Jahrbuch für Jugendtheologie Band 2: "Der Urknall ist immerhin, würde ich sagen, auch nur eine Theorie": Schöpfung und Jugendtheologie 376684265X, 9783766842657


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"Der Urknall ist immerhin, würde ich sagen, auch eine Theorie": Schöfung und Jugendtheologie
Inhalt
Vorwort
Markus Öhler
Edgar Thaidigsmann
Friedrich Schweitzer
Christiane Konnemann / Elisabeth Oberleitner / Roman Asshoff / Marcus Hammann / Martin Rothgangel
Thomas Weiß / Nicolai Basel / Martin Rothgangel / Ute Harms / Helmut Prechtl
Carsten Gennerich
Christian Höger
Janine Griese
Heike Regine Bausch
Thomas Weiß
Matthias Imkampe
Veit-Jakobus Dieterich / Matthias Imkampe
Anke Kaloudis
Buchbesprechungen
Die Autorinnen und Autoren
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Jahrbuch für Jugendtheologie Band 2: "Der Urknall ist immerhin, würde ich sagen, auch nur eine Theorie": Schöpfung und Jugendtheologie
 376684265X, 9783766842657

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"Der Urknall ist immerhin, würde ich sagen, auch eine Theorie": Schöfung und Jugendtheologie

Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Hildrun Keßler, Friedhelm Kraft, Bert Roebben, Martin Rothgangel, Thomas Schlag, Martin Schreiner und Elisabeth E. Schwarz

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»Der Urknall ist immerhin, würde ich sagen, auch nur eine Theorie« Schöpfung und Jugendtheologie Jahrbuch für Jugendtheologie Band 2 Herausgegeben von Veit-Jakobus Dieterich, Bert Roebben und Martin Rothgangel

Calwer Verlag Stuttgart

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eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4266–4 ISBN 978–3–7668–4265–7 © 2013 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Beltz Bad Langensalza GmbH E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com

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Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Theoretische Grundlagen

Markus Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen. . . . . . 11 Edgar Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche. Systematische Perspektiven. . . . . . 26 Friedrich Schweitzer Schöpfungsglaube und Kreationismus – Herausforderungen und Aufgaben für die Jugendtheologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Empirische Aspekte

Christiane Konnemann / Elisabeth Oberleitner / Roman Asshoff / Marcus Hammann / Martin Rothgangel Einstellungen Jugendlicher zu Schöpfung und Evolution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Thomas Weiß / Nicolai Basel / Martin Rothgangel / Ute Harms / Helmut Prechtl Argumentationsmuster von Jugendlichen zu Schöpfung und Evolution. . . . . . . . . . 63 Carsten Gennerich Schöpfung und Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Christian Höger Schöpfungstheologie der Jugendlichen und deren Konsequenzen für den Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Religionspädagogische Anregungen

Janine Griese Was haben »Schmetterlinge im Bauch« mit der biblischen Schöpfungserzählung zu tun? Eine Entdeckungsreise mit Jugendlichen. . . . . . . . 105

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6 Heike Regine Bausch ... wenn das Herz beim Anblick eines Neugeborenen zu glänzen beginnt ... – Mit Schüler/innen der gymnasialen Oberstufe die Präimplantationsdiagnostik thematiseren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Thomas Weiß Fördert evangelischer Religionsunterricht die Fähigkeit zu argumentieren? – Beschreibung und Interpretation einer Stundenbeobachtung an einem Wiener Gymnasium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Matthias Imkampe Den wissenschaftstheoretischen Prozess sichtbar werden lassen. . . . . . . . . . . . . . . 125 Veit-Jakobus Dieterich, in Verbindung mit Matthias Imkampe »Es könnte doch sein, dass Gott der Natur geholfen hat, sich zu entwickeln.« – Komplementäres oder / und hybrides Denken? Wie weit man in der Schulzeit in der Frage der Weltbildentwicklung realistischerweise kommen kann . . . . . . . . 132 IV. Anhang

Anke Kaloudis Sokratische Gespräche im Religionsunterricht führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 V. Buchbesprechungen

Alexander Schimmel: Einstellungen gegenüber Glauben als Thema des Religionsunterrichts. Didaktische Überlegungen und Anregungen für die gymnasiale Oberstufe. . . . 156 Veit-Jakobus Dieterich (Hg.): Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Bernhard Grümme u.a. (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik. Ein Arbeitsbuch . . . . . . . . . . 160 Martin Rothgangel / Gottfried Adam / Rainer Lachmann (Hg.): Religionspädagogisches Kompendium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a.: Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

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7 Vorwort

Die Prognose, dass »die Weiterentwicklung der Kindertheologie zur Jugendtheologie auf der theologischen Agenda« stehe, im Vorwort des ersten Bandes des Jahrbuchs für Jugendtheologie aufgestellt, lässt sich angesichts des Erscheinens wichtiger Monographien und Sammelbände zum Thema in jüngster Zeit deutlich bestätigen. Nachdem der genannte erste Band des Jahrbuchs für Jugendtheologie in allgemeiner Form »Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie« in theoretischer und praktischer Hinsicht auslotete, hat der vorliegende zweite einen thematischen Schwerpunkt: die Frage nach der Schöpfung. Dies fügt sich insofern passend in die gemeinsame Weiterentwicklung von Kinder- und Jugendtheologie ein, als sich der 11. Band des Jahrbuchs für Kindertheologie aus dem Jahr 2012 mit eben demselben Thema beschäftigte, so dass sich hier in starkem Maße Anschlussund Vergleichsmöglichkeiten ergeben. Grundlegend lässt sich dabei bestätigen, dass Jugendtheologie einerseits nicht einfach als bloße Fortschreibung von Kindertheologie verstanden werden kann, sondern ein durchaus eigenes Gepräge hat, andererseits aber ohne diese gar nicht denkbar ist und sich – gleichsam komplementär – auf sie bezieht. Die Frage nach der Entstehung des Seienden, nach der Erklärung von Welt und Leben, ist eine der großen Themen-

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stellungen der Jugendzeit. Dies ist in der Religionspädagogik längst erkannt. Karl Ernst Nipkow hat diese Frage als eine der großen »Einbruchstellen« (vielleicht besser: Kritstallisationszentren) für die Gottesfrage im Jugendalter bereits 1987 aus einer beeindruckenden, von Robert Schuster herausgegeben Sammlung von über 1200 Texten von Jugendlichen zur Gottesfrage herauspräpariert. Und gegenwärtig finden sich gar Stimmen, die der Auffassung sind, diese Fragestellung habe die früher als dominant angesehene Theodizeethematik in der zentralen Bedeutung abgelöst. Man könnte daher meinen, über die Entstehungs- und Schöpfungsthematik sei religionspädagogisch bereits alles gedacht und gesagt. Wer den vorliegenden Band zur Hand nimmt, wird aber wohl überrascht feststellen, dass dem nicht so ist. Vielmehr ergeben sich gerade auch hier eine Fülle neuer Erkenntnisse und – teilweise auch durchaus offener – Fragestellungen. Einen Schwerpunkt dieses Bandes bildet dabei der Blick auf das, was und vor allem wie Jugendliche in der Entstehungs- und Weltbildfrage denken und argumentieren. Dazu liegt eine ganze Reihe empirisch ausgerichteter großer und kleinerer Untersuchungen und Studien vor oder werden gegenwärtig erarbeitet. Bedeutung gewinnt hier unter anderem und in besonderem Maß der Blick auf die Denkweise, die Vorstellungen und die Argumentationsmuster der

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Vorwort

Heranwachsenden. Dies scheint uns in dreifacher Hinsicht besonders angemessen: im Blick einerseits auf die Thematik selbst, dann in Bezug zum Jugendalter mit der Entwicklung des formal-operatorischen sowie (selbst-)reflexiven Denkens und schließlich hinsichtlich des religionspädagogischen Theoriediskurses, der diesen Bereich gegenwärtig eher zu vernachlässigen scheint, so dass manche Religionspädagogen wie etwa Rudolf Englert der Kinder- und Jugendtheologie hier eine wichtige Aufgabe als Ergänzungspol bescheinigen – wobei wir keinesfalls von einer Entgegensetzung von kognitiver Akzentuierung und affektiven, »ganzheitlichen« oder performativen Aspekten ausgehen wollen, da eine Berücksichtigung des Subjekts dessen gesamte Möglichkeiten in den Blick zu nehmen hat. Eingebettet wird dieser zentrale Blick auf das Denken und Argumentieren von Jugendlichen (Theologie von Jugendlichen) einerseits in umfassende religionspädagogische und theologische Überlegungen (Theologie für Jugendliche) und andererseits in Richtung auf praktische Umsetzungen etwa im Religionsunterricht der Sekundarstufe I und II (Theologisieren mit Jugendlichen). Die ersten drei Beiträge beleuchten eine jugendspezifische Schöpfungstheologie aus biblischer, genauer: neutestamentlicher (Öhler), systematisch-theologischer (Thaidigsmann) sowie religionspädagogischer (Schweitzer) Perspektive und konzentrieren sich damit auf den Aspekt einer Theologie für Jugendliche. Markus Öhler wirft einen umfassenden Blick sowohl auf das Thema Jugend in der Antike und im Neuen Testament sowie auf die Schöpfungstheologie im Neuen

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Testament. Dabei kommt er zum Urteil, dass einerseits die Schöpfungsthematik des Neuen Testaments in Materialien für den Religionsunterricht nur selten angemessen Berücksichtung findet, andererseits aber vor allem die neutestamentlich akzentuierte »Rede der Neu-Schöpfung [...] in verschiedenen Kontexten Perspektiven für Jugendliche« eröffnen könne. Edgar Thaidigsmann behandelt Systematische Perspektiven einer Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche und verweist auf drei Aspekte, die eine Schöpfungstheologie für Jugendliche wichtig und spannend machen (können): zum einen steht das »Ich« in der Mitte des Schöpfungsglaubens, worauf bereits Luther im Kleinen Katechismus hinwies; zum zweiten lassen sich Schöpfungserzählungen und Schöpfungslob als Ausdruck und Form der Bekräftigung des Lebens und zugleich des Widerstands gegen das Lebenszerstörende verstehen; und drittens führt die Frage nach dem Anfang zum Grund unseres Lebens. Friedrich Schweitzer fragt in religionspädagogischer Perspektive nach den Herausforderungen und Aufgaben für die Jugendtheologie durch den Schöpfungsglauben sowie den Kreationismus. Für die unterrichtliche Praxis sieht er dabei die Chance, »die theologischen Sichtweisen und Deutungsformen der Jugendlichen konstitutiv zu berücksichtigen«, mit ihnen in einen echten Dialog zu treten, der »Gespräche auf Augenhöhe möglich« macht. Wobei der jugendtheologische den elementarisierenden Ansatz vertiefen kann und sich zugleich mit dem Kompetenzmodell verbinden lässt. Im Blick auf die konkrete Fragestellung aber stelle das »Denken in Komplementarität« nach wie vor ein »entscheidendes Bildungsziel« dar.

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9 Ein zweiter Block von vier Beiträgen rückt die empirische Erforschung der schöpfungstheologischen Einstellungen Jugendlicher (also eine Theologie der Jugendlichen) ins Zentrum, wobei die beiden letzten Beiträge (Gennerich sowie Höger) zudem die sich daraus ergebende religionsunterrichtliche Didaktik in den Blick nehmen. Christiane Konnemann, Elisabeth Oberleitner, Roman Asshoff, Marcus Hammann & Martin Rothgangel stellen die Ergebnisse von zwei empirischen TeilStudien zu den Einstellungen Jugendlicher zu Schöpfung und Evolution vor. Dabei zeigte sich, »dass die Evolutionstheorie generell positiver bewertet wird als die Schöpfungserzählungen«, zugleich aber »die Neigungen der befragten Schülerinnen und Schüler« nicht nur zu kreationistischen, sondern ebenso zu szientistischen Überzeugungen »gering sind«. Das dritte Ergebnis, dass nämlich dann die Möglichkeit am größten wird, Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie miteinander in Verbindung zu bringen, wenn dies nicht durch kreationistische oder szientische Einstellungen verhindert wird, führt zur didaktischen Forderung, »im Religionswie im Biologieunterricht, derartigen Überzeugungen vorzubeugen.« Thomas Weiß, Nicolai Basel, Martin Rothgangel, Ute Harms und Helmut Prechtl stellen die vorläufigen Ergebnisse einer Studie vor, die – anhand der Argumentationskategorisierung nach Kienpointner – untersucht, welche Argumentationsmuster Jugendliche beim Thema Schöpfung und Evolution verwenden. Dabei wird deutlich, dass sich neben fachspezifischen teilweise auch fachübergreifende Muster nachweisen lassen. Dies führt zur didaktischen For-

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derung, das Thema Schöpfung und Evolution unter Einschluss und Kooperation der Unterrichtsfächer Religion und Biologie »in einen engeren diskursiven Zusammenhang« zu rücken. Carsten Gennerich verbindet in einem großen Dreischritt biblische, primär alttestamentliche Aspekte, empirische Ergebnisse und religionsdidaktische Perspektiven zum Thema Schöpfung und Ordnung. Dabei zeigt sich, dass die Schöpfungsthematik sowohl – unter fachlicher wie empirischer Perspektive – ordnungsstiftende Sinn- und Lebensangebote bietet als auch Anregungen zur Offenheit bereit hält. Dies stellt den Hintergrund für die religionsdidaktische Analyse dar, die zeigt, dass im Religionsunterricht mit den Jugendlichen die Sinndimension, die Möglichkeit von Lebensregeln, aber auch die Offenheit des Lebens thematisiert wird bzw. werden sollte. Ein besonderer Clou von Gennerichs Ansatz liegt darin, dass unterschiedlich orientierte Jugendliche auch differente und differenzierte Lernanreize zu ihrer Weiterentwicklung benötigen. Christian Höger stellt zuerst in einem entwicklungspsychologischen Durchgang die Schöpfungstheologie der Jugendlichen beim Übergang von der Kindheit zur Jugendphase bis hin zu den Jugendlichen der Sekundarstufe II dar. Darauf differenziert er die Einstellungen in der gymnasialen Oberstufe aufgrund der Ergebnisse seiner eigenen empirischen Studie, bei der er sechs Typen von Vorstellungen bzw. Verhältnisbestimmungen identifizierte. Im dritten Teil zeigt er konkrete Konsequenzen für die Behandlung der Schöpfungsthematik im Religionsunterricht auf, wobei – ähnlich wie bei Schweitzer – die Auseinandersetzung mit dem Kreationis-

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Vorwort

mus einerseits sowie die Förderung des komplementären Denkens andererseits als zentrale Forderungen erscheinen. Den dritten Block bilden fünf Beiträge, die sich unmittelbar mit der Unterrichtspraxis beschäftigen und konkrete Vorschläge zur Behandlung des Themas in der Sekundarstufe I und II ausarbeiten oder analysieren, wie sich die Unterrichtspraxis dort im Alltag darstellt. Damit gerät hier der Prozess des Theologisierens mit Jugendlichen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Janine Griese zeigt anhand eines Unterrichtsversuchs in der Sekundarstufe I, wie das abstrakte Thema des Verhältnisses von naturwissenschaftlichen und religiösen Aussagen tatsächlich zu einer anschaulichen Entdeckungsreise mit Jugendlichen werden kann. Ähnlich anschaulich und anregend stellt Heike Regine Bausch eine Unterrichtseinheit »Mit Schüler/innen der gymnasialen Oberstufe die Präimplantationsdiagnostik thematiseren« vor, die sich von der Planung über die Durchführung bis zur Evaluation erstreckt. Thomas Weiß zeigt anhand der Beschreibung und Interpretation einer Stundenbeobachtung an einem Wiener Gymnasium auf, wie Jugendliche einer achten Jahrgangsstufe argumentieren, und ergänzt damit die von ihm selbst und anderen erarbeitete empirische Studie zu jugendlichen Argumentationsmustern (s.o.) im Blick auf den konkreten Unterrichtsalltag aufs Trefflichste. Matthias Imkampe nimmt – wiederum für die Sekundarstufe II – einen bereits vorhandenen kreativen Unterrichtsvorschlag zur Thematisierung der naturwissenschaftlichen Arbeitsweise auf und wendet diesen durch eine originelle Wendung

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zusätzlich selbstreflexiv an, so dass sich im konkreten, praktischen Unterrichtsvollzug der wissenschaftstheoretische Prozess unmittelbar sichtbar machen lässt. In einem weiteren Beitrag analysiert Veit-Jakobus Dieterich anhand konkreter Schülerstellungnahmen aus derselben Kursstufen-Klasse von Matthias Imkampe, inwieweit angehende Abiturientinnen und Abiturienten komplementären oder / und hybriden Denk- und Argumentationsmustern folgen. Dabei wird deutlich, dass zwar einerseits in Ansätzen komplementäres Denken vorhanden ist, das auch weiter gefördert werden sollte, andererseits aber auf breiter Front auch hybride, eher »alltagstaugliche« Denkmuster bzw. -stile vorkommen, die religionspädagogisch nicht stigmatisiert, vielmehr anerkannt und zur Klärung und differenzierten Weiterentwicklung gebracht werden sollten. Insofern lässt sich dieser Artikel als Weiterführung, Modifikation oder auch komplementäre Ergänzung zu den Beiträgen von Schweitzer und Höger verstehen. In einem Zusatzbeitrag lotet Anke Kaloudis die Chancen des »Sokratischen Gesprächs« für den Religionsunterricht aus. Bei aller unvermeidlichen Unabgeschlossenheit und durchaus notwendigen Offenheit zeigen sich doch deutliche Konturen, wie die Schöpfungsthematik in einer Theologie für, von und mit Jugendlichen primär im Religions-, dann aber auch im Biologieunterricht sowie in weiteren religionspädagogischen Arbeitsfeldern angemessen und gewinnbringend zur Sprache gebracht und zugleich fundiert reflektiert werden kann. Veit-Jakobus Dieterich, Bert Roebben, Martin Rothgangel

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Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

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Markus Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

Die folgenden Ausführungen verstehen sich einerseits als Bemerkungen eines Außenseiters, der sich dem Thema Jugendtheologie nur verhalten nähert, und andererseits als Gedanken eines Fachwissenschaftlers, der hofft, Anregungen für eine andere theologische Disziplin und die konkrete Arbeit mit Jugendlichen geben zu können. Der Beitrag setzt ein mit einem Überblick, ob und, wenn ja, wie »Jugend« im Neuen Testament in den Blick kommt. Dabei wird deutlich, dass sich im frühen Christentum Aufnahmen gesellschaftlicher Strukturen der Antike ebenso finden wie eschatologisch motivierte Ansätze, die auch für die gegenwärtigen Bemühungen um eine Jugendtheologie durchaus anregend sind. Im zweiten Teil wird eine Reihe von Religionsbüchern bzw. weiterführender Literatur darauf hin durchgesehen, welche Themen unter dem Stichwort »Schöpfung« behandelt werden und ob neutestamentliche Perspektiven dabei eine Rolle spielen. Vorab schon: Das Ergebnis ist aus der Perspektive des Neutestamentlers erschreckend. Im dritten Abschnitt geht es schließlich um den neutestamentlichen Befund zum Thema Schöpfung, der in seiner Vielfalt auch für Jugendtheologie m.E. von hoher Relevanz ist.

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1. »Jugend« in Antike und frühem Christentum

Eine Definition von »Jugend« ist in der Gegenwart nicht leicht zu geben. Handelt es sich bei »Jugendlichen« um über 14-Jährige oder beginnt die Phase der Jugend schon mit 12 oder 10 Jahren? Wie weit reicht das jugendliche Alter? Die rechtlichen Bestimmungen lauten dazu ebenso unterschiedlich1 wie die Meinungen von »Jugendlichen« selbst, von Eltern und Gesellschaft. »Jugend« ist, das leuchtet unmittelbar ein, Definitionssache, ihre Beschreibung und Abgrenzung ein kulturelles Übereinkommen, das sich durch historische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen stetig verändert.2 1.1 Jugend in der Antike

Für die Antike spielt das jugendliche Alter kaum eine eigene Rolle. Bei einer 1 Vgl. Ulrich Schwab, Art. Jugend. I. Begriff, in: RGG 4 IV (2001), 649. Die österreichische Rechtslage ist je nach Bundesland unterschiedlich und Bemühungen zur Vereinheitlichung scheitern seit Jahren. 2 Diese Unsicherheit trägt auch der Begriff Adoleszenz in sich: In den USA bezeichnet er die Phase zwischen dem 13. und 19. Lebensjahr (»Teen-ager«), frei nach Erik H. Eriksons fünfter Entwicklungsphase, in anderen Definitionen wird diese Phase zwischen dem 10. und 20. oder dem 16. und 24. Lebensjahr verortet.

