezifisch brasilianischen zu verbinden. So grüßten seine „Grünhemden“ nicht mit „Heil!“, sondern mit „Anauê“,
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was aus der Indianersprache Tupi entlehnt war und so viel wie „Du bist mein Bruder“ bedeutete. Als Parteiabzeichen verwendeten sie nicht das faschistische Rutenbündel oder das nationalsozialistische Hakenkreuz, sondern das Sigma-Zeichen, was darauf hindeuten sollte, dass die Welt unteilbar ist. All diese Äußerlichkeiten deuten bereits auf eine eher linke, gegen die einheimischen Oligarchen gerichtete und nicht oder zumindest nicht radikal rassistisch geprägte Ideologie hin. Salgado selber soll sich sogar für eine „Union aller Rassen und Völker“ eingesetzt haben, die auch Juden und die von ihm geradezu schwärmerisch verehrten Indianer mit einschloss. Doch dies war vermutlich vor allem Propaganda und Mimikry. Wichtiger war die katholisch-fundamentalistische Orientierung der Partei, was schon in ihrem Parteinamen („Integralismus“ war damals ein spezifisch katholischer Begriff) und ihrem Motto – „Gott, Vaterland, Familie“ – zum Ausdruck kam. Wie die übrigen faschistischen beziehungsweise fundamentalistisch-faschistischen Parteien war auch die Partei Salgados in heftige Kämpfe mit den brasilianischen Kommunisten verwickelt. 1937 bot Salgado dem 1930 durch einen Militärputsch zur Macht gekommenen Getúlio Vargas die politische Zusammenarbeit an. Dies mit dem offensichtlichen Ziel, aus der Diktatur Vargas’ eine faschistische zu machen. Vargas wies jedoch das Angebot Salgados zurück und ließ dessen Partei verbieten, nachdem die Integralisten 1938 einen Putschversuch unternommen hatten. Außerdem nutzte Vargas die Situation, um auch alle anderen Parteien zu verbieten, das Parlament aufzulösen und die Errichtung eines „Neuen Staates“ zu proklamieren.46 Vargas’ „Estado Novo“ war zweifellos eine Diktatur, aber keine faschistische. Vargas verzichtete nämlich auf den Aufbau einer eigenen faschistischen Massenpartei und stützte sich allein auf das Militär. Von diesem wurde er 1945 schließlich auch zum Rücktritt gezwungen. Dies obwohl oder weil es ihm gelungen war, die Vorherrschaft der Großgrundbesitzer zu brechen, die Industriearbeiter zu stärken und das Land generell zu modernisieren.47 Beim Vargas-Regime handelte es sich also um eine bonapartistische Entwicklungsdiktatur, die zumindest von der heutigen brasilianischen Forschung positiv bewertet wird. Dies aber auch deshalb, weil Brasilien nach Vargas’ Sturz meist von brutalen und noch dazu erfolglosen Militärdiktaturen regiert worden ist. Von 1951 bis 1954 amtierte Vargas selber noch einmal als Präsident, diese
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zweite Amtszeit war jedoch von Korruption und politischen Intrigen geprägt. Erst 1985 ist Brasilien wieder zur Demokratie zurückgekehrt. Dafür mussten die Brasilianer aber in Gestalt einer lang anhaltenden Wirtschaftskrise einen hohen Preis zahlen. Unter dem jetzigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der 2002 einen überwältigenden Wahlsieg errungen hat, hat sich die wirtschaftliche Lage Brasiliens wieder gebessert. 2006 hat Lula seinen Wahlsieg wiederholen können, unter ihm scheint das Land politisch zur Ruhe gekommen zu sein. Chile Politisch wieder zur Ruhe gekommen und zur Demokratie zurückgekehrt ist auch Chile nach der blutigen Herrschaft Augusto Pinochets.48 Dieser sind mindestens 4000 Chilenen zum Opfer gefallen, weshalb sie damals und auch heute noch als faschistisch eingestuft worden ist. Um diesen Faschismusvorwurf zu überprüfen, muss man weiter in die Geschichte Chiles zurückgreifen. Das 1818 unabhängig gewordene Chile ist die meiste Zeit seiner Geschichte nicht von Demokraten regiert worden, sondern von Diktatoren unterschiedlicher Couleur. Ursache dieser politischen Instabilität waren auch hier die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes. 90 Prozent seiner Agrarfläche gehörten im 19. Jahrhundert einigen wenigen Großgrundbesitzern. Kleinere Bauern gab es nur im Süden, wo diese auf ehemaligem Indianerland angesiedelt wurden. Bodenschätze wie Silber, Kupfer und das sowohl für Dünger wie Sprengstoff gebrauchte Salpeter wurden zwar von Arbeitern (überwiegend europäischer Herkunft) abgebaut, aber von Angehörigen der Bourgeoisie mit großem Gewinn verkauft. Gegen ihre Ausbeutung wehrten sich sowohl die Landarbeiter wie auch die zahlenmäßig noch sehr geringen Industriearbeiter durch die Gründung von Gewerkschaften und einigen linken Parteien. Letztere konnten 1938 erstmals die Wahlen gewinnen und zusammen mit einigen kleineren liberalen Parteien eine Volksfrontregierung bilden. In Opposition zu dieser standen auch zwei kleinere faschistische Parteien. Die eine hieß „Moviemiento National-Socialista“ und war, worauf schon ihr Name hindeutet, von Angehörigen der Auslandsorganisation der NSDAP sowie anderen NS-Sympathisanten im Jahr 1931 gegründet worden.49 Sie war mit insgesamt 20 000 Mitgliedern relativ schwach, was sie jedoch nicht daran hinderte, noch 1938 einen Putschversuch zu
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wagen. Der wurde aber sofort niedergeschlagen, worauf diese faschistische Partei wieder von der politischen Bildfläche Chiles verschwand. Anders verhielt es sich mit der „Nationalfalange“, die 1937 als Abspaltung der Konservativen Partei entstand. Sie soll einen ideologischen Einfluss auf das spätere Pinochet-Regime ausgeübt haben.50 1952 wurde die Volksfrontregierung von einem konservativen Kabinett unter Carlos Ibáñez del Campo abgelöst. Dessen Nachfolger war Jorge Allesandri, der die Wahl von 1958 vor dem Kandidaten der Sozialisten und Kommunisten, Salvador Allende, gewann. 1964 kam es dann zu einem wirklichen Machtwechsel, als Eduardo Frei von den Christdemokraten zum Präsidenten gewählt wurde. Frei leitete sofort einige Strukturreformen ein. Sie gingen aber den Sozialisten nicht weit genug, die sich mit den Kommunisten und einigen kleineren linken Parteien zur „Unidad Popular“ vereinigten. Ihr Chef war der populäre und charismatische Salvador Allende, dem es 1970 gelang, die Parlamentswahlen zu gewinnen. Allerdings äußerst knapp, weshalb er nur mit Unterstützung der Christdemokraten Freis zum Präsidenten Chiles gewählt werden konnte. Allende leitete sofort eine umfassende Sozial- und Wirtschaftsreform ein. Die Löhne wurden erhöht und die Preise für Mieten und Nahrungsmitteln eingefroren. Schulbildung und Gesundheitsfürsorge waren sogar völlig frei. Das dafür benötigte Geld wurde durch die entschädigungslose Enteignung der ausländischen und auch einiger inländischen Großunternehmen eingetrieben. Außerdem wurden die Banken verstaatlicht, die Bodenschätze in Staatsbesitz überführt und eine Agrarreform eingeleitet.51 Natürlich fand dies alles nicht den Beifall der in- und ausländischen Unternehmer, die ihren wirtschaftlichen Einfluss geltend machten, um die konservative Opposition in ihrem Kampf gegen die Regierung zu stärken. Dabei wurden sie direkt und indirekt von der amerikanischen Regierung unterstützt. Zu den direkten Maßnahmen gehörte der vom amerikanischen Präsidenten Richard Nixon durchgesetzte Boykott chilenischen Kupfers auf dem Weltmarkt und die Verweigerung von Krediten an Chile durch den internationalen Finanzmarkt. Nixon rechtfertigte diese Politik gegenüber Chile mit der Bemerkung, dass man dieses Land eben „ausquetschen“ müsse.52 Noch folgenreicher war der indirekte Druck, der auf die Regierung Allende ausgeübt wurde. Dazu gehörte die militärische Ausbildung und
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finanzielle Unterstützung von rechtsextremen Terrorgruppen wie der „Patria y Libertad“ durch den CIA. Nixons damaliger Sicherheitsberater Kissinger hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass man den späteren Putsch zwar „nicht gemacht“, aber doch die „größtmöglichen Voraussetzungen geschaffen“ habe, um ihn durchzuführen. Ein erster Putschversuch des chilenischen Militärs scheiterte jedoch 1972 und führte letztlich dazu, dass Allendes „Unidad Popular“ bei den Parlamentswahlen im März 1973 44 Prozent der Stimmen gewinnen konnte. Dies reichte aber nicht aus, um ein gegen Allende gerichtetes Misstrauensvotum im Parlament zu verhindern, zumal jetzt auch die Christdemokraten Freis ins Lager der Allende-Gegner gewechselt waren. Um das Militär zu besänftigen, ernannte Allende am 25. August 1973 Augusto Pinochet zum Oberkommandierenden des Heeres. Dies war ein entscheidender und verhängnisvoller Fehler. Denn keine drei Wochen später unternahm Pinochet am 11. September 1973 einen Putschversuch, der trotz heftiger Gegenwehr der Anhänger Allendes erfolgreich war. Allende selber kam bei der Verteidigung des von Flugzeugen und Panzern angegriffenen Präsidentenpalastes ums Leben. Tausende von Mitgliedern und Sympathisanten der „Unidad Popular“ wurden verhaftet und in das zu einem Konzentrationslager umfunktionierte Nationalstadion sowie weitere Lager deportiert. Insgesamt wurden 400 000 Chilenen für kürzere oder längere Zeit inhaftiert. Mindestens 4000 wurden während der nun folgenden Militärdiktatur ermordet. Eine Million Chilenen wurden ins Exil gezwungen.53 Verantwortlich für diesen Terror war Pinochet, der sich ein Jahr später zum „Jefe Supremo de la Junta“ („Obersten Führer der Nation“) ernannte. Er regierte beziehungsweise unterdrückte das Land allein mithilfe von Polizei, Militär und einigen terroristischen Sondereinheiten wie der berüchtigten DINA. Eine faschistische oder sonstwie geartete Regierungspartei wurde dagegen nicht aufgebaut. Schon dies spricht gegen die Anwendung des Faschismusbegriffs auf sein Regime, ebenso wie die weitere Entwicklung seiner bonapartistischen Diktatur.54 Seine Sozial- und Wirtschaftspolitik stand ganz im Zeichen der von dem Chicagoer Wirtschaftsprofessor Milton Friedman gepredigten neo- oder ordoliberalen Lehre. Auf Chile bezogen bedeutete dies die Reprivatisierung aller Unternehmen, die Einstellung fast der gesamten Sozialhilfe und die Reduzierung der Ausgaben für Bildung um 30 Prozent. Der strikte und zugleich auch innenpolitisch motivierte Sparkurs
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zahlte sich jedoch nicht aus. Die Inflationsrate erreichte mit 500 und mehr Prozent schwindelnde Höhen. Die Arbeitslosenquote stieg ebenfalls. Zur immer desolater werdenden wirtschaftlichen Lage trug auch der Verfall des Kupferpreises auf dem Weltmarkt bei, zumal Kupfer das einzige wirklich wichtige Exportprodukt Chiles war. Wegen des immer weiter sinkenden Lebensstandards der chilenischen Bevölkerung kam es zu Protesten und Hungermärschen, die nicht mehr mit militärischen Zwangsmitteln verhindert und eingedämmt werden konnten. In dieser Situation gab Pinochet nach. 1987 ließ er wieder Parteien zu und stellte sich ein Jahr später einem Plebiszit, das er verlor. Daraufhin trat er als Präsident zurück, blieb aber Chef des Heeres und verschaffte sich noch zusätzlich das Amt eines Senators auf Lebenszeit, das ihn vor gerichtlichen Verfahren bewahren sollte.55 Mit Erfolg: Seine christdemokratischen Nachfolger haben es nicht gewagt, Pinochet vor Gericht zu stellen.56 Als er sich im September 1998 zu einem Besuch in London aufhielt, wurde er jedoch verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Es begann ein internationales diplomatisches Tauziehen, das im März 2000 mit seiner Freilassung endete. Sogleich kehrte Pinochet nach Chile zurück. 2004 wurde schließlich dort Anklage gegen ihn erhoben und ein Jahr später auch seine Immunität aufgehoben. Dennoch ist es nicht mehr zum Prozess gekommen, weil Pinochet für prozessunfähig erklärt wurde. Im Jahr 2006 verstarb er. Die Aufarbeitung der Vergangenheit kam ebenfalls nur sehr schleppend voran. Eine bereits 1990 eingesetzte Untersuchungskommission zur Aufklärung der unter Pinochet begangenen Verbrechen wurde vielfach behindert. Ihr schließlich im Jahr 2004 vorgelegter Bericht sah keinerlei strafrechtliche Folgen für die Täter und so gut wie keine Entschädigung für die Opfer vor. Immerhin konnte 2005 die Pinochet-Verfassung beseitigt und durch eine neue demokratische ersetzt werden. Seit 2006 regiert ein Mitte-Links-Bündnis unter der Präsidentin Michelle Bachelet das Land. Ob sich das jetzige demokratische System Chiles als dauerhaft stabil erweist, bleibt abzuwarten.
AFRIKA
„Rassegesellschaft“ – Fundamentalismus und Faschismus in Südafrika
In Südafrika habe sich seit dem 17. Jahrhundert eine „Rassegesellschaft“ entwickelt, die auf dem „Bündnis zwischen Mob und Kapital“ basierte und in der „alles Spätere“ der „totalen Herrschaft“ des 20. Jahrhunderts „vorgezeichnet“ gewesen sei – hat Hannah Arendt in ihrem klassischen Werk über Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft geurteilt.1 Stimmt das? Sind die Ursprünge des faschistischen „Rassenstaates“ in Südafrika zu suchen und hat sich dort aus der ursprünglichen „Rassegesellschaft“ ein „Rassenstaat“ entwickelt, der wie der deutsche als faschistisch einzuschätzen ist?2 „Trek Buren“ Um diese Fragen zu beantworten, greifen wir in die Geschichte zurück.3 Genauer gesagt in das Jahr 1652, als die Niederländer am Kap eine Verpflegungsstation anlegten, welche die Aufgabe hatte, die nach Indien weiterfahrenden Schiffe mit frischem Wasser und Lebensmitteln zu versorgen. Zu diesem Zweck wurden hier einige Niederländer angesiedelt, zu denen 1688 auch 255 aus Frankreich vertriebene Hugenotten stießen. Im Unterschied zu allen anderen europäischen Kolonien entwickelte sich die niederländische Kapkolonie weder zu einer Handelsnoch zu einer Siedlungskolonie. Stattdessen fand eine Anpassung an die Lebens- und Wirtschaftsweise der Afrikaner statt.4 Aus den, wie sie sich selber nannten, „Buren“ (Bauern) wurden „Trek Buren“, das heißt halbnomadische Viehzüchter, die auf der Suche nach neuem Weideland mit ihren riesigen Rinderherden tief ins Landesinnere vorrückten. Dabei stießen diese herumziehenden Bauern bald auf den Widerstand der einheimischen Völker der Khoi-Khoi und dann der Xhosa, der jedoch schnell gebrochen wurde. Die von den Buren abfällig so genannten „Hottentotten“ und „Kaffern“ wurden geschlagen und versklavt. Weitere Sklaven wurden aus Ostafrika und bald auch aus Asien importiert.
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Die Briten, die erstmals 1795 und endgültig 1814 die vormals niederländische Kap-Kolonie übernahmen, ließen die Buren mit ihrer ebenso grausamen wie primitiven Sklavenhaltergesellschaft zunächst gewähren. 1833 wurde die Sklaverei in der Kapkolonie jedoch aufgehoben. Das veranlasste die Buren, mit ihren Sklaven und Rindern weiter ins Landesinnere vorzurücken. Auf ihrem sogenannten Großen Treck bekamen sie es jedoch mit dem von König Shaka vereinigten und militärisch trainierten Zulu-Stämmen zu tun. Obwohl zahlenmäßig weit unterlegen, konnten die Buren die Zulu 1838 in der Schlacht am Blood River besiegen. 1852 wurden im nördlichen Teil des heutigen Südafrika die unabhängigen Republiken Oranje und Transvaal ausgerufen. Sie wurden zunächst von den Briten, die zur gleichen Zeit ihre Kapkolonie um Natal erweitert hatten, anerkannt. Dies änderte sich, als 1869/71 auf dem Gebiet der Burenrepubliken Gold und Diamanten gefunden wurden, was die Begehrlichkeit der Engländer weckte. Ein erster Angriff der Briten konnte jedoch 1880/81 von den Burenrepubliken abgewehrt werden, die sich daraufhin zur „Zuid-Afrikaanschen Republiek“ vereinigten. 1899 versuchten es die Briten erneut. Die Buren wehrten sich verzweifelt und verwickelten das ihnen zahlenmäßig und militärtechnisch weit überlegene britische Heer in einen Partisanenkrieg. Um den Widerstand der kämpfenden Buren zu brechen, pferchten die Briten große Teile der burischen Zivilbevölkerung in sogenannte Konzentrationslager (concentration camps) ein.5 Hier starben 30 000 Personen, meist Frauen und Kinder. 1902 kapitulierten die Buren. Ihre „Zuid-Afrikaansche Republiek“ wurde 1910 mit der britischen Kapkolonie sowie Natal zur „Südafrikanischen Union“ vereinigt. 1919 erhielt diese das Mandat über die ehemals deutsche Kolonie Südwestafrika, das heutige Namibia. 1939 trat die 1931 unabhängig gewordene Südafrikanische Union dann auf der Seite Großbritanniens in den Krieg gegen Deutschland ein. Der Kriegseintritt war unter den beiden großen Parteien des Landes umstritten. Dabei handelte es sich um die probritische „South African Party“ von Jan Christiaan Smuts einerseits, die betont burische „National Party“ von James Barry Hertzog andererseits. Ihr 1934 gebildetes Bündnis brach damit auseinander. Dennoch wurde Smuts zum Ministerpräsidenten gewählt und blieb es bis zum Kriegsende. 1948 wurde Smuts von Daniel François Malan von der „Gereinigten Nationalen Partei“ abgelöst, die 1934 aus Protest gegen die temporäre Vereinigung
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der „Südafrikanischen Partei“ und der „Nationalen Partei“ gegründet worden war. Malan setzte dann die schon unter seinen Vorgängern begonnene Politik der sogenannten Apartheid fort, die dazu führte, dass aus dem atavistischen Staat ein moderner Rassenstaat wurde. Seine Errichtung war von verschiedenen größeren und kleineren Parteien mit fundamentalistisch-faschistischen Argumenten gefordert worden. „My God – my Volk“ Zu nennen ist einmal der „Afrikaaner Broederbond“. Ursprünglich handelte es sich um einen Geheimbund, der schon 1918 von H. J. Klopper und dem Pfarrer Jozua Naudé gegründet worden war und zunächst „Jong Zuid Afrika“ hieß. Sein Ziel war es, die 1902 geschlagenen Buren wieder an die Macht zu bringen. Dies wurde mit einer sowohl fundamentalistischen wie rassistischen Ideologie begründet, wonach die Buren als eigentliches „Volk Gottes“ zur Herrschaft über die Schwarzen bestimmt seien. Damit legte der „Afrikaaner Broederbond“ die ideologischen Grundlagen des späteren Apartheid-Regimes.6 Noch größeren Einfluss besaß die 1933 gegründete „Südafrikanische Christlich Nationalsozialistische Bewegung“ Louis Weichardts.7 Wie schon aus ihrem Namen hervorgeht, orientierte sie sich am Vorbild der NSDAP, mit deren südafrikanischer Auslandsorganisation sie auch eng zusammenarbeitete. Wie die NSDAP verfügte diese südafrikanische Partei über eine Parteimiliz, deren Mitglieder graue Hemden trugen. Ihr Ziel war nicht nur die rassistische Diskriminierung der Schwarzafrikaner, sondern auch die Verhinderung der Einwanderung von europäischen Juden. Sie war also sowohl rassistisch wie antisemitisch ausgerichtet.8 Dennoch gewannen die „Grauhemden“ Weichardts auch unter der englischsprachigen Bevölkerung Anhänger. Außerdem schlossen sich ihr noch einige andere faschistische Splittergruppen an. Dazu gehörten die von Johann von Moltke angeführten „South Africans Fascists“, die dann jedoch Malans „Gereinigter Nationalen Partei“ beitraten. Dies führte zu einer Schwächung der „Grauhemden“. Ihr Führer Weichardt wurde während des Krieges interniert und konnte auch nach seiner Entlassung seine politische Karriere nicht fortsetzen. Seine 1948 in „White Workers Party“ umbenannte faschistische Bewegung verschwand in der Bedeutungslosigkeit. Dem „Neuen Orden“ Oswald Pirows ist es ähnlich ergangen. Der 1890 als Sohn deutscher Immigranten geborene Pirow hatte sich nach
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seinem Studium in Deutschland und England zunächst der „Nationalen Partei“ Hertzogs angeschlossen. Hier machte er schnell Karriere, wurde Parlamentsabgeordneter und schließlich sogar Justizminister sowohl unter Hertzog wie unter Smuts. Nach einigen Europa-Reisen, auf denen er mit Hitler, Mussolini, Franco und Salazar zusammentraf, schied er aus der Regierung aus und schloss sich Malans „Gereinigter Nationaler Partei“ an. 1940 gründete er dann den „Neuen Orden“, der eng mit Weichardts „Grauhemden“ zusammenarbeitete. Daher musste Pirow Malans Partei verlassen. Damit war seine vielversprechende politische Laufbahn zu Ende. Pirow ist jedoch seiner faschistischen Gesinnung treu geblieben und hat bis zu seinem Tod im Jahr 1959 eine enge Freundschaft mit dem britischen Faschisten Oswald Mosley unterhalten. Der bedeutendste südafrikanische Faschist war Johannes Frederik Janse (Hans) van Rensburg. Der 1898 geborene van Rensburg hatte zunächst Germanistik, dann Jura studiert und in diesen Fächern sowohl den Magister- wie den Doktorgrad erworben. Nach einer kurzen, aber erfolgreichen Tätigkeit als Anwalt wechselte er in den Staatsdienst und wurde Staatssekretär im Justizministerium. Außerdem brachte er es zum Oberst der Reserve. Nach einer Deutschlandreise, bei der er angeblich auch Hitler begegnete, trat er der 1939 gegründeten Partei „Ossewabrandwag“ (Ochsenwagenbrandwache) bei, zu deren Führer er 1941 wurde.9 Dabei handelte es sich um eine faschistische Partei mit Massenbasis, gehörten ihr sowie der Parteimiliz der „Stormjaers“ (Sturmjäger) doch 300 000 Mitglieder an. Die „Ossewabrandwag“-Partei war nach dem faschistischen Führerprinzip aufgebaut und vertrat eine sowohl nationalistische wie antisemitische und rassistische Ideologie. Dies jedoch in einer spezifisch fundamentalistischen Färbung, die den burischen Nationalismus generell kennzeichnet.10 Derzufolge sind die Buren und nicht die Juden das „auserwählte Volk“ Gottes. Nach der ebenfalls fundamentalistischen Auslegung der Bibel sind die Juden die bei Johannes 8,44 erwähnten „Teufelskinder“. Die Schwarzafrikaner gelten dagegen als Kinder des ungezogenen und von seinem Vater zur Sklaverei verurteilten Ham. Gründungsmythos dieses ebenso fundamentalistischen wie rassistischen burischen Nationalismus ist der Große Treck von 1834, der mit dem Sieg gegen die Zulu am Blood River endete. Beides gilt als Beweis dafür, dass die Buren wirklich „Gottes Volk“ sind. Diese
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blasphemische Behauptung brachte die „Ossewabrandwag“ auf die Formel: „My God – My Volk.“ Unter diesem Motto wandte sich die faschistische Partei van Rensburgs gegen die probritische Politik Smuts’. Dabei scheute sie auch vor Sabotageakten nicht zurück. Dies führte zur Verhaftung von verschiedenen ihrer Mitglieder. Unter ihnen befand sich auch der spätere Präsident Südafrikas Johannes Vorster. Dennoch konnte die Smuts-Regierung die Untergrundtätigkeit der „Ossewabrandwag“ nicht eindämmen. Erst nach dem Wahlsieg von Malans „Gereinigter Nationaler Partei“ im Jahr 1948 büßte die „Ossewabrandwag“ sukzessive ihre vormalige Bedeutung ein. Nachdem ihr Führer van Rensburg 1952 zurückgetreten war, löste sie sich auf. Die meisten Mitglieder traten der „Nationalen Partei“ bei. Van Rensburg starb 1966 und wurde mit militärischen Ehren beerdigt. Schon dieses Detail zeugt davon, dass dieser südafrikanische Faschist keineswegs vergessen oder gar geächtet war. Die von ihm und seiner faschistischen Partei vertretene Ideologie lebte nicht nur weiter, sie wurde in zunehmendem Maße verwirklicht und institutionalisiert. Innerhalb der burischen „Rassegesellschaft“ wurde ein Rassenstaat errichtet, der aber nicht so genannt wurde. „Apartheid“ Apartheid bedeutet im Niederländischen beziehungsweise Afrikaans so viel wie Trennung.11 Tatsächlich ging es keineswegs nur um die Trennung vermeintlicher „Rassen“, sondern um die Entrechtung, Enteignung und Verdrängung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung in besondere Wohngebiete und Reservate, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen leben beziehungsweise vegetieren mussten. Mit der Rassenpolitik hatte man schon unmittelbar nach der Ausrufung der Südafrikanischen Union begonnen. Durch den „Natives Land Act“ von 1913 wurden viele der gerade der burischen Zwangsherrschaft entronnenen, nicht wahlberechtigten Schwarzafrikaner ihres Landes beraubt und auf andere, meist abgelegene und unfruchtbare Gebiete verdrängt. Hier wurden bald Reservate errichtet. Durch den „Black Urban Area Consolidation Act“ von 1945 wurden den Schwarzen auch in den Bergwerks- und Industrieregionen bestimmte Wohngebiete (townships) zugewiesen. Aufgrund des „Group Areas Act“ von 1950 wurde diese Verdrängungs- und Vertreibungspo-
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litik auch auf sogenannte Mischlinge (coloured) und Asiaten (meist Inder) ausgedehnt. Die Einpferchung in bestimmte Reservate wurde 1950 durch den „Bantu Authorities Act“ legitimiert. In diesen, wie sie offiziell hießen, „Bantustans“ wurden die Schwarzen vom regulären Bildungssystem ausgeschlossen, was durch ein eigenes Gesetz – den „Bantu Education Act“ vorgeschrieben wurde. 1970 erhielten die Bewohner dieser „Bantustans“ beziehungsweise, wie sie dann genannt wurden, „Homelands“ eine eigene Staatsbürgerschaft, wodurch sie zu Ausländern in ihrem eigenen Land wurden. Diejenigen Schwarzen, die in den weißen Gebieten arbeiten mussten, erhielten eigene Passbücher, die sie immer mit sich führen mussten und die ihnen den Weg zur Arbeit erlaubten. Durch zahllose weitere Verordnungen wurden die Schwarzen von den Weißen in den öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln sowie auf öffentlichen Plätzen und in Badeanstalten getrennt. Dies wurde durch entsprechende Anschläge und Plakate bekannt gegeben. Keineswegs mehr nur der Rassentrennung, sondern der rassistischen Diskriminierung der Schwarzen dienten die 1950 und 1957 erlassenen Verbote von sogenannten Mischehen und der sexuellen Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen. Sie hatten eine fatale Ähnlichkeit mit den keine zwanzig Jahre zuvor im faschistischen Deutschland erlassenen „Nürnberger Gesetzen“. Um den zunehmenden Widerstand der Schwarzen zu brechen, wurden schließlich Gesetze verkündet, durch welche die Polizei ermächtigt wurde, mit aller, auch ungesetzlicher Härte gegen „ungesetzliche Organisationen“ und den „Terrorismus“ vorzugehen. Auch dies erinnerte an entsprechende deutsche Gestapo-Gesetze und Polizeiverordnungen. Der südafrikanische Rassenstaat erhielt dadurch wie einst der deutsche einen staatsterroristischen Charakter. Dennoch gab es auch bedeutende Unterschiede zwischen dem südafrikanischen Apartheid-Regime und dem Dritten Reich. Das gilt vor allem für die Tatsache, dass die demokratischen Institutionen nicht völlig abgeschafft wurden – jedenfalls im, wenn man so will, weißen Teil Südafrikas. Hier gab es weiterhin ein Parlament mit Oppositionsparteien, welche die Rassenpolitik der Regierung hätten kritisieren können. Doch das taten sie ebenso wenig wie die anderen gesellschaftlichen Organisationen und die Kirchen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hielten schon aus eigennützigen ökonomischen Gründen an der Rassen-
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trennung fest. Den Arbeitgebern brachte sie Profite, und den Arbeitnehmern sicherte sie die höher qualifizierten Arbeitsplätze. Die mächtige Niederländische Reformierte Kirche verteidigte die Apartheid-Politik mit religiösen Argumenten (vor allem mit der erwähnten Ham-Legende) und ließ sich von dieser unchristlichen Auslegung der Bibel auch dann nicht abbringen, als sie aus allen christlichen Weltorganisationen ausgeschlossen wurde. Der südafrikanische war ähnlich wie der nationalsozialistische ein „Doppelstaat“, und zugleich ganz anders.12 Dem demokratischen „Normenstaat“ im weißen stand ein rassistischer und terroristischer „Maßnahmestaat“ im schwarzen Teil gegenüber. Anders als im Dritten Reich herrschte jedoch eine Minderheit über eine entrechtete, rassistisch diskriminierte und ausgebeutete Mehrheit, die zudem aus großen Teilen ihres eigenen Landes vertrieben und in einigen Elendsvierteln und Reservaten konzentriert worden war. Obwohl all dies im eklatanten Widerspruch zu den Regeln des Menschen- und Völkerrechts stand und mit Demokratie nicht das Geringste gemein hatte, ist das südafrikanische Apartheid-Regime zunächst von der Völkergemeinschaft und den westlichen Demokratien toleriert worden. Erst 1961 ist Südafrika aus dem Commonwealth ausgeschlossen worden, und erst 1981 haben die Vereinten Nationen ein Embargo beschlossen. Beide Maßnahmen zeigten jedoch zunächst keine für Südafrika negativen Folgen. Das Embargo wurde von verschiedenen Staaten, darunter neben den USA auch die Bundesrepublik und Israel, unterlaufen. Politischer oder gar militärischer Druck wurde auf Südafrika nicht ausgeübt. Dies obwohl einige der Verbrechen des Regimes wie das Massaker von Sharpeville im Jahr 1960, als die Polizei 69 Township-Bewohner erschoss und weitere 180 verletzte, und die blutige Niederschlagung der Schülerdemonstration in Soweto 1976 von der internationalen Presse bekannt gemacht und entsprechend kritisiert worden waren. Größere Aufmerksamkeit fand dann die Streikwelle von 1986, auf die der damalige Präsident Pieter Willem Botha mit harten Repressionen und einer Stärkung der Exekutive reagierte. Dadurch wurde auch der demokratische Charakter des weißen Teils Südafrikas gefährdet. Doch entscheidend für den dann überraschend schnellen Sturz des Apartheid-Regimes waren nicht diese internen, sondern externe Faktoren und Ereignisse. An erster Stelle ist der Zerfall des kom-
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munistischen Ostblocks zu nennen, der zugleich das endgültige Ende des Kalten Krieges bedeutete, in dessen westlichen Windschatten der – vorgeblich nur antikommunistische südafrikanische – Rassenstaat hatte überdauern können. Doch jetzt war keine Hilfe mehr von der „freien Welt“ für die Fortexistenz des unfreien Apartheid-Regimes zu erwarten. „Truth and Reconciliation“ Der südafrikanische Präsident Frederik Willem de Klerk zog aus dieser sich radikal verändernden weltpolitischen Situation radikale innenpolitische Konsequenzen. Er hob den von seinem Vorgänger Pieter Willem Botha 1985 verkündeten Ausnahmezustand auf, ließ 1990 den „African National Congress“ (ANC), die Partei und Interessenvertretung der Bevölkerungsmehrheit, wieder zu und befreite dessen Führer Nelson Mandela aus dem Gefängnis. Das von de Klerk initiierte Referendum führte zwei Jahre später – 1992 – zur Aufhebung der Apartheid. Bei den ersten freien Wahlen in ganz Südafrika errang der ANC 1994 einen überwältigenden Sieg. Der zum Präsidenten gewählte Nelson Mandela betrieb eine Politik der Demokratisierung und Aussöhnung, die erfolgreich war und Südafrika in die demokratische Staatengemeinschaft führte. Dafür wurde Mandela mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.13 Anerkennenswert ist aber auch das Verhalten der weißen Bevölkerung, weil sie sich dem Transitionsprozess nicht widersetzt und loyal mit den neuen Behörden zusammengearbeitet hat. Darunter auch mit der „Wahrheits- und Versöhnungskommission“, die einige der Verbrechen des Apartheid-Regimes aufgedeckt hat. Bestraft wurden jedoch nur ganz wenige Täter. Die vielen Opfern sind bis heute für das erlittene Leid kaum entschädigt worden. Man kann daher weder von einer wirklichen „Vergangenheitsbewältigung“ noch von einer „Wiedergutmachung“ sprechen.14 Ob die von Mandela angekündigte „Aussöhnung“ zwischen den ehemaligen weißen Herren und ihren schwarzen Opfern wirklich Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Dafür sind die ökonomischen und sozialen Unterschiede zwischen der immer noch reichen und mächtigen weißen Minderheit und der nach wie vor entsetzlich armen schwarzen Mehrheit vielleicht zu groß. Die „Rassen“-Frage mag gelöst sein, die soziale dagegen ist es noch lange nicht. Dies hat im Juni 2008 zu gewalt-
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samen Auseinandersetzungen zwischen schwarzen Südafrikanern und ebenfalls schwarzen „Gastarbeitern“ geführt, die sich um die wenigen noch vorhandenen Arbeitsplätze stritten. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass es einige der oben erwähnten faschistischen Parteien – etwa den „Afrikaaner Broederbond“ – immer noch gibt. Auch in Südafrika ist der Faschismus noch keineswegs Vergangenheit.
„Herz der Finsternis“ – Bonapartismus und Faschismus in Schwarzafrika
Herz der Finsternis ist der Titel einer Erzählung, in der Joseph Conrad die von Angst und Aggression gekennzeichnete Einstellung der Europäer zum notorisch „schwarzen Kontinent“ beschrieb, der so rückständig und barbarisch sein soll, dass er auch die europäischen Kolonisatoren in die Barbarei und Rückständigkeit hinabzieht.15 Dies ist eine originär faschistische Idee. Tatsächlich werden in der bereits 1902 geschriebenen Erzählung Conrads die ideologischen Ähnlichkeiten zwischen Kolonialismus und Faschismus deutlich.16 Das kam nicht von ungefähr. Hat doch der europäische Kolonialismus gerade in Afrika vieles von dem vorweggenommen, was den späteren Faschismus ausmachte. Dies gilt natürlich vor allem für den Rassismus. Man kann sogar so weit gehen und sagen, dass der „koloniale Rassenstaat“ so etwas wie eine Blaupause für den späteren faschistischen „Rassenstaat“ war.17 Das hat sich wiederum auf Afrika ausgewirkt: Der italienische Faschismus hat mit dem Aufbau seines „Rassenstaates“ nicht zufällig in Afrika, genauer in Äthiopien begonnen und hier einen rassistisch motivierten Völkermord begangen.18 Er wäre vermutlich an Brutalität und Schrecklichkeit noch vom deutschen Faschismus übertroffen worden, wenn dieser den schon fertig vorliegenden „Generalplan Zentralafrika“ verwirklicht hätte, der auf die Errichtung eines deutschen „Rassenimperiums“ in ganz Schwarz-Afrika abzielte.19 Ganz Afrika wäre dann zum Opfer nicht nur des europäischen Kolonialismus, sondern auch des europäischen Faschismus geworden. Beides ist sowohl in der nach wie vor eurozentrierten Faschismusforschung wie in der über Afrika häufig übersehen worden. Die europäischen und seit einiger Zeit auch afrikanischen Historiker haben sich auf die Darstellung der leidvollen Rolle Afrikas als Objekt und Opfer des europäischen Kolonialismus beschränkt. Diese Viktimisierung Afrikas und der Afrikaner verhindert jedoch eine andere Fragestellung – die nach der Existenz eines afrikanischen Faschismus.
