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German Pages 516 [528] Year 1957
JEAN PAULS SÄMTLICHE W E R K E HISTORISCH-KRITISCHE
AUSGABE
H e r a u s g e g e b e n von der Deutschen A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n zu Berlin
ERGÄNZUNGSBAND
1956
AKADEMIE-VERLAG
BERLIN
HERMANN BÖHLAUS NACHFOLGER
WEIMAR
JEAN PAULS SÄMTLICHE W E R K E HISTORISCH-KRITISCHE
AUSGABE
Ergänzungsband
JEAN PAULS P E R S Ö N L I C H K E I T IN B E R I C H T E N DER
ZEITGENOSSEN
Herausgegeben von EDUARD
BEREND
1956
AKADEMIE-VERLAG
BERLIN
HERMANN BÖHLAUS NACHFOLGER
WEIMAR
Mit
18 Abbildungen
auf
16
Tafeln
Lizenz Nr. 272 • 140/4/54 Geeamtherstellung: Druckerei ,«Magnus Poeer" Jena L.-Nr. 2006
VORWORT Als Ergänzung zu der Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken, Nachlaß und Briefen sind im vorliegenden Bande die Berichte der Zeitgenossen über seine menschliche Persönlichkeit vereinigt. Jean Paul war, wie in seinen Schriften, so auch im Lehen eine so ungewöhnliche Erscheinung, daß fast jeder, der mit ihm in Berührung kam, einen starken Eindruck empfing und irgendeinen charakteristischen Zug oder Ausspruch von ihm zu berichten wußte. Es sind daher zahlreiche, zum Teil sehr ausführliche Schilderungen seiner Persönlichkeit, sowohl von seinen näheren Angehörigen und Freunden als auch von entfernteren Bekannten, gedruckt oder handschriftlich auf uns gekommen. Darin ist auch alles enthalten, was uns an mündlichen Äußerungen des Dichters überliefert ist, und somit ein Ersatz des Eckermann oder Boswell gegeben, der. ihm versagt geblieben ist. Es ist des öfteren versucht worden, in erzählender oder dramatischer Form die einzigartige Persönlichkeit Jean Pauls zu gestalten 1 . Aber in keinem Falle geschah das auf Grund persönlicher Kenntnis, und es scheint mir denn auch nie recht gelungen zu sein. Das frischeste und treueste Bild werden immer die Berichte von Augen- und Ohrenzeugen geben; wenn nicht einzeln, so doch in ihrer Gesamtheit. Gewiß ist es richtig, daß die wahre Bedeutung genialer Persönlichkeiten in ihren Werken und nicht in den Zufälligkeiten ihrer Menschlichkeit beruht. Jean Paul hat selber das demütig-stolze Wort gesprochen, er sei nicht der Mühe wert gegen das, was er geschaffen habe. Aber darum ist das Verlangen, den Menschen, „wie er eigentlich gewesen", kennenzulernen, selbst auf die Gefahr einer Ernüchterung hin, doch nicht nur vom wissenschaftlichen Standpunkt aus berechtigt und begreiflich. Friedrich Schlegel wollte alle Werke Lessings für eine einzige Unterredung mit dem Verfasser hingeben; und Thomas Mann läßt in 1) Außer den in meiner Jean-Paul-Bibliographie (1925) unter Nr. 1113 bis 1126 angeführten seien von neueren Versuchen noch genannt: Walther Harichs Novelle „Jean Paul in Heidelberg (1929), Eduard Thorns Erzählung „Schwärmerei des Herzens" (1937) und Eduard Herolds Heimatspiel „Ein Dichterfest" (1950).
VI
Vorwort
„Lotte in Weimar" Riemer sagen, daß es wohltuend und tröstlich bis zur Erheiterung sei, von einem großen Manne das Menschliche wahrzunehmen. Bei Jean Paul ist dieses Verlangen um so natürlicher und stärker, als bei ihm der Mensch und der Dichter so innig miteinander verschmolzen waren wie kaum je bei einem andern. Die ungeheuere Subjektivität seiner Dichtung drängt auch dem heutigen Leser bald die Frage auf, die zu seinen Lebzeiten so viele Hunderte antrieb, sich schriftlich oder persönlich ihm zu nähern: Was für ein Mensch war das, der so eigenartig fühlte, dachte und schrieb? Befragt man nun darüber die Zeitgenossen, die ihm begegnet sind, so stößt man zunächst auf Schritt und Tritt auf Widersprüche, die sich doch nicht oder nur teilweise damit abtun lassen, der Mann sei eben selber voller Widersprüche gewesen. Nicht nur die allgemeinen Beurteilungen gehen weit auseinander, indem einerseits manche Bewunderer seiner Werke sich von seiner Persönlichkeit enttäuscht oder abgestoßen fühlten, anderseits manche, die dem Dichter kühl gegenüberstanden, von dem Menschen entzückt waren; sondern auch in bestimmten Einzelheiten, wie etwa der wichtigen Frage, ob er „sprach, wie er schrieb", lauten die Aussagen oft entgegengesetzt. Wie die Bildnisse, die uns von Jean Pauls äußerer Erscheinung überliefert sind, so stark voneinander abweichen, daß man darin ohne äußere Beglaubigung kaum einen und denselben Menschen erkennen würde, so scheinen auch die überlieferten literarischen Schilderungen seines Wesens oft fast unvereinbar. Die einen rühmen seine Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit, die andern finden ihn eitel und anmaßend; bald wird er ein guter Zuhörer genannt, bald heißt es, er habe keinen andern zu Worte kommen lassen, usw. Allein je mehr Berichte man kennenlernt, desto mehr klären sich die Widersprüche. Man lernt unterscheiden, was objektiver Befund, was subjektive Zu tat des Berichterstatters ist. Wenn für sich allein vielleicht auch kein einziger Bericht ein ganz ungefärbtes, erschöpfendes Bild zu geben vermag, so läßt sich aus ihrer Gesamtheit ein solches doch sehr wohl gewinnen. Allerdings bedarf es dazu der schöpferischen Mitarbeit des Lesers; Phantasie und Kritik zugleich müssen ihm zu Gebote stehen, um sich aus den widersprechenden Schilderungen eine Evangelienharmonie zu bilden. Der Herausgeber mußte sich begnügen, in den Anmerkungen hie und da Fingerzeige für die Beurteilung der Zuverlässigkeit zu geben.
Vorwort
VII
Seit ich 1913 zum erstenmal eine Sammlung solcher zeitgenössischer Berichte veröffentlichte, habe ich sehr viel neues gedrucktes und handschriftliches Material teils selber ausfindig gemacht, teils von andern nachgewiesen erhalten, so daß die nunmehrige Sammlung fast doppelt so stark wie die frühere geworden ist. Gedrucktes wurde, wo es möglich war, mit den Handschriften verglichen und konnte oft berichtigt oder ergänzt werden. Fortgelassen wurde nur ganz Belangloses oder Uncharakteristisches und n a c h w e i s b a r Erfundenes, natürlich auch alle Urteile über die Dichtungen. Ungünstiges habe ich nirgends unterdrückt. Ich glaube damit im Sinne des Dichters selber gehandelt zu haben, der es seinem Biographen zur Pflicht gemacht hat, ,,derb und frei, nicht verdammt kleinstädtisch-zart und delikat" über ihn zu schreiben (an Otto, 6. Febr. 1802), und der es selbstverständlich fand, daß seine Verehrer auch Pasquille über ihn sammelten 1 . Die abfälligen Schilderungen sind nicht nur zum Ausgleich für die oft ungebührlichen Verhimmelungen der Enthusiasten in Kauf zu nehmen; sie geben auch nicht selten charakteristische Züge, da der Haß manchmal schärfer sieht als die Liebe. Die Berichte sind, soweit möglich, chronologisch geordnet, natürlich nach der Zeit des jeweils Berichteten, nicht nach der oft viel späteren Niederschrift oder Veröffentlichung; doch wurden zusammenhängende Berichte, die sich über größere Zeiträume erstrecken, nur zerlegt, wenn es sich ohne Gewaltsamkeit tun ließ. Manche Datierungen der früheren Sammlung konnten berichtigt oder genauer bestimmt werden. Was sich zeitlich nicht fixieren ließ, wurde in den Anhang verwiesen. Eine Biographie kann und soll die Sammlung nicht geben; der äußere Lebensgang des Dichters muß im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt werden. Alles zum Verständnis Notwendige ist in den Anmerkungen oder im Register zu finden. Wenn mehrere teilweise übereinstimmende Berichte aus der gleichen Feder vorliegen, so wurden sie entweder, wo es tunlich war, wie bei Richard Spazier, zu einem vereinigt, oder es wurde der ausführlichste im Text abgedruckt und die Abweichungen oder Ergänzungen der 1) Vgl. S. 123 dieses Bandes. Es ist bezeichnend, daß Jean Paul an der nicht sehr schmeichelhaften Schilderung Reichardts (Nr. 35) weniger Anstoß nahm als seine Freunde; s. seinen Brief an Charlotte von Kalb vom 21. Febr. 1797.
VIII
Vorwort
andern in den Anmerkungen verzeichnet, wie bei Yarnhagen und Heinrich Voß. Berichte verschiedener Beobachter über den gleichen Vorgang (z. B. über den Heidelberger Fackelzug) wurden nicht vermieden, da sie gerade die beste Kontrolle der Zuverlässigkeit geben und doch jeder auch wieder irgend etwas Besonderes beibringt. Orthographie und Interpunktion sind gleichmäßig modernisiert, sonst aber ist nichts geändert als höchstens einmal ein Wort zugefügt oder umgestellt, um den Zusammenhang herzustellen. Auslassungen sind überall durch Punkte gekennzeichnet. Als Ergänzung zu den literarischen Schilderungen geben die Tafelbilder die äußere Gestalt des Dichters und den Raum, in dem er sich bewegte, wieder. Dabei kam es nicht auf Schönheit, sondern auf Echtheit an. Die Porträts ad vivum sind wohl vollständig vertreten; das Vogelsche, das bisher nur in Stichen von anderer Hand bekannt war, ist hier zum erstenmal nach der Originalzeichnung reproduziert (Tafel XI). Die Würzburgersche Zeichnung des Dichters auf dem Totenbette ist weggeblieben, da sie bereits im vierten Nachlaßbande wiedergegeben wurde. Im Register wurden aus praktischen Gründen Personen- und Ortsnamen, Sachen und Werke in einem Alphabet vereinigt. Als Sachregister kann es den Gehalt des Textes natürlich nicht erschöpfen; es mußte auf • festumrissene, konkrete Stichworte beschränkt werden. Es bleibt mir noch die Pflicht, allen denen zu danken, die mich bei der langjährigen Vorbereitung dieses Bandes mit handschriftlichem Material, Hinweisen oder Auskünften unterstützt haben. Die sehr lebendig geschriebenen, nun leider zugrunde gegangenen Tagebücher und den Briefwechsel der Freifrau von Ende durfte ich vor vielen Jahren bei ihrem Urenkel, dem 1952 verstorbenen Freiherrn Hans-Adam von Ende, und seiner noch lebenden geschichtskundigen Gattin in AltJeßnitz exzerpieren, die geschwätzigen Briefe der Henriette von Knebel an ihren Onkel und manches andere im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar. Die Kenntnis der Briefe des Kammerrats von Oerthel an seinen Sohn (Nr. 6a) verdanke ich Frau Jenny Eitler in München, das Billett Herders an Dohm (Nr. 27) Herrn Oberschulrat Dr. Hans Schauer in Göttingen, das Bruchstück aus den Erinnerungen Karl Burgers (Nr. 261) Frau Studienrätin Dorothea Hofmann in Bayreuth, die Auszüge aus Sömmerrings Tagebüchern (Nr. 284) Herrn Dr. Olshausen
Vorwort
IX
in München, den Bericht der Auguste Schlichtegroll über Jean Pauls Besuch in München (Nr. 287) Herrn Bibliotheks-Inspektor Dr. Wimm« daselbst. Auf Lupins Selbstbiographie (Nr. 18) und Rudolf Wagners Jugenderinnerungen (Nr. 205 und 243) hat mich Herr Professor Dr. Kurt Schreinert in Göttingen hingewiesen, auf W. L. Müllers Reisebeschreibung (Nr. 269) Herr Robert Warnecke in Hamburg. Die Vorlage für das Heidelberger Doktordiplom (Tafel VII) stellte das dortige Universitätsarchiv zur Verfügung, die Zeichnung des Stuttgarter Picknicks (Tafel V I I I ) das Marbacher Schiller-Nationalmuseum, die Vogelsche Zeichnung (Tafel X I ) das Dresdner Kupferstichkabinett. Mit wertvollen Auskünften haben mich unterstützt Herr Landrat a. D. Klaus von Gerlach in Berchtesgaden, Herr Oberstudiendirektor a. D. Dr. Karl Hartmann und Herr Archivar Hans Lauterbach in Bayreuth, Frau Dr. L. Lohrer in Marbäch, Frau Gertrud v. Lacroix-Förster in Hamburg, Herr Dr. Hans W. Seiffert in Berlin, Herr Dr. Johannes Reiher in Dresden, Herr Wilhelm Müller in Wunsiedel, Herr Dr. Leo S. Janko in Zürich, vor allem aber Herr Professor Dr. Kurt Schreinert, dessen unermüdliche Hilfsbereitschaft ich allzu oft in Anspruch nehmen mußte. Bei der mühsamen Herstellung des Registers hat Frau Hanna C. Altmann Hilfe geleistet. Allen genannten und noch manchen ungenannten Helfern fühle ich mich zu wärmstem Dank verpflichtet. Genf, im November 1955
Eduard Berend
I N H A L T Seite
Vorwort Joditz (1765 bis 1775) Hof, Gymnasium (1779 bis 1780) Leipzig, Universität (1781 bis 1784) Töpen (1787 bis 1789) Schwarzenbach (März 1790 bis April 1794) Hof (Mai 1794 bis Oktober 1797) Besuch in Weimar (10. Juni bis 2. Juli 1796) Leipzig (November 1797 bis Oktober 1798) Besuch in Halle und Halberstadt (Juli 1798) Besuch in Jena und Weimar (August 1798) Weimar (Oktober 1798 bis September 1800) Besuch in Berlin (25. Mai bis 25. Juni 1800 Berlin (Oktober 1800 bis Mai 1801) Besuch in Weimar (2. bis 16. Juni 1801) Meiningen (Juni 1801 bis Juni 1803) Besuch in Kassel (September 1801) Koburg (Juni 1803 bis August 1804) Besuch in Erlangen (Mai 1804) Bayreuth (12. August 1804 bis 14. November 1825) . . . . Besuch in Bamberg (Ende August 1810) Besuch in Heidelberg (6. Juli bis 23. August 1817) . . . Besuch in Frankfurt a. M. (29. Mai bis 15. Juni) und Heidelberg (16. Juni bis 1. Juli 1818) Besuch in Stuttgart (7. Juni bis 9. Juli 1819) Besuch in Löbichau (31. August bis 17. September 1819) Besuch in München (30. Mai bis 9. Juli 1820) . . . . . Besuch in Bamberg (April 1821) Besuch in Dresden (5. Mai bis 12. Juni 1822) Anhang (Zeitlich Unbestimmtes) Anmerkungen Zu den Bildtafeln . Register
V-IX 1 1-3 3-6 6-7 7-8 8-22 15-19 22-37 33—35 36—37 37-64 57—62 64 - 72 72 — 73 73-82 75 — 76 82-85 85-91 91-372 122 — 128 160—205 214-228 234-242 242—249 250—252 256-259 280 — 311 373 —390 391—442 442-444 445-484
T A F E L N I . J e a n Pauls Geburtshaus in Wunsiedel — P i a r r h a u s in Joditz I I . J e a n Paul im 36. Lebensjahr. Gemälde von H . Pfenninger (1798) I I I . J e a n Paul im 41. Lebensjahr. Kupierstich von Nettling n a c h Zeichn u n g von Schröder (1804) IV. J e a n P a u l im 48. Lebensjahr. Gemälde von Friedr. Meier (1810) V. J e a n P a u l im 52. Lebensjahr. Miniaturbild von L e h m a n n (1815) VI. VII. VIII. IX. X.
J e a n Paul im 53. Lebensjahr. Gipsbüste von Hildebrant (1816) Heidelberger Ehrendoktordiplom (1817) Picknick zu E h r e n J e a n Pauls in der Gaisburg (1819) F r a u Rollwenzel — Die Rollwenzelei J e a n Pauls Arbeitsstube in der Rollwenzelei
X I . J e a n P a u l im 60. Lebensjahr. Zeichnung von Vogel von Vogelstein (1822) X I I . J e a n Paul im 61. Lebensjahr. Pastellgemälde von Lorenz Kreul (1823) X I I I . J e a n Pauls W o h n h a u s in der Friedrichsstraße in Bayreuth (1813 —1825) X I V . J e a n Pauls u n d seines Sohnes Grab in B a y r e u t h XV. Karoline Richter im 49. Lebensjahr. Zeichnung von E r n s t Förster (1826)
X V I . E m m a Richter, als Braut. Zeichnung von E r n s t Förster (1826)
TEXTE
J O D I T Z ( 1 7 6 5 bis 1 7 7 5 )
1.
Noch jetzt erzählt man sich in Joditz, daß die Bauern vor dem lebhaften Pfarrsohn öfters die Türe geschlossen hätten, um seinem allzu reichen Redestrom zu entgehen.
H O F , G Y M N A S I U M (1779 bis 1780) 2.
Christian
Otto:
Wenn Jean Paul sagt, daß e r . . . sich in seiner Selbstbiographie, wo er nur könne, von der komischen Seite darstellen wolle, so würde er auch allein berechtiget und imstande gewesen sein, ohne sich und andere zu verletzen, sein erstes Erscheinen in der Schule zu schildern: seine dem Stoff und der Form nach dorfmäßige, ganz neue und doch vernachlässigte Kleidung, seinen treuherzig unbefangenen Anstand, sein gleichsam alte Bekanntschaft voraussetzendes Entgegenkommen, das fast für Zudringlichkeit galt. Den städtischen Mitschülern diente dies alles, besonders aber sein in sich gekehrter, auf die äußere Erscheinung unaufmerksamer Sinn, ja sogar sein begeisterter Blick, der ihnen schielend vorkam, zum Spott. 3.
Rektor Georg Wilhelm
Kirsch,
Oktober
17SO:
Nunc autem mihi nominandus est Ioannes Paulus Fridericus Richter qui scholae nostrae valedicet. Patrem hic habuit Virum Maxime Reverendum, Ioannem Christ. Christoph. Pastorem Schwarcenbac, ad Salam dignissimum, quem vero paullo post, quam huc venerati amisit. A patre ipso anni praeteriti initio adduetus tam bene in examine respondit, ut nihil omnino impedimenti esset, quominus in primam statim classem reeiperetur. Laudi est, eum, ex quo apud nos vivere coepit, egregias ingenii dotes, quas a Dei benignitate aeeepit, non neglexisse et non lectiones solum publicas attente audivisse, sed tempus etiam, quod erat a publicis auditionibus reliquum, tam bene 1
J e a n Pauls Persönlichkeit
J O D I T Z ( 1 7 6 5 bis 1 7 7 5 )
1.
Noch jetzt erzählt man sich in Joditz, daß die Bauern vor dem lebhaften Pfarrsohn öfters die Türe geschlossen hätten, um seinem allzu reichen Redestrom zu entgehen.
H O F , G Y M N A S I U M (1779 bis 1780) 2.
Christian
Otto:
Wenn Jean Paul sagt, daß e r . . . sich in seiner Selbstbiographie, wo er nur könne, von der komischen Seite darstellen wolle, so würde er auch allein berechtiget und imstande gewesen sein, ohne sich und andere zu verletzen, sein erstes Erscheinen in der Schule zu schildern: seine dem Stoff und der Form nach dorfmäßige, ganz neue und doch vernachlässigte Kleidung, seinen treuherzig unbefangenen Anstand, sein gleichsam alte Bekanntschaft voraussetzendes Entgegenkommen, das fast für Zudringlichkeit galt. Den städtischen Mitschülern diente dies alles, besonders aber sein in sich gekehrter, auf die äußere Erscheinung unaufmerksamer Sinn, ja sogar sein begeisterter Blick, der ihnen schielend vorkam, zum Spott. 3.
