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German Pages 208 Year 2017
Benedikt Feiten Jim Jarmusch: Musik und Narration
Film
Benedikt Feiten (Dr.), geb. 1982, ist Schriftsteller, Redakteur und Musiker. Er wurde mit dem Literaturstipendium der Stadt München ausgezeichnet. Sein Roman »Hubsi Dax« ist beim Verlag Voland & Quist erschienen. Nach dem Studium der Amerikanischen Literaturgeschichte hat er an der Ludwig-Maximilians-Universität München unterrichtet. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Independent-Film, Filmmusik, Transnationalität, Narratologie und Subversion.
Benedikt Feiten
Jim Jarmusch: Musik und Narration Transnationalität und alternative filmische Erzählformen
Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Danksagung | 7 Ein Boot in der Mitte des Atlantiks | 9
Vorgehensweise und Aufbau der Untersuchung | 11 Forschungsstand | 15 Alternative Film-Narrationen und Hollywood | 19
New Hollywood Cinema | 22 Independent-Film | 23 Transnationalität | 27 Transnationaler Independent-Film | 32 Musik in den Filmen von Jim Jarmusch | 37
Konventionen der Filmmusik | 40 Alternative und reflexive Filmmusik | 43 Zirkuläre Narration und Entwicklung | 48 Transnationaler Raum: Verweilorte und Durchquerungen | 63
Permanent Vacation und Durchschreitungen | 67 Stranger than Paradise und seine »Nicht-Orte« | 88 Äthiopischer Jazz und Vergangenheitserkundung in Broken Flowers | 103 Kulturelle Hybridität und Musik in den Filmen von Jim Jarmusch | 123
Der polyglotte Film: Sprachenvielfalt in den Filmen von Jim Jarmusch | 128 Musik in Down by Law | 132 Sprachenvielfalt und Musik in Night on Earth | 143 »I Know You Understand Me.« Hip-Hop, Übersetzung und Zirkularität in Ghost Dog | 155 Schlussbetrachtung | 185 Literatur | 191
Danksagung
Ohne die Hilfe und den Einsatz mehrerer Menschen hätte diese Arbeit niemals Gestalt annehmen können. Zuerst möchte ich meinem Doktorvater Christof Decker danken. Von den Anfängen des Projekts an begleitete er die Entstehung der Arbeit mit einer analytischen Schärfe und Zielführung, die ihresgleichen sucht. Besonders als freiem Promovierenden bedeutete mir sein Engagement eine kaum ausdrückbare Unterstützung. Es war ein von amerikanischer Literaturgeschichte und Musikwissenschaft gemeinsam veranstaltetes Seminar unter der Leitung von Christof Decker, das mich in den ersten Grundzügen zu diesem interdisziplinär angelegten Forschungsvorhaben inspirierte. Ebenfalls möchte ich meiner Zweitbetreuerin Randi Gunzenhäuser danken, die mein Interesse für das Zusammenspiel ganz verschiedener Felder schon während meines Studiums förderte und mir half, stets einen eigenen frischen Blick zu bewahren. Danken möchte ich weiterhin meinen Kollegen vom Amerika-Institut, das mir längst zu einer Heimat voll kreativen Schwungs wurde. Meiner Kollegin Anita Vrzina gebührt dabei besonderer Dank für eine schöne Zeit im geteilten Büro, außerdem Thea Diesner, einer unschätzbaren Vertrauensperson, nicht nur für mich, sondern für das ganze Institut. Thoren Opitz danke ich für aufmerksame Kommentare zu einigen Abschnitten und alldienstagliche Zerstreuung. Ein besonderer Dank geht an meinen Freund und Kollegen Moritz Fink, der immer geholfen hat, wenn ich ihn gebraucht habe, und der mit unerlässlicher Energie seine Projekte verfolgt – ich bin gespannt auf unsere nächsten Zusammenarbeiten. Nicole danke ich für die Unterstützung in all den Jahren der Entstehungszeit. Meinen Geschwistern Katharina und Niklas danke ich dafür, dass sie da sind, Katharina auch für die Titelgrafik, die ich mir treffender nicht hätte ausmalen können. Nicht in Worte zu fassender Dank gebührt meinen Eltern Andrea und Wendelin Feiten für bedingungslosen Rückhalt, Wendelin besonders für die Hilfe mit Grafiken und sperrigen Formatierungsdetails bis
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in die Morgenstunden: eine Variation der Nachtschichten seiner eigenen Doktorarbeit in meiner frühen Kindheit – und so eine ganz eigene zirkuläre Narration.
Ein Boot in der Mitte des Atlantiks
Die Filme von Jim Jarmusch werden von der Filmwissenschaft vorrangig hinsichtlich ihrer großen Bedeutung für den amerikanischen Independent-Film rezipiert und beleuchtet. In dieser Sichtweise nimmt der Independent-Film eine Gegenposition zum Hollywood-Kino ein, wobei sich beide Produktionsumfelder gegenseitig beeinflussen. Dieses inneramerikanische Bild kann aber nur ein eingeschränktes Verständnis der Filmpraxis von Jim Jarmusch zugänglich machen; schließlich formen internationale und transkulturelle Einflüsse seine Werke maßgeblich – in ihren Finanzierungs- und Produktionsphasen, aber auch in ihren künstlerischen Entstehungsprozessen und in ihren Erzählungen selbst. Seine ersten großen Publikumserfolge in den 1980er Jahren erzielte Jarmusch nicht in Nordamerika, sondern in Europa, wo er bald als Kultregisseur gefeiert wurde. Aus diesem Status erwuchsen neue Finanzierungsmöglichkeiten, die bis heute bestehen: beispielsweise über internationale Produktionsfirmen, Filmförderungsprogramme und Fernsehanstalten. Schon Stranger than Paradise (1984), der zweite Spielfilm Jarmuschs, wurde durch die Finanzierung des deutschen Filmproduzenten Otto Grokenberger und des ZDF ermöglicht. Später gelang es Jarmusch zuverlässig, seine Filme vor allem aus japanischen und europäischen Quellen zu finanzieren. Sie entstanden unter anderem unter Beteiligung der japanischen JVC Entertainment (Mystery Train [1989], Night on Earth [1991], Dead Man [1995], Ghost Dog – the Way of the Samurai [1999]), der deutschen Pandora Filmproduktion (Night on Earth, Dead Man, Ghost Dog, Only Lovers Left Alive [2013]) und der ARD (Ghost Dog, Only Lovers Left Alive). Daneben sind immer wieder französische Firmen (Bac Films bei Broken Flowers [2005], Canal+ bei Ghost Dog) und englische Gesellschaften (Channel Four Films bei Night on Earth, Recorded Picture Company bei Only Lovers Left Alive) in die Produktion der Filme involviert. Auch ihre Mitwirkenden vor und hinter der Kamera prägen die Filme als internationale Kollaborationen.
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Down by Law, Dead Man, Ghost Dog und Coffee and Cigarettes (2003) verdanken ihren visuellen Stil der Kameraarbeit des Niederländers Robby Müller. Neben den amerikanischen Schauspielern und Musikern John Lurie und Tom Waits sind der Italiener Roberto Begnini und der Ivorer Isaac de Bankolé wiederkehrende Mitwirkende. Auch im intertextuellen Gerüst der Filmwelten von Jim Jarmusch fällt auf, welch großen Anteil Bezüge zu Kulturen ausmachen, deren Ursprung außerhalb Nordamerikas liegt. Die Filme von Jarmusch rekurrieren auf das japanische Kino, wie beispielsweise Seijun Suzukis Branded to Kill oder Akira Kurosawas Rashomon, ebenso wie auf Werke der Nouvelle Vague. Wo der Zitatenraum amerikanische Texte heranzieht – seien sie Teil des klassischen Kanons wie Robert Frost, Walt Whitman, William Blake oder der Popkultur wie Elvis Presley –, werden diese fast immer durch die Perspektive eines Einwanderers oder Touristen in Amerika rekontextualisiert. Jarmuschs Schaffen speist sich nicht nur aus dem amerikanischen Independent-Film, sondern auch aus grenzübergreifenden Filmbewegungen, die mit den Konventionen des Hollywood-Kinos konstruktiv und kritisch in Dialog treten. Dem Independent-Film und den transnationalen Filmbewegungen stehen durch Produktions- und Vertriebsbedingungen, die sich vom Studiosystem deutlich abheben, alternative Repräsentations- und Narrationsformen offen. Jim Jarmusch nutzt dieses Potenzial insbesondere dazu, Ästhetiken und Erzählwege zu erproben, die transkulturelle Kommunikation initiieren. In einem Interview mit Luc Sante sagt Jim Jarmusch 1989: »When people ask me whether I consider myself more European or more American in my style, I say sort of facetiously that I see myself in a small boat in the middle of the Atlantic« (Jarmusch, »Mystery«, 89). Ein sich zwischen den Häfen auf der Reise befindliches Schiff, kein fester Boden unter den Füßen, eine kleine, eingespielte Besatzung, die eine gemeinsame Richtung verfolgt – malt der Vergleich auch ein romantisiertes Bild der Independent-Haltung von Jim Jarmusch, so ist er doch eine treffende Allegorie. Die Metapher verortet die künstlerische Position des Regisseurs auf schwankendem Boden. Nicht auf dem Festland, sondern auf einem kleinen, beweglichen Boot, dessen Standort nicht fixiert ist, das aber doch über das Wasser mit sehr unterschiedlichen, weit entfernten, Terrains verbunden ist. So wie sich das Boot zwischen den Kontinenten bewegt, entziehen sich die Filme von Jarmusch durch ihre intertextuellen Bezüge – unter anderem zur französischen Nouvelle Vague, zum amerikanischen Hollywood- und New-Hollywood-Kino und zum japanischen Kino – einer klar definierten räumlichen Position. Sie stellen einen Gegenpol zum Studiokino dar, das sie re- und dekonstruieren. Aber sie greifen dabei auf japanische und europäische Filme zurück (vgl. Wolfgang Mundt
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51). Dabei gehen die grenzüberschreitenden Produktionsbedingungen und der international geprägte Diskurs um die Werke Jarmuschs auch mit einer transnationalen Erzählweise einher. Die Mittel, mit denen Jarmuschs Filme von Grenzüberschreitungen und Kulturaustausch erzählen, sind vielfältig: unter anderem sind Sprache, Raum und Zitate bedeutsame Ebenen. Im Fokus dieser Untersuchung steht insbesondere die Musik. Ihr innovativer und vielschichtiger Einsatz steht im Zentrum der erzählerischen Strukturen der Filme. Die Musik eignet sich Konventionen wie das Leitmotiv, Stereotypisierung oder Emotionalisierung an, um sie zu kommentieren und umzufunktionieren. Der Narrativität von Musik nachzuspüren heißt im Fall der Filme von Jarmusch aber auch, sich einer Erzählweise zu nähern, die in Andeutungen, Auslassungen und Nuancen funktioniert. Oft erweckt sie den Anschein, sie verweigere mehr, als sie anbiete. Veröffentlichungen zu alternativen Erzählformen im Film, insbesondere zur Rolle der Musik in ihnen, sind rar. Demgegenüber steht ein Gros an Literatur, die sich mit den Erzählkonventionen des klassischen Hollywood-Kinos und mit dem Musikeinsatz darin beschäftigt. Um Jarmuschs Filme konstruktiv zu untersuchen und sich dabei nicht ausschließlich auf ihre Abweichung vom Hollywood-Kino zu stützen, bedarf es eines eigenständigen Konzeptes. Aus diesem Grund wird der Begriff der zirkulären Narration erarbeitet. Er dient einer Annäherung an Erzählstrukturen, die auf Wiederholung und Variation basieren, und ist geeignet, auch den Beitrag der Musik zu diesen Strukturen zu beleuchten. Ziel der Untersuchung ist es, mittels Verbindungslinien zu ähnlichen ästhetischen Verfahren in interdisziplinärer Herangehensweise das Erzählprinzip der Filme von Jarmusch zu ergründen. Im Rahmen des weiten intertextuellen Netzwerkes der Filme von Jarmusch wird insbesondere erörtert, wie Jarmusch sich mit seinen zitierten und abgewandelten Texten und mit seinem Einsatz von Musik nicht nur Konventionen umarbeitet, sondern sich auch in eine Tradition des reflexiven Erzählens einschreibt.
V ORGEHENSWEISE
UND
A UFBAU
DER
U NTERSUCHUNG
Zunächst wird ein kurzer Überblick über den aktuellen Forschungsstand gegeben. Das Kapitel 2 »Alternative Filmnarrationen und Hollywood« prüft im Anschluss verschiedene Entwürfe alternativer Narration im Film auf ihre Verbindungslinien zu den Werken von Jim Jarmusch: New Hollywood Cinema, Independent-Film und transnationalen Film. Jarmuschs Filme sind in ihrer Thematik, Stilistik, Äs-
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thetik und konventionskritischen Haltung mit diesen filmischen Konzepten verwandt. Ein Problem, das die Entwürfe alternativer Narrationsformen teilen, ist ihre Definition in Abgrenzung zum Hollywood-Kino, das damit in seiner hegemonialen Stellung bestärkt wird. Durch die Einbettung von Jarmuschs Filmschaffen in grenzübergreifende Einflusslinien soll auch ein Beitrag dazu geleistet werden, es aus seinem Gegensatz zu Hollywood herauszulösen und die gestalterischen Potenziale seiner Erzählungen auszuloten. So soll ein Begriff von Jarmuschs transnationalem Independent-Film erarbeitet werden, der durch seine Narrationen eine kritische Haltung zur Kategorie des Nationalen einnimmt und transkulturelle Verständigungsmöglichkeiten zeigt. Transnationalität kann filmischen Erzählungen ganz unterschiedlich gelagerte Impulse geben. Im transnationalen Film werden Geschichten erzählt, die Mythen der Ortsverbundenheit, Identität und Nationalität in Frage stellen. Es wird also ein Verständnis des Transnationalen entworfen, das sich nicht nur auf Produktionsbedingungen, sondern auch auf Handlungselemente und Darstellungskriterien bezieht. Kapitel 3 zu Musik in den Filmen von Jim Jarmusch lotet aus, wie Musik als Teil dieser alternativen Narrationen untersucht werden kann. Der Diskurs zur Filmmusik ist stark vom klassischen Hollywood-Kino geprägt und bietet nur wenige Ansatzpunkte für ein Verständnis alternativer Formen der Filmmusik. Zunächst wird das Spannungsfeld zwischen alternativer, reflexiver Filmmusik einerseits und den Konventionen des Hollywood-Kinos andererseits beschrieben. Dann wendet sich die Untersuchung der Musik als Teil von Jarmuschs zirkulärer Narration zu. In der zirkulären Erzählweise der Filme Jarmuschs werden visuelle und musikalische Themen und Motive wiederholt und nur leicht variiert. Durch ihre eigene zirkuläre Struktur und durch die rhythmische Platzierung ihrer Wiederholungsinstanzen über die Filmdauer hinweg leistet die Musik einen fundamentalen Beitrag zu dieser Erzählform. Um diese zirkulären Erzählungen zu erfassen, bezieht sich die Untersuchung auf künstlerische Verfahren aus Film, Musik, Literatur und Kunst die in ihrem ästhetischen Vorgehen jenem der Filme von Jarmusch ähneln. Diese Bezugspunkte können je nach Film variieren und in der (Ethno-)Musikologie, in Ästhetiken wie dem Sampling oder narratologischen Konzepten wie dem episodischen Erzählen liegen. Mithilfe dieser Verbindungslinien richtet die Untersuchung den Blick darauf, wie Musik und andere filmische Mittel in den Filmen von Jarmusch zusammenwirken, um das Verhältnis von Individuum zu räumlicher Umgebung und nationaler Identität als flüchtig und brüchig zu schildern und ein Ideal transkultureller Identität, Übersetzung und Verständigung zu verfolgen. Auch wenn die Behandlung der Werke eines einzelnen Regisseurs nicht ausreichend ist, eine
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narrationsbezogene Begrifflichkeit des transnationalen Independent-Film zu erarbeiten und ein Konzept von Filmmusik in alternativen Filmerzählungen per se zu entwickeln, soll die vorliegende Untersuchung anderen Forschungsvorhaben mit ähnlicher Themenstellung insofern eine Hilfestellung geben, als sie einen neuen methodischen Ansatz aufzeigt, um sich zirkulären filmischen Erzählformen und insbesondere der Rolle von Musik in ihnen zu nähern. Die Nuancen und Ambivalenzen, die die zirkuläre Narration hervorbringt, nutzen die Filme zu unterschiedlichen Aussagen. Zwei wichtige Ebenen für diese Aussagen sind Raum und Hybridität. Diesen Bereichen widmen sich im Anschluss zwei Analysekapitel, die jeweils drei Filme von Jarmusch behandeln. Die Kapitel prüfen die ausgewählten Filme modellhaft auf entweder Raum oder Hybridität, obwohl in der charakteristischen Autorenhandschrift von Jarmusch alle Filme beides in mehr oder weniger ausgeprägter Form thematisieren. Die Untersuchung geht nicht von einer stringenten historischen Entwicklung Jim Jarmuschs als Filmemacher aus. Sein Werk ist vielmehr von jenen thematischen und motivischen Variationen gezeichnet, die auch die Struktur der einzelnen Filme selbst kennzeichnen. So bildet die Filmauswahl auch keine Stationen oder Wendepunkte im Schaffen des Regisseurs ab. Vielmehr treffen die Filme innerhalb des Spektrums, das Jarmusch mit seinem Schaffen eröffnet, unterschiedliche Aussagen zu Bewegung und transkultureller Begegnung. In den einzelnen Analysen schälen sich Themenschwerpunkte des Autorenfilmers Jarmusch heraus. Dementsprechend wurden mit Permanent Vacation (1980), Stranger than Paradise und Broken Flowers Filme gewählt, die in ihrer filmischen und musikalischen Inszenierung von Raum und in ihren Aussagen verschiedene Punkte dieses Spektrums besetzen1. Das erste Analysekapitel zum Raum behandelt Permanent Vacation. Jarmuschs Debütfilm kreist um den Streuner Allie Parker in einem heruntergekommenen Teil New Yorks. Die Erzählung widmet sich Fragen nach Raum und Bewegung auf einer stilisierten und abstrakten Ebene. Die passive Figur des Drifters Allie entpuppt sich als erinnernde Erzählinstanz, deren Wahrnehmung von Zeit und Raum formgebend für die gesamte Narration ist. In den Wiederholungsstrukturen des Films treten Nuancen und kleine Veränderungen umso stärker hervor.
1
Für die auf langsamen Verschiebungen und Schichtungen basierende Drone-Music, die sich in den jüngeren Filmen von Jarmusch wie The Limits of Control (2009), Only Lovers Left Alive und Paterson (2016) als neues Verfahren abzeichnet, müsste das Konzept der zirkulären Narration mit rhythmischen Akzentuierungen erst ausgeweitet werden, daher beschränkt sich die Filmauswahl auf jene Filme, deren Musik auf klarer fassbaren Wiederholungen und Variationen aufbaut.
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Stranger than Paradise dreht sich um den Stillstand, den die Protagonisten des Films trotz ihrer räumlichen Bewegung nicht überwinden können. Der Film beruft sich (auch musikalisch) auf die konkrete Grenzüberschreitung von Ungarn nach Amerika und stellt der Sehnsucht seiner Protagonisten nach Heimat und Bewegung eine ausweglose Wiederkehr ähnlicher Situationen entgegen: Mit der ungarischen Herkunft Willies und Evas baut die Erzählung hier noch ein zusätzliches räumliches Spannungsfeld auf, das latent mitschwingt und vor allem durch die Musik aufgerufen wird. Die Desorientierung und die Sehnsucht der ungarischen Einwanderer nach Zugehörigkeit stehen hier im Mittelpunkt. Broken Flowers stellt die Sinnsuche seiner Hauptfigur Don Johnston in einen Gegensatz der emotionalen Wärme, die Dons Freund Winston und seine äthiopische Jazzmusik geben, mit der Anonymität moderner Verkehrs- und Kommunikationsnetzwerke, in denen es dem Protagonisten Don unmöglich ist, eine kongruente Version seines Lebens zu entwerfen. Das zweite große Analysekapitel widmet sich der Art und Weise, in der Musik Kulturen als hybrid kennzeichnet. In Handlung, Dialogen und Musik lösen kulturelle Begegnungen in den Filmen von Jarmusch einerseits Missverständnisse und Brüche aus, andererseits offenbaren die Filme durch den reflexiven Umgang mit ihrer Hybridität und Intertextualität narrative, inszenatorische und strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Kulturen. So stellen Sprache und Musik Verbindungen zwischen menschlichen Erfahrungen her und überwinden kulturelle Grenzen. Auch hier zeigen die ausgewählten Filme anstelle einer Entwicklung verschiedene Variationen des Kulturbegriffs von Jim Jarmusch auf. In Down by Law glaubt der italienische Einwanderer Roberto fest an die Fiktionen, die er aus dem Hollywood-Kino und Kinderbüchern kennt. Die Rekontextualisierungen und Improvisationen, die er im transkulturellen Zugriff kreiert, treiben die Handlung an. Sein Verständigungsideal wird von Musik und Geräusch teilweise unterstützt, teilweise jedoch auch destabilisiert. Im Episodenfilm Night on Earth spielen fünf Segmente mit unterschiedlichen Figuren an verschiedenen urbanen Schauplätzen: Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki. Es wird die jeweilige Landessprache gesprochen, eine Übersetzung vollzieht sich nur per Untertitel. Der sprachlichen und kulturellen Vielfalt stehen feste Kompositionsprinzipien entgegen, die die räumlich voneinander abgeschnittenen Erfahrungen untereinander in Zusammenhang bringen. Die Musik stellt hierbei einerseits Verbindungen her und kennzeichnet Orte, andererseits drückt sie auch Misskommunikation aus. Die abschließende Analyse behandelt Ghost Dog – jenen Film, in dem Jarmusch seine transkulturelle Intertextualität am deutlichsten zeigt. Der Film zitiert
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japanische, französische, amerikanische und englische Filme und Romane, während die Musik fast vollständig auf Sampling-Ästhetik basiert. Dadurch ist sie das Fundament des Zitierverfahrens, mit dem Ghost Dog Hybridität nach außen kehrt und als Grundeigenschaft jeder Kultur zeichnet. Die Sampling-Ästhetik des Films zieht sich durch Musik, Sprache und Visualität. Ghost Dog zeigt besonders in Sprache und Musik reflexiv Ähnlichkeiten zwischen Kulturen auf – Ähnlichkeiten, die sich mehr auf ihre Entstehungsweisen und Strukturen beziehen als auf konkrete Inhalte. So werden Sprache und Musik zum hybriden, transnational verbindenden Element, ohne sich von ihren jeweiligen Entstehungsbedingungen und spezifischen Erfahrungsräumen zu lösen.
F ORSCHUNGSSTAND Obwohl die Filme von Jim Jarmusch schon in den 1980er Jahren besonders in Europa in der Filmkritik erhebliche Beachtung fanden, erwachte das wissenschaftliche Interesse an seinem Schaffen erst zur Jahrtausendwende. Besonders Jarmuschs Filme der 1980er Jahre wurden in französischen Filmzeitschriften wie Cinéma und den Cahiers du Cinéma eingehend behandelt. Der Fokus dieser frühen Besprechungen liegt meist auf Jarmusch als selbstreflexivem Filmerzähler in der Tradition der Nouvelle Vague. Auch in Deutschland wurden Jarmuschs Filme der 80er Jahre in Filmdienst und epd-film wohlwollend rezensiert. In einer frühen monografischen Behandlung konstruiert Oliver Schindler (2000) einen Autorenbegriff Jarmuschs, der einerseits die Kontinuität der Stilmittel seiner Filme der 1980er Jahre hervorhebt und andererseits die hohe kreative Kontrolle betont, für die Jarmusch innerhalb der Independent-Film-Bewegung bekannt ist. Ebenfalls im Jahr 2000 erscheint eine Abhandlung von Jonathan Rosenbaum, die Dead Man als revisionistischen Western untersucht. Die Aufsatzsammlung Jim Jarmusch von Rolf Aurich und Stefan Reinecke (2001) umfasst Texte, die teilweise schon aus den 1980er Jahren stammen und eher im Bereich der Filmkritik angesiedelt sind. Dennoch identifiziert auch dieser Band auf überzeugende Weise Grundthemen und stilistische Merkmale der Handschrift des Regisseurs. Ebenfalls seit der Jahrtausendwende ist ein wachsendes Forschungsinteresse am Genre des amerikanischen Independent-Films zu beobachten. Hier wird Jarmusch als einer der bahnbrechenden Regisseure behandelt, so etwa in Greg Merritts Überblickswerk Celluloid Mavericks (2000) oder als Beispiel für Wege des Erzählkinos außerhalb des Hollywood-Systems in Robin Woods erweiterter Edition seiner Monografie Hollywood from Vietnam to Reagan – and Beyond (2003).
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Im Diskurs zum Independent-Film wird Jarmusch eine Vorreiterrolle zugeschrieben: Er gilt als subversiver Künstler, der insofern eine Sonderstellung genießt, als er stets die vollständige kreative Kontrolle über seine Werke behält. Diese Einschätzung teilen neben Merritts früher Veröffentlichung auch andere Autoren zum Independent-Film wie Yannis Tzioumakis American Independent Cinema (2006) oder Andreas Jahn-Sudmanns Der Widerspenstigen Zähmung? (2006). In ihren Monografien geben sie einerseits einen Eindruck von der stilistischen Spannung zwischen Independent-Film und Hollywood-Kino, andererseits bieten sie Aufschluss über die international verzweigte Produktion und Finanzierung der Filme von Jim Jarmusch. 2006 legt Roman Mauer mit Jim Jarmusch. Filme zum anderen Amerika das erste ausführliche Werk zu den bis dahin erschienenen Filmen Jarmuschs vor. Die bis heute grundlegende Monografie entwickelt akribisch intertextuelle Bezüge der Filme, beschäftigt sich mit ihrer kulturellen Ansiedlung, gibt einen Überblick über ihre Rezeptionsgeschichte und analysiert die Erzählungen der einzelnen Filme. Es ist gleichzeitig die erste Veröffentlichung, die sich stellenweise mit strukturellen Eigenschaften der Filmmusik beschäftigt, die über ihre kulturelle Verweisfunktion hinausgehen. Juan A. Suárez veröffentlicht 2007 ein weniger umfangreiches Überblickswerk, das Jarmuschs ästhetische Einflüsse in den Vordergrund stellt und stellenweise sehr hilfreich dafür ist, die Bedeutungs- und Funktionsebenen der Musik herauszuarbeiten. Im Kontext von verschiedenen Genres wurden Jarmuschs Filme als innovative Werke eingeschätzt, die Konventionen kritisch befragen. Hilaria Loyo knüpft etwa an Rosenbaums Lesart von Jarmuschs Dead Man als Revision des uramerikanischen Westerngenres an (Loyo 2008). Auch die kritische Neuinterpretation des Roadmovies durch die Filme Jarmuschs wurde beleuchtet: so etwa von David Laderman (2002), der Stranger than Paradise als Bruch mit dem existenziellen Roadmovie der 1970er Jahre liest, oder von Bennet Schaber, der Jarmuschs Werke in seinem Aufsatz von 2007 zu seinem Genre-Konzept des »Minor Road Movie« zählt. Das Hotel als Metapher für die narrative Organisation in Mystery Train untersucht Yvette Blackwood (2009), und die transnationale Dekonstruktion urbaner Räume in Night on Earth ist Thema eines Aufsatzes von Karin Höpker (2011). Den transitorischen Prinzipien der Filme Jarmuschs und ihrer filmischen Inszenierung nähern sich Andreas Böhn in einem Artikel zu der Parallelfahrt bei Jim Jarmusch und Peter Greenaway (1996) und Tina Hedwig Kaiser in ihrer Monografie Aufnahmen der Durchquerung. Das Transitorische im Film (2008). Die verschiedenen Forschungsrichtungen mögen auf den ersten Blick disparat und eklektisch erscheinen, doch sie umkreisen die Grundthemen Jim Jarmuschs:
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das Spiel mit vorgebildeten Konventionen, die dynamische Beziehung von Individuum zu Raum und das Interesse an Kommunikationsprozessen mit all ihren Brüchen. Vor allem aber zeigt sich am Diskurs zu den Filmen von Jarmusch der insgesamt starke Fokus auf Intertextualität: sei es bezüglich des reflexiven Umarbeitens von Genres oder bezüglich der kulturellen Konnotationen von Zitaten literarischer, filmischer und musikalischer Art. Birgit Leitner analysiert in ihrer Dissertation von 2007 Wiederholungsstrukturen in den Filmen von Jarmusch. Sie verwendet dazu eine Vielzahl philosophischer Wiederholungsbegriffe, die sie von Henri Bergson, Gilles Deleuze, Martin Heidegger, Friedrich Nietzsche und Charles Sanders Peirce entlehnt. Im Gegensatz zu dieser theoretischen Vielfalt ist die vorliegende Untersuchung darauf ausgerichtet, die motivische Wiederholung und Variation in der Handlung und Musik zu untersuchen. Dabei sollen die Erzählungen der Filme von Jarmusch mit Independent-Film, transnationalen Film und Hollywoodfilm kontextualisiert werden. Sophia Glasls Dissertation Mind the Map. Jim Jarmusch als Kartograph von Popkultur (2014) untersucht das Netzwerk der Filme von Jim Jarmusch mittels der Rhizom- und Netzwerktheorie von Gilles Deleuze und Félix Guattari. Sie bedient sich dabei akustischer Metaphern, um das Beziehungsgeflecht zu anderen Texten aufzuzeigen, das Jarmuschs Filme ausbilden. Die Musik analysiert sie dabei stellenweise als Träger semiotischer Inhalte. Ihre akkurate und tiefgehende Nachverfolgung von Einflusslinien bietet insbesondere der Untersuchung von Hybridität hilfreiche Anknüpfungspunkte. Entgegen Glasls Beschreibung der potentiell unendlichen Verweisketten der Filme, die sich durch Rezeption immer neu darstellen, führt diese Untersuchung Jarmuschs Verweissystem jedoch auf ihre ästhetische Ähnlichkeit mit den zitierten Texten zurück und zeigt, wie es sich in einer reflexiven Erzähltradition verortet. Der Rolle von Musik in den Filmen Jim Jarmuschs widmet sich ausführlich die 2015 erschienene Monografie Jim Jarmusch. Music, Words and Noise von Sara Piazza. Neben Interviews mit Filmmusik-Komponisten und Mitwirkenden der Filme von Jim Jarmusch liefert Piazza akribische Analysen musikalischer Stilistiken, Einflusslinien und Ästhetiken. Das Buch ist in die Abschnitte »music«, »words« und »noise« unterteilt und spürt unter diesen Oberbegriffen ästhetischen Praktiken quer durch das Schaffen von Jarmusch nach. Dabei liefert Piazza auch die erste tiefergreifende Analyse der extradiegetischen Musik. Die vorliegende Untersuchung nutzt die Erkenntnisse dieser Analysen, führt sie jedoch auf die Frage zurück, wie die Musik im Erzählapparat der einzelnen Filme wirkt und wie sie an den Aussagen von Jarmuschs transnationalem Independent-Film beteiligt ist. Bei dieser Verortung in der Narratologie wird auch dezidiert ins Auge gefasst,
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wie sich die Musik bei Jim Jarmusch an Konventionen der Filmmusik anlehnt und wie sie diese unterwandert
Alternative Film-Narrationen und Hollywood
Untersuchungen von alternativen Filmerzählungen oder Produktionsumfeldern stellen diese oft in ein problematisches, ambivalentes und antagonistisches Verhältnis zum Hollywood-Kino. Ihr Abweichen von konventionellen Erzählweisen wird dabei als Verweigerungshaltung gesehen. Dies marginalisiert jedoch Unterschiede und Brüche innerhalb des Hollywood-Kinos und übersieht Erzählmittel der alternativen Filme, die über eine konventionskritische Haltung hinausgehen.1 Jarmuschs Werk ist mit verschiedenen Konzepten alternativer Filmerzählungen verwandt: vorrangig mit dem amerikanischen Independent-Genre, in dem er eine Vorreiterrolle einnimmt, aber auch mit Formen des transnationalen Films. Außerdem wurden Jarmuschs Filme wegen ihres Einsatzes spezifischer ästhetischer und narrativer Mittel als Teil unterschiedlicher Filmbewegungen aufgefasst: beispielsweise als Teil des polyglotten Films (Wahl 2005), des minimalistischen Kinos (Grob et al. 2009) und als Teil einer neuen Art von »World Cinema«, dessen Filme seit den 1960er Jahren zunehmend die globalisierte Welt in einem umfassenden Blick vereinen möchten (M. Roberts 63).
1
Neben Independent-Film und transnationalem Film oder World Cinema zielen andere Konzepte auf einzelne neue narrative Verfahren ab, die in Abgrenzung zum Hollywood-Kino als Gegenspieler verstanden werden. Eleftheria Thanouli versucht beispielsweise in ihrer Monografie Post-Classical Cinema (2009), Erzählungen zu konzeptualisieren, die sich von der klassischen Hollywood-Narration loslösen. Für sie liegt Widerstandspotenzial in ihrer Auslegung des Begriffs »Post-Classical Cinema« als weltumspannendes Genre, deren Narrationen sich vom klassischen Erzählen abwenden. Die Anfänge dieser Entwicklung sieht sie im amerikanischen Kino der 1970er Jahre; bis zu den 1990er Jahren hat sich ihrer Argumentation nach daraus eine globale Entwicklung gebildet (vgl. Thanouli 27). Ihre eklektische Filmauswahl macht den Nachweis dieses Wandels jedoch zweifelhaft.
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Verschiedene Stimmen aus Soziologie, Musik- und Filmwissenschaft fordern eine Loslösung von der Denkfigur des Weltkinos als hierarchisches System, das durch die Vormachtstellung Hollywoods geprägt wird. In Unthinking Eurocentrism haben Robert Stam und Ella Shohat 1994 dazu aufgerufen, Filme als Vermittler zwischen verschiedenen kulturellen Erfahrungen zu verstehen: »Through film, diverse cultural experiences become concurrent and relatable. The point of such an exercise in contrapunctual dialogisms, in any case, is to suggest that entire civilizations are susceptible to ›mutual illumination,‹ that in an age where cultural circulation, if in many respects asymmetrical, is still global and multivoiced, whole continents are implicated in one another, not only economically but also culturally.« (Stam/Shohat 245)
Daraus resultiert die Forderung, die Vernetzung der Filmkulturen weltweit als Interaktion verschiedener Einheiten zu verstehen, anstatt als Reaktion lokaler Widerstandsorte auf das global und hegemonial agierende Hollywood-Kino. In diesem Sinne warnen Lúcia Nagib, Chris Perriam and Raijinder Dudrah in ihrer Einleitung zu Theorizing World Cinema vor der problematischen Gegenüberstellung der Begriffe »World Cinema« und »World Music« mit einer als dominant empfundenen amerikanischen Kultur. Insbesondere entwerfe das indifferente Verständnis von »World Cinema« als Kino außerhalb von Hollywood ein Bild, in dem diese außerhalb liegenden Formen lediglich reagieren und unfähig sind, eine eigene Theorie hervorzubringen (Nagib/ Perriam/Dudrah xxxiii). Sie betonen: »[Cinemas of the world] do not depend on paradigms set by the so-called Hollywood classical narrative style, and in most cases are misunderstood if seen in this light. In multicultural, multi-ethnic societies like ours, cinematic expressions from various origins cannot be seen as ›the other,‹ for the simple reason that they are us. More interesting than their difference is, in most cases, their interconnectedness.« (xxxiii)
Mit Theorizing World Cinema wollen die Herausgeber den Gegensatz von Hollywood und anderen nationalen Kinosystemen aufbrechen und einen »polyzentrischen« Ansatz proklamieren (xxii). Eine ähnliche Forderung stellt Paul Cooke in seiner Einleitung zu World Cinema’s ›Dialogues‹ with Hollywood. Er schlägt vor, »World Cinema« als »cinema of the world« (P. Cooke 8) zu verstehen. Hollywood wäre so ein Kino unter vielen – natürlich aber immer noch ein Kinosystem, das
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einen großen Einfluss auf die Geschichte des Films genommen hat.2 Seiner Auffassung nach ist es unmöglich, Hollywood ohne Betrachtung seiner transnationalen Einflüsse zu verstehen (9). Die Vernetzung Hollywoods mit dem Rest der Welt seit seinen Anfängen betont auch Richardson, der auf die Gründung Hollywoods durch jüdische Immigranten, die ständige Rekrutierung junger Filmtalente weltweit und die Produktion von Filmnarrationen mit möglichst weit gefächertem Publikum hinweist und resümiert: »Paradoxically it stands from a certain perspective as the most American of institutions while from another it can appear not to be ›American‹ at all.« (Richardson 2) Die weltweite Vernetzung verschiedener Kinosysteme im Sinn des polyzentrischen Multikulturalismus zu verstehen, ermöglicht auch neue Einblicke in das Werk von Jim Jarmusch, das in dieser Sichtweise aus dem Gegensatz von amerikanischem Independent-Film und Hollywood-Kino herausgelöst werden kann. Die große kreative Freiheit, über die Jim Jarmusch verfügt, schlägt sich in kontinuierlichen Ästhetiken, Themen und Stilistiken nieder, die transkulturell geprägt sind. In verschiedenen Interviews nennt Jarmusch eine Vielzahl amerikanischer, europäischer und japanischer Regisseure als Einflüsse, darunter so unterschiedliche Filmschaffende wie Jean-Luc Godard, Michelangelo Antonioni, Wim Wenders (Interview von Stark 52), Dziga Vertov, Raúl Ruiz (»Stranger« 62), Seijun Suzuki, Aki Kaurismäki, Chantal Akerman (»Mystery« 94), Max Ophüls, Yasujiro Ozu (»Shot« 100), Nick Ray, Sam Fuller und Douglas Sirk (Interview von Plotnick 136). Trotz dieses enormen Bezugsraumes werden die Filme von Jim Jarmusch in Filmkritik und Filmwissenschaft vor allem in Zusammenhang mit seiner bedeutenden Funktion für das unabhängige amerikanische Kino behandelt. Damit werden sie in einen Gegensatz zum Hollywood-Kino gespannt, durch den sich die Lesart vorrangig auf konventionskritische Eigenschaften der Filme richtet und die Suche der Filme nach eigenständigen, neuen Erzählformen aus dem Fokus gerät. Verschiedene Ansätze beschreiben Filme, die alternative Narrationen zum klassischen Hollywood-Kino verfolgen. Im Folgenden wird geprüft, inwiefern sie zur Untersuchung der Filme von Jarmusch hilfreich sein können und auf Probleme hingewiesen, die sie teilen.
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Angesichts des Titels World Cinema’s ›Dialogues‹ with Hollywood wirkt es natürlich etwas ironisch, dass just die in Frage gestellte Dichotomie titelgebend ist.
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N EW H OLLYWOOD C INEMA Mit dem New Hollywood Cinema war schon einmal innerhalb des Studiosystems ein Autorenkino entstanden, das sich explizit auf die Filmerzählungen europäischer Regisseure berief. Europäische Autorenfilmer wie Ingmar Bergman, Federico Fellini, Michelangelo Antonioni, Bernardo Bertolucci, François Truffaut und Jean-Luc Godard beeinflussten das New Hollywood Cinema (vgl. King 20), in dem Filmemacher wie Robert Altman, Sam Peckinpah, Peter Bogdanovich, Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola ihre ersten Erfolge feierten. Durch diese Verbindung kam der Auteurism im US-amerikanischen Film an (vgl. King 20) und das Wechselspiel zwischen Europa und Amerika prägte das HollywoodKino die ganzen 1970er Jahre hindurch (vgl. Elsaesser, »Auteur«, 40). Die prägenden Genres blieben jedoch auch in dieser Zeit amerikanisch: Das New Hollywood Cinema erweiterte, verhandelte und überarbeitete mit Vorliebe Western, Gangsterfilm und Film noir (vgl. King 24). Thematisch jedoch wendete sich das New Hollywood Cinema von den bis dahin konventionellen Erzählungen ab: Paranoia, Orientierungslosigkeit und eine kritische Haltung zu amerikanischer Kultur und Regierung waren wiederkehrende Motive, während sich die Jugendkultur zu den Filmen wegen ihrer ungewohnten Darstellung von Tabuthemen wie Sex, Ethnizität, Sprache und Gewalt hingezogen fühlte (vgl. Hunter 2). Thomas Elsaesser bewertete die Potenziale des New Hollywood Cinema in dem ursprünglich 1975 entstandenen Artikel »The Pathos of Failure: American Films in the 1970s: Notes on the Unmotivated Hero.« Damals sah er das New Hollywood als gegen die Dramaturgie des klassischen Hollywood-Kinos gerichtet, als Absage an Motivation und Kausalität (280) und psychologische Motivation 281). Wegen dieser Impulse vermutete Elsaesser damals, dass die Filme sich weiter in Richtung eines dokumentarischen Minimalismus und Abstraktion entwickeln würden (291). Wie man jetzt weiß, ist es jedoch nicht so gekommen. Viele der Möglichkeiten und Freiheiten, die der Schwung des frühen New Hollywood in sich trug, wurden durch den Beginn der Blockbuster-Ära erstickt. In ihrer Hochzeit und in ihrer äußersten Ausprägung brachte sie jenes illusionistische Überwältigungskino hervor, dem sich der Independent-Film der 1980er Jahre später so vehement versagte. Hebt der Independent-Film also später die konventionskritischen Potenziale, die im New Hollywood Cinema angelegt waren? Tatsächlich treten im Independent-Film einige Stilmerkmale des frühen New Hollywood Cinema wieder her-
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vor: Selbstreflexivität, Ironie, Bruch mit Figurenmotivation und Kausalität, Hybridisierung von Genres, eine skeptische Haltung gegenüber klassischer Erzählformen und ein starker Autorenbegriff. Dennoch ist der Independent-Film keine späte Ausformung des konventionskritischen New Hollywood Cinema – zu offensichtlich bewegen sich seine Filme außerhalb der Studio-Erzählungen. Während die Hollywood-Filme der frühen 1970er Jahre stark in der Gegenkultur verankert waren und in den Umbrüchen in der amerikanischen Gesellschaft zu dieser Zeit (vgl. Horwath 11), knüpft Jarmuschs Ästhetik in ihrer Reduziertheit an Filmkulturen aus aller Welt an und versagt sich Sinnsuche ebenso wie Rebellion.
I NDEPENDENT -F ILM Die Wahrnehmung des Independent-Films als rebellischer Gegenspieler des Hollywood-Kinos ist limitierend – und zwar für beide Kinoformen. Sie macht Hollywood meistens zur normgebenden Instanz, vor deren Hintergrund die Werke des Independent-Films auf ihre Abweichungen reduziert werden. Die Verlockung, Jarmuschs Filme aus ihrem Gegensatz zum Hollywood-Kino heraus zu erklären, liegt nahe. Handlung und Ästhetik unterscheiden sich radikal von der Vielzahl der Werke, die das Studiosystem hervorgebracht hat und immer noch hervorbringt. Was der Begriff des Independent-Films, mit dem Jarmuschs Schaffen in den allermeisten Fällen überschrieben wird, genau umfasst, ist strittig und von ständigem Wandel gekennzeichnet (vgl. Merritt xi). Eine oft gewählte Annäherung an den Begriff bezieht sich auf Wege der Filmproduktion und -verbreitung. So sieht auch Merritt in seiner Monografie Celluloid Mavericks den Independent Film als vollständig außerhalb der Studios realisierte Filmproduktion, die er dem Studiosystem entgegenstellt, das Filme sowohl produziert als auch vertreibt (Merritt xii). Neben Produktion und Verleih unterscheiden sich auch andere Aspekte des Independent-Films bedeutend von der Arbeitsweise der großen Studios. So bedient das Independent-Kino andere Märkte als Hollywood und sucht eigene Vermarktungsstrategien (vgl. Jahn-Sudmann 109). Zunächst ist mit dem Begriff »Independent« also eine unabhängige Produktions-, Vertriebs- und Marketingpraxis gemeint. Jarmusch selbst äußerte sich über die finanzielle Freiheit des Independent-Kino einschränkend: »The term independent is relative because you’re not independent unless you’re independently wealthy and produce films with your money […]. So you’re not independent financially.« (Jarmusch, »Asphalt«, 84) Dennoch nimmt Jarmusch sogar innerhalb der Independent-Szene eine Sonderstellung ein, die Ralph Eue wie folgt beschreibt: »Jarmusch ist heute buchstäblich
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der einzige amerikanische Filmemacher – zumindest unter denen, deren Filme sich einer regelmäßigen kommerziellen Kinoauswertung erfreuen –, der die Negative all seiner Filme besitzt.« (Eue 104) Ähnlich schildert Greg Merritt den Grad der kreativen Kontrolle, die sich Jarmusch sichert: »For many cinéastes, [Jim Jarmusch] is the embodiment of modern independent film. Using primarily foreign financing and retaining ownership of his films’ negatives, Jarmusch remains resolutely autonomous. Even the current indie system has little effect on his creative decisions. Jim Jarmusch has been able to do something few directors can do; craft his own distinct style – a cinematic language of slow rhythms, minimalist camerawork, and deadpan dialogue.« (Merritt 360)
Merritt schlägt hier die Brücke zwischen Jarmuschs unabhängigen Finanzierungsmodellen und der daraus resultierenden künstlerischen Freiheit, die den Stil seiner Filme als Produkt eines Filmautors untersuchbar macht. Während es schon seit den Anfängen des Kinos unabhängige Filmproduktionen gab, bildete sich der Begriff des Independent-Films als Genre erst in den 1980er Jahren, als Jim Jarmusch, John Sayles und Spike Lee mit ihren Produktionen trotz kleiner Budgets vom Publikum als ernstzunehmende Alternative akzeptiert wurden und Filmkritik und -industrie die unabhängigen Filmemacher unter dem Begriff »Independent« bündelten (vgl. Tzioumakis 281). Der Independent-Film wird also wie in der Beschreibung Tzioumakis’ von Beginn an zusätzlich zu seinen Entstehungs- und Vertriebswegen noch auf einer zweiten Ebene als Alternative zum HollywoodKino gesehen: in seiner Suche nach neuen Erzählformen und in der ästhetischen Differenz vom Studiokino, die durch die kreative Unabhängigkeit seiner Regisseure entsteht. Diese beiden Ebenen sind nicht klar voneinander zu trennen, denn natürlich kann eine abweichende Ästhetik auch dem meist niedrigeren Budget des Independent-Films geschuldet sein und muss nicht aus einer von der Finanzierung unabhängigen Entscheidung erwachsen. Andreas Jahn-Sudmann zeigt ein Paradoxon dieses Gegensatzes auf, wenn er schreibt, dass der Independent-Film sich »begrifflich nur dann hinreichend legitimieren [kann], wenn er […] eine Differenz markiert, indem er sich gegenüber anderen kinematografischen Systemen, konkret dem Hollywoodkino, in irgendeiner Hinsicht kontinuierlich abgrenzen kann.« (Jahn-Sudmann 35, Hervorh. i. O.) Diese Auffassung impliziert, dass der Independent-Film sich, obwohl er dem Namen nach unabhängig ist, tatsächlich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet: nämlich einem Unterscheidungszwang zum dominanten Hollywood-Kino. Dem steht laut Jahn-Sudmann noch eine zweite Auslegung gegenüber:
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»Theoretisch wäre auch eine andere semantische Logik möglich, dergestalt, dass der Independent-Film als Signifikant einer tatsächlich autonomen kulturellen Praxis fungiert, insofern er als eine solche Klassifikationskategorie sowohl Abhängigkeit als auch Unabhängigkeit einschließen könnte – Differenz bzw. Unabhängigkeit als Möglichkeit und nicht als Notwendigkeit.« (Jahn-Sudmann 35, Hervorh. i. O.)
Verkompliziert werden beide Interpretationen, die Jahn-Sudmann anbietet, zusätzlich dadurch, dass das Hollywood-Kino, von dem es sich abzugrenzen gilt, selbst extrem unterschiedliche narrative und gestalterische Mittel und Ästhetiken einsetzt. Die Frage ist also, wie eine Abgrenzung überhaupt erfasst werden kann, wenn man Hollywood selbst als wandelbar und instabil versteht. Eine wichtige offen formulierte und kritische Abhebung zum Hollywood-Kino ist etwa die kritische Reflexivität, die Jarmuschs Filme ihm entgegentragen. Roman Mauer sieht die Positionierung von Jarmuschs Filmen zu der hegemonialen Erzählpraxis Hollywoods als zentrales Thema seiner Filme. Diese behandelten die Frage: »Wie kann man als amerikanischer Regisseur noch erzählen angesichts einer Kinoindustrie, die seit über 50 Jahren den internationalen Markt mit ihren populären Genrekonventionen beherrscht? Wie kann man neue kulturelle Impulse setzen, wenn man selbst von diesen Schablonen geprägt ist und beim Rückgriff auf authentische Erfahrungen und ihrer Transformation in ein Drehbuch nicht der eigenen medialen Codierung ausweichen kann?« (Mauer 106-07)3
In dem Abschlusskapitel seiner Monografie Hollywood from Vietnam to Reagan and Beyond würdigt Robin Wood Jarmusch als Gegenpol zum Hollywood-Kino und beschreibt seine Position in radikalen Worten: »He is one of the only contemporary American filmmakers of consistent and distinguished achievement who has dared to say a resounding No! to contemporary America.« (Wood 342) Mittlerweile verschwimmen aber die Grenzen zwischen Hollywood und Produktionen außerhalb der großen Studios durch Verleihverträge von großen Stu-
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Hier bezieht sich Mauer auf die Gedanken Alain Carbonniers, der zu Down by Law schreibt, Jarmusch interessiere das Problem: »[…] comment rendre compte aujourd’hui de ce qui l’a intéressé jusque là, disons pour simplifier […] une forme de marginalité, en utilisant une moyen comme le cinématographe, aussi chargé de mémoire, de traditions, de conventions?« (Carbonnier 4)
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dios mit Produktionen des Independent-Films (vgl. Davison 198). Außerdem erschließt Hollywood den Independent-Film-Markt fortlaufend, etwa durch Focus, Universals Firma für unabhängige Produktionen (vgl. P. Cooke 3).4 Doch auch der Independent-Film für sich alleine ist schon längst kein hinreichendes Spielfeld für Gegenpositionen zum Mainstream-Kino mehr. Aus dem Independent-Film der 1980er Jahre hat sich ein eigener Kanon gebildet, in dessen Zentrum weiße männliche Regisseure stehen (vgl. Perkins/Verevis 2). Ihre Filme sind mittlerweile auch durch eigene Konventionen wie das ironische Happy-End und Stillstand gekennzeichnet (vgl. Perkins/Verevis 9). Ein hohes Maß an Aufmerksamkeit kommt in Filmwissenschaft und Filmkritik diesen Autorenfilmern zu, so dass wiederum ein alternativer Independent-Film als Korrektiv zu diesem Kanon nötig wird, in dem unter anderem weiblicher Subjektivität größeres Gewicht zukäme (Perkins/Verevis 5-6). Dennoch behält der Independent-Begriff zur Untersuchung von Jarmuschs Filmen ein fruchtbares, eigenes Profil – nicht zuletzt durch deren transnationale Bezüge. Viele der Unterschiede von Jarmuschs Filmen zu Hollywood drücken eine Oppositionshaltung aus – aber der Fokus auf diese Haltung, die Wood mit »resounding No! to contemporary America« umschreibt, ist heikel. Die Abweichungen von Jarmuschs Kino zu Hollywood-Erzählungen bevorzugt als Gegenpositionen zu lesen, bestärkt die hegemoniale Stellung des Hollywood-Kinos letztendlich – eine Lesart, zu der nicht zuletzt der große Einfluss des Studiokinos auf die Geschichte des Filmmediums verleitet. Die (etymologisch zwar gerechtfertigte) Gegenüberstellung von Jarmuschs Independent-Film mit dem Hollywood-Kino läuft Gefahr, Bezüge zu anderen Kinosystemen auf globaler Ebene zu vernachlässigen und vor allem innovative Erzählformen zu vernachlässigen, die die Filme von Jarmusch selbst generieren. Diese Sicht würde vor allem betonen, was Jarmuschs Filme verweigern: bombastische Ästhetik, Spektakel-Kino, üblicherweise als wichtig empfundene Handlungsteile oder der Einsatz von Musik zur Emotionalisierung. Grob et al. schreiben in »›Less Is More‹. Das Minimalistische als ästhetisches Prinzip«, einem Aufsatz, der ihrem Sammelband Kino des Minimalismus vorangestellt ist: »Minimalismus existiert nicht einfach durch den beschreibbaren Einsatz minimaler Mittel, sondern nur als Gegenfolie zu dem möglichen Einsatz verfügbarer Mittel des seiner Mittel bewussten, wenn nicht gar diese ausreizenden Films.« (Grob et al. 18)
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Eine Tatsache, die die Marktbedingungen auch für fremdsprachige Filme in den USA erschwert (vgl. P. Cooke 3).
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Eine dieserart gesetzte Aufmerksamkeit entfernt sich aber von der Frage, welche Mittel die Erzählungen zu welchem Zweck einsetzen. Dadurch wird das Hollywood-Kino ironischerweise gerade in einem Diskurs als Norm gesetzt, der sich eigentlich mit Wegen beschäftigt, dieses Abhängigkeitsverhältnis aufzubrechen. Jarmuschs Unabhängigkeit bedeutet jedoch nicht den kompromisslosen Gegensatz zum Hollywood-Film. Vielmehr beschreibt sie die Freiheit, sich in einem Netz von präexistenten Texten zu bewegen, zu dem das Studiokino einen großen Teil beiträgt, und dieses Netz kritisch zu hinterfragen. Seine Filme setzen sich in dieser Konstellation dezidiert mit den vom Hollywood-Kino geprägten Erzählkonventionen auseinander, jedoch auch mit anderen filmischen Einflüssen weltweit.
T RANSNATIONALITÄT Neben dem amerikanischen Independent-Genre tragen transnationale intertextuelle Bezüge und Figurenanlagen zu den Narrationen der Filme von Jim Jarmusch bei. Anders als der Independent-Film ist der transnationale Film für das Beschreiben neuer Erzählformen weniger wegen seiner überhöhten Gegenposition zum Hollywood-Kino problematisch, sondern mehr wegen der fließenden Grenzen zwischen verschiedenen Formen der Transnationalität. Der Begriff der Transnationalität wird in vielen Diskursen verwendet. Allgemein bezeichnet er das Übertreten von Ländergrenzen und untersucht mögliche Konsequenzen dieser Transgressionen, etwa für Identität und Nationalität. Neben dieser deskriptiven Verwendung der Transnationalität als grenzüberschreitender Akt wird dem Begriff andernorts zusätzlich subversives Potenzial gegenüber dem Nationalen zugeschrieben. Die Allgemeinheit des Begriffs Transnationalität schränkt sein Potenzial zur Beschreibung einer alternativen Filmpraxis ein: Schließlich ist das Kino ohnehin seit seinen Ursprüngen ein grenzüberschreitendes Medium. Neben dem amerikanischen Independent-Film ist auch das Hollywood-Kino in seiner wechselseitigen Beeinflussung mit unterschiedlichen nationalen Filmsystemen und seiner weltweiten Vermarktung und Zirkulation ein bedeutsamer Ort transnationaler Erzählungen. Zum Beispiel weist Nitin Govil in Orienting Hollywood: a Century of Film Culture Between Los Angeles and Bombay (2015) die historischen Beziehungen des Hollywood-Kinos zum indischem Bollywood-Kino nach. Winfried Fluck sieht den Transnationalismus als subversives Konzept und stellt ihn in Zusammenhang mit der für ihn treibenden Frage der Amerikastudien nach dem Ort oder der Möglichkeit von Widerstand. Nachdem Widerstand und
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Subversion innerhalb des amerikanischen kulturellen Systems an ihrer eigenen Durchdringung durch Machtsysteme gescheitert seien, liege das Potenzial des Widerstands nun in der Analyse jener Bezüge, die außerhalb der Staatsgrenzen lägen, namentlich der transnationalen (vgl. Fluck 71). Der transnationale Ansatz bezieht sich hierbei auf schon zuvor formulierte Konzepte der »New American Studies«, wie postnationale und transkulturelle Ansätze, die einem Verständnis von amerikanischer Identität als abgeschlossenes Konstrukt entgegengesetzt sind (vgl. Isensee/ Raussert 1). So ist er mit der Denkschule der »New Americanist Identity« (Pease 7) verwandt, in der »postnational narratives« (3) jene Ordnungssysteme hinterfragen, mittels derer sich nationale Identität formiert. Eben jene Verstrickung mit anderen Konzepten, die sich kritisch auf die Kategorie des Nationalen beziehen, erzeugt jedoch auch Abgrenzungsprobleme des Transnationalen als eigene Widerstandsform gegenüber anderen Begriffen. So schreibt Andreas JahnSudmann: »Die Problematik der Kategorie ›transnational‹ resultiert zum Teil aus der Vielzahl ähnlicher und konkurrierender Konzepte, die durch die Verwendung des Begriffs aufgerufen werden. Damit sind zunächst jene gemeint, in denen das Präfix trans etwa durch inter, supra oder post ersetzt wird.« (Jahn-Sudmann, »Transnationalität«, 16)
Weiterhin verkompliziere sich der Begriff dadurch, dass er in manchen Fällen ähnlich zu dem Postnationalen auf Kritik abziele, in anderen Fällen wiederum nicht (Jahn-Sudmann, »Transnationalität«, 17). Auch Mette Hjort bemängelt die Unschärfe des Begriffs – unter ihm würden häufig Annahmen über heutige globale Realitäten gebündelt, anstatt klare Definitionen anzubieten (vgl. Hjort 13). Obwohl Hollywood, Independent-Film und andere Kinosysteme transnational vernetzt sind, stellen Filmwissenschaft und -kritik sie in nationale Kontexte. Filme, so Mette Hjort und Scott MacKenzie in ihrer Einleitung zu Cinema and Nation, drücken nicht einen fixen Zustand nationaler Kulturen aus, sondern verhandeln ihre Geschichte, Herkunft, Ziele und Prinzipien (Hjort/MacKenzie 4). Wiederkehrende Themen wie die Westward Expansion, Final Frontier oder Manifest Destiny validieren im amerikanischen Erzählkino einen abgeschlossenen Nationenbegriff. Anderson liest beispielsweise den US-amerikanischen Western als Genre, das in seiner historischen Darstellung den Imperialismus rechtfertigt und fördert (vgl. Anderson 6). In der Auffassung nationalistischer Diskurse ist die Nation nicht gespalten, fragmentiert oder geteilt, sondern vereint (vgl. Hayward 98). Wie Higson betont, versteht nationales Kino Identität, Tradition und geografische Grenzen als abge-
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schlossene und unveränderliche Einheiten (vgl. Higson 67). Die ständige Erneuerung kultureller Produkte und ihre hybriden Querverbindungen (67) mache das Konzept des nationalen Kinos zwar im theoretischen Diskurs angreifbar, dieses spiele in der politischen Praxis aber dennoch eine wichtige Rolle (69). Beispielsweise wurde das American Film Institute explizit gegründet, um Filmemacher auszubilden und das Erbe des amerikanischen Films zu sichern.5 Auch in Kanonisierungen, die Veröffentlichungsreihen wie etwa die Edition Deutscher Film von Arthaus und dem Kulturspiegel vornehmen, wird die Kategorie des Nationalen historisiert und fortgeschrieben. Andererseits gibt es nationale Strukturen, die filmische Schaffensprozesse selbst betreffen. So können Filme in einem Produktionsmilieu angesiedelt sein, das sich als Teil des nationalen Films versteht oder zumindest so aufgefasst werden kann. In Deutschland gab es schon kontroverse Debatten um die Beteiligung gebührenfinanzierter Sendeanstalten an Filmproduktionen, die sich darum drehen, ob das deutsche Kino im jetzigen Maße durch das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem gefördert werden darf und vor allem welche Art von Produktionen und Erzählungen Unterstützung verdienen (vgl. Nicodemus 2008; Reiter 2011). Diese nationalen Debatten müssen sich nicht zwingend in einer eigenen Art der nationalen Erzählweise ausdrücken, zeigen jedoch die enge Verknüpfung von Filmproduktion mit Nationalstaaten. Einige Stimmen sehen im Transnationalen das Potenzial, den Nationenbegriff zu destabilisieren. »Transnationale Mobilität löst die klassische Migration ab«, schreiben Csáky und Großegger und fragen: »Was bedeutet es für das Zusammenleben der Menschen, wenn die Assimilierung an ein eindeutiges Werte- und Normengefüge durch die Aneignung vielfältiger, hybrider Identifikatoren ersetzt wird?« (Csáky/Großegger, »Vorwort«, 10). Das Konstrukt nationaler Zuschreibungen und die Art, in der Migranten sich darin assimilieren lassen, ist zwar umstritten und keinesfalls eindeutiges Werte- und Normengefüge. Doch es ist die von Hayward (98) aufgerufene Denkfigur einer »vereinten Nation«, die von neuen Formen der transnationalen Hybridität unter Druck gesetzt wird. In diesem Spannungsfeld kann ein transnationaler Independent-Film zu einer »Gegenposition zu Homogenitätsversuchen« beitragen – einer Position, die Csáky und Großegger als Rolle der Kunst in der transnationalen Mobilität beschreiben (10). Gleichzeitig ist in der Transnationalität jedoch eine Überwindung des Nationalen nicht zwingend angelegt. So resümiert Jahn-Sudmann, »dass der Begriff des Transnationalen in der bisherigen Forschungspraxis eher auf Phänomene und Vorstellungen der Überwindung nationaler Grenzlinien und nicht auf deren dauer-
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American Film Institute: »History of AFI.« .