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In der nach wie vor von Europäern dominierten Faschismusforschung wird dieser Frage ebenfalls kaum nachgegangen. Dies meist mit dem Hinweis auf die Rückständigkeit des „schwarzen Kontinents“.20 Doch diese, von gewissen antiafrikanischen Stereotypen nicht freie Ansicht ist falsch. Längst nicht alle der gegenwärtigen afrikanischen Länder sind so rückständig und, wie es immer noch heißt, „unterentwickelt“, wie uns das die Medien vorgaukeln, in denen immer nur die gleichen Bilder von hungernden oder sich in sogenannten Stammeskämpfen zerfleischenden Afrikanern gezeigt werden. Einige afrikanische Länder haben durchaus die sozioökonomische „Reife“ erreicht, die nach der – umstrittenen – Meinung der sozialhistorisch orientierten Faschismusforscher für die Entstehung und Etablierung von faschistischen Parteien und Diktaturen notwendig sein soll. Hinzu kommt noch etwas anderes. Längst nicht alle der nach dem Ende des Kolonialismus in (Schwarz-)Afrika errichteten Regime haben einen demokratischen Charakter. Fast das Gegenteil ist der Fall. In vielen schwarzafrikanischen Ländern herrschten und herrschen Diktatoren und mindestens in einem, nämlich in Ruanda, ist es bereits zu einem Völkermord gekommen, der mit den von den europäischen Faschisten begangenen Genoziden durchaus zu vergleichen ist. Sind diese Vergleiche mit dem europäischen Faschismus berechtigt und handelt es sich bei diesen afrikanischen Diktatoren um faschistische? – so lauten die Fragen, um die es im Folgenden geht.21 Wir beginnen mit einer Gruppe von Diktatoren, die bei allen sonstigen Unterschieden eines gemeinsam haben: Alle haben ihre „Laufbahn“ in den Reihen der europäischen Kolonialarmeen begonnen, wo sie ausgebildet und wegen ihrer (durchaus zweifelhaften) Verdienste zu Unteroffizieren und Korporalen befördert wurden. Korporale Der bis heute bekannteste und wegen der ihm nachgesagten Blutrünstigkeit geradezu verschriene afrikanische Diktator war Idi Amin in Uganda.22 Er ist als „Schlächter von Afrika“ in die Geschichte eingegangen. Es gibt sogar einen Film dieses Titels, über den, wie es hieß, „Popstar unter den Despoten“. Darin wird Idi Amin direkt und indirekt mit Adolf Hitler verglichen. Für die „zivilisierte Welt“ verkörperte dieser „Hitler Afrikas“ schon deshalb das „Böse“ schlechthin, weil es sich um einen Afrikaner handelte, der alle antiafrikanischen Stereotypen zu bestätigen schien: Er
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soll Analphabet und bekennender Kannibale gewesen sein, der sich vornehmlich vom „Fleisch getöteter Feinde“ ernährt habe, was zu seinem immensen Körpergewicht von über 120 Kilogramm geführt habe. Gleichzeitig wurde ihm ein „kindlicher Charme“ attestiert, was ihn aber nicht gehindert habe, seine Feinde an die Nilkrokodile zu verfüttern – bis diese von ihrem „Futter“ genug hatten, weshalb die in den Fluss geworfenen „Leichen die Turbinen des Owen-Damms“ blockierten.23 Geschichten wie diese sagen viel über den europäischen Afrikanismus, aber wenig über die afrikanische Realität aus. Außerdem wird mit diesen Horrorgeschichten eine Exotisierung Amins betrieben, die seine diktatorische Herrschaft nicht erklärt, ja eigentlich sogar verharmlost. Idi Amin war mehr als nur ein „typisch afrikanischer“ Menschenfresser, wie wir sie aus europäischen Witzen und Cartoons kennen. Er war ein Diktator, der sich an europäischen Vorbildern orientierte, weshalb seine Diktatur auch mit europäischen Begriffen charakterisiert werden kann. Außerdem hatte er europäische Lehrmeister. Dazu gehörte einmal die britische Armee, in der es der vermutlich 1928 geborene Idi Amin zunächst zum Feldwebel gebracht hatte. Wegen seiner Verdienste bei der Niederschlagung des Mau-Mau-Aufstandes in Kenia wurde er sogar zum Leutnant befördert. Als Angehöriger der britischen Eliteeinheit der „King’s African Rifles“ scheint Amin das gelernt zu haben, was ihn später als Diktator auszeichnete – seine Brutalität und politische Skrupellosigkeit. Zur Macht kam der nach der Unabhängigkeit Ugandas zum Militärchef seines Landes aufgestiegene Amin 1971 durch einen unblutigen Putsch gegen den damaligen Präsidenten Milton Obote. Dass er sich dann acht Jahre an der Macht halten konnte, verdankte er keineswegs nur seiner Brutalität, mit der er alle tatsächlichen oder vermeintlichen Oppositionellen in Uganda verfolgen und ermorden ließ, sondern auch seiner politischen Skrupellosigkeit, die es ihm ermöglichte, den Westen gegen den Osten auszuspielen, um sowohl von den USA wie der Sowjetunion in materieller und militärischer Hinsicht Unterstützung zu erhalten. Schließlich nutzte er nicht nur den Ost-West-, sondern auch den Nahostkonflikt für seine Zwecke aus, indem er sich öffentlich als erbitterter Gegner Israels profilierte24, was ihm die wirtschaftliche Hilfe einiger arabischer Länder, allen voran Libyens einbrachte. Im Innern setzte Amin die schon von seinem Vorgänger Obote betriebene Politik der Verstaatlichung ausländischer Unternehmen fort. Au-
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ßerdem ließ er alle Inder vertreiben, die eine führende Position im Kleinund Zwischenhandel Ugandas eingenommen hatten. Insgesamt waren das 60 000 Personen. Diese Afrikanisierungspolitik war bei den Ugandern äußerst populär und stärkte auch die – zunächst unzweifelhaft vorhandene – Popularität Amins. Den Rest besorgte eine fast allgegenwärtige Propaganda, in deren Mittelpunkt die Verehrung des Führers und Vaters (Dada) der Nation, „Idi Amin Dada“, stand. Hinzu kam der schon erwähnte Terror, dem mindestens 200 000 Ugander zum Opfer gefallen sein sollen. All das erinnert an die faschistischen Diktaturen Europas. Was allerdings fehlte, war eine faschistische Partei oder eine wie auch immer zu bezeichnende Massenorganisation. Amin verließ sich auf den um seine Person betriebenen Führerkult und den von ihm persönlich angeordneten Terror. Die wichtigste Stütze seiner – bonapartistischen – Diktatur war das Militär, das Amin gewaltig ausbauen ließ. Doch gerade ihm verdankte Amin letztlich seinen Sturz. Die ugandische Armee war 1978 in das Nachbarland Tansania einmarschiert, wurde dort aber geschlagen und nach Uganda zurückgetrieben. Nachdem es tansanischen Truppen am 11. April 1979 gelungen war, die ugandische Hauptstadt Kampala zu erobern, floh Amin zunächst nach Libyen, dann in den Irak und schließlich nach Saudi-Arabien. Hier ist er 2003 verstorben, ohne dass jemals Anklage gegen ihn erhoben worden wäre. Amins „Kollegen“, dem Führer und selbsternannten Kaiser der Zentralafrikanischen Republik, Jean-Bédel Bokassa ist es anders ergangen. Er ist zunächst zum Tode, dann zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt worden und verstarb schließlich 1996 als freier Mann. Der 1921 im damaligen Belgisch-Kongo geborene Bokassa hatte während des Zweiten Weltkrieges in der französischen Armee gekämpft und war wegen seiner Tapferkeit hoch dekoriert worden. Neben dem Croix de Guerre hatte er das Kreuz der Ehrenlegion erhalten. Nach dem Ende des Kriegs setzte der inzwischen zum Feldwebel beförderte Bokassa seine militärische Karriere fort, die ihn in den Offiziersstand führte. Zum Schluss bekleidete er den Rang eines Hauptmanns. 1964 nahm er seinen Abschied und ging in die Zentralafrikanische Republik, die 1960 unabhängig geworden war, wo er es in kurzer Zeit zum Chef der Armee brachte. Mit Hilfe der von ihm geführten Armee stürzte Bokassa zwei Jahre später, 1966, den Präsidenten David Dacko, um dessen Macht als Staats-
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chef und Führer der Staatspartei zu übernehmen, die den Namen „Mouvement pour l’évolution sociale de l’Afrique noire“ führte. Um sich gegen die sich bald regende Opposition zu wehren, rief Bokassa 1967 französische Truppen ins Land. Sie billigten nicht nur, sie unterstützten Bokassas Terrorfeldzug, dem Tausende von Bürgern der Zentralafrikanischen Republik zum Opfer fielen. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich griff auch nicht ein, als Bokassa die letzten Reste des einstigen demokratischen Regimes beseitigte und sich selber am 4. Dezember 1977 zum Kaiser Bokassa I. ausrufen ließ. Grund für diese Zurückhaltung Frankreichs waren dessen wirtschaftliche Interessen in dem rohstoffreichen Land. Unter diesen befand sich das für das französische Atomwaffenprogramm so wichtige Uranerz. Außerdem pflegte der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing ein geradezu freundschaftliches Verhältnis zu „Kaiser“ Bokassa, der den französischen Präsidenten zu kostspieligen Jagdausflügen einlud. Über das dafür und für die sonstige Korruption notwendige Geld verfügte Bokassa mehr als genug, unterhielt er doch enge und für ihn äußerst lukrative wirtschaftliche Beziehungen zum ölreichen Libyen. Um dessen Diktator „Oberst Gaddhafi“ einen persönlichen Gefallen zu tun, trat Bokassa sogar zum islamischen Glauben über, wodurch er sich für berechtigt hielt, mehrere Frauen zu heiraten. Schließlich soll er über einen Harem verfügt haben, dem nach vorsichtigen Schätzungen 37 Frauen aus dem In- und Ausland angehörten. Diese Mitteilung gehört jedoch bereits in den Bereich der Kolportage über diesen im Ausland als größenwahnsinnig angesehenen afrikanischen Kaiser. Bokassas eigene Untertanen konnten jedoch über diese mit antiafrikanischen Stereotypen durchsetzten Berichte und Witze nicht lachen. Stattdessen litten sie immer mehr unter dem immer weiter um sich greifenden Terror. Bokassas Schutzmacht Frankreich konnte das ebenso wenig ignorieren wie die Skandalisierung des Bokassa-Regimes in der internationalen Presse. Daher griff Frankreich nicht ein, als der ehemalige Präsident Dacko eine Libyenreise „Kaiser“ Bokassas ausnutzte, um ihn am 21. September 1979 in Abwesenheit zu stürzen. Doch als der wieder zum Präsidenten gewählte Dacko zwei Jahre später selber durch einen Militärputsch gestürzt wurde, kehrte Bokassa in die Zentralafrikanische Republik zurück. Offensichtlich geschah dies im Vertrauen auf seine französischen Paten. Aber die hielten sich dies-
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mal zurück und griffen auch nicht ein, als Bokassa verhaftet und verurteilt wurde. Bokassas Sturz brachte dem Land aber nicht den erhofften Frieden und die für den Aufbau einer Demokratie so notwendige Sicherheit. Stattdessen wechselten die Militärdiktaturen in schneller Folge. Immer wieder kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Regierung und Oppositionellen, welche den Einsatz von UN-Friedenstruppen notwendig machten. Von Frieden, Sicherheit und Wohlstand ist das Land immer noch weit entfernt. Im nahe gelegenen Togo ist es nicht viel anders. Immerhin hat diese ehemalige deutsche Kolonie, die 1960 von der nachfolgenden französischen Mandatsherrschaft befreit und unabhängig wurde, keine so blutigen und bürgerkriegsähnlichen Unruhen erlebt. Stattdessen herrscht hier die trügerische Ruhe einer Diktatur. Errichtet wurde sie von Gnassingbé Eyadéma. Der 1935 geborene Eyadéma hatte wie die etwas älteren Diktatoren Amin und Bokassa die Unteroffizierslaufbahn in der Kolonialarmee eingeschlagen. Als Angehöriger der französischen Fremdenlegion hatte er in Indochina und in Algerien gekämpft, wurde mehrfach ausgezeichnet und schließlich zum Feldwebel befördert. Danach kehrte er in sein inzwischen unabhängig gewordenes Heimatland zurück, wo er (wiederum ähnlich wie Amin und Bokassa) in kurzer Zeit zum Generalstabschef der togoischen Armee aufstieg. 1963 verübte er einen erfolgreichen Putschversuch, bei dem der erste Präsident Togos, Sylvanus Olympio, umkam. Nachfolger Olympios, der übrigens ein enger Freund des damaligen deutschen Bundespräsidenten Heinrich Lübke war, wurde der Deutsch-Afrikaner Nicolas Grunitzky. 1967 wurde Grunitzky von Eyadéma entmachtet und ins Exil getrieben. Eyadéma übernahm nun selber das Präsidentenamt und gab es bis zu seinem Tod im Jahr 2005 nicht wieder ab. Nachfolger wurde sein Sohn Faure Eyadéma. Die fast vierzig Jahre dauernde und dann an seinen Sohn vererbte Herrschaft Eyadémas ist auch für afrikanische Verhältnisse ungewöhnlich und bedarf der Erklärung. An erster Stelle sind hierbei die guten und engen Beziehungen zu nennen, die Togo zu den beiden früheren Kolonialmächten unterhalten hat und immer noch unterhält. Allein von Deutschland hat Togo zwischen 1969 und 1999 insgesamt 630 Millionen Mark an „Entwicklungshilfe“ erhalten. Grund für diese
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Sonderbehandlung ist der Ruf Togos als ehemalige deutsche „Musterkolonie“. Hinzu kam jedoch eine wirkliche Besonderheit. In Togo gab es nämlich unter der nachfolgenden französischen Herrschaft einen Verein, der sich „Deutsch-Togobund“ nannte und dessen afrikanische Mitglieder sich allen Ernstes die Rückkehr der deutschen Kolonialherren wünschten. Dafür fanden sie in Deutschland einigen Beifall und entsprechende materielle Zuwendungen. An diese besonderen deutsch-togoischen Beziehungen, die sowohl während der Zeit der Weimarer Republik wie des Dritten Reiches unterhalten wurden, hat dann die Bundesrepublik angeknüpft. Die „Entwicklungshilfe“ wurde nicht nur für die Beibehaltung und den Ausbau des zum Teil deutschsprachigen Schulwesens in Togo verwandt, sondern auch dazu, verschiedene deutsche Politiker einzuladen, die hier ihrer Jagdleidenschaft nachgehen konnten. An erster Stelle ist Franz-Josef Strauß zu nennen, der Togo zum Zwecke der Großwildjagd mehrmals bereiste. Dabei wurde er dann auch vom Präsidenten und Diktator des Landes mit großem Pomp empfangen, wofür sich Strauß mit der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens an eben diesen Diktator bedankte. Doch nicht nur mit Strauß unterhielt Eyadéma eine, wie es so schön heißt, „Männerfreundschaft“. Auch der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat sich als „persönlicher Freund“ Eyadémas bezeichnet und ihn noch nach seinem Tod als „Freund Frankreichs“ gerühmt, „der sich seit so vielen Jahren für regionale Zusammenarbeit, für Vermittlung und für den Friedensprozess eingesetzt hat.“ In den Ohren der von diesem „Freund Frankreichs“ verfolgten Oppositionellen Togos muss dies wie blanker Hohn geklungen haben. Mussten sie doch ohnmächtig zusehen, wie Eyadéma sein diktatorisches Regime mithilfe dieser französischen und deutschen beziehungsweise bayerischen Paten aufrechterhalten konnte. Weitaus schlimmer und nicht mehr nur als bonapartistisch, sondern möglicherweise als faschistisch einzustufen ist die Diktatur, die im so großen und eigentlich auch reichen Kongo von Joseph-Désiré Mobutu errichtet wurde.25 Mobutu weist einen ähnlichen Lebensweg wie Amin, Bokassa und Eyadéma auf. Auch er begann seine berufliche Laufbahn in einer europäischen Kolonialarmee, genauer: der belgischen im Kongo, in der es Mobutu bis zum Hauptfeldwebel brachte. Als der Kongo 1960 in die
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Unabhängigkeit entlassen, man kann auch sagen, gestürzt wurde, war Mobutu Stabschef der neuen kongolesischen Armee. In dieser Eigenschaft beteiligte er sich im September 1960 am Sturz und vermutlich auch an der anschließenden Ermordung des damaligen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba im Januar 1961.26 Dafür wurde er von dem kongolesischen Präsidenten Kasavubu belohnt und zum Generalleutnant befördert. 1965 nutzte er die Auseinandersetzungen zwischen Kasavubu und dem Führer der abtrünnigen Provinz Katanga, Moïse Tshombé, aus, um selber die Macht zu ergreifen. Mobutu stützte seine Herrschaft nicht nur auf die Armee, sondern auch auf eine Einheitspartei, die „Mouvement Populaire de la Révolution“ hieß. Diese, wie man sie frei übersetzen könnte, „Völkische Partei“ Mobutus vertrat eine pseudorevolutionäre und betont antieuropäische Ideologie. So wurden zunächst alle europäischen Unternehmen in diesem rohstoffreichen Land enteignet. Mobutu nannte dies Afrikanisierung beziehungsweise nach dem neuen Namen des Kongo, „Zairisierung“. Außerdem ordnete Mobutu an, dass sich seine Untertanen auf ihre afrikanische beziehungsweise zairische l’authenticité besinnen sollten. Dies sollte durch afrikanische Kleidung und afrikanischen Vornamen zum Ausdruck gebracht werden. Mobutu selber gab hier ein Beispiel: Er trat in der Öffentlichkeit meist mit einer Mütze aus Leopardenfell auf dem Kopf und mit einem Häuptlingsstab in der Hand auf. Außerdem legte er seinen europäischen Vornamen Joseph-Désiré ab, um sich fortan „Mobutu Sese Sekko Kuku Ngbendu wa Zwa Banga“ zu nennen, was so viel bedeutet wie „der allmächtige Krieger, der aufgrund seiner Ausdauer und seines Siegeswillens flammenden Schrittes von Sieg zu Sieg schreitet“. Auf Europäer wirkte der um Mobutus Person betriebene Führerkult ziemlich fremdartig und unfreiwillig komisch. Tatsächlich hatte alles große Ähnlichkeit mit den Riten und Ritualen der europäischen Faschismen und ihrer Führer, deren Verherrlichung nicht weniger fremdartig und unfreiwillig komisch war. Aus Mobutus bonapartistischer Militärdiktatur hätte eine faschistische werden können. Doch dazu ist es nicht gekommen, weil das Land in eine wirtschaftliche und politische Krise geriet, die Mobutu nur mit Unterstützung seiner Armee meistern konnte und wollte. Das dazu benötigte Geld bekam er von ausländischen Firmen, die dafür erneut das Recht erhielten, die Bodenschätze
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des Kongo auszubeuten. Als in der erzreichen Provinz Katanga erneut ein Aufstand ausbrach, sah sich Mobutu sogar gezwungen, die militärische Hilfe der ehemaligen Kolonialmacht Belgien in Anspruch zu nehmen. All das brachte sein Regime wieder in die wirtschaftliche und selbst politische Abhängigkeit vom Ausland, woran alle „Authentizitäts“-Propaganda nichts ändern konnte. Die ausländischen Mächte, allen voran Belgien und die USA nutzten dies aus, um Mobutus Regime zu unterminieren, indem sie die Opposition unterstützten. Mobutu verstand es jedoch, diesen Angriff zunächst abzuschlagen: Er ließ Oppositionsparteien zu und band diese sogleich in eine Übergangsregierung ein. In diesem Zweckbündnis behielt Mobutu jedoch die Kontrolle über die Sicherheitsorgane bei. Außerdem setzte er seine eigenen Geldmittel, deren Höhe auf vier Milliarden Dollar geschätzt wurde, zum Zwecke der Korrumpierung seiner politischen Gegner ein. Doch all das half nichts mehr, als sich die aus Ruanda in den Kongo geflohenen Tutsi gegen die von Mobutu befohlene Ausweisung wehrten und im Verein mit anderen kongolesischen Oppositionsgruppen auf die Hauptstadt Kinshasa zumarschierten, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand der Armee Mobutus zu stoßen. Im Mai 1997 eroberten die Aufständischen Kinshasa und trieben Mobutu ins Exil nach Marokko, wo er wenig später verstarb. Sein Nachfolger wurde LaurentDésiré Kabila. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Rückbenennung Zaires in Kongo. Ein Land, welches das von Joseph Conrad geprägte Image, „Herz der Finsternis“ zu sein, einfach nicht loswird. Trotz seines Reichtums an Bodenschätzen scheint der Kongo nicht in der Lage zu sein, seine ökonomische Rückständigkeit zu überwinden. Dafür sind jedoch keineswegs nur interne Gründe wie die ständigen Bürgerkriege und Stammeskämpfe maßgebend. Hinzu kommt das, was man als Neokolonialismus bezeichnet: die eher indirekte Herrschaft und direkte Ausbeutung des Landes durch europäische und US-amerikanische Unternehmen. Gerade im Kongo bestätigt sich das, was einige afrikanische Intellektuelle schon immer gefürchtet und wogegen sie sich als Politiker auch gewehrt haben. Sie wurden und werden zum Teil immer noch als links eingeschätzt. Tatsächlich wiesen zumindest einige von ihnen eine fatale Ähnlichkeit mit einigen europäischen faschistischen Intellektuellen und Politikern auf. Gemeint sind Ahmed Sékou Touré, Kwame Nkru-
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mah, Julius Nyere und Robert Mugabe. Mit ihnen und mit der Frage, ob ihre Regime als faschistisch einzuschätzen sind, beschäftigen wir uns im Folgenden. Intellektuelle Der 1922 in der damaligen französischen Kolonie Guinea geborene Ahmed Sékou Touré hatte sich nach dem Besuch einer Koran- und einer französischen Technikschule autodidaktisch weitergebildet und war zu einem überzeugten Marxisten geworden, dessen Ziel nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse, sondern auch die des Volkes seines Heimatlandes war. Dass es sich dabei um zwei grundverschiedene Anliegen handelte, die zudem kaum mit dem Rekurs auf die Lehre von Karl Marx zu begründen waren, scheint er nicht bemerkt zu haben. Es hielt ihn zumindest nicht davon ab, zugleich Mitglied einer notwendigerweise nationalistischen Befreiungsbewegung und einer internationalistisch ausgerichteten kommunistischen Gewerkschaft zu sein. 1947 wurde Touré zum Mitgründer der antikolonialen Befreiungs-Partei „Parti Démocratique de Guinée“ (PDG), um ein Jahr später auch das Amt des Vorsitzenden der guineischen Abteilung der kommunistischen Gewerkschaft „Confédération Générale du Travail“ (CGT) Frankreichs zu übernehmen. Als Mitglied der PDG zog Touré 1956 in die französische Nationalversammlung ein, wo er sich als Verfechter der guineischen Unabhängigkeit profilierte. Diese wurde 1958 von Frankreich grundsätzlich akzeptiert, allerdings mit einem Referendum verbunden, in dem sich die Bevölkerung Guineas zum Beitritt zu der neuen und nach wie vor von Frankreich dominierten afrikanischen Staatengemeinschaft aussprechen sollte. Die Guineer lehnten dies jedoch ab, was ihr neuer Präsident Sékou Touré mit den stolzen und viel zitierten Worten begründete: „Wir ziehen Armut in Freiheit einem Reichtum in Sklaverei vor.“ (Nous préférons la liberté dans la pauvreté à la richesse dans l´esclavage). Frankreich beziehungsweise sein Präsident Charles de Gaulle beantwortete das mit dem Entzug jeglicher materieller und administrativer Hilfe für den neuen guineischen Staat. Sékou Touré ließ sich dadurch aber nicht beirren und versuchte mit allen und zunehmend auch mit diktatorischen Mitteln, aus Guinea den ersten sozialistischen Staat Afrikas zu machen. Das konnte nicht gut gehen und stieß auf den erbitterten Widerstand vieler Guineer, der von Touré mit staatsterroristischen Methoden unterdrückt wurde. Tausende ließ er foltern und er-
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morden. Mehr als zwei Millionen Guineer emigrierten. Das gerade befreite Land stürzte in eine tiefe wirtschaftliche Krise. Da auch die Sowjetunion nicht bereit und willens war, dem verelendeten Land nachhaltige Hilfe zu gewähren, wandte sich Touré wieder an den Westen. Allerdings vergeblich, galt doch das Guinea Tourés inzwischen als kommunistische Bastion der Sowjetunion, deren Weltmachtstreben überall und vor allem in Afrika eingedämmt werden müsse. Touré widerstand jedoch allen westlichen Pressionen und konnte 1970 auch einen Angriff zurückschlagen, den Oppositionelle vom benachbarten Portugiesisch-Guinea gegen sein Land ausführten, wobei sie ganz offen von den portugiesischen Kolonialherren unterstützt wurden. Doch sein eigentliches Ziel hat der 1984 verstorbene Touré nicht erreicht: die Schaffung eines panafrikanischen Sozialismus nicht nur in Guinea selber, sondern auch in den benachbarten Staaten. Eine mit Ghana 1958 vereinbarte Union zerbrach sogleich an den nationalen Gegensätzen zwischen beiden Ländern. Daran war Touré nicht schuldlos, hat er doch selber einen Sozialismus vertreten, der eine starke nationalistische Ausprägung hatte. Hinzu kam der Terror, der in der Errichtung von KZ-ähnlichen Lagern für Oppositionelle gipfelte. All das, insbesondere aber seine Ideologie, die „weder links noch rechts“ war, erinnert an den europäischen Faschismus; dies berechtigt aber noch nicht, Tourés bonapartistische Diktatur als faschistisch zu klassifizieren. Kommunistisch, wie im Westen immer angenommen, war sie aber auch nicht. Ein böser und dem Westen feindlich gesinnter Kommunist zu sein ist auch Kwame Nkrumah unterstellt worden.27 Doch dies war er noch weniger als Touré. Während seiner Studienzeit, die der 1909 in der damaligen britischen Kolonie Goldküste geborene Nkrumah in den USA verbrachte, ist er mit Sicherheit nicht mit der marxistischen Gedankenwelt in Berührung gekommen. Nach dem Erwerb mehrerer akademischer Grade an verschiedenen amerikanischen Universitäten ist Nkrumah 1947 in seine Heimat zurückgekehrt, wo er sich der dortigen Unabhängigkeitsbewegung anschloss und bald zu deren unbestrittenen Führer wurde. Obwohl mehrmals von den Briten verhaftet und eingesperrt, konnte Nkrumah die britische Kolonialmacht 1957 zum Abzug bewegen. Nkrumah wurde noch im gleichen Jahr zum ersten Präsidenten dieser ersten unabhängig gewordenen britischen Kolonie auf dem afrika-
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nischen Kontinent gewählt. Ebenfalls als einer der ersten erkannte er das wirtschaftliche Hauptproblem seines und der meisten anderen afrikanischen Länder. Dies war das von den Kolonialherren eingeführte Cash-Crop-System, das auf die Orientierung der einheimischen Wirtschaft am Export setzte. Das machte die afrikanischen Nationalwirtschaften völlig vom Weltmarkt und dessen Schwankungen abhängig und verhinderte, dass sie mit dem Export ihrer Agrargüter den Aufbau einer eigenen Industrie finanzieren konnten. Nkrumah versuchte es dennoch und zunächst auch mit großem Erfolg. Mit genau berechneten und ausformulierten staatlichen Fünf- und Siebenjahresplänen trieb er die Industrialisierung und Modernisierung des Landes voran. Westliche Beobachter fühlten sich dadurch an das sowjetische Wirtschaftssystem erinnert. Übersehen wurde dabei, dass auch kapitalistische Länder wie die USA und nicht zuletzt auch das Dritte Reich eine staatlich kontrollierte Wirtschaftspolitik betrieben hatten. Nkrumah selber hat das von ihm aufgebaute und geleitete Wirtschaftssystem in mehreren Büchern mit dem Hinweis auf die spezifischen Verhältnisse Afrikas begründet. Die würden zudem die Errichtung von Demokratien nach westlichem Muster nicht zulassen. Außerdem sei es notwendig, eine „einheitliche Front“ Afrikas gegen den kapitalistischen Westen aufzubauen, das damit seiner „afrikanischen Sendung“ gerecht werde. Dies erinnert zwar mehr an die faschistische Ideologie der „proletarischen Nation“, wurde im Westen aber als Bekenntnis zum Kommunismus aufgefasst. Mit der Begründung, ein sozialistischer Diktator zu sein, der sein Land in den wirtschaftlichen Abgrund geführt habe, wurde Nkrumah 1966 von einer prowestlichen Verschwörergruppe gestürzt. Damit praktizierte der Westen das, was ihm Nkrumah immer vorgeworfen hatte, die Rückkehr zu einem nur leicht verbrämten Kolonialismus. Der 1972 in der Emigration gestorbene Nkrumah ist unzweifelhaft zum Opfer des Neokolonialismus geworden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass er sein Land diktatorisch regiert und eine Ideologie vertreten hat, die „weder links noch rechts“ war und insofern Ähnlichkeiten mit der faschistischen hatte. Allerdings ist dies nicht leicht zu erkennen, weil diese Ideologie in einem anderen, afrikanischen Kontext stand und mit als afrikanisch ausgegebenen Elementen vermischt war. Meister dieser Mimikry und eigentlicher Erfinder dessen, was „afrikanischer Sozialismus“ genannt wurde, aber auch zu einem „afrikanischen
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Faschismus“ hätte werden können, war Julius Nyerere. Der 1922 in der damaligen britischen Kolonie Tanganyika geborene Nyerere hatte, übrigens als Erster seines Landes, ein Universitätsstudium an der Universität Edinburgh absolviert, um sich nach der Rückkehr in seine Heimat – ähnlich wie Touré und Nkrumah – ganz dem Kampf für die Unabhängigkeit des späteren Tansania zu widmen. Zu diesem Zweck hatte er eine Partei gegründet, welche die afrikanischen Massen anzog und die Briten 1962 schließlich zwang, Tanganyika zu verlassen. Unter Führung Nyereres vereinigte sich Tanganyika 1964 mit Sansibar. Der neue Staat gab sich den aus beiden Teilen gebildeten Kunstnamen Tansania. Sein immer wieder aufs Neue gewählter Präsident war Nyerere, der das Land mithilfe seiner zur Einheitspartei erklärten „Revolutionären Staatspartei“ diktatorisch regierte. Dies nach einem genau ausformulierten Programm, das Nyerere in verschiedenen Publikationen niedergelegt und 1967 in der „Deklaration von Arusha“ auch öffentlich verkündet hatte.28 Es basierte auf drei Annahmen, die zusammengenommen umstritten, unbewiesen und eindeutig falsch waren. Umstritten ist seine These, dass die Politik eines Landes mehr durch seine Kultur als durch den Staat oder die Klassen(-Kämpfe) geprägt werde. Unbewiesen ist die Behauptung, dass es im multiethnischen und multikonfessionellen Afrika vor und zum Teil auch noch nach der Epoche der europäischen Kolonialherrschaft eine einheitliche Kultur gegeben habe. Eindeutig falsch ist die zentrale Hypothese, dass Wesen und Gehalt der (pan-)afrikanischen Kultur durch gemeinschaftlich produzierende und konsumierende Dorfgemeinschaften geprägt würden. Denn diese Dorfgemeinschaft gab es allenfalls im vorrevolutionären Russland, aber eben nicht in Afrika. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Nyereres „Ujamaas“ (wörtlich: Familientum) eine Art Kopie der russischen „Mir“ waren, mit denen die russischen sozialrevolutionären Narodniki unter Überspringung der kapitalistischen Entwicklungsstufe den Sozialismus aufbauen wollten. Es kommen jedoch noch andere europäische Vorbilder infrage. So die präfaschistischen „Artamanen“ in Deutschland, die ebenfalls Dorfgemeinschaften bilden wollten, und zwar vor allem im Osten. Dies ist dann von Heinrich Himmler, der aus dem „Bund der Artamanen“ stammte, auch ansatzweise realisiert worden. Doch von wem auch immer Nyerere beeinflusst war, fest steht, dass es sich bei seiner Utopie um keine sozialistische, sondern um eine zu-
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tiefst reaktionäre, wenn nicht faschistische handelte, die er zudem durch den Einsatz gewaltsamer Methoden zu verwirklichen trachtete. Deutlich geht dies auch aus der bereits erwähnten „Deklaration von Arusha“ hervor, in der es heißt, dass der Fortschritt eines Landes nicht durch das „Geld“, sondern durch „Menschen herbeigeführt“ werde, die dabei einer „einwandfreien Führung“ bedürften. Mit dieser „einwandfreien Führung“ war natürlich die diktatorische Nyereres gemeint. Seine vorgeblich sozialistische, in Wirklichkeit aber eher faschistische Entwicklungsdiktatur wurde zudem mit gewaltsamen, ja terroristischen Methoden errichtet. Betroffen davon waren nicht nur ihre Gegner, sondern auch ihre vermeintlichen Profiteure – die tansanischen Bauern. Sie wurden nämlich gewaltsam von ihren Höfen vertrieben und in den neu angelegten „Ujamaa“-Dörfern angesiedelt, wo sie einem allgemeinen Arbeitszwang unterworfen wurden, der zu ihrer moralischen Verbesserung beitragen sollte. Das konnte nicht funktionieren und endete in einem wirtschaftlichen Desaster, für das keineswegs nur die weltwirtschaftlichen Veränderungen wie der steigende Ölpreis verantwortlich waren. Hauptverantwortlich war Nyerere selber. Seine „Ujamaa“-Utopie scheiterte und musste scheitern, trotz ihrer so vollmundig angekündigten und schön klingenden Prinzipien des gegenseitigen Respekts, des gemeinsamen Eigentums und der Verpflichtung zur Arbeit. Nyerere hat daraus auch die persönlichen Konsequenzen gezogen. Nachdem er schon 1985 als Staatspräsident zurückgetreten war, gab er 1990 auch das Amt des Vorsitzenden der allmächtigen Staatspartei auf. Alles erfolgte jedoch freiwillig und rief auch keine gewaltsamen Unruhen hervor. Der Ex-Diktator Nyerere verfügte bis zu seinem Tod im Jahr 1999 im In- und noch mehr im Ausland über ein hohes und ungetrübtes Ansehen. Bei Robert Mugabe, dem wir uns abschließend zuwenden wollen, ist dies anders.29 Er wird heute in aller Welt wegen seines diktatorischen Regierungsstils verachtet und von seinen eigenen Landsleuten wegen des von ihm angerichteten wirtschaftlichen Desasters verflucht. Dies war nicht immer so. Der 1924 geborene Mugabe galt lange Zeit als der afrikanische Hoffnungsträger schlechthin. Wegen seiner an einigen südafrikanischen Universitäten erworbenen akademischen Bildung hat ihm die Universität von Edinburgh 1984 den Ehrendoktortitel verliehen. Die britische Regierung honorierte seinen schließlich erfolgreichen
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Kampf gegen den Chef der ausschließlich weißen Minderheitsregierung im damaligen Rhodesien, Ian Smith, 1994 mit der Ernennung zum „Knight Commander of the Order of the Bath“.30 Tatsächlich schien Mugabe den auf ihn gesetzten hohen Erwartungen zu genügen. Mit den Worten „Lassen wir die Vergangenheit ruhen“ bot er den in Simbabwe verbliebenen weißen Siedlern die Hand zur Versöhnung nach dem blutigen Befreiungskampf an. Außerdem bemühte er sich um die Verbesserung des Bildungssystems und der allgemeinen Lebensqualität seiner schwarzen Landsleute – mithilfe von Geld, das er sowohl aus dem Westen wie dem Osten erhielt. Diese ständig sprudelnde Geldquelle versiegte jedoch 1990 mit dem Ende des Ost-WestKonflikts. Simbabwe sah sich mit einer eskalierenden Wirtschaftskrise konfrontiert. Sie stachelte zugleich den Widerstand der Opposition gegen Mugabes zunehmend diktatorisches Regime an. Mugabe antwortete mit Terror, der von einer neu gegründeten staatsterroristischen Organisation namens „Vierte Brigade“ ausgeübt wurde. Ihm fielen in kurzer Zeit Tausende von Afrikanern zum Opfer. Vermutlich um von diesen inneren politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken, wandte sich Mugabe daraufhin auch gegen die bis dahin durchaus loyalen und für die Wirtschaft des Landes äußerst wichtigen weißen Siedler. Sie wurden aus Simbabwe vertrieben, und ihr Land wurde von tatsächlichen oder angeblichen Veteranen des Befreiungskampfes besetzt, wobei es zu blutigen Ausschreitungen kam. Außerdem wurden durch den Exodus der weißen Großgrundbesitzer und die nachfolgende Misswirtschaft der neuen Besitzer, unter denen sich überwiegend Beamte und Günstlinge Mugabes befanden, die wirtschaftlichen Probleme ganz Simbabwes verschärft. Eine schwindelerregende Inflationsrate führte zur Flucht vieler noch einigermaßen wohlhabender Simbabwer und rief im Lande selber Hungersnot hervor. Spätestens jetzt wäre die Hilfe des Westens notwendig gewesen. Doch die lehnte Mugabe zunächst ab, um sie sich dann durch seinen immer autoritärer werdenden Regierungsstil vollends zu verscherzen. Außerdem riefen seine Kampagne gegen die als „unafrikanisch“ angesehenen Homosexuellen und seine öffentlich bekannte Bewunderung für Hitler in der Weltöffentlichkeit Entsetzen hervor. Dennoch konnte er sich bislang (2008) halten – allerdings durch immer dreister werdende Wahlfälschungen. Aus dem einstigen afrikanischen Hoffnungsträger ist ein afrikanischer Faschist geworden, dessen verbrecherische Taten aber
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durch die der Faschisten im nahe gelegenen Ruanda noch weit in den Schatten gestellt werden. Genozid in Ruanda Der Begriff „Genozid“ ist in Europa aufgekommen und auf europäische Verbrechen angewandt worden.31 An erster Stelle auf die des deutschen Faschismus. Tatsächlich wurde den vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg Angeklagten auch „Völkermord“ vorgeworfen. Dass auch Afrikaner Genozide begehen könnten, hielt man damals und auch lange Zeit danach für undenkbar. Dies schien ein negatives Privileg nicht nur des europäischen Faschismus, sondern der gesamten „zivilisierten Welt“ zu sein, die gerade in Afrika Verbrechen begangen hat, die einen genozidalen Charakter hatten: so der Sklavenhandel aller europäischen Kolonialmächte, die britischen Massaker im Sudan während des Mahdi-Aufstandes und nicht zuletzt auch der von der deutschen „Schutztruppe“ an den Hereros in Namibia begangene „Völkermord“. Die nicht weniger grausamen Kriege, welche die einzelnen afrikanischen Völker unter sich geführt hatten, wurden dagegen mit dem Hinweis auf ihre „Primitivität“ und angeborene „Wildheit“ relativiert oder sogar ganz geleugnet. Die inzwischen bewiesene Tatsache, dass 1994 in Ruanda ein Genozid stattgefunden hat, dem innerhalb von nur drei Monaten eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind, hat daher sowohl die westliche, sich für zivilisiert haltende Welt wie die Afrikaner selber schockiert, die gewohnt waren, sich als Opfer eben dieser „zivilisierten Welt“ zu sehen.32 Dabei waren beide Seiten schuldig. Die Täter waren eindeutig und ausschließlich Afrikaner. Doch die Gedanken und Ideologien, die sie zu ihren Verbrechen verleitet haben, kamen aus Europa. Zu nennen ist einmal die sogenannte Hamitentheorie europäischer Afrikanisten und Ethnologen. Sie waren es nämlich, die in den TutsiHirten ein Volk sehen wollten, das aus dem Norden nach Ruanda eingewandert sei, wo es sich von Anfang an von den hier seit alters lebenden Hutu-Bauern abgegrenzt habe. Kaum etwas an dieser These ist richtig. Die Existenz einer Völkerfamilie, die von den Europäern nach dem ungezogenen Sohn Noahs Ham als „Hamiten“ bezeichnet wurde, ist mehr als umstritten. Außerdem sprachen und sprechen die angeblich aus Äthiopien eingewanderten hamitischen Tutsi keine andere Sprache als die hier angeblich schon immer ansässigen Hutu. Allerdings unterschei-
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den sich Hutu und Tutsi in ihrem Aussehen. Letztere haben einen etwas feingliedligeren Körperbau und schmalere Nasen, weshalb sie von den Europäern als schöner, weil ihnen ähnlicher angesehen wurden. All das ist relativ, zudem trägt eine solche Unterscheidung rassistische Züge. Wie auch immer man die Hamiten-Theorie bewerten möchte, eins ist sicher: Bei den Hutu und Tutsi handelt es sich nicht um unterschiedliche Völker, die unterschiedlichen Sprachfamilien angehören. Hutu und Tutsi sind schlicht und einfach zu unterschiedlichen Völkern gemacht worden. Dies von den belgischen Kolonialherren, die 1916 die Herrschaft über Ruanda von den Deutschen übernommen und hier statt der bisherigen indirekten eine direkte (Zwangs-)Herrschaft eingeführt haben. Zu diesem Zweck ließen die Belgier 1935 eine Volkszählung durchführen, wobei die Bevölkerung in zwei Ethnien eingeteilt wurde. Kriterium waren jedoch nicht etwaige Sprachunterschiede (die gab es wie gesagt nicht), sondern die Zahl der Rinder. Wer mehr als zehn von ihnen hatte, galt als Tutsi, die anderen waren Hutu oder wurden zu solchen gemacht. Im Banne der Hamitentheorie wollten die belgischen Kolonialherren in den Tutsi die „besseren Neger“ sehen, weshalb sie besser ausgebildet und bei der Vergabe von Stellen in der Verwaltung bevorzugt wurden. Die meisten Hutu wurden dagegen zur Zwangsarbeit auf den Plantagen der Kolonialherren verpflichtet. Natürlich empörten sich die Hutu über diese Ungleichbehandlung. Ihr an sich berechtigter Zorn richtete sich jedoch nicht gegen die dafür verantwortlichen belgischen Kolonisatoren, sondern gegen die ebenso kolonisierten Tutsi. Schon im Jahr 1959 und damit noch unter der belgischen Kolonialverwaltung kam es in Ruanda zu einer Revolte der Hutu, bei der über 10 000 Tutsi ermordet wurden. 150 000 Tutsi flohen in die Nachbarländer Kongo und Uganda. Diese – vielleicht noch als gewöhnliche Stammeskämpfe anzusehenden – Gewalttaten wurden dann jedoch politisiert und ideologisiert. Entsprechend der künstlich erzeugten Ethnien formierten sich Parteien. Die Partei der Hutu, die sich „Parti du Mouvement de l’Emancipation des Bahutus“ nannte, errang 1960 bei den erstmals abgehaltenen (Kommunal-)Wahlen einen großen Sieg über ihre TutsiKonkurrentin. Er veranlasste Belgien, sich ein Jahr später aus Ruanda zurückzuziehen und das Land überstürzt in die Unabhängigkeit zu entlassen – obwohl eine Kommission der UNO bereits vor der, so wörtlich,
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drohenden „ethnischen Diktatur einer Partei“ gewarnt hatte. Die HutuPartei unter Führung Grégoire Kayibandas gewann dann auch die ersten Parlamentswahlen – und zwar haushoch. Fast 80 Prozent der befreiten Ruander stimmten für die Hutu-Partei. Die unmittelbare Folge war eine weitere Fluchtwelle der Tutsi, von denen zu diesem Zeitpunkt bereits 350 000 im Ausland lebten. 1963 versuchten viele von ihnen, in ihre Heimat zurückzukehren, was jedoch gewaltsam verhindert wurde. Auch dabei wurden Tausende von Tutsi umgebracht. Dem 1973 durch einen Militärputsch an die Macht gekommenen Vetter Kayibandas, Juvénal Habyarimana, gelang es dann, die Massaker einzudämmen. Aber es gelang ihm nicht, den Konflikt zu lösen, zumal er auch die von den Belgiern eingeführten Personalausweise beibehielt, in denen die (vermeintliche) ethnische Zugehörigkeit der ruandischen Bürger vermerkt war. 1990 kam es wieder zu Ausschreitungen und Massenmorden. Anlass war der erneute Versuch von Tutsi-Flüchtlingen, ins Land zurückzukehren. Die angespannte Lage veranlasste den Weltsicherheitsrat, eine UN-Friedenstruppe im Land zu stationieren, die jedoch nicht in der Lage war, den Genozid zu verhindern oder überhaupt nur einzudämmen. Den Auftakt bildete der Tod des Diktators Habyarimana, der im April 1994 bei einem Flugzeuganschlag ums Leben kam, für den Tutsi verantwortlich gemacht wurden. Tatsächlich war es aber eine oppositionelle Hutu-Gruppe, die sich „Akazu“ („Kleines Haus“) nannte, die Habyarimana umbrachte, weil sich dieser für einen Ausgleich mit den Tutsi eingesetzt hatte. „Akazu“ rief unmittelbar nach dem Anschlag über Radio zum Mord an den Tutsi auf. Dabei wurden vor allem die schon 1990 formulierten „Zehn Gebote der Hutu“ verlesen, die ein dezidiertes Genozid-Programm enthielten.33 Nach vorbereiteten Todeslisten wurden zunächst die politischen Führer der Tutsi ermordet. Dann kannte das Morden der aufgestachelten Hutu keine Grenzen mehr. Mit Macheten, Hacken und anderen Tötungsinstrumenten fielen sie über ihre TutsiLandsleute und auch über solche Hutu her, die sich dem Morden widersetzten und den verfolgten Tutsi Hilfe anboten. Das allgemeine Morden hörte erst im Juli 1994 auf, als die Tutsi-Rebellen vom benachbarten Uganda aus mit ihrer Offensive starteten. Bis dahin waren bereits 750 000 Tutsi und 50 000 Hutu ermordet worden. Die Gesamtzahl der Opfer dieses intendierten, auf eine totale Vernichtung einer ganzen Gruppe abzielenden und daher auch als Genozid zu
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bezeichnenden Mega-Verbrechens wird, wie schon erwähnt, auf über eine Million geschätzt. Über 900 000 von ihnen sind inzwischen namentlich identifiziert – im Zug einer 2002 einsetzenden Aufarbeitung des Völkermordes durch Laien-Gerichte, „Gacaca“ genannt. Ihre Einsetzung war durch die Wahl des Tutsi Paul Kagame zum Präsidenten Ruandas möglich geworden. Gegen das damit faktisch wiederhergestellte Tutsi-Regime opponiert jedoch eine Hutu-Armee, die sich im benachbarten Kongo gebildet hat, wo seit 1998 ein Bürgerkrieg tobt, dem bisher fünf Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Auch diese bis heute anhaltenden Kämpfe haben einen zumindest genozidalen Charakter. Deren Ende ist nicht abzusehen. Die Geschichte des afrikanischen Faschismus ist oder scheint ebenfalls nicht zu Ende zu sein. Begonnen hat sie mit den Regimen Mobutus im Kongo, Nkrumahs in Ghana, Nyereres in Tansania und Mugabes in Simbabwe, die als faschistisch beziehungsweise nach unserer Terminologie als bonapartistisch-faschistisch einzuschätzen sind, sowie mit dem verbrecherischen Hutu-Staat, der wegen des von ihm begangenen Genozids an den Tutsi schon fast als radikalfaschistisch einzuschätzen ist.
