Johann Ernst Gotzkowsky. Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin 9783050062143

Der Aufstieg Johann Ernst Gotzkowskys (1710–1775) vom einfachen Waisenkind zum mächtigen Manufakturbesitzer und einfluss

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German Pages 604 Year 2012

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Johann Ernst Gotzkowsky. Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin
 9783050062143

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NINA SIMONE

SCHEPKOWSKI

Johann Ernst Gotzkowsky Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin

NINA SIMONE SCHEPKOWSKI

Johann Ernst Gotzkowsky Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin

Akademie Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der V G W O R T .

D 188 Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-05-004437-8 © Akademie Verlag G m b H , Berlin 2009 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form — durch Fotokopie, Mikroverfilmung, oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gesamtgestaltung: Rüdiger Kern, Berlin Druck: M B Medienhaus Berlin Bindung: Buchbinderei Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

ν

Inhalt

Dank

vili

Einleitung

2

Quellenlage und Forschungsstand

3

Methodik

8

1 7 1 0 - 1 7 5 6 : Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten A. Anfänge und Etablierung in Berlin

11

1. Tabatièren für den königlichen Hof 2.

Gotzkowsky erhabene Blumen:

18

ein Meissener Service für Friedrich II

B. Wege in die unternehmerische Selbständigkeit

26

37

1. Gotzkowskys Beziehungen zur Messe- und Handelsstadt Leipzig: Freimaurerei und Auerbachs Hof.

44

2. Merkur und die Musen

54

3. Von der Brüderstraße zum Leipziger Platz: Das gesellschaftliche Ambiente der Brüder Gotzkowsky

60

1 7 5 4 - 1 7 6 3 : Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin A. Einführung

71

1. Friedrich II. als Sammler Alter Meister im Lichte neuer Quellen

75

2. Gemäldeankäufe für die Bildergalerie von Sanssouci

82

B. »und mußte ich dieserhalb fast durch ganz Europa

correspondirent

Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von Heineken 1. Heinekens Aufstieg am Dresdner Hof

97 99

2. Heinekens Bilderhandel mit Gotzkowsky

103

3. Die Versteigerung der S a m m l u n g Heineken in Paris 1757/58

112

VI

Inhalt

C. Gotzkowskys Ankäufe aus Florenz, Rom und Venedig Einblicke in den italienischen Kunstmarkt um 1 7 5 0

119

1. Von Florenz nach Berlin : der Verkauf der Sammlung Pallavicini-Arnaldi 2. Römische Verhältnisse: ein Kunstmarkt zwischen Kopien und päpstlichen Breven 3. Venezianisch-preußischer Kunsttransfer

122 130 143

D. Matthias Oesterreich, königlicher Galerieinspektor von Sanssouci 1. Zum Kunstkenner gebildet: Oesterreichs Grand Tour 2. Oesterreichs Beschreibungen der Sammlung Gotzkowsky

166 168 180

E. Ein königliches Testament mit Folgen Die Gemälde Antoine Pesnes in der Sammlung Gotzkowsky

195

F. Das holländische Auktionswesen als Spiegelbild von Gotzkowskys Gemäldeankäufen

207

1. Gotzkowskys Bilderankäufe auf holländischen Auktionen 2. Die Verbreitung des Goût hollandais als europäisches Phänomen

211 222

G. Die Bedeutung der Reproduktionsgraphik fur Gotzkowskys Gemäldehandel . . . 1. Austauschbar: Heinekens Reproduktionen als Quelle für Gotzkowskys Sammlung . . . . 2. Die Bedeutung der Reproduktionsgraphik in Paris um 1750 3. Die Berliner Reproduktionen der Sammlung Gotzkowsky 4. Gotzkowsky als Sammler von Kupferstichen

230 234 243 248 254

1 7 5 6 - 1 7 6 3 : Stürmische Zeiten Gotzkowsky und der Siebenjährige Krieg A. Gotzkowskys Rolle im Siebenjährigen Krieg 1. Der Patriotische Kaufinann·. Gotzkowskys Schachzug vom Herbst 1760 2. Dubiose Geschäfte bis zum Hubertusburger Frieden B. Di e Ächte Porcelaine

Fabrique zu Berlin

1. Bisherige Versuche der Porzellanherstellung in Preußen 2. Gotzkowskys Aufbau einer Berliner Porzellanmanufaktur 3. Erzeugnisse der Gotzkowskyschen Porzellanmanufaktur 4. Der Verkauf an Friedrich II

258 261 265 270 270 274 287 295

C. W i e gewonnen so zerronnen Der Börsensturz von Amsterdam und seine Folgen

Farbtafeln

302

311

Inhalt

VII

1 7 6 3 - 1 7 7 5 : Die Bedeutung der Sammlung Gotzkowsky im Europa der aufsteigenden Mächte A. Katharina II. nutzt die Gunst der Stunde

339

1. Russische Mehl-Fehlinvestitionen

340

2. Specification meiner allerbesten und schönsten originalgemählden

350

3. Imperiale Kunstbestrebungen

362

4. Die Rußlandreise des Prinzen Heinrich von 1770

367

B. Frühlingserwachen in Potsdam und Berlin 1. Specification derer Tableaux welche ich an S. M. abgeliefert habe

375 378

2. Die Potsdamer Kunstsammlungen als Spiegelbild der

Reflexions critiques sur les différentes écoles de peinture

388

C. Zwischen Privatkabinett und öffentlicher Sammlung

395

Gotzkowsky als Gemäldesammler und Händler: Bewertung und Ausblick

405

Anhänge 1 - 6

414

Appendix 1 - 5

433

Siegelverzeichnis

479

Quellen- und Literaturverzeichnis

480

Archivalische Quellen

480

Gedruckte Quellen

494

Sekundärliteratur

499

Abkürzungsverzeichnis

538

Abbildungsnachweis

541

Rekonstruktion der Gemäldesammlung von Johann Ernst Gotzkowsky

549

Personenregister

586

Dank

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht veränderte Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2 0 0 7 vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Dr. Thomas W. Gaehtgens (Berlin/Los Angeles), der das Forschungsvorhaben im Rahmen seines Buchprojektes »Europäische Kunstsammlungen im 18. Jahrhundert« angeregt hat. Als Doktorvater hat er den Fortgang der Arbeit durch vielfältige Hinweise, kritischen Rat und persönlichen Zuspruch maßgeblich begleitet. Prof. Dr. Uwe Fleckner (Hamburg), der das Zweitgutachten erstellte, möchte ich ebenfalls für sein engagiertes und förderndes Interesse an der Arbeit danken. Ein besonderer Dank gilt Hannelore und Prof. Dr. Bodo Gotzkowsky (Fulda), die meine Recherchen über ihren Vorfahren von Anbeginn mit Rat und Tat unterstützten und mir ihre Quellenabschriften aus dem Archiv der Staatlichen Eremitage zugänglich machten. Bei der Entstehung der Dissertation haben Kollegen und Freunde wertvolle Anregungen und hilfreiche Kritik gegeben. Namentlich hervorheben möchte ich an dieser Stelle folgende Personen: Dr. Ilse und Prof. Dr. Winfried Baer, Barbara Götze, André Chahoud, Dr. Annette Dorgerloh, Michael Jansen, Prof. Dr. Eberhard König, Dr. Dietmar Ponert, Katharina Rosier, Andreas Teltow, Dr. Kurt Winckler und Dr. Samuel W i t t w e r (Berlin/Potsdam), Gosem C. Dullaart (Den Haag), Bärbel Arnold, Dr. Thomas Ketelsen, Prof. Dr. Harald Marx, Katrin Schlechte und Martin Schuster (Dresden), Dr. F. Carlo Schmid (Düsseldorf), Prof. Dr. Franklin Kopitzsch (Hamburg), Carla Calov, Ulrike Dura, Dr. Otto Werner Förster, Dr. Günter Hempel, Rainer Rost und Prof. Dr. Frank Zöllner (Leipzig), Dr. Peter Braun (Meißen), Prof. Dr. Christoph Frank (Mendrisio), Dr. Matthias Wehinger (München), Rosa Ansuini, Prof. Dr. Sibylle EbertSchifFerer und Prof. Dr. Arnold Nesselrath (Rom), Dr. Roswitha Suffinger (Salzburg), Prof. Dr. Mikhail Piotrovsky (St. Petersburg), Dr. Uwe Israel, Monica del Rio und Udolpho van de Sandt (Venedig) sowie Marena Marquet (Wien). Während meiner ausgiebigen Quellenrecherchen in Museen, Archiven und Bibliotheken im In- und Ausland wurde ich von kompetenten und hilfsbereiten Kollegen unterstützt. Mein Dank gilt daher den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der nachfolgenden Institutionen: dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, der Kunstbibliothek und dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Landesarchiv Berlin, der Staatsbibliothek zu Berlin, dem Zentralen Grundbucharchiv Berlin, dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam, dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden, dem Niedersächsischen Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover, dem Staatsarchiv Leipzig und dem Stadtarchiv Leipzig, der Bibliothèque nationale de France, Département des Estampes et de la Photographie, dem Centre Historique des Archives Nationales und dem Ministère des Affaires Etrangères Paris, dem Archivio Segreto Vaticano, dem Archivio Storico Capitolino, dem Archivio di Stato di Roma und dem Archivio Storico del Vicariato di Roma, der Calcographia e Gabinetto nazionale delle Stampe, der Biblioteca Borgo Cavour Treviso, dem Archivio di Stato di Venezia, der Biblioteca del Museo Correr und der Biblioteca Marciana.

Dank

IX

Bei der Klärung von Abbildungsfragen bin ich von verschieden Seiten unterstützt worden. Zu danken habe ich vor allem Karla Camara, Amy Chien, Dr. Thomas Habersatter, Andreas Heese, Christoph Kaufmann, Marion Kolanoski u n d Olga Novoseltseva. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums, wodurch die Forschungsreisen u n d eine konzentrierte Arbeit an dem Thema ermöglicht wurden. Anschließende Recherchen in venezianischen Archiven und Bibliotheken wurden durch ein Forschungsstipendium des Deutschen Studienzentrums in Venedig/Centro Tedesco di Studi Veneziani unterstützt. D a n k schulde ich auch dem Förderungs- und Beihilfefonds der V G W O R T , die die Veröffentlichung der vorliegenden Schrift durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß ermöglichte. Für die bereitwillige A u f n a h m e meiner Dissertation in das Programm des Akademie Verlages bin ich Dr. Sabine Cofalla zu D a n k verpflichtet. Meiner Lektorin Dr. Katja Richter sowie Martin Steinbrück u n d Rüdiger Kern sei für die Geduld und Sorgfalt bei der Drucklegung der Arbeit gedankt. Meinen Eltern Brigitte u n d Horst Schepkowski möchte ich abschließend besonders danken. O h n e ihren liebevollen Rückhalt wären mir mein Studium u n d die Forschungen zu dieser Arbeit kaum möglich gewesen. Ihnen sei das vorliegende Buch in Dankbarkeit gewidmet. Berlin, im August 2008

Aber einem jeden, der seine Aufmerksamkeit auf Sammler und Geschichte des Sammeins richten möchte, m u ß man von vornherein zugute halten, daß er sich auf ein unübersehbares und ungewisses Gelände begibt. Mögen Kunstwerke von ewiger Dauer sein (cum grano salis), Sammlungen sind es ganz gewiß nicht, und die Kunde über sie ist meist mehr als unbestimmt, lückenhaft und fragwürdig. Paul Ortwin Rave, Aus der Frühzeit Berliner Sammlertums Berlin 1959, S.8.

1670—1870,

2

Einleitung

Anno 1768 erschien in den Berliner Buchhandlungen ein vermeintlich unauffälliges Buch mit dem Titel Geschichte eines patriotischen Kaufmanns. Der Verfasser blieb ungenannt. Bereits ein Jahr darauf folgte die zweite Auflage, ebenfalls anonym und ohne weitere Angaben. Erst die dritte Ausgabe von 1789 gibt den Autor preis: Geschichte eines patriotischen Kaufmanns aus Berlin, Namens J. C, Gotzkofsky. Trotz des banalen und auf den ersten Blick unscheinbaren Titels fand dieses Buch reißenden Absatz und sorgte für einigen Wirbel innerhalb der friderizianischen Gesellschaft, so daß es bereits kurz nach seinem Erscheinen zensiert wurde. Zum Inhalt hatte es sowohl den gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg als auch den tragischen und ruinösen Fall eines der engsten Vertrauten Friedrich des Großen (1712-1789): des Manufakturbesitzers, Diplomaten, Kunsthändlers und Gemäldesammlers Johann Ernst Gotzkowsky (1710-1775). Mit dem Namen Gotzkowsky verbindet sich bis heute die Legende von dem wagemutigen Patrioten, der während des Siebenjährigen Krieges einen Großteil seines Vermögens für den Schutz und die Rettung Berlins aufbrachte und unter persönlichem Einsatz wesentlich zur Erfüllung der russischen Kontributionen beitrug. In Anerkennung dieser Verdienste erinnern daher in Berlin eine Gotzkowsky-Straße (seit 1877), eine Gotzkowsky-Brücke (seit 1904) und eine GotzkowskySchule (seit 1969) an den patriotischen Kaufmann. Als mittelloses Waisenkind nach Berlin gekommen, arbeitete sich Gotzkowsky zusammen mit seinem älteren Bruder Christian Ludwig (1697-1761) vom einfachen Lehrjungen zum Galanteriewarenhändler und königlichen Hoflieferanten empor. Durch Fleiß und Geschick verstanden es beide Brüder innerhalb weniger Jahre einen einträglichen Messehandel aufzubauen und damit an Einfluß am königlichen Hof zu gewinnen. Mit seinen weiteren Investitionen im Aufbau von Manufakturen, vor allem im Bereich der Seiden-, Taft- und Samtproduktion sowie durch seine 1761 gegründete Fabrique de Porcelaine de Berlin, die noch heute in der Königlichen PorzellanManufaktur Berlin (KPM) fortbesteht, wurde Gotzkowsky einer der bedeutendsten preußischen Fabrikanten seiner Zeit. Friedrich II. schätzte diesen merkantilen Pioniergeist und förderte von Anbeginn seiner Regentschaft Gotzkowskys Unternehmungen durch großzügige persönliche Kredite als auch durch staatliche Subventionen mit. Hiermit sind die beiden Hauptprotagonisten der vorliegenden Studie genannt, deren Zusammenwirken auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet zwischen 1740 bis 1770 von herausragender Bedeutung für die aufstrebenden Residenzstädte Berlin und Potsdam waren: auf der einen Seite der königliche Auftraggeber und Beschützer, auf der anderen Seite der ihm treu ergebene bürgerliche Emporkömmling, der durch Ehrgeiz und Wagemut die Gunst des Königs gewinnen konnte. Durch sein wirtschaftliches und politisches Engagement verkörperte Gotzkowsky über Jahre hinweg das Ideal eines selbstbewußt auftretenden friderizianischen Großbürgers, der nicht nur zum Favoritenkreis des Königs zählte, sondern unter den Berliner Textilunternehmern eine schillernde Persönlichkeit war, »ein Mann von äußerst regem Geist und rastloser Betriebsamkeit, der alles a n g r i f f , was Aussichten versprach und mit allen Mitteln dem geschäftlichen Erfolge nachjagte, eine Persönlichkeit nicht ohne bedeutenden Zug. Dem entsprach auch sein Schicksal: ein ungewöhn-

Quellenlage und Forschungsstand

3

lieh rascher und glänzender Aufstieg, aber auch ein tiefer Sturz«.' Beeinflußt durch die europaweite inflationäre Lage während und nach dem Siebenjährigen Krieg, der einsetzenden Absatzstokkungen und rapiden Geldentwertungen wandte sich Gotzkowsky verstärkt wilden Spekulationen und riskanten Finanzgeschäften zu. Infolge des Börsensturzes von Amsterdam im Sommer 1763, der viele europäische Handelskontore und Bankhäuser betraf, verlor auch Gotzkowsky in einem katastrophalen Bankrott sein ganzes Vermögen. Doch Gotzkowsky war nicht nur ein angesehener Unternehmer und Diplomat, sondern vor allem ein Kunsthändler und Gemäldesammler im großen Stil. Uber seine weitläufigen Beziehungen zu Händlern, Agenten, bedeutenden Sammlern und auswärtigen Gesandten erwarb er ab 1750 eine große Anzahl an Bildern aus Dresden und Paris, aus Florenz, Rom und Venedig sowie auf Auktionen in Den Haag und Amsterdam. Die im Laufe der Zeit zusammengetragene Sammlung mit nachweislich über 600 Gemälden umfaßte Werke des römischen Barock, des venezianischen Seicento, niederländische Kabinettstücke und flämische Meisterwerke, Bilder von zeitgenössischen deutschen Malern als auch eine kleine Auswahl an französischen Historiengemälden. Gotzkowskys Sammlung zählte zu den bedeutendsten Kabinetten im friderizianischen Berlin und nahm dort einen herausragenden Stellenwert ein. Daher erstaunt es nicht, daß Gotzkowsky von Friedrich II. beauftragt wurde, bedeutende Alte Meister für die Bildergalerie von Sanssouci und das Neue Palais anzukaufen. Aufgrund der großen Anzahl an Werken, die er dem König verkaufte, läßt sich bereits vorab festhalten, daß Gotzkowsky einer der wichtigsten Kunstagenten am friderizianischen Hof war. In dieser Funktion gehörte er zu den wenigen Kaufleuten, die sich auf kulturell-künstlerischem Gebiet engagierten und eine einflußreiche Rolle als Vermittler und Förderer europäischer Kultur- und Kunstströmungen nach Preußen besaß. Von überregionaler Bedeutung wurde Gotzkowskys Kunsthandel vor allem, als er im Winter 1763/64 aufgrund finanzieller und diplomatischer Verwicklungen einen Großteil seiner Gemäldesammlung an die russische Zarin Katharina II. ( 1 7 2 9 - 1 7 9 6 ) verkaufte, die mit dieser Erwerbung den Grundstock der Eremitage von St. Petersburg legte.

Quellenlage und Forschungsstand Trotz seiner exponierten Stellung innerhalb der friderizianischen Gesellschaft geriet Johann Ernst Gotzkowsky nach seinem Tod schnell in Vergessenheit. Lediglich im Jahrbuch der PreußischBrandenburgischen Staatengeschichte von 1796 findet er mit einem radierten Porträt von Frederik Carstens ( 1 7 6 2 - 1 7 9 8 ) Erwähnung. Daher ist Gotzkowskys Geschichte eines patriotischen Kaufmanns die grundlegende Quelle, die einen ersten Zugang zu seiner Person, seinem gesellschaftlichen Umfeld und seinem wirtschaftspolitischen Wirken vermittelt, wenngleich seine Memoiren an einigen Stellen geschönt und historisch nicht immer korrekt sind. Als Ergänzung hierzu hat sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz ein handschriftlicher Nachlaß mit einigen in den Memoiren aufgeführten Briefen, Dokumenten und Urkunden erhalten. 2 Anhand

1 Rachel/Wallich 1967, Bd. 2, S . 4 4 6 . 2 GStA PK, VI. HA, Familienarchive und Nachlässe, NL Gotzkowsky, Nr. 1 - 3 . Dieser Nachlaß, indem sich auch die handschriftliche Fassung der Memoiren befindet, wurde 1787 von Petjab Blanck auf dem Dachboden seines Großva-

4

Einleitung

dieser Quellen läßt sich ein umfassendes Bild über Gotzkowskys Samt- und Seidenfabriken, seine Mühen im Aufbau der Porzellanmanufaktur sowie seine diplomatische Rolle während des Siebenjährigen Krieges erstellen. Seine vielfaltigen Tätigkeiten im Manufakturwesen wurden von der historischen Nationalökonomie erst Ende des 19. Jahrhunderts ausgewertet. Im Mittelpunkt dieser Publikationen standen Gotzkowskys Persönlichkeit, seine Bedeutung im Manufakturwesen und seine diplomatische Rolle, eingebunden in ein ausgeprägtes geschäftliches Beziehungsgeflecht. 3 Zu seinem 200. Todestag im Jahr 1975 rekonstruierte ein Nachfahre die Familien- und Herkunftsgeschichte. 4 Auch wenn Gotzkowskys Bedeutung im Zuge der merkantilen Bestrebungen Friedrich II. ausführlich untersucht wurde, hat sich die kunsthistorische Forschung kaum mit seinem kulturhistorischen Wirken als königlicher Kunstagent, Sammler, Händler und Mäzen befaßt. Eine Ausnahme bildet der Ausstellungskatalog Von Gotzkowsky zur KP M von Ilse und Winfried Baer aus dem Jahr 1986, in dem Gotzkowskys Leistungen im Aufbau der Berliner Porzellanmanufaktur erstmals und letztmalig eingehend gewürdigt wurden. Eine erste Auseinandersetzung mit Gotzkowskys Gemäldesammlung unternahm der langjährige Direktor der Eremitage, Bernhard von Koehne (1817—1886), als er den Verkauf eines Großteils der Gotzkowsky-Sammlung im Winter 1763/64 nach Rußland rekonstruierte. 1878 hatte Koehne beim Moskauer Innenministerium für auswärtige Angelegenheiten eine Abschrift von denjenigen Archivalien angefordert, die den Ankauf der Sammlung Gotzkowsky betreffen. Der Briefwechsel hierüber sowie die angefertigten Kopien der Originalquellen haben sich im Archiv der Staatlichen Eremitage erhalten. 5 Gleichzeitig bestellte Koehne über den russischen Botschafter in Berlin eine Abschrift der heute im Berliner Staatsarchiv aufbewahrten Verkaufsliste von 1763. Hierbei handelt es sich um die handschriftliche Specification Meiner allerbesten und Schön-

sten originalgemählden

bestehen in 317 Stück nebst denen allergenauesten Preisen, die die wichtigste

Quelle für die Bilderverkäufe an Katharina II. darstellt. 6 Koehne untersuchte in seinen Ausfüh-

ters Paul Lange gefunden und erstmals gesichtet. Lange war der Konkursverwalter des Gotzkowskyschen Vermögens und Vormund über dessen vier Kinder. 3 Vgl. Schmoller/Hintze 1892; Hintze 1893; Skalweit 1937; Rachel-Wallich 1967. Bereits 1838 erschienen die Erzählungen Die Familie Frege in Leipzig und J. G. Gotzkowsky in Berlin sowie J. E. Gotzkowsky in Berlin (der deutsche Lafitte), die in den Lebensbeschreibungen und Bildern aus dem Leben ausgezeichneter und berühmter Kaufleute und Banquiers von Schmaltz veröffentlicht wurden. Der erste Band hebt Gotzkowskys diplomatische Rolle hervor, der zweite Band behandelt seine wirtschaftlichen Aktivitäten. Im gleichen Jahr erschien die dreibändige Ausgabe Gotzkowsky, der Kaufmann von Berlin von der Romanschriftstellerin Clara Mund (1814—1873), die unter dem Pseudonym Luise Mühlbach schrieb. Als Vorlage dienten ihr Gotzkowskys Memoiren, die sie in teils fiktive abenteuerlich-amouröse Handlungen einband. Die zweite Auflage von 1858 unter dem Titel Friedrich der Große und sein Kaufmann wurde über einunddreißig Mal aufgelegt und sogar ins Englische übersetzt. 4 Gotzkowsky 1975. 5 St. Petersburg, Archiv der Staatlichen Eremitage, fonds 1, opis 5—1878, Nr. 19a. Das Konvolut umfaßt die persönlichen Notizen Koehnes sowie die Kopien der Berichterstattung des Gesandten aus Berlin, Fürst Dolgorukov und die Kopien der Reskripte des Vize-Kanzlers an Fürst Dolgorukov über den Ankauf der Gemäldesammlung des Berliner Händlers Gotzkowsky betr. Ich danke Bodo Gotzkowsky, der mir die Abschriften dieser Quellen zugänglich machte. 6 GStA PK, I. HA Geheimer Rat, Rep. 11 Ausw. Bezieh., Nr. 171-175 Moskau, Lit D: Intercessionalia 250a—254a (im folgenden Specification 1763).

1752-1765,

fol.

Quellenlage

und

Forschungsstand

5

rungen, die erstmals 1881 in einem Separatdruck der St. Petersburger Zeitung veröffentlicht wurden, zwar die Umstände des Verkaufes. Jedoch verfolgte er nicht die in russischen Museen noch vorhandenen Gemälde aus der Sammlung Gotzkowsky. 7 Erst im Zuge des vom Getty Provenance Index und der Hamburger Kunsthalle initiierten Projektes zur Erfassung deutscher Auktionskataloge des 18. Jahrhunderts geriet 2 0 0 2 die Specification und damit ein kleiner Teil der Sammlung Gotzkowsky in das kunsthistorische Blickfeld. Besagte Verkaufsliste wurde von Thomas Ketelsen und Tilmann von Stockhausen in Zusammenarbeit mit dem russischen Archivar Constantin Malinowsky ausgewertet und mit wertvollen Angaben zum heutigen Verbleib einiger Gemälde versehen. 8 Im gleichen Jahr beschäftigte sich Christoph Frank ebenfalls mit dem Bilderverkauf nach Rußland und legte ergänzende Angaben zur Specification vor.9 Allen Ausführungen ist gemeinsam, daß der eigentliche Auslöser des Verkaufes nur ansatzweise rekonstruiert wurde und entsprechend zu irrigen Annahmen führte, die in der vorliegenden Arbeit unter erweiterten Perspektiven und neuen Quellen revidiert werden sollen. Bisher unberücksichtigt blieben drei gedruckte Kataloge, die sich über Gotzkowskys Sammlung erhalten haben. Hierzu gehört eine 1757 von dem Potsdamer Galerieinspektor Matthias

Oesterreich (1726-1778) verfaßte Description de Quelques Tableaux de Differens Maîtres, die 108 Gemälde aufführt.10 Bei der 1759 erschienenen Specification über eine Sammlung verschiedener Original-Gemählde von italienischen, holländischen, französischen und deutschen Meistern handelt es sich um eine erweiterte Auflage mit 182 Gemälden." 1766 erschien eine dritte Sammlungsbeschreibung, ebenfalls unter der Federführung von Oesterreich, die 2 1 0 Gemälde auflistet:

Catalogue d'une tres-belle collection de tableaux, de differens maîtres, italiens, flamands, allemands et françois, laquelle se trouve dans la maison de Mr. Ernest Gotzkowsky.12 Diese Primärquellen bilden eine herausragende Möglichkeit, die Sammlung Gotzkowsky in ihrem Umfang und ihrer künstlerischen Zusammensetzung darzustellen. Anhand der Kataloge läßt sich die große Anzahl von Bildern nach Künstlern, Schulen und Sujets unterteilt, rekonstruieren. Gotzkowskys Kabinett war dabei nicht nur eine willkürliche Ansammlung zahlloser Werke aus unterschiedlichen Epochen und verschiedener Genres, vielmehr sind die Kataloge ein wichtiges Dokument über den Geist seiner Zeit. Denn die quer aus Europa erworbenen Gemälde sind Zeugnis von Gotzkowskys grenzüberschreitenden Beziehungen und dokumentieren die jeweiligen künstlerischen Strömungen und Präferenzen anderer Höfe, Sammler und Kunstmärkte, die in seinem Berliner Kabinett ein buntes Kaleidoskop entfalteten. Gotzkowskys Rolle als Kunstagent und seine umfassenden Gemäldeverkäufe an Friedrich II. blieben von einzelnen Hinweisen abgesehen, ebenfalls ein Desiderat. Dies lag vor allem daran, daß die Bestände der friderizianischen Kunstsammlungen in den letzten zwei Jahrhunderten mehrfach umstrukturiert wurden. Ein erstes Eingreifen erfolgte mit dem Einfall napoleonischer

7 Vgl. Koehne 1881 u n d 1882. 8 Vgl. Ketelsen/Stockhausen 2002, Bd. 1, Nr. 43.

9 Vgl. Christoph Frank, Die Gemäldesammlungen Gotzkowsky, Eimbke und Stein: Zur Berliner Sammlungsgeschichte rend des Siebenjährigen Krieges, in: North 2002, S. 117—194. 10 Yale University Library, Seely G. M u d d Library, W C 192 11. 11 Staatsbibliothek zu Berlin, Ns 12100 Rara. 12 SLUB, Art.plast. 700,6.

wäh-

6

Einleitung

Truppen in Preußen im Herbst 1806, als 54 Gemälde aus der Bildergalerie abtransportiert und als Kriegsbeute nach Paris gebracht wurden. Ein Großteil der Werke gelangte mit dem Friedensschluß zwar wieder nach Potsdam zurück, doch folgte 1829 ein erneuter Eingriff, als sich die königliche Kommission unter der Leitung Wilhelm von Humboldts (1767-1835) für das am Lustgarten errichtete Königliche Museum zahlreiche Bilder aussuchte. Damit wurde die friderizianische Sammlung in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung aufgelöst. Auch später wurden immer wieder Gemälde aus den Potsdamer Beständen entnommen. Erst im Zuge der einsetzenden Friedrichverehrung Ende des 19. Jahrhunderts begann ein langsames historisches Bewußtsein in der Rekonstruktion der ursprünglichen Bestände. Ein erster Meilenstein bildete die 1892 in der Berliner Kunstgeschichtlichen Gesellschaft gezeigte Ausstellung von Kunstwerken aus dem Zeitalter Friedrichs des Großen, die einen umfassenden Einblick in die Ambitionen des Königs als Kunstsammler und als Förderer der Künste bot.13 Anläßlich des 100. Todestages (1889) und 200. Geburtstages (1912) Friedrich II. untersuchte der langjährige Direktor des Hohenzollern-Museums Paul Seidel (1858-1929) in zahlreichen Studien das Verhältnis des Königs zu den bildenden Künsten. Im Zuge dieser intensiven, facettenreichen Auseinandersetzung wurden erstmals wichtige Quellen über Friedrichs Gemäldeankäufe veröffentlicht. In diesem Zusammenhang fällt erstmals der Name Gotzkowsky als königlicher Kunstagent, ohne daß dabei seine Verkäufe eingehend rekonstruiert und ausgewertet wurden. Nach Ende des Ersten Weltkrieges und der Abdankung der Hohenzollern wurden die Bestände der Bildergalerie von Sanssouci auf Grundlage der von Matthias Oesterreich herausgegebenen Kataloge und Inventare neu geordnet. Von einigen Verlusten abgesehen, wurde 1930 der ursprüngliche Zustand von 1770 wieder hergestellt. Aus Anlaß dieser Neuordnung wurde ein Bestandskatalog herausgegeben, in dem der Name Gotzkowsky als Provenienz mehrfach aufgeführt wird.14 Eine einwandfreie Zuordnung der Verkäufe wurde aufgrund der Umstände, daß viele Gemälde unter weitaus klangvolleren Namen erworben wurden, als sie tatsächlich darstellten, nicht gewährleistet. Der Zweite Weltkrieg mit der Zerstörung der Schlösser von Potsdam, Berlin und Charlottenburg, der Zerstreuung zahlreicher Kunstwerke sowie der Teilung der archivalischen Quellenbestände zwischen Berlin-West (Dahlem) und Berlin-Ost (Merseburg) erschwerten eine intensive Auseinandersetzung mit der friderizianischen Sammlungspolitik, so daß die Forschung in vielen Aspekten auf den Studien Seidels stehen blieb. Erst seit der Wiedervereinigung und dem uneingeschränkten Zugang von Akten in Ost und West ist eine erneute Auseinandersetzung mit Friedrichs Ankäufen möglich. Daher ist die im Zuge der Recherchen entdeckte Liste des Tableaux que j'ay livrés a Sa Majesté, datiert vom 8. Juli 1756, von herausragender Bedeutung. Diese Liste umfaßt Gotzkowskys Gemäldeverkäufe an Friedrich II. vom April 1755 bis zum Juli 1756. Als Ergänzung hierzu hat sich eine Specification derer Tableaux welche ich an S. M. abgeliefert habe erhalten, die in die erste Hälfte des Jahres 1764 einzuordnen ist und die Erwerbungen Friedrich II. während und nach dem Siebenjährigen Krieg auflistet.'5

13 Seidel 1892 (I). 14 Vgl. Henschel-Simon 1930. 15 GStA PK, I. HA Rep. 96 C Sammlung Itzenplitz, Nr. 12, fol. 3; GStA PK, VI. HA, NL Gotzkowsky, Nr. 2, fol. 7 - 8 (im folgenden Specification 1764).

Quellenlage und Forschungsstand

7

Als Ergänzung zu den aufgeführten Primärquellen wurden die Bestandskataloge der Potsdamer, St. Petersburger und Moskauer Sammlungen herangezogen, u m die Zerstreuung der Gemäldesammlung Gotzkowsky in toto zu rekonstruieren. Dieser Versuch gestaltete sich insofern schwierig, da viele der ursprünglich aus Gotzkowskys Besitz stammenden Gemälde im Laufe der Zeit andere Zuschreibungen erhielten und auf den ersten Blick nicht zu identifizieren waren. Ein Großteil der an Friedrich II. verkauften Bilder verschwand in Berliner und Potsdamer Schlösserdepots bzw. wurde während des Zweiten Weltkrieges nach Schloß Rheinsberg ausgelagert, wo viele Gemälde in den letzten Kriegswirren verloren gingen. Zahlreiche der von Gotzkowsky nach Rußland verkauften Bilder wurden schon zeitlebens von Katharina II. an ihre Günstlinge u n d Favoriten verschenkt, darunter Rembrandts Betende alte Frau (Farbtafel XIX). Das Bild gelangte in den Besitz des Gesandten und bevollmächtigten Ministers des Königs von Dänemark, dem Kammerherrn A r m a n d François Louis de Saint Saphorin. Als dieser 1805 in Wien verstarb, wurde das Gemälde von Johann Rudolf Czernin ( 1 7 5 7 - 1 8 4 5 ) am 27. Mai 1806 aus Saphorins Nachlaß erworben. Aus der Sammlung Czernin gelangte das Werk später in die Salzburger Residenzgalerie, wo es sich noch heute befindet. 16 Weitere Verkäufe aus der Eremitage erfolgten 1854 auf Befehl Nikolaus I. ( 1 7 9 6 - 1 8 5 5 ) , der viele Gemälde versteigern ließ. Nach der Oktoberrevolution von 1917 wurden im Rahmen der bolschewistischen Kunst- u n d Antiquitätenexporte zur Beschaffung ausländischer Devisen mehrere tausend Gemälde ins Ausland verkauft. Abermals gerieten einige Werke aus ehemaligem Gotzkowsky-Besitz in den Blickpunkt, darunter zwei Gemälde von Rembrandt Joseph wird von Potiphars Frau beschuldigt (Abb. 64) sowie Mann in orientalischer Kleidung (Farbtafel XVIII). Beide Bilder wurden von dem amerikanischen Bankier Andrew Mellon ( 1 8 5 5 - 1 9 3 7 ) in einer geheimen Transaktion erworben, wie der deutsche Generalkonsul in St. Petersburg berichtete: »Die deutsche Presse brachte in letzter Zeit wiederholt Nachrichten über Verkäufe von Bildern aus den Beständen der hiesigen Eremitage. Eine genaue N a c h p r ü f u n g dieser Angaben ist insofern schwierig, als Käufer u n d Verkäufer sich bemühen, Stillschweigen zu beobachten und als das häufige Umhängen von Bildern, sowie ein ständiger Austausch mit Museen anderer Städte, insbesondere Moskaus, eine genaue Feststellung des tatsächlich Fehlenden durch eine einfache Besichtigung der Galerie fast unmöglich machen. Zuverlässig ist mir jedoch folgendes bekannt geworden: An bedeutenden Werken hat ein Konsistorium, bestehend aus den Firmen Matthiesen in Berlin, Knoedler in Paris-London-New York und Colnaghi in London, eine Partie von 5 Gemälden gekauft, [...]. Der Käufer ist wie auch bereits in der Presse gemeldet, der amerikanische Schatzsekretär Mellon.« 17 Mellon vermachte einen Großteil seiner Sammlung der National Gallery of Art in Washington, darunter die beiden erwähnten Gemälde von Rembrandt. Eine weitere Schwierigkeit in der Rekonstruktion der Gemälde mit Gotzkowsky-Provenienz bildete die Tatsache, daß das in den 1980er Jahren von der Eremitage begonnene, auf über zwanzig Bände angelegte Projekt zur Erfassung aller Gemälde kurz vor seiner Vollendung ein-

16 Ich danke Marena Marquer für diesen Hinweis. 17 SMB, ZA, K F M 23, Acta Secreta, ohne Fol., 25. November 1930.

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Einleitung

gestellt wurde. Daher sind die umfangreichen Bestände der holländischen und flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts in der Eremitage noch nicht dokumentiert, deren Nukleus wiederum die Sammlung Gotzkowsky bildet. Anhand von Künstlermonographien, Bestands- und Ausstellungskatalogen wurde daher über Umwege versucht, die weit verstreute Sammlung Gotzkowsky zu rekonstruieren.

Methodik Aufgrund Gotzkowskys zahlreicher Betätigungen im unternehmerischen als auch kunsthändlerischen Umfeld mit einem entsprechend weiten Wirkungsradius bot sich eine chronologische Ubersicht der einzelnen Themenkomplexe an, die in vier große Kapitel gegliedert sind. Im Vordergrund der Recherchen steht dabei die Rolle Gotzkowskys als Gemäldesammler und Kunstagent. Von vornherein diffizil war die Tatsache, daß sich zwar Gotzkowskys Sammlung anhand seiner Kataloge und sein Bilderhandel anhand einiger Verkaufslisten dokumentieren läßt, sich aber aufgrund der eingangs geschilderten Zensur und der daraus resultierenden Konfiszierung aller persönlichen Dokumente kein einziger Quellenhinweis erhalten hat, der Einblick in Gotzkowskys Gemäldeankäufe und seine kunsthändlerischen Verbindungen gibt. Nur andeutungsweise lassen sich mit Hilfe von Memoiren und Briefwechseln seiner Zeitgenossen einige Hinweise über Gotzkowskys Ambitionen und Aktivitäten als Sammler und Händler ausmachen. Die Entdeckung entlegener und bisher unveröffentlichter Dokumente ermöglichte es jedoch, ein solides Gerüst über seine Verbindungen und die darüber erfolgten Bilderankäufe aufzubauen. Die gewonnenen Erkenntnisse konnten in ein anschauliches Mosaik zusammengefügt werden und zeigen Gotzkowsky als eine kosmopolitische Person mit mannigfachen Beziehungen. Diese verdeutlichen seinen Einfluß und seine Bedeutung in Berlin und über die preußischen Grenzen hinweg. Im Mittelpunkt des ersten Kapitels steht Gotzkowskys Aufstieg vom Lehrjungen zum Galanteriewarenhändler bis hin zum einflußreichen Fabrikanten. Neben der Rekonstruktion seiner Herkunft, seines familiären und sozialen Umfeldes soll der Frage nach Gotzkowskys Bildungshintergrund und Erfahrungshorizont nachgegangen werden. Desweiteren wird seine Rolle und Stellung innerhalb des Berliner Bürgertums, seine Aktivitäten als investitionsfreudiger, das finanzielle Risiko nicht scheuender Unternehmer und seine exponierte Stellung im Kreise Friedrich des Großen untersucht - ein Umfeld mit allen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, das ihn vom Aufstieg bis zum finanziellen Ruin begleitete und Voraussetzung für seine Rolle als Gemäldesammler und Kunstagent war. Eine wichtige Bedeutung für Gotzkowskys Galanteriewarenhandel und seiner Tuchfabrikationen kam der Handelsstadt Leipzig zu, wo er ein erfolgreiches Messegeschäft in Auerbachs Hof betrieb. Hierüber eröffneten sich ihm frühzeitig ein illustrer Kundenkreis aus dem nahegelegenen höfischen Dresden sowie enge Kontakte zu einer einflußreichen, auswärtigen Klientel. Gotzkowskys frühes Ansehen dokumentiert sich in der Aufnahme als Mitglied in die erste Freimaurerloge von Leipzig. Die Bestellung eines umfangreichen Tafelservices bei der Meissener Porzellanmanufaktur, das als Gotzkowsky erhabene Blumen ein noch heute gängiges Geschirrmuster ist, unterstreicht seine umtriebigen Geschäfte.

Methodik

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Die weitverzweigten Gemäldeankäufe Gotzkowskys werden im zweiten Kapitel verfolgt. Diese lassen sich ab 1750 erstmals nachweisen und erstrecken sich über einen Zeitraum von nahezu fünfzehn Jahren. Ausgehend von Friedrichs Auftrag, Gotzkowsky möge bedeutende Alte Meister für die Bildergalerie von Sanssouci erwerben, wird in den folgenden Kapiteln den Ankaufsquellen der Gemälde nachgegangen. Hierüber soll das für Gotzkowsky tätige Netzwerk aus Händlern, Sammlern und diplomatischen Gesandten rekonstruiert werden. Die Spuren der Ankäufe erstrecken sich dabei von Dresden bis nach Florenz, Venedig und Rom, von Paris bis nach Holland. Da davon ausgegangen werden muß, daß Gotzkowsky sich niemals selbst auf Reisen begab, um gezielt Kunstwerke zu begutachten und zu erwerben, sondern diese ausschließlich auf Empfehlung seiner Vermittler ankaufte, sollen diese Kreise auch auf ihren geschmacksbildenden Einfluß hin erschlossen werden. Als Leitfaden stellt sich dabei immer wieder die Frage, ob Gotzkowsky ein ambitionierter Sammler war, der aus eigener Motivation heraus und von einem persönlichen Interesse geleitet, sich eine bedeutende Gemäldesammlung aufbaute? Oder gehörte der Bilderhandel neben seinen zahlreichen Unternehmungen zu einer weiteren merkantilen Beschäftigung und Einnahmequelle, die sein Angebot im Luxusgüterbereich abrunden sollte, da Gotzkowsky seine Gemälde vor allem als eine Ware mit profitablen Investitions- und Spekulationsgehalt sah? Vor diesem Hintergrund müssen auch seine Erwerbungen untersucht werden, die sich entweder nach eigenen Präferenzen richteten oder im Auftrag einer sammelnden Klientel getätigt wurden. Daraus ergibt sich die Frage, welche künstlerischen Akzente und stilistischen Schwerpunkte Gotzkowsky innerhalb seiner Sammlung setzte? Gibt es ferner Anhaltspunkte dafür, wo und nach welchen Gesichtspunkten die Gemälde gehängt wurden und läßt sich hierüber eine Art von Kennerschaft manifestieren? Als tragende Säule im Aufbau und in der Katalogisierung der Sammlung erwies sich der Potsdamer Galerieinspektor Matthias Oesterreich, dessen Wirken und Einfluß sowohl auf Gotzkowskys Kabinett als auch auf die friderizianische Sammlungspolitik rekonstruiert werden. Als Ergänzung zu Gotzkowskys Ankäufen wird auch der Bedeutung und Funktion der graphischen Reproduktionen nachgegangen, denen als Vermittler bildnerischer Inhalte im Kunsthandel und Sammlungswesen eine entscheidende Rolle zukommt. Auch Gotzkowsky schätzte dieses Medium, um seine Gemälde weithin bekannt zu machen. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf den Zeitraum des Siebenjährigen Krieges, als Gotzkowsky eher zufällig zum entscheidenden Mittelsmann zwischen Preußen und den russischen Befehlshabern, aber auch zwischen Friedrich II. und der Leipziger Kaufmannschaft wurde, die der preußische König gnadenlos durch hohe Kontributionen ausnahm. Während seiner diplomatischen Vermittlungen wurde Gotzkowsky über die Grenzen Preußens bekannt, sein unermüdlicher Einsatz im Hubertusburger Frieden an vorderster Stelle genannt. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Kapitels ist die Gründung der Berliner Porzellanmanufaktur, die Gotzkowsky auf unmittelbares Drängen Friedrichs errichtete. Sie stellt heutzutage das letzte Zeugnis von Gotzkowskys unermüdlicher Schaffenskraft dar, so daß der Manufaktur ein wichtiger Stellenwert in seinem Wirken zukommt. Neue Quellenfunde über den Aufbau der Manufaktur als auch der Verkauf an Friedrich II. im Sommer 1763 vermitteln wichtige Eindrükke über das enge Verhältnis zwischen Kaufmann und König, das weit über den händlerischen Rahmen hinausging. Den Abschluß der Ausführungen bildet die Wirtschaftskrise von 1763, die zu Gotzkowskys Bankrott und dem Verkauf seiner Manufakturen führte.

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Einleitung

Im abschließenden vierten Kapitel werden die Bilderverkäufe Gotzkowskys an die russische Zarin u n d Friedrich II. verfolgt. Im R a h m e n der Recherchen konnten zahlreiche neue Quellenfunde getätigt werden, die die Sammlungspolitik beider gekrönter H ä u p t e r in einem weitaus differenzierten Licht erscheinen lassen, als bisher geschehen. Welche Rolle k o m m t dabei Gotzkowsky als bürgerlicher Kunstagent im A u f b a u königlicher Musentempel zu? Erstmals kann aufgezeigt werden, daß Gotzkowskys Verkauf von 3 1 7 Bildern an Katharina II. nicht allein durch seinen Bankrott bedingt war, sondern vielmehr unter diplomatischen Gesichtspunkten einzuordnen ist. Auch die weiteren Verkäufe an den preußischen König können erstmals in ihrer gesamten Breite dargestellt werden. In diesem Z u s a m m e n h a n g wird der Frage nachgegangen, wie es geschehen konnte, d a ß Friedrich II. viele unbedeutende Gemälde zu überhöhten Preisen ankaufte, w ä h rend die nach R u ß l a n d viel preiswerter verkauften Bilder noch heute zu den Meisterwerken der Eremitage zählen. Durch den königlichen Vertrauten, d e m M a r q u i s d'Argens, b e k o m m e n diese Ankäufe ein Gesicht, da er als Vermittler zwischen Gotzkowsky u n d d e m preußischen König für einen Großteil der Bildererwerbungen verantwortlich war. Unter erweiterten methodischen Fragestellungen, die die Provenienz- u n d Geschmacksgeschichte miteinbeziehen, wird auch die Rolle der anderen Agenten und Berater Friedrich II. u n tersucht: Rothenburg, Mettra, Petit, Algarotti u n d d'Argens spielten hierbei eine wichtige Rolle, ebenso die preußischen Gesandten u n d Botschafter in Frankreich, Holland u n d Italien. Eine Gewichtung ihrer jeweiligen Aufgaben u n d ihrer bedeutenden Kunstankäufe in Diensten des Königs soll an dieser Stelle erstmals vorgenommen werden. A n h a n d dieses Vergleichs lassen sich Gotzkowskys Gemäldeankäufe besser einordnen u n d beurteilen, u m hierüber seinen Einfluß als exponierter friderizianischer Kunstagent aufzuzeigen. In den abschließenden Ausführungen sollen der Bedeutung der S a m m l u n g Gotzkowsky i m zeitgenössischen Berlin und seine Rolle als S a m m l e r u n d Mäzen nachgegangen werden. Im A n h a n g werden die noch identifizierbaren Gemälde aus Gotzkowskys S a m m l u n g rekonstruiert, u m den Werdegang dieser Bildersammlung im Zuge königlicher Ankaufspolitik in öffentliche Museen zu verfolgen. U m der Sprache des 18. Jahrhunderts das ihr eigentümliche Flair zu lassen, w u r d e n m u n d a r t liche Idiome, die Eigenarten der Orthographie u n d die häufig phonetische Schreibweise vieler Wörter beibehalten.

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1 7 1 0 - 1 7 5 6 : Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

A. Anfänge und Etablierung in Berlin Erste Einblicke in Johann Emst Gotzkowskys Vita liefern seine Memoiren, in denen er seine teils verschwommenen Erinnerungen an die früh verstorbenen Eltern, seine Kindheit bei Verwandten in Dresden und die folgende Lehre in der Sprögelschen Materialhandlung m Berlin schildert: »Ich bin zu Conitz in Polnisch-Preußen 1710 den 21ten Nov. gebohren. Mein Vater war ein Polnischer von Adel, und durchgehends als ein ehrlicher Mann bekannt. Die schrecklichen Kriege, die zu der Zeit ganz Norden entflammet, und Polen zum Tummelplatz gemacht hatten, schlugen meine Eltern gänzlich darnieder, und brachten sie um alle das Ihrige. Ich mochte kaum 5 Jahre alt seyn, als ich meine beyderseitigen Eltern in der damals grassierenden Pest verlor, und also sehr frühzeitig zur Waise ward.«18 Gotzkowskys Vorfahren stammten aus polnischem Kleinadel und lebten bereits seit mehreren Generationen in Westpreußen. Anhand der Forschungen des Nachfahren Bodo Gotzkowsky leitet sich der Familienname von einem Ortsnamen ab, der den Wohnsitz bzw. den Herkunftsort der Familie bezeichnet haben dürfte. 19 Uber die Eltern gibt es kaum Hinweise, lediglich ihre Begräbnisse sind dokumentiert. 20 Nach dem Verlust seiner Eltern blieben dem Waisen Johann Ernst

18 [Gotzkowsky] 1768, S.7. Im evangelischen Taufregister von Könitz findet sich unter dem 23. November 1710 folgender Eintrag: »Herrn Adam

Godskowsken, Söhnlein Johann Ernst, Testes Herr Simon Andreas Poltzin,

Johann Vergin, Cons. Herr Johann Liebherr, das Wohlgeborene Fräulein, Barbara Charina von Powaltzckin, Rudnickin,

Cons. Herr

Frau Barbara

Herr Daniel Kaneken Pro-Cons. et pro tempore Praesidis, Seiten Genoßin, Frau Catharina Ißbernerin,

Herrn Jacob Pujflers hinterbliebene

Frau Wittwe, Frau Anna Elisabeth Verginin, Herrn Johann Woljß Ehegattim,

Seel.

zit. aus

Gotzkowsky 1975, S. 49. Eine Abschrift der Taufurkunde befindet sich im GStA PK, VI. HA, NL Gotzkowsky, Nr. 2, fol. 1. 19 Vgl. Gotzkowsky 1975, S.45f. Der Familienname bezieht sich auf zwei westpreußische Landgüter in der Nähe von Könitz, dem heutigen Chojnice: Gotzkau (Goczkowa, Gockowy) westlich sowie Götzendorf (Gockowicc, Gotzkowo, Gotkowice) südöstlich von Könitz. Vermutlich hat sich die Familie nach dem Verlust ihrer Besitztümer zu Beginn des Nordischen Krieges ( 1 7 0 0 - 1 7 2 2 ) in Könitz niedergelassen, ohne das Bürgerrecht erworben zu haben. 20 Der Tod des Vaters ist im evangelischen Bestattungsbuch von Könitz unter dem 8. Oktober 1711 vermerkt: »Herr Adam von Gottzkowski,

ein Edelmann,

so hier gewohnet.« Am 28. Februar 1717 starb die Mutter: »Anna

Magdalena

1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

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noch zwei Geschwister: der um 1697 geborene Bruder Christian Ludwig und eine Schwester namens Dorothea Elisabeth, von der lediglich berichtet wird, daß sie am 25. Mai 1706 in der Konitzer Hospitalkirche getauft wurde.21 Der ältere Bruder hatte seine Heimat beim Tode der Eltern bereits verlassen, so daß es keine weiteren Verwandten mehr gab, die sich um die Erziehung des minderjährigen Johann Ernst kümmern konnten: »Es fand sich niemand, der sich meiner Erziehung annehmen wollte, bis sich endlich einige Anverwandte, die in Dresden wohneten, über mich erbarmten, und dahin kommen ließen. Daselbst ward ich bis in mein vierzehntes Jahr erzogen, doch so, daß ich binnen dieser Zeit kaum etwas lesen und schreiben gelernet habe.«22 Vergleicht man diese Aussage mit den Angaben in den Konitzer Sterberegistern, so lebte Gotzkowsky zwischen 1717 und 1724 in Dresden. Da sich anhand der Dresdner Adreßbücher weder die Namen Gotzkowsky noch Abelin, der Geburtsname der Mutter, nachweisen lassen, kann das familiäre und soziale Umfeld des heranwachsenden Gotzkowsky nicht mehr rekonstruiert werden. Währenddessen war sein älterer Bruder Christian Ludwig nach Berlin gegangen und hatte im Tuchgewerbe eine Anstellung gefunden: »Mein älterer Bruder hatte die Handlung erlernet, und stand damals in Bedienung bey dem Lagerhause in Berlin. Dieser ließ mich von Dresden dahin kommen, und brachte mich in die damalige bekannte Sprögelsche Materialhandlung, in welcher ich meine Lehrjahre vom Jahre 1724 bis 1730 ausstand. Binnen dieser Zeit übte ich mich im Rechnen und Schreiben auf das emsigste, und erwarb mir, durch Lesen guter und nützlicher Bücher, die Kenntnisse, die ich bey der empfangenen Erziehung nicht hatte erlernen können.« 23 Mit dem Lagerhaus ist die von Friedrich Wilhelm I. ( 1 6 8 8 - 1 7 4 0 ) gegründete Wollmanufaktur gemeint, deren Ziel es war, die Versorgung der preußischen Armee von ausländischen, meist sächsischen Importen autark zu machen. Neben der Uniformierung der Armee als größten Abnehmer wurde der Umsatz des Lagerhauses durch ein generelles Kaufverbot ausländischer Tuche für alle preußischen Untertanen gestärkt.24 Ab wann sich Christian Ludwig Gotzkowsky in der preußischen Residenzstadt niedergelassen hat und im Lagerhaus tätig war, bleibt fraglich. Womöglich gehörte er zu denjenigen Emigranten, die 1717 durch das königliche Patent, wegen der Freyheit der Wollarbeiter welche aus fremden Landen sich in die Königlichen Städte begeben nach Berlin gekommen waren.25 Christian Ludwigs Verkaufstätigkeit in der königlich protegierten

Abelin Sei Herrn Adam v. Gottskowski nachgel. Frau Wittwe in dem Hospital in das Gewölbe cumparentatione«,

zit. ebd.,

S.46. 21 Vgl. ebd., S.46. Das Geburtsjahr Christian Ludwigs läßt sich anhand der Kirchenbücher der Berliner St. Petri-Gemeinde rekonstruieren, demnach er 1761 im Alter von 64 Vi Jahren gestorben sein soll. 22 [Gotzkowsky] 1768, S.7. 23 Ebd., S.8. 24 Der Name Lagerhaus bezeichnet die Absicht Friedrich Wilhelm I., ein Warenlager zu schaffen, das »Handwerker ab Produzenten band, die im Verlagssystem zu arbeiten hatten«, zit. aus Käthe 1981, S. 84; vgl. auch Erika Herzfeld, Preußische Manufakturpolitik

unter Friedrich Wilhelml.,

25 Vgl. Schultz 2 1992, S. 111.

in: Beck/Schoeps 2003, S. 1 6 1 - 1 8 1 .

Α. Anfänge und Etablierung in Berlin

13

Manufaktur und der damit einhergehende Kundenkontakt bildeten eine wichtige Ausgangslage für seine spätere berufliche Selbständigkeit. Seinen aufgebauten Beziehungen dürfte wiederum Johann Ernst eine Ausbildung in der Sprögelschen Materialhandlung zu verdanken haben, die be-

druckte Tuche und Wolle vertrieb: »Christian Ludwig scheint in vieler Hinsicht in dieser Zeit für den jüngeren Bruder Vorbild geworden zu sein und ihn durch seine gewinnende, fleißige Arbeit und seine ehrgeizigen Pläne beeinflußt zu haben.«26 1726 heiratete er die Tochter des angesehenen und vermögenden Kaufmanns Johann George Weßling, Sousana Louysa Weßling (1700/05-1745) in der St. Petri-Kirche. 27 Die hohe Mitgift seiner Frau und das Renommee seiner Schwiegereltern ebneten Christian Ludwig den Weg in die Berliner Gesellschaft und ermöglichten ihm bald erste eigene Handelstätigkeiten mit dem königlichen Hof. Noch im gleichen Jahr verkaufte er zusammen mit dem Juwelier Louis Buyrette eine silbervergoldete Pariser Tabatière an Königin Sophie Dorothea (1687-1757). 2 8 Ein Jahr später eröffneten beide die Firma Buyrette & Co, eine

Gros- und Detailhandlung

in hiesigen und fremden Galanteriewaren in der Königstraße unweit des

Stadtschlosses. Im Februar 1730 erwarb Christian Ludwig das Bürgerrecht der Stadt Berlin. 29 Im gleichen Jahr nahm er seinen jüngeren Bruder Johann Ernst in sein Geschäft mit auf, wie dieser weiter berichtet: »Im Jahr 1730 ward die Handlung meines Lehrherren in der großen Feuersbrunst, welche durch Abbrennung des Petrithurms entstand, nebst noch einigen 40 Häusern völlig ruiniert. Mein Bruder, der sich inzwischen eine eigene Handlung in Galanteriewaaren errichtet hatte, nahm mich also zu sich, und sowol der innere Trieb mich empor zu bringen, als auch die Dankbarkeit, die ich meinem Bruder schuldig war, munterten mich auf, ihm so nützlich als nur möglich zu werden.« 30 Mit dem Verlust seiner Arbeitsstätte und dem Wechsel in die Galanteriewarenhandlung seines Bruders, der sich auf in- und auswärtige Luxusartikel spezialisiert hatte, begann für Johann Ernst ein neuer, entscheidender Lebensabschnitt. Es kann angenommen werden, daß Buyrette & Co in ihrem Sortiment Galanterien der heimischen Gold- und Silberschmiede vertrieben. Dieser Be-

26 Baer 1986, S. 14. Zur Sprögelschen

Materialhandlung

νφ. Nicolai 1769, S.443.