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hafte Überwindung zielt.« (Jahn-Sudmann, »Transnationalität«, 26) Diese Forschungspraxis sieht er in engem Zusammenhang mit der Auffassung, eine Welt ohne nationale oder ethnische Unterschiede als Utopie abzutun (ebd.), und bedauert, dass eben der »kritische Hinweis auf die Beharrungskräfte nationaler Ideologien nicht nur notwendige Voraussetzung für deren Überwindung ist, sondern in dem Maße, wie hier Verhältnisse kritisch erfasst werden, zugleich der Ideologie des Bestehenden entgegengearbeitet wird.« (ebd.) Ein Dilemma ist für Jahn-Sudmann, dass es nicht erstrebenswert wäre, das »Konzept des Transnationalen als die konkrete Utopie zu betrachten, die im besonderen Maße die Möglichkeit einer besseren Welt realisierbar erscheinen lässt« (ebd.) aber auch nicht, »den Begriff des Transnationalen zwingend zu einem gesellschaftskritischen Konzept zu erheben, als ob dieser von seiner Geschichte her etwas enthielte, was diese Bürde rechtfertigen könnte.« (ebd.) In diesem Spektrum besetzen Jarmuschs Filme eine Position, aus der sie das Transnationale nutzen, um als natürlich empfundene Grenzen zwischen Kulturen, Ländern, Musikstilen und Sprachen zu destabilisieren. Im Hinblick auf Filme wirkt der Transnationalismus auf unterschiedlichen Ebenen. Der Begriff beschreibt eine Vielzahl von grenzüberschreitenden Prozessen und Beziehungen, durch die zwar nationale Strukturen und Inhalte zugunsten eines ideologischen wie produktionstechnischen globalen Austauschs überwunden werden können, aber nicht müssen. Er beschäftigt sich sowohl mit multinationalen und globalen Faktoren der Filmproduktion als auch mit textuellen Kriterien. In dieser Vielzahl möglicher Denkweisen und Ansätze liegt wiederum die Gefahr, dass das Transnationale auf der Beschreibungsebene stagniert und als Untersuchungsperspektive endet, die mit ästhetischen, produktionstechnischen und narrativen Eigenschaften der einzelnen Filme nicht mehr viel zu tun hat. Elizabeth Ezra und Terry Rowden bemerken mit Recht die mannigfaltigen transnationalen Verbindungen: dass asiatische Filme Quentin Tarantino beeinflussten, während Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Woody Allen Anleihen am französischen Autorenfilm nähmen und ganz Hollywood ein transnationales und hybrides Konstrukt sei (vgl. Ezra/Rowden 2). Diese Vernetzung erkennt auch Jahn-Sudmann, spricht dem transnationalen Film jedoch durchaus eigene Qualitäten zu: »Zwar lässt sich nahezu jeder Film seit den Anfangstagen des Kinos problemlos auf transnationale Aspekte hin untersuchen, gleichwohl gibt es – vor allem in jüngerer Zeit – spezifische Themen, Ästhetiken, Genres, Produktionsformen, die das Transnationale sehr deutlich kennzeichnen« (Jahn-Sudmann, »Transnationalität«, 23). Mit der Formulierung dieser Kategorien befasst sich auch Mette Hjort, die den offenen Begriff des Transnationalen eingrenzen möchte. Sie ist bemüht, das Transnationale als bewertbare und objektiv einzuschätzende
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Qualität zu begreifen. In einem Einstufungssystem könnte ein Film folglich mehr oder weniger transnational sein. Hierzu schlägt Hjort Kriterien wie Produktion, Vertrieb, Rezeption und die Gestalt der filmischen Werke selbst vor. »It would be helpful in my view to use the term ›transnational‹ as a scalar concept allowing for the recognition of strong or weak forms of transnationality. On this model a given cinematic case would qualify as strongly transnational, rather than weakly so, if it could be shown to involve a number of specific transnational elements related to levels of production, distribution, reception, and the cinematic works themselves.« (Hjort 13)
Auch Hjort sieht im Transnationalen grundsätzlich großes Potenzial des Widerstands gegen Globalisierung als kulturelle Homogenisierung sowie für den Kampf dagegen, dass wirtschaftliche Einschränkungen den künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Wert der Filme gefährden (vgl. Hjort 15). Damit entfernt sie sich von einer rein deskriptiven Verwendung des Transnationalen, die auch beispielsweise die an ein Weltpublikum gerichteten Hollywood-Filme und ihre globale Vermarktung mit einschließt. Ezra und Rowden nähern sich in »What is Transnational Cinema?« noch weiter einer Beschreibung von Merkmalen, die dem transnationalen Film subversives Potenzial verleihen. Als zentrale Bestrebung des transnationalen Kinos sehen sie das Hinterfragen von Heimat und nationaler Identität. Im Zentrum stehen Figurenanlagen wie die unstete, rastlose, heimatlose Person, deren Ortlosigkeit anhaltender statt vorübergehender Zustand ist. Sie kann im Verlauf der Handlung nicht zu Gunsten einer heimatlichen Bindung überwunden werden (vgl. Ezra/Rowden 7). So kritisiert der transnationale Film Nationalität als identitätsstiftendes Konstrukt. Häufig in Zusammenhang mit einem transitorischen Prinzip vollzieht sich eine Identitätsrekonstruktion und -dekonstruktion. Nationale Identität wird hierbei zu einem Platzhalter imaginierter Gesellschaftssicherheit und kulturellen Gedächtnisses (8). Die Transnationalität der Filme von Jim Jarmusch lehnt sich an diese subversive Haltung an. Zusätzlich jedoch entwerfen die Filme das Ideal eines transkulturellen Austauschs, in dem gerade Missverständnisse, Orientierungslosigkeit und Brüche zur Verständigung beitragen. Die Relevanz der Diskussion um den transnationalen Film für die Arbeit an Jim Jarmuschs Filmen ist unmittelbar und deutlich zu sehen. Jarmuschs Filmpraxis ist in einer bewertenden Einordnung im Sinne Hjorts und auch entsprechend dem von Ezra und Rowden formulierten Kriterium der subversiven Haltung eindeutig transnational. Neben den Produktionsbedingungen und der internationalen Rezeption qualifizieren die Handlungen der Filme sie für eine solche Einstufung. Sie sind einer Erzählweise verpflichtet, die einerseits Konzepte wie Heimat oder Nationalität hinterfragt, andererseits jedoch auch
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eine Position des Widerstands innerhalb der von Hollywood dominierten Filmpraxis der Vereinigten Staaten einnimmt. Auf narrative Strukturen bezogen, hilft das Konzept des Transnationalismus zu verstehen, wie die Filmpraxis von Jim Jarmusch die identitätsstiftende Kraft nationaler Herkunft überwinden will. Die Ergänzung um die transnationale Perspektive ermöglicht es weiterhin, gerade die Vermittlungsprozesse zwischen Kulturen, deren elementarer Bestandteil die Musik ist, in einen neuen, subversiven Kontext zu stellen. Die Independent-Filme von Jim Jarmusch nehmen starke und kritische Positionen zu den filmischen Erzählkonventionen, zu bestimmten Figurenanlagen und zu Genrekategorien von Hollywood ein. Aber ihre Gegenposition entstammt nicht nur der konventionskritischen Haltung und Tradition des Independent-Films, sondern auch jener subversiven Haltung, die Mette Hjort, Elizabeth Ezra und Terry Rowden verschiedenen Formen des transnationalen Films zuschreiben. Die Filme von Jarmusch formulieren eigene Erzählweisen, legen neue filmische Möglichkeiten für den Umgang mit Sprache und den Einsatz von Musik an und verfolgen eine eigene Form des transnationalen Independent-Films, die mit räumlichen Destabilisierungen, transkultureller Intertextualität und Verständigungsprozessen in Narration und Musik ein kritisches Gegengewicht zu konventionalisierten Fremdheits- und Nationsbeschreibungen des Hollywood-Kinos bildet. Die Filme von Jim Jarmusch beziehen ihre transnationale Position nicht dadurch, dass sie die nun immer mehr zurückgedrängten Identitäts- und Erinnerungskonstrukte außen vor lassen, sondern durch eine Verhandlung und Rekontextualisierung nationaler Narrative.
T RANSNATIONALER I NDEPENDENT -F ILM Der Diskurs um den transnationalen Film liefert besonders, wo er um die systematische Erfassung und Beschreibung seiner Eigenheiten bemüht ist, gewichtige Gründe, diesen als Teil einer alternativen Position zum Hollywood-Kino zu sehen. Damit sind einerseits Wege einer alternativen Filmproduktion und -zirkulation gemeint, andererseits Narrationen mit dem Potenzial, den Repräsentationsformen Hollywoods ein Gegengewicht zu bieten. Darin ähnelt der transnationale Film dem Independent-Film. Hamid Naficy führt beide Begriffe zusammen. In dem Aufsatz »Phobic Spaces and Liminal Panics: Independent Transnational Film Genre« schlägt er das Genre des transnationalen Independent-Films vor. Darunter fasst er vor allem die Werke von Filmemachern aus der Dritten Welt, die außerhalb des Studiosystems und der Mainstream-Filmindustrie des jeweiligen Gastlandes in Europa und den
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USA agieren. Schon dadurch drücken ihre Filme tendenziell Spannungen bezüglich Exil, kultureller Anpassung und Transnationalismus aus (vgl. Naficy, »Phobic«, 205). In dem Genre sammelt er Filme, die Grenzen verschiedener Art zu überwinden vermögen: »a cinema that cuts across previously defined geographic, national, cultural, cinematic, and meta-cinematic boundaries« (203), so beschreibt Naficy das Potenzial des transnationalen Independent-Films. Hier ist schon die Verwandtschaft zur Filmpraxis von Jim Jarmusch sichtbar. Dessen Erzählungen destabilisieren Genres und überschreiten Ländergrenzen; kultureller Austausch generiert in ihnen Kommunikation, Dynamik, Komik und Verständigung. Die Nützlichkeit und auch die Limitierung von Naficys Begriff für das Verständnis der Filme von Jim Jarmusch lässt sich an einer ausführlichen Erklärung differenzierter betrachten: »Transnational films are here considered as (1) belonging to a genre of cine-writing and self-narrativization with specific generic and thematic conventions and (2) products of the particular transnational location of filmmakers in time and place and in social life and cultural difference. By linking genre, authorship, and transnational positioning, the independent transnational genre allows films to be read and reread not only as authorial vision and generic conventions, but also as sites for intertextual, cross-cultural, and translational struggles over meanings and identities.« (Naficy, »Phobic«, 204-205)
Naficy meint mit seinem transnationalen Ort der Filmemacher keine flüchtige und temporäre Grenzüberschreitung, sondern einen andauernden Exilstatus, der mit einer Position kultureller Differenz und der Marginalität verbunden ist. Diese Position schlägt sich dann wiederum in den Filmerzählungen und Darstellungsformen nieder. So ist Naficy etwa besonders an der Klaustrophobie der Räume als zentralem Merkmal seines Genres »Transnational Independent Film« interessiert (Naficy, »Phobic«, 203), eine Raumphilosophie, die den flüchtigen Durchschreitungen bei Jarmusch nicht entspricht. Natürlich hängen auch die Filminhalte von Jim Jarmusch mit seiner eigenen soziokulturellen Verortung und Biografie zusammen, was sich in Filmen ausdrückt, die durch transnationale Finanzierung, Produktion, Zusammenarbeit und künstlerischen Austausch Geschichten von der Begegnung verschiedener Kulturen erzählen. Dennoch würde ihre Einbettung in Naficys Konzept den realen Erfahrungen von Marginalität und zugeschriebener Differenz der von Naficy gemeinten Exilfilmemacher nicht entsprechen. Jarmuschs Zugriff auf transnationale Erzählmittel und die reflexive Haltung des Independent-Films vermögen jedoch in Naficys Sinne ein Feld für intertextuelle, transkulturelle und übersetzerische Verhandlungen von Identitäten und Bedeutungen zu öffnen.
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Doch auch Hamid Naficys Blick auf das Kino der Welt teilt die problematische Überhöhung von Gegensätzen zwischen Exilfilmemachern und dem Hollywood-Kino, mit ähnlich limitierenden Konsequenzen wie beim IndependentFilm. Das zeigt sich noch deutlicher in Naficys Monografie An Accented Cinema, die exilische und diasporische Filmemacher unter dem titelgebenden Sammelbegriff dem Hollywood-Kino entgegenstellt. Den »akzentuierten« Filmen schreibt er ein ganzes Bündel an Merkmalen zu: »[…] open form and closed-form visual style; fragmented, multilingual, epistolary, selfreflexive, and critically juxtaposed narrative structure; amphibolic, doubled, crossed, and lost characters; subject matter and themes that involve journeying, historicity, identity, and displacement; dysphoric, euphoric, nostalgic, synaesthetic, liminal, and politicized structures of feeling; interstitial and collective modes of production; and inscription of the biographical, social, and cinematic (dis)location of the filmmakers.« (Naficy, Accented, 4)
Das hauptsächliche Potenzial des Konzepts liegt in den werkübergreifenden Gemeinsamkeiten, die Naficy im Schaffen verschiedener Exil-Filmemacher findet – die von ihm identifizierten Motive wie Reise, Verlorenheit und Selbstreflexivität lassen sich für ein narrationsbezogenes Verständnis des transnationalen Films nutzbar machen. Die Beschränkungen des Konzepts liegen vor allem in der Starrheit, mit der es die (auch biografischen) Lebenssituationen der Filmautoren fasst, und auch in Naficys wenig differenzierter Behandlung des Hollywood-Kinos. Naficy konstatiert: »If the dominant cinema is considered universal and without accent, the films that diasporic and exilic subjects make are accented.« (Naficy, Accented, 4) Song Hwee Lim kritisiert, dass Naficy die Unterschiedslosigkeit von Hollywood als »cinema without accent« nicht hinterfragt (vgl. Lim 140). Dadurch, so Lim, führe Naficys Modell die Spaltung zwischen dominantem Hollywood-Kino und anderen Systemen weiter, die besonders für den Diskurs um World Cinema problematisch sei (140). Er fordert, auch das Hollywood-Kinos als akzentuiert zu verstehen, nur dass der »Akzent« des Hollywood-Kinos historisch so vorherrschend geworden sei, dass er meist als universell und akzentfrei verstanden werde (130). Eine Betrachtung der Filme von Jim Jarmusch aus der Perspektive des polyzentrischen Multikulturalismus versteht das Hollywood-Kino als eines von mehreren interagierenden Zentren mit eigenen Akzenten, Konventionen und Ästhetiken und vermeidet so die Setzung eines als dominant verstandenen, aber nicht differenziert beschriebenen Hollywoods. Jarmuschs Filme nicht als Teil eines einzelnen Systems zu sehen, sondern als Autorenfilme zwischen verschiedenen »Zentren«, ermöglicht eine differenzier-
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tere Untersuchung seiner Filmnarrationen. Was die einzelnen Zentren wie Independent-Film, Hollywood-Kino, transnationaler Film, World Cinema, verschiedene nationale Kinosysteme etc. betrifft, birgt das Bild der polyzentrischen Vernetzung auch die Gefahr, die einzelnen Zentren wiederum als abgeschlossen und klar eingrenzbar zu konzipieren. Denn selbstverständlich gibt beispielsweise das Hollywood-Kino erneuernde, kritische und reflexive Impulse, die den Independent-Film und andere Kinobewegungen weltweit informieren und beeinflussen6. Ebenso bringen der Independent-Film oder transnationale Film konventionelle Erzählungen hervor. Um auszudrücken, wie die vorliegende Untersuchung diese Zentren versteht, sei an dieser Stelle eine Metapher von Nick Browne ausgeliehen, der in seinem Vorwort zur Aufsatzsammlung Refiguring American Film Genres ein gewichtendes Verständnis von Genre beschreibt: »[G]enres, here, are understood to gravitate toward specific assemblages of local coherencies – discrete, heterotopic instances of a complex cultural politics.« (xi) Es wird also nicht von scharfen Trennlinien zwischen den Zentren ausgegangen, sondern diese werden als Cluster von Eigenschaften verstanden, die nie sämtlich erfüllt und von Überschneidungen, Wechselbeziehungen und gegenseitiger Beeinflussung geprägt sind.
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Die Auffassung von Hollywoodkino als »pur« stellt Janet Staiger in dem Artikel »Hybrid or Inbred: The Purity Hypothesis and Hollywood Genre History« (1997) in Frage.
Musik in den Filmen von Jim Jarmusch
Der Beitrag von Filmmusik zu filmischen Narrationen wird oft übersehen oder nur oberflächlich gestreift. Zwar gibt es immer mehr Monografien, die sich der Filmmusik unter historischen Aspekten nähern oder ihre Funktionsweise in bestimmten Genres ergründen, doch zum integralen Aspekt einer vollständigen Filmanalyse wie Montage oder Kinematografie ist sie noch nicht geworden – viele Texte aus Filmkritik und Filmwissenschaft lassen den Beitrag von Musik und auch Toninszenierung komplett außen vor. Die Position der Filmmusik ist dort sogar noch marginaler, wo es um Narrationen im Kino außerhalb des klassischen Paradigmas geht. In den verschiedenen in Kapitel 2 zusammengefassten Abhandlungen zu alternativen Erzählsystemen zum Hollywood-Kino ist auffällig, dass die Rolle der Musik in ihnen bis auf einen marginalen Hinweis von Hamid Naficy so gut wie überhaupt nicht erschlossen ist. Doch gerade die Musik ist in den Filmen von Jim Jarmusch nicht nur intertextueller Zitatenraum, sondern einer der wichtigsten Antriebe ihrer zirkulären Narrationen. Dementsprechend soll die Analyse den Beitrag der Musik hervorheben. Im Folgenden wird Jim Jarmuschs Filmmusik innerhalb größerer Linien verortet – besonders im Wechselspiel der Herausbildung von Konventionen gegenüber reflexiven Einsatzmöglichkeiten der Musik. Auch ihr grundsätzliches Ineinandergreifen mit den thematischen und visuellen Wiederholungen und Variationen der Filme soll hier operationalisiert werden. Die Analysen der einzelnen Filme gehen dann auf unterschiedliche Ästhetiken ein, die zum Einsatz kommen, wie beispielsweise das Sampling in Ghost Dog oder die Gamelan-Musik in Permanent Vacation. Die Filmmusik definiert und problematisiert in den Werken Jarmuschs Räume und das Verhältnis filmischer Figuren zu ihnen und ist so wichtiger Teil ihrer transkulturellen und intertextuellen Identitätskonstruktion. Der transkulturelle Zugriff auf Genres, die Jarmuschs Filme prägen, spiegelt sich in ihrer Musikauswahl,
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die Stile verschiedener Kulturen in Dialog treten lässt oder sich aus Werken speist, die schon für sich genommen unterschiedliche kulturelle Einflüsse vereinen. Vor allem aber ist die Musik hauptsächlicher Antrieb einer Schleifenstruktur, die Erzählungen von heimatlicher Einbettung destabilisiert. Die Filmwelten von Jim Jarmusch sind auf verschiedenen Ebenen von Musik durchdrungen. Von Tom Waits’ Songs in Down by Law über RZAs Hip-Hop in Ghost Dog bis hin zu Mulatu Astatkés äthiopischem Jazz in Broken Flowers – in allen Filmen ist die Musik maßgeblich an der Gestaltung fiktionaler Realität beteiligt. Diese Ausformung reicht bis in die Besetzung hinein: Es sind oft Musiker, die tragende Rollen spielen. Der Saxophonist John Lurie, der Singer-Songwriter Tom Waits und der Hip-Hop-Produzent RZA sind nur einige der vielen Musiker, die Jarmuschs Filme nicht nur durch ihre Filmmusik mitgestalten, sondern in ihnen auch Figuren verkörpern. Durch ihren Status als kulturelle Ikonen beziehen die Musiker die Filmwelt auf einen extrafilmischen musikalischen Raum. Diese Tatsache führt zusammen mit dem intertextuellen Zitierverfahren der Filme von Jarmusch, in denen klassische Werke und popkulturelle Texte Bedeutungsgeflechte herausbilden, dazu, dass die Musik und ihre Gestalter vor allem als Verweisträger wahrgenommen werden. Oft werden sie zu Zeichen einer bestimmten soziokulturellen Verortung. John Lurie, Saxophonist der New Yorker Band Lounge Lizards, und der Sänger Tom Waits waren beispielsweise zum Zeitpunkt des Erscheinens von Down by Law 1986 in der alternativen New Yorker Kultur bekannt. Die Tatsache, dass sie ihren Kleidungsstil und ihre distanzierte Coolness in Gestik und Sprache von der Bühne in den Raum von Jarmuschs Filmen der 1980er Jahre hinübertrugen, verlockte Kritiker zur Rezeption der Musik als Ausdruck New Yorker Hipstertums. Dies ist ein berechtigter Bezug wie auch Jarmuschs eigene Verbindung mit der No-Wave-Bewegung, einer einflussreichen New Yorker Musik-, Film- und Kunstszene der frühen 80er Jahre. Dennoch läuft dieser Blickwinkel Gefahr, andere Bedeutungsräume der Musik in den Filmen zu vernachlässigen. Die Filme von Jarmusch erweitern schon in ihrem transkulturellen Zugriff auf Musikgenres das konventionelle Repertoire von Filmmusik. Die javanesische Gamelan-Musik, die in Permanent Vacation den Herumstreuner Allie durch New York begleitet, oder Mulatu Astatkés äthiopischer Jazz, zu dem Johnston in Broken Flowers das ländliche Amerika durchfährt, sind Musikstile, die sich außerhalb des klassischen Kanons von Filmmusik bewegen. Sie stehen aber auch im Gegensatz zum gängigen Verfahren, das ein mit dem gezeigten geografischen Raum assoziiertes Genre heranziehen würde, um räumliche Verortung als identitätsstiftend zu bestätigen. So stützt die Musik die transnationale Aussage der Filme. Anstelle
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einer festen Zuschreibung nationaler Identitäten durch musikalische Kennzeichnung kreiert sie Spannungsräume. Sie ist auch fester Teil der reflexiven Strategien, mittels derer Jarmusch die Erzählkonventionen Hollywoods befragt. Anstatt nationale Abgeschlossenheit zu konstruieren, öffnet die Musik die Handlung einer Vielzahl von Bedeutungen. Einerseits wirkt der Einsatz von Musik aus anderen Kulturen möglicherweise verfremdend, andererseits bietet eben diese Musik Einblicke in Erfahrungswelt und Gefühle der Figuren. Der Musik wohnt oft ein ambivalentes Verhältnis zum Bild inne, das durch Erzähl- und Sehkonventionen nicht eindeutig als bestätigend oder entgegengesetzt entschlüsselbar ist. Dadurch bietet sich gerade ihr das Potenzial, wichtige narrative Funktionen zu übernehmen. Wie die Filmanalysen zeigen werden, kritisiert die Musik mancherorts auch problematische Implikationen ganz konkreter Formen des konventionellen Musikeinsatzes. Die Source-Musik, die in Jarmuschs Filmen häufig im Bild von Tonträgern abgespielt wird, lässt sich real existierenden kulturellen Szenen und Interpreten zuordnen und nimmt in den Besprechungen ein starkes Übergewicht ein. Demgegenüber findet die eigens für die Filme komponierte Musik selten eingehendere Beachtung. Ausnahme ist die detaillierte Auseinandersetzung Sara Piazzas, die ästhetischen Verfahren der extradiegetischen Filmmusik nachspürt. Teilweise rührt die Vernachlässigung der eigens komponierten Filmmusik von den im wissenschaftlichen Diskurs üblichen Kategorisierungen von Filmmusik in intradiegetisch und extradiegetisch sowie in Soundtrack und Score her. Diese Einordnungen sind sinnvoll, um verschiedene Funktionen der Filmmusik fassbar zu machen. Dennoch birgt eine solche Unterteilung auch Gefahren. So tendiert die Analyse von zitierten präexistenten Stücken dazu, deren soziokulturelle Verortung und narrative Funktion zu präferieren und musikalische Eigenschaften wie Rhythmus, Timbre oder Takt und deren genaue Beziehungen zu filmischer Montage oder Räumlichkeit zu vernachlässigen. Andersherum werden diese Bild-TonBeziehungen in der eigens komponierten Musik dann zwar oft akribisch untersucht – was zu Recht geschieht, schließlich erwartet man von der speziell für den Film produzierten Musik einen engen Zusammenhang zu den filmischen Bildern –, dabei übergeht man jedoch häufig ihre Genre-Bezüge oder kulturellen Verweise. Trotz des Beibehaltens der üblichen Kategorien betrachten die Filmanalysen der späteren Kapitel den Musikeinsatz ganzheitlich. Ihr Augenmerk richten sie dabei auch auf die Musik-Bild-Beziehungen der diegetischen Songs sowie auf die Genre-Bezüge und kulturelle Verbindungslinien der komponierten Musik. Die intradiegetische Musik mit ihren Aufzeichnungsmedien ist auch in dieser Untersuchung von hoher Wichtigkeit, da sie eng an Fragestellungen zur Identität der Figuren gebunden ist. Im Normalfall sind es die Figuren selbst, die mittels
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verschiedener Medien Musik abspielen. Allie tanzt in Permanent Vacation zur Schallplattenmusik, Eva durchstreift New York in Stranger than Paradise zur Musik von Screamin’ Jay Hawkins aus dem Kassettenrekorder. Roberto untermalt den romantischen Höhepunkt in Down by Law selbst mit Musik von einer Schallplatte. In Mystery Train hören die japanischen Touristen Jun und Mitzuko amerikanischen Rock ’n’ Roll auf dem Walkman und Johnny wählt Musik an der Jukebox aus. Die Protagonisten in Ghost Dog und Broken Flowers schieben zu ihren Fahrten CDs in die Autoradios. Schon die intradiegetische Source-Musik dient also nicht nur zum Aufrufen eines bestimmten kulturellen Kosmos, sondern ist den Figuren ein ganz persönliches Mittel, um ihr Verhältnis zur räumlichen, kulturellen, zeitlichen und sozialen Umgebung auszudrücken oder ihre eigenen Erinnerungsräume zu konstruieren. Die Bedeutung der Source-Musik für die Figuren in den Filmen von Jarmusch entspricht der Funktion, die Wendy Everett dem Einsatz von Popsongs in filmischen Autobiografien zuschreibt: »[Popular songs provide] privileged access to the alternative fictions of memory, and [serve] as the locus of the complex interplay between past and present, truth and fiction, self and other, that structures an individual’s search for personal identity.« (Everett 101)
Diese Ebene, auf der Popsongs und auch Werke anderer Genres in den Filmen die selbstgesteuerte und transkulturelle Identitätskonstruktion stützen, erlaubt nicht nur über Konnotation Einblick in das Selbstverständnis der Figuren. Weitere Fragen sind: In welchen Szenen hören die Figuren die Musik? Sind es ähnliche Szenen oder werden Kontraste aufgebaut? Hören sie manche Stücke wiederholt? Wie setzt sich etwa der Text des Stückes mit der narrativen Bedeutung der Szene in Beziehung? Wie sind die Szenen, in denen Figuren Musik abspielen, inszeniert? In den später folgenden Filmanalysekapiteln wird auf solche Fragen im Detail eingegangen.
K ONVENTIONEN
DER
F ILMMUSIK
Obwohl es keinen abgeschlossenen Katalog filmmusikalischer Mittel gibt, bilden einige Eigenschaften der klassischen Filmmusik den Kern konventionellen Musikeinsatzes. Es ist dabei wichtig anzuerkennen, dass die Rezeption von Filmmusik ein gelernter Prozess ist, in dem sich Mittel erst durch Wiederholung in vielen Werken als konventionell herausbilden können und auch erst durch diese Wiederholung von den Zuschauern in ihrem Wirkungszusammenhang entschlüsselbar werden. Anahid Kassabian schreibt: »Competence is based on decipherable codes
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learned through experience. As with language and visual image, we learn through exposure what a given tempo, series of notes, key time signatures, rhythm, volume and orchestration are meant to signify« (Kassabian 23). Scheurer bezieht sich auf dieses Argument und ergänzt erklärend: »In short, repeated hearing of the music from Beethoven’s Eroica and other music employing minor keys and ›tragic‹ gestures in funeral settings lead us to associate those pieces with the feeling of grief. In the context of film music, the elements of redundancy and expressivity are necessarily studied in the context of leitmotif, topic and gesture.« (Scheurer 22)
Ebenso wichtig wie die Frage, welche Wirkung oder Bedeutung ein Musikstück für sich genommen entfaltet, ist die Frage, welchen Effekt Zusammenhänge, in denen das Stück oder strukturell bzw. generisch verwandte Stücke früher in Filmen verwendet worden sind, auf Wirkung und Bedeutung in späteren Filmen ausüben. Durch Ähnlichkeiten verschiedener Werke in vergleichbaren filmischen Kontexten bilden sich musikalisch-narrative Sinnzusammenhänge oder emotionale Assoziationen, die mit der Zeit als natürlich empfunden werden, aber in Wirklichkeit künstlichen Ursprungs sind. Dass die Funktionen von Filmmusiken von ihrem Publikum durch wiederholten Einsatz gelernt werden, merken schon Theodor Adorno und Hanns Eisler in ihrem frühen Klassiker Komposition für den Film (Adorno/Eisler 37) an. Sie beklagen »standardisierte und dadurch wirkungslose Anlässe« (Adorno/Eisler 71), bei denen Filmmusik zum Einsatz kommt. Sie fordern eine Erweiterung und Ausdifferenzierung der Rolle von Filmmusik, doch die Position der Autoren bleibt teilweise widersprüchlich. Die Verbindung von Bild und Musik, so Adorno und Eisler, »ist der ästhetischen Idee nach nicht, oder nur gelegentlich, eine solche der Ähnlichkeit und in der Regel meist weit mehr eine von Frage und Antwort, von Position und Negation, von Erscheinung und Wesen.« (64) Demgegenüber schreiben sie der Neuen Musik folgendes Potenzial zu: Sie »trifft den Ton einer Szene, die besondere Gefühlslage, den Grad von Ernst oder Unernst, Bedeutung oder Gleichgültigkeit, Echtheit oder Schein – Unterschiede, die im romantischen Requisitenschatz nicht vorgesehen sind.« (37) Hier zeigt sich entgegen aller behaupteter Ambivalenz das Ideal einer (wenn auch ausdifferenzierteren) Entsprechung von Musik zum Bild: Beide müssen nach Ansicht von Adorno und Eisler »einschnappen« (64). Natürlich entwickelt Musik im Film zwangsläufig eine Beziehung zum Bild. Es ist jedoch schwierig, dieses Verhältnis in den Gegensätzen von Entsprechung und Zuwiderlaufen zu fassen, eine Unterscheidung, die oft so getroffen wird. Kathryn Kalinak bemängelt, dass im Diskurs üblicherweise Musik, die ironische
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Funktion einnimmt, Vorahnungen kommuniziert oder kommentierend eingreift, als kontrapunktisch aufgefasst wird (27). Das kritisiert auch Claudia Gorbman: »If we must summarize music/diegesis relationships in two words or less, the notion of mutual implication might help us at least to consider the problem better, and with the respect due to films of any complexity. For it is debatable that information conveyed by disparate media can justifiably be called the same or different. Further, the notions of parallel and counterpoint erroneously assume the image as autonomous.« (Gorbman, »Narrative«, 189)
Wie Filmmusik genau wirkt, kann nur durch ihre Beziehungen zum gesamten Film geklärt werden (vgl. Gorbman, »Narrative«, 184). Wenn also Jarmuschs Filmmusik Konventionen bricht und neu deutet, zielt der Begriff der konventionellen Filmmusik auf die gelernten Wirkungszusammenhänge ab. Einige dieser gelernten Funktionen der Filmmusik sind laut Kathryn Kalinak das Stützen der emotionalen Aussage einer Szene, historische Einordnung (2) oder die Repräsentation eines Ortes (26, vgl. auch Adorno/Eisler 20-21). Aber Musik kann auch tiefer in die Erzählung eingreifen und etwa eine Kommentarfunktion einnehmen, wenn sie Bild und Dialog unterstützt oder unterwandert, räumliche, zeitliche, thematische Überleitungen leistet, die Aufmerksamkeit lenkt oder Figuren kommentiert (vgl. Kalinak 2). Auch die Zuschreibung verschiedener Instrumente und ihrer Timbres zu Stimmungen oder narrativen Funktionen ist ein wichtiger Teil des konventionellen Musikeinsatzes: Blech- und Holzbläser stehen für Abenteuer, Helden, Krieg, Soloinstrumente Sanftheit und Sympathie, ungewöhnliche Instrumente für Exotisches und Mysteriöses (vgl. Kalinak 61). Auch Slobin kritisiert die anhaltende Praxis, etwa Szenen mittels Trompeten und Blechblasinstrumenten eine anrührende Wirkung zu verleihen, oder Trommeln zur Symbolisierung von Wilden und Gongschläge als exotisch einzusetzen (15). »Why should certain instruments have associations of emotion, structures of sensibility?«, fragt Slobin (15). Musik markiert hier in einer kulturhierarchischen Weise Räume. Zu den klassischen Funktionen der Filmmusik, die Einheit herstellen soll, zählt es auch, in Montagesequenzen zeitliche und räumliche Brüche und Auslassungen zu überbrücken und zu kaschieren (Larsen 208-209). Zu Bewegungen im Bild verhält sich die Musik in ihrer konventionellen Form unterstützend. Auch wenn dies nicht in extremer Form geschehe, so wirke sich die Musik doch immer auf die Wahrnehmung der Geschwindigkeit der Handlung aus, so Larsen (210). Eine konventionelle Funktion der Filmmusik, gegen die sich Jarmuschs Filmpraxis besonders stark wendet, ist die Emotionalisierung. Wie die anderen Funktionen ist auch sie in der klassischen Hollywood-Narration zum Bild bestätigend:
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Emotionen oder Stimmungen, die auf anderen Ebenen bereits angelegt sind, werden durch die Musik verstärkt (Larsen 212). Dem steht bei Jarmusch eine lakonische Wiederholung und Variation entgegen, deren Bedeutung sich in nuancierten Abweichungen und in ihrer Frequenz erschließt.
A LTERNATIVE
UND REFLEXIVE
F ILMMUSIK
Die einzige ausführlichere Studie, die sich dezidiert mit Filmmusik außerhalb des Studio-Kinos beschäftigt, ist Annette Davisons Hollywood Theory, Non-Hollywood Practice. Cinema Soundtracks in the 1980s and 1990s (2004). Davison wählt die 1980er Jahre als Ausgangszeitpunkt, um zu argumentieren, dass die in dieser Zeit entstandenen alternativen Film-Soundtracks auf das Wiederaufkommen klassischer Filmmusik im Hollywood-Blockbuster der späten 1970er Jahre reagieren (Davison 1-2). In Jean-Luc Godards Prénom Carmen (1983), Derek Jarmans The Garden (1990), Wim Wenders Der Himmel über Berlin (1987) und David Lynchs Wild at Heart (1990) verortet Davison Potenziale dieser abweichenden Filmmusik. Im Einklang mit dem polyzentrischen Modell merkt Davison an, dass der dominante Status des Hollywood-Kinos nicht mehr unreflektiert als Ausgangspunkt und Vergleichsfolie für andere Erzählkinos vorausgesetzt wird und dass inklusivere Ansätze zum Kino der Welt entstehen (Davison 6). Ihr Eindruck, dass auch bei dieser Öffnung die Untersuchung von Soundtracks stark vernachlässigt wurde (6), ist treffend – weder Thanoulis Post-Classical Narration, Naficys Accented Cinema noch die Diskurse um den transnationalen Film oder Independent-Film behandeln die Frage, welchen Beitrag die Musik zu den jeweils als Alternative zum Hollywood-Kino gesehenen Filmpraktiken leisten kann. Dass dieses Marginalisieren von Filmmusik außerhalb der Tradition des Studiokinos ein bereits länger anhaltender Zustand ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Davison in ihrem dritten Kapitel »Alternatives to classical Hollywood scoring« (5974) fast ausschließlich auf die Theorien Sergej Eisensteins sowie Adorno und Eislers »Komposition für den Film« zurückgreift. Davison findet in den analysierten Filmen Gemeinsamkeiten der musikalischen Inszenierung: Der Klang ist nicht so hierarchisch organisiert wie in der klassischen Filmmusik, in der die Soundeffekte dem Dialog untergeordnet sind, die wiederum über die Musik gestellt werden (Davison 196). Zumindest in Lynchs Wild at Heart werden Geräusche musikalisch eingesetzt: »they are used to generate acoustic and thematic structures which recur during the film and thereby serve to unify the soundtrack further.« (196) Die Reflexivität, also ein Verfahren, in
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dem der Film auf die Inszeniertheit des Soundtracks hinweist, sieht Davison ebenfalls als verbindendes Glied zwischen den von ihr untersuchten Filmen (197). Die in der klassischen Filmmusik kaschierten spielerischen Übergänge zwischen diegetischer und extradiegetischer Musik werden in der »Non-Hollywood«-Praxis betont und problematisiert (ebd.). So ist die Filmmusik für das »Non-Hollywood«-Kino ein wichtiges Mittel, um eine kritische Haltung gegenüber dem Hollywood-Kino auszudrücken (196). Auch wenn die begrenzte Filmauswahl Davisons es schwierig macht, eine allgemeiner geltende Ästhetik der alternativen Filmmusik aus den gefundenen Gemeinsamkeiten abzuleiten, weisen Jarmuschs Filme in hohem Maße die von Davison identifizierten Merkmale auf. Dies gilt insbesondere für ihren unhierarchischen Umgang mit Ton und Bild sowie ihre kritische Befragung der Filmmusik des klassischen Hollywood-Kinos. Neben den konventionellen Funktionen der Filmmusik bei Jarmusch, unter die auch teils die oben beschriebene Figurencharakterisierung durch Source-Musik fällt, nimmt die Musik auch hier oft selbstreflexive und kritische Formen an. Ebenso wie Jarmuschs Narration eine kritische Auseinandersetzung mit etablierten Erzählformen vollzieht, befreit sich die Musik in seinen Filmen von konventionellem Einsatz und erweitert das Vokabular und die Funktionen zeitgenössischer Filmmusik. Dabei wiederholt sich das Wechselspiel, das Hollywood- und Independent-Film auch auf anderen Ebenen treiben: Damit Letzterer sich kritisch, revidierend oder ironisch auf die Konventionen der Filmmusik beziehen kann, muss ein Independent-Filmemacher mit den Strukturen und Funktionszusammenhängen der Erzählungen Hollywoods vertraut sein. Mark Slobin bemerkt, dass auch Independent-Filmemacher und Autorenfilmer sich nicht vollständig von den Konventionen der Filmmusik befreien, sondern sich spielerisch und adaptierend auf sie beziehen, was eine fundierte Kenntnis ihrer Regeln voraussetzt (vgl. Slobin ix). Wie in allen anderen filmischen Bereichen sind auch in der Filmmusik die derzeitigen Konventionen des Hollywood-Kinos frühere Innovationen, die erst im Laufe der Zeit zur dominanten Praxis wurden. Schon Adorno und Eisler beklagen die allgemeine Vorstellung, Filmmusik müsse sich unterordnen (16-17). Sie gehen davon aus, dass Filmmusik in der dominanten Praxis kaschiert wird, eine Position, die auch Claudia Gorbman später in Unheard Melodies (1987) vertritt. Ihrer Auffassung zufolge wird Musik im Film so eingesetzt, dass sie nur unbewusst wahrgenommen werden soll: »The bath of affect in which music immerses the spectator is like easy-listening, or the hypnotist’s voice, in that it rounds off the sharp edges, masks contradictions, and lessens spatial and temporal discontinuities with its own melodic and harmonic continuity. It lessens awareness of the frame […].« (Gorbman, Melodies, 6).
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In ihrer polemischen Abhandlung fordern Adorno und Eislers, genau diese Immersion zu brechen (17). Sie drängen auf eine Filmmusik, die Zuschauer aus der Illusion zu reißen vermag. 1992 sieht Stam in der selbstreflexiven Praxis mancher Filmemacher Potenzial für einen derart disruptiven Einsatz von Musik: »Reflexive filmmakers play music against the image, against the dramatic moment, and often against other kinds of music in the same film.« (Stam, Reflexivity, 264) Mit dem reflexiven Filmemacher baut er eine Gegenposition zu Filminszenierungen auf, in denen die Filmmusik hauptsächlich bestätigende Funktionen erfüllt und eine Einheit mit dem Bild und der Dramatik eingeht. Klassischen Strategien wie dem Kaschieren von räumlichen und zeitlichen Brüchen oder der Ortseinbettung wirkt die Musik bei Jarmusch und anderen reflexiven Filmemachern oft entgegen. Ganz im Sinne von Slobins Schilderung des reflexiven Verfahrens der Independent-Filmemacher, entfalten die Filme von Jarmusch ein Wechselspiel, indem sie sich teils an klassische Funktionen der Filmmusik anlehnen, um sie andernorts zu brechen. Während etablierte Funktionen den zirkulär organisierten Narrationen der Filme von Jarmusch angepasst werden (auf die später tiefer eingegangen wird), dienen die reflexiven Momente dazu, den konventionellen Einsatz von Musik zu prüfen, zu hinterfragen und herauszufordern. Ganz grundsätzlich betrifft das zunächst die Machtverhältnisse von Bild und Musik. Anstatt dass die Musik als Kommentar zur visuellen Ebene fungiert, ist es die Bewegung der Bilder, die oft manipuliert und der Geschwindigkeit oder dem Rhythmus der Musik angepasst wird: Es ist Teil der Gleichberechtigung und Reflexivität der Musik bei Jarmusch, auf sich aufmerksam zu machen. Die Konventionen, die typischerweise im Independent-Film kritisch verhandelt werden, sind vor allem solche, die die Musik als Teil eines illusionistischen Apparats einsetzen, der den Zuschauer emotional lenken oder überwältigen soll. Im Gegensatz dazu verfügt die Musik über das Potenzial, Brüche zu erzeugen und Ambivalenzen zu evozieren. Doch im Sinne eines polyzentrischen Verständnisses von Film darf die Ästhetik, die Brüche betont und Klanghierarchien durchbricht, nicht nur als Replik auf das Hollywood-Kino gesehen werden, sondern ist gleichzeitig eine Aneignung von Erzählstrategien anderer Filmbewegungen, wie beispielsweise der Nouvelle Vague. Die Reflexivität, die Jarmusch mittels harter Schnitte, erzählerischer Brüche und offengelegter Intertextualität herstellt, speist sich aus Strategien, die vor allem von Jean-Luc Godard geprägt wurden. Larsen behauptet, dass die meisten wichtigen Innovationen in der Filmmusik im Hollywood-Kino geschehen seien (Larsen 9). Doch diese Sichtweise orientiert sich an der Herausbildung der oben genannten Konventionen und vernachlässigt eine Vielzahl innovativer Musikformen
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in anderen Kinosystemen. So zeichnet Mervyn Cooke in seiner international angelegten Geschichte der Filmmusik ein entgegengesetztes Bild. In dem weitgreifenden Überblickswerk A History of Film Music stellt er neben Entwicklungen der Hollywood-Filmmusik auch internationale Bewegungen und Formen vor. Die Innovationskraft der Nouvelle Vague bezieht er dabei explizit auch auf den Bereich der Filmmusik: »The French New Wave arguably did more to revolutionize the techniques and aesthetic perspectives of film music – and all other parameters of film production – than any other movement in the history of cinema.« (M. Cooke 319) In ihrer anti-illusionistischen Darstellungsform kommt der Musik eine wichtige Rolle zu. Harsche und plötzliche Schnitte in der Musikspur betonen die Künstlichkeit des musikalischen Eingriffs, ein Verzicht auf Musik an Stellen, wo sie üblicherweise erwartet wird, vermag hingegen eine realistische Darstellung zu stärken (320). Der Einsatz von Musik in der Nouvelle Vague verhält sich dem amerikanischen Studio-Kino gegenüber revisionistisch. Jean-Luc Godards »Missinterpretation« des amerikanischen Stils in A Bout de Souffle bezeichnet Jarmusch als produktiv und innovativ (Jarmusch, »Asphalt«, 86). Gerade dieser Film ist besonders kühn im Musikeinsatz und lässt deutliche Parallelen zu Jarmuschs Verfahren erkennen. Wie es für eine reflexive Haltung notwendig ist, ruft A Bout de Souffle zunächst den Bezugsraum des urbanen Krimis und dessen genretypische Unterstützung durch Jazzmusik auf (vgl. M. Cooke 321). Dann wird dieser Zusammenhalt jedoch radikal unterwandert. Unbegleiteter Gesang des Protagonisten prallt mit Streicherklängen des extradiegetischen Orchesters aufeinander, Klavieretüden erklingen extradiegetisch ohne erkennbaren Grund und Orchestermusik begleitet belanglose Dialoge (ebd. 321). Über die Ansiedlung der Musik im Bild stiftet der Film absichtlich Verwirrung (ebd. 322). Die Emanzipation der Musik aus ihrer rein begleitenden Funktion erreicht Godard außerdem oft dadurch, dass sie diegetische Dialoge oft übertönt, eine dem Hollywood-Film entgegengesetzte Praxis (ebd. 323). Es ist klar, dass eine solche Form des Musikeinsatzes nicht dazu dient, Brüche zu kaschieren und die Bilder zu bestätigen, sondern dass die Musik hier Brüche überhaupt erst kreiert und sich dem Bild entgegensetzt. Die Machtverhältnisse von Musik, Geräusch und Bild, die auch bei Jarmusch einem gleichberechtigten Spiel gleichen, (vgl. Piazza 295) sind schon bei Godard demokratisiert worden, und Jarmuschs Einbindung von Ton und Musik in die reflexive Praxis knüpft an die von Godard herausgebildeten Strategien an. Die Nouvelle Vague ist nur einer der Orte des Widerstands, an denen die Konventionen des Hollywood-Films hinterfragt werden. Adaption und Veränderung amerikanischer Genres hinterfragen und erweitern weltweit die Konventionen
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Hollywoods. Jarmusch eignet sich in seinem Zugriff auf das Hollywood-Kino kritische und innovative Strategien anderer reflexiver Filmemacher an. In der Analyse einzelner Werke Jarmuschs und der Filme, die sie zitieren, wird dieser enge Zusammenhalt später noch deutlicher herausgearbeitet. Neben der Musik ist auch die Toninszenierung ein wichtiger Teil des reflexiven Instrumentariums von Jim Jarmusch. Alan Williams beschreibt das klassische Sounddesign Hollywoods als Teil der illusionistischen Erzählmaschine, deren konventioneller Einsatz im Film möglichst unsichtbar und unhörbar sein soll: »(1) the ›inaudibility‹ of good sound work, like the ›invisibility‹ of the image track in classic narrative film, is largely a product of convention and not of fixed ›laws‹ (though both have some necessary basis, certainly in physiology and the psychology of perception), and (2) ›inaudibility,‹ is only possible as the correlate of an implied subject that actively perceives, whose demands we accept as our own.« (Williams 61, Hervorh. i. O.)
Als Gegenpol eines solcherart kaschierenden Umgangs mit Geräuschen nennt Williams abermals Jean-Luc Godard (61). Ähnlich wie im Einsatz der Musik sind die Geräusche bei Jarmusch nicht unhörbar, sondern im Gegensatz aus verschiedenen Gründen oft exponiert. Doch nicht nur die Betrachtung des Verhältnisses von Bild zu Ton ist aufschlussreich: Rick Altman fordert eine zusätzliche wichtige Perspektive ein, wenn er nach dem Verhältnis der verschiedenen Tonspuren zueinander fragt. Dialog könnte beispielsweise von Geräuschen überlagert werden, Geräusch und Musik können sich kontrastiv verhalten oder sich gegenseitig einbetten – es sind etliche Beziehungen zwischen den Spuren denkbar (vgl. Altman 340-41). Eine Betrachtung dieses Beziehungsgeflechts ist in den Filmen von Jim Jarmusch hilfreich, denn auch durch das Verhältnis von Musik zu Ton destabilisieren sie konventionelle Hierarchien, wenn sie die Grenze zwischen Geräusch und Musik verwischen. Mancherorts betont eine Auslassung der Geräusche die Musik, wie in Ghost Dog, wo der Immersionseffekt der im Auto gehörten Musik als psychischer Raum des Protagonisten dadurch verstärkt wird, dass kein Motorengeräusch erklingt (Louguet 116-17). Andernorts durchdringen sich Musik und Geräusch gegenseitig bis zur Untrennbarkeit. So imitiert in Down by Law die Musik die Geräuschwelt, während die Geräusche wiederum oft musikalisch organisiert sind. Außerdem kehrt schon die rhythmische Wiederkehr von Geräuschen, wie sie in der zirkulären Struktur Jarmuschs prominent ist, das Ordnungssystem und das Arrangement der Tonspur nach außen. So stellt sie die Künstlichkeit der Tonspur hervor, die üblicherweise kaschiert wird. Barbara Flückinger schreibt hierzu:
48 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION »Sämtliche Sound Designer, mit denen ich gesprochen habe, achten sorgfältig darauf, strukturelle Gestaltungsprinzipien nur dann an die Oberfläche treten zu lassen, wenn damit eine Aussage verbunden ist. In allen anderen Fällen – das dürfte die Mehrzahl sein – mischen sie Regelmäßiges immer mit Zufälligem, um den Aspekt des Gemachten zu verbergen. Akustische Muster in Verbindung mit Faktoren wie Erzählrhythmus und Schnittfrequenz spielen eine wichtige Rolle bei der Aufmerksamkeitssteuerung und Strukturbildung, indem sie die aktive Antizipation und die semantische Gliederung unterstützen.« (Flückinger 263)
Die Frequenz akustischer Muster steht in Zusammenhang mit der Wiederholung musikalischer Themen im Fokus dieser Untersuchung. Die Beziehung strukturierenden Geräuschen ist in den Filmen von Jim Jarmusch nicht nur durch ihr hierarchisches Verhältnis in einzelnen Szenen wichtig, sondern auch durch ihre rhythmische Wiederkehr. Da die Musik vorrangig durch die Wiederholung und nicht durch die Entwicklung ihrer Motive funktioniert, sind ihre Analysekriterien in den Filmen von Jarmusch auch für die Geräuschwelt hilfreich: Wie gestaltet sich das Verhältnis zum Bild, ist das akustische Ereignis mehrfach in dem Film zu hören? Welche rhythmische Struktur bilden die Wiederholungen über die Dauer des gesamten Films und welche narrativen Wirkungen ergeben sich daraus? In ihrer von Wiederholungen und Variationen geprägten Funktionsweise sind Geräusch und Musik Grundlage der zirkulären Erzählform der Filme von Jim Jarmusch, die im folgenden Abschnitt beschrieben wird.
Z IRKULÄRE N ARRATION
UND
E NTWICKLUNG 1
Zu Beginn des Dramas God (A Play) von Woody Allen führen zwei als »Writer« und »Actor« bezeichnete Figuren einen Dialog über das Stück, in dessen fiktionaler Welt sie sich befinden. Writer bemerkt, er habe ein Stück ohne Anfang geschrieben, was Actor als absurd abtut. »Every play must have a beginning, middle and an end« (Allen 132), behauptet er. Schließlich habe auch alles in der Natur einen Beginn, eine Mitte und ein Ende. Der Schriftsteller wendet ein: »What about a circle?« Nach kurzem Nachdenken gibt der Schauspieler zu: »Okay … A circle has no beginning, middle, or end – but they’re [sic!] not much fun either.« (132). Diese Auffassung zirkulärer Narrationsformen als spannungsarm und langweilig
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Teile des folgenden Abschnittes und der Filmanalyse zu Permanent Vacation sind Überarbeitungen des Artikels »Music and Circular Narration in Jim Jarmusch’s Permanent Vacation.« (Feiten 2015)
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ist in einer westlichen Kultur, deren Geschichten seit langer Zeit unter Gesichtspunkten von Entwicklung und dramatischer Spannung erzählt und rezipiert werden, sehr präsent (vgl. Baumgärtel 25). Der Filmemacher Harmony Korine, dessen experimentelle Werke wie Gummo (1997) oder Julien Donkey Boy (1999) anstelle von Handlungsbögen stark auf nichtlineare motivische Rhythmen vertrauen, löste als Gast bei David Letterman mit dem Zitat eines berühmten Ausspruchs von Jean-Luc Godard2 großes Gelächter aus: »In every movie there needs to be a beginning, middle and an end, but just not in that order.« (Korine 1997) Die Reaktion des erheiterten Publikums illustriert, wie stark die narrativen Konventionen von Spannungsordnungen wie der Dreiakt-Dramaturgie und Konfliktstrukturen als natürlich und normativ empfunden werden. Emanuel Levys Aussage über die Filme von Jarmusch verbindet sie mit der poetologischen Position Harmony Korines und Jean-Luc Godards: »beginnings and ends seem arbitrary (indeed, they don’t always come at the beginning and end)« (148). Beschreibungen von Jarmuschs Filmen als selbst-involviert, zirkulär, repetitiv und dadurch langweilig sind in der Filmkritik keine Seltenheit. Rezensenten bemängeln oft die Handlungsarmut und unklare psychologische Motivation der Figuren. Zu Only Lovers Left Alive schreibt Deborah Ross in ihrer Kritik »You may be the Only One Left Awake at Only Lovers Left Alive«: »The internal logic of this film doesn’t bear thinking about« (Ross). Kristoffer Cornils resümiert für Spex: »Fad, faul und etwas selbstgerecht« (Cornils). Klaus Walter fragt, ob Jarmusch mittels der intertextuellen Bezüge »seinen Filmen eine zweite Referenzetage einbaut, oft über die (Pop-)Tonspur, auf der man sich unterhalten kann, wenn man sich im ›eigentlichen‹ Film langweilt« (Walter 161). Damit begrenzt er die eingesetzte Musik auf ihre Verweishaftigkeit, ohne ihrer rhythmischen, strukturellen und narrativen Einbettung Rechnung zu tragen. Tatsächlich bilden die rhythmisierten musikalischen, visuellen und thematischen Motive das narrative Grundprinzip der Filme von Jarmusch. Die zirkuläre Erzählung hat dabei nicht die Entwicklung im Fokus, sondern das Wiederholen und Variieren, wodurch das Material in einem Schwebezustand gehalten wird, der keine klare endgültige Form findet. Auf der musikalischen Ebene entwickeln die zirkulären Erzählungen eine Form des Leitmotivs, dessen Bedeutung sich in abweichenden Nuancen und ihrer Frequenz erschließt. Der Filmmusik-Diskurs und die Filmnarratologie bieten wenige Anknüpfungspunkte, um sich diesem ästhetischen Prinzip zu nähern. Nach einer Verortung der zirkulären Narration in der
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Wiedergegeben in Corliss (1981).
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Filmnarratologie und Bordwells »Art Film Narration« greift die Untersuchung daher auf verwandte künstlerische Verfahren in Film, Musik, Literatur und bildender Kunst zurück. Anschließend erfolgt eine Beschreibung der Rolle des Leitmotivs in der zirkulären Narration, die Grundlage der einzelnen Filmanalysen sein wird. Zirkuläre Narration, klassische Narration, Art-Film-Narration Im Kontext klassischer Narration sind Wiederholungen üblicherweise der Zugrichtung von Entwicklung unterstellt. In der Aufsatzsammlung Narrative Across Media stellt die Herausgeberin Marie-Laure Ryan in der Einleitung grundsätzliche Anforderungen an Narrativität vor, die einen guten Ausgangspunkt für die Positionierung zirkulärer Narration in dieser Definition anbieten: »1. A narrative text must create a world and populate it with characters and objects. Logically speaking, this condition means that the narrative text is based on proportions asserting the existence of individuals and on propositions ascribing properties to these existents. 2. The world referred to by the text must undergo changes of state that are caused by nonhabitual physical events: either accidents (›happenings‹) or deliberate human actions. These changes create a temporal dimension and place the narrative world in the flux of history. 3. The text must allow the reconstruction of an interpretative network of goals, plans, causal relations, and psychological motivations around the narrated events. This implicit network gives coherence and intelligibility to the physical events and turns them into a plot.« (Ryan 8-9)
Es lohnt sich, diese allgemeinen Beschreibungen von Narrativität genauer ins Auge zu fassen. Die erste Grundeigenschaft kann durch die Filme von Jarmusch als erfüllt betrachtet werden – sie kreieren Welten, die durch Figuren und Objekte belebt werden. Doch anhand der zweiten und dritten Bedingung können die Eigenschaften zirkulärer Narration und ihre Reibungspunkte mit konventionellen Anforderungen an Erzählungen gut veranschaulicht werden: In Jarmuschs Filmen vollziehen sich die unter Punkt 2 beschriebenen Zustandsveränderungen, die eine zeitliche Ebene entfalten – doch die einzelnen Ereignisse sind nicht zwangsläufig bestimmten Zeitpunkten zuzuordnen. Am stärksten unterscheiden sich Jarmuschs zirkuläre Narrationen von der Konvention in dem unter 3. angesprochenen Netzwerk von Zielen, Plänen, psychologischen Motivationen und Kausalbeziehungen, dessen Rekonstruktion der Text ermöglichen solle. Sicherlich ist es Rezipienten der Filme von Jarmusch durch Auslegung und Interpretation möglich, ein solches
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Netzwerk aufzubauen. Dieses bleibt aber immer spekulativ: Den Figuren von Jarmusch fehlen klar formulierte Ambitionen und psychologische Motivationen – auch die Ursachen vieler Ereignisse bleiben im Dunkeln. Zumindest in der Betonung eines vom Zuschauer konstruierten kohärenten und verständlichen Netzwerks zielt Ryans Beschreibung auf konventionelle Erzählungen ab. Der Blick richtet sich dadurch hauptsächlich auf Zusammenhänge und Eindeutigkeit in der Narration und läuft Gefahr, Brüche und Offenheit zu vernachlässigen. Da aber genau jene Brüche und jene Offenheit nicht nur charakteristische Stilmittel in den Filmen von Jarmusch sind, sondern wesentlich für die Vermittlung ihrer Inhalte und Anliegen, ist es angebracht, mit einem erweiterten Modell von Narrationen zu arbeiten. Das Modell von Ryan würde eine Hälfte des Wechselspiels außen vor lassen, das die Erzählungen der Filme von Jarmusch betreiben: Den auch dank ihrer ironischen Kommentierung sehr präsenten konventionellen Handlungsteilen stehen bei Jarmusch Wiederholungen und Variationen entgegen. Deswegen ist ihre Verortung innerhalb eines Zusammenhänge stiftenden Interpretationsnetzwerks schwierig, sofern diese Zusammenhänge kausaler, psychologischer oder zeitlicher Natur sein sollen. Die Spannung zwischen alternativen Erzählformen und den kausalen oder zeitlichen Bögen konventioneller Erzählungen hat David Bordwell in seinem Kapitel zur Art-Cinema-Narration in dem einflussreichen Werk Narration in the Fiction Film formuliert. Dort versteht er episodische Erzählformen als Alternative zur traditionellen dramatischen Struktur (Bordwell 206-07). Bewusst gesetzte Leerstellen, nicht abschließend erklärte Charaktermotivationen und in der Schwebe gehaltene Handlungsfragen sieht er als Gegensatz zu den klassischen Hollywood-Erzählungen, die erzählerischen Fortschritt in eindeutige kausale und zeitliche Gefüge stellen und einem kohärenten Abschluss entgegentreiben. Was in Jarmuschs Filmen als Handlungsarmut bezeichnet wird, ist letztendlich meist ihre Verweigerungshaltung gegenüber dem Voranschreiten. Anstatt Motive, Figuren, Themen, Musiken oder Konflikte so zu entwickeln, dass sie neue Zustände erreichen, werden sie in ähnlichen Szenen wiederholt und variiert, ohne dass die neue Variation auf den jeweils zuletzt erreichten Zustand zurückgreift. Dadurch unterlaufen die Filme Stringenz und Progression und vermögen emotionale Ambivalenz, Unsicherheit und Desorientierung auszudrücken. Darin sind sie episodisch aufgebauten Filmen verwandt. Die meisten Konzipierungen von episodischen Erzählungen gehen davon aus, dass durch eine Erweiterung des Figurenensembles und die Neuordnung von Zeitstrukturen »multiperspektivische[...] Vernetzungen« entstehen (Treber 20). Sandra Potsch fasst das episodische Erzählen offener. Sie sieht darin ein »Narrativ, in dem die klassisch lineare Erzählung in eine Vielzahl aneinander gereihter
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Einzelgeschichten bzw. nebeneinander verlaufender und miteinander verknüpfter Handlungsstränge zerfällt.« (Potsch 10) Auch sie geht zwar davon aus, dass die einzelne Hauptfigur von einer Sicht auf mehrere Figuren abgelöst wird (13), doch viele der Strategien und Resultate des episodischen Erzählens gelten auch für die Filme von Jarmusch, die ihr Geflecht von wiederkehrenden thematischen Variationen mit begrenztem Figurenensemble durchspielen: Für Potsch lässt etwa das geringere Interesse an Handlung »das architektonische Gerüst der Erzählung, die Lücken zwischen den Segmenten und die Wege, über die diese miteinander verknüpft sind« (18) stärker hervortreten, eine Strategie, die auch in den Filmerzählungen von Jarmusch zum Einsatz kommt. Auch Treber betrachtet episodisches Erzählen als Subversion der »klassischen Erzählökonomie« (Treber 27). Es verschleppt den Fortschritt der Handlung oder ist daran per se nicht interessiert (15), während die Figurenmotivation unklar gelassen wird (30). Anders als in den Erzählungen, die im Zentrum des Interesses von Potsch und Treber stehen, finden sich in den meisten Filmen von Jarmusch (Mystery Train und Coffee and Cigarettes sind dabei die Ausnahmen) immer wieder die gleichen Protagonisten in den variierten Episoden. So wohnt ihnen ein bedeutend höheres Maß an gleichbleibenden Elementen inne, was die subtilen Unterschiede umso stärker betont. Dieses Verfahren findet sich auch in anderen künstlerischen Strategien, von denen im Folgenden einige herangezogen werden, um daraus entstehende Bedeutungspotenziale auf Jarmuschs Filme anzuwenden. Zirkuläre Narration und verwandte künstlerische Verfahren Die Frage nach der Wiederholung wirft immer auch die Frage nach dem Verhältnis von Stasis und Veränderung auf: von der Relation jener Eigenschaften des Wiederholten, die zwischen ihren Instanzen gleichbleiben, und jenen, die abweichen. Hier schließt sich schon ein Paradox der Wiederholung an, nämlich dass sie einerseits auf Ähnlichkeit beruht, andererseits Differenz zwangsweise einschließt. In der Einleitung zu Just Not in Time. Inframedialität und non-lineare Zeitlichkeiten in Kunst, Film, Literatur und Philosophie zitieren die Herausgeber Ilka Becker, Michael Cuntz und Michael Wetzel Ludwig Wittgenstein: »Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.« (Becker/Cuntz/Wetzel 14) Eine Sache kann sich nicht selbst wiederholen. Denn beispielsweise eine im Film wiederholte Szene bezöge sich (selbst wenn sie zweimal dieselbe visuelle und auditive Sequenz zeigte) bei ihrem zweiten Auftreten auf etwas schon einmal Dagewesenes, hätte also Bezüge, die sich bei ihrem ersten Auftreten nicht erschließen konnten.
