Jiddisch und die deutschen Mundarten: Unter besonderer Berücksichtigung des ostgalizischen Jiddisch [2nd rev. Edition] 9783110930269, 9783484101708

Das Jiddische als die Umgangssprache der Juden Deutschlands und der nach Osteuropa ausgewanderten deutschsprachigen Jude

250 122 14MB

German Pages 411 [420] Year 1973

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Jiddisch und die deutschen Mundarten: Unter besonderer Berücksichtigung des ostgalizischen Jiddisch [2nd rev. Edition]
 9783110930269, 9783484101708

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JECHIEL BIN-NUN JIDDISCH UND DIB DEUTSCHEN MUNDABTEN

JECHIEL BIN-NUN

Jiddisch und die deutschen Mundarten unter besonderer Berücksichtigung des ostgalizischen Jiddisch

Mit einer Sprachkarte

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1973

Oedruckt mit Unterstatzung des Kultusministeriums Beden-Württemberg, der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg und der Heidelberger Universitätsgesellschaft

ISBN 3-484-10170-9 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973 Alle Bechte vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck: H. Laupp jr, Tübingen Einband: Buchbinderei H.Koch, Tübingen

DEN SEELEN DER UNVERGESSLICHEN

MEINER LIEBEN ELTERN J O E L πΝϋ E S T H E R MEINER LIEBEN SCHWESTER CHANNA

JÜDISCHER MÄNNER, FRAUEN UND KINDER DER STADT ROHATYN

SECHS MILLIONEN DES JÜDISCHEN VOLKES UNSCHULDIGER OPFER

ZUM EWIGEN GEDENKEN -pn

INHALT ALLGEMEINER

TEIL

VORWORT (1935)

1

VORWORT (1972)

3

VERZEICHNIS DER BENUTZTEN LITERATUR

β

Z U R P H O N E T I S C H E N U M S C H R I F T IM A L L G E M E I N E N T E I L .

.

13

A. DER NAME

14

B . GESCHICHTE DES JIDDISCHEN

20

1. Die sprachlichen Verhältnisse der J u d e n in Deutschland in der althochdeutschen und mittelhochdeutschen Epoche . . 2. Judendeutsch — Jüdischdeutsch - Jiddisch 3. Entwicklung des Jiddischen bis zur Gegenwart — Westjiddisch und Ostjiddisch 4. Urjiddisch - Altjiddisch — Neujiddisch 5. Die Ursachen 6. Verhältnis zu den deutschen Mundarten C. D A S H E U T I G E J I D D I S C H

1. Ausbreitung dee Jiddischen 2. Gliederung der Stamm-Mundarten 3. Die Kolonialmundarten 4. Die Elemente des Jiddischen 5. Schrift und Schreibung 6. Mundart und literarisches Jiddisch 7. Geltungsbereich des Jiddischen - Verhältnis zum Hebräischen und zu den Landessprachen D. D I E ZUKUNFT DES JIDDISCHEN

20 38 46 61 73 77 86

85 90 106 110 124 141 149 167

LAUTLEHRE PHONETISCHE UMSCHRIFT

177

BIBLIOGRAPHISCHE ABBREVIATUREN

179

PHILOLOGISCHE ABBREVIATUREN

181

Α . VOKALISMUS

183

I. Der deutsch-jiddische Bestandteil a) Vokale der betonten Silben 1. A-Laute 2. E-Laute 3. I-Laute 4. O-Laute 5. U-Laute

183 185 191 205 216 225

b) Vokale der unbetonten Silben 1. Der Akzent 2. Die enttonten Vokale 3. Svarabhaktivokal 4. Überblick über die Mundarten . . 5. Beziehungen zu den deutschen Mundarten . . . .

238 238 240 244 246 248

c) Übersicht über die allgemeinen Lauterscheinungen im Jiddischen 1. Dehnung und Kürzung 2. Diphthongierung und Monophthongierung . . . . 3. E n t r u n d u n g 4. Umlaut 5. Ablaut

252 252 254 256 257 258

I I . Der hebräisch-jiddische Bestandteil a) Akzent b) Vokale der betonten Silben 1. Die hebräischen Laute und ihre jiddische Entwicklung 2. Die Quantitäten und Qualitäten im tiberiensischen Vokalisationssystem 3. Der hebräisch-deutsche Parallelismus im Jiddischen a) Deutscher oder hebräischer Charakter des jiddischen Lautwandels? ß) Die Mieses'sche Theorie γ) Die Verschmelzung der Elemente im Jiddischen . c) Vokale der unbetonten Silben d) Das sakrale Hebräisch im jiddischen Sprachbereich . . I I I . Der slavisch-jiddische

Bestandteil

a) Akzent b) Vokale der betonten Silben c) Vokale der unbetonten Silben IV. Neuentlehnungen V M

183

und Fremdwörter

262 262 267 267 278 280 280 285 292 294 298 301 301 305 318 319

Β. KONSONANTISMUS

I. Der deutsch-jiddische Bestandteil a) Allgemeine Erscheinungen 1. Lautverschiebung 2. Grammatischer Wechsel 3. Stimmton und Intensität 4. Gemination 5. Gruppenentlastung und Konsonantenverschleifung 6. Gleitkonsonant b) Die einzelnen Konsonanten 1. Halbvokal j (j) 2. Sonorlaute 3. Labiale 4. Dentale 5. Gutturale

323

323 323 323 328 330 333 335 336 337 337 339 353 361 372

II. Der hebräisch-jiddische Bestandteil a) Lautentwicklung b) Kombinatorischer Lautwandel

378 378 381

I I I . Der slavisch-jiddische Bestandteil a) Die slavische Grundlage b) Lautentwicklung und Lautwandel c) Kombinatorische Erscheinungen

386 386 390 392

IV. Neuerdlehnungen und Fremdwörter

395

C. P H O N E T I K DES O S T G A L I Z I S C H E N J I D D I S C H

397

IX

Abkürzungen AR Β BAL BEK BER BIAL BJEL BOB BOR BR (Russl.) BR (Galizien) BRES BREST BRN CH CHAR CHER CZER (Bukow.) CZER (Russl.) CZER (Dnjepr) DEB DN DOR DUB Ε ERL GOL GROD GRW HAT HOM HOR JAS J.BER KAM KAS KIS KLS KOL KÖN KOW (Lit.) KOW (Wolhyn.) KREM (Wolhyn.) KREM (Dnjepr) KRAK L LEM LIB LOM LUB

= =

= = =

Arad Belz Balta Bekesch Berditschew Bialystok Bielocerkew Bobruisk Borissow Bransk Brody Breslau Brest Litowsk Brünn Chelm Charkow Cherson Tschernowitz Tschernigow Tscherkassy Debreczen Dniepropetrowsk Dorpat Dubno Eisenstadt Erlau Goldingen Grodno Groß-Wardein Hatszeg Hömel Horodenka Jassy Jasz-Bereny Kamenez Pod. Kaschau Kischinew Klausenberg Kolomea Königsberg Kowno Kowel Kremenz Krementschug Krakau Luzk Lemberg Libau Lomza Lublin

LUG = MAR = MEM = MIS = MIT = MOG = MOZ = MUN = NIK = NOW = OD = OR = = ORS Ρ = = PER = PO = POL = POS = PRES = PROS = PRZ = PSK = R = ROH = ROS = ROW = RR = RZSZ = SAN = SMOL = SN = STAN = SUW = SZ = SZEG = SZEP TAR (O-Galiz.) == TAR (W-Galiz.) == = TEM = TH = TUL = WIL = WIN = WL = WIT = WOR = Ζ = ZAP = ZK = ZYT

Lugos Marmarosch Memel MiiSkolcz Mitau Mohilew Mosyr Munka? Nikolajew Nowogrod Odessa Orel Orscha Poprad Pernau Polozk Poltawa Posen Preßburg Proskurow Przemysl Pskow Rosenau Rohatyn Rostow Rowno Rawa Ruska Rzeszow Sanok Smolensk St. Nikolaus Stanislau Suwalki Szatmar Szegedin Schepetowka Tarnopol Tarnow TemeSvar Thorn Tultschin Wilna Winnica Wladimir Witebsk Woronez Zaslaw Zaporoze Zakopane Zytomir

NORDOSTJIDDISCH MITTELJIDD1SCH SÜDWESTJIDDISCH UNMITTELBAR MIT DEM STAMMGEBIE1 VERBUNDENES KOLONIALLAND u/o - LINIE OBERL.- UNTERL. GRENZLINIE OMJ.- W M J . GRENZE OGAL.-WGAL.GRENZE STAATSGRENZEN PROVINZIALGRENZEN 40»

Vorwort DIE VORLIEGENDE ARBEIT IST AUS EINEM REFERAT IM

Deutschen Seminar der Universität Heidelberg hervorgegangen. Im Rahmen einer Übung über die 'Deutschen Mundarten' fiel mir die Aufgabe zu, die Stellung des Jiddischen zum deutschen Mundartenbereich darzulegen. Ich stellte den Versuch an dem mir vertrauten ostgalizischen Jiddisch an, um auf Grund der sprachlichen Merkmale dieser Mundart zu ergründen, aus welchen Gebieten Deutschlands die Juden Ostgaliziens, wenigstens zum größten Teil, gekommen sein mögen. Das Referat brachte nur halbe Resultate, führte aber doch zur Erkenntnis, daß von einer einzigen jiddischen Mundart aus die Stellung zum deutschen Sprachbezirk gar nicht zu erweisen ist, daß vielmehr den deutschen Mundarten gegenüber die jiddischen eine Einheit darstellen, und nur von dieser Einheit aus das Verhältnis zu jeder deutschen Mundart geprüft werden kann. Es galt also in erster Reihe, diese Einheit soweit wie möglich aufzuzeigen. Es mußte vor allem die lautliche Urgestalt gefunden werden, weil diese am ehesten auf Beziehungen zu bestimmten Mundarten schließen läßt. Zum Teil weniger aufschlußreich, jedenfalls aber nicht minder interessant, sind die übrigen Gebiete der Grammatik, die Formenlehre und die Syntax, die Wortbildung und selbst der Wortschatz (der wieder in besonderem Maße Schlüsse auf die mundartliche Zusammensetzung des Jiddischen zuläßt). Auch sie sollten also zur Behandlung gelangen, und überall mußte das Gesamtjiddischein Rechnung gezogen werden. So weitete sich der Stoff und mehrten sich die Gesichtspunkte. Es mußten auch die bereits erschienene Literatur berücksichtigt, das gesammelte Material verwertet, Irrtümer beseitigt und unhaltbare Theorien widerlegt werden. Als allein die Lautlehre fertig war, war das Ausmaß einer durchschnittlichen Dissertation bereits überschritten. Es mußte also vorläufig bei der L a u t l e h r e allein bleiben, der nur ein allgemeiner Teil noch vorangeschickt wurde, teils als Einführung, teils als Zusammenfassimg der Ergebnisse. ι

Der Veröffentlichung der Arbeit standen ungeheure Schwierigkeiten, vor allem finanzieller Art, im Wege. Zu meinem Bedauern ist es mir trotz vielfacher Versuche nicht gelungen, einen Weg zu finden, um die Laudehre (als ersten Teil einer H i s t o r i s c h e n Grammatik des J i d d i s c h e n , dem die anderen Teile später folgen sollten) der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So bleibt mein ursprünglicher Plan unausgeführt. Daß wenigstens der allgemeine T e i l erscheinen konnte, habe ich im besonderen Maße der Freundlichkeit des Herrn Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, der den Teildruck genehmigte, dem Verständnis des Schocken Verlags, der diesen Teildruck auszuführen übernommen hat, sowie der Hilfsbereitschaft des Kuratoriums der Sdomon-Neumann-Stiftung, das einen Zuschuß zur Bestreitung der Druckkosten gewählt hat, zu verdanken. Dem Wunsch des Verlages, die Dissertation einem breiteren Leserkreise verständlich zu machen, konnte dank der verständnisvollen Einwilligung des Herrn Dekans wie des Referenten, Herrn Geheimrats Panzer, entsprochen werden. Durch die Umarbeitung ist vieles ausführlicher als ursprünglich zur Darstellung gelangt. Manches mußte aus der Lautlehre herübergenommen werden. Vor allem aber mußte die wissenschaftlich-phonetische Transkription, wie sie in der germanistischen Fachliteratur üblich ist, durch eine praktische, an das Neuhochdeutsche anknüpfende Umschrift ersetzt werden. Der Germanist wird sie gewiß unzureichend, zuweilen auch inkonsequent finden, doch wird er es nachsichtsvoll verzeihen; wo praktische Gesichtspunkte herrschen, ist zuweilen auch Konsequenz nicht am Platze. Zum Schluß möchte ich all denjenigen, die durch freundliche Auskunft oder technische Hilfe meine Arbeit gefördert haben, an dieser Stelle noch einmal meinen Dank aussprechen. Besonderen Dank schulde ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Professor Dr. F.Panzer, der mir nicht nur die Anregung zur Arbeit gab, sondern auch während der Arbeit mit gutem Rat und freundlicher Ermutigung jederzeit zur Seite stand. Berlin 1935 2

J. F.

Neues Vorwort Der 'Allgemeine Teil' dieser in den Jahren 1933-34 angefertigten Arbeit wurde 1936 gemeinverständlich erweitert und als Dissertation1 gedruckt. Der politischen Umstände halber konnte er leider nicht mehr, wie beabsichtigt, als Buch erscheinen. Aus demselben Grunde blieb der Hauptteil, die Lautlehre, bis jetzt als Manuskript liegen. Während ich in den letzten Jahren meines Aufenthalts in Deutschland, 1936-1938, auf das Erscheinen des Buches wartete, befaßte ich mich noch mit weiterer Materialsammlung und prüfte manche Formulierungen des zu rasch angefertigten Teildrucks; es ist jetzt zu einigen Änderungen im Allgemeinen Teil verwertet worden. Beide Teile werden nun zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der gemeinverständliche Teil ist zugleich als Einführung in die wissenschaftliche Darstellung der Lautlehre gedacht. Was 1934 in dieser Arbeit als Gegenwart dargestellt wurde, ist nun im tragischsten Sinne des Wortes längst erloschene Vergangenheit, als lägen nicht 35 Jahre dazwischen, sondern Epochen. Selbst was 1936 (im Allgemeinen Teil) als Zukunft vorausgespürt wurde, hat sich, in ganz unvorstellbarer Weise, viel radikaler, rascher und grausamer erfüllt und überholt. Das Jiddische lebt zwar noch - es scheint etwas vom hartnäckigen Trotz des jüdischen Volkes in sich aufgenommen zu haben - aber nur in den Kolonialmundarten; der Stamm ist von Barbaren niedergehauen. Die Angaben über politische Grenzen gehören also, wie die Arbeit selbst, in den Anfang des vierten Jahrzehnts. Es hatte keinen Sinn, die Darstellung zu ändern und auf den heutigen Stand zu bringen. Ein solcherVersuch hätte nur lähmend gewirkt. Überdies 1

Das Jiddische und sein Verhältnis zu den deutschen Mundarten unter besonderer Berücksichtigung der ostgalizischen Mundart. Erster Teil: Allgemeiner Teil - Lautlehre (einschließlich Phonetik der ostgalizischen Mundart). Erste Hälfte, Allgemeiner Teil. Von Jechiel Fischer. Diss. phil. Heidelberg (Teildruck Leipzig 1936).

3

sind die sprachwissenschaftlichen Ergebnisse im wesentlichen nicht überholt. Wäre ich heute in der Lage, den Gegenstand neu zu bearbeiten, so hätte ich gewiß vieles anders formuliert als in meinen Jugendjahren. Ich hätte auch mehr und neues Material über die deutschen Mundarten zur Verfugung, müßte auch manche neue Erkenntnisse der hebräischen Sprachforschimg fur unseren Gegenstand überprüfen, vielleicht auch in der Slavistik; aber in der Erforschung des Jiddischen ist auf dem hier behandelten Gebiet kaum Neues geschaffen worden. Soweit jiddische Sprachforschung in diesen Jahren überhaupt noch möglich war, hat sie sich in anderen Geleisen bewegt1. Doch muß ich hier auf eine bedeutsame Arbeit aufmerksam machen, die D. Leibeis rOn Ashkenazic Stress' (veröffentlicht 1

Die höchst verdienstvolle systematische Arbeit des Jiwo-Instituts in New York (bis zum 2. Weltkrieg in Wilna) an grammatischer Normierung und praktisch-wissenschaftlicher Entwicklung der Sprache, an synchronischem Aufdecken verschiedener Sprachschichten von literarischer und stilistischer, mundartlicher und folkloristischer Seite her, aber auch an eifrigem Materialsammeln zu historischem Erfassen des Jiddischen und Ergründen bisher ungelöster Fragen - soll damit keinesfalls unterschätzt werden. In sprachwissenschaftlicher Hinsicht haben sich Max Weinreich (Vater) und Uriel Weinreich (Sohn), Juda A. Joffe und Nathan Süsskind besonders verdient gemacht. Die Arbeiten M. Weinreichs über das Westjiddische und die Vorarbeiten Uriels für den geplanten Großen Sprachatlas haben viele neue Einsichten in dialektologische und dialektgeographische Einzelheiten geschaffen. Deren Aufnahme in meine Arbeit, selbst wenn es noch möglich wäre, hätte den Rahmen gesprengt, der notgedrungenen (selbst bei Einzelheiten) auf das Prinzipielle gerichtet war. Was aber M. W. i960 in der vom Jiwo herausgegebenen, von J . Mark redigierten Vierteljahrsschrift „Jidische Sprach" über die Jiddischen Urvokale veröffentlicht hat, beruht auf Teilen meiner Lautlehre, die ihm bekannt waren (ohne daß er dies erwähnt hat). In Deutschland wirkt, wohl als einziger, Franz J. Beranek, dessen erste Arbeit „Jiddisch in der Tschechoslowakei" (jiddisch in Jiwobleter I X 1936 erschienen) ich bei der erwähnten Durchsicht des Allgemeinen Teils für das Südwestjiddische verwenden konnte. Von den vielen späteren Arbeiten (wie „Jiddisch" in Stammlers „Deutsche Philologie im Aufriß", „Das Pinsker Jiddisch") sind mir bisher leider nur die Titel bekannt geworden. Nur den „Westjid. Sprachatlas" habe ich jetzt noch einsehen können und schätzen gelernt, ohne daß er für meine Lautlehre noch irgendwie zu benutzen war.

4

in 'The Field of Yiddish, Second Collection, ed. Uriel Weinreich, Haag 1965'), weil sie in der Erklärung der jiddischen Betonung hebräischer Wörter einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Leibel teilt meine Ansicht vom deutschen Einfluß, ohne von ihr gewußt zu haben (obwohl ich sie bereits anderweitig veröffentlicht habe); es ist ihm aber gelungen, genaue Regeln fur das aufzustellen, was in dieser Arbeit nur allgemein als Kompromiß zwischen der deutschen und der hebräischen Betonungsweise dargestellt ist. 1 Ich sehe auch darin eine Bestätigung meiner These über die gesamte Entwicklung des hebräischen Teils im Jiddischen (einschließlich des sakralen Hebräisch), die von manchen Hebraisten, unter Berufung auf neue Erkenntnisse und ohne Prüfung meiner Argumente im einzelnen, gelegentlich angefochten wurde. Das Erscheinen des Buches habe ich zu verdanken - der unvergleichlichen Güte der mir vorher unbekannten Herren Professoren Dr. Christian Habicht, Dr. Peter von Polenz und Dr. Teut Andreas Riese, sowie der Großzügigkeit des Kultusministeriums Baden-Württemberg, der Neuphilologischen (und der anderen Nachfolgerinnen der vormaligen Philosophischen) Fakultät der Universität Heidelberg und der Heidelberger Universitätsgesellschaft. Ihnen allen möchte ich hier meinen innigsten Dank aussprechen. Daß Herr Robert Harsch-Niemeyer trotz unzähliger Schwierigkeiten so bereitwillig das auszuführen unternommen hat, was sein Großvater Herr Hermann Niemeyer im nationalsozialistischen Reich prinzipiell auf sich nehmen wollte, aber praktisch nicht mehr konnte, und so liebevoll ausgeführt hat, verpflichtet mich ebenfalls zu tiefem Dank. Seinen Mitarbeitern, Herrn W. Reiner und Frau R. Brinkhus danke ich für ihr verständnisvolles Bemühen um Gehalt und Gestalt der Herausgabe, der Buchdruckerei H. Laupp jr für die korrekte und nachsichtige Ausführung der schweren Anforderungen. Viele, viele Zufälle, sämtlich Fügung des Herrn, Dem ich alles zu danken habe. Haifa 1971 1

Dr. Jechiel Bin-Nun

S. Lautlehre, Hebr.-jiddischer Bestandteil, Der Akzent.

5

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ALLGEMEINER TEIL

Zur phonetischen U m s c h r i f t im A l l g e m e i n e n T e i l DIE PHONETISCHE UMSCHRIFT IST NUR DORT ANGE-

wandt, wo die Lautform eines jiddischen Wortes möglichst genau wiedergegeben werden soll, also nur, wo sie auch wirklich bekannt ist, beziehungsweise sich erschließen läßt. Die Umschrift der ä 11 e r e n j i d d i s c h e n T e x t e dagegen ist im allgemeinen der neuhochdeutschen Schreibweise angenähert; denn da ist die genaue Lautform nicht mehr eindeutig zu erschließen (nur hier und da sind aus praktischen Erwägungen phonetische Zeichen auch in die älteren Texte aufgenommen worden). Abe r auch die phonetische Umschrift hält sich nach Möglichkeit an den Brauch des Neuhochdeutschen. Nur einige Einzelheiten mußten geändert beziehungsweise zur Ergänzung hinzugefügt werden. So wird die Länge eines Vokals durch ein A über demselben bezeichnet, während der kurze Vokal auch da, wo kein Doppelkonsonant folgt, unbezeichnet bleibt; man lese also Meter mit kurzem e wie deutsch Blätter, obwohl nach jiddischer Orthographie nur ein t steht. Zuweilen wird der betonte Vokal durch ein ' über ihm hervorgehoben. Ein kleines, hochstehendes e ' e> ''" wird nur ganz schwach und flüchtig gesprochen, wie z.B. das e in der deutschen Vorsilbe be- (bescheren), oder das η in französisch art, en usw. Man lese das «als ej (ζ. Β .feider =fejder Feder); dem neuhochdeutschen ei entspricht in der phonetischen Umschrift ai (z.B. bain Bein). Das s ( f ) meint den stimmhaften, weichen Laut (wie französisch ζ), das ss den scharfen, und zwar kann ss auch nach langen Vokalen stehen (z.B. wässe weiße). Demgemäß mußte vor t und/> das sch, gegen die Schreibweise der neuhochdeutschen Orthographie, ausgeschrieben werden (z.B. schtain Stein). Neben dem sch steht als sein stimmhafter Partner sh (wie französisch j). Das ch ist im Jiddischen immer, auch nach e} i, als Hintergaumenlaut (ach-Laut) zu sprechen.

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Α. Der Name VERHÄLTNISMÄSSIG KURZ IST IN DER JAHRTAUSENDE LAN-

gen Geschichte des jüdischen Volkes die Zeit, in der das Hebräische als Sprache des Alltags geherrscht hat. Im weitaus größeren Teil seiner Geschichte sehen wir das jüdische Volk sich im Alltag anderer Sprachen bedienen, freilich ohne dabei dem Hebräischen ganz die Treue zu brechen. Wo dieses aus dem alltäglichen Gebrauch ausgeschaltet wird, folgt es dem jüdischen Volk auf seinem langen Wanderwege als 'heilige Sprache' yiE^), gleichsam für eine bessere Zeit aufbewahrt. Dieser 'heiligen Sprache' — der hebräische Ausdruck wurde, wie die allgemein verbreitete Form vip pffi^ zeigt, nicht immer korrekt überliefert — steht nun auf der anderen Seite die jeweilige Landessprache als die 'fremde* (ry V) gegenüber. 'Fremd' heißt sie, selbst wenn sie bekannter und geläufiger ist als die hebräische, solange die historisch-traditionelle Verbundenheit mit dieser im Volksbewußtsein fortlebt. Im übrigen ist dieses Wort selbst etwas Überliefertes, spiegelt also nicht jederzeit genau das psychologische Verhältnis der Juden zur Landessprache wider. Der Vorgang spielt sich etwa so ab: eine Gruppe hebräisch sprechender Juden siedelt sich in Italien an, kommt in Berührung mit dem Italienischen und nennt es ihrem Empfinden gemäß schlechthin 'TyV\ Diese Bezeichnung wird durch den häufigen Gebrauch zum festen Begriff, sie verliert ihre konkrete Bedeutung und verblaßt zu einem Eigennamen, zum hebräischen Namen für 'Italienisch'. Hat sich inzwischen die Gruppe mit dem Italienischen vertraut gemacht, so liegt doch andererseits kein eigentlicher Grund vor, den bereits eingebürgerten Namen aufzugeben. So wird 'Tj?y jeweils mit der Landessprache identisch, für den italienischen Juden also mit dem Italienischen, für den französischen Juden mit dem Französischen usw., kann aber auch später nicht mehr zur Bezeichnung einer anderen, einer eigentlichen Fremdsprache benutzt werden: der französische 14

Jude muß das Italienische eben schon bei seinem eigentlichen Namen nennen. Für das Deutsche war die Bezeichnung nicht üblich. Allerdings liegt darin nicht etwa eine Bevorzugung. Ein 'geschichtlicher Zufall' vielmehr, gestützt durch die eben erwähnte Kraft der Tradition, hat das bewirkt. Es war ein 'geschichtlicher Zufall', daß die ersten jüdischen Gemeinden Deutschlands im Rheinland entstanden und von hier aus die gesamte jüdische Überlieferung nach den anderen Städten Deutschlands getragen wurde. Im Rheinland sprachen die Juden bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein als die eigentliche Muttersprache französisch, daneben erst deutsch.1 Für sie war das Französische, das Deutsche mußten sie genauer als T3DP8 pffb (das ist: Sprache Deutschlands) bezeichnen.2 An dieser Scheidung zwischen I'schon aschk'nas und la'as wurde nun im Rheinland, selbst nachdem Deutsch die alleinherrschende Landessprache geworden war, festgehalten und sie wurde auch an andere deutsche Juden überliefert. Seitdem trägt die Alltagssprache der deutschen Juden diesen 'importierten' Namen. Schriftlich überliefert ist er uns schon aus dem Jahrei290 in einerBerner Handschrift des 'Aruch'.3 Es ist die in mittelalterlichen Schriften am häufigsten vorkommende Benennung. Wirfindensie aber auch noch in Schriften des sechzehnten Jahrhunderts, zu einer Zeit, als sie längst nicht mehr zutreffend war. Neben UDffK pp^ erscheint, durch dieselbe Handschrift schon bezeugt, der Begriff "miE^ (unsere Sprache). Er ist das'einheimische' Gegenstück zu jenem. Aus demselben Verhältnis zwischen der deutschen und der französischen Sprache wird nun von deutscher Seite aus die erste als 'unsere Sprache' bezeichnet, obwohl derselbe Ausdruck im Rheinland gerade in bezug auf die zweite, also gleich la'as im Gegensatz zu I'schon aschk'nas ge1

Siehe die genaueren Ausführungen Güdemanns in seiner Geschichte des Erziehungswesens und der Kultur der abendländischen Juden, Wien 1880—88, Bd. I, S. 273 ff. 2 Vgl. die Gegenüberstellung beider Bezeichnungen bei Güdemann a . a . O . S. 2 0 0 , 2 1 4 , 2 1 5 . 3

Vgl. 'Jiddische Philologie' herausgegeben von Weinreich-Prilutzki-Reisen Warschau 1924—26, S . 3 8 6 . 15

braucht wird.1 Zur Bezeichnung des Deutschen kann er also nur in einer Gegend entstanden sein, in der sich die Juden des Deutschen als Landessprache bedienten. Er wird wohl auch jünger sein als faction aschkenas, obgleich wir in der Literatur schon beiden gleichzeitig begegnen. Auch l'schonenu wird noch im sechzehnten Jahrhundert angewandt auf Verhältnisse, für die es nicht mehr zutrifft, jedenfalls nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung. Denn das steht fest: Vschonenu bedeutet — wie der allgemeine Gebrauch lehrt — 'unsere Sprache' nur im Gegensatz zur f r a n z ö s i s c h e n Sprache, nicht etwa — ebensowenig wiel·schönaschkfnas — j ü d i s c h e s im Gegensatz zum a l l g e m e i n e n Deutsch. Sowohl l'schonenu als auch l'schön aschk'nas meinen nur die deutsche Sprache im allgemeinen, als welche die von den Juden gesprochene gelten wollte und, objektiv betrachtet, gelten mußte. Wenn allmählich eine Differenzierung in der Sprache eintrat und trotzdem die alten Bezeichnungen beibehalten wurden, so darf man dennoch die Differenzierung nicht schon in diese selbst hineinlegen. Dasselbe gilt vom Begriff taitsch (beziehungsweise ursprünglich tiutsch, teutsch), der genau dem hebräischen T3387K p»1? entspricht und in deutschen (beziehungsweise jüdisch-deutschen) Schriften in gleicher Bedeutung gebraucht wird, wie untt^ und T33WK "pfr1? in hebräischen. Alle drei sind längst nicht mehr im Gebrauch.2 Während aber die beiden hebräischen Ausdrücke naturgemäß in den Schriften nur zur Anwendung gelangen konnten — hebräisch schrieb man, man sprach es nicht —, war taitsch wohl auch im Sprechen, zur Bezeichnung des Gesprochenen, das übliche Wort. Man mag selbst dann noch von einem Taitsch gesprochen haben, als man ein wirkliches Taitsch nicht mehr sprach. Und länger noch hielt sich das Wort in der Schrift- beziehungsweise Drucksprache: selbst als man von einem Taitsch nicht mehr sprach, schrieb man noch davon. Von nichtjüdischer Seite und axis späterer Zeit (erst aus der Neuzeit) stammen die Begriffe ' J ü d i s c h - d e u t s c h ' und ' J u d e n 1

Vgl. Glldemann a. a. O. Bd. I3 S. 277 u. 200.

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Das Wort taitsch oder tatsch lebt zwar heute noch, aber nur als Begriffs-

name im Sinne von Übersetzung, Bedeutung.

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deutsch'. Namentlich der erste wird bis in unsere Zeit hinein, und zwar nach den nichtjüdischen Vorbildern auch von jüdischer Seite, gebraucht. Noch vor einer Generation war er — auch in französischer beziehungsweise englischer Übersetzung als judeoallemand beziehungsweise judaeo-german in den wissenschaftlichen Abhandlungen vorherrschend, während das mit einem Beigeschmack behaftete 'Judendeutsch' da eher gemieden und der Tagesliteratur überlassen wurde. 'Jüdischdeutsch' (beziehungsweise 'Judendeutsch') sollte einerseits den immer (auch heute noch) deutlich empfundenen geschichtlichen und Ursprungszusammenhang der Sprache, welche die Juden redeten, mit dem Deutschen und andererseits den besonderen Charakter, den ihr die Juden verliehen hatten, zum Ausdruck bringen. Dennoch, oder gerade deswegen, kann man diesen Namen nicht als sehr glücklich bezeichnen, sofern er sich auf die gesprochene jüdische Mundart von heute oder selbst auf die vom siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert beziehen soll. Es wird nämlich dabei das Eigenständige in den diese Sprache (oder Mundart) beherrschenden Gesetzen und Entwicklungstendenzen übersehen; es wird der Eindruck erweckt, als wäre sie völlig abhängig vom Deutschen, als erhielte sie von ihm die Entwicklungsgesetze aufgenötigt, und als bestünde ihr spezifischer Charakter nur in einigen unwesentlichen Abweichungen, die über diesen Rahmen nicht hinausgingen. Mit Recht meint daher Birnbaum,1 daß er ebenso impassend sei, wie etwa'Englisch-deutsch', 'Normanno-angelsächsisch' für das Englische oder 'Gallo-lateinisch', 'Französisch-romanisch' für das Französische. So wenig also diese Benennung für die lebende Sprache zutrifft; für eine bestimmte Stufe in ihrer Entwicklungsgeschichte und eine bestimmte Gattung ihrer Literaturdenkmäler werden wir sie wohl verwenden können. Es handelt sich, um das gleich vorwegzunehmen, unter anderem um diejenigen Literaturdenkmäler, die zum Unterschied vom gesprochenen Idiom bewußt die Anlehnimg an die deutsche Schriftsprache suchen und für die man zum Teil ebensogut den Namen iwr'-taitsch wählen könnte, der im Grun1

In seinem Aufsatz im 'Jüdischen Lexikon' Bd. III, Sp. 269. 17

de genommen wörtlich den Begriff'jüdisch-deutsch' wiedergibt, obwohl er mit diesem weder seiner Entstehung nach noch in seiner heutigen Anwendung zusammenhängt. Entstanden ist iwr'-taitsch zweifellos in Anlehnung an das früher gebräuchliche Taitsch, als man in jüdischen Kreisen im Osten das Bewußtsein hatte, kein Deutsch mehr vor sich zu haben. Angewandt wird er speziell auf die Sprache der religiösen Volksliteratur. Zur Bezeichnung der gesprochenen Sprache ist er, wie es scheint, nie benutzt worden. Dazu gebrauchte und gebraucht man, seitdem das Wort taitsch ausgeschieden war, die Bezeichnimg jüdisch. Man spricht von einer 'jüdischen' Sprache spätestens seit dem sechzehnten Jahrhundert; im Jahre 1597 ist diese Bezeichnung bereits literarisch belegt. Es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht mit Sicherheit anzunehmen, daß sie erst im Osten aufgetaucht ist. Sie ist jedenfalls Ausdruck des Empfindens, eine eigene Sprache zu sprechen, was uns somit für das sechzehnte Jahrhundert bereits bezeugt wird. 'Jüdisch' heißt also bis auf den heutigen Tag im Munde der Juden die Sprache, deren sie sich bedienen. So wurde sie auch in der Zeit des Sprachenstreits von ihren ideologischen Anhängern und Vorkämpfern (vor allem Nathan Birnbaum) demonstrativ genannt, um jenem Empfinden eine ideologischtheoretische Unterlage zu geben. Von hier aus geht das Wort zunächst auch in die wissenschaftliche Terminologie über (so Strack, Jüdisches Wörterbuch). Mit Recht — denn sowohl das subjektive Empfinden des Volkes als auch die ideologischen Argumente der Streiter werden durch die wissenschaftlichen Forschungen gerechtfertigt, und so liegt in der Tat nichts näher, als daß man von der im Volke selbst gebräuchlichen Bezeichnung ausgeht. Daraus erwuchs jedoch eine Schwierigkeit anderer Natur. Der Begriff'jüdisch' ist ein ethnographischer und erweckt in diesem Zusammenhang den Eindruck, als handle es sich um die nationale Sprache des jüdischen Volkes. Die Schwierigkeit wurde aktuell, als die moderne national-jüdische Bewegung, der Zionismus, das Hebräische zur nationalen Sprache erklärte, indem sie 18

darin nur bewußt zum Ausdruck brachte, was immer im Unterbewußtsein des jüdischen Volkes lag. Eine Lösung bot sich von selbst. In Amerika, wo das Jiddische zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts (im Zusammenhang mit der verstärkten ostjüdischen Einwanderung) einen bedeutenden literarischen Aufschwung zu verzeichnen hatte, und das Interesse auch für seine wissenschaftliche Behandlung gestiegen war, lautete die englische Transkription für das Wort jüdisch: yiddish. Das neue Wort wurde dankbar aufgegriffen und in dieser Lautform — in deutscher Umschrift: jiddisch — vor allem in die deutsche wissenschaftliche Terminologie eingeführt. Man denkt dabei unwillkürlich an die sehr ähnliche (wenngleich durch andere Gründe veranlaßte) Lösung, die auf dem Gebiet der deutschen Dialektgeographie durch die Scheidung zwischen bayrisch (als politischer und ethnographischer Begriff) und bairisch (als dialektgeographischer Begriff) erzielt worden ist. Auch im Hebräischen wird nunmehr zwischen 'ΓΡΤίΓΡ1 (=jüdisch) und 'rpTX' (= jiddisch) unterschieden. Im Jiddischen selbst wird an der im Volk gebräuchlichen Bezeichnung ' v v y (oder 'WVN') festgehalten, die freilich ebensogut auch als Wiedergabe von 'jiddisch' aufgefaßt werden könnte. Das in jiddisch sprechenden Kreisen oft zu hörende mam'loschn bedeutet wörtlich 'Muttersprache' und ist nicht als eigentlicher Name anzusehen. Es handelt sich da eher um eine etwas humoristisch gedachte und gebrauchte Umschreibung des Jiddischen. Ebenso ist das Wort 'Jargon' lediglich als eine Umschreibung zu werten, freilich als eine Umschreibimg ganz anderer Natur, die das Jiddische dem jüdischen und nichtjüdischen Aufklärertum einerseits und dem Antisemitismus andererseits zu verdanken hat. Die Grundlage dafür bot jene allgemeine, auch heute noch nicht ganz überwundene Anschauung, daß jeder Dialekt nur eine niedere, von der ungebildeten Masse verderbte, Abart der Hochsprache sei. In diesem Falle kam noch hinzu, daß es die Juden waren, die augenscheinlich ohne jede Berechtigimg die deutsche Sprache 'verhunzt' hätten (Treitschke), so daß da Haß und Verachtung, dort die Scham, mit einer verfälschten Mundart als eigenen Spra19

che aufzutreten, doppelt begründet waren. Nachdem das Wort im Westen im allgemeinen außer Kurs geraten ist (von der politischen Tagesliteratur abgesehen), scheint es im Osten sogar eine gewisse Renaissance zu erleben. Es wird mit besonderer Vorliebe sowohl, von den assimilierten Juden, als auch den ihre Assimilation fördernden Behörden und pseudowissenschaftlichen Instanzen gebraucht. Auf andere Schimpfnamen, wie 'Mauschelei' (= Dialekt des als Judenkarikatur hingestellten Mauschel) und dergleichen einzugehen, ist überflüssig. Nicht einzusehen ist allerdings, weshalb man auch in jüdischen Kreisen und Schriften bis in die heutige Zeit derartige Ausdrücke zü hören und zu sehen bekommen muß.1 Sollte es nur kritikloses Übernehmen und unüberlegtes Wiederholen fremder Redensarten sein,—dann um so trauriger.

B. Geschichte des Jiddischen

i . Die sprachlichen

Verhältnisse

in der althochdeutschen

der Juden

in

Deutschland

und mittelhochdeutschen

Epoche

V O N G A L L I E N HER S I N D D I E J U D E N IN F R Ü H C H R I S T L I C H E R

Zeit nach Deutschland gekommen. »Als Kolonisten, Kaufleute oder Handwerker sind sie mit den Römern mitgezogen. Vielleicht sind einzelne auch als Soldaten hingekommen. «(Elbogen). Rechtlich, wirtschaftlich und sprachlich waren sie der nichtjüdischen Umgebung völlig gleichgestellt. Sie waren gleich allen römische Bürger. Sie betrieben ebenso wie die anderen Landwirtschaft, Handel und Handwerk und sprachen wohl entweder das von den Legionen mitgebrachte Latein beziehungsweise Griechisch oder aber wie die einheimische Bevölkerung gallisch beziehungsweise germanisch; hebräisch beziehungsweise aramäisch haben sie zweifellos mehr oder minder gekannt, sie hatten es von ihrer Heimat 1

Aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts sei hier z. B. nur auf einen

Mann wie GUdemann hingewiesen, der sie in seiner erwähnten Geschichte des Erziehungswesens (Bd. III, S. 281, 293 fr.) gebraucht.

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nach Italien und von da nach den neuen Wohnsitzen mitgebracht, aber weder da noch dort gesprochen. Sie haben sich sprachlich zweifellos an die neue Umgebung assimiliert. In der nachrömischen Zeit hat sich zunächst in der Praxis nichts wesentlich geändert. Inwiefern sich die Juden noch romanischer Dialekte bedienten, ist für diese Zeit nicht festzustellen und mag dahingestellt bleiben; fraglos ist die deutsche Sprache, genauer sind die althochdeutschen Mundarten, in den Vordergrund getreten, und die Juden sind in die deutsche Sprachgemeinschaft eingereiht worden. Doch vom allgemeinen Gesichtspunkt aus hat sich der alte Zustand erhalten. Die Juden sprachen das Althochdeutsche mit ebensolcher Selbstverständlichkeit wie die Nichtjuden. Ihre Besonderheit lag auf religiösem Gebiet — im weitestem Sinne des Wortes. Für die sprachlichen Verhältnisse jedoch darf diese Besonderheit nicht überschätzt werden. Nichts wäre irriger als die Annahme, daß dieses religiös-kulturelle Eigenleben von vornherein eine starke Verschiedenheit in der Sprache, also die Entstehung eines 'jüdischen* Dialekts zur Folge gehabt habe. Selbst Begriffe der unmittelbar religiös-sakralen Sphäre müssen nicht unbedingt dem Hebräischen entnommen worden sein. Ein sehr krasses Gegenbeispiel ist Sizilien, wo wir in jüdischen Akten des Mittelalters Presbiter für Vorbeter, Sacristano für Vorsteher, Sacerdos für Rabbiner, Muskite für Synagoge und andere finden.1 Auch in Deutschland, wo die Assimilation wohl nie so weit getrieben wurde, sind so manche fremde Bezeichnungen für kultische Gegenstände gewählt worden und zum Teil bis heute erhalten geblieben. Teilweise stammen diese Ausdrücke einfach aus dem Deutschen, wie Schul (Synagoge), Jahrzeit usw., teilweise aber auch aus dem Lateinischen,2 z.B. ören (beten, lat. orare), bentschen (segnen, Segenssprüche verrichten, lat. benedicere), trop (biblisches Akzentzeichen, lat. tropus), Memorbuch (eigentlich 1

Vgl. Güdemann a. a. O. Bd. II, S. 28off. Die hier angeführten Beispiele sollen lediglich das Prinzip, das Entlehnen solcher Begriffe an sich, klarmachen. Ob sie im einzelnen aus dieser oder späterer Zeit stammen, ist hierfür gleichgültig, zumal da wir heute überhaupt nur wenige Restformen dieser Art noch kennen. 2

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Gedenkbuch, lat. memor) und andere — und dies ist besonders auffallend. Wie kamen die Juden dieser Epoche mit dem Latein in Berührung? Von Überresten aus römischer Zeit kann hier keine Rede sein. Die Lehnwörter können lediglich vom Kirchenlatein hergeleitet werden — und dies ist es, was auf den ersten Blick besonders befremdet, da man doch annehmen sollte, daß jede Berührung mit der Kirche vom Juden gemieden, geschweige denn eine sprachliche Beeinflussung durch sie zugelassen worden wäre. Wir lernen hieraus das Gegenteil und gewinnen damit auch vom Standpunkt der Sprache aus eine Bestätigung der von der Geschichtsforschung festgestellten Tatsache, daß in den ersten christlichen Jahrhunderten die Beziehungen zwischen Juden und der christlichen Kirche sehr eng waren, trotz der Glaubensgegensätze im einzelnen. Religiöse Disputationen und Gespräche, ohne die Heftigkeit, die sie im späteren Mittelalter unter dem starken Druck der Religionsverfolgungen bekommen haben, waren an der Tagesordnung. Sie waren durchaus nicht immer von christlicher Seite heraufbeschworen, sondern im Gegenteil meist von jüdischer Seite aus unternommen und trugen den Charakter freundschaftlicher Bekehrungsversuche. Dabei bemühten sich Juden ebenso wie Nichtjuden, den Standpunkt der Gegner möglichst genau kennenzulernen. Man besuchte sogar einander in Kirchen und Synagogen. Es ist gewiß nicht übertrieben, wenn man annimmt, daß die Juden damals viel genauer als heute die Verhältnisse und damit auch die Terminologie der christlichen Kirche kannten. Die dem Kirchenlatein entnommenen Ausdrücke wurden 'verdeutscht'; sie wurden mit Hilfe deutscher Prä- und Suffixe in eine deutsche Lautform gebracht. Ob dieselben Wörter und in der gleichen Lautform auch unter Christen üblich waren, ist zweifelhaft, jedenfalls unbekannt. Es hat vielmehr den Anschein, als seien dies von vornherein spezielle 'Judenworte' gewesen, wie wir dies aus späterer Zeit mit Bestimmtheit wissen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch manche der deutschen Wörter ebenso speziell 'Judenworte' gewesen sind, so möglicherweise Schul in der Bedeutung des jüdischen Lehr- und Bethauses. 22

Auf jeden Fall wird es von Anfang an noch andere 'Judenworte' gegeben haben. Trotz allem, was oben gesagt wurde, ist doch mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß es eine Anzahl hebräischer Bezeichnungen gab, die durch keine anderssprachigen ersetzt wurden, vielleicht auch nicht ersetzt werden konnten. So wird man wahrscheinlich nie anders gesagt haben, als: gut Schabos/, Chumosch (Pentateuch) lernen, Haftoro (Wochenabschnitt aus den Propheten) sagen usw. Hier und da läßt sich sogar mit Bestimmtheit feststellen, daß ein Wort in jener Zeit bereits allgemein üblich gewesen sein muß. Wenn z.B. aus ΉΊ (Rabbi) reb' geworden ist, so liegt dem der althochdeutsche i-Umlaut (α lautet vor folgendem i in e um) zugrunde, eine Erscheinung, die spätestens im achten bis neunten Jahrhundert stattgefunden haben kann. Ebenso zeugt die lautliche Umgestaltung mancher hebräischer Namen — ζ. B. Aisik aus ρΠ2£', Munisch aus ilffi» — daß sie damals bereits im Deutsch der Juden eingelautet waren. Das Problem der Einlautung lag hier grundsätzlich genau so wie bei den lateinischen Entlehnungen. Es ging für den Deutschsprechenden darum, die fremden Bestandteile, welche in den Alltagsgebrauch übergingen, so seiner Sprache einzugliedern, daß sie in ihrem Tonfall, ihrer Form und lautlichen Gestalt reibungslos hineinpaßten. Man mag wohl hier rücksichtsvoller, mit mehr Scheu vor den hebräischen Bestandteilen umgegangen sein, als sonst; daher lassen sich deutsche Lautvorgänge an hebräischen Wörtern aus dieser früheren Zeit nur spärlich belegen. Bei der engen und ehrfurchtsvollen Beziehimg, die jeder Jude zum Hebräischen hatte, wäre es nur verständlich, daß man sich ursprünglich gescheut hätte, hebräische Wörter zu verändern beziehungsweise abzuschleifen, d.h. überhaupt allzusehr in den Alltagsgebrauch hineinzuziehen. Dies gilt um so mehr, als dem betenden und lernenden Juden die eigentliche hebräische Wortgestalt stets vertraut und geläufig blieb. Insofern also ließe sich aus den beizubringenden Belegen noch nicht die Zahl der überhaupt in Anwendung gewesenen hebräischen Wörter erschließen. Andererseits aber ist anzunehmen, daß auch das Bedürfnis danach zunächst nur in ganz geringem Maße vorhanden gewesen ist. Man geht gewiß nicht fehl 23

in der Annahme, daß die Anzahl hebräischer Lehnwörter in dieser Periode zumindest nicht größer war, als etwa in der Sprache der heutigen Juden Deutschlands. Fassen wir also zusammen, so sehen wir, daß die Juden in dieser Zeit ein gewöhnliches Deutsch mit Beimischung einiger, mindestens teilweise eingedeutschter Entlehnungen aus dem Lateinischen und Hebräischen sprachen, die aber, wenngleich sie ihm eine gewisse Eigentümlichkeit verliehen, noch nicht dazu berechtigen, von einem besonderen Judendialekt zu sprechen, ebensowenig, wie dies beim Deutsch der heutigen Juden berechtigt wäre. Der einzige Unterschied zwischen dem heutigen und dem Deutsch jener Zeit bestünde (abgesehen von der sprachlichen Entwicklung des Deutschen selbst) nur in der schriftlichen Wiedergabe, die damals m i t t e l s des h e b r ä i s c h e n A l p h a bets erfolgte. Ein neues sprachgeschichtliches Stadium kann man etwa mit dem neunten Jahrhundert beginnen lassen. Seit der Karolingerzeit ändert die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Juden sich ein wenig. Rechtlich gelten sie nunmehr als Fremde und bedürfen eines Schutzes der Könige, was zwar an sich noch keine Verschlechterung, aber doch immerhin eine Veränderung ihrer Lage bedeutete. Ihre Hauptbetätigung gilt in dieser Periode dem Handel, und zwar vornehmlich dem Welthandel. Ob sie hier und da den Grundbesitz verkaufen mußten oder dies für zweckmäßiger beziehungsweise sicherer hielten, ob sie zu Handels- und Vermittlungszwecken mit den anderen Ländern besonders benötigt und begehrt wurden oder sich selbst hierfür berufen hielten, weil sie als einzige ein bequemes Verständigungsmittel für alle Länder, das Hebräische, hatten — jedenfalls scheinen sie sich allmählich dem Großhandel, zwar nicht als dem einzigen, aber doch als dem zentralen Beruf zugewandt zu haben.1 Sie brachten Gewürze, Früchte, Weine, Stoffe und Edelsteine aus dem Orient oder den 1

D e s Näheren ausgeführt bei Rubstein, Entstehung und Entwicklung des

Jiddischen, Warschau 1922, S. i 6 f f . , und Caro, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden, Leipzig 1908, Bd. 1, S. 130, 182fr., i88ff.

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Ländern des Südens, Sklaven und Pelze aus dem slawischen Osten usw., versuchten sie dann selbst an den Höfen oder auf Märkten abzusetzen und waren so ununterbrochen auf Handelsreisen. War das Hebräische die naturgegebene Handelssprache, so mußte man aus ihm vor allen Dingen die Bezeichnungen für die gekauften Waren sich zusammensuchen, beziehungsweise soweit noch nicht vorhanden,selbst schaffen, ferner dieBezeichnungen für die Handlungen und Mittel in Handel und Verkehr, für die geo- und kosmographischen Begriffe und dergleichen. Eine Anzahl Beispiele läßt sich hier anführen: Ί" (Wein), miB (Früchte), D'piax (Rosinen), riv^ria (Perlen), paa (Kümmel), *nntp era (Kaffee), imo (Kaufmann), mino (Ware), inoa (Handel), prtö (mit der deutschen Infinitivendung -n: Handel treiben), p i p (kaufen), mya (Geld), ΠΟΤΊΒ (kleine Münze), nn (Verdienst), p p (Kapital), 11Π (Schuld), TT» (Messe), «·Ί03Κ (Herberge), fi^J? (Fuhrmann), njw (Stunde), ny1? nya (24 Stunden), D1 (Meer), nana (Land), D m (Süden) usw. 1 So entwickelte sich eine Art Handelssprache, die zunächst auf die Berufsleute und das Berufsleben beschränkt blieb. Da aber einerseits dieser Berufsstand sehr groß geworden war, andererseits die Berufstätigkeit den größten Teil des Alltags ausfüllte, konnte fes nicht ausbleiben, daß mit der Zeit auch das bisher übliche Alltagsdeutsch von ihr beeinflußt wurde. Die hebräischen Ausdrücke drangen in die deutsche Sprache ein und stellten sich zuerst neben die entsprechenden deutschen — der Zukunft blieb es überlassen, in den einzelnen Fällen zu entscheiden, ob der hebräische Ausdruck den deutschen verdrängen sollte oder umgekehrt. Im allgemeinen ist zu erwarten, daß die 'Zweisprachigkeit' so gehandhabt wurde, daß im Verkehr mit Nicht) uden die deutschen, mit Juden eher die hebräischen Wörter zur Anwendung kamen. Doch ist eine derartige Scheidung zu schematisch, um der Wirklichkeit entsprechen zu können. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß gewisse hebräische Bezeichnungen auch unter den Nichtjuden allgemein gebräuchlich wurden,wie z.B. das ins Italienische eingedrungene simmuki ( D^IOX, Rosinen) zeigt. Andererseits haben sich 1

Weitere Beispiele finden sich bei Rubstein a . a . O . S.24ff.

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auch die Juden untereinander grundsätzlich wohl dann nur des Hebräischen bedient, wenn ein Grund hierfür vorhanden war, so z.B. beim Verkehr mit anderssprechenden oder gelehrten Juden, in Briefen, Rechnungen oder sonstigen Aufzeichnungen usw. Aber auch damit sind letzten Endes die Grenzen noch nicht scharf umrissen; irrationale Momente spielen in solchen Fällen immer eine große Rolle. Die Entwicklung scheint jedenfalls im Laufe der Jahrhunderte auf eine immer stärkere Begünstigung des hebräischen Elements hinausgelaufen zu sein. Das elfte Jahrhundert war die Blütezeit des jüdischen Großhandels. Nach den Kreuzzügen und insbesondere im dreizehnten Jahrhundert flaute er ab, aber die einmal ausgelöste sprachliche Bewegung blieb bestehen und wurde durch andere Momente wirtschaftlicher und politischer Art gestützt. Beachtenswert ist, daß die hebräischen Wörter, schon gleich mit deutschen Prä- und Suffixen versehen, nach den Gesetzen der deutschen Formenlehre abgewandelt werden, daß ferner die Wortbildungen von einer Unkenntnis und, fast möchte man sagen, Unbekümmertheit um die Gesetze der hebräischen Sprache zeugen, in uns? D^C oder DO nntr (Schwarzwasser, Kaffee) ist mäjim (ans, Wasser) Plural, schähor dagegen Singular wie Wasser; Attribut vor Substantiv gesetzt - ist ganz unhebräisch. Mit dem Welthandel wird gewöhnlich auch das Eindringen mancher romanischer Lehnwörter in Zusammenhang gebracht. Hier muß zur Vorsicht gemahnt werden. Es handelt sich meist um Stoffbezeichnungen, die vom Italienischen hergeleitet werden, aber auch im Mittelhochdeutschen, beziehungsweise in den mittelhochdeutschen Mundarten, gang und gäbe sind. Eine genauere etymologische Untersuchimg der Wörter ergibt, daß sie zumindest in der von den Juden gebrauchten Lautform aus dem Deutschen beziehungsweise über das Deutsche gekommen sein müssen. So weist z. B. das heute noch gebräuchliche ßtschail· oder fHscheil· (Tuch) lautlich auf die deutsche Mundartform fazelet,1 1

Siehe M . Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Leipzig 1872—78, Bd. 3, S. 34, oder Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig, 1854fr., Bd. 3, S. 1 2 1 8 .

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nicht auf ein italienischesfazzoletto oder dergleichen zurück, ebenso sarg'n's auf das deutsche sergen, sargen,1 nicht italienisches sargta. Freilich geht die Frage noch viel tiefer: waren es nicht gerade die Juden, welche diese italienischen Worte nach Deutschland gebracht und germanisiert haben? Dann wären derartige Formen über das Deutsch der Juden in das allgemeine Mittelhochdeutsch übergegangen und sie wären hier mit Recht als zunächst rein jüdische Eigentümlichkeiten in diesem Zusammenhang zu nennen. Aber es gibt nichts, was uns berechtigen würde, diese Frage ohne weiteres zu bejahen, und sie muß deshalb unentschieden bleiben. Ebenso muß unentschieden bleiben, ob die Juden Oberitaliens, die deutsch sprachen, zugleich aber eine Brücke zum Italienischen bildeten, italienische Bestandteile in die deutsche Sprache der Juden eingeführt haben könnten. Greifbarer als die Beziehungen zum Italienischen sind diejenigen zum Französischen. Die Juden des Rheinlandes sprachen, wie bereits erwähnt, im elften und zwölften Jahrhundert (aus dem elften Jahrhundert stammen die frühesten Zeugnisse jüdischer Kultur in Deutschland) bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein französisch als Muttersprache und sie waren zugleich die Träger und Verbreiter jüdischer Kultur in Deutschland. Vom Rheinland aus strömte die jüdische Lehre nach dem Osten Deutschlands. Und mit der kulturellen Wirkung ging eine sprachliche Hand in Hand. Mit den Kulturgütern und Kulturwerten kamen zugleich ihre Namen, mit den Sitten und Bräuchen zugleich ihre sprachlichen Ausdrucksformen herüber. Wir sahen bereits, wie die deutschen Juden auch die Bezeichnungen für ihre und die französische Sprache von den Rheinländern übernommen haben. Dies ist nur eine Einzelheit im Rahmen der sprachlichen Beeinflussung überhaupt. Im Rheinland selbst, wo die deutsche Sprache zunächst n e b e n , dann vor der französischen gesprochen wurde, erhält dieses Deutsch eine reichliche Beimischung französischer Lehnwörter — und von hier aus werden sie allgemein. Hierher gehören z. B. tschülnt (Schalet, Sabbatspeise — von altfranzösisch chald), pülzl (Mädchen — von altfranzösisch pulcelld), laien beziehungs1

Lexer, Bd. 2, S. 890 oder Grimm, Bd. 10, S. 623.

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weise laienen (lesen—von altfranzösisch leier), praien (einladen — von altfranzösisch freier) und andere, von denen nur ein verschwindender Teil sich bis heute erhalten hat. Mit den französischen Wörtern sind zugleich französische Endungen übernommen worden, die bald auch deutschen Stämmen angehängt wurden, so vor allen Dingen das bis heute gern gebrauchte Pluralsuffix -s: wie salmes, salms (Psalmen), so wurde auch bechers, herings, veders (Federn), kachels, naglins (Nägelein) gebildet usw. Schließlich zeigt sich französischer Einfluß auch in der Schreibung. Im Auslaut wurde oft ein unberechtigtes κ (α) angefügt, das quasi die Aussprache des auslautenden Konsonanten sicherte, an sich aber nur das, allmählich verstummte, franz. Auslauts -e, aus älterem α entstanden, wiedergab oder nachbildete, ζ. B. (köcher), (isen), 8"^« (aal), «"p^win (durchschlak) usw.1 Diese Schreibung hielt sich eine ganze Zeitlang und dehnte sich auch auf andere Gebiete Deutschlands aus.2 Selbstverständlich wurde auch das französische Element germanisiert. Es ist gewiß kein Zufall, daß die frühesten Zeugnisse jüdischer Kultur aus dem elften Jahrhundert stammen. Erst in diesem zweiten sprachgeschichtlichen Stadium sind wohl die Voraussetzungen hierfür in stärkerem Maße geschaffen worden. In dieser Zeit erst bildeten sich größere jüdische Gemeinden und ein reges jüdisches Leben entstand. Als Fremde besaßen die Juden eigene Gerichtsbarkeit, zumindest in Zivilsachen. Streitigkeiten zwischen Juden, häufig auch solche zwischen jüdischen Beklagten und nichtjüdischen Klägern, wurden vor jüdischen Gerichten und nach jüdischem Recht entschieden (die spezifisch jüdische Geißelstrafe wird öfters erwähnt). In engem Zusammenhang damit steht das eigentlich religiöse Rechtsleben, Fragen und Entscheidungen, die das religiöse Leben in der Familie, im Hause, im Gotteshause betreffen. Das gesamte Leben der Juden erhielt eine stärker jüdische Note. All das regte zu intensivem Studium 1

Weiteres bei Gtidemann a . a . O . B d . I , S . 2 7 6 i f . In der Jüdischen Literaturgeschichte von Erik finden wir ein Gedicht aus einer ganz anderen Gegend, in dem Schreibungen wie RAW JHDYI ,κταν und andere vorkommen. 2

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des biblischen und talmudischen Schrifttums an, das von großer theoretischer und praktischer Bedeutung war, es führte zu regem literarischem Schaffen, welches zugleich wieder das Studium förderte und ihm neuen Stoff darbot. Jüdische Gelehrsamkeit wurde bald eine Art Selbstzweck, das 'Lernen' beschränkte sich aber nicht auf einen Stand, sondern war eine mehr oder minder allgemein gestellte und allgemein erfüllte Aufgabe. Immer sorgfältiger wurde die alte Tradition gepflegt, immer stärker die Verbundenheit mit ihr, immer bedeutsamer ihr Einfluß auf die Erziehimg der Kinder. Hierbei wurde besonders darauf geachtet, daß die Bibel gerade in ihrem hebräischen Text nichts an Bedeutung einbüßte. Das Übersetzen der Bibel war eine selbstverständliche Notwendigkeit, aber es mußte verhütet werden, daß etwa die Übersetzung das Original verdrängt oder auch nur zurückgedrängt hätte. Blieb das Verständnis der Übersetzung vom Original abhängig, so wurde der Zweck erreicht. Es bildete sich so die eigenartige Übersetzungstradition heraus, die darin bestand, nicht sinngemäß beziehungsweise satzgetreu, sondern wortgetreu und Wort für Wort zu übersetzen; wortgetreu, indem man bestrebt war, den hebräischen Wortstamm einheitlich wiederzugeben und jedes Wort seiner hebräischen Bedeutung entsprechend möglichst genau nachzubilden; Wort für Wort, indem man auf jede syntaktisch-gedankliche Verbindung verzichtete. Die Übersetzung für sich, wenn sie dann niedergeschrieben wurde, war völlig sinnlos und unverständlich, als Glossar aber machte sie das Lesen des hebräischen Textes verständlich — und sie sollte eben nur verständlich machen, nicht verständlich sein. 1 Das blieb nicht ohne Einfluß auf die Sprache. In der Rechts- und Religionspraxis setzte sich eine ganze Reihe technischer Ausdrücke fest, die selbstverständlich der Sprache des biblisch-talmudischen Schrifttums entnommen wurden und um so zahlreicher wurden, je stärker das jüdische Selbstbewußtsein und der Anschluß an die religiöse Tradition wurden, je größer also das Bestreben war, das 1

Vgl. die Ausführungen bei N . Leibowitz, Die Übersetzungstechnik der jüdisch-deutschen Bibelübersetzungen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. 1 9 3 1 .

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Religiöse von der Profanierving fernzuhalten. Einige Beispiele: p rro (Gericht), OJp (Geldstrafe), ü"in (Bann), nrr» (Tod), Mip^a (Geißelstrafe), nny (Zeugnis), Ύΐϋβ (frei), pOD (Urteil), Η (Gesetzesnorm), 1DW (Wechsel, Schein), rr^w (Bote), j?H2t (Gerechter), yen (Frevler), öl (Scheidebrief), Π3ΊΠ (Trauhimmel), ptflTj? (Trauung), p n (Bräutigam), c m » tro (Lern- und Bethaus), n^iip (Gemeinde), 031Q (Vorsteher), » » » (Synagogendiener), ms» (religiöses Gebot), n^Kff (Anfrage), ΓΙ^Π (Weißbrot und die davon abgenommene Hebe), fi^Bn (Gebet), rrVü (Gebetmantel), Π211? (Mond), m1? (Kalender), na (Leiche), mV (letztes Geleit) usw. Eine Anzahl anderer hebräischer Wörter kam speziell bei dem und durch das Studium in Anwendung: "imm bp (Schluß vom leichteren Fall auf den schwierigeren), η'ΊΠ (scharfsinnig), .löDn (Weisheit), mow (Unsinn), j?-iB (Abschnitt), xnaoa (Traktat), » n a (Kommentar), ISO (Buch), m i o (Ansicht), KVPp (Frage, Einwand), f i T n (Antwort), ϊΐϊΚ (Buchstabe), laxn (»wirst du sagen«, vielleicht), Κ3ΎΤΚ (im Gegenteil), S'13 (Prophet), i m »Ipair (Tempel), p*lp (Opfer), p i n (Zerstörung), rvto (Verbannung), V i W VIS (Palästina), i n » (Wüste) usw. Dies will nicht besagen, daß plötzlich in dieser Epoche die Juden einen ganzen Teil ihrer Sprache einfach hebraisiert hätten. Vielmehr bildet sich zunächst nur neben dem üblichen Deutsch eine 'Fachterminologie' heraus, die unter bestimmten Bedingungen verwendet wird. Allmählich aber gleiten solche 'Fachausdrücke' bei Leuten, denen sie zur Gewohnheit geworden sind, in ihre Alltagssprache über und werden dann auch von anderen aufgegriffen. Sie stehen neben beziehungsweise hinter den entsprechenden deutschen Ausdrücken. Wo solche nicht vorhanden sind oder aus irgendeinem Grunde ausscheiden, rücken sie sogleich vor und werden allmählich zu festen Bestandteilen der deutschen Sprache. Im übrigen hängt es von der Individualität des sprechenden beziehungsweise angesprochenen Juden ab, seiner Bildung und Traditionsverbundenheit, von der Situation und Art, in der g e s p r o chen oder geschrieben wird, ob das Hebräische oder das Deutsche bevorzugt wird. Und letzten Endes hängt dann die Entscheidung in diesem Konkurrenzkampf davon ab, welche Fakto30

ren im Laufe der Geschichte die Oberhand gewinnen. In unserem Fall ist festzustellen, daß der Verlauf der zweiten Epoche im allgemeinen zu einer stärkeren Hebraisierung führte (was freilich, um es nochmals zu betonen, nicht ausschließt, daß daneben auch ein reines Deutsch noch fortbesteht!). In diesen Zusammenhang gehören auch die Auswirkungen der obenerwähnten Übersetzungstradition hinein. Es entstehen Ü b e r s e t z u n g s l e h n w ö r t e r , Nachbildungen hebräischer Begriffe mit Hilfe des deutschen Wortmaterials, Bildungen also, die formal zwar deutsch sind, deren Geist aber hebräisch ist. So wird ilia (widerspenstig sein) mit widerspenigen übersetzt, um das hebräische Zeitwort mit einem zum gleichen Stamm gebildeten Verbum wiederzugeben; ebenso Übeln für snn (Böses tun) und beguten für ποτ! (Gutes tun), weil auch im Hebräischen von den Eigenschaftswörtern jn (übel) und aiü (gut) Zeitwortformen gebildet werden; oder ΠΧΜ (Sangmeister) wird durch übersiger wiedergegeben, weil die hebräische Wurzel rnü als Verbum siegen bedeutet; ähnlich ist es bei vielen anderen Übersetzungen: kerung für πιο (Abfall), bereiterin für nenp (Buhlerin), gruntfestn Verb vom Hauptwort Grundfeste. Auch handelt es sich zweifellos um Wortbildungen, die zunächst meist auf den engen Bezirk des Bibelübersetzens beschränkt bleiben, die sich aber allmählich den Weg in die gewöhnliche Umgangssprache bahnen. Auch dies trägt also zur jüdischen Färbimg der Sprache bei. Somit wären als wesentliche Merkmale des zweiten sprachgeschichtlichen Stadiums zu nennen: einerseits die Aufnahme und Verarbeitung romanischer Bestandteile und die Tendenz zur Hebräisierung, gleichsam die Schaffung einer hebräischen Reserve, zu der 'im Notfalle' jeweils gegriffen wird, kurz ein (und sei es auch unbewußtes) Hinarbeiten auf die Differenzierimg der eigenen Umgangssprache von der allgemeinen, andererseits jedoch ein Verbleiben auf dem Boden der allgemeinen deutschen Sprache. Sie ist in j eder Beziehimg organisch verwachsen mit den deutschen Mundarten, entwickelt sich also mit ihnen zusammen lautlich, formal und syntaktisch von einer Stufe zur anderen. Sämtliche Wandlungen, die im Laufe der Jahrhunderte die mittelhochdeut31

sehen Vokale und Konsonanten erfuhren, sämtliche Veränderungen der mittelhochdeutschen Nominal- und Verbalformen und dergleichen ergriffen zugleich, automatisch die jüdische Umgangssprache mit. Die Juden sprachen jeweils die Sprache ihrer Umgebung, was zugleich ein Doppeltes ausdrückt: sie sprachen in jedem Zeitabschnitt die Sprachstufe der Zeit und in jedem M u n d a r t g e b i e t die Mundart des Ortes. Zwar ist eine gewisse Tendenz zur übermundartlichen Hofsprache auch schon für diese Zeit anzunehmen und durch die Beziehungen zum Hof, sowie auch durch das Bedürfnis, auf den Handelsreisen verständlich zu sein, zu rechtfertigen. Nichtsdestoweniger bleibt der deutsche Grundstock im allgemeinen an die jeweilige Ortsmundart gebunden. Wenn, um einige beliebige Beispiele zu neantn, plaster, Pflaster oderflastergesagt wird, so weist das nach drei verschiedenen Mundartgebieten (dem Fränkischen, Oberdeutschen und Ostmitteldeutschen), twingen neben zwingen, geliehen nebengeieichen und gleichen, die mdn neben der man und der monet (Mond) können verschiedenen Stufen oder auch verschiedenen Mundarten angehören; prüven entstammt einer anderen Gegend als prüven oder proven, vergen einer anderen als vorgen oder vorgän; was für war, sol zur Bildung des Futurs, der Gebrauch des Konjunktivs waer, des Wortes Ehe in der Bedeutimg Gesetz besagen, daß sie in der Zeit beziehungsweise in der Gegend, wo sie uns bei Juden entgegentreten, allgemein galten. Man wird also auf dieser Sprachstufe von einem mehr oder minder jüdisch gefärbten Deutsch, aber eben von einem Deutsch, nicht von einer selbständigen jüdischen Sprache reden können. Der Übergang dazu vollzieht sich erst auf der dritten Stufe, deren Anfang wir etwa ins Ende des dreizehnten beziehungsweise Anfang des vierzehnten Jahrhunderts setzen können. Seit der Zeit der Kreuzzüge begann die politische und wirtschaftliche Stellung der Juden unsicherer zu werden. Schon die ersten Kreuzzüge veranlaßten die Juden, teilweise das Rheinland zu räumen und nach dem Osten Deutschlands hinüberzuwandern. Mit der Zeit verschiebt sich der eigentliche Schwerpunkt des deutschen Juden32

turns und seines kulturellen Schaffens nach den östlichen Gebieten. Doch nirgends ist der Jude vor den Verfolgungen sicher, nirgends vor der Notwendigkeit, weiter zu wandern, bewahrt. Der Wanderstab wird zum häufigsten Begleiter jüdischen Schicksals und seit dem 'Schwarzen Tod' zu dessen Symbol. Die Ausschaltung aus dem Handels- und Handwerksberuf geht im zwölften und dreizehnten Jahrhundert allmählich vor sich. Im dreizehnten Jahrhundert erscheinen die ersten Gettobestimmungen. Man drängt auf eine Isolierung der Juden, die darauf mit einer noch stärkeren Rückkehr und Einkehr als bisher erwidern. Die freiwilligen Judenviertel verwandeln sich in Gettos; unter dem Druck von außen verstärkt und vertieft sich zugleich das jüdische Leben in der Judengasse, die Besinnung auf die Tradition und deren Bedeutung als geistigen Rückhalt. Auch wirtschaftliche Rücksichten binden die Juden an das Getto. Zwar hört der Verkehr mit der Außenwelt nicht auf — neben dem Geldhandel sind es die Beteiligung an Märkten und andere Erwerbszweige, ja auch außerwirtschaftliche, rein menschliche Beziehungen, die die Verbindung mit der Außenwelt aufrechterhalten — aber freie wirtschaftliche Betätigung ist nur im Getto möglich. So entfaltet sich in jeder Beziehung ein abgesondertes jüdisches Eigenleben in einer abgesonderten jüdischen Welt, die, räumlich begrenzt, an einen bestimmten Punkt der Stadt gebunden ist und wohl mit der nichtjüdischen Welt in Berührung kommt, aber eben als W e l t f ü r sich, der gerade durch diese Berührung ihre Abgeschlossenheit noch deutlicher zum Bewußtsein kommt. Unstet und flüchtig ist der Jude dieser Zeit, und doch nicht freizügig, sondern gebunden. Das unaufhörliche Wandern brachte die Sprecher verschiedenster Mundarten zusammen und führte sowohl eine Annäherung der Sprechenden als auch der gesprochenen Mundarten herbei. Mischungen von Mundarten bedeuten zugleich ihre Auflösung. Das Eigenartige streift sich ab oder verbindet sich zu einer Synthese und das Gemeinsame, das Einheitliche entsteht. Man schreitet bewußt und unbewußt auf dem Wege zur Vereinheitlichung, zur Bildung einer übermundartlichen neuen, also eigenen Sprache fort. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen. Wenn germani33

sches ρ von den einen im Anlaut und in der Verdoppelung unverschoben — also perd und kloppen —, von den anderen in beiden Fällen zu pf verschoben — also pferd und klopfen —, von den dritten endlich im Anlaut pf oder /, in der Verdoppelung pp — also pferd oder ferd und kloppen — gesprochen wird, so kann daraus die Synthese pf oder / im Anlaut und pp in der Verdoppelung entstehen, die freilich, wie in diesem Falle, ganz zugunsten einer der Parteien ausfallen kann. Ebenso kann, wenn eine Gruppe ν als wy eine anderes als /, eine dritte vielleicht gar im Anlaut als f , im Inlaut als w artikuliert, die Artikulationsgewohnheit der dritten z.B. als Kompromiß zur neuen Norm werden, nach der dann etwa fisch, aber owen (Ofen) gesagt wird. Oder schließlich: die Verkleinerungsform wird bald mit -chen, bald mit -el, bald mit -le gebildet; bei der Vereinheitlichung kann sich daraus ergeben, daß jede dieser Endungen unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung gelangt, oder auch, daß noch ein viertes Suffix -chel zustande kommt. Daß solche 'übermundartliche' Synthesen oft nur zugunsten bestimmter Mundarten ausfallen, zeigen schon die obigen Beispiele. Daß es sich dabei um Zufälligkeiten handle, darf nicht angenommen werden. Die Gesichtspunkte, welche hier eine Rolle spielen, sollen im folgenden noch behandelt werden. Die oben erwähnte Tatsache, daß sich der Schwerpunkt des Judentums nach den östlichen Gebieten verschoben hat, muß dabei im Auge behalten werden. Auch das jüdische Eigenleben selbst begünstigt sehr stark das Entstehen einer eigenen Sprache beziehungsweise Mundart. Schon die Tatsache, daß die Beschäftigung mit jüdischer Tradition und jüdischen Dingen besonders intensiv und zentral im Leben des jüdischen Menschen wird, daß, wohin er sich auch immer bewegt (frei bewegt), er auf Jüdisches stößt, verleiht seiner Sprache eine stärkere jüdische Färbung, indem sie die bereits vorhandenen jüdischen Momente in den Vordergrund treten und neue entstehen läßt. Entscheidend aber werden hier zwei psychologische Momente. Erstens erzeugt die fortwährende Gefahr von außen ein Gefühl des Mißtrauens, das zur Verschlossenheit gegenüber der Umwelt mahnt und erzieht. Man greift instinktiv nach 34

besonderen hebräischen Ausdrücken, nicht nur soweit es sich um Dinge der nichtjüdischen Welt und die Beziehungen zu ihr handelt - z. B. ('Völker' = nichtjüdische Völker = Nichtjuden), San (Fest, für das christliche Fest), nijto (Geld), niD» (Schläge), nnnVö (Krieg) — sondern auch ganz allgemein, um sich so gut wie möglich vor den Angriffen von außen zu sichern (wobei es nicht einmal ein b e w u ß t e s S t r e b e n sein muß!), und man tut es im Bewußtsein, nie recht sicher zu sein, auch wenn man allein ist. Zweitens erzeugt die Abgeschlossenheit an sich das Gefühl, daß man in einer Welt lebt, in welcher man anders sprechen k a η η als außerhalb, wobei das K ö n n e n mitunbewußtem S o l l e n identisch wird. Aus der Tatsache, daß man auch so verstanden wird, erwächst sehr leicht die Überzeugung, daß man so b e s s e r , und schließlich das Gefühl, daß man nur so verstanden wird. Die früher geschaffene Reserve eigenen Sprachguts, nach der man 'im Notfalle' gegriffen hat, wird nunmehr nicht bloß erweitert, sondern hört überhaupt auf, R e s e r v e zu sein: sie wird allmählich zu einem f e s t e n B e s t a n d t e i l der Sprache. Das Verhältnis zum jüdischen Element (das im weiteren Sinne alle bis jetzt genannten Besonderheiten umfaßt) verändert sich also qualitativ, nicht (oder nicht nur) quantitativ. Auch dies ist vom psychologischen Standpunkt aus zu begreifen. Solange man das Empfinden hatte, die Sprache des Landes zu sprechen, waren die hebräischen Worte als nicht zu ihr, sondern zur 'heiligen Sprache' gehörig, nur Fremdkörper, nur für den Augenblick entliehen und nach Bedarf zurückgestellt. Die Distanz zwischen dem Profanen und dem Heiligen mußtegewahrt bleiben. Als nunmehr jenes Empfinden durch das andere, eine eigene Sprache zu sprechen, abgelöst wurde, war die Distanz zwischen der einen und der anderen 'eigenen' Sprache bedeutend geringer und konnte leicht überbrückt werden; durch das Einfügen des hebräischen Elements in die 'neue' Sprache des Alltags, in einen j ü d i s c h e n Rahmen also, ist es noch nicht der Profanierung preisgegeben. Die org a n i s c h e V e r s c h m e l z u n g des Hebräischen mit dem deutschen Element ist in größerem Umfange erst auf dieser Stufe möglich gewesen. 35

Daß sie auch erst auf dieser Stufe wirklich entstanden ist, bestätigt eine genauere lautliche Untersuchung des hebräischen Elements, deren Ergebnis hier nur kurz vorweggenommen werden soll. Lautlich gestaltete sich das hebräische Element vollständig nach den Gesetzen des deutschen. So hat das spätmittelhochdeutsche Gesetz der Vokaldehnung mit den deutschen Vokalen auch die hebräischen ergriffen: kurzes e (Sfegol) beziehungsweise α (Pattach) sind gedehnt worden und konnten erst so ihre weitere Entwicklung zu ei, ai beziehungsweise o, u nehmen, z. B. *nrj > cheder > cheider und chaider; ΓΡ5Π ^yi > bal'abä's > balabos und balabüs. Diese Dehnung muß spätestens zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts stattgefunden haben. Dagegen wurden die hebräischen Vokale nicht vom Gesetz der Diphthongierung ergriffen, nach welchem t zu ei, ü zu au diphthongiert wurden (z. B. min zu mein, hüs zu haus), sondern das lange Chirek und Schurek haben sich als i und ü (i) bis auf den heutigen Tag erhalten — z.B. f a (winArt), (lüach bzw. liach Kalender). Auch dies ist ein spätmittelhochdeutsches Gesetz, aber es begann schon im elften und zwölften Jahrhundert sich zu vollziehen, so daß die alten mittelhochdeutschen i und ü im dreizehnten Jahrhundert keine Monophthonge mehr waren und die hebräischen Laute mit den neuen i und ü (aus früheren ie und uo) zusammengelegt wurden, was sicherlich nicht hätte geschehen können, wenn das hebräische mit dem deutschen Element bereits zu der Zeit verschmolzen gewesen wäre, als im Deutschen noch die alten Monophthonge und Diphthonge gegolten hatten. Wir haben hier ein sehr wesentliches sprachliches Kriterium vor uns. Solange gewisse Elemente sich den Lautgesetzen einer Sprache entziehen, stehen sie außerhalb, sobald sie sich ihnen unterwerfen, stehen sie bereits innerhalb, auf dem Boden der betreffenden Sprache. Noch eine andere Erkenntnis verdanken wir der Untersuchung der jiddischen Laute. In den früheren Stadien entwickelte sich die 'Sprache', genauer: entwickelten sich die Dialekte der Juden, wie bereits erwähnt, ganz auf dem Boden der deutschen Mundarten. Sie machten automatisch jeden ihrer Entwicklungsschritte 36

mit, da sie ja auch nichts anderes waren, als eben nur ein Bestandteil derselben. Dieser Zustand dauerte gerade bis zur spätmittelhochdeutschen Zeit. Die sogenannten spätmittelhochdeutschen Lautvorgänge sind die letzten, welche noch gewissermaßen als aufgezwungen anzusehen sind — und selbst sie sind es nicht mehr in dem Sinne wie bisher. Das 'Deutsch1 der Juden läßt sich nicht mehr durch die jeweilige deutsche Ortsmundart bestimmen, sondern nimmt gleichsam wählend Eigentümlichkeiten verschiedener Mundarten auf und erlebt nunmehr sein eigenes Schicksal. Schon diese 'wählende' (freilich unbewußt wählende) Synthese beweist eine gewisse Selbständigkeit. Deutlicher noch bringt es seine Selbständigkeit zum Ausdruck, wenn es sich gewissen Lautveränderungen überhaupt verschließt. Für die Erhaltung des Velaren (harten) ch — z. B. in ech ich, mil'ch, recht usw. — gibt der Nachweis, daß dies der frühere Zustand vieler deutscher Mundarten gewesen ist, allein keine ausreichende Begründung; denn diese Mundarten selbst haben in der Periode, von welcher hier die Rede ist, diese Eigentümlichkeit bereits aufgegeben. Das gleiche gilt für die Erhaltung des jcA-Lautes an Stelle des Doppel-i, wie in mesch Messing, und die des w-Lauts an Stelle des zwischenvokalischen v, wie in schttwl Stiefel. All das erklärt sich aus der sprachlichen Verselbständigung der dritten Stufe. Umgekehrt ausgedrückt: eine Sprache beziehungsweise Mundart, welche in der lautlichen Entwicklung bereits eigene Wege geht, ist als selbständig anzuerkennen. Was nach den spätmittelhochdeutschen Lautprozessen in den Lautformen vor sich gegangen ist, beruht bereits auf Eigenentwicklung, auf selbständiger Entfaltung all der lautlichen Kräfte, die sich im Laufe der Zeit und namentlich durch die Vermischung verschiedener Mundarten angesammelt haben. 1 Nicht, als ob nun sämtliche Einflüsse von außen (von den deutschen Mundarten) aufgehört hätten — im Gegenteil, jetzt erst kann von E i n f l ü s s e n von a u ß e n gesprochen werden, Einflüssen, die im Innern verarbeitet werden; was überhaupt noch kein Eigen1

Belege hierfür lassen sich an dieser Stelle nicht anführen. Sie finden ihren Platz in der ausführlichen Behandlung der Lautlehre.

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leben führt, kann auch nicht beeinflußt werden, hat auch kein Außen. Erst auf dieser dritten Stufe also ist eine Selbständigkeit festzustellen. Gehen wir vom heutigen Jiddisch aus und versuchen, seine lautliche Entwicklung bis auf den letzten U r s p r u n g hin zurückzuverfolgen, so gelangen wir zum lautlichen Stand dieses Stadiums; weiter v e r m ö g e n w i r n i c h t v o r z u d r i n g e n . Anders ausgedrückt bedeutet dies: auf dieser Stufe ist die Grundlage entstanden, von der aus das Jiddische seinen Lauf genommen hat, hier liegt der A n f a n g des J i d d i s c h e n .

2. Judendeutsch - Jüdischdeutsch -

Jiddisch

Die Frage nach dem U r s p r u n g beschäftigt die jiddische Sprachforschung von Anfang an. Nachdem man im Jiddischen Reste des Mittelhochdeutschen festgestellt hatte, einigte man sich darauf, daß die Anfänge des Jiddischen im Mittelalter zu suchen seien. Damit jedoch nicht zufrieden, forschte man weiter und versuchte, nach Möglichkeit auf den letzten Urgrund des Jiddischen zu kommen. Man fand bereits im elften Jahrhundert Anzeichen jüdischer Färbung der Judensprache und setzte ihn deshalb da an (so z. B. Schipper in 'Jiddische Philologie' S.i02ff.), man ging von der soziologischen Betrachtimg der »Sprache als Ausdrucksmittel einer vor allem kulturell zusammengehörigen Gruppe« aus und sah »das Idiom der Juden Deutschlands grundsätzlich in dem Augenblick als jiddisch« an, »in dem sie hier als eigene Gruppe siedeln«, mußte sich jedoch, da »die ersten Jahrhunderte dieser Geschichte fast vollständig in Dunkel gehüllt sind«, »mit dem neunten Jahrhundert als Ausgangspunkt des Jiddischen« begnügen (so Birnbaum in der 'Encyclopaedia Judaica' Band 9 Sp. 116), oder setzte sich schließlich auch mit einem Sprung über die »in Dunkel gehüllten Jahrhunderte« hinweg und war an der »ganz alten, vorhistorischen Zeit, die uns keinerlei geschichtlichen Dokumente über das Leben und Schaffen der deutschen Juden zurückgelassen hat«, angelangt (so Rubstein 'Entstehung und Entwicklung des 38

Jiddischen' S. 8, Mieses 'Entstehungsursache der jüdischen Dialekte' S.30). Dieses Verfahren ist allzu schematisch. Wollte man die Sprache der Juden von dem Moment an als jiddisch bezeichnen, in dem sie als 'kulturell zusammengehörige' Gruppe siedeln — ohne dies irgendwie näher zu umgrenzen, auch ohne die Sprache näher zu untersuchen — so könnte man wohl genau dasselbe von dem Deutsch der heutigen in Deutschland lebenden Juden behaupten. Aber selbst wenn man von sprachlichen Merkmalen ausgeht, so bleibt immer noch die Frage, ob man das Recht hat, einen deutschen Dialekt, der lediglich einige jüdische Wörter oder Wortformen enthält, schon als j i d d i s c h anzusehen. Glaubt man sich dazu berechtigt, so müßte man auch hier wieder dasselbe Recht für das heutige Juden-Deutsch beanspruchen. Der Irrtum hegt zweifellos in der unklaren Vorstellung, die man mit dem Begriff 'jiddisch' verbindet. Es muß klar gesagt werden, daß wir einen Dialekt, wie den auf der ersten Stufe geschilderten, seinem Wesen nach nur als deutsch ansprechen können. Die einzige Verbindung mit dem Judentum—die Tatsache, daß er von Juden gesprochen, mit dem jüdischen Alphabet geschrieben und hier und da mit einem jüdischen Wort geschmückt wird—ist sehr lose und kann bestenfalls durch das Wort ' J u d e n - D e u t s c h ' (bzw. Judendeutsch) ausgedrückt werden — das Wort natürlich in anderer Bedeutung als es bisher gebraucht wurde: als D e u t s c h der Juden. Eine stärkere Beziehung zum Jüdischen hat das Deutsch der zweiten Stufe insofern, als sich der spezifisch jüdische Wort- und Formenschatz ungemein vergrößert hat, aber es als 'jiddisch' (als jüdische Sprache) zu bezeichnen, verwehrt die Tatsache, daß dieser noch nicht fester Bestandteil der Sprache selbst geworden ist, sondern mehr 'nebenherläuft', daß ferner dieses Deutsch keine selbständige Existenz hat, sondern Hand in Hand mit seinen Mutterdialekten geht. Man könnte hierfür bestenfalls den Begriff'Jüdis chd euts ch' wählen, das Wort wieder in besonderer Wendung: als jüdisch g e f ä r b t e s Deutsch. Da im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die Verselbständigung unseres Idioms und die völlige Einbeziehimg des jüdischen Elements 39

eintritt beziehungsweise beginnt, so haben wir erst hier die Anfänge des J i d d i s c h e n z u suchen. Mit anderen Worten: hier ist der Urtypus oder die Urstufe, das U r j i d d i s c h e , entstanden. Zur Konzeption des Urjiddischen führen in erster Reihe philologische Erwägungen, die vom heutigen Jiddisch ausgehen. Völlig ergebnislos wären Betrachtungen, die von einer Untersuchung der älteren literarischen Denkmäler ausgehen würden. Man stößt da auf eine Reihe von Schwierigkeiten, die sehr bald erkennen lassen, wie unzuverlässig die literarischen Denkmäler sind. Die erste Schwierigkeit besteht darin, daß wir literarische Denkmäler überhaupt erst aus dem dreizehnten Jahrhundert haben — und soweit es sich um zusammenhängende Stücke, nicht um einzelne Wörter, handelt, erst aus dem vierzehnten Jahrhundert, also aus einer Zeit, die wir hier bereits zur urjiddischen Epoche rechnen. Dazu kommt als zweites, daß diese Denkmäler auch nur in Abschriften oder Ausgaben späterer Jahrhunderte erhalten sind. Indem die Abschreiber beziehungsweise Herausgeber einerseits bemüht waren, die alten Texte getreu wiederzugeben, andererseits doch auch die Laut- und Wortformen ihrer Zeit einfügten, ist ein schriftliches Bild entstanden, das keine von beiden Sprachstufen wiedergibt, also undurchsichtig und wenig ergiebig ist. Zu alldem gesellt sich als dritte Schwierigkeit die Tatsache, daß die schrifdichen Denkmäler von vornherein gar kein treues Spiegelbild der Sprachentwicklung sein können. Sprechen und S c h r e i b e n sind zweierlei. Im Sprechen ist man frei, zumindest soweit man sich in seiner natürlichen Umgebung befindet. Im Schreiben ist man an eine bestimmte Norm gebunden, zumindest soweit man für andere schreibt. Norm kann für den im Mittelalter schreibenden Juden zweierlei bedeuten: erstens die überlieferte Schreibweise, deren Autorität sowohl durch das Überliefertsein als auch durch die allgemeine Gültigkeit und Verständlichkeit verbürgt war, zweitens die Schreibweise im Deutschen; denn über die Herkunft und Abhängigkeit seiner Sprache vom Deutschen, d.h. zugleich die Zugehörigkeit zum Deutschen, war sich jeder Jude im klaren und ist es im Durchschnitt heute noch. In Zweifelsfällen richtete und richtet sich jeder Jude nach der überliefer40

ten oder der deutschen Schreibung; aber nicht nur in Zweifelsfällen — beim Schreiben überhaupt schwebten ihm immer beide vor. Beide waren ihm auch im Getto bekannt: die eine hatte er als Kind schon durch den Unterricht gelernt, die andere spätestens durch den Beruf, den Verkehr mit der Umwelt, meist aber auch schon durch Berührung mit der deutschen Dichtimg. Die Folge ist, daß weder der Fortschritt in der Entwicklung (gegenüber der früheren Periode), noch die besonderen Eigentümlichkeiten der Sprache (gegenüber dem Deutschen), jedenfalls soweit es sich um die gesprochene Sprache handelt, aus dem schriftlichen Denkmal heraus erkannt werden können. Einige Beispiele mögen das erläutern. Wenn noch im fünfzehnten Jahrhundert und später ein Κ im Auslaut geschrieben wird, obgleich hier nie mehr ein Vokal gesprochen wurde, so liegt einfach Traditionsschreibung vor, und das würde uns jede richtige Erkenntnis verschließen, wenn wir sie in diesem Falle nicht schon von anderer Seite hätten. Wenn das alte mittelhochdeutsche ei und das neue, aus mittelhochdeutschem i entstandene, z.B. in Kleid und in Zeit gleichmäßig durch ein•»•» wiedergegeben werden, so ist das eine Nachahmimg der neuhochdeutschen Schreibimg; denn im Jiddischen wie in den deutschen Mundarten können diese beiden Diphthonge nie gleichgelautet haben. Bei diesen Beispielen ist uns die Gewißheit von anderwärts her gewährleistet. Doch gibt es auch Fälle, wo wir im Ungewissen tappen, wo deshalb die geringe Vertrauenswürdigkeit der Quellen besonders empfindlich wird. Wenn wir für das deutschepf z.B. genau BB sehen, so wissen wir nicht, ob auch tatäschlich so gesprochen wurde oder nur eine Nachbildung des deutschen Lautes beabsichtigt war. Wenn für das deutsche δ bloß ein i steht — ist das auch in der Aussprache noch reines ο (nicht ou oder ou) oder liegt traditionelle Schreibung vor? Ob man, als man in einem Haus schrieb, noch ebenso, oder vielleicht schon in ein Haus beziehungsweise in α Haus sagte, ob man, als man waere und was (war) schrieb, sie auch im Sprechen noch gebrauchte usw., all das läßt sich aus den Schriften nicht erkennen. Und zu allerletzt noch eine vierte Schwierigkeit. Es scheint, daß 41

selbst auf der sogenannten urjiddischen Stufe nicht alle das gleiche Idiom, ein Jiddisch, sprachen, daß selbst die es sprachen, es nicht immer oder auch nicht überall in der gleichen Weise taten. Es gab wohl noch viele, die ein 'Deutsch' sprachen; in reinem Deutsch wickelte sich ja der Verkehr mit den Nichtjuden ab. So mögen denn auch verschiedene Dichter oder Schreiber beziehungsweise dieselben bei verschiedenen Stoffen oder Stücken, verschieden geschrieben haben. Es ist in der Tat oft so, daß zwei Schriften derselben Zeit, aber verschiedenen Charakters (z. B. eine religiöse und eine weltliche Dichtung) andere Sprachstufen spiegeln. All das ist zu beachten, wenn an die Verwertung der Schriften als Quellen für sprachgeschichtliche Forschungen oder auch nur als Stützen für deren Ergebnisse herangegangen wird. Wenn hier nun versucht wird, die geschilderten drei Sprachstufen durch kleine Stücke zu charakterisieren, so können diese Stücke nur mit allem Vorbehalt als 'Belege' gelten. Sie stammen nicht wirklich aus der 'judendeutschen', 'jüdischdeutschen' beziehungsweise 'jiddischen' Periode, sondern gehören alle literarhistorisch sogar der spät-urjiddischen Zeit an, sind aber sprachlich so gehalten, daß sie dennoch zu einer ungefähren Illustration der drei Stufen geeignet sind; freilich schimmern überall die Spuren der späteren Zeit schon durch. I. Aus einem Artusroman — Handschrift des fünfzehnten Jahrhunderts — zur Charakteristik des Judendeutschen (den 'Philologischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. i, S. 137, entnommen). Dm tpK KT1 Hie ouf difem plän [Wiese, Fläche] IKBETO ιυηκ an "|iu im? -|>κ Vm wilicheinennachdemandernbestän[besiegen] 1ü*o -m» "PH VTI VR al wil ich irer beiten [warten] •Itm ρτνπ V« NT cum heisst fi al herous reiten. •w m 1« pip> T ' W Un' kumen fi nit schier [bald] -ms τ» bVw KT um -a ver wär [fürwahr] fö folt ir glouben mir 1« un ηVir -ρκ Vm xr fo wil ich folch ding an ficra ωιΛ ηιηκ a*i»p> küneg Artus lant begän [begehen, verüben] •w mm -ü'n -]iu ρ η dass man noch über hundert jär •Ι«] ι«τ is ΊΉ Iis Vkt fol vun mir zu fagen hän [haben]. II. Fortsetzung von I. im »Vpk -bti Ana in αφ is tma 42

Er kam kegen di bürg der edle riter zart

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di edle künigen [Königin] hat feiner aldä gewart. Dö er di künigen an der zinen [Zinne] fach stän [stehen sah] in ir künegliche krön er rief höch un' sprach alfo »st£t [steht] mein aler genädigste künigen dä« der hof meinster antworte im schier »ja edler riter wai wolt er ir«. Er fiel bald vun feinem ross vor der künigen zu fuss er neigt fich zu ir gär tugentlich un' bider di künigen hiess in ouf stfin wider.

I I I . Aus einem satirischen Lied über einen 'Läusekampf'. Handschrift spätestens aus dem sechzehnten Jahrhundert — zur Charakteristik des Judendeutschen (im Übergangsstadium zum Jüdisch-Deutschen); entnommen der Literaturgeschichte von M.Erik, S.440: ,Ύίτ ρκ R31K 'ΪΙ8 t5*m f s twir1? Er fücht in hout un' öch [auch] in hör [Haar] ,td isn iow jnwn vn trnp i» er kört [kehrte] das hintre öch her vor, τα pj w i : "|tree> 1? er sprach: bistü nun vor schwünden [verschwunden] ,tunn an ρκ smicn pn swu it Er nam fein wams in di hant, ,tatrru ρ 'JK isn r» 1» m da er ef her un' hin gewant, er sprach ouf feinem munden: : p r e nm ms -pst? i*rni3 m tpac ·γκ mm ν-ι das nim ich ouf di truwen [Treue] mein, du tust mir groufe schänden, j p a w n*m -ra w e η ,1«IAOTBmjK ι» ana ρ ums pj nun zwar nun mag [kann] ef anders nit gefein, ich bindich [binde dich] in dem hemden, ,ΊΊΗΠ Kasn pc -pw i»s ,1»ϊΐκ m την« um η n» er zöch [zog] das hemd über di ören, ,1>ioac tm wmc mm κη Β Ϊ « Ι » t> er meint fi mocht im nit antggn [entgehen] . . . uro -α r"iV η im tn des was [war] di louf gar vrö [froh]... IV. Aus einem Epos über die Purimgeschichte — zur Charakteristik des Jüdisch-Deutschen; entnommen der Sammlung 'Deutsche Sprachdenkmäler in hebräischen Schriftcharakteren' von Stern, S.48. um v w a i i n m ' J « Un' dö di fach geschehen wär n® \m τ η pc ·ρτ am in dö höb fich in der himel schär .^wcn p» Tfr«»j smi p c ein gröss gepolder ön mässen [masslos] hc in Di engel schrien al gemein Ί*ηϊκ irr vm vb un tsu *wn Her Got der loub [erlaube] uns den unrein vun dem himel ab zu stössen. IS 3X VWL OST! |1D ]Vx un ρητά ·]»Αη vaan Hömons [Hamanns] malach [Engel] begrifen [ergriffen] fi alen

43

.yny i n is ρτκη κτ IVE ηκΐ® pr IST ]ΒΠ κι .ynsm w n d^k bai? mi ρκπ IBVK Kn KU p'tal VK PN 'JIN bVD i n pm η .•fa n w ewt psm κι

fi warfen in zu der erden. D0 Hdmon fach fein malach falen wie kont im wirfer [schlechter] werden. Nu die alten bicher haben geschriben un' if afö gebliben daf wen der ochsen falt da wez [wetze] das messer bald. Afo dem Hdmon ouch geschach -|nb»a τηκ ι»η Dsn un 1SH ^ΡΌΑ -JHVÖ "ΒΠ V3 ίΠ do es der malach Gawriel der fach daf Hdmon war an der neige [im Fallen] isn ικ -ικη η er kam in felcher miss daher imm vvji "öVyr ]·>« Dxp is? af wenns Charviöno gewefen waer. .ism |Wivj rutnn ram m V. Aus einem Sittenbuch πιπτι tbd, gedruckt Zürich 1546 — Jüdisch-deutsch, doch schon mit deutlichen Anzeichen des Urjiddischen; entnommen den 'Philologischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. 2, S. 165. w o n ran am ρ tw dVit tt auAn V« Al tignow1 - du iolt nit lein gönew da'as ha*ia m»p is iV>sn -η« ι®»» m*>p> is brijos2 zu keinem menschen un' afilu [sogar] enw m> m»r ms τϊ»ν η era m zu keinem got [Nichtjuden], das meint, daf •w Bpjsrpj insn m«r ·ρκ άτκ vn einer mit feinem mund etwas ret [redet] un' ITT) tyj tsVir η 'aik "βγβττακ dtibs in feinem Herzen gedenkt [denkt] er etwas anders. Un' du folt nit wider sp&iigen [wideris ]sn tfw j i w j j m τηι p'JSB®· 'm nn d'«· is ίαντ o>i dVit tt 'iik'Vb spenstig sein] wider deinen gefeien [Genossen] iWi p n ms ινβμ *]•>« 3κπ "jT τη mS [mehr] den zu vil. Un' du folt nit sagen •Bam ικβ·>α iVm p r bin κτ η ]sm zu im »dife un' dife fach hab ich getän um άίκ ismTOTü"üVsrt ·ρτ iff ]sm otwu deinen wiln« wen dü fi tun feinen wiln getän ] Wi Di»r dtx Bwt»n tt B3«a m «n host; neuert [nur] wen er fich felber tS'e tr>« is By tt bwbtkto st ]ki?>a οϊιβτ [irren] waer un' daf er ver meint, dü hätst DIR JKtfU ΒΆ m 3ΚΠ f K }ANT IS um feinen wiln etwas getän, fö bedarfst dü nit zu im zu fagen »ich hab es nit getän um μηκι Qsn -jt PK is ]sn "|Vm B»J dtwt tr»Bisnn η 'JM mna laiw deinen wiln«, den er if fich in dem dasigen [darin] felber to'e un' dü host im darum nit ,ΐηηι»Λran3ju gönew da'as gewefen. VI. Aus einer historischen Legende — Handschrift wohl aus dem Ende des fünfzehnten oder Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. Namentlich im zweiten Teil ist schon der Charakter des Urjiddischen erkennbar; entnommen den 'Philologischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts' Bd. 3, S. I i und 15 ff.