27 Unter dem 21. Februar 1730 verzeichnet das Berliner Bürgerbuch : » Weßling, Joh. G., Materialist, mann; hat einen o f f e n Laden in der Spandauerstr. In dem von ihm gekaufien ehemals Frenckelschen Kaeber 1934, S. 144.

[... ] war B. u. KaufHaus, als U.«, zit. aus

28 Vgl. Stengel [1950], S. 10. Über Louis Buyrette gibt es kaum Hinweise, außer einigen Verkäufen an den preußischen Hof, die sich anhand der Schatullenrechnungen nachweisen lassen, vgl. Scheffler 1968, S. 93f., Nr. 497b. 29 »14. Februar 1730: Gotzhowsky, Chn. Lud., Kauf- und Handelsmann, Berlin, luth.; [...] hat sich auf seinem Gut Gotzko in Polnisch Preußen [...] aufgehalten; hat seit 3 fahren einen offenen Laden in der Königstr. gegenüber der Post; weil er lange fahre im Lagerhaus gestanden hat, 8 Tir.«, zit. aus Kaeber 1934, S. 143. 30 [Gotzkowsky] 1768, S.8. In einigen Berliner Chroniken finden sich Angaben über dieses Unwetter, in dessen Zuge weite Teile der Breiten Straße zerstört wurden: »Den 29 May. entstand alhier ein großes Ungewitter, so daß es gegen Abend 8 Uhr in der Petri Kirche einschlug, welche gantz abbrandte und die halbe Brüder-Straße nebst 49 Häuser, die umhergestanden haben, welche theils ruiniret, meistens abbrandtem, zit. aus Holtze 1899, S.66. Der Verfasser der Berliner Garnisons-Chronik schrieb »in der Nacht hat das Donnerwetter in der fast (zur) perfection gebrachte Peter Thurm geschlagen und 40 umherliegende Hauser verbrandt und einige Menschen getödtet und beschädigt«, zit. aus Friedländer 1873, O.S.

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakturisten

griff war seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich für »elegante

Aufmerksamkeiten

und Geschenke in Gebrauch. In Deutschland wurden >Galanteriem im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einem Terminus technicus für das ganze Spektrum liebenswürdiger Kleinigkeiten, die die Manufakturen >zum äußerlichen Putze, Kleiderzierathen und anderen sinnlichen Vergnügungem ersann«.?x Uber die auswärtigen, vor allem nach Frankreich gerichteten Kontakte des Hugenotten Louis Buyrette dürften modische Luxusartikel wie Tabatièren, goldene Etuis, kostbare Brokate und Samte erworben worden sein. Besonders die mit hochkarätigen Edelsteinen verzierten Tabatièren gehörten zu den begehrtesten Galanteriewaren des 18. Jahrhunderts. Neben ihrer Funktion als Schnupftabaksdose wurden sie von den Damen auch als Bonbon-, Pillen- und Schminkdose genutzt; sie waren ein kostspieliges modisches Accessoire, mit dem man gern renommierte. 32 Daher konnten Händler mit Verbindungen zu versierten Goldschmieden und einem entsprechend exquisiten Sortiment schnell einen guten Ruf erlangen. Nach eigenem Bekunden fühlte sich Johann Ernst in dieser, den Hauch von Exklusivität und Luxus umgebenden Atmosphäre recht wohl: »Der Geschmack, den ich an dieser Art von Handlung fand, machte mir auch die größte Bemühung leichte, und durch diese erwarb ich meinem Bruder sehr ansehnliche Lieferungen, sowohl bey Ihro Majestät der damals regierenden Königinn, nachherigen Königl. Frau Mutter, als auch dem damaligen Cronprinzlichen Hofe. Hier geschähe es, wo ich die unschätzbare, und mir stets zu verehrende Gnade erlangte, des jetztregierenden Königs Majestät bekannt zu werden.« 33 In dem Geschäft seines Bruders und dessen Kompagnon scheint der junge Gotzkowsky vor allem im Handel und Verkauf der Luxuswaren tätig gewesen zu sein und erlangte hierüber bedeutende Kommissionen des königlichen Hofes. Vor allem Königin Sophie Dorothea, die für ihre kultivierte Hofhaltung und Sammlung erlesener Porzellane und prunkvoller Tabatièren bekannt war, zählte zu den wichtigsten Kundinnen. Da ein Großteil der Schatullenrechungen Friedrich Wilhelm I., in denen die Hand- und Ausgabengelder sowie die Rechnungsbücher Sophie Dorotheas erfaßt waren, während des Zweiten Weltkrieges verbrannten, lassen sich ihre Ankäufe bei Buyrette & Co nicht mehr rekonstruieren. Das noch erhaltene Nachlaßverzeichnis der Königin dokumentiert jedoch eindrucksvoll ihre umfangreiche Sammlung mit über 372 Tabatièren, von denen 259 Dosen als Zierde auf den Möbeln piaziert waren. Ein Großteil der Kunstgegenstände befand sich auf Schloß Monbijou, wo sich Sophie Dorothea ihr eigenes Refugium errichtet hatte.34 Hierzu gehörte auch ihre nicht minder bedeutende Porzellansammlung, wie ein Inventar von 1738 belegt, das zahlreiche Tafelaufsätze, Service und Figuren aus Meißen sowie Dekorationsporzellane der führenden Manufakturen St. Cloud, Vincennes und der 1718 gegründeten

31 Beaucamp-Markowsky 1985, S.23. 32 Vgl. Dewiel 1981, S. 7. 33 [Gotzkowsky] 1768, S.8f. 34 Ein zeitgenössisches Bild dieser Residenz vermittelt der Kammerherr Karl-Ludwig von Pöllnitz (1692-1775): »La Reine a une Maison & des Jardins dans le Fauxbourg de Spandau. Cette Maison appellee Monbijou. Elle est très bien nommée, car en e f f e t c'est un bijou. C'est un Pavillon dont les apartemens sont distribués avec art, & meublés avec beaucoup de goût & de propreté. Les Jardins sont charmans, &jouissent d'une belle exposition sur la Riviere«, ders. 1734, Bd. 1, S. 6.

Α. Anßinge und Etablierung in Berlin

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Wiener Manufaktur auflistet. 35 Ferner besaß die Königin eine reichhaltige Sammlung ostasiatischer Exportporzellane aus Japan, China und Ostindien, die mit mehr als 500 Stücken beziffert wurde. 36 Diese Ausführungen sind insofern von Interesse, da sie zu einem weiteren, von Christian Ludwig Gotzkowsky betriebenen Kommerz überleiten, der auch bei Hofe auf entsprechende Resonanz stieß: sein Handel mit dem »weißen Gold< aus Meißen. In einer Specificatio Derer KaujfLeuthe, welche mit der Königl: und Chur Fürstl: Sachs: Porcelain-Handlung correspondiren und Waaren abnehmen, auch wo sie wohnen und wie sie heißen, Ao. 1735 wird sein Name mit dem Vermerk »neu« das erste Mal aufgeführt. 37 Damit gehörte Christian Ludwig zu den wenigen Berliner Händlern, die eine Lizenz besaßen, das begehrte sächsische Porzellan in der preußischen Residenzstadt zu vertreiben. Sein Kompagnon Buyrette wird namentlich erst ein Jahr später in den Akten verzeichnet. 38 O b diese Tatsache bereits als ein erstes Anzeichen für eine beginnende geschäftliche Selbständigkeit Christian Ludwigs zu bewerten ist, bleibt offen. Sein Name wird fortan regelmäßig in den noch erhaltenen Akten im Firmenarchiv der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen genannt. Doch scheint er nicht nur Abnehmer und Händler der begehrten Porzellane gewesen zu sein: Laut Berling soll er der Manufaktur auch über Vorkommnisse berichtet haben, die der Meissener Manufaktur hätten schädlich werden können, wie im Fall des Kommerzien-Kommissars Johann Gottfried Meerheim, der seit 1711 in Meißen tätig war. Im Mai 1735 war er von dort geflohen, um in Potsdam mittels »böhmischer Erde« eine eigene Porzellanfabrik zu errichten. 39 Einen ähnlichen Fall betrifft das Schreiben vom 21. Februar 1737 an den Hoffaktor und Leiter der Meissen-Niederlassung in Dresden, Samuel Chladni (1684-1753): Darin berichtet Christian Ludwig über den Emailfarbenlieferanten Elias Vater, der vorgab, das Geheimrezept zur Porzellanherstellung zu kennen und zusammen mit einem Kompagnon »unter dem Vorwand, daßSie Porcele machen könnten, nur Leuthe zu hintergehen«.40 Den Briefen nach zu urteilen, hat Christian Ludwig neben seinem Handel auch »die Rolle eines Informanten für Meißen in Preußen gespielt«.^ In den kommenden Jahren sollten sich die geschäftlichen Beziehungen zu der Meissener Manufaktur noch intensivieren, als einer der beiden Gotzkowsky-Brüder ein eigenes Service in Auftrag gab, über das im folgenden Kapitel berichtet wird. Anhand der erwähnten Beispiele läßt sich sagen, daß Christian Ludwig Gotzkowsky ein sicheres Gespür für die erlesenen und kostspieligen Wünsche seiner aus dem Hofadel und aus dem gehobenen Bürgertum stammenden Klientel hatte. Mit Geschick war er vom einfachen Angestellten im Lagerhaus zum Luxuswarenhändler mit weitreichenden Beziehungen aufgestiegen. Von den aufgebauten Kontakten innerhalb der Käuferschicht als auch seinen Bezugsquellen im kunsthandwerklichen Bereich mit einem entsprechend erlesenen Sortiment profitierte vor allem

35 Siehe Cassidy-Geiger 2002, S. 155ff. 36 Vgl. GStA PK, B P H , Rep. 46, R 20. 37 SächsHStA, 10026, Loc. 1342/2, fol. 124. 38 BA Meissen, I Aa 24 a, fol. 4 - 5 ; vgl. auch SächsHStA, 10026, Loc. 1342/3, fol. 2 4 2 - 2 4 3 . 39 Vgl. Berling 1911, S. 11 ; Reinheckel 1989, S. 134 nennt irrtümlich Johann Ernst Gotzkowsky als Absender des Briefes. Weitere Angaben zu Meerheim in Rückert 1990, S. 51. 40 BA Meissen, I Aa 24 d, fol. 2 0 5 - 2 0 6 ; BA Meissen, II Aa 1, fol. 163; zu Elias Vater vgl. Rückert 1990, S.88. 41 Baer 1986, S.44.

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zum einflußreichen

Manufakturisten

sein jüngerer Bruder. Wie bereits zitiert, erlangte Johann Ernst durch seine zahlreichen Lieferungen an den königlichen Hof die Ehre, dem Kronprinzen zu begegnen. Friedrich, der von den künstlerischen Neigungen und dem Geschmack seiner Mutter geprägt wurde, entwickelte eine große Leidenschaft für kostbare Porzellane und prunkvolle Tabatièren. Es ist daher nicht verwunderlich, daß er den nur um zwei Jahre älteren Johann Ernst Gotzkowsky mit eigenen Ankäufen betraute: »Ich hatte mehr als einmal die Gnade, Sr. Königl. Hoheit höchster Person aufzuwarten, indem ich die mehreste Zeit von den Leipziger Messen über Reinsberg zurück reisen mußte, um Dero Geschäffte auszurichten.« 42 Diese Passage aus Gotzkowskys Memoiren ist aus mehreren Gründen besonders aufschlußreich: Zum einen zeigt sie, wie weit der geschäftliche Radius der beiden Brüder bereits zu diesem Zeitpunkt, d. h. Ende der Dreißiger Jahre reichte und bestätigt zum anderen die Rolle, die Johann Ernst zufiel: Der Erwerb und Verkauf von erlesenen Galanterien. Dabei kam der Leipziger Messe als wichtigem Handelsplatz für die vornehmlich aus Frankreich bezogenen Bijouterien und Stoffe sowie den von Antwerpener Kaufleuten vertriebenen Edelsteinen eine wichtige Rolle zu. Gleichzeitig bot sich hier ein internationaler Umschlagplatz für die in Berlin verfertigten Waren sowie die Möglichkeit zum Anknüpfen wichtiger Kontakte zu auswärtigen Händlern. Besonders in späteren Jahren sollte die Leipziger Messe eine wichtige Rolle für Johann Ernst Gotzkowsky spielen. Erste Berührungspunkte zu dieser Stadt, seiner Messe und zu einigen Händlern waren somit frühzeitig gegeben. Zum anderen liefert das Zitat erste Anhaltspunkte über den beginnenden intensiven Kontakt zwischen dem Kronprinzen und Johann Ernst, eine Verbindung, die recht schnell über das reine Händler-Käuferverhältnis hinausgehen sollte. Doch bevor Friedrich seinem Vater im Mai 1740 auf den Thron folgte und damit auch Gotzkowskys Aufgaben in ungeahnte Bahnen gelenkt wurden, soll ein kurzer Uberblick über diejenigen Erlebnisse und Einflüsse gegeben werden, die den Kronprinzen kulturell besonders geprägt haben. Hierzu zählte die literarisch, musisch und künstlerisch beeinflußte Hofhaltung seiner Mutter. In ihrer geschmackvoll gestalteten Sommerresidenz frönte die Königin ihr eigenes, mit schönen und kostbaren Dingen eingerichtetes Leben. Die frankophile Atmosphäre in Monbijou, in der sich zeitgenössische Strömungen sowohl künstlerischer als auch literarischer Art entfaltet hatten, beeinflußte den Kronprinzen nachhaltig. Nicht zu unterschätzen ist auch Friedrichs kurzer Aufenthalt am Dresdner Hof im Januar 1728. Da ihm die zur damaligen Zeit übliche Bildungsreise durch Europa als wichtigem Bestandteil der Prinzenerziehung verwehrt blieb, mußte die Reise nach Dresden im Zuge des Staatsbesuches seines Vaters von überwältigendem Eindruck gewesen sein. Die Erfahrungen am prunkvollen, durch maßlose Verschwendung und verführerische Leichtigkeit geprägten sächsischen Hof müssen fast blendend auf Friedrich gewirkt haben, stand dieser doch in denkbar stärksten Kontrast zu der spartanisch-despotischen Hofhaltung seines Vaters. Besonders die mit unschätzbaren Werten zusammengetragene Porzellan- und Gemäldesammlung war von nachhaltigem Eindruck auf die künstlerischen und repräsentativen Emp-

42 [Gotzkowsky] 1768, S. 9.

A. Anfìinge und Etablierung in Berlin

17

findungen des preußischen Kronprinzen. Die aus Anlaß der Reise verfaßten Hofjournale sind ein anschauliches Dokument des vielfältigen Besichtigungsprogramms. 43 Als Friedrich 1733 Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern (1715—1797) heiratete, bekam er von seinem Vater ein kleines eingeschossiges Renaissanceschloß am Grienericksee geschenkt, wo er sich seine erste Hofhaltung einrichtete. In Anbetracht der ab 1737 begonnenen aufwendigen Gestaltung der Innenräume von Schloß Rheinsberg scheint dieser Zeitraum auch der Beginn der engen Verbindung zwischen Johann Ernst und Friedrich gewesen zu sein. Gotzkowskys Lieferungen neuester Erzeugnisse von der Leipziger Messe dürften beim Kronprinzen und seiner Gesellschaft auf reges Interesse gestoßen sein, die das zwanglose, musisch inspirierte Leben am Hofe abrundeten: »Nicht die gravitätische Geste höfischer Repräsentation stand hier im Vordergrund, sondern ein epikureisch-heiteres Lebensgefühl, für dessen unbeschwerte Entfaltung der Schhßherr den angemessenen Rahmen zu schaffen wünschte.«44 Schon in Rheinsberg machte sich die Vorliebe des Kronprinzen für die Fêtes Galantes eines Antoine Watteau und seiner Schüler bemerkbar. Inwieweit der Hofmaler Antoine Pesne die Ankäufe angeregt hat, bleibt fraglich, doch kann davon ausgegangen werden, daß er eine einflußreiche Rolle auf die frühe Geschmacksbildung des Kronprinzen hatte. Zwar läßt sich nicht mehr eindeutig sagen, um welche Bilder es sich hierbei handelte, doch lassen sich einige Beobachtungen über das frühe Verhältnis Friedrichs zu dieser Kunst machen. Denn die Gemälde dienten nicht nur als ein die Wände schmückendes Zierstück, sondern gleichsam als Fensterersatz in eine arkadische Welt, aus deren Themenwelt greifbare Versatzstücke als Boiserien für die Türen gearbeitet wurden: »Der Dreiklang von Erlebniswelten aus einer antiken literarischen Kultur, einer französischen malerischen Vision und einer selbst gestalteten Wirklichkeit charakterisierte das Leben des Kronprinzen in Rheinsberg. boîte à portrait< - das kostbar gefaßte, brillantbesetzte Goldmedaillon mit dem Emailportrait des Königs - und wurde wie dieses als eine hohe persönliche Auszeichnung des Monarchen, vielfach ebenfalls mit dessen Porträt, verschenkt, so wie man später Orden verlieh.«u In diesem Kontext sollte nicht unerwähnt bleiben, daß sich auch der sächsische Hof, den Gotzkowsky ebenfalls mit prächtigen Dosen belieferte, der Bedeutung der Tabatière als diplomatisches u n d exklusives Geschenk bewußt war. Während Friedrich II. besonders kriegerische Leistungen honorierte, trachtete der Dresdner H o f im Rahmen seiner umfangreichen Kunsteinkäufe danach, mit der ein oder anderen Tabatière manch verschlossen gebliebene Tür zu einer lukrativen Gemäldesammlung zu öffnen. Daher wurde der Kunstagent Francesco Algarotti im Rahmen seiner Bilderankäufe für August III. ( 1 6 9 6 - 1 7 6 3 ) mit einigen Tabatièren ausgestattet, u m diese Vermittlern u n d Künstlern als kleine, zielgerichtete Aufmerksamkeit zu überreichen. 82

77 Ebd., S. 10. 78 Snowman 2 1990, S. 53; Klar 1932, S. 61. Der sächsische Hof- und Akziserat Alexander Heinrich von Siepmann berichtete diesbezüglich aus Berlin : »Lundi passé S. E. M. r le Comte de Podewils se rendit au Palais du Duc de Wurtemberg, et y presenta, au nom du Roi, son Maître, à Mr. le Grand Ecuïer Baron de Roeder le Portrait de Sa Majesté, garni de Diamans, de la valeur de près de deux mile Ecus; [...] et aux deux Gentilshommes de la Chambre, à chacun une Tabatière d'or. M.r le Comte Truchses de Zeit, Conseiler Antique de lEmpereur, reçût une bague du Roi, de 1.200 écus; et une Tabatiere d'or, belle et fortpésante de Duc«, zit. aus SächsHStA, 10026, Loc. 2999, Vol. VII, Nr. 11, 7. Februar 1744. 79 «Se. Majestät, der König, haben Sr. Excellentz, dem gevollmächtigten Minister der Herrn General=Staaten, Herrn General, Baron von Ginckel, zu Bezeigung Dero Besondern Gnade und Zufriedenheit, eine ungemein grosse und prächtige goldene Tabatiere, welche inwendig mit Höchstderoselben Portrait, und auswendig auf dem Deckel mit dem sehr reich mit Brillanten besetzten Königl. Namens Zug, geschmückt, zum Präsent zu machen geruhet«, zit. aus Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 8. Dezember 1746. 80 Vgl. Mercure de France, Dezember 1753, S. 180f. : »Le Bailli de Froulay, Ambassadeur de la Religion de Malte auprès du Roi Très-Chrétien, [...] eut le 5 de ce mois ä Potsdam son audience de congé de Sa Majesté. [...] Le Roi lui a fait présent de son portrait enrichi de diamans.« 81 Baer, in: Ausst.-Kat. Potsdam 1993 (II), S. 1. 82 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 3266, (Vol lb), ohne Fol., Juli 1744: »Je n'ai rien eû le plus presé Monseigneur, mon arrivée a Venise, que l'execusion des ordres de Sa Majesté. J'ai donné, Monseigneur, la Tabatiere de porcelaine de Mr. Zanetti et remis celle d'or a Mr. Tiepolo de la part de Sa Majesté.«

Α. Anfange und Etablierung in Berlin

25

Abschließend wäre zu fragen, inwieweit Friedrich II. überhaupt Einfluß auf die Gestaltung u n d Ausführung der bei den Brüdern Gotzkowsky erworbenen Tabatièren genommen hat? Aus seiner Kronprinzenzeit ist bekannt, daß er einige Male während der winterlichen Paraden den Galanteriewarenladen von Pierre Bocquet (ca. 1 6 9 2 - 1 7 6 3 ) aufsuchte, u m sich von seinem Besitzer in die Geheimnisse der Goldschmiedekunst einweihen zu lassen. 83 Während seiner langen Abwesenheiten im Krieg beauftragte Friedrich II. seinen Kammerdiener Fredersdorf mit der Erwerbung von Galanteriewaren, wobei sich dieser an gewisse Vorgaben zu halten hatte: »lieber Fredersdorf. bestelle mihr doch eine Tabacsdosse von Jasppe mit brillanten und Rubinen, recht So, wie die wahr, die ich hatte und die Mihr die Huzaren genommen haben.Zwei Monate später schrieb er: »vohr Kotzkofiski Gallantrien hat, die der Mühe wehrdt Seindt, So bestelle Was.«si Auch Friedrichs preisliche Vorstellungen wurden über seinen Kammerdiener geregelt: »Die Dosen Seindt arabisch Deuerl Die 2 schlechten 250 Thaler, und die mit Diamanten 350 bis 400 Thaler wehrt.«?b Einige Tage später folgte der Auftrag: »die dosse Sol nicht mehr als 500 Thaler Kosten; ich glaube nicht, daß man Sie davohr mit brillanten haben Kann,«87 Mehrere Quellen berichten, daß Friedrich II. an der gestalterischen Formgebung seiner Tabatièren mitwirkte. 88 Auch vor Gotzkowskys Lieferungen machte die königliche Mitgestaltung nicht halt, wie ein Brief aus dem April 1761 zeigt: Friedrich II. wird gebeten, sich zu der beigefügten, im Nachlaß nicht mehr vorhandenen Zeichnung zu äußern, bevor diese für die gewünschte Tabatière herangezogen werde. 89 Während des Siebenjährigen Krieges sollte der Tabatière eine weitere Funktion z u k o m m e n : so wurde Friedrich II. während der Schlacht von Kunersdorf (12. August 1759) von einer Kugel getroffen; das noch heute vorhandene Projektil verfing sich in einer seiner Dosen, die der König stets bei sich trug u n d rettete ihm damit das Leben. 90 Auch Gotzkowsky konnte während seiner Kriegsgefangenschaft die Erfahrung machen: die » Verbindung von Schönheit und Wert machte die Dose zum prädestinierten Geschenk in den Fällen, in welchen Geld nicht offen angeboten werden konnte«,91 Mit Hilfe einiger Tabatièren konnte er sich aus seiner russischen Geiselhaft im Ahrensfelder Hauptquartier freikaufen u n d unversehrt nach Berlin zurückkehren:

83 Vgl. Baer, in: Ausst.-Kat. Potsdam 1993 (II), S. l f . 84 Zit. aus Richter 1926, S. 56, Nr. 3, 6. Oktober 1745. 85 Zit. ebd., S.85, Nr. 24, 22. Dezember 1745. 86 Zit. ebd., S. 113, Nr. 45, 24. März 1747. 87 Zit. ebd., S. 116, Nr. 48, 27. März 1747. 88 Daniel Chodowiecki sollte in Sanssouci ein Gemälde auf eine Dose kopieren. Zuvor ließ sich Friedrich die Zeichnungen vorlegen, kommentierte diese u n d ließ einige Änderungen einfließen, vgl. Oettingen 1904, S. 5; Erman/Reclam berichteten: »ilfesoit venir à Potsdam les ouvriers qu'il employoit, ils'entretenoit

avec eux de leur art, il leur fournissoit des

dessins, corrigeait les leurs avec tout le goût d'un connoisseur, leur donnoit des directions & les mettoit ainsi sur la voie de varier leurs ouvrages«, dies. 1786, Bd. 5, S. 283; vgl. auch Baer 1980, S. 104. 89 »Selon Ses ordres j'ay fait voir a nos plus habiles orfevres le Dessein de Tabatiere d'Or que Votre Excellence a pris la peine de m'envoyer. Mais ils sont tous si fort surchargés d'ouvrages qu'aucune d'Eux n'a voulu se charger de livrer une pareille Tabatiere avant Paques prochaine, ce qui sans doute iroit beaucoup au de la de l'attente de Votre Excellence. C'est pourquoy je n'hezitepas

de renvoyer cy joint le dit dessein a Votre Excellence«, zit. aus GStA PK, VI. HA, NL Gotzkowsky, Nr. 1, fol.

146. 90 Vgl. Ausst.-Kat. Potsdam 1993 (II), S.30, Kat.-Nr. 21. 91 B u n k e l 9 6 0 , S. 12.

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

»Zum Glück hatte ich einige kostbare und mit Brillanten garnirte Piecen u n d viele goldene Tabatieren u n d Uhren bey mir, die ich auf Ordre des Generals von Tottleben hatte mitbringen müssen, [...]. Ich bat den Officier, die zween erwähnte Herren zu mir zu bringen [...]. Ich versprach einem jeden von ihnen eine goldene Tabatiere, die sie sich selbst aussuchen könnten, wenn sie machen wollten, daß ich meine Rückreise wieder nach Berlin antreten dürfte. Hier wurden sie freundlicher, u n d versprachen ihren Fleiß anzuwenden«. 92 Abschließend läßt sich über die Berliner Goldschmiede bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges sagen, daß sie aufgrund der starken königlichen Nachfrage, verbunden mit einem anspornenden Wettbewerb innerhalb des von hugenottischen Réfugiés dominierten Handels qualitativ auf einem sehr hohen Niveau angelangt war. Auch auswärtige Kunden wurden zu bedeutenden Abnehmern, »les François qui viennent visiter les atteliers de nos habiles maîtres, commencent à ne plus s'étonner de voir que l'on travaille à Berlin aussi bien qu'à Paris«.93 Allein 126 Gold- u n d Silberarbeiter waren 1755 in Berlin verzeichnet, ein Indiz für die enorme Nachfrage u n d Produktion. 9 4 Es wird die Anekdote berichtet, daß der französische Gesandte am Berliner H o f dem preußischen König eine Pariser Brillanttabatière mit der Bemerkung schenkte, daß man in Berlin sicherlich keine derartigen Kostbarkeiten herstellen könne. Friedrich II., der sich durch diese Aussage herausgefordert fühlte, beorderte den Berliner Goldschmied Daniel Baudesson zu sich und beauftragte ihn, eine ähnliche Tabatière wie die Pariser Dose herzustellen. Nach Fertigstellung wurde diese dem französischen Gesandten gezeigt, der sicherlich nicht nur aus Höflichkeit dem königlichen Auftraggeber gegenüber bemerkte, daß er keinen Unterschied zwischen der in Paris gefertigten Tabatière u n d der Dose von Baudesson feststellen könne, vielmehr »que l'ouvrier Berlinois avoit surpassé celui de Paris«,95

2. Gotzkowsky erhabene Blumen·, ein Meissener Service für Friedrich II. Z u Beginn der 1740er Jahre taucht der N a m e Gotzkowsky recht häufig in den Akten der Meissener Porzellanmanufaktur auf, vor allem in den Arbeitsberichten des leitenden Modelleurs Johann Joachim Kaendler ( 1 7 0 6 - 1 7 7 5 ) u n d seinen beiden Mitarbeitern, dem zweiten Bildhauer der Manufaktur Johann Friedrich Eberlein ( 1 6 9 6 - 1 7 4 9 ) sowie dem seit 1739 an der Manufaktur tätigen Bildhauergesellen Johann Gottlieb Ehder ( 1 7 1 6 / 1 7 - 1 7 5 0 ) . Anlaß hierfür bildete die Bestellung eines umfangreichen Tafelservices, das unter dem N a m e n Gotzkowsky erhabene Blumen ein bis heute gängiges Service der Meissener Manufaktur ist. Im Jahr 2002 wurde es in einer limitierten Edition als Kaffeedéjeuner mit >Fabeltieren nach Löwenfinck< und alsTeedéjeuner mit >Früchten, Schmetterlingen und Insekten nach Merian< neu aufgelegt. Über die Entstehung des Services Gotzkowsky erhabene Blumen finden sich in der gängigen Literatur zu Tafelgeschirren jedoch widersprüchliche Angaben: zum einen wird bemerkt, Kaendler

92 [Gotzkowsky] 1768, S . 6 6 - 7 5 . 93 Erman/Reclam 1786, Bd. 5, S.283f. 94 Vgl. Sarre 1895, S. 52. 95 Zit. aus Erman/Reclam 1786, Bd. 5, S.285.

Α. Anfange und Etablierung in Berlin

27

habe das Dekor auf persönliche Bestellung von Johann Ernst Gotzkowsky im Jahr 1741 entworfen.96 Einige Kritiker behaupten hingegen, das Service sei von Kaendlers Gehilfen Eberlein kreiert worden. 97 Diese Möglichkeit scheint in Anbetracht der Tatsache, daß Eberlein in jenem Zeitraum schwer krank war und kaum seiner Arbeit nachgehen konnte, ausgeschlossen.98 Eine dritte Variante besagt, daß sich Johann Ernst Gotzkowsky das Service aus einer Musterkollektion ausgesucht habe und da er der erste Käufer des Dekors erhabene Blumen war, wurde sein Name auf das Service übertragen.99 Bei einer genaueren Auswertung der Quellen scheint meines Erachtens die alleinige Auftragsvergabe durch den jüngeren Gotzkowsky aus folgenden Gründen fragwürdig: bis 1743 wird lediglich der Name seines älteren Bruders in den Meissener Kommissionsakten geführt, erst 1744 wird rückblickend für das Jahr 1743 in der Specification derer Kauff Leute, welche mit von Königl. und Churfiirstl. Sächsisch. Porcellain Lager correspondiren und Wahren abnehmen unter der Auflistung »Gozkowsky Gebrüder« Johann Ernst erstmals indirekt miterwähnt. 100 Vergleicht man diese Angaben mit den Arbeitsberichten Eberleins, der nachweislich im Juni 1741 mit der Anfertigung erster Geschirrteile zum Gotzkowsky-Service begann, liegt die Vermutung nahe, daß eher Christian Ludwig aufgrund seiner langjährigen Kontakte zur Meissener Manufaktur als Besteller in Frage kommt. Dies schließt jedoch nicht aus, daß er seinen jüngeren Bruder von Anbeginn in den umfangreichen Auftrag involviert hat. Günter Reinheckel vermutet, daß die Bestellungen an die Meissener Dépendance in Dresden und ihren Hoffaktor Chladni erteilt wurden, der häufig als Ubermittler umfangreicher Aufträge an die Meissener Manufaktur genannt wird.101 Da sich jedoch keine Quellen der Dresdner Dépendance erhalten haben, kann dieser Vermutung nicht mehr nachgegangen werden. Gut möglich wäre daher auch die Vorstellung, daß der Auftrag an die Meissener Dépendance in Leipzig gerichtet wurde, die zum damaligen Zeitpunkt neben Warschau und Dresden die einzige Verkaufsniederlassung für Meissener Porzellane war.102 Anhand von Quellenhinweisen, die sich anläßlich der Gründung der Leipziger Freimaurerloge Minerva erhalten haben, in der Johann Ernst Mitglied war, läßt sich beweisen, daß er sich während der Ostermesse von 1741 in Leipzig aufgehalten hat.103 Damit rückt der jüngere Gotzkowsky wieder enger in den Bestellerkreis des Services. Für die folgenden Auswertungen sollen daher vorerst beide Brüder als Auftraggeber in Betracht gezogen werden. Auch wenn sich über die unmittelbare Entstehung des Services Gotzkowsky erhabene Blumen keine eindeutigen Quellen erhalten haben, läßt sich anhand der ausführlichen Arbeitsprotokolle von Kaendler und seiner Gehilfen der Arbeitsablauf an dem Service eindrucksvoll nachvollziehen,

96 Beding 1911, S. 30; ders. 1914, S. 156; Reinheckel 1968, S. 101. 97 Divis 1984, S. 169; Best.-Kat. Leipzig 2003, S.21. 98 Einige von Eberlein verfaßte Notizen weisen auf diese Tatsache hin: »Im Januar 1741 war Eberlein >gänzlich krank*, im Februar fiel er ζ. T. aus und im April noch schreibt er >äie übrige Zeit krank gewesene, zit. aus Goder 1989, S. 110. 99 Vgl. Spiegl 1978, S.216; Baer 1986, S. 50. 100 BA Meissen, I Aa 30, ohne Fol. 101 Vgl. Reinheckel 1965, S. 38. 102 SächsHStA, 10036 Finanzarchiv, Loc. 41908, fol. 26: »Die Manufaktur hielt aber daselbst ein Meßgwölbe in Auerbachshofe, in welchem während der Messen, entweder der Dresdener Faktor selbst oder ein anderer an seiner Stelle dahier geschickte Mitglied des Handelspersonals die Geschäfte besorgte.« 103 Gotzkowsky war Gründungsmitglied der Loge Minerva,

die sich am 20. März 1741 in Leipzig konstituierte.

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakturisten

1. Meissener Tellerverzeichnis, Modell Gotzkowsky erhabene Blumen, um 1795, Archiv der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen.

so daß ein umfassendes Bild über den kostspieligen Auftrag gegeben werden kann. In Eberleins Aufzeichnungen findet sich der erste Eintrag, demnach er im Juni 1741 mit den Ausführungen am Service begann. Gleichzeitig nahm auch der Bossierer Johann Gottlieb Ehder die Arbeiten am Gotzkowsky-Service auf. Im folgenden Monat modellierte Eberlein einen zum Service dazugehörigen Tafelaufsatz in Form einer »Pallas Figur, sitzend, welcher sich auf ein Schild erhebt, danebst 5. Kinder, welcher vorgefundener Künste vorstellen«. Im September fertigte Eberlein eine »große Terrinen Forme, das Blumenwerk hinein geschnitten, vor M: Gozkowsky«.104 Anhand der weiteren Arbeitsprotokolle läßt sich verfolgen, daß Eberlein und Ehder fast durchgängig bis Ende des Jahres mit der Anfertigung einzelner Teile, vor allem blumenverzierter Terrinen und Einsatzschalen beschäftigt waren (siehe Anhang 2a). Charakteristisch für das Gotzkowsky-Service ist die Wandung der ovalen Terrinen, die vertikal godronniert sind. In den dadurch entstandenen Flächen wechseln sich vier breite, leicht vorgewölbte und mit Blumenreliefs verzierte Partien mit vier schmaleren, glatt belassenen Flächen ab. Vier Volutenfüße, die am Terrinenansatz in Rocailleformen auslaufen, geben der bauchigen Terrine eine gewisse Leichtigkeit. Stilisierte Vögel als Deckelknäufe unterstreichen das naturalistische Dekor. Als Varianten wurden häufig auch vollplastische Früchte in Form von Henkeln und Knäufen verwendet. Die Ausarbeitung des plastischen Dekors läßt sich besonders anhand der Speiseteller, Platten und Schalen verdeutlichen (Abb. 1) : Auf der Mitte des Tellerspiegels befindet sich ein reliefartiges

104 BA Meissen, I Ab 16, fol. 188; fol. 249.

Α. Anfinge und Etablierung in Berlin

29

Blumendekor aus zwei, zum Rund gebogenen Zweigen, die mit einer schmalen Bandschleife zusammengebunden sind. Die leicht ansteigende Tellerfahne besteht aus vier kleineren und vier größeren Bögen, deren Ansatzstellen sich radial als Grate auf dem Teller hinziehen. In den breiteren Feldern befinden sich ähnlich wie bei der Terrine reliefartige, leicht geschwungene Blumenzweige. Margeritenähnliche Knospen bilden die Knotenpunkte der sich überlagernden Aste. Inwieweit das für Gotzkowsky hergestellte Service noch zusätzlich mit einem malerischen Dekor verziert wurde, läßt sich anhand der Eintragungen in den Arbeitsberichten nicht beantworten. Die von Eberlein zu Beginn gemachte Angabe, demzufolge er an den Terrinen »Schild geleget«, deutet daraufhin, daß Teile des Services mit bemalten Kartuschen verziert wurden. Es läßt sich jedoch nicht mehr feststellen, wie die Bemalung aussah bzw. wie die Kartuschen angelegt und staffiert waren. Stilistisch gesehen lehnt sich das Gotzkowsky-Service einerseits an traditionelle Elemente an: so erinnert die radiale Markierung der Teller an getriebene Reliefs silberner Barockgefäße, während die reliefartigen Streublumen wiederum dem »Durchbruch Flachreliefdekoratiom

vorweggreifen.' 05

zur

naturnahen

Erst seit Mitte der 1730er Jahre hatte sich die europä-

ische Blumenmalerei gegenüber der bis dahin geläufigen, von ostasiatischen Motiven entlehnten indianischen Blumenmalerei durchsetzen können. Vor allem Kupferstiche und botanische Lexika heimischer Blumen und Blätter wurden als Vorlage genutzt und zur Ausgestaltung der Porzellane herangezogen. 106 Vom technischen Standpunkt aus gehört das Service Gotzkowsky Blumen

erhabene

zu den radierten Mustern, in denen der Bildhauer das Dekor negativ in den Gips der

Modellformen radierte. Im Schaffensprozeß der modellierten Service, zu denen eine ganze Serie von Meissener Tafelgeschirren gehörten, wie das Schwanenservice

( 1 7 3 5 - 3 7 ) , Marseille

(1739),

Brühlsches Allerlei ( 1 7 4 2 ) und Dulong ( 1 7 4 3 ) , wurde auch die Rolle des Modelleurs aufgewertet. Hatte er bis dato vor allem für eine geeignete Fläche zu sorgen gehabt, in der der Porzellanmaler sein Können entfalten konnte, so »erhielt jetzt die modellierte Qualitäten«.107

Das florale Relief von Gotzkowsky

Oberfläche

ihre eigenen

dekorativen

Blumen kann daher als ein fur damali-

erhabene

ge Zeiten sehr modisch und aufwendig gestaltetes Dekor gewertet werden. Während die Arbeiten am Service voranschritten, widmete sich Kaendler ab Dezember 1741 einem weiteren Gotzkowsky-Auftrag als Ergänzung zum Tafelservice. Kaendler, der ein Jahr zuvor die Leitung der Modelleur-, Former- und Dreherwerkstätten an der Meissener Manufaktur übernommen hatte, genoß zu diesem Zeitpunkt bereits einen exzellenten Ruf. Mit seinen zahlreichen Entwürfen setzte er » Maßstäbe für die Entwicklung stik. [...]

Geniales künstlerisches

Beherrschung sterwerke

des neuen Materials

hervor«.108

Gestaltungsvermögen,

der Tafelkultur

unvergleichliches

und eine unerschöpfliche

Schaffenskraft

und der barocken

Geschick in der

Pla-

technischen

brachten einzigartige

Mei-

Seinen Arbeitsberichten zufolge, entwarf er zum Gotzkowsky-Service einen

Tafelaufsatz, der aus zahlreichen Figurengruppen bestand: »Eine Epargne in Thon zu bossiren angefangen,

105 Reinheckel 1 9 6 5 , S . 4 0 . 106 Vgl. Sonntag 1 9 9 5 , S . 7 . 107 Morley-Fletcher 1 9 7 1 , S . 6 1 . 108 Pietsch 2 0 0 2 , S . 7 . 109 BA Meissen, I Ab 16, fol. 2 9 3 .

welche den Berg Parnaßum

Vor Möns.

Gozkowsky,

mit denen 9 Musen vorstellet.«lm

Auch

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakturisten

Eberlein und Ehder sollten in den kommenden Monaten in die Anfertigung dieses umfangreichen Tafelaufsatzes involviert werden. Erst im Mai 1743 wurde dieser vollendet, wie den Ausführungen Kaendlers zu entnehmen ist: »Die großen Eparnien Vor Möns. Gozkowsky nach Berlin Welche den Parnassum Vorstellet helfen zu sammen setzen und solche in der Massa Corrigiret. «n0 Eine Vorstellung dieses Paradestückes liefert das aus einem neunteiligen Sockelbau bestehende Exemplar, das in Anlehnung an das Gotzkowsky-Modell einige Jahre später für den sächsischen Premier, Heinrich Graf von Brühl (1700-1763), angefertigt wurde (Farbtafel II): Auf einem Podest, das in Rocailleschwüngen ausläuft, erheben sich zwei markante Felsen; auf dem linken Felsvorsprung, dem Parnaß, steht Apoll die Leier schlagend, während auf dem rechten Nebenfelsen der geflügelte Pegasus mit seinen Hufen Wasser aus dem Felsen schlägt, welches stufenartig zum Sockelabsatz hinunterläuft. Unterhalb der beiden Felsen haben sich kreisförmig angeordnet, die neun Musen mit ihren Attributen versammelt. Anhand der dargestellten Quellenfunde zum Gotzkowskyschen Parnaß-Aufsatz kann somit erstmals nachgewiesen werden, daß dieses Tischensemble mit Apoll, Pegasus und den neun Musen zeitlich vor demjenigen des Grafen Brühl hergestellt wurde. Der Berliner Aufsatz, durch den Kaendler stilistisch gesehen, »zu rein naturalistischen Figurenkomplexen übergegangen« ist, besitzt damit Modellcharakter.111 Nachdem die Arbeiten an dem Parnaß-Aufsatz abgeschlossen waren, wurden die dazugehörigen Gewürzgefäße, Essig- und Olflaschen, eine Zuckerdose sowie einzelne Figuren des Tafelschmukkes gefertigt. Uber die Funktion prunkvoller Tafelaufsätze hat bereits Robert Schmidt treffend geurteilt: »Es gehörte dazu ein ganzes Heer von weiteren Figuren, von Vasen, Obelisken und anderen kleineren Architekturstücken, die in der Art der symmetrisch gestalteten französischen Gartenanlagen über die ganze Tafel hin nach klarem Plane verteilt waren und mit dem zugehörigen Geschirr, den Schüsseln, Schalen und Tellern ein dekoratives Ganzes von heiterster Pracht undfeinster farbiger Wirkung erzielten.«112 Die weiteren Arbeiten am Service zogen sich noch längere Zeit hin; fast drei Jahre nach Herstellung des ersten Stückes vermerkte Kaendler im März 1744: »Eine große Schaale sehr Sauber Verkröpft und nach dem Dessein eingerichtet, Zu dem Vor Herr Gozkowsky bestellten Neuen Service nach Berlin, Welches in Medio July abzuliefern Versprochen Worden.«u} Dieser Anmerkung ist zu entnehmen, daß die Fertigstellung des Tafelservices Gotzkowsky erhabene Blumen langsam erwartet wurde. Die gebotene Eile macht sich auch in den Arbeitsberichten bemerkbar, denn in den kommenden Monaten fertigten sowohl Kaendler, Eberlein als auch Ehder so viele Serviceteile wie nie zuvor. In Ergänzung zu der aus zahlreichen Einzelstücken bestehenden Plat de Ménage hatte Gotzkowsky noch einen durchbrochenen Zitronenkorb bestellt, der von Ceres und Flora getragen und von zwei, den Frühling und den Sommer symbolisierenden Kindern, begleitet wurde. Kaendler persönlich fertigte dieses Stück an: » Z w e y Figuren Vor Möns. Gozkowsky, welche zur großen Plat de Menage gehören Inventiret und angefangen, welche einen großen Citronen Korp tragen, Namentl. Ceres und Flora, Welche auf einem rasen stehen.«]u Als Ergänzung hierzu

110 Ebd., I Ab 20, fol. 143. 111 Reinheckel 1965, S.40. 112 Schmidt 1925, S. 248. 113 BA Meissen, I Ab 22, fol. 88. 114 Ebd., fol. 217.

Α. Anfinge

und Etablierung

in Berlin

2a+b. Johann Joachim Kaendler/ Johann Friedrich Eberlein, Tafelaufsatz Frühling und Meissen, um 1761/62, SPSG.

31

Sommer,

fertigte Eberlein einen passenden »Confect-Aufsatz zur Gotzkofikischen Plat-Menage in 2. Figuren boßirend, welche der Ciro und die Flora, so einen großen durchbrochenen Korb tragen, nebst 2. Kindern einer mit einer Korn-Garbe, der andere mit einem Blumen-Korb, verfertiget«."' Einen Eindruck hiervon liefert ein Aufsatz im Schloß Charlottenburg (Abb. 2a+b). Dieser besteht aus einer ovalen, oben durchbrochenen Schale, die von zwei weiblichen Figuren, den Frühling und Sommer symbolisierend, getragen wird. Zwei kleine Putten mit einem Blumenkorb und Kornähren sind seitlich beigegeben. Wie sich an diesem Beispiel nachvollziehen läßt, erfreute sich die Verwendung personifizierter, antiker Gottheiten im Rahmen der Tafelzier besonderer Beliebtheit. Die Fertigstellung des Services Gotzkowsky erhabene Blumen nahte im August 1744, als Ehder vorwiegend mit dem Vollenden der letzten Stücke beschäftigt war. Im Oktober 1744 folgten abschließende Korrekturen u n d damit die letzten Eintragungen in den Arbeitsberichten. Den zahlreichen Angaben nach umfaßte der Gotzkowsky-Auftrag ein Speiseservice, ein Kaffee- und Teeservice, das vielleicht auch als Frühstücksservice genutzt wurde, sowie mehrere Tafelaufsätze in Form einer Pallasfigur, eines Parnaß mit Apoll, Pegasus u n d den neun Musen sowie einen Zitronenkorb, der von Ceres und Flora getragen wird, begleitet von Kindern als Symbol der Jahreszeiten.

115 Ebd., fol. 276.

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1710-1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

Es fragt sich jedoch, aus welchem Anlaß die Bestellungen aufgegeben wurden bzw. wer es sich leisten konnte, ein derart kostspieliges Service zu bezahlen ? Gerade die umfangreichen Tafelaufsätze waren ein enormer Kostenfaktor, den sich nur wenige Persönlichkeiten leisten konnten. In den Auftragsbüchern der Meissener Manufaktur fügt sich der Name Gotzkowsky in die Reihe illustrer Auftraggeber, darunter August III., der Kölner Kurfürst Clemens August (1700-1761) sowie der römische Kardinal Alessandro Albani (1692-1779). Wie bereits geschildert wurde, ging die Forschung bisher davon aus, daß das Service von Johann Ernst Gotzkowsky für den eigenen Gebrauch bestellt wurde. Sicherlich war er Anfang 1740 zu Ansehen und einigem Wohlstand gelangt, doch wäre es übertrieben anzunehmen, die umfangreichen Bestellungen wären aus eigenem Verlangen in Auftrag gegeben worden, quasi als Prestigeobjekt, der den gesellschaftlichen Aufstieg dokumentieren sollte, als "ein Wertemesser des Standes, des Vermögens und des geschickten Verschwendens der (oft gar nicht oder gar nicht mehr) vorhandenen Mittel«.116 Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß sich hinter der Bestellung ein bedeutender Auftraggeber verbirgt und zwar kein geringerer als Friedrich der Große persönlich. Diese These läßt sich anhand einiger Fakten belegen.117 Vergleicht man zum einen die Schatullenrechnungen, so lassen sich für die entscheidenden Jahre, in denen das Service Gotzkowsky erhabene Blumen hergestellt wurde, zahlreiche Uberweisungen Friedrich II. an die Brüder Gotzkowsky für Porzellanlieferungen ausmachen (vgl. Anhang 2b). Bereits im November 1742 veranlaßte der preußische König die Uberweisung von 3.000 Talern »an den Kauffinann Gotzkowsky vor gelieferten Porcellain«.ui Es folgten weitere Bezahlungen von über 10.000 Talern. Nachdem das Service Ende 1744 fertiggestellt wurde, lassen sich für das Jahr 1745 weitere umfassende Zahlungen Friedrichs an Gotzkowsky von über 21.000 Talern nachweisen. Wertet man die Quellen im Vergleich zu den Meissener Arbeitsprotokollen aus, so macht es Sinn, daß Friedrich II. der Abnehmer des Gotzkowsky-Services sowie der umfangreichen Tafelaufsätze war. Diese These wird dadurch bestärkt, daß mit Besetzung der Meissener Manufaktur am Ende des Zweiten Schlesischen Krieges die Zahlungen des Königs an die Brüder Gotzkowsky aufhörten. Friedrich konnte sich nun selbst aus dem Warenlager bedienen, wie er seinem Vertrauten Fredersdorf wissen ließ: »ich gedenke so vielgeldt und Porzellan mit zu bringen, daß ich dahrvohr Meine bagage ersetze.«119 Drei Tage später versprach der preußische König »ich schicke vohr 100000 Thaler Portzelan nacher Berlin, davon werde ich Kotzkofiki betzhalen, und vor 50000 Thaler verkaufen, sehe Nur zu, Wie Man es Kan loßwerden.«120

116 Rakebrand 1958, S. 16. 117 Siehe auch Schepkowski 2008. 118 GStA PK, BPH, Rep. 47, Nr. 895, fol. 11. 119 Zit. aus Richter 1926, S. 81, Nr. 20, 16. September [1745]. 120 Zit. ebd., S. 82, Nr. 21, Dresden, den 19. Dezember [1745]. D e m Zitat nach beglich Friedrich seine Ausgaben mit Geld u n d Porzellan, ein wichtiger Hinweis über seine Zahlungsmodalitäten. Fraglich bleibt, wie hoch die Gewinnspannen der Brüder Gotzkowsky waren. Dies läßt sich nur bedingt rekonstruieren, da sich keine Rechnungen der Meissener Manufaktur erhalten haben. Lediglich anhand einer Taxa derer vom H(errn). Modell-Meister zur Königlichen).

Porcelaine-Manufactur

Kaendlern,

in Meißen seit ao 1740. gefertigten und gelieferten Neuen Modelle läßt sich

zeigen, daß Kaendler für eine Deckelterrine 15 Taler von Gotzkowsky forderte. Die Brüder verkauften wiederum »2 mit Blumen belegte porcele Terriene à 45« für 90 Taler, so daß g e m u t m a ß t werden kann, daß der dreifache Wert in Rechnung gestellt wurde, vgl. BA Meissen, AA P. 49, S. 35.

Α. Anfinge und Etablierung in Berlin

3 . Speiseteller, M o d e l l Gotzkowsky

erhabene

33

Blumen,

Meissen, u m 1 7 6 1 / 6 2 , S P S G .

Einige Jahre später lassen sich vereinzelte N a c h k ä u f e des Königs bei d e n B r ü d e r n G o t z k o w sky nachweisen. H i e r b e i h a n d e l t es sich vorwiegend u m Stücke »so seit einigen Jahren Berlinschen

Tafel Service auf Sr. Königl. Mayt:

Tafeln iß entzwey gekommen«.™

bey dem

Z u d e m findet sich

im Meissener M a n u f a k t u r a r c h i v eine u m f a n g r e i c h e A u f l i s t u n g der v o n Friedrich II. w ä h r e n d des Siebenjährigen Krieges getätigten Bestellungen, w o r i n sich R e c h n u n g e n zur »Completirung des Tafel Services mit erhabenen Bluhmen

Godeske Schilde« finden. Diese A n k ä u f e u m f a ß t e n vor allem

S u p p e n - u n d Speiseteller, R a g o u t t e r r i n e n u n d S a u c i e r e n . 1 " Ein weiterer H i n w e i s findet sich in einer A k t e der H o f - u n d G ü t e r v e r w a l t u n g , die die Bestellungen von 1 7 6 2 a u f f ü h r t , d a r u n t e r »48. Speise-Teller, 24. Suppen-Teller mit blatten Bluhmen

zu Complettirung

3. golden Rändern

des Tajfel-Services

gemahlt«.m

mit Gotsk. erhabenen

Bluhmen

Von diesem A u f t r a g h a b e n sich n o c h einige

wenige Stücke im Schloß C h a r l o t t e n b u r g erhalten, d a r u n t e r zwei Speiseteller, die exakt a u f die e r w ä h n t e Beschreibung zutreffen (Abb. 3). 124 G e h t m a n d a v o n aus, d a ß diese Stücke als Ergän-

121 G S t A PK, B P H , Rep. 4 7 , N r . 9 0 6 , fol. 31; siehe auch Rep. 47, N r . 9 0 7 , fol. 16. 122 Vgl. BA Meissen, Prêt. 66, fol. 6ff. 123 GStA PK, I. H A Rep. 36, Nr. 1928, fol. 5. D e r A u f t r a g v o m 5. O k t o b e r 1762 u m f a ß t e desweiteren »2. zu Complettirung

des Taffeiservice mit Gotsk. erhabenen Bluhmen

folgten »37. Teller mit Gotzkows. Teller« sowie »S. Saucieren Stckgroße

erhabenen

Gotzkows:

Bluhmen

ausgezackten

mit natürl. Bluhmen

Dess: mit natürli.

Bluhmen

Suppen-Teller

Rand, mit naturi. Bluhmen gemacht«. golden Spitzen

golden Spitzen

Rand gemahlet,

Rand gemahlet

nebst

zu den bestellten

Es Mod: 37.

Teller dergl.«, zit. ebd., fol. 14; fol. 17.

124 Ich d a n k e Dr. Samuel Witrwer, der m i r den vereinzelten Bestand der im Schloß C h a r l o t t e n b u r g a u f b e w a h r t e n Stükke des Services Gotzkowsky

erhabene Blumen zugänglich g e m a c h t hat.