FERNER und NAHER OSTEN
„Himmlischer Souverän“ – Bonapartismus, Fundamentalismus und Faschismus in Japan
„Himmlischer Souverän“ ist die wörtliche Übersetzung des japanischen tenno und verdeutlicht, dass der japanische Kaiser über einen göttlichen Rang verfügt, weil er als Nachkomme der Sonnenkönigin angesehen wird. Damit unterscheidet sich der japanische Tenno fundamental von allen europäischen Monarchen, denn diese waren nur „von Gottes Gnaden“ Kaiser oder Könige und eben keine „Gott-Kaiser“. Kann ein solcher Gott-Kaiser zugleich ein faschistischer Diktator sein oder zu ihm werden? Während des Zweiten Weltkrieges ist diese Frage von einigen westlichen Historikern bejaht worden, die Japan unter der Herrschaft Kaiser Hirohitos als faschistisch eingestuft haben.1 Nach dem Sieg über dieses als faschistisch angesehene System wurde aber nicht dessen Repräsentant, der Tenno, sondern einer seiner Untergebenen, der General Tojo Hideki, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Hirohito verlor nur seine unumschränkten politischen Machtbefugnisse, blieb aber weiterhin oberster Priester und Staatsoberhaupt mit allerdings nur noch repräsentativen Funktionen. Diese von den Amerikanern nicht nur gebilligten, sondern ausdrücklich geforderten Entscheidungen waren natürlich politisch motiviert. Das Schicksal des Tenno unterstreicht, wie problematisch die Anwendung des Faschismusbegriffs hier war und immer noch ist. Man kann ihn auch nicht ohne Weiteres durch den Hinweis auf das Bündnis begründen, das Japan 1940 mit den faschistischen Mächten Deutschland und Italien abgeschlossen hat. Dieser Dreimächtepakt war nämlich sehr locker und sah noch nicht einmal die Koordinierung der militärischen Aktivitäten vor. Von wechselseitigen ideologischen Beeinflussungen und politischen Synchronisierungen der drei Paktstaaten konnte überhaupt nicht die Rede sein. Schon deshalb ist der Faschismusvorwurf von der westlichen Forschung wieder zurückgenommen worden.2 Dagegen haben einige japa-
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nische Historiker die Anwendung des Faschismusbegriffs auf Japan für berechtigt gehalten, was sie mit marxistischen Begriffen und Methoden begründeten.3 So mit dem Hinweis auf eine „monopolkapitalistische“ Basis und Struktur sowie seine vermeintliche politische Gestalt als „Faschismus von oben“4. Befürworter wie Gegner der Faschismusthese arbeiteten mit Begriffen und Methoden, die aus Europa stammen und in diesem Kontext auch verständlich und anwendbar sind. Doch trifft das auch auf Japan zu? Gab es hier ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, das für die Errichtung einer faschistischen Diktatur verantwortlich war? Und ist es umgekehrt möglich, aus der Tatsache, dass es in Japan keinen Antisemitismus, keine faschistische Massenpartei und vor allem keinen faschistischen Führer gegeben hat, zu schließen, dass es hier überhaupt keinen Faschismus gegeben hat? Um diese Fragen beantworten zu können, muss man an die Wurzeln gehen und untersuchen, ob sich die japanische Gesellschaft grundsätzlich und von Anfang an von der europäischen unterschieden hat.5 Von der „asiatischen Despotie“ zum Meiji-Bonapartismus Das im Jahr 300 nach Christi erstmals vereinte Japan war ohne Zweifel eine Staats- und Kulturnation, die grundsätzlich mit den – meist viel später entstandenen – europäischen Nationen zu vergleichen ist. Fundamentale Unterschiede gab es dagegen in politischer Hinsicht. Japan war ein nach chinesischem Vorbild errichteter Zentralstaat mit dem Tenno, dem Gott-Kaiser, an der Spitze, der das weitgehend ihm gehörende Land mit einem umfangreichen und gut ausgebildeten Beamtenapparat regierte. Nach marxistischer Terminologie war Japan wie China eine „asiatische Despotie“. Doch anders als in China ist es in Japan zu einer Feudalisierung gekommen, weil einige Familien und Clans auf Kosten der Zentralgewalt Land und politische Macht gewannen und so zu Feudalherren wurden. Sie standen an der Spitze einer vierklassigen Ständeordnung, die aus dem Adel, der Bauernschaft, den Handwerkern und den Kaufleuten gebildet wurde. Unterhalb dieser Stände gab es noch eine unfreie Schicht von sogenannten „Unreinen“, die im Japanischen eta genannt wurden. Geistliche, zu denen neben Shinto-Priestern buddhistische Mönche gehörten, standen außerhalb dieser Ständeordnung. Folglich gab es auch keinen geistlichen Repräsentanten, der etwa mit dem Papst zu verglei-
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chen wäre. Der gottgleiche Kaiser war nicht nur politischer, sondern auch religiöser Repräsentant. Im Verlauf eines Zeitraums, der in etwa mit dem europäischen Mittelalter zusammenfällt, verloren die Kaiser aber immer mehr an politischer Macht. Diese ging an Angehörige einiger Adelsgeschlechter über, die das Land zunächst noch neben, dann anstelle des Tenno regierten. Diese Shogune hatten große Ähnlichkeit mit den Hausmeiern oder Majordomi im fränkischen Merowinger-Reich. Doch keiner der Shogune ist dem Schritt des fränkischen Hausmeiers Pippin gefolgt, der den letzten merowingischen König Childerich III. einfach absetzte und sich selber zum König krönen ließ. Auch die Shogune aus dem Tokugawa-Geschlecht, die Japan von 1603 bis 1867 allein regierten, haben den Tenno nicht gestürzt und ihm seine religiöse und gottgleiche Funktion und Stellung belassen. Doch 1868 nutzte der Tenno Mutsuhito, der sich später Meiji nannte, die Rebellion einiger Fürsten (daimyos) gegen den letzten TokugawaShogun aus, um diesen zu entmachten und selber wieder die politische Macht zu übernehmen. Diese sogenannte Meiji-Restauration führte zur Abschaffung des feudalen Systems, aber nicht zur Wiederherstellung des Systems der asiatischen Despotie. In Japan wurde stattdessen eine moderne Diktatur errichtet, die den bonapartistischen Regimen in Europa ähnelte. Ähnlich wie die bonapartistischen europäischen Herrscher – ja, noch weit mehr als diese – modernisierte Kaiser Meiji Japan. Zunächst wurde das Feudalsystem beseitigt. Die Fürsten mussten ihre Lehen (han) an den Tenno zurückgeben. Ferner wurde die bisherige Ständeordnung abgeschafft. Die bisherige unfreie Schicht der Unreinen wurde den Bauern und Kaufleuten gleichgestellt, die sich wiederum von der Herrschaft des Adels befreien konnten. Der Adel (die Samurai) verlor nicht nur seine soziale und politische Macht (darunter das Tötungsrecht mit dem den Samurai vorbehaltenen Schwert), sondern wurde völlig funktionslos. In der neuen, nach preußischem Vorbild aufgebauten Armee aus Wehrpflichtigen (die Flotte folgte britischen Mustern) konnte sich der ehemalige Kriegeradel nicht einmal die Offiziersstellen sichern. Sie standen jetzt wie die Posten in der allgemeinen Verwaltung allen Angehörigen des japanischen Volkes offen, sofern sie die dazu notwendige Bildung besaßen. Tatsächlich entstand eine neue Elite, die das in Präfekturen eingeteilte Land verwaltete und die aus der alten Oligarchie
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und den neuen bürgerlichen Schichten gebildet wurde. Zu letzteren gehörten die Kaufleute, die von der Öffnung des bis dahin strikt von der Außenwelt abgeschotteten Landes profitierten und einen bis dahin kaum möglichen Außenhandel zu betreiben begannen. Die Industrialisierung wurde aber nicht von den Kaufleuten oder einer etwaigen Bourgeoisie, sondern fast allein vom Staat vorangetrieben, der das dazu notwendige Kapital durch eine Bankenreform und die Einführung einer Grundsteuer gewann, deren Einnahmen vollständig an die Zentralregierung gingen. Hauptleidtragende dieser Kapitalisierung der Landwirtschaft waren die Bauern, die ihr gepachtetes Land verloren, wenn sie die Grundsteuer nicht bezahlen konnten. Sie mussten sich dann als Lohnarbeiter in der expandierenden Industrie verdingen. Aufnahme und Aufstiegschancen gerade für Bauern bot auch die japanische Armee. Die allgemeine ökonomische und soziale Modernisierung des Landes war aber nicht mit einer wirklichen Parlamentarisierung verbunden. Hier folgte Japan nicht dem demokratischen England, sondern dem bonapartistischen Deutschland. Deutlich wird dies auch an der 1889 erlassenen Verfassung, die sich an der Preußen-Deutschlands orientierte. Formal wurde Japan zwar zu einer konstitutionellen Monarchie mit einem Zweikammer-Parlament, in dem sich eine konservative und eine liberale Partei gegenüberstanden. Ihre Abgeordneten wurden aber aufgrund eines rigiden Stimmrechts nur von einem Prozent der Bevölkerung gewählt. Sie hatten auch kaum Mitspracherecht, besaß doch der in der Verfassung für göttlich und unantastbar erklärte Kaiser ein absolutes Vetorecht. Außerdem war dieser der alleinige Befehlshaber von Flotte und Heer und konnte mithilfe seines in einem eigenen Ministerium organisierten Beraterstabes jederzeit in die Regierungsgeschäfte eingreifen und diese direkt übernehmen. Demokratische Impulse gingen auch von unten nicht aus. Die Kommunal- und Kreisparlamente waren schwach und einflusslos, und eine Bauernbewegung gab es überhaupt nicht. Das gesamte Land war zudem von einem lückenlosen Polizeinetz überzogen, das an das traditionelle Nachbarschaftssystem anknüpfte, in dem jeder jeden kontrollierte. Dies wurde keineswegs als anstößig, sondern – wie der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit generell – als religiös verpflichtend angesehen. Hinzu kamen die politischen Auswirkungen der Militarisierung von Staat und Gesellschaft. Die durch die Meiji-Reformen gewonnenen
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neuen Energien und Machtpotentiale wurden erfolgreich für die militärische Expansion genutzt. 1874 wurde Taiwan erobert, 1904/1905 die russische Flotte und das russische Heer geschlagen und 1910 Korea annektiert. All das wurde durch die weitgehende Unterordnung der politischen unter die militärischen Zwecke und Ziele erreicht. Japan war zum Militärstaat geworden. Nach dem Tode des Meiji-Tenno 1912 kam es dann aber unter dessen schwachem (und vermutlich psychisch krankem) Nachfolger Taisho zu einer gewissen Parlamentarisierung.6 Sie gipfelte in der Einführung des allgemeinen (Männer-)Wahlrechts für das Unterhaus im Jahr 1926, womit dieses Parlament aufgewertet wurde. Doch an der grundsätzlichen politischen Struktur Japans änderte dies wenig – sie ist nicht als parlamentarisch, sondern als bonapartistisch zu bezeichnen.7 Exekutive und Armee blieben stark und übermächtig. Kritik kam nicht von demokratischer, sondern von anderer, faschistischer Seite. Kita Ikki Sowohl die langsame Parlamentarisierung wie die forcierte Modernisierung des Landes wurden von vielen Japanern als Bedrohung empfunden und führten zu einer konservativen Kulturkritik.8 Vorgetragen wurde sie vor allem von dem revolutionären Nationalisten und früheren Sozialisten Kita Ikki,9 in dem verschiedene Historiker den Ideologen des japanischen Faschismus sehen möchten.10 Tatsächlich ähnelte er mehr Arthur Moeller van den Bruck und anderen Vertretern der deutschen Konservativen Revolution11, setzte sich Kita Ikki doch für eine Überwindung der inneren sozialen Spannungen durch eine noch autoritärere Staatsform und für eine ungehemmte militärische Expansion ein, was er mit offenen antiwestlichen Anklagen verband und begründete.12 Kita Ikkis Ideen wurden Anfang der 1930er-Jahre von einigen jüngeren Offizieren aufgegriffen, die sich über die Versuche des Parlaments empörten, die japanische Expansion in China zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen. Außerdem befürchteten sie ihre soziale Depravierung. Das war nicht unbegründet, war doch auch Japan von den Folgen der Weltwirtschaftskrise betroffen. Diese konnten von der Staatsführung nicht aufgehalten werden und riefen eine geradezu dramatische Verarmung vor allem der Landbevölkerung hervor. Die Reallöhne der japanischen Arbeiter sollen zwischen 1933 und 1944 sogar um 33 Prozent gesunken sein.13
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Um die Krise zu überwinden, die Japan getroffen hatte, gründeten diese Offiziere Geheimgesellschaften. Sie trugen so blumige Namen wie „Kirschblütenvereinigung“ (japanisch: sakurakai) oder „Korps der Blutsbruderschaft“ (japanisch: ketsumeidan) und werden von einigen Historikern als faschistisch eingeschätzt. Doch dies ist umstritten. Zu voll ausgebildeten faschistischen Parteien konnten sich diese Geheimgesellschaften schon deshalb nicht entwickeln, weil sie auf Befehl des Kaisers verboten und aufgelöst wurden. Vorausgegangen war ein fehlgeschlagener Militärputsch einer Gruppe von Offizieren, die sich „Fraktion des Kaiserlichen Weges“ (japanisch: kodoha) nannte. Er fand am 26. Februar 1936 statt und führte zur Ermordung einiger Repräsentanten des politischen Systems, darunter des Finanzministers.14 Daraufhin wurde neben einigen Putschisten auch ihr geistiger Mentor Kita Ikki zum Tode verurteilt und hingerichtet. Konoe Fumimaro und Tojo Hideki Die Gefahr eines Faschismus von unten war damit erst einmal vorbei. Doch nicht die eines „Faschismus von oben“ – wurden doch jetzt die letzten Reste des ohnehin schwachen und kaum ausgebildeten pseudokonstitutionellen Systems beseitigt. Dies geschah durch den neuen Premierminister Konoe Fumimaro15, der im Mai 1938 ein Gesetz zur „nationalen Generalmobilmachung“ erließ, wodurch alle noch bestehenden politischen und wirtschaftlichen Organisationen nach faschistischem beziehungsweise nationalsozialistischem Vorbild „gleichgeschaltet“ wurden, was ihrer völligen Entmachtung gleichkam. In außenpolitischer Hinsicht setzte Konoe Fumimaro den expansionistischen Kurs Japans skrupellos fort. 1937 überfiel die japanische Armee China und begann damit einen bis 1945 dauernden und mit äußerster Brutalität geführten Krieg. 1940 verkündete Konoe Fumimaro sein Ziel, ein japanisches Imperium im gesamten ostasiatischen Raum zu errichten. Die Japaner sprachen von einer „großostasiatischen Sphäre des gemeinsamen Wohlergehens“. Sowohl die bisherige wie die damit offen angekündigte weitere Expansionspolitik Japans riefen die Besorgnis der USA hervor.16 Präsident Roosevelt versuchte, Japan genauso unter „Quarantäne“ zu stellen wie die europäischen faschistischen Mächte. Bekanntlich mit geringem Erfolg. Japan ließ sich nicht einschüchtern – im Bewusstsein seiner vermeintlichen militärischen und politischen Stärke. Sie wurde durch eine
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Militarisierung von Staat und Gesellschaft erreicht, die gleichzeitig dazu führte, dass das Kontrollsystem im Innern noch weiter ausgebaut wurde. Schon 1937 hatte Konoe Fumimaro eine „Bewegung für eine neue Ordnung“ ins Leben gerufen, aus der im Oktober 1940 die „Vereinigung zur Unterstützung der Kaiserlichen Herrschaft“ entstand. Sie hatte große Ähnlichkeit mit der „Vaterländischen Front“ in Österreich. Sie war aber offensichtlich noch mächtiger und wirkungsvoller als diese, gehörten ihr doch neben den führenden Mitgliedern der früheren Parteien auch die Spitzen der Bürokratie und des Militärs an. Die japanische Gesellschaft wurde so in allen Bereichen und von oben nach unten von der Polizei und den polizeiähnlichen Nachbarschaften kontrolliert sowie vom Militär und den Massenorganisationen beherrscht. Dies alles wurde mit einer Ideologie begründet, die wegen ihrer extrem nationalistischen, teilweise sogar rassistischen, Blut und Boden verherrlichenden sowie antidemokratischen, antisozialistischen und antiwestlichen Elemente große Ähnlichkeiten mit der faschistischen aufwies. Hat also in Japan der Faschismus geherrscht? Und wenn ja, in welcher Variante? Die Tatsache, dass Konoe Fumimaro und sein Nachfolger Tojo Hideki das Land nicht nur mithilfe einer allgegenwärtigen Polizei, sondern auch mit der (Massen-)„Bewegung für eine neue Ordnung“ beziehungsweise „Gesellschaft zur Unterstützung der kaiserlichen Herrschaft“ regierten, spricht für die Anwendung des Begriffs bonapartistischer Faschismus. Dagegen spricht, dass weder Konoe Fumimaro noch Tojo Hideki die wirklichen Führer des Landes waren. Dies war der Tenno Hirohito, der seit seiner Thronbesteigung im Jahr 1926 auch mehrmals direkt in die Regierungsgeschäfte eingegriffen hat. Die gesamte Innenund Außenpolitik Japans wurde zudem mit einer Ideologie begründet, in deren Mittelpunkt der Kaiserkult stand. Daher kann man von einem „Tenno-Faschismus“ oder, in unserer Terminologie, von einem fundamentalistischen Faschismus sprechen. Doch welchen Begriff man auch anwenden möchte: Fest steht, dass Kaiser Hirohito für alle diktatorischen Maßnahmen im Inneren und für die kriegerischen Expansionen verantwortlich war. Dazu gehörte zweifellos auch der Angriff auf Pearl Harbor, auf den die USA mit der Kriegserklärung an Japan reagierten. Anders als Hitler und Mussolini hielt sich Hirohito aber im Hintergrund und ließ sich in der Öffentlichkeit
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nicht sehen. Dies musste er auch nicht, wurde er doch als „himmlischer Souverän“, das heißt als religiöser und politischer Führer, vom gesamten japanischen Volk ohne jeglichen Widerspruch akzeptiert. In Japan gab es keinen Widerstand, und schon gar nicht gegen den Tenno. Auch als sich dieser „himmlische Souverän“ nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki an sein irdisches Volk wandte und ihm über Radio die bedingungslose Kapitulation Japans bekannt gab, regte sich keinerlei Widerspruch. Die Japaner folgten ihrem Gott-Kaiser sofort und bedingungslos. Einige bekundeten ihre Tenno-Treue, indem sie rituellen Selbstmord begingen. Japans wirklicher Führer war Hirohito und seine Macht war grenzenlos. Begründet lag sie in seiner politisch-religiösen Stellung als Tenno. Dennoch wurde, wie eingangs bereits erwähnt, nicht der eigentlich verantwortliche Kaiser, sondern einer seiner Agenten zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dies war der (formale) Oberbefehlshaber der japanischen Streitkräfte, Tojo Hideki.17 Konoe Fumimaro hatte sich der ihm drohenden Verurteilung durch Selbstmord entzogen. Weitere Verurteilungen gab es nicht. Eine wirkliche Aufarbeitung der (bonapartistisch- oder fundamentalistisch-)faschistischen Vergangenheit hat in Japan nicht stattgefunden.18 Einige führende japanische Politiker halten es sogar für angebracht, Tojo zu ehren, indem sie rituelle Besuche jenes Schreins durchführen, der dem Andenken dieses und einiger anderer japanischen Kriegsverbrecher gewidmet ist. Dies erregt immer wieder den Zorn der vornehmlich chinesischen und koreanischen Opfer des japanischen Expansionismus und Faschismus. Beides – die mangelnde Aufarbeitung der Geschichte des japanischen Faschismus und die ebenfalls weitgehend fehlende Ehrung seiner Opfer – ist zu kritisieren. Zu würdigen ist dagegen, dass es in Japan zur Errichtung eines demokratischen Systems gekommen ist, das sich als sehr stabil erwiesen hat und bisher auch nicht von irgendwelchen faschistischen Gruppierungen bedroht worden ist.
„Wiedergeburt“ – Bonapartismus und Faschismus in Ägypten, Syrien und dem Irak
Den Begriff einer (nationalen) „Wiedergeburt“ findet man in der Ideologie nahezu aller Faschismen. Der britische Faschismusforscher Roger Griffin will in diesem Ideologem sogar das zentrale Kennzeichen des Faschismus sehen, den er daher als „palingenetischen“, das heißt auf eine nationale Wiedergeburt abzielenden „Ultranationalismus“ definiert.19 Dies greift jedoch, wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, mit Sicherheit zu kurz. Faschismus kann nicht nur mit dem Hinweis auf ein ideologisches Element erklärt werden. Die Berufung auf eine nationale „Wiedergeburt“ kann aber zumindest als Anzeichen für eine Nähe zum Faschismus gedeutet werden. In Italien, Deutschland und einigen europäischen Nationalstaaten war dies ohne Zweifel der Fall. Doch trifft dies auch auf die arabischen Nationalbewegungen zu? Können der panarabische Nationalismus im Allgemeinen und der sogenannte Baathismus (von arabisch baath, Wiedergeburt) im Besonderen als faschistisch eingeschätzt werden?20 Wir beginnen mit dem Panarabismus, der von Gamal Abdel Nasser ideologisch begründet und lange Zeit auch politisch repräsentiert wurde. Nasser Gamal Abdel Nasser wurde 1918 in Alexandria als Sohn eines Postbeamten geboren.21 Schon in jungen Jahren beteiligte er sich am Widerstand gegen die Briten, die faktisch die politische Herrschaft in Ägypten ausübten, das 1922 formal unabhängig geworden war. Wegen dieser politischen Tätigkeit kam Nasser 1935 kurze Zeit ins Gefängnis, ab 1937 besuchte er die Militärakademie in Kairo. Wie einige andere seiner Offizierskameraden sympathisierte er in dieser Zeit mit dem Faschismus, von dem er die Befreiung von der britischen Fremdherrschaft erhoffte. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs soll er sogar mithilfe deutscher und italienischer Agenten einen Putsch geplant haben. Doch dies ist nicht bewiesen. Sicher ist dagegen, dass Nasser das Kommen der Armee
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Rommels mit Freude erwartet hat. Möglicherweise hätte er auch mit den Deutschen kollaboriert, wenn sie nicht von den Briten bei ihrem Vormarsch auf Kairo in El-Alamein gestoppt worden wären. Doch daraus und aus seinen verschiedenen antisemitischen Äußerungen zu schließen, dass der junge Nasser ein überzeugter Faschist gewesen ist, geht zu weit.22 1949 gehörte Nasser zu den Mitgründern des „Komitees der Freien Offiziere“, das 1952 das Regime des korrupten Königs Faruk I. stürzte. In der von General Nagib gebildeten Regierung übernahm Nasser das Amt des Innenministers. Er nutzte es zwei Jahre später, um gegen Nagib zu putschen und sich selber zum Präsidenten wählen zu lassen. Als Präsident bemühte er sich mit Erfolg um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung Ägyptens. Davon zeugen wirtschaftliche Großprojekte wie der Bau des Assuan-Staudamms und die Einführung des Frauenwahlrechts, was damals und selbst heute noch geradezu revolutionär anmutet – jedenfalls in der muslimischen Welt. Von dieser wurde Nasser auch wegen seines säkularen und stark sozialistisch geprägten Nationalismus scharf abgelehnt. In Ägypten selber musste er sich der erbitterten Opposition der (fundamentalistisch-faschistischen) Muslimbrüder erwehren, die mehrere Anschläge auf Nasser ausübten, nachdem dieser sie verbieten und ihren geistigen Führer Sayyid Qutb hatte hinrichten lassen.23 Der letzte Anschlag war dann erfolgreich. Nasser wurde 1970 von einem Muslimbruder ermordet. Nasser war zweifellos ein Diktator, der das Land mit harter Hand regierte, wobei er sich neben Polizei und Militär auch auf eine, „Arabisch Sozialistische Union“ genannte, Einheitspartei stützte. Sein Regime ist mithin als bonapartistisch einzustufen, auch wenn es in Teilen der damaligen westlichen Publizistik als faschistisch angesehen wird.24 Die Begründung dieses Faschismusvorwurfes ist sogar scharf zu kritisieren. Dies war der Hinweis auf Nassers Außenpolitik, welche die wirtschaftlichen Interessen der ehemaligen Kolonialmächte England und Frankreichs tangierte. Hatte Nasser doch 1956 den Suezkanal verstaatlicht, was England und Frankreich mit Waffengewalt rückgängig machen wollten. Ihren Angriff konnte Nasser aber nur mit Hilfe der Sowjetunion zurückschlagen, die mit einem militärischen Eingreifen in den Suez-Krieg drohte. Dadurch geriet Ägypten aber mehr und mehr in die wirtschaftliche und selbst politische Abhängigkeit von der Sowjetunion, was den
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Westen sehr beunruhigte, aber wiederum kein Grund ist, Nasser als Faschisten zu bezeichnen. Dies gilt auch für den Hinweis auf die zwei Kriege, die Nasser gegen Israel führte – und verlor. Gemeint sind der sogenannte Sechstagekrieg von 1967 und der nachfolgende Abnutzungskrieg am Suezkanal. Unverkennbare Gemeinsamkeiten mit der faschistischen hat jedoch die von Nasser vertretene panarabische nationalistische Ideologie. In ihrem Mittelpunkt stand die Forderung nach der Wiederherstellung des großarabischen Reiches, das im Hohen Mittelalter vom Persischen Golf bis zum Atlantik gereicht hatte. Dies war genauso vermessen und irreal wie die Pläne Mussolinis, das Römische Reich wiederherzustellen. Immerhin ist Nasser seinem Ziel mit der 1958 erfolgten Vereinigung mit Syrien einen Schritt nähergekommen. Die von Nasser dominierte „Vereinigte Arabische Republik“ brach jedoch drei Jahre später auseinander. Verantwortlich dafür war eine Partei, die Nassers panarabische Vision durchaus teilte, sie aber mit anderen Methoden und in anderer Gestalt verwirklichten wollte – die Baath-Partei. „Baath“ Die „Partei der arabischen Wiedergeburt“ („Baath“) wurde am 7. April 1947 in Damaskus gegründet.25 Dabei handelte sich um einen Zusammenschluss von zwei Debattierklubs. Der eine wurde von dem Alewiten Zaki al-Arsuzi und der andere, wichtigere, von dem Christen Michel Aflaq und dem sunnitischen Muslim Salah ad-Din al-Bitar geleitet. Alle drei waren vom europäischen, vor allem französischen Nationalismus beeinflusst, den sie während ihres Studiums an der Pariser Sorbonne kennengelernt hatten – wahrscheinlich in der von Charles Maurras geprägten integralistischen Variante. Die von ihnen angestrebte Übertragung dieser radikalen Form des europäischen Nationalismus in die arabische Welt war aber mit Problemen verbunden: galten die Araber doch in den Augen der europäischen Nationalisten im Allgemeinen, der französischen im Besonderen als ungebildet, rückständig und „orientalisch“. Der arabische Nationalismus musste sich daher gegen diesen, von Edward Said beschriebenen und kritisierten „Orientalismus“26 wenden, weshalb er eine antieuropäische beziehungsweise antiwestliche Stoßrichtung hatte, die ihn wiederum in die Nähe des europäischen Faschismus rückte. Doch dies scheint den genannten Ideologen des Baathismus nicht bewusst gewesen zu sein.
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Jedenfalls haben sie sich kaum und schon gar nicht positiv über den Faschismus geäußert. Ihr Antipode und, wie sich bald zeigen sollte, Todfeind war der Islamismus, der sich damals fast gleichzeitig in Gestalt der Muslimbrüder formierte. Mit dem Islamismus gemeinsam hatte der Baathismus allenfalls den Antisemitismus, der von den Baathisten aber keineswegs religiös begründet wurde und offensichtlich auch nicht so scharf ausgeprägt war. Trennend war dagegen die nationalistische, laizistische und zunehmend auch sozialistische Orientierung der Baathisten. Letztere führte 1953 dazu, dass sich einige Baathisten mit den Sozialisten zur „Sozialistischen Partei der arabischen Wiedergeburt“ vereinigten. Mit ihrer schon im Parteinamen zum Ausdruck gebrachten sowohl nationalistischen wie sozialistischen ideologischen Ausrichtung – sie war also „weder links noch rechts“ – wies diese Partei bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit den faschistischen auf. Im Unterschied zu diesen verfügte die Baath-Partei jedoch niemals über einen allseits anerkannten Führer. Keiner von den drei erwähnten Ideologen des Baathismus ist dieser Position auch nur nahe gekommen. Während Salah ad-Din al-Bitar es immerhin noch zum syrischen Außenminister gebracht hat, wurde Michel Aflaq 1954 mit dem politisch einflusslosen Amt eines Erziehungsministers abgefunden, das er dann auch bald darauf abgeben musste. Zaki al-Arsuzis politische Laufbahn war erfolgloser. Zum Schluss war er als Lehrer an einer Oberschule tätig. Ein abschließendes Urteil, über den – faschistischen oder nur ultranationalistischen – Charakter der Baath-Partei zu fällen, ist schon deshalb schwierig, weil sich die ursprünglich panarabische Baath-Bewegung in einzelne nationale Parteien aufspaltete, die in schneller Folge in verschiedenen arabischen Ländern entstanden, wo sie eine sehr unterschiedliche Bedeutung und Stärke gewannen. Die wichtigsten und stärksten waren die in Syrien und dem Irak, wo sie 1963 fast gleichzeitig zur Macht kamen. Die syrische Baath-Partei erhielt dann mit Hafiz alAssad einen Führer, der mit den faschistischen verglichen werden kann.27 Assad Der 1930 geborene Hafiz al-Assad entstammte einer armen Familie, die der muslimischen Glaubensgemeinschaft der Alawiten angehörte, wel-
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che sowohl von den Sunniten wie den Schiiten häufig verachtet wurden und bis heute noch werden. Seine Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit scheint Assad aber nicht sehr geprägt zu haben. Darauf deutet schon die Tatsache hin, dass er sich 1946 der, wie erwähnt, säkular und laizistisch ausgerichteten Baath-Partei anschloss. Da war Assad gerade 16 Jahre alt. Nach dem Besuch der Oberschule wurde er 1951 von der syrischen Militärakademie aufgenommen, die ihn kurz darauf in die Sowjetunion entsandte, wo er zum Jet-Piloten ausgebildet wurde. Nach Syrien zurückgekehrt, beteiligte er sich 1961 an dem Militärputsch, der zur Auflösung der Union mit Ägypten führte. Das jetzt wieder selbstständig gewordene Syrien verstand es aber nicht, die politische Krise zu überwinden, in der sich das Land seit seiner Befreiung von der französischen Fremdherrschaft befand. Nutznießer war die Baath-Partei, die 1963 an die Macht kam, aber ebenfalls mit den Problemen nicht fertig wurde, die durch den verlorenen Sechstagekrieg von 1967 noch verschärft wurden. Für diese demütigende Niederlage, die zum Verlust der Golanhöhen geführt hatte, machten sich die Politiker der Baath-Partei gegenseitig verantwortlich. Diese Streitigkeiten machte sich Assad zunutze, der es inzwischen zum Chef der syrischen Luftwaffe und schließlich zum Verteidigungsminister gebracht hatte. 1970 ließ er den Präsidenten verhaften, um ein Jahr später dessen Nachfolge anzutreten. In einer manipulierten Wahl ohne einen Gegenkandidaten hatte er 99 Prozent der Stimmen gewonnen. Außerdem übernahm Assad noch das Amt des Generalsekretärs der syrischen Baath-Partei. Gestützt auf seine Partei und die ihm ergebene Armee begann Assad mit dem Aufbau einer Diktatur, die sich nach den baathistischen Grundsätzen richtete. Dies gilt vor allem für die strikt laizistische und tendenziell sogar sozialistische Ausrichtung der neuen, wie Assad sie nannte, „Volksrepublik“, die sich sofort an die Sowjetunion anlehnte. Sowohl die außenpolitische Orientierung an der Sowjetunion, die in der gesamten islamischen Welt als atheistisch eingeschätzt und daher abgelehnt wurde, wie seine ebenfalls als antiislamisch empfundene laizistische Innenpolitik stießen auf die scharfe Kritik der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit, die außerdem befürchtete, dass der Alawit Assad seine Glaubensgenossen bevorzugen würde. Obwohl Assad der islamistischen Opposition insofern entgegenkam, dass er in der Verfassung festschreiben ließ, dass der Staatspräsident
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immer ein Muslim zu sein habe, verstärkte jene ihren Widerstand gegen sein Regime. Islamistische Terroristen, die sich aus der Muslimbruderschaft rekrutierten, verübten verschiedene Anschläge, bei denen zahlreiche Angehörige des syrischen Militärs, vor allem alawitischer Konfession, ermordet wurden. Assad antwortete mit Staatsterror. Einen im Februar 1982 in der Stadt Hama von Muslimbrüdern angezettelten Aufstand ließ er mit aller Brutalität niederschlagen. Dabei wurden auch Panzer und Flugzeuge eingesetzt. Bei diesem Massaker kamen Tausende von Syrern ums Leben, von denen keineswegs alle Mitglieder der Muslimbruderschaft waren. Mit dem Massaker von Hama war der islamistischen Opposition das Rückgrat gebrochen. Ein Jahr später, 1983, wurde auch der Putschversuch von Assads Bruder Rifaat blutig niedergeschlagen. Den jeweiligen Gewaltanwendungen folgten Massenverhaftungen von tatsächlichen oder angeblichen Gegnern Assads durch die immer mehr vergrößerte und mit unbegrenzten Machtbefugnissen ausgestattete Geheimpolizei. Dagegen schien die baathistische Staatspartei an Einfluss verloren zu haben. Assads Diktatur war extrem blutig und terroristisch. Doch dies allein rechtfertigt nicht, sie als faschistisch einzustufen. Auch nicht der Hinweis auf seine verbrecherische und gegen das Völkerrecht verstoßende militärische Intervention in den Libanon, der zeitweise mehr den Charakter eines syrischen Protektorats als eines souveränen Staates hatte. Anders ist oder scheint es mit seiner Ideologie zu sein. Sie hatte wie die baathistische wegen ihrer Ausprägung, die sowohl links wie rechts war, eine gewisse Ähnlichkeit mit der faschistischen. Schließlich ist noch auf die Stellung Assads als völlig unbestrittener „Führer“ seines Landes zu verweisen, der einen entsprechenden Führerkult veranstalten ließ, wobei Assad nicht selten als Saladin ähnlicher „Löwe von Damaskus“ bezeichnet und gefeiert wurde. Wie gefestigt Assads daher schon fast als bonapartistisch-faschistisch zu bezeichnende Diktatur war, zeigte sich auch nach seinem Tod im Jahr 2000. Die Syrer befolgten ohne jeglichen Widerspruch Assads politisches Testament und „wählten“ mit über 97 Prozent seinen (zweiten) Sohn Baschar zum Nachfolger. Er übt dieses Amt heute (2008) immer noch aus. An dem von Hafiz al-Assad geschaffenen diktatorischen System hat sich kaum etwas geändert. Auch die von vielen erwartete Annäherung an den Westen ist nicht eingetreten. Sie scheint aber immer
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noch erhofft zu werden, weshalb sich die westliche Kritik an der Assadschen „Erb-Diktatur“ in Grenzen hält. Von einer wie auch immer gearteten Intervention oder gar von einem (Befreiungs-)Krieg redet keiner. Dies unterscheidet sich fundamental vom Verhalten des Westens gegenüber dem Regime Saddam Husseins im Irak, das 2003 angegriffen und zerschlagen wurde, weil es vom amerikanischen Präsidenten George W. Bush als faschistisch eingeschätzt worden ist. Dieser Faschismusvorwurf soll im Folgenden überprüft werden, wobei wir wiederum von einem biographischen Ansatz ausgehen und uns auf die Person Saddam Husseins konzentrieren.28 Saddam Hussein Saddam Hussein wurde 1937 als Sohn einer unverheirateten Mutter geboren. Seine uneheliche Herkunft scheint ihn sehr belastet zu haben. Im Alter von neun Jahren musste er seine Mutter verlassen, um von einem in Bagdad lebenden Onkel aufgezogen zu werden. Saddam Hussein hatte tatsächlich eine schwere Kindheit. Doch ob man damit seine späteren Verbrechen erklären kann, ist erstens zweifelhaft und zweitens kein Grund, sie in irgendeiner Weise zu entschuldigen. Wichtig und für Saddam Husseins politischen Lebensweg entscheidend waren jedoch die gewaltsamen Ereignisse in seinem Heimatland Irak. Hier fand 1958 ein Militärputsch statt, bei dem der erst 23 Jahre alte König Faisal II. zusammen mit seiner ganzen Familie ermordet wurde. Damit kehrte jedoch keine Ruhe im Irak ein. Ein Militärputsch folgte auf den anderen und jeder war äußerst blutig. An mindestens einem soll sich auch der junge Saddam Hussein beteiligt haben, weshalb er nach Ägypten floh, um der gegen ihn in Abwesenheit ausgesprochenen Todesstrafe zu entgehen. Als die Baath-Partei, deren Mitglied Saddam Hussein seit 1956 war, 1968 zur Macht kam, kehrte Saddam Hussein in den Irak zurück, wo er in die neue Regierung aufgenommen wurde. Zunächst als Generalsekretär eines „Revolutionären Kommandorates“, dann als Minister für Staatssicherheit und Propaganda. 1972 führte der inzwischen zum Vizepräsidenten ernannte Saddam Hussein die Verstaatlichung der irakischen Ölgesellschaft durch, die bisher in ausländischer, genauer gesagt amerikanischer, britischer und französischer Hand gewesen war. Dies verschaffte ihm einen großen Popularitätsgewinn bei seinen irakischen Landsleuten, die es leid waren, um die Erträge des Erdölexports
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gebracht zu werden. Saddam Hussein nutzte dies aus und übernahm 1979 die gesamte Macht im Land. Er war jetzt Präsident, Regierungschef und Führer beziehungsweise Generalsekretär der Baath-Partei. 1980 gab Saddam Hussein der ihm ebenfalls unterstehenden irakischen Armee den Angriffsbefehl auf den Iran. Der iranisch-irakische Krieg, der später als erster Golfkrieg bezeichnet wurde, dauerte acht Jahre und wurde von beiden Seiten mit entsetzlicher Brutalität geführt, wobei auch vor dem Einsatz von Giftgas nicht zurückgeschreckt wurde. Dennoch oder deshalb wurden die von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen von der Weltöffentlichkeit hingenommen. Schließlich profitierten die westlichen und östlichen Rüstungsindustrien von diesem Krieg, wurden ihre Waffenlieferungen doch gut bezahlt. Die amerikanische Regierung nahm sogar kaum verhüllt Partei für den Irak. Selbst als Saddam Hussein 1988 auch gegen seine eigenen Landsleute im kurdischen Teil des Irak gewaltsam vorging, wobei wiederum Giftgas eingesetzt wurde, kam aus Washington keine Kritik. Obwohl der 1988 beendete erste Golfkrieg für den Irak keinerlei Erfolge gebracht und mindestens 250 000 irakischen Soldaten das Leben gekostet hatte, konnte sich Saddam Hussein weiter an der Macht halten. Er ließ sich sogar als Sieger und großer „Führer“ feiern. Zur Propaganda, in deren Mittelpunkt der um Saddam Hussein betriebene Führerkult stand, kam der Terror durch die allgegenwärtige Polizei und den immer mächtiger werdenden Geheimdienst. Nicht zu übersehen und zu leugnen sind jedoch auch die Aufbauleistungen Saddam Husseins. Dazu gehörten die Modernisierung der irakischen Wirtschaft, die Förderung der Volksbildung und eine umfassende und ebenfalls erfolgreiche Bodenreform. Bezahlt wurde alles mit dem Export von Erdöl, über das der Irak reichlich verfügte. Umso überraschender waren Saddam Husseins Beschuldigungen gegenüber dem benachbarten Kuwait, die irakischen Ölfelder illegal angezapft zu haben. Nachdem Kuwait dies abgestritten und sich geweigert hatte, irgendwelche Ersatzleistungen zu erbringen, wurde es 1990 von irakischen Truppen besetzt und in den irakischen Staatsverband eingegliedert. Letzteres wurde mit historischen Argumenten begründet, wonach Kuwait immer zum Irak gehört habe und seine staatliche Existenz eigentlich nur den europäischen Kolonialmächten zu verdanken gehabt habe. Dies war nicht ganz falsch, lenkte aber von der Tatsache ab, dass Kuwait ein völkerrechtlich anerkannter und in der UNO vertretener
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Staat war. Außerdem deckte Kuwait einen großen Teil des westlichen, vor allem amerikanischen Ölbedarfs. So kam es, wie es kommen musste. Versehen mit einem entsprechenden Mandat der UNO griffen von den USA angeführte militärische Verbände 1991 den Irak an und bereiteten ihm eine vernichtende Niederlage. Sie verzichteten dann aber auf einen Vormarsch auf die irakische Hauptstadt Bagdad und beschränkten sich auf die „Befreiung“ Kuwaits. Dadurch wurde es Saddam Hussein ermöglicht, die im Irak ausgebrochenen Aufstände blutig niederzuschlagen und seine Herrschaft wieder zu festigen. Allerdings musste er sich einer internationalen Kontrolle seines Luftraums und seiner Waffenproduktion unterwerfen. Außerdem wurde über das Land ein Embargo verhängt, das zu einer dramatischen Verschlechterung der materiellen und medizinischen Versorgung seiner Bewohner führte. Wenn die USA gehofft haben sollten, damit zum Sturz Saddam Husseins oder zumindest zu seinem Nachgeben beigetragen zu haben, sahen sie sich getäuscht. Jede sich auch nur im Ansatz regende Opposition wurde brutal unterdrückt. Der Terror kannte keine Grenzen. Insgesamt sollen dem Regime Saddam Husseins 290 000 Iraker zum Opfer gefallen sein. Doch es waren nicht diese Morde und sonstigen Menschenrechtsverletzungen, die den amerikanischen Präsidenten George W. Bush veranlassten, den politischen und militärischen Druck zu erhöhen. Es waren die Befürchtungen, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungsmittel verfügen würde, mit denen er zwar nicht Europa oder gar die USA, wohl aber Israel hätte angreifen können. Letzteres hatte dieser in der ihm eigenen großmäuligen Art auch mehrmals angekündigt. Dennoch konnten diesen Worten keine Taten folgen, weil Saddam Hussein über diese Massenvernichtungsmittel gar nicht verfügte. Jedenfalls wurden sie bis heute nicht gefunden. Sie existierten nur innerhalb der amerikanischen Propaganda. Mit ihr wurde der dritte und bis heute nicht beendete Golfkrieg begründet, der im März 2003 zur Eroberung Bagdads und zur, wie man sagte, allgemeinen Befreiung des Irak führte. Der am 13. Dezember des gleichen Jahres von amerikanischen Soldaten gefangen genommene Saddam Hussein ist nach einem ziemlich kurzen Prozess zum Tode verurteilt und am 30. Dezember 2006 hingerichtet worden. Große Aufmerksamkeit oder gar allgemeine Freude und Erleichterung hat sein Tod nicht ausgelöst.