Rektor Georg Wilhelm
Kirsch,
Oktober
17SO:
Nunc autem mihi nominandus est Ioannes Paulus Fridericus Richter qui scholae nostrae valedicet. Patrem hic habuit Virum Maxime Reverendum, Ioannem Christ. Christoph. Pastorem Schwarcenbac, ad Salam dignissimum, quem vero paullo post, quam huc venerati amisit. A patre ipso anni praeteriti initio adduetus tam bene in examine respondit, ut nihil omnino impedimenti esset, quominus in primam statim classem reeiperetur. Laudi est, eum, ex quo apud nos vivere coepit, egregias ingenii dotes, quas a Dei benignitate aeeepit, non neglexisse et non lectiones solum publicas attente audivisse, sed tempus etiam, quod erat a publicis auditionibus reliquum, tam bene 1
J e a n Pauls Persönlichkeit
Hof, 1779 — 1780
2
collocasse, ut in dies utilium rerum cognitione cresceret. Q u a p r o p t e r non sine causa speramus, eum cum non minori laude in academiis versaturum esse. Persuasit j a m hoc nobis, cum in nataliciis A u g u s t a e Matris Patris Patriae longe Clementissimi, quae Curianum superiori anno celebravit, germanice ostenderet, quo quis maturius, linguis 5 tarnen non neglectis, ad Philosophiae Studium recte se applicet, eo felicius in ceteris quoque esse progressurum. Tempus academicum Theologiae potissimum impendere cogitat, de cujus recte tractandae ratione ut se praemoneret ipsum, hoc orationis valedictoriae argum e n t u m sibi sumpsit, u t i novorum recte excogitandorum studio nihil 10 melius sit, ita novitatis affectatione nihil esse deterius 1 . 4.
Rektor Georg Wilhelm
Kirsch,
15. Mai
1781:
Paupertas cum nemini dedecori sit, qui virtutis divitiis abundare nititur, sane non est, quod erubescat is, qui sibi has literas scribi voluit, Iuvenis Ornatissimus, Joannes Paullus Fridericus Richter, 15 Pastoris, d u m viveret, Schwarzenbacensis filius, homo pauper, imo pauperrimus. Aliquot abhinc annis mors illi patrem abstulit, et, nisi 1) Jetzt aber habe ich noch Johann Paul Friedrich Richter zu nennen, der unsere Schule verläßt. Sein Vater war der ehrengeachtete Herr Johann Christian Christoph (Richter), hochwürdiger Pastor in Schwarzenbach a. d. Saale, den er aber bald nach seiner Hierherkunft verlor. Vom Vater selbst zu Anfang des vorigen Jahres hergebracht, bestand er die Prüfung so gut, daß nichts im Wege stand, ihn gleich in die Prima aufzunehmen. Es ist zu loben, daß er, seit er bei uns lebte, die hervorragenden Geistesgaben, die Gottes Güte ihm verliehen hat, nicht vernachlässigte und nicht nur dem Schulunterricht aufmerksam folgte, sondern auch die ihm verbleibende freie Zeit so gut anwandte, daß seine Kenntnisse nützlicher Dinge sich von Tag zu Tag mehrten. Wir dürfen daher mit gutem Grunde hoffen, daß er mit nicht weniger Erfolg sich auch auf der Universität betätigen werde. Davon hat er uns schon überzeugt, als er im vorigen Jahre bei der Feier des Geburtstages der erlauchten Mutter unseres gnädigen Landesherrn in deutscher Rede nachwies, daß man, je früher man sich, ohne die Sprachen zu vernachlässigen, dem Studium der Philosophie ergibt, desto größere Fortschritte auch in andern Fächern machen werde. Seine Universitätszeit gedenkt er hauptsächlich der Theologie zu widmen, und um sich für deren richtige Betreibung selber im voraus anzuweisen, hat er sich vorgenommen, in seiner Abschiedsrede den Nachweis zu führen, daß nichts besser sei als der Eifer, Nettes zu ergründen, aber auch nichts schlimmer als das Haschen nach Neuem.
Leipzig, 1781—1784
3
Dei consilia nefas esset vituperare, fas esset conqueri, hunc, non alium potius, patrem suum amisisse, a quo, si vixisset, omnia potuisset sperare. Tanta enim hic Juvenis flagrat discendi cupiditate, ut quasi sponsores esse possimus, non sine voluptate, quicunque
Richten
profectus explorare voluerit, re ipsa esse intellecturum, eum non in linguis solum, sed in Philosophia potissimum, quantum quidem haec aetas patitur, admodum progressum esse. Est igitur dignissimus, qui cuique harum literarum lectori et inprimis Celeberrimis inclytae Academiae Lipsiensis Professoribus de meliori commendetur. Erit absque dubio ea grata mente, quae, quidquid beneficii acceperit, non agnoscat solum, sed etiam, si quando laetior aliqua fortuna affulserit, rite compenset 1 .
LEIPZIG, UNIVERSITÄT 5.
Christian
(1781 bis
1784)
Otto:
Auch in dieser für jeden andern gewiß überaus unglücklichen Lebensperiode fehlte ihm ein hohes Selbstvertrauen und eine Gemütsruhe und jene Freudigkeit nicht, die nur eine ungemeine Geisteskraft und eine ununterbrochene Geistesrichtung auf das Höchste gewähren können. Beide besaß Paul; und durch sie vermochte er alle Gedanken, 1) Da Armut niemandem zur Unehre gereicht, der nach Reichtum an Tugend trachtet, braucht der wahrlich nicht zu erröten, der um dies Zeugnis gebeten hat, der vortreffliche Jüngling J. P. Fr. Richter, ein Sohn des ehemaligen Schwarzenbacher Pastors, ein armer, ja ärmster Mensch. Vor einigen Jahren hat ihm der Tod den Vater geraubt, und wenn es nicht sündhaft wäre, Gottes Ratschlüsse zu tadeln, so dürfte man es beklagen, daß gerade dieser und nicht lieber ein anderer den Vater verlieren mußte, dem, wenn er länger gelebt hätte, der Sohn gewiß alle Hoffnungen erfüllt haben würde. Denn dieser Jüngling brennt dermaßen von Lernbegierde, daß wir dafür bürgen können, jeder, der Richters Kenntnisse prüfen will, werde sich mit Vergnügen davon überzeugen, daß derselbe nicht nur in Sprachen, sondern vornehmlich in der Philosophie für sein Alter sehr fortgeschritten ist. Er ist also im höchsten Grade würdig, jedem, der dies liest, und besonders den wohllöblichen Professoren der berühmten Universität Leipzig aufs wärmste empfohlen zu werden. Auch wird er ohne Zweifel alle ihm erwiesenen Wohltaten nicht nur dankbaren Sinnes anerkennen, sondern, wenn sich das Glück ihm einmal freundlicher zeigen sollte, auch gebührend erstatten.
Leipzig, 1781—1784
3
Dei consilia nefas esset vituperare, fas esset conqueri, hunc, non alium potius, patrem suum amisisse, a quo, si vixisset, omnia potuisset sperare. Tanta enim hic Juvenis flagrat discendi cupiditate, ut quasi sponsores esse possimus, non sine voluptate, quicunque
Richten
profectus explorare voluerit, re ipsa esse intellecturum, eum non in linguis solum, sed in Philosophia potissimum, quantum quidem haec aetas patitur, admodum progressum esse. Est igitur dignissimus, qui cuique harum literarum lectori et inprimis Celeberrimis inclytae Academiae Lipsiensis Professoribus de meliori commendetur. Erit absque dubio ea grata mente, quae, quidquid beneficii acceperit, non agnoscat solum, sed etiam, si quando laetior aliqua fortuna affulserit, rite compenset 1 .
LEIPZIG, UNIVERSITÄT 5.
Christian
(1781 bis
1784)
Otto:
Auch in dieser für jeden andern gewiß überaus unglücklichen Lebensperiode fehlte ihm ein hohes Selbstvertrauen und eine Gemütsruhe und jene Freudigkeit nicht, die nur eine ungemeine Geisteskraft und eine ununterbrochene Geistesrichtung auf das Höchste gewähren können. Beide besaß Paul; und durch sie vermochte er alle Gedanken, 1) Da Armut niemandem zur Unehre gereicht, der nach Reichtum an Tugend trachtet, braucht der wahrlich nicht zu erröten, der um dies Zeugnis gebeten hat, der vortreffliche Jüngling J. P. Fr. Richter, ein Sohn des ehemaligen Schwarzenbacher Pastors, ein armer, ja ärmster Mensch. Vor einigen Jahren hat ihm der Tod den Vater geraubt, und wenn es nicht sündhaft wäre, Gottes Ratschlüsse zu tadeln, so dürfte man es beklagen, daß gerade dieser und nicht lieber ein anderer den Vater verlieren mußte, dem, wenn er länger gelebt hätte, der Sohn gewiß alle Hoffnungen erfüllt haben würde. Denn dieser Jüngling brennt dermaßen von Lernbegierde, daß wir dafür bürgen können, jeder, der Richters Kenntnisse prüfen will, werde sich mit Vergnügen davon überzeugen, daß derselbe nicht nur in Sprachen, sondern vornehmlich in der Philosophie für sein Alter sehr fortgeschritten ist. Er ist also im höchsten Grade würdig, jedem, der dies liest, und besonders den wohllöblichen Professoren der berühmten Universität Leipzig aufs wärmste empfohlen zu werden. Auch wird er ohne Zweifel alle ihm erwiesenen Wohltaten nicht nur dankbaren Sinnes anerkennen, sondern, wenn sich das Glück ihm einmal freundlicher zeigen sollte, auch gebührend erstatten.
4
Leipzig, 1781 — 1784
die sich auf die unwillkommenen Äußerlichkeiten des menschlichen Lebens beziehen, mit Blitzesschnelle abzuschneiden und alle Not, in der er war, und die ihn umgab und täglich zunahm, als sei sie nicht da oder nie dagewesen, wobei er zuweilen mit einer schmerzlichen Bewegung der Hand über die Stirne einen Ideengang, den er beseitigen wollte, gleichsam ab- und hinwegstreifte. Auch bei körperlichen Leiden tat er dies, z. B. bei heftigem Kopfschmerz, von dem er (zumal in den dreißiger Jahren seines Lebens) sehr und auf eine Weise geplagt war, daß er das Haupt in gerader und steifer Richtung emporhalten mußte, um jede Bewegung desselben und dadurch die Vermehrung der Schmerzen zu vermeiden. Nur an dieser Kopfhaltung erkannte man seine Leiden, während er mit Ruhe und Heiterkeit, wie sonst, an der Unterhaltung Anteil nahm und sie witzig und humoristisch belebte. 6. Ein Jugendfreund Jean Pauls erinnert sich, daß er in Leipzig ziemlich allgemein als ein Sonderling gegolten habe. Dazu mochte, außer seiner Neigung, alles zu studieren, auch der Umstand beitragen, daß er, den damaligen Sitten durchaus zuwider, mit unbedecktem Halse einherging und sich den Bart wachsen ließ. 6a.
Kammerrat
von Oerlhel an seinen Sohn Lorenz Adam in
Leipzig:
(14. Juni 1781) Was macht denn Mr. Richter? Ist er noch so fleißig und denkt noch so tief hinein ? Mache ihm mein Kompliment. Wenn Du ihm öfters was zugut tun kannst, unterlaß es nicht. (8. Sept. 1781) Verborge keinen Heller... Auch Deinem besten Freund borge nichts und laß überhaupt Dein Geld nicht von jedem sehen. Sollte Dir der Richter zur Last sein, so wirst Du schon wissen, wie Du es zu machen hast, daß er Dir nicht übern Hals liegen soll, denn er ist öfters unausstehend [!], wenn er anders zeither nicht manierlicher und ordentlicher worden. (28. Dez. 1781) Nur kannst Du mir nicht verdenken, daß, weil mir Leipzig an und vor sich in seinem verführerischen Glanz sowohl als Dein Richter bekannt, der mir auch schon verschiedene wider-
Leipzig, 1781—1784
5
sprechende,'dumme, j a unanständige Verblendungen gemacht, daß ich als ein wohlmeinender Vater auf guter Obhut bin, daß Du nicht zu Seel und Leib verderblichen Verführungen hingerissen werdest. (13. Aug. 1783) Richter wird in Hof schlecht ästimiert. 7.
Christian Heinrich Schütze an Jean Paul, 15. Okt. 1797:
Sie erinnern sich vielleicht noch einiger unsrer mir so angenehmen Unterhaltungen in Leipzig, wissen vielleicht noch, wie ich für Hippels Lebensläufe, die Kants Ideen so reizend mitteilen, und für Leibniz usw. eingenommen war. Wir machten, erinnr' ich, noch aus, daß der Verfasser der Lebensläufe ein Sohn des geistreichen Lassenius sein müsse. 8.
Chr. H. Schätze an Jean Paul, 18. Sept. 1798:
. . . Zu meinen Erzählungen von Dir gehört noch unter andern, daß ich einst abends auf Dein Zimmer kam, wo Du und Oerthel (ist dieser sanfte, liebe Mann noch auf unserm Planeten?) im Finstern saßen und Du zu mir sagtest: „Gut, daß Sie kommen, Schütze, wir sprachen eben von Unsterblichkeit der Seele und wurden beide bange, einer vor dem andern." Auch erzähl' ich, daß Du, um das Überraschende des Frühlings zu schmecken, in den paar Monaten, in welchen sich die Natur entknospet, nicht vom Zimmer kamst, immer noch Schnee und Eis vor der Phantasie haltest und erst dann, wenn der ganze Brautschmuck des Frühlings fertiggeschneidert, ins Freie gingest. 9.
J. B. Hermann an Fr. A. Otto, 23. Jan. 1785:
Mit Richtern hatte ich zu Michaeli eine Affäre, die ohngefähr mit dem Weinertischen so beschaffen ist, als wenn Dir die Schneidern schriebe, ich hätte sie und ihren Mann aufgehetzt, Dich zu verklagen und dgl. Teufelszeug mehr, da ich mich doch immer gegen Dich gerühmt habe, als ob ich Dich verteidigt hätte, und Du glaubtest es geradezu und machtest mir die bittersten Vorwürfe deswegen. Ich könnte Dir erstaunlich viel hievon erzählen, was die ohnehin empfängliche und alles zur Wirklichkeit schaffende Einbildungskraft des
6
Töpen, 1787 — 1789
Richters vermochte. Die Folge war dieses, daß ich dem Richter und er mir ganz kaltblütig und vernünftig unsere Meinung sagten, und der Ausgang war, daß er von meiner Unschuld ganz überzeugt (zu sein s i c h e i n b i l d e t e ) und [wir] einander wirklich lieb und wert wurden. Doch eben dieser sein Fehler, sich von einem alten Weibe Dinge weismachen zu lassen, die der unvernünftigste Mensch auch nicht einmal im Trünke tun kann, ist mir noch immer verächtlich. Das ist über alles wahr, ich und Richter wären fähig, die besten Freunde zu werden; aber dann m ü ß t e er gerade das nicht an sich haben, was vielleicht andern und besonders seinem Oerthel wohlgefället. J e t z t sind wir wirklich gut miteinander, und ich habe ihm recht treulich aus Leipzig mit fortgeholfen. Keiner aber hat dem andern noch geschrieben, und es verlangt es auch keiner. Ich möchte aber über alles recht gerne wissen, wie er sich jetzt in Hof a u f f ü h r t . *
*
*
T Ö P E N (1787 bis 1789) 10.
Heinrich von Spangenberg:
Während seines Aufenthaltes in Töpen und später in Hof war J e a n Paul öfters in dem nur eine Stunde von Töpen und zwei Stunden von Hof entfernten Gute Venzka und dort der Familie v. Spangenberg sehr willkommen, die er schon in früher Jugend k a n n t e . . . . Mit einem Buche in der Hand, worin er im Gehen zu lesen pflegte, kam er gewöhnlich in den Abendstunden dahin, ging aber früh, nicht selten vor Tagesanbruch, im stillen wieder fort. Vorzüglich gern unterhielt er sich mit der Frau v. Spangenberg und ihrer jüngsten Tochter, und obgleich er fast so zu sprechen pflegte, wie er schrieb, so h a t t e dies in seinem Munde doch nichts Gesuchtes oder Erzwungenes. So äußerte er unter anderm einmal beim Abschiede: ,,Es wäre jämmerlich, wenn ich sagen wollte, es wäre mir angenehm, bei Ihnen gewesen zu sein — denn wie wenig will das sagen!" Die angeborene S a n f t m u t und Milde, die in seinem Wesen lag, ging auch auf seine Worte über, die durch seinen Bayreuther Dialekt einen ganz eigentümlichen Reiz erhielten; und sein lebhafter, stets beschäf-
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Töpen, 1787 — 1789
Richters vermochte. Die Folge war dieses, daß ich dem Richter und er mir ganz kaltblütig und vernünftig unsere Meinung sagten, und der Ausgang war, daß er von meiner Unschuld ganz überzeugt (zu sein s i c h e i n b i l d e t e ) und [wir] einander wirklich lieb und wert wurden. Doch eben dieser sein Fehler, sich von einem alten Weibe Dinge weismachen zu lassen, die der unvernünftigste Mensch auch nicht einmal im Trünke tun kann, ist mir noch immer verächtlich. Das ist über alles wahr, ich und Richter wären fähig, die besten Freunde zu werden; aber dann m ü ß t e er gerade das nicht an sich haben, was vielleicht andern und besonders seinem Oerthel wohlgefället. J e t z t sind wir wirklich gut miteinander, und ich habe ihm recht treulich aus Leipzig mit fortgeholfen. Keiner aber hat dem andern noch geschrieben, und es verlangt es auch keiner. Ich möchte aber über alles recht gerne wissen, wie er sich jetzt in Hof a u f f ü h r t . *
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T Ö P E N (1787 bis 1789) 10.
Heinrich von Spangenberg:
Während seines Aufenthaltes in Töpen und später in Hof war J e a n Paul öfters in dem nur eine Stunde von Töpen und zwei Stunden von Hof entfernten Gute Venzka und dort der Familie v. Spangenberg sehr willkommen, die er schon in früher Jugend k a n n t e . . . . Mit einem Buche in der Hand, worin er im Gehen zu lesen pflegte, kam er gewöhnlich in den Abendstunden dahin, ging aber früh, nicht selten vor Tagesanbruch, im stillen wieder fort. Vorzüglich gern unterhielt er sich mit der Frau v. Spangenberg und ihrer jüngsten Tochter, und obgleich er fast so zu sprechen pflegte, wie er schrieb, so h a t t e dies in seinem Munde doch nichts Gesuchtes oder Erzwungenes. So äußerte er unter anderm einmal beim Abschiede: ,,Es wäre jämmerlich, wenn ich sagen wollte, es wäre mir angenehm, bei Ihnen gewesen zu sein — denn wie wenig will das sagen!" Die angeborene S a n f t m u t und Milde, die in seinem Wesen lag, ging auch auf seine Worte über, die durch seinen Bayreuther Dialekt einen ganz eigentümlichen Reiz erhielten; und sein lebhafter, stets beschäf-
Schwarzenbach, 1790 — iyg4
7
tigter Geist bewog ihn, sich über jede neue Idee mitzuteilen, welche sich in ihm regte. *
SCHWARZENBACH 11.
Karl August
*
(MÄRZ
*
1790 bis
APRIL
1794)
Engelhardt1:
Es war in den 1790er Jahren, als J e a n Paul bei einem Hammerherrn im Thüringer Walde [Clöter] einige Zeit die Stelle eines Hofmeisters bekleidete. Sein Leben als solcher schien fast nur kontemplativ zu sein. Denn sobald seine Lehrstunden, die er gewissenhaft abwartete, vorbei waren, eilte er ins Freie, am liebsten in den Wald, legte sich hier unter den ersten besten Baum, starrte unverwandt Wald und Himmel an, zog dann und wann ein weißes Blatt Papier aus der Tasche, schrieb darauf einzelne Worte und eilte nicht selten gleich nach dem Schreiben fort, um zu Hause Gedanken und Bilder, die er sich dort nur angedeutet hatte, weiter auszuführen und auszumalen. Jedem, der ihm unterwegs begegnete, wich er von weitem schon aus; m u ß t e er aber ja einem Bekannten oder Freunde stichhalten, blieb er so einsilbig und kalt, daß man ihn gern bald wieder sich selbst überließ. Überhaupt suchte er damals nie Umgang, sondern floh ihn vielmehr und galt deshalb für den größten Sonderling, mit dem niemand gern verkehrte. Wer ihn aber näher kennen lernte, fand stets Gelegenheit, Geist und Witz an ihm zu bewundern. 12. Einst tritt seine Speisewirtin Christiane Stumpf zu ihm ins Zimmer und findet ihn bleich, mit verstörter Miene am Fenster stehn. Sie r u f t ihn an, aber erst beim dritten Male erwacht er wie aus einem hypnotischen Schlaf und d a n k t der Frau mit aufgehobenen Händen, daß sie ihn durch ihr Dazwischentreten vor dem Ausbruch des Wahnsinns gerettet habe. 1) Nach Mitteilung von Jean Pauls damaliger Schülerin Wilhelmine Clöter.