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

zung zu dem bereits vorhandenen Service getätigt wurden, ist dies ein wichtiger Anhaltspunkt für die vorherige Präsenz des Geschirrs im königlichen Bestand. In diesem Kontext fragt sich jedoch, aus welchem Anlaß Friedrich II. das Service Gotzkowsky erhabene Blumen zu Beginn des Jahres 1741 in Auftrag gab? Hierfür lassen sich zwei M u t m a ß u n gen anführen: zum einen entstand das Service für die Ausstattung des von Georg Wenzeslaus von Knobeisdorff ( 1 6 9 9 - 1 7 5 3 ) kurz nach Friedrichs Inthronisierung begonnenen Neuen Flügels am Schloß Charlottenburg. Besonders für die Ausstattung des Weißen Saales, der als prächtiger Speise- u n d Thronsaal genutzt wurde sowie der sich daran anschließenden Goldenen Galerie durfte ein repräsentatives Tafelservice nicht fehlen: »Der junge preußische König, der in mancher Hinsicht das übersteigerte traditionelle Hofritual verachtete, hat dieses spezielle Repräsentationsinstrumentarium einer großen Tafeljedoch bewußt in Anspruch genommen.«12'' Das Deckenbild des Weißen Saales wurde von Pesne gestaltet u n d zeigte bis zu seiner kriegsbedingten Zerstörung das Hochzeitsmahl von Peleus und Thetis. Alle zwölf Hauptgottheiten waren mit ihren Attributen versammelt, u m dem Hochzeitspaar zu huldigen. Auch Apoll zählte zu den Gästen. 126 Hiermit läßt sich eine enge ikonographische Beziehung des von Pesne geschaffenen Plafonds mit der von Kaendler gefertigten Plat de Ménage mit Apoll, Pegasus und den Musen herleiten. Geht man davon aus, daß das Gotzkowsky-Service mit den dazugehörigen, der antiken Götterwelt entlehnten Tischdekorationen für den Weißen Saal geschaffen wurde, so läßt sich eine ungewöhnlich enge Symbiose zwischen Deckenmalerei u n d Tischdekoration herleiten, die in einer Bemerkung Friedrichs gegenüber seinem Vertrauten Jordan eine weitere Pointierung erhält: »/» Charlottenburg hoffe ich, meinen Apoll wiederzufinden, obwohl die Sorgen und das Alter seine Glut abkühlen lassen.«127 Inwiefern sich die von Johann August Nahl d. Ä. ( 1 7 1 0 - 1 7 8 5 ) gefertigten floralen O r n a m e n t e an den Flügeltüren, Sopraporten u n d Gesimsen in den dezenten Streublumen des Gotzkowsky-Dekors widerspiegeln, bleibt fraglich. 128 D a sich aus den Jahren 1 7 4 2 - 1 7 4 6 weder Ausgabenbücher noch Inventarlisten des Schlosses erhalten haben, die originalen Möbel u n d der Bilderschmuck kaum noch vorhanden sind, lassen sich die Bestände nicht mehr rekonstruieren. Ein weiterer G r u n d für die Bestellung eines Porzellanservices Anfang 1741 liegt im politischen und territorialen Machtzuwachs Friedrich II. begründet. Hintergrund bildete die Inbesitznahme Schlesiens im Zuge der Anerkennung der Pragmatischen Sanktion. Im Frieden von Breslau vom 11. Juni 1742 mußte Osterreich Nieder- u n d Oberschlesien u n d die Grafschaft Glatz an Preußen abtreten. Damit war Friedrich II. nicht nur im Besitz der >Kornkammern EuropasLandseide< zu versorgen.138 Ein weiterer Schritt wurde in der Anwerbung von Seidenwebern und Facharbeitern aus Frankreich unternommen. 139 Den gezielten Werbungen der auswärtigen preußischen Gesandten und Handelsvertreter folgten knapp hundert hochqualifizierte Fachkräfte aus Lyon, die sich in Preußen niederließen. Friedrich selbst protegierte die gewerblichen Betriebe durch eigene Zuschüsse maßgeblich mit. 140 Die kommissarische Leitung und Aufsicht über die Seidenmanufakturen übertrug er dem sogenannten V Departement beim Generaldirektorium, das für alle Handelsfragen und Gewerbeangelegenheiten zuständig war. Eine wichtige Rolle spielte hierbei das Polizeidirektorium mit seinem Direktor, dem Kriegsrat Karl David von Kircheisen (1704-1770), der diese Position von 1742 bis 1770 innehatte. Kircheisen sollte maßgeblich die vom König lancierte Protegierung Johann Ernst Gotzkowskys verantworten und spielt daher als Mittler eine zentrale Rolle.141 Die Ausgangsbedingungen für die Etablierung von Seidenmanufakturen in Berlin schienen alles andere als erfolgversprechend: es fehlte an einer langjährigen Tradition wie sie im Krefel-

137 Vgl. Paepke 2000, S. 197. 138 Ein Reskript vom 6. Februar 1752 besagt sogar, daß die Friedhöfe der Neumark mit einer Mindestanzahl an Maulbeerbäumen bepflanzt werden mußten, vgl. Mittenzwei/Herzfeld 1987, S . 9 4 ; Meylius [1752], S . 2 8 I f f . 139 Vgl. Schmoller/Hintze 1892, Bd. 1, S. 98, Kabinettsordre vom 22. Januar 1746: »Da bei der wiederhergestellten es nunmehro Zeit zu sein scheinet, an die Verbesserung unserer Manufacturen Wege gedenken, wie zuforderst auf eine unvermerkte fabricanten,

zu arbeiten, so sollet Ihr auf Mittel

Weise aus Lyon, Nîmes und andern französischen

Ruhe und

Orten gute Seiden-

so die Sache recht verstehen, anhero gezogen und hier etabliret werden können, wozu Ich alle facilité

erweisen

will. « 140 Vgl. ebd., S. 103ff., Kabinettsordre vom 9. April 1746. Friedrich II. leistete 2,7 Millionen Taler an Zuschüssen. Auf den ersten Blick erscheint diese Summe sehr hoch, im Vergleich zu denen vom König investierten 15 Millionen Talern in militärische Belange waren die Ausgaben eher geringfügig, vgl. Mittenzwei/Herzfeld 1987, S. 15. 141 Vgl. Straubel 1987.

38

1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakturisten

der Raum als führendem Standort textiler Produktion vorhanden war. Der daraus resultierende Mangel an qualifizierten Fachkräften führte anfänglich zu teuren Lohnkosten für die anzuwerbenden Arbeiter. Ferner sah sich der Berliner Markt einer starken ausländischen Konkurrenz gegenüber. Trotzdem schafften es die verantwortlichen Behörden mit allen Mitteln und innerhalb weniger Jahre ein blühendes Seidengewerbe zu etablieren, das jedoch eher einer »Scheinblüte« glich.142 Denn nur durch eine nach außen mit Schutzzöllen und Einfuhrverboten abgeschirmte, nach innen stark reglementierte Politik mit vorgeschriebenen Mindestabsätzen, Ausfuhrprämien und Fabrikationsbonefikationen konnte eine Erfolgsbilanz gezogen werden. Auf Drängen Friedrich II. wurde auch Johann Ernst Gotzkowsky in den Aufbau einer Manufaktur für Seidengewebe involviert. Die stetig steigende Nachfrage des Hofes und der vermögenden Kaufleute nach exklusiven Seidenartikeln verbunden mit der lukrativen Aussicht, die in der Garnisonsstadt befindlichen Truppen mit Uniformen zu versorgen, schien Gotzkowsky zur Umsetzung des schwierigen Vorhabens ermutigt zu haben. Die Ausstattung der Armee in einem Staate, dessen Militär die wichtigste Säule war, bedeutete ein äußerst gewinnbringendes Geschäft. Da die Samt- und Seidenproduktion jedoch eine hohe Kapitalanlage erforderte, zu der Gotzkowsky nicht in der Lage war, überredete er den angesehenen Berliner Posamentier und Hoflieferanten Christian Friedrich Blume (1693—1746) »aus seinen eignen Mitteln und Unkosten [...] nach Genueser Art eine Sammtfabrique« anzulegen.143 Eine von Georg Friedrich Schmidt (1712-1775) gefertigte Radierung nach einem verschollenen Gemälde von Joachim Martin Falbe (1709-1782) zeigt in einem Medaillon das Konterfei des vermögenden Fabrikanten (Abb. 4). Ein locker über die Schulter drapierter, in den Bildvordergrund ragender changierender Stoffballen spielt auf Blumes Tätigkeit als Taft- und Samtmanufakturist an. Seine Fabrik in der Leipziger Straße Nr. 1 gehörte zu den erfolgreichsten von Berlin und war die einzige Taftmanufaktur, die nicht von französischstämmigen Hugenotten betrieben wurde. Bereits einige Monate nach der beginnenden Zusammenarbeit mit Gotzkowsky erhielt Blume für den erfolgreichen Aufbau der Manufaktur das Königl. Privilegium der Bluhmenschen Sammet-Fabrique verliehen.144 Mit diesem Privileg war das bis dato bestehende Monopol der Potsdamer Manufaktur im Besitz des Schutzjuden David Hirsch gebrochen. Blume war es nun ebenfalls gestattet, seine Waren überallhin verkaufen zu dürfen. Um die Konkurrenz der beiden Manufakturen weiter zu schüren, sicherte Friedrich II. der Berliner Manufaktur Steuervorteile zu, um ungehindert expandieren zu können. Die zunehmende Protegierung der Berliner Manufaktur wurde mit Argwohn von Hirsch beobachtet und sollte zu ernsthaften Spannungen führen, besonders nachdem das an Blume erteilte Privileg durch einen Zusatz vom 18. November 1746 auch auf dessen Nachkommen übertragen wurde. 145 Gotzkowsky, dem mit Blumes Tod die Leitung der Manufaktur übertragen wurde, besaß damit ein dauerhaftes und einflußreiches Produktionsmonopol, das er sich mit Hirsch da-

142 Ebd., S. 127; siehe auch Paepke 2000, S. 201. 143 [Gotzkowsky] 1768, S. lOf. Seine Angabe, demnach er Blume bereits 1743 mit dem Aufbau einer Samtfabrik überredet hatte, stimmt nicht. 144 Eine Abschrift des Patentes vom 14. Juli 1746 in GStA PK, VI. HA, NL Gotzkowsky,

Nr. 2, fol. 2 - 4 .

145 Vgl. ebd., fol. 3b: » d a ß n a c h erfolgten Ableben des Hof-Liveranten Christian Fridertch Blume sothanes Privilegium nach allen seinen Punkten und Clausein seinen Kinder nicht nur gleichfals zu statten kommen, und sie dabey kräßig geschützet und mainteniret, sondern auch in den nächsten Zwantzig Jahren keinen, weder alhier in Berlin noch in der gantzen

Β. Wege in die unternehmerische

4. Georg Friedrich Schmidt nach Joachim Martin Falbe, Christian Friedrich Blume, 1748, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett.

39

Selbständigkeit

5. Anna Rosina de Gase (?), Anna Louisa Gotzkowsky, um 1745, ehem. Familienbesitz Gotzkowsky (Königsberg), verschollen.

hingehend teilte, daß dieser vorwiegend leichte und glatte Stoffe, Gotzkowsky hingegen schwere und geblümte Stoffe herstellen ließ. Die Zusammenarbeit mit dem Posamentier Blume war nur von kurzer Dauer, da dieser noch im gleichen Jahr verstarb. Bereits ein Jahr zuvor, am 1. Juli 1745, hatte Gotzkowsky Blumes Tochter Anna Louisa (1724/25-1755) geheiratet. Der mit der Hochzeit verbundene gesellschaftliche Aufstieg läßt sich anhand eines Porträts dokumentieren, das vermutlich von der Pesne-Schiilerin Anna Rosina de Gase ( 1 7 1 3 - 1 7 8 3 ) gemalt wurde und die Vermählte vornehm, à la mode gekleidet, zeigt (Abb. 5). Das Schoßhündchen als Treuesymbol spielt auf Anna Louisas Ehe an, während die graziös gehaltene Teetasse direkt auf Gotzkowskys Handel mit Galanterien und Luxusartikeln als auch auf den von beiden gemeinsam zelebrierten aufwendigen Lebensstil hindeutet. 146

Churmarck

Brandenburg,

Arbeit zu fabriciren

[...]

außer der bereits in Potsdam etablirten

Sammet-Fabrique,

dergleichen

Sammet-

und

Plüsch-

verstattet«.

146 Die Zuschreibung des Bildes an de Gase bezieht sich auf eine freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Helmut BorschSupan an Prof. Dr. Bodo Gotzkowsky in einem Schreiben vom 29. Juli 2003.

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakturisten

Der Ehe entstammten drei Kinder, eine Tochter namens Christiane Louisa (1746-1809) und zwei Söhne, Carl Wilhelm (1749-1806) und Ernst Friedrich (1752-1829). Die sicher nicht unbeabsichtigt eingegangene Verbindung mit der vierzehn Jahre jüngeren Anna Louisa als auch der plötzliche Tod des Schwiegervaters brachten Gotzkowsky «zu dem Besitze eines auskömmlichen Vermögens, welches hinreichend war, um davon still und ruhig leben zu können«,147 Da Gotzkowsky seit dem 29. Januar 1744 im Berliner Bürgerbuch eingetragen war, konnte er als Berliner Bürger die vollen Rechte beanspruchen.' 48 Aber anstelle den unverhofften Geldsegen zu genießen, investierte er das Familienerbe in den weiteren Ausbau der begonnenen Manufaktur und förderte fortan die Gewerbepolitik Friedrich II. tatkräftig mit: »Ich ließ zu diesem Ende aus denen entlegensten Orten ganze Familien von geschickten Arbeitern auf meine eigene Unkosten kommen, [...]. Dieses nebst Anschaffung der Geräthschaften, an einem Orte, wo dergleichen Einrichtung noch niemals gewesen, nahm mir ein ansehnliches von meinem Vermögen weg.«149 Gotzkowskys Erzeugnisse fanden bei der Berliner Käuferschicht in Anbetracht der qualitätsvolleren und preiswerteren französischen Konkurrenz kaum Akzeptanz, so daß sich sein Warenlager anhäufte. Gleichzeitig wurde er von Friedrich II. gedrängt, die Produktion zu steigern, wofür erneute finanzielle Investitionen nötig waren. Als Gotzkowsky eine Ausdehnung der Produktion ablehnte und dem König von dem geringem Absatz seiner Stoffe berichtete, ordnete dieser eine Untersuchung an » wie viele fremde Sammte in das Land gebracht würden. Und da dieses eine sehr ansehnliche Summe betrug; so ließen hierauf Se. Königl. Maj. aus höchst eigener Bewegung, die fernere Einfuhr aller fremden Sammte untersagen«.'50 Dieses Einfuhrverbot, das ein Jahr später aufgrund zahlreicher Verstöße verschärft wurde, provozierte die anderen Kaufleute, die Gotzkowskys Sortiment trotz günstiger Preise beanstandeten. 151 Wie Gotzkowsky in seinen Memoiren berichtet, versuchte er nach den Angriffen der Konkurrenz sein Warenangebot auszudehnen. Hierfür mußte die Anzahl der Webstühle und Arbeiter vergrößert und der Ankauf von Rohstoffen ausgedehnt werden. Da er das Blumsche Erbe für die ersten Investitionen nahezu aufgebraucht hatte, suchte Gotzkowsky für die geplante Expansion zunehmend nach auswärtigen Krediten. In den folgenden Jahren sollte er rund 500.000 Taler in seine Manufakturen investieren, wovon 150.000 Taler aus dem Blumschen Erbe stammten, während er die Differenz durch internationale Anleihen aus Amsterdam und Hamburg be-

147 [Gotzkowsky] 1768, S . U . 148 Vgl. Kaeber 1934, S.397: »Gotzkou/sky, Joh. E., Kauf- und Handelsmann,

Könitz bei Danzig[...}

luth.,

lOTlr.«

149 [Gotzkowsky] 1768, S. 11 f. Die Blumsche Samtmanufaktur umfaßte zu diesem Zeitpunkt über 60 Stühle mit 244 Mitarbeitern. 150 Ebd., S. 16; Schmoller/Hintze 1892, Bd. 1, S. 105f.; Kabinettsordre vom 10. April 1746. 151 [Gotzkowsky] 1768, S .16: »Von Haß und Neid angefullet, kamen einige und verlangten die Sammte zu sehen. [...] Unter hundert Stücken war kein einziges anständig. Bald fehlete es an der Farbe, bald an der Bereitung. Der eine wollte sie stark und schwer, der andere dünn und leicht haben. Nicht daß sie im Ernste daran auszusetzen gefunden hätten, sondern damit sie ein großes Geschrey im Publico erregen konnten, als ob die Waare nichts nutze wäre, um eine größere Begierde nach denen fremden zu unterhalten.«

Β. Wege in die unternehmerische

Selbständigkeit

41

glich. Insgesamt 70.000 Taler bekam er vom König zu einem niedrigen Zinsfuß vorgestreckt. 1 ' 2 Die enormen Summen verdeutlichen, welches Ansehen Gotzkowsky beim König als auch über die Grenzen hinweg bei seinen Kreditgebern genoß. Während des Siebenjährigen Krieges sollten diese Bankgeschäfte jedoch eine fatale Rolle spielen, dann nämlich, als Gotzkowsky durch die Geldentwertungen kaum noch in der Lage war, die aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen. Doch vorerst konnte er auf königliche Unterstützung rechnen, was sich anhand einiger Petitionen an Friedrich II. nachvollziehen läßt. 153 W i e einem zeitgenössischen Bericht zu entnehmen ist, schaffte es Gotzkowsky trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten, die Qualität seiner Seidengewebe auf ein beträchtliches Niveau zu steigern. 154 Auch Friedrich II. war von der Qualität der Gotzkowskyschen Stoffe überzeugt, wie seine Ausgabenbücher verdeutlichen. Demnach wurde die Firma Blume beauftragt, die Stoffe für ein herausragendes Staatsgeschenk zu liefern: eine prunkvolle Staatskarosse für Zarin Elisabeth I., die als ein Gemeinschaftswerk der besten Fabrikanten in Berlin gefertigt wurde. 155 Für die Ausstattung der friderizianischen Schlösser lieferte Gotzkowsky eine Auswahl an Seidentapeten sowie Gold- und Silbertressen. 1,6 Ferner wurde er 1760 in die Fabrikation von Staatsgeschenken für den osmanischen Sultan Mustafa III. ( 1 7 1 7 - 1 7 7 3 ) und dessen Hofstaat involviert. Eine Auswertung des Briefwechsels ergab, daß Gotzkowsky zahlreiche Samtstoffe in grün, gold, blau, lila und pompadour mit feinen Silber- und Goldfäden produzierte. Ferner lieferte er ein weißes Meissener Mokkaservice mit goldenen Blumen, ein mit Smaragden besetztes Besteckset sowie diverse Spieluhren. 1 ' 7 Von diesen Hinweisen abgesehen, bleibt es jedoch fraglich, welche Stoffmuster Gotzkowsky hergestellt hat, da sich keine Seidenmusterbücher erhalten haben. Es kann aber unterstellt werden, daß er dem Geschmack aus Frankreich folgend, Gewebe mit vegetabilen Elementen, Wellenranken, Spitzenbändern, Rauten- und Gittermustern fabrizieren ließ. Trotz der schwierigen Ausgangslage und ohne eine ausgewiesene vorherige Praxis hatte Gotzkowsky allen bewiesen, daß er durch den Aufwand hoher Kosten und einem ausgeprägten Geschäftssinn in der Lage war, die Manufaktur erfolgreich in Gang zu bringen. Friedrich II. konnte sich während seiner Besuche in Gotzkowskys Manufaktur ein ausgiebiges Bild von den voranschreitenden Arbeiten machen

152 Vgl. Straubel 1987, S. 128. 153 Hierzu gehörten das Umgehen der aufwendigen Kontrollen der Im- und Exporte am Packhof zwecks Festlegung der Akzise. Friedrich II. übernahm ferner die Bezahlung der Lehrjungen aus dem Potsdamer Waisenhaus, die in Gotzkowskys Manufaktur eine Ausbildung erhielten sowie die Spesen für die aus dem Ausland abgeworbenen Familien, vgl. Schmoller/Hintze 1892, Bd. 1,S. 129f.,S. 150; GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 421 S, fol. 3 - 4 a . 154 Vgl. Beckmann 1751, S. 1162. 155 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 403 B, fol. 1. 156 Im Januar 1754 wurden Gotzkowsky für die » Tapeten Zeuge zu die 2. Camern im hiesigen Königl. Schloß aufden Alten Flügel von der General Krieges Casse bezahlt worden 5700 Thlr,;«. Einige Wochen später folgten »An Gotskoffiky auf die Zeugezu Tapezierung in die 2. Cammer 4700 Thlr.«, vgl. GStA ΡΚ,Ι. HA Rep. 36, Nr. 2810/2, fol. 15, fol.25. 157 Vgl. GStA ΡΚ,Ι. HA Geheimer Rat, Rep. 11, Auswärtige Beziehungen, Nr. 275 d Türkei, Fase. 7, fol. 21, 28, 43, 56, 77. - Fase. 8, fol. 41, 71. - Fase. 14, fol. 13, 28, 40, 53, 71, 78, 92. Hintergrund bildeten die von Friedrich II. vor Ausbruch des Krieges geknüpften Beziehungen an die Goldene Pforte und seine geheimen Bündnispläne mit dem 1757 inthronisierten Mustafa. Je länger sich der Krieg hinzog und die Hoffnungen eines preußischen Sieges schwanden, um so mehr suchte Friedrich II. eine Annäherung an das Osmanische Reich, um sich im Notfall auf einen Verbündeten gegen Osterreich und Rußland verlassen zu können, vgl. Volz 1915.

42

1710—1756:

Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakttiristen

1753 n. Chr.

6. Herrmann Müller nach Adolph von Menzel, Friedrich II. besucht im Jahr 1753 eine Weberei, nach 1856.

(Abb. 6). Es erstaunt daher nicht, daß der König von Gotzkowsky und seinen, das Risiko nicht scheuenden, »bahnbrechenden und Opfer fordernden Unternehmungen« beeindruckt war.158 Dadurch konnte er wiederum Friedrich leichter für künftige Vorhaben einnehmen und ihn in seinen merkantilen Entscheidungen beeinflussen, so daß Gotzkowsky als »selbsternannter Sprecher seiner ->Kollegen< zeitweilig mehr Einfluß auf die Wirtschaftspolitik erhielt als mancher Beamter«,15s Demnach lassen sich einige königliche Dekrete auf Gotzkowskys Einflüsterungen zurückführen. Hierzu gehörte, daß die preußischen Kaufleute angehalten wurden, eine bestimmte Quantität an Stoffen bei ihm und dem Potsdamer Fabrikanten Hirsch zu erwerben, gleichzeitig sollte der Schmuggel ausländischer Samte stärker kontrolliert und härter bestraft werden.160 Auch die Er-

158 Rachel 1931, S. 8 9 . 159 Mittenzwei/Herzfeld 1987, S. 3 0 4 . 160 Vgl. Schmoller/Hintze 1892, Bd. 1, S. 1 6 4 f „ S . 2 3 4 f f .

Β. Wege in die unternehmerische

Selbständigkeit

43

richtung eines staatlichen Seidenmagazins für Rohseide läßt sich auf Gotzkowsky zurückführen, in dem die aus Italien gelieferte Seide eingelagert wurde, um preußischen Fabrikanten zollgünstig zur Verfügung zu stehen."51 Anhand dieser Beispiele läßt sich zeigen, daß sein Einfluß in wirtschaftspolitischen Fragen außerordentlich groß war. Daher erstaunt es nicht, daß ihm der König am 15. August 1750 die in Schwierigkeiten geratene Seidenstoffabrik des aus Lyon angeworbenen Seidenzeugmachers Antoine Simond in der Leipziger Straße Nr. 3 übertrug. Verbunden damit war ein Geschenk von 10.000 Talern, um die Manufaktur zu sanieren. 162 Auch wenn sich Gotzkowsky in den kommenden Jahren innerbetrieblichen Querelen ausgesetzt sah, konnte er durch königliche Protegierung die Manufaktur erfolgreich vorantreiben und seine einflußreiche Stellung innerhalb der Berliner Fabrikanten ausbauen. 163 Gotzkowskys marktbeherrschende Stellung war aber auch Resultat seines ausgeprägten Mißtrauens gegenüber seinen Konkurrenten. Selbst vor Denunziationen der meist jüdischen Kaufmannsschicht schreckte er gemeinsam mit anderen Fabrikanten nicht zurück, denen er die Fälschung von Akzisestempeln und damit unerlaubte Wareneinfuhr vorwarf. 164 Friedrich II. ließ daraufhin Dekrete erlassen, in denen den jüdischen Kaufleuten strengere Auflagen und Kontrollen vorgeschrieben wurden. Einem weiteren Antrag Gotzkowskys zwecks Verschärfung des Einfuhrverbotes ausländischer Waren wurde ebenfalls stattgegeben. 165 Auch die Auflösung des von Gotzkowsky initiierten Seidenmagazins, das kleine Produzenten günstig mit Seide versorgte, ging auf seinen Einfluß zurück. 166 Die Ausschaltung ernsthafter Konkurrenten führte jedoch dazu, daß die Berliner Fabriken nicht gezwungen waren, »kostengünstig und den Erfordernissen des Marktes entsprechend Spitzenerzeugnisse auf den Markt zu bringen«.167 Der Absatz verlief weiterhin stockend, so daß auf Drängen Gotzkowskys letztlich die Einfuhr auswärtiger Seidenprodukte von Friedrich II. ganz verboten wurde. Uber den Erfolg Gotzkowskys lassen sich abschließend zwei Gründe ausmachen: Zum einen sein ausgeprägter Unternehmergeist verbunden mit einem hohen Grad an Risikobereitschaft, der ihn vor hohen Investitionen nicht zurückschrecken ließ. Zum anderen führten die guten persönlichen Beziehungen zum König dazu, daß Gotzkowskys Vorhaben immer wieder finanziell protegiert und in Anbetracht der königlichen Dekrete politisch lanciert wurden, so daß sich sagen läßt, daß »die Gotzkowskysche Manufaktur in einer protektionistischen und von Subventionen geprägten Atmosphäre entstanden« war. 168 Doch in dem Moment, in dem durch äußere Einflüsse

161 Vgl. ebd., S. 190. Auch Gotzkowky beteiligte sich am Ankauf von Seidenballen aus Turin und ließ diese anschließend über den König abrechnen, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 421 S, fol. 1,1. Februar 1753. 162 Vgl. Cullen 1982; [Gotzkowsky] 1768, S. 17. 163 Simond und einige Lyoneser Mitarbeiter probten im Winter 1752 den Aufstand und forderten die selbständige Vergabe von Aufträgen für ihre Webstühle. Durch die Intervention Friedrich II. blieben die Stühle und damit die Auftragsvergabe im Besitz Gotzkowskys. 164 Vgl. Schmoller/Hintze 1892, Bd. 1, S.291. 165 Vgl. ebd., S.310, Immediateingabe

Gotzkowskys vom 28. Juni

1753.

166 Siehe Krüger 1958, S. 129. Fortan teilte sich Gotzkowsky das Magazin nur noch mit wenigen Fabrikanten auf. 167 Hans Pohl, Unternehmerprofile 1994, S . 3 3 9 - 3 5 7 , S.357. 168 Ebd., S.357.

in Seidengewerbe

und Seidenhandel

im 18. Jahrhundert,

in: Nikolay-Panter (u.a.)

44

1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

die Subventionen und Fürsprachen wegfielen, begann auch das kleine Manufaktur-Imperium Gotzkowskys zu schwanken. Erste Risse in der Fassade lassen sich nach dem schweren Erdbeben von Lissabon vom 1. November 1755 erkennen, das einen wirtschaftlichen Rückschlag für Gotzkowsky bedeutete. Zwar pflegte Gotzkowsky keine direkten Kontakte nach Lissabon, jedoch zu einigen mit portugiesischen Kolonialhändlern in Verbindung stehenden Bankhäusern in Amsterdam und Hamburg. Dort hatte das Erdbeben einen Börsensturz ausgelöst, in dessen Folge Gotzkowsky kurzfristig Wechsel in Höhe von 40.000 Talern zurückzahlen mußte. Geschickt verstand er es, seine bedrängte Lage geheim zu halten und mit Hilfe Friedrich II. Zeit zu gewinnen, der ihm mit 40.000 Talern zu 5% Zinsen aus der Kasse der Kurmärkischen Landschaft diskret aushalf.169 Diese Unterstützung durfte nicht publik werden, denn die königliche Kasse sollte nicht als Schatztruhe von weiteren Kaufleuten beansprucht werden. Das Vertrauen des Königs in Gotzkowsky blieb indes unangetastet, so daß er ihm 1758 die vor dem Bankrott stehende Taftfabrik des Samuel Ernst Schwartz übertrug, die sich vor dem Königstor befand. Gotzkowsky verfügte nun über drei Unternehmen mit über 1.500 Beschäftigten und war damit der führende Textilfabrikant in Preußen. 170

1. Gotzkowskys Beziehungen zur Messe- und Handelsstadt Leipzig: Freimaurerei und Auerbachs Hof Im folgenden wird der Blick nach Leipzig gerichtet, denn für die kommenden Jahre sollte die Messestadt an der Pleiße eines der einträglichsten Betätigungsfelder für Gotzkowsky werden. Bereits in jungen Jahren unterhielt er rege persönliche und geschäftliche Verbindungen dorthin. Leipzig war in jenem Zeitraum nicht nur die bedeutendste Messestadt des Reiches und »Straßenschnittpunkt von europäischer Verbindungskraft«, sondern bot als weltoffene Bürgerstadt zahlreiche Gelegenheiten individueller Entfaltung, fernab von jeglicher höfisch-aristokratischer Reglementierung, wie es in Berlin aufgrund der Nähe zum Hohenzollernhof gegeben war.' 71 Ein französischer Beobachter schilderte die Atmosphäre der Leipziger Messe als »un foyer de passions et le centre de la correspondance de l'Europe«}72 Von Anbeginn spielte Leipzig als wichtiger internationaler Handels- und Finanzplatz eine herausragende Rolle für die merkantilen Bestrebungen der Brüder Gotzkowsky, die dort ihre Ankäufe und Handelsgeschäfte tätigten. Nachdem Johann Ernst eigene Wege eingeschlagen hatte, seine Manufakturen und der Galanteriehandel expandierten, lag es nahe, daß er die in Berlin fabrizierten Waren auch andernorts erfolgreich verkaufte:

169 Vgl. GStA PK, I. H A Rep. 96, Geheimes Zivilkabinett, Nr. 4 2 2 F l , fol. 42. 170 [Gotzkowsky] 1768, S. 19f. Die Eigentumsverhältnisse verteilten sich 1758 folgendermaßen: Haupteigentümerin der Firmengruppe C. F. Blumes sei. Erben war die Witwe von Blume Senior, die ihre Anteile an ihre drei Kinder vermachte. Als 1755 ihre Tochter, die Gemahlin von Gotzkowsky starb, erhielten deren gemeinsame Kinder den mütterlichen Anteil, während Gotzkowsky die Administration der Manufakturen übernahm, w o f ü r er wiederum ein Drittel des Erbes als Nießbrauch erhielt, vgl. Gotzkowsky 1975, S.51. 171 H a r t m u t Zwahr, Die Messe in ihrem Gestaltwandel, in: ders. (u. a.) 1999, S. 2 1 - 2 8 , S. 21. 172 C H A N , Fonds des Affaires étrangères - Consulats, Mémoires et Documents, A.E. B/III/426, ohne Fol., Rapport sur les opérations commerciales de la foire de Leypsick par Adrien

Dupré.

Β. Wege in die unternehmerische

Selbständigkeit

45

»Die Waaren, die ich verfertigen ließ, waren gut, so daß ich es wagen konnte, solche gleich denen Auswärtigen auf die Leipziger Messen zu führen; und da ich hiernächst sehr ansehnliche Commissiones aus Rußland sowohl als aus Pohlen, und von vielen Orten Deutschlandes erhielte, so erstreckte sich mein auswärtiger Debit jährlich auf 100000 Rthlr.«173 Anhand neuer Quellenfunde läßt sich Gotzkowskys Messetätigkeit rekonstruieren, die ihm nicht nur als Absatzmarkt seiner Waren diente, sondern auch die Möglichkeit bot, ein weitreichendes Netzwerk aus Händlern, Kunden und anderweitigen Messebesuchern aufzubauen. Gotzkowskys frühe Aktivitäten in Leipzig lassen sich zuerst im privaten Umfeld als Mitglied der Freimaurerloge Minerva nachzeichnen. Diese Mitwirkung gewährt erste Einblicke in seine gesellschaftlichen Kontakte. Inwiefern diese seinen ab 1750 betriebenen Kunsthandel beeinflußten, soll durch Einblicke in das Leipziger Sammlerwesen hinterfragt werden. Welche Funktion und Reichweite dabei die Messe nicht nur als Umschlagplatz von Waren, sondern auch als ein geschmacks- und stilprägendes Medium im Kunsthandel spielte, soll in diesem Kontext erörtert werden. In seinen Memoiren erwähnt Gotzkowsky, daß er regelmäßig die dreimal jährlich stattfindenden Leipziger Messen, die Neujahrs-, Oster- und Michaelismesse, besuchte.174 Auf seinem Rückweg nach Berlin belieferte er stets den preußischen Hof mit den neuesten Galanteriewaren. Während dieser Messeaufenthalte muß Gotzkowsky enge Kontakte zu einigen Leipziger Händlern geknüpft haben, die seine Aufnahme in die erste Leipziger Loge erklärt. Die anfänglich noch namenlose Loge wurde von sieben Mitgliedern am 20. März 1741 gegründet, unter ihnen der Seidenhändler Pierre Jacques Dufour (1716-1784) sowie der Hof- und Justizrat Adrian Deodat Steger (geb. 1719). Bereits auf der konstituierenden Sitzung im Gasthof Zum Goldenen Schiff nahm Gotzkowsky teil. Wie das erste Sitzungsprotokoll vermerkt, wurde er am Sitzungsende als Lehrling und Geselle aufgenommen: »Le vingtième du mois de mars 1741. les freres qui devoient composer la loge s'assemblerent, scavoir le fr. Steger, DufFour, Kob, Beinemann, Suabe, Zemisch et Balzer. On ballota régulièrement les charges, le frere Steger fut élu Maitre unaniment, pareillement le frere Duffour pour premier surveillant, le fort decida a cause de l'égalité des voix pour le frere Kob pour second Surveillant, comme aussi pour le frere Suabe pour tresorier. Cela étant fait le maitre, apres avoir ouvers la loge, proposa les loix et règlement de la loge, qui furent agréé tels, qu'on les lit ci-devant. Ensuite le frere Beinemann proposa Monsieur Gozieskowsky, pour etre reçue le meme jour aprentif et Compagnon, acause de son voyage prochain, la quelle raison fut agrée, et résolu de l'admettre dans l'illustre ordres des Françmassons. Ce qui fut fait le meme jour.« 17 '

173 [Gotzkowsky] 1768, S. 18. 174 Vgl. ICCander 1725, S. 84f: » L e i p z i g hat jährlich drey schöne und große Messen, jede zu 14. Tagen, als 1) die An. 1458 angelegte und confirmirte Neujahrs=Messe, so sich auf den Neujahrs=Tag anfanget, [...] Die 2) 1190. von Marggraf Alberto von neuen bereits confirmirte, und von dessen Groß= Vater Conrado schon vorhero angelegte Oster= oder Jubilate=Messe, welche sich drey Wochen nach Ostern anhebet, [...] und dann 3) die mit dieser zugleich fundirte Michaelis - Messe, so den nechsten Sonntag nach diesem Fest angehet.« 175 Archiv der Loge Minerva zu den drei Palmen: Allgemeines und spezielles Statut der Loge ohne Namen, S. 105. Im Martrikelbuch findet sich der Eintrag: »No 5. Jean Ernst Gotzkowsky a Berlin 30 [ans] Anno 1741«, zit. ebd., S. 457; vgl. auch Förster 2004, S. 8. Der Rezeption zum Lehrling folgte die Beförderung in den Gesellenstand, ehe die Initia-

1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

46

Anhand eines weiteren, im Urkundenbuch aufgeführten Protokolls läßt sich verfolgen, daß Gotzkowsky während der kommenden Jubilatemesse wieder in Leipzig weilte und abermals an einer Logensitzung teilnahm, in der er zum Meister

befördert wurde.176 Damit hatte Gotzkowsky den

höchsten rituellen Grad erreicht. Doch aus welcher Motivation heraus war er der Freimaurerei beigetreten? Geschah dies aus persönlicher Überzeugung einer Gesellschaft der Aufklärer anzugehören, fühlte er sich ihren Idealen nach Erkenntnis, Humanität und Toleranz, eine » derschaft

über die Nationalitäten

hinweg«l77

Weltbru-

verpflichtet? Oder war seine Entscheidung eher von

nutzbringender Hoffnung getragen, einem exklusiven und einflußreichen Zirkel anzugehören? Eine Antwort hierauf findet sich nirgends, doch lassen sich sicherlich alle angeführten Aspekte als Beweggründe ausmachen, in einer Zeit, in der sich »im Bürgertum

Interessen

herausbildeten,

die nicht mehr nur auf das engere Berufifeld

neue

Bedürfnisse

und Standesleben

und

bezogen

Bemerkenswert bleibt für Gotzkowsky, daß er als nicht gebürtiger Leipziger ein asso-

waren«.m

ziiertes Gründungsmitglied der ersten Leipziger Loge wurde. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß sich Friedrich II. kurz nach seiner Thronbesteigung öffentlich zur Freimaurerei bekannt hatte und Logen unter eigener Hammerführung im Schloß Charlottenburg abhielt. Der Zugang zu dieser Hofloge blieb indes den engsten königlichen Vertrauten vorbehalten; merkantile Aufsteiger, wie der junge Gotzkowsky, fanden in diesem elitären Zirkel keine Aufnahme. Doch ist nicht

zu verkennen, daß Friedrich II. »die Freimaurerei geradezu hoffähig machte und Adel, Bürgertum und Militär animierte, dem Orden beizutreten. [...] Bereits von daher ist die Bedeutung der Freimaurereifür die Formierung einer neuen Elitekultur hoch einzuschätzen«.179 Die Zusammensetzung der Leipziger Loge bot hingegen andere Vorteile: die aus angesehenen Leipziger Kaufmannsfa-

milien stammenden Mitglieder propagierten »eine >Rebellion der Jugend< gegen die moralischen

Verhaltensnormen

ihrer Elterngeneration«In

überkommenen

dieser, von geistiger Offenheit gepräg-

ten Atmosphäre ließen sich progressive, grenzüberschreitende Ideen leichter aufnehmen und umsetzen, als dies in einer königlich protegierten Umgebung der Fall gewesen wäre: » D i e

deutschen

tion mit der Erhebung zum Meister abgeschlossen war, vgl. Binder 1988, S. 137— 162. Ich danke Dr. Günter Hempel und Rainer Rost, die mir die Akten im Privatarchiv der Loge Minerva zugänglich gemacht haben. 176 Archiv der Loge Minerva: Allgemeines und spezielles Statut, S. 105f.: »Le neuvieme du mois de Maj 1741 la loge s'assembla. [...] Alors le Maitre fit retirer ceux, qui n'etoint pas Maitre Massons, et ouvrit la Loge de Maîtres, la quelle accorda au fr. Gotzkowsky, d'etre elevé a la dignité d'un Maitre Masson. Ce qui fut executé d'abord, et la loge de Maîtres fut

refermée.«

177 Otto Werner Förster, Freimaurer. Eine >diskrete< Gesellschaft, in: ders. 1999, S. 7. 178 Reinalter 2000, S. 14; vgl. auch Wolfgang Hardtwig, Eliteanspruch und Geheimnis in den Geheimgesellschafien Jahrhunderts,

des 18.

in: Reinalter 1989, S. 6 3 - 8 6 .

179 Dülmen 1996, S. 57; siehe auch Knorr 1899. Friedrich II. initiierte neben seiner Hof Loge (Loge première) eine weitere Loge für die in Berlin lebenden ausländischen Kaufleute. Unter dem Vorsitz von Jean Etienne Jordan ( 1700—1744) konstituierten sich einige Handelsherren am 13. September 1740 im Hotel Mongobert in der Brüder-Straße zu der Loge Aux trois globes. Als die Hof Loge 1743 aufgehoben wurde, stieg diese Kaufmannsloge mit königlicher Genehmigung vom 24. Juni 1744 zur Mutter-Loge auf und nannte sich fortan Große Königliche Mutter-Loge Zu den drei Weltkugeln. 1772 folgte die Namensänderung in Große National-Mutter-Loge

in den Preußischen Staaten, genannt Zu

den drei Weltkugeln, vgl. Runkel [1932], Bd. 1, S. 1 1 3 - 1 4 3 . 180 Siegfried Hoyer, Die Leipziger Freimaurerlogen 1997, S. 4 1 7 - 4 3 2 , S . 4 1 9 .

im 18. Jahrhundert

unter sozialgeschichtlichen

Aspekten, in: Donnert

B. Wege in die unternehmerische

7. Adam Friedrich Oeser, Logenzeichen Minerva zu den drey Palmen.

Selbständigkeit

8. Anonym, Logenzeichen Apollo.

Freimaurerlogen des 18. Jahrhunderts haben sich zwar gegen niemanden verschworen, aber sie haben dennoch einen erheblichen und überdies recht originellen Beitrag sowohl zur Erosion der höfisch-aristokratischen Standeskulturen als auch zur Entstehung der neuen bürgerlichen Oberschichtenkultur geleistet.«m Bereits Ende 1741 verzeichnet das Matrikelbuch der Leipziger Loge - die seit Mitte des Jahres von auswärtigen Logen als Aux trois Compas bezeichnet wurde - 46 Mitglieder, darunter Kaufleute aus Berlin, Hamburg, Paris und Amsterdam. Es kann davon ausgegangen werden, daß ein Großteil der Mitglieder auswärtige Messeteilnehmer waren, die eher sporadisch während der Messewochen an den Logensitzungen teilnahmen und die Zusammenkünfte als ein exklusives Medium des Austausches nutzten. Wie häufig Gotzkowsky an den Logenaktivitäten teilnahm, läßt sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren, ebensowenig, ob er dem kulturellen Zirkel seines Logenbruders Gottlieb Benedict Zehmisch (1716-1789) angehörte, der 1743 das Große Concert, den Vorläufer des Gewandhauses mitbegründet hatte sowie an der Erbauung des Schauspielhauses maßgeblich beteiligt war. Gerade das in jenen Jahren immer vielschichtiger werdende Leipziger Kulturleben als auch die Gründung humanitärer und sozialer Stiftungen verdankte zahlreiche Impulse einzelnen Logenmitgliedern. 182 1746 nahm die Loge in Rücksicht der Universität Leipzig und in Anspielung an diesen weisen Ort der Gelehrsamkeit den Namen der römischen Göttin Minerva an, zumal der Gründungstag der Loge (20. März) sich zeitlich mit dem Beginn des der Minerva gewidmeten Festes Quinquatrus überschnitt. Eine Erweiterung des Namens folgte 1766 durch die Zusammenlegung mit der Dresdner Loge Zu den drey Palmbäumen: Seitdem trägt die heute wieder existierende Loge den Namen Minerva zu den drey Palmen (Abb.

181 Schindler 1982, S. 205. 182 Vgl. Förster 2000.

48

1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreichen

Manufakturisten

7).183 In diesem Zusammenhang soll bereits vorweggenommen werden, daß Gotzkowsky im Oktober 1761 einer weiteren Leipziger Loge, der Schottenloge Apollo beitrat (Abb. 8).184 Auch hier finden sich prominente Vertreter wieder, wie die Ratsherren Carl Ludwig Stieglitz (1727-1787) und Gottfried Winckler (1731-1795) sowie der Apothekersohn Johann Heinrich Linck d. J. (1734-1807). Alle drei waren Besitzer bedeutender Kunst- und Naturaliensammlungen, so daß es sicherlich einige Affinitäten zu Gotzkowskys Bilderhandel gab. Es läßt sich festhalten, daß Gotzkowsky durch seine Logenkontakte über ein feingesponnenes Netzwerk bedeutender Leipziger Persönlichkeiten und auswärtiger Händler verfügte. Diese weitreichenden Verbindungen bildeten für ihn ein wichtiges merkantiles aber auch gesellschaftliches Fundament. Durch seine häufigen Anwesenheiten auf der Leipziger Messe war daher die Gründung einer Dépendance ein wichtiger Schritt, die ihm gleichzeitig eine gewisse Unabhängigkeit vom höfischen Berlin und seinen zeitweiligen Differenzen mit der dortigen Kaufmannsschicht gab. Ab 1754 wird Gotzkowsky erstmals im Leipziger Adreß= Post und Reise-Kalender unter der Rubrik Verzeichnis der Fremden Kauff- und Handelsherren, welche die Leipziger Messen ordentlich besuchen, nebst ihren Gewölben aufgeführt: y Hr. Gottskofsky und Streckfuß von Berlin, in AuerbachsHofe.«m Sein Kompagnon, Johann Rudolph Streckfuß wird erstmals in einem handschriftlichen Verzeichnis von 1730 als Handelsherr in Leipzig genannt. 186 Seit 1754 läßt er sich als Teilhaber in der unter dem Namen Gotzkowsky & Streckfiiß firmierenden Handlung nachweisen. Welcher Art von Geschäften Streckfuß vorher nachgegangen war, aus welchem Umfeld er stammte und zu welchem Zeitpunkt er Gotzkowsky kennen gelernt hatte, läßt sich nicht sagen. Doch kann aufgrund seiner langjährigen Präsenz in Leipzig unterstellt werden, daß Gotzkowsky über einen, mit den einheimischen Gepflogenheiten bestens vertrauten Handelspartner verfügte. Der eingangs zitierte Eintrag aus dem Adreßbuch von 1754 liefert noch einen weiteren wichtigen Hinweis: demnach besaßen beide Kaufleute ihre Handlung im Auerbachs Hof in der heutigen Mädler-Passage. Diese Adresse zählte schon damals zu den renommiertesten Verkaufsorten und war »während der Messen der berühmteste, lebhafteste und glänzendeste Theilder Stadt«,187 Der staunende Besucher fand alles, »was schön, kostbar und teuer war. Luxuswaren aus halb Europa und

183 Nachdem sich die Loge im November 1935 auflösen mußte, wurde sie am 19. Januar 1991 wiedereingesetzt, vgl. Gunter Hempel, Geschichte der Loge 'Minerva zu den drei Palmerv, in: Förster 1999, S. 147-158. 184 Archiv der Loge Minerva, Namen derer Mitglieder und neuaufgenommen Ritter der Ehrwürdigen Leipzig Apollo, fol. 20a: »TVo. 72 Johann Ernst Gotzkowski, 11.10.1761.« 185 StadtAL, Leipziger Adreß=Post und Reise=Kalender

Schottischen

Loge in

aufdas Jahr 1754, Leipzig 1754, S. 165.

186 StadtAL, Lebends Leipzig von ao 1730 bißao 1734, Leipzig [o. D.], [o. S.]: »Handelsherrn nach Alphabeth: [...] Rudolph StreckfußDiese handschriftliche Liste ist im Kern des ietzo florirenden Leipzig von 1730 eingefügt. Präzisere Hinweise enthält das gedruckte Adreßbuch für das Jahr 1732. Darin findet sich im Kapitel über die Kauff- und Handels=Herren folgender Eintrag: » S t r e c k f u ß , Joh. Rudolph, auf der Hayn-Strasse, in der Fr. Geh. R. Bornim Hause«, zit. aus StadtAL, Das jetzt lebende und jetzt florierende Leipzig, Leipzig 1732, S.92. Zwischen 1747 bis 1751 läßt er sich unter folgender Adresse nachweisen: » S t r e c k f u ß , Johann Rudolph, in der Clostergaße in seinem Hause", zit. aus StadtAL, Conspectus oder kurtze u. deutliche Anzeige des ietz lebenden u. florirenden Leipzig, Leipzig 1747, S. 121. 187 Leonhardi 1799, S. 88. Neben den Gewölben in den Kaufmannshäusern herrschte ein reger Handel auf den Marktplätzen, den Plätzen vor den Stadttoren und den zahlreichen Buden entlang der Durchgangshöfe. Die Mieten für diese Wanderstände waren jedoch nicht mit denen der weitaus luxuriöser ausgestatteten Gewölbe vergleichbar.

Β. Wege in die unternehmerische

jfutsfifauAf 9. Anonym,

Selbständigkeit

r/rt .SaÁre Auerbachs Hof,

49

. 1717.

dem Orient gaben sich hier ein Stelldichein«,188 Bereits 1717 rühmte Haiander in seiner Schrift über Die Unschätzbarkeit des Galanten Leipzig und sonderlich des kostbaren Auerbachs-Hojfes die Gewölbe mit ihren Auslagen: »Nur ein Paris last uns dergleichen Güter sehen. Jedoch! erblaßter Printz, tritt etwas näher her, Zeigt dir nicht Auerbachs gerühmter Hoff weit mehr?«189 Das Deckblatt dieser Ausgabe wird von zwei Kupferstichen geziert: einer Stadtsilhouette von Leipzig sowie der Hauptfassade von Auerbachs Hof (Abb. 9). Diese Ansicht vermittelt einen ersten Eindruck der Fassade: zu erkennen ist mittig der Hauseingang, rechterhand flankiert von einer breiten Toreinfahrt, während sich links, unterhalb der Eingangstreppe der Zugang zu den Kellergewölben befindet. Bereits im Einfahrtsbereich befanden sich erste Handlungen. Für Auerbachs Hof existieren keine Grundrisse oder Pläne aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mehr, anhand derer sich ein genaues Bild über die Aufteilung und Lage der einzelnen Gewölbe machen ließe. Mit Hilfe einer interessanten Quelle läßt sich jedoch über die Größe der Gotzkowskyschen Handlung spekulieren. In einem Dokument von 1760/61 beschwert sich die Gattin und Mitbesitzerin von Auerbachs Hof, die Kammerfrau Auguste Charlotte von Lindenau (gest. 1764) beim Leipziger Rat über ausstehende Mietzinsen. Dem Schriftwechsel ist eine Liste mit den Namen der Mieter und ihrer Ausstände beigefügt, worunter sich auch »Gotzkowsky und Streckfiiß von Berlin: 127 Thlr. 16gl.« befinden." 0 Im Vergleich zu den weiteren Angaben, demnach eine kleine Bude oder ein Verkaufsstand bereits für 4 - 5 Taler zu mieten war, läßt sich folgern, daß Gotzkowskys Gewölbe von entsprechender Weiträumigkeit gewesen sein muß. Da nur zwei der über 35

188 Walter Fellmann, Basar der Basare, in: ders./Metscher 1990, S. 4 4 - 5 2 , S.49. 189 Haiander 1717, o. S; siehe auch Walter 1992. 190 StadtAL, Richterakten Τ 2, Nr. 8 3 A, fol. 2a, fol. 9a.

50

1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

10. J o h a n n August Rosmäsler, Auerbachs Hof in Leipzig, 1778, Stadtgeschichtliches M u s e u m Leipzig.

namentlich aufgelisteten Händler mit höheren monatlichen Schulden belastet waren, läßt sich annehmen, daß Gotzkowsky & Streckfuß eines der repräsentativsten Gewölbe in Auerbachs H o f besaßen. Ihr Messegeschäft befand sich in guter Gesellschaft, denn die Meissener Porzellanmanufaktur vertrieb ihre edlen Erzeugnisse in einem der benachbarten Gewölbe. 191 O b Gotzkowsky während seiner Messeaufenthalte in Auerbachs H o f gewohnt hat, bleibt fraglich, denn die großen Handelshäuser beherbergten nicht nur Kontore, sondern auch Wohnräume, repräsentative Säle u n d im Dachbodenbereich riesige Stapellager. 192 Uber die Atmosphäre u n d das geschäftliche Treiben des 1530 errichteten Auerbachs H o f schrieb ein Zeitgenosse:

191 Vgl. Walchs 1973, S. 125. 192 Vgl. Alice Hecht, Vom Durchgangshof zum Messepalast, in: Rodekamp 1997, S. 2 1 5 - 2 1 8 , S.215.

Β. Wege in die unternehmerische

Selbständigkeit

51

»Im innern Hofe befinden sich auf 46 Kaufmannsläden, in welchen man, besonders zur Messenszeit, sehr viel Kostbarkeiten, Galanteriewaaren und viel hier einkaufende Herrschaften antrift. Ueberhaupt ist dieser Hof zur Meßzeit der frequenteste Ort in der Stadt«.193 Zu dieser geschilderten Betriebsamkeit hat sich ein anschaulicher Kupferstich des Oeser-Schülers Johann August Rosmäsler (1752-1783) erhalten (Abb. 10): In den Geschäften werden erlesene Waren von französischem Samt, flandrischer Spitze und Juwelen, Tabatièren und Meissener Porzellan feil geboten. Ein Zeitgenosse bemerkte zu diesem bunten Treiben: »Auerbachs Hof war zu Messezeiten der Treffpunkt der eleganten Welt. Besonders in der Zeit zwischen 11 und 12 Uhr liebten es die auswärtigen Messegäste, hier zu promenieren. Die Leipziger Bürger wurden durch das modische Treiben in Auerbachs Hof zu übertriebenem Luxus verleitet, was zu manchem Bankrott führte.«194 Nicht umsonst bezeichnete man Auerbachs Hof auch als Lipsia parva, als Kleines Leipzig, während Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in einem Brief an seine Mutter hervorhob, die Stadt sei »ein Ort, wo man die ganze Welt im Kleinen sehen kann«.v)^ Nachdem mit Hilfe einiger Quellenfragmente Gotzkowskys Messegeschäft in Ansätzen rekonstruiert werden konnte, fragt sich, mit welchem Sortiment er und sein Kompagnon auf den Messen vertreten waren? In einem Verzeichnis derer so wohl aus denen Alt Brandenburgischen Landen, als aus Schlesien zur Jub. Me. 1756 anhero gekommenen Verkäuffer, und derer Waaren findet sich in einer tabellarischen Auflistung der Messeteilnehmer auch »Gottskovsky et Streckfuß" mit dem Zusatz »viele Waaren [...] Galanterie« wieder.196 Es kann davon ausgegangen werden, daß es sich hierbei um die gesamte, in Berlin gefertigte Bandbreite an seidenen und samtenen Stoffen sowie der begehrten Luxusartikel handelte. Da sich von Gotzkowskys umfangreichen Warenangebot, seinen Verkäufen und Einnahmen als auch von seinem sicherlich vorhandenen Stapellager keine Verzeichnisse erhalten haben, muß für eine Rekonstruktion seiner Messepräsenz auf andere Quellen zurückgegriffen werden. Einblicke hierfür gewähren die umfangreichen Ausgabenbücher seiner einträglichsten Kunden: nämlich diejenigen von August III. und dem Grafen Brühl. Einen ersten Hinweis liefert der sächsische Hofrat Siepmann, der berichtete, August III. habe während der Jubilatemesse 1741 eine mit Steinen verzierte Tabatière bei Gotzkowsky erworben. 19 ' Ein Jahr später lassen sich in den kurfürstlichen Rechnungsbüchern weitere Ausgaben für den An-

193 Schulz 1784, S. 66. 194 Leipziger Messeamt 1958, S. 100. 195 Zit. ausCzok 2 1985, S. 146. 196 StadtAL, Tit. XLV. C. 17, fol. 46a, fol. 51b. 197 SächsHStA, 10026, Loc. 2999, Vol. II, Brief Nr. XXV, 20. Mai 1741: »Hier, jour de Cour, la Reine, en m'abordant, me fit l'honneur de me parler de la foire de Leipzig, qu'on disoit avoir été très belle, que quelques Marchands d'ici avoient beaucoup vendu à la Cour; que le Roi de Pobgne avoit acheté de Gotzkowski une Tabatiere de pierre de Reinsberg, garnie, si je ne me trompe, de brillans, et qu'Elle étoit bien aise que le Roi l'eût trouve belle. Sa Majesté me dit cela avec un certain empressement qui marquoit combien Elle étoit charmée du cas que le Roi semble avoir fait de la dite pierre, eu égard à la prodigieuse quantité et à la beauté de celles de Saxe, dont la Reine parla ensuite beaucoup.« Ich danke Katrin Schlechte für diesen Quellenhinweis.

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kauf an »Jubelen und Galanterien, in jetziger Michael Messe, 1742« bei Gotzkowsky ausmachen.198 Die Auflistung verdeutlicht auch, daß dem Kurfürsten ein Kredit >gewährt< wurde, demnach er erst innerhalb der kommenden drei Jahre die Summe zu begleichen hatte.199 Diese Art des bargeldlosen Zahlungs- bzw. Wechselverkehrs hatte sich auf der Leipziger Messe verstärkt nach dem Dreißigjährigen Krieg durchgesetzt und unterlag seit 1682 einer durch Kurfürst Johann Georg II. ( 1 6 1 3 - 1 6 8 0 ) erlassenen Wechselordnung.200 Die immer häufiger roulierenden Wechselscheine erforderten von den Kaufleuten eine akkurate Buchführung, die gerade was Gotzkowskys Geschäfte anbetraf, im Laufe der Zeit immer unübersichtlicher wurden. Mit Ausbruch des Siebenjährigen Krieges kamen viele Kunden nicht mehr der Begleichung ihrer ausstehenden Wechsel nach, diese blieben uneingelöst bzw. wurden aufgrund der rapide einsetzenden Kursschwankungen völlig wertlos. Diese Wechselreiterei sollte später einer der Gründe für den finanziellen Zusammenbruch Gotzkowskys sein. Einer seiner prominentesten Schuldner, gleichzeitig aber auch einer seiner wichtigsten Kunden auf der Leipziger Messe war Graf Brühl. Erstmals nachweisen lassen sich dessen Ankäufe anhand eines Briefes an seinen Sekretär Karl Heinrich von Heineken ( 1 7 0 7 - 1 7 9 1 ) , in dem er sich über die mangelnde Handelsbereitschaft Gotzkowskys beklagt.201 Ab 1751 finden sich in den Gräflich brühlschen Rechnungsbüchern zahlreiche Auflistungen von Steuerscheinen, mit denen Brühl die bei Gotzkowsky erworbenen Waren bezahlte. Rechnet man diese über einen Zeitraum von 1751 bis 1756 zusammen, so erwarb Brühl für über 62.300 Taler Waren bei Gotzkowsky. Darunter befanden sich auch »See Fische und Austern«, die dem Grafen bis zu seinem Stammsitz nach Pfoerthen geliefert wurden.202 Die Ausgaben wurden erst während der kommenden Messen durch den Bankier Töpper beglichen, die meisten Rechnungen wurden jedoch nie bezahlt.203 Daher erstaunt es nicht, daß unter denen im Brühlschen Nachlaßverzeichnis aufgelisteten Schulden über nicht bezahlte Waren der Name Gotzkowsky an oberster Stelle steht.204 Neben diesem illustren Kundenkreis zählten vornehmlich russische und polnische Händler zu Gotzkowskys umsatzstärksten Käufern, deren Importe von Rauchwaren wiederum bei den Messeteilnehmern auf reges Interesse stießen. Die Leipziger Messe, das sogenannte » Tor zum Osten und zum Westen«205 war berühmt für seine Internationalität und dem universalen Angebot, das von ostasiatischen bis südamerikanischen Kolonialwaren, von Kaffee, Tee und Zucker, Gewürzen und baumwollenen Textilerzeugnissen, von englischen Metallwaren, venezianischen

198 SächsHStA, 10026, Loc. 354/3, Vol. I, S. 514. 199 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 1401/2, Vol. II, fol. 132b-134a. 200 Vgl. Markus A. Denzel, Zahlungsverkehr

auf den Leipziger Messen vom 17. zum 19. Jahrhundert,

in: Zwahr (u.a.)

