Japan und das deutsche Zivilprozessrecht: Sammelband der zivilprozessualen Abhandlungen [Reprint 2015 ed.] 9783110975093, 9783899495607

The essays published in this collection introduce the reader to Japanese civil procedural law and contribute to comparat

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Table of contents :
Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht
Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses — eine Betrachtung vom Standpunkt des Rechtskreises aus—
Die zwei Typen des Zivilprozesses
Der Zivilprozeß im kontinentalen und im anglo-amerikanischen Rechtskreis—
Die Aufgabe des Gerichts
eine rechtsvergleichende Betrachtung Uber die Aufgabe des Gerichts im kontinentalen und im anglo-amerikanischen Rechtskreis
Der Einfluß des amerikanischen Rechts auf den japanischen Zivilprozeß
Das Japanische im japanischen Zivilprozeß
Überblick über den japanischen Zivilprozeß
Klage- und Parteiänderung nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit in der japanischen ZPO
Die notwendige Streitgenossenschaft im japanischen Zivilprozeß
Die Familiengerichtsbarkei
Eine rechtsvergleichende Untersuchung
Die Familiengerichtsbarkeit in Japan
Hauptwerke des Verfassers
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Japan und das deutsche Zivilprozessrecht: Sammelband der zivilprozessualen Abhandlungen [Reprint 2015 ed.]
 9783110975093, 9783899495607

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NAKAMURA • JAPAN UND DAS DEUTSCHE ZIVILPROZESSRECHT

JAPAN UND DAS DEUTSCHE ZIVILPROZESSRECHT — Sammelband der zivilprozessualen Abhandlungen —

von Prof. Dr. Dr. h. c. HIDEO N A K A M U R A

H I K A K U MINJIHO K E N K Y U S H O (Institut f ü r V e r g l e i c h e n d e s Zivilrecht) V e r ö f f e n t l i c h u n g Nr. 1 7

T o k y o 1996

SEIBUNDO

J A P A N UND DAS DEUTSCHE ZIVILPROZESSRECHT von HIDEO N A K A M U R A Seibundo, 1996 ISBN4-7923-2189-1

© 1996 Hideo Nakamura Seibundo Verlag Shinjuku-ku Waseda-Tsurumakcho 514, Tokyo, Japan 162 Tel. 0 3 - 3 2 0 3 - 9 2 0 1 Fax. 0 3 - 3 2 0 3 - 9 2 0 6

V

Vorwort

Japan hatte sich zu Beginn der Neuzeit für fast dreihundert Jahre von der Welt abgeschloßen. Es war isoriert. Als dann 1868 Kaiser Meiji und seine Regierung an die Macht kamen, öffnete das Land seine Türen. Japan wurde ein moderner Staat. 1890 erhielt es eine dem Weltstanderd entsprechende Zivilprozeßordnung, bei der die deutsche Zivilprozeßordnung von 1877 Rate stand. Die japanische Zivilprozeßordnung war also weitgehend eine Übersetzung der deutschen. Auch die deutsche Zivilprozeßtheorie wurde rezipiert - und das, obwohl japanische und deutsche Kultur und Mentalität verschieden sind. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg geriet dann auch Japan unter den Einfluß der US-Amerikanischen Prozessualistik. Trotz dieser Beeinflussung von außen trugen jedoch Änderungen des Gesetzes, die Gesetzesauslegung und die Wissenschaft immer stärken japanischen Eigenheiten Rechnung. Das Zivilprozeßrecht „japanisierte" sich. Diese neue japanische Zivilverfahrensrecht und seine Theorie sind leider im „Mutterland" Deutschland so gut wie unbekannt. Hauptgrund sind wohl Sprachschwierigkeiten. So sind wir auch heute wieder isoliert. Dabei wäre förderliche Kritik gerade von deutscher Seite erwünscht. Erwünscht wäre auch ein beidseitigen Geben und Nehmen. Ich habe in diesem Bestreben dann und wann deutsche verfaßte Aufsätze über japanisches Zivilprozeßrecht veröffentlicht. Im nächsten Jahr werde ich siebzig Jahre alt. Aus diesem Anlaß lege ich in diesem Bande elf Beiträge vor. Den Titel des Buchs übernehme ich von der ersten Abhandlung. Die Arbeiten wurden zu jeweils anderen Anlässen geschrieben. So ist es unvermeidlich, daß sich die Inhalte gelegentlich überschneiden. Auch habe ich davon abgesehen, sie „up to date" zu bringen. Ich hoffe aber, mit diesem Sammelband zu helfen, insbesondere den ausländischen Leser das japanische Zivilprozeßrecht zu beschließen und so einen Beitrag zur Rechtsvergleichung zu leisten. Deutsche Kollegen haben mir in mannigfachen Weise, auch um die Aufsätze in gutes Deutsch zu bringen, geholfen. Ich danke ihnen daher

vi

auch an diesen Stelle für ihre Hilfe und die Freundschaft, die mich mit ihnen verbindet. Tokyo, Dezember 1995

Hideo Nakamura

Inha Itsverze ichn is

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

i

Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses — eine Betrachtung vom Standpunkt des Rechtskreises aus—

43

Die zwei Typen des Zivilprozesses - Der Zivilprozeß im kontinentalen und im anglo-amerikanischen Rechtskreis—

83

Die Aufgabe des Gerichts — eine rechtsvergleichende Betrachtung Uber die Aufgabe des Gerichts im kontinentalen und im anglo-amerikanischen Rechtskreis—

113

Der Einfluß des amerikanischen Rechts auf den japanischen Zivilprozeß

¡31

Das Japanische im japanischen Zivilprozeß

149

Überblick über den japanischen Zivilprozeß

163

Klage- und Parteiänderung nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit in der japanischen ZPO Die notwendige Streitgenossenschaft im japanischen Zivilprozeß

185 203

Die Familiengerichtsbarkeit — Eine rechtsvergleichende Untersuchung—

221

Die Familiengerichtsbarkeit in Japan

271

Hauptwerke des Verfassers

295

Japan und das deutsche

Zivilprozeßrecht

Inhaltsverzeichnis

I.

II.

Gründe und Verlauf der Rezeption fremdländischen Rechts in J a p a n 1. Einleitung (4)

(4)

2. Der Grund f ü r die Einführung des europäischen Rechtssystems (5) 3. Der Verlauf der Rezeption des fremden Rechts (6) 3-1. Der französische Einfluß zu Beginn der Meiji-Zeit (6) 3-2. E r s t a r k e n des Einflusses des deutschen Rechts (7) Gesetzgebungsverlauf zu einer japanischen ZPO nach deutschem Vorbild (8)

1. Die japanische ZPO von 1890 (8) 1-1. Systematische Unterschiede zwischen der deutschen und japanischen ZPO (9) 1-2. Einfluß aus dem französischen und anglo-amerikanischen Recht (10)

2. Kodifikation sonstiger Gesetze nach deutschem Vorbild (11) 2-1. Das Gerichtsverfassungsgesetz (11) 2-2. Das Bürgerliche Gesetzbuch (12) 2-3. Das Handelsgesetzbuch (13) 3. Verwurzelung des übernommenen Rechts (13) 4. Die revidierte ZPO von 1926 (15) 4-1. Bestimmungen, die in der japanischen ZPO eigenständig a b g e f a ß t sind (17) 4-2. Einige der deutschen und der alten japanischen ZPO g e m e i n s a m e Bestimmungen, die jedoch in der neuen japanischen ZPO beseitigt wurden (19) 4-3. Bestimmungen, die von der deutschen ZPO abweichen (19) III. Der Einfluß des deutschen Zivilprozeßrechts und der deutschen Zivilprozeßrechtslehre auf den japanischen Zivilprozeß n a c h dem zweiten Weltkrieg (20) 1. Gesetzesänderung nach dem zweiten W e l t k r i e g (21) 1-1. Die Änderungen kurz nach dem Kriegsende (21) 1-2. S p ä t e r e Änderungen (23) 2. Der Einfluß des deutschen Zivilprozeßrechts und der deutschen Zivilprozeßrechtslehre auf den japanischen Zivilprozeß (25) 2-1. Die Streitgegenstandslehre (25)

3

2 2. Beweisrechtslehre (26) 2-3. Die Vereinfachungsnovelle von 1977 (26) IV. Die Besonderheit der japanischen Zivilprozeßpraxis (28) 1. P e r s o n a l a u s s t a t t u n g der japanischen Justizinstitutionen (28) 1-1. Richter (28) 1-2. R e c h t s a n w ä l t e (29) 2. Das Rechtsbewußtsein des J a p a n e r e s (30) 2-1. Das System des Versöhnungsverfahrens (30) 2-2. Die gesetzwidrige P r a x i s (31) 3. Probleme der japanischen Zivilprozeßpraxis (33) V. Die japanische Ziviprozeßrechtswissenschaft heute (34) 1. Neue T e n d e n z der Zivilprozeßrechtswissenschaft (34) 1 1. Z w e i T y p e n d e s Z i v i l p r o z e s s e s

(34)

1-2. Denkweise des anglo-amerikanischen Zivilprozesses (35) 2. Die T r e n n u n g von W i s s e n s c h a f t und P r a x i s (38) 3. Aussichten f ü r die japanische Zivilprozeßrechtswissenschaft (40)

Zuerst

erschienen

i n : Habscheid

(Hrsg.), Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine

Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Vereinigung für Internationales Verfahrensrecht e.V. Band 5 (Bielefeld 1991) -

4

I. Gründe

und

Rechts in

Verlauf

der Rezeption

fremdländischen

Japan1

1. Einleitung Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts besaß Japan eine aus dem chinesische Recht stammende feudale Rechtsordnung. Erst nachdem das Tokugawa-Shogunat2 im Jahre 1868 zusammengebrochen war und die Kaiserliche A/eyi-Regierung3 herrschte, wurde die Rechtsordnung nach dem Vorbild des europäischen Rechts umgewandelt. Die Bedeutung der Rezeption modernen europäischen Rechts in Japan kann man unbedenklich mit der Rezeption des römischen Rechen in Europa vergleichen. Hier wie dort wurde das einheimische Recht von einem fremden Recht verdrängt. Während aber die kontinentaleuropäischen Staaten in dem im Corpus Juris Justiniani gesammelten römischen Reche eine weithin einheitliche Vorlage hatten, mußte sich Japan entscheiden, welcher der verschiedenen europäischen Rechtsordnungen es den Vorzug geben sollte. Es war schließlich das deutsche Recht, das Japan als das für seine Bedürfnisse geeignetste in weitem Umfang übernahm. Zum besseren Verständnis des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergrundes dieses Rezeptionsvorganges empfiehlt es sich zuerst, eine kurzen Überblick Uber die Situation Japans vor derMeiji-Ze\\. zu geben. KaiserMeiji, der 1868 an die Regierung kam, war seit vielen Jahrhunderten wieder der erste Kaiser, der die Macht selbst ausübte. Bis dahin war die Herrschaft beim Shogun gelegen, einem Militärregenten, dessen Amt erblich war. Das Shogunat beruhte im Innern auf einem ausgeprägt strengen Feudalsystem, das dem Shogun die Herrschaft bis in die letzten Winkel des Reiches ermöglichte. Nach außen hatte das Shogunat aus Gründen der inneren Sicherheit eine Politik der Abschließung betrieben, die Japan fast 300 Jahre von der Welt isolierte. Mit 1

2 3

Der größte T e i l der Kapital I . und II. ist die Wiedergabe eines Aufsatzes des Verfassers ; „Die Rezeption des deutschen Rechts in Japan", in Z Z P Bd. 84(1971) H e f t 1, S. 84. ff. Tofe^awa-Shogunat war eine Militärregierung in der Zeit 1603-1867. Sog. A/ey»-Regierung, 1867-1912-

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

.5

China hatte allerdings eine gewisse Verbindung weiterbestanden; ebenso mit den Niederlanden, wodurch Japan einen Ausschnitt aus der Vielfalt der europäischen Kultur kennenlernte. Als sich Japan um die Mitte des Jahrhunderts noch unter dem Tokugawa-Shogunat nach außen öffnete, vertiefte und erweiterte sich die Kenntnis europäischer Kultur. Von nun an studierten japanische Gelehrte in Europa, vornehmlich in Frankreich, zu dem das Tokugawa-shogunat enge politische Beziehungen aufgenommen hatte. 2. Der Grund für die Einführung

des europäischen

Rechtssystems

Seit dem Erlöschen des Tokugawa-Shogunats im Jahre 1868 regierte Kaiser Mciji Uber ganz Japan ; unter ihm schlug Japan den Weg zum modernen Staat ein. Was das Recht anlangt, so war die Meiji-Regierung sehr bemüht, ein neues Rechtssystem nach europäischem Stil zu schaffen. Damit entsprach sie den Forderungen von fortschrittlich denkenden Kräften, die sich nach der Regierungsübernahme durch Kaiser Meiji gegen alle für kurze Zeit unternommenen Versuche gewehrt hatten, wieder an die Traditionen der alten Kaiserzeit anzuknüpfen, und die mit Nachdruck eine Modernisierung des japanischen Staates forderten. Diese Kreise waren sich darüber klar, daß sich Japan unter dem alten Feudalsystem nicht mehr weiterentwickeln konnte und daß die militärische Macht der europäischen Länder, die Japan bedrohte, nicht nur auf der modernen Technik beruhte, sondern auch ein Ergebnis ihrer kapitalistischen Gesellschaftsordnung war, um seine Selbständigkeit vor ausländischem, Druck zu sichern, wollte man daher Japan möglichst schnell nach europäischem Vorbid zu einem modernen kapitalistischen Staat umformen. Zu diesem Zweck sollte die staatliche und gesellschaftliche Ordnung durch die Einführung europäischen Rechts modernisiert werden. Japan war im übrigen auch gezwungen, sein Recht zu modernisieren, wenn es auf der Ebene des Völkerrechts Gleichberechtigung mit Amerika und den europäischen Mächten erlangen wollte. Nachdem sich die USA unter miltärischer Drohung Zugang zu japanischen Häfen herschafft hatten, kam es zu einem Vertrag, in dem die ausländischen Mächte Exterritorialität und den Verzicht Japans auf eigene Zollhoheit durchsetzten ; vor allem die Exterritorialität wollten die ausländischem Mächte so lange nicht aufgeben, als Japan seinem alten, schwerfälligen und komplizierten Rechtssystem verhaftet blieb.

6

3. Der Verlauf

der Rezeption des fremden

3'1. Der französische

Einfluß

zu Beginn der

Rechts Meiji-Zeit

Angesichts dieser Situation beabsichtigte die A/ez;z-Regierung, so schnell wie möglich moderne Gesetzbücher nach europäischem Muster zu schaffen. Sie setzte zunächst die noch in den letzten Jahren der Tokugawa-Zeit eingeleitete Kulturpolitik f o r t ; das bedeutete, daß die kulturelle Ausrichtung nach Frankreich bestehen blieb. Als Vorbild boten sich daher zunächst die Kodifikationen Napoleons an. Die Gründe sind folgende: a) Die französische Kultur war seit dem Ende der Tokugawa-Zeit in Japan bekannt geworden, und die Beamten, welche die Gesetzgebung vorzubereiten hatten, waren schon mit den Grundzügen der französischen Kultur vertraut. b) Die Gesetzbücher Napoleons, die am Anfang des 19- Jahrhunderts veröffentlicht wurden und später zahlreichen europäischen Gesetzgebungen als Vorbild dienten, standen damals trotz ihres relativen Alters in Europa in hohem Ansehen. c) Die napoleonischen Kodifikationen umfaßten alle wichtigen Gesetze, und zwar das bürgerliche Recht, Handelsrecht, Strafrecht sowie die Zivil-und Strafprozeßordnung. Sie sind systematisch aufgebaut und für Anfänger im Studium des europäischen Rechts leicht verständlich. Dagegen ist das anglo-amerikanische Recht ein Fallrecht, also kein gesetzlich festgelegtes und daher ein schwer überschaubares Recht. Es war für Fremde naturgemäß schwerverständlich. Die deutschen Kodifikationen, die später auf das japanische Recht großen Einfluß ausüben sollten, existierten zu dieser Zeit noch nicht. Aus den genannten Gründen beschloß dieAte)Y-Regierung, die Gesetzbücher Napoleons für das neue japanische Recht als Vorbilder heranzuziehen. Im Jahre 1869 beauftragte sie den Gelehrten Mizukuri, der einer Delegation des Tokugawa-Shogw\ats nach Frankreich angehört hatte, mit der Übersetzung des französischen Rechts in das Japanische. Als sich bei der Arbeit einer daraufhin eingesetzten Gesetzgebungskommission große Schwierigkeiten ergaben, berief die A/ez)7-Regierung zu Anfang der 70er Jahre zwei französische Juristen, den Pariser Rechtsanwalt Bousquet4 und den Universitätsprofessor Boissonade5, um diese an der Kodifikation mitwirken zu lassen.

J a p a n und d a s d e u t s c h e Z i v i l p r o z e ß r e c h t

7

Boissonade machte sich zuerst an den Entwurf des Stafrechts und jenen des Strafprozeßrechts, Beide Entwürfe wurden später durch eine Kommission geprüft und als Gesetz (StGB 1881, StPO 1880) verkündet, beide Gesetze traten 1882 in Kraft Boissonade nahm ferner die Arbeit für die Kodifikation des Vermögensrechts und des Zivilprozeßrechts in Angriff. Der von ihm bearbeitete Entwurf des Vemögensrechts wurde 1890 als Gesetz verkündet, trat aber nicht in Kraft. Inzwischen erhob sich nämlich ein Machtkampf zwischen der französischen Schule und der englischen Schule, die der Meinung war, die Kodifizierung ausschließich nach französischem Vorbild vehindern zu müssen. Der Entwurf der Zivilprozeßordnung blieb also nur ein Entwurf. 3-2. Erstarken

des Einflusses des deutschen Rechts

Zur gleichen Zeit gewann auch das deutsche Recht immer mehr an Einfluß. Als im Jahre 1871 Deutschland den Krieg gegen Frankreich gewonnen hatte, erweckte es das Interesse vieler Japaner. So rückte auch die deutsche Rechtskultur ins Blickfeld einiger japanischer Gelehrter. Im Jahre 1873 übersetzte Ito, der später einer der Begründer des japanischen Verfassungsrechts wurde, die Verfassung Deutschlands. Weiterhin übertrug im Jahre 1875 Inoue, ein vorzüglich begabter Assistent Itos, die preußische Verfassung ins Japanische. Es war selbstverständlich, daß solche Werke später der Erforschung des deutschen Rechts eine wesentliche Orientierung gaben. Im Jahre 1875 schickte die japanische Regierung eine große Delegation nach Europa, die der Botschafter Iwakura leitete und der auch Ito als Mitglied angehörte. Sie sollten dort das Rechts- und Verwaltungssystem studieren, besonders das Verfassungsrecht, um damit einen Beitrag zu den Vorarbeiten für das neu zu schaffende japanische Verfassungsrecht zu leisten. Diese Delegation kam zu dem Ergebnis, daß das preußische Verfassungsrecht für das japanische eine ideale Vorlage sei. Da das Verfassungssystem Preußens dem Monarchen einen umfassenden Einfluß sichere, mußte es für die traditionelle Staatsfrom Japans am geeininetsten erscheinen. Im folgenden Jahr (1876) hat dann die Regierung den japanischen Botschafter in Deutschland angewiesen, einen deutschen Gelehrten des öffentlichen Rechts für die Arbeit in Japan zu gewinnen. 4 Georges Bousquet war von 1872 bis 1876 in Japan. 5 Gustave Emile Boissonade de Fontarabie (1825 1910) war von 1873 bis 1895 in Japan tätig.