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Auf jeden Fall nicht im Irak selber, der mehr und mehr im Blut und Chaos eines Krieges versinkt, der gegen die ausländischen Besatzer und unter den so verfeindeten politischen, ethnischen und vor allem religiösen Gruppen des Landes geführt wird. Verantwortlich dafür sind vor allem die Amerikaner, die einen vielleicht voreiligen und mit Sicherheit unzureichend begründeten Krieg begonnen haben, den sie bis heute nicht gewonnen haben und aller Voraussicht nach auch nicht gewinnen werden. Doch diese Kritik, die sich noch dazu mehr und mehr auf den glückund erfolglosen Präsidenten George W. Bush konzentriert, darf nicht dazu führen, seinen, wenn man so will, Opponenten Saddam Hussein in irgendeiner Weise zu verteidigen und seine Verbrechen zu verharmlosen. Saddam Hussein war ohne Frage ein Massenmörder und Verbrecher. Er hat Angriffskriege geführt und in seinem eigenen Land Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Deshalb hätte er von einem Internationalen Gerichtshof verurteilt werden können, ja müssen. Dennoch wird man ihn kaum auf eine Stufe mit Hitler stellen können, wie dies keineswegs nur in den USA, sondern auch bei uns geschehen ist. Ob man sein Regime als (bonapartistisch-)faschistisch einstufen kann, wie dies in Teilen der ernst zu nehmenden Forschung geschehen ist29, hängt von der Bewertung seiner baathistischen Staatspartei ab. Über sie weiß man immer noch viel zu wenig. Die von der amerikanischen Besatzungsmacht begonnene „Entbaathisierung“ ist nämlich sehr bald abgebrochen worden. Ehemalige Baathisten werden jetzt geradezu umworben, damit sie sich am Kampf gegen die verschiedenen islamistischen Gruppierungen beteiligen. Generell ist festzustellen, dass sich der islamistische Todfeind des Baathismus als viel gefährlicher erwiesen hat, weil er sich zur mächtigsten und am weitesten verbreiteten Variante des (fundamentalistischen) Faschismus entwickelt hat.
„Dschihad“ – Fundamentalismus und Faschismus in Ägypten, Palästina und Persien
Im Koran ist viel von „Dschihad“ die Rede. Dieser Begriff wird meist mit „Heiliger Krieg“ übersetzt. Doch dies ist falsch. „Dschihad“ bedeutet nämlich „Streben“ oder „Anstrengung“. Dabei wird im Koran zwischen zwei Formen unterschieden. Der große Dschihad ist darauf gerichtet, die eigenen schlechten Eigenschaften zu überwinden, und mit dem kleinen Dschihad ist der auch kämpferische Einsatz gegen einen äußeren Feind gemeint. Dabei soll es um einen Kampf für die Verwirklichung höherer Werte gehen. Das kann sich auch gegen Angehörige anderer Religionen richten. Muss es aber keineswegs – kennt der Islam doch anders als das Christentum keinen Missionsbefehl und macht folglich Missionskriege nicht zur religiösen Pflicht wie dies beim christlichen Kreuzzugsgedanken der Fall war. Den Dschihad-Stellen im Koran stehen zudem solche gegenüber, an denen zum Frieden und zur Toleranz auch gegenüber Andersgläubigen ermahnt wird. Doch alles ist Sache der Auslegung. Und hier liegt das Problem. Es gibt im Islam nämlich keine zentrale Instanz, die wie der Papst dies für die Katholiken tut, letztlich entscheidet, was richtig oder falsch ist. Außerdem fehlt eine historisch-kritische Auslegung des Koran. Sein Text wird so gelesen und verstanden, wie er (in arabischer Sprache) geschrieben ist. Die einzige fast überall anerkannte Auslegungslehre ist das sogenannte Nashk-Prinzip, wonach (historisch) neuere Suren einen größeren Stellenwert haben sollen als ältere. Doch insgesamt kann der Koran für verschiedene und eben auch politische Zwecke ausgelegt werden. Damit kann die islamische Religion politisiert und zur politischen Religion gemacht werden. Die islamische Variante des Fundamentalismus wird Islamismus genannt. Islamismus ist als eine religiös geprägte Ideologie (oder: „politische Religion“) zu begreifen, die auf die Beseitigung der (im Islam nie ganz gezogenen) Trennung von Politik und Religion abzielt und die Errichtung eines is-
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lamischen Staates anstrebt. Dieser Staat darf religiös motivierte Kriege (Dschihad) führen und muss im Innern das islamische Recht (Scharia) einführen. Es basiert auf der Leugnung und Verneinung der aufklärerischen Prinzipien von Gleichheit, Menschenrecht und Menschenwürde.30 Wie die anderen Fundamentalismen31 ist der islamische zugleich durch einen radikalen Antisemitismus gekennzeichnet. Er wird einmal mit einer missbräuchlichen Auslegung des Koran begründet.32 Der Koran enthält zwar einige judenfeindliche Stellen, die sich auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen beziehen, die der Prophet Mohammed mit einigen Juden seiner Zeit in Medina ausgefochten hat, dennoch wird all dies nicht wie etwa im Neuen Testament zum judenfeindlichen Dogma erhoben. Zentrale Momente der christlichen Judenfeindschaft fehlen im Koran, so die Passionsgeschichte Jesu. Sie wird zwar erwähnt, aber umgedeutet: Jesus soll weder ermordet noch auferstanden sein. Folglich fehlt auch der Vorwurf, die Juden hätten sich gegen Jesus verschworen und seien für seinen Tod verantwortlich. Da Jesus nur als Prophet unter anderen und keinesfalls als Sohn Gottes angesehen wird, haben die Juden auch keinen Gottesmord begangen. Daher werden sie auch nicht (wie bei Johannes 8,44) als „Kinder des Teufels“ dargestellt. Generell haben Juden im Islam längst nicht den Stellenwert wie sie ihn – im positiven und negativen Sinne – als „auserwähltes Volk“ und als „verstockte“ und „verworfene“ „Gottesmörder“ im Christentum haben. Wichtig und nicht oft genug zu betonen ist, dass die Juden sowohl im arabischen wie im Osmanischen Großreich niemals so verfolgt worden sind, wie dies in den christlichen Staaten des Mittelalters der Fall gewesen ist.33 Andererseits sind sie auch niemals so „emanzipiert“ worden, wie dies schließlich in allen europäischen Staaten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert geschah. Der auf den Prinzipien der Aufklärung basierende Gedanke der Emanzipation der Juden ist in den islamischen Ländern nicht rezipiert worden. Wohl aber die in Europa als Gegenbewegung zur Emanzipation entstandene Ideologie eines radikalen Antisemitismus. Der aus Europa importierte Antisemitismus wurde dann aber mit islamischen Motiven begründet, die auf einer, wie gesagt, einseitigen und problematischen Interpretation einiger Koran-Stellen basierten. Wegen seiner gewaltverherrlichenden, antiaufklärerischen, antidemokratischen und antisemitischen Elemente weist der Islamismus ei-
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nige Berührungspunkte mit dem Faschismus auf. Dies ist von einigen islamistischen Ideologen und Politikern erkannt und akzeptiert worden, die darüber hinaus noch weitere Elemente des europäischen Faschismus übernahmen. Auf diese Weise schufen sie eine Variante des fundamentalistischen Faschismus, der in der neueren westlichen Publizistik auch Islamfaschismus genannt wird (was jedoch abzulehnen ist, weil damit die gesamte islamische Religion diskreditiert wird). Amin al-Husseini und Yassir Arafat Erster und wichtigster Ideologe des islamistischen Faschismus war der Großmufti von Jerusalem Haj Amin al-Husseini.34 Husseini wurde 1893 in Jerusalem als Sohn einer einflussreichen und alten Notablenfamilie geboren, deren Stammbaum auf eine Tochter des Propheten Mohammed zurückgehen soll. Nach der Absolvierung einer weltlichen (französischen) Schule in Jerusalem und einer religiösen in Kairo beteiligte er sich als Unteroffizier der Osmanischen Armee am Ersten Weltkrieg. Nach Jerusalem zurückgekehrt, wurde er 1921 zum Mufti (Islamgelehrten) von Jerusalem gewählt, der den zusätzlichen Titel alAkbar führte, was allgemein mit „Großmufti“ übersetzt wird. Diese Wahl wurde vom britischen Hochkommissar für Palästina, Herbert Samuel (der übrigens selber jüdischer Herkunft war), bestätigt. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Hohen Islamischen Rates soll sich Husseini zunächst vor allem karitativen Aufgaben und der Restaurierung der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem gewidmet haben. In der westlichen Literatur wird dagegen eine Beteiligung an den antijüdischen Unruhen in Palästina vermerkt. Im September 1937 entzog sich Husseini der drohenden Verhaftung durch die britische Mandatsmacht, die ihn beschuldigte, an der Ermordung des britischen Statthalters in Galiläa beteiligt gewesen zu sein, indem er zunächst in den Libanon, dann nach Syrien floh. Umstritten ist, ob er schon zu diesem Zeitpunkt über enge Kontakte zu HitlerDeutschland verfügte. Nach Ausbruch des Krieges 1939 war das aber mit Sicherheit der Fall. 1941 beteiligte sich Husseini an dem zunächst erfolgreichen Putsch al-Kailanis im Irak, der jedoch durch britische Truppen niedergeschlagen wurde. Husseini musste erneut fliehen und gelangte über Italien, wo er von Mussolini empfangen wurde, im November 1941 nach Berlin. Hier kam es nach einigen Vorverhandlungen mit dem Staatssekretär im
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Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, am 28. November 1941 zu einem Gespräch mit Hitler, das 90 Minuten dauerte und mit einem für Husseini enttäuschenden Ergebnis endete. Hitler lehnte nämlich die erbetene öffentliche Unterstützung der arabischen Unabhängigkeitsbewegung zum jetzigen Zeitpunkt ab. Diese sei erst dann sinnvoll, wenn die deutschen Truppen den Kaukasus erreicht hätten. Dennoch berichteten die deutschen Zeitungen in ziemlich großer Aufmachung und mit einem Bild, das Hitler und Husseini im Gespräch zeigt (und das wirklich Geschichte gemacht hat), über diese, wie gesagt, eigentlich ergebnislose Besprechung. Husseini gab aber nicht auf und erlangte eine interne Erklärung, in der sich Deutschland für die Unabhängigkeit der Araber einzusetzen versprach. Gewissermaßen im Gegenzug tat Husseini alles in seiner Macht stehende, um Hitler in seinem Kampf gegen England und „die Juden“ zu unterstützen. So beteiligte er sich an der Aufstellung einer arabischen Hilfstruppe, die von General Felmy im griechischen Kap Sunion gebildet und „deutsch-arabische Lehrabteilung“ genannt wurde. Ein Teil dieser Truppe wurde gegen den Protest Husseinis nach Russland geschickt. Ein anderer kämpfte in den Reihen des Afrikakorps in Tunesien, bis diese arabischen Soldaten wegen Unzuverlässigkeit von der Front abgezogen und als Arbeitssoldaten verwandt wurden. Als aus deutscher Sicht zuverlässig und ungeheuer brutal galten dagegen die muslimischen Einheiten der Waffen-SS, die in Bosnien rekrutiert wurden. Neben zwei SS-Divisionen namens „Khanjar“ und „Quama“ mit zusammen 37 000 Mann sollen noch weitere 100 000 Muslime in Milizen auf deutscher Seite gekämpft – und nachweisbar Kriegsverbrechen begangen haben. Dies mit Wissen und Billigung Husseinis, der die muslimischen Einheiten für ihren Kampf gegen den „jüdisch-bolschewistischen Weltfeind“ instruiert hatte. Doch das Hauptinteresse Husseinis galt der Bekämpfung der Juden in seinem palästinensischen Heimatland. Die Gelegenheit dazu bot sich, als im Sommer 1942 in Athen ein Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD mit dem Ziel aufgestellt wurde, auch die Juden in Palästina zu ermorden.35 Husseini sagte sofort seine Hilfe zu und verhandelte bereits mit Adolf Eichmann über den Einsatz von arabischen Hilfswilligen bei dem geplanten Massenmord. Dass es dazu nicht gekommen ist, lag einzig und allein an der Niederlage Rommels bei el-Alamein.
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Die Juden des damaligen Jischuw und späteren Israel sind nicht der deutschen „Endlösung der Judenfrage“ zum Opfer gefallen, mussten sich aber weiterhin der antisemitischen Angriffe der Araber erwehren. Angestachelt dazu wurden sie von Husseini, dem es am Ende des Krieges gelang, über die Schweiz und Frankreich nach Ägypten zu fliehen. Hier beteiligte er sich an der Gründung der PLO, auf die er bis zu seinem Tod im Jahr 1974 einen großen Einfluss ausübte. Doch das wurde von der PLO selber verschwiegen und geleugnet – wollte sie doch eine links orientierte und auf jeden Fall säkulare nationale Befreiungsbewegung sein, die folglich peinlichst bemüht war, alle faschistischen und fundamentalistischen Anleihen zu kaschieren. Gleichwohl waren sie von Anfang an vorhanden. Dies begann mit ihrem Markenzeichen, einem Kafiya genannten Schal, der ein zentrales Element ihrer Parteiuniform und zugleich ein islamistisches Symbol ist, das übrigens bereits vom Großmufti eingeführt worden ist. Der um ihren Führer Yassir Arafat (der ein Verwandter Husseinis war) betriebene Führerkult erinnerte dagegen an den faschistischen. Sowohl vom Faschismus wie vom Islamismus beeinflusst war schließlich auch die Ideologie der PLO. In ihrem Zentrum stand der Antisemitismus – und keineswegs „nur“ der Antizionismus. Der Antisemitismus der PLO bestand einmal aus politischen Elementen, die aus Europa importiert worden waren. Hinzu kamen islamistische Bestandteile. Deutlich wird dies an den Protokollen der Weisen von Zion, die schon 1926 (vermutlich auf Veranlassung Husseinis) ins Arabische übersetzt worden sind, um dann durch einige islamische Komponenten erweitert zu werden. Dazu gehören einige weitere Fälschungen und fiktive Dokumente.36 So wurde dem israelischen Politiker Schimon Peres unterstellt, in einem Buch den Wahrheitsgehalt der Protokolle der Weisen von Zion bestätigt zu haben. Nach einer weiteren ebenfalls von der PLO verbreiteten Verschwörungsgeschichte soll eine jüdische Geheimorganisation namens „Schwarze Hand“ 1968 in Frankreich eine Finanzkrise ausgelöst haben, um den damaligen Präsidenten de Gaulle für dessen proisraelische Politik zu strafen. Nicht näher charakterisierte Juden sollen ferner verbotene Drogen verbreitet, arabische Kinder zum Satanskult verleitet und arabische Frauen zur sexuellen Hemmungslosigkeit verführt haben – Letzteres angeblich durch die Verabreichung von Kaugummi. Kann man dies noch als unfreiwillig komisch ansehen, ist die von der PLO vor der UNO-Menschenrechtskom-
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mission 1997 vorgetragene Beschuldigung, Juden hätten das Aidsvirus verbreitet, in jedem Falle abstoßend. Abstoßend ist auch die in der palästinensischen Publizistik zu findende Auschwitzlüge.37 Umso bemerkenswerter ist es, dass die PLO auch im Westen und gerade von verschiedenen Linken als antiimperialistische Befreiungsbewegung angesehen und entsprechend gefeiert wurde. Dies ging so weit, dass selbst ihr islamistisches Symbol, die Kafiya, übernommen und als sogenanntes Pali-Tuch von vielen politisch korrekten (oder modebewussten) jungen Leuten getragen wurde. Noch erstaunlicher war, dass sich auch ihr Führer Arafat großer Beliebtheit erfreute – trotz seiner terroristischen Handlungen und seines persönlichen korrupten Verhaltens. Dazu beigetragen hatten die öffentlichen Auftritte Arafats in einer martialischen Phantasieuniform mit Pistolengürtel und Palästinensertuch. Völlig unentschuldbar ist schließlich, dass man auch im Westen und gerade in Deutschland so viel Verständnis für seinen radikalen und temporär sogar eleminatorischen Antisemitismus gezeigt hat. Insgesamt gibt es viele und auch gute Gründe, die PLO als faschistisch einzustufen. Dass dies bisher kaum geschehen ist, liegt daran, dass die PLO beziehungsweise ihre Kernfraktion „Fatah“ (Sieg) mit dem „Hamas“ genannten palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft einen Konkurrenten und Feind bekommen hat, der eindeutig als faschistisch, genauer gesagt fundamentalistisch-faschistisch einzustufen ist. Gründer und Ideologen der Muslimbruderschaft waren die Ägypter Hassan al-Banna und Sayyid Qutb.38 Hassan al-Banna und Sayyid Qutb Der 1906 in Ägypten geborene und aufgewachsene Hassan al-Banna hatte sich zunächst gegen die britische Kolonialherrschaft in seiner Heimat gewandt. Für sie und für den gesamten Niedergang der arabischen und islamischen Welt machte er dann jedoch „den Westen“ insgesamt verantwortlich. Notwendig seien eine Rückkehr zu den Idealen des Islam und eine rücksichtslose Bekämpfung aller „westlichen“ und aufklärerischen Bestrebungen. Zur Erreichung dieses Ziels gründete al-Banna 1928 die „Muslimbruderschaft“, welche sofort in verschiedenen arabischen Ländern regen Zulauf erhielt und 1944 allein in Ägypten über 500 000 Mitglieder verfügte. Damit war sie zu einer Gefahr für den inneren Bestand des ägyptischen Staates geworden, weshalb sie verboten wurde. Gegen dieses
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Verbot wehrten sich die Muslimbrüder durch Terroranschläge, die wiederum mit staatlichem Terror beantwortet wurden. Dabei kam auch Hassan al-Banna um. Er wurde am 12. Februar 1949 erschossen. Sein formaler Nachfolger war Hassan al-Hudaybi, doch zum eigentlichen Führer und Ideologen der Muslimbruderschaft wurde Sayyid Qutb.39 Sayyid Qutb wurde wie Hassan al-Banna im Jahr 1906 geboren und war nach Schule und Universität Lehrer geworden. Daneben betätigte er sich als Literat und regierungskritischer Journalist. Dies brachte ihm den Zorn König Faruks I. ein, der Qutb jedoch nicht ins Gefängnis, sondern in die USA sandte, wo er sich mit dem dortigen Bildungssystem beschäftigen sollte. Gebildet und zum Anhänger der westlichen Demokratie geläutert wurde Sayyid Qutb dort jedoch keineswegs. Stattdessen fühlte er sich von dem in Amerika tatsächlich herrschenden Rassismus und der vermeintlichen Promiskuität geradezu abgestoßen. Für Qutb war Amerika nicht God’s own country, sondern das Land des Teufels schlechthin, das nicht Gott, sondern das Geld anbetete. Dies leitete bei dem trotz allem schon sehr verwestlichten Qutb die Rückwendung zum Islam ein und bewog ihn letztlich, 1951 der islamistischen Muslimbruderschaft beizutreten. Innerhalb der Muslimbruderschaft avancierte Sayyid Qutb sehr schnell zu einem Parteiideologen, der sich mit den inzwischen von Nasser angeführten „Freien Offizieren“ heftige öffentliche Schlagabtausche lieferte. Dies brachte ihm den Respekt seiner Parteifreunde, aber zugleich die Feindschaft Nassers ein. Nachdem ein Mitglied der Muslimbruderschaft 1954 ein – gescheitertes – Attentat auf Nasser ausgeübt hatte, wurde Qutb unter dem Vorwurf der Mittäterschaft verhaftet und 1955 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Noch während seiner Haftzeit schrieb er dann seine Hauptwerke Im Schatten des Koran und Zeichen auf dem Weg. Zentrale Gedanken sind die Ablehnung sowohl der westlichen Demokratie wie des östlichen Sozialismus und das Bekenntnis zu einer direkten und totalen Herrschaft Gottes auf Erden, was durch die Wiedereinführung und absoluten Beachtung der islamischen Rechtsordnung Scharia erreicht werden sollte. Dies legitimierte zugleich die Bekämpfung derjenigen Muslime, die der von Qutb verkündeten reinen Lehre nicht folgen wollten und in ihrem Zustand der „Unwissenheit“ verharrten. Allen Ungläubigen, welche die „Gottesherrschaft“ nicht anerkannten, wurde zugleich der religiös begründete Krieg erklärt, wobei
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bereits Qutb den Begriff „Dschihad“ verwandte. Zu Hauptzielen und Hauptopfern dieses, wie man nun wirklich sagen kann, „Heiligen Krieges“ sollten „die Juden“ werden, was Qutb in einem schon 1950 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel „Unser Kampf mit den Juden“ auch offen aussprach. Schon wegen dieses radikalen Antisemitismus weist die von Qutb verkündete islamistische Ideologie eine fatale Nähe zur faschistischen auf. Hinzu kamen die antidemokratischen, antisozialistischen und generell antiaufklärerischen Elemente. Dennoch war Qutb „nur“ der Ideologe des islamistischen Faschimus. Zum islamistischen beziehungsweise fundamentalistischen Faschisten ist er deshalb nicht geworden, weil Nasser ihn 1966 zum Tode verurteilen und hinrichten ließ. Seine fundamentalistisch-faschistische Ideologie ist aber dann von vielen anderen Islamisten aufgegriffen worden, die dadurch zu fundamentalistischen Faschisten geworden sind. Dies trifft unter anderem auf die Mitglieder des palästinensischen Flügels der Muslimbruderschaft zu, der sich kurz „Hamas“ (Widerstandsbewegung) nennt und seinen mit terroristischen Methoden geführten Vernichtungskampf gegen Israel mit dem Hinweis auf die Ideologie Qutbs legitimiert.40 Deutlich wird dies an der nie revidierten und heute noch gültigen „Charta“ der Hamas aus dem Jahr 1989. Darin versteht sich die Hamas als „Glied in der Kette des Heiligen Krieges“ und bekennt sich ohne Einschränkung zur totalen Vernichtung Israels.41 Wer im „Heiligen Krieg“ gegen den „Zionismus“ falle, sterbe im „Dienst Allahs“. Zu diesen religiösen kommen Elemente des rassistischen Antisemitismus. So wird ausführlich aus den Protokollen der Weisen von Zion zitiert und Israel als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. Gleichzeitig wird jedoch Israel des Rassismus bezichtigt und ihm die Instrumentalisierung des Holocaust zum Zwecke der Legitimierung seiner Eroberungspolitik vorgeworfen. Die Juden beziehungsweise, wie sie konsequent und abschätzig genannt werden, die „Zionisten“ hätten sich Palästina mit Hilfe des „Weltimperialismus unter Führung der USA“ widerrechtlich angeeignet42 und würden darüber hinaus die Herrschaft über das gesamte Land vom Euphrat bis zum Nil anstreben. Letzteres wird wiederum mit dem Hinweis auf die Protokolle der Weisen von Zion begründet. Im zukünftigen „Islamischen Palästina“ würden Juden allenfalls als „Schutzbefohlene“ (arabisch: ahl al-dhimma) geduldet, hätten aber das islamische
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Recht (Scharia) zu respektieren, dessen Einhaltung wiederum von „islamischen Komitees“ kontrolliert werden würde. Der Staat Israel habe von der Landkarte zu verschwinden. Wie wir wissen, sind diesen hasserfüllten Worten ebensolche Taten gefolgt: Angriffe auf israelische Städte und Selbstmordattentate auf einzelne Bürger. Ausgeführt wurden sie von Mitgliedern der Hamas, die dazu in besonderen Einheiten geschult wurden. Zu diesen Selbstmordverbänden kommen noch paramilitärische, deren Mitglieder sich auch in der Öffentlichkeit zeigen und bewaffnet und in einer Art Uniform durch die Straßen des Gaza-Streifens marschieren. Die Ähnlichkeit mit den italienischen squadristi und den deutschen SA-Männern ist fatal und ganz offensichtlich auch gewollt. Was bei der PLO zweifelhaft ist, kann für die Hamas bejaht werden: Wir haben es hier mit einer fundamentalistisch-faschistischen Organisation zu tun, die ganz offen einen neuen Völkermord an den in Israel lebenden Juden anstrebt. Dieses Ziel könnte sie mithilfe eines ebenfalls fundamentalistisch-faschistischen Staates erreichen, der wohl in Kürze über die dazu notwendigen militärischen Machtmittel, einschließlich der Atombombe, verfügt: des von Khomeini gegründeten iranischen „Gottesstaates“. Khomeini Ruhollah Khomeini wurde 1902 als Ruhollah Musavi in der Kleinstadt Khomein geboren, nach der er sich später nannte.43 Sein Vater war ein islamischer Geistlicher. Der junge Khomeini folgte seinem Beispiel. Im Alter von 15 Jahren brach er den Schulbesuch ab, um sich zunächst in Arak, dann in Qom zum islamischen Rechtsgelehrten ausbilden zu lassen. Dieses „Studium“ schloss er 1936 mit dem Erwerb des Titels eines Mudjahid ab, um danach in Qom islamisches Recht und Philosophie zu lehren. Khomeini war bis dahin einer von vielen islamischen Geistlichen. Nichts deutete darauf hin, dass er Politiker werden wollte. Doch dies änderte sich schlagartig, als der bis dahin völlig unbekannte Ajatollah am 22. März 1963 seine iranischen Landsleute dazu aufforderte, sich gegen den Schah zu erheben. Die gepredigte „Revolution“ begründete Khomeini religiös – genauer mit dem Dschihad-Gedanken. Dies war neu und unerhört. Die Reaktion des Schah-Regimes ließ nicht auf sich warten. Khomeini wurde verhaftet, aber auf Druck des Großajatollahs wieder freigelassen und unter Hausarrest gestellt.
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Doch dies scheint auf Khomeini keinen großen Eindruck gemacht zu haben. Am 28. Oktober 1964 hielt er eine erneute öffentliche Schmährede gegen den Schah. Daraufhin wurde Khomeini in die Türkei abgeschoben, die er jedoch bald wieder verließ, um zunächst in den Irak und schließlich ins französische Exil zu gehen. Hier verfasste er sein Hauptwerk Der islamische Staat. Seine Grundgedanken gehen auf Seyyed Nabawi Safawi zurück, der schon 1941 eine Organisation namens „Feddajin-e Islam“ („die sich für den Islam aufopfern“) gegründet hatte.44 Ihr Ziel war die Errichtung eines islamischen Staates, in dem die Scharia herrschen und der einen Dschihad gegen den Westen führen sollte. Khomeini brachte dies mit folgenden Worten auf den Punkt: „Der islamische Staat ist ein Staat des Gesetzes. In dieser Staatsform gehört die Souveränität einzig und allein Gott. Das Gesetz ist nichts anderes als der Befehl Gottes.“ Khomeini forderte also nichts anderes als einen theokratischen Gottesstaat. Ein atavistischer Rückfall in längst vergangene Zeiten oder eine negative Utopie, die an die faschistische vom totalitären „Rassenstaat“ erinnerte. Viele westliche Medien wollten in Khomeini nicht das sehen, was er war, nämlich ein äußerst gefährlicher Fanatiker, sondern stellten ihn als einen im Grunde harmlosen, ja gütigen islamischen Geistlichen dar. Zu dieser Fehlwahrnehmung hatte aber auch Khomeini selber beigetragen – zeigte er sich der Öffentlichkeit doch nicht als islamistischer (oder faschistischer) Führer, sondern als einfacher und frommer Iman, der sich um das Seelenheil seiner Landsleute und Glaubensgenossen sorgte und keinerlei politische Ambitionen hatte. Die Bilder des weißbärtigen Khomeini mit Turban und Kaftan, der sich meist im Schneidersitz hockend ablichten ließ, machten im Westen die Runde. Sie vermittelten den offensichtlich erwünschten friedfertigen Eindruck, wodurch sich Khomeini so vorteilhaft von dem pomphaften und gewaltsamen Schah zu unterscheiden schien, dessen diktatorisches Regime jetzt als verbrecherisch erkannt und entsprechend kritisiert wurde. Die Macht der Bilder verschaffte Khomeini auch in Persien selber Macht.45 Er wurde zum Symbol und zur Leitfigur des Widerstandes gegen das Schah-Regime. Obwohl er scheinbar völlig hilf- und machtlos im fernen Pariser Exil saß, konnte er den Kontakt zur innerpersischen Opposition aufrechterhalten und auf sie einen immer stärker wer-
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denden Einfluss ausüben. Seine Ansprachen und Botschaften an das iranische Volk wurden mithilfe von Tonband-Kassetten in den Iran geschmuggelt, wo sie auf eine immer breiter werdende Zustimmung stießen. Zunächst bei seinen Amtsbrüdern, die Anfang 1978 in Qom eine Sympathiekundgebung für Khomeini veranstalteten, die von der Armee gewaltsam aufgelöst wurde. Dabei starben 80 Menschen. Bei den Unruhen, die im Fastenmonat Ramadan des gleichen Jahres in Teheran stattfanden, gab es mehre Tausende von Toten. Das Regime verlor zunehmend die Kontrolle, was schließlich den Schah dazu veranlasste, am 16. Januar 1979 fluchtartig das Land zu verlassen. Jetzt war die Stunde Khomeinis gekommen. In Begleitung von 150 Journalisten, die einen entsprechenden Medienrummel veranstalteten, kehrte er am 1. Februar 1979 nach Teheran zurück. Seine Anhänger bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. Millionen säumten die Straßen, als er durch Teheran fuhr, um – auch dies eine geschickte PRAktion – zunächst den dortigen Märtyrerfriedhof zu besuchen. Die politische Machtergreifung erfolgte umgehend und Schlag auf Schlag: Schon vier Tage nach seiner Ankunft setzte Khomeini eine Gegenregierung unter Mehdi Bazargan ein. Der noch amtierende Ministerpräsident Schapur Bachtiar beugte sich diesem Druck und trat am 11. Februar 1979 zurück. Alle noch im Lande befindlichen schahtreuen Politiker wurden daraufhin verhaftet. Die Gegenwehr der Armee wurde schon im Ansatz durch Terror gebrochen. Zahlreiche Offiziere wurden verhaftet und die meisten davon sofort hingerichtet. Nachdem auch die übrigen Oppositionsgruppen in dem neu gebildeten Revolutionsrat ausgeschaltet worden waren, konnte Khomeini am 1. April 1979 die „Islamische Republik Iran“ ausrufen.46 Wer in ihr das alleinige Sagen hatte, wurde in der neuen Verfassung vom 3. Dezember 1979 festgesetzt. Niemand anders als Khomeini selber. Er war alleiniger Revolutionsführer, Führer der (später aber wieder aufgelösten) „Islamisch Republikanischen Partei“ (IRP), oberster Rechtsgelehrter und Stellvertreter des 12. Imans auf Lebenszeit.47 Khomeini allein stand das Recht zu, die formal gewählten Präsidenten (zunächst Bazargan, dann Bani-Sadr) der „islamischen Republik“ einund abzusetzen. Gestützt auf die ihm offensichtlich widerspruchslos folgende Geistlichkeit sowie die später geschaffenen paramilitärischen Verbände der Revolutionswächter („Pasdaran“) und ihrer Jugendorganisation der
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„Bassidschi“48 baute Khomeini sein fundamentalistisch-faschistisches Regime weiter aus: Alle Parteien, auch die einst mit ihm verbündeten, wurden verboten. Die Universitäten wurden geschlossen und erst nach einer „Reinigung“ im islamistischen Sinne wieder eröffnet. Nahezu alle Banken und Industriebetriebe wurden verstaatlicht und jegliche Opposition im Keim erstickt. Alles erfolgte mit begeisterter Zustimmung großer Teile des Volkes, vor allem der unteren Schichten und der Studenten. Zu dieser Popularität beigetragen hatten auch die ersten Verbrechen des Regimes. So die gegen zentrale Prinzipien des Völkerrechts verstoßende Besetzung der amerikanischen Botschaft, mit der Khomeini von den USA die Auslieferung des Schahs erzwingen wollte. Als sich diese weigerten, wurden die Angehörigen der amerikanischen Botschaft in Geiselhaft genommen und erst ein Jahr später wieder freigelassen. Die Demütigung der USA, denen es nicht gelang, die Geiseln vorher zu befreien, rief eine weitere Stärkung Khomeinis hervor. Das galt auch für seine unnachgiebige Haltung im ersten Golfkrieg, der 500 000 Iranern das Leben kostete. Die hohe iranische Verlustzahl war auch der von Khomeini angeordneten Kriegführung geschuldet. Dabei sollte die militärische Überlegenheit der irakischen Truppen durch den Masseneinsatz von meist jungen und militärisch kaum ausgebildeten und bewaffneten Iranern ausgeglichen werden. Diese „Bassidschi“ wurden gegen die feindlichen Stellungen getrieben, um so einen Schutzschild für die nachfolgenden eigentlichen Truppen zu bilden. Dabei kamen auf einen getöteten irakischen Soldaten häufig tausend und noch mehr iranische Opfer. Zu den Verbrechen an der Front kamen die im Hinterland. Tausende von tatsächlichen oder angeblichen Regimegegnern sowie Männer und Frauen, die gegen die neuen rigiden Moralvorschriften verstoßen hatten, wurden erschossen, durch den Strang hingerichtet oder gesteinigt, darunter auch viele Homosexuelle. Die genaue Zahl dieser Opfer ist zwar nicht bekannt, sie dürfte aber höher als die im faschistischen Deutschland vor dem Holocaust sein. Die Zahl der iranischen Emigranten übersteigt die der deutschen (auch unter Einberechnung der Juden) sogar um ein Vielfaches. Bis 1982 waren es 2,5 Millionen. Nicht quantifizierbar, aber ebenfalls mit dem Dritten Reich vergleichbar ist das Ausmaß der Kontrolle der iranischen Bevölkerung durch die Polizei, die allgegenwärtigen Pasdaran und Bassidschi und nicht zuletzt
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auch durch die Nachbarschaften und Familien, die von Khomeini höchstpersönlich zur gegenseitigen Denunziation aufgefordert wurden. Zum Terror gegenüber der eigenen muslimischen Bevölkerung kam die Verfolgung von religiösen Minderheiten wie der Bahai und auch der Juden, was die meisten der noch im Iran verbliebenen Juden veranlasste, das Land fluchtartig zu verlassen. Insgesamt waren es 35 000.49 Der von Anfang an vorhandene und von Khomeini auch geschürte Antisemitismus richtete sich dann aber vornehmlich gegen den Staat Israel. Dieser sollte nach dem Willen Khomeinis von der Landkarte gefegt werden. Zu diesem deutlich genug ausgesprochenen Zweck hat Khomeini den sogenannten Al-Quds-Tag (Jerusalemtag) ausgerufen, an dem für die „Befreiung“ Jerusalems und die Vernichtung Israels gebetet und demonstriert wird. Keineswegs nur im Iran, sondern weltweit. Bis vor Kurzem auch in Berlin, wo sich auch einige Linke an diesem antisemitischen Festival beteiligten. Insgesamt besteht kein Zweifel: Khomeinis „islamischer Gottesstaat“ kann als fundamentalistisch-faschistisch eingestuft werden. Dies auch deshalb, weil er seinen Gründer und Repräsentanten, den 1989 gestorbenen Khomeini, überlebt hat. Der heutige Iran wird nach wie vor von einer Priesterkaste beherrscht, in der wiederum ein Ajatollah (gegenwärtig Ali Khamenei) das Sagen hat. Die formal weltliche Regierung unter einem Präsidenten (gegenwärtig Mahmud Ahmadinedschad) wird von einem aus Geistlichen gebildeten sogenannten Wächterrat kontrolliert. Das Volk hat weiterhin nichts zu sagen und wird bis in die Privatsphäre hinein von den Pasdaran und Bassidschi kontrolliert, die damit die Funktion ausüben, die sonst faschistische Parteien haben. Andererseits wird die Bevölkerung mit sozialen Wohltaten geködert, die der Iran mit seinen Erdölexporten finanzieren kann. Jeder politische Widerstand und jeglicher Verstoß gegen die islamistischen Moralvorstellungen werden von der Geheimpolizei unterbunden und von Scharia-Gerichten bestraft. Unnötig zu sagen, dass dies alles gegen die universalen Werte von Menschenrecht und Menschenwürde verstößt. Hinzu kommt die Fortsetzung des bereits von Khomeini gepredigten eliminatorischen Antisemitismus.50 Zu seinem Sprecher hat sich Präsident Ahmadinedschad gemacht, der Israel einen neuen, einen nuklearen Holocaust androht und die Existenz des ersten leugnen lässt. Letzteres unter dem Beifall von Antisemiten und Auschwitzleugnern aus aller Welt. Einige deutsche Faschisten zeigen sich daher seit Kurzem in
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der Öffentlichkeit mit Bildern und Symbolen ihrer iranischen Gesinnungsgenossen. Offene Bewunderung erregt das iranische Beispiel auch in anderen Teilen der islamischen Welt. Der iranische Faschismus scheint hier zum Exportartikel zu werden. Zumindest davon beeinflusst war das TalibanRegime in Afghanistan. Direkt von Teheran gesteuert (und finanziert) ist die im Libanon agierende „Partei Gottes“ (Hizbollah), die im Mai 2008 als gleichberechtigter Partner an der libanesischen Regierung beteiligt worden ist. Dies trotz ihrer innerhalb und außerhalb des Libanon ausgeführten terroristischen Gewalttaten. Die Hizbollah hat sich von einer Terrorgruppe zu einer fundamentalistisch-faschistischen Partei entwickelt. Dies trifft möglicherweise auch auf eine andere islamistische Bewegung zu, die sich „Internationale Front für einen Dschihad gegen die Juden und Kreuzfahrer“ nennt. Sie wird im Westen aber nur als terroristische Organisation wahrgenommen. Ihr Gründer und Führer ist Osama bin Laden. Osama bin Laden Osama bin Laden wurde 1957 als 17. (von insgesamt 52) Kind eines reichen Bauunternehmers im saudiarabischen Dschidda geboren. Er studierte zunächst Bauwesen, um in der Firma seines Vaters tätig zu werden. Doch dann kam er in Kontakt mit einigen Islamisten, die ihn dazu veranlassten, 1980 nach Afghanistan zu gehen, um hier die sowjetischen Invasoren zu bekämpfen. Zu diesem Zweck gründete er mit eigenem und vermutlich auch mit US-amerikanischem Geld eine Organisation, die schlicht „Basis“ (al-Kaida) genannt wurde, weil sie die kämpfenden Mudschahedin mit Waffen, vor allem mit den wirkungsvollen Stinger-Raketen versorgte. 1988 kehrte Osama bin Laden in seine Heimat Saudi-Arabien zurück. Hier geriet er in Konflikt mit dem dortigen feudal-fundamentalistischen Regime, weil Osama die saudiarabische Unterstützung der USA im zweiten Golfkrieg kritisierte. 1992 aus Saudi-Arabien ausgewiesen, ging Osama zunächst in den Sudan, wo er eine neue Organisation ins Leben rief, die sich wie die in Afghanistan „Al-Kaida“ nannte. Sie unterstützte zunächst bosnische Muslime, um dann Terrorakte gegen vornehmlich US-amerikanische Einrichtungen zu begehen. Dabei zog AlKaida eine immer länger werdende und immer mehr Opfer fordernde Blutspur durch verschiedene Länder der Welt:
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Ferner und Naher Osten
Dem – ersten – Anschlag auf das New Yorker World Trade Center fielen 1993 sechs Menschen zum Opfer. 1995 wurden sieben US-Soldaten im saudiarabischen Riad ermordet. Ein Jahr später, 1996, waren es 19 im ebenfalls saudiarabischen Dharan. Die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Darassalam forderten 224 Menschenleben. Höhe- aber keineswegs Endpunkt des Terrorfeldzuges von Al-Kaida war dann der Anschlag vom 11. September 2001 mit mehr als 3000 Toten. Am 11. April 2002 starben auf der tunesischen Ferieninsel Djerba mehrere Touristen. Ein Jahr später wurden in Riad 35 Menschen ermordet. Der vorläufig letzte große Terroranschlag forderte am 11. März 2004 in Madrid 191 Tote. Dies alles waren durch nichts und durch niemanden zu rechtfertigende illegale Gewalttaten beziehungsweise Akte des Terrors. Daher ist Al-Kaida auch als terroristische Organisation eingestuft worden.51 Dies ist sicherlich richtig, aber problematisch. Wird der Begriff Terrorismus doch äußerst vage und unbestimmt definiert.52 Es gibt Hunderte, sich zum Teil völlig widersprechende Definitionen. „Terrorismus“ ist, wie Noam Chomsky spöttisch angemerkt hat, eher ein „Produkt des politischen Diskurses“ als ein feststehender und präzise definierter politikwissenschaftlicher Begriff.53 Was „Terrorismus“ ist oder sein soll, entscheidet meist der, der von „Terrorismus“ spricht.54 Schon deshalb sollte man bei seiner Verwendung äußerst vorsichtig sein. Der amerikanische Präsident George W. Bush war es ohne Zweifel nicht. Hat er doch nicht nur Osama bin Ladens Al-Kaida, sondern auch sogenannten Schurkenstaaten den war on terrorism erklärt, wobei er in diesem Zusammenhang auch von „Kreuzzug“ sprach. Angesprochen fühlten sich dadurch keineswegs nur islamistische Terroristen vom Schlage bin Ladens, sondern Islamisten generell. Sie beantworteten den Aufruf von Präsident Bush zu einem antiislamischen Kreuzzug mit dem islamischen Dschihad-Gedanken. Zu ihrem Sprecher machte sich Osama bin Laden, der seine Al-Kaida in „Internationale Front für einen Dschihad gegen die Juden und Kreuzfahrer“ umbenannte. War dieser Namenswechsel nur ein – geschickter – Propagandacoup oder steckt mehr dahinter? Konkret: Handelt es sich bei dieser „Internationalen Front für einen Dschihad gegen die Juden und Kreuzfahrer“ nicht mehr „nur“ um eine terroristische, sondern um eine fundamentalistisch-faschistische Organisation, die bei ihrer Bekämpfung von „Juden und (amerikanischen) Kreuzfahrern“ terroristische Methoden
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in einer neuen Quantität und Qualität einsetzt, wie sie selbst den faschistischen Parteien so nicht bekannt und geläufig waren?55 Angesichts der unzureichenden und häufig von propagandistischen Selbst- und Fremddarstellungen bestimmten Informationen, die wir über Osama bin Laden und seine weltweit operierende Organisation besitzen, können diese Fragen nicht beziehungsweise noch nicht beantwortet werden. Sie zu stellen ist aber ebenso notwendig wie berechtigt. Besitzt Osama bin Ladens „Internationale Front“ doch ganz offensichtlich weit größere materielle und personelle Ressourcen, als sie alle bisher bekannten terroristischen Organisationen hatten, die sich noch dazu auf einen regional eng begrenzten Radius konzentrierten. Im Unterschied zu den meisten terroristischen Organisationen verfügt Osama bin Ladens Bewegung zudem über eine Ideologie, in deren Zentrum ein eliminatorischer Antisemitismus steht und der in großen Teilen der islamischen Welt auf Zustimmung stößt. Dies gilt auch für die unter Hinweis auf diese Ideologie begangenen unfassbaren Verbrechen. Wenn, was zwar nicht bewiesen, aber zu vermuten ist, Osama bin Laden auch versteckte oder gar offene Unterstützung seitens des fundamentalistisch-faschistischen Regimes im Iran erfährt, dann scheint von dieser islamistischen Variante des Faschismus die größte Gefahr auszugehen.