1999, S. 1 4 9 - 1 6 5 . 201 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 1401/5, fol. 94. 202 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 1402/2, fol. lb, 16b. - Loc. 1402/4, ohne Fol.: »Ausgaben In der Leipziger Michaelis Meße 1753: 8800 Thlr. dem Kaufmann Gozkowski Meße, als 4000 Thlr. Baar, 4800 Thlr. in Cammer-Scheinen« - Loc. 1402/6, fol. 3a/b, 38a, 39a, 82b, 90a, 120b - Loc. 1402/8, fol. 7 b - 8 b , 49a, 93, 94b. - Loc. 1402/10, fol. I 4 b - 1 6 b . 203 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 3288, fol. 4, fol. 13. 204 Vgl. SächsHStA, 10079, Landesregierung, Loc. 30488, fol. 5 2 2 - 5 2 5 : Cap VI Anzinnsbare Waaren und andere Schulden, fol. 525: »16.060

Thaler Rest vom Kaufmann

Gotzkowsky in Berlin und Blumischen erben darselbst, incl. 3458

Thlr. dergleichen/ vergleichender Interesse morae.« 205 Klaus Metscher, Auf in die Moscaue, in: ders./Fellmann 1990, S . 7 1 - 8 3 , S.74.

Β. Wege in die unternehmerische Selbständigkeit

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Spiegeln, Antwerpener Diamanten u n d kostspieligen Edelsteingarnituren, flandrischer Spitzen u n d Borten bis zu französischen Galanterie-, Seiden- u n d Strumpfwaren, Champagner und Weinen aus dem Burgund reichte. Beliebt waren auch die heimisch-sächsischen Erzeugnisse der Meissener Porzellan- und Dresdner Spiegelmanufaktur. 206 Zwei weitere Quellen liefern Einblick in die Geschäftsverbindung Gotzkowsky & Streckfuß sowie die einflußreiche Stellung Gotzkowskys auf der Leipziger Messe. Hintergrund bildeten die schon seit Jahrzehnten zwischen Preußen u n d Sachsen schwelenden Handelsdifferenzen. Zwar existierte seit 1727 ein Zoll- und Handelsabkommen »wonach ein >freies Commercium< zwischen beiden Ländern eröffnet werden sollte«, doch Preußen hielt sich zum Verdruß der Kaufleute selten daran u n d versuchte den Handel mit sächsischen Erzeugnissen zu beeinträchtigen. 207 Die Akzise für den Elbverkehr wurde erhöht, es folgte 1747 die E i n f ü h r u n g des Stapelrechts in Magdeburg, die den Warentransport auf der Elbe nach u n d aus Sachsen endgültig zum Erliegen bringen sollte, während gleichzeitig der Transithandel sächsischer Produkte nach Polen und Rußland über das n u n m e h r preußische Schlesien behindert wurde. 1755 wurde kurz vor der Ostermesse von preußischer Seite ein Einfuhrverbot auf ausgewählte sächsische Waren erhoben, das von Sachsen mit einem generellen Einfuhrverbot preußischer Güter erwidert wurde, woraufhin Preußen umgehend die Rohstoffzölle anhob. 208 Für die Händler und Messeteilnehmer der betreffenden Länder bedeutete dies, daß sie, wenn sie sich nicht weiter den willkürlichen Launen ihrer Regenten aussetzen wollten, ein zuverlässiges u n d krisenresistentes Handelsnetz aufbauen mußten. Auch Gotzkowsky scheint Wege gefunden zu haben, u m mit Hilfe seines Kompagnons Streckfuß die zeitweiligen Handelseinschränkungen umgehen zu können. D e n n wie aus einem anonymen Bericht an den Rat hervorgeht, hatten sich mehrere preußische und sächsische Händler zusammengetan und dadurch unerlaubte Vorteile erlangt: »Wir haben aber nunmehro in Erfahrung gebracht, daß [...] alhier sowohl in vorigen Zeiten als gegenwärtig mehrere Exempel von dergleichen zweyherrischen Handlungs-Compagnons vorhanden gewesen und noch sind, [...] darunter sich auch Gottskoffsky u n d Streckfuß, von welchen jener in Berlin u n d dieser in Dreßden sich aufhält, zu befinden. [...] daß der auswärtige Handels-Consorte Mittel und Wege finden dürfte, daß die von u n d durch dergleichen Lande anhero zu seiner hiesigen H a n d l u n g destinine Güther mit den angelegten hohen Imposten und Zöllen entweder verschonet blieben, oder doch deren Restitution erlanget, folglich dadurch eine dergleichen H a n d l u n g in die Umstände gesezet wird, ihre Waaren in und außer denen Messen mit wohlfeiler als die übrigen hiesigen Handels Güter vermögen zu verkaufen u n d dadurch zu großen Prjudiz derselben die in und ausländischen Einkäufer an sich zu ziehen, auf wohl Ew. Königl. Majth. u n d unsere des Raths Einkünfte unvermerckt zu defandiren.« 209 Gotzkowsky hatte es verstanden, mit seinem in Sachsen beheimateten Kompagnon Streckfuß die starren Zölle und Einfuhrbestimmungen Preußens und Sachsens zu umgehen und damit einen

206 Vgl. Unger 1964; Beyer 1964; M e i n e n 1974. 207 Leipziger Messeamt 1958, S. 109. 208 StadtAL, Tit. XLV. C. 18, fol. 1 7 1 - 1 7 2 ; Mittenzwei 1970. 209 StadtAL, Tit. XLV. A. 23b, fol. 9 9 - 1 0 5 .

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nicht unerheblichen Vorsprung im Warenverkehr gewonnen, zumal er aufgrund des Wegfalls hoher Steuern seine Warenpreise niedriger ansetzen konnte, was ihm zusätzliche Vorteile verschaffte. Seine einflußreiche Stellung auf der Leipziger Messe dokumentieren die zum Abschluß der Ostermesse von 1756 verfaßten Meßrelationen. In diesen wird berichtet, daß alle Breslauer Kaufleute angehalten waren, bei Gotzkowsky für eine gewisse Summe Seide zu kaufen. Daraufhin erhielten sie von ihm eine Quittung, die sie bei der Rückfahrt an der schlesischen Grenze vorzeigen mußten, um von einer Besteuerung der erworbenen Waren befreit zu werden.210 Diese Vorgabe dürfte von Friedrich II. lanciert worden sein, um den Verkauf von Berliner Erzeugnissen auf der Leipziger Messe zu stärken. Für russische Händler waren zwei Jahre zuvor ähnliche Gesetze erlassen worden.2" Abermals profitierte Gotzkowsky durch königliche Gunst. Als der Siebenjährige Krieg ausbrach und viele auswärtige Händler der Messe fern blieben, mußte dies zwangsläufig zu einem erheblichen Einbruch seiner Geschäfte führen. In Friedenszeiten war die Leipziger Messe jedoch der wichtigste Absatzort seiner Waren. In Auerbachs Hof als »mondänen Mittelpunkt des Luxus und der Modem konnte er zahlreiche illustre Kunden und Kontakte gewinnen, die ihm für seine späteren wirtschaftlichen und diplomatischen Betätigungen hilfreich sein sollten.212 Vor allem seine ersten Berührungspunkte zum kurfürstlichen Hof nach Dresden waren für seinen Kunsthandel von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig war Leipzig für sein kulturell aufgeschlossenes und engagiertes Bürgertum bekannt und die Messe »nicht nur Stapelplatz wichtiger Güter, sondern auch Treffpunkt gebildeter und kunstinteressierter Großkaufleute«.213 Es ist zu vermuten, daß dieser Aspekt von Einfluß auf Gotzkowskys beginnende Sammeltätigkeit war. Es soll daher ein Uberblick über die wichtigsten Leipziger Kunstkabinette gegeben werden, von denen ausgegangen werden kann, daß Gotzkowsky sie gekannt und besucht hat, zumal einige Sammler Logenmitglieder waren.

2. Merkur und die Musen In der Bach-Kantate Erwählte Pleißenstadt verweist Merkur im Zwiegesang mit Apoll auf den Einfluß des florierenden Handels als Voraussetzung für eine Blüte von Kunst und Wissenschaft:

210 StAL, Leipziger Messeamt (LMA) (I), 20202, Nr. D 836, fol. 31a/32a: »daß die Hier befindliche Breslauer KauffLeute jeder vor einige 100 Thlr. und alle Zusammen vor 2500 Thlr. Seyden Waaren von der Gotskowskischen Fabrique erkauffet haben, wogegen Gotskowsky ihnen Attestat giebt, daß er mit ihrem beschehenen Abkauff zußieden wäre, folglich ihnen ihre einbringenden übrigen Waaren verabfolget werden möchte«. 211 CHAN, Fonds des Affaires étrangères — Correspondance consulaire A.E.B/I/609, fol. 52a, Hamburg, den 16. September 1754: »Les negocians Russiens ont, Mgr. appris avec peine la resolution que le Roy de Prusse avoit prise d'établir un droit d'un pour cent sur les marchandises qui passeront par ses Etats, pour etre transportées en Russie. Ce droit qui forme vu objets considerable pour le Roy de Prusse, viendra tres onereux a ces negocians, et augmentera de beaucoup le prix des marchandises qu'ils tirent de Leipsick dans le tems des foires, principalem.t des é t o f f é s d'or, et d'argent, des bijouteries et des galanteries.« 212 Dieter Gleisberg, Merkur und die Musen. Leipzig als städtisches Kulturzentrum Wien 1989, S. 17-26, S.22. 213 Susanne Schottke, Kunst als Ware, in: Rodekamp 1997, S. 282-283, S. 282.

im Herzen von Europa, in : Ausst.-Kat.

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Selbständigkeit

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»Nicht die Gelehrsamkeit allein muß, Leipzig, Dein Glücke sein. Mein Handel, den ich hier beständig pflanze, verschaffet Dir das meiste Theil zu Deinem Glänze!« 214 Merkur sah sich gleichsam als Anführer und Förderer der Musen. Hinter diesen Worten verbarg sich eine, für das Leipziger Kultur- und Sammlungswesen treffende Darstellung. Mit dem während der Messe erwirtschafteten Geldern und den weitreichenden Kontakten gelangten zahlreiche Leipziger Manufakturbesitzer, Kaufleute und Bankiers zu großem Wohlstand und Ansehen, den sie fortan in die Förderung von Künstlern, Musikern und den Aufbau bedeutender Sammlungen investierten. Zwischen 1660 und 1800 lassen sich in Leipzig 24 technisch-naturwissenschaftliche Sammlungen sowie 13 Gemälde- und Kupferstichkabinette nachweisen, die von wohlhabenden Bürgern als auch der geistigen Elite der Universität gegründet wurden. 2 " Der Messe kam dabei eine wichtige Bedeutung zu, denn das weite Angebot an artifiziellen, exotischen und wissenschaftlichen Objekten aller Art bot eine herausragende Gelegenheit, entsprechende Gemäldesammlungen und Kuriositätenkabinette anzulegen. 216 Bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts lassen sich erste Spuren eines Handels mit kunsthandwerklichen Produkten aufzeigen, innerhalb dessen dem Verkauf von Gemälden, Kupferstichen, Zeichnungen und Malutensilien eine wichtige Rolle zukam. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts reisten bereits erste Händler aus Holland und Flandern nach Leipzig, die ausschließlich heimische » S c h i l d e r u n g e n « aller Gattungen feilboten. Im gleichen Zeitraum ließen sich auch Antwerpener » Kunstner, mahler und Seidensticker« an der Pleiße nieder, die für den Leipziger Markt produzierten. 217 Ein häufiger Gast war Lucas Cranach, der von Wittenberg aus die Leipziger Messe besuchte, um neue Aufträge entgegenzunehmen. Die wichtige Funktion, die Leipzig als Kunsthandelsplatz frühzeitig einnahm, zeigt auch das Vorgehen der Erben Albrecht Dürers, die den Leipziger Rat aufforderten, den Verkauf von Kopien nach dessen Bildern und Stichen zu unterbinden. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges und einer allmählichen Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Lage in Sachsen entstanden bedeutende private Kunstkammern, darunter die Naturaliensammlung der Apothekerfamilie Linck, die ab 1670 zusammengetragen wurde und noch zu Goethes Zeiten in der Grimmaischen Straße bewundert werden konnte. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es August II. ( 1 6 7 0 - 1 7 3 3 ) , der während seiner häufigen Messebesuche vor allem Radierungen von dem holländischen Kupferstecher und Verleger Petrus Schenck d.A. (1660-1718/19) in Bräunigkes Hof in der Peterstraße erwarb (Abb. 11). Von diesen Ankäufen profitierte besonders die Meissener Porzellanmanufaktur, denn zahlreiche der auf der Messe erworbenen Konvolute an Stichen und Zeichnungen wurden als Vorlagen- und Musterbücher genutzt. Auch August III. reiste häufig zur Leipziger Messe und ließ über seinen Intendanten Heineken Gemälde und Kupfer-

214 Zit. aus Brigitte Richter, Merkur und die Musen, in: ebd., S. 2 6 2 - 2 6 3 , S. 263. 215 Vgl. Czok 1980; ders., Zu Kultur und Baukumt der Messestadt

in Stadt und Vorstädten im 18. Jahrhundert

Leipzig, in: Rausch 1982, S. 8 7 - 1 0 4 ; Ralph Krüger, Bürgerliche

derts, in: Topfstedt/Zwahr 1998, S. 1 1 3 - 1 2 6 , S. 114; ders. 1995. 216 Vgl. Ennenbach 1982. 217 Vgl. Kirchhoff 1889; Kroker 1925, S.99ff.

Sammlungen

am

Beispiel

des 17. und 18.

- dargestellt

Jahrhun-

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler zum einflußreichen Manufakturisten

11. A n o n y m , Bräunigkes Hof in der Peterstraße, u m 1730, Stadtgeschichtliches M u s e u m Leipzig.

Stiche ankaufen. 2 1 8 Z u den wichtigen Kunsthändlern zählte Joseph Hennerwarth (gest. 1775) aus Prag, der seit 1752 ein Gewölbe in H o h m a n n s H o f besaß. Weitere Kunsthändler scheinen sich nur sporadisch in die Gewölbe eingemietet zu haben, darunter das Niederländische OelgemaeldeMagazin, das auf der Heinstraße 199 zur Oster- und Herbstmesse ausstellte. 21 ' Ein probates Mittel der Eigenwerbung als auch der Bekanntmachung von Auktionen war die Leipziger Zeitung, in der vor u n d während einer Messe wichtige Ankündigungen über Angebote, Verkaufsorte und Händlernamen annonciert wurden. 2 2 0 Einen lebhaften Eindruck von dem Messegeschehen, der

218 Laut Trautschold wurde sogar ein Großteil der holländischen Bilder für August III. auf der Leipziger Messe erworben, vgl. ders., Zur Geschichte des Leipziger Sammelwesens, in: George 1957, S. 217—252, S. 217. 219 Vgl. Jericke 1965, S.39. 220 »11. April 1758: Es wird diese Oster-Messe allhier in Stieglitzens Hofe bey dem Bilder- und Land-Carten-Händler

Seba-

stian Stückel zu bekommen seyn: Le Plan d'un Palais du Plaisance d'un Prince, oder Entwurf eines Fürstl. Lust-Schlossern

Β. Wege in die unternehmerische Selbständigkeit

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Präsentation und dem Verkauf von Gemälden u n d Stichen liefert eine kolorierte Radierung von Georg Emanuel Opiz ( 1 7 7 5 - 1 8 4 1 ) , die unter dem sarkastischen Titel Die Gaffer eine kunstinteressierte Menge vor einem der Messe-Durchgangshöfe zeigt (Farbtafel III): »So empfingen also die kunstsinnigen Leipziger durch die vielfältigen Gemäldeausstellungen der Messen regelmäßige Anregungen, Bilder zu erwerben, aber auch die Messeaussteller ihrerseits durften mit einem fast modisch bedingten Interesse einer wohlhabenden Bürgerschicht gerade für Gemälde rechnen.« 221 Auch Gotzkowsky stellte einige seiner Gemälde auf der Leipziger Messe aus bzw. zeigte seinen Kunden nach Originalen gefertigte Reproduktionen, damit sich diese einen Eindruck über die in Berlin verbliebenen Gemälde machen konnten. Auf diesem Wege gewann er Graf Brühl als vielseitig interessierten Kunden. Neben dem traditionellen Messehandel besaßen die im Messezeitraum häufig abgehaltenen Auktionen im Rothen Collegio einen hohen Stellenwert. Seit dem 13. Juni 1680 existierte in Leipzig eine Auktionsordnung, die den Ablauf streng reglementierte. So mußten vorab genaue Verzeichnisse mit der detaillierten Aufstellung der angebotenen Waren herausgegeben werden, Auktionen selbst durften nur im Erbfall oder bei Verschuldung angesetzt werden. Der Rat der Stadt bzw. die Universität bestellten den Ausrufer, der die Auktion durchführte. 2 2 2 Einer der ersten Auktionskataloge war derjenige über die Sammlung Böttcher, die im Mai 1752 anonym versteigert wurde. Der annotierte Katalog macht deutlich, daß sich zahlreiche Leipziger Sammler als Käufer beteiligten, darunter der bereits erwähnte Hennerwarth. Inwieweit auch Gotzkowsky zu seinen Kunden gehörte, ließ sich nicht nachweisen. 223 Ein Exemplar des Kataloges gelangte in den Besitz von Karoline Luise von Baden ( 1 7 2 3 - 1 7 8 3 ) , die insgesamt elf Bilder nachträglich aus der Sammlung Böttcher erwarb. Vermittler dieser Ankäufe war der aus Straßburg gebürtige Bankier und Händler Jean-Henri Eberts (geb. 1726) vom Pariser Bankhaus Papelter et Eberts. Das Interesse an den Leipziger Auktionen war demnach nicht nur auf einen lokalen Radius begrenzt, sondern erfreute sich auch internationalem Ansehen. Weiter professionalisiert wurde der Handel durch die von Carl Christian Heinrich Rost ( 1 7 4 1 - 1 7 9 8 ) gegründete Rostische Kunsthandlung, die in Anzeigen und gratis gedruckten Verzeichnissen für ihre Kunstobjekte warb. Ferner besaß

entworfen von C. F. D. Es ist diese Piece auf 3 grossen Französischen Regal-Bogen vom feinsten und stärksten Papiere abgedruckt worden«, zit. aus StadtAL, Leipziger Zeitung, 1758, S. 232. - >·4. May 1762: Denen Liebhabern der Mahlerey und Zeichnungskunst dienet hiermit zur Nachricht, daß während der Messe bey dem Königi. Pohln. Hof Mahler, Benjamin Calau, in des Hrn. Buchhalter Mechaus Hause am neuen Neumarkte, dem Marstalle gegen über, 2 Treppen hoch, eine Parthey Schildereyen verschiedener Größe von guten Meistern ingleichen eine Parthey extra schöner Gips-Figuren von denen besten Meistern um civile Preisse zu haben, und früh Morgens von 9 bis 11 Uhr, des Nachmittags aber von 2 bis 4 Uhr bey demselben in Augenschein zu nehmen, auch sowohl in einzelnen Stücken als überhaupt zu verkaujfen sey«, zit. ebd. 1762, o. S. - »3. Oct. 1763: Allerhand feine Pariser und Italienische Kupferstiche, feine Prospecten, optische Gläser, und feine Italiänische Blumen, auch allerhand Französisches Geruch-Wasser, sind bey den Gebrüdern Artaria, in Auerbachs Hofe und in Hohmanns Hofe, um einen billigen Preißzu haben«, zit. ebd. 1763, o. S. 221 Trautschold, in: George 1957, S.218. 222 Vgl. StadtAL, Tit. LX. B. 3b, fol. 5 - 7 . 223 Düsseldorf, C. G. Boerner G m b H , Verzeichnis einer schönen Sammlung von guten Schildereyen. Ich danke Dr. F. Carlo Schmid für die Ubersendung einer Kopie des Auktionskataloges.

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Rost das Privileg, antike Figuren sowohl der Vatikanischen als auch der Dresdner Antikensammlungen in Gipsform zu vervielfältigen. Die starke Reglementierung der Auktionen führte am Ende des 18. Jahrhunderts allerdings dazu, daß sich das Auktionswesen in Leipzig nicht weiter entfalten konnte u n d H a m b u r g als aufstrebender Kunstmarkt eine größere Bedeutung erlangte. Als Gotzkowsky sein Messegeschäft eröffnete, war Leipzig ein wirtschaftlich u n d kulturell prosperierendes Z e n t r u m mit privaten Kunstsammlungen u n d Rarietätenkabinetten. Diese wurden in zeitgenössischen Adreßbüchern und Stadtbeschreibungen eingehend beschrieben: »Das Winklerische Gemähide Kabinet [...] Mittwochs zwischen 2 bis 4 Uhr, wird dieses Cabinet für das Publicum geöfnet. Ausser diesem hat der Herr Besitzer die Gefälligkeit, daß er es einer Gesellschaft von Reisenden, die sich bis zu dem bestimmten Tage nicht bey uns aufhalten können, öfnen läßt. Es befindet sich in dem Hause des Herrn H a u p t m a n n Gottfried Wincklers auf der Catharinenstraße.« 2 2 4 O b aus prestigeträchtiger Selbstdarstellung oder durch kenntnisreiche Sammeltätigkeit im Sinne eines bürgerlichen Bildungsstrebens zusammengetragen, stellten diese Sammlungen eine wichtige Ergänzung zu den adligen Galerien u n d Kabinetten im höfischen Dresden dar. Von politischen Entscheidungen ausgenommen, konnte das Leipziger Bürgertum durch seine Interessen im Bereich des Handels, der Wirtschaft u n d der Kultur seine fehlende politisch-diplomatische Mitbestimmung kompensieren u n d sich auf wirtschaftlicher u n d kultureller Ebene entfalten. 225 Z u den herausragenden Sammlungen gehörte das sogenannte Museum Richterianum, das von Johann Christoph Richter ( 1 6 8 9 - 1 7 5 1 ) begründet wurde und sich anfänglich ausschließlich aus Naturalien zusammensetzte. G r u n d hierfür waren Richters Beziehungen zum sächsischen Bergbau. Sein Bruder Johann Zacharias Richter ( 1 6 9 6 - 1 7 6 4 ) , der sein Vermögen mit dem Handel von Blaufarben gemacht hatte, war wiederum Besitzer einer Gemäldesammlung, die von seinem ältesten Sohn u n d Erben Johann Thomas Richter ( 1 7 2 8 - 1 7 7 3 ) vergrößert wurde u n d später über 4 0 0 Gemälde sowie über 1.000 Zeichnungen umfaßte. In seinen Jugendjahren hatte er eine ausgiebige Grand Tour in Begleitung von Gottfried Winckler gemacht, der in freundschaftlicher Konkurrenz die zweite wichtige Leipziger Gemäldesammlung aufbaute. Die Reise führte beide Kaufmannssöhne nach Holland, England, Frankreich, den Süden Deutschlands u n d für Richter noch nach Italien: »Seine Bemühungen um die Bekanntscha.fi aller Artisten jedes Ortes, der Besuch ihrer Werkstätte, und die Sammlung ihrer Werke, erweckten den Geschmack seines um die Künste sich verdient gemachten Gefährten.«226 Während dieser Italienreise begann er mit dem Ankauf erster Gemälde, eine Leidenschaft, die er zeitlebens fortführen sollte. Bereits unter seinem Onkel Johann Christoph Richter wurde die Sammlung durch die Professoren Johann Ernst Hebenstreit ( 1 7 0 2 - 1 7 5 7 ) u n d Johann Friedrich Christ ( 1 7 0 0 - 1 7 5 6 ) wissenschaftlich aufgearbeitet. Das Deckblatt des 1743 erschienenen prachtvollen Kataloges zeigt eine fiktive Innenansicht eines

224 Vgl. Schulz 1784, S.331. Detaillierte Angaben auch in Leonhardi 1799, S.623ÍF. 225 Vgl. auch Martens 1990, S. 16. 226 Zit. nach Susanne Heiland, Anmerkungen zur Richterschen Kunstsammlung (Nachricht von Richters Portrait, Leben und Kunstsammlungen), in: Schneiderheinze 1989, S. 139-174, S. 149.

Β. Wege in die unternehmerische

Selbständigkeit

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reich mit Gemälden und Vitrinen ausgestatteten Raumes, die sowohl die Naturalien- als auch die Gemäldesammlung an einem Ort zusammenführt. 227 Noch prunkvoller war die von Gottfried Winckler ( 1 7 0 0 - 1 7 7 1 ) begonnene und maßgeblich von seinem Sohn Gottfried Winckler d. J. ( 1 7 3 1 - 1 7 9 5 ) zusammengetragene Sammlung, die weit mehr als 600 Gemälde, um die 20.000 Kupferstiche und 2.500 Zeichnungen umfaßte und schon von Zeitgenossen besonders hervorgehoben wurde: » Wie mancher Fürst würde sich Glück

wünschen, eine so herrliche und kostbare Sammlung von Gemälden zu besitzen. Sie ist eine der größten Zierden unsrer Stadt, und ein Beweis von dem Reichthume und der ausgebreiteten Handlung derselben,«228 Gottfried Winckler d. A. hatte sein Vermögen mit Wechselgeschäften und einem Großhandel für Spezereien- und Farbwaren gemacht. Seinem Sohn ermöglichte er die bereits erwähnte Kavalierstour mit Thomas Richter. Nach seiner Rückkehr begann Gottfried Winckler jun. ebenfalls mit dem Aufbau einer eigenen Sammlung, die 1769 von Franz Wilhelm Kreuchauf ( 1 7 2 7 - 1 8 0 3 ) ausführlich beschrieben wurde. 229 Als Ergänzung hierzu haben sich einige von Christian Friedrich Wiegand (1748—1824) gemalte Galeriebilder erhalten, die Einblick in einen Teil der Sammlung und deren Hängung im Wincklerschen Gartenhaus vor dem Grimmaischen Tor gewähren. 230 Die im Katalog gemachten Provenienzangaben verdeutlichen, daß Winckler einen Großteil seiner Bilder auf dem internationalen Auktionsmarkt ersteigert hatte. Die restlichen Werke scheint er auf der Leipziger Messe erworben zu haben. Nicht zu unrecht hat Jericke darauf verwiesen, daß ein Großteil der auf der Messe angepriesenen Bilder holländisch-flämischer Provenienz waren, so daß sich die Nachfrage nach dem Angebot gerichtet haben dürfte und mit ausschlaggebend für die starke Präsenz von Bildern niederländischer und zeitgenössischer deutscher Künstler in Leipziger Sammlungen waren. 231 Auch Gotzkowskys Sammlung sollte zu Beginn der Sechziger Jahre einen holländisch-flämischen Schwerpunkt bilden, das womöglich einige Rückschlüsse auf seine Erwerbungsquellen zuläßt. Ein weiterer bedeutender Leipziger Sammler war Johann Gottlieb Böhme ( 1 7 1 7 - 1 7 8 0 ) , Professor für Geschichte und Staatsrecht, dem 1766 der Titel eines kursächsischen Hofhistoriographen verliehen wurde. Durch seine zweite Ehe mit Christiane Regine Richter gelangte er in den Besitz des noch heute existierenden Gohliser Schlößchen, wo er seine über 230 Gemälde umfassende Sammlung und eine bedeutende Kupferstichsammlung unterbrachte. Dem 1795 erstellten Inventar ist zu entnehmen, daß die Sammlung vorwiegend aus italienischen, französischen und niederländischen Bildern bestand, die fast ausnahmslos in goldenen, schwarzen oder lackierten

227 Ein Teil der Gemäldesammlung befand sich im Bosehaus am Thomaskirchhof, in dem sich seit 1985 das Bachmuseum befindet und der andere Teil im Richterschen Gartenhaus in der Gerberstraße. Der Sammlung angegliedert war eine kunstwissenschaftliche Bibliothek, die zu den vollständigsten in und um Leipzig gehörte. 228 Schulz 1784, S. 322; vgl. auch Georg Wilhelm Schulz, Gottfried

Winckler und seine Sammlungen,

in : Teupser 1937,

S. 63-119. 229 [Kreuchauf] 1768. Die Sammlung umfaßte insgesamt 628 Gemälde, die zur Hälfte aus niederländischen Bildern bestand, gefolgt von zahlreichen Werken deutscher Künstler, 73 Gemälde waren italienischer und 27 Bilder französischer Provenienz. Am häufigsten vertreten waren Genrebilder, gefolgt von Historienmalereien und Landschaften. 57 Porträts, 20 Stilleben und 15 Tierdarstellungen rundeten die Sammlung ab. 230 Die noch erhaltenen dreizehn Tafeln sind abgebildet in Teupser 1937, S. 104-119. 231 Jericke 1965, S. 141.

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Rahmen gehängt waren. 232 Über die Sammeltätigkeit einiger Kaufleute bemerkte Kreuchauf abschließend, daß diese »die Vorteile ihrer Handelschaft auf die Wissenschaften verwendeten und ihre Glückgüter mit den schönen Künsten teilten«.2ii Daher erstaunt es nicht, daß 1763 in Leipzig eine Sozietät von Gelehrten, schönen Geistern, Künstlern und Kunstbeförderern gegründet wurde, zu deren Leiter Kreuchauf ernannt wurde. 234 Ein Jahr darauf wurde die Leipziger Zeichenakademie als Dépendance zur Dresdner Kunstakademie gegründet, an die Adam Friedrich Oeser ( 1 7 1 7 - 1 7 9 9 ) als erster Direktor berufen wurde. Spätere Sammlergenerationen, wie Carl Lampe ( 1 8 0 4 - 1 8 8 9 ) als Initiator des Leipziger Kunstvereins u n d Maximilian Speck von Sternburg ( 1 7 7 6 - 1 8 5 6 ) , dessen Gemäldesammlung ab 1834 in einem eigens errichteten Galeriegebäude auf Lützschena untergebracht war u n d später Grundstock des Leipziger Bildermuseums wurde, führten die im 18. Jahrhundert begonnene bürgerliche Sammlertradition fort. 235 Es fragt sich daher abschließend, welchen Einfluß diese Entwicklung u n d Geisteshaltung auf Gotzkowsky ausgeübt hat? Sicherlich hat ihn der Umgang mit einigen exponierten Gestalten des Leipziger Bürgertums geprägt, sowohl auf merkantile Art u n d Weise als auch im kulturellen Bereich. Womöglich waren die Kontakte zu einigen Leipziger Sammlern, die Gotzkowsky aus seinen Logenbrüderschaften kannte, der Besuch ihrer Kabinette als auch der auf der Messe florierende Gemäldehandel nicht zu unterschätzende Faktoren für die Errichtung eines eigenen Kunsthandels in Berlin, der durch die Nachfrage des preußischen Hofes nachdrücklich gefördert wurde.

3. Von der Brüderstraße zum Leipziger Platz: Das gesellschaftliche Ambiente der Brüder Gotzkowsky Die wirtschaftlichen Erfolge der Brüder Gotzkowsky, der daraus resultierende Wohlstand als auch der fulminante gesellschaftliche Aufstieg in höfische Kreise dokumentierten sich nach außen im Erwerb repräsentativer Bauten u n d Grundstücke in Berlin. Den Anfang machte 1746 Christian Ludwig Gotzkowsky mit dem Ankauf des Landhauses Kameke und dem sich daran anschließenden parkähnlichen Garten in der Dorotheenstraße 27, der sogenannten Letzten Straße. Diese befand sich in der ab 1674 angelegten Dorotheen-Vorstadt (Abb. 12). Das Landhaus Kameke war 1711/12 nach Entwürfen von Andreas Schlüter ( 1 6 5 9 - 1 7 1 4 ) entstanden u n d gilt als dessen letzte Berliner Bauausführung vor seinem Weggang nach St. Petersburg. Im Auftrag des preußischen Hofkammerpräsidenten, Generalpostmeisters und Schatulldirektors Ernst Bogislav von Kameke ( 1 6 7 4 - 1 7 2 6 ) errichtet, verkörperte der Bau »den Typus eines kompakten, eher kleinen vorstädtischen Lustgebäudes«.236 Kameke selbst wollte mit dem neuerrichteten Bau in prädestinierter Lage seine zuvor errungene einflußreiche u n d vor allem einträgliche Position am H o f e Friedrich!. dokumentieren. Z u diesem Zweck erwarb er das ehemalige Gelände des kurfürstlichen

232 Siehe Krüger 1995, S. 66. 233 Zit. aus W u s t m a n n 1899, S. 113. 234 Werner Teupser, 100 Jahre Kunstverein und Museum, in: ders. 1937, S.4. 235 Vgl. Ausst.-Kat. Leipzig 1998. 236 Lorenz 1993, S. 155; vgl. auch Ladendorf 1935, S. lOlff.; Hallström 1961; G u i d o Hinterkeuser, Eine Zeichnung Andreas Schlüter fur das Landhaus Kameke, in: ders./Meiner 2002, S. 103—119.

von

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12. Stadtplan von Berlin um 1750.

Schiffbauhofes und beauftragte Schlüter mit den Ausführungen eines repräsentativen Domizils. Es entstand ein eingeschossiger Bau, der sich durch den betonten Kontrast der seitlichen Flanken mit jeweils einem Appartement und dem zweistöckigen Mittelbau hervorhebt. In diesem befand sich von der Straßenseite her kommend, das repräsentative Eingangsvestibül, zur Gartenseite hin erstreckte sich ein großzügig gestalteter Festsaal. Die seitlichen Risalite schließen den Bau horizontal ab, während vier bewegte Skulpturenpaare auf dem Hauptgesims des Mittelrisalits die tektonische Struktur der Fassade vertikal lebendig auflockern. Lorenz spricht von einer »isolierten Sonderstellung«, die das Landhaus Kameke innerhalb der Berliner Barockarchitektur einnimmt, während zeitgenössische Autoren besonders den vermeintlich südländischen Charakter der Fassade hervorhoben, als ein »nach der neuesten Bau-Kunst errichtetes Lust-Hauß, woran der berühmte Baumeister Schlüter / der es zu Nachahmung der schönen Italiänischen Lust-Häuser in Frescati angeleget / seine Kunst sehen lassen, und der Welt zeigen wollen, daß man ohne eine gewisse Ordnung zu erwehlen, dennoch alles was in der Architectur annehmlich ist, anbringen könne«. 23

237 Zit. aus Wendland 1979, S.72; Lorenz 1993, S. 163.

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zum einflußreichen

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13. Ausschnitt aus d e m Berlin-Plan von Schmettau von 1748.

Kamekes aufwendige und kostspielige Lebenshaltung führte später zu seinem Bankrott, so daß nach seinem Tod seine Erben das einstige Familienanwesen verkaufen mußten. 238 Mit dem Ankauf der Villa Kameke, vis-à-vis zum königlichen Monbijou, das auf der anderen Spreeseite lag, manifestierte Christian Ludwig Gotzkowsky eindrucksvoll seinen gesellschaftlichen Aufstieg und deutete seine Nähe zur königlichen Familie auch räumlich an. Bereits im Berlin-Plan von Schmettau aus dem Jahr 1748 wird das Anwesen als Kottskofsky Hauß betitelt (Abb. 13). Deutlich Iäßt sich der in französisch-barocker Manier angelegte Garten erkennen, der mit einem kleinen Heckentheater und einer Orangerie genügend Abwechslung bot. Kugelförmig geschnittene Bäume in weißen Trögen säumen das sich bis zur Spree hinziehende Parterre, das seitlich von geschnittenen Alleen umgrenzt ist. Ein mittleres Bassin, aus dem eine Fontäne hochschießt, bildete einen »wirkungsvollen Gegensatz zum träge dahinfließenden Fluß«.2i9 Zu beiden Seiten der Alleen befinden sich geometrisch geschnittene Bosketts, während sich auf der Westseite ein kleiner Nutzgarten anschloß. Dieser Ausschnitt aus dem Schmettau-Plan ist die einzige Ansicht, die aus der Zeit Christian Ludwig Gotzkowskys datiert. Eine 1779 entstandene Sepiazeichnung von Johann Carl Wilhelm Rosenberg (geb. 1737) zeigt die Gartenfassade des Landhauses von der gegenüberliegenden Spreeseite und gibt einen Eindruck der weitläufigen Anlage (Abb. 14). Im gleichen Jahr wurde das Gebäude von der Freimaurerloge Royal d'York de l'Amitie erworben, die mit einschneidenden Umbauten und Aufstockungen das Aussehen des Landhauses Kameke wesentlich veränderte.240 Einen Eindruck der Straßenfront gibt eine ebenfalls von

238 Vgl. Kameke 1982, S. 25. 239 Wendland 1979, S. 73. 240 1760 verkaufte Christian Ludwig Gotzkowsky das Haus mit Grundstück an den Bankier Merk; dieser veräußerte es 1773 weiter an den Kaufmann Quien. Uber die späteren Um- und Neubauten vgl. Creutz 1905; Koller 1927.

Β. Wege in die unternehmerische

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14. Johann Carl Wilhelm Rosenberg, Ansicht des Landhauses

Kameke von der

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Spree,

1779, Verbleib unbekannt.

15· Anonym, Straßenansicht

des Landhauses

Kameke,

19. Jh.,

Stockholm, Nationalmuseum, Kabinett der graphischen Handzeichnungen.

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einem anonymen Künstler gefertigte Radierung aus dem 19. Jahrhundert wieder (Abb. 15). Das während des Zweiten Weltkrieges stark zerstörte Gebäude wurde 1950 abgetragen und damit die letzten Spuren des einstigen Gotzkowskyschen Anwesen verwischt. Auch die gestiegene Reputation seines jüngeren Bruders Johann Ernst Gotzkowsky läßt sich im Ankauf repräsentativer Wohnstätten nachvollziehen. Am 15. Februar 1747 kaufte er von Charlotte von Knyphausen, Witwe des Kabinettsministers Friedrich Ernst Freiherr zu Inn- und Knyphausen (1678-1731) und früheren preußischen Gesandten in Paris, das dreigeschossige »zum Zwecke großer Gastgebereien und Festlichkeiten« eingerichtete Wohnhaus in der vornehmen Brüderstraße 13 für 14.000 Taler (Abb. 16).241 Bereits unter dem ersten Mieter, dem Generalkriegskommissar von Blaspiel, wurden die Räumlichkeiten mit «nach einem Barockmuster kunstvoll geschnitzten Treppengeländer« kostbar ausgestattet.242 Wie Melanie Mertens nachweisen konnte, entstand der Kernbau bereits 1670. Um 1709/10 erhielt das Gebäude mit aller Wahrscheinlichkeit durch Jean de Bodt (1670-1745) eine Aufstockung um eine dritte Etage sowie eine neue Fassadengestaltung.243 Uber die großzügig gestalteten Räumlichkeiten, über die Pracht vergangener Tage berichtet der Buchhändler und Verleger Friedrich Nicolai, der das Anwesen 1787 kaufte: »Das ganze Quergebäude war ehemals ein unermeßlich großer Tanzsaal gewesen. Darin war schon zu Gotzkowskys Zeit ein Zimmer von drei Fenstern abgeschlagen worden.«244 Ein noch vorhandener Grundriß aus dem Jahr 1789, vermutlich von dem Bau- und Maurermeister Friedrich Zelter, zeigt zwar schon die von Nicolai getätigten Umbauten, trotzdem lassen sich daran noch die großzügig ineinander übergehenden Raumfluchten, die Grundstücksausmaße und der malerische Innenhof erkennen. 245 Unter Nicolai wurde die Brüderstraße 13 zum Treffpunkt des gelehrten Berlin und zählte Georg Friedrich Hegel (1770-1831), Johann Gottfried Schadow (1764-1850) und Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) zu seinen Gästen. Nach Nicolais Tod gelangte das Haus in den Besitz seines Enkels, dem Buchhändler und Altertumsforscher Gustav Parthey (1798-1872), der es in seinen Jugenderinnerungen lebhaft beschrieb und Einblick in die großzügigen Verhältnisse gab, demnach »wurden aus einem einzigen Speisesaale 14 verschiedene Piècen gemacht. Dennoch blieben noch drei Säle übrig, für die Bibliothek, für die Musikauffuhrungen undfür die Geselligkeit«.246 Anhand des Kaufvertrages und der beigelegten Königlichen Concession für den Hoflieferanten Chr. Fr. Blume zur Anlegung einer Sammet-Fabrik in Berlin vom 14. Juli 1746 soll dieses Haus unter Gotzkowskys Ägide als Geschäftsadresse und zur Unterbringung der Samtfabrik gedient haben. Womöglich befanden sich in dem Gebäude auch Verkaufsräume, in denen die kostbaren Stoffe präsentiert wurden. 247 Laut den Berliner Adreßbüchern aus den Jahren 1757 bis 1767 soll Gotzkowsky vorwiegend im »Blumschen Erbenhaus« auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der Brüderstraße 28 ge-

241 Parthey 2 [ 1 9 5 7 ] , S . 2 0 f . 242 Friedel 1891, S.20; siehe auch Schachinger 1969, S.31f. 243 Vgl. Mertens 2003, S.450f.; Kuke 2002, S. 150. 244 Zit. nach Friedel 1891, S.24. Die Gebäudeausmaße lassen sich auch a n h a n d der enormen Versicherungssumme ablesen, die Gotzkowsky zahlte, vgl. LA Berlin, Rep. 180, Städtische Feuersozietät von Berlin, Acc 750, Bd. 260, fol. 44. 245 Vgl. Wendland 1979, S. 13, Abb.-Nr. 8. 246 Parthey 2 [1957], S. 21. 247 Vgl. Friedel 1891, S.21.

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wohnt haben. Nähere Hinweise hierüber haben sich nicht erhalten. 248 In Erinnerung an sein patriotisches Wirken während des Siebenjährigen Krieges wurde im 19. Jahrhundert irrtümlich im Erdgeschoß der Brüderstraße Nr. 29 eine bronzene Gedenktafel angebracht. 249 Eine weitaus wichtigere Rolle für Johann Ernst Gotzkowskys persönlichen und gesellschaftlichen Handlungsrahmen spielte das repräsentative Stadthaus in der Leipziger Straße Nr. 3. Das Gebäude hatte er im Zuge der Ubereignung der Simondschen Seidenfabrik im Jahr 1750 erhalten. Zwei Jahre später, am 29. Juli 1752, waren ihm von Friedrich II. die erblichen Rechte an dem lukrativen Bau übertragen worden. 250 Das vormalige Palais Groeben war zwischen 1735 und 1738 von Philipp Gerlach (1679-1748), einem Schüler Jean de Bodts, fur den Leutnant Joachim Heinrich von der Groeben errichtet worden. Der Bau sollte nicht nur die privaten Räumlichkeiten, sondern auch eine Barbier- und Badestube sowie einen Materialladen umfassen. Da sich jedoch keine Mieter für die gewerblichen Nutzflächen fanden, gleichzeitig aber die Kosten für die Bauten ins Unermeßliche stiegen, sah sich Groeben gezwungen, das Gebäude durch zwei Lotterien versteigern zu lassen. 1742 gelangte das Haus in den Besitz des Weinhändlers Dietrich Ludolph Netler aus dem westfälischen Hamm. Laut Mertens veräußerte er das Gebäude noch im gleichen Jahr an die königliche Kommerziell- und Manufakturkommission. Hierüber soll das Palais zu einem unbekannten Zeitpunkt in den Besitz der Familie Blume gelangt sein.251 Die andere und wahrscheinlichere Variante über die unübersichtlichen Besitzverhältnisse des Palais Groeben besagt, daß der Weinhändler Netler das Palais am 17. Dezember 1746 an Friedrich II. für 6.000 Taler verkaufte. Dieser brachte in dem Gebäude eine Seidenmanufaktur unter, die erst von dem aus Frankreich abgeworbenen Antoine Simond, ab 1750 von Gotzkowsky geleitet wurde. 252 Durch alte Fotografien der Straßenfront und einem Grundriß, der aus dem 19. Jahrhundert datiert, lassen sich die Fassade und die innere Ausgestaltung zur Zeit Gotzkowskys ansatzweise rekonstruieren (Abb. 17+18). Die langgestreckte und wohlgegliederte Straßenfront war in drei Bereiche unterteilt: in einen mittleren vorspringenden, neunachsigen Corps de logis, der sich mit seinem Walmdach pavillonartig von denen mit einem Satteldach gedeckten Seitenbauten abhob. Dieser Mittelbau wurde durch einen Balkon im Obergeschoß repräsentativ gesteigert. Mit einem schmalen Dreiecksgiebel versehen, der durch ionische Pilasterpaare gestützt wird, kommt dem Corps de Logis als eigentlichem Wohnhaus eine herausragende Stellung zu. Die seitlichen, im 19. Jahrhundert aufgestockten Arrièrecorps wurden als Durchfahrten zum Hof genutzt. Die auf dem Foto erkennbare Fensterverdachung des ersten Obergeschosses läßt sich ebenfalls auf einen Umbau im 19. Jahrhundert zurückführen. Anhand eines Grundrisses von 1825 mit Einblick in das Souterrain, dem Erd- und Obergeschoß lassen sich die großzügig gestalteten Räumlichkeiten erkennen. Von zeitgenössischen Quellen ausgehend, beherbergte dieses Gotz-

248 » B r ü d e r s t r a ß e , Kaufmann Hr. Christians Friedrich Blumens, Hoflieverantes und Posamentiers Erben, wohnen in der Brüderstraße in ihrem Hause, und besorget die Lieferung der Hof Lieferant Hr. Blume und der Kaufmann Hr. Gotzkowsky, wohnen daselbst. « Das Haus kaufte Gotzkowsky jedoch erst am 29. Dezember 1761 den Blumschen Miterben ab, vgl. Baer 1986, S. 18; Fidicin 1843, S. 130. 249 Vgl. Müller-Bohn 1897, S. 113, Nr. 32. 250 Siehe Martin 1989, S. 172. Das verlängerte Straßenstück zwischen Mauerstraße und Leipziger Platz hieß früher Potsdamer Straße. Zwischen 1773 und 1778 wurde dieser Teil offiziell in Leipziger Straße umbenannt. 251 Mertens 2003, S.388ff. 252 Metzel 1900, S. 19ff.

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1710-1756: Vom Galanteriewarenhändler

zum einflußreicben

Manufakturisten

16. B r ü d e r s t r a ß e Nr. 13, N i c o l a i h a u s , A u f n a h m e von

17. Das Alte H e r r e n h a u s in der Leipziger Straße Nr. 3,

F. Albert Schwartz, 1875-

A u f n a h r a e von F. Albert S c h w a n z , 1 8 9 2 .

kowsky-Domizil auch dessen Gemäldesammlung, so daß sich eine nähere Betrachtung lohnt. Im Obergeschoß befanden sich vier gleichgroße Zimmer der Straßenseite zugewandt, dahinter lag ein großzügiger Saal, der für repräsentative Zwecke genutzt wurde. Diesem Schloß sich ein nicht minder eindrucksvolles Treppenhaus an. Im rückwärtigen rechten Trakt lag den Beschriftungen nach eine Küche. In der Bei Etage befand sich laut Mertens der fünfachsige Fest- und Tanzsaal, dem sich zur Gartenseite ein ebenso repräsentativer Saal anschloß, der vermutlich als Speisesaal genutzt wurde. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch, daß sich in einem dieser Räumlichkeiten die Gotzkowskysche Bildersammlung befand, die in die Repräsentationsräume eingebunden war. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Inneneinrichtung prächtig-verschwenderisch war und mit erlesenen Kostbarkeiten aus Gotzkowskys Seiden- und Samtmanufakturen sowie seinem Porzellanhandel ausgestattet war. An das Haupthaus angrenzend befand sich ein großer Innenhof, der von eingeschossigen Gebäuden umgeben war. In einem der Seitengebäude war die Seidenmanufaktur untergebracht, mit ausreichend Platz für die aus Lyon angeworbenen Fachkräfte und deren Familien. Dem Palais angegliedert war ein großer Garten, der sich bis an das Palais Vernezobre, dem späteren Prinz Albrecht Palais, hinzog. Dieser Garten, der 1761 durch den Ankauf des Grundstücks des Gärtners Daniel Richard noch erweitert wurde, war einer der Treffpunkte der Berliner Hofgesellschaft und dem zu Reichtum und Einfluß gelangten Bürgertum. Der parkähnliche Garten mit einem großen Gartenhaus bot genügend Raum für prunkvolle Gesellschaften als auch die Möglichkeit des privaten Rückzuges, um in der weitläufigen Anlage zu lustwandeln. Friedrich II. und seine Brüder waren häufige Gäste, ebenso Prinzessin Amalie und die Gattin des Prinzen Heinrich, Wilhelmine von Hessen-Kassel (1726-1808), deren Tagebücher eine wichtige Quelle hierfür sind: »La princesse de Darmstadt nous a donné à souper dans lejardin du jeune Gotzkowski, où j'ai vu faire des étoffes, la fabrique étant dans la même maison,«233 Auch in den Tagebüchern des Grafen Ernst Ahasve-

253 Zit. aus Berner/Volz 1908, S. 34, 25. Juni 1757. Die Prinzessin erwähnt in ihren Aufzeichnungen weitere Essen, die im Garten des älteren Gotzkowsky stattfanden: »Cependant la princesse Amélie nous avait invité à un souper dans le jardin du vieux Gotzkowski«, zit. ebd., S. 34, 24. Juni 1756 sowie S. 89f.

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Selbständigkeit

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18. Anonym, Leipziger Straße Nr. 3, Souterrain, Erd- und Obergeschoß, 1825, Landesarchiv Berlin.

rus Heinrich von Lehndorff (1727-1811), Kammerherr der Königin Elisabeth Christine von Preußen, findet dieses Treffen Erwähnung: »Abends soupieren wir im Garten des jungen Gotzkowski. Frau Prinzessin von Darmstadt gibt das Fest. [...] Sonst ist alles bei bester Laune, zumal das Wetter ebenso schön ist wie der Ort, wo das Fest stattfindet.«1'''1 Noch 1779 beschrieb Nicolai den Garten wie folgt: »/» demselben sind zwey große Salons von hohen Kastanienbäumen und ein angenehmes Labyrinth zu

254 Zit. aus Schmidt-Lotzen, Nachträge (1910), Bd. 1, S. 115f., 25. Juni 1757. Zuvor notierte Lehndorff: »Ich gehe abends mit der kleinen Marscball im Gotzkowskyschen

Garten einen Augenblick spazieren«, zit. ebd. 1907, S. 154, 13.

Mai 1754. U n d einige Monate später schrieb er: »Ich gehe zur Beichte und mache nachher im Garten

Gotzkowskis

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finden. In diesem Garten und in dem an der Ecke des Achtecks liegenden zweyten Gotskowskischen Garten werden die vortreflichsten Sorten von Erdbeeren in großer Menge gezogen.«1'''' Den Beschreibungen nach, war Gotzkowskys Anwesen »Sammelpunkt der eleganten Welt der Berliner während der Kriegsjahre, die sich hier t r i f f t , um die neu eingetroffenen Bilder [...] zu betrachten und sich in dem parkartigen Garten zu ergehen.«2% Nach Gotzkowskys Tod wurde das Anwesen von dem Kammerherrn Carl Friedrich I. Baron von der Recke erworben. 1825 gelangte das Grundstück in den Besitz von Abraham Mendelssohn-Bartholdy (1776-1835), Sohn von Moses Mendelssohn (1729-1786), der das altehrwürdige Palais wieder zum Treffpunkt von Kunst und Wissenschaft machte.257 Eine Vorstellung über die Ausmaße und Pracht der Anlage liefert Sebastian Hensel (1830-1898), ein Urenkel Moses Mendelssohns, der das herrschaftliche Anwesen mit Liebe zum Detail beschrieb: »Im Jahre 1825 trat ein Ereigniss ein, das auf die Entwicklung der Kinder, auf die ganze Gestaltung des Lebens der Familie auf Generationen hinaus vom bestimmendsten Einfluß werden sollte [...]: Grossvater kaufte das schöne Grundstück Leipziger Strasse No. 3. [...] Die Straßenfront des Hauses ist noch dieselbe wie damals. Die Räume darin waren stattlich, gross und hoch mit jener angenehmen Raumverschwendung gebaut, die in den Zeiten der hohen Grundstückspreise den Architekten fast ganz abhanden gekommen und für deren Werth kaum mehr das Verständniss - oder die Mittel - vorhanden zu sein scheinen. Namentlich war ein Zimmer nach dem Hof hinaus mit einem daranstossenden, durch drei grosse Bogen damit verbundenen Kabinet wunderschön und zu Theatervorstellungen wie geschaffen. [...] Man hatte aus den Fenstern desselben die Aussicht auf den sehr grossen Hof, umgeben von niedrigen Seitengebäuden und geschlossen durch die einstöckige Gartenwohnung, über welche hinweg die Kronen der hohen Bäume ragten. Diese Gartenwohnung hatten meine Eltern von ihrer Verheirathung ab inne. Sie ist jetzt niedergerissen und hat dem Sitzungssaal des Herrenhauses Platz gemacht [...]. Das Schönste an der Gartenwohnung war der grosse, in der Mitte gelegene Saal. Derselbe fasste mehrere hundert Menschen und bestand nach dem Garten zu aus lauter zurückschiebbaren Glaswänden mit Säulen dazwischen, sodass er in eine ganz offene Säulenhalle zu verwandeln war. Wände und Decken, letztere eine flache Kuppel bildend, waren in etwas barocker aber phantastischer Weise mit Frescobildern geziert. Hier war das eigentliche Lokal, wo die Sonntagsmusiken ihre volle Ausdehnung gewinnen sollten. Man genoss aus ihm den Ueberblick über den 7 Morgen grossen, parkartigen Garten, der bis an die Gärten des Prinzen Albrecht reichte und, ein Ueberrest des Thiergartens, der sich noch zu Friedrichs des Grossen Zeiten bis hierher erstreckt hatte.«258

einen Spaziergang mit dem Marquis d'Ärgens«, zit. ebd., S. 136, 3. September 1757. Lehndorff war 1746 nach Berlin gekommen, wo er von Friedrich II. zum Legationsrat und 1748 zum Kammerherrn seiner Gemahlin ernannt wurde. 255 Zit. aus W e n d l a n d 1979, S . 9 4 . 256 Skalweit 1937, S. 20. 257 Alexander von Humboldt ( 1 7 6 9 - 1 8 5 9 ) führte in dem im Garten befindlichen »eisenfreien Haus< seine Messungen zum Erdmagnetismus durch. Im Gartenhaus selbst lebte u n d arbeitete der mit Fanny Mendelssohn ( 1 8 0 5 - 1 8 4 7 ) verheiratete Maler W i l h e l m Hensel (1794—1861). Der Legende nach komponierte unter einer der beiden, durch Theodor Fontane ( 1 8 1 9 - 1 8 9 8 ) berühmt gewordenen großen Eiben, Felix Mendelssohn-Bartholdy ( 1 8 0 9 - 1 8 4 7 ) seine Ouvertüre zum Sommernachtstraum, 258 Hensel 1879, Bd. 1, S. 140ff.

vgl. Richter 1993, S . 4 6 f .