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Auch der Strukturalist Jurij Lotman stellt fest: »[V]ollständige Wiederholung der Bedeutung ist im künstlerischen Text unmöglich.« (Lotman 192) Abgesehen davon unterscheidet sich die Wiederholung auf zeitlicher Ebene. Ob etwas überhaupt als Wiederholung aufgefasst werden kann, hängt, wie Gilles Deleuze in Differenz und Wiederholung schreibt, davon ab, »ob das zweite Mal genügend Ähnlichkeit mit dem ersten aufweist, um mit dem Selben gleichgesetzt werden zu können«, was nur durch die »Errichtung von Analogiebeziehungen« beantwortet werden könne (Deleuze 366). Innerhalb dieser Analogiebeziehungen – seien sie visueller, musikalischer, narrativer Art – führen unterschiedliche Verhältnisse von gleichbleibenden zu abweichenden Elementen zu verschiedenen Wirkungsweisen der Wiederholung. Lotman betont zu Ordnungen in Texten: »Die Geordnetheit des Textes tritt immer als organisierende Tendenz auf, die heterogenes Material in äquivalente Ordnungen integriert, gleichzeitig aber auch ihre Heterogenität nicht aufhebt.« (210-11) Dass die organisierende Tendenz nicht in letzter Konsequenz ausgeführt wird, bewahrt den Text davor, »automatisiert und strukturell redundant zu werden« (210). Die Wiederholung ist als künstlerisches Prinzip in dieser Sicht gerade auf die Unterschiede zwischen ihren Instanzen angewiesen. Um sich der Wirkung dieses Prinzips zu nähern, ist es erhellend, verwandte künstlerische Verfahren zu betrachten. Zunächst einmal beruht die Wiederholung bei Jarmusch auf starken Ähnlichkeiten. Das betrifft die musikalischen und visuellen Strukturen und Rhythmen ebenso wie die Anordnung ihres Auftretens. Variationen ähnlich inszenierter Szenen werden von meist schleifenbasierter, an verschiedenen Stellen des Films erklingender Musik gestützt. Die Begriffe Schleife und Loop beziehen sich in der Musik üblicherweise auf eine Wiederholung von gleichen Klangsequenzen durch digitale oder analoge Technologie. In seiner Monografie Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops behandelt Tilman Baumgärtel dementsprechend »Musik und Kunst, die von Wiederholungen geprägt sind, weil sie mit Medienmaschinen produziert wurden.« (23) Natürlich gibt es aber auch über die technologisch gestaltete Musik hinaus etliche Stile, in denen repetitive Strukturen dominant und prägend zutage treten. Als nur einige Beispiele nennt Baumgärtel brasilianischen Samba, javanesische Gamelan-Musik, marokkanische Ganawi-Musik oder Polka (23). Die Filmmusik von Jarmusch reicht von Gamelan bis zum samplebasierten Hip-Hop. Sie beinhaltet also sowohl Stile, bei denen Wiederholungen technologisch hergestellt werden als auch Stile, bei denen das nicht der Fall ist. Der Begriff der schleifenbasierten Musik soll im Folgenden alle Musiken miteinschließen, die auf starken Wiederholungen mit kleinen Variationen basieren – unabhängig davon, ob diese
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Schleifen technologisch produziert sind: Denn das Hauptanliegen sind die musikalischen Wiederholungsstrukturen selbst und ihre Rolle in der gesamten Narration. »Wenn ein Klang geloopt wird, lässt diese Tonschleife die Zeit stillstehen«, schreibt Baumgärtel (22). Was einerseits als Leerlauf aufgefasst werden kann, betont aber gleichzeitig die Nuancen der abweichenden Elemente, ein künstlerisches Verfahren, dem Sandro Zanetti in dem Artikel »So gut wie ein Nichts. Das Minimaldifferential des Neuen« nachgeht. Zanetti behandelt die grafischen Reproduktionsverfahren von Marcel Duchamp und geht dabei im Besonderen auf die Rolle der in der Reproduktion entstehenden Unterschiede ein: Die verschiedenen Techniken stellen mittels starker Analogiebeziehungen subtile Abweichungen in den Vordergrund. Der Autor zeichnet eine Linie von Duchamp über Andy Warhol bis hin zu Musikstilen wie der Minimal Music seit den 1960er Jahren und der elektronischen Musik: Verfahren, die »darauf setzen, dass das Moment der Differenz desto besser noch in minimalen Abweichungen zur Geltung kommt, je mehr die Grundstrukturen in ihrer repetitiven Charakteristik dominant bleiben.« (Zanetti 127) Nicht nur Kamerabewegungen, Bildausschnitte, Dialoge und Handlung nehmen bei Jarmusch dieses Prinzip auf. Auch die Musikstile wie Gamelan oder HipHop stellen durch ihre starken Wiederholungsstrukturen subtile Veränderungen in den Vordergrund. In der in Permanent Vacation eingesetzten Gamelan-Musik, der traditionellen Musik von Java und Bali, liegen den Stücken wiederkehrende rhythmische und klangliche Grundmuster zugrunde, in denen Variationen und Improvisationen hervortreten. Darin, dass Jarmuschs Filme immer wieder auf ein ursprüngliches Grundmaterial rekurrieren, sind sie mit den Verfahren verwandt, die Emily Petermann anhand von Romanen beschreibt, denen Bachs Goldberg-Variationen zugrunde liegen. In den Texten nehme jede neue Variation nicht die vorhergehende als Ausgangspunkt, sondern immer wieder das Thema, so dass sich das Material eher ansammelt, anstatt sich zu entwickeln (Petermann 62).3 Daraus entstehe ein Zeitverständnis, das »zyklisch und iterativ« statt »linear und progressiv« sei (61). Über die traditionellen Musikstile des Westens schreibt Baumgärtel: »Sie sind entlang des harmonischen Funktionsschemas von Spannungsaufbau und -auflösung organisiert, sie entwickeln sich hin auf ein Ziel, eine Auflösung, einen Abschluss.« (27) Der Loop hingegen verweigert sich der »motivischen Entfaltung und der kompositorischen Entwicklung« (Baumgärtel 27).
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»Each variation, after all, builds not on the previous variation, but on the theme itself, so that the development of the thematic material is one of accretion rather than progress.« (Petermann 62)
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Im Zuge einer Entwicklung von Motiven, wie sie in konventioneller Narration oder beispielsweise westlicher klassischer Musik auftritt, würde jede neue Wiederholung sich auf ihr letztes Erscheinungsbild beziehen und dieses alterieren. Dieses Verfahren ordnet die Wiederholung dann in ein zeitliches Davor und Danach ein, was der heute kulturell dominanten Zeitauffassung entspricht, die mit der Messung von Zeit in räumlichen Einheiten einsetzte. Darin wird Zeit in Distanzen wahrgenommen – die Zukunft als ferner Raum, in dessen Richtung man sich bewegt, die Vergangenheit als zurückgelassener Ort (vgl. McGowan 20).4 Henri Bergson, dessen Konzepte auch Deleuzes Auffassung von Zeit zugrunde liegen, richtet sich 1889 in Zeit und Freiheit gegen diese räumliche Zeitwahrnehmung und stellt ihr die Dauer entgegen, die bei der Beobachtung aktueller Wiederholungen eines Ereignisses die Erinnerung an ihre anderen Instanzen einschließt (Bergson 83). Donato Totaro (2001) fasst den von Bergson formulierten Gegensatz zusammen: »Spatialized time is time that is conceptualized, abstracted and divided. Duration is time that flows, accumulates and is indivisible.« (Totaro, »Time, Bergson, and the Cinematographical Mechanism«) Für Matilda Mroz erwächst daraus das Potenzial, die verschiedenen in einem Film vorkommenden Rhythmen analytisch untereinander in Bezug zu setzen: »We can question, that is, how various temporal strands interweave in the duration of a film, such as a voiceover with an image, a long-take with a piece of music, or a thematic link with a sensory evocation.« (Mroz 3) Für die Frage nach Dauer und Frequenz musikalischer, visueller und narrativer Ereignisse und ihrem Verhältnis untereinander ist es unerlässlich, diese im ersten Schritt nach ihrem Auftreten an der räumlichen, also chronologisch5 formulierten Zeitspanne des Films zu erfassen. Dieser Untersuchungsansatz ist besonders fruchtbar für die Filme von Jarmusch, da sie sich aus eindeutigen zeitlichen, kausalen und psychologischen Gefügen lösen und der Platzierung einzelner Motive in der wiederholenden und variierenden Erzählform besonderes Gewicht zufällt. Sowohl Musik als auch die Handlungsereignisse nehmen in seinen Filmen ein kritisches Verhältnis zu der Wahrnehmung von Zeit als sich distanzierende Vergangenheit und ferne Zukunft
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»Once measured this way, time ceases to be the experience of duration and takes on the attributes of distance. The future becomes equivalent to a faraway place toward which one is traveling, and the past becomes equivalent to the place left behind.« (McGowan 20)
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Den Begriff der Chronologie verwende ich nicht als allgemein die Lehre von der Zeit betreffend, sondern als die Verortung von Ereignissen in der Zeit: im Sinne einer Abfolge.
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ein. Zwar entwickeln sie einen fortschreitenden Rhythmus und gliedern den zeitlichen Verlauf durch Wiederholungsstrukturen, aber die Zukunft bezieht sich stets auf die Vergangenheit und Anfang und Ende werden zu beliebigen Punkten in einem endlosen Fluss variierter Motive. Das Leitmotiv in der zirkulären Narration Das Leitmotiv ist das wichtigste narrative Mittel der Filmmusik. Es wird in den Filmen von Jarmusch im Sinne der zirkulären Narration umfunktioniert. In einem Überblicksartikel zum Forschungsfeld Musik und Narrativität prüft Emma Kafalenos Ryans Kategorien zur Narrativität hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf Musik. Sie betrachtet dabei nur die erste Anforderung (die Bevölkerung einer fiktionalen Welt mit Figuren) als problematisch, nicht aber die zweite und dritte: »Most music moves in ways nearly everyone hears as changes of state (condition 2): from one rhythmic pattern to another, theme to theme, fast to slow, major to minor, tonality to tonality. Moreover, listeners need not ascribe these changes of state (or the ›events‹ that introduce the changes) to anthropomorphic agents to (re)construct patterns of goals and successes, networks of causal relations (condition 3).« (Kafalenos 279)
Die Grundbeschreibung von Musik, die hier von Zustandsveränderungen ausgeht, ist treffend und lässt sich auch sinnvoll auf die verschiedenen zirkulär organisierten Musikstile der Filme Jarmuschs wie Gamelan-Musik, Minimal Music oder Hip-Hop beziehen. Wie oben beschrieben, werden in ihnen trotz der starken Analogiebeziehungen ihrer Wiederholungen durch kleine Abweichungen Nuancen gezielt betont. Doch Kafalenos bezieht die Zustandsveränderung auf klar definierte harmonische, thematische oder rhythmische Ziele. Dieses entschlüsselbare Funktionssystem von Kausalitäten und Entwicklungen innerhalb der musikalischen Strukturen ist auf schleifenbasierte Musikstile nicht einfach zu übertragen. Sie bewegen sich nicht in Richtung harmonischer Auflösungen oder rhythmischer Veränderung. Das System bedarf einer Erweiterung, um die Narrativität musikalischer Formen einzuschließen, deren Wiederholungen als nonlineare Variationen auftreten. Mervyn Cooke sieht die Problematik der Erfassung alternativer Kompositionen im filmmusikalischen Diskurs darin, dass Leitmotiv und thematische Wiederkehr bevorzugt untersucht werden, dabei jedoch oft die Expertise zur Analyse tieferliegender Strukturen fehle (M. Cooke 85). Seine Ursprünge hat das Leitmotiv in der Verwendung von Richard Wagner. Scott D. Paulin merkt an, dass Wagner noch immer als Vorbild für Filmmusik-Komponisten gelte, schränkt jedoch ein,
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dass das Leitmotiv oft unabhängig von Wagners eigenem theoretischen Konzept Behandlung finde (Paulin 58). Auch wenn dem Leitmotiv im Vergleich zu anderen musikalischen Funktionen in der wissenschaftlichen Behandlung zu große Aufmerksamkeit zukommen mag, spielt es eine wichtige Rolle in der klassischen Filmmusik. Im Gegensatz zu anderen musikalischen Mitteln, die Stimmung erzeugen sollen oder visuelle Vorgänge unterstützen, kann das Leitmotiv seine Funktion nicht innerhalb einer einzelnen Szene entfalten, sondern baut seine Wirkung über Wiederholungen im zeitlichen Verlauf eines Films auf. Lars Oberhaus sieht in ihr das »deutlichste narrative Potential, da sie komplexe semantische Verweisungszusammenhänge herstellen kann« (Oberhaus 209). Er geht dabei davon aus, dass Underscoring, Mood-Technique und Leitmotiv-Technik dem »Anzeigen von Befindlichkeits- und Situationsveränderungen durch Variation musikalischer Motive (Augmentation/Diminution, Tempo, Arrangement)« dienstbar gemacht werden (209). Timothy Scheurer fasst die Platzierung musikalisch wiedererkennbarer Elemente im Film allgemeiner: »In the way that they are repeated in a score, motifs, topics and gestures resemble what one of my classics teachers referred to as ›epic machinery‹, elements that are often characterized and deemed significant to the narrative by merit of their repetition or their avant/après placement in the text […].« (Scheurer 24)
Schon ohne dass es um mögliche Entwicklungen der Motive, Themen und Gesten ginge, dient ihre zeitliche oder rhythmische Anordnung erzählerischen Funktionen. Andererseits erhält laut Larsen in der konventionellen Leitmotiv-Technik die Veränderung und Variation der Musik Repräsentationskraft durch ihre wiederholte Verbindung mit bestimmten wiederkehrenden Situationen. Dadurch entsteht eine Kopplung, die es dem Motiv erlaubt, einen bestimmten Referenten aufzurufen, auch wenn dieser gerade abwesend ist (vgl. Larsen 215). In dieser Sicht stiften die Wiederholung und Verformung kurzer Themen musikalische und strukturelle Einheit (216-217). Da sich Larsen, obwohl er die Leitmotivik von der Last der Bedeutungsvermittlung und -entwicklung befreien möchte, auf den klassischen Erzählapparat Hollywoods bezieht, nimmt das Leitmotiv in seinem Fazit wieder eine unterstützende Rolle zur Immersion ein: »The task of film music is to transform a stream of fragmentary, visual and auditive information into a cohesive whole, into a perceptual Gestalt« (217). Dies alles sind Funktionen des Leitmotivs, die für die klassische Erzählstruktur ebenso gelten wie für die zirkuläre Narration. In beiden wird mittels des wiederholten, ähnlichen Szenarien zugeordneten Motivs eine innere Einheit gebildet. Der Unterschied liegt, wie auf anderen Wiederholungsebenen, in der Zielführung
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des Motivs. In der klassischen Filmmusik wie in der klassischen Erzählung liegt der Fokus auf Entwicklung in Richtung eines Zieles (egal, ob dieses dann tatsächlich erreicht wird oder nicht). »The structuring of the sound material with the aid of formal repetitions and variations creates an expectation of a ›continuation‹ that drives the music forwards, while the dissonances, with their establishing of harmonic tension and their promise of later dissolution and resolution, give the forward movement a direction, a goal.« (Larsen 206)
Besonders der zweite Aspekt der Entwicklung und Zielführung ist zentrales Merkmal westlicher Musik seit der Klassik (vgl. Larsen 206; Redner 19). Während sowohl die Handlung als auch der Musikeinsatz in den Filmen von Jim Jarmusch zwar die von Larsen beschriebene Funktion der Vorwärtsbewegung und Kontinuität erfüllen, vollzieht sich diese Bewegung nicht in eine bestimmte Richtung, auf ein klar umrissenes Ziel hin. Die Figuren haben keine fassbaren Motivationen, können sich nicht erfolgreich in ihre Umgebung einfügen und sind ziellos. Die verwendete Musik wiederholt meist Motive in verschiedenen Variationen, entwickelt sie jedoch im Verlauf der Handlung nicht dramatisch. Dennoch kehren musikalische Themen in den Filmen als Teil ähnlich aufgebauter Szenen wieder, oft zu bestimmten räumlichen Darstellungen. Der konventionellste Aspekt der Musik in den Filmen von Jarmusch liegt in ihrer engen Verbindung mit Handlung und Visualität: Die zirkuläre Musik unterstützt die rhythmisch organisierten Wiederholungen und Variationen der visuellen Mittel und Handlungsteile. Die daraus entstehende Verbindung der Musik mit der Handlung etabliert in Jarmuschs Filmen Grundstrukturen, anstatt lineare Entwicklungen zu zeichnen. Wichtiger als die Veränderung der musikalischen Motive ist der Ort ihrer Wiederkehr in der filmischen Handlung. Wenn man sich den zirkulären Narrationen der Filme von Jarmusch nähern möchte, ist es nötig, sich wiederholende Elemente, ihre Anordnung im zeitlichen Verlauf der Filme und das Verhältnis der sich dadurch entfaltenden Rhythmen untereinander zu identifizieren. Film- und Musikaufnahmen geben ihre Rezeptionszeit vor; die Frage danach, wann genau wiederholte Elemente auftreten, liegt daher nahe. Neben der berechtigten semiotischen Annäherung an die Filme von Jarmusch müssen auch die Wiederholungen in ihrer Wahrnehmbarkeit über die Filmdauer hinweg entschlüsselt werden. Schließlich werden nicht nur die verschiedenen Themen im Film ohne zuspitzende Entwicklung angeführt – auch die eingesetzte Musik selbst basiert auf Schleifen, die rhythmische oder melodische Muster wiederholen. So ist die Frage wichtig, wie die Musik Zeit ordnet. Cornelia Szabó-Knotik sieht darin grundsätz-
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liche strukturelle Parallelen zwischen Musik und Film: Es liege »die Verwandtschaft von Film und Musik als Verlaufsformen zugrunde, die beide strukturierte Zeitabläufe gestalten« (Szabó-Knotik 87). Die schleifenbasierte Musik und ihre variierten Wiederholungen müssen als rhythmische Struktur gefasst werden, eine Betrachtung, die dem westlichen Fokus auf Repräsentation und Bedeutung entgegensteht. Dem Annäherungsproblem zur zirkulären Erzählform in der von Entwicklung geprägten Narratologie entspricht ein Annäherungsproblem zu manchen Musikstilen durch westliche Musikologie. Zu dem Einsatz von Musik, die sehr stark auf der Wiederholung von Motiven basiert, ist wenig geschrieben worden. Ein sinnvoller Bezugspunkt ist wegen ihrer Strukturverwandheit minimalistische Musik, eine Form, in der Sara Piazza die Filmmusik von John Lurie beheimatet sieht: »A characteristic of Lurie’s sound is, without a doubt, to proceed with an expanded, rarefied and repetitive rhythm that is strongly linked to the traditions of American minimal music, or rather the type of music developed in the United States, starting from the 1960s, based upon the principle of micro-varied repetition [...].« (Piazza 107)
Pwyll ap Siôn und Tristian Evans sehen minimalistische Musik als eigenständige Form gegenüber dem Bild an: »A dialogue or discourse is set up between the two elements, broadly based on the principle of complementation, but one which allows for – indeed, may even encourage – opposition or parallelism, rather than integration.« (Ap Siôn/Evans 671) Somit löst sich minimalistische Musik im Film von dem konventionellen Wirkungszusammenhang jener Filmmusik, die Gorbman als »ungehörte Melodien« bezeichnet. Für Jarmuschs Filmmusik sind die Überlegungen der Autoren relevant, obwohl sie sich auf ein anderes Genre beziehen. Die Eigenschaften, in denen sie minimalistischer Musik ein alternatives Potenzial zuschreiben, machen den Vergleich fruchtbar: »Early compositions eschewed any referential or programmatic content, preferring instead to foreground generic musical qualities such as repetition, imitation, variation, cyclical patterns and modular forms.« (673) Sie betonen weiterhin den starken Fokus auf Wiederholung, der diese Musik von anderen Formen klassischer oder moderner Musik unterscheide (677). Wie die Musik von John Lurie in Stranger than Paradise oder die Gamelan-Musik in Permanent Vacation wird die Wiederholung aber nicht anderen Prinzipien untergeordnet:
60 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION »Repetition is thus used in and for itself and is not constrained or dictated by factors such as a harmonic movement, melodic periodicity, metrical hierarchy or formal principles. Neither does minimalism set out to tell, in musical terms, some kind of story or narrative, nor strive towards some ultimate goal or resolution.« (Ap Siôn/Evans 679)
Die hier angesprochene (aus seiner fehlenden Zielführung resultierende) NonNarrativität des Minimalismus steht nicht im Widerspruch zur Funktionsweise zirkulärer Musik in den Filmen von Jarmusch. Die Musik wird hier non-narrativ genannt – dies jedoch in Abgrenzung von einer zielführend geordneten, konventionellen Narration. Auch in der klassischen entwicklungsorientierten westlichen Musik ist die Wiederholung eines der wichtigsten Strukturprinzipien. Doch die Art und Weise, in der die Wiederholung in der westlichen klassischen Musik funktioniert, weicht stark von ihrer Rolle und Struktur in schleifenbasierter Musik wie Minimalismus, Gamelan oder auch manchen elektronisch produzierten Musikformen wie Hip-Hop ab. Pwyll ap Siôn und Tristian Evans beschreiben die unterschiedlichen Funktionsweisen der Wiederholung in den verschiedenen Kontexten ausführlich und klar: »In traditional Western music, then, musematic repetition is shaped by discursive repetition. Thus a large section, such as an exposition in sonata form, is subdivided into sub-sections, and sub-sections into periods, periods into phrases, and phrases into themes. Likewise, rhythm is also dictated by a tactus: smaller rhythmic units are subdivisions of larger ones. […] In minimalist music, however, discursive repetition is generated by smaller, musematic units. Rhythmic patterns on a micro-structural level are thus combined to create larger blocks. This additive technique again works well in regard to film because a short musical unit is not defined in relation to a larger section (as in sonata form), but exists in and of itself, or in terms of its potential to replicate similar units.« (Ap Siôn/Evans 680)
Diese additive Form von Wiederholung entspricht der variierenden Narration der Filme von Jarmusch. Da eine kleine wiederholte Einheit keine zwingende Funktion innerhalb eines größeren Abschnittes einnimmt, ist sie auch zeitlich nicht fixiert und entspricht so jenem narrativen Verständnis, das Korine und Godard meinen, wenn sie sagen, dass Anfang, Mitte und Ende nicht in dieser Reihenfolge stehen müssten. Ap Siôn und Evans stellen minimalistische Musik auch explizit der narrativen Filmmusik entgegen, die Leitmotive und Themen verwende, wohingegen Minimalismus nicht so sehr in Bedeutungszusammenhänge eingebunden sei (680).
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Es stellt sich hier nicht nur die Frage, wie sich der Rhythmus bestimmter Musikstücke mit Rhythmen der Visualität in Bezug setzt (was in Bild-Ton-Beziehungen greifbar wäre), sondern auch wie die Musik über die Dauer des Films hinweg durch die Wiederholung von Motiven und bestimmten Songs oder Themen den Film strukturiert. Greg M. Smith vollzieht einen von wenigen Ansätzen, die aus der Frequenz dieser Ereignisse einen Wirkungszusammenhang herleiten. Er greift bei seiner Untersuchung von Funktionen der Emotionen im Film auf Erkenntnisse aus der experimentellen Psychologie zurück und macht ein Netzwerk wiederkehrender »Genre-Microskripts« als entscheidend für die im Film vermittelten Erwartungshaltungen aus: »genre scripts with relation to emotion are not the broad expectations for the overall shape and form of a film, but genre microscripts, intertextual expectation sets for sequences and scenes« (Smith 48). Dieses Netzwerk löst Erwartungshaltungen bezüglich Narration, Stilistik und Emotion aus (48). In dem minimalistischen, episodischen und emotional distanziert inszenierten Stranger than Paradise zeigt Smith beispielsweise, wie der Film bestimmte Momente durch die verdichtete Frequenz musikalischer Motive als emotional bedeutsam hervorhebt (58-59). Sara Piazza beschreibt den visuellen und akustischen Rhythmus als grundlegendes Element für den Zusammenhalt von Jarmuschs Filmen der 1980er Jahre: »[…] a rhythm that escapes the logic of an extenuating search for a Hollywood-style climax, and that, on the contrary, slides by us, our eyes and especially our ears with a hypnotic pace, certainly not hurried, though certainly not static either.« (Piazza 105-06, Hervorh. i. O.)
Doch in diesem von Piazza als meditativ empfundenen Fluss vermögen gerade Unterschiede in den Themen wichtige Emotionen und Bedeutungen zu vermitteln. Selbstverständlich muss eine Untersuchung der Musik in den Filmen von Jim Jarmusch auch nuancierte Verschiebungen und Veränderungen berücksichtigen, die die verschiedenen Themen über einen bestimmten Film hinweg durchlaufen. Aber das grundsätzlich geringe Interesse an Entwicklung macht den Rhythmus und die Frequenz wiederkehrender musikalischer Motive im Verlauf der Filme zu einem der wichtigsten Untersuchungsaspekte. Zu diesem Zweck werden in den folgenden Analysekapiteln die wichtigsten musikalischen, auditiven und visuellen Rhythmen jedes Films in einem Diagramm dargestellt, das ihre Orte auf der Zeitebene abbildet. In diesen Diagrammen werden nicht nur die zeitlichen Erscheinungsorte der Varianten eines bestimmten Themas im Filmverlauf verbildlicht, sondern auch das Verhältnis dieses Rhythmus zum Rhythmus anderer Ereignisse. Die motivischen Wiederholungen lösen sich auf narrativer und musikalischer Ebene von den
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Konventionen des Hollywood-Kinos. Auf musikalischer Ebene bewirken sie eine Umdeutung des Leitmotivs, das nicht länger als semiotische Kennzeichnung oder als Indikator von Zustandsentwicklungen fungiert. Stattdessen wird es zum hauptsächlichen Bestandteil einer Struktur, die gerade dadurch, dass sie immer wieder Grundthemen variiert, anstatt vom zuletzt erreichten Zustand auszugehen, Vorund Nachzeitigkeit auflöst. Die Musik lenkt Aufmerksamkeit auf Allegoriebeziehungen innerhalb der Filme – Beziehungen, die unterschiedlichen transnationalen Aussagen zugeführt werden. So drücken Leitmotive die Ähnlichkeit von Erfahrungen verschiedener Figuren aus, spiegeln deren intertextuelle Identitätskonstruktion oder destabilisieren das Verhältnis von Figuren zu ihrer räumlichen Umgebung. Auf narrativer Ebene führt dieses Verfahren zu einer Auflösung von Kausalität in Handlung und Figurenpsychologie, zu einer Betonung von Improvisation und Variation gegenüber Zielführung und zu einer kritischen Infragestellung von klar umrissenen, durch Herkunft geprägten Identitäten. So wie in den Filmen von Jarmusch die Handlung nicht von einer Entwicklung im transformatorischen Sinne geprägt ist, ist auch das Werk des Regisseurs nicht von Positionswechseln gezeichnet. Obwohl sich (nicht zuletzt auch durch die Produktionsbedingungen) die visuelle Sprache und stilistische Handschrift entwickelt und sich intertextuelle Bezüge verstärken, bleibt seine Handschrift ein Durchspielen verschiedener Variationen von Themen, die grundsätzlich schon früh angelegt sind und von Beginn an durch die Musik assoziiert werden. Daher werden auch die Einzelanalysen zwar manchmal ästhetische Veränderungen im Werkskontext aufzeigen, allgemein jedoch die verschiedenen Variationen ergründen, die die Filme in ihren transkulturellen Erzählungen durchspielen.
Transnationaler Raum: Verweilorte und Durchquerungen
Natürlich ist der Raum schon im Begriff des Transnationalen und seiner Grenzüberschreitung mitgedacht. Für die Aussagen des transnationalen Films ist nicht nur das durch real existierende Grenzen umfasste Territorium verschiedener Nationen wichtig, sondern die Betrachtung räumlicher Darstellung in einem allgemeinen Sinne. Sind die Räume beengt oder ausgeweitet, werden sie als durchquerte Terrains oder als Ziele dargestellt, verhalten sie sich zur Figurenidentität stabilisierend oder destabilisierend? Transitorische Prinzipien sind prägend für die Raumgestaltung in den Filmen von Jim Jarmusch. Der Herumstreuner Allie lässt sich in Permanent Vacation durch die heruntergekommenen Gassen New Yorks treiben. Eddies, Willies und Evas Reise in Stranger than Paradise führt die drei von New York über Cleveland nach Florida. In Down by Law fliehen Jack, Zack und Bob aus dem Gefängnis durch die Sümpfe und staubigen Straßen von Louisiana und New Orleans. Die drei Erzählstränge in Mystery Train werden dadurch in Zusammenhang gebracht, dass verschiedene Personen die gleichen urbanen Räume von Memphis durchqueren. In Dead Man flieht William Blake durch die Landschaften des Mittleren Westens. Auch die Episoden in Night On Earth sind von der nächtlichen Durchfahrung der verschiedenen Städte geprägt. In Ghost Dog widmen sich ausführliche Sequenzen den Streifzügen des Titelhelden durch die nächtliche Stadt zu Fuß und per Automobil. Don Johnston durchquert in Broken Flowers mit einem Mietwagen das ländliche Amerika. Lone Man, der einsame Protagonist von The Limits of Control, vollzieht seine Bewegungen in Zügen und zu Fuß. Der Titelheld in Paterson manövriert den Linienbus durch die Stadt. Raum kristallisiert sich schon bei Mette Hjort und anderen als Interessenschwerpunkt des transnationalen Films heraus. Sharon Hayashis Aufsatz über Shimizu Hiroshi zeigt, wie der Filmemacher mittels des Roadmovies nationale
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Identität als Kategorie kritisiert (vgl. Hayashi 2007). Die von Hjort als Merkmal des transnationalen Films beschriebene Heimat- und Ortlosigkeit spiegelt sich auch in der Art, wie Orte dargestellt werden und wie Figuren sich zu ihnen positionieren. John Durham Peters unterscheidet bei räumlich entwurzelten Menschen (beziehungsweise Figuren) zwischen Exil, Diaspora und Nomadentum. Im Gegensatz zu Exil und Diaspora bezieht sich Nomadentum ihm zufolge nicht mehr auf ein festgelegtes Bezugszentrum (vgl. Peters 20). Der mobilen Heimat der Nomaden schreibt Peters eine Zweischneidigkeit zu: einerseits durch die Mobilität überall beheimatet zu sein, andererseits über kein eigenes Territorium zu verfügen (21). Dadurch ergibt sich ein Zustand, der zwischen Heimatlosigkeit und Heimat vermittelt, der sich aber nicht mehr auf bestimmte Orte bezieht (21). Wegen der wurzellosen Kosmopoliten, die im Zentrum der Filme von Jarmusch stehen, bezeichnet Roberts dessen Kino als nomadisch (vgl. Roberts 66). Eine ähnliche Bezugslosigkeit beschreibt der Anthropologe Marc Augé mit Blick auf die sich globalisierende kapitalistische Gesellschaft mit seinem Begriff der Nicht-Orte. Die Knotenpunkte der modernen Kommunikations- und Verkehrswege bezeichnet er als Orte, die weder historisch noch relational sind (vgl. Augé 92). Die Orte, die Naficy als prägend für sein »accented cinema« versteht, sind ebenfalls Transiträume und transnationale Orte: er nennt unter anderem Grenzen, Flughäfen und Hotels als wiederkehrende Schauplätze (Naficy, Accented, 5). Die Vertreibung, Flucht, Diaspora und oft auch das Exil sind tragische Formen der transnationalen Mobilität, die in ihren Zwängen und in ihrem Zustandekommen nicht mit jener globalen Mobilität vergleichbar ist, die das private und berufliche Leben vieler Menschen prägt. In den Filmen von Jarmusch sind beide Szenarien präsent, ohne dass sie in einen direkten kausalen Zusammenhang gestellt würden. In Permanent Vacation geht es um die abstrakte Beziehung eines sich bewegenden Subjekts zur räumlichen Umgebung. Mit Stranger than Paradise werden dann konkrete Orte befragt und ihre angebliche Identität destabilisiert. Broken Flowers variiert das Spiel von Permanent Vacation mit räumlicher Bewegung und Subjektivität; diesmal jedoch bezieht der Film diese Thematik konkret auf die Rahmenbedingungen moderner Mobilität. Das Prinzip des Durchschreitens ist auf verschiedenen Ebenen mit der transnationalen Position der Filme von Jim Jarmusch verbunden. Dabei ist insbesondere interessant, dass die Figuren vorrangig an Orten verweilen, die eigentlich zur Passage gedacht sind: Motels, Hotels, Zugabteile, Flughäfen und Flugzeuge. »It is, one might propose, the aporetic nature of a fixed place dedicated to movement that underlies the particular interest that filmmakers and other artists and writers have found in hotels and motels«, kommentieren Clarke, Pfannhauser und Doel
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(»Checking«, 3). Dadurch konstituieren sich Identitäten, die nicht von nationaler Ortseinbettung, sondern transnational geprägt sind. Tim Edensor schreibt: »Old notions about identities being embedded in place or self-evidently belonging to particular (national) cultures and societies seem to be repudiated by vast, expanding cultural networks. Group and individual identifications are thus becoming stretched out in proliferating locations in diasporic, political and cyber networks. Thus identity is becoming nationally deterritorialised, and locally and globally, even virtually, reterritorialised.« (Edensor 27-28)
In den folgenden Analysen wird die Musik im Zusammenhang mit transitorischen Prinzipien und Räumen der verschiedenen Filme untersucht. Dabei soll sich herausstellen, wie die Durchquerungen die Funktion von amerikanischen Räumen als Heimat und Stifter klar umrissener Identitäten verkomplizieren. Gleichzeitig soll eine Analyse der entgegengesetzten Verweilräume erfolgen. Oft als identitätsund relationslose Nicht-Orte aufgefasst, macht gerade ihre Untersuchung ein Gegengewicht der Transiträume und der Nicht-Zugehörigkeit der Protagonisten erkennbar. Transit- und Verweilorte werden in den Filmen von Jim Jarmusch zum Spielfeld für Veränderungen und Begegnungen und nehmen so jene Rolle ein, die Reinhard Isensee und Wilfried Raussert dem Raum in der Transkulturalität zusprechen – er dient nicht mehr dazu, Mythen einer abgeschlossenen Identität zu befeuern (vgl. Isensee/Raussert 4). Die Musik ist in dieser räumlichen Inszenierung einerseits mit Bewegung verbunden, andererseits unterwandert sie oft räumliche Orientierung und die Identität dargestellter Orte. Schon früh spielt Filmmusik in der Kennzeichnung von Räumen und Kulturen eine große Rolle. Um dabei zu helfen, die Handlung räumlich zu verorten, greift die Musik konventionellerweise auf Stereotypen zurück (vgl. Larsen 68). Instrumente können in diesem Verfahren Nationen repräsentieren, wie es der Dudelsack für Schottland tut. Tonale und harmonische Klischees erwecken unabhängig davon, ob sie realistisch oder treffend sind, Assoziationen zu bestimmten kulturellen Räumen (ebd.). Auch Claudia Gorbman beschreibt in einem Artikel, der die Kennzeichnung von native americans im Hollywood-Western in musikalischen Bühnentraditionen des 19. Jahrhunderts verortet, eine Charakterisierung von untereinander stark abweichenden Kulturen durch die gleichen musikalischen Motive: »Musical representation of Turks, Chinese, Scots, and generic peasants since the late eighteens century have tended toward pentatonicism, rhythmic repetitiveness, and open fourths or fifths.« (Gorbman, »Scoring«, 236) Damit wird ein Distanzverhältnis zu Kulturen geschaffen, die indifferent als abweichend und exotisch gekennzeichnet werden.
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Für Anahid Kassabian ist der US-amerikanische Nationalismus von den Anfängen Hollywoods bis heute nachzuweisen und maßgeblich durch die Filmmusik inszeniert (Kassabian 93). Als Ebenen, auf denen Nationalität durch Musik ausgedrückt werden kann, nennt sie neben Nationalhymnen oder nationalistischen Musikbewegungen auch Genres wie das französische Chanson, das deutsche Lied oder das spanische »Villancico«, die auch unabhängig von der Nationalität ihrer Komponisten nationale Kontexte aufrufen (ebd.). Musik, die nicht zur Kennzeichnung amerikanischer Räume dient, hat in diesem nationalistischen Zusammenhang die Rolle, andere Kulturen abzugrenzen und amerikanische Kollektivität zu stärken. Mark Slobin verwendet den Begriff »superculture«, um die vorherrschende Musikkultur einer Gesellschaft zu beschreiben: »the dominant, mainstream musical content of a society, in effect, everything people take for granted as being ›normal.‹« (Slobin 3) Er richtet einen ethnomusikologischen Blick darauf, wie das Studiosystem und seine zentrale Figur Max Steiner die grundsätzlichen Konventionen der Filmmusik prägte (ebd.). Ausgehend von Max Steiners Musik zu King Kong, die Ureinwohnern eine eigene Musikart zuweist, spannt Slobin eine Brücke zur Darstellung der edlen Wilden, durch die auch heute noch Stereotypen der Naturverbundenheit von Urvölkern präsent sind (10). Indifferente und verallgemeinernde musikalische Inszenierung führt er auf diese Anlagen zurück: »Viewed this way, why distinguish different peoples and traditions? Conceptually, ideologically, politically, dramatically, and musically, all natives are the same, and that includes the Skull Island savages of King Kong.« (10-11) Er benennt weiterhin perkussive Muster und den Einsatz von Pentatonik als musikalische Stilmittel, die in der Filmpraxis des Hollywood-Kinos zur Kennzeichnung sehr unterschiedlicher Kulturen verwendet wurden (13-14). Spezifika der aus amerikanischer Perspektive fremden Kulturen wurden im Hollywood-Kino selten ergründet, da, wie Slobin oben schreibt, ihre dramatischen und ideologischen Funktionen als Kontrast zur amerikanischen Kultur konstant blieben. Im Folgekapitel des gleichen Buches weist Slobin die Kontinuität dieser Grundprinzipien nach und kommt zu klaren Ergebnissen: »To help ground film narrative and make the filmed human community coherent, the dominant approach to filmmaking relies on music to homogenize and often stereotype ethnographically. Soundtracks also replace, displace, erase, reject and ventriloquize the ethnomusicology of the individuals that they depict.« (Slobin 60, Hervorh. i. O.)
Weiterhin resümiert er, dass spezifische Methoden und Mittel lange Zeit überdauern und dass die von der amerikanischen »superculture« geprägten Konventionen
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schon bald in andere Kinoformen weltweit abstrahlten (ebd.). Die Filmmusik von Jim Jarmusch ist den Strategien entgegengesetzt, in denen Musik mit Raum und Nation entweder eine Einheit bildet oder Abweichungen als exotisch markiert. Sie unterstützt die Durchquerung von Räumen anstatt der Ankunft in ihnen und destabilisiert dabei Heimat und nationale Identität. Die Mythen, zu denen sich Jarmuschs Ortsgestaltung dabei vor allem kritisch stellt, sind jene von abgeschlossener amerikanischer Identität. In seinen Figuren werden transkulturelle Hintergründe nicht durch die Einbettung in amerikanische Identitätsgefüge verwischt. Die Untersuchung zum Raum bezieht sich im Folgenden auf Permanent Vacation, Stranger than Paradise und Broken Flowers. In diesen Filmen tritt am auffälligsten zutage, wie das Zusammenspiel von Musik und Raum ganz unterschiedliche räumliche Konstellationen hervorbringt: von losgelöstem Gleiten bis zu existenzieller Verlorenheit. Je nach durchquertem Raum (urban oder ländlich), Art der Durchquerung (zu Fuß, per Automobil, per Zug) und je nach Art der filmischen Darstellung nimmt die Musik unterschiedliche Positionen ein, aus denen sie teilweise identifizierend, aber oft auch entfremdend eingreift.
P ERMANENT V ACATION
UND
D URCHSCHREITUNGEN
Jarmuschs Debütfilm über den Jugendlichen Aloysius »Allie« Christopher Parker nimmt viele wichtige musikalische und räumliche Strategien vorweg, die auch das spätere Filmschaffen von Jarmusch prägen. Der Protagonist bezeichnet sich selbst als »Drifter«, als rastloser Streuner. »Everyone is alone«, sagt er, »that’s why I’m just drifting«. So bewegt sich Allie intuitiv und ziellos durch das heruntergekommene New York. Hinterhöfe, verlassene Gassen, sein spärliches Apartment und das Sanatorium, in dem seine Mutter untergebracht ist, formen eine triste und leere urbane Landschaft, mit der sich Allie nur in flüchtigen Bezug setzen kann. Das intuitive Umhertreiben des Helden, seine zufälligen Begegnungen, seine distanzierte Haltung zur Umgebung und die schleifenartige Gamelan-Musik lassen den Film zunächst als zielloses Gleiten erscheinen. Er wird jedoch von einer klar ausgeformten Grundstruktur visueller und musikalischer Rhythmen definiert. Anhand des Herumstreunens Allies verhandelt der Film grundsätzliche Verhältnisse des Protagonisten zu seiner Umgebung und bedient sich dabei besonders stark musikalischer Strategien. Die Musik ist in Permanent Vacation eng mit Allies Raumdurchschreitungen verbunden und unterstützt die Inszenierung von Zeit als zirkulär. In Verbindung mit dem Doppler-Effekt, der Grundlage eines Witzes im Film ist, formuliert die Musik Allies Wahrnehmung der ständigen Distanzierung von fixen Bezugspunkten.
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Neben der spärlich eingesetzten Source-Musik kommen hauptsächlich zwei Typen von Musik vor: künstlich bearbeitete Gamelan-Musik und das Saxophonspiel John Luries. Beide Typen beziehen sich auf Räumlichkeit, verhalten sich dabei jedoch kontrastiv. Die Gamelan-Musik markiert Fernweh und treibt die Bewegung des Protagonisten an. Ihre schleifenartige Struktur greift mit narrativen und visuellen Rhythmen des Films ineinander, löst sich aus Vor- und Nachzeitigkeit und kreiert einen Fluss, der Allies Identität als Drifter bestätigt – eine Identität, die anstatt durch Ortseinbettung gerade durch oberflächliche, gleitende Bewegung geprägt ist. Gegenüber dieser Musik setzt die Saxophonmusik John Luries ein räumliches Bezugssystem. Nicht nur durch ihre Motivation im Bild, sondern auch durch ihre sich verschiebenden Motive stellt sie räumliche Bewegung in Zusammenhang mit Punkten, von denen Allie sich distanziert oder denen er sich annähert. Das Grundthema der instabilen räumlichen Verortung führt der Film schon früh ein. Seine erste Szene zeigt Passanten, die sich in New York auf einem belebten Bürgersteig drängeln. Ein Saxophon ist mit kurzen, suchenden Motiven zu hören, der dazugehörige Instrumentalist steht neben dem Gedränge an einer Straßenecke. Während die Bewegungen der Menge in Zeitlupe ablaufen, sind sowohl die Musik als auch Hintergrundgeräusche in Echtzeit zu hören und kreieren so einen eigenen Raum, der nicht an die Zeitlichkeit des Bildes gebunden ist. Als der Saxophonist das nächste Mal im Bild erscheint, diesmal aus geringerer Entfernung, ist sein Spiel lauter vernehmbar. Der Ton nimmt also eine Spannungsposition zum Bild ein: Er bildet über die Lautstärke räumliche Distanzverhältnisse ab, während er eine Reibung zu der im Zeitlupenbild dargestellten Bewegung erzeugt. Schon die erste Szene destabilisiert verschiedene Konventionen: Während die Musik üblicherweise entweder im Bild motiviert oder außerhalb der Diegese angesiedelt ist, bleibt ihre Anordnung hier unklar. Sie befindet sich gleichzeitig außerhalb und innerhalb des Bildes: Der Saxophonist und die lautere Wiedergabe bei größerer Nähe machen den Ton ebenso zum Teil der filmischen Realität wie die Menschenmenge, deren Geräusche mit hörbaren Sprachfetzen und Schritten wiedergegeben werden. Andererseits stehen Musik und Ton aber auch außerhalb der Diegese, denn der Ton entspricht eben nicht genau dem zeitlichen Ablauf der bildlichen Darstellung. Die Musik ergreift auf diese Weise Raum, macht aber die räumliche und zeitliche Einheit einer kongruenten Perspektive unmöglich. Die Entkopplung ruft die Ortlosigkeit der Sequenz hervor. Anstatt dass die Zeitlupe mit verlangsamten Motiven und Geräuschen begleitet würde, läuft die Tonspur im normalen Tempo ab. So formuliert schon der Beginn, dass Musik und Ton die Bilder des Films nicht zwangsläufig bestätigen, sondern stellenweise ein kontrapunktisches Verhältnis zu ihnen einnehmen.
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David Bordwell identifiziert entschleunigte Darstellungen als Teil der Art-Cinema-Narration, bindet sie jedoch an die Darstellung von Subjektivität: »Subjectivity can […] justify the distension of time (slow motion or freeze frames) and manipulations of frequency, such as the repetition of images.« (Bordwell, Narration, 209) Die Eingangssequenz nimmt einerseits die subjektive Perspektive Allies vorweg: die Perspektive eines Menschen, der im Vorbeigleiten Räume und Klänge in einem fließenden Strom aufnimmt und sich dabei nie in einer räumlich und zeitlich stabilen Position einbettet. Andererseits ist hier Allie selbst als wahrnehmende Instanz noch nicht eingeführt. So wird schon früh klar, dass räumliche, zeitliche und akustische Instabilität nicht zwingend an subjektivierende Verfahren gebunden ist, sondern eine grundsätzliche Darstellungsstrategie des Films ist. Die räumliche Inszenierung beschränkt sich aber nicht auf das Vorbeigleiten, das von der Gamelan-Musik angetrieben und durch Allies Begegnungen mit verschiedenen Menschen unterbrochen wird. Allies Bewegungen setzen sich zu einem Koordinatensystem unbeweglicher Räume in Bezug, ein Verhältnis, das insbesondere durch John Luries Saxophonmusik näher bestimmt wird. Schon zu Beginn von Permanent Vacation artikuliert der Film dieses Spannungsfeld von Raum und Bewegung deutlich. Zunächst geschieht das ohne musikalische Begleitung. Unbewegte Einstellungen verschiedener Räume folgen aufeinander, fast ohne Kamerabewegung abgefilmt (siehe Abbildungen 1-12)1. Erst zeigt der Blick der Kamera ein leeres Apartment, gefolgt von einem Billardtisch in einer dunklen Kneipe. Dann ein leeres Klassenzimmer, eine Küche, ein Wartezimmer mit Madonnenfigur. Eine dunkle Gefängniszelle wird von einem luxuriösen hellen Wohnzimmer abgelöst. Ein weitläufiges Atelier wird gezeigt, dann eine schummrige Bar mit Spielautomaten. Der Zuschauer sieht einen festlich weiß gedeckten Tisch im Esszimmer, bevor sich der letzte Blick auf Allies Wohnung mit zerbrochenem Spiegel auf dem Boden richtet.
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Die Filmstills wurden zur besseren Erkennbarkeit für die Drucklegung aufgehellt.
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Abbildung 1: Permanent Vacation
Abbildung 2
Permanent Vacation 00:04:11
Permanent Vacation 00:04:22
Abbildung 3
Abbildung 4
Permanent Vacation 00:04:33
Permanent Vacation 00:04:42
Abbildung 5
Abbildung 6
Permanent Vacation 00:04:52
Permanent Vacation 00:05:05
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Abbildung 7
Abbildung 8
Permanent Vacation 00:05:15
Permanent Vacation 00:05:28
Abbildung 9
Abbildung 10
Permanent Vacation 00:05:39
Permanent Vacation 00:05:47
Abbildung 11
Abbildung 12
Permanent Vacation 00:06:09
Permanent Vacation 00:06:44
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Dazu ist Allies Stimme zu hören, die sich in gleichgültiger und lakonischer Sprechhaltung vorstellt: »My name is Aloysius. People I know just call me Allie.
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This is my story, or at least, part of it. I don’t expect it to explain everything, but what is a story than one of those pictures where you connect the dots« (00:04:30)2. Die Allegorie ist klar: Die Räume, die gleichzeitig gezeigt werden sind, sind eben jene Erinnerungspunkte, deren Verbindung Allie mit dem Prinzip einer Erzählung vergleicht. Durch verschiedene Mittel wird die Serialität und Gleichheit der Räume als metaphorische Punkte verstärkt. Sie sind allesamt in der Aufsicht gefilmt und von Asymmetrie und diagonalen Linien geprägt. Neben der Serialität durch Bildkomposition stützt auch die ähnliche Betrachtungsdauer der Räume (von in etwa 7 bis 12 Sekunden) ihre gemeinsame Funktion (vgl. Leitner 55). Roman Mauer sieht in Allies Allegorie, die Punkte zu verbinden, eine Spiegelung des Erzählprinzips des Films selbst, in dem auch das entstehende Bild unabhängig von der Reihenfolge einzelner Schritte dasselbe bleibt (vgl. Mauer 23). Dabei scheint es Permanent Vacation nicht allzu sehr um das resultierende Bild zu gehen, was sich in Allies Fazit spiegelt, als er sagt: »There is nothing that can be explained, and that is what I was trying to explain in the first place.« Stattdessen geht es um den Prozess des Erzählens selbst. Die Räume oder Punkte werden von Allie in der Metapher als Linienzieher verbunden, auf Ebene der filmischen Realität gleichzeitig als Durchschreitender. Während die Punkte als Teil von Allies Vergleich jedoch abstrakt bleiben, verbildlichen die Räume im Film und ihre Darstellungsart Allies Perspektive. Die Räume der Einführungsszene haben unterschiedliche Funktionen. Es sind Räume des Wohnens, der sozialen Zusammenkunft, des Unterrichts, Kochens, Wartens und der Haft. Ihre Leere und Verlassenheit drückt so gerade in der Abwesenheit der Menschen, auf die sie sich beziehen, einen Mangel aus. Manche der Räume zeigen Hinweise auf ihre Präsenz: die auf dem Billardtisch verteilten Kugeln, der Laib Brot auf dem Küchentisch, das zerwühlte Bett des Schlafzimmers oder die gedeckte Tafel (vgl. Worthmann 172). Die weiten Einstellungsgrößen und distanzierten Blickwinkel, die bis auf Allies Stimme stille Tonspur sowie das starre Verharren des Kamerablicks verstärken noch das Gefühl des Mangels an einer Instanz, die sich in dem gezeigten Moment mit dem Raum auseinandersetzt. Gleichzeitig erinnert in allen Einstellungen eine leichte Kamerabewegung daran, dass die Räume in Allies Erinnern doch einer subjektiven und instabilen Perspektive unterordnet sind. Einige der Räume erwecken den Eindruck, gerade verlassen worden zu sein, andere, wie den gedeckten Tisch, sehen wir in einem Zustand der Erwartung. Es ist also immer ein Vorher oder Nachher, das abgebildet wird. Die letzte Einstellung, die das verlassene Apartment mit dem zerbrochenen Spiegel in
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Die Zeitangaben sämtlicher Timecodes beziehen sich auf die Wiedergabe der DVDFassungen mit dem VLC Media Player, Version 2.0.9 Twoflower.
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der Gegenwart zeigt, wird mit dem gleichen Zimmer mit Leila auf dem Stuhl und dem intakten Spiegel überblendet. Damit springt die Erzählung zurück in die Zeit, in der Leila und Allie noch zusammen sind. Im weiteren Verlauf des Films nimmt Allie die nun noch fehlende Rolle der sich bewegenden Einheit ein. Permanent Vacation nähert sich hierbei jedoch nicht Allies Wahrnehmung, in der die durchquerten Räume vorbeigleiten würden. In Einklang mit dem anfangs vorgestellten Bild der verknüpften Punkte sind die urbanen Räume präexistent und in ihrer Ausschnitthaftigkeit innerhalb starrer, geometrischer Linien fixiert. Die verbindende Bewegung Allies ist die Bewegung, die der Zuschauer in Außensicht auf der Leinwand verfolgt. Wie Suárez betont, treten diese Szenen auch aus der Filmnarration heraus: »These frequent, lengthy framings cannot be justified by strict narrative functionality; they suggest a fascination with the character’s movement, with the changing background, and with the camera’s ability to capture both. The frame takes on a life of its own and seems to call attention to itself, much as it does in structural cinema, the filmic counterpart of minimalism.« (Suárez 26)
Andererseits motivieren dieses Vorbeigleiten und die gleichzeitige Instabilität der subjektiven Perspektive Allie als Figur. Für Tina Hedwig Kaiser destabilisiert die rastlose Raumdurchschreitung in Permanent Vacation die Raumerfahrung: »Die Räume sind allein als durchquerte fassbar, als bewegungsformende genauso wie als bewegungsgeformte. Die Raumerfahrung ist dabei einem Wandel unterworfen, die angebliche Ortsidentität einer Mutation unterzogen. Selbst in der Stadt erscheint sie nicht nur als Zentrum, sondern zugleich als Peripherie – als leere Mitte gleichsam.« (Kaiser 173)
Die »angebliche Ortsidentität«, hier jene New Yorks, unterwandert Permanent Vacation durch seine Geometrisierung der Räume und die von Suárez und Kaiser angesprochene Hervorhebung von Bewegungen, die grundsätzlicher Natur sind und in jedem urbanen Raum ähnlich funktionieren könnten. Natürlich trägt auch die Leere der Straßen ebenso dazu bei wie die Tatsache, dass sich das dargestellte New York – abgesehen von der Anfangs- und Schlussszene – auf die heruntergekommene Lower East Side beschränkt. Für Céline Murillo lenkt auch die Farbinszenierung Aufmerksamkeit auf den Bildaufbau, nämlich dadurch, dass die Farben unnatürlich sind und ihre Werte wie Temperatur und Sättigung instabil (Murillo 291). Dabei ist Kaisers Hinweis auf die Gestaltung der Raumdurchschreitung essenziell. Das kontemplative Erzähltempo, andernorts von Kaiser als
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kalkulierte Langeweile (Kaiser 103) ausgelegt, ist prägend für die Raumwahrnehmung der Figuren und auch jene des Zuschauers. In vielen Perspektiven verleihen die Straßen der Bewegung eine Richtung. In eine Stringenz münden diese Räume allerdings nicht, da widersprechende Linien oder entgegengesetzte Bewegungen gleich wieder Brüche setzen. Die Ansiedlung der gesamten Narration unterstützt die Zirkularität. Seine ersten Worte spricht Allie aus dem Off: »So here I am now, in a place, where I don’t even understand their language. But it doesn’t matter: strangers are always just strangers. This story is about how I came from there to here, or maybe I should say, from here to here.« Allie spricht diese Worte, nachdem er nach Paris ausgewandert ist und New York verlassen hat – eine Reise, deren Beginn am Ende des Films gezeigt wird. Allies Stimme ist an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit angesiedelt als die Bilder. Sie befindet sich in einer Umgebung, in der ihre Sprache nicht verstanden wird, was Allie aber als unbedeutend abtut, denn ein Fremder kann oder will seine grundsätzliche außenstehende Position, so suggeriert er, auch ohne Sprachbarriere nicht überwinden. Ihren Nachklang findet diese kategorische Aussage in der Feststellung »von hier zu dort« entspräche »von hier zu hier«. Seinem kontinuierlichen Gefühl als Fremder liegt ein Raumempfinden des ständigen »hier« zugrunde, das im stetigen Driften erfahren wird. Die räumliche Bewegung in Permanent Vacation bezieht sich also auf keinen Ursprung, von dem die Figur sich entwurzelt fühlt und der eine neue Einbettung an einem anderen Ort verhindert. »Movement is thus ›immobile‹ and accompanied by the perception of always finding oneself in the same place, in spite of the moving, be it mental or physical«, schreibt Piazza (110): Die Fremdheit Allies ist etwas Unabdingbares, ein grundsätzliches Gefühl, das sich in der Durchschreitung ausdrückt. Seinen Fluss aus Wiederholungen und Variationen betreibt Permanent Vacation jedoch nicht nur durch innerhalb der von Gamelan begleiteten Durchschreitungsszenen, sondern auch durch Handlungsmotive und Platzierung von Musiken über den ganzen Film hinweg. Einige der wichtigsten Elemente dieses Geflechts zeigt Abbildung 13. Auch wenn es noch viele weitere bedeutsame Teile dieses Rhythmus gibt3, beschränkt sich die Darstellung hier auf die Stränge, deren Interaktion untersucht werden soll: die Gamelan-Musik, die Begegnungen Allies mit anderen Menschen, John Luries Saxophon-Variationen, die Source-Musik und die Klammer durch Off-Narration.
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Denkbar wären unter anderem das Verhältnis von Außen- zu Innenräumen, Tag zu Nacht, die Wiederkehr bestimmter Einstellungen oder die Entwicklung der Schnittfrequenzen.