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Theoretische Grundlagen

genaueren Betrachtung ergeben sich jedoch einige Hinweise, wie über die Phase der Adoleszenz gedacht wurde, wobei zwischen den Geschlechtern und gesellschaftlichen Schichten zu differenzieren ist.3 Wenn Jugend in den Blick kam, dann als eine Phase des Übergangs vom Kind hin zum Träger vorgegebener Rollen und Pflichten. Das Erwachsenenalter war Ziel und Maß. Literatur und Inschriften zeigen aber, dass es sehr stark auf den Blickwinkel ankam, wer als »jugendlich« wahrgenommen wurde. Angehörige der Oberschicht konnten sich den Luxus einer »Lernphase«, eines Abreagierens leisten, wie es bei Aristoteles beschrieben wird (rhet. 1389a–b). Das Lebensgefühl der neoi wird dort, durchaus nicht nur kritisch, als eines voller Energie und Hoffnung beschrieben, das freilich durch Unbeherrschtheit oft in die Irre geht. Ironische Sätze lassen erkennen, dass auch in intellektueller Hinsicht den Jungen – wie alt auch immer sie tatsächlich waren – wenig zugetraut wurde (Arist. rhet. 1389b): »Und sie meinen, alles zu wissen und bestehen darauf; doch ist dies die Ursache ihres dauernden Kampfes.«

Ciceros Unterscheidung in De senectute von vier Lebensaltern steht exemplarisch für die Beschreibung verschiedener Fähigkeiten, die jeweils damit verbunden wurden:4 »Das Leben hat doch seinen ganz bestimmten Verlauf, und der Weg der Natur ist nur einer, und zwar ein gerader. Jedes Lebensalter hat infolge der zeitlichen Entwicklung seinen eigenen Charakter; die Schwäche des Kindes, das Draufgängerische (ferocitas) des jungen Mannes, der Ernst in bereits gesetztem Alter und die Reife des hohen Alters ha-

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ben etwas Naturgemäßes, das man zur rechten Zeit erkennen muss.«

Dass dies auch im Judentum nicht anders war, zeigen unter anderem Texte von Flavius Josephus und Philon von Alexandrien: Die Jungen sollten jeden ehren, der älter ist, denn »Gott ist der Älteste« (Jos., c.Ap. 2,206). Philo setzt das Verhältnis von Jungen und Alten jenem von Kindern und Eltern, Schülern und Lehrern, Empfängern und Wohltätern, Unterworfenen und Herrschern, Sklaven und Herren gleich (Spec. Leg. 2,234). Die Einteilung der Lebensalter war in den antiken Gesellschaften nicht einheitlich, doch lassen sich zumindest hinsichtlich der Beteiligung am politischen Leben Grenzen erkennen: Als jung galt im Alten Griechenland jeder unter 30 (Xenophon, Memorabilia 1, 2, 35), in Rom gehörte man bis 46 zu den iuniores. Die Angehörigen der jugendlichen Stufe der ephebeia / adulescens wurden auf die kommenden politischen, militärischen und gesellschaftlichen Herausforderungen vorbereitet, die sie mit dem Zeitpunkt ihres Erwachsenseins, das in der Regel zwischen 18 und 20 Jahren lag, erreichten. Dabei waren Riten wie das Haar3 Vgl. Josef Wiesehöfer, Art. Jugend, in: DNP 5 (1998), 1209–1211, 1209; Jan Timmer, Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken Gesellschaften, Studien zur Alten Geschichte 8, Mainz 2008; Gerhard Binder / Maren Saiko, Art. Lebensalter, in: DNP 6, (1999), 1207– 1212. 4 Cato 33; vgl. dazu u.a. Jan Timmer (wie Anm.3), 137. Dass die Jugend durchaus hoch geschätzt wurde, wird schon allein am Kult der Iuventus deutlich, deren Verehrung einen festen Platz im römischen Kultkalender hatte und im Tempel der Jupiter Capitolinus bzw. in einem eigenen Tempel am Circus Maximus geübt wurde.

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Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

schuropfer (koureion) oder das Anlegen der toga virilis zu absolvieren.5 All dies war für die meisten jungen Menschen allerdings nicht möglich: Der Einsatz ihrer Arbeitskraft und die damit verbundene Einordnung in die gesellschaftlich vorgegebenen Rollen war von Kindheit an unerlässlich. Wie bzw. ob der Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter auch unter den Handwerkern, Sklaven und schlichtweg Armen begangen wurde, bleibt daher auch weithin im Dunklen. Wichtig ist im Blick auf die Frage nach der Jugend auch noch die Beachtung der Geschlechterrollen: Die Zuordnung zu Altersklassen und das Ausüben von Übergangsriten galt lediglich für Männer, junge Frauen wurden grundsätzlich anderes behandelt. Ihre Aufgabe war es vornehmlich, im Alter von etwa 15 Jahren zu heiraten und die mit der Ehe verbundenen Aufgaben auszufüllen. Für sie gab es so etwas wie »Jugend« eigentlich nicht. 1.2 Jugend im Neuen Testament

Es verwundert nicht, dass das Neue Testament die Einstellung der Antike bezüglich der Jugend teilt. Im Grunde kommen junge Menschen nur selten vor, doch wenn, dann wird ihr Verhalten vor allem im Blick auf Ältere diskutiert. Dabei fällt auch auf, dass das Neue Testament wie die meisten antiken Texte vor allem die Kategorien jung (neōteros) und alt (presbuteros) verwendet6, um damit die grundlegende Unterscheidung hinsichtlich des Alters zu treffen.7 Vor allem die deuteropaulinischen Texte äußern sich in diesem Zusammenhang einschlägig. In 1.Petr 5,5a wird die Erwartungshaltung

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eindeutig formuliert: »Ebenso ihr Jüngeren, ordnet euch den Älteren unter!« Dabei stellt homoiōs den Anschluss an die Unterordnung der Leitungspersonen unter den »Oberhirten« Christus dar.8 Der fiktive Paulus gibt Timotheus die Anweisung, einen Älteren nicht scharf zu tadeln, sondern wie einen Vater anzusprechen (1.Tim 5,1). Besonnenheit ist die Tugend, die jungen Männern nahe gelegt wird (Tit 2,6). In der Niedrigkeitsermahnung in Lk 22,26 wird der Jüngste einem diakonos gleichgestellt: »Der Größte unter euch sei wie der Jüngste (neōteros) und der Führende wie der Dienende.« Junge Menschen, auch wenn sie nach unseren Maßstäben durchaus schon älter gewesen sein mögen, haben die Weisheit und Reife des Alters zu respektieren.9 Junge 5 Zunächst wurde das Ritual der toga virilis mit dem 17. Lebensjahr vorgenommen, ab dem 6. Jhd. n.Chr. mit dem 14. 6 Der Komparativ wird teilweise wie der Positiv verwendet, kann aber auch superlativisch verwendet werden. Die genaue Bedeutung ist also aus dem Kontext zu erschließen. 7 Vgl. John M. G. Barclay, There is Neither Old Nor Young? Early Christianity and Ancient Ideologies of Age, in: NTS 53/07, 225–241, 226. 8 Die Übersetzung von presbuteroi mit der Amtsbezeichnung »Älteste« verwischt, dass das Alter durchaus eine wichtige Rolle spielte, wenn es darum ging, Leitungsfunktionen in den nachpaulinischen Gemeinden zu übernehmen; vgl. insgesamt R. Alastair Campbell, The Elders: Seniority within Earliest Christianity, Studies of the New Testament and Its World, Edinburgh 1994. 9 Wie breit das Spektrum von neōteros ist, zeigen Texte wie die Geschichte vom reichen Jüngling (neani, skoj; so nur in Mt 19,16–22) oder den jungen Männern, die die Leichen von Ananias und Saphira hinaustragen (neōteroi bzw. neaniskoi Apg 5,6.10). Sie sind nach modernen Maßstäben selbstverständlich erwachsen vorzustellen, sind aber im Gegenüber zu den autoritativen Figuren Jesus bzw. Petrus eben »jung«.

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Theoretische Grundlagen

Frauen bzw. Witwen sollen im Übrigen tun, was auch sonst von ihnen erwartet wurde: Heiraten, Kinder kriegen, Mann und Kinder lieben und sich häuslich verhalten (1.Tim 5,11.14; Tit 2,4). All dies stellt nicht nur eine Übernahme antiker Konvention dar, sondern dient auch zur Festlegung von Autoritätsstrukturen, die offenbar nicht immer klar waren. Drei Befunde lassen aber erahnen, dass im frühen Christentum Jugend auch anders beurteilt wurde. Da ist es zum einen in den Pastoralbriefen Timotheus selbst, der anscheinend als Junger, wie alt auch immer, vorzustellen ist: »Niemand verachte deine Jugend (neotēs)!« (1.Tim 4,12). Timotheus als »Role Model« für Gemeindeleiter, der lehrt, ermahnt und die Schrift auslegt (4,13), wird damit zum Vorbild für junge Christen: Auch in jungen Jahren kann man in einer Leitungsfunktion bestehen, wenn man den Älteren mit Respekt begegnet (5,1). Ältere haben dies anzuerkennen, wobei wohl entsprechende Schwierigkeiten den Hintergrund für die Mahnung darstellen, da nach antiker Maßgabe Ältere als Träger von Weisheit und Leitungskompetenz galten. Zugleich ist wichtig: Seine Autorität hat der junge Timotheus durch Handauflegung der Ältestenschaft (presbuterion) erhalten (4,14). Ein jugendliches Alter allein sollte noch kein Grund zur Geringschätzung sein.10 Da ist zum Zweiten die Rezeption von Joel 3,1–5 in Apg 2,17–21. Darin wird die Erfüllung der Geistverheißung proklamiert: »Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, dass ich von meinem Geist ausgießen werde auf alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen

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Männer (neaniskoi) werden Gesichte sehen, und eure Ältesten werden Traumgesichte haben«. Die egalitäre Spitze der eschatologischen Begabung mit Gottes Geist umfasst ausdrücklich auch die Jungen.11 Und schließlich ist auch Paulus selbst zu nennen: An keiner Stelle erwähnt er junge oder alte Menschen mit Ausnahme von sich selbst in Phlm 9, wo er sich als »Alten« bezeichnet.12 John Barclay erklärt dies einerseits einleuchtend damit, dass sich eine »first-generation conversionist sect« keine personellen Einschränkungen hinsichtlich der Wahrnehmung von Funktionen leisten konnte.13 Andererseits ist auf die Geisterfahrung als das entscheidende Movens zum Handeln zu verweisen, das keine Differenzierungen zwischen Jungen und Alten im Blick hat. Eine egalitäre Formel wie Gal 3,28 (»Da ist nicht Judäer noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus«) schließt auch die Alters10 Vgl. auch die Ermahnung des Ignatius von Antiochien an die Magnesier, ihren Episkopos Damas trotz seines jugendlichen Alters als ihren Hirten anzuerkennen, dem sie Gehorsam zu leisten haben (I. Magn 3,1). 11 Lukas hat diesen Gedanken allerdings nicht weiter fortgesetzt. Im Kontext der Apostelgeschichte ist Paulus der einzige bedeutende Jüngling (neanias Apg 7,58), der freilich zunächst als Beteiligter an der Steinigung des Stephanus vorgestellt wird. 12 Die Gegenüberstellung von Unmündigkeit und Mannesalter in 1.Kor 13,11 verdankt sich dem oben genannten Prinzip, dass mit dem Alter auch die Einsicht kommt. Sie ist allerdings hier – wie auch sonst (1.Thess 2,7; 1.Kor 3,1; Gal 4,3; vgl. Eph 4,14; Hebr 5,13) – metaphorisch zu verstehen. Gleiches gilt, wo Kinder als Vorbilder in den Vordergrund gerückt werden (v.a. Mk 10,13–16). 13 John Barclay (wie Anm. 7), 240.

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Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

stufen mit ein. Am Lebensalter orientierte Gegenüberstellungen von Torheit und Weisheit, Unbesonnenheit und Ruhe, blindem Draufloslaufen und Erfahrung waren wahrscheinlich in den ersten Gemeinden nicht relevant. Diese letztgenannten Ausnahmen von der Regel sind, auch wenn die Altersbegrenzungen durchaus unterschiedlich von unseren heutigen gedacht waren, m.E. ein Hinweis darauf, dass der Gedanke an eine Jugendtheologie auch aus neutestamentlicher Perspektive durchaus sinnvoll ist. Theologie von Jugendlichen kann sich als eine Wurzel auf den frühchristlichen Enthusiasmus berufen, der zur Egalität drängte und nur langsam im Zuge einer (notwendigen!) Institutionalisierung in den Hintergrund gedrängt wurde. Der Tradition der kirchlichen Lehre Älterer für Jüngere entspricht eine Theologie für Jugendliche, wie sie ebenfalls wichtig und legitim ist. 2. Die Schöpfung in Unterrichtsliteratur – eine begrenzte Bestandsaufnahme

Vertreter und Vertreterinnen einer theologischen Disziplin sind gerne darauf aus, festzustellen, ob ihre Themen und Thesen von »befreundeten« Disziplinen auch ausreichend wahrgenommen werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse einer Durchsicht von Büchern für den Religionsunterricht für Jugendliche sowie den dazu gehörigen Lehrerhandbüchern aus den letzten 25 Jahren skizzenhaft präsentiert, wobei der Schwerpunkt auf den neutestamentlichen Texten liegt.14

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2.1 Schöpfung und Evolution – Theologie und Naturwissenschaft

In keinem der von mir konsultierten Bücher fehlt dieser Zugang, vielmehr ist es offenbar Standard, hier anzusetzen. »Weltbilder – Menschenbilder«, »Das Bild von der Welt«, »Glaube und Naturwissenschaft« geben schon im Titel an, dass sie mehr oder weniger ausführlich versuchen, einen Dialog zwischen naturwissenschaftlichem und religiösem Zugang bzw. die Auseinandersetzung mit Weltbildern zu erreichen. Das »Kursbuch Religion 11+« behandelt die Schöpfung unter der Überschrift »Glaube und Wissen«, während das Materialheft »Was ist der Mensch?« auf die Evolution nur am Ende zu sprechen kommt. »Perspekti14 Folgende Werke wurden von m ir eingesehen: Uwe Gerber u.a., Grundlinien Religion. Ein Begleitbuch für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II, Band 1, Frankfurt a.M. 1990; Theo Sombeck / Axel Vering / Albrecht Willert, Das Bild von der Welt in Naturwissenschaft und Theologie, Studienbuch Religionsunterricht Sekundarstufe II 2, Göttingen 1993; Ulrich Kämmerer u.a., Kursbuch Religion 11+. Ein Arbeitsbuch für die gymnasiale Oberstufe, Stuttgart / Frankfurt a.M. 1995; Veit-Jakobus Dieterich, Glaube und Naturwissenschaft, Oberstufe Religion, Lehrerheft 2, Stuttgart 21996; Gerhard Kraft (Hg.), Kursbuch Religion 11+. Lehrerhandbuch, Stuttgart / Frankfurt a.M. 1997; Hartmut Rupp / Kurt Konstandin, Was ist der Mensch?, Oberstufe Religion, Materialheft 6, Stuttgart 1999; Frauke Büchner u.a., Perspektiven Religion, Arbeitsbuch für die Sekundarstufe II, Göttingen 2000; Hans-Günter Gerhold u.a., Religion. entdecken – verstehen – gestalten. 9./10. Schuljahr, Göttingen 2002; Christian Schwanke / Roland Bierwald, Weltbilder – Menschenbilder. Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, Themenhefte Religion 3, Leipzig 2003; Hartmut Rupp / Andreas Reinert, Kursbuch Religion Oberstufe, Lehrermaterialien, Stuttgart / Braunschweig 2006.

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ven Religion« (2000) stellt die Frage, ob auch Naturwissenschaft eine Religion sei und geht ausführlicher auf den Kreationismus ein. Auch »Religion. entdecken – verstehen – gestalten« für die 9./10. Schulstufe (2002) hat ein eigenes Kapitel zum Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft. 2.2 Umweltschutz

Ein zweites regelmäßig wiederkehrendes Thema ist der Umweltschutz. So lenkt Veit-Jakobus Dieterich (»Glaube und Naturwissenschaft« 39f) den Blick stark auf Verantwortungsethik. Das Materialheft »Was ist der Mensch?« versteht den Menschen (in einem Text von Jürgen Moltmann) zwar als Herrscher über die Schöpfung, betont aber zugleich Kooperation und Gemeinschaft mit der Umwelt (28). Auch Christian Links Text in diesem Buch endet mit der Bestimmung des Schöpfungsauftrags als »mitkreatürliche Solidarität« (32). In »Religion. entdecken – verstehen – gestalten« werden kritische Texte zur Gentechnik sowie zum (religiös begründeten) Umgang mit der Umwelt referiert (Claus Peter Simon, Carl Amery) (78–81). Cartoons thematisieren den Umweltschutz ebenfalls immer wieder. 2.3 Die Schöpfungserzählungen

Selbstverständlich spielen in allen Büchern die Schöpfungserzählungen (Gen 1,1–2,4a; 2,4b–3,24) eine mehr oder weniger ausgeprägte Rolle. In der Auseinandersetzung damit wird relativ oft versucht, die geschichtliche Bedingtheit dieser Texte zu erhellen. In den »Grund-

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linien Religion 1« behandelt Dietrich Zilleßen sehr ausführlich die Schöpfungstheologie. Dabei unterscheidet er zwischen einer Ordnungstheologie (Priesterschrift, Weisheit, Judentum) und einer Geschichtstheologie (Jahwist, Deuterojesaja).15 Ebenfalls detailliert gehen Theo Sombeck, Axel Vering und Albrecht Willert in »Das Bild von der Welt« auf die Entstehungsgeschichte der beiden Schöpfungserzählungen ein, die in die historischen Umstände eingeordnet werden. Ähnliches lässt sich in »Weltbilder – Menschenbilder« in kürzerer Form finden. In »Perspektiven Religion« behandelt Carolin Schaper recht knapp die beiden Berichte, in denen die Verfasser »etwas vom Wesen Gottes und der Menschen zu erkennen wussten« (59). Die Schöpfungsgeschichten sind auch in Einheiten aus dem Lehrerheft zu Veit-Jakobus Dieterichs »Glaube und Naturwissenschaft« angeführt, im dazugehörigen Schulbuch werden sie erst sehr spät präsentiert (60–62). Ausgesprochen lapidar wird Gen 1,26–29 bzw. 2,4b.7–9.15–17 in »Religion entdecken« zusammen mit einer entsprechenden Passage aus dem Koran zitiert. 2.4 Weitere alttestamentliche Aspekte

Relativ häufig wird auf Schöpfungspsalmen verwiesen. »Weltbilder – Menschenbilder« nennt unter den biblischen 15 Er rutscht dabei m.E. in eine – aus gegenwärtiger Sicht auf das antike Judentum – etwas antijudaistische Richtung, wenn er Jesus als Widerstandsgeist gegen das starre Ordnungsdenken im Judentum positioniert, die Bandbreite jüdischer Schöpfungstheologie im 1. Jhd. dabei aber übergeht.

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Modellen die Psalmen als Zeugnis für die Ansicht, dass die Welt in Ordnung ist (25). Im Lehrerhandbuch zum »Kursbuch Religion 11+« verweisen die Autoren auf die Psalmen 8,19 und 104, durch die die spezifisch biblische Weltsicht in der Form des Lobes auf Schöpfer und Schöpfung zum Ausdruck komme, die vom »natur«wissenschaftlichen (sic!) Kausalitätsdenken abgehoben wird. Auf Psalm 104 geht auch »Religion. entdecken – verstehen – gestalten« insofern ein, als er auszugsweise zitiert wird. Psalm 8 hingegen wird in »Das Bild von der Welt« angeführt und durch zwei Auslegungen gedeutet: Einerseits wird Klaus Kochs Exegese des Psalms als Ausdruck der besonderen Stellung des Menschen im Verhältnis zur Schöpfung angeführt. Andererseits wird Günter Altners u.a. Lesart angeführt, wonach der Psalm im Kontext des AT so zu verstehen sei, dass die Menschheit als Teil der Schöpfung dargestellt werde. In der Tat gibt Psalm 8, wie auch Gen 1, dem Menschen eine königliche Identität im Gegenüber zu allem anderen Geschaffenen, die ihn aber zugleich an das Ethos der Verantwortung vor dem Schöpfer bindet.16 Der Mensch herrscht stellvertretend und vermittelt so den Segen Gottes für die Welt. Der Vorwurf der Anthropozentrik geht daher, wenn er als materialer Begriff verwendet wird, am Anliegen des Textes vorbei: Die Schöpfung ist dem Menschen nicht zum selbstbezogenen Nutzen überlassen, sondern als zu bewahrendes Objekt gegeben. Unter den alttestamentlichen Texten spielt dann noch Deutero-Jesaja eine gewisse Rolle. In den »Grundlinien Religion 1« wird er von Zilleßen als Repräsentant der Geschichtstheologie verstanden:

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Jesaja wollte »an der ursprünglichen Freiheit des Schöpfers festhalten«, »der in seiner Freiheit neues Leben, nämlich Zukunft für sein Volk schafft« (5). Auch in »Das Bild von der Welt« wird Deuterojesaja, allerdings nur knapp, erwähnt. 2.5 Neutestamentliche Aspekte

In dem Studienbuch zum Religionsunterricht »Das Bild von der Welt« findet sich als Nebenbemerkung zur Ausarbeitung der biblischen Perspektiven des Themas Schöpfung folgender Satz: »Die neutestamentlichen Aspekte müssen wir aus Platzgründen vernachlässigen« (87). Die Aussage spiegelt wieder, dass die neutestamentlichen Aussagen zur Schöpfung zwar bekannt sind, aber anscheinend nicht als ausreichend relevant angesehen werden, um in einem Buch für den Religionsunterricht behandelt zu werden. In zwei Textbeispielen werden dann allerdings doch noch neutestamentliche Aspekte angesprochen: Günter Altner u.a. gehen in einem »Manifest zur Versöhnung mit der Natur«17 (108–110) vor allem auf Röm 8,17–23 ein, zusätzlich auf die Gottebenbildlichkeit des verwandelten Menschen (Kol 3,10) und die neue Schöpfung (Apk 21,4). Kritisch wird das NT hingegen in einem Aufsatz von Sigurd Daecke rezipiert: Es habe die »Anthropozentrik 16 Vgl. Ute Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur Alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten, BWANT 101, Neukirchen-Vluyn 2004, 352–358. 17 Günter Altner u.a., Manifest zur Versöhnung mit der Natur. Die Pflicht der Kirchen in der Umweltkrise, Neukirchen-Vluyn 21984.