„Hat es Faschismus überhaupt gegeben?“ – Zusammenfassung und Ausblick
„Hat es Faschismus überhaupt gegeben?“ – lautete die Überschrift eines Aufsatzes, den ich vor zehn Jahren verfasst habe.1 Diese Frage war keineswegs scherzhaft oder rhetorisch gemeint. Die Zweifel an der Legitimität eines generischen, das heißt nicht allein auf Italien bezogenen Faschismusbegriffs hatten sich nämlich derart gemehrt, dass die Existenz des (generischen) Faschismus ernsthaft in Zweifel gezogen wurde. „Faschismus“ war oder schien zumindest nur ein politisches Schlagwort zu sein, das von einigen Linken als politische Waffe verwandt wurde. Daher wurde die gesamte Faschismusforschung unter Ideologieverdacht gestellt. In Deutschland schien sie sogar gänzlich „abgewickelt“ zu sein. An die Stelle des angeblich falschen und politisch belasteten Faschismus- sollte der angeblich unbelastete und wissenschaftlich korrekte Totalitarismusbegriff treten. All diese Gegenargumente und Alternativvorschläge waren zwar ebenfalls kritikwürdig und nicht zuletzt auch politisch motiviert, dennoch bestand kein Zweifel, dass die theoretische und empirische Faschismusforschung selber zu dieser – keineswegs nur von mir beklagten – Situation beigetragen hatte. Dies aus mehreren Gründen: Einmal, weil sich die jahrzehntelang betriebene Suche nach einer alles erklärenden und noch dazu meist monokausalen Faschismustheorie als erfolglos erwiesen hatte.2 Zum anderen, weil die wesentlich von Ernst Nolte begonnene vergleichende empirische Forschung nicht intensiv genug weiterbetrieben worden war, um die Zweifel an der Legitimität eines generischen Faschismusbegriffs ausräumen zu können. Wo sie stattfand, hatte sie sich fast ausschließlich auf die Analyse des europäischen Faschismus der Zwischenkriegszeit konzentriert, was schon im Ansatz problematisch und nicht geeignet war, die Existenz eines generischen und daher notwendigerweise globalen und epochenübergreifenden Faschismus zu beweisen. Hinzu kam schließlich drittens, dass auch die älteren und neueren Versuche, eine ideal- oder realtypische Definition
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des Faschismus zu entwickeln, keinesfalls allgemein anerkannt wurden und auf berechtigte Kritik stießen. Die gesamte theoretische und empirische Faschismusforschung war in eine Sackgasse geraten und befand sich ohne Zweifel in einer Krise. Neue und andere Wege mussten gesucht und eingeschlagen werden. Dies ist in dieser Arbeit versucht worden. Einmal im Hinblick auf ihre erweiterte, nämlich globale und epochenübergreifende Perspektive. Zum anderen in definitorischer Hinsicht durch die Präzisierung eines Faschismusbegriffs, der eine Differenzierung des Faschismus in drei Varianten möglich macht. Als faschistisch im engeren und klassischen Sinne gelten alle Bewegungen, die im Hinblick auf Ideologie, Erscheinungsbild und politischen Stil sowie die Art und Weise ihrer Machtergreifung und Machtsicherung große Ähnlichkeiten mit dem namengebenden und stilbildenden italienischen Faschismus aufweisen. Als bonapartistisch-faschistisch sind Regime zu charakterisieren, die Elemente der faschistischen Ideologie übernehmen und sich zur Sicherung ihrer Macht neu gegründeter Einheitsparteien bedienen, welche die Funktionen übernehmen, die sonst von den „klassischen“ faschistischen Parteien ausgeübt werden, nämlich die Bevölkerung sowohl zu kontrollieren wie zu mobilisieren. Fundamentalistisch-faschistisch sind Bewegungen und Regime, die im Hinblick auf ihre terroristische und auf eine totale Erfassung der Bevölkerung abzielende Politik Ähnlichkeiten sowohl mit den bonapartistischwie den klassisch-faschistischen Regimen aufweisen, dies aber mit einer Ideologie begründen, die neben originär faschistischen auch religiöse beziehungsweise pseudoreligiöse Elemente enthält. Mithilfe dieser differenzierten Definition und unter der erwähnten erweiterten Perspektive konnte gezeigt werden, dass es Faschismus in allen drei Varianten sowohl in Europa wie in einigen anderen Teilen der Welt und sowohl vor wie nach 1945 gegeben hat. Faschismus ist daher als ein globales und epochenübergreifendes Phänomen zu begreifen, das jedoch in den einzelnen Zeitabschnitten und auf den verschiedenen Kontinenten in etwas unterschiedlicher Form in Erscheinung getreten ist. Im Westeuropa der Zwischenkriegszeit meist in der klassischen Form, das heißt in Gestalt von größeren und kleineren Bewegungen, die sich alle am Vorbild der italienischen Faschisten orientiert haben. Zur Macht gelangt ist aber neben der italienischen nur noch die deutsche faschisti-
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Zusammenfassung und Ausblick
sche Partei. Das faschistische Regime in Deutschland hat sich dann aber als viel totaler und terroristischer erwiesen als das italienische. Um dies zu verdeutlichen, könnte man das sogenannte Dritte Reich auch als „radikalfaschistisch“ einstufen. Die Diktaturen in Österreich und Spanien sind dagegen nicht durch die Machtergreifung einer faschistischen Partei entstanden. Diese ist nämlich entweder mit der neuen Einheitspartei verschmolzen oder überhaupt ganz neu als faschistische Staatspartei gegründet worden. Ersteres war in Spanien, letzteres in Österreich der Fall. Stärkste Stütze des jeweiligen Regimes war jedoch die katholische Kirche, die einige Elemente der faschistischen Ideologie übernommen und mit ihrer fundamentalistischen vermengt hatte. Daher können das Dollfuß/Schuschnigg-Regime in Österreich und das Francos in Spanien als fundamentalistisch-faschistisch eingeschätzt werden. Alle genannten faschistischen Regime sind 1945 ruhmlos untergegangen, das von Franco aber erst 1975. Doch nicht die von ihren Repräsentanten vertretenen Ideologien. Sie wirkten nämlich weiter. Außerdem hat es in mehreren westeuropäischen Ländern Bewegungen gegeben, die sich am Vorbild der faschistischen Parteien der Zwischenkriegszeit orientiert haben oder gar deren direkte Nachfolge angetreten sind.3 Die meisten dieser faschistischen oder neofaschistischen Parteien blieben jedoch äußerst schwach. Einige verschwanden schnell wieder von der politischen Bildfläche. Wirklich stark und gefährlich sind heute nur zwei: einmal der „Vlaams Belang“ in Belgien und zum anderen die Partei Gianfranco Finis in Italien. Sie ist aus der faschistischen Mussolinis und der neofaschistischen des Ex-Faschisten Almirante hervorgegangen, was jedoch von ihren Vertretern geleugnet und durch verschiedene Namenswechsel vertuscht worden ist. Diese Mimikry kann jedoch nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen. Was bei der belgischen faschistischen Partei erst droht, ist nämlich bei der italienischen schon Realität: der Griff zur Macht. Schon zum dritten Mal ist sie auf nationaler Ebene in einer Koalitionsregierung vertreten. In dieser gibt es mit der „Lega Lombarda“ Umberto Bossis noch eine andere Partei, die wegen ihrer fremdenfeindlichen und rassistischen Ideologie und Propaganda ebenfalls Ähnlichkeiten mit den faschistischen Bewegungen aufweist. Bedenkt man schließlich, dass der Regierungschef Berlusconi mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes über Teile Italiens, den Einsatz der Armee im Innern und durch
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den Erlass eines Gesetzes, das ihn persönlich vor allen strafrechtlichen Verfahren schützt, eine Politik betreibt, die mit zentralen Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar ist – dann ist die schon vielfach geäußerte Befürchtung nicht völlig von der Hand zu weisen, dass sich die Geschichte wiederholen kann. Und dies ausgerechnet im Ursprungsland des Faschismus. Ähnliche Gefahren drohen in einigen Ländern Osteuropas. Doch dies wird immer noch kaum bemerkt – aus zwei Gründen: Einmal, weil schon die Diktaturen, die es in fast ganz Osteuropa in der Zwischenkriegszeit gegeben hat, nicht als das angesehen werden, was sie waren, nämlich faschistisch in der bonapartistischen und fundamentalistischen Variante.4 Zum anderen, weil man immer noch meint, dass die Geschichte des osteuropäischen Faschismus mit der nachfolgenden kommunistischen Herrschaft zu Ende gegangen ist. Tatsächlich gibt es aber auch hier ideologische und selbst personelle Kontinuitäten5, die bis in die Gegenwart reichen. Einige der heutigen faschistischen Parteien bekennen sich auch ganz offen dazu und stellen sich ungeniert als Nachfolgerinnen der faschistischen Bewegungen und Regime der vorkommunistischen Zeit dar. Das ist vor allem im heutigen Ungarn6 sowie in Rumänien und teilweise auch in der Slowakei der Fall.7 Ähnliches gilt für Russland, wo es gleich mehrere faschistische Bewegungen gibt, die sich in ihrer Ideologie und ihrem Erscheinungsbild an dem Vorbild der präfaschistischen „Schwarzhunderter“ im zaristischen Russland orientieren. Andere bekennen sich offen zum deutschen Radikalfaschismus. Ihr weiterer Aufstieg ist schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil es am demokratischen Charakter des gegenwärtigen politischen Systems in Russland begründete Zweifel gibt. Einige Beobachter bezeichnen es bereits als bonapartistisch. Einen bonapartistischen und vielleicht sogar bonapartistisch-faschistischen Charakter hatten die Regierungen Mečiars in der Slowakei, Tudjmans in Kroatien und vor allem Miloševićs in Jugoslawien beziehungsweise Serbien. Bei diesen Politikern (zu denen noch Lukaschenko in Weißrussland zu rechnen ist) handelt es sich um ehemalige Kommunisten, die zu Nationalisten und möglicherweise auch Faschisten geworden sind und von denen zumindest einer, nämlich Milošević, unfassbare Verbrechen begangen hat, darunter auch Völkermord. Dies zeigt, dass es neben einer bonapartistisch-faschistischen auch eine kommunistisch-faschistische Kontinuität gibt oder zumindest
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Zusammenfassung und Ausblick
geben kann. Auf jeden Fall scheint der sonst immer nur in Deutschland vermutete faschistische „Schoß“ vor allem in Osteuropa besonders „fruchtbar“ zu sein. In den USA hat es zwar einen derartigen „faschistischen Schoß“ nicht gegeben, weil der demokratische Bestand dieses Landes immer bewahrt worden ist, dennoch gibt es auch hier faschistische Kontinuitäten. Sie gehen auf den schon im 19. Jahrhundert gegründeten Ku-Klux-Klan zurück, der sich selber zu einer faschistischen Bewegung gewandelt hat und Bündnisse mit anderen faschistischen Gruppierungen eingegangen ist. Maßgebend dafür waren die Ideologien sowohl des Rassismus wie des Antisemitismus und Antikommunismus, die sowohl vom Klan wie von einigen anderen faschistischen Bewegungen vertreten wurden und bis heute vertreten werden. Hinzu kommt der christliche, vor allem protestantische Fundamentalismus, der ebenfalls vielfältige Berührungspunkte mit der faschistischen Ideologie aufweist. Tatsächlich haben die meisten der heutigen faschistischen Gruppierungen in den USA einen fundamentalistischen Charakter. Dies macht sie zugleich so gefährlich, weil weitere Bündnisse zwischen den noch kleinen faschistischen Gruppierungen und den fundamentalistischen Massenbewegungen in den USA nicht auszuschließen sind. In den USA ist zudem die wichtigste und gefährlichste Institution beheimatet, die systematisch und weltweit den Holocaust leugnet, was zum zentralen Bestandteil der Ideologie des heutigen Faschismus geworden ist. Gemeint ist das „Institute for Historical Review“, das mit Holocaustleugnern und Faschisten aus aller Welt eng zusammenarbeitet. Ihr Führer ist oder scheint zumindest David Duke zu sein, der seine politische Karriere beim Ku-Klux-Klan begonnen hat. In den USA kommt die faschistische Gefahr also eindeutig von unten und keineswegs, wie unbelehrbare antiamerikanische Linke bis vor Kurzem noch munkelten, von oben in Gestalt der Bush-Regierung, der vorgeworfen worden ist, im außen- und innenpolitischen Bereich an den unseligen McCarthyismus der 1950er-Jahre anzuknüpfen. Beides kann man kritisieren, sollte es aber nicht als faschistisch denunzieren. Einen viel zu freigebigen Gebrauch des Faschismusbegriffs fand und findet man auch in Lateinamerika – sind doch keineswegs alle der mittel- und südamerikanischen Militärdiktaturen, deren Zahl im Übrigen zurückgeht, als faschistisch einzustufen, wie dies in Teilen der linken
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Faschismusdiskussion in Europa und Lateinamerika behauptet worden ist. Das trifft vor allem auf die Regime zu, die von der amerikanischen Regierung und einzelnen amerikanischen Firmen wie der mächtigen United Fruit Company in verschiedenen sogenannten Bananenrepubliken etabliert worden sind. Umstritten und insgesamt abzulehnen ist auch die Charakterisierung des Pinochet-Regimes in Chile als faschistisch. Damit ist natürlich keine Rechtfertigung des gerade in Chile praktizierten Terrors verbunden – es geht um die korrekte Anwendung des Faschismusbegriffs. Auf Chile und andere bonapartistische Militärdiktaturen ist er jedenfalls nicht anzuwenden. Wohl aber auf verschiedene faschistische Bewegungen, die es in einigen südamerikanischen Ländern gab und immer noch gibt. Doch keine von ihnen hat bisher die Macht ergreifen können. Ein diesbezüglicher Versuch der brasilianischen Integralisten wurde von dem Diktator Vargas abgewehrt, dessen sogenannter Neuer Staat schon aus diesen Gründen nicht als faschistisch einzustufen ist. Anders und komplizierter war die Lage in Argentinien unter Perón. Dessen Regime ist als bonapartistisch-faschistisch zu klassifizieren, weil es sich auf eine zwar künstlich geschaffene, aber dennoch als faschistisch zu charakterisierende Staatspartei stützte und eine Ideologie vertrat, die große Ähnlichkeiten mit der faschistischen hatte. Ein relativ geringes Ausmaß hatte dagegen der Terror angenommen. Perón konnte sich auf die integrative Wirkung seiner zunächst auch erfolgreichen Sozialpolitik verlassen. Hinzu kam die allgegenwärtige moderne Propaganda, in deren Mittelpunkt neben Perón vor allem seine Frau stand, die bei der Bevölkerung äußerst beliebt war und nach ihrem Tod fast wie eine Heilige verehrt wurde. All das hat zwar nicht Peróns Sturz im Jahr 1955 verhindert, aber seine fast zwanzig Jahre später erfolgte Wiederkehr ermöglicht. Das kurzfristige, aber in der Geschichte des Faschismus wirklich einmalige Comeback dieses faschistischen Diktators scheint ferner dazu geführt zu haben, dass sein Regime im Nachhinein verherrlicht wurde und heute geradezu in einem mythischen Glanz erscheint. Die Geschichte geht manchmal merkwürdige Wege. Für die Geschichte des afrikanischen Faschismus trifft das nicht zu. Denn sie ist kaum bemerkt und noch weniger erforscht worden. Das gilt selbst für den Faschismus in Südafrika. Gemeint ist das ApartheidRegime, das eine fundamentalistisch-faschistische Ideologie vertrat,
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deren Wurzeln tief in die Geschichte der burischen „Rassegesellschaft“ zurückreichen. Diese wurde von einigen fundamentalistisch-faschistischen Bewegungen aufgegriffen, welche die ideologischen und politischen Fundamente für die Errichtung des südafrikanischen „Rassenstaates“ gelegt haben. Er hatte ohne Zweifel einen faschistischen Charakter. Das haben in diesem Fall die Angehörigen der schwarzen Mehrheitsbevölkerung zu spüren bekommen. Die weiße Minderheit lebte dagegen in einem TeilStaat, in dem noch einige demokratische Grundsätze galten und eingehalten wurden, welche der schwarzen Mehrheit schon lange und fast völlig verwehrt worden waren. Beim Apartheid-Regime handelte es sich also um einen „Doppelstaat“, der aus einem faschistischen und einem noch halb demokratischen Teil bestand. So etwas hat es in der Geschichte noch nicht gegeben. Schon deshalb grenzt es fast an ein Wunder, dass diese halb faschistische Diktatur friedlich und fast ohne Blutvergießen gestürzt werden konnte. Doch genau wie man den Tag nicht vor dem Abend loben soll, erscheint alles Lob für den erfolgten Übergang zur Demokratie im ganzen Land verfrüht zu sein. Schließlich hat es in Südafrika keine wirkliche Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit gegeben, worüber auch die schon abgeschlossene Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission nicht hinwegtäuschen kann. Zu den Problemen der Vergangenheit kommen die ungelösten der Gegenwart. Im Sommer des Jahres 2008 wurde Südafrika von neuen Rassenkämpfen erschüttert. Dieses Mal jedoch nicht zwischen Weißen und Schwarzen, sondern zwischen eingewanderten und hier schon lange sesshaften Afrikanern. Ähnliche Erscheinungen kann man auch in einigen Ländern Schwarzafrikas beobachten. In einem – Ruanda – ist es bereits zu einem intendierten, rassistisch motivierten und auf eine totale Vernichtung der Tutsi-Minderheit abzielenden Genozid gekommen. Ausgeführt wurde er von einer Partei der Hutu-Mehrheit, die ohne Zweifel als faschistisch zu charakterisieren ist. Das scheint auch auf einige Regime zuzutreffen, die ebenfalls als faschistisch, genauer gesagt bonapartistisch-faschistisch angesehen werden können, weil sie neben ihrer diktatorischen Struktur und terroristischen Politik auch eine Ideologie aufweisen, die wegen ihrer Verbindung von rechten und linken Elementen große Ähnlichkeiten mit der des klassischen Faschismus in Europa hat.8
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Erstaunlich, dass diese faschistische Gefahr in Europa, und noch mehr in Afrika selber, so wenig erkannt worden ist. Für diese Fehlbeziehungsweise Nichtwahrnehmung ist einmal die Fremd- und Selbstviktimisierung des afrikanischen Kontinents verantwortlich. Die Afrikaner sehen sich nämlich immer noch als Opfer des europäischen Kolonialismus und werden auch von vielen Europäern so gesehen. Andere Europäer sind dagegen noch ganz in ihren alten Vorurteilen über den rückständigen und notorisch barbarischen schwarzen Kontinent befangen. Beide Sichtweisen verhindern die Wahrnehmung, dass Afrika zwar immer noch anders, aber eben nicht völlig anders ist als Europa. In vielen afrikanischen Ländern ist es zu einer gewissen Angleichung in wirtschaftlicher und auch politischer Hinsicht gekommen, was im Zeichen der Globalisierung nicht verwunderlich und auch unvermeidbar ist. Das ermöglicht zugleich die Anwendung von politischen Begriffen, die aus Europa stammen und anhand von europäischen Beispielen entwickelt worden sind. Das trifft meines Erachtens auch für den Faschismusbegriff zu. Was für Afrika noch umstritten ist, gilt mit Sicherheit für (Ost-)Asien. Denn hier hat es auch Faschismus gegeben. Hinzuweisen (aber im vorliegenden Buch nicht mehr behandelt) ist auf die faschistische Partei des Inders Subhash Chandra Bose und das Regime Suhartos in Indonesien. Was (das hier knapp behandelte) Japan angeht, so scheint mir die Anwendung des Begriffs fundamentalistischer Faschismus am geeignetsten zu sein. Das soll hier jedoch nicht noch einmal wiederholt und begründet werden. Stattdessen wenden wir uns vom Fernen dem Nahen Osten zu. In dieser ohnehin krisenhaften Region liegt heute der gefährlichste faschistische Brandherd. Dies in doppelter Hinsicht, haben wir es hier doch mit zwei Varianten des Faschismus zu tun. Einmal mit dem bonapartistischen Faschismus: Er wurde durch die Baath-Partei repräsentiert, die im Irak bis zum Sturz des dortigen Führers Saddam Hussein an der Macht war und in Syrien, wo Baschar al-Assad die Nachfolge seines Vaters Hafiz al-Assad angetreten hat, immer noch ist. Weit gefährlicher als dieser bonapartistische ist der fundamentalistische beziehungsweise islamistische Faschismus. Er hat verschiedene Väter. Zu nennen ist einmal der Großmufti von Jerusalem Amin al-Husseini. Ferner der Gründer der Muslimbruderschaft Hassan al-Banna und ihr Ideologe Sayyid Qutb und schließlich Ajatollah Khomeini. Diese und
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einige andere Islamisten haben sich nicht nur persönlich zu Faschisten gewandelt, sie haben entsprechende islamistisch-faschistische Bewegungen ins Leben gerufen. Dazu gehören die Muslimbruderschaft, deren palästinensischer Zweig Hamas heißt und bereits ein Terrorregiment im Gaza-Streifen errichten konnte, sowie eine verbrecherische Organisation, die sich gleichwohl „Partei Gottes“ (Hizbollah) nennt. Die wichtigste islamistisch-faschistische Bewegung9 war die Khomeinis, die Ende der 70er-Jahre die Macht im Iran ergreifen und einen islamistisch-faschistischen Staat errichten konnte, der auch heute noch – 20 Jahre nach dem Tod seines Gründers und Führers – besteht und ganz offen Israel einen neuen, einen nuklearen Holocaust androht. Damit ist die Gefahr, die vom islamistischen Faschismus droht, noch nicht annähernd beschrieben. Hinzuweisen wäre noch auf einige andere islamistische Bewegungen und Regime, die sich zu islamistisch-faschistischen wandeln können oder es wie Al-Kaida und die Taliban in Afghanistan bereits getan haben. Doch dies muss nicht so sein. Nicht alle islamistischen Bewegungen und Regime müssen zu faschistischen werden. Außerdem kann keine Rede davon sein, dass alle Muslime islamistisch eingestellt sind. Dennoch weist die islamische Religion eine bemerkenswerte Nähe zum Islamismus auf, weil sie noch überwiegend fundamentalistisch geprägt ist, keine Reformation erlebt hat und die aufklärerischen Ideen und Prinzipien von Menschenrecht und Menschenwürde immer noch und weit mehr ablehnt als die übrigen großen Weltreligionen. Damit kann und soll nicht geleugnet werden, dass es in diesen anderen Religionen nicht ebenfalls fundamentalistische Gruppen und Bestrebungen gibt. Hier ist einmal auf den Hindu-Fundamentalismus und zum anderen auf fundamentalistische Gruppierungen in Israel zu verweisen, die wie der „Block der Treuen“ (Gusch Emunim) den politischen Kampf gegen die ebenfalls fundamentalistisch eingestellten Palästinenser mit religiösen Motiven begründet. Generell scheint es zu einem wechselseitigen Prozess der Radikalisierung der Fundamentalismen gekommen zu sein. Einige Beobachter befürchten bereits, dass das 21. Jahrhundert im Zeichen von neuen Religionskriegen stehen wird, die noch schlimmer sein können als die ideologischen des letzten Jahrhunderts.10 Wenn sich, wofür einiges spricht, diese Befürchtung bestätigt, dann wird es auch zur Entstehung von weiteren fundamentalistisch-faschis-
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tischen Bewegungen und Regimen kommen, die möglicherweise noch schrecklicher sein werden, als es die im Europa der Zwischenkriegszeit waren und jetzt im Nahen Osten sind. Doch schon jetzt kann gesagt werden, dass die größte Gefahr der Gegenwart und mit Sicherheit auch der Zukunft vom fundamentalistischen Faschismus ausgeht. Das heißt jedoch nicht, dass die beiden anderen Varianten des Faschismus Geschichte sind. Dies gilt anderslautenden Meinungen zum Trotz einmal für den klassischen Faschismus. Man kann es drehen und wenden wie man will und alle möglichen Tarn- und Ersatzbegriffe verwenden: Faschistische Bewegungen gibt es immer noch und fast überall auf der Welt. Allerdings sind sie fast alle derzeit äußerst schwach und werden wohl kaum in der Lage sein, von sich aus und aus eigener Kraft die Macht zu ergreifen. Dies wird, wenn überhaupt, in anderer Form geschehen – von oben und in Gestalt des bonapartistischen Faschismus. Er breitet sich nämlich weiter aus. Denn der voreilig von Francis Fukuyama Anfang der 1990er-Jahre verkündete weltweite Sieg der Demokratie hat nicht stattgefunden. Der Kommunismus ist zwar in Europa geschlagen und wird es auch bald in Kuba und Nordkorea sein, während sich das politisch immer noch kommunistische China bereits in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer kapitalistischen Großmacht entwickelt hat. Doch dass immer und überall auf den Kommunismus die Demokratie folgt, ist mehr als unwahrscheinlich. Zumal am demokratischen Charakter einiger postkommunistischer Staaten in Europa begründete Zweifel bestehen. Dies trifft auch, ja noch mehr auf die Länder der früheren sogenannten Dritten Welt zu. Auch hier sind neue Diktaturen entstanden und haben sich alte behauptet. Einige von ihnen sind als bonapartistisch, andere dagegen schon als bonapartisch-faschistisch einzustufen. Die westliche Demokratie hat sich wahrlich nicht als erfolgreicher Exportartikel erwiesen. Einige halten sie bereits für ein Auslaufmodell. Warum will man all dies nicht wahrhaben? Warum werden die Gefahren, die vom globalen Faschismus ausgehen, immer noch viel zu gering eingeschätzt? Die Gründe dafür sind vielfältig. Zu nennen ist einmal unsere immer noch europazentrierte Perspektive. Globalisierung scheint immer noch ein Fremdwort zu sein, dessen weltpolitische Bedeutung nicht erkannt wird. Hinzu kommt zweitens das Starren auf unsere, die europäische Geschichte. Sie war ohne Zweifel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Faschismus geprägt. Unzweifelhaft ist auch, dass
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der deutsche Faschismus (beziehungsweise Nationalsozialismus) unfassbare Verbrechen begangen hat, für die Auschwitz zum Synonym geworden ist. Man kann auch so weit gehen und den Holocaust (worunter aber keineswegs nur der Rassenmord an den Juden, sondern auch der an den Roma zu verstehen ist) für singulär zu erklären.11 Dennoch, trotz aller Besonderheiten und Singularitäten ist die Geschichte im Allgemeinen und die des Faschismus im Besonderen weitergegangen und wird auch weitergehen. Wir können und dürfen uns nicht in „unserer“ deutschen und europäischen Geschichte gewissermaßen einmauern. Weltgeschichte ist angesagt und eine globale Geschichte des Faschismus ist gefordert. Dies erfordert aber keineswegs nur eine Erweiterung der geschichtlichen Perspektiven, sondern auch eine Veränderung der geschichtswissenschaftlichen Methoden. Wurde die Geschichte des Faschismus doch bisher im wesentlichen als Teil der europäischen Geschichte verstanden und mit geschichtswissenschaftlichen Begriffen und Methoden betrieben, die in Europa (und den USA) entwickelt und auf Europa angewandt wurden. Kurz gesagt: Faschismusforschung war eine dezidiert westliche Forschung. Das traf auch auf ihren marxistischen Zweig zu, schon deshalb, weil die von Marx entwickelten Begriffe und Methoden ebenfalls am europäischen, genauer westeuropäischen Beispiel gewonnen worden sind. Was nun den Faschismus betrifft, so sind sowohl marxistische wie nichtmarxistische beziehungsweise bürgerliche Forscher wie selbstverständlich von drei Annahmen ausgegangen. Einmal, dass der Faschismus in einer kapitalistischen Gesellschaft entstanden ist; zweitens, dass er sich gegen das hier herrschende demokratische System gewandt hat; weshalb drittens dessen Verteidigung oder Wiederherstellung angestrebt werden müsse.12 Alle drei Annahmen und Forderungen trafen schon auf einige europäische Länder der Zwischenkriegszeit nicht oder nicht ganz zu. In einigen gab es keine voll entwickelte kapitalistische Gesellschaft, in vielen herrschte kein demokratisches System, das daher kaum wiederhergestellt werden konnte. Was schon für einige europäische zutraf, galt noch mehr für einige andere Länder der Welt, die sich im Hinblick auf ihre sozioökonomische Struktur und politische Verfasstheit sowohl untereinander wie (und dies in noch größerem Maße) von den entwickelteren europäischen un-
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terschieden. All dies veränderte sich noch einmal nach dem Ende des europäischen Kolonialismus, dem Zerfall des Ostblocks und der nachfolgenden allgemeinen Globalisierung. Anstatt nun diese Unterschiede und Veränderungen zu berücksichtigen und sich darauf einzustellen, haben die Faschismusforscher weiter versucht, die am europäischen, genauer westeuropäischen Beispiel gewonnenen Kriterien auf die Faschismen außerhalb Europas und nach 1945 anzuwenden, was scheitern musste – und zu dem Ergebnis führte, dass eben nicht ist, was nicht sein darf, nämlich Faschismus auch außerhalb des europäischen der Zwischenkriegszeit. Faschismus als globalem und epochenübergreifendem Phänomen konnte und kann man so nicht gerecht werden. Daraus sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen. Die bisherigen sozialhistorischen Methoden und Betrachtungsweisen müssen bei der Analyse des globalen Faschismus entweder modifiziert oder – besser – durch ideologie- und personengeschichtliche ergänzt beziehungsweise ersetzt werden. Faschismus war in erste Linie eine Ideologie, die von bestimmten Personen („Führern“) entwickelt und realisiert wurde, was bei Menschen aus allen sozialen Schichten und in verschiedenen Gesellschaften auf Zustimmung und Folgebereitschaft stieß. Dafür waren vor allem ideologie-, religions- und mentalitätsgeschichtliche Faktoren maßgebend. Diese Faktoren hatten jedoch in den einzelnen Kulturkreisen und selbst noch Nationen eine etwas unterschiedliche Form und Ausprägung, werden sich aber im Zeichen der Globalisierung einander anpassen. Das gilt auch, ja vor allem für den religiösen (beziehungsweise ideologischen) Faktor, der fast überall auf der Welt an Bedeutung gewonnen hat. Auch das gerät bei der sozialhistorischen Betrachtungsweise aus dem Blick. Dies ist, wohl gemerkt, kein Plädoyer für eine Rückkehr zu einem Historismus, der alles und jedes vor dem jeweiligen historischen Hintergrund „verstehen“, mit dem „Geist der Zeit“ erklären und nur „objektiv“ darstellen will, „wie es eigentlich gewesen ist“. Ganz im Gegenteil! Faschismusforschung muss werten dürfen, an den universalen Werten von Menschenrecht und Menschenwürde orientiert und damit politisch sein. Bei allem notwendigen Streben nach Objektivität und Nüchternheit darf das antifaschistische Ziel nicht aus dem Auge verloren werden. Dies ist heute notwendiger denn je. Schließlich hat es Faschismus nicht nur gegeben – es gibt ihn immer noch.
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Anmerkungen Einleitung 1 2
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Fritz Schotthöfer, Il Fascio. Sinn und Wirklichkeit des italienischen Faschismus, Frankfurt/M. 1924, S. 64. Zur Begriffsgeschichte immer noch wichtig und unübertroffen: Wolfgang Schieder, Faschismus, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg 1968, Sp. 439–477. Ernst Nolte, Vierzig Jahre Theorien über den Faschismus, in: Ders. (Hg.), Theorien über den Faschismus, Köln 1967, S. 1–75. Zum Folgenden die Überblicke von: Richard Saage, Faschismustheorien, Göttingen 1980; Renzo De Felice, Die Deutungen des Faschismus, Göttingen 1989; Wolfgang Wippermann, Faschismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 7. Aufl. 1997; Ders., Was ist Faschismus? Geschichte und Theoriegeschichte, in: Werner Loh/Wolfgang Wippermann (Hg.), „Faschismus“ kontrovers, Stuttgart 2002, S. 1–50; Arnd Bauerkämper, Der Faschismus in Europa 1918–1945, Stuttgart 2006, S. 13–46. Wolfgang Wippermann, Zur Analyse des Faschismus. Die sozialistischen und kommunistischen Faschismustheorien 1921–1945, Frankfurt/M. 1981, S. 59ff. Wolfgang Wippermann, Faschismus – nur ein Schlagwort? Die Faschismusforschung zwischen Kritik und kritischer Kritik, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 16, 1987, S. 346–366. Ausführlich dazu: Wolfgang Wippermann, Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1997. Wolfgang Wippermann, Vom „erratischen Block“ zum Scherbenhaufen. Rückblick auf die Faschismusforschung, in: Thomas Nipperdey u. a. (Hg.), Weltbürgerkrieg der Ideologien. Antworten an Ernst Nolte, Berlin 1993, S. 207– 215. Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, München 1963. Hier (S. 41) hatte Nolte den Faschismus als „Antimarxismus“ definiert, wobei er zugleich auf die ideologische und politische Ambivalenz des Faschismus verwies, weil dieser „den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet“. Ernst Nolte, Die faschistischen Bewegungen, 7. Aufl. München 1978, bes. S. 315. Stanley G. Payne, A History of Fascism 1914–1945, London 1995; dt.: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001. Ähnliche idealtypische Definitionen des Faschismus sind von Michael Mann und Michael S. Neiberg vorgeschlagen worden: Michael Mann, Fascists, Cambridge 2004; Michael S. Neiberg (Hg.), Fascism, Adlershot 2006.
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Roger Eatwell, Fascism. A History, London 1995. Sternhell gewann diese Einschätzung zunächst aus der Analyse des französischen Faschismus, um sie danach zu generalisieren. Vgl.: Zeev Sternhell, Ni Droite, Ni Gauche. L’idéologie fasciste en France, Paris 1983; Ders., Faschistische Ideologie, Berlin 2002. Roger Griffin, The Nature of Fascism, London 1991. Roger Griffin, Introduction, in: Ders. (Hg.), International Fascism. Theories, Causes and the New Consensus, London 1998, S. 13. Mit der Diskussion von Griffins Definition beschäftigte sich ein weiteres Heft von „Erwägen, Wissen, Ethik“: EWE 15, 2004, H. 3. Robert O. Paxton, Anatomie des Faschismus, München 2006. Ein ebenfalls praxeologisches Verfahren hat Sven Reichhardt in seiner vergleichenden Studie der „faschistischen Kampfbünde“ in Deutschland und Italien angewandt. Vgl.: Sven Reichhardt, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002. Wolfgang Wippermann, Europäischer Faschismus im Vergleich 1922–1982, Frankfurt/M. 1983; Ders., Was ist Faschismus? Geschichte und Theoriegeschichte, in: Loh/Wippermann (Hg.), S. 1–70. Dies ist von verschiedenen Teilnehmern der Diskussion bemerkt und zu Recht kritisiert worden. Daher hat Wolfgang Schieder im Vorwort zu seiner Aufsatzsammlung über den (vornehmlich italienischen) Faschismus dafür plädiert, den generischen Begriff Faschismus zwar von der „historisch realen Existenz des Italofaschismus abzuleiten“, ihn aber möglichst nur noch auf den Nationalsozialismus anzuwenden. Wolfgang Schieder, Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen, 2008, S. 17. Diese Definition geht auf die Bonapartismustheorie von Marx und Engels zurück. Vgl. dazu: Wolfgang Wippermann, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels, Stuttgart 1983; Ders., Der Wiedergänger. Die vier Leben des Karl Marx, Wien 1988, bes. S. 146ff. In der Forschung über den Fundamentalismus ist diese Nähe zum Faschismus vielfach bemerkt, aber nicht hinreichend erklärt worden. Eigentlich unnötig zu sagen ist, dass es sich jeweils nur um eine Auswahl handelt, konnten doch keineswegs alle Bewegungen und Regime berücksichtigt werden, die, mit welcher Begründung auch immer, als „faschistisch“ eingeschätzt worden sind. Auch die Anmerkungen sind bewusst knapp gehalten und verweisen wie der bibliographische Essay am Schluss nur auf die wichtigste weiterführende Literatur.
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Zeev Sternhell, Neither Right nor Left: Fascist Ideology in France, Los Angeles 1986. In der älteren französischen Forschung ist dagegen die These vertreten worden, dass der Faschismus in Frankreich völlig unbedeutend, ja eigentlich völlig unfranzösisch gewesen sei: Jean Plumyéne/Raymond Lasierra, Les fascismes français, Paris 1963; René Rémond, La Droite en France. De la première Restauration à la Ve République, 2 volumes Paris 1968. Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action française. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 1963.
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Michel Winock, Nationalism, Anti-Semitism, and Fascism in France, Stanford 1998; Jean François Sirinelli (Hg.), Histoire des droites en France, Paris 1992. Zum Faschismus: Pierre Milza, Fascisme française: Passé et présent, Paris 1987. Zum Folgenden: Wolfgang Wippermann, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels, Stuttgart 1983, S. 41ff.; Heinrich Euler, Napoleon III. Versuch einer Deutung, München 1972; Adrien Dansette, Histoire du second Empire, B. 1–3 Paris 1961–1976; Theodore Zeldin, France 1848–1945, Bd. I: Ambition, Love, and Politics, Oxford 1973; Stuart Campbell, The Second Empire Revisited. A Study in French Historiography, New Brunswick 1978; Michael Erbe, Geschichte Frankreichs von der Großen Revolution bis zur Dritten Republik. 1789–1884, Stuttgart 1982; Manfred Wüstemeyer, Demokratische Diktatur. Zum politischen System des Bonapartismus im Zweiten Empire, Köln 1986; Robert S. Alexander, Bonapartism and Revolutionary Tradition in France, Cambrige 1991; Jean Favier, Geschichte Frankreichs. Das Zweite Kaiserreich 1851–1870, Stuttgart 1991; Roger Price, Napoleon III. and the Empire, London 1997; Roger Price, People and Politics in France, 1848–1870, Cambridge 2004; Stefan Grüner, Frankreich: Daten, Fakten, Dokumente, Tübingen 2003; Johannes Willms, Napoleon III. Frankreichs letzter Kaiser, München 2008. Zum Folgenden: Wippermann, Bonapartismustheorie, S. 78ff.; John Rothney, Bonapartism after Sedan, New York 1969; Jacques Néré, Le Boulangisme et la presse, Paris 1964; Frederic H. Seager, The Boulanger Affair. Political Crossroad of France, 1886–1889, Ithaca 1969; Philippe Levillain, Boulanger: le fossoyeur de la monarchie, Paris 1982; Jean Garrigues, Le général Boulanger, Paris 1991; Joly Bertrand (Hg.), Boulangisme, Ligue des Patriotes, Mouvement antidreyfusards, comités antisémites, Paris 1998. Pierre Miquel, L’Affaire Dreyfus, Paris 1973; Vincent Duclert, Die Dreyfusaffäre. Militärwahn, Republikfeindschaft, Judenhaß, Berlin 1994. Joly Bertrand (Hg.), Dictionnaire biographique et géographique du nationalisme français (1880–1900), Paris 1998; Ders., Déroulède: l’inventeur du nationalisme français, Paris 1998. Nolte Faschismus, S.; Eugen Weber, Action Française: Royalism and Reaction in Twentieth Century France, Stanford 1962; Edward Tannenbaum, Action française: Die-hard Reactionaries in Third Republic France, New York 1962; Victor Nguyen, Aux origines de l’Action française: Intelligence et politique à l’aube du XXe siècle, Paris 1991; Bruno Goyet, Charles Maurras, Paris 2000. Allen Douglas, From Fascism to Libertarian Communism. Georges Valois against the French Republic, Los Angeles 1992; Yves Guchet, Georges Valois. L’Action française, le faisceau, la République syndicale, Paris 2001. Serge Bernstein, Le 6 février 1934, Paris 1974. Robert O. Paxton, French Peasant Fascism: Henry Dorgères’ Greenshirts and the Crisis of French Agriculture, 1929–1939, Oxford 1997. Jaques Nobécourt, Le Colonel de La Rocque, 1885–1946, ou les pièges du nationalisme chrétien, Paris 1996. Michèle Cointet, Vichy et le fascisme. Les hommes, les structures et les pouvoirs, Brüssel 1987; Robert O. Paxton, Vichy France. Old Guard and New Order, New York 2001; Julian Jackson, France. The Dark Years 1940–1944, Oxford 2001. Christian Florin, Philippe Pétain und Pierre Laval. Das Bild zweier Kollaborateure im französischen Gedächtnis, Frankfurt/M. 1997. Dieter Wolf, Die Doriot-Bewegung, Stuttgart 1967; Jean-Paul Brunet, Jacques Doriot du communisme au fascisme, Paris 1986; Philippe Burrin, La dérive fasciste: Doriot, Déat, Bergery. 1933–1945, Paris 1986.