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Abbildung 13: Frequenzen musikalischer und narrativer Motive in Permanent Vacation
Gamelan-Musik Die Gamelan-Musik in Permanent Vacation entspricht Allies Streunen ohne klar formulierten Ursprung oder Zielrichtung. Wie Abbildung 13 zeigt, bildet sie einen relativ gleichmäßigen Rhythmus, der den Film besonders durch die Stellen strukturiert, in denen sie sich mit der Saxophonmusik verbindet. Das geschieht zu Beginn des Films, in seiner Mitte und am Ende. »Der Ton verdichtet die Atmosphäre von Permanent Vacation, unterstützt die Kohärenz der allein doch recht heterogenen, d.h. einzeln aufgereihten Erlebnisse Allies«, schreibt Mundt (35.) Gamelan und Saxophonmusik wechseln sich mit den Begegnungen ab. Die Gamelan-Musik ist eng an Allie und seine Durchschreitungen geknüpft. Erst in dem Moment, in dem Allie zum ersten Mal eine der leeren Gassen der ersten Einstellungen betritt, wird das stille, entfernte Dröhnen der Straße durch Gamelan-Klänge übertönt. Über den ganzen Film hinweg tritt die Gamelan-Musik vor allem an Stellen auf, in denen Allie Räume durchquert, oder in Szenen mit großer visueller oder emotionaler Nähe zum Protagonisten. So erklingt die Musik zum Beispiel nach einem Gespräch, in dem Allie Leila seine Lebenseinstellung als Drifter erklärt und sich kurz darauf zum Besuch der Mutter entschließt (00:17:23). In dieser Einstellung zeigt die Kamera auch eine der seltenen Nahaufnahmen von Allies Gesicht. In den Durchquerungssequenzen ist die Zuschreibung der Musik zu Allies Bewegung überdeutlich. Exemplarisch ist hier die mit einer Parallelfahrt eingeleitete Sequenz ab 00:33:18. Während Allies Spaziergang erklingt Gamelan-Musik. Als
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er einer spanisch sprechenden Frau begegnet, hält die Musik für die Dauer seines Gesprächs mit ihr inne, setzt sich aber fort, als er weiterzieht. Dann lehnt Allie sich an einen Zaun und beginnt mit einem Jo-Jo zu spielen: Die Musik verlangsamt sich. Mit dem Austrudeln des Spielzeugs pausiert die Musik und entspricht so dem Stillstand; sie setzt aber sofort wieder ein, als Allie das Jo-Jo nach unten schnellen lässt (00:38:00). So wie in der Anfangssequenz noch das Bild mittels der Zeitlupe verlangsamt wird, hat Jarmusch die Gamelan-Musik dem Film angeglichen. Einige Frequenzen hat er ausgeblendet und künstlich Hall hinzugefügt (vgl. Piazza 110). Die Sequenz illustriert die enge Verbindung von Gamelan-Musik mit Allies Bewegung überdeutlich. Wenn Kaiser schreibt, »[s]ubjektive und objektive Kameraeinstellungen sollen [bei Allie Parkers Raumdurchschreitung] nicht immer unterscheidbar sein« (Kaiser 172-73), so wird diese Ambivalenz auch auf der Tonebene gestützt. Während die Gamelan-Musik mit ihren wiederkehrenden hellen Gongschlägen meist extradiegetisch ist, gibt es Szenen, in denen Allie auf ihre Klänge reagiert und sie so, wenn auch nicht als zwingend real, doch als Teil seiner Wahrnehmung kennzeichnet: Als Allie auf einem Hausdach steht, erklingen helle Gamelan-Gongschläge, zu denen er sich im Kreis dreht (00:54:30). Für Merten Worthmann wirkt Gamelan »als Melange mit dem städtischen Lärm […] wie zähflüssiger akustischer Smog, die passende Begleitmusik zur VerWüstung [sic], von der Permanent Vacation erzählt« (Worthmann 177). Geoff Andrew erinnert der Soundtrack an eine schaurige Geisterstadt (Andrew 137), und für Suárez drückt Gamelan das latente Unbehagen aus, das Allies rastloses Streunen antreibt (Suárez 23). Gleichzeitig importiere es jedoch den kulturellen Kontext des Gamelan in Thailand und Java in die Filmhandlung und verlange dadurch eine angepasste Hörpraxis: »In its original form, as it was played in Thailand and Java, gamelan music is primarily ritualistic; played for hours, even days, on end, it puts musicians and listeners in a trance. It constitutes an ongoing flow without accents, identifiable melody or structure, or beginning or end. It is an unbound aural landscape which solicits a form of listening different from the structure-oriented focus demanded by western traditional music. Here one listens instead for atmosphere and for the subtle microtonal shifts, much richer and more nuanced than those allowed by the standard western scale.« (23-24)
Suárez zeichnet den Einfluss von Gamelan auf Debussy und die zeitgenössische Experimentalmusik nach und schließt: »Gamelan, with its roundabout evocations of Cage, Reich, and Riley and its nonnarrative drift, makes sense as a minimalistic
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gesture and reveals Jarmusch’s indebtedness to this aesthetic.« (24) Während Gamelan-Musik keine Melodie im westlich-klassischen Sinn hat, verfügt sie über rhythmische und tonale Strukturen, die durch die verschiedenen Instrumente in Dialog treten. So fasst Ben Brinner in »Cognitive and Interpersonal Dimensions of Listening in Javanese Gamelan Performance« zusammen: »Javanese music can be conceptualized as a highly variegated flow of sound in which the individual strands, characterized by particular idioms linked to specific instruments, are nonetheless closely linked to another. Each strand proceeds at a particular speed in a particular register (high, medium, or low) and is differentiated from other strands by these characteristics as well as by timbre. All of the melodic strands progress from one main pitch to the next, each of these goal tones (sèlèh) serving as a brief point of rest or arrival.« (Brinner 582)
Die zirkuläre Struktur der Gamelan-Musik begleitet die rhythmische und repetitive Szenenfolge des Vorbeitreibens von Allie. Sara Piazza betont, dass im Gamelan die verschiedenen Instrumente (Xylophone, Gongs, Glocken etc.) die gleiche Melodie mit rhythmischer Variation intonieren (vgl. Piazza 110). Für Sara Piazza lenkt Gamelan die Aufmerksamkeit auf zeitliche Dauer: »The rhythmic structure varies within an entirely homogeneous melodic framework. Such an approach adapts perfectly to the atmosphere of a film like Permanent Vacation. The passage of time, the duration of the piece seems to become palpable, while ›the things that happen‹, the actions, which in musical terms could be likened to the melody, are far more volatile and less significant.« (110)
Es ist eben keine Fremdheit, die die Gamelan-Musik ausdrückt, sondern sie ist im Gegenteil an die prominenteste Grundeigenheit Allies gebunden: an die Mobilität und Unrast, an das Fernweh und die Bewegung. Wie Piazza schreibt, repräsentiert Gamelan einen Zustand (110) – jedoch macht gerade diese Zustandshaftigkeit kleine Abweichungen umso bedeutsamer. In der wiederholenden Abfolge treten subtile Veränderungen hervor: Allie betritt und verlässt den Bildausschnitt in verschiedenen Richtungen; manchmal folgt ihm die Kamera für ein paar Schritte, unterschiedliche Begegnungen und Gespräche sorgen für Zäsuren. Auch die Gamelan-Musik variiert in Nuancen: Nachdem Allie seine Sachen packt und den Brief an Leila schreibt, ist die Gamelan-Musik mit zwischen 100 und 110 Schlägen pro Minute schneller als im ganzen restlichen Film (01:03:10). Eine deutliche Abhebung von den anderen Tempi – zuvor hatte sich die Gamelan-Musik stets um die 65-70 Schläge pro Minute bewegt (vgl. etwa 00:35:45, 00:40:20 und
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01:01:30). Die Beschleunigung betont Allies Drang und lässt die Szene als vergleichsweise dramatischen Moment hervortreten. Wie später der äthiopische Jazz in Broken Flowers verbindet sich Musik aus einem konventionell als fremd empfundenen Kulturraum mit einem amerikanischen Protagonisten, begleitet seine Raumdurchquerungen mit ihren sich wiederholenden und nuanciert ändernden Mustern und wird ihm zu eigen. So entspricht sie auch mit ihrem javanesischen, weit distanzierten Ursprung der Befindlichkeit Allies, der von einer ständigen Sehnsucht nach der Ferne getrieben ist. Begegnungen Allies Begegnungen mit anderen Menschen sind Variationen über Kommunikation, Außenseiterdasein und geteilte Wahrnehmung. Während der Beginn des Films Allies Dialog mit Leila verhältnismäßig lang schildert, entwickelt sich anschließend ein recht regelmäßiger Rhythmus kurzer Begegnungen Allies mit anderen Menschen (vgl. Abbildung 13). Sprachliche Hindernisse, nationale und kulturelle Unterschiede erweisen sich dabei als weitaus schwächer als die Gemeinsamkeiten, die Allie und viele seiner Bekanntschaften als Fremde, sozial Marginale und rastlose Herumstreuner teilen. Zunächst trifft Allie in der Ruine seines Geburtshauses, das, so behauptet er, in einem nicht näher erklärten amerikanischchinesischen Krieg zerstört wurde, auf einen in Cargo-Hose, T-Shirt und Stiefeln bekleideten Mann. Er robbt durch die Ruinen des schon von Pflanzen bewachsenen, verfallenen Hauses (00:20:38). Der Mann hat Angst vor den Vietkong, gegen die er sich verteidigen will. Obwohl keinerlei Soldaten oder militärische Flugzeuge zu sehen sind, werden zunächst entfernt erklingende Kriegsgeräusche lauter, als Allie durch das Gestrüpp streift. Explosionen donnern, Fluglärm erklingt und auch Hubschrauber sind zu hören – der Mann wirft Allie bei lautem Beschuss zu Boden. Doch Permanent Vacation behandelt die Geräusche nicht wie eine Einbildung des fremden Mannes oder Allies. In ihrer gemeinsamen Subjektivität können beide den Lärm hören. Das wird spätestens klar, als Allie den Fremden damit beruhigen kann, dass Helikopter zu hören seien und der Vietkong nicht über Hubschrauber verfüge. Als Allie im Anschluss seine Mutter im Sanatorium besucht (00:31:04), fragt sie: »I can hear the planes sometimes. Is there another war?« Zwar ist der Krieg akustisch präsent und die drei Figuren vom Rande der Gesellschaft empfinden ihn als real – doch der Film löst nicht auf, ob die Geräusche Einbildung einer kollektiven Paranoia sind oder ob sie eine Quelle in der filmischen Realität haben (vgl. Piazza 300). Auch die Spanierin, der Allie begegnet, als er ihrem Gesang in einen Hinterhof folgt, hat Angst vor einer unsichtbaren Bedrohung (00:35:00). Er fragt sie, ob mit
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ihr alles in Ordnung sei und was sie singe, aber die Frau schreit ihm entgegen, er solle verschwinden. Die Szene schildert die erste transkulturelle Begegnung in einem Film von Jarmusch, und schon hier zeigt sich das Interesse des Filmemachers an Identifikationsprozessen, die sich über sprachliche Verständigungsprobleme hinwegsetzen. Jarmusch selbst betont in einem Interview die Verbindung, die Allie mit der spanischen Frau durch die geteilte soziale Außenseiterposition empfindet. Allie hofft, durch sie eventuell etwas über sich selbst erfahren zu können (Jarmusch, »Conversations«, Hertzberg, 8-9). Die Verbindung Allies und der spanischen Frau vollzieht sich über ihren ähnlichen Bezug zu Raum. Beide gehören nicht an diesen Ort und sind Fremde. Der Impuls für die transkulturelle Begegnung stammt aus der Musik. Es ist der Gesang der Frau, der Allie neugierig macht, ihn nähertreten und sie fragen lässt, was sie singe. Die nächsten beiden Begegnungen werden wegen ihrer großen Bedeutung für die räumlichen Gefüge des Films im späteren Abschnitt zu John Luries Saxophonmusik ausführlicher behandelt. Dabei handelt es sich um die Szene, in der ein Mann Allie einen Witz über den Doppler-Effekt erzählt, und die anschließende direkte Begegnung Allies mit John Lurie als Straßensaxophonist. Die letzten Interaktionen von Allie im Film manifestieren noch einmal seine Außenseiterposition. Das geschieht erst durch Gegensatz: Eine Frau fährt mit einem Ford Mustang am Straßenrand vor und bittet Allie, einen Brief einzuwerfen. Nach seiner Weigerung stakst sie auf Stöckelschuhen um das Fahrzeug herum, und Allie stiehlt den Wagen. Die Szene ist darauf ausgerichtet, Allies Ablehnung der Mainstream-Gesellschaft humoristisch zu inszenieren. Die modische Kleidung der jungen Frau steht im Gegensatz zu Allies Jeans und T-Shirt. Rock-’n’Roll-Musik von der Girlgroup The Jaynetts, »Sally, Go Round the Roses« (1963), dringt aus dem Cabrio und konterkariert als einzige andere Source-Musik die Bebop-Schallplatte, zu der Allie in einer vorherigen Szene in seinem Apartment getanzt hat. Unterstützt wird Allies marginale Position nach dem Diebstahl zusätzlich von der afroamerikanischen Frau, die ihm Beifall spendet, ihn als »badass« bezeichnet und der Frau in Slang rät: »You better get your ass out of here, before he snatches that up, too.« Was für ein vereinzeltes Dasein Allies Position wirklich darstellt, zeigt die letzte Szene des Films mit seiner überhöhten Spiegelung Allies in einem jungen Franzosen, der gerade in New York angekommen ist (00:59:40). Im Gespräch der beiden wird klar, dass die Figur des Drifters transnational gedacht ist: Während Paris das Babylon von Allie werden soll, gilt das Gleiche für den jungen Franzosen in New York. Allie will Amerika verlassen, der Franzose musste aus Paris weg. »[H]ere we are projected forward or, rather, in a circle«, schreibt Piazza (72):
80 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION »It is the same story, about to start again, only somewhere else. Jarmusch’s subjective shot, together with the layer of sounds and the length of the real-time sequence, all contribute to creating a hypnotic atmosphere, which is circular rather than linear, open rather than conclusive.« (Piazza 72)
Der Zustand des Vorbeigleitens ist nicht auf eine Überwindungshoffnung und Einbettung gerichtet, sondern wird als Lebenseinstellung geschildert. Allies Identität als Amerikaner, durch die lange Sichtbarkeit seines Passes eingefangen, als er seinen Koffer packt (00:58:00), ist gegenüber dieser von Sehnsucht und Unrast geprägten Identität unwichtig. »Because I know, things change, I have to go somewhere«, sagt der junge Franzose und lässt darin eine Aussage Allies von Beginn des Films widerhallen: »After a while you hear that voice telling you: time to split.« Das einzige Gefühl der Zugehörigkeit – und sei es das der Zusammengehörigkeit als Fremde und Streuner – entwickelt sich in der transkulturellen Begegnung. Mit seinem französischen Pendant deutet sich für Allie eine zwischenmenschliche Verständnisbasis an, die tiefer geht als die geteilten Wahrnehmungsund Marginalitätsperspektiven der früheren Begegnungen – nicht durch gegenseitiges Impulsgeben, sondern durch die geteilte Perspektive des rastlosen Daseins, für die nationale Identitäten und Ortsidentitäten gleichsam unbedeutend bleiben. Nicht nur ist dieses Verständnis ein Vorgriff auf die tiefe Verständigung Ghost Dogs mit Raymond, es schließt auch einen Kreis in Permanent Vacation. Obwohl der Film durch den einführenden und abschließenden Monolog Allies eine Klammer erhält, weisen beide Teile der Klammer auf den ewigen rhythmischen Fluss des Driftens hin, dem die Filmhandlung nur einen Abschnitt weit folgt und der durch die vielen sich wiederholenden und variierenden Motive des Films vorangetrieben wird. Laura Frahm schreibt zur Raumkonstruktion in Permanent Vacation: »Die Stadt wird hier selbst zu einer Station, zu einem Übergangsraum für die Figuren, der allein für eine bestimmte Phase ihres Lebens seine Gültigkeit besitzt. Damit, und auch dies wird in Permanent Vacation vorgezeichnet, wird das Leben in der Stadt, so kurz es auch sein mag, für die Figuren zu einem Moment der inneren Verwandlung, der Transition von einem Zustand in einen nächsten. Denn wenn sie diese Stadt wieder verlassen haben, werden sie bereits jemand anderes sein, werden sie eine innere Wandlung vollzogen haben, die auch ihre zukünftigen Handlungen bestimmt.« (Frahm 338)
Dabei weisen die statischen Elemente der Wiederholung gerade darauf hin, dass eine solche Transformation gar nicht stattfindet. Nichts lässt vermuten, dass Allie, jetzt in Paris, einen anderen Zustand erreicht hat. Seine zukünftigen Handlungen
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sind wie seine vorherigen Handlungen von Fernweh, Unrast und räumlicher Durchquerung gekennzeichnet. Sie werden zwar Variationen erfahren, aber wohl kaum die von Frahm antizipierte Wandlung. Dieses Verfahren von Wiederholung und Variation wird im Film auf vielen Ebenen verfolgt, und auch die wiederkehrenden Begegnungen Allies mit anderen Menschen beleuchten sein Außenseiterdasein in Varianten. Sie sind Zwischenhalte in seiner rastlosen Bewegung und bringen seine ansonsten insulare Position mit anderen Menschen in Verbindung, die so wie er gesellschaftlich außerhalb stehen. Die verschiedenen Begegnungen mit dem Veteranen, der Mutter, der Spanierin, dem Mann im Kino, dem Saxophonisten, der Autofahrerin und dem Franzosen spielen verschiedene Variationen von Allies Außenseiterposition durch: diffuse Angst, Wurzellosigkeit, Außenseiterdasein. Einzig im Dialog mit dem Franzosen zeigt sich, dass es für Allie eine übergreifende Identität, eine Ähnlichkeit gibt, durch die er doch mit anderen Menschen in Verbindung steht. Saxophonmusik und Räumlichkeit Während die Gamelan-Musik mit Allies Fortbewegung und mit seiner subjektiven Perspektive verschränkt ist, formuliert die Saxophonmusik räumliche Verortungen. Als Allie eine Schallplatte mit dem Stück »Up there in Orbit« von Earl Bostic4 (vgl. Suárez 26) auflegt und zu der flirrenden Bebop-Musik tanzt, zeigt sich die Bewegung generierende Eigenschaft der Musik vielleicht am stärksten. Am Anfang lauscht Allie passiv der Musik; dann ergreifen die Klänge ihn mehr und mehr, erst durch ein leichtes Zucken, dann folgen erste Schritte, zuletzt Schnipsen und Pirouetten (vgl. Suárez 26). Dass Leila währenddessen abwesend den Blick aus dem Fenster richtet, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Musik nur Antreiber von Allies räumlicher Bewegung ist, die immer in einem Verhältnis zu einem unbewegten Fixpunkt steht, den hier Leila verkörpert. Eine Einstellung zeigt Allies ausgreifende Bewegungen im Vordergrund; die Schärfe ist jedoch auf Leila eingestellt, die im Hintergrund in gelangweilter Pose zu sehen ist (00:09:23). Die räumliche Distanz bezeichnet emotionale Distanz und wirft einen Ausblick auf die spätere noch größere räumliche Trennung, als Allie Amerika in Richtung Europa verlässt. Zentral für das Verständnis der Saxophonmusik in Permanent Vacation ist ein Witz, den ein Mann im Foyer des Kinos Allie erzählt (00:40:00) und dessen Pointe
4
Dies ist ein ironischer Kommentar: Earl Bostic ist der Widersacher des einflussreichen Tenorsaxophonisten Charlie Parker, mit dem Allie (Charles Aloysius Parker) seinen Namen teilt und den er selbst auch in einer Imagination erwähnt.
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auf dem Doppler-Effekt beruht. Der Doppler-Effekt beschreibt eine Frequenzveränderung der Wellen von Schall oder Licht, die mit der Bewegung ihrer Quelle und/oder ihres Beobachters/Zuhörers einhergeht. Auch dieses Gespräch beginnt damit, dass Allie einem Höreindruck folgt – hier dem Gesang des Mannes, der »Over the Rainbow« singt. Zentrale Figur der Anekdote, die der Mann erzählt, ist ein Saxophonspieler, dessen Stil seiner Zeit so weit voraus ist, dass das Publikum ihm nicht folgen kann. Er findet keine Arbeit, weil er sich dem traditionellen Spielstil nicht anpassen will. Seine Freunde schicken ihn nach Paris, wo er Publikum für seine Musik finden soll. Dort ist es jedoch das Gleiche: Sein Stil sei zu anspruchsvoll, so der Erzähler des Witzes. Schließlich hält der Protagonist des Witzes seine verzweifelte Lage nicht mehr aus. Er steigt auf das Dach eines Gebäudes und spielt im Sonnenschein »Over the Rainbow«, doch als ihm der Zwischenteil des Songs nicht einfallen will, stürzt er sich verzweifelt hinab. Die Pointe des Witzes besteht darin, dass er in seinen letzten Atemzügen die Sirene des Krankenwagens hört, deren Ton sich im Vorbeifahren wegen des Doppler-Effekts subjektiv verschiebt. Das so entstehende Motiv, in dem ein Ton erst zwei Mal eine kleine Terz nach unten fällt und anschließend zwei Mal eine große Sekunde, klingt ironischerweise genau wie der Zwischenteil von »Over the Rainbow«, der dem Musiker nicht einfallen wollte.5 In der Anekdote treffen spezifische narrative und musikalische Ausdrucksmittel des Films aufeinander. Zunächst einmal ist die Wortwahl des Erzählers auffällig. Dass er den Sound als »advanced« bezeichnet, zielt auf die Fortschrittlichkeit der Musik ab, ist aber gleichzeitig eine Metapher für räumliche Distanz. Ein weiterer Doppelsinn findet sich in der Schilderung des Unverständnisses der Zuhörer: »Nobody knows where he’s coming from«. Die Formulierung meint die musikalische Perspektive des Saxophonspielers, die dem Publikum unverständlich bleibt. Andererseits beschreibt sie auch das Verlorensein im Raum, keinen Ursprungsbezug zu haben, letztendlich ein ortloser Künstler zu sein, was sich auch darin spiegelt, dass sich seine Trennung von der Zuhörerschaft weder in Amerika noch Europa überwinden lässt. Auch Allie ist in seinen Kommunikationsversuchen durch seine eigene Ortlosigkeit und sein ständiges Fortschreiten eingeschränkt: Er erreicht bis auf die Begegnung mit seinem französischen Pendant im ganzen Film keine wirklich erfolgreiche Verständigung. Gleichzeitig wird in dem Witz durch die Schilderung des Doppler-Effekts das Verhältnis von Raum zur Musik in Permanent Vacation präzisiert, denn an vielen Stellen des Films kommentiert John
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Das klingt zumindest in der Logik des Witzes so. In der Realität würde die Tonhöhe durch den Doppler-Effekt tiefer werden und sich nicht erhöhen (vgl. Piazza 109, Fußnote 6).
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Luries Saxophon Allies Distanzierung von einem der oben beschriebenen Fixpunkte durch Verschiebungen der Melodie von »Over the Rainbow«, die auf den Doppler-Effekt anspielen und Allies Entfernung von konkreten räumlichen Punkten ausdrücken. Wie Abbildung 13 zeigt, bildet John Luries Saxophonspiel mit der GamelanMusik und den Begegnungen einen stetigen Fluss. Dabei ist die Musik nicht fest an den von Lurie gespielten Straßenmusiker gebunden. In der Anfangsszene ist ein anderer Saxophonist als Lurie zu sehen und als Allie ihn das erste Mal aus dem Fenster beobachtet, wie er sein Instrument in den Koffer legt, war zuvor nur indirekt und entfernt Musik zu hören. Als sich Saxophonmotive mit Gamelan während der Parallelfahrt mischen, sind sie dann wiederum außerhalb des Bildes angesiedelt (00:33:55). Nachdem der Witz des Mannes über den Doppler-Effekt die Bedeutung des Saxophons für räumliche Distanzierung und Bewegung eingeführt hat, kommt es schließlich zur Begegnung Allies mit dem von Lurie verkörperten Saxophonisten (00:46:15). Allie löst sich aus der Dunkelheit, und der Saxophonist fragt ihn, was er hören will. Allie antwortet: »I don’t care, as long it’s bugged in, vibrating sound.« Der Saxophonist setzt an und leitet mit einem Oktavsprung die ersten vier Töne des Themas von »Over the Rainbow« ein, um dann in chromatische Verschiebungen zu kippen. Teilweise beziehen sich seine pentatonischen Skalen auf die Gamelan-Musik, dann wiederholt und variiert er flirrende Cluster, ohne Entwicklung im Sinne einer Auflösung, um sich dann noch einmal auf »Over the Rainbow« rückzubeziehen (00:48:08). Allie verweilt nicht, um zuzuhören, sondern verschwindet in der Dunkelheit, während das Saxophonspiel sein Entfernen in Anspielung auf den Doppler-Effekt durch chromatische Verschiebungen begleitet und so schon wieder Allies Distanzierung von der Klangquelle ausdrückt. Das bestätigt sich auch dadurch, dass das Saxophon noch in der nächsten Szene zu hören ist, als Allie auf einem Hausdach aufwacht. John Luries flirrende Saxophon-Improvisationen verwenden regelmäßig den Tritonus. Schon zu Beginn des Films öffnen sie mehrfach das Intervall zwischen G und Cis/Des (00:03:00). Später erklingt ein prägnanter Aufwärtslauf, der von D aus auf dem oktavierten Tritonus Gis/As landet, als Allie auf einem Hausdach sitzt (00:48:30). Der Tritonus, die übermäßige Quarte oder verminderte Quinte, liegt genau in der Mitte der zwölf Halbtöne, die eine Oktave umfassen. Er hat in der westlichen Musik die traditionelle Bedeutung der größten Entfernung vom oder Gegensatz zum Grundton (vgl. Neumeyer, »Pedagogy«, 23). Gleichzeitig ist er ein mehrdeutiges Intervall: Je nachdem, ob er als übermäßige Quarte oder verminderte Quinte funktioniert, impliziert er unterschiedliche Tonräume (vgl. Rahn 36), was Jay Rahn als Ambiguität (36) bezeichnet. In Bezug auf diesen Gedanken
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Rahns schreibt Anthony Bushard: »It is this sort of tonal and intervallic ambiguity that makes the tritone so effective in commenting upon dramatic uncertainty.« (Bushard 316) In der Szene, in der Allie aufwacht, hält der Tritonus die Phrase als besonders instabiles und mehrdeutiges Intervall absichtlich spannungsvoll in der Schwebe. Er formuliert das Unsichere, Vage, das Allie kennzeichnet – von den unklaren Familienhintergründen über die kaum benennbaren psychologischen Motivationen bis hin zur Flüchtigkeit seiner Kontakte mit anderen Menschen. Gleichzeitig ist der Tritonus Teil der musikalischen Struktur, die der rhythmischen Struktur zugrunde liegt, mit der der Film dieser Unsicherheit ein Gegengewicht gibt. Somit trifft genau im Tritonus der Widerspruch von struktureller Form und Mehrdeutigkeit aufeinander. John Luries Saxophonspiel tritt also sowohl als Initiator als auch als Spiegel von Allies Bewegung hervor. Im nicht klar abtrennbaren Wechsel zwischen intraund extradiegetischer Motivation gibt es in seiner Melodie zwar wiederholende Motive; eine Konklusion im Sinne eines Zieles, eines Ruhepunktes bietet die Musik jedoch nicht. Am Ende des Films zitiert John Lurie das Stück »Over the Rainbow« noch einmal, als sich Allie auf das Schiff begibt und sich von New York entfernt. Zunächst erklingt nach seinem Abschlussmonolog abermals GamelanMusik, in die sich das Saxophon sukzessive einschleicht und lauter wird (01:10:00). Als Allie die höchste Stelle des Schiffes erreicht, mischt sich das Saxophon wieder in die javanesischen Klangschleifen. Zu dieser Verbindung schreibt Geoff Andrew: »[…] the final shot of Manhattan Island, seen from the departing boat, features Lurie’s haunting sax spiralling through different keys as its tentative, oblique allusions to ›Somewhere Over the Rainbow‹ [sic!]6 recall the Doppler effect gag.« (Andrew 137)
Lurie spielt sogar einleitend die erste Phrase mit den sieben Anfangstönen, die den sieben Silben der Worte »somewhere over the rainbow« entsprechen. Dann wiederholt er sie einen Halbton höher, um anschließend zur Ausgangstonalität zurückzukehren. Später erhöht er die Phrase nacheinander in fünf Schritten jeweils um einen Halbton. Gegen Ende beschleunigt die Tonfolge noch einmal, vor dem finalen Fade-out verlangsamt sie sich. Die sukzessive Erhöhung und Beschleunigung widerspricht dem wahren Verhalten des Dopplereffekts: denn bei einer sich entfernenden Schallquelle sinkt die Frequenz und verlängert sich die Tondauer, was die Töne tiefer werden lässt. Das Verhalten lässt die Deutung zu, dass Allie
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Der tatsächliche Titel des Songs lautet »Over the Rainbow«.
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sich einer anderen Saxophon-Schallquelle auf der anderen Seite des Ozeans nähert, die das Gleiche spielt – in dieser Lesart würde sein Abschied abermals zu einem Aufbruch. All dies geschieht vor der anhaltenden Gamelan-Musik und den Schreien der Möwen, die hinter dem Schiff kreisen. Piazza sieht die Anspielung auf »Over the Rainbow« als Übersetzung des alten Musical-Songs in zeitgenössische Musik: »The tradition of the American musical, on one side, and the dream of a better, unreachable somewhere, on the other, are both celebrated. Thinking about it, they might be one and the same thing, filtered and brought up to date by the free jazz experimentation.« (Piazza 110)
Doch Luries Variationen mit ihren harmonischen Reibungen zerstören die glatte, sanfte Melodie des Originals, ganz so, als wollten sie der heilen Welt, die im Text beschworen wird, eine zynische Absage erteilen. Die Zitate von »Over the Rainbow« rufen zwar den Witz mit dem Doppler-Effekt in Erinnerung, seine Pointe der subjektiven Veränderung von Klang durch räumliche Bewegung ruft aber die Motivverschiebung auf, die das Thema abändert, während sich Allie kontinuierlich von Manhattan entfernt. Sara Piazza schreibt: »The saxophone chases the chorus with an irregular rhythm, jumping from one octave to another, becoming increasingly higher in pitch, and giving the impression of a goal that remains unattainable in spite of the incessant movement.« (Piazza 71-72) Die einzige Kamerabewegung, die sich im Film über eine längere Zeitspanne hinweg auf einen einzelnen Punkt bezieht, ist diese abschließende Distanzierung. So steht Luries Interpretation von »Over the Rainbow« für New York als Allies Bezugspunkt und Heimat, symbolisiert aber durch die Verschiebungen gleichzeitig die Wandelbarkeit von Wahrnehmungen durch Bewegung und die subjektive Instabilität eines konstanten Bezugsortes. Von New Yorks Symbolkraft erreicht Allie nichts, Manhattan ist ebenso wenig identitätsprägend für ihn wie der amerikanische Pass. Die Stadt ist nur einer von vielen Orten, die erst durch die Distanz sehnsüchtig beladen werden. Nicht zufällig zitiert Jarmusch in Permanent Vacation mehrfach explizit News from Home (1977) der Avantgarde-Filmemacherin Chantal Akerman (vgl. Abbildungen 15 und 17), die in New York und Frankreich arbeitete und deren Poetologie eine große Nähe zu jener Jarmuschs aufweist.
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Abbildung 14
Abbildung 15
Permanent Vacation 00:01:25
Akerman News 00:30:52
Abbildung 16
Abbildung 17
Permanent Vacation 01:11:10
Akerman News 01:28:19
Im Vergleich der Abschlussszenen zeigt sich, dass Akerman in ihrer letzten Einstellung ein diffuses, verschwommenes und düsteres Bild von New York zeigt, während Jarmusch Manhattan als »leuchtenden Sehnsuchtsort« inszeniert (Worthmann 176) und eine Seite von New York offenbart, die sich für Allie erst zeigen kann, als er sich von der Stadt entfernt. Marion Schmids Zusammenfassung der konventionskritischen Mittel Akermans in News from Home (1977) macht deutlich, dass sich der Einfluss von Akermans Film auf Permanent Vacation noch weiter erstreckt als die ähnlichen unbewegten Kameraeinstellungen auf verlassene Straßen und die zitierte Abschlussszene: »Interior shots in the underground alternate with exterior views of urban scenery, crowd scenes with images devoid of human presence and fixed-angle camerawork with tracking shots. The sound which accompanies the images is frequently desynchronised, adding further to the disjunction between sound and image created by the voice-over. Akerman offers
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neither a guiding narrative, nor dramatic structure or plot. Her filmed subjects move in and out of frame, trains and cars pass by and disappear, time and space interlock in a pure process of vision and continuous movement.« (Schmid 51)
Dies alles sind Stilmittel, die in Permanent Vacation durchgehend eingesetzt werden. Jarmusch überträgt Akermans dokumentarischen und avantgardistischen Ansatz auf den Erzählfilm. Schon in seinem ersten Werk zeigt sich hier ein Prozedere, das sich in späteren Filmen wiederholt: das transnationale Zitat von Künstlern und die Übernahme ihrer selbstreflexiven Strategien. Nicht nur beschreibt und ergreift die Musik Räume, sondern ihre Wahrnehmung verändert sich auch bei der Bewegung durch diese Räume. In der subjektiven Verschiebung beschreibt sie dann nicht eine eingebettete Erfahrung, sondern die Distanz des Treibenden. In Permanent Vacation bewirkt der zunehmende Einsatz von Gamelan- und Saxophonmusik gegen Ende des Films eine subtile Steigerung der Intensität. Beide sind von Wiederholungen und Variationen geprägt: Die Gamelan-Musik mit ihren subtilen Veränderungen, die sich immer wieder auf das gleiche Grundmaterial bezieht, entspricht den räumlichen Bewegungen Allies, die in ihren Richtungen und Begegnungen auch variieren anstatt aufeinander aufzubauen. Währenddessen verhandelt die Saxophonmusik Distanzverhältnisse zu festen Punkten. Schon in der ersten Szene ist sie Teil eines widersprüchlichen Verhältnisses zum Bild, als sie räumlich den Kameraeinstellungen entspricht, aber zeitlich von der Bildspur entkoppelt ist. Später ist sie vor allem an Szenen gebunden, in denen sich Allie von etwas entfernt – vom Saxophonisten oder, ganz am Schluss, von Manhattan. So entspricht schon der erste Film von Jarmusch der Beschreibung Isensees des transnationalen Raumes: »[space] is no longer used as a trope to evoke myths of fixed identity, neither is it envisioned as a locale in which differences fuse into a melting pot, nor is it perceived as a new frontier of exceptional cultural status and development« (Isensee 4). Denn gerade die Abschlussszene zeigt, dass Allies Treiben nicht vollkommen widerstandslos geschieht, sondern zu den Räumen, die es passiert, brüchige Bezüge aufbaut, die nie stabilisiert werden, sondern durch Distanzierung stets dynamisch, wechselhaft und letztendlich schwindend bleiben. Die rastlose Bewegung Allies und sein Fernweh als Zustand finden ihre Entsprechung in den hypnotischen Schleifen der Gamelan-Musik, ein Verfahren, das dem exotisierenden Einsatz von Musiken aus anderen Kulturkreisen entgegengesetzt ist. Die Gamelan-Musik bildet gleichzeitig die zirkuläre Grundstruktur des Films mit seinem nimmermüden Rückgriff auf ähnliches Grundmaterial in verschiedenen Variationen: Das Ende ist hier zugleich Anfang. John Luries Saxophon-Improvisationen rufen räumliche Distanz auf und setzen Allies Dasein unter
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die Spannung einer permanenten unstillbaren Sehnsucht nach der Ferne. Psychologische Motivationen Allies und Konflikte deutet Permanent Vacation nur an. Dieser Unsicherheit und Offenheit entgegenstehend, bauen die Wiederholungsstrukturen eine extreme ästhetische Dichte auf. Durch sie drückt der Film eine ambivalente Fantasie der Einheit, Versöhnung und Zugehörigkeit aus – eine Fantasie, die Allie selbst unzugänglich bleibt.
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UND SEINE
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Wo Permanent Vacation der räumlichen Bewegung auf abstrakter Ebene nachspürt, dreht sich Stranger than Paradise um die konkrete Grenzüberschreitung von Ungarn nach Amerika. Im Zentrum der Handlung steht der in New York lebende ungarische Immigrant Willie, der sich mit Amerika identifiziert und die Verbindung zu seinem Herkunftsland kappen möchte. Der Film ist in drei Episoden unterteilt, deren Titel auf schwarzen Tafeln eingeblendet werden. In der ersten Episode, »The New World«, besucht ihn seine Cousine Eva, die er nur widerwillig empfängt. Nach ein paar gemeinsamen Tagen zieht Eva zu einer Tante nach Cleveland weiter. In der zweiten Episode, »One Year Later«, macht sich Willie mit seinem Freund Eddie auf den Weg zu Eva nach Cleveland, wo sie mittlerweile in einem Burger-Restaurant arbeitet. Die abschließende Episode, »Florida«, schildert eine spontane Reise der drei nach Florida. Dort verwetten Willie und Eddie ihre Ersparnisse beim Hunderennen, während Eva durch eine abstruse Verwechslung eine große Geldsumme in die Hände fällt. Als Willie Eva im Flugzeug nach Budapest vermutet, will er sie holen und fliegt unfreiwillig selbst in die alte Heimat zurück, die er doch mit aller Konsequenz hinter sich lassen wollte. Der ganze Film besteht aus Szenen, die jeweils in einer einzigen kontemplativen Einstellung mit wenig Bewegung gezeigt werden. Der Fokus wird so auf die Bildkomposition gelegt (vgl. Laderman 146). In Kontrast dazu stehen die Fahrten der Protagonisten mit dem Auto durch Amerika. Wie im vorhergehenden Film ist die Musik eng mit der räumlichen Darstellung zwischen Bewegung und Statik verbunden. Stranger than Paradise erzeugt den Gegensatz von wiederholt eingesetzter Source-Musik zu eigens komponierter Musik, der die meisten Filme von Jarmusch prägt: In den ruhigeren Momenten erklingen John Luries Kompositionen für das Paradise Quartet – eine motivisch strukturierte Musik, deren Einsatz abermals auf Wiederholung und Variation vertraut und in ihrer Ziellosigkeit und Stasis der Desorientierung und Antriebslosigkeit der Protagonisten entspricht. Gegengewicht ist Screamin’ Jay Hawkins’ Song »I Put a Spell on You«, den Eva auf
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ihrem Kassettenrekorder abspielt: das Thema ihrer forschen Erkundung des amerikanischen Raums. Der Film variiert das Roadmovie, allerdings in einer unterkühlten und ironischen Form. Allgemein ist das Genre oft Verhandlungsort nationaler Identitätskonstruktion – manchmal stützt es diese, manchmal destabilisiert es sie. Shari Roberts begreift das Roadmovie in Kontinuität mit dem Western als eng an eine männlich codierte und aggressive amerikanische nationale Identität gebunden: »As portrayed in the Western and alluded to in the road movie, frontier symbolism is propelled by masculinity and a particular conception of American national identity that revolves around individualism and aggression.« (S. Roberts 45) Sie schreibt dem Genre eine Linearität zu, die männliche und gleichzeitig amerikanisch besetzte Identitätsmerkmale wie Kontrolle, Freiheit, Aggression und Direktheit vereint (67). Laderman umschreibt das Roadmovie in Driving Visions jedoch entgegengesetzt: Er versteht es gerade als Genre, das sich von der klassischen Narration abzugrenzen vermag und alternative Erzählformen anbieten kann. »[T]he road movie may not possess a clear-cut beginning, middle, or end; likewise, the genre often shifts gears regarding mood and plot with a certain disorienting, open-air free will. Generally it distances itself from the Aristotelian dramatic unities, in favor of the episodic style of Cervantes or Brecht. By foregrounding the journey in a nomadic vein, the road movie evokes a countercinema in relation to classical narrative (just as its themes generally tend to be countercultural).« (Laderman 17)
In seiner Deutung des Roadmovies finden sich viele Merkmale der IndependentFilme von Jim Jarmusch wieder. Ihr episodischer Aufbau, die Abwesenheit von Anfangs- und Endpunkten und die nicht klar fassbaren Stimmungen und Handlungskausalitäten entsprechen dem Bild, das Laderman zeichnet. Bennet Schaber sieht eine derart kritische Haltung nicht als allgemein genretypisch, aber als bezeichnend für sein Subgenre der »Minor Road Movies«, für das er Jim Jarmusch und Aki Kaurismäki als stilführend heranzieht: »[Jarmusch’s and Kaurismäki’s] roads always fork, and the question is no longer to where the road leads but how various singular and fluctuating conduits can communicate across their differences.« (Schaber 36) Er kommt zu dem Fazit: »The minor road links more than it leads, connects, assembles, and exposes more than it issues, unifies, and reveals.« (38) Weiterhin stellt er klar, dass es hier eben nicht um die Bestätigung (oder Überwindung) einer männlichen amerikanischen Identität geht, wenn er schreibt: »The figures of these films travel not between a lost unit and its future reparation, not within the fragmented wasteland of a broken fullness, but within a kind of general agnostics.« (ebd.) In Stranger than Paradise ist dieser zweifelnde
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Schwebezustand permanent spürbar. Die amerikanische Identität, nach der Willie sich sehnt, wird im Verlauf des Films nicht auf eine benennbare Art formuliert und die amerikanischen Orte, denen Willie, Eddie und Eva entgegenfiebern, entpuppen sich als trostlos und karg. Die Geräusch- und Musikkulisse greift tief mit der Räumlichkeit ineinander. Smith merkt an, dass die diegetischen Geräusche in Stranger than Paradise der distanzierten Kameraperspektive nicht entsprechen, sondern im Gegenteil eine Nähe herstellen, die die Visualität nicht gewährt. »We hear the crisp sounds of cigarette packs being unwrapped, the sounds of chairs scraping the floor, and so on. Because the scenes frequently feature long pauses in the dialogue, such proximate sound effects become more pronounced, more important.« (Smith 62) Smith sieht darin eine Strategie, mittels derer Jarmusch auf der vom Zuschauer durch Seherfahrung weniger beachteten Tonspur eine Verdichtung kreiert, die auf der visuellen Ebene die minimalistische Ästhetik des Films zerstören könnte (63). Viel mehr noch bricht diese Diskrepanz zwischen Tonperspektive und Kameraperspektive die Subjektivität des Kamerastandpunktes. Wie Williams bemerkt, baut auch die Tonebene eine räumlich-psychologische Subjektivität auf (»latent spatio-psychological subjectivity«, Williams 64). So wie es den Figuren nicht gelingt, an einem Ort wirklich anzukommen, so wie die Musik keinen Zielpunkt erreicht, so bricht die Distanz zwischen Ton und Bild schon in den einzelnen Szenen die räumliche Immersion. Noch bevor das Bild erscheint, nimmt der Ton den Raum vorweg, durch den sich die Charaktere bewegen. Während der Schwarzblende zu Beginn des Films erklingt Flughafenlärm, schon bevor Evas Ankunft auf dem New Yorker Flughafen gezeigt wird. Ein Telefon klingelt, bevor Willie zu sehen ist, der den Hörer abnimmt und mit seiner Tante spricht. Widerhallende Schritte erklingen, bevor das Bild offenbart, dass es Evas Schritte sind. Der Ton des Fernsehers führt in eine Szene, in der Eva und Willie vor dem Apparat sitzen. Bevor also das Bild die Situationen konkretisiert, schafft die Tonspur bereits ein akustisch geprägtes Vorwissen. Sie kann Schauplätze (Flughafen) oder Bewegungen (Schritte) vorwegnehmen oder andere grundsätzliche Informationen zum Ausgangspunkt einer Szene geben (klingelndes Telefon, laufender Fernsehapparat). So sind die hauptsächlichen Themen der Räumlichkeit und Bewegung schon in der Tonspur angelegt, die damit auch die Art und Weise spiegelt, wie die Zwischentitel die einzelnen Episoden einführen. Während die Geräusche aber als Einführung und Vorankündigung wirken, schaffen die Titel Erwartungshaltungen, die enttäuscht werden.
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Augé versteht die Konnotationen von Orten als wichtigen Teil ihrer Funktion: »Wir wissen zunächst einmal, dass es Worte gibt, die ein Bild oder vielmehr Bilder hervorrufen: Die Vorstellungskraft jener, die noch niemals in Tahiti oder Marakesch [sic!] gewesen sind, kann freien Lauf nehmen, sobald sie diese Namen lesen oder hören.« (Augé 111) Genau mit solchen assoziativen Bildern arbeitet Stranger than Paradise und kommentiert sie ironisch. Für einige Sekunden vor schwarzem Hintergrund stehen gelassen, lassen die Episodentitel dem Zuschauer Raum, die Worte und die mit ihnen verbundenen Bedeutungen zu reflektieren. Zum Beispiel erweckt »The New World« die Assoziation der Entdeckungsreisen früherer Kolonial- und Einwanderungsepochen von Europa nach Amerika (vgl. Laderman 146). Doch die neue Welt hält für Eva keine überwältigenden Entdeckungen bereit. In Amerika erwartet sie nur der Eindruck einer industriell überformten kulturellen Einheitlichkeit, der sie sich schließlich auch beugen muss, indem sie in einem Fast-Food-Restaurant arbeitet (148). »The New World« entpuppt sich als »trister, abweisender Ort, ein Stück Wasteland« (Eue 63), das sich nicht auf die Ortsidentität New Yorks oder Amerikas bezieht, sondern ganz grundsätzliche Erfahrungen thematisiert: »Ankunft in der Fremde. Eine durch nichts gelinderte oder erläuterte Deterritorialisierung« (ebd. 63). So produziert schon die erste Einblendung des Films eine Erwartungshaltung, die uneingelöst bleibt. In der Handlung wird diese Erwartungshaltung von Eddie formuliert, der über Cleveland wie später über Florida sagt, dort wäre es schön, obwohl er in beiden Fällen zugeben muss, nie dort gewesen zu sein. Wo es noch ironisch wirkt, dass Eddie die Industriestadt Cleveland als schön bezeichnet, ist Florida mit Vorerwartungen der Urlaubsstimmung und des (sub)tropischen Klimas beladen – dementsprechend setzen die drei trotz des wolkenbehangenen Himmels Sonnenbrillen auf, sobald sie in Florida ankommen. Sowohl Cleveland als auch Florida stellen sich als ebenso trostlos und nichtssagend heraus wie die transitorischen Stationen der Reise. Das treffendste Bild für die Ortlosigkeit bietet der Film, als seine drei Protagonisten vor dem Lake Erie stehen, der nichts als eine große weiße Fläche zu erkennen gibt. Als sie in Cleveland auf Gleisen umherschlendern, einem weiteren Ort der Rastlosigkeit und Bewegung, sagt Eddie zu Willie: »You know it’s funny. You come to some place new, and everything looks the same.« Dabei hatte Willie die Reise doch explizit vorgeschlagen, um einmal »etwas anderes« zu sehen (00:30:00). Später meint Eva zu Florida: »This is nowhere.« In Stranger than Paradise bleibt Jarmusch seiner Ästhetik von Wiederholung und Variation ohne klare Zielführung auf narrativer wie auch musikalischer Ebene treu. Abbildung 18 zeigt die Anordnung der wichtigsten Musikthemen über den Film hinweg innerhalb der Teilung des Films in seine drei Episoden. Der Beginn
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der einzelnen Episoden ist mit »section title« gekennzeichnet. Die verschiedenen Themen der von John Lurie komponierten Musik werden nach dem interpretierenden Ensemble, dem Paradise Quartet, mit PQ 1 bis PQ 4 benannt. Abbildung 18: Frequenzen musikalischer und narrativer Motive in Stranger Than Paradise
Das Paradise Quartet und Nicht-Orte Der Orientierungslosigkeit der Protagonisten entsprechen die extradiegetischen Klänge des Streichquartetts in klassischer Besetzung. Der Darstellung von Räumen gemäß, vertraut auch die Musik auf Ähnlichkeitsbeziehungen. Wie Abbildung 18 zeigt, wird die Musik spärlich eingesetzt. Die kurzen Stücke des Quartetts bilden zu Beginn des Films einen gleichmäßigen Rhythmus, wogegen die extradiegetische Musik Luries im letzten Viertel des Films in immer geringerer Frequenz auftritt. PQ 1, das Hauptthema des Paradise Quartets, ist jeweils an den Anfängen der Episoden zu hören. Andere Themen beziehen sich auf Räume und Durchfahrten. Bis auf das elegische PQ 3 sind alle Stücke Abwandlungen des Hauptmotivs, das in PQ 1 in der Basslinie erscheint. Die ersten drei Töne vollziehen eine Quint-Schichtung, dann mit dem vierten einen Halbtonschritt nach oben (der funktionsmäßig auf der Mollterz liegt). Beantwortet wird diese Passage von einer Variation, in der vom Grundton auf die Septime gewechselt wird, von wo aus es abfallend über die Quint auf die kleine Sekunde geht, die schon wieder
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stark in Richtung des Grundtones zieht. Die langen Töne der Violine darüber bleiben erst lange auf der Quint liegen und fallen dann über einen betonten Tritonus auf die Quart und dann ebenfalls auf die Mollterz. Während also die Mollterz die Zielharmonie kennzeichnet, ist in der Basslinie der Tonschleife von PQ 1 immer schon das fortschreitende Element angelegt. Die wiederholte Rückkehr zum Grundton formuliert dabei den Vorwärtsdrang der Protagonisten. Hingegen evozieren die symmetrische Quartschichtung und der prominente Tritonus einmal mehr Offenheit und Ambivalenz – sie entsprechen der Orientierungslosigkeit der Protagonisten. Zusätzlich nimmt die Quartett-Musik eine strukturierende Funktion ein. In deutlichster Form tritt dies durch das Thema PQ 1 zutage, das zu Beginn der beiden ersten Episoden erklingt und bei der dritten Episode zumindest angerissen wird. Die Musik vereint ungarische und amerikanische Elemente, führt sie aber keinen Auflösungen entgegen. So drückt sie Evas und Willies Identität aus, die nicht in Amerika verankert ist, aber auch nicht mehr in Ungarn. Die Reibungen der Musik sieht Piazza in Luries Bezugnahme auf Béla Bartók begründet: »In Stranger than Paradise, as in Permanent Vacation, principles linked to ethnic music and to forms of contemporary minimalism are interwoven. In some ways, thanks to his interest in ethnic music, John Lurie has moved closer to the Bartók sound in its repeated and cyclical reprises for strings, especially in relation to biting timbres, to percussive modulations and to an atmosphere that is partially folkloric, despite being taken from contemporary experience.« (Piazza 113)
Dass die Musik des Paradise Quartets jener des ungarischen Komponisten Béla Bartók nachempfunden ist (vgl. Piazza 113, Andrew 141 und Eue 64), macht sie zum Ausdruck von Willies verdrängter Heimat. Béla Bartók selbst ist zwar einer der bekanntesten ungarischen Komponisten, seine eigene Beziehung zum Nationalen war jedoch ähnlich kompliziert wie jene Willies. Seiner eigenen Ansicht nach war Bartók der erste Komponist ungarischer Nationalmusik, die auf authentischer ungarischer Volksmusik fuße (vgl. Schneider 1-2). Bartók wies Mitmenschen, auch seine Mutter, zurecht, wenn sie deutsch anstatt ungarisch mit ihm sprachen (vgl. Dreisziger 285). Damit bildet er einen Gegenpol zu Willies unermüdliche Aufforderung, nicht ungarisch mit ihm zu reden. Doch John Luries Interpretation von Bartóks Musik nimmt nicht nur auf die ungarische Nationalität des Komponisten und die ungarische Authentizität seines Werks Bezug. Die Musik thematisiert von Beginn an nicht nur die (von Willie verdrängte) europäische Ferne, Heimat und Sehnsucht, sondern die Vermengung kulturell unterschiedlicher Eigenheiten in einer neuen Identität. Diese neue Identität kann
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durch Durchbrechen der starken Ähnlichkeiten zwischen den Motiven Dynamik entwickeln, wie wenn die Variation PQ 4 die Ankunft in Florida mit dem schnelleren Tempo seines Stakkatos kommentiert (00:59:00 bis 01:01:45). Dass die Musik hier deutlich von den anderen Tempi abweicht, markiert die Szene als Höhepunkt (vgl. Piazza 114). Die Musik kreiert Bedeutungen außerdem über den in Abbildung 18 dargestellten Rhythmus, den sie über den ganzen Film hinweg entfaltet. Die Musik des Streichquartetts verdichtet sich beispielsweise in seiner Frequenz besonders bei Willies und Evas Abschied und markiert ihn als emotionalen und verhältnismäßig pathetischen Moment in dem sonst distanziert erzählten Film (vgl. Smith 59). Nicht-Orte und Privatsphären Die Klänge des Streichquartetts drücken jene Ortlosigkeit aus, die den Film beherrscht, wenn sich seine verschiedenen Schauplätze als Leerstellen herausstellen. So wie die Figuren nie zu einem Ruhepunkt kommen oder einen festen Bezug zu ihrer Umgebung finden, bleibt auch die Musik des Quartetts andeutungshaft, ihr tonales Zentrum wird von harmonischen Reibungen bedroht, rhythmische Strukturen lösen sich auf oder werden abrupt abgebrochen. Während die intradiegetische Musik Räume erschließen und Bewegung generieren kann (dazu weiter unten mehr), problematisiert die extradiegetische Musik eine durch räumliche Erfahrung gespeiste Identitätskonstruktion. In Stranger than Paradise hat der Ort weder selbst eine feste Identität inne, noch kann er als unterstützendes Moment einer abgeschlossenen nationalen Identität fungieren. Andererseits löst sich die Ortsinszenierung nie vollkommen von den angesprochenen Mythen, sondern bezieht sich explizit auf sie, um sie zu kritisieren. So löst der Film ironisch die Slogans ein, die bei Evas Streifzug durch New York zu Beginn auf den Wänden zu lesen sind: »US out of everywhere« und »Yankee go Home«. Einerseits ist klar, dass heimatliche Einbettung durch eine Raumdarstellung, wie sie Stranger than Paradise vollzieht, unmöglich gemacht wird, andererseits überzeichnet der Film die Forderung »US out of everywhere«, die militärische Interventionen kritisiert: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind in gewisser Weise auch aus ihrem eigenen Gebiet gewichen, weil die gezeigten Orte das Bild von Amerika als neue Welt oder gar Paradies nicht bestätigen können. Die Darstellung amerikanischer Orte in Jarmuschs Filmen und besonders in Stranger than Paradise wurde oft mit Marc Augés Konzept des Nicht-Ortes in Verbindung gebracht (Suárez 34; Kaiser 87). In seiner prägnantesten Erklärung bezeichnet Augé den Nicht-Ort als »Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational oder historisch bezeichnen lässt.« (Augé 92) Suárez greift auf
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Augés Konzept zurück, um die Orte in den Filmen von Jarmusch zu beschreiben: »transitional locations devoid of symbolic significance and personal traces and intended for passage or temporary use, not for prolonged habitation.« (Suárez 34) Die Kamera erobert in Stranger than Paradise nur wenige Intimsphären. Oft sind die Schauplätze des Films Transiträume: Schon der Flughafen, mit dessen Betreten der Film beginnt, und jener, von dem Willie in Florida unfreiwillig wegfliegt, rahmen die Handlung als solche. Auch dazwischen spielt der Film abgesehen von Willies spärlich möbliertem Apartment auf in weiten Einstellungsgrößen eingefangenen Straßen oder im Motel. Interessant an Augés Konzept für eine Untersuchung von Stranger than Paradise ist die Art, in der er Nicht-Orte konstruiert sieht, und ihre Konsequenzen für die Menschen an ihnen: »Alle Texte [der Nicht-Orte] gelten jedem von uns: sie erzeugen den ›Durchschnittsmenschen‹, der als Benutzer des Verkehrs-, Handels-, oder Bankensystems definiert ist.« (Augé 118) Eine solche Darstellung trägt dazu bei, dass bei der Bewegung durch die verschiedenen amerikanischen Sphären New Yorks, Clevelands und Floridas keine signifikante Veränderung des Ortseindrucks feststellbar ist – die Gleichheit der Nicht-Orte greift mit der Unterschiedslosigkeit auch jener Orte wie des Lake Erie ineinander, die eigentlich wiedererkennbar sein sollten. Die so gezeichneten Orte können Willie keine Orientierung verschaffen. Anstatt seinen transkulturellen Hintergrund zu thematisieren, blendet er ihn aus. Sein bester Freund Eddie weiß nicht einmal, dass Willie aus Ungarn stammt. Suárez beschreibt Willie als ungarischen Einwanderer, der nun durch und durch amerikanisiert ist (vgl. Suárez 29). Aber Willies Versuche, sich durch den Konsum von Fertignahrung und Rituale wie Football schauen als Amerikaner zu stilisieren, sind zu labil, um ihn als wirklich amerikanisiert zu beschreiben. Vielmehr will er zum »Durchschnittsmenschen« im Sinne Augés werden und bedient sich dazu eines durch Klischees und Stereotypen gekennzeichneten Amerikabildes. In dessen Adaption entstehen jedoch Brüche: etwa, als er ein Footballspiel im Fernsehen verfolgt, das Spiel Eva aber nicht erklären kann. Er ist weder Außenseiter noch Amerikaner; seine Position wird treffend von Schaber umschrieben: »foreignness signifies neither marginality nor alienation but provokes the convulsions, ecstasies, and chances of communication.« (Schaber 37-38) Dass die von Willie angestrebte amerikanische Identität auch durch den Kapitalismus geformt wird, machen Willies und Evas Ansichten zu Produkten der Konsumkultur klar: Das TVDinner, das Fleisch, Kartoffeln und Dessert in abgegrenzten Teilen einer aufzuwärmenden Aluminiumpackung vereint, findet Willie fortschrittlich und praktisch; Eva beäugt das Produkt als kurios. Ihre Frage, um was für ein Tier es sich
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handle, verweist auf die Entfremdung der industriellen Produktionsketten von natürlichen Ursprüngen. Und als Eva in New York fragt, ob die Chesterfield-Zigaretten in Cleveland ebenso gut schmecken würden, belehrt sie Willie, dass es in ganz Amerika die gleichen Zigaretten seien. Ein altmodisches Kleid (Willies fragwürdige Interpretation des landestypischen Stils) schenkt er Eva zum Abschied mit den Worten »You should dress like people dress here«, doch sie entledigt sich des Kleidungsstücks bei erster Gelegenheit. Durch die Figur Evas wirft Stranger than Paradise ein kritisches und belustigtes Licht auf die Uniformität der Konsumkultur Amerikas. So wie die Gestaltung der Nicht-Orte sich nach dem Durchschnittsmenschen richtet, so wie New York, Cleveland und Florida unterschiedslos gezeichnet werden, so sind auch das TV-Dinner und die industriellen Zigaretten überall gleich. Selbst in Willies Apartment finden sich hauptsächlich blanke Wände und kaum Spuren individueller Gestaltung. Allgemein funktionieren in Stranger than Paradise auch die Ähnlichkeiten von Räumen nicht durch näher benannte Merkmale, sondern eher durch die empfundene Absenz von Eigenheiten. Deshalb sagt Eva beim Eintreten in das spärlich eingerichtete Hotelzimmer in Florida: »Well, this looks familiar.« Diese Einheitlichkeit und die Uniformität des kommerziellen Amerikas greifen ineinander. Die Inszenierung der transitorischen Orte als funktional und karg trägt dazu bei, den flüchtigen Charakter des Verweilens an ihnen zu betonen. »Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit«, schreibt Augé (121). Wie Piazza beobachtet, ist diese Einheitlichkeit auch in Luries Filmmusik angelegt: »This recurring theme in Jarmusch’s films [that everything looks familiar] is reaffirmed by the principle of repetition that is established by the music. Far from furnishing a mere comment to the images, the music structures, enriches and gives a supplementary sense to what we see before us.« (Piazza 115)
Je spärlicher die Räume in Stranger than Paradise sind, umso wichtiger sind die Hinweise, die ihre Ausgestaltung manchmal gibt. Über ihre Signifikanz als Rastpunkte flüchtigen, kurzen Verweilens hinaus, tragen auch die Innenräume in Stranger than Paradise Eigenschaften, die vom Film hervorgestellt werden. Willies Wohnung verdeutlicht, dass es ihm nicht gelungen ist, die von ihm ersehnte amerikanische Identität aufzubauen. Auch Eddies und Willies Angewohnheit, ihre Hüte in der Wohnung zu tragen, geben dem Apartment den Eindruck einer nur temporären Zuflucht. Anders verhält Willie sich in Tante Lottes Bungalow, den
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auch Suárez als Ausnahme von den gleichgültigen Räumen nennt (vgl. Suárez 34). Während in Willies Apartment keinerlei persönliche Spuren zu sehen sind, dominieren in Tante Lottes Wohnzimmer eigene Möbel und gemusterte Oberflächen. Es ist individuell eingerichtet; Lotte hat auch die Sprachhoheit, der sich Willie zumindest teilweise fügt, als er als Übersetzer fungiert. Wie Piazza bemerkt, versieht Aunt Lotte ihr Englisch mit ungarischen Endungen und Variationen, was für des Ungarischen mächtige Zuschauer einen komischen Effekt hervorruft (194). Es ist Lottes Bungalow, in dem klar wird, dass sich Willie von Herkunft und Familie nicht lösen kann. Seine Aussage anfangs des Films war: »I don’t even consider myself part of the family.« (00:03:00) Nun ist er es selbst, der seine Zugehörigkeit indirekt bestätigt. Als er Tante Lotte als ebenso störrisch wie den Rest der Familie bezeichnet, gliedert er sich indirekt ein, ist die Sturheit doch eine seiner prägenden Eigenschaften. In den Räumen spiegelt sich auch das Verhältnis der Figuren zu ihrer eigenen Vergangenheit. Während Willie sein Apartment unpersönlich hält und seine Muttersprache ablehnt, spricht Tante Lotte fast nur Ungarisch. Lotte ist in ihrem Raum ganz zu Hause. Dennoch ist auch ihr Haus kein erfolgreicher Verbindungsraum von Herkunft und Einwanderungsland. Lottes Dasein im Bungalow ist letztendlich insular. Auch das Motel, in dem Eva, Willie und Eddie in Florida wohnen, ist naturgemäß ein Raum zum temporären Verweilen, der keinen echten Rückzugsort darstellt. Bayley schreibt in seinem Artikel über die Rolle von Motels im Film, dass diese noch stärker als Hotels ein Gefühl von Fremdheit erwecken können: »unlike the hotel, the division between inside and outside is less marked, the security of one’s privacy, less sure« (Bayley 112). Am stärksten wirkt sich das auf Eva aus, die von Willie überredet wird, sich zu verstecken, um Geld zu sparen. Sie ist die darauffolgenden Tage ans Motelzimmer gefesselt, und so bleibt auch Florida für sie fremd. Abgesehen von einem kurzen Strandspaziergang der drei und der Begegnung Evas mit einem Drogendealer, der ihr einen Umschlag mit Geld überreicht, zeigen die Einstellungen die gelangweilte und frustrierte Eva, die im Motel auf Willie und Eddie wartet. Hingegen werden Eddies und Willies Ausflüge zu Pferde- und Hunderennen ausgespart. Wenn Willie behauptet: »I’m as American as you are« (00:36:03), dann heißt das im Kosmos von Stranger than Paradise nicht, dass Willie zum integrierten Amerikaner geworden ist, sondern im Gegenteil, dass allen Figuren ein Ortsbezug verwehrt bleibt, der ein Gefühl der Heimat oder Zugehörigkeit hervorbringen könnte.
