Johann Sebastian Bach [Reprint 2018 ed.] 9783111505107, 9783111138244


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German Pages 263 [276] Year 1950

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSANGABE
DAS LEBEN
DIE BACHE
KINDHEIT UND LEHRJAHRE
ERSTE LEBENSSTATIONEN: WEIMAR, ARNSTADT, MÜHLHAUSEN
DER REIFE MEISTER: WEIMAR UND KÖTHEN
DER THOMASKANTOR
BACHS UM- UND NACHWELT
DIE WERKE
STIL UND GEIST
1. GEISTLICHE KANTATEN
WELTLICHE KANTATEN
GRÖSSERE GEISTLICHE CHORALWERKE
DIE INSTRUMENTALMUSIK
DIE WERKE FÜR KLAVIER
DIE WERKE FÜR ORGEL
WERKE FÜR SOLOSTREICHINSTRUMENTE
KONZERTE
LETZTE WERKE
EIN NACHWORT ÜBER DIE PFLEGE BACHSCHER MUSIK
ANHANG
ANMERKUNGEN
NAMEN-VERZEICHNIS
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Johann Sebastian Bach [Reprint 2018 ed.]
 9783111505107, 9783111138244

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ENGEL / JOHANN SEBASTIAN BACH

J O H A N N S E B A S T I A N BACH

JOHANN SEBASTIAN

BACH VON

HANS E N G E L

WALTER D E G R U Y T E R & CO. / B E R L I N W 35 VORM. G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG - GEORG REIMER - KARL I . TRÜBNER - VEIT & COMP.

1950

Das Titelbild ist das von E. G. Haußmann 1747 für die .Musicalisdie Sozietät" gemalte Portrait. Badi hält in der Hand den Canon triplex a 6 voc.-Vgl. S. 59.

Ardiiv-Nr. 34 78 50 Satz und Drude: Parzeller & Co. vormals Fuldaer Actiendrudierei, Fulda

M E I N E R LIEBEN FRAU GEWIDMET

VORWORT Zwei Jahrhunderte sind seit dem Tode Bachs vergangen. Fast ein Jahrhundert lag Bachs Werk brach Seit über einem Jahrhundert ist der Einfluß dieses vielleicht größten Musikers aller Zeiten ständig gewachsen. Diese späte Wirkung Bachs nicht nur auf die ausübenden, sondern auch die schaffenden Tonkünstler ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen unserer Musikgeschichte, die keineswegs etwa mit dem Historismus dieser Epoche erklärt werden kann. Bachs Musik erfüllt werdende, schaffende und nachschaffende Musiker gleichermaßen. An sie wendet sich dies Buch. Die Wiedererweckung Bachs wurde durch die junge Musikwissenschaft gefördert, die selbst an den ihr durch Bach gestellten Aufgaben wuchs. Spittas Buch über Bach war eine der bedeutendsten Leistungen dieser jungen Wissenschaft, doch hat die Musikwissenschaft seit diesem Werk das Bild Bachs durch viele Einzelforschungen und grundsätzliche Betrachtungsweisen wesentlich erweitert und vertieft. Insbesondere ist die Erkenntnis des Werkes gefördert worden. Dieses Buch soll nun dem Musiker und Musikfreund in gedrängter Form als Einführung in das Werk Bachs und in die Fragen der Bachforschung dienen. Um den geplanten Umfang nicht zu überschreiten, war Beschränkung notwendig bei der Besprechung der Werke, bei den Literaturangaben sowie auch bei den interessanten Fragen nach den Quellen des Bachschen Stiles im Werke der Vorgänger und Zeitgenossen. Wenn mein Buch den Leser anregt, sich an Hand der Kompositionen selbst in Form und Geist Bachschen Schaffens zu versenken, so ist das Ziel meiner Arbeit erreicht. Marburg, im Bachjahr 1950 Dr. phil. Hans Engel o. Professor d e r Musikwissenschaft an der Philipps-Universität

INHALTSANGABE Erster Teil

Seite

DAS LEBEN Sippe und Vorfahren 2, Joh. Christoph und Johann Michael Bach 4, der Vater Ambrosius 6 KINDHEIT

UND

LEHRJAHRE

Eisenach 9, Ohrdruf 10, Michaelsschule in Lüneburg 11, Reinken 12, frühe Kompositionen 13

8 Böhm und

ERSTE LEBENSSTATIONEN. WEIMAR, ARNSTADT, MÜHLHAUSEN Weimar 14, Arnstadt 15, Ausflug zu Buxtehude nach Lübeck 16, Maria Barbara, erste Gattin 17, Orgelwerke 18, Mühlhausen 18, Badi Orgelbauer 19

14

DER REIFE MEISTER:

20

WEIMAR UND K O T H E N

Weimar 20, Joh. Gottfried Walther, Anverwandter, 21, Meister der Orgel 22, Dresdener Oper 23, Kantaten mit Frandc 24, italienischer Einfluß 25, Kothen 27, Kammermusik 28, Brandenburgisdie Konzerte 29, Klavier-Büchlein 29, Klavier-Büchlein für Anna Magdalena 30, Orgel-Büchlein 30, Wohltemperiertes Klavier 31, Händel verfehlt 32, T o d Anna Magdalenas 3, zweite Gattin 33, Reise nach Hamburg 33, Trauermusik für die Fürstin 34 DER

THOMASKANTOR

35

Bewerber 36, Johannispassion 37, Stellung des Kantors und Sdiulverhältnisse 38, Dienst der Thomaner 40, Besetzung der Aufführungen 41, Collegium musicum 43, Stadtpfeifer 45, Streitfall mit Schulreformer 47, Johannispassion 48, Picander-Henrici und Matthäuspassion 49, Magnificat und h-Messe 51, Motteten und Gelegenheitswerke 53, KlavierUebung 55, Orgelspieler 56, Schüler und Söhne 57, Mizlers Sozietät 59, Kantaten der Spätzeit 61, Reise nach Berlin 6, Musikalisches Opfer 63, Kunst der Fuge 64, Streit mit Biedermann 64, Krankheit und Tod 65

IX

BACHS UM- UND NACHWELT Bach und Händel 67, Kuhnau und Telemann 69, Deutsche, Franzosen und Italiener 70, Galanter Stil 71, die neue Zeit und die Söhne Bachs 73, der jüngste von ihnen wird Italiener 75, Beethoven 76, Zelter und Mendelssohn und die Wiedererweckung 77, Gesamtausgabe 78, Einfluß auf 19. Jahrhundert 80, Reger 82

Zweiter

66

Teil

DIE WERKE STIL UND GEIST Rhetorik 86, Tonarten 87, Tonmalerei 88, Zahlensymbolik 90, Zitate 91, Schweitzer 92, Symbolik und Schering 94, Affektmalerei 95, Bewegungsabbilder 98, Stimmungsgehalt 101, Formenreichtum 102, Ordiester 104

85

GEISTLICHE KANTATEN Osterkantate 107, Kantaten 1712—17 109, Leipziger Werke 111, Weihnachtsoratorium 116

106

WELTLICHE KANTATEN Kaffeekantate 123, Phöbus und Pan 124

122

GRÖSSERE GEISTLICHE CHORWERKE Magnificat 125, h-Messe 128, Motetten 133, Johannispassion 135, Matthäuspassion 141, Schemellis Gesangbuch 149

125

DIE INSTRUMENTALMUSIK

150

WERKE FÜR KLAVIER Capricci 153, Toccaten 154, Inventionen und Sinfonien 158, Wohltemperiertes Klavier 161, Chromatische Fantasie 169, Suiten 170, Partiten 175, Ital. Konzert 177, Goldbergvariationen 178

152

WERKE FÜR ORGEL Präludium und Fuge in C 182, d-Toccata 183, Passacaglio 186, Toccata F 187, Trinitätsfuge 189, Orgelkonzerte 190, Choralvorspiele 191, Partiten 193, Orgelbüchlein 196, Choralsammlung 201

179

WERKE FÜR STREICHINSTRUMENTE Violinsonaten 206, Ciaconna 207, Sonaten mit Klavier 210, Trios 214, Flöten- und Gambensonaten 215

205

X

KONZERTE 217 Violinkonzerte 217, Klavierkonzerte 220, für mehrere Klaviere 221, Brandenburgisdie Konzerte 222, Ordiestersuiten 225 LETZTE WERKE 226 Musikalisdies Opfer 226, Kunst der Fuge 228, Bach und die Theologie 234, EIN NACHWORT ÜBER DIE PFLEGE BACHSCHER MUSIK . . . . 236 Instrumente 236, Besetzung 237, Editionstedinik 238, Geist und Ungeist der Aufführungen 239 ANMERKUNGEN

242

NAMENVERZEICHNIS

246

XI

DAS L E B E N

DIE BACHE Lieber fünfzig Musiker aus der Familie Johann Sebastian Bachs sind uns bekannt. Außer Sebastian sind von ihnen mindestens acht als hervorragende Komponisten zu bezeichnen, zwei Onkel. Joh. Christoph und Joh. Michael, zwei Vettern, Joh. Bernhard und Joh. Nikolaus, und vier Söhne Sebastians. Das ist eine Häufung von kleinen und großen Talenten, wie sie in anderen Musikerfamilien nicht anzutreffen ist. Die musikalische S i p p e B a ch ist im Herzen Deutschlands seßhaft gewesen, in Thüringen, der Landschaft, die neben dem südlichen Franken und Wien bis 1750 die meisten Musiker hervorgebracht hat. Wechmar, Arnstadt, Eisenach, Erfurt, Gotha, Jena, Meiningen sind die Sitze der Familie. In Gräfenroda begegnet in einer Urkunde vom 23. Februar 1509 zuerst ein Bauer Hans Badi, in Wechmar lebte um 1561 Hans Bach, der Ur-Ur-Ur-Großvater Joh. Sebastians. In Gotha ging Jos. Sebastians Urgroßvater Hans bei dem Stadtpfeifer Caspar Bach in die Lehre. 1620—1640 war Caspar »Haußmann«, er heiratete seine Verwandte Catharine Bach und vererbte sein Amt an zwei Söhne. So war es und so blieb es zwei Jahrhunderte: die »Bache« lernten fast immer wieder bei einem aus ihrer Sippe, denn überall im Lande saßen Musiker ihres Namens. Oft heirateten sie Verwandte, so daß die Familienzusammenhänge schwer zu entwirren sind, und von einem thüringischen Städtchen führte sie Beruf und Amt ins andere. Aus Wechmar scheint der Ur-Ur-Großvater Bachs zu stammen, V i t u s B a di. Dort ließ sich Vitus nieder, als er aus Ungarn zurückkam. Vitus war Weißbäcker in Ungarn gewesen, der seines

2

evangelischen Glaubens halber Ungarn verließ, als Rudolf II. (1576—1612) eine grausame Gegenreformation durchführte. Der Glaube führte ihn in seine Heimat zurück. »Er hatte sein meistes Vergnügen an einem Gythringen gehabt, welches er auch mit in die Mühle genommen und unter währendem Mahlen darauf gespielet. Es muß doch hübsch zusammengeklungen haben! Wiewohl er doch dabei den Takt sich hat imprimieren lernen: Und dieses ist gleichsam der Anfang zur Musik bei seinen Nachkommen gewesen.« So erzählt launig eine von Joh. Sebastian angelegte, von seinem Sohn C. Ph. E. Bach mit Anmerkungen versehene Genealogie »Ursprung der musicalisch-Bachischen Familie«. Veit Bach starb am 8. März 1619. Er soll zwei Söhne gehabt haben, in Wirklichkeit waren es vielleicht mehr. Einer war Teppichwirker. Von ihm stammt eine Linie, die zu Sebastians Zeiten am Hofe in Meiningen bedienstet war und die heute noch männliche Nachfahren hat. Einer dieser Bache zeigte malerische Begabung, wie der Sohn C. Ph. E. Bachs, Joh. Philipp (1751—1846), der Hoforganist und Maler war. Ein anderer, vielleicht der ältere Sohn Veits, war H a n s , als Spielmann in Wechmar seit 1604 und den umliegenden Städten geschätzt. Er starb am 25. Dezember 1626 an der Pest, wie neun Jahre später auch seine Witwe. Ein anderer Hans Bach, vielleicht ein Verwandter, lebte als Spielmann und starb am 1. Dezember 1615 in Nürtingen bei Stuttgart als Spielmann und Hofnarr der Herzoginwitwe von Württemberg. Hans Bach hatte zwei Söhne. Der älteste, J o h a n n e s , getauft am 26. November 1604 zu Wechmar, war kurze Zeit Organist in Schweinfurt, Wechmar und Suhl, und kam 1635 als Direktor der Ratsmusik nach Erfurt, wo er dann auch Organist an der Predigerkirche wurde. Er hat als der älteste der Komponisten der Familie zu gelten. Drei schöne Motetten seiner Komposition im »Altbachischen Archiv« sind im tiefernsten Ton gehalten, wie er für die Bachsche Religiosität kennzeichnend ist. Die schreckliche Not, die Deutschland im 30jährigen Krieg und der nachfolgenden Zeit durchmachte, hat nachhaltig auf die Gemüter der glaubensstarken Naturen eingewirkt. Der Seufzer: »Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist des Menschen Leben« der doppelchörigen Choralmotette und 3

die Glaubensgewißheit der vierstimmigen Aria: »Weint nicht um meinen Tod! Ich hab in frohen Siegen nun völlig überstiegen Furcht, Jammer, Angst und Not«, entsprechen den »müsikalischen Sterbensgedanken« dieser schweren Zeit. In zweiter Ehe heiratete Johannes eine Hedwig Lämmerhirt, aus deren Familie auch Sebastians Mutter stammte. Johannes starb 1673. Seine drei Söhne wurden Musiker in Erfurt, der älteste, Joh. Christian (1640—1683) nach Erfurter Jahren Nachfolger seines Vaters. Johannes hatte noch Brüder. H e i n r i c h (1615—1692) war 1635—1641 in der von Johannes geleiteten Ratskompagnie in Erfurt. 1641 wurde er Organist in Arnstadt, welchen Posten er über 50 Jahre bekleidete. Als er 77jährig, von allen betrauert, starb, folgten 28 Enkel seinem Sarge. Heinrich durfte auch in der Stadtkapelle mitwirken und tat als Mitglied der gräflichen Kapelle Dienst bei Hof. Die Familienchronik lobt seinen munteren Geist. Der hat ihm geholfen, denn das Leben in dieser Zeit war schwer, und Heinrichs Eingaben lassen erkennen, welche Not der Organist litt, der 1644 schon über ein Jahr keine Besoldung erhalten und alles vorher Erhaltene »sich fast mit weinenden Augen hatte erbitten müssen«. Eine von vielen Werken allein erhaltene Kantate Heinrichs ist frische und gesunde Musik. Heinrichs beide älteren Söhne sind die bedeutendsten Komponisten der Familie vor Joh. Sebastian. J o h a n n C h r i s t o p h (1641 bis 1703), in Arnstadt erzogen, verheiratet mit der Tochter des dortigen Stadtschreibers, wurde 1665 in Erfurt Stadtorganist und 1700 herzoglicher Kammermusiker. Audi er geriet in Not und schied verbittert am 31. März 1703 aus dem Leben. Die Familienchronik nennt ihn einen profunden, C. Ph. E. Bach setzt hinzu einen »großen und ausdrückenden Komponisten«. Als einen bedeutenden Komponisten seiner Zeit weisen ihn die heute veröffentlichten Werke aus, zwei Lamenti »Ach, daß ich Wassers genug« für Alt und »Wie bist Du denn, o Gott^in Zorn auf midi entbrannt« für Baß, wahrhaft ergreifende Stücke voll tiefster Ausdruckskraft, sowie vier Motetten, unter denen die Aria »Mit Weinen hebt sichs an« von quälender Lebensnot und pessimistischer Grundstimmung erfüllt ist. In der letztgenannten stellt die gequälte Kreatur an Gott die Frage: »Was 4

hat ein Mensch für Dich, was forderst Du für Gaben? Begehrst Du Herzensangst. .. Vielleicht ist Dir gedient mit Tränen . . .?« Aber auch die gewaltige Michaelskantate »Es erhub sich ein Streit« und eine originelle Kantate für Ratsfeierlichkeit sowie eine Hochzeitsmusik nach dem Hohen Lied mit hübscher szenischer Beschreibung lassen die vielseitige und erstaunliche Kraft dieses Bachschen Genies erkennen, dessen kühne Behandlung der übermäßigen Sexte noch C. Ph. E. Bach in Verwunderung versetzte. Zu diesen vokalen Werken treten noch instrumentale, eine Fuge in Es für Orgel, die irrtümlich unter die Werke Joh. Sebastians aufgenommen wurde, 44 Choralvorspiele, eine Sarabande und eine »Aria Eberliniana« mit Varitaionen. J o h . M i c h a e l , der jüngere Bruder Christophs, reicht an diesen als Komponisten nicht heran, obwohl seine 17 Motetten, meist ein- oder doppeldiörige Choralmotetten, davon zehn im »Altbachischen Archiv«, ebenso wie vier Kantaten den Meister in Gattung und Stil zeigen. Michael (1648—1694) wurde 1673 Organist und Stadtschreiber zu Gehren bei Arnstadt. Er ist nur 46 Jahre alt geworden. Seine Tochter Barbara wurde Sebastians erste Frau. Auch als Instrumentenmacher hat J. Michael Bach sich bewährt. C h r i s t o p h B a c h , der zweite Sohn des Johannes (1613—1661), der Großvater Sebastians, war bei seinem älteren Bruder Johannes, der damals als Spielmann in der ganzen Gegend bekannt war, in Wechmar in die Lehre gegangen. Mit noch nicht zwanzig Jahren wurde er »fürstlicher Bedienter« und gleichzeitig Musiker der herzoglichen Kapelle in Weimar, ging dann nach Erfurt in die »RatsMusikanten-Kompagnie«, die, vier bis sechs Mann stark, so viele Mitglieder der Familie Bach zu den ihren zählte, daß man die Musikanten kurz »B a di e« nannte. Sein Sohn G e o r g C h r i s t o p h (1642—1697) war später Kantor zu Themar und dann 1689 zu Schweinfurt, wo er einen fränkischen Zweig der Familie begründete. Seinem Enkel Johann Elias (1705—1755) ist Joh. Sebastian begegnet. Er korrespondiert mit ihm noch in den letzten Lebensjahren 1748. Elias hat ihm fränkischen Wein geschickt. Eine »edle Gabe Gottes« nennt Bach diesen Rebensaft. Die einzig erhaltene Kantate »Siehe wie fein und lieblich ist, wenn Brüder 5

einträchtig beieinander wohnen« hat Georg zu seinem 47. Geburtstag 1689 geschrieben. Er feiert die Eintracht mit seinen Brüdern, den Zwillingen J o h a n n C h r i s t o p h und J o h a n n A m b r o s i u s . Diese beiden waren vier Jahre jünger als Georg, 1645 am 22. Februar geboren. Sie waren sich zum Verwundern ähnlich, in Erscheinung, Lebensgewohnheiten, Redeweise und musikalischem Geschmack. Selbst ihre eigenen Frauen sollen Mühe gehabt haben, sie zu unterscheiden. Ihr Leben verlief ähnlich, sogar Krankheiten suchten sie zu gleicher Zeit heim und beide starben in den besten Jahren, Christoph 1693, Ambrosius 1695. C h r i s t o p h war 1671 Hofmusiker in Arnstadt geworden. In Arnstadt war der Vater seit 1654. 1661 starb er, und 1667 ist A m b r o s i u s Mitglied der Erfurter Musikanten-Kompagnie an Stelle seines Vetters Johann Christian, der nach Eisenach übersiedelte. Am 8. April 1668 heiratete der 23jährige Ambrosius die 24jährige Kürschnermeisterstochter Elisabeth Lämmerhirt. 1611 übersiedelte Ambrosius mit Weib und Kind — von zwei Knaben war einer gestorben — nach Eisenach. Nach Probezeit wurde er Stadtpfeifer, verpflichtet, jeden Tag zweimal auf dem Rathaus, mittags um 10 und abends um 5 Uhr, abzublasen und alle Fest- und Sonntage in der Kirche aufzuwarten. Dafür erhielt er außer einer bescheidenen Besoldung Kleidergeld, Freibier aus zweitem Ausguß im Brauhaus, Braurecht für den Haustrunk, freie Wohnung und bei Hochzeiten den Lohn, während die Bierfiedler, die nicht organisierten freien Musiker, nur das Trinkgeld behalten sollten. Seine Tätigkeit wurde allgemein geschätzt; er hat sich »in seiner Profession dermaßen qualifiziert, daß er sowohl mit Vokal- als Instrumentalmusik beim Gottesdienst und ehrlichen Zusammenkünften mit hoch und niedrigen Standespersonen guter Vergnügung aufwarten kann, als wir uns dergleichen, soweit wir gedenken, hiesigen Ortes nicht erinnern«. 1684 indes klagt Ambrosius dem Rat seine vielen Ausgaben wegen der Lehrjimgen und drei Gesellen, seine schlechte Besoldung, die Widerwärtigkeiten mit den Bierfiedlern. Auch bei Hofe hatte Bach aufzuwarten. 1677 hatte der Fürst eine kleine Kapelle errichtet. Der bedeutende Orgelmeister Joh. Pachelbel (1653—1706), der auf Sebastians Orgel6

werk stark eingewirkt hat, wurde damals als »Musikus«, nicht als Hoforganist, angestellt. Das folgende Jahr schon ging er nadi Erfurt als Organist bis 1680, 1692—1695 war er wieder in Gotha. 1685—1690 war Daniel Eberlin, ein begabter Musiker mit abenteuerlichem Lebensgang, der Vorgesetzte des Vaters Bach. 1692 umfaßte die Kapelle 6 Trompeter, 2 Trompeterjungen, 1 Pauker, 1 Paukerjunge, 1 Lautenisten und den Stadtmusiker Bach. Auch der Vetter Joh. Christoph, der Organist, hat Dienst in der Kapelle getan. Einer der Gehilfen der Stadtmusiker war ebenfalls ein Bach. Dem Ehepaar Bach waren nach dem in Erfurt geborenen Sohn J o h . C h r i s t o p h noch drei Söhne und zwei Töchter geschenkt worden, von denen zwei Söhnlein und eine Tochter früh starben. Am 23. März 1685 wurde ihr achtes Kind getauft auf den Namen J o h a n n S e b a s t i a n . -Schon 1694 verliert Ambrosius seine Gattin, der neunjährige Sebastian die Mutter; am 3. Mai wird sie begraben. Im November heiratet der Witwer die Witwe eines Diakonus in Arnstadt, Barbara Margarethe Bartholomäi, die in erster Ehe mit Heinrich Bachs Sohn Günther vermählt gewesen war. Auch diesmal war ihr kein Glück in der Ehe mit einem Bach beschieden. Schon am 24. Februar 1695 trägt man Ambrosius zu Grabe. Die Witwe, die nur zwölf Wochen und einen T a g an der Seite ihres Mannes leben durfte, bittet den Rat um das üblidie Gnadenhalbjahr. Sie beruft sich auf die Behandlung der Witwe des eineinhalb Jahre zuvor verstorbenen Joh. Christoph, des Bruders von Ambrosius, dessen Witwe der Graf hatte sagen lassen, »er sollte und müßte wieder einen Bachen haben, welches aber nicht geschehen könne, weil der liebe Gott das Bachische musikalische Geschlecht binnen wenig Jahren vertrocknet«. Der Haushalt löste sich auf. Johann Jacob (geb. 1682) erlernte die Pfeiferkunst beim Nachfolger des Vaters, Joh. Heinrich Halbe aus Göttingen. Joh. Sebastian kam zu seinem Bruder Joh. Christoph nach Ohrdruf. Das Bachische musikalische Geschlecht war nur für die Eisenadier Stadtpfarrei vertrocknet. Ein Bach war der Quelle entsprungen, welcher der reichste musikalische Wunderstrom Deutschlands werden sollte: J o h a n n S e b a s t i a n B a c h .

7

KINDHEIT U N D LEHRJAHRE A m 23. März 1685 wurde J o h . S e b a s t i a n B a c h getauft, sein Geburtstag ist wahrscheinlich der 21. März. Ueber Badis früheste Kindheit wissen wir nichts. Die stärksten musikalischen Eindrücke hatte er wohl von Joh. Christoph, der von 1665—1703, seinem Todesjahr, Organist an der St. Georgenkirche war. Padielbel wirkte 1677—1678 als Musikus in Eisenach. Ambrosius Bach, Hoffmann und Padielbel haben 1694 bei einer Festlichkeit in Ohrdruf »miteinander in der Violine exerciert«. Also hat der »weitbelobte Stadtmusicus«, der Vater, musikalische Beziehungen zu diesem bedeutenden Meister weiterhin unterhalten. Jetzt, in der Kindheit wie in seinen Jünglingsjahren, fließen Bach immer wieder von Musikern der eigenen Sippe musikalische Eindrücke und Kenntnisse zu. Bach ist nicht Stadtpfeifer wie sein Vater und die »Bache« in Erfurt geworden, sondern Organist, fürstlicher Musikus und Kantor. Aber auch die Stadtpfeifer hatten kein geringes künstlerisches Niveau. Ihre Gebrauchsmusik hat den gediegenen vierstimmigen Satz weiterentwickelt, der die deutsche Instrumentalmusik des 17. Jahrhunderts auszeichnet und der den Verfall der polyphonen Technik der späteren Italiener nicht mitgemacht hat. Sonst war freilich das Leben des S t a d t p f e i f e r s nicht begehrenswert. Eine schwere Lehrjungenzeit, ein oberflächliches Lernen vieler, ja aller Instrumente, wurde von einer viele Sorgen bringenden Gesellen- und Meisterzeit gefolgt. Eine Stelle bekam man in der Regel nur, wenn man die Witwe oder zumindestens die Tochter des Vorgängers heiratete, was nicht immer ein Vergnügen war. Der große Haushalt mit Gesellen und Jungen, der strenge Dienst, das Spielen auf Hochzeiten, der Aerger mit den »Bierfiedlern« oder »Böhnhasen«, die oft unregelmäßig bezahlte Besoldung, all dies war nicht sehr verlockend. Da hatten es die O r g a n i s t e n ein wenig besser. Sie waren wenigstens 8

nicht auf Gesellen und Jungen angewiesen, wenn auch die kalten Kirdien, der Aerger mit Kantoren und Schülerchor unerfreuliche Dinge waren. Bach hat den Dienst in Kirche, Schule und bei Hof kennengelernt. Seine Herkunft aus dem Hause eines Stadtmusikus hat sicherlich von frühester Jugend an sein Interesse nicht einseitig auf Orgel- und Kirchenmusik gelenkt, wie Bach denn auch ein tüchtiger, nach seinen Solosonaten zu urteilen, ein glänzender Violinist war. Bach ist nicht nach Italien gereist, um seinen modischen Schliff zu erhalten, wie seinerzeit* Schütz auf Kosten seines hochvermögenden Landgrafen von Hessen, wie Händel, der als 21jähriger nach Berührung mit der großen Welt den Plan faßte, nach Italien zu reisen, wenn auch wohl auf eigene Kosten. Von der Familie Bach sollen angeblich drei Söhne des Sohnes Veits, namens Lipps, von ihrem Herrn, dem regierenden Grafen von Schwarzburg-Arnstadt, nach Italien geschickt worden sein. Nicht belegt ist es, daß auch Bachs Vetter, Joh. Nikolaus, in Italien studiert habe. Es paßte diese modische Ausbildung nicht zu den einfachen thüringischen Stadtmusikanten und Organisten. Die Lehrjungenzeit der Stadtpfeifer war bei den Bachen wohl nidit so schwer, da die Jungen immer bei Onkeln und Tanten unterschlupfen konnten und die Bache ein gottesfürchtiger Schlag waren, der auch Humor besaß. Einmal im Jahre kam die ganze Sippe zusammen. Diese musikalische Gesellschaft, bestehend aus lauter Kantoren, Organisten und Stadtmusikanten, begann zuerst den Choral anzustimmen. »Von diesem andächtigen Anfang gingen sie zu Scherzen über, die häufig sehr gegen denselben abstachen. Sie sangen nämlich nun Volkslieder, teils von possierlichem, teils von schlüpfrigem Inhalt zugleich miteinander aus dem S t e g r e i f . . . Sie nannten diese Art von extemporierter Zusammenstimmung Quodlibet und konnten nicht nur selbst recht von ganzem Herzen lachen, sondern erregten auch ein ebenso herzliches und unwiderstehliches Lachen bei jedem, der es hörte.« Joh. Sebastian kam in Eisenach, sieben- oder achtjährig, auf das Gymnasium, wo sein um drei Jahre älterer Bruder Johann Jakob neben ihm saß. Hier wurde der Grund zu einer g e d i e g e n e n h u m a n i s t i s c h e n B i l d u n g gelegt, die ihn später

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als Thomaskantor befähigen sollte, Lateinunterricht zu erteilen und die seine ausgezeichnete Sprachbehandlung in der Komposition begründet hat. Der Chor der Schule sang in der St. Georgenkirche und zu Hochzeiten und Begräbnissen. Auch als Kurrendensänger ist der Knabe Bach mitgezogen. Das Kurrendensingen brachte Lehrern und Schülern gute Einnahmen, da der Chor beliebt war. Zu Neujahr sangen die Knaben in den umliegenden Dörfern. Als dieses Singen verboten wurde, richtete man 1693 an den Rektor die Bitte, es wieder zu erlauben. Joh. Sebastian verlor mit neun Jahren die Mutter, mit zehn den Vater. Ihn und seinen älteren Bruder Joh. Jakob nahm nun der älteste der Geschwister, Johann Christoph, auf, der in Ohrdruf, 45 km südöstlich Eisenach, seit drei Jahren Organist war. Ein Vierteljahr vor dem Tode des Vaters hatte er sich mit Johanna Dorothea vom Hofe aus Ohrdruf verheiratet. Johann Christoph war als Schüler Pachelbels ein tüchtiger Könner und wohl ein guter Lehrer, der fünf Söhne ausbildete. Sie sind Organisten und Kantoren geworden, ihrer drei zu Ohrdruf. Der Knabe Sebastian scheint raschere Fortschritte gemacht zu haben, als sein Bruder und Lehrer zugeben wollte. Deshalb soll Sebastian heimlich des Nachts, bei Mondlicht, in sechs Monaten ein Klavierbuch des Bruders abgeschrieben haben, das berühmte und für den Knaben zu schwer erachtete Stücke von Froberger, Fischer, Kerll, Padielbel, Buxtehude, Bruhns und Böhm enthielt. Der Bruder nahm ihm aber die mühsam gefertigte Abschrift unbarmherzig wieder ab. Schon früh' lernte der Knabe also die bedeutendsten nord- und süddeutschen Klaviermeister kennen. Das Gymnasium in Ohrdruf genoß hohen Ruf. Der 1679 verstorbene Herzog Ernst von Sachsen-Gotha hatte die Schulen des Herzogtums auf Anregung von Comenius reformieren lassen. Diese Reformbestrebungen wirkten noch nach. Sebastian zeichnete sich als Schüler aus, 1696 ist er unter sieben novitii als jüngster Tertianer der Erste, 1697 ist er Primus der Klasse. Rasch durcheilte er später auch die Prima. Der älteste Bruder Jakob war schon drei Jahre zuvor als Lehrling beim Nachfolger des Vaters in Eisenach untergebracht, und nach seiner Konfirmation mit 14 Jahren 1699 sollte auch Sebastian in die Welt 10

hinaus. Vielleidit war beim Bruder Christoph kein rechter Platz mehr im Haus, denn drei Kinder waren diesem geboren worden. Auch stand eine Freistelle an der Schule nicht zur Verfügung. Am 15. März 1700 verließ Sebastian die Schule. Wohl auf Empfehlung eines jungen Lehrers, Elias Herda, der, aus Leina stammend, sechs Jahre in Lüneburg in der Michaelisschule gewesen war und seit 1697 in Ohrdruf Musikunterricht am Gymnasium erteilte, war Sebastian mit einem etwas älteren Mitschüler, Georg Erdmann, aus Leina nach L ü n e b u r g an die Michaelisschule empfohlen worden. Dort scheinen die Thüringischen Sängerknaben geschätzt gewesen zu sein. Sebastian wurde in dem 5 Soprane, je 3 Alte und Tenore und 2 Bässe umfassenden Mettenchor wie sein Ohrdrufer Schulfreund als Sopran mit 12 Grosdien monatlich honoriert. Mit 15 Mettenschülern hatte er Freitisch, und außerdem kamen noch die Einnahmen aus dem Kurrendechor und dem Singen bei Hochzeiten und Begräbnissen hinzü. Der diorus symphonicus war stärker als sein Kern, der Mettenchor, und umfaßte 8 bis 10 Soprane, 5 bis 6 Alte, j e 5 Tenöre und Bässe. Im Gottesdienst wurde der Chor stark verwandt, wie eine Mettenund Vesperordnung des Jahres 1656 ausweist. Als Fünfzehnjähriger hatte Sebastian bald Stimmbruch zu erwarten. Trotzdem dieser einsetzte und ihm das Singen unmöglich machte, blieb Sebastian an der Schule, wohl weil seine Fähigkeiten als Instrumentalist ihn nützlich machten. In der Klosterschule, dem Lyzeum, der Michaeliskirche wurde die klassische Bildung eifrig gefördert. Der Kantor August Braun ist als Komponist von 24 verlorenen Kirchenstücken uns nicht, der Organist der Nikolaikirche als ein tüchtiger Meister bekannt. Johann Jakob Loewe oder Low (1628 bis 1703) war Schüler von Heinrich Schütz gewesen, er war 1655 nach Braunschweig, 1663 auf Empfehlung Schützens nach Zeitz, 1682 nach Lüneburg gekommen. In Wolfenbüttel hatte er zwei Opern aufgeführt. Loewes Suiten von 1658 mit einleitender Sinfonia sind die ältesten deutschen Werke dieser Gattung. Seine Sonaten von 1659 sind verschollen. »Sonaten, Canzonen und Capriccen« von 1664 und Arien aus der »Satanischen Musenlust« von 1665 mit Ritornellen lassen ihn als begabten Komponisten erscheinen. Loewe 11

war Ende des Jahrhunderts, als 72jähriger, Vertreter einer vergangenen Epoche. Vom Organisten Christoph Morhard wissen wir nichts. Bedeutungsvoller war für den jungen Bach ein anderer Organist, G e o r g B ö h m an der Johanniskirche, die eine wertvolle 1551 bis 1553 gebaute Orgel besaß (und noch besitzt). Böhm war am 2. September 1661 bei Ohrdruf in Hohenkirchen geboren; er war mit der Kunst der Bache aufgewachsen, denn der Kantor Hildebrand, sein Lehrer, war Schüler Heinrichs und Christophs, Mitschüler Joh. Christophs, Johann Michaels und Ambrosius' Bach. 1698 kam Böhm von Hamburg nach Lüneburg. Neben dem Einfluß Padielbels und Reinkens tritt die Einwirkung Buxtehudes auf Böhm zutage. Die französische Manier der Umspielung der Melodie der Choralvorspiele mit Verzierungen kommt noch hinzu. Dieser bedeutende Komponist hat den jungen Bach sicherlich wohlwollend aufgenommen und hat auf ihn eingewirkt. Vermutlich war es Böhm, der Bach auf R e i n k e n gewiesen. Im Jahre 1701 trat Badbi eine Reise nach Hamburg an, zu Fuß 45 km über die Heide. Er hat diesen Ausflug wohl öfters wiederholt. In Hamburg stand die 1678 gegründete Oper in voller Blüte, es ist die Zeit des Hervortretens Reinhard Keisers, der auf Bach eingewirkt hat, bis zu seinem ersten Bankrott 1706. J a n A d a m s R e i n k e n war bei der Begründung der Oper deren Berater gewesen. Auch in der Zeit des Kampfes der Pietisten gegen die Oper nahm Reinken oft für diese Stellung. Reinken, damals fast achtzig, war Schüler Sweelincks gewesen und galt als einer der glänzendsten Vertreter des norddeutschen Orgelstiles und Meister der großen Choralphantasie. 1720 suchte ihn Bach wieder auf. Ein anderes Ausflugsziel für den jungen, lernbegierigen Meister war Celle. Celle beherbergte eine französische Kolonie von Emigranten. Der Herzog Georg Wilhelm, linker Hand mit einer Hugenottin getraut, schwärmte für französische Komödie, für die er eine eigene Truppe hielt, für italienische Oper, die ihn ein schweres Geld kostete, und für französische Musik. Das Verzeichnis der Kapelle von 1681 bis 1705 nennt außer den deutschen Hoforganisten und Hofkantor nur Franzosen. Audi beim Tod von Mitgliedern wurde für Ersatz durch Franzosen gesorgt. Ob der Trompeter Johann 12

Pach ein Bach war, ist zweifelhaft. Vielleicht hat Bach gelegentlich in dieser Kapelle mitgewirkt. Jedenfalls ist er trotz der 90 km öfters nach Celle gepilgert, um französische Instrumentalmusik zu hören. Bach wurde ein Kenner auch der französischen Klaviermusik, denn Werke von Nicolas de Grigny und Charles Dieupart finden wir in Abschriften Bachs wohl aus der damaligen Zeit. Eine Tabelle von neunundzwanzig Manieren, den französischen Verzierungen, schließt sich an. François Couperins Musik hat Bach gut gekannt. Bachs Schüler haben in Sammelwerken Kompositionen von Marchand, Nivers und Anglebert abgeschrieben. So erstreckte sich die Literaturkenntnis des jungen Bach bis zur neuesten französischen Modemusik. Nach rückwärts reichten seine Kenntnisse ins 16. Jahrhundert, denn die beiden für den Gottesdienst in Lüneburg gebrauchten Sammlungen, das »Promptuarium musicum« des Schadäus (1611—1617) und das »Florilegium portense« des Erhard Bodenschatz (1606, aufgelegt bis 1743!) brachten Motetten des 16. und 17. Jahrhunderts und meist völlig dem ersten Text und seiner musikalischen Ausdeutung entgegenstehende geistliche Umdichtungen von Madrigalen. Bach hat die Sammlung Florilegium noch als Thomaskantor benützt. Die Bibliothek des Lyzeums aber enthielt über hundert Werke von Schütz, Scheidt, Hammerschmidt, Ahle, Briegel, Rosenmüller, Michael, Schop, Crüger, Seile, Joh. Krieger, 1102 Handschriften von Heinrich Bach, Joh. Christoph Bach, Padielbel, Agricola u. a. Der historische Umkreis dessen, was Bach jetzt schon gekannt hat, war demnach sehr groß. Er umfaßt die von der Schützzeit herstammende Motettenmusik seiner nächsten Vorfahren, die bedeutendsten mitteldeutschen Meister des 17. Jahrhunderts, Madrigal- und Motettenmusik des 16. Jahrhunderts, norddeutsche Orgel- und Klaviermusik der Sweelinckschüler, Hamburger Opern und die neueste französische Klavier- und Orchestermusik. Die f r ü h e n K o m p o s i t i o n e n B a c h s reichen wohl noch nach Ohrdruf zurück. Drei kleine Choralfugen im Stil Joh. Christoph Bachs, eine nicht gut spielbare Fuge in e mit 14 Einsähen in der Grundtonart mögen zu den frühesten zählen. In Lüneburg entstanden wohl die Choralpartiten in Böhms Stil, darunter »O Gott, 13

Du frommer Gott!«*), vielleicht auch die Präludien und Fugen in a, c und G (111,9, IV, 5, VIII, 11), vielleicht schon Präludium und Fuge in c (IV, 6).

ERSTE LEBENSSTATIONEN: WEIMAR, ARNSTADT,

MÜHLHAUSEN

A m 3. April des Jahres 1703 gehörte Bach dem Haushalt des Herzogs Johann Ernst von W e i m a r an, wahrscheinlich als Geiger oder Bratschist. Bach ist also frühzeitig von der Lüneburger Sehlde fortgekommen. Wahrscheinlich noch vor seiner Weimarer Anstellung hatte er sich zuerst um einen Organistenposten in Sangershausen beworben, der am 3. Juli 1702 freigeworden war. Bach wurde in der Wahl auch angenommen. Aber die oberste Entscheidung lag beim Herzog von Sachsen-Weißenfels, der die Stelle nicht dem Siebzehnjährigen, sondern dem 28jährigen Augustin Kobelius gab. Vielleicht hat der Herzog den Abgewiesenen aber weiter empfohlen. Prinz Johann Ernst, der Sohn des Herzogs, der damals acht Jahre zählte und 1715, kaum neunzehnjährig, starb, war musikalisch hochbegabt. Beim Kammerherrn von Eilenstein hatte der Prinz Violinunterricht gehabt, sicher auch bei Bach. Bach war Kammermusikus und hat den alten Organisten Johann Effler, der Vorgänger des Michael Bach in Gehren und Nachfolger des Johannes Bach in Erfurt gewesen war, im Amt vertreten, weshalb er in einem Protokoll 1703 in Arnstadt irrtümlich als fürstl. sächs. Hoforganist zu Weimar bezeichnet wurde. Als Kammermusikus und Kammersekretär wirkte dort Johann Paul von Westhoff, ein weitgereister Mann, der als Fähnrich gegen die Türken gekämpft, vor dem König von Frankreich und vor dem Kaiser gespielt hatte und von ihnen hoch geehrt worden, auch Professor für fremde Sprachen in Wittenberg gewesen war und von 1698 bis zu seinem *) Die hier genannten Werke werden im zweiten Teil besprochen.

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Tode 1705 in Weimar wirkte. Als Virtuose pflegte er das doppelgriffige Spiel auf der Violine, wodurch er als Vorgänger Bachs neben Biber, Schmeltzer und J. J. Walter wichtig wurde. Dieser erste Aufenthalt in Weimar dauerte nur wenige Monate. In A r n s t a d t , dem alten Sitz der Bache, war 1701 eine neue Orgel fertig geworden. Der erst achtzehnjährige Bach in Weimar wurde als Sachverständiger zur Prüfung des Instrumentes eingeladen und spielte bei der Orgelweihe so eindrucksvoll, daß das Konsistorium ihm den Organistenposten anbot und den bisherigen Organisten Börner an eine andere Kirche versetzte. Am 9. August 1703 erhielt Bach seine Bestallung und eine ungewöhnlich hohe Besoldung. Nur dreimal die Woche hatte er Dienst, mußte aber in Ermangelung eines Kantors auch den verwilderten Schulchor leiten. Von den Schülern wird 1706 berichtet, sie trügen den Degen auch in der Schule, spielten im Gottesdienst und in der Schule Ball, brächten ihre Freizeit mit schlimmen Dingen zu und trieben des Nachts lärmenden Mutwillen. Angenehme Knaben! Rektor dieser disziplinlosen Schule war Joh. Friedrich Treiber, dessen Sohn Johann Philipp eine Art Universalgelehrter war, der 1704 ein Theoriewerk veröffentlichte, »der accurate Organist im GeneralBasse« benannt, in dem er aus nur zwei Bässen alle möglichen Akkorde ableitete, 1703 aber eine »Sonderbare Invention, eine Arie in einer einzigen Melodey aus allen Tönen und Accorden auch allerley Tacten zu componieren, so daß sie in dem härtesten Accord anfängt und in dem weichsten aufhöret«. Der Verfasser scheint ein sonderbarer Kauz gewesen zu sein. Wegen liberaler Ansichten des Atheismus beschuldigt, wurde er später in Erfurt Professor der Jurisprudenz und katholisch (f 1753). Beide Treiber, Vater und Sohn, haben vermutlich zusammen ein Singspiel verfaßt, »die Klugheit der Obrigkeit in Anordnung des Bierbrauens«. Die Aufführung fand 1705 wahrscheinlich auf dem gräflichen Theater statt. Die Schauspieler waren dort bald Schüler, bald Handwerker. Der Graf stellte Theater, Dekorationen, Beleudv tung, Speisen und Getränke auf der Bühne und die Kapelle, die Stadt die Kostüme. Dafür konnte der Graf nach Belieben mit 14tägiger Ankündigung spielen lassen. Die Hofdienerschaft hatte 15

freien Eintritt, audi konnte jedermann »gegen ein gewiß Geld die Actiones ansehen«. So wurde in kleinen Verhältnissen Oper gespielt. Das kleine Theater war 1700 mit einer weltlidien Kantate von Salomon Franck, dem späteren Textdichter Bachscher Kantaten, eröffnet worden. Im Orchester, das 1690 21 Ausführende hatte, wirkten auch der Aktuar, der Kornschreiber, der Küchenschreiber und Verwaltungspersonal mit, wie das noch 100 Jahre später an kleinen Höfen üblich war. Heinrich und Joh. Christoph Bach wurden gelegentlich herangezogen. Michael Bach aus Gehren ebenfalls, sicherlich auch Joh. Sebastian. In Arnstadt lebte der Sohn Joh. Christophs, des Vaters Bach Zwillingsbruder, Johann Ernst, und Paul Gleitsmann, ein tüchtiger Spieler auf Streichinstrumenten und auf der Laute. Die sonstigen Musiker mögen Bach nicht immer begeistert haben. Er wurde nämlich am 5. August 1705 vor das Konsistorium zitiert, weil er einen älteren Gymnasiasten und Fagottisten mit dem hübschen Ausdruck »Zippeifagottist« beleidigt hatte. Als Bachs älterer Bruder J o h a n n J a k o b , Stadtmusiker in Eisenach, Abschied nahm, um als Hoboist in den Dienst Karls X I I . von Schweden zu treten, mit dem er durch Polen und Rußland ziehen sollte, um nach Jahren Aufenthalts in der Türkei später als Hofmusiker nach Stockholm zurückzukehren, da schrieb Bach ihm ein »Capriccio sopra la lontananza del suo fratello dilettissimo« (auf den Abschied seines geliebtesten Bruders). Der italienische, nicht sicher von Bach stammende Titel, deutet auf italienische Programmusik. Deis Werk ist ein allerliebstes Stück. Audi Bachs Bruder Johann Christof erhielt ein Capriccio zu seinen Ehren (in honorem...). Ende Oktober 1705 nahm B a c h einen vierwöchigen Urlaub nach L ü b e ck, den er beträchtlich überschritt: Er sei aber wohl viermal solange außen geblieben, wird bei seiner Vernehmung vor dem gräflidüen Konsistorium am 21. Februar 1706 festgestellt. Bach antwortete, er sei zu Lübeck gewesen, um daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreifen. Das Ziel seiner Reise ist klar: was er von Lüneburg aus nicht durchführen konnte, das holte Bach jetzt nach. D i e t r i c h B u x t e h u d e (1637—1707) wirkte seit 1668 an der Marienkirche zu Lübeck. Er war nidit nur als Organist, sondern vor allem durdi 16

seine Abendmusiken weithin berühmt. Als Komponist kirchlicher Vokalwerke ist Buxtehude vor Bach der gewaltigste, ausdrucksvollste, vielseitigste. Von einer Missa brevis im alten Stil, über ein sedischöriges Benedicamus Dominum im Schützstil bis zu den alle Möglichkeiten homophoner und polyphoner Satztechnik der Zeit kühn ausnützenden Kantaten und den einzelne oder mehrere Abende zusammenschließenden Riesenwerken der Abendmusiken hat Buxtehude vielfach mit seiner großartig formalen und klanglichen Phantasie Bach nachweislich Anregungen gegeben. Ueberdies ist Buxtehude der gewaltigste »nordische« Orgelmeister vor Bach. Choralvorspiele schlichter Innigkeit, großgebaute Choralphantasien, Passacaglio, Ciaconna, Präludien und Fugen, weitausholende Tokkaten künden von einer alle Gegensätze der Empfindungswelt, vom Zart-Innigen bis zum Wild-Phantastischen und Monumentalen umspannenden, echt germanisch-unerschöpflichen Künstlerseele. Der Organistenposten des schon 68jährigen Buxtehude hätte Bach wohl behagt, aber die 36jährige Tochter Buxtehudes dabei heiraten, dazu konnte der Zwanzigjährige sich so wenig entschließen, wie zwei Jahre zuvor zwei andere Anwärter, Mattheson und Händel. Das Konsistorium hatte Bach nicht nur die große Ueberschreitung seines Urlaubs vorgeworfen, sondern auch seine Spielweise im Gottesdienst. Er habe im Choral viele »wunderliche variationes gemacht, viele fremde Töne mit eingemischet, daß die Gemeinde drüber confundieret worden«. Auch sollte er mit dem Schülerchor figural und vokal musizieren. Einen eigenen Chordirektor, den er verlangt habe, könne man nicht anstellen. Ein halbes Jahr später wird Bach wieder vorgeworfen, daß er den Chor vernachlässige. Außerdem wird er befragt, aus welcher Machtbefugnis »er ohnlängst die fremde Jungfer auf das Chor bieten und musizieren lassen«. Da Bach das nächste Jahr heiratete, so kann man mit gutem Grund annehmen, daß diese Sängerin seine Braut gewesen: M a r i a B a r b a r a , die jüngste Tochter des 1694 verstorbenen Onkels, Joh. Sebastians, des hochbegabten Michael Bach in Gehren. Maria Barbara war demnach Bachs Base. Zwei große Bache Engel, Joh. Seb. Bach 2

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sind dieser Ehe entsprossen: Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel Bach. In Arnstadt hat Bach vorwiegend O r g e l w e r k e geschrieben. Da Anhaltspunkte äußerer Art für die Entstehungszeit dieser Orgelwerke so gut wie ganz fehlen, ist man auf den Versuch angewiesen, sie nach stilistischen Kennzeichen zu ordnen. Gegenüber Spitta haben die meisten neueren Forscher, zuletzt Keller, die bedeutendsten Orgelwerke einer viel früheren Zeit zugeschrieben, darunter die Präludien und Fugen in e (III, 10), G und D, ein ausgesprochenes Virtuosenstück, und die große Tokkata und Fuge d (IV, 4), dazu die Tokkata in E (G. A. Jg. 15, S. 276), dieselbe C III 7), Fantasie G (IX, 6), Fuge G (IX, 4) und kleinere Werke. In Arnstadt entstand auch die früheste der erhaltenen Kirdienkantaten »Denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen«, die Bach später in Leipzig umgearbeitet hat, ein prachtvolles Werk, wohl für Ostern 1704 komponiert, voll jugendlichen Ueberschwangs im älteren norddeutschen Stile. Ein Quodlibet des jungen Bach »Der Backtrog« stammt nachweislich aus dem Jahre 1707 und hat als Dichter den Rektor J . Fr. Treiber. Es nimmt humoristischen Bezug auf die Hochzeit eines J . Fr. Fuchs, eines früheren Schülers von Treiber. Von Arnstadt führte der Lebensweg Joh. Seb. Bachs nach M ü h l h a u s e n . Hier war am 2. Dezember 1706 der Organist an der Kirche Divi Blasii, Johann Georg Ahle, verstorben. Am Ostersonntag 1707 spielte Bach Probe, wahrscheinlich dazu vom Ratsausschuß für die Besetzung dieser Stelle aufgefordert! Ein anderer Kandidat kam nicht in Frage. Als Gehalt hatte Bach dieselbe Summe verlangt, die er in Arnstadt erhalten hatte, weit mehr, als sein Vorgänger bezog, dazu ein Fuhrwerk für freien Umzug nach Mühlhausen. Am 10. August war sein Onkel, Tobias Lämmerhirt, verstorben. Der Onkel hatte Bach ein ansehnliches Legat bestimmt, das ihn in die Lage versetzte, am 17. Oktober 1707 Maria Barbara heimzuführen. Mühlhausen war freie Reichsstadt, die von einem Rate regiert wurde, welcher in drei Körperschaften eingeteilt war, die je ein Jahr regierten. Ihre Amtszeit wurde mit einer kirchlichen Feier eingeleitet, zu welcher diesmal am 4. Fe18

bruar 1708 der neue Organist Bach die Musik komponiert hatte. Bach hat den Titel der Partitur besonders kunstvoll geschrieben, dem »Jesu Juva« — Hilf Jesus — vorausgesetzt ist. Die »Glückwünschende Kirchen-Motette« für diesen Ratswechsel muß dem Rat und den Bürgern großen Eindruck gemacht haben, begreiflicherweise, denn das Werk ist mit seinem reich besetzten Orchester, in dem auch festliche Trompeten und Pauken nicht fehlen, und mit einer großartigen Fuge auf den Kaiser Joseph (dem die freie Reichsstadt unmittelbar unterstand) ungemein wirkungskräftig, aber auch von großer Gemütstiefe. Der Rat ließ die Kantate in Mühlhausen in Stimmen drucken. Es ist die einzige Kantate Bachs geblieben, die dieser Ehre teilhaftig wurde. Auch als Kenner des Orgelbaues hat sich Bach in Mühlhausen betätigt, als er einen seine Kenntnisse ins beste Licht setzenden Entwurf für einen Umbau der Orgel in seiner Kirche Divi Blasii lieferte*) und außerdem als Zutat ein von ihm erfundenes PedalGlockenspiel von 24 Glocken plante, das anzuschaffen der Rat beschlossen hatte. Allein Bach kam vor Ausführung dieser Pläne von Mühlhausen fort. In seinem Entlassungsgesuch vom 25. Juni 1708 spricht Bach von seinem »Endzweck, nämlich [daß er] eine regulierte Kirchenmusik zu Gottes Ehren [habe] gerne aufführen mögen«. Es habe »sich doch ohne Widrigkeit nicht fügen mögen«. Zu diesen Widrigkeiten haben sicherlich die Streitigkeiten gehört, die zwischen dem Bach auch weiterhin befreundeten Pastor Eilmar und seinem Vorgesetzten, dem Superintendenten und Pastor an St. Blasius, Joh. Ad. Frohne, ausgebrochen waren. Eilmar hatte den um 13 Jahre älteren, frommen und hochstehenden Frohne des Pietismus, des Majorismus, Chiliasmus und Terminismus beschuldigt, und zwar in einer rechthaberischen, groben Art. In diesem, auch in Mühlhausen aufflammenden Streit der Orthodoxen gegen die Pietisten, den Anhängern einer Frömmigkeitsbewegung, Pietismus genannt, die durch Speners Buch »Pia Desideria« 1675 eingeleitet wurde, stand Bach teils durch Erziehung, teils durch Freundschaft zu Eilmar auf Seiten der Orthodoxen, teils aber auch deshalb, weil die Pietisten gegen jedes Eindringen moderner musi*) Siehe Anhang.

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kalischer Formen in den Gottesdienst waren, in dem sie nur schlichte Lieder gelten lassen wollten. Die Fronten zwischen Orthodoxie und Pietismus verliefen längst nicht mehr klar erkennbar und gradlinig. Statt theologischen Gegensätzen lag den Streitigkeiten vielfach bloßes Pastorengezänk zugrunde. Die ursprüngliche Feindschaft der Pietisten gegen die Musik war längst kein entscheidendes Merkmal mehr für die religiöse Bewegung, deren feine Kunst der Seelenbeobachtung, deren poetische Gefühlsbetonung eine für die Musik so wichtige Verfeinerung des geistigen Lebens mit sich gebracht hatte, die sich bis zur Empfindsamkeit hin auswirkte. An geistigem und seelischem Gut haben die Pietisten die Umwelt Bachs bereichert.