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Reinhold Brender, Kollaboration in Frankreich im Zweiten Weltkrieg. Marcel Déat und das Rassemblement national populaire, München 1992. Stanley Hoffmann, Le mouvement Poujade, Paris 1956. Jean Lacouture, De Gaulle, Bd. 1-3 Paris 1984–1986; Peter Schunk, Charles de Gaulle. Ein Leben für Frankreichs Größe, Berlin 1998. Michael Jungwirth, Von Haider bis Le Pen. Europas Rechtspopulisten, Wien 2002. E. Roussel, Le cas Le Pen. Les mouvements droits en France, Paris 1985; Nonna Mayer/Pascal Perrineau (Hg.), Le Front National à découvert, Paris 1989. Zum Folgenden neben den allgemeinen Überblicken von Volker Reinhardt, Geschichte Italiens, München 2003, und Rudolf Lill, Geschichte Italiens in der Neuzeit, Darmstadt 1988, die anregende Arbeit des Journalisten Gerhard Feldbauer, Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute, Köln 2008. Peter Stadler, Cavour. Italiens liberaler Reichsgründer, München 2001. Zum Folgenden: Christopher Seton-Watson, Italy from Liberalism to Fascism 1870–1925, London 1967; Ernst Nolte, Italien von der Begründung des Nationalstaates bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1870–1918), in: Theodor Schieder (Hg.), Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 6, Stuttgart 1968, S. 401-431. Wilhelm Alff, Die Associazione Nazionalista Italiana von 1910, in: Ders., Der Begriff des Faschismus und andere Aufsätze zur Zeitgeschichte, Frankfurt/M. 1971. Neben der mehrbändigen Biographie von Renzo De Felice, Mussolini il fascista 1921–1929, Turin 1966; Mussolini il duce 1929–1940; Mussolini l’alleato 1943–1945, Turin 1990: Giovanni De Luna, Mussolini, Reinbek 1978; Denis Mack Smith, Mussolini, München 1983; Richard J. B. Bosworth, Mussolini, London 2002. Zu Mussolinis ideologischer Entwicklung immer noch unübertroffen: Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, S. 193ff. Dazu und zum Folgenden: Bruno Mantelli, Kurze Geschichte des italienischen Faschismus, Berlin 1997; Hans Woller, Rom, 28. Oktober 1922. Die faschistische Herausforderung, München 1999. Rolf Wörsdorfer, Krisenherd Adria. 1915–1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum, Paderborn 2004. Wolfgang Wippermann, War der italienische Faschismus rassistisch?, in: Werner Röhr (Hg.), Faschismus und Rassismus, Berlin 1992, S. 108–122. Zum Folgenden: Adrian Lyttelton, The Seizure of Power. Fascism in Italy 1919–1929, Princeton 1987. Dazu: Michael A. Ledeen, Universal Fascism, New York 1972. Bauerkämper, Faschismus, S. 166ff. hält diese Organisation für viel bedeutsamer, als sie wirklich war. Manfred Funke, Kanonen und Sanktionen. Hitler, Mussolini und der internationale Abessinienkonflikt, Düsseldorf 1970. Jens Petersen, Hitler–Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin–Rom 1933– 1936, Tübingen 1973. Frederick William Deakin, Die brutale Freundschaft. Hitler, Mussolini und der Untergang des italienischen Faschismus, Köln 1962. Dazu: Lutz Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Salò 1943–1945, Tübingen 1993; Karl Mittermaier, Mussolinis Ende. Die Republik von Salò 1943–1945, München 1995. Zur italienischen Judenverfolgung: Carlo Moos, Ausgrenzung, Internierung, Deportation. Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus
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(1938–1945), Zürich 2004; Regine Wagenknecht, Judenverfolgung in Italien 1938–1945, Berlin 2005; Thomas Schlemmer/Hans Woller, Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 52, 2005, S. 164–203. Zur italienischen Historiographie und dem sich wandelnden Bild des Faschismus: Jens Petersen, Zum Stand der Faschismusdiskussion in Italien, in: Renzo De Felice, Der Faschismus, Stuttgart 1977, S. 114-144; Ders., Der Faschismus in Italien im Urteil der Historiker, in: Christof Dipper u. a. (Hg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich, Köln 1998, S. 39–58; Wolfgang Schieder, Faschismus als Vergangenheit, in: Walter H. Pehle (Hg.), Der historische Ort des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1990, S. 135–154. Frank Vollmer, Die politische Kultur des Faschismus. Stätten totalitärer Diktatur in Italien, Köln 2007. Hans Woller, „Ausgebliebene Säuberung“? Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien, in: Karl-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991. Zum Folgenden: Petra Rosenbaum, Neofaschismus in Italien, Frankfurt/M. 1975; Gerhard Feldbauer, Von Mussolini bis Fini. Die extreme Rechte in Italien, Berlin 1996; Ders., Marsch auf Rom. Faschismus und Antifaschismus in Italien – Von Mussolini bis Berlusconi und Fini, Köln 2002. Sebastian Mahner, Vom rechten Rand in die politische Mitte? Die Alleanza Nazionale zehn Jahre nach ihrer Gründung im europäischen Vergleich, Münster 2005. Gabriele Schneider, Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien 1936–1941, Köln 2000. Zur gesamten Debatte: Enzo Collotti, Die Historiker und die Rassengesetze in Italien, in: Dipper u. a. (Hg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich, S. 59–77; Ders., Zur Neubewertung des italienischen Faschismus. Enzo Collotti im Gespräch mit Lutz Klinkhammer, in: Geschichte und Gesellschaft, 20, 2000, S. 285–306; Aram Mattioli, Das faschistische Italien – ein unbekanntes Apartheidregime, in: Micha Brumlik u. a. (Hg.), Gesetzliches Recht: Rassistisches Unrecht im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1990, S. 135–154. Tina Schöpfer, Politische Show in Italien. Die Selbstdarsteller Umberto Bossi und Silvio Berlusconi. Eine vergleichende Analyse, Stuttgart 2002. Jens Renner, Der neue Marsch auf Rom. Berlusconi und seine Vorläufer, Zürich 2002; Alexander Stille, Citizen Berlusconi, München 2006. Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946. (auch in: Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften, Werke Bd. VIII, Stuttgart 1969, S. 321–445). Vgl. dazu: Wolfgang Wippermann, „Deutsche Katastrophe“. Meinecke, Ritter und der erste Historikerstreit, in: Gisela Bock/Daniel Schönpflug (Hg.), Friedrich Meinecke in seiner Zeit. Studien zu Leben und Werk, München 2006, S. 177–192. Wolfgang Wippermann, Die deutsche Katastrophe. Ein Versuch zur deutschen Vergangenheitsbewältigung, in: Michael Erbe (Hg.), Friedrich Meinecke heute, Berlin 1981, S. 101–121. Wippermann, Faschismustheorien, 1. Aufl. S. 104ff. Zum Kaiserreich vor allem: Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, Göttingen 1973. Wehler hat den hier noch verwendeten Bonapartismus-Begriff in seinen späteren Publikationen aufgegeben.
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Ausführlich dazu: Wolfgang Wippermann, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels, Stuttgart 1983, S. 86ff. Zum Folgenden die zweibändige Bismarck-Biographie Ernst Engelbergs, der zu den ganz wenigen Historikern gehört, der den Bonapartismus-Begriff auf Bismarck und sein Regime angewandt haben: Ernst Engelberg, Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer, Berlin 1985; Ders., Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas, Berlin 1990. Auf weitere Literaturverweise wird im Folgenden – bewusst – verzichtet. Zu Leben und Werk Stoeckers: Günter Brakelmann/Martin Greschat/Werner Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982. Allgemein zum Antisemitismus in Kaiserreich und Weimarer Republik: Werner Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870–1945, Hamburg 1988; Walter Mohrmann, Antisemitismus. Ideologie und Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Berlin 1972, Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ in der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1975; Shulamit Volkov, Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 1991. Beste Biographie immer noch: Joachim C. Fest, Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973. Ferner: Marlis Steinert, Hitler, München 1994; Ian Kershaw, Hitler, Bd. 1–2, Stuttgart 1998–2000. Zum Folgenden die Überblicksdarstellungen von: Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, München 1979; Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945, Berlin 1986; Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Frankfurt/M. 1996; Wolfgang Wippermann, Umstrittene Vergangenheit. Fakten und Kontroversen zum Nationalsozialismus, Berlin 1998. Auf Einzelnachweise wird wiederum verzichtet. Zur Geschichte der faschistischen beziehungsweise, wie sie meist bezeichnet werden, „rechtsradikalen“ oder „rechtsextremistischen“ Bewegungen gibt es eine kaum übersehbare Literatur. Die wichtigsten Werke sind in der Reihenfolge ihres Erscheinens: Otto Büsch/Peter Furth, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland, Berlin 1957; Manfred Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Beitrag über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961; Lutz Niethammer, Angepasster Faschismus. Politische Praxis der NPD, Frankfurt/M. 1969; Wolfgang Benz (Hg.), Rechtsradikalismus. Randerscheinung oder Renaissance?, Frankfurt/M. 1980; Peter Dudek/Hans Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, Opladen 1984; Reinhard Opitz, Faschismus und Neofaschismus, Frankfurt/M. 1984; Richard Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik, Opladen 1989; Reinhard Kühnl, Gefahr von rechts. Vergangenheit und Gegenwart der extremen Rechten, Heilbronn 1990; Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus. Eine kritische Bestandsaufnahme nach der Wiedervereinigung, Bonn 1993; Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schröder (Hg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsüberblick, Opladen 1994; Kurt Lenk, Rechts, wo die Mitte ist, Baden-Baden 1994; Wolfgang Benz (Hg.), Rechtsextremismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1994; Jens Mecklenburg (Hg.), Handbuch Deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996; Christoph Butterwegge, Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt. Erklärungsmodelle – Deutungsmuster – Mediendiskurse, Darmstadt 1996; Richard Stöss, Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, Berlin 2000; Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, München 2001; Christoph Butterwegge, Rechtsextremis-
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mus, Freiburg 2000; Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, Bonn 2005; Andreas Klärner/Michael Kohlstruck (Hg.), Moderner Rechtsextremismus in Deutschland, Hamburg 2006. Zu Naumann und zur sogenannten Naumann-Affäre einmal die relativierende Studie von Jenke, Verschwörung, und die kritische von Opitz, Faschismus und Neofaschismus. Bei Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 2003, wird die Bedeutung der Naumann-Affäre dagegen verkannt. Ähnlich relativierend auch: Ulrich Herbert, Best, Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, Berlin 1997. Zu Remer und zur SRP immer noch: Büsch/Furth, Rechtsradikalismus. Ferner die neuere Studie von: Henning Hanse, Die Sozialistische Reichspartei (SRP). Aufstieg und Scheitern einer rechtsextremen Partei, Düsseldorf 2007. Zu von Thadden und der NPF immer noch wichtig: Niethammer, Angepasster Faschismus; Stöss, Die extreme Rechte. Zum Folgenden: Jens Mecklenburg, Braune Gefahr. DVU, NPD, REP. Geschichte und Zukunft, Berlin 1999; und die neueren Überblicke von: PfahlTraughber, Rechtsextremismus; Stöss, Rechtsextremismus im Wandel. Zu Frey und zur Deutschen Volksunion: Annette Linke, Der Multimillionär Frey und die DVU. Daten, Fakten, Hintergründe, Essen 1994. Erwähnung und ausführliche Darstellung auch bei: Mecklenburg (Hg.), Handbuch Deutscher Rechtsextremismus; Stöss, Rechtsextremismus im Wandel. Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände. Folge 3, Frankfurt/M. 2005. Zusammenfassend dazu: Wolfgang Wippermann, Autobahn zum Mutterkreuz. Historikerstreit der schweigenden Mehrheit, Berlin 2008, S. 83ff. Vgl. dazu: Thomas Greven/Thomas Grumke (Hg.), Globalisierter Rechtsextremismus? Die extremistische Rechte in der Ära der Globalisierung, Wiesbaden 2006. Ausführlich zu dieser Debatte: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur 1933–1938, Münster 2005. So etwa: Klaus-Jürgen Siegfried, Klerikalfaschismus, Frankfurt/M. 1979. Zum Folgenden: Francis L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, Frankfurt/M. 1980; John W. Boyer, Political Radicalism in Late Imperial Austria, Chicago 1981. Andrew G. Whiteside, The Socialism of Fools. Georg Ritter von Schönerer and Austrian Pan-Germanism, Los Angeles 1981. Adolf Hitler, Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe, München 1934, S. 107ff. Vgl. dazu auch: Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996. Zu Dollfuß’ Leben neben der völlig unkritischen Biographie seiner Tochter: Eva Dollfuß, Mein Vater. Hitlers erstes Opfer, Wien 1994; Gordon Shephard, Engelbert Dollfuß, Graz 1961; Gudula Walterskirchen, Engelbert Dollfuß. Arbeitermörder oder Heldenkanzler, Wien 2004. Ausführliche Erwähnung von Dollfuß’ Leben in den Überblicksdarstellungen der Geschichte des „Ständestaates“ beziehungsweise des Austrofaschismus von: Heinrich Bußhoff, Das Dollfuß-Regime in Österreich, Berlin 1968; Ulrich Kluge, Der österreichische Ständestaat 1934– 1938, Wien 1984; Lucian O. Meysels, Der Austrofaschismus – Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler, Wien 1992; Manfred Scheuch, Der Weg zum Heldenplatz. Eine Geschichte der österreichischen Diktatur, Wien 2002. Allgemein zur ersten österreichischen Republik: Heinrich Benedikt (Hg.), Geschichte der Republik Österreich, München 1977; Adam Wandruszka, Öster-
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reich von der Begründung der ersten Republik bis zur sozialistischen Alleinregierung 1918–1970, in: Theodor Schieder (Hg.), Handbuch zur europäischen Geschichte, Bd. 7, Stuttgart 1979, S. 823–882; Erika Weinzierl, Karl Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1939. Geschichte der Ersten Republik, Bd. 1–3, Wien 1983–1985; Friedrich Weissensteiner, Der ungeliebte Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938, Wien 1990. L. Jedlicka, Die österreichische Heimwehr, in: Laqueur/Mosse (Hg.), Internationaler Faschismus, S. 177–200; J. Lewis, Conservatives and Fascists in Austria, in: Blinkhorn (Hg.), Fascists and Conservatives, S. 98–117; Bruce F. Pauley, Nazis and Heimwehrfascists, in: Stein U. Larsen (Hg.), Who were the Fascists?, S. 226–238. Ausführliche Darstellung dieser gewaltsamen Auseinandersetzungen bei: Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich, München 1976. Josef Hofmann, Der Pfrimer-Putsch, Wien 1965. Vgl. dazu: Gerhard Botz, Austro Marxist Interpretations of Fascism, in: Journal of Contemporary History 11,1976, S. 129–156; Wolfgang Wippermann, Der Wiedergänger. Die vier Leben des Karl Marx, Wien 2008, S. 146–152. Dazu auch die Spezialstudie von: Irmgard Bohunovsky-Bärnthaler, Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation, Wien 1971. Das Jahr 1934: 12. Februar. Protokoll des Symposiums, München 1975. Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich, Graz 1976. Zum Folgenden: Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der Anschluß, Wien 1978. Zu Haider und zur FPÖ liegen mehrere Publikationen vor. Die wichtigsten sind: Brigitte Bailer-Galanda/Wolfgang Neugebauer, Haider und die Freiheitlichen in Österreich, Berlin 1997; Franz Januschek, Jörg Haider und der Rechtspopulismus in Österreich, in: Christoph Butterwegge/Siegfried Jäger (Hg.), Rassismus in Europa, Köln 1992, S. 144–160; Hans-Henning Scharsach, Haiders Kampf, Wien 1992; Ders. (Hg.), Haider. Österreich und die rechte Versuchung, Reinbek 2000; Melanie A. Sully, The Haider Phenomenon, New York 1997. Zum Folgenden die Überblicksdarstellungen von: Walther L. Bernecker, Spanische Geschichte. Von der Reconquista bis heute, Darmstadt 2002; Peer Schmidt (Hg.), Kleine Geschichte Spaniens, Berlin 2005; José Alvarez Junco/ Adrian Shubert (Hg.), Spanish History since 1808, London 2005. Allgemein zur Geschichte der katholischen Kirche in Spanien: Stanley G. Payne, Spanish Catholicism. An Historical Overview, Madison 1984. Zur innenpolitischen Rolle der spanischen Armee: Stanley G. Payne, Politics and the Military in Modern Spain, Stanford 1967. Siehe dazu: Wolfgang Wippermann, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels, Stuttgart 1983, S. 116ff. Edward E. Malefakis, Agrarian Refom and Peasant Revolution in Spain. Origins of the Civil War, New Haven 1970. Zu Primo de Rivera: Shlomo Ben-Ami, Fascism from Above. The Dictatorship of Primo de Rivera in Spain 1923–1930, Oxford 1984; Alejandro Quiroga, Making Spaniards. Primo de Rivera and the Nationalization of the Masses, 1923–1930, New York 2007. Die im Titel des Buches von Bel-Ami vertretene These von einem „Faschismus von oben“ wird in keiner Weise belegt. Quiroga, Making Spaniards, hält die Charakterisierung des Regimes Primo de Riveras als faschistisch ebenfalls für
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nicht berechtigt und vergleicht es stattdessen mit dem Piłsudskis in Polen und Salazars in Portugal. Gabriel Jackson, The Spanish Republic and the Civil War 1931–1939, Princeton 1965; Pierre Broué/Émile Témime, Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt/M. 1968; Stanley G. Payne, Spain’s First Democracy. The Second Republic, 1931–1936, Madison 1993. Martin Blinkhorn, Carlism in Crisis in Spain, 1931–1939, Cambridge 1975; Jeremy MacClancy, The Decline of Carlism, Reno 2000. Zum sich innerhalb der gesamten spanischen Rechten ausbreitenden Antisemitismus: Manfred Böcker, Antisemitismus ohne Juden. Die Zweite Republik, die antirepublikanische Rechte und die Juden. Spanien 1931–1936, Frankfurt/M. 2000. Stanley G. Payne, Falange. A History of Spanish Fascism, Stanford 1962; Ders., Fascism in Spain 1923–1977, Madison 1999; Manfred Böcker, Ideologie und Programmatik im spanischen Faschismus der Zweiten Republik, Frankfurt/M. 1996. Dazu die voluminöse Biographie von: Paul Preston, Franco, London 1993. Zum Verlauf des Bürgerkrieges vor allem: Anthony Beevor, Der Spanische Bürgerkrieg, München 2006. Da sich Beevor mehr auf den militärischen Verlauf konzentriert, sind aber auch noch einige der älteren Studien heranzuziehen. Neben Broué/Témime, Revolution und Krieg, auch Hugh Thomas, Der Spanische Bürgerkrieg, Frankfurt/M. 1964, Walter L. Bernecker, Krieg in Spanien 1936–1939, Darmstadt 1991, und Carlos Collado Seidel, Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, München 2006. Über die Ziele und Motive, die Hitler bewogen haben, in den Spanischen Bürgerkrieg einzugreifen, liegt eine umfangreiche Literatur vor. Hier nur die wichtigsten Werke: Manfred Merkes, Die deutsche Politik im spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, Bonn 1969; Hans-Henning Abendroth, Hitler in der spanischen Arena. Die deutsch-spanischen Beziehungen im Spannungsfeld der europäischen Interessenpolitik vom Ausbruch des Bürgerkrieges bis zum Ausbruch des Weltkrieges 1936–1939, Paderborn 1973. Zum Verhalten der katholischen Kirche in Spanien: Hilary Raguer, Gunpowder and Incense. The Catholic Church and the Spanish Civil War, New York 2007. Ferner: Walther L. Bernecker, Religion in Spanien. Darstellung und Daten zur Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1995; William J. Callahan, The Catholic Church in Spain, 1875–1998, Washington 2000. Zum Verhalten des Papstes gegenüber Franco und den übrigen faschistischen Diktatoren die polemische Studie von: Karl-Heinz Deschner, Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić, Stuttgart 1965. Abgewogener dagegen: Anthony Rhodes, Der Papst und die Diktatoren. Der Vatikan zwischen Revolution und Faschismus, Graz 1980. Diese These wird aber nur von wenigen Historikern geteilt. Der Spanien-Spezialist Bernecker sprich wie Payne von einem „hybriden Faschismus“, Roger Griffin von „para-fascism“ und auch für Paxton war das Franco-Regime „eher autoritär als faschistisch“. Zum Folgenden: Walther L. Bernecker, Spanische Geschichte seit dem Bürgerkrieg, München 1997. Dazu vor allem: Michael Richards, A Time of Silence. Civil War and the Culture of Repression in Franco’s Spain, 1936–1945, Cambridge 1998. Richards gehört zu den wenigen Historikern, der Francos Regime eindeutig als faschistisch einstuft. Jedenfalls bis 1945.
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In der Forschung wird dagegen meist behauptet, dass sich das Franco-Regime gewissermaßen selber entfaschisiert hat. So Klaus von Beyme, Vom Faschismus zur Entwicklungsdiktatur. Machtelite und Opposition in Spanien, München 1971. 92 Dazu: Walther L. Bernecker/Sören Brinkmann, Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936–2006, Nettersheim 2007. 93 Zum Opus Dei liegt eine umfangreiche, zuweilen aber auch polemische Literatur vor. Hinzuweisen ist vor allem auf: Peter Hertel, „Ich verspreche euch den Himmel.“ Geistlicher Anspruch, gesellschaftliche Ziele und kirchliche Bedeutung des Opus Dei, Düsseldorf 1991; Ders., Schleichende Übernahme. Josemaría Escrívá, sein Opus Dei und die Macht im Vatikan, Oberursel 2003. 94 Zu diesem, wie er offiziell genannt wurde, „Comitati d’azione per l’universalità die Roma“: Michael Ledeen, Universal Fascism. The Theory and Practice of the Fascist International 1928–1936, New York 1972. 95 Eric Wärenstam, Fascismen och Nazismen i Sverige, Stockholm 1972; Bernd Hagtvet, On the Fringe: Swedisch Fascism 1920-1945, in: Stein U. Larsen u. a. (Hg.), Who were the Fascists?, S. 715–722; Ulf Lindström, Fascism in Scandinavia, 1920–1940, Stockholm 1985; Heléne Lööw, Hakorset och Wasakärven. En studie av nationalsocialismen i Sverige 1924–1950, Göteborg 1990. 96 Dazu die kritischen Bemerkungen von: Lena Berggren, Swedish Fascism: Why Bother?, in: Journal of Contemporary History 37, 2002, S. 395–417. 97 Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegung in der deutschen Schweiz, 1930–1940, Zürich 1969; Beat Glaus, Die Nationale Front. Eine Schweizer faschistische Bewegung 1930–1940, Zürich 1969; Klaus Dieter Zöberlein, Die Anfänge des deutsch-schweizerischen Frontismus. Die Entwicklung der politischen Vereinigungen Neue Front und Nationale Front bis zur ihrem Zusammenschluss im Frühjahr 1933, Meisenheim 1970. 98 Auch nach 1945 sind die Fronten nicht wieder belebt worden. Die extrem rechte Volkspartei Christoph Blochers steht nicht in ihrer Tradition und kann – zum jetzigen Zeitpunkt – auch nicht als faschistisch charakterisiert werden. 99 Obwohl es sich wirklich nur um Sekten gehandelt hat, haben die englischen faschistischen Parteien große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und dann auch innerhalb der Forschung erregt. Vgl. u. a.: Colin Cross, The Fascists in Britain, London 1961; William F. Mandle, Anti-Semitism and the British Union of Fascists, London 1968; Richard Thurlow, Fascism in Britain: A History, 1918–1988, Oxford 1987; David S. Lewis, Illusions of Grandeur: Mosley, Fascism and British Society, 1931–1981, Manchester 1987; Tony Kushner/ Kenneth Lunn, Traditions of Intolerance, Manchester 1989; Arnd Bauerkämper, Die „radikale Rechte“ in Großbritannien, Göttingen 1991. Ausführliche Erwähnung auch bei Griffin, The Nature of Fascism; Payne, Geschichte des Faschismus, S. 371, und Bauerkämper, Faschismus, S. 90ff. 100 Neben dieser SA-ähnlichen Defense Force hat es noch eigene Organisationen für Jugendliche, Frauen und selbst für Arbeiter gegeben. 101 Mit seiner Bewunderung für Hitler stand Mosley aber keineswegs allein da. Vgl. dazu: Richard Griffiths, Fellow Travellers of the Right. British Enthusiasts for Nazi Germany 1933–1939, Oxford 1983. Über einen dieser fellow traveller beziehungsweise über Hitler-Freunde hat der britische NS-Historiker Ian Kershaw ein lesenswertes Buch geschrieben: Ian Kershaw, Hitlers Freunde in England. Lord Londonderry und der Weg in den Krieg, München 2005.
102 Sie führte dazu, dass sich die Partei in „British Union of Fascists and National Socialists“ umbenannte. 103 Nach Bauerkämper, Faschismus, S. 95, soll Mosley dann von Hitler finanziell unterstützt worden sein. 104 Angesichts dieser geringen Mitgliederzahl erübrigt sich auch ein näheres Eingehen auf die soziale Zusammensetzung der BUF. Vgl. dazu Bauerkämper, Faschismus, S. 97. 105 Zu erwähnen ist aber, dass sich unter den Anhängern Mosleys auch einige bedeutende Intellektuelle und Literaten wie H. G. Wells und T. S. Eliot befanden. 106 Zu Enoch Powell liegen verschiedene Publikationen vor: Paul Foot, The Rise of Enoch Powell, London 1969; Andrew Roth, Enoch Powell. Tory Tribune, London 1970; Tom Stacey, Immigration and Enoch Powell, London 1970; Robert Shepherd, Enoch Powell, London 1998. 107 Hans-Dietrich Loock, Quisling, Rosenberg und Terboven, Stuttgart 1970; Paul M. Hayes, Quisling: The Career and Political Ideas of V. Quisling 1887–1945, London 1971; Oddvar K. Hoidal, Quisling: A Study in Treason, Oslo 1989; Hans Frederik Dahl, Quisling: A Study in Treachery, Cambridge 1999. Ferner die Aufsätze von Larsen, Hagtvet, Myklebust und Loock in: Larsen (Hg.), Who were the Fascists? 108 Sie hat Quisling in einem 1942 veröffentlichten Buch niedergelegt: Vidkun Quisling, Russland und wir, Oslo 1942. 109 Aus den im November 2007 veranstalteten Wahlen ist sie wiederum als drittstärkste Partei hervorgegangen und wird vermutlich über kurz oder lang in das Kabinett des Rechtsliberalen Anders Fogh Rasmussen aufgenommen werden. 110 Diese Dänische Volkspartei ist übrigens aus der „Fremskridtspartiet“ (Fortschrittspartei) Mogens Glistrups hervorgegangen, die in den 1970er-Jahren durch sowohl populistische Forderungen (Glistrup wollte das Steuersystem abschaffen) wie rassistische Tiraden gegen Ausländer aufgefallen ist, weshalb sie ebenfalls als „rechtspopulistisch“ eingeschätzt worden ist. Tatsächlich hatte sie große Ähnlichkeiten mit den faschistischen beziehungsweise neofaschistischen Parteien. 111 Henning Poulsen/Malen Djursaa, Social Bases of Nazism in Denmark: The DNSAP, in: Stein Larsen u. a. (Hg.), Who were the Fascists?, S. 702-713; Malen Djursaa, DNSAP. Danske Nazister 1930–1945, Kopenhagen 1979. 112 Herman van der Wusten/ Ronald E. Smit, Dynamics of the Dutch National Socialist Movement (the NSB) 1931–1935, in: Stein U. Larsen u. a. (Hg.), Who were the Fascists?, S. 524–541; Konrad Kwiet, Zur Geschichte der Mussert-Bewegung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 18, 1970, S. 164–195. 113 Gerhard Hirschfeld, Nazi Rule and Dutch Collaboration, New York 1988. 114 Diese Charakterisierung wurde aber mit der Begründung zurückgewiesen, dass Fortuyn kein Antisemit sei und sich „nur“ gegen den Islam wende, dem er vor allem die Verdammung der Homosexualität vorwerfe, zu der sich Fortuyn öffentlich bekannte. Fortuyn ist dann jedoch nicht deshalb oder wegen seiner Hetze gegen den Islam, sondern wegen seiner Kritik an einigen niederländischen Tierschützern ermordet worden. Und zwar von einem militanten Veganer niederländischer Herkunft. 115 Wilders’ sogenannte Freiheitspartei verfügt im gegenwärtigen niederländischen Parlament immerhin über neun Sitze. Sie profitiert sichtbar von dem Bekanntheitsgrad ihres Gründers, der vor Kurzem wieder durch einen provokanten antiislamischen Film aufgefallen ist.
Anmerkungen 116 Beste, aber leider nur in Niederländisch vorliegende Gesamtdarstellung ist: Bruno De Wever, Greep naar de macht, Tielt 1995. Knappe Zusammenfassung bei: Luc Schepens, Fascists and Nationalists in Belgium, 1919–1940, in: Stein U. Larsen (Hg.), Who were the Fascists?, S. 501–516. Ferner: Borejsza, Schulen des Hasses, S. 235ff. 117 Allgemein zur flämischen Autonomie- und Nationalbewegung: Theo Hermans, The Flemish Movement. A Documentary History 1780–1990, Cambridge 1992. 118 Hugo Gijsels, Het Vlaams Blok, Leuven 1992. 119 Zusammenfassend: Luc Schepens, Fascists and Nationalists in Belgium, 1919– 1940, in: Larsen (Hg.), Who were the Fascists?, S. 501–516. 120 Jean Michel Étienne, Le Mouvement Rexiste jusqu’en 1940, Paris 1968. 121 Zum deutschen Überfall auf Belgien und der nachfolgenden Besetzung: Burkhard Dietz u. a. (Hg.), Griff nach dem Westen, Münster 2003; Wilfried Wagner, Belgien in der deutschen Politik während des Zweiten Weltkrieges, Boppard 1974. 122 Martin Conway, Collaboration in Belgium: Léon Degrelle and the Rexist Movement in Belgium, 1940–1944, New Haven 1993. 123 Erwähnung bei: Thomas Greven/Thomas Grunke, Globalisierter Rechtsextremismus? Die extremistische Rechte in der Ära der Globalisierung, Wiesbaden 2006. 124 Vgl. dazu und zum Folgenden die Studien von Marvin Rintala, Three Generations. The Extreme Right Wing in Finnish Politics, Bloomington 1962; und die Erwähnungen in den Überblicksdarstellungen von Larsen u. a. in: Ders. (Hg.), Who were the Fascists?; S. 678–686 und 687–701; Wippermann, Europäischer Faschismus, S. 140–146; Edgar Hösch, Faschismus und Antisemitismus in Finnland, in: Graml u. a. (Hg.), Vorurteil und Rassenhass, S. 227–252; Bauerkämper, Der Faschismus, S. 137–145. 125 Zum Folgenden die Überblicksdarstellungen von: Eino Jutikkala und Kauko Pirinen, Geschichte Finnlands, Stuttgart 1976; John H. Wuorinen, A History of Finnland, London 1965; Osmo Jussila u. a., Politische Geschichte Finnlands seit 1809, Berlin 1999; Ingrid Bohn, Finnland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2005; David Kirby, A Concise History of Finland, Cambridge 2006.
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Alexander Schifrin, Gegenrevolution in Europa, in: Die Gesellschaft 8, I, 1931, S. 1–21. Arkadij Gurland, Das Heute der proletarischen Aktion. Hemmnisse und Wandlungen im Klassenkampf, Berlin 1931. Ebenda S. 111f. Ebenda S. 102. Zur neueren Geschichte Estlands: Seraina Gilly, Der Nationalstaat im Wandel. Estland im 20. Jahrhundert, Bern 2002. Ferner die noch der Sicht der älteren deutschbaltischen Geschichtsschreibung verhaftete Studie von: Gert von Pistohlkors, Deutsche Geschichte im Osten Europas – Baltische Länder, Berlin 1994. Tonu Parming, The Collapse of Liberal Democracy and the Rise of Authoritarianism in Estonia, London 1975; Andres Kasekamp, The Estonian Veteran’s
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League: A Fascist Movement?, in: Journal of Baltic States 24, 1993, S. 263– 268; Ders., The Radical Right in Interwar Estonia, New York 2000. Julius Deutsch (Hg.), Der Faschismus in Europa. Eine Übersicht im Auftrag der Internationalen Kommission zur Abwehr des Faschismus, Wien 1929. Diese „Übersicht“ ist ebenso materialreich wie bemerkenswert. Jürgen von Hehn, Lettland zwischen Demokratie und Diktatur, München 1957. Zum Folgenden: Borejsza, Schulen des Hasses, S. 189–191. Dazu wiederum die vorzügliche Zusammenfassung bei: Borjesza, Schulen des Hasses, S. 168–171. Auch und sehr energisch von Borejsza, Schulen des Hasses, S. 163ff. Beste Darstellung der polnischen Geschichte: Norman Davies, Im Herzen Europas. Geschichte Polens, München 2000. Keineswegs überholt ist: Gotthold Rhode, Geschichte Polens. Ein Überblick, Darmstadt 1980. Zur Zwischenkriegszeit vor allem: Antony Polonsky, Politics in Independent Poland, 1921–1945, Oxford 1972. Zum Antisemitismus der katholischen Kirche: Ronald Modras, The Catholic Church and Antisemitism, London 1994; Viktoria Pollmann, Untermieter im christlichen Haus, Wiesbaden 2001. Dazu und zum Folgenden: Pjotr S. Wandycz, Fascism im Poland, 1918–1939: in: Peter Sugar (Hg.), Native Fascism in the Successor States, 1918–1945, Santa Barbara 1971, S. 92–97; Edward D. Wynot, Polish Politics in Transition: The Camp of National Unity and the Struggle for Power, 1935–1939, Athens 1974. Gute Zusammenfassung des internationalen Forschungsstandes bei: Borejsza, Schulen des Hasses, S. 163–168. Dazu die aufsehenerregende Studie von: Jan Tomasz Gross, Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne, München 2001. Yeshayahu Jelinek, The Parish Republic. Hlinka’s Slovak People’s Party, 19391945, Boulder 1976; Jörg K. Hoensch, Slovakia: „One God, One People, One Party!“, in: Reichard J. Wolff/Jörg K. Hoensch (Hg.), Catholics, the State, und the European Radical Right, 1919–1945, Boulder 1987. Jörg K. Hoensch, Die Slowakei und Hitlers Ostpolitik, Köln 1965. Holm Sundhaussen, Die Königsdiktaturen in Südosteuropa. Umrisse einer Synthese, in: Oberländer (Hg.), Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa, S. 337–349. In der älteren Forschung findet man auch den Begriff „Monarchofaschismus“. Allgemein zur ungarischen modernen Geschichte: Carlile Aylmer Macartney, October Fifteenth. A History of Modern Hungary, 1929–1945, Bd. 1–1, Edinburgh 1956/1957. Thomas Sakmyster, Hungary’s Admiral on Horseback: Miklós Horthy, 1918– 1944, Boulder 1994. Nicholas M. Nagy-Talavera, The Green Shirts and the Others. A History of Fascism in Hungary and Rumania, Stanford 1970; Miklós Lackó, Arrow-Cross Men, National Socialists 1935–1944, Budapest 1960; Ders., Ostmitteleuropäischer Faschismus, S. 39ff.; Ders., The Social Roots of Hungarian Fascism: The Arrow Cross, in: Stein U. Larsen u. a. (Hg.), Who were the Fascists?, S. 395–400; Margit Szöllösi-Janze, Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn, München 1989. Bösczörményi hat übrigens den Krieg überlebt und seine politische Karriere in den Reihen der kommunistischen Partei Ungarns fortgesetzt.
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Allgemein zur neueren Geschichte Rumäniens: Manfred Huber, Grundzüge der Geschichte Rumäniens, Darmstadt 1973. Eugen Weber, Varieties of Fascism. Doctrines of Revolution in the 20th Century, London 1964; Ders., Romania, in: Rogger/Weber (Hg.), Radical Right, S. 501–574; Ders., Die Männer des Erzengels, in: Laqueur/Mosse (Hg.), Internationaler Faschismus, S. 143–176; Nagy-Talavera, The Green Shirts, S. 12ff.; Florin Müller, Autoritäre Regime in Rumänien 1938–1944, in: Oberländer (Hg.), Autoritäre Regime, S. 471–498; Armin Heinen, Die Legion „Erzengel Michael“ in Rumänien, München 1986. Dazu bereits Weber, Varieties of Fascism; und: Armin Heinen, Rituelle Reinigung. Politische, soziale und kulturelle Bedingungsfaktoren faschistischer Gewalt in Rumänien, in: Dipper (Hg.), Faschismus und Faschismen, S. 263–272. Ihre soziale Herkunft sagt aber wenig aus und erklärt auf jeden Fall nicht ihre ideologisch begründete Gewaltbereitschaft. Berichte über die vielen antiziganistischen Ausschreitungen findet man nur noch in Zeitschriften wie Roma News und anderen. In den rumänischen Medien werden sie gar nicht, in den ausländischen kaum gemeldet. Marshall Lee Miller, Bulgaria during the Second World War, Stanford 1975; Stephan Groueff, Crown of Thorns: The Reign of King Boris III. of Bulgaria, 1918–1943, Lanham 1987. Allgemein zur modernen Geschichte Griechenlands: Pedro Barceló, Kleine griechische Geschichte, Darmstadt 2004; Richard Clogg, Geschichte Griechenlands im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1997; Pavlos Tzermias, Neugriechische Geschichte. Eine Einführung, Basel 1999. Yannis Andricopoulos, The Power Bases of Greek Authoritarianism, in: Stein U. Larsen u. a. (Hg.), Who were the Fascists?, S. 568–585; Jon V. Kofas, Authoritarianism in Greece: The Metaxas Regime, Boulder 1983. Mark Mazower, Inside Hitler’s Greece. The Experience of Occupation, 1941– 1944, New Haven 1993. Christopher Montague Woodhouse, The Struggle for Greece, 1941–1949, London 1976. Mark Mazower (Hg.), After the war was over. Reconstructing the Family, Nation and State in Greece, 1943–1960, Princeton 2000. Pavlos Bakojannis, Militärherrschaft in Griechenland. Eine Analyse zu Parakapitalismus und Spätfaschismus, Stuttgart 1972; Marios Nikolinakos, Widerstand und Opposition in Griechenland, Darmstadt 1974. Zum Folgenden: Peter Bartl, Grundzüge der jugoslawischen Geschichte, Darmstadt 1985; Holm Sundhaussen, Experiment Jugoslawien. Von der Staatsgründung bis zum Staatsverfall, Mannheim 1993. Zum Folgenden auch den Abschnitt über die jugoslawische Königsdiktatur in: Oberländer/Sundhaussen (Hg.), Die Königsdiktaturen in Südosteuropa, S. 337–349. Ivan Avakumovic, Yugoslavia’s Fascist Movements, in: Sugar (Hg.), Fascism, S. 135–144; D. Djordjevic, Fascism in Yugoslavia 1918–1941, in: ebenda, S. 125–134. Zum Folgenden die schon ältere und zu nachsichtig urteilende Studie von: Ladislaus Hory und Martin Broszat, Der kroatische Ustascha-Staat 1941– 1945, Stuttgart 1964. Hory/Broszat, Der kroatische Ustascha-Staat, S. 177. Diese eindeutig falsche Charakterisierung wird unnötigerweise noch von Bauerkämper, Faschismus, S. 165, übernommen.