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»I Put a Spell on You« – Driving Music Als Eva auf der Fahrt nach Florida den von ihr abgespielten Song »I Put a Spell on You« verteidigt, schlägt sich Eddie auf ihre Seite: »I like this. This is driving music.« Der Doppelsinn des englischen »Driving«, der die Musik einerseits als gut zum Fahren geeignet kennzeichnet, ihr andererseits aber auch ein antreibendes Moment zuspricht, trifft ihre Funktion im Film. Es ist eine Musik der Bewegung, wo auch immer Eva sie anhört. »I Put a Spell on You« inszeniert zu Beginn des Films zusammen mit der Parallelfahrt Evas neugierige und forsche Raumergreifung. Später erklingt der Song, als Eva rauchend durch Willies Apartment tanzt. Auf dem Rücksitz des Autos spielt Eva das Stück noch einmal auf dem Weg nach Florida ab: Es ist ihr letzter optimistischer Moment in dem Film, denn einmal in Florida angekommen, wird sie nur noch gelangweilt im Hotel herumsitzen, muss sich verstecken und ist jeder Eigenständigkeit beraubt. Zwar hat sie den Kassettenrekorder dabei, als sie alleine am Strand sitzt – als sie danach jedoch im Hotelzimmer noch einmal die Kassette abspielen möchte, ist er bezeichnenderweise defekt (01:09:25). Erst im Abspann erklingt der Song wieder. Einerseits ist er dort Teil der Pointe, dass Willie unfreiwillig in die ungeliebte Heimat zurückkehrt, und kommentiert Willies »verfluchte« Situation. Neben der zusätzlichen strukturell rahmenden Funktion, die er mit seinem Einsatz zu Beginn des Films bildet, kündigt er aber auch an, dass Eva, der auch die letzte Szene des Films gehört, sich aus der Starre lösen und sich wieder in Bewegung setzen wird. Zusätzlich zu seiner Antriebsfunktion nimmt das Lied auch die klassische Funktion der Figurenkennzeichnung durch Musik ein, was sich auch daran zeigt, dass Eva sich in der Beschreibung von Screamin’ Jay Hawkins afroamerikanischer Slangbegriffe bedient: »He’s a wild man«, sagt sie einmal, ein anderes Mal bezeichnet sie ihn als »my main man«. Schon die hervorgehobene Eigenschaft als einziger Popsong des ganzen Films und seine rhythmische Platzierung betonen den Track. Er ist trotz der länger werdenden Abstände in dem bedächtig erzählten Film ein rhythmisch fortschreitender Motor, nimmt also auf der filmisch strukturellen Ebene eine ähnliche Funktion ein wie in der Handlung selbst. Außerdem basiert seine rhythmische Struktur auf Wiederholungen, wie Piazza anmerkt. »In ›I Put a Spell on You‹ repetition is expressed on a number of levels: an ›external‹ one regarding the song’s textual repetition during the film, and an ›internal‹ one concerning the level of the very structure of the ballad, which is built on verse and refrain, in triple meter. In other words, a waltz.« (Piazza 137)
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»Screamin’ Jay Hawkins’ Version von I Put a Spell on You,« schreibt Eue, »das ist typische Musik aus Jarmusch-Land. Ein hybrider Song: Rhythm ’n’ Blues nach Intonation und Instrumentierung, ein Walzer, was Takt und Tempo angeht.« (Eue 64) Als typisch bezeichnet Eue den Song, weil sich die Musik in allen Filmen Jarmuschs aus einer Vielzahl von Genres speist und den Bezug auf transkulturelle Quellen als künstlerisches Verfahren feiert. Zwischen Rhythm ’n’ Blues und Walzer führt Evas persönliches Motiv das Verbindungsspiel europäischer Klassik mit (afro)amerikanischer Musik fort, das auch in der Musik des Streichquartetts andeutungsweise angelegt ist. Eva macht sich den Song zunutze: Es ist eine Musik der Raumergreifung. »Recurring throughout the film as a synchronous musical motif, the song accompanies her as she moves down the street, and as the camera travels with her, a humorous send-up of the road movie’s enthusiastic driving rock soundtrack«, schreibt Laderman (146). Andreas Böhn sieht in Jarmuschs Filmen jene Mittel, die den Raum hinterfragen, als stilbildend. Er stellt das Mittel der Parallelfahrt, die Evas ersten Ausflug durch das urbane New York begleitet, als zentrale Quelle dieser kritischen Perspektive dar: »Durch [die Parallelfahrt] entsteht beim Zuschauer eine Wahrnehmung, die, gemessen an den vertrauten Mustern der Realitätswahrnehmung, widersprüchliche Bestandteile enthält. Das abgebildete Objekt zeigt an sich Hinweise auf Bewegung, etwa das Drehen der Räder. In seiner Position relativ zum Bildrahmen bleibt es aber starr. Der Zuschauer, der mit den Schemata der Realitätswahrnehmung operiert, faßt etwas, das am selben Platz im Gesichtsfeld bleibt, jedoch als unbewegt auf. Es ergibt sich also der paradoxe Eindruck einer Bewegung im Stillstand. Zugleich wird die Aufmerksamkeit nicht mehr an die Verfolgung des Objekts gebunden, sondern kann frei im Raum schweifen, zwischen Vorder- und Hintergrund hin und her springen oder sich in Details versenken.« (Böhn 253)
Der demokratische Bildaufbau, der dem Zuschauer die Wahl des Fokus lässt, anstatt ihn zu bevormunden, wurde vor allem für die statischen und weitgreifenden Einstellungen in den Filmen von Jarmusch schon vielerorts angemerkt, hier wird er auch den Parallelfahrten zugeschrieben. Diese ruhige Bildkomposition beschreibt die harmonische Einbettung von Eva in die urbane Umgebung ohne »imperialistische, aggressive Geste« (Reinecke 188). So wird der Raum einer alternativen Narration dienstbar gemacht: »Der Raum ist kein Gegner, der bezwungen werden müsste, und kein Feind, dem man unterliegen könnte. Die Figur ist in diesem Travelling der Kamera ein natürlicher Teil des Raumes, den sie durchschreitet« (188). Böhn sieht eine konventionskritische Haltung in der Verwendung von Parallelfahrten als Teil einer Formalisierung: »Bei [Jarmusch] werden die Prinzi-
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pien des klassischen Erzählkinos durch Serialität, Wiederholung und Minimalisierung gleichsam ausgehöhlt.« (Böhn 258). Sie sind Teil jener Verfahren, die laut Mauer »Rechenschaft über die Fiktionalisierung der Realität« (79) geben. Gleichzeitig bezieht Böhn Jarmuschs Parallelfahrt auf die Gestaltungsweise amerikanischer Städte: »Der Formalisierung des Erzählraumes bei Jarmusch entspricht das geometrische Straßenraster amerikanischer Städte, ihre Einheitsarchitektur und das Fehlen historischer Differenzierungen und struktureller Markierungen.« (Böhn 258) So kehrt Evas Spaziergang besonders im Zusammenspiel mit Screamin’ Jay Hawkins’ Song und den Graffiti die Leere und Unterschiedslosigkeit des amerikanischen urbanen Raums nach außen. In dieser Sequenz setzt Jarmusch das Mittel der Parallelfahrt anders ein als in anderen Filmen. In Permanent Vacation folgt die Kamera mal näher, mal distanzierter dem schlendernden Allie. In Down by Law schleppen sich die entflohenen Häftlinge hungrig und müde durch die Sumpflandschaft – manchmal setzt sich die Kamera in Bewegung, wenn sie das Bild betreten, manchmal stoppt sie, bevor sie das Bild wieder verlassen. In Stranger than Paradise initiiert eindeutig Eva die Bewegung und lässt die Kamera folgen. Diese Machtposition geht von der Musik aus. Indem Eva die impulsstiftende und transkulturell herangezogene Musik nutzbar macht, schafft sie dieses dynamische Moment. Der Unterschied von indifferentem Vorbeigleiten zu Raumergreifung und Einbettung liegt genau in dem akustischen Ergreifen, das nicht nur Evas Bewegung den Takt vorgibt, sondern auch in das Bild-Ton-Geflecht eingreift und es bestimmt. Als Eva über »I Put a Spell on You« auf der Autofahrt nach Florida sagt »Haven’t heard it in a long time«, heißt das auch, dass sie seit langer Zeit nicht in Bewegung war (00:58:15). Abbildung 18 zeigt, dass die vier Erscheinungsmomente des Songs in dem Film in relativ regelmäßigen Abständen auftreten. Seine Wiederholung stabilisiert so den durch Schwarzblenden und Zwischentitel verstärkten Rhythmus des Films. Die Musik ist mit ihrem klaren Gewicht auf Wiederholung und Variation und ihrem Desinteresse an Entwicklung grundlegend für den Schwebezustand der Struktur und Narration des Films. Strukturell greifen die rhythmische Wiederholung von »I Put a Spell on You« und die variierten Motive des Paradise Quartets mit der visuellen Inszenierung ineinander – diese besteht aus meist statischen Szenen, die sich kompositorisch ähneln und deren Rhythmus durch Schwarzblenden verstärkt wird. Auf der narrativen Ebene stützt die Musik die Aussage, dass alle Räume (New York, Cleveland, Florida) gleich aussehen, dadurch, dass sie auch gleich klingen. Eine weitere Funktion des Streichquartetts ist die Herstellung und Verstärkung von Willies transnationaler Ortlosigkeit. Seine Klänge spielen motivisch auf Bartók und damit Ungarn an. Die Musik des Quartetts bezieht sich mit
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ihrer variierten Wiederholung auf die minimal unterschiedlichen Orte, die in Stranger than Paradise auf ähnliche Weise arm an Eigenheiten sind, beziehungsweise ihre eigenständige Identität einbüßen. Wie auch Smith’ Microscripts zeigen, weist die Häufigkeit der Motive um Willies und Evas Abschied herum subtil auf gefühlvollere Momente hin. Letztendlich kommentiert Luries Musik fast immer eine Art unaufgelösten Zustand: emotional, heimatlich oder zwischenmenschlich. Sie greift auch durch ihre Wiederholungsstrukturen und ihre Ziellosigkeit mit der Ortlosigkeit und Kargheit der dargestellten amerikanischen Räume ineinander. Die Durchfahrten sind oft von Musik begleitet und musikalische Phrasen kommen dann zum Stillstand, wenn auch die Bewegung im Filmbild zur Ruhe kommt. Anders funktioniert hingegen der Einsatz von Screamin’ Jay Hawkins’ »I Put a Spell on You«. Durch Evas selbstbestimmtes Abspielen, das schon in ihrer ersten Durchquerungssequenz beginnt, ergreift sie aktiv den Raum (die Textzeile »because you’re mine« bezieht sich auf diese Aneignung); mit diesem Song kann Eva sich befreien. Wie Middleton schreibt, kann Musik einem Menschen nicht gehören, dieser kann aber von Musik eingenommen werden: »While music can never belong to us (as myths of authenticity would wish), belonging to a music (making ourselves at home within its territory) is distinctly possible« (Middleton 78). Obwohl die Musik mit Eva eine Identitätsbestärkung vollzieht, die nicht an die als authentisch empfundenen Konnotationen ihres Interpreten (schwarz, männlich, urban und amerikanisch) gebunden ist, adaptiert sie mit der Musik doch genau diesen als authentisch konstruierten Kontext. Mit der Musik, so der Subtext, ergreift Eva auch Raum und behauptet ihre eigene weibliche Subjektivität. Ausblick: Zitat von Forbidden Planet Mit seinem Zitat des Science-Fiction-Klassikers Forbidden Planet (Fred M. Wilcox, 1956), den Willie und Eva im Fernsehen verfolgen, zitiert Stranger than Paradise einen anderen Film direkt, ein Stilmittel, das in späteren Filmen von Jim Jarmusch wiederkehren wird. In Forbidden Planet sind Verfahren und filmische Strategien angelegt, die von Jarmusch in Stranger than Paradise und in anderen Filmen reproduziert werden. Als Willie und Eva vor dem Fernsehapparat sitzen, ist ein hohes Sausen zu hören. Eine Stimme sagt: »That recording was made by Krel musicians half a million years ago. Now, if you follow me, I will show you some of their other remaining artifacts.« (Wilcox, Forbidden Planet: 00:50:00) Das ausgewählte Zitat drückt die für Jarmusch typische Faszination für musikalische Speichermedien und Abspielgeräte aus. Einerseits ist ihr dokumentarischer Aspekt bedeutsam, der es einer künstlerischen Äußerung erlaubt, zu überdauern und als räumlicher und
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zeitlicher Zeuge zu wirken. Andererseits ermöglicht das Speichern einer künstlerischen Aussage als Musikschallplatte, Film, Video oder Buch, sie immer wieder in neue Zusammenhänge zu stellen. Die Musik, die der Ausschnitt aus Forbidden Planet hörbar macht, stammt von der höher entwickelten Spezies Krel. Ratlos lauschen die Menschen ihr, sie können die Töne nicht entschlüsseln und verstehen. Die Aufzeichnung hebt auch die Vor- und Nachzeitlichkeit auf: Die Krel-Kultur wird in dem Film als den Menschen ethisch und technologisch eine Million Jahre voraus bezeichnet, obwohl ihr Untergang schon wieder eine halbe Million Jahre zurückliegt. Damit weist das Zitat gerade jener Szene auf eine Grundaussage der Filme von Jarmusch zu Kulturen hin: Anstelle eines von Fortschritt geprägten Zivilisationsgedankens zeigen seine Filme Kulturen in einem ewigen Kreislauf aus Entstehen und Vergehen. Gleichzeitig spiegeln die Wissenschaftler, die in Forbidden Planet im 23. Jahrhundert auf einen fremden Planeten reisen, die engstirnige Perspektive Willies in Stranger than Paradise. Der Film zeigt, wie naiv sie ihre eigene kulturelle Erwartungshaltung an den Planeten herantragen: »No women, no pool parlors. We have to bring our own tin cans.« Wenig später bemängeln sie das Fehlen von Städten, Dämmen und Brücken und resümieren enttäuscht: »No sign of civilization at all.« (00:06:00 bis 00:10:00) Wie durch die Texttafel »The New World« prallt hier eine Erwartungshaltung auf entgegengesetzte Realität und wie Willie machen die Reisenden Kultur und Zivilisation an einfachen Denominationen fest, sind aber gleichzeitig nicht in der Lage, die für sie neue Kultur mit ihrer eigenen in Zusammenhang zu bringen. Mit Forbidden Planet zitiert Stranger than Paradise auch einen Film, der nicht nur die westlich zentrierte Position in transkulturellen Prozessen problematisiert, sondern auch Filmmusik so innovativ einsetzt, dass Rebecca Leydon ihn diesbezüglich als Meilenstein bezeichnet: »an important milestone both in filmmusic practice and in the field of electronic music« (Leydon 61). Louis und Bebe Barron schufen mittels Generatoren ein elektronisches Tonsystem (vgl. Larsen 125). Durch die Manipulation von Wiedergabegeschwindigkeiten und Abspielrichtung sowie den Einbezug unterschiedlicher Effekte erreichten sie eine bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehörte Klangwelt. Schon Vivien Sobchack merkt jedoch an, dass die Musik hier nicht nur fremd und ungewöhnlich ist, sondern auch wichtige narrative Funktionen trägt (Sobchack, Screening, 212). Der Film vollzieht nicht nur eine Abkehr von der Instrumentierung Hollywoods, sondern auch von dessen harmonischen und tonalen Systemen: »Against the conventions of orchestral scoring and Wagnerian chromaticism, Forbidden Planet fabricates a non-tempered pitch universe and a set of bizarre timbres, replacing the
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classic Hollywood score’s associative use of key-centers and themes with an idiosyncratic leitmotif technique based on the behaviour and ›life cycle‹ of sound-generating circuits.« (Leydon 62)
Wie bei Jarmusch (etwa in Down by Law) übernimmt die Musik in Forbidden Planet auch Geräuschfunktionen und schafft so eine Verunsicherung darüber, was intradiegetisch und was extradiegetisch anzuordnen ist (vgl. Leydon 71). Wie Leydon bemerkt, beziehen sich die Rhythmen der Widerhall-Effekte in ihren Geschwindigkeiten aufeinander (72). Trotz dieses Rückbezugs auf Schleifen bezieht sich die Musik auch auf Hollywood-Konventionen, besonders in dem Einsatz von Leitmotivik (75), die auch im Verlauf der klassischen Funktion einer Entwicklung entspricht. Forbidden Planet wird nicht nur metaphorisch für die Fremde und Ortlosigkeit der Protagonisten von Stranger than Paradise in ihrer amerikanischen Umgebung eingesetzt. Das Zitat des Films weist durch seine Musik und seine Toninszenierung auf viele Wirkkomplexe voraus, die die Filmmusik von Jarmuschs Schaffen kennzeichnen: die bewusste Offenheit hinsichtlich ihrer diegetischen Anordnung, die unklaren Hierarchien zwischen den Klangspuren, die Manipulierbarkeit der Tonspur sowie die selbstreflexive Präsenz ihrer Aufzeichnungsmedien.
Ä THIOPISCHER J AZZ UND IN B ROKEN F LOWERS
V ERGANGENHEITSERKUNDUNG
Er wünsche sich eigentlich nichts, sagt Allie Parker am Ende von Permanent Vacation, abgesehen vielleicht von einem Automobil. Ausgedehnte Fahrten mit dem Automobil finden sich fortan in den meisten der darauffolgenden Filme von Jim Jarmusch, doch erst bei Don Johnstons Vergangenheitserkundung in Broken Flowers re-interpretieren die Fahrten Allies Durchquerungsprinzip wirklich: Die räumlichen Prinzipien des ersten Films von Jim Jarmusch finden sich in einer variierten Form wieder. Wie in der Analyse von Permanent Vacation beschrieben, verwendet Allie das Verbinden verschiedener Punkte als Metapher dafür, wie er seine Geschichte erzählt. Die Punkte repräsentieren dabei Räume, die Striche zwischen ihnen stellen Allies Durchquerungen dar. Das Kennenlernen fremder Menschen vergleicht Allie mit dem Betreten unbekannter Räume. In beiden Fällen trete nach dem neugierigen Erkunden ihrer Eigenheiten ein Fernweh ein, das ihn weiterziehen lasse.
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Hatte Permanent Vacation die verschiedenen Räume noch in Abwesenheit der Menschen gezeigt, die sie nutzen, so sind die Innenräume, die Johnston in Broken Flowers auf seiner Reise besucht, die Wohn- und Geschäftsräume seiner ehemaligen Freundinnen. Don besucht die Frauen aus seiner Vergangenheit, um herauszufinden, welche von ihnen Absenderin eines maschinengeschriebenen, anonymen, rosafarbenen Briefes ist. Aus dem Brief geht hervor, dass Don einen Sohn hat – die Verfasserin hatte ihm früher nicht von ihrer Schwangerschaft erzählt. Vor Kurzem habe sich der Sohn nun auf die Suche nach seinem Vater gemacht. Dons Nachbar und Freund Winston plant eine Reise zu den Wohnorten der ehemaligen Geliebten und rät Don, er solle auf Hinweise wie rosafarbene Gegenstände oder Schreibmaschinen achten. So fährt Don also per Mietwagen und Flugzeug, die Punkte verbindend, von Frau zu Frau, von Raum zu Raum. »Encounters with ex-lovers and potential mothers punctuate his journey, which can be traced to the variations-on-a-theme mechanism«, schreibt Piazza (151). Wie in Permanent Vacation und Stranger than Paradise stehen sich auch hier zwei Musiken im Film gegenüber. Bei seinen Autofahrten hört Don äthiopischen Jazz von Mulatu Astatké; die Innenräume und die Exfreundinnen, die sie bewohnen, werden hingegen von einer Vielzahl diegetisch motivierter Songs gekennzeichnet. Sie bezeichnen dabei nicht nur Räume und Figuren, sondern kommentieren auch deren Beziehungen zu Don Johnston. Wie in Permanent Vacation wird der Rhythmus der wiederkehrenden Raumdurchquerungen des Protagonisten durch ähnliche musikalische Untermalung betont. Als erster Film in Jarmuschs Œuvre verzichtet Broken Flowers jedoch gänzlich auf eigens komponierte Filmmusik. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Popsongs, klassischen Konzerteinspielungen und Jazzstücke im Bild motiviert. Lässt sich Allie noch intuitiv von Ort zu Ort treiben, hat Don Johnston stets eine Richtung, die von den Plänen und Recherchen seines Freundes Winston vorgegeben wird. Der immer schwierigere Zugang zu den Frauen spiegelt sich dabei auch räumlich, von Lauras herzlichem Willkommen an der ersten Station bis zu Pennys verletztem Abweisen vor der Tür (vgl. Mauer 328). Als letzte Station weint Don an einen Baum gelehnt am Grab Michelles. Abbildung 19 zeigt die Anordnung der verschiedenen musikalischen Ebenen über die Dauer des Films hinweg. »There is an End» rahmt den Film, »Innenräume« bezeichnet die Musik, die im Bild in den Räumen erklingt. Auch die Musik Astatkés ist Source-Musik, da Don sie während der Fahrt im CD-Player seines Mietwagens abspielt. Durch ihre enge Verbundenheit mit den Durchquerungen und ihr fortwährendes Wiederholen bestimmter Stücke entfaltet sie eine starke Rhythmik, die in der Abbildung in einer eigenen Zeile abgebildet wird. Außerdem
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bildet die Grafik mit »Fahrt ohne Musik« zwei Stellen ab, die während der Autofahrten gänzlich auf Musik verzichten. Zwei Traumsequenzen, in denen Don im Flugzeug schläft, werden durch kurze melodische Stücke eingeleitet. Abbildung 19: Frequenzen musikalischer und narrativer Motive in Broken Flowers
Zunächst kennzeichnet eine Reihe von Songs verschiedene Innenräume. Als Dons Reise beginnt, setzen Durchfahrten mit dem Mietwagen ein, die bis auf zwei Ausnahmen von der Musik Astatkés begleitet werden. Die Themen werden in der zweiten Hälfte des Films leicht rhythmisch verdichtet, bevor am Ende noch einmal eine lange Zeit ohne Musik entschleunigend wirkt. Die lange Dauer zwischen dem letzten und vorletzten Auftreten des äthiopischen Jazz betont die zweite stille Durchfahrt zum Grab von Michelle, die ohne Musik dazwischen liegt. Ebenso markiert Dons Besuch bei Dora (00:47:15 bis 00:60:00) eine signifikante Zeitspanne ohne Source-Musik. Auch hier korrespondiert die Auslassung mit einer stillen Fahrt im Anschluss. So greifen die Frequenzen der verschiedenen Stränge ineinander und verstärken ihre gegenseitige Bedeutung. Bevor in Broken Flowers überhaupt Innenräume zu sehen sind, erfolgt (im Verfahren ähnlich wie bei Stranger than Paradise) eine Art akustischer Ankündigung. Tippgeräusche einer Schreibmaschine nehmen den Brief schon vorweg, der Don erreichen wird. Als der Brief zu sehen ist, setzt The Greenhornes Stück: »There is an End« ein. Das Motorengeräusch des Autos, der Flugzeuglärm – all das nimmt Dons Reise akustisch vorweg. Als das Auto wegfährt, ist die Liedzeile
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»Words disappear« zu hören. Das Zusammenspiel von Musik, Geräusch und Bild formuliert schon das überschreibende Motto des Verschwindens: dass Don nie wirklich präsent sein kann, nie wirklich ankommen wird und auch den Frauen aus seiner Vergangenheit als jemand entgegentritt, dessen prägendste Eigenschaft ist, dass er vor langer Zeit aus ihrem Leben verschwand. Am Ende rahmt der Song den Film im Abspann – so verweist abermals der Beginn mit »There is an End« auf das Ende, während das Ende musikalisch an den Anfang anknüpft. Schon diese Klammer drückt das Zeitverständnis des Films aus, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart durch Erinnerung permanent gegenseitig durchdringen. Gegensätze: Source-Musik der Innenräume von Don und Winston Wie in Stranger than Paradise stehen auch in Broken Flowers die durchquerten Sphären Innenräumen gegenüber, die Aufschluss über ihre Bewohner geben. Die Lebens- und Wohnräume sind vielschichtig ausgestaltet und mit Symbolen ausstaffiert. Ihre Bedeutung wird schon dadurch hervorgehoben, dass sie ruhiger inszeniert sind, als die Szenen der landschaftlichen Durchquerung. Die Kamera bleibt oft unbewegt, die Einstellungen sind länger. Die Räume geben auf unterschiedliche Art Aufschluss über die Persönlichkeiten der Menschen, die in ihnen leben. Wie Suárez beobachtet, sind diese eigenwilligen und aussagekräftigen Wohnräume den leeren Nicht-Orten des modernen Reisenetzwerkes und ihrer Ereignislosigkeit entgegengesetzt: »Broken Flowers alternates between the spaces of intimacy – emotional nodes of the film and settings for the (admittedly low-key) ›events‹ – and the communication network that Don uses to move across the country – places of transit where, as a rule, nothing happens.« (Suárez 147)
Gleich die erste Szene des Filmes zeigt diese musikalische Kennzeichnung. Während die Kamera dem Brief in der Hand der Briefträgerin folgt, drücken das Haus Don Johnstons und das seines Freundes Winston im Zusammenspiel mit Musik die Identitäten ihrer Bewohner aus. Als die Briefträgerin Winstons Haus passiert, erklingt Reggae-Musik des jamaikanischen Komponisten Jackie Mittoo: »El Bang Bang«. Doch die Musik verstummt just in dem Moment, als sie durch die Hecke auf Dons benachbartes Grundstück tritt. Dieser Übergang ist nicht realistisch inszeniert, die Musik wird nicht mit wachsender Entfernung tendenziell leiser, sondern bricht ab.
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Der räumliche Wechsel von Winston zu Don forciert einen abrupten Wechsel der musikalischen Markierung. Don sitzt auf der Couch, im Fernsehen läuft The Private Life of Don Juan (1934), und Dons Freundin Sherry verlässt mit gepackten Koffern das Haus, da sie nicht mit einem abgehalfterten Don Juan zusammen sein möchte. Den gerade erhaltenen Brief trägt Don zu Winston, dessen Haus abermals durch jamaikanische Musik gekennzeichnet ist: The Tennors’ »Ride your Donkey«. Winstons Garten und Haus sind nicht nur durch Menschen belebt, sondern auch durch auffallend bunte Gegenstände und Musik. Die beiden jamaikanischen Songs verstärken Mauers Beobachtung, dass Winstons Einrichtung von der »Ikonographie der Rastafari« (335) gekennzeichnet ist: »Für die Rastafari standen der europäische Imperialismus und seine Folgen für das ›System Babylon‹, ein Ausbruch der egoistischen und destruktiven Kräfte dieser Welt, auf die alle Formen von Gewalt, Unterdrückung und Umweltzerstörung letztlich zurückzuführen seien.« (336) Dons Verlorenheit klingt schon durch das Interieur an: Sein Wohnzimmer ist im Kontrast zu Winstons Haus karg eingerichtet. Im Hintergrund spielt die Stereoanlage Gabriel Faurés Requiem (No 48, Pie Jesu). Winston kommentiert das sich ausbreitende Gefühl der Einsamkeit: »It’s kind of lonely inside here, man.« (00:15:20) Michael Richardson merkt an, die Inneneinrichtung von Dons Haus stehe anscheinend in keiner Beziehung zu seiner Persönlichkeit – in seinen eigenen Räumen wirke der Protagonist wie ein Fremder (194). Doch obwohl Dons Wohnzimmer im Vergleich zu der bunten Lebhaftigkeit von Winstons Haus auf den ersten Blick wenig Persönlichkeit ausdrückt, verrät auch dieses mehr als nur seine Einsamkeit oder ein vages Gefühl der Leere. An der Wand hängt das verschwommene Bild einer Frau. Auf dem Regal zeigt ein anderes Bild eine Frau unvollständig. Auch links und rechts vom Fernseher sind Bilder weiblicher Körper platziert, von denen allerdings immer nur ein Teil zu sehen ist. Die verschwommenen und bruchstückhaften Bilder von Frauen nehmen so schon Don wechselhafte Erinnerung und seine Unsicherheit darüber vorweg, welche Frau den Brief geschrieben hat. Sie kündigen an, dass er über diese Frau (wie eigentlich über alle Frauen, die er besucht) am Ende nicht »im Bilde« sein kann – und dass sich auch allgemein kein schlüssiges, umfassendes Bild ergibt. So werden in jeder Episode Hinweise auf die mögliche Verfasserin des Briefes an den Tag treten; eine Auflösung bleibt jedoch aus. Wenn Don und Winston sich im Café treffen, erklingt jedes Mal ein Song namens »Playboy Cha Cha« von Mulatu Astatké. Das konterkariert Dons Playboy-Image ironisch. Während der Song den leidenschaftlichen Tanz zweier Partner suggeriert, ist Don alleine, apathisch und teilnahmslos. Diese Kontrastierung durch Musik spitzt sich in der letzten Szene, bevor sich Johnston auf die Reise
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macht, noch zu (00:28:35 bis 00:29:55). Verwelkte Blumen sind in Nahaufnahme auf dem Couchtisch zu sehen. Eine Champagnerflöte steht daneben, Don sitzt mit unbewegter Miene davor auf dem Sofa. Dieser triste Anblick wird von Marvin Gayes »I Want You« untermalt. Der Song mit eklektischer Instrumentierung ist selbst schon ein Mix verschiedener Stile. Die Szene gibt einen frühen Hinweis darauf, wie Broken Flowers Musik nutzt, um die Gefühlswelt seines passiven Protagonisten nach außen zu kehren. Der Song setzt mit den Zeilen ein: I want you the right way, I want you But I want you to want me, too Want you to want me, baby Just like I want you.
Sie schildern die Gefühlslage eines Menschen, dessen Liebe nicht auf gleiche Weise erwidert wird. Die Congas im Hintergrund rufen Latin, Jazz und afrikanische Musik auf – ein nach gängigen Stereotypen passender Soundtrack zu den Verführungsutensilien, die vor Don stehen: Blumen und ein Glas Champagner. Doch Don Johnston ist als Don Juan nicht mehr glaubwürdig. Seine Requisiten sind dysfunktional: Die Blumen sind verwelkt, und auch Champagner und stimmungsvolle Musik wirken deplatziert, da leidenschaftliche Zweisamkeit mit einem anderen Menschen fehlt. So kann der Song auf Dons latente Sehnsucht nach einer bedeutsamen romantischen Beziehung hinweisen, die auf gegenseitigen Gefühlen basiert. Es ist aber ebenso gut möglich, dass der Song Gefühle auslotet, die Don nicht zugänglich sind – und die auch seine Partnerinnen in ihm nicht finden. Source-Musik der Innenräume von Dons Freundinnen Auch auf Dons Reise kennzeichnen Musiken Räume und ihre Bewohner und kommentieren die jeweilige Situation. Gleich Dons erster Besuch bei Laura zeigt dies deutlich. Don besucht seine Erinnerungswelt nur, Laura lebt in ihrer. Lauras Tochter Lolita lässt Don eintreten, ihre Mutter ist noch unterwegs. Der Bungalow, in dem die beiden leben, ist durch Lauras verstorbenen Mann geprägt. Die Regale stehen voll mit Bildern und Pokalen des Rennfahrers, gerahmte Preise hängen an der Wand. Die Glasplatte eines Beistelltisches wird von zwei aufeinander geschichteten Felgen getragen (00:36:00). Don geht im Raum auf und ab. Er betrachtet die Erinnerungsstücke – und ist ein Eindringling in ein ihm nun fremd gewordenes Leben. Zwischen Laura und Dons Beziehung und seinem Besuch liegt ein ganz anderes Leben, das sich als Erinnerungsraum an den Partner auftut.
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Durchbrochen wird der melancholische Ton der Szene, als Lolita unvermittelt nackt das Zimmer betritt. Im Hintergrund läuft »Not if You Were the Last Dandy on Earth« der Band Brian Jonestown Massacre. Es handelt sich dabei um eine umgetextete Coverversion des Songs »Not if You Were the Last Junkie on Earth« der Dandy Warhols. Wie Sofia Glasl anmerkt (vgl. Glasl 214-16), kennzeichnet die Coverversion auf ironische Weise Dons eigene Situation, der sich durch Lolita mit einer »Coverversion« der gleichnamigen Figur aus Nabokovs berühmten Roman gegenübergestellt sieht. Der Song im Hintergrund weist auf die Lolita-Variation hin, aber auch auf ähnliche Coverversionen, die sich durch den Film ziehen. Die Ironie, dass Mutter und Tochter sich der Aufgeladenheit des Namens nicht bewusst sind, verstärkt sich dadurch, dass der Zuschauer eine ähnliche Überlegenheit über Don innehat, der seiner eigenen Figurenanlage als ironische Don-JuanInterpretation ebenfalls nicht gewahr wird. Doch der weitere Verlauf der Episode trotzt diesem selbstreflexiven Humor: Don erlebt hier die intimsten Momente seiner Reise, als die drei bei Rotwein auf der Veranda sitzen und er später die Nacht mit Laura verbringt. Im krassen Gegensatz zu dem liebevoll ausgestalteten und überfrachteten Innenleben des Bungalows steht das Haus, in dem Dora und ihr Ehemann wohnen. Es ist das Musterhaus einer Wohnsiedlung, die aus lauter baugleichen Häusern besteht. »The house is an example«, sagt Dora und deutet so an, dass ihr Leben von Anpassung und Austauschbarkeit geprägt ist. Das Paar lebt in einer Immobilie, die eigentlich jemand anderen adressiert: den zufälligen, durchschnittlichen Kunden. Ein »Nicht-Ort« als Wohnraum. Augé meint mit den Nicht-Orten zweierlei: »Räume, die in Bezug auf bestimmte Zwecke (Verkehr, Transit, Handel, Freizeit) konstituiert sind, und die Beziehung, die das Individuum zu diesen Räumen unterhält.« (110) In dem Szenario ist der Zweck des Hauses, als Ausstellungsraum für mögliche Interessenten zu dienen. Das Ehepaar hat zwei hauptsächliche Beziehungen dazu: als Verkäufer von Musterhäusern und als Bewohner des durchschnitthaft gestalteten Raumes. Die Tragik liegt darin, dass die erzeugte »Einsamkeit und Ähnlichkeit« (Augé 121) der Nicht-Orte sich hier auf den privaten und intimen Rückzugsort erstreckt. Dass nichts in dem Haus auf die Persönlichkeit seiner Bewohner Bezug nimmt oder durch sie gestaltet wurde, zeigt ein Bild an der Wand im Wohnzimmer. Es ist nicht etwa ein Landschaftsgemälde oder das Porträt eines Familienmitgliedes, sondern bildet das Haus selbst ab. Doch die Bewohner reiben sich nicht an der oberflächlichen Gestaltung der Einrichtung. Die perfekte geometrische Anordnung der Gerichte auf den Tellern lässt die Ahnung aufsteigen, dass das Paar die Organisationsprinzipien des Marktes verinnerlicht hat. Dies bestätigt sich im Gespräch, wenn sich herausstellt, dass Dora und Ron Profit aus existenziellen Nöten
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schlagen, indem sie Geldanlagen in Wasser tätigen. Ein zynischer Akt, besonders vor dem Hintergrund, dass Dora früher von der Hippiekultur beeinflusst war. »Jarmusch sucht die Triebkräfte ›Babylons‹ nicht auf höchster politischer Ebene, sondern im Privaten«, folgert Mauer (341). Don wirkt deplatziert und blickt fast flehentlich in die Kamera (00:54:50). Es ist bezeichnend, dass hier überhaupt keine Musik erklingt. Wie sonst die intradiegetische Musik Figuren und Räume kennzeichnet, bezeichnet hier ihre Abwesenheit einerseits die Eigenschaftslosigkeit des Interieurs und entspricht auch der vollkommenen Abwesenheit jener Dora, die Don einmal gekannt hat. Die Auslassung wird durch den starken Einsatz von Source-Musik in anderen Innenräumen umso stärker betont. Don kann sich überhaupt nicht mit der Frau in Beziehung bringen, zu der Dora geworden ist – nicht einmal eine ablehnende Haltung vermag er zu entwickeln. Das spiegelt sich auch in der darauffolgenden nächtlichen Autofahrt, bei der Don keine Musik abspielt (01:20:10, siehe Abbildung 19). Dass die Einrichtung bei den letzten beiden Stationen weniger Hinweise auf ihre Bewohner gibt, liegt auch daran, dass Don sie kaum zu sehen bekommt. Das Haus der Tierkommunikatorin Carmen ist ihrer Profession entsprechend zwar architektonisch mehr in die Natur eingebettet, aber Don wird nur im Geschäftszimmer empfangen. Carmens Assistentin ist argwöhnisch und abweisend. Ihre erst latent spürbare Eifersucht auf Don zeigt sich deutlich, als sie ihm vor seiner Abreise die mitgebrachten Blumen nachträgt. Klassische Musik ist im Empfangsraum vernehmbar: William Lawes »Pavan« und »Aire in C Minor« weisen mit ihren harmonischen Reibungen auf die gestörte Harmonie hin, die auch die Kommunikation von Don mit Carmen und ihrer Assistentin prägt. Die Farm von Penny ist schließlich der einzige Raum, der sich Don überhaupt nicht eröffnet. Sie schlägt die Tür zu, nachdem Don sie fragt, ob sie einen Sohn hat. Zurückliegende Konflikte sind spürbar, werden aber nicht auserzählt. Vor Dons Friedhofbesuch ist im Blumenladen »Tell Me Now, so I know« (Holly Golightly) zu hören (01:21:10). Abermals handelt es sich um eine Coverversion, diesmal eines Songs von Ray Davies. Für Glasl stellt das die Frage in den Raum, ob Don Johnston noch einmal in die Rolle Don Juans schlüpfen möchte und die junge Blumenverkäuferin verführen (vgl. Glasl 225). Allerdings liefert die Szene selbst kaum weiteren Subtext dafür. Wieder geht es in dem Text des Songs um Ungewisses und nicht eingelöste Potenziale. Die Textzeilen »I love you deeply but I guess it doesn’t show, I ache inside but my lips can’t let you know« weisen, wie schon Marvin Gayes »I want you«, abermals auf Gefühle hin, die Don nicht zeigen oder vermitteln kann.
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Nicht-Orte und Traumsequenzen Einen Kontrast zu der aussagekräftigen Zeichnung der Privaträume stellen die Hotelzimmer und Lobbys dar, die Suárez den Schauplätzen der unpersönlichen Verkehrsnetzwerke zurechnet und als Orte der Nichtkommunikation interpretiert: »[Broken Flowers] spends most of its time in bland suburbs, impersonal motels, airport lounges, and highways and portrays them with a mixture of bemused interest and detachment. The uneventfulness and impersonality of these locations condition the many intimate moments in which there is no communication or activity, only silence and inertness.« (Suárez 147)
Allerdings ist die Gestaltung gerade der Hotelzimmer durch Irritationsmomente unterwandert. Bevor der Zuschauer Johnston im Hotel aufwachen sieht, zeigt der Bildausschnitt eine seltsame Landschaft: einen Bergsee zwischen Bäumen bei Nacht. In der Folgeeinstellung wird ersichtlich, dass die Szenerie auf einem Gemälde über dem Bett vor einer sperrigen karierten Tapete arrangiert ist (01:10:27). Das seltsame Detail des Raumes wird Sinnbild von Dons Orientierungslosigkeit. Johnston vermag dort keine Identität aufzubauen, es ist in dem Bild nicht einmal das Bruchstückhafte repräsentiert, das sein eigenes Haus ausdrückt. Broken Flowers illustriert besonders durch die Darstellung des modernen Kommunikationsund Verkehrsnetzwerks die Wurzellosigkeit des deplatzierten Don Johnston. Er, der seinen Wohlstand in der Computerbranche erworben hat, sieht sich mit Orten und Fortbewegungsstrukturen konfrontiert, deren Ähnlichkeit und Uniformität zur inneren Bezugslosigkeit führen muss. Die Bedingungen der Mobilität führen zu dieser Gleichheit, wie sie Elliot und Urry schildern: »The ›splitting‹ of identity between individual creation and system dependency, activity and passivity, subjective and objective, is especially evident. To put the matter starkly: there is a paradox about mobile lives. The paradox is that, while we examine the intensive and extensive dimensions (real, imagined, virtual) of people’s movements and travel in order to unearth the novel textures of individual life, today few social forms are more predictable, routine and uniform than those of the mobile denizens of this global age. People use the internet, travel daily by car or train, catch international flights, send text messages on mobiles, search global electronic databases and accept just-in-time delivered goods from around the world to their front door.« (Elliot/Urry 13)
In just einem solchen vorhersehbaren und uniformen Rahmen bewegt sich Don Johnston in Broken Flowers. Winston recherchiert die Adressen von Johnstons
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Freundinnen im Internet, plant seine Reise mit Online-Flugbuchungen, Mietwagen und effizienten Routenverbindungen. So vollzieht Johnston seine höchst persönliche und intime Reise innerhalb von Parametern, die für jeden Nutzer dieser Netzwerke die gleichen sind. Johnston selbst ist dieses Paradoxon bewusst, als er resigniert seufzt: »I’m a stalker in a Taurus« (00:57:15). Zweimal fährt Johnston einen Mietwagen, beide Male ist das Modell ein Ford Taurus. Das durchschnittliche und biedere Fahrzeug empfindet Don als unangemessen. Besonders die Wartehalle des Flughafens, in der Don zu Beginn seiner Reise sitzt (00:29:57) und die er an ihrem Ende wieder durchquert, drückt Uniformität aus. Mehr noch als andere Nicht-Orte verdanken Flughäfen ihre Gestaltung Marktanalysen und Entscheidungen kapitalistischer Privatunternehmen. Durch ihre primären Aufgaben des Verkaufs und der Unterhaltung entsteht eine Gleichheit, die ihre Gestaltung vor allem der Kundendemografie verdankt, was eine räumliche Einordnung erschwert (vgl. Edge 220). So sei es manchmal schwierig zu unterscheiden, ob man sich in einem Einkaufszentrum in New Jersey oder einem Flughafen in Saudi-Arabien befinde (ebd). Die Wartehalle sticht dementsprechend auch als Innenraum ohne Musik hervor – es sind nur im Hintergrund leise Fluggeräusche und Durchsagen zu hören. Dons Reise beginnt in einem Raum von deprimierender Eigenschaftslosigkeit. Zweimal schläft Don im Flugzeug ein und träumt von fragmentierten Eindrücken seiner Reise. Sein Verlorengehen in modernen Verkehrsnetzen wird durch kurze Musikstücke vor beiden Traumsequenzen gekennzeichnet: das schwebende Glockenspiel aus dem Intro des Songs »Unnatural Habitat« von The Greenhornes und ein kurzer Ausschnitt aus »Dreams« von den Allman Brothers. Schon die Namen der Stücke sind als Anspielungen zu verstehen: »Dreams« kündigt die Traumsequenz an, »Unnatural Habitat« bezieht sich auf Don Johnstons Umgebung – es ist bezeichnend, dass das Stück im austauschbaren Raum des Flugzeugs einsetzt. In der ersten Traumsequenz geht das Stück in seinem kurzen Ausschnitt eine besonders enge Beziehung zur Diegese ein: Das tiefe, wiederkehrende Dis7 des sechstönigen Glockenspiel-Motivs wird von dem Anschnallsignal beantwortet, das nach Dons Traum erklingt. Dieses beginnt mit dem Dis eine Oktave höher. Das Anschnallsignal wird musikalisiert, gleichzeitig wird die Musik von der durch Sound Design gestalteten Klangwelt infiltriert. Das Stück »Unnatural Habitat« kennzeichnet einen unnatürlichen Lebensraum. Aber gleichzeitig formuliert die Entsprechung zwei Verwischungsprozesse: von Wirklichkeit und Traum und von
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Da die DVD im Gegensatz zu dem Film mit 25 statt 24 Bildern pro Sekunde abläuft, hebt sich die Höhe der gesamten Tonspur um fast einen Halbton an – es ist also davon auszugehen, dass die Tonhöhe in Wirklichkeit in etwa auf dem D liegt.
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filmisch-realistischem Ton und extradiegetischer Musik. Damit greift das von Großunternehmen geformte Verkehrsnetzwerk auf Dons eigenen Erinnerungsraum über und stört eine verinnerlichende Perspektive, die es ihm ermöglichen könnte, auf der Reise zu sich selbst zu finden. Durchquerungsmusik: Mulatu Astatké Den sorgsam ausgestalteten und musikalisch gekennzeichneten Innenräumen sind Don Johnstons Durchquerungen im Mietwagen und Flugzeug zwischengeschaltet. Wo Gamelan-Musik Allie begleitete und Screamin’ Jay Hawkins Evas Voranschreiten den Takt gab, ist in Broken Flowers die Durchfahrt mit dem Auto immer wieder von neuem durch Mulatu Astatkés Jazz untermalt, den Don per CD im Autoradio abspielt. Mit der äthiopischen Musik, die Winston Don mit auf die Reise gibt, geht Don letztendlich doch eine subjektive Verbindung mit seiner Fahrt ein. So entsteht ein eigener Reiseraum, in dem Astatkés Musik einerseits Dons Innenleben kommentiert und ausdrückt, andererseits aber auch die Durchquerungen strukturiert. Wie Allies Streifzüge durch die Gassen New Yorks kommentiert Jarmuschs filmische Inszenierung Dons Fahrten trotz ihrer Ausrichtung an einem klaren Plan als nicht zielgerichtet. Sie ist an der Durchquerung des Raumes vor allem als Bewegung interessiert: Das parallele Vorbeigleiten der Landschaft aus dem Auto heraus wechselt sich mit Einstellungen der Fahrten von außerhalb ab. Dabei stellt Broken Flowers die Räume nicht so dar, dass sie schnell oder einfach fassbar werden. Mauer merkt an, dass die Fahrten »tunnelartig erscheinen, verengt durch Brückenkonstruktionen und überdacht von Baumkronen« (333). In den meisten Fällen zeigt der Film die Bewegung im Rückspiegel und dem Seitenfenster gleichzeitig, die Schnittfolge wird beschleunigt oder die parallele Vorbeisicht gewählt. Die Kamerasicht aus dem Fahrzeug heraus wählt meist den Fahrersitz, Dons Perspektive, als Ausgangspunkt. Von dort aus schwenkt der Blick mal nach vorne auf die Fahrbahn, mal in Richtung Seitenfenster und Rückspiegel. Aus diesen Wiederholungen und Variationen schält sich keine Richtung oder Entwicklung heraus. Oft beinhaltet schon ein einzelner Bildaufbau widerläufige Perspektiven und Bewegungen. Laderman beschreibt die Verwendung von Kompositionen, die die Spiegel miteinbeziehen, als typisch für das Roadmovie: »To be sure, this is due largely to driver point of view shots; but these frame compositions also function reflexively, exaggerating or enhancing the camera’s presence. Unlike interior domestic scenes that use doorways and windows to create a sense of entrapment and enclosure, the road movie makes use of the formalistic frame-within-a-frame so as to foreground
114 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION the crucial act of looking and seeing while driving. […] This framing/reflection technique helps visualize aesthetically the theme of self-exploration as a projection of self through space.« (Laderman 16)
Auch Broken Flowers inszeniert die Selbsterkundung seines Protagonisten durch die Verwendung von Einstellungen mit Spiegeln und gegenläufigen Blickrichtungen. Besonders die Bildkompositionen, in denen sich während der Vorwärtsfahrt der zurückgelegte Raum im Rückspiegel aufbaut, sind sinnbildlich für Johnstons Reise zu verstehen (vgl. Abbildungen 20-27). Wo sich in Permanent Vacation Allies Streunen neugierig und intuitiv voranstrebend vollzieht, ist die Reise in Broken Flowers zwar räumlich vorwärtsgerichtet, gleichzeitig jedoch durch ein vorher geplantes Raster beengt und zeitlich rückwärtsgewandt, da Johnston Lebensabschnitte besucht, die für ihn zuvor schon abgeschlossen waren. Diese Ambivalenz wird durch die simultane Darstellung des zurückgelegten Weges und der Vorwärtsbewegung eingefangen. Dabei wird auch das Vordringen zwiespältig dargestellt. Selten blickt der Zuschauer mit Johnston nach vorne, in Richtung eines zielgebenden Horizonts oder Fluchtpunkts. Stattdessen liegt das Gewicht immer wieder bei der parallelen Vorbeisicht, in der die Landschaften vorbeigleiten und die Johnstons Fahrt als eine passive Bewegung kennzeichnet. In den raren Momenten, in denen Johnston die Straße vor ihm liegen sieht, ist seine Augenpartie stets im mittleren Rückspiegel eingefangen. Sein Blick aber ist durch die Sonnenbrille verdeckt, was seine emotionale Wahrnehmung unzugänglich macht. Johnstons Unvermögen, seine eigene Reise zu verstehen oder in einen sinnbildenden Zusammenhang zu setzen, zeigt Broken Flowers deutlich, als er in diesem Bildaufbau auch noch gleichzeitig einen Routenplan studiert (vgl. Abbildung 222). Abbildung 20: Autofahrten
Abbildung 21
Broken Flowers 00:32:59
Broken Flowers 00:44:54
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Abbildung 22
Abbildung 23
Broken Flowers 00:45:58
Broken Flowers 00:46:25
Abbildung 24
Abbildung 25
Broken Flowers 00:56:05
Broken Flowers 01:00:39
Abbildung 26
Abbildung 27
Broken Flowers 01:12:20
Broken Flowers 01:13:49
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Die Musik des äthiopischen Jazzmusikers Mulatu Astatké greift mit diesen Variationen über eine Perspektive, in der Vorwärtsbewegung und Rückblick gleichzeitig angelegt sind, ineinander. Sie begleitet Don auf seinen Fahrten mit dem Mietwagen. Durch die Wiederkehr einzelner Songs, aber auch durch die rhythmischen Schleifen, die ihr zugrunde liegen, unterstützt sie den Eindruck, dass Don auf seinen Fahrten nicht vorankommt – dass sie eher Zustand als Bewegung sind, eine Spannung, die auch die Bildkompositionen durch ihre widerläufigen Richtungen herstellen. Winston hat Don Astatkés Musik auf einer selbstgebrannten CD gegeben und sie wird zum Impulsgeber, der Dons Reise überhaupt erst in
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Gang bringt. Diese Dynamik ist in Broken Flowers zumindest teilweise an die Kultur Äthiopiens gebunden. Zu Beginn des Films bietet Winston dem stoischen Don eine Tasse Kaffee an. Der vorher kaum eine Emotion preisgebende Freund blickt hoffnungsvoll auf und fragt: »Would it be a cup of Ethiopian coffee?« (00:09:30). So erweckt die Erwähnung des äthiopischen Kaffees das erste Mal Sehnsucht in Don. »Work on that list«, gibt Winston dem widerwilligen Don seinen Reiseauftrag. »The only warmth given the taciturn and listless Don comes from the fluid and all-encompassing Ethiopian music, his faithful travelling companion«, schreibt Piazza (152). Diese Verbindung formuliert Winston selbst überdeutlich, als er die CD mit den Worten überreicht: »Ethiopian music. It’s good for the heart.« Zu dieser Funktion gibt auch der transkulturelle Kontext von Astatkés Musik wertvolle Hinweise. Mulatu Astatké studierte in den 1960er Jahren als erster Afrikaner am berühmten Berklee College of Music in Boston. Astatké »created a seriously happy mix between traditional Ethiopian music and jazz, with particular regard to the timbre and the choice of instruments: vibraphone, brass, organ and guitar«, schreibt Piazza (152). Sein Song »Yegelle Tezeta« trägt den englischen Titel »My Own Memory«, ein weiteres Moment, das Dons vorwärtsgerichtete räumliche Bewegung mit rückwärtsgerichteter zeitlicher Bewegung verbindet. Der wichtigste der in Broken Flowers verwendeten Songs ist aber »Yekermo Sew« (»A Man of Experience and Wisdom«). Der Titel »Ein Mensch, der über Erfahrung und Weisheit verfügt«, entfaltet mit Dons Suche eine ironische Bedeutung. Schließlich geht es in dem Film um die Erfahrungen Dons, aber auch darum, dass es ihm misslingt, konstruktive Schlussfolgerungen aus ihnen zu ziehen, die, wenn schon nicht in Weisheit, doch zumindest in Erkenntnis münden könnten. Wie Piazza in ihrer akribischen Aufarbeitung der musikalischen Struktur zeigt, bringt diese eine ambivalente Wirkung hervor: »[…] a specific type of variation on a theme is used originating from the bebop jazz lingo of the 1940s of which Mulatu found models and analogies in the traditional music of his country. Contrary to what usually happens, rhythms and melodies (variations) change while the harmonies (theme) based upon hypnotic pentatonic scales dictated by Ethiopian tradition remain constant. In short, pentatonic scales are scales without semitones made up of five notes not dissonant from each other. The absence of semitones annuls the hierarchies between the notes because it eliminates the functions of tonal tension that the semitones normally determine, in such a way that no note overwhelms another by playing the role of resolution-note (tonic). The two tonal models, major and minor, are thus indiscriminately contained in these scales that adapt very nicely to create a circular and unsolved general atmosphere: the perfect sound environment of Don Johnston’s uncertain journey into his
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past. The constant theme around which the rhythmic and melodic variations express themselves is thus of a harmonic nature or, to use a more cinematographic comparison, of an environmental nature or rather a genre […].« (Piazza 152)
Das von Piazza beschriebene Zusammenspiel äthiopischer Musik mit dem BebopIdiom erklärt die Offenheit und hypnotische Zirkularität der Musik. Aus der Begegnung der beiden Musiktraditionen tritt eine Querverbindung als besonders erhellend hervor: Astatkés Komposition ist eine Umarbeitung von Horace Silvers populärem Jazzstandard »Song for My Father« (1965). Beide fußen auf einer AAB-Struktur, und ihre Melodie schlägt nach einem ansteigenden Auftakt eine triolische Abwärtsbewegung ein. Auch der treibende Bassrhythmus im Quintensprung ist beiden Kompositionen gemein. Der äthiopische Jazz dient nicht dazu, eine sehnsuchtsvolle Melancholie oder gar ein vages Gefühl der Fremdheit auszudrücken. Er ist eng mit Dons unterdrückter Gefühlswelt verbunden: Einerseits in seinem ziellosen Schwebezustand, andererseits durch die widerhallende VaterSohn-Thematik im Rückbezug auf den Jazzsong von Horace Silver. Besonders signifikant ist, dass Astatkés Musik im ganzen Film nur einmal außerhalb von Johnstons Fahrzeug zu hören ist, nämlich dann, wenn zu seinem Ende ein Don herausfordernd fixierender junger Mann in einer Zeitlupensequenz im Auto an ihm vorbeifährt.8 Astatkés »Yegelle« ertönt aus dem Inneren des Autos. Im Verlauf des ganzen Films erlebt Don verschiedene kurze Begegnungen mit möglichen Söhnen. Die Übertragung des symbolisch beladenen Songs von Mulatu Astatké auf die von Murrays Sohn gespielte Figur bietet vielleicht nicht den dringlichsten Hinweis auf eine tatsächliche Vaterschaft, bringt Don aber den stärksten Augenblick der Identifikation. Die Zeitlupe kennzeichnet den Moment als subjektiv von Don wahrgenommen. Auch der VW Käfer, der aus der Zeit stammt, in der Don selbst ein junger Mann war, macht seinen Fahrer zum jungen Spiegelbild des gealterten Don und setzt einen ironischen Kontrast zu dem durchschnittlichen Ford Taurus. Die Rhythmik der musikalischen, kinematografischen und narrativen Wiederholungen wird hier auf mehreren Ebenen verletzt. In der Szene hört Don Astatkés Musik von außen, aber trotzdem aus einem fahrenden Automobil. In dieser Konstellation ist erstmals Don räumlich fixiert, während die Musik sich ihm nähert, um dann zu verschwinden. Zuvor hatte immer die Musik für Kontinuität gesorgt, während die Räume an der Kamera vorbeiflogen. Auch der anschließende Kamera-
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Er wird von Bill Murrays Sohn Homer Murray gespielt – ein weiterer Hinweis, dass Don möglicherweise der Vater des jungen Mannes sein könnte.
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schwenk rund um Don herum ist ein filmisches Mittel, das mit den zuvor beschriebenen, zerstückelten Einstellungen während der Fahrten bricht. Art des Musikeinsatzes und filmische Inszenierung kennzeichnen hier also Entwicklungen: Die Suche nach dem Sohn führt in der letzten Szene zu einer Spiegelung Dons mit einem jungen Mann, der einen ähnlichen Trainingsanzug trägt wie Don, die gleiche Musik hört und von Bill Murrays Sohn gespielt wird. Dazu bietet die Kamera einen Rundumschwenk, der den zersplitternden Bildern der Suche entgegengesetzt ist. Aber dennoch wird nichts zur Vollendung geführt. Die Ansichten und Eindrücke des Films haben sich nicht komplettiert. Stattdessen zeigt die Rundumsicht auf ironische Weise, dass selbst in der dreidimensionalen Abbildung Dons von allen Seiten seine Identität unkomplett und brüchig ist. Filmmusik in Broken Flowers und Konvention Die Kommentierung der Durchfahrten amerikanischer Landschaften mit äthiopischer Jazzmusik bricht mit der Konvention, über die Musik eine Einheit der Figuren mit ihrer geografischen Umgebung herzustellen. Gerade Musik, die aus einer für die amerikanische Perspektive fremden Kultur stammt, hat üblicherweise die Rolle, kulturelle Differenz zu markieren. Hickman beschreibt dieses Verfahren beispielhaft anhand der Musik des indischen Sitar-Virtuosen Ravi Shankar für den Film Ghandi: »music creates an Indian ambiance as we watch the passing countryside«, und fügt hinzu: »George Fenton contributed Western music cues to the film; they generally underscore dramatic moments.« (Hickman 370) In dem Beispiel ist die Rollenverteilung klassisch: Die von der Konvention abweichende Musik macht klar, dass es sich um eine fremde Landschaft handelt; für dramatische Momente bedient man sich des westlichen Musikvokabulars. Im Gegensatz zur Konvention zielt die Musik in Broken Flowers nicht auf eine Einheit mit dem dargestellten Raum ab. Auch ist sie nicht nur als Marker eines anderen Kulturkreises präsent. Obwohl die Musik von Winston stammt, ist sie mehr mit Dons Identität verbunden als mit jener des äthiopischen Einwanderers. Die Musik hilft dabei, die Fernstraße in Broken Flowers auf ähnliche Weise als jenes destabilisierende Element zu konstruieren, das sie für Andrew S. Gross schon bei Boorstin, David Lynch und Miller ist. »[The] image is no longer expressive of place or space. The collapse of this symbolic relation entails the end of the scenic understood as a correlation between subject, site, and nation. Site is no longer related to sight through synecdoche but through distortion or illusion, or at best through artful city planning: the part no longer ›naturally‹ represents the national whole. The sublime vision of the nation gives way to suspicion of the fake. The subjectivity
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corresponding to this landscape of illusion is alienated, displaced, no longer ›at home‹ in any particular location, and reduced to the mobile body as a site of ›authentic‹ experience. The interstate provides a spatial figure for this situation […].« (Gross 430-31, Hervorh. i. O.)
Auch Jarmuschs Darstellung der Fernstraße zielt nicht auf harmonische Einbettung ab. Ganz sicher ist Dons Subjektivität verfremdet, entwurzelt und an keinem der Orte beheimatet, die er besucht. Die schnelle Abfolge unzusammenhängender Landschaftsabschnitte, Perspektivwechsel und die unruhige Kameraführung zeigen diese konstante Fremdheit. Die Auflösung des harmonischen Dreiklangs von Subjekt, Ort und Nation betreibt Broken Flowers außerdem durch den Bezug zu Äthiopien, der besonders während der Fahrsequenzen mittels der Musik Mulatu Astatkés hergestellt wird. Mehr als nur ein fremder oder exotischer Kommentar ist die Musik Schlüssel zu verschiedenen Teilen von Dons Perspektive: Sie zeigt durch ihre fremde Herkunft Distanz an, gleichzeitig aber Nähe zu seinem Freund Winston, der über das Geschenk eng mit der Gefühlswelt Dons während dessen Reise verbunden ist. Ihre zirkuläre Struktur ist dabei befeuerndes und vorantreibendes Moment hinter Dons Fahrt. Die Raumbewegung ist in Broken Flowers nun ausdifferenzierter als in anderen Filmen Jarmuschs. Die insgesamt stärkere Intertextualität macht sich auch auf der musikalischen Ebene mit etlichen Zitaten bemerkbar. War Gamelan noch wegen seiner musikalischen Struktur eine filmische Wahl (Wiederholungen, Schleifen, Timbre) und drückte das grundsätzliche Bewegungsprinzip Allies aus, so geschieht in Broken Flowers das Gleiche mit der Musik Astatkés. Diese jedoch ist an Dons Freund Winston gebunden und somit stärker in der filmischen Realität verankert. Die Musik ist dabei nicht wie in vielen konventionellen Einsatzformen ein externer Kommentar, der eine vereinfachte und oft exotisierte Einbettung von Individuum, räumlicher Umgebung und Kultur mittels einer als authentisch behaupteten Musik forterzählt. Stattdessen definiert Don seine Identität in Broken Flowers gerade durch das Abspielen intradiegetischer Musik, die einer stereotypen Zuordnung zuwiderläuft und die Einheit von Umgebung, Individuum und Identität aufbricht. Die Musik in den Innenräumen kennzeichnet in Broken Flowers Figuren und Räume, aber auch zwischenfigürliche Beziehungen. Sie vermittelt stets auch Wissen, das außerhalb der Figurenebene angesiedelt sind. Die von Glasl benannten Coverversionen weisen auf die intertextuellen Verknüpfungen hin, die die Handlung von Broken Flowers prägen. Sowohl die Nicht-Orte als auch die Privatsphären erfahren eine größere symbolische Aufladung und eine stärkere Motivation als in den vorherigen Filmen.