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des Schöpfungsglaubens eher noch verschärft« (111). Die sehr ausführliche historische Darstellung von Dietrich Zilleßen in den »Grundlinien Religion 1« nimmt relativ breit auf das Neue Testament Bezug: So wird Jesu Tora-Kritik als Kritik an der Ordnungstheologie des Judentums gedeutet. Paulus (Röm 8,18–26a) steht als Generalzeuge für eine Neudeutung der Welt parat, die von der Weltverzweiflung zur Hoffnung auf die Neue Schöpfung führt, aus der Mit-Leiden und Mit-Handeln erwachsen sollen. Die anderen konsultierten Werke erwähnen das Neue Testament nicht.

tigste Text dazu. Für Gottes schaffendes Wort ist aber v.a. Röm 4,17 einschlägig: Gott ruft »das, was nicht ist, ins Sein«. Ebenso wenig wie eine ausführliche Explikation des Schöpfungsgeschehens findet sich im Neuen Testament eine einheitliche Kosmologie.19 Abgesehen von der häufigen Nennung von Himmel und Erde zur Umschreibung des Kosmos lassen sich wenige Übereinstimmungen finden, zumal die Autoren des NT auch kein Interesse daran haben, ihren Lesern und Leserinnen den Aufbau der Welt zu erklären. Wo es um die Welt geht, geht es nicht um die Entstehung oder physikalische Verfasstheit, sondern um ihre Beziehung zu Gott, ihre gegenwärtige Lage und ihre Zukunft.

3. Neues Testament und Schöpfungstheologie18 3.2 Schöpfung und Leben 3.1 Grundsätzliches: Gott der Schöpfer

Die Autoren des Neuen Testaments gehen selbstverständlich davon aus, dass Gott, der Eine, den vorfindlichen Kosmos mit allem, was darinnen ist, geschaffen hat. Dass Gott Schöpfer der Welten ist, ist Glaubensinhalt (Hebr 11,3). Die Frage nach dem Ursprung und dem Werden (Kosmogonie) wird freilich nicht ausführlich thematisiert, wiewohl Gott immer wieder als Schöpfer prädiziert wird. Im hymnischen Lob formuliert Paulus: »Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge!« (Röm 11,36). Das wird auch 1.Kor 8,6 über Gott, den Vater, gesagt: »Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin.« Eine besondere Rolle spielt – ganz in Aufnahme von Gen 1 – Gottes Wort in seinem Schöpfungshandeln. Die Rede vom Logos, der der Christus ist (Joh 1,1–3), ist der eindeu-

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Immer wieder kommt im Neuen Testament der Gedanke zum Ausdruck, dass sich das schaffende Handeln Gottes nicht in dem einmaligen Akt erschöpft hat, sondern die Existenz des Menschen 18 Vgl. zum Folgenden aus der jüngeren Literatur v.a. Reinhard Feldmeier / Hermann Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, Topoi Biblischer Theologie 1, Tübingen 2011; Hans-Joachim Eckstein, Durch ihn ist alles geschaffen und wir durch ihn. Schöpfung aus neutestamentlicher Perspektive, in: Bernd Janowski u.a. (Hg.), Schöpfungsglaube vor der Herausforderung des Kreationismus, Theologie Interdisziplinär 6, Neukirchen-Vluyn 2010, 54–68; Matthias Konradt, Schöpfung und Neuschöpfung im Neuen Testament, in: Konrad Schmid (Hg.), Schöpfung, Themen der Theologie 4, Tübingen 2012, 121–184. 19 Vgl. dazu zuletzt Jonathan T. Pennington / Sean M. McDonough (Hg.), Cosmology and New Testament Theology, LNTS 355, London / New York 2008.

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und der Welt erhält. Klassisch gesprochen handelt es sich dabei um den Gedanken der creatio continua, der fortwährenden Sorge des Schöpfers um seinen Kosmos. Aus der Jesustradition sind hier etwa die Worte aus Lk 12,22–31 par Mt 6,25–34 zu nennen.20 Die Perikope geht doch wahrscheinlich in ihrem Grundbestand auf Jesus selbst zurück. Er lehnt dort die Sorge um das Essen oder die Kleidung mit einer schöpfungstheologischen Begründung ab: Raben werden von Gott ernährt (12,24), Lilien von ihm gekleidet (12,28f).21 Mit einem Schluss a minori ad majus wird dies auf die Menschen angewendet: Wenn Gott schon für Vögel und Gras sorgt, dann doch noch viel mehr für die Menschen! Gottes fürsorgendes Handeln macht sie frei für die Suche nach der Gottesherrschaft, um die es wirklich geht. Man mag diese Perspektive als anthropozentrisch ansehen22, sie hat aber zugleich auch eine implizite zivilisationskritische Note23: Nahrung und Kleidung sind alles, was der Mensch braucht, und dafür sorgt Gott – weitere Bedürfnisse lenken den Blick ab vom Wesentlichen. Dabei meint die Perikope wohl nicht nur jene, die sich in die Nachfolgebewegung einordnen und mit Jesus durch die Lande ziehen, sondern richtet sich grundsätzlich – durchaus eschatologisch motiviert – an alle, die Gottes Herrschaft suchen.24 Auf einer ähnlichen Sicht auf die Leben erhaltende Schöpferkraft Gottes baut die Rede von Paulus und Barnabas in Lystra auf (Apg 14,15–17). Sie nimmt, vergleichbar mit alttestamentlichen und jüdischen Traditionen (z.B. SapSal 13,1–9; OrSib 3,8–35), zunächst grundsätzlich auf Gottes Schöpfungshandeln Bezug. Gott wird verkündigt als »der lebendige Gott,

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der den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hat und alles, was in ihnen ist« (14,15). Sein Handeln, das allen Völkern zu Gute kommt, ist die Gabe von Regen und fruchtbaren Zeiten, sodass Speise und daher auch Freude in allen Herzen ist (14,16f). Vor allem der universale Kontext ist wichtig: Gott als Schöpfer und Lebenserhalter handelt an allen Völkern, die er ihre Wege gehen lässt, und sie dennoch versorgt. Die Betonung dieses Aspekts ist gerade deshalb besonders wichtig, weil die Redner in einem ausdrücklich paganen Kontext auftreten: Sie werden von den unwissenden Lystrensern als Götter verehrt, als Zeus und Hermes (14,11–13). Der Verweis der Apostel auf Gottes Handeln an den Völkern, das ihnen Leben ermöglicht, soll ihnen diesen Gott als den wahren bekannt machen, was freilich schief geht (14,18).25 20 Auch Mt 5,45 (»Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.«) setzt dies als selbstverständlich voraus. 21 Mit Raben und Lilien werden übrigens auch geschlechtliche Dimensionen angesprochen; vgl. Matthias Konradt (wie Anm. 18), 125. 22 Vgl. etwa 1.Kor 9,9: »Ist Gott etwa um die Ochsen besorgt?« oder 2.Petr 2,12, wonach die Tiere nur zum Fangen und Vernichten geschaffen wurden. 23 Vgl. dazu etwa Matthias Konradt (wie Anm. 18), 125. 24 Auch hinter dem automatē im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat lässt sich erkennen, dass das menschliche Handeln für das Gelingen von Saat und Ernte unbedeutend ist (Mk 4,26–29); vgl. Feldmeier / Spieckermann (wie Anm. 18), 266. 25 Auch die zweite Rede an ein paganes Publikum greift übrigens, obwohl sie sonst anders ausgerichtet ist, den Aspekt von Gottes erhaltendem Schöpfungshandeln auf: »In ihm leben und weben und sind wir«, lehrt Paulus die Athener (Apg 17,28).

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Unter schöpfungstheologischer Perspektive legen Texte wie diese (vgl. auch Mt 5,45; Apg 17,29) zwei Aspekte offen: Es geht bei der Frage nach der Schöpfung nicht nur um die Herkunft (wie sie etwa aus Gen 1 ableitbar ist), sondern immer auch um den Bestand der Welt und den Kreislauf der Natur. Und: Gottes Wirken, das die Natur und damit (erst recht) die Menschen versorgt, ist universal, nicht partikularistisch. 3.3. Schöpfung und Ethos

Aus dem Schöpfungswillen Gottes folgern die biblischen Autoren, dass sich aus der vorfindlichen Gestalt des Kosmos auch Ordnungen für die Menschen ergeben. Jesus verweist in einigen Handlungsanweisungen daher auch explizit auf deren schöpfungstheologische Begründung. Bei Mt 5,44f wird das Gebot der Feindesliebe mit Gottes universalem Handeln an allen Menschen begründet: »Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.« Die universale Weite der Feindesliebe wird durch die Universalität von Gottes creatio continua begründet.26 Eindeutig ist Jesu Mahnung auch, wenn das Verbot der Ehescheidung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Gen 2,24 aus der Schöpfungsordnung abgeleitet wird (Mk 10,6–12): Die Vereinigung von Mann und Frau entspricht Gottes Schöpfungswillen und ist daher nicht mehr rückgängig zu machen. Der Sabbat wird von Jesus als Gottes Schöpfung gedeutet, die dem Menschen dienen soll, nicht umgekehrt (Mk 2,27). Die Ruhe gehört zu einem schöpfungsgemäßen Le-

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ben, allerdings nach Maßstäben, die dem Leben dienen. Zugleich wird damit aber auch – erneut – deutlich, dass die Schöpfung auf den Menschen ausgerichtet ist. Paulus handelt in Röm 1,18–30 die verfehlte Existenz der Nicht-Juden ab: Sie sind »in einen unbrauchbaren Zustand dahingegeben«, weil sie den durch die Schöpfung offenbaren Gott nicht erkannt haben. Neben der Thematik einer »natürlichen Gotteserkenntnis« ist es vor allem das verwerfliche Handeln der Nicht-Juden, das Paulus aufs Korn nimmt: Ihre Sexualpraktik ist vollkommen verkehrt (Röm 1,26f). Ein Lasterkatalog führt noch zahlreiche weitere verwerfliche Eigenheiten paganen Handelns an (1,29–31). Dies alles sei Folge der mangelnden Gotteserkenntnis. Würden sie Gott erkennen, würden sie, so Röm 2,14f, »von Natur aus (physei) das Gesetz tun«. Zuletzt sei auch der Jakobusbrief angeführt, der u.a. anthropozentrisch auf die Schöpfung verweist (1,17f), zugleich aber auch ethische Konsequenzen aus ihr zieht. In Jak 3,9 gibt der Verfasser in einer Mahnrede zum rechten Gebrauch der Zunge zu verstehen, dass das Verfluchen von Menschen, die alle nach der Ähnlichkeit Gottes gemacht sind, nicht recht sein kann. Auch der Verfluchte ist Ebenbild Gottes und daher mit Respekt zu behandeln. 3.4 Schöpfung und Gotteserkenntnis

In zwei unterschiedlichen Kontexten, aber mit recht ähnlichem Inhalt, beschäftigt sich das NT mit der Erkennt26 Vgl. Matthias Konradt (wie Anm. 18), 129f.

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nis Gottes aus der Natur. Noch einmal ist hier Röm 1,18–32 zu nennen: Paulus rückt als Grundsatz in den Mittelpunkt (Röm 1,19): »Das Erkennbare an Gott ist in ihnen sichtbar, denn Gott hat es ihnen sichtbar gemacht.« Aus seinen Werken kann man es ersehen (1,20).27 Das partiell Erkennbare von Gott sind sein unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Göttlichkeit, die mit der Verehrung von Geschaffenem als Götter nicht vereinbar ist (1,21–25). Paulus rückt aber auch ins Bewusstsein, dass Gott sich selbst offenbart, dass also die Schöpfung von ihm ausdrücklich so konzipiert und gestaltet wurde, dass er daraus zu erkennen ist. Dass dies unvollständig bleiben muss, ist selbstverständlich, bleiben doch die Offenbarung an Israel und durch Christus sonst sinnlos. Der lukanische Paulus verweist in seiner Rede vor dem Areopag auf die Platzierung des Menschen inmitten der Schöpfung (Apg 17,26) mit der Aufgabe, Gott zu suchen. Das durchaus auch intellektuelle Forschen nach Gott ist möglich, weil Gott nicht fern ist, sondern nahe. Weil alle Menschen von Gott abstammen, könnten die Menschen auf jeden Fall einsehen, dass menschliche Kunst nicht als Gott durchgehen kann (17,29). Nun aber gebe es die Verkündigung des wahren Gottes, der Umkehr fordert: Der Gerichtstag kommt und der Richter ist bereits eingesetzt, den er zuvor von den Toten auferweckt hat (17,31). Lukas erweckt den Eindruck, dass bis zu den Worten über die Totenauferstehung die gebildeten Zuhörer und Zuhörerinnen Paulus durchaus interessiert zugehört hätten. Die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung ist anerkannte »christliche Philosophie«.

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3.5 Schöpfung und Christologie

Die christologische Dimension der Schöpfung stellt den besonderen Akzent neutestamentlicher Schöpfungstheologie dar. Sie nimmt jüdische Weisheitstraditionen auf, die nun aber mit der konkreten historischen Person Jesus von Nazareth, dem Christus, verknüpft werden. Das Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer und Erhalter des Lebens, wird in 1.Kor 8,6 ergänzt: »Ein Herr Jesus Christus, durch den alles und wir durch ihn.« Es sind vor allem zwei Texte, die die Bedeutung des Christus für die Schöpfung pointiert in den Vordergrund rücken: Kol 1,15–20 und Joh 1,1–18. Das Enkomion in Kol 1,15–20 beginnt programmatisch: Christus ist die eikōn tou Theou, das Abbild Gottes. Gen 1,27 wird hier sprachlich aufgenommen, sachlich findet sich aber ein engerer Bezug zu SapSal 7,26 (Weisheit) und Philons Logostheologie. Christus ist die Repräsentation Gottes, nichts weniger. Er ist damit aber auch Erstgeborener (im hierarchischen Sinn) der Schöpfung – nicht erstes Geschöpf – und vor aller Schöpfung (Kol 1,17; ähnlich v.18b). Es ist ein zeitlicher (vor der Schöpfung) und sachlicher Vorrang (über der Schöpfung), der dem Erstgeborenen zukommt (vgl. auch Apk 3,14: »Der Anfang der Schöpfung Gottes«). In Kol 1,16a wird dies so ausgedrückt, dass in Christus (en autō) alles geschaffen wurde. Hier stellt sich die Frage, wie en autō zu verstehen sein kann: Möglich sind nämlich sowohl ein instrumentales Ver27 Zu ähnlichen Gedanken in jüdischer und paganer Philosophie vgl. die Übersicht bei Matthias Konradt (wie Anm. 18), 147–149.

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ständnis (»durch Christus« wie V. 16e) wie ein lokales (Christus als der Ort des Alls) oder ein exemplarisches (Christus als der Bauplan des Kosmos). Für alle drei Möglichkeiten gibt es gute Gründe, wenngleich die instrumentale Bedeutung die wahrscheinlichste ist. Allerdings ist ein Hymnus eben kein ausgearbeiteter theologischer Traktat. Christus ist aber nicht Schöpfer, das bleibt Gott: Das Passivum »ist geschaffen« in Kol 1,16e hält an Gottes Handeln fest. Die auf Christus hin gesprochene Formulierung »durch ihn und auf ihn hin« rühmt ihn nun aber nicht nur als Schöpfungsmittler, sondern auch als Ziel der Schöpfung. Auf Christus läuft die Schöpfung auch hinaus! Diese Verknüpfung von protologischen und eschatologischen Aussagen, von schöpfungstheologischen und soteriologischen Aussagen in der Christologie, ist entscheidend für das Neue Testament. Christus ist nicht nur Schöpfungsmittler, er ist Retter! Der Hymnus rückt aber noch eine weitere Funktion des Christus in Bezug auf die Schöpfung in den Blick: »Alles hat in ihm Bestand« (Kol 1,17b). Anfang und Ziel werden von Christus zusammengehalten durch Gottes Bestandsgarantie der Schöpfung in Christus. Damit wird ein popularphilosophischer Gemeinplatz in die Christologie integriert: Es gibt nach antiker Kosmologie eine Kraft, die den Kosmos vor dem Zerbrechen bewahrt (Platon; Ps-Aristoteles: Mund 6; Philon u.v.m.). V. 20 erläutert dies in kosmischer Dimension: Die widerstreitenden Elemente der Welt hat Gott durch Christus in sich versöhnt. Im Parallelismus wird dies weitergeführt: Dies tat er, »indem er Frieden stiftete durch das Blut seines Kreuzes«. Christus selbst ist der

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Friedensstifter und zwar in Bezug auf die gesamte Schöpfung bzw. alle Bereiche der Welt: Erde und Himmel. Diese Aussagen des möglicherweise traditionellen Hymnus werden an einer Stelle ergänzt durch den Verweis auf die Kirche: In Kol 1,18a fügt der Verfasser an die Formulierung »und er ist das Haupt des Leibes« den Genitiv »der Kirche« an. Damit gewichtet er die Aussage neu. Die Herrschaft des Christus über den Kosmos wird zwar nicht zurückgenommen, doch ist der Raum, in dem diese Herrschaft jetzt wirksam und erfahrbar wird, die Kirche. Dabei ist zwar nicht intendiert, aber m.E. durchaus implizit enthalten, dass der Kirche damit in ihrem konkreten Leben eine besondere Verantwortung für die Schöpfung gegeben ist. Der Johannesprolog (Joh 1,1–18) setzt bekanntlich programmatisch mit einem Bezug auf die Schöpfungsgeschichte ein: »Am Anfang war das Wort (logos)« (Joh 1,1). Der Logos ist das Mittel, durch das die Dinge gemacht sind und in dem das Leben Bestand hat (1,3f). Christus, das inkarnierte Schöpfungswort (1,14), hat sich, das ist die zentrale Botschaft des Johannesevangeliums, zu den Menschen aufgemacht, in seine Schöpfung hinein inkarniert, um ihr das unvergängliche Leben zu geben. Dabei wird am Ende des Evangeliums der Raum der Jüngergemeinschaft, die die Gemeinde repräsentiert, in ausdrücklichem Bezug auf die Schöpfungsgeschichte als Raum dieses Lebens bestimmt. Das johanneische Pfingsten vollzieht sich als Schöpfungsakt: »Und er blies sie an (enephusēsen) und sprach zu ihnen: Empfangt heiligen Geist.« (20,22). Das ist ein ausdrücklicher Bezug auf Gen 2,7 LXX: »Und er blies in sein Gesicht den Atem des Lebens und der Mensch

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wurde zu einem lebendigen Wesen.« Die Geistbegabung macht die Glaubenden zu den Menschen, die wieder im Vollsinn »lebendig« sind. Eine Verbindung von Geist und neuer Schöpfung lässt sich übrigens dann auch bei Paulus erkennen (1.Kor 15; 2.Kor 3–5; Röm 5–8). 3.6 Schöpfung und Neu-Schöpfung

Mit der Hoffnung auf eine neue Schöpfung nehmen die neutestamentlichen Theologien ein Thema frühjüdischer Apokalyptik auf (u.a. Jub 1,29; 4,26; äthHen 72,1) und wandeln es ab. Von neuer Schöpfung (kainē ktisis) schreibt Paulus an zwei Stellen (2.Kor 5,17; Gal 6,15).28 In beiden Kontexten werden irdische Maßstäbe abgelehnt, da sie in der neuen Schöpfung keine Bedeutung mehr haben. In 2.Kor 5,11–21, einem Zentralstück paulinischer Theologie, verweist Paulus polemisch auf jene, die sich nach Äußerlichkeiten richten. Menschliche Kriterien, das Kennen nach dem Fleisch (5,16), sind nämlich im Blick auf Christus irrelevant. Bedeutend ist vielmehr: »Wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden« (5,17). Wichtig dabei ist zunächst, dass Paulus nicht individualisierend von »Kreatur« schreibt (so allerdings Luthers Übersetzung), sondern über den einzelnen hinausblickt: Mit der Qualifikation en Christō verbindet sich das partizipatorische Grundmodell paulinischer Soteriologie mit dem Gedanken der neuen Schöpfung. Das Neue, das geworden ist (Perfekt!), ist die alles bestimmende Anteilhabe an Christus, die allen Glaubenden gemeinsam ist.