8

Die deutsche Regierung empfahl daraufhin den Rostocker Professor Roesler6, der 1878 nach Japan kam, wo er etwa fünfzehn Jahre lang blieb und enge Beziehungen mit hohen Beamten der japanischen Regieurung unterhielt. Er übte großen Einfluß auf die japanische Politik aus. Vornehmlich auf Roesler geht es zurück, daß Japan sein Recht weitgehend nach deutschem Vorbild kodifizierte. Als Roesler nach Japan kam, war dieses Ergebnis noch keineswegs abzusehen. Die japanische Regierung hatte vielmehr zu jener Zeit gerade den französischen Professor Boissonade mit dem Entwurf einiger bedeutender Gesetze beauftragt. Nachdem jedoch auf Anregung Iwaktiras 1881 beschlossen worden war, die japanische Verfassung nach dem Vorbild der preußischen zu entwerfen, war die Entscheidung zugunsten des deutschen Rechts gefallen, zumal auch die kurz zuvor in Deutschland ergangenen Reichsjustizgesetze in Japan große Beachtung fanden. Als Ergebnis dieser Hinwendung zum deutschen Recht erging nicht nur die japanische Verfassung 1889 nach dem Vorbild des deutschen Rechts, sondern kurz darauf auch die Zivilprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz.

II. Gesetzgebungsverlauf zu einer japanischen ZPO nach deutschem Vorbild

1. Die japanische ZPO von 1890 Auf dem Gebiet des Zivilprozeßrechts hatte der französische Professor Boissonade bereits 1883 einen am französischen Recht ausgerichteten Entwurf einer Zivilrozeßordung gefertigt. Da man zu dieser Zeit auch im Begriff war, ein bürgeriches Gesetzbuch nach französischem Muster zu entwerfen, wäre es nur natürlich gewesen, wenn Japan seine Zivilprozeßodnung am französischen Vorbild ausgerichtet hätte. Doch Japan entschied sich anders. Nachdem man einmal die preussische Verfassung als ideales Vorbild für japanische Verfassung erkannt hatte, traten auch die Reichsjustizgesetze in den Mittelpunkt des Interesses. Man hielt nun die deutsche Zivilprozeßordnung für moderner und für 6

Hermann Ruesler

(1834-1894) war von 1879 bis 1893 in Japan.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

9

die eigenen Z w e c k e besser geeignet. I m Jahre 1884 hat die A/eyY-Regierung den preußischen Regierungsrat Techour

als Beirat des Staatsministeriums gewonnen und ihn mit dem

Entwurf einer Zivilprozeßordnung beauftragt. 1886 legte er dem Justizminister Yamada

den Entwurf einer Zivilprozeßordnung vor, der die

deutsche Zivilprozeßordnung von 1877 zum Vorbild hatte.

Nachdem

dieser Entwurf durch eine Kommission unter dem Vorsitz des Justizministers Uberprüft worden war, wurde er in etwas veräderter F o r m 1890 als Gesetz verkündet und erlangte am 1. Januar 1891 Gesetzeskraft. Diese heute sogenannte „ a l t e " Zivilprozeßordnung blieb bis zum Inkrafttreten der geltenden Zivilprozeßordnung von 1926 in K r a f t . 1-1.

Systematische Unterschiede nischen

zwischen der deutschen und

japa-

ZPO

Die alte Zivilprozeßordnung stimmte in der Systematik und auch im Wortlaut der Paragraphen mit der deutschen Zivilprozeßordnung von 1877 weitgehend überein. A n wchtigenUnterschieden

in der Systematik

sind zu nennen: a) Die japanische Zivilprozeßordnung enthielt einen T i t e l

„Mitwir-

kung der Staatsanwaltschaft" (1. Buch, 1. Abschnitt, 6. T i t e l jap. Z P O ) , den die deutsche Zivilprozeßordnung nicht enthält. b) Die japanische Zivilprozeßordnung enthielt keine Bestimmungen Uber „ B e w e i s durch Eid"

(2. Buch, 1. Abschnitt, 10. T i t e l deut. Z P O )

und „ V e r f a h r e n bei der Abnahme von E i d " ( 2- Buch 1. Abschnitt, 11. T i t e l deut. Z P O ) . Stattdessen enthielt die japanische Zivilprozeßordnung einen T i t e l für Parteivernehmung (2- Buch, 1. Abschmitt, 10. T i t e l jap. ZPO). c) Die japanische Zivilprozeßordnung enthielt keine

Bestimmungen

über „Ehesache, Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern, Entmündigungssachen" (6. Buch deut. Z P O ) . Dieser T e i l wurde später (im Jahre 1898) in einem selbständigen Gesetz geregelt. d) Die

japanische

Zivilprozeßordnung

enthielt

zwei

Untertitel,

„Zwangsversteigerung" und „ Z w a n g s v e r w a l t u n g " (6. Buch 2- Abschnitt, 2. T i t e l , I I . u. III. jap. Z P O ) und einen T i t e l „Zwangsvollstreckung von S c h i f f e n " (6- Buch, 2. Abschnitt, 3. T i t e l jap. Z P O ) . Die damalige deutsche Zivilprozeßordnung überließ die Regelung der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche V e r m ö g e n den Landesgesetzen ( § 757 Abs. 1. deut. 7

H e r m a n n Techow w a r v o n 1884 bis 1886 B e r a t e r im japanischen Staatsministerium.

10

ZPO). Die japanische Zivilprozeßrdnung regelte diesen Teil nach dem preußischen Zwangsvollstreckungsgesetz 8 . e) Ferner übernahm die japanishe Zivilprozeßordnung nicht die Bestimmungen Uber „Offenbarungseid und Haft" (8. Buch, 4. Abschnitt deut. ZPO). 1-2. Einfluß aus dem französischen und anglo-amerikanischen

Recht

Daß die japanische Zivilprozeßordnung im wesentlichen der deutschen folgte, bedeutete natürlich nicht, daß keine Veränderungen vorgenommen worden wären. Techow hatte zwar versucht, sich bei dem Entwurf so eng wie möglich an die deutsche Zivilprozeßordnung von 1877 anzulehnen. Doch hatte er für einzelne Abschnitte auch das französische, englische und amerikanische Recht, aus welchem manche Grundsätze seit längerer Zeit in die japanische Praxis eingeführt waren, gebührend berücksichtigt. Hier sollen nur einige Bestimmungen, die auf französischen oder anglo-amerikanischen Einfluß zurückgingen, erläutert werden. a) Französischer

Einfluß

a-1) Eine deutliche Spur aus dem französischen Recht wird man in der Bestimmung finden, nach welcher der Staatsanwalt, wie bereits erwähnt, in bestimmten Fällen als Vertreter des öffentlichen Interesses der Verhandlung beiwohnen konnte (§ 42 jap. ZPO)9. a-2) Eine weitere bedeutendere Abweichung von der deutschen Zivilprozeßordnung, die auf französisches Recht zurückgeht, ist auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung die anteilsmäßige Befriedigung der Gläubiger. Die Entwurf hatte dem vollstreckenden Gläubiger an den Gegenständen der Vollstreckung noch ein Pfändungspfandrecht gegeben. Aber das zur gleichen Zeit von Boissonade entworfene japanische Bürgerliche Gesetzbuch bestimmte, daß „das ganze bewegliche, unbewegliche, gegenwärtige oder zukünftige Vermögen des Schuldners gemeinsamer Pfand der Gläubiger sei" (§ 1 des Abschnittes betr. die Sicherheit für die Schuld). Deswegen wurde das Institut des Pfändungspfandrechts in den weiteren Beratungen verworfen und an seine Stelle die anteilsmäßige Befriedigung der Gläubiger gesetzt. 8

Preußisches „Gesetz betreffend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vemögen" von 1883. 9 Vgl. Buch, 2. Abschnitt, 4. Kapital der französischen ZPO von 1806.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

11

a-3) Es gibt noch mehrere andere Bestimmungen, die vom französischen Recht beeinflußt worden sind. Zum Beispiel die Bestimmung über die Rechtskraft ; sie lautet : „Das unanfechtbar gewordene Urteil besitzt Rechtskraft nur in dem Bereich, den der Urteilstenor umfaßt". (§ 244 „alte" jap. ZPO, heute § 199). Diese Bestimmung regelt den Bereich der Rechtskraft entstprechend dem französisch geprägten Paragraphen des alten BGB (§ 77 des Abschnittes betr. Beweis) von der formellen Seite des Urteilstenors her (vgl. Code Civil Français art. 1351). b) Anglo-amerikanischer

Einfluß

Es gab auch einige Regelungen, die aus dem anglo-amerikanischen Recht stammten. Das anglo-amerikanische Recht hatte zu Beginn der Meiji-Zeit einen gewissen Einfluß auf das japanische Recht ausgeübt. So kamen einige Regelungen, die in Japan schon in Geltung waren, in das Gesetz. Als typisches Beispiel kann die Bestimmung über die Beweisaufnahme durch Parteivernehmung genannt werden. Techow, der Verfasser des Entwurfs, versuchte zunächst, die Bestimmung über den Eid als Beweismittel in die japanische Ziviprozeßordnung einzuführen. Der Eid hatte jedoch in der japanischen Gesellschaft keine religiöse Verwurzelung, weswegen Techow auf die Einführung des Eides als Beweismittel verzichtete. Dagegen wurde die Beweisaufnahme durch Parteivernehmung, die schon lange unter dem Einfluß des anglo-amerikanischen Rechts in Übung war, in die Prozeßordnung aufgenommen10. 2. Kodifikation

sonstiger Gesetze nach deutschem

Vorbild

Die Besonderheit der Rezeption des ausländischen Rechts in Japan war die mehr oder weniger totale Übernehme des deutschen Rechts. Dem Verfassungsrecht folgte nicht nur die Zivilprozeßordnung, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch und das Handelsgesetzbuch. Alle diese wurden nach deutschem Vorbild kodifiziert. 2-1. Das

Gerichtsverfassungsgesetz

Zunächst überwog auch hier der französische Einfluß. Aber als der 10

Dieses Verfahren ist ventlnftiger als das des Parteieides. Deshalb wurde die Parteivernehmung im Jahre 1895 in die österreichische, im Jahre 1933 auch in die deutsche Zivilprozeßordnung aufgenommen.

12

Entwurf des neuen Verfassungsrechts nach preußischem Vorbild ausgearbeitet wurde, war es nur eine natürliche Folge, daß man auch die Justiz als dritte Staatsgewalt nach deutschem Recht auszugestalten suchte. Die japanische Regierung beauftragte 1881 den preußischen Landrichter Rudorffder zu dieser Zeit gerade an der Tokio-Universität lehrte, mit dem Entwurf des Gerichtsverfassungsgesetzes. Rudorff erstellte den Entwurf auf der Grundlage des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877. Sein mehrmals verbesserter Entwurf wurde im Jahre 1890 Gesetz. Dieses Gesetz hat später manche Änderung erfahren; es war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Geltung'-. 2-2. Das Bürgerliche

Gesetzbuch

Wie schon erwähnt, war das sogenannte alte Bürgerliche Gesetzbuch, das ganz auf dem Boden des französischen Rechts stand und als das erste moderne japanische Gesetzbuch auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts gelten kann, zwar als Gesetz verkündet worden, hat jedoch niemals Gesetzeskraft erlangt. Eine im Jahre 1896 einberufene Kommission für ein neues BGB entwarf den Allgemeinen Teil, das Sachenrecht und das Schuldrecht hauptsächlich unter Heranziehung des ersten Entwurfs des deutschen Bügerlichen Gesetzbuches; das Familien- und Erbrecht wurde dagegen nach überliefertem japanischem Recht geschaffen. Das Bürgerliche Gesetzbuch trat in allen seinen Teilen im Jahre 1898 — also zwei Jahre vor dem deutschen BGB - in Kraft. Das Vermögensrecht ist mit wenigen Änderungen heute noch in Geltung. Das Familien- und Erbrecht wurde dagegen nach dem Zweiten Weltkrieg völlig reformiert. 11 12

Otto Rudorff (1845-1922) weilte von 1884 bis 1890 in Japan. Das japanische Gerichtsverfassungsgesetz war zwar dem deutschen Gesetz nachgebildet, dennoch war es keine bloße Kopie, wie etwa die Zivilprozeßordnung. Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz hat 17 Titel und 204 Paragraphen, dagegen unterteilte sich das japanische Gesetz in 4 Btlcher und hat insgesamt nur 144 Paragraphen. Interessant ist, daß das japanische Gerichtsverfassungsgesetz nicht die Institutionen des Schöffengerichts, des Schwurgerichts und der Kammer für Handelssachen Ubernahm. Dagegen wies es ein Kapital über die Justizverwaltung auf, über die das deutsche Gesetz keine Regelungen enthält. Daß die Zivilprozeßordnung fast eine Kopie des deutschen Gesetzes, das Gerichtsverfassungsgesetz dagegen keine direkte Übertragung des deutschen Gesetzes war, erklärt sich daraus, daß die Zivilprozeßordnung eine mehr technische Ordnung darstellt, das Justizwesen dagegen eng mit den herrschenden Staatsanschauungen verbunden ist. In Japan gehörte die Justizgewalt zur Hoheit des Kaisers. Hiermit schien es unvereinbar, Institutionen wie die des Schöffengerichts, des Schwurgerichts oder der Kammer für Handelssachen, bei denen Vertreter aus dem Volke als Richter fungieren, zuzulassen.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

2-3. Das

13

Handelsgesetzbuch

Das erste Handelsgesetzbuch teilte das Schicksal des alten Bürgerlichen Gesetzbuches. Es beruhte auf einem Entwurf Roeslers, der wegen der zu jener Zeit auf der Grundlage des französischen Rechts fortschreitenden Arbeiten an einem Bürgerlichen Gesetzbuch seinen Entwurf weitgehend auf französisches Recht abstimmte. Das Handelsgesetzbuch wurde 1890 zusammen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch veröffentlicht, jedoch wie dieses nicht in Kraft gesetzt. Das neue, überwiegend von deutschem Recht beeinflußte Handelsgesetzbuch von 1899 ist, wenn es auch inzwischen wesentliche Abänderungen erfahren hat, heute noch in Geltung. Die erste Konkursordnung in Japan wurde zunächst als Teil des ersten Handelsgesetzbuchs (3. Buch des Handelsgesetzbuchs) geregelt. Als das Inkrafttreten des ersten Handelsgesetzbuchs scheiterte, wurde die Konkursordnung als selbständiges Rechtsgebiet getrennt vom Handelsgesetzbuch beraten. 1902 wurde der Entwurf der Konkursordnung, der stark von der deutschen Konkursordnung beeinflußt ist, veröffentlicht. Nach langjähriger Beratung wurde sie 1922 veröffentlicht und ist 1923 in Kraft getreten. Auch die Vergleichsordnung, welche die österreichische Vergleichsordnung zum Muster hatte, ist in der gleichen Zeit veröffentlicht worden und in Kraft getreten. 3. Verwurzelung

des übernommenen Rechts

Die durch außenpolitische Gründe und volkswirtschaftliche Zielsetzungen der Regierung motivierte Rezeption europäischen Rechts ging begreiflicherweise nicht ohne erhebliche psychologische Widerstände vor sich. Das lag zum einen daran, daß das fremde Recht dem japanischen Volk von der Regierung aufgezwungen wurde, bevor noch die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen für die Annahme eines modernen Rechts geschaffen waren. Zum anderen mußten die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich daraus ergaben, daß das rezipierte Recht nicht dem traditionellen Rechtsempfinden des japanischen Volkes entsprach. So fanden die neuen Gesetze nur langsam Eingang in das japanische Rechtsbewußtsein. Das zeigt sich am deutlichsten daran, daß die Japaner noch Uber Jahre hinaus nur in geringem Umfang ihr Recht vor den das neue Zivilgesetzbuch anwendenden Gerichten suchten. Bei Streitigkeiten zog ein großer Teil der japanischen Bevölkerung eine

14

Versöhnung oder einen vor Privatpersonen geschlossenen Vergleich vor. In gebildeten Kreisen hingegen wurde das nach deutschem Vorbild geschaffene Bürgerliche Gesetzbuch alsbald gut aufgenommen. Seit der Verkündung der auf preußisches Recht zurückgehenden Verfassung studierten viele Japaner in Deutschland. Die in der Methodik der spekulativen konfuzianischen Philosophie geschulten Japaner fanden leicht Zugang zur deutschen Rechtsphilosophie. Dies erleichterte ihnen die Übernahme der deutschen Rechtswissenschaft, die in Japan lange Zeit tonangebend blieb. Sie übte auf die entstehende japanische Rechtswissenschaft einen nachhaltigen Einfluß aus. Wie stark die Widerstände auch waren, die bei der Modernisierung des bürgerlichen Rechts überwunden werden mußten: die Einführung der modernen Zivilprozeßordnung ging in dieser Hinsicht ohne Schwierigkeiten vonstatten. Das mag wohl daran gelegen haben, daß der einzelne Bürger, der auf das Prozessieren ohnehin nicht eingestellt war, sich von einer ihm fremden Prozeßordnung weniger betroffen fühlte als von einer ihn in seinem engsten Lebenskreis berührenden Neuregelung des bürgerlichen Rechts. Den Praktiker erschien eine moderne Zivilprozeßordnung wie ein Naturgesetz. Sie war für ihn daher eine Einrichtung, die in einem modernen Staat durchzuführen war. Fanden sich Unebenheiten bei der Anwendung der Prozeßordnung, so dachte man, daß die Methode der Anwendung falsch sei. Man strebte daher nach verbesserter Anwendung. Mit den neuen Gesetzen erlebte die deutsche Prozeßrechtswissenschaft in Japan einen großen Aufschwung. Sehr beliebt waren die Lehrbücher von Puchelt, Fitting und SeuffertI3, denen später das Lehrbuch Hellwigs'4 und der Kommentar von Stein'5 folgten. Wenn sich eine Frage in der Praxis stellte, suchte man die Lösung in der deutschen Literatur. Falls Vorschriften in der japanischen Zivilprozeßordnung fehlten, bezog man die Lösung weitgehend aus dem deutschen Recht. Dazu einige Beispiele: 13 Die japanischen Übersetzungen der Bücher von Hermann Fitting, Der Reichs Civilprozeß(1884) und E. S.Puchelt, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 2 Bände (1879) wurden am Ende der 80er Jahre herausgegeben. Die japanische Übersetzung des Werkes von Lothar Seuffert, Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst dem Einfuhrungsgesetz vom 30. Januar 1877. 6- Aufl. (1893) erschien 1899- Der vollständige Text der Reichsgesetze wurde schon 1886 und ein Teil der Entscheidungen des Reichsgerichts wurde 1895 ins Japanische übersetzt und herausgegeben. 14 Konrad Hellwig, Lehrbuch des deutschen Civilprozeßrechts (1903), später auch System des Civilprozeßrechts (1912). 15 Friedrich Stein, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich (1879).