1 wtpa pk im isn t>kö in bat » mm Ma'asse [Geschichte]) — ef sagt Rabbi Me'ir »rsp pntPA Bin ρ η hp Qsn i»K der chafen [Kantor]: if gewefen in dem jär, Arte*» η en-α ·ρκ τη in vrth daf man hot geschriben 121 Uprat [nach der κη pN ΒΠ VXf 'fi> BKA Π oVsm Τ5Π jüdischen Zeitrechnung; d.i. 1361], da war 1

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»du sollst nicht stehlen«. »stehlend die Meinung der Menschen«

in px ojWJB^n ίηΛ Vn tamp -en w i n vm π bsksm msii ι j»r ρκ imvb η biibp n η» mim 'iw un ,.. jam inV Vm i*w γ» rVs. p·^ pv -ηη« in i n Dsn τιΛη ικπ im tra tmrtt) κι am ]·>« is Bir t/ τι» -we mron *ru* -m tyr τ » 1B37 p'V msiVn \m i n BIB K M Π η*« BüWlj? J8 ff>18 Τυ las w up π caiya® iy ] n K>yi twnn p i s w is? Bisni iip on -Ώ iwr β»κ Vm rrspn ]n en )bm px m BUT IK*ih V»m n p m B'3 o«p ν am its t k Π π r»s -ON an« p v pr

ein gross ver tümling [Tummel] in der welt, daf Got jis' schrno [gepriesen sei Sein Name] hat in die welt geschikt in tagen eines künigs der hiess Martino, der ktinigt [herrschte] in vil land dif [dieses] lanz [Landes], In feinen Zeiten wurd gemacht daf glük rad [Glücksrad] un' wurd ich [auch] ver stört in fein Zeiten, alf ich euch wil lofn [lassen] wissen... Afö war ein talmid chdchom [Gelehrter], der war über feinem lernen antschläfen, da träumt im un' andre chassidim [Frommen] mer [mehr] un' er fagt zu in [ihnen] der ba'al chalömos [Träumende] »liben kinter ir feit beten [betet, bittet] üm an künst ['Kunst', Mittel, eine Beschwörung etwa] ouf del mönches töt ΒΒ5ΠΒ'318 pVM ι« Β3Π T8 Λχ B3«ta [Tod], den er sterbt dal jär nit aber baled •pr rrapn mm pn 3« tr>3 tr>8 ps [bald] nöch [nach] dem jär wert er sterben; dartlm fecht [seht] ein gitn [guten] röt [Rat], 'ϊκ ρΛτπ « -pis jrfr Ii m isn den k. k. b. h. [der Heilige gelobt sei er] wil im mmnBtmp f«inm«8TUBpi? fein böskeit nit w£ren [wehren], di weil euer tm BU '318ffOSVa8H |1»TI'3 fünt gross fein gegen Im, aber if daf, daf ir tP8 181 B'3 U"p l«p EOT t]ir>3 afö vrum [fromm] bleibt alf ihr habt an gelins B3ST i m n on i8i ] w a höben un' tretet vun Im nit ab, den wert .BTO3 h. k. b. h. fein rüfer [die Ihn anrufen] nit ver lofen, euch zu helfen un' schikt nöch einem, der ein künster ['Kunst'ler] if, der bewern [soll wohl heißen: beschwören] kan di malöchim [Engel] un' nit mit kischuf [Zauberei], füns kein [soll wohl heißen: kann] keiner nit vor im besten [bestehen], vor dem mönch, darüm fecht euer best [Bestes]. V I I . Aus der Responsenliteratur des 15. Jahrhunderts (Resp. des R.Mosche Minz, gedruckt Krakau 1617) — vermittelt einigermaßen ein Bild vom Urjiddischen; entnommen den 'Historischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts' Bd. 1, S. 135 f. '3 1 π ΓΡχι 118 nrw rrcra Η βνπ Hot di ischo [Frau] edus [Zeugen] oder ra'ajo m Bin lira pK3 i n n doyr [Beweis], daf di 50 fehüwim [Gulden] di der Β8Π *Λ> 118 ''3Π3 Tft» ]« fWip JT 8T ne'emon [Beglaubigte] Schimon innen hot, dof T8 »8» i n l'S B3TQ B'3 8,3TI3 fi fein kumen vun irer nedtmjo [Mitgift] un' ]'3ffB 'B38B 13"Τ pD Β8Π «HM pi81 Lewi hot fein nedtmjo nit bröcht [ge-, verΓ3 Η TK pW 1Ϊ 3"Π IOTP BET'S IT braucht] in der möss [Maß] af Räwen getaanet T"r nan b»3 n m isp 138 πτπ ]κ τη [gefordert] hot vun feiner Tochter me'injon TIB l«r fmp Β3"ί> ]Β3Τ0 Τ"3 Η Π '118 [in der Angelegenheit], fo ist Schimon chajow

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(... denn es ist in unserem Lande weit verbreitet der Brauch, daß

unsere 'Bundesgenossen1 [Glaubensgenossen], die unter uns wohnen,

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größten Teil russisch sprechen... gebe Gott, daß sich im Lande das Wissen ausbreite und alle eine Sprache, die deutsche [ = jiddische] sprechen). Es ist sehr charakteristisch, mit welcher, fast möchte man sagen, Überheblichkeit der 'deutsche' Jude seine Gedanken und Wünsche vorträgt, zumal wenn man bedenkt, daß doch er der Zugewanderte und die 'unter uns wohnenden' Juden die Einheimischen sind. Die längeren Ausführungen bei Harkavy und Rubstein ('Entstehung usw.' S. 71 ff.) vermitteln ein genaueres Bild auch über Einzelheiten aus dieser Zeit.

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in die damaligen Länder Reußens (das heutige Ostgalizien, Podolien, die Ukraine, Bukowina usw.). Ein wesentlicher Unterschied besteht aber zwischen dem Nordosten und dem Südosten. Während jener trotz der vielen polnisch-litauischen Unionen ein politisch und kulturell selbständiges, abgesondertes Gebiet blieb, wurde dieses immer stärker an das polnische Reich gebunden. Während also die nach Litauen und Nordreußen abgewanderten Juden vom Stammlande des Ostjiddischen, mit dem sie vielleicht auch gar nicht lange verbunden waren, getrennt wurden, konnten die anderen den Kontakt mit ihnen die ganze Periode hindurch und darüber hinaus aufrecht erhalten. Die räumliche Ausdehnung führt wie im Westen zur Differenzierung. Es entsteht eine Anzahl jiddischer (ostjiddischer) Mundarten und Mundartkomplexe, deren Abweichungen voneinander naturgemäß von ihren wechselseitigen Beziehungen abhängen. Daß jene Mundarten des Nordostens also von denen Westpolens stärker abweichen werden, als diejenigen des Südostens, ist selbstverständlich zu erwarten. Im ganzen sind die Abweichungen, gemessen z. B. an den Unterschieden innerhalb der deutschen Mundarten, auch hier nicht groß. Doch sind sie immerhin größer und vor allen Dingen klarer ausgeprägt als im Westjiddischen. Auch im Osten wirkt bei der Entstehimg der Mundarten noch ein äußeres Moment mit. Waren es beim West jiddischen die deutschen Mundarten, so sind es hier die verschiedenen slawischen Sprachen und Dialekte. Ihnen entnimmt das Ostjiddische in steigendem Maße Lehnwörter, von ihnen wird häufig seine Formenbildung und Syntax beeinflußt. Wenn aber hier das Polnische, dort das Ruthenische oder Weißrussische entscheidender eingreifen, so verleiht dies den einzelnen ostjiddischen Mundarten eben schon lokale Prägung. Überhaupt wird in dieser Periode das slawische Element im Ostjiddischen stark ausgebaut. Erstens ist jede lebende Sprache gezwungen, im Laufe der Zeit ihren Wortschatz zu erweitern, indem neue Begriffe, neue Bräuche und neue Erscheinungen einen Ausdruck verlangen, und zweitens verliert jeder von seinem Sprachstamm abgesprengte Sprachzweig mit der Zeit gewisse 53

Ausdrücke, weil sie in der neuen Umgebung nicht mehr oder selten gebraucht werden und läßt sich statt ihrer von der Umgebung andere aufdrängen. Zwar liegen die Dinge hier beim Jiddischen etwas komplizierter. Die 'deutschen' Ostjuden bleiben in einem gewissen Kontakt mit dem Deutschen, genauer genommen mit dem Westjiddischen, durch den Verkehr mit den in Deutschland zurückgebliebenen Westjuden. Ferner vermittelt das gedruckte Buch zwischen Ostjiddisch und Westjiddisch. Die großen jüdischen Druckereien liegen in dieser ganzen Zeit noch durchaus auf westjiddischem Gebiet. Die jiddische L i t e r a t u r wird also im allgemeinen in westjiddischer Sprache gedruckt und verbreitet. Selbst die wenigen ostjiddischen Druckereien stehen in gewissem Maße unter ihrem Einfluß. Dennoch entfernt sich die ostjiddische V o l k s s p r a c h e immer mehr vom Westjiddischen und vom Deutschen. Immer größer wird damit das Wirkungsfeld des Slawischen. So rücken in dieser Periode Ostjiddisch und Westjiddisch trotz der gegenseitigen Beziehungen noch mehr voneinander ab. Neben der Differenzierung innerhalb der beiden Zweige ist auch die Erweiterung der Kluft zwischen beiden ein Merkmal der Zeit. Dies kommt schon in der Verteilung der drei Hauptelemente des Jiddischen zum Ausdruck. Das deutsche Element bleibt zwar der Grundstock, aber es wird im Ostjiddischen im Vergleich zum Westjiddischen bedeutend geschwächt. Das slawische Element dringt zwar auch ins Westjiddische ein, aber nur tropfenweise, dagegen drängt es sich im Ostjiddischen stark in den Vordergrund, obgleich es auch hier bei weitem hinter dem Deutschen zurückbleibt. Im hebräischen Element — übrigens vereinzelt auch im deutschen — treten zumindest Unterschiede speziellerer Natur auf, indem oft durch die Trennung zwischen Ost- und West jiddisch hier und dort andere Wörter beziehungsweise Wortformen sich im Alltagsgebrauch festsetzen. Etwa um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts beginnt die letzte Periode in der Entwicklung des Jiddischen, die bis in die heutige Zeit hineinreicht. Mit ihr beginnt der Verfall des West54

jiddischen. Im achtzehnten Jahrhundert lockerten sich die Mauern der Gettos. Mit den stärkeren und freieren Beziehungen zur A u ßenwelt verband sich die Tendenz, mit ihrer Kultur und Bildung bekannt zu werden, hinter der die Juden seit langem zurückgeblieben waren. 1760—1762 treten die ersten Zeugnisse neuhochdeutscher Sprache (obgleich noch in hebräischer Schrift) auf, in den siebziger und achtziger Jahren wird der Gebrauch des Neuhochdeutschen namentlich zu literarischen Zwecken üblich. Zwar ließ sich das Jiddische aus dem Volksmund nicht so leicht wie aus der Literatur verdrängen, aber auch da ging es abwärts. Zunächst begann schon eine Auflösung von innen her. Je stärker die T e n denz zur allgemeinen Bildung wuchs, um so größer wurde die U n kenntnis des Hebräischen. Das hebräische Element verlor an Boden, es wich allmählich dem Neuhochdeutschen und blieb schließlich nur in wenigen Resten erhalten, die teilweise auch schon allgemein in den deutschen Mundarten, teilweise nur in bestimmten jüdischen Berufszweigen (z.B. Viehhändler usw.) im Gebrauch waren und dadurch vor dem Untergang bewahrt blieben. Auch das deutsche Element suchte man nach Möglichkeit dem Neuhochdeutschen anzugleichen. Die letzte Stufe war ein Neuhochdeutsch vermischt mit einigen hebräisch-jiddischen Überresten. Besonders im neunzehnten Jahrhundert machte diese Bewegung große Fortschritte; in der Großstadt früher als in der Kleinstadt, in der Stadt früher als auf dem Lande. In südwestdeutschen, auch westmitteldeutschen Gegenden (Baden, Hessen) konnte man noch Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein modernisiertes (auch nach der Heimatmundart ausgeglichenes) Westjiddisch vernehmen. Heute ist das Westjiddische so gut wie völlig ausgestorben. Einige Reste haben sich im Elsaß, in Ungarn, in der Slowakei und im Burgenland erhalten. Demgegenüber erlebte das Ostjiddische namentlich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts einen ungeheuren Aufschwung. Rein äußerlich dokumentiert sich dies in der räumlichen Ausdehnung seines Bereichs, innerlich in der Ausweitung seines Geltungsbereichs, in der Schaffung einer neuen Literatur und im Z u sammenhang damit in einer gewissen Verfeinerung der Sprache 55

selbst. Auch hier nämlich liegen die objektiven Bedingungen für das Ostjiddische wieder günstiger als für das Westjiddische. Nachdem sich im Osten das Jiddische durchgesetzt hatte, verbreitete es sich sehr rasch und sehr weit. Das Netz der jüdischen Siedlungen war hier dichter als im Westen. Die großen Massensiedlungen des Ostens sind zu dieser Zeit schon im Entstehen. So ist die Basis für das Jiddische hier bedeutend größer; die Wurzeln des Ostjiddischen sind breiter als die des Westjiddischen, Sie gehen aber auch tiefer. Das Ostjiddische sticht von seinem Hintergrund, der slawischen Landessprache, weit deutlicher ab als das Westjiddische, dessen enger Zusammenhang mit dem Neuhochdeutschen in jedem Augenblick den Sprechenden offensichtlich ist. Im Osten war daher das Bewußtsein, eine eigene S p r a c h e zu besitzen, viel stärker als im Westen, wo man eher glaubte, nur eine Abart des Neuhochdeutschen zu sprechen, die von allen Seiten als verderbt betrachtet und um derentwillen man oft verhöhnt wurde. Im Westen wirkte das Verhältnis von Neuhochdeutsch und Jiddisch hemmend in doppeltem Sinne: es beschränkte die Freiheit der Sprache in ihrer Entwicklung und die Freiheit der Sprechenden in ihrem Gebrauch. Im Osten war zweifellos das Verhältnis zum Deutschen ebenfalls bekannt, aber es bedrückte den Juden nicht wie im Westen, da das Deutsche dort nicht 'herrschte'. Das Ostjiddische konnte sich freier entfalten und ungehindert ausbreiten. Und noch in einem anderen Sinne wirkte sich dieses Verhältnis zum Neuhochdeutschen aus. Die Sphäre des Religiösen hat sich im Laufe des Mittelalters und der frühen Neuzeit bedeutend erweitert, indem sie all das in sich aufnahm, worin die Juden sich von den Nichtjuden unterschieden. Alles, was von der Umwelt verschieden war, war für die Juden eigentümlich, mithin also jüdisch, und was jüdisch war, war auch religiös, mußte durch einen religiösen Zaun geschützt werden. Dabei kam es naturgemäß ebenso auf das Wie an. In dem M a ß e , wie es verschieden war, war es eigentümlich, jüdisch, und je jüdischer es war, umso fester mußte der schützende Zaun der Religion sein. Das Jiddische wurde ebenfalls in die Sphäre des Religiösen einbezogen, aber weit hervorstechender war der 'religiöse Charakter' des Ostjiddi56

sehen als der des Westjiddischen, weit größeren Schutz konnte mithin die Religion dem Ostjiddischen als dem Westjiddischen gewähren. An diesen Tatsachen konnte auch der Kampf der Haskala (Aufklärung) nicht vorbeigehen. Die Maskilim (Aufklärer) bekämpften in ihrer Tendenz zur 'europäischen Bildung' alles, was sie an das Getto erinnerte, alles "Verderbte* und 'Verkrüppelte', darunter auch das Jiddische aufs schärfste. Nun war aber die Notwendigkeit, den eigenen Dialekt aufzugeben, leichter da, zu erweisen, wo ein Bewußtsein der Verderbtheit in einem gewissen Maße schon herrschte, wo die Verwurzelung im Volke nicht so tief, wo der Zaun der Religion nicht so hoch war, als dort, wo das Gegenteil der Fall war. Der Übergang von der eigenen zur Landessprache war eine viel geringere Übertretimg der religiösen Bindungen, wenn man nur diese oder jene Laut- oder Wortform aufzugeben brauchte, im ganzen aber auf dem gleichen Sprachboden stehen blieb, als dort, wo man völlig neuen Boden betreten mußte. Hierin liegt der eigentliche Grund für die so völlig verschiedenen Geschicke des Jiddischen im Osten und im Westen. Was den Aufklärern des Westens ziemlich leicht fiel, konnte den Maskilim des Ostens nicht gelingen. Die im Jahre 1881 einsetzende Pogrombewegung leitete eine neue Periode jüdischer Wanderungen ein. Millionen von Ostjuden — von 1881 bis 1914 sind rund 2,5 Millionen, hauptsächlich aus Rußland, Rumänien und Galizien ausgewandert — mußten sich nach neuen Wohnstätten in der Welt umsehen. Sie fanden sie in erster Reihe in den Vereinigten Staaten und anderen Staaten Amerikas (Kanada, Argentinien), ferner in Palästina, in Südafrika, zum Teil auch in anderen Ländern Asiens und Afrikas und schließlich auch in Westeuropa (England, Frankreich, Deutschland). Mit ihnen wanderte das Ostjiddische in seinen verschiedenen Schattierungen mit und dehnte sich so auf weiteste Teile der Welt aus — eine Ausdehnung, wie sie das Jiddische nie zuvor erreicht hatte. So schuf sich das Ostjiddische Kolonien. Sehr vielfarbig wurde das Kolonialjiddisch, aber auch uneinheitlich und blieb ohne charakteristische Prägimg, ein unorganisches Gemisch aus den ver57

schiedensten Mundarten des ostjiddischen Stammlandes. Hinzu kam als neuer Faktor die jeweilige Landessprache in den neuen Kolonialgebieten, die das unorganische Gebilde leicht übertünchte: in England, Südafrika, Nordamerika das Englische, in Argentinien das Spanische, in Brasilien das Portugiesische, in Frankreich und seinen Kolonien das Französische, in Palästina das neu lebendige Hebräisch usw. Das letzte verdient besonders hervorgehoben zu werden; denn es handelt sich hier um ein grundsätzlich neues Verhältnis zwischen Hebräisch und Jiddisch. Bisher stammten die hebräischen Lehnwörter lediglich aus dem alten S c h r i f t t u m , indem sie aus ihm fast künstlich ins Leben gerufen wurden; das hebräische Schrifttum stand der jiddischen Sprache, ihr gleichsam untergeordnet, in jedem Augenblick zur Verfügung. Nun ist das Jiddische, in ein hebräisches Sprachgebiet verpflanzt, einer hebräischen L a n d e s s p r a c h e untergeordnet, die ihr auf natürliche Weise Lehnwörter gewissermaßen aufzwingt. Auch rein äußerlich stechen sie von den früheren Lehnwörtern ab: sie behalten die Lautform und die Betonung des Hebräischen, ζ. Β. DU (gasos Sodawasser), ΟΤΊΒ (Plantage), ?r*rjr (Gemeindehaus), ηίττηοπ (Gewerkschaft), Tsn (Ausschuß), fi^n (Pionier). Im übrigen ist die Bedeutimg dieser hebräischen Lehnwörter für das Jiddische auch eine andere als ζ. B. die der Entlehnungen aus anderen Sprachen. Während diese unter allen Umständen lokal beschränkt bleiben, nur im Bereich der betreffenden Landessprache Geltung beanspruchen können, so ist es jenen dank der zentralen Stellung Palästinas im Leben des heutigen Judentums gelungen, zu fast allgemeiner Verbreitimg im Ostjiddischen, auch im ostjiddischen Stammgebiet, zu gelangen. Im übrigen sind so manche Lehnwörter dieser Art auch schon außerhalb Palästinas im Stammgebiet des Ostjiddischen selbst aufgekommen, indem durch das Streben zur Verwirklichung der zionistischen Ideale neue Probleme und Erscheinungen geschaffen und hebräisch benannt wurden. Auch die Erweiterung des slawischen Elements, und zwar im Stammland des Ostjiddischen, verdient besondere Erwähnung. Erst durch die Teilungen Polens, am Ausgang des achtzehnten 58

Jahrhunderts, kam der überwiegend größte Teil des ostjiddischen Sprachgebiets politisch zum Russischen Reich, mit dem bis dahin das Jiddische so gut wie gar keine Berührung gehabt hatte. Nun erst wurde das Großrussische für den Großteil des Ostjiddischen Landessprache und beschenkte es im Laufe von über hundert Jahren mit einer großen Zahl von Lehnwörtern. Bisher hatte das Jiddische slawische Einflüsse ausschließlich aus dem polnischen, ruthenischen und weißrussischen Sprachbereich empfangen, die zwar zum größeren Teil jeweils auf einzelne Mundartgebiete beschränkt blieben, von denen aber doch immerhin ein Teil auch gemeinjiddisch geworden ist. Die Gabe des Großrussischen ist demgegenüber lediglich Lokaleigentum der einzelnen Mundarten, d. h. desjenigen jiddischen Mundartgebietes, das im Sprachbereich des Großrussischen lag. Überhaupt bleiben die großrussischen Einflüsse mehr an der Oberfläche haften, dringen nicht so tief in den Kern des Jiddischen ein und erlangen nicht die zentrale Bedeutimg der anderen slawischen Bestandteile. Ihrem Charakter nach entsprechen sie eher den Einflüssen der Landessprachen auf die Kolonialmundarten. In jüngster Zeit sehen wir das Großrussische tatsächlich auch in dieser Rolle wirken. Durch die Ansiedlung von Juden außerhalb des geschichtlichen Ansiedlungsrayons ist nämlich das Jiddische aus dem Stammgebiet weiter nach Osten (Zentralrußland, Ostukraine, Krim) getragen worden und hat da eine ähnliche Mischimg ergeben, wie sonst in den Kolonialgebieten. Nur die Tatsache, daß dieses Kolonialgebiet sich direkt an das Stammland anschließt, es gleichsam fortsetzt, verleiht ihm eine etwas andere Stellung gegenüber dem Stammjiddisch als den anderen kolonialen Landessprachen. Die lautliche Gestalt des heutigen Jiddisch ist bereits Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, zu Beginn seiner letzten Epoche, fertig; auch der formal-syntaktische Charakter ändert sich jetzt im wesentlichen nicht mehr. Eine ungemein große Bereicherung erfahrt aber der Wortschatz, indem die Sprache den neuen Bedürfnissen der Technik und neuzeitlichen Zivilisation überhaupt, der modernen Literatur und Presse angepaßt wird. Der Zweck wird erreicht durch die Aufnahme einer ganzen Anzahl neuer Entleh59

nungen und Fremdwörter aus dem Slawischen und mehr noch aus dem Neuhochdeutschen, aber auch durch eine innere Erweiterung des Wortschatzes, durch Zusammensetzungen und Ableitungen von altem Sprachgut. Die Neuentlehnungen und Fremdwörterfallen sogleich rein äußerlich auf, da sie von dem eigentümlichen jiddischen Lautwandel, nach dessen Abschluß sie erst aufgenommen wurden, unberührt geblieben sind. Wörter wie kanäl, romän, zaitung,jugnt (Jugend) und andereverraten uns schon durch die rein erhaltenen a, aiy u, daß sie erst in neuer Zeit, als lautliche Veränderungen nicht mehr stattfanden, im Jiddischen aufgekommen sind. Die Zusammensetzungen und Ableitungen mit Hilfe der alten Sprachelemente — z. B. tugbich (Tagebuch), choideschbleter (Monatsblätter), aränftr (Einführung), zenoifschtel (Zusammenstellung) und andere — sind naturgemäß lautlich nicht zu erkennen; nur sachliche Gründe bringen uns auf ihre Spur. Diese Neubildungen sind es, die zugleich zur Vervollkommnung der jiddischen W o r t b i l d u n g , zur lebendigen Entfaltung und daher zur Bereicherung der Bildungsmöglichkeiten beigetragen haben. In letzter Zeit macht sich ein gewisses puristisches Bestreben bemerkbar. Es richtet sich freilich nicht so sehr gegen die Fremdwörter, als vielmehr gegen die Neubildungen und Neuentlehnungen, und geht dahin, das Jiddische vor Schöpfungen zu schützen, welche plumpe Nachahmungen des Neuhochdeutschen sind und sich dem grammatischen Gefüge des Jiddischen nicht anpassen lassen. Mit der bis in die Neuzeit sich forterbenden und im Volke auch heute noch lange nicht zum Stillstand gebrachten Tradition, im Sprechen, vielmehr aber noch im Schreiben, zum Neuhochdeutschen als einer Norm emporzublicken, ist nun von literarischer Seite (cvon oben') endgültig gebrochen worden. An Stelle der bisherigen Auffassung, die im Nachahmen und Nachbilden des Neuhochdeutschen eine 'Verfeinerung' des Jiddischen sah, macht sich die neue, entgegengesetzte Auffassung geltend, die diesen Vorgang gleichsam als 'Vergröberung' des Jiddischen betrachtet. Diese Auffassung ist gewiß berechtigt, insofern sie zum Ausdruck bringt — und das von ihr begleitete puristische Bestreben es' be60

wirkt —j daß sich das Wesen des Jiddischen von dem des Neuhochdeutschen klar abzeichnet, daß überhaupt ein Wesen des Jiddischen klar erkannt wird.

4. Urjiddisch - Altjiddisch - Neujiddisch

Die ersten beiden Abschnitte behandelten die Zeit bis etwa zum vierzehnten Jahrhundert, als erste Etappe in der Geschichte des Jiddischen, die Etappe der Entwicklung zum Jiddischen. Sie ließ sich in drei Stufen gliedern, über die der Weg zum Einheitlichen und Spezifischen führte und von denen erst die letzte als j i d disch bezeichnet werden darf, als jiddisch zugleich im Sinne von u r j i d d i s c h ; auf ihr wurde das Ziel, eben jenes E i n h e i t l i c h e und S p e z i f i s c h e , erreicht. Der vorangehende Abschnitt behandelte die Zeit vom vierzehnten Jahrhundert an, als zweite Etappe in der Geschichte des Jiddischen, die Etappe der Entwicklung des Jiddischen. Auch sie ließ sich in drei Stufen gliedern; die u r j i d d i s c h e , die a l t j i d d i s c h e und die neujiddische. I h r Weg beginnt mit der Zersplitterung, führt vom E i n h e i t lichen weg, aber zur um so stärkeren Ausbildung des S p e z i fischen. Die erste Stufe der zweiten Etappe bildet nicht nur die unmittelbare Fortsetzung der letzten Stufe der ersten Etappe, sie bilden zusammen eine Einheit, wie schon der gemeinsame Name zeigt. Die T r e n n u n g ist nur durch den dazwischenliegenden Gipfel der Vereinheitlichung geschaffen, der in der ersten Hälfte mühsam erstiegen, in der zweiten verlassen wird. Die Vereinheitlichung schreitet zwar fort, aber in den verschiedenen Ausläufern gesondert, also uneinheitlich. Das V e r b i n d e n d e liegt in dem das ganze Gebiet umfassenden Prozeß, dem Werden des sprachlichen Urtypus, dem Herausarbeiten des Besonderen und Anbahnen der besonderen Entwicklung. Der sprachliche Urtypus ist erst als geschaffen anzusehen, nachdem er bereits den gesamten 'Gärungsstoff' (auch das slawische Element) und den Zersplitterungskeim in sich aufgenommen hat, er ist erst in den Ur61

typen vollendet. Das Urjiddische vollendet sich erst im U r o s t j i d d i s c h e n und U r w e s t j i d d i s c h e n . Auch hier stützt uns die Lautlehre. Verfolgen wir die Lautentwicklung vom heutigen Jiddisch aus zurück, so vermögen wir zwar in vielen Fällen zu einem einzigen, manchmal aber auch nur zu zwei verschiedenen Urlauten zu gelangen, die auf keinen gemeinsamen Nenner mehr zu bringen sind. Nehmen wir z. B. zum Ausgangspunkt der Betrachtung die verschiedenen Entsprechungen des hochdeutschen langen α: o3 δ, ü, u, ou, au, oi, so erhalten wir als Endergebnis den Urlaut δ, von dem alle abzuleiten sind; nehmen wir aber die Entsprechungen von mittelhochdeutsch ei und i in ihrem Verhältnis zueinander — ostjiddisch ei und ai beziehungsweise ai und ä, westjiddisch α und ai —, so müssen wir zwei Urlautpaare ansetzen: urostjiddisch e' und ai, urwestjiddisch (umgekehrt) ai und ei. So erfährt die Stufe des Urjiddischen eine räumliche und zeitliche Ausdehnung. Räumlich, indem sie auch den Osten (zumindest das Gebiet Kronpolens) einbezieht; zeitlich, indem sie bis ins sechzehnte Jahrhundert (bis zur Ausprägung des Urostjiddischen und Urwestjiddischen) reicht. Auch von einem anderen lautlichen Gesichtspunkt her läßt sich die zeitliche Ausdehnung der urjiddischen Stufe begründen. Wie sich auf der einen Seite feststellen ließ, daß etwa seit dem vierzehnten Jahrhundert gewisse Lautveränderungen ins Jiddische nicht mehr eindringen konnten - ein Beweis für den Beginn des Verselbständigungsprozesses, d.h. der ur jiddischen Periode — so läßt sich auf der anderen Seite feststellen, daß noch bis ins sechzehnte Jahrhundert wieder andere Lautveränderungen doch eindrangen, die in das Wesen des Jiddischen, in den werdenden Sprachtypus eingriffen — ein Beweis für die Unabgeschlossenheit des Verselbständigungsprozesses, d.h. der ur jiddischen Periode. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Urjiddischen und Altjiddischen liegt also in ihrem Verhältnis zum Deutschen. A u f der urjiddischen Stufe besteht ein Verhältnis unmittelbarer Beeinflussung des Sprach w e s en s, d e s Jiddischen als solchem durch die deutschen Mundarten, auf altjiddischer Stufe nur das einer 62

unwesent lichen beziehungsweise mittelbaren Beeinflussung des Jiddischen. Die altjiddische Entwicklung des Jiddischen erfolgt zwar durch Entfaltung der in urjiddischer Zeit angesammelten sprachlichen Kräfte, was gleichbedeutend ist mit einer Entfaltung d e u t s c h m u n d a r t l i c h e r Kräfte, aber sie erfolgt von innen her, durch freie, eigene Verarbeitung dieser Kräfte, als mittelbare Fortsetzung der deutschen Mundarten. Ein unmittelbarer Einfluß des Deutschen auf das Jiddisch dieser Zeit ist zwar ebenfalls vorhanden, aber er trifft nicht mehr das Wesen der Sprache. Wo er auch wesentlich ist, trifft er nicht mehr das Jiddische, sondern nur kleine Zweige desselben (z.B. bestimmte westjiddische Mundarten). Nehmen wir diese Entwicklung als das eine Merkmal des Altjiddischen, die räumliche Ausbreitung als das andere und die munartliche Verzweigung als das dritte, so wird uns auch die zeitliche Grenze der alt jiddischen Periode mit etwa der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gegeben. Denn um diese Zeit ist der heutige Sprachstamm (namentlich in lautlicher Hinsicht) im wesentlichen abgeschlossen, sind auch schon sämtliche Mundarttypen ausgeprägt und bereits die räumlichen Grenzen des jiddischen Stammgebiets festgelegt. Demgegenüber besteht die sehr starke Ausdehnung des Neujiddischen nur im Schaffen eines Kolonialgebietes. Neue Mundarten im eigentlichen Sinne entstehen nicht mehr, nur Kolonialmundarten in Form von Mundartmischungen. Dieses Aufblühen auf der einen Seite und der Untergang eines Teiles auf der anderen sind wieder Folgen der besonderen Umstände in neujiddischer Zeit. Eine Entwicklung der Sprache im Sinne einer Wesensveränderung findet nicht mehr statt; nur eine Veränderung des Sprachumfanges und des Sprachgewandes im Sinne eines inneren Ausbaus und einer Verfeinerung der Sprache vollzieht sich noch. Unzählige Lehnwörter und Neuschöpfungen tauchen auf oder verschwinden, zahlreiche Wendungen und Bildungsmöglichkeiten werden belebt oder abgeschafft — so erweitert sich der Wortschatz der Sprache, die feiner wird und jene eigentümliche Färbung erlangt, die uns heute als jiddisch anmutet. Deswegen wird 63

man auf den ersten Blick oft geneigt sein, erst diese Sprachstufe als jiddisch anzusehen, aber bei genauerer Betrachtung sieht man freilich den organischen Zusammenhang zwischen ihr und den beiden älteren Stufen. Solange wir uns mit sprachlich-lautlichen und historisch-soziologischen Erwägungen begnügen, stehen die mitgeteilten Ergebnisse fest. Die Schwierigkeiten tauchen erst auf, wenn wir wieder versuchen, aus den zeitgenössischen Schriften Belege für die einzelnen Sprachstufen zu erbringen. Welcher Art die Schwierigkeiten sind, ist oben bereits auseinandergesetzt worden. Wenn auch die dort zuerst genannte Schwierigkeit fortfällt, da wir Zeugnisse aus allen drei Zeitabschnitten seit dem vierzehnten Jahrhundert besitzen, so bleiben doch die anderen Schwierigkeiten im großen Ganzen bestehen. Vor allem finden wir auch hier immer wieder die Gewohnheit, nach einer bestimmten Norm zu schreiben, die bald von der Überlieferung, bald vom Deutschen vorgeschrieben wird. Die hier angeführten Beispiele werden es deutlich zeigen und uns deshalb zur Vorsicht mahnen. Ein Moment ist da nämlich von ausschlaggebender Bedeutung: wie weit sich die Lautveränderungen erkennen lassen. Denn sie sind es, die am deutlichsten Bewegung und Fortschritt der einzelnen Stufen kennzeichnen und uns zur Scheidung von Urjiddisch, Altjiddisch und Neujiddisch veranlassen. Und gerade sie werden durch die normierte Schreibung am stärksten unterdrückt. N u r allzu deutlich merken wir sehr oft, daß die geschriebenen Laute nicht zugleich auch die gesprochenen gewesen sein können. Berücksichtigen wir noch die nivellierende Wirkung des Druckes — Schriften einer bestimmten Mundart werden in einem Gebiet völlig anderer Mundart gedruckt und durch die Verbreitung gedruckter Werke weiter die Bildung der Schreibungsnorm gefördert — so wird völlig klar, in welch geringem Maße uns die Schriften als Belege für die bisherigen Ausführungen dienen können. Hinsichtlich des Urjiddischen sei nochmals auf die S. 44ff. angeführten Stücke verwiesen. Hier folgen einige aus altjiddischer und neujiddischer Zeit. Deutlich ist der Fortschritt gegenüber dem Urjiddischen in 64

I. Anfang aus den Memoiren der Glückel von Hameln (1645—1719) — altwestjiddisch; aus der Ausgabe von Kaufmann, S. 1. Kol ma scheboro h. k. b. h. lo boro elo lichviodo Τ Γ Ε Ε Λ 16» troth mpn M A » NN te vl·* trai m mpBi im i w « . . . [Alles was Gott erschaffen, schuf er nur um seiner Herrlichkeit willen]... mir wissen, daf TRANRΤΟΠ Y>O"R Μ I « M ' J I R TTTORA &F>x w j t« om m mpnn η hamokom b.h. uw. sch. [Gott gelobt sei er] ales beschafen un' getön mit eitel [bloßen] chessed V B KIT * I W I W N T A U , C F J E W A ttmrachamim [Gnade und Barmherzigkeit] ki T W I S E ^ V X Ü P K P & R V J WCI IP^LLT cremt τοπ tn B ^ K DWI ' J I R Ί Ρ Π Ι hamokom b.h.1 hot nit nStig aines vun lein bepwjw vxnvt vrx m nn peRra schefhis [Geschöpf] ober daß h.sch.j. [der Ewige gelobt sei er] fo vil erlei hot beschafen, jKTi wbx im ,oöip> ρου is «Λκ vb* pwsn tww tanp er»« PBKBTO ift ales zu feiner große 6r [Ehre] un' hot ales mit chessed w*rachamim beschafen, dales uns C3 DIW pPJPB fo jm .pscu is findige menschen ales zu nutz kumt dan ,p»p ppstntra MIR pc-un [denn] ales was beschafen ift kumt uns menΒΚΠ D M O D ' J rrs τπ ΚΗΙ vrtu schen ales zu nutzen, daf mir menschen schoρ κ W S W M Τ«Κ 'ΤΙΚ U Ü Ρ » « i s Π Η Ϊ Ι net [schon] nit begreifen oder betrachten keBTO13Π ,PTYCNPBIW3BR RPCE>P K nen [können], ales wie Dowid Hamelech 0. h. K»Vvt*nn i n T»mp ncn » r t a om D P R •» ,tfm M ps pmi is [König David seligen Angedenkens] gefragt prefer am rm prom w j i^b» hot, wor zu [wozu] ein nar un' ein wesp un' ein spin ift beschafen worden, den ihm hot 'I« faip ftru is pw 'Vvpm Μ gedacht waf kumen di dreierlei zu nutz in der Τ Ί Λ Κ Π Ί Ϊ "IRD I S D K ] ΙΥΡΠ P T BFPR weit, ober er ift entlich gewör worden, daf "WTl ,ΟΡΚ pTBPD trsVo *oo PR 11 ihm felbert ale dreierlei fenen [sind] zu nutz wmi οπβν pR ]Kp Vfl pili'Tl kumen un' ihm sein chajus [Leben], Got zu . . . PR«V vor, erhalten, als wi in ssefer melochim [Buch der Könige] beschriben ift, wer wissen wil kon in essrim warba [der Heiligen Schrift] laien... >

,

II ist ein ostjiddisches Gegenstück aus frühaltjiddischer Zeit (etwas freier gegenüber dem Deutschen, slawische Bestandteile) — aus einem Responsum des V'snrm vom Jahre 1572 (gedruckt Lublin 1599); entnommen den 'Historischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. 1, S. 142. "llUR PB pWT EPp^K "1 'UK pIRI '1 R.%Ruwen un*R.Eljokim hobn mit anander gepirn "ι is trp'fe Ί Β Κ Ι Ι Π drtim spilt, do hot R.Eljokim zu R.Ruvien gesteh •i em m fpmi pVn -π» tfmxri ander halbn groschen, do hot R.Ruwen di an... prwrra p w u pVn ΎΤΜ η pwi der halbn groschen gewunen... der noch hot vo η eaw rtj pirn cm -jtu η R.Ruwen gelt ous der tasch genumen un' hot geret [gesprochen] »zeil dirs ob«, do hot R.ElM 3 R I N N V>X TO E M 'TIR P I W UN JIR ito is pfTJ 1« TRP'fe "i cm jokim on gehoben zu zeilen un' hot weiter nit vm om 'jiR i^n ofeTM D»I itwi gewolt Zeilen un* hot dos gelt wider zu im •ι om m . p w i D»R is i m ofes gestoßen. Do hot R.Eljokim geret »du bist ein nodler«, do hot R.Ruwen geret zu Leb dem m iVna 1"R n n R T I D T M TRP^W piR pn Dsn 3'V is on'j pun η om chafen [Kantor] un' zu Herzken atem edim 1 [denn Gott, er sei gepriesen] « R. = Reb [Herr]

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"ι οκπ χι .CTO on« ipnsn is

[ihr seid Zeugen]. Do hot R.Eljokim der noch

dsn -[tu ρ ιη1 pr }ετ»ττά -]iü η geheißen fein jung gen [gehen] noch dem ... njtnti tan Vnaan 'ϊιχ mv schames [Synagogendiener] un' hamawdil [er sei deutlich geschieden] noch dem wofne [Gerichtsdiener] . . . I I I und IV sind zwei ostjiddische Stücke, die, im Westen gedruckt, westjiddischen Einschlag haben. III. Aus den Responsen des Meir Katz Aschkenafi, 1670 — Ostjiddisch (Nordosten) — gedruckt Dessau 1697; entnommen den 'Historischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. 1, S. 149. rara -px ρ xjYix-ατη Tnrrn ρ -pN Ich bin gewefen 2>«Dubrawna bin ich b'schavh -rm ipvr pn pip Vi® i n pin bos [am Sabbat] ouf der schul kumen if haΒΧΠ pffiwj fns ρκ m> mi-uron» jokor [der geehrte] h.r.R.Leb wi'Dubrawna va is Ύ'-ϊι ΒΝΠ 'ramm ΡΧΊΊ mit ein poriz [Herr, Fürst] gestanden, hot Ilten mm isn ,'ans Bism ]3»nsip; wos geschmuest [geredet], hot h.r.R.Leb zu piroiM ΒΧΠ ρ im« e m m w m mir gesprochen »hert [hört] zu Rabbi der schaκη »mi ι wVsr -annx tns axt p-enV mes »iiMohelwe [aus Mohilew] if b. a. w. h. "ITT ΒΚΠ . . . DOHM ÜWW1 WIK *WB [wegen unserer vielen Sünden] gewis awek [weg].« Hot Lei gesprochen Uha-poriz [zu dem pswm'V'Küj? :]wihm fns ρ piKEM ρ -pX .pXB IS W ρ.] »fog vor unfer eisten [Ältesten, Vorsteher] pJM DN ' ΒΧΠ p JUVIA TYP pX ΒΚΠ wos du vor uns host gefogt«... hot der poriz gesprochen: ken [nach] Katowe if es un f iIis 'τ,τ . . . Dna ρ^κ ituis is σ^ηκ-βο px ρχω pn τγχ^πχ» cher zu förn. Ich bin alein gefören, man hot χι ρχτΰ βατια τ» ρκ jo^rfr -in1? ein j'hudi geharget man hot im gefunden un... ]Ίχω ρκ pn is χΛτιη tpti ter einen boum... Ein jehudi vun Mohilow if geförn in sprawes [Angelegenheiten] zu R.Lefer /«Wilna if er gthargtt [getötet] geworen do er wider mi Wilna zu ruk if geförn... IV. Aus den Responsen sravr ns (Anfang des siebzehntenJahrhunderts) — Altostjiddisch (Königreich Polen) — gedruckt Amsterdam 1 7 1 5 ; entnommen den 'Historischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. 1 , S. 158.

αχιϊπ Vsx paxbepa ρ -ρκ

Ich bin gestanden ezel [bei] haWog 1 , fenen Β"Π 'ypJP 1Ö5toTtr^hw pJXW'A [sind] gestanden etliche jehudim, k'mar [Herr] mm ΉΙΧ tr^Ax1 Tb inn spi> laai Ja'akele chajot [Schneider] uk'mar Josef chas1'Vfi 01ΊΑ PIN ΓΡΙΑ pX ΒΊ3 TTAK san [Schwiegersohn des] Leb Jantels und fünft isni 'TIT px 11ÜAKPA ΪΤΊΑ ϋΝΠ 1TN andre leit mit ein goje [Nichtjüdin] ouf Groß PX "|XJ ΒΑΠΕΛΑ ΒΧΠ TWWA Ί'Κ Polen, afo hot di goje gefogt wi tin jehudi waer -pr βκπ . . . yasba p*B bei ir gewefen hotgefrägt noch ein poriz ScdestJNTT TV ΠΐΒΖΉ Π»! f-cn DP BA'-lpy ki... hot er fich feier [sehr] gekrigt [gestritten] p a n 3N ton B'J τη iwram BANPA im [mit] haporiz machmas maschkonos [wegen is i'ANyo lVxn UK ηη -px Mri Pfänder] er hot gefogt »werstu mich nit

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1

Name eines Flusses.

im en is i« IST tnw oaKpite •ο t»Vwi «η τ» Βοκη .urvaVwp its takV? IB "J1U ibdWi βίτΛ» βκπ -|Κ... ptyiu pjrm n w i n ra ι ιτιό ρκ en *m> i n x*ii D m xv ca iron ρκ tarn T'BT .1« WPBR ρ » ρκ IIS

recht ab richten [mein Recht geben] wel ich dich afo bald beklagen zu Peterkows«, hobt [hob] der pariζ an zu im »di [du] schalbirst [schwindelst], host mir di helft ver schalbirt wilstu mich noch ver klagen« afo if der j'hudi awek geriten... ach [auch] hot fi gefogt wi der jekudi hat ein lafur jopen [lazurfarbene Joppe] an gehot in [und] ein hemd mit kreiflech [Krause] ouf geneit [genäht] in [und] ein weiße opentsche [Mantel, Überrock] an.

V. Ein Gedicht 'über die Handwerksleute' aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts — Neuwestjiddisch; entnommen den 'Philologischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. i , S.43. ppisii 13ΝΠ an ps pyr -pN Vni -j·»« .vb . t w j pu ρτ τ mi .SIB un ir>s tii'K isbow i n .81» ]trü )«K "]KÖ l'N BARI1»

Ich wil eich fingen vun di hand werks leit,

wi fi fein [sind] ganz gescheit; der schuster ift einer der vu [davon], er fogt ich mach ein guten schu, .inr n w i p s ρκη -ρκ Wi η'κ ich wil eich machen ein winersch föl [Sohle], .Vti ϊ>ορ>»Β υπ d'r Ii« V"ii isn der weil mag im der teiksel [Teufel] hol. 1«B pau I'IN 113 i"r ismw i n Di Schneider fein mir ouch ganz fein ρκ i w n ι>κ tM -|it) π τακτ ir>τ fi fogen daf tuch get in wasser ein p i - w pr mn iv Wi weil er hot fein scher ganz lib di scher if fein ver koufter dib an ΐϋΒ^ρ iB 1"? ra w m Wi p? -]tu on? pr i n is?b> m di scher di is im noch fein wil [Willen] : V>n psn 1ν nm iBjnn T":b> irr f i schneid herunter wof er hoben wil.

VI. Aus der Übergangszeit vom Altjiddischen zum Neujiddischen — westjiddisch, ein wenig neuhochdeutsch untermischt; eine bühnentechnische Vorbemerkung zu einem Purimspiel — nach 'Philologische Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. 2, Sp. 430. t»sn birr ιηνηκρ mn isni nniöV mru ρτ bm irr ,ΐτβηι ΊΦΐΈ tmVb in» int ,svxrb tötui •p»m :pnsni pirataiaN piViim R«n ρκ m pum π»ό p« im ρκ ρτ na on υ π i's. Jis ηικ pso jprrixp K*ms ts'H Ais tps iotta ITS m η'ΐχ ρκ ]»t tib ps» TOI ρκ ITH bxsp Tai ;im int naVa υπ .rrna im wn ι έ m «yw ίκββλι « j m na m®

Wen dife komedie fol recht gespilt werden, daß fi fol fein nechmod Umare w^nechmod lischmoa [reizvoll zu sehen und zu hören], fo mufen folgende punkten wol in obacht genomen werden: rischon [erstens] muf ein birno [Bühne] gemacht werden mit ein drei fachen ouf zug. In der mit [Mitte] muf fein ein groußer ouf zug mit zwei kardinen; uwejad jomin [und rechts] muf fein ein kleiner ouf zug vor der malko [Königin] ir cheder [Zimmer] ; uwejad smol [und links] wider ein klei-

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twn , ρ η «put p V w το pit fnyn 'Tat fMWi ηηκ pram prnsj? un 'Tat op-ire p u pep punra un d'j η» 'Mt pm tVi ρ»κ η-υπ ηϊ"ρ> «n -oVsm -an ρ>ΐ>κ t o t ,pm •ρτο V38 *tuk i n ;b*j Αίπιό p»« bot f Vw -on ra per oprr® m?Vx isrr ro »in ppnsn is .csny i*k .pijvn pVits ois ppn

ner ouf zug vor das ckeder Mordechai. schenis [zweitens] muf di ganze histori gezeiget werden in vier Stilen ouf zigen, daß di kardinen werden ouf gezogen un' di personen stto ganz verzukt un' keiner darf ein glid riren un' äch nit reden, funder alein der meliz, welcher di ein ladung tut; di andere aber mufen alio verzukt stfin bif der meliz [Fürsprech] hot ouf geret. Zu merken daß keiner muf [darf] den ruken zum volk wenden.

V I I . Ein vollständig verwässertes Westjiddisch spiegelt der folgende Ausschnitt eines Briefes aus dem Jahre 1802; nach den "Historischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts', Bd. 1, Sp. 360. !ρΛ um pitr κι jjrasr® v i s imi i n ·ρκ V*>n arm im «TT sn t u m jnnamspn iw: ρ1» props V is oawa '«a ίΤΪΉ TS ΑΉΧΓΙΊΒΚ] TO VS ,ΟΕ^Ίtt

Liber fohn Chajim leben! Weil ich difen guten freind treffe, fo rekomandire dir nur, daß du difen chodesch1 Mai bestirnt zu laxiren ein nömen folst, es scheint mir notwendig zu deine gefundheit. Ibrigen mein kind bite ich dich fihre dich hipsch " V T * vn v p p « 'p-o'K .ϋτπτιη ordentlich und reinlich in reinen Meldun•p^m -uut T^cam* e*«t · ρ rvre gen . . . Mit kinftige post schreibe einen guten runauy wo .. ρϊ"-ι pit um 1« tpa ]tm pi"« bokb brif an deine muter, ibrigen fei hipsch munter und gesezt aber fitsam . . . An meinen "UlK TBTO BWTI Κ"! ,1tffl5 wehrten freind monsier Jizchok mein komluvam f M ι » . . . Bitran-oitBsyn pliment. Verzeien fi daß ich var meine abreife .DawVmxp> pw prrr Tjmuitn ιτ^β ffP^QK WJ 1KB T« vn 1W ΙΙΤΤΓβihnen nicht befuchte, den ich wahr wegen lism Ύ1ΚΤ1 τ»ρπ S,TOITW üMpirot einigen Verdruß den ich mit den üben R.Jaakow hatte fo malkontant [unzufrieden], daß "1 ρπ βή ·ρκ ρπ om-B iri»R ich an meine Schuldigkeit vergaß. -ρκ tri ,WKtasfrt>K» κτ roosn

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V I I I . Selbst im Osten war im neunzehnten Jahrhundert ein solches 'Deutsch', wie es von Juden auch in Deutschland kaum besser hätte geschrieben werden können, zuweilen an Stelle der neuostjiddischen Volkssprache getreten. Daß es sich hier nur um eine Schriftsprache handelt, ist offensichtlich. Nur wenige Jiddischismen hat sie mitunter aufzuweisen. Hier ein Stück aus einem Regierungsflugblatt vom Jahre 1853 — nach 'Historische Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts", Bd. 1, Sp. 732.

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In betref der jehudim. 1) Es ift der jüdischen einwohnern im kenigreiche verboten Uhalbisch malbüsche jehüdis [jüdische Trachten anzulegen]. 1

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2) Von diTem verbot sind nur befreiet di rabönim [Rabbiner] und more horüos [als Rabbiner fungierende], welche laut hechster bewiligung, ift di erlaubnis ertheilt worden, di alte jidische kleidung zu tragen, fo lange f i di gedachte religionspflichten erfiUen werden, btafhöro [mit der Warnung] doß di jenigen von ihnen, welche werden aufheren dife pflichten zu Allen, verliren f i dos recht jidische kleider zu trögen.

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IX. Zum Schluß eine Probe aus einem modernen ostjiddischen Roman von Scholem Alechem, betitelt 'Blonsende Stern [Irrende Sterne]', die das reine Neuostjiddisch zeigt; die lautlichen Veränderungen, welche in den früheren Stücken (wie bereits erklärt) nicht zum Vorschein kommen konnten, sind hier bei der Wiedergabe in lateinischen Lettern berücksichtigt, wobei aber auch gleichzeitig die Eigentümlichkeiten der Orthographie gewahrt bleiben. PK OKI — Vreawn tmrtii^ -an -um ,KIWI isra . w w n w pn κ

Der Londoner Whitechapel — dus if a min [Art] Berditschew oder Wilna, oder Brod, oder ρκ ,pawns « η Λ κ ,TRT3 ale dräi zifamen, in efscher [vielleicht] gur BJRV® γ>χν Ρ Κ .Q^VEM·» -IRA TOBR Jerischulaim. In ergiz [nirgends] schlugt nit . Β Ϊ Κ Τ M JPSRI W N > U N ητκ B ' J afoi der jidischer doifek [Puls], wi dort. In *ITR t p κ B'3 η ν D V p s p r o ρ κ ergiz fihlt fech nit a jid afoi heimisch, wi dort. Ρ Κ P M M Y I R ORT . B I R T M Dus ousfehen if infer ousfehen, dus lüschn •wjw ρκ pirt> ORT .isrwro*iK rorriR [Sprache] if infer lüschn. Dus loifen, dus juOST ,ΤΜίΡ ΟΚΤ ,]K)*Ä> ORT ,ρΐΛ gen, dus schräien, dus machen mit di hend, — alsding [all das] wi ba inf. Afili [sogar] der — ,TJWI N BW I»5RA ORT , ] » ^ ® handel, diparnässes [Erwerbszweige] - difelbe. JVSTJRNUMYSR .TJ««A»N ,ΙΤΚΛΚ Dus heißt, ich wil fugen, af di jiden hoben •ρκ ,BO"IT ORT .ratomr - more n dort kan schirrt [gar kein] näies nit ofgetün. I T B T R T P A G N P N V N JR ,I»ART V M Sei l^ben dort einer fin'm [vom] andern, inrb "r im raw DIP räßen einer bam andern fin di hend, - wus •»r'RiTO^-ijpsnjR D'nBirr"( steht im W e s t m i t t e l j i d d i s c h e n ai, im O s t m i t t e l j i d d i s c h e n ei beziehungsweise äi, z.B. flaisch - fleisch— fläisch, gain — geitt — gäin (gehen);

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hinter k und g steht im Westmitteljiddischen ein völlig palatalisiertes l, wogegen im Ostmitteljiddischen das / unverändert bleibt, z. B. kljain — klein, gljäch -gläch (gleich), jinglj -jingl (Junge); vor r lautet das kurze u im Westmitteljiddischen immer zu o, im Ostmitteljiddischen in sehr vielen (nämlich in den sekundären) Fällen zu e um, z. B. dor^ch — derech (durch), korζ — kerz (kurz).

Die Grenze zwischen dem Westmitteljiddischen und dem Ostmitteljiddischen zweigt auf dem Boden Wolhyniens unweit der sowjetrussischen Grenze von der M/O-Linie ab, läßt also den östlichsten Teil des wolhynischen «-Gebiets bereits auf ostmitteljiddischer Seite liegen, deckt sich dann im wesentlichen mit der politischen Grenze zwischen Ostgalizien (Polen) und der Ukraine (Rußland), von der sie schließlich abspringt, um den südöstlichsten Rand Ostgaliziens, ungefähr von einer über Horodenka—Kolomea zu ziehenden Linie nach Süden und Südosten, als Übergangszone vom eigentlichen af-Gebiet abzutrennen und über einen kleinen Ostrand der Tschechoslowakei hinweg dann ungefähr die Bukowina, Moldau und Walachei von Siebenbürgen abzusondern. Es ist, wenn wir von den notwendigen schmalen Grenzstreifen absehen, wieder eine politische Grenzlinie. Von der heutigen Situation aus gesehen, liegt westlich derselben Polen (einschließlich Karpathorußlands), östlich Rußland und Rumänien. Und dieser Zustand ist nicht ganz so jung, wie er scheint. Nicht erst durch die Teilungen Polens (Ende des achtzehnten Jahrhunderts) wurde das Ruthenentum in zwei Hälften zerschnitten, von denen die westliche der polnischen Einflußsphäre unterworfen war, während die östliche stärker im Russentum verwurzelt blieb. Die Spaltung bestand schon viel früher, zur Zeit des polnischen Reiches, das die Westukraine schon längst unterjocht und einverleibt hatte, über die Ostukraine aber nie Herr werden konnte. Auch die Bukowina lag schon am äußersten Rand der Polenmacht, obwohl sie eine Zeitlang mit Polen und später mit Galizien zusammenhing. Betrachten wir die Grenze von der Sprach- und Kulturgeschichte her, so ergibt sich ein durchaus paralleles Bild: westlich derselben westslawisches Sprach- und Kulturgebiet (einschließlich des davon beeinflußten Ruthenenraums und oben besprochenen ioo

'Unterlands'), östlich das rein erhaltene Ostslawentum beziehungsweise die, wieder andersartige, rumänische Mischkultur. So weit die allgemeine politische, kulturelle und verkehrspolitische Situation, in die aber auch das Judentum hineingestellt war. Wieder war die Verkehrsgemeinschaft an einer Stelle unterbrochen, wenn auch bei weitem nicht in so einschneidendem Maße, wie etwa zwischen Polen und Litauen; es gibt, wie ohne weiteres einleuchtet, Verkehrsgrenzen und Verkehrsgemeinschaften von verschiedener Stärke. Die Verbindung zwischen den westlichen Ländern des Mitteljiddischen war also stärker und mannigfacher als die mit dem weiteren Osten. Vorgänge im Westen konnten zwar auch nach dem Osten übergreifen, aber ebensogut auf den Westen allein beschränkt bleiben, je nach der Intensität und Stoßkraft der betreffenden Vorgänge. Aber auch nicht das ganze W e s t m i t t e l j i d d i s c h gehörte gleich eng zusammen. Auch hier war der Westen (Westgalizien und Kongreßpolen) sprachlich und kulturell einheitlicher als das Ganze. Der Westen war eben polnisch, der Osten (Ostgalizien, Karpathorußland) westruthenisch beziehungsweise polnisch-ruthenisch. Kurz, auch das Westmitteljiddische differenzierte sich noch weiter, wobei die Differenzierung hier wieder um einen Grad schwächer war. Es entstanden das W e s t m i t t e l j i d d i s c h e im e n g e r e n S i n n e (das S t r e n g - W e s t m i t t e l j i d d i s c h e ) oder die polnisch-westgalizische Gruppe, die Kongreßpolen (einschließlich des westlichen Wolhyniens) und Westgalizien umfaßt, auf der einen Seite, und das Ü b e r g a n g s - W e s t m i t t e l j i d dische oder die ostgalizische Gruppe, die Ostgalizien (mit Einschluß des mittleren Südens von Wolhynien) und Karpathorußland mit den angrenzenden O-Slowakei, NO-Ungarn und Siebenbürgen umfaßt. Die Grenze biegt ungefähr nördlich von Kowel von der zi/o-Linie ab, verläuft in südwestlicher Richtung westlich an Orten wie Beiz, Rawa Ruska vorbei und führt über Przemysl, Sanok zur tschechischen Grenze. Die zweite Gruppe kennzeichnet sich als Übergangsmundart, indem sie einen Teil der Merkmale, die das Ostmitteljiddische vom Westmitteljiddischen trennen, besitzt, sei es wie das OstmitteljidIOI

dische allein, sei es neben den entsprechenden westmitteljiddischen Eigentümlichkeiten. Es sind das vor allem die Formen ez, enker, enk (im Westen) gegenüber tr (ihr), äier (euer), ach (im Osten und Ostmitteljiddischen); fernerjach (ich) beziehungsweise/ec/i (im Westen) gegenüber ech (im Osten); ü für mittelhochdeutsch d meist auch vor Lippen- und Kehllauten ungekürzt (Westen) gegen u (gesamter Osten); als Beispiel für alle drei: ez gait alain zin enker rüw, jach gai zi mänem (geht ihr allein zu eurem Rabbiner, ich gehe zu meinem - Westen) - tr gait alain zin äier ruw, ech gai zi mänem (Ostgalizien) - tr geit alein zin äier ruw, ech get zi mänem (Ostmitteljiddisch); neben ο aus u vor r, auch e in Ostgalizien, also derech neben dor'ch; im Westen werden ruthenische Lehnwörter oft durch polnische ersetzt.

Die Differenzierung geht sogar noch weiter. Im Westen selbst weicht das westgalizische Jiddisch in manchen Einzelheiten vom polnischen Jiddisch ab und nähert sich damit andererseits wieder dem ostgalizischen Jiddisch. Die Schlagung Polens zu Rußland und Galiziens zu Österreich gab den Anlaß dazu. Von der Flut großrussischer Lehnwörter, die das polnische Jiddisch überrannte, von manchen syntaktischen oder auch rein phonetischen Eigentümlichkeiten, die Kongreßpolen dem Russischen zu verdanken hat, und schließlich auch von einigen nordostjiddischen Formen, die in der gleichen Zeit den Weg nach Kongreßpolen gefunden haben, blieb Westgalizien ebenso verschont wie Ostgalizien. Auf der anderen Seite sieht es ganz ähnlich aus: Karpathorußland hat so manches aus dem Ruthenischen aufgegriffen, was dem politisch von ihm getrennten ostgalizischen Jiddisch unzugänglich war. Ja, man könnte die Zergliederung im Einzelnen noch viel weiter treiben und ein Warschauer, ein Lodzer, ein Lomzaer, ein Suwalker Jiddisch usw. als Untermundarten auf dem Boden des polnischen Jiddisch annehmen. Einige Abweichungen würden sich in jedem Fall finden lassen. Doch wäre dies höchst unpraktisch und auch andererseits ziemlich bedeutungslos. Innerhalb des O s t m i t t e l j i d d i s c h e n sind im Großen wieder zwei Gruppen voneinander zu scheiden: die westliche, b u k o w i n i s c h - r u m ä n i s c h e , von der östlichen, u k r a i n i s c h - b e s s a r a b i s c h e n . Die westliche steht im allgemeinen dem ostgali102

zischen Jiddisch und damit dem Westmitteljiddischen überhaupt näher. Der deutlichste Ausdruck dafür ist das ou für mittelhochdeutsch ä, das das bukowinische wie das rumänische Jiddisch mit dem Westmitteljiddischen gemeinsam haben, während in der östlichen Gruppe entweder ü oder oi herrscht - also hous gegenüber hüs, hois. Weniger durchgreifend ist ein anderes, negatives Moment: das bukowinischrumänische Jiddisch ist wie das ostgalizische im Gegensatz zum ukrainischbessarabischen Jiddisch vom Großrussischen unbeeinflußt. Andere Unterschiede (z. B. in der Behandlung des kurzen ä) lassen sich schwer auf eine allgemeine Formel bringen.

Von der westlichen Gruppe ist das bukowinische Jiddisch dem ostgalizischen näher verwandt als das rumänische. Rein äußerlich besteht die Verwandtschaft vor allem in den gemeinsamen kleinrussischen Lehnwörtern, die in Rumänien nicht üblich sind. Es bestehen aber auch vielfache innere Beziehungen im Klang und in den Formen. Diese inneren Beziehungen erklären sich eben aus jener sonderbaren Lage der Bukowina gegenüber Ostgalizien. Einerseits getrennt, ist sie doch andererseits lange, vor allem politisch, mit ihm verbunden gewesen. Einerseits also wirkten die Trennungstendenzen, welche das ostgalizische Jiddisch dem Westmitteljiddischen, das bukowinische dem Ostmitteljiddischen annäherten, andererseits die verbindenden Kräfte, die beide, sowohl das ostgalizische als auch das bukowinische Jiddisch ihren eigenen Mundartgemeinschaften zu entfremden suchten und dadurch Übergangsmundarten erzeugten: die ostgalizische Mundart steht also im Westmitteljiddischen und leitet zum Ostmitteljiddischen über, die bukowinische Mundart erfüllt die gleiche Funktion vom Ostmitteljiddischen her. Von der östlichen Gruppe des Ostmitteljiddischen nimmt das bessarabische Jiddisch zwischen dem ukrainischen und dem rumänischen Jiddisch eine vermittelnde Stellung ein. Ursprünglich mit Rumänien vereinigt, gehörte Bessarabien ein Jahrhundert lang zu Rußland und geriet dadurch in die unmittelbare Nähe der Ukraine, bis es nach dem Kriege wieder zu Rumänien geschlagen wurde. Die Verbindung mit der Ukraine hat einen außerordentlich nachhaltigen Einfluß ausgeübt, so daß sich das bessarabische 103

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Jiddisch dem ukrainischen Charakter angepaßt hat, wenn es auch die Verbindungen zum rumänischen Jiddisch nicht aufgab. Auf Schritt und Tritt begegnen uns Landes- und Provinzialgrenzen als mundartbildende Faktoren. Die Nuancen werden immer feiner, je tiefer die Gliederung geht. Man könnte gewiß auch noch feinere Nuancierungen treffen — innerhalb des rumänischen Jiddisch eine moldauische und walachische, innerhalb des ukrainischen eine nord- und südukrainische oder ost- und westukrainische Schattierung aufzeigen. Doch kann hier von einer so ins einzelne gehenden Differenzierung abgesehen werden. Zum Schluß eine kleine Anekdote, in drei verschiedenen Mundarten erzählt, zur kurzen Charakterisierung wenigstens je eines südwestjiddischen, mitteljiddischen und nordostjiddischen Types. Die Anekdote, die in den 'Philologischen Schriften des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts' Band 3, Spalte 298 in slowakischem Jiddisch (a) erzählt ist, ist hier auch in die ostgalizische (b) Mundart (von Rohatyn, Lemberger Gegend) und in die litauische (c) Mundart (von Pinsk) übertragen. (a)

(b)

Emöl fenen zwä bScherem

Amülfenengikimin 2 zwai

[Jünglinge] in e jeschtwe

bucharimin a jeschtwe. Sai zwei bocherim in a jeschi-

[Talmudhochschule] ge-

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kirnen.

Se hobn

[ihre] t£g gehat.

gihat

(c)

faiere

teig.

fainen

gekumen

we. Sei hobn gehat feiere

föere Freigt amül ainer dem teg. Fregtamol einer dem Emöl andern: osti giti

teig? andern: hostu gute teg?

frögt äner den andern:

Oj, fugt er, ech ob lou-

hostü güte t£g ? Oj, fögt

ter kasches -

er, ioch hob lauter ka-

bulbini kasche,

sches1 -

Amol

im [den] ioi\-kasche,

än tög erdepl- andern a gtoupn-kasche,

kasche, en andern grizs-

Oj, fogt er, ich hob loi-

ain tug a ter kasches - ein tog kardem andern

tog groipn-kasche,

afei

afoi gait is di ganzi woch. geit es di ganze woch.

kasche, efoi get es de ganze Düf if noch nischt afoi Dof

if

noch

nit

afei

woch. Dof if noch niks schlecht,fugt der anderer, schlecht, fogt der andeefoi Schlacht, fögt der an- ba mir ifis [ist es] noch rer, bai mir if es noch dere, bai mir if es noch

arger, ech ob louter te-

arger, i°ch hob lauter te-

rizim — ain tug fugt di ruzim

1

Kasche

erger, ich hob loiter te-

ein tog fogt di

ist zweideutig; es kommt von polnisch kasza und bedeutet Brei,

kann aber auch das hebräische Kt?p sein und bedeutet dann Frage. 2

Das i (kurz) klingt hier (im ostgalizischen Jiddisch) überall wie das nord-

deutsche kurze i in Fisch.

105

rüzim [Ausreden] - än tög fögt de balbusten [Hausfrau]: haint hobn mir [wir] niks gekocht, wail me tün waschn; de andere hot niks zü essn, wail fe tut litschenen [tünchen].

balbüsti: hänt omer [haben wir] nischt gi kocht, wäl inf [uns, d.h. wir] waschmer wesch; di andere ot nischt zi essn, wäl fi kaiecht [»kalkt«].

balboste: haint hobn mir nit gekocht, wail mir waschn wesch; di andere hot nit zu essn, wail f i kalcht.

3. Die Kolonialmundarten

So klar und übersichtlich gegliedert die Stamm-Mundarten sich 11ns darstellen, so unübersichtlich und verworren in seinem Wesen erscheint uns das Kolonialjiddische ('Kolonial j i d d i s c h ' ist der passendere Ausdruck als 'Kolonialmundarten'; denn Mundarten im eigentlichen Sinne hat das Kolonialland nicht hervorgebracht). Juden aus den verschiedensten Gegenden des ostjiddischen Stammgebiets sind überall zusammengetroffen, und zwar im allgemeinen so, daß jede Gegend durch eine größere Anzahl vertreten ist, durch eine Gruppe von Menschen, welche entweder geschlossen siedeln oder doch zumindest in einer gewissen Nähe von- und in einer gewissen Verbindung miteinander. Jeder Einwanderer spricht die ihm angestammte Mundart weiter und pflanzt sie in seinem Kreise fort. Dieser Verwandten- und Bekanntenkreis, sowie die in ihm eingepflanzte Überlieferung bieten der Mundart den Rückhalt, den sie braucht, um in dem Meer von Mundarten und Mundartkreisen nicht zu versinken. Bisweilen weitet sich der Kreis zu einem beruflichen oder gesellschaftlichen Bezirk aus. Wenn Angehörige einer bestimmten Mundartgemeinschaft das Theater, die Presse, oder sonst ein Gebiet des alltäglichen Lebens beherrschen, so zwingen sie ihm auch ihre Sprache auf. Die anderen müssen sich unter Umständen innerhalb dieses Rahmens der herrschenden Sprache unterwerfen. Häufig tritt auch eine gewisse Annäherung ein. Mundarten, die an sich schon einander nahestehen, streifen am ehesten ihre Abweichungen ab. Das Gemeinsame erscheint dann so stark, daß man glaubt, im 106

Grunde genommen ein und dieselbe Mundart zu sprechen, die nur von dem einen oder anderen Kreis in manchen Punkten abgeändert worden sei. Das Abweichende erscheint nun leicht als Fehler, den zu beseitigen man sich dann Mühe gibt. Es erfolgt der Ausgleich nach der einen oder anderen Seite. Je größer aber die Abweichungen sind, um so schwieriger wird der Ausgleich. Selbst Unterschiede der Art, wie sie z. B. das Westmitteljiddische gegenüber dem Ostmitteljiddischen aufweist, sind so gut wie unüberbrückbar. So bildet sich häufig der Zustand heraus, daß eine eigentliche Konkurrenz sich nur zwischen zwei oder drei Mundarttypen abspielt, zwischen dem Mitteljiddischen und Nordostjiddischen beziehungsweise noch zwischen Westmitteljiddisch und Ostmitteljiddisch. Zuweilen ist die Zusammensetzung einer solchen Sprachkolonie so glücklich, daß sie von Anfang an einen einheitlichen Charakter erhält. Es sind fast ausschließlich Vertreter einer bestimmten Mundart oder Mundartgruppe zusammengeströmt; Angehörige anderer Mundarten sind nur spärlich darunter verstreut oder durch Einheirat, Auswanderung, Assimilation oder Tod ihrer Mundartgemeinschaft, vielleicht dem Jiddischen überhaupt, verlorengegangen. Dann ist aber die Einheitlichkeit reiner Zufall, der am Charakter des Kolonialjiddischen nichts ändert; prinzipiell ist eine kleine rein nordostjiddische Kolonie ebenso zu bewerten, wie ein nordostjiddischer Sprachbezirk in einer gemischten größeren Kolonie. Der Charakter des Kolonialjiddischen bleibt also grundsätzlich überall der gleiche. Ob Amerika oder Palästina, ob Johannisburg oder Paris — überall gibt es dasselbe Konglomerat verschiedener Dialekte, die sich gewiß auch gegenseitig beeinflussen, aber doch nur in unwesentlichen Einzelheiten. Die Berührungspunkte sind durch das enge Zusammenleben in so zahlreicher Weise gegeben, daß gegenseitige Einwirkungen in irgendeiner Form unvermeidlich sind. Manche Worte oder Formen, die besonders auffällig und charakteristisch sind, werden bewußt oder unbewußt von allen aufgegriffen und festgehalten, gehen also in den allgemeinen Besitz über. Doch über diese Einzelheiten hinaus bleiben die Mundartbezirke nebeneinander bestehen, sie reihen sich anein107

ander ohne jede Ordnung, ohne jedes Proportionsverhältnis. Das Ganze gleicht einem Teppich, der aus verschiedenen größeren und kleineren Flicken in beliebiger Reihenfolge und Anzahl zusammengenäht wurde. Von dessen Farbe läßt sich schlecht sprechen, man muß ihn in die einzelnen Flicken zerlegen und jeden derselben für sich betrachten. Oder aber man stellt fest: die Farbe eines solchen Teppichs ist ihre unbestimmbare, ungeordnete Farbenvielfalt. D i e Eigentümlichkeit aller Kolonialmundarten besteht in der bunten ungeordneten Vielfalt von Eigentümlichkeiten. Darin liegt die ' E i n h e i t l i c h k e i t ' des Kolonialtypus. Wir bewegen uns also in genau entgegengesetzter Richtung als beim Stammjiddischen. Dort führte der Weg der Betrachtung von der Vielfältigkeit des Ganzen zur Einheitlichkeit des Einzelnen, hier von der Vielfältigkeit des Einzelnen zur Einheitlichkeit des Ganzen. Dort Differenzierimg der Einheit, hier Zusammenfassung des Verschiedenen. Dort auf einer kleinen, begrenzten Fläche mehrere, aber einheitliche Typen, hier auf einer unendlichen, unbegrenzten Fläche ein einziger, aber gemischter Typus. Was prinzipiell diesen e i n e n Typus zusammenschmiedet, differenziert zugleich im einzelnen. Einmal ist es die Zusammensetzung der Stamm-Mundarten: prinzipiell einheitlich, im einzelnen Differenzen in bezug auf Art der Zusammensetzung, Anzahl und Stärke der Bestandteile usw. Ein zweites ist die Wirkung der L a n d e s s p r a c h e : im Prinzip überall dieselbe, aber in jedem Lande eine andere Sprache. Überall ist das Kolonialjiddisch von einer im Verhältnis sehr dünnen landessprachlichen Schicht überzogen. Und diese Schicht ist das Einzige, was den Kolonialmundarten eine besondere Note verleiht, was einerseits die verschiedenen Bestandteile jeder Kolonialmischung zusammenfaßt, andererseits sie alle von ihrer Heimat im Stammlande trennt. Dieser typisch koloniale Anstrich ist jedoch immerhin nur oberflächlich. Einmal sind es gewisse Artikulationsgewohnheiten, welche z.B. der englisch sprechende Jude in das nordamerikanische Jiddisch unbewußt hineinträgt, und die den allgemeinen Klang dieser Mundart mit bestimmen. Ferner kommt — das ist die einfachste Art der Einwirkung — eine Anzahl englischer Wör108

ter auf; boy, shop (Laden), mister, yes, no usw. sind aus dem amerikanischen Jiddisch z.B. kaum noch wegzudenken. Von da ist nur ein Schritt zur formalen Verbindung der landessprachlichen Bestandteile mit dem Jiddischen; to catch (fangen, ergreifen) z. B. paßt so in keiner Weise in den jiddischen Rahmen, es muß mit den entsprechenden jiddischen Endungen und Vorsilben versehen werden, um für das Jiddische brauchbar zu werden, also: kätschn, kätschst, gekätscht usw. Reicht der Einfluß noch weiter, so kommen Übersetzungslehnwörter zustande; like (gleich) heißt (im amerikanischen Mitteljiddisch) gläch, infolgedessen to like (lieben) —glächn. Schließlich noch syntaktische Entlehnungen: I wait for him wird, da dem englischen for jiddisch far (für) entspricht, wörtlich übersetzt: eck wart far eim.1 So färbt jede andere Landessprache das in ihrem Bereich befindliche Jiddisch — hier mehr, dort weniger, je nach der Art der Beziehungen, welche die Juden zu ihr haben, je nach der Bedeutung, die sie für das Leben der Juden hat. In jedem Falle aber wird das W e s e n des Jiddischen dadurch kaum verändert.2 Ob aus alledem, ob gewissermaßen aus der kolonialen Retorte noch fertige, in sich einheitliche Mundarttypen hervorgehen werden, ob es jemals noch ein amerikanisches, argentinisches oder 1

Dieselbe Erscheinung tritt uns, bis in die Einzelheiten hinein, in den amerikanisch-deutschen Mundarten, z. B. dem Pennsylvania-Deutsch, entgegen. An eine direkte Beziehung des Jiddischen zum Deutschen ist dabei nicht zu denken. Erstens besteht eine räumliche und beruflich-gesellschaftliche Trennung zwischen den beiden Sprachsphären und ihren Vertretern. Zweitens ist hier ihre Stellung zueinander eine andere als dort, wo Deutsch die oder eine entscheidende Landessprache und Landeskultur ist. Hier ist es selbst eine inmitten der englischen Welt hineingesprengte und deren Einflüssen ausgesetzte Minderheitskultur wie die jiddische. Es kann also'auf das Jiddische gar keine Anziehungskraft ausüben. Aber man braucht bei derartigen Übereinstimmungen auch gar nicht an direkte Berührungen zu denken. Diese Erscheinungen sind ja einfache, naturnotwendige Einflüsse der Landessprache, die sich an j e d e r in deren Bereich befindlichen anderen Sprache in gleicher Weise vollziehen müssen. Da außerdem Jiddisch und Deutsch von den gleichen sprachlichen Gesetzen beherrscht werden, müssen die Ergebnisse volle Übereinstimmung aufweisen. 2

Man wird ja auch ebensowenig vom Pennsylvaniadeutsch behaupten können, daß sich sein W e s e n von dem des Deutschen im Reich verändert hat.

109

palästinensisches, ein New Yorker, Johannisburger oder Pariser Jiddisch in dem Sinne geben wird, wie es ein litauisches und polnisches, ein Krakauer und Pinsker Jiddisch gibt, hängt mit der viel allgemeineren Frage nach der Zukunft des Jiddischen überhaupt und des Kolonialjiddischen im besonderen zusammen. Lange Geschlechterreihen müßten vorbeiziehen, bis das Werk gelänge. Wird das Jiddische in den Kolonien diese Geschlechterreihen noch erleben?

4. Die Elemente des Jiddischen

Man kann von Elementen des Jiddischen im engeren und im weiteren Sinne sprechen. Im weiteren Sinne stellen sie die Summe alles dessen dar, was i r g e n d w o , sei es im Stammgebiet oder in den Kolonien, i r g e n d w a n n , in den Anfängen der Entstehung oder beim neuzeitlichen Ausbau der fertigen Sprache, und i r g e n d w i e , in ansehnlichen Mengen oder als kleine Einsprengsel, in schöpferisch gestaltender Wirkung auf das Wesen oder als oberflächliche Einflüsse, im Jiddischen zusammengeflossen ist. Verstehen wir es so, dann erhalten wir ein von einzelnen Sprachen und sprachlichen Einzelheiten so überladenes Bild, daß sich das Grundsätzliche, das Wesentliche im Jiddischen nicht mehr erfassen läßt; dann ist nur die Tatsache nicht endenwollender Synthesen und Mischungen, aber nichts Näheres über deren Art und Wesen zu erkennen. Anders, wenn man von Elementen im engeren Sinne spricht. Man schließt dann alles, was nicht das Wesen des Jiddischen ausmacht, als unwesentlich aus und schränkt den Begriff auf diejenigen Bestandteile des Jiddischen ein, welche 1) mehr oder weniger, aber im Prinzip, dem gesamten Jiddisch gemein sind, 2) an der Schöpfung des Jiddischen beteiligt sind, also in ihrem Grundstock zumindest schon aus urjiddischer Zeit stammen, 3) auf allen Gebieten der Grammatik ihren Einfluß zur Geltung gebracht haben, also nicht nur aufnehmend und erleidend auftreten, 4) rein quantitativ einen erheblichen Anteil am Jiddischen haben, 5) qualitativ so bedeutsam sind, daß sie aus dem Jiddischen nicht wegzudenken wären.

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Solcher Elemente besitzt das Jiddische drei: das d e u t s c h e (unter Einschluß der romanischen Bestandteile), das h e b r ä i s c h e und das s l a w i s c h e ; wenn man die winzigen r o m a n i s c h e n Überreste als Element für sich ansehen will: vier. Hier und da wird man auf Schwierigkeiten stoßen. Übt das E n g l i s c h e in Amerika z.B. seinen Einfluß nicht auf allen Gebieten der Grammatik (Wort- und Formenbildung, Phonetik und Syntax) aus? Ist es im amerikanischen Jiddisch nicht fast ebenso stark vertreten wie etwa das Slawische oder Hebräische? Gehört das G r o ß r u s s i s c h e zu dem, was man dann als 'slawisches Element' bezeichnet oder muß es wegbleiben, weil es erst in späterer Zeit ins Jiddische eingeströmt ist? Es ist gewiß nicht im Gesamtj iddischen, aber doch in einem sehr großen, vielleicht im größten Teil der jiddischen Mundarten vorhanden! Und ist es nicht in den betreffenden Mundarten so stark oder nahezu so stark vertreten wie die anderen slawischen Bestandteile? Oder wie ist auf der anderen Seite das Hebräische zu den Elementen zu zählen, da es doch der jiddischen Phonetik nichts gegeben hat? Die Grenzen lassen sich nicht so scharf ziehen, und die fünf Merkmale der eigentlichen 'Elemente' sind nur als allgemeine Richtschnur zu verwerten. Die neuzeitlichen Einwirkungen der Landessprachen haben überall ein anderes Ausmaß erreicht. Zuweilen sind sie auch wirklich so stark geworden, daß sie an Bedeutung nur wenig hinter den 'Elementen' zurückbleiben. Zuweilen hat eine Landessprache, wie z. B. das Englische, auch die Phonetik einer jiddischen Mundart beeinflußt, was nicht einmal das Hebräische als 'Element' vermocht hat. Nimmt man aber die fünf Merkmale als ein Ganzes und stellt von da aus die Frage nach den Wesensbestandteilen des Jiddischen, so dürfte unschwer zu erkennen sein, was wirklich Element, wesensmäßiger Bestandteil des Jiddischen und was nachträglich zum Wesen hinzugekommen ist, ohne dieses selbst zu ändern — auch wenn es so bedeutsam geworden ist wie z. B. das Englische oder Großrussische. Das deutsche Element ist den anderen beiden in jeder Hinsicht überlegen. Es bildet die Grundmasse des Jiddischen und umfaßt rund 70 bis 75 Prozent seines Wortschatzes. Der Rest entfällt, III

wenn man den Wortschatz nur nach seiner äußeren Form betrachtet, ohne die unsichtbaren inneren Wortbildungsgesetze zu berücksichtigen, zu 15 bis 20 Prozent auf das hebräische und zu 10 bis 15 Prozent auf das slawische Element. Solche Schätzungen müssen freilich immer ungenau und, sofern sie das Stärkeverhältnis der einzelnen Elemente zum Ausdruck bringen sollen, ungerecht bleiben. Sie müssen es schon deshalb, weil sie nur das nach außen hin Sichtbare — und jedes Element eigentlich nur, sofern es getrennt für sich besteht — in Anschlag bringen können. Die große Masse von Wörtern und Wortformen, die aus der mannigfachen Verschlingung der Elemente hervorgegangen sind, kann nicht erfaßt werden, weil es in den meisten Fällen zweifelhaft ist, welchem Element beziehungsweise in welchem Ausmaß sie den einzelnen Elementen zuzurechnen sind. Und wenn Wörter äußerlich nur aus Bestandteilen des einen Elements, aber völlig aus dem nach Außen unsichtbaren Geist des anderen gebildet werden, so ist die Entscheidung noch schwieriger; eine Schätzung, die am Äußeren haften bleibt, ist ungerecht, eine Schätzimg aber, die auch diesen inneren Geist erfassen würde, unmöglich. Schließlich bleibt beim Jiddischen noch die seltsame Erscheinung zu beachten, daß die Elemente zu einem sehr großen Teil flüssig sind. Es hängt erstens von der Gegend ab, ob das deutsche Element 70, 80 oder gar 90 Prozent, ob das slawische 5 , 1 0 oder gar 20 Prozent des Wortschatzes ausmachen. Im Nordostjiddischen, aber auch in der Ukraine und in Russisch-Polen, ist das deutsche Element schwächer als in Galizien oder der Bukowina und hier schwächer als im Burgenland und Ungarn. Es hängt ferner von der jüdischen Bildung und Traditionsgebundenheit, selbst vom Beruf, Alter und Geschlecht jedes Einzelnen ab, ob der Prozentsatz hebräischer Ausdrücke und Redensarten größer oder kleiner wird. Der Ungebildete oder Assimilierte, wer einen 'unjüdischen5 Beruf ausübt oder in nicht jüdischer Gesellschaft verkehrt, die Jugend oder die Frauen, sie gebrauchen des öfteren deutsche oder slawische Ausdrücke, wo der Gebildete und der traditionelle Jude, der in jüdischem Beruf und in jüdischer Gesellschaft Lebende, der Alte und der Mann überhaupt sich eher hebräischer Redens112

arten bedienen würden. All das bleibt also bei Schätzungen zu berücksichtigen. Das deutsche Element entstammt, wie wir gesehen haben, den lebendigen deutschen Mundarten, die eine seltsame Mischung eingegangen sind. Darin steht ihm das slawische Element näher als das hebräische. Auch die slawischen Bestandteile haben ihren Ursprung in den lebendigen slawischen Sprachen oder Dialekten. Der Unterschied besteht einmal im Alter: das deutsche Element als solches ist natürlich unvergleichlich viel älter als das slawische. Zweitens in der Stellung innerhalb des Jiddischen: das deutsche Element ist die Grundschicht, die sich völlig ungehemmt hingelagert und ausgebreitet hat, ohne auf irgendwelche vollendete Tatsachen Rücksicht nehmen zu müssen; das slawische ist nur eine obere Schicht, es traf schon auf festen Boden, der ihm Schranken setzte, der Möglichkeiten bot, aber auch Gesetze vorschrieb. Drittens in dem Verhältnis der Elementquellen zum Jiddischen oder anders ausgedrückt im Verhältnis des Juden zu ihnen: Deutsch war dem Juden die eigene, Slawisch die fremde Sprache, deutsch war sein inneres Sprachbewußtsein und Sprachgefühl, Slawisch kam von außen heran, deutsch redete er natürlich, slawisch nur unter dem Zwang des Einflusses, deutsch sprach er voll und ganz, slawisch nur gelegentlich, deutsch ertönte sein Sprechorgan, slawisch klang es mehr in den Ohren usw. Doch hat dieses Verhältnis der Quellen zum Jiddischen noch eine andere, für das Slawische günstigere Seite. Als das Jiddische der deutschen Sprachsphäre entrückt war, wurden die deutschen Einflußkräfte schwächer; es blieben nur die im Inneren des Jiddischen schlummernden Keime, die, von der Quelle getrennt, an Stoßkraft und Lebenstrieb eingebüßt haben. Demgegenüber hält das Slawische die jiddischen Mundarten in seiner Gewalt fest, sein Einfluß bedroht sie in jedem Augenblick, es wirkt unbewußt, aber unaufhörlich und unmittelbar. Von beiden unterscheidet sich das hebräische Element grundsätzlich dadurch, daß es dem religiösen S c h r i f t t u m , dem biblischen und talmudisch-rabbinischen, entstammt. Es ist also genauer genommen nicht rein hebräisch, sondern hebräisch-aramä"3

isch. Die aramäischen Bestandteile sind sogar von großer Bedeutung. Trotzdem ist es gerechtfertigt, wenn der Kürze halber von einem 'hebräischen' Element die Rede ist — 'Hebräisch* nämlich im Sinne der jüngeren, rabbinischen Sprache, die auch die aramäischen Bestandteile schon in sich enthält. Hebräisch sprach der Jude in der ganzen Zeit nicht, hebräisch las er nur; hebräisch war nicht das Denken, sondern das Gedächtnis. Das Hebräische konnte daher nie unmittelbar wirken, sondern immer nur durch Vermittlung der gelernten Überlieferung. Nur wenn all das beachtet wird, versteht man die Entwicklung des Jiddischen. Man nehme das Gebiet der Lautlehre. Man stellt fest, daß die jiddischen Laute sich von den entsprechenden deutschen bisweilen ziemlich weit entfernt haben und fragt nach der Ursache. Die 'nächstliegende* Antwort, daß die Juden die Aussprache der hebräischen Laute auf die deutschen übertragen hätten, ist falsch.1 Eine eigene Aussprache hatten die hebräischen Laute, seitdem das Hebräische zur bloßen Schriftsprache geworden war, nicht mehr. Lautwandel und Lautgesetze werden durch die Artikulationsgewohnheiteo und Sprechneigungen erzeugt und diktiert, diese aber in den Menschen immer nur durch die von ihm gesprochene Sprache hineingetragen. Das gelesene Schriftbild kann keine Artikulationsweise vermitteln. Die 'naheliegende' Antwort, die slawische Landessprache hätte die Gestalt der Laute verändert und sie so vom Deutschen entfernt, ist ebenfalls nicht richtig. Sie hat allenfalls noch hier und da (namentlich auf dem Gebiet des Nordostjiddischen) die Natur einiger Konsonanten verändern, ein d erweichen, ein l verhärten, sie hat die Artikulationsdauer der Vokale beeinträchtigen, die Längen und Kürzen herabdrücken können. Dazu genügt eine Einwirkung von außen, genügt die Wirkung einer kurzen Zeit. Dazu war das Slawische als die Gewalthaberin des Jiddischen fähig. Aber das alles ist ja 1

Diese Theorie vertrat zuletzt mit besonderer Hartnäckigkeit Matthias Mieses. Seine historische Grammatik 'Die jiddische Sprache', bis jetzt die letzte dieser Art, enthält eine Fülle von Material, das die Beweise liefern soll. Von diesem Gesichtspunkt aus muß aber der wissenschaftliche Geltungsanspruch der Arbeit strittig gemacht werden.