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Auch auf Pavelić selber wurde in seinem argentinischen Exil ein Attentat ausgeübt, das aber scheiterte. Die folgenden Ausführungen über Tudjman und dann auch Milošević basieren auf publizistischen Quellen, die hier nicht im Einzelnen belegt werden sollen. Wissenschaftlich zuverlässige Studien liegen zu beiden noch nicht vor. Der Faschismusvorwurf ist aber bisher nur in der Publizistik anzutreffen. Innerhalb der vergleichenden Faschismusforschung ist der Fall Tudjman bisher noch kaum erörtert, geschweige denn abschließend entschieden worden. Eine Ausnahme ist Paxton, Anatomie, S. 276–279, der ganz knapp auf Tujdman und auch auf Milošević eingeht. Vgl. Paxton, Anatomie, S. 276–279. Payne, Faschismus, S. 637f. spricht in diesem Zusammenhang von einem „gewalttätigen, militaristischen und expansionistischen nationalistischen Regime“, das „mit seinen massenhaften Greueln und ,ethnischen Säuberungen‘ Aspekte des faschistischen Stils übernommen“ hat. Zur Kritik der Balkan-Stereotypen, die auch innerhalb der Forschung über den südosteuropäischen Faschismus häufig anzutreffen sind: Maria Todorova, Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil, Darmstadt 1999. Diese vielleicht gewagt anmutende These habe ich in verschiedenen Publikationen zu beweisen gesucht. U. a. Wolfgang Wippermann, „Wie die Zigeuner.“ Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich, Berlin 1997. Walter Laqueur, Der Schoß ist fruchtbar noch. Der militante Nationalismus der russischen Rechten, München 1993. Das englische Original hatte den Titel: „Black Hundred. The Rise of the Russian Extreme Right.“ Laqueur, Faschismus, S. 241. Eine Ausnahme ist Norman Cohen, der in seiner Studie über Die Protokolle der Weisen von Zion (Köln 1969) darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Schwarzhunderter vieles vom späteren Faschismus vorweggenommen haben. Protokoll des Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale. Petrograd/Moskau vom 5. November bis 5. Dezember 1922, Hamburg 1923, S. 231. In etwas veränderter Form auch in Lenin, Werke, Bd. 33, S. 417. Über ihre soziale Zusammensetzung weiß man wenig beziehungsweise wenig Aussagekräftiges. Neben Beamten und Intellektuellen sollen es vor allem Angehörige der Orthodoxen Kirche gewesen sein. John D. Klier/Shlomo Lambroza (Hg.), Pogroms: Anti-Jewish Violence in Modern Russian History, Cambridge 1992. Dazu: Hans Rogger, Jewish Policies and Right-Wing Politics in Imperial Russia, Berkeley 1986. Auf die Abhängigkeit von der orthodoxen Kirche weist auch Laqueur, Faschismus, S. 241f. hin, meint aber, dass die Schwarzhunderter deshalb „keine faschistische Partei im strengen Sinne“ gewesen seien. Ihn hatten die Schwarzhunderter mit der rumänischen „Legion des Erzengels Michael“ gemein, dessen Vorbild sie auch gewesen sein sollen. Dazu liegt eine umfangreiche Literatur vor. Hier nur die wichtigsten Arbeiten: Norman Cohn, Die Protokolle der Weisen von Zion. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung, Köln 1969; Hadassa Ben-Itto, Die Protokolle der Weisen von Zion – Anatomie einer Fälschung, Berlin 1998; Jeffrey L. Sammons, Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus – eine Fälschung. Text und Kommentar, Göttingen 1998; Stephen Eric Bronner, Ein Gerücht über die Juden. Die Protokolle der Weisen von Zion und der alltägliche Antisemitismus, Berlin 1999; Michael Hagemeister, Der Mythos der Protokolle
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der Weisen von Zion, in: Ute Caumanns/Mathias Niendorf (Hg.), Verschwörungstheorien: Anthropologische Konstanten – historische Varianten, Osnabrück 2001, S. 89–102. Zusammenfassend: Wippermann, Agenten des Bösen, S. 67ff. Zu diesem fundamentalistischen und in gewisser Weise bereits präfaschistischen Ideologen: Michael Hagemeister, Sergei Nilus und die Protokolle der Weisen von Zion. Überlegungen zum Forschungsstand, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 5, 1996, S. 127–147. Herangezogen wurde die Übersetzung von: Jeffrey L. Sammons, Die Protokolle der Weisen von Zion. Dazu und zum Folgenden: Heinz-Dieter Löwe, Antisemitismus und reaktionäre Utopie. Russischer Konservativismus im Kampf gegen den Wandel von Staat und Gesellschaft. 1890–1917, Hamburg 1978. Zum Folgenden: Gregor Aronson u. a. (Hg.), Russian Jewry 1917–1967, New York 1969; Nora Levin, The Jews in the Soviet Union since 1917. Paradox of Survival, Bd. 1–2, New York 1988; Benjamin Pinkus, The Jews of the Soviet Union. The History of a National Minority, Cambridge 1988; Matthias Vetter, Antisemiten und Bolschewiki. Zum Verhältnis von Sowjetsystem und Judenfeindschaft 1917 bis 1939, Berlin 1995. Herkunft, Geschichte und Funktion des Schlagworts beziehungsweise der Ideologie vom „jüdischen Bolschewismus“ sind immer noch unzureichend erforscht. Vgl. dazu Wippermann, Agenten des Bösen, S. 78ff. Die Bezeichnung von allen möglichen Antisemiten und Antirevolutionären als „Schwarzhunderter“ hat sich in Russland bis heute gehalten. Ulrich Herbeck, Antisemitismus seit Beginn der Sowjetunion, in: Mecklenburg/ Wippermann (Hg.), „Roter Holocaust“? Hamburg 1998, S. 142–157. Eine Sammlung seiner gegen den Antisemitismus gerichteten Artikel in: W. I. Lenin: Über die Judenfrage, Moskau 1932. Arno Lustiger, Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden, Berlin 1998, S. 64ff. Neben Vetter, Antisemiten; und Lustiger, Rotbuch; auch: Louis Rappoport, Hammer Sichel, Davidstern. Judenverfolgung in der Sowjetunion, Berlin 1992. Ein besonders krasses Beispiel ist das Buch der exilrussischen Publizistin Sonja Margolina „Das Ende der Lügen“ (Berlin 1992), in der die schlimmsten Verbrechen der Bolschewiki wieder den „jüdischen Bolschewisten“ zugeschrieben werden. Dazu und zum Folgenden: Leonid Luks (Hg.), Der Spätstalinismus und die „jüdische Frage“. Zur antisemitischen Wendung des Kommunismus, Köln 1998. Dies darf nicht als Plädoyer für die Faschismus und Kommunismus identifizierende Totalitarismustheorie missverstanden werden. Gleichwohl sind die ideologischen Angleichungen an den Faschismus unverkennbar. Dies gilt nicht nur für den Antisemitismus, sondern auch für die Übernahme des faschistischen Führerkults. Jonathan Brent, Stalin’s Last Crime. The Plot Against the Jewish Doctors 1948–1953, New York 2003. Matthias Messmer, Sowjetischer und postkommunistischer Antisemitismus. Entwicklungen in Rußland, der Ukraine und Litauen, Konstanz 1997. Zum Folgenden: Laqueur, Der Schoß ist fruchtbar; Ders., Faschismus, S. 241ff.; Stephen D. Shenfield, Russian Fascism. Traditions, Tendencies,
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Anhang Movements, New York 2002. Sehr gute Zusammenfassung der weiteren Forschung bei: Andreas Umland, Neue ideologische Fusionen im russischen Antidemokratismus – Westliche Konzepte, antiwestliche Doktrinen und das postsowjetische politische Spektrum, in: Eckhard Jesse/Uwe Backes (Hg.), Gefährdungen der Freiheit. Extremistische Ideologien im Vergleich, Göttingen 2006, S. 371–406.
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Zur gesamten Geschichte des amerikanischen Faschismus: Seymour Martin Lipset/Earl Raab, The Politics of Unreason: Right-Wing Extremism in America, 1790–1970, New York 1970. Paxton, Anatomie des Faschismus, S. 77. Diese Einschätzung Paxtons ist aber innerhalb der amerikanischen Historiographie umstritten. In der internationalen Faschismusforschung ist sie so gut wie gar nicht anzutreffen. David M. Chalmers, Hooded Americanism. The First Century of the Ku Klux Klan, 1865–1965, Durham 1987; Nancy MacLean, Behind the Mask of Chivalry: The Making of the Second Ku-Klux-Klan, New York 1994. Paxton, Anatomie, S. 77. Zum amerikanischen Fundamentalismus generell: Rainer Prätorius, In God We Trust. Religion und Politik in den USA, München 2003. Zum Folgenden: Michael J. Heale, American Anticommunism. Combating the Enemy Within, 1830–1970. Baltimore 1999; Joel Kovel, Red Hunting in the Promised Land. Anticommunism and the Making of America, New York 1994. Robert Justin Goldstein, Political Repression in Modern America. From 1870 to the Present, Boston 1978. Heale, American Anticommunism, S. 20ff. Zum Folgenden vor allem den instruktiven Aufsatz von: Donald I. Warren, Depression-Era Fascism and Nazism in the United States and Canada, in: Larsen u. a. (Hg.), Fascism outside Europe, S. 635–701. Henry Ford, Der internationale Jude – das weltgrößte Problem, Leipzig 1934. Marcus Sheldon, Father Coughlin. The Tumultous Life of the Priest of the Little Flower, Boston 1972; Alan Brinkley, Voices of Protest. Huey Long, Father Coughlin, and the Great Depression, New York 1982. Leo P. Ribuffo, The Old Christian Right. The Protestant Far Right from the Great Depression to the Cold War, Philadelphia 1983. Zu McCarthy und zum sogenannten McCarthyism: Paul S. Boyer u. a., The Enduring Vision, Lexington 1996; Richard M. Freedland, The Truman Doctrine and the Origins of McCarthyism, New York 1972; Richard M. Fried, Nightmare in Red. The McCarthy Era in Perspective, New York 1990; Michael Rogin, The Intellectuals and McCarthy, Cambridge 1967; Ellen Schrecker, Many are the Crimes: McCarthyism in America, Boston 1999; Athan Theoharis, Seeds of Repression: Harry S. Truman and the Origins of McCarthyism, Chicago 1971. Bester Überblick: Martin Durham, The Politics of Anger. The Extreme Right in the United States, in: Paul Hainsworth (Hg.), The Politics of the Extreme Right, London 2000, S. 287–311. Schrecker, McCarthyism, S. 15. Fried, Nightmare in Red, S. 12.
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Allen Weinstein, The Haunted Wood: Soviet Espionage in America – The Stalin Era, New York 1999; Johan Earl Haynes/Harvey Klehr, Decoding Soviet Espionage in America, New Haven 1999. Zitiert nach Schrecker, McCarthyism, S. 154. David Caute, The Great Fear: The Anti-Communist Purge under Truman and Eisenhower, New York 1978. Larry Ceplair/ Steven Englund, The Inquisition in Hollywood-Politics in the Film Community 1930-1960, Lexington 1960. US Congress, House Committee Hearings, Senate Library, 80th Congress, Bd. 1169–5, S. 491–504. Eine knappe und ins Deutsche übersetzte Auswahl der Verhörprotokolle in: Hartmut Keil, Sind oder waren Sie Mitglied? Verhörprotokolle über unamerikanische Aktivitäten 1948–1956, Reinbek 1979. Ceplair/Englund, The Inquisition in Hollywood, S. 328ff. Benjamin R. Epstein/Arnold Forster, The Radical Right. Report on the John Birch Society and Its Allies, New York 1966; Jean V. Hardisty, Mobilizing Resentment. Conservative Resurgence from the John Birch Society to the Promise Keepers, Boston 1999. Dazu auch: Wippermann, Agenten des Bösen, S. 47ff. Frederick James Simonelli, American Fuehrer. George Lincoln Rockwell and the American Nazi Party, Urbana 1999. Robert S. Griffin, The Fame of a Dead Man’s Deeds, New York 2001. Zum Folgenden: Thomas Grumke, Rechtsextremismus in den USA, Opladen 2001. Neben Grumke, Rechtsextremismus, auch: Jeffrey Kaplan, Radical Religion in America, Syracuse 1997; Charles Roberts, Race over Grace. The Racialist Religion of the Christian Identity Movement, Lincoln 2003. Zu den ideologischen Schnittmengen von Fundamentalismus und Faschismus neben Grumke, Rechtsextremismus, auch Prätorius, In God We Trust. In der deutschen Rechtsextremismusforschung ist dieser fragwürdigen Partei eine viel zu große Aufmerksamkeit gewidmet worden. Dazu: Wippermann, Agenten des Bösen, S. 94ff. Michael Zatarin, David Duke. Evolution of a Klansman, Gretna 1990; Douglas D. Rose, The Emergence of David Duke and the Politics of Race, Chapel Hill 1992. Die Anwendung des Faschismusbegriffs auf diese lateinamerikanischen Diktaturen findet man aber vornehmlich nur in der linken europäischen und lateinamerikanischen Publizistik. Paxton, Anatomie des Faschismus, S. 287, hält dies für ein „riskantes intellektuelles Unternehmen“. In den anderen Überblicken wird der Faschismus in Lateinamerika entweder gar nicht oder ganz knapp behandelt. Letzteres trifft auf Payne, Geschichte des Faschismus, S. 418-423, zu. Knapper Überblick über Faschismus und Populismus in Latein-amerika: Alistair Hennessey, Fascism and Populism in Latin America, in: Walter Laqueur (Hg.), Fascism, S. 255–262. Eine andere Meinung hat hier der amerikanische Faschismusforscher A. James Gregor vertreten. In verschiedenen seiner Publikationen hat er vor allem die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt als faschistisch bezeichnet – oder denunziert. Vgl. v. a.: A. James Gregor, The Fascist Persuasion in Radical Politics, Princeton 1974. Gustavo Gorriti, Shining Path. A History of the Millenarian War in Peru, Chapel Hill 1999.
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Zum Folgenden die allgemeinen Überblicke der argentinischen Geschichte: Arthur P. Whitaker, Argentina, Englewood Cliffs 1964; Odina SturzeneggerBenoist, L’Argentine, Paris 2006; Néstor Ponce, Argentine: crise et utopies, Paris 2001; und die einführenden Bemerkungen in: Peter Waldmann, Der Peronismus 1943–1955, Hamburg 1974. In dieser Zeit entstanden auch einige nationalistische und faschistische Gruppierungen, die jedoch alle äußerst schwach blieben und offensichtlich keinen Einfluss auf den späteren Peronismus ausgeübt haben. Vgl.: Thamer/Wippermann, Faschistische und neofaschistische Bewegungen, S. 57ff.; Sandra McGee Deutsch/Ronald H. Dolkart (Hg.), The Argentine Right, Wilmington 1993. Die in der damaligen amerikanischen Propaganda und auch noch in Teilen der marxistischen Forschung anzutreffende These von einer Nazifizierung Argentiniens von außen ist jedoch nicht zutreffend. Vgl. Ronald C. Newton, The „Nazi Menace“ in Argentina, 1931–1947, Stanford 1992. Zum Folgenden vor allem Waldmann, Der Peronismus, S. 192ff. Ferner: Geore L. Blanksten, Perón’s Argentina, Chicago 1953; Joseph R. Barager (Hg.), Why Perón Came to Power, New York 1968; Gino Germani, Authoritarianism, Fascism and National Populism, New Brunswick 1978; Robert D. Crassweller, Perón and the Enigmas of Argentina, New York 1987. Braden war dann der Verfasser eines „Blaubuchs“ des amerikanischen State Department. Foreign Relations of the United States: 1946; Bd. XI. The American Republics, Washington 1969. Eine entsprechend negative, nämlich antiamerikanische Würdigung erfuhr er bei: François Gèze/Alain Labrousse, Argentinien. Revolution und Konterrevolution, Westberlin 1976, S. 24ff. Julie Taylor, Eva Perón. The Myths of a Woman, Chicago 1979. Der Begriff „Volksstaat“ ist in bewusst provokativer Absicht auf das Dritte Reich angewandt worden von: Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt/M. 2005. Er passt weit mehr auf Peróns Regime, weil es eben keinen „Raub“- und „Rassenkrieg“ geführt und auch keine ethnischen oder „rassischen“ Minderheiten ausgeschlossen hat. Payne, Geschichte des Faschismus, S. 426ff.; Paxton, Anatomie des Faschismus, S. 282ff.; Bauerkämper, Faschismus, S. 189. Louis Mercier, Autopsie de Perón. Le bilan du péronisme, Paris 1974. Waldmann, Peronismus, S. 308ff., lehnt die Verwendung des Bonapartismusbegriffs zwar generell ab, kennzeichnet aber die „Techniken der Herrschaftsausübung“ Peróns als „bonapartistisch“. Vgl. auch: P. H. Lewis, Was Perón a Fascist? An Inquiry into the Nature of Fascism, in: Journal of Politics 42, 1980, S. 242–256; Eldon Kenworthy, The Function of the Little Known Case in Theory Formation; or: What Peronism Wasn’t, in: Comparative Poltics 6, 1973/74. S. 16–45. Dazu: Hélgio Trindade, La tentation fasciste au Brésil dans les années trente, Paris 1988. Stefan Bergmann, Brasilianische Grünhemden – Griff nach der Macht. Integralismus: Eine rechtsextreme Bewegung in den 30er-Jahren, Mettingen 1996. Robert M. Levine, The Vargas Regime. The Critical Years, 1934–1938, New York 1970. Leidtragende waren aber auch die Angehörigen der deutschen Minderheit, die gezwungen wurden, in der Öffentlichkeit auf ihre deutsche Muttersprache zu verzichten. Diese kulturelle Unterdrückung wurde aber mehr mit politischen
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Motiven, genauer mit dem Hinweis auf die auch in Brasilien rührige Auslandsorganisation der NSDAP begründet, in der Vargas nicht ganz zu Unrecht eine Art fünfte Kolonne des ausländischen Faschismus sah. Dieter Nohlen/Detlef Nolte, Chile, in: Dieter Nohlen u. a., Handbuch der Dritten Welt, Bd. 2, Bonn 1995, S. 277–383. Mario Sznajder, A Case of Non-European Fascism: Chilean National Socialists in the 1930s, in: Journal of Contemporary History 28, 1993. S. 269–296. Isidoro Bustos, Die Verfassung der Diktatur. Die Entwicklung der Grundrechte in Chile, Berlin 1987. Dieter Nohlen, Chile – Das Sozialistische Experiment, Hamburg 1973. Peter Kornbluh, The Pinochet File, New York 2003. Detlef Nolte, Staatsterrorismus in Chile, in: Hans Werner Tobler/Peter Waldmann (Hg.), Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika, Frankfurt/M. 1991. Andere Meinung dagegen bei: Olaf Glaudig/Peter Veit, Faschismus in Chile, Berlin 2001. Heinrich-W. Krumwiede/ Detlef Nolte, Chile: Auf dem Rückweg zur Demokratie?, Baden Baden 1988; Peter Imbusch u. a., Chile heute. Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt/M. 2004. Ingrid Wenzel, Der Fall Pinochet. Die Aufarbeitung der chilenischen Militärdiktatur, Köln 2001.
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Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Bd. 1–3 Berlin 1983 (zuerst 1951), Bd. 2, S. 126, 119, 114. In der Faschismusforschung sind diese Hinweise Arendts kaum beachtet und noch weniger rezipiert worden. Knappe Hinweise auf einige faschistische Bewegungen bei Payne, Geschichte, des Faschismus, S. 415–417; Paxton, Anatomie, S. 279f., und Bauerkämper, Faschismus, S. 189f. Zum Folgenden die Überblicke der südafrikanischen Geschichte von: Thomas Rodney Hope Davenport, South Africa. A Modern History, London 1991; Jörg Fisch, Geschichte Südafrikas, München 1991; Albrecht Hagemann, Kleine Geschichte Südafrikas, München 2004; Leonard Thompson, A History of South Africa, London 1990. Arendt, Elemente, Bd. 2, S. 116, spricht in diesem Zusammenhang von einer „Verwilderung“ der Buren und wirft ihnen eine „Verachtung der Arbeit“ vor. Zu diesen Konzentrationslagern, die sich aber ganz wesentlich von den späteren nationalsozialistischen unterschieden: Wolfgang Wippermann, Konzentrationslager. Geschichte, Nachgeschichte, Gedenken, Berlin 1999, S. 23ff. Annette Knecht, Ein Geheimbund als Akteur des Wandels. Der Afrikaner Broederbond und seine Rolle im Transformationsprozess Südafrikas, Frankfurt/M. 2007. Zu Weichards Partei siehe: Paxton, Anatomie, S. 380; Payne, Faschismus, S. 415 und: Patrick J. Furlong, Between Crown and Swastika. The Impact of the Radical Right on the Afrikaner Nationalist Movement in the Fascist Era, Hanover 1991. Zum Antisemitismus der Buren auch Arendt, Elemente, Bd. 2, S. 129ff. Christoph Marx, Im Zeichen des Ochsenwagens. Der radikale AfrikaanerNationalismus in Südafrika und die Geschichte der Ossewabrandwag, Berlin 1998.
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Dazu: Timothy J. Keegan, Colonial South Africa & the Origins of Racial Order, London 1996. Zum Folgenden: Deborah Posel, The Making of Apartheid 1948–1961. Conflict and Compromise, Oxford 1991; Nigel Warden, The Making of Modern South Africa. Conquest, Segregation and Apartheid, Oxford 1994; William Beinart/Saul Dubow (Hg.), Segregation and Apartheid in Twentieth-Century South-Africa, London 1995. Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, Frankfurt/M. 1974 (zuerst: New York 1940). Fraenkel hat sich aber ausschließlich auf den NS-Staat beschränkt. Eine Anwendung seiner Doppelstaats-These auf Südafrika findet man in der bisherigen Forschung nicht. Anthony Sampson, Nelson Mandela. Die Biographie, Stuttgart 1999. Diese Wahrheits- und Versöhnungskommission hat ein großes und meist positives Echo gefunden, weshalb sie auch in der Forschung viel beachtet wurde. Vgl. u. a.: Emily Hahn-Godeffroy, Die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission, Baden-Baden 1998; Ralf Wüstenberg, Wahrheit, Recht und Versöhnung. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nach den politischen Umbrüchen in Südafrika und Deutschland, Frankfurt/M. 1998. Joseph Conrad, Herz der Finsternis, Berlin 2006 (zuerst: 1902). Darauf hat bereits Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge, Bd. 2, S. 107ff. verwiesen. Vgl. auch Renate Wiggershaus, Joseph Conrad, München 2000. Pascal Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850–1918, Frankfurt/M. 2000. Gabriele Schneider, Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den afrikanischen Kolonien 1926–1941, Köln 2000; Giulia Brogini Künzi, Italien und der Abessinienkrieg 1935/36. Kolonialer Krieg oder Totaler Krieg, Paderborn 2006; Asfa-Wossen Asserate/Adam Mattioli (Hg.), Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien, Köln 2006. Zu diesen in der NS-Forschung vernachlässigten Plänen: Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, die NSDAP und die koloniale Frage 1919– 1945, München 1969; Alexander Kum’a Ndumbe III., Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas, Frankfurt/ M. 1993, Dirk van Laak, Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880–1960, Paderborn 2004. Paxton, Faschismus, S. 279, begründet diese Nichtberücksichtigung Afrikas mit dem folgenden bezeichnenden Satz: „Einfach nur mörderisch zu sein, reicht allein nicht aus, um zum Beispiel aus einem Idi Amin Dada, dem blutrünstigen Tyrannen Ugandas von 1971 bis 1978, einen Faschisten zu machen.“ Überblicksdarstellungen der Geschichte der afrikanischen Diktaturen gibt es nicht. Zum Folgenden: Peter Durignan/Robert H. Jackson (Hg.), Politics and Governance in African States 1960–1985, Stanford 1986; Walter Schicho, Handbuch Afrika, Bd. 1–3, Frankfurt/M. 2001. Über Idi Amin gibt es eine relativ umfangreiche, aber überwiegend journalistische und reißerisch aufgemachte Literatur. Seriös ist: Joseph Kamau/David Cameron, Lust to Kill. The Rise and Fall of Idi Amin, London 1979; und die vorzügliche Geschichte Ugandas von: Jan Jelmert Jörgensen, Uganda. A Modern History, London 1981. Alles nach einem Artikel von Marc Goergen auf www.stern.de vom 18. März 2007.
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Dennoch hat er 1976 die Befreiung der Passagiere einer von palästinensischen Terroristen gekaperten Air France-Maschine durch ein israelisches Einsatzkommando auf dem ugandischen Flughafen Entebbe toleriert. Robert B. Edgerton, The Troubled Heart of Africa. A History of the Congo, New York 2002. Ludo De Witte, Regierungsauftrag Mord. Der Tod Lumumbas und die KongoKrise, Leipzig 2001. Samuel G. Ikoku, Le Ghana de Nkrumah. Autopsie de la Ire République (1957–1966), Paris 1971. Julius K. Nyerere, Afrikanischer Sozialismus, Frankfurt/M. 1978, S. 81–97. In der Forschung ist Nyereres „afrikanischer Sozialismus“ für bare Münze genommen worden. Vgl. u. a.: Andrew Coulson (Hg.), African Socialism in Practice. The Tanzanian Experience, Nottingham 1979. Stephen Chan, Robert Mugabe. A Life of Power and Violence, London 2003. Dieser Titel ist ihm inzwischen wieder aberkannt worden. Boris Barth, Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen, München 2006. Uwe Hoering, Zum Beispiel Hutu & Tutsi. Der Völkermord hätte verhindert werden können, befand ein UN-Bericht, Göttingen 1997; Leonhard Harding, Ruanda – der Weg zum Völkermord. Vorgeschichte – Verlauf – Deutung, Hamburg 1998; Josias Semujanga, The Origins of Rwandan Genocide, New York 2003; Barth, Genozid, S. 112ff. Hoering, Zum Beispiel Hutu & Tutsi, S. 39; Harding, Ruanda, S. 135f.
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Forschungsüberblicke bieten: Yasushi Yamaguchi, Faschismus als Herrschaftssystem in Japan und Deutschland. Ein Versuch des Vergleichs, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 27, 1976, S. 89–99; und: Gregory J. Kasza, Fascism from Above? Japan’s Kakushin Right in Comparative Perspective, in: Larsen u. a. (Hg.), Fascism outside Europe, S. 183–232; Hans Martin Krämer, Faschismus in Japan. Anmerkungen zu einem für den internationalen Vergleich tauglichen Faschismusbegriff, in: Soziale Geschichte 20, 2005, S. 6–32; Tino Schölz, Faschismuskonzepte in der japanischen Zeitgeschichtsforschung, in: Tino Schölz u. a. (Hg.), Geschichtswissenschaft in Japan. Themen, Ansätze und Theorien, Göttingen 2006, S. 107–134. Entschieden verneint vor allem von: Bernd Martin, Zur Tauglichkeit eines übergreifenden Faschismusbegriffs. Ein Vergleich zwischen Japan, Italien und Deutschland, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29, 1981, S. 48–73. Martins Schlussfolgerung, dass der generische Faschismusbegriff abzulehnen sei, weil er nicht auf Japan anwendbar ist, geht aber zu weit. Ein umfassenderer Vergleich Deutschlands, Italiens und Japans stammt von: Paul Brooker, The Faces of Fraternalism. Nazi Germany, Fascist Italy, and Imperial Japan, Oxford 1991. Vgl. dazu einige Beiträge in: Bruce Reynolds (Hg.), Japan in the Fascist Era, New York 2004. Gute Zusammenfassung bei: Krämer, Faschismus in Japan. Der Begriff „Faschismus von oben“ wurde von mehreren marxistischen Historikern verwendet, die sich dabei vor allem auf Masao Maruyama, Thought and Behavior in Modern Japanese Politics, Oxford 1963, stützten. Von Kasza, Fascism from above?, ist dies jedoch entschieden abgelehnt worden. Instruktiv die Auswahl einiger japanischer Forschungen von: Nishikawa Masao (Hg.),
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Japan zwischen den Kriegen. Eine Auswahl japanischer Forschungen zu Faschismus und Ultranationalismus, Hamburg 1990. Zum Folgenden: John W. Hall, Japan from Prehistory to Modern Times, New York 1970; Ders., Das japanische Kaiserreich, Augsburg 2000; Reinhard Zöllner, Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn 2006. Bernard S. Silberman u. a. (Hg.), Japan in Crisis. Essays in Taisho Democracy, Princeton 1974. In Teilen der westlichen Forschung wird dagegen von einer „liberalen“ oder gar „demokratischen“ Phase gesprochen. Dazu: Miles Fletcher, The Search for a New Order. Intellectuals and Fascism in Prewar Japan, Chapel Hill 1982. George M. Wilson, Revolutionary Nationalist in Japan: Kita Ikki, 1883–1937, Cambridge 1967. Ausführliche Darstellung auch bei: Payne, Geschichte des Faschismus, S. 404ff. Kritisch dazu: Paxton, Anatomie des Faschismus, S. 289. Diese ideologischen Ähnlichkeiten sind jedoch sowohl in der deutschen wie japanischen Forschung kaum bemerkt worden. Offensichtlich gab es hier einen deutsch-japanischen Ideologietransfer. Ikki Kita, Plan for the Reorganisation of Japan, in: Ivan Morris (Hg.), Japan 1931–1945: Militarism, Fascism, Japanism, Boston 1963, S. 20–25. Hinweis bei Payne, Geschichte des Faschismus, S. 694. Ben-Ami Shillony, Revolt in Japan. The Young Officers and the February 26, 1936 Incident, Princeton 1973. Über ihn gibt es eine Biographie in englischer Sprache: Yoshitake Oka, Konoe Fumimaro, Tokio 1983. Zu diesem Zeitpunkt war aber noch keineswegs klar, ob sich Japan mit seinem deutschen Bündnispartner gegen die Sowjetunion wenden oder zunächst die USA angreifen würde. Für erstere Variante sprach sich die Armee, für Letzteres die Marine aus. Bekanntlich hat sich die Marine durchgesetzt, was Konoe Fumimaro bewog, im Oktober 1941 zurückzutreten. Tojo Hideki war aber schon im Juli 1944 von seinen Ämtern zurückgetreten, weshalb der Kapitulationsvertrag vom 2. September 1945 nicht von ihm, sondern von seinem Nachfolger Generalstabschef Umezu Yoshijiro und dem Außenminister Shigemitsu Mamoru unterzeichnet wurde. Sebastian Conrad, Krisen der Moderne? Faschismus und Zweiter Weltkrieg in der japanischen Geschichtsschreibung, in: Christoph Cornelißen u. a. (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt/M. 2003, S. 168–180. Griffin, Nature of Fascism; Ders. (Hg.), International Fascism. Erstaunlicherweise ist diese Frage in der neueren vergleichenden Faschismusforschung kaum noch gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Dies trifft auch auf Griffin zu. Obwohl seine Wiedergeburtsthese gerade auf den arabischen Nationalismus zutrifft, ist er nicht auf den Baathismus eingegangen. Ganz knappe Hinweise dagegen bei Payne, Geschichte des Faschismus, S. 632f. In der von Orientalisten verfassten Spezialforschung über die einzelnen arabischen Länder wird der Faschismusvorwurf dagegen fast einhellig abgelehnt. Jean Lacouture, Nasser, London 1973. Zur vermeintlichen Beeinflussung durch den deutschen Faschismus neben Del Boca/Giovana, Fascism today, S. 399f.; auch: Anaur Abdel-Malik, Ägypten: Militärgesellschaft. Das Armeeregime, die Linke und der soziale Wandel unter
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Nasser, Frankfurt/M. 1971, S. 264ff. Zu Nassers Antisemitismus und seiner Rezeption der Protokolle der Weisen von Zion: Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006. Mehr zu den Muslimbrüdern im nächsten Kapitel. Erwähnung hat Nasser nur in der älteren Faschismusforschung gefunden. So bei: Angelo Del Boca/Mario Giovana, Fascism Today. A World Survey, London 1979, S. 399ff.; und in einigen Werken von A. James Gregor, der aber, wie schon mehrfach erwähnt wurde, einen sehr weit gefassten Faschismusbegriff vertritt. Hanna Batatu, The Old Social Classes and New Revolutionary Movements of Iraq, London 2000. Edward Said, Orientalism, New York 1979. Zum Folgenden: Patrick Seale, Asad of Syria. The Struggle for the Middle East, London 1988; Moshe Ma’oz/Avner Yaniv (Hg.), Syria under Assad, London 1986; Pierre Guingcamp, Hafez el Assad et le Parti Baath en Syrie, Paris 1996. Zum Folgenden: Samir al-Khahil, Republic of Fear, Berkeley 1989; Marion und Peter Slugett, Der Irak seit 1958 – von der Revolution zur Diktatur, Frankfurt/ M. 1990; Abdul Maji Saman, Les années Saddam, Paris 2003. So bereits von Payne, Geschichte des Faschismus, S. 635. In den weiteren neueren Arbeiten zur Faschismusproblematik findet man dagegen entweder gar keine oder widersprüchliche Antworten auf diese Frage. Beste Darstellung und Bewertung des Islamismus: Gilles Kepel, Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, München 2002. Lawrence Davidson, Islamic Fundamentalism, London 1998; Karen Armstrong, Im Kampf für Gott. Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam, München 2004; Thomas Meyer, Fundamentalismus. Aufstand gegen die Moderne, Hamburg 1989. Zum islamistischen Antisemitismus vor allem: Bernard Lewis, „Treibt sie ins Meer!“. Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt/M. 1987. Zur neueren Entwicklung: Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg 2003. Zur Geschichte der Juden in den islamischen Reichen: Mark Cohen, Under Crescent and Cross, Princeton 2002. Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem. Amin el-Husseini und die Nationalsozialisten, Frankfurt/M. 1988; Ders., Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis, Darmstadt 2007. Zum Folgenden auch: Mallmann/Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, „Beseitigung der jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina“. Das Einsatzkommando bei der Panzerarmee Afrika 1942, in: Jürgen Matthäus/Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006, S. 153–176. Hadassa Ben-Ito, Die Protokolle der Weisen von Zion – Anatomie einer Fälschung, Berlin 1998, S. 391ff. Wippermann, Agenten des Bösen, S. 118ff. Zum Folgenden: Richard P. Mitchell, The Society of the Muslim Brothers, London 1969; Muhammed Ab Al-Fattach El-Awaisi, The Muslim Brothers and the Palestine Question 1928–1947, London 1998. Sabine Damir-Geilsdorf, Herrschaft und Gesellschaft. Der islamistische Wegbereiter Sayyid Qutb, Würzburg 2003; Adnan A. Musallam, From Secularism
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to Jihad. Sayyid Qubt and the Foundations of Radical Islamism, Westport 2005. Zur Ideologie der Hamas: Andrea Nüsse, Muslim Palestine. The Ideology of Hamas, London 2002. Charta der Hamas vom 18. August 1989, zitiert nach: Friedrich Schreiber, Aufstand der Palästinenser. Die Intifada, Opladen 1990, S. 119f. Nach einer anderen originellen Auslegung des Koran haben Juden übrigens niemals in Palästina gelebt. Als Beweis gilt die Erwähnung von David, Saul und anderen „Rechtgläubigen“ im Koran. Zu Khomeinis Leben und Aufstieg: Bahman Nirumand, Mit Gott für die Macht. Eine politische Biographie des Ayatollah Chomeini, München 1987; Gabriele Thoß/Franz-Helmut Richter, Ayatollah Khomeini, Münster 1991; Baqer Moin, Khomeini. Life of the Ayatollah, London 1999. Die durchaus ähnlichen Gedanken Sayyid Qutbs werden hier nicht erwähnt, was vermutlich an dessen Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft liegt, die von dem Schiiten Khomeini scharf abgelehnt wurde. Zum Folgenden: Amir Taheri, Chomeini und die islamische Revolution, Hamburg 1985. Wahied Wahdat-Hagh, Die islamische Republik Iran. Die Herrschaft des politischen Islam als eine Spielart des Totalitarismus, Münster 2003. Unter dem 12. Iman verstehen die Schiiten den sonst „Mahdi“ genannten Messias. Diese Rolle hat sich Khomeini aber nicht angemaßt. Als „Bassidschi“ wurden ursprünglich die Kindersoldaten verstanden, die im Krieg gegen den Irak eingesetzt beziehungsweise geopfert wurden. Dennoch gibt es auch heute noch einige Juden im Iran. Ihre Existenz ist eine Art Alibi für den nicht zu leugnenden Antisemitismus. Dies wird von iranischer Seite aus aber mit dem Hinweis geleugnet, dass man sich doch „nur“ gegen Israel und den „Zionismus“ wende. Diese Ausrede ist jedoch nicht überzeugend. Peter L. Bergen, Heiliger Krieg Inc. Osama bin Ladens Terrornetz, Berlin 2001; John Gray, Die Geburt al-Quaidas aus dem Geist der Moderne, München 2004; John L. Esposito, Terror in the Name of Islam, Oxford 2002; Paul Berman, Terror und Liberalismus, Hamburg 2004. Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1999; Bruce Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt/M. 1999; Walter Laqueur, Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus, München 2001; Kai Hirschmann/Peter Gerhard (Hg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000. Noam Chomsky, Power and Terror. US-Waffen, Menschenrechte und der internationale Terrorismus, Hamburg 2004. Gut und treffend herausgearbeitet von: Albrecht Funk, Terrorismus (internationaler), in: Ulrich Albrecht/Helmut Vogler (Hg.), Lexikon der Internationalen Politik, München 1997, S. 483–448. Paxton, Anatomie des Faschismus, S. 298, verneint diese von ihm ebenfalls gestellte Frage mit dem nicht überzeugenden Argument, dass „islamisch-fundamentalistische Bewegungen wie Al-Kaida oder die Taliban [...] keine Gegenreaktion auf eine schlecht funktionierende Demokratie sind“.
Anmerkungen
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Wolfgang Wippermann, Hat es Faschismus überhaupt gegeben? Der generische Faschismusbegriff zwischen Kritik und Antikritik, in: Krzysztof Glass/ Zdzislaw W. Puslecki (Hg.), Mitteleuropäische Orientierungen der 90er-Jahre, Wien-Poznan 1999, S. 15–28. Zu einer ähnlich pessimistischen Einschätzung ist zur gleichen Zeit auch der englische Faschismusforscher Tim Mason gelangt. Vgl.: Tim Mason, Whatever happened to „Fascism“?, in: Thomas Childers/Jane Caplan (Hg.), Reevaluating the Third Reich, New York 1993, S. 253–262. Dies gilt keineswegs nur für die marxistischen, sondern auch für die bürgerlichen Modernisierungstheorien. Faschismus war und ist weder Agent einiger Elemente noch Exponent eines bestimmten Stadiums des Kapitalismus. Sie wurden und werden aber nicht so, sondern als „rechtsradikal“ oder „rechtsextremistisch“ bezeichnet. Dies wird erstens nicht hinreichend begründet und weist zweitens eine bestimmte politische Tendenz auf. Will man doch damit gleichzeitig auch linke Bewegungen und Strömungen diffamieren, indem man sie als linke Varianten ein und desselben Phänomens bezeichnet. Es wird „Extremismus“ genannt und soll sowohl über einen linken wie einen rechten Flügel verfügen. Bonapartistisch-faschistisch waren die Regime in den baltischen Staaten, Polen und Ungarn. Die rumänische Eiserne Garde sowie die kroatische Ustascha und das Tiso-Regime in der Slowakei können dagegen als fundamentalistisch-faschistisch bezeichnet werden. Dies trifft etwa auf den Polen Bolesław Piasecki und den Ungarn Zoltán Böszörményi zu, die ihre politische Karriere in den Reihen von faschistischen Parteien begonnen haben, um sie dann in kommunistischen fortzusetzen. Aktuelles Beispiel aus der gegenwärtigen Publizistik: „Aufstand der Enttäuschten“, in: Der Spiegel 24, 2008, S. 130–132. Hauptangriffspunkt sind die Roma, die insofern die Rolle übernommen haben, die in der Zwischenkriegszeit die Juden hatten. Generell ist in der Ideologie der faschistischen Gruppierungen in Osteuropa der Antisemitismus durch den Antiziganismus verdrängt worden. Wie oben näher begründet worden ist, kann dies zumindest auf die Diktaturen Mobutus im Kongo, Tourés in Guinea, Nkrumahs in Ghana, Mugabes in Simbabwe und Nyereres in Tansania zutreffen. Dass einige dieser Diktatoren vorgaben, Linke zu sein und auch als solche angesehen wurden, ist kein entscheidendes Gegenargument. Genauer gesagt handelte es sich faktisch um eine Ein-Mann-Bewegung. Hauptakteur und völlig unbestrittener Führer war Khomeini selber. Ähnliche Gedanken und Befürchtungen habe ich bereits in folgenden Publikationen geäußert und näher ausgeführt: Wolfgang Wippermann, Rassenwahn und Teufelsglaube, Berlin 2005; Ders., Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute, Berlin 2007. Gleichwohl ist die um sich greifende Isolierung und Mythisierung des Holocaust, der mehr und mehr aus seinem historischen, genauer: faschistischen, Kontext herausgelöst und zu einem metaphysischen und rational kaum noch zu erklärenden Phänomen gemacht wird, zu kritisieren. Zu ergänzen wäre noch, dass die meisten Faschismusforscher von einer zutiefst religionsfeindlichen Einstellung des Faschismus ausgingen. Das traf je-
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Anhang doch, wie wir gesehen haben, auf die fundamentalistisch-faschistischen Bewegungen und Regime in keiner Weise zu.
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Zitiert nach der deutschen Übersetzung: Angelo Tasca, Glauben, Gehorchen, Kämpfen. Der Aufstieg des Faschismus, Wien 1969, S. 374. Zum Teil galt das auch noch für die ersten und zugleich letzten deutsch-deutschen Konferenzen, die 1989 und 1990 in Essen und Berlin stattfanden. Vgl. Grebing/Kinner 1990 und Röhr 1992. Miklós Lackó, Zur Frage der Besonderheiten des südosteuropäischen Faschismus, in Fascism and Europe, Bd. 2, Prag 1970, S. 1–22. Karl Dietrich Bracher, Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, München 1976. Henry Ashby Turner, Faschismus und Kapitalismus in Deutschland, Göttingen 1972. Reinhard Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus-Faschismus, Reinbek 1971. Manfred Clemenz, Gesellschaftliche Ursprünge des Faschismus, Frankfurt/M. 1970, S. 17. Gilbert Allardyce, What Fascism is Not: Thoughts on the Deflation of a Concept, in: American Historical Review 84, 1979, S. 367–388. Bernd Martin, Zur Tauglichkeit eines übergreifenden Faschismus-Begriffs. Ein Vergleich zwischen Japan, Italien und Deutschland, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29, 1981, S. 48–73 Vor allem in dem Interview mit dem amerikanischen Historiker Michael Ledeen: Renzo De Felice, Der Faschismus. Ein Interview von Michael A. Ledeen, Stuttgart 1977. Vgl. dazu: Wolfgang Wippermann, Umstrittene Vergangenheit. Fakten und Kontroversen zum Nationalsozialismus, Berlin 1998. Eine Ausnahme ist Roger Eatwell, der immerhin die Hälfte seiner FaschismusStudie der Zeit nach 1945 widmet.