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In Gal 6 ist der Grundgedanke ganz ähnlich: Keine Anerkennung »im Fleisch« (6,11) und Irrelevanz von BeschnittenSein oder Nichtbeschnitten-Sein (6,15). Das einzige, was »etwas ist«, ist die neue Schöpfung (6,15). Die Gegenüberstellung hinsichtlich der Beschneidung nimmt ein Grundthema des Galaterbriefes auf, das in Gal 3,28 in der Formel zum Ausdruck wird: »Da ist nicht Judäer noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.« Wie auch in 2.Kor 5 wird die neue Existenz als eine »in Christus« bestimmt. Vor allem aber: Identitätsstiftende Merkmale, die hinsichtlich ethnischer, sozialer oder geschlechtlicher Zugehörigkeit in der Antike (wie auch heute) von eminenter Bedeutung sind, werden aufgehoben. Dabei greift Paulus auf die Genesis zurück (Gen 1,27 LXX): »Er schuf sie als männlich und weiblich«. Die neue Schöpfung ist also nicht die Wiederherstellung des alten paradiesischen Zustandes, in ihr sind vielmehr alle menschlichen Differenzierungen aufgehoben. Das ist keine Proklamierung von Androgynität, sondern die Aufhebung sozialer Rollenzuschreibungen, und hatte, gerade in den paulinischen Gemeinden, ganz konkrete Folgen hinsichtlich der Beteiligung und Funktionen von Frauen und Sklaven. Bedauernswert ist allerdings, dass selbst Paulus diese Ansichten nicht kon28 Zu nennen ist auch die Gegenüberstellung von erstem und letztem Adam, die ebenfalls auf den Gedanken der Neuschöpfung hinausläuft (1.Kor 15,45–47): War der erste Mensch durch Gottes Atem zu einem lebendigen Wesen geworden (Gen 2,7), so vermittelt der letzte Adam, Christus, den Geist, der wahrhaft lebendig macht.

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sequent beibehalten hat und sie in der nachpaulinischen Tradition geradezu ins Gegenteil verkehrt wurden. 1.Kor 11,1–16 greift Paulus u.a. auf den EikonBegriff der Genesis zurück, um den Mann als »Bild und Abglanz Gottes« zu qualifizieren und die Frau als »Abglanz des Mannes« (1.Kor 11,7). Das wird in der Spätzeit des Neuen Testaments noch verschärft, etwa in 1.Tim 2,9–15: Frauen wird unter Berufung auf die Abfolge der Erschaffung des Menschen (Gen 2,15–25: zuerst der Mann, dann die Frau) Unterordnung und Schweigen in der Gemeinde auferlegt.29 Doch zurück zu jenem Paulus, der mit der neuen Schöpfung eine völlig veränderte Existenz im Blick hat. In Röm 8,18– 25 spricht Paulus zwar nicht direkt von der neuen Schöpfung, aber von der alten und davon, dass die Schöpfung »selbst befreit werden wird von der Sklaverei der Vernichtung zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes« (Röm 8,21). Eine Debatte in der Exegese dreht sich darum, ob es sich bei der ktisis, von der Paulus hier spricht, um die gesamte Schöpfung, die Menschen mit Ausnahme der Christen oder die außermenschliche Schöpfung handelt, wobei zumeist letztere Ansicht vertreten wird30: Christen sind ja als Partner der Schöpfung genannt (8,22) und Nicht-Christen sehnen sich nicht nach der Offenbarung der Kinder Gottes. Die Schöpfung, so Paulus, stöhnt und leidet in Geburtswehen bis zum heutigen Tag. Dieses Verhängnis wird wohl auch für Paulus mit dem Sündenfall verbunden gewesen sein, doch steht das nur allgemein im Hintergrund. Er legt vielmehr Wert darauf, dass die Klage die Glaubenden und die Schöpfung verbindet. Auch die »Kinder Gottes« sind noch nicht in

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der Freiheit der Herrlichkeit, sondern eingebunden in die Vergänglichkeit (vgl. 2.Kor 5,1–10). Die eschatologische Dimension ntl. Schöpfungstheologie wird damit im Blick auf die Spannung von Gegenwart und Zukunft neu akzentuiert. Die Zukunft verspricht zudem keine Ablöse der alten Schöpfung durch eine neue, sondern eine Verwandlung, genauerhin Befreiung zur Herrlichkeit (8,21). In der Johannesapokalypse findet sich nun allerdings, in Aufnahme zahlreicher atl. Traditionen v.a. aus Tritojesaja (Jes 65,17–25), die Rede von der neuen Erschaffung der Erde und des Himmels (Apk 21,1–8). »Siehe, ich mache alles neu ...« (21,5) ist dabei der Leitsatz. Die alte Schöpfung ist vergangen, wobei die Gerichtsdimension in dem Zusammenhang selbstverständlich wichtig ist (21,8). Die Neuschöpfung umfasst nicht das Meer, das als Ursprung des Bösen gilt (vgl. 13,1). Die Neuheit umfasst vor allem die Gottesbeziehung, die nicht mehr der transzendentalen Differenz unterworfen ist: »Gott selbst wird bei ihnen sein.« (21,3). Das ist nun freilich keine Untergangs-, sondern eine Hoffnungsvision, die durchaus auch antiimperiale Züge trägt: Der neue Himmel, die neue Erde mit dem neuen Jerusalem (21,9–22,5) ist pointiert als Gegenstück zur gegenwärtigen Welt mit ihrer Hauptstadt Rom gedacht. Der Sieger, also derjenige, der durch alle Anfechtung hindurch den 29 Die wohl deuteropaulinische Erweiterung in 1.Kor 14,33b–36 verweist pauschal auf das Gesetz für das Schweigegebot an Frauen, hat aber vielleicht ebenfalls die Genesis als Hintergrund. 30 So auch Matthias Konradt (wie Anm. 18), 165. Das hat Parallelen im jüdischen Schrifttum (u.a. Weish 2,6; 16,24; 19,6; äthHen 18,1; 36,4).

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Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

Glauben an das Lamm Gottes bewahrt hat, wird es erben (21,6). 4. Anregungen neutestamentlicher Schöpfungsaussagen für eine Theologie für Jugendliche

Das Neue Testament hat nicht nur eine Reihe traditioneller Aussagen zur Schöpfung übernommen, sondern auch neue Akzente gebracht. Es ist aber auch deutlich geworden, dass sich für die in der gegenwärtigen Religionspädagogik bestehende Dominanz der Fragen um die Entstehung des Kosmos aus dem NT wenig Weiterführendes finden lässt. Oder umgekehrt: Das Neue Testament lenkt den Blick von der Ursprungsfrage auf die Gegenwart und Zukunft, von der Kosmologie auf das verändernde Potential des Gotteshandelns. Die Thematisierung ntl. Theologumena zur Schöpfung ist daher m.E. gerade in Kontexten sinnvoll, wo sie Bereiche ansprechen, die jenseits der Dichotomie Naturwissenschaft vs. Religion liegen. So lassen Texte wie Apg 14 und 17 oder auch die christologischen Aussagen aus Kol 1 durch die mythologische Darstellung hindurch ein Wissen darum erkennen, dass die Schöpfung zerbrechlich ist. Aus dem Erleben der Natur mit ihrem Reichtum, aber eben auch mit ihrer Fragilität, ergibt sich die Suche nach der Quelle des Lebens und dem Schutz vor dem Kollaps des Kosmos. Beschenkende Schönheit und gefährdende Katastrophen gehören auch heute, wenn

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auch unter veränderter medialer Vermittlung und Erlebnismöglichkeit, zur Lebenswirklichkeit. Die neutestamentliche Antwort auf die Fragen, woher der Segen kommt und warum (noch) nicht alles zusammenbricht, verweist auf Gottes protologischen und eschatologischen Heilswillen in Christus. Weil Gott die Versöhnung der Schöpfung mit sich selbst immer schon wollte, will er die Bewahrung und Erhaltung der Schöpfung, den Frieden zwischen den Elementen (Kol 1,20). Auch der Zusammenschluss von Schöpfung und Glaubenden im Leiden unter der Zerbrechlichkeit und in der Hoffnung auf eine Verwandlung zur Herrlichkeit der Gottesunmittelbarkeit (Röm 8) kann Jugendlichen eine Perspektive eröffnen, die jenseits (notwendiger) Bewahrung der Mit-Welt liegt. Es geht um mehr als um Naturschutz, so wichtig er sein mag, es geht um ein verändertes Miteinander im Angesicht Gottes. Vor allem die Rede der Neu-Schöpfung scheint mir in verschiedenen Kontexten Perspektiven für Jugendliche zu eröffnen. So ist gerade die Jugend eine Zeit, in der individuelle Neu-Schöpfung als Selbstkonstitution notwendig ist. Paulus vermittelt dabei einerseits einen Blick darauf, dass dies ein Geschehen sein kann, in dem Gott den Menschen nicht allein lässt. Zugleich macht er aber auch deutlich, dass die Rede von der NeuSchöpfung ein gesellschaftliches Veränderungspotential für die Gegenwart eröffnet: Grenzen zwischen Menschen werden überwunden, wo sie sich auf Gottes kreativen Heilswillen einlassen.

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Edgar Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche. Systematische Perspektiven

1. Zur Situation des Fragens

›Schöpfung‹ ist einer der wenigen Begriffe christlichen Glaubens, die im allgemeinen Sprachgebrauch präsent sind. Das ist ein Hinweis darauf, dass die christliche Sache hinsichtlich ihres Bezugs auf die Erfahrung und damit auch in ihrer Sprache prekär geworden ist. Von »Schöpfung« in einem ernsthaften Sinn sprechen jedoch auch Menschen, die dem christlichen Glauben eher fern stehen. Offensichtlich hält der Begriff der Schöpfung Bedeutungen gegenwärtig, die beim Stichwort ›Natur‹ nicht anklingen. In anderer Weise als der Begriff der Natur schließt die Rede von der Schöpfung den Menschen in einer Grundsolidarität mit anderen Lebewesen, ja mit der ganzen Natur zusammen. Die berühmt-berüchtigte Subjekt-Objekt-Spaltung – hier das denkende und forschende Ich, dort die verdinglichte Natur, die in ihrer Funktionalität zum Gegenstand des Berechnens und dann auch des Verwertens wird –, ist in der Rede von ›Schöpfung‹ von einem umfassend Gemeinsamen umgriffen. Alles, was ›Schöpfung‹ und ›Geschöpf‹ genannt wird, hat sich nicht selbst hervorgebracht und ist nicht menschliches Produkt, jedenfalls nicht in erster Linie. Vielmehr wird es darauf hin wahrgenommen und angesprochen, dass ihm ein Gegebensein voraus- und zugrunde liegt. Damit ver-

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knüpft sich in der Rede von ›Schöpfung‹ oder ›Geschöpfen‹ der Gedanke einer umfassenden Gemeinsamkeit mit dem einer fundamentalen, allem vorangehenden und zuvorkommenden Passivität, die den Gedanken einer Gabe von Anvertrautem einschließt. So deutet der Ausdruck ›Schöpfung‹ auf eine bestimmte Art und Weise die Erfahrung des Ganzen der Wirklichkeit, die indirekt auf ein Woher verweist, ohne es ausdrücklich zu benennen. Gegenüber dem Anspruch vollständig rationaler Erfassung der Wirklichkeit wird etwas offen gehalten. Auch klingt der Gedanke an, dass das, was als ›Schöpfung‹ benannt wird, nicht ganz sinnlos sein kann. So führt der Ausdruck ›Schöpfung‹ Bedeutungen mit sich, die über das Erkenntnisinteresse der neuzeitlichen Naturwissenschaften, die nach kausalen Gesetzmäßigkeiten fragen, hinaus gehen. Blicken wir kurz auf Luthers Auslegung des 1. Artikels des Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus. Luther fasst jene fundamentale Passivität bekanntlich so: »Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, samt allen Kreaturen«, »mir Leib und Seele, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält«. Wir sehen, dass Luther »geschaffen« existenziell fasst und eng mit »erhält« verknüpft, weil es mit dem »geschaffen« allein nicht getan ist. Von Luther her gesehen verweist die Rede von der

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Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche

›Schöpfung‹ nicht zuerst auf das Ganze der Wirklichkeit, sondern auf das eigene Geschaffensein und das »ohn all mein Verdienst und Würdigkeit« mir Gegebene. Dieser Glaube kann zwar nicht Anspruch auf allgemeine Evidenz und Zustimmung erheben, sowenig wie das, was für Luther daraus folgt. Doch ist deutlich, dass in Luthers Auslegung etwas angesprochen wird, das nicht nur Anhalt an der Selbst- und Welterfahrung hat, sondern dass er diese auch in besonderer Weise erschließt. Geistesgeschichtlich gesehen treffen sich im allgemeinen Gebrauch des Wortes ›Schöpfung‹ zwei Traditionen, die das abendländische Denken von lange her bestimmen. Da ist zum einen das metaphysische Denken mit seiner Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit und ihrem Grund. Es ist getragen von dem Zutrauen, dass das Denken dies zu erschließen vermag. Diese Tradition spaltete sich in der Neuzeit in philosophisches und empirisch-wissenschaftliches Fragen. Da ist zum andern die biblische Perspektive, wonach der Mensch, zum Bund mit Gott berufen, sich inmitten der Schöpfung Gottes als dessen besonderes Geschöpf erkennt und dem in verschiedenen sprachlichen Formen von Liedern bis hin zu Erzählungen, in denen auch Mythisches präsent ist1, Ausdruck gibt. Das Fragen und die Erfahrung des Denkens ist dabei eingebettet in die existenzielle Erfahrung des Erstaunlichen der gegen alle Möglichkeit des Nichtseins gegebenen und gegen alle Bedrohung durch Nichtsein erhaltenen Schöpfung. Für das Thema ›Schöpfungstheologie2 mit Jugendlichen‹ ist es wichtig, sich die die Verschiedenheit und die Überschneidung dieser beiden Grundperspektiven

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klar zu machen, in denen von dem geredet wird, was biblisch als Schöpfung verstanden wird. Im metaphysischen Denken des Ganzen ist verborgen wirksam ein existenzielles Bedürfnis nach (Selbst-) Vergewisserung des denkenden Menschen, wenn er fragt, was wahrhaft »ist« und bleibt angesichts der Macht der vergehenden Zeit. Im Fragen der Vernunft, das vom Menschen ganz abzusehen scheint, ist verborgen ein soteriologisches, auf Rettung im Beständigen und Bleibenden gerichtetes Interesse wirksam. Die biblische Linie hingegen nimmt in sprachlich vielgestaltiger Weise mit dem eigenen Leben zusammen den Lebensraum von Erde und Himmel wahr, der auch nicht sein könnte und der in kontingenter Weise gegeben ist und gegen sein Versinken im Nichts erhalten wird, was zu Lob und Dank und zur Wahrnehmung einer daraus erwachsenden Verpflichtung Anlass gibt. Lob und Dank bilden auch den Horizont für die Klage über die Missgestaltung und Zerstörung dieses Lebensraums. Die aus der Philosophie ausdifferenzierten Naturwissenschaften suchen auf empirischem Weg nach den Gesetzmäßigkeiten, die die Schöpfung als Natur bestimmen. Sie blenden den Aspekt des Geschaffenseins ganz ab, wie es auch schon im metaphysischen Fragen nach dem Ganzen und seinem notwendig zu denkenden Grund geschieht. Nicht aus1 Bes. eindrücklich z.B. Ps 74,12–14, Ps 104. 2 Ein Überblick zum Thema »Schöpfung« in den theologischen Disziplinen auf dem Hintergrund altorientalischer Quellen: Konrad Schmid (Hg.), Schöpfung, Tübingen 2012. Vgl. auch Christian Link, Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1991.

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geschlossen ist jedoch auch beim naturwissenschaftlichen Forschen, dass durch den Eindruck der Schönheit und Erhabenheit der Natur und des Alls der distanziert forschende Mensch noch anders angegangen und in eine andere Art der Erfahrung verwickelt wird als sie durch seine wissenschaftliche Rationalität vorgesehen ist und wie eine Art religiöser Ergriffenheit anmutet. Man denke an das berühmte Wort von Kant, wonach es »zwei Dingen« sind, die »das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht [erfüllen], je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir«3. Bei einem Astrophysiker unserer Tage ist über eine Erfahrung beim Erkunden der Milchstraße zu lesen: »Ich fühle mich in den Strudel hineingerissen und werde ein Teil der gewaltigen Dynamik. [...] Ich bin klein gegen die stellaren Riesen und gleichzeitig groß in meinem Geist [...], der Intellekt, der den ganzen Tag im selben Hirnwinkel verbracht hat, scheint sich grenzenlos auszubreiten. Ich bin mit der Natur versöhnt und muss ihr keine Geheimnisse entreißen. Das staunende Ah ist meine sprachlose Antwort in diesem Dialog mit dem All. Für einen Augenblick trennen mich keine objektivierende Distanz und kein Erklärungsdrang vom Ganzen.«4 Die biblische Tradition erzählt von der Schöpfung, besingt sie und rühmt den Gott des Bundes mit Israel als den Schöpfer des Ganzen und lobt die »Schöpfung als Wohltat« (Karl Barth). Sie klagt aber auch über die Last der Vergänglichkeit und die vielgestaltige Bedrängnis der Geschöpfe. Mit dem Verweis auf den Schöpfer wird nicht

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nur die rationale Unbegründbarkeit, Kontingenz und Zeitlichkeit der Schöpfung akzentuiert, sondern auch ihr Charakter als Gabe und das Erstaunliche ihrer Bewahrung gegen das Nichtsein. Intensiv und erfahrungsnah nimmt die biblische Tradition, z.T. in mythischen Sprach- und Denkformen, auch Dunkles, Unverständliches und Bedrohliches in der Schöpfung wahr, nicht als zu lösendes Problem, sondern erfahrungsnah als Bedrängnis und als das Glück der Befreiung daraus. Angesichts eines alles erklären wollenden Griffs nach dem Ganzen in populären weltanschaulichen Theorien ist an die biblische Einsicht von der Verborgenheit der Weisheit, in der Gott die ganze Welt geschaffen hat, zu denken. Eindrücklich kommt das in den Gottesreden des Hiobbuches (Hiob 38–42) oder auch in anderen weisheitlichen Texten (vgl. z.B. Spr 8,22–36) zur Sprache. »Sein« wird biblisch nicht durch Begriffe und Naturgesetze abgebildet, vielmehr zeigt und erweist es sich in einer Ursprungs- und Anfangsgeschichte, die weitergeht. Schöpfung ist nicht nur Anfang, sondern immer neu gegebenes und aufgegebenes Sein in der Zeit. Die Frage nach dem Recht-Sein, nach dem guten Anfang, dem guten Fortgang und dem guten Ausgang ist stets präsent und wird gerade durch das Verständnis der Welt als Schöpfung mitten im Leben gegenwärtig gehalten. Immer ist deshalb die Erfahrung, die Menschen in ihrer Zeit machen, beim Reden von der Schöpfung spürbar und präsent. 3 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in: ders., Werke in sechs Bänden, Hg. Wilhelm Weischedel, Bd. IV, 1963, 300. 4 Arnold Benz, Die Zukunft des Universums. Zufall, Chaos, Gott?, München 2001, 19.