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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a) Die japanische Zivilprozeßordnung hat keine Bestimmung über den Widerruf des Geständnisses. Der Oberste Gerichtshof hat diesen Fall wie folgt entschieden: Wenn die widerrufende Partei beweist, daß das Geständnis der Wahrheit nicht entsprach und durch einen Irrtum veranlaßt wurde, kann die Partei das Geständnis widerrufen (20. 2. 1922 Minshu 1-52). Die damaligen Richter des Obersten Gerichtshofes hatten die deutsche Zivilprozeßordnung „wie ein Naturgesetz des Prozesses" erfaßt und den Fall nach der Bestimmung des § 263 (heutige Fassung § 290) der deutschen Zivilprozeßordnung entschieden. b) Die Frage, ob eine Klage wegen einer Rechtsstreitigkeit, über welche die Parteien bereits einen Schiedsvertrag geschlossen haben, vor den ordentlichen Gerichten zulässig sei, ist in der japanischen Zivilprozeßordnung nicht geregelt. Der Oberste Gerichtshof hält den „logischen Standpunkt" des § 274 Abs. 2 Nr. 3 (§ 1027 a in der heutigen Fassung) der deutschen Zivilprozeßordnung für richtig und hat entschieden, daß die später erhobene Klage unzulässig ist (5. 5- 1917, Minshoroku 71-16292). c) Die japanische gerichtliche Praxis hat nicht nur die deutschen Vorschriften vergleichen, sondern auch die deutsche Praxis zum Muster genommen. Dazu folgendes Beispiel: In der japanischen Zivilprozeßordnung gibt es keine Bestimmung, wie die Unwirksamkeit eines Prozeßvergleichs geltend zu machen ist. Die Literatur und die gerichtliche Entscheidung kannten aus allgemeinen Erwägungen bereits den Weg der Nichtigkeitsklage. Auf diesem Wege wird aber ein zweiter Rechtsstreit erforderlich. Die deutsche gerichtliche Praxis hatte demgegenüber die Lösung gefunden, den Streit um die Wirksamkeit des Prozeßvergleichs im alten Verfahren auszutragen, um ihn dann im Fall der Unwirksamkeit weiterzuführen. Der japanische Oberste Gerichtshof folge diesem Vorbild (22. 4. 1931, Minshu 10-380). Es gibt noch viele Fälle, die den großen Einfluß des deutschen Rechts beweisen. Man kann in der Tat sagen, daß die damalige gerichtliche Praxis und auch die Rechtswissenschaft16 ganz im Banne des deutschen Rechts standen. 4. Die revidierte ZPO von 1926 Die ersten Änderungen der Zivilprozeßordnung waren bereits mit dem Inkrafttreten des neuen Zivilgesetzbuches (BGB) fällig. Damals mußten diejenigen Bestimmungen geändert werden, die beim Erlaß des Gesetzes

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auf das „alte" Bürgerliche Gesetzbuch abgestimmt waren, welches, wie bereits dargelegt, zwar verkündet, aber nicht in Kraft gesetzt worden war. Im Jahre 1895 wurde daher eine Kommissin zur Reform der Zivilprozeßordnung eingesetzt. Für die Reformarbeit waren die inzwischen vorgenommenen Änderungen der deutschen Zivilprozeßordnung und die österreichische Zivilprozeßordnung von 1895 von großer Bedeutung. Als Ergebnis der Reformarbeiten wurde 1926 ein Änderungsgesetz zur Zivilprozeßordnung verkündet, welches 1929 in Kraft trat 17 . Die Änderungen betrafen hauptsächlich die ersten fünf Bücher, also vornehmlich das Erkenntnisverfahren. Dieser Teil wurde ganz neu gefaßt. In den übrigen Teilen wurde die Zivilprozeßordnung nur geringfügig abgeändert. Wesentliches Ziel der Reform war die Prozeßbeschleunigung. Die Parteiherrschaft über das Verfahren nach der deutschen Zivilprozeßordnung brachte auch in Japan oft Prozeßverschleppung mit sich. Dem wollte man in Österreich vorbeugen und schränkte in der Zivilprozeßordnung von 1895 die Parteiherrschaft über den Gang des Verfahrens zugunsten größerer Befugnisse des Gerichts ein. 1924 tat man in Deutschland dann den gleichen Schritt. Japan zog nach. Um dem unerhörten Ausmaß an Prozeßverschleppung abzuhelfen, wurden durch das Gesetz von 1926 die Befugnisse des Gerichts erheblich erweitert; man hoffte, auf diese Weise die Konzentration der Verhandlung und damit die Beschleunigung des Verfahrens zu erreichen. Als Japan seine Zivilprozeßordnung änderte, hatte es bereits eine etwa 40jährige Erfahrung mit einer Zivilprozeßordnung europäischen Stils. Deswegen gab es in der verbesserten Zivilprozeßordnung auch einige Bestimmungen, die aufgrund eigener Erfahrung und der inzwischen selbständiger gewordenen japanischen Rechtswissenschaft eigenständig abgefaßt waren. Auch die Systematik des Gesetzes und die Fassung der Paragraphen hat man damals sorgfältig abgewogen. Hierzu sollen einige bemerkenswerte Neuregelungen der japanischen Zivilprozeßordnung herausgegriffen werden. 16 Das war die Zeit der Übersetzungsrezeption. Die japanische Schrift wird von oben nach unten geschrieben. Daher bezeichnet man diesen Zeitraum der damaligen Rechtswissenschaft als „die Zeit, in der man eine waagrechte Schrift in eine senkrechte transformierte". 17 Deutsche Ubersetzung dieses Gesetzes; Nakamura-Huber, Die japanische ZPO in deutscher Sprache mit einer Einführung in das japanische Zivilprozeßrecht (Japanisches Recht Bd. 4), 1978.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

4-1. Bestimmungen, abgefaßt sind a)

die in der japanischen

ZPO

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eigenständig

Parteiwechsel

Nach der deutschen Zivilprozeßordnung ist in bezug auf das Gericht, die Parteien und den Streitgegenstand nach Eintritt der Rechtshängigkeit ein Wechsel grundsätzlich nicht mehr möglich. In bezug auf das Gericht teilt die japanische Zivilprozeßordnung den Standpunkt der deutschen; was den Parteiwechsel und die Änderung des Streitgegenstandes anlangt, hat sie jedoch eine andere Regelung getroffen. Das römische Recht und auch das gemeine deutsche Recht kannten grundsätzlich keinen Parteiwechsel. Darum war es verboten, während des Prozesses den Streitgegenstand an Dritte zu veräußern. Nach dem auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit beruhenden modernen Recht wurde diese Regelung aufgegeben. Die deutsche Zivilprozeßordnung erlaubt die Veräußerung des Streitgegenstandes ; sie bestimmt in § 265 Abs. 1 : „Die Rechtshängigkeit schließt das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten". In prozessualer Hinsicht hat sie jedoch an dem alten Prinzip festgehalten ; denn nach wie vor hat die Veräußerung oder Abtretung auf den Prozeß keinen Einfluß (§ 265 Abs. 2 deut. ZPO). Das Urteil ergeht gegenüber dem Rechtsvorgänger, wirkt aber auch für und gegen den Rechtnachfolger (§ 325 deut. ZPO). Der japanische Gesetzgeber regelte dieses Problem auf andere Weise. Nach seiner Auffassung sollte, wenn schon die Veräußerung des Rechts während des Prozesses gestattet ist, der Rechtsnachfolger ohne weiteres den Prozeß als Hauptpartei anstelle des Rechtsvorgängersübernehmen können. Die japanische Zivilprozeßordnung regelte daher den Fall folgendermaßen : Der Rechtsnachfolger kann gemäß der Vorschrift der Pateiintervention des § 71 (vgl. 4-3 a, dieses Abschnittes) in den Rechtsstreit eintreten (§ 73). Der bisherige Berechtigte kann mit der Einwilligung des Gegners aus dem Streit entlassen werden. Der Prozeß wird danach zwischen dem neuen Berechtigten und dem bisherigen Gegner fortgesetzt. Das römisch-rechtliche Prinzip, keinen Parteiwechsel zuzulassen, war demnach von der japanischen Zivilprozeßordnung völlig aufgegeben worden1".

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b) Klageänderung Die deutsche Zivilprozeßordnung von 1877 folgt dem alten römischrechtlichen Prinzip der Befestigung des Streitgegenstands. Sie verbot die Klageänderung schlechthin. Spätere Novellen ließen die Klageänderung in immer weiterem Umfange zu. Die verbesserte Fassung von 1924 lautete dann: „Nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gerich sie für sachdienlich erachte" (§ 264 deut. ZPO). Diese Vorschrift gibt das römisch-rechtliche Prinzip der Befestigung des Streitgegenstandes nicht auf. Sie bestimmt lediglich Ausnahmen vom Verbot der Klageänderung. Die japanische Zivilprozeßordnung hat dieses Prinzip aber aufgehoben und folgt nun dem Grundsatz der Zulässigkeit der Klageänderung. Der Gesetzestext lautet: „Der Kläger kann bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung den erhobenen Anspruch oder den Grund des Anspruchs ändern, soweit nicht die Anspruchsgrundlage geändert wird" (§ 232 jap. ZPO). Das Erfordernis der Identität der Anspruchsgrundlage bedeutet nur eine verständliche Begrenzung der Klageänderung19. c) Die bestellte Partei Die japanische Zivilprozeßordnung hat das dem deutschen Recht unbekannte Institut der „bestellten Partei" neu eingerichtet. Dieses Institut hat sein Vorbild in der „Bill of Peace" des Equity Suit im englischen Recht. Mehrere Personen mit einem gemeinsamen Interesse können, sofern sie unter anderen Bestimmungen keine Parteifähigkeit besitzen, eine oder mehrere Personen von ihnen bestellen, die dann als Kläger oder Beklagter für die Gesamtheit auftreten (§ 47 jap. ZPO). Die bestellte Partei führt den Prozeß für die Gesamtheit durch, und das rechtskräftige Urteil wirkt gegenüber allen Mitgliedern der Gesamtheit (§ 201 Abs. 2 jap. ZPO). Die Idee dieser Einrichtung war nicht schlecht. Aber weil sie kein Vorbild im deutschen Recht hatte, und weil es somit keinen Kommentar 18 Vgl. Hideo Nakamura, Die Veräußerung des Streitgegenstandes und die Prozeßübernahme, Japan Annual of Law and Politics, No. 10- (1962) S. 129 ff. 19 Vgl. Hideo Nakamura, Die Klageänderung in der japanischen Zivilprozeßordnung. Grundprobleme des Zivilprozeßrechts (Japanisches Recht Bd. 1, 1976), S. 125ff-

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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und keine Rechtsprechung darüber in Deutschland gab, stieß man bei ihrer Anwendung auf Schwierigkeiten. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Institut fast nicht gebraucht. Erst nach dem Krieg kam es zu häufigerer Anwendung. 4-2. Einige der deutschen und der alten japanischen ZPO gemeinsame Bestimmungen, die jedoch in der neuen japanischen ZPO beseitigt wurden a) Das

Versäumnisurteil

Die neue japanische Zivilprozeßordnung hat das Versäumnisurteil abgeschafft. Der Grund lag darin, daß das Versäumnisverfahren in der Vergangenheit sehr oft zum Zwecke der Prozeßverschleppung benutzt worden war. Für den Fall, daß eine Partei im Termin nicht erscheint, sieht die japanische Zivilprozeßordnung nun die Fortsetzung der Verhandlung vor mit der Maßgabe, daß das aus den Akten ersichtliche Vorbringen der Partei als vorgetragen gilt (§ 138 jap. ZPO). Diese Bestimmung hat die Entscheidung nach Lage der Akten der verbesserten Fassung der deutschen Zivilprozeßordnung von 1924 zum Vorbild (§§ 251 a, 331 a deut. ZPO). Im Unterschied zur deutschen Zivilprozeßordnung gilt diese Regelung nur für den Fall , daß eine der Parteien im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint. b) Prozeßhindernde

Einreden

DieBestimmungen Uber die prozeßhindernden Einreden sind mit einer Ausnahme gänzlich beseitigt worden. Ihre Abschaffung sollte der Beschleunigung des Verfahrens dienen. Prozeßvoraussetzungen und auch Prozeßhindernisse sind nach japanischer Auffassung von Amts wegen zu prüfen. 4-3. Bestimmungen, die von deutschen ZPO abweichen a)

Hauptintervention

Den Fall, daß ein Dritter die Sache oder das Recht, worüber zwischen anderen Personen ein Rechtsstreit anhängig geworden ist, ganz oder teiweise für sich in Anspruch nimmt (§ 64 deut. ZPO), regelt die japanische Zivilprozeßordnung in § 60 fast wortgetreu in derselben Weise wie die deutsche. Diese Regelung geht auf das Institut der Hauptintervention des Mittelalters zurück, für die charakteristisch war, daß der Dritte als

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gleichberechtigte Partei neben die anderen beiden Parteien trat. In ihrer jetzigen Fassung handelt es sich allerdings bei der Bestimmung des § 64 der deutschen Zivilprozeßordnung nicht mehr um eine Hauptintervention im eigentlichen Sinne ; die Vorschrift gehört vielmehr gliederungsmäßig zur Streitgenossenschaft. Die japanische Zivilprozeßordnung nimmt sie daher unter dem Titel der Streitgenossenschaft (1. Buch, 2. Abschnitt, 2. Kapitel) auf und regelt daneben die Hauptintervention im alten Sinne in einem besonderen Paragraphen im Titel über die Intervention (1. Buch, 2. Abschnitt, 3. Kapital). Der diesbezügliche Gesetzestext lautet: „Der Dritte, der behauptet, daß sein Recht durch den Ausgang des Prozesses verletzt wird oder der an dem Gegenstand des Prozesses ganz oder teilweise ein Recht hat, kann als Partei in den Rechtsstreit eintreten" (§ 71 jap. ZPO). Diese Intervention (§ 71 jap. ZPO) ist praktischer als die Hauptintervention des § 60 der japanischen Zivilprozeßordnung (= § 64 deut. ZPO), weil der Streit unter drei Parteien durch ein Urteil einheitlich gelöst wird. In der Praxis kommt darum fast nur die Intervention des § 71 für den Dreiparteien-Streit zur Anwendung. Über die theoretische Seite, wie man diese Intervention unter dem Zweiparteien-Prinzip verstehen soll, gab und gibt es große Kontroversen. b) Prozeßvergleich usw. Nach der japanischen Zivilrozeßordnung wird der Prozeßvergleich, der Verzicht oder das Anerkenntnis des erhobenen Anspruchs im Protokoll eingetragen; diese Eintragung tritt an die Stelle eines rechtskräftigen Urteils (§ 203 jap. ZPO). Diese Bestimmung wurde unter dem Einfluß der damals in der deutschen Zivilprozeßrechtswissenschaft herrschenden Urteilersatztheorie in die japanische Zivilprozeßordnung aufgenommen. Der Nachteil dieser Regelung besteht darin, daß der Umfang der Rechtskraft oft nicht genügend deutlich wird.

III. Der Einfluß des deutschen Zivilprozeßrechts und der deutschen Zivilprozeßrechtslehre auf den japanischen Zivilprozeß nach dem Zweiten Weltkrieg Zuerst sollen hier die Änderungen des Zivilprozeßrechts nach dem Zweiten Weltkrieg vorgestellt werden, um im Anschluß daran den

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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Einfluß des deutschen Zivilprozeßrechts und der deutschen Zivilprozeßrechtslehre auf den japanischen Zivilprozeß in der Gegenwart zu erläutern. 1. Gesetzesänderungen 1-1. Die Änderungen

nach dem Zweiten kurz nach dem

Weltkrieg

Kriegsende

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Gesetze in Japan geändert. Kurz nach dem Krieg war der amerikanische Einfluß auf das japanische Recht sehr groß. Die noch stark konservative Meiji-Verfassung wurde 1946 von einer neuen, amerikanisch beeinflußten Verfassung abgelöst, die ganz auf dem Boden des Demokratieprinzips steht. In Übereinstimmung mit der neuen Verfassung wurden die Gerichtsverfassung und der Strafprozeß 20 völlig neu gestaltet. Das Familien- und Erbrecht wurden ebenfalls reformiert. a) Die Änderungen

der ZPO

Im Gegensatz zu der bislang durch die Inquisitionsmaxime gekennzeichnete Strafprozeßordnung, die nunmehr unter dem Zeichen des Schutzes des Angeklagten und der Hinwendung zum Parteiprozeß völlig reformiert wurde, hat die Zivilprozeßordnung keine umfassenden Änderungen erfahren, weil sie ihrem Wesen nach bereits das Prinzip der Parteiherrschaft verwirklichte. In einigen Bestimmungen wurde sie dennoch geändert. a-1) Die bis dahin dem japanischen Richter zustehende Befugnis, ohne Antrag der Parteien von Amts wegen Beweise zu erheben (§ 261 jap. ZPO), wurde beseitigt. a-2) Für die Zeugenvernehmung wurde nach anglo-amerikanischem Vorbild das Kreuzverhör eingeführt (§ 294 jap. ZPO). Mit diesen beiden Änderungen wurde den amerikanischen Vorstellungen über den Zivilprozeß Rechnung getragen, denen die beiden Parteien die Hauptrolle spielen sollen und der Richter nur wie ein Kampfrichter über Einhaltung der Spielregeln zu wachen hat. Die Methode des Kreuzverhörs hat unter dem Jury-System im amerikanischen Recht große Bedeutung. Weil aber in Japan der Richter 20 Für eine kurze Einleitung und deutsche Übersetzung dieses Gesetzes siehe Hideo Nakamura, Die japanische Strafprozeßordnung vom 10- Juli 1948, 1970.

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die Streitsache untersucht, macht diese Methode keinen Sinn. Im Gegenteil wirkt das Kreuzverhör hemmend auf eine Verhandlung. So gibt es viele Stimmen, diese Methode abzuschaffen. a-3) Als eine neue Institution wurde ein besonderes Abänderungsurteil eingeführt (§ 193-2 jap. ZPO). Diese Institution nimmt die „motion for new trial" im amerikanischen Recht zum Vorbild. Stellt sich heraus, daß ein Urteil gegen ein Gesetz oder eine Verordnung verstößt, kann das Gericht innerhalb einer Woche nach der Verkündigung ein abänderndes Urteil erlassen. Die gesetzgeberischen Motive dafür waren Prozeßökonomie und Entlastung der höheren Instanzen. Diese Institution hat aber bei den Richtern keinen guten Ruf, weil sie sein hohes Selbstwertgefühl, kein fehlerhaftes Urteil zu erlassen, verletzt haben. Die genannten „neuen" Institute wurden nach alledem in der Praxis nie benutzt. b) Einführung einer Gerichtsverordnung des Obersten Gerichtshofes Neben der Änderung der Zivilprozeßordnung muß sich die Aufmerksamkeit auch auf die Gerichtsverordnung des Obersten Gerichtshofes richten. Nach dem Rechtsgedanken der ,,rule making power" des amerikanischen Recht gibt die neue Verfassung dem Obersten Gerichtshof die Befugnis, die Verfahrensregeln des Gerichts, die Angelegenheten der Rechtsanwälte und die innere Ordnung der Gerichte sowie die Einzelheiten der Geschäftsführung von Justizangelegenheiten mittels Gerichtsverordnung zu regeln (Art. 77 jap. VG). Da Erlaß und Änderung dieser Verordnung erheblich leichter als diejenigen von Gesetzen sind, können die technischen Regelungen des Verfahrens flexibel gestaltet werden. So hat der Oberste Gerichtshof seit 1948 mehrere Gerichtsverordnungen zum Zweck eines reibungslosen Ablaufs des Verfahrens erlassen. Die bedeutsamste ist „Die Zivilprozeßverordnung von 1956" 21, in der die technischen Einzelheiten des Zivilprozeßverfahrens systematisch geregelt sind. c) Einrichtung von Familiengerichten In Japan gab es bereits vor dem Krieg die Institution des Jugendgerichts und die Versöhnungsinstitution für Familiensachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschloß man, diese beiden Institutionen nach dem Vorbild des amerikanischen Familiengerichts zu verbinden und ein 21 Deutsche Übersetzung dieser Verordnung : vgl. Fn. 17, S. 121 ff.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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neues, selbständiges Gericht zu gründen. 1949 ist das japanische Familiengericht als eigenständiges Gericht auf gleicher Stufe wie das Landgericht geschaffen worden. Das Familiengericht ist für alle familien- und erbrechtlichen Streitigkeiten zuständig, hat aber nur Befugnisse im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Familiengericht kann Familiensachen nur als Beschluß- oder Versöhnungssachen behandeln, es kann nicht im streitigen Verfahren durch ein Urteil entscheiden22. Dieses Institut wurde nach dem Kriege nach amerikanischem Vorbild geschaffen. Im Gegensatz zu manchen anderen Einrichtungen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA eingeführt worden sind und die nicht funktionieren (wie z.B. das Kreuzverhör, die ununterbrochene Verhandung, das Abänderungsurteil usw.) hat sich die Einrichtung des Familiengerichts durchgesetzt. Der Grund liegt darin, daß der Gedanke eines Familiengerichts bereits vor dem Krieg in Japan vorhanden war, also nicht importiert werden mußte. 1-2. Spätere

Änderungen

Nach den Reformen der ersten Nachkriegszeit entstanden verschiedene Probleme, die weitere Änderungen in der Zivilprozeßordnung brachten. Hier sollen die wichtigsten Gesetzesänderungen geschildert werden. a)

Revisionsbeschränkung

Vor dem Krieg hatte das japanische Oberste Gericht etwa 50 Richter. Nach dem neu gebildeten Justizsystem ist die Richterzahl auf 15 begrenzt. Dies brachte eine fortwährende Überbelastung des Obersten Gerichtshofs durch Revisionen mit sich. Zu seiner Entlastung hat man daher 1950 ein Zeitgesetz, durch das die Revisionsgründe beschränkt wurden, erlassen. Dieses zunächst nur für zwei Jahre gültige Gesetz wurde 1952 um zwei weitere Jahre verlängert. In dieser Zeit wurde eine Änderung des gesamten Revisionssystems vorbereitet; die entsprechenden teilweise geänderten Vorschriften der ZPO traten 1954 in K r a f t (§§ 394, 395, 397, 398, 399, 399-2, 399-3 jap. ZPO). Sie führen zu einer Verringerung der Revisionsgründe. 22 Vgl. Hideo Nakamura, Die Familiengerichsbarkeit in Japan, in: Nakamura (Hrsg.) Familiengerichtsbarkeit - Nationalberichte und Generalberichte zum VII. Internationalen Kongreß für Prozeßrecht, Würzburg 1983 (1984) in diesem Buch, S. 271 ff.