Bibliographischer Essay „Faschismus definieren heißt zuallererst die Geschichte des Faschismus schreiben.“1 Wer wollte dieser Mahnung Angelo Tascas widersprechen. Sie mutet heute schon fast banal an. Dennoch war sie 1935, als sie von Tasca erhoben wurde, mehr als berechtigt. Die Faschismusdiskussion der Zwischenkriegszeit war nämlich überwiegend theoretisch orientiert. Man suchte nach einer allgemeinen und alles erklärenden Faschismustheorie, fand sie aber nicht. Ließ sich das Wesen des Faschismus doch weder mit dem Hinweis auf seine ökonomische Funktion noch auf seine soziale Basis und seine entweder reaktionäre oder moderne Zielsetzung erklären. Nutz- und wertlos waren die von Kommunisten, Sozialisten, Konservativen und Liberalen entwickelten „klassischen“ Faschismustheorien aber keineswegs. Sie waren Faktoren und Indikatoren des gegen den Faschismus geführten Kampfes, weshalb sie heute als Quellen der Geschichte des Antifaschismus verstanden und genutzt werden können (vgl. dazu Nolte 1967, De Felice 1980 und Wippermann 1972/1997). Für den weiteren Fortgang der Faschismusforschung wichtiger waren einige empirische und vergleichende Studien und Sammelwerke. Dies gilt für die von Carl Landauer und Hans Honegger sowie Julius Deutsch herausgegebenen Sammelwerke über den Internationalen Faschismus und den Faschismus in Europa (Landauer/Honegger und Deutsch 1929). Das mit Abstand wichtigste, aber leider kaum rezipierte Werk war die sowohl theoriegeleitete wie faktengesättigte Studie von Arkadij Gurland, die 1931 unter dem heute etwas merkwürdig wirkenden Titel Das Heute der proletarischen Aktion veröffentlicht wurde (Gurland 1931). Leider sind diese Ansätze einer vergleichenden Faschismusforschung nicht fortgeführt worden. Das Interesse der Forschung konzentrierte sich auf die Geschichte des deutschen Faschismus. Er wurde aber nicht so, sondern „Nationalsozialismus“ genannt und ist auch keineswegs mit dem italienischen Faschismus verglichen worden, sondern mit dem Kommunismus in Osteuropa. Dies im Zeichen und mit Hilfe von Totalitarismustheorien, die ähnliche, ja eigentlich noch schwerwiegendere Fehler aufwiesen wie die bis dahin entwickelten Theorien über den Faschismus. Waren sie doch mindestens genauso politisch motiviert und konnten die Unterschiede noch weniger erklären und auf den Begriff bringen, die zwischen den einzelnen Totalitarismen bestanden. Eigentlich handelte es sich mehr um Ideologien, die während des Kalten Krieges von westlicher Seite aus als politische Waffe benutzt wurden (vgl. Wippermann 1998 a). Doch das traf auch, ja vielleicht noch mehr auf die marxistischen Faschismustheorien zu, die vom Osten instrumentalisiert wurden, um den „Klassenfeind“ im innenund den „Imperialismus“ im außenpolitischen Bereich zu bekämpfen und als „faschistisch“ zu denunzieren. Mit dem eigentlichen Faschismus in Gegenwart und Vergangenheit hatte das kaum etwas zu tun. Außerdem wurde unter Faschismus eigentlich nur der Nationalsozialismus verstanden, der in den kapitalistischen Ländern des Westens, allen voran der „BRD“, noch drohe und im Grunde immer noch bestehe, weil seine kapitalistischen Wurzeln nicht wie in den „realsozialistischen“ Ländern mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden seien. Wegen dieser politischen Funktion und
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Zielsetzung sowie der einseitigen Konzentration auf den deutschen Faschismus konnte von einer wirklichen Forschung über den (generischen) Faschismus nicht die Rede sein. Das traf vor allem auf die DDR zu, in der unter Faschismus ausschließlich der deutsche verstanden wurde, dessen Wesen man fast nur mit dem Hinweis auf seine kapitalistische soziale Funktion erklären wollte. Der Beitrag der Faschismusforscher der DDR zur komparatistischen Erforschung des generischen Faschismus war gleich Null. In allen ihren Werken war nur vom Nationalsozialismus die Rede. Dies galt auch für das repräsentative Sammelwerk von Eichholtz/Gossweiler 1980.2 Der wichtigste Anstoß zu einer Neubelebung der vergleichenden Forschung über den generischen Faschismus ging von Ernst Nolte aus. Hier ist nicht nur sein klassisches Werk über den Faschismus in seiner Epoche, sondern weit mehr noch sein nachfolgendes kleineres Buch über Die faschistischen Bewegungen zu erwähnen, in dem er mit keineswegs nur ideen-, sondern auch politikgeschichtlichen Methoden fast alle Faschismen im Europa der Zwischenkriegszeit analysiert hat (Nolte 1963, Nolte 1968). Während Noltes eher philosophische Definition des Faschismus viel kritisiert wurde, ist sein Plädoyer für die Beibehaltung des generischen Faschismusbegriffes weitgehend akzeptiert und rezipiert worden. Dies gilt zum Teil auch für seine Unterscheidung zwischen dem – italienischen – „Normal-“ und dem – deutschen – „Radikalfaschismus“. Nach (zum Teil sogar schon vor) dem Erscheinen von Faschismus in seiner Epoche veröffentlichten verschiedene andere Historiker (darunter mehr ausländische als deutsche) Gesamtdarstellungen und Sammelwerke zur Geschichte des (generischen) Faschismus vornehmlich im Europa der Zwischenkriegszeit. Neben dem knappen, aber sehr wichtigen Buch von Eugen Weber über Varieties of Fascism (Weber 1964), der Studie des aus Deutschland stammenden Francis L. Carsten über den Aufstieg des Faschismus in Europa (Carsten 1968) und des ganz ausgezeichneten Lexikonsartikels von Wolfgang Schieder (Schieder 1968) sind hier die Aufsatzsammlungen von Rogger/ Weber 1965, Laqueur/Mosse 1966 und Woolf 1980 zu erwähnen. Besondere Beachtung verdient der Sammelband Fascism and Europe, der die Beiträge eines Internationalen Symposiums enthält, an dem Faschismusforscher aus dem Westen und dem Osten teilgenommen haben. Dies fand in Prag und ein Jahr nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings statt (Fascism 1970). Die sich auf der Prager Konferenz andeutende Annäherung zwischen den westlichen und östlichen Faschismusforschern setzte sich jedoch nicht fort. Während die östliche Seite zu der bereits (unter anderem von dem ungarischen Faschismusforscher Miklós Lackó3) infrage gestellten dogmatischen Definition des Faschismus als Instrument einiger „Elemente des Finanzkapitals“ zurückkehrte, wurde im Westen für die Wiederbelebung der fast schon überwundenen Totalitarismustheorie plädiert (vgl. Wippermann 1998 a). Dies geschah aus vornehmlich politischen Gründen, befürchteten Historiker wie der Deutsche Karl Dietrich Bracher4 und der US-Amerikaner Henry A. Turner5 doch eine Gefährdung sowohl des demokratischen Charakters wie der kapitalistischen Struktur der westlichen Staaten, wenn sich der generische Faschismusbegriff im Allgemeinen, seine marxistische Ausrichtung und Begründung im Besonderen durchsetzen würde. Das war natürlich Unsinn, aber nicht völlig unbegründet. Hatten doch Angehörige der internationalen Studentenbewegung die marxistischen Faschismustheorien der Zwischenkriegszeit wiederentdeckt, um sie in allerdings arg vergröberter Form für ihren gegenwartspolitischen Kampf gegen das kapitalistische und angeblich nur scheindemokratische „System“ nutzbar zu machen. Von einigen ihrer Professoren be-
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lehrt, wonach Demokratie beziehungsweise „Liberalismus“ und „Faschismus“ nicht konträre, sondern ähnliche „Formen bürgerlicher Herrschaft“ seien6, riefen sie zur Zerschlagung eben dieser „bürgerlichen Herrschaft“ auf und skandierten: „Kapitalismus führt zum Faschismus – Kapitalismus muss weg!“ Einige, aber sehr wenige ließen diesen radikalen Worten radikale, genauer terroristische Taten folgen und attackierten erst ihre „bürgerlichen“ Professoren, dann weitere Repräsentanten des „bürgerlichen Systems“. (Zur Kritik: Wippermann 1972, Grebing 1974.) Doch diese missbräuchliche, fehlgeleitete Verwendung des Faschismusbegriffs für politische und terroristische Zwecke allein wäre kein ausreichender Grund gewesen, seine Legitimität infrage zu stellen. Hinzu kamen die unverkennbaren wissenschaftlichen Schwächen und Fehler der neomarxistischen Faschismusdiskussion. Einer war die schon fast naiv anmutende Behauptung, wonach bereits „nahezu jedes empirische Detail faschistischer Bewegungen und Systeme“ so gründlich „analysiert oder zumindest beschrieben“ sei, dass man sich jetzt getrost auf seine „gesellschaftlichen Ursprünge“ und ihre instrumentalistische Erklärung konzentrieren könne.7 Dass dies eben nicht so war, weil viele und keineswegs nur „empirische Details“, sondern Grundfragen der Geschichte der „faschistischen Bewegungen und Systeme“ und ihrer Vergleichbarkeit eben nicht „analysiert“ und bewiesen waren, machten sich nun einige Kritiker der Verwendung des allgemeinen Faschismusbegriffs zunutze. Historiker wie der US-Amerikaner Gilbert Allardyce8, der Deutsche Bernd Martin9, der Italiener Renzo De Felice10 und viele andere wiesen auf die vielen Ungereimtheiten in der theoretischen und die Versäumnisse der empirischen Faschismusforschung hin, um daraus den Schluss zu ziehen, dass es Faschismus gar nicht gegeben habe, jedenfalls nicht außerhalb Italiens. Diesen Einwänden wäre durch eine Intensivierung der vergleichenden Faschismusforschung zu begegnen gewesen. Sie hätte nachweisen können, dass es eben auch bedeutsame Gemeinsamkeiten zwischen den Faschismen gegeben hat und dass die unverkennbaren Unterschiede kein Grund sind, den Systembegriff Faschismus völlig aufzugeben, zumal jene Unterschiede ja auch bei anderen Begriffen und Systemen wie Absolutismus, Liberalismus, Sozialismus et cetera anzutreffen sind. Doch all dies geschah nicht oder kaum. Es erschienen nur noch wenige vergleichende Arbeiten zur Faschismusproblematik. Zu nennen sind die von A. James Gregor (Gregor 1969 und Gregor 1974), der aber von einem sehr weit gefassten Faschismusbegriff ausging, die Vergleichsstudie von Stanley Payne (Payne 1980), der Versuch einer Zusammenfassung der empirischen Faschismusforschung von Hans-Ulrich Thamer und Wolfgang Wippermann (Thamer/Wippermann 1977) und eine vergleichende Darstellung des Faschismus in Europa von Wolfgang Wippermann (Wippermann 1983). Ein sozialgeschichtlich orientierter Vergleich zwischen Nationalsozialismus und italienischem Faschismus wurde in einer von Wolfgang Schieder herausgegebenen Aufsatzsammlung vorgenommen (Schieder 1976). Mit der Frage nach der sozialen Herkunft der Mitglieder und Wähler der verschiedenen faschistischen Bewegungen in Europa beschäftigte sich ein weiterer Sammelband (Larsen 1980). Doch sonst beschränkte sich die deutsche und jetzt auch internationale Forschung auf den deutschen Faschismus, ohne ihn auch nur in Ansätzen mit anderen Faschismen zu vergleichen. Die, wie man besser und zutreffender sagen sollte, Nationalsozialismusforschung wurde zunehmend detaillierter und differenzierter und konzentrierte sich mehr und mehr auf ein Phänomen, das Holocaust genannt und als singulär angesehen wurde.11 Letzteres, die angebliche völlige Singularität des Holocaust wurde zudem als ein weiteres Argument angesehen, um die Legitimität des generischen Faschismusbegriffs infrage zu stellen.
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Anhang Der unerwartete Zusammenbruch erst der DDR, dann des gesamten kommunistischen Staatensystems in Europa führte zudem zu einer Verlagerung des Interesses der Forschung auf die „realsozialistischen“ Staaten im Allgemeinen und die DDR im Besonderen. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Renaissance der Totalitarismustheorie, wobei jetzt keineswegs mehr nur Vergleiche zwischen der Sowjetunion unter Stalin und Hitlers Deutschland, sondern auch zwischen dem Dritten Reich und der DDR gezogen wurden. Von „Faschismus“ sprach jetzt kaum noch jemand und durfte es auch nicht tun, galt dieser Begriff doch als politisch, genauer DDR-belastet. Doch im westlichen Ausland, vor allem im angelsächsischen Sprachbereich hatte man diese Berührungsängste nicht. Hier erschienen weitere Bücher über den in Deutschland geradezu tabuisierten und verfemten „Faschismus“. Zu nennen sind einmal die knappen Gesamtüberblicke von Morgan 2003, Neocleous 2002 und Passmore 2002. Während sich Blinkhorn 2000 und Hainsworth 2000 mit dem Verhältnis von Faschismus und Konservativismus auseinandersetzten, haben Eatwell 1995, Payne 2001, Griffin 1991 und 1995 und Mann 2004 versucht, Faschismus idealtypisch mit dem Hinweis auf ein „faschistisches Minimum“ zu definieren. Dabei wurde aber vornehmlich auf die Ideologie des Faschismus verwiesen. Nach Meinung Griffins sei ihr Kernelement ein auf die nationale Wiedergeburt abzielender Nationalismus gewesen, weshalb er Faschismus kurz und knapp als „palingenetischen Ultranationalismus“ definierte. Robert Paxton entwickelte dagegen eine sogenannte praxeologische Definition (Paxton 2006). Unter dem Einfluss dieser neuen angloamerikanischen Faschismusdiskussion ist es auch in Deutschland zu einer Wiederbelebung der vergleichenden Faschismusforschung gekommen. Dabei wurden nicht nur die Vergleiche zwischen Faschismus und Nationalsozialismus wieder aufgegriffen (vgl. Nolzen/Reichardt und Schieder 2008), in der Festschrift für Wolfgang Schieder (Dipper 1998) wurde der italienische auch mit anderen Faschismen verglichen. Diese und einige andere Studien waren noch strikt sozialgeschichtlich orientiert. Dies gilt auch für den zwar äußerst knappen, aber ganz vorzüglichen Überblick der Geschichte des Faschismus in Europa 1918–1945 von Arnd Bauerkämper (Bauerkämper 2006). Ich selber habe meine schon vorher entwickelte realtypische Faschismusdefinition (Wippermann 1983) einem internationalen Forum vorgestellt und gegen Widerspruch verteidigt (Loh/Wippermann 2002). Mit Ausnahme einiger deutscher stimmten jedoch alle anderen Diskussionsteilnehmer meinem Plädoyer für die Beibehaltung eines generischen Faschismusbegriffs zu. Doch darum geht es nicht, jedenfalls nicht allein. Wichtiger als die Definition des Faschismus ist, um noch einmal Angelo Tascas eingangs zitierte Mahnung zu wiederholen, seine Beschreibung. Dabei kann man sich neben den – hier aber nicht mehr vorzustellenden Werken – zu einzelnen Faschismen auf die älteren, aber keineswegs völlig überholten Gesamtdarstellungen von Nolte 1968, Schieder 1968, Thamer/Wippermann 1977, Weber 1964, Wippermann 1983 und die neueren von Bauerkämper 2006, Eatwell 1995, Paxton 2006, Payne 2001 stützen. Nicht sehr überzeugend ist dagegen der Überblick des polnischen Historikers Jerzy Borejsza (Borejsza 1999). Zu erwähnen und ebenfalls heranzuziehen sind aber auch die Sammelwerke über die Autoritären Regime in Ostmittel- und Südosteuropa (Oberländer 2001) und die groß angelegte Studie von Gerhard Besier über Das Europa der Diktaturen (Besier 2006). Doch diese und einige andere Arbeiten zur vergleichenden Faschismusforschung gehen entweder gar nicht oder kaum auf die Faschismen außerhalb Europas und nach 1945 ein.12 Ganz den außereuropäischen Faschismen gewidmet ist dagegen ein Sammelband, der von dem Norweger Stein U. Larsen herausgegeben wurde (Larsen 2001). Zum Faschismus nach 1945 gibt es zwar relativ zahlreiche Arbeiten, doch sie
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gehen bewusst und dezidiert nicht von einem generischen Faschismusbegriff aus. Besonders wichtig sind Betz/Immerfall 1998, Greven/Grunke 2006, Hainsworth 2000, Kirfel/Oswalt 1991, Kitschelt/McGann 1995, Ramet 1999. Insgesamt aber ist festzustellen, dass eine umfassende Studie zum globalen Faschismus vor und nach 1945 bisher noch nicht vorlag.
Literatur Wolfgang Abendroth (Hg.), Faschismus und Kapitalismus, Frankfurt/M. 1967 (Abendroth 1967) Arnd Bauerkämper, Der Faschismus in Europa 1918–1945, Stuttgart 2006 (Bauerkämper 2006) Gerhard Besier, Das Europa der Diktaturen. Eine neue Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2006 (Besier 2006) Richard Bessel (Hg.), Fascist Italy and Nazi Germany. Comparisons and Contrasts, Oxford 1996 (Bessel 1996) Hans-Georg Betz/Stefan Immerfall (Hg.), The Politics of the Right. Neo-Populist Parties and Movements in Established Democracies, New York 1998 (Betz/Immerfall 1998) Martin Blinkhorn (Hg.), Fascists and Conservatives: The Radical Right and the Establisment in Twentieth Century Europe, Winchester 1990 (Blinkhorn 1990) Martin Blinkhorn, Fascism and the Right in Europe 1919–1945, Harlow 2000 (Blinkhorn 2000) Jerzy Borejsza, Schulen des Hasses. Faschistische Systeme in Europa, Frankfurt/M. 1999 (Borejsza 1999) Stefan Breuer, Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich, Darmstadt 2005 (Breuer 2005) Francis L. Carsten, Der Aufstieg des Faschismus in Europa, Frankfurt/M. 1968 (Carsten 1968) Julius Deutsch (Hg.), Der Faschismus in Europa. Eine Übersicht, Wien 1929 (Deutsch 1929) Christof Dipper (Hg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich. Wolfgang Schieder zum 60. Geburtstag, Vierow 1998 (Dipper 1998) Roger Eatwell, Fascism. A History, London 1995 (Eatwell 1995) Dietrich Eichholtz/Kurt Gossweiler (Hg.), Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, Berlin 1980 (Eichholtz/Gossweiler 1980) Fascism and Europe. An International Symposium, Bd. 1–3, Prag 1970 (Fascism 1970) Renzo De Felice, Die Deutungen des Faschismus, Göttingen 1980 (De Felice 1980) Helga Grebing, Aktuelle Theorien über Faschismus und Konservativismus. Eine Kritik, Stuttgart 1974 (Grebing 1974) Helga Grebing/Klaus Kinner (Hg.), Arbeiterbewegung und Faschismus. FaschismusInterpretationen in der europäischen Arbeiterbewegung, Essen 1990 (Grebing/ Kinner 1990) A. James Gregor, The Ideology of Fascism, New York 1969 (Gregor 1969) A. James Gregor, The Fascist Persuasion in Radical Politics, Princeton 1974 (Gregor 1974) A. James Gregor, Interpretations of Fascism, Morristown 1979 (Gregor 1979)
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Anhang Theo Pirker (Hg.), Komintern und Faschismus. Dokumente zur Geschichte und Theorie des Faschismus, Stuttgart 1965 (Pirker 1965) Sabrina P. Ramet (Hg.), The Radical Right in Central and Eastern Europe since 1989, University Park 1999 (Ramet 1999) Werner Röhr (Hg.), Faschismus und Rassismus. Kontroversen um Ideologie und Opfer, Berlin 1992 (Röhr 1992) Hans Rogger/Eugen Weber (Hg.), The European Right. A Historical Profile, Stanford 1965 (Rogger/Weber 1965) Wolfgang Schieder, Faschismus, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 2, Freiburg 1968, Sp. 439–477 (Schieder 1968) Wolfgang Schieder (Hg.), Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich, Hamburg 1976 (Schieder 1976) Wolfgang Schieder, Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008 (Schieder 2008) Noël O’Sullivan, Fascism, London 1983 (O’Sullivan 1983) Hans-Ulrich Thamer/Wolfgang Wippermann, Faschistische und neofaschistische Bewegungen. Probleme empirischer Faschismusforschung, Darmstadt 1977 (Thamer/Wippermann 1977) Eugen Weber, Varieties of Fascism. Doctrines of Revolution in the 20th Century, London 1964 (Weber 1964) Wolfgang Wippermann, Faschismustheorien. Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion, Darmstadt 1972; 7. völlig neu überarbeitete Auflage unter dem Titel: Faschismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1997 (Wippermann 1972/1997) Wolfgang Wippermann, Zur Analyse des Faschismus. Die sozialistischen und kommunistischen Faschismustheorien 1921–1945, Frankfurt/M. 1981 (Wippermann 1981) Wolfgang Wippermann, Europäischer Faschismus im Vergleich 1922–1982, Frankfurt/M. 1983 (Wippermann 1983) Wolfgang Wippermann, Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1998 (Wippermann 1998a) Stuart J. Woolf (Hg.), Fascism in Europe, London 1981 (Woolf 1980)
Namenregister Achenbach, Ernst (1909–1991) 64 Aflaq, Michel (1910–1989) 258, 259 Ahmadinedschad, Mahmud (geb. 1956) 202, 278 al-Arsuzi, Zaki 258, 259 al-Assad, Hafiz (1930–2000) 259, 260, 261, 262 al-Banna, Hassan (1906–1949) 271, 272, 289 Albiñana, José María 91 al-Bitar, Salah ad-Din (1912–1980) 258, 259 Alexander I. Jugoslawien (1888–1934) 159, 160 Alexander II. Russland (1818–1881) 169 Alfons XII., Spanien (1857–1885) 86 Alfons XIII., Spanien (1886–1941) 86, 89, 90 al-Gaddafi, Muammar (geb. 1942) 231 al-Hudaybi, Hassan (1891–1973) 272 al-Husseini, Haj Amin (vermutlich 1893–1974) 268, 269, 270, 289 al-Kailani, Rasid Ali (1892–1965) 268 Allende, Salvador (1908–1973) 213, 214 Allesandri, Jorge (1896–1986) 213 Almirante, Giorgio (1914–1988) 44, 45, 284 Amin, Idi (1928–2003) 228, 229, 230, 232, 233 Antonescu, Ion (1882–1946) 153, 154 Arafat, Yassir (1929–2004) 268, 270, 271 Arendt, Hannah (1906–1975) 218 Aznar, José María (geb. 1953) 98 Bachelet, Michelle (geb. 1951) 215 Bachtiar, Schapur (1914–1991) 276 Badoglio, Pietro (1871–1956) 43 Balabanoff, Angelica (1878–1965) 37 Baldwin, James (1924–1987) 105
Barkaschow, Alexander 176 Barrès, Maurice (1862–1923) 24 Batista, Fulgencio (1901–1973) 203 Bazargan, Mehdi (1907–1995) 276 Berlusconi, Silvio (geb. 1936) 45, 48, 49, 284 Best, Werner (1903–1989) 64 Birch, John (1918–1945) 195, 196, 199 Bismarck, Otto von (1815–1898) 20, 34, 50, 51, 52, 53, 70, 87 Bissolati, Leonida (1857–1920) 37 Blanco, Luis Carrero (1903–1973) 97 Blanqui, Auguste (1805–1881) 17 Blomberg, Werner von (1878–1946) 59 Blum, Lèon (1872–1950) 29 Bokassa, Jean-Bédel (1921–1996) 230, 231, 232, 233 Bonaparte, Louis (1808–1873) 16, 17, 18, 19, 21, 32, 34, 74, 86, 209 Boris III. Bulgarien (1894–1943) 155 Bose, Subhash Chandra (1897–1945) 289 Bossi, Umberto (geb. 1941) 47, 49, 284 Botha, Pieter Willem (1916–2006) 224, 225 Boulanger, Georges Ernest (1837– 1891) 21, 22, 23, 24 Braden, Spruille 206 Brecht, Bertold (1898–1956) 168, 195 Bruck, Arthur Moeller van den (1876– 1925) 252 Brüning, Heinrich (1885–1970) 56 Bucard, Marcel (1895–1946) 25, 26, 29 Bush, George W. (geb. 1946) 199, 262, 264, 265, 280, 286 Butler, Richard (1902–1982) 198 Campo, Carlos Ibáñez del (1877–1960) 213
332
Anhang
Castillo, Antonio Cánovas del (1828– 1897) 87 Cavaignac, Eugène (1802–1857) 17, 18 Cavour, Camillo Benso Graf von (1810–1861) 34, 35 Ceauşescu, Nikolae (1918–1989) 154 Celmiņš, Gustav (1899–1968) 131 Chirac, Jacques (geb. 1932) 33, 233 Chomsky, Noam (geb. 1928) 280 Christophersen, Thies (1918–1997) 66 Clausen, Frits (1893–1947) 112, 113 Clercq, Staf de (1884–1942) 116, 119 Codreanu, Corneliu Zelea (1899–1938) 152, 153, 154 Conrad, Joseph (1857–1924) 227, 235 Corradini, Enrico (1865–1931) 36 Coughlin, Charles (1891–1979) 189, 191 Curzon, George (1859–1925) 105, 137, 140 D’Annunzio, Gabriele (1863–1938) 38 d’Estaing, Valéry Giscard (geb. 1926) 231 Dacko, David (1930–2003) 230, 231 Daudet, Léon (1867–1942) 25 Déat, Marcel (1894–1955) 26, 27, 29, 30 Degrelle, Léon (1906–1994) 117, 118, 119 Dérouléde, Paul (1846–1914) 22, 24 Deutsch, Julius (1884–1968) 130 Dmowski, Roman (1864–1939) 136, 137, 139, 140 Dollfuß, Engelbert (1892–1934) 68, 72, 74, 75, 76, 77, 79, 130, 284 Dorgères, Henri (1897–1985) 25, 26, 27, 31 Doriot, Jacques (1898–1945) 26, 27, 29, 30 Dreyfus, Alfred (1859–1935) 23, 24, 31 Dugin, Alexander (geb. 1962) 178 Duke, David (geb. 1950) 200, 201, 202, 286 Duvalier, Francois (1907–1971) 203 Eberl, Irmfried (1910–1948) 78 Eichmann, Adolf (1906–1962) 78, 149, 269 Elias, Hendrik 119
el-Krim, Mohammed abd (1880–1963) 88 Engels, Friedrich (1820–1895) 19, 21, 23 Eriksson, Elof 102 Escrivá, Josemaría (1902–1975) 97, 98, 99 Espartero, Baldomero (1792–1879) 86 Evans, Hiram Wesley 184, 185 Eyadéma, Gnassingbé (1935–2005) 232, 233 Faisal II., Irak (1935–1958) 262 Faruk I., Ägypten (1920–1965) 257, 272 Federzoni, Luigi (1978–1967) 36 Felice, Renzo de 46 Felmy, Hellmuth (1885–1965) 269 Ferdinand I. Rumänien (1865–1927) 151 Ferdinand II., Spanien (1452–1516) 92 Ferdinand VII., Spanien (1784–1833) 85 Fini, Gianfranco (geb. 1952) 45, 46, 47, 49, 284 Ford, Henry (1863–1947) 190 Fortuyn, Pim (1948–2002) 114 Franco y Bahamonde, Francisco (1892– 1975) 10, 42, 45, 84, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 157, 221, 284 Frei, Eduardo (1911–1982) 213 Frey, Gerhard (geb. 1933) 67, 68 Freyre, Gilberto (1900–1987) 210 Frick, Wilhelm (1877–1946) 57 Friedman, Milton (1912–2006) 214 Friedrich der Große (1712–1786) 50 Fritsch, Werner von (1880–1939) 59 Fritzsche, Hans (1900–1953) 64 Fukuyama, Francis (geb. 1952) 291 Fumimaro, Konoe (1891–1945) 253, 254, 255 Für, Lajos 150 Furugård, Gunnar 102 Furugård, Sigurd 102 Garibaldi, Giuseppe (1807–1882) 35 Gaulle, Charles de (1890–1970) 30, 31, 32, 33, 236, 270 Georg II. Griechenland (1890–1947) 155
Namenregister Georgiew, Kimon (1882–1969) 155 Giertych, Roman (geb. 1971) 141 Gil-Robles, José María (geb. 1935) 90 Giolitti, Giovanni (1842–1928) 35, 36 Globocnik, Odilo (1904–1945) 78 Goebbels, Joseph (1897–1945) 64 Goldhagen, Daniel (geb. 1959) 46 Gömbös, Gyula (1886–1936) 148 González, Felipe (geb. 1942) 98 Göring, Hermann (1893–1946) 57, 64 Griffin, Roger 11, 256, Grunitzky, Nicolas (1913–1969) 232 Gurland, Arkadij 128, 144, 145, 296 Habyarimana, Juvénal (1937–1994) 244 Haider, Jörg (1950–2008) 81, 82, 83, 112 Hale, Matthew F. (geb. 1971) 198 Handlos, Franz (geb. 1939) 67 Haussmann, Georges-Eugène (1809– 1891) 20 Hedilla, Manuel 95 Henlein, Konrad (1898–1945) 143 Hertzog, James Barry (1866–1942) 219, 221 Herzl, Theodor (1860–1904) 23 Heydrich, Reinhard (1904–1942) 64, 78 Hideki, Tojo (1884–1948) 248, 253, 254, 255 Himmler, Heinrich (1900–1945) 64, 239 Hindenburg, Paul von (1847–1934) 57, 59 Hirohito, Japan (1901–1989) 248, 254, 255 Hitler, Adolf (1889–1945) 41, 42, 50, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 67, 71, 76, 77, 78, 93, 96, 103, 106, 107, 108, 111, 132, 139, 143, 148, 149, 153, 165, 175, 176, 178, 191, 192, 205, 221, 228, 241, 254, 265, 269 Hlinka, Andrej (1864–1938) 142, 143 Hoornaert, Paul 116, 117 Hoover, John Edgar (1895–1972) 188, 193 Horthy, Niklós (1868–1957) 146, 147, 148, 149, 150 Hugo, Victor (1802–1885) 19
Huisgen, Horst 64 Hussein, Saddam (1937–2006) 262, 263, 264, 265, 289 Ikki, Kita (1883–1937) 252, 253 Iribarne, Manuel Fraga (1922–2006) 97, 98 Isabella I., Spanien (1451–1504) 92 Isabella II., Spanien (1830–1904) 85, 86 Jelzin, Boris (1931–2007) 177, 179 Johnson, Andrew (1808–1875) 183 Juárez, Benito (1806–1872) 20 Kabila, Laurent-Désiré (1939–2001) 235 Kaczynski, Jaroslaw (geb. 1949) 141 Kaczynski, Lech (geb. 1949) 141 Kagame, Paul (geb. 1957) 245 Kaltenbrunner, Ernst (1903–1946) 78 Kasavubu, Joseph (vermutlich 1910– 1969) 234 Kayibanda, Grégoire (1924–1976) 244 Kekkonen, Urho (1900–1986) 123 Keynes, John Maynard (1883–1946) 106, 190 Khamenei, Ali (geb. 1939) 278 Khomeini, Ruholla (1902–1989) 274, 275, 276, 277, 278, 289, 290 Kjærsgaard, Pia (geb. 1947) 112 Klerk, Frederik Willem de (geb. 1936) 225 Koc, Adam 139 Kosola, Vihtori 122 Kreisky, Bruno (1911–1990) 79, 80 Krucevan, Pavolaki Aleksandrowitsch 170 Kun, Béla (1886–1939) 147 Laden, Osama bin (geb. vermutlich 1957) 279, 280, 281 Lafargue, Paul (1842–1911) 22 Laqueur, Walter (geb. 1921) 168, 179 Lauck, Gary (geb. 1953) 200, 201 Laval, Pierre (1883–1945) 27, 28, 29, 30 Le Pen, Jean-Marie (geb. 1928) 30, 31, 33 Ledesma Ramos, Ramira (1905–1936) 91, 92
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Anhang
Ledru-Rollin, Alexandre (1807–1874) 17, 18 Lemke, William (1878–1950) 191 Lenin, Wladimir I. (1870–1924) 41, 109, 120, 168, 169, 173, 174, 178 Leopold III. Belgien (1901–1983) 118 Lepper, Andrzej (geb. 1954) 141 Leuchter, Fred (geb. 1943) 201 Lincoln, Abraham (1809–1865) 183, 193 Lindholm, Sven-Olof (1903–1998) 102 Louis Philippe Frankreich (1773–1850) 17, 18 Lübke, Heinrich (1894–1972) 232 Ludendorff, Erich (1865–1937) 55 Lueger, Karl (1844–1910) 69, 71, 72 Lumumba, Patrice (1925–1961) 234 Luther, Martin (1483–1546) 50 MacDonald, Ramsay (1866–1937) 105 Malan, Daniel François (1874–1959) 219, 220, 221, 222 Mandela, Nelson (geb. 1918) 225 Mannerheim, Carl Gustaf Emil (1867– 1951) 120 Maria Christina, Spanien (1806–1878) 85, 86 Marx, Karl (1818–1883) 18, 19, 21, 22, 86, 236, 292 Matteotti, Giacomo (1885–1924) 40 Maunz, Theodor (1901–1993) 68 Maura y Montaner, Antonio (1853– 1925) 87, 88, 89 Maurras, Charles (1868–1952) 16, 24, 25, 258 McCarthy, Joseph (1908–1957) 192, 195, 196 McVeigh, Timothy (1968–2001) 200 Mečiar, Vladimir (geb. 1942) 144, 285 Medwedew, Dmitri (geb. 1965) 179 Meinecke, Friedrich (1862–1954) 50 Metaxas, Ioannis (1871–1941) 156 Metzger, Tom (geb. 1938) 199 Milošević, Slobodan (1941–2006) 163, 164, 165, 285 Mobutu, Joseph-Désiré (1930–1997) 233, 234, 235, 245 Moczar, Mieczysław (1913–1986) 141 Mola, Emilio (1887–1937) 93 Moltke, Johann von 220 Mościcki, Ignacy (1867–1946) 139
Mosley, Oswald (1896–1980) 105, 106, 107, 108, 221 Mugabe, Robert (geb. 1924) 236, 240, 241, 245 Mussert, Adriaan (1894–1946) 113, 114 Mussolini, Benito (1883–1945) 26, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 49, 55, 59, 60, 75, 76, 77, 89, 101, 106, 117, 149, 156, 160, 165, 189, 221, 254, 258, 268, 284 Mutsuhito, Japan (1852–1912) 250, 251, 252 Napoleon I. (1769–1821) 16, 20, 86 Napoleon III., siehe Louis Bonaparte Narváez, Ramón Maria (1800–1868) 86 Nasser, Gamal Abdel (1918–1970) 256, 257, 258, 272, 273 Naudé, Jozua (1889–1969) 220 Naumann, Werner (1909–1982) 64, 65 Nilus, Sergei (1862–1929) 170 Nixon, Richard (1913–1994) 213 Nkrumah, Kwame (1909–1972) 235, 237, 238, 239, 245 Nolte, Ernst (1923) 10, 16, 46, 282, 297 Nyerere, Julius (1922–1999) 236, 239, 240, 245 O’Donnell, Leopoldo (1809–1867) 86 Obote, Milton (1924–2005) 229 Olympio, Sylvanus (1902–1963) 232 Orbán, Viktor (geb. 1963) 150 Ortega, Onésimo Redondo 91 Paasikivi, Juho Kusti (1870–1956) 123 Palmer, Alexander Mitchell (1872– 1936) 188, 189 Papadópoulos, Georgios (1919–1999) 157, 158 Papandreou, Andreas (1919–1996) 157 Papen, Franz von (1879–1969) 56, 57 Papini, Giovanni (1881–1956) 36 Papst Benedikt XVI. (geb. 1927) 100 Pareto, Vilfredo (1848–1923) 36 Päts, Konstantin (1874–1956) 129, 130, 134, 139
Namenregister Pavelië, Ante (1889–1959) 160, 161, 162 Pelley, William Dudley (1890–1965) 192 Peres, Shimon (geb. 1923) 270 Péron, Eva Duarte de (1919–1952) 206, 207 Perón, Isabel (geb. 1931) 208 Perón, Juan (1895–1974) 205, 206, 207, 208, 209, 287 Pétain, Henri Philippe (1856–1951) 27, 28, 29, 31 Pfrimer, Walter (1881–1968) 74 Piasecki, Bołeslaw (1915–1979) 139, 140, 141 Pierce, William Luther (geb. 1933) 199, 200 Piłsudski, Józef (1867–1935) 136, 137, 138, 139, 140 Pinochet, Augusto (1915–2006) 212, 213, 214, 215, 287 Pirow, Oswald (1890–1959) 220, 221 Poujade, Pierre (1920–2003) 30, 31 Powell, Enoch (1912–1998) 108 Prezzolini, Giuseppe (1882–1982) 36 Primo de Rivera, José Antonio (1903– 1936) 91, 92, 95 Primo de Rivera, Miguel (1870–1930) 89, 90, 91 Putin, Wladimir (geb. 1952) 177, 179 Quisling, Vidkun (1887–1945) 109, 110, 111, 124 Qutb, Sayyid (1906–1966) 257, 271, 272, 273, 289 Radić, Stjepan (1871–1928) 159 Rauter, Albin (1895–1949) 114 Redondo, Onésimo (1905–1936) Remer, Otto Ernst (1912–1997) 65, 66 Renner, Karl (1870–1950) 78 Rensburg, Johannes Frederik Janse (Hans) van (1939–1966) 221, 222 Rheinthaller, Anton (1895–1958) 79 Rocco, Alfredo (1875–1935) 36 Rockwell, George Lincoln (1918–1967) 196, 197, 199 Rocque, François de la (1885–1946) 25, 27 Rommel, Erwin (1891–1944) 257, 269
Roosevelt, Franklin Delano (1882– 1945) 61, 189, 190, 191, 192, 193, 253 Rudolf, Germar (geb. 1964) 201 Rydz-Śmigly, Edward (1886–1941) 139 Safawi, Seyyed Nabawi 275 Sagasta, Mateo (1825–1903) 87 Said, Edward (1935–2003) 258 Salazar, Antonio de Oliveira (1889– 1970) 221 Salgado, Plínio (1895–1975) 210, 211 Samuel, Herbert (1870–1963) 268 Sanjurjo, José (1872–1936) 93 Scheel, Gustav Adolf (1907–1979) 64 Schifrin, Alexander 128, 144 Schirinowski, Wladimir (geb. 1946) 177, 178 Schiwkow, Todor (1911–1998) 155 Schleicher, Kurt von (1882–1934) 56 Schönerer, Georg Ritter von (1842– 1921) 69, 70, 71 Schönhuber, Franz (1923–2005) 66, 67 Schuschnigg, Kurt (1897–1977) 69, 72, 76, 77, 79, 284 Severen, Joris van (1894–1940) 115, 116 Seyß-Inquart, Arthur (1892–1946) 77, 79, 114 Sharon, Ariel (geb. 1928) 202 Silva, Luiz Inácio Lula da (geb. 1945) 212 Sima, Horia (1906–1993) 153 Simmons, William J. (1880–1945) 184 Simojoki, Elias 122 Sinowatz, Fred (1929–2008) 80 Six, Franz Alfred (1909–1975) 64 Sjuganow, Gennadi (geb. 1944) 178, 179 Smetona, Antanas (1874–1944) 134, 135, 136, 139 Smuts, Jan Christiaan (1870–1950) 219, 221, 222 Sorel, Georges (1847–1922) 25 Sotelo, José Calvo 93 Stalin, Josef (1878–1953) 41, 79, 132, 140, 174, 175, 179, 300 Stambolijski, Alexander (1879–1923) 154, 155 Stangl, Franz (1908–1971) 78
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Anhang
Starhemberg, Rüdiger von (1638–1701) 74 Sternhell, Zeev (geb. 1935) 11, 16, 26 Stoecker, Adolf (1835–1909) 52, 53 Strauß, Franz-Josef (1915–1988) 233 Suárez, Adolfo (geb. 1932) 98 Suharto, Mohamed (1921–2008) 289 Sundhaussen, Holm 158 Swift, Wesley 198 Szálasi, Ferenc (1897–1946) 148, 149, 150 Taisho, Japan (1879–1926) 252 Taubert, Eberhard (1907–1976) 64 Terboven, Josef (1898–1945) 111 Thadden, Adolf von (1921–1996) 66 Thadden, Rudolf von (geb. 1932) 66 Thatcher, Margaret (geb. 1925) 108 Tiso, Jozef (1887–1947) 142, 143, 144 Tito, Josip Broz (1892–1980) 162 Tobler, Robert (1901–1962) 104 Tolstoi, Leo (1828–1910) 172 Touré, Ahmed Sékou (1922–1984) 235, 236, 237, 239 Trotzki, Leo (1879–1940) 137 Truman, Harry S. (1884–1972) 193 Tshombé, Moïse (1919–1969) 234 Tudjman, Franjo (1922–1999) 162, 163, 285 Ulmanis, Kārlis (1877–1942) 130, 131, 132, 133, 134, 139 Uriburu, José 205
Valois, Georges (1878–1945, alias Alfred-Georges Gressent) 25, 26 Vargas, Getúlio (1883–1954) 211, 287 Videla, Jorge (geb. 1925) 208, 209 Viktor Emanuel II. Sardinien-Piemont (1820–1878) 35 Viktor Emanuel III. Italien (1869–1947) 40 Volkov, Shulamit 53 Vona, Gábor 150 Vonwys, Hans 104 Vorster, Johannes (1915–1983) 222 Wassiljew, Dimitri 176 Weichardt, Louis (1894–1985) 220, 221 Welch, Robert W. (1899–1985) 195, 196 Wilder, Billy (1906–2002) 71 Wilders, Geert (geb. 1963) 114 Wilson, Woodrow (1856–1924) 188 Winrod, Gerald Burton (geb. 1881) 191, 192 Yrigoyen, Hipólito (1852–1933) 204, 205 Zamora, Alcalá (1877–1949) 90 Zankow, Aleksandar (1879–1959) 155 Zapatero, José (geb. 1960) 98 Zeeland, Paul van (1893–1973) 117 Zola, Èmile (1840–1902) 23 Zündel, Ernst (1939) 201