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Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche

Dass die Rede von ›der Schöpfung‹ heutzutage nicht in die kirchlich-theologische Sprache eingesperrt ist und auch nicht nur erkenntnistheoretisch-weltanschauliche Diskussionen und Kämpfe hervorruft, hängt an Krisenerfahrungen, wie sie die wissenschaftlich-technische Zivilisation und ihr Wirtschaften mit der ökologischen Krise hervorgebracht hat. Die technische Unsetzung wissenschaftlicher Erkenntnis macht Vorgänge in der Natur für menschliche Zwecksetzungen und Verwertungsinteressen in einem Maße nutzbar, wie das lange undenkbar war. Dabei werden die Folgen für die Natur, auch für die des Menschen, oft nicht oder zu wenig bedacht. Die Art, wie der Mensch seine Selbst-Erhaltung betreibt, stellt die Erhaltung der ganzen Natur und der menschlichen Gattung in Frage. Die ökologische Vernunft entspringt nicht freier Einsicht und nicht der Freude an Natur und Schöpfung und dem Dank für sie, sondern dem Willen zur Wahrnehmung des Interesses am eigenen Überleben, dem Wissenschaft und Technik eingefügt werden. Doch eröffnete die ökologische Krisenerfahrung einen neuen Resonanzraum für die Rede von der Schöpfung und vermittelte ihr neue Plausibilität. Sie erweist sich damit nicht als notwendig, jedoch in gewisser Hinsicht als sinnvoll. Im ökologischen Denken verbindet sich aktuelle Wirklichkeitserfahrung mit einem orientierenden Impuls für das Handeln. Damit präsentiert sich das ökologische Bewusstsein als Idee einer schon verloren geglaubten umfassenden, weisheitlichen Vernunft, die Erkenntnisse verschiedenster Wissenschaften in ganzheitlicher Absicht verknüpft, verbunden mit dem Willen zur Orientierung in Fra-

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gen der Lebenspraxis. In einer Schöpfungstheologie mit Jugendlichen ist mit der biblischen Überlieferung auch die metaphysische und die naturwissenschaftliche Denk- und Forschungstradition sowie die ökologische Frage präsent zu halten. 2. Das Fragen jugendlicher Menschen und »die Schöpfung«5

Das Thema »Schöpfung« mit Jugendlichen zu besprechen ist von besonderem Reiz, fangen sie doch an, den eigenen Verstand und damit auch sich selbst in noch anderer Weise als Kinder zu erproben. Dieses Thema hat auch das Potential, zu mehr oder weniger spekulativen Stellungnahmen weltanschaulicher Art herauszufordern, in denen sich Wissen mit Fragen der Selbst- und Lebensvergewisserung eng verbindet. Dabei treten umfassende Fragen menschlicher Lebensführung und Geschichte in den Blick, die auf das Ganze der Wirklichkeit ausgreifen. Jugendliche machen in solchen Diskussionen und Stellungnahmen Autoritäten geltend, die ihnen imponieren: von ›der Wissenschaft‹ und ›der Aufklärung‹ bis hin zu spekulativen und esoterischen Lehren, von denen sie gehört haben. Glaube und christliche Religion werden dabei weniger ins Feld geführt, bilden sie doch vielfach den Boden der eigenen Herkunft, der gegenüber zu neuen Ufern aufgebrochen werden soll. Da muss sich erst zeigen, was sich bewährt. 5 Zur Orientierung über das Jugendalter hilfreich: Friedrich Schweitzer, Die Suche nach eigenem Glauben. Einführung in die Religionspädagogik des Jugendalters, Gütersloh 1996.

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Jugendliche befinden sich emotional und rational in einer Umbruchsituation, in der das vertraute Herkommen, wenigstens verbal, radikal in Frage gestellt werden kann. A. Comtes Drei-StadienGesetz, das für die Entwicklung der Menschheit ebenso wie für die des Einzelnen gelten soll, kann, trotz seiner groben Schematik, hilfreich sein, sich diese Situation zu verdeutlichen. Comte zufolge geht die Entwicklung vom mythischreligiösen Denken bildlich-fingierender Vorstellungen zur metaphysischen Vernunft abstrakten Begreifens auch nichtempirischer Sachverhalte und von da zur positiv-empirischen Wissenschaft. Diese Schematik, soll sie hilfreich sein, ist freilich dahingehend zu korrigieren, dass die drei Stadien nicht als einander ablösend, sondern als sich in verschiedenen Konstellationen überlagernd zu denken sind. Glaube und Religion, soweit sie Erfahrungen der Herkunft sind, müssen dem erwachenden rationalen Geist dann ebenfalls neu begegnen, sollen sie nicht zu einem bloßen Residuum kindlichen Gefühls und kindlicher Imagination werden, denen damit freilich ein eigener Wahrheitsgehalt nicht bestritten ist. Die Theologie kann und soll zu solch neuer Begegnung anleiten. Der Eindruck ist zu vermeiden, als wolle eine Theologie der Schöpfung Jugendliche kognitiv und emotional in eine Kindheit zurückführen oder darin festhalten, aus der sie noch nicht ganz herausgetreten sind und mit der sie noch zu kämpfen haben. Jetzt ist eher der Wille bestimmend, ›dahinter‹ zu kommen und den Wahrheitsgehalt dessen, was einem gesagt wurde und worin man sich als Kind mit mehr oder weniger Phantasie eingerichtet hatte, zu prüfen. Der Ausgang aus jetzt empfundener Vor-

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mundschaft wird durch Versuche selbständigen Gebrauchs des eigenen, seine Fähigkeiten betätigenden und erweiternden Verstandes erprobt. Zwar bedarf das auch der Anleitung durch Autoritäten, doch müssen es zunehmend selbst gewählte sein, die den neuen Ansprüchen an Verstand und Wissenwollen genügen. Gefühl und Verstand, Wissenwollen und das Bedürfnis nach Gewissheit und Selbstvergewisserung klaffen da bei Jugendlichen freilich oft auseinander. Das wirkt sich bis hin zu dem Einfluss aus, den Wortführer von Gruppen ausüben, in denen sie sich bewegen. Neu entdeckte Autoritäten, mit deren Hilfe Jugendliche sich erproben, sind vor allem die Naturwissenschaften, die für die Erkenntnis ›harter Fakten‹ stehen, wenngleich solche häufig in einer weltanschaulich aufbereiteten Form rezipiert werden. Auch die Philosophie wird wichtig mit ihrer Intention, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie in einen umfassenden Zusammenhang zu stellen. Es kann freilich auch geschehen, dass das immer präsente Bedürfnis nach Selbstvergewisserung in einem unumstößlich Wahren sich in biblizistische oder gar fundamentalistische Richtung zu einem Amalgam aus naturwissenschaftlichem Anspruch, Rationalismus und Biblizismus neigt, wie es beim Kreationismus und ›intelligent design‹ der Fall ist. Mit dem Bedürfnis nach Gewissheit bei allem Wissenwollen verbindet sich bei Jugendlichen oft das nach Entschiedenheit, was sich auch in einem stark moralischen Engagement auswirkt. Angesichts des Ineinanders von Wissen-Wollen und existenziellem Vergewisserungsbedürfnis wird Schöpfungstheologie mit Jugendlichen auf Behutsamkeit

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Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche

im Umgang achten, sodass das Hilfreiche und Befreiende einer ins Sachliche führenden Diskussion und Erörterung spürbar werden kann. Das sich neu formierende Ich von Jugendlichen sucht nicht nur nach standhaltender Wahrheit, sondern auch nach Authentizität in der Art und Weise, wie Erkenntnisse und Wahrheiten vertreten werden. Die Suche nach Wahrheit ist mit der nach Wahrhaftigkeit, die Frage nach dem Was mit dem existenziellen Wie verknüpft. Das bringt Chancen, aber auch Probleme mit sich, insbesondere das Problem der Verführbarkeit. Wer Schöpfungstheologie mit Jugendlichen treibt, darf sich selbst als Person nicht vorenthalten, doch nur vermittelt durch das Zeigen zu erwägender Sachen. Grundsätzlich gilt dabei: Nichts vertreten, was man nicht vertreten kann und zugleich auch zeigen, was der eigenen Meinung und Einstellung widerspricht. Der Verstand von Jugendlichen sucht kritische Perspektiven, das Herz sucht glaubhafte Gewissheiten. Beides steht oft in Spannung zueinander. Der Spielraum für die eigene Aneignung durch Jugendliche muss auf jeden Fall offen gehalten werden. Der angemessene Modus, mit Jugendlichen auch in Fragen der Schöpfungstheologie zu arbeiten, scheint mir der des Zeigens zu sein. Es ist zu zeigen, welche Fragestellungen die überlieferten Schöpfungsgeschichten und Schöpfungspsalmen mit ihren auch mythischen Hintergründen und welche die Philosophie und die Naturwissenschaften bewegen. Es ist zu zeigen, was der Glaube an die Welt als Schöpfung und an den Schöpfer bedeutet und was wir mit welcher Art von Gewissheit wissen können: nicht abstrakt, sondern an konkreten Ma-

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terialien, Text-, Sprach- und Bildformen. Solch differenziertes Zeigen muss auch der oft undifferenziert radikalen Eindimensionalität von Jugendlichen dadurch standhalten, dass sie den Gewinn von Differenzierung zeigt. 3. Themen und Perspektiven einer Schöpfungstheologie mit Jugendlichen 3.1 Das Ich in der Mitte

Schöpfungstheologie für Jugendliche im Modus des Zeigens soll sachlich sein. Doch darf Sachlichkeit nicht so verstanden werden, dass Sachverhalte als fertige Gegebenheiten nach dem Motto ›Vogel friss oder stirb‹ dargeboten werden. Das fragende und erfahrende Ich in und hinter den Sachverhalten muss spürbar sein mit seinem Wissen-Wollen und seinem Vergewisserungsbedürfnis. Das hält den Erkenntnisprozess offen und bewahrt vor Verdinglichung. In diesem Sinn gilt es subjektorientiert vorzugehen. Das gilt für die Erschließung biblischer und theologischer Texte zur Schöpfung ebenso wie für die von Erkenntnissen der Philosophie oder der Naturwissenschaften. Dem Subjekt muss sich die Sache, um die es geht, in ihrem Gewicht zeigen und erweisen, so dass das fragende Subjekt selbst eine Erfahrung machen kann, indem es von sich weggeführt wird und um eine Erkenntnis und Erfahrung reicher zu sich zurückkehren kann. Im Sinne solcher Subjektorientierung steht der Mensch in der Mitte, der sich dabei freilich so erfahren kann, dass er aus der Mitte wegversetzt wird. Um des Gegenstandsbezugs willen ist beim Ich anzu-

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setzen, das freilich nicht bei sich hocken bleiben muss. Mit seinem »Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat ...« vermeidet Luther einen objektivistischen Schein, der dem Artikel von der Schöpfung anhaften kann und diesen dann in eine ungute Konkurrenz zu den objektivierenden Wissenschaften bringt. Luther nimmt das Ich als reflexives Verhältnis ernst. Gott wird dabei indirekt an der erfahrbaren Evidenz elementarer Passivitäten und zuvorkommender Zuwendungen als der Gott ausgelegt, der gibt und erhält: von der Gabe von »Leib und Seele« bis hin zu »Vernunft und alle Sinne« und dem, was durch deren Betätigung »dazu« kommt. Auch die Schöpfungspsalmen setzen beim Menschen an, bei seiner Ich-Lebendigkeit, auch wenn diese dann, wenn sie aufmerkt, ganz von sich weggeführt wird. So etwa in Ps 104 mit der Aufforderung an sich selbst: »Lobe den Herrn, meine Seele ...« (Ps 104,1). Ähnlich Paul Gerhardt: »Geh aus mein Herz ...«, »schau an« und »siehe« (EG 503,1), oder »wach auf« (EG, 446,1). »Alle Sinne« werden angeregt, »erweckt« (V. 8) und sensibilisierend gebildet. Der Verstand bleibt dabei nicht unbeteiligt und nicht leer, aber auch nicht isoliert auf sich fixiert. Solche Aufforderung an sich selbst am Anfang von Schöpfungsliedern macht deutlich, dass es nicht selbstverständlich ist, sich selbst mit dem, was einem Gegeben und Erhalten ist und daraus folgt wahrzunehmen. Es bedarf einer eigens dafür geweckten Aufmerksamkeit, gerade auch bei Jugendlichen mit ihrem erwachenden kritisch-moralischen Geist. Die Reflexion auf sich selbst bei Luther und die Selbstaufforderung bei Paul Gerhardt deuten auf dem Hintergrund

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neuzeitlicher Subjektorientierung einen didaktischen Weg an, auf dem der in den Blick zu nehmende Gegenstand und Sachverhalt sich gleichsam selbst in seiner eigenen Bedeutung und Potenz zeigen kann. Alles Zeigen muss mit einer solch didaktischen Kehre rechnen, wenn es seinen Zweck erreichen soll. 3.2 Die Sprache des Schöpfungslobs als Sprache des Widerstands

Ich wähle für die nähere Entfaltung einiger Aspekte des Themas einen in der gegenwärtigen geistigen Situation eher abgelegen anmutenden Ausgangspunkt: das Lob der Schöpfung. Die Sprache des Lobes der Schöpfung ist auf den ersten Blick nicht die Sprache von Jugendlichen, anders als bei Kindern, die sich unmittelbar am Besingen der Schöpfung und der Geschöpfe freuen können. Nimmt man jedoch die Subjektorientierung und den Modus des Zeigens ernst, so kann auch Jugendlichen auf eine ansprechende Weise erschlossen werden, was durch die Sprache des Schöpfungslobs geschieht. Im Lob werden förderliche Lebensmöglichkeiten wahrgenommen und durch sprachliche Aufmerksamkeit sichtbar und vernehmbar gemacht. Dabei tritt zwar das Ich, das diese Dinge wahrnimmt, in die Mitte, doch so, dass es sich wie von selbst aller Selbstmächtigkeit und allen Bemächtigungswillens entkleidet zeigt, angerührt von dem und hingegeben an das, was da gerühmt wird. Aller Aufstand gegen Übermächtiges und Ängstigendes, gegen vormundschaftliche Autoritäten irdischer und göttlicher Art, aber auch alle Empörung gegen Übel und Böses und alle Defizitwahrnehmung

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Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche

wird dabei grundiert und umschlossen von der beglückenden Wahrnehmung des Lebens in der erstaunlichen Gegebenheit seines Daseins, seiner Entfaltung und Darstellung, die nicht ablösbar ist von seiner Endlichkeit und Versehrbarkeit. Durch solches Lob, das Mensch und Welt in einem aufmerkenden Licht wahrnimmt, das den bloß rechnenden Verstand und das bloß verwertende Tun in Grenzen weist, wird ohne Moralisieren zugleich ein kritisches Potenzial dagegen bereitgestellt, dass die Natur mit allen Kreaturen mitsamt den Menschen nur als Gelegenheit von Verbrauch, Verwertung und Vermarktung in den Blick kommen. Auch eine Jugendlichen nahe liegende moralische Empörung über die Zerstörung der Natur und gesellschaftlicher Beziehungen zehrt von solch vormoralischer Wahrnehmung dessen, was lobenswert ist. Auf unaufdringliche Art und Weise wird da einem bloß utilitaristischen Denken vom Nutzen her mit seinem Willen zu alles durchdringender Dominanz ebenso widersprochen wie einem Willen zur Macht, der nicht der Entfaltung des Lebens dient. In solchem Lob scheint auf, dass die Welt als Schöpfung sich nicht in den Zwecken erschöpft, die Menschen setzen. Der Schöpfer zeigt sich dabei als Bezugspunkt einer Selbstzwecklichkeit der Menschen und aller Kreatur zugleich mit einem vielfältigen ›den Menschen zu gut‹, das sich nicht im nützenden Verbrauch erschöpft. Dafür können Jugendliche in ihrem kritischen Streben durchaus einen Sinn entwickeln. Über praktische Konsequenzen ist zu diskutieren. Es ist bedeutsam, dass biblisch das Lob der Schöpfung und des Schöpfers in einer Welt ergeht, die mitnichten heil

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und in der vieles nicht zu loben ist. Nicht von ungefähr finden sich im Psalter mehr Klage- als Schöpfungspsalmen und der erste Schöpfungsbericht ist im Exil in Babylon entstanden. Gegen die spürbare Macht des Negativen und gegen die Gefährdung des Lebens und die Selbstgefährdung des Menschen stellt die Sprache des Lobs ein fundamentales Widerstandspotenzial bereit. Für die Sprache des Widerstands aber dürften gerade Jugendliche, die ihren eigenen Weg auch gegen Vormünder und Denkgewohnheiten erst finden müssen, einen Sinn haben. Zugleich führt die Sprache des Lobs zu kritischer Prüfung: Was wird zu Recht gelobt? Die Sprache des Schöpfungslobs und ihre Bedeutung zu erforschen wäre eine vielleicht unübliche, aber in vieler Hinsicht ertragreiche Aufgabe beim schöpfungstheologischen Nachdenken mit Jugendlichen. Dabei wird sich eine gewisse Nähe des Schöpfungsglaubens zu einer Vernunft ergeben, die nicht instrumentell, zweckrational und utilitaristisch reduziert ist. 3.3 Erzählung und Widerstand

An den beiden biblischen Schöpfungserzählungen lässt sich der Gesichtspunkt des Widerstands weiter differenzieren. Schon die Tatsache, dass wir zwei Schöpfungserzählungen verschiedenen Charakters haben, weist darauf hin, dass es sich nicht primär um eine Weltentstehungstheorie im naturwissenschaftlichen Sinn handelt, wenngleich vor allem in den jüngeren Bericht Elemente theoretischer Erkenntnis zur Weltentstehung, etwa das Geordnete des Vorgangs der Schöpfung

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vom Einfachen und Grundlegenden zum Komplexeren, eingegangen sind. Beide Schöpfungserzählungen haben es mit dem Ganzen eines kontingenten Lebensraums von Mensch und Kreatur zu tun: die erste (Gen 1,1–2,4a) mit dem Ganzen der sichtbaren Welt, die zweite (Gen 2,4b–25) mit der näheren und weiteren Umwelt des Menschen. Das Erzählen nimmt das Ganze des Lebensraums in seiner dem Menschen zugekehrten Sinnenhaftigkeits wahr, die der philosophische und der wissenschaftliche Verstand geneigt sind abzublenden. Schöpfung und Geschöpfe werden weder auf abstrakte Begriffe noch auf abstrakte Gesetzmäßigkeiten gebracht, in denen das sinnlich Erfahrbare des Lebens verschwindet, was beträchtliche Folgen für die Einstellung des Menschen zur Welt, zu den Mitkreaturen und zu seinesgleichen hat. In diesem Zusammenhang ist der Herrschaftsauftrag von Gen 1,28 in seiner uns heute anspringenden Ambivalenz eine kräftige Herausforderung zur Diskussion der Kräfte, die unsere Welt bestimmen6. Dabei kann gezeigt werden, was das historische Fragen nach dem ursprünglichen Sinn bringen kann. Auch zu diskutieren wäre dabei, dass nicht der Mensch in seiner besonderen Stellung die so genannte ›Krone der Schöpfung‹ ist, sondern der Sabbat Gottes als Grund für den Sabbat des Menschen. Für das Sabbatliche der Freilassung aus Pflichten und Anforderungen zu eigenem Tun und eigener Muße werden viele Jungendliche durchaus einen Sinn haben. So böte in diesem Zusammenhang und in dem unserer von Beschleunigung und Aktivität geprägten Welt auch das Sabbatliche einen Zugang zum Thema Schöpfung, doch wohl weniger für Jugendliche mit ihrer Lust an Beschleunigung.

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Einen weiteren Zugang zum ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4a) bietet die Situation seiner Entstehung im babylonischen Exil. In ihn ist das fortgeschrittene Wissen der damaligen Zeit eingegangen, das insbesondere die Babylonier besaßen, verbunden mit der Erfahrung großer politischer Machtentfaltung. Da stellt sich die Frage nach den Mächten, denen der Mensch mitsamt seinem Wissen sich unterwirft. Das Erzählen vom Schöpfer und seiner Schöpfung hebt Sinn und Verstand über die Mächte hinaus, die durch ihre Machtentfaltung gleichsam als Götter dominieren. Damit steht das Erzählen von der Schöpfung ein für einen Lebensraum und für eine Entfaltung der Geschöpfe, die sich nicht gefangen nehmen lassen von Zwecken politischer, ökonomischer und religiöser Machtentfaltung. Die erzählende Erinnerung an die Universalität Gottes, die sich in der Universalität der Schöpfung mit ihren Geschöpfen spiegelt, relativiert solche Machtentfaltung, gerade auch die religiös untermauerte. Von der Schöpfung und vom Schöpfer zu sprechen bedeutet in diesem Zusammenhang Kritik der politischen Religion, die Religion für Macht funktionalisiert. Und indem Gen 1 solch einflussreiche Mächte wie die Sonne und die Gestirne nur als Kreaturen gelten lässt, wird fundamental zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen unterschieden, zum Wohle von Mensch und Kreatur. Alle Mächte und Mächtigkeiten in Natur und Politik werden unter den Schöpfer und das Lebensrecht seiner Geschöpfe gebeugt. 6 Carl Amery, Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums, Reinbek 1974.