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Broken Flowers nutzt Durchfahrten als Raum der Kontemplation, in dem Dons Reise in Bild und Ton verdichtet wird. Durch Winston wird die äthiopische Musik das Bewegung generierende Mittel. Als emotionale Sehnsuchtsrichtung, aber auch durch seine Titel und den Bezug des Hauptthemas »Yekermo Sew« zu Horace Silvers »Song for My Father« ist sie jedoch auch an den Grund von Dons Suche und an seine Erinnerungen geknüpft. Mit Dons Hintergrund in der Computerbranche, den per Internet geplanten Routen, den gebuchten Mietwagen und Hotels oder dem Musterhaus bietet Broken Flowers stärker als zuvor gesellschaftliche Gründe für persönliche und emotionale Isolation an. Der im Voraus konzipierte Reiseplan tritt an die Stelle von Intuition und eigener Assoziationskraft und ist so ein gewichtiger Grund dafür, dass Don überall ein Fremder bleibt. Die Wiederholungsstrukturen von Broken Flowers sind vor allem für die Abweichungen wichtig: Gerade die Auslassung der äthiopischen Musik hebt die verlorensten Momente Dons hervor. Und die Umkehrung, durch die Don von außen die Musik im VW Käfer hört, zeigt, dass Dons Desorientierung sich durch die Reise nicht auflösen konnte, sondern sich sogar noch stärker zeigt. Die Untersuchung von Permanent Vacation, Stranger than Paradise und Broken Flowers hat verschiedene Funktionen der Musik in Jim Jarmuschs transnationalen Erzählungen gezeigt. Grundsätzlich wird Bewegung durch Räume in den Filmen immer durch Musik angetrieben, während der örtliche und stellenweise auch zeitliche Bezug hinterfragt und destabilisiert wird. Die Musik unterstützt Schleifenstrukturen durch ihre eigene iterative Form und durch den Rhythmus ihrer Wiederholung und Variation im Verlauf des Films. Außerdem trägt sie zur Etablierung von Ähnlichkeitsbeziehungen und Unterschiedslosigkeit bei, die sich auch und vor allem auf Ortsidentitäten bezieht. In Permanent Vacation beschreibt die Musik einen unüberwindbaren Zustand der Rastlosigkeit, Heimatlosigkeit und des Fernwehs. In Stranger than Paradise konstruiert die Musik einen Spannungszustand zwischen Ungarn und Amerika. Sie drückt die Sehnsucht nach einer unverwechselbaren Ortsidentität aus, eine Sehnsucht, deren Erfüllung verwehrt bleibt. Auch in Broken Flowers liefert die Handlung keine Auflösung, doch die Musik zeigt sich als hauptsächliche Ebene, auf der Dons Emotionen und Erinnerungen verhandelt werden. Die Musik und Raumdarstellung spiegeln die Erkenntnisse des Migrationsforschers Heinz Fassmann, der in »Von der Migration zur transnationalen Mobilität« feststellt: »Gedächtnis, Erinnerung, kollektive und individuelle Identitäten sind immer seltener eindeutig und immer weniger in eine nationale Perspektive einzuordnen.« (Fassmann 11) Die Musik vermittelt in den Filmen von Jarmusch zwischen den Wahrnehmungsperspektiven von Fremden und verbindet Menschen. Sie zeigt sich dabei als maßgeblich an der Konstruktion von Identitäten
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beteiligt, die im Gegensatz zu heimatlicher Einbettung auf Bewegung basieren: Das Verhältnis der Figuren zur Umgebung ist im ständigen Wandel begriffen. Die Musik ist wichtigster Bestandteil der zirkulären Narration sich wiederholender und variierender Motive. Anstelle von Entwicklung sorgt sie für eine offenere Form der ständigen Veränderung, die einem Verständnis von Heimat als Zugehörigkeit von Individuum zu Raum und damit einer nationalen Identitätsbehauptung im Wege steht.
Kulturelle Hybridität und Musik in den Filmen von Jim Jarmusch
Die Musik ist in Jarmuschs Filmen maßgeblich an einem wiederkehrenden Gegensatz von Bewegung und Stillstand beteiligt, der Mobilität und Heimatlosigkeit ausdrückt. Der zweite Analyseteil der Untersuchung widmet sich im Folgenden der Rolle der Musik in filmischen Inszenierungen kultureller Hybridität. Einerseits ist damit die transkulturelle Begegnung von Figuren gemeint, andererseits das intertextuelle Zugriffsfeld der Filme: Dass sich in den Filmen von Jarmusch verschiedene filmische, literarische und musikalische Texte aus unterschiedlichen Kulturen und künstlerischen Traditionen begegnen, ist eines ihrer grundsätzlichen ästhetischen Prinzipien. In der wissenschaftlichen Aufarbeitung sind zahlreiche Referenzen der Filme akribisch nachgewiesen worden (vgl. u. a. Mauer 2006, Suárez 2007, Glasl 2014). Die folgenden Filmanalysen sollen über die Betrachtung jener Beziehungen hinausgehen, welche die Filme durch Zitate und Anspielungen zu Filmen, Romanen, Fernsehserien, Gedichten und vielen weiteren Texten herstellen. Neben ihnen sollen intertextuelle und hybride Strukturen in der Musik und den Dialogen aufgedeckt werden, die eigene Formen von Grenzauflösungen betreiben. Auf der musikalischen Ebene verwischen die Strukturen Genregrenzen oder vereinen durch Sampling Klangfragmente aus unterschiedlichen Musikkulturen in neuen Kontexten. Auf der Sprachebene stellt Hybridität die Abgeschlossenheit fester Bedeutungszuschreibungen in Frage. Der bisherigen Untersuchung getreu, werden die erzählerischen Funktionen der Musik auch weiterhin entlang der zirkulären Narration entwickelt. Hybridität ist besonders in der postkolonialen Theorie und in Studien zur kulturellen Globalisierung ein zentrales Konzept. Im einfachsten Sinne bezeichnet sie ein Verständnis von Kulturen als gegenseitig durchdrungen, wie Edward Said, eine der einflussreichsten Stimmen im postkolonialen Diskurs, auf den Punkt
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bringt: »Partly because of empire, all cultures are involved in one another; none is single and pure, all are hybrid, heterogenous, extraordinarily differentiated, and unmonolithic.« (Said xxv) Nach dieser Auffassung sind alle Kulturen und das, was sie hervorbringen, hybrid – ein Kulturbegriff, der sich Konzepten widersetzt, die von klaren Grenzen ausgehen. Jan Nederveen Pieterse sieht das als Kernpotenzial des Begriffs: »In the end, the importance of hybridity is that it problematizes boundaries.« (Nederveen Pieterse 5) Auch für Rubdy und Alsagoff stellt die destabilisierende Perspektive, die Hybridität gegenüber Kategorien einzunehmen vermag, ihren analytischen Mehrwert dar: »hybridity is a helpful concept because it provides a profoundly reflexive perspective in transcending binary categories.« (Rubdy/Alsagoff 9) In The Location of Culture beschreibt auch Homi Bhabha Hybridität als wichtiges Gegengewicht einer essentialistischen Auffassung, die Kulturen als authentisch und voneinander abgrenzbar begreift: »Cultures come to be represented by virtue of the processes of iteration and translation through which their meanings are very vicariously addressed to – through – an Other. This erases any essentialist claims for the inherent authenticity or purity of cultures which, when inscribed in the naturalistic sign of symbolic consciousness frequently become political arguments for the hierarchy and ascendancy of powerful cultures.« (Bhabha 58)
Dieser Gegensatz von Hybridität und Essentialismus ist von Timothy D. Taylor kritisiert worden. Er wendet ein, dass dominante Instanzen hybride Erscheinungen auch als Abweichungen oder neue authentische kulturelle Produkte interpretieren könnten (vgl. Taylor 145). So werde gerade die Hybridität oft als neue Form der Authentizität konstruiert, wie es etwa in dem Diskurs um Weltmusik der Fall sei (141). Auch der Ethnomusikologe Martin Stokes problematisiert in seinem Aufsatz »Music and the Global Order« (2004) eine Zuschreibung von Hybridität als ästhetisch, ethnografisch und politisch der Authentizität überlegen und betont die komplizierten Beziehungen beider Begriffe: »The identification of authentic elements ideologically justifies, naturalizes and cements the hierarchical and exploitative relationships that (continue to) pertain between centers and peripheries, dominant and subaltern groups. The perpetuation of notions of authenticity through an authenticating discourse of hybridity is one of the means by which world music discourse continues to mediate Northern metropolitan hegemony.« (Stokes 501-502)
Dass Hybridität auf diese Weise als neue Authentizität auftritt, ist jedoch nur möglich, wenn man versäumt, ihrer genauen Erscheinungsform auf den Grund zu ge-
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hen. Davor warnen auch Shohat und Stam: »As a descriptive catch-all term, ›hybridity‹ fails to discriminate between the diverse modalities of hybridity: colonial imposition, obligatory assimilation, political cooptation, cultural mimicry, and so forth.« (Shohat/Stam 43) Die Vieldeutigkeit des Begriffs Hybridität birgt auch für Kapchan und Strong die Gefahr, dass in seiner Homogenisierung Unterschiede verschwinden (vgl. Kapchan/Strong 240). »[T]he inescapably organic foundation of the metaphor« (Dorst 270) schränkt für John D. Dorst die Anwendbarkeit der Hybridität als analytisches Konzept ein. Sie sei ungeeignet, sich radikaleren Formen der Vermischung zu nähern, wenn sie organische Strukturen voraussetze. Um die Hybridität hinsichtlich Sprache, Musik und Kulturbegriff der Filme von Jarmusch fruchtbar zu machen, ist es nötig, den Begriff aus einer rein deskriptiven Verwendung zu lösen. Doch der Versuch einer Ausdifferenzierung verschiedener Formen von Hybridität läuft Gefahr, jene Abgrenzungslogik zu bestätigen, die durch Hybridität eigentlich in Frage gestellt wird. Dieses Problem zeigt sich zum Beispiel in Wolfgang Holzingers Aufsatz »Towards a Typology of Hybrid Forms in Popular Music«. Dort fordert er die Etablierung eines Kataloges von Kriterien (vgl. Holzinger 257) und identifiziert fünf Formen der Hybridität: »Combination«, »Mélange«, »Coalescence«, »Unification« und »Emergence«. Seiner Ansicht nach benötigt man den Begriff »hybrid« zur Unterscheidung zwischen vermischten – beziehungsweise nur anscheinend puren – Musikformen und tatsächlich puren Musikformen (264). Gerade in solch einer einstufenden Logik ist Hybridität dafür kritisiert worden, durch die Vermischung von Kategorien deren Abgeschlossenheit zunächst erst einmal vorauszusetzen. Wie Rubdy und Alsagoff schreiben, setzt etwa schon das Konzept der hybriden Sprachenvermischung eine Auffassung von Sprachen als eigenständig und identifizierbar voraus (vgl. Rubdy/Alsagoff 9). Eine Sicht von Hybridität als alles durchdringende Grundeigenschaft würde solch eine Klassifizierung zwar aufweichen, wirft jedoch das Dilemma auf, das Nederveen Pieterse fasst: »[...] if we accept that cultures have been hybrid all along, hybridization is in effect a tautology: contemporary accelerated globalization means the hybridization of hybrid cultures.« (Nederveen Pieterse 82, Herv. i. O.) Zur Annäherung an dieses Problem muss zunächst die Vermischung zweier Konzepte der Hybridität aufgelöst werden, die in verschiedener Gewichtung den Diskurs prägt. Eine Verwendung des Begriffs zielt auf Hybridität als Eigenschaft ab, die andere auf Hybridität als Haltung. Diese Gegenüberstellung bewegt sich nah an Mikhail Bakhtins (1981) Unterteilung zwischen »organic« und »intentional hybridity«: Die organische Hybridität vollzieht sich hierbei unbewusst und ist
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in der Kulturgeschichte grundlegendes Prinzip, wie etwa für die Evolution von Sprachen (vgl. Werbner 135). Das Potenzial von Hybridität liegt darin, dass sie die Grenzen anscheinend abgeschlossener Kategorien in Frage stellt und problematisiert. Wenn man sie als Instrument für eine Klassifizierung kultureller Vermischungsphänomene begreift, verliert Hybridität gerade dieses Potenzial. Wie Ella Shohat und Robert Stam aus postkolonialer Perspektive in Unthinking Eurocentrism formulieren: »Hybridity is dynamic, mobile, less an achieved synthesis or prescribed formula than an unstable constellation of discourses.« (Shohat/Stam 42) Wenn man die Hybridität als Haltung versteht, bewegt sich die Sicht von der Hybridität als Grundeigenschaft hin zu der Art und Weise, wie kulturelle Produkte mit dieser Eigenschaft umgehen. So erkennt Jay David Bolter in neuen Genres und Stilen einen hohen Grad an Vielfalt und Fragmentierung – Eigenschaften, die er als »hallmarks of hybridity« (Bolter 109) bezeichnet. In Kontrast dazu sieht er Verfahren, die ihre Brüche kaschieren, statt sie offen zu zeigen und hervorheben: »practices that strive for seamless, transparent representation of the real within a single medium or media form« (110). Damit Hybridität trotz der von Nederveen Pieterse angesprochenen Tautologie analytisch fruchtbar verwendet werden kann, benötigt sie diese reflexive Ebene, die ihr als Haltung eingeschrieben ist. Dazu ist eine Bewegung weg von den Fragen nach identifizierbaren Bestandteilen hybrider Produkte hin zu Fragen nach der Art ihrer Vermittlung nötig: nach der Inszenierung, durch die sie in verschiedenen Ästhetiken ihre eigene Hybridität ausdrücken. Eine solche Bewegung fordert Martin Stokes für den Weltmusik-Diskurs, Anthropologie und Ethnomusikologie ein – die positive Überhöhung von Hybridität führe hier zur Verwischung ästhetischer, politischer und sozialer Unterscheidungen (vgl. Stokes 503). Dem müsse entgegengesteuert werden: »Aesthetically speaking, one must distinguish between a variety of different ways in which styles, genres, instruments, and sounds perceived as different are brought together: Which elements mark cultural difference, and which signify or engage with modernity? Which elements blend seamlessly, and which generate a frisson of difference?« (503)
Die von Stokes gestellten Fragen bewegen die Hybridität weg von ihrem Verständnis als grundlegende Eigenschaft hin zu ihrer Intertextualität, zur genauen Art und Weise, in der die hybriden Konstrukte entstehen. Auch für Pauline Turner Strong ist der Fokus auf verschiedene Erscheinungsformen kultureller Vermischung vielversprechend: »Attention to a multiplicity of coexisting, mutually implicating forms of cultural mixture has the significant potential of highlighting
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the distinctive and contending power relations at work within and between each form.« (Strong 586) Die Hybridität als Haltung kann Brüche offenlegen und so zum Teil der selbstreflexiven Strategien werden, die Robert Stam so beschreibt: »[Reflexivity is] the process by which texts, both literary and filmic, foreground their own production, their authorship, their intertextual influences, their reception, or their enunciation.« (Stam xiii) Die reflexive Haltung steht der Hybridität nahe, und Stam versteht sie als Gegengewicht zur illusionistischen Ästhetik, die den von Bolter beschriebenen Repräsentationen ohne Brüche nahesteht. Werner Wolf fasst die Grundeigenschaften des Illusionismus zusammen: Er fußt auf festen hierarchischen Ordnungen, Kausalität, einer Auffassung von Zeit als linear und räumlicher Kontinuität (vgl. Wolf 45). »In short, illusionist works on both their content and transmission levels contribute to the verisimilitude of their worlds by linking their inventory according to abstract ›syntactic‹ concepts, that is, by fundamental, logical and epistemological rules that (appear to) govern real life.« (45)
Mit seinem Fokus auf Stabilität, Abtrennbarkeit und Klassifizierbarkeit ist der Illusionismus mit jenen essentialistischen Kategorisierungen verwandt, die durch Hybridität in Frage gestellt werden. Setzt man Hybridität als Grundeigenschaft voraus, so bedeutet dies, dass illusionistische Ästhetiken ihre eigene Hybridität verbergen. Jarmusch inszeniert Hybridität hingegen auf reflexive Weise. Wenn die Gamelan-Musik in Permanent Vacation im urbanen New York erklingt oder der äthiopische Jazz in Broken Flowers Dons Reisen durch das ländliche Amerika begleitet, erschöpft sich die Bedeutung der Musik nicht in einfacher Kontrastierung, sondern entfaltet ein komplexes Spannungsfeld von Widersprüchen und Verknüpfungen zu Themen der Handlung. Durch Mulatu Astatkés Musik und die amerikanischen Soul-Songs steht nicht etwa amerikanische Musik äthiopischer Musik entgegen, sondern eine offen als hybrid gekennzeichnete Musik der anderen – vereint und in Verbindung gebracht durch gemeinsame stilistische und musikhistorische Merkmale. Und Bobs Italienisch zeigt in Down by Law nicht nur die kulturelle Herkunft der Figur an, sondern beweist sich im Zitat amerikanischer Lyrik als Übersetzungs- und Machtinstrument. Gleichzeitig verfremden die englischen Phrasen, die er lernt, zu Floskeln gewordene sprachliche Bilder. In Paterson findet der Titelheld, dessen Notizbuch zerstört wurde, erst durch die Begegnung mit einem japanischen Lyriker zurück zu seiner eigenen Dichtkunst. Night on Earth
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zeichnet einen künstlich stilisierten Kulturaustausch, der keine naive Verständigungsfantasie ausdrückt, aber in seiner Hybridität Verbindungslinien zwischen Kulturen darstellt. In Musik und Sprache begegnen sich Kulturen. Dabei werden sie von einer exotisierenden Funktion befreit, da die Filme Strukturverwandtschaften zwischen Sprachen und Musikstilen zeigen, und aufdecken, wie beide gerade durch ständige Rekontextualisierung und neue Zusammensetzungen Bedeutungen vermitteln. Die Filme von Jarmusch drücken die transnationale Hybridität aus, die Verena Berger und Miya Komori in ihrer Einleitung zu Polyglot Cinema. Migration and Transcultural Narration in France, Italy, Portugal and Spain beschreiben: »With regard to filmic style, the resulting transnational narratives imply a hybridity of aesthetics, settings, acting and languages« (Berger/Komori 8). Durch die intertextuelle und hybride Begegnung von Kulturen in den Filmen von Jarmusch entfalten sich einige Widersprüche: Ästhetisch werden die Kulturen in wiederkehrenden Dialogteilen, in musikalischen Strukturen und in filmischen Zitaten Teil der rythmischen Konstrukte der Filme und ihres Flusses. Dieser nahtlosen Einbettung steht entgegen, dass die Begegnung von Kulturen oft Missverständnisse und Missinterpretationen hervorruft und Bedeutungen kreiert, die nur flüchtigen Bestand haben. Ihre eigenen intertextuellen und hybriden Strukturen kommentieren die Filme in selbstreflexivem Gestus. Dadurch kennzeichnen sie Filme, Musik, Sprache und Literatur als Produkte eines ständigen Austausches, in dem sich verschiedene Kulturen permanent durchdringen und beeinflussen. Diese Beeinflussung tritt nicht nur als organisches Zusammenwachsen auf, sondern auch in Form von Brüchen oder konstruktiven Missverständnissen. Musikalische, filmische und literarische Einflüsse aus anderen Kulturen sind durch verschiedene Ästhetiken offen erkennbar und die Hybridität ist in ihrer intertextuellen Fragmentierung gleichzeitig eine der stärksten inhaltlichen Entsprechungen zu den Rhythmen der zirkulären Narration in den Filmen von Jarmusch.
D ER POLYGLOTTE F ILM : S PRACHENVIELFALT F ILMEN VON J IM J ARMUSCH
IN DEN
Sprache ist eine wichtige Spielebene für die kulturelle Hybridität der Filme von Jim Jarmusch. Schon die bisherigen Analysen zeigten die Begegnungen von Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen als wiederkehrendes Grundmotiv. Die Musik verfährt ähnlich. Allie trifft in Stranger than Paradise in einem Hin-
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terhof auf eine spanisch singende und sprechende Frau, während sich in der Filmmusik javanesische Gamelan-Musik und die Jazzimprovisationen Luries begegnen. Willies Großmutter verwünscht ihren Enkel, der ausschließlich Englisch sprechen möchte, in Stranger than Paradise auf Ungarisch, musikalisch prallen afroamerikanische Bluesmusik und von Bartók inspirierte Klassik aufeinander. Der Italiener Roberto zitiert in Down by Law amerikanische Dichter in ihrer italienischen Übersetzung und hält lebhafte Monologe in seiner Muttersprache. Das japanische Pärchen in Mystery Train streitet in seiner Landessprache, und Luisa spricht am Telefon Italienisch. In Night on Earth ist Helmuts bruchstückhaftes Englisch von deutschen Phrasen durchsetzt, und in den europäischen Episoden des Films kommunizieren die Menschen auf Französisch, Italienisch und Finnisch. Dead Man macht Teile seines Dialogs in der Sprache der Cree und Blackfeet hörbar. Raymond spricht in Ghost Dog haitisches Französisch, und auch Limits of Control greift mit Englisch, Französisch, Arabisch und Japanisch auf viele unterschiedliche Sprachwelten zurück. Ob unterschiedliche Sprachen übersetzt werden und wie dies geschieht, steckt überhaupt erst den Rahmen, in dem die transkulturellen Begegnungen geschildert werden. Die Beobachtung, dass verschiedene Sprachen in längeren Dialogpassagen zum Einsatz kommen, erscheint für sich genommen banal. Jedoch bestünde auch die Möglichkeit, die Sprachen verschiedener Kulturkreise gar nicht erst kenntlich zu machen, sondern die Hauptsprache eines Films auch dort sprechen zu lassen, wo Figuren unterschiedlicher Kulturkreises miteinander kommunizieren. Insbesondere das Hollywood-Kino greift oft darauf zurück, kulturelle Unterschiede durch dialektale Einfärbungen darzustellen. Problematisch ist daran, dass andere Kulturen hier durch ihre Differenz von einem als natürlich gesetzten englischen Sprachkosmos gekennzeichnet werden.1 Dem steht eine Praxis entgegen, in der verschiedene Sprachen über längere Passagen hinweg zum Einsatz kommen. Chris Wahl fasst solche Filme unter dem Genrebegriff des polyglotten Films zusammen: »Filme, in denen hin und wieder fremdsprachige Floskeln oder Anreden verwendet werden, um Lokalkolorit zu verströmen, ansonsten aber über alle Erdteile hinweg dieselbe Sprache
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Ein Beispiel unter vielen für diese hierarchische Sprachordnung stellt Schindler’s List (Steven Spielberg, 1993) dar. Die deutsche Hauptfigur spricht akzentfreies Englisch, während die Dialoge der deutsch-jüdischen Gemeinschaft mit jiddischem Akzent gestaltet sind. Die ohnehin schon brüchige Sprachlogik wird dadurch vollends unmöglich gemacht, dass die deutschen SS-Soldaten auf Deutsch kommunizieren.
130 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION gesprochen wird, gehören demnach nicht zum polyglotten Film, denn dieser ist ›naturalistisch‹: Sprachen werden wie in der Wirklichkeit verwendet. Sie markieren geographische oder politische Grenzen, ›visualisieren‹ die unterschiedlichen sozialen, persönlichen und kulturellen Ebenen, auf denen sich die Figuren bewegen, und bereichern die ›Aura‹ der Darsteller, indem sie ihnen ihre Originalstimme belassen. Die Abbildung der Komplexität von Beziehungsgeflechten, die im Zentrum des polyglotten Films steht, verbietet es, diese Stimmen zu synchronisieren. Sie müssen stattdessen untertitelt werden, weil Untertitel in dem Sinne ›anti-illusionistisch‹ sind, daß sie nicht versuchen, die Vielseitigkeit menschlichen Lebens hinter der Maske eines universalen Verständnisses zu verbergen.« (Wahl 145)
Wahl legt hier mögliche Funktionen des polyglotten Films an, die hilfreich sind, um sich der Vielsprachigkeit bei Jarmusch zu nähern. Allerdings ist die Gegenüberstellung von illusionistischem Maskenspiel der Synchronisation und polyglottem »naturalistischen« Film eine übertriebene Polarisierung. Denn die untertitelte Sprachenvielfalt allein stellt nicht zwangsläufig eine naturalistische Ästhetik her. Wahls Behauptung, dass Sprachen »wie in der Wirklichkeit« verwendet würden, ist in dieser Zuspitzung nicht richtig und zu einem gewissen Grade irreführend. Im Gegenteil ist der Filmdialog auch bei Jarmusch und im polyglotten Film eine in höchstem Maße künstlerisch gestaltete Sprachform, die sich einer Vielzahl von Strategien bedient, mittels derer sie sehr unterschiedliche Ziele verfolgen kann. Der untersuchenswerte Punkt ist nicht so sehr, welche Form von Wirklichkeit die Dialoge abbilden, sondern wie diese künstlerische Gestaltung in Jarmuschs Filmästhetik funktioniert. Isabel Kobus weist darauf hin, dass die Gestaltung von Dialog nicht nur auf der Alltagssprache beruht, sondern insbesondere auch auf der Filmkonvention inszenierter Mündlichkeit (vgl. Kobus 41).2 Diese Strategien, die Mündlichkeit nachbilden, grenzt sie von anderen ab, die dazu dienen, Informationen über die sprechenden Figuren und ihre Zwischenbeziehungen zu liefern (49). Bei Jarmusch kommt dieser »inszenierten Mündlichkeit« die Rolle zu, Rhythmen zu entwickeln: aus der Wiederholung und Variation von Satzteilen und Motiven, aus Sprechen und Sprechpausen und aus Umdeutungen und Missverständnissen in der Übersetzung. Auch Sarah Kotzloff betont die künstliche Überformung des Filmdialogs, der zunächst in mehreren Korrekturvorgängen neu verfasst
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Damit überträgt sie Paul Goetschs Begriff der »fingierten Mündlichkeit« auf den Filmdialog, der wie die Sprache im Roman »Ungeplantheit und Spontaneität« (Kobus 41) vortäuschen könne, beispielsweise durch Verzögerungen und Sprechpausen (45), »eine alltäglich wirkende Dialogsituation und eine illusionsfördernde Filmtechnik« (42), die etwa durch nahtlose Schnitttechnik über Lücken hinwegtäuscht (41).
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und einstudiert wird und seine letztendliche Gestalt noch durch Aufnahme, Schnitt und das Abmischen mit den anderen Tonspuren des Films erhält (vgl. Kotzloff 19). Beides sind im Hinblick auf Jarmuschs Dialoge sehr wichtige Punkte. Denn obwohl seine Filme in ihrem Umgang mit Sprachen nach Wahls Kriterien als polyglott einzuordnen sind3, machen auch sie Sprachen keineswegs »wie in der Wirklichkeit« hörbar. Die Dialoge sind verdichtet mit Wortspielen, Klangmalereien, Improvisationen, Witzen und Missverständnissen. Wahl findet dennoch ergiebige Ansatzpunkte dafür, dass der Wirklichkeitsbezug im polyglotten Film in einer Form stattfindet, die sich Vielsprachigkeit in ihrer Komplexität auf andere Weise nähern kann, als es konventionelle Erzählungen vermögen. Die im längeren Zitat Wahls beschriebenen, sprachlich gezogenen Grenzen vermitteln in den Filmen soziale, persönliche und kulturelle Hintergründe der Figuren. Gerade in den Filmen Jarmuschs ist der Umgang mit unterschiedlichen Sprachen doppelbödig. Einerseits fällt ihr Einsatz unter jene Zeichnung, die Wahl mit der »naturalistischen« Darstellungsweise des polyglotten Films meint. Oft gibt die Sprache der Figuren von Jarmusch Aufschluss über ihre soziokulturelle Verortung. Auch ist der Anteil an (aus amerikanischer Perspektive) fremden Sprachen sehr hoch, und schon allein dies bricht mit den Traditionen Hollywoods, wo fremdsprachige Redeanteile traditionell kurz ausfallen und durch Übersetzung oder einen leicht verständlichen Kontext so inszeniert sind, dass sie möglichst geringe Brüche entstehen lassen (vgl. Kotzloff 80). Diesen als realistische Tendenzen beschreibbaren Strategien stehen andererseits in höchstem Maße gestaltete Elemente des Filmdialogs wie Wortspiele oder Wiederholungsstrukturen entgegen. Außerdem stellen die Filme von Jarmusch oft Dialoge hervor, die ihre Situation selbstreflexiv verhandeln und dadurch ihre eigene Künstlichkeit betonen. Robertos aufgeschnappte englische Phrasen und Sprichworte sind in Down by Law durch seinen Notizblock überdeutlich repräsentiert und thematisieren über ihre zitierende und rekontextualisierende Art das Verfahren des Films selbst. Ghost Dog und Raymond verstehen sich in Ghost Dog, ohne die Sprache des jeweils anderen zu sprechen: Ein Witz, dessen Pointe sich klar an den des Englischen und Französischen kundigen Zuschauer richtet, da
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Night on Earth ist der einzige von Wahl aufgenommene Film Jarmuschs, was angesichts der strukturellen Fünfteilung mit sprachlich unterschiedlichen Segmenten nicht überrascht – jedoch sind aus amerikanischer Sicht fremde Sprachen auch in anderen Filmen (wenn auch nicht in diesem Maße) in der Form präsent, die Wahl als konstitutiv für sein Genre des polyglotten Films sieht: Unter anderem markieren sie soziale und kulturelle Ebenen.
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beide, ohne es genau zu wissen, die gegenseitigen Aussagen in ihrer eigenen Übersetzung wiederholen. Zuschauern, die nicht beide Sprachen beherrschen, erschließt sich dieser ironische Humor zumindest teilweise durch Untertitel, die auch in den anderen Filmen Jarmuschs bevorzugtes Übersetzungsmedium sind. In ihrer Behandlung von Sprache und Musik richten die folgenden Filmanalysen ihren Fokus auf Hybridität als Haltung, die sich verschiedener reflexiver Strategien bedient, um für ein Kulturverständnis einzutreten, in dem Vermischungen und Begegnungen mit allen dabei entstehenden Reibungen und Missverständnissen produktiv sind und Dynamiken generieren.
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In dem Vorgängerfilm Stranger than Paradise war mit Willies ungarischer Vergangenheit schon eine transnationale Konstellation aufgebaut worden. Während Willie dort die Sprache und Kultur Ungarns verdrängt sie und nur durch Eva und Tante Lotte unliebsam in sein neues amerikanisches Leben treten, thematisiert Down by Law einen regen kulturellen und sprachlichen Austausch. Die Figur des Italieners Roberto bringt diese Dynamik in Gang und macht sie für die Figuren fruchtbar. Down by Law folgt den Schicksalen dreier Männer, die sich zufällig im Gefängnis kennenlernen und sich nach einer erfolgreichen Flucht notgedrungen solidarisieren. Die drei sind aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert. Der Zuhälter Jack wird von einem Polizisten in eine Falle gelockt und unschuldig hinter Gitter gebracht. Der Radio-DJ Zack lässt sich überreden, einen Wagen durch die Stadt zu fahren. Er weiß nicht, dass eine Leiche im Kofferraum liegt, die prompt von der Polizei gefunden wird. Die Zwangsgemeinschaft im Gefängnis, wo Jack und Zack, die sich nicht ausstehen können, eine Zelle teilen, wird alsbald durch Roberto erweitert – er hat jemanden durch den Wurf einer Billardkugel getötet. Nachdem Roberto einen Weg gefunden hat, aus dem Gefängnis zu entkommen, erreichen die drei auf der Flucht durch die Sümpfe Louisianas ein italienisches Restaurant. Dort verliebt sich Roberto in die Besitzerin Nicoletta und entschließt sich, zu bleiben. Jack und Zacks Wege trennen sich. Die Musik in Down by Law spielt auf drei Ebenen: die atmosphärische Klammer durch zwei Songs von Tom Waits, eine einzelne exponierte Szene, in der Bob mit Nicoletta zu »It’s Raining« von einer Schallplatte tanzt, und der extradiegetische Soundtrack John Luries. Von der Klammerung abgesehen, stellt der Musikeinsatz in Down by Law eine Ausnahme im Werk Jarmuschs dar: Im Gegensatz zu den anderen Filmmusiken wiederholt er seine Themen nicht über den ganzen Film hinweg und sorgt so für dessen Zusammenhalt. Stattdessen passt sich die
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Musik den drei Handlungsteilen des Films an und macht sie zu für sich genommen dichten, aber doch voneinander abgetrennten Segmenten. Abbildung 28: Frequenzen musikalischer und narrativer Motive in Down by Law
Zwischen der Klammer ist die Musik von John Lurie durch einen Wechsel von ausgedehnten Passagen und kurzen Erscheinungsmomenten gekennzeichnet. Auffälliger Weise wird die Bedeutung von »It’s Raining« noch zusätzlich hervorgehoben, indem davor und danach längere Zeit keine Filmmusik von Lurie erklingt. Die Episode im Gefängnis ist komplett frei von Musik, so dass nichts von dem spröden Ton und der räumlichen Enge ablenkt. Wie aus Abbildung 28 ersichtlich, bleibt dadurch fast ein Drittel des Films frei von musikalischer Begleitung. Rahmung und atmosphärische Prägung: Die Songs von Tom Waits Zwei Lieder von Tom Waits rahmen den Film: Der Prolog ist mit dem Song »Jockey Full of Bourbon« hinterlegt, im Abspann erklingt »Tango ’Till They’re Sore«. Beide Lieder veröffentlichte Waits schon ein Jahr vor Erscheinen des Films auf dem Album Rain Dogs (1985). Auf der Langspielplatte folgen die Songs in der gleichen Reihenfolge wie im Film direkt aufeinander, sind also auf der Tonspur unmittelbar miteinander verbunden. Tom Waits’ bildreiche musikalische Fiktionswelt existierte schon vor Down by Law – und auch in der Parallelfahrt des Prologs wirkt es eher so, dass die Bilder Fantasien der Musik ausdrücken, anstatt umgekehrt. Mauer beobachtet:
134 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION »Musik wird bebildert, Bilder werden musikalisiert. Wie die Kamera und der Mississippi gleitet der Song auf zwei Akkorden und einem rezitativischen Gesang dahin. Die zur Auflösung strebenden Leittöne in der Harmoniestruktur und die Halbtonschritt-Varianten in Waits’ Beschwörungen bauen Spannung auf, treiben voran.« (Mauer 78)
Für Mauer erweckt die Bilderwelt des Liedtextes Eindrücke der dubiosen und gefährlichen Zeit, in der New Orleans Zielhafen französischer Häftlinge und Prostituierter war (vgl. Mauer 78). Aber auch konkrete Themen und Handlungselemente des Films deutet »Jockey Full of Bourbon« an. Die Zeile »Your house is on fire, your children are alone« nimmt die Heimatlosigkeit der Protagonisten vorweg, und auch das Motiv eines Gefängnisses reißt der Songtext an. In der Parallelfahrt werden die rhythmischen musikalischen Strukturen aufgegriffen. Statt eines Flusses, eines indifferenten Vorbeigleitens, treten zwischen den Hausfassaden immer wieder Fluchten ins Bild, die schlagartig einen Blick in die Tiefe ermöglichen. Nach einem kurzen Augenblick verdeckt die fortlaufende Kamerafahrt diesen Blick dann aber wieder, und so formt sich ein »Raster aus Bewegung und Bruch« (Mauer 79). Neben dieser wiederkehrenden, plötzlichen visuellen Tiefe ist das Bild zusätzlich durch die Schnitte rhythmisiert. Auch deren Position bestimmt die Musik: Mit wenigen Ausnahmen befinden sich die Schnitte exakt auf den auffälligen auftaktigen Peitschenhieben des Songs von Tom Waits: »Almost like sharp rhythmic whiplashes, the editing cuts of this sequence rock to the beat of the song and its limpid tones.« (Piazza 158) Jarmusch schafft durch diese assoziativen Verfahren eine Verbindung: »Die Heterogenität einer zerbrochenen Welt wird neu versöhnt.« (Mauer 79) Suárez merkt an, dass die Genre-Hybridität des Films durch Tom Waits’ Musik gespiegelt ist, die viele Einflüsse vereint. »The visual style of Down by Law draws from a number of 1940s and 1950s studio genres, while Waits’ songs are replete with pastiches of polka, waltz, classic blues, and Carribean rhythms« (Suárez, 48). Mit der Musik schließt die »versöhnte« Welt auch die transkulturelle Verbindung ein, aus der New Orleans hervorging. Die Lieder rufen mit Polka und Walzer europäische Musikstile ebenso auf wie den amerikanischen Blues und karibische Einflüsse. Damit ist in der transkulturellen Hybridität der Lieder der europäisch-amerikanische Austausch schon vorweggenommen, den der Protagonist Roberto so kreativ betreibt. Anders als die Musik in Stranger than Paradise (die sich stark in Bezug zum ungarischen und amerikanischen Raum setzt), ist in Down by Law der Musikeinsatz ein kulturell rekontextualisierendes Verfahren, eine Vereinigungsfantasie, die mit Ghost Dog später ihren Höhepunkt findet. »Tango Till They’re
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Sore« fasst am Ende noch einmal Bilder des Films zusammen: »The piece, a dissonant ballad played on the piano and accompanied by the trombone, has a more folk music quality to it than the first one and adapts well to the all-›Italian‹ ending of the film«, schreibt Piazza (158). Doch auch hier trägt der Text Motive fort: »All the hounds will start to roar«, heißt es gleich in der ersten Zeile. Heulende Hunde rufen die Spürhunde in Erinnerung, vor denen die drei fliehen – ihr Bellen ist auf der Tonspur auch am Ende noch zu hören. Der Text nennt New Orleans als geografischen Bezugsraum und die Zeile »let me fall out the window with confetti in my hair« drückt den Wunsch nach dem Überschreiten der Trennlinie zur fiktionalen Welt aus, die zuvor im Film durch ein Fenster symbolisiert ist, das Bob auf die Wand des Gefängnisses zeichnet. Luries Soundtrack für New Orleans: Genre-Anleihen John Luries Soundtrack ist mit den Sprachspielen, Umdeutungen und Missdeutungen in Down by Law verbunden und damit mit der Art des Films, hybride Einflüsse zu vereinen und zu brechen. In der »Film noir«-Episode zu Beginn stützt die extradiegetische Musik das Genre-Zitat, ohne zu festen Formen und Motiven zu finden. Vereinzelte Töne der Perkussionsinstrumente, des Basses oder Saxophons sind zu hören, ohne dass sie eine melodische, harmonische oder rhythmische Kontinuität entwickelten. Für Mauer ist dies »ein atmosphärischer Jazz, der weniger melodisch gedacht als räumlich erspürt ist.« (Mauer 116) Im tatsächlichen Einsatz nimmt die Musik sehr unterschiedliche Funktionen ein. Kommunikation ist eines der bestimmenden Themen des Films und die Musik greift in unterschiedliche Gesprächssituationen ein. Als die Prostituierte auf den Zuhälter Jack einredet, ohne dass dieser ihr widerspricht, erklingt ein klagendes zweistimmiges Motiv von Saxophon und Posaune, unterstützt von einem Bass, der von Ton zu Ton gleitet. All das ist absichtsvoll gebogen und unsauber intoniert (00:10:33 bis 00:12:14). Die Melodietöne reiben sich aneinander und finden nicht harmonisch zueinander. Damit entsprechen sie dem Gespräch, in dem die Prostituierte Jack vorwirft, er sitze regungslos da, ohne sich zu verteidigen, »like you don’t even speak English«. Damit ist schon früh die Limitierung des Amerikaners im Umgang mit Sprache eingeführt, die später durch den findigen Roberto konterkariert wird. Das Klingeln des Telefons unterbindet das Gespräch und damit auch die Musik. Die Musik kommentiert eine spätere Gesprächssituation noch stärker: Als ein zwielichtiger Bekannter Zack dazu überreden will, ein Auto in einen anderen Stadtteil zu fahren, setzen sanfte Perkussionsschläge und Bassimprovisationen
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ein. Während der Bekannte immer mehr Argumente hervorbringt, mehr Geld bietet und immer vehementer versucht, Zack zu überreden, nehmen die Rhythmen an Fahrt auf. Einzelne Posaunentöne gesellen sich hinzu, fast so, als gehe die Musik eine Komplizenschaft mit dem DJ Zack ein und versuche, ihn vor der Falle zu warnen (00:21:22 bis 00:24:28). In ähnlicher Weise setzen mit dem Erscheinen des Polizeiautos vehemente Paukenschläge und Perkussion ein (00:26:22 bis 00:26:42), die Polizeisirene legt sich darüber wie eine Melodiestimme. Das dramatisiert Zacks bedrohliche Lage, schon bevor die Polizisten den Leichnam im Kofferraum entdecken. Dieser spannungsreichen Gestaltung entspricht auch die spätere Inszenierung der Flucht: Verschieden gestimmte Trommeln und Rasseln ertönen, Sirenen mischen sich darunter, dann auch Hundegebell (00:58:24 bis 00:59:18). Auch Genreanleihen zum Film noir unterstützt die Musik, etwa als Jack von einem anderen Zuhälter mit zwielichtiger Aura besucht wird: In der Szene beschwört Jazz mit Walking-Bass und Swing-Rhythmus eine gefährliche Halbwelt herauf (00:14:03 bis 00:15:57). Damit unterstützt die Musik das Verfahren des Films, Elemente des Film noir anzureißen, das Genre jedoch zu brechen. Schon zu Beginn richtet die nackte Prostituierte einen Revolver auf Jack (00:13:13) in einem Bildaufbau, in den die Frau harmonisch und erotisch eingebettet ist, dessen Fluchtlinien aber bedrohlich auf Jack zulaufen. Die Szene ist eine Reminiszenz an die femme fatale im Film noir, eine Figur, der Borde und Chaumeton schon 1955 zuschreiben, genretypisch Gewalt zu erotisieren (vgl. Borde/Chaumeton 9). Jack fällt kurz darauf einem Komplott zum Opfer, das ihn als Kinderschänder darstellt. Zack wird hingegen von einem sadistisch lächelnden Polizisten verhaftet und beleidigt. Beide werden von zwielichtigen, zynischen Polizisten hinter Gitter gebracht, die typische Kernfiguren des Film noir sind (vgl. Borde/Chaumeton 7). Der sich eng um seine tragischen Helden schließenden, in Chiaroscuro kontrastreich fotografierten Welt des Film noir sind Jack und Zack hilflos ausgeliefert. Die Heimatlosigkeit, die beide Bewohner temporärer Unterkünfte mit Bob verbindet, ist ebenfalls Merkmal des Film noir (Sobchack, »Postwar«, 144). In anderen Szenen findet die Musik nicht zu so konkreten Funktionen, geschweige denn zu klaren Melodielinien oder länger anhaltenden rhythmischen Figuren. Das kündigt sich gleich zu Beginn an, wenn Zack auf der Straße sitzt und wabernde Bass-Akkorde mit suchenden Tönen, Mundharmonika und Posaune nicht wirklich zueinander gelangen und nur die Posaune einen flüchtigen Bezug auf das Bild nimmt: Mit zwei prägnanten Tönen untermalt sie die Bewegung, mit der Zack seine Schuhe fortwirft (00:08:45 bis 00:10:25). Das Mäandern der Musik spiegelt auch die Kommunikationssituationen, die von Missdeutungen und Missverständnissen geprägt sind. Luries Musik setzt sich mit dem Film-noir-Genre in
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Verbindung und übernimmt auch »Mickey Mousing«-Funktionen, wenn sie Bewegungen im Bildverlauf aufgreift. Sie drückt das Unvollendete an der Handlung aus: Motive werden angerissen, können sich aber nicht längerfristig etablieren. Anstelle von wiederholten Klangschleifen vollzieht sich der Zusammenhalt hier nur durch Instrumentierung und die rhythmische Platzierung von Musik. Sie repräsentiert das in Down by Law gebrochene Film-noir-Genre – als Musik der Vagheit und Offenheit. Luries Soundtrack im Sumpf: Verschmelzung von Geräusch und Musik In der letzten Episode fliehen die drei Protagonisten durch die Sümpfe Louisianas. Den Wechsel des Settings unterstreicht auch die Musik: Unausweichbar wie die Umgebung nimmt sie die orientierungslosen Figuren gefangen. Ihre Schleifen sind ausweglos, vehement heftet sie sich an die Fliehenden, abrupt entfernt sie sich, nur um scheinbar unwillkürlich wieder aufzutreten. Luries Soundtrack verwischt hier die Grenzen zwischen Geräusch und Musik. Zwar beschreibt die Musik dabei in klassischer Funktion auch das Setting der Szene, macht aber auf ihren eigenen künstlerischen Eingriff aufmerksam. Die Peitschenhiebe aus dem Vorspann waren in Tom Waits’ Stück »Jockey full of Bourbon« schon gleichzeitig Geräusch und Perkussionsinstrument. In ähnlicher Weise hinterfragt auch John Luries Filmmusik in Down by Law feste Bedeutungszuschreibungen. Sie vermischt sich oft mit der Geräuschebene des Films, so dass zwischen Musik und Geräusch vielerorts nicht mehr klar zu trennen ist. In der Sumpfszene erklingen wiederkehrende Motive wie die vier wiederkehrenden Saxophontöne, die mit einer abfallenden Terz beginnen und sie dann einen Halbton tiefer wiederholen. Wo sich musikalische Muster herausbilden, bleiben sie fragil und werden oft wieder aufgelöst. Beispielhaft für die Annäherung von Musik und Geräusch ist die Szene, in der die Kamera dem Kanu der drei Flüchtenden durch die Sümpfe Louisianas folgt (01:12:23). Ein sich ständig wiederholender, wabernder, eindringlicher Ton wird lauter und leiser. Im Hintergrund tönt Vogelgezwitscher und ein tiefes Quaken von Kröten. Geräusch und Musik sind nicht klar trennbar, signalisieren aber beide die Präsenz der Tiere – ein Verfahren, das Christian Metz als Denotation durch Geräusch bezeichnet (Metz, Language, 10809). Die Klänge dieser Szene bewegen sich zwischen Geräusch und Musik, zwischen Denotation und Symbolkraft: »The overall strangeness of the swamp is amplified by Lurie’s score, dominated by a ghostly, multitracked harmonica and by prickly percussion that suggests the echoing drips of a wet, live vegetable
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mass.« (Suárez 51) Es sei nicht bestimmbar, »ob Lurie einen tierischen SignalLaut imitiert oder aber aufgenommen und zu einer permanenten Schleife gemischt hat. Außerhalb westlicher Musiktradition steht diese sirenenartige Klang-Performance«, schreibt Mauer (116). Das musikalische Verfahren erinnert stark an die Sampletechnik, die später die Musik zu Ghost Dog prägt: Einzelne Töne und Geräusche, die der Stimmungslandschaft des Films anverwandt sind, durchdringen die Bilder mit polyrhythmischen, sich ständig wiederholenden Klangschleifen. Die Musik schafft durch die sich ändernde Lautstärke eine geräuschbestimmte, räumliche Spannung, da die Töne den Flüchtenden näherkommen und dann wieder zurückzufallen scheinen. Außerdem erzeugt die Redundanz in Kombination mit dem langsamen Fluss der Bilder eine meditative Sogwirkung. Die Verwischung der Grenzen zwischen Geräusch und Musik führt dazu, dass die rhythmisch organisierten Klänge, Töne und Geräusche immer in zwei Kontexten gleichzeitig wahrnehmbar sind: in ihrem analogischen Bezug zu real existierenden Natur- oder Tierlauten und gleichzeitig in den rhythmischen, zeitlichen, harmonischen und tonalen Kontexten, die sie innerhalb der Musik einnehmen. Das ähnelt Bobs Umgang mit der englischen Sprache, wenn er sie in neue Zusammenhänge bringt und umdeutet. Die Wirkung dieser Musik ist von der Wirkung konventioneller Filmmusik nicht vollständig zu trennen. Ihre Atonalität ist aber der von Hollywood bevorzugten Tonalität (Buhler/Neumeyer 23) entgegengesetzt. Buhler und Neumeyer schreiben: »[Atonality] frequently produces the effect of an open system, of leaving matters unsettled, of not being able to find a point of definite closure« (23). Die atonale Musik in Down by Law spiegelt in diesem Kontext eine Reihe von Inhalten des Films: die immer lebendige, umzudeutende Sprache, die emotionale und örtliche Rastlosigkeit Jacks und Zacks und ebenso die im Wandel begriffenen Genres und Texte, die auch keinen Ruhepunkt finden. Latente Bedrohung: Hundegebell und Sirenen Über den ganzen Film hinweg sind im Hintergrund immer wieder bellende Hunde und Sirenen zu hören, was eine latente Bedrohung spürbar macht. Wie Abbildung 27 zeigt, sind die Sirenen und Hunde am längsten auf der Flucht zu hören. Das Darstellungsverfahren, das hier die Verfolger nicht zeigt, sondern nur auf der Geräuschspur aufruft, ist unkonventionell (vgl. Piazza 299). Das Bild der Gefahr entstehe so nur durch die Vorstellungskraft des Zuschauers (ebd.). Doch schon wenn nach dem Prolog die Namen der Darsteller eingeblendet werden, sind Hundegebell und Sirenen zu hören, die lauter werden – die spätere Verfolgung ist hier angedeutet. Während Zacks Streit mit Lorette ist ebenfalls schon ein Hund zu hören;
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auch als Zack verhaftet wird, ist Gebell vernehmbar (00:31:05). Kurz vor Ende bellen Hunde noch einmal kurz bei Jack und Zacks Abschied von Roberto (01:36:50), was erahnen lässt, dass ihre Flucht nicht vorbei ist. Nichts deutet darauf hin, dass der regelmäßige Fluss am Ende nach vermeintlich gelungener Flucht brechen wird. Der Rhythmus von Hundegebell und Polizeisirenen über den ganzen Film hinweg gibt den Hinweis darauf, dass die Bedrohung nicht ausschließlich an die Flucht gebunden ist, sondern dass die Existenzen von Jack, Zack und Roberto permanent gehetzt, unruhig und unter Druck gesetzt sind. Robertos Triumph: »It’s Raining« und die Gegenständlichkeit der Schallplatte Schon zu Beginn des Films zeigt sich Robertos Rolle als Impulsgeber. Er führt ein Phrasenbuch, in dem er abgelauschte englische Sätze notiert und sie in ihm passend scheinenden Situationen anbringt. In seinem ersten Auftritt des Films tritt Roberto an den betrunkenen Zack mit den Worten »Hello. It’s a sad and beautiful world« heran. Zack entgegnet ihm »Buzz off«, eine Phrase, die Roberto sofort notiert und vor sich hinmurmelt: »Buzz off. Oh, thank you. Buzz off to you, too.« Er verfügt über Sprache als konstruktives Spielmaterial, verkehrt ihre Bedeutung in ihr Gegenteil und macht sie zum Teil einer Verständigungsfantasie, die sich über konkrete Wortbedeutungen erhebt. Bereits hier zeigt Roberto jene Fähigkeit, zwischenmenschliche Verständigung zu fördern, mit der er später Jack und Zack einander näherbringt: »Trotz Sprachschwierigkeiten wird [Roberto] zum Katalysator der Kommunikation«, schreibt Hans Messias (560). Treffender wäre: Gerade wegen seiner Schwierigkeiten, sich im Englischen auszudrücken, kann Roberto Kommunikation stiften, die über Missverständnisse funktioniert. Wie Roberto Zacks Worte wiederholt, so lässt auch Robertos Satz Zack nicht los. Obwohl er Roberto schroff weggeschickt hat, singt er die Worte und improvisiert mit ihnen eine wehmütige Melodie über die Blues-Scale, ein Verfahren, in dem Walter jenes des Signifying Monkey in der afroamerikanischen Musik wiedererkennt: »umcodieren, Bedeutungen verschieben, rekontextualisieren« (Walter 150). Von Beginn an stiftet Roberto in den sozialen Interaktionen Dynamik. Wo Zack nicht aus seiner Blues-Schleife findet, kann Roberto Sprache und Erzählungen positiv umdeuten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es Roberto im Gefängnis gelingt, mit dem notierten Satz »I Scream, you scream, we all scream, for ice cream« gemeinsames Aufbegehren zu initiieren. Erst lächeln Jack und Zack über seine Rezitation. Wie eine Deklination im Sprachunterricht veranschaulicht Bob den Satz, indem er die Positionen bis zur Konklusion »we all scream« gestenreich und vereinnahmend moderiert. Die Energie, die sich aufbaut, als Jack und
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Zack einstimmen, speist sich zunächst aus der Lust an den Phonemen und an der Wiederholungsstruktur des Satzes, dessen Ende mit seinem Beginn phonetisch identisch ist. Immer lauter werden sie, unterstreichen die zirkuläre Struktur, indem sie im Kreis laufen, und das »wir« des Satzes schließt zuletzt auch die anderen Insassen ein, die lautstark mitbrüllen. Schließlich skandieren die Häftlinge die Worte wie den Slogan eines Aufruhrs (vgl. Piazza 215). Die Forderung nach Eiscreme ist angesichts der kargen Haftbedingungen natürlich absurd – aber genau dadurch wird die Forderung auf eine prinzipielle Ebene gehoben. Das Geschrei wird zwar von den Wärtern unterbunden, aber kurz konnte Roberto einen Zusammenhalt, eine gemeinsame Gruppenposition stiften, die ihren Ursprung nicht in einer sachlichen Forderung hat, sondern in der Sprache selbst und in der Lust Robertos an ihrem Klang und ihren verschiebbaren Bedeutungen. Die Wiederholung der Phoneme »I scream« und »icecream« im gleichen Satz lädt sie durch einen anderen grammatischen Bezug mit neuer Bedeutung auf, die sich produktiv auf die Figuren, ihre Identitäten und ihre zwischensozialen Beziehungen auswirkt. Dass das Ende des Satzes zugleich wieder auf seinen Beginn verweist, spielt auf mikrostruktureller Ebene den Aufbau des Filmes wieder, in dem die Songs von Tom Waits diesen Rückbezug von Ende auf Beginn setzen. So gelingt es dem Immigranten, Sprache umzudeuten und sie seiner Situation auf hilfreiche Art anzupassen, eine Fähigkeit, die den Muttersprachlern Jack und Zack weitgehend fehlt. Wo die amerikanischen Protagonisten in Down by Law jedoch von den genretypischen Handlungsthemen bedroht sind, sieht sich Roberto von den klassischen Erzählformeln dazu inspiriert, sich selbst in sie einzuschreiben, sie zu seinem eigenen Erfolg zu nutzen. Wenn sich Jack und Zack beschweren »I was framed«, dann ist das durch die Doppelbedeutung »hereingelegt« und vom Filmbild »gerahmt« ein ironischer Kommentar, der den filmischen Konventionsrahmen anzeigt, den beide nicht verlassen können. Als Roberto später die Flucht plant und kommentiert »we make escape … like in American movie«, laufen sie wenig später schon lachend einen Tunnel hinab. In einer Szene, die diese Verbundenheit der Einwandererfigur mit der Erzählhaltung von Down by Law eindeutig einführt, malt Roberto ein Fenster an die Wand der Gefängniszelle. Es ist ein einfaches Fenster mit sechs Kreidestrichen: ein senkrechtes Rechteck mit je einer Längs- und einer Querstrebe. Interessiert wendet sich Roberto an Jack: »Excuse me, do you say in English: ›I look at the window‹, or do you say in English: ›I look out the window?‹« Jack lehnt gelangweilt an der Wand neben der Zeichnung und antwortet in ironischem Tonfall: »Well, in this case Bob, I’m afraid you gotta say: ›I look at the window.‹« Roman Mauer schreibt über das gezeichnete Fenster im Gefängnis: »Symbolisch scheidet
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das Fenster die immanente von einer imaginären Welt.« (Mauer 90) Die Zeichnung, die auf die Zuschauersituation Bezug nimmt – nur eines von vielen reflexiven Elementen in Down by Law –, ist jedoch auch eine Zukunftsvision, die später realisiert werden wird. In einem engen Schuppen, in dem die drei auf ihrer Flucht übernachten, ist ein Fenster der einzige deutliche Unterschied zu dem ansonsten mit zwei Stockbetten fast identisch ausgestalteten Innenleben der Zelle. Er ist eine Nachbildung der Gefängniszelle, diesmal durch Licht und Fenster mit »Symbolen des Spirituellen« (vgl. Mauer 89) versehen. Es ist eine sprachliche Entscheidung, die all dies bestimmt. Jack, der vorschlägt zu sagen: »I look at the window«, würdigt die symbolische Qualität des gezeichneten Fensters nicht. Für ihn bleibt das Bild ikonisch. Roberto murmelt in sich hinein: »Guardo a traverse a finestra« (vgl. Cauchi 206). Er will durch das Fenster hindurchschauen und wird mit diesem Willen erfolgreicher sein. Jack lässt sich nicht auf Robertos Fiktion des Fensters ein, gelangt dafür aber später auch nicht auf die andere Seite wie Roberto, der sein eigenes Happy End findet und mit den Worten »Like in a book for children« kommentiert. Zwei einflussreiche Poeten zitiert Roberto: Walt Whitman und Robert Frost. In der Zelle führt Roberto einen Dialog mit einem imaginierten Gesprächspartner: »Do you like Walt Whitman? Yes. I like Walt Whitman very much. Leaves of Grass.« (00:49:10) Darauf beginnt er, Whitman auf Italienisch zu rezitieren. Als die drei nach ihrer Flucht im Schuppen übernachten, zitiert Roberto Robert Frost, abermals auf Italienisch (01:10:12). Es sind die Schlusszeilen des Gedichts »The Road Not Taken« (1920): Two roads diverged in a Wood, and II took the one less traveled by, And that has made all the difference. (Frost 103)
Wieder kommentiert Roberto durch einen präexistenten Text die Situation. Seinem Zitat ging eine Auseinandersetzung darüber voraus, welcher Weg nun einzuschlagen sei. Die Zeilen drücken aus, dass diese Entscheidung eigentlich überflüssig ist, da sich verschiedene Lebenswege nur anscheinend unterscheiden. Die Verknüpfung des Gedichts mit dem filmischen Text von Down by Law deutet jedoch nicht nur die Filmszene, sondern auch Frosts Poesie. Diesen interpretatorischen Aspekt des Zitats betont auch Robertos Bemerkung, Frost sei ein sehr zynischer Mann. Der Europäer schätzt Amerikas literarisches Kulturgut höher, als das die Amerikaner tun. Als Roberto später mit Nicoletta am Tisch sitzt, beobachten Jack und Zack die Szene ungläubig durch ein Fenster. Hier ist Robertos Fiktion filmi-
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sche Realität geworden. Erst jetzt können die beiden sehen, was jenseits des Fensters liegt. Ähnlich distanziert sitzen Jack und Zack am nächsten Morgen am Frühstückstisch, während Roberto mit seiner neuen Freundin tanzt. Die Schallplatte macht die Musik in dieser Szene auch gegenständlich als Speichermedium und Tondokument präsent. Der DJ Zack kann als Radiomoderator zwar eine selbstbewusste Identität aufbauen, aber das Medium selbst richtet sich feindlich gegen ihn, als seine Freundin ihn mit Vinylplatten bewirft. Bereits bei Zacks erstem Auftritt gibt es einen Hinweis auf die starke Verbindung von Zeitstruktur und Musik in Down by Law. An der Wand der Wohnung, die Zack verlassen wird, hängt eine Uhr, deren Ziffernblatt aus einer Schallplatte besteht. Die Schallplatte steht zunächst einmal für das unverfälschbare Tondokument, für einen einzelnen akustischen Text. Ihre Rillen, in die die akustischen Informationen eingegraben sind, bezeichnet Kittler als »Signatur eines Realen« (181). Die Schallplatte steht auf diese Weise dem Film entgegen, der sich zwangsläufig aus der Abfolge einzelner Bilder, also einzelner Bruchstücke konstituiert. So bemerkt Kittler: »Als Phantasma unserer illudierten Augen reproduzieren auch Schnitte die Stetigkeiten und Kontinuitäten einer Bewegung. Phonographie und Spielfilm stehen zueinander wie Reales und Imaginäres.« (183) Als Roberto mit Nicoletta zu »It’s Raining« tanzt, wird auch dieses Reale, das Tondokument des echten New Orleans, mit seiner Inskription, mit dem Imaginären konfrontiert. Ein Spannungsfeld zwischen dem Mythos New Orleans, auf den das Tondokument sich bezieht, und der märchenhaft entrückten Welt von Down by Law entfaltet sich. Die Vinyl-Uhr reflektiert auch die oft dem Bild übergeordnete Position der Musik. Während Tom Waits’ Song im Prolog beispielsweise ohne dazugeschaltete Effekte oder zeitliche Manipulation abläuft, ist klar, dass das Tempo der Filmschnitte und Bewegungen sich nach der Musik richten muss, um eine Einheit von Musik und Film, von Realem und Imaginären zu erzeugen. Die hervorgehobene Stellung von »It’s Raining« ist auch in der Übersicht der musikalischen Themen in Abbildung 28 zu sehen. Sie zeigt nicht nur die Position am Ende des Films, sondern auch die vergleichsweise lange Dauer des Stückes. In diesem Moment kommt das einzige Mal in dem gesamten Film Musik, die diegetisch motiviert wird. Wenn Roberto »It’s Raining« als Schallplatte auflegt, gibt er selbst dem Moment der Verwirklichung all seiner Versöhnungsfantasien den Soundtrack. Aber der Text von »It’s Raining« deckt sich nicht mit der Szene, in der Roberto und seine Freundin tanzen. Er handelt von der Sehnsucht nach einem abwesenden Partner: »It’s raining so hard, brings back memories, of the times when you were here with me.« Der Film spiegelt wiederum nicht die Situation des Liedes, sondern zeigt eine andere Zeit: die innige Verbundenheit mit dem Partner,
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die das lyrische Ich des Gesangs erinnert und sich für seine Zukunft ersehnt. So kann Roberto durch das Auflegen der Schallplatte und den Tanz ein Lied über Abwesenheit zu einer Feier seines Happy Ends und der märchenhaften Verbindung mit seiner Freundin machen – doch gleichzeitig drückt der Songtext schon die drohende Entzweiung aus. Die Musik in Down by Law betreibt auf mehreren Ebenen Grenzverwischungen. Die Songs von Tom Waits machen mit ihrer Stilvermischung eine hybride, transkulturelle Musik zur Rahmung der filmischen Realität. Musik ist grundlegend an der Maschine der Übersetzung und Rekontextualisierung beteiligt, als die sich Down by Law entpuppt. Wie Eiscreme zum Widerstandsslogan wird, wie »Buzz off« als freundliche Formel umgedeutet wird, wie sich ein italienischer Einwanderer auf naive Weise in die melodramatischen Narrationen des Hollywood-Kinos einschreibt, so werden Töne zu Geräuschen und Geräusche zu Tönen, in einem Verfahren, das seine eigene Hybridität reflexiv nach außen kehrt.