Schwarzenbach, 1790 — iyg4
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tigter Geist bewog ihn, sich über jede neue Idee mitzuteilen, welche sich in ihm regte. *
SCHWARZENBACH 11.
Karl August
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(MÄRZ
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1790 bis
APRIL
1794)
Engelhardt1:
Es war in den 1790er Jahren, als J e a n Paul bei einem Hammerherrn im Thüringer Walde [Clöter] einige Zeit die Stelle eines Hofmeisters bekleidete. Sein Leben als solcher schien fast nur kontemplativ zu sein. Denn sobald seine Lehrstunden, die er gewissenhaft abwartete, vorbei waren, eilte er ins Freie, am liebsten in den Wald, legte sich hier unter den ersten besten Baum, starrte unverwandt Wald und Himmel an, zog dann und wann ein weißes Blatt Papier aus der Tasche, schrieb darauf einzelne Worte und eilte nicht selten gleich nach dem Schreiben fort, um zu Hause Gedanken und Bilder, die er sich dort nur angedeutet hatte, weiter auszuführen und auszumalen. Jedem, der ihm unterwegs begegnete, wich er von weitem schon aus; m u ß t e er aber ja einem Bekannten oder Freunde stichhalten, blieb er so einsilbig und kalt, daß man ihn gern bald wieder sich selbst überließ. Überhaupt suchte er damals nie Umgang, sondern floh ihn vielmehr und galt deshalb für den größten Sonderling, mit dem niemand gern verkehrte. Wer ihn aber näher kennen lernte, fand stets Gelegenheit, Geist und Witz an ihm zu bewundern. 12. Einst tritt seine Speisewirtin Christiane Stumpf zu ihm ins Zimmer und findet ihn bleich, mit verstörter Miene am Fenster stehn. Sie r u f t ihn an, aber erst beim dritten Male erwacht er wie aus einem hypnotischen Schlaf und d a n k t der Frau mit aufgehobenen Händen, daß sie ihn durch ihr Dazwischentreten vor dem Ausbruch des Wahnsinns gerettet habe. 1) Nach Mitteilung von Jean Pauls damaliger Schülerin Wilhelmine Clöter.
8 13.
Hof, 1794-1797 Friedrich Wernlein an Jean Paul, Neustadt an der Aisch, 31. Juli 1793:
Am andern Tage nach Ihrer Abreise konnte er [Christian Theodor Oertel] wieder freien Atem schöpfen und war königlich vergnügt, daß Sie wieder weg waren. „Der Richter", sagte er unter anderm, „ist mir ein lieber Freund; aber war' er länger geblieben, weiß Gott! wir hätten nicht gute Freunde bleiben können!" Ich lachte herzlich darüber. „ J a ! " fuhr er fort, „Sie haben's nur nicht gehört, was er mit der Christel [Oertels Braut] geredet hat; sie hat mir alles wieder gesagt: stellen Sie sich vor, er hat ihr sogar einen Briefwechsel angeboten!" Er radotierte noch ein Langes und Breites über diese Materie, und es war immer eins dümmer als das andere. Am Ende, da er noch sein Urteil über Sie ins kurze fassen wollte, fügte er hinzu: „Gescheit ist er, das ist wahr, der Richter, recht gelehrt; aber" (mit einer recht sorglichen Miene) „ich fürchte nur, daß er noch überschnappen könnte!" *
*
*
H O F (MAI 1 7 9 4 b i s O K T O B E R 14.
1797)
Helene Köhler:
Bei einer gemeinschaftlichen Landpartie lernten wir Richter durch Christian Otto kennen, der ihn uns als seinen besten Freund vorstellte. Meine Mutter, bei ihrer großen Empfänglichkeit für alles Gute, war von dem genialen Jüngling bezaubert, und sein glänzender Huinor, in welchem sich zu zeigen er die Liebenswürdigkeit hatte, riß sie zu der lebhaftesten Bewunderung hin. Wie war dies auch anders möglich? Witz, Geist, Gedankenfülle, Empfindungsglut sprudelten mit nie zu erschöpfender Fülle aus ihm; alles ward von seinem mächtigen Geiste ergriffen, und wir fühlten, daß wir noch nie einen solchen Nachmittag verlebt hatten. Von nun an kam Richter in unser Haus, und wir wußten hei näherer Bekanntschaft nicht, ob wir mehr seinen Geist bewundern oder seinen Charakter lieben sollten. Kindlich bis zur Naivität, war er immer bescheiden, offen und gut. Liebenswürdig, fremd in den gewöhnlichsten Dingen des Lebens, ließ er sich mit rührender Gutmütigkeit den Spott über kleine Ungeschicklichkeiten ge-
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Hof, 1794-1797 Friedrich Wernlein an Jean Paul, Neustadt an der Aisch, 31. Juli 1793:
Am andern Tage nach Ihrer Abreise konnte er [Christian Theodor Oertel] wieder freien Atem schöpfen und war königlich vergnügt, daß Sie wieder weg waren. „Der Richter", sagte er unter anderm, „ist mir ein lieber Freund; aber war' er länger geblieben, weiß Gott! wir hätten nicht gute Freunde bleiben können!" Ich lachte herzlich darüber. „ J a ! " fuhr er fort, „Sie haben's nur nicht gehört, was er mit der Christel [Oertels Braut] geredet hat; sie hat mir alles wieder gesagt: stellen Sie sich vor, er hat ihr sogar einen Briefwechsel angeboten!" Er radotierte noch ein Langes und Breites über diese Materie, und es war immer eins dümmer als das andere. Am Ende, da er noch sein Urteil über Sie ins kurze fassen wollte, fügte er hinzu: „Gescheit ist er, das ist wahr, der Richter, recht gelehrt; aber" (mit einer recht sorglichen Miene) „ich fürchte nur, daß er noch überschnappen könnte!" *
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H O F (MAI 1 7 9 4 b i s O K T O B E R 14.
1797)
Helene Köhler:
Bei einer gemeinschaftlichen Landpartie lernten wir Richter durch Christian Otto kennen, der ihn uns als seinen besten Freund vorstellte. Meine Mutter, bei ihrer großen Empfänglichkeit für alles Gute, war von dem genialen Jüngling bezaubert, und sein glänzender Huinor, in welchem sich zu zeigen er die Liebenswürdigkeit hatte, riß sie zu der lebhaftesten Bewunderung hin. Wie war dies auch anders möglich? Witz, Geist, Gedankenfülle, Empfindungsglut sprudelten mit nie zu erschöpfender Fülle aus ihm; alles ward von seinem mächtigen Geiste ergriffen, und wir fühlten, daß wir noch nie einen solchen Nachmittag verlebt hatten. Von nun an kam Richter in unser Haus, und wir wußten hei näherer Bekanntschaft nicht, ob wir mehr seinen Geist bewundern oder seinen Charakter lieben sollten. Kindlich bis zur Naivität, war er immer bescheiden, offen und gut. Liebenswürdig, fremd in den gewöhnlichsten Dingen des Lebens, ließ er sich mit rührender Gutmütigkeit den Spott über kleine Ungeschicklichkeiten ge-
Hof, 1794-1797
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fallen; so scharf seine Feder und seine Worte treffen konnten, nie ward er w a h r h a f t verletzend, nie traute er jemandem eine böse Absicht zu; sein heiterer, genügsamer Sinn n a h m willig jede kleine Freude auf, und ihn ergötzte, was andere oft kaum bemerkten. Für die Welt Ward er ein Gegenstand der Bewunderung und des Ruhms, aber für diejenigen, die das Glück hatten, ihm als Jüngling nahezustehen, blieb er stets der Inbegriff des Edlen und R e i n e n ! . . . Es begann nun in unserem Hause eine schöne, genußreiche Zeit, an welche ich noch jetzt, nachdem alle Stürme des Lebens über mein H a u p t gegangen sind und so viele schöne Erinnerungen entlaubt haben, mit süßer Wehmut zurückdenke. Christian Otto war und blieb unter seinen Brüdern der innigste Freund R i c h t e r s . . . . Richter liebte jenen um so mehr, je häufiger er Gelegenheit hatte, ihm Schonung und Nachsicht zu beweisen; denn Christian Otto h a t t e eine etwas krankhafte, hypochondrische N a t u r ; es kamen Tage des Trübsinns und der üblen Laune über ihn, wo er mit schonender Rücksicht und Freundschaft behandelt werden mußte, und niemand verstand dies besser als Richter. Immer wußte er ihn zu erheitern und zu zerstreuen, durch ein Buch, durch einen Spaziergang, zuweilen auch durch einen Besuch bei uns. Hier siegte bald die gute Laune der J u gend über alle hypochondrischen G e d a n k e n . . . . Wir alle waren jung, lebensfroh, zufrieden; wir ergötzten uns an Gesellschaftsspielen, bei welchen das witzige Schreibespiel obenan stand, und die reinste Heiterkeil herrschte in unseren Abendzirkeln, die oft in den verschiedenen Häusern wechselten. Richter arbeitete mit bewunderungswürdigem Fleiße. In der stillen Holunderlaube des kleinen idyllischen Häuschens am Schloßplatz entstanden viele jener Blätter, welche sich bald zu dem reichen Kranz des Ruhmes winden sollten, der das H a u p t des gefeierten Dichters schmückte. 15.
Amöne Herold:
Oft, wenn wir uns in der Dämmerstunde um ihn versammelt und er sich und uns mit seinen Phantasien auf dem Klavier in solche wehmütige Stimmung gebracht, daß uns die Tränen über das Gesicht
10
Hof, 1794-1797
liefen und er vor Rührung nicht weiterspielen konnte, brach er schnell ab, setzte sich zu uns und sprach uns von seiner Zukunft, seinen Reisen, seiner Frau, die er irgendwo finden würde und die lange schon auf ihn' passe, von seinen Kindern (meist waren es drei) und seinem ganzen häuslichen Glück; dann prophezeite er auch wohl, aber immer mit der Miene, mit der er Späße sagte, was er noch" für ein großer Mann werden und [wie] alle Welt von allen Orten zu ihm kommen und nach ihm fragen würde, wenn er nur erst aus dem Höfer Druck in einen andern mehr hineingekommen, und es würde von ihm im ganzen Lande die Rede sein, und die Höfer würden — dies waren seine Worte — noch große Augen machen über ihre jetzigen kleinen, und Fürstinnen und Prinzessinnen würden uns noch einmal um das Glück seiner Gesellschaft beneiden, — was uns alles freilich sehr unglaublich vorkam. 16.
[Joh. Theodor Benjamin
Helfrecht:]
Die' Bücherverkäufer machten großen Gewinn mit Shakals [Jean Pauls] Schriften und bezahlten ihn auch gut. Hiervon aber machte er den edelsten Gebrauch. Er zog nach Alhama [Hof], ernährte seine dürftige Mutter und reichte seinen Geschwistern alle Notwendigkeiten des Lebens auf eine so uneigennützige Art, als sie nur denkbar war. Wo er sonst etwas Gutes im stillen tun und eine heilsame Anstalt befördern konnte, da war niemand williger als der edeldenkende Shakal. Selbst Bequemlichkeiten und äußerlichen Schmuck versagte er sich und hielt sich für glücklich; wenn er den Seinigen wohltun oder sonst die Summe des Guten vermehren konnte. E r las und exzerpierte nun von neuem und machte Anlagen zu künftigen Schriften. Seine Lesebegierde war so stark, daß er auch fast immer bei dem Spazierengehen las, wenn er auch zuweilen das Schicksal des Thaies h a t t e . . . . Aber Shakal war nicht bloß ein Mann f ü r die Studierstube. E r suchte manche Gesellschaften auf, in welchen er Menschen studieren konnte. Denn dieses war seine Hauptsache. Einen neuen Charakter gefunden zu haben, gab ihm einen Festtag; und Alhama h a t t e so wenig Mangel an Toren, daß es ihm an Stoff zu Beobachtungen nicht fehlen k o n n t e . . . . E r bemerkte auch Törinnen und gute weibliche Seelen und merkte sich vielerlei Züge, die er in seine Samm-
Hof, 1794-1797
il
lungen eintrug. Seinen meisten Umgang widmete er der belesenen Zulima [Amöne Herold], welcher er vieles von seiner Weisheit mitteilte. Gegen diese fühlte er rein platonische Seelenliebe. So sagte der Ruf, und ich habe nie gehört oder gelesen, daß diese Seelenliebe eine Rückwirkung auf den Körper gehabt habe. Für körperliche Reize hatte die Natur bei Shakal fast gar nicht, bei Zulima nur mäßig gesorgt. Ich glaube also, daß es bloß bei der Seelenliebe geblieben sei. Beide hatten manche Ähnlichkeit. Beide lasen gern. Beide liebten Scherz und muntere Laune, beide peitschten gerne Toren mit der Zunge, beide liebten die Tonkunst. Waren gleich beide ein wenig verschraubt, so hatten doch auch beide noch viel natürliches Gefühl und Geschmack übrig behalten. Zulimas ganze Familie liebte Shakaln und Shakal sie, und zuweilen machte er hier bei häuslichen Vorfällen den Schiedsmann und Richter. Seiner Zulima widmete Shakal viele seiner Stunden, die er seinen gelehrten Arbeiten entziehen konnte. Er unterhielt sich aber auch gern mit andern Schönen, ohne sich jedoch in eine nähere Verbindung einzulassen. In vielen andern Gesellschaften war Shakal wohlgelitten, und überall hallte der Name Shakal von allen Wänden wider. Er hatte Ehrliebe genug, um sich nicht wegzuwerfen, Menschenkenntnis genug, um zu wissen, wie er jeden behandeln müsse und mit wem er sicher umgehen dürfe, Anmut genug in seinen Unterredungen, um Verlangen nach seinem Umgang zu erwecken. Ein Scherz, ein naiver Einfall jagte den andern; wer Scherz liebte, suchte ihn. Der Gelehrte fand an ihm einen Mann von weitläufiger Belesenheit, seltenen Kenntnissen und tiefem Nachdenken; und wenn auch Shakal nicht lange bei einer Materie verweilen konnte, sondern leicht wie ein Aal entschlüpfte und in krummen Mäandern herumfuhr, so ging man dennoch aus seinem Umgang fast nie ohne Belehrung, selten ohne etwas Neues gehört zu haben, hinweg. Oft aber ergriff ihn auch sein Eifer, ernst und derb den Mann zu strafen, der mit der Wahrheit sein Spiel trieb, und zuweilen entfernte die Äußerung widriger Launen die, welche ihn wirklich liebten. Er widersprach alsdann mit ungestümer Hitze, sagte manchem mit Bitterkeit, was er von ihm dachte, und war sogar imstande, einst einem braven Manne, der ihm ganz ergeben war, in einer Gesellschaft ins Ohr zu sagen: „Höre, Lamed, du bist ein Narr!"
12
Hof, 1794
17. Ein Freund, der ihn einige Zeit nach der Erscheinung der Unsichtbaren Loge [1793] besuchte, äußerte in bezug auf dies Werk seine Verwunderung über die richtige Zusammenstellung der Bilder und Analogien, die oft sehr weit hergeholt zu sein schienen. Jean Paul zeigte ihm hierauf seine mannigfachen Exzerpte, nach denen er das Ahnliche wieder in eine Art von Synopsis zusammenfaßte. Seine Studieroder Wohnstube bot damals ein wahres und schönes Bild seines einfachen und edlen Sinnes dar, der das Hohe und Niedere zugleich umfaßte. Während seine Mutter, die damals bei ihm war, sich der Wirtschaft tätig annahm und am Ofen und auf Bänken sich damit beschäftigte, saß Jean Paul in einer Ecke desselben Zimmers an einem einfachen Schreibtische, von wenig oder gar keinen Büchern umgeben, doch mit einigen Regalen, welche Exzerpte und Manuskripte enthielten. Das Geräusch der wirtschaftlichen Vorkehrungen schien ihn ebensowenig zu stören als das Girren der Tauben, welche in der übrigens ziemlich geräumigen Stube umherflatterten. 18.
Friedrich
Freiherr
von Lupin
(1794):
In einer müßigen Stunde vor dem Abendessen machte Lupin in H o f . . . einen Besuch bei Herrn Richter, Jean Paul genannt. Richter wartete, als der Mineralog eintrat, soeben auf seine in Butter gesottenen Holundertrauben; daher kam ihm der Besuch nicht sonderlich gelegen. Indes, da der Mineralog von seinen FichtelbergWanderungen zu schwadronieren anfing, glätteten sich doch die Falten auf Richters breiter Stirn, ein Zug am Munde war selbst zum Lächeln hergerichtet.... Es währte indes nicht lange, so gähnte der Hausherr einmal über das andere und sah sich dabei nach der Tür um. Der Fremde verstand den Wink, entfernte sich und dachte: Das ist kein Mensch, mit dem man viel sprechen kann. Dann schrieb er in sein Tagebuch: „Einen Abstecher zu Richter gemacht, der vieles mir Unbekanntes geschrieben. Er sieht nicht viel gleich; aber so ist es mit gelehrten Männern, sie sehen nicht immer etwas gleich. Wieländ, Goethe, Schiller, die ich in Weimar gesehen, sahen auch nicht aus wie Dichter."
Hof, Januar
ijg6
13
S c h ä f f l e r . . . erkundigte sich bei dem Hausknechte nach dem, zii dem Lupin gegangen, und der Hausknecht sprach: „Ein Schulmann; schade, er verlegt sich aufs Trinken." 19.
Hans Georg von Ahlefeldt an Wilhelmine von Kropff in Bayreuth, Berlin, 15. Jan. 1796:
Du, meine Ewiggeliebte, hättest Ursach, mit mir zu schelten, und ich Grund genug, mit mir selber unzufrieden zu sein, wenn ich durch Hof gereist wäre, ohne meinen genialischen Humoristen Richter (den Verfasser der Hundsposttage etc.) aufzusuchen. 0 daß ich in meiner jetzigen Stimmung Kraft hätte, Dir diese Geistesumarmung, dieses Finden, dieses In- und Aneinanderstürmen zweier Seelen zu beschreiben, die im Vorüberfluge einiger irdischer Stunden sich bis zu jenen Regionen liebgewannen, o daß ich die Feuerflammen an Deine große himmlische Seele wehen könnte, die aus ihm und mir emporloderten ! Es war in der Halbdämmerung, als ich zu dem Kandidaten Richter unangemeldet hineintrat; eine ärmliche, geräumige und reinliche Stube präsentierte mir im Vordergrunde ein altes, zusammengetrocknetes Mütterchen (Jean Pauls Mutter), und im Hintergründe (von der Türe aus) saß zwischen zwei ganz einfachen Bücherrepositorien an einem simplen Schreibtisch mein Schriftsteller mit der Feder in der Hand. — Wie aus einem phantastischen Traume sprang er (den Du in kurzem kennenlernen wirst, wenn Du ihn.nicht schon kennst) auf, gerade eine Gestalt, wie ich sie mir geträumt hatte, und empfing mich mit meinem Eintrittskompliment so ungeheuchelt herzlich und in einer so ekstatischen Wonne, daß in den folgenden Minuten unsre Seelen wie Blitze ineinanderfuhren; ich war der erste Fremde, der ihn, den Gelehrten, den Autor, besuchte, er konnte sich in einem gewissen innigen Gefühl von Behaglichkeit gar nicht finden, drückte und herzte mich wie einen langersehnten Bruder, und unser geistiger Bund war geschlossen. Es schien, als hätten wir schon viele Jahre bei einander gewohnt — mit jedem Pulsschlage kamen sich unsre Geister näher, mit jedem Odemzug zogen sich die Schlingen unsrer gegenseitigen Phantasie fester, Hand in Hand wandelten wir auf und nieder, eine Flasche des schönsten Champagners vervielfachte die Wirksamkeit unsrer Seele, wir flogen von Sphäre zu Sphäre,
14
Hof, Januar
iyg6
unsre Trennung war wie das Auseinanderfließen zweier Ströme, die eine Zeitlang über die blumigsten Wiesen sich gemeinschaftlich ergossen hatten und nun schneller dahinstürzen, um bald wieder mit einander sich zu vereinigen. Was wir alles mit einander sprachen, kann ich Dir nicht aufschreiben — aber eins ist meiner Seele, meinem ganzen Wesen so nahe verwandt, daß ich's Dir sagen kann und muß, denn Du warst es selbst, Du meine Minona, Du Ebenbild seiner Klotilde im Hesperus. — E r fragte mich nach meinem bisherigen Aufenthalt, und das Ertönen des Lobliedes von Bayreuth war die natürlichste Harmonie meiner Seele; ohne eigentliche Geständnisse (denn das versteht sich von selbst, daß ich die nicht tat) sprach ich mit Enthusiasmus von Dir, dem idealisierten Individuum meines Geistes, jedes Wort fiel in seiner Seele auf einen guten, fruchtbaren Boden, und nun ging es an ein Schwärmen, dessen Wiedererzählen eigentlich unmöglich ist — kurz, ich m u ß t e ihm Deine Adresse aufschreiben, und er wird Dich gewiß besuchen — ein Briefwechsel zwischen uns ist abgeredet, und meinen künftigen Korrespondenten selbst hoffe ich auch bald in Berlin zu sehen, wenn mich mein guter Genius nicht noch eher wieder zu ihm führt. E r ist einer von den wenigen Menschen, die mit dem größten Kopf das weichste Herz verbinden, in der Ideenwelt leben und alle gute Menschen um sich her wie ebensoviel personifizierte Bilder ihrer Phantasie betrachten, Ungebundenheit für ihr höchstes Ziel und ein Wesen, das ihnen alles ist, für das einzigste Triebwerk aller ihrer Gefühle, Gedanken und Handlungen ansehen.