DER REIFE MEISTER: WEIMAR U N D

KOTHEN

Bach hatte eine Anstellung beim Herzog von Sachsen -Weimar, Wilhelm Ernst, in dessen Hofkapell- und Kammermusik gefunden. Nun war Bach in gehobenerer Stellung in W e i m a r als fünf Jahre zuvor, als er bei dem Bruder des Herzogs, Johann Ernst, Musiker gewesen war. Audi mit den beiden Prinzen, Johann Ernst und Ernst August, war Bach von damals her noch auf bestem Fuße. Von Leipzig aus besuchte er später Weimar, um Ernst August seine musikalische Huldigung darzubringen. Neun Jahre hat Bach am Hofe des Herzogs Wilhelm Ernst gewirkt. Der jüngere Bruder des Herzogs, Johann Ernst, in dessen Diensten Bach 1703 gestanden hatte, war 1707 verstorben. Der Herzog Wilhelm Ernst war eine tiefreligiöse Persönlichkeit, der auch für kulturelle Bestrebungen aller Art reges Interesse zeigte. So gründete er ein Waisenhaus, ein Seminar für Lehrer und Prediger, das Gymnasium, eine Bibliothek und legte eine Münzsammlung an; letzteren beiden Einrichtungen stand der Sekretär des Konsistoriums, Salomon Franck, seit 1702 vor, Bachs kommender Kantatendichter. Konrek20

tor des Gymnasiums ward 1715 J o h. M a t h i a s G e s n e r , mit dem Bach sieben Jahre später in Leipzig Freundschaft verband. 1646 hatte der Herzog auch ein Opernhaus errichten lassen. Zum benachbarten kunstliebenden Weißenfelser Hof, an dem die Oper mit trefflichen Kräften, vor allem Joh. Philipp und J. D. Kobelius als Komponisten gepflegt wurde, bestanden Beziehungen. Der Weimarer Herzog hielt sich eine Kapelle: »Sein Gehör belustigten zuweilen 16 in Heyducken-Habit gekleidete, wohlabgerichtete Musikanten.« In diesem Habit hat also Bach auch spielen müssen. Es ist aber weder Husarenuniform noch Zigeunertracht, wie man in Bachbiographien erklärt bekommt, sondern die damals, seit den Türkenkriegen an Höfen beliebte Uniform der adeligen ungarischen Völkerschaft, mit Pelz verbrämt an Mütze und kurzem Mantel. Bach mag in dieser Kapelle zuerst als Violin- oder Cembalospieler, später als Konzertmeister mitgewirkt haben. Außerdem war er Hoforganist. Sein Gehalt war ein hohes, er bezog zuerst 156 Gulden 15 ggr., 1713 schließlich 225 Gulden und noch mehr. Kapellmeister war Joh. Samuel Drese, der damals schon 62 Jahre alt war und die letzten zwanzig Jahre von Vizekapellmeister Georg Christoph Strattner unterstützt wurde. Der interessante Kammersekretär und Violinist Johann Paul W e s t h o f f war schon 1705 gestorben. Die Kapelle zählte 1714—1716 22 Mitglieder, unter denen auch die Sänger begriffen sind, nämlich 7 Sänger, 2 Organisten, 3 Violinisten, 1 Fagottist, 7 Trompeter und Pauker. Wie üblich hatten die Mitglieder einen Beruf im Hofhalt, der Falsettist war Pagenhofmeister, der Altist Prinzeninformator, der Fagottist Gerichtsinspektor, ein Trompeter Kammerfurier. Intime Freundschaft verband aber Bach mit seinem Vetter zweiten Grades, J o h a n n G o t t f r i e d W a l t h e r (1648), der von 1707 bis zu seinem Tode 1748 in Weimar lebte. Seine Mutter war eine geborene Lämmerhirt wie die Mutter Bachs. Erst 1720 wurde Walther Hofmusiker und hatte die Prinzen im Klavierspiel unterrichtet. Walther, der im Selbstunterricht mehr gelernt hatte als bei seinem wunderlichen Lehrer Büttstedt, hat vorwiegend Orgelwerke über Choräle, Choralvorspiele, Orgelchoräle, Choralphantasien geschaffen, in denen er dem Vorbild von Scheidt und Pa21

chelbel folgte, aber auch dem von Buxtehude, Tunder und Böhm. In dieser Schaffensweise hat Walther auf Bach und sein in Weimar entstandenes »Orgelbüchlein« Einfluß gehabt. Ein Choralvorspiel seiner Komposition »Gott der Vater wohn' uns bei« ist bei dieser stilistischen Beziehung nicht zufällig unter Bachs Werke geraten. Aehnlidi wie Bach hat auch Walther fremde Konzertwerke, darunter Concerti grossi von Torelli und Corelli, auf die Orgel übertragen. Die Zunahme der Doppel- und Tripelfugen Bachs seit der Weimarer Zeit geht wohl auf die gemeinsame Vorliebe beider Meister für den Kontrapunkt zurück. In Weimar wurden Bach sechs Kinder geboren, darunter 1713 Zwillinge, die den Tag ihrer Geburt nicht überlebten, und die beiden Söhne Wilhelm Friedemann (1710) und Carl Philipp Emanuel Bach (1714). Zu seiner Familie zählten nun auch Schüler, die sein ständig wachsender Ruhm angelodkt hatte. Sein erster Lehrling, Joh. Martin Schubart, der 1717 sein Nadifolger in Weimar wurde, fand Genossen; Joh. Caspar Vogler, später Schubarts Nachfolger; Joh. Tobias Krebs, seit 1710 Organist, dessen berühmterer Sohn Joh. Ludwig Krebs nebst Brüdern später in Leipzig wieder bei Bach studierte; Johann Gotthilf Ziegler, der von Bach lernte, daß er die »Lieder nur nidit so ohnehin, sondern nach demAffect der Worte« spielen müsse. Vor allem aber seine Söhne zeugen für den Lehrer Bach, der in der Harmonielehre streng auf selbständige Stimmführung hielt und auch als Continuospieler selbständige, melodische Oberstimmen spielte; denn alles Kontrapunktische war ihm zur zweiten Natur geworden. In Weimar hat Bach seine Vollendung als der große M e i s t e r d e s O r g e l s p i e l s erfahren, als welcher er der Mitwelt vorzugsweise galt. Uns Späteren ist diese technische Meisterschaft erkenntlich an seinen eigenen Orgelwerken, in denen uns an Stelle der Meisterschaft in verklingendem Spiel die größere Meisterschaft unvergänglicher Komposition erhalten ist. Als Virtuose glänzte Bach sowohl durch seine Fingertechnik, die er auf eigentümliche Art ausgebildet hatte, als auch durch seine unerhörte Kühnheit und Sicherheit im Pedalspiel. Dazu kam eine unvergleichliche Art des Registrierens, bei der er in neuen Klangverbindungen unerschöpf22

lieh, oft eigenartig bis zum Befremden war und vor allem die Stimmen klar heraustreten ließ. Sein Ruhm drang nach außerhalb, und so sehen wir ihn denn manche Kunstreisen unternehmen, 1714 nach Kassel, wo der Landgraf Karl unter Ruggiero Fedeli eine gute italienische Oper unterhielt. Wahrscheinlich hatte der Erbprinz Friedrich, der nachmalige König von Schweden, 1695 in Weimar Bach gehört, von wo er den Gambisten August Kühnel engagierte und nun auch Bach einlud. Bach war eigentlich zur Prüfung der restaurierten Orgel geladen. Dabei ließ sich Bach vor dem Erbprinzen hören, der vor Begeisterung einen kostbaren Ring vom Finger zog und Bach schenkte. 1713 war Bach auch in H a l l e , wahrscheinlich um die neue große Orgel in der Liebfrauenkirche zu probieren. Auch hier ließ er sich als Virtuose hören. Der Organistenposten war seit dem Tode Zachows, dem Lehrer Händeis, im Jahre 1712 nicht mehr besetzt. Bach war nicht abgeneigt, die Stelle anzunehmen und komponierte zum Zwecke der Bewerbung eine Kantate (Nr. 21) und führte sie am 6. November 1713 auf. Die Hallenser schickten ihm eine Vokation in doppelter Ausführung. Bach zögerte, denn der Herzog war nicht gewillt, seinen hervorragenden Musikus ziehen zu lassen. Die Hallenser warfen ihm vor, er habe ihre Berufung nur als Druckmittel in Weimar benutzt, wo er 1714 zum Konzertmeister ernannt wurde und eine erhöhte Besoldung von 250 Florins erhielt. Bach blieb die Antwort nach Halle nicht schuldig. Die Verstimmung zwischen Bach und den Hallensern behob sich jedoch, so daß Bach am 29. und 30. April 1716 die fertige Orgel in der Liebfrauenkirche zu Halle der Prüfung unterzog, unterstützt von Christian Friedrich Rolle aus Quedlinburg und Johann Kuhnau, dem Thomaskantor aus Leipzig, dessen Nachfolger er werden sollte. 1717 reiste Bach nach D r e s d e n . Damals erlebte die Dresdner Oper unter dem bedeutenden venezianischen Meister A n t o n i o L o t t i eine von 1717 bis 1719 dauernde Glanzzeit. Der französische Ballettmeister und Komponist Volumnier, vermutlich auch Pantalon Hebenstreit, der treffliche böhmische Komponist J . D. Zelenka (1679—1745) und der bedeutende Geiger J . G. Pisendel (1687—1755) wirkten hier. Auch der berühmte französische 23

Orgel- und Kalvierspieler L o u i s M a r c h a n d (1664—1732) entzückte damals den Dresdner Hof. Für Bach waren musikalische Anreize genug da. Im Hause des Grafen von Flemming, Bachs späterem Gönner, sollten Bach und Marchand sich in musikalischem Wettstreit messen. Marchand erschien nicht: er war abgereist. Die-neugierigen Zuhörer nahmen das als Flucht und Niederlage der französischen Kunst und feierten den deutschen Meister doppelt. Auch nach Meiningen führte Bach eine Reise, wo ein Verwandter aus der dortigen Seitenlinie, J o h a n n L u d w i g Bach, Kapellmeister war. Als Komponist von im Jahre 1715 gedruckten Orchestersuiten, von Motetten und einer Passionsmusik von 1713 hat dieser Bach sich ausgezeichnet. In Leipzig weilte Bach Anfang Dezember 1714, wo er am 1. Adventssonntag seine Kantate »Nun komm, der Heiden Heiland« aufführte und das Organistenamt versah. Dabei hat er Kuhnaus nähere Bekanntschaft gemacht. Bachs Tätigkeit in Weimar war ausgedehnt. In erster Linie hat er als Orgelvirtuose geglänzt; sein neues Amt gab ihm Gelegenheit, 1714 bis 1716 in der Schloßkapelle eine Reihe von Kantaten aufzuführen, zu welchen S a l o m o n F r a n c k die Texte geschrieben hatte. Diese Kantaten folgten dem neuen Stil, den Eduard Neumeister kurz definiert hat: »Soll ich's kürzlich aussprechen, so siehet eine Cantate nicht anders aus, als ein Stüde aus einer Opera, von Stylo Recitativo und Arien zusammengesetzt.« Neumeister, der 1704—1706 Hofdiakonus zu Weißenfels war, dichtete fleißig in diesem neuen Stil, und zwar nicht weniger als fünf Jahrgänge für die Sonntage, deren zweiter von Erlebach in Musik gesetzt und deren dritter für G e o r g P h i l i p p T e l e m a n n , damals Kapellmeister in Eisenach, Bach befreundet und Pate seines zweiten Sohnes, gedichtet war. 1716 erschienen die Dichtungen gesammelt unter dem Titel »Fünffache Kirchen-Andachten«. Begreiflicherweise blieb diese Neuerung nicht ohne Widerspruch, der am schärfsten von dem Göttinger Rechtsprofessor Joachim Meyer formuliert wurde in einer Schrift: »Unvorgreifliche Gedanken über die neuerlich eingerissene theatralische Kirchenmusik und die darin bisher üblich gewordenen Kantaten« (1726). Bach hat aus Neumeisters

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Jahrgängen aus dem vierten Jahrgang vier, aus dem dritten zwei und aus dem ersten eine Kantate komponiert. Auf Befehl des Herzogs hat Salomon Franck ähnliche KantatenJahrgänge gedichtet, die als »Evangelische Andachtsopfer« 1715 erschienen. Der Vizekapellmeister S trattner hatte die Verpflichtung, für jeden vierten Sonntag eine Kirchenmusik zu schreiben. Bach hat eine weitere Reihe komponiert, von denen noch neun erhalten sind. Der Vorwurf, der gegen die opernmäßige Anlage der Dichtungen solcher Kantaten und damit auch gegen ihre musikalische Form erhoben wurde, ist zweifellos nicht unberechtigt. Nicht nur Arie und Rezitativ wendet Bach als Formen der modischen, weltlichen Gattung Oper an, sondern er komponierte den Eingangschor der ersten Kantate des vierten Jahrgangs Neumeisters für den ersten Adventsonntag sogar als französische Ouvertüre, mit Grave und fugiertem Allegro, mit welcher Bach den Choral verbindet. Später hat Bach sogar einmal eine ganze Kantate in Suitenform vertont. Schon diese Weimarer Kantaten zeigen den ganzen Reichtum seiner Formen und seines Empfindungslebens. Audi in den Kantaten macht sich eine Quelle der Beeinflussung bemerkbar; es ist die n e u e i t a l i e n i s c h e K u n s t , die Bach in Weimar studiert. Eingedeutschte italienische Formen und Gattungen haben ihm schon seine thüringischen Vorfahren überliefert. Jetzt versenkt sich Bach in die neueste italienische Musik. Zu Studienzwecken schuf Bach Klavierbearbeitungen, wir könnten auch sagen Klavierauszüge von italienischen Concerti grossi. Bach hat sich wohl erst eine Sparte gefertigt, da von diesen Konzerten, wie überhaupt damals, nur Stimmen gedruckt waren, und nach diesen Sparten, von denen sich nichts erhalten hat, die Klavierauszüge, wobei er die Werke teilweise in klaviergerechtere Tonarten transponiert, die Figuration umgestaltet, andere Stellen verziert, »diminuiert« und kontrapunktische Begleitung hinzukomponiert hat. Von dem bedeutendsten Vertreter des Concerto grosso und des Solokonzertes nach Corelli, Antonio Vivaldi, hat Bach aus Vivaldis op. 1 »L'Estro Armonica« (vielleicht am besten mit »musikalischen Dichterflammen« zu übersetzen) fünf Konzerte für Klavier und Orgel über25

tragen. Andere übertragene Konzerte der 16 Bearbeitungen Bachs stammen von Benedetto Marcello, Telemann und dem jung verstorbenen Prinzen Johann Ernst. Auch weitere Arbeiten deuten auf das Studium der Italiener. So erwarb Bach 1714 eine schön geschriebene Abschrift des Orgelwerkes »Fiori musicali« von G i r o l a m o F r e s c o b a l d i von 1635. Die Canzona in d (V. 4. 10) geht in ihrer Form, bei der erst das Thema im geraden, danach variiert im ungeraden Takt durchgeführt wird, unmittelbar auf das Vorbild des älteren Meisters zurück, das noch in der »Kunst der Fuge« wirksam blieb. Ein »Thema Legrenzianum elaboratum cum subjecto pedaliter« stammt von G i o v a n n i L e g r e n z i (1626—96), von A r c a n g e l o C o r e l l i nimmt er eine Fuge aus dessen Triosonaten, op 3, Nr. 4, zur Ausarbeitung, bei der aus Corellis 39 Takten eine ausgeführte Fuge von über 100 Takten wurde. Von T o m m a s o A l b i n o n i (1674—1745), dessen Werke Bach auch im Unterricht zum Generalbaßspiel benutzte, hat Bach aus op. 1 Nr. 3 und 8 zu ausgedehnteren Fugen verarbeitet, welche die kurzen Vorbilder weit hinter sich lassen. Gerade Nr. 3 in A ist eine Kirchensonate, deren langsamer Satz über chromatischen ostinato-Baß Bach tief angesprochen haben muß. Die Variationeh »alla maniera italiana« nennen schon im Titel das Muster der Figuration, die italienische Violinspielweise. Die italienische Konzertform ist jetzt und ebenso in den späteren Werken häufig zu finden. Eine Verbindung von Konzertform und Fuge wendet Bach in dieser Zeit aber auch in späteren Werken an. In Weimar sind vor allem auch die großen tokkatenmäßigen Präludien und Fugen für Orgel (in G, D, 4. 1, D 4. 3), die dorische Tokkata für Orgel, die Klaviertokkaten, die große Fuge nebst Präludium in a für Klavier entstanden, welches Werk Bach in genialer Weise zu einem Tripelkonzert für Violine, Flöte, Klavier und Orchester umgestaltet hat, sowie die große Fuge nebst Präludium in a (2. 8). Nur Präludium und Fuge in g für Orgel (2. 4) können wir einigermaßen genau datieren. Mattheson zitiert das Thema der Fuge 1735 als schon 1725 bekannt. Das Thema ist eine Weiterbildung eines Themas einer Klavierfuge (B. G. III. 3. 334) und gehört wie die große D-Fuge zu den tokkatenhaften Charakter zei26

genden Stücken. Zu den größten Werken zählt auch die Tokkata und Fuge C (3. 8). Eine Reihe von großen Orgelfugen ist wahrscheinlich in Weimar entstanden, vor allem die große c-Passaglia (1. 7), deren Thema zur Hälfte von André Raison stammt. Das Werk läßt in seiner grandiosen Anlage selbst Buxtehudische Kühnheit hinter sich. Bachs Tätigkeit in Weimar gestaltete sich im Verlauf nicht so angenehm, wie er zunächst erwartet haben mag. Bei Hof war er anfangs hochgeschätzt. Auch als Komponist weltlicher Musik tritt Bach mit einer Jagd-Kantate hervor: »Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd«. Herzog Wilhelm Ernst hatte Bach mit nach Weißenfels genommen zu der Geburtstagsfeierlichkeit am 23. Februar 1716 für den Herzog Christian von Sadisen-Weißenfels. Als der alte Hofkapellmeister Drese am 1. Dezember dieses Jahres starb, glaubte Bach, sein Nachfolger zu werden. Der Herzog ernannte aber den Sohn Dreses, für den Badi in der Schloßkapelle seit 1714 eigene Kantaten aufgeführt hatte. Mit seinem neu zum Mitregenten ernannten Neffen Ernst August hatte der Herzog Mißstimmigkeiten, in die Badi hineingezogen wurde. Bach suchte einen Ausweg und nahm eine ihm vom Bruder der Herzogin, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Kothen, angebotene Kapellmeisterstelle an. Der Herzog wollte begreiflicherweise seinen ausgezeichneten Musiker nicht ziehen lassen und glaubte, daß sein Neffe die Angelegenheit heimlich betrieben hatte, was seinen Aerger verstärkte. Als Badi nach der zweihundertjährigen Jubelfeier der Reformation sein Gesuch um Entlassung wiederholte, ließ der Herzog Bach kurzerhand einsperren. »6. November ist der bisherige Konzertmeister und Organist Bach wegen seiner halsstarrigen Bezeugung von zu erzwingender Dimission auf der Landrichterstube arretiert und endlich den 2. Dezember darauf mit angezeigter ungnädiger Dimission des Arrestes befreiet worden«, heißt es in den Akten. In diesen 2(5 Tagen Haft hat Bach vielleicht den Plan zu seinem Orgelbüchlein entworfen. In K o t h e n gab es keine Oper, aber audi keine Kirchenmusik, denn hier herrschte der reformierte Kultus. Bis 1700 wirkte nur ein Stadtmusikus. 1707 wurden für den 13jährigen Erbprinzen Leopold drei Musiker angestellt. Auf Reisen durch Holland, Eng27

land und Italien, wo er in Rom sich vom Musiker Heinichen, der später in Weißenfels seßhaft wurde, führen ließ, hatte der junge Prinz seinen geistigen und künstlerischen Horizont erweitert. Er selbst war musikalisch, spielte Violine, Gambe und Klavier und hatte eine hübsche Stimme. Im Jahre 1717 bestand die Instrumentisten-Kapelle aus 12 Musikern, 2 Notenschreibern, 4 Trompetern und 1 Pauker, unter diesen der Kammer-Violgambist Christian Ferdinand Abel hervorragte. Von seinen zwei in Kothen geborenen Söhnen ist Karl Friedrich Abel später in London berühmt geworden, eng befreundet mit dem jüngsten Sohne Bachs, Johann Christian. Die Bläser wurden bei Gelegenheit von auswärts geholt. In Kothen hatte Bach keine Aufgaben als Organist, und er mußte sich ganz der K a m m e r m u s i k widmen. Bach hatte in Kothen einen sehr hohen Gehalt von 400 Talern, einen weit höheren, als sein Vorgänger Reinhard Stricker hatte und denselben wie der Hofmarschall, der zweithöchste Beamte des Hofes. Daraus ist die hohe Achtung ersichtlich, die dem Musiker Bach entgegengebracht wurde. Bach hatte mit der Kapelle zu musizieren, die Collegium musicum genannt wurde und ihre Proben im Hause des Ladeninhabers Lautsdi abhielt. Die Notenbestände enthielten von bedeutenden Komponisten Werke von Hasse, Galuppi und Johann Fischer, von Italienern nur solche von Manfredini. Corelli und Vivaldi fehlten, ebenso die großen Franzosen. Um das Repertoire zu erweitern, hat denn Bach unendlich viel komponiert, die herrlichen sechs S o n a t e n für Violine mit ausgearbeitetem Klavierpart sowie drei Flöten- und drei besonders schöne G a m b e n s o n a t e n . Die drei S o l o s o n a t e n und drei Solosuiten für Violine mit der Ciaconna stellen ein einzigartiges Dokument Bachschen Schaffens dar. Sechs Suiten für Violoncello-Solo stehen diesen Werken zur Seite. Solche Solostücke für Streicher hatten vor allem die Oesterreicher Biber und Schmeltzer und Joh. Jakob W a l ter in Mainz geschrieben. Auch Triosonaten hat Bach geschaffen, eine in G für Flöte, Violine und Generalbaß und eine in C für 2 Violinen und Baß. Hier in Kothen sind sicherlich auch die Violin-Konzerte entstanden, das in a mit dem ergreifenden Mittelsatz 28

über dem Basso ostinato, das in E und das D o p p e l k o n z e r t für 2 Violinen in d, eines seiner bekanntesten Werke dieser Art. Schöneres wie der seligsten Frieden spendende Mittelsatz ist in diesem Rahmen wohl niemals geschrieben worden! Die sieben erhaltenen K l a v i e r k o n z e r t e sind wahrscheinlich alle Uebertragungen eigener Violinkonzerte, das d-Konzert wohl eines fremden Werkes für Klavier, die Bach vermutlich in Leipzig für seine Söhne vorgenommen hat. Auch das Konzert in c f ü r 2 Klaviere ist ursprünglich für Violine, Oboe und Orchester komponiert. Man hat die ursprüngliche Fassung dieser Werke mit Erfolg wiederherzustellen versucht. In Kothen sind wohl auch zuerst die prachtvollen sog. B r a n d e n b u r g i s c h e n K o n z e r t e erprobt worden, die Bach mit einer französischen Widmung dem Markgrafen Christian von Brandenburg, Domprobst von Halberstadt, gewidmet hat, den er vielleicht auf einer Reise mit seinem Fürsten in Karlsbad getrofJen hatte. Diese Konzerte stellen den Gipfel Bachscher Ausdeutung der italienischen Form des Concerto grosso dar, in denen der Meister souverän mit der Form und verschiedensten Concertini, konzertierenden Instrumenten, umgeht. Auch die vier Orchesterpartien dürften hier entstanden sein. Die Gattung der mit einer französischen Ouvertüre eingeleiteten Suite, wie sie deutsche Meister der Zeit mit Vorliebe pflegen, wird hier in gleicher Weise kontrapunktisch-orchestral wie melodisch gemeistert. Das Air der D-Suite ist das bekannteste Stück dieser Werke, ein Stüde von köstlicher Schönheit. In Kothen ist außer diesen großen, bedeutenden Werken nun noch eine Reihe von Sammelwerken für Klavier und Orgel entstanden, so das » C i a v i e r - B ü c h l e i n vor (für) Wilhelm Friedemann Bach«, das Bach am 22. Januar 1720 für seinen 10jährigen Aeltesten angelegt hat. Die Schlüssel, die hauptsächlichsten Manieren und der Fingersatz werden zuerst erläutert. Nach einem Präambulum und einem dreistimmigen verzierten Choral »Wer nur den lieben Gott läßt walten« steigen die Schwierigkeiten für den Schüler rasch, es folgen ein Choral, Präludien, Tanzstücke, dann elf Präludien, die später meist erweitert im »Wohltemperierten Ciavier« wiederkehren, und außer Stücken und Suiten von Johann 29

Christoph Richter, Gottfried Heinrich Stöltzel und Georg Telemann 15 zweistimmige Inventionen und 15 dreistimmige Sinfonien, die Bach 1723 nochmals selbständig zusammenfaßt. Im Jahre 1722 hat Badi eine weitere Gebrauchssammlung angelegt, für seine junge, zweite Gattin: » C l a v i e r - B ü c h l e i n vor Anna Magdalena Badiin«. Den Inhalt des Büchleins machen zum größten Teil die »französischen Suiten« aus. Im Deckel dieses Bandes, das wohl ein Brautgeschenk war, notierte sich Bach die Titel dreier Büdier: »Anticalvinismus«, [Evangelische] »Christenschule« und »Anti-Melancholicus« von Dr. August Pfeiffer, mit denen er seinen Glauben im reformierten Kothen zu stärken gedachte. Sie befanden sich später mit einem ähnlichen Werk in seinem Nachlaß. Ein zweites Büchlein, das durch die Initialen A. M. B. wieder als für Anna Magdalena bestimmt ersdieint, legte Bach 1725 an. Es enthält zwei Partiten der zwei »französischen« Suiten, Präludien, Tänze, Arien, Märsche und Lieder, die meist von Anna Magdalena selbst geschrieben sind und nicht nur von Bach stammen. In Kothen entstand Bachs große handschriftliche Sammlung von Orgelchorälen, das »O r g e l - B ü c h l e i n , worinnen einem anfallenden Organisten Anleitung gegeben wird, auf allerhand Art einen Choral durchzuführen, anbei auch sich im Pedalstudio zu habilitiren, indem in soldien darinne befindlichen Chorälen das Pedal ganz obligat tractiret wird. Dem höchsten Gott allein zu Ehren, dem Nächsten, draus sich zu belehren.« Es sollte 164 Choräle enthalten, aber nur 46 wurden vollendet, hauptsächlich Sonntags- und Festchoräle des Kirchenjahres. Zugrunde liegen den Melodien die Choralbücher von Weimar aus den Jahren 1708 und 1713. Eindringlich wird der Choral geboten, tonmalerisch durch Kanon oder Harmonik textlich ausgedeutet. In Kothen entstand ferner 1722 der erste Teil der Sammlung von 24 Präludien und Fugen »D a s w o h l t e m p e r i e r t e C i a v i e r oder Praeludia und Fugen durch alle Tone und Semitonia. . .«*). Das Werk ist durch die unvergleichliche Kunst der Polyphonie wie durch seinen gewaltigen und seelischen Stimmungsreichtum das Hauptwerk der * ) Siehe Wiedergabe des Titelblattes S. 32.

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älteren Klavierliteratur für den Pianisten geworden. Schumann mahnte: »Das .Wohltemperierte Klavier' sei dein täglich Brot. Dann wirst du gewiß ein tüchtiger Musiker.« Hans von Bülow nannte es das Alte Testament des Klavierspielers, Beethovens Sonaten das Neue Testament. Bachs Werk ist das Brevier des werdenden ernsten Musikers geworden, das Beethoven als Schüler und als Lehrer benützte. Der Titel deutet aber auch noch eine andere Bedeutung des Werkes an. Andreas Werckmeister hat 1691 eine Schrift veröffentlicht »Musikalische Temperatur oder deutlicher . . . Unterricht, wie man . . . ein Glavier . . . wohltemperiert stimmen könne.« Werckmeister fordert darin eine Verteilung des »pythagoreischen Kommas«, jenes Restes, mit dem zwölf aneinandergehängte Quinten sieben Oktaven des Ausgangstones überragen, allerdings noch nicht auf nicht mehr zwölf, sondern erst auf vier der zwölf Quinten. Heute verteilen wir diesen Rest auf zwölf Quinten, die alle um ein Zwölftel des Kommas erniedrigt werden. Damit kann man von jedem beliebigen Ton aus eine Melodie spielen, deren Intervalle nun in jeder Tonart dieselbe Größe haben. Das war bei den damals herrschenden ungleichen Stimmungen nicht möglich. Bach verlangt für seine 34 Präludien und Fugen auf allen chromatischen zwölf Halbstufen in Dur und Moll die gleichschwebende Temperatur. Heinichen bemerkt in einer Generalbaßlehre 1728: ^In H-dur und As-dur pflegt man nur selten Stücke zu setzen, in Fis-dur und Cis-dur niemals.« Eine Canzone »durch das Ciavier in alle 12 Claves« hatte schon Froberger komponiert, wie Werckmeister berichtet. Joh. Phil. Treiber, dem Bach in Arnstadt begegnet ist, ein Sonderling, veröffentlichte 1702 eine »Sonderbare Invention, eine einzige Arie aus allen Tonen und Accorden und jeglichen Tacten und Mensuren zu componieren«. Johann Caspar Fischer verwendet immerhin schon 20 Tonarten in seinem op. 4 »Ariadne Musica Neo-Organoedum per X X Praeludia, totidem Fugas«, 1702 oder 1710. Mattheson läßt seine »Exemplarische Organistenprobe« 1719 in 24 Exempeln »aus allen Tönen« gehen. Im selben Jahr wie Bachs Manuskript entstand ein »Labyrinthus musicus, bestehend in einer Fantasia durch alle Tonos, nemlich: Durch 12 duros und 12 molles, zusammen 24 31

Tonos«, von Fr. Suppig in Dresden. Bachs Werk fand Nachahmung. Gottfried Kirchhoff, G. A. Sorge und B. Chr. Weber schrieben ähnliche Präludien und Fugen; Weber benennt seine Arbeit aus dem Jahre 1743, zu der er durch den Bachschüler G. H. Noah angeregt worden war, mit dem Bachschen Titel. Von Kothen aus hat Bach eine Reihe von Reisen unternommen. 1717 reiste der Fürst im schönen Monat Mai nach Karlsbad über Leipzig und Zwickau. Er nahm dabei sechs seiner Musiker, darunter Bach, mit, der sein Cembalo unter der Obhut von drei Bediensteten mitführte. 1719 machte sich Bach nach dem allerdings nicht weit entfernt gelegenen Halle auf, um H ä n d e l zu treffen. Händel war von London nach dem Kontinent gekommen, um Gesangskräfte für seine Opernakademie zu engagieren. Er besuchte seine alte Heimatstadt auf dem Wege nach Dresden, um seine Mutter zu sehen. Auf dem Rückwege hielt er sich nochmals in Halle auf. Der Graf Flemming versuchte vergeblich, Händel zu sich einzuladen, als er in Dresden war und bei Hofe die gewohnten Erfolge und Einnahmen hatte. Aber es gelang dem Grafen nicht, Händel auch nur zu treffen. Als Bach in Halle angekommen war, war Händel bereits abgereist. So ist eine Begegnung zwischen diesen größten Meistern ihres Zeitalters nicht zustande gekommen. Händel hatte von Bach sicherlich durch Mattheson Kunde erhalten, der Bachs Größe ahnte. Bach dagegen hat den Komponisten Händel hochverehrt, er hat von Händel die Brockespassion in Abschrift besessen, die teils er selbst, teils seine zweite Gattin geschrieben hat, ferner ein Concerto grosso und die Solokantate Armida abbandonata. Im Jahre 1729 schickte Bach, durch Krankheit am Reisen verhindert, seinen Sohn Friedemann von Leipzig nach Halle, wo Händel wieder auf der Durchreise, von Italien kommend, weilte, mit einer Einladung, der Händel aber infolge Zeitmangels nicht Folge leisten konnte. Eine zweite Reise mit dem Fürsten nach Karlsbad im Mai 1720 fand einen erschütternden Abschluß. Als Bach zurückkam, traf ihn die Nachricht von einem furchtbaren Verlust: seine Gattin war am 7. Juli begraben worden. Vier Kinder waren am Leben, die älteste Tochter zählte zwölf, Friedemann, Emanuel und Bernhard 32

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Das Wohltemperierte Klavier Titelblatt des Autographes.

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und schule zur Zeit v o n Bachs Dienstantritt. Nach e i n e m Stich von J. G. K r ü g n e r 1723.

Die D i e n s t w o h n u n g d e r K a n t o r s lag in d e m d e m Beschauer z u g e w e n d e t e n Flügel der Schule, links, Erdgeschoß, e r s t e r und zweiter Stock.

zehn, sechs und fünf Jahre. Nach anderthalb Jahren Witwerstand gab er seinen unmündigen Kindern eine zweite Mutter, denn am 3. Dezember 1721 heiratete Bach A n n a M a g d a l e n a ^ d i e jüngste Tochter des Hoftrompeters in Zeitz, Johann Caspar Wülcken. Sie war gerade zwanzig Jahre alt, Bach sechsunddreißig. Wie Barbara war auch sie hochmusikalisch und eine gute Sängerin. Sie hat Bach dreizehn Kinder geschenkt, unter denen Johann Christoph Friedrich, der Bückeburger Bach, ein starkes Talent, der jüngste, Johann Christian, aber (1735—1782) fast ein Genie wie seine ältesten Brüder war. Der schwere Schicksalsschlag, der Bach getroffen hatte, hat ihm wohl den Entschluß erleichtert, eine weite Reise zu unternehmen, nach Hamburg, wo der Organist an der Jakobikirche, Friese, am 12. September 1720 gestorben war. Zur Wahl waren acht Bewerber gestellt, von denen Bach damals schon der berühmteste, Matthias Christoph Wideburg aus Gera bekannt, ein anderer der Sohn des trefflichen Hamburger Organisten Vincent Lübeck war. Bis zum Probespiel, das auf den 28. November festgelegt war, konnte Bach nicht bleiben. Vier Organisten Hamburger Kirchen, unter ihnen der 97jährige J a n A d a m s R e i n c k e n , sollten Schiedsrichter sein. Bach spielte in der Katharinenkirche und erweckte die Bewunderung Reindkens, als er über den Choral »An Wasserflüssen Babylon« phantasierte, über die auch Reincken phantasiert hatte: »Ich dachte, diese Kunst wäre ausgestorben, ich sehe aber, daß sie in Ihnen noch lebt.« In der Ausarbeitung dieser Orgelchoralphantasie (6. 12a) in kunstvollem fünfstimmigem Satz und durchgehend angewandtem Doppelpedal haben wir diese Improvisation erhalten. Bach mußte nach Kothen zurück, um die Geburtstagsfeier des Fürsten vorzubereiten. Vier der acht Kandidaten kamen zum Probespiel, der Rat aber hoffte immer noch auf Bachs Zusage, der aber die Stelle ausschlug. Hauptprediger der Kirche war der schon genannte Kantatendichter Erdmann Neumeister. Dieser war bitter enttäuscht, Bach nicht als Organisten gewonnen zu haben und ließ bei nächster Gelegenheit in die Predigt einfließen, »er glaube ganz gewiß, wenn auch einer von den bethlemitischen Engeln vom HimEngel, Joh. Seb. Bach 3

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mel käme, der göttlich spielte und wollte Organist zu St. Jacobi werden, er hätte aber kein Geld, so möchte er wieder davonfliegen«, Denn der Sohn eines wohlhabenden Handwerksmannes, der besser mit Talern, als auf der Orgel klimpern konnte, hatte die Stelle erhalten. Um dieselbe Zeit, als Bach zum zweiten Male heiratete, ehelichte auch sein Herr, der Fürst Leopold, seine Base Friederica Henriette von Alt-Bamberg. Bach hatte pflichtschuldigst eine heute verschollene Gratulationsode vertont, wie er ein Jahr später zum Geburtstag eines Töchterchens eine Kantate schrieb. Die Fürstin teilte nicht die Neigungen ihres Gatten. Bach nannte sie eine »amusa«, und es schien ihm, »als ob die musikalische Inclination bei gesagtem Fürsten in etwas laulicht werden solle«. Die Fürstin starb zwar schon am 4. April 1723. Der Fürst heiratete 1725 ein zweites Mal, eine Prinzessin von Nassau-Siegen, Charlotte Friederike Wilhelmine. Bach hatte Kothen schon verlassen, als er 1726 zum ersten Geburtstag der zweiten Fürstin eine Gratulationskantate sandte, denn er blieb des Fürsten »Kapellmeister von Haus aus«. Und als der Fürst 1728 sein junges Leben beschloß, da führte Bach in Kothen vermutlich selbst eine großartige, offenbar tief empfundene T r a u e r m u s i k auf, die leider verloren ist. Daß Bach sich nach den Episoden in Weimar und Kothen wieder um ein Kantorat, eine kirchenmusikalische Tätigkeit bewarb, ist sicherlich darin begründet, daß er seine musikalische Sendung im Dienst zu Gottes Ehre sah. Doch lag der Weg, den er über Weimar und Kothen genommen hatte, nicht gar so weit ab, es war kein allzu weiter Umweg, und vor allem keine Abirrung von seinem rechten Pfad, keine Versuchung, in der weltlichen Musik aufzugehen. Auch die absolute Musik Bachs bleibt im Bereich des Religiösen, von reinen Tänzen abgesehen, die er aber andererseits in der Kirchenmusik verwendet hat. Durch seinen Vater und viele seiner Verwandten, die Stadtmusiker waren und Hof dienst taten, war ihm der Dienst am Hof nichts durchaus fremdes. Allzu gute Erfahrungen hatte er dabei nicht gesammelt. »Viele Musiker sehnen sich nach der Stadt«, schreibt Johann Beer in seinen musikalischen Discursen 1714, »weil der Dienst bei Hofe unsicher ist«. 34

Das hatte Bach erfahren. Starb der musikfreudige Fürst, so konnte der Nachfolger unmusikalisch sein und die Kapelle entlassen. Es genügte auch, wenn der Fürst in zweiter Ehe eine »amusa« heiratete, um die Musik einzuschränken, das hatte Bach erlebt, ebenso daß mit den Herren nicht ganz leicht zu verhandeln war, wenn man gar eine Demission erzwingen wollte. Diese äußeren Gründe mögen mitgesprochen haben, daß Bach die Gelegenheit ergriff, sich um das Thomaskantorat zu bemühen. Die Welt der Kirche, die Orgel, der Schulchor, das freiere Leben unter gleichen Bürgern hat Bach dem Leben als Musikus bei Hofe, mit den sich ergebenden vielen und unregelmäßigen Verpflichtungen, der Aeußerlichkeit der Lebensführung vorgezogen. Die thüringischen Kleinhöfe waren freilich nicht die schlimmsten, was Prunksucht, Ausländerei und Sittlichkeit anbelangt. Den barocken Aufwand, der selbst diesen bescheidenen Höfen nach Versailler Vorbild unerläßlich schien, die Anregungen aus der französischen und italienischen Musik hat Bach ohne Schaden für seine Eigenart und seinen für die Höfe geschriebenen Werken mit übernommen.

DER THOMASKANTOR A m 5. Juni 1722 war J o h a n n K u h n a u 62jährig in Leipzig verschieden. Seit 1701 war er Thomaskantor, ein Amt, das vor ihm schon bedeutende Musiker innegehabt hatten, seit Georg Rhaw (1519—1520), Joh. Hermann (1531—1536), Wolfgang Figulus (1542—1551), Sethus Calvisius (1594—1615), J. Herrn. Schein (1615—1630), Tobias Michael (1630—1657), Sebastian Knüpfer (1657—1675) und Joh. Schelle (1676—1701). Sechs Wochen nach Kuhnaus Tode hatten sich beim Rate der Stadt Leipzig bereits sechs Bewerber gemeldet: Kuhnaus Schüler, der ehemalige Alumnus der Thomasschule, Joh. Friedrich Fasch, seit 1722 Hofkapellmeister in Zerbst, wo er bis zu seinem Tode 1758 ver«3

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blieb, ein tüchtiger, auch von Bach hochgeschätzter Komponist; der Organist der Neuen Kirche in Leipzig, G. B. Schott; Chr. Fr. Rolle, der 1716 mit Bach und Kuhnau zusammen die Orgel der Liebfrauenkirche in Halle geprüft hatte; ein Kantor Lembke aus Taucha bei Leipzig; ein sechzigjähriger Kantor Steindorff aus Zwickau, und der berühmteste unter ihnen, G e o r g P h i l i p p T e l e m a n n . Er war um vier Jahre älter als Bach, mit Bach von Weimar her bekannt, wo er eine Patenstelle beim zweiten Sohne Bachs, Carl Philipp Emanuel, am 8. März 1714 übernahm, der später nach Telemanns Tod 1767 sein Nachfolger als Musikdirektor der fünf Hauptkirchen Hamburgs wurde. Seit 1721 hatte Telemann diese Lebensstellung inne. Telemann war 1701 —1704 in Leipzig gewesen, das er als Student der Rechte aufgesucht hatte. Doch wurde er bald regelmäßig aufgeführter Kantatenkomponist dieser Kirche neben Kuhnau, ging dann zur Musik über, wurde Direktor der Oper, komponierte für Leipzig an zwanzig, für Weißenfels vier Opern, wurde Organist an der Neuen Kirche und Musikdirektor und gründete das Collegium musicum, dieses zum Aerger Kuhnaus, dem die Studenten fortliefen. Kein Wunder, wenn der Rat diesen berühmten Telemann gerne als Organisten gehabt hätte. Telemann dachte trotz Probespieles aber wohl überhaupt nicht daran, nach Leipzig zu gehen und wollte nur eine Erhöhung seiner Besoldung in Hamburg herausschlagen. Dem Rat genügten die Bewerber nicht. Auf seine Bemühungen traten noch zwei bedeutende Bewerber auf den Plan: C h r i s t o p h G r a u p n e r (1683 bis 1760), seit 1709 Vize-, seit 1712 Kapellmeister in Darmstadt, und Bach aus Kothen. Fasch war von der Bewerbung zurückgetreten, weil der Thomaskantor auch wissenschaftlichen Unterricht geben sollte. Telemann hatte man diese Bedingung schon erlassen. Graupner kam nach Leipzig, leitete die Weihnachtsmusik und legte drei Wochen später die Probe ab. Allein trotz ausdrücklicher Bitte des Rates gab der Landgraf von Hessen dazu seinen Kapellmeister nicht frei, sondern erhöhte dessen schon stattliches Gehalt. Graupner empfahl schließlich dem Rat in einem Danksdireiben unter dem 4. Mai 1723 dringend, den Kapellmeister Bach als »einen Musicus ebenso stark auf der Orgel wie erfahren in Kir36

chensachen und Capell-Stücken«. Bach hatte auch nach dem Bewerber Schott am 7. Februar seine Probe abgelegt. Er führte seine Kantate »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« auf und reiste danach nach Kothen zurück. Dort starb am 4. April 1723 die amusische Fürstin, deren mangelndes Interesse an Musik Bach sicherlich den Entschluß erleichtert hatte, sich von seinem früher eifrig musizierenden Fürsten zu trennen. Bach hat in Kothen auf den Ausgang der Verhandlungen zwischen dem Rat und Graupner gewartet. Er ist aber im März wiederholt nach Leipzig herübergekommen und hat dort auch am Karfreitag, 26. März 1723, in der Thomaskirche ein eigenes großes Werk zur Aufführung gebracht: die J o h a n n i s p a s s i o n . Am 5. Mai 1723 wurde Bach auf der Ratsstube feierlich vom Bürgermeister Lange mitgeteilt, daß er als der »capabelste« vor den Bewerbern einhellig zum Kantorendienst bei der Schule St. Thomae erwählt worden sei, und daß er die Bezüge seines Vorgängers Kuhnau erhalten solle. Drei Tage später erschien Bach vor dem Konsistorium, wo der Superintendent Deyling Bach den Mitgliedern des Konsistoriums vorstellte. Auf Grund eines mündlichen Examens durch den Pastor Schmidt war Bach auch in religiöser Hinsicht als tauglich für sein Amt befunden worden. Am 13. Mai wurde Bach von dem Konsistorium in seinem Amte »confirmirt«, am 1. Juli wurde er feierlich in sein Amt in der Thomasschule eingeführt. Die Schüler musizierten vor der Tür des oberen Auditoriums ein Stück, danach traten die versammelten Lehrer und der Pastor der Thomaskirche, Weiß, in das Auditorium, wo der Oberstadtschreiber Neuse Bach im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit auf Anordnung des Rates in sein Amt einführte. Tags zuvor, am 30. Mai, dem ersten Sonntag nach Trinitatis, hatte Bach bereits in der Nikolaikirche beim Hauptgottesdienst seine für das Leipziger Amt geschaffene Kantate »Die Elenden sollen essen« aufgeführt. Die T h o m a s s c h u l e war 1212 als Stiftsschule der regulierten Augustiner gegründet. Von der Stadt wurde sie vier Jahre nach der Einführung der Reformation 1543 übernommen. Schon die Klosterschule hatte ein Alumnat gehabt. Dieses wurde beibehalten. Mit der Reformation blühten die Gymnasien und höheren 37

Schulen wieder auf. Die musikalische Ausgestaltung des Gottesdienstes, die Pflege und Verbreitung des neuen evangelischen Gemeindelebens verlangten tüchtige Schülerdiöre. So wurde auch in der protestantischen Thomasschule die Musik als wichtigste Aufgabe angesehen. Die Stellung des K a n t o r s blieb deshalb sehr bedeutend. Er war im Lehrerkollegium in der Rangordnung nadi Rektor und Konrektor der dritte. Der Kantor mußte auch wissenschaftlichen Unterricht geben. Weldi eine Belastung für einen Musiker und welche Belastung für ein Genie wie Bach, dessen ungeheurer Schaffensdrang durch solchen Dienst in der Schule behindert war! Der Kantor Bach mußte am Freitag früh um 7 Uhr die Schüler zur Kirche führen, dann war er den ganzen Tag frei. Am Sonnabend mußte er um dieselbe Zeit in Tertia und Quarta den lateinischen Katechismus erklären, an den übrigen Tagen, bis auf einen freien Donnerstag, in Tertia eine Lateinstunde geben. Der Kantor mußte außerdem Gesangunterricht in den vier oberen Klassen erteilen. Von den sieben Lehrern hatten die vier oberen (superiores), Konrektor, Kantor, Tertius und Quartus, abwechselnd je eine Woche das Amt eines Inspektors im Alumnat zu übernehmen und dann auch dort zu wohnen und an den gemeinsamen Mahlzeiten teilzunehmen. Sommers 5, winters 6 Uhr wurde geweckt, um 10 Uhr zu Mittag, um 5 zu Abend gegessen, um 8 Uhr wurde schlafen gegangen. Wie der Rektor, so hatte auch der Kantor seine Dienstwohnung im Schulgebäude. Der Rat hatte diese Wohnung nach Kuhnaus Tod mit großen Kosten instand setzen lassen. Das Gebäude der Schule, das im Jahre 1553 neu errichtet worden war, genügte längst nicht mehr den Ansprüchen. Man mußte zum Teil mehrere Klassen von verschiedenen Lehrern zu gleicher Zeit in einem Lokal unterrichten lassen, und auch die Schlafräume waren so beengt, daß oft zwei Knaben in einem Bett schlafen mußten. Erst 1731 wurde das Schulhaus durch Aufbau von zwei Stockwerken erweitert. Wie die äußeren Verhältnisse schwierig waren, so war es auch mit den inneren. Die Schulzucht war unter dem Rektor Heinrich Ernesti verfallen. 1652 geboren, war Ernesti seit 1684 Rektor, seit 38

1691 zugleich Professor poesos an der Leipziger Universität. Große Unredlichkeiten herrschten unter den Schülern. Zuditlosigkeit und Unbotmäßigkeit wurden gerügt. Die Lehrerschaft war unter sich uneinig und zerfallen. Deshalb schickten die Bürger ihre Kinder lieber in die Winkelschulen oder ließen sie um billiges Geld privatim unterrichten. Namentlich in die untersten Klassen gingen nur Knaben ärmster Herkunft, die beim Leichensingen verdienen wollten und von ihren Lehrern angehalten werden mußten, nicht bei den Leichenzügen barfuß einherzulaufen und die sogar gelegentlich in der Stadt herumbettelten. W i r dürfen die damaligen Zustände an den Schulen vom pädagogischen Standpunkt aus nicht mit den heutigen vergleichen. Sie müssen uns dann als recht armselig und elend erscheinen. Schon die Verhältnisse im Alumnat selbst waren höchst unerquicklich. Zu den genannten Schwierigkeiten kam noch die Tyrannei, welche die älteren Schüler gegen die jüngeren übten, die den älteren, wie Friedrich Rochlitz, selbst gegen 1780 Thomaner, berichtet, als Sklaven und zu den niedrigsten Diensten, zu ganz unbedingtem Gehorsam, willkürlichen Demütigungen und selbst Züchtigungen hingegeben waren, welche traurige Sitte man Pennalismus nannte. Schon der viele Dienst, den der Schülerchor in den im Winter kalten Kirchen ausüben mußte, war nicht gesund. Viel schlimmer waren die Leichenbegängnisse, bei denen die Knaben im schwarzen Rode und Mantel erst im Gehen, dann am Grabe stehend bei jeder Witterung singen mußten, die Hochzeiten, bei denen sie zweideutige Lieder hörten und trotz der in vielen Städten wiederkehrenden Verordnungen auch trinken lernen konnten. Auf zahlreiche Krankheitsfälle spielt Bach in seinem Bericht von 1730 an, »so etwa einer unpaß wird, wie denn sehr oft geschieht und besonders bei hitziger Jahreszeit (August!), da die Rezepte, so von dem Schulmedico in die Apotheke verschrieben werden, es ausweisen müssen«. Viele Todesfälle durch Schwindsucht kamen vor. Erst 1876 wurde das Leichensingen abgeschafft! Ein Drittel der Knaben waren »gar keine Musici«, wie Bach schreibt: »Summa: 17 zu gebrauchende, 20 noch nicht zu gebrauchende, und 17 untüchtige«. Die Schüler wurden meist mit 13 bis 14 Jahren auf-

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genommen, doch auch jüngere, so unter Bach ein Neunjähriger. Dazu kam noch die Kurrende, das Singen in den Straßen, vor Häusern vermögender Bürger, bei denen Gaben verschiedenster Art flössen, vor allem zu Neujahr. Immer mehr empfand das aufgeklärte Jahrhundert dieses Kurrendesingen als Bettelei. Der D i e n s t d e r T h o m a n e r war sehr anstrengend und vielseitig. Nur die Fasten- und Adventszeit war musikarm, sonst gab es so viel Dienst, daß die Schulbehörde nach besonders anstrengenden Musikzeiten eigene »Ausschlafetage« einzulegen sich veranlaßt sah. In vier verschiedenen Kirchen mußte, abgesehen von den nach Gelegenheit zu beschickenden Hochzeiten, Leichenbegängnissen, »Ehren-Gelagen« oder »solennen Convivia« und der Kurrende, Sonntags- und Feiertagsdienst gemacht werden, in den Hauptkirchen St. Nikolai und St. Thomae, in der sogenannten Neukirche, der heutigen Matthäikirche, und der vor den Toren gelegenen Petrikirche. An hohen Feiertagen kam dazu noch die Pauliner- oder Universitätskirche. Eine schon zu Kuhnaus Zeiten gebräuchliche Kantoreiordnung regelte diesen Dienst, der die verschiedensten Aufgaben mit einem sehr ungleichen Schülermaterial bewältigen mußte. Von den 54 bis 56 Alumnen zu Bachs Zeiten sangen die besten 12 Sänger unter Aufsicht des Kantors in der Nikolai- und Thomaskirche als »erster Chor«. Der zweite Chor umfaßte die nächstbesten zwölf Sänger unter der Inspektion des Konrektors; er sang abwechselnd mit dem ersten Chor jeden zweiten Sonntag in denselben Kirchen. Den dritten Chor bildeten die mittelguten 12 Sänger; als Motettensänger sangen sie ausschließlich in der Neukirche unter Leitung eines Präfekten. Den vierten Chor bildeten 8 mindere Sänger, »der Ausschuß, nämlich die, so keine Musik verstehen, sondern nur notdürftig einen Choral singen können«, die in der Peters- oder Johanniskirche nur Choräle zu singen hatten. Für den Neujahrsumgang wurden jedesmal vier Gruppen zu 8 bis 10 Schülern zusammengestellt. Der Kantor Bach leitete jede Woche Sonntag vormittags in einer der beiden Hauptkirchen die Musik selbst, bei welcher der erste Chor von 12 bis 14 ausgewählten Sängern sonn- oder festtägliche Kantatenmusik ausführte, während in der anderen Kirche der zweite Chor unter dem 40

zweiten Präfekten nur Motetten sang. Nachmittags war die Einteilung dann umgekehrt. Der Kantor probte die betreffende Musik nach der Schulordnung mit dem ersten Chor selber. Bach beschränkte sich, wie ihm später vorgeworfen wurde, auf eine Probestunde. Er war auch verpflichtet, besonders begabte Schüler gelegentlich einzeln vorzunehmen. »Damit die Kirchen nicht mit unnötigen Unkosten beleget werden«, sollte der Kantor die Knaben »auch in der Instrumentalmusik fleißig unterweisen«. Wie haben wir uns Ausführung und Güte dieser großen Kirchenmusiken unter Bachs eigener Leitung zu denken? Den besten Aufschluß darüber gibt Bachs »Kurzer, jedoch höchst nötiger Entwurf einer wohlbestallten Kirchenmusik; nebst einigen unvorgreiflichen Bedenken von dem Verfall derselben« aus dem Jahre 1730, also ein Jahr nach der Aufführung der Matthäuspassion. Bach spricht ip diesem Bericht zunächst von der Einteilung der 55 Alumnen in vier Chöre, wie sie vorstehend erwähnt wurde. Zu einem Chor wären 12, besser 16 Personen nötig, zu einem Doppelchor also 24 bis 32. (Der dritte Chor singt in der Peterskirche.) An Instrumentalisten wünscht Bach 2—3 erste und zweite Violinen, j e 2 erste und zweite Violen, 2 Celli, Baß 2—3 Oboen, 1—2 Fagotte, 3 Trompeten, 1 Pauke, zusammen 18, mit 2 Flöten 20. Davon können die zur Mitwirkung bestellten Stadtmusici nur einen Teil besetzen, so daß die 9 Streichinstrumente und 2 Flöten zum Teil von Studenten gespielt werden müssen, für die aber kein Honorar zur Verfügung steht, so daß sie fernbleiben. So müssen mindestens 7 Streicher wieder von den Schülern gestellt werden, die dann im Chor fehlen. Also hatte Bach im besten Fall 25, im schlechtesten 17 Knaben für den Chor (und Doppelchor!) und bestenfalls für zwei Orchester 32 Spieler und 2 Organisten, wahrscheinlich aber nur 24 Instrumentalisten zur Verfügung. Ueber die Qualität klagt Bach sehr. Die Stadtmusiker sind teils alt, emeriti, teils Lehrlinge. Was Knaben leisten, das können wir auch heute erproben. Wie haben sie wohl außer den Chören die schweren Soli bewältigt? Denn Frauen haben bis nach 1800 in Leipziger Kirchen nicht mitgesungen. Vielleicht wirkten doch auch Studenten mit, welche die Sopran- und Altpartien als Falsettisten singen konnten. Für welt41

liehe Aufführungen sind Falsett singende Studenten nachgewiesen. W i r müssen uns demnach die festlichen Aufführungen recht bescheiden denken, bescheiden in der Klangstärke, bescheiden in der solistischen Kunst. Die vielen Schwierigkeiten, die sich durch Krankheiten und Ueberanstrengung der Sängerknaben ergaben, über welche schon Kuhnau nachdrücklich Klage führte, haben Bach sicher manche bittere Stunde bereitet. Bach führte an Festtagen konzertierende Kirchenmusik in größtmöglichster Besetzung auf, die dann nachmittags in der anderen der beiden Hauptkirchen verkürzt wiederholt wurde. Zur »Kommunion« wurden Motetten und konzertierende Stücke, wohl aus Kantaten, gesungen, ebenso Choral-Arien. Bei Begräbnissen wurden vor dem Hause, »ehe die Leiche abgeführt wird«, Motetten, wohl einfache Sterbegesänge aus dem Motettenschatz des 17. Jahrhunderts, dargeboten, auf dem Wege zum und vom Grabe Kirchenlieder. Bei der Einsegnung vornehmer Leichen konnten dann eigens vom Kantor bestellte Motetten vorgetragen werden. Auch an Kranken- und Sterbebetten vornehmer Bürger wurde gesungen, Kirchenlieder, trost- und hoffnungspendende Gesänge. Bei Trauungen konnten vor und nadi der Predigt bestellte Kantaten aufgeführt werden. So war für Bachs Tätigkeit reiche Gelegenheit vorhanden. Doch ging seine Arbeit nicht ohne Kampf ab. Mit dem Tode Kuhnaus war die eigentlich zum Amt des Thomaskantors gehörige Musikdirektorstelle an der Universitätskirche von dem Organisten Joh. Gottlieb Görner verwaltet. Bach wollte sich diese Trennung des Amtes nicht bieten lassen. Er verlangte das Gehalt, das ihm als Leiter des »alten« Gottesdienstes zustand. Erst lehnte die Universität Bachs Forderimg ab. Schließlich überließ man ihm die Leitung des Gottesdienstes, gab aber die zwölf Gulden Gehalt dem Organisten Görner. Als Badi zwei Jahre vergeblich sein Recht gefordert hatte, wandte er sich 1725 mit einem scharfsinnigen Schreiben an den Kurfürsten um Entscheidung, die nicht gefällt wurde. Badi hat die Leitung des Sonntagsdienstes nicht in die Hand bekommen. Als 1727 eine Trauerfeier für die verstorbene Kurfürstin gehalten werden sollte, kam es wieder zu Strei42

tigkeiten. Ein junger adliger Student, von Kirchbach, hatte auf eigene Verantwortung eine Trauerfeier geplant und auch die Erlaubnis zu einer solchen vom Kurfürsten erwirkt. Gottsched wurde mit der Dichtung, Bach mit der Komposition beauftragt, dadurch fühlte sich Görner wieder in seinen Rechten verletzt, und die Universität stellte sich auf seine Seite. Nun drohte Kirchbach, die Feier einfach abzusagen. Er ließ sich bewegen, mit Görner zu verhandeln, weigerte sich aber, mit Bach zu brechen. Görner wurde mit 12 Talern entschädigt, worauf er noch vergeblich versuchte, von Bach die Unterschrift unter eine Erklärung zu bekommen, in der sich Bach verpflichten sollte, nie mehr in Görners Befugnisse einzugreifen. Die Musik beim Gottesdienst in der Universitätskirche wurde seit dem ersten Gottesdienst, den der Schüler Kuhnaus, Joh. Friedrich Fasch, Weihnachten 1710 ausführte, nur von Studenten musikalisch gestaltet. Der Rat hat 1711 Kuhnau die Heranziehung der Thomaner untersagt. Die wenigen Male, die Bach in der Paulinerkirche feierliche Musik machte, hatte Bach auch nur Studenten als Sänger, und zwar Soprane und Alte als Falsettisten oder Fistulanten, und Spieler. Die für die Paulinerkirche geschriebenen Kantaten sind in Form und Mitteln bescheiden, wie Nr. 59 »Wer nicht liebet« und 172 »Erschallet ihr Lieder«. Im ganzen hat Bach elf Werke zur Aufführung gebracht, von Pfingsten 1723 bis Weihnachten 1725. Weil er das angemessene Gehalt nicht erhielt, stellte er dort seine Tätigkeit ein. Neben dem C o l l e g i u m m u s i c u m , das in der Universitätskirche unter Görner spielte und das 1708 von Joh. Fr. Fasch gegründet und nun unter Görner auch sonst musizierte, gab es ein zweites, 1702 von Telemann gegründetes Collegium musicum, das unter der Leitung des Nikolaiorganisten Georg Balthasar Schott stand. Dieses Collegium musicum leitete Bach von 1729 bis 1740. Beide Collegia musica spielten ein- bis zweimal wöchentlich nachmittags in Leipziger Kaffeehäusern, Bachs Collegium im Zimmermannschen Kaffeehaus in der Katharinenstraße. Das war für den Wirt von Vorteil, aber auch für die Studenten bedeutete es einen bescheidenen, aber meist sehr nötigen Nebenerwerb. 43

Sicherlich sind beide Leiter von den Wirten für ihre Musik durch Geld und Naturalien entschädigt worden. Fremde Solisten konnten sich hier hören lassen. Bach, ebenso Görner haben es sicherlich oft selbst getan, Bach auf dem Flügel, aber auch auf der Violine, die er nach Ph. Emanuel »bis zum ziemlich herannahenden Alter rein und durchdringend« spielte. Er »hielt dadurch das Orchester in einer größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausrichten können«. Welch eine Musik konnte man hier zu einem Täßchen Kaffee und einer schmauchenden Pfeife hören? Die neuesten Werke von Bach, Konzerte, Sonaten mögen hier erklungen sein, gespielt von ihm selbst und den heranwachsenden Schülern und Söhnen, dazu die zeitgenössischen italienischen Werke, die er selbst abgeschrieben hat, ein schönes Weihnachtskonzert in f von Pietro Locatelli, aber auch Solokantaten von Antonio Lotti, der 1717 in Dresden tätig war. Von ihm hat Bach eine Messe in g-moll kopiert, und sein Stil klingt in drei eigenen italienischen Kantaten, vor allen »Amore traditore«, nach. Natürlich hat Bach auch Musik von Hasse, der seit 1731 in Dresden weilte und mit seiner Frau Faustina Bordoni in späteren Jahren auch Bach Gegenbesuche gemacht hat, von Krieger, Graun, Telemann usf. aufgeführt. Die Sopran- und Altsoli wurden dabei von Falsettisten vorgetragen. Für dieses Zimmermannsche Kaffeehaus hat Bach wohl seine Kaffeehauskantate 1732 komponiert. Der Textdichter Picander bringt darin eine Satire auf den Kaffeegenuß, dem in Leipzig in acht privilegierten Häusern gefröhnt wurde. Audi die weltliche Kantate »Phoebus und Pan« mag 1731 hier aufgeführt worden sein, komponiert vielleicht im Auftrage des Wirtes. Bei feierlicheren Gelegenheiten, wie den Geburtstagen und Namenstagen des Königs und Kurfürsten, wie Geburtstagen und Ehrentagen von Professoren, wurden Kantaten im Kaffeehaus aufgeführt, die auf den schön gedruckten Programmheften altertümlicherweise als »Dramma per musica« bezeichnet sind. Natürlich wurden audi an feierlicheren Orten Kantaten dargeboten, wenn es galt, dem König Huldigungen darzubringen wie 1727 in der Ostermesse, wo man zuerst Kirchenfeiern abhielt, abends aber Bach vor der Wohnung des Königs selbst eine H u 144

d i g u n g s k a n t a t e dirigierte, deren Musik wie manche ähnliche verloren ist. Solche Kantaten wurden öfters als Ständchen und Huldigungen dargebracht, besonders feierlich bei der Wahl August des Starken zum polnischen König 1734, wo nach pompösem Fackelzug Bach auf dem Markt seine Kantate »Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen« vortrug. Bis zum Jahre 1739 hat Bach mit dem Collegium musicum solche Huldigungskantaten aufgeführt. Bach gab die Leitung des Collegium 1740 an den Nikolaiorganisten Gerlach ab, von 1750 leitete es der Bachschüler Trier. Der Kaffeewirt Richter führte dann das Unternehmen rein geschäftlich aufgezogen weiter. Neben den studentischen Helfern waren es die S t a d t p f e i f e r , die Bach bei seinen kirchlichen und weltlichen Aufführungen beistehen mußten. Ihre Leistung hat Bach in jenem Bericht 1730 recht gering veranschlagt; teils seien sie ausgedient, teils Lehrlinge. Es waren eher biedere Handwerker als Künstler, die täglich vom Rathaus mehrstimmige Sätze abblasen mußten. Einer von ihnen, Joh. Gottfried Reiche, aber war ein Bläser allerersten Ranges, für den Bach die schwersten im »Clarinblasen« zu bewältigenden Partien schreiben konnte. Reiche (1667—1734) hatte solche 24 Quatrocinien für Turmbläser 1696 veröffentlicht. In seinem Bericht 1730 äußerte Bach, es sei eine Ungerechtigkeit von diesen »teutschen Musicis« dasselbe ex tempore zu verlangen wie von den Virtuosen, für die es geschrieben, nämlich italienische, französische, englische oder polnische Musik. Die deutschen Musici hätten schwerste Sorgen der Nahrung und könnten nicht daran denken, sich zu perfektionieren. Man solle nur nach Dresden gehen und sehen, »wie daselbst von Königlicher Majestät die Musici salariret werden«. Dort wurden sie in der Tat königlich honoriert. Vor allem die fremden Gäste. A n t o n i o L o t t i , allerdings ein sehr ernster und bedeutender Meister, erhielt im Jahre 1717 mit seiner Frau, der berühmten Sängerin Santa Stella, 10 500 Tal er, der erste Kastrat 7000, die zweite Sängerin 4000, der Tenor 4000, die beiden Soufleure 400 Taler. Bach hatte als Thomaskantor ein Gehalt von 45

87 Talern und 13 Talern Lichtgeld. Dazu kamen noch Naturalien, Korn, Holz und Wein, Einnahmen aus Stiftungen und die Hauptsache, die Einnahmen aus Hochzeiten, Leichenbegängnissen und Festen. Er stünde sich auf 700 Tal er, schreibt er nach Danzig an seinen Jugendfreund Erdmann. Daß für ein ganz in seiner Musik aufgehendes Genie wie Bach der Schulunterricht eine Belastung war, ist nur zu verständlich. Nach Bachs Tode wurde im Leipziger Rat erklärt, »Herr Bach wäre wohl ein großer Musicus, aber kein Schulmann gewesen«. Es ist dies sicher nicht ohne Grund gesagt. Aber auch der Chor machte Bach wenig Freude. 1729 starb der alte Rektor Ernesti. Sein Nachfolger, J o h a n n M a t h i a s G e s n e r (1691—1761), der vierzehn Jahre Konrektor in Weimar gewesen, war schon von dort her mit Bach befreundet. Gesner ist in die Geschichte der Pädagogik eingegangen als einer der Väter des N e u h u m a n i s m u s , der seine in Weimar und vier Jahre als Thomasrektor gesammelten Erfahrungen vor allem in Göttingen nutzbar machte. Er wollte nicht nur die Art des Lateinlernens verbessert wissen, sondern auch ein Ziel dafür haben; wer die klassischen Autoren lese und verstehe, »der genießt des Umgangs mit den größten Leuten und edelsten Seelen«. Außerdem hatte Gessner auch Sinn für die Forderungen, welche das Leben an die Schüler stellen sollte, wenn er äußert: »Als großer Verehrer des Altertums bin ich doch der Ansicht, daß mein einziger Bach und wer ihm ähnlich sein sollte, Orpheus und zwanzig Arion aufwiegt.« Dieser feine und aufgeklärte Geist hat den veralteten und vernachlässigten Schulbetrieb in der Thomasschule sicher bitter empfunden. Er hat Bachs Größe voll erkannt, und er hat sich bemüht, zwischen Rat und Kantor zu vermitteln. Bach hatte sich im wissenschaftlichen Unterricht soviel als möglich vertreten lassen. Dies hatte den Rat erbost, der Bach auch weitere Eigenmächtigkeiten nachtrug. Als Gesner 1734 nach Göttingen ging, wurde J o h a n n A u g u s t E r n e s t i (1707—1781), der Sohn des alten Rektors, seit 1732 Konrektor, sein Nachfolger. Audi Ernesti ist einer der Führer der neuhumanistischen Bewegung geworden, der vor allem den Inhalt der Lektüre der alten Autoren bewertet und dem der ver46

altete Lehrbetrieb doppelt zuwider sein mußte. Er sah die Aufgabe der Schule darin, die Jugend durch die klassische Lektüre zu bilden. Ernesti hat später 1773 in der kursächsischen Schulordnung sogar den Wert der Muttersprache für die Bildung hervorgehoben. In der Thomassdiule sah Ernesti noch den aus der Reformation stammenden Typ einer Schule, die weniger für die Bildung der Schüler, als für die Beschaffung von Kirchenmusik da war. Die Bevorzugung der Musik war ihm ärgerlich und er pflegte übende Alumnen zu fragen: »Wollt ihr auch ein Bierfiedler werden?« Freilich hat Ernesti Bachs Größe nicht erkannt. Aber bei seiner Abneigung gegen den Musikbetrieb der Schule wurde er von hohen pädagogischen Idealen geleitet. In Rektor und Kantor standen sich hier wie anderenorts gewissermaßen zwei geschichtliche pädagogische Auffasungen entgegen. Badi hatte einen älteren Schüler zum ersten Präfekten ernannt. Dieser wurde mit den sich schlecht betragenden Schülern nicht fertig, so daß er sie schließlich sdilug. Einer der Buben behauptete sogar, am Rücken blutig geschlagen worden zu sein. Ernesti war wütend und befahl, den schon zweiundzwanzigjährigen jungen Mann seinerseits vor der ganzen Schule prügeln zu lassen. Als dieser junge Mensch durch Bitten nichts erreichte, audi nidit die Erlaubnis erhielt, die Schule zu verlassen, entwich er heimlich. Der Rektor behielt seinen wenigen Hausrat und seinen Geldanteil zurück, mußte beides aber herausrücken, als der Rat zur Entscheidung angerufen wurde. Der Rektor ernannte seinerseits einen Präfekten, den Bach aber ablehnte und dem er einen anderen vorsetzte. Ernesti verbot nun seinen Schülern, den Veranstaltungen des Präfekten Folge zu leisten. Bach beschwerte sich, erst beim Konsistorium und, als das nichts half, beim König. Dieser wies das Konsistorium an, Genugtuung zu geben. Ob das in aller Form geschehen, ist nicht bekannt. Doch hat offenbar die königliche Huld, die Badi erlangte, als er beim Besuch der königlichen Familie 1738 anläßlich der Hochzeit der Prinzessin Amalie mit Karl V., König von Sizilien, trotz Beschwerde Görners die Abendmusik komponierte und leitete, den Fall stillschweigend zugunsten Bachs entschieden. Alle diese Tatsachen kennzeichnen die Schwierigkeiten, die Bach in der 47

Ausübung seines äußeren Berufes hatte, die ihm im Jahre 1730 so groß erschienen, daß er seinen Schulfreund Erdmann aus Lüneburg bittet, sich in Danzig für ihn zu verwenden. Der Dienst in Leipzig sei nicht so erklecklich, als man ihn ihm beschrieben, viele Accidentia seien diesem Posten entgangen, Leipzig sei sehr teuer, die Obrigkeit wunderlich und der Musik wenig ergeben, so daß er in stetem Verdruß, Neid und Verfolgung leben müsse. Bach scheint aber auch seinerseits ein sehr schwieriger Kantor für Schule und Behörde gewesen zu sein. Haben diese Dinge Bach bei der Ausübung seines inneren Berufes hindern können? Nein. Sein Schaffen in den Jahren nach 1730 war unerschöpflich. Neben seinen Passionen, Oratorien, Motetten und weltlichen Kompositionen soll Bach f ü n f v o l l s t ä n d i g e J a h r g ä n g e K a n t a t e n komponiert, er muß demnach 295 Kantaten geschrieben haben. Das ist eine gewaltige Zahl, und doch in dieser Zeit nicht ohne Beispiel. Andere Kantoren waren ebenso fleißig, T e l e m a n n und F a s ch haben noch mehr komponiert. Nach 1744 schrieb Bach jedoch keine Kantaten mehr. Dreißig Kantaten etwa brachte Bach nach Leipzig mit. Er hat demnach in einundzwanzig Jahren 265 Kantaten komponiert, etwa 12 im Jahr. Schon die ersten beiden Leipziger Jahre waren unerhört reich an Schaffensertrag. Bereits 1723 war in der Thomaskirche die eilig komponierte J o h a n n i s p a s s i o n zur Aufführung gebracht worden. In den Arien hat Bach Texte aus Brockes Passion verwertet, der Schlußgesang ist zur Hälfte von Bach, das übrige umgearbeitet, aber auch nicht der Vorlage entstammende Madrigaltexte sind verwandt. Bach hat die Johannispassion 1721, 1738 und 1742 aufgeführt und umgearbeitet. 1724 wurde das Werk in der Nikolaikirche zur Aufführung gebracht, die ungeeignete Chorgalerie dafür umgebaut, auch das Klavier instand gesetzt. Allerdings waren in der Nikolai- wie der Thomaskirche die beiden alten Cembali nicht benützbar. Ob Bach die verlorengegangene Musik zu Picanders »Erbauliche Gedanken auf den Grünen Donnerstag und Karfreitag über den leidenden Jesum« geschrieben hat, ist sehr zweifelhaft. Der Text ist im Stile von Brockes Passion, deren 48

Vertonung durch Händel Bach liebte. Den »Chor der gläubigen Seelen« hat Picander später in die Matthäuspassion übernommen. C h r i s t i a n F r i e d r i c h H e n r i c i , mit seinem Dichternamen P i c a n d e r , ist 1700 geboren, 1723 wurde er Postbeamter, 1743 Steuereinnehmer, als welcher er 1764 gestorben ist. Er begann 1722 als Satiriker, warf sich aber 1724 auf die geistliche Dichtung. Picander war ein dürftiges Talent, der 1726 noch platte Possen veröffentlicht hat. Nur durch die Verbindung mit Bach ist sein Name der Nachwelt erhalten worden, obwohl damals seine Gedichte in Leipzig beliebt waren. 1728 veröffentlicht Picander eine Sammlung Kantaten, die im Stile Neumeisters gedichtet sind. Sie waren laut Vorwort für Bach bestimmt. Bei der Dichtung des Textes zur M a t t h ä u s p a s s i o n 1729 behielt Picander das unveränderte Bibelwort bei. Picander hat ferner Francksche Poesie verwertet. Die Zahl der madrigalischen Texte beträgt 28. 15 der Handlung entsprechende Choräle sind zwischen die Chöre und Arien gelegt. Die Leipziger Gemeinde konnte die Choräle der Kantaten und Passionen mitsingen. So sind diese Werke, so ist das größte und tiefste Werk evangelischer Kirchenmusik keine Musik zum Hören, sondern Liturgie gewesen, an der die evangelische Gemeinde singend Anteil nahm. Die Matthäuspassion erfordert mit Doppelchor und Doppelorchester ungewöhnliche Mittel. Wie schwer es für Bach war, diese Mittel zusammenzubringen, zeigte der mitgeteilte Bericht von 1736. Ob die Passion wieder aufgeführt wurde, ist deshalb fraglich. Erst hundert Jahre später ist sie wieder erweckt worden. Es ist dann zu einer feststehenden Gewohnheit geworden, diese ergreifende Passionsmusik am Karfreitag aufzuführen, in neuester Zeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz, Frankreich und in vielen Rundfunksendern Europas. Nach Mizlers Nekrolog hat Bach fünf Passionen hinterlassen. Zwei, die Matthäus- und Johannispassion, erbte C. Ph. E. Bach, die drei anderen W . Friedemann. Dieser älteste Sohn Bachs soll in der Not die väterlichen Manuskripte verkauft oder sie verschleudert haben. Die Lukaspassion, die angeblich von Bach stammen soll, ist nachweislich unecht. Die M a r k u s p a s s i o n ist verEngel, Joh. Seb. Bach 4

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schollen. Bach ließ dazu Picander die Dichtung Gottscheds bearbeiten, welche er als T r a u e r m u s i k für die Königin Ebeihardine vertont hatte. Fünf der schönsten Stücke dieser Ode hat Picander in die Passionsdichtung übernommen. Ein sechstes Stüde ist in das Weihnachtsoratorium übergegangen, die Arie »Falsche Welt« ist in dem Anfange der Kantate »Widerstehe doch der Sünde« erhalten, ein anderes Stüde im Weihnachtsoratorium. Vielleicht hat Bach die vor der Matthäuspassion geschaffene Markuspassion aufgegeben, als auch Picanders madrigalische Dichtungen zum neuen Werk schöner wurden, als die des alten waren. Die Erzählung der Evangelisten gleicht sich textlich in beiden Passionen. Vielleicht hat Bach die Markuspassion, die somit als Komposition in das größere Werk aufgegangen ist, vernichtet. Vielleicht, denn ganz befriedigt diese von Schering stammende Annahme nicht! Als Bach 1728 an der Matthäuspassion arbeitete, starb sein hoher Freund und Gönner, Fürst Leopold, in Kothen am 19. November. Die T r a u e r m u s i k , die aus elf Nummern bestand, hat Bach mit dem Thomanerchor und Frau und Sohn in Kothen zur Aufführung gebracht. Neun Nummern sind in der Matthäuspassion erhalten, die Bach gleichzeitig oder bald danach vertonte. Der Eingangschor war derselbe wie derjenige der Trauermusik für die Kurfürstin. Badi hat im ganzen 26 Passionen leiten müssen, von 1723 bis 1750. 1733 fiel die Passion wegen Landestrauer aus, 1750 war der Meister bereits leidend. Außer seinen eigenen Passionen hat Bach fremde Werke aufgeführt. Eine sogenannte »fünfte« Passion muß Mitte der zwanziger Jahre entstanden sein. Sie war eine Art zweiteilige Kantate und hatte aus der Johannispassion entlehnte Chöre und Arien. Das Weihnachtsoratorium entstand 1734. Es setzt sich aus sechs Kantaten, für die drei Christtage, Neujahr, Sonntag nach Neujahr und Epiphanie, zusammen, welche Feste die Kirche als eine Periode zusammenfaßte. Bach hat in diesem Werk wie öfters andere eigene Arbeiten verwendet*). Der Dichter Picander hat die Texte der übernommenen Sätze geschickt umgedichtet, Bach hat durch kleine Aenderungen den Charakter sinn*) Ausführliches darüber im zweiten Teil, der die Werke behandelt.