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auch unwesentlich gegenüber der eigentlichen Veränderung der jiddischen Laute, der Entwicklung von ä zu ο und ü, von e zu ai, von £ oder ai zu ä usw. D i e kann nur von innen heraus gekommen sein, sie kann nur auf das lange allmähliche und ruhige Wirken der alten Sprechneigungen zurückgeführt werden. Richtig ist also nur die scheinbar fernliegende Antwort. Die jiddischen Laute sind das Werk des deutschen Elements, bis auf jene geringen Einflüsse des slawischen; und das deutsche Element hat seine Laute auch dem hebräischen und slawischen aufgedrängt. Wie^nwszu (westjiddisch) grouss, grauss, (ostjiddisch) groiss und greiss, so wurde auch hebräisch Mösche zuMousche, Mausche,Moische und Meische, so wurde auch slawisch kolacz (Weißbrot) zu kouletsch, kauletsch, koiletsch, keiletsch. Genauer müßte man es so formulieren: als im Jiddischen das δ unter dem Drang des deutschen Elements den Weg zu ou, au, oi, ei antrat, mußten, da sämtliche Elemente eine Einheit bilden, alle Wörter, die ein δ enthielten, mitwandern. Wir gehen zur F o r m e n l e h r e über und stellen die Voraussetzung auf, daß von einer formalen Wirkung eines bestimmten Elements erst dann die Rede sein kann, wenn es seine Formen auch auf die anderen Elemente auszudehnen vermocht hat. Da sehen wir ζ. B. die hebräische Pluralendung -im an einigen deutschen Hauptwörtern, wie dokter — doktoirim, pouer (Bauer) — pouerim, när (Narr) — narünim, und an einem slawischen, kundass (Schlingel) — kundaissim. Es sind allerdings eben nur wenige Beispiele zu bringen. Im allgemeinen bleiben die hebräischen Suffixe D'- und mauf das hebräische Element beschränkt — und das beweist, daß sie nicht die Endungen des sprachlichen Unterbewußtseins geworden sind. Das slawische Element hat in dieser Hinsicht überhaupt nichts erreicht, es verhielt sich völlig rezeptiv. Die deutschen Endungen aber, -en und -er, und ganz besonders das deutschromanische -5 beziehungsweise -es1 herrschen im UnterbewußtEs stammt, wie wir S. 28 schon sahen, aus dem Französischen, wurde aber durch die häufige Anwendung auf die deutschen Hauptwörter einerseits und durch das Aufgehen der romanischen Bestandteile im Deutschen andererseits im Sprachbewußtsein z u einem deutschen Suffix. Als solches wirkte es dann im Sprachbewußtsein der Juden, nicht - wie Birnbaum 'Hebräisches und aramäisches Element in der jiddischen Sprache' S. 37 meint - als hebräisches -os. 1

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sein als die jiddischen Pluralsuffixe. Sie stellen sich überall da ein, wo das Sprachbewußtsein in Verlegenheit gerät. Mindestens 90 Prozent der slawischen Hauptwörter haben die Endung -s, -es empfangen, z. B. krish (Kreuzbein) — krishes, babe (Großmutter) — babes, blote (Kot) — blotes. Zuweilen haben sie auch -en, -n oder -er angenommen, z. B. koisch (Korb) — koischn, koiletsch — koiletschn, drang (Stange) — drongen auch drenger, ssüd (Obstgarten) — sseider. Die Erklärung liegt auf der Hand. Der Jude mußte, wenn er ein slawisches Wort in seine Sprache aufnehmen wollte, es von seinen slawischen Formen befreien, ebenso wie das in jeder anderen Sprache der Fall ist. Er geriet in Verlegenheit um eine Mehrzahlendung und mußte sich aus dem eigenen Formenschatz eine herschaffen — und da stieg aus dem Unterbewußtsein das -s, -es auf oder wo es schlecht zu sprechen war -en beziehungsweise -er. Und dieselbe Erscheinimg tritt sogar am hebräischen Element zutage. Zwar wurden die hebräischen Endungen nicht abgeworfen; im Gegenteil, sie wurden mit übernommen und geradezu für die hebräischen Hauptwörter parat gehalten. Darin liegt ja gerade das Besondere in dem Verhältnis des Juden zum Hebräischen, daß am Hebräischen nicht gerüttelt werden darf und auch nicht wird. Wenn man aber ratlos vor Ausdrücken steht, die man nach hebräischen Regeln nicht mehr beugen kann oder nicht zu beugen weiß, dann stellt sich wie von selbst ein deutsches Suffix ein: so z. B. pünitn (Gesicht) — peinimer, messless (24 Stunden) — messUssn, schigün (Wahnsinn) — schigünen. Auch bei den Verben ist das deutsche Konjugationsschema bindend. Wie man sagt: ech schtech (ich steche) — di schtechst — schtechn — geschtockn, ech fäf (pfeife) — difäfst —fäfn —gefäft, so sagt man auch: ech schecht (schlachte) — di schechtst — schechtn — geschochtn, ech pater (werde los) — di paterst — patern — gepatert, ech chap (fange) — di chapst — chapn — gechapt usw. Die Verbalflexion hat aber auch aus dem Slawischen etwas aufgenommen, wenn auch unbewußt: der Konditional ich würde sagen kann zwar nach rein deutschem Vorbild lauten ech wolt sugn; aber daneben hört man auch ech wolt gesugt, weil der slawische Konditional mit Hilfe des Perfektpartizips gebildet wird. Hier hat also das Sla116

wische, dessen Formen direkt gar nicht durchdringen konnten, Lehnübersetzungen aufgezwungen. Im ganzen wird also die jiddische Formenlehre bis auf wenige hebräische und slawische Einflüsse ebenfalls vom deutschen Element beherrscht. In der S y n t a x tritt das deutsche Element ein wenig zurück, das slawische ein wenig hervor. Obgleich es im ganzen hinter dem deutschen zurückbleibt, hat es doch einen sehr großen Anteil an den Gesetzen der jiddischen Wort- und Satzstellung. Hier kam nämlich gerade jenes für das slawische günstigere Moment dazwischen, von dem oben die Rede war. Wortlaut und Wortform haften an dem Wort selber fest und sind unverrückbar, nicht so die Wortstellung und Anwendung. Sie schweben gleichsam in der Luft, in der Sphäre des Denkens haben sie ihre Rotationsgesetze. Diese Sphäre des Unfesten, Abstrakten ist am ehesten den unmittelbaren und unaufhörlichen Einflüssen der Landessprache ausgesetzt. Hier mischen sich am leichtesten Elemente neuerer in die alte Denkart. So wurden sehr wesentliche syntaktische Gesetze, welche das deutsche Element ins Jiddische hineingebracht hatte, abgeändert und zwar durch das Slawische, nicht durch das Hebräische. Auf das Denken hatte das Hebräische keinen unmittelbaren Einfluß. Dies muß besonders in den Fällen beachtet werden, wo es schwierig scheint zu entscheiden, ob das Jiddische dem Hebräischen oder dem Slawischen folgt, weil nämlich Hebräisch und Slawisch darin übereinstimmen. Das Jiddische (freilich nur das Ostjiddische) kennt keine Endstellung des Prädikats im Nebensatz; es heißt as eck ob der sein män brider, ob ech üngehoibn zi wainen (als ich meinen Bruder e r b l i c k t e , begann ich zu weinen). Ebensowenig kennt es die weitgehende Trennung der Kopula vom Prädikatsnomen, wie sie im Deutschen üblich ist; es kann nur heißen amül senengekirnen zwai bucherim in ajeschiwe, oder bestenfalls amül senen zwai bucherim ge kirnen in ajeschiwe, aber nicht amül senen zwai bucherim in ajeschiwe ge kirnen. Das entspricht sowohl der hebräischen als auch der slawischen Syntax, aber nur letztere kann für das Jiddische ausschlaggebend gewesen sein. Daher folgt das Westjiddische, welches nicht unter diesem Einfluß des Sla117

wischen, wohl aber unter dem des Hebräischen stand beziehungsweise steht, hierin nicht dem Ostjiddischen. Im Westjiddischen ist beides vorhanden, sowohl Endstellung im Nebensatz, als auch Trennung von Kopula und Nomen im Hauptsatz. Oft ist aber auch der Einfluß der slawischen Syntax ganz offensichtlich. Er wet nischt gain, bis er chapt nischt kan petsch (er wird nicht gehen, bis er Hiebe kriegt) stimmt in seiner Verneinung des, dem Sinne nach positiv bleibenden Satzes mit bis genau mit dem Polnischen (dopokinie) überein. Wüs meier, alz besser für je mehr gibt das polnische czem wiqcej wieder. Auch dem Hebräischen hat die jiddische Syntax etwas zu verdanken, aber nur sehr wenig. Mit Bestimmtheit ist hier die eigentümlich hebräische Vorsetzung eines absoluten Infinitivs vor das gleichstämmige bestimmte Verb zu nennen. In der Konstruktion sugn sugt er, as er gait zim brider, in gain gait er zi der kale (er sagt, daß er zum Bruder geht, und geht zur Braut) ist das hebräische ΊΏΝ ijST nachgebildet, wobei das Jiddische aber auch grammatisch die Gegenwartsform setzt, wo sie im Hebräischen höchstens sinngemäß durch das Imperfekt ausgedrückt wird. Dieses Beispiel belehrt uns aber auch über den Weg, den die hebräische Konstruktion ins Jiddische genommen hat. Der Weg führte über das Gedächtnis, nicht über das Denken. Auf Schritt und Tritt stieß man bei der Bibelübersetzung auf diese Wortfügung, und es hätte schon eines völlig unempfänglichen Gedächtnisses bedurft, wenn eine so auffällige Eigentümlichkeit spurlos hätte abgleiten sollen. Das Gedächtnis, welches so eine hebräische Eigentümlichkeit aufgenommen hatte, griff dann ungehindert in das Denken oder richtiger in das Formulieren der Gedanken ein. So bestreiten bis auf wenige Ausnahmen das deutsche und das slawische Element das ganze Feld der jiddischen Syntax. Von besonderem Interesse ist die jiddische W o r t b i l d u n g . Sie ist insofern der Syntax verwandt, als auch hier ein unkrontollierbarer Faktor sich einschaltet: bei der Syntax das Denken, hier die Vorstellung. Auch die Vorstellung ist in hohem Maße vom Slawischen bestimmt. Davon legt eine fast unübersehbare Menge jiddischer Zeitwörter Zeugnis ab, die zwar aus deutschen Bestand118

teilen, aber aus einer völlig slawischen Vorstellung oder auch mit Hilfe slawischer Bestandteile, die durch ihre täuschende Ähnlichkeit den Juden als deutsch erschienen, entstanden sind. Hier nur einige Proben: iberdraien für umdrehen, entsprechend polnisch prze- (über) intersugn für vorsagen, entsprechend polnisch pod- (unter) zilosn für entlassen, entsprechend polnisch roz- (zer = zi) ubtrugn für zurücktragen, entsprechend polnisch od- (ab = ub) ousbeitn für erbeten, entsprechend polnisch wy- (aus) derlosn für zulassen, im Anklang an polnisch do- (zu) ubgissn für begießen, im Anklang an polnisch ob- (be-)

Es tritt auch die umgekehrte Erscheinung auf: slawische Verbalstämme werden mit deutschen Vorsilben versehen, z.B. farplonten für polnisch zaplatai, entsprechend deutsch verwirren farblondsen für polnisch zabladzi6, entsprechend deutsch verirren derratewen für polnisch uratcwai, entsprechend deutsch erretten ubmitschen für polnisch namqczyi entsprechend deutsch abquälen

Dies zeigt schon, wie deutsche und slawische Vorstellungen ineinander überlaufen. Sie treffen sich auf der Grenze des Bewußten und Unbewußten. Im allgemeinen steigen die slawischen Vorstellungen aus dem Unbewußten herauf, während das Bewußtsein an den deutschen festhält — seltener umgekehrt. Nie gilt Gleiches für die hebräischen Vorstellungen — obgleich auch das hebräische Element in gewissem Sinne wortbildend gewirkt hat. Ich meine jene Kategorie von Verben, die sich aus einem hebräischen Partizip und dem deutschen Hilfszeitwort sein zusammensetzen, z.B.: moide (mm) sän gestehen, sich merachem (omn) sän sicherbarmen, joize (NX"P) sän einer Pflicht genügen, mekäjem (D"pn) sän erfüllen. Dabei kommt es weniger darauf an, daß der eine Bestandteil (das Partizip) hebräisch ist; denn das allein würde vom Standpunkt der Wortbildung aus noch kein Wirken, sondern bestenfalls ein Bewirktwerden des hebräischen Elements bedeuten. Wirkend ist in diesem Falle das deutsche sein, aber es gehört nicht ganz dem deutschen Element an. Beim Lesen eines hebräischen Textes stößt der Jude auf das Partizip, das er unübersetzt läßt, weil es einen spezifischen Gehalt birgt. Es bleibt aber 119

so unvollständig, muß ergänzt werden. Da spürt das Sprachbewußtsein aus dem hebräischen Partizip schon das sein heraus und es wird deutsch angefügt. Es ist nicht unmittelbarer, unbewußter Einfluß des Hebräischen, sondern Wirkung mittels Übersetzung. Nicht Vorstellung, sondern mehr Technik. Die Vorstellung ist deutsch. Die wortbildende Tätigkeit der Elemente ist bei den bisher genannten Beispielen nach außen hin unsichtbar. Es gibt aber nicht weniger Bildungen, bei denen die einzelnen Elemente deutlich hervortreten. Es ist wie bisher, daß sich vor allem Deutsch und Slawisch in die Funktionen teilen, und zwar steht an erster Stelle Deutsch; ganz zuletzt steht das Hebräische. Hier ist sogar die Beteiligung des Slawischen etwas schwächer, da die Sphäre des Unbewußten zurücktritt. Die allermeisten Ableitungen tragen also deutschen Charakter. Besonders durchgreifend ist ζ. Β. die deutsche Diminutivbildung. Wie aus schtüt (Stadt) — schteitl beziehungsweise schteitele, aus schtain (Stein) — schtaindl beziehungsweise schtaindele, aus bal (Ball) — balechn beziehungsweise balechl, so wird auch aus (hebräisch) ruw (Rabbiner) — reiwl beziehungsweise reiwele, aus chain (Anmut) — chaindl beziehungsweise chaindele, kol (Stimme) — kelechn beziehungsweise kelechl, so wird auch aus (slawisch) koisch (Korb) — kaischl beziehungsweise kaischele, koimen (Schornstein) — kaimendl, sstelje (Zimmerdecke) — ssteljechn beziehungsweise ssteljechl. Freilich hat auch das Slawische seine verlockenden Diminutivsuffixe durchzudrängen versucht. Doch hat es bei den Hauptwörtern (selbst bei den slawischen) nur wenig Glück gehabt. Man hört ζ. B. jingermantschik (junger Mann), fetertsche (Onkelchen), stninju (Söhnchen), kapetschke (Tröpfchen), aber es sind eher Ausnahmen von der Regel. Bezeichnender ist vielmehr, daß selbst da, wo man das gewöhnliche slawische Verkleinerungssuffix -ka an slawischen Substantiven läßt, man dies noch nicht als verkleinert empfindet, solange nicht das deutsche -le hinzukommt, ζ. B. schafkale, shabkale, kapkale von schafe (Schrank), shabe (Frosch), kap (Tropfen). Dagegen ist es dem Slawischen gelungen, nicht nur die äußere Form, sondern auch das Prinzip der Verkleinerung von 120

Eigenschaftswörtern ins Jiddische einzuführen, z.B. Main — klaintschik, schain (schön) — schaintschik, alt — altitschke, din (dünn) — dininke, grin (grün) — grininke. Da hat das Hebräische, welches die Verkleinerung überhaupt nicht kennt, nichts anzuführen. Auch bei anderen Ableitungen sehen wir das Deutsche voran, obgleich auch ihm durch die inneren Ableitungsgesetze jedes einzelnen Elements gewisse Schranken gesetzt sind. Beachtenswert ist dabei die Vielfalt der Begegnungsmöglichkeiten: jontezvdik (festtäglich) — aus hebräisch aiö DV (Feiertag) und der deutschen Endimg -dig (-ig), harnte — deutsch Herrin um die hebräische Ableitungssilbe sn- vermehrt, sstoljeräi (Tischlerei) — slawisch sstoljar und deutsch -ai (-ei), jingatsch (Kerl) — deutsch Junge und slawisch -acz, tamewate (einfältig) — hebräisch an und slawisch -ozoaty usw. Größere Bewegungsfreiheit herrscht bei den Zusammensetzungen, wo ebenfalls die mannigfachsten Verbindungen auftreten: diregelt (Miete) — hebräisch Π*τ*τ und deutsch Geld, dätschchimesch (Bibelübersetzung alten Stils) — deutsch und cmin (Pentateuch), hindikflaisch (Truthahnfleisch) — slawisch indyk und Fleisch, eltersaide (Urgroßvater) — älter (ur-) und saide (slawisch dzed^,), ptrimkoiletsch — slawisch koiletsch (Weißbrot) für Purim, mamelüschn (Muttersprache) — slawisch mame und hebräisch Sehr häufig wird ein hebräisches oder slawisches Wort von beiden Seiten durch deutsche Bestandteile umrahmt. Es vereinigen sich dann meist Wort- und Formbildung. In dätschchimeschl ist der hebräische Kern »Bin zwischen dem deutschen Adjektiv dätsch und dem Verkleinerungssuffix -l, in ubgechanfet (geschmeichelt) der hebräische Stamm φ π zwischen den Vorsilben üb- (ab-) und ge- und der Endung -t, in zidrapen (zerkratzen) der slawische Stamm drap zwischen dem Ableitungssuffix zi- (zer-) und der Infinitivendung -en, in ubgegült (rasiert) die slawische Wurzel gol zwischen ub- (ab-), ge- und -t eingeschlossen. Schließlich sehen wir auch zuweilen alle drei Elemente in einem Wort vereinigt. Schlimesalnik (Taugenichts) besteht aus deutsch schlimm, hebräisch (Glück) und der slawischen Endung -nik; 121

chainewdik (anmutig) — aus hebräisch ]Π (Anmut), slawisch -ow, und deutsch -dig; traifenjakisch (gegen die Speiseriten verstoßend) — aus hebräisch «löiö (rituell unerlaubt) und den Suffixen -njak und -isch; pirimkailetschl — aus D'HB, slawisch koiletsch mit der Verkleinerung durch -l und Umlaut von oi zu ai (neuhochdeutsch ο zu ö); schoichetkes (Schlächterfrauen) — aus ümw (Schlächter), slawisch -ha (für weibliche Hauptwörter) und deutsch-romanisch -s (für die Mehrzahl). Der Gerechtigkeit halber muß hier noch ein Wort über das Hebräische eingeschaltet werden. Die ganze Darstellung könnte sehr leicht den Eindruck erwecken, als sei das Hebräische, weil an Einfluß, auch an Bedeutung das ärmste unter den drei Elementen. Dies wäre aber an sich schon ein Trugschluß. Die Bedeutung des Hebräischen liegt mehr in ihm selbst, als im Einfluß auf die anderen Elemente, mehr im psychologischen Verhältnis des Juden zu ihm, als in seinem sprachlichen Verhältnis zum Deutschen oder Slawischen. Daraus ergibt sich aber auch noch ein Zweites, nämlich eine gewisse Exklusivität des Hebräischen, die man nicht außer acht lassen darf. Sie besteht darin, daß sich der Jude bei hebräischen Wörtern im allgemeinen mehr an den Bereich des Hebräischen hält als ζ. B. bei slawischen an den slawischen. Es ist hier ein gewisses (vielleicht auch unbewußtes) Bestreben vorhanden, hebräische Ausdrücke, soweit möglich, mit hebräischen Suffixen zu versehen, während man bei slawischen viel leichter über die 'Rechte' des Slawischen hinwegsieht. Wenn also oben zur Voraussetzung gemacht wurde, daß das Wirken eines Elements nach seinem Einfluß auf die anderen zu beurteilen sei, so darf das hier etwas eingeschränkt werden. Ein Wirken des Hebräischen wird man auch innerhalb seiner selbst finden, wenn man nämlich diejenigen Fälle in Betracht zieht, wo das hebräische Element des Jiddischen von der hebräischen Sprache abweicht, ohne jedoch von einem der anderen Elemente beeinflußt zu sein. Hier nur einige Beispiele: zu taliss (rp^ö, Gebetmantel) lautet die jiddische Mehrzahl talaissim, die hebräische rrp^ö; zuamuürez (pixn D? Ungebildeter) die jiddische Mehrzahl amerazim, während es im Hebräischen keine gibt; das Femininum zu schuchn (Nachbar) lautet 122

im Jiddischen schuchnte, im Hebräischen niDtf; das Femininum zu püriz (vornehmer nichtjüdischer Herr) im Jiddischen prize und prizete, im Hebräischen nur üJPIQ. Berücksichtigt man auch das noch, so gewinnt das Hebräische auch vom rein sprachlichen Standpunkt aus an Bedeutung. Die so mannigfaltige Synthese der verschiedenen Elemente enthält im Grunde genommen nichts Auffallendes, wenn man bedenkt, daß es im Englischen z. B. nicht anders aussieht. Wenn aus angelsächsischen, dänischen, keltischen, lateinischen, normannischen und französischen Bestandteilen ein einheitliches Ganzes, die englische Sprache erwachsen sollte, so mußte alles radikal durcheinandergemischt, auf die mannigfachste Weise ineinandergeschlungen werden. Es ist ja nur der Philologe, der mit seinem sprachgeschichtlichen Seziermesser aus dem organischen Ganzen die alten Bestandteile sorgfältig herauslöst. Dem Engländer fällt an seinem Englisch, dem Juden an seinem Jiddisch nichts Besonderes, nichts Unnatürliches auf. Unnatürlich sind die einzelnen Bestandteile, wenn sie aus dem Ganzen herausgeholt werden, weil sie für sich nicht mehr lebensfähig sind. Natürlich und lebendig sind sie im Ganzen, weil sie aufhören, Bestandteile zu sein, weil sie da nicht mehr deutsch, hebräisch oder slawisch, sondern allesamt j i d d i s c h sind. Darum empfindet der Jude Sätze wie »der balagüle (hebräisch) ot komgehont änhaltn di zipolöschete (slawisch) fei'rd« (der Fuhrmann hat kaum die scheuen Pferde zurückhalten können), oder »amül lost der chasn (hebräisch) arous a kol (hebräisch), as di went in bessmedresch (hebräisch) tressen (slawisch) sech, in amül haibt er üη mit sän dintschikn (deutsch-slawisch) kelechn (hebräisch-deutsch) sech zi drapen (slawisch) of di gläche went« (manchmal läßt der Kantor eine Stimme ertönen, daß die Wände im Bethaus erbeben, und manchmal hebt er mit seiner dünnen Stimme an, 'die steilen Wände emporzuklettern') — als völlig natürliche Einheiten, wo der Philologe jedes Wort, jede Silbe, jeden Laut mühsam herausschält und in die künstlichen Rubriken verteilt. Für diesen ist deutsch, romanisch, hebräisch oder slawisch, was für jenen ausschließlich jiddisch ist.

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5· Schrift und Schreibung

Auf Konto des Hebräischen ist noch ein sehr wichtiger Faktor zu setzen, die S c h r i f t . Das führt uns wieder auf den hier schon erwähnten Gegensatz von Schreiben und Sprechen, von Sehen und Hören zurück. Als der Jude aufgehört hatte, hebräisch zu sprechen, gehörte er sprachlich-kulturell immer zwei verschiedenen Bezirken an. Er sprach jeweils die Landessprache und nahm mit der S p r a c h e (mit dem, was er sprach und hörte) Bestandteile der Landesliteratur auf und verbreitete sie. Er empfing Inhalte der Landeskultur in weitestem Sinne und verarbeitete sie. Aber er studierte sein religiöses Schrifttum. Er nahm mit seinem S t u d i u m (mit dem, was er sah und las) Bestandteile seiner alten Literatur auf und entfaltete sie, er empfing die Überlieferung der Inhalte seiner alten Kultur und gestaltete sie. Die b e i d e n Sprachsphären und Kulturkreise vereinigten sich zu einer Synthese, der eine Mensch spaltete sich in eine zweifache Sinnenwelt. Das Geschaffene wurde zur Einheit, der Schaffende verfiel in eine Zweiheit. Sein O h r war auf die Landessprache, sein A u g e auf die eigene eingestellt. Was er hörte, war in Deutschland deutsch, was er sah, hebräisch. Er war sprachlich zu sehr assimiliert, um hebräisch sprechen zu können, aber er war mit seiner religiösen Eigenart zu sehr verbunden, um deutsch schreiben zu können. Zudem ist noch zu beachten, daß im Mittelalter die Kunst des Schreibens und Lesens im wahren Sinne des Wortes eine 'Kunst' war, ein Privileg der Vornehmen. Hingegen war bei den Juden die Kenntnis des hebräischen Alphabets eine elementare Notwendigkeit der jüdischen Religion, es mußte schon jedem Kind beigebracht werden. Das erste, was das Kind zu hören bekam, war die deutsche Sprache; später lernte es auch einen hebräischen Satz verstehen oder gar formulieren — aber natürlich verwachsen war es mit dem Deutschen. Das erste, was das Kind zu sehen bekam, war das hebräische Alphabet; später lernte es auch deutsch schreiben — aber natürlich verwachsen war es mit der hebräischen Schrift. So gehörten also die sinnlichen Wahrnehmungen des Juden zwei 124

verschiedenen Sprachen an. Bei der Umsetzung des akustischen Bildes in ein optisches erfolgte eine Verschiebung nicht nur in der Sinnensphäre, sondern zugleich auch in der Sprachensphäre. Man überzeugt sich davon heute noch am leichtesten, wenn man einem durchschnittlichen jiddisch sprechenden Juden unvermittelt die Frage stellt, wie z. B. das deutsche Wort Tisch geschrieben werde. Die Antwort lautet dann: tess (ö), jid ("»), schin (v). Oder man höre, wie etwa ein 'Galizianer' den 'Litwak' wegen seines Verwechselns von sch und s zurechtweisen würde: »'Schiller' schräbt sech mit α schin (tf), nischt mit kan ssamech (o).« Das hebräische Alphabet mußte allerdings an die deutsche Sprache, an die Erfordernisse des Jiddischen angepaßt werden. Für das hebräische Element des Jiddischen nicht. Das konnte man ja in der überlieferten Weise, so wie man es sah, weiterschreiben. Aber das deutsche Element verlangte ein adäquates Schriftbild. Das hebräische Alphabet hatte manches, was für das Deutsche überflüssig war, und hatte anderes, was grade notwendig war, nicht. Von den Konsonanten scheinen die Zeichen n, 3, Γ), Π von vornherein nicht in Gebrauch gekommen zu sein, weil man für die entsprechenden Laute ch, k, t, s andere Zeichen hatte, nämlich 3, p, ö, v. Praktische Gesichtspunkte scheinen hier den Ausschlag gegeben zu haben. 3 und 3 nebeneinander waren wegen der leichten Verwechslungsmöglichkeit höchst unpraktisch. Für dasselbe Lautpaar bestanden noch die beiden anderen Zeichen ρ und Π. Zwei Zeichen für einen Laut waren für die Praxis ebenfalls unerträglich. So konnte man beide Übel mit einem Schlag beseitigen, indem man von beiden Zeichenpaaren je ein Zeichen wählte. Es könnte sein, daß hier gewisse Eigentümlichkeiten in der Aussprache des Π dieses von vornherein für die Aufnahme in das deutsche (jiddische) Alphabet untauglich machten. Die Wahl fiel jedenfalls auf ρ für k und 3 (oder 5) für ch. Vielleicht ist auch das ö gegenüber dem Π durch die Artikulation des deutschen Lautes (t) begünstigt worden. Mit Bestimmtheit kann man das von der Zurückdrängung des Π (s) vor dem ν behaupten. Die j-Laute bildeten überhaupt ein schwieriges Kapitel. Ihre Aussprache war in ewigem Fluß und die Aussprache mußte ja für die 125

Fixierung der Buchstaben maßgebend sein. Im allgemeinen bestanden drei Artikulationsmöglichkeiten. Das alte germanische s wurde stimmlos oder stimmhaft in der Mitte zwischen s und sch artikuliert (ähnlich den polnischen s und i ) , das hochdeutsche s (aus germanischem t verschoben) klang wie das scharfe ss. Zur Wiedergabe des stimmlosen germanischen 5 war ν am geeignetsten. Es konnte (als v ) die Neigung zur scA-Lautung ausdrücken und konnte (als v) eine i-Lautung andeuten; ohne jeden Punkt (als v) war es also gewiß das gegebene Zeichen. 1 In diesem Punkt lag die Hauptseite des j-Problems. Die Lösung war so glücklich, daß sie eine förmliche Vorliebe für das er erzeugte. Für das stimmhafte s konnte man nur Τ schreiben. Daß jenes Schwanken beim stimmhaften Laut dadurch unterdrückt wurde, ließ sich nicht vermeiden. Das hochdeutsche s fand im 0 ein getreues Spiegelbild. So wäre das Problem, in einer gewissen Unabhängigkeit sogar vom deutschen Alphabet, sehr gut gelöst, wenn nicht weitere Komplikationen eingetreten wären. Die Artikulation der deutschen s-Laute hatte sich inzwischen verschoben. Die mittlere Lautung wurde zugunsten der beiden Extreme sch und s aufgegeben, mit dem hochdeutsch s völlig zusammenfiel. Der Übergang vollzog sich allmählich, unsichtbar, und so schleppte man das alte V in die neuen Zustände hinüber, zu denen es gar nicht mehr paßte; ν konnte dann so in seiner neutralen Gestalt bald als sch (tf), bald als s (p) gelesen werden. Nun war der Unterschied auch zwischen ν und 0 aufgehoben; man gebrauchte sie regellos nebeneinander, wobei man für das ν eine offensichtliche Schwäche hatte. Zum Überfluß des Guten wurde auch die Stimmhaftigkeit des germanischen s oft unsicher. Im Auslaut fiel die Entscheidung zwischen stimmhaftem und stimmlosem s naturgemäß schwer; die deutsche Orthographie ließ im Stich, da sie ein und dasselbe Zeichen gebrauchte — so schrieb man denn ganz willkürlich bald ν bald T. Dieses Durcheinander der i-Laute ist ein charakteristisches Merkmal der älteren Schrif1

Vielleicht klang das fr überhaupt noch, wie ursprünglich, zwischen

sch

und 5; dann wäre es an sich schon berufen gewesen, für das germanische s einzutreten.

126

ten. Es erbte sich bis in die Neuzeit fort. Erst im Neujiddischen ist es allmählich beseitigt worden. Heute ist die Schreibung völlig eindeutig geregelt: 0 für ss, t für f , V f ü r sch. Für ρ und / standen 5 und D zur Verfügung. Es war gewiß schwierig, die beiden Zeichen auseinanderzuhalten — der bloße Punkt (Dagesch) war als Unterscheidungsmerkmal etwas unzureichend. Aber es gab hier keinen Ausweg wie bei 3 und man katte kein anderes Zeichen. So mußte man dabei bleiben und half sich wenigstens durch Einführung des Rafe-Strichs: ö für ρ und D für / waren wenigstens halbwegs erträglich. Das deutsche ν unterschied sich vom/nicht nur im schriftlichen Bild; ν war der stimmhafte Reibelaut (dem w gleich), historisch das alte germanische f , f der stimmlose Reibelaut, das hochdeutsche/(aus ρ verschoben). Unter diesen Umständen war 1 die nächstliegende Entsprechung von v. Das hatte freilich auch seine Bedenken, da ι auch als Vokalzeichen verwendet wurde, wo nämlich zwei l zusammentrafen. Aber auch wo sie nicht zusammentrafen, konnten Mißverständnisse entstehen. So mußte man sich entschließen, auch das 2 (mit Rafe wie ä) heranzuziehen, obgleich es neben dem η (= a) nicht sehr empfehlenswert war. Man sagte sich zwar vom l nicht los, aber man hatte f ü r jeden Fall noch ein Ersatzzeichen. Ί und ä sollten also in der Anwendung vom ä streng geschieden bleiben. Aber das Schicksal wollte es anders. Das deutsche ν verlor seine Stimmhaftigkeit und wurde dem / gleich. Damit verloren auch l und ä ihren Sinn. Bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein schrieb man dennoch ä , £ oder ι für v-f\ seitdem herrscht nur noch e ohne Rücksicht auf die deutsche Schreibweise. N u n war ein Zeichen für w noch nötig. Das deutsche (bzw. lateinische) w war aus der Doppelschreibung des ν (vv) hervorgegangen. Doppeltes ι f ü r den zü-Laut kannte auch das Hebräische. Man nahm es in erster Zeit nicht so genau. Als das ν noch stimmhaft war, konnte man mit ruhigem Gewissen ι auch für w schreiben. Später mußte man schon auf die Doppelschreibung achten, und so blieb η = w bis auf den heutigen Tag. Auf das unbequeme £ konnte man leichten Herzens verzichten; das ι blieb frei für die Vokalzeichen (o, u) allein. 127

Die einfache Konsonantenreihe des heutigen Jiddisch hat also, wenn wir noch die Schlußbuchstaben einbeziehen, die das Jiddische vom Hebräischen selbstverständlich mitübernommen hat, folgendes Gesicht: 3 beziehungsweise 3 b1, l g , ι d, η h, η w, r s, β r, ' j, 3 beziehungsweise 5 (im Auslaut 1) ch, b l, a (im Auslaut o) m, i (im Auslaut ]) η, ο ss, s beziehungsweise s (auch im Auslaut) ρ, s beziehungsweise s (im Auslaut η) / , s (im Auslaut 7) ζ, f> k, "1 r, ν (meist ohne den Punkt rechts, meint aber immer t ) seh; in einem gewissen Sinne kann man auch noch das κ hinzurechnen, insofern es seine Eigenschaft als Vokalträger (genauer: Vokaleinsatz) behalten hat.

Aufgegeben hat das jiddische Alphabet von den hebräischen Buchstaben: Π, 3, i27, Π, n und als Konsonant y. Neue Konsonanten hat sich das Jiddische, wenn wir vom n für zu absehen, erst im Osten geschaffen, und zwar aus der Notwendigkeit heraus, sich auch an die slawischen Lautsysteme anzupassen. Durch Zusammensetzungen von einfachen Konsonanten erhielt es die notwendigen Bezeichnungen für die schwierigen slawischen Laute: W tsch (für polnisch cz), Vi sh (polnisch i), Π ds (polnisch dz), Π dsh (polnisch dz); 'J, Ό, "'S entsprechen den polnischen c, s, ή, l usw. Die Hauptschwierigkeit waren aber die Vokale. Das Hebräische besitzt keine Vokal b u c h s t a b e n , und die Vokalzeichen, die es besitzt (die tiberiensische Punktation) können beim Schreiben und Drucken für den kundigen Leser wegbleiben. Beim rein konsonantischen Aufbau der hebräischen Wortstämme sind sie entbehrlich, nicht aber im Deutsch-Jiddischen, wo die Vokale wichtige Bestandteile der Stämme darstellen. Mit der vokallosen Schreibung konnte sich daher das Jiddische nicht befreunden, obgleich es in erster Zeit noch sehr sparsam mit Vokalzeichen umging, als wollte es bewußt ein Zugeständnis an das Hebräische machen. Im übrigen wurde auch das Hebräische, namentlich das spätere Hebräisch und Aramäisch, zum Glück nicht völlig vokallos ge1

Je nachdem ob man das Dagesch- oder das Rafesystem befolgt; in dem einen Fall dient der Punkt zum Hervorheben des Verschlußlauts (b, k, ρ), in dem anderen der Strich zum Hervorheben des Reibelauts (w, ch,f). 128

schrieben. Die Anwendung von matres lectioms, von Buchstaben als Lesestützen, war schon seit uralter Zeit bekannt. Das Jiddische sollte nur diesen Brauch erweitern und konsequent ausbauen, es hatte nur aus dem P r i n z i p ein S y s t e m zu machen. Die wichtigsten Lesestützen waren "», l,8. Das 1 stützte im alten Hebräisch das i; im Hebräisch-Aramäisch des Talmud zeigt es in der Regel ein i oder geschlossenes (nach i hinneigendes) e an. Das 1 half im alten Hebräisch bei der Bildung des ο und u; in der Sprache des Talmud übernahm es selbst deren Funktion. Das κ war zwar im alten Hebräisch farblos und konnte jeden Vokal decken; im Talmud hat es aber schon meist die Bedeutung eines α, und in der sogenannten mandäisch-aramäischen Schreibweise, die uns im nachtalmudischen rabbinischen Schrifttum häufig begegnet, steht es schon regelrecht für a. Das legte den Grundstein für das jiddische Vokalgebäude:' wurde das Zeichen für i und geschlossenes e (mittelhochdeutsch e, e), zu dem auch das e in unbetonten Silben gehört — ζ. B. Vö = mir und mehr, gegen, ö j ^ m geschickt; 1 verwandte man für u und ο — ζ. Β. "pD vun, "p3 noch; κ wurde gleich a, behielt aber auch noch seine Eigenschaft als Vokaleinsatz, wenn das Wort beziehungsweise die Silbe mit dem Vokalzeichen' oder Ί, die sehr leicht konsonantisch gelesen werden konnten, oder (wie häufig in unbetonten Silben) völlig ohne Vokalzeichen anheben sollte, und es wurde schließlich auch gerne im Auslaut hinter Vokal, aber auch hinter Konsonant, als 'Deckung' angefügt1 — ζ. B. DSM hat, KT da, PN is', Ί1Κ tin', ΊΚΊΚ euer, Ν Ή die, Ν "UN1? Land. Es fehlte nur noch ein Zeichen für die offenen e-Laute (mittelhochdeutsch e, ä, ae), damit die Reihe der einfachen Vokale vollkommen wäre. Da gab es aber im hebräischen Alphabet noch einen Buchstaben, mit dem der Jude im Mittelalter nichts mehr anzufangen wußte, das y, das nach Verlust seines Konsonantenwertes (als tiefer Guttural)2 neben dem Κ der zweite 'stumme' Buchstabe geworden war. Nichts lag also näher, als es für das offene e zu verwerten — ζ. B. *iy er, lj?n wär'. Von der Bezeichnung der Vokallänge wurde vollkommen abgesehen. 1

Vergleiche oben S. 28.

2

Als solcher war er einem gequetschten e-Laut sehr nahe.

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Nun hatte man auch das Rüstzeug zur Bildung der zusammengesetzten Vokalzeichen. In erster Reihe standen die Umlaute. Umlaut von a war bereits durch das y ausgedrückt. Für ö(oe) und ü (tu) wählte man — wenn man auf die Bezeichnung des Umlauts überhaupt Wert legte, sonst schrieb man einfach ι — dieselbe Methode wie im Deutschen: man fügte dem Grundvokal 1 ein 1 das ist e an (wobei das 1 insofern besonders günstig war, als es zugleich das i andeuten konnte, welches den Umlaut herbeigeführt hatte) — also "inn Mönch, p^bi, Glück. Für das mittelhochdeutsche «war die Verbindung •>•> naturgegeben: ein ' als e, das andere als i — also "["R ein, l^p kein. Als die Diphthongierung des mittelhochdeutschen i ein neues ei ergab, tat man dasselbe wie im Deutschen: man schrieb « für beide Diphthonge, obwohl niemand den gleichen Laut für beide sprach—man schrieb also Χ^ΎΤ drei ebenso wie N^nx zwei. Am schwierigsten wurde es beim ou. Ein 11 war als Vokal nicht mehr mögüch und bessere Zeichen hatte man nicht, so nahm man eben η und wollte anscheinend damit andeuten, daß das ο hier noch einen diphthongischen Nachhall habe, von dem jeder wußte, daß es das u war. Um das aus mittelhochdeutschen ü diphthongierte ou machte man sich überhaupt kein Kopfzerbrechen mehr; man begnügte sich wie im Deutschen mit einem Zeichen, trotz der verschiedenen Lautform. Man hatte keine Bedenken, w i s aus und »pH auf neben ρ η ^ ϊ glauben und laufen zu schreiben. Auch daran, daß dieses η zugleich ö und ü bedeuten konnte, durfte man keinen Anstoß nehmen, wenn man keinen besseren Ausweg fand. Nun kam noch das öu (und das aus mittelhochdeutsch iu diphthongierte eu) dazu. Da gab es nur eines von beiden: entweder man ließ den Umlaut unausgedrückt und bediente sich einfach des η, öder man drückte ihn nach gewohnter Art aus und erhielt dann das etwas komplizierte Bild "Ί: HOIK oder euer. Damit war die Vokalreihe glücklich erschöpft. Nun kam aber erst die Lautentwicklung. Die Laute wandelten sich, die Zeichen blieben im allgemeinen stehen. Bei den Vokalen waren die Wandlungen viel einschneidender als bei den Konsonanten. Das kurze α blieb rein, das lange wurde zu δ, ο ü, u. In all diesen Fällen schrieb man X. Später kam man schließlich auf die Idee, die ge130

trübten Laute durch ein Kamez unter dem Alef zu kennzeichnen. Und das wurde die traditionelle Schreibweise: ORT sat und ö»n hot, T^Kl bald und ϋΊΚΙ bort beziehungsweise hurt. Da das kurze ο rein blieb, das lange sich zu oi, ei wandelte, mußten sie auch in der Schrift getrennt werden. Das kurze ο stimmte nun mit dem ο aus α überein, konnte also nur mit dem Ν beziehungsweise κ wiedergegeben werden, das inzwischen das regelrechte Zeichen für ο geworden war. Das 1 als δ verschmolz mit dem η ou. Beide waren zu oi geworden, gross zu groiss wie boutn zu boim. Es war also sinnlos, zwei Zeichen für einen Laut zu behalten; η bildete aber das oi getreuer nach als i, und so mußte dieses als Buchstabe für ο aus dem jiddischen Alphabet verschwinden. Es blieb für das u erhalten, obgleich dieses in einem Teil des Jiddischen in ein i übergegangen war. Das ou beziehungsweise oi aus mittelhochdeutschem ü behielt sein altes Zeichen η, das also bis auf den heutigen Tag zwei verschiedene Laute spiegelt. Eine Erleichterung brachte aber das Abwerfen der Umlautbezeichnung; ü war schon längst dem i gleich, ebenso ö dem e (sofern es nicht die Entwicklung zu ei, ai durchgemacht hatte). Man konnte sich so wenigstens dafür das η ersparen. Heute kennt man für Tür und Tier nur eine Schreibung (und eine Aussprache): TU. Das e gibt es nur noch in einer, der offenen Qualität. Damit hat sich 1 für e erledigt; auch in unbetonten Silben steht y,z.B. lyDoync Schwester, i j r s ^ n Hölzer. Das ·« zu ändern, hatte man keinen Grund, es dient auch heute noch für ei und ai (bzw. ai und ä): ^ n T>K ich weine und l^n Wein. Das unerquickliche dagegen ist überflüssig geworden. Dadurch ist das jiddische Vokalsystem wesentlich einfacher und eindeutiger geworden: κ a, ρ e, ' i, » ο (beziehungsweise auch u), ι u (beziehungsweise i)> 11 ei und ai (beziehungsweise ai und ä), ^ oi und ou (beziehungsweise ei und oi).

Dies bildet zusammen mit dem oben aufgestellten Konsonantensystem das jiddische Alphabet, wie es seit langem bereits überliefert ist — aber n u r für das n i c h t h e b r ä i s c h e Element der Sprache. Die hebräischen Wörter werden unverändert im hebräischen Alphabet geschrieben, und zwar im allgemeinen unpunktiert. Völlige Autonomie. Das Hebräische hat dem Jiddischen 131

sein Alphabet zur Verfügung gestellt, aber die Kompromisse, die das Jiddische zugunsten des Deutschen machte, konnte das hebräische Element nicht mitmachen, auch nicht innerhalb des Jiddischen. Ein scheinbar seltsamer Zustand, dem Juden aber eine Selbstverständlichkeit. Für alles Nichthebräische mußte man sich erst Schrift und Orthographie zurecht machen, für das Hebräische war beides in der Tradition längst festgesetzt und von daher genügend bekannt. Jede Änderung war also unnötig, und 'unnötig' bedeutet unter dem Gesichtspunkt der Tradition zugleich 'unzulässig'. Es offenbart sich darin wieder die Doppeltheit im sinnlichen Wahrnehmen. Die phonetische Entstellung des hebräischen Wortes fällt dem Juden nicht einmal auf, die orthographische würde ihn verletzen. Wenn er durch die jiddischen (= deutschen) Lautgesetze balbüss (Hausherr) statt baal-bajit sagt, so findet er alles in Ordnung, aber er würde es unter keinen Umständen übers Herz bringen, osibKli statt m zu schreiben—es sei denn, daß ihm die hebräische Schreibung unbekannt ist, weil er in seiner Jugend nichts oder zu wenig gelernt hat. Erst beide Schreibsysteme also, das jiddische und das hebräische, oder das deutsch-jiddische und das hebräisch-jiddische, ergeben zusammen das ganze jiddische Alphabet. Die Quadratschrift gilt freilich wie im Hebräischen nur für den Druck. Daneben gibt es die auch im Hebräischen gebräuchliche Kursive, die sich natürlich voll und ganz nach jener richtet, mithin sämtliche Buchstabenzusammensetzungen getreu nachbildet. Jeder jiddisch schreibende traditionelle Jude hat sie im Cheder gelernt. Nicht etwa in einem regelrechten Jiddisch-Unterricht (den gibt es im Cheder gar nicht), sondern — bezeichnend genug — im Hebräisch-Unterricht. Diese Schrift ist ihm als Korrelat der hebräischen Lektüre beigebracht worden oder genauer: beigebracht wurde ihm das hebräische Alphabet, aber geübt wurde es an der jiddischen Sprache, an jiddischen Briefen, also mit all den Änderungen, die das Jiddische in das hebräische Alphabet eingeführt hat. Im neunzehnten Jahrhundert taucht im Druck die Gewohnheit auf, dieses Alphabet durch das alte hebräische Vokalsystem zu ergänzen. Man schrieb, wohl von einem übereifrigen Streben nach 132

Deutlichkeit beseelt, nicht nur κ für ο beziehungsweise u, sondern führte das durch das ganze Vokalsystem durch: κ α, ^ e, ? i, * ei beziehungsweise ai} ^ ai beziehungsweise ä, ">i oi und ou, 1 u (oder es wurden die Punkte vor die entsprechenden Buchstaben gesetzt: y.. usw.). Nach dem Kriege ist diese Überdeutlichkeit abgeschafft worden. Sie ist in der Tat überflüssig, kompliziert den Druck und ist für das Schreiben schon ganz und gar unannehmbar. Eine einzige praktische Neuerung ist dadurch entstanden: « ist auf diese Weise vom « geschieden worden. Sie wurde daher mit Recht in die m o d e r n e Schrift übernommen mit einer kleinen Änderung: w und ·«. 'Moderne Schrift' ist vielleicht zuviel gesagt. Man meint damit eigentlich nur eine Modernisierung der Schrift. Mit Ber Borochow1 beginnt die Bewegung, die mehr noch die Schreibung als die Schrift zu modernisieren bestrebt war und es bis auf den heutigen Tag ist. Die Bewegung ist auch heute noch nicht abgeschlossen, wenngleich wichtige Resultate bereits erzielt worden sind. An der Schrift selbst ist verhältnismäßig wenig geändert worden. Man hat zwei Richtungen zu unterscheiden, eine r a d i k a l e und eine g e m ä ß i g t e . Der Hauptunterschied ist, ob dies nun zugegeben wird oder nicht, in Wirklichkeit mehr ein gefühlsmäßiger, er besteht in dem Verhältnis zum Hebräischen und zur Tradition. Die radikale Richtung vertreten die Kommunisten Sowjetrußlands und ihre Freunde in anderen Ländern. Ihren Wünschen gemäß ist das jiddische Alphabet in Sowjetrußland offiziell dahin geregelt worden, daß die Schlußbuchstaben (γ, η, Q, *]) sowie diejenigen Zeichen, welche nur im hebräischen Alphabet zur Anwendung gelangen (π, Π usw.) endgültig abgeschafft worden sind: hebräische Wörter werden also nach deutsch-jiddischen Regeln geschrieben - deren Autonomie ist aufgehoben. Die gemäßigte Richtung hat der anderen zwei Argumente entgegenzuhalten. Erstens dürfe man, nach ihrer Ansicht, mit einer Reform der Schrift nicht die Gefühle der, mehr oder minder traditionell gebundenen, großen Masse des jüdischen Volkes verletzen, weil, von allen politischen Gesichtspunkten abgesehen, sie 1 1881-1917. 133

selbst dann geringe Aussicht auf Erfolg habe. Zweitens widerlegt sie das Argument von der Unzweckmäßigkeit der Schlußbuchstaben durch die Erwägung, daß dieselben durch deutlichere Worttrennung zur Übersichtlichkeit des Schriftbildes und Erleichterung der Lektüre beitragen. Sie ist also für Erhaltung der Schlußbuchstaben und für die Autonomie des hebräischen Alphabets innerhalb des jiddischen. Sie hat sich auf die Reform der jiddischen Buchstaben beschränkt. Vor allem hat sie die erwähnte Scheidung von^und ferner die vonΝα,κο (beziehungsweise u) und κ als stummer Vokaleinsatz, schließlich hat sie das Dagesch- an Stelle des Rafesystems eingeführt. Diese Regelung ist vom Jiddischen Wissenschafdichen Institut in Wilna ausgegangen und auf den Konferenzen der letzten Jahre im wesentlichen angenommen worden. Die Kreise, die sich um das Institut herum gruppieren, die Lehrerschaft der jiddischen Schulen (vor allem in Polen) usw. haben sie in ihrer Mitte und in ihren Wirkungsstätten durchgeführt. Freilich gibt es auch in dem Institut nahestehenden Kreisen noch verschiedene Strömungen, radikalere und gemäßigtere. Es gibt ferner einen Radikalismus nach einer anderen Seite hin, der sich ausschließlich auf das rein jiddische Alphabet bezieht und darum auch in traditionellen Kreisen Anhänger hat. Die verschiedenen Projekte, die im Zusammenhang mit den Konferenzen von 1929 und 1931, aber auch schon vorher und nachher noch aufgetaucht sind, geben, auch wenn sie sich nicht allgemein durchgesetzt haben, ein charakteristisches Bild von der immerwährenden Bewegung, in der sich die jiddische Orthographie noch befindet. So trat ζ. B. Salomo Birnbaum mit einem 'orthodoxen Projekt' auf, dessen wichtigste Punkte waren: Verwertung der hebräischen Punkte unter den jiddischen Vokalbuchstaben zur Bezeichnimg der Länge — also e,s 1 gegenüber y e, ·> i usw.; Scheidimg von Ί oi (beziehungsweise ei) und η ou (beziehungsweise oi) als Parallele zu « und neben κ α und κ δ beziehungsweise ü das unpunktierte Κ für kurz ο und Vokaleinsatz; •» auch für Vokale in unbetonten Silben. Von Max Weinreich stammt ein Vorschlag, das Vi w, welches Schwierigkeiten verursacht, sooft es mit einem dritten oder gar vierten 134

1 als Vokal zusammenstößt, durch ein neues Zeichen ν zu ersetzen, das er durch eine kleine Abbiegung der Stiele aus jenem gewonnen hat (in der Kursivschrift dann entsprechend γ ) , oder das i1» vollständig zusammenzurücken zu einem * (Kursiv * ) und anderes mehr. Von völlig anderer Seite kam der Vorschlag, das lateinische Alphabet einzuführen. Vor dem Kriege schon wurde dieser Vorschlag lebhaft diskutiert. Selbst ein Mann wie Nathan Birnbaum1 gehörte zu seinen Anhängern. Auf derselben Ebene bewegte man sich, als man in Sowjetrußland erwog, das russische Alphabet einzusetzen. Die Gedankengänge standen und stehen unter dem Gesichtspunkt des Vielversprechenden Anschlusses an die europäische Kultur' beziehungsweise, was meist nur dessen Kehrseite ist, unter dem der Abkehr von der Tradition. Eine Zeitlang erhitzten sie die Gemüter. Verschiedene Schwierigkeiten, auch technischer, vor allem aber sachlicher und gefühlsmäßiger Natur haben der Aufregung vorläufig ein Ende gemacht und die Frage von der Tagesordnung abgesetzt. Völlig verschwunden ist sie allerdings, wie es scheint, noch nicht. Es bleibt abzuwarten, ob sie nicht unter günstigeren Umständen nochmals auftauchen und neuen Staub aufwirbeln wird. Jede Generation schafft neue Bedingungen. Werden sich die Bedingungen für dieses Projekt noch dereinst günstiger gestalten oder wird es unter den Dokumenten der Geschichte begraben werden? Die Frage des jiddischen Alphabets ist jedenfalls noch immer nicht zum Stillstand gekommen. Selbst in Sowjetrußland, wo die radikalere Form von oben herab offiziell 'dekretiert' worden ist, bleiben die privaten Kreise der Kontrolle entzogen, und diese, die zu einem sehr großen Teil noch in der Tradition stehen, vermögen sich nicht an das neue System zu gewöhnen. Die Erziehung der Jugend soll die Durchsetzung der Reform wenigstens für die kommenden Generationen sichern. Man unterschätze aber auch nicht die Tatsache, daß ein großer Teil der Jugend auch heute noch auf irgendeine Weise traditionelle Erziehung erhält. In Polen sind die Wirkungsmöglichkeiten für das 'Wilnaer' Institut noch viel kleiner. Der Einfluß auf die jiddischen Schulen ist gesichert. In Zei1

Vater von Salomo B., 1885-1920, ultra-orthodox.

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tungs- und Buchverlagen ist oft die moderne Schrift schon eingeführt. Aber ein sehr großer Teil der Tagespresse und sonstigen Literatur ist noch nicht erobert. Da hat man noch das alte traditionelle Schreibsystem, ebenso wie der Privatgebrauch zum größten Teil noch davon beherrscht ist. Wer nicht direkt unter dem Einfluß der Reformbewegung steht, schreibt das Jiddische, wie er es von jeher gewöhnt war. Von den verschiedenen, bewußten und unbewußten 'Verbesserungsversuchen', die viele auf eigene Faust unternehmen, kann hier völlig abgesehen werden. Der Zustand ist im ganzen noch undurchsichtig. Zwischen den drei beziehungsweise vier Schreibsystemen, dem traditionellen mit seiner punktierten Abart und den beiden modernen (Polens und Sowjetrußlands) lavieren noch eine Anzahl anderer herum, die sich häufig auch nach Ländern verschieden gruppieren. Viel heikler und bedeutsamer als die Frage der Schrift ist die der S c h r e i b u n g oder R e c h t s c h r e i b u n g . Man bewegt sich dabei auf einer völlig parallelen Bahn. Im allgemeinen ist die Schreibung bis auf den heutigen Tag traditionell überliefert. Der Jude lernt sie also mit der Schrift im Cheder beziehungsweise im Hause, er gebraucht sie dann gewohnheitsgemäß in Briefen, Büchern, Zeitschriften und bekommt sie durch diese wieder vor Augen. Häufig schwankt die Überlieferung, manche Einzelheiten werden unklar. In solchen Fällen greift das jüdische Gedächtnis instinktiv nach dem deutschen Vorbild. Die Überlieferung hat sich mit derZeit stark gewandelt. Am meisten hat eben dieses deutsche Vorbild gewirkt, besonders (im 19. Jh.) unter dem Einfluß der Haskala (Aufklärung). Die Maskilim kamen bei ihrer Abneigung gegen das Jiddische und der Notwendigkeit, sich doch jiddisch an das Volk zu wenden, auf den Gedanken, reines Neuhochdeutsch in jiddische Schriftform zu kleiden. Da man sich schämte, ]1ϊ Κ -lynyö ^ a yis zu schreiben, schrieb man Dyr^a jsb pit τ ·ρ·>Ν beziehungsweise ö^ypax oyi^a. 1 Das stiftete eine ungeheure Verwirrung in der Überlieferung an. Das Volk konnte das Neuhochdeutsche von seinem Jiddischen nicht so weit auseinanderhalten, daß es beim Schreiben von jenem unbeeinflußt geblieben 1

Eine Probe davon findet sich oben S. 6 8 f.

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wäre, da beides jiddisch geschrieben war. So schlichen sich in die traditionelle Orthographie Gewohnheiten ein, die das Jiddische nie gekannt hatte. Man gewöhnte sich allmählich an die Verdoppelung der Konsonanten (ÖDKSW Spott), an das SS (|S?ssnj?j? kämpfen), an die Dehnung mit Hilfe eines e oder h (ty'B viel, 57Ή die, •JITIT suhn, höhn), an deutsche Laute und Formen inmitten des Jiddischen (yasn habe statt 3»n hob, i i j n Berg statt Jisn barg, ISn'P Juden statt fsn" jiden) usw. Die jiddische Schreibung wurde von derartigen Erscheinungen bald mehr, bald weniger getrübt, je nach dem Grad der Beziehung des Einzelnen zum Neuhochdeutschen. Wir haben diese Erscheinungen, ganz gleich in welchem Ausmaß sie vor sich gingen, mit einzuschließen, wenn wir von der heutigen traditionellen Schreibung sprechen, wie sie dem einfachen Juden geläufig ist. Auch in Büchern und Zeitungen stößt man noch hier und da darauf, obwohl die literarischen Kreise, selbst soweit sie in der traditionellen Weise schreiben, sich um eine reine jiddische Orthographie bemühen. Soweit dieses sich von den sogenannten 'Daitschmerismen' (Nachahmerei des Deutschen) befreit hat, soweit es sich also um den reinen, idealen Typ der traditionellen Orthographie handelt, wie er ζ. B. in einem großen Teil der Tagespresse und der Volksliteratur Polens und anderer Länder verwirklicht erscheint, läßt sich von ihr als charakteristisch aussagen, daß sie nach einer primitiv-phonetischen Anschauung zurechtgelegt ist, in der Art etwa wie die neuhochdeutsche Schrift. Das äußerlich auffallendste Merkmal ist die zahlreiche Verwendung von Vokalen, wo sie in Wirklichkeit gar nicht gesprochen werden, ζ. B. "[5?25?:i geben, Vyi"» meidel, ΓΝ Oy es is (obwohl nurgebn, meidl, ss'is gesprochen wird) usw. Die moderne jiddische Bewegung seit Borochow ging von der Losung aus: »schreib wie du sprichst!« Man ging an eine gründliche Bereinigung der jiddischen Rechtschreibung, bekämpfte vor allem die 'Daitschmerismen', suchte aber auch die traditionelle Orthographie zu verbessern beziehungsweise eine 'rein phonetische' an ihre Stelle zu setzen — mit dem festen Glauben an die Möglichkeit des Geforderten und Gewünschten. Was erreicht worden ist, ist von einer rein phonetischen Orthographie, die ja in Wirklich-

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keit nur für wissenschaftliche Zwecke überhaupt möglich ist, weit entfernt. Die Gemäßigten geben es zu und sehen ein, daß Unmögliches gefordert worden war. Die unerbittlichen Fanatiker der 'phonetischen Schreibung* geben es nicht zu; sie haben sich mit dem Erreichten nur deshalb abgefunden, weil sie darin wirklich das phonetische Prinzip verwirklicht sehen. Sie sind zwar auch wirklich einen großen Schritt über die ersten hinausgegangen, aber die phonetische Schreibung wurde damit noch nicht erreicht. Der letzte Schritt bestand in der völligen Abschaffung der hebräischen Orthographie innerhalb des Jiddischen. Sie liegt auf derselben Linie wie die Abschaffung der Schlußbuchstaben, und ist heutzutage Norm in Sowjetrußland; außerhalb Rußlands haben sie nur die ideologisch verwandten Kreise akzeptiert. Man schreibt oyay statt riax (Wahrheit), lyviiw statt -απ (Genosse), snxny1? statt mi1? (Mond) usw. Im übrigen weicht die radikale Richtung nur in einigen Einzelheiten von der gemäßigten ab. Diese hält am Prinzip der Autonomie für die hebräische Schreibung fest. Doch gibt es auch hier verschiedene Anschauungen. Manche (z.B. Weinreich) schlagen wenigstens eine gewisse Anpassung an das jiddische System vor, durch Einführung kleiner Veränderungen, die sich zum Teil direkt oder indirekt aus der talmudischen Schreibweise herleiten ließen, so die Ausdehnung des " (ζ. B. ni^iy), des η (ζ. Β. Tin), konsequente Anwendung des •> für i (ζ. Β. ^m»·»·»), Abschaffung des 1 in den unbetonten Silben (ζ. Β. m n statt m m ) usw. Andere sind für volle Erhaltung des alten Status. Bis jetzt haben sich die Gemäßigten im ganzen doch noch zu keiner Änderung dieses alten Status entschließen können. Was bis jetzt in jiddische Bücher und Zeitungen eingegangen ist, geht über den Rahmen von Versuchen nicht hinaus. Die gemäßigte Reform erstreckt sich also nur auf das nichthebräische Element. Es wurden vor allem der unnötige Ballast abgeworfen, Willkür und Provinzialismen abgeschafft, in Zweifelsfällen entschieden, die Vielheit der Schreibungen aufgehoben und so erreichte man zwar nicht eine 'phonetische', aber doch eine einfache und eindeutige Orthographie. Das Ergebnis war 138

zwar nicht mehr »schreib wie du sprichst«, aber auch nicht mehr »schreib wie du willst«, oder »schreib wie du denkst«, sondern »schreib wie man dir vorschreibt«, nämlich wie dir diejenigen vorschreiben, welche auf Grund sorgfältigen Abwägens aller Momente, der phonetischen wie der praktischen, der historischen wie der etymologischen, zu einer festen Konvention gekommen sind. So hat man vorgeschrieben: nicht ^ T V : (Mädel), o r ^ p nicht OStt^p (Kleines), p i nicht fynya, (gehen), aber jyaip nicht etwa Vöij? oder p l p (kommen), nicht f a s a oder p x i (Name); die Präfixe -1KB nicht - l y s (ver-), --15Π nicht -"IJ7 (er-), -JN nicht -Ά (ge-), -S3 nicht -ya (be-), -ys nicht -IS (zer-), -SX nicht -ax (ab-); n : i s statt τηχ (uns) und 03xn statt TiKT) (Wand), Hl statt INT) (wo) und Tins statt n x n a (Versuch) usw. Vorläufig bedeutet das Vorschreiben freilich praktisch mehr ein Vor-schreiben. Es gibt keinerlei Druckmittel, die etwa ein Jiddisches Wissenschaftliches Institut in Wilna auf die jüdischen Massen ausüben könnte, um sie zur Anwendung oder auch nur zur Anerkennung der neuen Orthographie zu bewegen. Es gibt noch keinen 'Duden' in jedem Hause, es fehlen aber auch noch die Voraussetzungen dafür, und darin liegt die Hauptschwierigkeit, auf welche die jiddischen Reformer stoßen. Die Gedanken, die sich heutzutage etwa ein deutscher Briefschreiber macht, wenn er befürchtet, ein falsches Deutsch zu schreiben, entfallen beim Jiddischen vollständig. Das Volk zerbricht sich weniger über die Rechtschreibung den Kopf als über das V e r s t ä n d l i c h schreiben. Es läßt sich darum seine gewohnte Schreibung nicht nehmen und läßt sich auch nichts vorschreiben. Die traditionellen Kreise drucken ihre Bücher und Zeitungen ebenso wie zuvor; sie begnügen sich mit der vereinfachten traditionellen Orthographie. Im Cheder und im Hause wird das Jiddisch-Schreiben unbekümmert um alle Reformen nach der gewohnten Art weiter gelehrt und gelernt. Die Reformer können also nur durch ihre Veröffentlichungen, durch ihre Bücher und Zeitschriften, durch ihre literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten auf'friedlichem' Wege Einfluß gewinnen. Sie können den ihnen anvertrauten Zöglingen in ihren Schulen die neue Schreibung beibringen und auf diese 139

Weise dafür sorgen, daß sie sich langsam aber allmählich ihr Recht verschafft. Es bleibt also alles vorläufig eine Frage der Zukunft. Zur ungefähren Charakteristik der verschiedenen Schreibsysteme sei hier das S. 69 schon angeführte Stück aus Scholem Alechem 1 in dreifacher Gestalt, 1) in der vereinfachten traditionellen (wie oben), 2) in der gemäßigt reformierten und 3) in der radikal reformierten Schreibweise wiedergegeben: 3)

2)

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Pseudonym von Scholem Rabinowicz, jiddischer Klassiker, 1859-1916.

140

6. Mundart und literarisches

Jiddisch

Die jiddische Orthographie ist übermundartlich. Alle lautlichen Differenzen, welche zwischen den Mundarten bestehen, welche überhaupt Ursache sind der Spaltung des Jiddischen in Mundarten, überbrückt sie, indem sie allen Mundarten die Möglichkeit gibt, jedes Zeichen nach der gewohnten Art zu lesen, indem sie also innerhalb des über alle gespannten Rahmens jede Mundart nach ihrer Fasson selig werden läßt. Das gilt für jede Orthographie, ob es nun die alt-traditionelle oder die radikal-reformierte ist. Sie könnte es nicht, wenn sie nicht so alt, wenn sie nicht in einer Zeit entstanden wäre, als das Jiddische wirklich noch eine lautliche Einheit war. Ein 8 zugleich für nordostjiddisch ο und mitteljiddisch ü, u, o, ein ^ für nordostjiddisch ai und mitteljiddisch α ist nur deshalb möglich, weil es ursprünglich wirklich nur einen einzigen Laut, das δ beziehungsweise ai gemeint hat. Die Veränderung der Laute im eigenen Munde merkte man nicht, man konnte also mit gutem Gewissen in jedem Augenblick den gesprochenen Laut aus dem alten Zeichen herauslesen. Man hat oft auf den ersten Blick den Eindruck, daß das Jiddische nach der n o r d o s t j i d d i s c h e n Mundart g e s c h r i e b e n werde. Den Eindruck erweckt die Tatsache, daß ζ. Β. χ im Nordostjiddischen wirklich nur einen Laut, das kurze o, bezeichnet, während es im Mitteljiddischen als ο, u, ü gelesen werden kann, daß 1 1 nur auf einen Diphthongen ai, wie im Nordost] iddischen, nicht auf einen Monophthongen ä, wie im Mitteljiddischen, zutrifft, daß 1 nur als Zeichen für nordostjiddisch u, nicht für mitteljiddisch i Sinn hat. Dies bedeutet aber nur, daß das Nordostjiddische sich von dem Lautstand, auf den diese Schreibung abgestimmt war, viel weniger entfernt hat, als das Mitteljiddische. Einmal ist aber auch das Umgekehrte der Fall, z.B. steht das mitteljiddische oi dem η näher als das nordostjiddische ei. Daß man aber s , 1 für die nordostjiddischen Laute gewählt hätte, ist ebenso falsch, wie daß man sich dem mittel jiddischen Laut zuliebe für 1 entschlossen hätte. Falsch ist auch die laienhafte Folgerung, das Nordostjiddische sei k o r r e k t e r als das Mitteljiddische — eben 141

aus diesem Grunde, weil nun zwar nicht die Schreibung auf das Nordostjiddische zugeschnitten, aber doch das Nordost)iddische der Schreibung getreu geblieben sei. Sie hat ebensoviel Sinn wie die Behauptung, daß das heutige Englisch oder Französisch weniger korrekt sei als das alte, weil nur dessen Aussprache der Schreibung gerecht wurde. Nicht um den Philologen vor Fehlurteilen zu warnen, sei das alles gesagt, sondern nur, um Gedankengänge aufzuzeigen, welche im Volke selbst verbreitet sind. Und doch muß zur Entschuldigung der letzteren gleichzeitig hinzugefügt werden, daß selbst Philologen derartigen 'kleinlichen' Debatten verfallen sind. Selbst ein Mann wie Borochow hat kurzerhand erklärt, das literarische Jiddisch sei 'die Wilnaer Mundart des litauischen Dialekts'. Und in so manchen Büchern und Zeitschriften sind Männer aufgetreten, um für oder wider die Auffassung zu streiten, daß der litauische Dialekt — vielleicht nicht das korrekte, aber doch das 'feinere' oder 'prägnantere', das 'geschichtliche' oder 'literarische' Jiddisch sei. Aber immerhin ist das Volk primitiver in der Argumentation und weniger wählerisch in der Ausdrucksweise. Der litauische Jude spricht voller Stolz und Selbstbewußtsein von seinem Dialekt. Der äußere Schein spricht für ihn, und der Durchschnittsjude aus Polen oder Galizien besitzt nicht die genügende philologische Schulung, um diesen Schein widerlegen zu können. Man wundere sich also nicht, wenn hier zuweilen Minderwertigkeitsgefühle erzeugt werden, wenn Leute auftreten, die in den Lobgesang für das litauische Jiddisch einstimmen und ihre eigene Mundartzugehörigkeit am liebsten verleugnen möchten, wenn nicht die unglückselige Zunge sie auf Schritt und Tritt verraten würde. Nun — Mangel an 'mundartlicher Selbstwürde' gibt es überall, wo es 'mundartliche Selbstwürde' selbst gibt, und die Ausnahmen bestätigen nur die Regel. In der Regel ist eben jeder Jude von der Schönheit und Richtigkeit s e i n e r Mundart überzeugt. Jeder ist von absolutem Vertrauen in seine Lehrer und Vorfahren, in die auf ihn gekommene Überlieferung erfüllt. In der Tat, wie wäre es denn denkbar, daß sein Vater oder Lehrer ihm eine falsche Sprache beigebracht haben könnten? Welchen Grund 142

hätte er denn, seinen Vätern gerade den Verdacht der Sprachfälschung in die Schuhe zu schieben, da er doch an der Zuverlässigkeit ihrer Tradition sonst nie zweifeln konnte? Er weiß sich völlig im Recht gegenüber den trügerischen Argumenten seines Gegners und hat auch triftige Beweise vorzubringen — auch wenn sie nicht immer philologisch exakt sind. Wenn der 'Galizianer' bei der Verteidigung seines lecht gegen das licht des 'Litwak' trotz all seiner Argumente von der 'bequemeren Artikulation', von der 'allgemeinen Verbreitung' usw. durch die nüchterne und schlagkräftige Entgegnung des anderen, licht sei die allein richtige, weil dem neuhochdeutschen Licht genau entsprechende Form, in die Enge getrieben wird, so bleibt ihm nichts übrig, als sich auf eine noch höhere Autorität, die Bibel, zu berufen, und da fällt ihm gerade ein, daß er seinen höchst vertrauenswürdigen Lehrer die Bibelstelle nian nx (Num. 82) selbst habe übersetzen hören: as di west ünzinen di lecht! Und wenn der Litwak triumphierend sein korrektes ich den verderbten jach, jech, ech aller mitteljiddischen Mundarten entgegenhält, dann genügt es, ihn an seiner Achillesferse den sc/z-Lauten anzupacken, um den Streit — nicht etwa abzubrechen, sondern von neuem zu beginnen. Der Anekdoten ließen sich noch weit mehr anhäufen. Sie haben alle einen realen Hintergrund. Denn die hitzigen, oft stundenlangen Auseinandersetzungen über die Richtigkeit oder Schönheit dieser oder jener jiddischen Mundart sind Tatsachen. Sie werden leidenschaftlich und gern immer von neuem wiederholt, auch wenn sie — wie ja gar nicht anders zu erwarten — immer wieder ergebnislos bleiben. Und es sind durchaus nicht immer der Galizianer und der Litwak, die sich in den Haaren liegen. Auch die westlichen jachnikes (jach-Leute) und die östlichen echnikes haben miteinander ein Huhn zu rupfen. »Warum jach}« — »Ja, warum ech?« Es nützt nichts, wenn jede Seite Beispiele über Beispiele häuft, man kommt dabei nur vom Hundertsten ins Tausendste. Eine 'objektive' Entscheidung könnte hier nur der Litwak treffen, aber in seiner Anwesenheit könnte es nie zu einem Streit zwischen West- und Ostgalizianer kommen. Ebenso vergeblich hadert der Schmilik (der bukowinische Jude) gegen den

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Joilik (den galizischen Juden) — beide Spitznamen stammen aus der Bukowina — ob des letzteren gain und schtain, wo doch das Neuhochdeutsche deutlich für einen e-Laut spricht; denn er vergeht sich im Grunde genommen nicht weniger am Neuhochdeutschen bei seinem fleisch und beiner. Der Lokalpatriotismus zieht noch viel engere Kreise. Fast jede Stadt hat ihre Eigentümlichkeiten und weiß sich über die der anderen lustig zu machen. Man möchte kaum glauben, daß es auch zwei Juden geben kann, die über ihr Jiddisch völlig einer Meinung sind. Und doch sind die Differenzen zwischen den einzelnen Juden- und Mundarttypen bei weitem nicht so groß wie etwa zwischen dem Bayern und Preußen. Unter diesen Umständen ist, trotz der verhältnismäßig kleinen Abweichungen, die Einheitlichkeit der Schreibung ein wahres Glück. Sie wirkt versöhnend und verbindend. Es gab also, wie gesagt, seit jeher eine schriftliche Gemeinsprache. Eine g e m e i n s a m e S c h r i f t s p r a c h e , im Sinne einer über die Mundarten hinausgehobenen, ausdrücklich anerkannten und bewußt gepflegten literarischen Sprache, ist erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts allmählich entstanden. Den Grundstein hat der erste moderne Klassiker S. J.Abramowicz (Mendele Moicher Sforim) gelegt. Sehr vieles verdankt sie den beiden jüngeren Klassikern der modernen jiddischen Literatur, J.L.Perez und S.Rabinowicz (Scholem Alechem). Eine unendliche Reihe von Dichtern und Schriftstellern hat an dem Aufbau des literarischen Jiddisch mitgewirkt und wirkt auch heute noch. Es ist, wie jede literarische Sprache, aus den Mundarten selbst hervorgegangen, und zwar aus einer Synthese der Mundarten. Jeder Schriftsteller trug die eigentümlichen Schätze seiner Mundart, das Beste an Gedanken und Ausdrucksmitteln, an Humor und Anschaulichkeit in das literarische Jiddisch hinein. Der Rahmen einer Mundart ist eng gesteckt, selbst wenn es sich um eine städtische Mundart handelt — die literarische Sprache ist ein unbegrenztes Sammelbecken, in ihr hat alles Raum, hier können unzählige Synonyme, die verschiedensten Formen friedlich nebeneinander hausen, ohne eine Schmälerung ihrer Rechte befürchten zu müssen. Hauptbeteiligt am literarischen Jiddisch sind das 144

ukrainische und polnische auf der einen Seite und das litauische und weißrussische Jiddisch auf der anderen. Die übrigen mitteljiddischen Mundarten haben wenig beigetragen. In Galizien und Rumänien ist das literarische Schaffen in der modernen Zeit sehr stark zurückgegangen. Bedeutende jiddische Schriftsteller haben in der letzten Periode (seit Mendele) eigentlich nur die Länder des alten russischen Reiches hervorgebracht: das Nordostjiddische, welches ganz unter rus^cher Herrschaft stand, und der russiche Teil des Mitteljiddischen. Die vielen amerikanisch-jüdischen Literaten sind auch nicht auf dem Boden Amerikas gewachsen, sondern im wesentlichen russische Emigranten. Verteilt man die drei Klassiker auf ihre Herkunftsländer, so steht ein Mendele, der dem weißrussischen und ukrainischen Jiddisch zugleich angehört, gegenüber dem ukrainisch-jiddischen Scholem Alechem und dem polnisch-jiddischen Perez. Das bedeutet, ein Übergewicht des Ostens, aber auch des Mitteljiddischen, so daß die Grundlage der literarischen Sprache mitteljiddisch gewesen ist. Allerdings hat sich in letzter Zeit die Zahl der nordostjiddischen Schriftsteller so stark vermehrt, daß das Übergewicht auf ihrer Seite liegt. Sie haben im wesentlichen die Führung der jiddischen Literatur und Forschung übernommen, und sie drücken auch jetzt der Sprache ihren Stempel auf. Das nordostjiddische Element hat sich so verstärkt, daß man mit gutem Gewissen sagen kann, das literarische Jiddisch sei aus mitteljiddischen und nordostjiddischen Bestandteilen in gleichem Maße zusammengesetzt. Die Mundarten konnten freilich nicht mit Haut und Haaren aufgenommen werden. Man fand, als man in der gewohnten Mundart zu schreiben begann, dieses und jenes Wort zu grob und zu volkstümlich und wurde wählerisch im Ausdruck. Ein großer Teil des slawischen Elements z.B. war für ein literarisches Jiddisch untauglich, sei es seiner äußeren Form wegen, sei es, weil er im Jiddischen etwas fremd, zu wenig jüdisch betont war. Feinere Redensarten traten in den Vordergrund oder entstanden von neuem. Gerade das Hebräische war häufig so wenig im Alltag abgenutzt, daß es sich besonders für die gehobene Sprache eignete. Neue Ausdrücke wurden geschaffen, zum allergrößten Teil aus 145

dem deutschen Element. Selbst wo man das Volkstümliche und Grobe verwendete, wurde es in eine gehobenere, stilvolle Form gekleidet. Es wurde auf Regelmäßigkeit und Festigkeit im Bau der Perioden, auf Symmetrie und Übersichtlichkeit in der Wortstellung geachtet. Manche Formen, beispielsweise das Passivum oder andere, die sich in der Mundart unbequem und steif ausnahmen, taten hier ihre gute Wirkung. Das Geschlecht der Substantia mußte man sorgfältiger behandeln, als es z. B. im Nordostjiddischen der Fall ist; das Fehlen des sächlichen Geschlechts konnte sich vielleicht das Nordostjiddische, nicht aber die Literatursprache gefallen lassen. Dichter und Forscher, Wortbildner aller Art ergänzten in sorgfältiger und mühevoller Arbeit den Wortschatz, um ihn für moderne Gefühle und Gedanken ausdrucksfähig zu machen. So entwickelte und entwickelt sich eine moderne Hochsprache, die zwar jeder Mundartsprecher ohne weiteres versteht, aber nicht jeder im Schreiben wirklich beherrscht. Der Wortschatz eines Durchschnittsjuden, aber auch der eines Gebildeten (sofern er sich seine Bildung in anderer Sprache erworben hat), ist in seiner Quantität wie in seiner Qualität so sehr durch den beschränkten Rahmen seiner Mundart bestimmt, daß es ihm zweifellos Schwierigkeiten bereiten würde, wenn er ohne die entsprechende Ausrüstung ein wirklich literarisches Jiddisch schreiben sollte. Es würden nämlich durchaus nicht nur die Schwierigkeiten der Schreibung, sondern infolge eines gewissen Wort- und Stilmangels vor allem die Schwierigkeiten in der Gedankenformulierung sich spürbar machen. Hier ist zunächst nur vom S c h r e i b e n die Rede; denn das literarische Jiddisch ist j a auch nichts anderes als eine S c h r i f t s p r a c h e im wörtlichen Sinne. Die Verhältnisse liegen hier völlig anders als beim Neuhochdeutschen. Vor allem gibt es hier nicht jenes Mittelding zwischen Schriftsprache und Mundart, die U m g a n g s s p r a c h e , welche aus der Schriftsprache eine M u n d art macht, aber diese M u n d a r t doch zugleich Schriftsprache bleiben läßt. Im Jiddischen gibt es nur eine geschriebene Schriftsprache und eine gesprochene Mundart. Das hat einen positiven und einen negativen Grund. Erstens stehen Mundart und Schrift146

spräche einander im Jiddischen viel näher als im Deutschen. Jene Distanz, die z.B. im Deutschen dem gewöhnlichen Mundartsprecher das Verstehen des Neuhochdeutschen so erschwert, gibt es hier nicht. Schwierigkeiten tauchen ja erst auf, wenn man zum Schreiben kommt, das Lesen und Verstehen macht keine Mühe. Zweitens fehlen beim Jiddischen die Faktoren einer Umgangssprache. Schule, Bühne und Tribüne wirken, wenn sie aus dem Anfangsstadium herausgewachsen sind, mundartzerstörend. Sie müssen, wenn sich ihr Wirkungsradius vergrößert, wenn sie in größere Zusammenhänge hineingestellt werden, eine Hochsprache vermitteln und verbreiten. Sie müssen die Sprache des Menschen nach den Gesetzen der Schrift regeln, um zu den umfassenderen Kulturzusammenhängen hinzuleiten. Eine jiddische Schule gab es nicht — es gab nur den Cheder, in dem man die elementaren Kenntnisse des Hebräischen in jiddischer Sprache, aber nicht die Kenntnis der jiddischen Sprache selbst vermittelte. Ein Theater gab es bis vor kurzem noch gar nicht, auch war es in den ersten Jahren seiner Entstehung noch provinziell gefärbt. Auch die Redner und ihr Publikum hatten ihren provinziellen Rahmen. In letzter Zeit erst hat sich das gewandelt. Die modernen jiddischen Schulen, das moderne jiddische Theater, die moderne jiddische Redekunst haben die Probleme des literarischen S p r e c h e n s und der literarischen A u s s p r a c h e heraufbeschworen. So mehren sich in den letzten Jahren unter den Rednern die Versuche, sich der festen, gebundenen literarischen Form zu bedienen. Man bringt den Kindern in der Schule eine gewählte Sprache bei, und man bemüht sich vor allem um die B ü h n e n a u s sprache. Die Bühnenaussprache beziehungsweise die literarische Aussprache überhaupt, ist von der Schrift ausgegangen. Nach außen hin scheint das Nordostjiddische wieder besser abgeschnitten zu haben als das Mitteljiddische. Denn von diesem sind nur das oi an Stelle des nordostjiddischen ei und der prinzipielle Unterschied zwischen Länge und Kürze übernommen worden, wobei dieser Unterschied in der literarischen Aussprache auch nicht so deutlich ist, wie im Mitteljiddischen. Es wird also vorgeschrieben: 147

α für mitteljiddisch α, ä für mitteljiddisch ä, e für mitteljiddisch e, e für mitteljiddisch ei, ei für mitteljiddisch ai-ei, ai für mitteljiddisch ä, i für mitteljiddisch i, χ für mittel jiddisch i, ο für mitteljiddisch o, δ für mitteljiddisch ü—u, oi für mitteljiddisch oi, ot für mitteljiddisch ou, u für mitteljiddisch i, ä für mitteljiddisch i,

nordostjiddisch a = κ (ζ. Β. blat); nordostjiddisch α = κ (wärem); nordostjiddisch e = ν (essn); nordostjiddisch e = s> (lebn) \ nordostjiddisch ei = « (leign); nordostjiddisch ai = t> {aisn); nordostjiddisch i = ' (schtil); nordostjiddisch i = ' (Hb); nordostjiddisch ο = κ (woch) nordostjiddisch ο = κ (hon)··, nordostjiddisch ei = Ί (roit)·, nordostjiddisch oi = (hois)', nordostjiddisch u = 1 (luft)', nordostjiddisch « = Ί (fuß).

Die meisten Anhänger hat die literarische Aussprache naturgemäß auf dem Gebiet des Nordostjiddischen, die meisten Widerstände auf dem des Mitteljiddischen. Dort ist es eine Leichtigkeit, zur literarischen Aussprache überzugehen, denn man braucht nur das ei gegen das oi einzutauschen — 'die Quantitätsunterschiede werden ja praktisch ohnehin nicht beachtet'. Und wenn auch die 'Alten' nicht einsehen können, weshalb sie das ei aufgeben sollen, die 'Fortschrittler' wissen, worum es sich handelt und können triumphieren. Aber die Vertreter des Mittel) iddischen haben allen Grund, sich dagegen zu stemmen. Das Opfer, welches man von ihnen verlangt, ist zu groß, als daß sie es darbringen könnten. Die 'Kosmopoliten' zwar, welche den 'nordostjiddischen Imperialismus' nicht sehen, lassen sich allzu leicht von einem Idealismus für das literarische Jiddisch hinreißen (man meint dabei nur die literarische Aussprache, gegen die Sprache selbst wird von keiner Seite ein Einwand erhoben). Die anderen aber lassen sich nicht blenden. Sie sprechen ihre Mundart mit der gleichen Liebe und Selbstverständlichkeit wie bisher und denken nicht daran, ihre 'natürlich gewachsene' Mundart durch das 'künstliche Gebilde' zu verdrängen. Kurzum, die literarische Aussprache ist vorläufig auf einen sehr engen Bezirk beschränkt, und es ist noch sehr zweifelhaft, ob sie sich im alltäglichen Leben in stärkerem Maße durchsetzen wird. Hierzu fehlt nämlich beim Jiddischen vorläufig — ganz anders als beim Deutschen und bei jeder Landessprache — die Möglichkeit, ebenso wie die Notwendigkeit. 148

7· Geltungsbereich des Jiddischen - Verhältnis zum Hebräischen und zu den Landessprachen

Normalerweise ist das Jiddische die S p r a c h e des J u d e n zu Juden. Jiddisch spricht der Jude in seinem Familienkreise und jiddisch erzieht er seine Kinder. In dieser Sprache unterhält er sich mit seinen Freunden und setzt sich mit seinem Gegner auseinander. Jiddisch ist die Geschäftssprache auf den jüdischen Märkten und die Verhandlungssprache in jüdischen Versammlungen, es ist die Sprache religiöser und weltlicher Vorträge, wissenschaftlicher und politischer Referate. Jiddisch hört man auf der Straße wie im Hause, im Theater wie im Gotteshaus. Jiddisch schreibt der Jude seine Briefe an Verwandte und Bekannte, aber auch die Notizen für sich selbst. Das Jiddische liest er in profanen Büchern, in Zeitungen, auf Plakaten. Jiddisch denkt er und in ihm formuliert er die Gedanken, fühlt er und äußert er seine Gefühle. Hebräisch ist die o f f i z i e l l e Sprache des J u d e n zu Gott. Es ist die Sprache des Gebets und der Toravorlesung, der fest normierten Preisungen, Bitten und Danksagungen. Das hindert freilich den Juden nicht daran, Bitten oder Danksagungen auch jiddisch vorzutragen. Wenn an Stelle der offiziellen Ansprache die persönliche Aussprache, an Stelle des festgelegten Textes der spontane Gefühlsausbruch tritt, dann tritt auch an Stelle des Lesens das Sprechen, an Stelle des Hebräischen das Jiddische. Hebräisch ist die Sprache der religiösen Schriften, die der Jude liest beziehungsweise studiert. Aber er übersetzt sie ins Jiddische. Das Studium der Schriften ist Gottesdienst, das Lesen geschieht also gleichsam in Hinwendung an Gott; das Verstehen geschieht aber durch das Umsetzen in die Sprache des menschlichen Denkens, das Verstehen ist Sache des Menschen. Hebräisch werden die religiösen Abhandlungen geschrieben, denn sie dienen der Verherrlichung des Göttlichen Namens. Aber hervorgegangen sind sie aus dem Studium in jiddischer Sprache und durch die Umsetzung jiddischer Gedanken in hebräische Sätze. Hebräisch sind häufig Ankündigungen abgefaßt, die mit dem jüdischen Gottesdienst zusammenhängen. Sie erhalten aber meist einen jiddischen 149

Text beigefügt oder bestehen aus allbekannten kurzen Formeln. In jedem Falle stellt der hebräische Teil eigendich nur eine offiziell-religiöse Kundgebung dar. Hebräisch werden Scheine und Dokumente vom jüdischen Gerichtshof ausgestellt; die Verhandlungssprache ist jiddisch. Hebräisch sind eine Anzahl Begrüßungs-, Glückwunsch-, Beileidsäußerungen, sofern sie zugleich die Erfüllung religiöser Gebote bedeuten. Hebräisch hat aber auch in all diesen Fällen die eigentümliche Aussprache, die ihm das Jiddische verliehen hat. Man hat allerdings zwischen der eigentlich jiddischen und der sakralen Aussprache zu unterscheiden. Doch liegt der Unterschied durchaus nicht im Wesen. Die sakrale Aussprache bleibt nur genauer am Schriftbild haften, während jene mehr dem freien jiddischen Sprachgefühl angepaßt ist — in beiden Fällen ist aber die Lautung der Vokale grundsätzlich durch das Jiddische bestimmt worden. Im Gebet, beim Unterricht von Kindern wird auf die genaue Wiedergabe des Buchstaben geachtet, beim Studium, beim flüchtigen Zitieren kommt es nur auf den Sinn an. Die Landessprache ist die Sprache des J u d e n zur n i c h t j ü d i schen U m w e l t . In ihr spielt sich also der gesamte schriftliche und mündliche Verkehr mit den Behörden und der Landesbevölkerung ab, auf fast all den Gebieten des alltäglichen Lebens, wie dies oben beim Jiddischen der Fall ist. Der Rahmen ist allerdings dadurch schon wesentlich enger gespannt, daß der Jude (der normale Durchschnittsjude) nicht oder nur in geringem Maße am kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Nichtjuden teilnimmt. Sofern er sich doch daran beteiligt, geraten die beiden Sprachsphären, das Jiddische und die Landessprache, in einen Grenzstreit miteinander. Die jüdischen Kinder in den landessprachlichen Schulen, die Erwachsenen in den Veranstaltungen bilden naturgemäß in sich geschlossene Zirkel, Freundschaftsbeziehungsweise Bekanntschaftskreise, deren Sprache dann das Jiddische ist. Zuweilen wirkt aber, ganz besonders bei den Kindern in der Schule, der Einfluß der Umwelt, so daß diese Zirkel i n n e r h a l b der Umwelt sich deren Sprache bedienen, auch wenn sie a u ß e r h a l b derselben gleich zum Gebrauch des Jiddischen 150

zurückkehren. Es besteht auch die andere Möglichkeit. Wenn der Nichtjude in einen gesellschaftlichen Kreis von Juden hineinkommt, wenden sich diese aus Rücksicht auf ihn, auch im Gespräch untereinander, der Landessprache zu. Landessprache ist nicht immer ein eindeutiger Begriff. Sie hört es auf zu sein, wenn die Juden innerhalb einer Bevölkerung wohnen, welche selbst eine nationale und sprachliche Minderheit im Lande bildet, z. B. in Ostgalizien oder in der Bukowina, wo die bodenständige Bevölkerung ruthenisch spricht, während als Landessprache Polnisch beziehungsweise Rumänisch herrscht. In diesem Falle hat man unter Landessprache beides zu verstehen. Da muß der Jude sowohl die s t a a t l i c h e Landessprache, im Verkehr mit den Beamten und der sonst noch siedelnden polnischen beziehungsweise rumänischen Bevölkerung, als auch die ethnische, im Verkehr mit der bodenständigen Bevölkerung, kennen. Bleiben wir beim Beispiel Ostgaliziens oder der Bukowina, wo erstens noch aus der Vorkriegszeit die Kenntnis des Deutschen in einem gewissen Maße heimisch ist, und, ebenfalls aus der Vorkriegszeit, noch eine Tradition herrscht, im Handelsverkehr sich des Deutschen zu bedienen (eine Tradition freilich, die sehr energisch und erfolgreich durch die Landessprache verdrängt wird), abgesehen davon, daß das Jiddische selbst eine Brücke zum Deutschen bildet (»welcher Jude kann kein Deutsch?«lautet ein jiddisches Sprichwort), daß es selbst zur Lektüre deutscher Schriften befähigt, — so stehen wir vor dem seltsamen Phänomen des f ü n f s p r a c h i g e n j ü d i s c h e n D u r c h s c h n i t t s t y p u s , des Juden, mit dem man sich, natürlich innerhalb gewisser Grenzen, ebensogut jiddisch, hebräisch, deutsch, ruthenisch und polnisch beziehungsweise rumänisch verständigen kann. Vier- bis fünfsprachig, seltener dreisprachig ist fast überall der durchschnittliche Ostjude. In der Landessprache unterhält sich der Jude auch mit den Haustieren, da er sie im Lande kennengelernt hat, da sie also für ihn 'vollgültige Bürger1 des Landes sind, in dem er wohnt. Interessant ist in diesem Zusammenhang wieder das Beispiel Ostgaliziens: zur Katze spricht man normalerweise ruthenisch, zum Hund polnisch; denn jener ist man im allgemeinen in den einfachen Häusern der rutheni-

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sehen Bauern, diesem in den besseren Häusern der polnischen Herren begegnet. Hebräisch, Jiddisch und Landessprache sind also im allgemeinen scharf gegeneinander abgegrenzt. Wo sie sich berühren, wird dies besonders deutlich. Man denke z. B. an die feierlichen Gottesdienste, welche aus staatlichen Anlässen in den Synagogen abgehalten werden. Sie bestehen aus drei Teilen: aus den hebräischen Gebeten zu Gott, den jiddischen Ansprachen an die Juden und den landessprachlichen, die zwar ebenfalls vor den Juden gehalten, aber an die Vertreter der Behörden und durch deren Vermittlung an die Behörden selbst eigentlich gerichtet sind. Dies kann man als die normalen oder durchschnittlichen Geltungsbereiche der drei Sprachen bezeichnen. Aber die Darstellung wäre völlig schief, wenn sie dabei stehen bliebe und die vielen Faktoren außer acht ließe, welche die Grenzen der Bereiche sehr stark verschieben. Erst wenn man sie alle in Betracht zieht, gewinnt man ein ungefähres Bild der Wirklichkeit. Zunächst die Zeit. Nicht immer war der Geltungsbereich des Jiddischen derselbe. Bis ins neunzehnte Jahrhundert galt noch der Totalitätsanspruch der jüdischen Religion. Der Jude wurde dadurch ferngehalten von der außer jüdischen Kultur, beziehungsweise empfing von ihr nur das, was ihm in einer spezifischen Bearbeitung von der Religion dargereicht wurde. Auf der anderen Seite stand die Beschäftigung mit dem religiösen Schrifttum so eigentlich im Mittelpunkt aller geistig-kulturellen Tätigkeit, und so war auch die Kenntnis des Hebräischen größer als heute. Damit war der Bereich der Landessprache etwas enger, zugleich der des Hebräischen etwas weiter. Man schrieb noch häufiger hebräische Briefe, selbst wenn man jiddisch sprach, weil man im Hebräischen die Schriftsprache sah. Aus dem gleichen Grunde schrieb und las man noch mehr hebräische Bücher und hebräische Artikel. Der Jude machte sich noch sehr häufig hebräische Aufzeichnungen, stellte hebräische Rechnungen aus usw. Der Gebrauch des Hebräischen als Schriftsprache glich mehr den Verhältnissen im Mittelalter. Als sich im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts die religiöse Bindung gelockert hatte, setzte eine Ent152

wicklung auf mehr weltlicher, auf volksmäßiger und volkssprachlicher Grundlage ein. Man wandte sich immer mehr vom Alten ab und dem Neuen, der allgemeinen europäischen Kultur zu. Zuerst erwuchs daraus noch eine fruchtbare Synthese. Die noch erhaltene Kenntnis des Hebräischen und die schon erworbene Bekanntschaft mit der allgemeinen Kultur schufen eine Blütezeit moderner hebräischer Literatur. Aber durch die Abwendung vom Alten nahm auch die Kenntnis des Hebräischen immer mehr ab. Die Verarbeitung der europäischen Kulturwerte erfolgte nun im volksmäßigen Jiddisch, sofern nicht schon die Landessprache eingedrungen war. Denn sie war das Endziel der Modernisierung. Das Jiddische hatte eigentlich nur einen vorübergehenden Nutzen davon. Man konnte keine hebräischen Briefe schreiben und ging daher zu den jiddischen über, zunächst mit mehr, später weniger hebräischen Beimischungen. Aber je weniger man sich mit dem traditionellen Studium befaßte, um so mehr nahm man von der Landessprache in sich auf, so daß auch das Jiddische in den Hintergrund gedrängt wurde. Von den jiddischen zu den landessprachlichen Briefen ist zwar noch ein sehr großer Schritt, aber man tat auch diesen. An Stelle hebräischer Aufzeichnungen von Vereinen oder Institutionen kamen zunächst jiddische, dann aber landessprachliche. Selbst in Haus und Gotteshaus drang die Landessprache ein, um das Jiddische zu verdrängen. Das Jiddische war in erster Reihe durch die Religion geschützt. Der Modernisierungsprozeß erzeugte jetzt eine andere religiöse Auffassung, er löste das Jiddische von der Religion. Religiöses Leben auf landessprachlicher Grundlage wäre früher kaum denkbar gewesen. Nun sind auch landessprachliche Predigten und Vorträge in den Synagogen keine Seltenheit mehr. Der Übergang vom Jiddischen zur Landessprache vollzieht sich allmählich, generationenweise. Man kann das gerade jetzt, seit der Jahrhundertwende, sehr deutlich beobachten. Stellt man die Generation der Vergangenheit, die der Gegenwart und die der Zukunft einander gegenüber, so sieht man den Fortschritt der Entwicklung. Die Großeltern besitzen sehr unvollkommene Kenntnisse der Landessprache, sie waren deshalb auch seinerzeit nicht *53

darauf bedacht, ihren Kindern die Landessprache systematisch beizubringen. Ihre Kinder aber, die Eltern, haben sich mühselig gewisse Kenntnisse der Landessprache erworben, und zwar gerade so viel, daß sie einerseits mit den Kindern sich schon unterhalten können, andererseits auch die Notwendigkeit spüren, den Kindern mehr geben zu müssen als sie selber besitzen. Die Kinder, von frühester Jugend an in der Landessprache erzogen, können kaum noch jiddisch. Und nun berührt es sehr seltsam, wenn man die Eltern, welche untereinander und mit anderen selbstverständlich jiddisch sprechen, mit ihren Kindern beispielsweise nur noch polnisch sprechen hört, und noch seltsamer, wenn sich der alte Großvater mit seinem Enkelkind selbst im Gotteshaus, wo er es sonst nie gewagt hätte, polnisch unterhält. Während der Großvater nur ein hebräisches religiöses Buch zur Lektüre nimmt, liest der Vater eher schon die jiddische Zeitung oder ein jiddisches Buch, aber das Kind erhält ein polnisches Bilderbuch. Derartige Bilder sind sehr häufig, obgleich nicht allgemein. Dazu spielen noch viel zuviel andere Faktoren mit. Aber einer dieser Faktoren ist eben das Alter. Wenn sich das ältere Geschlecht noch des Jiddischen in der normalen Weise bedient, so neigt die J u g e n d sehr stark zu seiner Zurückdrängung. Sie führt sehr häufig ihre Tagungen wie ihre geselligen Unterhaltungen, ihre private wie ihre offizielle (z. B. bündische) Korrespondenz in der Landessprache. Sie schöpft ihre geistige Nahrung aus Lektüre in der Landessprache und will in ihr auch die notwendigen jüdischen Inhalte vermittelt bekommen. Vor allen Dingen wirkt hier die Schule. Im Hinblick auf die Schule geschieht es ja zum größten Teil, daß die Eltern ihre Kinder in der Landessprache erziehen (man will es ihnen leichter machen). In der Schule lernen sie nun das Formen und Ausdrücken der Gedanken in der Landessprache, die ihre unmittelbare Denksprache wird. So werden sie dann, selbst wenn sie noch jiddisch sprechen können, bei tieferen Problemen gezwungenen ihr die Ausdrucksmittel zu suchen. Zu diesem intellektuellen Zwang kommt noch ein psychologischer hinzu. Die Freundschaftskreise bilden sich zum großen Teil durch Vermittlung der Schule, also auch der Schulsprache. Diese be154

herrscht dann sehr leicht auch die freundschaftliche Unterhaltung außerhalb der Schule, welche meist zeitlich beziehungsweise sachlich den Verkehr in der Schule fortsetzt. Im allgemeinen wirkt die Volksschule nicht so stark in dieser Richtung wie die höhere. Diese wirkt auch noch indirekt. Die Schüler der höheren Schulen, auch rein zahlenmäßig nicht gering, geben vor allem durch ihre Qualität den Ausschlag. Sie sind meist führend tätig und beeinflussen so die übrige Jugend, welche sich ihr nachzueifern bemüht. Selbst die Jugend, welche jüdische Schulen besucht, sei es moderne Schulen, sei es den alten Cheder, wird vom Strom mitgerissen. Es kommt mitunter sogar vor, daß Kinder, welche neben einer Landesschule noch einen Cheder besuchen, hier den Unterricht in der Landessprache nehmen, weil sie in ihr bereits erzogen sind. Kurzum, man kann generell die Neigung der Jugend zur sprachlichen Assimilation feststellen. Der Grad ist dabei verschieden: der eine versteht nur noch polnisch, der zweite versteht zwar noch jiddisch, spricht es aber nicht mehr, der dritte spricht es nur noch in Kreisen, die ihn nicht anders verstehen, der vierte spricht es noch ebenso häufig, wie etwa polnisch, kann es aber nicht schreiben, der fünfte spricht und schreibt noch jiddisch, aber daneben schon ebensogut polnisch usw. Dies hängt — von anderen Faktoren abgesehen — jeweils von dem Fortschritt ab, den das vorangehende Geschlecht in der Entwicklung zur Landessprache hin erzielt hat. Der Grad der sprachlichen Assimilation hängt auch vom G e s c h l e c h t ab. Die jüdische Frau hat am eigentlich religiösen Leben, auch am Gottesdienst, keinen aktiven Anteil. Das Gebot des religiösen Studiums erstreckt sich nur auf das männliche Geschlecht. Damit wird die Frau auch vom eigentlich jüdischen, d. h. hebräischen, Kulturkreis ferngehalten. Damit steht auch die alte, traditionelle Erziehungsmethode der Mädchen im Zusammenhang. Hebräisch brauchte es — nach dieser Methode — nur, um dem Gottesdienst zu folgen, lesen zu können, und von der jüdischen Lehre genügte eine Unterweisung in denjenigen Gegenständen, die in den weiblichen Aufgabenkreis fallen. Um so empfänglicher muß es immer für die fremdsprachliche Kultur ge155

wesen sein. Von hier aus versteht man auch die Stellung der Frau zum Jiddischen vom Anbeginn an. An der Schöpfung des Jiddischen war sie in erster Reihe beteiligt, und seither war sie in stärkerem Maße dessen Trägerin als der Mann; denn da war es gewissermaßen die Landessprache, der das Hebräische als die jüdische Sprache gegenüberstand. Der Mann konnte die Bibel im hebräischen Original lesen, die Frau mußte eine deutsche (d.h. jiddische) Übersetzung haben; er verstand die hebräischen Gebete, die er zu Gott sprach, sie mußte, um die vorgetragenen Bitten auch selber zu verstehen, hinter den hebräischen Gebeten auch deren jiddische Übertragungen oder andere jiddische Stücke des gleichen Inhalts (tchines Gebete) lesen. Wo er sich in der Schrift des Hebräischen bediente (z. B. in Briefen), kannte sie nur das Jiddische; und selbst, wo er sich des Jiddischen bediente, standen ihm mehr hebräische Ausdrücke zur Verfügung als ihr. Das Verhältnis änderte sich, als sich das Verhältnis des Jiddischen zum Hebräischen verschob. Nun ist das Jiddische keine 'Landessprache' mehr, sondern gehört der Sphäre des Jüdischen an. Und nun neigt das weibliche Geschlecht zur neuen Landessprache. Wo der Mann noch so fest in der Tradition wurzelt, daß er auch eine tiefere Kenntnis des Hebräischen besitzt, da steht die Frau noch ganz auf dem Boden des Jiddischen. Wo der Mann aber nur noch jiddisch kann, da ist die Frau schon oft bei der Landessprache angelangt. Daher ist auch die weibliche Jugend sprachlich stärker assimiliert als die männliche. Oder mit anderen Worten: jene ist dieser um eine Generation voraus. Ein weiterer gradueller Unterschied ergibt sich durch die berufliche und soziale Gliederung. Die Handwerker und Arbeiter einerseits und die Vertreter der religiösen Berufe (Rabbiner, Schächter, Melammed) andererseits verhalten sich am konservativsten. Diese stehen nämlich der modernen Landeskultur und Landessprache fern, weil sie mit dem jüdisch-religiösen Kultur- und dem jiddisch-hebräischen Sprachbezirk besonders eng verbunden sind. Sie sind die Träger der jüdischen Bildung. Jenen gibt ihre wirtschaftliche und soziale Lage nicht die Möglichkeit, in die Landeskultur tiefer einzudringen. Ihnen fehlt im Durchschnitt, 156

d.h. soweit sie nicht in der Arbeiterbewegung organisiert sind, eine über das Elementare hinausgehende Bildung; sie sind Vertreter des Elementar-Volksmäßigen und damit auch des Jiddischen. Soweit es sich um organisierte Arbeiter handelt, verbindet sie ein ideologisches Moment mit dem Volksmäßig-Jiddischen. Demgegenüber erscheint die Schicht der Intellektuellen, die sogenannte 'inteligenzim allgemeinen geradezu als Förderin der sprachlichen Assimilationsbewegung. Sehr groß ist rein sprachlich die Kluft zwischen ihr und den erstgenannten Kreisen; oft ist bereits die Grenze der Verständigungsmöglichkeit erreicht. Abstufungen zwischen diesen Extremen sind wieder sehr zahlreich. In der Mitte steht der Kaufmann, bald mehr nach der einen, bald nach der anderen Seite hinneigend, je nach der Größe des Unternehmens oder der Art seiner Kunden. Der Kaufmann steht im Verkehr mit weiteren Handels- und Industriekreisen. Er hat, gleich der intellektuellen Schicht,vielfache Beziehungen zu den Behörden, seine Korrespondenz und die Führung der Geschäftsbücher — all das macht die Kenntnis der Landessprache in viel höherem Maße notwendig als beim Handwerker oder Melammed 1 . Zur sprachlichen Assimilation wird der Kaufmann beziehungsweise Intellektuelle nicht nur von innen her getrieben, sondern in sehr starkem Maße von oben her. Die Stellung der R e g i e r u n g zum Judentum und zur Judenfrage ist auch für das Jiddische von eminenter Wichtigkeit. Hierzu aber kann ganz generell gesagt werden, daß die Assimilation der Juden, in den einzelnen Ländern verschieden nuanciert, ü b e r a l l als Schlüssel zur Lösimg der Judenfrage angesehen wird, obwohl formell die Minderheitenrechte, also auch das Recht auf sprachliche und kulturelle Autonomie, bewahrt bleiben sollen. Offiziell wird also die jüdische Eigensprachigkeit geachtet und anerkannt, inoffiziell wird deren Beseitigung gewünscht und mit allen Mitteln gefördert. Dieses Verhalten kommt in den einzelnen Ländern mit verschiedener Deutlichkeit zum Vorschein, z.B. in Polen, Rumänien und Ungarn deutlicher als in den drei baltischen Staaten, in Litauen mehr als in Lettland usw. Es kommt durch die verschiedensten Maßnahmen zum Ausdruck. So wird z.B. in Polen ein Druck auf die 1

Lehrer im Cheder (jüdische Elementarschule). 157

Beamten ausgeübt; ebenso wird der Schuljugend das Jiddischsprechen als minderwertig verboten. Eigene jüdische Schulen werden nur mit Widerwillen zugelassen, kaum anerkannt, geschweige denn unterstützt. Und schließlich wird auch im alltäglichen Leben durch allerlei kleine und kleinliche Bestimmungen, Forderungen oder Bemerkungen von Seiten der Behörden und ihrer Kreise das Jiddische mißachtet und unterdrückt. Die Unterschiede im Verhalten der einzelnen Länder sind nur quantitativer Natur, sind also weniger durch das Wesen der herrschenden Völker, als durch die Stärke ihres Nationalismus bestimmt. Das zeigt uns gerade die Entwicklung Polens und der baltischen Staaten in den letzten Jahren. Eine besondere Stellung nimmt Sowjetrußland ein. Hier ist das Jiddische zu einer tief begründeten politisch-ideologischen Angelegenheit geworden. Im Kampf gegen den 'konterrevolutionären' Zionismus und das von ihm zum Leben erweckte Hebräisch fand die Sowjetregierung eine geeignete, von Juden selbst ihr dargereichte Waffe im Jiddischen. Um des hohen politischen Zwecks willen wurde also eine bedeutsame Konzession auf sprachlichem Gebiete gemacht. Damit wurde zwar der auch hier gehegte Wunsch der Judenassimilation nicht aufgegeben, aber seine Verwirklichung ist praktisch sehr erschwert worden. Die Politik des bolschewistischen Systems verlangte es hier, daß das jiddische Schulwesen gefördert, daß an den Hochschulen in Kiew und Minsk jiddische Abteilungen gegründet, daß in zahlreichen Dörfern und Städtchen mit überwiegender jüdischer Mehrheit jüdische Sowjets mit Jiddisch als Amtssprache gebildet, daß sonst wenigstens das Jiddische als nationale Sprache der Juden, in der auch Veröffentlichungen der Regierung an die Juden ergehen, anerkannt, und daß neuerdings sogar eine autonome jüdische Republik in Biro-Bidschan mit Jiddisch als Landessprache hergestellt wurden. Trotz alledem ist die sprachliche Assimilation, da ja die kulturelle fortbesteht, nicht vollständig aus der Welt geschafft. Welches Ausmaß sie annehmen wird, ob sie beziehungsweise unter welchen Umständen sie als durchführbar oder undurchführbar anzusehen ist, ist noch eine Frage der Zukunft. 158