20.
H. G. von Ahlefeldt an Wilhelmine 1796:
von Kropff, Berlin, 11. März
Um einen recht brillanten Kontrast zu machen, erwähne ich hier, daß Jean Pauls Klotilde für ihn nicht existiert, eigentlich seine Geliebte nicht ist, sondern nur Lieblingsideal — jedoch hat er mir selbst gestanden, daß die Materialien von einem gewissen Fräulein von Spangenberg und einem andern Mädchen zusammengesetzt sind — mehr weiß ich davon nicht.
Weimar, Juni
15
iygó
B e s u c h in W e i m a r (10. J u n i b i s 2. J u l i 21.
Karl Augast
Böttiger an Friedrich
Schlichtegroll,
1796)
18. Juni
1796:
J e a n Paul Richter ist ein sehr fein organisierter, stiller, in sich gekehrter Mann, spricht wenig, hört viel und aufmerksam zu und öffnet sich nur im vertrautesten Gespräch unter vier Augen. E r ist eine Welt in sich und hat noch fast keine Menschen und verwickelte Lagen kennen gelernt. Aber er spinnt alles aus sich heraus. Doch hat er auch, wie er gestern sagte, tischhohe Kollektaneen, ein eignes deutsches Wörterbuch, das er bloß zu seinem Gebrauch sich angelegt hat, eigne Hypothesen über Wohlklang und Bau der Perioden und — Stoff zu 2000 B ä n d e n . . . . Sein stilles, anspruchsloses Benehmen gefällt hier allgemein. 22.
Dr.
Lütkemüller:
Ich lernte J e a n Paul im Schauspielhause [18. J u n i ] kennen und bezeugte ihm das hohe Interesse, womit W i e l a n d seinen Hesperus gelesen habe. E r fragte mich, ob ich dessen auch gewiß wäre, und äußerte sich nach meiner bestimmten Versicherung abgebrochen, fast verwirrt. Die Oper Don J u a n wurde gegeben, und Mozarts Musik wirkte auf ihn sehr stark. Ich sprach zudem mit ihm im Zwischenakte bei unruhiger Umgebung und erinnere mich noch folgender von ihm gesprochenen Worte: „Wielands Beifall ist viel; hab' ich ihn gefunden, so ist's Glück. Was halten Sie von Mozarts Komposition ? " — „Sein Don J u a n scheint mir das Größte, was ich von ihm kenne." — „ E s ist Geistersprache, und die Worte? Ich höre sie nicht. Was ich schrieb, kömmt dieser Musik nicht gleich. Ich kann mir nicht genügen; und wer könnte das auch? Der Zwischenakt vergißt sich; er ist Spott des Stücks. Geist und Gefühl sind unendlich. Der Stoff ist Chaos, Geist und Gefühl sind Weltschöpfer." 23.
Charlotte
von Stein an Charlotte
von Schiller,
19. Juni
1796:
Göritz wird Ihnen etwas von Richter erzählen können; ich selbst habe nur wenige Worte mit ihm gesprochen. Die Kalb hätte aber am allermeisten sagen können, denn sie hat ihn in die weimarische Welt introduziert, nach Tiefurt zur Herzogin Mutter geführt, ihre guten Freundinnen und Freunde zu sich eingeladen und uns ihm vorge-
16
Weimar, Juni 1796
stellt. Wir machten ihm alle eine ganz höfliche Verbeugung, die er ohne Verlegenheit erwiderte, bis zuletzt Mlle Schröder [Corona Schröter] kam, die mit einer etwas theatralischen Stellung sich zuerst zu Frau von Kalb wandte und ihr für eine Bekanntschaft dankte von dem Manne — indem sie sich zu ihm wandte —, den sie schon lange in ihrem Herzen schätzte und verehrte, und zu uns sagte sie, daß sie immer die Auszüge aus seinen Schriften in ihrer Tasche trage. Ihm wurde angst und bange dabei, und er hätte ihr gern das Lob geschenkt. Den Abend haben wir uns, meine Nièce Amelie und meine Schwester, die Szene wieder vorgespielt, und ich kann sie noch nicht vergessen, so komisch war es. 24.
Goethe an Heinrich Meyer, 20. Juni
1796:
Richter aus Hof, der allzubekannte Verfasser des Hesperus, ist hier. Es ist ein sehr guter und vorzüglicher Mensch, dem eine frühere Ausbildung wäre zu gönnen gewesen; ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht noch könnte zu den Unsrigen gerechnet werden. 25.
Goethe an Schiller, 22. Juni
1796:
Richter ist ein so kompliziertes Wesen, daß ich mir die Zeit nicht nehmen kann, Ihnen meine Meinung über ihn zu sagen ; Sie müssen und werden ihn sehen, und wir werden uns gern über ihn unterhalten. Hier scheint es ihm übrigens, wie seinen Schriften zu gehn: man schätzt ihn bald zu hoch, bald zu tief, und niemand weiß das wunderliche Wesen recht anzufassen. 26.
Karoline Herder an Gleim, 24. Juni
1796:
Denken Sie, Jean Paul Friedrich Richter ist seit vierzehn Tagen hier! der beste Mensch, sanft, voll Geist, Witz, Einfällen, das beste Gemüt, und ganz in der teinen Welt lebend, wovon seine Bücher der Abdruck sind. Milde wie ein Kind und immer heiler. Sehen Sie, der ist ein echter Jünger der Weisheit. Wie war er gerührt und erfreut, als er hörte, daß S i e seine Schriften mit dieser Teilnehmung lesen! Vielleicht besucht er Sie einmal; künftiges Jahr, wenn Sie mögen. Er hat noch eine Mutter und einen Bruder von achtzehn Jahren [Samuel] und seinen Freund Otto; diese drei liebt er über alles. In Hof, anderthalb Tagereisen von hier, im Bayreuthisch-Preußischen,
Weimar, Juni iyg6
17
und also Ihr Landsmann, da wohnt er mit seinen drei Freunden, unabhängig, und lebt von seiner Schriftstellerei. In keine andere Verhältnisse wünscht er nicht; er tauge nicht hinein, sagt er und hat auch recht. Einen unerschöpflichen Vorrat zu vielen Büchern hat er noch; er ist eine unversiegbare Quelle. Wir haben ihn herzlich lieb. Wenn er von dem Inhalt des Buchs spricht, das er soeben schreibt, so wird sein Auge so g l ä n z e n d . . . 27.
Herder an Dohm, Juni
1796:
Wir freuen uns sehr auf den morgen uns geschenkten Tag; wir wollen ihn in der Stille feiern. Außer unsrer Familie, die Sie, Bester, doch auch kennenlernen müssen, soll niemand mit uns sein als ein Freund Gleims und Jacobis, Richter, ein Mensch von trefflichem Gemüt, dessen Talente Ihnen schon aus seinen Schriften bekannt sein werden, dessen Herz aber noch schätzbarer ist als seine Talente; 28.
Schiller an Goethe, 28. Juni 1796:
Von Hesperus habe ich Ihnen noch nichts geschrieben. Ich habe ihn ziemlich gefunden, wie ich ihn erwartete: fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist, voll guten Willens und herzlich geneigt, die Dinge außer sich zu sehen, nur nicht mit dem Organ, womit man sieht. Doch sprach ich ihn nur einmal [25. Juni] und kann also noch wenig von ihm sagen. 29.
Goethe an Schiller, 29. Juni 1796:
Es ist mir doch lieb, daß Sie Richtern gesehen haben; seine Wahrheitsliebe und sein Wunsch, etwas in sich aufzunehmen, hat mich auch für ihn eingenommen. Doch der gesellige Mensch ist eine Art von theoretischem Menschen, und wenn ich es recht bedenke, so zweifle ich, ob Richter im praktischen Sinne sich jemals uns nähern wird, ob er gleich im Theoretischen viele Anmutung zu uns zu haben scheint. 30.
Charlotte von Schiller an Goethe, 1. Juli 1796:
Hesperus ist auch bei uns erschienen, er hat doch eine leichtere Art sich zu äußern, als ich mir's nach seinen Produkten dachte, und 2
J e a n Pauls Persönlichkeit
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Weimar, Juni 1796
seine Gutmütigkeit nimmt mich für ihn ein. Ich möchte ihn aber doch nicht immer sehen. Die disparaten Vorstellungen in seinen Schriften scheinen doch auch in seinem Umgang zuweilen hervor. 31.
Herder an seinen Sohn August, 1. Juli 1796:
Richter, der Verfasser von Hesperus, ist drei Wochen hier gewesen. Morgen reiset er ab. Er ist ein eigner, genialischer und spiritualer Mann — letzteres im doppelten Sinne des Worts. Er hat sich hier sehr gut und liebenswürdig betragen. 32.
Briefe eines ehrlichen Mannes aus
Weimar:
Ich habe auch des Jean Paul Fr. Richter aus Hof Bekanntschaft gemacht, die mir sehr interessant ist. Es ist ein ganz eigener, genialischer, spiritualer Mann, letzteres im doppelten Sinn des Worts. Nicht eingebildet von sich wie die Aftergenies, sondern voll Bescheidenheit, Güte, Liebenswürdigkeit, Geist, guter Laune und moralischem Gefühl. Unter viel anderm Guten sagte er: Nur der Mensch sei glücklich, der e i n e n P l a n in sein tägliches Geschäft gebracht; da wüßte er nun jeden Morgen, was für Arbeit er zu tun fände — und in dieser Bestimmung zu etwas G e w i s s e m sei der Mensch allein glücklich.... 33.
Herzogin Amalia von Weimar an Wieland, 15. Juli 1796:
Unter den hiesigen Naturerscheinungen, die Ihnen schon bekannt sind, muß ich doch ein neues Phänomen, so gut ich es vermögend bin, beschreiben. Dieses war Herr Richter, Autor des Hesperus. Sollten Sie ihn von ungefähr in einer großen Gesellschaft finden, ohne ihn zu kennen, so würden Sie ihn für einen großen Künstler wie Haydn, Mozart, oder für einen großen Meister in den bildenden Künsten ansehen, so ist sein Blick und sein ganzes Wesen. Kennt man' ihn näher, so ist er ein sehr einfacher Mann, welcher mit vieler Lebhaftigkeit, Wärme und Innigkeit spricht. Liebe und Wahrheit sind die Triebfedern seiner Existenz. Er ist so unschuldig wie ein Kind, und so unbefangen. Kommt er in Wortwechsel über gewisse Punkte, so siehet man offenbar, daß es ihm nicht um Worte oder Verteidigung seiner Meinung, sondern nur um die Wahrheit zu tun ist.
Hof, September
1796
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Er ist ein sehr angenehmer Gesellschafter wegen seines unerschöpflichen Witzes, der nach meinem Gefühle immer sehr treffend und angenehmer ist als in seinen Schriften. E r hat hier bei allen unsern Genies jeder Art große Sensation gemacht, und man hat ihm, was viel ist, alle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich glaube, er wird Ihnen geschrieben haben, wie er willens war. 34.
Charlotte von Kalb an Karoline Herder, 27. Sept. 1797:
Glauben Sie nicht, daß J e a n Paul leicht etwas Leidenschaftliches oder eine Neigung mit in seine Verbindungen oder persönlich individuellen Anteil nimmt. Wir sind ihm alle nur Ideen, und als Personen gehören wir zu den gleichgültigsten Dingen. Ideendarstellung des Lebens in der Masse der ihm bekannten Welt aufzusuchen — das ist's, was ihn reizt, beschäftiget, belebt. Er hat einen sehr freien Sinn und einen unbefangnen Blick; er durchschaut leicht eine Kette von Umständen, die einen Charakter bilden, und dann kann er nicht mehr lieben noch hassen. *
35. Joh. Friedr. Reichardt an seine Frau, Hof, 5. Sept. 1796: Ermüdet vom Schreiben, fiel mir gestern nachmittag eben noch zur rechten Zeit ein, daß ich mittags an der Table d'hote aus Mitleiden meinen Namen zu einem Konzert, das denselben Abend auf dem R a t hause gegeben werden sollte, mit aufgeschrieben hatte, und, daß ich auf dem Umlaufzettel den Namen Richter bemerkt hatte. Bei meiner ziemlichen Unbekanntschaft mit den neuen Produkten der deutschen schönen Literatur h a t t e ich zwar nichts von den beliebten Romanen dieses Dichters gelesen; mehrere meiner Freunde hatten mir aber schon öfters von ihm als einem humoristischen Geist gesprochen, wie ihn die deutsche Literatur noch gar nicht habe, und so n a h m ich ihn auf meiner Liste von merkwürdigen Menschen im Frankenlande bereits von Hause mit. Ich ging also zur Konzertstunde nach dem R a t h a u s e . . . . Das Stück, in das ich trat, war bald zu Ende, und ich ließ mir meinen Mann Richter zeigen. So wenig vorteilhaft auch der erste Eindruck war, den mir sein äußeres Wesen und sein, wie es mir im ersten Augenblicke schien, gesucht witziger Ausdruck machte, so ließ ich
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Hof, September
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mich doch nicht abschrecken, sondern bat ihn um die Zusage, mit mir den Abend freundschaftlich zuzubringen. Er willigte gern ein, versprach, später nachzukommen, und ich eilte wieder zu meinem Schreibtische. Gegen neun Uhr kam Richter, wie es schien, mit einer Reihe von humoristischen Einfällen ausgerüstet; indes paßte alles, was er sagte, immer sehr gut und witzig auf die augenblicklichen Veranlassungen, und ich ward bald gewahr, daß wirklich eine sonderbar rastlos wirkende Seele in ihm sei, die mit einer ganz eignen Phantasie alles, was sie berührte', auf eine sonderbare Weise zuspitzte. Sein sonderbares äußeres Wesen setzte mich anfänglich fast in Verlegenheit;
er
schlurrte in zu weiten Schuhen die Stube auf und ab, mit langem, geradem, fast hintenübergebogenem Rücken und in die Höh geworfenem Kopfe, dessen kahle Glatze er mit der rechten flachen Hand oft bedeckte; sein ganzes Gesicht sah wie der personifizierte (englische) Humor aus. Über die Sonderbarkeit unsers Zusammentreffens gerade an jenem Orte, unsers Beisammenseins in einem Zimmer, das im Winter auch wieder gewöhnlich zu Konzerten angewandt würde, jagten sich witzige Einfälle und echt sentimentalische Ausdrücke. Das Essen kam, er aber wollte sich nicht zu Tische setzen; er hätte längst gegessen, er wäre keiner Abweichung von seiner gewöhnlichen Diät fähig; in Hof kämen die guten Leute nur abends nach Tische zusammen, um ein lustiges Glas Wein miteinander zu trinken usw. Wir setzten uns also zum Glase Wein gegeneinander über. Mit dem festen Sitz und der geraden Richtung mit Aug' in Auge schien mehr Ruhe in sein Wesen zu kommen. Ich brachte ihn auf Weimar, wo er sich in diesem Frühjahr einige Zeit aufgehalten hatte, und nun enthüllte sich immer mehr eine schöne, gefühlvolle Seele und ein rein auffassender Geist in ihm. Die treffendsten Urteile über jene merkwürdigen Menschen, die ich seit vielen Jahren zu kennen glaube, und denen der unbefangene Mensch tief in die Seele geblickt hatte, setzten mich oft in Erstaunen. Bei ganz herrlichen Sachen, die er über Goethes göttliches Genie und über dessen moralischen Charakter sagte, fuhr mir durch die Seele, daß er ihn wie Du und ich zusammengenommen beurteile und damit gerade am richtigsten träfe. Es fiel ihm auf, daß ich eine lebhafte Rührung unter-
Hof, September
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drückte; er dringt in mich, ihm nichts zu verschweigen, und ich sag' ihm ganz unbefangen, ich wünschte in diesem Augenblick, daß mein liebes Weib mit uns wäre und ihren schönen Anteil an unserm Gespräch nähme — und nun stürzen dem Menschen die hellen Tränen aus den Augen; er springt auf, umfaßt mich, weiß sich nicht zu lassen, der schönste poetische Ausdruck einer überströmenden Empfindung ergießt sich aus ihm über die Seligkeit, einen Mann zu sehn, der in solchem Augenblick sich sein Weib zur Seite wünschen kann. — Ich müßte Bogen vollschreiben, um Dir nur einige Begriffe von seinem Enthusiasmus zu geben. — Er läßt mich nicht los; ich muß ihm von Dir erzählen, ich muß ihn etwas aus Deinen Briefen lesen lassen; er will Dir schreiben, gleich auf der Stelle, er muß nach G[iebichenstein]. — Wahrlich, ich kann mich in diesem Augenblick nicht genug wundern, daß ich die Szene so lange ohne Widerwillen habe ertragen können, und es ist mir der sicherste Beweis, daß sein Enthusiasmus ebenso wahr gewesen ist als die Liebe, die das Wort aussprach. Der ganze Mensch ist mir auch wieder ein Beweis für die alte Bemerkung geworden, daß die verschiedensten Menschen sehr wohl miteinander existieren können, wenn bei beiden nur Wahrheit zum Grunde liegt. Beim Scheiden gegen Mitternacht mußte ich ihm zusagen, daß ich heute bei ihm einige Stunden zubringen und dann einige liebe Familien des Ortes mit ihm besuchen wollte, in deren Mitte er sein einfach-glückliches Leben verlebt. Und davon komme ich jetzt mit der angenehmsten Rührung und Befriedigung her. Ja, guter lieber Jean Paul, das hat dich zu dem Menschen gemacht, der du bist, daß du mit solchen lieben, herzigen, rein empfänglichen Menschen in traulicher Liebe lebst; daß du Raum hast in deiner weiten, ungeweißten Bodenstube mit deiner braven alten Mutter und dem jungen wackern Bruder; daß dir der altvaterische Stuhl und Tisch, an dem du vielleicht zuerst dich aufrichtetest und die ersten jugendlichen Züge hinmaltest, noch nicht zu altmodisch geworden; und daß so deine ganze Umgebung dich durch nichts aus dir selber herauszieht, du so in seliger Abgeschiedenheit mit dir selbst wie mit deinem besten Freunde lebst. Wie du in Hof lebst, um jährlich daraus zu verreisen, so reise auch nur stets, um gerne und immer lieber wieder in dein Element;
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Leipzig,
November
1797
den lieben trauten Kreis, zurückzukehren und uns eine Welt aus deinem Innern darzustellen. #
*
*
L E I P Z I G ( N O V . 1 7 9 7 bis O K T . 1 7 9 8 ) 36.