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gemäß hergestellt. Audi die übrigen sechs Stücke scheinen Umarbeitungen zu sein, die Markuspassion hat einen kurzen Satz • hergeben müssen. Im Anschluß an alte volkstümliche Bräuche, wie das »Kindelwiegen«, die in Leipzig noch zu Badbis Zeiten bestanden, hat Bach die von Kuhnau zu einer Weihnachtskantate zusammengefügten Texte komponiert, welche den damals noch bestehenden Brauch, die Botschaft der Engel und die Anbetung der Hirten dramatisch aufzuführen, in poetischer Weise widerspiegeln. Das M a g n i f i c a t , wie wir es heute besitzen, das große, denn ein kleines ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschollen, ist eine zweite, 1730 reicher instrumentierte und nach D von Es transponierte Fassung des 1723 entstandenen Werkes. Wurde dieses gewaltige Werk zu Weihnachten aufgeführt, so wurden noch zwei deutsche Weihnachtslieder und zwei lateinische Sätze von der kleinen Orgel der Thomaskirche hoch über der Altarwand herabgesungen. Besonders die Chöre »omnes generationes«, mit der Vorstellung aller Völkerscharen der Christenheit, und das Gloria zum Schluß sind von überwältigender Größe. Zum Soloterzett »Suscepit Israel« erklingt in den Oboen die alte kirchliche Weise des »Magnificat«. Nicht lange nach der Matthäuspassion komponierte Bach seine große M e s s e in h. Warum der Protestant Bach eine lateinische Messe komponiert hat, das erscheint zunächst verwunderlich. In der protestantischen Kirche dieser Zeit und in Leipzig waren lateinische Stücke aus der Messe, nämlich Kyrie und Gloria, im Gebrauch. Das Agnus Dei wurde bei der Konsekration stets durch ein deutsches Lied ersetzt; mit dieser Ausnahme konnte der ganze Messetext lateinisch choraliter gesungen werden, meist in Abwechslung mit deutschen Kyrie-, Gloria- und Credoliedern. Kyrie, Gloria und Credo wurden sowohl choraliter vorgetragen als auch an hohen Festtagen in feierlicher Figuralmusik, das Credo dann allerdings als deutsches, jedermann verständliches Bekenntnislied. Als sogenannte Kurzmesse wurden Kyrie und Gloria von Bachs Vorgängern in St. Thomae, Knüpfer, Schelle, Kuhnau u. a., oft vertont. Bach hat für sich Messen von Palestrina, Lotti, Wilderer, Nikolas Bach und Anonymi zum praktischen Gebrauch kopiert und auch eine Messe von Palestrina instrumentiert. •4

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Von Caldara hat er ein Magnificat abgeschrieben, Friedemann ein solches von Zelenka. Für entsprechende Kompositionen von Caldara, Hasse, Zelenka, Fux hatte Bach Interesse. Die v i e r k u r z e n M e s s e n in F, A, g und G, die Badi wohl in den Jahren 1735 bis 1737 komponiert hat, sind wahrscheinlich in allen Teilen Umarbeitungen von eigenen deutschen Kompositionen. Bei 20 von 25 Sätzen kennt man diese deutschen Originale. Seine große Messe hat Bach mit einem Widmungsschreiben vom 27. Juli 1733 in Dresden dem neuen Kurfürsten August II. gewidmet. August I. war am 1. Februar 1733 gestorben. In seinem Schreiben bittet Bach um die Verleihung eines »Praedikates von Dero Hofkapelle«. Er hofft, daß dadurch die unverschuldeten Kränkungen und Verminderung der Accidentien, die er als Direktor der Musik bei beiden Hauptkirchen in Leipzig erlitten, aufhören würden. Es waren zwei Sätze, die Bach überreichte, Kyrie in h und Gloria in D. Es ist möglich, daß Bach beide Sätze für den Huldigungsgottesdienst komponiert hat, der bei Abwesenheit des Kurfürsten auf einer Reise durch die Lande in Leipzig am 21. April 1733 in St. Nikolai stattfand. Die beiden Sätze wären dann eine auch im protestantischen Gottesdienst übliche Kurzmesse gewesen. Daß allerdings das Kyrie in h von Bach als Requiem für den verstorbenen König vor der Predigt, das leuchtende Gloria als jubelnde Huldigung für den neuen König nach der Predigt ausgestaltet worden sei, ist eine Annahme, die nicht zu halten ist, auch wenn das Kyrie Aehnlichkeit mit dem Eingangschor zur Trauermusik für die 1727 verstorbene Kurfürstin aufweist. Die Krönung August II. zum polnischen König fand am 17. Januar 1734 in Krakau statt. Bach hat den Auftrag zur Komposition der Festmesse nicht erhalten, auf den er vielleicht hoffte. Wahrscheinlich sind auch die weiteren Teile der Messe nicht in einem Zuge hintereinander geschaffen worden. Bach ließ wieder eine Pause in der Komposition eintreten, bevor er Osanna und Agnus Dei schrieb. Acht, vielleicht neun Sätze sind Parodien anderer Kompositionen Bachs. Trotzdem Bach in der Messe so zahlreiche Sätze aus anderen Kompositionen verwendet hat, ist es ihm ge52

lungen, ein g e s c h l o s s e n e s W e r k von einzigartiger Größe zu schaffen. Solche U m g e s t a l t u n g e n sind auch in den Kantaten zu finden. Der Reichtum der Musik und der musikalischen Formen dieser kirchlichen Kantaten ist fast unerschöpflich. Die Texte dieser Kantaten forderten oft zu einer machtvollen, an Bilderreichtum und Symbolik überreichen Musik heraus, wie sie Bach in einer nie mehr erreichten Kraft zu Gebote stand. In acht Kantaten hat Bach die Orgel obligat verwendet, vielleicht für die Paulinerkirche. Die deutsche M o t e t t e war damals1 hauptsächlich für Trauerfeiern bestimmt. Lateinische Motetten wurden nach dem Orgelspiel im Früh- oder Vesperdienst gesungen. Bach hat solche Motetten komponiert, die sich nicht erhalten haben. Gewöhnlich sangen aber die Thomaner unter Leitung des Präfekten ihre Motetten aus Bodenschatz' Florilegium portense, das Bach schon als Schüler in Lüneburg kennengelernt hatte. Von den erhaltenen sieben Motetten Bachs, denn zu dgn sechs heute als Motetten bezeichneten Kompositionen kommt noch die Kantate 118 »O Jesu Christ«, die eine Sterbemotette mit Bläserbegleitung darstellt, ist die vierstimmige Motette »Lobet den Herrn, alle Heiden« ein aus früher Zeit stammendes Lob- und Preislied. Die fünfstimmige Motette »Jesu meine Freude« ist für die Trauerfeier einer Frau Reese am 18. Juli 1723, die doppelchörige Motette »Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf« zur Trauerfeier für den Rektor Ernesti am 24. Oktober 1729, »Fürchte dich nicht« zur Gedächtnisfeier für die Frau des Stadthauptmanns Winkler im Januar 1726, die Motette »Komm, Jesu komm« für die Trauerfeier eines Unbekannten komponiert. »Singet dem Herrn ein neues Lied« ist von Schering sinnvoll als Musik für den Dankgottesdienst zur Friedensfeier am 9. Januar 1746 gedeutet worden. Zwischen 1727 und 1739 müssen 1 5 G r a t u l a t i o n s k a n t a t e n entstanden sein, von denen zu 11 die Musik ganz oder teilweise erhalten ist. Von den N a ch t m u s i k e n, die Bach im Auftrag der Studenten für Ständchen oder Huldigungen an beliebte Professoren geschrieben hat, sind zwei besonders bemerkenswert. Die eine, »Der zufriedengestellte Aeolus«, zum

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Namenstag des Philosophieprofessors August Friedrich Müller am 3. August 1725 aufgeführt, hat reizende Naturschilderungen, die andere, »Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten«, für den Amtsantritt des Professors Juris Gottlieb Körte am 11. Dezember 1726, steht ihr an Humor nicht nach. Zur Geburtstagsgratulation für Professor Florenz Rivinus am 28. Juli 1733 verwandte Bach die Köthener Geburtstagskantate »Steigt freudig in die Luft« mit neuem Text. Zum viertenmale benützte er die Musik dieser Kantate. Aus der Aeoluskantate machte er 1734 zur Krönung August II. zum König von Polen eine neue Kantate »Blast Lärmen, ihr Feinde«, ebenso aus der nächstgenannten eine Königsgeburtstagskantate 1737 »Auf schmetternde Töne«. Außer Picander ist an Textdichtern Marianne von Ziegler zu nennen, Tochter des unglücklichen Bürgermeisters Romanus, die wie die »Gottsdiedin« als weibliches Weltwunder bestaunt wurde. Acht Kantatendiditungen hat Bach von ihr vertont. Mit dem gefeiertep Dichter Leipzigs, Gottsched, hat Bach nur einmal zusammengearbeitet, in der Trauerkantate für die Kurfürstin. A n w e l t l i c h e n G e l e g e n h e i t s k a n t a t e n hat Bach nach der Jagdkantate 16 erhaltene und mindestens 12 verlorene Werke geschaffen, zu denen noch 14 Umarbeitungen kommenIm Osteroratorium haben wir eine Weißenfelser Kantate von 1725 erhalten, in der fragmentarischen Kantate »Ihr Tore Zions« eine Kantate für den Namenstag der Königin 1727. Vermutlich sind noch mehr Werke als geistliche Kantaten umgearbeitet überliefert. Von den Trauungskantaten haben wir fünf, darunter ein frühes Werk, erhalten. Die Besteller, offenbar vermögende Bürger, die außer den Kosten auch die Bitte an den Kurfürsten um Erlaubnis zur Benützung von Trompeten und Pauken nicht zu scheuen brauchten, kennen wir nicht. Zu den weltlichen Werken gehört auch die schon erwähnte Weißenfelser Jagdkantate des Jahres 1716, die Bach wahrscheinlich 1725 und 1729 wieder in Weißenfels aufführte. Bach war seit 1723 »Kapellmeister von Haus aus« des Herzogs von SachsenWeißenfels wie von Kothen. Es ist das ein Titel, der erlosch, als der Herzog 1736 das Zeitliche segnete. Am 11. November die54

ses Jahres wurde Bach der Titel verliehen, um den er schon 1733 nachgesucht hatte: Hofcompositeur. Er erhielt das Dekret durch den Grafen Carl von Kayserling in Dresden ausgehändigt. Als einen begeisterten Musikfreund schildert uns Joh. Friedrich Reichardt den Grafen noch als Greis nach Jugenderinnerungen in Königsberg. Am 1. Dezember ließ sidi Bach in der Frauenkirche auf der neuen Silbermannschen Orgel hören. Neben der Fülle der großen Chorwerke und Kantaten hat Bach noch reichlich I n s t r u m e n t a l m u s i k geschaffen. Seit 1726 hatte er jährlich eine P a r t i t e oder Partie, wie er in Anlehnung an Kuhnau die Suiten benannte, in Kupfer gestochen herausgehen lassen. 1731 gab er die sechs Partiten heraus als op. 1 unter dem Titel » C i a v i e r U e b u n g bestehend in Präludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen, Menuetten und anderen Galanterien, Denen Liebhabern zur Gemüts-Ergoezung verfertiget . . . Opus I. In Verlegung des Autoris. 1731«. Ostern 1735 veröffentlichte Bach den zweiten Teil der »Ciavier Uebung bestehend in einem Concerto nach italiänisdiem Gusto und einer Ouvertüre nach Französischer Art«. Den Stich des ersten und dritten Teiles hat Bach selbst überwacht. 1736 erscheint das »M u s i c a l i s d i e G e s a n g - B u di«, herausgegeben von G. Chr. S di e m e 11 i , Schloßkantor in Zeitz. Im Vorwort wird gesagt, daß die Melodien von Bach »teils ganz neu komponiert, teils auch von ihm im General-Baß verbessert« seien. Die Ansichten über die Zahl der Bach zuzuschreibenden Gesänge sind verschieden. Von 47 ist man letzthin auf 3 zurückgegangen. Schemellis Sohn war 1731.—1734 Thomasschüler, er wird die Verbindung Bachs zum Kantor Sdiemelli hergestellt haben. Auch die »e n g l i s c h e n S u i t e n«, angeblich für einen reichen Engländer komponiert, sind vielleicht in Leipzig, vielleicht aber auch noch vor den » f r a n z ö s i s c h e n S u i t e n « in Kothen entstanden. Dafür würde die Form des Konzertes sprechen, welche die Präludien der 2. und 3. englischen Suite zeigen. Wo die K o n z e r t e für Violine und Klavier entstanden sein mögen, in Kothen oder Leipzig, ist ungewiß. Jedenfalls sind manche Fassungen, die Bearbeitungen der verlorenen originalen 55

Fassungen für Violine und Klavier, wohl für das genannte Leipziger C o l l e g i u m m u s i c U m vorgenommen worden, in welchem sie die inzwischen herangereiften beiden ältesten Söhne neben Badi spielen konnten. Von den großen Einzelwerken für Klavier ist die kühne und Bachs Improvisation wohl am besten wiedergebende » C h r o m a t i s d b e F a n t a s i e u n d F u g e « vielleicht schon 1730 entstanden. Die F a n t a s i e u n d D o p p e l f u g e in a wie die Fantasie in c mit Fragment einer Fuge gehört ebenfalls in diese Zeit. An O r g e l w e r k e n hat Bach der Zahl nach in diesen Jahren weniger geschaffen. Präludium und Fuge in G (2. 2) brachte Bach um 1725, Präludium und Fuge in C (2. 1) um 1730 zum Abschluß. Vier große Präludien und Fugen in C, h, c, Es (2. 7; 10. 1; 3. 1) sind nach Form und Ausdehnung die größten Kompositionen dieser Art, wahre sinfonische Werke. Die riesige F-Tokkata (3. 2) mit ihren 438 Takten hat bei aller spielerischen Bewegtheit einen den großen Baumeister kündenden Bauplan. Die sechs herrlichen Orgelsonaten, um 1727 vollendet, sind echte Triosonaten mit drei obligaten Stimmen, hier als Orgeltrio zu spielen, aber auch als Triosonaten besetzt denkbar. Bachs Ruhm als O r g e l s p i e l e r , Orgelkenner und Klaviervirtuose hat ihm manche Einladung nach außerhalb eingetragen. 1723 war er bei der Orgelweihe in Störmthal, 1724 zu gleichem Zweck in Gera. Nach Kothen und Weißenfels führten ihn alte Beziehungen. 1726 bringt er in Kothen seine Kantate »Steigt freudig in die Luft« zur Aufführung, eine Huldigung für den am 12. September dieses Jahres geborenen Erbprinzen Emanuel Ludwig, der allerdings nach zwei Jahren starb. Bach hat sein »Opus I«, den ersten Teil der »Clavier-Uebung«, dem fürstlichen Säugling gewidmet, mit einem eigenen Gedicht, das in der zeitüblichen Weise ungeheuer liebedienerisch beginnt: »Durchlauchtig Zarter Prinz, den zwar die Windeln decken, Doch den sein Fürsten-Blick mehr als erwachsen zeigt.. .«, im Verlauf aber hübschere Gedanken bringt. Nach Kothen führte Bach 1729 die Beisetzungsfeier, in der Fürst Leopolds Sarg in der Fürstengruft beigesetzt wurde, nach Weißenfels 1729 ein fröhlicherer Anlaß, der Geburtstag Herzog Christians. 1731 war Bach in Dresden. Am 31. Septem56

ber fand die Erstaufführung von H a s s e s Oper Cleofide statt, der Badi wohl auf Einladung des Komponisten beiwohnte. Hasse und seine Frau, die berühmte Sängerin Faustina Bordoni, besuchten audi Bach in Leipzig. 1732 ist Bach zur Orgelprüfung in Stöntzsdi, südlich von Leipzig, im September dieses Jahres in Kassel, wo er wieder die große Orgel in der St. Martinskirche prüfen sollte. Bach weihte die Orgel am 28. September in einem öffentlich als großes und erfreuliches Ereignis angezeigten Konzert ein. Nach Dresden ist Bach öfters gekommen. Schon 1717 ist Bach in D r e s d e n gewesen, als dort die Oper unter Antonio Lotti ihre Glanzzeit erlebte. Forkel berichtet, daß er später seinen Sohn Friedemann öfters frug: »Friedemann, wollen wir nicht die schönen Dresdner Liederdien einmal wieder hören?« Dieser Friedemann war inzwischen ein hervorragender Musiker geworden. 1730 schreibt Bach von seinen Kindern — es waren aus erster Ehe drei Söhne, deren ältester studiosus juris war, während die beiden anderen noch in Prima und Sekunda gingen, sowie eine Tochter, die noch unverheiratet war; aus zweiter Ehe kamen noch ein sechs Jahre alter Sohn und zwei Töchter dazu: »Insgesamt aber sind sie geborene Musici und kann versichern, daß schon ein Concert vocaliter und instrumentaliter mit meiner Familie formieren kann, zumahle da meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano singet, und auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschläget.« Welch ein anziehendes Bild: Hausmusik bei Johann Sebastian Bach! Damals war F r i e d e m a n n 20 Jahre alt. 1733 bewarb sich Friedemann als Organist um die vakante Stelle der Sophienkirche in Dresden. Am 22. Juni legte er die Probe mit glänzendem Erfolg ab. 14 Jahre hat er dies Amt verwaltet, als weit berühmter Künstler geachtet. Bach war damals bei seinem Sohne in Dresden. Bachs zweite Gattin Anna Magdalena hat Bach zwölf Kinder geboren. Die älteste Tochter, geboren 1723, das dritte Kind, ein Sohn, geboren 1725, lebten nur drei Jahre. Das zweite, ein Sohn, Gottfried Heinrich (1724—1763), war geistesschwach. Das vierte war eine Tochter, Elisabeth Juliane Friederica (1726—1781), die sich mit Bachs Schüler Altnikol, Organist in Naumburg, 1749 vermählte. Fünf weitere Kinder starben bis auf ein fünfjährig 57

gewordenes mit oder unter einem Jahr. 1732 wurde der spätere Bückeburger Bach, genannt J o h a n n C h r i s t o p h F r i e d r i ch, geboren; Friedemann war im Begriff, sein Vaterhaus zu verlassen. J o h a n n C h r i s t i a n folgte 1735. Er, der Londoner Bach, ist nach den beiden ältesten der bedeutendste der Söhne. Zwei Mädchen folgten 1737 und 1742. Die letzte, Regine Susanne, starb erst 1809. Für sie sammelte 1800 Friedrich Rochlitz durch Aufruf in der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung«, und Beethoven hat 1805 noch ihr einen Betrag bestimmt. Von seinen lebenden Kindern bereitete Bach nur Joh. Bernhard Gottfried Sorge. Dieser, 1715 geboren, wurde auf des Vaters Betreiben 1735 Organist an der Marienkirche in Mühlhausen. Im Juni hat er, begleitet vom Vater, die Probe bestanden. Hier wie 1738 in Sangershausen führte Bernhard einen unordentlichen Lebenswandel, machte Schulden und verschwand dann. Er war nach Jena gegangen und hatte dort angefangen Jus zu studieren, aber schon am 27. Mai 1738 starb er an einem Fieber. So waren die großen Kinder aus dem Hause gegangen, auch C. Ph. E m a n u e 1, der sich 1734 studienhalber nach Frankfurt a. O. begeben hatte. Der Kreis der Schüler Bachs war inzwischen ein großer geworden. Joh. Ludwig Krebs, den sein Vater Tobias Krebs, einst Schüler Bachs, mit zwei Brüdern auf die Thomasschule schickte, war 1725—1726 Bachs Schüler wie Heinrich Nikolaus Gerber, Vater des Lexikographen, 1724—1727, Joh. Fr. Agricola, Joh. Fr. Doles, Gott. Aug. Homilius, Joh. Ph. Kirnberger, Kittel, Nickelmann, Joh. Ph. Kellner, und als letzter 1750 Joh. Gottfried Müthel. Einer der jungen Leute aus Bachs Schülerkreis, wenn auch nicht direkter Schüler Bachs, hat Bach noch schweren Aerger bereitet. J o h a n n A d o l p h S c h e i b e , getauft am 8. Mai 1708, war Sohn des Bach wohlbekannten Leipziger Orgelbauers. Er hat als Musikstudent Bachs Schüler Gerlach in der Neuen Kirche als Organist vertreten, und auch Bach selbst hat ihm bei seiner Bewerbung nach Freiburg ein freundliches Attest mitgegeben. In Hamburg gab Scheibe 1737 eine Zeitschrift »Der kritische Musicus« heraus, zu der er sich durch Gottscheds »kritische Dichtkunst« 1730 58

angeregt fühlte. Ohne Bachs Namen zu nennen, aber doch eindeutig, lobt er Bach als Virtuosen, um dann fortzufahren: »Dieser große Mann würde die Bewunderung ganzer Nationen sein, wenn er mehr Annehmlichkeit hätte, und wenn er nicht seinen Studien durch ein schwulstiges und verworrenes Wesen das Natürliche entzöge und ihre Schönheit durch allzugroße Kunst verdunkelte . . . Kurz: er ist in der Musik dasjenige, was ehemals der Herr von Lohenstein in der Poesie war.« An Stelle Bachs antwortete ein Freund, der Magister und Dozent der Rhetorik an der Universität, Joh. Abraham Birnbaum, mit einer Broschüre von 24 Seiten, die unverkürzt in Mizlers »Musikalischer Bibliothek« 1738 aufgenommen wurde. Noch zweimal gingen Antworten hin und her. Gelegentlich lobte Scheibe Werke Bachs und ihn selbst, auch gestand er 1745 ein, zu weit gegangen zu sein. Bachs Kantate »Phoebus und Pan«, die schon 1731 aufgeführt war, war aber nicht auf Scheibe gemünzt. Der genannte L o r e n z C h r i s t o p h M i z l e r hat 1737 an der Universität Leipzig eine Vorlesung über Musikgeschichte und eine über Matthesons »Neueröffnetes Orchester« gehalten. 1738 unternahm er es, eine »Societät der musikalischen Wissenschaften« ins Leben zu rufen. Seit 1736 erschien Mizlers »Neueröffnete Musikalische Bibliothek« als Organ der Gesellschaft. Mizlers Versuch, in Leipzig ein Zentrum der Musikwissenschaft zu gründen, gegenüber Hamburg, wo Mattheson und Scheibe ähnliches unternahmen, sowie seine wissenschaftlichen Bestrebungen selber sind trotz Wunderlichkeiten sehr bemerkenswert. Ein begabter Musikdilettant, Graf Lucdiesini, hat ihm vermutlich finanzielle Hilfe gewährt. Bümler, Telemann, Stötzel, 1745 Händel, 1746 C. H. Graun, der Nordhauser Organist Schröter u. a. wurden zu Mitgliedern gewählt. 1747, als Mizler seit 1746 schon Leipzig verlassen hatte, trat Bach ein und brachte einen statutengemäßen Beweis seiner theoretischen Geschicklichkeit, einen dreifachen sechsstimmigen Kanon und die kanonischen Veränderungen über »Vom Himmel hoch«. Das neue Mitglied Bach mußte sich malen lassen. Das entstandene Bild ist das bekannteste Porträt Bachs, geschaffen vom Dresdner Hofmaler E. G. Haußmann; in der rechten Hand hält Bach seinen gelehrten Tripelkanon. Die etwas wunderliche und 59

nicht sehr bedeutende Gesellschaft ging 1754 ein. Bemerkenswert ist die Gesellsdhaft vor allem dadurch, daß Bach für sie zwei Beiträge lieferte. Diese Beiträge sind an sich ebenfalls etwas seltsam, entsprechen aber den wissenschaftlidien Zielen der Gesellschaft. Durch rein rationalistische Erwägungen hatte Schröder die Phantasie vom Throne der Komposition absetzen und an ihre Stelle den Verstand setzen wollen! Mizler selbst hatte eine Maschine zum Erlernen der Theorie erfunden, eine Art harmonischen Rechenschiebers. Ein naher Verwandter, der Enkel von Bachs Onkel Georg Christoph in Schweinfurt, J o h a n n E l i a s B a c h , war 1738—1742 als Helfer und Erzieher der drei Söhne, des vierzehnjährigen Gottfried Heinrich ( f 1746), des sechsjährigen Johann Christoph Friedrich (des später »Bückeburger« genannten) und des dreijährigen Johann Christian, neben den zwei Töchtern auch aus zweiter Ehe, im Hause Bachs. Audi andere Bache kamen nach Leipzig, so J o h a n n E r n s t (1722—1777), der Sohn des Eisenacher Johann Bernhard Bach, als Thomaner und als Studiosus der Sohn des Meininger Hofkapellmeisters Johann Ludwig Bach. »Es reisete nicht leicht ein Meister der Musik durch diesen Ort«, berichtet C. Ph. Emanuel, »ohne meinen Vater kennen zu lernen und sich vor ihm hören zu lassen.« Der ungarische Organist Francisci war 1725, der Gambist Hertel aus Eisenach 1726, der schlesische Organist Reimann 1730, der Berliner Violinist Franz Benda 1734 bei Bach, 1739 die beiden berühmten Lautenisten Leopold Sylvius Weiß und Johann Kropfgans, die Friedemann mitbrachte. Bach hat für sie vielleicht seine Lautenkompositionen geschrieben. Durch diese Lautenkompositionen angeregt, hat er vielleicht sein Lautenclavizymbel konstruieren lassen. Auch ein anderes Instrument hat er erfunden, die Viola pomposa, ein kleines Violoncello. Alle Besucher waren von B a c h s S p i e l hingerissen. Marpury schreibt 1752: »Es schwebt noch allen, die das Glück gehabt, ihn zu hören, seine erstaunliche Fertigkeit im Empfinden und Extemporieren im Gedächtnis, und sein in allen Tonarten ähnlicher glücklicher Vortrag in den schwersten Gängen und Wendungen 60

ist allezeit von den größten Meistern des Griffbretts beneidet worden.« 1740 zieht sich Bach vom Collegium musicum zurück; an dem in der folgenden Epoche wichtigen »großen Konzert« von 1743 ist er nicht beteiligt, und auch Kantaten hat er nachweislich nur wenige geschrieben. Die 35 Kantaten der Spätzeit seit 1735 sind durchweg C h o r a l k a n t a t e n . Choräle, und zwar lutherische und solche des 16. und 17. Jahrhunderts, bilden den in kontrapunktischer Vielfalt behandelten musikalischen Stoff, der in der ersten und letzten Strophe für den Chor wörtlich zitiert, für die durch die Choräle umrahmenden Soli dichterisch umgestaltet wird. 1745 erlebt Leipzig eine schwere Zeit. Im zweiten Schlesischen Krieg wird Leipzig von den Preußen besetzt und muß ungeheuerliche Kontributionen zahlen. Vielleicht hat Bach in dieser Zeit die Kantate »Du Friedefürst, Herr Jesu Christ« vertont, deren Text auf grausame Kriegswirren Bezug nimmt. Am 9. Januar 1746 wurde der Frieden gefeiert. Zum Neujahrstag schon hat der Meister vielleicht das großartige Freudenlied »Singet dem Herrn ein neues Lied« als doppelchörige Motette komponiert, zum Fest selbst die Kantate »Nun danket alle Gott«. Sonst war Bach in den letzten zehn Jahren nicht darauf bedacht, seine Klavier- und Orgelmusik zum Drude zu bringen. 1739 veröffentlichte er den dritten Teil der » C i a v i e r U e b u n g , bestehend in verschiedenen Vorspielen über die Catechismus- und andere Gesänge vor die Orgel«. Es sind die großartigsten Choralbearbeitungen der späteren Zeit, die man als instrumentale e v a n g e l i s c h e M e s s e aufgefaßt hat, da sie einen Kyrie-, einen Gloriachoral, zwölf Katechismuslieder und ein Kommunionlied umfaßt. Das große Präludium in Es geht voran, dessen sogenannte Tripelfuge zum Schluß folgt. Die vier Duette für Orgelmanual oder Klavier stehen vor dieser. 1742 erscheint der vierte Teil, »bestehend aus einer Aria mit verschiedenen Veränderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen«. Es sind dies die 31 Variationen über eine Aria, bekannt als »G o 1 db e r g - V a r i a t i o n e n«, weil sie für den jungen Cembalisten Johann Gottlieb Goldberg (1727—1756) geschrieben sind im Auftrage von dessen Herrn, dem schon genannten Gönner Bachs, 61

dem russischen Gesandten in Dresden, Graf Carl von Kayserling. Diese Variationen, die ein Wunder kontrapunktisdier Kunst sind, haben als Schluß ein Quodlibet, in dem zwei V o l k s l i e d e r »Ich bin so lange nicht bei dir gewest« und »Kraut und Rüben haben midi vertrieben«, miteinander verbunden werden. Das Werk war angeblich bestimmt, die schlaflosen Nächte des Grafen zu erheitern, der an einem Steinleiden litt. Bach hat in diesen Jahren auch in anderen Werken Volkslieder oder volksliedähnliches geschaffen: einmal in der » C a n t a t e e n b u r l e s q u e « »Mer han ne neue Oberkeet«, von Picander für eine ländliche Huldigung für den Kammerherrn von Dieskau auf Kleinzschocher gedichtet. In dorfmusikantischer Besetzimg, Violine, Viola und Baß, in einem Satz mit Horn, hat Bach die Nummern in Form von Tanzsätzchen volksliedmäßig gestaltet. Solche halb modentänzerische, halb volkstümliche Melodik war damals durch die Sammlung »Singende Muse an der Pleiße« des Dichters S p e r o n t e s oder wie er mit bürgerlichem Namen hieß, Johann Sigismund Scholze, beliebt, die 1736 bis 1746 erschienen. Bach hat mitgearbeitet, wenn auch nur ein Liedchen, »Ich bin nun, wie ich bin« (I, 54), als sicher von Bach stammend nachzuweisen ist. 1747 dürften die » S e c h s C h o r ä l e von verschiedener Art auf einer Orgel mit zwei Ciavieren und Pedal vorzuspielen« erschienen sein, Ueberarbeitungen von Choralarien aus Leipziger Kantaten der Jahre nach 1730 in Triobesetzung. Im Sommer 1741 war Bach in B e r l i n , wo Carl Philipp Emanuel seit kurzer Zeit »Accompagnist« bei Friedrich dem Großen, dem jungen flötenblasenden König, war. Im Hause des königlichen Leibarztes Dr. Georg Ernst Stahl hat Bach gewohnt. 1746 war Bach wieder zu einer Orgelprüfung nach Zschortau, einen Monat darauf zu gleichem Zwecke in Naumburg, wo zwei Jahre später sein Schwiegersohn Altnikol auf seine Empfehlung hin Organist wurde. 1747 reiste Bach wieder nach Berlin zu Besuch zu seinem Sohne Carl Philipp Emanuel, der drei Jahre zuvor als erster Sohn Bachs geheiratet hatte, und zwar die Tochter eines Berliner Weinhändlers. In Halle schloß sich Friedemann dem Vater an. In Berlin wurde Bach hohe Ehre zuteil. Wahrschein62

lieh von C. Ph. Emanuel über Bach-Vaters Anwesenheit unterrichtet, lud F r i e d r i c h d e r G r o ß e ihn nach Potsdam ein. Am Sonntag, dem 7. Mai 1747, kam Bach in P o t s d a m an, als gerade vor dem königlichen Abendessen ein Konzert vor dem König stattfand. Der König brach das Konzert auf die Namensmeldung hin sofort ab: »Meine Herren, der alte Bach ist angekommen.« Der König führte Bach zu den neuen Silbermannschen Flügeln, die im Schlosse standen. Bach probierte sie, vom König von einem Raum in den anderen geleitet, wobei er den König und seine Musiker in Erstaunen versetzte, besonders als er ein vom König gegebenes Thema in figurierter Form entwickelte. Den folgenden Tag gab Bach ein Orgelkonzert in der Garnisonkirche, am Abend war er wieder aufs Schloß befohlen, wo er auf Wunsch des Königs eine sechsstimmige Fuge improvisierte. Im Berliner Opernhaus, das 1742 eröffnet worden war, in dem aber nur von November bis März gespielt wurde, entdeckte er im Speisesaal sofort eine akustische Merkwürdigkeit, nämlich daß ein geflüstertes Wort in der entgegengesetzten Ecke, sonst aber nirgends im Saale zu hören war. Nach Hause zurückgekommen, machte sich Bach daran, das königliche Thema auszuarbeiten. Mit einem Widmungsbrief übersandte Bach am 7. Juli 1747 das »M u s i k a l i s c h e O p f e r , Sr. Königlichen Majestät in Preußen etc. alleruntertänigst gewidmet« dem König. Er habe »dieses recht Königliche Thema vollkommener auszuarbeiten« unternommen. Bach überreichte den ersten im Druck fertiggestellten Teil, ein dreistimmiges Ricercar, eine Reihe Kanons und die »Fuga canonica«, die etwa ein Drittel des späteren Werkes enthalten. Die übrigen Sätze, das sechsstimmige Ricercar und das Trio, sind später komponiert und ohne Förmlichkeit dem Könige, wohl durch Emanuel, übergeben worden. Der erste Teil, von Bach brieflich als »preußische Fuge« bezeichnet, ist in nur 100 Exemplaren gedruckt worden, die Bach an befreundete Musiker verteilte. Bald nach diesem Werk ließ Bach das zur Aufnahme in die »musikalische Sozietät« komponierte Werk »Einige canonische Veränderungen über das Weynacht-Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her« im Drude erscheinen. 63

Die kontrapunktischen Arbeiten dieser Jahre, vor allem »das Musikalische Opfer«, sind indes nur Auftakt zu dem größten kontrapunktischen Werk der letzten drei Jahrhunderte: » d e r K u n s t d e r F u g e « . Bis in die allerletzte Zeit hat Bach an dieser Komposition gearbeitet. Die letzte Fuge, in der das Thema seines Namens B-a-c-h eingeführt wird, ist nicht vollendet. 17 Fugen aller Gattungen und vier Kanons stellen diese Gipfelleistung der Fugenkunst dar, die aber mehr als bloße Technik ist. Badi hat drei Seiten selbst in Kupfer gestochen, ebenso wie das Präludium im dritten Teil der Klavierübung. In die letzte Zeit seines Lebens fällt wieder ein musikalischer Streit gegen einen unmusikalischen Midas, diesmal von einem Schüler ausgefoditen. Bachs Schüler Johann Friedrich Doles, der 1756 Thomaskantor werden sollte, hatte am Freiberger Gymnasium zur Jahrhundertfeier des westfälischen Friedens 1748 ein Singspiel mit Erfolg aufgeführt. Der Rektor B i e d e r m a n n ärgerte sich darüber und behauptete im Schulprogramm von 1749, die Musik verderbe den Charakter. Der Nordhausener Organist Schröter verfaßte für das Organ der »Musikalischen Sozietät«, aufgefordert durch Bach, eine Rezension, um die Musik zu verteidigen. Die Rezension wurde veröffentlicht mit gewissen Abänderungen im Titel und Wortlaut. Der Autor machte Bach verantwortlich, aber Bach erklärte in einem Brief vom 26. Mai 1750, wohl seinem letzten, nicht er habe Schuld an der Aenderung, sondern derjenige, der den Druck besorgt habe. Er hatte die Rezension begrüßt und hoffte, daß durch solche Zurechtsetzungen »des Auctoris Dreckohr gereinigt, und zur Anhörung der Music geschickter machen werden«. Bach war alt und krank geworden, seine Augen litten. Ein berühmter englischer Augenarzt, Taylor, hat 1749 an ihm eine Staroperation vorgenommen, eine rechte Pfuscherarbeit. Bachs Auge war durch einen Schlaganfall zerstört. Durch »schädliche Medicamente und Nebendinge« wurde Bach noch kränker. Man hielt ihn wohl schon als für dem Tode verfallen. So verlangte der allmächtige Minister Graf Brühl vom Bürgermeister, daß sein Kapellmeister und Schützling J . G. Harrer Nachfolger Bachs 64

werden sollte. Am 8. Juni 1749 legte Harrer im Gasthaus DreiSchwanen, wo auch seit 1743 das öffentliche Konzert abgehalten wurde, vor versammelten Ratsherrn öffentlich eine Probe ab »zum künftigen Cantorat zu St. Thomae, wenn der Kapellmeister und Kantor Herr Sebastian Bach versterben sollte«. Das Probestück war eine eigens komponierte Kirchenkantate, die hier vor einem Konzerthaus-Publikum ganz ungewöhnlicher- und ungebührlicherweise aufgeführt wurde. Aber Bach lebte noch über ein Jahr. Um Bach war im letzten Jahr ein Schüler, J o h . G o t t f r i e d M ü t h e l . Bachs jüngster Sohn, der 18jährige Johann Christoph Friedrich, war 1750 in den Dienst des Grafen von Schaumburg-Lippe in Bückeburg getreten. Dem todkranken Meister stand sein Schwiegersohn A 11 n i k o 1 zur Seite und schrieb nach seinem Diktat. Bach stellte »Achtzehn Choräle von verschiedener Art« zusammen. Als letztes Stück diktierte er den Choral »Wenn wir in höchsten Nöten sein«, dem er aber die Verse eines anderen Chorales voraussetzen ließ, der auf dieselbe Weise gesungen wird: Vor deinen Thron tret ich hiemit O Gott, und dich demütig bitt: Wend dein gnädig Angesicht Von mir blutarmen Sünder nicht! Ein selig Ende mir bescher, Am Jüngsten Tag erweck mich, Herr, Daß ich dich schaue ewiglich! Amen, Amen, erhöre midi! Im 26. Takt bricht die Musik ab. C. Ph. Emanuel hat den Choral an den Schluß der von ihm mit Vorwort versehenen Ausgabe der »Kunst der Fuge« gesetzt. Am 18. Juli besserte sich Bachs Zustand scheinbar. Zehn Tage lang lag er dann in hohem Fieber. Am Dienstag, dem 28. Juli 1750, abends ein Viertel vor neun Uhr, ist dieser große Meister, einer der größten aller Zeiten, verschieden. Um seine Nachfolge hatten sich zum Tage nach dem Todestag sechs Bewerber gemeldet, unter ihnen Bachs Sohn Emanuel, seine Schüler Joh. Trier und der Zeitzer Schloßorganist Joh. Ludwig Engel, Job. Seb. Badi 5

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Krebs und Harrer. Harrer wurde gewählt. Er hat nur fünf Jahre amtiert, brav und gewissenhaft, dann ist er verstorben. Harrers Nachfolger wurde Bachs Schüler Johann Friedrich Doles. Auch Emanuel hatte sich wieder gemeldet, empfohlen von Telemann. Er wollte aber keinen Schuldienst tun. Doles starb 1797. Er vertritt eine schwächlichere Zeit und einen schwächlicheren Geschmack in der Kirchenmusik als Bach, demgegenüber er ein bloß freundliches Talent war. Bachs Witwe, Anna Magdalena, ist 1760 als »Almosenfrau« gestorben. Ihre Kinder waren 1750 noch unmündig, so daß ein Vormund bestellt wurde. Sie konnten die Mutter nicht unterstützen, ihre Stiefsöhne taten es nicht. Bach war vergessen, kein Grabstein schmückte sein Grab. Erst 1894 wurde Bachs Sarg aufgefunden und ein schlichter Sarkophag mit Bachs sterblichen Ueberresten wurde unter dem Altar der Thomaskirche aufgestellt.

BACHS UM- U N D N A C H W E L T D ie schaffenden Meister werden nicht im Abstand einer Generation, eines Menschenalters, d. h. von 25 Jahren, geboren, sondern ununterbrochen fließt der Strom großer und kleiner Talente, so daß die Werke von Komponisten verschiedenster Altersstufen gleichzeitig erscheinen. Unmerklich und allmählich bereitet geht der Wandel des Stiles vor sich, unaufhaltsam. Gewahr werden wir ihn rückwärtsblickend in der Geschichte meist erst durch große bedeutende Werke, in denen das jeweils Neue epochemachend zusammengefaßt und geformt ist. Wenn der große Meister zu altern beginnt, so sind schon ganz andere Stilrichtungen stark geworden, als die Strömungen, die seinen eigenen J u g e n d s t i l getragen haben. Mit dreißig ist der Meister auf der Höhe seiner Kunst angelangt. Er hat sich auf der Grundlage seiner Erziehung und der Eindrücke von anderen Meisterwerken seinen M e i s t e r s t i l 66

geformt, mit dem er meist nun seinerseits auf die jüngeren Zeitgenossen und Schüler einwirkt. Gegen äußere Einflüsse wird er unempfindlicher. Allmählich, wenn er älter wird, berührt ihn das Neue nicht mehr, er baut an seinem eigenen Werk weiter, das wohl, wenn er fünfzig, sechzig und älter wird, allmählich nicht mehr dem Stilempfinden der Jungen entspricht. Zwar bleibt das Werk des Meisters groß, denn nur die kleine Modeleistung veraltert sofort, es flößt den Nachwachsenden Respekt ein, sie lieben es vielleicht, sie gehen aber längst eigene Wege. Die A l t e r s l e i s t u n g e n der Meister stehen oft fremdartig in ihrer Umgebung, auch wenn sie diese wie Dome überragen. Aber die Musik besteht nicht aus Stein wie das Bauwerk, das man auch dann noch stehen läßt, wenn man auch vielleicht daran herumändert, neue Kapellen im neuen Stil dem Dom anbaut. Musik muß gespielt werden, und wenn die junge Generation sie dann nicht mehr spielt, so bleiben die Notenblätter in den Schränken und Regalen der Bibliotheken liegen. Sie verstauben und vergilben, kaum daß ein Kunst jünger das Werk des Meisters zum Studium in Ehrfurcht und Staunen darüber," was die Alten gekonnt, hervorholt. So kann es sein, daß die größten Meisterwerke der Musik in Vergessenheit geraten, anders als die steinernen Dome, die stehen bleiben, so daß die Nachfolger sie sehen m ü s s e n . Dieses tragische Schicksal hat auch der größte Teil der Werke von Joh. Seb. Bach erlebt. Er wurde vergessen, vergessen in einem Maße, wie es nur Meistern vor ihm, wie Schütz, nicht aber nach ihm, keinem Haydn, Mozart, Beethoven, vielleicht nur in geringerem Maße Schubert ergangen ist. Auch nicht seinem Zeitgenossen H ä n d e l . Nichts ist geeigneter, die verschiedenartige Stellung der Meister zur Um- und Nachwelt zu beleuchten, als ein Vergleich der Lebensläufe beider Meister: B a c h u n d H ä n d e l . Beide entstammen demselben deutschen Stamm, dem saxothüringischen, der so viele große Männer erster Ordnung hervorgebracht hat. Im selben Jahre geboren, sind sie Zeitgenossen im strengsten Sinne des Wortes. Bachs Leben spielt sich ab in thüringischen Kleinstädten, an thüringischen Kleinhöfen und zuletzt zwar in einer geistig regen Stadt, dafür aber in der Enge eines 67

Kantorenberufes, der immer etwas Schulmeisterliches behielt, auch wenn der Thomaskantor ein Genie von höchster Begnadung war. Was große Welt in der Musik bedeutet, das zeigt die Residenz des Kurfürsten und Königs in Dresden, wo unter enormem Kostenaufwand herrliche Musikpflege getrieben wurde, wo große Meister wie Lotti Gehälter erhielten, welche das zehnfache dessen waren, was der Thomaskantor mit Gehalt und vielerlei kleinlichen Nebeneinkünften zusammenkratzen konnte. Hier waren erste Sänger und Sängerinnen, erste Virtuosen, erste Kapellmeister und Komponisten nicht in der Stille deutscher Tradition erwachsen, sondern im Strome der Welt zu musikalischen Charakteren gebildet. Hier lockte eine neue Kunst Ohr und Auge mit angenehmsten Mitteln und großartigen Eindrücken. Diese Welt, die Welt der italienischen internationalen Oper, war die Welt Händeis, der in ihr schon als junger Mann heimisch und berühmt geworden war, in Italien gleichermaßen zu Hause wie in dem kunstbegeisterten England. Als Komponist italienischer Opern spätvenezianisch-neapolitanischer Richtung und als Unternehmer von Opernaufführungen ist Händel in eine buntere, bewegtere, reichere Umgebung hineingewachsen als Bach und mit Menschen vieler Nationalitäten, Berufe, Ansichten, Horizonte zusammengekommen. Während Bach, von manchem Aerger mit dem Rat abgesehen, in einer ruhigen, behaglichen Atmosphäre des behäbigen Bürgertums und eines gesegneten Familienlebens schaffen konnte, war Händel in schwerstem Kampf gegen starke, mächtige und intrigante Gegner, die Adelspartei und italienische Konkurrenzunternehmungen, in einem Kampf, der sogar zum gänzlichen körperlichen Zusammenbruch führte, den Händel durch eine wahre Roßkur wieder überwand, um dann den Kampf mit verdoppelter Kraft wieder aufzunehmen. Diese Opernunternehmungen Händeis stellen einen Kräfte verbrauch dar, der uns ähnlich bedauerlich und für den Komponisten Händel abträglich erscheint wie Bachs Kantorenarbeit. Die wundervollen musikalischen Werte, die in Händeis Opern stecken, sind uns so gut wie ganz verloren, da die Opern im heutigen Musikleben nur ganz ausnahmsweise wieder erweckt werden. Reiner und größer kommt Händeis 68

Genie in seinen Oratorien zur Entfaltung. Händeis Opern wurden vergessen, Händeis Oratorien lebten weiter, nicht nur in England, auch in Deutschland, wo in Hamburg 1772 und 1775 der Messias, 1775 durch C. Ph. E. Bach, 1777 in Mannheim teilweise aufgeführt wurde. Die fälschlich auf das Jahr 1784 statt 1785 angesetzten Hundertjahrfeiern für Händeis Geburtstag brachten nicht nur in England Massenaufführungen, sondern auch in Deutschland, wo Joh. Ad. Hiller eine große Aufführung des Messias in Leipzig veranstaltete. So blieben Händeis große Werke im Gegensatz zu denen Bachs lebendig. Aber nicht nur die Nachwelt, auch die Zeitgenossen haben in Händel einen der größten Meister des Jahrhunderts gesehen, während Bach vornehmlich in Leipzig und seiner sächsisch-thüringischen Heimat, im Kreise seiner Schüler und engeren Berufsgenossen, Organisten und Kantoren, als Berühmtheit galt. Für die Zeitgenossen, die nicht mit Bach in immittelbare Berührung gekommen waren, galt Bach als einer von den vielen Meistern seiner Zeit, die allenthalben rüstig schufen. Da waren in Bachs unmittelbarer Nähe und in persönlicher Beziehung zu ihm sein Vorgänger in Leipizg, Johann K u h n a u (1666—1722), der als Klavierkomponist mit der »Neuen Ciavierübung« in zwei Heften zu j e 7 Suiten 1689 und 1692, aufgelegt bis 1726, mit seinen programmatischen Klaviersonaten »Musikalische Vorstellungen einiger biblischer Historien« 1700, mit seiner Leipziger Kirchenkantate auf Bach eingewirkt hat, da waren seine Mitbewerber um das Thomaskantorat, Johann Friedrich F a s ch (1688—1758), seit 1722 in Zerbst, ein bedeutender und fleißiger Komponist von fünf Jahrgängen Kantaten und schönen Ouvertürensuiten, ein von Bach hochgeschätzter Meister. Etwas entfernt, in Darmstadt, wirkte Christoph G r a u p n e r (1683—1760), der prachtvolle Kantaten, Sinfonien, Konzerte, Kammermusik und auch Opern geschrieben hat, der im Stile mit glänzender kontrapunktischer Sicherheit Bach nahekommt. Georg Philipp T e l e m a n n (1681—1767) hat Bach ebenfalls nahegestanden. Die Zahl seiner Werke ist ungeheuer, 12 Jahrgänge Kirchenkantaten, mehr als die doppelte Zahl wie Bach, angeblich 44 Passionen, 25 Opern, Kirchen- und

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Kammermusik aller Art hat Telemann geschrieben. Fast jede Neuausgabe Telemannscher Werke bestätigt seine Bedeutung. An Tiefe und Kraft kann er sich mit Badi nicht messen, aber die Leichtigkeit, der natürliche Fluß seiner Musik ist erstaunlich. Telemann war berühmter als seine Zeitgenossen Badi und vielleicht selbst Händel, so daß man, wie gesagt wurde, eher von einer Epodie Telemann, als einer Epoche Bach—Händel reden könnte. In Rudolstadt wirkte seit 1681 Philipp Heinrich E r l e b a d i (1657—1714), in Gotha Gottfried Heinrich S t ö l z e l , der neben Opern prächtige Kantaten und Konzerte komponiert hat. In Halle lebte bis 1712 der alte Lehrer Händeis, Fr. W . Z a c h o w , der treffliche, lebendige Kantaten und Orgelwerke geschrieben hat. In Weißenfels, wohin Bach öfters kam, und Halle schuf Joh. Philipp K r i e g e r (1649—1725) unermüdlich; Kantaten, aus denen er 1690/92 an 200 Arien drucken ließ, 50 Opern, Kammermusikwerke, von denen Bach sicher vieles gehört und gekannt hat. Sein Bruder Johann K r i e g e r in Zittau (1651—1735) hat bedeutende Klaviermusik und Vokalwerke geschrieben. All diese Meister schufen in unmittelbarer Nähe Bachs in einem dem Bachsdien ähnlichen Stil, in ähnlichem Geist. Der älteren Meister im Norden, B u x t e h u d e s in Lübeck (f 1707), R e i n k e n s in Hamburg (f 1722), im Süden P a eh e 1 b e 1 s in Nürnberg (f 1706) wurde schon gedacht. Ihre Kunst hat auf Badi stark nachgewirkt. Audi wurde schon erwähnt, wie Badi die Kunst der Franzosen, eines François C o u p e r i n , Charles Dieupart, Nicolas de Grigny, Louis Marchand, André Raison, Gaspard le Roux und anderer seit früher Jugend studierte, wie er dann in Weimar die neue Konzertmusik der Italiener, Arcangelo Corellis, vor allem aber Antonio V i v a l d i s (1680—1743), Tommaso A l b i n o n i s (1674—1745) u.a. in sich aufnahm. Diese Meister sind Altersgenossen und Vertreter des spätvenezianischen, oberitalienischen Stiles. Aber auch mit der neuen Kunst der Neapolitaner ist Badi in Berührung gekommen. Er hat freundschaftlidi mit einem der Großen der neapolitanischen Oper verkehrt, dem aus Bergedorf stammenden Johann Adolf H a s s e (1699—1783), der 1722 in Neapel bei Porpora und Alessandro 70

Scarlatti studiert hatte und einer der wichtigsten und bedeutendsten Vertreter der neapolitanischen Oper geworden ist. 1731 war Bach in Dresden bei der Aufführung von Hasses Oper Cleofide, und die folgenden Jahre wird er immer wieder in Berührung mit dieser jüngsten Stilrichtung gekommen sein. Sie unterscheidet sich wesentlich von der Bachs. Bach ist ein Zug von E m p f i n d s a m k e i t nicht fremd, aber sein Stil bleibt immer ernst, streng, auf das Große, Würdige, Erhabene gerichtet. Der neue Stil wurzelt in ganz anderem Erdreich. Die n e a p o l i t a n i s c h e O p e r ist besonders gekennzeichnet durch die komische Oper (Opera buffa), die ihre Stoffe aus dem lebendigen Menschenleben um sich herum griff, statt wie die Opera seria aus antiker Historie und Mythologie, und auch in ihrer Musik volkstümliche Elemente mitbringt. Das R ü h r e n d e , I n n i g e , H e i t e r e , das Gefällige, Schlichte gibt ihr das Gepräge. Der schwere Apparat barokken Kontrapunktes wird fallengelassen, tändelnd und hüpfend, graziös und melodisch kommt diese neue Kunst in der Instrumentalmusik daher, für welche sie sich aus der Sonate eine neue cantable, singhafte Art gestaltet, in einer Form, die sich wesentlich von der barocken unterscheidet. Der S o n a t e n s a t z prägt zwei Themen aus, zunächst ein einfaches Kontrastthema, das allmählich Träger einer neuen Empfindung, des rührenden, weiblichen Empfindens wird. Daneben verniedlichen und verzärteln die Formen, der Satz wird weniger kontrapunktisch-dicht als melodisch. Diese Entwicklung kann auch bis zum Verfall gehen, bis zu einem nur noch galanten Unterhaltungston. Der U n t e r s c h i e d zwischen einer Klaviersonate oder einem Klavierkonzert Hasses und entsprechenden Klavierwerken Joh. Seb. Bachs ist gewaltig. Opern hat Bach keine geschrieben, wenn auch seine weltlichen Kantaten Zeugnis von einer Begabung für das »Burleske« ablegen, wohl aber Hasse Kirchenmusik und Oratorien, von denen in Dresden acht aufgeführt wurden. Sicher hat Bach Stücke aus ihnen gehört, vielleicht die Sa. Elena al Calvario 1746, die später von Joh. Adam Hiller ins Deutsche übersetzt und mit Begeisterung in Leipzig aufgeführt wurde, als die Matthäuspassion längst vergessen war. Zartes, Feines, selbst an Bach Gemahnendes findet sich in diesem 71