Eine große Rolle spielt der Gegensatz Großstadt—Provinz. Die Entwicklung der Großstädte hat sie zu den Zentren der modernen europäischen Kultur gemacht. Je größer die Stadt, je bedeutender das kulturelle Leben in ihr, um so stärker dessen Einfluß auf die Juden, um so größer also die sprachliche Angleichung an die Umwelt. Die mittleren Provinzstädte streben den Großstädten nach, den mittleren die kleinen und diesen die kleinsten Städtchen und Dörfer. Es ist also mehr als ein Witz, wenn man ganz allgemein die Behauptung aufstellt, man könne die Größe einer Stadt an der Sprache der auf dem Korso spazierenden jüdischen Abendgesellschaft abmessen. Von großer Bedeutung sind auch die l a n d s c h a f t l i c h e n Unterschiede. In den Ländern, die zu Österreich gehört hatten, schritt die Assimilation rascher vorwärts als in den ehemals russischen Gebieten. Die Nähe des Deutschen beeinträchtigte die Entwicklung des Jiddischen. Daher sind auch die moderne jiddische Kultur- und die moderne jiddische Sprachbewegung so gut wie ausschließlich auf die früher russischen Länder beschränkt geblieben. Auch das jiddische Schulwerk ist nur dort wirklich möglich geworden. Im allgemeinen kann man auch sagen, daß der Westen in der Assimilation weiter vorgeschritten ist als der Osten. Im heutigen Polen z. B. steht hierin Westgalizien vor Ostgalizien, hinter diesen erst Kongreßpolen, zum Schluß Polnisch-Litauen. Ein gutes Barometer geben die jüdischen Tageszeitungen ab. Jede dieser Provinzen besitzt mindestens eine zentrale Tageszeitung, die in der ganzen Provinz verbreitet ist. In Westgalizien herrscht seit langem schon unumstritten der in polnischer Sprache erscheinende 'Nowy Dziennik' (Krakau); in Ostgalizien (Lemberg) hat sich der lange Kampf zwischen der 'Chwila' (polnisch) und dem 'Tageblatt' (jiddisch) endgültig zugunsten der ersten entschieden; in Kongreßpolen führt immer noch der Warschauer 'Hajnt' (jiddisch), neben ihm der 'Moment' (jiddisch), aber im letzten Jahrzehnt ist der neue polnische 'Nasz Przeglad' zu immer größerer Bedeutung gelangt; hingegen werden in Polnisch-Litauen so gut wie ausschließlich jiddische Zeitungen gelesen. Ein anderes Charakteristikum: in Westgalizien kann man polnisch auch in tradi159

tionellen Familien hören, die in Ostgalizien nicht daran denken würden, Polnisch in ihr Haus einzuführen. Oder: die Generation, welche in Litauen noch treu zum Jiddischen hält, ist in Kongreßpolen schon zu Kompromissen geneigt, während sie in Ostgalizien bereits eher polnisch und in Westgalizien selbstverständlich nur polnisch spricht. Bisher war nur von den natürlichen Faktoren die Rede, welche ohne ein Zutun von Seiten der Juden selbst wirken. Sie liegen ganz auf der Linie der von selbst vor sich gehenden Entwicklung, der Entwicklung vom Jiddischen zur Landessprache. Ihnen stehen als künstliche Faktoren die politischen Bewegungen innerhalb des Judentums gegenüber. In derselben Richtung wie j ene natürlichen Faktoren wirkt die p o l i t i s c h e A s s i m i l a t i o n s b e w e g u n g , welche die geschilderte Entwicklung beschleunigen und durch völlige Aufgabe des nationalen Eigenlebens noch weit über ihren natürlichen Rahmen hinaus ausdehnen will. Diese Richtung will weder vom Jiddischen noch vom Hebräischen etwas wissen, sie fühlt sich der Landessprache ebenso wie dem Land und dem Landesvolk innerlich, 'blutsmäßig' verwandt.. Sie steht in einer Wechselbeziehung zur Landesregierung: ihre Anhänger sind vor allem die wenigen jüdischen Staatsbeamten und jene dünne Oberschicht von materiell gutgestellten und geistig-kulturell dem Judentum entfremdeten Intellektuellen, Großkaufleuten oder Industriellen, die bereit sind, für die erhaltenen Güter mit dem Judentum zu bezahlen; und die Regierung ihrerseits fordert diesen Preis für die gewährten Güter, namentlich für amtliche Anstellungen. Diese Gruppe, wenn auch nach außen hin scheinbar sehr bedeutsam und einflußreich, spielt im innerjüdischen Leben eine ganz geringe Rolle. Sie ist auch nicht groß und hat im Verhältnis zur Vorkriegszeit, besonders aber zur Ausgangsperiode des neunzehnten Jahrhunderts, beträchtlich abgenommen, was unter anderem auf die zunehmende Verarmung der jüdischen Massen und auf die Judenpolitik der Regierungen zurückzuführen ist, die nicht dazu angetan ist, ihre Assimilationsforderungen zu rechtfertigen. Der Zusammenbruch der assimilatorischen Richtung war zugleich 160

Ursache und Wirkung des Entstehens und Erstarkens der zionistischen Bewegung. Mit der Rückkehr ins alte Land und zum alten Volksgeist mußte sich die Rückkehr zur alten Sprache als Umgangssprache verbinden; ja, diese war gewissermaßen die Voraussetzung für jene. So entstand schon in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts eine Blütezeit der neuhebräischen Dichtung und Presse und mit ihr ertönte der Ruf zur Wiederbelebung der hebräischen Sprache. Der Zionismus erklärte das Hebräische als die nationale Sprache, und es war nur selbstverständlich, daß er mit aller Kraft und allem Idealismus, die ein neuerwachendes Volk aufzubringen vermag, für dessen Durchsetzung im neuen jüdischen Palästina kämpfte. Der Kampf war von Anfang an sehr schwer und ist es bis auf den heutigen Tag, wenn man bedenkt, daß die jüdischen Einwanderer in ihrer Heimat fast nie hebräisch als lebendige Alltagssprache gesprochen haben und daß jede große Immigrantenwelle eine große Gefahr für das Hebräische mit sich brachte und bringt. So mußten die palästinensischen Zionisten auch einen heftigen Kampf gegen das Jiddische aufnehmen, mit dem große ostjüdische Massen teils aus mangelndem Verständnis für das nationale Aufbauwerk, teils aus purem Opportunismus, weniger aus prinzipiellen Gründen, den Alltagsverkehr zu überfluten drohten und zum Teil noch drohen. Ebenso gerecht war dann auch die zur Bedingung gemachte Forderung, daß die jüdischen Einwanderer noch in ihrer Heimat sich die nötigen hebräischen Kenntnisse aneigneten, eine Forderung, die in dieser Formulierung für den ehrlichen Zionisten doch auch unzureichend und beschämend zugleich sein mußte. Denn ihm war ja das Erlernen der nationalen Sprache an sich schon Selbstzweck, nicht Mittel zur Erlangung des Einreisezertifikats. Nun erforderte der Kampf um das Hebräische einen immer größeren Einsatz der Kräfte; denn der Säkularisierungsprozeß hatte inzwischen die hebräischen Kenntnisse beim jüdischen Volk in vielen, wenn nicht schon in den meisten Gegenden fast auf den Nullpunkt herabsinken lassen. Um so lauter wurde die Parole der Hebraisten, das jüdische Volk zu erobern — und so erstand im Hebräischen eine unerwartete Konkurrenz für das Jiddische. 161

Unterdessen spitzte sich das Verhältnis auch von der anderen Seite zu. Das Jiddische seinerseits erlebte gleichzeitig mit dem Hebräischen — ebenfalls infolge des Verweltlichungsprozesses — eine Blütezeit, die aber von längerer Dauer und sogar gerade durch den rapiden Abstieg des Hebräischen in Osteuropa noch aufwärts getrieben worden war. Auch sie steht in einem gewissen Zusammenhang mit politischen Vorgängen. Ziemlich gleichzeitig mit der nationalen entwickelte sich ihre stärkste Gegnerin, die soz i a l i s t i s c h e B e w e g u n g . Waren für j ene das j üdische Volk und seine Tradition das Primäre, so waren es für diese die neuentstandenen jüdischen Arbeitermassen und ihre junge geistig-kulturelle Grundlage; hat also die Ideologie dort an das alte Hebräisch, so hat sie hier an das junge, volkstümliche Jiddisch angeknüpft. Die Zionisten hatten an sich nichts gegen das Jiddische. Es war ihnen ideologisch gleichgültig, gefühlsmäßig sogar sehr nahe. Nur die Konkurrenz, die es dem Hebräischen machte und die ihr Aufbauwerk gefährdete, zwang sie trotz alledem gegen das Jiddische aufzutreten. Ein Teil von ihnen hat sich dann durch diesen ideologischen Gesichtspunkt auch in seinen Gefühlen gegen das Jiddische umstimmen lassen. Den Sozialisten war — abgesehen von denjenigen, die sich zum nationalen Programm des Zionismus bekannten — das Hebräische nicht nur der Konkurrent des Jiddischen, sondern vor allem auch eine gefährliche Illusion, den Arbeiter von seinem praktischen Kampf abzulenken, diesen unmöglich zu machen. Es war für sie ferner eines der Momente, die den Zusammenschluß des Proletariats hinderten und dem Anschluß an die Bourgeoisie und an die Utopie dienten. Es war ihnen als Werkzeug des Nationalismus wie des Klerikalismus verhaßt. So wurde dem 'Ziohebraismus' der entschiedenste Kampf angesagt, die völlige Abkehr vom Hebräischen gefordert. Sie hatten es leichter als die Hebraisten; denn sie brauchten nicht gegen den Strom zu schwimmen. Sie hatten die Tatsachen auf ihrer Seite und konnten sie zur Grundlage ihrer Anschauungen machen. Die Zionisten dagegen mußten erst die Abkehr vom Jiddischen erwirken, um das Hebräische zur Umgangssprache werden zu lassen — sie planten und forderten also Widernatürliches. 162

Im Munde der zionistischen Fanatiker entstand daraus der Kampfruf »Hebräisch oder Russisch!«—, während sich die Gegner mit der Losung »Jiddisch, nicht Hebräisch!« begnügen konnten. Zu den Jiddischisten gehörten auch die nichtsozialistischen "Volkisten* (die Theoretiker einer nationalen Autonomie in der Diaspora), die aber in ihrer Stellung zum Hebräischen gemäßigter waren als die Sozialisten. Als nun auch traditionelle Kreise und vor allem die mit der jüdischen Tradition verwachsenen jiddischen Schriftstellerkreise sich für das Jiddische einsetzten, mußte die Schärfe gegen das Hebräische nachlassen. Und es ist im wesentlichen diesen gemäßigten Kreisen zu verdanken, daß die Jiddische Sprachkonferenz in Czernowitz im Jahre 1908 nur zur Resolution führte, die das Jiddische als eine nationale Sprache neben das Hebräische stellte. Der Kampf war damit noch lange nicht zu Ende. Die radikalen Jiddischisten führten ihn weiter, die radikalen Hebraisten ebenfalls. Jene setzten sich in Sowjetrußland durch, wo das Hebräische mit allen Machtmitteln verfolgt wird, diese in Palästina, wo man das Jiddische aus dem öffentlichen Leben verbannt hat. Aber die Spitze ist im langen Kampf bereits abgebrochen. Der eigentliche Kampf ist gewissermaßen in den beiden Ländern, Palästina und Sowjetrußland, lokalisiert worden. Sonst hat der Sprachenkampf so gut wie aufgehört. Geblieben ist nur die scharfe Trennung in zwei Lager, von denen jedes sein eigenes Betätigungsfeld hat. Die Zionisten haben ein hebräisches Schulwerk in Palästina wie in der Diaspora geschaffen. Die Jiddischisten haben sich ein eigenes jiddisches Schulnetz ausgebaut, mit Jiddisch als Unterrichtssprache. Die jiddischen Schulen sollen nun dazu dienen, das Jiddische wieder im Volk so fest zu verankern, wie es bis vor kurzem noch war. Die Jugend soll die moderne Kultur in jiddischem Gewand erhalten, um dadurch vor der Assimilation bewahrt zu werden. Die Hebraisten haben ihre Forschungstätigkeit im wesentlichen in der Jerusalemer Universität konzentriert, obgleich auch an manchen Instituten der Diaspora Wertvolles in derselben Richtung geleistet wird. Die Jiddischisten haben ihre Forschungsinstitute vor allem in Wilna, Minsk und Kiew, wobei eine grundsätzliche Ver163

schiedenheit in den Arbeitstendenzen herrscht. Minsk und Kiew sind Sitzorte des radikalen, antihebraistischen und antinationalistischen Jiddischismus, Stätten der 'proletarischen Wissenschaft', während Wilna die gemäßigte Richtung vertritt, die die Opposition gegen das Hebräische aufgegeben hat und sich immer mehr zu einem überparteilichen wissenschaftlichen Institut ausbaut. Nunmehr bestehen sogar Reibungen zwischen dem Wilnaer und den beiden sowjetrussischen Instituten. Der Kampf zwischen dem Hebräischen und Jiddischen ist ein ideologischer, er beruht auf Forderungen. Forderungen aber und Tatsachen sind zweierlei, und das wird jetzt nach dem Nachlassen des Kampfes besonders sichtbar. Die Forderung der Zionisten, auch die jüdische Diaspora zu hebraisieren, ließ sich nur zum Teil verwirklichen. Der wirklich zielbewußte, von Idealismus erfüllte Teil der zionistischen Jugend hat sich zum Hebräisch-Sprechen durchgerungen. In den hebräischen Schulen wird hebräisch gesprochen. Diejenigen unter den älteren Zionisten, welche noch ein großes hebräisches Wissen aus ihrer Jugendzeit mitgebracht haben, glänzen noch hier und da als bewährte Hebraisten. Man findet wohl keine Stadt, wo es nicht einen oder einige hebräisch sprechende Kreise gäbe. Die Zahl der zionistischen und hebraistischen Versammlungen und Konferenzen, auf denen hebräisch referiert, diskutiert, beraten und verhandelt wird, ist nicht mehr gering. Namentlich in den letzten Jahren, da sich der Kontakt mit Palästina inniger und unmittelbarer gestaltet, wird die hebräische Rede häufiger und selbstverständlicher. All das ist anzuerkennen. Aber all das wird von der mächtigen Kraft des Willens und des Idealismus getragen. Das Hebräische zur selbstverständlichen Alltagssprache für die jüdischen Massen zu machen, ist in absehbarer Zeit eine Utopie. Diese Tatsache wird vom Zionismus durchaus nicht übersehen. Seine Wirkung im Sinne einer Hebraisierung braucht darunter nicht zu leiden und wird es wohl auch kaum. Denn der Zionismus hat von Anfang an gegen Tatsachen gewirkt und auf das 'Utopische' hingearbeitet. Spricht man aber von den Tatsachen, so ist festzustellen, daß die zionistische Bewegung gegen die sprachliche Assimilation des Judentums in der 164

Diaspora (des Judentums als Ganzen) sehr wenig ausrichten kann. Sie muß ihre Gesamtenergie dem Hebräischen zuwenden, das Jiddische kann sie nicht in ihre Ideologie aufnehmen, auch wenn ein großer Teil der Bewegung heutzutage, sei es aus gewissen ideologischen, sei es aus gefühlsmäßigen Gründen, dem Jiddischen wenigstens den zweiten Platz zuweist, indem er die Auffassung vertritt, daß, wo das Hebräische praktisch nicht durchzuführen sei, man dem Jiddischen wenigstens den Vorzug vor der Landessprache geben solle. Diese Ansicht ist häufig geäußert worden. Aber sie vermag so, in dieser gemäßigten Fassung, nicht zu bewußt willensmäßigem Handeln für das Jiddische anzuspornen, sie vermag nicht die Kraft zu geben, welche erforderlich wäre, um die Tatsachen zu ändern — und eine kategorischere Fassung ist aus Rücksicht auf das Hebräische nicht möglich. Die Tatsachen müssen vom Zionismus so, wie sie durch die oben erörterten Faktoren geschaffen sind beziehungsweise werden, hingenommen werden. Er kann es nicht verhindern, daß die Jugend oder die Kreise der Intellektuellen in der Landessprache Versammlungen abhalten oder Bücher und Zeitungen erscheinen lassen, weil sie nur so wirklich ihre Gedanken formulieren und die der anderen verstehen können, er kann es nicht verhindern, daß in der einen Stadt, in der einen Provinz die Entwicklung zur Landessprache rascher vor sich geht als in der anderen. Kurz, der Zionismus verschiebt die Grenzen des Jiddischen, aber auch des landessprachlichen Geltungsbereichs nur insofern, als er das Hebräische vorzuschieben vermag; gegenüber der Landessprache kann er die Position des Jiddischen weder stärken noch schwächen. Da tut der Jiddischismus mehr. Ihm ist es wirklich möglich, den sprachlichen Assimilationsprozeß bis zu einem gewissen Grade aufzuhalten. Er fordert nicht nur kategorisch die Treue zum Jiddischen, sondern schafft auch die Voraussetzungen dafür, indem er die moderne Kultur in jiddischer Sprachform an das Judentum heranträgt, indem er vor allem der Jugend das Jiddische als Denksprache erhält. Aber auch seine Wirkungsmöglichkeiten sind beschränkt. Erstens, weil der Jiddischismus nur einen kleinen Teil der jüdischen Bevölkerung in seinen Einflußbezirk einschließt; auf 165

die zionistischen und orthodoxen Elemente im Judentum kann er keinen Einfluß ausüben. Zweitens, weil er nicht über die genügenden Mittel verfügt, um eine ausreichende Anzahl von Schulen und sonstigen Anstalten zu unterhalten. Drittens, weil er die Bestrebungen der Landesregierung gegen sich hat. Das Schicksal des Jiddischen liegt zu einem sehr großen Teil in den Händen der Regierung, die über die Möglichkeiten kultureller Autonomie entscheidet, die auch mittelbar durch Schaffung von politischen und ökonomischen Bedingungen das Verhältnis des Jiddischen zur Landessprache bestimmt. Und als letztes: der Jiddischismus kann nicht denselben Totalitätsanspruch erheben, wie früher die Religion, er kann nicht so gegen die Kultur der Umwelt abschließen, daß die sprachliche Assimilation unmöglich würde. Dem Sprachenkampf völlig ferngeblieben ist das orthodoxe J u dentum, welches aus religiösen Gründen am Hebräischen und Jiddischen in der traditionellen Weise festhält. Soweit es politisch in der 'Agudas Jisroel' organisiert ist, gewinnt diese Gepflogenheit einen gewissen programmatischen Charakter. Allerdings fordert die politische Haltung, die die 'Aguda' gegenüber der Regierung und dem Lande einnimmt — ihre absolute Galutbejahung, ihr Standpunkt der absoluten nationalen (weltlich-nationalen) Einordnung der Juden in die Reihen des Landesvolkes —, eine gewisse Konzession an die Landessprache, die in der Tat in der letzten Zeit von der Orthodoxie gemacht worden ist. Die Konzession geht dahin, daß die Kenntnis der Landessprache in den eigenen Reihen systematisch verbreitet wird. Dadurch wird zuletzt eine Zweisprachigkeit hervorgerufen, die sich auch innerjüdisch auswirken kann. Es wird nämlich die religiöse Mauer zwischen Jiddisch und Landessprache niedergerissen. Diese wird in das kulturelle Programm aufgenommen, und das bedeutet für den orthodoxen Juden zugleich, daß ihr ein Platz innerhalb der religiösen, der jüdischen Sphäre zugewiesen wird. Das ist der erste Schritt zur Errichtung eines orthodox-religiösen Lebens auf rein landessprachlicher Grundlage, wie es in Westeuropa und Ungarn allmählich verwirklicht worden ist. Gewiß sind die Dinge im Osten viel komplizierter, aber die Entwicklung weist doch immerhin in 166

dieselbe Richtung. Es ist prinzipiell schon die Voraussetzung dafür da, daß die Orthodoxie sich vom Jiddischen abwendet beziehungsweise daß ihr das Jiddische gleichgültig wird.

D. Die Zukunft des Jiddischen Die Frage nach der Zukunft des Jiddischen war eine der entscheidendsten im Sprachenkampf. Sie wurde von beiden Seiten immer wieder aufgerollt und beantwortet, wobei in den meisten Fällen der Wunsch Vater des Gedankens war. Die positiven oder negativen Urteile, die zugleich die wirklichen oder angeblichen Gründe der Einstellung für oder gegen das Jiddische waren, wurden früher sehr leidenschaftlich, werden jetzt etwas vorsichtiger und überlegter gefällt. Wenn nun diese Frage hier noch einmal aufgeworfen wird, so soll damit weder der Staub der alten Kämpfe wieder aufgewirbelt, noch billige Prophetie getrieben werden. Aber aus den bisherigen Ausführungen taucht die Frage wie von selbst auf. Die geschichtlichen Linien, welche von den Uranfängen des Jiddischen bis in die Gegenwart gezogen worden sind, wollen durch eine Verlängerung in den Gedanken, durch eine Projektion in die Zukunft ergänzt werden. Gewiß kann Geschichte nicht vorausgesehen werden. Neue überraschende Vorgänge können das Gegenteil des Geglaubten bringen. Unvorhergesehene Kräfte von außen können jene Linie abbiegen, und die Projektion zerstören. Aber man kann und darf die Linien nach der Richtung hin verlängern, in die sie selbst heute weisen. Man kann und darf die Vermutung aussprechen, wie unter den gegebenen Verhältnissen und unter den als möglich angesehenen Veränderungen das Jiddische sich weiter gestalten wird. Sehr klar liegen die Dinge beim W e s t j i d d i s c h e n , aber auch beim k u r l ä n d i s c h e n Jiddisch. Die heutigen Reste sind nicht mehr als lebensfähig zu betrachten. Sie können keine Literatur, keine Kultur mehr hervorbringen. Entwicklungskeime in sich besitzen sie nicht mehr, Entwicklungsmöglichkeiten~außer sich ebensowenig. Die jüdische Religion schützt das Jiddische nicht 167

mehr. Eine moderne sprachliche Bewegung mit einer jiddischistischen Ideologie gibt es nicht und kann es nicht mehr geben. Sämtliche Richtungen innerhalb des Judentums haben sich mit dem Absterben des Jiddischen abgefunden, sämtliche Voraussetzungen dazu sind gegeben. In einer bis zwei Generationen dürfte das Westjiddische völlig der Vergangenheit angehören. Viel komplizierter sind die Verhältnisse beim Ostjiddischen und beim Kolonialjiddischen. An und für sich ist der Boden des K o l o n i a l j i d d i s c h e n schwach. Das Jiddische wurzelt nicht i η den Kolonien, sondern bezieht seine Säfte aus den Stammlanden: jede neue größere Einwandererwelle aus dem Osten bedeutet einen neuen Antrieb, jedes Abstoppen der Einwanderung bedeutet eine Abschwächung des Wachstums. Es fehlen da fast überall die Voraussetzungen für eine günstige Entwicklung des Jiddischen; denn überall dringt die Landessprache mit Entschiedenheit durch. Das junge, im Lande aufgewachsene Geschlecht ist fast vollständig auf der Grundlage der Landessprache erzogen. Über den Zustand in dem größten und bedeutsamsten Zentrum des Kolonialjiddischen, in den V e r e i n i g t e n S t a a t e n , berichtet Ernst Kahn 1 sehr anschaulich: »Um mit dem so wichtigen Band der Sprache zu beginnen, ist die Aufrechterhaltung eines eigenen Idioms hier in Amerika auf die Dauer schwer verträglich mit dem Geist des Landes und mit dem Wesen der sprach- und kulturnivellierenden modernen Großstadt... Der Traum so vieler Eltern, das mitgebrachte Sprachgut neben dem Englischen zu retten, durch entsprechende Konversation am väterlichen Tisch, scheitert fast überall in einem Lande, in dem dieser väterliche Tisch auf eine wenig häusliche, sehr selbstbewußte und nicht gerade sentimentale und traditionsbelastete Jugend ohnehin eher zentrifugal w i r k t . . . Selbstverständlich hört man auch heute noch Hunderttausende jiddisch reden, und die Auflage einiger jiddischen Blätter ist immer noch beachtenswert. Indessen gerade die zahlreichen Leser des 'Forward' und des 'Tog', die in der Untergrundbahn leicht zu beobachten sind, zeigen nur zu deutlich, wie die Dinge sich entwickeln: meistens ältere Leute, seltener Menschen in mittleren Jahren, fast 1

In der 'Jüdischen Rundschau' vom 1 3 . 1 2 . 1 9 3 5 (Nr. 100).

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nie Jugendliche; denn die lesen ihre Sportnachrichten usw. in der englischen Presse. Sprachlich, so scheint es also, dürfte trotz beachtenswerter Ausnahmen in gar manchen jüdischen Gewerkschaften das gemeinsame Band schnell schwächer und schwächer werden — namentlich wenn die Einwanderung weiter stockt.« Die einzige wirklich feste Säule ist also die jiddischistische Arbeiterbewegung, die sich, wie in Osteuropa, mit aller Macht gegen den Untergang des Jiddischen wehrt. Aber es ist doch fraglich, ob sie in der Lage sein wird, der so rapid und unaufhaltsam fortschreitenden Assimilationsbewegung wirklich standzuhalten. Denn an eine Masseneinwanderung aus dem Osten, die dem Jiddischen neues Blut und dem Jiddischismus neue Kräfte zuführen würde, ist kaum noch zu denken. Sieht man von den ideologisch bewußt handelnden Jiddischisten ab, so kann man annehmen, daß in einigen Generationen das Jiddische bei der Masse der Juden dort sein Ende erreicht haben wird. Und wenn das eingetreten ist, dann ist auch der jiddischistischen Propaganda im wesentlichen der Boden entzogen. Nun liegen die Verhältnisse in diesem Massenzentrum der Vereinigten Staaten noch besonders günstig; denn in den anderen Ländern, wo dem Jiddischen die Massengrundlage fehlte, ist seine Lebensfähigkeit und seine Widerstandskraft sehr viel geringer. Günstig liegen die Verhältnisse auch in P a l ä s t i n a , und zwar nicht etwa, weil es das einzige Land ist, wo Juden auf völlig eigener Grundlage ihre Kultur bauen können. Denn dieses Moment spricht gerade am stärksten gegen das Jiddische. Die j üdische Kultur in Palästina wird absolut auf dem Hebräischen aufgebaut, und man kann jetzt schon sagen, daß jeder, der in irgendeiner Weise, mitbauend oder genießend, an ihr teilhaben will, die hebräische Sprache beherrschen muß. Die im Lande geborene Generation spricht nicht nur mit einer solchen Selbstverständlichkeit, sondern auch mit einem so fanatischen Eifer hebräisch, daß häufig sogar rein menschlich eine schwer zu überbrückende Kluft zwischen ihr und den jiddisch sprechenden 'Alten' einreißt. Selbst die ins Land gekommenen 'Alten' (von der Jugend schon ganz zu schweigen) geben sich alle Mühe, um im Laufe der Jahre vom Jid169

dischen zum Hebräischen übergehen zu können. Es ist zwar nicht der wirtschaftlich-politische Druck, wie in allen anderen Kolonialländern, dafür aber ein jüdisch-moralischer, der auf ihnen ruht und sie in einen immer weniger erträglichen seelischen Zustand versetzt. Die einzige Stütze des Jiddischen im Lande selbst ist der r altejischuw\ Die aus Osteuropa eingewanderten extrem-orthodoxen Kreise,sowie die durch sie erzogene junge Generation, sprechen kein Hebräisch, nicht weil sie es nicht können, sondern weil sie in der Verweltlichung des Hebräischen, in seiner Verwandlung in eine Alltagssprache eine Profanierung der 'Heiligen Sprache' erblicken. Doch ist nicht die Stütze dieser kleinen Gruppe entscheidend, sondern die andere, die im ununterbrochenen Einwandererzustrom liegt. Palästina ist das einzige Land, welches eine Masseneinwanderung in aller absehbaren Zeit wirklich noch aufnehmen kann und wird. Sprachlich wird diese Masseneinwanderung zwar nicht ganz jiddisch sein, selbst aus Osteuropa nicht mehr, wo die Jugend von der Landessprache stark infiziert ist. Der größte Teil wird sogar wahrscheinlich jener Kategorie angehören, die nach einiger Zeit zum Hebräischen übergeht. Aber es wird immerhin noch eine ansehnliche Zahl Jiddisch-Sprechender kommen, und so wird zumindest im privaten Leben noch lange das Jiddische zu hören sein. Von wirklicher Dauer kann es freilich nicht sein, wenn ihm im Lande jede Entwicklungsmöglichkeit versperrt ist, und selbst das Jiddischsprechen der Einwanderer immer weniger selbstverständlich wird. Denn im ostjiddischen Stammgebiet selbst wird das Jiddisch· Sprechen, wie wir sahen, immer weniger selbstverständlich. Besonders problematisch ist es im südlicheren, nichtrussischen Teil des M i t t e l jiddischen. Jiddische Schulen gibt es hier nicht, der Jiddischismus ist so schwach, daß man ihn nicht als wirkliche Kraft ansehen kann. Die Orthodoxie ist also hier vorläufig noch die einzige Garantin des Jiddischen, aber es bleibt, wie gesagt, noch die große Frage, ob nicht in Zukunft auch die Orthodoxie versagen wird, wenn sie sich allmählich auf den Boden der Landessprache stellt. Zudem nimmt der Einfluß der Orthodoxie auf die Jugend überhaupt in ungeheurem Maße ab — und die einzige 170

Maßnahme, die diesen Einfluß ein wenig stärken könnte, wäre die Modernisierung der orthodox-religiösen Lebensform, d. h. also in sprachlichen Kategorien ausgedrückt, eben jener Übergang zur Landessprache, teilweise oder vollständig. Die weitaus stärkste und einflußreichste Bewegung, die zionistische, wird das Jiddische vor dem Untergang nicht bewahren können. Gewiß mag es noch etwas verfrüht erscheinen, hier vom 'Untergang* zu sprechen, aber daß sich das Jiddische auf dem Wege dazu befindet, ist handgreiflich. Die Generationen zu zählen, wäre müßig. Der Ausgang ist gewiß. Im Bereich des vormals russischen J i d d i s c h ist noch die meiste Hoffnung auf die jiddischistische Bewegung zu setzen. Sie wird hier den Kampf mit aller Entschiedenheit führen. Weniger Einfluß wird hier die Orthodoxie ausüben können. Denn gerade in diesen Gegenden ist die Reaktion gegen die Orthodoxie am stärksten, und gerade die areligiöse, absolut verweltlichte jiddischistische Bewegimg wird ihr auch künftighin auf Schritt und Tritt entgegenwirken. Der Drang zur Säkularisierung des Judentums, zur 'Befreiung von der Religion' ist vielleicht nirgends so unbedingt wie hier. Aber selbst wenn wir die Tätigkeit des Jiddischismus allein schon sehr hoch veranschlagen, die Hindernisse und Gegner sind viel zu stark, als daß man über sie hinwegsehen könnte, sie sind sogar stärker als die jiddischistische Front. Die Hindernisse sind die objektiven ökonomisch-politischen Bedingungen, welche die Juden zur Landessprache drängen; die Gegner sind vor allem Landesvolk und Landesregierung, die auch national-kulturell den jüdischen Sektor annektieren—oder vielleicht noch Heber aus dem Lande abdrängen möchten. Ob der Jiddischismus gegen all diese Schwierigkeiten wird aufkommen können — das ist die große Frage, von der das Schicksal des Jiddischen abhängt. Denn an eine Beseitigung der Schwierigkeiten, an eine Änderung der Gesinnung bei den Landesvölkern und an eine Änderung der Bedingungen in den Ländern ist im Augenblick kaum zu denken. Eine Ausnahme bildet darin lediglich Sowjetrußland. Hier fällt die Politik der Regierimg aus ganz bestimmten Gründen mit 171

der Tätigkeit des Jiddischismus in eine Richtung. Es liegt zwar nicht im Interesse des Bolschewismus, das Jiddische an sich zu erhalten; denn das Jiddische gehört ebenfalls zu den nationalen Schranken, die der Bolschewismus nach Möglichkeit aufheben möchte. Es ist aber für sie ein notwendiges Übel. Der Bolschewismus sieht sich auf das Jiddische und den Jiddischismus im Kampfe gegen Hebräisch und 'Reaktion' angewiesen, und so kann das Jiddische auf seinen Schutz rechnen. In Sowjetrußland sind also die Möglichkeiten für eine günstige Entwicklung gegeben. Und dennoch — ein a u f f a l l e n d e r Rückgang. Während bei der Zählung im Jahre 1897 noch 96,9 Prozent der jüdischen Bevölkerung Jiddisch als Muttersprache angegeben haben, sind es im Jahre 1926 nur noch 70,6 Prozent gewesen. Die sprachliche Assimilation ist eben eine notwendige Folge der national-kulturellen im allgemeineren Sinne, und diese herrscht trotz der praktischen Konzessionen unter dem Einfluß der kommunistischen Ideologie. Ob die ideologischen oder die praktischen Momente künftighin stärker sein werden, läßt sich nicht ohne weiteres sagen. Die Entwicklung der allerletzten Jahre hat sogar zum Teil wieder ein Erstarken des Jiddischen gebracht. Aber selbst wenn in Zukunft auch noch weitere Rückgänge zu erwarten sein sollten — an einen Untergang des Jiddischen ist unter den gegebenen Verhältnissen in Rußland nicht zu denken. Sollte sich das Schicksal des Jiddischen wirklich so gestalten, wie in diesem Kapitel ausgeführt, dann würde das künftige Jiddisch in ein ganz bestimmtes Fahrwasser hineingeraten. Seine Entwicklung würde dann von den radikal-jiddischistischen Tendenzen bestimmt werden, deren Charakter wir bereits kennengelernt haben. Es würde dann der letzten Reste des Hebräischen in Inhalt und Form, soweit möglich, entblößt werden. Selbst die gemäßigten Jiddischisten würden vom Strom mitgerissen werden, da die Rücksichten, die sie auf die traditionellen jüdischen Massen nehmen, fortfallen würden. Das Jiddische würde seines jüdischen Gehalts und seiner jüdischen Gestalt beraubt werden. Das J i d d i sche würde aufhören, jüdisch zu sein.

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Doch nichts läßt sich mit voller Gewißheit vorausahnen, noch weniger voraussagen. Das Jiddische ist mitten in die Zusammenhänge einer großen und mannigfaltigen Welt hineingestellt, deren Mächte von außen her auf das Jiddische wirken. Und diese Mächte sind die großen Unbekannten, die man in keinerlei Berechnungen einbeziehen kann. Wer vermöchte heute schon vorauszusehen, wie sich die politischen Verhältnisse Europas in den nächsten Jahrzehnten gestalten werden? Was wird das Schicksal des europäischen Judentums sein? Welche politischen oder sonstigen Strömungen werden das Judentum bewegen? Auf all diese und ähnliche Fragen fehlt uns heute die Antwort. Und doch hängt von ihrer Beantwortung in großem Maße das künftige Schicksal des Jiddischen ab.

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LAUTLEHRE

Phonetische Umschrift

Strich über dem Vokal bezeichnet den Ton (nur wenn nötig): ' - Hauptton, * - Nebenton, < - schwacher Nebenton. * - ist das Zeichen für Vokallänge, ~ - für Halblänge, " für Kürze (nur wenn nötig, gewöhnlich ist Kürze unbezeichnet). Umkehrung des Vokals bedeutet Überkürze: v, 9, t sind also die unbetonten Schwalaute entsprechender Qualität; 7> klingt wie o-u. e, i, o, « - sind die engen, geschlossenen Vokale). .... , . , ,. 6 • *. · ' . , „. τ wo notig bezeichnet) ξ, l, g, u - sind die weiten, offenen Vokale J Die Vokalzeichen e, ä, se, ά, α stellen in ihrer Folge (als Kürzen) den allmählichen Übergang von e zu α dar; a, ä, ρ, ο - den von α zu o. i und j meinen beide den Halbvokal, wie i in ai, nicht den Reibelaut. u meint den labialen Halbvokal, wie engl. w. ei — ei — ej, wie noch mhd., heute slavisch; nur ai klingt wie nhd. ei, ai. Nasalierte Vokale werden durch ~ kenntlich gemacht, doch in poLn. Wörtern stehen die poln. Zeichen q, ς für ö, e. Kleiner hochstehender Buchstabe weist auf besondere Flüchtigkeit des Lautes hin, z.B. o®, ä r . r - steht allein für jede Qualität, obgleich fast immer Zäpfchenlaut; nur wo dieser besonders hervorgehoben werden soll, steht R. η - ist der dentale Nasal, y - der gutturale, m - der bilabiale oder labiodentale. I, m, η usw. - sind die silbenbildenden (sonantischen) Laute. Strich über dem Konsonanten bezeichnet seine Mouillierung: ή wie im Poln. (franz. gn), entsprechend ΐ (ital. gl), s, £ usw. I - bezeichnet das dunkle, hintere l, wie im Poln. 177

s - ist immer stimmlos (nhd. β), ζ - stimmhaft (wie franz., slav.); § = nhd. sch, ζ - der stimmhafte Partner (franz. g); $' - ist der Mittellaut zwischen s und s,z- zwischen ζ und ζ (in poln. Wörtern ist jedoch ζ — ζ), ts - steht für die Affrikata, nhd. ζ (tz); dementsprechend dann dz, t§, dz, ts, dz.

χ - steht für nhd. ch in ach, χ - für ch in ich. ' - meint den ungehauchten Vokaleinsatz,' - den leicht gehauchten, ε den spirantischen Kehlkopflaut c im Hebräischen. h, t, s - werden nur zur Bezeichnung der emphatischen Laute des Hebr. (η,Ε,ϊ) verwandt. Die aus der Germanistik bekannten b,d, p, $ (nur selten) dienen zu besonderer Hervorhebung dieser Spiranten, sonst stehen dafür bh, dh th, gh.

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Bibliographische Abbreviaturen

Die abgekürzten Schriften sind gewöhnlich mit vollem Namen der Verfasser angeführt und im alphabetischen Verzeichnis der benutzten Literatur leicht nachzusehen, öfters angeführte abgekürzte Verfasser-Namen sind: Haus(enblas); Lex(er); Mss. = Maußer, Mhd. Grammatik; Mss. Reg. = Maußer, Registerband...; Sütt(erlin); Unw(erth). - Paul mit römischer Zahl des Bandes = Paul, Deutsche Grammatik; Paul mit § = Paul-Gierach, Mhd. Grammatik; Paul Wb = Paul, Deutsches Wörterbuch; Schmeller mit § — Schmeller, Mundarten Bayerns. Andere Abkürzungen: AfdA. AGr. BGr. BWb. DSA. DWb. ELJ. HAE. JGr. IWI. J . Phil. ObsWb. PBB. RhWb.

Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur Weinhold, Alemannische Grammatik Weinhold, Bairische Grammatik Schmeller, Bayerisches Wörterbuch Wenker-Wrede, Deutscher Sprachatlas Grimm, Deutsches Wörterbuch Weiß, in Jahrbuch ... Elsaß-Lothringens Birnbaum, Das hebr. und aram. Element... Birnbaum, Praktische Grammatik der j. Sprache Schriften des Jidd. Wissenschaftlichen Instituts Jiddische Philologie ... Müller-Fraureuth, Obersächsisches Wörterbuch Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Paul und Braunes Beiträge) Müller, Rheinisches Wörterbuch 179

SchwWb. Schwld. SchlGr. WrZs. ZsfdMaa. ZsfdWf.

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Fischer, Schwäbisches Wörterbuch Staub-Tobler, Schweizerisches Idiotikon Weinhold, Über dt. Dialektforschung ... d. schles. Ma. Zeitschrift des Instituts für weißrussische Kultur Zeitschrift für deutsche Mundarten Zeitschrift für deutsche Wortforschung

Philologische Abbreviaturen

a) Grammatische Adj. Dim. f. Ind. Inf. Immin. Konj. Kons. m. n.

Part. PI. Präs. Prät. Sing. Subst. sth. stl. V.

Adjektiv Diminutiv femininum Indikativ Infinitiv Imminutiv Konjunktiv Konsonant masculinum neutrum

Partizip Plural Präsens Präteritum Singular Substantiv stimmhaft stimmlos Verb

b) Sprachliche ahd. aj. al. bair. bess. buk. bürg. dt. egerl. eis. erzgeb. frühnbd. h. hd. idg.

althochdeutsch altjiddisch alemannisch bairisch bessarabisch bukowinisch burgenländisch deutsch egerländisch elsässisch erzgebirgisch frühneuhochdeutsch hebräisch hochdeutsch indogermanisch

klr. kurl. Ht. Ma(a). ma-lich md. mhd. mj. nd. nhd. nj. noj. nwböhm. obd.

jiddisch kleinrussisch kurländisch litauisch Mundart(en) mundartlich mitteldeutsch mittelhochdeutsch mitteljiddisch niederdeutsch neuhochdeutsch neujiddisch nordostjiddisch nordwestböhmisch oberdeutsch 181

obpf. obs. ofr. og· oj. omd. omj. P· r. rhfr. rom. rum. schl.

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oberpfälzisch obersächsisch ostfränkisch ostgalizisch ostjiddisch ostmitteldeutsch ostmitteljiddisch polnisch russisch rheinfränkisch romanisch rumänisch schlesisch

schwäbisch schw. sl. slawisch spätmhd. spätmittelhochdeutsch südwestjiddisch swj. ukr. ukrainisch ung. ungarisch urj. urjiddisch wg. westgalizisch westjiddisch wj. wmd. westmitteldeutsch wmj. westmittelj iddisch wol. wolynisch wr. weißrussisch

Α. Vokalismus

I. Der deutsch-jiddische Bestandteil a) Vokale der betonten Silben Im Gegensatz zum Konsonantismus, der im J. die aus den dt. Maa. mitgebrachten Zustände im großen ganzen treu konserviert hat, haben sich die j. Vokale von deren dt. Grundlage sehr weitgehend verändert. Die Entwicklung hat zwar schon auf dt. Boden begonnen, in deutlichem Zusammenhang mit den dt. Maa., sich aber im wesentlichen erst später außerhalb Deutschlands vollzogen und ist in den einzelnen Ländern so selbständig und so weit gediehen, daß die Entstehung j. Maa. nicht mehr zu verhindern war, und daß der Vokalismus zum Grundkriterium für die Unterscheidung derselben geworden ist. Die hier gemachten Voraussetzungen sind natürlich im Laufe der Untersuchung auf dem Wege der Induktion eruiert worden. Für die folgende Darstellung aber muß der Weg der Deduktion, mit Hilfe dieser Voraussetzungen, beschritten werden. Es muß dabei in zwei Etappen verfahren werden. Die erste soll den Weg vom Hd. zum Urjiddischen aufzeigen, der lautlich betrachtet als gemeinsam zurückgelegt zu denken ist (von winzigen Ausnahmen wird bei den einzelnen Lauten die Rede sein), die andere den Weg vom Urj. zum heutigen J., das zwar in mehreren Nuancen auftritt, aber, der Deutlichkeit halber und um festen Boden zu gewinnen, von dem mir vertrauten ostgalizischen J. aus erfaßt werden soll. Hiernach werden die Beziehungen des J. zu den dt. Maa. im einzelnen geprüft. Man darf sich dabei nicht der Täuschung hingeben, daß etwa die einzelnen j. Maa. bestimmten dt. Maa. verwandt seien - diesen Standpunkt hatte ich zu Beginn der 183

Untersuchungen eingenommen, mußte ihn aber bald verlassen. Vielmehr muß da, wie schon aus dem oben Gesagten hervorgeht, das J. als Gesamtphänomen den dt. Maa. gegenübergestellt werden, wenngleich nicht bestritten werden soll, daß bei der Verselbständigung der Maa. im J. zuweilen hier und dort verschiedene deutschmundartliche Lautkräfte die Oberhand gewonnen haben; denn daß es sich immer und überall um Mischungen dt. Maa. handelt, kann hier gleich vorweggenommen werden. Die Frage nach den Beziehungen des J. zu den dt. Maa. hat ihren hauptsächlichen Beweggrund in der hier ebenfalls vorwegzunehmenden Erkenntnis, daß die Lautentwicklung des J., trotz der weitgehenden Entfernung vom Hd., nicht auf außerdt. Lautkräfte, etwa des Hebr. oder Slav, zurückzuführen ist - wie man vielleicht annehmen möchte, auch verschiedentlich angenommen hat (darüber unten ausführlicher) - sondern in der Hauptsache doch gerade auf die Tendenzen der dt. Maa.; wo andere Kräfte gewirkt haben, wird ausdrücklich darüber berichtet werden (es sind zweitrangige Erscheinungen). Urjiddisch ist mehr Konstruktion als historisch nachweisbare Tatsache. Die Konstruktion ist aber für den Vokalismus unentbehrlich, grundsätzlich ebenso wie praktisch. Grundsätzlich kommt dadurch die historisch unleugbare Tatsache zum Ausdruck, daß die Entwicklung der j. Vokale von einer gemeinsamen Grundlage ausgegangen ist, was im folgenden dann im einzelnen wahrscheinlich gemacht wird. Praktisch läßt sich die gemeinsame dt. Grundlage weder als mhd. noch als nhd. ausgeben, und die unbestimmten Bezeichnungen Spätmhd. oder Frühnhd. eignen sich dazu nicht besser, auch weil man sich darunter gewöhnlich gemeinsprachliche, übermundartliche dt. Normalstufen vorstellt, die, trotz eines gewissen Hangs des J. zum Übermundartlichen, doch nicht ohne weiteres zugrundegelegt werden können. Bei der Transskription urj. Lautformen kann demgemäß phonetische Genauigkeit nicht geboten werden. Die erschlossenen urj. Formen werden daher in der für das Mhd. üblichen Schreibung wiedergegeben. Nur beim Hauptsilbenvokal, auf den es in den folgenden Abschnitten allein ankommt, wird phonetische Genauigkeit erstrebt.

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1. A-LAUTE mhd. a, a - nhd. a In der Entwicklung vom Mhd. zum Urj. sind zuweilen Veränderungen qualitativer und quantitativer Art eingetreten. Diese beruhen auf der spätmhd. Quantitätenregelung, Dehnung mhd. Kürzen und Kürzung alter Längen, jene auf der Yerdumpfung des nunmehr langen α zu urj. ρ (Verdumpfung von Kürze ist nur sporadisch - s.w.u.). Die Regeln der Dehnung und Kürzung für das J. sind w.u. (S. 253) angegeben. Es steht also urj. g für mhd. a in offener Silbe, meist gegenüber nhd. Länge: *vgter, *nggel, *n§men, *vgdem (Faden), *wggen (Wagen); aber auch (gegen Nhd.): *schgten (Schatten), *sgtel; vor r: *ggr, *gewgr (gewahr), - und wohl infolge des Sproßvokals: *wgrenen (warnen), *grem (arm, Arm);

vor rt: *bgrt (Bart); aber auch: *kgrte (Karte), *qugrt („Quart", ein Gefäß), *ggrten; durch Ausgleich, wie nhd.: *tgc (Tag), *glgs, *grgs, *sggst,

*trggt,

*gekl§gt) auch: *Stgt (Stadt); sonst: *gb (ab), *gn (an), *dgg (das - nicht: daß), *wgg. Kurz geblieben ist mhd. a, ebenfalls meist wie nhd., selten auch gegen nhd. in offener Silbe: *hamer, * kamer, *samein, selten vor rt : *hart, *warten;

*gevater;

und gegen Ausgleichstendenzen: *blat, *glat; auch *slac (Schlag). Mhd. ά ist, wie nhd., gekürzt vor Doppelkonsonanz: *klafter, *krapfen, *gebracht,

*gedacht;

als Länge erhalten meist wie nhd.: *mgge (Maß), *Strg^e, *ngch, *rgten; aber auch gegen Nhd.: *jgmer, *blgter, *ngter, *lggen (lassen), *blg (blau), *grg, *klgwe (Klaue), *wgfen (Waffen).

Dem urj. α entspricht im ostgal. J. 1. in der Regel a: axt, layk (lang), kats (Katze), Stark, wartn,

kl'ajtv

(Klafter), wasv (Wasser), bakrf, hamv (Hammer); 2. d, als sekundäre Dehnung (daher der Verdumpfung nicht mehr 185

unterlegen) vor rr - indem die Dehnung nämlich auf Kosten des langen velaren, a-haltigen r (R) eingetreten ist - oder vor einfachem r in sekundär, durch Sproß vokal, geöffneter Silbe: när (Narr), hary (harren), säry, warm (warm), dvbänmm (erbarmen) - hier ist also der Sproßvokal jung, im Gegensatz zu urj. *grem, *vjgrenen; 3. ο in einigen Wörtern vor Nasal- oder Liquida-Verbindung, einschließlich Gemination: lomp (Lampe), bromfm (Branntwein), tswontsik (zwanzig), swonts, kon (kann), dvlcont (erkannt), gikont, gihoygin, sworn (Schwamm), gispoltn, snoltsn ( < mhd. snalzen, schnellen), firoyk ( ο in viel größerem Umfange beherrscht weite Teile des Omj. Sie ist am meisten ausgeprägt in der südlichsten Ukraine, etwa bis Proskurow-Nikolajew im Norden1, und in Bessarabien und ist hier, außer vor den Velaren k, x, vor s und ts ganz allgemein - also: gost, glot, gonts, zolts, kots, kroft, slof (schlaff), loyk, boyk usw. - weniger in dem weiter nördlich anliegenden Teil der Südukraine (im ganzen etwas mehr als die südliche Hälfte der Ukraine umfassend, abgestuft je nach der Stellung des α)2 und im südlicheren buk.-rum. J . : nur noch vor Nasaloder Liquidaverbindung (hont, boy Je, wolt), wobei häufig auch nur die Stufe eines mehr oder minder deutlichen ä erreicht wird. Für das buk. J . ist ferner die Neigung zu vermerken, das kurze a in den offenen bzw. später geöffneten Silben gegenüber dem ogal. J . häufig etwas gedehnter zu sprechen (s. das Weitere u. S. 254). Zu erwähnen ist noch der Diphthong ai < α vor η (eigentlich y durch diese Palatalisierung eben veranlaßt - s. u. S. 345) in einem großen (mir nicht näher bekannten) Teil des Omj.3 und Noj.4 Im übrigen gilt das über das ogal. J . Gesagte auch sonst, mit der Einschränkung, daß die Länge (ä) im Osten etwas abnimmt und im Noj. (mit Ausnahme des kurl. J . ) wie jede L ä n g e zur K ü r z e (bzw. Halbkürze) h e r a b s i n k t . 1 2 s 4

Wilenkin, Karte 4. Wilenkin, Karten 2 ff. Birnbaum, ZsfdMaa. 1923, 123. Weinreich, 205; Weinger, WrZs. I 181 ff.

186

Scheinbare Ausnahmen sind: j. emfv (Antwort), emfvrp, epl (Apfel), gtfeln (gefallen, placere), Iceml (Kamel), kreln (Korallen), wen (wann); in Wirklichkeit liegen ihnen Formen mit mhd. e zugrunde, so: entwürt - Lex. I 83; epfel (auch Sing.) - Lex. I 86; gevettert - L e x . I 960; kemmel - Lex. 1 1 5 4 4 ; korelle - L e x , 1 1678;

wenne - Lex. III 681. Die Form ken neben kon (kann) ist durch Ausgleich nach dem Infinitiv oder Plural entstanden, oder aber durch falsche Analogie zu ken (kenne), wofür auch kon steht. Für urj. g steht im ogal. J. 1. in der Regel ü: udlrt (Adler), hun (Hahn), jwo (Jahr), lüdn, büvt (Bart), guPtn (Garten), würmm

(warnen), stüt (Stadt), zutl

(Sattel), dus (das), futn, ürtrn (arm), günv (Gänserich - wohl md. nach DWb 4 I, 1 1256) ; 2. u, verkürzt vor Labialen und Gutturalen: ubm (haben), grubm, gup (Gabe), gupl (Gabel), numm (Name), slufm (schlafen), struf (Strafe), tuwl (Tafel), zugy (sagen), tuk (Tag), hugl' (Hagel), nux (nach); 3. vereinzelt o: jo (ja), obv (aber), xop (ich habe), lozn (lassen), milgröm (< malgram oder dgl., Granatapfel); 4. (mit Dehnung) ρ: jg, mgt ( < mhd. mat, Maid, etwas abschätzig gebraucht). Diese Entwicklung ist dem gesamten Mj. eigen, nur daß der Westen die Länge etwas gedehnter spricht als der Osten - in der Ukraine wird sie vielfach bis zur Halblänge herabgedrückt. Damit hängt zusammen, daß das engere Wmj. fast allgemein die Länge auch vor Labialen und Gutturalen beibehält: slufm, gupl, grubm, tük, nux, zügy - besonders sticht diese Neigung im hebr.-j. Teil hervor. Allerdings sind hie und da gewisse Kompromißlösungen im Westen zu verzeichnen, so z.B. scheint in Lodi Kürzung, wie im ogal. J., vor langer Konsonanz eingetreten zu sein (grubm, gupl, aber krüm = Kram) 1 .

Im Noj. gilt allgemein urj. g > ρ, da sämtliche Längen als Kürzen erscheinen. Hier und da, besonders in den westlichen Teilen, die am Mj. angrenzen, auch sonst gelegentlich in offener Silbe, besteht die Neigung zur Halblänge. Im kurl. J. herrscht deutliche Länge. 1

Gutmann, IWI. I 380. 187

Die Grenze zwischen dem noj. ο und dem mj. u setzt ungefähr in dem bereits schwankenden Suwalker Kreis an der polnischlitauisch-ostpreuß. Grenze an und verläuft dann in südl. und südöstl. Richtung zwischen Lomza und Bialystok über das Gebiet beider Kreise hindurch, an Brest links vorbei, läßt Brest und den größeren Teil Wolhyniens auf der «-Seite, geht in der Nähe der ukrain.-weißr. Grenze (südlich derselben) auf sowjetruss. Boden über, um über Kiew 1 das Endziel, Poltawa, zu erreichen; die östliche Ukraine (hinter der Linie Poltawa-Cherson) bietet beides, da sie Kolonialgebiet ist. Im Wj. ist das Ergebnis des Entwicklungsprozesses etwas komplizierter. Normalerweise entspricht hier dem urj. ρ geschlossenes 6 oder dessen diphthongierte Weiterbildung ou bzw. au - im els. J. herrscht au allein (swj. auch) oü. Die Diphthonge lassen sich aus der frühen Geschlossenheit des urj. Lautes im Wj. und seinem Zusammenfall mitwj. ö u (hd. o 2 ) erklären. Schließlich bieten Teile des Swj., namentlich das ung. und burgl. J., auch den mj. Laut ü (u). Einige Beispiele: hör (Haar), jraukd (fragen, eis.), dou9s (das), mü (Mann), slugp, sloüfm (schlafen), doü (da). Die lautgesetzlichen j. Formen für mhd. blä, grä, klawen sind (mj.) blü, gru (flektiert blüv, grurt), kl'um, (noj.) blo usw.; daneben finden sich im Osten Formen mit w (aus den flektierten Formen): bluw, blow usw., aber auch solche mit unorganischem j, das ebenfalls als Hiatbrücke in den flektierten Formen primär ist. Übergang zu den o-Lauten, wie teilweise im Wj. (s. o.), bietet vereinzelt auch das Mj. in Wörtern, die schon vorurj. geschlossenes 6 > urj. ou gehabt haben2, so poips (Papst), giwoidr (gewahr - engeres Wmj.), moit (Maid, neben mgt — wenn nicht sekundäre peiorative Entstehimg vorliegt), koit (Kot, wo die Verdunkelung durch das ursprüngliche qu begünstigt wurde - Sütt. 179), wg. joi (ja,neben jg). Diesem parallel steht auf noj. Boden kurl. jöi, während das gemein-noj. je eher auf das in dt. Maa. sehr geläufige abgeschwächte jä zurückzugehen scheint. Dagegen ist in einigen anderen Fällen der Übergang zu den o-Lauten im J. vermieden, wo er gerade im Nhd. stattgefunden 1

Die dem Sprachatlas Wilenkins entnommenen Angaben für Sowjetrußland müssen mit Vorsicht genommen werden; vgl. hierzu, auch zum Fall Kiew, Birnbaum, Teuthonista 9, 180 f. a S. unten S. 216ff..

188

hat: mj. mün (Mohn), münttk (Montag), un (ohne) setzen mhd. α > urj. ρ fort; im Noj. steht lautgerechtes ο (mon usw.). Nur Wj. kennt auch moin. Noch weitgehender ist der Verdunkelungsprozeß in mhd. wa (wo) gediehen; unter Einfluß des w (s. Sütt. 179) ist d > 6 > ü bereits auf urj. Stufe vollendet, also Übergang zu den «-Lauten (s. u. S. 234, 236) eingetreten - mj. wi, noj. wu. Mj. drnnanm - noj. ddrmondn (mhd. ermanen, erinnern) setzen zwei verschiedene urj. Ausgangsformen voraus, eine mit und eine ohne Dehnung. J. satn (schaden) ist, wie md., nach dem kontrahierten Präsens Sat ausgeglichen; das Subst. lautet regelrecht (mj.) Südn. Scheinbare Ausnahmen sind mj. meilv (Maler, zum Verb müln), reim (Rahmen), freigp (fragen) - noj. e; sie gehen auf mhd. maeler (Lex. I 2016), vregen (Lex. II 495), frühnhd. rahme (DWb. 8, 65) zurück und gehören mit Recht zu den e-Lauten1. Mj. taitl - noj. teitl setzt ein urj. *t£Hel voraus, also mhd. *tetel, das zwar in den Wörterbüchern nicht belegt, aber vom rom. datil (< dactylus) an sich zu erwarten ist (e als Umlaut von a); schwäb. dättel (Schw.Wb. II 97) zeigt den Umlaut. Fragen wir nach dem Ursprung der aufgezeichneten Lautwandlungen, so haben wir uns an die dt. Maa. zu wenden 2 und vor allem an den älteren Zustand derselben zu denken, der freilich oft auch in den Gegenwartsdarstellungen durchschimmert. Die Rundung des d ist in spätmhd. Zeit schon sehr weit verbreitet gewesen (Maußer 21, 23, 46, 87, 96, 114, 144), scheint aber vom Obd. ausgegangen zu sein - nordbair. und mittelbair. schon im 12. Jh. „zu offenem ο geworden", alem. im 13. Jh. (Paul-Gierach § U l f ) - was zum Urj. ausgezeichnet paßt 3 ; es handelt sich in dieser Zeit zunächst um den l a n g e n α-Laut allein. Dabei ist die (a.a.O.) für das Bair. festgestellte Eigentümlichkeit, das ρ vom allgemein-mhd. δ deutlich zu unterscheiden, für unsere Betrachtung, namentlich des Oj., von wesentlicher Bedeutung. Das Urj. scheint 1

Urj. e (S. 196); mhd. reine (Lex. II 335) hätte urj. e1 ergeben müssen, paßt also nicht (S. 193, 197). 2 Die Suche Mieses' (Die Jiddische Sprache) nach hebr. Ursprung ist unberechtigt und unnötig (darüber ausführlicher u. S. 285ff.). * Die von Mieses (S. 6f.) zitierte Behauptung von Schadeus (16. Jh.), daß die Juden langes α f a s t wie ο sprechen, bezeugt die Richtigkeit unserer Annahme eines urj. o f f e n e n Lautes.

189

sogar lange am Bewußtsein des Zusammenhangs mit dem d-Laut festzuhalten 1 , was sich auch sehr wohl aus dem Tendieren zur übermundartlichen Schriftsprache 2 erklären läßt. Der dem Westen eigene, im Osten des Obd. viel spätere, Übergang zum ö, der auch Diphthongierungsneigungen erzeugt hat (Maußer 26f., Kauffmann 45, Sütt. 187f., Gebhardt 45, Maußer Reg. 133), paßt nur teilweise zum Westj., aber auch hier ist es eigentlich s p ä t e r e Entwicklung in engem Zusammenhang mit der dt. Umgebung. Daß auch im Ostj. der Trübungsprozeß des ursprünglich offenen Lauts weitergehen und im Endergebnis bis zum ü gedeihen konnte, ist angesichts der sehr ähnlichen Entwicklung vor allem in Gottschee (Tschinkel 163ff.), aber auch in manchen reichsdt. Maa. (vgl. BGr. 43, Maußer 144, Reis 69, Sütt. 187), in denen das heutige ü(u) mindestens z.T. auf einen im Spätmhd.-Frühnhd. lange noch offenen Laut zurückgeht, nichts Besonderes. Es geschah durch immer stärkere Labialisierung des Vokals im Laufe der altj. Zeit im gesamten Mj., während das Wj., gerade durch den Kontakt mit den dt. Maa., bei ö, also auf halbem Wege stehenblieb. Das Noj. hat daran überhaupt keinen Anteil genommen, es hat vielmehr gleichfalls im Laufe der altj. Zeit die Länge immer mehr aufgegeben und sich dadurch die Möglichkeit jener Entwicklung genommen. Diese sekundäre V e r k ü r z u n g des g, w i e a u c h a l l e r ü b r i g e n L a n g v o k a l e , kann nur unter Einfluß der slav. Sprachen stattgefunden haben, die ebenfalls den Unterschied zwischen Länge und Kürze aufgegeben haben (s. u. SS. 254, 306 u. o. SS. 49, 52). Durch eine ähnliche Verkürzung sind die mj. ο < urj. ρ zu erklären, nur ist die Verkürzung sehr früh eingetreten, wohl zu Beginn der altj. (vielleicht sogar noch in der urj.) Periode, und auf andere Ursachen zurückzuführen, meist auf schwächere Betonung: obv, jo, x'op, milgrom - bei lozn wohl auch Schärfe des folgenden Konsonanten 3 = 5 (s. auch Paul-Gierach § 19). Hingegen ist die Verkürzung des v , ~ > u - das ergibt sich von selbst sehr jung (ins Ende der altj., vielleicht in die neuj. Epoche hineinreichend) und ist durch den Artikulationsgegensatz (von Velar und labialem Vokal) einerseits, andererseits gerade durch die Artikulationsverwandtschaft (die das teilweise Aufsaugen des Vokals durch den Lippenlaut ermöglicht) hervorgerufen worden. 1 a

Das beweist auch besonders der Zustand im h.-j. Teil (s. u. S. 282). S. Allgemeiner Teil, S. 84 f..

190

Die Trübung des kurzen α zu ο ist eine in die spätmhd. Zeit zurückreichende bair. Erscheinung (Maußer 46, Reis 69f., Sütt. 181), also jünger als die Trübung von ά - dies ist wohl ein Grund für das Auseinanderhalten der beiden α-Laute im J. Ein anderer Grund hegt gewiß darin, daß diese Erscheinung in den dt. Maa. nicht so verbreitet gewesen ist - in den md. Maa. hat sich α (im Gegensatz zu α) rein erhalten (z.B. ofrk. - Heilig 25) bzw. nur spät und schwache Trübungsstufen erreicht, außer vor Nasal- oder Liquida-Verbindung (Maußer 114,143). Dadurch war dem Urj. eine Korrektivkraft gegen die Tendenz von α > ο gegeben, und wohl auch durch die erwähnte Abhängigkeit von der Schriftsprache. Schließlich ist auch im Quantitätsunterschied selbst eine Ursache zu erblicken: allein die Länge des Vokals war im J. natürlicherweise Grundlage genug, die Artikulation zu verschieben, wozu der kurze Vokal nicht ausreichte; sind doch im J. fast sämtliche Vokallängen solchen Verschiebungen unterlegen, im Gegensatz zu den Kürzen, und nur solange bzw. wo sie nicht gekürzt wurden. Immerhin ist es auch begreiflich, daß über die urj. Stufe hinweg die Trübungstendenzen als latente Lautkräfte in die altj. Zeit mitgekommen sind und verschiedentlich größere oder geringere Erfolge erzielen konnten: in einem Teil des Omj. fast allgemein α > ο, in einem andern Teil nur vor l- und n-Verbindungen, im Großteil des J. nur vor e i n i g e n Verbindungen von l-, n-. 2. E-LAUTE mhd. ä, ae, e, e, e, ei, ö, oe, öu - nhd. ä, e, ei (ai), eu, äu, ö. Das Mhd. hatte eine ungemein große Anzahl von e-Lauten, die man nach ihrer Artikulations-Art und -Dauer sondern kann. Wir haben also zu unterscheiden einerseits zwischen kurzen, langen und diphthongischen, andererseits zwischen offenen, geschlossenen und gerundeten Lauten und erhalten dann folgendes Schema: a) offen Kürze Länge Diphthong

ä, e ae nicht vorhanden

b) geschlossen e A e et

c) gerundet ö oe öu 191

Im Nhd. treten manche Veränderungen ein. Die Dehnung und Kürzung allerdings verschieben die Verhältnisse nur unter den einzelnen Wörtern, berühren aber das Schema als solches nicht. Aber die Artikulationsmöglichkeiten werden geringer: der kurze geschlossene Laut fällt mit dem offenen (e - und in der Aussprache, wenn auch nicht in der Schrift, mit ä) zusammen; auch der lange offene und geschlossene Laut nähern sich einander in der Aussprache und werden häufig nach der Seite des letzteren hin ausgeglichen; die Diphthonge sind überhaupt keine e-Laute mehr. Das Schema reduziert sich demnach in der nhd. Aussprache1 zu 2 Kürzen und 2 Längen, je einer einfachen und einer gerundeten; e ( = ä + e + e), ö, e ( = e, zum großen Teil + ae), ο; ei und äu sind keine e-Laute mehr. Zur Betrachtung des Urj. sei gleich vorweggenommen, daß hier das Oj. und das Wj. in einem Punkt schon in ihrer urj. Vorstufe nicht ganz übereinstimmen; es empfiehlt sich daher, hier gleich die Scheidung zwischen Uroj. und Urwj. vorzunehmen. Beiden gemeinsam ist die Entrundung der gerundeten Laute und deren Zusammenfall mit den geschlossenen, wodurch Kolumne b und c des Mhd. zu voller Deckung gelangen, sowie der Zusammenfall aller kurzen Laute zu einem offenen e. Gemeinsam sind also die offene Kürze, wie normal-nhd., und bei Länge Unterscheidung von offener und geschlossener Qualität (ohne überoffene!), wie md. (ä, ae, e einerseits, έ, e andererseits - s. Paul-Gierach § 6, 1, Anm. 5) - zusammen 3 Laute. Uroj. fällt auch der nun vereinheitlichte Diphthong mit der geschlossenen Länge zusammen, und zwar, wie wir weiter (S. 208f.) annehmen müssen, auf der Stufe eines Mittellauts, έι, einer diphthongisch veranlagten Länge. Urwj. hält an der Unterscheidung zwischen geschlossener Länge und Diphthong fest, wobei jene wohl kaum diphthongische Veranlagung verraten haben mag (aber der Einfachheit halber im folgenden in demselben Zeichen einbegriffen ist), dieser aber die Klangfarbe ai annimmt, also eigentlich aus der e-Gruppe herausfällt (im folgenden aber seiner Herkunft wegen innerhalb derselben behandelt wird). So sind die 9 mhd. Laute im Uroj. auf 3, im Urwj. auf 4 zusammengeschrumpft:

1

In der Schrift ist die Gruppierung eine andere.

192

Kürze offen

Länge offen geschlossen

Diphthong

Uroj. e Urwj.

ai

Im'einzelnen sind schließlich durch die Dehnung und Kürzung Verschiebungen gegenüber dem Mhd. eingetreten. Hierfür ist das Folgende im Auge zu behalten: die mhd. e-Laute ergeben, wenn sie kurz bleiben oder (was allerdings nur in ganz wenigen Fällen stattfindet) gekürzt werden, urj. den einheitlichen kurzen e-Laut, wenn sie gedehnt werden bzw. lang bleiben, urj. ξ oder e l , je nachdem, ob sie früher offen oder geschlossen (bzw. gerundet) waren; nur vor r, dessen a-haltige Aussprache die Bildung des geschlossenen Lautes erschwert, ergibt jedes lange oder gedehnte e ein urj. Die allgemeinen Regeln der Dehnung und Kürzung vgl. u. S. 253. Es steht also z.B. 1. urj. I - a.) für mhd. e, ä: *b@sem, *f§der, *g@ben, * Stotel (Diminutivum zu stat), *gl@sel, *gel§ger, *k@ler (Keller), *w$ter (Wetter), *r@tich (Rettich); *§r, *d§r, *w§r, *b@r (Bär); *§rde, *w§rt, *b£rtel (zu Bart), *g§rtner, *st%rn, *p§rle, *g§rn; *g£l (gelb), *w§g, *m§l, *geb£t, *br§t, *b§tler (gegenüber nhd. Brett, Bettler); b.) für mhd. e (vor r): *pf§rd, *sw§rn (schwören); c.) für mhd. ae: *sp£t, *k@se, *j§rlich, *{§len; d.) für mhd. e, oe (vor r): *m$r, *§rlich, *l§rer, *h§ren (hören); 2. urj. e4 ( = uroj., urwj. et) a.) für mhd. e, ö: *4*dd, *eisel, *re{de, *lceHe (Kette), *zeUen (zählen), *scMHen, *eHe (Elle), *eilbirten (mhd. ölbern), *eiven (Öfen); b.) für mhd. e, oe: *weHac, *gein, *§ne{, *sch&n, *be(s, *freHich·, 3. uroj. e{, urwj. ai - für mhd. ei, öu: *bre{t, *fleiach, *klein, *nein, *me(nen, *kleid, *freide (Freude), *be*mer (Bäume); urwj. *brait... *klaid, *fraide, *baimer·, 193

4. urj. e - a.) für mhd. i, ei, oe: *elif (elf) und die Komparative und Superlative, *klener, *klenst, *schener, *schenst, * greyer, *grest, *hecher, *hechst (Ausgleich nach dem Superlativ?); b.) für mhd. Kürze jeder Art: *nemen, *jener, *veter, *kemel (Kamel), *herz, *smerzen, *fertig, *becher, Hecher (Löcher), *wesche usf. Die verkürzten Komparative und Superlative scheinen im J. md. Herkunft zu sein 1 (vgl. PBB. 9, 127, 129, Unwerth 25, 29, Hausenblas 57f., Gerbet 232,237) - sie sind im Md. meist zahlreicher als im J. Einmal erscheint im J. auch Dehnung vor st, in *n§st, die wohl auf demselben Prinzip der Silbentrennung beruht wie Erhaltung der Länge vor st (Paul I 169). Gerade dieses Beispiel ist in den dt. Maa. sehr bekannt (Hertel 172, Gerbet 131, Heilig 78, Schw.Wb. IV 1999, Obs.Wb. II 279), daher auch ins J. eingedrungen (sonst Kürze erhalten). Mhd. aej erscheint, gewiß unter Einfluß des normalnhd. e, urwj. nicht als Diphthong; es gilt also gemein-urj. *dreien, *kreien, *neien, *selen, *weien. Mhd. hat neben Schemen auch schämen (Paul-Gierach § 40, Anm. 2,5) gehabt, im J. also offenes e; daher (mit Dehnung) urj. * schämen (vgl. nhd. schämen). Urj. *Wb (Löwe) und *Wdig setzen einen engen (geschlossenen oder gerundeten) mhd. Laut voraus; mhd. Uwe, lewe, löwe, löuwe, bzw. deren Nebenformen mit b, erscheinen sehr häufig neben Formen mit e; neben ledec ( < ahd. ledag) besteht ledec, ledic ( < ahd. ledig - mit i-Umlaut des e). Gegenüber nhd. (eig. md.) mögen, möglich muß urj. *m§gen, *m@glich angesetzt werden, obwohl auch die gemein-mhd. Vokale (e, ü u.a.) urj. § nicht rechtfertigen; dieses kann nur von dem (Weinhold, Mhd.Gr. § 392) als vereinzelt belegten ae im Ind.Präs. hergeleitet werden (sekundäres a > ä s. auch Paul § 40 Anm. 2 u. 8). Daneben gab es auch Formen mit urj. i (mhd. ü), wie z.B. noj. miglvx beweist. Ersteres scheint obd. Herkunft zu sein, wie aus dem (Maußer 1286) für Obd. angeführten mägen (mit Sekundärumlaut, wie oben) zu schließen ist. Sonst hält Urj. an mhd. ü fest, wo es nhd. durch das md. ö(o) ersetzt wurde; die j. Entsprechungen von nhd. Söhne, hölzern, 1

Prof. Panzer bezeugt sie auch für das angrenzende Nordbairisch.

194

golden, (ver jgönnen u. a. m. gehören also nicht hierher, sondern zu den i-Lauten. Ausnahme ist urj. *kenen (können), in dem der Vokal dann auch ins Präs. eingedrungen ist: *ken neben *kon (kann). Diese Ausnahme mag durch das parallele *kenen (kennen) begünstigt worden sein, denn auch hier erscheinen *ken und *kon nebeneinander (also Zusammenfall der Verben in gewissem Umfang). Dagegen ist heutiges mj. keinik (König) nur Neuentlehnung; das ältere J. kannte nur kinik (mhd. künec), wovon auch heutiges kinikl' (Kaninchen) im engeren Wmj. 1 . Urj. e ist im og. J. 1. als offenes e erhalten, in allen Stellungen, außer vor r: bet (Bett), brexr), jenv (jener), nemim, rext, slext, helfm; brenm, bexv (Becher),

ek (Ecke), eint (elend), egdts (Eidechse), keml (Kamel), mes (Messing), wes (Wäsche); lefl (Löffel), lexa (Löcher), efintn (öffnen) ; eltf (elf), gresn (größer); 2. Zu α umgelautet vor r-Verbindungen (s. u. S. 201): kar§ (mhd. kerse), arbl (Ärmel), farbm (färben), farhk (fertig), harts (Herz), smartsn

(schmerzen),

fndarbm

(verderben),

warfm,

parmti

(Pergament); ausgenommen ist e < mhd. ö, wo trotz Entrundung der Vokal lange noch widerstandsfähig war 2 , daher: ertv (örter), derfv (Dörfer), wertv (Wörter), merdv, hernv;

3. über α zu α gedehnt vor langem r (auf Kosten desselben): här (Herr), fvSpärp (versperren), häry ( < mhd. - md. erren, stören, belästigen - kann aber auch von normalmhd. irren hergeleitet werden); ebenso vor rm mit sekundärem Sproßvokal (wie bei urj. a - S. 185f.): wärtm (Wärme). Dieses Schema gilt für das gesamte J. mit vier Einschränkungen: 1. Die Quantität des ά variiert in den verschiedenen Maa., wie oben (S. 186) angegeben. Vgl. auch zum Ganzen Paul-Gierach § 24. Bei Beginn des Velarumlauts (s. u. S. 201 f.) muß er im Klang oder zumindest im Sprachbewußtsein (durch den Kontakt mit den dt. Maa.) noch als mit einer gewissen Rundung behaftet empfunden worden sein, die der Velarumlautung entgegenläuft, sie daher verhindern konnte. Später wurde das völlig entrundete e nicht mehr als Gegensatz zu R empfunden, wie z.B. i ( < u — s. S. 235), das sich nicht halten konnte, zumal auch Velarumlaut von i sehr häufig nur bis e gediehen ist (s. auch S. 211f., 215). 1 2

195

2. Der Umlaut e > α ist stärker im Mj. als im Noj. und überhaupt im Westen als im Osten. Er erscheint daher im engeren Wmj. und im Swj. nicht nur häufiger vor r - so art& (örter), wartb, darf& - sondern auch vor dem andern Velarlaut, dem x, meistens - raxmm (rechnen), naxtn (< nehten, gestern), taxfo (Töchter), swj. raxt (recht) u. a. m. 3. Im buk. J. ist e ein überoffener Laut, der auch dieser Artikulation zufolge etwas gedehnt klingt, abgesehen von der auch sonst üblichen, bei den e-Lauten besonders auffallenden buk. Dehnung in offenen Silben1. 4. In Teilen des Omj. und Noj. wird β vor yg, yk zum scheinbaren Diphthong ei zerdehnt (s. auch o. S. 186). J. biln (bellen), griln (grellen) und ili (alle), neben jüngerem all, zeigen Aufhöhung von mhd. e (in beiden ersten) und e (im dritten) vor Liquida, die in den md. Maa. geläufig war (Paul-Gierach § 98, 2; Maußer 9); im J. sind es freilich nur einzelne Spuren. Das α statt e in j. kwal (Quelle), gisayk (Geschenk) wird durch Lexer (I 900, I I 314) bekräftigt. Urj. § ist im (og.) J. über e zu ei (ei) diphthongiert worden. Beispiele: beiv (Bär), dew (der, dieser), geil (gelb), eint (Erde), geforr) (gern), feidv (Feder), beiztm (Besen), keilv (Keller), pei°rl (Perle), reitvx (Rettich), steivrr) (Stern), weik (Weg), weitv (Wetter), seimin (schämen), steitl (Städtlein), gl'eizl, beivdl (Bärtlein), geivtnv (Gärtner), speit, neintv (näher), keis (Käse), feiln, meiv (mehr), eivlvx (ehrlich), treiv (< treher, Träne), hei°rp (hören), §wei°rr) (schwören), feint (Pferd). Der Diphthong ei gilt im großen ganzen für das gesamte Mj. Allerdings klingt das e in einem Teil des Omj. (besonders buk. J.), wie der kurze Monophthong, offener (äi), in einem andern Teil (hie und da im ukr. J.) dunkler (yi). Im buk. J. ist vor r das alte offene § erhalten - h§rp, färt. Ein kleiner Teil des ukr. J. bietet für urj. | allgemein, außen vor x, k, y einen i-Laut 2 , der sowohl in der Quantität als auch in der Qualität variiert, z.B. Mry (hören), filn (fehlen) hirp, filn — hiry(= hyry), filn, wobei das (geschlossene) i als ursprünglicher anzusehen ist. S. o. S. 186 und u. S. 254. * Birnbaum, ZsfdMaa 1923, 127f.; Weinger, WrZs I 193ff. 1

196

Das Noj. hat urj. | durch Kürzung vor der Diphthongierung bewahrt und mit dem kurzen e zusammenfallen lassen; nur das kurl. J. hat auch hier Länge, wie es scheint offene (also dem urj. Laut nahestehend) 1 . Die eiJe-Grenze verläuft im allgemeinen wie die von üjo (o. S. 188). In der Ukraine reicht auch hier der Laut des Nordostens bis zur schrägen Linie Kiew-Poltawa, umfaßt allerdings auch den südöstl. Winkel hinter Poltawa-Odessa. In der mj. Ukraine erstreckt sich das ei nur über deren südliche Hälfte, während im Nordwesten derselben jenes Grenzgebiet liegt, das für urj. § den i-Laut bietet, welcher über die sowjetrussische Grenze in einen Teil des anliegenden wol. J. hinüberreicht. Im W j . hielt sich e ( < e) rein, wie im Nhd., im sl. beeinflußten Swj. wurde es meist zu ei (qi), zuweilen auch zu %. Im mj. tsgn (zehn) hat sich noch urj. gewiß unter Wirkung des h, rein erhalten. Hie und da im engeren Wmj. und im Swj. ist noch weitergehende Beeinflussung durch Velarkonsonant zu verzeichnen - Velarumlaut des (langen!) | > ä: l&n (Lehrer). Neben mj. lautgerechtem gei°x (< gaehe, schnell) erscheint im Osten, zuweilen sogar alleinherrschend, gfox, das als besonders weitreichender Vorstoß jener i-Laut-Ma. einerseits bis tief ins og. J. (also Wmj.) andererseits sehr weit ins weißruss. J. (also Noj. — auf Kosten dessen regelrechten gex) vorgedrungen ist. Mj. bill (Dim. zu bat, Wannenbad) ist ebenso zu beurteilen. A n dritter Stelle behandeln wir urj. ( = uroj. und urwj.) e { ; ihm entspricht im (og.) J. - ai: aibtk (ewig), waittlc (< witac, Schmerz), gain (gehen), stain, snai; sain (schön), bais (böse), laizn („lösen", einnehmen), frailvx (fröhlich); naiin (nähen), draitn (drehen); kait (Kette), aizl (Esel), laigy (legen), haibm (heben), dntsailn (erzählen), laip (Löwe), laidtk (ledig), aiwns (Öfen). So steht also ai < urj. e* gegenüber ei < urj. Dieses ai hat das gesamte Wmj., während das Omj. u. angrenzender Teil des Swj. einen ei-Laut bietet, der allerdings nicht ganz einheitlich ist: im ukr.-bess. J. hat er den Wert eines ςί und ist mit dem ( < urj. I) zusammengefallen, im buk.-rum. J. zum großen Teil 1

Weinreich, S. 200, gibt die Qualität nicht an; geschlossenes e wäre ihm als vom noj. Laut abstechend aufgefallen. 197

ebenso (namentlich im rum. J.), vielfach aber ist er da (namentlich im buk. J.) etwas offener, z.T. mit dem Lautwert äi. Auch bei den offeneren Qualitäten ist, mindestens teilweise, Verschmelzung mit %i-äi (urj. I) eingetreten1. Ein kleines Übergangsgebiet (s.w.u.) besorgt mit seinen überoffenen sei-di die Vermittlung zwischen dem og. und buk. J.; diese Laute sind im allgemeinen noch von den ςΐ-äi < urj. | zu unterscheiden, doch kommt gelegentlich auch Zusammenfall vor, so daß (z.B. um Horodenka) swäibvh (Streichholz von mhd. swebel) und läibali (von mhd. leb, als Vorname) den gleichen Hauptvokal haben 2 - dieses äi < | ist demnach eine unorganische Entwicklung. Die Grenze zwischen wmj. ai und omj. ei zweigt auf dem Boden Wolhyniens unweit der sowjetruss. Grenze von der tt/o-Linie ab, läßt also den östlichen Teil des wolh. «-Gebiets bereits auf omj. Seite hegen, deckt sich dann im wesentlichen mit der politischen Grenze zwischen Ostgalizien und der Ukraine, von der sie schließlich abspringt, um den südöstlichsten Rand Ostgaliziens (ungefähr von einer über Horodenka-Kolomea zu ziehenden Linie nach Süden und Südwesten) als Übergangszone vom eigentlichen ai-Gebiet abzutrennen und über den kleinen Ostrand der Tschechoslowakei hinweg in einer (im einzelnen noch näher festzulegenden) östlich gerichteten Linie auf die östliche Grenze Siebenbürgens überzulaufen. Im Noj. hat sich urj. ei zum Diphthong ei entwickelt, der vom omj. Nachbarlaut ζΐ deutlich unterschieden in manchen Gegenden sich zum i% verdunkelt (hie u. da auch ins nördliche Omj. eingedrungen). Völlig aus dem Rahmen fällt das kurl. äi, vom kurl. Deutsch beeinflußt. Als Grenze gegen das p. J . kann auch hier im großen ganzen die •w/o-Linie angesehen werden, nur sind die ei-Formen sehr oft auch über sie hinaus auf Boden des «-Gebiets anzutreffen; wie weit 1

Birnbaum differenziert die beiden etymologisch, verschiedenen Diphthonge für das Omj. (vgl. ZsfdMaa. 1923, 129); doch hat sich das bei meinen (allerdings nicht erschöpfenden) Beobachtungen weder für das ukr. und bess. noch für das buk. J. bestätigt, so daß seine Annahme mindestens einzuschränken wäre. Es wäre interessant festzustellen, wo die (an sich sehr wahrscheinlich anmutende) Scheidung B.s noch anzutreffen, wo sie aufgegeben ist. 2

Gegen og.: Sweibvh-laibnli; buk.: sweibvli-leiboh usf.

198

im einzelnen die eijai- von der ο/ΰ-Linie abweicht, wäre noch näher zu untersuchen (Brest hat ü aber ei, ebenso wie ein großer Teil des Lomza'er ^-Gebiets). Im W j . findet sich neben dem eigentlich wj. ei auch ai; ob dieses auch eine organische wj. Entwicklung ist, kann man aus den wenigen erhaltenen Resten nicht ersehen - es wäre auch äußerer (mj.) Einfluß denkbar. Das mhd. gegen müßte im gesamten ai-Gebiet kaigy ergeben; so erscheint es aber nur im wg.-pol. J., wogegen og. keigp ebenso wie noj. kegy urj. | hat. Da der, an sich bair., Form gegen (< gegini) auch noch eine alem.-fränk. gägen (< gagani) gegenübersteht, so könnte man hier einen Ausgleich zugunsten der letzteren sehen. Als Ausnahmen in umgekehrter Richtung (und zwar gesamtwmj.) sind zu nennen: rata (Röhre), zaiv (sehr), mai^ry (Möhren). Man würde in diesen Fällen mj. ei erwarten als Entsprechung des mhd. έ, oe-ö vor r 1 ; indes scheinen sich diese Laute frei von dem sonst üblichen Einfluß des r zu urj. e> > mj. ai entwickelt zu haben. I m Noj. gibt es ei (— mj. ai) neben dem an sich regelmäßigen e: zeisr, zer, meidrr), mery. Es heißt im Wmj. zwar rait (Reden), aber rein (reden); es hat sich also von den beiden mhd. Formen reden und redden als Verb die zweite durchgesetzt. Das lit. J. hat zwar reidn (< reden), aber in der Konjugation ix red (ich rede), nicht ix reid. Das uroj. e* umfaßt auch die mhd. Diphthonge (s.o. S. 192f.); die Beispiele für og. ai < urj. ei müssen demnach noch durch folgende ergänzt werden, ohne daß zum Laut als solchen und seinen mundartlichen Entsprechungen im gesamten Oj. noch Näheres hinzugefügt zu werden braucht: Wait (Kleid), brait, flais, kl'ain, zaigv („Seiger", Uhr), stain, (Stein), maintn, nain, ains, aigp; frait (Freude), baimv (Bäume), gilaif ( < geleufe - Lex. I 824) - ganz wie: gain, Main, sain (nhd. gehen, stehen, schön); im Omj. und im Noj. entsprechend: kleit wie gein usw. Nur im W j . blieben die mhd. Diphthonge von der urj. Stufe an (s.o.) von den Monophthongen geschieden. Ist das urwj. il in ei allmählich übergeglitten, so ist aus dem ai durch allmähliche Über1

S. o. S. 193, 196. Ähnlich verhält sich r (B) beii (S. 213 Anm.).

199

tragung der gesamten Tonstärke auf den ersten Bestandteil des Diphthongs der Monophthong ä hervorgegangen (also: ai > dj > ά* > α). Die angeführten Beispiele würden also wj. lauten: klät, brät, fläS, frät, bämd usw. Über die Grenze s. Allg. Teil, S. 93. Das gal. maidl und das wj. mädl (Mädel) haben zwar verschiedene urj. Vorstufen aber denselben mhd. Ursprung: meidel(< megedel). Aber wenn im Lodz'er J., das zur ai-Guppe gehört, dasselbe Wort als meidl erscheint1, so kann es nur ein mhd. maedel zur Grundlage haben. Beide Formen sind dem schwäbisch-bairischfränkischen Sprachgebiet zuzurechnen (DWb. 6, 1426). Mj. mastO (noj. mmstdr) setzt ein uroj. *mainster voraus. Uroj. ai steht aber sonst nur für das diphthongierte mhd. i, iu (s. u. S. 205), während der alte Diphthong immer als & erscheint. Entweder ist hier die Stufe ai früher erreicht als beim sonstigen mhd. ei und Zusammenfall mit ai < mhd. ί eingetreten, oder wir haben dieses ai dem Bair. zu verdanken (s. u. S. 209f.). Das lit. erndr (Eimer) ist nicht durch Verkürzung des Diphthongs, sondern aus der Nebenform emmer (emer) zu erklären (Lex. 1522). Dagegen ist das e im lit. lebl (Laib) als nachträgliche Kürzung dieser Ma. anzusprechen (vom Namen leibl unterschieden?). Etwa in der Mitte der Ukraine scheint ein folgendes χ oder r wegen seiner starken velaren Aussprache die Kürzung und Ausweitung des ei zu offenem £ bewirkt zu haben; man sagt dort tsqxr), w^xdr, τξττ) (für Zeichen, weicher, Röhren). Bess, boimdr (Bäume) u. ä. Formen sind keine Ausnahmen von der oben aufgestellten Regel, sondern spiegeln eine unumgelautete mhd. (wahrscheinlich bair.) Form boume(r) wider. Das mj. gl'aibm (glauben) ist das md. umgelautete gelöuben (Maußer 501). Eine kleine Tabelle möge die wichtigsten Ergebnisse der Entwicklung der e-Laute vom Urj. zum N j . veranschaulichen (die kleineren Unterschiede, wie der r-Umlaut, die feineren Nuancen der e-, ei-Laute werden hier der Einfachheit halber ausgeschaltet). Es zeigt sich also, daß die einzelnen j. Maa. im wesentlichen den urj. Bestand noch weiter vereinfacht haben: die westlichen Maa. (B, F - auch E, wo die Verhältnisse anders liegen als im sonstigen Noj.) haben noch 3 Laute, die östlicheren (C, D) nur zwei2. 1 2

Gutmann, I W I I 379. Fast im gesamten J. gehören nur noch zwei zur eigentlichen e-Gruppe.

200

A. Urj

Β. Wmj.

C. Omj.

e

β ei ai

e

A

ζ

& ai (urwj).

J

ei 1

D. Lit.-Nordr.

I

E. Kurl.

F. Wj.

e

e

A

£ ei

äi

J

ei1 A

a

Betrachten wir die einzelnen Lautwandlungen noch einmal. Zunächst fällt uns der r- (bzw. x-)Umlaut des e auf. Er ist eine echt dt. (ma-liche) Erscheinung und beruht auf der Anpassung des palatalen Vokals an die velare Artikulation des r. Allerdings ist dieser Artikulationsgegensatz beim e nicht so groß und daher auch seine Überbrückung nicht so deutlich, auch nicht so weit verbreitet, wie beim i (s.u. S. 215). Immerhin zeigt - wenn wir von der starken Verbreitung im Nd. (Sütt. 177) absehen - auch eine Reihe hd. Maa. diesen Velarumlaut (z.T. nicht bis zum vollen a, sondern nur zu einem Mittellaut gediehen). Zu nennen sind hier das Nordwestböhm, wenigstens in seinem südlichen, vom Egerl. beeinflußten Teil (Hausenblas 25, 54, 62), ferner das Egerl.-Obpf. (ebenda und Weinhold, BGr. 18, Schmeller § 183), das Altenburg, und der Norden des Vogtländischen (weniger deutlich dessen südlicher Teil, wo immerhin ein zwischen α und e stehender Zwischenlaut erscheint - Gerbet 239f.), das östl. Ofrk. und das Nürnberg, mit einem Mittellaut (Heilig 91, Gebhardt 145), einige thür. Ortschaften (Näheres über den Umfang und die Ausdehnung des Umlauts ist aus Hertel nicht zu ersehen); im übrigen ist die offenere Aussprache des e vor r heute in den meisten Wörtern in allen Gegenden des Bair. anzutreffen (Schmeller § 188). Eine weitere Frage ist die des Alters. Im J . muß der Velarumlaut (sowohl beim e als auch beim i und u) in den meisten Fällen schon in urj. Zeit (also in unmittelbarer Anlehnung an die dt. Maa.) eingetreten sein. Zwar abgeschlossen ist der Prozeß damit noch nicht; vielmehr sprechen manche Tatsachen - so z.B. der Umlaut des 1 Ob, wie und wo Zusammenfall verhindert wurde, müßte noch genauer untersucht werden; über den Wert der ei-Laute und das Auftreten von ai im Wj. s. oben (SS. 197, 199).

201

u > e (s. S. 235) und der sl.-j. Wörter (s. S. 310) sowie die ma-lichen Abweichungen bei einem großen Teil der Wörter - dafür, daß er auch in aj. Zeit noch fortdauert und sich vielfach dort erst (unabhängig zwar von den dt. Maa., aber doch unter dem Druck der aus Dtl. mitgebrachten Gesetze) vollzieht. Daher (und wegen der malichen Schwankungen) ist in der obigen Darstellung (ebenso unten bei den i- und w-Lauten) das Ergebnis nicht schon auf der einheitlichen urj. Stufe angesetzt, sondern in die Reihe der weiteren Entwicklungen eingeordnet worden. Bei der geschichtlichen Betrachtung jedoch dürfen wir uns dadurch nicht in der Annahme beirren lassen, daß die Erscheinung als solche in die urj. Zeit gehört, und zwar schon in deutlich ausgeprägter Form, nicht nur in den Anfängen - der Großteil der Umlautsfälle ist ja gemeinj. und einheitlich. S. noch u. S. 258f. Das urj. & (im Uroj. auch die Diphthonge, im Urwj. nur die langen und gedehnten Monophthonge enthaltend) ist im J. sehr früh schon, zu Beginn der aj. Zeit, in einen vollen Diphthong ei übergegangen, einerseits durch das Überhandnehmen deutschmundartlicher Diphthongierungstendenzen, andererseits, besonders im Oj., durch das unter slav. Einfluß immer stärkere Nachlassen der Fähigkeit enges e zu artikulieren. Der Keim kam aus dem Gebiet des Nordbair. (einschließlich seiner Einflußsphäre), das in der Entwicklung des e denselben Weg einschlägt - einige andere Gegenden dürfen hier übergangen werden, sie sind entweder zu klein oder passen aus anderen Gründen nicht zum J. - (vgl. Maußer 70, Gebhardt 47, Gerbet 128, 143, Fischer Karte 10f.; sonst noch Heilig 37, 39 u. 28, Jutz 57 und die allerdings sehr unübersichtlichen Angaben bei Sütt. 136f). Auf dieser Stufe blieben das Wj. einerseits und das Noj. andererseits. Im Mj. setzt eine weitere Entwicklung ein, die wohl die ganze aj. Periode hindurch dauert; der Weg führt über > äi > ai1, besteht also in einer fortwährend zunehmenden Ausweitung des Sonanten. Auf diesem Wege geht der Westen dem Osten voran: das gesamte Wmj. ist bis zur letzten Stufe vorgedrungen (im Westen ist das α etwas offener als im og. J.), die og. Übergangszone (um Kolomea) nur bis zu dem sehr nahe stehenden sei-äi, während das 1

Vgl. auch Birnbaum, Teuthonista 9, 98; allerdings scheint mir seine Bemerkung „vor dem 17./18. Jh. ei" nicht präzis genug zu sein. In die Wendezeit (17./18. Jh.) dürfte die letzte Etappe äi > ai fallen und wir haben einen längeren Weg vorauszusetzen.