Paul Emil
Thieriol:
[2. Nov. 1797.] Ich erschrak, da ich abends hörte, er wäre da. Aber noch mehr, da ich am folgenden Morgen erfuhr, daß er neben mir in demselben Hause wohnte. Ich wollte mir anfangs das Vergnügen aufsparen, das mir gewiß war, ihn zu besuchen und mit ihm bekannt zu werden, aber ich hielt mir nicht Wort. Ohne Hut und — Kopf ging ich abends nach dem Konzert zu ihm, trat, innerlich ohne Vorbereitung, dreist wie zu einem Bekannten herein (ich hatte mich nicht einmal im Konzert vorstellen lassen wollen, eigentlich ekelte mich vor dem Präsentierteller), berief mich auf meine Nachbarschaft, auf meinen gleichen Namen und vorzüglich darauf, daß ich einer seiner fleißigsten Leser sei, und der oft nach Hof zu reisen gewünscht seinetwegen. Aus reiner Liebe, bloß um anzuschauen, käme ich zu ihm; „ich kenne Sie, kennen Sie mich wenigstens als einen, der Sie kennt." E r : „Ei, mein Lieber, Sie sind so enthusiastisch — es ist doch sonderbar — sagen Sie mir, sind Sie immer so sonderbar wie jetzt? Kommen Sie doch zum Ofen." Wir sprachen vom Konzert. Er gratulierte sich, nach langer Zeit einmal wieder eine ordentliche Musik gehört zu haben. Er lobte die erste Haydnsche Symphonie (aus C-dur mit dem And. con Variaz. aus f), vorzüglich den Ideenreichtum darin. Campagnolis Spiel hatte ihm gefallen, ich sagte ihm, ich sei ein Schüler desselben, ich spielte gut und sei einer der besten Spieler in Leipzig. Der dritte Teil von Hildegard von Hohenthal lag aufgeschlagen auf dem Tische; er zeigte mir eine Arie, die heute gesungen worden war, angeführt. Er fragte mich um meinen Lieblingsschriftsteller. Ich nannte ihm ihn selber. „Ich glaubte, Sie würden mir aufrichtiger antworten," replizierte er. Ich nahm das übel und erwiderte in einem festen T o n e . . . „Wohl etwa im humoristischen Teile?" fragte er. Hier hatte ich Gelegenheit, ihm zu sagen, daß ich ihn g a n z , beide Teile faßte. Ich bat ihn auf die obige Frage, er möchte mich
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Leipzig,
November
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den lieben trauten Kreis, zurückzukehren und uns eine Welt aus deinem Innern darzustellen. #
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L E I P Z I G ( N O V . 1 7 9 7 bis O K T . 1 7 9 8 ) 36.
Paul Emil
Thieriol:
[2. Nov. 1797.] Ich erschrak, da ich abends hörte, er wäre da. Aber noch mehr, da ich am folgenden Morgen erfuhr, daß er neben mir in demselben Hause wohnte. Ich wollte mir anfangs das Vergnügen aufsparen, das mir gewiß war, ihn zu besuchen und mit ihm bekannt zu werden, aber ich hielt mir nicht Wort. Ohne Hut und — Kopf ging ich abends nach dem Konzert zu ihm, trat, innerlich ohne Vorbereitung, dreist wie zu einem Bekannten herein (ich hatte mich nicht einmal im Konzert vorstellen lassen wollen, eigentlich ekelte mich vor dem Präsentierteller), berief mich auf meine Nachbarschaft, auf meinen gleichen Namen und vorzüglich darauf, daß ich einer seiner fleißigsten Leser sei, und der oft nach Hof zu reisen gewünscht seinetwegen. Aus reiner Liebe, bloß um anzuschauen, käme ich zu ihm; „ich kenne Sie, kennen Sie mich wenigstens als einen, der Sie kennt." E r : „Ei, mein Lieber, Sie sind so enthusiastisch — es ist doch sonderbar — sagen Sie mir, sind Sie immer so sonderbar wie jetzt? Kommen Sie doch zum Ofen." Wir sprachen vom Konzert. Er gratulierte sich, nach langer Zeit einmal wieder eine ordentliche Musik gehört zu haben. Er lobte die erste Haydnsche Symphonie (aus C-dur mit dem And. con Variaz. aus f), vorzüglich den Ideenreichtum darin. Campagnolis Spiel hatte ihm gefallen, ich sagte ihm, ich sei ein Schüler desselben, ich spielte gut und sei einer der besten Spieler in Leipzig. Der dritte Teil von Hildegard von Hohenthal lag aufgeschlagen auf dem Tische; er zeigte mir eine Arie, die heute gesungen worden war, angeführt. Er fragte mich um meinen Lieblingsschriftsteller. Ich nannte ihm ihn selber. „Ich glaubte, Sie würden mir aufrichtiger antworten," replizierte er. Ich nahm das übel und erwiderte in einem festen T o n e . . . „Wohl etwa im humoristischen Teile?" fragte er. Hier hatte ich Gelegenheit, ihm zu sagen, daß ich ihn g a n z , beide Teile faßte. Ich bat ihn auf die obige Frage, er möchte mich
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lieber fragen, welches mir unter seinen Büchern am besten gefalle, gab mir aber selber keine bestimmte Antwort. Der Hesperus, sagt' ich, weil er am stärksten ist, wobei er bemerkte, daß er dadurch um nichts klüger wäre (hier hätte ich den Examinator und Pädagogen merken s o l l e n ) . . . Ich kann noch nicht begreifen, mit welcher Unverschämtheit ich die Frage: „Vielleicht gefällt Ihnen P o p e ? " mit n e i n beantwortete (ich dachte an die Engländer überhaupt), und über Sterne, wo ich antworten konnte, drückte ich mich nur halb aus. E r riet, ihn mehrmals zu lesen, um ihn zu goutieren, welches ich als schon wissend annahm. Wieland, sagte ich, könne ich nicht leiden; Goethen (das war wenigstens unbesonnen) größtenteils. Er wußte nicht, was mir an Goethen nicht gefallen könne. „Wie gefällt Ihnen sein neuestes Gedicht (Hermann und D o r o t h e a ) ? " fragte ich. Er hängte sich erst ein wenig an die Unvollkommenheit der Frage. Dann sprach er über Goethes Werke überhaupt, die er in die des griechischen und des deutschen Geschmackes teilte. „ I n dem letztern hat er den Werther und die kleineren vermischten Gedichte im achten Bande und andere geschrieben, die in ihrer Art vollkommen sind. In diesen ist mehr Subjektivität, Feuer, er hat sich selbst dargestellt." In den griechischen Gedichten (der Iphigenia und den neuesten) war' er ein kalter Spiegel der Objekte. Niemand verstünde die Charakteristik besser. Uber Schiller gab er mir, oder vielmehr der allgemeinen Stimme über seine Verschlimmerung, recht. Von seinen Schriften sagte er: „ D a glauben sie, es sei alles ein Strom, der von selber fortläuft, und ich tue eher alles mit der Kritik, Sie übersehen die oft im Anfange fein angelegten kleinen Umstände, die die Folge motivieren." Von seinen satirischen Schriften, der ersten Arbeit, sagte er, man müßte sie behandeln wie Epigramme und nicht zu lange darin lesen. Ich dehnte das auch auf seine neueren Schriften aus, er meinte aber, darin für Abwechslung genug gesorgt zu haben. Seine Zitate sind alle richtig. Er sprach von seinen Exzerpten, die ihm wichtiger wären als seine Bücher, und von seinem Exzerpierblick, den er durch lange Gewohnheit gewonnen, das für ihn Interessante schnell herauszufinden. In der Geschichte der Vorrede zu Quintus Fixlein hat er niemand gemeint, und er haßt alle persönliche Satire. Auch in der neuen Ausgabe des Hesperus hat er den Namen
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„Schneider", wenn es ihm gleich ein Gleichnis verdarb, ausgestrichen. Nur „ H o f f m a n n " in der Parallele mit dem Spitz ist stehen geblieben, „weil er es verdient"; ich fand dieses Prinzip unzureichend. Er will aber, man soll sich gegen das Herz eines Autors alles erlauben (versteht sich, was an sich erlaubt ist), aber gegen den Kopf nicht, weil das bei dem, der getan, was er gekonnt, nichts nutzt, aber dem Angreifer (bei seinen Freunden) schadet. Noch fällt mir ein, daß ich ihn einmal bat, mir etwas „ohne Umstände" zu sagen. „Ich wüßte nicht, warum ich welche machen sollte," antwortete er und setzte hinzu: „zumal, da Siekeine machen." Ich weiß nicht, ob er mich eingeladen hat, wiederzukommen, denn ich ließ ihm keine Zeit dazu, sondern drang ihm die Erlaubnis ab, nachdem ich ihm scherzhaft geraten, auszuziehen, weil ich ihn oft stören würde. Er beantwortete das gutmütig: es wäre ihm selbst in Hof noch niemand lästig gewesen; das müßte auch ein Kopf ohne Herz sein, dem es nicht lieb wäre, geliebt und gesucht zu werden. Auf meine Klage, daß ich so gespannt, so wenig ruhig und frei in diesem Augenblicke wäre, bemerkte er, an Freimütigkeit ließ' ich es wenigstens nicht fehlen. Er liebt nichts mehr als Familien. Als ich ihm von einer Dame, die ihn lese, sprach, äußerte er sich über die Weiber überhaupt und ihre Unfähigkeit, Humor zu verstehen. Sie machten sich weis, etwas zu fühlen... Ich fand ihn zu vernünftig und mich zu toll. 37.
Friedrich
von
Oertel:
Richter hat, wie kein Autor, seine Welt in sich, noch mehr, er ist der, welcher weniger sich nach den Umständen zu richten braucht, als er den Umständen die schwache Seite abgewinnt, an der man sie faßt, um sie nach sich zu richten; er zieht aus allen Menschen das Beste und setzt jeden in den Punkt, auf dem er am größten scheint, am hellsten glänzt. Seine Menschenkenntnis wird noch von seiner Menschenliebe übertroffen, und trotz seiner Weichheit hat er eine so überwiegende Kraft, daß ihn nur gute Menschen betrüben können, aber nicht schlechte. Er wird also überall, er wird auch in Leipzig glücklich sein, eine Stadt, worin nichts ist als Egoismus, aber ein
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solcher, der Menschen von Energie wenig beschwerlich fällt, weil er mit Mattigkeit und Schwäche, nicht mit französischer oder britischer Innigkeit sich assoziiert, nicht mit Stolz oder Ehrgeiz, sondern mit Eitelkeit; weil er endlich Richtern, der zu hoch über allen diesen Menschen steht, als daß sie ihn auch nur beneiden könnten, gar nichts anhaben kann. Abzuwehren beschwerliche Zudringlichkeit wird Richters größte Not sein, aber auch das wird gehen, wenn man ihn nur einmal kennt, alltägliche Menschen halten's ohnehin nicht bei ihm aus. Die älteren Verbindungen in Hof werden bloß seine Liebe und Sehnsucht und also auch seinen genialischen Schwung, der damit eins ist, vermehren, aber, glaub' ich, nicht eigentlich an ihm nagen, weil die größere Nähe ja nicht die festere Vereinigung, weil Sehnsucht ja überall des bessern Menschen Los ist, endlich weil die Himmelslust seiner idealischen Welten ihm "immer Kühlung und Beruhigung zuweht. 38.
Gottfried Hermann an Volkmann, 11. Dez. 1797:
Joannes Paullus iam inter familiares Feindiae est, summaque apud illam auctoritate, ac sane merito, quod ego auritus quidem, sed non oculatus testis iudico. Ipse enim semel t a n t u m et per breve tempus eum vidi, quod scripsi tibi. Ille ut in quibusdam rebus egregie mecum consentit, ita non dubito idem f u t u r u m in aliis. Quas ille quum exprompserit, erit nobis et haud parva spes utilitatis et ridendi copia affatim...; Quum haec scripsissem, apud Feindias Joannem Paullum vidi et Platneriam, qua ille vehementer delectatur. Cognitam perspectamque habet penitus divinus homo 1 . 1) Jean Paul gehört schon zu den Hausfreunden der Frau Feind und steht bei ihr im höchsten Ansehen, und wahrlich mit Recht. Ich urteile da freilich nur von Hörensagen, nicht als Augenzeuge; denn ich selbst habe ihn erst einmal und nur kurze Zeit gesehen, wie ich Dir geschrieben habe. In manchen Punkten stimmen wir ausgezeichnet überein, und ich zweifle nicht, daß das auch in andern der Fall sein wird. Wenn er diese erst zutage bringt, wird sich für uns mancher Nutzen und reichlicher Stoff zum Lachen ergeben. — Nachdem ich Obiges geschrieben hatte, habe ich bei den Feinds Jean Paul und die Platner gesehen, von der jener sehr entzückt ist, und die der göttliche Mann tief erkannt und durchschaut hat.
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Leipzig, ijg8
39. Unser J . P. R. war einst [Jan. 1798 ?] mit dem sehr unbekannten Bruder des sehr bekannten Herrn v. K. zu Leipzig in Gesellschaft und saß bei Tische neben ihm. Es entspann sich folgendes Gespräch: R. Um Vergebung, Sie haben studiert? K. Aufzuwarten. P. W a s haben Sie denn studiert ? K. Theologie habe ich studiert, bin aber wieder davon abgegangen. P. Warum sind Sie denn davon abgegangen ? K. Krankheitshalber. Ei, ei, sagte P. lachend, das ist sonderbar! Ich habe auch Theologie studiert und bin nachher davon abgegangen, aber g e s u n d heitshalber. 40.
Marianne Meyer an Goethe, 20. März 1798:
Die Welt (so lauten meine Nachrichten) soll Jean Paul erst jetzt kennen lernen; wie wunderbar, daß ihr Reflex oft so voll Wahrheit sein inneres Auge traf, und daß seine Ahndungen ihn so sicher leiteten, daß. er nie von der äußern Wahrheit abweicht, sie so übereinstimmend mit ihr sind, daß sie ihm die Erfahrungen entbehrlich machten, die man bei ihm voraussetzt. — Er soll ein äußerst jovialer Mann sein, den man seiner kindlichen Freimütigkeit wegen bald liebgewinnen muß; seine heitere Laune macht ihn zu einem sehr angenehmen Gesellschafter. Übrigens scheint es, als wüßte er selbst recht gut, wieviel Spreu er in die Welt wirft; er sagte zu einer Freundin von mir, die ihn in Leipzig kennen gelernt und die von seinem Kampaner Thal sprach: „Nicht wahr, Sie haben es ohne die Holzschnitte binden lassen?" Sie leugnete es nicht. 41.
Friedrich Laun
(Schulze):
Da Jean Paul sich damals in Leipzig aufhielt, so hatte er ebenfalls nicht versäumt, sich dem [Beygangschen] Museum anzuschließen. Von der markigen, kraftverkündenden Gestalt, zu der ihn spätere Jahre ausgebildet hatten, war keine Spur an ihm vorhanden. Das frische, warme Gesichtskolorit fehlte noch ganz. Die unverkennbaren Geistesblitze des bereits berühmten Schriftstellers sprühten aus
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Leipzig, Ostern ijg8
blassem, kränklichem Antlitz, und durch das Dünne seines gewöhnlichen halbseidenen Sommerfracks mit bunten Streifen, dessen weite Ärmel beim Lesen im Museum ihm oft beinahe bis zum Ellenbogen zurückwichen, wurde das Hagere seiner Statur nur mehr hervorgehoben. Aus seinem ganzen Wesen erhellte die vollkommenste Gleichgültigkeit dafür, wie sein Außeres erschien. Allerdings konnte er auch fordern, daß bei solch einem innern Gehalte kein Urteilsfähiger daran Anstoß nähme. 42.
Garlieb
Merkel:
Als mir bei einem Besuche in Leipzig [Ostern 1798] ein Bekannter auf der Gasse sagte, er gehe eben zu J e a n Paul, und mich dringend aufforderte, ihn zu begleiten, so wußte ich in der Tat nicht, wer das sei. Ich ging indes mit und — habe mich in meinem Leben nicht beim ersten Blick so unangenehm zurückgestoßen gefühlt als von diesem damaligen Lieblingsschriftsteller. Ich übergehe seine Gestalt und will nur bemerken, daß ich in seinem Wesen den Ausdruck krampfhafter Spannung und ungeheurer Ansprüche zu lesen glaubte. Sie setzten mich in Verlegenheit. Ich hätte meinen ersten Besuch doch wohl mit einigen Komplimenten einleiten und motivieren sollen, und ich hatte kein Blatt seiner Schriften gelesen. E r schien meinem Stillschweigen darüber eine feindliche Deutung zu geben und glaubte sich vielleicht um so mehr dazu berechtigt, da man, wie ich erst nach einem J a h r erfuhr, in meinem kleinen, kurz vorher erschienenen Halbroman „Rückkehr ins Vaterland" eine Annäherung an seine Manier entdecken wollte. So entstand die erste Mißstimmung zwischen uns sogleich bei der ersten B e k a n n t s c h a f t . . . . 43.
Karl Morgenstern,
Tagebuch
[Ostermesse
1798]:
J e a n Paul spricht fast, wie er schreibt. Lebhaftes, inniges Gefühl ist bemerkbar. — E r tadelte an Goethes Meister, daß gegen Ende neue Personen aufträten, daß Marianne sterbe; sie hätte müssen leben bleiben. Sie sterben lassen, heiße den Knoten zerhauen. 44.
Johann
Friedrich
Abegg,
Tagebuch:
[6. Mai 1798]. Nun gingen wir zu J e a n Paul, er wohnt im dritten Stock, und sein Arbeitszimmer sieht sehr einfach aus. Gegen das eine
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Leipzig, Mai 1798
Fenster ist ein langer Tisch gestellt; zur R e c h t e n hat er ein Gestell mit Brettern, auf welchen v o n oben bis unten Mappen, als wäre er ein A d v o k a t , liegen. Seine Bibliothek ist sehr schwach, diese steht gleich an der Türe und ist nicht gehörig g e o r d n e t . . . . E r selbst ist nur wenig größer als ich und noch hagerer. In seinem nicht gerade schönen, aber doch sehr interessanten Gesichte ist ein immer reges Spiel der Seele sichtbar; sein A u g e ist eigentlich grau, aber etwas gedeckt, oder vielmehr eine A r t v o n Flor, wie der Begeisterte ihn hat, ist über dasselbe gezogen. Sein A n s t a n d ist natürlich, aber nicht nach den Schönheitslinien eingerichtet. Mit vieler Teilnahme hörte er mich und w a r bald in l e b h a f t e m Gespräche mit mir. Ich sagte zu i h m : er sei eigentlich ein Schriftsteller f ü r s i c h , den g a n z e n Menschen Jean
Paul...
N a c h allen seinen Teilen und Anlagen sei der Mensch in ihm entw i c k e l t , und nach allen diesen Richtungen seiner moralischen K r a f t äußere er sich, wenn er, wo immer, von außen dazu gereizt und gedrungen werde. Daher mache er auf mich einen so tiefen und starken E i n d r u c k , weil keine Fiber an mir sei, die er nicht berühre, und eben wegen der Menge der Berührungspunkte mit ihm ein inniger R a p p o r t zwischen ihm und mir entstehen müsse. Daher müsse er auch nur wenige aufrichtige und ganz heiße Bewunderer haben und könne auch nicht
von a l l e n verstanden und in a l l e m liebgewonnen werden.
„ W a s Sie mir da s a g e n , " setzte er hinzu, „ist mir sehr rührend und erfreulich. So ist's wirklich mit meiner Schriftstellern, und d i e s e s will ich, ungeachtet viel mehr S t u d i u m , e i g e n e K r i t i k und Sorgfalt von mir angewandt wird, als man demnach glauben sollte. Ich arbeite kein B u c h aus, ohne bestimmte Tendenz zu haben, und eine gewisse allgemeine Popularität getraute ich mir zu erlangen, wenn ich wollte. Vielleicht, wenn mich einmal der Schlag getroffen h a t , werde ich populärer schreiben." Ich fragte ihn nach seinem Titan, und welchen Inhalts im allgemeinen das B u c h sein werde. „ D e r H a u p t z w e c k ist, gegen die ungleiche Ausbildung zu wirken, insonderheit den KünstlerEgoismus, die [!] in der W e l t nichts sehen, als was sich lieblich u m sie beweget, denen die W e l t nichts ist als die Leinwand und die Materialienkammer, auf welche sie m a l e n , die an nichts innig teilnehmen, kalt sind im inwendigen Wesen und nur begeistert werden z u m Vergnügen und durch das Vergnügen. Daher kommen in dem B u c h e lauter Krisen, im g u t e n wie im s c h l i m m e n , vor, um recht er?