Werk. Der Geist ist ein anderer. In sanften Melodien, in klarer Form, in ausdrucksreidien Schilderungen der Seelenzustände der Personen fließt das Oratorium dahin. Ein sanfteres, melodieliebendes Geschlecht fand diese Musik schön. Ihm mußte Bach herb, gelehrt, überladen erscheinen. Hasse verwandt ist in Berlin Karl Heinrich G r a u n (1703—1759, dort seit 1735 bzw. 1740). Neben Hasse war er Lieblingskomponist Friedrichs des Großen. Seine Opern in ernstem neapolitanischem Stil haben sich weniger gehalten als sein fünf Jahre nach Bachs Tod komponiertes Oratorium »Der Tod Jesu«, welches in seinem empfindsamen Stil und bequemer Technik den denkbar größten Gegensatz zu Bachs Kirchenmusik bildet. Da standen Bach die Wiener Meister näher, welche den barocken Stil großartig gepflegt hatten, ein Kontrapunktlehrmeister Joh. Jos. F u x (1660—1741) und der Italiener Antonio C a l d a r a (1670—1736), bei dem neapolitanische Stilelemente hinzutreten. Bach hat beide Meister geschätzt. Kaum dürfte er Werke der beiden Reutter, Vater und Sohn (Georg 1656—1738, Johann Georg (1708—1772), gekannt haben, wohl aber die »Componimenti musicali per il cembalo« des Wiener Hoforganisten Johann Gottlieb Muffat (1739), der französischen, italienischen und deutschen Stil zu vereinen wußte. Die älteren Italiener wie Feiice Evaristo d a l l ' A b a c o (1675—1742) und den großen Opernkomponisten Agostino St e f f a n i (1654—1728), der auf Händel einwirkte, mag Bach aus Proben gekannt haben. Obwohl Bach eine Wendung zum N e a p o l i t a n e r t u m nicht mitgemacht hat, hat er doch ihre Formenwelt nicht unbeachtet gelassen. Wie er die französische Suite und Ouvertürensuite aufgreift und in Instrumental- und Vokalmusik als Form verwertet, wie er die oberitalienische Konzertform vor und nach 1700 großartig umgestaltend nicht nur in Instrumentalkonzerten, sondern in Suiten und Vokalwerken verarbeitet, so hat er auch die Form des Sonatensatzes nicht nur in der zweiteiligen Vorform der Zeit verwendet, sondern höchst bedeutsam die dreiteilige Anlage mit Reprise (Invention VI, E) ausgebaut. Allerdings hat er alle diese Anregungen in seiner Art kontrapunktisch aufgegriffen. Audi seine von jüngeren Formtendenzen berührten Werke gehören doch nicht 72

der neuen Zeit an, sie sind, verglichen mit dem, was die neuen Männer, etwa Domenico S c a r l a t t i (1685—1732) oder Giov. P e r g o l e s i (1710—1736), dieser in seinen Triosonaten von 1732, bringen, letzte Steigerung hochbarocker Stileigentümlichkeiten. Bachs beide letzten Werke, das »Musikalische Opfer« und vor allem »Die Kunst der Fuge« sind in ihrer Zeit völlig fremd. Jahrhundertealtes gotisches Erbe scheint in ihnen wieder lebendig zu werden. Diese grandioseste Verschmelzung musikalischer Arithmetik und religiöser Versenkung hat mit ihrer Zeit keinerlei Bindungen mehr. Händeis Spätstil ist weit zeitoffener und ragt in manchem hinein in die folgende Zeit. In der Entstehungszeit von Bachs Spätwerken war mit Johann S t a m i t z (1717—1757) schon eine zweite neue Generation am Werk. Seit 1745 in Mannheim angestellt, bildete er hier das Haupt der Mannheimer Schule, deren Sinfonien nidit nur gegenüber den barocken Orchestersuiten, sondern ebenso gegenüber den gelockerten und galant gewordenen Sinfonien, Triosonaten und Klavierwerken der älteren Neapolitaner durch ein zupackendes, volkstümlich aufquellendes Wesen einen starken Gegensatz bilden. Aehnlich beginnen die Wiener Meister, denen schon im Jahrzehnt nach Bachs Tod Joseph Haydn mit immer persönlicher werdenden Sinfonien folgt. Bedenkt man, daß Christoph Willibald G l u c k (1714—1787) um das Jahr 1746 seine sechs Triosonaten veröffentlichte, die zwar der neapolitanischen Form folgen, aber doch einen ganz neuen lebendig-dramatischen Geist zeigen, so hat man die Fülle der neuen, für die Folgezeit bedeutsamen Stile und Entwicklungsrichtungen beisammen. Da mußte ein überzeitlich-zeitloses Gipfelwerk wie die »Kunst der Fuge« unbeachtet bleiben. Wie hätte es anders sein können! Die Musiker, Schüler und Söhne, die Bach noch zu Lebzeiten hatten spielen hören, hatten noch einen lebendigen Eindruck von seiner Musik. Die S ö h n e aber huldigten schon einem völlig anderen Geschmack. W i l h e l m F r i e d e m a n n , der älteste (1710 bis 1784), dem der Vater noch zu seinem Amt verholfen hatte, war in Dresden von 1733—1746 Sophienorganist, um dann in Halle bis 1764 ein noch größeres Kirchenamt zu verwalten. Erst dann, mit vierundfünfzig Jahren, wird er Sonderling, haltlos hin- und her73

geschleudert. Sein Stil ist schon in den Werken von 1733 von ganz anderem Geist erfüllt, Klaviersonaten, Konzerte, Kantaten, sie setzen nicht die Tradition des Vaters fort. Trotz mancher genialer Ausdruckstiefen ist sein Stil elegant, leicht, stellenweise von einem Hauch von Frühromantik durchweht, manchmal leise Mozart vorausnehmend. Carl P h i l i p p E m a n u e l B a c h (1714—1788) hat schon 1742 und 1744 in seinen beiden Sonatensammlungen, den Friedrich dem Großen gewidmeten »preußischen« und den »württembergisdien« für Herzog Karl Eugen, nicht nur die neue Gattung entscheidend geformt, sondern jetzt schon einem neuen Stil gehuldigt. 1740—1767 war er Kammercembalist des großen Königs. Dort in Potsdam, wo der Vater ihn 1747 besuchte, war er zwangsweise Haupt der »norddeutschen Schule«, er mußte an deren stilistischen Grundsätzen festhalten, da der alternde König immer tyrannischer im Geschmack seiner reifen Jahre verharrte und von den neuen Sternen, von Gluck, Haydn, den Mannheimern, nichts wissen wollte. Trotz dieses Zwanges ist Bach ein Eigener, voll überschäumender Kraft, voll Empfindsamkeit, voll Witz mit Geist. Noch schärfer wird die Wendung zu einer rationalistisch-witzigen, bürgerlich-empfindsamen Musik, als er Nachfolger seines Paten Telemann 1767 in Hamburg wird. Die Kunst des Vaters war Bach Respekts-, keine Herzenssache, und er wird sich nicht gewundert haben, daß die »Kunst der Fuge« weder in der ersten Ausgabe von 1750 noch in der zweiten von 1752 genügend Käufer fand. Schließlich hat er 1756 die Kupferstichplatten öffentlich zum Verkauf ausgeschrieben. Aber niemand kaufte sie, und so werden die Platten als Altmetall in eine Metallschmelze gewandert sein! 1765 und 1769 erschienen »Johann Sebastian Bachs vierstimmige Choralgesänge, gesammelt von Carl Philipp Emanuel Bach« mit je hundert Chorälen. In Wirklichkeit hatten Friedrich Wilhelm M a r p u r g (1718—1795) und Joh. Friedrich A g r i c o l a (1720—1774), der Schüler Bachs, die Ausgabe besorgt, gegen deren zweiten Teil Emanuel protestierte wegen der vielen Fehler. Die Ausgabe aller 400 BachChoräle war ein Herzenswunsch von Joh. Philipp K i r n b e r g e r (1721—1783), dem Schüler Bachs. Doch sollte er die E r 74

füllung dieses Wunsches nicht mehr erleben. Emanuel gab 1784 bis 1787 statt Kirnberger die 400 Choräle heraus. Es war das einzige Werk aus dem Nachlaß Johann Sebastians, das auf längere Zeit gedruckt wurde. Noch viel weniger hatte J o h a n n C h r i s t i a n B a c h , der jüngste Sohn (1735—1782), Beziehung zur Kunst seines Vaters. Er war beim Tode des Vaters von Emanuel mit nach Berlin genommen worden. Schon 1754 geht er nach Italien, wo er in der Folge nicht nur katholisch wird, sondern auch als Komponist ganz und gar Italiener. In London hat Bach, verheiratet mit einer Italienerin, seit 1762 den neuneapolitanischen Stil in der Oper mit größtem Erfolge vertreten, ebenso als katholischer Kirchenmusiker, als Klavier-, Kammer- und Sinfoniekomponist ist er der Komponist, der das neapolitanische »singende« Allegro mit der Natürlichkeit der Erfindung durchpulst, welche für sein Geschlecht in jeder Stilart Kennzeichen war. Mit ihrer Empfindbarkeit, Tändelei, Grazie und frühromantischen ernsteren Zügen schwebt diese Musik lieblich und sanft dahin. Der Knabe Mozart hat von ihr seine stärksten Eindrücke. Ein halbes Jahrhundert liegt zwischen Christian und Sebastian Bach. Den jüngsten Bach bindet nichts mehr an den Vater, den er gelegentlich eine alte Perücke genannt haben soll. So war die Bachpflege auf den einstigen Schülerkreis Sebastians beschränkt. 1801 berichtet Forkel, daß in Thüringen bei jedem Kantor, Organist oder Musikdirektor irgendein Stüde von Bach sich finde. In der Thomaskirche erklangen Bachsche Kompositionen weiter. Unter Joh. Friedrich D o l e s (1715—1797), einst Schüler Bachs, selbst einem eifrigen Kantatenkomponisten, der doch nicht völlig sich dem neuen Stil der Aufklärung verschrieben hatte, seit 1756 nach Harrer Thomaskantor, hörte 1784 M o z a r t Bachs Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied«. Sie begeisterte Mozart. »Das ist doch einmal etwas, woran sich lernen läßt.« Er breitete, in Ermangelung einer Partitur, die Stimmen um sich herum, um sie zu studieren. Im 18. Jahrhundert erschienen noch einzelne Bachsche Kompositionen im Druck, zwei Sätze aus dem Wohltemperierten Klavier in Kirnbergers »wahren Grund75

sätzen zum Gebrauch der Harmonie« 1773, ein Messesatz in dessen »Kunst des reinen Satzes« 1779, Beispiele in Hawkins Musikgeschichte »A general history of Music« 1776 und A. F. C. Kollmanns »Essay on practical musical Composition« 1799, in England, wo der Organist Samuel Wesley (1766—1837) für Bach warb, in Friedrich Reichhardts Musikalischem Kunstmagazin 1782 die f-Fuge aus dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers und in einer »Sammlung von Präludien, Fugen.. . für Orgel« 1795 ein Choralvorspiel. Trotzdem scheinen Abschriften des Wohltemperierten Klaviers verbreitet gewesen zu sein. In Cramers Magazin 1783 wird von dem begabten Knaben Ludwig van B e e t h o v e n , angeblich 11-, in Wirklichkeit 13jährig, berichtet: »Er spielt größtenteils das Wohltemperierte Ciavier von Sebastian Bach, welches ihm Herr Neefe unter die Hand gegeben. W e r diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt (welche man fast das non plus ultra nennen könnte), wird wissen, was das bedeutet.« Erst kurz nach 1800 erschien »Das Wohltemperierte Klavier« im Drude, und zwar gleich von drei Verlegern herausgegeben, in Bonn bei N. Simrock, in Leipzig und Wien bei Hoffmeister & Kühnel, in Zürich bei H. G. Nägeli. Hoffmeister & Kühnel, seit 1814 C. F. Peters, brachte unter Beihilfe von Joh. Nikolaus Forkel, dem ersten Bachbiographen, 1801—1803 Klavierwerke Bachs. Mozart erlebte verhältnismäßig spät den Einfluß Bachs, seit 1782. Fugen für Klavier, fugierte Sätze, kontrapunktische Arbeit folgen. Mozart hat Fugen aus dem »Wohltemperierten Klavier« für Streicher bearbeitet und Einleitungen dazu komponiert. Beethoven ist mit dem »Wohltemperierten Klavier« aufgewachsen. 1825 äußerte er gegenüber dem Organisten Freudenberg: »Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen, wegen seines unendlichen, unausschöpfbaren Reichtums von Tonkombinationen und Harmonien.« 1822 skizzierte Beethoven eine Ouvertüre über den Namen B - a - c - h. Beethoven schrieb damals an Hoffmeister: »Daß Sie Seb. Bachs Werke herausgeben wollen, ist etwas, was meinem Herzen, das ganz für die hohe Kunst dieses Urvaters der Harmonie schlägt, 76

recht wohltut.« 1803 verlegte Breitkopf 8c Härtel die Motetten, 1811 erschien bei Simrock das Magnificat, das Verwunderung erregte. 1818 bringt Simrock die Messe in A, die h-Messe wird 1818 von ihm und auch von Nägeli angekündigt, erscheint aber nicht. In diese Zeit fallen zahlreiche Bach-Ausgaben in Paris. In der allgemeinen Musikalischen Zeitung wird 1818 berichtet, daß Bach in England und Frankreich viel gespielt wurde, »sogar von Damen«. Ein Zentrum der Bachpflege war die B e r l i n e r S i n g a k a d e m i e , gegründet 1790 von Karl F a s c h , dem Sohn des Zerbster Hofkapellmeisters Joh. Friedrich Fasch. 1794 begann man mit dem Studium Bachscher Motetten. K a r l F r i e d r i c h Z e l t e r (1758—1832), der Goethefreund, setzte diese Bachpflege fort. 1804 werden Motetten, 1811 das Kyrie der h-Messe, 1812 die A-Messe und Konzerte gedruckt, weitere Werke folgten, 1815 die Johannispassion und Teile der Matthäuspassion. An Goethe schrieb Zelter 1820 das schöne Wort: »Bach ist wie der Aether, allgegenwärtig und unbegreiflich. Eine Erscheinung Gottes, klar, doch unerklärbar.« Trotzdem glaubte Zelter, die Werke Bachs weitgehend durch Aenderungen, vor allem in den Rezitativen, dem Geschmadce der Zeit anpassen zu müssen. 1820 traten die beiden Kinder des jüdischen Bankiers Mendelssohn, Fanny und Felix, in die Singakademie ein. Seit 1824 sang Mendelssohn mit, erst im Alt, dann im Tenor. Er wünschte sich die Matthäuspassion, die er 1823 zu Weihnachten in einer Abschrift von Eduard Rietz (1802—1832) geschenkt bekam. Am 11. März 1829 und wiederholt am 21. März, dem Geburtstage Bachs, wurde unter Mendelssohn in der Singakademie die Matthäuspassion aufgeführt. Das Werk fand keineswegs ungeteilten Beifall. Der berühmte Philosoph Hegel äußerte, das sei keine rechte Musik, man sei jetzt weitergekommen, wie wohl noch lange nicht auf das Rechte. Zelter hatte seinem reichen und begabten Schüler den Taktstock überlassen, ihm aber Anweisung für die Direktion schriftlich gegeben und auch die dritte Aufführung am 13. April wieder selbst übernommen. Noch vor dieser, auf die Anregung Zelters zurückgehenden Aufführung der Matthäuspassion hat Joh. Nepomuk Schelble, 77

der Begründer des Frankfurter Cäcilienvereins, 1828 die h-Messe aufgeführt. Die Matthäuspassion folgte in Frankfurt und Stettin, hier unter dem Balladenkomponisten Carl Loewe 1831. Es ist für die Schwierigkeit, die sich dem Verständnis entgegenstellte, kennzeichnend, daß bei einer der ersten Aufführungen der Passion, 1832 in Königsberg, bei welcher etwa nur die Hälfte des Werkes gegeben wurde, was der Rezensent nicht tadelt: »War es doch vielen an dem Gegebenen zu viel!« »die ausgesprochenen Urteile über dieses Werk sehr verschieden waren.« »Viele Musiker von Profession, die nur das Neue zu kennen Gelegenheit haben, nannten das ganze Werk veralteten Trödel, der in die Rumpelkammer gehöre und auch bald dahin zurückkehren werde. Ein Teil der Zuhörer lief schon in der ersten Hälfte zur Kirche hinaus.« Der Rezensent meint: »Die Recitative haben wenig Modulation und ermüden. Die Ritornelle zu Nr. 1 und 35 scheinen S. Bachs hoher Kunst nicht unwürdig.« In der Folge begann auch die Ausgabe der großen Werke. Schlesinger gab 1830 die von A . B . M a r x willkürlich bearbeitete Partitur der Matthäuspassion heraus, ohne Bezifferung des Basses, im selben Jahre Simrock 6 Kantaten, 1831 Trautwein die Johannispassion. Andere Werke folgten. Aus dem Kreise der Anhänger erwuchs der Gedanke an eine Bachgesellschaft. S ch e 1 b 1 e hat in einem Brief an den Direktor des Münchener Konservatoriums, Franz Hauser, die Anregung gegeben. Im Jahre der hundertsten Wiederkehr des Todestages Bachs wurde in Leipzig die Bachgesellschaft gegründet. O t t o J a h n , der berühmte Archäologe, Altphilologe und Kunstkritiker (1813—1869), der die erste große wissenschaftliche Musikerbiographie, die Biographie Mozarts (1856—1859) geschrieben hat, der ebenso später von Thayer verarbeitetes Material zu einer Biographie Beethovens, aber auch Haydns gesammelt hatte, hat ein Hauptverdienst daran. Er verfaßte das vertrauliche Rundschreiben, unterzeichnet von C. F. Becker, Breitkopf & Härtel, Moritz Hauptmann, Otto Jahn und Robert Schumann, das, als öffentliche Aufforderung gedruckt, noch weitere berühmte Namen trug: Ferdinand David, Franz Liszt, A. B. Marx, Ignaz Moscheies, J . Th. Mosewius, Julius Rietz, 78

Louis Spohr, Freiherr von Tucher, C. v. Winterfeld. Absicht war, »alle Werke Joh! Seb. Bachs, welche durch sichere Ueberlieferung und kritische Untersuchung als von ihm herrührend nachgewiesen sind, in einer gemeinsamen Ausgabe zu veröffentlichen«. 1852 kam der erste Jahrgang der G e s a m t a u s g a b e heraus. Die Ausgabe ist von 1852 bis 1900 in 47 Jahrgängen und 61 Bänden, zu einem großen Teil unter Redaktion von Wilhelm Rust (1860—1881), herausgegeben worden. Diese Ausgabe ist keineswegs ohne Schwierigkeiten durchgeführt worden. In dem ersten Jahrzehnt wurden immer wieder Zweifel an dem Werte dieser Musik laut. Die Zahl der Einzelausgaben ist daneben ins Ungeheure gewachsen. 1900 wurde in Leipzig unter Vorsitz Hermann Kretschmars die »Neue Bachgesellschaft« gegründet, welche Bachfeste veranstaltete, Bachs Werke in praktischen Neuausgaben und seit 1904 Bach-Jahrbücher herausgab. Die B a c h f o r s c h u n g beginnt mit Joh. Nikolaus F o r k e 1 s Buch »Ueber Joh. Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke«, 1802. Forkel, Universitätsmusikdirektor in Göttingen, wo er als Studiosus iuris in der Musik als Autodidakt begonnen hatte, bezeichnet die Werke Bachs als unschätzbares National-Erbgut. Die Erhaltung des Andenkens an diesen großen Mann sei nicht bloß Kunstangelegenheit, sie sei Nationalangelegenheit. Forkel stützt sich meist auf den in Mitzlers Musikalischer Bibliothek 1754 veröffentlichten, von Agricola und K. Ph. E. Bach verfaßten Nekrolog. Das Hauptwerk der Bachbiographie sollte 1873 bis 1880 entstehen in Philipp Spittas Werk: Johann Sebastian Bach, einer Musterleistung, was die Sammlung des biographischen Materials angeht. Spitta hat nicht nur Bachs Leben, sondern auch Bachs Werke untersucht, dabei die historische Umwelt, was mangels Vorarbeiten eine außerordentliche Leistung darstellt. Neue Züge im Werke Bachs hat dann die Arbeit von Andre P i r r o »L'esthétique de Jean S. Bach«, 1907, gebracht, dem Albert S c h w e i t z e r in seinem populär gewordenen und seit 1908 oft aufgelegten Buch »Joh. Seb. Bach« folgte. 1929 brachte der schottische Historiker Charles Sanford Terry in seiner Biographie einiges neue Material. Vor allem hat sidi A r n o 1 d S ch e r i n g (1877—1941), 79

der Herausgeber der Bach-Jahrbücher, um die Erforschung der Leipziger Jahre Bachs verdient gemacht in seiner Musikgeschichte Leipzigs, 3. Bd., Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs im 18. Jh., 1941. Grundlegend sind Scherings Forschungen über die Symbolik Bachs. (Weitere Literatur am Schluß.) Der E i n f l u ß , den Bach im 19. Jahrhundert, hundert Jahre nach seinem Tode, auszuüben begann, war außerordentlich. Noch niemals ist dieser Fall in der Musikgeschichte dagewesen, daß ein Musiker nach seinem Tode fast ganz vergessen wurde, um dann nach einem Jahrhundert Auferstehung zu feiern und mit seinem Werk ein neues Leben zu beginnen. Zu Lebzeiten war von Bach wenig gedruckt, die Ratswahlkantate (in Stimmen), die vier Hefte der Klavierübung, die Choräle in Schemellis Gesangbuch, die 6 Choräle, die kanonischen Veränderungen, das musikalische Opfer, und kurz nach seinem Tode die Kunst der Fuge. Nach 1850 steigert sich die Zahl der Drucke Bachscher Werke, die nun leicht zugänglich und weit verbreitet wurden. Die Matthäuspassion wurde nach 1829 ungezählte Male aufgeführt. Bachs Werke nehmen einen beachtlichen Teil aller Choraufführungen, nicht nur in der protestantischen Kirche ein, aller Klavierabende, noch mehr aller Orgelkonzerte. Wie schon Beethoven unter Leitung Neefes, so wachsen alle jungen Musiker mit dem Wohltemperierten Klavier auf, und Organisten spielen in erster Linie Bach. Der E i n f l u ß a u f d i e K o m p o n i s t e n d e s 1 9 . J a h r h u n d e r t s ist ungeheuer. Er läßt sich hier nur in Umrissen angeben. Die Bekanntschaft der heranwachsenden Musiker mit Bach seit etwa 1830 hat eine Hinwendung zur Polyphonie zur Folge. Alle Fugenkomposition gründet sich auf das Studium Badis, ob bei S c h u m a n n , B r a h m s , K i e l , R e g e r oder wem auch immer. Auch fast jede kontrapunktische Belebung und Vertiefung des Satzes, ob des Klaviersatzes bei Schumann oder Reger oder des Orchestersatzes in Wagners Meistersingern oder der kontrapunktischen Formen wie in der Chaconne der 4. Symphonie von B r a h m s , geht auf Bachs Einwirkung zurück. 80

Schumann schrieb am 31. 1. 1840 an Keferstein: »Mozart und Haydn kannten Bach nur Seiten- und stellenweise, und es ist gar nicht abzusehen, wie Bach, wenn sie ihn in seiner Größe gekannt hätten, auf ihre Produktivität gewirkt haben würde. Das Tiefkombinatorische, Poetische und Humoristische der neueren Musik hat seinen Ursprung aber zumeist in Bach: Mendelssohn, Bennet, Chopin, Hiller; die gesamten sogenannten Romantiker (die deutschen meine ich immer) stehen in ihrer Musik Bach weit näher als Mozart, wie diese dann sämtlich auch Badi auf das gründlichste kennen, wie ich selbst im Grunde tagtäglich vor diesem Hohen beichte, midi durch ihn zu reinigen und zu stärken traute . . . Bach'en ist nach meiner Ueberzeugung überhaupt nicht beizukommen; er ist inkommensurabel. . . « Schumann hat denn auch 1846 6 Fugen über Bachs Namen geschrieben, wie später Liszt, Reger u. v. a., wie schon Beethoven eine Ouvertüre über B-a-c-h geplant hat. Was Schumann von Mozart und Haydn sagt, gilt auch von Beethoven. Daß er Händel für den größten hält, unter dem Eindruck der großen Werke, und nicht Bach, kommt wohl lediglich daher, daß er nur das Wohltemperierte Klavier u. a. gekannt hat, nicht aber Kantaten, Passionen, Messe! Der Komponist, der sich am stärksten auf Bach stützt, ist Max R e g e r (1873—1916). Wiewohl Romantiker, der von Brahms stark beeindruckt war, ist Reger als Fugen- und Kontrapunktmeister ganz Schüler Bachs. In seinen V a r i a t i o n e n und Fugen über ein Thema von Bach, op. 81, das Oboenthema der Einleitung zum Duett »Seine Allmacht zu ergünden« aus der Kantate 4 »Auf Christi Himmelfahrt allein«, hat Reger nicht nur das b e d e u t e n d s t e K l a v i e r w e r k nach 1900 überhaupt der Welt geschenkt, sondern eine tiefsinnige, tiefgründige Auslegung der im bachschen Thema liegenden Gedanken- und Gefühlswelt. Aber auch die sog. »Neue Musik« in ihrem gesünderen Teil baut auf Bachs Kontrapunktik und sogar Formen wie dem Konzert auf. P a u l H i n d e m i t h (* 1895) ist von Bach nicht unbeeinflußt, und die Abwendung von romantischer Empfindungswelt und Akkordik führte diese Jungen nach 1920 zu Bach und zur Barockmusik. Hindemith hat sich sogar in seiEngel, Joh. Seb. Bach 6

81

nem »Ludus tonalis«, einem Präludium, Postludien, Interludien und 12 Fugen durch die Tonarten umfassenden Werk, komponiert 1943, formal und inhaltlich nachdrücklich zu Bach bekannt. Ernst Pepping (* 1901) schrieb 1947 vier Fugen auf den Namen B-A-C-H. B e l a B a r t 6k (1881—1945) und I g o r S t r a w i n s k y (* 1882) zeigen deutliche Anlehnung an Bach, letzterer schon in seiner Klaviersonate (1922), stärker noch im Violinkonzert (1931) und in dem Konzert für Bläser, 1937). Strawinsky übernimmt hier Formen, melodische Wendungen und Elemente der Technik Bachs. Wenn man dieser äußerlichen Anwendung Bachscher Elemente auf geistig ganz entgegengesetzte Schöpfungen nicht froh werden kann, so sei diese Erscheinung doch festgestellt. Im Ausland ist der Einfluß Bachs ebenfalls groß, besonders in Frankreich, wo in C e s a r F r a n c k (deutscher Abstammung, 1822 bis 1890) ein Fugenmeister erstand, der romantisch wagnerische Harmonik und Ausdruckstendenz nicht widerspruchslos mit von Bach gelernter Polyphonie verband. Seine Schüler V i n c e n t d ' I n d y und sein Nachfolger C h a r l e s - M a r i a W i d o r haben auf die gegenwärtigen Musiker durch mancherlei Hinweise auf Bach gewirkt. Albert S c h w e i t z e r ist ebenfalls Schüler Widors. Der Führer des französischen Impressionismus, Claude Debussy (1862 bis 1918), war von tiefer Bewunderung insbesondere für Bachs Orgelwerke erfüllt. Aber auch wo die Einflüsse nicht so unmittelbar zu erkennen sind wie bei den genannten Meistern, ist der Einfluß Badischer Musik doch oft noch in feinerer Auswirkung vorhanden. Die Art der Satztechnik, die Gattungen Konzert, Suite, Motette, Variationsformen, Besetzungsarten, z. B. in zyklischen Werken für ein Steichinstrument allein, verraten häufig Vorbild und Studium Bachs. Bachs Haltung und Bachs kontrapunktischer Stil haben im Jahrhundert des Subjektivismus eine heilsame Rolle gespielt als Gegenwirkung gegen ein Sichverlieren in Farben und Klängen, in dem Rausch der Harmonie und romanischer Melodik. B a ch warundbleibtfürdendeutschenMusikerzumal der g r o ß e E r z i e h e r zur V e r i n n e r l i c h u n g , zur inneren Einkehr. 82

In E n g 1 a n d , wo die Bachtradition alt ist, ist die Pflege Bachs lebendig neben der Händeis, und in C h a r l e s Sanfort T e r r y ist auch die Bachforschung in neuerer Zeit würdig vertreten. In I t a l i e n , das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Tiefstand der Musikkultur erlebte, ist Bach für die Wendung zur ernsten, zur sinfonischen, zur nicht nur homophonen Musik neben den deutschen Klassikern von Bedeutung geworden. Der Opernkomponist V e r d i , der in seiner letzten, mit 79 Jahren geschriebenen Oper Falstaff einen Stilwechsel vollzieht und das geniale Werk mit einer Fuge endet, hat Bach studiert. Eine Besucherin fand 1871 auf dem Lesepult Verdis Bachs Wohltemperiertes Klavier zum Studium aufgeschlagen. Italiens musikalische Jugend erarbeitet sich heute Bachs Werk in der fleißigen Ausgabe B r u n o M u g g e l i n i s (1871—1912), der sich die Ausgaben des größten Pianisten seiner Epoche, des Halbitalieners Ferrucio Busoni (1866—1924), und dessen Schülers Egon Petri anschließen.

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DIE W E R K E

STIL UND GEIST D i e V o k a l w e r k e nehmen in Bachs Gesamtwerk den größeren Raum ein. Die großen Vokalwerke sind auch dem Umfange nach gewaltiger als die aus Einzelstücken oder aus Folgen von meist kurzen Sätzen bestehenden Instrumentalwerke. Bei den Vokalwerken gibt es durch die B i n d u n g a n d a s W o r t keinen Zweifel über den geistigen Hintergrund dieser Musik. Hier wird offenbar, wie vollständig Bach in der Macht des Glaubens wurzelt, wie der christliche Glauben sein Lebenselement ist. Die Vokalmusik Bachs ist eine Welt, die man nicht vom nur musikalischen Standpunkt aus genießen oder erleben kann. Man muß die geistigen Voraussetzungen dieser Werke kennen, um diese Kunst in ihrer Tiefe und Bedeutung zu verstehen. Bachs K a n t a t e n stellen einen überaus reichen und wertvollen Schatz religiöser Musik dar. In freier D i ch t u n g, die von Poeten sehr unterschiedlicher Begabung geschaffen wurde, von Neumeister, Franck, Picander, Marianne von Ziegler, Christian Weiß und vielen Unbekannten, oder bei den Choralkantaten vorzugsweise der späteren Zeit im Kirchenlied, in den Versen selbst oder in Paraphrasen, wird auf den Text oder die Bedeutung des K i r d i e n t a g e s Bezug genommen. Unter den Dichtungen erscheint uns heute manches nur schwer erträglich und verständlich, vieles geschmacklos, wie die Kantate mit kaufmännischem Text (»Tu Rechnung, Donnerwort«), manches trocken, sentimental oder schwülstig. Man muß sich in den Geschmack der Barockdichtung überhaupt einleben, um sie zu verstehen. Dann aber finden wir dodi in den Texten Verse von feinstem, ernstem Empfinden, von schöner, oft eleganter Ausdrucksweise und Wahl der Bilder. Be85

sonders auffallend für unser heutiges Empfinden ist die tiefe, fast leidenschaftliche Sehnsucht nach dem Tode, die bei Bach so stark und immer wieder zum Ausdruck kommt. Diese Mystik des Todes ist ein Kennzeichen der Bachschen Religiosität. Hier zeigt sich eine unerschütterliche Macht und Gewißheit des Glaubens. Für unseren Geschmack ungewohnt ist besonders die Mystik der Jesusliebe, die Jesus als den Bräutigam der Seele schildert. Der Pietismus hat bei Bach nicht nur auf die Wahl der Stoffe, sondern auch auf die Sprache der nicht im Lager des Pietismus stehenden Dichter eingewirkt. Die Kantaten Bachs dienten nicht als Schmuck des Gottesdienstes, sondern waren Teil der Liturgie. Die Predigt stand meist in der Mitte, oft setzt der Arientext den Gedankengang des Predigttextes fort oder leitet ihn ein. Der Schlußchoral wurde von der Gemeinde gesungen. Die Arientexte und Rezitative bringen nicht nur Bilder und Empfindungen, sondern sind z. T. rein »vernünftig« oder gar selbst ähnlich einer Predigt. Die R h e t o r i k war damals auch für die Musiker eine wichtige Lehre. Die Verständlichkeit des Textes wurde auch vom Komponisten gefördert durch Beachtung der grammatikalischen Figuren, Kolon, Punkt, Ausruf, Imperativ, Verschweigung, Einschaltung, Unterbrechung usw., welche Bachs Rezitativen eine unerhörte Plastik gibt, wie durch Beachtung der Sinnfiguren, Wiederholung, Verstärkung, Steigerung, Gegensatz, Nachdruck, Versetzung, Wiederkehr, welche der Musiker mit den Mitteln seiner Kunst aufgreift. Als eindringlicher, oft gewaltiger Rhetor zeigt sich Bach vor allem in den Rezitativen. Wichtiger noch als die Rhetorik aber war die L e h r e v o n d e n A f f e k t e n . »Der Musik Endzweck ist, alle Affekte durch die bloßen Töne und durch Rhythmen, trotz des besten Redners, rege zu machen.« Das Barockzeitalter sieht geradezu den Sinn der Musik in der Darstellung dieser menschlichen Affekte. »Kein Mensch kann sich von Affekten frei machen, und ein jeder empfindet verschiedene heftige Veränderungen im Geblüte und den Lebensgeistern, welche den Leib und die äußeren Glieder in eine heftige Bewegung setzen, wenn er in einen starken Affekt gerät. Diese Gemütsbewegungen wechseln bei verschiedenen

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Menschen' in verschiedenen

Stufen

ab

und sind nidit

schaften sind dreierlei, angenehme . . . , unangenehme . . . , Affekte

sind

angenehme

Liebe,

Zorn,

Freude,

Furcht,

gunst, Reue, Scham etc.

einerlei.

Die

Fröhlichkeit, Zufriedenheit, Hoffnung

Traurigkeit,

Schrecken,

Verzweiflung,

Vermischte Haß, Eifersucht, Mitleiden,

keit etc.« So äußert sich der schon genannte

Leiden-

vermischte. Angenehme usf.,

Neid,

unMiß-

Wankelmütig-

Mizler.

»Die Natur-Kündiger wissen zu sagen, wie es mit unseren Gemüts-Bewegungen eigentlich, und so zu reden körperlich zugehe, und es ist einem ein großer Vorteil, wenn er auch darin nicht unerfahren ist.

Komponisten Da z.

B. die

Freude durdi Austreibung unserer Lebens-Gemüter empfunden wird, so folgt ververnünftiger- und natürlicherweise, daß ich diesen Affekt am besten durch weite und erweiterte

Intervalle

ausdrücken

könne.

Weiß

man hingegen,

daß

die

Traurigkeit eine Zusammenziehung solcher Teile unseres Leibes ist, so stehet zu ermessen, daß sich zu dieser Leidenschaft die engen und engesten Klang-Stufen am füglichsten schicken.«

Die Mittel, diese Affekte auszudrücken, sind im letzten Beispiel schon gegeben: es sind die Intervallschritte der Melodie, die rhythmischen Figuren, das Tempo, die Lage des Klanges, des Instrumentes oder der Stimme, die Klangfarbe und die Wahl der Instrumente. Einzelne Instrumente haben durch die Art und die Gelegenheit ihrer Verwendung bestimmte Bedeutung erlangt. Trompeten und Pauken sind die Instrumente der Ritter, Fürsten, der Schlachten, der vornehmen Stände, die sie allein z. B. bei Hochzeiten oder Doktorpromotionen usw. braudien können. Dur und Moll hat heute die landläufige Bedeutung von Freude und Trauer, Lust und Schmerz. Bei Bach ist Moll nodi nicht dieses Ausdrucksmittel, da in den Kirchentonarten das Dorische als Stammtonart des Moll keineswegs Trauer bedeutet. Viele Tänze stehen in solchem »Moll«. Die T o n a r t e n erhalten ihre C h a r a k t e r i s t i k , die ebenfalls keineswegs zu allen Zeiten dieselbe war. Bach hat seine eigene Tonartenästhetik, die mit der in Matthesons Neu-Eröffnetem Orchester 1713 III. 3, mitgeteilten, mehr für die Oper geltenden, nicht durchweg zusammengeht. Die Instrumentation prägt die Charaksteristik mit aus. Festliche Trompeten stehen in D, weniger in C, auch in B, was auf die Tonarten selbst einwirkt. Bachs Tonarten sind ungemein scharf charakterisiert, immer wieder kehren in denselben Tonarten ähnliche Themen und Motive, ähnliche Affekte 87

und Stimmungen wieder. So ist C festlidi, majestätisch, würdig, unpersönlich, G heiter, lieblich, unkompliziert, manchmal pastoralen Charakters, B brillant, scherzohaft, D festlich, virtuos, E feierlich ernst, aber auch lieblich, graziös, f melancholisch, voll herber Passionstimmung, fis ernst, manchmal wie auch h schmerzlich, es schmerzlich, sehr ernst, b ernst, großzügig. Doch, ist der Charakter auch an das Tempo, die Bewegung gebunden. Ueber vier Vorzeichen geht Bach aber nur im Wohltemperierten Klavier hinaus. Der Dichter schreibt dem Komponisten den Affekt vor. Der Komponist kann aber noch mehr darstellen als nur den Gefühlszustand eines Menschen. In diesen weiteren Fragen besonders hat die Musikästhetik der verschiedenen Epochen sehr verschieden gedacht, und manches, was andern Epochen selbstverständlich war, erscheint uns heute merkwürdig. T o n m a l e r e i hat es immer gegeben, und die französischen Aesthetiker der Zeit haben den Sinn der Musik in der Nachahmung der Natur gesehen, wobei die Nachahmung der Natur eine feinere, psychologische sein kann als die Nachahmung der Affekte, oder eine äußerlichere als die Nachahmung von Tönen und Geräuschen der Natur, die nicht so hoch geschätzt wird. Die Natur verursacht Geräusche, Donner, Gewitter, Sturm, Wasserrauschen, sie musiziert auch im Gesang der Vögel, im Säuseln des Zephirs. Alle diese Geräusche und Töne sind, wie zu allen Zeiten, so auch in der Musik des Bach-Zeitalters, musikalisch wiedergegeben worden. Bei Bach gibt es großartige Gewitter, Stürme, Wasserfluten. Daneben stehen in der Tonmalerei Licht und Dunkel, die entsprechend dem Hörereindruck wiedergegeben werden. Die Bewegungen haben einen dem Affekt des sich bewegenden Menschen entsprechenden Charakter, doch lassen sich Bewegungen auch als solche ohne Affektbindung tonmalerisch durch entsprechende Figuren wiedergeben, auf Worte wie schnell und langsam, eilen und ruhen. Ebenso wird der Raum tonsymbolisch geschildert, wobei tonliche Höhe der räumlichen entspricht, tiefe Töne die Tiefe kennzeichnen. Worte und Raumvorstellung, wie hoch und tief, Himmel und Hölle, oder Erde, hinauf und hinab, Auf88

erstehung und Himmelfahrt, »Vom Himmel hoch«, Adams Fall, der Sturz in die Hölle werden allemal durch entsprechende Tonhöhen und -tiefen oder Bewegungsfiguren symbolisiert. Solche Bewegungs- und Raumsymbolik ist seit dem 15. Jahrhundert Tradition. Man kann diese Malerei zur Schilderung einer Bewegung, z. B. eines Eilenden, einer schaukelnden Woge anwenden. Man kann aber auch das vorkommende Wort allein durch eine Figur »kolorieren«. Es lassen sich demnach folgende Arten der Tonmalerei abgrenzen: Beziehung zwischen Affekt und musikalischen Mitteln — dem Temperament entsprechend wird der melancholicus, der sanguinicus und cholericus schnelle, langsame Bewegung, hellen, dunklen Klang bevorzugen, ebenso entsprechende Einzelrhythmen. Das Gefühl wird umgekehrt direkt angesprochen. Doch kann es sich auch nur um Schilderung handeln, so daß der Verstand eingeschaltet wird. Die Musik gebraucht dann musikalische Bilder. Sie kann aber auch unmittelbar malen wollen; dies ist die dritte Art von Tonmalerei, die äußerlichste. Das Kunstwerk selbst kann aber ganz oder mit Teilen symbolisch wirksam sein, anspielen auf geistige Dinge, Begriffe. Diese vierte Art wäre echte Symbolik. Eine weitere Art Tonmalerei, eine Art philologische, wäre die Malerei des Wortes, das ausgedeutet wird, für sich, ohne Zusammenhang. Sie ist uns die fremdeste Art der Tonmalerei. Das 16. Jahrhundert kannte noch eine Art von Malerei, die nicht mit Tönen, sondern mit dem Notenbild wirkte, wobei schwarz, Nacht, dunkel mit schwarzen Noten ausgedrückt wurden, und auch die Notenfiguren zur Malerei, zur N o t e n b i l d m a l e r e i , dienten, wie z. B. die leere halbe Note als Abbild der Sonne. Auch von dieser Notenbildmalerei finden sich bei Bach noch Reste, wenn Bach das Kreuz in Notenköpfen ausdrückt: wobei man Linien zwischen den Köpfen ziehen müßte, um das Kreuz zu s e h e n . Dann erst wäre ein echtes »Symbol« gegeben.

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Eine Sonderbarkeit, die sich noch bei Bach findet, ist die Z a h l e n s y m b o l i k . Das Madrigal und die Motette des 16. Jahrhunderts liebten es, vorkommende Zahlenworte wie zwei, drei durch Anwendung zweier oder dreier Stimmen zu malen. Die Zahl spielt bei Bach eine große Rolle. Er pflegt häufig die Zahl der sprechenden Personen genau wiederzugeben. Nur elf Jünger fragen in der Matthäuspassion: Herr, bin ichs? denn Judas, der zwölfte, schweigt. Es ist oft bemerkt worden, daß nur zwei von den Judasgroschen sagen: »Es tauget nicht, daß wir sie in den Gotteskasten legen«, während vorher und nachher die Juden in Chören dargestellt werden. Bach wußte als Bibelkenner, daß nur zwei Hohepriester nach I.ukas 3, 2 amtierten. Merkwürdiger scheinen schon Zahlenangaben in Notenköpfen; Continuo- und Rezitativnoten bei der Stelle »gingen sie hinaus an den Oelberg« ergeben die Zahl 13, nämlich Jesus, und entsprechend den 13 Personen, 12 Jüngern! Noch fremder mutet uns Bezugnahme auf Zahlen an, wenn Bach in seinen Vorführungen des Lutherischen Chorales »Dies sind die heiligen zehn Gebote« stets die Zahl 10 erkennen läßt; zehn Einsätze bläst z. B. die Trompete dabei in K. 77. Zehnmal tritt das Thema »Wir haben ein Gesetz« im Judenchor der Johannispassion auf. Daß, wie behauptet wurde, die Summe der Continuotöne der Einsetzungsworte »Ith werde von nun an . . . « die Zahl 43, als Zahl der Tage vom Gründonnerstag bis Himmelfahrt u. a. ergeben soll, sagt uns gar nichts. Auch eine Symbolik, bei welcher die im Text vorkommende Zahl durch die Zahl der verwendeten Stimmen ausgedrückt wird, erschließt sich nicht dem Hören, etwa an der Stelle »wie ein Tod den anderen fraß«, an welcher die drei Stimmen nacheinander aufhören, sich fressen (K. 4). Dem L e s e r vermag die Erkenntnis solcher Symbolik einen mystischen Schauder zu erwecken über die Größe solcher hier zugrunde liegender Visionen. Auch die Satztechnik wird von Bach zur Symbolisierung und zur konkreten Malerei verwendet. Das Wort »folgen« ist häufig durch eine Imitation, durch einen K a n o n symbolisiert, so in der Matthäuspassion die Stelle »Ich folge dir gleichfalls«, in der Herkuleskantate »Folge der Lockung«, in der Kantate 12 »Ich folge Christo nach«. Das mystische Einssein »Et in unum« in der

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h-moll-Messe wird durch einen Kanon im engen Abstand gemalt. Auch das Ringen »Da Tod und Leben rangen« (K. 4) wird durch einen Kanon symbolisiert. Eine weitere Möglichkeit einer symbolischen Erweiterung der Textkomposition besteht im Z i t i e r e n von Melodien. Eine Melodie, die sonst stets mit einem jedermann bekannten Text verbunden ist, kann an Stelle des Textes zitiert werden, der Text wird dann auch ohne Worte verstanden. In dieser Weise wirkt z. B. auch das Wagnersche Leitmotiv. Dieses Verfahren ist schon sehr alt. Wenn in einer Messe des 15. oder 16. Jahrhunderts für einen bestimmten Festtag die liturgische (gregorianische) Melodie dieses Tages verwendet wird, so ist dies eine solche Anspielung auf den Text der Festtagsmelodie, der in Worten nicht gebracht wird. Bach läßt z. B. im Kyrie der F-Messe den Choral »Christ du Lamm Gottes« oder in der Kantate 12 in der Tenorarie »Sei getreu« den Choral »Jesu meine Freude« von der Trompete, in der Kantate 170 »Wachet, betet« zum Baßrezitativ »Ach, soll nicht dieser große Tag des jüngsten Gerichts« den Choral »Es ist gewißlich an der Zeit«, in der Kantate 172 »Erschallet ihr Lieder« den Choral »Komm, heiliger Geist« von der Violine spielen, wobei noch das ostinate Motiv des Basses von der Choralmelodie abgeleitet ist. Bach hat auch zu Arien Choralmelodien gleichzeitig ertönen lassen, gesungen durch eine zweite Stimme, so in der Kantate 159 im Duett »Ich folge dir nach« zu diesen Worten des Altes durch den Sopran die Choralzeile »Ich will hier bei dir stehen«, was wieder symbolisch gemeint ist. Aber nicht nur ganze C h o r ä l e können instrumentiert zitiert oder durch eine zweite Stimme zur Arie gebracht werden, wozu auch der Choral als Cantus firmus über einem größeren Chorsatz gehört, wie im Eingangschor der Matthäuspassion der Choral »O Lamm Gottes« im Soprano di Ripieno, sondern auch W e n dungen, Melodiezeilen aus Chorälen, Anklänge können bedeutungsvoll, symbolisch gebraucht werden. In der Kantate 2 »Weinen, Klagen« singt der Baß »Ich folge Christo nach« auf ein aufsteigendes Motiv, das dem Schlußchoral »Was Gott tut, das ist wohlgetan« entlehnt ist, eine zweite Symbolik, die zur Sym91

bolik des Kanons tritt. Violine 1, 2 und der Baß setzen mit demselben Motiv nadiahmend ein, sie »folgen« bildlich »nach«. Daß der C h o r a l in Bachs Kantaten eine sehr große Rolle spielt, ist selbstverständlich. Von den erhaltenen etwa 200 Kantaten sind nur 19, einschließlich des Osteroratoriums, ohne Choral, 63 Kantaten bringen den Choral in schlichtem vierstimmigem Satz, meist am Schluß der Kantate. Rund 120 Kantaten, zwei Drittel der erhaltenen, bringen Chorsätze aller Art; allerdings sind in den Kantaten mehr Sätze ohne Beziehung zu Chorälen. In einer Gruppe von Kantaten aus der Spätzeit, deren letzte, »Du Friedensfürst«, 1744 entstanden ist, durchzieht der Choral jeweils die ganze Kantate. Es sind 35 Kantaten, in denen Bach die schönsten und bekanntesten Choräle des 16. und 17. Jahrhunderts in ihrer Gänze der Komposition zugrunde legt. Melodie und Text der Choräle werden nur in der ersten und letzten Strophe zusammengebracht, die anderen Textverse werden frei dichterisch nach Madrigalart umschrieben, paraphrasiert, aber dann häufig Textstellen aus dem Choral mit der entsprechenden Melodiezeile vertont. Wo Bach den originalen Text der Kirchenlieder ganz, auch für Rezitativ und Arien beibehält, wie in neun Kantaten, da tauchen innerhalb freier Kompositionen doch Anspielungen an den Choral auf. Oft ist die Beziehung zum Choral versteckt, verschleiert, geheimnisvoll, und schwer nur, für Eingeweihte gewissermaßen, zu finden. Auch diese Choralanspielungen sind voll seltsamer Mystik und Symbolik. Alle diese bisher gemachten Bemerkungen ergeben ein nur unvollkommenes Bild von der Fülle der Tonmalerei und der symbolischen Beziehungen, wie sie uns in jeder Zeile Bachscher Textvertonung entgegentreten. Die t o n m a l e r i s c h e K r a f t der Bachschen Musik richtig aufgezeigt zu haben, ist das Verdienst A l b e r t S c h w e i t z e r s . Schon S p i 11 a hat die Tonmalerei Bachs gelegentlich festgestellt, ist aber doch davor zurückgeschreckt, die ganze Fülle der Bachschen Tonmalerei und musikalischer Bildsprache aufzudecken. Sicherlich hängt dies mit dem Kampf zwischen der malerischen, musikdramatischen Neuromantik und den konservativen Nurmusikern, zwischen Wagner, Liszt und Brahms, zusammen, in 92

deren Zeit Spitta lebte und forsdite. Spitta wollte Bach nicht als Programmusiker gelten lassen, denn er stand ganz auf Seiten der absoluten Musik. Schweitzer dagegen hat in Bachs Tonmalerei ein Prinzip gesehen. Er hat häufig w i e d e r k e h r e n d e F i g u r e n , die ein bestimmtes S y m b o l darstellen, zusammengestellt: Schrittmotive mit auf- und absteigenden Bewegungen, Tumultmotive, Motive der Mattigkeit, Seligkeitsrhythmen, Motive des Erschreckens, des Schmerzes usw., Bewegungsmotive, wie das Wallen, Strömen, Schaukeln des Wassers, das Niederrinnen der Tränen u. a. Dabei erinnert Schweitzer an neuere Kompositionen, die Tonmalerei gebraucht haben, wie Sdiubert, Berlioz usw. Hier muß aber der Unterschied zwischen der Tonmalerei Bachs und derjenigen der Romantik und Spätromantik betont werden. Beethoven entwirft in seiner Pastorale ein liebliches Bild eines Tages auf dem Lande. Er malt ein Naturbild, mit der Freude an der Natur und ihrer eigenen gewaltigen Musik im Gewitter, ihrer lieblichen im Rausdien des Baches, das den Gesang, d. h. das Empfinden des Menschen begleitet, und im Gesang der Vögel. Wenn Bach Gewitter, Donner, Stürme schildert, so tut er das niemals als Selbstzweck, und indem er sich in die Schönheit der Landschaft versenkt. Solche Naturbewunderung ist dem Barockzeitalter überhaupt noch gänzlich fremd. Meist sind soldie Naturschilderungen auch im Text nur bildhaft, metaphorisch gebraucht, l. B. in der Matthäuspassion, wo nicht das Gewitter als solches geschildert werden soll, denn die Frage lautet: »Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden?« Die Blitze und Donner sind also g a r n i ch t in Tätigkeit; der Betrachter, der gläubige Christ, wünscht sie sich herbei,, wie er die Hölle ruft: »Eröffne den feurigen Abgrund, o Hölle, zertrümmere, verschlinge mit plötzlicher Wut den falschen Verräter, das mördrische Blut«. Die Hölle öffnet sich hier nidit wirklich. Beides, Blitze, Donner und Hölle werden tonmalerisch geschildert, obwohl sie gar nicht tätig sind oder gesehen werden, sondern nur apostrophiert: Bach illustriert das Wort, er »malt« kein Bild aus der Natur. Wo diese Wortmalerei gleichzeitig dem Sinn des Satzes, des Gedankens entspricht, werden wir uns willig dem Eindruck des Bildes hingeben. Anders 93

ist es, wenn Bach das Wort auch dann durch eine musikalische Figur oder Koloratur ausdeutet, wenn das Wort nur vorübergehend gebraucht wird, ohne dem Ganzen einen bedeutungsvollen Sinn zu verleihen. Hier zeigt sich Bach als Erbe der Worttonmalerei des 16. Jahrhunderts, wie sie vor allem im Madrigal gepflegt worden ist. Den deutschen Zeitgenossen Bachs und seinen Vorgängern von Schütz bis Knüpfer, Schelle, Buxtehude, Kuhn, Joh. Phil. Krieger, Telemann u. a. ist diese Symbolik nicht unbekannt. Telemann wendet sie weit äußerlicher als Bach an. Die italienischen Vorgänger und Zeitgenossen, Carissimi, Stradella, Marcello u. a. haben sie gepflegt, Bach aber hat sie geradezu zu einer mystischen Geheimkunst ausgebildet. Für uns ist diese Art der Tonmalerei freilich oft nichtssagend, ihre symbolische Kraft geschwunden. Hierher gehören z.B. die langen Noten, mit denen Wörter wie »Ewigkeit« (K. 76), »Ruh« (K. 170, 72), lange (K. 103), liegt (K. 109, 81, 252), Stein (K. 152) gemalt werden. Sogar die V e r w e n d u n g sch w a r z e r N o t e n zur Wiedergabe des Wortes »Todesnacht« (K. 15) findet sich. Bachs Symbol für das Kreuz bei der Nennung des Namens Jesu, bei Wörtern wie »Kreuzige« oder noch weitergehend bei »Mittler« (K. 79), ist nicht dem Ohr, sondern nur dem Auge verständlich. Auch bei realistischeren Bewegungsabbildern, die man vielleicht noch gar nicht Symbol nennen kann, ist es zweifelhaft, ob sie beim bloßen Hören erfaßt werden können oder konnten. Diese S y m b o l i k B a c h s in ihrer Bedeutung erkannt zu haben, ist das Verdienst A r n o l d S c h e r i n g s . Schering ist dabei über Schweitzer und seine mehr romantische Deutung der Tonmalerei bei Bach hinausgekommen und hat die weitergehenden geistigen Bindungen Bachs erkannt. Allerdings gehen Schering selbst und seine Schüler vor allem in ihren Deutungen auf der Suche nach symbolischen Erklärungen gelegentlich zu weit, sie verlieren sich in Deutelei. Bachs T o n s y m b o l i k ist außerordentlich reich, mannigfaltig, in einem Ausmaß anzutreffen wie bei keinem anderen Komponisten. In der modernen Musik finden sich Bildmalereien nur sehr selten, wie in Wagners Ringmotiv oder in Pfitzners Lied »Ich und du«, in welchem die »zwei Tropfen in eins« zerrinnen, mit Symbolik 94

der Stimmzahl. Zu diesen Augenmalereien gehören die Ketten, Binden, das Wort verbinden, welche durch übergebundene Noten symbolisiert werden, nicht hör-, sondern nur sehbar:

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Mehr psychologisches Bewegungsabbild, A f f e k t m a l e r e i sind die (schon vor Bach traditionellen) Koloraturen auf freuen, Freude (mit 12 mal 4 16tel K. 159), eilen, die chromatischen absteigenden Motive, häufig Quarten im Passacagliobaß, das Tremolo auf Furcht und Schrecken, die damals schon echte traditionelle Symbole waren. Da sind die Bewegungen, das »Treten«: tre

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die Sünde, die wie ein Schwert durch Leib und Seele fährt (K. 54), die gemalt werden, die »taumelnde Vernunft«,

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wobei auch der Imperativ durdi das herausgehobene a rhetorisch deutlich gebracht ist, selbst das »Messen«, das in K. 185 eine Bewegungsfigur findet, das »Zittern«

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die Angst, die mit Triller (K. 116), mit Chromatik ganz psychologisch-realistisdi in höchster Lage des Tenors wiedergegeben wird (K. 55) 96

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die Schmerzen mit ausdrucksvoller Figur gemalt, wie in realistischgrausigen Barockplastiken (K. 103).

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Das Lachen wird auf vielfältige Art, psychologisdi abgestuft, gebracht, bis zum grellen Lachen des Chors, auch mit Triller (K. 170), das Seufzen durch realistische Unterbrechungen, die beim »suspirium«, Name der Viertelpause, auf »sospiro« u. ähnl. schon im Madrigal üblich (K. 185) waren. Erdbeben und Donner werden mit repetierten Sechszehnteln, Tremolo (=' Beben), wiedergegeben, stürzende Berge mit Passagen im Baß (K. 147) oder Sechszehnteln in Rezitativ (K. 147), so auch bei der Stelle »erzittern selbst die Höllenpforten«. Die Musikinstrumente haben ihre Symbolik durch die Verwendung im Leben erhalten, Pauken und Trompeten, die fürstlichen Instrumente, dürfen bei feierlichen Anlässen im festlichen Apparat nicht fehlen, bei Ratswahlkantaten, bei Neujahrsfesten (3 Corni d acaccia K. 143), aber symbolisch auch zur Schilderung himmlischer Majestät. Bei Kampfszenen,der grandiosen Michaelskantate (K. 19), sind die kriegerischen Instrumente am Platz. Eine Trompete vertritt die Posaune des Jüngsten Gerichts (K. 46). Glocken ertönen oft bei Bach als Sterbeglocken (K. 95. 161) durch pizzicato, das hohe Sterbeglöckchen gesellt sich zum vollen Glockenchor durch die wimmernd repetierten Noten der Flöte (K. 8). Die Musik selbst wird nach Aufforderungen wie »laßt musicam hören« (K. 137), oder »Erschallet ihr Lieder« (K. 172), aber auch als festliches Lob (K. 137) »Lobe den Herrn« oder bedeutungsvoll in der Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied«, instrumental und gesanglich besonders prunkvoll symbolisiert. Zu den oben erwähnten häufigen B e w e g u n g s a b b i l d e r n gehören die Wasser-, Flut-, Wellenschilderungen, die nicht nur in den vielen Wellen, wie in der Kreuzstabkantate (56), wo im Rezi98

tativ die Wellen aufhören, wenn der Christ das Land betritt, sondern audi zur Zeichnung im kleinen (K. 135)

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zur Miniaturmalerei (K. 138) gebracht werden:

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Die Natur selbst ist eine gewaltige Musikerin, wenn sie die Lüfte bewegt, im zarten Säuseln oder im volltönenden Sturm. Bei Bach kehrt auch diese Naturmusik in allen Graden wieder, am vielfältigsten in der Aeoluskantate. Merkwürdigerweise fehlen in Bachs Naturmusik ganz die gefiederten Sänger, die z. B. bei Händel so vielfältig musizieren. Zu den Mitteln der Charakterisierung gehört nicht nur die Motivsprache, sondern vor allem auch die H a r m o n i k . Bach ist ein überaus interessanter Harmoniker. Die Harmonie steht bei ihm ganz im Dienste des Ausdrucks und der Symbolik. Die Harmonik Bachs ist nicht nur in der einzelnen Wendung, vor allem in den Chorälen und in den Rezitativen, sondern auch im Verlauf ganzer Sätze von schärfster Charakteristik; Bach geht im Ausdruck des Schmerzes mit harmonischen Härten und Rei-

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bungen sehr weit, z. B. in der Trauerode. Der Dominantseptakkord über dem Tonikabaß in der K. 54 »Widerstehe doth der Sünde« diente einst in der Urfassung der Markuspassion der Charakteristik der »falschen Welt«. Kühne Schmerzensharmonien bringt z. B. auch der Crucifixus-Passacaglio der h-Messe. Die Tonmalerei und die Symbolik — beides nicht dasselbe, denn unter Tonmalerei verstehen wir mehr die Naturgeräusche und Bewegungen unmittelbar nachahmende Kunst, unter Symbolik Tonoder Notenabbilder abstrakter Begriffe — haben für uns nur Wert, wo sie den Affekt, die Stimmung, das Seelische ausdrücken helfen. Es kann nicht geleugnet werden, daß Bach auch weit weniger realistischer als wir und mehr im Geiste mittelalterlicher Wortbewertung das Wort musikalisch ausmalt, daß Bach z. B. auch dort musikalische Bilder entwirft, wo das Wort mit einer N e g a t i o n verbunden ist oder nur als sprachliches Bild ohne Bedeutung im Sinne des Satzes gebraucht wird. Bach geht sogar so weit, ein mit der Verneinungssilbe »un-«verbundenes Wort zu illustrieren, wie »unerschrocken«, wobei auf »-erschrocken« die auch sonst bei ihm gebräuchliche Wendung des Erschreckens (K. 102) verwendet wird (K. 107), wobei hier allerdings die Aufwärtsbewegung auch noch den Mut symbolisiert.