202

angrenzende buk. J. mit seinem äi oder gar φ (seltener sei) noch weiter zurückblieb und der Rest des Omj. meist kaum über das ςί hinausgekommen ist. Man sieht, es handelt sich um eine vom Westen ausgegangene Bewegung, die im Osten immer mehr erlahmt ist. Schon das weist darauf hin, daß wir hierin wieder dt. Einfluß zu wittern haben. Hier hilft uns wieder das Nordbair., das genau dieselbe Tendenz zeigt: im Nürnberg, steht der Diphthong dem ai sehr nahe (vgl. Gebhardt 47). Man darf aber noch einen anderen Faktor ins Auge fassen. Wenn, wie wir oben annahmen1, das Uroj. (nach omd. Art) den mhd. Diphthongen kontrahiert und mit dem Monophthongen zusammengebracht hat, so läßt es sich dennoch verstehen, daß das stark vertretene bair. Element mit allen Kräften seine αΐ-Aussprache des mhd. ei (Maußer 22, 43) aufrechtzuerhalten strebte. Diese Tendenz wurde durch die offizielle Normierung der nhd. Schriftsprache, deren Einfluß auf das nahehegende Wmj. besonders stark gewesen ist, in ihrer Position wesentüch gestärkt. Je mehr sich der urj. Laut von seiner monophthongischen e-Lautung (die durch die in ihm eigenmündeten alten e-Monophthonge gestützt wurde) entfernt hatte, um so stärker konnte das ai durchgreifen. Das Resultat dieser Kämpfe war das allmähliche Sichfortbewegen in der Richtung des ai, wobei der mit dem dt. Sprachkreis enger verbundene Teil dieses letzte Ziel auch erreicht hat. Somit dürfen wir diese Entwicklung des urj. el als Produkt bair. Kräfte (wohl unter spezieller Beteiligung des Nordbair.) und schriftsprachlichen Einflusses betrachten. Die offene Länge, urj. hat im Noj. (mit Ausnahme des kurl. J.) durch Aufgabe der Quantität die Qualität gerettet. Im übrigen Sprachgebiet (wieder außer dem kurl. J., unter Einfluß des kurl. Dt.) ist das Gegenteil geschehen: die Erhaltung der Quantität verursachte eine qualitative Veränderung; denn es lag schon im Wesen der meisten dt. Maa., wie der nhd. Umgangssprache, die Neigung, dem langen e eine engere Artikulation zu verleihen - und diese Neigung hat das J. vorerst mit übernommen. Wohl könnte auch das urj. e* eine Anziehungstätigkeit ausgeübt haben. Als dies dann vollends diphthongiert worden war, konnte in die von ihm verlassene Position das urj. § noch leichter einrücken. Damit war aber auch sein weiteres Schicksal besiegelt, denn es gab sich den bereits 1

S. 192. S. auch noch w. u. S. 208ff.

203

besprochenen Diphthongierungstendenzen preis. Die letzte Stufe, ei, ist nach Birnbaum (Teuthonista 9, 99) etwa um die Wende des 17. Jh., also zu Ende der aj. Zeit, erreicht. Die Erhaltung des Einlauts vor r im buk. J . hat nicht nur im Nordbair. selbst, sondern auch anderwärts eine genaue Parallele (vgl. Gebhardt 47, Heilig 37). Ebenfalls durch den Übergang des urj. § in e veranlaßt, ist der Wandel zum i-Laut in jenem nördl. Teil des Omj. Denn aus dem offenen | konnte dieser begreiflicherweise nicht direkt entstehen. Das zeigen auch die Parallelen aus den dt. Maa. Hier ist e, e > i, i nicht selten (vgl. z.B. Gerbet 128, 143, Gebhardt 41, BGr. 34, Unw. 22, Sütt. 192f.), und zwar auch in spätmhd. Zeit schon reichlich bezeugt (Maußer 49f., Rückert 36f.); hingegen ist ae > t nur spärlich und ganz vereinzelt vertreten und ist übrigens auch da über e entstanden (vgl. z.B. Rückert 36f., Schi. Gr. 40, Gerbet 142). Wir haben uns den Vorgang etwa so zu denken. Als das e ( < g) dem ei ( < e l ) gegenüberstand, trat das Bedürfnis ein, diese etymologisch verschiedenen Laute deutlich auseinanderzuhalten, um sie vor einem Zusammenfall (wie in anderen Gebieten des Omj.) zu schützen - ob das auf Einfluß des benachbarten Noj., das hier den Unterschied wahrte, zurückzuführen ist, daß das Bedürfnis in diesem Gebiet stärker war als im sonstigen Omj., mag dahingestellt bleiben. E s blieb daher, als das J . die Artikulation des engen e-Monophthongen einbüßte, nur noch der Ausweg, die enge Qualität durch t auszudrücken. Die aus bestimmten dt. Maa. mitgebrachten Keime von έ > i konnten also sehr leicht zu diesem Ausweg treiben. Der Entwicklungsgang des urwj. ai > ä ist (S. 199f.) dargestellt worden; er entspricht ganz demjenigen im Bair. und dessen Nachbargebieten (vgl. BGr. 52, Hausenblas 32, Gerbet 152, Heilig 100) das Rhfrk. darf hier übergangen werden. Die aj. Entwicklung stand, wie wir sahen, im Zeichen bair. Einflüsse. Von den urj. Lauten kann man das nicht behaupten. Schon die Gruppierung der e-Laute im Urj. spricht dagegen. Das Bair. (und Ostschwäb.) hat im Mhd. die ursprünglich offene Qualität des e bewahrt, im Gegensatz zum Restgebiet, das den geschlossenen Laut annahm (Paul-Gierach § 6, 1 Anm. 5). Im Bair. ist ferner (mit Ausnahme der nördlichsten und westlichsten Teile, sowie der Stellung vor einigen Konsonanten) e frühzeitig - seit dem 12. J h . mit e zu e zusammengefallen (Maußer 50f, Paul-Gierach § 6, 1 Anm. 3) und daher von den überoffenen ä, ae streng geschieden

204

gewesen, während im Md. e, ä und ae zusammengehören (PaulGierach § 6, 1 Anm. 4, 5; Maußer 8f., 52). Das J. also, das bei den Längen ä, e und ae (als urj. §) einerseits und e, ö, e und oe (als urj. el) andererseits zusammenhält - bei den Kürzen sind ja die Qualitätsunterschiede ganz aufgegeben worden - stellt sich hiermit auf md. Boden. Weiteres ergibt sich noch bei einer näheren Betrachtung des uroj. e1, urwj. ai - darüber u. S. 208ff. 3.1-LAUTE Die mhd. i-Laute müssen in zwei gesonderten Gruppen behandelt werden, mit Rücksicht auf ihre spät- und nachmhd. Entwicklung, die auch dem Urj. zugrunde liegt. a) mhd. Ϊ, iu - nhd. ei, eu, äu. Durch die Entrundung des iu (s. u. S. 256) hat das Urj. nur noch mit einem einzigen Laut zu rechnen, und zwar einem Laut, dem die im Grunde erst spätmhd. (wenn auch bair. bereits im 12. Jh. einsetzende) Diphthongierung (s. u. S. 254f.) vorausgeht. Der urj. Diphthong ist aber bis ins heutige J. vom alten Diphthongen streng geschieden geblieben, wie es ja auch in sämtlichen hd. Maa. im Gegensatz zur nhd. Schrift- und Umgangssprache der Fall ist. Wir müssen aus Gründen, die später ersichtlich werden, wieder die Scheidung zwischen Uroj. und Urwj. einführen und haben dann folgende Diphthongierungsergebnisse anzunehmen (wobei wir die Zwischenstufen ausschalten): uroj. urwj.

ι (iu) > ai, ι (iu) > ei.

In der weiteren Behandlung des uroj. ai zerfällt das Oj. in die zwei großen Gebiete des Noj. und des Mj. Jenes behält den αΐ-Laut in seiner ursprünglichen Form, dieses verändert ihn durch die Konzentrierung der gesamten Tonstärke auf die erste Komponente 1 . Der Entwicklungsgang ist also ganz derselbe, wie beim urwj. ai < mhd. ei (s. o. S. 199f.): ai > äi > α* > α. In einigen Fällen ist die letzte Stufe nicht in allen Maa. erreicht worden - die Maa. verhalten 1 Birnbaum, Teuthonista 9, 98 setzt den Abschluß dieses Vorgangs ins 17./18. Jh.

205

sich hierin nicht ganz gleich: vor Vokal mußte das j zur Vermeidung des Hiats beibehalten werden (wird aber freilich als nicht mehr zum Diphthongen gehörig, sondern als selbständiger Konsonant empfunden); ebenso im freien Auslaut. So entspricht zunächst im og. J. dem uroj. ai 1. d in: äzn (Eisen), bdsn (beißen), fdnt (Feind), mal (Meile), man (mein), rdx (reich), träbm (treiben), tsdt (Zeit), tswdk (Zweig), wdp (Weib), äx (euch), fränt (Freund), mos (Mäuse), tätn (deuten), laxtn (leuchten), bäxv (Bäuche), nän, hdtl (Häutchen); 2. ai in: din (euer), fäiv, tain, gtträi, ndi, drai (drei), bläi, frdi, layin (leihen), Spdim, kditn (kauen, mhd. Iciuwen neben kuwen); bei schnellerem Sprechen wird hier nur ein d, bestenfalls di mit schwachem vernommen, etwa: d®, fd° (fdr), drä^>, frdW> IdVhn usw. Innerhalb des Mj. sind wieder zwei Eigentümlichkeiten des Westens gegenüber dem Osten hervorzuheben: 1. stärkere Dehnung und Betonung des d, auch bei langsamem Sprechen, und demzufolge, 2. weitgehende Verflüchtigung des i, meist bis zu völligem Schwund. Die Grenze des Mj. gegen das Noj. ist im großen ganzen wieder die ω/ο-Linie. Doch scheint z.B. Brest schon die αϊ-Formen zu haben oder doch zumindest ein äi (mit Halblänge) als Kompromißform, vielleicht aber auch beide Formen (d-ai) nebeneinander. Auch das wol. m-Gebiet scheint etwas größer zu sein als das o-Gebiet, wenn auch vielleicht nicht so groß wie das des ei (gegenüber dem ai). In der Ukraine sind in einigen Wörtern aiFormen weiter südlich, fast bis zur Hälfte des Gebietes vorgedrungen und herrschen da teils allein, teils neben den d-Formen 1 . Mhd. siufzen, siufze lauten gesamtoj.: ziftsn, zifts; hier ist also das iu vor Doppelkonsonanz bereits urj. (oder besser vielleicht vorurj.) verkürzt worden, so daß der Diphthongierung der Boden entzogen war. Ebenso mhd. dihte (S. 211). 1 Nach dem Sprachatlas von Wilenkin (Karte 30) scheint es, als ob in den Wörtern mit auslautendem ί - iu der αΐ-Laut sich über ganz Rußland verbreitet hätte; es ist aber ein offensichtlicher Irrtum, der durch das Pehlen einer Quantitätsbezeichnung über dem α entstanden ist: im Norden ist das α in ai kurz, im Süden lang; dort ist es also der noj. hier der mj. (oben unter 2.) dargestellte Laut.

206

Nhd. säumen, räumen stehen oj. zomm, romm gegenüber, aus bair. sumen, rumen ohne Umlaut (über das ο < ύ vgl. unter den «-Lauten). Auffallend ist das mj. soup, lit. soip (Scheibe). Aus mhd. schibe konnte es nicht entstehen. Wenn eine mhd. Nebenform schuhe. in keiner Ma. auffindbar ist, ließe sich es nur als Rückumlautbildung vom Dim. säbl (urj. *saibel, mhd. scMbel) erklären, wo ά (ai) als Entwicklung von iu (Umlaut von u) aufgefaßt werden konnte, in Anlehnung etwa an täbl - toup (Täublein - Taube). Der PI. soubm wäre dann dem Sing, angeglichen. Eine ähnliche Rückumlautbildung ist z.B. das in obd. Maa. sehr geläufige fuS ( = Fisch) - vgl. BWb I. 771, SchwWb II, 1515. Das fit. gräm (Reim, „Gereime") - statt des zu erwartenden grairn - scheint (wie Gerzon, 24, richtig annimmt) mit den improvisierenden Reimkünstlern aus dem Mj. gekommen zu sein, wo es lautgesetzlich das ά bekommen hat. Das mj. zait (seit) ist keine Ausnahme, sondern Neuentlehnung aus dem Nhd. (s. S. 321) neben dem älteren zint ( = mhd. sint). Zu bessar. hoizdr (Häuser) u.dgl. ist dasselbe zu sagen, wie zur parallelen Form boimdr u.dgl. (s. o. S. 200), - von mhd. hous. Das urwj. ei geht, dem bair. ei < % parallel, in ai über (der Übergang ist durch allmähliche Weitung ermöglicht worden: ei > äi > sei > ai); es heißt also wj. regelmäßig: fraint, aix, drai, traibm usw. Wenn daneben im burg. J. einige Wörter mit äi oder gar ά auftauchen {drai, zäin, man, wät), so ist hier, wie mir scheint, nicht an wmj. Einfluß zu denken, sie sind wohl nicht anders zu werten als die wenigen bair. Wörter mit ebensolchem äi oder ά (z.B. Schmeller § 236f., BGr. 52); es sind häufig gebrauchte Ausdrücke, zum Teil Verkehrswörter, die von anderwärts eindringen oder auch auf dem eigenen Boden eine weitere, radikalere Entwicklung erfahren konnten. Die Spaltung des Urj. in Uroj. und Urwj. sowie die Annahme eines urwj. ei < i gegenüber uroj. ai < i mögen auf den ersten Blick willkürlich und überflüssig erscheinen, zumal das Wj. ja zufällig mit dem Noj. im Endergebnis übereinstimmt. Indes wird uns eine nähere Betrachtung dieser Laute und ein Vergleich mit den alten Diphthongen (mhd. ei, öu) eines Besseren belehren.

207

i ) uroj. e

mhd. ei (öu)

) noj. und omj. J wmj. (ei > äi > ski) J urwj., ai ——>-wj. (äi > ä* >)

ei ai a

Ι mj. (äi > ä1 >) J noj. J urwj., et ——• wj. (äi > iei >)

a ai ai

) uroj. ai mhd. % (iu)

A

A

Aus dieser Zusammenstellung erhellt das Folgende. Das noj. ei setzt unbedingt einen e-Diphthong (ei) oder eine e-Länge {&·) voraus. Für das zweite spricht der Zusammenfall mit mhd. i, oe, gedehntem e, ö, für die wir auf urj. Stufe noch kaum einen vollen Diphthongen setzen dürfen. Noch ein zweiter Gesichtspunkt ist hierfür geltend zu machen: Da mhd. % auf voruroj. Stufe jedenfalls noch vorübergehend den Wert eines ei-Lautes hatte, so war um der Verhinderung des Zusammenfalls willen eine Kontrahierung des alten ei nötig, dessen diphthongische Tendenzen (auf die übrigen e-Laute übertragen) erst dann sich wieder entfalten konnten, als das mhd. % bereits die Stufe ai erreicht hatte. Dieses ei zeigt aber auch, daß die Veränderung gegenüber dem mhd.-urj. Laut nur äußerst minimal ist (im Vergleich z.B. mit den anderen Maa.) und zwingt uns unter Anerkennung des noj. Konservatismus für das heutige ai zugleich ein uroj. ai anzunehmen. Ein uroj. ei für das noj. ai kommt überdies auch deswegen nicht in Betracht, weil sonst ein Zusammenfall mit dem uroj. & unvermeidlich gewesen wäre. Dagegen ist das Mj. (insbesondere das Wmj.) zu radikalen Änderungen geneigt. Ein mj. ά für mhd. i kann gewiß nur auf dem aufgezeigten Wege entstanden sein; das beweisen außerdem auch die oben angeführten Beispiele mit Erhaltung des i im Hiat oder Auslaut. Man möchte nur zweifeln, ob für dessen urj. Stufe bereits ai einzusetzen ist, ob nicht auch ein urj. ei möglich wäre, das zwar einen längeren, aber bei dem mj. Radikalismus doch nicht unmöglichen, Weg durchzumachen gehabt hätte. Diese Vermutung wird aber hinfällig durch den Vergleich mit der Parallelentwicklung des im Ergebnis völlig verschiedenen mhd. ei, für das wir auch hier (aus demselben Grunde wie beim Noj.) eine uroj. Kontraktion zu e1 208

anzunehmen gezwungen sind. Andererseits schließt der mj. Radikalismus die Annahme eines ai (< ei) als Vorstufe des heutigen ai vollständig aus; sonst wäre ja der Zusammenfall mit uroj. ai < i und die Umformung zu α unausweichlich. Demgemäß wäre etwa die Umstellung: mhd. ei > uroj. ai > mj. ai und mhd. i > uroj. ei > mj. a - völlig absurd. Für das Wj. gilt natürlich, wie ein Blick auf die Tabelle lehrt, dasselbe in umgekehrter Reihenfolge. Nur liegt hier der Zwang nicht vor zwischen mhd. i und wj. ai ein kontrahiertes el einzuschieben, wie zwischen mhd. ei und mj. ai. Wir fassen also das Endergebnis zusammen: Mj. und Noj. gehen auf ein gemeinsames Uroj. zurück, das für mhd. ei kontrahiertes ei, für mhd. ΐ — ai bietet, das Wj. hat ein dem Uroj. entgegengesetztes Urwj. mit ai < mhd. ei und ei < mhd. % zur Grundlage. Das gibt uns zugleich weitere Aufschlüsse über die Beziehungen zu den deutschen Maa., und wir können das Resultat gleich vorwegnehmen: das Oj. zeigt hier omd., das Wj. bair. Ursprung. Von den deutschen Maa. kommen überhaupt nicht in Betracht das Nd., das Wmd. (mit Einschluß des Westthür.), der größte Teil des Al. (im engeren Sinne) - wegen der Erhaltung der alten Monophthonge i, iu1. Das Omd. hat im 13.Jh. ei zu e kontrahiert (Maußer 144, Paul-Gierach § 100 Anm.), während das Bair. (wie auch das Schw.) die alte ai-Aussprache des ei gewahrt hat (Maußer 22, 43). Das bestätigen auch die heutigen Maa. Das gesamte Omd. bietet uns heute einen, nach Ma. verschiedenen, langen e-Laut - so das Ostthür. (Hertel 25), das Obs.-Erzgeb. (Albrecht 9 und im Obs. Wörterbuch von Müller-Fraureuth), das Schles.-Lausitz.-Nordböhm. (Unwerth 28, Wenzel 23); ausgenommen sind nur einige vom Bair. beeinflußte Gebiete (Vogtl., Nwböhm.), die wie das Bair. ein α (bzw. dessen Fortbildungen) aufzuweisen haben (Gerbet 152, Hausenblas 32, Weinhold BGr. 52)2. Hinsichtlich des diphthongierten i sind die Verhältnisse nicht so eindeutig feststellbar. Die allWenn der größte Teil des Ofr. die Diphthongierung hat, so gehört er aber in dieser Hinsicht ganz zum Bair. (Heilig 38, 43); manche andere Gebiete des Wmd. ließen den Diphthongierungsprozeß erst fruhnhd. eintreten und fallen auch deswegen weg - so ζ. B. das Moselfrk. (Maußer 1

122).

Vgl. dagegen die schw. oa-Laute, die zum wj. ά nicht gut passen (Kauffmann 89). 2

209

gemeine Ansicht, daß die Diphthongierung über: ei > > äi > sei > ai sich vollzogen habe (Maußer 42), gilt auch für das Omd. Aber man wäre geneigt, da der Vorgang im Bair. seinen Anfang nahm und mithin dort normalerweise früher die Endstufe erreicht haben müßte, aus diesem Grunde das Bair. für das Oj. in Anspruch zu nehmen. Doch läßt der heutige Tatsachenbestand keinen Zweifel darüber zu, daß das oben vorweggenommene Ergebnis das Richtige traf. Dieselben omd. Maa., die e < ei hatten, haben auch ai < i als Regel (Hertel 23, Albrecht 9, Unwerth 23, Wenzel 20, 22), und wir dürfen, da das Omd. beim έ < ei ein zähes Festhalten an der mhd. Überlieferung zeigt, dieses ai z e i t l i c h dem bair. ai, das auch heute vorherrscht (BGr. 72, ebenso Gerbet 144, 148, Hausenblas 29, 31) - gegenüber schwäb. ei (KaufFmann 65) - an die Seite stellen. Setzen wir nun an den Anfang der hier folgenden Lautskala, die die Entwicklung im J. wie in den dt. Maa. veranschaulichen soll, ein ei oder i und ein ά an ihr Ende - so ergibt sich die eindeutige Schlußfolgerung: im Bair. eilt der alte Diphthong auf diesem Wege dem neuen voraus (ganz wie im Wj.), im Omd. bleibt er weit hinter ihm zurück (wie im Oj.). e-ei > äi > Bair. Wj. Omd. a. D. Noj. a. D. Mj.

ai

> äi > α1 >

neuer D. n. D. n. D. n. D. • a. D.

ά

alter Diph. a. D.

• n. D.

Halten wir also an diesem Ergebnis für das J. fest, so bleibt nur noch auf den (oben S. 202ff.) besprochenen Charakter der nachurj. Entwicklung hinzuweisen1, der sich auch hier in der Tendenz zu ai > α als vorwiegend bair. erweist. ß) mhd. i, ü, ie, üe - nhd. i, ie, ü. Das Urj. hat die Diphthonge ie, üe wie das Nhd. und das mhd. Md. (seit dem 12./13.Jh.) zu Monophthongen umgeformt (s. auch u. 1

Vgl. noch den Sonderfall mästn (S. 200).

210

S. 255). Es hat ferner auch hier die Rundung aufgegeben (s. auch u. S. 256) und besitzt demgemäß nur zwei Laute: i und i. Im einzelnen sind wieder Veränderungen durch den Dehnungs- und Kürzungsprozeß eingetreten, der unter den bekannten Bedingungen (s. u. S. 253), durchgeführt worden ist. Es steht urj. Länge für mhd. Kürze (teils wie im Nhd., teils von ihm abweichend) in: *bine, *biber, *jidel, *spil, *sigel, *wider, *zige, *zufriden; *fligel, *mile; *ir, *mir, *dir, *herfir (aber mhd. vür kurz geblieben, weil im Satz unbetont); *geMrn, *Mrse, *kirsner (Hirse, Kürschner); für mhd. Diphthong z.B. in: *wist, * nichtern, *Ml (wüst, nüchtern, kühl); Kürze z.B. in: *himel, *siben, *nider, *wider, *iber, *sliten, *zitern; *schrit, *snit, *trit, *sip (Sieb) - zu *glit (Glied) lautet die Mehrzahl *glider und * glider; für mhd. Diphthong z.B. in: *licht, *irgends, *itzt, *itlecher, *virzig, *virzehn, *virde\ auch *hitel ( < mhd. hüetel, Hütchen). Mhd. dihte ist (wie auch nhd.) nicht diphthongiert, sondern gekürzt worden; daher urj. *gedicht. Urj. i haben auch die Wörter mit mhd. ü gegen nhd. (aus dem Md.) ö bzw. unumgelautet ο z.B.: *sine (Söhne), *(ver)ginen, *hilzem, *umsist (mhd. süst - Lex. II 1327), *gilden. Nhd. Stirne, irden, wird entsprechen mj. steivry, eivdn, weint-, sie gehören also nicht mehr hierher, ihre urj. Vorstufen lauten: *ät§rn, *den, *w£rd und gehen auf mhd. Formen mit e zurück (zu *£rden - Lex. I 1449). Von jüdinne haben sich zwei Formen, mit und ohne Dehnung, erhalten; jidtm mit Kürze ist heute, namentlich im östl. Mj., geläufiger als mit Länge. Urj. i ist im og. J.: 1. als i erhalten in allen Stellungen außer vor r und χ: brik (Brücke), fipgv, hitl, hilts^rr) (hölzern), hift (Hüfte), himl, fvginin (gönnen), gildn (golden), gribltn (grübeln), itst (jetzt), itfixv („jetlicher"), ihn (über), tmzist (umsonst), kint, kvpitl, nidnk, tis, tsitvrr), ziygin, zip (Sieb), zibm (7), widv (wieder); 2. > e oder (bei radikalerer Umlautung weiter zu) a - vor r oder χ: gidext (dicht), mergits (nirgends), fertsik (vierzig), fertl (Viertel), 211

giwerts (Gewürz), hers (Hirsch), rexin (richten), lext (Licht), kex (Küche), zexv (sicher), terlc (Türke), wenrn (Würmer), tsernm (zürnen), boderftms (Bedürfnis), barst (Bürste), darfm (dürfen), fartvx (< vürtuoch), farxtn (fürchten), far (< vür), gartl (Gürtel),

wargy (würgen), darstn (dürsten); 3. über α > ά vor starkem, freiem r: bar (Birne), dar (dürr), harr) ( < m h d . irren? s. o. S. 195).

Dieses Schema läßt sich im wesentlichen für das gesamte Oj. und W j . aufrechterhalten. I m einzelnen ist dann noch hinzuzufügen: 1. der Klang des kurzen i ist mundartlich verschieden: mj. sehr offener, dunkler (etwas mehr als in der deutschen Bühnenaussprache) nach dem e hinschwebender L a u t 1 ; noj. - helles, geschlossenes, vom e weit entferntes i (wie im Bair. oder in den slav. Sprachen). Der mj. Laut ist oft weit in das Gebiet des Noj. vorgedrungen, wo er häufig neben dem einheimischen herrscht. Umgekehrt gilt auch, daß vor manchen Konsonanten (z.B. den Gutturalen und Gutturalnasalen) auch in Teilen des Mj. die Tendenz zu einer etwas helleren Aussprache sich bemerkbar macht, doch ist die Differenz so geringfügig, daß man von einer Scheidung dieser i-Laute 2 absehen darf; 2. der Wandel i > e ( > a) ist stärker a) im Mj. als im Noj., b) im Westen des Mj. als im Osten, c) vor r als vor x. Daher ist im Noj. der Wandel vor χ überhaupt nicht vollzogen — es heißt also durchweg: lixt, gddixt, kix, zix3r, rixtn - u n d vor r

manchmal nur zu e (statt des ogal. a) - z.B. wergr), derstn - oder gar vollständig unterblieben - z.B. kirts9r. Daher ist im östl. Mj. i > α nie vor χ eingetreten, was im streng-westl. Mj. vor χ u n d vor r in stärkerem Maße geschehen ist, als im og. J . - z.B. laxt, tnargtts, wartm, kax, gtdaxt, fartsik, hars, tarkis u. a. m.

3. das ά ist im Osten etwas kürzer als im Westen und im Noj. nur noch Kürze oder Halbkürze (im kurl. J . freilich wieder länger). Noj. kusn (küssen), fuftsik (fünfzig) u. dgl. sind auf Formen mit ausgebliebenem Umlaut zurückzuführen (also obd.). 1 2

Fast wie ρ . y; das Wj. scheint dem Mj. zu folgen. S. z.B. bei Mieses (S. 36).

212

Das j. pendzl (Pinsel) entspricht der normalmhd., eigentlich obd., Form mit e; md. pinsel (Lex. II 216). J. breygtn (bringen) ist das mhd. Faktitivum brengen, das obd. früh sein e zugunsten des i aus dem Grundverb aufgegeben hat, md. aber mit besonderer Zähigkeit fortdauert und die Formen mit i in den Hintergrund drängt (Lex. 1354; Weinh. Mhd. Gr. 45; Paul-Gierach § 98, 2). Das Verbum sein zeigt mj. im PI. des Ind. Präs. Formen mit e: zentn (< sinden - s. auch u. S. 369); sie sind der md. Tendenz zur Senkung des i, namentlich vor Nasal, zuzuschreiben (Weinh. Mhd. Gr. 56, Maußer 9), Das Zeitwort wollen hat im J. im Präs. Formen mit i und solche mit e, wil neben wel, aber mit verteilter Funktion: diese dienen lediglich zur Umschreibung des Futurs, jene haben die Bedeutung des nhd. Verbs. In beiden Fällen sind Sing, und PI. ausgeglichen; doch scheint in dem einen Fall die Anpassung des Sing, an die plur. e-Formen durch die md. belegten (Weinh. Mhd. Gr. 457) sing. e-Formen begünstigt worden zu sein. Urj. % ist im og. J.: 1. als % erhalten in sämtlichen Stellungen außer vor g: bin, bibo (Biber), fidl, gisn, grin, giMry, MPs (Hirse), kP'znv (Kürschner),

t>fw (hervor), lip (lieb), mil (Mühle), mio (mir), priwm (prüfen), sinm, zin (Söhne), tw (Tür), wi, wist (wüst), spil,

tstfridn;

1

2. zu i verkürzt vor g : ligy (liegen, Lüge), rigl', zigl', spigl', wigl' (Wieglein), flik (Fliege), swign (Schwiegermutter),

tsigl', fligl',

krigy {„kriegen", streiten); der Verkürzungsprozeß ist nicht vollständig durchgeführt - hie und da läßt sich auch (mit Einfluß des Wmj.) i (neben i) vernehmen (so z . B . flik, swigv,

fligl').

Wir können auch das auf das Gesamt]. verallgemeinern, indem wir aber gleichzeitig, wie üblich, die bekannten Unterschiede in der Behandlung der Länge zwischen dem Noj. und Mj. (bzw. innerhalb der mj. Maa.) wieder geltend machen und die Erscheinung der Kürze vor g nicht (oder bestenfalls nur vereinzelt) auch auf das westl. Mj. (im engeren Sinne) und Wj. beziehen - vgl. bei den ALauten, (o. S. 187). 1 Wenn wir vom r absehen, das sich hier vom artikulationsfremden aber langen % sonantisch abhob, ist g der einzige Gutturallaut, vor dem urj. i möglich ist; über einige Besonderheiten vor χ wird unten die Rede sein.

213

Das ί wird monophthongisch artikuliert, hie und da freilich (z.B. vor Vokal) mit einem leichten nicht zu vermeidenden i-Nachklang; doch erscheint mir die Scheidung zwischen ί und ii oder gar die Annahme eines absoluten Diphthongs ii oder ij (wie dies in manchen Darstellungen, z.B. auch bei Mieses der Fall ist) nicht am Platze. In mhd. iemcm (bzw. dessen Nebenformen mit s, ζ - s. Weinh. Mhd. Gr. 545) hat das J . den Diphthong wohl nach wmd. Art (Maußer 125f.) zu e monophthongiert, das mit dem urj. § zusammenfiel; es heißt daher mj. eimtis (eimitsv), bzw. noj. emitsdr. Daneben hat aber das Nordost]. auch die regelrechte Form imitsdr (urj. i). Das j. jeidv schließt sich dem nhd. jeder an; nach der Verwandlung des fallenden in einen steigenden Diphthong ist hier die erste Komponente nicht wie in eimtts abgefallen, sondern zum ausgesprochenen Konsonanten geworden. Die Pronomina ich, mich, dich, sich - auch ihm gehört teilweise in diese Reihe - haben namentlich im Mj. je nach ihrer Betonung innerhalb des Satzes die verschiedensten Laute aufzuweisen: kurze i, e (Velarumlaut) oder Schwalaute υ, a, aber auch Längen und Diphthonge i, P, ei, ei° und bei ich auch steigende Diphthonge, (wmj.) iex, iax - Grundformen für alle sind ich und ich. Noj. (Minsk) freidr, neben gemein-j. (u. noj.) Form mit i ist von mhd. früejer mit s t e i g e n d e m (statt allgemein fallendem) Diphthong herzuleiten. Neben mxtary (— nüchtern) mit % kann man auch nixtary mit Kürze hören, wie vor g. Um Beziehungen zu bestimmten dt. Mundartgebieten zu finden, gehen wir von der Klangfarbe des i aus. Das dunkle dem e nahestehende i des Mj. ist zweifellos md. (vgl. Maußer 9, Weinh. Mhd. Gr. 56); daher die starke Tendenz des Md. zur Senkung der i-Laute bis zur e-Stufe bzw. die ebenfalls md. Neigung zur Erhöhung des e zu i; in beiden Fällen gab die zwischen i und e pendelnde Artikulation des i den Anlaß (Maußer 9). Völlige Senkung des i oder Erhöhung des e hat das Mj. freilich nur vereinzelt (hat es auch nicht allein), aber die schwache i-Artikulation des Md. hat es eingeführt 1 . Für das noj. helle i kommen bair. und slav. Ursprung in 1 Dieses i als Slavismus zu bezeichnen (s. Mieses 36) ist verfehlt. P. ^-Schreibungen für dt. i beweisen im Gegenteil, daß das p. i zu hell war, lim diesen dunklen Laut wiederzugeben.

214

Betracht. Obwohl an sich der dt. Laut immer den Vorzug verdient, darf man hier zweifeln, da in diesem Gebiet slav. Einfluß auf die Artikulation der Laute in stärkerem Maße sich geltend gemacht hat. Man wird vielleicht annehmen dürfen, daß hier der bair. Laut im Gegensatz zum Mj., wo er durch den omd. verdrängt wurde, auf das sl. i gestützt sich durchzusetzen vermochte. Über den Motor des r-, x-Umlauts ist (S. 201) gehandelt worden. Daß sich diese Erscheinung bei den i-Lauten nur noch in stärkerem Maße ausdehnen, daher auch die Wirkung des χ in größerem Umfange Platz greifen konnte, liegt in der Natur der Sache: je größer die Gegensätze in der Artikulation zwischen Vokal und Kons, waren, um so mehr war der Anlaß zur Überbrückung dieser Gegensätze und zur Anpassung des Vokals an die Umgebung gegeben. Dies tritt auch auf dem Gebiet der dt. Maa. deutlich zutage. Während e > α nur einige, nicht allzu große Gebiete erfaßt hat, ist i > e (> a) in den meisten namentlich der östlicher gelegenen Gebiete Mitteldeutschlands aber auch Oberdeutschlands zu Hause. Vom Omd. hat es das Thür, zum größten Teil (Hertel z.B. 77, 86, 111), das Obs.-Erzgeb. durchwegs (Albrecht 5, ObsWb I 553), das Vogtl. (Gerbet 133, 139), das Nwböhm. (Hausenblas 25, 27), ein Teil des Schi. - das Glätzische und der Südosten des Gebirgs- und Laus.-Schles. (Unwerth 13, 19); vom Wmd. die östlichen Gebiete für das Ofrk. belegt es Heilig (30, 34), für das Rhfrk. (wenn auch nicht konsequent durchgeführt) RhWb (z.B. I. 709, 710, 1145); unter den bair. Maa. kennen es das Obpf.-Nürnberg. und das Westböhm. (BGr. 24, 26, 27, 42) und im Al. ein kleines Gebiet in der Bodenseegegend (Jutz 75); vgl. noch Sütt. 177. Man darf wohl den Osten vor allem und da namentlich den nördlicheren, also mehr md. Teil als den Herd dieses r-Umlauts ansehen; wenn auch in manchen omd. Gebieten i > e auch vor sonstigen Konsonanten eintritt, so ist selbst dort meist der e-Laut vor r viel offener als sonst. Der chUmlaut läßt sich in den dt. Maa. nicht mehr auffinden, da hier durchwegs der cA-Laut an den Vokal angeglichen (d. h. palatalisiert) wurde. Im J., wo der x-Laut erhalten blieb (s. u. S. 376) mußte der Velarumlaut naturgemäß auch auf ihn ausgedehnt werden. Nicht uninteressant ist schließlich die Verkürzung des ι vor g (d.h. vor Guttural - s.o. S. 213), die allerdings fast nur die östlicheren Gebiete des Mj. betrifft. Den Grund hat diese Erscheinung zweifellos wieder in jenem Artikulationsgegensatz zwischen dem palatalen 215

Vokal und velaren Verschlußlaut: der Vokal wird ungefähr um dieselbe Zeitdauer verkürzt, welche nötig ist zum Übergang von der einen zur anderen Artikulationsstelle. Es ist eine rein j. Erscheinung. Die dt. Maa. helfen sich ja meist durch möglichste Palatalisierung des g. Das den dt. Maa. näher stehende westl. Mj. kennt dies ebensowenig (s. auch ü > u, S. 187, 190). Hier ist auch der lange Vokal beliebter als im Osten. 4. O-LAUTE mhd. ο, δ, ou - nhd. o, au Der heutige Lautbestand im Oj. und Wj. zwingt uns bei der Behandlung der o-Laute das Urj. wieder in Uroj. und Urwj. zu zerlegen. Denn hd. ο ist zwar im allgemeinen überall als ο erhalten, aber das Verhalten gegenüber hd. δ und ou ist ein anderes im Oj. als im Wj.: während jenes (ähnlich wie bei den e-Lauten ei und e) die Länge und den Diphthong zu einem einheitlichen Zwischenlaut verschmelzen läßt, hält dieses an einer gesonderten Entwicklung fest. Wir haben folgende urj. Stufen anzusetzen: für hd. 1 uroj. urwj.

0 0 0

δ

ou M

d o"

au

Die spätmhd. Quantitätsverschiebungen berühren die langen Vokale überhaupt nicht; ό und ou erfahren urj. ebensowenig eine Verkürzung wie nhd. Es kann also nur von einer Dehnung des ο die Rede sein. Diese findet n i c h t statt vor r und Dental (wie vor sonstiger Doppelkonsonanz) 2 , sonst wie bei den anderen Vokalen (s. u. S. 253). So erscheint z.B. mhd. ο als urj. ( = uroj. und urwj.) 6U, fast durchwegs nhd. ό parallel, in: *Muse, *koule, *oube^, *schoute, *zoute (nhd. Zotte), *boudem, *6uben, *voMgel, *bougen, *ouven, *wounen, *gebouren, *tour, *oup (ob), *loup (Lob), *houf, *w6ul\ 1 2

Damit ist der Zustand nach der spätmhd. Dehnung gemeint. S. jedoch u. S. 220.

216

aber als ο z.B. in: *dopel, *oder, *gesoten, *grob, *honig, *sZoj, *spot, *gebot, *geboten, *holz, *golt, *wort, *dorf, *korn, *ort, *noch, *doch, *woche, *kochen, *groschen. Mhd. ό haben z.B. die urj.: *brdut, *our, *rdut, *kr6une, *klouster, *hduch, *grou3, *tout; mhd. ou die uroj.: *6uge, *b6um, *kdwfen, *loufen - urwj. *auge, *baum usw. Urj. ο bleibt gesamtj. als kurzes offenes ο erhalten. Die oben angeführten Beispiele heißen also z.B. im og. J.: topl, odv, gizotn, grop, honik, slos, spot, gibot, holts, golt, wort, dorf, kory, ort, nox, wox, koxy, grosn. I m burg. J . kommt vor: noU0x, doU0x, douort (noch, doch, dort). Dieses zerdehnte mhd. ο fällt vollständig aus dem Rahmen des J . heraus, es ist eine Besonderheit des burg. J., das es von der ndöst. Ma. der Umgebung (Maußer 55) aufgeschnappt hat. Nicht hierher gehören nhd. fromm, Sommer, Sonne, kommen, besonderer, gesponnen, geschwommen, genommen, trocken, umsonst ; letzteres hat urj. i aus mhd. ü und ist bei den i-Lauten bereits behandelt worden, die übrigen gehören zu den urj. «-Lauten, da sie (in ihren j. Formen) auf mhd. u zurückgehen. Das u ist auch in dt. Maa. erhalten und zwar nicht nur obd., sondern auch md. (Maußer 9, BGr. 42, Schmeller § 26, auch Unwerth 16, Hertel, RhWb usw.). Ebenso ist für das nhd. Donner die mhd. Nebenform duner die dem J . zugrundeliegende. Mhd. *vul, *vun für voll, von sind nicht belegt, müssen aber als Grundlage für das J . angenommen werden; ob hier vielleicht bair. Einfluß vorliegt {von im Reim auf sun führt Weinh., BGr. 43, an) oder md. Tendenz zur Aufhöhung des ο vor Liquida, Nasal (Maußer 10), ist schwer zu sagen 1 . Wollen ist im J . auch nur mit seinem ursprünglichen e-Laut (im Präsens e und i - s. o. S. 213) vertreten. J . zePxv (solcher) ist von der umgelauteten Form solch (< solich) ausgegangen. Urj. ο haben j. gos, sos, worf (Guß, Schuß, Wurf) u. dgl. Verbalsubstantiva; es sind dies (z.T. vielleicht) selbständige j. Ableitungen vom Part. Perf., das in diesen Verben ο hat (aus dem u der 1 Lediglich auf Mißverständnis beruht das i für ο in der mj. Grußformel git elif! (Gott helfl), die den geläufigeren Grußformeln mit gut (wie git morgy u. dgl.) angeglichen wurde.

217

Substantiva wäre dieses j. ο nicht zu erklären 1 ); daher auch stox (Stich) - ο < i ist undenkbar - und andere. Uroj. 6U erscheint im gesamten Mj. regelmäßig als oi2, im Noj. als ei, welches fast durchwegs zusammengefallen ist mit ei < urj. nebst dessen Schattierungen bis ü (yj), hie u. da jedoch von ihm unterschieden eine Spur des ο durchschimmern läßt (entrundetes öi); kurl. deutliches öi oder öuz. Einige Beispiele aus dem og. J.: broit, oiv (Ohr), roi, roit, oiwai (mhd. owe,), toit, kroin, stoisn, porsoin, kl'oistn, howx, koil (Kohle), hois, grois, soin, woil, toi0 (Tor), foigl', oips (Obst), boidtm, loibm, gtboirr), oik (Auge), boim, loifm, koifm, roi°x (Rauch), toip (taub). Die Grenze oder, wie man wohl hier mit Recht sagen kann, das Grenzbündel oijei verschiebt sich auf dem Gebiet Sowjetrußlands - nach den Angaben Wilenkins (31 f., 42—49) - von der ω/ο-Linie etwas nach Süden zugunsten des ea'-Lauts; es umfaßt etwa den Streifen zwischen Nowograd Wol., Kiew, Poltawa und Schepetowka, Berditschew, Tscherkas, Krementschug 4 . Dagegen hält sich in Wolhynien das oi fest gegen das nördliche ei, das nur hie und da nach Süden etwas vorzudringen vermochte. Im allgemeinen ist es aber umgekehrt: der durch das literarische J . stark begünstigte mj. Laut ist nicht nur über das Grenzgebiet in seine nächste Umgebung vorgerückt (wo er häufig, wie im Brester, Lomza'er, Suwalker Gebiet neben dem bodenständigen ei sich 1 Schoß ist heute auch in dt. Maa. belegt - vgl. D W b 9, 1597, ObsWb II. 485». 2 Auf feinere Nuancierungen dieses Lautes kann hier nicht eingegangen werden. Willer nimmt z . B . (IWI II 509) für Lemberg einen Triphthongen oui an. Indes kann hier, soweit mir der Lemberger Laut bekannt ist, kaum v o n einem wirklichen Triphthongen die Rede sein. Ein leises, kaum zu vernehmendes u, das auf eine geschlossene, bzw. gedehnte Aussprache des ο zurückzuführen ist, kann höchstens als Gleitvokal angenommen werden; ein erheblicher Unterschied gegenüber dem sonstigen oi ist weder in der Qualität noch in der Quantität wahrzunehmen. 3 Die Angaben schwanken hier — vgl. Weinreich 200 f. und Kalmanowicz I W I I, 167; vielleicht ist es in Wirklichkeit ein öw-Laut, so daß es dem einen als öi, dem andern als öu erscheinen konnte, vielleicht spielen aber auch landschaftliche Differenzen eine Rolle. 4 Hier herrschen in einer (im einzelnen verschiedenen) mehr oder minder großen Grenzzone vielfach oi und ei nebeneinander.

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einbürgert oder Kompromißlaute veranlaßt), sondern auch im Herzen des Noj. (z. B. in Wilna, auch anderwärts) wird er vielfach neben dem ei gehört. Vor χ erscheint in einem kleinen Teil des ukr. ei-Gebiets (um Berditschew u. sonst meist in der Grenzzone) der Diphthong zu f verkürzt, auch hier unter der Wirkung des a-haltigen x-Lautes, z.B. r$x, h^x1 (Rauch, hoch). Eine andere bedeutsame Sondererscheinung findet sich in einem größeren Teil des ei-Gebiets vor dem ebenfalls a-haltigen r: neben ei steht ew, z.B. tewdr, ewdr, rewdr (Tor, Ohr, roher); dieses läßt sich nur aus der geschichtlichen Entwicklung des noj. Lautes (S. 222) erklären: auf dem Wege zwischen uroj. 6U und noj. ei steht die Zwischenstufe öu, das, nach Entrundung, vor r (wegen des Artikulationsgegensatzes zwischen i und r) nicht wie üblich zu ei wurde, sondern das u beibehielt (also öu > eu > ew). Nicht hierher gehören wmj. tratst (Trost), gl'aibm (glauben), aibvsto (oberster), da sie alle urj. e» haben; tratst ist ausgeglichen nach dem umgelauteten Verbum traistn (< trcesten), die beiden andern haben auch mhd. umgelautete Nebenformen: gelöuben ist spezifisch md. - Maußer 501; öbrist - steht bei Lex. I I 132. Auch mj. gimm (Gaumen) setzt keinen o-Laut voraus, denn t < ü\ statt goume ist also hier anzunehmen ursprünglicheres mhd. guome - md. güme (Lex. 11121). Das nhd. lange ο für mhd. ά (wie in Mohn, Montag, ohne, wo) ist bereits bei den α-Lauten behandelt, nhd. ο für mhd. u (z.B. Sohn) gehört zur «-Gruppe. Hierher gehört aber der im J . wie im Nhd. nach dem Präsens ausgeglichene Infinitiv toigy (taugen), zum Präs. toik ( < mhd. touc); eine derartige Ausgleichsform besitzt auch das Mhd. seit dem 13. J h . (totigen neben tugen - Lex. I I 1559). Das Part, gtlofm (statt des zu erwartenden gtloifm) ist auf die mundartliche Form geloffen (BGr. 286, Gerbet 385 a , ObsWb I 148 a , Rückert 43) zurückzuführen. Zu j. sokl'm (schaukeln) vgl. das frnhd. und heute noch ma-liche schockein (DWb 9, 1435). Besonders auffallend ist oj. b&wl, zuweilen auch bäwl (Baumwolle). Wir können es nur als spezielle Entlehnung aus dem Bair. (s. BWb I 240) auffassen. 1

E s ist derselbe Vorgang, den wir oben (S. 200) beim ei < urj. el kennengelernt haben, mit dem ja ei < urj. öu zusammengefallen ist; nur ist er hier auf χ beschränkt, da r hier andere Entwicklung verursacht hat.

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Interessant und aufschlußreich ist die Entwicklung einiger romanischer Lehnwörter, die das J . aus dem Dt. übernommen hat: Bovel, Million, Spion, Torte heißen z.B. mj. buwl, mil'jun, spijun, tun. Dieses rom. δ war ein offener Laut und konnte daher nicht mit dem geschlossenen dt. ο zu oi werden1, der ihm am nächsten liegende deutsche Laut war das ρ < α, mit dem es denn auch gemeinsam die Entwicklung zu u durchmachte. Nur zwei echt deutsche Wörter sind, meines Wissens, diesen an die Seite zu stellen: mj. fuPspil („Vorspiel", eine gewisse Hochzeitszeremonie) und tintury (Tinthorn, Tintenfaß - vgl. Lex. II 1441)2. In diesen beiden Fällen ist (ausnahmsweise!) Dehnung vor r + Dental eingetreten, aber die ursprünglich offene Qualität ist auch nach der Dehnung erhalten geblieben unter Wirkung der folgenden r-Verbindung (vgl. auch dieselbe Wirkung oben S. 193); es ergab sich also hier statt (6 > ) o u ein ς und somit auch Zusammenfall mit 0 < ά. Wörter wie frou, stoup mit mj. ou (statt oi) sind junge Lehnwörter. Frou ist im J . der älteren Generationen ungebräuchlich gewesen, da im Sinne des Mhd. für Frau allgemein wäp (mhd. wip) gesagt wurde — so auch heute noch, namentlich von den älteren Juden — und das schriftlich belegte, aber auch im Alltag sicher einmal vorhanden gewesene froi (nur für die hoch gestellte Dame) eben wegen seiner seltenen Anwendung im alltäglichen Leben ausgestorben ist. Eine absolute Ausnahme ist mj. oux (auch), dessen Vokal zur ω-Gruppe (mhd. u > nhd. au) übergetreten zu sein scheint. Vielleicht ist auch hier Anlehnung an das Nhd. anzunehmen; das ukr. J. hat das regelmäßige oix und das Noj. eix. Derartige Ausnahmen sind auch roubm, roubv (rauben, Räuber) im Mj., die ein mhd. u voraussetzen, und das entsprechende noj. roibm-, doch lassen sich auch im Md. parallele Formen finden, so z.B. raubm, räum (ObsWb II 336*, Albrecht 8, 10). Das Wj. hält die Länge und den Zwielaut streng auseinander: 1. Mhd. ο (einschließlich des gedehnten o) ist urwj. (wie uroj.) 6U, woraus dann im östlicheren Wj. (dem Swj., das dem Mj. näher steht) ähnlich oü, oi hervorging, im westlicheren (im wesentlichen mit dem früheren deutschen Wj. identisch, jetzt nament1 Vgl. demgegenüber pvTsoin (Person), das anscheinend trotz seiner roman. Herkunft bereits geschlossenes δ hatte. 2 Omj. (rum. J.), ebenso im „Unterland", ist füa (vor-) auch sonst geläufig.

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lieh im els. J.) ein ou, das schließlich auch vielfach, unter Einfluß des Nhd. zu au ausgeweitet wurde; also: grois/grous-graus, roütjrout-raut usw. 2. Mhd. ou > urwj. au > wj. &, z.B. äx, Mfm, läfm usw.; es ist derselbe Vorgang wie ai > α (mhd. ei - vgl. o. S. 200) mit genau entsprechenden Zwischenstufen. Das W j . können wir in seiner Beziehung zu den dt. Maa. wieder sehr rasch abtun: ά ou (bzw. dessen wj. Weiterbildung) ist bair. Ursprung leicht nachweisbar - 6 > ou ist mittel- und nordbair. (mit Ausnahme von Niederösterreich) in spätmhd. Zeit eingetreten (Maußer 70). Über swj. oü s. im Oj. Viel komplizierter sieht die Sache beim Oj. aus. Mhd. ο (und gedehntes o) und ou sind zusammengefallen. Die erste Frage, die man hierbei aufwirft, ob dies auf monophthongischer oder diphthongischer Basis geschehen ist, läßt sich nicht ohne weiteres entscheiden. Wenn aber die oben (S. 208f.) in bezug auf mhd. ei und i gemachten Ausführungen das Richtige treffen, wenn wir ferner (wie das noch im folgenden geschehen wird) ähnlich auch das alte ou und das neue diphthongierte ΰ einander gegenüberstellen und die beiden mit den entsprechenden e-Lauten vergleichen dürfen, dann dürfen wir wieder mit großer Wahrscheinlichkeit den Zusammenfall auf monophthongischer Basis annehmen und wieder dem neuen einheitlichen Laut diphthongische Tendenzen zusprechen (also 6 U ) . Nun beginnt allerdings die größere Schwierigkeit, die Frage nach der weiteren Entwicklung dieses urj. Lautes bzw. nach deren Gründen. Wie das urj. (s. o. S. 202) so bildete sich auch das urj. 6U sehr früh zum vollen Diphthongen um. Doch hier hört der Parallelismus auf. Dieser hätte als Endergebnis au bzw. ou verlangt, aber ein anderer Vorgang, den wir als Palatisierung bezeichnen können, hat hier entscheidend eingegriffen. Sehen wir zunächst vom Motor dieses Vorgangs ab, so scheint mir sein Wesen darin zu bestehen, daß im Mj.

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das u (also der zweite Bestandteil) im Noj. das ο selbst eine immer palatalere Artikulation annahm, so daß im Mj. ein oü > oü, im Noj. ein ou > öu entstand; jenes führte durch Entrundung 1 (die zugleich ein weiteres Vorrücken der Zunge bedeutet) zu oi, dieses durch Assimilation des u an den Palatallaut (und Entrundung) zu öü > ei im größten Teil des Noj. - im kurl. J . mit Erhaltung der Rundung (unter Einfluß des kurl. Dt.). Daß dies tatsächlich der Weg gewesen sein muß, wird durch manches bestätigt. Dafür spricht vor allem schon der kurl. Laut, der nur als Zwischenstufe zwischen 6U und ei aufgefaßt werden kann; näher bezeugt wird das noch durch die im ei-Gebiet erscheinenden Reliktformen mit ew (s. o. S. 219), das direkt auf öu zurückführt. Daß das Mj. das u palatisiert hat, im Gegensatz zum Noj., wird noch durch die ganz ähnliche Entwicklung des urj. u ( > mj. i, noj. u — s. u. S. 234 u. 236f.) gestützt; obwohl diese in ihren Hintergründen ebenfalls noch nicht restlos geklärt ist, dürfen wir sie zweifellos mit unserem Laut in direkten Zusammenhang bringen, da sie auf demselben Prinzip beruht. Birnbaum scheint hinsichtlich des Noj. anderer Meinung zu sein, wenn er (Encyclopaedia Judaica 9, 118) annimmt, das ei sei erst aus dem mj. oi und dieses infolgedessen schon sehr früh („vor der Abtrennung der nördl. Maa.") im Oj. entstanden. Doch ist das ganz unwahrscheinlich. Obgleich der Wandel des urj. 6U > oi relativ früh eingetreten zu sein scheint, wird man ihn doch nicht (zumindest nicht im Endergebnis) der Periode des noch einheitlichen Oj., d.h. der urj. (bzw. den ersten Anfängen der aj.) Zeit zuweisen dürfen; auch scheint mir, daß man den Wandel « > i nicht ganz vom 6U > oi absondern kann, wie dies bei Birnbaum der Fall ist (a.a.O.). Entscheidend erscheinen mir aber vor allem die oben angeführten Argumente vom kurl. öu und dem sporadischen ew, die vom oi nicht abzuleiten waren. Vielleicht sollte man auch dem sonst so konservativen Noj. nicht die Fähigkeit zutrauen, einen im J . bereits gewandelten u n d i m M j . i n dieser neuen Form e r h a l t e n e n Laut noch weiter umzugestalten. Es wird sich daher empfehlen, bei der obigen Annahme zu bleiben. Dann hätten wir allerdings noch nach dem Beweggrund des Palatisierungsprozesses zu fragen. Es könnte freilich ein völlig spontaner, durch nichts veranlaßter Lautwandel sein; dann wäre 1

S. auch u. S. 256.

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unsere Frage gegenstandslos, bzw. sie wäre eben schon beantwortet. Eine auffallend ähnliche (spontane) Palatisierung allerdings treffen wir z.B. gerade bei den hier behandelten Lauten in einigen kleineren Gebieten innerhalb der dt. Maa. und zwar in den verschiedensten, z.T. den j. Lauten genau entsprechenden, Schattierungen (öu, öü, äu, oü, aü, oi, ö - bzw. entrundet e u. dgl.) so z.B. in einem hess.-thür. Gebiet westlich und östlich der Fulda etwa bis AlsfeldMarburg-Siegen im Süden einerseits und bis zur Werra und Unstrut (Mühlhausen) andererseits, ferner im Zorntal (im nördl. Elsaß) und in Lothringen um Falkenberg, St. Avoid, ebenso in verschiedenen hochalem. Gebieten, namentlich in den Walsermaa. (aber auch sonst), oder schließlich (in der entrundeten Form) in der bayr. Pfalz am Queich, auch am bayr. Mittelmain und (allerdings nur vereinzelt) im Rhön-Gebirge (vgl. Wrede in AfdA 23,209f. und 24,123f., Jutz 124, Schmeller § 177f.). örtlich ist die Palatalisierung also im Westen Deutschlands, zeitlich gewiß schon in den älteren Sprachstufen festzusetzen. Die ahd. und mhd. Grammatiken pflegen zwar nur eine graphische Eigentümlichkeit der md. (fränkischen) Maa. zu behandeln: Braune § 19 b; Paul-Gierach § 101, als „Schreibgewohnheit... zur Bezeichnung der Länge", z.B. noit für not; Weinhold (in der 1. Auflage, 1877, § 123, 127) belegt oi für ou mit vielen Beispielen als „sehr oft", ebenso ui für uo und ou. Dennoch will mir scheinen, daß diese Schreibgewohnheiten unmöglich ohne lautliche Vorgänge im Hintergrund zu verstehen sind 1 , und ich möchte hier auf zwei Möglichkeiten hinweisen. Die eine hat ihr Heim in den aus dem Vulgärlatein hervorgegangenen romanischen Sprachen der ehemals keltischen Gebiete (französisch, provengalisch, gallo-italisch, rhätoromanisch), wo idg. o, u schon in altfranzösischer Zeit nach Dehnung und teilweiser Diphthongierung sich zu ö, ü entwickelt haben (nach Zauner, Romanische Sprachwissenschaft, 1900, S. 45, 50-52). Es sind diejenigen Sprachen, die mit den westdt. Maa. benachbart und gewiß vielfach in Berührung gekom1

Hierzu möchte ich auf das unten (S. 368) behandelte wj. tsOntsoms hinweisen, das uns als Relikt aus dem Fr. diesbezüglich belehren kann. Hier steht δ für altes fr. oi, das zur Zeit der Entlehnung zweifellos noch so ausgesprochen wurde - Diphthong ist es im Fr. immer gewesen (ist es heute noch). Die gegenüber dem dt. ö in mhd. Zeit hartnäckig weiter oi artikulierten, konnten also auf die spätere Entwicklung des wj. ό" entscheidenden Einfluß ausüben.

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men sind. Die Juden des Rheinlands sprachen französisch, ehe sie zum Deutschen übergingen (s. Allgemeiner Teil S. 27), was für das J . von zusätzlicher Bedeutung sein dürfte. Übrigens sei nebenbei bemerkt, daß die idg. Grammatik (Brugmanns Grundriß I 43) auch von einem lat. „Mittellaut zwischen u und i für idg. u" spricht, was auch durch die Entsprechung lat. μ / griech, υ wahrscheinlich gemacht wird, so daß man sehr wohl an alte Sprachtendenzen denken kann, die in späteren Stufen immer wieder zum Vorschein kamen. Die andere Möglichkeit ist in der mhd. Umlaut-Problematik gegeben, daß nämlich in den md. (d.h. zuerst fränkischen) Maa. „der Umlaut von u, ο - ü, 6 - uo, ou in der Schreibung zumeist unbezeichnet, in den Reimen vielfach unberücksichtigt bleibt" (PaulGierach § 97). Wenn die (dort gebrachte) Erklärung, „daß der Unterschied des reinen und des umgelauteten Vokales nicht sehr verschieden (sie! seil, „groß") gewesen sei", das Richtige trifft, was sehr wohl anzunehmen ist, so haben wir es auch hier wieder mit einem „Mittellaut" (statisch gesehen) oder (dynamisch) mit einem Lautschwanken zu tun. Beides kann als Ursprung des hier behandelten Lautwandels angesprochen werden. Zusammenfassend sind hier folgende Ergebnisse für unseren Gegenstand festzuhalten. Bei der Palatalisierung des 6U (und ebenso des u , u - worüber weiter unten) handelt es sich, im Gegensatz zu unseren sonstigen Erfahrungen beim J . , um einen eigentümlich westdt. Lautprozeß 1 . In den westdt. Maa. sind es zwar heute nur noch kleine Relikterscheinungen von ursprünglich viel weiter greifenden Artikulationsneigungen, die im allgemeinen verdrängt worden sind. Auch im J . müssen sie durch bair.-omd. Gewohnheiten lange bekämpft worden sein, bis sie sich durchsetzen konnten. Die Frage nach den Beziehungen zu den dt. Mundarten im Bereich der o-Laute werden wir bei der Behandlung des neuen Diphthongs, nhd. au < mhd. ύ (SS. 229f., 232), noch einmal aufrollen müssen. Vorläufig sei nur noch darauf hingewiesen, daß wir (ähnlich wie bei den e-Lauten) in der Kontraktion des ou einen md. (und zwar - wie wir mit Rücksicht auf das unten Folgende einschränkend sagen können - omd.) Vorgang (Maußer 144) zu sehen haben, in der Diphthongierung des einheitlichen uroj. Lautes wohl wieder bair. Tendenzen - speziell: nordbair. und mittelbair. (mit Ausnahme des Niederösterr. und Westoberbair., nach Maußer 70, gegen 37 u. 63). 1

S. allerdings westdt. Eigentümlichkeiten auch u. 230fF., 341 f.

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5. U-LAUTE α) mhd. ü - nhd. au Dieser Laut zeigt im J . das bunteste Bild. Es ist hier zweckmäßiger, umgekehrt als sonst zu verfahren: beim heutigen Lautbestand einsetzend allmählich dann zu den einheitlichen Urlauten vorzudringen. Eines sei nur gleich vorweggenommen: von einer so radikalen organischen Entwicklung, wie wir sie bei den diphthongierten %-Lauten feststellen konnten, kann hier augenscheinlich keine Rede sein. Wenden wir uns zunächst dem og. J . zu. Hier erscheint für mhd. u. 1. in der Regel - ou: hous, mous, moul, hout, mous (heraus), bouPx (Bauch), mowo (Mauer), zouv, foul, boum, pouk, toup (Taube), troubm, growpm, touznt (Tausend); 2. ο (aus ou verkürzt) vor m: florn (Pflaume), som, lcom, romin (räumen), zomm. Dies gilt im großen und ganzen für das gesamte Wmj. (poln.-gal. Gruppe) und den Süden des Omj. (buk.-rum. Gruppe). Für einen Teil des Wmj., besonders des p. J . , ist zu vermerken, daß Schwund des u auch vor anderen Labialen vorkommt, aber auch durch den entgegengesetzten Velarlaut χ verursacht wird, wobei der Monophthong lang bleibt, z.B. tgp (Taube), bgx (Bauch). Ganz kurz können wir das weiter nach Westen liegende Wj. abtun: dessen regelmäßiger Laut ist - au, soweit nicht hie und da (unter Einfluß des Mj. anscheinend) auch ou danebensteht. Viel komplizierter liegen die Dinge im gesamten Oj. im engeren Sinne, d.h. im östlichen Mj. (ukr.-bess. Gruppe) und im Noj. Durchwandern wir diesen gesamten Osten von Süden nach Norden, so lassen sich zunächst ganz grob etwa folgende Hauptzonen unterscheiden: Bess. - oi, südliche (oder südwestl.) Ukraine - u, Rest der Ukraine, westliche (oder südwestl.) Hälfte Weißrußlands und das gesamte Lit. - oi, der weitere Norden und Osten Rußlands-ui (bzw. u), das kurl. J . -au. Daneben und dazwischen (aber auch innerhalb dieser Zonen) finden wir noch zweilautige Gebiete. Ferner verschieben sich die Grenzen je nach der Stellung der Laute (bzw. je nach den verschiedenen Wörtern) sehr stark. Schließlich erscheinen auch noch vor gewissen Lauten andere Vokale, z.B. ο u. dgl. Dieses 225

Fluktuieren ist im Wesentlichen nur für das r., nicht für das lit.kurl. J. charakteristisch. Eine etwas eingehendere Betrachtung dieser r.-j. Verhältnisse ist für diese Darstellung nicht ganz unwichtig. Das Wesentlichste ließe sich im folgenden zusammenfassen. Der bess. oi-Laut bleibt konstant, nur selten begegnet dafür (bzw. daneben) ou, unter Einfluß des Westens und Nordwestens, oder ύ unter demjenigen des Ostens und Nordostens. Das benachbarte u (bzw. ü) erstreckt sich auf ein viel engeres Gebiet vor den Dentalen l , s , t mul, ful, hut, hüs, mus, krüt - als vor den Labialen und Gutturalen b, ρ, χ - tubm, trübm, büx, jux (Jauche), grupm. I m ersten Falle umfaßt es nur den südwestlichen Streifen der Ukraine ungefähr bis zur Linie, die über Proskurow, Tultschin nach Odessa führt (also im wesentlichen podolisches und Odessa'er Gebiet, das sich im Westen dicht an Ostgalizien anschließt), im zweiten - die ganze Südukraine bis zum Dniepr, mit Ausnahme des SO, etwa von der Linie Odessa-Krementschug, der bald ύ, bald ui hat, und die östliche H ä l f t e der westlich v o m Dniepr gelegenen Nordukraine etwa bis Korosten-Berditschew. I n beiden Fällen fällt der Rest der Ukraine - abgesehen v o m SO und dem N O jenseits des Dniepr, die beide mehrlautig sind - dem oi-Laut zu, der als Fortsetzung des lit. oi nach dem Osten hin außerdem noch im südwest-weißruss. Dreieck, das ungefähr die Südgrenze gegen die Ukraine zur Basis und Minsk im Gipfel hat, zu Hause ist. I m äußersten Norden (um Polozk, Witebsk, Smolensk) mit Einschluß des nördlichsten bzw. nordöstlichsten Weißrußlands (um Orscha, zuweilen bis Mogilew) herrscht ui entweder allein (huit, muis) oder neben dem aus ui verkürzten 1 u (mul, trubm, bux — muil, truibm, buix). Die übrigen Teile Rußlands haben wir als Kompromißgebiete zwischen diesen Hauptzonen anzusehen; sie zeichnen sich in der Regel durch das Nebeneinander der verschiedenen Laute aus den Nachbargebieten aus, sofern sich nicht ein Laut vollständig durchgesetzt hat: das weißrussische Restgebiet hat in allen Fällen oi und ui, die anschließenden Gebiete Zentralrußlands und, deren südliche Fortsetzung, die Nordostukraine haben ui nur vor s, t, χ {huit, muis, buix), sonst oi und ui (moil, troibm - muil, truibm usw.) ganz im Süden auch ü (trubm) und endlich die SO-Ukraine hat oi vor den Dentalen - schließt sich damit dem größten Teil der Ukraine an - sonst auch ύ und ui. 1

S. unten S. 231.

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Ergänzend muß noch gesagt werden: vor Vokal (d.h. in diesem Falle Schwalaut) hat fast die gesamte Ukraine, auch Bessarabien und ein großer Teil Wolhyniens (im oi-Gebiet), hie und da sogar Teile Weißrußlands -ow, z.B. mowsr (Mauer), zowdr tramT, bowan, gidowdrrj1 (dauern); vor m hat die Ukraine 2 o, wie der gesamte Westen des Mj. (s. o. S. 225). Beides ist für die geschichtliche Beurteilung der Dinge von großer Bedeutung. Auf polnischem Gebiet dringt das lit. oi (in Wolhynien) nur ein wenig über die üjo-Linie nach Süden vor; in Brest ist oi zur Herrschaft gelangt (ou ist kaum zu hören), dagegen ist weiter im Norden ou siegreicher gewesen: im Suwalker Gebiet scheint ou vorzuherrschen, ebenso im Lomza'er Kreis - Bialystok hat festes oi. Einige Einzelheiten wären noch hervorzuheben. Neben douvrp, gtdouOry kennt das og. J . noch gtdi°rr); hier ist das mhd. ü nicht diphthongiert worden, sondern mit dem mhd.-md. u ( < uo) zusammengefallen und mit diesem weiter zu i gewandelt (darüber unten S. 233f.). Vielgestaltig ist die Präposition auf im J . Das lautgesetzliche mj. ouf (noj. oi) wird selten, bei stärkerer Betonung (in der adverbialen Zusammenseztung vrouf), meist wird es in der verkürzten Form 3 of gebraucht (adverbiell, präpositioneil und als Verbalpräfix - auch betont), hie und da auch af (aber nur präpositioneil) ; häufig begegnet auch if (adverbiell und als Verbalpräfix - auch betont; nicht als Präposition), if ist aus der nichtdiphthongierten Form uf (durch Längenkürzung) 3 entstanden. Im lit. J . steht af als eigentliche Präposition, uf ( < mhd. u f ) in sämtlichen Zusammensetzungen (Gerzon 25). In den dt. Maa. sind uf u. dgl. reichlich belegt (s. DWB 6, 532). Romin und zomin sind wie bair. unumgelautet gebheben (Maußer 500); daher ο ( < ou < u) — vor m. Das lit. kam, (kaum) ist aus der diphth. Form mit au (vor m) entstanden; vgl. dasselbe in den dt. Maa. - DWb 5, 352. Auf weißruss. Gebiet erscheinen neben den lautgesetzlichen g?doidrr) (dauern), zoidr (sauer), hie und da auch gddawdry, zowdrzawdr. 1

Im eigentlichen Russ.-Podolien, um Proskurow, Tultschin auch gidirrj — s. auch im folgenden. 2 Die° näheren Grenzen vermag ich nicht anzugeben; zumindest aber der Süden der Ukraine bis Kiew und, wie es scheint, auch Bessarabien kommen hier in Betracht. 8 Vor Labial (s.o.).

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Das Wj. steht mit seinem au für mhd. ü (gegenüber ä < ou) ganz auf bair. Grundlage. Im Bair. steht ά, α für mhd. ü nur in gewissen Stellungen oder Gegenden, sonst au (Sehmeller §§ 157-162), während, wie wir sahen, ά für ou regelmäßig ist. Es hängt, wie bei den e-Lauten damit zusammen, daß der alte Diphthong das α als ersten Bestandteil viel früher hatte, als der neue, so daß dieser in der Entwicklung zu ά weit hinter jenem zurückblieb. Wir haben demnach dem Wj. ein urwj. ou für mhd. ü, neben urwj. au für mhd. ou, voranzuschicken und das Verhältnis ou-ü zu dem von ei-i in Parallele zu setzen (s. o. S. 209f.). Schwieriger ist es mit dem Mj. Hier haben wir zunächst das ou (in seinem westlicheren Teil). An sich wäre ja ou < ü leicht zu erklären, als die erste Diphthongierungsstufe, aber damit ergeben sich noch andere Probleme. Das nächstliegende ist: wie hat sich dieser Laut zum uroj. 6U ( < mhd. ou) verhalten? Der Entwicklungsweg dieses 0U führte, wie wir oben sahen, sehr rasch zu seiner Diphthongierung - wenn wir auch relativ früh die Palatisierung angesetzt haben (s. o. S. 222), so müßten doch eine Zeitlang das ou < 4 und dieses dem Diphthongen sehr nahe (immer näher) kommende 6U einander gegenübergestanden haben; wie hätte dann der Zusammenfall vermieden werden können? Ferner müßte man auch über diesen seltsamen Konservatismus staunen, den wir beim Mj. (und gerade in seinem westlichen Teil) überhaupt nicht gewöhnt sind. Eine befriedigende Erklärung des mj. Zustandes bietet sich lediglich durch die an sich sehr wahrscheinliche Annahme eines urj. au ( < mhd. u), das einerseits den Zusammenfall mit uroj. ou verhindern konnte, andererseits die bairisch früh belegte Weiterentwicklung des ou( oi übergeglitten war, konnte dieses Bestreben aufgegeben werden, ferner durch Nachlässigkeit in der Aussprache des au - au die οω-Tendenzen wieder zur Herrschaft gelangen. Verdumpfend konnte auch das auf das α - α folgende u wirken (vielleicht auch eine gewisse Parallele zu dem freilich schon viel weiter gediehenen mhd. ä). Also kurz: mhd. u > urmj. äu-au~> mj. au-äu~> ou. Die Verkürzung des ou> ο vor m u. dgl. (o. S. 225) ist dadurch zustande gekommen, daß der labiale Konsonant den labialen (konsonantischen) Vokal allmählich aufgesogen hat. Dieser Prozeß ist selbstverständlich erst jung, ebenso wie die durch den Artikulationsgegensatz bewirkte Aufgabe des u vor dem Velar χ - da Abschluß von mhd. ü > mj. ou vorauszusetzen ist. Beide Vorgänge sind aber obd. wie md. gut belegt, hängen also zumindest mittelbar mit den dt. Maa. zusammen. Früheres Auftreten desselben Vorgangs finden wir vereinzelt im mj. u. noj. (S. 227 angeführten) af < auf, das übrigens als interessanter Rest der alten αω-Aussprache zur Stützung der angeführten These nachträglich noch erwähnt zu werden verdient 1 . Suchen wir nun von hier aus wieder das Verhältnis der mj. Maa. (mit ou < urj .au-äu< mhd. u und oi < urj. o" < mhd. ou) zu den dt. Maa. näher zu bestimmen, dann müssen wir uns wohl wieder (wie oben S. 209 f. bei ei - i) in erster Reihe nach Ostmitteldeutschland begeben. Denn wieder scheiden sich mhd. u und mhd. ou hier deutlich voneinander, indem ersteres in der diphthongischen Urstufe und deren Fortbildung letzterem vorangeht. Das gilt weder für den Westen noch selbst für das Bair. 2 , das mit seinem Verhältnis α - au (bzw. deren Vorstufen au - ou) für mhd. ou-ü wohl zum Wj. paßt (s. oben S. 228), nicht aber zum Mj., wo das Verhältnis umgekehrt ist (6U — au). Dagegen bietet das eigentliche Omd. eine passende Grundlage: ο, ο u.dgl. für mhd. ou, aber au für mhd. u (ObsWb I 35 b , Albrecht 8, Hertel 28, 29, Unwerth 26, 30) - und sowohl das o, als auch das au, gehören noch in die mhd. Zeit hinein. Dem bair. Element im Mj. ist dann die Aufgabe zugefallen, das o u zum vollen Zwielaut umzuformen, während es ihm nicht gelang urj. 1

Vgl. auch gadawerr) und kam - S. 227 u. im folgenden, SS. 230, 232. D e m Bair. sind hier wieder zuzurechnen die von ihm beeinflußten Gebiete des Ofrk., Nordwestböhm. usf. 2

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au (wie urj. ai < mhd. i) zum ä zu befördern, wegen der oben besprochenen Trübungsneigung. Auch das omj. ( = ukrainische) ύ läßt sich nicht so leicht erklären, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte. Es dem ü in den westdt. Maa. gleichzusetzen, also als immittelbare Fortsetzung des mhd. Monophthongen aufzufassen, wehrt: 1. das ο vor m, das (wie im Wmj.) nur aus ou entstanden sein kann, 2. das ow vor Vokal, das ebenso nur aus ou > ou abzuleiten ist, 3. die Tatsache, daß dieses ü nicht mit dem ύ < mhd. uo zusammengefallen und mit ihm zu i geworden ist 1 , 4. die ebenso ins Gewicht fallende Tatsache, daß in diesem Gebiet mhd. % diphthongiert und radikal verändert wurde (über ai zu α). Wir werden also auch dieses Gebiet zu den Diphthongierungsmundarten rechnen und das u als sekundäre Kontraktion ansehen müssen. Dann dürfen wir auch hier ein früheres ou ansetzen, das wir (aus denselben Gründen wie das wmj. ou) auf noch älteres äu - au zurückführen müssen 2 . Dieses ou wurde 1. verkürzt zu ο vor m (und in of) - wie wmj., 2. zu ow über ou durch immer stärkere Spirantisierung v o r V o k a l zwecks leichterer Überbrückung des Hiats, 3. sonst aber durch weitere Labialisierung (unter beständiger Wirkung des u), schließlich durch vollständige Assimilation des ο an das folgende u, zu ü kontrahiert. Man könnte vielleicht auch an eine Mitwirkung des Lautwandels urj. ρ ( < mhd. ά) > ύ denken. Nicht ausgeschlossen, wenn auch nicht recht wahrscheinlich, wäre die Vermutung, daß auch später erwachte nichtdiphthongierende Elemente irgendeine Rolle gespielt haben. I m großen ganzen müssen wir uns mit der Annahme u~> äu — au~> au— äu > ou > ύ begnügen. Dann wäre über die Beziehungen zu den dt. Maa. dasselbe zu sagen, wie beim W m j . Einen Zusammenhang zwischen diesem u und dem u im äußersten Norden Rußlands zu vermuten, wäre vollständig verfehlt. Die allzu 1 Darüber unten (S. 233). Vgl. auch in einem Teil dieses Gebiets, in Podolien, gidiry (dauern, wie og. S. 227), das eben auf diesem Wege entstand. 2 Das oben S. 227 angeführte gadaw3rr), das versprengt im nördlich vom w-Gebiet gelegenen weißruss. oi-Gebiet erscheint, werden wir wahrscheinlich mit Recht aus dem Süden her verstehen dürfen, wo allerdings heute g}dowdry gilt; aw ist natürlich von au < au herzuleiten, und wir hätten einen zufällig erhaltenen Beleg für eine alte au-Aussprache auch hier im Osten des J.

230

große Entfernung, das dazwischen liegende oi-Gebiet, die grundsätzliche mundartliche Verschiedenheit (Ukraine - mj.; der Norden - extrem noj.), der Unterschied in der Quantität (das ukr. ü ist zumindest Halblänge, das nördliche u Kürze), vor allem aber das neben u stehende ui im Norden, das in seiner Anwendung sogar jenem vorangeht, da es nicht nur auf gewisse Stellungen begrenzt ist - zeigen dies deutlich. Dadurch selbst werden wir auf die richtige Spur geführt: das u ist sekundär aus ui entstanden, und zwar vor Konsonanten, die dem i grundsätzlich abgeneigt sind, also den Velarlauten und den Labialen - l klingt hier ebenfalls stark labial (s. u. S. 339f.); wenn aber auch in diesen Fällen die Verkürzung zu u stattgefunden hat, so ist doch daneben der primäre Diphthong erhalten geblieben. Daß wir also dieses ui als primär und schon sehr alt aufzufassen haben, steht außer Zweifel; es läßt sich lediglich direkt auf den alten Monophthongen ύ zurückführen und muß bereits auf deutschem Boden vorhanden gewesen, von da nach dem Osten mitgebracht worden sein1; der noj. Konservatismus erklärt die Erhaltung dieses ur j. ui bis auf den heutigen Tag. Das ui ist aber nur scheinbarer Diphthong oder jedenfalls aus einem solchen (einem Monophthongen mit Schwa-Nachhall) entstanden und ist daher innerhalb Deutschlands nur bei den nichtdiphthongierenden Maa. anzutreffen. Heute finden wir es in einem kleinen thüringischen Gebiet (mit Ruhla, Salzungen bis Fulda - im DSA, Karte 24 und Wredes Bericht AfdA 20, 215), in der Rhön (Schmeller § 163) und in Teilen des hochalem. Sprachgebiets (besonders im Rhonetal aber auch weiter östlich - Jutz 95). Es dürfte aber in älterer Zeit in den Nicht-Diphthongierungsmaa. etwas weiter verbreitet gewesen sein und überall in Gestalt eines Ü9, ui \ Weinhold (Mhd. Gr. 114f.) führt z.B. einige schriftliche Belege an aus der Wetterau, dem Moselland, aus Ripuarien und Thüringen, selbst aus dem Hennebergischen in Ostfranken und dem Schwäbischen, Paul-Gierach § 101 aus dem Mittelfränkischen und Rückert (118) belegt ein „zerdehntes" wie ue lautendes u auch aus dem Schlesischen. Wir hätten also in diesem Laut des Noj. (ui < üi) eine Eigentümlichkeit der westdt. nichtdiphthongierenden Maa. zu erblicken. Man wird Einer derartigen Diphthongierung des ü im Osten würde jede Grundlage gefehlt haben; der Zusammenfall mit ü ( < mhd. uo) wäre nicht ausgeblieben. 1

231

schwerlich annehmen können, daß dieser äußerste Nordosten nur Elemente dieser dt. Maa. enthalten habe - mhd. ί ist ja auch hier diphthongiert - , aber diese Elemente haben in bezug auf das (im J . schwächer entwickelte) mhd. u die Oberhand gewonnen. Erst von hier aus dürfen wir an die Betrachtung des zwischen dem ui- und dem mj. ü1. Normalmhd. u ist in den Fällen, wo das Nhd. nach md. Art ο eingeführt hat, j. als u erhalten (bzw. zu u gedehnt) 2 . Dehnung und Kürzung sind nur in wenigen Fällen, vielfach aber auch gerade vom Nhd. abweichend, eingetreten: in der Mehrzahl der Fälle entspricht urj. u - mhd. u; urj. ü - mhd. uo. Demgemäß steht also urj. u z.B. in: *herum, *hunt, *hundert, *junge, *Zunge, *besunder, *frum, *sunne, *gewunnen, *gerunnen, *geswummen, Hrucken (trocken), *vul, (voll), *vun (von); ferner (ohne Dehnung geblieben, meist vor -er): *sumer, *duner, *kumen3 *puter (Butter); aus uo verkürzt: *muter, *mu^en, wie nhd. (Mutter, müssen); *guti, *blut, *hut, *rut, gegen das Nhd., wie häufig in deutschen Mundarten, vor t (ObsWb I 452 a , 124b, 549 a , I I 377 b , Weise 20); urj. ü: *klug, *krüg, *bruder, *hüsen (husten), *schüster, *vuter (Futter), *büsem, *büch, Huch, *hün, * suchen, *küchen, */wj, *genüg, *güti; (aus u gedehnt): *sün (Sohn), *ür- (nhd. ur-), *stube.

1 2 8 4

S. auch unten S. 255. Vgl. oben S. 217. Der Vokal des Präsens verallgemeinert (wie nhd). Kürze steht im Adjektiv gut, Länge im Subst. Gut (Landgut).

233

Urj. u wird im (og.) J. zu: 1. i — außer in den unter 2. genannten Fällen, z.B. (um einige der obigen Beispiele herauszugreifen): vrim, hint, jiylc, bvzindv, frim, zin, girinm, giswimin, triky, fil, fin, zirrw, Jcimin, mitv, mizn, git, blit. 2 . 0 - vor r (bzw. auch vor χ - kommt aber selten vor): dorvx, Icorts, worim, wortsl, gorgV, dorst, storim (durch, kurz, Wurzel, Gurgel, Durst, Sturm); froxjm (fruchtbar). Das gilt für das gesamte Mj.; im Noj. entspricht dem i - u, dem ο - o1. Die Grenze weicht von der ύ[ο-Linie etwas ab, und zwar zugunsten des i-Lautes. Sie fängt im Osten mit der Linie PoltawaKiew an, (der südöstlichste Winkel der Ukraine hat als Kompromißgebiet i und u nebeneinander, die ungefähre Grenze bildet die Linie Poltawa-Odessa) läßt aber dann die gesamte Ukraine diesseits des Dniepr auf mj. Seite und deckt sich mit der politischen Grenze Weißrußlands, weist ferner fast das gesamte Wolhynien 2 dem Mj. zu, zieht sich auch etwas nördlich von Brest zurück, um erst dann westlich von Bialystok wieder einigermaßen die ujo-Linie zu erreichen. Wie auf der Nordost-Seite, so ist auch auf der entgegengesetzten Seite des Mj. das i sehr stark vorgedrungen. Es hat sogar kleine Teile des Swj. ergriffen; im übrigen Swj. steht ü, das auf dem halben Wege zwischen u und i stehengeblieben ist. I m früheren W j . Deutschlands war u rein erhalten; nur im els. J., wie im eis. Deutsch, entwickelte sich ein ü. Urj. Msn me), zixp

ü wurde, dem u parallel, zu og. (mj.) i, z.B. bridv (Bruder), (husten), bi°x (Buch), s%°x (Schuh), fitn (Futter), mimt (Muhri (Ruhe), hin (< huon, Henne), bizim (Busen), fis (Fuß), (suchen), zin (Sohn), stip (Stube), ti°x (Tuch).

Zur Sonderbehandlung von durch u. kurz im Noj. wie im Omj. s. w. u. (S. 235). Hie und da erscheint auch mhd. uo vor t, in muoter, ungekürzt als urj. ü ( > mj. i). 2 Im wol.-podolischen Grenzgebiet scheint auch noch gelegentlich ein ü-Laut vorzukommen (vgl. Bernstein Jüd. Sprichwörter X I I I . ) ; wie weit er dort reicht, müßte noch festgestellt werden. Ob dieses ü als nicht ganz zu Ende geführtes Produkt der Palatalisierung oder als Mischlaut (von u und i) aufzufassen ist, ist schwer zu sagen. Bs kommt auch als Länge für urj. ü vor. Er muß jedenfalls entrundet sein. 1

234

Die Kürzung vor g (s. o. S. 213) ist nicht ganz konsequent durchgeführt; neben krik (Krug), Wik (klug), gtnik (genug) erscheinen auch Formen mit Vokallänge: krik, kl'ik, gmik. Somit ist im Mj. mhd. u, uo mit i, ie zusammengefallen, außer vor r, wo u > o, i > e wird. Für den Klang dieser Laute gilt also dasselbe, was bereits bei den i-Lauten gesagt wurde (oben S. 212, 214); zur Verteilung der Quantitäten (auf Westen und Osten), wie üblich insbesondere ist auch hier Erhaltung der Länge vor g eine Eigentümlichkeit des Westens (s. ebenfalls bei den i-Lauten, S. 213). Dagegen hat das Noj. (die Grenzen sind dieselben wie bei u) auch urj. ü rein erhalten, aber wie immer quantitativ vermindert, so daß wieder, mit Ausnahme des kurl. J., Halbkürze bzw. Halblänge nur noch selten (nach Gegend und Position gerichtet), während vollständige Kürze die Regel ist; für das Wj. gilt qualitativ derselbe Laut wie bei u aber als Länge. Nhd. nur ist aus der mhd. Kurzform nuor entstanden, die ihrerseits auf urspr. niwaere bzw. die daraus hervorgegangenen Nebenformen niwer, niuwer, neuert (s. Lex. I I I 800) zurückgeht. Das j. nor, ngr, erklärt sich aus einer durch Tonlosigkeit entstandenen Form nur mir kurzem u ( > ο vor r); bei stärkerer Satzbetonung wird das offene ο zu ρ gedehnt 1 . Im Noj. hat sich das dem älteren J . durchaus geläufige naidrt noch erhalten. Kurz, durch erhalten im Noj. ihr u trotz des r. Es scheint, daß dies auch im Mj. (wenigstens in den östl. Gebieten) auch noch lange Zeit der Fall gewesen ist; als aber dann das u in i überging, konnte dieses nicht standhalten und lautete in e um; so stehen heute im og. J . neben dorvx, korts (die dem Westen angehören) auch noch dervx, kerts 2, die dem Osten entstammen und dort allein herrschen. Nur ein Gebiet, das an der Grenze zum Noj. liegt (Nordwestukraine bis etwa Zytomir-Bielocerkiew-Poltawa, nördlichstes Wolhynien und Brest) hat dirx, kirts. Hierhergehört auch zext (Sucht) in geilt zext (Gelbsucht) wofür im Westen zoxt, zox steht. Zu den Verbalsubstantiven: gos, sos, worf, brox u. dgl. ist oben (S. 217f.) bereits das Wesentliche gesagt; die gegebene Erklärung wird bestätigt durch das neben sos erhaltene sis in der Wendung 1

Vgl. nor, noor auch im ObsWb. II 295 a . In slav.-j. Wörtern ist (wohl aus demselben Grunde) das e im og. J. häufiger, im weiteren Osten fast ausschließlich vertreten (s. S. 310). 2

235

si nist weivt krm sis pilwv (es ist keinen Schuß Pulver wert - vgl. DWb 9, 2094). Mj. gmimtn - noj. gdnumdn geht auf mhd. genumen (Lex. I I 53) zurück, dessen u für ο mit Paul-Gierach § 98, 3 als md. zu werten ist; die mj. Nebenform ginemtn dagegen scheint ein späterer Ausgleich nach dem Infinitiv innerhalb des J . zu sein. Mj. bout (Bude, Hütte), deminutiv bädl kann nicht von mhd. buode abgeleitet werden, sondern von dessen md. Nebenform büde, die auch mit pol. buda zusammenhängt, also ein urj. *baude ergab, das auch in Obersachsen seit 1300 belegt ist (s. Kluge unter „Baude" und „Bude"); bädl hat demnach die umgelautete Form mit mhd. iu zugrunde. Auffallend ist Erhaltung des u in mj. blum, es ist jedenfalls kein organischer Vorgang, sondern der Neuentlehnung verdächtig, wogegen nur Apokope des -e spricht. Es ist einfach als Kompromißform zu erklären zwischen dem neuentlehnten blume und einem älteren *blim, das wohl ausgestorben ist, weil es sich zufällig nur im deminutiven bliml (vgl. auch den langen Vokal im Frauennamen blimt, ohne Apokope zur Wiedergabe des Femininum) erhalten hat, und auf alte Verkürzung des uo > u vor Labial (durch Aufsaugung) zurückweist. Über mj. wi - noj. wu s. o. S. 189; über mj. gimin - noj. gumdn (< guome) und toigy - teigy o. S. 218; mj. tmzist (< um süst) o. S. 211. Die Erklärung des Lautwandels u, ü > i, i im Mj. über die Zwischenstufe ü, ü, die sich in Teilen des Wj. erhalten hat, hat ihre Schwierigkeiten. Die Hauptschwierigkeit besteht in der seltenen nur sporadisch belegten Parallele innerhalb der dt. Maa. Die Karten „Hund" und „Bruder" des DSA zeigen nicht-eng-zusammenhängende hess.-thür. Landstriche, für (kurzes) u kleine Teile des nördl. Elsaß und des hochalem. Bregenzer Waldes, für (langes) ΰ (uo, ua u. dgl.) das gesamte Elsaß und den Südosten Badens mit angrenzendem Württ. (östlich von Lörrach beginnend, nördlich um den Rhein und Bodensee bis Sigmaringen im Norden und Bregenz im Osten) sowie verschiedene Schweizer Maa., namentlich die Walser. Dies und die damit zusammenhängende Auffassung, u > ü sei eine typisch außerdt. (z.B. französische) Erscheinung, hat hier besonders die Miesessche Theorie vom hebr. Ursprung des Wandels bestechend erscheinen lassen 1 . Doch haben wir bereits bei Behand1

Näheres im h.-j. Teil. Nach Vollendung dieser Arbeit ist die gründ-

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lung der Palatalisierung der o-Laute (S. 222ff.), mit der unser Wandel zweifellos sachlich und kausal zusammenhängt 1 , daraufhingewiesen, daß es sich durchaus um deutsch-mundartliche Lautvorgänge handeln muß. Es sind im großen ganzen hier und dort dieselben Mundartsplitter; diese Splittererscheinung ist es aber, die am deutlichsten darauf hinweist, daß hier nur Restgebiete von ehemals viel weiteren zusammenhängenden Gegenden vor uns liegen. Die Entwicklung im J . 2 läßt ebenfalls auf einen lang andauernden Kampf zwischen u und ü schließen - nur daß letzteres hier mehr errungen hat. Denn einerseits muß der Keim für u > ü schon sehr alt gewesen sein 3 , andererseits sind noch die später aufgenommenen slav. u (s. da) vom Wandel ergriffen, nur die Neuentlehnungen davon verschont worden. So ist also, um zusammenzufassen, urj. u - w, unter Einfluß der aus den dt. Maa. mitgebrachten Sprechgewohnheiten, bald rein erhalten (im Wj. größtenteils und im Noj.), bald den Palatalisierungstendenzen unterlegen zu ü-ü (in einem Teil des Wj.), dann entrundet (im Mj.) zu i-i geworden, je nachdem, welche Tendenz die Oberhand gewann und in welchem Maße die dt. Hochsprache auf die Rundung des Vokals noch Einfluß nehmen konnte (s. auch oben S. 223f.). Der r-Umlaut u > ο ist wie der analoge i > e (S. 215) zu beurteilen und in denselben dt. Maa. aufzufinden (Hertel 100, 151; ObsWb I I 592»; Albrecht 7; Gerbet 243; Unwerth 17f.; Hausenblas 63; BGr. 37; Schmeller § 366; Heilig 92f.; Jutz 88; RhWb I 1578, liehe, in der Materialsammlung und Analyse der Frage sehr wertvolle Abhandlung von S. Birnbaum erschienen, „Geschichte der alten «-Laute im J." (Wilna 1934 - jidd.), welche die gleiche Folgerung schon im Anfang vorwegnimmt, ohne daß zwingende Beweise beigebracht wären und eine befriedigende Lösung geboten wäre. Leider kann seiner Arbeit die gebührende Behandlung nicht mehr eingeräumt werden; nur die wesentlichsten Punkte, soweit sie besonderer Erwähnung bedürfen, werden in den Anmerkungen gestreift werden. 1 Handelt sich's doch hier wie dort um die Palatalisierung des Μ im Mj. 2 Das läßt sich auch dem von Birnbaum beigebrachten Material entnehmen. 3 Mindestens seit dem 13. Jh., einerlei ob wir ihn von der Berührung m i t dem Altfranzösischen herleiten oder von den Umlauterscheinungen (s. o. S. 223); er muß also schon im Urj. vorhanden gewesen sein. Wenn Birnbaum (a. a. O.) Recht hätte, müßte er ja noch sehr viel älter sein.

237

1588f.). Er ist sowohl im J. als auch in den meisten der aufgezeigten dt. Maa. schwächer entwickelt und weniger durchdringend als i > e und selbstverständlich, wie dieser, schwächer im Noj., bzw. im Osten überhaupt, als im Mj. bzw. im Westen desselben. So ist es zu erklären, daß z.B. gegenüber noj. kurts, durx wmj. korts, dofx stehen, omj. aber bald kirts, dirx bald kerts, der0x - wo also u > ο nicht durchgedrungen ist, ist zuweilen nach dem Wandel u > i nachträglich i > e eingetreten. Für die Verkürzung des ί ( < ü) vor g gilt dasselbe, was über ursprüngliches % (S. 215f.) gesagt ist.

b) Vokale der unbetonten Silben 1. D E R

AKZENT

Die Betonungsverhältnisse sind im allgemeinen die gleichen, wie im Nhd. In den einfachen (nicht-zusammengesetzten und nicht-abgeleiteten) Wörtern trägt die Wurzelsilbe, also die erste Silbe, allein den Ton; die Nachsilben bleiben unbetont, z.B. akv, pitn (Butter), fütv (Vater), html, wiigy (Wagen), roiti, nemm u. a., ebenso konsequenterweise auch leibidik (lebendig - wie auch noch mhd.). Romanische Lehnwörter haben j. wie nhd. Endbetonung z.B. pvrsoin (Person), Spitul, mtljün usw. In den Zusammensetzungen erhält das Bestimmungswort den Hauptton auf seiner Wurzelsilbe; das Grundwort hat dann nur noch den Nebenton, z.B. άηΐϊη (antun), üpköifm, ibvlözn1, intvstdn, ivrainikl' (Urenkel), imsildtk (unschuldig), imgl'ik, firoyk (Vorhang), wärimflas, walgnhalts (Rollholz), milgrom (Granatapfel). Sobald aber die Zusammensetzungen ihren Kompositionscharakter verlieren, wird die gesamte Tonstärke auf das Bestimmungswort konzentriert, das nunmehr als Wurzelsilbe des „einfachen" Wortes gilt, und der Vokal des Grundwortes wird, wie üblich2, völlig abgeschwächt, z.B. boiml, (Baumöl), lälvx (Leinlaken), leikvx (Lebkuchen), Nhd. überlässen; im J. sind diese Vorsilben der Verba composita immer abtrennbar und daher mit dem Hauptton versehen, im Gegensatz zu den stets tonlosen Ableitungspräfixen ge-, be- u. dgl. 2 S. u. S. 240 ff. 1

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henitskt (Handschuh), wämpolnx („Weinbeerlein", Johannisbeeren), bröfm, bromfm (Branntwein), boksv (Bockshorn 1 , Johannisbrot), emfo (Antwort), büvwis (barfuß), fartox („Fürtuch"), wolwl (wohlfeil), imidik („unmutig", bedrückt). Demgegenüber sind Wörter, wie jiygvmdn, ürimdn („armer Mann", Bettler) als nicht-zusammengesetzt empfunden worden - daher, wie bei getrennter Aussprache, der stärkere Ton auf dem Substantiv, der schwächere auf dem Adjektiv. In den Ableitungen behält das Stammwort seinen Hauptton bzw., wenn es ein Kompositum ist, den Haupt- und Nebenton, wie sonst, während das Präfix und Suffix völlig tonlos bleiben, z . B . sildtk, zimvdik („sommerig"), tisvli (Tischlein), gl'ikl'nx, snädv (Schneider), Snadmy (Schneiderin), srdbvxts („Schreibicht", Geschreibe), nari§ (närrisch), kindvns (kindisch), axtiyk (Achtung), geimtsn (gähnen), blexy (aus Blech), gtsleik (Schlägerei), gtiräi (getreu), fintstoms, hdrtskl'öpiniS (Herzklopfen), vntloifm, bagrubm, kopfvdrajmts (Kopfverdrehen) usf. Eine Mittelstellung zwischen Ableitung und Zusammensetzung nehmen die Substantiva auf -kait, -saft, die Adverbia auf -was, -hait ein; diese Suffixe haben ihre selbständige Bedeutung („Zustand", „Weise") verloren, haben aber ihre Selbständigkeit in lautlicher Hinsicht bewahrt und tragen daher den Nebenton, z . B . sdinkait (Schönheit), bridvsäft, bislvxwäs („bißlweise", allmählich). Das adverbiale -hait trägt sogar einen Hauptton, als ob es in dieser Verbindung noch ein selbständiges Substantiv mit adjektivischem Beiwort wäre: jipgihäit (jung), leibidikihdit. Haupttonige Ableitungssuffixe sind sonst wie im Nhd. (und Mhd.) nur die fremden (roman.), so: snAdvräi, bekoräi, lifvrdnt; nebentonig ist das vereinzelt noch erhaltene alte Suffix -an, z . B . drbitürv (Arbeiter), kimjnturr) (Wöchnerin). Bei mehr als dreisilbigen Ableitungen bekommt oft, der bequemeren Aussprache halber, die dritte Silbe (von der haupttonigen aus gezählt) einen ganz schwachen Nebenton, obwohl ihr dieser an sich nicht gebührt, z . B . intvsdlki (unterste), wintndikt, kindmisi, leibidikihdit, ziygidikthait (singend). Ebenso erhält häufig das Suffix -nis einen schwachen Nebenton: bvsejinis (Geschöpf), hartskl'opinis (Herzklopfen), zuweilen auch die Imminutivendung -vli (namentlich im Vokativ der Eigennamen), z . B .

1

Kluge: „süddeutsch".

239

tisvli, beykvti (Stühlchen), moisvli! (Moses!), lawlil (Lea!)1. Schließlich hat in den erstarrten Zusammensetzungen mit mhd. -tac (in der Bedeutung „Tag" oder „Zustand") diese fast zum Suffix herabgesunkene Silbe vollständig den Ton verloren: zinhk (Sonntag), münttk, waittk2 (mhd. witac) - aber wöiltük3 (mhd. woltac) mitük (neben mihk) und in den sonstigen Zusammensetzungen, z.B. zimvtük (Sommertag) usf.; einen ganz schwachen Nebenton hat das ο in midivox (Mittwoch), das aber kaum voller ist als ein Schwalaut. Die hier etwas näher ausgeführte Darstellung berücksichtigt nicht die Satzbetonung, die für die Entwicklung der Laute nicht so wichtig ist wie die Wortbetonung; sie läßt sich auch nicht in so eindeutigen Regeln zusammenfassen. Eines muß nur gesagt werden: Wörter, denen im Satzzusammenhang infolge ihrer pro- oder enklitischen Stellung der (ihnen sonst zukommende) Ton entzogen wird, werden lautlich genauso behandelt wie die wortunbetonten Silben. Eine Verschiebung von Haupt- und Nebenton hingegen ruft keinerlei lautliche Veränderungen hervor.

2. DIE ENTTONTEN VOKALE Während in den nebentonigen Silben die Qualität und Quantität der Vokale im allgemeinen, wie in den haupttonigen, bewahrt bleiben, treten in den tonlosen Silben sehr weitgehend Schwächung und Veränderung, ja sogar Schwund der Laute ein. Es kommt dabei auf ihre ursprüngliche Quantität oder Qualität überhaupt nicht an: Länge, Kürze und Diphthong jeder Art führen zum gleichen Ergebnis. Es gelten die folgenden Regeln (für og. J.). 1. Mhd. e im freien Auslaut wird regelrecht apokopiert; dies wirkt sich besonders stark aus in der nominalen Flexion, ferner bei den Verben (1. P. Sing. Präs.), Partikeln und ja-stämmigen Adjek1 Überhaupt sind die Grenzen zwischen sog. Tonlosigkeit und schwachem Nebenton sehr fließend; dies daher, weil man von eigentlicher Tonlosigkeit im Sprechen wohl überhaupt nicht reden kann und die „unbetonten" Silben eher „schwächstbetont" nennen müßte. 2 Lit.-j. auch weitök (G-erzon 103) - s. auch u. S. 251f. 3 Lit.-j. auch weiltok (Gerzon 103).

240

tiven, z.B. laip (Löwe), keis (Käse), oiJc (Auge), zax, kroin (Krone), beyk (Bänke), fränt (Freunde), teik (Tage), brait (Breite), leyk

(Länge), kelt (Kälte), housgizint (Hausgesinde); loif (laufe), sluf, zei (sehe), ti (tue), max; layk (lange), bayk (bange); im (ohne); mit (müde), milt (milde), bais (böse). Scheinbare Ausnahmen sind zunächst die weiblichen und sächlichen Einzahl- und sämtliche Mehrzahlformen der Adj. (auch Pronominal- u n d Zahladj.), wie: giti, groist, kl'aint,

je.ni,

andvrt,

dritt. In Wirklichkeit handelt es sich hier um Verallgemeinerungen der Formen mit mhd. Vollvokalen: im Singular ist auf das Neutrum die fem. Endung -iu übertragen worden, im Plur. hat die neutr. Voll-Endung keine Apokope zugelassen. Auch der Imminutiv auf -vli setzt kein Auslauts-e, sondern den volleren »-Auslaut voraus. Wirkliche Ausnahmen sind die weiblichen Vornamen: toubi, roizt, blimi u . dgl. gegenüber d e n A p p e l a t i v e n : toup, rois,

blum;

hier hat zweifellos der vokativische Anruf schützend gewirkt. Dasselbe könnte auch bei mimt (Muhme) der Fall sein, wenn nicht Angleich an die übrigen (slav.) Familienangehörigen (tat}, mami, zaidi, habt) a n z u n e h m e n ist.

Auffallend ist noch das sehr altertümlich anmutende jidini (mhd. jüdinne), das wir wohl als südbair. (tirol.) Restform zu betrachten haben (vgl. Behaghel 183). Wörter wie kreitsmt, hemtskt (Handschuh), feriski (Pfirsich) sind - wohl n a c h dem Apokopierungsprozeß - aus dem Omd. mit den hier erhaltenen e-Endungen übernommen (s. auch w. u. und vgl. Kluge 329 b , Lex. I 1723, DWb 4 I I 416, 7 1705). S. auch die Neuentlehnungen. 2. Synkope des e in ge- ist nur in einigen Wörtern eingetreten, z.B. grait (bereit), tsigraitn, griyk (leicht), gräm (Reim, „Gereime"), gl'istn (gelüsten), gre.it („Gerät", Wäsche), grät (gerade), kwato (Gevatter), dvgraixy (erreichen), greptsn (rülpsen) - in allen ist das Präfix verkannt; sonst wird das e nicht ausgestoßen, z . B . giziikt (gesagt), gigesn, ginimm,

gif eis (Gefäß), giträi usw.