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b) Die ununterbrochene mündliche

Verhandlung

Das andere große Problem der Zivilverfahren war die Prozeßverschleppung. Zur Beschleunigung wurden 1950 einige Vorschriften der ZPO geändert und eine Gerichtsverordnung des Obersten Gerichtshofs erlassen. Hierdurch wurde unter dem Einfluß des amerikanischen Rechts die Möglichkeit der ununterbrochenen mündlichen Verhandlung eingeführt und zu diesem Zweck das vorbereitende Verfahren erweitert. Es ist aber bald klar geworden, daß dieser Versuch gescheitert ist. Das vorbereitende Verfahren erfüllte nicht die Funktion, an die der Gesetzgeber gedacht hatte (siehe IV. 2. 2-2), und die neu geschaffene ununterbrochene mündliche Verhandlung wurde in der Praxis fast nicht angewendet. Der Grund, daß die mündliche Verhandlung in den USA in der ununterbrochenen Weise durchgeführt wird, liegt im Jury-System. Dort muß die mündliche Verhandlung unbedingt fortdauernd durchgeführt werden. Abgesehen vom Jury-System ist eine ununterbrochene Verhandlung aber nicht unbedingt notwendig, um so weniger, wenn man die Parteiherrschaft betont. Es ist daher klar, daß diese Methode scheitern mußte. c) Sonderbestimmungen für den Wechsel- und Scheckprozeß In der alten ZPO fanden sich Vorschriften für den Urkundenprozeß, die aber bei der Reform von 1926 aufgehoben wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwies sich, daß das Fehlen von Sonderregeln Prozeßverzögerungen zur Folge hatte. So hat man den erneuten Erlaß von Sonderbestimmungen für den Wechsel- und Scheckprozeß riskiert. 1954 wurden im Anschluß an das fünfte Buch der ZPO Sonderbestimmungen für den Wechsel- und Scheckprozeß eingeführt (§§ 444 bis 463)23d) Reform auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung Während Teile des Erkenntnisverfahrens 1926 reformiert wurden, blieben die Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung seit ihrer Entstehungszeit (1890) fast unverändert. Es ergaben sich dadurch Widersprüche gegenüber dem heutigen Rechtszustand: Vor allem war die Institution des Gerichtsvollziehers, die durch das Gesetz über

23 Vgl. Kaoru Matsuura, Besonderheiten des japanischen Wechselprozesses, Grundprobleme des Zivilprozeßrechts (Japanisches Recht Bd. 1, 1976), S. 91 ff-

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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Gerichtsvollzieher von 1890 gleichzeitig mit der alten ZPO geschaffen worden war, veraltet und verhinderte eine reibungslose Zwangsvollstreckung. Unter diesen Umständen hat das Justizministerium ein neues Gesetz über den Gerichtsvollzieher entworfen, das 1966 in K r a f t trat. Das Justizministerium hat weiterhin versucht, die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung grundsätzlich neu zu gestalten. Es veröffentlichte 1971 einen Plan zur Reform der Zwangsvollstreckung, der vorsah, die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung, das sechste Buch der ZPO, und die Vorschriften des Versteigerungsgesetzes, die zum Zwecke der Durchführung des Pfandrechts im BGB stehen, zu einem Gesetz zusammenzufassen. 1973 wurde ein zweiter Entwurf veröffentlicht. Nach mehrjähriger Bearbeitung wurde das Zivilvollstreckungsgesetz im J a h r e 1979 verabschiedet und im gleichen Jahr in K r a f t gesetzt.

2. Der Einfluß des deutschen Zivilprozeßrechts und der deutschen Zivilprozeßrechtslehre auf den japanischen Zivilprozeß Wie oben erwähnt, wurde die japanische ZPO nach dem Zweiten Weltkrieg unter starkem Einfluß des amerikanischen Rechts geändert. Weil die Grundkonstruktion der japanischen ZPO dem deutschen Vorbild folgt, steht aber die japanische Zivilprozessualistik nach wie unter dem Einfluß des deutschen Zvilprozeßrechts. Die deutsche Literatur, die Gesetzgebung und wichtige gerichtliche Entscheidungen werden mit großen Interesse verfolg. Drei Themenkreise seien herausgegriffen:

2-1. Die

Streitgegenstandslehre

Nach der Veröffentlichung der Monographien Schwabs (1954) und Habscheids (1956) über den Streitgegenstand im Zivilprozeß erregte diese Theorie des prozessualen Streitgegenstandes die Aufmerksamkeit vieler japanischer Wissenschaftler. Viele Aufsätze wurden in dieser Richtung veröffentlicht, i960 war der Streitgegenstand in Zivilprozeß T h e m a der wissenschaftlichen Tagung der Zivilprozeßrechtslehrervereinigung. In Japan wurde die prozeßrechtliche Theorie „neue Theorie" und die materiellrechtliche Theorie „alte Theorie" genannt. Die neue Theorie gewinnt in der Wissenschaft immer mehr an Boden. Die Rechtsprechung bleibt dagegen der alten Theorie verhaftet. Der Grund dafür, daß die Gerichtspraxis der materiellrechtlichen Theorie folgt, liegt zuerst darin, d a ß P r a k t i k e r keine radikalen Änderungen mögen. Wenn es keine zu großen Schwierigkeiten aufwirft, bleiben

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sie bei den bisherigen Methoden. Zweitens ist unter der japanischen Zivilprozeßordnung, anders als nach der deutschen ZPO, die Klageänderung grundsätzlich erlaubt (§ 232 jap. ZPO). Wenn der ersteingeführte Streitgegenstand nicht geeingnet ist, kann man ihn ohne weiteres ändern. Außerdem ist die Abgrenzung des Streitgegenstandes nach der alten Theorie einfacher als nach der neuen. Es gibt einige Präzedenzfälle unterer Gerichte, die der neuen Theorie folgen. Aber der Oberste Gerichtshof blieb der alten Theorie verhaftet 24 . 2-2.

Beiveisrechtslehre

Die deutsche Lehre über das Beweisrecht hat einen großen Einfluß auf die japanische Beweisrechtslehre ausgeübt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte zuerst die Normentheorie in der Beweislastlehre von Leo Rosenberg eine maßgebende Stellung in der japanischen Praxis und auch Wissenschaft gewonnen. Nachdem die Dissertation von Leipold die Normentheorie von Rosenberg kritisiert hatte und in Deutschland daraus eine Kontroverse entstanden war, wurde diese Kontroverse bald auch in Japan vorgestellt und das Thema nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern auch unter Praktikern lebhaft diskutiert. 1977 wurde die „Verteilung der Beweislast" zum Gegenstand des Symposiums der wissenschaftlichen Tagung der Zivilprozeßrechtslehrervereinigung. Als eine sog. „verbesserte Normentheorie" in Deutschland vertreten wurde, folgten auch in Japan einige Wissenschaftler dieser neuen Theorie. Der neue Begriff des Beweismaßes, die Frage des Anscheinsbeweises usw., die in der letzten Zeit in Deutschland erneut diskutiert wurden, haben auch in Japan Eingang und Anhänger gefunden. Die Beweislastlehre in Japan steht also unter starkem Einfluß der deutschen Lehre. Es gibt aber auch eine Einflußnahme aus dem angloamerikanischen Rechtskreis. Einige Wissenschaftler vertreten eine neue Theorie, die eindeutig dem anglo-amerikanischen Rechtskreis zugehört (siehe V. 1. 1-2. d). 2-3. Die Vereinfachungsnovelle

von 1977

Den größten Einfluß des deutschen Zivilprozeßrechts auf den japanischen Zivilprozeß hat wohl in der letzten Zeit die Vereinfachungs24 Vgl. dazu Muneo Nakamura, Der „Prozeßgegenstand" - sein makroskopisches Studium, in : Grundprobleme des Zivilprozeßrechts Bd. 2 (Japanisches Recht Bd. 19) 1985, S. 107 ff., Yoshinobu Someno, Grundprinzipien der Lehre vom Streitgegenstand, in demselben Band, S. 207 ff.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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novelle von 1977 ausgeübt. Der Verlauf der Entstehung und das Ergebnis der Durchführung dieses Modells wurde gleich in Japan vorgestellt. Die Novelle erregte die öffentliche Aufmerksamkeit, weil Japan seit langem unter der Prozeßverschleppung leidet. Ihre Diskussion brachte eine neue Eröterung der Grundprinzipien des Prozesses, besonders der Verhandlungsmaxime mit sich. Der Begriff der Kooperationsmaxime wurde vorgestellt und durch einige Wissenschaftler unterstützt. Das „Rechtsgespräch" 25 fand Eingang in die japanische Diskussion. Es wird im Zusammenhang mit der richterlichen Aufklärungspflicht erörtert. Einige Wissenschaftler behaupten aber nun, daß ein Rechtsgespräch generell auch im japanischen Zivilprozeß stattfinden müsse. Auch Uber das Problem der Zurückweisung verspätet vorgebrachter Angriffs- und Verteidigungsmittel ist viel diskutiert und geschrieben worden. Die Besonderheit des Einflusses der Vereinfachungsnovelle auf den japanischen Zivilprozeß liegt ganz auf der praktischen Seite. Weniger theoretische Fragen stehen im Vordergrund als die forensische Praxis. Die Einführung der Verhandlungsmethode des „Stuttgarter Modells", das die Grundlage des Vereinfachungsmodells ist, wurde von Wissenschaftlern und Praktikern geprüft und durch einige Richter in der Praxis versuchsweise durchgeführt. Unter den Praktikern gab es auch die Meinung, eine direkte Einführung dieses Modells sei wegen der unterschiedlichen Konstruktion des Prozesses unmöglich. Es war aber für die japanische Praxis unbedingt notwendig, dieses Modell einzuführen, um die Prozeßverfahren zu beschleunigen. Die Bestrebungen in dieser Richtung haben sich in Form eines Termins für „Vergleich und Verhandlung" niedergeschlagen. Dieser Termin findet nicht im Gerichtssaal, sondern meistens in einem Sitzungssaal des Gerichts als „Runder-TischKonferenz" statt. Hier wird die Streitlösung hauptsächlich durch Vergleich gesucht. Zu diesem Zweck findet eine lebhafte mündliche Verhandlung statt. Falls der Vergleich nicht zustande kommt, läßt man die stattgefundene mündliche Verhandlung als mündliche Verhandlung für das Urteil gelten. Das Gericht darf den Streit durch Urteil abschließen. Diese Methode wurde in einem Kreis von Richtern versuchsweise erprobt. 1987 veröffentlichten die Gruppen der Richter bei den Landge25 Der Begriff des „Rechtsgesprächs" wurde zwar unter Wissenschaftlern viel diskutiert, nicht jedoch unter Praktikern. Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß der Streitgegenstand des Zivilprozesses in der japanischen Praxis unter dem Gesichtspunkt der materiellrechtlichen Theorie aufgefaßt wird und dadurch der Bereich des Urteilsgegenstandes deutlicher ist.

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richten Tokio und Osaka je einen Entwurf für eine Verhandlungsmethode in dieser Richtung. Bezüglich dieser neuen Methode ergeben sich verschiedene Probleme, wie z.B. die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips. Weil sie aber wirkungsvoll ist, wird sie von der Literatur wohlwollend betrachtet. Man sieht, die Praxis steht im Vordergrund.

IV. Die Besonderheit der japanischen

Zivilprozeßpraxis

Die japanische Zivilprozeßordnung ist vor etwa 100 Jahren nach dem Vorbild der deutschen Zivilprozeßordnung von 1877 entstanden. Seitdem hat Japan ein mit dem deutschen vergleichbares Zivilprozeßgesetz. Trotzdem ist die gerichtliche Praxis in Japan nicht mit der in der Bundesrepublik Deutschland gleichzusetzen. Der Gund der unterschiedlichen Praxis in Japan liegt hauptsächlich in der Personalausstattung der japanischen Justiz (Aufbau der Gerichte und der Rechtsanwaltschaft) und dem Rechtsbewußtsein der Japaner begründet. Diese zwei Punkte sollen etwas eingehender erläutert werden. 1. Personalausstattung

der Japanischen

Justizinstitutionen

1-1. Richter Die Zahl der Richter in Japan ist, verglichen mit der Bundesrepublik, sehr gering. Es gab 1989 nur etwa 2818 Richter, während die Zahl Richter in der Bundesrepublik Deutschland etwa 13 040 beträgt (1985, nur Richter bei den ordentlichen Gerichten, dazu noch etwa 4000 Richter bei Sondergerichten). Japan hat etwa 120 Millionen Einwohner, die Bundesrepublik etwa die Hälfte. Wenn man diese Zahlen vergleicht, wird deutlich, daß der Personalbestand der japanische Gerichte sehr schwach ist. Außerdem gibt es in Japan keine Institution des Rechtspflegers26. Einer 26

Es ist an sich ganz klar, daß die Institution des Rechtspflegers im Justizsystem unentbehrlich ist. In den 60er Jahren schickte die japanische Regierung eine Delegation für die Untersuchung des Justizsystems nach Europa, um unser Justizsystem zu verbessern. Der Leiter der damaligen Delegation hat die Bedeutung dieser Institution mißverstanden und unterschätzt. Seit diese Zeit berücksichtiig das japanische Justizministerium diese Institution offiziell nicht mehr.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

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der maßgeblichen Gründe der in Japan herrschenden Prozeßverschleppung ist die bescheidene personelle Kapazität der Gerichte. Weil Japan außerdem ein Einheitsstaat ist, gibt es nur staatsbeamtete Richter. Der Richter kann in ganz Japan eingesetzt werden. Dies verursacht häufige Wechsel des Amtsorts des Richters". Die negative Folge ist, daß der Richter mit den örtlichen Gewohnheiten oft nicht vertraut ist, daß er Land und Leute nicht kennt. 2-2.

Rechtsanwälte

Auch die Situation des Rechtsanwaltsberufs ist in Japan problematisch. a) Die Zahl der Rechtsanwälte in Japan ist sehr gering, nur etwa 13 500 bei einer Gesamtbevölkerung von 120 Millionen. Wenn man diese Zahl mit der Zahl der 51 000 Rechtsanwälten in der Bundesrepublik vergleicht, wird ganz deutlich, daß die Anwaltschaft in Japan linterbesetzt ist. b) In Japan herrscht kein Anwaltzwang 28. Jeder Bürger kann sowohl in der Tatsachen- als auch in der Rechtsmittelinstanz ohne Rechtsanwalt sein Verfahren führen. Im Jahre 1987 zeigte sich nur bei 44% der erstinstanzlichen Sachen beim Landgericht eine anwaltliche Vertretung auf beiden Seiten. In 39% der Fälle war ein Rechtsanwalt tätig. Die Streitsachen, bei denen keine der Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, liegen bei etwa 17%. Aus dieser Tatsache läßt sich in vielen Fällen erklären, daß der Prozeß in der mündlichen Verhandlung nicht immer reibungslos vonstatten geht. 27 Richter wechseln gewöhnlicherweise in 3 - 5 Jahren das Gericht. Weil der häufige Wechsel des Richters die direkte Untersuchung der Streitsache oft verhinderte, ist mit der Novelle der japanische ZPO von 1926 folgende Bestimmung, die der deutschen ZPO fremd ist, eingeführt worden: „Ist ein Richter ausgewechselt worden, so haben die Parteien das Ergebnis der vorherigen mündlichen Verhandlungen vorzutragen" (§ 187 Ab. 2 jap. ZPO). Damit wollte der Gesetzgeber die Unterbrechung des Prinzips der direkten Untersuchung formell vermeiden. 28 Das japanische Justizministerium versuchte zwar um i960, den Anwaltszwang gesetzlich einzuführen, doch scheiterte dieser Versuch am Widerstand des Rechtsanwaltsverbandes. Der Grund ist folgender: Die Prozeßkosten werden von der unterliegenden Partei getragen (§89 jap. ZPO), das Honorar für den Rechtsanwalt, das bisher nach Vereinbarung mit dem Klienten bestimmt wird, ist aber in diesen Prozeßkosten nicht enthalten, da nach dem genannten Grundsatz der Rechtsanwalt für den Prozeß im Grunde entbehrlich ist. Wenn der Anwaltszwang eingeführt würde, würde das Honorar des Anwalts in die Prozeßkosten miteingerechnet werden. Der Veband der Rechtsanwälte fürchtet, daß die Höhe der Honorare für den einzelnen Prozeß mit der Einführung des Anwaltzwangs gesetzlich fixiert wird.

30

c) Rechtsanwälte können vor allen Gerichten in ganz Japan auftreten. Es gibt keine Lokalisierung 29 wie in der Bundesrepublik. Jeder Rechtsanwalt kann auch beim Obersten Gericht Revision einlegen. Dies verursacht beim Obersten Gerichtshof eine große Belastung durch Uberflüssige und unnötig eingelegte Revisionen.

2. Das Rechtsbewußtsein des Japaners Japan gehörte lange zum chinesischen Kulturkreis. Es entstand ein eigenes japanisches Rechtsbewußtsein, das auf konfuzianistischem Denken beruht. Dieses ist anders als das europäische Rechtsbewußtsein. Vor etwa 100 Jahren, als wir wegen der Modernisierung Japans neue Gesetze nach deutschem Vorbild einführten, waren diese Gesetze dem Japaner fremd. Gesetz und tägliches Leben waren verschieden 30 . Dies brachte ein eigenes japanisches Verfahren für die Konfliktlösung, des „Versöhnungsverfahren" (Chötei), das sich neben das gerichtliche Verfahren schob und an sich eine gesetzeswidrige Praxis war.