Β. Wege in die unternehmerische Selbständigkeit

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Nach Abraham Mendelssohns Tod verkauften seine Erben das Grundstück 1851 an den Fiskus, der dort nach einigen Umbauten das Interimslokal des Preußischen Herrenhauses unterbrachte. Das Vordergebäude blieb in seinen ursprünglichen Ausführungen bestehen, während im H o f ein umfangreicher Sitzungssaal gebaut wurde. 1898 ließ man das Palais Groeben für den Neubau des Preußischen Herrenhauses abbrechen, so daß sich nur noch anhand der ausführlichen Berichte die beeindruckenden Ausmaße des Palais Groeben im Besitz Gotzkowskys verdeutlichen lassen. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, daß Gotzkowsky 1761 auch das Nachbargrundstück, die Leipziger Straße Nr. 4 erwarb, wo er seine Porzellanmanufaktur unterbrachte. Auf dieses Gebäude wird in einem späteren Zusammenhang eingegangen. Fest steht: die Anwohner dieses vornehmsten Teils der Friedrichstadt waren »Teil der preußischen Elite, auf jeden Fall Persönlichkeiten von Adel oder auch aus dem gehobenen, wohlhabenden Bürgertum, die dem König besonders gedient hatten«,259 Spätestens mit dem Ankauf des Palais Groeben schien Johann Ernst Gotzkowsky in der Berliner Gesellschaft angekommen zu sein. Während des Siebenjährigen Krieges erwarb Gotzkowsky noch zwei weitere Gebäude, die jedoch nicht von ihm persönlich genutzt wurden, sondern eher aus Spekulationszwecken schnell erworben u n d genauso zügig wieder verkauft wurden. Hierbei handelte es sich um das kriegszerstörte Palais Butendach in der Friedrichsgracht 58, das von dem Hofbaumeister Michael Mathias Smidts ( 1 6 2 6 - 1 6 9 2 ) im Auftrag des kurfürstlichen Geheimkanzlisten Heinrich Butendach 1686 errichtet wurde. Ein von dem Veduten- und Landschaftszeichner Johann Stridbeck ( 1 6 4 0 - 1 7 1 6 ) gefertigter Prospect zu Cölln oberhalb der Spree an der Jungfernbrücke aus dem Jahr 1690 zeigt die prachtvolle, palladianische Elemente aufgreifende tempelartige Fassade, mit denen zum damaligen Zeitpunkt goldgefärbten, korinthischen Kolossalpilastern (Abb. 19). Mit dem angrenzenden Palais Lauer gehörte das Palais Butendach »zu einer stattlichen Gruppe tpalladianischen Palais, die an die Amsterdamer und Den Haager Privatarchitektur des mittleren 17. Jahrhunderts anschloßt.260 Gotzkowsky hatte das Gebäude, das über 28 Räume umfaßte, am 9. September 1761 von den Erben des bereits erwähnten Knyphausen erworben, um es nur wenige Wochen später, am 30. September 1761, an den Bankier Nikolaus Heinrich Willmann gewinnbringend zu verkaufen. Danach wurden tiefgreifende Umbauten im Innern als auch an der Fassade unternommen, so daß sich der ursprüngliche Zustand nicht mehr rekonstruieren läßt. 261 Ebenfalls von kurzer Dauer war Gotzkowskys Besitz des prächtigen Palais Marschall in der Wilhelmstraße 78, das er 1763 von Prinz Ferdinand erworben hatte. Im Zuge seines nahenden Bankrottes m u ß t e Gotzkowsky es einige Monate später wieder an diesen zurückverkaufen (Abb. 20). D a ß bereits 1871 abgebrochene Palais war u m 1735/36 von dem königlichen Baudirektor Philipp Gerlach (1679—1748) im Auftrag des Kriegsministers Samuel von Marschall (gest. 1749) entworfen worden. Auffällig waren nicht nur die blauen Dachsteine, die sich von den roten Ziegeldächern der umliegenden Bauten markant abhoben, sondern auch die 80 Meter lange Häuserfront entlang des Wilhelmplatzes mit einer ausladenden Karossenrampe. Diese führte direkt zum Eingangsportal des dreiachsigen Mittelrisalits. Hinter dem Palais erstreckte sich ein rie-

259 D e m p s 1994, S.24. 260 Mertens 2003, S. 375. 261 Vgl. Rudolph 1965, S. 112.

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1710—1756: Vom Galanteriewarenhändler

19. Johann Stridbeck d. J., Prospect zu Collen oberhalb

der Spree an der Jungfern-Brücke,

1690,

zum einflußreichen

Manufakturisten

20. Johann Georg Prinz, Coupe et Profil de la Maison

de Son Excellence Monsieur de Marschall, um 1740.

Staatsbibliothek zu Berlin.

siger Garten mit Orangenbäumchen und bunt angelegten Blumenbosketts, geräumigen Alleen und Rasenflächen, kleinen Fontänen, die von Skulpturen und Bänken gesäumt waren. 262 Die innere Ausstattung war nicht minder beeindruckend, wie der Querschnitt durch die Fassade des Palais verdeutlicht: von dem 90 Quadratmeter großen Speisesaal gelangte man über eine großzügige Terrasse in den Garten, während ein eindrucksvoller Festsaal und die sich daran anschließenden Audienzzimmer dem gesteigert-repräsentativen Anspruch des Bauherrn entsprachen. Für entsprechende Abwechslung sorgte ein Grottensaal mit Wasserspielen im Souterrain. Lediglich die privaten Räumlichkeiten im Obergeschoß dürften etwas bescheidener ausgefallen sein, obgleich die zahlreichen Zimmerfluchten mit mehreren Garderoben und Gästeappartements das großzügige Raumkonzept fortführten. 263 Aufgrund des prachtvollen Interieurs erstaunt es nicht, daß sich neben der Besitzerin, der Witwe Marschall auch Königin Elisabeth Christine für die Dauer ihrer Berlin-Aufenthalte in die Räumlichkeiten »einmieteten Nach dem Tode der Baronin Marschall im Jahr 1761 ging das Palais in den Besitz des Prinzen Ferdinand über, der es nach dem kurzen Gotzkowsky-Intermezzo 1764 an den Kabinettsminister Carl Wilhelm Graf Finck von Finckenstein ( 1 7 1 4 - 1 8 0 0 ) veräußerte. Zusammenfassend läßt sich anhand der aufgeführten Beispiele verdeutlichen, wie die Brüder Gotzkowsky mit ihren teils spektakulären Häuserankäufen die errungene wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung eindrucksvoll nach außen dokumentierten, um die nicht vorhandenen »dynastischen Defizite durch aufwendige Repräsentation« zu überspielen. 264 Gleichzeitig wurden die Räumlichkeiten zur Bühne ihrer zukünftigen Aktivitäten. Dem ausschließlich von Johann Ernst Gotzkowsky betriebenen Kunsthandel kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu, wie in den folgenden Kapiteln gezeigt werden soll.

262 Siehe Wendland 1979, S. 78, Nr. 82. 263 Vgl. Mertens 2003, S.413ff. 264 Ebd., S.9.

71

1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

A. Einfuhrung Anfang 1750 begann sich Johann Ernst Gotzkowsky auf einem weiteren Gebiet des Luxusgüterhandels hervorzutun: dem Erwerb und Verkauf von Gemälden. Ab welchem genauen Zeitpunkt er sich als Kunstagent betätigte, läßt sich nur noch rekonstruieren, da persönliche Dokumente, die diesbezüglich Einblick und Aufschluß geben könnten, nicht mehr vorhanden sind. Der erste datierbare Quellenhinweis, der Gotzkowsky als Kunsthändler nennt bzw. auf eine größere Ansammlung von Gemälden in seinem Besitz hinweist, ist eine Tagebuchnotiz des Grafen Lehndorff, den eine enge Freundschaft mit den drei Brüdern des preußischen Königs, den Prinzen August Wilhelm (1722-1758), Heinrich (1726-1802) und Ferdinand August (1730-1813), verband. Seine Tagebücher gelten daher als eine » Q u e l l e ersten Ranges für die Kenntnis des Berliner Hoflebens«,265 Am 24. Dezember 1753 vermerkte er: »Prinz Heinrich läßt mich rufen; ich muß mit ihm zum jungen Gotzkowsky gehen, wo wir Gemälde besehen,«266 Dieser Notiz läßt sich zwar nicht entnehmen, um welche Gemälde es sich handelte, der Zusatz -»zum jungen Gotzkowsky« ist jedoch ein wichtiger Hinweis, demnach Johann Ernst und nicht sein älterer Bruder Christian Ludwig mit dem Bilderhandel gemeint ist. Daß der jüngere Gotzkowsky zu diesem Zeitpunkt bereits über eine entsprechende Auswahl an Bildern verfügte, die es dem Prinzen Heinrich wert schien, begutachtet zu werden, wird durch folgende Quellenaussage gestützt. In dem von Matthias Oesterreich verfaßten dritten Gemäldekatalog über die Sammlung Gotzkowsky erwähnt dieser im Vorwort: »Les Tableaux dont on présente ici un Catalogue au Public, ont été ramassés avec le plus grand soin, depuis l'année 1750. qu'on a travaillé à cette collection, qu'on peut dire sans exagération être une des plus belles de l'Europe.«267 Anhand dieser Angabe läßt sich der Zeitraum der beginnenden Kunsthandelstätigkeit Gotzkowskys ab 1750 datieren. Ob diese Erwerbungen von vornherein aus rein merkantilen Gesichtspunkten geschahen oder sich dahinter eine auf Kenner-

265 Schmidt-Lötzen 1907, S. 1. 266 Zit. ebd., S. 128. 267 [Oe] 1766, S. A 2.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

schaft basierende Passion verbarg, soll als wichtiger Leitfaden im Vordergrund der Recherchen stehen, um Gotzkowskys Ankäufe besser beurteilen zu können. Wie den weiteren Tagebuchnotizen LehndorfFs zu entnehmen ist, begleitete er am 18. November 1754 Friedrich II. zu Gotzkowsky, u m Bilder zu betrachten: »Der König kommt und besichtigt bei Gotzkowsky ein Gemälde fir 10000 Taler. Er findet es abscheulich.«26* Chronologisch gesehen, fügt sich dieser Besuch in die verstärkt einsetzenden Bilderankäufe Friedrichs u n d seine Planungen zum Bau der Bildergalerie von Sanssouci. Einen Tag später äußerte sich über dieses Vorhaben der Freiherr von Bielfeld, als er über die kleine Galerie in Schloß Sanssouci bemerkte, diese sei »mit Gemälden vom Watteau, Lancret, Pater u n d andern geschickten Malern der französischen Schule behangen. Alles dieses ist auf den höchsten Grad schön u n d artig. Der einzige Fehler, welchen ich hieran finde, ist dieser, daß die Galerie ein wenig zu enge ist, u n d ich glaube fast, daß Se. Maj. einmal eine neue u n d weit geräumlichere Gallerie noch beyfügen, u n d selbige einer Sammlung der vortrefflichsten Stücke aus den verschiednen Schulen der italiänischen Malerey widmen wird«. 265 Bereits einige Monate zuvor hatte Friedrich II. seinen Kammerherrn Fredersdorff aufgefordert: »Schreibe doch an Metra nach paris: wenn dortn Inventaires werden, W ö h r Tablos verkaufet werden, ob von Tisiens, Paul Veronesse, Jourdans u n d Corege vohr Honete preise Kaufen Könnte: hübsche große >Tablau de galerie/-/ 7t/at/^>An.... Y ^etULÎlÊrJt-A&tfBL- . . .. I .Un. SitU VtäiKVXtx/tn) I ; ; . zjaTj7ss ¿Jj/juiMmí-

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27. Eigenhändiges Verzeichnis Friedrich II. über seine Schulden für Gemäldeankäufe.

halb kürzester Zeit Gemälde in einem dreifachen Wert an den preußischen König verkauft. Am Ende der Auflistung vermerkte Gotzkowsky, welche Summen bereits von Friedrich II. entrichtet wurden, nämlich 10.000 Taler am 23. Oktober 1755, 4.000 Taler am 9. Januar 1756 sowie 30.000 Taler am 5. Juli 1756. Die noch offenen Zahlungen beliefen sich auf 20.700 Taler. Dieser Betrag findet sich in einer handschriftlichen Aufstellung Friedrichs wieder, in der er seine Schulden für Kunstankäufe detailliert aufführt: »a Kotzkoffski le jeune. 20700 ecus pour des Tableaux fourni« (Abb. 27). 328 In der Verkaufsliste sind die meisten Gemälde nur mit dem Namen des Künstlers verzeichnet. Lediglich bei einigen Werken werden die Bildtitel aufgeführt, anonym bleiben fünfzehn Bilder. Trotz der meist spärlichen Angaben lassen sich einige Gemälde identifizieren. Für die Auswertung wurden die von Oesterreich verfaßten königlichen Sammlungsbeschreibungen aus den Jahren 1764, 1770 und 1773 sowie die Hängepläne der königlichen Schlösser aus einem Zeitraum von 1763 bis 1773 vergleichend herangezogen. Dadurch konnten der Reihenfolge nach folgende Gemälde identifiziert werden: Das für 800 Taler verkaufte »Tableau de Le Brun« läßt sich entweder mit Charles Le Bruns Heiligen Familie oder mit einem dem Umkreis Le Bruns

328 Zit. aus Seidel 1922, S. 168.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen

28. Domenico Tintoretto (?), Mars und Ceres als Winter und Sommer, ehem. Potsdam, N e u e K a m m e r n , seit 1 9 4 6 verschollen.

Berlin

29. Domenico Tintoretto (?), Mars und Ceres als Frühling und Herbst, ehem. Potsdam, Neue Kammern, seit 1946 verschollen.

zugeschriebenen Bild Minerva erbittet von Jupiter die Rückkehr des Odysseus identifizieren. Beide Bilder sind seit 1945 verschollen. 329 Bei denen am 6. Januar und 5. Februar verkauften Werken von Francesco Solimena handelt es sich womöglich um die beiden Werke Diana und Callisto und Gideon am Jordan, die heute als Kopien Solimenas im Vorrat des Neuen Palais aufbewahrt werden. 330 Fraglich bleibt die genaue Identifizierung der beiden im Januar 1756 verkauften Gemälde von Pierre Jacques Cazes: womöglich handelt es sich bei einem der Bilder um Die Entführung der Europa.m Bei denen am 23. Januar 1756 verkauften «deux Tableaux de Tintoretto« handelt es sich um die heute verschollenen Pendants von Domenico Tintoretto (1560-1635) Mars und Ceres als Winter und Sommer sowie Mars und Ceres als Frühling und Herbst (Abb. 28+29). Beide Bilder hingen nach 1768 in der zweiten Wohnung Friedrichs im Schloß Charlottenburg, wo sie von Oesterreich beschrieben wurden. 332 Das als »Un Dit de Paul Veronese« für 2.000 Taler verkaufte Gemälde ist identisch mit dem heute Sebastiano Ricci zugeschriebenen Gastmahl des Herodes (Abb. 30), das sich seit 1769 im Neuen Palais nachweisen läßt. 333 Bei dem für 1.200 Taler verkauften Bild Francesco Gessis handelt es sich um Circe in ihrem Palast, das nunmehr einem

329 O e 1773, Nr. 107, Nr. 117; vgl. auch Best.-Kat. Potsdam 2004, S. 204. 330 Bartoschek 1983, S.39, Nr. 96, Nr. 98. 331 O e 1773, Nr. 305. Jetzt im Neuen Palais, G K I 5645. 332 Ebd., Nr. 570, Nr. 585. 333 Ebd., Nr. 34. Während Eckardt das Bild einem unbekannten Meister des 18. Jahrhunderts zuschrieb, identifizierte Bartoschek das Werk in Anlehnung an Pallucchini als ein Gemälde Sebastiano Riccis, vgl. Eckardt 1975, S.70, Nr. 30; Bartoschek 1983, S.36, Nr. 34.

Α.

Einführung

93

30. Sebastiano Ricci, Das Gastmahl des Herodes, SPSG, Bildergalerie.

unbekannten Meister des 17. Jahrhunderts zugeschrieben wird und seit 1768 im Neuen Palais hängt (Abb. 31). 334 Das folgende Bild, »qui represente les Amours d'Apollon« läßt sich mit einem gleichnamigen Gemälde identifizieren, daß Gotzkowsky als ein Werk Hans Rottenhammers aus ehemals Dresdner Besitz erworben hatte. Im Bestand der königlichen Sammlungen läßt es sich mit dem Werk Thetis und Aurora identifizieren, das sich bis 1770 in der Bildergalerie befand, anschließend ins Neue Palais kam und seit 1828 nicht mehr nachweisbar ist.331 Die folgenden Bilderverkäufe von Carlo Maratta, van Dyck, Rembrandt, Le Sueur, Watteau und dem Chevalier van der Werff lassen sich aufgrund der häufigen Präsenz von Bildern dieser Künstler in den königlichen Schlössern als auch fehlender präziser Angaben nicht mehr identifizieren. Nicht näher zuordnen lassen sich auch die im April 1756 verkauften Bilder von Guido Reni. Die zuvor am 5. Februar 1756 verkauften Gemälde von »Crayer« und »Jacques Vaillant« sind identisch mit Caspar de Crayers Christus in Emmaus, das heute in der Berliner Gemäldegalerie hängt sowie Jacques Vaillants Susanna und die beiden Alten, das seit 1945 verschollen ist (Abb. 32). 336 Eindeutig zuschreiben läßt sich das am 30. Mai 1756 für 4.500 Taler verkaufte Bild »Rubens, ία Resurection de Christ«. Hierbei handelt es sich um das verschollene Gemälde Christus über Tod und Sünde triumphierend, das später der Rubens-Werkstatt zugeschrieben wurde (Abb. 33). 33

334 Oe 1773, Nr. 28. 335 Ders. 1764, Nr. 136, ders. 1773, Nr. 218. 336 Zu Crayers Bild vgl. Best.-Kat. Berlin 1996, S. 107 als Rubens-Umkreis; zu Vaillants Werk siehe Oe 1773, Nr. 183; Best.-Kat. Potsdam 2004, S. 550. 337 Oe 1764, Nr. 61 ; Henschel-Simon 1930, Nr. 99.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und. Kunstagent im friderizianiscben Berlin

31. Francesco Gessi, Circe,

32. Jacques Vaillant, Susanna und die beiden Alten,

S P S G , N e u e s Palais.

e h e m . P o t s d a m , N e u e s Palais, verschollen.

Das folgende Bild »Rubens, avec des Enfants« könnte mit dem Gemälde Jesus und Johannes der Täufer als Kinder übereinstimmen. Laut Eckardt handelt es sich hierbei um eine überarbeitete Werkstattwiederholung von Rubens nach einer um 1616 entstandenen Komposition. 338 Fraglich ist, ob es sich bei dem als »Rubens, La Susanne« verkauften Bild um die verschollene Skizze zu Rubens Susanna im Bade handelte, die von Oesterreich 1764 im Kabinett der Bildergalerie von Sanssouci erwähnt wird.339 Ein gleichnamiges Gemälde von Rubens wurde von Gotzkowsky zu einem späteren Zeitpunkt an Friedrich verkauft und ist mit dieser Skizze nicht zu verwechseln. Das im gleichen Zuge verkaufte Bild von »Le Moine« könnte mit der von Oesterreich im Bestand des Neuen Palais aufgeführten » Venus, eine schöne Figur, auf Leinewand durch Franz le Moine mit Kühnheit und einem guten Colorii gemahlet« identisch sein. Dieses Bild hing in den Räumen des Prinzen Heinrich. Seit 1828 ist es nicht mehr nachweisbar.340 Unter denjenigen Bildern, die am 11. Juni 1756 verkauft wurden, lassen sich folgende Werke identifizieren: das »grand Tableau de Guido« entspricht dem großformatigen Gemälde Europa und ihre Gespielinnen schmücken den Stier, das nunmehr dem Umkreis Guido Renis zugeschrieben wird (Farbtafel IV). Seit 1764 läßt es sich in der Bildergalerie nachweisen.341 Bei dem Bild

338 Vgl. Eckardt 1971, S.35, Nr. 51. 339 O e 1764, Nr. 57; SPSG Berlin-Brandenburg 1996, Nr. A 27. 340 O e 1773, Nr. 217; Bartoschek 1983, S.43, Nr. 217. 341 O e 1764, Nr. 28. Henschel-Simons Angabe, demnach das Bild aus der Sammlung des Grafen Plettenberg stammt, ist damit hinfällig, vgl. dies. 1930, Nr. 80.

Α.

33. Peter Paul Rubens-Werkstatt, Christus über Tod und Sünde triumphierend, um 1615. ehem. Potsdam, Bildergalerie, verschollen.

Einführung

95

34. Luca Giordano, Alpheios und Arethusa, ehem. Potsdam, Bildergalerie, verschollen.

»de Jordano« handelt es sich um das seit 1942 verschollene Gemälde Alpheois und Arethusa von Luca Giordano, das Gotzkowsky ebenfalls aus ehemals kurfürstlich-sächsischen Besitz angekauft hatte (Abb. 34). Auf diesen Transfer wird im anschließenden Kapitel eingegangen.' 12 Das als ein Gemälde von »Carl Lottin« verkaufte Werk ist vermutlich identisch mit Carl Loths Verlorenen Sohn, das Oesterreich 1773 in Schloß Charlottenburg 6^311™.·'''·' Ein als «van der Meulen« verkauftes Gemälde läßt sich in den Beständen des Neuen Palais ausmachen, wo es von Oesterreich beschrieben wurde: »Die Zuriickkunfi eines jungen englischen Prinzen von der Jagd, nebst seinem Gefolge. Man stehet, daß van der Meulen alles nach der Natur gemahlet hat.^w Dieses Bild wird heute als Werk eines flämischen Künstlers um 1700 unter dem Titel Rückkehr des Prinzen Jakob Eduard Stuart von der Jagd in der Großen Kammer des obersten Fürstenquartiers im Neuen Palais verwahrt. 341 Bei den beiden Gemälden von Andrea Celesti, die für 9.500 Taler an Friedrich verkauft wurden, handelt es sich um Loths Auszug aus Sodom und die Verstoßung der Hagar (Abb. 35). Beide Gemälde werden 1764 von Oesterreich erstmals in königlichem Besitz aufgeführt. Der Beschreibung nach wurden die fast gleichformatigen Bilder als Pendants gehängt, so daß sich vermuten läßt, daß diese auch als zusammenhängende Werke angekauft wurden.'·*6

342 Oe 1764, Nr. 45. 343 Ders. 1773, Nr. 593. 344 Ebd., Nr. 77. 345 Vgl. Bartoschek 1983, S.26, Nr. 189. 346 Oe 1764, Nr. 48; Nr. 49.

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1754—1763:

Gotzkowsky als Gemäldesammler

und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

35. Andrea Celesti, Die Verstoßung der Hagar, SPSG, Bildergalerie.

W e r t e n wir abschließend die Verkäufe Gotzkowskys an Friedrich II. aus, so kam dieser dem königlichen W u n s c h nach G e m ä l d e n des italienischen und flämischen B a r o c k m i t W e r k e n von T i n t o r e t t o , Veronese, Rubens, van D y c k , Reni und Andrea Celesti nach. M i t Charles Le B r u n und Le Sueur waren zwei wichtige M a l e r der akademischen R i c h t u n g Frankreichs vertreten. U n ter den Verkäufen lassen sich aber auch zahlreiche Bilder von Künstlern des 18. Jahrhunderts ausm a c h e n , wie die W e r k e von Cazes, Watteau, Maratta, G i o r d a n o , L e M o i n e und Adriaen van der W e r f f zeigen. D i e Sujets m i t biblischen und antikisierend-allegorischen Darstellungen verdeutlichen, wie sehr G o t z k o w s k y der königlichen Sammlungspolitik n a c h k a m . D i e G e m ä l d e waren j e d o c h nicht nur für die Bildergalerie bestimmt, sondern fanden auch in dem ab 1 7 6 3 erbauten Neuen Palais Verwendung. D a h e r läßt sich die Rolle Gotzkowskys als Kunstagent auch a u f die weiteren königlichen Bauten ausdehnen.

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Β. »und mußte ich dieserhalb fast durch ganz Europa correspondirent Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von Heineken Nachdem im vorigen Abschnitt der Bedeutung Gotzkowskys im Rahmen der Gemäldeankäufe für die Bildergalerie von Sanssouci nachgegangen wurde, soll in den folgenden Kapiteln geklärt werden, woher und über wen er die zahlreichen Kunstwerke erwarb? Anhand seines Nachlasses und den noch erhaltenen Korrespondenzen lassen sich keine nennenswerten Reisen für Gemäldeankäufe ausmachen. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß Gotzkowsky kaum als direkter Käufer auftrat, sondern wie er diesbezüglich in seinen Memoiren berichtete, »mußte ich dieserhalb fast durch ganz Europa correspondirent.?''1 Demnach verfügte Gotzkowsky über weitverzweigte Verbindungen zu Händlern, Sammlern und Agenten, die für ihn auf öffentlichen Auktionen, aus privaten Sammlungen oder über den expandierenden Kunsthandel bedeutende Gemälde erwarben. Doch wer waren diese schwer identifizierbaren Mittelsmänner? Welche Kontakte nutzten sie ihrerseits für die Ankäufe? Inwiefern beruhten die von den Agenten erworbenen Bilder auf profunder Kennerschaft oder waren gar Ausdruck ihres persönlichen Geschmacks? Am Beispiel einiger Gemälde, die Gotzkowsky im weitverzweigten Kunsthandel erwarb, soll diesen Fragen nachgegangen werden, um hierüber die Wanderwege der Bilder als Zeugnisse kultureller Wertschätzung zu entschlüsseln. Dabei soll Einblick in das feingesponnene Netzwerk aus Händlern, Sammlern und Agenten, ihrer Ankaufsmethoden und Zahlungsmodalitäten sowie der meist schwierigen Transportverhältnisse gegeben werden. Von zentraler Bedeutung für Gotzkowskys Kunsthandel und seine Bilderankäufe war der Dresdner Galerieinspektor Karl Heinrich von Heineken (1707-1791). In seiner Funktion als Intendant der kurfürstlichen Kunstsammlungen war Heineken sowohl für die Bilderankäufe August iii. als auch für diejenigen des Grafen Brühl verantwortlich. Ihm oblag der intensive Schriftverkehr mit denen in sächsischen Diensten stehenden Agenten, die Erstellung von Gutachten, die Taxierung der Gemälde sowie die Entscheidung über Ankauf oder Ablehnung eines Angebotes. Sein unmittelbarer Einfluß auf Gotzkowsky läßt sich ab 1755 durch den Verkauf von Alten Meistern aus ehemals kurfürstlichem Besitz sowie im umfangreichen Verkauf zeitgenössischer Kunstwerke aus seiner eigenen Sammlung belegen. Während des Siebenjährigen Krieges intensivierte sich die Verbindung zwischen Gotzkowsky und Heineken, die sich nicht mehr nur auf den Bilderhandel erstreckte, sondern auch auf teils dubiose Bankgeschäfte und riskante Wechselanleihen. Aufgrund des engen geschäftlichen und persönlichen Verhältnisses gelang es Gotzkowsky, über Heineken Zugang zu dem erfolgreich ausgebauten sächsischen Kunstagentennetz zu bekommen, um dieses für eigene Gemäldeankäufe, insbesondere aus Italien, zu nutzen. Hiermit wird eine grundlegende These aufgestellt, die sich wie ein roter Faden durch die vorliegende Arbeit ziehen wird, nämlich, daß ein Großteil der von Gotzkowsky getätigten Bilderankäufe direkt oder indirekt über den Dresdner Hof bzw. über die mit Heineken befreundeten Sammler und Händler erworben wurden. Demnach war Heineken eine Schlüsselfigur, der entscheidende Mittler für die umfangreichen Gemäldeankäufe Gotzkowskys auf dem eu-

347 [Gotzkowsky] 1768, S. 20.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler

und Kimstagent im friderizianischen

36. Augustin de Saint-Aubin, Carl Heinrich

Berlin

von Heineken, nach 1756,

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

ropäischen Kunstmarkt und den damit verbundenen Weiterverkäufen an Friedrich den Großen. Diese Tatsache ist in Anbetracht des angespannten preußisch-sächsischen Verhältnisses zwischen Friedrich II. und August III. sowie seinem Premier, Graf Brühl, äußerst frappierend und trägt teils humoristische Züge. Denn dem preußischen König dürfte nicht bewußt gewesen sein, daß ein Großteil der Gemälde, die er über Gotzkowsky erworben hatte, von Dresdner Provenienz waren. Auch Graf Brühl, der als Oberkämmerer die Bilderankäufe August III. finanziell regelte, hätte bei Bekanntwerden der diskreten Inanspruchnahme des sächsischen Agentennetzes durch einen preußischen Händler dieses umgehend unterbunden. Somit läßt sich gerade für jene Jahre, in denen sich Preußen und Sachsen im Siebenjährigen Krieg erbittert gegenüberstanden, auf kultureller Ebene ein äußerst fruchtbarer Transfer ausmachen, der eher einseitig gerichtet, von Dresden nach Berlin, zwischen Heineken und Gotzkowsky, durchgeführt wurde. Erst nach Beendigung des Krieges und des zeitgleichen Ablebens August III. und des Grafen Brühl sollte ein gegen Heineken gerichteter Prozeß mit dem Vorwurf, er habe kurfürstliche Gelder veruntreut, auch seinen Bilderhandel mit Gotzkowsky ans Licht bringen. Die umfangreichen Akten dieses langwierigen Prozesses haben sich noch weitestgehend erhalten. Bei der genauen Durchsicht der Quellenbestände und der darin aufgeführten kurfürstlichen Bilderlisten konnte im Vergleich zu Gotzkowskys Ankäufen erstmals der wahre Umfang des diskreten Handels aufgedeckt werden. In Ergänzung dazu hat sich ein umfangreicher Fragenkatalog an Heineken erhalten, die dieser während seines Prozesses ausführlich beantworten mußte. Anhand seiner Angaben läßt sich der Bildertransfer zwischen Dresden und Berlin rekonstruieren.

Β. Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von Heineken

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1. Heinekens Aufstieg am Dresdner H o f Karl Heinrich von Heineken wurde 1707 in Lübeck als Sohn des Architekten Paul Heineken ( 1 6 8 0 - 1 7 4 6 ) und der Malerin Catharina Elisabeth ( 1 6 8 3 - 1 7 5 7 ) geboren (Abb. 36). Schon frühzeitig trat er in die künstlerischen Fußstapfen seiner Eltern und beschäftigte sich bereits während seines Jura- und Literaturstudiums in Leipzig ausgiebig mit den Künsten, vor allem der Druckgraphik. Darüber hinaus stand er in engem Kontakt mit einigen Leipziger Kunstsammlern, die ihm Zutritt zu ihren Gemälde- und Naturalienkabinetten gewährten. Um 1730 zog Heineken nach Dresden, wo er als Lehrer und Erzieher im Hause des Dichters Johann Ulrich von König ( 1 6 8 8 - 1 7 4 4 ) sowie in den Familien der Grafen Renard und Löwendahl angestellt war. Es folgte die Hofmeisterstelle im Hause des einflußreichen Ministers Alexander Joseph Graf Sulkowski ( 1 6 9 5 - 1 7 6 2 ) . Nach dessen politischen Sturz durch seinen Kontrahenten, den Reichsgrafen Heinrich von Brühl, wechselte Heineken in dessen Dienste. Obwohl Brühl formell erst am 8. Dezember 1746 zum sächsischen Premier ernannt wurde, vereinte er nach Sulkowskis Abgang bereits die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Amter des Landes. Diese waren mit weitreichenden Vollmachten und hohen Einnahmen verbunden, darunter die Pachtung der königlich-polnischen Salzwerke, die zu den größten Salinen in Europa gehörten. Aufgrund seiner unumschränkten Befugnisse stieg Brühl zur mächtigsten und einflußreichsten Person im Umkreis August III. auf, der sich wiederum voll und ganz auf seinen Minister verließ, so daß die politischen Bestrebungen Sachsens maßgeblich von Brühl gelenkt wurden. 348 Wechselnde Bündnisse mit den europäischen Nachbarn in stetiger Gegnerschaft zu Preußen prägten Brühls Handeln und sollten das Land nach drei Kriegen in den finanziellen Bankrott und die außenpolitische Bedeutungslosigkeit manövrieren. 349 Doch bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges erlebte Dresden eine außerordentliche kulturelle Blüte. Neben dem König war es Brühl, der durch seinen aufwendigen Lebensstil, seine Prunk- und Prachtliebe, das künstlerische Leben in Dresden maßgeblich prägte, »die Verschwendung wurde zum Ausdruck seines persönlichen und politischen Status«.3,° Für die Errichtung und Ausstattung seiner Bauten konnte Brühl auf die besten Architekten und Künstler des Hofes zurückgreifen: »Was immer er baut, er baut es als leitender Minister - als Chef der Hofbeamten, zu denen auch etwa vierzig besoldete Maler und Kupferstecher gehören, als Chef der Exekutive und damit der Architekten, als Chef der Finanzen und damit als Verantwortlicher für die Staatsaufträge,

348 Brühl hatte sich innerhalb weniger Jahre vom Silberpagen (1720) und Kammerjunker (1727) zum Kämmerer (1730) und Geheimen Rat (1731) hochgedient und konnte beim Tode August II. bereits zahlreiche Funktionen vereinen. Mit viel Geschick gelang es ihm, unter August III. weiter aufzusteigen und seine Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Durch seine Hochzeit mit Franziska Maria Anna Gräfin von Kolowrat-Krakowsky (1717—1762) heiratete Brühl 1734 in eine einflußreiche Familie mit besten Kontakten nach Böhmen und an den Wiener Hof, vgl. Schmidt 1921; Boroviczény 1930; Fellmann 1990; Zumpe 1991; Vogel 2003. 349 Unter Brühl nahm die Ausbeutung des Staatsschatzes zu: von 1732 bis 1756 stieg die Verschuldung Sachsens von 5 auf 40 Millionen Taler, nach Kriegsende war das Land aufgrund hoher Kontributionszahlungen, arger Verwüstungen sowie der Stillegung der meisten Bergbaubetriebe nahezu Bankrott, vgl. Haake 1939, S. 248f. 350 Ulrich Pietsch, Das Schwanenservice 2000, S. 2 4 - 5 3 , S. 26.

— ein Hauptwerk

der barocken Meißener

Porzellankunst,

in: Ausst.-Kat. Dresden

100

1754-1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

als Chef der Lustbarkeiten und dadurch mit Aussicht auf Zuschüsse des Hofes.«351 Seit 1733 war er Leiter der Meissener Porzellan-Manufaktur, 1739 erfolgte die Ernennung zum Oberdirektor. Zu seinem Privileg gehörte das kostenlose Bestellen von Meissener Porzellan, was Brühl ausgiebig zu nutzen wußte. Kaendler trieb er zu Meisterleistungen an, wie das von Brühl in Anlehnung an seinen Namen mitkreierte Schwanenservice, das alles Bisherige in den Schatten stellte. Doch auch auf anderen Gebieten dokumentierte der Minister seinen errungenen Status, wozu der Aufbau einer umfangreichen Bibliothek und einer bedeutenden Sammlung an Gemälden, Kupferstichen und Zeichnungen gehörte. Hierbei sollte Karl Heinrich von Heineken eine wichtige Rolle spielen: Nachdem er 1739 im Hause Brühl als Bibliothekar angestellt wurde, konnte Heineken recht schnell das Vertrauen des Grafen gewinnen, der ihn zwei Jahre später zu seinem Privatsekretär machte. 1742 bekam Heineken zudem die Verwaltung der Brühischen Kassen, Güter und Manufakturen anvertraut und erlangte hierüber erste persönliche Kontakte zum Dresdner Hof. Im gleichen Jahr heiratete er auf Betreiben Brühls die Tochter des wohlhabenden königlichen Küchenmeisters Friederika Magdalena Nöller (1721-1790). Durch diese Verbindung gelangte Heineken in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens sowie dem Rittergut Altdöbern in der Niederlausitz.352 Auch Gotzkowsky sollte sich häufig in Altdöbern aufhalten, das während und nach dem Siebenjährigen Krieg Heinekens Lebensmittelpunkt bildete. In den kommenden Jahren verstand es Heineken sich als Kammerrat und Oberamtsrat nicht nur in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten bei Brühl unentbehrlich zu machen, sondern auch als Kunstsachverständiger die Aufmerksamkeit August III. auf sich zu lenken. Dieser hatte in jungen Jahren ausgiebige Bildungsreisen nach Italien und Frankreich unternommen und sich seitdem als leidenschaftlicher Sammler von Gemälden und Kupferstichen betätigt. Während sein Vater, August II. noch universell auf allen artifiziellen Gebieten gesammelt hatte, konzentrierte sich sein Nachfolger auf diese beiden Bereiche. Im Zentrum der Erwerbungen standen italienische Historienbilder der Hochrenaissance und des Barock sowie zeitgenössische Werke führender venezianischer Veduten- und Porträtmaler. 353 Ergänzt wurden diese Ankäufe durch Gemälde der flämischen, holländischen und französischen Schule des 17. Jahrhunderts. 354 Auf die museale Inszenierung der Bilder in dem aus der Renaissance stammenden Stallgebäude am Neumarkt, das Knöffel zwischen 1745 und 1747 umbaute, soll im folgenden nicht weiter eingegangen werden. 355

351 Fellmann 1990, S. 164. Neben seinen zahlreichen Besitztümern, zu denen das Lehngut Gangloffsömmern, die Herrschaften Pforten, Forst, Nischwitz, Lindenau, Oberlichtenau, die Güter Groschwitz, Weidlitz, Seiffersdorf und Zschepplin gehörten, wurde auch das Dresdner Stadtbild durch prachtvolle Bauten Brühls geprägt. Hierzu gehörten das Palais in der Augustusstraße mit den sich daran anschließenden Garten- und Gebäudeanlagen, der heutigen Brühischen Terrasse und das Teschen-Palais in der Friedrichsstadt. Ferner besaß Brühl eigene Manufakturen, die den Bedarf an Wolltüchern und Seidenstoffen, Tapeten und Möbeln für seine Anwesen deckten. 352 Vgl. hierzu Schmidt 1930, S. 75ff. 353 Vgl. Harald Marx, Barocke Malerei in Dresden, in: Ausst.-Kat. Leipzig 1985, S. 24-33; Löffler 1985; Harald Marx, Malerei im Königlichen Dresden, in: Ausst.-Kat. München 1990, S. 23-28; Ausst.-Kat. Dresden 1999. 354 Über den Ausbau der Kunstsammlungen unter August III. vgl. Rudolf-Hille 1956, S. 12ff.; Heres 1991, S. 98-125; Harald Marx, Die Kunst am Hof August III., in: Ausst.-Kat. Warschau 1997, S.348-351; Thomas W. Gaehtgens, Auguste II et Auguste III, des princes mécènes, in: Ausst.-Kat. Dijon 2001, S. 4 3 - 4 8 . 355 Vgl. Marx 1992; ders. 1996 (I); Gregor Weber, The Gallery as Work of Art. The Installation of the Italian Paintings in 1754, in: Ausst.-Kat. Columbus 1999, S. 183-197.

Β. Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von Heineken

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Denn im Zuge der groß angelegten Bilderankäufe ist für den weiteren Kontext eine andere Tatsache von Bedeutung: das weitreichende Netzwerk an diplomatischen Gesandten, Händlern und Sammlern, das im Auftrag des Hofes zahllose Kunstankäufe tätigte. Seit 1738/39 war Brühl in seiner Funktion als Oberkämmerer für die kurfürstlich-königlichen Kunstankäufe verantwortlich. Da er jedoch über keine weitreichenden Kenntnisse auf diesem Gebiet verfugte, übertrug er seinem Vertrauten Heineken die Aufgabe, sich intern um den Aufbau der königlichen als auch seiner eigenen Kunstsammlung zu kümmern, während er die Finanzen regelte. In den kommenden Jahren konnte sich Heineken durch seine empfohlenen Ankäufe als auch durch die Einrichtung der Brühischen Galerie profilieren. Als im Februar 1746 der königliche Leibarzt Johann Heinrich von Heucher verstarb und damit die Leitung des königlichen Kupferstichkabinetts vakant wurde, berief August III. per Dekret vom 26. Februar 1746 Heineken offiziell zu Heuchers Nachfolger, denn er war »längst durch seine künstlerische Sachkenntnis und die umsichtigen Bestrebungen für die Brühlschen Sammlungen zu einem fuhrenden Kunstgelehrten in Dresden geworden«.™ Zwar stand die kurfürstliche Bildergalerie unter der Leitung der Maler Pietro Guarienti (um 1700-1753) und Johann Gottfried Riedel (1691-1755), letzterer wurde 1752 zu ihrem ersten Inspektor gewählt, doch da alle Gemäldeankäufe durch Brühl autorisiert und unterzeichnet werden mußten, erhielt Heineken auch in diesen Bereich Einblick und gewann zunehmend an Einfluß. Seine Nähe zum Hof unterstrich Heineken dadurch, daß er nach seiner Berufung ein Haus am Taschenberg neben dem Zwinger bezog, von dem aus er sich einen Durchgang zum angrenzenden Kupferstichkabinett schlagen ließ. Seit seiner Ernennung zum Leiter des Cabinet des Estampes kümmerte sich Heineken sowohl um die Ordnung der bereits vorhandenen Bestände als auch um den intensiven Ausbau der Sammlung, die er innerhalb weniger Jahre von ursprünglich 49.111 Blätter auf 130.028 Stück erweiterte.357 Für seine Erwerbungen von Druckgraphiken, Stichen und Zeichnungen nutzte Heineken die weitreichenden Beziehungen des Dresdner Hofes. Die umfangreichen Briefwechsel verdeutlichen, daß er quer durch Europa mit diplomatischen Vertretern, Händlern, Sammlern und Künstlern in Rom, Venedig, Bologna und Florenz, Paris, Amsterdam, Madrid und Leipzig korrespondierte, um geeignete Kunstankäufe zu tätigen. Seit der Regierung August des Starken war das sächsische Agentennetz zunehmend ausgeformt, strukturiert und die Gesandten mit weiteren Vollmachten betraut worden. Diese beschränkten sich nicht mehr nur auf rein politisch-repräsentative Aufgaben, sondern beinhalteten auch den Ankauf von Kunstgegenständen.358 Die hierfür akkreditierten diplomatischen Vertreter verließen sich im Rahmen ihrer Erwerbungen wiederum auf das Urteil von Sammlern, Malern und Händlern, die die zum Ankauf beabsichtigten Kunstgegenstände in ihrer Authentizität und Provenienz

356 Dittrich 1991, S. 8. Das Dekret ist abgedruckt in Beick 1989, S.44. 357 Heineken verfolgte bei seinen Ankäufen ein wissenschaftliches, auf Vollständigkeit beruhendes Prinzip, das er nach Schlagwörtern in zwölf Klassen systematisch gliederte. Der Schwerpunkt der Ankäufe lag auf Radierungen von französischen, niederländischen und italienischen Künstlern, aber auch die deutsche Schule wurde mit über 11.000 Neuerwerbungen nicht vernachlässigt, vgl. Dittrich 1965. 358 Vgl. Posse [1937], S. I4ff. mit eingehenden Hinweisen über das sächsische Netzwerk aus Botschaftern und Gesandten, die sich im Kunsthandel betätigten; vgl. auch Weber 1994; Virginie Spenlé, Karl Heinrich von Hoym, ambassadeur de Saxe à Paris et amateur d'art, in: Ausst.-Kat. Dijon 2001, S. 1 4 3 - 1 4 8 ; dies., Der Monarch, seine Agenten und Experten. Institutionelle Mechanismen des Kunstankaufes unter August II. und August III., in: Marx 2005, S. 2 2 8 - 2 6 0 .

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

verifizierten. So wurden beispielsweise diejenigen Gemälde, die der in sächsischen Diensten stehende Agent Théodore Touissant Le Leu in Paris erwarb, zuvor vom Maler u n d Restaurator JeanBaptiste Slodtz ( 1 6 9 9 - 1 7 5 9 ) fachmännisch begutachtet. Slodtz Kennerschaft beruhte wiederum aus seiner engen Partnerschaft mit dem Pariser Auktionator Pierre Remy (1716/17—1796), in dem er häufig die zu verauktionierenden Gemälde restaurierte, damit diese profitabler versteigert werden konnten. Auch Remy wurde in die Ankaufspolitik des sächsischen Hofes miteinbezogen. Zusammen mit Le Leu spielt er für den folgenden Kontext noch eine wichtige Rolle. Faßt man die an den Kunsterwerbungen beteiligten Personen mit ihren Aufgaben zusammen, so verfügte der sächsische H o f über ein weitreichendes, einflußreiches u n d durch Kennerschaft geprägtes Netzwerk. Heinekens Briefwechsel mit dem in Paris ansässigen Pierre Jean Mariette ( 1 6 9 4 - 1 7 7 4 ) , dem Venezianer Antonio Maria Zanetti ( 1 6 8 0 - 1 7 6 7 ) u n d dem in Amsterdam lebenden H ä n d ler Pierre Yver (1712—1787) zeugen nicht nur von den mannigfachen Ankäufen, sondern auch von einer lebhaften, auf Kennerschaft basierenden Auseinandersetzung mit Druckgraphik und Gemälden. Die intensive wissenschaftliche Korrespondenz, die Zusendung fehlender Blätter u n d Bücher verdeutlicht den hohen Anspruch, der sich hinter den Ankäufen verbarg. 359 Nebenbei k ü m m e r t e sich Heineken um den Aufbau der Brühischen Sammlungen, besonders um die Erweiterung der Gemäldegalerie. Die Ankäufe Brühls unterschieden sich von denjenigen des Königs dadurch, daß der Premier hochkarätige Meisterwerke der holländischen u n d flämischen Schule bevorzugte, wie die zahlreichen Bilderankäufe von van Dyck, Rubens u n d Rembrandt belegen, die durch viele kleinformatige Kabinettstücke der Leidener Feinmaler und durch Schlachtenbilder Philips Wouwerman abgerundet wurden: »Daß die großformatigen Gemälde der italienischen Renaissance der königlichen Galerie vorbehalten blieben, ist wohl auch eine Folge der Marktlage u n d des speziellen Geschmacks des Premierministers u n d seines Intendanten; vielleicht aber sprach auch Rücksicht auf den Monarchen mit.« 360 Das Brühische Nachlaßverzeichnis führt insgesamt 844 Gemälde in einem Wert von 105.329 Talern auf, die nach Brühls Tode größtenteils von Katharina II. angekauft wurden. 361 Die Anzahl an Stichen u n d Zeichnungen belief sich auf insgesamt über 31.000 Stück, die in 300 große und 800 kleine Bände eingeheftet wurden u n d ebenfalls in den Besitz der russischen Zarin gelangten. Folgende Aussage Heinekens darf daher stark angezweifelt werden: »Ich hatte zwar die Gräflichen Collectiones alle formiret, ehe ich die Königlichen Gallerien zu dirigiren die Gnade erhielte; allein so bald ich in dieses Monarchen, der ein so großer Kenner u n d Liebhaber der Schildereyen u n d Kupferstiche war, Dienste trat, so hatte ich mit Einrichtung Seiner Gallerie so viel zu thun, daß ich an die Gräflichen Collectiones faßt nicht dencken

359 Vgl. Dittrich 1981 ; Marx 1979; ders., Carl Heinrich von Heineken et Pierre Jean Mariette, ou >áu plaisir de former des Amateurs et des Artistes!, in: Ausst-Kat. D i j o n 2001, S. 1 4 9 - 1 5 7 . 360 Heres 1991, S. 128; ders. 1997; Stübel 1924. 361 SächsHStA, 10079, Landesregierung, Loc. 30488, fol. 1 7 9 - 2 6 1 .

Β. Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von Heineken

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konnte, und habe ich außer des Rubens und van Dyck Wercken nichts weiter vor den Grafen fertigen können.« 362 Vielmehr erreichten die Brühischen Sammlungen unter Heinekens Leitung eine unglaubliche Dimension, die in einer viel zitierten Aussage Brühls gipfelte: »car la Gallerie est votre production et j'en ay que l'honneur, mais à vous appartient la gloire«.361 Heinekens Einfluß, seine wissenschaftliche Profilierung und Kunstkenntnisse führten mit Brühls Unterstützung dazu, daß ihm 1754, kurz vor Riedels Tod, auch die Leitung der kurfürstlichen Gemälde- und Antikensammlung übertragen wurde. Damit hielt Heineken fast alle Fäden des weitverzweigten, für den Dresdner Hof tätigen Kunsthandels zusammen. 364 Auch persönlich profitierte Heineken hiervon; denn seine Kontakte und seine im königlichen Auftrag unternommenen Reisen nach Holland (1750) und Frankreich (1754, 1761) nutzte er auch im Aufbau einer eigenen Gemäldesammlung vorwiegend zeitgenössischer Künstler. Nebenher begann er einen regen Kunsthandel zu treiben.

2. Heinekens Bilderhandel mit Gotzkowsky Die Leipziger Messe spielte eine wichtige Rolle für Heinekens Kunstankäufe, wo er Gemälde, Kupferstiche und Bücher für die kurfürstlichen und Brühischen Sammlungen als auch für sein eigenes Kabinett erwarb. Zu seinen bedeutenden Ankäufen zählte Rembrandts Ganymed in den Fängen des Adlers, das er 1751 in Leipzig erwarb.365 Es kann davon ausgegangen werden, daß während einer dieser Messe-Besuche erste Kontakte zu Gotzkowsky geknüpft wurden, der bekanntlich ein Gewölbe in Auerbachs Hof besaß und August III. als auch Brühl zu seinen besten Kunden zählen durfte. Erste Hinweise hierüber lassen sich für das Jahr 1748 ausmachen, als sich Brühl bei Heineken für den Ankauf von Kandelabern bei Gotzkowsky bedankt: »Je suis à la joye de mon coeur, que nous, avançons a Pfoerthen et que le meublement sera fini. Cela est fort bien que vous avès pris des chandeliers chez GotskofFsky; le prix en est assès raisonable.«366 Uber die einträglichen Lieferungen an Brühl lernte Gotzkowsky Heineken kennen, dessen einflußreiche Rolle im Kunsthandel ihm nicht verborgen blieb. Daher lag es nahe, daß Gotzkowsky den Leiter der kürstlichen Sammlungen in eigene Bilderankäufe involvierte, so daß Heineken fortan zwei konkurrierende Höfe diskret mit Kunstwerken belieferte. Schon kurz nach seiner Beauftra-

362 Zit. aus Schmidt 1921, S. 344. 363 Zit. ebd., S. 86, Nr. 21, Warschau, den 23. November 1748. 364 SächsHStA, 10026, Loc. 1407/2, fol. 241. Auch Heinekens Mutter war im Bilderhandel tätig, wodurch die Stellung ihres Sohnes durch eigene Vertrauenspersonen gestärkt wurde, vgl. Schmidt 1921, S. 66, Nr. 32. 365 SächsHStA, Cap. Vila, 8, Kriegsverlust 1945. Als Abschrift von Hans Posse im Archiv der SKD, Nachlaß Posse, Bd. 22, fol. 4: »von der Leipziger Michaely Meße 1751 bringet H. Inspector Riedel/Heinecken folgende Stücke anhero, [...] Rembrandt

(Ganymed als >Ganymedes als ein nackendes Kind wird von Jupiter so in Gestalt des Adlers ist, im

Him-

mel gezogen')«·, vgl. auch die detaillierten Messeausgaben in SächsHStA, 10025, Loc. 4525, Vol. IV B, fol. 6 4 - 6 5 . 366 Schmidt 1921, S. 82, Nr. 40, Warschau, den 24. Oktober 1748. Laut Schmidt soll Gotzkowsky der wichtigste Lieferant für die Ausstattung von Schloß Pforten gewesen sein, vgl. ebd., S. 292; S. 145.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

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gung durch Friedrich II. erwarb Gotzkowsky während der Leipziger Neujahrsmesse von 1755/56 und der Ostermesse von 1756 einige Gemälde bei Heineken, wie folgende Quittung dokumentiert (Abb. 37).367 Wertet man diese Liste aus, so lassen sich folgende Gemälde identifizieren: das als ein Werk des französischen Historienmalers Simon Vouet verkaufte Bild ist identisch mit der Darstellung der Heiligen Elisabeth, die Almosen verteilt (Abb. 38). Dieses Bild, das später dem Flamen Jan Cossiers zugeschrieben wurde, hing bis 1942 im Neuen Palais, wo es Oesterreich beschrieb.368 Das

367 SächsHStA, 10026, Loc. 1407/2, fol. 344. 368 Oe 1773, Nr. 124: Vouet. Die heilige Elisabeth, wie sie an die Armen Eyer austheilet, Figuren fast in natürlicher Größe, durch Simon Vouet aufLeinewand gemahlet.«

Β. Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von

Heineken

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38. Jan Cossiers, Die Heilige Elisabeth verteilt Almosen, ehem. Potsdam, Neues Palais, verschollen.

als Adam und Eva von Daniel Saiter verkaufte Bild ist identisch mit einem gleichnamigen Werk, das später einem unbekannten italienischen Maler des 17. Jahrhunderts zugeschrieben wurde und ebenfalls im Neuen Palais hing. 1943 verbrannte es im Leineschloß von Hannover. 369 Die weiteren Verkäufe sind hingegen identisch mit denen im vorigen Kapitel erwähnten Gemälden, die Gotzkowsky vor Kriegsausbruch an Friedrich II. verkauft hatte: Luca Giordanos Alpheios undArethusa (Abb. 34), Guido Renis Europa und ihre Gespielinnen schmücken den Stier (Farbtafel IV), das Sebastiano Ricci zugeschriebene Gastmahl des Herodes (Abb. 30), Francesco Gessis Circe in ihrem Palast (Abb. 31), das Pendant von Domenico Tintoretto mit Mars und Ceres als Winter und Sommer und Mars und Ceres als Frühling und Herbst (Abb. 28+29) sowie Hans Rottenhammers Thetis und Aurora. Während der Ostermesse 1757 leistete Gotzkowsky eine Anzahlung für die erworbenen Gemälde. 3 " Aufschlußreich sind die angegebenen Summen, zu denen Gotzkowsky die Bilder von Heineken erworben hatte, darunter das Gastmahl des Herodes fur 2.000 Taler, Gessis Circe für 600 Taler, das Pendant von Tintoretto für 1.000 Taler sowie Rottenhammers Apollo fur 800 Taler. Anhand der im vorigen Kapitel erwähnten Verkaufsliste wurden diese fünf Bilder von Gotzkowsky fur insgesamt 6.600 Taler an Friedrich II. weiterverkauft, so daß sich hieraus eine Gewinnspanne von einem Drittel ergibt. Der eigentliche Gewinner dieses Transfers war Heineken selbst, denn für die neun verkauften Bilder bezahlte ihm Gotzkowsky 7.900 Taler. Ursprünglich stammten die Gemälde aus dem kurfiirst-

369 Bartoschek 1983, S.43. 370 Vgl. SächsHStA, 10025, Loc. 4525, Vol. V, fol. 72-73: »Einnahmen zur Leipziger OsterMeß-Zahlungen 1757 [...]. Davon sind auf hohe Anordnung nachstehende Posten bezahlet worden: 7500 Thlr von den Kaufleuten Gotzkowski und Streckfuß, als: 6300 Thlr. / 1200 Thlr. auf Abschlag einer Rechnung von 3800 Thlr...