(hie und da mundartliche Ausnahmen). 3. Nachtoniges -ei, -era1 (ob alt oder durch Schwächung eines Vollvokals entstanden) > -Z. -n (bzw. -y, -m) z.B.: hi ml, tisl, foigl' 1

-ern und -er werden normalerweise nicht zu -ψ, -γ - s. daher Nr. 4; s. aber auch u n t e n S. 247.

241

boiml (Baumöl), wolwl (wohlfeil), wifl (wieviel); kastn, gvPtn, satn (schaden), rilcr) (rücken), ligr), laxy, geibm (geben), zibrn (sie-

ben). bröfm (Branntwein). Doch bleibt der Vokal der Endung -en als Schwalaut erhalten nach a) Vokal, Halbvokal oder Nasal - allgemein: draitn (drehen), mlim (nähen), tsim (ziehen), nemtn, rinm, mümn (mahnen), swimm; sainim (schönen), grimm (grünen), jenim (jenen), krimtm (krummen), gUränm (getreuen), nanm (neuen); numm

(Name), janin (Pfannen), kl'üm (Klauen); b) Nasal -f Velar, nur im V. und Subst.: ziygtn, wiykm,

dvlaygm,

beyJcm (sich sehnen), jiygtn (Jungen), slay gm, gtdaykm

-

aber: laygy (langen, Adj.), griygy, kraykp; c) postkonsonantischem l1 allgemein: preigl'm (mhd. breglen), §okl'm (schaukeln), wolwlim (wohlfeilem), joslm (Josephum) - daneben aber auch, namentlich beim schnellen Sprechen, preigl'n, sokl'n u. dgl.

4. Für die übrigen nachtonigen Vokale tritt stets ein Schwa ein und zwar υ - in offener wie geschlossener Silbe vor χ und r, wobei dann das R nur noch vor Sonanten artikuliert wird, sonst aber als velarer Laut im ν aufgeht, z.B.: tistnx (Tischtuch), fraitox (fröhlich), etlvxi (etliche); hubn (Hafer), sistos (Schusters), wämjmlvx (Weinbeerlein), andvn,

bridvrl, snädvry

(Schneiderin), senvro (schöne-

rer). Hierher gehört freilich auch das o, das im Imminutiv dem l voransteht (vgl. S. 249), z.B. ejmli (Äpfelchen), häzvh (Häuslein), kinävlvx (Kinderlein), baimvlvx (Bäumchen). % - in jeder anderen offenen oder geschlossenen Silbe, z.B.: arbit, rütis (Rathaus), jidts, waihk (Schmerz), bvPvns (barfuß), Saint (schöne), sildigi (schuldige), axhyk, hemtski, jidtm, baimvli, bvderfinis (Bedürfnis), fudim (Faden), boidirn (Boden), biztm (Busen), numm, ziygm, sokl'm, wainm, rim (ruhen), imtdiki

(„unmutige"). 5. Von den vortonigen Präfixen haben (ohne Rücksicht auf den folgenden Konsonanten) 1

Nach postvokalischem l kommt -n, z.B. tsuln (Zahlen), mäln (Meilen), sneln (schnellen).

242

ο: bv-, dv-, /ο-, tmt- (be-, der- [ = er-] wie mhd.-bair., ver-, ent-) sowie υ- ( < her- oder < en-); y. gitsi- (ge-, zu- [ = zer] wie mhd.-md.); Beispiele: butsiin, dvkwiky, fvbrenm, vntloifm, vrous, muek (weg, mlid. enwec), gtwintn, tsibrexp. 6. In sonstigen Vortonsilben, z.B. in den alten rom. Lehnwörtern1, noch mehr in Neuentlehnungen, neigt man zu treuerer Wiedergabe des Vokals und Konson. ζ. B. pnrsoin (Person), spitül, kvpitl. kvUofl. 7. Für die satzunbetonten Silben ist hier noch weniges hinzuzufügen. Es handelt sich namentlich um Pronomina, die pro- bzw. enklitisch gebraucht werden. Es tritt, je nach dem Tempo der Rede oder der Stellung, entweder a) vollständige Reduktion ein mit weitgehender Neigung zur Hiatvermeidung (also Apokope, Aphäresis oder Synkope), z.B. xobtn gizein (ich habe ihn gesehen), rot's nist (er hat es nicht), zot gizukt (sie hat gesagt), in dreivt (in der Erde), mit mainm (man wird meinen), oder nur b) Schwächung zum Schwalaut (dann erscheint wieder υ für den vor r, χ stehenden Vokal, sonst i), z.B. ob vx tin gitrofm (habe ich ihn getroffen), ot ότ υ gigeibm (hat er ihr gegeben), υ wet mox Soin kenm (er wird mich schon kennen), zt wet is nist wisn (sie wird es nicht wissen), mi zukt (man sagt). 8. Im gesamten Gebiet des Oj. lautet der unbestimmte Artikel vor Vokal un2: υ tis, ιm altt)\ im Wj. meist 2, 9ii (zuweilen auch υ, vri); das Pronomen kein: hon, koy, kv — wj. auch L·, kdn (kv ments, kvy gas; kd man)·, ganz ebenso die mhd. Präposition gein (< gegen, nhd. gen): ktm poiln (nach Polen); bei betontem Sprechen hört man in beiden einen volleren Vokal (bis zum Diphthong ai). 1 In dt. Wörtern nicht vorhanden, außer bei Zusammensetzungen (darüber o. S. 238f.). 2 Das Zahlwort: ain (ain tis).

243

3. S VARAB HAK Τ IVO KAL Er erscheint im J . sehr oft, vor allem zur Erleichterung der Artikulation vor gewissen Konsonanten (bzw. in gewissen Konsonantengruppen), aber auch sonst häufig bei gedehnter Aussprache vieler Wörter 1 . Im ersten Fall haben wir es meist mit einem festen, im anderen mit einem unfesten Sproßvokal zu tun 2 . Die Qualität dieses Vokals wird, wie bei den sonstigen Schwalauten, durch den folgenden Konsonanten bestimmt: (im og. J.) vor r, χ - υ, sonst - %. Die Quantität ist der aller Schwalaute gleich; im einzelnen hängt sie hier wie dort vor allem vom Redetempo ab, sie ist aber auch, unabhängig davon, beim υ größer vor r (das auch hier nicht mehr selbständig, sondern meist im ν mitartikuliert wird) als vor χ und dem vor Sonanten stehendem r (das wie das χ deutlich artikuliert wird). Fest ist der Gleitvokal meist nach Vokallänge oder in langer Konsonanz: 1. » - vor silbenschließendem r oder r + Dental 3 nach langem Vokal (einschl. Diphthong, ausschl. ä): beiv (Bär), rain (Röhre), eint (Erde), büvt

( B a r t ) , güvtn

(Garten), eivstv

(erster),

feint

(Pferd), m (ihr), mw (mir), kivznv (Kürschner), tow (Tor), lewnm (lernen), jeivlvx (jährlich), peivlin (Perlen); 2. ό - vor χ unter denselben Bedingungen (doch im Inlaut weniger deutlich): ewx (ich), gwx (schnell), bivx (Buch), svdx (Schuh), bouvx (Bauch), rowx (Rauch), hoivx (hoch), m^xturp (nüchtern), sfixlvx, tiPxlax (PI. Schuhlein, Tüchlein); 1

Auch das Nhd. — richtiger schon das Spätmhd. (Maußer 285) - zeigt gegenüber dem Normalmhd. einen solchen Sproßvokal vor auslautendem r nach i, ü iu, ζ. B. gvr > Geier, sür > sauer, tiur > teuer; das J. als Mundart hat es aber in einem viel größeren Umfange. 2 Während der feste S. sich in den genannten Fällen regelmäßig einstellt und, von sonstigen Bedingungen unabhängig, bestehen bleibt, ist das Erscheinen des unfesten S. nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, z.B. bei deutlicherer oder gedehnterer Aussprache der Wörter, oder nur in Auslautsstellung. 3 Andere r-Verbindung kommt nach langem Vokal nicht vor. Vor rl, ry steht kein fester Gleitvokal, da sie als selbständige Silben mit r im Anlaut gelten (s. daher w. u.). Ausgenommen sind nach Analogie gebildete Fälle, z.B. maw—mairrrr) (Möhren), raiv—rairny (Röhren), oder solche, die auch im Nhd. ein e'aufweisen (wo das Mh°d. keines hatte), z.B. douOrr), trouvry (dauern, trauern, - mhd. düren, trüren).

244

3. ο - vor χ zur Entlastung der Lautgruppe Ix, rx: milvx, Icalvx (Kalk), marvx (Knochenmark), mälvxy (Mäulchen), spilvyx (Spielzeug); 4. t - zur Entlastung der Sonorverbindungen: Geräuschlaut + η oder n, r Doppelgeräuschlaut; z.B. eftnm (öffnen), boderfims (Bedürfnis), bnsefims (Geschöpf), boheltmis (Versteck), rextnm, tsaixmin,

reigmm,

hartskl'opmiS

(Herzklopfen), upkimmis

(Ver-

kommen), henttskt (Handschuh), /ene&i (Pfirsich); auch/im/(fünf); 5. ι - in der L a u t g r u p p e rm: ünm (arm), wänm, dvbänmm,

sinm,

wonrn (Wurm); vnimlt(< einmal, „mal" im Umgangs-Ntd.) zeigt den in der seltenen Lautfolge nm entstandenen Sproßvokal bis zum betonten Vollvokal erhoben, bei Enttonung sämtlicher Vollvokale ; 6. ι — in wünnin (warnen); nicht mehr so fest ist es in ts^rimn (zürnen) - daneben auch tsernin. Unfest ist der Gleitvokal meist bei Kürze; so erscheint 1. ι - in der auslautenden, auf kurzen Vokal folgenden Sonorverbindung r 4- Geräuschlaut (selten Doppelgeräuschlaut): bank (Berg), mank (Markt), stank, hanp (herb), stanp (sterbe), sanf, bvdanft (bedürft), hens (Hirsch), wont, dont - neben: bark,

mark usw. 1 ; 2. ι - in wortauslautenden Silben nach u, ou vor beliebigem Konson a n t oder nach ί vor l, n: houis (Haus), büit (Bad), rmt Rad), bütsüilt (bezahlt), kouil (Kugel), gl'ms (Glas), tun (tun), Mm (Huhn, Henne), zun (Sohn), mill (Mühle), vMin (dorthin) - neben hous usw.;

3. » 2 - vor rl, ry, xl, xp oder vor sonstigem r, χ in offener Silbe nach langem Vokal: gefirp (gern), heivry (hören), fvPri7 (fahren), treivrr) (Tränen), steivry (Sterne), foliPry (verlieren), pei°rl (Perle), gihfory (Gehirn), giboi^ry (geboren), zftxy

(suchen), bivxx> (Bü-

cher), si"xl (Schuhchen), kr¥xy (kriechen) - bei schwächerer Artikulation hört man nur geirp usw. 1 Es verschwindet regelmäßig, wenn das Wort im Satz i n n e r h a l b eines Sprechtaktes steht, weil dann die Auslautstellung nicht mehr gegeben ist, ζ. B.: ofm barg arof (den Berg hinauf), in mark man (auf den Markt), stark z&n (stark sein) usw., aber auch am Ende des Sprechtaktes bei weniger ausgedehnter, nicht so gemütlicher Rede. 2 Es ist zwar nicht mehr an die Stellung, aber an das Tempo gebunden.

245

4. Ü B E R B L I C K Ü B E R D I E M U N D A R T E N Die bis nun erfolgte Darstellung der unbetonten Laute hatte lediglich das og. J. (genauer: das J. der Stadt Rohatyn) zur Grundlage. Eine ebenso ausführliche Schilderung der übrigen Mundarten vermag ich nicht zu geben. Die Schwalaute variieren überall sehr stark und sind häufig in den verschiedensten Nuancen nebeneinander anzutreffen. Überdies lassen sich diese verschiedenen Laute in ihren Unterschieden kaum erfassen, noch weniger schriftlich fixieren - und aus demselben Grunde sind die schriftlichen Materialsammlungen, die ich benutzen konnte, viel zu ungenau und mangelhaft, oft sogar schief und einander widersprechend, als daß sie die Grundlage für eine genauere Erforschung bieten konnten1. Ich beschränke mich daher darauf, die wichtigsten Unterschiede, soweit ich sie erfassen konnte, in groben Umrissen aufzuzeigen und überlasse eine genauere Untersuchung den Spezialarbeiten. Für das engere Wmj. gilt im allgemeinen die mit dem schnelleren Redetempo zusammenhängende Neigung zur stärkeren Abschleifung der unbetonten Vokale2; besonders stark kommt das im p. J. zum Ausdruck. Ferner tritt hier an Stelle des ό (vor r. x) im Süden (wg. J.) ein a (deutlicher e-Laut), das nach Norden hin (p. J.) immer stärker verdunkelt zu δ (einem ö-, o-Laut), seltener erscheint auch Ό (so z.B. in den Präfixen bv-, fv-, vnt- und im Imminutiv, namentlich im Süden, sonst meist nur in den östlicheren Gebieten). Die Tendenz zum Svarabhaktivokal ist fester u. stärker. Das r wird wie im og. J. 3 im Schwa aufgesogen; r 4 ist äußerst selten. Der Geltungsbereich des t stimmt mit dem des og. überein, doch erscheint auch hier im p. J. (z.B. Lodz 5 , Warschau und sonst6), besonders im Auslaut, die Neigung zu -a, (-en nach Nasal > ) -ä. Die Gebiete, die in der Nähe sowohl des og. als auch des p.-wg. J. liegen (so z.B. im mj. Wolh., Karpathorußland), zeigen im allgemeinen die og. Zustände, daneben auch Eigentümlichkeiten des Westens (z.B. a). Im übrigen würden die vielen Einzelheiten, auch wenn sie mir zugänglich gewesen wären, den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 2 Selbst -l, -n, -m statt -il, -in, -im. 8 S. oben S. °242°u. 244. ' 4 S. auch S. 247. 5 Gutmann I W I I 381 f. 6 Prilutzki, öfters. 1

246

An das Wmj. schließt sich auch das Wj. mit ähnlichem 9, & (und besonderer Vorliebe im Swj. für das ΐ ) an; hier erscheint aber das a auch neben t und andererseits auch dieses für 9 (im Imminutiv z.B. -jli1), während das υ fast nur noch in einem Präfix gelegentlich vorkommt (z.B. /»-). Die stärkere Neigung zur Synkope des e (in ge-) ist ein weiteres Charakteristikum des Swj. Für das els. J . wäre vielleicht noch das typisch alem. -a < -en hervorzuheben. Wenden wir uns nun dem Omj. zu, so fällt im buk.-rum. J . vor allem die ungewöhnlich scharfe Zungenartikulation des r auf. Dadurch erübrigt sich der velare Gleitvokal vor r\ der Übergang vom langen Vokal ergibt sich verhältnismäßig leicht (ein kaum zu hörendes a schwingt vielleicht hie und da noch mit). Im übrigen steht vor r, χ meist 9, selten t> bzw. ein zwischen beiden pendelnder Laut; υ scheint im allgemeinen nur auf den Imminutiv und einige Präfixe (bO-, for-, vnt-) beschränkt zu sein. Das % bleibt in seinen Rechten ungeschmälert sowohl für den abgeschwächten Vollvokal als auch für den Sproßlaut; doch ist der unfeste Sproßvokal tinbekannt, auch die Neigung zum festen geringer. Das gleiche gilt auch vom bess. J . Vor dem Zungen-r steht hier meist ι bzw. ein Mittellaut zwischen 9 und t, zuweilen auch so schwach artikuliert, daß man diese Lautgruppe am liebsten mit -r bezeichnen würde. Ein Gleitvokal hat auch hier nur vor χ (nicht vor r) einen Sinn - es ist dann gewöhnlich das v, das auch an Stelle eines Vollvokals vor χ zu stehen kommt. Eine Neigung zur Verdunkelung der Schwalaute überhaupt macht sich hier bemerkbar; nicht nur das 9 vor r, auch das ο klingt, namentlich vor dem Imminutiv -l, fast wie &. In der Ukraine machen sich wieder verschiedene Einflüsse geltend. Neben velarem (nur vor Sonanten zu vernehmendem) r mit »-Laut hört man auch die lingualen -ir, -ar, -r (auch wo in der Gruppe -er das e nur Sproß vokal ist). Im allgemeinen erscheint im ukr. J . (wie im bess.) ι dort, wo es auch og. steht; daneben auch schon a (sicherlich unter noj. Einfluß). Vor χ ist v> hier und sonst, wo es wie im og. J . erscheint, meist rein, nur selten zu δ verdumpft; daneben ist 9 möglich. Unfester Gleitvokal ist kaum anzutreffen. Gelegentlich ist hier -en > -n, -rj auch nach Nasalverbindung reduziert.

1

S. auch Anmerkung 2 auf S. 249.

247

Das Noj. zeigt eine große Vorliebe für das a 1 , das fast überall, wo dt. e zugrunde liegt, an Stelle des og. % oder υ tritt, während diese mehr auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, wo etymologisch i bzw. α vorliegt. Das zeugt von der typisch noj. Neigung, die Vokale nicht allzusehr abzuschwächen und deren Qualität nach Möglichkeit auch bei Quantitätsverminderung noch zu bewahren, einer Neigung, die mit dem öfters festgestellten Konservatismus des Noj. zusammenhängt. Besonders deutlich tritt dies in den Präfixen zutage: vnt-, fvr- haben stets v-; bv-, dvr- haben auch a; gi- und gestehen nebeneinander; und besonders auffallend ist tsu- (mit deutlichem, wenn auch ganz kurzem, u\) für das og. tsi-. Das r, obwohl velar, wird überall mehr oder weniger stark aber gewissenhaft artikuliert. Der Sproßvokal vor r (a - wie sonst vor r) stellt sich nur nach Diphthong ein, vor χ meist überhaupt nicht, obwohl die Artikulation umständlich ist (seltener entsteht ein ν, i, a); dagegen ist derjenige feste Sproßvokal, der im og. J . als t erscheint, auch hier als a, % fest, während der unfeste unbekannt ist. 5. B E Z I E H U N G E N ZU D E N DEUTSCHEN MUNDARTEN Auf dem Gebiet der Schwa-Laute Beziehungen zu bestimmten dt. Maa. nachzuweisen, wird kaum möglich sein, da auch hier einerseits die Unterschiede zwischen den einzelnen Maa. äußerst geringfügig sind und andererseits im allgemeinen überall wieder die verschiedensten Nuancen vorkommen. Vielleicht könnte eine Einzeluntersuchung darüber nähere Aufklärung geben. Nur einiges sei hier angeführt. Die Apokope erscheint seit dem 13. Jh. im gesamten Obd. und Wmd. (viel weniger im Omd.) und ist heute mehr oder minder konsequent in allen Maa. durchgeführt, mit Ausnahme des größten Teils des Omd., der sie - von den unter bair. Einfluß stehenden Gebieten abgesehen - entweder nur auf gewisse Formen beschränkt oder überhaupt nicht hat, und mit Ausnahme auch eines tirolischen Gebiets (s. z.B. Unwerth 59, Behaghel 188). So radikal aber, wie im J . , ist sie in spätmhd. Zeit nur im Bair. bzw. wohl auch in der bair. Einflußsphäre (vgl. Maußer 17, 22, 27, 53, 89; Weise 29); mit ihm 1 - b ist nur sporadisch belegt. 248

also (jenen tirol. Teil ausgenommen) haben wir hierin das J . zusammenzubringen 1 . Dagegen würde man in bezug auf die Synkope feststellen müssen, daß das J . nicht so weit gegangen ist, wie das Obd. (fast in seiner Gesamtheit); wohl ist das e vor l, η ausgestoßen, aber in der Vorsilbe ge- blieb es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die vielleicht auf das Wirken radikal synkopierender Kräfte zurückzuführen wären, erhalten in Gestalt des ι; ebenso in be- > bv-. Auf der Karte 28 des DSA zeigt nur der südlichste Teil des Bair. Erhaltung des e, das im Westen desselben e oder i lautet, wie dies ganz ähnlich auch im Schles. der Fall ist, während sonst im Md. bei Erhaltung des e meist α danebensteht (bzw. ein Zwischenlaut), in der großen Masse des Obd. aber vollständige Synkope herrscht. In diesem Fall würde man also eher geneigt sein, eine Verbindung mit jenem südbair. Streifen - der vielleicht früher auch größer gewesen sein könnte und dem Schles. herzustellen, die neben e auch i haben. I m übrigen hängt dies freilich eng zusammen mit der allgemeineren Erscheinung im J . (zumindest was das og. J . betrifft): ι für tonloses e (oder sonstigen geschwächten Vokal) - soweit nicht υ auftritt. Ein derartiges i bieten heute noch die schw.-al. Maa., wenigstens in gewissen Fällen (Kauffmann 109, AGr. 25), Kärnten, z.T. Tirol und die Oberpfalz (BGr. 35); es war in spätmhd. Zeit sehr stark verbreitet - im Al. (AGr. 25) mehr als im Bair. (BGr. 25), aber ganz besonders in den md. Dialekten (bis ins 16. J h . - Rückert 34); wenn für das md. i wieder ein dunkler Laut anzunehmen ist, dann würde diesem j. % näher stehen. Für das j. ν ( < tonlosem e) sind selbstverständlich die darauf folgenden Velare verantwortlich zu machen 2 . Auf Karte 13 (bzw. 37) 1 Auch hinsichtlich der scheinbaren Ausnahmen (s. o.) herrscht Übereinstimmung — vgl. z.B. Maußer Reg. 153 u. die dort angezeigten Stellen, Haus. 74. Die wenigen wirklichen Ausnahmen könnte man sehr wohl durch anderweitigen Einfluß erklären (s. o.). 2 Das Imminutiv-Sufflx -vh ist allem Anschein nach aus der Form -erlein zu erklären, die gewiß aus Plur.- oder Sing.-Substantiven auf -er herübergenommen sein könnte. Das swj. -ill (s. o.) scheint mir diese Annahme indirekt zu bestätigen, insofern es beweist, daß in den r-losen Formen der Vokal die Färbung % bekommen hat. Vielleicht darf man eine Form wie Jcindnlnx, wo das r (auch im J.) wirklich geschrieben wird, hierfür geltend machen. Wir hätten dann in dieser Einfügung des r einen Unterschied zwischen dem Oj. und Wj. zu erblicken und

249

und 5 des DSA erscheint der α-Laut unter den gleichen Bedingungen überall im Obd. und Ofrk. - im Westen neben dem e meist an zweiter Stelle, im Bair. vorherrschend (s. auch BGr. 22, ferner, über α vor x, BGr. 21); er begegnet auch im Md., wie die Wörterbücher und Grammatiken zeigen (s. z.B. RhWb I 466, 474 [als Sproßvokal], vgl. auch besonders Unwerth 34, 56 Hausenblas 16, 19), aber nicht in dem Umfange wie im Bair. und im S. u. W. des Nwböhm. (Hausenblas 16, 19) und - im og. J . Auch das in der p. Ma. (Lodz, Warschau u.a.m.) und in anderen j. Maa. erscheinende δ steht nicht allein da. Bin ähnliches ο (bzw. ö, u usw.) wird heute noch, zum großen Teil unter denselben Bedingungen, im Al. wie im Bair. gehört und war, in mhd. Zeit zumindest, auch in den md. Maa. bekannt (AGr. 28, BGr. 39f., 42, Maußer 528, Rückert 42, 47f.). Es ist im Zusammenhang mit diesen Schwalauten nicht unwichtig hervorzuheben, daß das J . im allgemeinen den Nasalschwund in der Endsilbe -en nicht kennt 1 . Damit stellt es sich in deutlichen Gegensatz zu denjenigen Maa., die den Nasal aufgegeben haben; es sind dies das westl. Obd. fast durchwegs, das Bair. und das Wmd. mehr oder weniger, je nachdem, ob es sich um das Part. Perf. oder um den Inf. handelt (der Süden des Bair. und ein Teil des Nordens einschl. des Böhm, müssen davon freilich mit ihrem beständigen -n, -en u. dgl. abgetrennt werden) und das Gebirgs- und Glätz.-Schl. (s. Karte 7,11, 30, 32 des DSA, Unwerth 57f.). Es muß allerdings zugegeben werden, daß der Schwund des Nasal im Osten, der anders zu beurteilen ist als im Westen (Maußer 18, 77), vielleicht überhaupt nicht mehr der mhd. Zeit angehört, daß also dann in dieser Beziehung zwischen dem obd. Osten und dem J . kein Gegensatz zu konstatieren wäre. Die Maa. mit -n, -en passen besonders gut. Interessant sind auch die Präfixe. Vom nichtsynkopierten ge- > giist bereits gesprochen worden; sein ι steht ganz ordnungsgemäß. Ebenso das » in /»-, άυ-, ν-, vr- (ver-, [d]er-, her-, s. o.). Auffallend darin würde wieder jenes zum Md. dieses zum Obd. zu stellen sein (vgl. vorderhand Paul II 29; Gürtler in ZsfdWf. 12, 136f; P B B . 37, 543; 38, 84ff; Hausenblas 70f). 1 Das einzige mir bekannte Vorkommen v o n Nasalschwund mit Ersatznasalierung des Vokals - im pol. J. - ist oben S. 246 erwähnt; v o n der jüngeren, lokalen, Erscheinung im els. J. (s. S. 247) sehe ich hier ab. Auch wo es sonst im Wj. vorkommt, ist es sekundär lokal beeinflußt.

250

sind aber bo- (< be-) und vnt- (< ent-); ba- ist im früheren Bair. schon anzutreffen und wird heute noch in Steiermark und Tirol (BGr. 21), aber auch im Nwböhm. (im S. u. W. - Haus. 16) gehört 1 ; ant- ist im Mhd. die betonte Vorsilbe gegenüber dem unbetonten ent-, im J. dagegen ist es genau umgekehrt: emfv (Antwort), emfOrr), aber vntlöifm, vntwäimn (entwöhnen) - nun ist aber auch einerseits imbetontes ant- bezeugt (AGr. 259, BGr. 223), andererseits auch betontes ent-, gerade in den beiden Beispielen, in denen sie allein noch im J. vorkommen (Lex. I 83). Mit ent- > vnt- hängt sicherlich auch en- > υ- zusammen (s. o. S. 243) und weiterhin wohl auch die Abschwächung des unbestimmten Artikels ein > des Pron. kein > hon, wie der Präp. gein > kan. Es dürfte sich in diesen Fällen um einen eigentümlichen Wandel e > α vor η handeln, der in den dt. Maa. nicht selten ist (vgl. z.B. BGr. 21). Das mj. tsi- = noj. tsu- (zer-) kann zweifellos nur auf das md. zu (Weinh. Mhd. Gr. 303) zurückgeführt werden. Der Svarabhaktivokal ist in allen dt. Maa. eine mehr oder minder stark ausgeprägte Erscheinung (vgl. z.B. BGr. 22, 36, AGr. 24, Jutz 240, 262f., Kauffmann 65, 70,118, Rückert 185, Unwerth 34, Gerbet 301 ff., Heilig 123 usw.). Die Qualität dieses Vokals ist überall (wie auch im J.) durch die Stellung geregelt - ganz den sonstigen Schwa-Lauten entsprechend (s. oben). Schließlich sei noch die Frage der Vokalabschwächung überhaupt kurz gestreift. Das J. (besonders Mj.) zeigte eine starke Neigung zur vollständigen Abschwächung tonlos gewordener Vollvokale. Auf dt. Boden ist die weitgehende Schwächung vor allem dem Süden (namentlich dem bair.) eigentümlich (vgl. BGr. 21, 27ff., AGr. 20, Jutz 230, Kauffmann 115ff., 159, Heilig 106f., 109). Dagegen zeigen die md. (namentlich die omd.) Maa. (wie Noj.) etwas mehr Zurückhaltung bei deren Kürzung (s. Haus. 69f., Gerbet 264, 272f, 275, Unwerth 60f., Rückert 35, 97) - besonders in den Endsilben -heit, -ig u. dgl. In letzteren zeigt auch das gesamt^ J. eine gewisse Zurückhaltung: viele Endsilben, wie -kait, -hait, -saft udgl. bleiben ungeschwächt (s. oben S. 239). Im großen ganzen jedoch, in der w e s e n t lichen Entwicklung des gesamten J., schon von seiner urj. Stufe ab, ist die Neigimg zur extremen Reduktion tonloser und enttonter 1

Es ist also im Grunde in denjenigen Gebieten heimisch, wo sonst e > Ό vor r eingetreten ist. Vielleicht hatte dieses Präfix auch zuweilen ein unechtes r. Ahd. findet sich ba-, allerdings selten (Braune § 77, A. 2).

251

Vokale nicht zu verkennen. Dies aber ist eines der wesentlichsten Merkmale der dt. Sprache u. insbesondere der dt. Maa., im Zusammenhang mit dem äußerst dynamischen Charakter der dt. Betonung. Für die Erforschung des J. ist diese Feststellung von großer Bedeutung (s. w. u. im h.-j. Bestandteil).

c) Übersicht über die allgemeinen Lauterscheinungen im Jiddischen 1. D E H N U N G U N D K Ü R Z U N G In der Darstellung der Hauptsilbenvokale ist im einzelnen bereits gezeigt worden, daß das J. den spätmhd. Dehnungs- und Kürzungsprozeß durchgemacht hat, und zwar - wie wir rückblickend sagen können - ziemlich in dem gleichen Umfange wie etwa die nhd. Schriftsprache. Vielleicht ist die schwächere Durchführung des Kürzungsvorgangs dadurch zu rechtfertigen, daß dieser etwas jünger ist (vgl. Sütt. 148, 160), das Urj. also noch vor der Vollendung sich ihm entzogen haben könnte; vielleicht ist auch bei der Dehnung manches auf diese Weise zu erklären. Sicher aber sind die Unregelmäßigkeiten und die Abweichungen im J. auf die verschiedenen Ausgleiche der dt. Maa. sowie auf das Zusammentreffen mehrerer Maa. zurückzuführen, wie dies ja letzten Endes, wenngleich in den Einzelheiten verschieden, auch von der Schriftsprache gilt. Es wird also auch hier wieder nicht möglich sein, eine bestimmte dt. Ma. oder Mundartgruppe ausfindig zu machen, die sich mit dem J. vollkommen deckt. Berücksichtigt man z.B. die Tatsache, daß das J. - zunächst was die, quantitativ und qualitativ wichtigere, Dehnung betrifft - im Verhältnis zu anderen dt. Maa. ziemlich wenig von der Schriftsprache abweicht, so wird man vielleicht eine gewisse engere Beziehung zum Obs., für welches dasselbe gilt, nicht ganz unbegründet finden, zumal wenn gelegentlich gerade dieselben Ausnahmen hier und dort erscheinen (s. Sütt. 149f., s. auch seine weiteren Ausführungen u. Beispiele, und vgl. sie mit den j. aus der Darstellung des besonderen Teils). Betrachtet man den allerdings weniger bedeutenden Vorgang der Kürzung, so wird man sich eher vom Omd. ab- und dem Süden zuwenden müssen (vgl. Sütt. 158 und seine Beispiele mit den hier in den früheren Abschnitten angeführten). 252

Die Regeln, nach denen sich die Dehnung im J. vollzogen hat, sind im allgemeinen dieselben wie im Nhd. (vgl. Paul I 161 ff., Sütt. 143ff.). Sie trat ein: 1. in offener oder 2. mit einfachem r geschlossener Silbe (in weitaus den meisten Fällen auch vor folgendem -el, -em, -en, -er), 3. vor r + t, d (z nicht!) - jedoch nur bei den o- und e-Lauten, 4. in sonstigen geschlossenen Silben durch Flexionsausgleich; darüber hinaus im J. auch 5. vor r + n, l, s (nicht st) — sowohl bei den a- und e- als auch bei den i-Lauten, 6. in den kurzen, einfach geschlossenen Fürwörtern oder Partikeln (soweit sie nicht unbetont sind). Beispiele s. bei den einzelnen Vokalen. Hier noch eines: die im J. übliche, vom Nhd. abweichende Erhaltung der Kürze (besonders vor t) gilt als obd., z.B. Gebott, Gevatter, Eckel, nemmen (s. Schmeller 691). Vokalverkürzung, deren Regeln weniger erfaßbar sind (s. im allgemeinen Paul 1169ff., Sütt. 155ff.), hat im J. (s. o. bei den einzelnen Vokalen) fast nur vor Doppelkonsonanz, selten vor einfachem Konsonant oder nach Ausgleich stattgefunden (SS. 185,194,233). Im Bereich der hd. Maa. setzt die Dehnung Mitte des 12. Jh. im Ν wmd. ein, dringt im 13. Jh. im Md. durch und gelangt im 14. Jh. auf bair. Boden. Der Osten bzw. Südosten hat sie also am spätesten erlebt. Vollständig (bis auf den heutigen Tag) verschont geblieben sind das Hochal., der N. des württemb. Schwaben und Teile des Südrhfr. (vgl. Maußer 532 und die dort angezeigten Stellen). Sehen wir also von diesen Gegenden ab, so bleibt uns auf hd. Gebiet im wesentlichen entweder das Wmd., mit der Möglichkeit einer früheren Zeitgrenze oder der obd. und md. Osten, wobei wir im Hinblick auf die Dauer der omd. Kolonisation in das 14. Jh. hinabrücken. Da andere Gründe gegen das Wmd. sprechen, werden wir das zweite wählen müssen und gewinnen dann als terminus a quo für das Urj. das 14. Jh. (vorsichtiger: Ende des 13. u. Anfang des 14. Jh.). Für die Wahl zwischen dem Omd. u. Ostobd. sind noch die Ausführungen bei den einzelnen Lautgruppen heranzuziehen. Von diesem Dehnungs- und Kürzungsprozeß sind zu unterscheiden die sekundären, späteren Vorgänge innerhalb der j. Maa. Hier sind 253

nun die Tendenz des mj. Ostens (im nördl. Teil vor allem) zur Verminderung der Längen, namentlich aber die vollständige Verwischung der Grenzen zwischen Länge und Kürze im Noj. zu erwähnen1. Wir haben wohl bei beiden an slav. Einfluß zu denken (S. 49, 52), im letzten Falle ist er auch ganz offenkundig. Die noj. Kürzung muß relativ alt, im Anfang der aj. Zeit eingetreten sein; denn sie war es auch, die in entscheidendem Maße die Veränderungen der Qualitäten, wie sie im Mj. stattgefunden haben, verhindert hat. Hingegen ist die relative Verminderung der Längen im östl. Mj. viel jünger; sie setzt den gesamten an die Länge der Vokale gebundenen aj. Lautwandel voraus, kann also erst zu Beginn der nj. Zeit stattgefunden haben. Ebenso jung ist die (durch die Stellung bedingte) Kürzung von ü und i in einem Teil des Mj.2. Ferner ist hier die sekundäre Dehnung 3 zu nennen. Sie ist ihrem Wesen nach eine direkte Fortsetzung der alten spätmhd. Bewegung und tritt immer in den offenen Silben neu hinzugekommener bzw. in neu geöffneten Silben alter Wörter ein. Dieser Prozeß scheint zeitlich unbegrenzt zu sein, er dauert die ganze Entwicklungsperiode hindurch bis in die Neuzeit und ist auf die aus Deutschland mitgebrachte, immer noch latente Neigung zurückzuführen. Besonders beliebt ist sie bei den hellen Vokalen, am auffallendsten bei den e-Lauten. Die älteren (aj.) Dehnungen haben es bis zur vollen Länge gebracht, die jüngeren (die auch z.B. vor vereinfachter Gemination oder bei ganz später Silbenöffnung durch Sproßvokale stattgefunden haben) haben im allgemeinen nur die Stufe der Halblänge erreicht. Das Ergebnis, Länge oder Halblänge, hängt auch von der Stärke der folgenden Konsonanten ab.

2. DIPHTHONGIERUNG U N D MONOPHTHONGIERUNG Die Diphthongierung von i, ύ, iu, deren erste Anfänge im Bair. zu Beginn der mhd. Zeit (11. Jh.) wahrzunehmen sind, erreicht hier im 13./14. Jh. das moderne Ausmaß und verbreitet sich von hier aus erst im 14.-15. Jh. nach dem Norden hin (auf das Ofr. und Omd.), doch ohne den größten Teil des (obd. und md.) Westens und den 1

2 S. 187, 190. S. 190, 215, 235. S. 185f., 195 u.a.m. Die Dehnung des buk. J. (und seiner Nachbargebiete im Süden), obgleich, spezifisch, ma-lich, ist mit inbegriffen. 3

254

(nd.) Norden zu erreichen (vgl. Maußer 17, 21, 23, 26, 40ff. usw.). Da auch das Urj. schon ihre vollständige Ausbildung voraussetzt (zu den Einschränkungen beim ü s. o. S. 231 f.), so ergibt sich auch hieraus das 13./14. Jh. als terminus a quo für die Entstehung des urj. Typus 1 . Die Monophthongierung von ie, üe, uo, die aus dem Norden stammt und sich im Bereich des Hd. auf das Md. beschränkt, beginnt hier im 12. Jh. und erreicht im 14./15. Jh. den modernen Stand (vgl. Maußer 6, 11); wir werden also mit den Anfängen des Urj. wieder in die gleiche Zeit (14. Jh.) verwiesen. Für eine Lokalisierung des Urj. empfiehlt sich auf Grund dessen nur das Md. - mit Ausnahme des Mfrk. und eines großen Teils des Rhfr., die e, 6, ο statt der urj. %, ü zum Ergebnis haben2, und des nicht-monophthongierenden Ostfränkischen Teils. Trotzdem wird man nicht so weit gehen dürfen, von rein md. Ursprung dieses Vorgangs zu sprechen. Es hat sich ja schon öfters gezeigt, daß das obd. Element sehr stark vertreten ist. Daß das Omd. bei der Ausprägung des Urj. (genauer: des Uroj.) eine grundlegendere Rolle gespielt hat, ist oben im speziellen Teil bereits nachgewiesen worden und wird sich auch im Konsonantismus noch deutlich zeigen. Die Monophthongierung kann mit als Beweis dafür dienen. Hier ist aber noch im besonderen der Einfluß der nhd. Normsprache zu berücksichtigen, die, wie wir auch an anderen Stellen sehen, einen großen Teil der Verantwortung für die Entwicklung des J. trägt. Sind die Diphth. von %, ü, iu einerseits und die Monophth. von ie, uo, üe andererseits völlig eindeutig, so läßt sich das nicht behaupten von den anderen einander gegenüberstehenden Gruppen: spätmhd. e, oe, 6 - ei, öu, ou. Im heutigen J. stehen lauter Diphthonge noj. ei für alle sechs Laute, wmj. ai (für e-ei und oe-öu) und oi (für 6-ou) usw. aber die einfache Annahme einer Diphthongierung nach obd., namentlich nordbair., Art 3 (vgl. Maußer 27, 43, 65, 70) genügt nicht. Vielmehr sahen wir uns oben genötigt auf urj. Stufe zunächst eine Kontraktion von ei, öu, ou nach md. Art anzusetzen, doch so daß, wie wir weiter annahmen, die obd. Tendenzen in la1

Daraus allein ist zu erklären, weshalb mhd. ü im Mj. nicht mehr zu % palatalisiert wurde (s. noch im hebr.-j. Teil). 2 Über das vereinzelte 6 < ie im J. s. oben S. 214. 3 Im Nordbair. z. Teil auch Schwab, erscheint sogar e, oe > ai neben ei, äi, genau wie im J.

255

tentem Zustand weiter verharrten, um schließlich die Diphthongierung sämtlicher Laute, der alten m i t den neuen Monophthongen, durchzusetzen. Diese hat schon im Anfang der altj. Zeit als vollzogen zu gelten (s. das Nähere und über das weitere Schicksal der Diphthonge - o. SS. 202ff., 221 f.). Der letzte Diphthongierungsvorgang traf das urj. Er beschränkte sich nur noch auf das Mj. und trat zu Ende der aj. Periode ein, nachdem im Laufe derselben allmählich der Übergang zum geschlossenen Laut erfolgt und damit die Grundlage für den Zwielaut geschaffen war (vgl. o. S. 203f.).

3. E N T R U N D U N G Fast das gesamte J . hat die urspr. gerundeten Vokale vollständig entrundet. Für die mhd. ö, oe-öu, ü, üe, iu stehen bereits urj. e, e\ i, i, ai. Die Neigung zur Entrundung hat also das J . von jeher gehabt und immer bewahrt; daher gab es in ihm so gut wie keinen Platz für gerundete Laute. Sobald solche sich nachträglich einzustellen schienen, wie dies z.B. bei der Entwicklung von urj. 6U und u der Fall war (s. o. S. 222 u. 236f.), fielen sie sofort der immer lebendigen Entrundungstendenz zum Opfer. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel: die Erhaltung des ü im Wj. und öü im kurl. J . haben diese zweifellos der Unterstützung der dt. Maa. aus ihrer Umgebung zu verdanken. Fassen wir die spätmhd. Zeit ins Auge, so dürfen wir die Entrundung im Osten Deutschlands lokalisieren. Sie setzt ein im Bair. (schon im 12. Jh.) und gelangt zur vollen Entfaltung auf ostobd. und omd. (namentlich thür.-obs.) Boden im Laufe des 14. Jh. (vgl. Maußer 17, 47, 142, 538). Dann könnten wir also für das J . wieder den gesamten hd. Osten in Anspruch nehmen und würden mit seinen Anfängen wieder in die gleiche Zeit geraten. Die Verdumpfung des spätmhd. α > δ > ύ könnte man als Rundung bezeichnen, insofern die Entwicklung hier auf einer stets zunehmenden Rundung der Lippen beruht (s. o. S. 189f.). Doch hat diese einfache Rundung nichts zu tun mit der spezifischen Erscheinung der „gerundeten" Laute, die auf Lippenrundung bei den lippenweiten hellen Vokalen (e, i), d.h. auf einer Kombinat'on entgegengesetzter Lippenartikulationen (e + o, i + u) beruht. 256

4. U M L A U T Die Ausbreitung des i-, ^'-Umlauts, der in ahd. Zeit beginnend im Laufe des Mhd. sich allgemein durchgesetzt und den modernen Stand erreicht hat, ist in ihrem Umfang von der Art der Vokale und ihrer Umgebung einerseits und von dem Charakter der Maa. andererseits abhängig. Den stärksten Widerstand setzt das Bair., den schwächsten das Md.-Fränk. (Maußer 29). Das J. läßt sich auch hier wieder nicht klar einordnen. Es hat einerseits typisch md. Umlautsformen - z.B. laikinm, gl'aibm < mhd. - md. löugnen, gelöuben (s. Maußer 501) - andererseits dem Obd. folgend Umlautlosigkeit - z.B. kisn, fiftsik (noj. kusn, fuftsik), romm, zomm, somm < mhd. - obd. küssen, fufzig, rumen, sümen, schümen. Es kann also auch hier wieder gesagt werden: das J. vereinigt in sich die Tendenzen verschiedener Maa1. Besonders stark und die Übersicht erschwerend sind die j. Ausgleichserscheinungen, die bald zugunsten des Umlauts, so bei der Pluralbildung von substantivischen α-Stämmen (z.B. teik, mhd. tage) oder bei der Bildung mancher Verbalabstrakta (z.B. bvheltimS u. dgl.), bald zugunsten der Umlautlosigkeit ausfallen, dies namentlich bei den Verben der V I . und V I I . Ablautreihe, wo die 2. u. 3. P. Sg. im Präs. den Umlaut verschmäht, z.B. sink (schlage), sinkst, sinkt-, los (lasse), lost, lost; in der Adjektivsteigerung: hart, Mark hartv, Marko. In diesem Zusammenhang sei auch die vielfache Beseitigung des germ, i-, J-Umlauts in den Verbalklassen erwähnt. Nicht nur wie nhd. der Wechsel von mhd. ie: in (in der I I AR.), sondern auch der von mhd. e: i (in I I I - V ) ist fast ausschließlich zugunsten der ersteren ausgeglichen - z.B. krPx (krieche), krftxst, krfoxt; helf, helfst, nem, nemst; zei (sehe), zeist. Dieses Vorgehen ist für die md. Maa, der spätmhd. Zeit schon charakteristisch, denen gegenüber das Obd. am i festhält (Maußer 1105). Hier ist also eine deutliche Beziehung zum Md. unverkennbar. Fraglich ist nur, ob wir die oben erwähnten Ausgleichungen in der V I . u. V I I . AR. als eine von hier ausgegangene Verallgemeinerung oder eine davon unabhängige, auf obd. Umlautlosigkeit (Sütt. 420) zurückgehende Erscheinung anzusehen haben. Erstes scheint mir wahrscheinlicher. 1 Über die Möglichkeit einer weiteren Auswertung der Umlautsverhältnisse s. o. S. 223 f.

257

Eine ganz besondere Art ist der r-, x-Umlaut, das gerade Gegenteil des ΐ-7-Umlauts: hier Palatalisierang, dort Velarisierung des Vokals, in beiden Fällen aber eine Assimilation des Wurzelvokals an den folgenden Laut. Über das Wesen und Vorkommen dieses Velarumlauts im J . und in den dt. Maa. s. im einzelnen oben SS. 195f., 201 f., 211 f., 215, 234, 237f. Hier sei nur noch eine zeitliche Frage erörtert. Wir sahen oben (S. 201 f.), daß die Erscheinung schon auf urj. Stufe stark entwickelt war. Auf der anderen Seite scheint sie in den mhd. Maa. noch ganz unbekannt zu sein. Vielfach ist sie erst in frühd. Zeit (etwa im 16. Jh.) eingetreten. Wir werden wohl annehmen dürfen, daß es sich hier um einen Vorgang handelt, der erst im Sprechen einsetzend zu Beginn der Neuzeit auch in der Schrift zum Vorschein gekommen ist — er hängt natürlich mit der neuentstandenen velaren Aussprache des r zusammen, die demnach ebenfalls schon in mhd. Zeit aufgetaucht sein muß (s. auch S. 343). Dies hat aber für das J . noch eine weitere Bedeutung: Wenn das Urj. diesen Umlaut bereits mitgebracht hat, dann müssen wir die urj. Periode bis ins 15./16. J h . hinein, also über die mhd.-nhd. Grenze hinaus, ausdehnen (s. auch noch den folgenden Abschnitt). Es sei vielleicht zum Schluß noch darauf hingewiesen, daß der rein westdt. scA-Umlaut (s. Maußer 507) im J . völlig unbekannt ist.

5. ABLAUT Die Ablautreihen stellen im J . ein vollständig vereinfachtes Bild dar. Dazu trägt außer den spätmhd. Lautveränderungen (Dehnung u. Kürzung, Diphthongierung und Monophthongierung) und verschiedentlichen Ausgleichen, die auch im Nhd. den Verfall verursachten, im J . namentlich noch das Fehlen des Präteritums 1 bei; denn damit ist die zweite Hochstufe fast völlig ausgeschaltet (nur in den Präteritopräsentien blieb sie noch erhalten). Gehen wir von den mhd. Verhältnissen aus und stellen ihnen die nhd. und j. 2 gegenüber, so erhalten wir das folgende Bild.

1

Nur im Swj. halten sich noch einige Relikte. Nach der og. Ma.; der Zustand in den übrigen Maa. läßt sich m i t Hilfe der Darstellung der Hauptsilbenvokale herstellen. 2

258

«

I. Ablautreihe. % ei a

mhd nhd. j·

ei (e) i, ie

i i, ie

ι i, ie

A

%

Z.B. bäsn (beißen) - gtbisn, mädn (meiden) - gimitn. Der Ablaut a-i zeigt sich regelmäßig in allen erhaltenen Verben der I AR. (i als Entsprechung des nhd. ie kommt nicht vor); eine Ausnahme ist strdxp (streichen) - gistroxp, das das Partizip bereits nach der II-IV. AR. bildet. Die Stufe des Sing. Prät. ist nur noch im Präteritopräsens wais erhalten; sie steht aber durch Analogie auch im Plur.: waisn - ai (wj. o) regelrecht für mhd. ei. II. Ablautreihe. mhd. nhd. j.

ie, iu ie ί

ou, 6 ο =

u ο=

ο ο (= ο + ο) ο, oi

Z.B. kri°xy (kriechen) - gikroxp, tsim (ziehen) - gttsoigr). Die Partizipialstufe ist im J. ο oder oi, dem nhd. ο oder 6 entsprechend (wenn auch nicht ganz genau). Die zweite Hochstufe ist im J. nur noch durch das Präteritopräsens toik (tauge) bezeugt, wobei der Plural wieder nach dem Sing, ausgeglichen ist - toigp (noj. teigp). III. Ablautreihe. mhd. nhd. j.

i, e i, e i,e,a{ ü ( > Μ vor Labialen und Gutturalen nur im Osten, im Westen ü - s . S . 187) konnte sich vor einfacher Konsonanz wie dt.-j. noch halten, nicht aber vor Doppelkonsonanz. 3 Hier hat das folgende ü die Überführimg zum urj. ό" besonders erleichtert. Der Name kommt j. nur in dieser Form vor und hat sogar die falsche S c h r e i b u n g mit O h o l e m (so'el) bekommen (ebenso die anderen. Fälle). 4 Das Abstraktum oisn (eöser, Reichtum) mag im Unterbewußtsein die Lautentwicklung gefördert haben, kann aber (angesichts der Parallelfälle) nicht als Grundlage einfacher Verwechslung angesehen werden. 2

272

und ergab sekundäres ά (wie a β): mitsanf (< *m9sarref, mdsäref, zufügend), mifanS (nid fares, kommentierend), miw&DT (mdbhä'er1, erklärend), mijäi§ (mdjä'es, verzweifelnd), parsi (päräsä, Abschnitt). In allen Fällen dieser Art galt also der h. Vokal dem j. Sprachbewußtsein fälschlich als Patach; die im H. selbst bei a n d e r e n Laryngalen unterbleibende Ersatzdehnung mag auch ihrerseits dazu beigetragen haben, obgleich im J. die Analogie zwischen r und Laryngalen nicht größer war als bei anderen Konsonanten. (d)Segol bzw. Chatef S e g o l , ungedehnt, in geschlossener bzw. Schwa-Silbe ergab α

- urj. e (S. 194f.) — og. e: efsv ('efsär, vielleicht), xezbm (hesbon,

Rechnung), xewrt (hebhrä, Gesellschaft); emis ('gmeth, Wahrheit), eltl (der Monat 'dlül); β

> og. α (Velarumlaut): xarpi (herpd, Schande);

y_ > og.

durch sekundäre Dehnung, vor Laryngal, besonders h 2 :

gingrikt (ge+nehragh,

erschlagen).

Bei Dehnung in offener Silbe erscheint Segol meist als og. ei: teiwi (Ιφ1ιαε, Natur), reig% (r$ghae, Moment), leixirn (Iqhem Brot), heigt (h^ghq,, Laut), der Vokal seigl'; aber auch als ε

- urj. e l (S. 193,197 - wie mhd. e, obgleich Segol im H. hell war) > og. ai: maÜOX (triplex, König), kaiwv (qqbher, Grab), xaidn („Cheder"-Schule), (sadd^qeth,

saikv nebst jüngerem seikv (s^qer, Lüge), tsidaikts gerechte Frau).

(e) Chatef Segol ist nie gedehnt worden, kommt auch im J. außer den (d α) erwähnten Fällen betont nicht vor. Wohl aber hat das h. S c h w a m o b i l e , das meist wie a klang, bei (sehr häufiger) Gefühlsbetonung oder sonstiger Hervorhebung sehr früh Dehnung erfahren, ist also bis urj. έι (wie d ε) gelangt, so schon im Namen des Vokals Saiwü, neben jüngerem (?) swü, nachdem dt.-j. Betonung 1 Man darf hier das h.-j. ä nicht als Portsetzung des h. ä (also Kamez) ansehen, da sonst die Labialisierung zu urj. ρ in offener Silbe nicht zu vermeiden gewesen wäre; der Vokaleinsatz war beim Kamez kein Hindernis. 2 Die dt.-j. Parallele ist Isen (S. 197); das H. bietet keine ausreichende Erklärung.

273

(gegen das Η.) huä > send erwirkt hatte; ebenso in dem häufigen wai (u9-, und), z.B. waivdv1

(zweiter Monat vdär).

(f) Zere in offener, hie und da auch in einfach geschlossener Silbe α - urj. el > og. ai: saifv (sefer, Buch), xaisik (heseq, Lust), aiwn ('ebhär Glied), gzairi (g9zerä Verhängnis), pains [perus, Kommentar), pains

(perdth, Früchte), maiwm (mebhin, Sachverständiger); die Buchstaben bais, rais2; der Vokal t s a i r i 3 (genau wie mhd. e, S. 193);

aber in geschlossener Silbe meist regelrecht gekürzt zu β - u r j . e — og. e: sem (Sim, Name), nes (nis, Wunder), mes (meth,

Leiche), xet ( M t , Sünde), bezn (beth-din, Gerichtshof), kl'ezmv (kalei-zqmer, Musikanten); dadurch ist besonders bei einsilbigen Substantiven leicht das Gefühl eines Sing.-Pl.-Wechsels von e-ai (sem-saimts, mes-maistm) entstanden; γ

> og. α (Velarumlaut trotz h. Vokallänge): maxmis wegen);

(mihvmath,

og. §, durch sekundäre Dehnung vor h (s. d γ ) : ggnim (gei-hinnom, Hölle) - nach Synkope des enttonten i wurde wohl h. ei > e vor der schweren Konsonanz hnn. (g) Chirek ohne J o d bleibt in geschlossener Silbe auch a_ - urj. i (S. 211f.) — og. i: tfili ( t d f i l l ä , Gebet), sidv (siddur, Gebetbuch), minik (minhägh, Brauch), midbv (midbär, Wüste); β > og. i: gitn (Talmudtraktat gittin - plene geschrieben!); γ > og. e ( a ) , durch Velarumlaut: berji ( b i r j ä , etwa „Kerl"), kerwts (*kirbhüth, Verwandtschaft), rnexji (mihjä, Unterhalt), mexsl (mixsöl, Hindernis), terxi ( t i r h ä , Mühe), tents ( * t i r r u s i , Ausδ

>

1 Dabei ist auch der im H. erforderliche Übergang des Schwa zu Patach vollkommen außer Acht gelassen. 2 Daß diese beiden, im Gegensatz zu den Buchstaben xes, tes, urj. έί behalten haben, möchte ich auf das vokalisierte Vorkommen von lautgleichen Appellativen im sakralen Hebr. zurückführen; da xes, tes vokalisierter Analogie entbehrten, konnten sie auch als mit Segol tradiert empfunden werden. 3

Die ukr.-j. Velarisierung ei >

ξ , e vor r , z.B. ts$ri, gz$n,

xvwqrim

(Freunde) ist nach dem Dt.-j. (s. S. 200) zu erklären, nach dem H. nicht (ähnlich der Velarumlaut). 4 So ohne Ersatzdehnung, auch wenn h. unrichtig, anzusetzen, wie im J . allgemein. Wenn gelegentlich auch ersatzgedehnte Formen vorkommen, z.B. pairis (f α), so sind sie nicht frei, sondern nach normierter sakraler Aussprache (s. S. 298ff.), dem H. entlehnt.

274

rede), marjtm1 (Mirjam); auch mit Fernwirkung vor r-Gruppe (die es dt.-j. nicht gab): medns (midräs, Schriftdeutung), sedPri (sidrä, Wochenabschnitt); in offener Silbe δ - urj.

(S. 213) = og. i: MO (sieur, Maß), jixis (jihus, Adel), bin Kommentar), jus (*ji'üs, Verzweiflung), mis (*mi'üs, häßlich, eig. ,,die Häßlichkeit selbst"); ebenso vor gemildertem j (d.h. i j j > i): kitm (qijjüm, Existenz), iv (der Monat ' i j j ä r ) . iz

(*bi'ür,

(h)Chirek mit J o d , h. immer langer Vokal « - urj. i = og. i, im allgemeinen in offener Silbe: sin (sirä, das Lied Exodus 15), mixih ( m d h i l ä , Vergebung), xsidim (hvsidim, Fromme), mgidim (nvgidim, Reiche); in geschlossener Silbe nur: gwiv (gzbhir, Millionär), min (Art) 3 ; β > og. i vor g (S. 213): xngigi (Talmudtraktat hvgigd); γ - urj. i = og. i, durch Verkürzung in geschlossener Silbe: din (din, Recht), bris (bdrith, Beschneidungsfeier), jirit (jdridh, Jahrmarkt), jidit (jädhidh, Freund); doch auch gelegentlich in offener Silbe, namentlich vor ni: sxini (sdxinä, Gottesherrlichkeit), hints (qindth, Klagelieder), tsitsis5 (sisijjdth, Schaufäden); ebenso bei Formenausgleich des PI. nach dem Sing.: jirit — jiridim, git (gidh, Sehne) - gidim (gegenüber sonstigem Verhältnis von i-i oder gar bei Tonlosigkeit ι-ί: d i n - d i n t m , nugit-nigidim). δ Keine direkte Entwicklung hegt vor, wenn in Pluralformen eine abwegige Wiederaufhöhung eines enttonten Chirek stattfindet: rabbi > rebd (rebi) - PI. ribaitm, taeimith (Fasttag) > tänds (tänxs) PI. tOnaistm u. a. m., also i > a > e > ai. Für das Sing.-Pl.-Ver1

I m Westen ist α häufiger (S. 2 1 2 ) : barjf>, maxsl, tants u. a. m.

Im H. scheinen es keine offenen Silben in unserem Sinne gewesen zu sein; sonst wäre Dehnung i > e eingetreten. Die Dehnung hat also nach, dt.-j. Gepflogenheit stattgefunden. 3 Ersteres hat es wahrscheinlich der vokalischen Aussprache des R zu verdanken, die die vorangehende Silbe ,öffnete", letzteres vielleicht dem Wunsch zur Unterscheidung von min (von). Im übrigen hört man bei schwächerer Betonung auch kurzes i, min, und im ukr. J . gwer, dessen Velarumlaut ebenfalls auf kurzes i zurückführt. 4 Auffallenderweise — läßt sich aber nicht bestreiten; denn Kürzung vor η kommt auch bei anderen Längen vor (S. 271, 277) und läßt sich sogar als Tendenz in der sakralen Aussprache festhalten. 5 Der Binnenkonsonant hat, durch Synkope des folgenden i mit dem jj verbunden, das Gefühl von Konsonantenlänge aufkommen lassen. 2

275

hältnis einiger Substantiva gibt es also, neben dem h. richtigen i - i (min-minim), drei unh. Paare: i ( i ) - i , i - i , t - a i . (i) K a m e z k a t a n und C h a t e f K a m e z sind im Prinzip vom K. gadol nicht unterschieden. Im H. sind sie sowohl etymologisch als auch in der Stellung (immer in imbetonten Silben) zu erkennen; beides ist im J . hinfällig. Aber sie erscheinen nur spärlich, als o^ - urj.

(S. 217) = og. o, in geschlossener Silbe (wie be): xoxmi Weisheit), orh (eorlä, Vorhaut), xogi (*hoggä für haggä, nichtjüdisches Fest): ο

(hoxmä,

> og. Q, in offener tonbehafteter Silbe bei Laryngalen 1 : ~ auch ghhs (Talmudtraktat *'oh°ldth); β

hhglts

γ

- u r j . ρ (S. 187, 220) > og. ü (u), in sonstiger offener Silbe, wenn sie den Ton erhielt: kudisim (qodhäsim, Heiligtümer).



(j) C h o l e m , h. lang, ohne l kurz bis halblang, ist in offener Silbe a_

- urj.

6U

soixit

(sohet,

(S. 218) > og. oi: loi (lo, nein), koint (q0n%, Käufer), Schächter), moifts (mopheth, Wunder), koin (hohen, Priester), koidts (qödes, Heiligtum), minoiri2 (mdnSrä, Leuchter), der Vokal xoiltm; in geschlossener Silbe aber

- urj.

ο

— og. ο: sot (sodh, Geheimnis), os ('oth, Buchstabe), hol ~ (qol, Stimme), tshom (tdhorn, Abgrund), jom (jom, Tag), sonim (song'im3, Feinde), tomv ( t o m a r 4 , vielleicht, eig. „sagst du etwa"), xof (höbh, Schuld) neben xoif (durch Analogie zum PI. xoiwis); viele Substantive zeigen also im Sing.-Pl.-Verhältnis, gegen das H., entweder den Wechsel o-oi (sot—soidts) oder umgekehrt oi—o (moifis— mofstm); vor j - ο > g (h. 6): ggi (goj, Nichtjude), wie b ζ . β

1

Vgl. auch (a ß), (d γ). Hier ist auch auf mundartliches ei > e vor r für einen Teil des Noj. hinzuweisen (S. 218 u. 200), z . B . mineri, ten (Thora), men (morä, Furcht), was h. nicht zu rechtfertigen ist. 3 Synkope des Vokals hat n' als Doppelkonsonanz erscheinen lassen. Ähnlich, mit weitgehender Entstellung der h. Urform: motsisabis (< moeä'e-sabbath, Sabbat-Ausgang), posijtsrüil (pö§dei-jisrä'el, sündige Juden). 4 Die Silbe ist offen, h. und j., doch scheint das Κ im Schriftbild vorangehendes ö > ρ veranlaßt zu haben, was bei öfterer Satzunbetontheit ο ergab. Kürzung in offener Silbe kommt noch vor im Vornamen josif (Josef), vielleicht wie weiter unten (k δ u. S. 277, Anm. 3), vielleicht auch unter Einfluß des häufig gebrauchten Diminutivs josl (auch in manchen dt. Maa. - Sütterlin, S. 273).

276

γ Keine eigentliche Entwicklung liegt vor, wenn ein unvokalisiertes 1 (uau), das als Cholem gemeint war, als ü (Schurek) gelesen und dann so mündlich überliefert wurde: tvrimis (für taredmeth, Verdruß), tnrlwts (für taerowoth, verbotene Speisenmischungen), der Buchstabe Mf (qoph) - s. auch die Ausführungen und andere Beispiele w.u. (S. 300f.). δ Als Sonderfall sei hier die Überführung von Cholem zum Kamez erwähnt im Sing, zu mosrirn (mosarim geschrieben, Denunzianten) müsv, wie auch umgekehrt Kamez zu Cholem überführt worden ist 1 (s. b η). ( k ) S c h u r e k und K i b b u z , in der s c h r i f t l i c h e n Tradition des H. nicht deutlich genug auseinandergehalten, in der mündlichen Tradition aber jenes ü dieses u, sind im J . o h n e Rücksicht auf die Schreibung gewöhnlich lang in offener, kurz in geschlossener Silbe (nicht nach h. Maßstäben, sondern nach dt.-j. - s auch o. S. 275 Anm. 2) α - urj. ü > og. % (S. 234f.): sin (sürä, Reihe), Mh (büsä, Scham), ri°x {runh, Geist), jtsirim (jissürtm, Schmerzen), mijixis (majuhäs mit Kibbuz - vornehm), mixiif (mdhujjäbh, verpflichtet) - s. auch oben (g og. i (S. 234) - für Kibbuz: mtsigt (mdsuggäe, wahn— sinnig), gilt (gd'ullä, Erlösung), rnito (muttär, erlaubt); γ > og. i - für Schurek - 1) in geschlossener Silbe: gif (güf, Körper), psil (pdsul, ritueller Makel), vxits (M.s, außer); vgl. j ß; aber auch δ 2) in einigen offenen Silben: dmint (dmünä, Glaube) - vor n (wie h γ), trimt (tarümä, Hebe) - vor m, mitsidi (mssüdä, Burg), mtzizi (mdzüzä, Türpfostenrolle), sowie - wahrscheinlich in Analogie zu dageschierten Formen wie obiges rnitv - auch mifv (mufär, aufgehoben), mimt) (mümär, Konvertit), mitif (mutabh, besser), misv (müsär, Moral), mistf (mü,säph-Gebet);2 ε > og. o, e vor r (S. 234f.): xorwt (hurbhä - so tradiert - Ruine), tserwt (surbhä, Gelehrter), tor, ter (tür, Name eines Dezisoren), 1 Daß das Sing, aus h. korrektem mäsör, mit Kamez, hervorgegangen sei, scheint wegen des PL nicht recht wahrscheinlich. 2 Vielleicht lag hier besonderer Einfluß gewisser Konsonanten (m, n, Dentale?) vor; ähnlich h γ, j β; vgl. auch im Dt.-j. lozn (S. 187), ebenso u < uo vor Dentalen (S. 233). Die Frage verdient noch eine Sonderuntersuchung.

277

mttort, mtten (mdturräf1, irrsinnig), hermmi (hurmänä, Automation). (1) Eine der (h δ) besprochenen ähnliche Wiederauf höhung von Schwa-Lauten bei Ableitungen hat og. ι > α erzeugt, wenn man den Schwa-Laut für enttontes α hielt 2 bzw. bei Laryngal das Suffix mit α anlautend galt, z.B. xbläs (Krankheit) von xoilt (ΜΙξ), mtstgäs (Wahnsinn) von misigi (k ß). (m) Schließlich ist noch der Einfluß des dt. Palatalumlauts zu erwähnen. Er erscheint erstens in formbildender Funktion bei Plural oder Diminutiv, z.B. püntrn (pänim, Gesicht), PI. peimrrw, Dim. peintml, hol (qol, Stimme), Dim. kelnxy (die Suffixe sind ebenfalls dt.-j.) - doch diese Erscheinungsform des Umlauts beweist nichts für die l a u t l i c h e Beeinflussung des H.-j. durch das Deutsche zweitens aber - und als solcher ist er für den Charakter des h.-j. V o k a l i s m u s von Bedeutung - in seiner primären Eigenschaft als lautgeschichtlicher Vorgang: a > e vor i oder j; so h. rabbi (Rabbiner) > rebi, der Name Bathja > pesi, h. sahat (Präteritalstamm „schlachtete") + jen > j· sexin, h. mähaq („radierte") + jen > j. mehy (mit Assimilation h-\-q~>klc>k-&. auch S. 384).

2. D I E QUANTITÄTEN U N D QUALITÄTEN I M T I B E R I E N S I S C H E N VOKALI SATIONS SYSTEM Die obige Darstellung des h. Vokalsystems bedarf einer Ergänzung. Von den 3 (bzw. 4) erhaltenen Vokalisationssystemen 3 liegt dem H.-j. das tiberiensische zugrunde; mithin dürfte auch die tiberiensische Aussprache 4 der Vokale die Grundlage für den h.-j. Vokalismus gewesen sein. Es ist daher notwendig festzustellen, wieweit die heutige j. (bzw. die ihr vorausgehende urj.) Aussprache durch die tiberiensische 1

2 S. oben S. 272f. (c). Schwa = mhd. a s. o. S. 268. Gesenius § 8 ausführlich behandelt. 4 Wenn es in Deutschland auch andere Aussprachen gegeben hat, was wohl möglich ist, so kann sich daraus nur der, für unsere Annahme noch günstigere, Schluß ergeben, daß im einzigen wesentlichen und prinzipiellen Punkt (Aussprache des Kamez gadol) die Tendenz zu reinem ä anzusetzen ist. Im großen ganzen aber hat die tiberiensische (eig. palästinische) Aussprache gesiegt. 3

278

Überlieferung bestimmt ist und wie weit sie sich von derselben entfernt hat; das wird auch für die Beurteilung der Frage, unter wessen Einfluß der h.-j. Vokalismus sich gewandelt hat, von Wichtigkeit sein. Das tiberiensische System macht keinen Quantitäten-Unterschied in den Zeichen; die sieben Grundzeichen, die es kennt (Kamez, Patach, Segol, Zere, Chirek, Cholem, Kibbuz-Schurek), geben an sich nur die Qualität der 7 Vollvokale an. Die Quantitätsunterschiede, die in der Aussprache zweifellos vorhanden und von der Stellung, dem Akzent und der Herkunft abhängig waren, kamen in der Schrift nur teilweise zum Ausdruck: die matres lectionis bei den Vokalzeichen geben fast stets die Länge an; danach muß also Chirek mit Jod im allgemeinen langes, ohne Jod - kurzes i, Cholem mit Waw - langes, ohne Waw - kurzes o, Schurek - langes, Kibbuz kurzes u bezeichnen 1 . Tatsächlich war aber auch das Kamez in den allermeisten Fällen lang, Patach fast stets kurz (vgl. Gesenius 59f.). Demgegenüber ist die Qualität der Vokale eindeutig bestimmt: Kamez (sowohl < α als auch < u) = g, Patach = a, Segol = ζ, Zere - e, Chirek = i, Cholem - - o, Kibbuz-Schurek — u (vgl. Gesenius 58f.). Wichtig ist der Zusammenfall beider Kamez-Laute zu g, der für das tiberiensisch-palästinische Laut-System charakteristisch ist - gegenüber der Erhaltung des Kamez gadol als ä oder als α in anderen Aussprachen. Nehmen wir nun das tib. System als Grundlage für den h.-j. Vokalismus an, berücksichtigen aber zugleich auch die Möglichkeit anderer Einflüsse, so dürfen wir als Grundlage für die h.-j. Lautentwicklung die S. 267f. gegebene Aufstellung der h. Vokale nach ihrem Lautwert folgendermaßen näher bestimmen: Patach = a - kurz auch in offener Silbe (z.B. baeal-habbajith = Hausherr). Kamez gadol = ρ bzw. ά, a - lang auch in geschlossener Silbe (z.B. jadh = Hand, kethabh — Schrift, bzw. bgrdxü = „Preiset" - h. offene, j. geschlossene Silbe). Segol - 1. = g - kurz (ohne mater lectionis) auch in o f f e n e r Silbe (z.B. m^lekh = König). 1

Der Mangel einer konsequenten Durchführung dieser Regeln erschwert freilich die Übersicht; besonders ist dies beim Cholem und Kibb.-Sch. der Fall, doch t u t es der folgenden Darstellung keinen Abbruch, wenn wir diese Ungenauigkeiten beiseite lassen.

279

2. — ξ, durch mater lectionis gedehnt, kommt nur in Endsilben vor (z.B. ρέ = Mund). Zere - 1. = e - in einem großen Teil der im H.-j. vorkommenden Fälle, auch in g e s c h l o s s e n e r Silbe (z.B. meth = Leichnam, ger = Fremdling). 2. — e- namentlich in den, für das H.-j. in Frage kommenden Segolatformen, also gerade in o f f e n e r Silbe (sepher = Buch). Chirek (ohne Jod) = i - kurz, nur in geschlossener Silbe möglich (auch wenn j. als offen empfunden - S. 275 g (5). Chirek (mit Jod) = % - in offener wie geschlossener Silbe (z.B. qdrieQ = Riß; din = Recht).

Cholem (ohne Waw) = o - auch in offener Silbe (z.B. qodes = Heiligtum) - vgl. Gesenius 60; durch Betonung halblang. Cholem (mit Waw) = 6 - auch in geschlossener Silbe (z.B. jorn — Tag). Kamez Katan = ο (fast wie Cholem ohne Waw mit dem es etymologisch eng zusammenhängt) - kurz auch in offener Silbe (z.B. qodhqsim = Heiligtümer). Kibbuz-Schurek = 1) u - in unbetonter geschlossener Silbe, 2) u - in offener oder (betont) geschlossener Silbe (z.B. '9τηύηά — Glaube, güf — Körper).

3. D E R H E B R Ä I S C H - D E U T S C H E PARALLELISMUS IM J I D D I S C H E N . a) Deutscher

oder hebräischer

des jiddischen

Lautwandels

Charakter ?

Daß der j. Lautwandel sämtliche Vokale, h. wie dt. (und ebenso rom. oder slav.), in gleicher Weise erfaßt und gestaltet hat, ist ganz offenkundig. Nur in der Frage nach dem Ursprung und Charakter dieses Lautwandels, ob er vom H. oder vom Dt. ausgegangen ist, herrscht noch Unklarheit. Zur Beantwortung der Frage ist vor allem ins Auge zu fassen, daß die äußerst radikale Veränderung gerade der h. Vokale sich in erster Reihe als Funktion der Tonverschiebung kundgibt und daß diese ausgesprochen dt. Prägung aufweist (S. 265ff.). Wie wir an den einzelnen Beispielen sahen, ist nicht nur 280

im allgemeinen die h. Betonungsweise aufgegeben worden (s. auch S. 270ff.), sondern auch, im besonderen, in Folge d e s s e n sind die meisten h. Vollvokale, selbst Längen und Diphthonge, zu Murmelvokalen herabgesunken oder vollständig geschwunden 1 , während andererseits Schwalaute betont und bis zu Längen und Diphthongen erhoben wurden, h. Sprachgesetzen und Sprachgefühl völlig zuwider. Ferner hat sich gezeigt, daß sich die Vokale ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung in der h. Schrift von den im Sprachmund entstandenen Lautvorlagen aus frei entwickelt haben. Die überlieferte Aussprache der h. Vokalzeichen war nur insofern bestimmend, als sich dadurch die jeweilige Lautvorlage ergab; aber damit hörte ihre Aktivität auf — L a u t k r ä f t e konnten nur der lebenden Sprache entstammen. Damit ist die Frage im allgemeinen beantwortet. Im besonderen sollen hier noch einmal die wesentlichsten Erscheinungen zusammengefaßt werden. 1. H. kurze Vokale o f f e n e r Silben (Patach, Segol, Zere, Chirek, Kamez katan, Kibbuz) sind im J. vielfach gedehnt worden, ohne jeden Anlaß im Hebr., wohl aber den nhd. Dehungsregeln entsprechend, wonach die Laute auch qualitativ zuweilen sich völlig vom Zeichen entfernten. Von den zuletzt aufgeführten Beispielen sehen wir z.B. in h. baeal-habbajith > (og.) j. bvlvbüs das vierte Patach gedehnt, wonach es aufgehört hat wie Patach zu lauten und sich mit dem Kamez gadol entwickelte, wogegen drei vorangehende Patache und das darauffolgende Chirek zu Schwalauten wurden oder geschwunden sind; in h. qodhQsim > kudihm sehen wir Dehnung der offenen „Wurzelsilbe", die das Kamez katan zum Kamez gadol überführte, dem zulieb aber die beiden langen Vokale zu Schwalauten werden mußten. Diese Verschiebung der Quantitäten 2 (und als Folge auch der Qualitäten), die bei den einzelnen Vokalen zur Genüge belegt ist, läßt sich nur 1 Wenn aber im H. dies völlig ungewöhnlich ist, im Dt. ist dies ein deutliches Kennzeichen des Übergangs vom Ahd. zum Mhd. (Paul-Gierach § 58). Der h.-j. Vorgang muß nicht unbedingt, oder nicht in vollem Umfang, auf dieselbe Zeit, aber auf dieselbe Tendenz zurückgehen. 2 Der Dehnungsprozeß ist nicht restlos durchgeführt; man findet, genau wie im dt.-j. Bestandteil, auch Erhaltung der Kürze, evtl. mit sekundärer Dehnung, und zwar (wie dort) ohne bestimmte Regeln; auch hier hat der Ausgleich gewaltet. Analoges gilt für die Kürzung der Längen.

281

durch ein gewaltiges Eingreifen unhebräischer Lautkräfte erklären. S. oben a (β-δ ζ), d ( g^r, din > din, jdm > jom, güf > gif. Nhd. Kürzung mhd. Längen ist zwar vor einfacher Konsonanz nicht notwendig (lange Vokale vor Doppelkonsonant kennt das H. nicht), aber deren Vorkommen allein genügt, um das zu rechtfertigen, was im H. unberechtigt ist, denn dort waren es z.T. alte historische, sämtlich aber durch die Betonung der geschlossenen Silben geradezu geforderte Längen. Die Neigung dt. Maa. aber zu Kürzen läßt auch die Neigung des J., lästig gewordene Längen zu beseitigen, als gut verständlich erscheinen. S. noch b (β γ ε), c, f ß, h (βγ), j ß, k (γ δ ε). 3. Die Murmelvokale, die im H. nie tonstarke Silben bilden konnten, haben häufig Hauptton angenommen (s. S. 266, 269f.) und sind zu kurzen oder gar langen Vollvokalen geworden, wobei h. Vollvokale, sogar lange, zum Opfer fielen. Diese Entstellung h. Sprachformen ist nur denkbar, wenn man sich die Worte im Munde des Volkes als neutrales seinem Ursprung entfremdetes Sprachgut denkt. Das Volk sprach ein deutsches Idiom, und die entstellende Akzentverschiebung und Silbenschleifung sind deutsch-sprachlicher Natur. Oben a ( urj. g > mj. u. Wir nahmen an, daß die tib. Massora dem H.-j. das K. g. als ρ überlieferte. Doch reicht diese Annahme nicht zur Erklärung der im Munde des Volkes lebenden Treibkraft zu weiterer Trübung. Außerdem fällt sogleich auf, daß das K. g. auch ά geblieben und zu α gekürzt worden ist, was nur aus d, bestenfalls aus α hätte entstehen können. Auffallend ist ferner, daß das Patach, das in der tib. Überlieferung zweifellos ein klares α gewesen ist (Gesenius 48), und ebenso das Chatef Patach und Schwa in Dehnungsfällen, dem K. g. gleich, getrübt wurden und bis zum Endergebnis ΰ führten(!) - s. oben a (γ δ ζ), b (α-γ). Wir müssen daher voraussetzen, daß das K. g. nicht nur in der Aussprache der Juden Deutschlands zumindest dem α sehr nahe kam, sondern auch dem Sprachbewußtsein als deutliches ä galt; daß ferner dieser α-Laut im Bewußtsein des Jiddisch-Sprechenden an das Schriftzeichen des K. g. überhaupt nicht gebunden war; daß also die treibende Kraft zur fort282

währenden Trübung in der Aussprache des ά nicht vom K. g. hat ausgehen können, d. h. daß auch h. α-Laute nicht haben getrübt werden können, wenn nicht ein außerhebräisches Gesetz auf sie wirksam gewesen wäre, ein Gesetz, das - wie auch die Einbeziehung der Kürzen und Überkürzen zeigt - auf die h. Gestalt und Herkunft der Laute keinerlei Rücksicht nahm. Kurz, es kann nur das aus den deutschen Mundarten bekannte Trübungsgesetz 1 gewesen sein, das die Juden auf das gesamte J. ausgedehnt haben. Das K. g. mag also schon vom H. aus für die Trübung disponiert gewesen sein, aber entscheidend war die Einwirkung des Deutschen; denn sie wäre auch ohne die Disposition eingetreten, wie dies ja beim Patach auch geschah. 5. Ahnlich ist es beim Zere, das als Länge im Endergebnis mit mhd. e zusammengefallen ist, wie das K. g. mit dem mhd. ä, wobei auch ursprüngliche Kürze nach spätmhd. Dehnung der alten Länge gefolgt ist. Der Zusammenfall mit den mhd. g e s c h l o s s e n e n e-Lauten ( > urj. e4) ist als Selbstverständlichkeit zu betrachten, da auch das Zere ein geschlossener Laut war. Merkwürdigerweise ist aber in vielen Fällen auch das offene Segol zu ihnen übergetreten (vgl. h. Segol > j. ai oben de), eine Erscheinung, die wir vom H. aus nicht erklären können, um so weniger, als wir in ihm nicht die geringste Berechtigung für diese willkürliche Spaltung des einheitlichen Segol finden. Auch darin muß also die dt. Lautentwicklung auf die h. Vokale übergegriffen haben. Den Übergang offener e-Laute in geschlossene hat es im Deutschen ja gegeben ; man denke nur an die Entwicklung des Umlauts-e, das den Weg vom α bis zur geschlossenen Qualität des e nur allmählich über ζ durchgemacht haben kann. In vielen Fällen hat sich das Segol diesem Weg angeschlossen. Und hier gewinnt auch die Spaltung des Segol einen Sinn: höchstwahrscheinlich sind diese Wörter, in denen der Übergang noch stattgefunden hat, zu einer Zeit, als (in der Mundart der Juden) Umlauts-e noch nicht geschlossen war, die anderen erst später aufgenommen worden. 6. Die j. Entsprechungen des langen bzw. im J. gedehnten Cholem (wj. 011, au, mj. oi, noj. ei), unter denen wir auch solche finden, die von Haus aus nichts mit Cholem zu tun hatten, z.B. die entgleisten Kamezlaute (oben b η), sowie das gemein-j. ο für ge1

Vgl. oben S. 189 f. 283

kürztes Cholem (j ß), wenn es nach h. Regeln hätte lang bleiben müssen, weisen ebenfalls völlige Übereinstimmung mit denen von mhd. ο - ou auf und lassen sich wieder nur dadurch erklären, daß der gesprochene Laut, den wir auf urj. Stufe als 6U bezeichneten, von dem in der lebendigen Sprache waltenden Trieb, ohne Rücksicht auf das überlieferte Schriftzeichen, in seiner Entwicklung bestimmt wurde. Ob der Laut dt. oder h. Herkunft war, er galt den Juden ganz unbewußt als j., und was vom dt.-j. 6U abgehandelt ist, gilt eben auch hier. Für Schurek-Kibbuz gilt dasselbe. 7. Dem Velarumlaut der kurzen Vokale (Segol > a, Chirek > e, a, Kibbuz > ο bzw. über i > e) ließen sich zwar Parallelen aus dem H. zur Seite stellen. Aber es sind nicht dieselben Konsonanten, die ihn verursachen. Im J. sind es die Velare r, x, die im H. gerade kaum umlautend wirken, und von den h. Laryngalen ist es im J. nur das h, das mit χ zusammengefallen ist. Ferner kennt das H. die Velarisierung langer Vokale (Zere, /y) überhaupt nicht; ebensowenig läßt sich die Aufhellung (des dunkeln Zere) vor h im H. nachweisen. 8. Dem H. völlig fremd ist der ausgesprochen dt. Palatal-Umlaut, den wir auch im H.-j. angetroffen haben (S. 278). Der deutsch-mundartliche Ursprung des Lautwandels im J. scheint mir zur Genüge erwiesen. Selbst wenn die j. Endergebnisse in den dt. Maa. nicht immer in vollem Umfang zu belegen sind, wie z.B. oi < ou, Μ < o, kann das an der Erkenntnis nichts ändern; worauf es ankommt, ist die Glaubwürdigkeit des Werdegangs und der Kausalzusammenhänge. Von räumlich und zeitlich getrennten, Jahrhunderte langen, Entwicklungsprozessen, wie beim J. und den dt. Maa. ist an sich kaum völlige Gleichheit der Endergebnisse zu erwarten, und wenn wir sie dennoch in den allermeisten Fällen in relativ weitem Umfange vorgefunden haben, so kann dies nur als zusätzlicher Faktor für die Glaubwürdigkeit, nicht etwa als Grund für das Gegenteil verwandt werden. Dagegen sind die vielen, im einzelnen beigebrachten, positiven Merkmale (im dt.-j. Teil) und negativen Hinweise (im h.-j. Teil) als ausschlaggebende Argumente für den dt. Charakter des einen, beide Teile umfgreifenden, Lautwandels anzusehen, neben folgenden grundsätzlichen und grundlegenden, immer wieder und nicht genug zu betonenden Feststellun284

gen: Der h. Teil des J. ist tradiertes schriftliches Sprachgut, dessen Lautung eben durch Schrift und Überlieferung naturgemäß vor Veränderung bewahrt wird. Wenn trotzdem Veränderung eingetreten ist, so kann sie nur durch die im Sprechen unmerklich vollzogenen Verschiebungen allmählich und den Sprechern selbst unbewußt in die konstante Überlieferung mit hineingetragen worden sein 1 , und das Sprechen war ja dasjenige Dt., das im Munde der Juden lebte. Dies ist Lautentwicklung. Auf anderem Wege geschieht gewaltsame Veränderung nur durch Mischung verschiedener Gruppen und Aussprachen. Das J. weist sämtliche Merkmale der allmählichen Entwicklungen auf; nur selten und in zweitrangigen Erscheinungen kann von einer Mischung von Sprechgewohnheiten i n n e r h a l b der j. Maa. die Rede sein. Den j. Vokalismus als Produkt einer Mischung von verschieden tradierten Aussprachen, etwa der aus Deutschland und aus dem Orient stammenden Juden, in slavischen Ländern vollzogen, anzusehen, ist eine gründliche Verkennung der Tatsachen, wobei die es tun, es nicht einmal für nötig halten, nach den Ursachen jener Traditionsunterschiede selbst zu fragen; diese Frage würde uns nämlich wieder zu denselben grundsätzlichen Überlegungen zurückführen. β) Die Mieses'sehe Theorie M. Mieses2 hat diesen Weg eingeschlagen. Vor ihm hat Birnbaum die These vom h. Ursprung des j. Lautwandels nur allgemein ausgesprochen: ,,Da für diese Entwicklung keine äußern Einflüsse in Betracht kommen - die Aussprache des Hebr.-Axam. fand ja von 1

Dies ist der Fall bei sämtlichen nicht-lebenden, schriftlich überlieferten Sprachen. Die überlieferte Aussprache des Lateinischen ist seit dem Mittelalter in allen Ländern verschieden artikuliert worden, nach den jeweiligen Sprechgewohnheiten. Sind einzelne Wörter davon in die verschiedenen Landessprachen aufgenommen worden (wie dies ja auch beim H.-j. der Fall war), so ist deren überlieferte Aussprache nur Grundlage gewesen für die jeweilige Lautentwicklung in der Landessprache. Schließlich geschieht dasselbe auch bei Entlehnung aus lebenden Sprachen. Ins Deutsche aufgenommene engl. Wörter werden nach dt. Sprechgewohnheiten artikuliert, wenn auch die engl. Aussprache mit überliefert ist; bleiben sie dauerhaftes Lehngut, werden sie sich mit der lebenden (dt.) Sprache lautlich weiter entwickeln — mit ihrer Aufnahme haben sie aufgehört selbst lebendiges (engl.) Sprachgut zu sein. 2 Die Jiddische Sprache, Berlin-Wien 1924.

285

Generation zu Generation ihre traditionelle Fortsetzung - so ist sie als direktes hebr.-aram. Erbgut anzusehen, das bei der Entstehung des J. mitkam" (HAE 17). Diese ohne Einzeluntersuchung der lautlichen Vorgänge aufgestellte Behauptung zerschellt schon an dem oben (S. 278) nachgewiesenen Erscheinen des dt. Umlauts an h. Wörtern im J. und an vielem anderen. Sie "widerspricht sich auch in sich. Da B. von „Entwicklung" spricht, auch erkennt, daß die h. Laute in dieser Entwicklung den dt. zur Seite stehen und daß sie das Ergebnis einer allmählichen, relativ spät beendeten Entwicklung sind (Germanisch-Romanische Monatshefte 11,153 f) - wie sollte man dann die Veränderungen als h. „Erbgut" ansehen, das sich von Generation zu Generation traditionell fortsetzt ?! Mieses ist der erste, der es versucht hat, diese Theorie im einzelnen auszuführen. Mit anerkennenswerter Belesenheit häuft er Material in ungewöhnlichem Maße, doch ohne kritische Prüfung und ohne wissenschafliches Erfassen der einfachsten sprachlichen Vorgänge. Beweise und Gegenbeweise werden systemlos herbeigeholt; hypothetische Fragen werden gestellt und ohne ausreichende Begründung verneint, um von entgegengesetzten Hypothesen abgelöst zu werden. Schreibung und Aussprache werden zu leicht identifiziert und Schriftzeichen sind oft mißverstanden. Daß Lautwandel in sich einen Werdegang darstellt, ist gründlich verkannt; bei Vokalveränderungen werden Anfang- und Endstufen, nach der einen oder anderen Richtung hin, mechanisch einander gegenübergestellt. Geographisch und historisch weit auseinanderliegende Erscheinungen werden ohne Skrupel zusammengebracht, wenn nur äußere Ähnlichkeit dazu einlädt; nach Kausalzusammenhängen wird nicht gefragt. Eindeutig ist die, Mieses mit Birnbaum gemeinsame, Tendenz, den j. Lautwandel als h. zu erklären, wohl um nicht die h. Laute als Ergebnis profanen dt. Einflusses ansehen zu müssen, wobei doch völlig verkannt wird, daß damit viel mehr die Überlieferungstreue der h. Laute in Frage gestellt wird. Unverständlich ist dabei, wozu M. den großen Aufwand macht, in dt. Maa. Parallelen zu suchen, und geradezu befremdend mutet es an, wenn er hie und da zur Erklärung des h. Charakters des Lautwandels Vorgänge dt. Maa. einschalten muß, die er doch sonst als Ursache ablehnt. Ich wähle hier als Beispiel seine Behandlung der o-Laute. Zunächst belegt M. (S. 41 f.) die Diphthongierung 6 > o u einerseits und ο > ö 286

> ou andererseits reichlich aus dt. Maa., verwirft aber die „naheliegende" Vermutung dt. Einflusses sofort, unter Berufung auf s c h r i f t l i c h e Zeugen. Die A u s s p r a c h e ou für ο sei erst aus dem 17.Jahrhundert und „äußerst selten nachweisbar"; im 16.Jh. schrieb noch Levita (in seinem Wörterbuch „Hatischbi") in den Wörtern doch, ort, tropfen „ohne Unterschied kurzes und langes ο mit Cholam", während er au mit Waw und Jod wiedergibt. „Im Munde der Juden in Deutschland" wurde ο > ou nur „langsam im Laufe des 17. Jh." und zwar „anfangs so unbedeutend, daß auch Wagenseil 1699 (!) noch nichts davon weiß" (43). Da nun „mundartlicher christlicher Einfluß" im 17.-18.Jh. „unmöglich" anzunehmen ist, muß man „die Ursachen der Diphthongierung des ο bei den Juden selber suchen" (44). Und siehe da, der Diphthong erscheint als Wiedergabe des Cholem im Dt. von Nichtjuden schon im 16.-17. Jh. - Schaute, Schaujet - also dt. Juden sprachen den Diphthong in h. Entlehnungen „viel früher als bei dt. Worten", wo er also „als eine Übertragung einer phonetischen Eigentümlichkeit der Aussprache des H. anzusehen" ist (45). Käme er aus den dt. Maa., so müßte er auch für kurzes ο eingetreten sein (warum dies, ist unbegreiflich), Er läßt sich also nur erklären als „alte Tradition" aus dem Orient, wie z.B. bei „Juden Nordpersiens und Babyloniens", im Gegensatz zu den „Westjuden" Spaniens, Frankreichs, Italiens (45). Als in Deutschland ein Teil der Juden Cholem als ou, ein Teil als ο aussprachen, ward die Brücke auch zur Übertragung des ou auf dt. 6 gegeben (46). Nach einem langen, nichtssagenden Exkurs über Transkriptionen von griech. o-au im Talmud, in Arabien und Äthiopien, von Cholem in der Septuaginta, bei Origenes, Hieronymos, Epiphanios, über au > ο (also in umgekehrter Richtung) im Französischen, Deutschen usw. - vermutet M. schließlich noch eine andere, „näherliegende" Möglichkeit für die Entstehimg des ou für hebr. Cholem ... in der spätmhd. Diphthongierung u > ou, au, da „die Juden Steiermarks und Niederösterreichs im 14. und 15. Jh." Cholem — u aussprachen (was absolut unbewiesen ist, trotz S. 40); „dieser Parallelismus u > ou und Cholem > ou würde ... erklären . . . , warum mit Cholam-OM das lange dt. ο bei den Juden nicht Schritt hielt" (48). Dann will M. dt.-j. ο > ou im 17.-18. Jh. aus dem „Gegensatz" von ο und ou für Cholem also durch Mischung, erklären (48). Zur Erklärung von oj. oi und ei verfahrt M. ähnlich, wenn auch kürzer, vom Überblick über dt. Maa. zur Entscheidung, 287

daß ci nur sekundär aus ei entstanden sein könne 1 , was „an das Verhältnis des griech. Oidypos zum späteren Oedypos in umgekehrter Richtung erinnert" (49), und daß ei nur auf die Aussprache des Cholem in Kaukasien und Daghestan zurückgehen könne, von den „aus dem Orient über den Kaukasus nach dem slav. Mitteleuropa eingewanderten Juden" mitgebracht (50). Das Verblüffendste in dieser Abhandlung ist wohl die Zurückweisung der Erklärung von j. δ > ou aus den dt. Maa., mit der Begründung, daß dt. δ und h. Cholem im J . zuerst nicht parallel Hefen (nicht Schritt hielten), obgleich die Parallelität von o-o und Cholem, von Anfang an, eine eklatante historische Tatsache ist (und von M. selbst an anderer Stelle angeführt wird), zunächst zugunsten der Erklärung δ — ou aus dem Orient, dann aber sogar, um dennoch aus den dt. Maa. (!) das „näherhegende" u> ou herbeizuholen, obgleich es eine Parallelität von mhd ü und Cholem n i e m a l s gegeben hat; dabei ist noch zu bedenken, daß das für die Juden südbair. Gegenden im 14. und 15. Jh. behauptete, nicht bewiesene, u (für Cholem) mit dem mhd. u diphthongiert sein soll, obgleich im Bair. diese Diphthongierung schon im 13. J h . stattgefunden hat 2 , sodaß im 15. J h . keine Berührung zwischen den beiden Lauten mehr möglich war. Da die Annahme dt. Einflusses unbeliebt ist, müssen verschiedene Aussprachen des Orients für alles herhalten, aber nur der Verzicht auf die Frage nach dem Ursprung dieser Aussprachen (der freilich ebenfalls in den profanen Alltagssprachen der dortigen Juden allein 1

M. versucht diese vage Konstruktion auf 4 Beispiele aus dem j. oi-Gebiet zu stützen, die absolutes Mißverstehen oder Nichtverstehen beweisen. Mj. joizl (christliches Heiligenbild) geht nicht, wie er meint, auf Jesus zurück, sondern auf das ursprünglichere Josua. Das Verb koihn (so im Mj. — nicht koiln) für schlachten hat nichts mit einem von M. konstruierten nicht belegten dt. kehlen zu tun - dann dürfte es wirklich keinen Schwalaut haben — sondern ist, wie auch der Schwalaut beweist, von der slav. Wurzel kola- (s. Miklosich 123 a , Berneker I 551 f.) abzuleiten. E s gibt also keinen einzigen Beweis für oi < ei im J. Die 2 anderen Beispiele ter (halachisches Werk) und hermint (Autorisation), angebliche Beweise für ei < Cholem im oi-Gebiet, haben und hatten kein ei, sondern e, das als Velarumlaut von i < u vor r aufzufassen ist, denn im Hebr. liegt ihnen ein u zugrunde, keinesfalls ein Cholem (s. auch o. S. 277f.). 2 Paul-Gierach § 110.

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zu suchen ist) läßt dieselben als weniger profan, als rein hebräisch erscheinen. Dabei genügt es M. vollkommen, einfach willkürlich anzunehmen, daß die in Frage kommenden Juden über K a u k a s i e n nach Polen gekommen seien, um die kaukasische Aussprache des Cholem für die gesamte Entwicklung des langen ο im Oj. verantwortlich zu machen; diese Juden aus dem Orient müssen also beim Zusammenstoßen mit den dt. Juden in den slav. Ländern deren o-Laute verändert haben. Wenn nötig, läßt sie M. aber nach Deutschland eingewandert sein und dort schon durch den Gegensatz zu den „Westjuden" deren δ diphthongiert haben. Wo und wann hat dieser für das J. so entscheidende Faktor gewirkt? Darüber schweigt M., die Geschichte berichtet nichts davon. M. hebt besonders hervor, daß sämtliche dt. ο in der Schrift bis ins 16.-17. Jh. mit Cholem wiedergegeben werden, während man sich bemüht, den Diphthong mit einem Doppelzeichen auszudrücken; dann müßte doch das Cholem so lange als ο gelten. Wie sollte es dann „viel früher schon — durch die orientalische Aussprache (seit wann?) oder durch die Diphthongierung von mhd. u> ou seit dem 15. Jh. - Diphthong gewesen sein? Wenn dies aber der Fall war, wie hätte man das Cholem überhaupt als Zeichen für ο verwenden können, da es allein doch für au besser als das Doppelzeichen gepaßt hätte? Wenn Wagenseil, 1699, in seiner „Belehrung der Jüdisch-Teutschen Red- und Schreibart" dt. ο mit h. Cholem völlig gleichsetzt (S. 86), obwohl er (S. 88) die Christen Manschet für Moschele aussprechen läßt, also au für h. Cholem, so kann man unmöglich daraus schließen, daß im 17.Jh. erst allmählich, von Wagenseil unbemerkt, dt. ό diphthongiert wurde; woher sollten die Christen das au bekommen haben, wenn nicht von den Juden? Der einzig zulässige Schluß ist, daß Wagenseil, wie alle anderen, in der S c h r i f t einfach an dem überlieferten Zeichen des Cholem für schriftnhd. ο festhält, obgleich man sich im S p r e c h e n längst nicht mehr darum kümmerte, weder um dieses noch um jenes. Die L a u t e waren schon längst diphthongiert, wenn man statt 6 schon au sprach, und zwar im h.-j. wie im dt.-j. Teil, aber in der Schreibung hat sich nichts geändert. Der Unterschied von historischer Schreibung und sprachlicher Lautform, der im J. besonders stark ist und sich durch Jahrhunderte hartnäckig fortpflanzt, wird von vielen Forschern übersehen und ist M. anscheinend unbekannt. Dieser Fehler rächt sich noch in anderer Hinsicht. Bei Behandlung 289

der ω-Laute bezieht sich M. wieder auf die Schreibung Levitas: „er schrieb Schurek für dt. u, dagegen Kibbuz für ü" (54). Doch daraus darf nicht gefolgert werden, daß diese Zeichen in der hebr. Überlieferung der Juden Deutschlands für qualitativ differenzierte L a u t e (u-ü) galten. Schon deshalb nicht, weil Levita, und ebenso alle anderen, die wie er transkribieren, nicht Kibbuz allein, sondern mit dem Schurek, richtiger mit dem Waw des Schurek, kombiniert schreiben. Ob Levita oder schon ein anderer vor ihm diese Schreibung konstruiert hat, ist unerheblich. Jedenfalls ist es nichts anderes als eine künstliche, rein g r a p h i s c h e Erfindung, die drei Punkte (Kibbuz)1 als Äquivalent der dt. Umlautpunkte dem u (Waw) hinzuzufügen. Ebenso schreibt Levita ein Waw des Cholem, das ja nun mal als Äquivalent des dt. Buchstaben ο gilt, mit einem zusätzlichen Chatef-Kamez, wegen dessen zweier Punkte 1 , um das dt. ö zu bezeichnen2, obgleich Chatef-Kamez n i e m a l s wie ö ausgesprochen wurde. Wenn sich statt dessen nur die Waw-Jod-Kombinationen durchgesetzt haben, so sind auch diese nur graphische Nachahmung von dt. oe, ue u. dgl. Ja selbst das Zeichen Waw-Jod für den dt. Buchstaben au (o. S. 287) ist nur ein graphischer, etwas unbeholfener, Notbehelf; es besagt als solches nichts über die Lautung. Nun bringt M. (S. 54) die „Klage" eines jüdischen Gelehrten, zwei Generationen nach Levita, „daß manche Lehrer seiner Zeit bei ihrem Unterricht zwischen Schurek und Kibbuz, entgegen der Überlieferung, keinen Unterschied machen". Gewiß handelt es sich um den qualitativen Unterschied u-ü beim Lesen der Vokalzeichen und gewiß hat sich die von Levita und anderen allgemein durchgeführte graphische Unterscheidung inzwischen in manchen Kreisen oder Gegenden bereits als „Überlieferung" durchgesetzt (in manchen, nicht in allen, wie ja die Klage selbst bezeugt) - allerdings, eine für die Beurteilung der Überlieferung von Aussprachen sehr interessante Mitteilung. Aber das Lesen hängt mit der Überlieferung der Schriftzeichen zusammen und beweist nichts für die gesprochene 1

S. das graphische Zeichen (das unterhalb des Buchstaben steht) S. 268. 2 Güdemann (III, Note VII, Abschnitt I, Nr. 8) bringt diese Schreibung als „Gewohnheit mancher Schreiber" aus derselben Zeit (16. Jh.) und deren Ablehnung durch einen zeitgenössischen Schriftsteller, hat aber diese graphische Spitzfindigkeit mißverstanden und falsch gedeutet.