2-1. Das System des

Versöhnugsverfahrens

Obwohl die Rezeption Japan ein modernes Gerichtssystem brachte, gingen die Bürger für eine Streitlösung meist nicht zum Gericht, durch welches ihre Sache nach „fremdem" Gesetz entschieden worden wäre. Daß Streitigkeiten durch eine Besprechung der Beteiligten unter Vermittlung eines Dritten beigelegt wurden, ist in Japan alte Tradition. Die Bürger wandten sich also weiter an eine einflußreiche Persönlichkeit, wie zum Beispiel einen Hauseigentümer, Grundstückseigentümer oder

29 Seit wir das europäische Justizsystem eingeführt haben, hat die Regierung oft versucht, die Lokalisierung des Rechtsanwalts durchzusetzen. Dieser Versuch ist immer an Widerstand der Rechtsanwälte gescheitert, die der Meinung waren, daß die Lokalisierung eine Beschränkung der Freiheit und Selbständigkeit der Rechtsanwälte bedeuten würde. 30 Die Situation, daß sich Gesetzesvorschriften und Praxis unterscheiden, wäre für einen rationalen Europäer unverständlich und unerträglich. Japan ist Rechtsstaat. Darum finden auch wir diese Sitution unnormal. Am besten sollten die Gesetzesvorschriften geändert werden. Wegen seiner Unfähigkeit oder aus politischen Gründen handelt das Parlament aber nicht. Typisches Beispiel dafür ist Art. 9 des japanischen Verfassungsgesetzes. Er bestimmt, daß Japan keine militärischen Streitkräfte unterhalten darf. In Wirklichkeit besitzt Japan jede militärische Rüstung außer Atombomben und Flugzeugträger. W a s die japanische ZPO betrifft, so hat sie in den letzten 10 Jahren nur fünfmal eine kleine Änderung erfahren.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

31

Bürgermeister, um ihren Streit zu entscheiden. Diese Tradition wurde schließlich 1922 für Grundstücks- und Mietangelegenheiten als Versöhnungsverfahren gesetzlich anerkannt. Die Anwendung des Versöhnungsverfahrens wurde schließlich gesetzlich erweitert. Heute ist dieses Verfahren für alle zivilrechtlichen Sachen möglich. Daß die Streitlösung dabei nicht unbedingt dem Gesetze folgt, ist die Besonderheit der Entscheidung in dipsem Versöhnungsverfahren 31 . 2-2. Die gesetzwidrige

Praxis

Seit der Einführung des fremden Rechts ist in manchem Bereich die Situation entstanden, daß sich Gesetzesvorschriften und Praxis unterscheiden. Dies führte manchmal zu einem gesetzeswidrigen, aber für die Praxis geeigneten Verfahren, wie im Falle des „Vergleichs-und Verhandlungstermins" (siehe III. 2- 2-2)32- Ein gesetzwidriges Verfahren wirkt aber oft als eine Hemmung für ein zügiges Verfahren. Hierzu ein Beispiel : Wenn der Rechtsstreit kompliziert ist, findet vor der mündlichen Vehandlung ein vorbereitendes Verfahren statt. In diesem vorbereitenden Verfahren sollen alle Einzelheiten dem Gericht vorgelegt werden, damit die mündliche Verhandlung schnell und konzentriert durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck bestimmt § 255 Abs. 1 Satz 1 der japanischen Zivilprozeßordnung, daß die Einzelheiten, die in dem vorbereitenden Verfahren nicht vorgetragen worden sind, in der mündlichen Verhandlung nich mehr vorgetragen werden können. § 255 Abs. 1 Satz 1 ZPO erlaubt aber folgende Ausnahme : Wenn es sich um Einzelheiten handelt, die das Gericht von Amts wegen zu emitteln hat oder wenn eine beträchtliche Verzögerung des Verfahrens nicht verursacht oder wenn glaubhaft gemacht wird, daß es ohne grobe Fahrlässigkeit nicht möglich war, sie in dem vorbereitenden Verfahren vorzutragen (§ 255 Abs. 1 Satz 2 jap. ZPO). 31 Über die Versöhnung vgl. Nakamura, Fn. 17, S. 26 ff. 32 Als anderes Beispiel sei die Parteivemehmung genannt. § 336 der japanischen Zivilprozeßordnung bestimmt folgendes: „Wenn sich das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme keine Überzeugung zu bilden vermag, kann es auf Antrag oder von Amts wegen die Parteien vernehmen". Das Gesetz bestimmt also, daß die Parteivernehmung ein subsidiäres Beweismittel für unklare Fälle ist. Weil aber Parteien den Sachverhalt der Streitsache am besten kennen und weil die Parteivemehmung leicht durchzuführen ist, um die Sache zu erkennen, vernehmen viele Gerichte die Parteien zuerst.

32

In der Praxis werden gerade diese Ausnahmebestimmungen im vollen Umfang in Anspruch genommen, obwohl der Fall eigentlich selten zutrifft. Dadurch werden neue Einzelheiten erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Durch dieses Verhalten wird der Prozeß praktisch um die Vorbereitungszeit hinausgeschoben. Es sei hier betont, daß dem Mißbrauch dieser Ausnahmebestimmung ein Rechtsbewußtsein zugrunde liegt, das einmal auf ein Gefühl, die Gesetzesvorschriften seien gering zu schätzen, gründet. Dieses Rechtsbewußtsein ist aber von anderer Seite aus der feudalistischen Epoche Japans auf uns gekommen. Die Sozialstruktrur der Feudalzeit basierte im gewissen Sinne auf der Gnade der Feudalherren. Die Untertanen lebten in der Hoffnung auf Herrengnade. Hieraus entstand eine Erwartungshaltung 33 . Diese Erwartung haben die Prozeßparteien offensichtlich selbst noch im modernen Prozeßverfahren. So bringen sie in der Erwartung, das Gericht werde die Notwendigkeit ihres Vorbringens als Ausnahme anerkennen, in der mündlichen Verhandlung selbst die Einzelheiten vor, die sie in dem vorbereitenden Verfahren aus prozeßtaktischen Gründen verschwiegen hatten. In der Praxis hat es viele Fälle gegeben, in denen die Richter Verständnis für eine solche Ausnahme zeigten. Es ist nicht zu bezweifeln, daß ein solches Verständnis nur eine Verzögerung des Prozesses mit sich bringt und sich auf das Verfahren nachteilig auswirkt. Wegen der „passiven Funktion des vorbereitenden Verfahrens" ist dieses Verfahren daher heute aus der Übung gekommen34.

33 Auf japanisch „Amae no Közö" (Amae. Freiheit in Geborgenheit - zur Strukur japanischer Psyche), vgl. Takeo Doi, Amae - key concept for understanding Japanese Personality structure, Japanese Culture, Chicago 1962. 34 1987 hatten nur 0,5 % der Fälle ein vorbereitendes Verfahren. Fast alle Fälle werden also ohne vorbereitendes Verfahren direkt im Hauptverhandlungstermin behandelt. Die Hauptverhandlung soll mit Schriftsätzen, die vorher so rechtzeitig bei Gericht eingereicht werden, daß die erforderliche Zeit zur Vorbereitung des Gegners auf die in dem Schriftsatz enthaltenen Darlegungen gewährt wird, vorbereitet werden (§ 243 Abs. 1 ZPO). In der Praxis werden aber diese vorbereitenden Schriftsätze oft kurz vor dem Verhandlungstermin oder sogar im Verhandlungstermin vor Gericht gebracht. In dieser Weise wird das Verfahren in Japan verschleppt.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

3. Probleme

der japanischen

33

Zivilprozeßpraxis

Aus den Tatsachen, daß die Zahl der Richter und Rechtsanwälte gering ist, daß kein Anwaltszwang herrscht und daß das Rechtsbewußtsein des Japaners eben anders ist als das der Europäer, folgt, daß die gerichtliche Praxis in Japan sich von der in der Bundesrepublik Deutschland wesentlich unterscheidet, obwohl Japan ein fast gleichlaufendes Verfahrensrecht besitzt. Das Ergebnis dieser Situation ist Prozeßverschleppung einerseits und die Ersetzung des Gerichts durch andere Institute der Streitlösung. Japanische Zivilprozesse dauern leider ziemlich lange. Im allgemeinen dauert ein Prozeß in einer relativ einfachen Sache in der ersten Instanz etwa ein Jahr, in einer komplizierten Sache zwei bis drei Jahre. Daran schließt sich die Berufung an. die meistens noch einmal zwei bis drei Jahre dauert. Und dann gibt es ggf. noch die Revision zum Obersten Gerichtshof. Hier dauern die Verfahren wieder noch einige Jahre. Dieser große Zeitaufwand macht es in vielen Fällen sinnlos, einen Rechtsstreit im Wege des Zivilprozesses beizulegen. Heute gelangen Streitsachen großer Unternehmen meistens nicht mehr zum Gericht. Japanische Firmen haben eine Abteilung filr juristische Angelegenheiten. Diese Abteilung erledigt allfällige Streitsachen vor Klageerhebung, indem die Juristen der Abteilung mit dem Gegner Uber die Sache verhandeln und sich vergleichen. Auf der anderen Seite kommen aber manchmal Sachen vor Gericht, die eigentlich nicht die Entscheidung eines Rechtsstreits bezwecken, sondern einer Propaganda durch die Verhandlung der Sache vor dem öffentlich tagenden Gericht dienen sollen. Daher wird man sagen müssen, daß der Zivilprozeß im heutigen Japan seine Funktion nicht in vollen Umfang erfüllt. Um diesen Zustand zu verbessern, wurde versucht, die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung sowie die Gerichtsverordnung des Obersten Ge richtshofes abzuändern. Auch sind vergleichende Untersuchungen zu diesen Problemen im Ausland mehrere Male durchgeführt worden. Hier hat die deutsche Vereinfachungsnovelle von 1977 großen Einfluß genommen. Zur Zeit wird, wie bereits erwähnt, ein Beschleunigungsmodell, welches von der Vereinfachungsnovelle stark beeinflußt ist, an den Landgerichten Tokio und Osaka, ohne Änderung der Zivilprozeßordnung versuchsweise durchgeführt (vgl. III. 2. 2-3).

34

Die Frage der Prozeßverzögerung ist zu vielschichtig, um durch die Abänderung gesetzlicher Bestimmungen allein von heute auf morgen gelöst zu werden. Wie bereits erwähnt, ist die im Hintergrund stehende Personalssituation im Justizsystem ein ebenso wichtiger Faktor. Die Lösung dieser Probleme braucht noch viel Zeit35.

V. Die japanische Zivilprozeßrechtswissenschaft

1. Neue Tendenzen der

heute

Zivilprozeßrechtswissenschaft

Das japanische Zivilprozeßrecht und die Zivilprozeßrechtswissenschaft sind lange Zeit der deutschen Zivilprozessualistik gefolgt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige amerikanische Einrichtungen in die japanische Zivilprozeßordnung eingeführt. Diese bereits genannten neuen Einrichtungen standen aber damals vor der Wand der traditionellen Rechtsinstitutionen, die zum deutschen Rechtskreis gehören. Seitdem ist mehr amerikanische Rechtskultur in Japan eingedrungen. Man könnte daher sagen, daß eine neue Tendenz in der Wissenschaft des Zivilprozesses besteht, welche durch die anglo-amerikanische Denkweise beeinflußt wird. 1-1. Zwei Typen des

Zivilprozesses

Nach Ansicht des Verfassers gibt es zwei verschiedene Typen der Institution und der Denkweise im Zivilprozeß36. Der eine ist der römische Typ. Im römischen Recht herrschte das Aktionen-System. Wo eine actio, eine Norm vorhanden war, konnte man eine Klage erheben. Im Prozeß geht es darum, zu entscheiden, ob das vom Kläger behauptete Recht vorhanden ist oder nicht. Die gerichtliche Entscheidung enthält die 35 Vgl. Shözaburö Yoshino, Zur Prozeßbeschleuning in Japan, Ritsumeikan Law Review-International Edition, No. 2, 1987, S. 41 ff. 36 Für eine eingehende Darstellung über zwei Typen der Institution und Denkweise im Zivilprozeß siehe die Aufsätze des Verfassers „Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses - eine Betrachtung vom Standpunkt des Rechtskreises aus", ZZP 99 Heft 1 (1986) in diesem Buch, S. 43 ff. und „Die zwei Typen des Zivilprozesses Der Zivilprozeß im kontinentalen und im anglo-amerikanischen Rechtskreis", in : Recht in Ost und West, Festschrift zum 30-jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der Waseda-Universität (1988) in diesem Buch, S. 83 ff.

J a p a n und das deutsche Zivilprozeßrecht

35

Feststellung der Tatsachen und die Anwendung der Gesetzesnorm. Also gibt es im Prozeß zwei wichtige Momente die „Tatsache" und die „Norm" . Das römische Recht denkt im Prozeß zuerst von der Norm her. Diese Institution und diese Denkweise sind die Grundlagen des kontinentaleuropäischen, besonders des deutschen Zivilprozesses. Der andere Typ des Zivilprozesses kommt aus dem germanischen Recht. Dort gab es vor dem Prozeß keine actio, aber dort herrschte nomos. Das Recht, nomos sollte in den Tatsachen gefunden werden. Der Prozeß hat die Funktion, das Recht, das im Streit gelten soll, in den Tatsachen zu finden. Hier geht der Prozeß von den Tatsachen aus. Diese Institution und diese Denkweise sind Grundlagen des angloamerikanischen Zivilprozesses. Japan hat das deutsche Rechtssystem übernommen, so daß die japanische Zivilprozeßrechtswissenschft wie die deutsche grundsätzlich auf der von der Norm ausgehenden Denkweise aufgebaut wurde. Diese wissenschaftliche Denkweise wurde fast vollständig durchgeführt. Aber allmählich wurde die Schwäche dieser wissenschaftlichen Theorie deutlicher, besonders mit dem Auftreten der neuen Typen von Prozessen wie z.B. dem Umweltschutzprozeß. In dieser Situation ist es selbstverständlich, daß man eine Grundlage für eine neue Theorie in der Denkweise des anglo-amerikanischen Zivilprozesses gesucht hat, um die Probleme zu lösen. Im folgenden sollen hierzu einige Beispiele aufgeszegt werden. 1-2. Denkweise des anglo-amerikanischen

Zivilprozesses

a) Der Zweck des Prozesses Als Zweck des Prozesses sieht man im deutschen Rechtskreis gewöhnlicherweise den Rechtsschutz oder die Einhaltung der Rechtsordnung an. Diese Lehre erfaßt den Prozeß von den Normen her, die vor dem Prozeß bereits vorhanden sind. Im anglo-amerikanischen Zivilprozeß betrachtet man den Prozeß von den Tatsachen her. Man sieht den Zweck des Prozesses darin, das Recht, das in diesem Fall gelten soll, in dem Streit zu finden. Das Recht nomos, bedeutet der Friede der Gesellschaft. Darum sieht man in der Streitlösung den Zweck des Prozesses. Kurz nach dem Zweiten Weltrieg wurde diese Meinung auch in Japan modern. Weil diese Lehre von einem führenden Zivilprozeßrechtslehrer in Japan vertreten wird37 und sie mit dem allgemeinen Trend zusammentrifft, sich nach anglo-amerikanischem Vorbild zu richten, hat sie

36

bald Anhänger in der Literatur gefunden. b) Die Rechtskraft Entsprechend der Forderung nach einer Erweiterung des Umfangs des Streitgegenstandes wurde eine Ausdehnung der Grenzen der Rechtskraft verlangt. Nach Ansicht einiger Autoren erwächst nicht nur die Entscheidung über den prozessualen Anspruch, sondern auch die Uber Vorfragen in Rechtskraft. Autoren dieser Richtung meinen, daß tiber die Punkte, welche die beiden Parteien genügend angegriffen und verteidigt haben oder doch erörten konnten, rechtskräftig entschieden wird. Im amerikanischen Zivilprozeß kennt man das Prinzip der „Garantie des Verfahrens" (due process of law). Ein Autor meint, daß die Rechtskraft überall da wirke, wo ein solches Verfahren genügend durchgeführt wurde. Verschiedene japanische Autoren versuchen daher nun, den Grund der Rechtskraft in der Garantie des Verfahrens zu finden38. c) Die

Prozeßpartei

Nach der von der Norm ausgehenden kontinental-europäischen Denkweise sind die Parteien grundsätzlich die Subjekte des behaupteten Rechts oder Rechtsverhältnisses, das den Gegenstand des betreffenden Prozesses bildet. Nach der von den Tatsachen ausgehenden angloamerikanischen Denkweise ist dies etwas anders. Die Parteien sind Personen, die zu dem Streit Beziehung haben. Darum kann hier auch eine Person, die keine materiellrechtliche Berechtigung hat, das Prozeßführungsrecht besitzen, wenn sie eine bestimmte Beziehung zu dem Streit vorweist. Hier ist auch der Unterschied zwischen Kläger und Beklagten nicht bedeutend. Wenn es jemand, der zu einer eigentlichen notwendigen Streitgenossenschaft gehört, ablehnt, mit den anderen zusammen eine Klage zu erheben, dann können die anderen Streitgenossen gegen ihn als Beklagten Klage erheben. Diese Auffassung wurde in der letzten Zeit von einigen Autoren in Japan vertreten.

37 Kaneko, Minjisoshö no Shuppatsuten ni tachikaette (Sich auf den Ausgangspunkt des Zivilprozesses zurückbesinnen), Högaku-Kyökai-Zasshi Bd. 65, Heft 2 (1947). Kaneko hat in diesem Beitrag versucht, den Zweck des Zivilprozesses vom neuen Standpunkt aus zu betrachten. Nach meiner Betrachtung war seine Lehre vom amerikanischen Recht stark beeinflußt. 38 Vgl. Harunori Inoue , Der Zivilprozeß als gleichberechtigtes Dialogverfahren, ZZP Bd. 98 (1985) S. 378 ff.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

37

d) Die Beweislast Die in Japan in der Wissenschaft und auch in der Praxis grundsätzlich herrschende Theorie der Beweislast ist die Normentheorie. Diese Theorie hat aber manchmal Schwächen bei den Prozessen modernen Typs, wie z.B. dem Umweltschutzprozeß, dem Prozeß wegen fehlerhafter medizinischer Behandlung usw. In dieser Situation behaupten einige Autoren, daß die Beweislastverteilung nicht mehr nach der Sachstruktur der Normen, sondern nach der Entfernung vom Beweis, nach Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, nach Treu und Glauben und ähnlichen Gesichtspunkten bestimmt werden solle. Dieser Gedanke kommt wieder direkt aus der amerikanischen Prozeßrechtslehre. e;) Aufgabe des Gerichts Da die Instanzen der Gesetzgebung ober Verwaltung in Japan nicht immer genügend funktionieren, kommen manchmel Aufgaben dieser Organe vor Gericht. Dabei wird die Rolle und der Geltungsbereich der Gerichtsbarkeit fraglich. Man denke z.B. an Prozesse über die Ungültigkeit von Wahlen. Dem liegt etwa folgende Konstellation zugrunde: Die Zahl der Abgeordneten für jeden Wahlbezirk wurde vor etwa dreißig Jahren gesetzlich bestimmt. Durch Änderung der Einwohnerzahl (Landflucht) ist die Zahl der Abgeordneten für manchen Bezirk heute nicht mehr gerechtfertigt. Das Parlament sollte hier das Gesetz ändern, tut es aber nicht. So kommt die Angelegenheit vor Gericht, und zwar mit folgender Begründung: Die Wahl, die nach dem geltenden Gesetz durchgeführt wurde, sei verfassungswidrig, weil der Unterschied des Gewichts einer Stimme in dem betr. Bezirk zu groß sei. Die Verfassung bestimme aber die Gleichheit der Bürger. Der Kläger fordert nun, einerseits die Wahl für ungültig zu erklären und zudem die Zahl der Abgeordneten in dem fraglichen Bezirk zu ändern. Die Entscheidung über die erste Forderung liegt im Bereich der Justiz. Darüber besteht kein Streit. Für die zweite Forderung nach Neufestsetzung der Mandate wird die Kompetenz der Gerichtsbarkeit von der herrschenden Meinung abgelehnt. Weil aber Uber eine solche Forderung in den USA gerichtlich entschieden wurde, ist eine Minderheitenmeinung der Überzeugung, daß sie auch in Japan gerichtlich geltend gemacht werden kann39. Die hier vorgestellten „Lösungen aus amerikanischem Rechtsdenken" sind in Japan noch Minderheitenmeinung, sie wurden aber von der neuen Generation der Zivilprozeßrechtslehrer und der Wissenschaftler für

38

anglo-amerikanisches Recht nachdrücklich „behauptet" . Da die meisten Praktiker, die die Praxis des japanischen Zvilprozesses beherrschen, das Zivilprozeßrecht nach der überlieferten Lehre, und zwar nach einer von der Norm ausgehenden Denkweise, erlernt haben, verstehen sie diese neue „Mode" schlecht. Ein hoher Richter sagte einmal, daß die heutige Zivilprozeßrechtslehre — und damit meinte er wohl vor allem die „Importe" aus den USA — wie ein ,,science-fiction-Roman" sei. 2. Die Trennung von Wissenschaft und

Praxis

Die Schwäche der japanischen Zivilprozessualistik, ja der Rechtswissenschaft überhaupt, liegt in der Tatsache der Trennung von Wissenschaft und Praxis. Im gemeinen Recht gab es in Deutschland auch eine Zeit, in der die Wissenschaft, die das römische Recht zum Gegenstand hatte, und die Praxis, die dem Partikularrecht verhaftet blieb, einander den Rücken zuwandten. Leider ist die Situation des Zivilprozesses in Japan von heute mit dieser Zeit vergleichbar. In der Meiji-Ze\t, als wir die deutsche Zivilprozeßordnung eingeführt haben, waren einige der fremden Sprache mächtige Richter Träger der Gerichtspraxis und gleichzeitig der Zivilprozeßrechtswissenschaft. Die meisten Rechtswissenschaftler, damals noch gering an Zahl, waren mit dem materiellen Recht beschäftigt. Gerichtspraxis und Ziviprozeßrechtswissenschaft waren nicht getrennt, sondern bildeten fast eine Einheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs eine neue Generation von Rechtswissenschaftlern heran, die im Zivilprozeßrecht einen interessanten Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung sehen. Sie arbeiten intensiv an der ausländischen Rechtslehre und versuchen, diese zum Muster einer eigenen Theorie zu machen, soweit sie diese als vorbildlich ansehen. Wegen der Entstehungsgeschichte der japanischen Zivilprozeßordnung verfolgen die meisten japanischen Wissenschaftler naturgemäß die Entwicklung der deutschen Zivilprozeßrechtswissenschaft. Neue 39 In den USA wird die Staatsgewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz geteilt. Aber die Macht der Justiz steht über der von Gesetzgebung und Verwaltung. In den USA gilt Fallrecht. Dies bedeutet, daß das Gericht das Recht schafft. In den kontinentaleuropäischen Ländern und auch in Japan stehen die drei Staatsgewalten gleich. Das Gericht kann deshalb nicht die Zahl der Abgeordneten selbst bestimmen. Vgl. Hideo Nakamura , Die Aufgabe des Gerichts - eine rechtsvergleichende Betrachtung über die Aufgabe des Gerichts im kontinentalen und im anglo-amerikanischen Rechtskreis, in Festschrift für Habscheid 1989, in diesem Buch, S. 127.