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Berlin

liehen Bildervorrat des Holländischen Palais in Dresden, aus dem Heineken insgesamt 132 Gemälde fur eine Gesamtsumme von ebenfalls 7.900 Taler erwarb, sprich fur die gleiche Summe, die er von Gotzkowsky für die neun Bilder verlangt hatte. Erst einige Jahre später sollte Heineken hierfür zur Rechenschaft gezogen werden, als ihm der Nachfolger August III., Kurfürst Friedrich Christian (1722-1763), die Veruntreuung von Geldern aus der kurfürstlichen Kasse und den eigenmächtigen Verkauf von Kunstwerken aus den königlichen Schlössern vorwarf. Am 27. Oktober 1763 wurde Heineken verhaftet und mußte zu folgender Anklageschrift Stellung beziehen, in wie weit er »in Königl. Cassen-Angelegenheiten directe oder indirecte concurriret? Wie er die Gräfl. Brühlische Revenue administriret? Wie er seinen Bilder und Kupferstichhandel getrieben? Und wie er so wohl überhaupt zu seinem ansehnlichen Vermögen gelanget, als ins besonderen sein Guth Alt-Döbern so gut und kostbar einrichten können?« 371 Kurz darauf wurde Heineken von der Leitung des Kupferstichkabinetts entbunden, die dem Legationsrat Christian Ludwig von Hagedorn (1712—1780) übertragen wurde. Doch schon wenige Wochen nach seiner Inthronisierung verstarb Kurfürst Friedrich Christian. Als Nachfolger wurde der unmündige Friedrich August (1750-1827) bestimmt, dessen Regierungsgeschäfte bis zu seiner Volljährigkeit 1768 von dem Prinzen Xaver von Sachsen (1730-1806) kommissarisch geleitet wurde. Ihm oblag auch die Führung des Prozesses gegen Heineken und den beiden anderen Privatsekretären Brühls, dem Geheimrat Peter Nikolaus Freiherr von Gartenberg (1714-1786) und dem Kammerrat Johann Hausius. Dem Prinzen zur Seite stand ein Regierungsapparat, der sich aus erbitterten Gegnern des verstorbenen Premiers zusammensetzte. Dies führte zu einer Verschärfung der Anklage, so daß der Prozeß sechs Jahre andauerte. Die Prozeßakten spielen insofern eine wichtige Rolle, da einer der zentralen Anklagepunkte Heinekens Bilderhandel mit Gotzkowsky war, vor allem, nachdem besagte Quittung über die neun nach Berlin verkauften Gemälde entdeckt wurde und zahlreiche Fragen aufwarf: »Es hat sich unter des Geheimen Cammerraths von Heinecken Papieren, beyliegendes abschriftliches Verzeichnis über 9. Stück Gemähide vorgefunden, die er an den Kaufmann Godzkowski in Berlin, für 7900 Thlr. in der Ostermeße 1756. verkaufet hat. Nunmehr bittet derselbe um die Aushändigung des Originals von seiner eignen Hand, welches bisher, in dem Churfürstlichen Kupferstich-Cabinet, verwahrlich aufbehalten worden ist, und giebt vor, daß es bloß eine Privat-Sache betreffe zu deren Beendigung, mit nur gedachten Godzkowski, er selbiges benötiget sey. [...] um so vielmehr, da die darinn gedachte Summe von 7900. Thlr. für 9. Stück verkaufte Bilder derjenigen vollkommen ähnlich ist, welche der Geh. Cammerrath von Heinecken für 132. aus dem Holländischen Palais ao. 1755 ihm verabfolgte Gemähide, nach einer unter höchsten Unterschrift, der Specification dieser Bilder angeschlossenen Quittung, bezahlet hat. [...] Dresden, den 18. Dec. 1764 Hofr. Bolza«372 Als Heineken über Anlaß und Umfang seiner Gemäldeverkäufe an Gotzkowsky befragt wurde, gab er zu Protokoll:

371 SächsHStA, 10026, Loc. 1407/2, fol. 31. Die Anklage datiert vom 1. November 1763. 372 Ebd., fol. 343—344, unterzeichnet von dem kursächsischen Hofbankier Josef Reichsgraf von Bolza ( 1 7 1 9 - 1 7 8 2 ) .

Β. Gotzkowskys Verbindungen zu Karl Heinrich von Heineken

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»Mit seinem Bilder-Handel in Berlin habe es folgende Bewandniß, nemlich daß er allen Orten, wo er gute Bilder zu finden gewußt, solche sowohl fail eingekauft und sie danach so theuer als möglich in Berlin verkauft, und zwar sey Kotzkovsky der Mann gewesen, der sie ihm abgekauft, und er weiß, daß der König von Preußen viele davon bekommen habe, wie er denn auch an anderen Orten desgleichen Bilderhandel getrieben, als in Paris, Holland, Italien.«3"3 Anhand dieser Aussage wird deutlich, daß Heineken als Zwischenhändler für Gotzkowsky fungierte und, wie er freimütig zugab, die Gemälde so teuer wie möglich nach Berlin verkaufte und »hiernächst durch meinen Berlinischen Bilder Handel und durch sonstigen Umtrieb meiner Gelder ein Ziemliches erworben«.374 Könnte diese Bemerkung als eine Anspielung auf die mangelnden Kunst- und Preiskenntnisse Gotzkowskys gewertet werden, die durch folgende Aussage Heinekens noch gesteigert wird - »daßsie bei einem halben Kenner vor etwas Erhebliches ausgegeben werden konnten«37' - so muß auch die Situation beachtet werden, in der Heineken diese Aussage zu Protokoll gab: nämlich in einem langwierigen Prozeß ohne Fürsprache seiner einstigen Gönner August III. und Graf Brühl, mit der Aussicht auf lebenslange Festungshaft, die wie ein Damoklesschwert über ihm schwebte. Bis ins Unerschöpfliche wurde sein Berliner Bilderhandel während des Prozesses behandelt. Noch Jahre später wurden einige Zeugen, darunter Johann Anton Riedel (1736-1816), Sohn des verstorbenen Galeriedirektors Johann Gottfried Riedel, und der ehemalige Galerie-Aufseher Carl Friedrich Schneider zu dieser Angelegenheit befragt. Daß dieser Prozeß eine gnadenlose Abrechnung der Justiz mit den Getreuen des Brühischen Regimes und dessen Mißwirtschaft war, sei nur am Rande vermerkt. Das nicht enden wollende juristische Vorgehen gegen Heineken, Gartenberg und Hausius beurteilte schon Georg Lehmann als »grelle Streiflichter auf die damaligen öffentlichen Zustände«? '' Lehmann hatte sich erstmals den Prozeßakten angenommen und versucht, durch eingehende Auswertung des umfangreichen Materials das in Verruf geratene Bild Heinekens zu rehabilitieren und dessen Leistungen als »der feinsinnigste Kenner und fleißigste Sammler und Kunstschriftsteller des 18. Jahrhunderts, der eigentliche Gründer, Mehrer und Ordner dieser Sammlungen« entsprechend zu würdigen.37 Doch gerade der Bilderhandel zwischen Gotzkowsky und Heineken wurde von Lehmann unzureichend ausgewertet, in dem er behauptete, daß »es sich hier allerdings um einen zwischen den Königen von Sachsen und Preußen abgeschlossenen Bilderkauf handeln könne, bei dem aber Heineken und Godskowsky lediglich die Vermittler abgegeben hätten« ,378 Daher haftet dem Verkauf noch bis heute ein diffuses und negatives Bild an: so verweisen die Bestandskataloge der Bildergalerie von Sanssouci bei der Provenienz einiger von Gotzkowsky an Friedrich II. verkauften Bilder darauf, diese seien »unter der Hand« aus Dresdner Besitz an den preußischen König verkauft worden.3 9 Bei genauerer Durchsicht der im Dresdener Staatsarchiv erhaltenen Akten läßt sich dieses Vorurteil,

373 SächsHStA, 10025, Loc. 4525, Vol. I V A , fol. 9. 374 SächsHStA, 10026, Loc. 1401/5, fol. 48. Im Laufe des Verfahrens bemerkte Heineken, daß ihm Gotzkowsky noch über 5.500 Taler »vor Schildereyen 375 Zit. aus Lehmann 1904, S. 281. 376 Ebd., S. 266. 377 Ebd., S. 264. 378 Ebd., S. 282. 379 Vgl. Eckardt 3 1986, S.42.

schuldig

war«, vgl. ebd., fol. 50.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

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7900. λ.. Die 1750 erfolgte päpstliche Proibizione della estrazione delle statue di marmo, o metallo, pitture, antichità e simili darf daher als Reaktion auf die zunehmenden Ausverkäufe privater und klerikaler Sammlungen ins Ausland bewertet werden. In Anlehnung an die bereits bestehenden Gesetze bestimmte die Breve, daß es jeder Person, gleich welchen Standes, Ranges oder Herkunft verboten war, aus Rom und Umgebung Antiken und Kunstwerke jeglicher Art ohne Lizenz auszuführen. 486 Die Objekte mußten zuvor dem Special Chirografo di Sua Santità gezeigt werden, moderne Werke hingegen dem Commissario sopra le Antichità, e Cave. Diese erstellten in Zusammenarbeit mit drei weiteren Gutachtern, die jeweils auf Gemälde, Skulpturen und Kunsthandwerk spezialisert waren, einen Bericht über Wert und Zustand des zur Ausfuhr beantragten Kunstwerkes. Diese Gutachten mußte wiederum dem Segretario, e Cancelliere della Reverenda Camera Apostolica zur Unterschrift vorgelegt werden, der als letzte Instanz über die endgültige Ausfuhr entschied. Kein geringerer als Winckelmann erfüllte diese exponierte Stellung als Oberaufseher aller Altertümer in und um Rom. 487 Lediglich zeitgenössische Werke, die weniger als 100 Scudi Wert waren, bekamen mit Zustimmung des Commissario eine kostenlose Lizenz erteilt.488 Wurde die Ausfuhr eines Kunstwerkes gestattet, mußte die zum Transport vor-

484 Zit. aus Pastor 1930, S.747. 485 Emiliani 1994, S.44; vgl. auch Clark 1966 (II), S. 138. 486 Vgl. Emiliani 1996, S. 76f.: »far'estrarre fuori di Roma, Distretto, e suo Territorio [...] alcuna di Statue, Figure, Bassirilievi, Colonne, Vasi, Alabastri, Agate, Diaspri, Amatiste, Frammenti,

Pili, Piedestalli, Iscrizioni, o altri Ornamenti,

ed altri marmi preziosi, Gioje, e Pietre lavorate, Dorsi, Teste, Fregi, Medaglie, Carnei, Corniole, Monete, o Intagli

voglia Pietra, ovvero Metallo, Oro, Argento di qualsivoglia materia antica, o moderna, ne meno Figure, Quadri,

qualsiPitture

antiche, o altre Opere in qualsivoglia cose scolpite, e dipinte, intagliate, comesse, lavorate, o in altro modo fatte, o che sieno state nuovamente

ritrovate in Cave, o sieno esistenti in Roma, o fuori di Roma, ovvero appresso qualsisia Persona, o in

qualsisia Luogo, senza Nostra licenza«. 487 ASR, C a m . I. diversorum: Camerlengo 676 (1763—1764), 488 Vgl. Emiliani 1996, S. 78.

fol. 41 mit der Ernennungsurkunde vom 11. April 1763.

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1754-1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

bereitete Kiste sofort mit dem Siegel des Camerlengo verplombt werden. Damit sollte verhindert werden, daß anstelle des begutachteten Bildes ein weitaus kostbareres Stück herausgeschmuggelt wurde. 48 ' Die im römischen Archivio di Stato aufbewahrten Ausfuhrprotokolle vermitteln einen lebhaften Eindruck in den Ablauf der Ausfuhrprozedur, deren eingehende Auswertung noch ein Desiderat ist. Anhand der Berichte läßt sich aufzeigen, daß sich die Genehmigungen vor allem danach richteten, inwieweit es sich bei dem Objekt um ein Original oder um eine Kopie, um ein Original mit modernen Ergänzungen, ein Werk eines zeitgenössischen Künstlers oder ein Werkstattbild handelte. Bei letzteren lag der Erfolg auf eine Ausfuhrerlaubnis deutlich höher. 490 Wie erwähnt, besaßen auswärtige Gesandte, kirchliche Würdenträger oder hochrangige Besucher Roms keine Immunität oder Sonderrechte bezüglich der Ausfuhr von Kunstwerken. Vor diesem Hintergrund erscheint es jedoch geradezu grotesk, daß ein Großteil der zur Ausfuhr deklarierten Kunstwerke angeblich immer nur Kopien oder Werke zeitgenössischer Künstler waren. Vielmehr gab es eine Schar guter Kopisten und diskreter Mittelsmänner, die durch hohe Bestechungsgelder bestärkt, die ungehinderte Ausfuhr der Originale vorbei am Camerlengo ebneten. Eines von zahllosen Beispielen ist der Verkauf von Nicolas Poussins Sieben Sakramenten aus dem Besitz der Familie Bonapaduli an den Herzog von Rutland. Der englische Kunstagent James Byres (1734-1817) hatte mehrfach versucht, den Zyklus auszuführen, was ihm jedoch von päpstlicher Seite untersagt wurde. Daher ließ Byres Kopien anfertigen, die schrittweise anstelle der Originale gehängt wurden. Die zum Verkauf bestimmten Originale wurden nunmehr vor dem Camerlengo als Kopien deklariert, der im sicheren Glauben daran die Ausfuhr genehmigte. Für £ 2.000 gelangten die Sieben Sakramente nach England, »one of the major coups of the eighteenth century«.m Auch der umfangreiche Antikenhandel von Thomas Jenkins (1722-1798), dessen Name in den Ausfuhrprotokollen selten auftaucht, zeigt, wie durchlässig die Gesetze waren. Mit einem weitverzweigten Netzwerk aus Mittelsmännern wurde Jenkins einer der erfolgreichsten Antikenund Gemäldehändler in Rom. Sein größter Coup war der Verkauf von Antiken aus der Sammlung Sixtus V. (1521-1590) aus der Villa Montalto-Negroni sowie Berninis Neptun und Triton, das sich heute im Victoria & Albert Museum befindet. Jenkins wußte seine Kennerschaft im

489 Die Gesetze wurden an allen Grenzen angeschlagen, u m »tutti i Custodi, ed altri Ministri delle Porte, ed altri Luoghi di passo, si per Terra, ehe per acqua, di non lasciar passare alcuna delle sudette robe, se non vedranno sopra le Casse, e Balle, o latri Involti, che le contengano, il predetto nostro sigillo, e se non sarà mostrata loro la nominata

nostra licenza per la

estrazione«, zit. ebd., S. 82. Wurde jemand bei der Ausfuhr von Kunstwerken erwischt, drohten die Konfiszierung der Waren, hohe Geldstrafen u n d die Amtsenthebung. 490 Als Beispiel sei ein Antrag des englischen Kunsthändlers Gavin Hamilton ( 1 7 2 3 - 1 7 9 8 ) zur Ausfuhr einer antiken Apollo-Statue genannt, die von dem römischen Bildhauer u n d Händler Bartolomeo Cavaceppi ( 1 7 1 6 - 1 7 9 9 ) überarbeitet worden war: »Gavino Hamilton

ore Umo del E V supplica umilmente per la facoltà di estraere da Roma

una Statua di Apollo con molte parti fatte modernamente

dal Sig.le Cavaceppi Scultore. Chef.« Es folgte eine Objekt-

beschreibung, die dem Camerlengo Ridolfino Venuti ( 1 7 0 5 - 1 7 6 3 ) vorgelegt wurde, der in diesem Fall die Ausfuhr genehmigte: »Atteso il sad.o attestato stimo che L. Emo e Rmò Sig.re Cardi. Valenti Cantarlo di S. Chiesa gli possa concedere la solita licenza questo di 3. 9bre ¡757. Ridolfino Venuti Comm.o dlle Antichità Antichità

e Belle Arti, Β 11, Fase. 280, fol. 6.

491 Ford 1974 (I), S.459; vgl. auch Green 2000, S. 15ff.

di Roma«, zit. aus ASR, C a m . II,

C. Gotzkowskys Ankäufe aus Florenz, Rom und Venedig

137

Bereich der antiken Skulptur sowie der Münz- und Gemmenkunde mit weniger seriösen Geschäftspraktiken und weitverzweigten Bankgeschäften zu nutzen, ohne daß ihm seitens der Kirche jemals etwas nachgewiesen werden konnte.492 Als ein weiteres Beispiel für die Durchlässigkeit der päpstlichen Gesetze mag auch der Verkauf der Sixtinischen Madonna nach Dresden gelten. Neben den Interventionen der Dauphine von Frankreich ist es besonders dem Geschick des sächsischen Kunstagenten Bianconi zu verdanken, daß der Ankauf glückte. Nicht zuletzt dürfte auch das ausgeklügelte Transportnetz zum Gelingen der Ausfuhr beigetragen haben, um das Gemälde vor den Zugriffen der Grenzzöllner zu bewahren.493 Wie sich anhand der Beispiele zeigen läßt, schafften es viele Händler, die Restriktionen zu umgehen, ein kleines Trinkgeld behob dabei so manche Schwierigkeit. Häufig war es sogar der Klerus selbst, der bei einer entsprechend hohen Summe und unter dem Deckmantel des Schweigens bedeutende Verkäufe aus eigenen Beständen forcierte. Eine höchst zweifelhafte Rolle spielte hierbei Kardinal Alessandro Albani, der aufgrund seiner einflußreichen Position zahlreiche Antikenverkäufe ins Ausland billigte, gar selbst initiierte, wie seine Angebote an den sächsischen Hof verdeutlichen.494 Ahnliche Beobachtungen konnte auch John Breval (um 1680-1738) während seiner Grand Tour machen: »The Ecclesiasticks indeed, and Nobility, (which last are generally exceeding poor) will always find ways to elude too strict an Enquiry from the >CameraLa Galleria de quadri del cardinal Silvio Valenti GonzagaWindeMO 1744< kopiert. Die in der linken Bildhälfte wiedergegebenen pittoresken Figuren sind dem von Giandomenico Tiepolo gemalten Bild Pulcinella und Saltimbanchi entlehnt. Uber sein künstlerisches Vorankommen berichtete Algarotti währenddessen dem Grafen Brühl Algarotti n a h m an, daß Oesterreich ein Neffe des Premiers war - als auch die gute Aufnahme, die Tiepolo dem kurfürstlichen Stipendiaten gewährte. 636 Seine künstlerischen Fortschritte stießen ebenfalls auf positive Resonanz, wie ein weiteres Schreiben Algarottis an Brühl belegt. 637

634 Oe 1763 (I), S. 18ff.: » Während meiner Anwesenheit in Venedig, da ich eben das Zeichnen bey diesem Tiepolo erlernte, hatte er die Ehre noch zwey Gemähide für Ihro Majestät den König von Pohlen, zu verfertigen. [... ] Ich habe niemahls, ob ich mich gleich eine geraume Zeit in dieses Meisters Hause aufgehalten, erfahren können, in welchem Jahre er eigentlich gebohren ist.« 635 Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1996; Ausst.-Kat. Cambridge 1996, S. 235ff.; Filippo Pedrocco, Giambattista Tiepolo e la sua bottega, in: Ausst.-Kat. Cavalese 2002, S. 3 1 - 3 3 . 636 »Monsieur Rien au Monde ne pouvait metre plus agreable, que l'occasion que vous voulez bien me procurer, Monsieur, de vous faire sentir le cas extreme, que J'ai fais d'une recommandation de votre part, et sur tout pour une personne qui vous touche de si près comme Monsieur votre Neveu. Ma maison, monsieur, auroit été a sa disposition, mais Mr. Minelli m'a prevenu en cela le voulant ainsi qu'il me l'a dit lui meme auprès de lui. Il est bien juste, Monsieur, que chacun s'empresse et se dispute l'honneur de vous servir. Je l'ai recommandé a Mr. Tiepolo comme la personne du monde a qui Je m'interesse le plus. Mr. Tiepolo est le meilleur Peintre de Venise, l'homme le plus aimable qu'on puisse souhaitter, et il a toute l'amitié imaginable pour moi. Il est engagé. Monsieur, a avoir tout le soin imaginable pour ses avancements dans la Peinture. Son fils même, qui dans un age assez tendre commence deja a marcher sur les traces du Pere le chérit comme son plus cher compagnon d'etude, et Je ne doute nullement que ses progrés dans la Peinture ne doivent reprondre aux excellentes dispositions, qu'il a, et qui ont encouragé infinement le maitre. Mgr. Le Comte s'interessant comme il fait Monsieur, pour Mr. votre Neveu fait voir plus que jamais combien il est Protecteur des Beaux Arts, et combien il mérité plus que jamais le nom de Mécene, nom qui est toujours melé a celui d'Auguste«, zit. aus Posse 1931, S. 64, Venedig, den 9. Januar 1744. 637 »Mr.: Votre Neveu dont vous trouvez cy dedans une incluse m'a fait voir en dernier lieu de ses desseins, qui marque bien le profit qu'il a fait dans ces etudes. Iljoint a ces talents naturels toute l'application et touts les soins que demande un Art aussi beau et aussi difficile qu'est la Peinture«, zit. ebd., S. 67.

D. Matthias Oesterreich, königlicher Galerieinspektor von Sanssouci

171

50. Matthias Oesterreich nach G . B . Tiepolo, Damenkopf mit Perlenkette,

51. Matthias Oesterreich nach G. B. Tiepolo, Frauenkopf und drei Narren am Kochtopf 1744, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,

1744, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

Kupferstich-Kabinett.

Neben seiner künstlerischen Ausbildung studierte Oesterreich eingehend die venezianische Malerei und besuchte zahlreiche Gemäldesammlungen und Kirchen. Tiepolos Empfehlungen und Fürsprachen dürften dabei so manche Tür zu einer privaten Galerie geöffnet haben, wie die zum Palazzo Labia. Seine Eindrücke verarbeitete Oesterreich später in seinen Katalogen, anhand derer sich ein Bild seiner vor Ort getätigten Studien machen läßt. 638 Wie lange er in Venedig verweilte, läßt sich nicht sagen. Fest steht, daß er aus der Lagunenstadt weiter nach Rom reiste, wo er sich nachweislich 1745/46 aufgehalten hat. Den kurfürstlichen Besoldungslisten nach, verfugte Oesterreich zu diesem Zeitpunkt über ein jährliches Stipendium von 240 Talern, das genauso hoch war, wie das Gehalt des sächsischen Hofmalers Stefano Torelli. 6 ' 9 Oesterreichs römischer Aufenthalt läßt sich anhand von Einträgen in den Pfarrbüchern von San Lorenzo in Lucina belegen, demnach er ein Zimmer in der Strada della Croce in Richtung des Corso besaß und dieses zusammen mit einem sächsischen Künstler namens Carlo Renar bewohnte. 640 Die Gegend zwischen dem Corso und der Piazza di Spagna war die bevorzugte Fremden- und Künstlergegend, in der sich viele deutsche Maler aufhielten. Allgemeiner Künstlertreff

638 Vgl. O e l 7 6 3 (II),S.5f.;ders. 1764, S. 5. 639 SächsHStA, 10026, Loc. 901/4, fol. 17, Reglement Derer Besoldungen, Penstonen, Kost., und anderer Gelder, welche von der Königl. Pohl und Churfiirstlich. Sachs. Ober-Cämmerey-Casse, von Iten Januar. 1746 an zu bezahlen sind, als·. »240 Thlr.: dem Mahler-Scholar, Mattheus Oesterreich, so lange sich demselben in Italien befindet.« 640 ASVR, S. Lorenzo in Lucina, 114, Stati delle Anime, 1746, fol. 30: "Stra della Croce verso il Corso, dal 3. 3te: [...] Carlo Renar Pitt.e Sassone, Matteo Oestreich Pitt.e, Sig: Gasparo Anto Can.co Radermacher, Sig: Gio: Giacomo filo, Pro Pto Bari Ser.e.«

172

1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler

und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

52. Georg Christian Kilian nach G. C . von Prenner,

Matthias Oesterreich im Alter von 21 Jahren in Rom 1747, Potsdam-Museum.

war das Caffé Inglese an der Piazza di Spagna, in dem sicherlich auch Oesterreich verkehrte und Kontakte zu anderen Künstlern Schloß. Ein Beweis hierfür ist die von 1747 datierte Zeichnung des Malers und Kupferstechers Georg Caspar von Prenner (um 1720-1766), die 1773 von Georg Christoph Kilian (1709-1781) reproduziert wurde (Abb. 52). Prenner war um 1745/46 von Wien nach Rom gekommen und wohnte in der Via Condotti in der Nähe des Corsos.641 Sein Porträt von Oesterreich zeigt diesen vor einer nicht näher identifizierbaren Bergkulisse. Womöglich handelt es sich bei dem im Hintergrund kegelförmig aufragenden, feuerspeienden Vulkan um den Vesuv. Diese Vermutung bezieht sich auf eine Aussage Oesterreichs, demnach er 1746 nach Neapel weitergereist war: »Dieses Blatt ist im Jahre 1746, als ich mich eben zu Neapel aufhielt in dem Herculaneum gefunden worden. [...] Der König von beyden Sicilien, jetziger König von Spanien, hatte damit an den Graf von Brühl, [...] ein Präsent gemacht.«642 Diese beiläufige Bemerkung liefert zwei wichtige Hinweise. Demnach scheint Oesterreich sich nicht nur für einige Zeit in Neapel aufgehalten, sondern auch in direktem Kontakt mit dem königlichen Hof von Neapel gestanden zu haben. Seine dortige Protegierung dürfte nicht zuletzt auf die Tochter August III., Maria Amalia Christine (1724-1760), zurückzuführen sein, die seit 1738 mit Carlo IV., König von Neapel und Sizilien (1717-1788), verheiratet war. Oesterreichs

641 Vgl. ebd., fol. 17: »Volta Strà Condotti

verso il Corso: Giorgio

Gasp.o de Breuer Pitt.e.«

Den Einwohnerbüchern nach

läßt er sich dort bis 1750 nachweisen, bis er anschließend nach St. Petersburg reiste, während Oesterreich bereits ab 1747 nicht mehr in den Registern verzeichnet ist, vgl. ASVR, S. Lorenzo in Lucina, 115, St. d'An (1747), fol. 18; ASVR, S. Lorenzo in Lucina, 116, St. d'An (1748), fol. 16; ASVR, S. Lorenzo in Lucina, 118, St. d'An (1750), fol. 20. 642 Oe 1775 (II), S. 65.

D. Matthias Oesterreich, königlicher Galerieinspektor von Sanssouci

173

Ausführungen nach, sollte er Gastgeschenke an den kurfürstlich-sächsischen Hof weiterleiten. Inwiefern er aus Dresden gezielt beauftragt worden war, die ab 1738 erfolgten Ausgrabungen von Herculaneum und die ab 1748 einsetzenden Funde von Pompeji zu verfolgen, um dadurch bedeutende Stücke für die Dresdner Antikensammlung zu sichern, läßt sich nicht belegen. Es würde jedoch Sinn machen, wenn sich Oesterreich vor Ort um Informationen bemühte, denn von neapolitanischer Seite aus galt für die Entdeckungen höchste Geheimhaltung. 643 Daß Oesterreichs Interesse an den Ausgrabungen von Neapel und Tivoli sowie den römischen Antikensammlungen auffällig hoch war, verdeutlichen seine Eindrücke, die er in seiner 1775 erschienenen Beschreibung und Erklärung der Grupen, Statuen, ganzen und halben Brust=Stücke, Basreliefs, Urnen und Vasen von Marmor, Bronze und Bley festhielt. Wie lang sich Oesterreich in Neapel aufhielt, läßt sich nicht sagen, 1748 ist er wieder in Rom nachweisbar, wo er einige Zeichnungen nach Raphaels Disputà in den Stanzen des Vatikans fertigte.644 Im gleichen Jahr wurden ihm weitere 240 Taler aus der Oberkämmerei-Kasse überwiesen: »dem Mahler-Scholar Mattheaus Osterreich solange er sich in Italien befindet«.645 Neben seinem Gemäldestudium versuchte sich Oesterreich weiter auf dem Gebiet der Graphik zu vervollkommnen und knüpfte enge Beziehungen zu dem römischen Maler und Kupferstecher Pier Leone Ghezzi (1674-1755). Dieser pflegte seit vielen Jahren enge Kontakte zum Dresdner Hof, für den er sich zeitweise als Kunstagent betätigte und 1728 maßgeblich am Verkauf einiger Statuen aus der Sammlung Chigi involviert war.646 Im gleichen Zeitraum, als sich Oesterreich in Rom aufhielt, verhandelte der sächsische Kunstagent Timoni über den Ankauf von Ghezzis Gemäldesammlung. 647 Womöglich war durch dieses Vorhaben ein erster Kontakt zwischen Ghezzi und Oesterreich hergestellt worden, denn schon bald läßt sich eine enge Zusammenarbeit nachweisen, wie folgende Radierung verdeutlicht (Abb. 53): sie zeigt in schnell hingeworfenen, schraffierenden Federstrichen, die typisch sind für Ghezzis Ende der 1740er Jahre entstandenen Karikaturen, Oesterreichs Profil. Darunter machte Ghezzi aufschlußreiche Angaben, die Einblick in die Tätigkeit und das römische Umfeld Oesterreichs geben. Eine Abschrift des schwer entzifferbaren Textes befindet sich im Nachlaß Friedrich Noacks (1858-1930) in der Biblioteca Hertziana.648 Demnach hatte Oesterreich im Auftrag August III. einige Karikaturen Ghezzis reproduziert, die dieser einst für den Kardinal Gian Francesco Albani (1649-1721) mit der Feder

643 Vgl. Allroggen-Bedel 1996, S . 2 2 3 f f . 644 Vgl. Best.-Kat. Berlin 1921, Bd. 1, S . 2 6 3 , Nr. 9 0 2 6 . 645 SächsHStA, 10026, Loc. 901/5, fol. 7 0 . Z u d e m wurde Oesterreich aufgefordert, erste Arbeiten nach Dresden zu

schicken: »Le Roy a approuvé l'idée pour amuser votre petit cousin italien. Sa Majesté veut qu'il dessine cependant un tableau et que vous l'envoyés ici. Cela ne l'empechera pas qu'il commence à peintre ni queje profite de lui en attendant que vôtre proposition peut faire un petit commencement ou apparence pour son établissement solide«, zit. aus Schmidt 1921, S. 74, Nr. 3 5 , Brühl an Heineken vom 23. September 1748. 646 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 655/2, fol. 4 0 1 ff. 647 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 751/9, ohne Fol.; B r i e f T i m o n i s an Brühl vom 28. September 1748.

648 Bibliotheca Hertziana, Schede Noack, ohne Fol.: »S.e Matteo Polacco, che ha intagliato le mie caricature che haverro disegneate di Penna p. il S.e Card.el Gio: Francesco Albani al quale gli furono richieste dal Rè di Polonia nell'anno 1749 e il Rè med.o ordinèal d.o S. Matteo, che le intagliasse in rame tale sè quale erano fatte con la penna è le ha imitate a miraviglia bene et io Cav.re Ghezzi med.o me ne sono lassato la presente memoria il di 10 maggio 1749 essendo venuto alla mia accademia di musica, e venne in Roma per l'anno Santo il detto Matteo«; zu Ghezzis Karikaturen vgl. Clark 1963;

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1754-1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

gezeichnet hatte. Oesterreichs Ausführungen in Kupfer seien »miraviglia bene« gelungen. Der Stich Ghezzis mit Oesterreichs Porträt datiert vom 10. Mai 1749, als besagter »Herr Matteo in meine Musikakademie kam«. Dieser Besuch läßt sich auf Ghezzis Wohnort in der Via Giulia in der Nähe von San Biagio zurückführen, wo der Hausherr regelmäßig Violin-Konzerte gab/' 49 Die Arbeiten an der Kupferstichserie wurden von Oesterreich nach seiner Rückkehr in Dresden beendet und unter dem Titel Raccolta di XXIV. Caricature von dem Dresdner Hofbuchhändler Georg Conrad Walther verlegt: Das Deckblatt ziert eine von Blumenranken und Lorbeerzweigen umfaßte Kartusche, die von einem markanten Profil bekrönt wird und sich mit Oesterreichs

Antonella Pampalone, 1 >volti< della storia nelle caricature della collezione di Pier Leone Ghezzi, in: Debenedetti 1997, S. 83-140. 649 Vgl. Noack 1932; Guerrini 1971, S. 9.

D. Matthias Oesterreich, königlicher Galerieinspektor von Sanssouci

175

Konterfeit identifizieren läßt. Die Inschrift der Kartusche besagt, daß die Stiche »Disegnate colla penna dell celebre Cavalliere Pier Leon Ghezzi Conservati nell Gabinetto di Sua Maestà il Re di Polonia Elett. di Sassonia. Matth. Oesterreich sculpsit Dresde nell' Anno MDCCL«. Z u dem Konvolut gehört eine Karikatur, die betitelt ist: Petrucella Servitore. Diese Radierung bildet den Abschluß der vierundzwanzig blättrigen Raccolta u n d vereint in dem aufgeschlagenen, auf dem Pult liegenden Buch die beiden Künstlernamen, links in spiegelverkehrter Schrift: »Matthias!Oesterreich! Nato à/Hamburg/=1726/à di/31: 8bre!questa Opera/fece 1750« und rechts denjenigen von Ghezzi mit seinem Geburtsdatum. Laut Datierung wurde diese abschließende Karikatur von Oesterreich in Dresden am 7. Oktober 1750 gestochen. 650 Allem Anschein nach kehrte Oesterreich nicht alleine in seine Heimat zurück, sondern wurde von zwei Künstlern begleitet, die er in Rom kennengelernt hatte: Giovanni Battista Internari (gest. 1761) u n d Francesco Gandini ( 1 7 2 3 - 1 7 7 8 ) . Anlaß hierfür war das Engagement beider Zeichner für die von Heineken geplanten, prachtvollen Galeriewerke der kurfürstlichen und Brühischen Gemäldesammlung, dem Recueil d'Estampes d'après les plus celebres tableaux de la Galerie Royale de Dresde, das in zwei Bänden 1753 u n d 1757 herausgegeben wurde. 1754 folgte der Recueil d'Estampes gravées d'après les tableaux de la Galerie et du Cabinet de S. E. M. le Comte de Brühl. Ein geplanter zweiter Band der Brühischen Sammlungen wurde nicht verwirklicht. Nach Heinekens Plänen sollten die Meisterwerke beider Gemäldesammlungen von den besten Zeichnern und Kupferstechern reproduziert werden. O h n e M ü h e und Kosten zu scheuen, wurden hierfür aus Frankreich, Italien u n d Deutschland die besten Künstler zusammengezogen. Auch Oesterreich wurde in die Akquirierung von geeigneten Zeichnern involviert. 6 " Gleichzeitig läßt sich über die mitgereisten Künstler ein weiterer Einblick in Oesterreichs römisches Umfeld geben. Internari war ein Schüler von Marco Giovanni Benefial ( 1 6 8 4 - 1 7 6 4 ) , der einen an die klassische Antike und an Raphael geschulten Stil propagierte und alle barocken, überladenen Einflüsse ablehnte. Später gründete Benefial eine eigene Werkstatt, die er bis zu seiner Aufnahme in die Accademia di San Luca im Jahr 1741 betrieb. Z u seinen erfolgreichsten Schülern gehörte der junge Mengs, den er im Aktzeichnen unterrichtete. 6 ' 2 Inwiefern auch Oesterreich von Benefial unterrichtet wurde, bleibt unklar, denn die in der Accademia di San Lucca aufbewahrten Aktenbestände verzeichnen nur die N a m e n der Professoren, nicht aber diejenigen ihrer Schüler. Womöglich beruhte der Kontakt zwischen Oesterreich und Internari, der sich 1749 erstmals nachweisen läßt, auf Mengs Vermittlung. 653 Oesterreichs Beziehung zu Gandini, einem Schüler

650 Ab Mitte 1749 ist Oesterreich wieder in Dresden nachweisbar, wie einem Eintrag im kurfürstlichen Pflichtbuck entnehmen ist, » 154. Pflichts -Notul:

vor Matthaeus

Österreich zum Kgl. Cabinette derer Kupferstiebe und

zu

Hand-Zeich-

nungen. Dresden, den 4. July 1749«, zit. aus SächsHStA, Akten der Generaldirektion der Kgl. Sammlungen, Cap. I. Nr. 18, Kriegsverlust 1945. Als Abschrift von H a n s Posse im Archiv der S KD, Nachlaß Posse, Bd. 29, H 1, fol. 22. 651 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 379/8, fol. 1. 652 Vgl. Noack 1907, S.66ff.; Clark 1966 (I). 653 1749 fertigte Internari ein Selbstbildnis mit Oesterreich in Mönchskutte, vgl. Heineken 1768/69, Bd. 1, S.217. Ein BriefTimonis bestätigt Oesterreichs engen Kontakt zu Internari: » E gran tempo, che non ricevo novum

riscontro

del Nipote del Sig:re Heinecken il Sig:re Matteo Oesterreich: [...] e di raccomandarli da mia patte uno remesto da quà da Roma per servizio di sua Mtà, e credo, che sia nato proposto, e fatto venire dal Sig:re Oesterreich, e si chiami il Sig:re Internari: io non lo raccomando ad altro fine, se non che l'aiuti nelle cose dello anima«, zit. aus SächsHStA, 10026, Loc. 660/1, o h n e Fol., 27. September 1749.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemätdesammler und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

von Pierre Subleyras (1699-1749), dürfte ebenfalls über das enge Künstlerumfeld entstanden sein. Nach Subleyras Tod nutzte Gandini die ihm offerierte Chance, um in kurfürstliche Dienste zu treten. In Dresden eingetroffen, wurde unverzüglich an Heinekens Galerieprojekt mitgearbeitet. Anhand eines von Brühl erstellten Planes wird deutlich, daß das römische Trio zusammen mit denen aus Frankreich engagierten Brüdern Charles François (1715-1776) und Pierre Hutin (gest. 1763) in die Anfertigung von Zeichnungen nach berühmten Meisterwerken involviert wurde. »Sr. Internaro doit dessiner les Paolo Veronese Guardini " Dossi Osterreich " Drost-Honthorst et Frans Floris Charles Hutin P. P. Rubens Pierre Hutin Jacques Giordanos Schell Guercino Franc. Trevisani«654 In einem weiteren Brief erteilte Brühl genaue Anweisungen über die weitere Vorgehensweise: »Der König will, daß die Bilder, die von den Zeichnern gezeichnet werden sollen, von der Wand zu nehmen seien; die Zeichner sollen diese Zeichnungen in der Galerie und nicht zu Hause anfertigen, und zwar sollen sie sich genau nach dem Plane richten.« 655 Als Ergänzung hierzu haben sich in den kurfürstlichen Ausgabebüchern Gehaltslisten erhalten, die Einblick in die Besoldungen geben. 656 Die Angaben verdeutlichen, daß Oesterreichs Bezüge im Vergleich zu den anderen Zeichnern weitaus geringer waren. Dies läßt sich darauf zurückführen, daß er nicht ausschließlich am Projekt beteiligt war. Denn in den kommenden Monaten begleitete Oesterreich Heineken auf einer Reise nach Holland anläßlich einiger Gemäldeankäufe für die Dresdner Sammlungen. Dort nutzte er die Gelegenheit, um sein Auge weiter an den verschiedenen Stilen und Manieren zu schulen, so daß diese Reise als eine weitere Station seiner kunsthistorischen Ausbildung gewertet werden darf. 657

654 Archiv der SKD, Nachlaß Hans Posse, Abschriften zur Erwerbungsgeschichte der Galerie, Bd. 18, fol. 2, 20. Mai 1750. 655 Ebd., fol. 3. Der Aufstellung nach sollte Oesterreich Zeichnungen nach Gemälden von Honthorst, Frans Floris (1516—1570) und Willem Drost (1630—1680) herstellen. Zwei Kreidestudien nach Floris haben sich noch erhalten. Für den ersten Band des kurfürstlichen Galeriewerkes fertigte Oesterreich zudem drei Zeichnungen nach Tizian, die von dem Pariser Kupferstecher Pierre François Basan (1723—1797) reproduziert wurden. Für das Brühische Galeriewerk lieferte Oesterreich die Vorlagen zu Ferdinand Bols Philosophen und die Verleugnung des Heiligen Petrus von Valentin, vgl. SKD, KK, Inv.-Nr. C 7717-7718; SMB, KK, KDZ-Nr. 16160, Mappen-Nr. Ga 53/1, Nr. 11-13. 656 SächsHStA, Dessinateurs Besoldungen hernach aber

10026, Loc. 901/4, ohne Fol.: »Wegen der Premier Dessinateurs Charles Hutin, 6261hlr: 12 gl und derer Pierre Hutin, 522 Thlr. Johann Baptiste Internari, 400 Thlr. und Francesco Gandini, 400 Thlr. jährlicher ingleichen Stephano Torelli, 300 Thlr. jährlicher Zulagen, und Matthai Oesterreich anfänglicher 240 Thlr. 300 Thlr. jährlicher Besoldung de dato Dreßden, den 18. AprilisAo 1750.«

657 Oe 1763 (I), Einleitung: »Holland ist eigentlich der Ort, wo man am besten Gelegenheit hat, die verschiedenen Werke der alten und neuen Künstler in der Mahlerey, von denen man hier in Deutschland und auch in Italien, wenig oder gar nichts weiß, recht genau zu prüfen und kennen zu lernen: und diese Kenntniß, hat sie gleich große Schwierigkeiten, ist schon daher vortheilhafi, weil oft Bilder für die Arbeit eines Meisters ausgegeben und verkauft werden, der keineswegs der Verfertiger davon ist.«

D. Matthias Oesterreich, königlicher Galerieinspektor von Sanssouci

177

Im Anschluß reiste Oesterreich wieder nach Italien, »wo er eine gewisse Gallerie ansehen, und davon Bericht abstatten mußte«.m Erstmals wurde Oesterreich die Begutachtung und der eigenständige Ankauf einer bedeutenden Sammlung übertragen. U m welche Galerie es sich hierbei handelte, offenbart ein Brief von Francesca Zucchi, die womöglich eine Verwandte des sächsischen Hofkupferstechers Lorenzo Zucchi ( 1 7 0 4 - 1 7 7 9 ) war. Darin erwähnt sie, daß Oesterreich die zum Verkauf stehende Sammlung Barberini begutachten und die Ankaufsverhandlungen führen sollte. Im Zuge dessen scheint es jedoch zu einigen Divergenzen zwischen dem Verkäufer, dem Prinzen Taddeo Barbarini, der Vermittlerin Zucchi u n d Oesterreich gekommen zu sein, so daß der Ankauf fehlschlug. 659 Wie einem Brief des Padre Timonis an Rossi zu entnehmen ist, trifft Oesterreich keine Schuld, da er sich trotz aller Widrigkeiten bemüht habe, den Ankauf der Sammlung Barberini »mit viel Weisheit, Kenntnis, Aufmerksamkeit und Sorgfalt auf bezüglich allem, was seine Dienste für Ihre Majestät betrifft« zu führen. 6 6 0 Auch wenn der Ankauf scheiterte, verwertete Oesterreich seine während der Begutachtung gemachten Eindrücke in seinen späteren Katalogen. 661 Nebenher besichtigte er weitere Bilderkabinette, darunter die Sammlung von Alessandro Albani, die Palazzi Farnese und Chigi sowie die Galleria Colonna. 6 6 2 Während seines Aufenthaltes übergab er auch die fertiggstellte Raccolta an Ghezzi. Diesen Moment hielt Oesterreich in einem Stich fest, der vom 10. Juli 1751 datiert (Abb. 54). D e m Sortiment der römischen Buchhandlung Bouchard & Gravier ist zu entnehmen, daß Oesterreichs Raccolta auch in Rom regen Absatz fand, trotz der nicht ausbleibenden Seitenhiebe Winckelmanns: »Es sind vor einiger Zeit große Bände von solcher Arbeit unter uns ans Licht getreten, und wenig Künstler achten dieselben ihres Anblicks würdig. «66 î

658 Heineken 1768/69 Bd. 1, S . 2 1 9 . 659 SächsHStA, 10026, Loc. 656/11, o h n e Fol.; »Exzellenz. Da Herr Matthias ich es for gut, Ihrer Exzellenz anzuzeigen,

Oesterreich von hier abreisen muss, befand

dass derselbe kaum in Rom angekommen

von mir dem Herrn Prinzen

Barbari-

ni vorgestellt wurde, in der Hoffnung, dieser würde den von mir vorab erstellten Vertrag bezüglich des Kaufi der Bilder, den Ihre Majestät zu tätigen begehrt, leichter abschließen. Daher weiß ich, dass besagter Herr Matthias von dort den Vermerk über die Preise, die der erwähnte Herr Prinz verlangte, übermitteln

will, gleichwohl dies von mir nicht gutgeheißen

wurde,

weil es besser gewesen wäre, diese zuvor auf eine angemessenere Summe zu reduzieren, auf die der genannte Herr Prinz mit Leichtigkeit eingegangen wäre, der vielleicht mehr verlangte, als er in Wirklichkeit

haben will, um die Wertschätzung sei-

ner Galerie nicht zu beschädigen. Und obschon der Ihrer Majestät übersandte Katalog mit den Beschreibungen der Bilder und den Preisen in meinem Hause erstellt wurde, hat Herr Matthias keine Absprache mehr mit mir getroffen und nicht mehr mit mir über dieses Geschäft gesprochen. Erst in diesen letzten Tagen hat er mir seine Abreise aus Rom signalisiert, und die Beendigung jedweder Vertragsverhandlungen.

Wenn also Ihre Majestät weiterhin die Absicht hat, diesen

tätigen, und sich die Schwierigkeit auf den Preis beschränkt, so kann ich diese überwinden,

Kaufzu

weil ich hoffe, dass der Prinz,

wie er mir versprochen hat, nicht abgeneigt sein wird, diesen auf ein gerechtes und ehrliches Maß zu reduzieren, obgleich es sich um einzigartige Bilder berühmter Künstler handelt«. Für Übersetzungshinweise danke ich Michael Jansen. 660 Vgl. SächsHStA, Loc. 660/1, ohne Fol., Rom, den 17. April 1751. 661 Vgl. O e 1764, S. 50, S. 169. 662 Über Oesterreichs Eindrücke der Galleria C o l o n n a vgl. ebd., S. 12. Z u seinen Besuchen der Sammlungen Albani, Farnese und Chigi vgl. O e 1761, S.7; 0 e - 1 7 7 0 , S.37f. 663 W i n c k e l m a n n [1999], S. 61 sowie GStA PK, I. H A Rep. 81, Rom I C Nr. 1 Fase. 4, fol. 14. Der Franzose Jean Bouchard gehörte zu den populären Buchhändlern Roms, der sich auf Druckgraphik spezialisiert hatte u n d 1756 Giovanni Battista Piranesis (1720—1778) mehrbändige Antichità Romane herausgab, vgl. Miller 1978, S. 101.

178

1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

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54. Matthias Oesterreich, Matthias Oesterreich und Pier Leone Ghezzi, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

Oesterreich nutzte die Zeit seines Aufenthaltes außerdem, u m weitere Künstler für die Mitarbeit an den Dresdner Galeriewerken zu akquirieren, darunter die Maler u n d Kupferstecher Marcello Bacciarelli ( 1 7 3 1 - 1 8 1 8 ) u n d Giuseppe Canal ( 1 7 2 5 - 1 8 0 2 ) . Bacciarelli stammte ebenfalls aus der Werkstatt Benefials, während Canal ein Schüler Jacob Freys war. Von R o m reiste Oesterreich über Florenz weiter nach Venedig, wo er ebenfalls in Kunstankäufe eingebunden war. Von dort kehrte er im Winter 1751/52 nach Dresden zurück. 664 Der enge Zusammenhalt der angeworbenen Künstler verdeutlicht eine Zeichnung Internaris, die von Oesterreich reproduziert

664 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 3427, ohne Fol., 13. November 1751; Oe 1764, S.61;ders. 1775 (II), S.73.

D. Matthias Oesterreich,

königlicher

Galerieinspektor

von

Sanssouci

179

CfTcu'Gν par K^f/üfiAicu ( O&TLCRRCITÌ/I r) IY?RC*i ¿c ^ÖC/JCM

r/c Q%an V.'fyafïfàtcX./rtlcsnart • ».(xiiùirtciccraïiMa/crtè/ct·'fio/ de c'/o/oynrÑcdaircü-Jajc Karrikatur der Damen La Fort und Corthier sowie der Herren Bacciarelli, Oesterreich, Internari und Canal, 1752,

55. Matthias Oestereich,

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

w u r d e : sie zeigt Oesterreich, M a d a m e la Fort sowie Internari, Bacchiarelli und Giuseppe Canal. Die mittige, abgewandte Person ist M a r i a n n e Corthier, der der Stich gewidmet ist (Abb. 55). W i e sind abschließend die von Oesterreich u n t e r n o m m e n e n Reisen zu bewerten? Sicherlich lassen sie sich unter dem weiten Begriff der Grand Tour subsumieren, doch dienten sie nicht allein Oesterreichs persönlichem Interesse im Sinne einer adligen Kavalierstour, sondern sind unter dem P h ä n o m e n der aufklärerischen Bildungsreise einzuordnen. Im Unterschied zu denen ab M i t t e des 18. Jahrhunderts zahlreich einsetzenden Bildungsreisen nach Italien, die eher der persönlichen Neugier und Erbauung dienten, wurde Oesterreich vom sächsischen H o f protegiert, der daher konkrete Anforderungen an ihn stellte. Die von ihm während seiner Reisen nach Venedig, Rom, Neapel u n d Florenz sowie nach Holland erworbenen Kenntnisse und Kontakte sollten für die weiteren Gemäldeankäufe August III. u n d des Grafen Brühl nutzbar gemacht werden. Die Reisen vermittelten Oesterreich einen profunden Uberblick der abendländischen Kunst-

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und Kulturgeschichte, die durch die im gleichen Zeitraum begonnenen Ausgrabungen von Herculaneum und Pompeji um historische Momente ergänzt wurden. Unter diesem Aspekt ist das Vorhaben dieser Reise innerhalb der europäischen Sammlungsgeschichte des 18. Jahrhunderts einzigartig und wegweisend: kannte man bisher die klassische Variante, nach der Hofkünstler für Studienzwecke ins Ausland geschickt wurden, um die dort gewonnenen kulturellen Eindrücke in der Heimat in repräsentative Werke umzusetzen, wurde stattdessen ein Höfling für den weiteren Aufbau einer Kunstsammlung auf Reisen geschickt. Oesterreichs angeeignetes Wissen, seine daraus resultierende Kennerschaft sollte gleichsam »als Akkumulation von kulturellem Kapital« dem sächsischen Hof einen Vorsprung im prestigeträchtigen Wettkampf von Gemälde- und Antikenankäufen innerhalb Europas ermöglichen.663

2. Oesterreichs Beschreibungen der Sammlung Gotzkowsky Nach seiner Rückkehr aus Italien wurde Oesterreich 1752 »zum Cabinet der Kupferstiche und Handzeichnungemi als Unterinspektor ernannt, das unter der Leitung Heinekens stand.666 Bereits ein Jahr später, am 2. Mai 1753, erfolgte Oesterreichs zusätzliche Berufung an die Gemäldegalerie, um die vakante zweite Inspektorenstelle Guarientis einzunehmen. 667 Es bleibt kein Zweifel, daß er diese Ernennungen innerhalb kürzester Zeit höfischer Patronage zu verdanken hatte. Diese Vermutung wird anhand eines Bittgesuchs des in kurfürstlichen Diensten tätigen Restaurators Benedikt Kern (1704-1777) bestätigt, der 1764 rückblickend berichtete, wie ihm Oesterreich »urplötzl, und schmertzl. vorgesetzet worden«·.m In diesem Zusammenhang muß jedoch bedacht werden, daß Oesterreich für diese Stelle lange Jahre auf Kosten des Hofes ausgebildet wurde und daher für eine Anstellung an den kurfürstlichen Sammlungen prädestiniert war. Wie einer von August III. und Brühl unterzeichneten Aufstellung zu entnehmen ist, erhielt Oesterreich 100 Taler für die Unter-Inspektorenstelle.669 Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehörten die Herausgabe eines Inventarium von der Königlichen Bilder Galerie in Dreßden, das er 1754 beendete sowie die Begleitung von Bildertransporten zwischen den kurfürstlichen Schlös-

665 Joachim Rees, > Wahrnehmen in fremden Orten, was zu Hause Vortheil bringen und nachgeahmet werden könne. < Europareisen und Kulturtransfer adeliger Eliten im Alten Reich 1750—1800, in: Babel/Paravicini 2005, S. 513-539, S. 513; vgl. auch Wolfgang Richter, Italienfahrt im Jahrhundert Winckelmanns. Zum Wandel ihrer Motivationen und Erlebnishorizonte, in: Kunze 2000, S.61-74. 666 SächsHStA, Kgl. Poln. u. Churfurstl. Sachs. Hof und Staats Kalender auf das Jahr 1752. 667 SächsHStA, Akten der Generaldirektion der Kgl. Sammlungen, Nachlaß Posse, Bd. 29: Cap. I. No. 19: Pflichtbuch 1751—1755, fol. 23; vgl. auch SächsHStA, Kgl. Poln. u. Churfurstl. Sachs. Hof- und Staats Kalender auf das Jahr 1754·. »Acta hat von S.Exz. dem H. Premier. Ministre Reichsgrafen von Brühl [...] Johann Anton Riedel als Unter-Inspector der Kgl. Bilder-Gallerie vorgesetzten Eyd [...] sowie auch Matthaeus Österreich welcher nun auf seine beym Estampen Cabinette bereits abgelegte Pflicht zurücke verwiesen worden, gleichfalls als Unter-Inspector bey der Kgl. Bilder-Gallerie zum Handschlag abgeben.«·, SächsHStA, Cap. VII, 11 (18212), Kriegsverlust 1945, Nachlaß Posse, Bd. 22, fol. 8/9: »Am 2. Mai 1753 wurden der noch Lebende Inspector Johann Anton Riedel und der bereits beim Kupferstich Cabinet angestellte und verpflichtete Matthaeus Osterreich als Unter Inspectoren bei der Bilder Galerie angenommen.« 668 SächsHStA, Akten der Generaldirektion der Kgl. Sammlungen, Nachlaß Posse, Bd. 23, fol. 11,8. Januar 1764. 669 Vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 907/5, Vol III, fol. 308.

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sern. 670 Am Kupferstichkabinett lag Oesterreichs Aufgabe in der Betreuung der Galeriewerke sowie im Ankauf von Stichen. 671 Als eigenständiges Projekt gab er ein wesentlich bescheideneres Galeriewerk heraus, den Recueil de Quelques Desseins de Divers habiles Maîtres tirés du Cabinet de S. E. Msgr. Le Prem. Ministre Comte de Brühl. Dieser umfaßt vierzig Reproduktionen von Oesterreich nach herausragenden Zeichnungen aus dem Besitz des Grafen Brühl. Ein Großteil hiervon gelangte mit dem Ankauf des Brühischen Gemäldekabinetts in den Besitz von Katharina II., die damit den Grundstock der Zeichnungssammlung der Eremitage legte. Doch trotz der Protegierung, die Oesterreich in Dresden erfuhr, m u ß es zu Unstimmigkeiten gekommen sein. Nur unter diesem Aspekt lassen sich Oesterreichs Versuche bewerten, in preußische Dienste treten zu können, wie ein Brief Winckelmanns an Hagedorn verdeutlicht: »Der König von Preussen läßt Commissiones geben, Schildereien anzukaufen, und Oesterreich hat einen Weg gesucht, sich mit hinein zu schieben. Noch zur Zeit hat man nichts fur ihn finden können.« 672 Mit Ausbruch des Siebenjährigen Krieges und der Besetzung Dresdens durch Friedrich II. nutzte Oesterreich die gebotene Chance, nach Potsdam zu wechseln. Erste Anknüpfungspunkte für diesen Schritt boten die häufigen Besuche Friedrichs, der jede Gelegenheit nutzte, die Dresdner Gemäldegalerie zu besichtigen. 673 Noch am 20. Januar 1757 war Friedrich II. »nebst dem Bischof Schaffgotsch von Breslau auch der Marquis d'Argens, nebst übrigen Suitte auf der Gallerie gewesen«.'^'* Bereits zehn Tage später vermerkte Riedel: »den 30. Jan. 1757 hat Inspector Matthias Osterreich seine verlangte Demission erhalten«.1"'' Der enge zeitliche Faktor der Galeriebesuche Friedrich II. und die Übernahme Oesterreichs in seine Dienste sind nicht zu leugnen. Auffällig ist auch, daß wiederum Heineken vom 22. November 1756 an von preußischen Truppen im Rathaus eingesperrt war und zwei Wochen nach Oesterreichs Ubertritt in preußische Dienste, am 9. Februar 1757, frei gelassen wurde. Ein Brief Wackerbarths an den sächsischen Geschäftsträger in Frank-

670 Oesterreichs Inventar beruht weitestgehend auf älteren Inventaren u n d führt lediglich die Neuankäufe auf. Da er weder Provenienzen noch sonstige Angaben vermerkte, lehnte der spätere Galeriedirektor Christian Friedrich Wenzel das Inventar als »unzuverlässige Beschaffenheit« ab, zit. aus SächsHStA, Cap. VII, 11 (18212), Kriegsverlust 1945, Nachlaß Posse, Bd. 22, fol. 1. Im Vergleich zu dem von Guarienti einige Jahre zuvor herausgegebenen Catalogo delli quadri, che sono nel Gabinetto di Sua Maestà ist Oesterreichs Einteilung der Gemälde nach Schulen hingegen neu, vgl. S KD, Archiv, Akten der Generaldirektion, Archiv, Inventare, N r 359. Z u seinen Reisen vgl. SächsHStA, 10026, Loc. 1402/07, ohne Fol., Ausgaben vom Oktober 1756. 671 Vgl. SächsHStA, 10025, Loc. 4525, Vol. IV B, fol. 76f. 672 Zit. aus Baden 1797, Nr. 21, S.364, Rom, den 6. Februar 1756. 673 »Den 23. Novbr. 1756 haben der König von Preußen, nebst Prinz von Preußen, Prinz Heinrich und Ferdinand

nebst

der ganzen Generalität so hier in Garnison standen die Gallerte besehen. [... ] Den 22. Decbr. ist der König von Preußen wieder auf der Gallerie gewesen, nebst obigen, und hat sich die Copie von der Magdalena von Bompeo Battoni

ausgebeten,

jedoch ohne den Todtenkopf, so von H. Hof Mahler Dittrich copiret werden sollte«, zit. aus SächsHStA, Cap. Vila, la, Kriegsverlust 1945. Als Abschrift von Hans Posse im Archiv der SKD, Nachlaß Posse, Bd. 21, Cap. Vila, Tagebuch (Auszug) Joh. Anton Riedels von August 1744 -July 674 Ebd., fol. 3. 675 Ebd., fol. 3.