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staunlich und fühlbar zu machen, wie die einseitige h ö c h s t e Bildung sogar ausarte zum Erstaunen und Entsetzen, wie die Xenien bewiesen." — „Dies ist also die bestimmte Tendenz dieses Buches?" — ,, Ja, so wie alle meine Schriften eine bestimmte Tendenz haben; denn ich habe mehr Plan und Absicht in meinen Schriften, als man gewöhnlich glaubt." — Ich dachte an Goethe, als er mir obiges sagte, und leitete das Gespräch auf ihn. Er sei so vornehm, sagte ich, eine kalte Erhabenheit stoße zurück. „Das ist ihm nicht natürlich," sagte er. „ E r tut es, um sich in der Höhe zu halten." — „Doch finde ich", sagte ich, „in seinen Schriften dasjenige, was ich mir unter Griechheit denke, am vollkommensten." — „Richtig! Goethe kann aber jetzt nichts anderes mehr sein! Maßzuhalten in allem, damit die Schönheit nicht leide, dies ist und war Griechheit. Aber darum sind sie nicht das Höchste. Ich bin gewiß, daß die Griechen manche Arbeit von Goethe mit Entzücken lesen würden und von Shakespeare: wir sind in vielem weiter denn sie." — Ich erzählte ihm manches von meiner Lage, meiner Art, die Dinge um mich her anzusehen und mir wohltuend und minder widerlich zu machen. „Sehr anziehend," sagte er. „Ich möchte Pfarrer sein, wenn ich nur nicht predigen müßte. Bin überhaupt dem Stande sehr gut, vielleicht, weil mein Vater auch Pfarrer war. Mit dem Eigennützigen des Menschen, insonderheit insofern man selbst durch den Eigennutz versucht und gereizt werden kann, hat dieser Stand weniger als andere zu kämpfen." — „Dies ist nicht ganz richtig," sagte ich, „hat aber auch nichts zu sagen, indem jeder Sieg ja belohnet." — „Oh, es gibt doch zu kämpfen genug," sagte er, „jeden Augenblick genug. In der Wirklichkeit ist das Idealische nicht zu suchen, zu finden." Es schlug 12 Uhr, und ich schämte mich, länger zu bleiben. Ich sagte ihm vorher, daß ich nicht gehen würde, bis er mich heiße, und nun ging ich doch ungeheißen. „Sie halten nicht Wort," sagte er, „ich danke aber herzlich für den Besuch," und drückte mir herzlich die Hand. Von Schlichtegroll, seinem Gevatter, freute ihn mein gutes Urteil von seinem moralischen C h a r a k t e r . . . . (Nachmittags im Rudolphischen Garten.) Ich traf ihn wieder an und redete lange und viel mit ihm. „Sie sind wohl gern in dem Gewühle der Menschen?" sagte er. „Nein," antwortete ich, „ich sehe es gern von e i n e m Standpunkte a n . " — „Ist einerlei! Denn was wollten Sie anders tun, wenn Sie sich auch unter den Leuten umher-
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b e w e g t e n ? " — „ S i e h a b e n " , sagte ich, da wir über eine Stunde im Garten auf und a b gingen, „einmal etwas von Ihren Geheimnissen offenbart, das auf jeden F a l l aber auch ganz offenbart Ihnen nichts schaden k a n n ; nämlich Sie haben irgendwo gesagt, wie Sie studieren, wenn ich es so nennen d a r f ? " — „ J a , das habe i c h , " sagte er, „und es ist gar kein Geheimnis. E s besteht im Exzerpieren. W o h l exzerpieren muß man, und alle Schriften, die man lieset: sonst fällt alles durch und nützt wenig. Aber gute E x z e r p t e machen große Bibliotheken entbehrlich. Freilich sind sie der Hebel nur, und die dynamische L a s t der Seele muß vorhanden sein, sonst n ü t z t der beste Hebel n i c h t s . " — „ D o c h " , sagte ich, „ k o m m t es oft viel darauf an, w i e der Hebel ist, glatt oder rauh, kurz oder l a n g . " — „ W o h l , sehr w a h r ! " — „ D e n k e ich 1 mir Sie, den Schriftsteller und den Menschen J e a n Paul — denn sie sind mir beide eins, und ich kann sie nicht trennen —, aus dem rechten S t a n d p u n k t e , wenn ich sage: J e a n Paul sieht alles, was man fühlt, denkt, erkennt, lernt, begreift, als etwas mit dem Menschen aufs innigste Vereinigtes an, und indem er den g a n z e n Menschen darstellt, muß er, auch wenn man ihn nicht versteht, ein Polyhistor sein, ungeachtet er selbst nicht daran d e n k t ? " — „ J a , das ist richtig. Daher mache ich, wie gesagt, keinen Anspruch auf allgemeinen Beifall. J e mehr einer so allumfassend menschlich kultiviert ist, an desto mehr Punkten berühre ich ihn, gefalle ich ihm, nütze ich i h m . " — „ D a ß Sie in dem Augenblicke der höchsten Erhebung ans Komische streifen, auf dasselbe übertreten, h a b e ich nur an Shakespeare gefunden, und doch ist es die wahrste Menschennatur, wenn sie auf geradem Wege in sich, durch sich entwickelt und gebildet w i r d . " — „ J a ! " sagte er, „dies findet sich nur bei E n g l ä n dern, und ich nenne dies Humor. E s ist gewiß sehr natürlich. Das Ungewöhnliche, insofern eben deswegen frappiert und kontrastiert, darzustellen, ist französischer W i t z und Laune. Aber das gewöhnliche Kleine der Menschennatur widerstrebend zu finden und, indem man in seiner E r h a b e n h e i t über dasselbe in der Mitte zwischen Schmerz und E r h e b u n g darüberschwebt, — dies ausdrücken, heißt Humor und gibt die Erscheinung der E r h a b e n h e i t und des Komischen nebeneinander. Swift ist darin unübertrefflich." — „ D e n h a b e ich noch nicht gelesen." — „ G l ü c k l i c h e r ! S o haben Sie noch einen göttlichen Genuß. Meine Lieblinge kann ich nicht mehr aufs neue genießen, ich
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1798
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weiß sie auswendig, habe das Buch selbst nicht einmal mehr. Den Swift müssen Sie ja lesen." — ,,Als Kunststück ist ein Werk Goethes Ihren Werken vorzuziehen; als menschliches, ganz menschliches Produkt sind Ihre Werke die vorzüglichsten, die einzigen." — „Goethes Meister ist als Kunstwerk nicht fehlerfrei, und ich wollte, wenn es nur in meinen Plänen läge, dieses gewiß beweisen. Indessen um Goethe nach seiner Größe kennen zu lernen, muß man ihn ganz lesen, seinen Götz von Berlichingen, Faust usw.; in dieser Hinsicht, nach dem ganzen Inhalt seiner Produkte ist er der erste Schriftsteller unserer Nation. Überhaupt bin ich ein Freund jeder Manier, wenn sie in sich vollendet ist. Haben Sie von Herder viel gelesen, seine christlichen Schriften gelesen?" — „Letztere nicht." — „Diese müssen Sie lesen. So wie er die Evangelien und Jesum ansieht, so einzig muß er angesehen werden. Er hat mir heute seine neueste christliche Schrift geschickt, er schickt mir sie alle." — „Herder dachte ich mir feierlich stolz, aber er ist christlich einfältig erhaben, Zutrauen und Liebe und Ehrfurcht erweckend! Hat er nicht eine theologische — sensu optimo — Bildung?" Jean Paul schweigt. „Hat er nicht eine wahrhaft christliche Bildung?" — „ J a ! ich werde einmal die Geschichte meiner Entwickelung schreiben, wenn ich ausruhen will; denn große Anstrengung erfordert es nicht. Indessen werde ich in meinem Leben nicht die Hälfte von dem schreiben, was ich schreiben will, — kann." —„Ihr Viktor im Hesperus ist ein Mensch, ein ganzer eigentlicher Mensch, und dem fühle ich mich am nächsten verwandt, wenn er mit beklommenem, engem Herzen doch lustig ist." — „Glücklicher Mensch, wenn Sie glauben, so seien die Menschen! Sie sollten so sein! Ich wollte durch Viktor Menschenliebe im. ganzen und einzelnen, die auch im Kleinen mit Liebe alles umfasset, mit Liebe alles besorget, darstellen, und durch den Emanuel etwas anderes bewirken, das zutage liegt; und selbst dieser Emanuel könnte mehr Wirklichkeit haben, als man wohl glaubet." Ich horchte scharf auf, aber er redete nicht weiter davon. — „Welche Schrift haben Sie unter den alten am liebsten?" — „Den Plato." — „Der scharfsinnigste Dialektiker ist er nebst Bayle und dabei ein moralischer Philosoph. Beide, Bayle hauptsächlich, lese ich jedesmal, wenn ich auf solche Art schreiben will, um meine Seele gleichsam dazu zu stimmen, zu üben zur Fertigkeit.".. .
32
Leipzig,
Dresden, Mai
iyg8
(Abends im Feindschen H a u s e . ) . . . Auch J e a n Paul war wieder da. „ I c h werde ein Sie verfolgender Geist," sagte ich. — „Das ist recht schön!" Er spielte — ich weiß nicht im Ernste oder Scherz — mit einem Schlüssel, der mit Magnet bestrichen; er behauptete, jeder, der mit ihm, oder auch mit beiden Fingern allein ihn berührte, würde, wenn irgend etwas im Herzen oder laut bejaht würde, eine Bewegung des Schlüssels und im Fall der Verneinung ein Stillestehen wahrnehmen. Ich sagte zu Madame Feind: „Glaubt Richter d a r a n ? " — „ I c h glaube es," sagte sie, „ d a ß er daran glaubt; er glaubte auch die wunderbare K r a f t des Grafen [Thun]. Dieser fuhr einmal zufällig mit seinem rechten Arm über den gelähmten Arm eines andern, und dieser fühlte sich geheilt, und nun glaubte der Graf hart und fest, sein Arm habe diese Kraft. Viele wurden durch ihn g e h e i l t . . . . Die Phantasie der Menschen und ihr Glaube kurierte sie. — J e a n Paul hält aber so etwas nicht für unmöglich; daß nicht auf eine unbegreifliche, wunderbare Weise auf die Menschen gewirkt werden könne." — Jean Paul, der vielleicht einen Teil dieses Gespräches mit angehört, war nun auf einmal fort, doch glaube ich nicht, daß er deswegen fortgegangen ist. . . . J e a n Pauls Anmerkungen über die Ehe und die W e i b e r ! Eine Bemerkung von mir über die pfälzische Äußerung: „er ist ein guter, braver M a n n ! " und die sächsische: „er ist ein schöner, hübscher Mann!", die J e a n Pauls ganzen Beifall h a t t e . . . Er lebt mit seinem Bruder in Leipzig, damit dieser, von ihm unterstützt, studieren könne. Dieser Bruder ist zugleich sein Ökonomus, und er lebt für sich, wie er mir sagte, auf eine unbestimmt lange Zeit in Leipzig in perenner Verbindung mit Frau von Berlepsch und einigen wenigen guten und geistvollen M e n s c h e n . . . . 45. . Elisabeth Härtel an Jean Paul, 19. Mai
1798:
„Sie müssen alle die Mondsflecken meines Innern kennen lernen", sagten Sie mir im Trierschen Garten. 46.
Friedrich Schlegel an Schleiermacher, 3. Juli
1798
Friedrich Richter ist ein vollendeter Narr und hat gesagt, der „Meister" sei gegen die Regeln des Romans. Auf die Anfrage, ob es 1) Wahrscheinlich nach Mitteilung von Karoline Schlegel.
Halle,
Halberstadt,
Juli
1798
33
denn eine Theorie desselben gebe, und wo man sie habhaft werden möge, antwortet die Bestie: „Ich kenne eine, denn ich habe eine geschrieben." B e s u c h in H a l l e u n d
Halberstadt
( J u l i 1798) 47.
August
Lafontaine:
. . . am unangenehmsten aber war es Lafontaine, wenn er durch eine persönliche Bekanntschaft sein günstiges Urteil herabstimmen mußte, was ihm besonders bei Voß und Jean Paul sehr leid w a r . . . Bei diesem stieß ihn eine unverkennbare Eitelkeit zurück, die ihm gerade bei dem, den er als Schriftsteller äußerst hoch schätzte, am unerträglichsten war. 48.
Gleim an Voß, Halberstadt, 28. Juli 1798:
Jean Paul Friedrich Richter war bei uns, ein unendlicher Mensch.;; [Von ihm] läßt sich nur sprechen. 49.
Gleim an Karoline Herder, 25. Sept. 1798:
Richter ist unser, wie's irgend einer der auserwählten Gottesgeister sein kann. Er war bei uns, und es gefiel ihm bei uns so sehr, daß er, er wolle bei uns wohnen, sich merken l i e ß . . . Er ist mir ein wenig mehr als ein Mensch! Ich kenn' ihn ganz, seine Seele sieht man wie den reinsten Spiegel! Man muß mit einer andern sie nicht vergleichen, nicht mit der Ihrigen, Herzensschwester, mit keiner! 50.
Wilhelm
Körte:
Von einem Ausfluge nach dem benachbarten Harze zurückgekehrt, fand ich daheim einen jungen, hagern, schlanken Mann mit hochblondem Haar, das ihm frei auf die Schultern hing, in leichtes Sommerzeug gekleidet, in Schuhen und weißen, baumwollenen Strümpfen ; er war im lebhaftesten Gespräch mit dem Altvater [Gleim] und den Nichten; als ich aber eintrat, fragten sie mich alle, freudig aufgeregt, wie aus einem Munde, indem sie mich dem Fremden vor3
J e a n Paula Persönlichkeit
34
Halberstadt,
Juli
IJ$8
stellten: „ W e r ist d a s ? " Ich aber, als Zweiundzwanzigjähriger nicht weniger für Richter entbrannt als der neunundsiebenzigjährige Altvater, fiel dem Fremden um den Hals: „Das ist unser lieber, teurer, heiß ersehnter Richter!" Denn ich erkannte ihn alsbald aus dem Bilde, welches im Hause vor einigen Monaten feierlich war aufgestellt worden. Richter, im Innersten gerührt, sah den jungen Enthusiasten mit seinen wunderschönen, tiefblauen Augen seelenvoll an, und nun war von neuem Freude die Fülle. Jean Paul blieb einige Wochen, täglich inniger angezogen von dem herzigen Greise, so daß er sogar ernstlich daran dachte, in Halberstadt zu bleiben; er war wirklich in der Stadt umher gewesen, ob er ein bitteres Bier fände, das ihm zusage und sein Leben in Halberstadt von dieser Seite möglich mache. Gleims Freunde mußten nach und nach seine Freude an Richters Gegenwart teilen; täglich fanden sich ihrer zwei oder drei an dem gastlichen Tische ein, nicht eben zu Richters Ergötzen, welcher wenigstens damals mit ältern Mannsleuten überall nicht gern zu tun hatte, weil es ihm nicht immer gelang, ihnen auch ein sichtbares Teilnehmen an seiner höhern Stimmung abzugewinnen. Bei Mädchen und Frauen dagegen war es ihm ein leichtes, sie zu sich in seinen Himmel hinaufzuheben und ihren Augen die zarte Glut zu entwenden, die ihn von neuem höher beseelte. Es ergötzte mich oft, zu bemerken, wie Richters Worte und Gedanken einen ganz neuen und eigenen Schwung nahmen, wenn während dem Männergespräch meine Schwester hinzukam und ihren Stuhl an den Tisch rückte, um bei ihrer Arbeit ihm zuzuhören. Da in Gleims Hause jeder Gast volle Freiheit behielt und die Hausordnung durch Gäste nie gestört oder geändert wurde, so war nur die Zeit des Nachmittags und Abends dem Zusammensein gewidmet. Wenn nun Richter morgens nicht arbeitete, so schweifte er, meist allein, in der Stadt und Gegend umher, wo er uns dann bei Tisch mit der Erzählung von tausend kleinen sentimentalen Begegnissen aufs ergötzlichste unterhielt. Übrigens fanden wir ihn ganz so, wie die teure Frau Karoline Herder, so reich an Geist und Gemüt, ihn in ihren Briefen geschildert hatte. Als Richter wieder nach Leipzig zurückgehen wollte, begleiteten Gleim und ich ihn bis zum nächsten Dorfe. Der Morgen war wunderherrlich; der Brocken aber braute; Gewölk umlagerte den westlichen
Halberstadt,
Juli
35
xyg8
Horizont, u n d Wolken zogen, mannigfaltig gestaltet, in Eil über hin. D a warnten wir Richter vor Regen u n d Wetter, zur
uns
Umkehr
mit uns ernstlich r a t e n d . Aber er versicherte, d a ß er mit d e m W o l k e n h i m m e l v e r t r a u t g e n u g sei, u m b e s t i m m t z u w i s s e n , d a ß d e r s
Tag
schön bleiben werde. Wir schieden u n d sahen d e m Leichtbekleideten, dessen
Rocktaschen von
Papieren u n d einiger W ä s c h e
bauschten,
besorgt nach, wie er rasch d e m Fußsteige folgte; der W i n d
spielte
m i t seinen R o c k s c h ö ß e n , w ü h l t e sein H a a r auf u n d u m w i r b e l t e i h n m i t S t a u b w o l k e n , so d a ß w i r i h n b a l d a u s d e m G e s i c h t e
verloren.
10 W i r w a r e n n o c h n i c h t w i e d e r i n H a l b e r s t a d t , a l s e i n L a n d r e g e n s i c h überall ergoß. Einige Tage darauf erhielt ich Nachricht, d a ß
Jean
P a u l in m e i n e m elterlichen H a u s e zu Aschersleben z w a r völlig d u r c h näßt,
aber
heiter
und
wohlgemut
e i n g e t r o f f e n sei. M e i n e
Schwester, voll wirklichen Eifers, h a t t e seine s c h l i m m
jüngere
zugerichteten
15 w e i ß e n S t r ü m p f e f ü r S t i e f e l n a n g e s e h e n u n d i h m z u s e i n e r
großen
B e l u s t i g u n g einen S t i e f e l k n e c h t g e b r a c h t . N a c h d e m i h m alles w i e d e r getrocknet u n d geordnet worden, h a t t e er seinen W e g n a c h
Leipzig
fortgesetzt.
51. 20
Klamer
Schmidt
an Joh. Abel, Juli
1798:
J e a n Paul Friedrich R i c h t e r . . . w a r hier. E r scheint weiter d e r n zu wollen. W e n n i h n sein Genius d o c h an d e n R h e i n
wan-
führte!
I c h b i n ü b e r z e u g t , D u w ü r d e s t i h n lieber s e h e n wollen als B u o n a p a r t e oder P i t t ! . . .
Jean
Paul aber mit seinem gewaltigen
ü b e r b e i d e n ; m i t gleicher Mühelosigkeit w i r f t er einen
I c h ist
noch
Sonnenstaub
25 h i n u n d e i n e s c h w e i z e r i s c h e A l p e . I c h h a b e s e i n e r i m G r u n d e w e n i g genossen. Der
eifersüchtige Veteran
[Gleim]
hielt
ihn in einer
strengen Gefangenschaft, d a ß ich einmal zu j e n e m sagte: „ N u r
so
Buo-
n a p a r t e , m e i n lieber Richter, wird Sie d a r a u s befreien k ö n n e n . "
Ge-
irrt, u n t e r u n s gesagt, h a b ' ich m i c h d o c h ein wenig in i h m .