Japan und das deutsche Zivilprozeßrecht

39

Lehren, Gesetzgebung und Rechtsprechung in Deutschland werden durch eine zunehmende Zahl von Wissenschaftlern beobachtet und diskutiert. Auf der anderen Seite drang nach dem Zweiten Weltkrieg die amerikanische Rechtskultur in Japan ein. Auf Einladung von amerikanischer Seite besuchten viele Wissenschaftler und Praktiker die USA. Zudem entstand in den letzten zwanzig Jahren eine Situation, in der Japan gezwungen war, vermehrt auf die amerikanische Gerichtspraxis zu achten, weil viele rechtliche Probleme zwischen den USA und Japan als Ergebnis der engen wirtschaftlichen Beziehungen entstanden. Weil die meisten japanischen Wissenschaftler keine Praxiserfahrung besitzen - die Berufe des Universitätsprofessors einerseits und der Praktiker (Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt) andererseits sind getrennt40 - und weil die Wissenschaftler dann die ausländische Theorie, die abstrakt ist, behandeln, bleibt ihre Lehre im allgemeinen sehr theoretisch; sie ist daher nicht konkret und praxisbezogen. Sie entfernt sich so mehr und mehr von der in Japan herrschenden Praxis. Man könnte sogar sagen, daß manche der japanischen Wissenschaftler, die den deutschen, amerikanischen oder sonstigen ausländischen Zivilprozeß bearbeiten, die in Japan geltende Praxis aber nur von einem sich an ausländische Lehren anlehnenden abstrakten Standpunkt aus betrachten. Auf der anderen Seite sind die Richter in Japan ausgesprochen konservativ. Im Vergleich mit deutschen Richtern halten japanische Richter im allgemeinen die Durchführung der Uberlieferten Theorie oder Prinzipien einer Rechtsnormlehre für wertvoller als eine konkrete, für den Fall geeignete Streitlösung. Diese Situation ist ein Erbe der in Meiji-Zeit eingeführten und seither die Praxis beherrschenden Begriffsjurisprudenz. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es regelmäßig Fälle, in denen ein Urteil einen neuen Fall mit neuer Begründung entscheidet und dann, an dieses Urteil anknüpfend, eine neue wissenschaftliche Theorie entsteht. In Japan ist ein solcher Fall bisher unbekannt. Der Praktiker bleibt in Japan den alten Prinzipien und Methoden verhaftet. Er versucht fast nie, einen neuen Weg zu finden - ausgenommen, es gibt eine unbedingte Notwendigkeit. 40 Die Gründe für die Trennung von Wissenschaft und Praxis sind sehr verschieden. Der Hauptgrund dafür ist m.E. die strikte berufliche Trennung von Wissenschaftlern und Praktikern. Es gibt nur seltene Fälle, in denen ein Universitätsprofessor gleichzeitig als Richter oder Rechtsanwalt tätig ist. Die meisten Universitäten in Japan verbieten dem Professor, in einem anderen Beruf tätig zu sein.

40

3• Die Aussichten für die japanische

Zivilprozeßrechtswissenschaft

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Zahl der Zivilprozeßrechtslehrer stark zugennommen. Dadurch wurde die wissenschaftliche Diskussion intensiviert. Neue Lehrmeinungen entstanden. Die Zivilprozeßrechtswissenschaft ist so in Japan zu dem am lebhaftesten diskutierten Gebiet in der Rechtswissenschaft geworden. Leider entwickelt sich diese Wissenschaft aber, wie dargestellt, im allgemeinen getrennt von der Praxis. Die Aufgabe der Wissenschaft ist natürlich nicht allein, die geltende Praxis zu analysieren und sie zu systematisieren. Sie soll auch für eine künftige Praxis richtige und neue Wege aufzeigen. Darum ist zwar die Trennung von Wissenschaft und Praxis nicht immer schlecht. Aber wenn beide allzu entfernt voneinander stehen, hat die Prozessualistik keine Bedeutung als praxisbezogene Wissenschaft. Wie weit die Wissenschaft von der Praxis entfernt sein darf, ist fraglich. Nach Ansicht des Verfassers sollte aber die heutige japanische Zivilprozessualistik mehr die in Japan geltende Praxis im Auge behalten und eine Zivilprozeßrechtswissenschaft für die Bedürfnisse der japanischen Rechtspraxis sein. Wie bereits oben erwähnt, gibt es zwei verschiedene Typen des Zivilprozesses, den Zivilprozeß im römischen (bzw. deutschen) und den im germanischen (bzw. anglo-amerikanischen) Rechtskreis. Weil diese Typen des Zivilprozesses von den Normen oder von den Tatsachen aus konstruiert sind, haben sie beide sowohl Vor- als auch Nachteile, wobei die Vorteile der einen die Nachteile der anderen Seite sind. Die neuen Lehren, die vom anglo-amerikanischen Recht beeinflußt werden, sind als Theorie interessant. Es gibt bei ihnen viel zu lernen. Der jeweilige nationale Zivilprozeß ist aber das Ergebnis einer langen geschichtlichen Entwicklung. Der japanische Zivilprozeß gehört zum römischen (deutschen) Rechtskreis. Deshalb sollte die überlieferte zivilprozessuale Theorie, die von der Norm ausgeht, grundsäzlich beibehalten werden. Um den ungenügenden Teil dieser Lehre zu ergänzen, ist es allerdings angemessen, die im anglo-amerikanischen Recht herrschende, von den Tatsachen ausgehende Auffassung zu berücksichtigen. Diese von den Tatsachen ausgehende Konzeption kann die bisherige japanische Lehre nur ergänzen. Sie kann keinesfalls an ihre Stelle treten und ihrerseits den japanischen Zivilprozeß systematisieren. Wo, inwieweit und wie dann neue Auffassungen benutzt werden können, ist freilich ein weites Feld, das

J a p a n und d a s d e u t s c h e Z i v i l p r o z e ß r e c h t

41

hier nicht bestellt werden kann. Die heutige japanische Zivilprozeßrechtswissenschaft befindet sich in einem Zustand „lebhafter Verwirrung". Neue Ordnung kommt aber oft aus „Verwirrung". So, hoffe ich, wird schließlich doch eine „neue Zivilprozeßrechtswissenschaft" Japans aus dieser „Verwirrung" hervorgehen, eine Wissenschaft, welche der Praxis dient, die aber auch von der Praxis angenommen wird. Wege zu dieser ganz großen Reform des japanischen Rechtslebens sind in diesem Beitrag zumindest angedeutet worden.

Die Institution des

und

Dogmatik

Zivilprozesses

— eine Betrachtung vont Standpunkt

des Rechtskreises

aus —

44

Inhaltsverzeichnis

I. II.

Einleitung (45) Der Zivilprozeß im römischen und germanischen Recht 1. Der römische Zivilprozeß (47)

(46)

2 . Der g e r m a n i s c h e Zivilprozeß (49) III. Der Verlauf der geschichtlichen Entwicklung des römischen und germanischen Zivilprozesses (50) 1 . Die geschichtliche Entwicklung des römisch-rechtlichen Zivilproz e ß r e c h t s - d a s deutsche Recht (50) 2 . Die geschichtliche Entwicklung des germanisch-rechtlichen Zivilproz e ß r e c h t s - d a s anglo-amerikanische Recht (53) IV. Der römisch-rechtliche und germanisch-rechtliche Zivilprozeß (55) 1 . Der Zweck des Prozesses (56) 2 • Der S t r e i t g e g e n s t a n d (58) 3 . Die P r o z e ß p a r t e i (61) 4 . Die R e c h t s k r a f t (64) V. Der S t a n d der Zivilprozeßdogmatik in J a p a n und ein Ausblick auf die k ü n f t i g e Entwicklung (69) 1 . Der S t a n d der Zivilprozeßdogmatik in J a p a n (69) 2 . Ausblick auf die k ü n f t i g e Entwicklung des japanischen Zivilprozeßrechts (79)

Zuerst erschienen in : Zeitschrift für Zivilprozeß, Band 99 Heft 1 (Köln, Berlin, Bonn, München 1986).

Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses

I.

45

Einleitung

Jede Institution ist das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung. Die Einrichtung des Zivilprozesses ist hierin keine Ausnahme. Ihr geht eine lange Entwicklung voraus. Um das Institut in seiner geltenden gesetzlichen Ausprägung und Dogmatik sachgerecht erfassen zu können und einen Ausblick auf die künftige Entwicklung des Zivilprozesses zu ermöglichen, ist es daher unentbehrlich, die geschichtliche Entwicklung des Zivilprozesses und seiner Dogmatik zu betrachten. Das Rechtsinstitut des Zivilprozesses neuerer Zeit kann grob in zwei Gruppen eingeteilt werden: das Zivilprozeßsystem des kontinentalen Rechts und das Zivilprozeßsystem des anglo-amerikanischen Rechts. Beide Systeme unterscheiden sich in Form, Rechtsinhalt und Betrachtungsweise. Sie bilden einen interessanten Gegensatz. Es versteht sich, daß jedes der beiden Rechtssysteme in seinem Recht, also im römischen bzw. germanischen Recht wurzelt. Die Rechtsinstitution des Prozesses nach altrömischem und altgermanischem Recht kannte im Gegensatz zur heutigen Zeit weder die Trennung zwischen dem Zivil- und dem Strafprozeß, noch den Unterschied zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht. Das Recht existierte als Einheit und spiegelte die Umstände der Gesellschaft wieder, in der es galt. Es bestand daher insoweit kein Gegensatz zwischen dem Institut des Prozesses in beiden Rechten sowohl der Form als auch dem ihm zugrunde liegenden Rechtsdenken nach. Auf dem Gebiet des Zivilprozesses im heutigen Sinne jedoch unterschieden sich das römische und das germanische Recht nicht nur in der Ausformung des Instituts und des prozessualen Verfahrens, d.h. also auf der praktischen Seite, sondern auch in theoretischen Fragen, wie z.B. hinsichtlich des Prozeßzwecks, des Streitgegenstandes, der Prozeßpartei und der Rechtskraft. Worin der Grund für diese Unterschiede zwischen den Prozessen der beiden Rechtsordnungen liegt, ist streitig. Meines Erachtens ist eine Ursache darin zu sehen, daß es im römischen Recht, nicht jedoch im germanischen Recht ein positives, d.h. geschriebenes Recht gab. Bei der Betrachtung des Prozesses oder der gerichtlichen Entscheidung bilden die Tatsachen und die Norm die grundlegenden Elemente. Der Prozeß nach römischem Recht setzt ein geschriebenes Gesetz voraus. Der

46

Prozeß wird von der Norm aus erfaßt. Anders im Prozeß nach germanischem Recht; hier geht man von den Tatsachen aus. Das Recht soll für den konkreten Einzelfall gefunden werden. In diesen beiden verschiedenen Ausgangspunkten liegt der Hauptunterschied zwischen dem römisch-rechtlichen und dem germanisch-rechtlichen Zivilprozeß. Dieser grundsätzliche Unterschied ist bis in neuester Zeit erhalten geblieben. Auf eine kurze Formel gebracht kann man sagen, daß der römische Zivilprozeß und die römische Betrachtungsweise durch das Zivilprozeßrecht des europäischen Kontinents, der germanische Zivilprozeß und die germanische Betrachtungsweise durch das anglo-amerikanische Recht übernommen worden sind. Zwar hat sich der Zivilprozeß auf dem Kontinent und in den anglo-amerikanischen Staaten im Laufe der Zeit fortentwickelt und ist nicht mehr ein Prozeß nach römischem oder germanischem Recht im eigentlichen Sinne, die Kenntnis seiner Grundstrukturen ist aber Voraussetzung, um das jetzt geltende Zivilprozeßrecht und die heute gültigen Lehren zu verstehen. Von diesem Gedanken ausgehend soll im vorliegenden Beitrag die Grundstruktur des römischen und die des germanischen Zivilprozesses dargestellt werden (II). Desweiteren wird ihre Entwicklung zum Zivilprozeß in seinen heutigen Ausformungen aufgezeigt (III). Danach soll die unterschiedliche Behandlung von grundlegenden zivilprozessualen Problemen - wie z.B. des Prozeßzwecks, des Prozeßgegenstandes, der Prozeßpartei und der Rechtskraft - in beiden Rechtskreisen untersucht werden (IV). Schließlich wird ein Überblick über die Folgen des Zusammentreffens von Gedanken beider Rechtskreise in Japan gegeben ; es soll versucht werden, einen Ausblick über die Entwicklung der Theorie des Zivilprozesses zu geben (V).

II. Der Zivilprozeß

im römischen und germanischen Recht

Wenn man von dem römischen Zivilprozeß und dem germanischen Zivilprozeß spricht, so muß man berücksichtigen, daß beide Institutionen im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich ausgeformt waren. Es gab im übrigen, wie bereits ausgeführt, keinen Unterschied zwischen Zivilprozeß und Strafprozeß. Im folgenden sollen die dem modernen Zivilprozeß entsprechenden Einrichtungen im römischen und germanischen Prozeß in ihrer grundlegenden Struktur dargestellt werden.

Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses

1. Der römische

47

Zivilprozeß1

a) Ungeachtet seiner konkreten Ausformung war für den römischen Prozeß schon von früher Zeit an kennzeichnend, daß ihm geschriebenes Gesetz zugrunde lag. Der Prozeß wurde von der durch das Gesetz anerkannten actio aus betrachtet. Das Wort „actio" wird im römischen Recht mehrdeutig gebraucht. So kann es die Handlung des Klägers, die Klage, die Verhandlung und anderes je nach der konkreten Situation2 bedeuten. Es ist deshalb schwierig, diesen Begriff zu definieren. Die folgende Definition aus den „Institutiones" gibt jedoch die Bedeutung dieses Begriffes ziemlich genau wider: „actio autem nihil aliud est, quam ius persequendi iudicio quod sibi debiturV Im römischen Recht sind materielles Recht und Prozeßrecht noch nicht getrennt. Eine Unterscheidung von Anspruch und Klagerecht ist daher nicht bekannt. Die actio umfaßt beides. Sie entsteht, wo das Gesetz es aufgrund des konkreten Sachverhaltes (Nichttrennung von Tatsache und Norm) vorschreibt. Nur wenn der geschriebene Sachverhalt unter die gesetzlich bestimmte actio subsumiert werden kann, hat man ein juristisches Mittel, um seine Interessen durchzusetzen (ubi ius, ibi remedium). b) Vor allem in den frühen Zeiten des römischen Rechts, der Zeit des Legisaktionenprozesses, war das juristische Denken vom Aktionenbegriff maßgeblich geprägt. Das Verfahren im Legisaktionenprozeß ist in zwei Abschnitte geteilt: das Verfahren von dem Prätor (in iure) und das Verfahren vor dem Richter (apud iudicem). Der Kläger behauptet zunächst im Verfahren von dem Prätor, ihm stehe nach dem Gesetz eine actio gegen den Beklagten zu und er ersucht um die Entscheidung über die betreffende actio. Diese actio ist im Zwölftafelgesetz oder den danach verordneten Zivilrechten festgelegt. Eine erweiternde oder 1 Über den römischen Zivilprozeß : vgl. Engelmann, Der Civilprozeß, Geschichte und System, Bd. 2, Heft 2 (Der römische Civilprozeß 1891; Bethmann/Hollweg, Der Civilprozeß des gemeinen Rechts in geschichtlicher Entwicklung, Bd. 1 - 3 , (Der römische Civilprozeß) 1864 - 1866, Neudruck 1959 ; Käser, Das römische Zivilprozeßrecht, 19662 Heumann/Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 9- Aufl. 1907, S. 9. 3 Inst. Pr. 1. de act(4.6-).

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analoge Auslegung des Rechts ist nicht erlaubt. Die Klage muß unter Einhaltung eines streng vorgeschriebenen Wortlautes und mit symbolischer Bewegung vor dem Prätor erhoben werden. Wird von den vorgeschriebenen Formalitäten auch nur geringfügig abgewichen, so ist die Klage zurückzuweisen. In den „Institutiones " von Gaius gibt es einen berühmten Abschnitt, der die strenge Förmlichkeit des Legisaktionenprozesses eindrucksvoll darstellt: Ein Mann, dessen Reben gerodet wurden, erhob Klage. In seiner Klageschrift benutzte er für die Reben das Wort „vites". Er verlor den Prozeß. Der Grund war folgender: Die Vorschrift des Zwölftafelgesetzes, die eine actio in diesen Fall vorsah, benutzt als allgemeine Vorschrift das Wort „arbores". Dieses Wort hatte der Kläger aber in seiner Klageschrift vorschriftswidrig nicht verwendet4. Der Prätor prüfte zuerst, ob der Autrag des Klägers in dem gesetzlich bestimmten Verfahren gestellt wurde und ob die klägerische Behauptung einer gesetzlich bestimmten actio entsprach. Erfüllte der Klageantrag nicht diese gesetzlichen Voraussetzungen, so wurde das Verfahren durch Beschluß, in dem der Prozeß abgelehnt wurde (denegatio actiones), beendet. Waren die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, kam es zur „litis contestatio". In diesem Fall endete die Zuständigkeit des Prätors und das Verfahren wurde vor dem durch die Partei gewählten Richter fortgesetzt. Dieser prüfte, ob der Tatbestand der actio vorlag oder nicht. Bejahte er dies, so erkannte er durch Urteil die betreffende actio dem Kläger zu. Hielt er die actio für nicht gegeben, so verlor der Kläger den Prozeß. Die dargestellten Grundzüge des Legisaktionenprozesses zeigen, daß im Prozeß zuerst geprüft wurde, ob das geschehene Ereignis unter die gesetzlich bestimmte actio subsumiert werden konnte. Im Legisaktionensprozeß wurde also der Prozeß vom Gesetz (der Rechtsnorm) aus betrachtet. c) Das römische Actionensystem veränderte sich im Laufe der Geltung des römischen Rechts,vor allem wurde die Zahl der Actionen erweitert. Während der Geltung des Formularprozesses wurde die Zahl und der Umfang der Actio entsprechend dem gesellschaftlichen Bedarf durch Formular des Prätors erweitert. Im Kognitionsverfahren wurde die actio durch das Edictum Hadrianum, das als geschriebenes Recht galt, anerkannt. In jeder Epoche des römischen Rechts wurde jedoch im Prozeß 4 Crüius, IV. 11.

Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses

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das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer actio geprüft. Die Betrachtung des Prozesses aus dem Blickwinkel der actio kann man also als Grundzug des römischen Zivilprozesses schlechthin bezeichnen. 2. Der germanische

Zivilprozeß5

a) Das römische Reich kannte frühzeitig das geschriebene Recht, das im gesamten Reichsgebiet galt. In derselben Zeit gab es in Germanien noch keinen entsprechenden Staat, und darum auch kein dem römischen Recht vergleichbares Recht. Bis ein Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung lebte der Germane als Ackerbauer mit der blutverwandten Gruppe in seiner Sippe. Mehrere Sippen bildeten einen Gau, mehrere Gaue bildeten die civitas. Relativ kleine Angelegenheiten, die sich innerhalb eines bestimmten Gaues ereigneten, wurden in der nur von Mitgliedern des Gaues besetzten Versammlung entschieden. Größere Streitigkeiten, die alle Mitglieder der civitas betrafen (d.h. majores res), wurden in der Versammlung der civitas (concilium civitatis) genannt thing (ding) oder Mallus (mahal), d.h. der sog. Landesgemeinde, verhandelt und entschieden 6 . Die Landesgemeinde war eine große Versammlung, die aus den volljährigen, kampffähigen Männern sämtlicher Mitglieder des Gaues bestand. Sie besaß alle drei Gewalten im Sinne des modernen Staatenverständnisses, die Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz. Das staatliche Leben des damaligen Germanien wurde durch die civitas betrieben. Sie hatte keine von ihren Mitgliedern getrennte selbständige Existenz und war daher ihren Einzelmitgliedern nicht überlegen. Durch die Gleichartigkeit und das fehlende Stufenverhältnis gab es noch keine Beziehung zwischen Staat und Staatsbürger, wie etwa im römischen Reich. Es gab daher auch kein Recht, das den Staat ermächtigte, seinen Bürgern gegenüber etwas zu verordnen. b) Aber auch in einer solchen Gesellschaft gab es Recht als soziale Norm (ubi societas, ibi ius). Dies war die Ordnung von Gerechtigkeit und Frieden. Sie lebte im rechtlichen Gewissen des Volkes fort und wurde 5 Über den germanischen Zivilprozeß: vgl. Engelmann (Fn.l), Bd. 2, Heft 1 (Der mittelalterlich-deutsche Prozeß) 1890; Bethmann/Hollweg (Fn.l), Bd. 4, 5 (Der germanisch-romanische Civilprozeß im Mittelalter) 1868, 1873 Neudruck 1959; Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 15. Aufl. 1978, S. 12 ff.; Schwerin/ Thieme, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 1950, S. 26 ff.; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I., 1954, S. 40 ff. 6 Schwerin/Thieme (Fn.5), S. 22; Mitteis/Lieberich (Fn.5), S. 24.

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als Gewohnheitsrecht überliefert. Für die Bürger war es heiliges und unverletzliches Recht (ewa, rehtlagh), da es angestammt und überliefert war. Das Recht sollte nicht bewußt festgelegt, sondern im Einzelfall gefunden werden 7 . E s entsprach fast dem „nomos" des alten griechischen Rechts. Wurde in die Souveränität des nomos eingebrochen, so erhob man Klage auf Wiederherstellung. Dabei wurde mit dieser Klage im Gegensatz zum römischen Recht kein subjektives Recht verfolgt, sondern der Vorwurf erhoben, in den Rechtsfrieden der Gemeinschaft eingebrochen zu sein, dieser sollte durch die Klage wieder hergestellt werden. Das Wort „Klage" im Sinne von Betrübnis oder trauern gibt diesen Zweck sehr treffend wieder. Für eine solche Klage war die Hundertschaft zuständig. Mit der Entscheidung sollte das Recht gefunden werden, das in dem konkreten Fall gelten soll. D.h. die Hundertschaft hatte darüber zu urteilen, wie die angegriffene Souveränität des nomos wieder hergestellt werden konnte. Da jedoch damals die Staatsgewalt noch nicht sehr ausgeprägt war, konnte man den Angeklagten nicht zur Einlassung zwingen. Die außergerichtliche Konfliktlösung durch Zweikampf war als weitere, gleichwertige Form der Streitbeilegung anerkannt. Die Parteien hatten daher die Wahl zwischen diesen beiden Formen der Konfliktlösung. c) Der Grundcharakter des germanischen Zivilprozesses kann wie folgt zusammengefaßt werden: Vor Beginn des Prozesses gab es im germanischen Zivilprozeß kein objektives, erkennbares Recht. Dieses sollte erst für den konkreten Sachverhalt gefunden werden. Der Prozeß wurde also von der T a t s a c h e aus betrachtet. Diese Denkweise ist im germanisch-rechtlichen Zivilprozeß im Grundsatz erhalten geblieben.

III. Der Verlauf der geschichtlichen Entwicklung des römischen und germanischen Zivilprozesses

1. Die geschichtliche Entwicklung des römisch-rechtlichen ZivilProzeßrechts - das deutsche Recht a) Das römische Zivilprozeßrecht wurde später in Italien übernom7 Conrad (Fn.5), S.40 ; Schwerin/Thieme

(Fn.5), S.20 ; Mitteis/Lieberich (Fn.5), S.13.

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men als italienisch-kanonischer Zivilprozeß. Daraus wiederum entwickelte sich in Deutschland der gemeine Prozeß*. In Deutschland galt eigentlich das germanische Recht. Aber es wurde nach der Rezeption zunehmend verdrängt, wodurch das römische Recht zum Hauptstrom wurde. Nach der Entstehung des deutschen Reiches 1871 wurde die Kodifikationsarbeit aufs Neue aufgenommen. Die deutsche Civilprozeßordnung trat 1879 in Kraft. Sie stand immer noch unter dem Einfluß gemeinen Zivilprozesses, wenn auch der Einfluß des französischen Prozeßrechts sehr stark war. Das deutsche Zivilprozeßrecht und das nach seinem Vorbild festgesetzte japanische Zivilprozeßrecht gehören grundsätzlich zum römisch-rechtlichen Rechtskreis. b) Es ist aber zu beachten, daß sich im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung des römischen und deutschen Rechts das römische Aktionensystem veränderte. In der ersten Zeit des römischen Rechts, der Zeit des Legisaktionenprozesses, wurde die Actio nach dem einzelnen konkreten Geschehen im Zwölftafelgesetz und im sonstigen Zivilrecht geregelt (Nichttrennung zwischen Tatsachen und Normen). Dabei war die einzelne Actio eine selbständige Einheit, die hinsichtlich des konkreten Geschehens den Anspruch gegen den Gegner und zugleich die Klage beim Gericht entstehen ließ (Nichttrennung zwischen Anspruch und Klage). Aber die begrenzte Anzahl der Aktionen entsprach bald nicht mehr der sich entwickelnden Gesellschaft. Die Zahl der Aktionen nahm in der Zeit des For mularprozesses und Kognitionsprozesses ständig zu und die Actio verkomplizierte sich zunehmend. Dieses Aktionen wurden durch die Pandekten des corpus iuris civilis gesammelt und systematisiert. Die Pandekten waren Sammelwerke der Lehrmeinungen, die die auf den Sachverhalt anzuwendenden Normen vorschrieben. Die Pandekten waren daher ihrer Natur nach Fallrecht. Da sie für die Allgemeinheit sehr schwer zu verstehen waren, wurde das römische Recht durch die Postglossatoren nach der Methode damals herrschenden Scholastik interpretiert®. Hierdurch wurde das römische Fallrecht systematisiert. 8 Über die geschichtliche Entwicklung des römisch-rechtlichen Zivilprozeßrechts: vgl. Engeltnann{Fn.l), Bd. 2, Heft 3 (Der romanisch-kanonische Prozeß und die Entwicklung des Prozeßrechts in Deutschland bis zum Erlaß der deutschen Civilprozeßordnung) 1895; Bethmann/Hollweg (Fn.l), Bd. 6 (Der germanischromanische Civilprozeß im Mittelalter) 1874 ; Schwartz, Vierhundert Jahre deutscher Civilproceß-Gesetzgebung, 1898. 9 Mitteis, Deutsches Privatrecht, 3.Aufl. 1959, S. 6-

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Durch diese Systematisierung wurden die Normen vom einzelnen konkreten Geschehen getrennt und somit abstrakt (Trennung zwischen Tatsachen und Normen). Dadurch, daß die Actio materiellrechtlich begriffen wurde, hatte das prozessuale Recht zunehmend eine eigene, selbständige Bedeutung gewonnen (Trennung zwischen materiellem und prozessualem Recht, Trennung zwischen Anspruch und Klage). Die A c t i o wurde also zunehmend aufgelöst. Das sich auf solche Weise auflösende Aktionensystem des römischen Rechts wurde in Deutschland übernommen. Diese Auflösung der Actio, nämlich die Trennung zwischen Tatsachen und Normen (Abstrahierung der Rechtsnorm), zwischen materiellem Recht und prozessualem Recht und zwischen Anspruch und Klage wurde auch in der späteren Zeit durch die Lehre weitergeführt. Diese Trennung wurde insbesondere durch den Naturrechtsgedanken, der im 17. Jahrhundert in Deutschland aufkam, gefördert. Die Vertreter des Naturrechts sahen das römische Recht als Naturrecht an und versuchten die Systematitierung der Logik des römischen Rechts10. Durch diese Systematisierung wurde die Trennung zwischen Tatsachen und Normen noch weiter gefördert und die Rechtsnormen wurden noch abstrakter. Das römische Recht wurde in Italien durch die Gelehrten in Glossen behandelt und hier wie auch in Deutschland durch die Rechtslehrer zum Gegenstand des Studiums gemacht. Dies trug dazu bei, daß sich das römische Recht zu einem abstrakten System entwickelte. Davon war das germanische Recht (anglo-amerikanisches Recht) völlig verschieden. Es wurde von Richtern und Rechtsanwälten in der Praxis entwickelt und hatte das konkrete Geschehen zum Gegenstand. Daraus folgte die Entwicklung zum case-law. Parallel zu der Entwicklung des Aktionensystems zum abstrakten Rechtssystem schritt die systematische Trennung zwischen materiellem Recht und prozessualem Recht (Anspruch und Klage) rasch voran. Institutionell gesehen waren die Erweiterung der Gerichtsbarkeit vor dem Hintergrund der Entwicklung der partikularen Staatsgewalt im 18. Jahrhundert und die damit verbundene Festsetzung des selbständigen Zivilprozeßrechtsgesetzbuchs die Hauptursachen. Das Preußische Friderizianische Gesetzbuch (corpus iuris fridericianum) und auch die Österreichische Allgemeine Gerichtsordnung wurden als erste moderne 10 Mitteis (Fn.5), S. 12 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 30 ff.

Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses

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Zivilprozeßgesetzbücher 1781 geschaffen". 1793 wurde die Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten veröffentlicht. Im 19. Jahrhundert wurden Landesprozeßgesetze in vielen Ländern kodifiziert. Die der Actio immanenten Begriffe von Anspruch und Klage wurden zunehmend getrennt betrachtet. Diese Sicht wurde insbesondere durch Windscheid entscheidend geprägt. Er ging davon aus, daß der Anspruch der wichtigere Teil und die Klage nur dessen Schattenbild ist. Er vertrat folgende Auffassung: Aus einem Tatbestand sei ein subjektives Recht begründet, von jemandem etwas verlangen zu können. Wenn dieses Recht nicht erfüllt werde, dann könne man eine Klage vor dem Gericht erheben12. Seitdem folgen das Zivilrecht und das Zivilprozeßrecht in Deutschland grundsätzlich der oben dargestellten Lehrmeinung. Materielles und prozessuales Recht wurden systematisch getrennt. Durch Abstrahierung wurden die Rechtsnormen zunehmend aufgelöst. Die Auflösung der Actio wurde erst hier vollendet. Die zur absrakten Norm systematisierte Actio wurde ausschließlich als materiellrechtliche Norm betrachtet. Der Inhalt der Actio wuchs weiter entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung und führte schließlich zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896, das von präziser Systematik gekennzeichnet ist. Schon 1877 war die Zivilprozeßordnung erlassen worden. Diese zwei Gesetzbücher bildeten das deutsche Zivilrechtssystem. Bei dem oben dargestellten Zivilrechtssystem geht der Prozeß vom materiellen Recht aus. Der Prozeß wird um das Vorliegen oder Nichtvorliegen des vom Zivilrechtssystem anerkannten subjektiven Rechts geführt. Im römischen Recht lag die Vorschrift des Gesetzes, also die Actio, schon von dem Beginn des Prozesses vor und das Verfahren ging von ihr aus. Zwar kam später die Auflösung der Actio. Aber die Betrachtung des Prozesses von dem vor dem Prozeß bestehenden Recht aus liegt der Struktur des Zivilprozesses weiter zugrunde. 2. Die geschichtliche Entwicklung des germanisch-rechtlichen prozeßrechts — das anglo-amerikanische Recht

Zivil-

a) Die Germanen bildeten nach der Völkerwanderung (von 4. bis 6. 11 Schwartz (Fn.8), S.495, 671. 12 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts von Standpunkte des heutigen Rechts, 1856, S. 221 ff.

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Jahrhundert) verschiedene Volksstaaten. Das germanische Recht galt in der Form des Volksrechts (leges barbarorum). Ein Teil des Volksrechts wurde zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert zum geschriebenen Recht, z.B. lex Salica, lex Ribuaria, lex Baiuwarium usw. In späteren Zeiten, im Mittelalter, gab es zunächst noch ungeschriebenes Recht. Im 13- Jahrhundert begann man aber wieder mit der Kodifikation. Als erstes Beispiel der Kodifikation wird der Sachsenspiegel genannt, der das überlieferte einheimische Recht enthielt. Die Verschiedenheit des Rechts der einzelnen Länder behinderte den sich entwickelnden wirtschaftlichen Verkehr. Das damalige deutsche Reich (das Heilige Römische Reich Deutscher Nation) übernahm das römische Recht, das zu Entstehung des einheitlichen Rechts beitrug. Die Rezeption des römischen Rechts wurde Mitte des 15. Jahrhunderts vollendet13. Es wurde zum Hauptstrom und verdrängte das germanische Recht. b) Während, wie oben dargestellt, das germanische Recht auf dem Kontinent zurückging, bewahrte es in England lange Zeit seine Tradition und entwickelte sich weiter. Bei der Völkerwanderung brachen Angeln, Sachsen und Jüten, also Anglo-Sachsen in England ein und überlieferten zunächst dort das germanische Recht. Später, 1066, wurde durch William I., König der Normannen, das normannische Reich begründet. Die Normannen gehörten eigentlich zu den Germanen und entwickelten das englische Recht auf der Linie des schon geltenden germanischen Rechts weiter14. Bevor William England unterwarf, hatten die Völker der AngloSachsen sieben Königreiche, jedes mit eigenem Volksrecht. Daneben gab es örtliches Gewohnheitsrecht. Nach der Unterwerfung erklärte William, daß das bisherige Gewohnheitsrecht weiterhin Geltung habe. Er zentralisierte aber das Justizsystem und versuchte das Recht zu vereinheitlichen. William gründete zu den bestehenden ländlichen Gerichten der Lehnsherren ein königliches Zentralgericht und errichtete die Zirkulargerichte (circuit courts). Durch die Entscheidungen dieser Gerichte unterschied er das als Königsrecht anzuerkennende Recht vom übrigen Gewohnheitsrecht. Dadurch wurde die Einheitlichkeit des angelsächsi13 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1966. S. 339 ff 14 Über die Entwicklung des Englischen Rechts: vgl. Baker, An Introduction to English Legal History, 2. Aufl. 1979 ; Plucknett, A Concise History of the Common Law, 5. Aufl. 1956 ; Fifoot, English Law and its Background, 1932 ; Jenks, A short History of English Law, 1924.

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sehen Rechts allmählich verwirklicht und seit Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts das Richterrecht, genannt common law, ausgebildet, das zum geltenden englischen Recht wurde. Deshalb ist das englische Recht im Grunde genommen nichts anderes als germanisches Recht15. Das englische Recht wurde spater auch in Amerika eingeführt und bildet zusammen mit dem amerikanischen Recht den anglo-amerikanischen Rechtskreis. c) Das germanische Recht wurde im oben dargestellten geschichtlichen Verlauf im anglo-amerikanischen Recht überliefert und fixiert. Es erfuhr in der langen Zeit viele Veränderungen. Ein Prinzip blieb aber vom alt-germanischen Recht bis zum modernen anglo-amerikanischen Recht erhalten: Das germanische Recht kannte kein geschriebenes Recht; es wird erst im jeweiligen Prozeß gesucht (Rechtsfindung, lawfinding). Man betrachtet den Prozeß nicht von der Norm, sondern von der Tatsache ausgehend.

IV. Der römisch-rechtliche und germanisch-rechtliche Zivilprozeß Der römische und der germanische Zivilprozeß entwickelten sich im oben dargestellten Verlauf zum geltenden kontinentalen und anglo-amerikanischen Zivilprozeß. Der wesentliche Unterschied zwischen römischem und germanischem Zivilprozeß liegt, wie bereits erwähnt, darin, daß der römische Zivilprozeß von der Norm aus den Prozeß begreift, während der germanische Prozeß von den Tatsachen ausgeht. Diese Besonderheiten charakterisieren den Prozeß des römisch-rechtlichen und des germanisch-rechtlichen Rechtskreises. Im folgenden soll erörtert werden, wie beide Prozeßrichtungen die Grundprobleme der Zivilprozeßrechtswissenschaft, also die Probleme des Prozeßzwecks, des Prozeßgegenstandes, der Prozeßpartei und der Rechtskraft behandeln.

15 Pound schreibt: „ das anglo-amerikanische Recht ist heute mehr germanisch als das deutsche Recht selbst", Pound, Spirit of the Common Law, 1921, S. 17.