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Thaidigsmann Schöpfungstheologie mit und für Jugendliche

Jeder Mensch ist das Ensemble einer bestimmten biologisch-genetischen Ausstattung, einer Geschichte, gesellschaftlicher Verhältnisse, bestimmter kultureller und religiöser Prägungen. Das kann analytisch erhoben werden. Über dem allem aber ist er Ebenbild Gottes. In profaner Sprache hat sich das in der Rede von der Würde des Menschen niedergeschlagen (GG, Art 1). Sie kann nicht auf analytischem Weg wissenschaftlich erhoben werden, will man das Menschsein des Menschen nicht an besonderen Merkmalen, etwa den Fähigkeiten der Sprache und des Verstandes festmachen. Das würde zur Selektion unter den Menschen führen. Ein Mensch geht nicht darin auf, ein solches Ensemble zu sein und auch nicht darin, dass er animal rationale, ein Tier ist, das Verstand hat. Mitsamt all diesen Merkmalen und Fähigkeiten, die Menschen in verschiedenem Maße zugeteilt sind, ist jeder Mensch, um es mit Friedrich Schleiermacher zu sagen, ein individueller Abdruck und Ausdruck des Unendlichen7 und hat damit teil an der Unabbildbarkeit Gottes. Das ernst zu nehmen macht frei, trotz und inmitten vieler Bedingtheiten, und es lehrt die Achtung des Anderen. Und so findet sich in den Schöpfungserzählungen eines kleinen Volkes, das Spielball großer Mächte und ihrer imponierenden politischen, kulturellen und religiösen Symbolsysteme war, die unüberbietbare Würde des Menschen in universaler Weite. Die Rede von Gott, dem Schöpfer, wird von Jugendlichen wohl zumeist als erbauliche Phrase verstanden. Neu und in hilfreicher Weise kann sie für den sich emanzipierenden Geist Gewicht bekommen, wenn der Sinn gezeigt wird, den die Rede vom Schöpfer für den Men-

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schen im Umgang mit sich, seiner Welt und aller Kreatur, aber auch im Umgang mit dem, was er nicht in der Hand hat, haben kann. Dieser Sinn kann gezeigt werden, wenn die Schöpfungserzählungen mitten in die Grundkonflikte des Menschen im Umgang mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit der Natur hineingestellt werden. Anders gesagt: Sie müssen geistvoll und nicht biblizistisch und schon gar nicht fundamentalistisch ausgelegt werden. Auch in mythisch erscheinenden Ausdrücken ist dieser Geist aufzusuchen. Dass die biblischen Schöpfungspsalmen wie auch die Schöpfungsberichte von der Sprach- und Denkhilfe zehren, die sie bei anderen Völkern, voran Ägypten und Babylonien, und in ihrer Wissenschaft, ihrer Dichtung und Weisheiten gefunden haben, ist offenkundig. Das zu sehen macht frei, Wissen, Erkenntnis und vielfältige Erfahrung da zu würdigen, wo immer sie sich finden lassen. 3.4 Die Frage des Anfangs und der Grund zum Leben

Jugendliche haben Interesse an Anfangsgeschichten wissenschaftlicher Art, weniger für Grundgeschichten, die elementare Bedingungen des Menschseins im Zusammenhang einer wohlgeordneten Welt aufzeigen und von da her Orientierung vermitteln wollen. In den beiden Schöpfungserzählungen liegen Anfangsgeschichte und Grundgeschichte 7 Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Hg. Hans Joachim Rothert (PhB 255) Hamburg 1961, bes. 29.

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ineinander, wobei die Grundgeschichte das Übergewicht hat. In der Neuzeit ist das anders. Voran steht die Frage nach dem Anfang und den Anfängen, und von den mehr oder weniger wissenschaftlich unterfütterten Geschichten vom Anfang und seinem Fortgang her wird versucht, den Sinn des Menschseins zu bestimmen. Jugendliche nehmen die These vom Urknall als erklärende Anfangsgeschichte gerne auf. Solche Anfangsgeschichten mit wissenschaftlich plausiblem Charakter sprechen Jugendliche an bei ihren Bestreben, ›dahinter‹ zu kommen und bei ihrer Suche, für den Verstand festen Boden zu finden. Beglaubigungsinstanz und Autorität dafür ist ›die Wissenschaft‹. Sieht man sich die Theorie vom Urknall näher an, so zeigen sich jedoch Merkmale einer großen Erzählung im Gewand einer wissenschaftlichen Anfangsgeschichte, die auch eine Antwort auf die Sinnfrage impliziert. Zudem hat der Anfang des Urknalls immer schon angefangen. Die Frage drängt sich auf: Was war davor? Solche Erklärung vom Anfang schließt aus, was mit Sprache und Sprechen des Menschen und seinem Angesprochensein zu tun hat und akzentuiert eine sprachlos machende Kontingenz des Weltalls. Anders als in den biblischen

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Schöpfungsberichten streift solche Erklärung alle Orientierung in Fragen: Wie sollen wir leben und: Was ist elementar wichtig für den Menschen? ab. In dieser Reduktion schärft sie jedoch ein, was biblisch neben dem, dass der Mensch unvordenklich angesprochen ist, grundlegend ist: Kontingenz und Zeitlichkeit des Weltalls, der Erde und des Lebens. Kontingenz und Zeitlichkeit aber sind die Dimensionen, in denen die wissenschaftliche Vernunft auf ihre Weise vom unvordenklichen Gegebensein des Lebens in seiner Zeitlichkeit spricht. Die Methode, mit solchen Fragen im Gespräch mit Jugendlichen umzugehen, kann keine andere sein als zu zeigen, aus welchen Fragen wissenschaftliche Erklärungen entspringen, was sie leisten und was sie nicht leisten wollen und können. Dasselbe gilt für die biblischen Schöpfungsberichte. Die historisch-kritische Rekonstruktion zusammen mit der Aufmerksamkeit auf die literarische Form, in der sich die biblischen Aussagen über die Schöpfung darstellen, sind unentbehrliche Hilfsmittel um zu zeigen, worum es da geht, doch ist damit die Aufgabe des Verstehens erst angebahnt. Der fragende und forschende Mensch muss selbst auch zur Sprache kommen.

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Schweitzer Schöpfungsglaube und Kreationismus

Friedrich Schweitzer Schöpfungsglaube und Kreationismus – Herausforderungen und Aufgaben für die Jugendtheologie? Ob Gott wirklich die Welt geschaffen hat oder ob man eben bloß als Kind an eine Schöpfung glauben kann, das ist bekanntlich eine Frage, die für viele Menschen im Jugendalter aufbricht. In der inzwischen vielfach als Klassiker bezeichneten Studie von Karl Ernst Nipkow aus den 1980er Jahren »Erwachsenwerden ohne Gott?« wird eine der »Einbruchstellen« für den Glauben im Blick auf das »Woher und Wohin der Welt« identifiziert.1 An der Schöpfungsfrage entscheidet sich demnach häufig die Möglichkeit des Glaubens überhaupt. Zu den Entdeckungen erst des letzten Jahrzehnts gehört, dass der Kreationismus keineswegs, wie man lange sagte, eine ausschließlich »amerikanische Krankheit« darstellt, bei der es in anderen Kontinenten keinerlei Ansteckungsgefahr gebe.2 Stattdessen ist nun deutlich geworden, dass auch viele Menschen in Deutschland sich zwar häufig nicht selbst als Kreationisten verstehen, wohl aber Auffassungen zuneigen, die dem Kreationismus zugerechnet werden. Das gilt insbesondere für ein wortwörtliches Verständnis der sieben Tage, die in der biblischen Schöpfungsgeschichte (Gen 1) beschrieben werden.3 Im Folgenden möchte ich den Ansatz der Jugendtheologie, wie er von Thomas Schlag und mir entwickelt wurde, mit meinen Überlegungen zum Thema »Schöpfungsglaube – nur für Kinder?« verbinden.4

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Damit verfolge ich ein doppeltes Interesse: Zum einen geht es darum, das Verständnis von Jugendtheologie weiter zu präzisieren; zum anderen soll die Spannung zwischen Schöpfungsglaube und Kreationismus durch eine jugendtheologische Perspektive aufgenommen werden. 1. Drei Perspektiven der Jugendtheologie – im Streit zwischen Schöpfungsglaube, Evolutionstheorie und Kreationismus

In der Diskussion zur Kindertheologie hat sich die Unterscheidung von drei Perspektiven bewährt, in denen die Kinder1 Vgl. Karl E. Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, München 1987. 2 So berichtet bei Ronald L Numbers, The Creationists. From Scientific Creationism to Intelligent design. Expanded Edition, Cambridge / London 2006, 399. Auf diese ausgezeichnete Darstellung stütze ich mich auch im Folgenden. 3 Vgl. als kritische Darstellung etwa Ulrich Kutschera (Hg.), Kreationismus in Deutschland. Fakten und Analysen, Berlin 2007. 4 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011; s. auch dies. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – Kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012; Friedrich Schweitzer, Schöpfungsglaube – nur für Kinder? Zum Streit zwischen Schöpfungsglaube, Evolutionstheorie und Kreationismus, Neukirchen-Vluyn 2012.

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theologie betrachtet werden kann.5 Diese drei Perspektiven lassen sich auch auf die Jugendtheologie übertragen6:  Theologie der Jugendlichen, mit dem Akzent auf dem Hervorbringen von Theologie durch Jugendliche;  Theologie mit Jugendlichen, als prozessbezogene Betrachtung des gemeinsamen theologischen Gesprächs von Erwachsenen und Jugendlichen;  Theologie für Jugendliche, als Frage nach geeigneten inhaltlichen Impulsen, aber auch Informationen, von denen Jugendliche sich anregen lassen und von denen sie profitieren können. Wichtig ist, dass es sich um drei Perspektiven auf denselben Gegenstand – Jugendtheologie – handelt und nicht etwa um drei Teile, die auch jeweils für sich existieren könnten.7 Zumindest im religionspädagogischen Kontext steht die Theologie der Jugendlichen immer schon in einem Zusammenhang mit der Theologie mit Jugendlichen und für Jugendliche. Ebenso können die Theologie mit Jugendlichen und für Jugendliche nicht angemessen betrieben werden, wenn sie nicht grundlegend auf die Theologie der Jugendlichen bezogen bleiben. Insofern geht es um einen inneren Zusammenhang, der allerdings sinnvoll in sich selbst noch einmal differenziert werden kann und soll. Eine solche Differenzierung ist beispielsweise im Blick auf die Praxis hilfreich – nicht um sich auf nur eine der Perspektiven zu beschränken, sondern um alle drei im Blick zu behalten. Alle drei Perspektiven lassen sich auch auf das Thema Schöpfungsglaube und Kreationismus beziehen:

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(1) Zum Schöpfungsglauben von Kindern, aber auch von Jugendlichen liegt eine ganze Reihe von empirischen Untersuchungen vor. Solche, häufig aus der Entwicklungspsychologie stammende Un­ tersuchungen heben im Blick auf den vorliegenden Zusammenhang vor allem den Umbruch zwischen dem Kindes- und Jugendalter hervor. Während Kinder etwa Schöpfung und Evolution problemlos zusammenbringen können, wird das Verhältnis dieser Betrachtungsweisen für Jugendliche oft zum Problem.8 Gleichwohl lässt sich nicht behaupten, dass alle Kinder, gleichsam von Natur aus, Krea­tionisten wären.9 Zwischen kindlichen Schöpfungsvorstellungen und dem Kreationismus bei Jugendlichen und Erwachsenen bestehen deutliche Unterschiede. Kindliche Schöpfungsvorstellungen er­geben sich mehr oder weniger 5 Vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie?, in: Anton A. Bucher u.a. (Hg.): »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten. Jahrbuch für Kindertheologie 2, Stuttgart 2003, 9–18; vgl. auch Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011. 6 Im Folgenden formuliere ich eine Passage aus Schlag / Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 4), 60 auf Jugendliche um. 7 Vgl. auch Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 111ff. 8 Grundlegend sowie mit weiteren Literaturhinweisen vgl. Reto L. Fetz / Karl H. Reich / Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart u.a. 2001. 9 Vgl. ausführlicher Schweitzer, Schöpfungsglaube (wie Anm. 4), 65ff.

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Schweitzer Schöpfungsglaube und Kreationismus

unmittelbar aus dem kindlichen Denkund Lebenshorizont, während kreationistische Überzeugungen – dies zeigt auch ihre geschichtliche Entstehung10 – eine Abwehrbewegung gegen evolutionstheoretische Erklärungen darstellen. Kreationismus bedeutet das Festhalten an der Wahrheit und Irrtumslosigkeit der Bibel, die in einem wortwörtlichen Sinne verstanden wird. Da Gott nach Gen 1 die Arten geschaffen hat, lehnt der Kreationismus insbesondere evolutionstheoretische Erklärungen zur Entstehung von Arten ab. Auf den Nachweis der wortwörtlichen Wahrheit der biblischen Sicht der Schöpfung zielten dann später zahlreiche – allerdings erfolglose – Versuche, etwa mit Hilfe der Geologie nachzuweisen, dass die Evolutionstheorie wissenschaftlich unhaltbar sei. Zu den religionspädagogisch anzustrebenden Möglichkeiten im Jugendalter gehört die Ausbildung eines Denkens in Komplementarität, das sich zwar der Unterschiede oder sogar Gegensätze zwischen schöpfungstheologischen und evolutionstheoretischen Betrachtungsweisen bewusst ist, das aber gleichwohl an der Notwendigkeit beider Betrachtungsweisen festhält.11 Kreationistische Vorstellungen besonders im Jugendalter sind bislang noch kaum psychologisch-empirisch untersucht. Wie genau Kinder und Jugendliche die Welt verstehen und welche Motive für sie bestimmend sind, wenn sie kreationistische Überzeugungen vertreten, sollte aber genauso erforscht werden wie die Entwicklung von Weltbildern und Schöpfungsvorstellungen insgesamt. Auch in diesem Falle beantworten sich die damit verbundenen (entwicklungs-) psychologischen und (religions-)päda-

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gogischen Fragen nicht schon aus dem Inhalt kreationistischer Überzeugungen. (2) Unter dem Aspekt einer Theologie mit Jugendlichen geht es darum, wie Schöpfungsglaube und Kreationismus im Gespräch mit Jugendlichen aufgenommen werden können, nicht zuletzt etwa im Unterricht. Dass dies ein eigenes Thema darstellt und sich mit eigenen didaktischen Herausforderungen verbindet, sollte nicht übersehen werden. »Was glauben Sie: hatte Adam einen Bauchnabel oder nicht?« – mit dieser Frage sah sich der Religionslehrer einer Klasse 7 nach dem Ende einer Religionsstunde konfrontiert.12 Die Herausforderung lag dabei nicht nur in den zeitlichen Grenzen einer Fünf-Minuten-Pause, sondern ergab sich auch aus der pädagogisch verantwortlich zu treffenden Entscheidung, ob es sich hier um eine kreationistische Herausforderung oder einfach um kindlich-naiven Glauben handelte. Und welche Antwort würde diesem Jugendlichen helfen? – Der Lehrer berichtet: »Ich entschied mich kurzerhand für einen Mittelweg: ›Gott hat Adam geschaffen wie alle anderen Menschen auch, deshalb hat er ihn sicher auch mit einem Bauchnabel geschaffen. Als erster Mensch steht Adam sozusagen für alle Menschen.‹«13 Diese Antwort war von diesem Lehrer durchaus klug gewählt oder jedenfalls intuitiv gut getroffen. Denn sie legt diesen 10 Vgl. dazu Numbers (wie Anm. 2). 11 Vgl. Fetz / Reich / Valentin (wie Anm. 8). 12 Der »Fall« findet sich ausgiebiger beschrieben und diskutiert bei Peter Kliemann / Friedrich Schweitzer, Religion unterrichten lernen. Zwölf Fallbeispiele, Neukirchen-Vluyn 2007, 11ff. 13 Ebd., 12.

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Jugendlichen nicht auf einen – vom Lehrer wahrgenommenen oder vermuteten – Kreationsmus fest und ist doch offen für die Möglichkeit, dass der Lehrer hier kreationistisch auf die Probe gestellt werden sollte. (3) Die Lehrerantwort in diesem Beispiel kann zugleich auch als eine Theologie für Jugendliche in dem Sinne angesehen werden, dass hier ein theologischer Impuls gesetzt wird. Dieser Impuls ist geeignet, den fragenden Jugendlichen in seinem eigenen Nachdenken voranzubringen – insofern zeigt er exemplarisch, wie die Theologie für Jugendliche mit der der Jugendlichen und mit Jugendlichen zusammenhängt. Eine Theologie für Jugendliche kann nie darin bestehen, dass Jugendlichen eine Art theologisches Fertigprodukt übergeben oder vermittelt wird. Wie unsere Untersuchungen zum Religionsunterricht schon vor Jahren gezeigt haben,14 geht die Vermittlung theologischer Richtigkeiten in aller Regel an den Schülerinnen und Schülern vorbei. Sie dient eher der Beruhigung des Lehrergewissens als dem Nachdenken und Lernen der Schülerinnen und Schüler. Welche Anstöße Jugendlichen geboten werden sollten, um sie in ihrem eigenen theologischen Nachdenken etwa zum Schöpfungsglauben weiterzubringen, kann an dieser Stelle im Einzelnen nicht ausgeführt werden. Stattdessen formuliere ich als übergreifendes Kriterium, dass die Anstöße geeignet sein müssen, ein Denken in Komplementarität zu befördern. Der Kreationismus sollte dabei keineswegs ausgespart bleiben. Auch wenn richtig bleibt, dass der Kreationismus keineswegs gar als in der evangelischen

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Kirche akzeptierte Auffassung dargestellt werden darf15 – das würde den Aufgaben eines schulischen Unterrichts ebenso widersprechen wie der wissenschaftlichen Theologie –, bleibt es doch richtig, dass auch kreationistische Auffassungen als heute in Kirche und Gesellschaft zu findende Überzeugungen in der Schule behandelt werden sollten.16 Ähnliches gilt freilich auch für den Atheismus und für die – als fundamentalistisch zu bezeichnende – Auffassung, der Schöpfungsglaube sei nichts anderes als ein »Gotteswahn«.17 2. Fünf Dimensionen von Jugendtheologie – bezogen auf »Schöpfungslaube und Kreationismus«

Neben den drei Perspektiven einer Theologie der, mit und für Jugendliche unterscheiden wir, quer dazu, fünf Dimensionen der Jugendtheologie: implizite Theologie; explizite Theologie; persönliche Theologie; theologische Deutung mithilfe der theologischen Dogmatik; Jugendliche 14 Vgl. Friedrich Schweitzer u.a., Religionsunterricht und Entwicklungspsychologie. Elementarisierung in der Praxis, Gütersloh 21997. 15 Vgl. dazu: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungslaube in der Schule. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008 (= EKD-Texte 94). 16 Ausführlicher dazu Friedrich Schweitzer, Kreationismus und Intelligent Design im Religionsunterricht? Neue Herausforderungen zum Thema Schöpfungsglaube, in: ders., Elementarisierung und Kompetenz. Wie Schülerinnen und Schüler von »gutem Religionsunterricht« profitieren, Neukirchen-Vluyn 22011, 52ff. 17 So Richard Dawkins, Der Gotteswahn, Berlin 10 2011.

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argumentieren ausdrücklich theologisch. Auch diese Dimensionen sollen nun auf den Bereich von Schöpfung und Kreationismus bezogen werden. Auf diese Weise möchte ich auch zur weiteren Klärung dieser Dimensionen beitragen, deren erste Darstellung von Thomas Schöag und mir in der bisherigen Diskussion zu Nachfragen und zum Teil auch zu kritischen Einwänden geführt hat.18 (1) Als implizite Theologie verstehen wir solche Äußerungen oder Deutungen, die nur von außen als theologisch identifiziert werden. Die Jugendlichen selbst sprechen hier nicht von Theologie oder Religion. Der religiöse Bezug wird von Erwachsenen, vor allem von Wissenschaftlern hergestellt oder aufgezeigt. Bei heutigen Jugendlichen ist vielfach mit einer solchen impliziten Theologie zu rechnen. Fast alle Jugendlichen verfügen wohl über Vorstellungen zur Weltentstehung, auch wenn diese mehr oder weniger klar ausgeprägt sein können.19 In der eigenen Wahrnehmung Jugendlicher haben diese Auffassungen aber zumeist nichts mit Religion oder Theologie zu tun. Die Jugendlichen denken vielleicht an »Wissenschaft«, aber eben eher im Sinne von Naturwissenschaft, und dies in einem eher unbestimmten Sinne. Aus der Biologiedidaktik ist bekannt, dass Jugendliche häufig von einer Zielgerichtetheit der Evolution ausgehen, obwohl dies der Evolutionstheorie gar nicht entspricht.20 Die Evolutionstheorie kennt prinzipiell keine vorausgesetzten Ziele, sondern eben allein, um es vereinfacht auszudrücken, die Mechanismen von Mutation und Selektion. Vorstellungen eines zielgerichteten Prozesses weisen deshalb eher einen weltanschaulichen

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als einen naturwissenschaftlichen Charakter auf. Insofern können sie gewiss als implizite Weltanschauung angesprochen werden sowie, unter bestimmten Voraussetzungen, auch als implizite Theologie. Eine Einschätzung als Theologie ist zumindest dann plausibel, wenn sich mit der Perspektive der Zielgerichtetheit auch letzte Sinnperspektiven für das menschliche Leben und Handeln verbinden. (2) Von einer expliziten Theologie kann hingegen gesprochen werden, wenn sich die Deutungen Jugendlicher auf einen Gegenstand beziehen, der auch im Verständnis der Jugendlichen religiös ist und wenn ihr Nachdenken darüber entsprechend theologisch ausgerichtet ist. In diesem Falle geht es um die Art und Weise, wie Jugendliche mit dem Schöpfungsglauben umgehen, welche Vorstellungen von Schöpfung sie ausbilden und wie sie ggf. den Kreationismus wahrnehmen. Auch dazu sind entwicklungspsychologische Untersuchungen verfügbar.21 18 Zu unserer Darstellung vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 4); zu Diskussionsbeiträgen s. dies., Jugendtheologie (wie Anm. 4). 19 Vgl. dazu etwa Christian Höger, Abschied vom Schöpfergott? Welterklärungen von Abiturientinnen und Abiturienten in qualitativempirisch religionspädagogischer Analyse, Berlin 2008; s. auch Hans-Georg Ziebertz / Ulrich Riegel, Letzte Sicherheiten. Eine empirische Studie zu Weltbildern Jugendlicher (Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft 11), Freiburg i.Br. / Gütersloh 2008. 20 Vgl. Ulrich Kattmann, Evolution & Schöpfung. Kreationistische Vorstellungen als Gegenstand des Biologieunterrichts, in: Unterricht Biologie 32, 2008. 21 Vgl. Fetz / Reich / Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis (wie Anm. 8).