Ich
30 g l a u b t e i h n
so w a r m ,
so h e r z e r g r e i f e n d i m
Leben
zu finden;
w e i t e m n i c h t g a n z so h a b ' ich i h n g e f u n d e n . — — E s w a r
sein fester V o r s a t z , bei u n s zu domizilieren, a b e r n u n g e h t er Weimar. * 3'
bei
beinahe nach
36
Jena, Weimar, August
iyg8
B e s u c h in J e n a u n d W e i m a r (August
1798)
52. Jean Paul fand, als er [22. Aug. 1 7 9 8 ] . . . Fichtes Bekanntschaft in Jena machte, nur eine kalte Aufnahme, und auf Richters Äuße- s rung, „daß die Poesie eine potenzierte Philosophie sei", erwiderte Fichte trocken: „Eine mankierte!" Diese Anekdote gründet sich auf die zuverlässigen Äußerungen eines Mannes, der sich bei dem Mittagsmahle befand, an welchem Jean Paul, Fichte und einige jenaische Professoren teilnahmen. 53.
io
Garlieb Merkel:
Jean Paul und ich konnten eigentlich niemals Freunde sein, aber wir lebten doch einen Sommer hindurch in Weimar auf ziemlich verträglichem Fuß. Wir machten sogar einst [25. Aug. 1798] eine kleine Reise zusammen, nach Gotha. Unterwegs stieg er oft aus, schlenderte 15 einige Minuten hinter dem Wagen her und kam dann wieder herein. Die Neugier bewog mich endlich, hinauszusehen, was er mache. Er hatte ein Blatt Papier in der Hand und kritzelte im Gehen mit dem Bleistift darauf. Als er sich wieder zu mir gesetzt hatte, wollt' ich ihn fragen, was er denn schreibe — aber er kam mir zuvor und er- 20 kundigte sich, ob er etwas, das ich vorhin erzählt, richtig gehört habe; zog dann sein Papier heraus und verbesserte. Er hatte sich den Inhalt unsers Gesprächs notiert. — Einige Tage später besuchte ich ihn. Ich fand ihn, einen Katechismus in der Hand, an einem Schreibepult mit Fächern; in jedem lagen eine Menge Blättchen mit Notizen 25 aus Büchern. Er sagte mir, er läse alles, alles, was ihm in die Hände fiele, und noch sei ihm keine Schrift vorgekommen, in der er nicht • Stoff zu einer Vergleichung gefunden. Bekanntlich bestehen seine Romane fast nur aus Vergleichungen. — Unter den Notizenblättchen sah ich auch das von der Reise. Er kam mir vor wie ein einsames, 30 liebesieches Kanarienweibchen, das täglich zu Neste trägt, aber kein lebensfähiges Ei zu legen vermag: das Hähnchen fehlt, das Kunsttalent. Ich sagte ihm, wo nicht dieses, doch etwas Ähnliches. Diesen Gedanken notierte er nicht; aber er hat ihn mir nie vergessen.
Weimar, August, November i7gS 54.
Goethe an Schiller,
6. Sept.
37
1798:
. . .Aber woher die S t i m m u n g n e h m e n ! ? ! ? — Denn da hat mir neulich Freund Richter ganz andere Lichter aufgesteckt, indem er mich versicherte (zwar freilich bescheidentlich und in seiner Art sich auszudrücken), daß es mit der Stimmung Narrenspossen seien, er brauche nur Kaffee zu trinken, um, so grade von heiler Haut, Sachen zu schreiben, worüber die Christenheit sich entzücke. — Dieses und seine fernere Versicherung, daß alles k ö r p e r l i c h sei, lassen Sie uns kjünftig zu Herzen nehmen, da wir denn das Duplum und Triplum von Produktionen wohl an das Tageslicht fördern werden. — Übrigens wird dieser edle Freund sich künftigen Winter gleichfalls in Weimar niederlassen und hat schon ein Quartier über unserer kleinen Maticzek gemietet. Ich bin recht neugierig, wie ihm dieses theatralische Hausamalgam bekommen wird. *
55.
Friedrich
von Oertel an Amöne
Herold,
Leipzig,
2. Sept.
1798:
Ich bin, so weit ich um mich schaue, bei weitem noch der glücklichste unter meinen G e l i e b t e n . . . Aber Richter ? fragen Sie. Den läßt seine Menschenliebe, läßt sein Glaube an die Menschheit, läßt seine innere Schöpfung freilich nie s i n k e n , aber sein ganzes Leben, seitdem er den Ort verlassen, wo er klimatisiert war, wo er h i n g e h ö r t e , besteht jetzt darin, daß er g e g e n alle seine Ideen und Gefühle anstrebt. Das glauben Sie, auch wenn er's verschweigt. E r ist ein prächtiger Buzentoro, nur für das Adriatische Meer gebaut, und dem die stürmenden Wellen des weiten Ozeans die Ruder zerbrechen, die nicht zu einer solchen Fahrt bestimmt waren. •
WEIMAR 56.
Karoline
*
*
(OKT. 1798 bis S E P T .
Herder an Gleim, 12. Nov.
1800)
1798:
Richter ist nun auch in Weimar einquartiert. Es gefällt ihm hier außerordentlich, und er selbst findet ein größeres Publikum, als man dachte. Am liebenswürdigsten ist er, wenn man allein mit ihm ist; da ist er ganz natürlich, munter, geistreich und an Gemüt ein Kind;
Weimar, August, November i7gS 54.
Goethe an Schiller,
6. Sept.
37
1798:
. . .Aber woher die S t i m m u n g n e h m e n ! ? ! ? — Denn da hat mir neulich Freund Richter ganz andere Lichter aufgesteckt, indem er mich versicherte (zwar freilich bescheidentlich und in seiner Art sich auszudrücken), daß es mit der Stimmung Narrenspossen seien, er brauche nur Kaffee zu trinken, um, so grade von heiler Haut, Sachen zu schreiben, worüber die Christenheit sich entzücke. — Dieses und seine fernere Versicherung, daß alles k ö r p e r l i c h sei, lassen Sie uns kjünftig zu Herzen nehmen, da wir denn das Duplum und Triplum von Produktionen wohl an das Tageslicht fördern werden. — Übrigens wird dieser edle Freund sich künftigen Winter gleichfalls in Weimar niederlassen und hat schon ein Quartier über unserer kleinen Maticzek gemietet. Ich bin recht neugierig, wie ihm dieses theatralische Hausamalgam bekommen wird. *
55.
Friedrich
von Oertel an Amöne
Herold,
Leipzig,
2. Sept.
1798:
Ich bin, so weit ich um mich schaue, bei weitem noch der glücklichste unter meinen G e l i e b t e n . . . Aber Richter ? fragen Sie. Den läßt seine Menschenliebe, läßt sein Glaube an die Menschheit, läßt seine innere Schöpfung freilich nie s i n k e n , aber sein ganzes Leben, seitdem er den Ort verlassen, wo er klimatisiert war, wo er h i n g e h ö r t e , besteht jetzt darin, daß er g e g e n alle seine Ideen und Gefühle anstrebt. Das glauben Sie, auch wenn er's verschweigt. E r ist ein prächtiger Buzentoro, nur für das Adriatische Meer gebaut, und dem die stürmenden Wellen des weiten Ozeans die Ruder zerbrechen, die nicht zu einer solchen Fahrt bestimmt waren. •
WEIMAR 56.
Karoline
*
*
(OKT. 1798 bis S E P T .
Herder an Gleim, 12. Nov.
1800)
1798:
Richter ist nun auch in Weimar einquartiert. Es gefällt ihm hier außerordentlich, und er selbst findet ein größeres Publikum, als man dachte. Am liebenswürdigsten ist er, wenn man allein mit ihm ist; da ist er ganz natürlich, munter, geistreich und an Gemüt ein Kind;
38
Weimar, November
1798
diese wahrhaft edle und unbefangene Natur macht sich und andern das Leben leicht. Wir sehen ihn zwar nur ein-, höchstens zweimal die Woche; denn er ist sehr fleißig und trägt Scheu, meinen Mann zu stören; aber ich fühle es, daß wir ihm die Liebsten hier sind. 57.
Herder an
Knebel:
Richter ist hier, ein Liebling des Glücks, ein Günstling der Menschen, voll Geistes und Witzes, und ein Kind an Gemüt. 58.
Christiane
Vulpius an Goethe, 21. Nov. 1798:
Gestern abend war ich bei der Maticzek, und wir saßen ganz ruhig und nähten. Auf einmal kam Herr Richter, und er hat uns bis 10 Uhr recht artig unterhalten. Aber, unter uns gesagt, er ist ein Narr; und ich kann mir nun denken, wie er bei den Damen Glück gemacht. Ich denke, ich und die Maticzek, mir wollen noch oft unsern Spaß haben. Wenn Du wiederkömmst, sollst von Wort zu Wort unsere Unterhaltung erfahren. Die Maticzek sagt, er spräche zu gelehrt, aber ich versteh' beinahe alle W o r t e . . . Er hat sich bei mir beklagt, daß er sich niemals in unserm Hause finden könne; er hätte zu dem Herrn Professor [Heinrich Meyer] gewollt, hätte sich aber nicht finden können und hätte wieder fortgehen müssen. Wenn ich es aber itzo erlaubt', so wollt' er erst bei mir anfragen und mich bitten, daß ich ihn zurecht führen ließ'. 59.
Herder an Knebel, 23. Nov. 1798:
Richter ist hier; er kommt aber nur wenig zu uns, weil er sehr fleißig ist. Er gewinnt durch den Umgang sehr. Einen geistreicheren Menschen bei einer so kindlich reinen Empfindung habe ich fast nicht gekannt; auch an die Art seines Witzes gewöhnt man sich bald, und mir tut sie wohl. Vor allem aber liebe ich seine ungemein eindringende, ich möchte sagen d u r c h s c h a u e n d e Charakterempfindung. 60.
Karl August
Böttiger:
(Den 26. Nov. 1798 auf einer Reise von Jena.) Goethes Vater war ein steifer, zeremoniöser Frankfurter Ratsherr... Das Gewandte, Genialische hat er von seiner Mutter. Jean Paul Richter merkte
Weimar, Dezember zyg8
39
dabei an, daß ausgezeichnete Männer meist das Gute von ihren Müttern hätten. Dies ist auch der Fall bei Wielanden. (Den 28. Nov. 1798. Wieland logiert bei Herdern.) Über J e a n Paul Richter. E r habe einen trefflichen T a k t , den Menschen zu erfühlen. Herder versicherte, er habe ihm über Menschen, die er zum ersten Male sprach, so richtige Urteile gefällt, als er (Herder) sie nach jahrelanger Bekanntschaft nicht besser zu fällen sich getraue. E r gehöre zu den reflektierenden Menschen, wiederhole sich also auch im stillen, was er in der Gesellschaft gesagt habe, bessere sich, gebe besser auf sich acht. 61.
Einsiedel
an Knebel,
20. Dez.
1798:
Unser Freund Richter wohnt allerdings bei uns und gefällt sich sehr wohl. Ich sehe ihn zuweilen bei der Herzogin [Amalie], doch selten sehen wir uns allein beisammen; ihm und mir sind die Morgenstunden teuer, und des Abends, wo er umherwandelt zu den geistreichen Frauen und Jungfrauen, da bin ich gebunden — mithin genieße ich ihn leider zu wenig. Es ist ein liebenswürdiger, guter Mann, der Herz und Kopf immer bei der Hand hat, um alles leicht und stark zu empfinden, zu fassen und Ideen zu erwecken. — Ich wünschte Dir seinen Umgang zuweilen auf einige Wochen; und dies kann geschehen, denn er ist ein großer Fußgänger, wenn's bessere Jahreszeit ist. 62.
Gotthilf Heinrich
Schubert an seine Schwester,
Ende
1798:
Jean Paul Richter, der berühmte Schriftsteller, den ich bei Herder kennen lernte, ist ein seltenes Genie. Sein Äußeres verspricht wenig: blasses Gesicht, kleine, trübe, zerflossene Augen, Blatternarben. Doch sein Witz ist brillant, seine Unterhaltung unübertrefflich, und sie besteht aus einem zusammenhängenden Strom witziger Einfälle. E r ist sehr gutmütig, leicht zu rühren. Als Herder eine edle Tat von irgend einem großen Mann erzählte, konnte Richter die Tränen nicht zurückhalten. Sein Hauptcharakter ist mit einem Wort jene gutmütige Schwäche und Reizbarkeit, die den, der sie besitzt, für die menschliche Gesellschaft sehr umgänglich macht, ihn selbst aber vielen Irreleitungen aussetzt. Lies seine Hundsposttage und seine Palingenesien, da kannst Du ihn kennen lernen.
Weimar, iyg8—iygg
40 63.
Gotthilf Heinrich Schubert,
Selbstbiographie:
Ich denke noch mit Freuden an die Abende, die ich mit ihm ge» meinsam bei Herder zubringen durfte; sie gehörten zu den besten und schönsten meiner Jugendzeit. In'Richters ehrfurchtsvoller Liebe zu Herder lag eine unwiderstehliche Kraft; seine Liebe erwarb ihm Gegenliebe, sein kindliches Zutrauen Herders väterliches Vertrauen. Obgleich zunächst nur als dankbarer Hörer, wußte Jean Paul dennoch durch bescheidene Fragen und durch Worte der warmen Teilnahme die Türe zu der geistigen Schatzkammer seines reichen Wirtes aufzutun und diesen zu bewegen, daß er daraus hervorlangte Altes und Neues... 64.
Karoline Herder,
Erinnerungen:
. . .Die glücklichen Abendstunden, wo Richter bei uns war, seine immer heitere, jugendliche Seele, sein Feuer, sein Humor, die Lebhaftigkeit, womit er sich über alles, was vorkam, mit Herder unterhielt, gab ihrem Zusammensein immer neues Leben. So sehr verschieden zuweilen ihre Ansichten über eine Sache waren (z. B. in Richters Urteilen über die Weiber, wo Herder glaubte: er mache sie zu wehmütig, zu grübelnd über sich selbst und vielleicht dadurch zu wenig tätig u. a.), so waren sie doch in den Grundsätzen und Empfindungen immer eins. Reichhaltige Unterredungen entstanden hierüber, sowie über Richters damalige Manier, unbeschadet Herders Hochachtung für i h n . . . Unser kleiner Abendtisch mit ihm, unsern Kindern, zuweilen Günther und Friedrich Majer, war ein wahres Heiligtum: reine Seelen waren hier froh zusammen. 0 wie oft half der gute Richter, da und auf Spaziergängen oder Fahrten nach dem Ettersberg, durch seinen genialischen Humor Herder manche bittere Empfindung vergessen m a c h e n . . . . 65.
Karl Förster:
Böttiger erzählt von Herders Verhältnis zu Jean Paul während dessen Aufenthalt zu Weimar. Herder liebte Jean Paul innigst, war aber nicht einverstanden mit der desultorischen Manier desselben. Einst, als er über diesen Gegenstand mit ihm ausführlicher sprach, sagte Herder zu ihm: „Liebster Jean Paul, denken Sie sich einen
Weimar, Januar
1799
41
Menschen, der, mit allen Reizen der Unterhaltung ausgestattet, von allen gesucht, geliebt, geachtet, in einen großen Kreis von Freunden und Verehrern tritt. Alle versammeln sich um ihn und sind entzückt von dem freundlichen, geistreichen, liebenswürdigen Manne. Aber siehe, mit einem male zieht er eine alte Mütze aus der Tasche und setzt sie auf. Was würden Sie dazu sagen ? " Jean Paul nahm diesen oder andern Tadel nie unfreundlich auf, und ich gedachte seiner Worte: „Wer bescheiden bleibt beim Tadel, nicht nur. beim Lobe, ist's gewiß." Jean Pauls und Herders Freundschaft blieb unwandelbar die innigste. 66.
[Dr.
Lütkemüller?]
Bei Aufführung des „Don Juan", der auch Jean Paul Richter beiwohnte, fragte diesen jemand, wie ihm die Musik gefalle. Richter antwortete ihm: „Das ist gerade so, als fragten Sie mich, wie mir die zweite Welt gefalle." 67.
Charlotte von Stein an ihren Sohn
Fritz:
(13. Jan. 1799 abends bei Wolzogens mit Schiller, dessen Frau, Heinrich Meyer.) Sie redeten so heftig untereinander, besonders Richter, daß ich vor lauter Schallen keinen Gedanken, vernahm. Richter hatte sich in einer sonderbaren, eckigen Stellung so über Meyer hergelegt, welcher saß, daß wir nichts mehr von diesen zweien als Richters hintere Taille sahen. Übrigens scheint er ohne alle Prätention, sagt auch in der gewöhnlichen Unterhaltung vortreffliche Sachen, aber dann und wann kommt eine kärikaturhafte Pantomime hervor, die ihm etwas Ungraziöses, ja sogar etwas Verrücktes gibt. 68.
Joh. Daniel
Falk:
Noch erinnern wir uns eines sehr lebhaften Diskurses zwischen Schiller und Jean Paul, der ungefähr um die nämliche Zeit geführt wurde, als der Wallenstein zum erstenmal in Weimar sollte gegeben werden; Jean Paul behauptete in demselben gegen Schiller, ohne Ein» schränkung, daß eine Darstellung echt poetischer Gestalten, folglich auch seines Wallensteins, auf dem Theater völlig unpraktikabel sei.
42 69.
Weimar, Januar
lygg
Böttiger:
(Den 20. Jan. abends bei Falk.) Wieland will Schillers Piccolomini nur so bei der Aufführung hören, als sei es eine auswendig gelernte Vorlesung, immer besser als eine bloße Vorlesung. Richter widerlegt es, weil beim Lesen auf dem Zimmer die Phantasie mehr wirke. — Streit über das Alte und Neue. Richter behauptet, die Alten hätten aus Mangel tief eindringender Verstandeskultur nirgends wahre Char a k t e r e g e s c h i l d e r t ; sie h ä t t e n n i c h t s K o m i s c h e s i m V e r g l e i c h m i t d e n
Neueren gehabt. Aristophanes und Shakespeare. Wieland wird ungeduldig. Er sagt Richtern: er solle doch nicht so dozieren und die Leute wie mit einem Ozean überschwemmen. — Richter befindet sich nur wohl, wenn er gespannt ist, das Disputieren spannt ihn. Daher sucht er diesen Reiz überall und ist ein animal disputax. Nur der, der ihm recht Gegenpart hält, gilt bei ihm. Nüchtern kann er kaum etwas schreiben. Er trinkt, wenn er komponiert, viel Bier oder Wein und sitzt erstaunlich warm, wie in einem Schwitzofen. Er sagte: „Man soll auf meinen Grabstein setzen, daß nie ein Mensch so viele Gleichnisse gemacht hat wie ich." 70.
Dr.
Lütkemüller:
Als Wieland späterhin Jean Pauls persönliche Bekanntschaft gemacht hatte, äußerte er sich auf meine Frage danach kurz und mit etwas Unlust. „ E r selbst ist wie seine Schriften!" sprach Wieland. „Man fühlt sich bei ihm auf angenehme und unangenehme Art überrascht, und nichts ist schwerer, als ihm beizukommen. Er ist zu sehr er selbst, jedoch ein sehr interessantes Original." — Bald nachher teilte mir Wieland etwas aus einem Gespräch mit, welches er mit ihm gehabt hatte. Wieland hatte der griechischen Klassiker als vorzüglicher Geschmacksbildner erwähnt und,- wie er sagte, „schöne Sachen über sie hören müssen". — „Ich lasse die alten Griechen gelten, was sie sind," habe Jean Paul gesagt; „aber es sind doch sehr beschränkte Geister. Welche kindische Vorstellungen haben sie von den Göttern! War's möglich, daß sie dabei edlere und tiefere Gefühle der Menschheit h a t t e n ? " — „Ich erwiderte ihm," fuhr Wieland fort: „Sie wollen die Griechen gelten lassen, was sie sind ? Aber was s i n d sie denn? Sie sind eine Erscheinung auf Erden, einzig in ihrer Art. Sie sind die
Osmannstädt,
Gotha, März
43
1799
schönste Blüte und das vollkommenste Urbild jugendlicher Menschheitsbildung, so daß wir ohne Bedenken annehmen dürfen, alles Göttliche, welches die Menschen auf solcher Bildungsstufe zu empfinden und zu erschauen vermögen, war auf sie herabgestiegen, um in und mit ihnen zu leben und zu weben. Wo finden wir einen so heitern, lieblichen Jugendgeist der Menschheit in so leichter, reiner, schöner Form sich darstellen ? Gleicht er nicht der ewigen Jugend des göttlichen Phöbus Apollo ? " — „Aber", habe Jean Paul entgegnet, ,,jene Jugendzeit .ist vorbei, und wir sind Männer geworden. Christliche Titanen haben längst den heidnischen Himmel erstürmt und die Götter desselben in den Tartarus gestürzt. Über uns hat sich ein unendlicher Gotteshimmel und unter uns eine unergründliche Tiefe der Menschheit aufgetan. Passen dafür noch die kleinlichen Formen und Schönheitsspielereien der alten Griechen?" — „Mit e i n e m W o r t , " setzte Wieland hinzu, „Jean Paul hält die Griechen für Kindsköpfe. Ich war nahe daran, mich über ihn zu ärgern, besann mich jedoch noch zu rechter Zeit, daß er das Recht hat, er selbst zu sein, und daß das, was ich an ihm vermisse, und was mich zuweilen toll machen möchte, von vielem Hohen und Vortrefflichen mehr als ersetzt wird. Einem Geiste seiner Art griechischen Geschmack beibringen wollen, hieße einen Mohren weiß waschen. Er hat auch eine in der Tat göttliche Beglaubigung, zu sein, was er i s t . " 71.