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1. Der Zweck des Prozesses a) Der Prozeßzweck im römisch-rechtlichen Zivilprozeß a-a) Im Aktionen-System des römischen Rechts konnte die Partei dann das Verfahren einleiten und um die Verwirklichung der mit der Actio verbundenen Rechtsfolge ersuchen, wenn der Sachverhalt unter eine Actio subsumiert werden konnte (wo eine Actio besteht, gibt es Hilfe - ubi ius, ibi remedium). In der ersten Zeit des römischen Zivilprozesses, d.h. in der Zeit des Legisaktionenprozesses, bildeten das Zwölftafelgesetz und das anschließend verordnete Zivilrecht (ius civile) die Rechtsquellen für die Aktionen. Diese Gesetze waren vom Staat erlassen worden. Ihrer Rechtsnatur nach waren sie Sozial- und Entscheidungsnormen. Bei einem unter das Gesetz subsumierbaren Sachverhalt funktionierte das Recht zuerst als Sozialnorm und ließ die Actio (d.h. Anspruch und Klagerecht im modernen Sinne) entstehen. Der Kläger erhob die Klage, indem er behautpete, diese Actio liege vor. Der Prätor untersuchte danach im Verfahren (in iure), ob dieser Fall unter der vom Kläger angegebenen Actio behandelt werden durfte. Das Recht wirkt hier als Entscheidungsnorm. Das subjektive Recht (die Actio) galt somit schon vor dem Prozeß, und die Partei erbat die Anwendung dieses Rechts. Man kann daher sagen, daß in diesem Rechtssystem der Prozeßzweck gerade im Rechtsschutz der Partei lag. a-b) Dieser Rechtsgedanke ist zusammen mit dem Aktionen-System durch die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland übernommen worden. Die nach römischem Recht orientierten Länder besitzen positives Recht. Dieses Recht ist schon von Beginn des Prozesses als Sozialnorm gültig. Bei Verstößen tritt das subjektive Recht der Sozialnonn entsprechend in Kraft. Entspricht der Gegner dem Recht nicht, so wird zur Verwirklichung des Rechts Klage erhoben. Der Zweck des Zivilprozesses ist somit der Rechtsschutz der Partei. Windscheid drückt dieses Verhältnis einer Zweiteilung von Anspruch und Klage folgendermaßen aus : Nach dem materiellen Recht besteht ein Anspruch. Die Klage realisiert diesen Anspruch. Somit dient der Prozeß der Durchsetzung des Anspruchs16. Im allgemeinen wurde diese Lehre unterstützt und galt bis zur Zeit des Nationalsozialismus, in der die

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Auffassung von der Erhaltung der Rechtsordnung vertreten wurde, als vorherrschende Lehre der deutschen Zivilprozeßrechtswissenschaft. b) Der Prozeßzweck im germanisch-rechtlichen

Zivilprozeß

b-a) Während das römische Reich schon früh das geschriebene Recht kannte und der Zivilprozeß von der Actio ausging, die durch das geschriebene Recht bestimmt war, hatten die Germanen noch kein damit vergleichbares Recht. In diesem Rechtskreis galten die Normen des „nomos", des altangestammten Rechtsbewußtseins des Volkes. Der „nomos" ist nicht geschrieben, er sollte im täglichen Leben gefunden werden. Die germanischen Völker bildeten „Sippen" und lebten in der Gruppe in entlegenen Gebieten Europas unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen. Das alte Wort „Sippa" 17 bedeutet „Frieden" oder „Freundschaft". Wenn ein den Frieden störendes Geschehnis auftrat, erhob man bei Gericht Klage auf Wiederherstellung des Friedens. Die Sippenmitglieder, die den Frieden störten, wurden als „Friedlose" aus der Gruppe verstoßen 18 . Der Prozeßzweck der damaligen Zeit lag also in der Erhaltung des allgemeinen Friedens, d.h. in der „Streitlösung". Ein anderer Gesichtspunkt war die Erhaltung der Rechtsordnung der Gesellschaft, da im jeweiligen Rechtsfall die Entscheidung von der Findung des „nomos" abhing. b-b) Der Rechtsgedanke der Erhaltung des Friedens innerhalb der Gesellschaft, bzw. der Erhaltung der Rechtsordnung, war bei den germanischen Völken von entscheidender Bedeutung. Er blieb in Deutschland auch nach der Rezeption des römischen Rechts fest verankert. Hierin liegt auch der Grund, daß in nationalsozialistischer Zeit, einer Zeit, in der man zur Rückkehr zu alten germanischen Sitten aufrief, betont wurde, der Prozeßzweck liege ausschließlich in der Erhaltung der Rechtsordnung. Die obige Vorstellung des germanischen Rechts kam durch die große Völkerwanderung auch nach England. Hier wurde der Gesichtspunkt von der Erhaltung des Friedens innerhalb der Gesellschaft besonders betont. Der Rechtsgedanke wurde durch die Institution „Frieden" (peace), die in der geschichtlichen Entwicklung des englischen Rechts eine große Rolle spielte, übernommen. Es gab verschiedene Arten des Friedens (z.B. 16 Siehe Fn. 12. 17 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 1961, S. 51. 18 Mitteis/Lieberich (Fn.5), S. 30 f.

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Frieden innerhalb der Kirche, Hausfrieden usw.) und jede Art des Friedens wurde durch gesetzliche Friedensmaßnahmen geschützt. Diese Friedensvorstellungen wurden später in den sog. „Frieden des Königs" (king's peace) einbezogen". Die Erhaltung des allgemeinen Friedens im Land des Königs wurde durch gerichtliche Sühnemaßnahmen gegen jeden Eingriff geahndet. Somit kann man sagen, daß die Entscheidung am Königsgericht dem Friedensschutz des Königs diente. Offenbar spielte dieser Rechtsgedanke auch in der Entwicklung des englischen Rechts eine grundsätzliche Rolle. Die moderne angloamerikanische Lehrmeinung über den Zivilprozeß betont vor allem, daß der Zweck des Prozesses in der Streitlösung liege2®. Hier kommt aber erneut germanisches Denken in moderner Zeit zum Ausdruck. 2. Der

Streitgegenstand

a) Der Streitgegenstand

im römisch-rechtlichen

Zivilprozeß

a-a) Im römischen Zivilprozeß galt das Aktionen-System. Das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein der vom Kläger behaupteten Actio war Gegenstand des Prozesses. Prozeßgegenstand war das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Umstandes, der den Tatbestand der Actio bildete. Der jeweilige Lebenssachverhalt wurde im Prozeß geprüft, aber nur auf Tatsachen, die juristisch der Actio zugeordnet werden konnten. Die Betrachtung des Streitgegenstandes, ausgehend von der Actio, d.h. der Norm, wurde auch im Formularprozeß und im Kognitionsverfahren konsequent beibehalten und war eine charakteristische Eigenschaft des römischen Zivilprozeßrechts. Im Zusammenhang mit diesem Rechtsgedanken ist zu beachten, daß im römischen Zivilprozeß der Wille der Parteien eine große Rolle spielte. In anderen W o r t e n : nicht die Interessenverfolgung beider Parteien bildete den Streitgegenstand, sondern das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Actio, die von der Partei gewählt wurde. Der Rechtsgrund war damit kein bloßer Sachverhalt, sondern ein Tatbestand, der die Actio entstehen ließ. Dies liegt vor allem bei der Aktionenkonkurrenz auf der Hand. Es hing vom Willen der Parteien ab, welche Actio den Streitgegenstand 19 Über den „Kings Peace", vgl. Pollock, The Expansion of the Common Law, 1904, S. 152 ff. 20 Z.B. Field/Kaplan, Materials for a Basic Course in Civil Procedure, 3. Aufl. 1973, S. 1 f.; James/Hazard, Civil Procedure, 2- Aufl. 1977, S. 2.

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bilden sollte. a-b) Im römischen Recht betrachtete man den Streitgegenstand von der Actio aus. Dieser Rechtsgedanke wurde mit der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland eingeführt. Aber er wurde nicht zum allein herrschenden Verständnis im gemeinen Prozeß, weil auch die germanisch-rechtliche Auffassung vom Prozeßgegenstand die Praxis beeinflußt hat. Erst mit Windscheids Studien über die Actio in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieser Gedanke zur Hauptrichtung und bekam eine vorrangige Stellung in dem von Windscheid geprägten Zivilprozeßrechtssystem. Zu diesem Zeitpunkt war die Actio aber schon in Auflösung begriffen und wurde in Anspruch und Klagerecht, Tatsachen und Normen gegliedert. Die Trennung zwischen materiellem Recht und prozessualem Recht wurde durchgeführt und das materielle Recht als abstrakte Norm des Pandektensystems konstruiert. In diesem Rechtssystem wurde der römisch-rechtliche Gedanke, das Vorliegen oder NichtVorliegen der Actio solle den Streitgegenstand bilden, durch die Auffassung ersetzt, das tatsächliche Ereignis solle im Hinblick auf die Tatbestände des materiellen Rechts rechtlich geprüft werden und der so entstehende Anspruch den Streitgegenstand bilden. Die durch die Tatbestände des materiellen Rechts bestimmten Tatsachen stellen den Streitgegenstand dar. Dieser Gedanke wurde unter der deutschen Zivilprozeßordnung von 1877 zur herrschenden Auffassung21. b) Der Streitgegenstand im germanisch-rechtlichen Zivilprozeß b-a) Während der Streitgegenstand im römischen Zivilprozeß, wie bereits dargestellt, durch die Actio deutlich begrenzt wurde, kannte das germanische Recht kein derartiges Kriterium. Dort soll im Falle einer Störung des Friedens der Sippe das geltende Recht gefunden und durch die Entscheidung der gestörte Frieden und die Ordnung wieder hergestellt werden. Deshalb bildete der Sachverhalt als solcher den Gegenstand des Prozesses. Dieser germanische Gedanke übte nach der Rezeption des römischen Rechts einen großen Einfluß auf die Entwicklung des deutschen Zivilprozeßrechts aus. So veränderte z.B. der jüngste Reichsabschied von 1654 unter den Einflüssen des sächsischen Rechts, das eigentlich zum germanischen Recht gehörte, die bis dahin herrschenden zivilprozes21 Z.B. Hellwig, Lehrbuch des Deutschen Civilprozeßrechts Bd. 1, 1903, S. 214 ff.

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sualen Rechtsgedanken. Auch die prozessuale Auffassung des Streitgegenstandes (die prozessuale Theorie, in Japan „Neue Streitgegenstandslehre" genannt), die vor und nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland vertreten22 und in Japan nach dem Krieg eingeführt wurde23, gehört m.E. zum germanischen Gedanken. Nach dieser Auffassung war der Streitgegenstand von den Tatbeständen des materiellen Rechts zu trennen, und ausschließlich aus prozessualer Sicht zu vestehen. b-b) Der oben genannte Rechtsgedanke des germanischen Zivilprozesses wurde auch in England eingeführt und trug maßgeblich zur Bildung der Grundlagen des anglo-amerikanischen Zivilprozesses bei. Im angloamerikanischen Zivilprozeß stellt heute nicht der vor dem Kläger rechtlich gewürdigte Sachverhalt, sondern das tatsächliche Geschehen den Prozeßgegenstand dar. Das Problem des Streitgegenstandes erfährt im anglo-amerikanischen Zivilprozeß eine andere Behandlung als im kontinentalen Zivilprozeß. Im folgenden soll dies anhand einiger Beispiele des amerikanischen Zivilprozesses gezeigt werden : i ) Im amerikanischen Zivilprozeß sollen mehrere Rechtsgründe (cause of action), die sich aus dem gleichen Lebenssachverhalt (same transaction) ergeben, ein für allemal in den Prozeß eingebracht werden. Es ist nicht erlaubt, nur einen Teil des Rechtsgrundes getrennt mit einer Klage vorzutragen — rule against Splitting a cause of action24. Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts hat nicht die Aufgabe, den Umfang des Sachverhalts zu begrenzen. Deshalb kann die Partei ganz frei einen Rechtsgrund durch einen anderen ersetzen (die Klageänderung im angloamerikanischen Zivilprozeß). Auch das Gericht kann selbständig den Rechtsgrund ändern. Wenn eine Klage z.B. aufgrund des Rechtsgrundes A erhoben wurde, darf das Gericht sie aufgrund B entscheiden, soweit beide Rechtsgründe zu demselben Sachverhalt gehören. ii) Im römisch-rechtlichen Zivilprozeß würdigte man das geschehene Ereignis rechtlich und machte den rechtlichen Anspruch zum Streitgegenstand. In einem Fall, der eigentlich die Zurückzahlung von 10 000 DM betrifft, könnte der Kläger deshalb Rückzahlung von nur 6 000 DM mit einer Klage geltend machen. Da aber der Sachverhalt als solcher im 22 Z.B. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 3. Aufl. S. 274 f.; Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1954 ; Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 195623 Mikazttki, Minji-Soshöhö (Zivilprozeßrecht), 1959, S. 86 ff. 24 James/Jazard (Fn.20), S. 540 f.; Green, Basic Civil Procedure, 2-Aufl. 1979, S.228 f.

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anglo-amerikanischen Prozeß den Streitgegenstand bildet, könnte das Gericht zur Zurückzahlung von 10 000 DM verurteilen, wenn tatsächlich das Vorliegen der Forderung in dieser Höhe vom Gericht festgestellt wird - auch wenn der Kläger nur 6 000 DM im Prozeß verlangt (Fed. Rules Civ. Proc. 54 c). iii) Als drittes Beispiel kann aufgeführt werden : Wenn das behauptete Recht, welches im Zusammenhang mit dem vom Kläger geltend gemachten Sachverhalt steht, auch dem Beklagten zustehen kann, soll das Gericht zugleich auch die Behauptung des Beklagten beurteilen, weil im Zivilprozeß des germanischen Rechtskreises der Rechtsgedanke herrscht, daß das geschehene Ereignis den Streitgegenstand bildet. Deshalb kennt das amerikanische Recht die Institution der zwingenden Widerklage (compulsory counterclaim) 25 , die dem deutschen Recht fremd ist (Fed. Rules Civ. Proc.13 a). 3. Die

Prozeßpartei

a) Die Prozeßpartei

im römisch-rechtlichen

Zivilprozeß

a-a) Wie bereits oben dargestellt, bildet im römischen Zivilprozeß nicht der Sachverhalt selbst den Streitgegenstand, sondern der durch die Actio rechtlich geprägte Sachverhalt. Auch werden im römischen Zivilprozeß nicht alle vom Streit Betroffenen zur Partei, sondern nur der Berechtigte und der Verpflichtete der Actio. Das römische AktionenSystem bestimmt jedes Verhältnis als ein Verhältnis von Rechten und Pflichten. Deshalb erhebt im römischen Zivilprozeß der nach der Actio Berechtigte (Kläger) die Klage gegen den Verpflichteten als Beklagten (Zwei-Parteien-System). Es hängt ausschließlich vom Willen des Klägers ab, wer Prozeßpartei wird. Deshalb können Dritte nicht Prozeßpartei werden, auch wenn sie an dem betroffenen Fall beteiligt waren. Der Prozeß wurde um das Vorliegen oder NichtVorliegen der vom Kläger behaupteten Actio zwischen dem Kläger und dem Beklagten geführt, deshalb standen sich zwei Parteien vor dem Gericht gegenüber (Gegenüberstellung der zwei Parteien). a-b) Die oben dargestellte Prozeßstruktur wurde mit der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland eingeführt. Der gemeine Zivilpro25 James/Hazard (Fn.20), S. 490, 558.

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zeß kannte zwar die Prozeßintervention des Dritten unter dem Einfluß des germanischen Rechts, aber das Zwei-Parteien-System des römischen Rechts blieb als grundlegende Konstruktion unberührt erhalten. Das deutsche BGB begreift jedes Rechtsverhältnis wie die Actio als das Verhältnis von Berechtigten und Verpflichteten. Im Zivilprozeß stehen sich daher die Parteien gegenüber. Diese Gegenüberstellung der zwei Parteien ist die grundlegende Konstruktion des römisch-rechtlichen Zivilprozesses. b) Die Prozeßpartei im germanisch-rechtlichen

Zivilprozeß

b-a) Im germanische Rechtskreis lag, anders als im römischen Rechtskreis, das Recht vor dem Prozeß nicht vor. Dieses sollte erst aus dem Geschehen hergeleitet werden. Wenn der Frieden in der Gesellschaft gestört wurde, ersuchten die Betroffenen das Gericht um Rechtsfindung. Wenn die Betroffenen mehrere Personen waren, wurden diese Personen auch Prozeßpartei 26 (kein Zwei-Parteien-System). Diese Parteien trugen den Lebenssachverhalt dem Gericht vor. Das Gericht leitete das Recht aus den Tatsachen her (da mihi factum, dabo tibi ius). Die Parteien standen sich also nicht gegenüber, sondern nebeneinander vor dem Gericht 27 . b-b) Im germanischen Recht wurden also alle Betroffenen des Geschehens Partei. Dieser Gedanke blieb auch nach der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland verwurzelt. Daraus entwickelte sich die Institution der Intervention. Wenn ein Dritter ein Interesse an dem bereits rechtshängigen Streit hatte, durfte er in dem Prozeß als Partei intervenieren. Er konnte sein Recht gegen Kläger und Beklagte im Prozeß verfolgen und um ein Urteil ersuchen. In diesem Fall spricht man von der Hauptintervention 28 . Die Nebenintervention dagegen bedeutet, daß der Dritte ein eigenes Recht nicht behauptet, sondern nur einer 26 Genaugenommen sind alle Betroffenen des Streites verpflichtet, sich am Prozeß zu beteiligen. Die Rechtsfindung in der germanischen Gesellschaft ist eine Sache, die durch die Gesamtheit der Freien erfolgen soll, und jeder ist verpflichtet, an der Herstellung des Rechts mitzuwirken (Engelmann , Bd. 2, Heft 1, S. 37). Darum mußte man am Prozeß teilnehmen, wenn das eigene Recht im Prozeß untersucht wird. 27 Dieser Unterschied taucht auch im Arrangement der Plätze der Parteien im Gerichtssaal auf. In den Landern, die zum römisch-rechtlichen Rechtskreis gehören, stehen die beiden Parteien sich vor dem Richter gegenüber. In den angloamerikanischen Ländern stehen die Parteien vor dem Richter oder vor den Juries nebeneinander. 28 Weismann, Hauptintervention und Streitgenossenschaft, 1884, S. 1 ff.

Die Institution und Dogmatik des Zivilprozesses

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Partei als Gehilfe zur Seite steht. Bei der Hauptintervention entstand der Prozeß zwischen drei Parteien (Kläger, Beklagtem und Intervenient). Dieses Institut blieb als Rest des germanischen Rechts bis in die Zeit des gemeinen Prozesses erhalten. Aber in der deutschen Civilprozeßordnung von 1877, die unter dem starken Einfluß des römischen Rechts stand, wurde das Zwei-ParteienSystem durchgesetzt und die Hauptintervention als Verbindung zweier Prozesse geregelt (deutsche Z P O § 61 a.F., heute § 64). b-c) Die Vorstellung des germanischen Rechts, daß der Sachverhalt den Streitgegenstand bilde und alle Betroffenen des Geschehens Prozessparteien seien, ist nicht in Deutschland, sondern im anglo-amerikanischen Recht enthalten. Im anglo-amerikanischen Recht ist grundsätzlich das rechtlich vorher nicht gewürdigte Geschehen als solches der Streitgegenstand. Da es erforderlich ist, über das geschehene Ereignis ein für allemal zwischen allen Betroffenen, die ein Interesse an dem Prozeßergebnis haben, zu entscheiden, werden diese Interessenten zu Parteien des Prozesses. Deshalb erkennt man das Institut der Intervention im anglo-amerikanischen Recht in weiterem Umfang an als im römischen Zivilprozeß. Die Personen, die ein gemeinsames Interesse an dem Prozeß haben, werden mit Ausnahme besonderer Fälle gezwungen, als Streitgenossen dem Kläger oder Beklagten beizutreten" (Fed. Rules Civ. Proc.19 a). Im germanisch-rechtlichen Zivilprozeß dient die Entscheidung der Rechtsfindung im Streit. Die Unterscheidung zwischen dem Kläger und Beklagten ist nicht so wichtig wie im römisch-rechtlichen Zivilprozeß. Deshalb kann man die Partei, die eigentlich als Streitgenosse des Klägers den Prozeß führen sollte, als Beklagte in den Prozeß hineinziehen, wenn 29 Diese Institution heißt „Necessery and indispensable Parties" (James/Hazard , S. 427 f f . ) . Es gibt noch andere Einrichtungen, um einen Fall durch Prozeß zu erledigen. Zum Beispiel folgende: a ) Der Beklagte eines Prozesses kann einen Dritten, der ihm die streitige Sache schuldet, zu dem Prozeß hinzuziehen, um sich davor zu schlitzen, daß er den Prozeß verliert (Impleader, Fed. Rules Civ. Proc. 14, James/Hazard , S. 516 f f , ) . b) Ein Beklagter, der von mehreren Beteiligten wegen derselben Sache doppelt und widersprechend in Anspruch genommen wird, kann alle Anspruchsgläubiger in den Prozeß einbeziehen (Interpleader, Fed. Rules Civ. Proc. 22, James/Hazard