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Wenn Bach das Wort »bekehren« mit einer »kehrenden« Wendung malt (K. 102), so zeigt er sich in dieser Wortmalerei als geschulter 100

Philologe, der das compositum auf die Bedeutung des verbum Simplex zurückführt. (Allerdings tritt an dieser Stelle eine zweite Symbolik hinzu, das Ansteigen aus Unsicherheit zur Gewißheit!) Dieses Verfahren der Wortmalerei hat für uns keinen künstlerischen Wert. Die Bewunderung der Geschicklichkeit, mit der Bach solche Worte untermalt, ist eine rein äußerliche, historische, technische. Eine andere Frage ist, wie oft Bach das Wort untermalt, und wie oft er es nicht untermalt. Wohl häufiger als Bach das Wort untermalt, unterläßt er solche musikalische Wortillustration. Wörter, die sonst meist illustriert werden, bleiben auch wieder unbeachtet. Ebenso kehren dieselben Figuren, die ein Wort malen sollen, auf das zu diesem Wort passende Reimwort wieder, wo sie symbolisch nichts bedeuten, wegen der Symmetrie des musikalischen Satzes, z. B. kehrt auf »siegt« der lange Halteton wieder, der symbolisch das Reimwort »liegt« ausdeutet (K. 109). Beide Beobachtungen zeigen die Grenze dieser durch das Wort bedingten Erfindung. Die kurzen, kleinen Worttonmalereien sind zwar für Bach charakteristisch, sind aber für den Gehalt seiner Musik nicht bestimmend. Wichtig für das Studium des Verfahrens bei Bach ist hier insbesondere die Tatsache, daß Bach oft unter malende Figuren im Parodieverfahren mit dem neuen Text Wörter unterlegt, für welche nun die Figur sinnlos geworden ist. Bach hat viele eigene oder weltliche Werke geistlich umtextiert, so im Weihnachtsoratorium, in der h-Messe. Freilich hat Bach hier oft mit geringfügigen Aenderungen die Stelle dem neuen Text angepaßt*). Aber das Verfahren der Parodie zeigt doch die Grenzen symbolischer Textauslegung und absoluter musikalischer Erfindung. Im Gegensatz zur Wortmalerei, zur Ausdeutung eines einzelnen Wortes durch eine musikalische Wendung, die für uns mehr eine historische Kuriosität als künstlerisch eindrucksvoll ist, steht die Tonmalerei, die in Anlehnung an ein situationsschilderndes Wort den S t i m m u n g s g e h a l t erfaßt. Bach ist in dieser uns weit natürlicher und künstlerischer dünkenden Art Meister. In der Wiedergabe des psychischen Zustandes und nicht in der Worttonmalerei liegt die Größe der Bachschen Musik. 101

Audi die Behandlung der Form durch Bach ist in diesem Zusammenhang bedeutungsvoll. Es ist ein Verkennen der Bachschen Stilistik, wenn das Dacapo im Eingangschor der Michaelskantate (19) als ein Widerspruch zur Schilderung des Kampfes und des endgültigen Sieges des Himmels empfunden wird, da das Dacapo von neuem das Kampfgetobe wiederkehren lasse. Bachs Tonmalerei stand solch romantischer Realistik fern, die Form ist bei ihm nicht durch die Malerei gesprengt. Daß auch Formen, Satztypen, Tänze symbolische Bedeutung haben können, z. B. in der Kantate »Höchst erwünschtes Freudenfest«, oder die Gigue in K. 94 zur Schilderung der »Lust und Freude«, des Blendwerkes der Eitelkeit der Welt, verwendet wird, sei angemerkt. Selbst die Großform dient der Symbolik, z. B. in der symmetrischen Anordnung der Sätze, in den Passionen, der h-Messe. Bei der Besprechung der Werke wird noch vielfach auf diesen R e i c h t u m B a d i s c h e r F o r m e n zurückzukommen sein. In den Kantaten findet er sich gleichermaßen. Die Arienform, vor allem die dreiteilige Dacapoarienform, wird konzertmäßig erweitert. Bachs Musik ist nicht auf eine klare Trennung der Teile, eine Betonung der Schnittflächen hin angelegt, sondern Bach sucht im Gegenteil die Teile durch motivisch-kontrapunktische Arbeit organisch zu verbinden, und dabei verschleiert er häufig die Abgrenzungen, z. B. das Dacapo oder die Reprise bei der Sonatenform. Die großen Teile und Abschnitte großer Werke werden nicht folgenhaft bloß nacheinander gesetzt, sondern in innere Beziehung gebracht, um auch hier den geistigen Inhalt zu kennzeichnen, wie z. B. die Form der Passionen ergibt. Im einzelnen kommt Bach zu ganz eigenartigen Formungen, die besonders auch das Rezitativ erfassen. Charakteristisch für Bach ist der häufige Uebergang vom Rezitativ ins Arioso. Bachs Rezitativ ist von geradezu schlagender Plastik. Mehrfach wird noch die Rede davon sein. Begleitete Rezitative sind besonders in späteren Kantaten häufig. In der freiesten Weise werden in den Choralkantaten der späteren Zeit die Rezitative gestaltet. Rezitativ und Choral werden eigentümlich zeilenweise abgewechselt, etwa im ersten Rezitativ des Basses K. 91 »Gelobet seist du«, Rezitativ 102

und Arioso werden abgewechselt in Form eines Konzertsatzes in K. 94 »Was frag ich nach der Welt«, wo fünf Ariosoteile in G, D (D), h (F), D (D), G, begleitet von 2 Oboen, vier Rezitativteile umfassen. Es kommen zweistimmige unbegleitete Rezitative vor (K. 62), solche, in die andere Stimmen einfallen, z. B. in K. 60 »O Ewigkeit«, wo die »Furcht« dreimal durch die Stimme des Heiligen Geistes unterbrochen wird, solche, zu denen drei Soli hinzukommen, in K. 41, zur Textstelle »Den Satan unter unsere Füße treten«. Besonders feierlich sind Chöre, die durch Rezitative aller vier Stimmen unterbrochen werden, in K. 92 »Ich hab in Gottes Herz«, oder auch das wundervolle Rezitativ mit Chor vor dem Schlußchor der Matthäuspassion »Nun ist der Herr zur Ruh' gebracht«. Der K o n z e r t s t i l durchdringt bei Bach alle Formen, sogar das Rezitativ, wie wir sahen. Die Arien haben fast immer ein oder zwei konzertierende Instrumente, die mit der Solostimme über dem Basso continuo »streiten, wer es unter ihnen zum besten machen könne«, wie der alte Prätorius 1619 das Konzertprinzip erklärt. Bei Bach ist nicht nur die Motivik, sondern auch das Instrument aus tonpoetisdien Gründen gewählt. Konzerte, auch häufig »Concerti« betitelt, sind die großen Einleitungschöre, in denen Chor und Orchester, Chor und Soli, Chor und Choral zusammenwirken, dieser oft durch ein Instrument, Horn (K. 94) oder Trompete (K. 147) verstärkt. Sicherlich ist innerhalb der Chöre selbst das Konzertprinzip in der Praxis durch den nicht eigens notierten Wechsel von Groß- und Kleinchor, Soli- und Ripiensänger zur Anwendung gekommen. Die häufigste der Großformen ist die konzertmäßige Vierteiliglteit mit den Tonalitätsstufen T, D, P, T von fünf quasi-Tutti umfaßt, die Form, in der auch Arie und Sonate abgewandelt werden. Ostinatoformen finden sich, eine »Ciaconna« in K. 150 »Nach dir, Herr, verlanget mich« als Schlußchor, während hier schon der Einleitungschor mit seinem affektbedingten Wechsel von Teilen, dem chromatischen »Nach dir, Herr, verlanget mich« und dem freudigen »Ich hoffe«, durch genaue Tempovorschriften bezeichnet, 103

höchst interessant ist. Eine Ciaconna ist der spätere Kruzifixussatz der h-Messe in K. 12. Das B a c h s c h e O r c h e s t e r ist von großer Wandlungsfähigkeit. Bei festlichen Kantaten, wie den Ratswahl- und Neujahrskantaten ist die Besetzung reicher. Als Einleitungssätze werden öfters Konzertsätze verwendet, so ein Violinkonzert in K. 116, ein Oboekonzert in K. 21. Echte, volle Instrumentalkonzerte stehen in den Kantaten. Den Eingangssatz des dritten Brandenburgischen Konzerts bringt Bach, durch Bläser bereichert, in Kantate 174, den Anfangssatz des ersten Konzertes, als Sinfonie in Kantate 52. Zur Weihnachtskantate 110 benutzte Bach die Ouvertürensuite D-dur, in deren Eingangssatz er den Chor hineinstellt. Auch Solokonzertsätze hat Bach in Kantaten verwendet, das Konzert in d-moll in K. 188, die beiden ersten Sätze des Violinkonzertes in'E-dur in K. 169, den letzten in K. 49. Ein Klavierkonzert liegt vor in den Einleitungssätzen zu den Teilen der Kantate 35. In den Kantaten finden sich selbständige Vorspiele von wundervollstem Stimmungsgehalt, so in K. 42 »Am Abend desselbigen Sabbaths« oder inK. 152 »Tritt auf die Glaubensbahn«. Acht Kantaten rechnen mit obligater Orgel, darunter die genannten Werke mit den Konzertsätzen 188 und 35. Echt konzertant sind auch die Arien mit Chor, wie sie so zahlreich in der Matthäuspassion stehen. Auch eine Arie mit Terzett ist zu nennen (K. 67). Den Gipfel des Konzertierens stellt die mehrchörige Anlage dar, die Bach in der Matthäuspassion und in den Motetten anwendet, eine Formung, in denen Bach Erbe der von seinen Vorfahren gepflegten venezianischen Tradition ist. Zum Streichquintett mit B. c. und Oboen, den oft mit diesen abwechselnden Flöten, die aber bei feierlichen Gelegenheiten durchgehends mitwirken, gesellt sich das Fagott hinzu. Wie in der Barockmusik überhaupt, so müssen wir es besonders bei Bach nach Ausweis der Stimmen dem Baß verstärkend beifügen, auch wenn es in der Partitur fehlt. In den Festkantaten, besonders zu Ratswahlen oder zum Neujahrstag, treten noch Pauken und Trompeten, oder »Corni da caccia« hinzu als Herolde der irdischen oder symbolisch auch der himmlischen Majestät. Der B a s s o c o n t i n u o konnte in Kantaten und Pas104

sionen nur mit der Orgel, in der Matthäuspassion mit zwei Orgeln ausgeführt werden, da in der Thomas- und Nikolaikirche die Cembali altersschwach waren und lediglich zur Tonstütze beim Motettengesang dienten, und nur in der Paulinerkirche das Cembalo zur Kantatenbegleitung herangezogen wurde. Innerhalb dieses Orchesters gruppiert Bach die Instrumente abwechslungsreich. Die Wahl der Instrumente entspricht bei Bach selbstredend immer tonpoetischen Absichten. Motivik, Figuration und Klang gehen dabei zusammen. Die Majestät Gottes wird in der Arie »Der Herr ist König«, der Neujahrskantate 143 mit kriegerischen Fanfaren dreier Corni da caccia geschildert, die Schafe in der Choralphantasie »Jesus, Retter deiner Herde« daselbst durch ein ängstlich blökendes Fagottsolo, das außerdem im Kanon dem Hirten, dem Generalbaß, eng angeschmiegt folgt. In K. 96 hat das Orchester der einleitenden Choralphantasie als Solo einen Flauto piccolo: das Wort »Morgenstern« weckt die Klangvisionen der Hirtenflöten; Hirten suchen den Stern, den sie sehen. Die S o 1 o i n s t r u m e n t e als Begleitinstrumente der Arien sind ganz durch ihre s y m b o l i s c h e K l a n g f a r b e bestimmt, Gamben gehen im actus tragicus und der Trauerode, hier mit Lauten gemischt, wie in der Johannispassion im Arioso »Betrachte meine Seele« als Begleitung von zwei mystischen Violes d'amour. Oboen, Oboi da caccia, oboi d'amore mit ihrem seltsamen weich näselnden Klang werden ebenfalls, in den Arien stets tonpoetisch, affektgemäß verwendet. Wunderbare K l a n g m i s c h u n g e n entstehen, wenn Oboe, Viola d'amore, Gambe, Flöte miteinander konzertieren im Konzert der K. 152. Eine Oboe d'amore pizzicato begleitet, schildert den treuen Hirten in der Arie »Meinem Hirten bleibe ich treu« (K. 92). Die Streicher werden ebenso charakteristisch verwandt, auch mit Dämpfer und pizzicato, in langgehaltenen Akkorden und geigerischen Figuren, als Soloinstrument ist die Besetzung reicher affektgemäß,, schluchzend die Violine in der Arie »Erbarme dich« der Matthäuspassion. Die Gambenfiguration in der Arie dieser Passion »Komm süßes Kreuz« mag in ihren Zackenrhythmen den W e g des Kreuzes schildern. Die A r i e war andererseits vielleicht auch in der Absicht komponiert, dem 105

Virtuosen, dem Gambisten Abel, Gelegenheit zu geben, seinem verstorbenen Fürsten Leopold von Kothen in der Trauermusik, denn in dieser stand die Arie zunächst, zum Abschied noch einmal mit einer besonderen Leistung zu huldigen. Die Violinen als Baß verwendet Bach im Duett mit Chor in der Matthäuspassion, das »Herzstück« dort, »Aus Liebe will mein Heiland sterben«, hat nur drei Bläser, eine zärtlich rankende Flöte und zwei begleitende Oboi da caccia, keine Streicher, keinen B. c., ein Terzett von mystischschmerzlichem, visionärem Klang. So ist Bachs Orchester — nach heutigen Begriffen selbst in seiner Festbesetzung eigentliche K a m m e r m u s i k — von einem Klangreichtum, einer differenzierten Schilderungkunst ohnegleichen.

1. G E I S T L I C H E K A N T A T E N D as K a n t a t e n s c h a f f e n Bachs umfaßt mehrere unterschiedliche Perioden. Eine Chronologie aller Kantaten läßt sich allerdings nicht geben. Die erste Gruppe enthält die Kantaten der A r n s t ä d t e r , M ü h l h a u s e n e r und ersten W e i m a r e r Zeit. In Arnstadt dürften nur zwei Kantaten entstanden sein, die Osterkantate »Denn du wirst meine Seele nicht aus der Hölle lassen« (15) und »Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir« (131). In Mühlhausen schrieb Bach dann die Ratswechsel-Kantate 71 und den actus tragicus »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« (106). Die bis 1712 geschaffenen Kantaten, die Bach übrigens »Concerto« oder »Motetto« nennt, während nur die für häusliche Erbauung bestimmten Werke als Kantaten bezeichnet werden, gehören dem Typus der älteren, von Mittel- und besonders Norddeutschen gepflegten Kantate an, deren Text aus Bibelwort und Choral besteht und deren Musik noch nicht die modischen neapolitanischen Opernformen Rezitativ und (Dacapo-) Arie auf106

weist. Gegenüber den Kantaten der mittleren und reifen Zeit ist der Stil noch etwas schwerflüssig, wenn auch kontrapunktisch sicher. Die Aneinanderreihung kurzer Absdinitte wirkt altertümlich. Sehen wir uns die Osterkantate von 1704 (K. 15) an: Sie besteht aus zwei Teilen von fünf und sechs Abschnitten. Der 1. Baß-Arie geht eine Sinfonia von wenigen Takten voraus, die vor Nr. 9 wieder aufgegriffen wird. Das zweite Stück für Sopran (»Rezitativ«) ist zweiteilig, sein zweiter Teil mehr rezitativisch. Die Wortmalerei ist reich, auf »lebet« steht eine lange Koloratur, »Ewigkeit« wird mit Halbtönen und Melisma, »Auferstehen« mit einer Akkordfigur, »Grab« mit einem tiefen Ton symbolisiert. Die Mystik der Einswerdung mit Jesus ist durch sonderbare (besonders für ihre Zeit ungewohnte) Modulation aus der Grundtonart C über fis nach e geschildert. Nr. 3 ist ein Duett in Dacapoform. Die »schwarze Todesnacht« wird hier in Notenbildmalerei mit gehäuften schwarzen Noten augenfällig gemacht. Nr. 3 und 4 sind kurze DacapoArien für Tenor und für Sopran in prägnanten, der älteren Kantate eigenem 6/4 Taktmotiv, in denen »auferstanden« mit auf-, »der Satan erliegt« mit absteigender Dreiklangfigur wiedergegeben werden. Der zweite Teil beginnt mit einem dreiteiligen Stück, indem Alt, Baß und Alt, Baß von Duettstellen mit Tenor gefolgt werden. Die Wortmalerei ist stark ausgeprägt: »Rasen«, »reißender« Schlund, »würge«, »eilt« werden durch Bewegungsfiguren symbolisiert. Es folgt ein Duett in Dacapo-Form, das in beiden Stimmen die gegensätzlichen Affekte abwechselnd in doppeltem Kontrapunkt vertauscht, wobei die Seufzerfigur in dem typischen Quartabstieg verläuft.

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Im Mittelteil wird das Lachen nochmals anders gemalt. Es folgt die wiederholte Anfangssymphonia, weiter ein Rezitativ des Tenores und Basses, dann ein Quartett über sehr schlichtes und zum älteren Stil gehöriges thematisches Material. Es folgt weiter ein Choral mit taktweisen Zwischenspielen des Trompetenchores und 6 Takten Nachsatz im Chor, welcher das Wort »Freuden« illustriert. Das Werk des Neunzehnjährigen ist noch etwas unpersönlich in der thematischen Erfindung, zeigt dagegen schon den bis Bach stets zu treffenden Gesamtplan des Aufbaues, mit tonartlicher, klanglicher und bewegungsmäßiger Gliederung: Tonart: T

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T (S) T

C (F) C

D

108

G C

1. (Sonate) Adag. All (Arioso) Baß 2. Rezit. Sopran 3. Duett Sopran, Alt (Andante) . . 4. Aria Tenor Allegro 5. Aria Sopran All. ma non presto 6. (Arioso) Alt Duett Alt, Tenor . Baß Duett Alt, Tenor . Baß Duett Alt, Tenor . 7. Duett Sopran, Alt (Andante) 8. = 1. Sonata. Ad. All. . . 9. Rezit. Tenor, Baß . . 10. Chor (All.) 11. Choral Adagio

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Trompeten

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Ein sehr viel reiferes, ausgewogeneres Werk folgte schon bald, der »actus tragicus«, Kantate 106, »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit«, das folgende Form entwickelte: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Molto Adagio (Adagio) Lento Vivace Andante (Andante)

Es Sinfonia '/< V4 All. 3 /s Ad. *U Es Chor c Tenor Vi c-f Baß V« f Chor (Choral instr.) V4 *u b Alt

Aber auch der thematische Inhalt ist ein weit reicherer, reiferer. Der seelische und der Stimmungsgehalt des aus Bibelstellen mit Angabe der Fundorte zusammengestellten Textes wird erschöpfend, ergreifend wiedergegeben. Eine zarte, sanfte Stimmung, gepart mit innerlichem, gläubigem Ernst, liegt über dem Werk. Die Instrumentation, mit zwei Flöten und zwei Gamben über der Orgel, gibt einen stillen, feinen, mystisch-tröstlichen Klang. Seit etwa 1712 wendet sich Bach der neuen Kantatenform zu, die formal mit ihrer Abwechslung von Rezitativ und Arie eine gewisse Verarmung und Typisierung bedeutet. Das Bibelwort war großartiger, herber, ernster als die Dichtungen Erdmann Neumeisters und Salomon Francks. Trotzdem darf die Anregung durch die madrigalische Dichtung dieser beiden nicht unterschätzt werden. Bach hat übrigens Francksche Texte gelegentlich verbessert (K 152). Die Chöre treten in der P e r i o d e v o n 17 12 b i s 17 17 zurück, die Dacapo-Arie gewinnt an Bedeutung. Auf einen Text Neumeisters ist die Kantate »Nun komm', der Heiden Heiland« (61) komponiert; Bach verwendet hier die melodische weltliche Form der französischen Ouvertüre mit feierlichem Grave, in dem die Stimmen nacheinander bitten: »Nun komm', der Heiden Heiland«, während das folgende Allegro, mit »Gai« überschrieben, die Worte »Des wundert sich alle Welt« und das wiederholte Grave »Gott solch Geburt ihm bestellt« vertont. Bach versucht also eine psychologisch begründete Anwendung der Ouvertürenform. Zu dem Dutzend Kantaten mit Franckschen Texten gehört die wundervolle Kantate 161 »Komm, süße Todesstunde«. Sie wird 109

eingeleitet von einer Alt-Arie, begleitet von zwei zarten Flöten. Das Thema des Ritornells und der Singstimme, wie das der Tenorarie

ist aus dem Choral »Herrlich tut midi verlangen« gebildet, der nach 12 Takten von der Orgel vorgetragen wird. Die Besetzung dieser Kantaten wechselt stark. Bach hat nur ganz Wenige Solokantaten auch ohne Schlußchoral geschrieben, zwei oder drei (denn bei der Kantate 132 ist der Schlußdioral wohl verloren). In einer von diesen, der Kantate 132 für vier Solostimmen, welche die Tonartfolge A-dur, E-dur, h-moll bringt, ist deutlich der Affekt der Texte zu erkennen: »Bereite die Wege Christus«, die eindringliche Gewissensforschung »Wer bist du?« und die Leiden Christi »Christi Glieder bedenket«, wobei überall viel Tonmalerisches zu finden ist und im Baßrezitativ das »Wälzen« des Steines, in der Arie die »Netze« Satans gemalt werden. Reiches, festliches Orchester fordert Bach zur Osterkantate 31 »Der Himmel lacht«: drei Trompeten und Pauken, drei Oboen außer den Streichern. Mit diesem Orchester entfaltet Bach in Einleitung und Chor eine gigantische Jubelmusik. Die Konzertform dringt nicht nur in die Arien ein (Baßarie, 185), sondern auch die französische Ouvertüre dient als Vorspiel in der einzigartigen Kantate 152. (Das Thema der Ouvertüre kehrt in einer Orgelfuge wieder.) Dieses Werk ist auf das zarteste instrumentiert, die Sopranarie mit Flöte und Viola d'amore. Eine Gigue beschließt diese Ouvertürenkantate, welche etwas allzu modisch ein zärtliches Duett zwischen der Seele und Jesus anstimmt. Durch seine dienstliche Tätigkeit war Bach in den Jahren bis 1717 zu reicherem Kantatenschaffen angeregt. In den Köthener Jahren 1717—1723 tritt die Kantate zurück. Gegenüber den 20 Weimarer 110

Kantaten sind in Kothen mindestens neun Werke, darunter drei geistliche, entstanden.*) Von diesen ist die Kantate 47 »Wer sich selbst erhöht« nach Spitta für Hamburg 1720 komponiert. Sie ist aber so gewaltig und reif in der Gestaltung, daß sie vielleicht in einer späteren Zeit entstanden ist. Schon der Einleitungsdior ist eine großartige Verschmelzung von Konzert, Sonate oder dreiteiliger Dacapo-Form und Fuge. Eine Instrumentaleinleitung bringt das erste Hauptthema, der Chor setzt mit dem zweiten, wieder so tonmalerischen Anfang

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ein, bei welchem das erste Thema vom Orchester als Gegenthema gebracht wird, während im Schlußteil, dem Dacapo des ersten, dieses erste Thema auch vom Chor übernommen wird. Zwei prachtvolle Arien, die erste für Sopran, von der konzertierenden Orgel begleitet, mit Rezitativ und Schlußchoral, folgen. Die Mehrzahl seiner Kantaten hat Bach als Thomaskantor in L e i p z i g geschaffen, und zwar von den erhaltenen rund 200 Kantaten etwa 175. Komponiert hat Bach angeblich gegen 300. In * ) Vgl. Anhang.

111

21 Jahren macht das jährlich etwas über 10. Doch hat Bach von 1734—1745 gegen 70, seit 1745 aber keine Kantaten mehr komponiert. Nach 1730 nehmen die Choralkantaten zu, deren Bach 57 von insgesamt 61 nach 1730 vertont hat. An 100 Kantaten mögen im ersten Jahrzehnt des Leipziger Kantorates entstanden sein. Der Reichtum der Formen, Gestalten und Stimmungsinhalte der Kantaten der ersten Leipziger Zeit ist außerordentlich. Neben der ausgedehnten Dacapo-Arie verwendet Bach die Konzertform, so in der Baßarie der Kantate 13 »Meine Seufzer, meine Tränen«, deren Thema durch Chromatik plastisch ausgedrückt ist

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AA - zen und er » bärm - lieh wei » nen Auch ganze Kantaten werden in Konzertform gestaltet, wie Kantate 83 für drei Soli »Erfreute Zeit«, in welcher die konzertmäßigen Abwechslungen dynamisch sorgfältig bezeichnet sind, während sonst meist Vortragszeichen fehlen. Ebenso wird die Ouvertürenform frei und reich angewendet. Eine vollständige Suite als Kantate liegt in der Kantate zur Orgelweihe in Störmthal bei Leipzig am 2. November 1723 »Höchst erwünschtes Freudenfest« vor, später für Trinitatis bestimmt. Sie beginnt mit einer französischen Ouvertüre, deren fugiertes Allegro der Chor ausfüllt. Die erste Arie ist rondoartig, die zweite eine Gavotte, die dritte giguenartig, das Duett ein Menuett. In der pompös mit Trompeten besetzten Ratswahlkantate von 1723 »Preise Jerusalem«, wird das einleitende und abschließende Grave dem Instrumentchor, das Allegro dem Vokalchor anvertraut. Die Verwendung der prunkhaften O u v e r t ü r e n f o r m ist durch die feierliche Gelegenheit psychologisch gerechtfertigt. In Kantate 20 ist die Ouvertürenform mit dem Choral »O Ewigkeit, du Donnerwort« verbunden. In kammermusikalischer Besetzung ist diese Form verwendet in der Sinfonia zum 2. Teil der Kantate 76, wie in der K. 53. Der Choral erhält eine erhöhte Bedeutung. In Kantate 23 »Du wahrer Gott und Davidssohn«, einem der beiden Leip112

ziger Probestücke, erscheint der Choral »Christe, du Lamm Gottes« erst im Rezitativ, danach in kunstvoller Choralphantasie. Die Leipziger Kantaten sind häufig zweiteilig angelegt. Zu den fesselndsten Kantaten gehört die Kantate 46 »Schauet und sehet«. Den Chorsatz zum Eingang dieses Werkes hat Bach 10 Jahre später in der h-moll-Messe wiederum verwendet, nach h-moll transponiert. Ergreifend ist dieser Klagegesang, der durch die Instrumentation, 2 Flöten, Trompete und 2 Oboen da caccia, in der kontrapunktischen Begleitung noch wirksamer wird. Beim Einsatz der Fuge ist der Ausdrude des Schmerzes überwältigend. Das W o r t »Jammer« durch verminderte Intervallsprünge und dissonante Vorhalte charakterisiert, erhält in dem den »Zorn« Gottes darstellenden Motiv ein Gegenthema. Mit unerhörter Gewalt wird > der T a g des grimmigen Zornes« geschildert. Die Baßarie malt das Gewitter des Zornes in zuckenden Rhythmen der Streicher und Tremolo und schreckenerregenden hohen Trompetentönen. Zu den ergreifendsten Kantaten gehört K. 161 »Komm süße Todesstunde« auf eine Dichtung Francks. In der mit süßester Todesmystik erfüllten ersten Altarie mit Begleitung von zwei zarten Flöten läßt die obligate Orgel den Sterbechoral »Herzlich tut mich verlangen« erklingen5''), der auch in der nächsten Tenorarie verschleiert angespielt wird. Ausdrucksvoll, in barocker Gestik deklamiert ist das vorhergehende Rezitativ, wie das folgende Altrezitativ, an dessen Schluß das Sterbeglöckchen ertönt. Der innige Wunsch, heute noch die Unsterblichkeit und Himmelsfreuden zu genießen, erfüllt den folgenden Satz im schwebend bewegten 3 /e_Takt in C-dur, wobei zwei duftige Flöten, die entschwebenden Lebensgeister symbolisierend, Soli und Streicher umspielen. Der Choral, in der vierten Strophe von den Flöten wundersam umwoben im Anschluß an den vorhergehenden tonpoetischen Gedanken, läßt die Kantate mit der Frage nach dem Letzten ausklingen. In der Kantate 65 (1724) »Sie werden alle aus Saba kommen« wird ein großartiges Gemälde der auf dem Marsch befindlichen Völkerscharen entworfen. Aehnlich grandios ist die Michaelskantate (Nr. 19, 1726), in welcher der Chor sofort an * Siehe Seite 110 und die Beispiele dort. Engel, Joh. Seb. Bach 8

113

der Schilderung des Aufruhres teilnimmt, dem in der letzten Arie des Tenors mit lichtem schwebendem Giguenrhythmus der Gesang der Engel im Himmel entgegenklingt. Die Ratswahlkantaten entfalten wieder musikalischen Prunk, unter ihnen die mächtige Choralkantate »Lobe den Herrn« 137, oder die wahrscheinlich zur Jubelfeier der Reformation 1730 aufgeführte Kantate »Ein' feste Burg« 80, zu der Bach Teile einer älteren Weimarer Kantate verwendet hat. Der erste Chor gehört zu den am meisten hinreißenden und überwältigenden, großen kontrapunktischen Sätzen, die Bach geschaffen hat. Zu den mächtigsten Chören gehört auch der Chor »Nun ist das Heil«, dem instrumentales Vor- und Nachspiel fehlt. Von dieser Kantate (50) ist nur dieser eine Chor erhalten. Die Chorfugen der genannten Kantaten sind in großartiger Architektonik im Grund höchst einfach aufgebaut, nämlich als »Permutationsfugen«, bei denen die einander folgenden Teile in den Stimmen wiederkehren, z. B. in dem 1. Chor der Kantate, nach konzertierendem Einleitungssatz (Bd. 19, S. 25) in der 1. Durchführung: Orchester

Chor

Flöte Violine Viola I Viola II Violoncello S A T B

1

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1 2 3 4 X 1 2 3 4 1 2 3 1 2 1 2 1 4 3 A B

3 2 1 4 A

4 3 2 1 B

X X 3 2 A

Später kommt Bach zu einer großzügigen Kombination von Teilen der Sätze, so in der herrlichen Kantate 104 »Der Hirte Israels höre«, deren Eröffnungschor sich zusammensetzt aus: Sinfonia — Chor 1 — Fuge 1 — Chor 2 — Fuge 2 — Chor 3 1 114

25

55

72

88

104

Dabei sind aus der Sinfonia Abschnitte ständig wiederholt Gleiche Perioden stehen untereinander, ungleiche in Klammern. Zahlen sind die Takte. Tonart Sinfonia: 1—7, 8, 9, 10, 11—16, 17, 18, 19—22, 23, 24, 1. Chor (25—28) 29—35 (36—38) 39—44 45—51 D 1. Fuge (52—64) 2. Chor (69—75) 76—82 83—87) T 2. Fuge (88—100) 101—104 D 2. Chor (105) 106 113 (114—120) T

Schon in den ersten Leipziger Jahren schrieb Bach eine gewaltige Choralkantate »Christ lag in Todesbanden« (Nr. 4), wohl 1724, nach Schering früher komponiert. Bach hat sich hier durch eine Kantate Kuhnaus über den gleichen Choral von 1693 anregen lassen. Alle sieben Verse des Kirchenliedes werden vertont, der erste als Choralphantasie, in welcher zur Melodie im übrigen Stimmen kontrapunktisch aus Motiven des Chorals gebildet werden. Schon in der Sinfonie tritt der Halbtonschritt h-ais, der in der zweiten Strophe die Worte: der Tod untermalt, bedeutungsvoll, devisenartig hervor. Das »Kreuz«, das »Zeichen an der Tür«, der »Tod«, dieser durch das tiefe Eis, der »Würger« werden symbolisiert. Vers 6 ist als Quintkanon zweier Stimmen, Vers 7 als schlichter Schlußchoral vertont. Tiefstes Erleben spiegelt dieses Werk, das klarste Formgebung auszeichnet, wider, auch in seiner Satzfolge. Zu den ganz reifen Choralkantaten der Spätzeit gehört die Kantate 92 »Ich hab in Gottes Herz und Sinn«. Sie ist auf das von Paul Gerhardt stammende Kirchenlied komponiert, das indessen von einem unbekannten Dichter paraphrasiert, d. h. erweitert worden war. Schon die das Werk eröffnende Choralphantasie ist von höchster Meisterschaft. Aus dem Anfangsmotiv der zweiten Zeile wird das Material für die Orchestereinleitung und die in rascher kontrapunktischer Bewegung zur Melodie geführten Chorstimmen gewonnen. Dabei haben die zwei Oboi da caccia konzertierenden Charakter. Das folgende Baßrezitativ ist eine seltsame Mischung von Choralteilen und Rezitativ. Es ist dazu höchst malerisch in der Schilderung des Fallens der Hügel, der Wellen, in Wortma8

115

lerei und Ausdruck der Sprache. Die Schilderung des Brechens, Reißens und Fallens gibt das Schleifermotiv der Begleitung der folgenden Tenorarie. Höchst eindringlich wird das Wüten, Toben, Krachen des Satans geschildert. Immer wieder wird man an die üppige Plastik von barocken figürlichen Darstellungen solcher Szenen erinnert. Die beiden Oboen spinnen ein sanftes Duett zum Choral des Altes im folgenden Satz. Eindringlich ist auch die folgende Mahnung des Tenors, in langen Koloraturen malt der Baß in der anschließenden Arie das Bild von den brausenden Winden. Eigentümlich erläutern nacheinander die vier Stimmen im folgenden Choral jeweils einen Vers. Eine holde Schilderung des Beglücktseins gibt die nächste Arie des Soprans, die von der Treue zum Hirten singt. Eine Oboe d'amore wetteifert in der lieblichen Melodie mit dem Gesang, vom Geigenpizzicato ständchenhaft begleitet. Eine Folge von sechs Kantaten für die Weihnachtszeit stellt das W e i h n a c h t s o r a t o r i u m dar, nach einer Notiz des Sohnes C. Ph. Emanuel auf dem Umschlag der Handschrift 1734 komponiert. Die Kantaten beziehen sich auf die ersten drei Weihnachtstage, Neujahr, Sonntag nach Neujahr und das Fest der Erscheinung Christi, welche Tage die Kirche als eine Festperiode zusammenfaßt. Bach hat in diesen sechs Kantaten eine Reihe von Sätzen gebracht, die in anderen weltlichen Kompositionen Bachs vorkamen, nämlich 6 Stücke aus der Kantate »die Wahl des Herkules«, 4 aus dem »Dramma per musica der Königin zu Ehren«, beide aus dem Jahre 1733, und eine Arie aus der Gratulationskantate 1734 »Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen«. Bei weiteren Stücken der letzten Kantate (51,62) ist die Entlehnung aus weltlichen W e r ken anzunehmen. Der Eingangschor des 3. Teiles (Nr. 54) ist wahrscheinlich einer Kantate zum Geburtstag des Grafen Flemming vom 25. August 1731 »So kämpfet nun ihr muntern Töne« entnommen. Das ist eine immerhin beträchtliche Zahl von entlehnten Stücken, 11 oder sogar 14. Bach ist, als auch bei anderen Entlehnungen, vor allem in der h-Messe, trotzdem die völlige Einheitlichkeit des Werkes gelungen. Die Musik zum Weihnachtsoratorium erklingt und erfüllt oft die Herzen ihrer Hörer, während 116

die ursprünglichen Fassungen nur wenigen Kundigen bekannt sind. Die Tatsache, daß Bach solche Entlehnungen vornimmt, erscheint uns Heutigen zunächst befremdlich; noch befremdlicher aber wird sie, wenn wir sehen, welche nach Gedanken und Inhalt, nach Sprache und Bildern gegensätzlichen Texte jeweils demselben Musikstück unterlegt werden. Bei einem anderen Komponisten wäre diese Unterlegung geistlicher Texte untet weltliche Kompositionen weniger verwunderlich, als gerade bei Bach, der, wie bei der Betrachtung der Kantaten ausgeführt, wie kein anderer musikalisch das Wort illustriert. Wenn Bach trotzdem andere Worte, als die ursprünglich ausgedeuteten unter den musikalischen symbolischen Figuren gelten läßt, so zeigt dies die Grenzen der Bachschen Symbolik. Die Musik muß demnach außer ihrer symbolischen Beziehung zum Text noch einen eigenen Wert haben, der auf die symbolische Deutung verzichten kann. Des weiteren zeigt sich aber an diesen Sätzen, daß Bach durch leichte Aenderungen wiederum zum neuen Text, von der rhythmischen Anpassung an die neuen Worte abgesehen, Bindungen herzustellen weiß. Daß die weltlichen Stücke zuerst geschaffen waren, darüber kann, trotzdem Terry neuerdings Einwände machte, kein Zweifel herrschen. Da ist zunächst der Eingangschor aus der Königinkantate, dessen Chorbeginn die Instrumente nachahmende Motive bringt: Schon das Instrumentalvorspiel nimmt auf die Worte »Tönet, ihr Pauken, erschallet Trompeten!« bezug, denn die Pauken beginnen soli (Takt 1—2), die Trompete folgt (Takt 5—6):

Tö = net, ihr

Pau - ken !

Er = sdial = let

Trom = pe = ten

Die Musik des Chores paßt aber zum neuen Text und dem Zweck der Einleitung vortrefflich, sie ist freudig, hinreißend, prächtig. Nach dem ersten Rezitativ des Evangelisten, der nach dem Evangelisten Lukas (später Matthäus) die Geschichte von Christi Geburt berichtet und einem ariosen Rezitativ, in welchem der Alt in zwei 117

Vierzeilern Geburt ujid Glück preist, folgt eine Altarie »Bereite dich, Zion«. Sie entstammt der Wahl des Herkules und dient dort einem in der Tat gänzlich entgegengesetzten Text. Die Verse dort lauten: Ich will dich nicht hören, ich will dich nicht wissen Verworfene Wollust, ich kenne dich nicht, Denn die Schlangen, so mich wollten wiegend umfangen, Hab ich schon lange zermalmet, zerrissen. Die bewegten Figuren der Oboe d'amore sollen wie die laufenden Baßfiguren die Schlangen malen, wie ähnliche Figuren in K. 40 den Teufel als Schlange. Wie Bach durch kleine Aenderungen die deklamatorischen Forderungen erfüllt, wie er in der ersten Fassimg die Singstimmen und die Oboe tonmalerisch, wortplastisch gestaltet, sei gezeigt: 1

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In der ursprünglichen Fassung ist das »wiegend« mit der wiegenden Achtelfigur, das »zermalmt, zerrissen« mit der herabstürzenden Figur und den Staccatonoten gemalt. Freilich ist die erste, die originale Fassung sinnvoller, symbolischer, aber auch als reine Musik genommen ist diese Arie von hohem Reiz. Terrys Meinung, die Koloratur zum Schluß des Mittelteils auf »erfreuen« erscheine gegenüber der auf »Schranken« als die ursprünglichere, ist unzutreffend, denn die »Schranken« sind mit den synkopischen Vierteln der Oboe d'amore charakterisiert, während die Koloratur des Soprans die schrankenlose Hingabe meint (wobei Bach einmal gerade nicht das Wort, sondern den Sinn ausdrückt). Bei den anderen Textunterlegungen ist der Widerspruch der Figuren zum neuen Text stärker, so in Nr. 29, das statt »Herr, dein Mitleid« auf »Ich bin deine . . . küsse mich« begann. Der Ein119

gangsdior zum vierten Teil ging ursprünglich, entgegen Terry, sicher auf die Worte »Laßt uns sorgen, laßt uns wachen«. Der Charakter und die Klanggebung passen nicht so gut zum neuen Text »Fallt mit Danken, fallt mit Loben«. Die Arie Nr. 41 »Ich will nur dir zu Ehren leben« nimmt musikalisch stärksten Bezug auf den ursprünglichen Wortlaut der Königinkantate: »Auf meinen Flügeln sollst du schweben«. Hier erscheint die Musik sinnlos, wenn man Badis Symbolik kennt. Auch die Echoarie Nr. 39 ist ihres Sinnes beraubt, denn in der ursprünglichen Fassung wiederholt das Echo nicht nur die Schlußsilben, sondern antwortet auf die Fragen. Das Echo symbolisiert die Natur. In dieser Art waren Echodarstellungen in der Chor- und Opernliteratur seit Guarinis Pastor fido (1590) beliebt. Unmittelbar vor Bach kommt in der Oper ein Echo in Reinhardt Keisers Croesus (1710) vor. Trotz dieser Entlehnungen war Bach bestrebt, sein Werk einheitlich zu gestalten. Er erreicht dies auch durch eine tonartliche Zusammenfasung. So bringt die erste Kantate folgende Tonarten: Chor 1. D h D Rez. 6.

D

G

Rez. 2. 3. Arie 3. D A a — e a Dominante Choral 7. Arie 8. Subdominante

D

Choral 5. a Choral 9.

D

Der Dichter, Picander, hat Bach mit ebenso geschickten, wie sinnigen und hübschen Versen bei der Umarbeitung geholfen. Besonders schön sind im Weihnachtsoratorium die Choralbearbeitungen, Nr. 7, ein mit einem Oboensolo als Hirtenschalmei eingeleiteter und konzertierender Choral, der von den Text tropierenden, erläuternden Rezitativen unterbrochen wird wie Nr. 9, das Weihnachtslied, das prunkvolle Zwischenspiele mit Trompeten und Pauken aufweist. Der Choral Nr. 42 bringt in anderem Charakter ähnliche Zwischenspiele. Eigenartig sind auch die beiden Rezitative Nr. 38 und 40, in denen der Baß im Rezitativcharakter den Text des Soprans, der choralartig seine Verse vorträgt, tropiert, ausschmückt und beide also gleichzeitig ihre verschiedenen Texte singen. Die Krone dieser Choralbearbeitungen sind aber die 120

Sinfonie, welche die zweite Kantate einleitet, und der Choral, der sie beschließt. Der Choral tritt hier, vom ersten Motiv der Sinfonie begleitet, in den Zwischenspielen vom zweiten Motiv unterbrochen, auf. Unvergleichlich holde Hirten- und Weihnachtsstimmung erweckt die pastorale Sinfonía im Sizilianorhythmus. Von den Chören sind besonders eindringlich die beiden kurzen dramatischen Chöre (26, 45) der Hirten: »Lasset uns gehen gen Bethlehem« und der Weisen aus dem Morgenlande, die fragen »wo ist der neugeborene König der Juden?«"'' und aufgeregt verkünden: »wir haben einen Stern gesehen . . .«. Großartiger noch ist der Chor der himmlischen Heerscharen (21) »Ehre sei Gott«, dreiteilig angelegt, mit jubelndem Fugato im Mittelteil und einer innigen Orgelpunktstelle auf die Worte »Friede auf Erden«. Das Weihnachtsoratorium wird gewöhnlich an einem Abend aufgeführt, was nur möglich ist durch Striche, die vor allem die Arien treffen. Als Oratorien hat Bach die beiden Kantaten zu Ostern »Kommt, eilet und laufet«, und zu Himmelfahrt »Lobet Gott in seinen Reichen« (K. 11) bezeichnet, beide spät, 1736, entstanden. Die erste Kantate war ursprünglich ein Oratorium, in dem vier handelnde Personen vorkamen, wie erhaltene Originalstimmen ausweisen. Bach hat diese Partien zu einem Chor und einem Duett zusammengezogen Er hat das Werk zweimal überarbeitet. Eine stattliche Sinfonía im Stil der Brandenburgischen Konzerte dient als Einleitung. Das Werk ist Parodie einer weltlichen Kantate. »Entfliehet, verschwindet, entweichet ihr Sorgen«, aufgeführt am 25. Februar 1725 beim Geburtstag Christians von Weißenfels. Eine zweite Ueberarbeitung nahm Bach zum Geburtstag des Grafen von Flemming am 25. August 1726 vor.* Auch dieser Text »Die Feier des Genius« stammt von Picander. Vielleicht liegt der Weißenfelser Kantate ein reines Instrumentalwerk von drei Sätzen im Stile der Brandenburgischen Konzerte zugrunde. *) Es ist dies die Musik des Chores »Pfui dich, wie fein zerbridist du den Tempel» der verlorenen Markuspassion. !i

) Ausgabe des wiederhergestellten Textes von Friedrich Smend, 1943.

121

WELTLICHE KANTATEN A u ß er den geistlichen hat Bach noch w e l t l i c h e K a n t a t e n geschrieben, von denen 22 erhalten sind. Sechs von ihnen sind vom Komponisten später ganz oder teilweise mit geistlichem Text versehen und als Kantaten bearbeitet worden. Zu ihnen kommen noch weitere sechs Kantaten, von denen vier textlich überliefert sind, während eine fünfte sich in einer geistlichen Umdiditung erhalten hat. Es ist dies die Kantate 66 »Erfreut euch, ihr Herzen« zum 2. Ostertag, die auf eine Gratulationskantate zum Geburtstag des Fürsten Leopold von 1718, »der Himmel dacht auf Anhalts Ruhm«, zurückgeht. Der weltliche Text stammt, wie die Texte der anderen vier Kantaten, von Chr. Fr. Hunold, der sich Menantes nannte. Die 6. weltliche Kantate ist die weiter unten genannte Flemming-Kantate. Weitere Werke sind vielleicht Parodien unbekannter Kantaten. Die Kantaten auf Texte des Menantes sind 1718/19 in Kothen entstanden*). Die 1716 in Weimar als Tafelmusik für eine Jagdfeier auf einen Text von Picander komponierte Jagdkantate ist ein lebendiges, munteres Stück. Reizend sind die Jagdinstrumente, die Hörner, die Hirteninstrumente, die Flöten in den entsprechenden Stücken, Arie und Duett, verwandt, auch die Chöre, von denen der Schlußchor ganz konzerthaft angelegt ist, sind sehr glücklich erfunden. Zwei Arien hat Bach für die Pfingstkantate umgearbeitet. In der Mitte der dreißiger Jahre scheint die Kantate »O holder Tag« für einen Musikfreund komponiert worden zu sein. Sie enthält fünf Schwierige Sopranarien und lebendige Rezitative und ist voll schönster Eingebung. Voll reizender Melodien ist die aus Cöthener Zeit stammende Hochzeitskantate »Weichet nur, betrübte Schatten«. Zur Hochzeit des Kaufmanns Wolf 1728 schrieb Bach die Hochzeitskantate »Vergnügte Pleißestadt«, später viel* Nach Funden Fr. Smends, vgl. Anhang.

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leicht von Bach selbst als Loblied auf Leipzig umgedichtet, die eine Arie aus der Kantate zum Lobe der Genügsamkeit enthält sowie ein Duett aus der Äolus-Kantate. Ihr Hauptstück ist eine 250 Takte lange Lacharie. Die Genügsamkeitskantate lobt das Sichbescheiden im Sinne eines bürgerlichen Rationalismus. Sie schlägt ein Thema an, das in der Sammlung »Singende Muse an der Pleiße«, die der Schlesier Sigismund Sdiolze gedichtet und unter dem Schäfernamen Sperontes 1736 herausgegeben hat, wiederholt behandelt ist. Bach ist in dieser Sammlung mit Sicherheit nur als Komponist des Liedes »Ich bin nun, wie ich bin« festzustellen, doch sind ihm vielleicht auch noch weitere Lieder zuzuweisen. Das Liedchen an die Tabakspfeife in Anna Magdalenas Notenbüchlein hat denselben vernünftelnd-gemütlichen Ton, es ist aber zweifelhaft, ob man es Bach zuschreiben kann. Die Kaffeekantate, auf einen Text Picanders, zeigt dasselbe bürgerliche Milieu. Vater Schlendrian verbietet der Tochter Liesgen den Kaffee, droht, sie werde keinen Mann kriegen. Liesgen aber ist schlauer, sie erreicht, daß im künftigen Ehekontrakt ein Paragraph über das Kaffeetrinken vorgesehen wird. Bach zeigt sich hier von einer weniger gewohnten Seite, nämlich als Humorist. Köstlich sind der polternde Alte und die schelmische Jungfer gezeichnet. Ein solches Werkchen läßt bedauern, daß wir von Bach keine komische Oper, kein Singspiel haben. In der Bauernkantate 1742 begibt sich Bach wieder auf das burleske Gebiet. Fast alle Stücke des Werkleins sind modische Tänze, Bourée, Polonaise, Mazurka, Sarabande und Paysane. Die bäuerliche Musik ist mit Geige, Bratsche und Kontrabaß echt besetzt, die städtischen Stücke mit weiteren Instrumenten, wie die Arie »Kleinzschocher müsse so zart und süße« mit Flöte und Streichinstrumenten versehen. Ein Volkslied »Ich bin so lang nicht bei dir gwest« (schon in den Goldberg-Variationen verwandt) und ein Wiegenlied sind nachweisbares Volksgut. Auch ein volkstümliches Jagdlied »Frisch auf zum fröhlichen Jagen« verwendet Bach. Die Melodie geht ins 16. Jh. und auf den »Wilhelmus von Nassauen« zurück, den Text unterlegte S. B. Hanke 1727 für eine Feier des Grafen Spork, mit dem Bach in Verbindung stand. Noch weitere Volksweisen mögen 123

enthalten sein. Das Schlußduett »Wir gehn nun, wo der Tudelsack, Tudel-Tudel-Tudelsack in unserer Schenke brummt« hat echten Volkston. Vornehmer geht es in der ländlichen Huldigungskantate »Angenehmes Wiederau« textlich und musikalisch zu. Zwei von drei italienischen Kantaten erhaltene Werke dieser Gattung zeigen Bach auf anderen Wegen. »Amore traditore« ist für Baß und Continuo gesetzt, ein einziger Fall bei Bach. Die Soprankantate »Non sa che sia dolore«, in der offenbar ein nach Italien zurückkehrender Künstler getröstet werden soll, beginnt mit einer liebenswürdigen Sinfonia. Neben diesen kleineren und teilweise burlesk-harmlosen Kantaten stehen die großen Huldigungskantaten, unter ihnen »Die Wahl des Herkules«, deren sechs Musiknummern ins Weihnachtsoratorium übergegangen sind.* Weiter sind die Kantaten »Der zufriedengestellte Äolus« und »Phöbus und Pan« zu nennen. Geradezu großartig sind die Sturmschilderungen mit vollem Orchester imEingangsdior und Rezitativ der Äoluskantate. Die Lacharie des Äolus ist von lebendigem Humor erfüllt, die Arie des Zephirs mit Viola d'amore und Gamben-Soli, die Arie der Pomona mit Oboe d'amore, der Pallas mit Violinsolo von schmeichelnden Klängen. Äolus läßt sich erweichen und ruft in einer nur von Bläsern, 3 Trompeten, 2 Hörnern, Pauke und Continuo begleiteten Arie die Winde zurüdk. Nach einem köstlichen Terzett-Rezitativ und einem liebenswürdigen Duett zwischen Pomona und Zephirus schließt der tänzerischschwungvolle Chor mit einer Huldigung für den Professor der Philosophie, August Müller, dessen Name lediglich durch diese Namenstagmusik des unsterblichen Meisters erhalten blieb. Die andere große Kantate »Der Streit zwischen Phöbus und Pan« beginnt ebenfalls mit einer grandiosen Anrufung der wirbelnden Winde. Pan trägt sein Wettstreitlied in derbem Tanzrhytmus vor. Er findet »wenn der Ton zu mühsam klingt und der Mund gebunden singt, so erweckt es keinen Scherz« und singt diesen Mollteil der Dacapo-Arie in einem chromatisch modulierenden Satz — vielleicht eine Bachsche Ironie gegenüber den Verächtern * Siehe Seite 117.

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modern-ausdrucksvollen, Bachschen Stiles? Midas, der sich für Pan entscheidet, bekommt seine Eselsohren. Ein Lobchor auf die Musik schließt das auch in den Nebenfiguren reizend charakteristische Dramma per musica, das eine szenische Aufführung durchaus verträgt. Die Huldigungskantate »Schleicht spielende Wellen« läßt nach Picanders Text Weichsel (Baß), Elbe (Tenor), Donau (Alt) und Pleiße (Sopran) zu jeweils anderen Soloinstrumenten Arien singen, während der prächtige Eingangschor von großem Ausmaß und mit Pauken und Trompeten besetzt, den Gegensatz zwischen murmelnden und rauschenden Wellen höchst malerisch-überzeugend schildert. Von einer weiteren weltlichen Kantate zur Namensfeier der Königin am 3. August 1727 hat sich die Musik teilweise in der fragmentarischen Ratswahlkantate »Ihre Tore zu Zion« erhalten.

GRÖSSERE G E I S T L I C H E CHORALWERKE F ü r Weihnachten, wenn auch nicht ausschließlich für dieses Fest, war außer dem Weihnachtsoratorium ein anderes, kürzeres, aber herrliches und zwingendes Werk geschrieben, das M a g n i f ic a t. Ein kleineres zweites Magnificat war noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vorhanden, ist aber verschollen. Das große, nun einzig erhaltene Magnificat Bachs bestand in zwei Fassungen, einer älteren in Es, einer jüngeren um 1730, der jetzt gebräuchlichen in D. Für die Verwendung im Weihnachtsgottesdienst hat Bach vier Lieder: »Vom Himmel hoch«, »Freut euch und jubiliert«, »Gloria in excelsis« und »Virga Jesse floruit« eingeschoben, die in der Thomaskirche von einer kleineren Empore mit kleiner Orgel gegenüber der Orgelempore herab gesungen wurden. Zu Bachs Zeiten wurde die Szene im Stall von Bethlehem wahrscheinlich noch als Spiel dargestellt, obwohl schon 1702 der Rat das »Kindelwiegen« abgeschafft haben wollte. Kuhnau, 125

Bachs Vorgänger, hatte eine Kantate über diese zur Weihnachtsvesper gehörigen Stücke komponiert. Die vier Einlagen wurden weggelassen, wenn das Magnificat an anderen Tagen aufgeführt wurde. Mit seinen vier großartigen Chören gehört das Magnificat zu den bedeutendsten und herrlichsten Werken Bachs. Der Eingangschor wird von einem Instrumentalteil eingeleitet, der mit 3 Trompeten, Pauken, 2 Flöten, 2 Oboen außer den Streichern, dem zum Baß immer üblichen Fagott, Orgel und sonstigen Continuo-Instrument einen mächtigen, strahlenden Anfang gibt. Das stürmisch immer wiederholte »magnificat« scheint ungezählte Scharen im Preise Gottes zu vereinen. Der zweite Chor malt die »omnes generationes«, die am Schluß des geradezu visionären, in kurzen Abständen der Stimmeinsätze nacheinander aufsteigenden fünfstimmigen Chor aufgetürmt werden. Der dritte Chor »fecit potentiam« symbolisiert die Kraft Gottes schon in dem ersten Motiv mit seinen machtvollen Intervallen. Das »dispersit superbos«, der Sturz der Hochmütigen, wird unglaublich bildhaft gemalt im Gegensatz zu der Kraft, durch die sie gestürzt werden, »mente cordis sui«. Ueberwältigend sind wieder die drei rauschenden Einsätze vor dem »Gloria Patri« des fünfstimmigen Chores, dem ein Dacapo der Eingangsmusik folgt. Die Arien sind von derselben Höhe der musikalischen Erfindung und Größe der Textdeutung, im Frohlocken des Soprans im »Exultavit«, in der demütigen Beugung der niedrigen Magd im »Quia respexit« (»denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen«)

ani a re - spe « xit hu - mi - Ii = ta - tem dem Duett »Et misericordia« über einen im wesentlichen ostinaten, chromatisch absteigenden Baß, das die Mystik der Gottesfurcht malt, dem »Deposuit« und dem »Esurientes«, in denen schon im Vorspiel beidemal ähnlidh das Herabstoßen der Gewaltigen und das Erheben der Niedrigen geschildert wird. Im »Sus126

cepit Israel«, einem Terzett für zwei Soprane und Alt, ertönt in den Oboen die kirchliche Melodie des »Magnificat« in langen Noten. Die folgende knappe Fuge, die Zelter zu unrecht bekrittelte, schließt in einem vollen Chorsatz, bei dem der Sopran I wieder das »saecula« symbolisch in langen Werten widerspiegelt. Zu den größten Werken Bachs gehört die M e s s e in h-moll. Außer dieser großen Messe bestehen von Bach noch vier k l e i n e M e s s e n in A, F, G und g. Im Leipziger Gottesdienst war die lateinische Messe üblich, d. h. nur zwei Sätze der katholischen Messe, Kyrie und Gloria; die anderen Sätze: Credo, Sanctus, Agnus kannte der protestantische Gottesdienst nicht mehr. Bachs kleine vier Messen sind zum großen Teil Umarbeitungen von deutschen Kantatensätzen. Bach ist dabei nicht immer rücksichtsvoll gegen seine eigenen Kompositionen gewesen, so daß zwischen dem auf den deutschen Text bezüglichen Inhalt mit entsprechender Symbolik und dem neuen lateinischen Text keine Verbindung zu bestehen scheint. So kommt im Gloria der g-Messe auf eine Stelle der Kantate »Alles nur nach Gottes Willen« (72), wo in dicht gedrängter Imitation im Baß beginnende Figuration das »Gewölk«, »Gewitterwolken«, malen soll, — der ganze Chor ist düster —, das Wort »Gaudeamus« zu stehen. Die Grenzen zwischen symbolbezogener Komposition und deren Verwendung als absoluter Musik scheinen hier für uns überschritten zu sein. Original dürfte nur das Kyrie der F-Messe sein, ein schöner Satz,, in dem Bach symbolisch von Hörnern und Oboen zum Chor den Choral »Christi du Lamm Gottes« spielen läßt, während im Singbaß das Kyrie der Litanei gebracht wird. Von den vier Messen sind die folgenden Sätze in den erhaltenen Kantaten nachweisbar: Messe

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127

Auch die h - M e s s e bestand zunächst als Kurzmesse von zwei Sätzen, Kyrie und Gloria. Es ist annehmbar, wenn Schering meint, Bach habe diese Sätze für die Gelegenheit der Erbhuldigung des Kurfürsten 1733 komponiert, der allerdings den Gottesdienst nicht besuchen sollte. Bach überreichte dann die Stimmen zu Kyrie und Gloria 1733 dem Landesherrn mit der Bitte um Verleihung des Titels Hofkompositeur. Die weiteren drei Teile, Credo, Sanctus, Osanna, hat Bach offenbar nicht eingereicht, sie sind als gesonderte Stücke im Katalog von C. Ph. E. Bachs Musikalien aufgeführt. C. Ph. E. Bach brachte das Credo in Hamburg mit einer dazu komponierten Einleitung zu Gehör. Das Gloria hat Bach, stark gekürzt, als Weihnachtsmusik aufgeführt, sonst ist das Werk in allen Teilen für die Leipziger Kirche nicht aufführbar gewesen, das Kyrie und Gloria, weil es als »Missa« zu lang war, die übrigen Sätze nicht, weil sie nicht gebräuchlich waren. Bach hat also, wie Schering ausführt, ein vollständiges katholisches Hochamt wohl zu einem besonderen Zwecke geschaffen, vielleicht als Krönungsmesse für die polnische Krönungsmesse Friedrich Augusts II. in Krakau, die schließlich am 17. Januar 1734 stattfand*. Aehnlich wie bei den kleinen Messen ergibt sich, daß der größere Teil der Sätze der h - Me s s e außer Kyrie und Gloria aus Parodien von bekannten Sätzen aus Kirchenkantaten besteht, in einem weiteren Falle wahrscheinlich aus einer unbekannten Kantate. Es stammen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Gratias agimus aus . . K. 29 „Wir danken dir" Qui tollis aus . . . . K. 10 „Schauet doch" Patrem omnipotentem . K. 17 „Gott, wie dein Name" Crucifixus K. 12 „Weinen und Klagen" Expecto K. 120 „Gott man lobet dich" Osanna weltliche K. „Preise dein Glück" Dona nobis pacem . . = Gratiam agimus Agnus dei K. 11 „Lobet Gott" Benedictus ?

Das ist eine so große Reihe von Parodien, daß vom Benedictus ab die Messe keinen Originalsatz mehr enthält. Nun wurde oben gezeigt, wie Bach es sich manchmal mit Parodien leicht macht. Die * Siehe Seite 52.

128

künstlerische Arbeit bei diesem Verfahren ist bei Bach ungleich. In der Messe hat Badi diese Umarbeitungen mit großer Sorgfalt vorgenommen. Der Satz »Expecto« ist, wie Fr. Smend ausführt, weit über sein Vorbild hinausgewachsen, es handelt sich nicht um einfache Parodierung, sondern um kunstreichste Abwandlung, welche für Bachs Genialität erneut Zeugnis ablegt. Auch die übrigen Sätze sind kunstvoll umgestaltet unter Anpassung an den Sinn der neuen Worte. Inhaltlich waren die Texte der Vorlage den neuen Texten sehr ähnlich. In »Patrem« sucht Bach trotz der Vierstimmigkeit des übernommenen Satzes die Wirkung des fünfstimmigen Satzes zu erreichen, um an die Fünfstimmigkeit des vorhergehenden anzuschließen, indem er in der ersten Durchführung der Fuge fünf Einsätze bringt. Im Satz »Grucifixus« ist der Instrumentalpart umgestaltet, die Harmonik herber, der Schluß tröstlicher geworden. Am meisten wird es Bach von Beurteilern vorgeworfen, daß das »Dona nobis pacem« die Musik des »Gratias«, selbst eine sorgfältig gearbeitete Parodie, wiederholt. Bach habe sich hier keine große Mühe gegeben. Ebenso bei der Arie »Agnus dei« und beim »Benedictus«. Diese Einstellung fällt ins Gewicht, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob das Werk überhaupt als einheitliches anzusehen sei. Wobei ein gewisses protestantisches Vorurteil mitspricht, daß der größte Komponist der protestantischen Kirche und eine der größten Persönlichkeiten des Protestantismus schlechthin eine katholische Messe geschrieben haben soll. Dazu kann man folgendes sagen: Einheitlich geplant war das Werk offenbar nicht. Dagegen sprechen die Häufungen der Parodien zum Schluß. Bach hat aber die durch Bearbeitung gewonnenen Sätze in einem einheitlichen Aufbau zu einem geschlossenen Werk zusammenzufassen vermocht. Der Vereinheitlichung des Aufbaues dienen die vielen Beziehungen und Entsprechungen zwischen den Sätzen in tonartlicher, thematischer, satztechnischer und besetzungsmäßiger Beziehung. Es ist hier nicht der Ort, dies im einzelnen auszuführen. Ueber die Untersuchungen von Schering, Smend, David hinausgehend sei in einer Skizze die Gesamtarchitektur der Messe veranschaulicht: Engel, Joh. Seb. Bach 9

129

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Aus dieser Skizze ergeben sich die Beziehungen, 1. die tonartlichen. Die Messe steht im ersten Teil in h, im zweiten in D. Die textlich widitigsten Sätze, 8. Qui tollis, das »Herzstück« Crucifixus (16) und »Agnus dei« stehen in h, der Subdominante von h und der Subdominante g von D. Dieses vorübergehende Ausweichen in die Mollsubdominante von D ist kein Zufall. In beiden Passionen findet sich eine neue entfernte »mystische« Tonart nach dem Wort »Golgatha«. Etwas ähnliches ist hier das g-moll beim Bilde des »Lammes Gottes«. Chöre (im Schema jeweils in der oberen Reihe) wechseln mit Soli ab, Chöre mit festlichem Pauken- und Trooipetenglanz umrahmen, gliedern den Verlauf wie Säulen ein Bauwerk. Das ergibt 2. die Beziehungen der Teile und Sätze, von denen Gratias und Dona nobis (6 und 24) dieselbe Musik haben, während das Osanna (21) da capo gebracht wird. Die drei Hauptteile mit Einleitung, oder die fünf Hauptstücke, wenn man das »Agnus« als selbständigen Teil nimmt, bilden eine große Bogenform. Im Mittelpunkt des Bogens steht das Allerheiligste, das Herzstück, »Crucifixus«. Es entspricht ganz Bachscher Jesusmystik, diesen Satz in den Mittelpunkt zu stellen. In der unteren Skizze werden die symmetrischen Entsprechungen hervorgehoben. So müßte die Betrachtung des ganzen Werkes vielleicht von diesem Herzstück ausgehen. Auch in der Form ist der Satz hervorgehoben, nicht nur in der Tonart. Als einziger Satz ist er ein 130

Passacaglio mit 13 Variationen über den chromatisch absteigenden Quartfall, das alte Thema der Klagegesänge (Lamenti) der venezianischen Oper. Gegenüber der Kantate ist die herbe Chromatik noch verschärft, die sich von Variation zu Variation steigert, um mit der Wendung auf sepultus tröstlich nach G-dur zu gehen. Eine ergreifendere Kreuzigung wurde nie geschrieben! Der vorausgehende Chor »Et incarnatus est« ist von wundervoller Zartheit. Die Menschwerdung ist durch das vom Himmel zur Erde steigende Thema symbolisiert. Aehnlich wird die Chromatik angewandt auch über chromatisch absteigende pochende Bässe im »Confiteor« bei der Stelle »Ich erwarte die Auferstehung der Toten«. Unheimliche, visionäre, fahle Weltgewitterschwüle erfüllt die Luft. Bald bricht auf dieselben Worte sieghaft der Glaube an die Auferstehung durch, ein Bild der Auferstehung, während vorher der Blick mehr auf die Toten fiel, etwa wie auf einem Kolossalgemälde, wo unten sich die Gräber öffnen und oben den im Himmel Befindlichen schon der Glanz des siegenden Christus und Gottes erscheint. Diese »Himmelfahrt« ist von einer unerhörten, nie überbotenen Wucht! Im »Sanctus« (20) des nun sechsstimmigen Chors scheinen unermeßliche Engelscharen lobpreisend Gottes Thron zu umschweben. Steigernd setzt das »Osanna« (21) doppelchörig ein. Das einleitende dreiteilige »Kyrie« (1) trennt beide Teile, Lob Gottes und Christi (2), thematisch und in der Besetzimg. Das erste Kyrie ist ein Satz von düsterer, gewaltiger Feierlichkeit, mit selbständigen Orchesterzwischenspielen. Das »Eleison« erhält, wieder gegen die Regel, noch ein zweites Thema, wieder mit verminderter Quarte, die durch chromatische Sequenz weiter verschärft wird.