Wieland an Böttiger, Osmannstädt,
12. März
1799:
Ganz unverhofft, aber um so angenehmer ist uns heute Freund Paul, der Erste und Einzige in seiner Art, die gewiß eine der besten ist, gen 11 Uhr erschienen, aber auch um 4 Uhr nachmittags wieder verschwunden und hat den Stachel des Verlangens in uns, d. h. vor allem in mir selbst zurückgelassen, mit öftern und längern Erscheinungen von diesem guten Genius begünstiget zu werden. Ich werde jedesmal um 10 oder 20 Jahre jünger, sooft, aber auch nur solange er ,bei mir ist. 72.
Heinr. Aug. Ottokar Reichard,
Selbstbiographie:
Ich hatte Jean Paul auf einer Reise durch Emilie von Oppel [Berlepsch] kennengelernt; er besuchte mich [in Gotha, Mitte März 1799],
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Weimar, April zjgg
und der Erbprinz, als er es erfuhr, ließ mich durch Frau von Zastrow bitten, den Dichter in deren Abendzirkel zu bringen, weil er ihn zu sprechen wünsche. Es geschah. Anfangs war die Unterhaltung langweilig, und Jean Paul, dem der Tee nicht behagte, forderte ein Glas Weizenbier, was im ganzen, überaus eleganten Hause unerhört war und erst geholt werden mußte. Endlich erschien der Erbprinz — mit ihm Leben, Behaglichkeit, Geist und ein gewandtes Gespräch über schöne Literatur. Bei den reichen Phantasiestücken, welche der Erbprinz prunken ließ, war Jean Paul ganz Ohr; eben erzählte jener einen Traum (versteht sich, den er nie geträumt hatte) und malte dabei mit der ihm eigenen genialen Überfülle einer ausschweifenden Einbildung das Bild des Teufels aus, der in dem Traume eine große Rolle spielte. Da trat ein Kavalier herein, den der Erbprinz nicht leiden konnte, und flugs schloß dieser sein schimmerndes Teufelsbild mit einer ganz zufällig erscheinenden Handbewegung auf den Kommenden mit den Worten: „Der Satan hatte angefressene, schwarze, übelriechende Zähne!" — denn die hatte jener Kavalier. 73.
Karoline Herder an Gleim, 2. April 1799:
Jean Paul ist nichts weniger als kränklich, d. h. hektisch. Sein Geist ist freilich seinem Lebensalter vorangesprungen und hat die edle Lebenskraft im Hirn konzentriert; daher sieht er denn so — einigermaßen — manchmal — einem jungen Greis ähnlich. Sein Herz und Kopf ist jung und frisch, doch wäre es besser, wenn das Gleichgewicht zwischen Geist und Körper besser gefallen wäre. „Wenn er nur eine Frau h ä t t e ! " rufen wir alle, und er ruft's uns allen weit vor. 74.
Karoline Schlegel an A. W. Schlegel, 11. Mai 1801:
Auf diese leere Stelle will ich gleich noch etwas Amüsantes setzen, das uns Schelling diesen Mittag zum besten gab, wie ihm Goethe einmal beschrieben, daß er mit Jean Paul einen ganzen Abend [15. April 1799?] Schach gespielt, figürlich. Der hat nämlich ein Urteil über ihn und seine Gattung herauslocken wollen und ihn nach Goethes Ausdruck auf den Sch—dr— führen, hat einen Zug um den andern getan von Yorik, von Hippel, von dem ganzen humoristischen Affengeschlecht — Goethe immer nebenaus! Nun, Du mußt Dir das selbst
Ilmenau, Hildburghausen,
Mai
1799
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mit den gehörigen Fratzen ausführen, wie Jean Paul zuletzt in die höchste Pein geraten ist und sich schachmatt hat nach Hause begeben. 75.
Knebel an Herder, Ilmenau, 23. Mai 1799:
Unser Jean Paul war bei mir und ist nach Hildburghausen gewandert, von wannen er, wie er hofft, nächsten Sonnabend wieder zurückkehren und noch ein paar Tage bei mir zubringen wird. Er hat mir Ihre herzlichen Grüße gebracht, und in der Tat konnten Sie solche in keinen herzlichem Mund legen als in den seinigen, der Ihnen mit Leib und Seele zugetan ist. Sie können glauben, daß er mir dadurch noch näher ist und daß ich ihn gleichsam als einen Teil meiner selbst betrachte, nur einen gefälligem, da er Ihnen gefälliger sein kann. Er liebt oder duldet Weimar bloß Ihrethalben und versicherte mich, daß er nicht eine Stunde da bleiben würde, wenn Sie nicht da wären. Sonst hat er mir manches in seinem eigenen Charakter der Wahrheit und Herzlichkeit erzählt; denn nichts wird eigentlich durch ihn verfänglich noch schlimm. 76. Die enthusiastische Gunst des [Hildburghäuser] Hofes wurde etwas ernüchtert, als eines Tages [Mai 1799] das Unerhörte geschah, daß die fürstliche Tafel auf den eingeladenen Dichter warten mußte und ein Lakai, der nach ihm ausgesendet wurde, die untertänigste Vermeidung brachte, daß der Herr Legationsrat bei dem „ H o f b ü t t n e r " auf dem Bette liege und eben nicht in der Verfassung sei, den durchlauchtigsten Herrschaften aufzuwarten. 77.
Knebel an Frl. von Bose, Ilmenau, 2. Juni
1799:
Seit vierzehn Tagen hatte ich zweimal den Besuch von unserem Jean Paul Richter, der nach Hildburghausen ging und sich im Hinund Herweg bei mir aufhielt. Sein Besuch war mir sehr erfreulich. Es ist ein lieber Mensch, ausgestattet mit den reichsten Kenntnissen und einem Witz, der seinesgleichen nicht hat, bei dem geradesten, einfältigsten Herzen. Alle Herzen sind sein, und die versammelten drei
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Weimar, Juni, Juli 1799
Prinzessinnen in Hildburghausen, worunter die Ansbacher auch gehört, hatten ihn täglich um sich, wo er acht Tage lang, vom Mittag bis Mitternacht, täglich zubringen mußte. Sie können wohl denken, daß auch er etwas von ihnen bezaubert ist — aber sittlich und unschuldig, wie ein Kind. 78.
Friedr. Heinr. Chr. Schwarz an Jean Paul, 29. Juni
1800:
Als ich voriges Jahr. — es war an einem schönen Sonntagsmorgen in der Mitte dieses Monats — durch meine Zudringlichkeit und durch meinen guten Genius auf einige Augenblicke zu Ihnen auf Ihre Stube geführt wurde, da sagten Sie mir, diese Ostermesse würde Ihr Titan nun erscheinen. Jetzt begreife ich erst ganz, warum es mich so freute, daß Sie mich — einen Fremden — darauf aufmerksam m a c h t e n . . . Meine ganze Seele spricht J a und Amen dazu, was Sie mir voriges Jahr als ein Zeichen angaben, daß noch viele Guten unter uns seien; weil noch Sinn für solche Lektüre [wie Jean Pauls Schriften] herrsche. . . .Das preiswürdige Wort, daß Sie mir sagten, daß alles ferne von Ihnen sei, was nicht zurMoralität führe, lese ich mit innigem Entzücken in Ihren Schriften. 79.
Friederike Bleibtreu an Jean Paul, 15. Aug. 1799:
Unter den fröhlichen Tagen, die ich erlebte, wird mir gewiß der, daran ich Sie, großer, edler Mann, kennen lernte, immer ein rechter Festtag bleiben: — es war der 2. J u l i . . . Mein Geist schwebt noch täglich bald auf Ihrem Zimmer, bald im Park um Sie herum. Wie gern unterhalte ich mich von Ihnen mit meiner Nichte, rufe jedes Wort, das Sie sprachen, lebhaft in meine Seele zurück! — Ich habe alles aufgeschrieben und trage es, wie das geraubte Bändchen von Ihrem Hut, beständig mit mir herum. Dies Band war Ihnen so nahe. — „Ein Kleidungsstück von einem Bekannten ist mir lieber als eine lange Korrespondenz" — so sagten Sie und billigten damit meinen kleinen Diebstahl. 80.
Herder an Gleim, 19. Juli 1799:
Richter ist jetzt auf einer Wanderschaft nach Gotha und Eisenach, wie er vor kurzem in Hildburghausen war. Solche Wanderschaften
Gotha, Juli 1799
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sind ihm neues Kapital zu Interessen seines Geistes, also Erwerb und Grund neuen Erwerbes. Er ist voll Jugend der Seele und Ihr wärmster Freund. 81.
Friedrich Karl von Savigny,
Tagebuch:
Bei Schlichtegroll [in Gotha, 26. oder 27. Juli 1799] fand ich auch seinen Gevatter [Jean Paul] — er ließ sich gerade malen, und ich konnte ihn also nach Wunsch betrachten. Über sein Auge hat die Natur einen Schleier gezogen, tief hinter ihm entdeckt man den regen, lebendigen Geist; dies und das unausgesetzte Spiel seiner weichen Muskeln macht das Treffen unendlich schwer, wie er denn auch hier ganz verfehlt wurde; alle Kupferstiche stellen uns nichts von ihm dar als — sein Haar. Seine Bekanntschaft hat meine Meinung von ihm sonderbar modifiziert; ich halte ihn für einen größeren Künstler; denn der Jean Paul, dessen Darstellung das Thema seiner Werke ist, ist nicht Fr. Richter, dieser hat n i c h t s Humoristisches (das bei jenem Grundzug ist), weder das satirische noch das humoristisch-liebende, sondern bloß ein ungemein sanftes, aber etwas gezwungenes oder gar affektiertes Wesen, das gegen Frauen sich dem schmachtenden nähert — aber ich halte ihn nun auch mehr für gänzlich divergierend von unsern Ideen in gewissen Hauptpunkten, z. B. was wissenschaftliche Ansicht und Wert der Wissenschaft überhaupt betrifft. War er nämlich humoristisch, kurz, war er Jean Paul, so mußte er eine Universalität besitzen, die, wie ich jetzt glaube, gegen sein ganzes Wesen ist — er mußte über Mißbrauch der Kantischen Philosophie lachen können und Ansichten von Kant und Fichte mit Wärme ergreifen, mußte Herder verehren können und die Metakritik rächen, mußte Sinn haben und Interesse für jede Form, in der ein schaffender Geist erscheint, kurz, er mußte nicht so ganz be- stimmte, feste Punkte haben, an denen er hängt und die sein Glaubensbekenntnis ausmachen. Er ist mir fremder geworden; Jean Paul kannte ich recht gut, aber mit ihm hätte ich erst bekannt werden müssen. Manches freilich habe ich gefunden, was ich erwartete, seine Gutheit und Kindlichkeit und Unschuld; aber ist nicht das Viel oder Wenig, was wir finden, relativ? — In Weimar hält ihn Herder, den er anbetet.
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Gotha, Weimar, Juli
1799
Während ich da war, wurden mehrere Einfälle erzählt, für die er sich sehr interessierte, besonders für folgende, die auch an sich aufbehalten zu werden verdienen: 1.
Voltaire an Fréron. Un jour Fréron se promena, Un serpent vint et le piqua. Savez-vous ce qui en arriva ? Ce fut le serpent qui crêva. 2. Mirabeau trat einst auf, um Maury zu widerlegen, und fing an: „Vous avez entendu les sophismes de l'Abbé Maury, je vais le confondre, je vais l'envelopper dans le cercle vicieux (logischer Zirkel) — " Hier unterbrach ihn Maury: „Vous allez donc m'embrasser ?"
Richter wurde häufig von hohen Herrschaften okkupiert, besonders dem E r b p r i n z e n . . . Auch den liebevollen Lenz und den mitteilenden Jacobs sah ich hier. „Mit Lenz disputiert man gerne, er ist kein Stockkaritianer" — „nicht wahr, man merkt es dem Manne nicht an, daß er so gelehrt i s t " (nämlich Jacobs) — das sagte Jean Paul über beide Männer. 82.
Auguste Schlichtegroll
an Jean
Paul, Gotha, 25. Okt.
1799:
Ich habe einen Ausspruch von Ihnen treu in meinem Gedächtnis verwahrt, „daß es nämlich ein Beweis von Freundschaft sei, wenn man nicht mehr fürchte, weder durch sein Schweigen noch durch sein Plaudern dem Freunde langweilig zu werden". 83.
Böttiger:
Über die Frau von Bechtolsheim fällte Richter, als er [Ende Juli 1799] von Eisenach zurückkam, ein etwas härteres Urteil [als Emilie von Berlepsch]. Sie sei Weltfrau, die sehr wohl wisse, daß scheinbare Unbefangenheit die leichteste und doch sicherste Maske sei: Selbst ihre Physiognomie zeuge von großer Sinnlichkeit und Genußgierde. Um die Augen herum und auf der vorstehenden Unterlippe sei dies vorzüglich s i c h t b a r . . . 84. Kampaner Thal, Das (1797) 26,26 t- 194,30. 292,36. Katzenbergers Badereise (1809) 110,22. 130,13. 150,23. 160,1t235,25 tKomet, Der ( 1 8 2 0 - 2 2 ) 141,22 ? 185,11- 200,33f .212,30t253,22 ? 265,12. 299,5. 317,8. 15—28.31t- 368,8t- 389,28t- Margaretha 317,26. Marggraf 317,18. 347,25. Worble 317,24. Konjektural-Biographie (Bevorstehender Lebenslauf, 1799) 339,21t- Hermine 70,3. 217,16tKunst, einzuschlafen, Die (1805) 150,23t- 315,24tLevana (1807) 71,19 t- 82,22 t85,21t- 91,27t- 94,17. 104,4. 108,27t- 109,28. 110,30. 119,2t132,19 t.34f.135,1.14.208,11-261. 291,5. 331,13.27. 3 3 3 , 3 f . 382,6tMars und Phöbus Thronwechsel (1814) 152,13tMuseum (1814) 148,25. 149,18. 152,27 t- 225,1tMutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus (1814) 148,26. 149,17.
Sachregister Palingenesien ( F a t a und Werke vor und in Nürnberg.. 1798) 39,34. 58,28. 89,14. 103,3. 322,4. Hermine 70,3. 217,16 f . Rede des toten Christus (1796) 306,22f. 318,2. Rezensionen (1808 — 10) 99,28t (Fichtes Reden). 107,26t und 222,24 (FouquS). 211,29 t (Öhlenschläger). Schmelzles Reise nach Flätz (1809) 110,21. 256,12. 293,5.10. 30 7,27. Schulreden ( 1 7 7 9 - 8 0 ) 2,5.10tSelbstbiographie (1818) 1,8. 31,19. 328.12. Seiina (1826) 215,29t- 286,12t328,12 t- 350,24. Siebenkäs, Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten ( 1 7 9 6 - 9 7 ) 12,15t- 17,6? 35,6t58,29. 116,27.34. 127,34. 196, 30— 37. 200,33t- 203,29—36t21 7,24. 228,23t- 276,20. 293,2. 333,18 t- 384,26 tLeibgeber 58,32 . 74,26. 88,16 t- 101,36. 211,10t- 276,21. Lenette 68,19. Magister Stiefel 130,7. Titan ( 1 8 0 0 - 0 3 ) 17,6t- 28,29. 46,10. 64,26 t- 66,9 t- 68,24. 72,24. 74,35. 88,11t97,21. 102,6t- 103,1. 116,27t. 127,36. 128,6. 157,33. 178,7. 201,17. 216,26. 284,32. 292,31. 318,22 t356.13. 368,12. Albano 333,8 tLiane 68,22t178,9. Lilar 209,29. Linda 259,24. 284,33 t356.14. Roquairol 212,7 t326,9t- Schoppe 88,15t- 101,37. 178,9. 201,18. 211,14t- - Anhang ( 1 8 0 0 - 0 1 ) 62,2t- 88,17t98,19 t- 102,37 tTraum einer Wahnsinnigen, Der (1808) 101,26. Traum von einem Schlachtfelde (1813) 102,2tÜberchristentum 233,27 t-
(1817-23)
Namen-
und
Unsichtbare Loge, Die (1793) 12,2. 150,15 t- 211,10t- 265,11t269,7. 318,12t- 322,8t- 356,6. 361,34. B e a t a 70,3. Vermählung der zwei höchsten Mächte der Erde (1823) 319,11tVorreden: zu Hoifmanns F a n t a siestücken (1814) 127,1. 271,33; zu Dobenecks Volksglauben (1815) 138,6 t ; zu Kannes Erste Urkunden (1808) 138,6. Vorschule der Ästhetik (1804) 81,2t- 88,24t- 102,23t- 105,4. 137,20 t165,25 t208,11. 270,17t293,12t318,21t323,18. Wechselgesang der 0readen(1805) 92,22 tWetterprophet, Der allzeit fertige (1816) 150,35 t- 332,4. Richter, Karoline, geb. Mayer (1778 bis 1860), J e a n Pauls Frau 109. 116. 128. 130. 131. 137. 150. 151> 172. (229. 241.) 290. (302.) 348. 352. 360. 361. 70,27. 71,22. 73,9. 74,31. 75,4. 76,1.9.27. 78,14. 20t- 80,9. 81,14. 82,28. 83,6.16. 92.14.30. 93,9.22. 94,20. 95,9.24. 97,32. 99,35-100,6. 104,19.31. 107,18. 108,9. 110,15. 119,10120.2.31. 121,22. 122,5.15. 129,33 bis 130,8. 132,21.29. 133,10. 138,11.15. 140,3. 141,23. 142,22. 145.14.18. 146,32. 152,19. 154,18. 156,21. 159,14. 161,20.34. 166,3. 172.11.19. 181,19. 182,24 t . 184,12. 186.17. 192,20—27. 193,3. 200,29. 204,37t. 206,22. 211,37 - 212,3. 213,9.12.19. 220,26- 222,3 t- 230,4. 231,21.28.32.—232,1.232,3—10.16.27 237,34t. 243,18.29. 253,18.30t254,1.23.26. 258,32. 260,10. 262.10.20. 278,15.34. 279,7. 289,17. 299.18. 312,4.18. 313,20.24. 3 14,23. 323,9.23. 327,3. 328.14. 340,15. 341,2.27. 343,32. 345,4. 348,3.29. 353,30. 366,35. 368,28. 369,3.
Sachregister
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370,28. 371,12. 3 78,28. 379,13—23. 29. 386,24. 387,27. Tafel X V . Richter, Kinder J e a n Pauls (gesamt) < 3 6 2 . ) 10,4. 84,18. 92,16. 93,23.27. 95,24. 97,34. 100,6—16. 104,7—13. 108,27 t- 109,5. 110,15.30. 119,11.15. 120,21. 130,10. 132, 191*30. 133,10.26. 134,31 — 135,16. 138,35. 159,35. 161,20.34. 166,3. 170,4t- 172,11-19- 186,17. 192,20. 193,1. 197,27. 200,30. 220,26. 228,30. .230,4. 237,34. 253,28. 258.33. 260,10. 280,26. 292,9. 304,32 t- 342,27. 350,8. 363,33. 371.10. 386,23. 387,29. Richter, Max Emanuel (1803—21), J e a n Pauls Sohn
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(1817)
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Die Rollwenzelci
J e a n P a u l im 60. L e b e n s j a h r Zeichnung von Vogel von Vogelstein (1822)
XII
J e a n P a u l im 61. L e b e n s j a h r Pastellgemälde von Lorenz Kreul (1823)
XIII
K a r o l i n e R i c h t e r im 49. L e b e n s j a h r Zeichnung von Ernst Förster (1826)
XVI
E m i l i a R i e h t e r als B r a u t Zeichnung von E r n s t Förster (1826)