S PRACHENVIELFALT
UND
M USIK
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Der Auslotung verschiedener Sprachen und Kulturen geht Jarmusch in Night on Earth (1991) in einer strengen Struktur nach. Der Film erzählt fünf nächtliche Taxifahrten in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt. In der ersten Episode trifft eine Hollywood-Agentin in Los Angeles auf eine junge Taxifahrerin. Anfänglich fremdeln die beiden und ihr Gespräch wird immer wieder durch Anrufe unterbrochen, die die Agentin auf ihrem Mobiltelefon entgegennimmt. Doch allmählich kommen sich beide näher und entwickeln ein fragiles gegenseitiges Verständnis. Am Ende der Episode bietet die Agentin der Taxifahrerin eine Filmrolle an, die diese jedoch ablehnt, da es ihr Lebenstraum ist, als Mechanikerin zu arbeiten. Die zweite Episode spielt in New York, wo der junge Afroamerikaner Yo-Yo vergeblich versucht, ein Taxi nach Brooklyn zu ergattern, bis der vor kurzer Zeit aus Deutschland eingewanderte Taxifahrer Helmut ihn mitnimmt. Das Aufeinandertreffen wird zu einem Spiel von Spiegelungen, Rollentauschen und Umdeutungen. Jeder amüsiert sich über den Namen des anderen: Für Yo-Yo klingt Helmut nach »helmet«, während Helmut sich durch Yo-Yo an das Kinderspielzeug Jo-Jo erinnert fühlt. Wegen der schlechten Fahrkenntnisse Helmuts setzt sich kurzerhand Yo-Yo ans Steuer. Er erspäht seine Schwägerin auf der Straße und fährt sie gegen ihren lautstarken Widerstand nach Hause. Schlussendlich erklärt Yo-Yo Helmut den Weg zurück nach Manhattan, doch er biegt schon an der ersten Kreu-
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zung falsch ab. Ihrem humorvollen Ton zuwider endet die Episode mit dem desorientierten Helmut, der verängstigt durch die Straßen Brooklyns fährt. Sein tonlos gemurmeltes »New York, New York« wird zur eingeschüchterten Umkehrung des mit stolzgeschwellter Brust kraftvoll gesungenen Songs von Frank Sinatra. Auch in der dritten Episode prallen mit dem ivorischen Taxifahrer und seinen Fahrgästen in Paris verschiedene Kulturen aufeinander. Eingangs nimmt er zwei Diplomaten aus Kamerun mit, die sich über seinen Fahrstil lustig machen und, als sie von seiner Herkunft erfahren, spotten: »Il voit rien« – er sieht nichts. Ein Wortspiel, das auf der phonetischen Nähe der Nationalität »ivorien« und der französischen Phrase basiert. Der nächste Fahrgast ist dann tatsächlich eine blinde Frau. Im Gespräch, das sich entwickelt, kommen einige Vorurteile des Fahrers gegenüber Blinden und Frauen zum Ausdruck. Nachdem er die – entgegen seinen Vermutungen – selbstständige und starke Frau zu ihrem Ziel gebracht hat, verursacht der Fahrer einen Unfall, der von ihr mit einem amüsierten Lächeln quittiert wird. Roberto Begnini spielt den Taxifahrer in der vierten Episode in Rom. Sein Fahrgast ist ein katholischer Priester. Eine kurze Begegnung mit Transvestiten und die spontane, emotional vorgetragene Beichte des Taxifahrers, die sich um Sex mit Kürbissen, einem Schaf und seiner Schwägerin dreht, versetzt den Priester derart in Aufregung, dass er im Taxi an einem Herzinfarkt stirbt. Der schockierte Fahrer setzt den Priester auf einer Bank ab und sucht das Weite. Die fünfte und letzte Episode dreht sich um den melancholischen Taxifahrer Mika, der in Helsinki drei schwer betrunkene Männer aufliest. Aki, einer von ihnen, schläft, und auf Mikas Nachfrage, ob er in Ordnung sei, berichten ihm die anderen in süffisantem und vorwurfsvollem Ton, dass Aki eben nicht in Ordnung sei, denn er habe den schlimmsten Tag seines Lebens hinter sich: Seine TeenagerTochter sei schwanger, sein gerade neu gekauftes Auto wegen eines Unfalls schrottreif, er habe seinen Arbeitsplatz verloren und dann habe ihn auch noch seine Frau verlassen. Als dann Mika seine eigene Geschichte über den Tod seines neugeborenen Kindes erzählt, schämen sich die Männer und finden Akis Schicksalsschläge angesichts dessen marginal. Sie bezahlen das Taxi mit Akis Abfindung, verabschieden sich ergriffen von Mika und verschwinden Arm in Arm singend. Musik in Night on Earth: Struktur, Hybridität, Offenheit Die Musik in Night on Earth ist einerseits eng mit dem Rhythmus der visuellen und inhaltlichen Wiederholungen verbunden, andererseits nimmt sie in subtilen Variationen Bezug auf die verschiedenen Gesprächssituationen und kommentiert sie.
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Wegen der räumlichen Trennung der verschiedenen Handlungen ist Night on Earth für Karsten Treber ein Episodenfilm (vgl. Treber 19), dessen Wesen kennzeichne, dass seine einzelnen Teile auch für sich stehen könnten (17-19). Dana Polan schreibt, dass jede der Episoden die Flüchtigkeit und Brüchigkeit von Verbindungen betone und es keine Vermittlungsmöglichkeiten zwischen den Räumen gebe (269-270). Doch trotz ihres unterschiedlichen Handlungsraumes sind die verschiedenen Episoden eng miteinander verknüpft. Das geschieht einerseits durch das wiederholte Durchspielen ähnlicher transkultureller Begegnungen, Wortspiele oder Missverständnisse, aber auch durch wiederkehrende Kameraeinstellungen, durch die Rahmung der Episoden mittels ähnlich inszenierter Überleitungssequenzen und durch Variationen musikalischer Motive. Dadurch wird der Film zu einem rhythmischen Wiederholungsgeflecht, das die einzelnen Segmente zueinander in einen engen Zusammenhang stellt, obwohl sie räumlich voneinander getrennt sind. »Like many other Jarmusch films, Night on Earth presents a fairly closed universe made up of the combination of a limited number of elements that recur in rhyming patterns«, kommentiert Suárez (75). Auf der visuellen Ebene treten hier insbesondere die Übergangssequenzen hervor, die nach immergleichem Muster die Episoden einleiten. Am Anfang stehen Uhren mit den Zeiten der fünf Städte, in jeweils anderen Farben beleuchtet: Rot (Los Angeles), Grün (New York), Blau (Paris), Orange (Rom), Violett (Helsinki). Einem Schwenk über die Landkarte folgen dann Eindrücke der jeweiligen Stadt in jeweils zehn Einstellungen, von denen die letzte von dem Taxi durchkreuzt wird (vgl. Mauer 163). Dabei werden keine ikonischen Bauwerke wie der Eiffelturm oder das Colosseum ins Bild gerückt (vgl. Frahm 353); die Ortsspezifik erschließt sich vielmehr im »besonderen Material (die gusseisernen Balkone in Paris) [oder] in ihrer baulichen Struktur (die Renaissance-Palazzi der Altstadt in Rom)« (ebd. 354). Auch die Musik ist an dieser Reihung beteiligt: Während dieser Szenenfolge erklingt stets eine instrumentale Variation von »Back in the Good Old World«, die jedes Mal durch das Motorengeräusch des Taxis abgewürgt wird. »Indem die Welt nun aber als übergreifender Rahmen des Films und zugleich als Referenzpunkt jeder einzelnen Episode aufgerufen wird, wirft der Film […] die Frage auf, inwiefern diese fünf Metropolen selbst als Teil einer umfassenden ›Weltstadt‹ begriffen werden können, die ein vielfach verknüpftes Ganzes bildet.« (Frahm 353)
Diesem Verknüpfungsmotiv begegnet in Night on Earth durchaus auch gegenteilige Metaphorik: Jede Episode endet mit einem einzelnen Menschen, was auf Abgeschnittenheit und Isolation hinweist (vgl. Mauer 163). Suárez führt die Zwischensequenzen und die immer gleiche Abfolge ähnlich funktionierender Szenen
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auf das »structural cinema« zurück (73). Auch er betont den starren räumlichen und zeitlichen Rahmen, den der Film mit ihnen setzt; für ihn treten dabei aber auch Variationen in den Inszenierungen der verschiedenen Episoden zutage: »This formal economy allows for some subtle variation« (74). Die Musik bildet beides ab. Sie verbindet durch ihre Wiederholungsstrukturen die Episoden. Durch ihre wechselnde Instrumentierung und Anlehnung an unterschiedliche Musikkulturen formuliert sie auch die Hybridität, die Night on Earth vor allem in den Dialogen offenbart. Dabei lässt sie auch Fragezeichen und lose Enden zu und problematisiert ein Verständnis des Films als vereinfachende Verständigungsfantasie. Der Film kennzeichnet seinen eigenen Zugriff auf Kulturen deutlich als künstlich und artifiziell. Daher missversteht Carlo Celli den Film, wenn er behauptet, dieser könne sich den Narrationsmustern jener Länder, in denen er spiele, nicht entziehen: »The film is proof that national narrative patterns are so imbedded into cultural production that even when an outsider like Jarmusch attempts to enter into the territory of a national cinema, he inevitably works within the narrative patterns of the countries he depicts.« (Celli 145)
Hier verwechselt Celli Jarmuschs bewussten und reflektierten Zugriff damit, sich nicht entziehen zu können, und essentialisiert letztendlich nationale filmische Erzählweisen. Celli verteidigt vehement seine Idee von »National Cultural Heritage«. Sein Hauptargument dazu ist, dass Jarmusch sogar als Independent-Filmer mit den verschiedenen Episoden in die Erzählmuster der jeweiligen nationalen Filmkulturen verfällt. Das ist jedoch in vielerlei Hinsicht fraglich, da diese Sicht die Art und Weise der Inszenierung dieser importierten Elemente nicht miteinbezieht und unterstellt, die Anlehnungen geschähen ungewollt und zwangsläufig. Dabei sind viele der von Celli angeführten Ähnlichkeiten ironisch gekennzeichnet. Wie Höpker schreibt, bezieht sich Night on Earth ganz bewusst auf filmische und kulturelle Prägungen: »Night on Earth refers to a reality of the global city as already perceived through a (culturally and historically specific) tradition of filmic representation, a perspective on the city already shaped by film.« (Höpker 165) Wenn zum Beispiel zum Ende der ersten Episode die Agentin der Taxifahrerin eine Rolle in Hollywood anbietet, dann interpretiert Celli das als Beweis für die Relevanz der klassischen Hollywood-Erzählung, die so einflussreich sei, dass Hollywood sogar beim Independent-Regisseur Jarmusch eine Welt der unendlichen Möglichkeiten sei, in der man auf betrunkene Rockstars treffen könne und märchenhafte Aufstiegsmöglichkeiten warteten (vgl. Celli 146). Doch ist dieser Welt in der jungen Taxifahrerin eine Figur entgegengestellt, deren Absage an das
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Hollywood-Kino Glasl als »Seitenhieb« (258) wertet. Tatsächlich wird das normative Selbstverständnis Hollywoods als Sehnsuchtsort hier als überheblich kommentiert. Außerdem übersieht Cellis Sicht all die zwischen den Episoden vermittelnden Struktur-Elemente, die der Trennung der Erzählräume entgegenlaufen. Der Bildaufbau zeigt Taxifahrer und Fahrgast in ähnlicher Weise (vgl. Abbildungen 30 bis 34). Doch die rigide Komposition drückt nicht nur Vereinigung aus: die Begegnungen sind schon durch die Anordnung gebrochen, in der sich die Menschen nur per Schulter- oder Spiegelblick sehen können. Abbildung 29: Night on Earth
Abbildung 30
Night on Earth 00:02:20
Night on Earth 00:16:50
Abbildung 31
Abbildung 32
Night on Earth 00:39:20
Night on Earth 00:59:59
Abbildung 33
Abbildung 34
Night on Earth 01:21:02
Night on Earth 01:52:22
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Die Musik formuliert in Night on Earth genau diese beiden zuwiderlaufenden Pole: strukturelle Vermittlung einerseits, räumliche Desorientierungen und Misskommunikation andererseits. Wenn Levy schreibt: »Using his usual jokes about alienated outsiders meeting and bashing one another, Night on Earth illustrates Jarmusch’s recurrent idea of life’s failure to fall into dramatic shape« (Levy 190), dann ist das abermals eine Sicht, die von einem begrenzten Konzept dramatischer Form ausgeht. Denn gerade Night on Earth ist ja sehr stark in eine dramatische Struktur gebracht, die die Handlung in schon fast rigider Gestaltung präsentiert. Allenfalls der Inhalt der Episoden ließe sich als undramatisch in dem Sinne bezeichnen, dass es zufällige Alltagsbegegnungen sind, die hier inszeniert werden. Die einführend zitierten Stimmen von Treber und Polan, die die Trennung und Entferntheit der Episoden betonen, weisen auf eine Spannung hin, die der Film auf unterschiedlichen Ebenen forciert. Getrennte Räume stehen einer vermittelnden Weltsicht entgegen, die Night on Earth vor allem durch strukturelle Entsprechungen und Wiederholungsmuster aufbaut. Momente der Annäherung und Verständigung stehen Missverständnissen und Misskommunikation gegenüber, Ortsidentität wird von Orientierungslosigkeit gebrochen, globaler Zusammenhalt steht lokaler Ideosynkrasie entgegen. Strukturelle Funktionen der Musik Abermals stiftet die Musik durch ihre Wiederholungsstrukturen Kohärenz und einen starken inneren Zusammenhalt des Films. Abbildung 35 (s.u.) gibt einen Überblick über die hauptsächlichen Themen in Night on Earth. Die jeweiligen Ortswechsel sind mit »Episoden« gekennzeichnet. Gerahmt wird die Handlung wie bei Down by Law von zwei Liedern von Tom Waits: Einführend erklingt »Back in the Good Old World«, am Ende ist »Good Old World« zu hören – eine Abwandlung des ersten Stücks mit anderen Harmonien und anderem Rhythmus, jedoch mit dem gleichen Text. Ausgehend von den Harmonien des ersten Themas erklingen im ganzen Film Variationen. Obwohl voneinander abweichend, basieren alle mit Variation 1 gekennzeichneten Musikstücke auf dem aufsteigenden Bassthema, das auch »Back in the Good Old World« selbst zugrunde liegt. Die zweiten Variationen entfernen sich weiter von dem Thema. Die Melodie von »Back in the Good Old World« wird jedoch jeweils erkenntlich aufgegriffen, meist in einer zweistimmigen Form. Das romantische und das lustige Thema sind jeweils eigenständige Kompositionen. »Taxi-Songs« bezeichnet alle Musiken, die intradiegetisch im Taxi abgespielt werden, sei es durch das Autoradio, durch Gesang oder Musikinstrumente. Die Variationen ziehen sich relativ gleichmäßig durch den Film, wobei die Variationen 2 in der Frequenz durch das
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romantische und das lustige Thema abgelöst werden und die Variationen der letzten Episode alle auf dem Basslauf aus »Back in the Good Old World« basieren. Abbildung 35: Frequenzen musikalischer und narrativer Motive in Night on Earth
Rahmende Songs von Tom Waits Zwei Songs von Tom Waits rahmen Night on Earth: das den Variationen zugrundeliegende »Back in the Good Old World« erklingt im Vorspann. Mauer beobachtet die Verwandtschaft der Komposition zum amerikanischen Blues: »Der dunkle, kraftvolle Strich des Cellos, Waits’ ausgefranster, knurriger Bass, die verschwommene Melodie des Harmoniums, das treibende Klöppeln von Klanghölzern – all
150 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION das klingt wie Kabarett und Zirkus und nährt sich doch aus dem Triolen-Feeling und der kleinen Septime des Blues.« (Mauer 183)
Das Cello als Instrument der europäischen Klassik, die mit afrikanischen und lateinamerikanischen Stilen verwandte Perkussion und die Bluesmotivik zeigen von Beginn an die Hybridität des Filmes auf. Der Song setzt abermals den Ton für die Handlung: Die Musik macht darauf aufmerksam, dass eine vermittelte, künstlerisch gestaltete Darstellung der unterschiedlichen transkulturellen Begegnungen erfolgt. Ein weiteres typisches Stilmittel Jarmuschs ist die Spiegelung des einführenden Liedes durch einen Gegenpart im Abspann: Dort singt Tom Waits »Good Old World«, mit dem gleichen Text. Die Worte der Strophe lauten: When I was a boy, the moon was a pearl the sun a yellow gold But when I was a man, the wind blew cold the hills were upside down
Danach folgt jeweils der Refrain: But now that I have gone from here there’s no place I’d rather be Than to float my chances on the tide back in the good old world
So werden grundsätzliche Themen des Films vorweggenommen und am Ende rekapituliert: die Sehnsucht nach einem fernen Ort und vor allem die Desorientierung an dem Ort, an dem man sich gerade befindet. Die Bedeutung der Klammer offenbart sich jedoch über die Musik. Während das erste Stück in Moll klingt und eine geheimnisvolle Atmosphäre heraufbeschwört, ist das letzte Stück in Dur gesetzt. Besonders da es der schwermütigsten und traurigsten der Episoden folgt, lässt es den Ausklang des Filmes versöhnlicher erscheinen. Höpker schreibt: »The scratchy harmonies of the gypsy waltz sung by [Tom Waits’] trademark raspy voice are suggestive of a transcultural and deeply hybrid dimension that evades the ominous mélange of the generic segment of record store ›World Music.‹ Its form and lyrics caricature and run transverse to songs of imagined globality which have long entered the collective cultural encyclopedia of U.S.-American mythology [...].« (Höpker 167)
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In Höpkers Lesart des Liedes wird es zu einem Gegenentwurf zu glatten, verallgemeinernden Konzepten des globalen Zusammenseins, die menschliche Emotionen als universell und vergleichbar annehmen. Wie sie schreibt, »suggeriert« der Song eine gegenläufige transkulturelle und hybride Dimension. Dass dies andeutungsweise geschieht, entspricht den Dialogen des Films, in dem die Menschen auch keine klaren Verständigungen miteinander erreichen. Wie Suárez anmerkt, ist die zwischenmenschliche Kommunikation von schnell wechselnden, instabilen Dynamiken gezeichnet: Zuneigung, Abneigung, Anziehung überlagern sich teils und sind oft gleichzeitig präsent (vgl. Suárez 80). Basslinie und Melodie des ersten Songs von Tom Waits »Back in the Good Old World« werden über den ganzen Film hinweg in Variationen aufgegriffen. Während die ersten Variationen mehr mit der strukturellen Vermittlung zusammenhängen, formulieren die zweiten Variationen die von Suárez gemeinte unklare Kommunikation. Im Folgenden werden beide ausführlicher betrachtet. Variationen 1 Die Musik bewegt sich in dem Spannungsfeld von transkultureller Vermittlung gegenüber Missverständnissen und Isolation. Die mit Variationen 1 bezeichneten Musiken korrelieren stark mit Durchfahrungssequenzen. Indem sie immer wieder ähnliche Kontexte in unterschiedlichen Räumen aufrufen, dienen sie der Vermittlung zwischen den Episoden. Wie in Abbildung 35 zu sehen ist, setzen sie gleich nach dem Song von Tom Waits ein und treten danach in jedem der Segmente auf. »Sie rufen dem Hörer über das Basso Ostinato unermüdlich das Thema der Großstadt-Melancholie in Erinnerung und legen somit einen atmosphärischen Leitfaden«, schreibt Mauer (183). Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Variationen so zu verstehen, dass sie nur die Gleichheit der Erfahrungen in verschiedenen Städten der Welt betonen. Die Musik formuliert einen Gegensatz, den Wilfried Raussert umschreibt: »Whereas music may represent a universal language, it will always remain one with regional, local, and national differences.« (Raussert 12) Das Ensemble, das die Variationen spielt, ist dementsprechend in jeder Episode unterschiedlich instrumentiert. In der ersten Episode in Los Angeles erklingt das Thema mit einer verzerrten E-Gitarre. Bei der zweiten Episode, in New York, übernimmt eine Trompete die Melodiestimme und entfernt sich durch Improvisationen zunehmend von dem Motiv. Bei der Pariser Episode trägt ein Akkordeon die Melodie. In Rom tun dies Gitarre und Slide-Gitarre. In der abschließenden Episode in Helsinki spielt eine Klarinette die variierten Motive. Damit eröffnet die Instrumentierung schon eine Vielfalt, die von der zweiten Art der Variation noch stärker aufgefächert wird.
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Auffällig ist, dass die Variationen, obwohl sie keine Entwicklung durchmachen, exponierend in den Film hinein und auch wieder aus ihm hinausführen: Wie Abbildung 35 zeigt, gibt es anfangs neben ihnen noch wenige stärker variierte Motive; zur Mitte des Films häufen sich diese, aber mit der lakonischen Episode in Helsinki erfolgt die Rückkehr zu den Variationen mit stärkerem Rückbezug zu »Back in the Good Old World«. Damit unterstützt die Musik jene Art von Rückkehr zu einer über der filmischen Realität angesiedelten Erzählinstanz, die schon durch die Zwischensequenzen immer wieder erfolgt. Variationen 2 Die zweiten Variationen beschäftigen sich stärker mit dem Spannungsfeld von transkultureller Kommunikation und Missverständnis, das vor allem in den Dialogen Ausdruck findet. Auf der sprachlichen Ebene gibt Night on Earth einige Hinweise auf die Hintergründe der Figuren. So sprechen die Finnen in Helsinki das Finnisch der Arbeiterklasse, während im Französisch des Pariser Taxifahrers sein Hintergrund als ivorischer Einwanderer durchklingt. Sein blinder Fahrgast hingegen spricht Straßenfranzösisch (Jarmusch, »Home«, 108). Mauer beschreibt die verschiedenen eingesetzten Sprachen differenziert: »Jarmusch unterscheidet soziale Prägungen: Victorias elaborierter Ausdruck kontrastiert mit Corkys restringierter Umgangssprache, und regionale Prägungen: Benignis toskanischer Akzent steht der süditalienischen Färbung in der Sprache des Priesters gegenüber. Jarmusch stellt sozio-regionale den kulturellen Prägungen gegenüber: Da prallt BrooklynSlang auf deutsch intoniertes Englisch, reibt sich Pariser Argot mit afrikanisch intoniertem Französisch.« (Mauer 160-61, Hervorh. i.O.)
Auch die Sprache der amerikanischen Figuren gibt Hinweise auf ihre sozialen Hintergründe: Yo-Yo ist nicht nur als urbaner Afroamerikaner, sondern mehr als modebewusster Großstädter gekennzeichnet, wenn er darauf besteht, dass seine Mütze »the hype« sei, also der jüngste Modetrend. Das distinguierte Englisch der Agentin Victoria trifft in Los Angeles auf den umgangssprachlichen Duktus der Taxifahrerin Corky. Doch die Mündlichkeit in Night on Earth ist in Kobus’ Sinne »fingiert« und durch Wortspiele und Lautmalerei überstaltet, wie etwa mit dem eingangs beschriebenen Wortwitz über »Ivorien« und »il voit rien«. Auch wenn Helmut und Yo-Yo sich über den Namen des anderen lustig machen, trifft Night on Earth mit dem humoristischen Dialog Aussagen über Sprachverständnis an sich. Jede der Figuren empfindet die Wortbedeutung des eigenen Sprachraumes als natürlich.
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Durch das Hervorkehren der Doppelbedeutung wird dieses Empfinden gebrochen – es betont die Diskursivität von Sprache und ihre kontextabhängige Bedeutung. In der Rom-Episode hält der von Roberto Begnini gespielte Taxifahrer einen langen Monolog, bevor er den Priester aufsammelt. Er fährt am Hotel »Genie« vorbei und fantasiert über den Namen: Vielleicht könne man hier ein Zimmer neben Einstein beziehen? Er improvisiert einen Dialog, in dem sich Genies unterhalten, von denen eines der berühmte Saxophonist Charlie Parker ist (01:09:45). Die Redeanteile Parkers intoniert Begnini mit Scatgesang, der die schnellen, rhythmischen Melodien des Bebop-Saxophonisten imitiert: An Jazzphrasen angelehnte, improvisierte Lautmalerei wird als Sprechbeitrag inszeniert. Die Szene kennzeichnet Musik so grundsätzlich als kommunikativen Akt, aber betont auch die Klangebene von Sprache, eine Klangebene, die durch das exaltierte Spiel Begninis besonders zum Tragen kommt. Für Roman Mauer prägt diese Sprachlichkeit den ganzen Film. Er vergleicht die verschiedenen Stimmen mit Instrumenten, etwa den »sensiblen, heiseren Bass von Helmut«, den »scharfen, überbetonten Bariton von Yo-Yo« und den »grellen Sopran Angelas« (183). In der zweiten Form der Variationen wird neben der Instrumentierung auch der Rhythmus verändert, wobei die Melodie von »Good Old World« erkennbar bleibt. Hier vollziehen sich Anpassungen, die sich auf die Orte oder besser gesagt: auf filmische Vermittlungen dieser Orte beziehen. Wie Piazza beobachtet, variieren Tom Waits’ instrumentale Stücke zwar immer wieder das gleiche Grundmaterial, weichen aber in Nuancen davon ab und nähern sich dem jeweiligen Ort: »For example, in ›New York Mood‹ the theme is entrusted to the metallic and urban sound of a trombone, and in ›Los Angeles Mood‹ to the upfront sound of a biting electric guitar, whereas in ›Helsinki Mood‹ the theme, played instead on a harmonium, overlaps the sounds produced by the tubular bells, be they drummed or blown as a wind instrument, that bring to mind a cold, slightly desolate Nordic landscape. If on one hand Waits attempts to ›mimic‹ time thanks to the precise rhythmic beat, on the other he definitely tries to pin down characteristic timbres to describe the locations without relying on easy stereotypes.« (Piazza 162)
In der New York-Episode kommen Jazz-Instrumente ins Spiel, Swing Piano und Walking Bass setzen ein (00:32:21). So macht die Filmmusik hier schon das »New York, New York« kenntlich, das Helmut am Ende beklommen zitiert. Es zieht Jazz als Stereotyp für Gefahr und Sünde heran, abermals durch genretypischen Einsatz gelernte Assoziationen. Die extremsten Gegenpole in Night on Earth nehmen der Taxifahrer und der Priester der Rom-Episode ein. Schon als der Priester das Taxi anhalten möchte,
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entwickelt sich ein Versteckspiel um eine Säule: Jedes Mal, wenn der Pfarrer ein paar Schritte geht, setzt das Auto just diese Strecke zurück (01:14:17 bis 01:14:51). Begleitet wird die Szene von dem stärksten abweichenden musikalischen Motiv: Die Gitarre wird stets von einer meckernden Trompete beantwortet, die die Bewegung nachzuäffen scheint – ein »Call and Response«, das die Szene per »Mickey Mousing« hämisch kommentiert. Auch in anderen Situationen ist die Episode durch »Mickey Mousing« überzeichnet: Der Priester versucht permanent, ein Herzmedikament einzunehmen. Schließlich fallen ihm die Tabletten aus der Hand, als das Taxi über eine Schwelle fährt – die Musik betont das mit einem prägnanten Schlag. Beim abschließenden Tusch des Themas kippt der Kopf des Priesters ab (01:33:36). Hier ergreift die Musik, die in Night on Earth ansonsten subtil andeutungshaft funktioniert, eine Kommentarmacht. Sie ist es, die auf die Bewegungen hinweist, sie betont und klarmacht, dass aus Perspektive der erzählerischen Vermittlung der Tod des Priesters, wie auch seine mühsame Jagd nach dem Taxi, nur Teil einer komischen Choreografie sind. Die Musik ist Teil jener dominanten Erzählinstanz, die auch durch die inszenierten Zwischensequenzen und den erzählerisch gekennzeichneten »beliebigen« Zugriff auf verschiedene Handlungsräume gekennzeichnet wird. Suárez sieht einen Gegensatz zwischen der formalen Geschlossenheit des Films und den offenen Episoden: »the kind of closure transmitted by the recurring graphic patterns and objects is undercut at another level by the open-endedness of the situations.« (Suárez 75) Genau diesen Spalt eröffnet die Musik auch. Bald unterwandern subtile Abweichungen die Variationen. Die Intonation ist beständig absichtsvoll unsauber. Schon bei der zweiten Zwischensequenz wird das Thema um einen Halbtonschritt angehoben. Bei der dritten vollzieht sich die Auflösung stärker: Die Basstöne laufen während des Zwischenteils stur weiter, so dass sie sich mit seinen Harmonien reiben, anstatt ihnen das Fundament zu legen – eindeutig eine Reibung, die der Misskommunikation des afrikanischen Fahrers und der blinden Frau entspricht. Am Ende fragt Mika seinen Fahrgast, der sich vor seiner Haustür vor Trunkenheit kaum aufrecht halten kann, ob er wisse, wo er sei. »Ja«, antwortet er, »Helsinki«. Diese Schlusspointe fasst noch einmal den Gegensatz von global und lokal ins Auge: Aus einer globalen Perspektive ist Helsinki ein spezifischer Ort, auf der Landkarte identifizierbar und in seiner Relation zu anderen Städten erfassbar. Für Aki, der betrunken in einer Gasse steht, ist Helsinki der unfreundliche Kosmos, der ihn umgibt – das Wissen, sich in Helsinki zu befinden, hilft ihm nicht dabei, sich zu orientieren. Die Musik formuliert in Night on Earth vor allem Ambivalenzen. Sie ist einerseits verbindendes Element, andererseits kennzeichnet sie Verständigungsmomente als flüchtig. Sie vermittelt zwi-
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schen Kulturen und stellt sie so als ähnlich dar, doch dem stehen wiederum spezifische Elemente entgegen. Da diese spezifischen Elemente sich jedoch durch ihre Offenheit festen Zuschreibungen widersetzen, sucht Night on Earth Verbindungen zwischen Kulturen eher in der Art ihres Entstehens und ihrer Begegnungen als in Ideosynkrasien.
»I K NOW Y OU U NDERSTAND M E .« H IP -H OP , Ü BERSETZUNG UND Z IRKULARITÄT IN G HOST D OG Ghost Dog kehrt die für Jarmusch typische transkulturelle Intertextualität in Handlung und Musik am deutlichsten nach außen. Der Titelheld Ghost Dog arbeitet als Auftragskiller für den abgehalfterten Mafioso Louie. Er fühlt sich ihm verpflichtet, weil er glaubt, dieser habe ihm einmal das Leben gerettet, als er von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen wurde. Seiner Verpflichtung geht Ghost Dog nach, indem er sich selbst als Gefolgsmann seines Retters versteht und einem Kodex für Samurai folgt, den Tsunetomo Yamamoto im frühen 18. Jahrhundert als Hagakure festgehalten hat. Ghost Dog lebt isoliert in einer Dachbehausung mit Taubenverschlag und widmet sich Meditation und Übungen der Kampfkunst. Er kommuniziert mit Louie per Brieftaube – ansonsten sind seine einzigen sozialen Kontakte der Eisverkäufer Raymond und das Mädchen Pearline. Als die Tochter eines der Mafiabosse bei einem Mord Ghost Dogs zur Zeugin wird, verlangt deren eigener Kodex nach Rache und der Killer wird selbst zum Gejagten. Nachdem die Gangster seine Tauben getötet haben, begibt er sich auf einen blutigen Rachefeldzug gegen die ganze Organisation. In einer abschließenden Konfrontation wird Ghost Dog von Louie erschossen, als er ihm als treuer Gefolgsmann mit ungeladener Waffe entgegentritt. Seine charakteristische Zweiteilung in intradiegetische Sourcemusik und eigens komponierte extradiegetische Musik behält Jarmusch auch in Ghost Dog bei. Die intradiegetische Musik repräsentiert mit ihren Genres und Texten afroamerikanische Erfahrung, während die extradiegetische Musik den instrumentalen Teil des Hip-Hop als höchst adaptives und flexibles ausdrucksstarkes Medium zeichnet. In Ghost Dog ist die Musik grundlegend für die Struktur des Films und untrennbar mit seinen Themen verbunden. Die intradiegetische Musik spielt Ghost Dog meist auf CDs in gestohlenen Fahrzeugen ab. In ihren Genres Hip-Hop, Reggae und Free Jazz drückt die Source-Musik jene afroamerikanische Identität explizit aus, die der sonstige Film eher subtil thematisiert. Obwohl die Filme von Jarmusch für den grenzüberschreitenden Zugriff auf Texte plädieren, kennzeichnet Ghost Dog Hip-Hop als klar der
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afroamerikanischen Gemeinschaft zugehörig. Hip-Hop besetzt in Ghost Dog afroamerikanische urbane Räume und Kultur und nimmt damit eine konventionelle Rolle ein. Diese Zuschreibung wird jedoch durch die Verbindung mit den anderen musikalischen Genres und vor allem mit dem Einsatz der extradiegetischen Musik übertreten und erweitert. Auf der extradiegetischen Ebene sind Klangschleifen des Hip-Hop-Produzenten RZA zu hören, die auf Sampling-Ästhetik basieren. Sie geben dem Film seinen Rhythmus, spiegeln sein intertextuelles Verfahren und kehren sein hybrides Kulturverständnis nach außen. Wie die Hip-Hop Tracks RZAs einzelne Klangfragmente aus verschiedenen Genres und Musikkulturen in hypnotische und energetische Schleifen verweben, verbindet Ghost Dog Genreelemente und literarische und filmische Texte aus verschiedenen Epochen und Kulturen. So resümiert auch Sara Piazza: »The typical techniques of hip hop, the sample and the quote, the collage and the cut-up, thus determine not only the style but also the deeper structural elements of the film [...]« (Piazza 151). Auch Éric Gonzalez stellt fest, dass Jarmuschs Zitate neben ihren kennzeichnenden Funktionen auch der Strukturierung dienen (Gonzalez Abs. 5). Im Folgenden wird zunächst das Ineinandergreifen der intra- und extradiegetischen Musikeinsätze mit anderen Rhythmen des Films veranschaulicht. Dabei wird die intradiegetische Musik als Verhandlungsebene für afroamerikanische Erfahrung erschlossen – sie symbolisiert eine Verständigung, die besonders durch die Freundschaft des Protagonisten Ghost Dog mit dem haitischen Eisverkäufer Raymond und dem Mädchen Pearline ihre Entsprechung auf Handlungsebene findet. Die extradiegetische Musik von RZA hingegen trägt in ihren Samples die Aussage des Films mit, dass Kulturen sich in fortwährenden Schleifen erneuern und hybridisieren – in dieser ewigen Wiederkehr wird aber auch immer wieder Eigenes zum Vorschein gebracht. Die Intertextualität ist in der Sampling-Ästhetik der Musik in Ghost Dog allgegenwärtig und auch in anderen Anleihen und Zitaten des Films überdeutlich. Die Hybridität und das Kulturverständnis von Ghost Dog soll neben der Musik auch in seiner Übernahme von Handlungsteilen und Darstellungsverfahren der Filme Branded to Kill (Seijun Suzuki, 1967) und Le Samourai (Jean Pierre Melville, 1967) analysiert werden. Abbildung 36 zeigt die Orte der wichtigsten rhythmisierenden Elemente in Ghost Dog. Sie beinhaltet das Hagakure, das stärkste inhaltliche und visuelle »Sample«. Die extradiegetische Musik von RZA belegt die Zeilen von »Ghost Dog Thema« aufwärts bis »Funky«. Die im Autoradio intradiegetisch abgespielte Musik ist in der Grafik mit »CDs« bezeichnet. Rashomon ist nicht so ein stark
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rhythmisierendes Element wie die Musik, die Cartoons und das Hagakure. Es verfügt nur über geringe visuelle Wiederholungskraft, da es nur durch die äußere Erscheinung der kursierenden Taschenbuchausgabe im Bild vergegenständlicht ist, wenn es weitergegeben wird. Dennoch ist auch Rashomon Teil der Zitate, durch die Jarmusch erzählerische Verwandtschaft ausdrückt: Der Film basiert neben der titelgebenden Erzählung »Rashomon« hauptsächlich auf der Geschichte »Yabunonaka« (in der deutschen Übersetzung »Im Dickicht«). In der Erzählung liefern Zeugen und Beteiligte eines Verbrechens widersprüchliche Aussagen (Akutagawa 253). Dabei bleibt offen, ob die Figuren sich nur ungenau erinnern, oder die Realität absichtlich verfälschen, um sich selbst zu bevorteilen. Die Erzählung lässt diese Verwirrungen unaufgelöst und thematisiert so die Unzugänglichkeit einer absoluten Wahrheit, ein Motiv, das sich auch in Ghost Dog findet. In dem Augenblick, der Ghost Dog zum Gefolgsmann von Louie macht, wird er von einer Bande Krimineller zusammengeschlagen. In seiner eigenen Erinnerung zielt einer der Jugendlichen mit einer Pistole direkt auf ihn, als Louie hinzukommt und den Gangster erschießt. Als sich Louie dieselbe Szene ins Gedächtnis ruft, bedroht der Jugendliche ihn selbst (vgl. Piazza 262).
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Abbildung 36: Frequenzen musikalischer und narrativer Motive in Ghost Dog
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In der Abbildung lässt sich der Rhythmus nachspüren, den die verschiedenen Zitate durch den Film ziehen. Obwohl ihre einzelnen Orte nicht an ein striktes metrisches Raster gebunden sind, wirken sie doch zu einem gemeinsamen Rhythmus zusammen. Bereits in den ersten zwanzig Minuten führt Ghost Dog seine wichtigsten Zitatebenen ein. Dabei wiederholen die meisten sich schon in diesem Zeitraum und etablieren die wiederkehrenden Texte als rhythmisierende Elemente. Dann verlangsamt sich der Rhythmus. Erst mit der Wiederaufnahme der Hagakure-Texte gewinnen auch die Zeichentricksequenzen und das musikalische Thema an Fahrt und finden in ihren Takt. Am Ende des Films treffen die vier Hauptmotive noch einmal fast gleichzeitig zusammen: eine Kondensation der wichtigsten Inhaltsträger und Betonung des letzten rhythmischen Schlags des Films. Intradiegetische Musik: Afroamerikanische Gemeinschaft in Ghost Dog Die intradiegetische Musik erklingt meistens, wenn Ghost Dog CDs in die Autoradios der gestohlenen Fahrzeuge schiebt. Dass er jedes Mal den Lautstärkeregler auf den Wert 21 stellt, betont die Serialität und rituelle Ernsthaftigkeit, mit der Ghost Dog die Musik inszeniert. Wie aus Abbildung 36 ersichtlich wird, setzen die vier intradiegetischen Songs recht regelmäßig ein und erklingen deutlich länger als die einzelnen Einsätze der extradiegetischen Filmmusik. Ähnlich wie in Broken Flowers entsteht auch hier ein Immersionseffekt durch die intradiegetische Musik. Wo in Broken Flowers die Anonymität des durchschnittlichen Mietwagens Ford Taurus durch die äthiopische Musik gebrochen und in einen persönlichen Raum verwandelt wird, kennzeichnet in Ghost Dog die Musik die Besitzergreifung des Innenraums der gestohlenen Fahrzeuge. Die verschiedenen musikalischen Genres, die in Ghost Dog intradiegetisch abgespielt werden, sind mit der afroamerikanischen Gemeinschaft verknüpft. Dieses Verfahren ist relativ konventionell: Hip-Hop-Musik wird im Film typischerweise eingesetzt, um Grenzen zwischen Nachbarschaften und Generationen abzustecken (Hickman 421). In seiner Monografie zur Geschichte der Filmmusik bindet Laurence E. MacDonald Hip-Hop an jugendliche afroamerikanische Kultur: »[hip hop is a] rhythmically driven, melodically minimal, and often scatological creation of mostly young, angry, urban black performers.« (MacDonald 362) Damit verbindet sich die Hip-Hop-Musik mit dem Stereotyp, als das Ghost Dog anfangs gelesen werden kann: als urbaner Gangster, ein Afroamerikaner im schwarzen Kapuzenpullover. Es ist dieses Stereotyp, das Handsome Frank Ghost Dog, bevor dieser ihn erschießt, fragen lässt: »What d’ you want? You want my
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Rolex?« In einer späteren Szene beobachtet der Titelheld Rapper im Park, die Freestyle-Raps improvisieren und Alkohol trinken. Einerseits nimmt Hip-Hop hier die konventionell territoriale Funktion ein, andererseits ist er Teil der sozialen Praxis seiner musikalischen Gemeinschaft. Einer der Männer nickt Ghost Dog respektvoll zu: Hip-Hop dient zur Vergewisserung der Zusammengehörigkeit. Dass es The RZAs Instrumentalteil zum Track »Ice-Cream« ist, mit dem die Männer per Ghettoblaster ihre Freestyle-Raps begleiten, spielt auf Raymonds Eiscreme-Wagen an und bezieht den Haitianer in die Gruppe mit ein. Schon in Down by Law hatte sich das Wort »Ice-Cream« ja in dem skandierten »I scream, you scream, we all scream for ice-cream« zum gemeinsamen, wehrhaften Slogan der Häftlinge gewandelt. Und auch in dieser Szene in Ghost Dog verbindet Eiscreme motivisch die Hip-Hop-Musik, den Park, den Wagen darin, die Rapper, Ghost Dog und Raymond zu einer musikalischen Gemeinschaft. Dasselbe geschieht auch durch die anderen diegetischen Songs, wenn die Rapstücke verschiedener Mitglieder des Wu-Tang-Clans durch Ghost Dog abgespielt werden. In einer einführenden Sequenz, in der Ghost Dog nachts durch die Straßen streift, passiert er Passanten immer außerhalb ihres Blickfeldes. S. Brent Plate sieht in dieser Unsichtbarkeit eine Anspielung auf Ellisons Invisible Man, mit seinem anonymen, nicht wahrgenommenen Protagonisten (Plate 2000). Thematisch knüpft daran das erste Stück an, das Ghost Dog im Autoradio abspielt: Killah Priests »From then till Now«. Die Worte malen ein düsteres Bild des afroamerikanischen urbanen Alltags: »Guns, shootouts and crack sales, black males who pack jails, trapped in hell – no peace, cold streets, surrounded by police, this whole week, buildings with no heats, no lights and gas pipes with slow leaks«. Doch dieser Gegenwart stellt Killah Priest eine Vergangenheit entgegen, die er in alttestamentarischen Symbolen beschreibt: »we used to wallow amongst the mallows, we had herd sheep and cattle, now we battle, used to pass over brooks of Kidron Towers of Lebanon, the pool of Gershom, we used to sing songs upon Mount Hebron.« Der Refrain führt den zeitlichen Sprung zusammen: »What goes up must come down, what goes down comes back around again, where it all began, began, began, began.« Einerseits ist dies schon ein früher Hinweis auf das zirkuläre Verständnis von Kultur, das der Film auf vielen Ebenen verfolgt; andererseits führt der Text Hip-Hop von der Repräsentation lokaler, urbaner, afroamerikanischer Kriminalität über in eine Sicht auf globale afrikanische Diaspora. Der zweite intradiegetische Song, »Fast Shadow« (Wu-Tang-Clan), den Ghost Dog in einem ausgebauten Autoradio in seiner Behausung abspielt, setzt ein mit den Worten: »And it don’t, it don’t, it don’t, it don’t, it don’t, it don’t, it don’t, it don’t, it don’t, it don’t stop!« Dem Text entsprechend werden auf der Instrumen-
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talspur zwei hohe Basstöne immer wieder von einem einzelnen Basston eine Oktave tiefer beantwortet. Dann beginnt Method Man seine Strophe: »It all starts with the pad and pen, shall we begin«. Die Wiederholung der Worte »it don’t« beschwört abermals die Idee der wiederkehrenden Schleifen, während mit dem Bild, dass alles mit Stift und Block starte, der artifizielle Status der Musik und auch der Filmwelt hervorgehoben wird. Ähnlich zu Killah Priests »From Then till Now« beschreibt auch der ReggaeSong »Armagideon Time« des jamaikanischen Musikers Willie Williams aus dem Jahr 1978 zunächst soziale Missstände: »A lot of people won’t get no supper tonight, a lot of people going to suffer tonight«, lauten die ersten Zeilen. Doch auch hier sind weitere Bezüge angelegt: Durch seinen Titel weckt »Armagideon Time« Assoziationen zum drohenden Untergang Ghost Dogs. In der ursprünglichen Wortbedeutung bezieht sich Harmagedon jedoch auf den metaphorischen oder tatsächlichen Ort einer endzeitlichen Schlacht. Das Lied drückt so eine Vorausahnung aus – Ghost Dog spielt es auf dem Weg zu Mr. Vargos Villa, wo er fast alle Mitglieder des Mafia-Clans in einem Gefecht tötet. Das letzte im Autoradio abgespielte Stück ist Andrew Cyrilles und Jimmy Lyons »Nuba One« (1979), das in seiner flirrenden Ziellosigkeit aus den verwendeten Musikstilen hervorsticht. In dem Stück verfließt die Trennlinie zwischen Geräusch und Musik, nicht nur dadurch, dass das Saxophonsolo mit seinen abrutschenden und gebogenen Tönen die Greifbarkeit durch das Notensystem überwindet, sondern auch dadurch, dass die schwer und tief widerhallenden Basstrommeln des Schlagzeugs vor dem fallenden Regen als fernes Gewitterdonnern hörbar sind. Es ist nicht nur als Freejazz-Stück Vertreter eines weiteren afroamerikanisch geprägten Genres, sondern bezieht sich durch den Titel auf die verschiedenen Völker der Nuba. Im Sudan wurden die Nuba zu Opfern »eines der schlimmsten Völkermordverbrechen in Afrika« (Schwengsbier 5) – in den 1980er Jahren erlitten sie Vertreibung, Ermordung und Verschleppung durch die sudanesische Armee und ihre Verbündete (5). Fast die gesamte Bevölkerung der Nuba fiel diesem Verbrechen zum Opfer (7). Zwar war das zum Zeitpunkt des Entstehens des Albums 1979 noch nicht geschehen, der Kontext ist für Ghost Dog aus dem Jahr 1999 jedoch sehr bedeutsam. Motive der organisierten Vernichtung und des Aussterbens ziehen sich durch den ganzen Film. Als Louie die Brieftauben erwähnt, mittels derer Ghost Dog kommuniziert, ruft der schwerhörige, alte Consigliere vehement: »Passenger pigeons have been extinct since 1914!« Eine weitere Szene knüpft an das Motiv des Aussterbens von Arten an: Ghost Dog erschießt zwei weiße Jäger, die einen Braunbären erlegt haben. Ihr Töten des Tiers hatten sie zuvor damit begründet, dass es nicht mehr so viele Exemplare gebe. Es ist in die-
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ser Logik also gerade die Seltenheit einer bedrohten Spezies, die zu ihrer Auslöschung führt. Nicht nur vergleichen die feindseligen Jäger selbst die raren Braunbären mit Afroamerikanern, von denen es ebenfalls nicht viele in der Gegend gebe: Schon vorher hat Raymond Pearline von der Ähnlichkeit Ghost Dogs mit einem großen Bären erzählt. Mauer sieht in Ghost Dogs Mord an den Jägern auf einer weiteren Bedeutungsebene einen »Krieg des Afroamerikaners gegen die, seine Existenz bedrohenden, Euroamerikaner« (Mauer 239-40), doch die Dichte und Variation des Motivs des Aussterbens in der Musik und Handlung weist darauf hin, dass Ghost Dog Vertreibung und Vernichtung auf allgemeinerer Ebene kritisiert. Über den ganzen Film hinweg werden Ghost Dog als Samurai und die Mafiosi als Angehörige unterschiedlicher, zum Aussterben vorbestimmter Stämme gekennzeichnet. Obwohl ihr Schwinden als im natürlichen Lauf der Welt angelegt erzählt wird, gibt es Kräfte, die diese Verdrängung vorantreiben. Nicht nur die Jäger, sondern auch die Mafiosi marginalisieren andere Kulturen. Als die Gangster den Indianer Nobody aus Dead Man auf dem Dach treffen, können sie ihn kulturell nicht einordnen. Seine Aussage, er sei Cayuga, verwirrt sie nur: »Cayuga my ass« ist ihr Fazit. Denise Cummings schreibt: »[…] Nobody takes the opportunity to offer the men, and the audience, a corrective to their description of ›sameness‹ and their identification of human beings as ›thing.‹ He proceeds to identify himself through tribal affinity.« (Cummings 71) Die Klarstellung entgeht den Mafiosi. Zwar hatten sie zuvor das Pseudonym Ghost Dog mit den selbstgegebenen Namen der Rapper (Snoop Doggy Dog, Ice Cube, Q-Tip) und Indianerhäuptlinge (Crazy Horse, Running Bear, Black Elk) in Verbindung gebracht und beide Gruppen haben unter den Mafiosi ihre Bewunderer – Sonny Valerio als Fan der HipHop-Kultur, Mr. Vargo als Anhänger der Indianer. Doch als Valerio Jonny auffordert, Clanmitglieder mit den illustren Namen »Sammy the Snake«, »Joe Rags« und »Big Angie« zu holen, entgeht ihnen die Ähnlichkeit der Namen. Den Mafiosi fehlt ironischerweise die Einsicht, dass auch ihre Spitznamen jenen der anderen Gruppen ähneln. »Indians, niggers, same thing«, folgert der alte Mafioso, ohne der Ähnlichkeit zu seinen eigenen Clanmitgliedern gewahr zu werden. Sophia Glasl bemerkt, dass der Kommentar des Alten auch auf die gegenseitige Entsprechung verschiedener Genres wie Rap-, Western- und Mafiafilme anspielt und daher nicht nur als rassistische Aussage zu verstehen ist (vgl. Glasl 135). Dennoch nehmen sich die Mafiosi just in dem Moment selbst von der Assoziationskette aus, in dem sie doch die Möglichkeit hätten, Parallelen zwischen ihrer eigenen Praxis und jener anderer kultureller Gruppen zu erkennen. Abermals sind sie nicht Teil jener Art von Verständnis, das es Raymond erlaubt, Verbindungen zwischen Ghost Dog und Bären oder Pearline zu sehen, das es Ghost Dog
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ermöglicht, sich in dem alten Samurai-Leitfaden wiederzufinden und das es dem Film eröffnet, ästhetische und strukturelle Verbindungslinien zwischen Kulturen zu ziehen. Wo die transkulturelle Bezugnahme für Ghost Dog ein Weg der Einschreibung und Identitätskonstruktion ist, finden die Mafiosi Ähnlichkeiten nur zwischen den Gruppen, die sie marginalisieren. Damit repräsentieren sie genau jene essentialistische Sicht, die Ghost Dog mit seiner reflexiven Hybridität in Frage stellt. Die intradiegetischen Songs beziehen sich alle auf marginalisierte, unterdrückte Identitäten der afrikanischen Diaspora. Die Unterdrückung der Nuba, die sozialen Probleme in »Armagideon Time« und der urbane Hip-Hop der Afroamerikaner werden thematisiert. Aus Ghost Dogs Auswahl von Rap-CDs schließt Julian Rice auf den Respekt, den Ghost Dog trotz seiner Anlehnung an andere Kulturen gegenüber der afroamerikanischen Gemeinschaft bezeugt (vgl. Rice 109). Doch Rices Kontrastierung von authentisch empfundener Hip-Hop-Kultur und Ghost Dogs intertextueller Identitätskonstruktion ist trügerisch, denn gerade HipHop selbst wird von dem Film als Medium gezeichnet, das auf unterschiedliche Tonaufnahmen und Texte transkulturell zugreifen kann. Hip-Hop wird als hybrid gezeigt, eine Tatsache, die sich vor allem auf die extradiegetische Ebene, aber auch auf die intradiegetischen Songs erstreckt. Der prominente Song »Ice Cream« (Raekwon featuring Ghostface Killah, Cappadonna and Method Man) enthält mindestens drei verschiedene Samples (vgl. »Ice Cream« WhoSampled.com): Seinen prägnantesten Melodieteil entlehnt der Song aus Earl Klughs »A Time for Love« (1980), seinen Schlagzeugpart übernimmt er aus Rufus Thomas’ »The Breakdown (Part II)« (1971) und ein langgezogener Ruf »Ice Cream« stammt aus einem Stand-Up-Programm Eddie Murphys aus dem Jahr 1983, in dem der Komiker den Enthusiasmus von Kindern für den Eiscreme-Wagen nachahmt. Soul, Funk und Comedy sind unterschiedliche Bereiche, doch alle drei sind konstitutiv für afroamerikanische Identität: die Comedy Eddie Murphys mit ihrer Mündlichkeit und Performativität, Soul und Funk als grundlegende Genres. Diese Repräsentationskraft hat jedoch auch ein starkes Moment der Umdeutung: Kick und Snare klingen in ihrer Verlangsamung schleppend und schwer und der ursprünglich enthusiastische Schrei Eddie Murphys mutet im Zusammenspiel mit dem Schlagzeug panisch an. Die sanften Klänge des Soulpianos verwandeln sich in der Schleife, die eine kurze Tonfolge stetig wiederholt, in eine eindringliche und beklemmende Melodie.
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Der ganze intradiegetische Soundtrack bezieht sich in seinen Samples vor allem auf die Soulmusik der 1970er Jahre.4 Sogar Willie Williams Armagideon Time (1978), das kein Hip-Hop-, sondern ein Reggae-Song ist, zieht für sein musikalisches Grundgerüst ein Sample von Sound Dimensions’ »Real Rock« (1967) heran. In den intradiegetischen Tracks herrscht also schon ein Verweissystem, das Musik als hybrid kennzeichnet – in ihr werden Elemente aus verschiedenen Kulturen vermischt. Allerdings lenken erst RZAs extradiegetische Klangschleifen die Aufmerksamkeit explizit auf die Schleifenbasiertheit, Intertextualität und Zirkularität von Hip-Hop. Ghost Dogs Freundschaft mit Raymond Die intradiegetische Musik kennzeichnet Ghost Dogs Zugehörigkeit zu der afroamerikanischen Gemeinschaft – eine Zugehörigkeit, die auf der Handlungsebene vor allem durch seine Freundschaft zu Pearline und Raymond gespiegelt wird. Pearline ist ein afroamerikanisches Mädchen, das ihn im Park anspricht und mit dem er über die Bücher redet, die beide lesen: The Souls of Black Folks, Night Nurse, Frankenstein. Er leiht ihr Rashomon und vermacht ihr am Ende des Films das Hagakure. Die zweite Person, zu der Ghost Dog eine engere Bindung aufbaut, ist Raymond. Den haitischen Eiscreme-Verkäufer stellt er Pearline als seinen besten Freund vor (00:39:00). Jedoch spricht keiner der beiden Freunde die Sprache des anderen. Ghost Dog selbst gibt dies der zweifelnden Pearline gegenüber zu: »I never understand a word he says.« Und doch wiederholen Raymond und Ghost Dog in einem Akt der ständigen unbewussten Übersetzung die Aussagen des anderen. So wiederholt Raymond Pearline gegenüber Ghost Dogs Worte auf Französisch: »C’est vraiment mon meilleur ami. My best friend.« Die bruchstückhafte
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RZAs »Samurai Showdown« enthält einen Ausschnitt aus The Mad Lads: »I’m Afraid of Losing You« (1973) (»›Samurai Showdown [Raise your Sword]‹ by RZA.« WhoSampled.com), »Fast Shadow« von der Gruppe Wu-Tang Clan enthält Ausschnitte von George Thorogood & the Destroyers »Bad to the Bone« (1982) und Ann Peebles »Trouble, Heartaches and Sadness« (1972) (»›Fast Shadow‹ by Wu-Tang Clan.« WhoSampled.com). »From then till Now« (Killah Priest) enthält Ausschnitte von Marian Marlowe: »The Man in the Raincoat« (1955) (»›From then till Now‹ by Killah Priest« WhoSampled.com). Public Enemy: »Cold Lampin’ With Flavor« (1988) enthält Ausschnitte von Sweet: »Funk it Up (David’s Song)« (1977), The J.B.s: »Gimme Some More« (1970), The Chakachas: »Jungle Fever« (1972), Will C. feat. Mr. Magic: »No More Music by the Suckers« (1987) und Bobby Byrd: »I know you got Soul« (1971) (»›Cold Lampin’ With Flavor‹ by Public Enemy.« WhoSampled.com).
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Übersetzung, die Raymond hier noch leistet, entspricht insofern der konventionellen Darstellung transkultureller Begegnungen, als hier eine fremde Sprache zwar in ihrem Klang anwesend ist, aber dennoch in die vorrangige Sprache des Films übersetzt wird. Die Verständigung von Menschen, die der Sprache des anderen nicht mächtig sind, ist in den Filmen von Jarmusch von Andeutungen, Umdeutungen und Wortspielen geprägt. Robertos Kinderreim zur Eiscreme wird zum Schlachtruf, Yo-Yo und Helmut sind beide überzeugt, dass der andere einen lächerlichen Namen trägt. Aber gerade dadurch, dass die Mehrdeutigkeit von Sprache thematisiert wird und sich Missverständnisse einstellen, rücken die Menschen näher zusammen: Der Schlachtruf führt zur Solidarität, der Streit um die Namen zu einer überraschenden Wertschätzung des Gegenübers. Aus diesen Umdeutungsspielen sticht die Freundschaft des Titelhelden Ghost Dog zu dem haitischen Eisverkäufer Raymond heraus. Mauer beschreibt die Art, in der sich beide verstehen, wie folgt: »Ohne zu verstehen, was der andere sagt, verstehen Ghost Dog und Raymond stets, was der andere meint. Verschieden sind die Sprachen, gleich ist der Sinn« (Mauer 271, Hervorh. i. O.). Und auch Suárez kommt zu dem Schluss: »[T]hey somehow manage to establish an affectionate rapport that bypasses verbal connection« (Suárez 128). Ähnliche erfasst Meyer die Verständigung Raymonds und Ghost Dogs: »Obwohl der eine nicht die Worte des anderen versteht, wissen sie doch, was sie zueinander sagen. Sie kommunizieren über Blicke, Gesten und über das Schachspiel.« (Meyer 259) Das Resultat nennt er eine »Utopie von einem non-verbalen Austausch, der die Schranken zwischen den verschiedenen Völkern aufhebt« (259). Natürlich zeichnen die Dialoge das hoffnungsfrohe Bild einer intuitiven transkulturellen Verständigung. Diese geschieht jedoch eben nicht nonverbal; auch ist die Erklärung, dass die mündliche Verständigung umschifft oder überbrückt werde, unzureichend. Im Gegenteil ist das eigentlich Irritierende an dem Austausch Ghost Dogs mit Raymond eben, wie detailgenau die Aussagen zweier kommunizierender Menschen, die die Sprache des anderen nicht sprechen, paradoxerweise nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich übereinstimmen. Ryoko Otomo hat Recht zu behaupten, dass der Zuschauer via Untertitel einen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren hat: »The audience is made omnipotent through subtitles, understanding every masked meaning of the conversation, while the characters remain in their monolingual shells.« (Otomo 41) Jedoch überschätzt auch sie den Informationsgehalt, den Untertitel zu transportieren vermögen. Jan Pedersen macht in seiner Untersuchung Subtitling Norms for Television auf die Unzulänglichkeiten des Untertitelungsverfahren aufmerksam. Zwischen dem Zuschauer und dem Untertiteler gebe es eine unausgesprochene Übereinkunft (vgl.
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Pedersen 22) – der Zuschauer geht davon aus, dass die Untertitel tatsächlich dem entsprächen, was die Figur äußere. In Wahrheit sei der Inhalt der Untertitel doch immer verknappt und transportiere nur einen Teil der Mündlichkeit (ebd.). Diese Diskrepanz ist in Ghost Dog enorm: Insbesondere die metaphorische und grammatikalische Übereinstimmung der Dialoge zwischen Ghost Dog und Raymond erfassen die Untertitel nicht in ihrer Gänze. Nach der Szene, in der Raymond vorgestellt wird, wird die Ähnlichkeit der Dialogteile Raymonds und Ghost Dogs immer präziser. Als Ghost Dog Anstalten macht, zu gehen, vermutet Raymond: »Je suppose, tu as des choses à régler, car le soleil vas se coucher?« und Ghost Dog erwidert: »I gotta go, I got some business to take care of, and soon the sun’s gonna be coming down.« Abermals ist nicht nur die Tatsache bedeutsam, dass die beiden sich verstehen, sondern wie präzise das Gesagte sich entspricht. Das ist nicht durch Gestik und Mimik erklärbar. Statt nur sinngemäße inhaltliche Übereinstimmungen zu konstruieren, machen die Dialoge deutlich, dass es sich bei der Beziehung Ghost Dogs und Raymonds um ein gegenseitiges Verstehen handelt, das bis in die sprachlichen Satzstrukturen und Formulierungen dringt. Ein Verstehen also, das sich mit dem intuitiven Verständnis jener Momente, in denen Ghost Dog beispielsweise ahnt, dass Raymond über Eiscreme redet (00:51:45), nicht mehr erklären lässt. In einer darauffolgenden Szene, in der Raymond Ghost Dog ein Boot zeigt, das jemand auf einem Hausdach baut, wird die gegenseitige Verständigung weiter aufgebaut. »Mais dis. Je me demande comment est-ce qu’il va si prendre pour le faire descendre de la, nom de dieu?« sagt Raymond und Ghost Dog staunt: »It’s amazing. But how the hell is the guy ever gonna get it down from there?« Nicht nur stellen beide laut die gleiche Frage, sondern die Spiegelung wird darüber hinaus noch durch die Stilfiguren der beiden verdeutlicht. Raymond verwendet Gott als Bild, Ghost Dog die Hölle – entgegengesetzte Metaphern der beiden Freunde, über deren gespiegelte Anlage Mauer schreibt: »Wie in jeder guten Freundschaft findet Ghost Dog in Raymond verkörpert, was in ihm selbst angelegt ist, aber (aufgrund seiner rigiden Strukturiertheit) nicht nach außen dringen kann.« (Mauer 271) Der eine ist ein Eisverkäufer, der stets in einem bunten Wagen stationiert ist, der andere ein rastloser, schwarz gekleideter Killer. Die sprachliche Genauigkeit ist nicht auf der Figurenebene angesiedelt; so ahnen Raymond und Ghost Dog nur, dass sie sich verstehen, können aber nicht wissen, wie sehr sich ihre Sprache ähnelt. Die Entsprechung der Sätze beider erschließt sich, wie viele der Wortspiele in Night on Earth, nur dem Zuschauer, der beider gesprochenen Sprachen kundig ist.