1760, fol. 2.

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Berlin

reich, Samuel Gottfried Spinhirn, gibt Anlaß, einen direkten Bezug zwischen der Freilassung Heinekens und dem Wechsel Oesterreichs zu vermuten: »P. S. Il me reste à ajouter encor ici, que le Cons.lier delà Chambre Heinicke vient d'être rélaché des arrêts, où les Prussiens l'ont tenû dépuis environ 3. mois. On lui a rendû sa liberté à condition qu'il ne rélevera rien des interrogatoires qu'on lui a faits. Le Sr Osterreich, son Neveu, qui étoit Inspecteur de la Gallerie des tableaux du Roi notre Maitre, a sû s'infiniere, au point dans l'esprit du Roi de Prusse, que ce Prince l'a pris à son service à des conditions fort avantageuses. Cependant personne ne régrette ici la perte que nous venons de faire.«676 Unter dem Datum der Freilassung Heinekens findet sich auch ein Vermerk im Tagebuch des Kurprinzen Christian Friedrich, der über den Wechsel Oesterreichs schrieb: »Le 12 février. Le roi de Prusse ayant relâché Heinicke sur les instances que lui en fit la c de Brühl, il lui écrivit une lettre fort polie à ce sujet. Oesterreich est entré au service de Prusse. Je voudrais que ce roi nous délivrât de tous ses semblables.«677 Natürlich wurde Oesterreichs Wechsel vom sächsischen Hof als Affront gewertet: »Quant à Oesterreich je vous avoue que j'en suis indigné et jamais je ne l'aurois crû capable d'une action pareille. Monseigr. ne regrette pas sa perte, mais II regrette de l'avoir recommandé au Roi.«678 Welche Absicht wiederum Friedrich II. mit der Verhaftung Heinekens bezweckt hatte, bleibt fraglich. Ging es ihm um die Ausfuhr von Gemälden oder gar um Heineken selbst, um diesen als profilierten Galerieinspektor für die im Bau befindliche Bildergalerie zu engagieren? Sicherlich verstand es Oesterreich, sich geschickt zu verkaufen: so konnte er dem König lebhaft von seinen Italienreisen berichten, die Friedrich II. vorenthalten geblieben waren und dessen Interesse an den Ausgrabungen der antiken Vesuvstädte wecken. 679 Offenbar waren es Oesterreichs Erfahrungen, seine Kontakte und Kenntnisse, die Friedrich II. zu dessen Anstellung bewogen: »Dem Monarchen wird an einem im Museumswesen erfahrenen Beamten gelegen haben, der sich in erster Linie um die Pflege der Kunstwerke zu kümmern hatte. «680 In Potsdam eingetroffen, erhielt Oesterreich in seiner Funktion als Inspektor der Bildergalerie die Oberaufsicht über alle in den königlichen Schlössern aufbewahrten Kunstschätze. Zu seinen

676 SächsHStA, 10026, Loc. 3431, Vol. II, ohne Fol, 12. Februar 1757. 677 Zit. aus Schlechte 1992, S.365. 678 Zit. aus Schmidt 1921, S. 138, Nr. 73, Legationsrat von König an Heineken, 15. März 1757. 679 In einem Brief hatte Friedrich II. sehnsüchtig bekundet: » Vous n'allez donc à Herculaum? J'en suis fâché; c'est le phénomène de notre siècle; et si de si fortes entraves ne me retenaient pas ici, je ferais cinq cent lieues pour voir une ville antique ressuscitée de dessous les cendres du Vésuve«, zit. aus Seidel 1922, S. 160. 680 Eckardt 1974, S. 8. Friedrich IL nutzte häufig die Chance, Künstler und Mitarbeiter auswärtiger Sammlungen als Kriegsrepressalien nach Preußen zu ziehen, wie das Beispiel des in Diensten des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) stehenden Friedrich Balthasar Schönberg von Brenkenhoff (1723-1780) zeigt, vgl. Erhard Hirsch, Hortus Oeconomicus: Nutzen, Schönheit, Bildung. Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich als Landschafisgestaltung der europäischen Aufklärung, in: Wunderlich 1995, S. 179-207.

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Aufgaben gehörte auch die sachkundige Führung von Besuchern durch die Sammlungen. Eine bestechende Karikatur gibt seine Rolle als Galerieführer mit humoristischen Zügen wieder (Farbtafel XI). Zudem versuchte er sich mit Bilderankäufen zu profilieren. Doch als sich Friedrich II. kriegsbedingt von weiteren Kunstankäufen abwandte, mußte sich Oesterreich neuen Aufgaben zuwenden. Eine effiziente Betätigung fand er in der Herausgabe von Katalogen über bedeutende private Gemäldekabinette in Berlin. Zu den ersten Beschreibungen gehörte die Sammlung Gotzkowsky. Insgesamt verfaßte Oesterreich drei Kataloge über dessen Bildergalerie, die in den Jahren 1757, 1759 und 1766 erschienen (Abb. 56-58). Auf die ersten beiden Kataloge soll im folgenden eingegangen werden, da sie die wichtigste Quelle über Gotzkowskys frühen Bilderhandel sind. Der erste Katalog erschien 1757 unter dem Titel Description de quelques tableaux de differens maîtres (Appendix 1). Eine präzisere Datierung ergibt sich anhand der Bildbeschreibung Nr. 89 über den Hofmaler Antoine Pesne, dessen Ableben bereits Erwähnung findet: » Tous les Amateurs des beaux Arts ont regretté sa perte, étant mort à Berlin le 5. Août 1757. «681 Oesterreichs Description wurde von dem königlich priviligierten Buchdrucker Friedrich Wilhelm Birnstiel verlegt. Damit waren zwei, in ihren Bereichen bekannte Köpfe mit der Herausgabe des Kataloges engagiert, wodurch der Leser eine gewisse Qualität und Fachkundigkeit erwarten konnte. Für die Herstellung der Titelvignette wurde kein geringerer als der Akademiedirektor Blaise Nicolas Le Sueur (1716-1783) herangezogen. Eine Auswahl seiner Tuschelavierungen hat sich im Berliner Kupferstichkabinett erhalten, darunter auch die für den Gotzkowsky-Katalog verwendete Vignette. 682 Auch wenn das Titelblatt weder einen Namen nennt, noch die Ausführungen Hinweise über die Unterbringung der Gemälde an einem bestimmten Ort geben, kann der Katalog mit eindeutiger Sicherheit der Sammlung Gotzkowsky zugeordnet werden, da die meisten Bilder in den später erschienenen Katalogen abermals genannt werden. Diese scheinbare Anonymität kann dahingehend gedeutet werden, daß die Sammlung im zeitgenössischen Berlin bekannt war, es daher einer näheren Zuschreibung nicht bedurfte. Davon weiterführend wäre es aufschlußreich zu erfahren, in welcher Auflage der Katalog erschienen ist, um die Breitenwirkung der Sammlung Gotzkowsky verdeutlichen zu können. Da sich von dem vorliegenden Katalog nur ein Exemplar in der Bibliothek der Yale University - Seely G. Mudd Library erhalten hat, scheint die Auflage der Description gering gewesen zu sein. Bestätigt wird dies darin, daß Birnstiel, der auch auf der Leipziger Messe präsent war und sein Bücherangebot in der Leipziger Zeitung annoncierte, an keiner Stelle den Katalog der Sammlung Gotzkowsky erwähnte. 683 Es fragt sich daher, aus welchem Anlaß Gotzkowsky seine Gemäldesammlung veröffentlichen ließ, welche Intentionen verbargen sich dahinter, welche Funktion sollte der mehrsprachig aufgelegte Katalog erfüllen? Auch wenn die Description weder besonders aufwendig noch originell gestaltet ist, m u ß bedacht werden, daß es sich hierbei um einen der frühesten Drucke in Berlin handelt, der eine ausschließlich Gemälde umfassende bürgerliche Sammlung präsentierte.

681 O e 1757, Nr. 89. 682 Siehe SMB, KK, Blaise Nicolas Le Sueur, K D Z - N r . 3398, Inv.-Nr. 3 7 5 - 1 8 8 8 . 683 Vgl. StadtAL, Leipziger Zeitung 1758, S. 295, 8. Mai 1759.

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1754—1763:

Gotzkowsky als Gemäldesammler

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QUELQUES TABLEAUX

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¡t,nitn¡f(6tn, JoHänbifätn, ffrmstyififcn im¡¡ frutiajei 3Jíe¡íten. MATTHIEU

OESTIUEICH.

Imprimé« chez Frédéric Guilaume Bimftici, • 7 S



56. Matthias Oesterreich, Description de Quelques Tableaux de Dijferens Maîtres, [Berlin] 1757.

57. [Matthias Oesterreich], Specification über eine Sammlung verschiedener Original=Gemählde von italienischen, holländischen, französischen und deutschen Meistern, Berlin 1759.

In der kurzen Einleitung verweist der Autor darauf, daß von dem Katalog auch eine deutsche Fassung erschienen ist, »mais avec beaucoup de défauts, n'ayant pas été travaillée avec tant de soin«.6M Zu den aufgeführten Bildern erwähnt er weiter, daß diese »sont tous mesurés au pied de Françe« mit »de très belles bordures, travaillées dans le dernier gout & très bien dorées«, was den Verkaufscharakter des Kataloges unterstreicht. 685 Für die Auswertung des Kataloges soll folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Künstler und Bildsujets sind schwerpunktmäßig vertreten? Gibt es innerhalb der Ausführungen eine bestimmte Anordnung, die auf künstlerische Präferenzen oder eine eventuelle Hängung schließen lassen? Lassen sich im Vergleich zum Katalog von 1759 unterschiedliche Akzente in den Erwerbungen und somit eine Verschiebung der Gotzkowskyschen Ankäufe nachweisen? Mit welcher Absicht wurden die Kataloge verfaßt, welchem Zweck dienten sie und welches Publikum sollte damit angesprochen werden?

684 Oe 1757, Avertissement. Die deutsche Fassung ließ sich bisher nicht nachweisen, außer einem Hinweis im Thieme/ Becker 1932, Bd. 32, Stichwort Antoine Pesne, S. 467ff.: »Beschr. von einer schönen Bilder-Samml. v. ital., franz., holl. u. deutsch. Meistern, Beri. 1757.« 685 Oe 1757, Avertissement.

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CATALOGUE D'UNE

TRES - BELLE

COLLECTION DE

T A B L E A U X , DE

D I F F E R E N S ITALIENS,

FLAMANDS,

M A I T R E S

ALLEMANDS ET

FBANÇOIS,

u^tn SE TROUVE DANS LA MAISON DE

M». ERNEST GOTZKOWSKY.

Λ

BERLIN,

Imprimé thtï G E O R G E J A C Q U E S D E C K E S . IMF&imiu* P I l*. COUS.

58. [Matthias Oesterreich], Catalogue D'Une Tres-Belle Collection de De Dijferens Maîtres Italiens, Flamands, Allemands

Tableaux,

et François, Laquelle Se Trouve

Dans La Maison De Mr. Ernest Gotzkowsky,

Berlin 1766.

Insgesamt werden in der Description 108 Gemälde tabellarisch nach Inventarnummer, Künstlername, Bildbeschreibung und Größenangabe aufgeführt. 686 Innerhalb der Aufstellung werden die Bilder weder nach Künstlern noch nach Schulen zusammengefaßt, weder alphabetisch noch chronologisch nach Bildsujet oder Größe geordnet, sondern scheinbar zufallig und willkürlich aufgeführt. Einigen Nummern sind Sternchen beigefügt. In Anlehung an den von Rémy herausgegebenen Katalog der Sammlung Heineken könnte dies bedeuten, daß diese Bilder nicht gerahmt waren. 687 In teils ungelenk formulierten Beschreibungen geht Oesterreich mal mehr, mal weniger auf die Künstlerviten, die Sujets und den Bildträger »sur toile, sur bois, sur cuivre« ein. Dabei folgt er keinem starren Schema, sondern wählt eher willkürlich einige Details aus, die ihm mitteilungswert und wichtig erscheinen. Daher erstaunt es nicht, daß er zu einem Gemälde von Rembrandt keine

686 Lediglich unter der Katalognummer 72 wurden zwei Bilder aufgelistet, die Nr. 74 dafür weggelassen. 687 Vgl. RKD Files, Auktion Heineken, 1757, S.XII: »Ces Tableaux, pour la plus grande partie, sont ornés de très jolies bordures sculptées & dorées, de deux pouces, à deux pouces & demi, de largeur; la dorure en est parfaite. ïl se trouve quelques Tableaux dont les bordures sont dorées, & richement sculptées: la largeur est de cinq à six pouces. Il y en a quelques autres sans bordures; on a eu soin de marquer ces derniers par une Etoile, à côté du numéro. «

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

Beschreibung liefert, sondern Rembrandts Herkunft hervorhebt, »naquit en 1606. Dans un moulin situé entre le village de Leyerdorp & Koukerk sur le bras du Rhin qui va à Leyden«.m Bei einigen Bildern werden der virtuose Pinselstrich, das Kolorit sowie der Erhaltungszustand hervorgehoben. Die insgesamt 108 Bilder verteilen sich auf 66 Künstler, eines bleibt von unbekannter Hand. Die Anzahl holländisch-flämischer Werke nimmt mit insgesamt 47 Nummern fast die Hälfte der Sammlung ein, gefolgt von 28 Werken italienischer Maler, 20 Bilder stammen von deutschen und 12 Gemälde von französischen Künstlern, wozu der preußische Hofmaler Antoine Pesne mitgezählt wurde. Berechnet man die Anzahl der Bilder nach Epochen, so ergibt sich ein recht eindeutiges Bild: acht Gemälde sind dem Zeitraum von vor 1575 zuzuordnen. Die Anzahl der Bilder, die zwischen 1575 und 1674 entstanden, liegt bei 55 Meisterwerken. Insgesamt 26 Bilder kamen aus der Zeit von 1675 bis 1715, die zeitgenössische Kunst ist mit 19 Gemälden vertreten. Unterteilt man die Bilder nach ihren Sujets, so läßt sich eine noch eindeutigere Aussage machen: die Historienmalerei war mit 62 Bildern am häufigsten vertreten; dabei lassen sich vier Gemälde der klassischen Historie, 27 Bilder der griechisch-römischen Mythologie und 31 Werke religiösen Bildthemen aus dem Alten und Neuen Testament zuordnen. Mit siebzehn Werken folgen Porträts, darunter einige Pendants. Landschaften als auch Genrebilder machen zusammen fast ein Viertel der Sammlung aus, während Stilleben kaum und Tierdarstellungen gar nicht vorhanden sind. Geht man abschließend der Frage nach, welcher Künstler am häufigsten präsent war, so kommt der aus Wien gebürtige Landschaftsmaler Joseph Roos auf acht Bilder, gefolgt von Peter Paul Rubens (sieben Bilder), van Dyck (fünf Gemälde) sowie mit je vier Bildern Annibale Carracci, Pesne und Dietrich. Im Katalog erwähnt Oesterreich auch Vergleichsbeispiele aus anderen Galerien und Kabinetten, wie der kurfürstlichen Sammlung in Dresden.689 Diese Hinweise haben den wirkungsvollen Effekt, das Ansehen und den Wert der beschriebenen Gemälde zu steigern als auch Oesterreichs Kennerschaft zu unterstreichen. Bei einigen Werken verfolgt er die Provenienzen, anhand derer bereits Rückschlüsse auf die Wanderwege der Bilder gegeben werden konnten. Aufschlußreich sind auch die Beschreibungen der letzten beiden Gemälde, die zeigen, daß hervorragende Kopien genauso viel Anerkennung erhielten, wie Originale.690 Diese Einstellung zeigt sich auch daran, daß Oesterreich lediglich an einem Bildexemplar erwähnt, daß es signiert und datiert ist.691 Mit rhetorischen Kniffen versteht es Oesterreich, den Leser neugierig zu machen und durch geschickte Pointierungen die Sammlung in ihrem Ansehen und ihrer Wertigkeit zu steigern. Gleich mit dem ersten Gemälde des Tizian-Schülers Natalino da Murano (gest. 1560) versucht er den Leser einzustimmen, mit welchen ausgewählten Werken diese Sammlung aufwartet.692 Ausfuhrlicher und nicht weniger eindrucksvoll erfolgt die zweite Bildbeschreibung: der Betrachter darf sich angesprochen und eingeladen fühlen, seine eigene Kennerschaft unter Beweis zu stellen, da der Künstlername nicht preisgegeben wird »pour ne pas priver les amateurs du plaisir de

688 Oe 1757, Nr. 9. 689 Vgl. ebd., Nr. 56, Nr. 93, Nr. 95, Nr. 96. 690 Vgl. ebd., Nr. 107, Nr. 108. 691 Vgl. ebd., Nr. 93. 692 Vgl. ebd., Nr. 1.

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le deviner«.m Zugleich deutet diese Bemerkung auch an, daß sich der Katalog an eine Öffentlichkeit richtete, die vor Ort die Möglichkeit hatte, die Gemälde zu besichtigen. Die Hervorhebung einzelner Bilder zielte demnach direkt auf den interessierten Betrachter und kauffreudigen Besucher der Sammlung Gotzkowsky ab. Es läßt sich zusammenfassend festhalten, daß bereits 1757 in der Gotzkowsky-Sammlung viele große Namen vertreten waren, auch wenn so manche Zuschreibung später nicht bestätigt werden konnte. Anhand des Kataloges ergeben sich jedoch keine festen Anhaltspunkte bezüglich der Hängung, der Art der Präsentation sowie der persönlichen Präferenzen Gotzkowskys. Oesterreich hatte einleitend darauf verwiesen, daß »Les maîtres ne sont pas nommés par ordre, ce qui n'a pû se faire à cause des Numero des pieces«. Ob der scheinbar unstrukturierte Katalogaufbau ein Indiz dafür ist, daß die Description während eines Rundgangs durch die Sammlung entstanden ist und die Reihenfolge der im Katalog aufgeführten Gemälde in etwa der Bilderhängung innerhalb des Kabinetts entsprach, bleibt offen. Einige Anhaltspunkte sprechen jedoch dafür: Vergleicht man die aufgeführten Größenangaben, so fällt auf, daß sich die Maße der einzelnen Gemälde in Einheiten zusammenfassen lassen: so folgen auf großformatige Bilder häufig kleinere Kabinettstücke, die wieder von größeren Bildformaten abgelöst werden. Diese Zusammenstellung läßt sich von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, den ganzen Katalog hindurch verfolgen. Somit könnten die Größenangaben der Schlüssel für die Rekonstruktion der Bildergalerie Gotzkowsky sein. Die Hängung richtete sich daher nicht nach wissenschaftlich-systematischen Gesichtspunkten, vielmehr wurden die Gemälde nach Bildformat gruppiert. Danach scheinen die Werke in der für damalige Zeiten typisch spätbarocken Manier präsentiert worden zu sein: in dichter Hängung über- und untereinander, dem Prinzip von Symmetrie und Pendant folgend, im Sinne eines wirkungsvolldekorativen Ensembles. In welchen Räumlichkeiten und unter welchen Bedingungen die Gemälde aufbewahrt wurden, ist unbekannt, ebenso, wie die Bilder dem Betrachter zugänglich gemacht wurden, ob an musealen Schauwänden oder an damals gängigen aufklappbaren Schautafeln, die individuell und auf Wunsch des Betrachters gezeigt werden konnten. Eine von Oesterreich gefertigte Skizze mag diesbezüglich Einblick in die Sammlung Gotzkowsky liefern (Abb. 59) : sie zeigt zwei vornehm gekleidete Personen, die einige an der Wand hängende Gemälde betrachten, die nur noch schemenhaft zu erkennen sind. Ein Geselle reicht ein weiteres Bild zur Ansicht. Die im Profil gezeigte rechte Person dürfte Johann Ernst Gotzkowsky sein, vergleicht man sein Konterfeit mit den Radierungen von Carstens und Menzel sowie das verschollene Portrait von Falbe. Wie läßt sich die Description abschließend einordnen und bewerten? Vergleicht man einige Sammlungs-, Verkaufs- und Auktionskataloge jener Zeit, so lassen sich in diesen aufgrund bestimmter Angaben gewisse Intentionen ableiten, die in der vorliegenden Description nicht prägnant hervortreten: So wird in dem Versteigerungskatalog der Sammlung Tallard einleitend darauf verwiesen, daß »la description du Cabinet de seu Monsieur le Duc de Tallard, est un moien certain d'exciter leur curiosité par l'objet le plus interéssant qu'il soit possible de leur o f f r i r « . m Im Anschluß folgen genaue Auktionsvorgaben und Bedingungen. 695 Auch der 1767 erschienene Ka-

693 Ebd., Nr. 2. 694 R K D Files, Auktion Tallard, S. I (Lugt 9 1 0 ) . 695 Vgl. ebd., S. IX.

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Berlin

59. Matthias Oesterreich, Der Bildkritiker, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

talog der Auktion Julienne gibt detaillierte Vorgaben über den Ablauf der Auktion. 696 Diese präzisen Angaben lassen sich konsequent in weiteren Katalogen nachweisen, womit der Anlaß einer Auktion als Vorgabe für Oesterreichs Description auszuschließen ist. Daß es sich bei dem Katalog wiederum um ein Inventar handelte, anhand dessen lediglich der pekuniäre Wert der Bilder fixiert werden sollte, läßt sich ebenfalls negieren, da Oesterreich bekanntlich den Dialog mit dem Besucher sucht und ihn zum genauen, unvorbelasteten Betrachten eines Gemäldes anregt. An diesem Beispiel zeigt sich, daß die Description für ein Publikum bestimmt war, das in eine Diskussion miteinbezogen werden sollte, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Vieles spricht dafür, daß die Description eine Art Handbuch der Sammlung Gotzkowsky war und als Verkaufskatalog diente. Daß keine Preisangaben verzeichnet waren, an denen sich der Käufer orientieren konnte, lag wohl daran, daß man sich aufgrund der starken Währungsschwankungen jener Jahre nicht

696 Vgl. BnF, Est., A u k t i o n Julienne, S.XIXf. (Lugt 1603).

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auf feste Preise einlassen wollte, der Ankauf daher Verhandlungssache war. Der merkantile Ansatz der Description wird indirekt in einem Brief Gotzkowskys an Friedrich II. bestätigt, in dem dieser den König auf ausstehende Gelder für Gemäldelieferungen hinweist: »Wenn die Zeitläufe es nicht gehindert, und des Ewr. Königl. Mayestee, so wie es Höchst Dieselben einstmahls fest zu setzen geäußert, mir in abgewichenen Monath 8ber, die Gelder wegen der gelieferten Tableaux hätten bezahlen laßen, so würde ich mich so fort mit diesen Geldern, von erwähnter Wechsel Schuld, schuldigst accquittiret haben.«69 Mit Ausbruch des Krieges hatte sich der preußische König von weiteren Gemäldeankäufen zurückgezogen, während sich bei Gotzkowsky die erworbenen Bilder unfreiwillig ansammelten. Es liegt daher nahe, daß diese nun anderen potentiellen Kunden zum Verkauf angeboten werden sollten und daher den Anstoß für die Description gaben. Diese Intention läßt sich auch anhand der einleitenden Buchvignette deuten. In einer nach oben hin geöffneten Rocailleform, die an ihren Enden in Blätterranken ausläuft, sind folgende Attribute zusammengestellt: in der linken Bildhälfte befinden sich einige, teils aufgeschlagene Bücher und Blätter, die über die linke Rocailleform hinausragen; rechts davon, in den Vordergrund gerückt, ist eine Lyra an ein Sockelpodest angelehnt, das mit einer Inschriftenplatte verziert ist und die Mittelsenkrechte der Vignette bildet; auf dem Podest thront eine lorbeerbekränzte antikisierende Sockelbüste, die seitlich nach links gewendet und mit ihren Blicken in die Ferne schweift; diese Blickrichtung wird durch eine, im Hintergrund nach links ansteigende Treppe betont und weitergeführt. Fügt man diese Attribute zusammen, so leitet sich daraus folgendes Bild ab: Die Lyra als Zeichen der Poesie und Kunst verweist auf den Inhalt des Kataloges, der den Schönen Künsten gewidmet ist. Zum weiteren Studium der Bildinhalte als auch der Künstlernamen empfiehlt sich das Heranziehen einschlägiger Werke, denn nur mit Wissen konnte in Anlehnung an die lorbeerbekränzte Götterstatue der geistige Sieg davongetragen werden. Dieser aufklärerische Ansatz findet sich auch in der Abschlußvignette wieder: zu sehen ist eine hügelige Landschaftsszenerie mit einer im Osten aufgehenden Sonne. Die gleißenden Strahlen der am Horizont aufsteigenden Sonne umfangen den Bildhintergrund und füllen die Rocailleform nach oben hin aus. Das Motiv der Lyra wird in der Endvignette wieder aufgegriffen, die mitten in einer hügeligen Landschaft an einen Baum gelehnt ist. Für den folgenden Zusammenhang ist das Motiv der aufgehenden Sonne von besonderem Interesse, da es mehrere Interpretationen zuläßt. In der freimaurerischen Ikonographie ist es das Lichtsymbol schlechthin und gilt als »Symbol des Intellekts, der Vernunfi«.mi Weiterführend läßt sich dieses Motiv in einen aufklärerischen Kontext betten: Das Licht sollte nicht nur die geistigen Vorstellungen neu erhellen, sondern alle Gebiete des menschlichen Tun und Lassen durchdringen: «Les seules lumières de la raison naturelle sont capables de conduire les hommes à la perfection de la science et de la sagesse humaine.«'''''' Auf Gotzkowsky bezogen, läßt sich das Sonnensymbol, das sicherlich nicht zufällig gewählt war, zweideutig auslegen: einerseits gab er sich hiermit diskret als Freimaurer zu erkennen, zum anderen läßt sich aus heutiger Sicht sein Gemäl-

697 GStA PK, I. H A Rcp. 96, Nr. 4 2 1 S, fol. 14, Berlin, den 16. November 1756. 698 Binder 1988, S . 2 2 0 ; vgl. Béresniak 1997. 699 Zit. aus Im H o f 1993, S. 12.

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dehandel in den Kontext ästhetischer Aufklärung betten, um im friderizianischen Berlin erste Impulse eines regen Kunstaustausches zu geben. Diese Intention läßt sich zwei Jahre später abermals aufzeigen, als ein weiterer Katalog über die Sammlung Gotzkowsky erschien: Specification über eine Sammlung verschiedener Original-Gemählde von italienischen, holländischen, französischen und deutschen Meistern (Appendix 2). Der in deutscher Sprache verfaßte Katalog entstand ebenfalls unter Oesterreichs Federführung, auch wenn er namentlich nicht genannt wird und wurde von Birnstiel verlegt. Bei dem Katalog von 1759 handelt es sich um eine erweiterte und zugleich veränderte Fassung der Description von 1757 mit insgesamt 182 Bildern. Der Aufbau ähnelt der ersten Ausgabe: Tabellarisch werden Inventarnummer, Künstlername, Bildbeschreibung sowie die Größenangaben in Fuß und Zoll verzeichnet. Auf eine Einleitung wurde gänzlich verzichtet. Im Unterschied zum ersten Katalog sind die Gemälde en bloc dem jeweiligen Künstler zugeordnet, so daß sich eine klare Ubersicht über die vorhandenen Werke eines jeden Malers ergibt. Zudem wurden die Künstler streng nach Schulen unterteilt, beginnend bei der italienischen Malerei (Nr. 1-41), der flämischen (Nr. 42-58) und niederländischen Schule (Nr. 59-105) sowie französischen (Nr. 106-135) und deutschsprachigen Künstlern (Nr. 136-182). Ein von Mariette 1751 herausgegebener Auktionskatalog könnte hierfür als Vorbild gedient haben, da er erstmals eine Unterteilung nach Schulen vornahm.700 Auch der Auktionskatalog der Sammlung Tallard von 1757 greift diese Gliederung auf.701 Insgesamt sind in dem Gotzkowsky-Katalog 87 Künstler vertreten, die Gewichtung der einzelnen Schulen hat sich im Vergleich zum Katalog von 1757 kaum verschoben: 64 Gemälde stammen von holländischflämischen Malern, 47 Bilder von italienischen Künstlern, 42 Werke von deutschsprachigen Malern und 30 Gemälde von französischen Künstlern. Die große Anzahl von Gemälden deutscher Maler läßt sich auf die starke Präsenz von Werken Dietrichs und des aus Wien stammenden Roos herleiten, der für kurze Zeit in Berlin tätig war. Im Vergleich zum früheren Katalog konnte die Landschafts- und Porträtmalerei mit religiös-mythologischen Sujets gleichziehen, so daß der kunstinteressierte Besucher der Sammlung Gotzkowsky eine ausgewogene Auswahl an Sujets vorfand. Im Katalog von 1759 werden keine Provenienzen verzeichnet, auch fallen in den kurz gehaltenen Bildbeschreibungen die Künstlerviten fast ganz weg. Bei einzelnen Werken wird auf die Pinselführung, das leuchtende Kolorit und die Natur nachahmenden Ausdrucksqualitäten eingegangen. An einigen Stellen wird die Rarität einzelner Künstler und Werke hervorgehoben, um damit die Bedeutung und Wertigkeit der Gotzkowsky-Sammlung zu heben: »Allen Kennern ist genugsam bewußt die Schönheit der Gemähide von Ciro Ferri; und es sind wenig Gallerien in Europa die ein Stück von solcher Schönheit aufzuweisen haben.«101 Anstelle kunstwissenschaftlicher Angaben werden Bezüge zum Alten und Neuen Testament hergestellt, mit Ausnahme zweier Gemälde von Francesco Solimena, denen Epen des italienischen Renaissance-Dichters Torquarto Tasso (1544-1595) zugrunde liegen.703 Untersucht man die Anzahl der Gemälde des ersten Kataloges

700 Vgl. Pomian 1987, S. 165. 701 RKD Files, Auktion Tallard, S.6: » voulant donner à ce Catalogue un ordre commode & satisfaisant, & sur-tout éviter la confusion, qui n'est que trop ordinaire dans la plupart des Catalogues de Tableaux qu'on donne au Public, nous avons eu soin de diviser les Peintres par Ecoles, & de placer chacun dans celle qui lui appartient». 702 [Oe] 1759, Nr. 24. 703 Ebd., Nr. 38, Nr. 39.

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mit den Neuzugängen des zweiten, so hat Gotzkowsky in der Zwischenzeit rund zwanzig Gemälde verkauft oder gegen Neuerwerbungen getauscht. 704 Die geringen Verkäufe lassen sich auf den Krieg und den daraus resultierenden finanziellen Engpässen seiner Klientel zurückführen. Gleichzeitig machen diese Auswertungen aber auch deutlich, daß Gotzkowsky auf den alleinigen Handel und Verkauf von Gemälden nicht angewiesen war. Vergleicht man abschließend die beiden Ausgaben von 1757 und 1759, so gewinnt man den Eindruck, daß es sich bei dem ersten Katalog u m eine spontan entstandene, der H ä n g u n g der Gemälde folgende Darstellung handelt. Der Katalog von 1759 läßt sich mit seinen kurzen und prägnanten Beschreibungen und der inhaltlichen Aufteilung nach Schulen nun eindeutig als Verkaufskatalog einstufen. Einige Andeutungen unterstreichen diese These; zu einem Gemälde der Brüder Wouwerman bemerkte Oesterreich, daß »dieses Stück allein ein Cabinett ausmachen kann, und in der besten Sammlung aufgehoben zu werden verdient«.7(b Ferner empfahl er den Ankauf einiger Gemälde aus dem Umkreis Solimenas: »Diese fünf Gemähide sind zu einem großen Zimmer verfertiget worden; und können gewiß vor eine sehr schöne Tapete paßiren; denn sie sind von einen angenehmen Colorii. «m Diese Angaben machen ohne eine gewisse Verkaufsintention keinen Sinn, zumal der merkantile Aspekt abermals durch die Vignette des Deckblattes hervortritt. Die dargestellten Objekte wie Bücher, Schriftrollen und Fernrohr, Segelschiff, Globus u n d Waage sowie eine Kette mit Amulett, die aus der Rocailleform herausragt, können als persönliche Attribute Gotzkowskys gedeutet werden, die ihn als einen gebildeten, über mannigfache Kontakte verfügenden und wohlhabenden M a n n ausweisen. Die auf einem Sockelpodest ruhende und die Szenerie erhaben überblickende Merkurbüste läßt sich attributiv der Person Gotzkowskys und seinem kaufhändlerischen Umfeld zuordnen, zum anderen könnte sie als ein seit der Antike übliches Handelssymbol auf die Verkäuflichkeit der im Katalog aufgeführten Gemälde hindeuten. Zwar wäre es zu weit gegriffen, Gotzkowsky mit einem Götterboten gleichzusetzen, doch mit der Vermarktung von Bildern avancierte er ebenfalls zu einem Boten, der die angesagten Kunstfertigkeiten nach Berlin brachte u n d somit neue Impulse setzte. Auch in dieser Vignette findet sich versteckt ein der freimaurerischen Ikonographie entlehntes Symbol: eine aus der Rocailleform heraushängende Kette als Zeichen »der brüderlichen Verbundenheit, der ewigen Dauer und der Universalität der Freimaurerei«.701 Gerade letzter Ansatz findet seine Entsprechung im Segelschiff sowie im Globus als weltumspannende, grenzübergreifende Attribute. Oesterreichs Herausgabe eines deutsch- u n d französischsprachigen Kataloges zeigt, daß sowohl eine heimische Klientel angesprochen werden sollte, die der bürgerlichen Kaufmannsschicht zuzuordnen ist, als auch Interesse bei der höfischen Gesellschaft sowie diplomatischer Kreise auf

704 Folgende N u m m e r n des 1757-Kataloges werden 1759 nicht mehr genannt: Veroneses Auferstehung (Nr. 21), van Dycks Abendmahl

(Nr. 32) und Kreuzabnahme

Lazarus

(Nr. 43), eine Landschaft von Dietrich (Nr. 65) sowie

Christus heilt die Kranken (Nr. 107), ein Gemälde von Rubens (Nr. 47), ein Portrait von Pierre de Greber (Nr. 48), Loths Venus und Adonis sowie Die keusche Susanna (Nr. 52, Nr. 53), eine Mars und Venus-Darstellung von Verbuys (Nr. 67), ein Kavalleriebild von Q u e r f u r t h (Nr. 72), eine Diana von Renting (Nr. 83), Pesnes Anbetung der Hirten (Nr. 89), zwei Werke von Torelli (Nr. 94, Nr. 95) u n d ein Cupido von Carracci (Nr. 102). 705 [Oe] 1759, Nr. 102. 706 Ebd., Nr. 178. 707 Binder 1988, 2 1 7 ff.

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internationaler Ebene geweckt werden sollte. Letztere verweilten gerade in den Kriegsjahren häufiger und längerfristig in Berlin. Eine Resonanz auf die Kataloge ließ nicht lange auf sich warten, wie ein Brief Sulzers an Hagedorn belegt: »Mr. Oesterreich est occupé à examiner tous les tableaux origineaux de bons maîtres qui se trouvent dispersés ici entre les mains des particuliers. Il en donnera un Catalogue et un Catalogue raisonné s'il suit mon avis. Car nomme il ne choisit que des bons maîtres il en pourra toujours dire assez de bien pour oser toucher aux défauts. Mais le bon homme est excessivement faible de la plume, et malgré la grande habitude de voir ce qu'il y a de mieux, son gout n'est ni assez formé ni épuré. O n diroit plutôt qu'il est brocanteur que connoisseur.« 708 Sulzers Kritik an den teils fraglichen Zuschreibungen einiger Gemälde darf sicherlich nicht nur Oesterreich zum Vorwurf gemacht werden. Vielmehr spiegeln sich hierin auch die teils oberflächlichen Kenntnisse Gotzkowskys wider, auch wenn sich sein Einfluß auf die Kataloge und die darin gemachten Ausführungen nicht nachweisen lassen. Sulzers Beanstandungen bezüglich der kurzen Ausführungen stieß bei Oesterreich auf Resonanz, denn in den kommenden Jahren gab er ausführlichere Gemäldekataloge herausgab. Hierzu gehörte eine Beschreibung derjenigen Sammlung verschiedener Original^ Gemähide von italienischen, holländischen, französischen und deutschen Meistern, welche das Cabinet ausmachen von Johann Georg Eimbke, die 1761 in Berlin erschien und später als »der erste anspruchsvolle Katalog in deutscher Sprache« gewertet wurde. 709 Zwei Jahre später folgte die Beschreibung des Cabinets von Gemählden verschiedener berühmter Mahler, des Herrn Johann Gottlieb Stein sowie Des Herrn Daniel Stenglin in Hamburg Sammlung von Italienischen, Holländischen und Deutschen Gemählden. Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, daß 1766 ein dritter Katalog über die Sammlung Gotzkowsky erschien: Catalogue d'une tres-belle collection de tableaux, de differens maîtres, italiens, flamands, allemands et françois, laquelle se trouve dans la maison de Mr. Ernest Gotzkowsky. Da dieser mit den ersten beiden Katalogen von 1757 und 1759 nicht zu vergleichen ist, wird auf die inhaltlichen Ausführungen später eingegangen. Im folgenden sollen die beiden Beschreibungen der Galerien Eimbke und Stein näher betrachtet werden, da der Aufbau dieser Sammlungen maßgeblich von Gotzkowsky initiiert wurde. Der Bankier und Münzdirektor Johann Georg Eimbke (1714—1793) als auch der Getreidelieferant Johann Gottlieb Stein gehörten zu der neuen Schicht des friderizianischen Bürgertums, die innerhalb kurzer Zeit und besonders während des Siebenjährigen Krieges ein enormes Vermögen angesammelt hatten, was sich in einer opulenten Lebenshaltung und dem Erwerb kostbarer Gemälde widerspiegelte. Im Gegensatz zu den Gotzkowsky-Katalogen dienten diese Beschreibungen der repräsentativen Darstellung privater Sammlungen, um sie »auch andern Freunden der Malerkunst bekannter zu machen«.710 Mit seinen ausführlichen Beschreibungen, die mit entsprechenden Literaturhinweisen ergänzt und durch die Rekonstruktion der Provenienz abgerundet werden, verfolgte Oesterreich folgende Intention:

708 Zit. aus Baden 1797, S. 311, 30. Januar 1759. 709 Holst 1939 (II), S. 256. 710 O e 1761, o. S.

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»Denn wie gut würde es nicht seyn, wenn wir zur Aufnahme der Historie der Malerey mehrere Verzeichnisse von Gallerien und Cabinettern und denen darin befindlichen Original-Gemählden hätten? [ . . . ] Es wäre also zu wünschen, daß viele andre, die Besitzer von schönen Gemählden sind, die ädle Gesinnung hätten, sie durch Beschreibungen allen Liebhabern bekannt zu machen, indem dadurch ein vieles zur Beförderung der Kenntnis und Liebhaberey beygetragen werden könnte.« 7 " Im Vergleich zu den Gotzkowsky-Katalogen sind diese Sammlungsbeschreibungen nicht nur wesentlich ausfuhrlicher, sondern in Anbetracht der aufwendigen Vignetten viel repräsentativer gestaltet, zu denen Nicolas-Blaise Le Sueur ebenfalls einige Vorlagen lieferte. 7 ' 2 Die Sammlung des Bankiers Eimbke war klein, aber fein. 713 Insgesamt zählt Oesterreich 56 Gemälde auf; trotz des geringen Umfanges sind alle wichtigen Schulen durch bedeutende Exponate vertreten, wobei die holländischen Meister des 17. Jahrhunderts und zeitgenössische deutsche Künstler überwiegen. Dieser Schwerpunkt macht sich auch bei den Ankäufen Eimbkes bei Gotzkowsky bemerkbar: Anhand von Verweisen und Anmerkungen Oesterreichs lassen sich 18 Erwerbungen mit einer Gotzkowsky-Provenienz nachweisen. 714 Inwiefern es sich bei den Gemäldeankäufen Eimbkes um einen en-bloc-Ankauf bei Gotzkowsky handelte, ist anhand der Quellen nicht ersichtlich. Da die erworbenen Gemälde größtenteils noch 1759 im Kabinett Gotzkowskys genannt werden, Eimbke aber bereits 1763 bankrott war, müssen die Gemälde in diesem Zeitraum erworben worden sein. Auf Anraten Gotzkowskys soll er seine Bildersammlung als Investition, als Spekulations- und Wertobjekt aufgebaut haben. 715 Dies erklärt auch den breitgefächerten Ansatz, der keine individuelle Neigung erkennen läßt. Eimbkes Gemäldegalerie steht somit exemplarisch für eine Vielzahl von Sammlungen, die während des Siebenjährigen Krieges als eine Art Renditeanlage entstanden sind. Daß Gemälde zu diesem Zeitpunkt bereits als wertsteigernde Objekte geschätzt und als zusätzliche Kapitalanlage genutzt wurden, zeigt die sich allmählich durchsetzende Tendenz, dem sich etablierenden Kunstmarkt einen zunehmend ökonomischen Stempel aufzudrücken. Als Eimbke im August 1763 zahlungsunfähig wurde und seine Gläubiger, unter ihnen Gotzkowsky, sich mit einem Bruchteil ihrer Forderungen zufrieden

711 Ebd., O.S. 712 Vgl. SMB, KK, Blaise Nicolas Le Sueur, KDZ-Nr. 3397, Inv.-Nr. 3 7 4 - 1 8 8 8 . 713 Johann Georg Eimbke (1714-1793) wurde als Sohn eines Goldschmieds in Braunschweig geboren und absolvierte eine Münzlehre. 1749 wurde er nach Berlin an die königliche Münze berufen, um bei der Einfuhrung der neuen preußischen Währung mitzuwirken. Bei dieser Aufgabe erwies er sich als ein erfolgreicher, aber auch eigennütziger Mensch, der sich bereicherte. Als die jüdische Generalpacht eingeführt wurde, verlor er seinen Posten, erreichte jedoch die Auszahlung einer hohen Pension, die er in eigene, teils dubiose Bankgeschäfte investierte. 714 Zu den Ankäufen aus der Sammlung Gotzkowsky gehörten Veroneses Auferstehung Lazarus (Nr. 1), ein Feuriger Schlangenbißvon Rubens (Nr. 8), Rembrandts Haman undMardochai (Nr. 10), Bols Elias (Nr. 11) zwei InterieurBilder von Peeter Neeffs d. A. (Nr. 12, Nr. 13), ein Genrebild von Dou (Nr. 14), Bloemaerts Mittagsstunden, das sich heute im Museum of Fine Arts in Montreal befindet (Nr. 17), jeweils ein Bild von Thomas van der Wilt, Philips Wouwerman und Willem van Mieris (Nr. 23, Nr. 26, Nr. 28) sowie eine Bergpredigt von Eckhout (Nr. 29). Die Ankaufsserie beschließt ein Badendes Frauenzimmer von Liss (Nr. 30), eine Susanna im Bade von Loth (Nr. 37) sowie jeweils zwei Landschaften von Dietrich (Nr. 50, Nr. 51) und Roos (Nr. 55, Nr. 56). 715 Vgl. Rachel/Wallich 1967, Bd. 2, S.468f.

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geben mußten, wurde am 18. Mai 1764 seine Gemäldesammlung in Berlin versteigert. Als Auktionskatalog diente Oesterreichs Beschreibung von 1761. Zu den Bietern gehörte auch Gotzkowsky. 716 Uber den weiteren Verbleib der Sammlung Eimbke ist nichts Näheres bekannt. Die Sammlung des Getreidehändlers Johann Gottlieb Stein unterschied sich kaum von Eimbkes Kabinett. Oesterreichs Katalog, der sich an die »Liebhaber der Mahlerey« wendet, ähnelt in seinem Aufbau mit detaillierten Bildbeschreibungen und Künstlerviten, die im Falle von Salvator Rosa und van Dyck zu kleinen Monographien ausarten, den Ausführungen des vorherigen Kataloges. Im Anhang befindet sich eine Anzeige der in diesem Buche befindlichen Meister, nach alphabetischer Ordnung. Von den insgesamt 66 Gemälden kam der überwiegende Teil aus der flämisch-holländischen Schule des 17. Jahrhunderts, zehn Werke waren von zeitgenössischen deutschen Künstlern und neun Gemälde stammten von italienischen Barockmalern. Mit welchen Intentionen Stein seine Sammlung aufgebaut hat und über wen er seine Bilder erwarb, ist nicht bekannt, ebenso der Verbleib der Gemälde. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß Gotzkowskys Urteil im Aufbau der Sammlung von entscheidender Rolle war. 717 Abschließend läßt sich sagen, daß Oesterreich mit der Herausgabe seiner Beschreibungen einen erfolgreichen Einstieg innerhalb der bürglichen Sammlerschicht hatte. Seine Versuche, die abgeschirmten und nicht jedermann zugänglichen Berliner Sammlungen einem breiten Publikum bekannt zu machen, sind herausragende Quellen, um die zeitgenössischen Bildergalerien, deren Zusammensetzungen und Präferenzen als auch die Wanderwege einzelner Gemälde nachvollziehen zu können. Erst in Friedensjahren sollte er sich wieder königlichen Aufträgen zuwenden, als Friedrich II. die Ausstattung der Bildergalerie von Sanssouci durch zahlreiche Gemäldeankäufe beendete und mit der Errichtung des Neuen Palais begann. Die von Oesterreich in diesem Zusammenhang herausgegebenen Beschreibungen über die königlichen Kabinette als auch die von ihm initiierten Hängepläne sind die wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Potsdamer Sammlungen als auch der weiteren Bilderverkäufe Gotzkowskys an Friedrich II. nach Kriegsende. Die Ironie der Geschichte wollte es, daß die vom Dresdner Hof bezahlten Reisen, die die Grundlage für Oesterreichs Wissensaneignung und Ausbildung im kunsthistorischen und druckgraphisch-künstlerischen Bereich waren, erst im benachbarten Preußen zur vollen Geltung kommen sollten.

716 Ein annotiertes Exemplar befindet sich in der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Bibliothek, 18. Jh./1 /13/05. Zu Gotzkowskys Ankäufen gehörten zwei Gemälde von Palamedes Palamedesz Stevers (Nr. 15, Nr. 16), ein Gemälde von Wilt (Nr. 23), Gerard Segers Maria mit dem Kinde Jesu (Nr. 31) und eine Landschaft von van Kempen (Nr. 32). 717 Der gebürtige Mainzer Johann Gottlieb Stein kam vor dem Krieg nach Berlin und arbeitete als Ober-Commissarius bei der Magazinverwaltung. Während des Krieges war er für die Versorgung der Heere zuständig, später für die Verteilung von Getreide an die Berliner Bevölkerung. Gerüchten zufolge besaß er eigene Getreidemonopole und soll damit großen Wucher betrieben haben. Das verlustbringende Getreidegeschäft mit Rußland von 1763 brachte seinen Zusammenbruch. Unter mysteriösen Umständen verschwand er über Danzig nach London und tauchte in Amsterdam unter falschem Namen wieder auf. Aufgrund seiner hohen Schulden wurde er im März 1764 nach Berlin ausgeliefert und kam nach deren Begleichung in mehrjährige Festungshaft. Lugt erwähnt, daß Steins Sammlung im Dezember 1763 versteigert wurde, während Rachel-Wallich von einer Aufteilung der Steinschen Gemälde-, Silber- und Porzellansammlung unter den drei Hauptgläubigern (Gotzkowsky, Leveaux und Schultze) im Jahr 1765 berichten, vgl. Lugt (1388); Rachel/Wallich 1967, Bd. 2, S.440f.

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E. Ein königliches Testament mit Folgen Die Gemälde Antoine Pesnes in der Sammlung Gotzkowsky Anhand der bisherigen Quellenauswertungen konnte ein Einblick in Gotzkowskys Kunsthandel gegeben und seine weitverzweigten Verbindungen in ersten Ansätzen rekonstruiert werden. Vergleicht man die ersten beiden Kataloge seiner Sammlung von 1757 und 1759, so fällt auf, daß Gotzkowsky jedoch nicht nur Alte Meister erwarb, sondern auch Werke von zeitgenössischen Künstlern. Neben dem kursächsischen Hofmaler Dietrich war der preußische Hofkünstler Antoine Pesne mit insgesamt sechzehn Bildern am häufigsten vertreten. Die von Pesne erworbenen Gemälde lassen sich zwar nicht mehr alle identifizieren, da dieser seine Sujets in abgewandelter Form häufig wiederholte bzw. über etliche Schüler und Gehilfen verfügte, die zahlreiche Werkstattrepliken anfertigten. Trotzdem wird der Versuch unternommen, im folgenden einige der Pesne-Gemälde in Gotzkowskys Besitz zu bestimmen, um davon ausgehend die Provenienzen und Erwerbungsquellen zu rekonstruieren. Im Katalog von 1757 werden vier Gemälde von Pesne aufgeführt, darunter eine Anbetung der Hirten-, die zu den wenigen religiösen Darstellungen des Künstlers gehört. Mit Sicherheit ist dieses Bild eine Variante der gleichnamigen Olskizze, die sich in der Berliner Gemäldegalerie befindet.718 Ferner besaß Gotzkowsky das heute verschollene Porträt eines Juden, von dem sich eine Reproduktion von Johann Georg Schleuen erhalten hat, die mit dem Zusatz > Tiré de la Collection de Monsieur Jean Ernest Gotzkowsky Marc hand· versehen ist (Abb. 60). 1 9 Desweiteren führt der 1757-Katalog eine nicht näher identifizierbare Gesellschaft im Freien sowie ein Porträt nach einem Gemälde des holländischen Genremalers Ferdinand Bol auf, »que le plus grand Connoisseur y seroit trompé, on peut même le regarder comme Original«.710 Wann Gotzkowsky diese Bilder angekauft hat, ist nicht bekannt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß er die Gemälde direkt aus Pesnes Atelier erworben hat, wie das erwähnte Porträt eines Juden: »Ce Jut la toute derniere pièce de ce Maitre, y ayant encore travaillé Ô" ne l'ayant achevée que quelques jours avant sa mort.« 21 Daß es sich bei den Bildern um Auftragswerke Gotzkowskys handelte, ist nicht anzunehmen, da die unterschiedlichen Sujets keinen klaren Zusammenhang erkennen lassen. Vergleicht man die Kataloge von 1757 und 1759 weiter, so wird deutlich, daß sich die Anzahl der Gemälde von Pesne in Gotzkowskys Besitz innerhalb von zwei Jahren nahezu verdreifachte. Es liegt nahe, daß Gotzkowsky als Berliner Kunsthändler einige Werke des angesehenen preußischen Hofmalers besaß. Es fragt sich jedoch, woher diese Gemälde kamen? Sicherlich könnte ein Grund hierfür im Ableben des Künstlers im August 1757 und der sich daran anschließenden Werkstattauflösung

718 Vgl. Oe 1757, Nr. 89. Es existieren noch zwei Varianten der Hirtendarstellung: Eine Geburt Christi mit anbetenden Hirten im Erzbischöflichen Ordinariat in Charlottenburg sowie eine Anbetung der Hirten in der Berliner Gemäldegalerie, vgl. Berckenhagen (u.a.) 1958, Nr. 523, Nr. 523 Α.; Walter 1925; Ausst.-Kat. Berlin 2003, S. 32. Vergleicht man die Größenangaben, so handelte es sich bei dem Gotzkowsky-Gemälde um eine dritte Variante. 719 Oe 1757, Nr. 91. Das Original wurde zuletzt von Parthey in der Berliner Sammlung E G. Naumann gesichtet, vgl. ders. 1864, Bd. 2: Pesne, Nr. 125. 720 Oe 1757, Nr. 108, Nr. 58. 721 Ebd., Nr.91. Zur stilistischen Einordnung des Gemäldes vgl. Berckenhagen 1960, S. 187f.

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gelegen haben. Testamentarisch hatte Pesne seine beiden Töchter als Erben des Mobiliars, der Häuser und der Gemälde eingesetzt. Doch kann davon ausgegangen werden, daß diese die ererbten Werke ihres Vaters direkt weiterverkauften und keinen Zwischenhändler einschalteten. 722 Vielmehr scheint eine andere Möglichkeit plausibel: bei den Pesne-Bildern, die im 1759-Katalog erstmals aufgeführt werden, handelt es sich um Gemälde aus dem Vermächtnis der am 2 8 . Juni 1757 verstorbenen Königin-Mutter Sophie Dorothea von Preußen. Diese Vermutung läßt sich am Beispiel einiger Quellen dokumentieren, die den testamentarischen Nachlaß Sophie Dorotheas regelten, aber auch Einblick in die Differenzen der Erben über diese letzte Verfügung gewähren. Anlaß der Ungereimtheiten bildete das Testament der Königin-Mutter, das in Gegenwart des Großkanzlers Karl Wilhelm Finck von Finckenstein ( 1 7 1 4 - 1 8 0 0 ) am 12. Juni 1 7 5 3 abgefaßt worden war und folgende Erbaufteilung vorsah: demnach erbte Friedrich II. »Unser

hertzgeliebter

Herr Sohn, alles was Uns an Jouvelen und Edelgesteinen zugehöret, [...] Monbijou nebst allen Meublen, außer dem Porcelain, der Bibliothec, und denen Tableaux, von welchen wir unten weiter disponiren

werden.« Ihrem Zweitältesten Sohn August Wilhelm vermachte Sophie Dorothea »sämt-

liches hinterlaßenes Silber Geschirr«, während Prinz Heinrich »alle die bey der Churmärckischen Landschaft, oder sonst auch zinßbar stehende Capitalien, welche in Suma 141500 Ih Ir. ausmachen« zugewiesen bekam. Ihr jüngster Sohn Prinz Ferdinand erbte »die Mansfeldische

Güther,

welche

Wir mit Unseren Geldern angekauft haben«.723 Für Unklarheit und Hauptstreitpunkt des Testaments sorgte folgende Verfügung: »Denen sechs obenbenandten Königlichen Printzeßinnen, Unsern hertzlich geliebten Töchtern, vermachen W i r alles Porcelain, nebst denen Tabatieren, Uhren, Pendulen, Tableaux und Büchern, welche in sechs Caveln gesetzet und darüber geloset werden soll.« 724 Erst im Februar 1 7 5 8 wurde das Testament eröffnet, da Prinzessin Amalie (1723—1787), jüngste Tochter der Verstorbenen, persönlich bei der Testamentseröffnung zugegen sein wollte, während sich ihre Geschwister durch Bevollmächtigte vertreten ließen. 725 Uber die Aufteilung des Erbes und die daraus resultierenden Dissonanzen berichtet Graf Lehndorff, der als Kammerherr der Königin Elisabeth Christine das Geschehen aus nächster Nähe beobachten konnte: »Ich sehe dabei auch wieder, daß Testamente niemals so klar abgefaßt werden, daß sie nicht Anlaß zu Zwistigkeiten geben. Das der Königin z. B. hat der Großkanzler selbst aufgesetzt, und trotzdem ist man sich jetzt über verschiedene Punkte im unklaren. Die Königin sagt: meine Töchter sollen alles an Gemälden, Porzellan, Wand= und Taschenuhren haben, und meinte damit, daß sie alle Zierstücke erhalten sollten. Nun sagen aber die Herren vom Gericht, die Behältnisse und tausend andere Lappalien gehörten nicht dazu und müßten unter alle zehn Kinder der Königin verteilt werden. Dem Prinzen von Preußen hat sie alles Silberzeug ver-

722 Vgl. Seidel 1926. 723 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 5, fol. 38f. 724 Ebd., fol. 38. 725 Vgl. hierzu GStA PK, BPH, Rep. 46, R 6, fol. 34.