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Besonders aufschlussreich sind die Befunde von Reto Luzius Fetz, Helmut Reich und Peter Valentin, deren Arbeit in der Tradition von Jean Piaget zu sehen ist. Fetz, Reich und Valentin arbeiten verschiedene Entwicklungsstufen heraus.22 In der Kindheit beobachten sie vor allem eine Entwicklungsstufe, bei der Gott als Baumeister der Welt angesehen wird. Erst später, ab dem Jugendalter, finden sie ein sogenanntes »reflektiertes Schöpfungsverständnis«, das den Schöpfungsglauben als einen besonderen Weltzugang versteht. Bereits im Zuge der kindlichen Entwicklung muss beim Schöpfungsverständnis noch einmal zwischen verschiedene Entwicklungsphasen unterschieden werden. In der genannten Untersuchung waren im Alter bis zu 13 Jahren häufig folgende Phasen zu beobachten:  Am Anfang, im so genannten Entstehungsstadium, wenn sich die Vorstellung von Gott als Baumeister ausbildet, antworten Kinder beispielsweise auf die Frage, »was Gott denn alles geschaffen habe«, so wie die fünfeinhalbjährige Nina: Gott habe »die Hochhäuser« geschaffen. Nina »begründet dies damit, dass die Menschen einfach ›nicht so lange Leitern machen konnten‹. Gott ist darüber hinaus für das von den Menschen benötigte Material, aber auch für Esswaren und Getränke zuständig«.  Von einem Hauptstadium des unreflektierten Schöpfungsverständnisses sprechen diese Autoren dann, wenn Kinder »nur noch das als Gottes Werk ansehen, was nicht die Spuren menschlicher Fabrikation und menschlichen Werkzeuggebrauchs trägt«. Ob solche Vorstellungen zu

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Recht als »unreflektiert« bezeichnet werden können, wäre allerdings ein eigenes Problem. Ganz offensichtlich denken sich die Kinder sehr wohl etwas bei ihren Vorstellungen! In diesem Sinne lässt sich denn auch das hier beschriebene Schöpfungsverständnis begreifen, nämlich als eine vom Kind vollzogene weitere Klärung. Denn nun, beim sogenannten Hauptstadium, stehe »Gottes Schöpfungstätigkeit nicht mehr auf einer Ebene mit dem menschlichen Herstellen«. Gott ist »nun jener, der das ›Große‹ macht«. Und dieses »Große« ist das, »worauf die Menschen angewiesen sind, was den Wohn- und Wirkbereich des Menschen umfasst und ermöglicht. Gott schafft nun in erster Linie jene Welt, in der der Mensch leben und sich einrichten kann. Er gestaltet die Erde mit ihren Bergen, Flüssen und Seen, lässt die Pflanzen wachsen und die Tiere entstehen und ist dabei in allem auf die Wohlfahrt des Menschen bedacht«.  Ungefähr gegen Ende des ersten Lebensjahrzehnts lässt sich dann ein »reflektiertes Schöpfungsverständnis« be­ obachten. Nicht zuletzt unter dem Ein­ fluss populär-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse verändert sich im Übergang zum Jugendalter das Weltbild. Entsprechend wird auch die Vorstel22 Reto L. Fetz / Karl H. Reich / Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Gottesvorstellung. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, in: Edgar Schmitz (Hg.), Religionspsychologie. Eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Forschungsstandes, Göttingen u.a. 1992, 101–130, Zitate im Folgenden S. 117ff. Im Übrigen übernehme ich hier in modifizierter Form meine Darstellung aus Schweitzer, Schöpfungsglaube (wie Anm. 4).

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lung von Gott anders, weil die früheren Gottesbilder (»Gott wohnt im Himmel«) beispielsweise nicht mehr zu der naturwissenschaftlich beeinflussten Vorstellung eines Weltalls passen. Bei der Untersuchung, auf die wir uns hier beziehen, wird dies auch als »Auflösungsstadium« bezeichnet. Ein Hauptmoment sei dabei »die Annahme eines unendlichen Weltalls, von dem behauptet wird, dass es nicht von Gott ›gemacht‹ sein könne, weil er dabei an kein Ende käme«. Damit löst sich das Weltbild von den kindlichen Schöpfungsvorstellungen ab. Jugendliche können dann sagen, dass die Welt entstanden, aber eben nicht geschaffen sei. Nicht bei allen Jugendlichen bleibt es bei der bloßen Ablösung des kindlichen Weltbildes durch den Weltraum oder Kosmos der Naturwissenschaft. Zumindest manche Jugendliche gelangen auch zu einem Verständnis, das sich am besten mit dem Begriff der Komplementarität beschreiben lässt. Damit wird der gleichzeitige Gebrauch unterschiedlicher, sogar sich widersprechender Erklärungsweisen bezeichnet (dazu noch unten). Für den weiteren Weg von Entwicklung und Bildung nach der Kindheit ist demnach vor allem der Unterschied zwischen dem Nachdenken über Objekte in der Welt (Objektreflexion) und der Reflexion auf die Mittel des Denkens (Mittelreflexion) weiterführend. Das Erreichen komplementären Denkens scheint in entscheidender Weise vom Übergang zur Mittelreflexion abhängig zu sein. Im Blick auf die Jugendtheologie ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass die Entwicklungspsychologie in der Regel nicht auf einen Dialog mit Kindern und

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Jugendlichen zielt – etwa im Sinne einer Theologie mit Kinder oder Jugendlichen –, sondern deren Sichtweisen psychologisch beschreiben und erklären will. Entwicklungspsychologie ist noch keine Jugendtheologie! (3) Wiederum quer zu der Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Theologie steht die Kategorie der persönlichen Theologie, die auf eine bestimmte, für eine Person bezeichnende Auffassung etwa von Glaube oder Gott zielt. Hier geht es weniger um die Formen des Argumentierens, die von Jugendlichen praktiziert wird. Stattdessen wird nach einer bestimmten Position gefragt, die Jugendliche für sich selbst vertreten. Bei der persönlichen Theologie tritt damit der Gegensatz zwischen einem Kreationismus als wortwörtlichem Fürwahrhalten der Schöpfungsgeschichte einerseits und andererseits einem Schöpfungsglauben, der als religiöse Deutung wahrgenommen und häufig in einem übertragenen Sinne aufgefasst wird, ins Zentrum. Zu rechnen ist aber nicht nur mit Extremfällen, sondern auch mit Mischungen zwischen schöpfungstheologischen und kreationistischen Sichtweisen. (4) Die vierte Dimension bezeichnen wir als theologische Deutung mit Hilfe der theologischen Dogmatik. Die Deutung geschieht hier nicht durch die Jugendlichen selbst, sondern wird von Erwachsenen vollzogen, die sich auf die theologische Dogmatik stützen. Deren theologische Deutung baut jedoch auf einer expliziten Theologie Jugendlicher auf und kann insofern an diese anschließen. So gehen kreationistische Überzeugungen beispielsweise häufig ausdrück-

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lich von einer Verbalinspiration der Bibel aus. Damit berühren sie ein Thema, das in der Geschichte der christlichen Theologie vielfach erörtert wurde und ein Stück weit auch geklärt werden konnte. Eine theologische Deutung mithilfe der theologischen Dogmatik muss nun versuchen, solche Klärungen aus der Theologie in das theologische Gespräch mit Jugendlichen so einzuspielen, dass diese daraus Impulse für sich selber gewinnen können. Da Menschen, die dem Kreationismus anhängen, auf Widerspruch häufig nicht mit Offenheit, sondern mit einem umso stärkeren Insistieren auf ihrem Standpunkt reagieren, können solche Ein- und Zuspielungen hilfreicher sein als direkte Kritik. Das oben erwähnte Beispiel von Adams Bauchnabel bietet dazu hilfreiche Perspektiven. (5) Unsere letzte Dimension bezieht sich heute auf nur wenige Jugendliche, die selbst ausdrücklich theologisch argumentie-

ren, etwa im Diskurs mit Gemeinde- und Kirchenleitungen. Zu denken ist etwa an kirchliche Jugendverbände. Anders als bei den vorangehenden vier Dimensionen sind sich Jugendliche dabei des theologischen Charakters ihrer Argumente durchaus bewusst. Zumindest manchmal nutzen sie selbst die Theologie, um ihren eigenen Sichtweisen Nachdruck zu verleihen. Jugendliche können sich etwa auf den Schöpfungsglauben berufen, um gegenüber dem Kirchengemeinderat vor Ort ökologische Verbesserungen einzuklagen. Sie können auf die Kindertaufe verweisen, um die Notwendigkeit von Investitionen in die Jugendarbeit zu begründen usw. Ausdrücklich theologisch argumentieren können aber auch kreationistisch eingestellte Jugendliche, etwa mit dem bereits genannten Hinweis auf die Verbalinspiration oder auf die grundlegende Bedeutung der Heiligen Schrift als Norm der Kirche.

Zusammenfassung

Zusammenfassend haben wir die Formen von Jugendtheologie in nachfolgendem Schema dargestellt: Formen von Jugendtheologie im Überblick23 Theologie der Jugendlichen Theologie mit Jugendlichen Theologie für Jugendliche implizite Theologie persönliche Theologie explizite Theologie theologische Deutung mit Hilfe der theologischen Dogmatik Jugendliche argumentieren ausdrücklich theologisch 23 Übernommen aus Schlag / Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 4), 61.

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Jedes Feld in diesem Schema kann ausgefüllt werden.24 Als Beispiel sei die Zeile zur expliziten Theologie herausgegriffen: Im ersten Feld (Theologie der Jugendlichen) geht es darum, wie Jugendliche über Schöpfung und den Kreationismus denken. Im zweiten Feld (Theologie mit Jugendlichen) ist nach Formen zu fragen, wie die Deutungen Jugendlicher im Gespräch (Unterricht usw.) aufgenommen werden können. Im dritten Feld schließlich (Theologie für Jugendliche) sind solche theologische Impulse zu nennen, die für das theologische Gespräch mit Jugendlichen sowie für die von Jugendlichen hervorgebrachten Deutungen in dem Sinne hilfreich und weiterführend sein können, dass sie für die Jugendlichen selbst Anregungen bieten. 3. Was bringt ein jugendtheologischer Ansatz zu Schöpfung und Kreationismus für die Praxis?

Da die Religionspädagogik sich letztlich nicht in veränderten Deutungen erschöpfen kann, kommt es entscheidend darauf an, was eine veränderte Herangehensweise im Sinne der Jugendtheologie für die religionspädagogische Praxis bringt. Dazu fünf Thesen: 1. Mit einem jugendtheologischen Ansatz wird eine veränderte Wahrnehmung der Jugendlichen möglich. Jugendliche erscheinen nicht mehr als ein Gegenüber, dem theologische Einsichten vermittelt werden müssen. Stattdessen kommt es darauf an, die eigenen theologischen Sichtweisen und Deutungsformen der Jugendlichen konstitutiv zu berücksichtigen.

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In der Anerkennung und Würdigung Jugendlicher als Theologen liegt der erste und wichtigste Ausgangspunkt und Impuls aller Jugendtheologie. In der religionspädagogischen Praxis kommt dieser Ausgangspunkt in einer veränderten Haltung gegenüber Jugendlichen zum Ausdruck. Es wird nicht nur, wie beispielsweise in einer (nach wie vor wichtigen) erfahrungsorientierten Religionspädagogik, nach Anknüpfungspunkten in der Lebenswelt Jugendlicher gefragt, die dann von Erwachsenen didaktisch berücksichtigt werden sollen. Stattdessen wird realisiert, dass die Jugendlichen selbst, vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungs- und Lebenswelt, immer schon zu Deutungen gelangen, die theologisch gehaltvoll sind. Insofern verfügen nicht nur die Unterrichtenden über Theologie, sondern eben auch die Jugendlichen, wobei die Unterschiede etwa zwischen einer wissenschaftlichen Theologie, die von Unterrichtenden in der Ausbildung oder in der eigenen theologischen Arbeit aufgenommen wird, und der Theologie von Jugendlichen nicht verwischt werden sollen. 2. Ein jugendtheologischer Ansatz ist die Voraussetzung für einen konsequent dialogischen Unterricht. Erst wenn der Dialog mit Jugendlichen auch deren theologische Deutungen ernst nimmt, werden Gespräche auf Augenhöhe möglich. Mit ihrer dialogischen Ausrichtung wendet sich die Jugendtheologie kritisch gegen alle Ansätze auch in der Religionspädagogik, die letztlich auf einer einseitig nur von den Erwachsenen ausgehenden 24 Vgl. ebd., 179.

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Theoretische Grundlagen

Gestaltung beruhen. Trotz aller heute üblichen Bekenntnisse zu einer dialogischen Ausrichtung ließe sich zeigen, dass dies noch immer auf viele religionspädagogische Vorschläge zutrifft, etwa wenn Hinweise zum Umgang mit Jugendlichen gegeben werden, aber eben nicht dazu, wie Jugendliche als Subjekte zum Zuge kommen können. Insofern verspricht ein jugendtheologischer Ansatz tatsächlich neue Impulse auch für die Praxis. Da sich Jugendtheologie, wie sie hier verstanden wird, aber nicht in der bloßen Erhebung von Auffassungen Jugendlicher erschöpft, sondern auch eine Theologie mit Jugendlichen und für Jugendliche einschließt, lässt sie sich gut mit religionsdidaktischen Grundanliegen verbinden. Für die Verknüpfung zwischen Kinder- und Jugendtheologie auf der einen und des Elementarisierungsansatz auf der anderen Seite wurde dies im Detail bereits nachgewiesen.25 3. Jugendtheologie kann den Elementarisierungsansatz vertiefen. Umgekehrt erweitert der Elementarisierungsansatz die Jugendtheologie zu einem auch für den Unterricht geeigneten didaktischen Ansatz. Der Elementarisierungsansatz, wie er in Tübingen von Karl Ernst Nipkow und später von mir selbst entwickelt und vorangetrieben wurde, zielt von Anfang an auf eine konstitutive Berücksichtigung der Weltzugänge und Deutungsweisen von Kindern und Jugendlichen. Die Kinder- und Jugendtheologie erlaubt insofern eine weitere Zuspitzung dieses Ansatzes, als mit deren Hilfe zur Geltung gebracht werden kann, dass nicht nur die Unterrichtenden, sondern auch die

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Kinder und Jugendlichen selbst elementarisierend tätig sind.26 Denn Kinder und Jugendliche identifizieren auch von sich aus, was für sie wesentlich, überzeugend und gewinnbringend ist. Durch den Elementarisierungsansatz gewinnt umgekehrt die Kinder- und Jugendtheologie eine Perspektive auch auf Lernfortschritte, wie sie für jeden Unterricht erforderlich ist. Unterricht soll weitere Lernmöglichkeiten erschließen. Darin besteht sein Sinn. Eine Theologie von Jugendlichen ist deshalb ein konstitutiver Ausgangspunkt für den Unterricht allein aber kann sie den Unterricht nicht legitimieren. Dies lässt sich auch so ausdrücken: 4. Jugendtheologie stellt einen effektiven Weg des Kompetenzerwerbs dar. Dazu müssen allerdings entsprechende Kompetenzmodelle und Bildungsstandards verfügbar sein. Eine besondere Affinität weist die Jugendtheologie zur Deutungs- und Urteilskompetenz sowie zur Kommunikations- und Partizipationskompetenz Jugendlicher auf. Darüber hinaus kommen aber auch inhaltliche Kompetenzen in den Blick – besonders, wenn auch nicht nur, bei der Theologie für Jugendliche. Voraussetzung für eine gelingende Verbindung von Jugendtheologie und Kompetenzerwerb ist allerdings, dass Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für den Religionsunterricht sub25 Vgl. Schlag / Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 4); Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung (wie Anm. 5). 26 Ausführlicher bei Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung (wie Anm. 5).

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Schweitzer Schöpfungsglaube und Kreationismus

jekt-, lebenswelt- und entwicklungsbezogen formuliert sind.27 5. Jugendtheologie eröffnet Wege zu einem Denken in Komplementarität, das als entscheidendes Bildungsziel im Blick auf Schöpfungsglaube, Kreationismus und Evolutionstheorie bezeichnet werden kann. Ein Denken in Komplementarität, durch das eine Verbindung zwischen Schöpfungsglaube und naturwissenschaftlichen Auffassungen möglich wird, hängt davon ab, dass Jugendliche zu entsprechenden Deutungen befähigt werden. Zugleich bietet ein Denken in Komplementarität auch eine Antwort für den Kreationismus. Wo erkannt wird, dass Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie zwei Betrachtungsweisen darstellen, die einander zwar (teilweise) widerspre-

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chen oder zumindest in Spannung zueinander stehen, die gleichwohl aber beide sinnvoll sind, wird die kreationistische Opposition gleichsam überflüssig. Die kreationistische Position erwächst aus einer Abwehr der naturwissenschaftlichen oder, genauer: der weltanschaulichen Infragestellung des Schöpfungsglaubens. Wo einsichtig wird, dass beide, Schöpfungslaube und Naturwissenschaft, miteinander bestehen können, ist ein solcher Widerstand etwa gegen die Evolutionstheorie nicht mehr erforderlich, um auch angesichts wissenschaftlicher Erkenntnisse noch an Gott als den Schöpfer der Welt glauben zu können.

27 Weitere Ausführungen dazu bei Schlag / Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? (wie Anm. 4), 145.

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Konnemann / Oberleitner / Asshoff / Hammann / Rothgangel Einstellung Jugendlicher zu Schöpfung

Christiane Konnemann / Elisabeth Oberleitner / Roman Asshoff / Marcus Hammann / Martin Rothgangel Einstellungen Jugendlicher zu Schöpfung und Evolution 1. Einleitung

»Ich finde, dass beides [Schöpfung und Evolution] Berücksichtigung finden muss. Ich finde es nicht gut, wenn man total naiv ist und so die Schöpfungsgeschichte komplett wörtlich nimmt. Weil es ist halt, es widerspricht schon ein bisschen dem Verstand [...] Und von daher finde ich schon, dass man das auch zulassen darf diese sehr sachliche Entstehungsgeschichte. Was aber nicht heißt, dass es sozusagen keine, keine göttliche Entstehungsgeschichte gibt. Ich finde einfach, dass sich das nicht ausschließt.« (Schülerin, Klasse 11, Gymnasium) Das einführende Zitat zeigt, dass es der Schülerin gelingt, das Verhältnis von Schöpfungserzählungen und Evolutionstheorie für sich in Einklang zu bringen. Doch nicht alle der befragten Schüler/in­ nen äußern sich derart reflektiert. Vielen bereitet es Schwierigkeiten, zur Vereinbarkeit von Schöpfung und Evolution klar Stellung zu beziehen. Welche Einstellungen haben jugendliche Schüler/innen generell zum Themenkomplex »Schöpfung und Evolution«? Wie stehen Sie zu den Schöpfungserzählungen und wie zur Evolutionstheorie? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt des hier vorgestellten interdisziplinären Forschungsvorhabens. Dabei bildet das Konzept der Modi der Weltbegegnung nach Jürgen Baumert den gemeinsamen bildungstheoretischen Rah­­

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men.1 Danach wird eine umfassende und differenzierte Bildung erst dann möglich, wenn verschiedene Weltzugänge und Erkenntnisweisen voneinander unterschieden, aber eben auch aufeinander bezogen werden können.2 Wie kaum ein anderes Berührungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft fordert der Themenkomplex »Schöpfung und Evolution« eine Positionierung sowohl der Theologie als auch der Biologie. Die Gefahr der Grenzüberschreitung ist groß, wie insbesondere kreationistische und szientistische Überzeugungen deutlich machen. Seit geraumer Zeit wird eine zunehmende Verbreitung solcher Überzeugungen in Europa diskutiert3 und eine verstärkte Konfrontation besonders mit kreationistischen Positionen im schulischen Kontext befürchtet.4 Allerdings wurden Einstellungen von Schüler/innen zum Themenkomplex »Schöpfung und Evolution« bisher natio1 Jürgen Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Nelson Killius u.a. (Hg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a.M. 2002, 100–150. 2 EKD, Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2010. 3 Andrew Curry, Creationist Beliefs Persist in Europe, in: Science, 2009, Heft 5918, 1159–1159. 4 Stefaan Blancke / Maarten Bourdry u.a, Dealing with creationist challenges. What European biology teachers might expect in the classroom, in: Journal of Biological Education, 2011, Heft 4, 176–182.