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AUtagssprache. In dieser kann, wie die allmähliche Lautentwicklung beweist, ein qualitativer Unterschied zwischen langem und kurzem (im P r i n z i p mit Schurek bzw. Kibbuz geschriebenen) u nie und nirgendwo existiert haben: entweder wurden beide palatalisiert ( > ü > i) oder beide nicht. Sehr wohl ist es möglich, daß die Palatalisierung des u im gesprochenen J. (dt. wie h. Herkunft) die neue „Überlieferung" günstig beeinflußt hätte - insofern wäre also die „Klage" ein indirekter Zeuge, daß in Prag zu Beginn des 17. Jh. das j. u bereits palatalisiert sein dürfte (zwingend ist dieses Zeugnis natürlich nicht). Auf keinen Fall aber dürfen wir die von M. indirekt suggerierte Folgerung machen, daß die „überlieferte" Unterscheidung von Schurek und Kibbuz im Lesen, g e r a d e diese U n t e r s c h e i d u n g , Ursache geworden sei für die u n t e r s c h i e d s l o s e Palatalisierung aller u in jenen gesprochenen Maa. des J.; etwa so, daß zuerst der Unterschied von Kibbuz und Schurek im H., durch Übertragung der Ä-Lautung des Kibbuz auf das Schurek, im Lesen, dann im Sprechen, und dann auch von dt. und h. u aufgehoben wäre. So darf man sich eine sprachliche Entwicklung nicht vorstellen, abgesehen davon, daß selbst der Zeitraum vom 17. Jh. an nicht hätte genügen können für die geographische und lautliche Ausbreitung aller damit zusammenhängenden Vorgänge - außer den eben genannten noch Entrundung, sekundärer Velarumlaut u. a. 1 . Wie wir sehen, ist die Theorie vom h. Ursprungs des j. Lautwandels praktisch unbrauchbar und wissenschaftlich unzulänglich. Sie müßte auch die gesamte Entwicklung restlos erklären, ohne auf die dt. Maa. angewiesen zu sein, da sie doch grundsätzlich auf dem Ableugnen deren Einflußmöglichkeit aufgebaut ist; dazu fehlen aber auch prinzipiell und faktisch die nötigen Grundlagen. Sie wird trotzdem immer wieder aufgenommen, weil sie einen gewissen 1 In der oben (S. 236 Anm. 1) genannten Arbeit hat Birnbaum die von M. selbst bei den it-Lauten nur unsicher suggerierte Anschauung mit voller Gewißheit vertreten. Man kann ihm zwar nicht, wie M., Kritiklosigkeit und wissenschaftliche Fehler vorwerfen. Aber auch seine Beweisführung ist lückenhaft und nicht ausreichend, vor allem aber beruht sie auf demselben grundlegenden Irrtum von der Beweiskraft der Schreibungen Levita's und anderer für die Sprachentwicklung und auf derselben Unzulänglichkeit des Unterschiedes zwischen Kibbuz und Schurek für die Erklärung der unterschiedlosen Palatalisierung.

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ideologischen Reiz besitzt oder weil sie Hebraisten dazu verlockt, wenn sie eine Fülle von Aussprache-Traditionen des H. entdecken, besonders die von der Massora abweichenden, und ohne deren Ursprung zu prüfen dazu neigen, sie alle als urprünglich h. Überlieferung anzuerkennen. Dies ist der Grund für unsere so weitläufige Auseinandersetzung mit diesen Tendenzen.

γ) Die Verschmelzung der Elemente im Jiddischen Die parallele Entwicklung der dt. und h. Vokale im J . ist nur dadurch ermöglicht worden, daß die Wörter verschiedener Abstammung zu e i n e m Sprachsystem verschmolzen sind. Darin ist ein Wesenszug des J . zu erkennen; ohne das wäre das J . nicht zur selbständigen Sprache geworden, es wäre eine dt. Ma. geblieben, in der eine Anzahl h. Fremdwörter sich konserviert hätten. Die Verschmelzung der h., dann auch der sl., Entlehnungen mit dem dt. Element, hat trotz der dt. Prägung des Lautwandels, schon wegen der großen Anzahl der Entlehnungen, noch mehr aber wegen deren qualitativer, lexikalisch-begrifflich sehr bedeutungsvoller, Verschiedenheit die sprachliche Sonderheit verursacht. Wann hat diese Verschmelzung stattgefunden ? Diese Frage gehört mit zur Gesamtfrage nach den Anfängen des J . Die Beantwortung der Frage scheint die Annahme eines langwierigen Prozesses zu fordern. Die Anfänge dessen müssen wir aber schon in die ahd. Zeit versetzen, und zwar insbesondere wegen des, wenn auch spärlichen, Vorkommens des Umlauts in seiner primären Erscheinung, in den (S. 278) angeführten Beispielen: sextn, meky, rebi und davon abgeleitetem rebitsn (Rabbinersfrau). Am zwingendsten sind die Verba. Der Umlaut ist zwar durchaus nicht auf die ahd. Zeit beschränkt. Vielmehr wirkt er noch in mhd. Maa. weiter, ja sogar über die mhd. Zeit hinaus, sobald sich eben eine Unterlage dafür bietet (s.Maußer 262, 265,490; Behaghel 288). Aber die nach dt. Art gebildeten und flektierten h.-j. Verba bekamen sonst -en als Infinitivsuffix, sodaß der Stammvokal α erhalten blieb. Daß in diesen beiden Verben der Stammvokal zu e umgelautet erscheint, setzt voraus, daß das Suffix -jen in der Sprache noch lebte. Damit kommen wir also noch in die ahd. Periode zurück, in der der Prozeß schon begonnen haben muß (s. Braune 249f.); da aber die meisten 292

Verba davon unberührt geblieben sind, müssen sie viel später gebildet und absorbiert worden sein. Ein anderes Merkmal früher Aufnahme h. Elemente ist die bereits (S. 281) erwähnte und noch zu besprechende Abschleifung der unbetonten Vokale, wie sie im Ahd. allmählich durchgeführt wurde (Braune 48ff.). Allerdings ist auch dies ein Dauerprozeß, der sich, soweit noch Grundlagen dafür vorhanden waren, bis zur nhd. Zeit abspielte. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß auch die später aufgenommenen Wörter (wie die sl. Entlehnungen beweisen) immer noch ihre Voll vokale einbüßen mußten. Trotzdem muß auch hier angenommen werden, daß zumindest ein Teil schon sehr früh mit dem Dt. verwachsen ist, so vor allem Wörter, die durch mehrere aufeinanderfolgende Lautveränderungen vollkommen verunstaltet sind. So ist in der h.-dt. Zusammensetzung sabbath — des (oder zuo1) -nahtes > j. spaisinaxts erst das (lange!) α bis zu a abgeschwächt, wohl noch vor der Zusammensetzung, dann aber, durch diese verursacht, hat 9 wieder den Ton erhalten und, nachdem der Spirant th assimilierend mit dem darauffolgenden Konsonanten zusammengeflossen als einfaches s im Silbenanfang erschien, Dehnung in offener Silbe erfahren können, was also urj. ei > j. ai ergeben konnte. Das gewiß sehr früh aufgenommene sabbath (Sabbath) muß also auch schon früh als Bestandteil des Dt. empfunden worden sein. Auch das gehört wohl mit zu den Beweisen für frühen B e g i n n dt.-j. Einlautung h. Entlehnungen. Zu diesen Beweisen gehören selbstverständlich auch die Übergänge von Segol > ai, Patach und Chatef Patach > u u. dgl. (s. S. 281 ff.). Und auch hier handelt es sich um Sonderfälle. Daß dennoch die Vollendung des Verschmelzungsprozesses später anzusetzen ist, geht aus dem Bereich der i- und «-Laute hervor. Wie wir sahen, sind langes Chirek und Schurek nie mit den alten i, ü 2 , sondern sämtlich mit den monophthongierten ie, uo zusammen1

Trotz der Unkorrektheit wahrscheinlicher, wie mir aus dem SchwaLaut im J. hervorzugehen, scheint. Möglicherweise ist hier Kontamination von des nahtes und zuo naht anzunehmen. 2 Daraus wollte Birnbaum (s. o. S. 236 Anm. 1) schließen, daß die h. Länge (Schurek) von dt. Länge (u) völlig unabhängig, das heißt vom Dt. in der Entwicklung unbeeinflußt gewesen sei. Zu Unrecht, denn er übersah, daß sie zwar nicht mit alter, wohl aber mit neuer dt. Länge zusammen ging.

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gefallen. Die spätmhd. Monophthongierung und Diphthongierung, deren Vollendung wir bereits oben (S. 255) für die Entstehung des urj. Sprachtypus voraussetzen mußten, gewinnt also ganz besondere Beweiskraft für die völlige Verschmelzung des H. und Dt. im J., und da dieser Vorgang selber einen Wesenszug des J. ausmacht, auch wieder für die Ausbildung des urj. Sprachtypus im 14./15. Jh.

c) Vokale der unbetonten

Silben

Unbetonte Silben in dem Sinne, wie sie im Dt. und im J. allgemein sind, hat es im überlieferten H. nicht gegeben. Neben dem Hauptton hatte jedes Wort noch stärkeren oder schwächeren Nebenton, die von der Massora sogar sorgfältig gepflegt wurden, um die Vokale sämtlicher Silben voll und rein erklingen zu lassen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß zur Zeit des noch lebenden H. im Volksmund Silben abgeschliffen wurden. Was aber die Juden Deutschlands mit sich brachten, war der in der Schrift genau überlieferte und im L e s e n wohl überwachte Sprachstoif, in dem jedem Vokal seine deutliche Aussprache anhaftete, welche nur unbewußt im Sprechen abgeschwächt und verändert werden konnte. Vergleicht man die überlieferten h. Wörter mit den im H.-j. ausgesprochenen, so fühlt man sich etwa an einen Vergleich zwischen ahd., oder gar vorahd., vollsilbigen und vokalreichen Wörtern und deren reduzierten nhd. Entsprechungen erinnert. Der Silbenverfall ist daher unvergleichlich viel auffallender bei Gegenüberstellung der Lautformen von H. und H.-j., als Dt. und Dt.-j.; denn hier stehen den urj. Lautformen spätmhd. gegenüber, die den Silbenverfall bereits hinter sich haben, die auch in dauerhafter Beziehung zu den gesprochenen Maa. stehen, wo von überwachender Tradition keine Spur vorhanden ist. An sich müßten auch die unbetonten h.-j. Vokale viel mehr auffallen, als die betonten, da ihre Veränderung viel weiter ging; aber einerseits sind Auge und Ohr für die betonten vollen Vokale und deren Veränderung viel empfindlicher, andererseits ist die Behandlung der geschwächten unbetonten Vokale kaum in vollem Umfang möglich, bei der Unbestimmtheit ihrer Nuancen und der Geringfügigkeit ihrer Nuancierung. Hat es also im H. keine unbetonten Silben gegeben, so kann es auch keine h. Ausspracheregeln für die imbetonten Vokale gegeben 294

haben; vielmehr müssen diese qualitativ den Aussprachegesetzen der betonten Vokale unterliegen. Dies ist aber im J . nur in geringem Maße der Fall, nämlich nur a) in n e b e n t o n i g e n Silben, die also an sich überhaupt nicht als unbetont anzusprechen sind, — oder b) in v o r t o n i g e n Silben (im folgenden unter 4. veranschaulicht), deren besondere Stellung 1 , wie wir sehen werden, es ihnen möglich machte, fast noch als nebentonig aufzutreten und somit den ursprünglichen h. Ausspracheregeln mehr oder weniger zu folgen. I n nachtonigen Silben, wenn die Energie des dynamischen dt. Akzents verbraucht ist, walten die im Dt.-j. bestimmenden Regeln; wie die Tonlosigkeit bzw. Enttonung selbst, so werden auch die tonlosen Vokale vom dt. Element bestimmt. Um die grundsätzlichen Ausführungen praktischer wirken zu lassen, kommen wir noch einmal auf das oben (S. 293) angeführte Beispiel zurück. H. sabbath hatte den Ton auf der Schlußsilbe und zwei volle a. Die Rückverschiebung des Tons im Urj. brachte es allmählich zur völligen Abschwächung gerade des langen (nachtonigen!) a: sabss. Die Anhängung der dt. Komponente bewirkte aber für die Zusammensetzung die Betonung der Schlußsilbe (nicht etwa aus Treue zur h. Überlieferung, denn das usrprüngliche a kehrt nicht mehr wieder) und Enttonung der ersten. Im Mj., wo die dt. Komponente hauptbetont und die h. nebenbetont ist, hat sich späisinäxts entwickelt (mit Synkope des Vorton-a, wegen der Entfernung vom Hauptton, und b > p, nach bair. Art); im Noj., wo das Umgekehrte der Fall ist, hat sich sabes naxts entwickelt. Für die Qualität und Quantität der unbetonten - hier genauer: der enttonten Vokale - gilt demgemäß was oben (S. 240f.) für das dt. Element ausgeführt wurde ohne Rücksicht auf den ursprünglichen h. Vokal. So steht im og. J . 2 : 1. Ό - für jeden Vokal vor χ oder r (wobei letzteres nur vor Sonant deutlich artikuliert wird), z.B. buxwim (bahürim, Jünglinge), patmr) (pätar-{-en, los werden), xawvti (häbher -\-ta, Freundin), oirvx ('dreah, Gast), sikn (sikkor, besoffen), joisv (jdser, Gerechtigkeit), malvx (mal'äx, Engel), hoilvx (holex, Gehen, Gangweise); 1

Als Parallele im dt. Element sei hier auf die wenigen rom. Lehnwörter (o. S. 243) hingewiesen. I n den echt dt. Wörtern sind die Vortonsilben, wenn sie nicht Nebenton hatten, schon ins Urj. mit völliger Abschwächung aufgenommen worden. 2 Über die anderen Mundarten vgl. oben S. 246 ff.

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2. i - für jeden Vokal in beliebig anderer Stellung (soweit nicht völliger Vokalschwund eingetreten ist), z.B. oistjts ('othijoth, Buchstaben), simxi (simhä, Freude), talmit (talmid, Schüler, oder talmvd, Lehre, der Talmud), xasini (hvthunna - also betonter Vollvokal für h. unbetonten Schwalaut und Schwalaute für h. Vollvokale - Hochzeit), oilim (eoläm, Welt, Gesellschaft, Menschenmenge 1 ) ; 3. -I, -n (nach Guttural -y, nach Labial -m) für Vokal + l, n, also mit Schwund des Vokals - wenn aber im J . (nicht die h. Urform ist ausschlaggebend) Vokal, Halbvokal (j), Liquida bzw. Nasal 2 vorangeht, gesellt sich wieder der Schwalaut ι; z.B. püsl (päsül, untauglich), mazl (mazzäl, Glück), butl (bätel, hinfällig), bilbl (bilbul, Verleumdung), xusn (hdthän, Bräutigam), lamdn (lamdän, Gelehrter), ürp ('άτδη, Schrein), büuxy (bittähon, Vertrauen), batxp (badhän, Spaßmacher), korbm (qorbän, Opfer), oifm ('ofen, Art und Weise); aber Icuil (qähäl, Gemeinde), hahl (hcdlel, „Lobgesang", ein Gebet), xäjil (hajil, Armee), stgütn (siggäe6n, Wahnsinn), däjin (dajjän, Richter), ewjm ('ebhjon, Elendarmer), gazlin (gazlän, Räuber), mumm (mdm&n,, Geld), rabünin (rabbänan, die Weisen). Auch hier ist -m ausgeschlossen (s. S. 241 Anm.). 4. Gesondert zu behandeln sind nun die vortonigen Silben, die vom Schwächungsprozeß nicht so stark ergriffen wurden. Neben gemurmelten Vorsilbenvokalen hört man - sogar häufiger - eine sorgfältigere Artikulation derselben, womit auch ein schwacher Nebenton verbunden ist (Schwa freilich bleibt immer Murmelvokal, Chatef klingt sehr häufig voller). Auch bei Schwächung kommt gewöhnlich ein gewisser Konservatismus in der Q u a l i t ä t zum Ausdruck, indem sich diese mehr nach der ursprünglichen Gestalt des Vokals als nach der (bei nachtonigen Silben ausschlaggebenden) lautlichen Umgebung richtet. Im übrigen ist hier auch die Grenze zwischen Murmel- und Vollvokal fließend — oft sind es Mittellaute. Die Sonderstellung der vortonigen Silben hängt rein phonetisch damit zusammen, daß bei ihrer Artikulation der Stimmton noch nicht verbraucht ist, wie dies bei den nachtonigen der Fall ist. Im deutschen Bestandteil freilich, 1

Das Wort hat also ganz die Bedeutung von mhd. werlt angenommen. Laute, die die Sonanz des l, η beeinträchtigen; vor Liquida nur Liquida, vor Nasal meist auch Liquida. 2

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wo als Vorsilben fast nur bereits abgeschwächte Präfixe erscheinen, ist das nicht sichtbar (doch s. S. 243). Beispiele: räbumm neben mbunim (rabbänim, Rabbiner), xäloimjs, xv-, aber auch xäloimis (hvlomdth, Träume), und ebenso in allen Schattierungen xezboinis (hesbonoth, Rechnungen), sähsidis (säl0s-sdeüddth, dritte Sabbath-Mahlzeit), höisäm bis hisäni (hosaenä, Weidenbündel für Laubhüttenfest), jöykipv-jiykipv (jom-kippür, Versöhnungstag), rosisünt-risisüm (ros-hassänä, Neujahrstag) u.a.m., wobei ursprüngliche h. Schwalaute ebenso wie enttonte Vollvokale nebentonig werden können, so mistgutm neben misiguim (m9suggäeim, Wahnsinnige), ebenso von den obigen, rlhsüm (nach völliger Abschwächung auch Nebenton). 5. Häufig erscheint in Vor- und Mittelsilben S y n k o p e , namentlich von Schwa oder Chatef, was bereits als Mißachtung der h. Aussprache gelten darf, aber auch von Vollvokalen; sie trägt ganz besonders zum Zusammenschrumpfen vieler hebr. Wörter bei. Das geschieht besonders, wenn infolge dt. Artikulation 1) Laryngalschwund und Hiat entstehen, 2) die Zahl tonloser Silben zu groß geworden ist. So sxitt (sdhitä, Schächten), bruxi (bdräxa, Segen), sonirn (sond'im, Feinde), xsidtm (hmidirn, Fromme), soxrim (sdhmim, Kaufleute), krismi {qsriathS9tnae, Schma-Gebet), misles {me€eth-heeth, 24 Stunden), sitwis (suttäfüth, Gemeinschaft), kl'ezmv (klei-zemer, Musikant); zuweilen unfest, so skuni neben sikuni (sakkänä, Gefahr) u.a.m. A p o k o p e kommt nur zufällig nicht vor, da im Η. die Grundlage hierzu, abgeschwächtes -e im freien Auslaut, nicht vorhanden war; die Vollvokale aber wurden nur zu « reduziert (daher im H.-j. wie im Sl.-j. eine gegenüber dem Dt.-j. sehr auffallende Menge von Hauptwörtern und Verbalstämmen 1 mit -t im freien Auslaut). Wenige Ausnahmen sind munis (Mvnasse), hudis (Hvdassä), die sich ganz wie dt.-j. Eigennamen entwickelt haben. 6. Schließlich ist der u n f e s t e Gleitvokal (s. o. S. 244f.) zu erwähnen, der zuweilen nach Länge oder Diphthong vor r oder x, auch zwischen Konsonant und r, auftaucht; er ist meist sehr undeutlich, so daß sein Erscheinen kaum ins Gewicht fällt, z.B.: milivxt-mtUxt (mdluxä, Reich), moi°n {mora, Furcht), gwivn (gdbhürä, Macht), sedvrt (sidrä, Wochenabschnitt). 1

S. o. S. 288 Anm. 1 und die grundsätzliche Schlußfolgerung u. S. 318 f.

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d) Das sakrale Hebräisch im jiddischen Sprachbereich Die bisherige Schilderang hatte das H.-j., d.h. die h. Elemente innerhalb der Alltagssprache, zum Gegenstand; sie kann ferner in gleichem Maße auf das eigentliche H. des religiösen Studiums ausgedehnt werden, nicht ganz auf das H. des Gebets und der ThoraVorlesung, das gottesdienstliche H. Die Einschränkung betrifft weniger die Betonung. Diese bleibt im allgemeinen unverändert. Einzelne Unterschiede bestehen nur im Bestreben, die Betonung wieder nach h. Art vorzuschieben 1 , z.B. küdüsim für h.-j. kudistm u. dgl. (vgl. o. S. 263), besonders n i c h t regelmäßig durchgeführt - durch Nichtbetonung der Chatefs, z. B. vdor - h.-j. üdv; xvloim - h.-j. xultrn; xäntkü (bzw. im Derivat: xtmikas) - h.-j. xäntkt (s. oben S. 266). Ein wesentlicher Unterschied aber besteht auf dem Gebiete der nichthaupttonigen Silben: diese werden n i c h t abgeschliffen, sondern voll und mit einem mehr oder minder ausgeprägten Nebenton versehen artikuliert also z.B. statt bruxi, krismi, mtsles (s. o. S. 297) brüxü, krias-sma, mai'dis-lidis. Hierin zeigt sich deutlich das begreifliche Bestreben auf dem Gebiete des Sakralen das Schriftbild durch eine getreuere Aussprache wiederzugeben. Dasselbe gilt auch für die Behandlung der Hauptsilbenvokale. Im H.-j. waren es einzelne Wörter, die sich unabhängig voneinander und von den Vokalzeichen entwickelt haben; im sakralen H. sind es nur die Vokalzeichen, auf welche die entsprechende Lautung zu übertragen war. Im H.-j. also können denselben Vokalzeichen verschiedene Laute entsprechen, so z.B. dem Patach a, ä, u, u, dem Kamez u, u, δ, α,ά, dem Segol ei und ai, e und a (s. S. 270ff., 281 ff.). Desgleichen ist für das liturgische H. einfach undenkbar; zur getreuen Aussprache gehört auch die r e g e l m ä ß i g e Wiedergabe der 1

Die im H.-j. überwältigende Paenultimabetonung gilt unbewußt als Norm für das H., und zu ihren Gunsten wird wo möglich auffallende Anfangsbetonung aufgegeben. In gewissen Schichten oder Gegenden (mehr wj. und noj. als mj.) wird sogar die Rückkehr zur h. Ultimabetonung, zumindest bei der Thoravorlesung, angestrebt. Bei den Gottesnamen wird sie ziemlich allgemein eingehalten, ebenfalls unbewußt. Ebenso wird sie gelegentlich durch getreuere Wiedergabe des unbetonten Chatef, wo das geschieht, automatisch wieder hergestellt. Vgl. auch die Ausführungen o. S. 266.

298

Schriftzeichen durch eindeutige Laute. Durch Abstraktion der Laute von den Wörtern entstand die Norm, die sich nach der Mehrheit der Fälle richtete.

Immer ist also -

mj.:

noj.:

wj.:

Patach Kamez (gadol u. katan) in offener Silbe in geschl. Silbe Segol Zere Chirek Cholem Schurek-Kibbuz Chatef Patach Chatef Kamez Chatef Segol Schwa (mobile)

α (ά)12

a

α

ü (u)\ $(-j)* ο e ( i ß ) , ei)1 ai, ei3

ο 0 e ei i ei, öi3 u ä(n) \ 0 e(9) t, -5

6 0

iß)1 oi i (ψ α (ν) ό (selten ύ) e(3) t, a 4 , - 5

(α)12

· ä, δ1 > ö gilt auch im sakralen H., weil sie nicht empfanden wird. 3 Regionale Variationen (wie im dt.-j. Teil dargestellt). 4 Allerdings ist hie und da auch regelwidriges ai-ei (d.h. die normale Entsprechung des Zere!) als Aussprache von Schwa (s. o. S. 273f.) sogar in die sakrale Sprache eingedrungen. 6 Verstummen des Schwa (nicht der anderen Chatef-Laute) im sakralen H . - gegen die h. Überlieferung! - ist natürlich nur unbewußtes Übertragen der oben (S. 297) dargelegten h.-j. Synkope; das geschieht freilich nur dort, wo die aufeinanderstoßenden Konsonanten leicht und unauffällig zusammen artikuliert werden können (ebenso im H.-j.).

299

Daß sich die sakrale Aussprache im j. Sprachbereich auf diese Weise herausgebildet hat und nicht etwa als altüberliefert gelten kann, wie manche irrtümlich glauben wollten, geht schon aus den folgenden Tatsachen hervor. 1. Die lautlichen Entsprechungen der Zeichen sind, trotz des relativ eng zusammenhängenden und geschlossenen sog. aschkenasischen („deutschen") Bereichs und seiner einheitlichen Überlieferung, s e h r v a r i i e r e n d (Kamez, Zere, Cholem, Schurek), was auf keinen Fall als alter Zustand gelten kann. 2. Diese aschkenasische Aussprache entspricht in jedem kleinen und kleinsten mundartüchen Bezirk dieses Bereichs der jeweiligen h.-j., (d.h. auch dt.-j.) Entwicklung der Vokale in ihren Norm-, d.h. Mehrheits-Typen 1 . 3. Die j. Lautentwicklung kann in sämtlichen Vorgängen, den normalen wie den normwidrigen, nur als einheitliches Ganzes begriffen werden, das von denselben Lautkräften getrieben wurde 2 . 4. Selbst das Normale hat manche sichtlich un-h. Vorgänge unauffällig übernommen, wie in der Quantitätsbehandlung, in der Synkopierung des Schwa u.a. - obwohl 5. was als nicht-normrichtig auffiel, geflissentlich gemieden wurde und wird, d.h. den Stempel des Profanen trägt. Hinzu kommen noch zwei andere Tatsachen, als indirekte Folgen der j. Lautentwicklung. In unvokalisierten Texten, darunter auch liturgischen also sakralen, werden h. ο (Cholem) und ü - u (Schurek) mit demselben ι bezeichnet, das im Bewußtsein oder Unterbewußtsein des Lesers natürlicherweise für einen Monophthong gilt. Nach Diphthongierung des 6 im J . (s. o. S. 221 f.), die später auch zu Doppelbuchstaben führte, wie Ii u.a., war man viel mehr geneigt, ein undifferenziertes l für Schurek zu halten 3 . Wo kein vokalisiertes Erscheinen daneben als Korrektiv gewirkt hat, sind denn auch tatsächlich so manche h. δ irrtümlich für u - ύ gehalten worden und haben als solche im j. Volksmund sich entwickelt und danach auch im sakralen H. Ein1

Scheinbare Ausnahmen, z.B. Siebenbürg, ei für Zere gegenüber h.-j. ai u.a., erklären sich aus Punkt 5 (im folgenden). 2 Die Annahmen von der altüberlieferten, unveränderten aschkenasischen Aussprache als Ursprung der j. Lautentwicklung (s. o. S. 285-292) sind also nicht nur in der Erklärung der regelmäßigen Hauptvorgänge oberflächlich und ungenügend, sie scheitern vollends, wenn es darauf ankommt, das v i e l e Unregelmäßige zu erklären. 8 Vgl. die ausführlichere Schilderung o. S. 129 f.

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gang gefunden 1 . Für h. bdsorä (Nachricht), jdmä („der Tag", Versöhnungstag), pilosophiiä (aus dem Griech.), die Eigennamen töbhiiä, td'omim u.a. spricht man im Noj. bsürd, jümd, pilusüfp, tuwid, tumim und im Mj. psin, jimi ... - im sakralen H. ohne Abschwächung unbetonter Vokale: bsürö- bsirü, jümö - jimü usf. J a , selbst die alte, volkstümliche h. Bezeichnung für das Cholem, rndlophorn (eig. „Vollmund", also richtige Kennzeichnung des o-Lauts), ist zu mdlupm - mtlipm geworden, als „irrtümliche Verwendung dieses Namens für u " (Schurek) etwa „vom 15.-18. J h . " (GeseniusBergsträsser, S. 50)! In der h. Überlieferungsgeschichte ist dafür keine Erklärung zu finden. Die Abschwächimg aller enttonten Vokale zum einheitlichen i, 9 hatte - wieder, wo keine vokalisierte Überlieferung bekannt war Ungewißheit geschaffen, wenn es galt, im sakralen H. den ursprünglichen Vokal wiederherzustellen. Wenn man unsicher ist, ob h.-j. mikw% (Tauchbad), talis (Gebetmantel) auf miquä oder miqu§, auf talUth oder talleth zurückgehen, wenn man, selbst im Bereich des Sakralen, zu parnas (Vorsteher) - j. parnis, qaddis (Kaddisch-Gebet) — j. Icadis, jäsän (alt) — j. jusn Pluralformen wie parnaistm, kaddisim, jisdintm bildet, so sind es Folgen dieser Ungewißheit. Es unterliegt also keinem Zweifel, daß auch die aschkenasische Aussprache des sakralen H. eine Funktion der dt.-j. Lautentwicklung ist. Nur gilt das Unregelmäßige, aus dem Rahmen Fallende als profan, während die von der Mehrheit abstrahierten Regeln als überlieferte Norm angesehen werden. Letzten Endes - wenn man von der nicht zum Bewußtsein gelangten allmählichen Verschiebung der phonetischen Artikulation absieht, steht man auf dem Boden der Überlieferung.

I I I . Der slavisch-jiddische Bestandteil a) Akzent Bei der auffallenden Gesetzlosigkeit der sl.-j. Betonung ist es sehr schwer, sich ein klares Bild über die Betonungsverhältnisse im Sl.-j. zu verschaffen. 1

Vgl. auch oben S. 277 (j γ).

301

Daß es sich hier um einen sekundären Zustand, ein Ergebnis von Ausgleichen und Kompromissen handeln muß, lehrt schon ein flüchtiger Blick. Bei dem Versuch, die einzelnen Faktoren nach Möglichkeit wieder ausfindig zu machen, wird man zunächst die Betonung der verschiedenen in Betracht kommenden sl. Sprachen, aber auch die des Dt.-j. ( = Dt.) in Erwägung ziehen müssen. Jedoch darf man von vornherein aus dem Bereich der sl. Sprachen das Serbokroatische und Slovenische, deren kompliziertes Betonungssystem im J. keine Spur erkennen läßt, sowie das völlig abseits liegende Bulg. und wohl auch das Öech. (aus anderen Gründen) ausschalten1, so daß nur noch der polnische und russische Sprachkreis (dieser das Großruss., oder Russ. im engeren Sinne, das Weißruss. und das Kleinruss. oder Ruthenische2 umfassend) übrigbleiben. Dann hätten wir von folgenden drei Faktoren auszugehen: Anfangsbetonung (wie im Deutschen), Paenultimabetonung (wie im P.) und bewegliche (im großen ganzen mit der alten sl. sich deckende) Betonung (wie im R.). In der Tat wird bei der Betrachtung einiger Beispiele klar, daß diese 3 Richtungen zusammengewirkt haben müssen. Es ergeben sich von hier aus sieben mögliche Typen, von denen wir sechs allgemein vorfinden3, den siebenten nur gelegentlich. 1. Anfangsbetonung, die sich zugleich mit der „beweglichen" (russ.)4 und der p. Paenultimabetonung deckt - z.B. (aus dem og. J.) 5 : S. unten S. 306. Welches für das J. eigentlich in Betracht kommt, müssen wir noch beim Vokalismus erwägen; in der Betonung gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den dreien (vgl. Vondräk I 240). a Der Deutlichkeit halber muß noch darauf hingewiesen werden, daß es sich hier lediglich u m den normalen Hauptton der Grundwörter handelt; über Zusammensetzungen, Ableitungen und Flexionsformen w. u. S. 304. 4 W e n n hier und im folgenden von einer „beweglichen" oder „freien" (oder kurz „sl.", „ r . " ) Betonimg gesprochen wird, so ist dies nicht so aufzufassen, als ob sie in diesen Fällen auch im J. noch tatsächlich frei wäre, sondern so, daß auf Grund der im 81. frei gewesenen Betonung im J. der Ton auf einer bestimmten (aber nicht wie bei der Anfangsoder Paenultimabetonung durch die Stellung im W o r t bedingten) Silbe stehenbleibt (s. das Weitere S. 304). 6 Die Transkription aller slavischen Wörter, auch der russisch-kleinrussischen ist hier der Einfachheit halber mit Hilfe der polnischen Zeichen gegeben (ss = s, cz=c, z= &, rz — rz). B e i den Zeitwörtern ist 1

2

302

zäris (zaraz, bald), xman (chmara, Wolke), kipi (Jcupa, Haufe), osm (osin, Herbst), labt (laba, Tatze, Pfote), kriwdi (Icrywda, Unrecht), pasm (pasa-, weiden), zabt (zaba, Frosch), jatki (jatka, Fleischbank), temm (temny, finster), horp (horb, Höcker), brit (brud, Schmutz), xots, -ts (cho6, obwohl).

2. Anfangsbetonung, die mit der p. Paenultimabetonung identisch ist, aber von der r. abweicht, - z.B.: hdtsik (haczyk, Häkchen), ras% (rosa, Tau), homv (leomar, Mücke), koiltts (kolacz, Weißbrot), kozi (koza, Ziege), kantsik (kanczuk, K n u t e ) . 3. Anfangsbetonung, die mit der r. übereinstimmt, nicht aber mit der p., - z.B.: jägidis (jagody, Beeren), jalifkt (jalowka, junges Kalb), bebnxis (bebechy, Eingeweide), ozmi (ozero, Teich, Sumpf), pripitsik (prypiczok, Ofenvorsprung), bestdt (besiada, Plauderei). 4. Anfangsbetonung, die weder der p. noch der r. entspricht, - z.B.: göspidi (gospoda, Wirtshaus), tseridi (czereda, Herde), kermtsi (kernyca, Brunnen), tsoprmi (czupryna, Schopf), xol'twi (cholewa, Stiefelschaft), kroptwt (kropywa, Brennessel), kapvltts (kapelusz, H u t ) , meriski (muraszka, Ameise), kolbvs (kolbasa, Schinken), hodiwin (hodowa-, ernähren), hibl'iwin (hyblowa-, hobeln), bidiwin ( (jura, Wagen). Schließlich ist hier noch auf die Erscheinung des U m l a u t s hinzuweisen, der den sl. Sprachen ebenso fremd war, wie dem H., der also die Eindeutschung der slav. Elemente beweist, und zwar sofort bei deren Aufnahme ins J., wie aus den folgenden Erwägungen hervorgeht. Zu süt (sad, Obstgarten) lautet der PI. seido, ebenso wie bei dt.-j. but (Bad) - beidv, zu droyk {drqg, Stange) lautet das Dim. dreygl', wie bei dt.-j. holts -heltsl5. Selbst wenn es nur formale Analogiebildungen sind, bedeutet es ein völliges Sich-Anpassen sl. Wörter an die den Analogiezwang bestimmenden dt.-j. Sprechregeln. Es sind aber wohl kaum bloß Analogiebildungen, denn es gab im Dt.-j. auch unumlautende Substantiva, wie tsul (Zahl) - tsüln, die genauso als Muster für Analogie wirken konnten. Vielmehr ist anzunehmen, daß sich die aufgenommenen sl. Substantiva sofort wie dt.-j. gebärden und im j. Sprachbewußtsein als solche flektieren und lauten; sofort - denn das ei in seidv setzt ein urj. ά voraus, das nur entstehen konnte, als man noch in sad ein α merkte, obgleich es bereits wie α - ρ ausgesprochen wurde®. Zwar sehen wir hier den Umlaut nur als sekundär, wort- und formenbildend, nicht als eigentlichen Lautwandel. Das erklärt sich aber durch die einfache Tatsache, daß die sl. Elemente v i e l später als die h. 7 auf1

Nachdem es die w-Lautung erhielt. Oben S. 234; Beispiele für sl.-j. Velarumlaut weiter unten. 3 Og. i, t könnte man zwar auch aus klr. i erklären, das regelrecht dem p. 6 entspricht, aber die noj. Entsprechungen mit u weisen doch auf urj. u, ü hin. 4 Oben S. 234 f. 6 Ich verzichte auf die Häufung von Beispielen, die leicht beizubringen wären. 6 Ähnlich beim h. Kamez gadol - s. o. S. 282 f. 7 Vgl. o. S. 278 und 292. 2

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genommen wurden, als der Prozeß der Umlautung bereits längst erloschen war, etwa seit dem 15.-16. Jh. Nur in sl. Städtenamen finden wir die primäre Umlautungserscheinung, weil sie über die dt. Kolonisten ins J. eingedrungen sind, also viel früher schon in deren Munde den Umlaut durchgemacht haben: heilits (für Halicz) setzt ein dt. umgelautetes *Hälitsch im Urj. voraus, ebenso reidim (Radymno)

ein *Eädim,

graidiyk

(Grödek)

ein *Gröding

(
e allein im Omj. gegen og. u> o, e (s. S. 238). Im Prinzip hat also der dt.-j. Lautwandel die sl.-j. Vokale in gleicher Weise ergriffen. Trotzdem ist dessen Umfang im Sl.-j. viel geringer, auch viel geringer als im H.-j., aus dem bereits erwähnten Grunde, weil die Entlehnung aus dem Sl. viel später begonnen hat, als nämlich die spätmhd. Dehnung auch im J. bereits im Abflauen 1 2

S. o. S. 258 und die dort angezeigten Stellen. Mit Fernwirkung des r wie auch h.-j. (o. S. 275).

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war, so daß viele si. Kürzen auch in offenen Silben stehenblieben, wenn sie nämlich nicht mehr in urj. Zeit eingedrungen sind - die qualitativen Veränderungen aber haben im J., im wesentlichen, die langen Vokale ergriffen. Freilich gab es auch, wie oben dargelegt, sekundäre Dehnung in altj. Zeit; doch war sie im Umfange sehr beschränkt, wirkte nur in gewissen Fällen, nach mundartlichen Gewohnheiten und konnte auf den im wesentlichen bereits vollzogenen qualitativen Lautwandel keinen Einfluß mehr nehmen. Besonders auffallend ist die, im dt.-j. Teil (S. 254) bereits erwähnte, sekundäre Dehnung im buk. J., deren spätes Alter schon durch die Einbeziehung von velarumgelautetem e< i i) wmj. Jcrentsm, noj. drejpn (drehen). Die eben erwogenen Gesichtspunkte haben ihre Bedeutung sowohl für die Beurteilung der lautlichen Entwicklung als auch für die prinzipielle Frage der Herkunft des sl. Elements. Da die sprachlichen Entlehnungen aus dem Sl. ununterbrochen und in fortschreitendem Maße bis in die Neuzeit gingen, muß man - wie auch hier versucht worden ist - die Neuentlehnungen des 19. und 20. Jahrhunderts völlig ausschalten. Diese sind nämlich einfach aus den jeweiligen Landessprachen absorbiert. So hat die großruss. Sprache nicht nur an das ihr naheliegende Noj., sondern auch an das p. J . einerseits und das ukr. und bess. J . andererseits sehr viel abgegeben, weil sie alle in der Zeit politisch von Rußland beherrscht waren; so hat aber auch das J . Galiziens aus dem Dt. und P., in Rumänien aus dem Rum., wie schließlich auch in den U.S.A. aus dem Engl, aufgenommen, was für unsere Betrachtung bedeutungslos bleiben muß. Wenn vorhin von lokaler Färbung die Rede war, so bezog sich das nur auf die Entlehnungen aj. Zeit 1 , die zwar nicht die Entstehung des j. Sprachtypus bestimmt haben, aber immerhin vollkommen organisch mit den j. Maa. verwachsen sind und z.T. auch noch an manchen Lautveränderungen teilhaben konnten, freilich nur in geringem Maße. Für diese gilt also, was nicht verwundern kann, daß das Wmj., besonders im engeren Sinne, die lautliche Gestalt des P., das Omj. die des Klr., das Noj. die des Wr. aufweist, wobei das og. J . als Übergangsma. schon mehr zum Klr. als zum P. neigt, bzw. nicht selten einen Mischlaut zeigt. Das Wj. hat ja nie in sl. Milieu gelebt, selbst das Swj. ist nur sehr wenig von cech. oder 1

Für diese hat natürlich die Einreihung unter den ,,urj." Lauten bei Behandlung der einzelnen Vokale nur klassifizierende Bedeutung.

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slovak. Einflüssen berührt worden. Unser Augenmerk ist aber hier auf den ä l t e s t e n sl.-j. Bestand gerichtet, den wir als sprachschöpferisch im eigentlichen Sinne und als mehr oder weniger gemeinj. betrachten können, der zum Teil sogar ins W j . eingedrungen ist 1 und für den oben der urj. Maßstab der Laute angewandt wurde. Da gilt zunächst für die oben erwähnte nachträgliche Anpassung an die sl. Umgebung natürlich dieselbe Verteilung der sl. Sprachen, wie für die aj. Entlehnungen. Aber sogar für den ursprünglichen Zustand ist kaum grundlegend Verschiedenes auszusagen. Der älteste sl.-j. Vokalismus scheint, grob ausgedrückt, von den p. und westr. (klr. und weißr.) Maa. geprägt zu sein. Das geht wohl auch aus den oben angeführten Beispielen hervor; denn wo das Urwort als r. angeführt wird, hat es zwar den gemeinr. Hauptvokal, paßt aber im Hinblick auf andere Laute (Vokale und Konsonanten) im Grunde nur zu den westr. Maa. Um es präziser auszudrücken, müßte man sagen, daß das Sl.-j. einen Zustand voraussetzt, in dem die genannten sl. Sprachen einander noch viel näher waren als jetzt oder zumindest im sl. Volksmund sich kaum unterschieden; wo aber Unterschiede waren, scheint das J . bald dem P. bald dem Westr., oder aber, was mir genauer erscheint, in erster Zeit mehr jenem, dann mehr diesem den Vorzug gegeben zu haben; denn wo man Kontamination annehmen möchte, scheint mir die Grundlage p. zu sein, so etwa, u m es an einem u n g e f ä h r e n Beispiel von oben zu veranschaulichen, wenn in jodPn, pieti das ο bzw. e zunächst durch p. q, ς gerechtfertigt wird, dann aber der Nasalverlust durch klr. a. Die Annahme undifferenzierter p.-r. Vokale als Grundlage für das J . läßt sich durch einige Tatsachen erhärten. P. 6 und klr. i haben sich aus älterem, gemeinsamem 6 entwickelt, das in diesen Sprachen in der dem Urj. entsprechenden Zeit aus kurzem (aber engem) ο in geschlossenen Silben hervorgegangen ist (Vondrak I 91). Nach dem 15. J h . sind die p.-r. Längen geschwunden (Vondrak I 241), und die kurzen Vokale wurden immer offener (weit). Von den oben (S. 308) angeführten Beispielen für urj. o u < sl. ο haben es einige in offenen Silben (koimm, poizn u.a.) nach dt.-j. Art gedehnt, andere in geschlossenen Silben (txoiv, boibvlci u. a.), wo es zur Not auchvomDt.-j. 2 , 1

S. Allgemeiner Teil S. 46 f. Mhd. wol > urj. wöul u. a. (S. 216), aber im H.-j. erscheint sogar h. ö in einfach geschlossener Silbe gekürzt (S. 276 j ß). 2

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besser aber aus sl. Länge zu erklären ist (in diesen beiden Beispielen steht auch p. 6, aber auch wo es klr.-p. ο wieder geworden ist, ist das kein Beweis gegen vorheriges o). Die Beispiele für urj. ρ < sl. ο (S. 308 Nr. 3) sind demnach jünger, als die offene Lautung sich bereits einzustellen begann und die Länge noch nicht ganz geschwunden war (heute steht z.B. p. gora gegenüber klr. hora). In beiden Fällen also, urj. o u und ρ, geht zumindest teilweise ein p.-r. 6 voraus. Ähnlich liegt es auf dem Gebiet der e-Laute. Urj. eJ in zaidi (S. 307) ist zweifellos auf älteres gemeinsames p.-r. e zurückzuführen, bevor es p. zu ia, klr. zu i, wr. zu e wurde. Daß es sich hier um ein sehr altes Lehnwort handelt, scheint mir auch aus dem auslautenden Schwalaut hervorzugehen, den ich vom alten sl. δ herleiten möchte, das zwar (nach Vondräk I 154f.) im 12. Jh. verstummt ist, vermutlich aber noch eine Zeitlang im Volksmund weiterlebte 1 - wr. dzed mag die Grundform am treuesten bewahrt haben. Auch die enge Qualität von e und o, die sich im urj. e l und ö u widerspiegelt (im Gegensatz zum o, das auch ein urj. ρ gezeitigt hat, vermag ich auf kein sl.-urj. § hinzuweisen, die langen e waren also alle noch eng), deutet auf jene ältere Zeit p.-r. Gemeinschaft (Vondrak I 21, 23). Der Deutlichkeit halber muß hier darauf aufmerksam gemacht werden, daß das J . auch einige sl. Lehnwörter aus dem Dt. mitgebracht hat. Diese haben wir aber nicht als sl.-j., sondern als dt.-j. Sprachgut anzusprechen. Deren sl. Herkunft und Urform ist daher für unsere Betrachtung unerheblich. Hierher gehören z.B. (og.): kreitsmi, mhd. und nhd. speziell bair.-omd. kretschem(e) (DWb 5, 2173f., Lex. I 1723), wobei sich der auslautende Schwalaut unter Einfluß des Sl. erhalten haben mag, wo er sonst im Dt.-j. apokopiert worden ist, auch wenn der Hauptvokal nicht aus dem Sl. ins J . kam 2 ; greimts < mhd. greniz (Lexer I 1079), wobei trotz dieser Schreibung das e offen sein mußte, als Sekundärumlaut von sl. a, der aber im Dt., nicht im J., vollzogen ist; prnneilvx, aus sl. pomalu über dt. pomalig, bomehle u. dgl. (DWb 7,1994) ins J . gelangt — der Vokal ei ( < urj. | ) ist in allen drei Wörtern dt. Herkunft; xrain 1

Dazu und zur gesamten hier aufgerollten Frage s. auch Allgemeiner Teil S. 49. 2 Doch ist es auch möglich, daß dieser Hauptvokal aus einer damaligen p. VoLksmundart ins J. u n d ins Omd. kam. S. auch S. 241.

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< mhd. ehren (Lex. I 1720). Diese Einschränkung und die zweite demnächst noch hinzuzufügende sollen uns vor Irrtümern bewahren, wenn wir im p.-r. Sprachbereich die Vorlage des sl.-j. Vokals nicht zu finden glauben. I n solchen Fällen haben wir, wenn sie nicht dt.-j. Herkunft sind, vor allem daran zu denken, daß der zugrundeliegende Vokal nicht gerade in der heutigen sl. Sprache zu suchen ist, wie schon oben gezeigt wurde, und nicht unbedingt in der Hochsprache, wie naturgemäß jetzt hinzugefügt werden muß, sondern vielmehr in den gesprochenen Maa., heute, und mehr noch in den vergangenen Jahrhunderten. Ja, es ist sogar manchmal danach zu fragen, ob nicht die dt. Kolonisten der Städte diesem oder jenem p. oder klr. Wort eine besondere Prägung verliehen haben, die im J. Eingang fand, wie es z.B. ganz regelrecht bei den Städtenamen der Fall ist. Bedenkt man alles bisher Gesagte, so muß sich für jeden Vokal des Sl.-j. die Vorlage im p.-r. Sprachkreis (wie oben umgrenzt) nachweisen lassen. Die vorhin angedeuteten Irrtümer befinden sich wieder sehr reichlich im Buche von Matthias Mieses 1 „ D i e Jiddische Sprache" (S. 224-226, 230-236) - neben den sehr wichtigen und richtigen Ausführungen (S. 220-223, 227-230). Unter dem Vorwand, daß die (heutigen!) p.-r. Laute die j. Formen nicht rechtfertigen - wobei M. viel mehr auf die Konsonanten als auf die Vokale Rücksicht zu nehmen scheint (aber von den Konsonanten gilt dasselbe wie von den Vokalen!), manchmal aber einfach nicht genügende Kunde von den p.-r. Lautformen eingeholt hat, die man z.B. auch in den Wörterbüchern von Miklosich, Brückner u.a. finden kann - , wendet er sich einfach dem Slovenischen, dem Cechischen, dem Serbokroatischen zu, manchmal auch (zu Unrecht!) dem Dt., das gerade von diesen Sprachen entliehen haben soll. Diese Idee ist genauso abwegig, wie sein Versuch nachher Beziehungen anzuknüpfen zwischen dem (allgemeinen) J. und Ungarn, Griechenland, Persien, Italien, Spanien usw. (S. 236-248), wo sich die Herkunft der Lehnwörter im J. aus dem dt. oder p.-r. Wortschatz, bzw. durch dessen Vermittlung, sprachlich, sachlich und geschichtlich am besten erklären läßt. Geradezu absurd aber ist es, wenn sich zwischen dem j. Hauptvokal und dem jener Sprachen durchaus keine Beziehung 1

S. auch im h.-j. Teil (S. 285ff.).

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herstellen läßt, wo doch diese in erster Reihe den Ausschlag zu geben hat. Zur Illustration seien hier einige Beispiele herausgegriffen. J. trostmi (Schilfrohr) wird auf slov. trsten zurückgeführt, obgleich das Klr. trostyna bietet; zaidi (Großvater) auf slov. sed (grau), statt auf p.-r. dzedb (Alter, Großvater, s. o.); mtzinik (Jüngster) auf kroat. mezenac - klr. mizynylc, mizynczyk; kreitsmt (Schenke) auf slov. krima - dt. kretscheme (s. o.); tswugrj (Haar waschen, nicht „kämmen") auf slov. cuzka (Zopf) - dt. zwagen1 (Kluge s.v.); bätn (tauschen) auf slov. baratati - dt. beuten2 (DWb 1,1754); taki (wirklich, tatsächlich) auf cech. take - p.-r. tako (mit genau entsprechender Bedeutung); nebvx (leider Gottes, „nebbich") auf cech. nebohi (arm), ist aber ursprünglich eine alte dt.-j. Verhütungsformel volksgläubiger Art, bis heute bei Bericht von Unglücksfällen angewandt, aus net(nit)-bei-euch, dem gleichbedeutenden h. l6-evleixem nachgebildet, entstanden. Dagegen leitet M. aus den dt. Slavismen her: igvki (Gurke), distl' (Deichsel), stodvh (Scheune), tswok (Nagel), mitsm (quälen), dism (erdrücken), zvx form (sich beschäftigt machen) - aus agurke („mhd.", j. i < a%!), disl („Kärnten" u.a.), stadel (mhd.), zwök („Kärnten"), mutschen („steirisch"), tussen (mhd.), piirren („Kärnten, sich rühren") - obwohl sie entweder im Hauptvokal oder in der Konsonanz oder auch in der Bedeutung oder schließlich in der Nebensilbe als Vorlage völlig versagen, während die p.-r. Maa. genaue Entsprechungen liefern: ugurek, ugurka (p. Ma.) 3 , dyszel (p. mit dem weichen p. V), stodola (gemein-p.), cwok (ältere p. Form, Brückner 68a), muczy- (klr.), dusi- (p.-r.), siq pora(p.-r.). Diese Auswahl dürfte genügen, um die Sinnlosigkeit der Suche nach anderen sl. Sprachen als der p.-r. (wie oben erläutert) zu erweisen (s. auch o. S. 306). Es bleibt also bei der obigen Annahme von den p.-r. Maa. als Quelle für das Sl.-j. aus rein sprachlichen Gründen, was sich allerdings auch vom kulturgeschichtlichen Gesichtspunkt aus rechtfertigen läßt 1 ά > 6 > ü (u) lautgerecht (o. S. 185, 187), während sl. u ein i ergeben hätte; hier und im folgenden denke m a n auch an das Kennzeichen in den Nebensilben: synkopierter Vokal weist auf dt., erhaltener (Schwalaut) auf sl. Abstammung hin. 2 eu > ά lautgerecht (o. S. 205f.). 8 S. auch Weinryb in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 74 (1930), S. 220, wo auch grundsätzlich die ganze Theorie widerlegt wird.

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(darüberim Allgemeinen Teil). Es bleibt auch bei der Erkenntnis der völligen Assimilation des sl. Elements (ebenso wie des h.) an das dt. im J., soweit wir den Lautwandel als Zeugen heranziehen. Denn selbst da, wo nicht dt.-j. Dehnungsgesetz gewirkt hat, sondern sl. Längen vorlagen, hätten diese unter Wirkung der sl. Lautgesetze nicht jene, dem Dt.-j. parallelen, qualitativen Veränderungen (o > oi, ρ > ώ u. dgl.) erzeugt, sondern wären verkürzt und wie p.-r. verändert worden. J a , es mag als Kuriosum erscheinen, eine lautliche Erscheinung, die als solche nur im h.-j. und sl.-j. Element, nicht im dt.-j. vorkommt, ist dennoch Folge dt.-j. Lautkräfte: Dehnung von α und ρ bzw. Erhaltung deren offener Länge vor j sowie die damit zusammenhängende Entwicklung eines j nach auslautendem ä, g, als Gegenstück zum Verstummen des j (dieses mehr im Westen, jenes mehrim Osten desMj.)erscheinenimH.-j. (S.270ff.) und Sl.-j. (S. 306ff.), während im Dt.-j. diese lautliche Kombination fehlt, gehen aber letzten Endes auf die dt.-j. Entwicklung von mhd. % > ai > äi > α* > α (S. 205f.) zurück und sind durch diese Tendenz erzeugt. Hat nicht auch das Sl. die j. Lautentwicklung beeinflussen müssen? Da es, im Gegensatz zum H., eine gesprochene Sprache war, hätte es doch sehr wohl die Artikulation der j. Laute mitbestimmen können. Nun ist in der Tat im gesamten Oj. im Bereich der reinen Phonetik ziemlich starker sl. Einschlag nicht zu verkennen, sehr deutlich bei den Konsonanten, aber auch bei den Vokalen, am stärksten im Noj., im Mj. mehr im Osten als im Westen. E r muß relativ jung sein, nj., da er im allgemeinen auf die Lautgeschichte nicht übergegriffen hat; 2 - 3 Generationen Vertrautheit mit der sl. Landessprache genügten dazu vollkommen, wie dies auch beim Rumänischen, Ungarischen, Englischen in bezug auf das rum., ung., amerik. J . genügt hat. Es ist daher natürlich, daß das Wj., mit Ausnahme des Swj., davon völlig unberührt geblieben ist. Nur das Noj., das von Anfang an der dt. Sphäre fast völlig entrückt in rein sl.-lit. Umgebung sich entwickelte1 - im Gegensatz zum Mj., das seine sprachliche Anlehnung an die dt. Kolonisten der Städte fand, und mit Ausnahme des kurl. J., das ebenfalls bis in die Neuzeit mit dem Dt. Berührung hatte hat schon zu Beginn der aj. Zeit, wie das Sl. die l a n g e n Vokale a u f g e g e b e n und damit die 1

S. auch im Allgemeinen Teil, S. 47-49, 52 f. 317

Veränderung der Q u a l i t ä t e n v e r h i n d e r t ; nur die Diphthonge konnten sich weiter verändern (s. unter den einzelnen Vokalen im dt.-j. Teil, besonders S. 190, ferner 214f.). Hier ist also das Sl. zu lautgeschichtlichem Einfluß gelangt. c) Vokale der unbetonten

Silben

Die Anpassung an die dt.-j. Lautvorgänge hat auch hier, wie im H.-j., zur völligen Entstellung der vollvokaligen sl. Nebensilben im Sl.-j. geführt, wobei, wieder wie im h. Element, die Tonverschiebung sehr oft ursprüngliche Haupttonsilben der Abschleifung preisgegeben hat. Nach den im dt.-j. und h.-j. Teil ausführlich behandelten Regeln, steht also in nachtonigen Silben allgemein t; vor x, r — ν (s. o. S. 242); nur selten erscheint υ anderweitig, entweder aus Dissimilation (gegen den andern Schwalaut) oder aus der Absicht, dem ursprünglichen Vokal näherzukommen. Beispiele: jarmiki (jarmulka, Käppchen), pastvx (pastuch, Hirt), wixv (wicher, Sturm), kapnUts, kapihts (kapelusz, Hut) u. a.

In den Vortonsilben, die nicht so häufig sind wie im h. aber häufiger als im dt. Element, wird wieder dem ursprünglichen Vokal mehr Rechnung getragen, indem er meist nebentonig erscheint, aber nicht immer. Beispiele: tändait (tandeta, Tand), zäwmoxt (zawerucha, Schneegestöber), pödwiri - pidwiri (podwire, Hof), pilimisik

(polu-

mysok, flache Schüssel). In den Präfixen po-, do- ist meist ο > wie es scheint unter Einfluß der ähnlichen dt.-j. bt>-, dv- (daher noj. oft irrtümlich zu cforentwickelt - s. S. 243) 1 , z.B. pmvol'i (powoli, langsam), dnkitsin (dokucza-, zusetzen) - noj. derkutsdn.

Synkope ist selten (im Wmj. häufiger) anzutreffen: gral'ni (goralnia, Brennerei), berkis neben bertkis (buraki, Rüben), sorx oder sox (soroch, leises Geräusch). Zuweilen ergibt sie ein -l, -n, z.B. rosl (rosol, Suppe), rogl' (rogal, Hörnchen), parky (parkan, Zaun), guln

(goli-, rasieren), spärp (spierα-, zanken) - hier also zwei seltene Beispiele für Anlehnung sl.-j. Zeitwörter an dt.-j. Formen. Doch als Regel muß gelten, daß alle sl.-j. Verben, da deren Stämme mit 1 Das gleiche ist auch beim p. Präfix ob- geschehen, das mit dt.-j. up- < ab- zusammengefallen ist; es ist aber wie dt.-j. immer betont.

318

Vokal auslauten, diesen als Murmelvokal vor der (an sich schon synkopierten) dt. Endung -n zeigen; demgemäß verrät ein -in, wenn es nicht einem h. Verbalstamm angehängt ist und nicht zu den besonderen dt.-j. (S. 242a-c angeführten) Fällen gehört, mit Sicherheit sl. Abstammung 1 . Nur Denominativa, deren Stämme konsonantisch auslauteten, haben keinen Murmelvokal, so tsapm (cap-, abnehmen, aufsaugen), jatvry (jatr-, eitern). Zur Apokope fehlte, wie im H.-j. (S. 297), die Voraussetzung (abgeschwächter Vokal); wo sie vorzuliegen scheint, muß sie außerhalb des J . eingetreten sein (in „verdeutschtem" Sl.?): βυ (furo,, Wagen), Icottms (kolbasa, Schinken), köles (kolesa, Kutsche), tändait (s. o.),

tastO (tajstra, Brieftasche). Besondere Erwähnung verdient Abwurf eines als dt.-j. unbestimmter Artikel mißverstandenen a, z.B., nndär (arendarz, Pächter), rest (areszt, Arrest).

Nicht selten ist der Sproßvokal im Sl.-j. zur Erleichterung der sl. häufigen Konsonantenverbindungen (oft bei -r-) - so ζ. B. jatvry, jodPri (jqd.ro, Kern), horip (horb, Höcker), karik (kark, N a c k e n ) ;

zuweilen auch unfester nach Vokallänge, z. B. gvPry-gury (gor-, Oberstock) 2 . Über die j. Maa. vgl. die Ausführungen im dt.-j. Teil. Hier sei nur die auffallende Zurückhaltung des Noj. im Abschleifen der Nebensilbenvokale, die auf die Beeinflussung durch das Sl. zurückzuführen ist, besonders hervorgehoben - oft bis zur treuen Wiedergabe der Qualität unter Herabminderung der Quantität. Die entgegengesetzte Tendenz tritt im Westen des Mj. auf.

IV. Neuentlehnungen u n d Fremdwörter Das wesentliche Merkmal sowohl der Neuentlehnungen wie der Fremdwörter 3 besteht in ihrer lautlichen Sonderstellung. In nj. 1

S. auch o. S. 297 und 288 Anm. 1. S. auch o. S. 244 f. und 297; im h. Element, das kaum Konsonantenverbindungen kennt, ist der unfeste, nach Vokal, das Gewöhnliche, hier umgekehrt - beide sind im Dt.-j. reichlich vertreten und dort aus den dt. Maa. zu Hause (s. S. 251). 3 Fremdwörter stammen aus neuester Zeit und sind auch ihrem Wesen nach dem j. Sprachempfinden fremd, Neuentlehnungen, ihrem Wesen nach als j. empfunden, sind aus neuj. Zeit. L a u t l i c h gesehen gehören sie zusammen. 2

319

Zeit (also nach Abschluß sämtlicher j. Lautprozesse) entlehnt, konnten sie ihren Vokalismus nicht mehr verändern. Die einzigen (geringen) Veränderungen ergaben sich lediglich aus der Notwendigkeit, die Neulinge der alten Sprache phonetisch anzupassen; sie sind also nicht größer als etwa diejenigen, die die Fremdwörter (nicht Lehnwörter!) im Deutschen erfahren haben. Die dt.-j. Neuentlehnungen wird man, da sie vom älteren, stark veränderten Dt.j. sich deutlich abheben, auf Grund dieser Richtschnur leicht heraussondern können, noch leichter die dt.-j. Fremdwörter, bei denen auch das gefühlsmäßige Moment ziemlich sicher leiten wird. Viel schwieriger ist dies beim sl. Element. Da hier auch altes Sprachgut zum größten Teil unveränderte Vokale hat, wird man sehr oft auf geschichtliche Zeugnisse oder auf besondere Kennzeichen, z.B. moderne Formen oder Begriffe, oder gar auf das Sprachempfinden allein angewiesen sein. Aber selbst dieses ist oft unsicherer als beim dt. Element, denn der zeitliche Abstand zwischen den „alten" und „neuen" Entlehnungen ist bei jenem viel geringer als bei diesem: die Entlehnungsbeziehungen des J. zum Sl. dauerten während der ganzen aj. und nj. Periode ununterbrochen fort, hingegen bestanden zwischen dem J. und dem Deutschen wohl im größeren Teil der aj. und zumindest auch im Anfang der nj. Epoche keine direkten Beziehungen1. Es war freilich kein bewußtes NeuEntlehnen. Manches Neue wurde von selbst eingejiddischt. Besonders geschah dies bei bereits bekannten Prä- und Suffixen, wie er- > dr>- {ddr-), -ung > -lyk, bei den Deklinations- und Konjugationsformen, bei Zusammensetzungen bekannter Teile. Die Vokale der Neuentlehnungen und Fremdwörter haben sich in ihrer Gestalt und Artikulation an die nächstliegenden Laute des J. angeglichen und sind ganz unverändert geblieben, sofern das J. die gleichen Laute aufzuweisen hatte. In den Tonsilben erscheinen demnach: 1 In aj. Zeit sind, noch bis ins 17. Jh. hinein, Entlehnungen aus dem Deutschen erfolgt, die sich dem alten dt.-j. Teil angegliedert haben — hierher gehören wohl miljün, äpijün, tats (Tasse), spitül u. dgl. — doch sind sie begreiflicherweise nicht mehr so viel und nehmen immer mehr an Zahl ab. Dann folgt — wie man ohne weiteres annehmen darf — eine größere Pause und erst in späterer nj. Zeit beginnen die neuen Entlehnungen, deren größter Teil in die allerletzte Zeit fällt, und zwar vornehmlich aus der dt. Schriftsprache.

320

nhd., nhd., nhd., nhd., nhd., sl. sl.

sl. α sl. e, ä, sl. i, ü, sl. ο / sl. u , 0

§ q

ö y

als j. a als j. e als j. i als j. 0 als j. 11 als j. en als j. 071

Λ

nhd. a als Λ Λ t. nhd. e, α, ο als Λ A nhd. ι, u als nhd. 6 als A nhd. U als nhd. ai, ei, äu, eu als nhd. au als

j. j j. j. j. j. j.

Λ a

ei1 A

% Φ1 A

U ai ou

Die mundartlichen Schwankungen sind gering. Sie sind im großen ganzen durch die Artikulationsverschiedenheiten (hinsichtlich der Quantität wie der Qualität) gegeben. Nur die nhd. Diphthonge lassen unter Umständen bedeutendere Unterschiede auftreten. Wo einer der hier genannten j. Laute unbekannt ist, z.B. ou im Noj., ai im Omj., erscheint gewöhnlich, namentlich wo das Empfinden der Analogie zu Formen aus dem älteren Bestandteil waltet, die nächstliegende heimische Entsprechung, also oi bzw. ei. Bei den unbetonten Silben der Neuentlehnungen und Fremdwörter darf man zwei Kennzeichen als die charakteristischen hervorheben: 1. die möglichst geringe Abschwächung der Vokale (d.h. im allgemeinen Erhaltung der Qualität sowie meist geringere Verminderung der Quantität) - das gilt weniger von den geschwächten e-Lauten; 2. die Erhaltung des frei auslautenden e in den deutschen Wörtern als % (also keine Apokope nach Regel 1 S. 240f.). Manches andere haben sie mit dem älteren J. gemein, z.B. -en, -el, -er > -n (-y, -m), -l, -υ in deutschen Wörtern; ι für abgeschwächte Vokale (namentlich offener Silben) im In- und Auslaut, was besonders im sl. Teil sehr auffällt. Zur Illustration einige Beispiele (nach der og. Mundart): tehgrdm, lägt, lägt), kanäl, rornän, Jcempfm, dnergts, frantseizis, enargi, ngiruyk (-riyk)2, orgvniziry, bnrgn, srhgln, giburt, rum, sprux, jugpt, wdloup, drloubm2, frou, Stoup, gmou, jbvhoupt, kantsldi, tsaituyk (-tyk), frdilain, Iditnant ; sl. pvradi, park, obrdztn (beleidigen), zesit (Heft), tlhl'adnik (Geselle), rumidmk (Kamille), kujm („hämmern", „pauken"), vmjtsi (Onkel), bul'bi (Kartoffel), pozwol'm (erlauben), lontsm (verbinden), loyki (Wiese), dekl'ordts^ji, sotsializm. 1

Das J. hat kein e und ö.

2

Mj. rigiri jk u. ä., noj. darloibm u. ä. sind eingejiddischt. 321

Nicht eigentlich hierher gehören also die m o d e r n e n Nachbildungen dt. Wörter mit Hilfe alter j. Elemente; selbst wenn man sich der j. Elemente erst nachträglich bewußt wird, werden an Stelle der nhd. Vokale die durch die j. Entwicklung verschobenen eingesetzt, in Analogie zu den bekannten Elementen des J. Beispiele: Vergleichung — fogl'äxtpg, unglaublich — imgl'aiblnx, bewundem - bmvindvry, begreifen - bngraifm1. Durch Mißverständnis bzw. Volksetymologie hervorgerufene Verunstaltungen betreffen den Vokalismus, wie den Konsonantismus, nur in geringem Umfange; man vgl. hierzu die wenigen Beispiele und die Ausführungen im konsonantischen Teil (u. S. 396). Hier ist allerdings das Sprachbewußtsein irregeführt worden: ai < mlid. % hätte ά ergeben müssen, wurde aber mit ai < ei identifiziert, weil das Grundverb im J. nicht vorhanden ist. Wo also die Grundlage zur Analogie fehlt, wird wie bei Neuentlehnungen verfahren. 1

322

Β. Konsonantismus

I. Der deutsch-jiddische Bestandteil α) Allgemeine Erscheinungen Im Gegensatz zum Vokalismus hat sich der Konsonantismus des J . im wesentlichen nicht verändert, als sich dieses vom Dt. losgelöst hatte. Die urj. Stufe hat sich, von geringen Abweichungen abgesehen, bis heute erhalten. Das hat auch die Entstehung größerer mundartlicher Differenzen verhindert. Soweit heute noch einige mundartliche Unterschiede festzustellen sind, betreffen sie meist nur die Artikulation und sind im allgemeinen ziemlich unbedeutend, oder aber sie sind z.T. schon in den urj. Verhältnissen begründet. Es ist also nicht mehr, wie beim Vokalismus nötig, die urj. Stufe zu ermitteln, um von ihr aus das Verhalten der Maa. zu erklären. Wenn daher in diesem Teil von j. Konsonantismus die Rede ist, so ist damit ein zeitlich und räumlich gemeinj. Zustand gemeint. Wichtigere mundartliche Besonderheiten werden daneben noch berücksichtigt. 1. L A U T V E R S C H I E B U N G Die T e n u e s v e r s c h i e b u n g zeigt im J . folgendes Bild: im Anlaut germ, t > normalmhd. ζ = j .is germ, ρ > normalmhd. pf > j. / germ, k — normalmhd. k = j. k 323

Beispiele: tsät (Zeit), tsün (Zahn), tsiyk (Zunge), tsgn (zehn), tsory,

fäl (Pfeil), fein (Pferd), flikp (pflücken), fan (Pfanne), fint (Pfund), kalp (Kalb), keivry (Kern), kint (Kind), kl'uk (Klage), koil (Kohle);

in der Gemination germ, t > normalmhd. tz, ζ = j. ts germ, ρ > normalmhd. pf > j. ρ germ, k = normalmhd. ck = j. k Beispiele: kats, hits, zetsn, nitsn (nützen), kl'ots, sepm (schöpfen), tsop, stopm, epl (Apfel), knipm

(knüpfen), aho (Acker), dekp, stik

(Stück), riky (rücken), bakr);

nach Liquida germ, t > normalmhd. ζ = j. ts germ, ρ > normalmhd. / = j. / germ, k — normalmhd. k = j. k Beispiele: holts, harts (Herz), kertso (kürzer), Smeltsn, helfm,

dorf,

darfm (bedürfen), warfm (werfen), sarf, mdkr), stark, wolky,

folk,

-wark (-werk, als Kollektivsuffix); nach Nasal germ, t > normalmhd. ζ = j. is germ, ρ > normalmhd. pf > j. ρ germ, k = normalmhd. k — j. k Beispiele:

krants,

swonts (Schwanz), gl'antsn

(glänzen),

flantsn

(Pflanzen), Stimptk (stumpf), zimpik (sumpfig), dimptk (dumpf), kram,1 < kramp ( K r a m p f ) , seykm, wiykm, liyk, bagk, fiyk (Funke);

nach Vokal germ, t > normalmhd. JJ, j = j. s germ, ρ > normalmhd. ff,f — j. / germ, k > normalmhd. ch = j. χ Beispiele: wasn (Wasser), besv, dus (das), bäsn (beißen), hais, fefn, slufm

(schlafen), koifm

(kaufen), ofrn (offen), sif,

maxy,

wai°x,

kriPxy (kriechen), roi°x (Rauch), stexy.

Selbstverständlich bleiben im J., wie im Hd., die Lautgruppen st, sp, sk (> sch), ft, ht, tr unverschoben - also stain (stehen), spiln, 1

S. u. S. 360.

324

§atn (schaden), lift (Luft), rext, wintn usw. Ebenso sind auch die gemein-hd. (z.T. nur scheinbaren) Ausnahmen dem J. eigen, z.B. karpm (Karpfen) oder milnx (Milch), das seine Spirans der ursprünglich postvokalischen Stellung des k (< miluk) verdankt 1 . Darüber hinaus bietet das J. noch einige besondere Eigentümlichkeiten, die auf hd. Gebiet mehr an bestimmte Gegenden gebunden sind. J. kal°x, marvx (Knochenmark) zeigen gegenüber dem Normalhochdeutschen ein an sich typisch süddt., verschobenes k\ das erste ist auch im Omd. gang und gäbe (vgl. Unwerth 53, ObsWb II 8 b , Hertel 129), das zweite nur obd. vorhanden (vgl. BWb I 1647, Schwld IV 400). Demgegenüber steht waiky (weichen, von „weich") mit lautgesetzlichem obd. k (für germ, 'kj- vgl. DWb 14i, 505, BWb II 834). J. pitsl (Stückchen) mit AfFrikata gegenüber und neben bisl (bißchen) mit Spirans entspricht dem mundartlichen (obd. wie md. häufigen) bitzel u.dgl. (vgl. ObsWb 1112*, Sütt. 224). Speziell md. (bzw. nd.) sind Formen, wie knäpm (kneifen - DWb. 5, 1406), plimp (Pumpe

-

Kluge 460 a ), Up (Lippe - Lex. I 1856) u.ä. Über einzelne j. Weiterbildungen verschobener Laute s. u. bei den Dentalen. Sehen wir von den Einzelfällen ab, so zeigen sich die j. Besonderheiten bei der Verschiebung des Labials; Dental und Guttural sind wie im Normalmhd. behandelt. An Stelle der normalmhd. Affrikata steht im Anlaut die Spirans, in der Gemination und nach Nasal der ursprüngliche Verschlußlaut; d. h. das J. stimmt hierin - wie schon Gerzon (S. 131) richtig erkannt hat - vollständig mit dem Omd. überein, welches pp und mp nach md. Art überhaupt nicht, dagegen anlautendes ρ nach obd. Art zu pf verschoben hatte, aus dem sich schließlich in spätmhd. Zeit (Paul-Gierach § 94) - seit 1400 belegt (Maußer 434) - durch Entlastung / entwickelt hat. Freilich kann hieraus nicht geschlossen werden, wie Mieses (S. 60) zu Unrecht die Behauptung Gerzons zuspitzt, „daß das osteurop. J. in Ostmitteldeutschland entstanden sei", da die nach Oberdeutschland weisenden Merkmale im Vokalismus wie im Konsonantismus (aber auch ganz besonders im Wortschatz) nicht zu unterschätzen sind. Was aber daraus gefolgert werden kann, ist, daß in diesem 1

Vgl. hierzu Paul I 286, wo die p//p-Formen hinter r besprochen werden; interessant ist dabei, daß das J. wohl das md. beliebte Karpen nicht aber das obd. scharpf, sondern das md. scharf aufgenommen hat. S. auch über hers bei den s-Lauten (S. 365).

325

Fall das omd. Element den Sieg über das obd. davongetragen hat. Berücksichtigt man freilich die Tatsache, daß es sich hier um ein ganz besonders wichtiges und tiefgreifendes Symptom handelt, so wird man sich daraus (gestützt auch auf die anderen Symptome von ebenso großer Bedeutung - vgl. z.B. SS. 204f., 209f., 221, 229, 255 usw.) den weiteren Schluß erlauben dürfen, daß das Omd. in entscheidenden Dingen zur Grundlage des J . geworden ist. Dennoch leugnet dies Mieses, indem er sich auf die älteren schriftlichen Denkmäler des Wj. (aber auch auf ein oj. Denkmal des 17. Jh.s) beruft, in denen das normalmhd. pf erscheint, und behauptet dann, von der Annahme „vollkommener Wesensgleichheit" zwischen Oj. und Wj. ausgehend - wobei Wj. mit dem älteren Jüd.-dt. (der Bibelübersetzungen) einfach gleichgesetzt wird das bair. pf sei im Anlaut mindestens bis ins 17. Jh. gesamtj. gewesen und erst später unter Einwirkung des Sl. im Osten zu / vereinfacht worden (Mieses 58ff.). Dies ist in höchstem Grad unwahrscheinlich. Es ist undenkbar, daß ein so junger Vorgang (wohl im 18., frühestens im 17. Jh.!) sämtliche j. Maa. so einheitlich und ausnahmslos erfaßt hätte, daß sich im gesamten Nj. keine einzige Spur des älteren pf auffinden ließe. Die Sache wird aber noch viel komplizierter, wenn wir den Inlaut in Betracht ziehen. Hier scheint Mieses das ρ < pf für altes Gut zu halten - als junge Rückverschiebung des pf läßt es sich auch nicht gut erklären - und begnügt sich mit dem Hinweis auf Schmeller § 618, wonach „auch in mancher bayrischen Gegend" ρ für pf steht (Appel, Kop - Mieses 60), um die These vom bair. Ursprung des J . zu stützen. Indes ist jene „bayr. Gegend" sprachlich fränk. Gebiet und von einer bair. Ma., die germ, ρ unverschoben gelassen hätte, weiß keine deutsche Grammatik zu berichten 1 . Hält man aber mit Mieses an der Annahme des wj. -pf- (nach den ältesten schriftlichen Denkmälern) fest, dann müßte man doch zumindest für das Oj. den entscheidenden Einfluß der nicht verschiebenden md. Zone annehmen und damit die Behauptung von der vollkommenen Wesensgleichheit des Oj. mit dem Wj. aufgeben. Diese „vollkommene Wesensgleichheit" muß indes auch schon problematisch erscheinen, namentlich wenn man bedenkt, welche 1 Die vereinzelten Schreibungen, die Weinhold (BGr. 126) aus älteren Schriften anführt, sind - wie er selbst bemerkt - keine organischen bair. Formen.

326

grundlegenden Unterschiede sich im Vokalismus gezeigt haben (z.B. bei mhd. ei - i, ou - ΰ\ s. da). Die daraus zu ziehenden Schlüsse lassen auch die weiteren Annahmen M.s nicht mehr zu. Noch schlimmer steht es um diese These, wenn man einfach unter W j . die Sprache der älteren schriftlichen Denkmäler versteht, die durchaus nicht ohne weiteres als Vorstufe des heutigen J . angesehen werden darf (siehe auch im Allgemeinen Teil, S. 40f., 64, u. o. S. 290f.). Das heute erhaltene Wj., das Swj., hat ρ im In- und Auslaut und f im Anlaut - z.B. klopm, strimpl (Strümpflein), kop, krephx (Kräpfchen), fünt (Pfund) fendl (Pfännchen) u.a. 1 . Wenn nun vollends auch in den älteren schriftlichen Denkmälern ρ neben pf auftritt, dann muß auch hier an dem rein bair. Charakter gezweifelt werden: ρ sprach man, auch als man pf schrieb. Somit besteht kein Anlaß, auf Grund der älteren Schriften das erwähnte Resultat anzuzweifeln. Die Tatsache, daß heute noch das Gesamtj. völlige Übereinstimmung aufweist, daß sowohl die Regeln als auch die A u s n a h m e n gemeinj. sind, wird man mit Recht so auswerten dürfen, daß man den heutigen Zustand als a l t , a u s D e u t s c h l a n d m i t g e b r a c h t , m i t h i n u r j . bezeichnet. Dies läßt sich zeitlich durchaus rechtfertigen, da omd. / < pf seit 1400 belegt, in der gesprochenen Ma. wohl schon früher vorhanden ist. Von geringerer Bedeutung ist die M e d i e n v e r s c h i e b u n g . Das unübersichtliche Bild, das dieser Akt im Ahd. und Mhd. hinterlassen hat, spiegelt sich auch im J . wider. Von einer einigermaßen durchgeführten Verschiebung kann man nur beim Dental sprechen, und auch hier nur mit Einschränkung. J.-hd. t ist die regelmäßige Entsprechung des germ, d, so fast in allen Stellungen, in sehr vielen Fällen auch hinter l, n, nach η sogar häufig gegen die nhd. Schriftsprache - z.B. futv (Vater), mitl, tuk (Tag), tül (Tal), tail, zätn (Seiten), wätv (weiter), rätn (reiten), kalt, haltn, eltt) (älter), hintn; hentl, hintl, bintl (Dim. zu: Hand, Hund, Bund), wintl, wentl (zu: Wind, Wand). Doch ist nicht selten, gegen die nhd. Schriftsprache oder in Einklang mit ihr, d nach Sonoren erhalten geblieben, besonders auffallend hinter r- z.B. geldv (Gelder), mild}, windv (Wunder), blindi, beiMl (Bärtlein), sweivdl (Schwertlein), giwaldis (,,Gewalt"-Rufe), Adj. giwaldik und gtwaltik. Dieser Zustand im J., zumal insofern er von der nhd. Schriftsprache hinter Sonoren ab1

Vgl. A m Urquell VI. 150ff.; Der Urquell I 83, 119f., 272.

327

weicht, ist gewiß auf einen Kompromiß zwischen dem verschiebenden Obd. und dem nichtverschiebenden Omd. zurückzuführen (vgl. Paul-Gierach § 94, Maußer 452). Bei den Labialen und Gutturalen weist das J . eindeutige Verschiebung nur der Geminata auf: rip (Rippe), ek (Ecke), brik (Brücke); sonst tritt meist Lenis auf. Über Beziehungen zu dt. Maa. siehe bei den einzelnen Konsonanten. Die S p i r a n t e n v e r s c h i e b u n g kann im J . als vollständig durchgeführt gelten. Das J . kennt, wie die nhd. Schriftsprache, nur den Verschlußlaut b, g für die germ. Spirans; über die vereinzelten w < b, die auch als nachträgliche Spirantisierung von b angesehen werden können, - s. unter den Labialen S. 357. Wohl wird m a n hierin einen Zug des radikal verschiebenden Bair. (ja sogar unter Ausschluß des Nordbair. - siehe Maußer 459,461) erblicken dürfen, wird sich aber mit Recht auch auf die Begünstigung derselben durch die Schriftsprache berufen können, deren Wirken dort besonders ins Gewicht fällt, wo ihre Gegenspieler stark mundartliche Prägung aufweisen. Bair. ist auch die Tendenz zur Rückverschiebung b > b > w, was im J . allerdings nicht häufig ist (Maußer 56). Fest steht jedenfalls: Niederdeutsch und Fränkisch müssen beim Vergleich mit dem J . grundsätzlich ausscheiden.

2. G R A M M A T I S C H E R

WECHSEL

Die Ergebnisse der 1. Lautverschiebung können wegbleiben, da sie für die Erforschung des J . bedeutungslos sind. Hingegen verdient der grammatische Wechsel Erwähnung als eine in mhd. Zeit noch vielfach durch Schwankungen und Rückgänge berührte Erscheinung. Das J . h a t in einer Anzahl Wörter noch den grammatischen Wechsel erhalten, z.T. auch da, wo das Normalnhd. ihn aufgegeben hat, aber doch auch nicht mehr ganz in dem Ausmaße wie das (freilich an sich schon stark ausgeglichene) Mhd. So zeigt sich der Wechsel d-t in: snädn (schneiden) - gisnitn1, mädn - gimitn (nhd. gemieden — mundartlich aber, namentlich obd., noch gemitten, BWb I 1570), lädn — gilitn, zidn - gizotn; h — g in: tsiin2 (ziehen) - güsoigy, zäim — 1 2

Das Prät. ist im. J. verlorengegangen. Zum Schwund des h im Inlaut - s. u. S. 374.

328

gtzig'p (nhd. seihen - geseiht; mundartlich noch h e u t e g - z . B . B W b I I 248, ObsWb I I 509 a ), laiin - giligy (nhd. geliehen, schon mhd. gelihen, daneben noch geiigen - Lex. I 1917).

In anderen Fällen hat das J. den grammatischen Wechsel wie das N h d . , z . T . auch schon das Mhd., ausgeglichen so: slugy - gtslugy (auch mhd. - md. schon slagen1), tswugy - gitswugy (auch mhd. obd. schon zwagen für normalmhd. twahen2), heygm gthoygm

(das nach vielfachen Ausgleichen, wie im Nhd., die 4 mhd. Verben in sich vereinigt 3 ), zein (sehen) - gizein, gisein (geschehen) -

gisein

(beide schon mhd., wenn auch daneben gesegen, geschehen - obd. wie md. - vgl. Weinh. Mhd. Gr. 220f., 224), fvltPrp - fvloftry

{ver-

lieren auch mhd. schon häufig neben dem gesetzmäßigen Verliesen - Lexer I I I 162), jeinry

- gijoinry

(mhd. jern, neben jesen4,

aber

nur gejesen; die Form mit r und Ablaut nach der IV. Reihe ist nhd. und vor dem 15. Jh. nicht bezeugt 5 ) 6 . Auf der anderen Seite stehen im J. Formen mit nur scheinbarem grammatischem Wechsel. In Wirklichkeit handelt es sich wohl hier entweder um Analogiebildungen, die auch im Mhd. auftreten, wie in späiin (speien) - gispigy,

sräiin - gisrigy7;

oder, wie bei fliin - gi-

8

floigy , um die Verschmelzung der beiden ähnlich lautenden (und auch in der Bedeutung nicht weit entfernten), aber etymologisch verschiedenen Zeitwörter fliehen u n d fliegen (mit der B e d e u t u n g des

letzteren 9 ). Es ist schwer, aus den hier geschilderten Verhältnissen bestimmte Schlüsse zu ziehen. Man wird nur feststellen können, 1

Lex. II 958. Maußer 140. 3 Das ausschließliche e im Präs. ist j. Ausgleich, und ist gewiß schon früher, unabhängig vom nhd. (namentlich norddt.) Gebrauch der letzten Zeit (s. Paul Wb 242 a ) eingetreten; Part. Prät. mit α ist bis ins 18. Jh. noch nhd. allgemein, auch in transitiver Bedeutung, gebraucht worden (ebenda 241 b ); zu α > ο vgl. ο. S. 186. 4 Lex. I 1480. 6 DWb 4. I. 1, 1351. β Von den Verben, die schon in mhd. Zeit fast aussschließlich ohne grammatischen Wechsel erscheinen, also keinerlei Besonderheiten im J. aufzuweisen haben — wie lesen, laden, werden usw. — kann hier abgesehen werden. 7 Vgl. Maußer 1082 ff. 8 Vliehen hat mhd. keinen gr. Wechsel - vgl. Maußer 1093. 8 Vgl. fliehen - geflogen im Frühnhd. bei Sütt. 427 und „fliehen" in der Bedeutung „fliegen" im Frühnhd. - DWb 3, 1781. a

329

daß das J . 1.) auch hier gewissermaßen eine Mittelstellung zwischen Mhd. und Nhd. einnimmt, wobei man mit manchen Formen in die frühnhd. Zeit hinabrückt 1 (so wohl gijoivrr), fliin-gtfloigr), heygmgihoygm u. dgl.); 2.) wohl wieder obd. (bair.) und omd. Elemente vereinigt. Über diese allgemeine Feststellung kommt man jedoch nicht hinaus ; besonders schwer wird auch hier zu entscheiden sein, ob nicht gewisse frühnhd. Erscheinungen als omd. Eigentümlichkeiten angesprochen werden sollten.

3. STIMMTON U N D I N T E N S I T Ä T Die Geräuschlaute zerfallen nach der Stärke des Geräuschs in Lenes (b, d, g, w, z, z, dz, ds) und Fortes (ρ, t, k, f , s, s, ts, ts, x). Die Lenes besitzen, wie in sehr vielen deutschen Maa., schwachen Stimmton, die Fortes sind unbehaucht und von geringerer Intensität als im Normalnhd. Das Auftreten von Lenes und Fortes im J . ist außer durch Etymologie und Lautwandel auch durch Wort- und Satzstellung bedingt. Hierbei gelten im allgemeinen folgende Regeln: 1. Im wirklichen Auslaut, d. i. im Auslaut eines Sprechtaktes, verhärtet historische Lenis zur Fortis. Solche Verhärtung unterbleibt also oder wird rückgängig gemacht, wenn der Wortauslaut innerhalb des Sprechtaktes hegt. Es kommt jedoch vor, daß durch sehr gebräuchliche Verwendung im Wortauslaut das Bewußtsein der Lenis geschwunden ist und die Fortis sich ganz durchgesetzt hat. 2. Im Inlaut (des Wortes oder Sprechtaktes) a) sind Vokale und Sonore ohne Einfluß, wogegen b) Geräuschlaute aufeinander assimilierend 2 wirken, meist regressiv, selten progressiv, und zwar so, daß (I.) Lenis vor Fortis immer zur Fortis wird, 1

S. auch bei den Ablautsverhältnissen im J. - o. S. 241 f. Hier nur in bezug auf Fortis und Lenis; über Assimilation im eigentlichen Sinne und anderes (Vereinfachung der Gemination u. dgl.) weiter unten. 2

330

(2.) Fortis vor Lenis wohl meist zur Lenis wird, gelegentlich aber auch die Lenis fortisiert, so die Dentale vor dental anlautender tonloser Enklise. Allerdings muß bemerkt werden, daß diese Erscheinungen viel mehr in die Phonetik als in die Lautlehre hineingehören. Sie sind meist unbewußt und variieren sehr nach dem Redetempo und der Neigung zu Wortverbindungen, was sowohl vom Individuum als auch von der Sache abhängen kann. Trotzdem wurden sie hier erwähnt, weil sie nicht selten auch die historische Entwicklung der Laute (z.B. b > ρ - S. 353; g > Je - S. 373) und deren schriftliche Wiedergabe bestimmt haben. Beispiele: 1. υ tuk (ein Tag) - tug maxt (Tag und Nacht), υ hous - υ h&zl (Häusel) - in houz vrän (herein), priwm (prüfen) - gib ν prif (prüf mal) — υ priw geibm, gip - gib im (gib ihm); doch auch: M°z in ras (Hirse und Reis) - ras in MPs, υ but (Bad) - υ bitl (Diminutiv) obgleich: beidv (PI.); und: υ süt (schade) - ν sut iz (ist), nemt vwek (nimmt weg) - uweknemin, räst up (reißt ab) - upräsn, stanndtk („stehendig", so das j. Partizip) - stanndjL· (Plural) - staiindikthait (Adverb). 2. a) haltn - halt - halt tm - halt mvx (halte mich), laigy (legen) laik (Auslaut) - laig is - laig nist, lozn (lassen) - los - loz im, loz lign (laß liegen); b) (1) zugp (sagen) - zukt - zuk snel, obm (haben) - xop fdnt („feind", ich hasse) - xop soin (schon); (2) riky (rücken) - rig dvx (dich) - rig zi (sie), rifm (rufen) - gib a rif (ruf' mal) - v> riw gtgein (gegeben), rot im, (er hat ihn) - rod gizein (gesehen) - rotvx gizein (er hat dich gesehen, bei tonloser Enklise) - rotsi (er hat s i e . . e b e n s o ) gizein - rodeivx (er hat dich) gizein rödzi gizein, trifvks („Triefwachs"), ouzugy („aussagen"), υχ wot (ich wollte = würde) vx wod giwold zein (ich würde gern sehen, „wollte gewollt"). Nicht immer erreicht die Fortis bei Erweichung die Stufe einer vollen Lenis, zuweilen ist es nicht mehr als ein Mittellaut, doch steht auch dieser meist der Lenis viel näher. Im einzelnen sind Schwankungen festzustellen. Hingegen darf man bei der Verhärtung 331

der Lenis im allgemeinen mit Recht von einer vollen Fortis sprechen. Andererseits neigt die Fortis vor Sonorlauten zuweilen zu einer etwas schwächeren Artikulation, obwohl sie auch dann noch absolute Fortis bleibt. Von den j. Spiranten ist χ der einzige Laut, der den Lenisierungsgesetzen nicht unterliegt oder doch zumindest nicht in dem Maße, wie die übrigen Geräuschlaute; bestenfalls ist es eine schwache Fortis - die weiche Gutturalspirans 3 besitzt das J . nicht (siehe aber die Einschränkung weiter unten). Dasselbe gilt auch für die Affrikata ts - ts, obwohl das J . auch die weichen Affrikaten dz - dz kennt und diese wohl die Verhärtung erfahren. Es kommt darin die aus dem bisher Gesagten schon deutlich hervorgehende Überlegenheit der Fortis gegenüber der Lenis im J . zum Ausdruck. Die (einfache) Lenis vermag die doppelt starke Affrikata nicht mehr sich anzupassen; vielmehr neigt sie selbst dazu, dieser entgegenzukommen, indem sie etwas mehr Härte annimmt und oft zu einer Art Halblenis wird. Die geschilderten Assimilationsvorgänge betreffen lediglich die im In- und Auslaut zusammentreffenden Konsonanten. Anlautende Konsonantenverbindungen z.B. kw-, tsw- - sie können bei der j. Artikulationsart nur die Reihenfolge Fortis + Lenis einnehmen 1 bleiben unverändert bestehen, wenn nicht Entlastung eintritt, wie tsisn (< zwischen - s. auch S. 361 Anm. 1). Die hier etwas stärker ins einzelne gehende Schilderung beruht auf den Verhältnissen der og. Mundart. In großen Zügen trifft sie freilich das gesamte Mj., das eine ziemlich einheitliche Struktur aufweist, wenn auch gewisse (weniger auffallende) Schwankungen im einzelnen hervortreten. Sie trifft wohl ebenso auch das Swj. 2 . Das els. J., das sich in seinem Zusammenfall von Verschluß-Lenes und -Fortes zu Fortes ganz vom eis. Deutsch abhängig erweist (vgl. ElsWb I I 1 u. 637), bleibt abgesondert. Größere Abweichungen hat das Noj. aufzuweisen, das, wegen seines wie sonst durch gewissenhaftere Artikulation bedingten Konservatismus, eine et1

Daher mußte bei Synkopierung des e in Gevatter im J. Jcwato entstehen. 2 Doch läßt sich auch weitgehend moderne obd. Beeinflussung feststellen. Auch im untergegangenen Wj. überhaupt war besonders obd. Einfluß nachzuweisen, obgleich es an lokaler Färbung der Neuzeit durchaus nicht gefehlt hat.

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was stärkere Neigung zur Lenis erkennen läßt. Dies erscheint z.B. in der möglichsten Vermeidung der Auslautsverhärtung. Ob man mit Birnbaum (J. Gr. 22) - annimmt, daß hier die auslautende Lenis erhalten bleibt, oder - mit Gutmann (IWI II 107) - daß sie als solche einsetzend erst allmählich in die Fortis übergleitet1 - in beiden kommt dieselbe Tendenz zutage; und schließlich scheint da auch die weiche Gutturalspirans nicht ganz unbekannt zu sein (daselbst) 2 3. Es ist hier begreiflicherweise schwierig, Beziehungen zu deutschen Mundarten zu finden; wir müssen uns mit einigen allgemeinen Feststellungen zufriedengeben. Die Auslautsverhärtung und Assimilation sind in den allgemeineren Zügen gemeinmhd. Erscheinungen (vgl. Paul § 64). Die Tatsache, daß das J. noch einen schwachen Stimmton gerettet hat, würde man vielleicht wieder für eine Beziehung zum Md. auswerten können, das in mhd. Zeit noch ebenfalls tönende Lenes hatte (vgl. Michels 106, Maußer 553). Allerdings ist dies trotz mancher Wahrscheinlichkeit noch unsicher; auch im Obd. scheint es noch stimmhafte Lenes gegeben zu haben (vgl. Schwarz 42). Die Unbehauchtheit der Fortes findet im allgemeinen in den mhd. Zuständen eine Begründung (vgl. Michels 107); höchst wahrscheinlich spielt aber dabei auch das Sl. eine gewisse Rolle.

4. GEMINATION Das J. kennt keine Gemination. Demgemäß erscheinen sowohl die alten mhd. Geminaten als auch die neuen, infolge der spätmhd. Quantitätsregelung eingeführten, vollständig vereinfacht; z.B. jaln,

swimtn,

brenm,

där (dürr), esn, bakp, epl, hop, safm,

mitv

(Mutter), tsiturr), harrw, dinv (Donner), topl (doppelt). Das bedeutet, 1 Letzteres habe ich auch selbst beobachten können; vielleicht spielen hier auch landschaftliche Besonderheiten innerhalb des Noj. eine Rolle. 2 Gutmann führt z.B. an, daß ix wet (ich wette) wegen der weichen Aussprache des χ wie J sehr leicht mit ir wet (ihr werdet) verwechselt werden kann. 8 Ich muß mich hiermit begnügen; das Nähere bleibt einer Einzeluntersuchung des Noj. vorbehalten, wie denn auch die übrigen Mundarten im einzelnen noch untersucht werden müssen.

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daß das J . die in mhd. Zeit vorhandene Artikulation der Geminaten als wirklich lange Konsonanz mit zwischenliegender Exspirationspause aufgegeben und statt dessen die schon in frühnhd. (spätmhd.) Zeit übliche Aussprache 1 allmählich eingeführt hat (vgl. Michels 110, Maußer 565), wobei im Inlaut die Silbengrenze v o r nicht i n den Konsonanten fällt. Gegen das J . stehen hier das Schi, mit früher noch allgemeiner Erhaltung der Konsonantenlänge (Unwerth 45f.), ebenso der Süden des Schw.-Al. (Jutz 170, 178), während doch die übrigen Mundarten, namentlich die für das J . in Betracht kommenden ostobd. u. omd., fast durchweg die Geminata vereinfacht haben (vgl. Schmeller §§ 542, 555, Gerbet 107, Gebhardt 22, Haus. 74). Die Vorverlegung der Silbengrenze ist eine Eigentümlichkeit des Süddeutschen gegenüber dem Norddeutschen (Sütt. 80). Diese Aufhebung der Verdoppelung wird, wie in vielen deutschen Mundarten - es sind im allgemeinen wieder dieselben (vgl. Sütt. 70, 250) - , mit einer über die normalnhd. Umgangssprache hinausgehenden Konsequenz auch auf alle diejenigen Fälle ausgedehnt, in denen Gemination durch Ausfall von Vokalen oder im Sandhi entsteht. Formen wie „am meisten", „heraufführen" u. dgl., die in der nhd. Umgangssprache eine tatsächlich lange Konsonanz bieten (vgl. Sütt. 70, 76), unterhegen im J . diesem Vereinfachungsgesetz; so heißt es: vmaistn (am meisten), mofiry (herraufführen), ό beitin (< υ beit tin), υ kigein( zen'n >

zenn.

1 Diese Aussprache ist bereits mit der Einführung der Doppelschreibung an historisch unberechtigter Stelle, zur Andeutung der Vokalkürze, als deren Voraussetzung anzunehmen: ,,mhd. doner wird jetzt Donner geschrieben, weil z . B . mhd. sunne in der nhd. Aussprache zu Sone geworden war" (Behaghel 206). 2 beit, kik (bitt-, guck-) sind Verbalsubstantiva, die in Verbindung m i t den Verben tun, geben eine einmalige rasche Handlung ausdrücken. 3 Assimilation k > g — wie oben S. 331. 4 Zuweilen freilich möchte man zweifeln, ob sie nicht eher in den Konsonanten verlegt werden sollte, doch wird dessen Einfachheit (Kürze) dadurch nicht beeinträchtigt.