Ky»ri « c e «lei » » * ~ son Der Satz ist außer der Einleitung scheinbar zweiteilig, in Wirklichkeit ist der Schluß des Satzes (T. 102—126) Dacapo des Ritornells (T. 5—21). Der Satz wird mit einem Choranruf eingeleitet, 9*

131

dessen Baß die Spitzentöne des Themas bringt in ungewöhnlichen Intervallen von schmerzlichem, fast pathologischem Charakter

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i« son Das »Christe eleison« ist in den lichten Klang zweier Soprane gesetzt, das wiederholte »Kyrie« gegen die Gewohnheit mit neuer Musik versehen, in einem ricercarähnlichen, altertümlichen Fugensatz (wie 6, 12, 24). Im »Credo« (12) bringt Bach das liturgische Thema. Der ganze Satz ist altertümlich, auch in dem Brevis-Takt, er schließt sich an die Satztechnik der Chorfugensätze des 16. Jh. an. Sogar d i e W a h l d e r M i t t e l kann bei Bach symbolisch sein. Die Symbolik des »Et in unum« (14) wurde schon erwähnt; der Kanon im Einklang malt die Wesenseinheit von Vater und Sohn. Am Schluß des Duetts wird das »descendit« figürlich geschildert. Die Ausweichung in die ferne Tonart (G—Es) paßt hierher, obwohl dabei die Worte »Et incarnatus est« hatten symbolisiert werden sollen, die jetzt in den folgenden Chor zu stehen kommen. Die T r a u e r o d e , komponiert zur Gedächtnisfeier für die als standhafte Protestantin in ganz Sachsen verehrte KurfürstinKönigin Christiane Eberhardine am 17. Oktober 1727, ist eines der schönsten und tiefsten Werke, die Bach komponiert hat. Schon der Einleitungschor mit seinen schweren, gestauten Rhythmen und den schmerzvollen Harmonien gehört zum ergreifendsten unter den Badhschen Trauerstücken. Mit Bachscher Klangkunst ist »der Glocken bebendes Getön« gemalt, hohe Glöckchen mit repetierten Flötentönen, mittlere mit Streicherpizzicati und Lauten, tiefe durch Baß-Quartschritte. Zwei Violen da gamba und Lauten begleiten die Altarie »Wie starb die Heldin so vergnügt«; mit Bläserakkorden wird zum Schluß das Baßrezitativ- und arioso 132

begleitet. Herrlich sind auch die beiden Chöre, ein fugierter und der Schlußchor, dessen ungünstige Textunterlegung die Vermutung aufkommen läßt, daß ursprünglich ein anderer Text vorlag. Von den sieben erhaltenen M o t e t t e n Badbs ist die älteste, die vierstimmige »Lobet den Herrn, alle Heiden«, ein machtvolles Stück. Eine Trauermotette ist die Kantate 118 »O Jesu Christ«. Sie ist von dunklen Bläsern begleitet, vielleicht für die Beisetzung des Gouverneurs Grafen Flemming, die am 19. Oktober 1740 in Leipzig unter militärischen Formen stattfand, instrumentiert, ähnlich, wie auch zu einer andern Motette Instrumentalstimmen erhalten sind, allerdings dort nur zur Verdopplung der Vokalstimmen. Eine Trauermotette ist die Motette »Jesu meine Freude«. Daß Bach im Auftrag für eine bestimmte Trauerfeier komponiert, bedeutet nicht, daß Bach ein mehr konventionelles Werk geschrieben hat. Diese Trauermusik ist im Gegenteil eins der gewaltigsten Werke, wenn auch nicht dem Umfang nach, und es ist eben ein Kennzeichen der Kunstauffassung des Barock, daß ein Meister dieser Epoche seine herrlichsten Werke als bestellte Arbeit schafft, ob er nun Maler ist und ein Altarbild malt, auf dem der Besteller, der Stifter, abkonterfeit wird, oder Musiker. Diese Kunstauffassung widerspiegelt die aus dem Mittelalter überkommene Gesinnung des Künstlers, die in handwerklicher Treue im Auftrag die Schaffensanregung entgegennimmt, während die Generation der Söhne Bachs lieber ganz ohne Auftrag, nur aus der Inspiration der Stunde schafft. Die Motette »Jesu, meine Freude« ist eins der tiefsten Schöpfungen Bachs. Wieder, wie gerne in der späteren Zeit, baut Bach eine große, echte Bogenform: 1. Choral 2. ; " " 3. Choral 4. 5. 6. Choral 7. 8. Choral " " 9. 10. Choral

4st. 5st. 4st. 3st.

Es ist nun nidits bewegt Denn das Gesetz B. Wir aber (Fuge) 5 st. A. Trotz C . (A') Wer aber 4st. untere Stimme frei, tonpoetisch 3st. So aber 4st. als Choralphantasie ähnlidi 2., 5st. So nun der Geist 4st. schlicht

e e e e—h g e h e C—aV e e

133

Der Choral durchzieht das Werk, in der ersten und letzten Strophe in schlichtem Satz gesetzt, in 3. und 6. mit tonmalerischem Kontrapunkt versehen, in 8. als Cantus firmus in einem ergreifendem Abschiedsstück verwendet. Grandios sind die Sätze 2 und 9. Sie gemahnen in ihrer herben Polyphonie an den Eingangssatz der Matthäuspassion. Der Satz 5 beginnt wuchtig mit einem unisono »Trotz der Gruft der Erde«, mit höchster Plastik das »Toben« der Welt und die »Ruhe« des Glaubens symbolisierend, in der zentralen Fuge »Gottes Geist« im Menschen wirksam lobpreisend. Die von Schering vertretene Auffassung, daß die doppelchörige Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« eine Musik zu einer Siegesfeier ist, scheint einleuchtend. Die Wirkung schon des ersten Satzes ist außerordentlich. Im zweiten Teil tritt zu den wuchtigen Akkorden des zweiten Chores ein neues Gegenthema, das als vierstimmige Fuge mit Motiven des zweiten Chores begleitet, zweimal durchgeführt wird, in allerhöchster Kontrapunktkunst, dabei zwingend, hinreißend lebendig. Im zweiten Satz muß der erste Chor offenbar durch Solisten besetzt werden, denn das ariose Quartett des ersten Chores wechselt zeilenweise mit den schlichteren Teilen des zweiten Chores ab, der durdi Ripiensänger gebildet zu sein scheint. Es entwickelt sich ein vokaler Konzertsatz von wundervollstem Klang. Der Anfang der Motette hat eine gewisse Aehnlichkeit mit der gleichfalls in B-dur stehenden Kantate 143 »Lobet den Herrn«; dieselbe Bewegtheit der Oberstimmen des Chorsatzes, dieselben Achtelsdiläge im Baß finden sich dort wieder. Zur Motette »Der Geist hilft unserer Schwachheit auf« sind Streicher- und Bläserstimmen von Bach ausgeschrieben worden, weil die Trauerfeier in die Paulinerkirdie verlegt worden war, wo Instrumente gestattet waren. Eine Orgelstimme neben der Continuostimme hat sich zur Motette »Lobet den Herrn« erhalten. Nicht nur dieser Umstand, sondern auch die langen Haltenoten 134

(7 Takte im Beiß von »Singet«) und die Praxis der Zeit fordern Orgel und vielleicht auch Instrumente auch zu den übrigen Motetten. Joh. Seb. Bach soll, nach Mitzlers Nekrolog, fünf P a s s i o n e n geschrieben haben*. Von den erhaltenen ist die Lukaspassion kein Werk Bachs. Die Passion nach Markus, zu welcher Picander auf Bachs Wunsch fünf Sätze aus Gottscheds Trauerode für die Königin Eberhardine 1727 umdichtete, ist verloren. Wilhelm Friedemann, Bachs ältester Sohn, soll sie wie andere Manuskripte verschleudert haben. Entgegen dieser Ansicht vermutet Schering, Bach habe die Markuspassion vernichtet, nachdem mit der Komposition der Matthäuspassion als dem reiferen, dem größeren Werk des Komponisten Interesse für das frühere und bescheidenere Werk geschwunden war. Eine Arie aus der Markuspassion »Falsche Welt, dein schmeichelnd Küssen«, besitzen wir in der Umarbeitung als Eingangssatz der Kantate »Widerstehe doch der Sünde« (34). Wir sind auf diese Weise im Besitz von nur zwei Passionen geblieben. Die J o h a n n i s p a s s i o n wird Bach noch aus Kothen mitgebracht haben, als er sie am 27. März 1727 erstmalig in der Thomaskirche aufführte. Noch drei Aufführungen, 1727, 1738 und 1742, folgten. Bach hat sein Werk umgearbeitet, indem er Sätze wegließ, die Arie mit Choral »Himmel reiße, Welt erbebe«, die nach Nr. 15 kam. Andere Arien standen an Stelle von Nr. 19 und 31, an Stelle der Sätze 61—63 hatte der Komponist eine instrumentale Sinfonia gesetzt und wieder herausgenommen, die Choralphantasie »O Mensch bewein' dein' Sünde groß" kam in die Matthäuspassion, der Schlußchor »Christe, du Lamm Gottes« in die Kantate »Du wahrer Gott«, der letzte Choral trat ebenfalls später hinzu. Die Passionen Bachs stellen eine letzte Stufe der Passionskomposition dar, die wie seine Kantate die modische Form der Opernarie und das Rezitativ als lyrische Betrachtungen zwischen die Er* Siehe Seite 49.

135

Zählung der Leidensgeschichte durch den Evangelisten, und den von der Gemeinde gesungenen Chorälen einschiebt. Die älteste Form der Passion, bei welcher die Geschichte im Rezitationston gesungen, die Chöre der Juden, Knechte, Jünger, die »turbae« oder »Haufen« dreistimmig rezitiert wurden, war in Leipzig im Frühgottesdienst in St. Thomae bis 1766 noch üblich. Die nächste Entwicklungsstufe der Passion ist die motettische, bei welcher das ganze Werk samt Ueberschrift mehrstimmig gesetzt war. Die drei Passionen von Schütz (1665/6) gehören zur Gattung der dramatischen Passion, bei der die turbae kunstvoll motettisch, die Erzählung rezitativisch, bei Schütz in einem selbstgeschaffenen Rezitativstil komponiert sind. Sologesänge betrachtender Art erweiterten dann nebst Chorälen die Passion. Die Arie madrigalischer Dichtung, das modische Rezitativ und Instrumentalsätze, oder die malerische Ausgestaltung des Orchesters wurden keineswegs widerspruchlos hingenommen. Eine alte adelige Witwe soll in Leipzig beim Anhören einer solchen Passion gesagt haben: »Behüte Gott, ihr Kinder! Ist es doch, als ob man in einer Opera-Comoedie wäre!« 1717 erklang die erste Figural-Passion in der Leipziger Neukirche. Als Bach für die Bewerbung zum Thomaskantorat in Kothen eine Passion nach Johannis komponieren wollte, griff er für die madrigalischen Stücke auf den Text der Passion von Brockes zurück, die Telemann, Keiser und Händel in Musik gesetzt hatten. Händeis Musik hat auf Bach nachweislich Eindruck gemacht. Sechs Arien und der Schlußchor gehen textlich auf Brockes zurück. Die Verse sind geschmackvoll verbessert, von einem unbekannten, feinsinnigen Dichter, vielleicht von Bach selbst. Der Text der Arie 19 »Ach mein Sinn« stammt vom alten Chr. Weise. In beiden Passionen gliedern die Chöre den Aufbau. Die Besetzimg ist in der Matthäuspassion großartiger, denn in diesem Werk werden zwei Chöre und zwei Orchester verwendet. In der J o h a n n i s p a s s i o n ist manches knapper, härter, leidenschaftlicher. Die 16 Chöre gliedern hier auch die Architektur. Es ergibt sich ein symmetrischer Gesamtaufbau, dadurch, daß die Chöre oft paarweise zusammenhängen und nicht nur in größeren Abständen sich ent136

sprechen. Seitdem man sich in der Musikbetrachtung in neuester Zeit mit dem Aufbau ganzer Werke, mit Großformen, beschäftigt, hat man auch bei Bach erkannt, daß das Genie, ob bewußt oder unbewußt, im Ganzen gestaltet und große Werke nach einem die Teile sinnvoll gliedernden Plan aufbaut. Bei Bach ist natürlich der Text, in der Passion die Handlung Anlaß zur Gestaltung. So ist das ganze Werk nicht nur nach Vorbild des italienischen Oratoriums äußerlich in zwei Teile zerlegt, sondern in einer musikalisch-religiösen Dramaturgie auf einen Höhepunkt hin angelegt, das »Herzstück« der Passion, wie Smend es nennt. Dieser Forscher sieht in dem Choral Nr. 40 »Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn« das innerste Herzstück. Es ist umfaßt von Teilen einander entsprechender Chöre 29—34 und 46—50, 36 und 44, 38 und 42. Den Rahmen des Herzstückes 24—50 bilden die Sätze 22—26b und 53a—66, während der erste Teil ähnliche Symmetrien zeigt. H. J . Moser hat dann noch auf die tonartlichen Zusammenhänge der Großteile aufmerksam gemacht. Die Chöre der Juden aus dem ersten Teil 3 und 5, im zweiten 25 und 24, sind durch ein gleiches Figurationsmotiv zusammengefaßt, die Chöre 23 »Wäre dieser nicht ein Uebeltäter« und 25 »Wir dürfen niemand töten«, 34 »Sei gegrüßet, lieber Judenkönig« und 50 »Schreibe nicht, der Judenkönig« haben unter sich gleiche Themen. Das sind psychologisch bedingte Zusammenhänge, mit denen Bach die Form bindet. Die Tonarten geben weitere Zusammenhänge. Der erste Teil steht bis zum Rezitativ 14 in g, vom Choral 15 ab in A. Daß der Choral, nach Modulation im Rezitativ, in der entfernten neuen Tonart steht, ist überraschend, aber Absicht, genau so wie im zweiten Teil nach dem Wort »Golgatha« die Tonart zurückkehrt und die Arie 63 »Zerfließe, mein Herze« wieder in f steht, der Tonart, in welcher Bach Todestrauer häufig ausdrückt. Hier ist in der Arie der Höhepunkt des subjektiven Schmerzes, die Trauer der Menschenseele. Die Tonarten dienen der Schilderung des Affektes, in der Gesamtgliederung treten die Kontraste der Affekte durch die Folge der Tonarten wirksam hervor. 137

Die folgende Tabelle gebe eine Uebersicht der Zusammenhänge.

|

'23. 25. 27. 29. 31. 32. 34. 36. ; "38. ; 40. 42. 44. 46. 48. 50. 52. 54. 56. 58. 60. 63. 65. 67. 68.

Chor Wäre dieser nicht ein Uebeltäter Chor Wir dürfen niemand töten . . Choral Ach, großer König Chor Nicht diesen Arioso Betrachte, meine Seele . . . . Erwäge sein blutgefärbter Rücken Arie Chor Sei gegrüßet, lieber Judenkönig Chor Kreuzige Chor Wir haben ein Gesetz Choral Durch dein Gefängnis Chor Lassest du diesen los Chor Weg mit dem . . . Chor Wir haben keinen König »Golgatha« Arie m. Chor Eilt, ihr angefoditnen Seelen . Chor Schreibe nicht: der Juden König Choral In meines Herzens Grunde . Lasset uns den nidit zerteilen . Chor Er nahm alles wohl in Adit . Choral Es ist vollbracht . . Arie Mein teurer Heiland Arie Zerfließe mein Herze Arie m. Choral O hilf Christe . . Choral Chor Ruht wohl . . . . Choral Ach Herr, laß dein lieb Engelein

g B_ Es C_ A h f f

Chöre, Arien, Rezitative und Choräle sind gleichermaßen erfüllt von der ganzen Wucht und fast übersteigerten Ausdrucks- und Symbolfülle des größten musikalisdien Meisters des Barocks. Schon der erste Chor ist von gewaltiger Größe, die Bewegung symbolisiert die Scharen der Völker. Die Worte »Herrscher«, »Passion«,

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uns

durdi d e i » n e

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»Gottessohn« werden durch die symbolische Figur des »Kreuzes« gekennzeichnet. Wörter wie »Niedrigkeit« und »Herrlichkeit« werden entsprechend gemalt. In den Chören der Juden werden 138

die Heuchelei in Nr. 23 und 25, die schauerliche Ironie im Gruß an den Gekreuzigten »Sei gegrüßt, lieber Judenkönig«, und in der Aufforderung »Schreibe nicht, der Judenkönig«, die entfesselte Wut in dem durcheinander gehenden Schreien »Kreuzige« und »Weg mit dem«, die Habsucht in dem Beschluß »Lasset uns den (den Rock) nicht zerteilen« mit unnachahmlicher Charakteristik geschildert. Diesen Chören der Volksmenge im Dra^ma stehen die Chöre der betrachtenden Christen gegenüber. Die Arie mit Chor 48 nimmt den Dialog des Eingangschores der Matthäuspassion mit seinen Fragen »Wohin?« voraus, wobei das »Eilt« durch die eilige Aufwärtsbewegung

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die »Marter« durch Chromatik, das Angefochtensein durch die taumelnde Rhythmik charakterisiert wird: K n

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Alle Arien sind voller Symbolik und tiefster Ausdrudeskraft, die »Stricke meiner Sünde« (11) werden musikalisch gemalt:

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Dieses Motiv kehrt in der Arie 58 als Erinnerung an die Erlösung von diesen Sünden wieder:

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das »Folgen« wird symbolisch dargestellt in 13:

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Von den übrigen Arien sei nur auf das Arioso 31 des Basses mit zwei Violen d'amore, Laute und B. c. hingewiesen, das den etwas blumigen, aber ausdrucksvollen Text ergreifend in Stimmung und Geistigkeit ausdeutet, oder die von tiefster Wehmut erfüllte Arie 63 »Zerfließe, mein Herze, in Fluten der Zähren«, in der Flöten und Oboen da caccia über herzpochenden Baß mit dem Sopran die Zähren fließen, die Wehmut fühlen lassen. Der Schlußchor »Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine« hat im Charakter, wie in Text und Tonart c Aehnlichkeit mit dem Schluß dior der Matthäuspassion. Er ist von einer unendlich sanften, milden Traurigkeit erfüllt. Der Schlußchoral bringt einen beseligenden Ausklang. Seine Melodie stammt von Bach, wie der Choral »Christus, der uns selig macht«. Die Choräle, wie das Herzstück Nr. 40, sind bei Bach in Stimmführung und Harmonik von besonderer Schönheit, dabei hier allein durch die Harmonik charakterisiert: 140

müßt

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Die Johannispassion hat Badi in den Jahren 1723, 1727, 1738, 1742 aufgeführt und an ihr Aenderungen vorgenommen. Die M a t t h ä u s p a s s i o n kam 1729 erstmalig, 1736 und um 1744 zur Aufführung; um 1747 hat Badi das Werk wieder für eine Aufführung bearbeitet. Die uns bekannte Gestalt lag im wesentlichen schon 1729 vor, bis auf die aus der Johannispassion wohl 1740 eingeführte Choralphantasie. A n die ältere Johannispassion erinnern vor allem der Schlußsatz, der Dialog mit den Fragen »Wohin?« in »Sehet« (70), und die ähnlichen dialogisierenden Stellen im Eingangschor. Es liegt nahe, die beiden Passionen nach Johannis und Matthäus miteinander zu vergleichen. Die knappere Anlage hat die Johannispassion. Man hat das Werk häufig gegenüber dem späteren zurückgesetzt, weil die Anlage der Matthäuspassion großartiger und vielleicht die Wirkung einzelner Teile stärker ist. Robert Schumann hielt die Johannispassion für das reifere Werk, was schon zeitlich gesehen nicht zu halten ist. Der Text der Matthäuspassion besteht aus den Rezitativen nach Matthäus und aus 28 madrigalischen Dichtungen. Bei fünf Sätzen griff Bach auf Picanders »Erbauliche Gedanken« von 1725 zurück, neun entnahm Bach seiner Trauermusik für die Königin Eberhardine, deren Text Picander umdichtete. Wieder gliedern Chöre und Choräle das Werk. Die Choräle haben noch eine größere Bedeutung als in der Johannispassion. Außer zwölf schlichten Chorälen erscheint der Choral im symbolischen Cantus-firmus des Eingangschores, in der großen, später hinzugekommenen Choralphantasie » 0 Mensch« und als Choral mit Vor- und Zwischen141

sätzen des Arioso. Fünfmal kommt jiie Melodie des Sterbechorals vor, einmal in F, in 63. »O Haupt voll Blut und Wunden«, die anderen vier Verse stehen in E (21), Es (23), D (53) und phrygisch (a), also zweimal einen Halbton, zweimal einen Ganzton absteigend bis zur tiefen Lage. Diese zunehmende Verdunklung des Klanges ist von höchster Wirkung, sie ist unterstützt von der jeweils zunehmend herberen Harmonisation, bis zur phrygischen Tonart, mit ihrer angstvollen Chromatik auf die Worte »Wenn mir am allerbängsten«

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und dem von Todesschauern erfüllten, aber doch schon tröstlichen phrygischen Schluß. Es ist übrigens von theologischer Seite wohl nicht zu Recht rügend bemerkt worden, daß die Strophe dieses Chorales »Wenn ich einmal soll scheiden« sich auf den menschlichen Tod bezieht und deshalb an der Stelle des Todes Jesu in der Passion der Größe dieses Todes nicht gerecht wird. (Vielleicht hat Bach die vier Verse eingefügt, und zwar aus der (verlorenen) Trauermusik für den Fürsten Leopold von AnhaltKöthen). Nachträglich (1740?) eingefügt ist auch die nun den ersten Teil neu abschließende Choralphantasie »O Mensch bewein' 142

dein' Sünde groß«, die Bach der Johannispassion entnahm. Er transponierte sie nach E, womit der erste Teil der Matthäuspassion geschlossen in e—E steht, und erweiterte sie durch Umarbeitung von Begleitmotiven, die er an solche des Satzes 70 »Sehet« anpaßt. Dieser Chor ist in der eindiörigen Besetzung von der Doppeldiörigkeit der übrigen Chorteile sichtlich unterschieden. Schon aus der genannten Tonartenfolge der Choräle ist ersichtlich, daß auch die Matthäuspassion wie die Johannispassion einen Gesamtplan hat. Smend will hier das Herzstück in der Arie »Aus Liebe will mein Heiland« sehen. Wie in der Johannispassion umrahmen diesen Mittelpunkt zwei gleiche figurierte Chöre: Arie

Chor

Choral

42. Er ist des Todes schuldig 43. Weissage, wer dich schlug 44. Wer hat didi so gesdilagen? . . 45. Wahrlich, du bist auch einer 49. Was gehet das uns an? 53. Befiehl du deine Wege , , , 54. Laß ihn kreuzigen 55. Wie w u n d e r b a r l i c h . . 58. A u s L i e b e 59a. Laß ihn kreuzigen 59b. Sein Blut 62. Gegrüßet seist du \63. O Haupt 67a. Der du den Tempel 67b. Andern hat er geholfen 70. A d i G o l g a t h a 72. W e n n idi e i n m a l . . 73b. Wahrlidi, dieser ist 76. Herr wir haben 7 8. Sdilußchor

Tonart G d F D H D a—e(D) h h—fis(D) D d a h e As—Es e phryg. As—Es Es—d c

In diesem Aufbau ist manche Aehnlichkeit mit dem der Johannispassion, wenn auch nur ein Chorpaar das »Herzstück« umrahmt. Beide Chöre werden wieder durch die Tonart dramatisch gesteigert (a—h), wie umgekehrt der Choral tonartlich absinkt bis zum 143

»Wenn ich einmal soll scheiden«. Aehnlich wie in der Johannispassion rücken die Tonarten vom W o r t »Golgatha« ab ins Dunkle, As—c, in .welchen Tonartenkreis, mit plötzlicher Modulation des Evangelisten, der phrygisdie Choral mystisch hineinklingt. So haben beide Passionen im Aufbau manche Aehnlichkeit. Der Unterschied ist die Heranziehung stärkerer Mittel, Doppelchor, Doppelorchester in der Matthäuspassion. Bach hat bei den späteren Aufführungen diese Doppelchörigkeit ausdrücklicher betont. W i r wissen, daß er schon 1739 mit dem Rat in Konflikt kam, weil er die Passion in der Thomaskirche zur Aufführung bringen wolllte, statt in der Nikolaikirche, die für dieses Jahr an der Reihe war. 1736 notierte der Kustos, daß beide Orgeln gebraucht worden waren, also hat Bach die Chöre getrennt aufgestellt. Bach wollte 1739 die Thomaskirche zur Aufführung eben wegen dieser zweiten Orgel benutzen, die nicht mehr lange gebrauchsfähig schien und auch 1740 verfallen ist. Auch die übrigen Mittel werden in der Matthäuspassion reicher verwandt. Das Orchester wird häufiger in der Rezitativen benützt, neunmal wird es zu ariosen Rezitativen mit einem ostinaten Rhythmus herangezogen, einmal nur in der Johannispassion, wobei zur folgenden Arie übergeleitet wird. Die Worte Christi werden zur Begleitung der Streicher vorgetragen, was man treffend als »Heiligenschein« bezeichnet hat. (In der venezianischen Musik, wie in der deutschen Capeila fidicinia war das Brauch.) Von den Chören sind nur drei längere, musikalisch das ganze Werk gliedernde Sätze, der Eingangsdior; die Choralphantasie am Schluß des ersten Teiles und der Schlußchor. Die 18 turbae oder Volkschöre sind zum Teil sehr kurz, nur wenige (67, 76) weiter ausgeführt. Bemerkenswert ist die häufige Verwendung des Chores als betrachtender Chor in Arien (25, 26, 36, 70) undDuett (33), sowie das Rezitativ der vierSoli(77). Es trifft wohl nicht zu, daß die Johannispassion wilder und dramatischer sei, die Chöre der Matthäuspassion epischer. Die Chöre der Jünger werden vom ersten, die betrachtenden Chöre vom zweiten, die Judenchöre von beiden Chören (in 45 in 71 vom 144

zweiten) gesungen. Doppelchörig sind von den Judenchören nur einige, die meisten werden vierstimmig gebracht. Diese Volkschöre sind außerordentlich dramatisch. Wut (»Er ist des Todes schuldig«), Hohn (»Weissage, wer ist's, der dich schlug?«, »Gegrüßet seist Du«, »Der da den Tempel Gottes«, »Andern hat er geholfen«) und Haß (»Laß ihn kreuzigen«) werden mit gewaltiger Ausdruckskraft geschildert. Der letztere kurze Chor bringt, ähnlich in der Johannispassion, die Kreuzessymbolik

Laß

ihn

kreu

Daß dieser Chor zweimal, das zweite Mal gesteigert einen Ton höher vorkommt, wurde schon gesagt. Die Antwort der Juden auf des Pilatus Frage, wen von den zwei Gefangenen er losgeben sollte, »Barrabam«, hat Bach nicht als Chorsatz, sondern nur in dem einen Wort vertont, mit dem schauerlichen, in seiner Isolierung doppelt wirkenden verminderten Septakkord (der damals, bevor er in der Romantik häufig angewandt wurde, völlig ungewohnt war und deshalb noch weit stärker als auf uns gewirkt haben muß). Von den großen Chören ist der große Eingangschor von gewaltiger Wirkung. Er erweckt die Vorstellung von wallenden, klagenden Massen von Gläubigen, die Christus, der das Kreuz trägt, folgen. Der Satz ist als Dialog zwischen den zwei Chören angelegt, von denen der zweite (der Ripienchor) die Fragen »Wen?«, »Wohin?« einwirft. Gegen Schluß, in der Reprise, sind beide Chöre vereinigt. Ueber beiden Chören singt noch der dritte Chor (der aus den schwächsten Sängern bestand, welche nur zum Choralgesang taugten) das Passionslied »O Lamm Gottes«. Der Klagegesang wirkt durch seine chromatische, an Reibungen reiche Harmonik, durch die rhythmische Gleichmäßigkeit, ergreifend. Nach seiner musikalischen Form betrachtet, ist er dreiteilig angelegt, wobei in der Reprise, die wie bei Bach so häufig verschleiert Engel. J o b . S e b . B a c h 10

145

wird, denn sie beginnt unklar in der Unterdominante, die Themeneinsätze des Chores I weitergeführt werden von der Musik der instrumentalen Einleitung: Takte Einleitung (e)

Vorspiel

A.

Chor 1 + Choral 1 1. Zwischenspiel

B.

1—16

17—38 30—38 38, 39—41 = 23— 5 Chor l a 42—43, 44k 44—51 44— 51 + Choral 1

(G) Modulationsteil

00 (a) C. (a) Reprise (e) (Dakapo)

2. Zwischenspiel Chor 2 + Choral 2 3. Zwischenspiel Chor 3 + Choral 3 4. Zwischenspiel

[

Chor 4 + Choral 4

= 26—27 52—56 57—63 61—63 65, 66 67—70 67—69 70—77 (a) 65—66 (h)

31—37

72—76—80—90 76—79

(a)

(e)

7—17

In der den ersten Teil beschließenden Choralphantasie »O Mensch bewein'« liegt der Choral in der Oberstimme, die anderen Stimmen verarbeiten als kontrapunktisches Material den Anfang der zweiten Zeile des Chorals und deren Umkehrung. Der Chorsatz ist über einen ein Tränenmotiv durchführenden Orchestersatz gelegt. Von der Schönheit des Schlußdiores läßt sich sagen, daß man ihm vielleicht noch vor dem Schlußchor der Johannispassion den Vorzug geben könnte. Unbeschreiblidi ist die milde, traurig-sanfte Stimmung am Grabe Christi, mit dem echoartigen »Ruhe sanfte, sanfte Ruh!« Eine Besonderheit sind die Arien mit Chor. Das Duett »So ist mein Jesu nun gefangen« bringt das Tränenmotiv (bei »ist vor 146

Schmerzen«), das »gefangen« wird tonsymbolisch durdi die langen Bindungen gemalt. Ergreifend, packend sind die Zwischenrufe des Chores »Laßt ihn, haltet, bindet nicht«. Die Gläubigen rufen Blitze und Donner und den feurigen Abgrund der Hölle gegen die Verräter herbei, deren Gewalten Bach in großartiger Tonmalerei schildert. (Wie erwähnt, schildert Bach diese Gewalten, obwohl sie nicht entfesselt, sondern nur herbeigerufen werden, also nur vorgestellt sind!) Von den 11 Arien ohne Chor ist die im »Herzstück« stehende Arie des Sopran »Aus Liebe will mein Heiland sterben« schon klanglich herausgehoben, da kein Continuo die Flöten und Oboen da caccia stützt. Der Choral »Wie wunderbarlidi ist doch diese Strafe« und ein Arioso »Uns allen hat er wohlgetan« gehen voraus. Schauerlich-realistisch wirkt die folgende Wiederholung des »Laßt ihn kreuzigen«. Von ergreifender Innigkeit ist die wohl bekannteste Arie »Erbarme Dich«, bei welcher die konzertierende Solovioline mit dem Gesang Schluchzer- und Tränenmotive über dem Herzklopfen wiedergebenden Baß durchführen, wobei die affektuösen, von Bach ausgeschriebenen Verzierungen wesenhaft sind, zur Gestalt gehören. Zu den eindringlichsten Rezitativ-Ariosi gehört das »Erbarm es Gott« des Altes, dessen scharfpunktiert-rhythmisdie Begleitung die Geißelung malt (ähnlich in Händeis Messias). Als Beispiel des Rezitatives, das vom Dramatischen ins Lyrische übergeht und ein Motiv des folgenden Satzes vorbereitet, sei der Schluß von Nr. 24 gewählt: »Trauern und zagen«. Die Worte erhalten tonmalerische Wendungen; Komma, Sinnabsatz, Punkt und Doppelpunkt sind nach rhetorischen Gesetzen gestaltet. Jesu' Betrübnis kündigt sich in der ruhigen Bewegung an, das Wort Tod ist tongemalt, die Aufforderung folgt rascher, parlando. Die Achtelakkorde bei der Jesusrede werden als Herzpochen in der folgenden Arie mit Chor im Baß fortgesetzt. Der Evangelist erzählt die Historie in einem Rezitativ, das in seiner weitausladenden Bewegung in weitem Tonumfang von echt barocker übertreibender Gestik und Plastik ist, etwa überplastisch in Illustrationen des Weinens Petri oder der Geißelung Jesu: 147

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Im Gegensatz zur Matthäuspassion werden auch die Reden Jesu nur vom Continuobaß (d. h. in der Thomaskirche von der Orgel) begleitet. Um den Ueberschwang der Bewegung zu erkennen, vergleiche mit damit die entsprechende Stelle aus der Matthäuspassion von Heinrich S d i u t z (1666):

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Das Rezitativ von Sdiütz ist eine Neuformung des alten Passionsrezitativ, und zwar eine bereits ausdruckshafte. Durch Ausweichung in dem alten Rezitativ gegenüber bereits ferne Tonarten werden die Worte trauern, zagen gemalt; zagen bekommt ein Melisma. Die Rede Jesu hebt sich tonartlich ab, sie wird durdi vier Melismen arios gestaltet, der Ton wird durch tiefe Lage und ungewohnten Tonartschluß (c) illustriert, die eindringlidie Aufforderung auf „wachen" durch die hohe Lage. Vergleicht man damit Bachs Rezitativ, das nun nach italienischer Art auch rhythmisch scharf und ausdrucksvoll, z. B. durch die lange Note auf „trauern", deklamiert ist, so sieht man, wie weit der Tonraum ist, der nun durchmessen wird, denn die Satzglieder bei „Zebedaei" liegen bei Schütz zwischen g und d', bei Bach zwischen es und g 1 . Die Betonung der Tonsilbe des Namens „Zebedaei" erfolgt bei Sdiütz durd einen Secundenschritt, bei Bach durch eine Septime! „Trauern" und „zagen" malt Bach durch noch weitere Intervalle ( a s s ) und Lage, der gegenüber der nur die direkte Rede einleitende Satz eine Oktave tiefer gerückt ist. Die Rede Jesu beansprucht bei Schütz den Umfang g — b — c, bei Bach c 1 — As — des 1 ! Schon Schütz dehnt den Umfang seiner musikalischen Deklamation gegenüber dem Tonfall, der Sprachmelodie des ausdrucksvoll gesprochenen Textes. Die Satzkonstruktion, die Interpunktion, z. B. der Doppelpunkt vor der direkten Rede, wird bei beiden Rezitativen gemäß alter Tradition beachtet, bei Bach wieder gesteigert und durdi dramatischen Ausdruck zurückgedrängt. Der Satz mit „trauern" liegt bei Bach eine Oktave über dem Satz „Da sprach", bei Schütz nur eine Sekunde über, bis eine Quart unter diesem. Bachs Rezitativ ist pathetisch und dramatisch übersteigert, selbst in dem Bericht des Erzählers. Es ist der weiten Spielraum audi in der Bewegung beanspruchende spätbarocke Stil gegenüber dem noch verhältnismäßig bescheidenen Ausdrucksverlangen des Frühbarock.

Es stellt diese Passion ein überwältigendes Drama dar, mit seinem Erzähler, den Volkschören, den betrachtenden Arien und Chören nach Art alter Volksschauspiele. Sie ist von einem Reichtum an Dramatik, an Gefühlsüberschwang und inniger Gläubigkeit, zu welchem auch der Dichter Picander, wohl unter Anleitung und Beihilfe von Bach selbst, wesentlich beigetragen hat. Bach hat dieses Werk zum edelsten und packendsten Zeugnis nicht nur musikalischer, sondern ebenso religiöser Genialität gemacht. Den großen Chorwerken stehen kleinere Vokalkompositionen zur Seite. Für das S c h e m e l l i s c h e G e s a n g b u c h , das seit 1736 als »Musikalisches Gesang-Buch« als erster Musikdruck in Breitkopfs Verlag, der bis dahin Buchverlag war, erschienen ist, hat Bach die bezifferten Bässe und eigene Lieder beigesteuert. Ueber die Zahl der Bachschen Lieder unter den 69 Stücken der Sammlung ist die Forschung sich nicht einig. Statt 24 oder doch 21 Liedern (Zahn) 149

gibt man Badi heute nur 3 (Schering): 32. »Dir, dir Jehova« 44. »Vergiß mein nicht«, 59. »Komm süßer Tod«, alle drei in 'A Takt französische Airs. Herzlich, voll echt Badischer Todessehnsucht und Mystik ist besonders das dritte, das die Nähe des Schlußchores der Matthäuspassion erkennen läßt.

DIE INSTRUMENTALMUSIK \5C^ährend in Bachs Volkswerken Sinn und Geist durch das Wort bestimmt ist, scheint bei Bachs Instrumentalmusik, mit Ausnahme der wiederum an den als bekannt vorausgesetzten Text gebundenen Choralvorspiele für Orgel, Sinn und Geist dieser Musik nicht eindeutig klar zu sein. Man hat zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Bach einen scharfen Trennungsstrich ziehen wollen und die gesamte Instrumentalmusik vielleicht mit Ausnahme der genannten an kirchliche Lieder gebundenen Stücke für den »weltlichen« Bach in Anspruch genommen, nidit zuletzt um seine Musik für eine der Kirche immer mehr sich entfremdende Zeit zu retten. Solche Versuche gehen vielfach von falschen Voraussetzungen aus. Wohl bewegt sich, auch Bach oft in einer ganz weltlichen Sphäre, da wo ein behäbiger bürgerlicher Humor aus ihm spricht, wie in der Kaffee- und der Bauernkantate, wohl erweist sich Bach als ein geistreicher Buffonist in mancher weltlichen Kantate, wohl hat Bach auch durch höfische Kultur bestimmte Suitenmusik für Klavier und für Orchester geschrieben. Allein wie wenig Bach selbst zwischen seiner weltlichen Kunst und seiner kirchlich gebundenen unterschied, geht daraus hervor, daß er anscheinend rein weltliche Kompositionen, wie Sätze aus den Brandenburger oder den Solokonzerten, in seine geistlichen Kantaten einsetzt. Bach war so voll und ganz Christ und Gläubiger, der sogar Partituren weltlicher Kompositionen, wie die Herkuleskantate, mit J. J. (Jesu, Juva: Jesus hilf) und SDG (Soli Deo Gloria: allein Gott zu Ehren) versah, daß 150

sein ganzes Denken und Schaffen im Geiste der damaligen kirchlichen, wahrhaft »totalitären« Weltanschauung verlief. Nur aus dieser Erkenntnis heraus ist die Einbeziehung reiner weltlicher Formen und Charaktersätze, sogar von Tänzen modischer Art in geistliche Kantaten zu verstehen. Es ist selbstverständlich, daß uns umgekehrt in der Instrumentalmusik Bachs häufig Sätze rein kirchlichen Stiles begegnen und sehr häufig, eigentlich nur von direkten Tänzen abgesehen, Sätze, die sich in Stil und Stimmung an bestimmte kirchliche Kompositionen anschließen. Der Geist der Bachschen Instrumtalmusik ist demnach kein anderer, wie der seiner Vokalmusik. Bachs Instrumentalmusik ist von der Affektenlehre der Zeit beherrscht, die auch für die Instrumentalmusik gilt. Der »Affekt«, der seelische Zustand, wird mit allen Ausdrucksmitteln der Vokalmusik geschildert, mit Ausdrucksmitteln, welche den Hörern aus der Vokalmusik geläufig waren. So kommt es, daß Melodik und Klangwelt oft auf vokale Vorbilder hinweisen, sie nachahmen — am deutlichsten wird das freilich an den auch bei Bach bedeutungsvollen Instrumentalrezitativen. Rezitative für Instrumente, welche vokale Rezitativen nachahmen, sind von Bach — bis hin zu Beethovens op. 31, 110 und I X . Symphonie beliebt. Bei Bach sind solche Vokalstücke nachahmende, auf ihre Ausdrucks- und Empfindungswelt anspielende Sätze zu finden, z. B. im es-moll-Präludium des Wohltemperierten Klavieres I, oder in einem so ganz vermenschlichten Dialog, wie dem langsamen Satz des Violinkonzertes in a. So manches Motiv, das in Bachs Vokalmusik häufig bei einem bestimmten Affekt wiederkehrt und deshalb echte »Symbol«-Kraft hat, wird in der Instrumentalmusik entsprechend verwendet. Besonders für das Studium dieser Probleme geeignet erscheinen Stücke, die aus einem instrumentalen Satz in einen vokalen umgewandelt werden, z. B. die Arie »Stirb in mir« in Kantate 169 aus dem Siziliano des Klavierkonzertes in E-dur, zu dem Bach eine Singstimme hinzufügte, oder der Chor der Weihnachtskantate 110, der in das Allegro der zweiten Ouvertüre in D auf die Worte »Unser Mund sei voll Lachen« eingebaut ist. Hier zeigt sich allerdings auch die Grenze von Bachs Tonmalerei und 151

-Symbolik. Aber rein instrumentale Sätze in Vokalwerken, die besonderen Schilderungen dienen, wie die in die Johannispassion als Ersatz für die Sätze 61—63 eingeschobene tonmalerische Sinfonia, die verloren ist, die Hirtensinfonie des Weihnachtsoratoriums, oder das stimmungsvolle Vorspiel zur Kantate 42, zeigen die schildernde Kraft Bachsdier Instrumentalmusik. Hierauf beschränkt sich Bachs Reichtum an instrumentalen Ausdrucksmöglichkeiten nicht. Bachs Instrumentalmusik ist unglaublich »sprechend«, sie spricht zu uns allerdings mit Tönen, und es ist töricht, sie in Worte umsetzen zu wollen oder in ihnen gar menschliche Geschehnisse oder Schicksale zu suchen. Den Empfindungsgehalt in Worten restlos auszudeuten ist unmöglich, er ist gelöst vom Menschlichen-Allzumenschlichen und gibt das Seelische ohne Zwischenglied wieder. Der Deuter der Musik, und jede Kunstbetrachtung ist versuchte Deutung, wird sich vor programmatischer Deutung hüten müssen, wenn er auch manchmal vielleicht vergleichsweise, unverbindlich bleibende poetisierende Erklärungen geben mag.

D I E W E R K E FÜR K L A V I E R U n d doch hat Bach selbst programmatische Instrumentalmusik geschrieben. Als erstes wäre die Sonate zu nennen, deren letzter Satz ein »Thema all Imitatio Gallina Cucca« als Nachahmung des Hennengeschreis bringt:

Die Sonate schließt sich eng im Bau an Kuhnaus »Historien«Sonate an, und zwar an den Abschnitt, der die Ueberschrift trägt 152

»Der in der Hochzeitsnacht vergnügte Bräutigam«. Beim ersten homophonen Satz wird man eher an Händeis Stil erinnert, als an - den Stil Bachs; die Verbindung zum zweiten Satz ist ein Ansatz zu einem selbständigen Instrumentalrezitativ. Das Stüde ist ein Jugendwerk, wie das einzige ausführliche programmatische Werk Bachs, das »Capriccio über die Abreise seines heißgeliebten Bruders«* Johann Jakob, der 1704 als Oboist nach Schweden ging. Alle Sätze haben Uebersdiriften, die den »Affekt« bezeichnen: 1. Ist eine Schmeichelung der Freunde, um denselben von der Reise abzuhalten. 2. Ist eine Vorstellung unterschiedlicher Casuum, die ihm in der Fremde könnten vorfallen. 3. Ist ein allgemeines Lamento der Freunde. 4. Allhier kommen die Freunde, weil sie doch sehen, daß es nicht anders sein kann, und nehmen Abschied. 5. Aria di Postiglione. 6. Fuga all' imitazione della cornetta di Postiglione. Das vom Programm aus gesehene merkwürdigste Stück ist Nr. 2. Die »unterschiedlichsten« Casus werden durch die absteigenden Durchführungen des die Casus durch Sextsprung abwärts malenden Themas in g, f, B und As dargestellt. Das Lamento ist ein Passacaglio mit 11 Variationen über ein viertaktiges Baßthema. Chromatik und Bachsches Klagemotiv malen die Trauer der Freunde. Ein Oktavsprung des Postillionhornes, als Refrain in der Aria vorkommend, wird reizvoller Kontrapunkt zum Thema der »Fuga all imitazione della cornetta di Postiglione«*.

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* Siehe S. 16. * Bedeutet Nummer des Bandes der Angabe Peters und Nummer des Stückes in dem genannten Band.

153

Werke mit Programm hat Bach nicht mehr geschrieben. Ein leidenschaftliches Präludium (Fantasie) in a-moll (H. 13. 1) ist wohl noch vor den Tokkaten entstanden. Das Stüde sieht wie eine kurze Tokkate aus, die ausgeführte Fuge fehlt. Nach wilden Passagen wühlt der folgende Abschnitt geradezu in verminderten Septakkorden. Der folgende, von gedrängten Akkorden und echten Tokkatenpassagen beschlossen, bringt zum chromatisch absteigenden Leidensthema ein nervös aufspringendes Motiv. Wie verzweifelt wirken die kühnen Modulationen. Unter den frühen Werken ein seelisch merkwürdig bewegtes Stück! Zu diesen Jugendarbeiten Bachs gehören zwei Suiten, eine unvollständige, in drei Sätzen vorliegende in f-moll (9. 17.), deren erster Satz, darin von Bachs späteren Suitengepflogenheiten abweichend, ein Rondeau mit viermaliger Themenwiederkehr und drei sich rhythmisch steigernden Couplets, deren zweiter Satz eine »Sarabande en Rondeau« ist, von ergreifendem Bachsdien Ausdruck. Ein Capriccio »in honorem Joh. Christoph Bacchi (Ohrdruf)« zu Ehren seines Bruders dürfte noch vor dem Abschiedscapriccio entstanden sein, das formal reifer ist. Von den vielen Einzelstücken Bachs seien hier die zwei Fugen über Themen von Corelli und Albinoni erwähnt, die schon besprochen wurden*. Die Fuge über das Albinonithema ist schwungvoll, es fehlt natürlich, wie allen diesen Jugendwerken, die Fülle der Modulationen und der weite Atem der späteren Fugen. Variationen »alla maniera italiana« zeigen eine bei Bach später ungewohnte Homophonie und Eleganz, die Figuration ist der Violintechnik italienischer Konzerte nachgebildet. Die bedeutendsten Klavierwerke der Weimarer Zeit sind Tokkaten. * Siehe S. 16.

154

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Schon die frühe d-moll-Tokkata hat die Anlage der reifen: 1. Virtuoser Laufteil, 2. vierstimmig getragener Teil, 3. Fuge 1, 4. mehrstimmig arioser Teil (hier besonders auffällig die chromatische Harmonik, es werden in B berührt g, f, c, B, es, f, e, g, !), 5. Fuge 2. Knapper als diese und eine in der Handschrift als »Fantasia con Fuga« bezeichnete Tokkata in D ist eine Tokkata in e angelegt. Sie bringt nur eine Fuge als gewaltigen Abschluß nach drei Satzteilen, einem virtuosen, einem vielstimmigen und einem rezitativischen. Das Thema erinnert an ein Thema einer Orgeltokkata Buxtehudes:

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aber wie gewaltig hat der jugendliche Meister das Thema erweitert und um den chromatischen Abstieg des (nicht also benannten) Lamento-Basses bereichert! Die Buxtehudesdien Tokkaten sind Vorbild für die zwei reifen Tokkaten Bachs. Wie Buxtehude versucht Bach die Form durch Beziehungnahme der Teile zu vereinheitlichen. Buxtehude baut die dritte Fuge über das variierte Thema der ersten, die zweite ist chromatisch, Bach bringt in der fis-moll-Tokkata das Thema der zweiten Fuge im ersten vollstimmigen Satz, der wie der zweite vollstimmige sonatenmäßig ist; in der c-moll-Tokkata gestaltet er Fuge 1 und 2 in engster Verbindung und Steigerung, da die zweite Fuge zum Thema der ersten einen neuen Kontrapunkt hat: 155

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So erzielt Bach eine große, einheitliche Gesamtwirkung. Die c-Tokkata ist gewaltig, hinreißend, ein reifes Werk. Der Eintritt des neuen Kontrapunktes in der zweiten Fuge ist überraschend:

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Die fis-Tokkata mit ihrem Lamentothema im zweiten und letzten Satzteil

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ist mehr von schmerzlich-sanftem Ausdruck. 156

Die Bearbeitungen Bachs nach fremden Konzerten, die wohl nichts sind als Klavierauszüge zum eigenen Studium der fremden Werke, können wir übergehen*. Von einzelnen Aenderungen der Figurationen, die der Zeitpraxis entsprechen, abgesehen, enthalten sie nichts Bachisches. Mit der Tokkatenform der genannten Tokkaten hat die Tokkata G-dur (13. 3) nichts zu tun. Das leider im Konzertsaal nicht gespielte Werk ist im 1. Satz ein Konzert mit Tutti (auf T, D, T , Tp, Dp, T), die auch in der Vergrößerimg auftreten (T. 13, 17, 25, 27, 32), einem ausdrucksvollen Adagio und einer brillanten Sdilußfuge. Die riesige dreistimmige Klavierfuge in a-moll, der ein kurzes arpeggiertes Präludium vorausgeht (4. 2), ist ein höchst virtuoses Bewegungsstück. Vor der letzten Durchführung und vor dem Schluß nodi wirkungsvoller sinkt das Spiel der Figuren in die Tiefe ab, um den Thema-Einsatz zum Schluß gegensätzlich vorzubereiten. Bach hat das Thema nochmals in der großen vierstimmigen Orgelfuge (V. 2. 8.) erweitert und in 6 /s Takt umgeändert verwendet, auch die in der Klavierfuge sich völlig entsprechenenden Zwischenspiele (1—4, 2—7, 3—6, 5—8) genial umgestaltet. Das nächste größere Werk für Klavier trägt in der endgültigen Reinschrift den Titel: » A u f r i c h t i g e A n l e i t u n g , womit denen Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lernbegierigen, eine deutliche Art gezeigt wird, nicht alleine mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern audi bey weiteren progreßen mit dreyen obligaten Partien richtig und wohl zu verfahren, anbey auch zugleich gute inventiones nicht alleine zu bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und daneben einen starken Vorschmack von der Composition zu überkommen.«

An diesem langatmigen Titel ist manches beachtenswert. Nach den Gesetzen der Rhetorik werden die Erfindung (inventio), die Durchführung (collocatio) und der cantable Vortrag (elocutio) genannt. Diese Anleitung scheint nach dem Titel eine Klavier* Siehe S. 25.

157

schule für Liebhaber und Lernbegierige, Laien und Musikstudenten zu sein. Vom zweistimmigen geht es »progressiv« zum dreistimmigen Spiel. Die cantable Art im Spiel ist Ziel. Außerdem dient das Werk als Einführung in die polyphone Komposition. Auch der erste Teil des Wohltemperierten Klavieres stellt sich als Klavierschule vor: »Zum Nutzen und Gebrauch der lehrbegierigen musikalischen Jugend als auch derer in diesem Studio schon habil seyenden besondern Zeit Vertreib aufgesetzt und verfertigt . . . « Der Ausdruck »Zeitvertreib» für ein Werk mit schweren Fugen ist dabei nichts als eine übliche bescheidene Hinwendung des Autors an den »wohlmeinenden Leser«, eine Captatio benevolentiae. Zwar spricht der Titel in zeitüblicher Bescheidenheit von Sätzen zum Lehrgebrauch. In Wirklichkeit sind sie Meisterstücke, nicht nur in ihrer technischen Arbeit, sondern noch mehr nach ihrem seelischen Gehalt. Gewiß mag bei der Wahl der aufsteigenden Tonarten auch der erzieherische Gedanke mitgewirkt haben, aber schon hier, wie großartiger noch im Wohltemperierten Klavier, gibt Bach geradezu eine Musterdarstellung der damaligen Tonartenästhetik und der »Affekte«. Jedes einzelne Stück ist ein ausgeprägtes Charakterstück, das im Sinne der Barockästhetik einen einzigen Affekt darstellt. Die I n v e n t i o n e n u n d S i n f o n i e n bildeten den Hauptinhalt des »Clavier-Büchlein vor« (für) »Wilhelm Friedemann Bach«, das 1720 angelegt wurde. Dort hießen die Stücke Präambeln und Fantasien. Die Tonartenfolge der nicht über vier Vorzeichen hinausgehenden Stücke ist dort in lehrhafter Absicht nach dem Schwierigkeitsgrad gewählt: C, d, e, F, G, a, B, h, A, g, f, E, Es, d, c. In einer zweiten Abschrift stellt Bach in jeder Tonart die zweistimmige Invention mit der dreistimmigen Sinfonie zusammen. In der letzten Reinschrift 1723 trennt er die zwei- und die dreistimmigen Sätze. Doch bleibt in der thematischen Verwandtschaft der gleiditonartlichen Inventionen und Sinfonien der ursprüngliche Zusammenhang erkennbar in den Stücken in h, E und A, entfernt noch in dem in a. Die Stücke 158

sind so angelegt, daß Thema und Gegenthema in den beiden Stimmen abschnittsweise vertausdit werden. Es überwiegt eine fünfteilige Form des Aufbaues, die aus Abschnitten in der 1. Tonika 2, Dominante 3, Modulationsteil 4, Tonika-Wiederkehr besteht, das ist eigentlich das Grundschema der Sonate oder der erweiterten Dacapoarie, ein Schema, das auch in Großformen wiederkehrt: T D =11= Modulation T. Eine richtige Reprise hat die E-Invention. Freilich ist sie nicht eine einfache Wiederholung der Exposition, sondern entsprechend Bachs kontrapunktischem Stil werden in der Reprise die Ober- und Unterstimme im doppelten Kontrapunkt gegeneinander vertauscht. Wie Bach diese Form organisch gestaltet, sei an der 15. Invention in B gezeigt. Der 1. Takt bringt das durch eine Figur, bei den Franzosen cadence, bei den Deutschen Zirkel genannt, schwungvoll eingeleitete auf- und absteigende Dreiklangthema

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ffrrfYri T. 16^/2 — zur Tonika zurückmoduliert — in beiden Stimmen im Abstand eines Viertels gebracht. Vom Modulationsteil T. 9 wird der Satz erst tonartlidi, dann durch Herausnahme des Motivs, seine Umkehrung und Reihung T. 14 eine gewaltige Steigerung gebracht, die schließlich T. I6V2 zu der durch Imitation in kurzem Abstand

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gesteigerten Reprise führt. T. 1—5 : B I 6—8 : F I (D) 9—16Vi : Modulation (F, g, c, Kadenz B mit gedrängter Zirkelfigur I I6V2 bis Schluß gesteigerte Reprise.

Noch reicher an Stimmungsgehalten sind die dreistimmigen S i n f o n i e n . Die f-Sinfonie ist ein ausgesprochener Lamentosatz. Ein klagendes, durch seufzende Pausen unterbrochenes Thema erhält als ersten Kontrapunkt den alten Lamentosatz, das chromatische Quartfallmotiv, als zweiten ein das erste Motiv des Themas chromatisch und schmerzlich-geschärft aufnehmendes, zu einer ausdrucksvollen Figur (g e des h c) aufsteigendes Thema. Thema, Dur

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Aehnliche Klage, nur eine elegische, ist die e-Sinfonia. Am Ende des mit Bewegung gesteigerten Dominant- und Durchführungsteiles T. 14—87 wird das Dacapo durch einen besonders wirkungsvollen Absatz auf dem verminderten Septakkord vorbereitet. Harmonisch kühn ist die Umdeutung des Septakkordes der VII. Stufe von g-moll fis-a-c-es als Septakkord der VII. Stufe in e durch enharmonische Verwechslung des es zu dis

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hltemperierteKlae ner ' das i Reinschrift von 1722 vorliegt, wird seit Mozart und Beethoven als ein Wunderwerk der Fugenkunst und nicht zu überbietendes Lehrwerk des polyphonen Spiels angesehen. Dabei gilt hier das von den Inventionen Gesagte in erhöhtem Maße. ff

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die Seufzerfiguren in 20. »O Lamm Gottes« mit Doppelkanon,



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die gleichzeitig, wie 21. »Christe, du Lamm Gottes« ausweist, in der Abwärtsbewegung die Menschwerdung malen. All diese fast überall zu findende Symbolik, in Motivik, Harmonik, Stimmführung, Bewegungsrichtung gibt Bach die Möglichkeit zu einer tiefen Ausdeutung des Affektes. »Symphonische Dichtungen en miniature« hat Max Reger Bachs Choräle und Choralvorspiele genannt. Außer einzelnen Choralbearbeitungen hat Bach noch in vier Sammlungen Choralbearbeitungen vereint: in dem 3. Teil der Klavierübung 1739, den sechs durch den Verleger Schübler veröffentlichten Chorälen, den »kanonischen Veränderungen über das Weihnachtslied« und den 18 großen Chorälen, über deren Revision Bach der Tod ereilte. Der 3. T e i l d e r K l a v i e r ü b u n g stellt die Choräle in liturgischer Ordnung zusammen. Nach dem großen Präludium in Es 200

folgt das Kyrie mit sechs Bearbeitungen, das Credo mit zwei Bearbeitungen des Zehn-Gebote-Chorales und des »Wir glauben all«, danach kommen zwei Fassungen des »Vaterunser«, Tauf-, Büß- und Abendmahllied und zum Schluß die große Es-, die »Trinitäts«-Fuge. Die Folge ergibt, wie von mehreren Forschern dargelegt wurde, eine Art deutscher Messe. Jeder Choral erscheint in zwei Satzweisen, in kürzeren Manualbearbeitungen, wie der Titel hervorhebt, »denen Liebhabern«, in längeren und kunstvollen Pedalbearbeitungen, »denen Kennern« von der gleichen Arbeit zugedacht. In den großen Bearbeitungen finden sich künstliche Fugen wie die Fuge »Aus tiefer Not« (4. 7), die sechsstimmig enggeführt mit Doppelpedal die Choralmelodie in doppelten Werten im Tenor bringt. Die Melodie im Baß, die zeilenweise getrennt, in den scheinbar ganz selbständigen Satz der Oberstimmen hineintönt, ist die letzte Form der Ausbildung der Choräle. Hier sind die nicht den Choral tragenden Stimmen zu geschlossenen ariosen Partien ausgebaut. Herrliche große Stücke entstehen so, wie »Christ, unser Herr, zum Jordan kam« (6. 17). Daß Tonsymbolisches immer wieder die Motivik bestimmt, ist zu erwarten. Der Zorn Gottes wird in den Sprüngen des Themas zum selbständigen zweistimmigen Fugato gemalt, das den Oberbau zum Choral »Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Zorn wand« (6. 30) bildet. Für alle diese Typen finden sich bei Bach in seiner frühen und mittleren und reifen Zeit auch reine, nicht gemischte Beispiele. Bach hat gewissermaßen die schon h i s t o r i s c h e n Formen gepflegt, wie das auch in anderen Gattungen, z. B. der Canzone, zu sehen ist. Die ältere Imitation des Anfanges findet sich in »Vater unser im Himmelreich« (7. 53), die vorspielfugenhafte (mit allerdings gleich beigegebenem Sechzehntelkontrapunkt) z. B. in »Gottes Sohn« (5. 20), die Buxtehudesche Choralfuge mit kolorierter Melodie im Choral in »Allein Gott in der Höh« (5. 9). In den letzten Jahren seines Lebens,stellte Bach eine S a m m l u n g v o n 18 C h o r ä l e n zusammen. Es sind Arbeiten aus früheren Weimarer und Köthener Jahren, vielleicht stammen einige noch aus der Leipziger Zeit, die Bach überarbeitete. Den 201

letzten Choral diktierte Bach seinem Schwiegersohn Altnikol in die Feder, da die Kräfte versagten: »Vor deinen Thron tret ich hiermit«. Diese Bearbeitung, die letzte Bachs, ist trotz ihrer Kunst von großer Schlichtheit. Das Anfangsmotiv der ersten Zeile wird in den drei Unterstimmen imitatorisch auch in Umkehrung durchgeführt, darüber schwebt der nur sehr wenig verzierte Choral. Ein Trio, bei dem die beiden Oberstimmen die Melodie ganz aufgelöst, frei imitatorisch bringen, ist »Allein Gott in der Höh« (6. 7).