E. Ein königliches Testament mit Folgen

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60. Johann Georg Schleuen nach Antoine Pesne, Portrait d'un Juif, 1760, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett.

macht, u n d n u n weiß man nicht, ob die in Silber gefaßten Gläser dem Prinzen oder zur Erbschaftsmasse gehören.« 726 U m längere, aufreibende Streitigkeiten zu vermeiden, einigten sich die königlichen Geschwister am 2. März 1758 auf folgende Vorgehensweise:

726 Zit. aus Schmidt-Lotzen 1910, Nachträge, Bd. 1, S. 157.

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Z u »einer jeden Arth derer vorkommenden Mobilien u n d Sachen sind Zwey Taxatores adhibiret. [...] Z u dem Porcellain, zu den Pendulen u n d laquirten Sachen: 1. den Kauf M a n n Gotzkowsky Seniorem, 2. den Kauf M a n n Jordan - Z u den Portraits, Tableaux, Kupfer Stiche: 1. den Königl. Gallerie u n d Mahlerey Inspectorem Oestereich, 2. den Kauf M a n n Gotzkowsky juniorem - zu dem Glaß Cabinet u n d anderen Gläsern: 1. den H o f Glas Schneider Trümpert; 2. den Glas Händler Schocken - zu den Marmoren u n d anderen steinernen Tischen, [...] 1. den Bildhauer H o p p e n h a u p t , 2. den Stein Händler Kühn - zu den C o m m o d e n , [...] Bureaux, [...] Chatouillen u n d Kästgens so nicht laquirt, [...] 1. den H o f Tischler Chilansky 2. den Tischler Dehne.« 727 Ferner sollten zu »der Taxe der Tabatieren, Uhren und obbenandter kostbaren Galanterien aber der H. Gotskowsky Senior und der H. Baudeson genommen werden möchten«™ A n h a n d dieser Einteilung läßt sich verdeutlichen, wer bei H o f e als besonders kompetent angesehen wurde, denn es kann vorausgesetzt werden, daß sich die königliche Familie nur auf versierte Kenner und Fachkräfte verlassen wollte. D e m n a c h bevorzugte man den älteren Gotzkowsky für die Galanteriewaren u n d Johann Ernst Gotzkowsky als Gutachter von Gemälden und Kupferstichen. Ihm zur Seite stand Matthias Oesterreich, der ein Jahr zuvor an die königlichen Sammlungen berufen worden war. Die Auswahl der Taxatoren unterstreicht damit Gotzkowskys angesehene Rolle als Gemäldehändler u n d die ihm von herrschaftlicher Seite unterstellte Kunstkennerschaft. Wenige Tage später nahmen die Begutachtungen ihren Anfang: »Nachdem sich die Herrn Bevollmächtigten nebst der Commission heute wieder in M o n b i j o u eingefunden, so haben sich auf die in den vorigen Protocollis mit benandte u n d auf heute beschiedene Taxatores, die KaufLeute Gotzkowsky Senior u n d Jordan ingl. der Königl. Gallerie Inspector Oesterreich u n d der Kauf M a n n Gotzskowsky junior gestellet. Sie sind also gleichfalls auf eine gewißenhafte Taxe angewiesen u n d ist darauf mit der Würdigung der Porcellain, derer Portraits, Tableaux, Kupfer Stiche der Anfang gemacht u n d Vor- u n d Nachmittags damit verfahren u n d continuiret worden, wie solche die aufgenommenen Taxen mit mehreren besagen.« 729 Der U m f a n g der von Gotzkowsky u n d Oesterreich zu taxierenden Gemälde belief sich auf über 800 Bilder, die sich sowohl in Schloß M o n b i j o u als auch in den Privatgemächern Sophie Dorotheas im königlichen Stadtschloß befanden. Als Grundlage der Bemessungen diente den Gutachtern die umfangreiche Auflistung der Besitztümer der Königin, das Inventarium der Verlassenschaft der hochseel. Königin Sophie Dorothea d. a. 1758.730 Darin sind neben der umfangreichen Porzellan- u n d Tabatièrensammlung auch die über 800 Bilder mit entsprechenden Schätzpreisen aufgeführt, die Sophie Dorothea zeitlebens erworben oder geschenkt bekommen hatte. Der Großteil ihrer Bildersammlung bestand vorwiegend aus Familienporträts, gefolgt von zahlrei-

727 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 19, fol. 12f. D e n Quellen nach waren die Streitigkeiten über das mütterliche Erbe vor allem durch Prinzessin Amalie geschürt worden, vgl. Feuerstein-Prasser 2003, S. 167. 728 GStA PK, B P H , Rep. 46, R 19, fol. 19, 11. März 1758. 729 Ebd., fol. 16. 730 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 14.

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61. Heinrich Schlichting, Schloß Monbijou im Jahre

1725 mit Aufriß einer Wand im Spiegel-Saal, SPSG, Plankammer.

chen Porträts verbündeter Potentaten, angesehener Gelehrter sowie ihrer Hofdamen. Vor allem von Antoine Pesne besaß die Königin-Mutter eine reichhaltige Sammlung an Gemälden. Dies läßt sich auf ihre lebenslange Patronage des Künstlers zurückführen, so daß Sophie Dorothea bei ihrem Tode über hundert Werke von Pesne und seiner Werkstatt hinterließ. Vor allem ihr Witwensitz »enthielt so viele Bilder von Pesne, daß dieser Monbijou als den Ort empfanden haben muß, in dem sein Lebenswerk eigentlich wurzelte«,731 Monbijou spielte daher bei der Begutachtung der Kunstwerke durch Oesterreich und Gotzkowsky eine besondere Rolle. Dabei ging es nicht nur um die Taxierung des Wertes der einzelnen Bilder, sondern auch um konservatorische Fragen, inwieweit beispielsweise ganze Raumbestände aufgelöst werden mußten, um die darin enthaltenen Gemälde in die Erbschaftsmasse einfließen zu lassen. Hierbei handelte es sich vorwiegend um Gemäldeensembles, die fester Bestandteil der Wanddekoration waren. Ihre Herauslösung hätte die Auflösung des Raumgefüges zur Folge gehabt, wie die Diskussion um die im Spiegelsaal von Monbijou enthaltene Hofdamengalerie zeigt (Abb. 61):

731 Börsch-Supan 1986, S. 12f.; vgl. ders. 1982, S.6.

200

1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

»Sechstens haben sich unter dem in § 5 Testamenti ausgenommenen Tableaux in Monbijou im Spiegel Saal 10. fest eingemahlte Portraits an Vorrath 326 Thlr. 12 gl. gefunden, so auch in dem Tit. XI. in Tableaux aufgefiihret worden, wo aber dadurch so viel leere Plätze in diesem Spiegel Saal werden dürften, so würde die Sechste Frage seyn. O b die in Tit. XI. Sub η. 1 7 2 - 1 8 1 aufgeführte Portraits von Monbijou gleich den übrigen wegzunehmen.« 7 3 2 Bei der Hofdamengalerie handelte es sich u m das Pendant der von Friedrich Wilhelm I. initiierten Offiziersgalerie in Königs Wusterhausen. Einen kleinen Eindruck dieses >Sallet à la Grecque< gewährt eine Zeichnung, die von dem königlichen Hofgärtner Heinrich Schlichting angefertigt u n d in dem Band Abriss Ihro Majestaet der Königin von Preußen Lust-Haus und Gartten Monbijou 1725 veröffentlicht wurde. Dieser zeigt einen Ausschnitt eines Wandaufrisses im Spiegelsaal, d e m sogenannten Oberlichtsaal, der sich an zentraler Stelle des Schlosses befand. Die Räumlichkeiten erstreckten sich über zwei Geschosse: großzügig dreigeteilte Fenster über einer Scheinempore spenden ausreichend Licht in das Untergeschoß, in dem die Wandvertäfelung durch Pilaster in einzelne Felder segmentiert ist. In den unteren Registern befindet sich jeweils ein gerahmter Spiegel, der im oberen Register von einem Hofdamenporträt bekrönt wird. 733 Auf die befürchtete Auflösung der Hofdamengalerie u n d der daraus resultierenden Zerstreuung der Kunstwerke bezieht sich eine weitere Bemerkung des Grafen Lehndorff: »Ich gehe nach Monbijou, um den französischen Generälen das Schloß zu zeigen. Wir finden dort alle die Herren vom Gericht, die das Inventar aufnehmen u n d das Mobiliar u n d die Porzellanssachen teilen. [...] Dieses früher so hübsche Haus, das die verstorbene Königin seit 50 Jahren ausgeschmückt u n d verschönert hat, wird jetzt veröden, u n d alle die Prachtstücke, die darin sind, werden n u n nach allen vier Enden Europas wandern, denn alles Porzellan wird unter die in Schweden u n d in ganz Deutschland verheirateten Prinzessinnen verteilt werden.« 734 Bereits am 15. März 1758 wurde die Inventarisierung u n d Taxierung der Gemälde in M o n b i jou von Oesterreich u n d Gotzkowsky abgeschlossen. 735 Im Anschluß daran wurde der Galerieinspektor mit der Auf- u n d Verteilung der Gemälde u n d Kupferstiche in sechs Kisten beauftragt: »Ingleichen ist auch beliebt worden, daß der Gallerie-Inspector H. Oesterreich die Sortirung der Caveln derer Tableaux und Taille Doucen allein verrichten solle.«7i6 Nachdem die Schätzungen abgeschlossen, die einzelnen Kisten ihrem Werte nach gleichmäßig verpackt u n d diese unter den

732 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 19, fol. 34. 733 In Anlehnung an die Schloßinventare von 1738 u n d 1758 handelte es sich bei den Dargestellten u m folgende Hofd a m e n : Frau von Blaspiel geb. von Hoff, Fräulein von d e m Bussche, Charlotte Luise Gräfin von Schwerin geb. Gräfin Dönhoff, Katharina von Sacetot geb. de la Chevallerie, Albertine Eleonore von der Marwitz geb. Freiin von Wittenhorst-Sonsfeld, Philippine Luise Gräfin von Schwerin geb. von Wagnitz, Ilse Anna Freifrau von Kameke geb. von Brünnow, Freifrau von Hagen geb. Gräfin Wartensleben, Gräfin von Schlieben-Sanditten, Dorothea Luise von Wittenhorst-Sonsfeld, vgl. Börsch-Supan 1982, S.20. 734 Zit. aus Schmidt-Lotzen 1910, S. 157, 3. u n d 9. März 1758. 735 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 20, fol. 79—92 mit den Taxierungen des Galerieinspektors gefolgt von den Aufstellungen Gotzkowskys (fol. 93—108) vom 15. März 1758. Desweiteren war Oesterreich für die Taxierung der Kupferstiche in der Bibliothek von Monbijou sowie der Münzen im Medaillen-Kabinett zuständig, vgl. fol. 118ff. 736 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 19, fol. 67.

E. Ein königliches

Testament mit Folgen

201

königlichen Schwestern verlost waren, schienen auch die geschwisterlichen Dissonanzen über das mütterliche Erbe besänftigt. 737 Doch wie es Lehndorff vorausgeahnt hatte, wurde die Hofdamengalerie aufgelöst, um die Kunstwerke an die Erben zu verteilen. Lediglich die wandfeste Ausstattung mit den Spiegeln blieb erhalten. Die Wandlücken wurden später geschlossen, wie eine Handwerkerrechnung aus dem September 1759 belegt: »10 Füllungen in die Boisierten Wände gemacht wo vor diesen Porträts gewesen.«™ Uber die Tätigkeit der Gutachter geben die auszugsweise wiedergegebenen Rechnungen Einblick, die von unbekannter Hand kommentiert wurden/ 3 9 Die Quellen zeigen, daß Gotzkowsky bei der Bewertung und Aufteilung des Bilder-Nachlasses Sophie Dorotheas eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat. Allem Anschein nach wurden ihm aber auch Gemälde aus der Erbmasse der Königin zum Verkauf übertragen, denn einige der im königlichen Inventar aufgelisteten Werke sind identisch mit denen im Gotzkowsky-Katalog von 1759 aufgeführten Bildern. Da Sophie Dorothea von vielen Gemälden mehrere Ausführungen besaß, erscheint eine direkte Zuschreibung nur über eine Auswertung der an die Töchter verlosten Kisten möglich. Vergleicht man den Inhalt der sechs einzelnen Caveln untereinander, so fällt besonders die CavellH. ins Auge, die der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth zugelost wurde. 740 Zahlreiche der ihr zugeteilten Bilder lassen sich später in Gotzkowskys Sammlung wiederfinden. Dieser These soll im folgenden nachgegangen werden, indem der Inhalt der CavellH. aufgeschlüsselt und die darin enthaltenen Bilder mit der Sammlung Gotzkowsky verglichen werden. Eines der Hauptwerke Pesnes in Gotzkowskys Besitz war das Bildnis der Tänzerin Barbara Campanini. 741 In der CavellH. wird es als »die Mademoiselle Barbarini von Pesne« aufgeführt und

737 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 17, Vol. II, S. 15f: »Nachdem die Inventur, Taxe, Einrichtung derer Caveln und derselben Auseinandersetzung derojenigen Praetiosorum, Effecten und Sachen, welche vermöge des § 9 des von der hochseel. Königin Frau Mutter Mayst. hinterlaßenen und d 13ten Februar a. c. publicirten

Testamenti, denen sechs Printzeßinnen

zugeeig-

net und in Inventario [... ] aufgeführet sind, so weit zu Stande gebracht, daß mit der Ziehung derer gemachten lose kann verfahren werden; [...] und auf solche Weise die Cavel Num 5 der Frau Marggräfin von Anspach Königl. Hoheit, Num 3 der Frau Marggräfin von Bayreuth Königl Hoheit, Num I der Frau Markgräfin von Schwedt Königl Hoheit, Num 6 der Frau Hertzogin von Braunschweig Königl. Hoheit, Num 4 der Königin von Schweden Maysth., Num 2 der Frau Printzeßin Amalie Kgl. Hoheit, gefallen undzutheil

worden.«

738 Zit. aus Kemper 2005, S. 33. In Anlehnung an Schlichtings Zeichnungen initiierte Paul Seidel in seiner Funktion als Direktor des Hohenzollernmuseums die Rekonstruktion des Spiegelsaals. Anstelle der Hofdamenporträts wurden zehn Bildnisse der Kinder Sophie Dorotheas von Pesne und Thomas Huber (1700-1779) eingefügt. 739 So forderte Christian Ludwig Gotzkowsky für seine Bewertung der Porzellane, Uhren und Tabatièren 120 Taler, »da er aber nur 13 Tage und auf das höchste gerechnet 14, darunter aber auch verschiedne nur halb mit der Taxe zugebracht, den Tagä 5 Thlr. =70 Thlr:«, der Goldschmied Lieberkühn bekam "da er sehr viel Gänge auch nach Monbijou verschiedener Kleinigkeiten wegen thun müßen, und mit seiner Leuten viele Tage gearbeitet nichts abzuziehen seyn würde=40 Thlr;« Oesterreich, der fur die Begutachtung der Gemälde, Kupferstiche und Medaillen zuständig war, verlangte über 100 Taler »da er aber nur 5 Tage mit der Inventur in Taxe zugebracht, nur auf die Eintheilung und Rangirung der Caveln auf das höchste 9 Tage zu rechnen, folglich 14 Tage ä 5 Thlr. =70 Thlr.« Johann Ernst Gotzkowsky, der für seine Dienste »zwar nichts fordern wollen, da er aber 3 Tage mit der Taxe der Tableaux occupirt gewesen ä 5 Thlr. = 15 Taler«, zit. aus GStA PK, BPH, Rep. 46, R 17, Vol. IV, fol. 597ff. 740 Vgl. ebd., S. 135-136. 741 [Oe] 1759, Nr. 121.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

auf 165 Taler geschätzt. 742 Laut Foerster und Berckenhagen handelt es sich hierbei u m eine verschollene Replik des im Charlottenburger Schloß aufbewahrten Originals. 743 Ein weiteres Bild ist das »Portrait von der Fräul. von Busch; Eine sitzende Figur, Kniestück, Lebensgröße, auf Leinewand gemahlt, sehr schön«, das im Inventar der CavelLIL. unter der Nr. 175 verzeichnet ist.744 Hierbei handelt es sich u m Frau von dem Bussche, eine der H o f d a m e n Sophie Dorotheas, deren Porträt zu den zehn Bildern der Hofdamengalerie gehörte. 745 Desweiteren enthielt der Gotzkowsky-Katalog ein »Portrait von der Fräul. von Schöningen, sie stehet am Tische, in der rechten Hand hat sie einen kleinen Taschen-Spiegel; Kniestück«,746 Ein entsprechendes Bild wird in der CavellLL. unter der Nr. 184 aufgeführt. Frau von Schöning, geborene Freifrau von Pannwitz, wurde 1748 Oberhofmeisterin der Herzogin Elisabeth Friederike von Württemberg (1732—1780), Tochter von Wilhelmine von Bayreuth. Außerdem besaß Gotzkowsky ein ganzfiguriges Porträt von Friedrich Wilhelm I. sowie ein Kniestück der Prinzessin Luise Ulrike von Preußen (1720—1782), seit 1751 Königin von Schweden. 747 Womöglich handelte es sich bei dem letztgenannten Bild u m eine Kopie des Originals von 1744, das heute in der Berliner Gemäldegalerie hängt. Es wurde im Auftrag Sophie Dorotheas aus Anlaß der bevorstehenden Hochzeit ihrer Tochter mit Adolf Friedrich Prinz von Holstein-Gottorp ( 1 7 1 0 - 1 7 7 1 ) gemalt. Als der schwedische Gemäldesammler u n d Kunstkenner Carl Gustaf Graf Tessin 1744 in Berlin weilte, u m Prinzessin Ulrike auf ihrer Hochzeitsreise nach Stockholm zu begleiten, pries er das Gemälde in einem Lobgedicht. 748 Z u den weiteren Bildern gehörte ein Porträt des Orientalisten Mathurin Veyssière de La Croze (1661—1739), das in der Cavellll. auf 56 Taler 12 Groschen geschätzt wurde u n d im Gotzkowsky-Katalog von 1759 gepriesen wird. 749 Rechnet man die aufgeführten Zoll- u n d Fußangaben um, so könnte das Bild identisch mit dem gleichnamigen Gemälde der Berliner Gemäldegalerie

742 GStA PK, B P H , Rep. 46, R 17, Vol. II, S. 135, Nr. 193. 743 Vgl. Foerster 1933, S.29, N r . 8 9 ; Berckenhagen (u.a.) 1958, S. 108, N r . 4 6 e . Aufgrund des hohen Preises geht Börsch-Supan davon aus, daß es sich bei d e m Bild u m ein Original von Pesne gehandelt hat, vgl. ders. 1982, S . 6 4 . Das ganzfigurige Porträt der Barbarina galt insofern als etwas Neues im Werke Pesnes, da er lebensgroße Darstellungen bis dato nur gekrönten Häuptern u n d hochgestellten Persönlichkeiten vorbehalten hatte. Als Vorbild dieses Porträttyps gilt das ganzfigurige Bildnis der Tänzerin Françoise Prévost von Jean Raoux aus dem Jahr 1723. 744 Vgl. [Oe] 1759, Nr. 118. 745 In der Musikkammer der Eremitage in Bayreuth hat sich ein Bild der Frau von d e m Bussche erhalten. Aufgrund des kleinen Formats handelt es sich bei der Bayreuther Fassung aber weder u m das Originalbild der Monbijou-Galerie noch u m das Bild aus Gotzkowskys Besitz, dessen Verbleib nicht geklärt werden kann. 746 [Oe] 1759, Nr. 120. 747 Ebd., Nr. 116, Nr. 117. In der Cavellll.

findet

sich das Gemälde des verstorbenen preußischen Königs unter der

Nr. 35 wieder, das Kniestück der Königin von Schweden wird unter der Nr. 59 aufgeführt. 748 GStA PK, BPH, Rep 47, Friedrich II, (de Catt), Spec 2, fol. 14: »A Monsieur Pesne, sur le Portrait de Son Altesse Royalle La Princesse Louise Utrique, par Monsieur Le Comte de Tessein en 1744: Que ton Art nous peint bien Souveraine,

lAimable

Qui d'un Peuple abbattu relevera le sort Ton pinçeau nous fait voir de notre Auguste Reine. Le maintien,

la

Grandeur, l'Air affable et le port, Mais de Mille Vertus l'admirable assemblage, De Mortels en déclin, le plus rare partage, qui promet a la Suede un fort si doux, si beau, Est l'ouvrage des Dieux, au dessus du pinçeau.« 749 Vgl. GStA PK, B P H , Rep. 46, R 14, fol. 75, Nr. 366; [Oe] 1759, Nr. 122.

E. Ein königliches Testament mit Folgen

203

sein (Farbtafel XII). 730 Der Dargestellte, der weise lächelnd, auf die Seite eines aufgeschlagenen Buches verweist, auf der sich noch Bruchstücke der Uberschrift entziffern lassen, war lange Jahre Privatlehrer der jungen Wilhelmine und unterrichtete sie in Geschichte und Geographie. Ferner bekleidete La Croze den Vorsitz des königlich-preußischen Münzkabinetts u n d wurde 1724 Professor am Collège Française. 751 Als weiteres Gelehrtenbild besaß Gotzkowsky ein »Portraits von Doctor Neumann, ein Bruststück«, das in der Cavellll. unter der Nr. 366 aufgeführt ist.752 Von dem 1731 entstandenen Bildnis des hoch angesehenen Chemikers hat sich nur noch ein Kupferstich von Johann Georg Wolfgang ( 1 6 6 2 / 6 4 - 1 7 4 4 ) erhalten, der von 1734 datiert ist."53 Neben den erwähnten Porträts hochgestellter Persönlichkeiten besaß Gotzkowsky auch einige Landschaftsansichten, die sich ebenfalls in der Cavellll. wiederfinden lassen, darunter vier Bilder des in Berlin tätigen Malers Carl Sylva Dubois, in die Antoine Pesne Staffagefiguren malte. 54 Bei dem Bild »Eine Gegend an der Oder ohnweit Freyenwalde« handelt es sich womöglich um eine Kopie Dubois nach Pesnes Kietz in Freienwalde. Pesne hatte das Bild während seiner Reise im August 1745 an den Westrand des Oderbruchs in Begleitung von Knobeisdorff und Dubois gemalt. 755 Der im Gotzkowsky-Katalog aufgeführte »Compagnon zum vorigen« scheint eine größere Fassung von Dubois Freienwald von Südosten zu sein. Besonders eindeutig untermauert ein weiteres Gemälde die These, daß einige Werke aus Sophie Dorotheas Besitz in Gotzkowskys Sammlung gelangten. Hierbei handelt es sich um ein Bild des sächsischen Hofmalers Louis de Silvestre, das in der Cavellll. unter der Nr. 97 aufgeführt ist u n d sich im Gotzkowsky-Katalog wiederfindet: »Ludewig Silvester - Portrait der Gräfin Orsenska; ganze Figur, Lebensgröße in Manns-Kleide, zu ihrer Rechten einen Laufer«·.7''6 Die Dargestellte war Anna Gräfin Orzelska ( 1 7 0 7 - 1 7 6 9 ) , Tochter August II. u n d der französischen Weinwirtin Henriette Renard aus Warschau. Diese hatte auf Friedrich während seines Dresden-Besuches im Januar 1728 einen nachhaltigen Eindruck gemacht. 7 ' 7 Auch während des Gegenbesuches des sächsischen Kurfürsten im Mai 1728 scheint es zu einer weiteren Begegnung zwischen der Orzelska und Friedrich gekommen zu sein. Nach Dresden zurückgekehrt, beauftragte August II. seinen Hofmaler mit der Anfertigung von vier Porträts, die er Sophie Dorothea in Erinnerung an seinen Berlin-Besuch zukommen ließ, darunter ein Porträt der Gräfin Orzelska in Mannshabit. Die Fer-

750 Vgl. Berckenhagen (u.a.) 1958, S. 153; Ausst.-Kat. Berlin 2003, Kat.-Nr. B244. 751 Siehe Oster 2005, S. 19; "Thiel 1967, S.46; vgl. auch Harnack 1900. 752 Vgl. [Oe] 1759, Nr. 123. 753 Vgl. H ö r m a n n 1898. Kaspar N e u m a n n ( 1 6 8 3 - 1 7 3 7 ) war einer der angesehensten Chemiker Preußens. Dies trug ihm 1719 die Leitung der Königlichen Hofapotheke ein, 1723 wurde er als Professor an das neugegründete Collegio Medico-Chirurgicum in Berlin berufen und war Mitglied der obersten preußischen Gesundheitsbehörde sowie der Preußischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1727 verlieh ihm die Universität Halle die Ehrendoktorwürde, weitere Ehrenmitgliedschaften in der Königlich Britischen Gesellschaft der Wissenschaften in London, am päpstlichen Institut in Bologna u n d der Kaiserlichen Akademie in Wien folgten. 754 Vgl. [Oe] 1759, Nr. 130, Nr. 131. 755 Vgl. ebd., Nr. 133; Ausst.-Kat. Potsdam 1983, S.76. 756 [Oe] 1759, Nr. 135. 757 Vgl. Kolb 1920, S. 81.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

tigstellung der Bilder läßt sich im Dresdner Gemäldeinventar von 1728 nachweisen, gefolgt von der freudigen Überraschung Sophie Dorotheas über das kurfürstliche Geschenk in einem Brief an Friedrich Wilhelm 1.758 Im Vermächtnis der Königin wird das Bild der » G r ä f i n Orzelska im Mannshabit und weißen Adler Orden in Lebensgröße« auf 45 Taler geschätzt.759 Abschließend finden sich in der Wilhelminischen Cavel unter der »No 727 zwey Reliefs von de Witt«.760 Diese Bilder von Jacob de Wit sind identisch mit Gotzkowskys »Baccanal von verschiedene Kinder; grau in grau auf Holz gemahlt« sowie dem dazugehörigen Pendant.761 Anno 1763 verkaufte Gotzkowsky die Pendants weiter an Katharina II., so daß sich beide Bilder noch Heute in der Eremitage nachweisen lassen. Nachdem rekonstruiert werden konnte, daß einige Bilder aus ehemals königlichem Besitz über Wilhelmine in die Sammlung Gotzkowsky gelangten, stellt sich die Frage, welcher Anlaß hierfür ausschlaggebend war? Der Grund hierfür ist im Testament der früh verstorbenen Markgräfin vom 6. August 1758 zu finden. In einem französisch verfaßten Kodizill, das dem deutschsprachigen Testament beigefügt ist, bestimmte Wilhelmine unter der Ziffer I, daß alle ihre Kunstgegenstände ihrem Bruder Friedrich II. vermacht werden sollten, mit dem sie seit frühester Kindheit die Liebe zur Kunst und Musik geteilt hatte.762 Der größte Teil der Gemäldesammlung Wilhelmines blieb zwar im Besitz ihres Mannes, des Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Bayreuth (1711-1763), darunter die fest in den Wandvertäfelungen verankerten Damenbildnisse von Familienmitgliedern und Vertrauten im Musikzimmer der Eremitage von Bayreuth.763 Doch waren es die mütterlicherseits ererbten Bilder der Cavel III., die in den Besitz Friedrich II. gelangten und damit von Monbijou über Bayreuth wieder nach Berlin zurückkehrten. Die Eröffnung des Testamentes fand einen Monat nach Wilhelmines Tod, am 15. November 1758 statt, während die Zusammenstellung des Nachlasses erst am 24. März 1759 abgeschlossen war.764 Ab diesem Zeitraum müssen die ersten Kunstgegenstände in Berlin eingetroffen sein. Die antiken Skulpturen, die Wilhelmine während ihrer Italienreise erworben und testamentarisch ihrem Bruder vermacht hatte, ließ Friedrich II. nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges im Schloß sowie in dem zu diesem Zweck errichteten Antikentempel im Park von Sanssouci aufstellen. Im Gegensatz zu den antiken Skulpturen schien Friedrich II. jedoch an einem Großteil der geerbten Gemälde kein Interesse gefunden zu haben und übergab sie Gotzkowsky zum Weiterverkauf. Diese Schlußfolgerung ist aus zwei Gründen besonders wichtig: zum einen zeigt sie, daß sich Gotzkowskys Gemäldehandel nicht nur auf den Erwerb und Weiterverkauf von Bildern an

758 Das Gemäldeinventar vom 5. November 1728 ist abgedruckt in Marx 1975; vgl. v. a. S. 179. Demnach wurden vier Gemälde von Silvestre am 15- November 1728 »an Ihre M. die Königin von Preußen nach Berlin gesendet«. Drei Tage später berichtete die König bereits ihrem Gatten von den Geschenken, vgl. Seidel 1915, S.229. 759 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 14, fol. 71, Nr. 97. 760 GStA PK, BPH, Rep. 46, R 17, Vol. II, S. 136. 761 [Oe] 1759, Nr. 95, Nr. 96. 762 GStA PK, I. HA Rep. 97 A, I, Nr. 14, fol. 6: Copie du Billet qui s'est trouvé dans le Testament de Seue son Altesse Royale, publié le 15. Novembre 1758: »/. Je legue à mon Frère S. M. le Roi de Prusse toutes mes Antiquités Statues Bronzes Mosaïques Peintures et Marbres.« 763 Vgl. GStA PK, BPH, Rep. 43 V, R I 5, fol. 74-75; Seelig 1982, S. 35; Bachmann/Seelig 1984, S. 26-28. 764 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 97 A, I, Nr. 14, fol. 2; Weber 1996, S. 69, Anm. 311.

E. Ein königliches

Testament

62. Antoine Pesne, Das Familienbildnis

mit

Folgen

205

des Baron Erlacb,

S t a a t l i c h e E r e m i t a g e , St. Petersburg.

den preußischen König erstreckte. Vielmehr bekam er auch Werke von Friedrich II. zum Verkauf übertragen, die nicht mehr das Interesse und die Gunst seines königlichen Besitzers fanden/ 61 Vergleichen wir die Bilder nach ihren Sujets, so fällt auf, daß es sich fast ausschließlich um Porträt- und Landschaftsdarstellungen handelte, die dem Wunsch des Königs nach mythologischen Historienbildern nicht mehr entsprachen. Auch wenn ein Großteil der an Gotzkowsky weiterverkauften Bilder von dem einst am Hofe verehrten Antoine Pesne waren, den Friedrich während seiner Kronprinzentage noch mit einem Poème adressé au sieur Antoine Pesne ausgezeichnet hatte, schien dem König die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Familienmitgliedern und Persönlichkeiten als auch die einst idealisierten und mit arkadischen Sehnsüchten aufgeladenen Landschaften nicht mehr zu interessieren. 66 Die Abwendung Friedrich II. von dem einst ver-

765 Dieser Handel läßt sich a n h a n d der bereits ausgewerteten Verkaufsliste vom 8. Juli 1 7 5 6 ersehen, als Gotzkowskv d e m König insgesamt 1500 Taler » p o u r Six Tableaux

que j'ay reçus« von der E n d s u m m e für gelieferte G e m ä l d e abzog.

766 Das Lobgedicht ist abgedruckt in Seidel 1922, S. 189fF.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

ehrten Maler als auch den in jungen Jahren bevorzugten Sujets unterstreicht um so mehr die vom König verfolgten Ankäufe von Historiengemälden in ausdrucksstarken Kompositionen von bedeutenden Renaissance- und Barockmalern. Gleichzeitig konnte Friedrich II. damit aber auch die Schulden seiner Mutter bei Gotzkowsky begleichen, die diese zeitlebens durch den Ankauf kostspieliger Galanteriewaren gemacht hatte.767 Anhand der gezeigten Beispiele konnte eine weitere Quelle der Gotzkowskyschen Gemäldeankäufe erschlossen werden, die das breite Spektrum seiner Erwerbungen verdeutlichen und gleichzeitig seine engen Beziehungen zum Hof unter einem weiteren Aspekt hervorheben. Es sollen an dieser Stelle noch weitere Pesne-Gemälde in Gotzkowskys Besitz rekonstruiert werden, die nicht aus königlichem Besitz kamen. Hierzu gehörte ein Musizierendes Paar, das der Bildbeschreibung und den beigefügten Größenangaben nach zu einem Gemälde paßt, das sich bis 1913 in der Berliner Sammlung Dr. M. J. Binder befand. 1919 wurde es bei Lepke in Berlin versteigert und ist seitdem verschollen.768 Die Bezugsquelle einer »Geburt Christi« bleibt ebenfalls im Dunkeln. 1763 verkaufte es Gotzkowsky an Katharina II., so daß es sich seitdem in der Eremitage nachweisen läßt.769 Dort befindet sich eines der bekanntesten Gemälde Pesnes, das Familienbildnis des Baron Erlach von 1711 (Abb. 62). In Gotzkowskys Besitz läßt es sich ab 1759 nachweisen und gilt als »das allerschönste und vollkommenste Gemähide was Pesne jemahls verfertiget hat; in diesem Bilde sind alle die schönsten Vollkommenheiten der Kunst, durch seinen unsterblichen Pinsel reißend dargestellt«™ Auch Sulzer berichtete voller Bewunderung an Hagedorn: »Gotskofsky a fait depuis peu deux belles acquisitions pour le Roi. L'une est un tableau de Corrège & l'autre un des plus beaux tableaux de Pesne qui est un très grand portrait de famille peint il y a près de 50 ans. Croiriez vous qu'on peut le mettre auprès des Correges des Paul Veroneses & des Titiens, sans faire tort à la réputation de Pesne. Il est d'une force extraordinaire, d'une fraîcheur charmante & d'une très grand gout de dessein. Il me semble que pour sentir ce que valoit Pesne il est nécessaire d'avoir vû ce tableau.«771 Das Bild wurde von Friedrich II. zu einem späteren Zeitpunkt als Geschenk für seinen Bruder Heinrich erworben und gelangte über diesen in den Besitz der Zarin. Ein letztes rekonstruierbares Gemälde von Pesne in Gotzkowskys Besitz ist das Porträt des Blumenmalers Augustin Dubuisson, Pesnes Schwagers, das identisch sein könnte mit einem Bild auf der Burg Hohenzollern. Eine Reproduktion von Johann Matthias Schuster (1715-1758) vermittelt einen Eindruck dieses Hüftporträts mit Federhut, Küraß und Jacke.772 Damit ist die Rekonstruktion der zahlreichen Bilder von Pesne in Gotzkowskys Besitz abgeschlossen, die seinen Einfluß und seine Nähe zu den höfischen Kreisen weiter verdeutlicht.

767 Sophie Dorothea schuldete Gotzkowsky 8 . 5 0 0 Taler für Tabatièren, Porzellane u n d Kristallüster. Endgültig beglichen w u r d e die S u m m e im April 1763 durch Friedrich II., vgl. GStA PK, B P H , Rep. 4 6 , R 21, fol. 32ff. 768 V g l . Berckenhagen ( u . a . ) 1958, S. 198; [Oe] 1759, Nr. 124. 769 [Oe] 1759, Nr. 115. 770 Ebd., Nr. 126. 771 Zit. aus Baden 1797, S . 3 1 5 , 1. April 1 7 5 9 . 772 Berckenhagen ( u . a . ) 1958, S. 114, Nr. 75a; [Oe] 1766, Nr. 2 0 0 .

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F. Das holländische Auktionswesen als Spiegelbild von Gotzkowskys Gemäldeankäufen In diesem Kapitel sollen die Gemälde rekonstruiert werden, die Gotzkowsky auf Auktionen in Amsterdam und Den Haag ersteigerte. Als Grundlage der Recherchen dienten die mit Käufernamen und Preisen annotierten Auktionskataloge der Bibliothèque nationale in Paris (BnF) und des Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie in Den Haag (RKD). Eine weitere essentielle Quelle sind die von Gerard Hoet ( 1 6 9 8 - 1 7 6 0 ) zusammengetragenen Auktionskataloge, die er 1752 in zwei Bänden veröffentlichte. Sie stellen eine wichtige Grundlage fur die Provenienzrecherche als auch zur Taxierung der Gemälde dar. 73 Eine ergänzte Fassung mit denen zwischen 1752 und 1768 in Holland abgehaltenen Auktionen liefert das von Pieter Terwesten ( 1 7 1 4 - 1 7 9 8 ) im Jahr 1770 herausgegebene gleichlautende Werk. 4 Einblicke in ausgewählte holländische Kunstkabinette geben die von Jean Baptiste Descamps ( 1 7 0 6 - 1 7 9 1 ) veröffentlichten vier Bände seiner Vie des Peintres flamands, allemands et hollandois. Einen allgemeinen Uberblick über das europäische Auktionswesen um die Mitte des 18. Jahrhunderts geben die von Frits Lugt ( 1 8 8 4 - 1 9 7 0 ) chronologisch aufgeführten Auktionskataloge. "6 Allen konsultierten Katalogen ist gemeinsam, daß der Name Gotzkowsky nirgendwo aufgeführt wird. Es wurden daher seine Sammlungskataloge als Basis herangezogen, um diese mit ausgewählten Auktionskatalogen aus dem Zeitraum von 1740 bis 1770 zu vergleichen. Für die folgenden Auswertungen wurden nur diejenigen Gemälde herausgefiltert, anhand derer eine größtmögliche Ubereinstimmung sowohl in den Bildbeschreibungen als auch den Größenangaben erkennbar ist. Diese Ankäufe stehen beispielhaft für die weiteren, nicht näher identifizierbaren Bilder, die Gotzkowsky auf den holländischen Auktionen erworben hat. Daß sein Name nirgends verzeichnet ist, deutet darauf hin, daß er selbst nicht persönlich auf den Versteigerungen zugegen war, sondern die gewünschten Bilder über Mittelsmänner ersteigern ließ. Diese Vorgehensweise war nicht ungewöhnlich, schickten doch viele europäische Sammler ihre Ratgeber und Agenten nach Holland, damit sich diese eingehend über die bevorstehenden Auktionen informierten. Aufschlußreiche Einblicke hierin gewährt der Briefwechsel der Markgräfin Karoline Luise von Baden mit ihren holländischen Agenten, dem Bankier Johann Göll von Frankenstein ( 1 7 2 2 - 1 7 8 5 ) in Amsterdam sowie Gottlieb Heinrich Treuer, der die Fürstin über alle Auktionen in Den Haag unterrichtete.777 Umfangreich waren auch die Ankäufe, die der hessische Landgraf Wilhelm VIII. ( 1 6 8 2 - 1 7 6 0 ) in Holland tätigte, wofür er die besten Kenner verpflichtete, darunter seinen Hofmaler Philips van Dyck und Gerard Hoet. 7 8 Auch Gotzkowsky bediente

773 Hoet 1752. 774 Terwesten 1770. 775 Descamps 1 7 5 3 - 1 7 6 4 . 776 Lugt 1938, Bd. 1 : Première Periode vers

1600-1825.

777 Vgl. Kircher 1933; dies. 1959; Lauts 1978; ders. 1980. 778 Vgl. Korthals Altes 2003 (I); ders. 2 0 0 3 (II), S. 1 8 5 - 2 0 5 ; Hans Vogel, Wilhelm VIII. als Kunstsammler, Both 1964, S. 1 3 0 - 1 4 7 .

in: ders./

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1754-1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

sich auswärtiger Agenten, die über die nötige Kennerschaft verfügten, wie sich einem fragmentarisch erhaltenen Brief von Quintus Icilius (1725-1775) entnehmen läßt: »Ich sende Ihnen liebster Freund den Catal(og) von denen in Amsterdam zu verkaufenden Gemählden wieder zurück. Sr May. wünschen daß Ew Hochedelgb. für eben das Tableaux von Huysum pag. 6 ersthin und setzen dafür den Preis zu 5 bis 600 Thlr. oder 1000 holl. Gl, weiter pag. 12 n. 80 Diverse Allegories von Rubens, wenn solches Original und gut conserviret ist 7 bis 800 Thlr.; Uberhaupt werde derselbe einen zuverläßigen [...] Commission geben, daß er hierin ordentlich zu Wercke geht und der Werth dieser 2 Gemähide wohl entspricht.«779 Die weiteren Schreiben, die sich im Nachlaß Gotzkowsky erhalten haben, sind in einem nicht mehr konsultierbaren, verfaulten und zerrissenen Zustand, so daß sich die dort aufgeführten, weiteren Bilderankäufe als auch seine Vorgaben nicht mehr verfolgen lassen. Quintus Brief vermittelt jedoch wichtige Hinweise, die Einblick in Gotzkowskys Ankaufstätigkeit geben: demnach kennzeichnete Friedrich II. die von ihm favorisierten Bilder in den Auktionskatalogen, damit Gotzkowsky die gewünschten Werke anhand der königlichen Preisvorstellungen über einen weiteren Händler ersteigern ließ. Uber die Zwischenhändler sollte häufig die Anonymität des Ankäufers gewahrt bleiben, um den Preis nicht unnötig in die Höhe zu treiben: »Not only were payments often made in cash to preserve anonymity, but the buyer often bid through his broker with the intention of concealing his identity. «780 Daher sollen im folgenden auch die von Friedrich II. in Holland ersteigerten Bilder miteinbezogen werden, um die Identität der Händler herauszuarbeiten, die womöglich auch in Gotzkowskys Kunsthandel eingebunden waren. Besonders Den Haag und Amsterdam gehörten zu denen von Gotzkowsky am häufigsten frequentierten Versteigerungsorten. Nachdem 1748 der oranische Stadthalterhof nach Den Haag zurückgekehrt war, konnte die Stadt seine Bedeutung im holländischen Auktionshandel ausbauen. Amsterdam hingegen entwickelte sich bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts zu der führenden holländischen Kunsthandelsstadt und machte dem wirtschaftlich eingebrochenen Antwerpen den Rang streitig. Zwar war der Amsterdamer Auktionsmarkt durch zahlreiche Erlässe streng reglementiert, doch tat dies der steigenden Anzahl an Versteigerungen keinen Abbruch. Ausschlaggebend hierfür war Amsterdams führende Rolle als Börsen- und Handelsstadt, verbunden mit einem spürbaren Reichtum innerhalb der bürgerlichen Schicht sowie das Heranziehen einer vermögenden ausländischen Klientel. Die starke Nachfrage nach niederländischer Kunst, die Einführung neuer Marktstrategien, die sich immer mehr von den Reglementierungen der Zünfte lösten sowie die Herausgabe von gedruckten Auktionskatalogen machten Amsterdam und Den Haag zu führenden Auktionsplätzen innerhalb Europas.781

779 GStA PK, VI. HA, NL Gotzkowsky, Nr. 3, ohne Fol., 28. April 1765. Quintus Icilius stammte aus einer hugenottischen Familie namens Guichard aus Magdeburg. Er studierte in Holland, wo er an der Leydener Universität Professor für Altertumskunde wurde. Friedrich II. war beeindruckt von Quintus Kenntnissen über die Feldzüge und Kriegstaktiken Julius Caesars ( 1 0 0 - 4 4 v. Chr.), so daß er ihn zu Beginn des Siebenjährigen Krieges nach Berlin berufen ließ, vgl. Thiébault 1912, Bd. 2, S . 3 0 9 . 780 H o e t i n k l 9 8 2 , S. 115. 781 Vgl. Marten J. Bok, New Perspectives S. 4 7 - 5 3 .

on Eighteenth-Century

Dutch Art Production

and Collecting,

in: North 2002,

F. Das holländische Auktionswesen als Spiegelbild von Gotzkowskys Gemäldeankäufen

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Doch wie setzte sich der holländische Kunstmarkt zusammen, welche künstlerischen Präferenzen lassen sich ausmachen? Wie Montias aufzeigen konnte, wurde der holländische Kunstmarkt des 17. Jahrhunderts vorwiegend durch Gemälde heimischer Künstler bestimmt. Die hohe Produktion und geographische Dichte waren hierfür ausschlaggebend: »Les artistes peignent des tableaux représentant toutes sortes de sujets, pour tous les goûts et presque toutes les bourses.«*2 Gemälde aus benachbarten oder südlichen Ländern lassen sich mit Ausnahme flämischer Meisterwerke nur geringfügig ausmachen. 783 Eine Besonderheit bildete die Präsenz italienischer Gemälde in höfischen Galerien und in den Sammlungen der wohlhabenden Kaufmannsschicht. Ausschlaggebend hierfür waren die ausgeprägten Verbindungen des weitgereisten Adels zu Künstlern nach Rom sowie die erfolgreichen Handelsbeziehungen holländischer Kaufleute nach Venedig.784 Trotz allem läßt sich sagen, daß italienische Meisterwerke kaum und in den durchschnittlichen Bürgersammlungen fast gar nicht präsent waren. Diese Beobachtung machte auch Heineken während seiner Hollandreise von 1754. Seine Worte spiegeln sein Erstaunen über die Unkenntnis italienischer Kunst in vielen holländischen Sammlungen wider: »Ich habe überhaupt angemerket, dass die Holländer, welche doch gewiß viel Liebe zur Mahlerey und eine ungemeine Kentniß in der Niederländischen Schule haben, von den Italienischen Bildern sehr wenig verstehen. Wenn sie einem Fremden Kenner in ihren Cabinettern Raphaels, Correccio, Tizians und dergleichen zeigen, so weiß man nicht was man sagen soll. Ich erinnere mich bey dieser Gelegenheit des Cabinets von Wilhelm Lormier, so ehemals hier zu sehen war. In selbigem zeigte man einen Raphael, einen Leonard da Vinci, einen Paul Veronese, die nicht einmal ihre Schüler gemalt hatten.«785 Daß seit der Mitte des 18. Jahrhunderts trotzdem die Auktionen von italienischen Gemälden in Amsterdam zunahmen, lag insbesondere im Verkauf ausländischer Bilderkabinette, wie die Sammlung des rheinischen Grafen Ferdinand von Plettenberg (1690-1737) im April 1738 und die Sammlung des Kardinal Valenti: »Amsterdams reputation as a center of the art trade persuaded some foreigners to sell their paintings there rather than in their own countries.« ib Im Zuge der steigenden Auktionen wurde der Kunstmarkt immer mehr von unabhängigen Kunsthändlern durchdrungen, die den vormals uneingeschränkten Einfluß der Lukas-Gilde auf Dauer zurückdrängten. Diesen Händlern oblag die Zusammenstellung und Veröffentlichung der Auktionskataloge,

782 Montias 1996, S. 84f.; vgl. auch Michael North, Art and commerce

in the Dutch Republic,

in: Davids/Lucassen 1995,

S. 2 8 4 - 3 0 2 ; Aussc.-Kat. Delft 2002. 783 Vgl. Montias 1982, S . 2 4 8 Í 784 Als Beispiel seien die Brüder Gerard und Jan Reynst in Amsterdam genannt, die über ein weitverzweigtes Handelsnetz verfügten und hierüber einen Großteil der venezianischen Sammlung von Andrea Vendramin erwarben, vgl. Meijer 2000, S. 384ff. Auch in den Sammlungen des Kunsthändlers Jacques Meyers (gest. 1721) und des Direktors der Ostindischen Handelskompagnie Adriaen Paets in Rotterdam hingen französische und italienische Gemälde, vgl. Gaehtgens 1987, S.48ff. 785 Heineken 1768/69, Bd.2, S.63. Ahnliches berichtete auch Göll von Frankenstein an Karoline von Baden: »Les Claude Lorraine ne sont pas beaucoup estimé ici], je crois que les maîtres françois et italiens se vendent beaucoup mieux à Paris qu'icij«, zit. aus Bille 1961, Bd. 1, S. 139. 786 Korthals Altes 2000, S. 260.

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und Kunstagent im friderizianischen

Berlin

die Taxierung der Kunstwerke sowie das Abhalten der Auktionen. Damit beeinflußten sie nicht nur den Markt, sondern setzten Maßstäbe und Trends, die den Sammlergeschmack maßgeblich beeinflußten. Wie Marten Bok aufzeigen konnte, hatte diese Entwicklung aber auch fatale Folgen für die zeitgenössische holländische Kunst, die sich aufgrund der starken Nachfrage nach Alten Meistern kaum mehr entfalten konnte, da sie keinen großen Absatz mehr fand. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der holländische Kunstmarkt von zwei Strömungen geprägt: einerseits durch einen flächendeckenden Rückgang einer bürgerlich geprägten Sammler- und Auftraggeberschicht, infolgedessen die Präsenz von Bildern in holländischen Haushalten im Vergleich zum 17. Jahrhundert um ein Fünftel zurückging. Gründe für diesen Rückgang waren der langsame wirtschaftliche Niedergang Hollands als auch die langwierigen Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen mit England und Frankreich. Infolge dessen ging im 18. Jahrhundert auch die Bildproduktion fast um ein Drittel zurück. 787 Einen nicht unwesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatten die zahlreichen Kunsthändler, die einen größeren Profit im Verkauf von Gemälden verstorbener Maler sahen, denen sie keine erhöhten Löhne oder Beteiligungen mehr zahlen mußten. Das von Händlerseite lancierte Interesse spiegelt sich daher auch an der Zunahme von herausragenden Sammlungen Alter Meister wider. Aufgrund dieses Sammelverhaltens verbunden mit wirtschaftlichen Defiziten der einst vermögenden Auftraggeberschicht stagnierte die Dominanz zeitgenössischer Kunst. Uber diese Entwicklung schrieb van Gool, dem der wachsende Einfluß der Händler ein Dorn im Auge war: »Die Zahl der Liebhaber ist heutzutage klein, und unter ihnen giebt es wenige, die mit eigenen Augen sehen können und dürfen, sondern meistens eine eingebildete Kunstbrille an dem einen oder andern Kunsthändler bei sich haben, der dann, wenn er die Kunst des Malers in dessen Beisein nicht herabsetzen darf, dies zum mindesten mit Gebärden und Zeichen der Geringschätzung thut, - wenn der Maler aber abwesend ist, den Liebhaber durch allerlei Kniffe dagegen einzunehmen weiß. Namentlich wenn dieser bereits eine schöne Sammlung verstorbener Meister besitzt, ist die Kunst der Lebenden viel zu gering, um in seinem Kabinet einen Platz zu verdienen, - weil der Herr Kunst-Händler nämlich keinen Vorteil davon hat.« 788 Vor allem Gerard Hoet, der mit dem Maler Jacques de Roore ( 1 6 8 6 - 1 7 4 7 ) einen regen Kunsthandel betrieb, war den Polemiken van Gools ausgesetzt, nachdem er dessen Nieuwe Schoubourg kritisiert hatte. 789 In diesem Zusammenhang berichtete van Gool von folgender Begebenheit: als Hoet und Roore 1739 aus der Kirche von Zaventem ein Gemälde van Dycks für 1.000 Dukaten von der Geistlichkeit abkaufen wollten, wurden sie von der erregten Volksmenge, die sich den Schatz nicht entreißen lassen wollte, vertrieben. Dieses Beispiel deutet eine weitere Entwicklung an: der expandierende Verkauf niederländischer Gemälde aus privaten und klerikalen Sammlungen ins Ausland. Da immer mehr ausländische Käufer auf den holländischen Kunstmarkt drängten, stiegen mit der hohen Nachfrage die Preise für Alte Meister exorbital an. Seit 1740 hatte sich innerhalb weniger Jahre der Marktwert für Gemälde von Dou, Metsu, Frans van Mieris und

787 Vgl. Bok in: North 2 0 0 2 , S . 4 7 - 5 3 . 788 Zit. aus Floerke 1901, S . 7 9 ; siehe auch ders. 1905. 789 Vgl. Gool 1750; Vries 1990, S. 129ff.

F. Das holländische Auktionswesen als Spiegelbild von Gotzkowskys Gemäldeankäufen

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Ostade vervierfacht. Die für einheimische Sammler kaum noch bezahlbaren Preise hatten bei einem gleichzeitigem Uberbieten der ausländischen Klientel für Alte Meister die massive Ausfuhr von Kunstwerken zur Folge. Die zahllosen Gemäldeexporte führten dazu, daß viele Holländer zunehmend die Ausfuhr >ihrer< Bilder ins Ausland beklagten. Auch hier war van Gool einer der prominentesten Wortführer: »I consider the noblest lovers of art [...] to be those who do not sell their artistic marvels for any price, the most excellent among them being those who have the power and means to refuse a thousand guineas for two pieces as compensation, so that the art of the most celebrated masters will not be sent out of the country, which is to be feared, forcing us to go to others to search for that which we once owned ourselves.«790 Mit seinen Äußerungen gehörte van Gool zu den ersten Kritikern, die sich für den Erhalt niederländischer Bilder vor Ort als Zeugnisse der eigenen Geschichte und Kultur aussprach: »He was afraid that the art of the most famous Dutch masters would be lost to the country for good as a result of the growing exports, which made him one of the first to be concerned about the preservation of the nations cultural heritage.«7^ Der Verkauf bedeutender Sammlungen und herausragender Meisterwerke konnte jedoch nicht aufgehalten werden, wie sich auch in den Ankäufen Gotzkowskys widerspiegelt, die im folgenden untersucht werden sollen.

1. Gotzkowskys Bilderankäufe auf holländischen Auktionen Im folgenden sollen einige der von Gotzkowsky auf holländischen Auktionen erworbenen Gemälde rekonstruiert werden. Zu seinen bedeutendsten Ankäufen gehörte Rembrandts Ungläubiger Thomas, das sich heute im Moskauer Pushkin-Museum befindet (Abb. 63). Das Bild war am 30. Januar 1759 auf der Amsterdamer Auktion der Anna van Lennep, Witwe von Pieter Roeters, angeboten und für 1.100 Florins von den Brüdern de Neufville ersteigert worden. Im annotierten Katalog wird es an erster Stelle aufgeführt. 792 Den Angaben des Rembrandt Research Project nach, befand sich das Bild 1653 im Nachlaß der Maria Rutgers, Witwe des Mennoiten Ameldonck Leeuw, und wurde seitdem innerhalb der Familie weitervererbt: über den Sohn David Leeuw (1631/32—1703) gelangte es in den Besitz seiner Tochter Susanna Leeuw und weiter an deren Tochter Anna van Lennep.793 Eine andere Provenienz mutmaßte Hofstede de Groot, der das Bild mit einem Werk der Sammlung Philips van Dyck identifizierte, die am 13. Juni 1753 in Amsterdam versteigert wurde. Dort war es von einem Händler namens »Visscher« für 100 Florins

790 Zit. aus Korthals Altes 2000, S. 269. 791 Ebd., S. 269.

792 BnF, Est., Yd 521 : Auktion Anna van Lennep: »Een Excelent schoon konstig Stuk van Rembrand, verbeeidende Christus onder de Apostelen, daar Thomas met verwondering is aangedaan, het beste van Rembrand ooyt bekend, hoog I voet en 10 duym, breed 1 voet 9duym.« (Lugt 1029). 793 Vgl. Rembrandt Research Project 1982-1989, Bd. 2, S.477.

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1754—1763: Gotzkowsky als Gemäldesammler und Kunstagent im friderizianischen Berlin

63. Rembrandt Harmensz. van Rijn, Der ungläubige Thomas, 1634, Moskau, Pushkin-Museum.

erworben worden.794 Fest steht, daß Gotzkowsky den Ungläubigen Thomas über seinen Amsterdamer Geschäftspartner Pieter Leendert de Neufville (1729-1800) im Jahr der Auktion Lennep zu einem unbekannten Preis erwarb.795 Auf der Auktion der Sammlung Hove und Tourton vom 8. April 1760 in Amsterdam ersteigerte Gotzkowsky weitere Gemälde, darunter zwei Meisterwerke von Hendrik Goltzius: Adam und Eva sowie das dazugehörige Pendant, die Taufe Christi (Farbtafel XIII+XIV).796 Den Annotationen nach wurden die Bilder über einen Händler namens » Yver« für »74« erworben. Hierbei handelt es sich um den Amsterdamer Radierer und Kunsthändler Pieter Yver (1712-1787), über den Gotzkowsky einige Meisterwerke erwarb und dessen kunsthändlerischen Tätigkeiten im An-

794 RKD Files, Auktion Philips van Dyck: »Nr.: 73: Daar Christus aan Tljomas zyn wonde vertoont in presentie van de Apostelen, zeer uytvoerigen krngtiggeschildert.« (Lugt 813); Hofstede de Groot 1907-1923, Bd. 6, Nr. 148. 795 Vgl. [Oe] 1759, Nr. 62; Bode/Hofstede de Groot 1897-1906, Bd. 2, Nr. 133; Bredius 3 1969, S. 464. 796 BnF, Est., Yd 521 : Auktion Hove-Tourton: »No 3 Adam en Eva in het Paradys, plukkende de vrugten van den verboden Boom, zynde de Beeiden levensgroote, zeer kragtig en konstiggeschildert, door H. Goltzius, hoog 7 voet breet 4 voet 9 duim. No 4 De Doping van Christus, door Johannes, in de Jordaan, mede zeer konftig en kragtig geschildert, door dito, hoog en breet als de voorgaande.« (Lugt 1092)

F. Das holländische Auktionswesen als Spiegelbild von Gotzkowskys

Gemäldeankäufen

6 4 . R e m b r a n d t H a r m e n s z . van R i j n , (Rembrandt-Schule?),/iM