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Die Stellen, an denen sich umgangssprachliche Formulierungen der beiden Freunde decken, entwickeln auch eine Verständigungsebene, die sich auf die Zugehörigkeit beider zu der afrikanischen Diaspora bezieht. Sowohl Raymonds als auch Ghost Dogs Sprachfluss beinhaltet die umgangssprachliche Ansprache »man«. Raymond sagt: »Man, j’ai vu un super truc, qu’il faut que je te montre« (00:51:45). In einer späteren Szene begrüßt ihn Ghost Dog: »Haven’t seen you in a while, man« (01:22:00). Bemerkenswert ist, dass Ghost Dog, der von Frankie in der Eingangsszene des Films mit dem Satz »You want my Rolex?« als Straßenkrimineller fehlgedeutet wird, sich bestimmter Begriffe nur im Gespräch mit Raymond bedient, in Situationen also, die von Verständnis und nicht von möglichen Missverständnissen geprägt sind. Zu den Gangsterbossen und seinem Schutzbefohlenen Louie spricht Ghost Dog stets in einer geschliffenen und klaren Sprache. Über den Film hinweg vollziehen sich nur subtile Verschiebungen in der ausgewogenen Sprechhaltung Ghost Dogs, und dennoch ist es kein Zufall, dass Ghost Dog Raymond vor der dramatischen Shootout-Szene mit umgangssprachlichen Wendungen beruhigt. »Don’t worry man. It’s okay. It’s aight. I need to get inside, I need to get inside the truck, aight?« (01:33:20, eigene Hervorh.). Die betonte Wiederholung des »aight« (anstelle von »allright«) verleiht den Anschein, dass Ghost Dog seinem Freund mittels des Slangbegriffs5 eine stärkere Dringlichkeit und Wahrhaftigkeit vermitteln kann. Die parallelen Satzstrukturen hatten die beiden schon als »Seelenpartner« etabliert. Mit den Slangbegriffen aus der Hip-Hop-Kultur, besonders in dem Moment tiefer emotionaler Dringlichkeit, erklingt noch eine andere Dimension, jene nämlich, die Ghost Dog als afroamerikanischem Bürger und Raymond als haitischem Einwanderer in der Hip-Hop-Sprache eine gemeinsame Position zuweist. Damit schließen die Figuren genau jene Art der Verbindung in afrikanischer Diaspora, die im Soundtrack zwischen amerikanischem Hip-Hop, Free Jazz und jamaikanischem Reggae angelegt ist. Später im Film erzählt Raymond Ghost Dog, dass Pearline nach ihm gesucht habe (01:22:00). Ghost Dog schenkt ihm einen zu großen Anzug mit der Vermutung, er kenne sicher haitische Schneider, die ihn ändern könnten. Abermals wiederholen beide das, was der andere sagt. Raymond spricht lachend darüber, dass ihn Pearline mit ihrer Brotzeitdose voller Bücher an Ghost Dog mit seinem Aktenkoffer erinnere. Hier zeigt sich eine Eigenschaft Raymonds überdeutlich, die schon früher angelegt wurde, als er aus einem Buch über Bären zitierte und Ghost Dog mit ihnen verglich. Trotz seiner sprachlichen Isolation versteht er es, die
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In A2Z: The Book of Rap & Hip Hop Slang steht »aight« als »exclamation of approval or agreement, all right« (Stavsky 1).
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Dinge in seiner Umgebung assoziativ miteinander in Bezug zu setzen. Er hat Einblick in Symmetrien, die auf der Filmebene angelegt sind und sonst nur dem Zuschauer klarwerden können. Ghost Dogs Identifizierung mit Bären wird in einer Szene fortgeschrieben, in der er die Jäger erschießt, die außerhalb der Jagdsaison einen Bären getötet haben. Pearline wird am Ende des Films, in das Hagakure vertieft, auf dem Boden sitzen und auch die letzten Wort des Films sprechen, also als Leserin, aber auch als Vorleserin an Ghost Dogs Stelle getreten sein. Es ist kein Zufall, dass der Szene, in der Raymond die Assoziation schildert und Ghost Dog und er sich vorher wie immer gegenseitig verstehen, ein Hagakure-Zitat folgt, das sich auf Verständnis bezieht: »There is surely nothing other than the single purpose of the present moment. A man’s whole life is a succession of moment after moment. If one fully understands the present moment, there will be nothing else to do, and nothing else to pursue.« (01:24:24) Die Exaktheit, in der die Sätze Ghost Dogs und Raymonds in ihrer Sprache und Bedeutung einander entsprechen, der Einsatz von Slang in bedeutungsvollen Momenten, Raymonds assoziative Einsichten und das Zitat, in dem das Begreifen eines Moments zum philosophischen Ziel erhoben wird, zeigen: Gegenseitiges Verstehen ist in Ghost Dog nicht auf einen kommunikativen Zusammenhang beschränkt. Es wird mehr als das sprachliche Verstehen, es wird zur Gewissheit, sich in der Welt auf eine gemeinsame Art und Weise zu verorten. Wenn Pearline und Ghost Dog die gleichen Bücher mögen, vor dem tragischen Ende Raymonds Eis ablehnen, weil sie keinen Hunger verspüren, wenn Ghost Dog und Raymond beide Schokolade als Lieblingseis bezeichnen, dann sind das alles leise Hinweise auf dieses universell angelegte Verständnis. Vor der abschließenden Shootout-Szene, in der Ghost Dog vor den Augen seines flehenden Freundes Raymond erschossen wird, spricht er zum ersten Mal zu Raymond über sein eigenes Leben. Er erzählt ihm von seinem Dasein als Gefolgsmann, sagt ihm, er müsse sich um nichts Sorgen machen, alles geschehe aus einem Grund. Und er beschreibt Louie und sich selbst: »Me and him, we’re from different ancient tribes and now we’re both almost extinct. But sometimes you gotta stick with the ancient ways. The old school ways. I know you understand me. I know you understand me« (01:36:00). Ghost Dogs Satz im ersten vom Film gezeigten Aufeinandertreffen der beiden, »I never understand a word he says«, ist jetzt zum wiederholt betonten »I know you understand me« geworden. Das zeichnet hier jedoch nicht eine Entwicklung der Beziehung beider nach, sondern betont die Art, in der der Film ausgehend vom sprachlichen Verständnis (»never understand a word«) ein größeres, globales Ver-
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stehen aufbaut. Mit den Worten »I know you understand me« ist dieses gemeinsame Verstehen gemeint. Dabei ist auch die Formulierung »Old School« signifikant: Der Begriff bezieht sich auf einen frühen Rapstil der späten 1970er und frühen 1980er (vgl. Stavsky 74), der mittlerweile in der Hip-Hop-Community als Metapher für originale, authentische Hip-Hop-Kultur fungiert. Im Zitat verbindet Ghost Dog »Old School« als authentischen Kerntopos des Hip-Hop mit seinem eigenen Rückgriff auf die Samurai-Tradition – ein Rückgriff, den nur Raymond und Pearline verstehen. Der Sampling-Soundtrack von RZA: Musik-Bild-Beziehungen Im Gegensatz zu den intradiegetischen Songs, die sich auf afroamerikanische Identität berufen, spiegelt der extradiegetische Soundtrack von RZA das Zitierverfahren des Films und dessen kulturelle Hybridität auf selbstreflexive Weise. Seine einzelnen Stücke basieren auf der Sampling-Ästhetik des Hip-Hop und bestehen jeweils aus verschiedenen Samples, die zu Klangschleifen verbunden werden. Den Tracks ist eine lange Dauer eingeräumt, wodurch sie kontemplativ wirken – oft begleiten sie über längere Zeit den Flug von Ghost Dogs Tauben über die Dächer. Ohne Sprechgesang sind die Sample-Schleifen zudem jenes vorantreibenden Elementes beraubt, dass die stärksten Änderungen hervorbringt – so werden ihre Wiederholungen betont und nuancierte Abweichungen oder Verschiebungen treten innerhalb der Instrumentalteile stärker hervor. Durch seine Übersetzung kleiner Klangfragmente in neue ästhetische Einheiten ist der Soundtrack Teil des Verständnisses von Kulturen als hybrid und gegenseitig durchdrungen. Mit seiner Zirkularität legt der Soundtrack dem Film zudem eine Verschachtelung wiederkehrender Schleifen zugrunde, die sich nicht nur in der Anordnung der Samples innerhalb der Tracks ausdrückt, sondern auch in der rhythmischen Anordnung dieser Stücke über den ganzen Film hinweg – eine komplexe Struktur, von der die ausführliche Abbildung 36 einen Eindruck gibt. Die Entsprechung der Klangstrukturen mit den rhythmisierten Zitaten auf visueller und inhaltlicher Ebene ist nur die offensichtlichste zahlloser Ähnlichkeitsbeziehungen und Wiederholungen in Ghost Dog . Auf diese Weise wird die Musik zum narrativen Mittel, welches in Ghost Dog seine filmkonventionelle Entsprechung am präzisesten dekonstruiert. Zwar schreibt Stam, reflexive Filmemacher setzten Musik dem Bild entgegen (264), doch die Musik in Ghost Dog entwickelt kein rein kontrapunktisches Verhältnis zum Bild. Anfangs nimmt die Musik übliche Funktionen ein, um sich dann von ihnen zu lösen. Zunächst scheint sie dem Bild untergeordnet zu sein und das Gezeigte in recht konventioneller Weise zu untermalen. Dementsprechend wird sie
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als meditativ redundante Stimmungsmusik eingeführt, die Ghost Dogs Kontemplation und Meditation unterstreicht. Zirkuläre Musik wird oft in die Nähe zum Meditativen gerückt (vgl. Berger, »Musik und Meditation«, 18) und betont hier die verinnerlichende Wahrnehung Ghost Dogs beim Lesen des Hagakure. Die Filmmusik nimmt auch noch weitere herkömmliche Funktionen ein, wie die Überbrückung von Zeiträumen. In Ghost Dog hilft die Musik, wenn auch nur kurz, in diesem Sinne: Während Ghost Dog die Nummernschilder eines gestohlenen Wagens mit jenen des Fahrzeugs einer rastenden Familie austauscht, blenden im Hintergrund verschiedene Szenen des Picknicks ineinander über (01:08:55). Die Musik unterstützt die Kaschierung der tatsächlichen Dauer von Ghost Dogs Manipulation. Im fortschreitenden zeitlichen Verlauf des Films löst sich der Musikeinsatz immer stärker von konventioneller Filmmusik. So wird Musik in Ghost Dog gerade nicht an Stellen verwendet, an denen sie konventioneller Weise erwartet würde: Sie spielt fast nie an wichtigen oder spektakulären Handlungspunkten. Roman Mauer sieht in dieser Tatsache ein Zugeständnis an die Mündigkeit des Zuschauers: »Ghost Dogs wirbelnder Kugelhagel im Schloss oder sein Todesgang am Ende - die dramatischen Momente verzichten auf Musik, was ihnen einen realistischen Grundton schenkt und dem Zuschauer kein bestimmtes Gefühl vorschreibt.« (Mauer 278) Szenen, in denen die Musik als Ausdruck eines starken emotionalen Gemütszustands gelten könnte, sind selten. In einer dieser wenigen Szenen findet Ghost Dog seine getöteten Vögel vor, und das »Dead Birds-Thema« setzt ein (00:56:00). Dieses Motiv ist auch zu hören, als Ghost Dog stirbt; die Klangschleife wird zum Ort des ewigen Kreislaufs von Leben und Tod. In Ghost Dog ist die Musik gleichberechtigter Partner des Bildes. Statt eine herkömmliche, untermalende Funktion einzunehmen, richtet sich wie im Prolog von Down by Law oft das Bild nach der Musik und macht auf ihre Präsenz aufmerksam. Es ist diese Gleichberechtigung, die Rudolph Worschesch von einer »hypnotische[n] Verbindung von Musik und Bild« (Worschesch 8) sprechen lässt. Ghost Dog stellt, wie David Bordwell konstatiert, eine Weiterführung immer kürzerer Average Shot Lengths bei Jim Jarmusch dar. Nur 6,8 Sekunden dauert eine Einstellung im Schnitt (Bordwell, »Continuity«, 21). Bordwell begründet diese Entwicklung mit Jarmuschs Übergang vom Underground- in Richtung Mainstream-Film, da kürzere Einstellungen mehr Material verbrauchen und somit teurer sind. Trotz der schnellen Abfolge einzelner Einstellungen wirkt der Film ruhig – dies ist das Verdienst der Gleichberechtigung der Filmmusik mit den Bildern. Ein ausgewähltes Beispiel unter vielen soll die Korrespondenz des musikalischen Rhythmus mit jenem des Filmschnitts genauer beleuchten.
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RZA wird oft von anderen Produzenten dafür kritisiert, dass er seine Beats nicht quantisiert (vgl. Schloss 141). Die Quantisierungsfunktion kann einzelne Samples an einem rhythmischen Schema ausrichten, das der Produzent wählt (140).6 Auch die in Ghost Dog verwendeten Hip-Hop-Instrumentalteile sind nicht quantisiert. Diese innere Ungenauigkeit findet sich auch in der Beziehung zwischen Filmschnitt und Sound. Als Ghost Dog zu Beginn des Films das Auto in den Blick fasst, das er stehlen wird, folgen drei Einstellungen, die sich von einer nahen Aufnahme des Fahrzeugs ausgehend immer weiter wegbewegen (00:05:36 bis 00:05:46). Dabei ist das »Ghost Dog Thema« unterlegt, welches auf zwei hauptsächliche Samples zurückgreift: zwei tiefe Glockenschläge, die von einem hellen Klang beantwortet werden. In diesem Beat ist die fehlende Quantisierung offensichtlich: Die einzelnen Samples sind oft relativ weit von den Schlägen des Grundmetrums entfernt. Ähnlich verhält es sich mit dem Schnitt: Die drei abfolgenden Einstellungen sind in Beziehung zu den Schlägen des musikalischen Rhythmus gestellt, doch nicht exakt auf einzelne Punkte. Sie sind immer leicht vom nächsten Schlag entfernt. So entwickelt sich eine polyrhythmische und unhierarchische Beziehung zwischen Bild und Tonspur. Die Überlegenheit, welche die Musik stellenweise über das Bild gewinnt, zeigt sich besonders deutlich, als Ghost Dog eine Frau in silbernem Anzug aus dem Auto beobachtet. Die Sequenz wird in Zeitlupe gezeigt, die Schritte der Frau verlangsamen sich und gleichen sich dem Takt der Musik an (vgl. Mauer 250). Das ist vergleichbar mit den Schnitten des Prologs von Down by Law zu dem Takt von »Jockey Full of Bourbon«. Nils Meyer schreibt über Ghost Dog: »Der Herzschlag der Musik bestimmt die Abfolge der Bilder.« (Meyer 258) Die Schläge der Musik fallen nicht genau auf die Schnitte, was eine abgehackte, abrupte Unterteilung zur Folge hätte, sperren sich jedoch dem Rhythmus des Films auch nicht. Dadurch wirkt die Visualität trotz seiner vielen Schnitte in seiner Verbindung mit den Klangschleifen eher ruhig und fließend. Die Musik emanzipiert sich in Ghost Dog aus ihrer untermalenden Funktion. Sie kommuniziert nicht nur mit den Schnitten des Bildes, sondern auch mit im Bild ablaufenden Bewegungsvorgängen. Indem sie zeigt, dass die Bilder einer ordnenden Kraft unterliegen, unterstützt die Musik die Reflexivität des Films.
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So kann zwar große Präzision erreicht werden, das Verfahren läuft aber Gefahr, einen mechanischen Klang zu erzeugen. Aus diesem Grund gibt es Studio-Software, die Samples durch eine »Humanization-Funktion« wiederum leicht von diesen Rasterpunkten abrückt.
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Grundrhythmus: Das Hagakure Der am deutlichsten präsente Text in Ghost Dog ist das Hagakure. Durch seine charakteristische Visualität, seine Schrift und Ghost Dogs Stimme ist es das Motiv, dessen Wiederholungen sich am stärksten ähneln. Die 15 Hagakure-Zitate sind relativ regelmäßig angeordnet.7 Ihre Frequenz von ungefähr vier bis sechs Minuten bricht nur drei Mal: Die Pausen nach dem fünften und sechsten Zitat sowie vor dem letzten Zitat sind länger. Die rhythmisierende Funktion der Zitate im Fluss des Films ist so stark, dass Suárez schreibt: »[A] book cuts a loop through the story.« (Suárez 131) Für Roman Mauer spinnt Jarmusch durch die verschiedenen Zitate des Films »ein Netz wiederkehrender Akzente, das den Film in vielfältigen Rhythmen schwingen lässt« (Mauer 248). Mit dieser Polyrhythmik spiegelt Ghost Dog afroamerikanische Musikpraxis. Auch in seiner tieferen Struktur reflektiert der Film das Verfahren der Hip-Hop-Produktion akribisch. Wie andere Texte, die Einfluss auf Ghost Dog nehmen, ist das Hagakure als Buch im Film vergegenständlicht und wird von Ghost Dog an Pearline weitergegeben. Wie Roman Mauer bemerkt, ist das Hagakure an drei Stellen des Films auch als Objekt in die Handlung eingebettet: zu Beginn, als Ghost Dog das Werk studiert, in der Mitte, als die Mafiosi eines der Zitate als Taubenpost empfangen, und am Ende, als Pearline das Hagakure in der Küche liest (vgl. Mauer 251). Zu Beginn der Handlung dienen die Zitate dazu, »eine mittelalterliche Typologie [...] auf höchst moderne Figuren [zu] übertragen« (ebd. 250). In der Mitte des Films nehmen die Aphorismen schlicht die Handlung vorweg, um sich gegen Ende wieder von dieser zu lösen und »mit philosophischen Aussagen das Assoziationsfeld« (ebd. 251) auszuweiten. Das Hagakure ist zum Teil Ratgeber für präzise definierte Situationen, daher jene Zitate, die nah an der filmischen Handlung stehen. Es hat das klare Ziel, den Samurai zu lenken und seine Gefolgschaft zu sichern. Ein Ausschnitt, der nicht in Ghost Dog vorkommt, lautet beispielsweise: »Äußere nicht ein einziges Wort gegen den Fürsten« (Tsunetomo 53). Eigenständiges Denken will das Hagakure unterbinden. So ist ein Abschnitt überschrieben: »Ein Gefolgsmann, der die Dinge zu sehr durchschaut« (ebd. 61). Die Texttafeln gleichen sich in ihrer Aufmachung. Die Lebensweisheiten stehen stets in weißer Schrift vor schwarzem Hintergrund; unter ihnen befindet sich das Symbol, das Ghost Dog auch an einer Kette um den Hals trägt.
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Die Zitate befinden sich an: 00:02:27, 00:09:30, 00:15:26, 00:19:39, 00:22:50, 00:46:37, 00:57:50, 01:04:15, 01:08:42, 01:13:10, 01:19:30, 01:24:24, 01:28:30, 01:33:00, 01:46:25. Siehe auch Abbildung 36.
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Abbildung 37: Hagakure-Tafeln in Ghost Dog
Ghost Dog 09:36:00 Ihre weiße Schrift auf schwarzem Grund und ihre narrative Funktion beziehen sich zurück auf dem Stummfilm, zu dessen Zeit dieses typografische Verfahren begründet wurde (vgl. Schaudig 174-75). So verweist die Darstellung auf die Anfänge der Kinogeschichte zurück und ruft abermals die Einbettung von Ghost Dog in diese Filmtradition auf. Ralph Eue sieht diese Tafeln als Unterbrechungen: »Diese Tafeln liegen quer zu den Genreregeln, sie brechen den Handlungsfluss, sie verfremden die Richtung« (Eue 107). Doch im Gegenteil ist es gerade ihr rhythmischer Fluss, der wie die Wiederholung musikalischer Motive, für Zusammenhalt sorgt. Keine abrupten Schnitte kontrastieren die filmische Realität und die Tafeln. Stattdessen erscheint meist in langsamen Überblendungen zunächst die Schrift über dem fortlaufenden Bild, wobei der Kontrast sich zunehmend verschärft, bis die weiße Schrift isoliert auf schwarzem Hintergrund zu sehen ist.8 Gleichzeitig schwindet der Ton allmählich und die Stimme Ghost Dogs (beziehungsweise Pearlines) beginnt, die Worte zu lesen. Beide Verfahren haben die Einbindung des Textes in den Fluss und die Realität des Films zum Ziel. Sie zeigen, was auch die Handlung demonstriert: Das Hagakure bewohnt keinen von der filmischen Realität getrennten Raum; vielmehr trägt es eine starke Verbindung zu ihr in sich.
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Das Zitat, welches das korrekte Verhalten während eines Regensturmes schildert, erreicht nie die komplette Dunkelheit des Hintergrunds. Seine Schrift wird der fortlaufenden Handlung vorgeblendet (01:28:30).
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In den meisten Ausgaben des Hagakure unterbrechen seriell gestaltete Symbole die Sinnabschnitte des Textes. Jarmusch übernimmt durch die Tafeln diese Rhythmisierung auch im Film: »There are symbols which separate each text in the book. In a way, the film is like the inverse of that where I use the quotes from The Hagakure almost like those little separations. So it even visually and formally influenced the writing or the structuring of the film somehow.« (Jarmusch, »East«, 199)
Christian Metz unterscheidet Zwischentitel im Film in zwei grundsätzliche Arten: einerseits jene, welche »vom Zuschauer diegetisiert« (Metz, Enunziation, 51-52) und einer Figur der filmischen Handlung zugeordnet werden. Ihnen gegenüber stehen »erklärende [auch kommentierende] Zwischentitel [...] bei denen Enunziator und Adressat nicht auf plausible Weise unter den Figuren zu finden sind, [...] das macht den Zuschauer zu ihrem wahrscheinlichsten Ziel« (Metz 52). Die in Ghost Dog zwischengeschalteten Texttafeln des Hagakure verbinden beide Möglichkeiten. Da das erste Hagakure-Zitat im Film über Ghost Dogs Schulter hinweg aus dem Buch abgefilmt wird und er es wie alle späteren Texttafeln (bis auf die letzte, welche Pearline studiert) unterstützend liest, findet eine Subjektivierung der Lesesituation mit Ghost Dog (und Pearline) statt. Diese fällt bis auf die beiden Szenen, in denen Ghost Dog und Pearline das Hagakure lesen, sowohl zeitlich als auch örtlich aus dem filmischen Handlungsablauf hinaus. Die Zitate weisen so auf ein zurückliegendes, verinnerlichendes Lesen hin. Über die genannten subjektivierenden Züge geht Ghost Dog weit hinaus. Jene Zitate, welche die Bilder kommentieren, sind prominent ruhigen Handlungsmomenten platziert (vgl. Mauer 251), was dem Zuschauer Zeit gibt, das Zitat auf die Handlung zu beziehen. Aus der langen Einblendungsdauer der Titel und der Tonspur formiert sich ein stark adressierender Charakter. So agieren die Titel auf Metzs deutender Ebene: »Der erklärende Zwischentitel kann eine eindeutig metadiskursive Funktion haben: ein zweiter Diskurs, der den in den Bildern ablaufenden kommentiert [...] und sich nun um ein Programm zu ihrer Entschlüsselung bemüht« (Metz, Enunziation, 52). Diese kommentierende Funktion nimmt in Ghost Dog vielerlei Gestalt an. Sie kann Ghost Dogs Disziplin kontextualisieren, aber auch Aussagen über das heutige Zeitalter treffen.
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Der Sampling-Soundtrack von RZA und Zirkularität Die Musik ist das Fundament der zirkulären Strukturen des Films. Ihre schleifenartige Anordnung von Samples bildet den Hintergrund für das zitierende und rhythmische Verfahren, mit dem auch das Hagakure den Film strukturiert. Im extradiegetischen Soundtrack RZAs mit seinen transparenten Klangschichten ist jene Zirkularität nach außen gekehrt, die intradiegetisch durch die dichtere musikalische Produktion und die Stimmen der Rapper weniger offensichtlich ist. Doch auch alle intradiegetischen musikalischen Formen in Ghost Dog entwickeln sich aus Schleifenstrukturen: »Nuba One« liegt ein treibender Schlagzeugrhythmus zugrunde, über den sich das ziellos flirrende Saxophon legt und der seinen Improvisationen ihr Bezugssystem verleiht. Willie Williams’ »Armagideon Time« basiert, genretypisch für Reggae-Musik, auf einer prägnanten Basslinie, die zwischen Grundton und Quint alterniert. Sogar die Musik, die Raymond repräsentiert – die Erkennungsmelodie seines Eiscremewagens – erklingt in unsauber intonierten Schleifen. Die Instrumentalteile der Rapsongs sind Klangschleifen und besonders die Hip-Hop-Tracks, die nicht diegetisch erklingen, machen ihre Strukturiertheit durch wiederkehrende Samples transparent. Ohne Sprechgesang kommen die Timbres der metallischen Gongschläge und Änderungen der verschleppten Rhythmen besser zur Geltung. In der Stilistik von Jim Jarmusch heben sich der reflexive Umgang mit diesem rhythmischen Netz und dessen enger Zusammenhang mit der Struktur der Musik ab. Wie der Hip-Hop mit seiner Sample-Technik Klangfragmente in einen neuen Sinnzusammenhang (die musikalische Sprache des Hip-Hop mitsamt seiner musikalischen Gemeinschaft) und ästhetischen Zusammenhang (Timbre, tonale Bezüge, Loopstruktur) übersetzt, so verfährt der Film auch mit seinen transkulturellen Zitaten, die den grenzüberschreitenden Assoziationsraum reflexiver Kunst nutzen und zelebrieren. Die intertextuelle Sample-Praxis des Soundtracks spiegelt den restlichen Filmtext wider. Sie tritt für ein demokratisches Kunstverständnis ein: Samples können aus verschiedenen Tondokumenten entnommen werden, egal ob Geräusch, Radiomoderation, Kung Fu-Filme oder Teile eines Musikstück.9 Für Suárez ist die Übersetzung zentrales Motiv in Ghost Dog. Die Vermischung unterschiedlicher kultureller Einflüsse im Hip-Hop offenbart Umdeutung, Übersetzung und Rekontextualisierung (Suárez 136-37).
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In der Realität ist der freie Zugriff durch Hip-Hop auf Tonaufnahmen natürlich durch das Lizenzrecht beschränkt und Entschädigung für illegal verwendete Samples wird regelmäßig in Prozessen durchgesetzt.
176 | J IM J ARMUSCH : M USIK UND N ARRATION »Ultimately, the emphasis on translation may be the reason why the dissolve is the most widely used transition in the film. It is used as a means of condensation rather than displacement, as a metaphoric rather than metonymic procedure that fosters equivalence and analogy rather than spatial and temporal continuity.« (Suárez 137)
Mit dem Hip-Hop-Soundtrack macht Ghost Dog seine eigene Hybridität offensichtlich: den bewussten Zugriff und die gewollte Identifikation. »[The] original material is ›recycled‹ and transformed into something new while […] a rhythmic and melodic modulation built on a repretitive loop is created, using the minimum of the material available,« schreibt Piazza (146-47). Ähnlich verfährt Ghost Dog mit den kursierenden Texten aus Literatur und Populärkultur. In beiden Fällen ergibt sich daraus keine zersplitterte Collage, sondern ein neuer Text mit eigener Ästhetik und eigener inhaltlicher Aussagekraft. »Obwohl der Film mit der Verbindung diverser Stücke aus präexistenten Alltags- oder Kunstartefakten auf die Heterogenität der modernen Kultur verweist, lässt er sich nicht als Collage bezeichnen, da er die einzelnen Teile thematisch und formal in die Gesamtgestaltung verankert.« (Mauer 249, Hervorh. i.O.)
Diese Homogenität ergibt sich einerseits aus der Rhythmisierung der Zitate, andererseits folgt sie aus der Auswahl und Rekontextualisierung der Ursprungstexte. Wo die Zitate in Ghost Dog ein inhaltliches Bezugsfeld untereinander aufspannen, formen die Samples im Hip-Hop ihre Homogenität durch Timbre und klangliche Assoziation. Letztendlich sind die leichten Abweichungen, die RZAs Klangschleifen ohne Quantisierung durchlaufen, auch eine Annäherung an die natürlich vorkommenden Rhythmen der Herzschläge, Tag und Nacht, Wellengänge, die ja alle auch keinem starr wiederkehrenden Zeitgefüge unterliegen, sondern ständige Variationen hervorbringen. In Wiederholungsstrukturen der elektronischen Musikproduktion sind auch noch so kleine Abweichungen bedeutungsvoll. Denn Lesarten, die nur die Wiederholung in der Filmmusik selbst in den Vordergrund stellen, betonen üblicherweise deren hypnotische Wirkung, wie sie etwa Hickman der Minimal Music von Philipp Glass zuschreibt (vgl. Hickman 444). Auf der narrativen Ebene liest Hickman das Wiederholungsmotiv in American Beauty beispielsweise als Ausdruck der Eintönigkeit der Hauptfigur (433). Auch Ghost Dogs Leben wird in wiederholten Szenen als redundant gezeichnet. Diese Redundanz signalisiert jedoch nicht schiere Eintönigkeit, sondern greift mit Ghost Dogs Meditationen ineinander – und auch mit der Auflösung von Vorund Nachzeitigkeit, wie sie das Hagakure und die Handlung nahelegen. »Ghost
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Dog unfolds in a world of looped temporality where the past haunts the present and moving forward consists in bringing back the texts of the past.« (Suárez 138) In gewisser Weise führen die Rhythmisierungen und auch die Musik, die nicht nur einzelne Klangfragmente aneinanderreiht, sondern sich auch über die Zeit des Films ohne Entwicklung ihrer Motive wiederholt, dazu, dass Vor- und Nachzeitigkeit in Ghost Dog in der von Suárez »looped temporality« genannten Zeitschleife aufgehoben wird. So vereint sich in der Zirkularität die Filmerzählung mit dem samplebasierten Hip-Hop-Soundtrack. Dadurch wird Entwicklung entgegengesteuert. »Der Loop widerspricht der teleologischen Gerichtetheit des christlichen Abendlandes auf ein besseres Leben nach dem Tode ebenso wie der Fortschrittsgläubigkeit der Moderne«, schreibt Baumgärtel (26). An die Stelle von ihnen tritt ein endloser Kreislauf. Als Ghost Dog mit dem Auto fährt, überblendet sich eine Sicht des Tunnels, der vor ihm liegt, mit einer Sicht des Protagonisten hinter dem Lenkrad, die verschwindende Straße hinter ihm, eine eigentlich »unmögliche Wahrnehmung« (Mauer 277). Zwischen der Rückschau und der Vorwärtsbewegung erzeugt die Kamera einen Schwebezustand, der auch durch die Schleifenstrukturen der Handlung gestützt wird. Schon in der einführenden Szene wird mit dem ersten Zitat aus dem Hagakure der Tod vorweggenommen: »The Way of the Samurai is found in death. Meditation on inevitable death should be performed daily. Every day when one’s body and mind are at peace, one should meditate upon being ripped apart by arrows, rifles, spears and swords, being carried away by surging waves, being thrown in the midst of a great fire, being struck by lightning, being shaken to death by a great earthquake, falling from thousand foot cliffs, dying of disease, or committing seppuku at the death of one’s master. And every day without fail one should consider himself as dead. This is the substance of the Way of the Samurai.« (00:02:27)
Pearline liest in der letzten Szene des Films nach dem Tod Ghost Dogs ein korrespondierendes Hagakure-Zitat: »In the Kamigata area they have a sort of tiered lunchbox they use for a single day when flower viewing. Upon returning, they throw them away, trampling them underfoot. The end is important in all things.« (01:45:45)
Einerseits bilden die beiden Zitate eine Klammer: Die Vorandeutung des ersten Zitats ist mit dem letzten erfüllt, der Tod endgültig. Doch andererseits: So wie das erste Zitat am Anfang des Films auf dessen Ende hinweist, so weist das letzte Zitat
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auf einen neuen Beginn hin. Zum einzigen Mal in dem Film liest Pearline aus dem Hagakure. Das läuft dem gängigen Verfahren entgegen, in dem Voice-Over meist männlich und mit Authorität ausgestattet ist (vgl. Silverman 48). Zwar ist das nur ein Moment im Film, doch ein überaus bedeutsamer. Die Inszenierung, die mit der gleichen schwarzen Schrifttafel den Rhythmus der anderen aufgreift, weist darauf hin, dass die Reihung der Zitate durch Pearline fortgesetzt wird. Das verstärkt der Soundtrack: So wie im Vorspann des Films der Instrumentalteil des WuTang-Clan-Stückes »Raise your Sword« erklingt, setzt nach Pearlines Zitat der gleiche Track ein, diesmal mit den Sprechgesängen. So wird der endlose Fluss durch das junge Mädchen weitergeführt – ein Fluss, der seine Entsprechung in den extradiegetischen Hip-Hop-Themen RZAs findet. Zirkularität durch Referenzerweisung Der Fluss, in dem sich Texte verschiedener Zeiten gegenseitig durchdringen, führt zu dem Kulturverständnis, für das Ghost Dog plädiert. Dieses entspricht der Aussage, die Jim Jarmusch gegenüber dem MovieMaker Magazine getroffen hat: »Nothing is original. Steal from anywhere that resonates with inspiration or fuels your imagination. [...] Authenticity is invaluable; originality is nonexistent. And don’t bother concealing your thievery – celebrate it if you feel like it.« (Jarmusch, »Things«) In diesem Verständnis wird die Intertextualität, die Ghost Dog an den Tag legt, zur Aussage über den eigenen artifiziellen Status, in dem Sinne, in dem Kopcewicz Intertextualität versteht: »[Admission of stealing as] a perverse axiological metaphor for a strategy of writing – intertextuality as an ongoing process of textual self-conciousness, a self-reflexive impulse of a text in a dialogue« (Kopcewicz 60). Das Unterwandern künstlerischer Normen durch Sampling-Ästhetik sieht auch Gonzalez durch Ghost Dog vorangetrieben: »Distance, layering and bricolage have become the new keywords. Autonomous art forms and self-sufficient, closed communities are history.« (Gonzalez Abs. 15) Die Art und Weise, in der Ghost Dog Sampling einsetzt und inszeniert, bekräftigt die Aussage von Mark Katz: »[...] in the view of the sampling artists, what exactly is a new composition? If all the world’s music is potential material for a new piece, can there be such things as finished works? Is composition, therefore, a collective, ongoing, and never-ending process? Sampling is a rich and complex practice, one that challenges our notions of originality, of borrowing, of craft, and even of composition itself.« (Katz 176)
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Der Rhythmus von RZAs Themen trägt die Temporalität mit, die in Ghost Dog Vor- und Nachzeitigkeit aufhebt. Abbildung 36 zeigt also in diesem Fall nicht die Einbettung der Wiederholungsmotive in den Spannungsbogen des Films, sondern offenbart einen rhythmisierten Fluss, der vor und nach dem Filmausschnitt fortschreitend zu denken ist. Die Abbildung verortet die Zitate in Ghost Dog präzise und zeigt gleichzeitig das Verhältnis ihrer Rhythmen untereinander. Dabei macht sie nicht nur sichtbar, wie die Zitatstruktur in Ghost Dog der Rekontextualisierung von Tondokumenten im Hip-Hop ähnelt, sondern legt auch den Rhythmus offen, den die Wiederholung bestimmter Klangschleifen in Abständen entfaltet. Der Wu-Tang-Track »Raise your Sword« etwa ist im Vorspann und Abspann zu hören und rahmt den Film. Das Kulturverständnis, in dem Ghost Dog Texte als stets hybrid kennzeichnet, reflektiert der Film neben der Musik und den in der Handlung kursierenden Büchern auch durch seine Umarbeitung zweier Filme aus dem Jahr 1967: Seijun Suzukis Branded to Kill und Jean-Pierre Melvilles Le Samouraï. Zunächst zeigt sich das in Hommagen, die der Film durch einzelne Anspielungen setzt: Wenn Ghost Dog den Mafioso Sonny Valerio durch ein Abflussrohr erschießt, spiegelt dies eine Szene, in der der Protagonist in Seijun Suzukis Branded to Kill einen Augenarzt auf die gleiche Weise liquidiert (Branded to Kill, 00:26:10). Die Parallelen von Ghost Dog zu Jean-Pierre Melvilles Le Samouraï setzen sich noch fort: »Von den weißen Handschuhen, die Alain Delon trägt, bis zu dem Vogel, den er bei sich hält, von den Autos, die er klaut, bis zu der Frau, die ihn bei dem Mord beobachtet, von der Schlussszene, in der er sich erschießen lässt, bis zu der Tiermetapher, nach der Delon mit einem Wolf und Ghost Dog mit einem schwarzen, fast ausgestorbenen Bären verglichen wird – Melvilles Bilder haben sich fast wie ein Schatten über Jarmuschs Film gelegt.« (Meyer 263)
Es gibt noch weitere Verbindungslinien: Wo sich Melvilles Jef Costello mit hochgeschlagenem Kragen und tief ins Gesicht gezogenem Hut von der Außenwelt abschottet, tut Ghost Dog dasselbe mit Hilfe seiner schwarzen Kapuzenjacke. Beide stehlen Fahrzeuge mit technischen Hilfsmitteln (Dietrich/Funkgerät) und wechseln deren Nummernschilder, um Spuren zu verwischen (vgl. Glasl 78). Jef Costello ist wie Ghost Dog ein wortkarger und introvertierter Auftragskiller, der sich am Ende gegen seine Auftragsgeber wendet und sie in ihrer luxuriösen Behausung heimsucht. Beiden ist ihr Stil wichtig: Costello überprüft mehrmals penibel den Sitz seines Hutes, Ghost Dog schwenkt seine Pistole wie ein SamuraiSchwert.
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Doch noch bedeutsamer als diese inhaltlichen Übereinstimmungen, sind die Ähnlichkeiten von Ghost Dog zu verschiedenen narrativen Strategien der Filme. Erst durch sie zeigt sich, dass Jarmusch mit Ghost Dog nicht nur ein selbstreflexives, hybrides Konstrukt schafft, sondern sich auch in jene Tradition selbstreflexiven Erzählens mit offen gezeigter Hybridität einschreibt, in der auch die zitierten Filme stehen. Analog zu Ghost Dogs einführender Meditation über den unausweichlichen Tod verrät zu Beginn von Branded to Kill ein Lied das tödliche Ende des Killers: Der Killer mit dem schläfrigen Gesicht zitterte, als sei ihm kalt und mit heißem Blei ... ... in den Armen starb er.10
Das Lied des Beginns beendet auch den Film mit den Worten: »Er durchbrach den Spiegel und verschwand auf der anderen Seite« (01:35:55). Die Rahmung des Films durch eine musikalische Klammer hat sich als eines der grundsätzlichen Verfahren Jim Jarmuschs gezeigt. Außerdem ist auch Suzukis Werk wie Jarmuschs Film eine reflexive Auseinandersetzung mit filmischer Repräsentation. In einer Szene unterhält sich der Killer mit einer Projektion der Frau, die er liebt (00:53:00); an anderer Stelle überziehen geometrische Figuren die Bildkomposition (00:45:03). Wo in Ghost Dog ein Club mit dem Namen Liquid Sword auf The GZAs gleichnamiges Album verweist, heißt in Le Samouraï eine Bar Tati, eine Anspielung auf den einflussreichen französischen Regisseur Jacques Tati (00:11:00). Wie in Ghost Dog dient die Musik in Melvilles Film nicht der emotionalen Lenkung, sondern meist als diegetisches Setting oder tendenziell verfremdendes Mittel. In beiden Filmen enthält sich die extradiegetische Musik in den prominenten Handlungspunkten. Beide Filme zeigen kontemplative Momente in ausgedehnten Einstellungen, während sie üblicherweise dramatische Szenen wie Schießereien und Verfolgungsjagden distanziert schildern. Den klassischen Narrationsabläufen fühlt sich schon Melville nicht verpflichtet: Als die Pianistin einer Jazzbar den Killer mit dem Auto durch die Nacht fährt, kommentiert romantischer Pianojazz die Szene. Sie fragt ihn: »Quelle sorte d’homme êtes vous?« Direkt danach folgt ein abrupter Schnitt zu einem durch eine Straße brausenden Fahrzeug (01:04:40). Sein Geräusch unterbindet ebenso abrupt die Musik. Den Identifikationsprozess
10 Suzuki. Branded to Kill, 00:00:13.
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mit der konventionell gezeichneten Liebesszene bricht der Film Le Samouraï zum spätestmöglichen Zeitpunkt. Wie Ghost Dog beginnt auch Le Samouraï mit der Einblendung eines Zitates aus der altjapanischen Literatur: Il n’y a pas de plus profonde solitude que celle du samouraï si ce n’est celle d’un tigre dans la jungle... peut-etre... Le Bushido (Le Livre des Samouraï)
11
So ist auch hier der Rückbezug des modernen Killers auf die Welt der Samurai von Beginn an hergestellt. Wie in Ghost Dog, wo schon zu Beginn der unausweichliche Tod proklamiert wird, ist das Bushido-Zitat für Le Samouraï unverrückbare Tatsache: Costello kann seiner Einsamkeit nicht entkommen, sie ist in dem Film von Beginn an eingeschrieben. So postulieren beide Filme die Macht anderer, früherer Fiktionen über den Film. Von besonderer Bedeutung ist, dass Ghost Dog mit Le Samouraï nicht nur seine Einflüsse, sondern auch die Geschichte seines selbstreflexiven Verfahrens spiegelt: »Vor allem die unter der Bezeichnung Nouvelle vague firmierende Formentradition mit ihren Symbolfiguren [...] oder in der Peripherie Jean-Pierre Melville (Le Samouraϊ/Der eiskalte Engel, 1967) hatte bereits seit den frühen 1960er Jahren Verfahren und Funktionsweisen des Mediums filmisch seziert und dabei vor allem die Mechanismen und Regeln des klassischen Erzählens mit den Mitteln des Films und nicht selten mit Hilfe von Zitaten offen gelegt.« (Röwekamp 114)
Mit den weißen Handschuhen, die Ghost Dog trägt, übernimmt Jarmusch einen selbstreflexiven Witz Melvilles. Es sind Cutter-Handschuhe, womit der Regisseur sagt, der Cutter »töte« seinen Film: »Melville always has killers wear white editor’s gloves, which is a private joke between him and his editors, I guess saying his editor kills his films.« (Jarmusch, Interview von Andrew, 189)
11 Melville, Le Samouraï, 00:01:49
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Beide Filme beziehen sich auf Genres zurück, ohne diese jedoch konsequent zu aktivieren. Der Western-Shootout in Ghost Dog findet sein visuelles Äquivalent in der Gegenüberstellung Costellos mit einem Gangster, der ihn bezahlen soll. Durch die Verwendung der konventionellen Western-Einstellungen weist Le Samouraï schon von vornherein darauf hin, dass die beiden Männer Waffen ziehen werden. Der Widerhall des Westerns von Raoul Walshs Pursued (1947) über Fred Zinnemanns High Noon (1952) bis hin zu Ghost Dog zeigt die Beständigkeit der Komposition der Shootout-Szene: Abbildung 38
Abbildung 39
Walsh, Pursued, 01:17:10
Zinnemann, High Noon, 01:23:13
Abbildung 40
Abbildung 41
Melville, Le Samouraï, 00:43:57
Ghost Dog 01:39:09
Wichtig ist hierbei, dass Ghost Dog sich nicht auf den Western selbst bezieht, sondern auf den zitierenden Film Le Samouraï. Das betont einmal mehr das Kulturverständnis, in dem reflexive Hybridität an die Stelle von Originalität tritt. Seinen stärksten Genrebezug vollführt Le Samouraï auf die Welt des Film noir in narrativen sowie visuellen Anspielungen. Costellos Schicksal scheint von vornherein besiegelt, und die Polizei ist ambivalent gezeichnet. Auch die Visualität
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des Films spiegelt den Film noir, als der Chefermittler eine Jalousie herunterzieht und das Licht durch die Lamellen scheint (00:39:30). Die Schlüsselszene der Selbstreflexion in Le Samouraï ist eine Gegenüberstellung des Killers mit einem Zeugen, bei der sein Alibi verifiziert werden soll. Um dem Zeugen die Wiedererkennung zu erschweren, vertauscht der Inspektor Costellos Hut sowie seinen Mantel mit den Kleidungsstücken anderer Verdächtiger. Der Zeuge, der von sich sagt, er besitze überhaupt keine Beobachtungsgabe, studiert die Anwesenden und kommt zu folgendem Fazit: »J’ai gardé de l’homme que j’ai croisé une image composite: un imperméable comme celuila, [er zeigt auf einen Verdächtigen] un chapeau comme celui-ci, [er weist auf einen Herrn, der Costellos Hut trägt] et un visage resemblant celui du monsieur [er zeigt auf Costello].« (00:34:00).
Hier macht der Film auf sein eigenes Verfahren aufmerksam: Costellos Figur ist eine Neuschöpfung, die sich in einem hybriden Verfahren aus verschiedenen Erscheinungen zusammensetzt. In diesem Fall speist Costello sich schon rein oberflächlich aus den äußerlichen Klischees des Hard-boiled-Genre mit seinem in Trenchcoat und Trilbyhut gekleideten Protagonisten. Die Szene verbildlicht das intertextuelle Erwachsen filmischer Charaktere aus präexistenten Texten. Die Figurenanlage in Ghost Dog, die sich aus Killerfilmen, Samourai- und Hip-HopIkonografie speist, funktioniert auf dieselbe Weise. So treffen beide durch die gleichzeitige Präsenz anderer Filme dieselbe Aussage: »Le procédé [de film dans le film] semble d’ailleurs accentuer, plus que révéler ou créer [...] les dimensions inhéritentes au cinéma (historiques, technique, estéthique...), soulignant ainsi son caractère composite.« (Schmidt 112) In seiner Übernahme der selbstreflexiven Strategien von Branded to Kill und Le Samouraï schreibt sich Ghost Dog in die Tradition des anti-illusionistischen Erzählens ein. Das Verfahren zeigt, dass auch die eigene Welt und ihre Figuren in Ghost Dog von anderen Texten in ihrer Grundanlage durchdrungen sind und so Teil der hybriden Kulturen sind, die der Film auch mit der offen dargestellten Intertextualität und durch den samplebasierten Soundtrack RZAs zeichnet.
Schlussbetrachtung
Jim Jarmuschs Boot hat sich mit wechselnden Besatzungen durch alle möglichen Gewässer bewegt. Über sein filmisches Schaffen hinweg konnte der Regisseur eine unverwechselbare Autorenhandschrift entwickeln, die sich aus dem Independent-Film und aus Formen des transnationalen Films speist. Gegenüber nationaler Identität verhalten sich seine Filme kritisch – anstelle von Grenzen zwischen Kulturen suchen sie nach Verbindungslinien. Besonders in der Art und Weise, wie kulturell hybride Produkte entstehen, finden die Filme von Jarmusch Ähnlichkeiten, ohne die beteiligten Kulturen dabei gleichzusetzen. Einen fundamentalen Beitrag leistet dazu die Musik, die gleichberechtigter Partner des Bildes ist und viele Bedeutungsebenen überhaupt erst erschließbar macht. Das Konzept der zirkulären Narration hat im Rahmen dieser Untersuchung ein tieferes Verständnis der Filmerzählungen von Jim Jarmusch eröffnet. Sie sind nicht nur auf den Bruch von Konventionen ausgelegt, sondern verorten sich in einer selbstreflexiven Erzähltradition. Die zirkuläre Struktur variiert dabei Handlungsthemen und Motive in nonlinearer Weise. Anstelle von Figurensymbolik oder emotionaler Steuerung fungiert die Musik in ihr vor allem strukturgebend. In der zirkulären Narration rückt der Fokus auf die regelmäßige Wiederholung von Motiven, wobei immer wieder nuancierte, signifikante Abweichungen gesetzt werden. Einerseits vollzieht dieses Verfahren ästhetische Vereinigungen, andererseits macht hebt es kleine Variationen hervor. Subtile Unterschiede und die Frequenz der Wiederholungen nehmen in den Filmen von Jarmusch Funktionen ein, die sich in der klassischen Filmmusik durch dramatische Kompositionen vollziehen: die erhöhte Frequenz eines Motivs an einem bestimmten Handlungsmoment kennzeichnet diesen als emotional, eine Beschleunigung des Tempos evoziert nuancierte Spannungen. Der Aufbau der rhythmischen Struktur verstärkt die Wirkung von Kontrasten, Brüchen und Abwei-
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chungen. Gleichzeitig stiftet die rhythmische Wiederholung von Motiven den inneren Zusammenhalt der Filme. Durch ihre Verweigerung eines Zielpunktes schafft sie einen Schwebezustand, in dem Grenzen zwischen verschiedenen Musikstilen und Genres, aber auch zwischen Musik und Geräusch verwischen. Dieser analytische Fokus auf die Frequenz von Motiven und nuancierte Abweichungen eröffnet auch die Näherung an ganz andere schleifenbasierte Musiken im Film – ob Minimal Music oder repetitive elektronische Genres. Gleichzeitig lassen sich die Fragen nach dem Verhältnis von Musik zu Stille, der rhythmischen Wiederkehr ihrer Themen, und der Beziehung von Stasis zu Veränderung auch an die Filmmusik in klassischen Erzählungen stellen. Bei Jarmusch entsteht durch die Wiederholungsstrukturen eine ästhetische Einheit, die Fantasien der Versöhnung und Zugehörigkeit ausdrückt. In der Aufarbeitung der Rhythmen treten grundsätzliche Muster hervor, wie etwa die für Jarmusch typischen Klammern, in denen sich musikalische Themen zu Beginn und Ende der Filme entsprechen. Damit stützt die Musik auch zeitliche Zirkularität: die Rhythmen zeichnen die filmische Handlung als Ausschnitt eines Flusses, der schon vor dem Gezeigten einsetzt und sich auch danach fortsetzen wird. Diesen Strukturen stehen die Offenheit und Ambivalenz der Handlungen gegenüber. Der transnationale Raum der Filme von Jarmusch stiftet keine Heimat und Identität ist in ihm brüchig. Die Musik variiert darin verschiedene Szenarien der Durchschreitung: einen mäandernden Grundzustand des Vorbeidriftens, sehnsüchtige Suche nach Orten, die Ausdruck eines amerikanischen Lebensgefühls sind, oder persönliche Reisen in den unpersönlichen Netzwerken des Landes. All diesen Szenarien ist gemein, dass die Bewegung wichtiger ist als das Ankommen, und dass alle Momente der Zugehörigkeit und Verständigung in den Räumen flüchtig bleiben müssen. Ambivalenz, Stillstand und Rastlosigkeit treten an die Stelle von Zielgetriebenheit und Ortszugehörigkeit, musikalische und sprachliche Grenzen zwischen Kulturen verwischen, Missverständnisse offenbaren sich als sinnstiftend und Figurenmotivationen oder Konflikte werden nur angerissen und nicht auserzählt. Durch den eklektischen Zugriff auf Genres und Stile erweitert die Musik bei Jim Jarmusch das konventionelle Repertoire. Gerade Musikstücke oder Texte aus anderen Kulturen werden mit der Erfahrungswelt der amerikanischen Protagonisten verknüpft und zur hauptsächlichen Darstellungsebene für spezifische Subjektivität und Gefühle genutzt. Diese transnationalen Grenzüberschreitungen befähigen die Figuren oft zur Befreiung von weiteren Grenzen: filmischen Stereotypen (Ghost Dogs Loslösen von urbanen Rapper-Klischees), Geschlechterrollen (Evas weibliche Subjektivierung) oder dominanten Genrekonstellationen (Robertos erfolgreiche Übersetzungen).
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Das Verständnis von Jarmuschs Filmen als Produkte eines polyzentrischen Netzwerks konnte die binäre Gegenüberstellung von Hollywood und Independent-Film relativieren. Internationale Kollaboration, Distribution, Rezeption und auch Finanzierung sind schon längst keine reine Geldfrage mehr und bei weitem nicht mehr das Privileg der Mainstream-Entertainment-Industrie. In Jarmuschs Variante des transnationalen Independent-Films bleibt das Hollywood-Kino neben dem japanischen Film, dem europäischen Kunstfilm und zahllosen weiteren Zentren ein wichtiger Impulsgeber. Die Beteiligten dieses Zusammenspiels sind aber von ständigem Wechsel und inneren Brüchen gekennzeichnet. Gerade das Hollywood-Kino ist in dieser Umgewichtung nicht mehr die Norm, an der alles abgeglichen wird, sondern ein wandelbares und dynamisches Bezugssystem unter vielen. Mit ihrer Frage nach der Ästhetik von Vermischungsphänomenen – und danach, ob diese ihre Brüche nach außen kehren oder kaschieren – bietet die Untersuchung auch Anknüpfungspunkte für die Betrachtung anderer hybrider Ausdrucksformen, die der globale Kulturaustausch hervorbringt. Die dabei eingesetzten Mittel sollten keinesfalls allgemein bewertet werden. Sampling zum Beispiel kann durchaus subversiv funktionieren: Wenn sich etwa ein Künstler, dem bestimmte Produktionsmittel (Instrumente, Aufnahmestudio) nicht zur Verfügung stehen, Klangspuren zu eigen macht und sich selbst in ein Wechselspiel von Zitat und Variation einschreibt, von dem er sonst abgeschnitten wäre. Im anderen Extrem kann Sampling aber auch von einer kulturell hierarchischen Warte aus betrieben werden, wenn die Arbeit eines unbekannten Künstlers ohne Einverständnis, Namensnennung oder Vergütung gesampelt und mittels des daraus entstandenen Produkts monetarisiert wird. Jarmuschs Filme der 1980er Jahre wirkten auf ihr Publikum als minimalistische, radikale Replik auf Hollywoods Überwältigungsapparat. Doch im Verlauf der Karriere des Regisseurs wandelte sich dieser Effekt und die anfangs empfundenen Konventionsbrüche gehören mittlerweile als Element von Jarmuschs Handschrift zu den Erwartungen, die Kinogänger und Filmkritik an seine Filme richten. Das Decodieren eines Spiels, in dem vertraute Genres und Erzählkonstellationen aktiviert, variiert und kommentiert werden, ist längst schon Teil des Sehvergnügens des Publikums, das seine Rezeptionsmodi an wechselnde Erzählhaltungen anpassen kann – oft auch innerhalb einer abgeschlossenen Handlung. Kennzeichnende Stilmerkmale wie Ironie und Lakonie haben sich nicht nur für Jarmuschs Filme, sondern für das ganze Independent-Genre als typisch herausgebildet. Indem die Untersuchung den Begriff »transnational« auf die Erzählebene bezogen hat, konnte sie ein Merkmalbündel offenlegen, zu dem unter anderem Ortlosigkeit, Nomadentum, Offenheit, Übersetzungen mitsamt ihren Schwierigkei-
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ten, (Miss-)Kommunikation, unüberwindbare Fremdheitserfahrung und ein kühner Zugriff auf verfügbare Texte aller möglichen Kulturen zählen. Oft ist Musik zu hören, die die gezeigten Orte kennzeichnet: Sie markiert afroamerikanische urbane Räume und mit Genres verknüpfte Städte wie Memphis oder New Orleans. Oft schafft sie aber auch neue Beziehungen – wenn sie, anstatt dem Szenario einen Klangteppich zu verschaffen, deutlich hervortritt, und Stile aus anderen Kulturkreisen mit amerikanischen Landschaften verknüpft. Das muss nicht zwingend Risse erzeugen; vielmehr zeigt der Vorgang, dass Identität nicht an ein Territorium gebunden sein muss. Identitäten werden räumlicher Zugehörigkeit enthoben und umlagert. Musik wirkt dabei weder einbettend noch exotisierend – sondern schafft neue Verbindungslinien. Obwohl in Jarmuschs Intertextualität Texte aus dem klassischen Kanon neben popkulturellen Bezügen stehen, ist sein Netzwerk nicht wahllos. Er zitiert dezidiert Texte, die selbst schon die Eigenschaften seiner Ästhetik aufweisen und schreibt sich so in eine selbstreflexive Filmtradition ein. Zwar sind seine Filme hybrid, entscheidend dabei ist jedoch der Umgang mit dieser Hybridität: in Jarmuschs Fall ein selbstreflexives Aufdecken kultureller Einflüsse und erzählerischer Vermittlung. Dabei reichen die offengelegten Verknüpfungen von bereits existenten Vermischungen bis zu neuen Synthesen, die Jarmusch als idealtypisch inszeniert. Auch die Musik kehrt ihre Hybridität nach außen. Sie vereint Einflüsse aus verschiedenen Stilen, aus der ganzen Welt. In der Sampling-Ästhetik werden etwa Klangfragmente zu neuen Einheiten zusammengeführt. Die Zirkularität der Musik steht für ein Kulturverständnis, in dem alles in abgeänderter Form später wieder zutage tritt: ein Verständnis also, das die Originalität von kreativem Schaffen in Frage stellt. In diesem Spannungsfeld formuliert die Musik vor allem Ambivalenzen. Stellt sie einerseits durch ihre Wiederholungen ästhetische Einheit her, so destabilisiert sie andererseits räumliche Zugehörigkeit. Sie zieht durch ihren intertextuellen Zugriff und ihren Fokus auf Strukturen Verbindungslinien zwischen Kulturen; kehrt dabei jedoch auch spezifische Unterschiede hervor. Es schließt sich hier die Frage an, ob die Weise, in der Jarmuschs Filme diese Ordnungen schaffen, wirklich auf Auflösung abzielt – oder ob der Regisseur nicht doch eine transnationale Allianz alternativer Kulturen schafft, an die wiederum eigene Phantasien von Authentizität und Echtheit gebunden sind. Ein Risiko, das Jarmuschs Figuren schließlich nie eingehen (und das die Filme selbst auch scheuen) ist das der Peinlichkeit. Alles bleibt »cool« und das erfolgreiche kulturelle Zitat zeigt sich in einem unanfechtbaren Stil: Willie und Eddie ziehen ihre Hüte ins Gesicht, Ghost Dog übt sich in eleganten Kampfkunst-Choreografien, Jun kämmt seine aufwändige Haartolle, Zack überwindet sein Phlegma erst, als
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seine Freundin sich seiner geliebten Cowboystiefel entledigen will. Alle diese Figuren teilen den Willen, etwas darzustellen, etwas zu verkörpern und bleiben doch auf der Ebene der Oberfläche: gestisch, mimisch, manieriert. Durch ihre Coolness müssen sie sich auf nichts rückbeziehen, nichts verhandeln. Sie macht sie unangreifbar, eine Haltung, die auch von der Musik gestützt wird: Die charismatische Bühnenfigur Tom Waits strahlt auf die Leinwand ab, ebenso wie John Luries JazzPersona. Es bleibt, trotz all der Vermischung, eine Sehnsucht nach Authentizität, die auch in der Übertretung gefunden werden will. Doch Jarmuschs Filme bündeln nicht nur alternative Milieus, sondern auch Lyrik, iranischen Film, japanische Kunstfilme – Bezugsräume, auf die sich auch die Independent-Kultur nicht häufig beruft. Jarmuschs Filme vermögen Grenzen nicht komplett aufzulösen. Die vermischten kulturellen Produkte behalten eine eigene Substanz. Doch sie treffen in Strukturen zusammen, in denen Selektion und Fragmentierung nicht in eine hierarchische Ordnung münden. Es ist eine Grundaussage von Jarmuschs Poetologie, dass Kulturen sich andauernd in Wiederholung und Variation formieren und sich ständig neu verknüpfen. Aber dieses Spiel mündet nicht in Resignation, sondern wird lustvoll betrieben. Ihre Lakonie und Ironie überwinden Jarmuschs Figuren immer dort, wo sie durch transkulturelle Aneignung Schönheit finden und sich in anderen Kulturen selbst erkennen. Die Filme teilen so das Kunstverständnis eines DJs, der sich auf Flohmärkten und in Second-Hand-Shops durch Plattenkisten wühlt, auf der Suche nach seltenen Aufnahmen mit Samples, die er in einem Song zu etwas völlig Neuem vereinen kann – zu einem Lied, das gerade durch seine Bezugnahme auf etwas im ersten Moment Fremdes seine ganz persönliche Vision ausdrückt.
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