£ Erst am Schluß spielt der Baß den unverzierten Choral dazu. Den Choral »Nun komm', der Heiden Heiland« (7. 47), hat Bach hier gleich dreimal hintereinander bearbeitet, das drittemal mit der Melodie im Baß. Die Oberstimmen fugieren ein bewegtes Thema, das aus dem Choralanfang gebildet ist. Durch Vor-, Zwischen- und Nachspiele über dem Orgelpunkt wird der Satz weiter gedehnt. Ein weiteres Mal hat Bach denselben Choral vierstimmig mit kolorierter Oberstimme übej zwei Mittelstimmen bearbeitet, welche den Zeilenanfang einleitend imitatorisch bringen, und Baß in laufenden Achteln. Böhms Vorbild, in »Allein Gott in der Höh« (6. 9) deutlich, ist hier weitergebildet. 202

Sarabandenrhythmus begegnet in dem sehr ausgedehnten »Komm Heiliger Geist« (3. 37), einer vierstimmigen Fuge über die abschnittweise, zuletzt im Sopran auftretende kolorierte Melodie. Sarabandenrhythmus hat auch der Satz über »Schmücke dich, o liebe Seele« (7. 41). Die Melodie tritt in weiten Abständen leicht verziert in der Oberstimme hinzu. Der freudigen, aus der Melodie gewonnenen Weise des Unterbaus, die als Dakapo wiederkehrt, liegt die Vorstellung von der mystischen Seelenhochzeit zugrunde:

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Das großartigste Stüde dieser 18 Choräle ist aber die »F a n t a s i a s u p e r : K o m m H e i l i g e r G e i s t , H e r r e G o t t , in Organo pleno« (7. 36). Der 106 4 /4-Takte zählende Satz ist eine große Tokkata, die Aehnlichkeit mit der großen Tokkate in derselben Tonart F hat. Ueber dem Baß, der mit 7 Takten Orgelpunkt beginnt, mit der Melodie, erhebt sich der völlig selbständig wirkende dreistimmige, konzertartige Satz, der eine cantus-firmus-freien Werken entsprechende symmetrische Architektur aufweist (Takte 12—42 = 55—85). Bach hat alle diese Formen, Techniken und Figurationen immer nur aus dem Affekt, aus der Bildvorstellung des Textes gewonnen. Hier ist die Mystik der Geistausgießung, die alle Herzen der Gläubigen, das »Volk aus aller Welt Zungen« erfüllen soll. Der Satz ist der festliche Eingang der ganzen Sammlung. Eine Reihe von ähnlichen Chorälen hat Bach nicht in die Sammlung eingereiht, so die zweite Bearbeitung von »An Wasserflüssen Babylons« für fünfstimmigen, höchst kunstvollen Satz im Kanon zwischen Alt und Sopran mit Doppelpedal (6. 12a) und das seltsame, festliche Choralvorspiel »Ein feste Burg« (6. 22), das die Melodie koloriert in Ober- und Mittelstimme beginnen, in ganzen Noten im Baß

203

fortfahren, im Sopran schließen läßt und ein freudiges Tokkatennachspiel anfügt. Von den » s e c h s C h o r ä l e n « , die Bach für den Verleger Schübler zusammenstellte, sind fünf für die Orgel eingerichtete Kantatensätze. Nur der Satz »Wo soll ich fliehen hin« ist nicht als Kantatensatz nachweisbar. Bach hat ihn noch einmal ausführlicher behandelt (9. 9). Bach hat die Sätze nicht zufällig zusammengestellt. Sie erschienen ihm dieser Neuauffassung wert. Hier in diesen Sätzen ist das Prinzip am schönsten zu erkennen, das Bach in seinen großen, reifen Bearbeitungen anwendet, nämlich einen selbständigen Gegensatz zu erfinden, der von einer kurzen wiederholten, hier durch die Stimmen wandernden Phrase in »Meine Seele erhebet den Herrn« (T. 42), zu großen selbständigen, liedmäßig gebauten Gegensätzen wie in »Kommst du mein Jesu« und »Wachet auf, ruft uns die Stimme« erweitert, zu denen der Choral zeilenweise an weit auseinandergezogenen Stellen tritt. Gerade diese Choräle sind von besonderer Größe, Reife und Ausdruckskraft. Zu den Werken des späten Bach, die seine rechnerisch-spekulative Anlage zeigen, gehören » E i n i g e k a n o n i s c h e V e r ä n d e r u n g e n ü b e r d a s W e i h n a c h t s l i e d »Vom Himmel hoch, da komm' ich her« (5). In den fünf Variationen läßt Bach dann auch alle kanonischen Künste spielen: die ersten beiden Variationen bringen zum Kanon zweier bewegter Oberstimmen (in Oktav und Quint), die ihr motivisches Material dem Choralanfang entnehmen, die Melodie in größeren Werten im Baß, in der dritten bilden die beiden laufenden Unterstimmen einen Kanon in der Septime, der Alt ist frei, reich bewegt geführt, die Melodie liegt im Diskant, in der vierten Variation haben Diskant und Tenor den Kanon, der Tenor in doppelten Werten, die Melodie liegt im Baß. Die Reihenfolge im Autograph ist eine andere, nämlich der Nummern 1 2 5 3 4, so daß der Vergrößerungskanon mit Bachs Namenszug als Schluß erscheint. In der letzten Variation wird die Choralmelodie in den beiden Oberstimmen im Kanon der Sext, Terz, Sekund und None geführt. Ueber dem Sdilußorgelpunkt 204

werden alle vier Zeilen in Umkehrung und Vergrößerung zusammengebracht. Alles an diesem erstaunlichen Werk ist von höchster Regelrichtigkeit. Ueber dem Orgelpunkt ertönt in der Mittelstimme Bachs musikalischer Name: b-a-c-h. Sechs O r g e l s o n a t e n , die Bach nach Forkels Angabe für seinen ältesten Sohn Friedemann komponiert hat, sind für Pedalklavier geschrieben. Sie dienen in hohem Maße der Erziehung zum selbständigen Triospiel. Manche der Sätze hat Bach wieder verwendet, im Tripelkonzert stand der langsame Satz der dritten, erster und zweiter Satz der vierten stand als Sinfonia für Oboe d'amore, Gambe und Generalbaß in der Kantate 76, der Schlußsatz stand zwischen Präludium und Fuge G (2. 2), das Largo der fünften Sonate zwischen Präludium und Fuge C (2. 1). Die Sonaten sind echte Sonaten »a tre«, Triosonaten, die auch in der Besetzung dieser Sonaten, nämlich durch drei Melodieinstrumente und Generalbaß denkbar sind. Es sind Sätze von großer Schönheit dabei, so der Siciliano, das Adagio der ersten Sonate. Dieser Satz wirkt ergreifend auch in einer Besetzimg für zwei Violinen und ausgearbeiteten Generalbaß, eine Besetzung, die stilistisch durchaus erlaubt ist, da es sich bei diesem Werk um echte Triosonaten handelt.

W E R K E FÜR S O L O S T R E I C H I N S T R U M E N T E V o n Bachs I n s t r u m e n t a l w e r k e n sind außer den Werken für Klavier und Orgel die S o l o s o n a t e n f ü r V i o l i n e die berühmtesten. Sie waren es immer, denn kein Werk Bachs hat eine so weite Verbreitung erfahren wie die Sonaten und Partiten, die schon 1798 in Frankreich von Cartier in »L'art du violon« veröffentlicht wurden. Sie waren deshalb für die Violinisten eine Besonderheit, weil sie ihnen ungewöhnliche Aufgaben stellten, die der französischen und auch italienischen Literatur fremd waren, nämlich solche im mehrgriffigen Spiel. Dieses war immer eine Besonderheit der deutschen Violinisten gewesen. J . F. Biber (1644—1704 in Salzburg) und Johann Jakob Walther (1650 205

bis 1711 in Mainz, 1764—1780 in Dresden) sind die namhaftesten Vertreter des mehrstimmigen Spieles, Walther mit seinem »Hortus chelicus« und den »Scherzi da Violino solo« aus dem Jahre 1676. Der Virtuose Joh. Paul von Westhoff, gestorben 1705 zu Weimar, wo Bach ihn kennenlernte, hat Walthers Werke gespielt. Was Waither verlangt, ist erstaunlich, und die Arien mit Variationen aus den Scherzi weisen direkt auf Bachs Chaconne hin. Bachs Sammlung enthält 6 Werke, 3 S o n a t e n u n d 3 P a r t i t e n . Die erste Sonate in g moll beginnt, kirchensonatenmäßig, mit einem Adagio. Wie hier mit Passagen und Doppelgriffen der Klangbereich der Violine ausgeschöpft wird, das hat seinesgleichen nicht mehr. W o Doppelgriffe nicht reichen, da wird durch nacheinander gebrachte Töne die Polyphonie hergestellt. •

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Schwieriger ist das Problem des mehrstimmigen Spiels, wenn es sich um echte Polyphonie handelt, so in der Fuge, dem zweiten Satz. Bach hat diese Fuge später für Orgel bearbeitet. Wie ein Auszug aus einem Orchestersatz wirkt der Siciliano, in dessen Anfang auf eine unisone Baßfigur hohe Instrumente ant-

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worten. Das Presto ist trotz seiner Einstimmigkeit im Grunde polyphon, von oft latenter Vielstimmigkeit, da die Baßtöne aus der Figur herausgegriffen sind. (Es ist von Brahms, wie die Chaconne, für Klavier bearbeitet.) Aus der h-Partita ist besonders die Bouree mit Double ein köstliches Stüde. Die Fuge der dritten Sonate (Nr. 5) existierte ebenfalls in einer Fassung für Orgel, die aber nicht die ursprüngliche gewesen zu sein braucht. Das Thema selbst entstammt dem Choral »Komm heiliger Geist, Herre Gott«. Die Fuge wie der erste Satz stellen unerhörte, kaum j e restlos befriedigend gelöste Aufgaben an den Geiger. Der erste Satz besteht auch in einer nachträglichen Klavierfassung. Das Preludio der 3. Partita (6.) hat Bach gar als virtuose Orgeleinleitung zur Ratswahlkantate 1731 (29.) umgestaltet. Das großartigste Werk ist aber die 2. Partita in d (4.). Sie enthält nach Allemande und Gourante, die hier nach alter Art stammverwandt sind, der Sarabanda und Giga die C i a c o n n a * ) , wohl das berühmteste aller Geigenstücke, Prüfstein für jede virtuose Technik und Gestaltungskunst. Das zugrundeliegende Thema ist der Baß. Diesem Thema gesellt sich nach den beiden ersten Variationen ein zweites hinzu: das chromatische Quartfallthema:

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Dieses Material wird in freiester Weise variiert, in dem Thema b mit a abgewechselt wird. So ist die 8. Variation wieder über Thema b gearbeitet (nur gis a entstammt dem Thema a):

*) Siehe die Wiedergabe der ersten Seite der Handschrift.

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ebenso die 17. Var. (T. 80):

Var. 19 (T. 88) hat als Grundlage die Umkehrung des Themas, allerdings verschleiert in der Mittelstimme, Var. 22 (T. 104) eine Abänderung des Themas d g b a d, in der zweiten Hälfte mit chromatischem Gegenaufstieg d e f fis g a, Var. 24 (T. 112) ist sehr frei, sie stellt den Höhepunkt in dem ersten Mollteil dar, die Baßtöne steigen und fallen von d nach a und d. Als Abschluß des ersten Mollteiles erscheint noch einmal das Thema, in seiner zweiten Hälfte chromatisch erweitert. Der mittlere Durteil bringt mit 11 Variationen auch wundervolle klangliche Steigerung, der dritte Teil, wieder in Moll, läßt in der zweiten (38.) Variation das umgekehrte (aufsteigende) Thema als Grundlage erkennen. Das Thema in der Anfangsfassung beschließt das Stück. Manche Variationen sind Steigerungen und Fortsetzung oder Umkehrung der vorhergehenden (11. 12), so daß Variationspaare entstehen. Die 43 Variationen (man könnte auch anders zählen, Paare zusammenfassen) bringen einen geradezu überwältigenden Reichtum an musikalischer Figuration, Gedanken, aber auch seelischen Stimmungen, wobei das 2. Lamento-Thema Klage und Schmerz bedeutet, der sich in Var. 23 zu höchster Spannung (weite Arpeggien, erweiterter chromatischer Baß) steigert. Die Durvariationen gipfeln geradezu in jubelndes Glockengeläute (36. Var. T. 200), während der erneute Mollteil Besänftigung, Resignation bringt: ein unendlidi reiches Seelengemälde! All dies ist e i n e r Solovioline anvertraut. Es erfordert allerdings höchste Virtuosität, um das Werk klanglidi und seelisch voll auszuschöpfen. Hinzugefügte Klavierbegleitungen, wie die von Schumann, die Uebertragung zu Studienzwecken für die linke Hand von Brahms und selbst die pianistischE n g ö , Joh. Seb. Bach 14

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geniale Konzertübertragung für Klavier von Busoni erreichen das Original in seiner ursprünglichen Klangherrlichkeit nicht. Die sechs S o n a t e n f ü r K l a v i e r u n d V i o l i n e , die Bach komponiert hat, sind hochbedeutende Schöpfungen, die leider zu wenig in der Allgemeinheit bekannt sind. Grund ist wohl ihre historische Stellung zwischen der altitalienischen Sonate mit Generalbaß und den klassischen und romantischen Sonaten nach Mozart und Beethoven. Ihr Stil ist größtenteils kontrapunktische Führung der drei Stimmen, Violine, Klavier, Ober- und Unterstimme. Dadurch sind sie komplizierter als die Sonaten von Corelli und Händel, die nur einen Generalbaß zur Begleitung haben und die mehr nur auf Violinkantilene, nicht auf dieser kontrapunktischen Verflechtung der Oberstimmen angelegt sind. Die klassischen und romantischen Sonaten geben dem Klavier zwar Selbständigkeit, ohne aber eine durchgehende fugierte Führung zu verlangen, wie sie fast in allen Allegrosätzen bei Bach angewandt ist. Bachs Sonaten haben einen ausgearbeiteten, obligaten Klavierpart, im Gegensatz zur Sonate mit nur harmonisch ausgeführtem Basso continuo. Diese ausgeführten Klavierparte sind zur Zeit Bachs nichts anderes als Ersatz. Man legte die zweite Stimme der Triosonate ins Klavier als selbständige zweite Oberstimme. Viele Sätze bei Bach sind nicht anders entstanden zu denken. Man könnte die A-dur und G-Sonate ganz, andere Sonaten satzweise mit einer zweiten Violine statt dem Klavierdiskant besetzen und den Baß continuomäßig ausführen. Wir hätten dann echte Triosonaten, »Sonate a tre«, vor uns. Andere Sonaten, fis, h, f, E, haben anderen Charakter, nicht nur weil der Klavierdiskant in der h-Sonate (1. Satz), zweistimmig gesetzt ist, oder gar vierstimmig, wie im ersten Satz der f-Sonate, sondern weil die Violine ihrem eigensten Charakter entsprechend klanglich voll ausgenützt ist. Der wundervolle langsame Satz der E-Sonate, aber auch deren erster, ließe sich nur für Ensemble instrumentieren, im Adagio etwa für Streicher und Flöte für die Soli des Klaviers; der Einleitungssatz, der an die Choralphantasie in E »O Mensch« aus der Matthäuspassion (vgl. T. 18, 32) erinnert (nur ist er leichter, tröstlicher), wäre klanglich ein echter Konzertsatz. Bach geht in diesen Sätzen wieder weit über die Grenzen der Gattung hinaus, 210

wie sie zu seiner Zeit eingehalten werden. Der Einleitungssatz der E-Sonate ist eminent geigerisch, die weit geschwungene, durch verbindende Läufe ausgezierte Melodie über dem ostinaten Motiv des »Orchesters« ist ungemein ergreifend. Der zweite und der vierte Satz, die schnellen Sätze der Ordnung der Kirchensonate, sind freilich rein dreistimmig; sie sind in den Oberstimmen fugiert. Die Form dieser schnellen Sätze ist eine Früh- oder Vorform der Sonate. Der erste Satz zeigt drei Hauptteile, der Mittelteil beginnt in der Paralleltonart, der letzte Abschnitt bringt im 2. Satz ein kurzes, im vierten ein ausführliches Dakapo. Der langsame 3. Satz ist ein 13mal modulierend wiederkehrender Basso ostinato, über den die beiden Oberstimmen einen einschmeichelnd zarten Gesang anstimmen. Besonders schön ist der erste Satz der h-Sonate, ein Klagegesang mit »Tränenmotiv«. Ein wundersames Duett stimmen die beiden Oberstimmen im ersten Satz der A-Sonate an, mit zärtlichen Trillern, Wendungen und Appoggiaturen. Auch der Baß nimmt am Kanon teil. Der zweite Satz dieser Sonate ist ein ungemein frisches, lebendiges Stück, dessen Mittelteil die zärtliche Stimmung des ersten in einer für Bach eigentümlich homophonen Weise anklingen läßt und mit einem langen Orgelpunkt von 19 Takten die Rückkehr des Vorderteiles vorbereitet, alles ungewöhnliche Züge! Der dritte Satz setzt den Affekt des ersten um einen Grad gefühlvoller fort, er ist ein zärtliches Kanonduett. In der c-Sonate ist der erste Satz ein Siciliano, der an die Arie »Erbarme dich« aus der Matthäuspassion erinnert, auch in der Baßlinie. Die Begleitung hat aber doch anderen Charakter. Bedeutend ist hier auch der große zweite Satz, ein Allegro in kontrapunktischer, dreistimmiger Technik, in dem die Form durch eine hochinteressante Verarbeitung der vertauschbaren Motive erzielt wird. Die zweite Hälfte des Kopfthemas (T. 4) wird ein wichtiges Motiv, rondomäßig kehrt das Kopfthema wieder (T. 55), dacapoartig mit Aromatischem Baß (T. 102). Wie immer ist Bach im Affekt streng an die Tonart gebunden. Der frischen G-Sonate Nr. 6 steht die Sonate 5 in f-moll gegenüber. Nicht nur der dritte Satz ist seltsam mit seinen Violindoppelgriffen über huschenden Figuren des Klavieres (die erst in einer zweiten *14

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Fassung zu diesen Zweiunddreißigste-Figuren umgestaltet wurden), sondern auch der erste Satz ist ganz besonderer Art. Er ist ein dreistimmiger, streng imitierender Klaviersatz. Sein Thema stand zuvor in der achtstimmigen Motette »Komm Jesu, gib Trost mir Müdem, das Ziel ist nah, die Kraft ist klein«. Der Gehalt dieses Textes, dem die Tonart — Passionstonart — entspricht, scheint audi dem Satz zugrunde zu liegen. Zum Thema der drei nacheinander einsetzenden Stimmen,

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die so von f 2 bis in die große Oktave absinken, so recht die Mattigkeit des Todesmüden malend, setzt die Violine ein mit einer Schluchzerfigur

Beim Dacapo des streng dreiteiligen Satzes (T. 59, D. T. 87 Dacapo) bringt die Violine abwärtssteigende Septsprünge, die wie müdes Hinsinken in das Grab wirken, die aber- danach

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m sich aufschwingen in Gedanken an den Himmel, bis b 2 , und nach dem Trugschluß noch seltsam zitternd in Halbtonschritten absinken:

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Badi ist mit dieser Sonate weit aus der bloß musikalischen Schönheit der Barodcmelodik in den Ausdrucksbereich der romantischen Instrumentalmusik vorgedrungen. Diese Musik ist mehr als absolute Musik! Der zweite Satz könnte — mit aller Vorsicht — als Zuversicht in Gott, der dritte als mystisches Grabesstück, der vierte als Auferstehung (chromatischer Aufstieg) gedacht werden. Die sechste Violinsonate hatte ursprünglich eine andere Satzfolge. An Stelle des Cembalo solo als dritter Satz stand eine Variante der Courante aus dem ersten Teil der Klavierübung, in der zweiten Bearbeitung aber ein Cantabile, ma poco Adagio, in G-dur, ein Siziliano, bei dem in 12 Anfangstakten die Violine allein ihre sanften, mit weiten Läufen ausgeschmückten Gesang singt, während dann Violine und Klavieroberstimme miteinander wetteifern, das Dacapo aber die Violine den Satz allein beschließen läßt. Der folgende Satz, Adagio, der eine schmachtende Seufzerfigur über dem chromatischen Lamentobaß durchführt, steht in der dritten, heute üblichen Bearbeitung, an Stelle eines Satzes in g, der Gavotte der 6. Partita. Die erste Fassung mit dem Cantabile ist wohl die schönere. Eine eigentümliche Zusammenstellung von Sätzen bietet eine Sonate für Violine und Klavier, in der Handschrift mit »Trio« bezeichnet. Eine langausgesponnene Fantasia, Courante, Entrée (sonst bei Bach nicht vorkommend), Rondeau, Sarabande, Menuette und ein lang ausgeführtes, zweiteiliges Allegro bilden die ungewohnte Folge. Die Doppelgriffe im ersten Satz eignen sich gut für die Viola d'amour. Eine Jugendarbeit ist eine S o n a t e i n g - m o l l , deren zweiter Satz in Es den Rhythmus und Charakter des Es-Präludiums aus dem 2. Teil des Wohltemperierten Klavieres vorausnimmt. Die absteigende Wendung im 3. Takt erinnert an den langsamen Satz des Konzertes für zwei Violinen. Das Werk ist vielleicht für Flöte bestimmt. Merkwürdigerweise ist eine Handschrift einer Violinsonate von Bachs eigener Hand vorhanden, deren Baß mit dem Baß des Trios übereinstimmt, während die Oberstimmen abweichen. Ein solcher Fall steht in Bachs Werken einzig da, und man hat deshalb das Trio als Arbeit von Bachs Schülern oder Söhnen angesprochen. Das ist aber doch nicht recht überzeugend. Die Bach in der Ge-

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samtausgabe zugeschriebenen vier »I n v e n z i o n i« entstammen Fr. A. B o n p o r t i s op. 10 (1702). Für Violine und bezifferten Baß besteht noch eine S u i t e in c mit einem durchgängig figurierten Solo über dem Orgelpunkt als Einleitung, Allemande und Gigue sowie einer Fuge in g-moll, bei welcher Doppel- und Dreifachgriffe verlangt werden, und in deren figurative Episoden kühne Modulationen bringen. S e t h s S u i t e n f ü r V i o l o n c e l l o solo stehen den Violinsonaten zur Seite. Bis auf die zweite sind sie von Préludes eingeleitet, deren vierte und sechste Konzertform haben, während die fünfte eine Ouvertüre ist. Die fünfte Suite verlangt eine Herabstimmung der A-Saite in G, die sechste ein fünfsaitiges Instrument mit e'-Saite, vielleicht die Viola pomposa, oder das Violoncello piccolo, das, ein wenig größer als die Bratsche, auf der (rediten) Schulter gespielt wurde, weniger wahrscheinlich ein normales fünfsaitiges Cello. Die Sonaten mit obligater Klavieroberstimme und einem Instrument sind häufig auf den Handschriften als » T r i o« bezeichnet, und sind z. T. ohne weiteres der dieser Gattung ursprünglichen Besetzung zugänglich. Zwei T r i o s mit zwei obligaten Instrumenten sind das G-Trio für Flöte, Violine und B. c. und das Trio in G für zwei Violinen und B. c. Die G-Sonate ist knapp gefaßt, Tonart und Instrumente geben eine liebliche, sanfte Musik, ein reizendes Vivace als zweiten, ein zärtliches Adagio in der Paralleltonart als dritten, eine Fuge als vierten Satz. Weniger bedeutend ist die C-Sonate, bestehend aus drei Sätzen, Adagio, Alia breve, einer trefflichen Fuge mit Gegenthema und einer Gigue. Ein T r i o für zwei Flöten und Continuo war ursprünglich die jetzt als Gambensonate Nr. 2 bekannte Sonate in G-Dur. Diese Umbesetzung zeigt, daß die damalige Praxis Triosonaten in verschiedenster Weise zur Ausführung bringen konnte. Hier ist die erste Flöte durch den Klavierdiskant, die zweite durch die eine Oktav tiefer spielende Gambe besetzt. Eine in neuerer Zeit aufgefundene T r i o s o n a t e d für zwei Violinen dürfte mit gewissen Zweifeln als Badische Komposition anzusprechen sein. Nicht nur besteht eine gewisse Aehnlichkeit mit der Orgelsonate gleicher Tonart (im zweiten Satz der Sonate), 214

sondern sogar mit dem Konzert d-moll für zwei Violinen. Zweifel erregen allerdings die harmonischen Besonderheiten, die für Bach in dieser Form ungewohnten chromatischen Modulationen und ein allzu »zärtlicher« Ausdruck. Vielleicht ist das Werk eine Ueberarbeitung einer späteren Zeit. Für Flöte haben wir s e c h s S o n a t e n von Bach, drei mit obligatem Klavier, drei mit Generalbaß. Von den Sonaten ist die erste in h mit einem interessanten langen Andante eingeleitet, eipem echten Triosatz, der im Aufbau an die Konzertform erinnert, nicht so deutlich wie die 2. Sonate in Es, in deren erstem Satz Tutti (Klavier) und Solo (Flöte) sogar getrennte Themen haben. Der Charakter des Instrumentes ist von Bach erkannt und ausgenützt, auch in beiden schönen Siciliani. Ein reines Trio ist die 3. Sonate a, deren erster Satz beide Oberstimmen in zärtlichen Sexten (Largo e dolce) singen läßt; der zweite der zweisätzigen Sonate ist ein hübsches Wechselspiel zwischen beiden Oberstimmen. Hier wäre an Stelle der Klaviermelodie besser eine Violine zu setzen. Von den drei Sonaten mit Generalbaß ist die dritte in E mit ihrem schönen Siciliano, in dem Flöte und Baß miteinander singen, die schönste. Eine Gambe als Baß zum Clavichord gibt hier den rechten Klang. Von den drei S o n a t e n f ü r G a m b e und obligates Klavier ist die g-moll-Sonate die bedeutendste. Schpn der erste Satz ist ein gewaltiges Stück. Der Satz ist in Konzertform geschrieben. Konzertmäßig ist das Ritornell, das außer am Kopf des Satzes und des leicht veränderten Dacapo noch viermal wiederkehrt, auf den Tonstufen d V (T. 35), c IV (T. 44), Es VI (T. 64) und bei der Rüdekehr nach der Tonart (T. 73), als kurze Einwürfe, beim Schlußtutti, dem Dacapo im rassigen Unisono, wie es für das Konzert typisch:

Ein zweites Motiv aus der Einleitung gewinnt Bedeutung: 215

ebenso ein T. 47 auftretendes drittes:

Der Teil der Tonartrückkehr, die Reprise ab T. 73 bringt statt des zweiten dieses dritte Thema in neuer Beleuditung, in kurzen Gruppen auf die beiden Oberstimmen verteilt. Dieser Satz ist von höchster Genialität erfüllt. Das Adagio spinnt einen Zwiegesang zwischen Gambe und Klavierdiskant, der dritte in lebhaftem Charakter mit charakteristischem Eingangsthema und einem schon sonatenmäßigen »zweiten« Thema (T. 19 und 69) ist von jener rauschenden Beweglichkeit, die für Bach kennzeichnend und aus einem unerschöpflichen Quell zu strömen scheint. Die erste Sonate für Gambe, aus einem Trio für zwei Flöten wie erwähnt bearbeitet, ist von lichtvoller Zartheit im ersten Satz. Der zweite Satz ist ein langes, in Aufbau und der motivischen Arbeit wieder hochinteressantes Stück, der dritte Satz läßt über pochenden Achteln (Oktavsprüngen) mit reicher Modulation ein fast mystisches Motiv durchführen. Der Satz erinnert an Stimmungen arioser Rezitative aus der Matthäuspassion. Der letzte ist ein graziöser, kontrapunktisch gearbeiteter dreiteiliger Satz mit feinster Verarbeitung der Motive. Von der Sonate Nr. 2 in D ist das Siciliano das schönste, am dritten Satz reizt wohl eine mittlere, gelockerte Durchführungspartie am stärksten, die Figuration ist sonst etwas einförmig.

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KONZERTE D i e i t a l i e n i s c h e K o n z e r t f o r m hat Bach stark gefesselt. Es war die Zeit, da die Meisterwerke der damals noch neuen Gattung Konzert, vor allem die Konzerte Vivaldis nach Deutschland gelangten. Bach hat sich mit Feuereifer dieser neuen Form angenommen, sie studiert, wie die vielen Transkriptionen zeigen, probiert, in allen möglichen Satztypen ihre Prinzipien angewandt. Den Höhepunkt dieser Konzertarbeiten bilden Bachs Konzerte, Solokonzerte wie Concerti grossi. Zahlreich sind die S o l o k o n z e r t e , die Bach für Violine komponiert hat. Nur zwei sind uns in der Originalfassung erhalten, andere dagegen in Bearbeitung für Klavier. In den beiden Solokonzerten hat Bach höchst eigenartige Verarbeitungen der italienischen Form gegeben. Als geborener Kontrapunktiker hat er überall die Einzelteile der Form mit kontrapunktischer Arbeit durchdrungen und versucht, die Teile in Verknüpfung zu bringen. Tutti und Soli stehen nicht mehr so getrennt in klarem, eben südlichem Verhältnismaß nebeneinander, wie bei Vivaldi, dem Meister, der Bach hier am stärksten beeindruckt hat. Die große Plastik der italienischen Konzerte ist nicht bei Bach zu finden, sie werden kammermusikalischer, intimer. Im K o n z e r t a - m o l l wird im ersten Satz zunächst im Eingangstutti alles motivische Material aufgestellt, das im Satz verarbeitet wird. Der Solist beginnt mit einer Variante des Themas und schon erscheint das Themamotiv in der Begleitung. Die Soloabschnitte werden von Tuttieinwürfen durchsetzt, wie das zeitüblich war, nur läßt Bach auch in die Soli häufig das Tutti kurze Einwürfe machen. Die Reprise, das Schlußtutti (ab T. 143) hat noch kurze unterbrechende Soli. Der Mittelsatz ist ein langer Dialog zwischen dem Orchester und dem Solisten. Dieser Wettstreit zwischen beiden Klangkörpern ist ein Kennzeichen des Konzertes, des echten Konzertgeistes, wie es bei den Italienern, bei Vivaldi zu finden ist. Man sehe einmal den Mittelsatz des von Bach übertra217

genen Konzertes von Vivaldi, op. 3, 3 daraufhin an (bei Bach Nr. 5). Der Dialog zwisdien Solo und Tutti wirkt dort unmittelbar so, daß der Solist wie ein Mensch zu uns spricht, dem andere, größere Mächte gegenübertreten. Alle echten Konzerte der Folgezeit zeigen diese Zwiesprache zwisdien Menschenseele und fremden Gewalten, Beethoven im G-Konzert, Schumann, Brahms. In Bachs a-moll-Konzert singt die Violine seelenvoll über der dunklen Macht des Basses mit seinem ostinaten Motiv. Der Schlußsatz bei Badi hat die übliche italienische Form mit 5 Tutti, die vier Soli einschließen. I m E - d u r - K o n z e r t hat Bach noch großartiger mit der Formung der Tutti und Soli experimentiert. Drei Teile sind gegeben, der dritte, das Dakapo, hat mit seinen 52 Takten Länge und drei Tutti (auf T, D, T) einen geschlossenen Charakter. Der Mittelteil steht, nach Arienart, in der Paralleltonart, im Minore, eis- bis gismoll, mit zwei Tutti. Tutti und Soli sind trotz ihrer räumlichen Trennung eng verbunden, unaufhörlich webt irgendein Teil des Themas kontrapunktisch in der Begleitung des Solo. Zum Soloeinsatz spielen hier die begleitenden Violinen die zweite Themenhälfte, der Baß das Thema:

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Von ergreifender Schönheit ist der zweite Satz; die Violine singt einen klagenden Gesang über einer Melodie der Tiefe, einem ostinaten Baß. Auch klanglich ist die Geige hier auf das herrlidiste 218

entfaltet. Der letzte Satz ist erfüllt von pulsierender Lebensfreude. Er weicht baulich vom italienischen Vorbild insofern ab, als der 16taktige Tutti-Refrain rondoartig fünfmal in der Haupttonart wiederkehrt. Berühmter vielleicht noch als die Solokonzerte ist das K o n z e r t f ü r z w e i V i o l i n e n in d-moll. Schon der erste Satz ist packend. Die beiden Soli setzen im Kanon ein, mit neuem Thema; das zweite und das dritte Tutti sind kurz, im Durchführungsteil verflechten sich die beiden Violinen auf das herrlichste. Das Schlußtutti ist kurz, der ganze Satz gedrängt und plastisch. Von zu Herzen gehender, ergreifender Schönheit ist der zweite Satz, ein Duett der beiden Violinen, die sich im Quintabstand nachahmen, dabei wunderbar verschlingen und ihre Motive tauschen. In bewegten und rührigen Figuren lösen sie sidi ab. Unaufhörlich quillt so die musikalische Linie aus der Tiefe in beglückender Fülle. Mit einem leidenschaftlich bewegten Hauptthema setzt der Schlußsatz ein. In der Technik ist dieser Satz immer wieder zu bewundern. Bis zum Sturm steigert sich Erregung und Klang. In Seitenthemen spenden die Violinen, die sich kanonisch folgen, Beruhigung. Bachs K l a v i e r k o n z e r t e sind Uebertragungen von Konzerten für Violine und ähnliche Streichinstrumente. Das bekannteste der Konzerte ist das in d-moll. Man hat seine Echtheit bezweifeln wollen. Mag auch einiges nicht völlig bachisch wirken, sollte wirklich nur eine Ueberarbeitung eines fremden Meisters vorliegen, so müßte es die eines Meisters von bachischer Größe gewesen sein. Für Bachs Urheberschaft spricht der Umstand, daß das Konzert von Bach in der Kantate 146 als Einleitung benützt worden ist. Eigene Konzerte hat Bach in ähnlicher Weise verwendet, das EKlavierkonzert in den Kantaten 169 und 49. In der Sinfonia zur Kantate 35 haben wir ein sonst nicht bekanntes Konzert erhalten. Bach hat aber in seinen Kantaten niemals fremde Kompositionen bearbeitet, wie bis jetzt feststeht, sondern nur eigene. Also dürfte dieser Umstand auch für Bachs Autorschaft beim d-moll-Konzert sprechen. Das d-Konzert ist fast tragisch, wuchtig, schon in seiner Eröffnung im Unisono mit dem markigen Thema mit seinen kühnen rhythmischen Vorgriffen und nach oben steigenden Spitzen219

tönen, die in zackiger Gebärde gegen den Takt stehen. Nur ein genialer Musiker kann ein solches Thema erfunden (oder umgestaltet) haben:

P Diese Figur gliedert in den Tuttisätzen den Verlauf des Satzes. Die Hauptsoli bringen jedesmal eine neue technische Figur zur harmonischen Durchführung. Diese Figuren sind nicht immer ganz klavieristisch, weshalb man annahm, es liege eine Uebertragung eines Konzerts für ein Streichinstrument vor. Im zweiten Satz besonders wird der Charakter einer Geigenmelodie deutlich in den ausgezierten Soli, die über dem einleitenden, lastend-düsteren Thema als Basso ostinato sich erheben. In der Kantate 146 ist der zweite Satz zu einem Chor verwendet auf die Worte: »Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen«. Viel Trübsal drückt auch der Satz aus. Das A - d u r - K o n z e r t , wohl allein von den sieben Konzerten vielleicht ursprünglich für Klavier oder Orgel komponiert, beginnt mit einem prächtigen, lebendigen ersten Satz, in dem ein rhythmisches Motiv des einleitenden und schließenden Tutti und seine Umkehrung dauernd verwandt wird. Der schöne Siciliano hat eine lang ausgesponnene melodische Linie in der Oberstimme des Klavieres, die allerdings wieder violinistisch wirkt. Von den sieben Konzerten für Klavier in der allein erhaltenen Fassung waren ursprünglich wohl vier für Violine bestimmt, außer 220

dem d-moll, die Konzerte in D, f, g. Das Konzert in D ist eine Uebertragung des Violinkonzertes in E, das in g desjenigen in a. Ein F-Konzert ist Uebertragung des vierten Brandenburgischen Konzertes in G. Das f-Konzert hat man neuerdings sozusagen für Violine in g-moll zurückübertragen. Von den zwei K o n z e r t e n f ü r z w e i K l a v i e r e ist wohl nur das in C original für Klavier. Das Konzert in c-moll ist wohl ursprünglich für zwei Violinen oder Violine und Oboe gesetzt gewesen. Besonders schön ist das Adagio, ein weitausgesponnener Kanon, von den Streichern pizzicato begleitet, der an das Largo der Konzerte für zwei Violinen heranreicht. Glänzende Arbeit bringt der letzte Satz, in welchem ein Hauptmotiv kontrapunktisch und kombinatorisch verarbeitet wird. Man hat auch dieses Konzert wieder für Oboe und Violine oder zwei Violinen eingerichtet, und so ein zweites wundervolles Violin-Doppelkonzert zurückgewonnen. Das D o p p e l k o n z e r t in G ist wohl original für zwei Klaviere. Das Tutti spielt eine zu untergeordnete Rolle. Musikalisch herrlich ist, was Bach mit dem kurzen Hauptmotiv anzufangen weiß. Die Fuge über das lange Thema ist von prächtiger Lebendigkeit, das Thema selbst eine Weiterführung des C-dur-Thematypes des Wohltemperierten Klavieres*. Von den zwei K o n z e r t e n f ü r d r e i K l a v i e r e ist das in d vielleicht nicht unbedingt echt. Diese mächtigen Unisoni des Tutti kennt sonst Bach nicht. Das Werk in C-dur ist wohl das bedeutendere. Das Unisonothema, das Bach durch einen hinzutretenden vierstimmigen Satz, bezeichnend für seinen Stil, verschleiert, dient zu kunstvollen Kombinationen. Eines der schönsten Klavierkonzerte ist das in a-moll für K 1 a v i e r , F l ö t e u n d V i o l i n e . Bach hat dieses Werk durch eine höchst geniale Umarbeitung aus dem Klavierwerk, Präludium und Fuge in a-moll, den Mittelsatz aus dem langsamen Satz der dritten Orgelsonate erstehen lassen. Dem Fugenthema im Giguenrhythmus wird im Konzertsatz ein Tuttimotiv als Gegenthema gegenübergestellt. * Vgl. das 3. Beispiel auf S. 164.

221

Dem Vorbild des italienischen G o n c e r t o g r o s s o ist Bach ebenfalls gefolgt. Was Bach aber in den B r a n d e n b u r g i s c h e n K o n z e r t e n hier geschaffen hat, hat mit dem italieni-r sehen Konzert nur noch wenig gemein. Die Italiener gliedern namentlich in den Ecksätzen durch Gegenüberstellung von Tutti und Soli — fünf Tutti und vier Soli — durch eine Folge von Wechsel der Tutti und Soli. Bach läßt nicht bloß wechselnde Absätze folgen, sondern er verbindet diese wechselnden Teile durch motivische und kontrapunktische Arbeit. Trotz größerer Dichte der Arbeit, einer Feinarbeit am Teil, ist das ganze vielleicht weniger plastisch, dafür aber einheitlichr und organischer geworden. Das erste Konzert zeigt einen schon öfters hier aufgezeigten Plan des Aufbaus, nämlich Bogenform. Die Teile A (Takt 1—13, T), B (13—27, T), C (27—43, Tp), D (43—57, D—Sp), E (57—72, T), F (72—84, T), je 13—16 Takte, entsprechen sich folgendermaßen: I I I 1 I I ABCDD'EF. Jeder Teil beginnt mit dem Hauptthema mit Gegenthema:

Die Soli, zumeist Bläsertrio, 2 Oboen, Fagott oder 2 Hörner und Fagott, stets mit Streichern verflochten, verwerten zwei eigene vertauschbare Motive. Eine Kleingeige, Quartgeige, eine Terz höher gestimmt, tritt zu den Soli hinzu. Im 3. Satz konzertiert sie auch mit dem Horn oder der Oboe. Diese Fülle der Instrumente als Soli ist zwar in sehr prächtigen, ja genialen Konzerten Vivaldis vorgebildet. Aber die Art, wie Bach Tutti und Soli kontrapunktisch und motivisch verknüpft, ist nicht italienisch, sondern ganz Bachisch. Deutsche, immer bewahrte kontrapunktisch vielstimmige Satzweise in der Instrumentalmusik ist mit italienischer Großform 222

und italienischer Klanggegensätzlichkeit genial verknüpft. Im zweiten Satz stimmen Oboe, Violino piccolo und Baß einander abwechselnd einen fast tragischen Klagegesang an. Dem dritten Satz, der auch motivisch eine Steigerung gegenüber dem ersten bildet, folgen noch Menuett und Polacca mit Bläser-Trio. Im zweiten Brandenburgischen Konzert verwendet Bach ein Concertino von Trompete, Flöte, Oboe und Violine zum Streichertutti mit Generalbaß. Aehnlich wie im ersten Konzert sind Tutti und Soli mit größter Genialität motivisch getrennt, aber in den vollen Concertinostellen vom Tutti kontrapunktisch begleitet. Die motivische Arbeit gibt dem Satz ein erstaunliches Leben. Einem Kanon zwischen Flöte, Oboe und Violine folgt als letzter Satz eine Fuge, die mit keckem Thema, in den Soli mit der Trompete voran, einsetzt. Im 3. und 6. Konzert verwendet Bach nur Streicher. Das sechste verlangt zwei Violen da braccio, zwei Violen da gamba, Violoncello, Kontrabaß und Cembalo. Schon für die Bachzeit waren die Violen altertümlich. Die Klangfarbe dieses zarten, tiefen Streicherkörpers ist ganz eigener Art. In den Sologruppen des ersten Satzes herrscht neben freiem Spiel mit Imitation ein meisterhafter Kanon zwischen erster und zweiter Bratsche in kurzem Abstand. Ein Duett zwischen den zwei Bratschen über laufenden Vierteln des Cello bildet das Adagio, das an venezianische Art erinnert, auch an Kammerduette Steffanis und Händeis. Bekannter ist das 3. Brandenburgische Konzert in G für 3 Violinen, 3 Bratschen, 3 Celli, Contrabaß und Continuo. Ein Wunderwerk an thematischer Arbeit ist der erste Satz, der altvenezianische Mehrchörigkeit auf das Streichorchester in drei Gruppen mit Soli anwendet. Vier Hauptteile (T. 1—47, —74, —91, — Schluß) mit neuen Seitengedanken im zweiten und einem neuen zum Hauptthema tretenden Thema im dritten Teil (T. 78) gliedern den Satz. Das Hauptthema (das bei Bach z. B. in der Gambensonate g, und bei Zeitgenossen, wie Stoelzel und Fasch vorkommt) wird kühn verarbeitet, in einer alles in Deutschland an kontrapunkti223

sdier-»diditer«-Arbeit überbietenden Weise und nimmt die von Haydn wieder neuerfundene »thematische« Arbeit vorweg:

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Ein Concertino von zwei zarten Blockflöten neben der Violine verlangt das 4. Konzert. Der erste Satz von riesiger Ausdehnung ist in Bogenform gebaut. Auch hier herrscht keine schematische oder romanisch-klare und äußerliche Einteilung von Tutti und Soli, denn alles ist durch feinste kontrapunktische Arbeit gelockert. Die Soli sind auf zarte Eleganz gerichtet; rhythmische Feinheiten finden sich. Im Andante treten Tutti und Concertino, zwei Flöten und Violine ohne Baß, einander in kurzen Phrasen gegenüber. Corelli ist hier Vorbild, wie bei der Fuge von 244 Takten, die den Satz beschließt. Das fünfte Konzert ist beinahe ein Klavierkonzert, denn im ersten Satz hat das Klavier im Concertino von Flöte, Violine und Klavier mit einem Solo von 65 Takten den Vorrang. Das Klavier wetteifert in seinem Diskant auch in den übrigen Solostellen an Be224

weglidikeit mit den zarten Soli. Der zweite Satz trägt die modische Vorschrift »Affettuoso«, er bringt ein kanonisches Terzett zwischen Flöte, Violine und Klavierdiskant. Eine empfindsame Stimmung herrscht vor. Im Gegensatz zu dem etwas archaisierenden sechsten Konzert hat das fünfte einen galanten Anstrich: es ist eine Anpassung an den Geist der Uebergangszeit zum Rokoko, freilich in Bachischem Stil. Die Suitenform pflegt Bach auch im großartigen Gewände der O r c h e s t e r s u i t e . Die drei Suiten, Ouvertüren nach den einleitenden Sätzen genannt, sind prächtige, rauschende Fest- und Hofmusik. Die erste Suite in G-dur hat im Fugato der französischen Ouvertüre einen Konzertsatz mit einem Concertino von zwei Oboen und Fagott. Von den Tanzsätzen ist die Gavotte Nr. 2 klanglich von höchstem Reiz: zu dem thematischen Satz der Bläser spielen die Streicher einstimmige Dreiklangsfiguren. Die zweite Bourrée ist reines Bläsertrio, auch das zweite Passepied ist klanglich ungemein reizvoll: die Streicher spielen die Melodie des ersten als Kontrapunkt zur neuen Oboenmelodie. Eine »Forlane«, ein ungemein rhythmisch schwungvolles Stück, steht, einmalig bei Bach, in dieser Suite. Vom Konzertstil ist auch die 2. Suite durchdrungen. Die Flöte ist hier Soloinstrument, die im Fugato der Ouvertüre reizvolle, spiccato von den Violinen begleitete Soloepisoden hat, mit den höheren Streichern auch im Rondeau. Für die Flöte solo ist das Double, eine Variation der Polonaise, virtuoses Flötensolo ist der Schlußsatz »Badinerie«. Unvergleichliche Grazie liegt über dieser Flötensuite. Festlicher, großartiger ist die dritte Suite in G, durch die Mitwirkung von Trompeten und Pauken. Die hohen D-Trompeten geben den Sätzen etwas ungemein Strahlendes. Wie ist das Fugato der Ouvertüre prächtig konzertant gearbeitet! Gavotte, Polonaise und Gigue, alle sind Muster an rhythmischer Gestaltung. Die Perle in dieser Krone schöner Sätze aber ist das »Air«, ein zweiteiliger Satz, mit einer unvergeßlichen Melodie der 1. Violinen über in Achteln-Oktavsprüngen absteigenden Bässen. Die Spätromantik hat diese Melodie sentimentalisiert. Der Geiger Engel, Joh. Seb. Badi 15

225

August Wilhelmy veröffentlichte und spielte sie 1871 um eine None abwärts nach G-dur transponiert und mit auf- und abschwellender Dynamik vorgetragen, auf der G-Saite. Dadurch kam ein falscher Klang, ein unechter und unbachisdier, virtuos-anspruchsvoller Sinn in das Stück hinein.

LETZTE WERKE In seinen späten Werken hat Bach die kontrapunktische Kunst immer reicher und strenger angewandt. Um 1744 ist der zweite Teil des Wohltemperierten Klaviers entstanden, 1747 die »einigen kanonischen Veränderungen über das Weihnachtslied«, 1747 das » M u s i k a l i s c h e O p f e r « , 1749/50 die »Kunst der Fuge«. Zu dem Musikalischen Opfer ist Bach angeregt worden durch ein Thema, das ihm Friedrich der Große bei seinem Besuch in Berlin stellte, um darüber zu improvisieren. Das »Opfer« ist eine weitere Ausführung dieser c. f.-Arbeit. Das Thema selbst

gehört zu einem in der ganzen Epoche häufig vorkommenden Typus, an dem charakteristisch sind die Schritte 1, 5, 6 und nun der Septsprung abwärts nach 7. Dieselben Intervalle, in der Anordnung etwas verändert, liegen z. B. den Fugenthemen aus dem Wohltemperierten Klavier I g, a, I I f, a, der Orgelfuge c (3. 6) zugrunde. Im »Opfer« hat Bach das Thema in der verschiedensten Weise bearbeitet. Er sandte zunächst ein Heft Bearbeitungen an den König, im Vorwort datiert vom 7. Juli 1747, eine zweite Lie226

ferung später. Zusammen enthalten die Lieferungen drei Teile, in denen jeweils nichtkanonische und kanonische Stücke einander folgen: I.

II.

III.

A. B.

1. Ricercar a 3 2 . - 7 . Kanons 8. Kanonische Fuge A. 9. Ricercar a 6 B. 10. Kanon a 2 11. Kanon a 4 Trios für Flöte, Violine und Generalbaß A. 12. Sonate B. 13. Canon perpetuum.

Die Kanons überschreibt Bach: ßegis /ussu Cantio Et ßeliqua Canonica Arte Äesoluta, d. h. das vom König gegebene Thema und das übrige auf kanonische Kunst entwickelt. Die Anfangsbuchstaben ergeben »Ricercar«. Bach läßt in den Kanons alte Kunst spielen. Der erste Kanon ist zweistimmig und krebsgängig, d. h. die zweite Stimme beginnt gleichzeitig mit der ersten, aber von rückwärts und umgekehrt, der zweite ist dreistimmig, zwei Oberstimmen sind im Kanon über das Thema geführt, der dritte hat zwei Unterstimmen im Kanon, aber in Gegenbewegung geführte, der vierte bringt zum Thema in der Mittelstimme ein Gegenthema, das die dritte Stimme in Kanon, Umkehrung und Vergrößerung durchführt, der fünfte Kanon bringt zum Thema zwei kanonische Gegenthemen, der Satz schließt einen Teil höher, er wird sechsmal auf d, e, fis, gis, a wiederholt. Die Fuga canonica ist zweistimmig notiert, die kanonische Stimme wiederholt die erste in der Quinte und 10 Takte Abstand. Das sechsstimmige Ricercar in altertümlichen Doppeltakten, dem alten »Alla breve« notiert, hat selbst auch altertümlichen, feierlich getragenen Klangcharakter, der an die Ricercare des stilo vecchio des 16. Jahrhunderts erinnert; die kühne Chromatik aber, die in dem Satz herrscht, ist modernster Bach. Der folgende Kanon ist zweistimmig, die zweite Stimme spielt die melodische Umkehrung. Wie alle Kanons außer den sechsstimmigen Ricercar ist auch dieser nur in einer Kanonstimme notiert, mit der Vorschrift, »Kanon«, »Quaerando invenietis«, »suchend werdet ihr finden«. Solche Vor•15

227

Schriften in dunklen Sätzen waren die »Kanons« bei den Niederländern. Dem vierten Kanon hat Badi beigefügt: Notulis crescentibus crescat Fortuna Regis, d. i. »wie die Noten wachsen, so möge des Königs Glück wachsen«, dem fünften: Ascendenteque Modulatione ascendat Gloria Regis, »und wie die Modulation höher steigt, so steige auch des Königs Ruhm«. Bachs Neigung zum Symbol tat sich auch hier kund. Der letzte Kanon ist vierstimmig. In der Sonate erscheint das Thema, das schon vorher in 6, 7, 9, 10 durch Zwischentöne verändert war, in verzierter Gestalt, aber auch in der Urform, und zwar in der Mitte des bogenförmig gebauten Satzes (T. 117—126), zusammen mit Bachs musikalischem Namenszug b-a-c-h, variiert im Baß des Largo, in der Umkehrung im Baß, dazu variiert im Diskant in der fugierten Schlußgigue Allegro 6/s. Ein Canon perpetuo in derselben Besetzung beschließt das Werk. Welche Instrumte im ersten Teil verlangt werden, ist nicht ersichtlich. Es ist aber im alten Sinne des 16. Jahrhunderts eine »musica«, deren Ausführung nicht an bestimmte Instrumente gebunden ist. Das dreistimmige Ricercar ist für Klavier geschrieben, das sechsstimmige Ricercar ist im Autograph, das Bach der zweiten Lieferung beilegte, ebenfalls auf zwei Systemen für Klavier notiert. Ein sedisstimmiger Satz ist aber auf dem Klavier nicht mehr so klar in der Stimmführung erkennbar. Bach ist sonst nur bis zur Fünfstimmigkeit im Klavier gegangen. Schöner klingt das Ricercar auf sechs Streichinstrumenten. Der Kanon a 4 kann durch Streicher oder zwei Klaviere wiedergegeben werden. Noch grandioser als dieses Werk ist die » K u n s t d e r F u g e « , das Gipfelwerk kontrapunktischer Kunst überhaupt. Dieses letzte größere Werk steht mit dem »Musikalischen Opfer« sdion durch das dem gleichen Typ angehörige Thema in enger Beziehung. Dem Werke liegt ein Thema zugrunde, dessen Verwandtschaft mit dem königlichen Thema des »Musikalischen Opfer« besonders in der Umkehrung deutlich wird (d-f-a-b-h, c-es-g-as):

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Die Kunst der Fuge hat seit der Aufführung der Bearbeitung für Orchester durch den früh verstorbenen Wolfgang Graeser in der Thomaskirche zu Leipzig am 21. Juni 1927 erneutes Interesse gefunden. Graeser hat das Werk für Orchester bearbeitet. In Streichquartettbesetzung und Besetzung für zwei Klaviere (Schwebsch) ist das Werk seitdem häufig erklungen. Es ergeht den Hörern dabei wunderlich. Die Hörer, welche den so ungeheuer künstlichen Aufbauplan und die kontrapunktischen Künste der einzelnen Stücke nicht kennen, und ebenso die Kenner, sie hören das Werk einfach als ergreifende Musik! Es ist schier unfaßbar, daß eine so komplizierte, rechnerisch ergrübelte Musik doch noch derart zu Herz und Sinnen sprechen sollte. Und doch ist es so! In diesem kontrapunktischen Wunderwerk sind Kunst und Herz, Mathematik und Seele vereint. Die verschiedenen Bearbeiter des Werkes in neuerer Zeit sind sich über die Folge der einzelnen Stücke nicht einig. Von der »Kunst der Fuge« sind ein Autograph und eine Druckausgabe vorhanden, die voneinander abweichen. Bach muß an der Revision des Druckes mitgewirkt, wahrscheinlich noch während des Druckes Verbesserung vorgenommen und Stücke nachkomponiert haben, denn einzelne Nummern (4, 17, 18) finden sich nidit in dem Autograph. Nur die Nummern 13, 14, 19 und 20 sind von den Herausgebern, vermutlich durch Wilhelm Friedemann, der seinen Bruder Emanuel bei der Regelung des väterlichen Nachlasses vertrat, besorgt worden. Der Plan des Werkes ist mit seinen wesentlichen Neuausgaben folgender: Originalausgabe (1750)

Graeser 1921

2. Thema mit punktierten Begleitrhythmen

1.

2. 3. 4.

David 1928

1. 3.

2.

4.

229

Gegenfugen

II.

Zwei- und dreifache III. Fugen Spiegelfugen

Kanons

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f 5. Thema normal und umgekehrt . < 6. in französischem Stil I 7. Thema vergrößert und verkleinert

Quadrupel| fugen VI.

.

.

.

5. 6. 7.

10. 11.

8. 9. 10. 11.

17. 5. 6. 7.

16. 18.

16. 10.

14. Frühere Form der Nr. 10 17. 15. Augmentationskanon 15. 16. Kanon in der Oktav 13a. 17. Kanon in der Dezime 13a. 18. Kanon in der Duodezime . 12a-b. 19. Bearbeitung der 3;.t. Spiegelfuge (13.) für 20. zwei Klaviere

11. 15. 12a. 12b. 13a.

8. 9. 10. 11.

3st. Tripelfuge Thema in Ganzen Thema punktiert 4st. Tripelfuge .

/ 12. 4st IV. 1 13. 3st ( I I V | I

.

20. unvollendet

18.

13b. 20.

Bach hatte 22 Sätze geplant. Forkel schreibt: »Die Absicht des Verfassers war, anschaulich zu machen, was möglicherweise über ein Fugenthema gemacht werden könnte.« Die Schlußfuge ist unvollendet geblieben. C. Ph. Bach notierte bei der Abbrudistelle: »NB. Ueber diese Fuge, wo der Name B A C H im Kontrasubjekt angebracht worden, ist der Verfasser gestorben.« Bach hat sich aber neben der Kunst der Fuge noch mit anderen Plänen abgegeben, so mit der Komposition von Orgelchorälen. Wir wissen also nicht, warum Bach die Fuge unvollendet ließ. Die Originalausgabe ist jedoch maßgeblich, und die Ordnung beizubehalten. Die Fuge 14 könnte nach Vorschlag von Husmann ausfallen, da sie eine frühere Form von Nr. 10 ist, die dreistimmige Spiegelfuge Nr. 13 durch die spätere vierstimmige Bearbeitung für zwei Klaviere ersetzt werden. Nur bis Nr. 12 sind die Stücke von Bach numeriert, die Nummern 15—18 waren aber auch im Drude von Badi zusammengestellt. Das ganze Werk kann als eine Monumentalfuge aufgefaßt werden, bei welcher die Gegenfugen II und die Spiegelfugen die Zwischenspiele darstellen würden. Das Werk ist bis auf die Spiegelfugen, für die man zwei Klaviere oder Orgeln heranziehen müßte, auf Cembalo oder Orgel spielbar, vielleicht für diese Instrumente 230

gedacht. Doch rechnet dieses abstrakte Werk nicht mit bestimmten Instrumentalklängen. Geschrieben ist das Werk in Partitur, zunächst wohl zur besseren Lesbarkeit. Mit welcher Genialität Bach die Möglichkeiten der Fugen erschöpft, ergibt sich nur aus einem eingehenden Studium des Werkes. Nach den einfachen Fugen folgen die Gegenfugen, bei denen die Gefährten das Thema in der Umkehrung bringen, in Nr. ö »in stile francese« bezeichnet, weil in ihr die punktierten Rhythmen und Schleiferfiguren der französischen Ouvertüre herrschen, erscheint das Gegenthema in halbierten Werten, in Nr. 7 tritt dazu die Vergrößerung: Umkehrung vergrößert

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In der Tripelfuge Nr. 11 hat das Thema eine variierte Gestalt:

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(wie früher im italienischen Variationsricercar), dazu treten zwei weitere Themen:

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Alle drei werden auch umgekehrt. Das dritte Thema läßt schon Bachs Namen in den Notennamen erkennen, der in der unvollendeten Quadrupelfuge als drittes Thema B-A-G-H eingeführt wird. Die Spiegelfugen sind hintereinander zu spielende Paare von Fugen, bei der die zweite die völlige Spiegelung, Umkehrung aller Intervalle darstellt, ein Kunststück, das unendlich kompliziert ist, wie ein paar Takte aus dem Verlauf dartun mag:

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Mit der »Kunst der Fuge« war Bachs Lebenswerk vollendet. Im Altersstil* vollzieht sich eine vertiefte Hinwendung zum Kontrapunkt, zur rechnerisch gebundenen Form, die in der Kunst der Fuge die denkbar höchste Steigerung erfahren hat. Es ist keine kalte Rechenkunst, sondern eine Mystik der Formmöglich* s. S. 67.

232

keiten, die Badi zu ergründen sucht. Uralte germanische Lust an unerschöpflicher Variation in phantastisch quellendem Formenreichtum ist entfesselt. Tiefe, unterirdische Wurzeln laufen zurück ins Erdreich niederländischer geheimnisreicher Kontrapunktkünste. Noch einmal ist alle überkommene Formenstrenge, aller süßen, melodischen, galanten Lockung ferner Ernst in einem unerreicht großartigen Kunstwerk zusammengefaßt, — und das zu einem Zeitpunkt, da eine neue empfindsame, flächige Kunst in den Triosonaten, Pergolesis, Stamitzens und den Sonaten der Söhne Bachs bereits aufgeklungen war. Ein Kunstwerk, fern seiner Zeit, aber auch über allem Zeitgeschmack stehend, war geschaffen, urgermanisch, urbachisch, ein Werk mittelalterlicher Zahlenmystik, voll von tiefster Religiosität erfüllt, Musik ohne Sinnreiz, ohne Eros, aber voll vom amor dei. In gewisser Hinsicht eine Krönung des Gesamtwerkes. Freilich, es wäre falsch, zu verkennen, daß nicht alle Kräfte Badhschen Geistes und Gemütes in diesem Werk wirken. Der jugendliche Bach in seinem virtuosen Ungestüm, der reife Bach der Passionen, der großen Orgelwerke, des Orgelbüchleins, des Wohltemperierten Klavieres, der Violinsonaten ist gefühlswärmer, empfindungsreicher. Im Alterswerk tritt an Stelle tiefbewegten Gefühlslebens und der Freude an jähen Gegensätzen, an hochbarocker Kunsthaltung, eine klassische Formung nach der rationalen wie der mystischen Seite hin. Diese Musik scheint die kosmische Ordnung widerzuspiegeln, sie erhebt sich über den Dunstkreis menschlichen Gefühlslebens in »Luft von anderen Planeten«! Zwischen Leibniz' Lehre von den Monaden und der praestabilierten Harmonie, die im musikalischen Bereich dem Fugenthema und dem Generalbaß entspricht, und Kants kategorischen Imperativ zeitlich hineingestellt, ist die Kunst der Fuge eine der gewaltigsten Leistungen philosophischen und organischen Denkens im deutschen Geistesleben. Es liegt nahe, Bach, den Troeltsch eine der stärksten Persönlichkeiten des Protestantismus genannt hat, auf seine Beziehungen zur zeitgenössischen Theologie zu prüfen. Daß Bach im Glauben 233

wurzelt, daß dieser Glaube als Fundament die Bibel hat, ist unleugbar. Bachs umfangreiches Werk an Vokalmusik gestattet eine Untersuchung der religiösen, mit gewisser Einschränkung, nämlich wegen der Vielfalt der in den Texten zutage tretenden Anstauungen, auch der theologischen Anschauungen Bachs. Daß die Grenzen zwischen Orthodoxie und Pietismus schwer zu ziehen sind, wurde schon gesagt. Diese Texte gestatten eben keine eindeutige Rekonstruktion Badischer theologischer Ueberzeugungen. Noch weniger vermögen aber die Instrumentalwerke einem deutungsfrohen Theologen Anhalt zu bieten. Von einer Theologie Bachs zu sprechen, ist abwegig. Am allerwenigsten kann das geschehen auf Grund der Bücher, die Bach in seinem Besitz hatte. Eines dieser Werke sind Johann Arndts »Vier Bücher vom wahren Christentum«. In ihnen ist von den vier Elementen die Rede. Ein Deuter hat in Bachs vier Duetten für Klavier eine musikalische Darstellung dieser vier Elemente nach Arndts Darlegung sehen wollen. Für einen solchen Deutungsversuch liegt auch nicht der Schatten eines Beweises vor! Dann wurde wiederum Bachs Dienst als weltlicher Musiker als »Anfechtung« gedeutet, von der Bach reuig in den Dienst der Kirche zurückgekehrt sei. Gegenstück zu dieser Deutung ist eine materialistische, Bach habe seiner vielen Kinder wegen so viele Kompositionen schreiben müssen. So einfältig eine solche Erklärung ist, so wenig tragen andererseits ins Dunkel theologischer Spekulationen führende Deutungen zu einer Klärung bei. Bach war kein Theologe, wenn er auch entsprechend der allgemeinen Bildung seiner Zeit eine gewisse theologische Schulung besessen haben mag. Sicherlich hat er theologische Probleme nicht systematisch und bis in die ihm sich bietenden letzten Möglichkeiten untersucht. Jedenfalls hat er sich nirgend zu solchen Problemen mit dem Wort geäußert. Bach war eben Musiker. Musiker in seltenster Weite der Begabung. Die Bezeichnung »Spielmann Gottes« ist nicht mehr als eine hübsche poetische Metapher, die sich auf die Legende vom Spielmann bezieht, der einfältig und wenig geachtet, vor dem Bildnis der Mutter Gottes geigt, bis diese leibhaftig zu 234

ihm heruntersteigt. Bach hat nichts von dieser Einfalt. Er ist eine Persönlichkeit von außerordentlicher Tiefe und Fülle. Als Personaltypus eine echt barocke Erscheinung. Wie bei diesen, wie bei Händel, der Liselotte von der Pfalz, und unzähligen hervorragenden Menschen dieser Zeit tritt auch in der Fülle der leiblichen Erscheinung, in der massiven Körperlichkeit dieser Ueberreichtum an lebensfroher Vitalität und Wucht bei Bach, dem Vater von zwanzig Kindern, hervor. Diese Vitalität und gesunde Leiblichkeit steht im Gegensatz zu der fast mystischen Versenkung in den Ernst des Lebens und Sterbens, den Bach im Geschehen seiner Zeit und in den Begebnissen seines eigenen Lebens kennen gelernt hat. Seine erste Gattin und elf seiner Kinder hat der Tod ihm genommen. Dilthey, der Bach einmal einen Mystiker nennt, sagt treffend: Bach ist nicht religiöser Musiker in fester Beschränkung; wie wäre dies auch möglich gewesen auf solchen Höhepunkten weltlicher Musik, in soldiem Glanz weltlicher Instrumentalmusik, wie sie ihn umgab: auch ihm war nichts Menschliches fremd. Man muß sich seine breite menschliche Persönlichkeit in ihrer freien Lebendigkeit sichtbar machen: seine heitere Weltfreude, seinen Humor, seine Melancholie, sein Spielen mit Instrumenten und Formen des musikalischen Ausdrucks, um zu verstehen, aus welcher allgemein menschlichen T i e f e seine Musik stammt, durch welche allgemeinen Seelenstimmungen sie genährt worden ist. Ein geheimnisvolles Verhältnis waltet zwischen dieser lebendigen Beweglichkeit seiner Stimmung und seiner musikalischen Phantasie und dann doch der festen Orientierung derselben durch die Bindung der Seele im Verhältnis zum Unsichtbaren."