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5. G R U P P E N E N T L A S T U N G U N D KONSONANTENVERSCHLEIFUNG Eine andere Art von Konsonantentilgung ist die Gruppenentlastung im Auslaut betonter Silben. Sie tritt ein 1. in einsilbigen Worten, die in einer Konsonantengruppe 2 Verschlußlaute bzw. (Verschluß enthaltende) Affrikata + Verschlußlaut enthalten, und ebenso in deren mehrsilbigen Ableitungen, wenn sich kein Sproßvokal dazwischenschob, z.B. mark (Markt), kints (Kunst) 1 , zamt ( < mhd. sambt), pintnli2

(Pünktlein), aber:

nakit; zuweilen ist die Apokope unfest, z.B. its (jetzt) - itst itstv - its gai vx (gehe ich); 2. in der Silbengrenze, wenn dem auslautenden Verschlußlaut (dem meist ein Sonorlaut vorangeht) ein anlautender Geräuschlaut folgt, z.B. bromfm — bröfm (Branntwein), cm/» - efv (Antwort), kimpU

(mhd. kindbette),

bdrnbet („Bankbett" =

Schlafbank),

leiknx (Lebkuchen) 3 4. Sie ist nicht häufig und nicht konsequent ausgedehnt, wie die Vereinfachung der Gemination, hat daher auch die eigentlichen Zusammensetzungen nicht ergriffen. Auch kommen hier mundartliche Schwankungen vor: noj. entfdry u.ä. Mit diesem Entlastungsvorgang verwandt, ebenso auf die Erleichterung der Artikulation abzielend, ist die Konsonantenverschleifung in unbetonten Silben, die der Vokalschwächung parallel läuft und häufig mit ihr verbunden auftritt (z.T. sogar als Folgeerscheinung derselben). Sie trifft entweder den auslautenden oder einen in der Auslautsverbindung stehenden Laut - bei enklitischen Wortverbindungen ist der Auslaut des Sprechtaktes gemeint - , z.B. kriobl (Knoblauch), leikux, boksO (Bockshorn, Johannisbrot), emfv, 1

Über die Entstehung der Affrikata S. 336. S. auch die mhd. Nebenform punt für punkt bei Lex. II 307. 3 Beide Silben werden j. jeweils als Worteinheit gedacht, nicht (bzw. nicht mehr) als Zusammensetzung; bei deutlich empfundenen Zusammensetzungen bleibt die entstandene Konsonantengruppe bestehen, z.B. härtskl'opvnis (Herzklopfen), wandbildv. 4 Hierher gehören auch die veralteten, aus den älteren Bibelübersetzungen bekannten Wörter, wie: axpvry, bvfroxpmy (Kausativa zu den Adj. achtbar, fruchtbar). 2

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ergits ( m h d . iergents), eimits (mhd. iemants)1, agns ( A g r e s t , Stachel-

beere), iz-is-i („ist" - weil in der Regel satzunbetont) 2 , otn (hat man) 3 . Lautausfälle zur Gruppenentlastung, auch wegen Unbetontheit, sind aus den verschiedensten dt. Maa. zu belegen. Viele von den oben genannten Beispielen findet man in derselben oder in ähnlicher Weise vereinfacht bei Sütt. 261, 309f., auch 251 f. angeführt (s. auch Paul-Gierach § 71, 2 und 75).

6. G L E I T K O N S O N A N T Ein Gegenstück, das gleichfalls den Zweck hat, die Artikulation zu erleichtern, ist die Einführung eines unorganischen Lautes. Hierher gehört zunächst der rein phonetische Übergangslaut, der auch in der deutschen Umgangssprache wie in den Maa. meist anzutreffen ist (vgl. z.B. Sütt. 78, BGr. 155f.). Es ist der zwischen dentalem Sonorlaut und einem solchen Reibelaut sich einschleichende und mit diesem zur Affrikata verschmelzende dentale Verschlußlaut, der je nach der Gestalt der Spirans Lenis oder Fortis ist (S. 330,335), z.B. halts ( H a l s ) -

heldzl, gants -

gendzl, mentS, wintSn (wünschen),

weltstnt nis (welsche N ü s s e = Walnüsse), ints (uns) — indzv, fentstn,

hints (Kunst) 4 . Nicht mehr rein phonetisch, sondern von lautgeschichtlicher Bedeutung ist der dentale Verschlußlaut, der als Brücke zwischen η und l entstanden ist, und zwar als Lenis vor sonantischer, als Fortis vor konsonantischer Liquida, wobei jedoch durch Analogie auch hier Lenis eintritt. So ist also das dem J. eigentümliche d in sämtlichen Diminutiven nach η fester Bestandteil geworden und demgemäß, ohne jede phonetische Notwendigkeit, auch auf den ImmiErweiterte Formen, zu iergen, ieman. Vor Fortis stellt is (ebenso im Sprechtaktauslaut), vor sth. Lauten aller A r t is, wobei doch das schwierige ζ häufig vor Konsonanten ausgestoßen wird ( > i), besonders vor Dentalen. 3 Vgl. auch die einzelnen Konsonantengruppen — namentlich die Sonorlaute. 4 Das Unternehmen Mieses' (S. 94), diese Affrikata auf Umwegen über das hebräische Jt zu erklären, ist daher Tinnötig und gehört in dieselbe Kategorie wie seine anderen Thesen (o. S. 286if.). Das H . kennt keine Konsonantengruppen, die einer Entlastung oder Erleichterung bedürften. 1 2

336

nutiv übertragen worden: gtwaintlvx (gewöhnlich), kendl (Kännlein) - kendlox (PI., Analogie), baindl - baindOli (Immin.). Dieser Übergangslaut zwischen η und l ist „ziemlich allgemein, besonders aber bair.-österr. und Schweiz, wegen der hier beüebten Ϊ-Suffixe" (Sütt. 248). Es ist demnach sehr wahrscheinlich, daß das J . den Gebrauch dieser Formen den obd. Maa., vor allem wohl dem Bair., zu verdanken hat. Ein Sproßkonsonant anderer Art ist die unorganische Hiatbrücke, die durch den Nasal η oder die Liquida r, selten durch den Halbvokal j (s. unten S. 338) besorgt wird, z.B. bv-r-ints, wmj. auch bn-n-ints (bei uns), tsi-n-iv (zu ihr). Sie tritt allerdings nur an diesen Präpositionen auf und verdankt hier ihre Lautung der Analogie siehe Sonorlaute, S. 349f.; vgl. auch die ähnlich aufzufassenden w-Laute, aus Halbvokal u (o. S. 188, 227, 230).

b) Die einzelnen Konsonanten 1. HALBVOKAL j(i) mhd., nhd. j Das j ist im J . ein Halbvokal, ohne Reibegeräusch gesprochen also eigentlich j 1 . Als solcher ist es deutlich erhalten im Anlaut, z.B. jün (Jahr), jeno, jg (ja), jit (Jude), weniger deutlich im Inlaut hinter i-Lauten, die es zuweilen ganz aufsaugen, z.B. bliitn und bliin (blüejen), miim - mim, draün (draejen), naiin, zaitn, Icraiin. Von hier aus erklärt sich das für das ausgefallene intervokalische h nach i-Lauten von selbst sich ergebende i, das dem etymologischen j gleich behandelt wird, z.B. läim (leihen), zehn (sehen), flinn flim. Es bildet den zweiten Teil der i-Diphthonge vor Vokalen, wo es dem etymolog. j am nächsten kommt, weniger deutlich im Auslaut und vor Konsonanten (daher auch in der Transkription oft durch i statt 1

Das Schriftzeichen j ist hier der Einfachheit halber beibehalten, sofern nicht eine bestimmte Absicht das im allgemeinen ebenbürtige i vorziehen läßt; dieser Transkriptionswechsel will im allgemeinen bestimmten etymologischen Unterschieden oder der Deutlichkeit Rechnung tragen.

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i bezeichnet) z.B. tow (Tor), oio, roi, row (roher), aw (Eier), bainv, bain. In dem aus mhd. i, iu entwickelten Diphthong ai ist mj. durch stärkere Betonung des α allmählich das i zum Schwinden gebracht worden; erhalten hat es sich meist im absoluten Auslaut und vor Vokalen (auch im Sprechtaktinlaut) zur Vermeidung des Hiats 1 , z.B. faiv, drai, ba-i-ints, bn-i-άχ (bei euch) 2 ; s. auch S. 337 u. S. 188. Aus dem Charakter des j im J. geht hervor, daß der mundartliche, namentlich md., Wechsel j - g, der nur über die Stufe der palatalen Spirans denkbar ist, im J. unmöglich ist 3 . Die hierfür angeführten Beispiele sind nur Scheinbelege. J. jeivry (gären) hält am ursprünglicheren mhd. j fest, das auch in nhd. Zeit, besonders in den Maa. begegnet (vgl. DWb 4 1 1, 1349f.); wenn das nhd. g hier aus dem j zu erklären ist, so mag es auf einem derartigen mundartlichen Wechsel beruhen, die j. Form bleibt dadurch unberührt. Dasselbe, in umgekehrter Richtung, gilt für das j. geinx (mhd. gaehe), genau dem frühnhd. gäch = schnell (DWb 4 1 1 , 1144) entsprechend, das im nhd. jäh fortlebt. Über fliitn - gtfloigy, Ιάίιη - giligy, Sräim-gisrigy, spann - gisfigr), vgl. oben S. 329.' Im Noj. sowie in großen Teilen des Omj. (besonders des ukr. J.) schwindet das anlautende j in einigen Wörtern vor folgendem i, z.B. it (Jude), idds, iygl (Junge); in anderen, aber auch oft in denselben Gregenden erscheint das Gegenteil, Prothesis des j vor i z.B. jix, jidf (ich, ihr)4. Beides erklärt sich aus der engen Verwandtschaft von i und i 6 . Sie stehen auch sicherlich in einem ursächlichen Zusammenhang miteinander, als gegenseitige Reaktionen wie oft in den Maa.6. 1 Der Stärkegrad ist dabei je nach der Gegend verschieden, im Westen i m allgemeinen schwächer als im Osten, häufig sogar ganz geschwunden (s. o. S. 206). 2 Sonst hat hv wegen seiner Satzunbetontheit das i verloren. 8 Damit ist auch die Hypothese von j > ζ im J. (Mieses 95f.) hinfällig;

j. zipytsy ist genau p. zupica (Brückner 668). 4

Vgl. Weinger, WrZs. I 206, der auch jich aus dem Obs. anführt. Vielleicht hat sich in jix (eventuell auch in jiar) das ji aus dem in deutschen Maa. nicht seltenen Diphthong ii ( < i) allmählich entwickelt — es wäre dann dem wg.-p. jex, jax parallel (s. auch o. S. 214). β Vgl. auch unter l, s und h (u. S. 340, 367, 377). 5

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I m Mhd. scheint das j meist schon Spirans gewesen zu sein (Maußer 546), gegenüber älterem Halbvokal (Braune, Ahd. Gr. 95), wodurch sich der mundartliche Wechsel j-g erklärt, ursprünglich wohl die Spirans j , dann auch zum Verschlußlaut übergeführt. Heute zeigt der Süden fast allgemein die Neigung, Halbvokal, ohne Reibegeräusch, zu sprechen (vgl. Sütt. 72, Gerbet 110, Heilig 20, Gebhardt 30, Jutz 265 - gegen Unwerth 52, Albrecht 13, ObsWb I 562*). Die phonetische Entwicklung des j nach ihren zeithchen Etappen läßt sich noch nicht bestimmt aufzeichnen (vgl. Paul I 313). Doch wird man die genannte Eigentümlichkeit des Südens, wenn sie dort nicht schon viel älter ist, mindestens schon für die spätmhd.-frühnhd. Zeit annehmen dürfen (Sütt. 287), woraus sich auch obd. ämer, ener (jämer, jener) leicht erklären (s. auch Paul-Gierach § 116a, Sütt. 288). 2. SONORLAUTE mhd., nhd. I, r, m, n. Das J . kennt 3 Z-Laute, von denen jedoch bestenfalls je zwei nebeneinander auftreten; die Haltung der Maa. ist nicht ganz einheitlich. Der regelmäßige Vertreter des mhd. I ist das dentale, dunkle l (in der Klangfarbe dem dunkleren engl. I nahe stehend), das in zahlreichen mundartlichen Schattierungen in der Artikulationsart (im og. J . ist es der interdentale Laut) fast auf dem ganzen Gebiet des J . herrscht. Hiervon auszunehmen ist einerseits das kurl. J., das vom kurl. Dt. den weicheren alveolaren Laut übernommen hat, andererseits Teile des Noj. - z.B. im Nordosten desselben (um Polozk, Witebsk, auch um Borysow) oder am Übergang zum pol. J . (um Suwalki, Bialystok) - aber auch ein Großteil des pol. Wmj. (Lomza, Lublin, Chelm, ja sogar Warschau), die das viel dunklere labiovelare l des Sl. bieten, das, wie auch im SL, sehr oft in den Halbvokal u übergeht. Dieser Laut nun, in seinen verschiedensten Schattierungen, entspricht jeweils dem mhd. I im An-, In- und Auslaut, außer hinter k, g, gelegentlich auch hinter i, also: lozn lozn - uozn (lassen) und ebenso faln, flnn, bal, balkp, ah (alle) u. a. m. Neben diesem l kennt das Wmj., mit Einschluß eines omj. Grenzstreifens, der einen beträchtlichen Teil des wol. und ukr. Omj. 339

(etwa bis Zytomir und Berdyczew) umfaßt, noch ein palatalisiertes V hinter g und k (gelegentlich auch x), durch Annäherung an deren Artikulationsstelle bei direktem Anschluß entstanden - z.B. gl'äx (gleich), kl'opm, pekl' (Päckchen), riygl', sokl'm (schaukeln), meikl'v (Makler, fmigl't, (verriegelt). Das V gilt nicht, wenn ein Vokal dazwischentritt oder wenn die Folge durch Zusammensetzung entsteht, z.B. pekl', pekl'vx, aber: pekvli, pekvlvx, tstrikloifm, (zurücklaufen), moeklaigr) (weglegen). I m pol. J . ist V viel häufiger, so z.B. auch nach i-haltigen Vokalen (aus Lodz): mW (Mühle), koil'n (Kohlen), tsail'n (zählen) 1 . Dagegen scheint es im Omj. und ebenso im Noj. unbekannt zu sein, außer in Grenzgebieten (Brest, Teile Wolhyniens), hie und da aber auch sonst (z.B. in Kowno und Umgebung, also inmitten des Noj., wo es auch nach i erscheint s. Weinger, WrZs. I 190f.). Phonetisch gleiches, historisch aber verschiedenes Γ erscheint h i e u n d d a in sl. beeinflußten Maa. (vor allem noj. aber auch p.-j.) v o r wie n a c h i, e, z.B. l'efl (Löffel), hel'fm, ftt'n, l'ixt bzw. l'ext (Prilutzki § 34, 4; Weinger passim; I W I I 384). Sämtliche Z-Laute treten, soweit sie an Stelle von mhd.-nhd. I mit vorhergehendem unbetonten Vokal (meist e) stehen, in sonantischer Funktion auf - der Halbvokal u wird in diesen Fällen zum Vollvokal - z.B. himl (bzw. himl, himu), epl, bergl', stikl', boiml, (Baumöl), gimkl't·, gelegentlich 2 nach Vokallänge - woil (wohl), vmül (einmal). Der Übergang des l in u ist in den meisten Fällen der betreffenden Mundarten so aufzufassen, daß daneben auch noch das ältere l gehört wird (sei es durch Berührung mit der Umgebung und den von da kommenden Einwanderern, sei es durch sonstige individuelle Artikulationsverschiedenheiten der Sprecher). Dieses Nebeneinander von zwei so wenig verschiedenen Lauten bringt auch eine Unsicherheit mit sich, die dann den Übergang von echtem u in l zur Folge hat, so stehen (z.B. im Lomzaer Gebiet, ähnlich auch in den nordrussischen Gegenden) neben kaut (kalt), autn (halten), waut (Wald), Wörter wie krolt (Kraut), olt (Haut), polk (Pauke), bzw. krult, pulle3.

1 2 3

Gutmann, I W I I 384 - nach i unter sl. Einfluß (s. w.). In legerem Sprechen besonders auffallend - s. auch S. 245. Über u,ü(= uu) < mhd. ü in den nordr. Maa. s. o. S. 226.

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Die Herkunft der Z-Laute ist nicht vollkommen eindeutig. Die häufigste Abart, das l, kann, obwohl es dunkler klingt, als das deutsche l im allgemeinen und obwohl auch die interdentale Artikulation hier nicht üblich zu sein scheint, nur deutschen Ursprungs sein. Das si. I, das viel dunkler ist, hat sich selbst dieser Artikulation angepaßt (s. u. S. 390) und kann allem Anschein nach darauf nicht eingewirkt haben. Man fühlt sich geneigt, es auf eine ältere deutsche Aussprache zurückzuführen, was man im allgemeinen durch die auch heute noch vorkommenden, früher wohl stärker verbreiteten, ganz dunklen Z-Abarten in den deutschen Mundarten stützen kann, ferner aber noch im besonderen z.B. durch den für Gottschee bezeugten (Tschinkel 23f.) interdentalen Laut, der gewiß ältere Verhältnisse widerspiegelt. In der Gottscheer Mundart würde auch das j. V nach g, Je eine Stütze finden (daselbst), während einige deutsche Mundarten es heute nur allgemein, nicht an g, k gebunden, bieten. Hat es aber die Ma. von Gottschee aus dem älteren Bair., so dürfte es hier, bzw. im Obd. überhaupt, auf die früheren Berührungen mit verschiedenen rom. Sprachen bis ins 13.-14 Jh. zurückgehen (s. Behaghel in seiner Abgrenzung des Deutschen, §§ 6-18). Denn in diesen ist ja gl, kl > V, natürlich über gl', kl' (ebenso η > ή nach g, k), eine spezifische Lauterscheinung. Ernster scheint die Konkurrenz des Slavischen beim l zu sein; ernster - weil dieses meist in Gegenden auftritt, die mehr unter sl. Einfluß stehen und ferner, weil es überhaupt etwas auffällig vom sonstigen J. absticht. Daß es aber ursprünglich auch nicht sl. Herkunft zu sein braucht, lehren uns die heute noch in deutschen Maa. (auch außerhalb derselben in germ., auch rom., Sprachen) vorhandenen l-Laute (auch mit Übergang zu u, u), die früher allgemeiner und - in manchen Maa. (bzw. Sprachen) dunklerer Natur waren als heute. Vgl. ZsfdMaa. 1919, 72ff., wo es als frk. Eigentümlichkeit, die auch ins Südwest-Thür, eingedrungen ist, bezeichnet wird; vgl. ferner für das Frk. und Lausitz-Schi, usf. Wrede in AfdA. 19, lOOf.; ferner: Bair. - BGr. 164; Al. - AGr. 162, Jutz 254 ff.; Vogtland - Gerbet 108; Schi. - Unw. 38 (dazu noch Schwarz, Teuthonista 4,192ff.); Gottschee - Tschinkel 138f.; Niederländisch, Englisch, Friesisch - Pauls Grundriß I 819,1016f., 1261 ff. Wollte man hierin eine frk. oder al. Eigentümlichkeit erblicken - in diesen Gebieten scheint das l relativ am besten erhalten zu sein - , so könnte man sich auch auf die (o. S. 230ff.) für 341

das Noj. teilweise festgestellte Erhaltung des mhd. ü (bzw. dessen Weiterbildung auf monophth. Grundlage) berufen und in beiden ein Durchschimmern westdt. Einflüsse erkennen. Unbedingt erforderlich ist es nicht, aber an der Annahme, daß hier dt. Ursprung vorliegt, darf kaum gerüttelt werden. Höchstwahrscheinlich ist allerdings auch die Vermutung zumindest mit bestimmenden sl. Einflusses. Von den beiden Arten des r, dem uvularen und dem lingualen, ist jenes das häufigere, fast im gesamten Mj., Westj. und Noj. vorherrschend, während dieses nur im SO des Mj. (buk., bess., z.T. auch rum. J.) und im kurl. J . ausschließliche Geltung hat, sonst (z.B. im ukr. J., aber auch in Teilen des p. - so im Lodzer J.) neben dem Zäpfchen-Ä, meist an zweiter Stelle, auftritt 1 . Dieses R ist durchaus kein einheitlicher Laut; es ist zwar im allgemeinen der reine Zitterlaut, doch ist er häufig - in verschiedenen Gegenden des Mj. wie Noj. (so etwa im Kiewer Gebiet im Osten sowohl als auch im Warschauer, Lomzaer, Plozker und anderen Kreisen des Westens, in wol. wie in Suwalker und Grodnoer Gegenden) - auch mit einem mehr oder minder ausgeprägten Reibegeräusch verbunden anzutreffen, gelegentlich auch in χ übergehend, bzw. in h (bei schwacher Artikulation). Das Zungen-r bleibt in allen Stellungen hörbar. Hingegen hört man das gutturale R nur im (Silben-)Anlaut und in Anlautverbindungen i m m e r , im In- und Auslaut nur nach betonten kurzen Vokalen, vor Sonant auch nach anderen; nach langen oder unbetonten Vokalen - in beiden Fällen ist die Tonstärke beim R äußerst gering wird es im allgemeinen reduziert und mit dem tonlosen Vokal (nach langem Vokal entwickelt sich dann ein Sproßvokal) verschmolzen (s. o. S. 242, 244) z . B . räsn (reißen), brexy, trefm, bmexinm,

bark (Berg), dorf, ]vPry (fahren), fvrendvry, peivrl (Perle), bunt (Bart), fein (Pferd), kl'-ün (klar), mw, brido, kindvlvx, frivt (früher). D e r 1 Die Aussprache des r pflegt ein deutliches Kriterium für die Angehörigkeit (oder mindestens Mchtangehörigkeit) zur Mundartgemeinschaft zu sein. Wer z.B. auf dem Gebiet unserer Ma. das Zungen-r spricht, „red wi Ό ger" (das r hier deutlich gerollter Zungenlaut), d.h. redet gekünstelt wie ein bekehrter Nichtjude (der sich das J. erst spät angeeignet hat). Der kurl. Jude erkennt den „zamdtdr" (eig. Samogitier, gleichbedeutend mit „Ausländer") an seinem „bRisk Redn" (Brisk = Brest, mit seinem Zäpfchenlaut, gehört zu „zamdt").

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Westen des Mj. verfährt weit radikaler, indem er auch die kurzen Vokale das R aufsaugen läßt und sie dadurch verlängert (besonders im p. J.), z.B. bak (Berg), dgf (Dorf). Im Noj., das einerseits keine wirkliche Länge kennt, andererseits die unbetonten Silben weniger abschwächt und so eine annähernde Gleichmäßigkeit der Silbendauer und Vokalqualität erreicht, wird das r immer, obzwar je nach der Tonstärke der Silbe stärker oder schwächer, artikuliert 1 . Aus dem Gesagten geht schon hervor, daß das J . im allgemeinen kein sonantisches r entwickelt, außer wo es als Zungenlaut artikuliert wird (vgl. hierzu auch S. 247). Prilutzki (§ 2) erwähnt wahllos, außer den oben genannten omj. Maa., einige wmj. und noj. Orte, die r haben, ohne jedoch anzugeben, welcher Art es ist. Ferner erklärt sich aus der uvularen Artikulation der Velarumlaut, von dem im Vokalismus die Rede war, der allerdings auch neben Zungen-r auftritt, also wohl ein früher velares r, mindestens daneben, verrät. Das gutturale R ist zweifellos deutscher Herkunft. Zwar wird für das mhd. r im allgemeinen die alveolare Aussprache angegeben, doch ist auch die uvulare bezeugt (Michels 116). Jedenfalls muß sie in spätmhd.-frühnhd. Zeit schon stärker verbreitet gewesen sein; das beweisen die Velarumlaute (e > a, i > a, u > o), die nur bei der Zäpfchen-Artikulation denkbar sind - wie auch das gleiche Eintreten dieser Umlaute vor χ zeigt - und die beim Übergang zum Nhd. bereits stärker ausgeprägt sind (s. o. S. 201 f. u. 258). Wenn Paul (I 353) heute das uvulare r dem Norden, das alveolare dem Süden zuschreibt und Behaghel (232) jenes der Stadt, dieses dem Lande - so dürften diese Zustände mindestens z.T. schon in jene Zeit zurückreichen; man wird für das J., das in den meisten Mundarten den gutturalen Laut vorzieht, mit Recht beide Momente geltend machen, sowohl den Einfluß nördl. Mundarten - zu denen auch die md. zu rechnen sind (vgl. Hausenblas 19, Gerbet 108, ObsWb I I 322, Heilig 21 - auch Sütt. 75) - als auch die städtische Herkunft - die Juden kamen ja fast ausschließlich aus den Städten. 2 Daß sich im J . daneben noch das Zungen-r erhalten hat, 1

Vgl. auch im Vokalismus S. 248. Wenn Mieses (100f.) die deutsche Abstammung dieses Lautes leugnet, um zunächst semitische Tradition zu vermuten, dann aber, die TJnhaltbarkeit dieser Vermutung einsehend, eine von äußeren Einflüssen ganz unabhängige Entstehung in der jüd. Isoliertheit in Deutschland anzunehmen — so ist das keine Erklärung. 2

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kann nicht verwundern, angesichts der Tatsache, daß dieses, als das ursprünglichere und viel mehr als heute verbreitete, auch den Juden bekannt gewesen sein muß. Auch die Tatsache, daß sich in den einzelnen Gegenden verschiedene Laute durchgesetzt haben, ist verständlich, da es jeweils auf das Stärkeverhältnis der einzelnen Laute bei der Zusammensetzung der Mundartgruppen ankommt. Ob freilich das heutige j. Zungen-r phonetisch ganz dem in Deutschland üblichen (bzw. üblich gewesenen) entspricht, ob nicht vielmehr eine Anpassung an sl. Artikulationsweise stattgefunden hat was bei so ähnlich klingenden Lauten sehr wahrscheinlich ist - , wäre im einzelnen zu untersuchen. Dasselbe wurde auch in anderen ähnlichen Fällen (z.B. auch bei den Ϊ-Lauten) in Erwägung gezogen. Historisches m ist im J . derselbe bilabiale Nasal wie mhd. und entspricht demselben, meist auch gegen das Nhd. - Einzelheiten weiter unten. Daneben erscheint im J . auch ein rein phonetisches m, für historisches n, je nach der Umgebung bilabial oder labiodental. Das nur phonetische, durch die Umgebung gestützt, kann auch silbenbildend auftreten, das historische, dem nahen Konsonanten nicht angepaßte m verlangt im J . einen Murmelvokal (ein seltenes historisches m belegt Prilutzki § 64) - also fudirn (Faden) gegen lipm (Lippen). Historisches η klingt im J., soweit nicht Nasalschwund oder Palatalisierung vorliegt (s. weiter unten) 1) in der Regel (also außer 2—4) als dentales n\ 2) im S i l b e n a u s l a u t u n m i t t e l b a r vor und nach b, p, als bilabiales m\ 3) ebenso vor und nach /, w als labiodentales m; 4) ebenso vor und nach Je, g sowie nach x, r als gutturales y. Dem S p r a c h b e w u ß t s e i n gelten alle als n. Bei schnellem, gewöhnlichem Sprechen wirkt ein nachfolgender Konsonant auch innerhalb des Sprechtaktes assimilierend. In Teilen des Noj. scheint die Assimilation zu m oft zu unterbleiben, wohl wegen der sorgfältigeren Artikulation, die oft einen Murmellaut zwischen Labial und Nasal einschiebt. Sämtliche Schattierungen des historischen η erscheinen auch sonantisch. Beispiele: lipm, loibm (loben), tm-beidv (in Bädern), oiwm (oben, 344

Ofen), emft) (Antwort), loifndtk1 (laufend), boundik (bauend), bayk, riygl', ligp, maxy, rfory (rühren), fig-golt (von Gold), wiykm, efmin (öffnen), wunmn (warnen), mantl, upnemin (abnehmen), ibnnemin. Dem V parallel erscheint in einem Teil des Mj. Palatalisierung des η > ή, in Umfang wie Bereich 2 beschränkt, in Anlautsverbindung hinter k3 (l' gilt bei jeder Stellung des h, g), z.B.: knepl (KnopfDim.), knext, fvknipm (verknüpfen), kneitn. Demgegenüber besteht in Teilen des Noj., aber auch in manchen Gegenden des Omj. (Ukraine) die Neigung den Gutturalnasal v o r g, k zu palatalisieren, was meist auch den vorhergehenden Vokal (namentlich e, aber auch a) zum scheinbaren oder auch tatsächlichen Diphthong umformt (vgl. oben S. 186, 196); z.B. beykl (Stuhl) - beJykl, layg - latyg, leygdr - lelygdr usw. Die Palatalisierung des η ist an sich den deutschen Maa. nicht unbekannt, vollzieht sich aber unter anderen Umständen als im J . (vgl. Sütt. 75, P B B 12, 139f.). Ein ή hinter k ist nicht belegt, auch nicht aus Gottschee, wo die Lautgruppe kl' sehr geläufig ist. Trotzdem dürfen wir V und ή zueinanderstellen, da es prinzipiell derselbe Vorgang ist; das oben (S. 340f.) Gesagte gilt daher auch hier. Der andere Palatalisierungsvorgang ng, nk > yg, yk ist unter denselben Bedingungen ebenfalls nicht anzutreffen. Da sich jedoch für sl. Einfluß kein Anhalt bietet und auch unabhängige, intern j. Entwicklung nicht recht erklärlich ist, muß es doch wohl von jener dt.ma.-lichen Neigung zu V erklärt werden (s. auch S. 350, Anm. 3). Vor i entwickelt sich ή wie V (o. S. 340) in Teilen des Omj. (Ukraine) und Noj., hie und da im p. J . - vomSl.-j. beeinflußt nisn (nießen), nrddn (nieder); viel weiter durchgedrungen (auch og. und wmj.) ist mxtmr) (nüchtern). Fast gesamtj. ist die unbewußte, mehr oder minder starke Tendenz zu halb weichem ή vor ts (historischem sch), also rein phonetische Anpassung - z.B. merits, wintsn. 1

Ein schwer zu beschreibender Nasal, der labiodental beginnend wegen des folgenden d dental ausgeht. 2 Ich vermag den Bereich nicht genauer zu umgrenzen; aus Ostgalizien ist mir das ή sehr geläufig, im engeren Wmj. scheint es nicht überall (Prilutzki § 87 belegt es sporadisch), im Omj. überhaupt nicht bekannt zu sein. 3 Verbindung mit g kommt in dt.-j. Wörtern nicht vor, ist aber grundsätzlich der mit k gleichzusetzen. Sonst bei k Assimilation η > y. 345

Schwund von Liquida oder Nasal ist nicht selten. Zu unterscheiden ist jedoch der historische vom bloß phonetischen 1 . Dieser hängt im allgemeinen sehr stark von der Individualität der Sprecher und der im Satze wechselnden lautlichen Umgebung ab und scheint oft wieder rückgängig gemacht, weil in Wirklichkeit im Bewußtsein des Sprechers nicht eigentlich durchgeführt. Er Hegt vor in dem bereits erwähnten Verstummen des velaren r im In- und Auslaut, das in demselben Wort bei veränderter Form oder Satzstellung meist zur Hiatüberbrückung wiederhergestellt wird; vgl. bitv - biton - bitm iz υ (bitter ist er) u. dgl. Er liegt ferner vor in der mj. (und wj.) mehr oder weniger stark ausgeprägten Reduktion von Vokallänge + Nasal + + Konsonant zu langem Nasalvokal + Konsonant, z.B. hät ( < mhd. Mnet, wie bair., heute), bawl (Baumwolle), frät (Freund), säst (scheinst), ütin (antun), üräsn, vräftry, wätroubm, wäpvlox (Weinbeerlein, Johannisbeeren) - daneben stehen meist auch Formen mit erhaltenem, wenn auch schwachem Nasal und dementsprechend geringer Nasalierung des Vokals: hänt, wämpDlvx usw. Seltener ist diese Reduktion bei kurzem Vokal: bröfm und bromfm (Branntwein), efv und emfv (Antwort), hv (kein), mt öfter mt (man). Auch das gehört prinzipiell zur Gruppenentlastung (o. S. 335f.). Den Anlaß zur Reduktion gibt die tonschwache Stellung des η infolge der besonderen Tonstärke des langen Vokals oder umgekehrt infolge schwacher Silbenbetonung. Sie ist auch der Grund für die in Teilen des Wmj., meist nach Nasal, auftretende ähnliche Erscheinung beim unbetonten Suffix -en, z.B. kirni (kommen), nerni (nehmen), ham, (scheinen) u. a. 2 , gelegentlich auch mit vollem Schwund, kimb usf., anderwärts auch nach Vokalen - tsiä, späid neben tsid, späi9 - eine Erscheinung, die im Swj. noch radikaler durchgeführt ist, indem unter den gleichen Umständen meist völliger Schwund eintritt, z.B. Jcümi (kommen), breygt (bringen), ri® (rinnen), grs/ma (finden), tsüzamt (zusammen). Das Swj. geht auch in einer anderen Hinsicht weiter: es reduziert sehr oft Langvokal + Nasal im Auslaut zu Nasalvokal, z.B.: giwei (gewesen), drü (daran), sol (schon), zal, mü (Mann) - und läßt gelegentlich auch die Nasalierung fallen - z.B. soi, zai, to (tun), sei (schön), ο (an). 1

Der Unterschied ist eigentlich ein zeitlicher, da der historische Schwund nur die weitere Stufe eines ursprünglich rein phonetischen darstellt. 2 Vgl. auch o. S. 246.

346

Gegenüber diesem scheinbaren Schwund von Liquida bzw. Nasal tritt der echte historische nur vereinzelt auf, meist als Folge von Assimilation und Vereinfachimg der neu entstandenen Gemination zuweilen als Konsonantverschleifung. Es fällt aus bzw. ab: l - in zost (sollst) 1 , wist (willst), west (weist = wirst), wost (woltst "würdest), wot, wet, zomv (sollen wir), wemv, womv, as (als) und in

den damit zusammenhängenden Wörtern: υζοϊ (
w steht im J . vereinzelt, hat aber angesichts der umgekehrten Erscheinung (s. weiter unten) neues w im Inlaut erzeugt: oiwrn (oben), uwnt (bzw. nuwnt, Abend), griwm (Grieben), (p.-j.) haiwm (Hebamme); griwm ist übrigens sowohl vom omd. griefen (germ. / > w) als auch vom obd. grieben (vgl. Sütt. 247) zu erklären. Allgemein ist intervok. b > w im els. J . (unter Einfluß der deutschen Umgebung): Uwi (liebe), how9r (mhd. haber, Hafer), owdr (aber) u.a. Vollständig durchgeführt (obwohl nur durch wenige Beispiele belegt) ist der Wandel w > b im Inlaut und Auslaut, nicht nur, wie im Nhd., hinter l, r, sondern auch nach Vokal, wo nhd. w stehenblieb (nicht wo es im Nhd. geschwunden ist - darüber s. weiter u. S. 360f.) so: arbis (< arweij), farbm, swalbm, milbm, harbi (danach, wie nhd., auch die unflektierte Form harp), laibm (Löwen, Sing, laip), aibtk (ewig), leiblvx ( < mhd. laebe, lau) 1 . Auf den Anlaut greift der Wandel nicht über; hier erscheint durchwegs w (s. o. S. 353). Im Gegensatz zu harp (herb), hat sich in geil (gelb) das b (< w) nicht durchgesetzt, sondern ist auch in den flektierten Formen beseitigt worden (so auch in dt. Maa. — vgl. z.B. Kauffmann 175, BWb I 895, Gerbet 159). J . iygbv ist nicht einem direkten Wandel w > b zuzuschreiben, sondern die Fortsetzung einer mhd. Nebenform ingber (Lex. I 1434). Die Entwicklung w~>b erwähnt Maußer (57f.) als bair. Eigentümlichkeit der spätmhd. Zeit (seit 13. Jh. etwa). Sie greift hier ziemlich allgemein durch und umfaßt sämtliche Stellungen, insbesondere aber auch den Anlaut. Die im benachbarten Schw. ungefähr gleichzeitig auftauchende Entwicklung beschränkt sich wie das J . nur auf den Inlaut, obgleich sie andererseits auch die im J . wie nhd. geschwundenen w einschließt (vgl. Kauffmann 174ff., Maußer 25). 1 Hier ist also b organisch aus der Hauptform läw entwickelt; danach haben manche j. Maa. zu Ml (kühl) ein Mlblvx geschaffen, wo b unorganisch, zugleich überbrückend ist.

357

Weniger noch würden die Verhältnisse des eigentl. Al. auf das J . zutreffen; soweit dort w > b in spätmhd. Zeit stattfand, erscheint es in allen möglichen Stellungen, in einem großen Teil ist aber auch heute noch w unversehrt geblieben oder nur künstlich verdrängt worden (vgl. AGr. 120, J u t z 271). Nicht in Betracht kommen ofr., hess. u . ä . Parallelen, die nur den Anlaut berühren (Maußer 86, 95). Eine starke Ähnlichkeit aber weisen omd. Mundarten, z.B. das Schlesische, auf - so schon in spätmhd. Zeit - wo im allgemeinen (wenigstens in bestimmten Gebieten) der Anlaut verschont, der Inlaut wie im J . umgestaltet wird, d.h. auch mit Ausschluß d e r Fälle, die ihr w im Mhd. aufgegeben haben, also im großen ganzen dieselben Beispiele wie im J . betroffen werden (vgl. Unwerth 49f., SchlGr. 75, Rückert 123, auch Hausenblas 35). So werden wir auch hier das J . Heber mit dem Omd. zusammenbringen, wenn auch unbestimmt bleibt, ob nicht dem Bair. (und Schw.) irgendeine Rolle zuzuteilen ist. Nicht einfacher ist es beim intervokalischen b > w. Dieser Wandel ist im 13. J h . gesamtbairisch (Maußer 56) und in spätmhd. Zeit steht im Bair. - wie auch heute noch (Schmeller § 407, Gebhardt 75) - ziemlich allgemein die Spirans, wenn auch daneben der Verschlußlaut ebenfalls vorkommt (Maußer 56). Demgegenüber hat der Großteil des Schw.-Al. das b bewahrt, nur im Nordwesten des Gebiets (Elsaß, Baden) herrscht w (Kauffmann 174, J u t z 175). I m Omd. ist in spätmhd. Zeit ebenfalls das w ziemlich vorherrschend (Rückert 130ff.) und auch heute - mit Ausnahme des Schi., wo es nur im Gebirgsteil üblich ist - ganz allgemein (ObsWb I 50 a , Hertel 57f., 87 usf. Gerbet 179, Unwerth 50f.). Das J . zeigt sich im allgemeinen, auch im Bereich der Labiale, mehr vom Osten Deutschlands abhängig, doch hat es beim Wandel b > w nur ganz wenige Wörter den im Osten zur Übermacht gelangten Tendenzen preisgegeben. Daß es sich nur zu den Minoritäts-Maa. des dt. Ostens gesellt, ließe sich diesmal auch den westobd. Elementen zuschreiben ; noch eher aber ist hier - wie in so manchen anderen Fällen - die Mithilfe der nhd. Schriftsprache anzunehmen. Nicht als eigentlicher Lautwandel aufzufassen ist j. / für nhd. b in srouf1 (sroufm, sräfl), siflüt (Schublade) bzw. j. b für nhd. / in hubn 1

Über die Fortisspirans für germ. / hier — s. o. S. 354.

358

(Hafer), Sweibl und (Imminutiv) sweilmh (Zündholz). Vielmehr ist dies auf nebeneinander bestehende alte mundartliche Nebenformen zurückzuführen, die letzten Endes in einem bestimmten Verhältnis (etwa gramm. Wechsel) zueinander gestanden haben (Paul § 81, Anm.). Schraufe ist obd. (BWb I I 598, D W b 9 1685, Sütt. 304) gegenüber omd. Schraube (ObsWb II474 a ), ebensoSchwebel gegenüber omd. Schwefel (Sütt. 303); Schuflade ist mehr md. (aus Nd.), daher auch in md. Sprachinseln und im P. (szuflada — aus dem Omd.) gebräuchlich (vgl. Sütt. 303, ZsfdPh. 36, 267); Haber ist die eigentlich hd. (obd. wie omd. erhaltene) Form gegenüber dem aus dem Nd. eingedrungenen Hafer (Kluge 224a, Sütt. 303, ObsWb I 457 b ). Der Übergang von m > b in arbl (Ärmel) ist durch das l verursacht, vor dem der labiale Sonorlaut zu schwach bzw. unbequem war. Er ist wahrscheinlich als direkter Übergang aufzufassen, da dem mit Lippenverschluß gebildeten Nasal der Lippenverschlußlaut b am nächsten liegt (vgl. auch Erbel bei H. Sachs - DWb 1 557, ferner Sütt. 295, Tschinkel 48), und bair. erwl (DWb, Sütt. a.a.O.) wäre wieder Beleg für b > w (o. S. 357f.) - ich halte jedenfalls diese Annahme für wahrscheinlicher als die umgekehrte m~> w~>b, wonach j. arbl mit j. arbis (s. o.) in Zusammenhang zu bringen wäre. In dem veralteten püpvnutO (< viperndter1 - Lex. I I I 362) liegt Angleichung des ν an das nahe ρ vor. Der in verschiedenen j. Maa. übliche Gebrauch von odu (oder) für obr> (aber) und umgekehrt ist aus verschiedenen dt. Maa. bekannt. Unmittelbare Assimilation tritt ein in manchen schweren Konsonantenverbindungen. In den Lautgruppen tb, tw hat das t die folgende Lenis zur Fortis, die Spirans eventuell auch zum Verschlußlaut gewandelt; nach diesem Prozeß ist das t (nach dem Gesetz der Gruppenentlastung) geschwunden oder es hat sich seinerseits dem Lippenlaut angeglichen und zur Gemination geführt, die lautgesetzlich vereinfacht wurde. Also: tb > tp > ρ - kimpit (o. S. 351), axpvry, bvfroxpvry (o. S. 356); tw (> tb) > tp > ρ - epis (fast allgemein obd. - Schmeller § 682, Jutz 270); tw > tf > / - emforr), bromfm (o. S. 346). S. auch o. S. 335 zur Frage der Gruppenentlastung und vgl. zum Besonderen Paul § 71, Anm 4, wo diese Assimilationsvorgänge dem Obd., namentlich des 14.-15. Jh.s, zugeschrieben werden. 1

Die gleiche tautologische Bildung wie Lindwurm u. ä. 359

Mit dem Nhd. und den md. Mundarten (seit 13. Jh.) gemein hat das J . die Angleichung des ρ ( < b) an den Nasal in der Lautgruppe mp (mb), im J . dann mm > m vereinfacht: krim (krumm), keml (Kamm), lernt) (Lämmer), im- (um-). Das J . dehnt diesen Vorgang noch etwas aus - trvmaitn (Trompete), kram (Krampf) - , schließt aber nicht sämtliche im J . vorhandenen mp-Verbindungen ein daher auch lomp (Lampe), stimpik (stumpf) u.a. Das Swj. geht, hierin wieder dem Bair. folgend, seine eigenen Wege: mp bleibt in vielen Fällen erhalten, z.B. lampili (Lämmchen), krümpi (krumme) u. dgl.; daneben müm ( = herum). Vgl. hierzu Paul §§ 35, 105, Maußer 8. Das allen hd. Mundarten geläufige (Behaghel 366) mir < wir (aus der enklitischen Stellung hinter der Endung -en durch gegenseitige Assimilation nw > mm, dann verallgemeinert) erscheint im J . nur in der liter. Sprache und in einigen Mundarten (im gesamten Noj.); das Mj. hat es nur im enklitischen -m» erhalten, sonst gilt ints = uns (auch auf den Nom. übertragen). Durch Angleichung des b an das Suffix -m» und Vereinfachung der Gemination ergibt sich im J . Schwund des b in omv (haben wir), gimv (geben wir); aus dem Gebiet der deutschen, besonders obd., Mundarten vgl. dasselbe in BGr. 142, AGr. 133, ObsWb I 456®, Sütt. 301 f. Aber auch sonst schwindet in diesen Verben das b, nicht nur, wie nhd., in ost, ot (hast, hat), sondern auch in: gihat (md. - Behaghel 312), gein (geben), gist, git, gi-nor (gib nur) usw. Diese Formen hängen nicht mit der mundartlich noch fortlebenden mhd. Kontraktion ibe > i (Maußer 1128) zusammen, sondern sind, wie das i (nicht ai p), meist durch das Redetempo veranlaßt, ausfallen in dem Präfix up- (ab-) 1 , außer vor Vokalen und Sonorkonsonanten: ütin ( < abtun), ukoifm (abkaufen), ugein (zurückgeben) u. a. (neben uplin usw.), aber uparbitn, upmaxy, upräsn, uploijm usf. In wmj. Mundarten hört man auch: uräsn, uredn2 u. dgl. (og. selten). Mhd. w ist im Nhd. mit vorangehendem langem α zu au kontrahiert mit ω-Diphthongen verschmolzen (grauer < gräwer, Frau < frouwe) und ist somit, mindestens im ersten Falle, noch erkennbar; im J . ist das w überall spurlos entfernt: grün, bluv, kl'üm (Klauen), äw 1 2

Tschinkel (44) bringt es ebenfalls. Mieses 69.

360

(euer), näiv, bourn. Formen mit erhaltenem w, namentlich zur Hiatüberbrückung, sind allerdings in den östl. Maa. des J . nicht selten (s. o. S. 188). Mit dieser Tilgung des w nach Vokalen geht das J . (mit Ausnahme jener Gebiete) nicht nur über die nhd. Schriftsprache, sondern auch über die meisten deutschen Mundarten hinaus; deren Großteil zeigt sich im Gegenteil sogar ziemlich konservativ, nur kleine Teile des Obd. (das Schw., z.T. Tirol u. a.) oder des Md. nähern sich dem J . (vgl. hierzu die Ausführungen bei Sütt. 284f., Jutz 273, Hausenblas 35 und sonst). Das w ist ferner geschwunden bei Gruppenentlastung, z.T. wegen der sehr schwachen Satzbetonung: tsisn (zwischen), exl neben ex wel (ich werde), tsiboh, (wg.) sÜ9, tsüd (ist's wahr) 1 . Demgegenüber ist w eingefügt in tswayk (Zange) 2 . Über das aus u der «-Diphthonge mundartlich entwickelte w — s. im Vokalismus (S. 219, 227, 230); Wechsel von l und u - s. o. S. 339 f. 4. D E N T A L E m h d . , n h d . : d, t, s, j , sch (
p). Mhd. k (c) ist - von der Lenisierung im Sandhi (s. S. 330f.) abgesehen - als Fortis erhalten (die Geminata vereinfacht): kats, kratsn, bayk, wiyktn,

meikl't) (Makler), baky,

zak.

Mhd. qu ist im J . derselbe Doppellaut, kw, sofern nicht schon im Mhd. selbst und dann im Nhd. Entwicklung zu einfachem k eingetreten ist: kwal (Quelle - s. Lex. I I 314), kwetsn,

kweln (an-

schwellen - s. Lex. I I 321 - im J . auf das bildliche Anschwellen vor Freude eingeschränkt), kwotw (Quartier), dvkwiky (erquicken); aber kimm (kommen), koitik (kotig). 1

ELJ 12 165 - u. o. S. 332.

372

I n IcvPt (Quarte) ist das w mit dem folgenden u - also relativ spät (nach α > u) - verschmolzen. J . k für normalhd. g steht in einigen Wörtern: keigy, vkeigy (< engegen), kvn oder kv, kv {gen) - tonstärker kain (< gein < gegen), kvpoiv (kvn + bor, „empor", s. o. S. 355), krik {kv -f rück, zurück), kiky („gucken", schauen), kigl' (eine Art Pastete für Sabbat, nach deren Form, von gugel, Kugel = Kapuze, wobei k ursprünglich ist - Lex. I 1113), keiry (gehören), kwatv (Gevatter, wo Erhaltung der Lenis in der labialen Spirans dissimilierend gewirkt hat - s. auch o. S. 354), beykm (< bangen1, sorgen, sich sehnen), laikinm (leugnen), fntiltkr) (vertilgen, mit mhd. ursprünglichem Mittelvokal), koukl'm - noj. (mit umgelautetem Vokal) kaikhn (kugeln, wobei vorurj. u, ü > ü, iu trotz Erhaltung des g anzunehmen ist). Hinzuzufügen sind noch als Fälle von Auslaut- oder Fortisverhärtung, die festgeworden dann allgemein gilt: mvek(< enwec, gemeinmhd.), slak (Schlag), ayksn (Ängste), die sämtlich auch noch im Schriftnhd. des 17. Jh.s anzutreffen sind, und häufig die Endung -ik- {-ig-) neben -ig-: leibidlkt-leibidlgt. Neben liyk-lingin (Lunge) mit bloßer Auslautsverhärtung kennt das J . auch ältere Lautformen mit absoluter Verhärtung nach Nasal in den festen, z.T. mißverstandenen Redewendungen: ν liyky-feilv (ein Lungen-Fehler), m liyky keilvr mrän (in die „Lungen-Kehle" herein). Hierher gehört auch die - wegen lautlicher Entstellung heute völlig mißverstandene - alte Begrüßungsformel (i)skotsl kimt < mhd. si (bis) got wilkum (s. Lex. I I I 890; DWb 14, I I 199; Landau, J . Phil. 334ff.); ähnliche Redewendungen aus dt. Maa. - BWb I 961, SchwWb I I I 775; über Icot < got Lex. I 1051. Diese Fortes sind im wesentlichen als md., genauer omd. anzusprechen, obgleich manche von ihnen auch auf bair. Boden festgestellt wurden, so z.B. kegen, ken (BGr. 178). Ich verweise insbesondere auf Behaghel's Abhandlung in P B B 48 (1934), S. 130, Weinhold § 211-214, wo fast sämtliche obigen Beispiele als md. belegt sind, ferner Sütt. 236f., Rückert 160 und SchlGr. 82f., wo die Verhärtung des g vor w und nach η auch durch einige andere Beispiele belegt wird. 1

Das schwache V. verdient wohl den umgelauteten Vokal e, den Lex. I, 121 u. 180 nur im Subst. neben α belegt. 373

Vereinzelt steht g für k. In grätsO (Kreuzer) entstammt es wohl den md. Mundarten (vgl. Heilig 68), von denen es auch ins Slavische hinübergegangen ist; in goidn (Köder, Unterkinn) ist es bair. (DWb 5 1569, BWb I 873) - Assimilation an d (?). Schwund von intervokalischem g, verbunden mit Kontraktion der Vokale, war im Mhd. sehr häufig; Reste haben sich noch im Nhd. erhalten (vgl. Paul-Gierach §86, Sütt. 237). Reste hat auch noch das J . , so: maidl,

mgt (
ss > s (s. o. S. 364) ist wasl (Weichsel - vgl. auch S. 350 und die dort genannten Stellen). Durch Umstellung des s ist mj. nist < nichts (in der Bedeutung „nicht"; für „nichts" steht guv nist < gar nichts) entstanden; auch in deutschen Mundarten findet sich diese Form (vgl. DWb 7 729 und die dort angezeigten Stellen). Im Swj. steht dafür niks (gleichfalls aus nichts entstanden und für „nicht" verwendet); niks ist bair. (vgl. DWb 7 718). Dagegen braucht das Noj. noch, wie im älteren J., das einfache nit < nicht, das in den deutschen Mundarten ziemlich allgemein ist (DWb 7 690). Ausgleich des Inlauts nach dem Auslaut sehen wir in hexn (höher) und haivx (Höhe) zu hoi°x, ebenso gixv (Komparativ, jäher), sixl (Dim., Schuh), wo das Nhd. umhekehrt den Auslaut nach dem Inlaut ausgeglichen hat (vgl. Sütt. 245). J . henttski (Handschuh) bewahrt mit den md. Maa. das unverschobene germ, k (Braune § 87, b), das auch die ahd. Schreibung hantscuoh andeutet (den umgelauteten Vokal bieten Lex. und andere Wörterbücher). Das Suffix für Abstraktbildungen lautet im J . immer -kait ( < mhd. -echeit), wohl durch das Bestreben verursacht, das noch sehr gebräuchliche selbständige hait (Heit, Art und Weise), das 375

zur Adverbienbildung dient, davon fernzuhalten. So steht also sainkait (Schönheit), slextkait (Schlechtigkeit) gegenüber den Adv. saim hait, slexti hait (schöner,,heit", schlechter,,heit", wie noch heute in den dt. Maa. - so z.B. BWb I 1186 - gegenüber normal nhd. -weise). Für normal-hd. k steht χ in stvxait (Stakete), das auch von Gerbet (S. 194) bezeugt wird. Das sekundäre Dehnungs-A der nhd. Schriftsprache (z.B. stehen < steri) ist auch in das S c h r i f t j . eingedrungen, wird aber nie gesprochen und ist in der modernen Schreibung (s. o. S. 133ff.) mit Recht abgeschafft worden. Die stets velare Aussprache des x, eines der auffallendsten Merkmale des J . ist heute noch im Hochal. und Südbair. (hier zum größten Teil sekundär zu h abgeschwächt) anzutreffen (Reis 38). Sie ist aber in mhd. Zeit im allgemeinen für das ganze Obd. noch anzunehmen, wogegen das Md. schon relativ früh die palatale Spirans entwickelte, die allmählich auch das Obd. eroberte (PaulGierach § 6, 6). Selbst wenn man annimmt, daß der Palatallaut auch im spätmhd. Obd. schon aufkam 1 und hie und da auch von Juden gesprochen wurde, war er doch zu neu, um den alten gut verwurzelten Velar überwältigen zu können. Hinzu kommt gewiß, daß die alte obd. Aussprache durch das ausschließliche velare χ des Sl. im Osten gestärkt wurde und daß die ersten Auswandererwellen mit dem neuen Palatal überhaupt nicht in Berührung gekommen waren. Die Kürze des Zeitraums und der neue Sprachraum waren dem Neuling ungünstig. Der im 14. Jh. im Ostobd. eingetretene Übergang der Gruppe As > ks fand, mit Unterstützung der nhd. Schriftsprache, Eingang ins J . ; demgegenüber ist der in md., auch obd., Mundarten bekannte Schwund des h vor s, mit Verschärfung des letzteren zu ss > j. s (Weise33, Heilig 60, Schwarz 66ff.), nur einmal vertreten. Das Schicksal des h im sonstigen Inlaut macht die Anlehnung des J . an das Md. wahrscheinlich, welches schon in mhd. Zeit h nach sämtlichen Vokalen verstummen läßt, während das Obd. es auf lange Vokale beschränkt und im ganzen, bis heute, eher zur Aussprache des Hauchlauts neigt (Paul § 72, Maußer 7, Sütt. 244). Formen wie giax, siPx, hexv möchte man (mit Paul § 114, Schmeller § 495, Maußer 7, Sütt. 245) als obd. ausgeben, sie sind aber auch omd. gut belegt (ObsWb I 515, 563, I I 478; Sehl Gr. 86f., Unw. 54). 1

Die Gottsekeer Ma. hat ihn schon mitbekommen (Tschinkel 26).

376

Die oben (S. 374) unter a) angegebene Regel für h im Anlaut ist in der Theorie gemein-j., stößt aber in der Praxis gewisser Gegenden auf Schwierigkeiten, den Hauchlaut zu artikulieren. Es handelt sich - soweit aus den Angaben Wilenkins (Sprachatlas) und Weingers (WrZs I 203) zu entnehmen ist - im wesentlichen um die westlicheren Teile des Noj. (um Suwalki, Lomza, Grodno, Bialystok), den größten Teil Wolhyniens (sowohl des mj. als auch noj.) und Podoliens sowie der angrenzenden (mj. und noj.) Ukraine (bis Kiew-Odessa ungefähr); sporadisch erscheint diese Schwierigkeit auch in Teilen des og., buk. und rum.-bess. J . Verschont geblieben ist der Westen (einschl. Ostgalizien, im wesentlichen), der Süden des Omj. im großen ganzen sowie, merkwürdigerweise, der östliche Teil des Noj. und die östliche Ukraine. Die genannte Schwierigkeit erzeugt zunächst Lautformen wie elfm, art, olts (helfen, hart, Holz), zuweilen mit geringem Hauch, den wir mit spiritus asper andeuten wollen - 'elfm, 'art, 'olts -, der als Bemühung des Sprechers wohl Anerkennung verdient, aber dem Ä-vertrauten Ohr dennoch als Verstummung des h erklingen mag. Solche Bemühungen und (bzw. oder) der Kontakt mit Normalsprechenden haben schließlich auch die dritte Erscheinungsform erzeugt, Verstummen des echten und Auftreten eines unechten h, wie hesn, halt, hört (essen, alt, Ort) Weinger (a. a. O.) möchte diesen Vorgang unter Berufung auf Braune (§ 152) aus dem Ahd. herleiten und lehnt die Annahme sl. Einflusses ab. Es ist nicht ausgeschlossen, daß gewisse Keime dazu, besonders zur schwachen Artikulation, über mhd. Maa. (von denen mir allerdings Näheres darüber nicht bekannt ist) latent ins J . gekommen sind. Aber selbst dann wäre das für die innerhalb des J . sehr umfangreiche und in den genannten Gegenden durchgehende Erscheinung keine ausreichende Erklärung. Vergleicht man aber dieselbe Erscheinung in dem kleinen ursprünglich sl. Gebiet der Niederlausitz und Umgebung (s. Sütt. 244, DSA, Karte 24), so ist ihre Erklärung auch für das J . gegeben: auch hier kann es nur sl. Einfluß gewesen sein. Nur die p. bzw. r. sprechende Umgebung, die ursprünglich überhaupt keinen Hauchlaut hatte, konnte das j. Ohr und Artikulationsorgan in jenen Gegenden dem A so vollständig entfremden (s. auch Schwarz 63if.). Die Dialektgeo1

S. die parallelen Erscheinungen beim Halbvokal j (S. 338), bei l (S. 340) und s (S. 367).

377

graphie paßt zur Annahme nicht schlecht: es sind im wesentlichen Gegenden, die auch sonst sl. Einfluß aufweisen; daß der sonst ebenfalls sl. beeinflußte Osten verschont geblieben ist, möchte ich der wr. und klr. Sprache zugute halten, die für p. g ein deutlich gesprochenes h entwickelt haben. S. auch u. S. 392. In einigen Fällen hat auch das normale J . echtes h ab- (bzw. aus-) gestoßen oder ein unechtes angefügt; doch sind es Fälle, die sich zumeist auch in den deutschen Mundarten vorfinden. Zum Schwund des Anlauts-A - s. oben (S. 374f.). Das Gegenteil ist der Fall in harr) (mhd. erren - s. S. 195), häln (eilen - heilen aus Kärnten, Sütt. 255), hälik (eilig = acerbus, DWb 3 110) und in verschiedenen Mundarten, heilst (erst - Prothesis von h speziell vor er- an anderen Beispielen, Rückert 166), helfänt (Elefant - Paul I 316, DWb 3 403 u. 413), hitst neben itst (jetzt, BWb I 181 als oberöster.), hertsn (ihrzen, DWb 4 I I 2059). Zum Ganzen - vgl. Sütt. 255. Den festen Stimmeinsatz vor Vokalen kennt das J . nur im absoluten Anlaut 1 . Er ist, wie in vielen dt. Maa., schwächer als gemeinnhd. und wird möglichst umgangen, sei es durch Hiatbrücken, zwischen Vokalen oder bei Zusammenstoß derselben im Sprechtakt, sei es durch Milderung bis zum leisen Stimmeinsatz.

I I . Der hebräisch-jiddische Bestandteil a)

Lautentwicklung

Das Ergebnis der Betrachtungen des h.-j. Vokalismus wird auch durch die Verhältnisse im Konsonantismus bestätigt: die regelmäßige Entwicklung, die die h. Konsonanten im J . genommen haben, erklärt sich aus deren Anpassung an die z.T. sehr verschiedene dt.-j. Artikulationsweise. Zwingende Beweise sind nicht immer und nicht leicht zu erbringen. Allgemeine Veränderungen, wie Assimilation u. dgl., sind in jeder Sprache üblich, aber wenn daneben auch solche auftreten, die im H. viel weniger wahrscheinlich, ja auch unerhört sind, erklärt man besser alles aus dem Dt. Hierbei sind grundsätzlich die (S. 284f.) bereits erwähnten Erwä1 Er ist in dieser Arbeit nicht bezeichnet, außer wo es darauf ankam, ihn zum Ausdruck zu bringen.

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gungen psychologischer Natur zu beachten sowie die Tatsachen, daß der h.-j. Konsonantismus sich vom h. sehr weit entfernt hat und dabei volle Übereinstimmung mit dem dt.-j. aufweist, daß eine Reihe spezifisch h. Laute, deren Artikulation dem deutschsprachigen Organ unmöglich war, aufgegeben wurden und in die nächstliegenden Artikulations-Stellen oder -Weisen dt. Laute eingerückt sind und daß wieder Enttonung h. betonter Silben verheerenden Einfluß ausgeübt hat. H. Gemination, durch Dages gekennzeichnet, ist aufgegeben, ganz wie im Dt.-j. (s. o. S. 333f.). Daß sie auch den Juden Deutschlands ursprünglich bekannt war - nicht-aschkenasische Juden haben sie im allgemeinen bewahrt - beweisen die Vokalverkürzungen oder Erhaltung der Kürze vor Dages (s. o. S. 269). Von den einzelnen Konsonantengruppen ist die Entwicklung der sog. „Begadkefat" bedeutsam: 2, », 3, β, ρ waren die 6 Verschlußlaute (b, g, d, k, p, t) - 2, 3, Β, η waren die entsprechenden Reibelaute, wobei es zweifelhaft sein mag, ob η und a bilabial oder labiodental lauteten (Gesenius 39f.). Während aber erstere im ganzen unverändert gebheben sind - von phonetischen Feinheiten (z.B. vermuteter Aspiration - Gesenius 38f.) ist hier abzusehen haben sich letztere zur Hälfte gewandelt: η (th) ist von p, das es im Dt. nicht mehr gab, in die nächstliegende Spirans s übergegangen und gleicht vollkommen dem d (dem eigentlichen s) und tr (·§), welches mit dem gleichlautenden mhd. s (s.o. S. 364) gemeinsam den Weg zu gewöhnlichem s durchgemacht hat; 3 (gh) und 1 (dh) sind notgedrungen mit den verwandten Verschlußlauten 3 (g) und 1 (d) zusammengefallen, da wieder 3 und d dem Dt.-j. unbekannt waren. Die andere Hälfte (bh, kh, ph) stieß auf die sehr ähnlichen dt.-j. w, x, / und vereinigte sich mit denen in allen phonetischen Einzelheiten und nach sämtlichen lautlichen Regeln. Einige Beispiele: beigit (b^ghedh mit Auslautsverhärtung, Kleidungsstück), tmi {tebhü'ä, Getreide), gwiv (gdbhir, Millionär), deirnx (d^rekh, Weg), pasox (päthah, Vokal α), taikif (tekheph bald - mit χ > k, s. w. u.). Von den dem Dt. völlig fremden emphatischen Konsonanten 1 ist h.-j. keine Spur Übriggebheben: a (ί) ist zu t ( = n) vereinfacht, p (q)zuk(= a), 2C (s) in die nahehegende, weil i n t e n s i v e , Affrikata ts übergegangen, wobei also die Artikulation bald nach vorn bald 1

Über deren Artikulation - Gesenius 41 f.

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nach hinten gerückt ist - maßgebend war die Artikulationsstelle (und -weise) des jeweiligen dt.-j. Lautes. So ist tarn — Geschmack (täeam) oder = einfältig (tarn), hol = Stimme (qol) oder = all (kol), tsuri (sdrä) = Not, lets (les) — Spötter - nur einmal ist die Affrikata aufgehoben (S. 386). Dasselbe gilt von den vier h. Laryngalen, von denen das Dt. nur zwei besaß: s = ' (Stimmeinsatz 1 vor Vokal), rt — h. Die beiden anderen haben sich anpassen müssen, ihre Artikulation (Gesenius 37f.) war für eine dt.-j. Kehle unmöglich. Dabei hat π (h), vom Gegenstück h zur Differenzierung gedrängt, sich von diesem ab dem χ ( = 3) zugewandt, während das y (e) nach Aufgabe seiner eigenen Artikulation 2 gerade mit dem gegenüberstehenden κ zusammenfloß. Also: 'of (e6ph, Huhn) beginnt wie 'os ('oth, Buchstabe), aber häjtm (hajjom, heute) gegen xäjim (hajjim, Leben) deutlich differenziert, und xuxim (häkhäm, Weiser) hat die beiden gleichlautenden χ verschiedenen Ursprungs vereinigt. Der h. Halbvokal > • fand seine genaue Entsprechung im dt.-j. j (i); der andere Halbvokal l (Gesenius 43) hat das Schicksal des alten deutschen u geteilt, ist also mit ihm zur Spirans w geworden 3 und mit η zusammengefallen: liwnm (buijtm, Leviten) und niwiim (ndbM'im, Propheten) haben denselben Labial, wenn auch, etymologisch betrachtet, verschiedenen Ursprungs. Die h.-j. Sonore klingen ganz wie die dt.-j. (o. S. 339ff.), unterliegen denselben phonetischen Gesetzen und teilen die Möglichkeit historischen Lautwandels. Das H. kennt keine sonantischen l, n, wohl aber das H.-j. (s. o. S. 296). Vom h. Β gilt dasselbe wie vom dt.-j. m, vom h. 3 die Regeln des dt.-j. η (s. o. S. 344). Η. η wird, auf unh. Art wie dt.-j. r unter denselben Bedingungen (S. 342f.) reduziert z.B. gwtvr adv (gabhir 'addir, Multimillionär); obwohl Zungenlaut 4 , schließt es sich überall, wo das J . nur R hat 5 , diesem an. Das h. b lautet je nach der Gegend und lautlicher Umgebung ganz wie das dt.-j. I {V, i, u)e: keiltf sebikl'uwtm (< k^lebh sebbikhlabhim, ,,ge1 Schwach artikuliert wie dt.-j. (S. 378). Die h. Bezeichnung deutet, zumindest ursprünglich, auf feste Artikulation. 2 Gesenius 37. Ein letztes, nicht ursprüngliches Durchschimmern - s. u. S. 385. 3 Vgl. oben S. 353. 4 Vgl. Gesenius 43. 6 S. oben S. 324. 6 S. oben S. 339 f.

380

meiner Hund"); in gil'gV (gilgul, Metamorphose) ist das erste V gewiß vom folgenden gl', vielleicht auch vom i verursacht. Auch die h. Zischlaute gehen mit den deutschen Hand in Hand: normalerweise sind also D, n, tr (s, p, s) — s, τ = ζ, ti = s; wo jedoch im Noj. s, z, ts für dt. s, z, ts und s, z, ts gesprochen wird bzw. die Verwechslung eintritt (s. o. S. 366), ist dies ebenso bei den h. Lauten, gleichgültig welchen Ursprungs, der Fall: sabds < sabbdth (Sabbath) bzw. sabas, zokr) - zoky < zäqen (Greis), eitsds - eiths < eesoth (Ratschläge), emdS - errids < 'dmeth (Wahrheit). Die hier aufgezeichnete Lautentwicklung ist vom H.-j. auch auf das sakrale Hebräisch 1 übergegangen, im Gegensatz zu den im nächsten Abschnitt zu behandelnden Lautwandlungen, die, wenn sie Einzelfälle betrafen, unberücksichtigt blieben, wenn sie als allgemeinere Erscheinungen auftraten, unbemerkt übernommen wurden. Wie bei den Vokalen, wird auch hier das aus dem Rahmen Fallende als „ungenau, profan" verpönt, das Regelmäßige als „genau, schriftgetreu überliefert" akzeptiert. b) Kombinatorischer

Lautwandel

Konsonantenverhärtung im Auslaut oder vor Fortis, eine ziemlich allgemeine Spracherscheinung, läßt sich auch im H. nachweisen (Gesenius 40), und das sakrale H. weiß um deren Gefahr, kann sich ihrer aber nicht leicht erwehren. Immerhin darf darauf hingewiesen werden, daß im Umfang und in den Regeln zwischen H.-j. und Dt.-j. keinerlei Unterschied festzustellen ist (S. 330ff.), selbst die Sonderstellung des Noj. und sonstige Nuancen eingeschlossen (S. 332f. - vgl. noch HAE25). Man hört also im Auslaut Fortis statt der geschriebenen Lenis, z.B. in ruf ( w z.B. in twiln (< tephillin, Gebetriemen) - gegenüber tfili (Gebet, mit reinem /) - sitwis (< suttäphuth, Gemeinschaft, Kompanie), aber sitfim (Plural zu süif, Kompagnon)^ toisnvis (< tosäphöth, ein Talmudkommentar), gelegentlich auch im Verb fvkisiwm (< verJcissuf = Zauber + -en, verzaubern). Im H. besteht kein Grund dazu. Man fühlt sich aber lebhaft an dt.-j. Icwatv, fintwv u. dgl. erinnert sowie an die damit zusammenhängende Entwicklung des alten germ. / im Dt. und J . (s. o. S. 332, 353f.). Da es sich hier um sehr frühe Entlehnungen aus dem H. handelt, ist der Vorgang sehr begreifüch. Selbst das intervokalische g < Je (q) in saigits (< s^qes, nichtj. Knabe), obgleich es keine genaue Parallele im Dt.-j. hat (S. 374: goidvl) - wir haben da im allgemeinen die umgekehrte Tendenz g > lc festgestellt (S. 373), was allerdings auch als i n d i r e k t e Ursache gewirkt haben konnte - , obgleich es ferner als teilweise Dissimilation zwischen den stimmlosen Dentalen, von den Vokalen begünstigt, an sich faßbar ist, ist gewiß mit dem Wechsel von k - g in dt. Maa. (z.B. Weinhold § 204f.) in Zusammenhang zu bringen, jedenfalls n i c h t aus dem H. zu erklären. Durch Analogiewirkung aus dem Dt.-j. allein (Präfix ge-) ist das hie und da, besonders wj. aber auch oj., zu vernehmende gtduxts neben regelrechtem kiduxis (< qaddahath, Fieber), gtsaidv neben regelrechtem Icisaidv (kdseder, nach der Ordnung) zu verstehen; nicht ausgeschlossen ist wieder Assimilation an d (wie goidri). Intervokalisches ζ < s im wj. smüzn für noj. smudsn — mj. smisn (< sdmü£6th = Gerüchte + -en, plaudern) ist genauso wie obiges g < k zu beurteilen und mit mizn u. dgl. (o. S. 365) zusammenzubringen. Ähnlich steht es um die Kürzung vor einfach schließendem Konsonant (z.B. bß, fß, Ιιγ u.a. S. 271 ff.); in einigen Fällen 1 selbst in 1 Die Fälle verdienen. Einzeluntersuchungen, die in diesem Rahmen nicht möglich sind.

382

offener Silbe, besonders vor s, §, t, m, η (s.o. bß, hy, leb u.a.). Wie schon (S. 269) gesagt, besteht im H. kein Anlaß dazu; im Gegenteil, es widerspricht der Tendenz jeder h. Überlieferung. Wohl aber lassen sich im Dt.-j. Parallelen finden, namentlich in den urj. (vorurj.?) Kürzen (SS. 185, 194 u.a.). Aus dem H. allein ließen sich wohl die häufigen Verschluß- statt Reibelaute erklären - z.B, bikuwit, bikoivx (bdkhöah, mächtig), btksäf (bikhathäbh, schriftlich), Itpeisvx (hphqsah, für Passah), hjmxts (hphähüth, wenigstens), stam (sdthäm, unbestimmt), Mikt (Sdthiqä, Schweigen), taikif (S. 379) \ Mi wiainf (hthi uäeirebh,

Kreuz) - auch ohne Annahme alter mündlicher Überlieferungen, die zwar nicht unmöglich aber unbewiesen und unnötig sind, einfach durch Unkenntnis oder Mißachtung der massoretischen Regeln. Doch ist dies selbst verständlicher als Folge unhebräischer Sprechgewohnheiten, zumal wenigstens ein Teil davon ein durch dt.-j. Entwicklung der Konsonanten und Vokalsynkope verursachtes Zusammenstoßen ähnlicher Reibelaute aufweist (stam < ssarn u. dgl.). ImNamen sepsL (< sabbothai) läßt sich ρ < b durch Assimilation erklären, aber in pest (< bathjä - mit Umlaut!) nur aus dem Dt.-j. (S. 355). Zur Not ließe sich w < b in niwl-pei neben nibl-pei (nibbül-ρξ, ordinäres Reden) zu dem talmudisch-h. nicht seltenen Wechsel dieser Laute zählen (er ist hier immerhin nicht überliefert); im Dt.-j. kennen wir es unter ähnlichen Umständen (o. S. 357). Ein wj. rebvx2 neben rewvx (r$uah, Verdienst) ist h. unerhört. Sehr mannigfaltig sind die über die Verhärtung und Erweichung weit hinausgehenden Assimilations- und Dissimilationserscheinungen. Wenn h. Dentalnasal nach dt.-j. Regel (o. S. 344) als i) oder m erklingt - z . B . zukp (zäqen, Greis), huxrj (Säkhen, Nachbar), üry ('ärdn, Sarg), xezbm (heSb&n, Rechnung), maiwm (mebhin, Sachver-

ständiger), dalfrn (dalphon, Armseliger) - so handelt es sich zunächst nur um eine unmerkliche phonetische Verschiebung, allerdings ist 1

Der Übergang χ > k ist als partielle Dissimilation — zwei artikulationsferne Reibelaute in großer Nähe — aufzufassen, die auch durch das dem χ widerstrebende ai begünstigt ist, und ähnelt etwas dem g < k (s. S. 382). 2 Ed. Nascher, Das Buch des j. Jargons, Wien-Leipzig (1910) bezeugt es (S. 93). Das sehr volkstümliche Wörterbüchlein ist zwar in seinen Erklärungen sehr wenig brauchbar, aber der Verfasser bezeugt noch Vertrautheit mit dem ausgestorbenen Wj., besonders dem Swj.

383

auch sie durch die unh. Abschwächung der Vokale verursacht. Aber in Wörtern wie jontif (jom-töbh, Feiertag), joykijm

(jom-kippur,

Versöhnungstag) ist durch solche Assimilation h. m merklich aufgegeben, ebenso durch Dissimilation umgekehrt η > m in ginaidtm (gan sedhen, Paradies), wozu man gewiß die dt.-j. mjn-Wechsel (S. 351 f.) vergleichen kann. Andere Dissimilationen, wie Samts < sammM(Synagogendiener), latxinin < ldqah-{- dt.-j. Inf.-Suffix -enen (stehlen), in manchen Maa. auch rösxoidts < rds hödhes (1. Tag des Monats) und umgekehrt, assimilierend, bdsmedns < beth midrdS (Lehrhaus), bedeuten ebenfalls, daß auf die h. Konsonanten, wie sie im Schriftbild erscheinen, keine Rücksicht genommen wird. Besondere Entstellung des h. Wortes erfolgt, wenn nach Assimilation neue, völlig unberechtigte Gemination vereinfacht wird, was praktisch dem Konsonanten-Schwund gleichkommt 1 : bezn (beith-din, Gericht), kriSmt (qdnath-s9mae, ein Hauptgebet), sähsldis (säloSSdeudhöth, drittes Sabbathmahl), meky {mahaq + jen2, radieren), xapm3 (Mtaph -f en, fangen), hesibet (hessebh + Bett, Polstersitz

am Passah-Abend). Das h (n) wird wie dt.-j h nach Regel a), b) behandelt (S. 374). Der Hauchlaut ist also in der Regel nur im b e t o n t e n Silbenanlaut zu vernehmen - z.B. hefkv (hephqer, herrenlos), bvhaimi

(bdhemä,

Vieh) - verstummt aber (a) im sonstigen Inlaut, (b) im Auslaut und (c) im unbetonten Wortanlaut: (a) koin (kohen, Priester), ku\ (iqähal, Gemeinde), minik (minhägh, Brauch), (b) halilljö (hahlujah aus dem sakralen H.), (c) vkl'al {hakkdlM, kurzum), cdiwäi (hahuai,

ο daß doch), osugi (hassäghä, Begriff); zuweilen hört man einen leisen Hauch statt des vollen, bei schnellerem Sprechen, oder, bei sorgfältigerem, wo es gewöhnlich verstummt: 'efkn, b'aimi, 'vsugt, 'tsläwts (hithlahvbhuth,

Begeisterung), ά'άιηι (ddhainu, nämlich) -

wie dt.-j. Neben lihaxis (hhakheis, zum Trotz) ist oftsiluxis (mit dt. auf zu) ein Beweis höheren Alters (daher auch: a~> A~> 6> ü> u), häufigeren Gebrauchs und völliger Ablösung vom h. Bild; ähnlich tihm (tdhillim, Psalmen), torn (tdhom, Abgrund) neben Vom.

Ebenso verhält sich der Stimmeinsatz ( < χ oder y) ganz wie der dt.-j.: aiivv ('ebher, Glied), Sw (§ieür, Ausmaß), nimis 1

(nim'äs,

Solche Vorgänge haben wir im dt.-j. Teil unter Einfluß dt. Maa. zur Genüge kennengelernt (z.B. S. 359f., 369f.). 2 S. oben S. 278. 3 Wenn es h. Herkunft ist (s. auch S. 391) - wie dt.-j. epis (S. 359).

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widrig), fan (ρατ*δ, Pharao), misigi (mzSuggä*, wahnsinnig) - s. o. S. 378, 380. Wo dt.-j. h auch im Anlaut schwindet oder umgekehrt sich an Stelle des festen Stimmeinsatzes entwickelt (o. S. 377), geschieht das gleicherweise im H.-j., so z.B. efkv (s. o.), on (hδη, Vermögen) gegenüber 'efh) ('ephsär, möglich), 'of (s. o.) bzw. hefh>, hof. Unorganische Nasalierung, wie oben (S. 350), entwickelte sich zuweilen statt ' in der h. Vokalgruppe av (Patach + Chatef Patach) > ai > o, die dem dt.-j. ai > ο parallel läuft; mäsi (maevs§, Erzählung), dägi (*da'vghä, Sorge), gäm (ga'vuä, Stolz), jäktf (Jakob) sind also dt.-j. mästn u. dgl. vollkommen gleichzustellen 1 . Auch unorganisches η aus dem dt.-j. unbestimmten Artikel entwickelt sich (wie S. 350): ο mwain (eobherä, Vergehen), vielleicht auch in υ nihori2 (*eajin hdra, böser Blick), ebenso wie das Gegenteil, Abfall: aifoh3 (nefel, Fehlgeburt). Es ist allerdings zuzugeben, daß die überlieferte Aussprache des h. 3? als y u. dgl., die sich bei den Juden Italiens und Hollands bis heute, in Frankreich bis ins 18. Jh. erhalten hat 4 , in diesem Falle sehr wohl erste Ursache dieser Nasalierungserscheinungen gewesen sein kann, indem sie ganz besonders in die Vokalgruppe αυ nicht nur den Nasal, sondern auch ein i hineinbrachte 5 , wodurch die Parallele zu *meinster hergestellt und über dieses auch die mechanische Übertragung auf die Vokalgruppe mit h. χ möglich wurde®. 1

Das Noj. kennt zwar den Nasal nur in jaiv;kdf (Jakob), sonst nur regelmäßiges ai, aber dieses selbst, auch, als Vorstufe des mj. d, scheint doch mit dem Nasal zusammenzuhängen (s. hier im folgenden); vgl. auch (o. S. 270f.) andere, heute im gesamten J., nasallose Vokale. s Sonst läßt sich der Vokal nach dem η kaum erklären; noj. murr» spricht nicht dagegen, wohl aber die Nebenform ainora. • So bei Mieses 74. In dieselbe Kategorie gehört der Abfall von h. 'a bzw. ha ( > α), die irrtümlich als unbestimmter Artikel aufgefaßt wur-

den, so poitiki (apotheke, Vermögen), aus dem Wj. (Nascher 38, 86) gödv (haggädä, Erzählung), nöa ( = mj. rmui — im folgenden). 4

Bauer-Leander § 10, C 9; Mieses 76f. Handelt es sich doch hier um Ü b e r l i e f e r u n g , die, wenn auch im J. nicht allgemein erhalten, dennoch in gewissen Fällen durchschimmern konnte. 5 Vgl. hierzu dt.-j. ai < α vor ij (o. S. 186), Eigentümlichkeit des y (S. 345). • Der sonstige Zusammenfall von Κ und Γ (S. 380) allein vermag es nicht zu erklären, denn Überlieferung ist ans Bewußtsein gebunden, also auch ans überlieferte Sprachbild. Ist aber der Laut davon weg ins unbewußte Sprechen geraten, vollziehen sich die Vorgänge mechanisch.

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Unorganisches w in tmum neben rmüt (htmä'ä, Genuß) hat sich als Hiatbrücke nur nach Vollendung von mj. d > ύ (und ύ > u vor Labial) entwickeln können1, entbehrt also jeder Begründung im H. Ebenso unh. ist, umgekehrt, Abwurf von f in mttort, mtten (< turräf2, verrückt); nur Mißverstehen des h. Wortes konnte es, durch dt.-j. Konsonantenverschleifung in unbetonten Silben (o. S. 335f.), so entstellen. Auch s für h. ü in Silcsi (Siqsä, unjüd. Mädchen) ist nicht als organische Fortsetzung des s, sondern als Gruppenentlastung von ts nach k-Verschluß oder, bestenfalls, als dadurch bewirkte Verhinderung des regelrechten s > ts zu werten. In diesen Zusammenhang gehören auch die verheerenden Silbenverschleifungen in h. Zusammensetzungen, deren besondere Länge im J. eine Menge unbetonter Silben erzeugte, z.B. meivtsisem ('im jirs§ haSSem, so Gott will), hsati (heeth eattä, einstweilen), bvxabi (bärükh habbd, Gesegnet sei der Kommende), ji&köfix (jiSar kdhvkhä, etwa: hab' Dank!) und viele andere, die bereits im h.-j. Vokalismus und Konsonantismus (verstreut) erwähnt wurden. Nur die Abwendung vom h. Sprachbild und dessen Preisgabe der dt.-j. Sprechgewohnheit konnten so viele h.-j. Wörter zeugen, die jedem h. Ohr unerhört sind.

I I I . Der slavisch-jiddische Bestandteil a) Die slawische Grundlage Die Frage, welche sl. Sprache als Grundlage für das J. anzusehen ist, stößt auf ähnliche Schwierigkeiten wie im Vokalismus (besonders S. 312f.) und erheischt, um es gleich vorwegzunehmen, die gleiche Lösung: die Annahme einer f a s t u n d i f f e r e n z i e r t e n polnisch-westrussischen (klr.-wr.) Volkssprache, die auch vom Dt. der Städter-Kolonisten beeinflußt war, für den sl.-j. Grundstock, der dann bei allmählicher Differenzierung zunächst dem P., dann dem Klr. näherstand und so kontaminiert schließlich in den einzelnen Maa. lokal gefärbt wurde. Zumindest für das og. J., das allein S. o. S. 187. Der Vorgang als solcher gehört zu den ähnlichen w-Lauten (S. 337 und die dort angeführten Stellen). 1 S. o. S. 278. 1

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hier näher untersucht werden kann, ist dabei im ganzen ein leichtes Überwiegen klr. Merkmale festzustellen, allenfalls soweit uns der heutige Zustand vor Augen steht. Der sl. Konsonantismus weiß von einer Palatalisierung vor Palatalvokalen im 12.-13. Jh., die nur im P. zu einer deutlichen Lautverschiebung geführt hat, namentlich bei den Dentalen, wo Verschlußlaute bis zur Affrikata gelangt sind, auch r (ein alveolarer Zungenlaut) 1 . Es stehen also in vielen Fällen2 ursl.-r. t d r l η s ζ ts (c), gegenüber p. ts(6)

dz rz(rz)

V (l) ή s ζ ts (6).

Nur in manchen Fällen - vor ursl. i bzw. vor hellem i - sind auch r. Dentale leicht mouilliert (t',d')3. Da zeigt nun der als älter charakterisierte sl.-j. Bestand fast durchweg die härteren Konsonanten, auch wenn er den p. Grundvokal hat, ja selbst den Konsonanten zuweilen teilweise verschoben hat. Es ist gewiß von großer Bedeutung, daß sich das J. die ihm fremden neuen sl. Konsonanten (wie beim H. s. o.) nach Möglichkeit phonetisch angeglichen hat, und die Hartlaute waren dem Dt.-j. näher. Aber dies selbst ist nur dann recht verständlich, wenn im 16. Jh. im sl. Volksmund die Verschiebung noch nicht allzu weit gediehen, der p h o n e t i s c h e Zusammenhang der Laute noch stark genug geblieben ist, was freilich auch durch ein Nebeneinander, also einen eindeutigen Parallelismus verschobener und unverschobener Laute möglich war. Nehmen wir das an sowie weiterhin, daß, dadurch angeregt, p. und westr. Laute kontaminiert wurden, so lassen sich die auffälligen Hartlaute, besonders r, erklären, wo man nach anderen Zeichen die p. Lautform erwartet oder p. Einfluß (z.B. im engeren Wmj.). Greifen wir nun zunächst Beispiele aus dem og.' J. heraus (in Klammern der Einfachheit wegen meist nur die Konsonantenpaare): 1. terpkt (t - 6, herb), 2. steski (st - s6, Pfad), 3. kritm (klr. krut-, p. krqc-, drehen), 4. nidin (d - dz, übel sein, langweilen), 5. (v)rindar

(r - rz, Pächter), 6. brek (klr. bereh, p. brzeg, U f e r ) ,

Vondräk I 280, 313ff., 325. Wo Laut und Schriftzeichen verschieden sind, ist letzteres in Klammern hinzugefügt; vor i gilt der Laut als mouilliert, obwohl das Mouillierungszeichen wegbleibt. 3 So konnte das R. in nj. Zeit auch dt.-j. Dentale vor i erweichen (s. o. S. 362); wo sie aber bis zur Aifrikata gediehen sind, ist das nur denkbar, wenn vorher schon das Sl.-j. dort den p. Laut entwickelt hat. 1

2

387

7. kriwdtn (r -rz, d- dz, Unrecht tun), 8. krizts (r - rz, Kreuz des Körpers), 9. riki (r-rz, Fluß), 10. txoiv (Ό ) — hinterer hoher Vokal, kurz und ungespannt - die Lippenöffnung ist nur um ein geringes kleiner als beim o; SS. 187, 220, 270ff., 299, 306f., 308, 321. 398

u (— ü) — unterscheidet sich als gespannte Länge vom u auch noch durch die etwas weiter zurückliegende Artikulationsstelle und eine etwa das Doppelmaß an Verengung und Verkürzung erreichende Lippenöffnung (trotzdem ist die Rundungsbewegung nach außen kaum sichtbar); SS. 187ff., 220, 270f., 276, 299, 306f., 308f., 321. ai - setzt mit dem oben beschriebenen α-Laut ein, von dem aus die Zunge sehr rasch in die Stellung eines kurzen aber gespannten i übergleitet - die Zungenanspannung beginnt ganz leicht bereits beim α (gegen Ende), wird dann stärker (ohne jedoch ganz dasselbe Ausmaß zu erreichen wie beim l); SS. 189, 197, 207f., 219, 273f., 299, 307, 321. äi (ä') - beginnt ebenso mit a - die Spannung der Zunge am Ende ist geringer als beim ai; SS. 206ff., 270f., 307. ei - wird durch den allmählichen Übergang der Zunge aus der niedrigen in die hohe Lage und aus völliger Ungespanntheit in annähernd denselben Anspannungszustand wie beim ι erzeugt - die Zunge wird schon beim e auf mittlerer Höhe gespannt; SS. 189,196, 214, 273, 299, 309f., 321. oi - wird ebenso gebildet wie ai, nur daß die Zunge auf mittlerer Höhe einsetzt; SS. 188, 218f„ 272, 276, 299, 308. ou - beginnt wie oi, läßt aber die Zunge schwächer gespannt nur nach oben (nicht nach vorne) gleiten; der Übergang vom ο zum u ist kaum zu merken; dieses ist überkurz, jenes nimmt den größten Teil der Artikulationskraft in Anspruch; SS. 207, 220, 227, 321. ä, ö, ü, al u. dgl. - sind die nasalierten Entsprechungen der früher beschriebenen Laute, unterscheiden sich also von diesen nur durch die Verteilung des Exspirationsstroms auf Mund- und Nasenraum die Nasalierung ist eher als schwach, bestenfalls als gemäßigt zu bezeichnen, die Entfernung des Gaumensegels von der hinteren Rachenwand ist also nicht groß; SS. 200, 219, 271, 346, 350, 385. Konsonanten j ( = i) - ist Halbvokal, entsteht also ohne Reibegeräusch durch die gleiche Zungenartikulation wie i (i) und gleicht vollkommen dem zweiten Teil der i-Diphthonge; S. 337ff. 399

h - ist derselbe Hauchlaut (d. h. stimmloser Kehlkopfreibelaut) wie im Normalnhd. (mit etwas schwächerem Exspirationsstrom); s. das Weitere SS. 374, 377f., 384f., 392. ' - ist der feste Vokaleinsatz (d.h. stimmloser Kehlkopfverschlußlaut) wie im Nhd., doch schwächer artikuliert, und erscheint immer im absoluten Vokalanlaut, während er im Sprechtaktinlaut im allgemeinen gemieden bzw. durch den leisen Einsatz ersetzt wird; im H.-J. entspricht er dem χ (') bzw. ν (e) - SS. 380, 384. I - ist interdentale Liquida: die Zunge bleibt ebenso gestreckt wie in der Ruhelage, nur der vorderste Teil hebt sich ein wenig empor, so daß der vorderste Teil des Zungenblatts (in der Nähe der Zungenspitze) mit der Kante der oberen Schneidezähne den Verschluß bildet, während der Exspirationsstrom rechts vorbeizieht; der Hohlraum im Vordermunde ist mithin größer als im Normalnhd. (wo die Vorderzunge sich gegen die Alveolen emporhebt), aber doch nicht so groß wie in den sl. Sprachen 1 (wo sie noch stärker gesenkt wird) und so ist das l zwar als dunkel und hart zu bezeichnen, aber doch heller als das sl. I - auch bleibt jede Artikulation der Lippen und der Hinterzunge (wie bei l und u) aus; über die etymologische Entsprechung SS 339f., 369, 380, 391, 393. Γ - entsteht dadurch, daß sich die Zungenspitze aus ihrer ^Einstellung etwas zurückzieht und den mittleren Teil der Zunge mit der Mitte des Vordergaumens einen Verschluß bilden läßt (bei gleichzeitig rechtsseitiger Ausflußöffnung); SS. 340, 380f., 390f. r ( = R) - ist der ungerollte, durch einen Schlag gebildete Zäpfchenlaut - die Zunge bleibt völlig ruhig; s. SS. 342ff., 346, 369, 380, 390. m - ist meist bilabialer, nach /, w, assimiliert, labiodentaler Nasal (in diesem Falle bilden Oberzähne und Unterlippe den Verschluß); SS. 344, 351 f., 360. η - ist interdentaler Nasal, wird also durch die gleiche Zungeneinstellung wie bei l (ohne rechtsseitige Öffnung) und Umleitung des Luftstromes durch den Nasenraum erzeugt; SS 344, 349ff., 385, 393 f. 1

Auch in manchen j. Maa. - s. S. 339.

400

ή - kommt dementsprechend durch die Einstellung der Zunge wie bei l' und Umleitung des Luftstromes wie bei η zustande; SS. 345, 390 f. y - ist der Gutturalnasal, bei dem sich die Zungenspitze wie bei V, ή zurückzieht und der vorderste Teil der Hinterzunge am weichen Gaumen vorne (in der Nähe des harten) den Mundkanal für den Luftstrom absperrt; SS. 344, 351, 383. p, b - sind bilabiale Verschlußlaute (die Lippenartikulation ist auch hier schlaff); ρ ist die stimmlose, unbehauchte Fortis, b die schwach stimmhafte Lenis (dasselbe gilt auch von den folgenden Lautpaaren); SS. 353, 355ff., 379. f,w- labiodentale Reibelaute (Unterlippe -f Oberzähne); SS. 353f., 357ff., 379f., 382, 393, 395. t, d - interdentale Verschlußlaute; der Verschluß erfolgt auf die gleiche Weise wie beim l (bei gleicher Zungenhaltung), der Klang ist daher auch hier härter als bei den normalnhd. Lauten; SS. 361 ff., 370ff., 379f., 394. s, ζ - sind dorsal-postdentale Reibelaute: die Zungenspitze bleibt vollständig gesenkt hinter der unteren Zahnreihe, die Zunge, mit sehr flacher Rinne, hebt sich ein wenig, daß ihr vorderer Teil mit der Rückwand der Oberzähne eine Enge bilden kann, durch die die Luft hindurchgepreßt wird; SS. 364ff., 379, 381. s, ζ - werden gebildet, indem die Zungenspitze sich fast bis zum unteren Rand der Oberzähne emporhebt, also in die gewöhnliche interdentale Stellung einrückt, ohne jedoch einen Verschluß zu bilden, und die Mittelzunge an der Mitte des Vordergaumens die Enge erzeugt - im übrigen erfährt die Zunge, mit einer etwas tieferen Rinne als bei s, keine Veränderungen, wird also nicht wie im Normalnhd. (auch im P.) gewölbt, und die Lippen bleiben völlig ruhig ohne Rundung oder Vorstülpung, so daß der Kesselraum in der vorderen Mundhöhle nicht so hohl und die Laute nicht so dumpf sind, wie im Normalnhd. oder P.; SS. 364if., 381, 390, 392f. s, ζ - zeigen dieselbe Haltung der Zunge wie s, z, nur daß die Enge weiter vorne zwischen dem hinteren Teil der Vorderzunge und dem vorderen Teil des Hartgaumens entsteht, stehen also im ganzen ziemlich in der Mitte zwischen s - ζ und 5 - 2 ; S. 390. 401

ts - dz, tS - dz, ts - dz - sind die entsprechenden Affrikatenpaare, deren Artikulation mit der oben beschriebenen Verschlußstellung von t-d beginnt und durch sehr rasches Übergleiten der Zunge mit der jeweiligen Engstellung endet; die Artikulation von t-d ist also dabei von sehr geringer Dauer, und zwar um so geringer, je weiter der Gleitweg ist; SS. 368, 379f., 390, 392. k - g - entstehen durch die Verschlußbildung der vorderen Hinterzunge am vorderen Weichgaumen; die verschiedenen Abarten, vor velaren und palatalen Vokalen, weisen eine sehr geringe, kaum merkliche Entfernung der Artikulationsstellen voneinander auf, sie werden sämtlich auf einer ganz kurzen Strecke von der Grenze gegen den Hartgaumen an gebildet; SS. 372f., 375, 379f., 391. χ - wird etwas weiter hinten zwischen dem mittleren Teil der Hinterzunge und der Mitte des Weichgaumens erzeugt; der Abstand zwischen beiden äußersten Spielarten ist auch hier sehr gering; SS. 374ff., 379f., 391, 395.

402

Transkription hebräischer Wörter Die im Text nicht transkribierten Wörter in hebräischer Schrift werden hier, sofern dies für das Verständnis des Zusammenhangs nötig ist, für den HebräischUnkundigen auf einem Sonderblatt in Umschrift geboten, zur Erleichterung des Lesens und Vergleichens. Die hebräische Schrift gibt im allgemeinen nur den Konsonanten-Bestand, von rechts nach links. Dem Hebräer ist der dazugehörige Vokalbestand vertraut. Der Ton, sofern unbezeichnet, ruht in rein hebräischen Wörtern auf der letzten Silbe, in deutsch suffigierten und jiddischen auf der ersten, wie im Deutschen. 14, 8 * 11 13 15, 26 19, 17 19 23, 15 25, 10 11 12 13 14 15 16 30, 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12

lesch6n hakkodesch (eig. = Sprache der Heiligen Schrift) löschn ködesch lä'as (auch 14, 22 und 1 4 , 2 8 ; 15, 3 und 15, 12) l e schönenu j e hüdith, idith jidisch, idisch Jishäk, M a nasche jäjin, peröth, zimmükim margälijoth, kammön, mäjim schächör, ssöcher ss e chorä, miss'chär, ssächar'n känj e n, ma'öth p e rütä, rewach, keren, chöw j e rid, achssanjä, ba'al 'agälä (eig. = WagenBesitzer), schä'ä me'eth lä'eth (eig. = von einer Zeit bis zur gleichen Zeit), jam, m e dinä, däröm beith din, k e nass, cherein, mithä, malköth 'edüth, pätur, p e ssäk, din sch e tär, schäli a ch, zaddik räschä, get, chuppa, kiddüschin chathän, beith midräsch, k e hillä parnäss, schammäsch, miswä sch e elä, challä t e flllä, tallith, l e wänä lü a ch, meth, l°wäjä kal wächomer,

13 14 15 16 17 18 19 81, 13 14 15 16 17 19 35, 3 4 36, 58, 118, 121,

122,

9 10 19 20 21 17 10 12 14 18 19 23 29 36 1 3 4 6 33 34

chärif, chochmä sch e tüth, perek, massechta perüsch, ssefer, ss e wärä, kaschja terüz, öth, tornar add e rabbä, näwi, beithhammikdäsch, korbän, chorban, gälüth £)rez Jissrä'el, midbär hära heitew ra, t6w m e nazze a ch näzach ssärä, ked®schä göjim, chogga mä'öth, makkoth, milchäma cheder bä'al habbäjith pardess u-ijä, histadrut, wä'ad chaluz amör ämar, hälöch j Siech jöm töw -tä tarn dlra chummäsch (auch 121, 27) läschön chänaf masäl chen t e refä Purim schöchet tallith tallijöth, am häärez

* Die Zahl vor dem Komma gibt die Seite, die Zahl nach dem Komma gibt die Zeile der betreifenden Seite an.

schechena päriza a sun(sin) vun(vin) m a i n ( m ä n ) veter, ain sohn von mainem 32 onkel, m a i n e s onkels 138, 15-16 Die L a u t f o r i n der drei P a a r e : ernes, chawer, lewöne 24 Doppel-i, (aweire [Vergehen]), Doppel-u, (Dowid) 25 (Jissro'el) 26 (döires [Geschlechter]) 123,

1 3 136, 30 31

139,

7 - 9 meidl n i c h t meidel, kleins n i c h t kleines, gein n i c h t gehen, k u m e n . . . k u m i n oder k u m n , n o m e n n i c h t n o m i n oder n o m n [Nordost]'.]; 10-11 v a r - n i c h t ver-, der- n i c h t er-, ge- n i c h t gi-, ba- n i c h t be-, ze- n i c h t zu-, opn i c h t ob- [in n o j . L a u t l i n g ] ; 12-13 unds s t a t t uns, want s t a t t wand, wu statt w'u, pruw s t a t t p r u ' w [noj. L a u t u n g ] . 143, 15 b e h a ' a l o s ' c h u ess hanairiss [in ostgal.-jid. L a u t u n g ] .