Das »theologische Problem der Musik« mag für den Theologen von Interesse sein. Für die Erkenntnis der Musik können seine Aussagen keine Allgemeingültigkeit haben und nur nachweisbare geschichtliche Beeinflussung durch theologische Zeitströmungen können im Falle Bach eine. Deutung von Mensch und Werk fördern. Alles andere ist für die musikwissenschaftliche Erkenntnis ohne Nutzen.

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E I N N A C H W O R T ÜBER D I E P F L E G E BACHSCHER MUSIK Bachs Musik wird heute in Deutschland, aber auch in allen andern Kulturländern in großem Umfange gepflegt. Immer wieder tritt dabei das Problem der Aufführungsweise in den Vordergrund. Bei der Frage: wie soll Bachs Musik erklingen? auf neuen oder alten Instrumenten? Ueber die Antwort darf es Zweifel nidit geben: auf alten Instrumenten! Zunächst denkt man an das »Klavier«: das »Klavier« Bachs ist das Clavichord, das für die Deutschen schlechthin »das Klavier« war, und in zweiter Linie das Cembalo. Alles Intime, Zarte, Empfindsame gehört aufs Clavichord, das Rauschende, Virtuose auf das Cembalo. Die Frage der Bachorgel hat die Organisten und Orgelbauer seit mehreren Jahrzehnten bewegt und zur Renaissance der Badiorgel geführt (die freilich nicht schlechthin die »Bachorgel« oder gar die »Prätoriusorgel« ist!). Aber das Bachsdie Instrumentarium verlangt mehr: Gamben, Violino piccolo, Oboen d'amore und da caccia, hohe D-Trompeten (die neu gebaut wurden), Blockflöten, wo nicht ausdrücklich Querflöten vorgeschrieben sind. Die alten Instrumente sind ein Gebot der Stiltreue. Freilich ist mit ihnen allein eine stilechte Aufführung noch keineswegs gewährleistet. • Man kann auf dem modernen Flügel Bach stilechter spielen als auf dem Cembalo. Das stilechte Spiel auf dem Cembalo hat dem Spiel Bachs auf dem Flügel als erzieherisches Vorbild zu dienen. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß alle Bearbeitungen, soweit sie den Klang des Originales verfälschen, abzulehnen sind Das Klavier kann die Orgel ersetzen, wenn die Bearbeitung, die nur »Einrichtung« sein darf, nicht im Stile Lisztscher Rhapsodien vorgetragen wird. Orgelwerke, Fugen, Choral vorspiele einfach für Streicher oder Streichorchester zu übertragen, ist nicht statthaft. Die Uebertragungen Badischer Orgelwerke für Orchester in modernster Instrumentationstechnik, wie sie von Stockowski, Respighi, Schönberg u. a. vorgenommen wurden, sind grobe Verfälschung und Verunsäuberung Bachs und müßten von allen Bachfreunden, die Stilempfinden besitzen, auf das Schärfste abgelehnt werden! Die Instrumentatoren wollten dabei den Klang der Orgel fort236

schreitend erweitern, wobei sie aber nicht an den Klang der Badiorgel, sondern an den Klang der Orchesterorgel des ausgehenden 19. Jahrhunderts dachten. Sie schlössen sich nicht einer stilnahen Vortragsweise an, sondern übersteigerten die Vortragsmanieren einer überlebten pseudoromantischen Epoche! Die zweite Frage ist dabei die der Besetzung. Bach kannte keine Riesenchöre, keine Riesenorchester. Sein Orchester ist Kammermusik, sein Chor Kammerchor. W i r haben gehört, daß Bach bei seiner Matthäuspassion mit höchstens 34 Spielern und 26 Sängern rechnen konnte. Das Ideal wäre eine Besetzung dieser Art. W o man Chor und Orchester vergrößert, muß man das Orchester proportional verstärken. Im Orchester selbst muß das rechte Klangverhältnis erhalten bleiben. Zu 8 Violinen müssen 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Fagotte, 1 Cembalo treten, zu 12 Violinen 4 Flöten, 4 Oboen, 3 Fagotte, 2 Cembali (und ein weiteres B. c.-Instrument gebracht werden) usw. Diese zeitgenössische Regel wird heute leider niemals befolgt! Der Streicherklang erdrückt mit seiner weichen, satten, dunklen Fülle den barocken Bläserklang. Vollends schädlidi werden die modernen Streicher den alten Blasinstrumenten, den Blockflöten. Die Streicher müßten Kurzhalsinstrumente haben, die weicher, zarter, leiser, klarer, nicht so sinnlichwarm wie die modernen Geigen klingen, mit ihrer stärkeren Saitenspannung, gestrichen mit dem kräftigen Schraubenbogen. Ob beim doppelgriffigen und Akkordspiel (Ciaconna) der schraubenlose Bogen wieder zu verwenden wäre, ist ein umstrittenes Problem. In den Passionen muß das Rezitativ von der Orgel begleitet werden, die lange Baßnoten in Akkordschläge aufzulösen hat, audi Akkorde auf dem Violoncello kommen in Frage. Schering hat nachgewiesen, daß Bach in der Thomaskirdie kein Cembalo verwenden konnte. Die schwierigste Frage ist aber der Gesang. Alte Instrumente können wir nachkonstruieren, der Gebrauch der menschlichen Kehle ist für uns nicht nachahmbar, wenn wir den Klang nicht hören. In der Kirche sangen keine Frauen (erst Telemann hat ihre Mitwirkung in Hamburg durchgesetzt), sondern Knaben und Falsettisten. In der Matthäuspassion waren alle Chöre in den Ober237

stimmen durch Knaben besetzt; die Verwendung eines gegen den Hauptchor abgestuften Knabenchores im Eingang der Matthäuspassion ist romantische Erfindimg! Die Falsettisten, Studenten zumeist, haben wohl die schwierigsten Sopran- und Altpartien Bachs gesungen. Wie das klang, wissen wir nicht, denn niemand beherrscht seit 1756 diese Kunst des Falsettsingens mehr. Jedenfalls Knabenstimmen ähnlich, und wie die Blockflöte, unpersönlicher, objektiver, stilisierter, dünner, instrumentaler, ohne den geschlechtsbedingten Reiz der Frauenstimme. Seit rund zwei Jahrzehnten geht der Kampf um die Editionstechnik, gegen die Ueberzeichnung der mehr oder minder sachkundigen Herausgeber praktischer Gebrauchsausgaben Bachscher Musik. Man lehnte mit Recht die »Interpretation« eines Herausgebers mit Dynamik-, Phrasierungs-, Tempo- und Vortragsbezeichnungen ab. Heute gibt man auch dem Musiker »Urtext«-Ausgaben in die Hand. Damit sind alte Gefahren verschwunden, neue aber aufgetaucht. Bachs »Urtext» wendete sich an die Spieler und Sänger seiner Zeit, welche die damalige Praxis beherrschten. Zu ihr gehört nicht nur die Kenntnis der Verzierung. Die Auflösung angegebener Abkürzungen hierfür ist das Leichteste dabei. Die frei anzubringenden Verzierungen, die bis zur Variation gingen, z. B. bei der Wiederholung der Dakapo-Arie, hat Bach vielleicht nicht sehr geliebt, da er sorgfältig mit Verzierungszeichen bezeichnete. Doch gab er in der g-Suite ein Beispiel für die französischen »Agréments«. Auch der notierte Text hat für uns Geheimnisse, verlorengegangene Selbstverständlichkeiten. Die Figur

ist in der Regel gegenüber Triolen als J J zu 1 m —1 lesen, ebenso Duolen gegenüber Triolen als é J (z. B. im D-Präludium des Wohltemperierten Klavieres II). Schleifer in französischen Ouvertüren, punktierte Noten sind zusammenzudrängen, bzw. rhythmisch verkürzt zu spielen, z. B.:

238

jywii i i M f JJ i f J Gleichmäßige Noten können schärfer rhythmisiert werden, wie Badi es selbst vornimmt:

Es genügt also keineswegs, dem heutigen Praktiker den »Urtext« vorzusetzen, weil ihm als Voraussetzung für diesen Text die Praxis der Zeit nicht vertraut ist. Wie vieles wird aus Unkenntnis von Herausgebern und Spielern falsch gespielt! Sind die richtigen Instrumente beisammen, ist die Besetzungszahl zeitgemäß, und ist die Verzierungskunst zurecht gekommen, so treten weitere Fragen auf: Dynamik und Phrasierung sind bei Badi( nur in spärlichen Vorschriften angegeben, ebenso ist das Tempo eine Quelle der Verfälschung. Das Cembalo und die Orgel zeigen nur eine registerhafte Abwechslung zwischen piano und forte als gegeben an. Tatsächlich kommen crescendo und decrescendo, aber sehr viel seltener, als Ausnahme zu besonderen Ausdruckszwecken vor. Das Tempo ist ein anderes als bei Mozart, Beethoven, oder gar Chopin oder Strauß: die schnellen Sätze werden zu schnell, die langsamen zu langsam gespielt. Wären alle genannten Fragen geklärt und würden die Antworten befolgt, so bliebe noch etwas, der Geist, etwas Unwägbares, für die Aufführung gefährdet. Der schlichte Musikant, der begeisterte Laie wird hier vielleicht oft Bach näher kommen, als der Virtuose. Die großen Choraufführungen Bachscher Passionen haben kaum mehr etwas von Bachs Geist. 239

Riesenchor und Orchester, in das aus affektierter »Stiltreue« ein paar alte Instrumente verpflanzt werden, dynamische, agogische, klangliche Effekte, z. B A-capella-Vortrag des letzten Chorals im pianissimo verhauchend, Opernsänger mit für Verdi passenden Vortragsmanieren, ein Stardirigent am Pult, ein zur Bewunderung bereites, ästhetisch eingestelltes Publikum: so ist Bachs Werk musikalisch-klanglich, vortraglich, soziologisch verfälscht! Da ist die Verfilmung der Matthäuspassion, gegen die Protest erhoben wurde, nur eine letzte Folgerung der längst das Werk vergewaltigenden Versetzung in fremde Umgebung, in fremde Praktiken, in fremden Geist: Wer will sich wundern, daß nun auch die modernsten Mittel einer popularisierenden Kunstgestaltung durch den Tonfilm herangezogen werden? Es ist ebenso gegen den Geist der Bachsdien Musik gesündigt, wenn die Matthäus-Passion als alljährliches sommerliches Festspiel gebracht wird, mag ein solches Unternehmen auch der Steigerung des Fremdenverkehrs dienen und mögen, wie berichtet, 5000 Besucher »begeistert Beifall klatschen«. Die Passionen zur Zeit Bachs waren Gottesdienste, sie waren liturgische Handlungen, die Gemeinde sang die Choräle mit. Das Musizieren war, mit dem heutigen verglichen, still und schlicht, aber in Bachs Geist: innerlich. Die wahre Bachpflege wird im heutigen großstädtischen Musik-»Betrieb« kaum zu finden sein. Ziel einer wahren Bachpflege wird nicht nur die Stilreinheit der Aufführung bleiben, für welche die Wissenschaft der Praxis mit allen Kräften die Mittel an die Hand geben muß, sondern ihr Ziel muß es sein, die geistigen, seelischen und sittlichen Werte der Bachschen Musik durch stilistisch gereinigte und innerlich geläuterte Wiedergabe in ihrer ganzen wahren Größe eindringlich wirken zu lassen. Denn diese Werte gehören zum kostbarsten Besitz und Erbe unserer abendländischen Kultur.

240

Die nebenstehende Karte gibt eine geographische und datierte Uebersicht über den Lebensraum und die Lebenswege J . S. Bachs und seines Geschlechtes. — Thüringen war drei Jahrhunderte lang das deutsche Land, das die meisten Musiker hervorgebradit hat.*) Dieses Kernland deutscher Musik w a r auch die Heimat der „Bache", des Gesdiledites Bach, das mehr Musiker von Bedeutung hervorgebracht hat als je ein anderes. Es ist ein enges Gebiet, Kleinstädte und Kleinhöfe besiedeln es. Die Bache waren durdi anderthalb Jahrhundert fast ausnahmslos Musiker, Stadtpfeifer, Direktoren der Stadtmusiken, Organisten und Kantoren, also im Dienste der Städte und der Kirche tätig. Erst die Söhne Bachs wirken an H ö f e n , C. Ph. E. Bach in Potsdam am H o f e Friedrichs des Großen, J. Chr. Fr. Bach, der dritte der vier musikalisch hervorragenden Söhne in Bückeburg. Die Hauptsitze der Badie waren Eisenach, Arnstadt und E r f u r t . Bedeutende Komponisten waren in der Vatergeneration die Onkel Joh. Sebastinas, J o h . M i c h a e 1 (6) und J o h . C h r i s t o p h (5). Mit Händeis Lebensweg verglichen, verläuft der J. S. Bachs in engem Raum. In E i s e n a ch geboren, nadi Kinderjahren in dem nahen O h r d r u f , lernte er als Schüler in L ü n e b u r g , w o Böhm, selbst mit den Bachen musikalisch verwandt, ein Kenner der französischen Musik war, die zu hören der junge Bach, 15 bis 18 Jahre alt, an den französischen H o f in Celle wanderte. Anstellungen führten in die Heimat, nach A r n s t a d t und M ü h l h a u s e n , eine Urlaubsreise zu Buxtehude nach Lübeck. In der Residenzstadt W e i m a r w a r Bach zweimal im Amt, als Organist schaffte er Orgelwerke und Kantaten. Als Hofkapellmeister wirkte Badi in K o t h e n , w o er vorwiegend Kammermusik schrieb. Die italienische moderne Konzertmusik hatte er vornehmlich in Weimar intensiv studiert. Erst Organist, zuletzt Hofmusiker wird er nun Kantor in L e i p z i g an der Thomasschule. Leipzig war nicht nur eine durch ihren H a n d e l , sondern auch durch ihre moderne Bildung berühmte Großstadt. Universität, Literatur, Patrizierhäuser trugen ihr Kulturleben, das sich an äußerem Glanz freilich nicht mit dem Sitz des K u r fürsten und späteren Königs von Polen, Drescfen, messen konnte, das Badi wiederholt besucht hat, um dort die großartige Musikpflege zu genießen, wo große Meister wie Lotti und Hasse den Stil der neuesten Musik und den Geschmack der internationalen Musikzentren vertraten. In Leipzig schuf Bach nadi der nach Leipzig mitgebrachten Johannispassion die Matthäuspassion, die h-moll Messe und die Kunst der Fuge, die Mehrzahl der K a n taten und die großen Orgelwerke der späteren Zeit. N u r wenige Reisen führten Badi aus Leipzig heraus, nach Berlin, wo er zweimal seinen Sohn C. Ph. E. Badi besuchte. Audi seine großen Söhne, zu denen der älteste W i l h . F r i e d e m a n n gehört, bleiben in N o r d - und Mitteldeutschland, nur J o h . C h r i s t i a n , der jüngste durchbricht die Tradition, in dem er, nach Lernjahren bei seinem Bruder C. Ph. Emanuel, nach Italien zieht, katholisch und Domorganist in Mailand wird, eine italienische Sängerin heiratet und in London einer der bedeutendsten Vertreter der neu-neapolitanischen O p e r und italienisdi-süddeutschenmannheimer Mischstiles in der Instrumentalmusik wird. •) Vgl. Gerlach; Kurt, Begabung u n d s t a m m e s h e r k u n f t im deutschen Vollke. Feststellungen ü b e r die H e r k u n f t d e r deutschen Kulturschöpfer In Kartenbildern, München, 192S.

U N D L E B E N S W E G T. S. qLübeck

uxfehude +1707 Hamburg 1700,1720 «t Reinken 12. C-Pf* -E• Bach 1767*1706

0 ö 2 9 MoHhäuspoS3ion oufgefuhr» dunch Mendelssohn)

Pofsdom •1747 O"

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Kbmmerrmisiti fror« Sollen 1722(?) engl- Sutten 1726(?) WoMtemp-KSavier 11722 Brandenburger Konier+e 17£1 Vio!mko*«er*« Köfhen 171"?-1723 {NOV. 1726) (MÖ«T1729) .

f 170 Ki'rchenlfantaten / Mattfwfuspassion 1729 h-Messe 1733 Orgel,WoMt. Klo*- E 17i»«* / Kons* der Fuge 17*9 / L e i p z i g /Kuhnau) •^^»¿723+1750 ¿•Christoph +1661 » ^ • ^ ^ ^ ^ / y V f e i ß e n f e l s- \ W w w 1*69 ; fpOKa/rfotiSn.** lübejh-ocytal- Konzerte. Orgel J ! Weimar /

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DIE GRUNDLAGEN DER ORGELMUSIK BACH iben Andreas -M662* 'y6astav + 1690

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Beide K a r t e n sind dem bei W. de Gruyter & Co. erschienenen Deutschen Kulturatlas, herausg und W. Ltidtke, entnommen (Karten zur Musik von H. Engel)

Kleine S t a m m t a f e l zur

vorhergehendenKarte:

1, Veit, Ururgroßvater, f 1619. — 2. Hans, Urgroßväter, * 1626. — 3. Christoph, Großvater, 1613—1661. — 4 Ambrosius, Vater, 1645—1695. — 5. Joh. Christoph, Onkel, 1642 bis 1703. — 6. Joh. Midiael, Onkel, 1. Schwiegervater, 1648—1694. — 7. Nikolaus, Vetter, Sohn v. 5., 1669—1753. — 8. Joh. Bernhard, Vetter, 1679—1749. — 9. Joh. Ernst, dessen Sohn, 1722 bis 1771. — 10. Joh. Christoph, Bruder, 1671—1721. — 11. Wilhelm Friedemann, 1. Sohn, 1710—1784. — 12. Carl Phil. Emanuel, 2. Sohn, 1714—1788. — 13. Joh. Christoph Fr., 4. Sohn, 1732—1795. — 14. Joh. Christian, jüngster Sohn, 1735 bis 1782. — 15. W. Fr. Ernst, Sohn von 13., 1759—1845. DIE

egeben von Ii. Madeensen

GRUNDLAGEN

DER

ORGELMUSIK

BACHS

Die nebenstehende Karte gibt einen schematischen Ueberblick über die Beziehungen der Orgelmusik Bachs zur Kunst seiner Vorgänger. Bachs Orgelmusik baut sich auf einer sehr weiten Grundlage auf. Stärkste Anregung kommt von I t a l i e n . Die ältere venezianische Orgelschule, die Adrian Willaert (1480 oder 1490—1562), und sein Schüler Andrea Gabrieli (1510 bis 1586) repräsentieren, und ihr jüngerer Zweig, dessen bedeutenster Vertreter Giovanni Gabrieli (1557—1612) N e f f e und Schüler Andrea Gabrielis ist, nimmt vor allem J a n P i e t e r s S w e e l i n c k (1562—1621) in sich auf. Sweelinck ist aber auch von den englischen Virginal-, Orgel- und Madrigalkomponisten beeinflußt, die selbst wieder von Italienern gelernt haben. Der „Organistenmacher" Sweelinck ist Lehrer einer Generation von norddeutschen Organisten, deren Kunst, insbesondere die Kunst der Variation, die Sweelinck von den Engländern gelernt hat, und die Fugenvorform der Fantasie oder Kanzone, wieder auf Bach einströmt. Von G i r o l a m o F r e s c o b a l d i , dem größten italienischen Orgelmeister nicht nur die Zeit vor Bach (1583 bis 1643), sind Einwirkungen auf Bach ausgegangen durch Frescobaldis Schüler joh. Kaspar Kerll, Joh. Jak. Froberger und dessen Schüler J o h . P a c h e l b e l (1653—1706). Zu den mittelbaren Schülern Sweelincks ist D i e t r i c h B u x t e h u d e (1637 bis 1707) zu rechnen, der größte deutsche Orgelmeister vor Bach, der als Deutscher zu gelten hat, trotz seiner dänischen Mutter, da seine Vorfahren väterlicherseits Deutsche waren. G e o r g B ö h m (1661—1733) hat Bach aber sowohl in Schrift wie in Klang, dieser aus seinem Besuch an dem französisch ausgerichteten H o f e in Celle, vertraut war. Auch Jan Adams R e i n k e n (1623—1722), Enkelschüler Sweelinks, in Hamburg nahm sich Bach zum Vorbild. Frescobaldis Orgelmusik hat er studiert, die Fiori musicali 1635 in Abschrift besessen, Frescobaldis Variationsricercar nachgebildet (Canzona d). Joh. Kaspar Ferd. F i s c h e r (1650—1746), der von der französischen Kunst gelernt hat, ist unter den Deutschen besonders wichtig für Bach geworden. Zu den Einwirkungen der italienischen, französischen und deutschen Orgelmusik kommt aber noch der nicht an die Gattung gebundene Einfluß insbesondere der oberitalienischen Meister Vivaldi, Corelli, Albinoni, Legrenzi u. a., von denen Bach Werke bearbeitet, Themen übernommen und stilistische Einwirkungen erfahren hat, die er auch in seiner Orgelmusik zeigt.

Die Musiker-Familie

Bach

Hans Back, Wechmar i V

IV. III.

a. Johannes {Hans), „der Spielmann", Wechmar, t 1626. (Sein Lei 5. Christoph, 1613—61, Musiker, Weimar, Erfurt, Arnstadt.

I Zwillinge 12. Johann Christoph, 11. Johann Ambrosius, (verh, m. Elisabeth 1645—93, HofLämmerhirt) 1645—95, Musiker musikus. Arnstadt. 1671 Eisenach.

II. 10. Georg Christoph, 1642—97, Kantor, Schweinfurt. I. a i . Johann Valentin, 1669—1720, Kantor, Schweinfurt, Stadtmusikus und Obertürmer.

38. Johann Lorenz, 1695—1773, Organist, Lahm.

I.

39. Johann Elias, 1705—55» Kantor, Schweinfurt (im Hause Bachs 1738—42).

\

Nachkommen bis ins 19. Jahrhundert.

III.

~f

22. Johann Christoph, 1 6 7 1 — 1 7 2 1 , Organist, Ohrdruf.

I. 25. Johann Ernst, 1683—1739, Organist, Arnstadt, Nachfolger J. Seb.'s. i 40. o. Tobias Vol Friedrich, 1695—1768, Kantor, Udestedt. \

4. Johannes, 1604—73, (verh. 9. Ehe mit Hedwig Lämmerhirt) Organist, Erfurt.

L

II.

7. Johann Christian, 2640—82, Musiker, Elisenach und Erfurt.

Egidius, 8. Johann Tl'Jiu. 1 6 4 5 — 1 7 1 7 , Organist, Erfurt, Dir. d. Ratsmusik, j

1» 16. Johann Jakob, 1668—92, Hausmannsgeselle, Eisenach.

Johann Samuel, 1694—1720, Musiker, Sondershausen.

x. Veit, Müller,Wechmar, t i

3a. Johann Christian, * 1696, Musiker, Sondershausen.

IT, Johann Christoph, 1673—17*7, Kantor. Gehren.

33. Johann Günther, 1703—56, Violaspieler, Erfurt, Direktor der Ratsmusik.

26. Johann Christoph, 1689—1740, Organist, Keula und Blankenhain.

41. Johann Bernhard, 4i.Johc 170a 1700—43, Organist Ohr« Ohrdruf. \ Bernhard Ba Wiesbaden) 1 (•1924, 194 (1925—1927) Witten, Träg

9. Johann Nikolaus, (1653—82) Musiker, Gotha, Erfurt. i 18. Johann Bernhard, 1676—1749, Organist und Musiker, Erfurt, Eisenach.

ig. Johann Christoph 1685—1740, Musiker, Erfurt, Dir. der Ratsmus

34. Johann Ernst, 1722—77, Kapellmeister, Weimar (Thomaner, 1735. Fabeln).

35. Johann Friedrich 1706—43, Andisleben.

\

Carl Oskar Bach, (* 1863), Berlin, Träger dieses Stammes. D i e römischen Zahlen geben die Generationenfolge an. V . Ur-Ur-,

Johann Balthasar, 1673—5t, Trompeter, Kothen.

Nachkommen bis i 19. Jahrhundert.

I V . Ur-, III. Großvater, II. Vater, I. Geschwister und entsprecb

STAMMTAFEL l (Urkunde v. 33. Febr. 1509) lebte 1561.

Caspar, Musiker, Gotha, Arnstadt, lebte 1620—40 (Hausmann).

6 IQ.

arer in Gotha ein Stadtpfeifer Caspar Bach).

3. Lips (Philippus), III. II.

(halbblöde Amaria t 1679)

I. 3. Johann Jakob, 94.Johann Sebastian x68a—1722» 1685—1750. Oboist, Stockholm. j

3 Söhne, Wendel, t 1682, Wolfsbehringen. Jakob, 1655—1718, Kantor, Steinbach, Ruhla (Lehrer Römhilds).

Johann Ludwig, 1677—1741, HofKantor, Meiningen.

Samuel Anion, 17x3—81, HofOrganist, Meiningen.

mn Christoph, 1—56, Kantor, druf.

43. Johann Heinrich, 1707—83, Kantor, Oehringen.

I i chy Witten (1889 — 1942, and seine Söhne Bernhard 3 Soldat, ?), Friedemann und Joachim (*iQa8), ;er dieses Stammes.

;ik.

t 1620, Wolfsbehringen.

I 44. Johann Andreas, 1713—79» Organist, Ohrdruf.

4

in.

36. Johann Rgidius, 1709—46, Kantor, Grossmonra.

GotiHth Friedrich, 1714—85, HofOrganist, Meiningen.

Georg Michael t 1771

Joh. Christian, 1 7 4 3 — 1 Ì 1 4 , Halle („Clavier-Bach")

hüipp, Johann Phü 1751—1846, Hof-Organist und Maler, Meiningen.

\

Paul Bernhard Bach (* 1878), Weimar, und seine Tochter Annaliese (* 19x3)» Trfiger dieses Stammes.

I 6. Heinrich, 1615—93, Organist, Arnstadt, seit 1641.

13, Johann Christoph, 1642—1703, Organist, seit 1665 in Eisenach.

14.Johann Michael, 1648—94, Organist, Gehren.

I

15. Johann Günther '653—831 Organist, Arnstadt.

28. Johann Christoph, 29. Johann Friedrich, # 1676,1730 EngOrganist, Nachland, Klavierlehrer. folger J Seb.'s, in Mühlhausen, X708, t1730. 53. Johann Heinrich, 37. Wilhelm * 1707, Hieronymus t ca. 1735, Klavierspieler.

37. Johann Nikolaus 1669—-1753, Organist, Jena, (Suite). ^

Ephraim, 1690— 1760, Organist und Maler, Gandersheim.

30. Johann Michael, *i685, Orgelbauer, Stockholm (?).

Maria Barbara, 1684—1720, verh. mit J. S. Bach.

lend III. Groß-, II. Onkel, I. Vetter Joh. Sebastians. — Von den Trägern fettgedruckter Namen haben wir Kompositionen erhalten.

STAMMTAFEL 2

Die Kinder Bachs

1.

».

8.

9.

10.

11.

12.

13.

J o h a n n S e b a s t i a n B a c h , * 21. März 1685, f 28. Juli 1750 1. Ehe mit: Maria Barbara Bach, • 20. Oktober 1684, verh. 17. Oktober 1707, t 7- Juli 172° (* ist Tauf- und zumeist auch Geburtstag) Carl P h i l i p p E m a n u e l Catharina Dorothea * 8. März 1714 * 29. Dezember 1708 f 15. Dezember 1788 (Hamburg) f 14. Januar 1774 2. Sohn: Joh. Sebastian, Maler, Wilhelm Friedemann t1784 » 1758 * 22. November 1710 Joh. Gottfr. Bernhard f 1. Juli 1784 (Berlin) * 11. Mai 1715 t 2 7- M a i J 739 Joh. Christoph» Z w i m Leopold Augustus Maria Sophie J * 15. November 1718 * j- 23. Februar 1713 t 28. September 1719 2. Ehe mit: Anna Magdalena Wilcken, * 22. September 1701, verh. 3. Dezember 1721, t 27. Februar 1760 Christiane Sophie Henrietta 14- Christiane Benedicta * 31. Dezember 1729 * 1723 f 4. Januar 1730 f 29. Juni 1726 15- Christiane Dorothea Gottfried Heinrich « 18. März 1731 f 31. August 1732 * 26. Februar 1724 16. J o h . C h r i s t o p h F r i e d r i c h f 12. Februar 1763 * ai. Juni 1732 Christian Gottlieb f 26. Januar 1795 (Bückeburg) * 14. April 1725 Sohn: Wilhelm Friedr. Ernst •f 21. September 1728 (1759—1845), Cembalist der Königin Luise Elisabeth Juliane Friederica 17- Joh. Aug. Abraham * 5. April 1726 * 4. November 1733 f 24. August 1781 f 6. November 1733 verh. 20. Januar 1746 Joh. C h r i s t i a n Joh. Christoph Altnikol * 5. September 1735 (1719—1759) Nachfahren bis 1818 •f 1. Januar 1782 (London) Ernestus Andreas 19- Johanna Caroline * 30. Oktober 1727 * 30. Oktober 1737 f 1. November 1727 •(• 16. August 1781 Regine Johanne Regine Susanna * 22. Februar 1742 * 10. Oktober 1728 f 14. Dezember 1809 t 25. April 1733

ANHANG Disposition Bachs für die Orgel der Kirche Divi Blasii in Mühlhausen. (Vgl. S. 19.) Hauptwerk (mittleres Manual) Quintadena 16' Prinzipal 8' Oktave 4' Oktave 2' Viola da Gamba 8* (Badi) Gedatkt 4' Nasat 2Vs' (Badi) Sesquiáltera 2fadi Mixtur 4fadi Zimbel 2fadi Fagott 16' (Badi)

Rückpositiv Quintadena 8' Gedackt 8* Prinzipal 4* Salicional 4' Oktave 2' Spitzflöte 2' Quinte IVJ' Sesquiáltera 2fadi Mixtur 3fadi'

(brustwerk (oberes Manual) das ganze Werk von Badi) Stillgedackt 8' Flauto dolce 4' Quinte 2 ! /s' Oktave 2' Terz 1»/«' Mixtur 3fadi' Sdialmei 8' Koppel vom Brustwerk zum Hauptwerk Tremulant

Pedal Sudbaß 32' (Badi) Prinzipalbaß 16' Subbaß 16' Oktave 8' Oktave 4' Kornett 2* Rohrflöte 1' Mixtur 4fadi' Posaune 16' Trompete 8'

Die mit Badi bezeichneten Register sind nadi des Meisters Disposition eingebaut worden.

241

ANMERKUNGEN L i t e r a t u r über Bach Spiita, Philipp, Joh. Seb. Badi, Leipzig, 1873/80. Schweitzer, Albert, Joh. Seb. Bach, Leipzig, 1915. Terry, Charles Sanford, Joh. Seb. Bach, eine Biographie, 1929 dt. (1928 engl.). Moser, Hans Joachim, Joh. Seb. Bach, Berlin, 1930. Steglich, Rudolf, Joh. Seb. Badi, Potsdam, 1935. (Die großen Meister der Musik, hrsg. von Ernst Bücken). Schering, Arnold, Joh. Seb. Badis Leipziger Kirchenmusik, Studien und Wege zu ihrer Erkenntnis, Leipzig, 1935. Gurlitt, Willibald, Joh. Seb. Bach, der Meister und sein Werk, Leipzig, 1936, »1949. Vetter, Walther, Joh. Seb. Badi, Leben und Werk, Leipzig, 1938. Schering, Arnold, Joh. Seb. Bach und das Musikleben Leipzigs im 18. Jahrhundert (2. Band der Musikgesdiichte Leipzigs, 1. Band von Wustmann 1909, „Das Zeitalter Joh. Seb. Bachs und A. Hillers von 1725—1800"), Leipzig, 1941. Schering, Arnold, Das Symbol in der Musik. Mit einem Nachwort von Willibald Gurlitt, Leipzig, 1941 (Darin: Badi und das Symbol). Schering, Arnold, Ueber Kantaten Johann Sebastian Badis, mit einem Vorwort von Friedrich Blume, Leipzig, 1942. (Enthält die Analysen der von Schering in Eulenburgs kleinen Partituren herausgegebenen Kantaten, leider ohne die Noten.) Smend, Friedrich, Joh. Seb. Badi, Kirchen-Kantaten, erläutert von Friedrich Smend, Berlin-Dahlem, 1947. Keller, Hermann, Die Orgelwerke Bachs. Ein Beitrag zu ihrer Gesdiidite, Form, Deutung und Wiedergabe, Leipzig, 1948. Badi-Jahrbudi. Im Auftrag der Neuen Bachgesellsdiaft herausgegeben von Arnold, Schering, Leipzig, 1904—40. (Im folgenden abgekürzt als Bj.)

Zum

T e x t :

Die Werke Bachs sind nach der Angabe bei C. F. Peters zitiert, wenn nicht die Ges.-Ausgabe genannt ist. dieses Buches — Zahlen bedeuten Seiten —. 4. Auswahl der Werke der Vorfahren im „Altbachischen Archiv", hrsg. von Schneider, Max, erschienen in dem „Erbe Deutscher Musik", 1933. Bd. 1, 2. — 5. Die „Aria Eberliniana", hrsg. in „Veröffentlichungen der Neuen Badi-Ges.". — 11. J . J . Loewes, „Salianisdie Musenlust" in Nagels Musikarchiv Nr. 32. — 13. Zur Chronologie s. Keller, Hermann, Unechte Orgelwerke, Bj. 1937, S. 59. — Audi oben gen. Werk dess. Verf. — 18. Ueber das Hodizeitsquodlibet, hrsg. von der „Neuen Bachgesellschaft", siehe Grosse, B., in Bj. 1935, S. 1. — 55. Kinsky, Georg, Die Originalausgaben der Werke J. S. Bachs. Wien, 1937. Erstdrucke, S. 84 ff. — 59. Eine neue Deutung des Rätselkanons gibt Smend, a. a. O. III, S. 14. — 66. Vgl. auch Blume, Fr., Bach im Wandel der Gesdiidite, Kassel, 1947. — 86. Frotscher, Gotthold, Die Affektenlehre als geistige Grundlage der Themen-

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bildung J. S. Bachs, Bj. 1926, S. 9. — 87. Mizler, Lorenz, Musikalische Bibliothek, III., 1763, S. 198 ff. — Mattheson, Johann, Der vollkommene Kapellmeister, 1739, S. 11. — 90. Jansen, Martin, Badis Zahlensymbolik, Bj. 1937, S. 1. — Noch weitergehende Feststellungen t r i f f t in Nachfolge Jansens heute Fi1. Smend, a. a. O., IV., S. 5 ff. Danach müßte der Zahlensymbolik in Badis Werk eine noch größere Rolle zuerkannt werden. Für unsere Zeiten ist sie äußerst seltsam. Zu Bachs Zeiten war z. B. das Zahlenalphabet beliebt, das die Buchstaben des Alphabets durchnumerierte ( a = l , b = 2 , c = 3 usw.) und nun Namen in Zahlen oder gar in Quersummen zitiert. So ist der Name B-a-c-h 2, 1, 3, 8, die Quersumme 14. Mit 14 symbolisiert Bad» seinen Namen, die Quersumme der Zahlen von J. S. Bach gibt 41. Beide Zahlen kommen nach Smend häufig in Bachsdien Kompositionen vor. So hat das Thema der ersten Fuge des Wohltemp. Klavieres 14 Noten. Diese Zahlensymbolik findet sich auch in den Kanons, die seit altersher der Platz f ü r allerhand Geheimnisse sind, seit dem Mittelalter, vgl. das anläßlich des „Musikal. Opfer" Gesagte, S. 225. Der für J. G. Walther komponierte Kanon gibt in jeder Stimme 82 Töne, die Quersumme von dessen Namenszahlen, die gleichzeitig doppelt so groß ist als die des Namens von J. S. Bach. — 91. Sirp, Walter, die Thematik der Kirchenkantaten J. S. Bachs in ihren Beziehungen zum protestantischen Kirchenlied, Bj. 1931, S. 1, 1939, S. 5. — Ziebler, A., das Symbol in dem kirdienmusikalischen Schaffen J. S. Bachs, Diss. Erlangen, 1930. — 94. Telemanns Passionskantaten z. B. enthalten mit Bach verglichen nur wenig Symbolik, vgl. Hörner, Hans, Telemanns Passionsmusiken, Diss. München, 1937. — Meissner, R., Telemanns Frankfurter Kirchenkantaten, Diss. Frankfurt, 1925. — 101. S. S. 118. — 104. Hasse, Karl, die Instrumentation J. S. Badis, Bj. 1929, S. 90. — Terry, Ch. S., Badis Ordiestra, o. j. — 106. Zur Chronologie der Kantaten neuerdings Smend a. a. O. — Neumann, Werner, J. S. Badis Chorfugen, Diss. Leipzig, 1938. Ders., Handbuch der Kantaten J. S. Bachs, 1942, Leipzig (Katalog). — Schering, Arnold, Ueber Bachs Parodieverfahren, Bj. 1921, S. 49. Ein Verzeichnis der bisher feststellbaren Parodien gibt Smend, a. a. O., V., S. 7. — 121. Smend, Fr. Archiv f. Musikforschung, 7., 1942. Ders., Neuausgabe der Kantate mit dem wiederunterlegten Text, Kassel, 1943. — Die Frage, welche Werke der Ges.-Ausg. nidit von Bach stammen, die insbesondere Sdireyer, Fr., in seinen „Beiträgen zur Bachkritik", 1913, zu weitgehend beantworten wollte, kann hier nicht ausführlich behandelt werden. Steglich, a. a. O. S. 130, hält nicht weniger als 16 Kantaten f ü r unecht, die Nummern 64, 141, 142, 146, 150, 160, 183, 188, 190, 195 (?), 196, 197, 198. Echt dürften sein 64, 188, 196. Die Ges.-Ausgabe enthält 191 vollständige Kantaten, von denen 13 als unecht gelten können. Die Kantate 196 dürfte allein sdion auf Grund des 1. Rezitatives als echt anzusehen sein. — 123. Friedländer, M., Bericht über den musikwissenschaftlichen Kongreß zu Basel, 1925, S. 141 f. — 129. David, H . in der Festschrift f ü r Johannes Wolf, 1929, S. 13. Gerber im Bj. 1939, S. 119. Schering Bj. 1928, S. 1. — 135. Smend, Bj. 1937, S. 105. Moser, Bj. 1938, S. 155. — Smend, Bj. 1928, S. 1. 138. 145 Das Kreuz, das den gedachten Richtungslinien den Töne entsteht, mag audi den griechischen Buchstaben X ( = C h i ) bedeuten (Smend, a. O., I, S. 24) und wäre somit erst Symbol des Symboles, denn X ist der Anfangsbuchstabe von Christos. — 153. Unter der tonmalerischen Instrumentalmusik kehrt neben der Schladitenmusik auch das Abschieds- und Reise-Genrestück immer wieder. So schildert James Hewitt (1770—1827) in einer aus 12 Sätzen be-

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stehenden Ouvertüre die Reise von Auswanderern nach Amerika. — Die graphischen Darstellungen dieses Buches sind entnommen dem „Deutschen Kulturatlas", hrsg. von Mackensen und Lüdtke, W. de Gruyter, Berlin. — 159. Jöde, Fr. Die Kunst Bachs, dargestellt an seinen Inventionen (Organik I), Berlin 1926. — 161. Nach Riemanns Analysen in seinen Handbüdiern, Katechismus der Fugenkomposition (1., 2., 3. Kunst der Fuge), 1890/1, gibt neuestens Brands Buys hauptsächlich Analysen in „Het Wohltemperierte Klavier von J. S. Bach", Arnheim 1942. 162. Oppel, Richard, Der Einfluß Fisdiers auf J. S. Bach, Bj. 1918, S. 36. — 164. Dazu Mies, Paul, Der Charakter der Tonarten, 1948. — 169. Neemann, H . J. S. Bachs Lautenkompositionen, Bj. 1931, S. 72. — 170. David, H., Die Gestalt von Bachs Chromatischer Fantasie, Bj. 1935, S. 23. — 176. Engel, Instrumentalkonzert, 1937, S. 159. — 179. Frotscher, Gotthold, Geschichte des Orgelspieles und der Orgelmusik, 2. Bd. 1936, S. 849 ff. — 182. Ueber französische Einflüsse auf Bach referierte Hans Klotz auf dem Kongreß der Intern. Ges. f ü r Musikwiss. in Basel, 1949. Siehe den im Druck befindlichen Kongreßbericht. — 184. Keller, Hermann, Unechte Orgelwerke, 1937, S. 59. — 184. Oppel, R., Die große a-moll-Fuge f ü r Orgel und ihre Vorlage, Bj. 1906, S. 74. — 186. Gurlitt, a. a. O. S. 59. — 190. Dietrich, Fr., Bachs Orgeldioral und seine geschichtlichen Wurzeln, Bj. 1929. — 204. Smend, Fr. Bachs Kanonwerk „Vom Himmel hoch", Bj. 1933, S. 1. — 205. Aeltere Bearbeitungen von Ferd. David, B. Todt, Ernst Naumann; eine Bearbeitung des Verf. für C. F. Peters wurde 1944 in Leipzig vernichtet. — 206. 237. Schroeder, Rolph, in Deutsche Musikkultur, I, 1936/7, S. 178, und Boyden, D. D., The Violin and its Technique in the 18th Century, Musical Quarterly, X X X V I , 1950, S. 9. — 207. Oppel, R. Das Thema der Violinchaconne und seine Verwandten, Bj. 1918, S. 74. — Riemann, Hugo, zählt 30 Variationen in seiner „Musikgeschichte in Beispielen", 1921, S. 250. — 212. Blume, Fr., Eine unbekannte Violinsonate, Bj. 1933, S. 1. — 220. Boettcher, H., Bachs Kunst der Bearbeitung, dargestellt am Tripelkonzert a-moll. Von Deutscher Tonkunst, Festschrift zu Peter Raabes 70. Geburtstag, 1942, S. 95. — 216. Engel, Instrumentalkonzert, S. 97 ff. — 225. David, Hans, J. S. Bachs Musical Offering. History, Interpretation, Analysis, New York 1945. — 227. Graeser, W., Bachs Kunst der Fuge, Bj. 1924, S. 1. Ders. Ausgabe, 1927 (Veröff. der Neuen Badi-Ges.). Bearb. f. Orch. auch von K. H . Pillney. — David, H., Kunst der Fuge, Ausgabe, 1928. — Gegner beider Ausgabe: Szymichowski, Franz, Zeitschr. f. Musikwiss. 12., 1930, S. 480. — Husmann, Die Kunst der Fuge als Klavierwerk, Bj. 1938, S. 1. — 229. Siehe S. 67. — 233. Steglich, Bach, S. 146. Derselbe Autor hat allerdings früher dasselbe bei Schubert versucht, dessen 3 Klavierstücke (Es, Es, C) er als programmatische Vertonung des Osterspazierganges aus dem Faust deutete (Ztschr. f. Musik, 1924). Die Bach-Deutung ist noch bedenklicher, wenn auch auf derselben Linie liegend. — 233. Das beste zur Frage des Zusammenhangs von Bach und den religiösen Strömungen hat bis jetzt gesagt: Besch, H., J. S. Bachs Frömmigkeit und Glaube, 1938. Dazu: Sdirade, Leo, in „Neue Jahrb. f. Wiss. und Jugendbildung", 11. Jg., S. 263. — Ders. Bach, the conflict between the sacred and the secular „Journal of the History of Ideas", VII, N e w York, 1946, S. 151 ff. — Sehr zweifelhaft ist der Wert der theolog. Betrachtungen in Florand, François, O. P., J. S.Bach, L'oeuvre d'orgue, Paris, 1947. — Smend, Fr. Luther und Bach, Der Anfang, 1947. — Schmitz, Arnold, Stand und

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Aufgabe der Bachforschung, Musikleben 1948, I, S. 6. — Zur allg. Frage, Schlinck, F.d., Zum theolog. Problem der Musik, Tübingen, 1945. — Wallau, René H . Die Musik in ihrer Gottesbeziehung. Zur theologischen Deutung der Musik. 1949. — 235. Dilthey, Wilhelm, Von deutscher Dichtung mit Musik, 1933, S. 210. — 236. Zur Orgelfrage, Keller, Hermann, Zur Problematik der Bachorgel, Bj. 1935. — Ders. Die musikalische Artikulation, bes. in den Werken J. S. Bachs, Leipzig, 1926. — 237. Dolmetsch, Arnold, The Interpretation of the music of X V t h and XVII^h centuries, London, o. j. (i. 1912).

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NAMEN-VERZEICHNIS Abaco 72. Abel, Chr. Fr. 28, 106. Abel, Karl Friedrich 28. Agricola 56, 74, 79. Albinoni 26, 70, 134, 150, 151, 161. Altnikol 57, 65. Amalia, Prinzessin 47. Arndt 233. August II., Kurfürst von Sachsen 54. Auler 192. Badi, Anna Magdelena geb. Wiilcken 30, 32, 33, 57, 66, 67, 76, 80, 81, 151. Badi, Bernhard 32, 58. Badi, Carl Philipp Emanuel 3 f, 22, 32, 49, 58, 60, 62, 71, 74, 79, 116. Badi, Caspar 2. Badi, Christoph 11. Badi, Elisabeth 57. Badi, Friedrich 32. Bach, Hans I 2. Badi, Hans I I 3. Badi, Georg Christoph 5. Bach, Gottfried Heinrich 57, 60. Badi Günther 7. Badi, Heinrich 4, 11, 13. Bach, Johannes 3, 4, 5. Bach, Joh. Ambrosius 6 f, 11. Badi, Joh. Bernhard 60. Badi, Joh. Christian 4, 6, 28, 75, 158. Bach, Joh. Christoph (Onkel) 31, 11, 13, 199, 196. Bach, Joh. Christoph (Bruder) 6, 10, 154, 180. Badi, Joh. Christoph Friedrich 5, 60. Badi, Joh. Elias 5. Badi, Joh. Ernst 16, 60. Badi, Joh. Jacob 7, 9, 10, 16, 153, 163. Badi, Joh. Ludwig 24, 60. Bach, Joh. Michael 2, 4, 11, 194, 196. Badi, Joh. Nikolaus 9, 51. Badi, Joh. Philipp 3. Badi, Joh. Sebastian 5, 7 ff. Badi, Maria Barbara 17. Badi, Regine 58. Bach, Vitus 2 f. Bach, Wilhelm Friedemann 22, 29, 32, 49, 57, 62, 65, 68, 73, 158, 191, 205, 228. Bartholomäi, Barhara Margaretha 7. Bartók 81. Beer 34. Beethoven 31, 67, 76, 80, 81, 151, 194, 217, 238. Benda 60. Bennet 82. Biber 28, 203, 205. Biedermann 64. Birnbaum 59. Bodenschatz

246

13, 53. Böhm 10, 1, 180, 186, 194, 202. Börner 32. Bonporti 213. Bordoni 44, 57. Brahms 80, 92, 208, 217. Braun, August 10. Breitkopf & Härtel 66, 78. Briegel 13. Brockes 32, 48, 136. Brühl, Graf 64. Bruhns 10. Bümler 59. Busoni 83. Buxtehude 10,16, 17, 22, 70, 93, 155, 156, 180. Caldara 52, 72. Calvisius 38. Carissimi 93. Cartier 205. Charlotte Friederike Wilhelmina, Prinzessin von NassauSiegen 34. Chopin 81, 166, 168, 238. Christian, Herzog von Sachsen -Wei ßenfels 27, 56, 121. Christian, Markgraf von Brandenburg 29. Christiane Eberhardine 20, 135, 139. Clementi 168. Corelli 22, 25, 26, 28, 70, 154, 184, 209. Couperin 11, 70, 182. Cramer 166. Crüger 13. David, Ferdinand 78. David, Hans 129, 228. Debussy 82. Dieskau, Kammerherr von 62. Dieupart 13. Dilthey 234. Doles 28, 64, 73. Drese 27. Eberlin, Daniel 7, 194. Effler 14. Eilenstein 14. Emanuel, Ludwig, Erbprinz von Kothen Ernst August 56. Erdmann 11, 48. von Weimar 20, 27, 46, 47. Ernesti, Heinridi 38, 53. Ernesti, Joh. August 46. Fasdi 35, 36, 43, 48, 69, 77, 222. Fedeli 23. Figulus 35. Fischer, J o hann 28. Fischer, Joh. Caspar Ferdinand 10, 31, 162, 176. Flemming, Graf von 24, 32, 116, 121, 133. Forkel 74, 76, 79, 170, 229. Francisci 60. Franck, César 82. Franck, Salomon 16, 20, 24, 25, 109, 113. Frescobaldi 26, 162, 184. Friedrich, Erbprinz von Schweden 23. Freudenberg 76. Friderica Henriette, Gemahlin des Fürsten

Leopold 34. Friedrich II., König von Preußen 63, 226. Friese 30. Froberger 31, 101, 194. Frohne 19. Fuchs, Joh. Fr. 18. Fux 51, 72. Galuppi 28. Georg Wilhelm, Herzog 12. Gerber, K. N . 58. Gerladi 45, 58. Gesner, J . M. 21, 48. Gleitsmann 16. Gluck 73, 74. Görner 42, 45, 47. Goldberg 61, 122, 178. Gottsched 51, 135. Graeser 228. Graun 44, 59, 72. Graupner 36, 37, 69. Grigny 13, 79, 182. Guarini 120. Händel 17, 23, 32, 59, 67, 99, 136, 158, 168, 22, 234. Halbe, Joh. Heinrich 7. Hammerschmidt 13. Hanke 123. Harrer 64, 66, 75. Hauptmann, Moritz 78. Hauser 78. Haußmann 59. Haydn 67, 78, 223. Hawkinsi76. Hebensltreit 23. Heinidien 28, 168. Hegel 77. Henrici, s. Picander Herder 11. Hermann, Joh. 35. Hiller 68, 71, 81. Hindemith 81, 200. Hoffmeister & Kühnel 76. Hunold (Menantes) 122. d'Indy 82. J a h n 78. Johann Ernst, Herzog von Weimar 14, 20, 192. Johann Ernst, Prinz von Weimar 20, 26. Joseph I., Kaiser 19. Karl, Landgraf von Hessen 29. Karl X I I . , König von Schweden 16. Kayserlingk 55, 69. Keller 182, 185, 188. Keiser, Reinhard 12, 120, 138. Kerll 10, 166. Kiel, Fr. 80. Kirchhoff 32. Kittel 58. Kirnberger 56, 74. Klengel 168. Knüpfer 35, 51, 93. Kobelius 14, 21. Kollmann 75. Krebs, Joh. Ludwig 2, 58, 185. Krebs, T o bias 22, 58, 60. Kretzschmar 79. Krieger, Johann 70. Krieger, Joh. Philipp 44, 70, 93. Kropfgans 66. Kühnel, August 23. Kuhnau 23, 24, 35, 36, 51, 55, 69, 94, 152, 175. Lämmerhirt, Hedwig 4, 21. Lämmerhirt, Tobias 18. Legrenzi 26, 184. Leopold, Fürst von Anhalt-Köthen 27, 34, 56, 58, 106, 122, 142. Liselotte von der Pfalz 234. Liszt 78, 93, 162. Locatelli 40. Loewe, C. 78. Loewe (Low), Joh. Jakob 11, 12. Lohenstein 54. Lotti 22, 44, 45, 51, 57. Lucchesini 59. Manfredini 28. Marcello 94. Marchand 11, 24, 70.

Marpurg 74. Marx, A. B. 78. Mattheson 17, 32, 59, 188. Menantes, s, Hunold Mendelssohn 71. Meyer, Joachim 24. Michael, Tobias 35. Mizler 49, 59, 87. Morhardt 12, Moschele 78. Mosewius 78. Mozart 67, 75, 81, 161, 209, 238. Müller, August Fr. 54, 59, 60. Müller, Prof. 124. Müthel 65. Muffat 72, 178. Muggelini 83. Nägeli 76, 77. N e e f e ' 7 6 , 80. Neumeister 24, 25, 33, 109. Nidhelmann 58. Nivers 11. Noak, G. H. 32. Fach 11. Pachelbel 6, 8, 10, 11, 13, 70, 144, 180, 196. Palestrina 51. Pepping 82, 83. Pergolesi 73. Peters 7. Petri 83. Pfeiffer, August 30. Pfitzner 94. Philipp 7, 21. Picander 49, 50, 54, 62, 120, 122, 123, 125, 135, 141, 149. Pirro 79. Pisendel 23. Raison 27, 70. Reese, Fjrau 33. Reger 80, 81, 200. Reichardt, Joh. Fr. 55, 76. Reiche 45. Reimann 60. Reinken, J . A. 11, 33, 70, 80, 188. Reutter, Joh. 72. Reutter, Joh. 72. Reutter, Joh. Georg 72. Rhaw 35. Richter, Christoph 23. Richter, Christof 23. Richter, Kaffeewirt 45. Rietz 77, 78. Rivinus 54. Rochlitz 39. Rolle 22, 30. Romanus 54. Rosenmüller 13. Roux, Gaspar de 70. Rudolf II. 3. Rust 79. Scarlatti, Dom. 73. Schein 35. Scheble 77, 78. Schelle 35, 51, 93. Schemelli 55, 80, 149. Schering 53, 79, 94, 129, 134. Sdimeltzer 28. Schmidt, Pastor 37. Scholze, s. Sperontes Schop 13. Schott, G. B. 36, 42. Schröter 59, 64. Schubart 22. Schütz 9, 11, 13, 93, 130, 148. Schumann 78, 81, 141, 168, 217. Schwarzburg-Arnstadt, Graf von 9. Schwebsch 228. Schweitzer 79, 8 9 , 9 2 , 93, 197. Seile 13. Silbermann 63. Simrock 76, 77, 78. Smend 121, 122, 129, 137. Sorge 32, 168. Spener 19. Stricker 28. Sperontes (Scholze) 62, 122. Spitta, Phil. 79, 92, 93, 111,185. Spohr 78. Sporck 123. Stamitz 73. Steffani 72, 222. Steindorff 36. Stella, Santa 45. Stöltzel 30, 59, 70, 222.

247

Stoll 62. Stradella 94. Strauß, Ridi. 238. Strawinsky 82. Suppig 32. Sweelinck 194. Taylor 64. Telemann 24, 32, 36, 43, 44, 48, 59, 70, 93, 130. Terry 79, 83, 117, 119. Thayer 78. Torelli 22. Treiber, Joh. Fr. 15, 18. Treiber, Joh. Phil. 15, 31. Trier 65. Tucher, Frh. von 70. Verdi 83. Vivaldi 25, 28, 70, 169, 192, 215, 216, 217. Vogler 22. Volumnier 23. Wagner, Richard 80, 92, 94, 170. Wal-

ther, Joh. Gottfried 21, 205. Walther, Jo. Jak. 26, 203. Weber, B. Chr. 32, 168. Weise, Chr. 136. Wesley 76. Westhoff, Paul von 14, 21, 204, 206. Weiß, L. S. 60. Wideburg 33.' Widor 82. Wilderer 51. Wilhelm, Ernst, Herzog von Weimar 27. Wilhelmy 225. Winterfeld 79. Wolf 122. Zachow 23, 188. Zelenka 22, 51. Zelter 77. Ziegler 22.

ERRATA : Lies richtig: S. 59 Stöltzel. — 79. Kretzschmar. — 99. Kuhnau statt Kuhn. — 101. Bei*): S. S. 118 f. — 125. Uebersdirift: Chorwerke statt Choralwerke. — 174. Bei den Taktzahlen: T. 72. 119. usw. — 187. Mitte: Hauptteil. — 206. Im Notenbeispiel, 2. Zeile. 2. Viertel h statt b.

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„Das Buch darf als

wertvolle

N e u e r s c h e i n u n g e m p f o h l e n w e r d e n." Sdiweizerische Instrumental-Musik, H e f t 18, 1949

RUDOLF MALSCH

Geschichte der Deutschen Musik Ihre Formen, ihr Stil und ihre Stellung im deutschen Geistes- und Kulturleben Dritte

Auflage

Mit 8 Bildtafeln, 5 Partiturseiten sowie zahlreichen Notenbeispielen und Textabbildungen. Groß-Oktav. 1949. V I I I , 414 S. In Ganzleinen geb. DM 16.—

" . . . Nidit nur Wissensstoff will das Buch vermitteln, es will vor allem zum lebendigen Wesen und Wert der Musik in ihren geschichtlichen Erscheinungsformen hinführen. Darum gründet der Verfasser seine Darstellung auf die großen kulturellen Zusammenhänge und erläutert das wesentliche Musikalische an vielen Notenbeispielen, so daß von jedem der großen Meister und jeder bedeutsamen Formgattung charakteristische Werke veranschaulicht werden. Das geschieht so lebendig und klar, auch wird dem Leser durch gut gewählte Bildtafeln und Abbildungen sowie Literaturangaben so sorgsam weitergeholfen, daß das Buch nach wie vor das Zeug dazu hat, noch mehr als ein vortreffliches Lehrbuch, ein rechtes musikaM U S I C A , H e f t 9,1949 lisches Hausbudi zu sein."

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MAX WEGNER

Das Musikleben der Griechen Mit 32 Tafeln und 22 Abbildungen / 232 Seiten / 1949 / Ganzleinen D M 9,80. Zwar können wir die Musik der Griechen nur nodi im Widerschein, im Abglanz erahnen, in dem was Dichter und Bildner über sie aussagen. Das Bild aber, das Max Wegner uns vom Wesen und der Eigenart griechischen Musiklebens gibt, ist so voller frischer Lebenskraft, daß wir beim Umblättern der Seiten meinen, Lyra, Harfe, Kithara oder Aulos erklängen. Wir erfahren, daß die Musik der Hellenen kaum eine selbständige Kunst in unserem Sinne war, ja, daß am Musikleben j e d e r m a n n wirklich teilnahm, indem er Musik ausübte. Die Musikerziehung war eine der wichtigsten Unterrichtsfächer der Jugend, ein Mittel zur Heranbildung Menschen edelster Artung, nicht nur gepflegten Geistes, sondern auch ertüchtigten Leibes. Jeder Freund klassischer Bildung, jeder Musikfreund, jeder gebildete Mensch überhaupt wird dieses mit vielen Tafeln und Abbildungen ausgestattete Buch gern zur Hand nehmen. * J O H A N N E S BÜHLER

DEUTSCHE GESCHICHTE IV. BAND

Das Barockzeitalter Groß-Oktav / Mit 16 Tafeln / 499 Seiten, 1950 Halbleinen DM 16,— Aus einem Urteil Uber die vorhergehenden

Bände:

„Die herrlich ausgeglichene Sprache Bühlers verstärkt den Eindruck, daß hier ein außerordentliches Bild der Deutschen entstanden ist..

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Jahrbuch für Volksliedforschung Im Auftrage des deutschen Volksliedarchivs mit Unterstützung von Hans Mersmann, H. Schewe und E. Seemann herausgegeben von John Meier. Oktav. 1. u. 2. Jg. (1928 u. 1930) je DM 14,—, geb. DM 16,—. 3. Jg. (1932) DM 14,—, geb. DM 15,50. 4. Jg. (1934) DM 10,—, geb. DM 11,50. 5. Jg. (1936) DM 1 2 — , geb. DM 13,—. 6. Jg. (1938) DM 16,—, geb. DM 18,—. 7. Jg. (1941) DM 16,—, geb. DM 18,—. *

Deutsche Volkslieder mit ihren M e l o d i e n Herausgegeben vom deutschen Volksliedarchiv. 1. Bd. Balladen. Unter Mithilfe von H. Sdiewe und E. Seemann, gemeinsam mit W. Heiske und F. Quellmalz, herausgegeben von John Meier. 1. Teil. X L I V , 321 S. (1935) DM 16,50, geb. DM 18,—. 2. Bd. Balladen. Unter Mithilfe von G. Heilfurth und S. Wingenroth, gemeinsam mit W. Heiske, F. Quellmalz, E. Seemann und W. Wiora, herausgegeben von John Meier. 2. Teil. (1939) 322 S. DM 22,50, geb. DM 24,—. 3. Bd. Balladen. 3. Teil. 1. Halbband. (1939) 140 S. DM 14,—. *

Die deutschen Lieder der Carmina Burana VON

FRIEDRICH

LUERS

Nach der Handschrift CLM 4660 der Staatsbibliothek München herausgegeben. (Kleine Texte Nr. 148.) — Oktav. 34 S. 1922. DM 1,—. *

Die Melodien der Troubadours VON

JEAN-B APTISTE

BECK

Nach dem gesamten handschriftlichen Material zum erstenmal bearbeitet und herausgegeben nebst einer Untersudiung über die Entwicklung der Notenschrift (bis um 1250) und das rhythmisdi-metrisdie Prinzip der mittelalterlich-lyrischen Dichtungen sowie mit Übertragung in moderne Noten der Melodien der Troubadours und Trouveres. Quart. V I I I , 202 S. 1908. DM 30,—.

V E R L A G W A L T E R D E G R U Y T E R & C O . , B E R L I N W 35

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L. MISCH

BEETHOVEN-STUDIEN X, 149 Seiten / Im Druck. * O T T O BAENSCH

AUFBAU UND SINN DES CHORFINALES IN BEETHOVENS NEUNTER SYMPHONIE Quart / 99 Seiten / 1930 / DM 8 — * WERNER DANCKERT

CLAUDE DEBUSSY X V I , 249 Seiten / Im Druck. * ERNST PEPPING

DER POLYPHONE SATZ I. DER CANTUS-FIRMUS-SATZ 1943 / 223 Seiten / DM 2,40 (Sammlung Göschen Band 1148) * H. SCHUBERT

DIE TECHNIK DES KLAVIERSPIELS 2. Auflage / 1946 / 132 Seiten / DM 2,40 (Sammlung Göschen Band 1045) * JOHANN WOLFGANG SCHOTTLÄNDER

GRIECHISCHE LEIERN Oktav / Etwa 144 Seiten / In Vorbereitung

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