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Empirische Aspekte

nal und international nur in Ansätzen untersucht. Ziel dieser Untersuchung ist es daher, Einstellungen von Schüler/innen in Deutschland zu charakterisieren. 2. Theoretischer Hintergrund 2.1 Einstellungen zu den Schöpfungs­ erzählungen und zur Evolutionstheorie5

Theoretische Grundlagen des gemeinsamen Forschungsvorhabens bilden Theorien und Modelle der sozialpsychologischen Einstellungsforschung, insbesondere das Dreikomponentenmodell von Eagly und Chaiken.6 Danach werden Einstellungen als zusammenfassende Bewertungen eines Einstellungsobjekts verstanden, die auf drei Komponenten beruhen. Dabei wird unterschieden zwischen einer kognitiven, einer affektiven und einer verhaltensbezogenen Komponente. Als kognitive Komponente werden dabei wertende Überzeugungen, Gedanken und Merkmale bezeichnet, die mit dem Einstellungsobjekt assoziiert werden. Die affektive Komponente umfasst Gefühle und Emotionen, verbunden mit dem Einstellungsobjekt, während die verhaltensbezogene Komponente auf das Einstellungsobjekt bezogene Verhaltensweisen bezeichnet.7 2.1.1 Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen

Einstellungen zu den biblischen Schöpfungserzählungen wurden bisher nur in Ansätzen erforscht. Zwar existieren themennahe Studien,8 doch Einstellungen in ihrer Mehrdimensionalität zu erheben, blieb zumindest unter deutschsprachigen TheologInnen bisher aus. Als Orientie-

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rung für religionspädagogische Einstellungsforschung können hier anglosächsische Studien dienen,9 wenngleich auch diese die ihnen zugrunde liegende Einstellungs»theorie« nicht diskutieren. Man geht davon aus, dass Einstellungsveränderungen zu den biblischen Schöpfungserzählungen primär aus einem wortwörtlichen Schriftverständnis resultieren. Gattungsgemäße Fehlbenennungen (beispielsweise Schöpfungs»bericht«) oder eine verkürzte Aufbereitung des theologisch komplexen Schöpfungsterminus im Sinne einer Weltentstehungserklärung 5 Um einer deskriptiven Gleichsetzung von Schöpfung und Natur vorzubeugen, sprechen wir im Folgenden grundsätzlich nicht von Schöpfung und Evolution, sondern von Schöpfungserzählungen und Evolutionstheorie. 6 Alice H. Eagly / Shelly Chaiken, The psychology of attitudes, Orlando 1993. 7 Gregory R. Maio / Geoffrey Haddock, The Psychology of Attitudes and Attitude Change, Los Angeles u.a. 2010. 8 Christian Höger, Abschied vom Schöpfergott? Welterklärungen von Abiturientinnen und Abiturienten in qualitativ-empirisch religionspädagogischer Analyse, Berlin 2008; Britta Klose, Kreationismus und Wissenschaftsgläubigkeit – empirisch erfasst!? in: Theo-Web, 8. Jg. 2009, Heft 1, 75–79; Martin Rothgangel, Naturwissenschaft und Theologie. Ein umstrittenes Verhältnis im Horizont religionspädagogischer Überlegungen, Göttingen 1999. 9 Z.B. Jeff Astley / Leslie J. Francis, Promoting positive attitudes toward science and religion among sixth-form pupils: dealing with scientism and creationism, in: British Journal of Religious Education, 2010, Heft 3, 189–200; Leslie J. Francis / John E. Greer, Attitudes towards creationism and evolutionary theory, in: Public Understanding of Science, 1999, Heft 8, 93–103; Peter Fulljames / Leslie J. Francis, The influence of creationism and scientism among Kenyan secondary school students, in: Educational Studies, 1988, Heft 14, 77–96; Harry M. Gibson, Attitudes to religion and science among schoolchildren aged 11 to 16 years in a Scottish city, in: Journal of Empirical Theology, 1989, Heft 1, 5–26.

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verklären den Sachverhalt zusätzlich. Desgleichen beeinflussen szientistische Überzeugungen die subjektive Bewertung der Schöpfungserzählungen negativ.10

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9,90; Max = 80) eine mittlere Akzeptanz bei den befragten Schüler/innen.14 2.2 Kreationismus

2.1.2 Einstellungen zur Evolutionstheorie

Einstellungen zur Evolutionstheorie wur­­ den in den letzten beiden Jahrzehnten insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum untersucht.11 Allerdings hat sich gezeigt, dass Theorien und Modelle der psychologischen Einstellungsforschung in diesen Studien kaum Berücksichtigung gefunden haben und die vorliegenden Instrumente sowohl theoretische als auch messtheoretische Schwächen aufweisen. Daher bestehen begründete Zweifel an der Validität bisheriger Studien, und ein aktuelles Forschungsdesiderat besteht in einer stärkeren Theorieleitung der untersuchten Konstrukte und einer psychometrischen Fundierung der Methode.12 In Deutschland wurden Einstellungen zur Evolutionstheorie in zwei Studien explizit thematisiert: Dittmar Graf und Haluf Soran befragten Lehramtsstudenten der Universität Dortmund (n = 1228) zu ihren Einstellungen bzw. Überzeugungen zur Evolutionstheorie und kamen zu dem Ergebnis, dass die Evolutionstheorie bei vielen zukünftigen Lehrer/innen in Deutschland nicht die Akzeptanz findet, die man sich wünscht.13 So wurden in dieser Studie 16,1% zukünftiger deutscher Lehrkräfte als Evolutionszweifler kategorisiert, weil sie weniger als die Hälfte der Items im Sinne der Evolution beantworteten. In ihrer kürzlich veröffentlichten Dissertation beschreibt Nicola Lammert die Einstellungen von Schüler/innen am Ende der Sekundarstufe I (n = 3969, Klasse 9 und 10) und ermittelte mit einem durchschnittlichen Wert von M = 56,90 (SD =

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Kreationist/innen nehmen ganz allgemein die Schöpfungserzählungen wörtlich und lehnen daher die Evolutionstheorie ab.15 Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine uniforme Bewegung, vielmehr ist Kreationismus als eine Sammelbezeichnung zu verstehen. Als besonders verbreitet gelten der Junge-Erde-Kreationismus und die Intelligent Design-Bewegung.16 10 Martin Rothgangel, Kreationismus und Szien­ tismus: Didaktische Herausforderungen, in: Horst Bayrhuber / Astrid Faber / Reinhold Leinfelder, Darwin und kein Ende? Kontroversen zu Evolution und Schöpfung, Seelze 2010, 164; Christhard Löber / Martin Rothgangel, Naturwissenschaft und Theologie, in: Entwurf, 2008, Heft 4, 46–55. 11 Michael L. Rutledge / Melissa A. Warden, The Development and Validation of the Measure of Acceptance of the Theory of Evolution Instrument, in: School Science and Mathematics, 1999, Heft 1, 13–18. 12 Christiane Konnemann / Roman Asshoff / Marcus Hammann, Einstellungen zur Evolutionstheorie: Theoretische und messtheoretische Klärungen. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 2012, 81–98. 13 Dittmar Graf / Haluk Soran, Einstellung und Wissen von Lehramtsstudierenden zur Evolution – ein Vergleich zwischen Deutschland und der Türkei, in: Dittmar Graf (Hg.), Evolutionstheorie – Akzeptanz und Vermittlung im europäischen Vergleich, Heidelberg 2011, 159. 14 Nicola Lammert, Akzeptanz, Vorstellungen und Wissen von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I zu Evolution und Wissenschaft, TU Dortmund, Dortmund 2012, 136. 15 Vgl. Jeff Astley, (wie Anm. 9). 16 Dittmar Graf / Christoph Lammers, Evolution und Kreationismus in Europa, in: Dittmar Graf (Hg.), Evolutionstheorie – Akzeptanz und Vermittlung im europäischen Vergleich, Heidelberg 2011.

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Empirische Aspekte

Während der Junge-Erde-Kreationismus durch die Überzeugung gekennzeichnet ist, dass die Erde entsprechend der Aussagen der Bibel nicht älter als einige tausend Jahre alt ist, vermeidet die Intelligent Design-Bewegung als modernste kreationistische Sonderform jede explizite Bezugnahme auf die Bibel und nimmt damit eine Sonderrolle ein. Anhänger dieser Bewegung vertreten die Auffassung, dass sich die Lebewesen aufgrund ihrer Komplexität nicht aus einfachen Vorstufen entwickelt haben können. Dafür bedürfe es eines übernatürlichen »intelligenten Designers«.17 Ergebnisse zu kreationistischen Überzeugungen bei deutschen Schüler/innen liefern Retzlaff-Fürst und Urhahne mit einer kleineren Studie mit Realschülern (n = 83)18 und Klose auf der Grund­ lage einer Befragung von evangelischen Schüler/innen des Gymnasiums (n = 806, Klasse 10–12).19 Beide Studien kommen zu dem Ergebnis, dass zwar kreationistische Überzeugungen vertreten sind, diese aber gemessen an der Gesamtzahl der untersuchten Personen nur eine geringe Verbreitung haben. 2.3 Szientismus

Auch beim Phänomen Szientismus han­ delt es sich um eine breit gefächerte sowie gesellschaftlich expandierende Strömung.20 Szientist/innen vertreten die uneingeschränkte Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und methodologischer Vorgehensweisen. In ihrer Absolutsetzung der Naturwissenschaften etablieren sie eine stark naturalistischmaterialistische Weltsicht, die in Kontrast zur theologisch-philosophischen

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Perspektive auf die Welt und den Menschen steht. Eine typische szientistische Überzeugung ist die, dass evolutionäre Inhalte die Existenz einer höheren Macht bzw. deren Einwirken auf die Welt- und Lebensentstehung widerlegen, wobei den biblischen Schöpfungserzählungen jegliche Plausibilität und Wahrheits­ gehalt abgesprochen werden. Deutsche Schüler/innen tendieren dazu, nur Dinge zu glauben, die logisch sind und naturwissenschaftlich bewiesen werden können. Dies belegen die Ergebnisse der empirischen Erhebung von Klose (n = 806, Klasse 10–12)21. Ebenso lassen Pilotstudien im Raum Baden-Württemberg auf einen Anstieg szientistischer Haltungen bei Lernenden schließen.22 2.4 Verhältnisbestimmungen

Einige Schüler/innen stehen vor der großen Herausforderung, persönliche Strategien zu entwickeln, wie sich für sie 17 Horst Bayrhuber, Evolution und Schöpfung – eine Übersicht, in: Horst Bayrhuber / Astrid Faber / Reinhold Leinfelder (Hg.), Darwin und kein Ende? Kontroversen zu Evolution und Schöpfung, Seelze 2011, 16. 18 Carolin Retzlaff-Fürst / Detlef Urhahne, Evolutionstheorie, Religiosität und Kreationismus und wie Schüler darüber denken, in: MNU, 2009, Heft 3, 173–183. 19 Britta Klose, Kreationismus, Wissenschaftsgläubigkeit und Werthaltung Jugendlicher, in: Horst Bayrhuber / Astrid Faber / Reinhold Leinfelder (Hg.), Darwin und kein Ende? Kontroversen zu Evolution und Schöpfung, Seelze 2011, 148. 20 Vgl. Mikael Stenmark, Scientism. Science, ethics and religion, Aldershot 2001, vii–xi. 21 Vgl. Britta Klose (wie Anm. 19), 146–151. 22 Vgl. Martin Rothgangel, Schöpfung – Praktisch-theologische Herausforderungen und bildungstheoretische Konsequenzen, in: Konrad Schmid (Hg.), Schöpfung, Tübingen 2012, 301.

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evolutionsbiologische und schöpfungstheologische Lerninhalte vereinbaren lassen (vgl. Zitat * unter 4.2). Dabei bedarf es der Unterstützung von Seiten der Lehrenden, weil die Verhältnismodelle von Theologie und Naturwissenschaft grundsätzlich expliziert werden sollten. Schüler/innen erfahren von den unterschiedlichen Gegenständen, auf die sich Theologie und Naturwissenschaft beziehen und von den unterschiedlichen Methoden, mit denen sie ihre Erkenntnisse gewinnen. Für vorliegende interdisziplinäre Forschung leitend ist Ian Barbours23 Typologie der Vereinbarung von Theologie und Naturwissenschaft. Die Überzeugung, dass Theologie und Naturwissenschaft einander ausschließen, charakterisiert das Konfliktmodell, besonders prominent in den fundamentalistischen Positionen des Szientismus oder Kreationismus erkennbar. Sie sehen eine Konkurrenz, ein Entweder-Oder, zwischen Theologie und Naturwissenschaft, da ihrer Ansicht nach beide Disziplinen Bezug auf den gleichen Gegenstands­ bereich nehmen. Die Vertreter/innen des Unabhängigkeitsmodells negieren speziell diesen zuletzt genannten Aspekt mit der Begründung, beide Wissenschaften wendeten unterschiedliche Methoden an und bedienten sich je eigener Sprache. Theologie und Naturwissenschaft seien autonome Bereiche, so etwa Karl Barth, womit eine friedliche Koexistenz gewährleistet werden könne. Über ein solches Nebeneinander geht die Position der Anhänger des Dialogmodells hinaus. Da die Theologie das Beziehungsgeschehen von Gott, Welt und Mensch im Blick hat, ist auch die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Theorien unerlässlich. In

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Anbetracht dessen rücken beispielsweise Wolfhart Pannenberg oder Hans Küng die Berührungspunkte der beiden Wissenschaften ins Zentrum. Die Forderung nach dem interdisziplinären Gespräch realisiert sich, indem naturwissenschaftlich wichtige Punkte einer theologischen Reflexion unterzogen werden. Abgesehen von den drei genannten Verhältniszuordnungen findet man im Integrationsmodell eine systematische Verknüpfung von Theologie und Naturwissenschaft, welche ihrer Komplexität halber für das schulische Lehr-Lern-Geschehen kaum adäquat ist.24 3. Gemeinsame Fragestellungen und Methodik

Die zentralen Forschungsfragen der gemeinsamen Untersuchung lauten: F1 Welche Einstellungen besitzen deutsche Schüler/innen gegenüber dem Themenkomplex »Schöpfung und Evolution« und wie begründen sie diese? F2 Wie groß ist der Anteil deutscher Schüler/innen, die kreationistische oder szientistische Überzeugungen besitzen und wie begründen sie diese? F3 Welche Faktoren bedingen Einstellungen von Schüler/innen zum Themenkomplex »Schöpfung und Evolution«? 23 Ian G. Barbour, Naturwissenschaft trifft Religion. Gegner, Fremde, Partner?, Göttingen 2010; Ian G. Barbour, Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte, Göttingen 2003. 24 Vgl. Martin Rothgangel, Urknall oder Bibel? in: Bibel heute, 2011, Heft 4, 21.

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Empirische Aspekte

Die Untersuchung erfolgt am biologie­ didaktischen und am religionsdidak­ tischen Standort mit aufeinander ab­ ge­ stimmten Fragebögen und semistrukturierten In­ter­viewleitfäden. Beide Erhebungsinstrumente weisen folgende aufeinander abgestimmte Fragenblöcke auf: Einstellungen zu den Schöpfungs­ erzählungen, Einstellungen zur Evolutionstheorie, Kreationismus, Szientismus, Verständnis von Nature of Theology (NOT) und Nature of Science (NOS) sowie verschiedene Verhältnisbestimmungen von Theologie und Naturwissenschaften. Bei der Erhebung und Auswertung kommen sowohl quantitative als auch qualitative Methoden zum Einsatz. 4. Ergebnisse der qualitativen reli­ gionsdidaktischen Untersuchung

Nachstehende Erläuterungen und Präsentation der ersten Ergebnisse aus qualitativ-religionsdidaktischer Forschung sollen zum einen den Datenerhebungsbzw. Auswertungsprozess nachvollziehbar machen und zum anderen die Angemessenheit der eingesetzten Instrumente belegen. Schüler/innen zu aussagekräftigen Wortmeldungen über ihre ganz persönlichen Bewertungen zum Themenkomplex zu motivieren, bedarf des sensiblen wie auch strukturierten Vorgehens. In besonderer Weise gilt es dies an den Tag zu legen, wenn Schöpfung und Evolution in direkten Bezug zueinander gestellt, und wenn untersucht wird, in welchem Verhältnis zueinander die Schüler/innen die Evolutionstheorie und die Schöpfungserzählungen sehen. Folgende Abschnitte liefern einen Einblick in vorläufige Ergebnisse dessen, wie

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Schüler/innen das Verhältnis von Schöpfung und Evolution bzw. Theologie und Naturwissenschaft sehen. 4.1 Methodik

Aus religionsdidaktischer Perspektive werden die Einstellungen von Schü­ler/in­ nen mittels qualitativer Erhebungs- und Auswertungsmethoden erforscht. Für die Erhebung der Daten setzten wir altersgemäße Interviewleitfäden ein. Der zur Auswertung herangezogene Datensatz umfasst zwölf Interviews à ca. 45 Minuten. Befragt wurden je vier Schüler/in­nen der Jahrgangsstufen fünf, acht und elf. Eine der Herausforderungen der vorliegenden Studie bestand darin, theoretisch-methodische Aspekte für eine qualitativ orientierte Einstellungserhebung auszuarbeiten, ohne unmittelbar von Vorgängerstudien ausgehen zu können. Aber die Auseinandersetzung mit sozial­ psychologischen Befragungsmethoden und Interviewtechniken zeigte, dass gerade die qualitative Erfassung von Einstellungen viel versprechend ist: Der Zugang zu Menschen, »ihren entwickel[te]n spezifischen Ansichten von der Welt, von sich selbst, ihren Werten, Normen und Verhaltensweisen«25 zu ermöglichen, erfordert ein strukturiertes wie offenes, sensibles Vorgehen. Einzig die Methode des »halb standardisierten« Interviews, vermag die Aufgabe zu erfüllen, »Angaben über Einstellung, Erfahrung und Verhalten zu ei25 Barbara Friebertshäuser / Antje Langer, Interviewformen und Interviewpraxis, in: Barbara Friebertshäuser u.a. (Hg.), Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim, München 32010, 437.

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nem bestimmten Gegenstand zu erfragen, und zwar derart, dass die Reaktionen verschiedener Befragter verglichen werden können«26. Witzels Methode des »problemzentrierten Interviews«27 bietet jene Interview-Form, in der »offene, erzählgenerierende Fragen«, »Filterfragen« oder »verbale Reize« Platz finden. Fragen nach dem »Warum«, die gleichermaßen konfrontierend und öffnend wirken,28 garantieren in dieser Erhebung von Schülereinstellungen aussagekräftige Antworten. In Rekurs auf theoretische Aspekte zu mündlichen Befragungen Jugendlicher29 und mit dem Anspruch der (theologischen) Komplexität des Themenkomplexes »Schöpfung und Evolu­tion« sowie dem der Mehrdimensionalität des Einstellungskonstruktes gerecht zu werden, wurden die qualitativen Erhebungsinstrumente entworfen. Das erste Konzept des Interview-Leitfadens wurde in der religionspädagogischen Sozietät der Universität Wien zur Diskussion gestellt. Auf der Basis dieser Experten­validierung wurde der Leitfaden revidiert und an einer 14-jährigen Gymnasiastin aus Wien erprobt. Obwohl die Frage-Items die Interviewpartnerin zu reflektierten Äußerungen motivierten, ergab die Analyse ein stark kognitiv zentriertes Bild der Antwortinhalte. Dieses Resultat verlangte nach einer Adaptation des vorliegenden Interview-Leitfadens. Das Probe-Interview mit einem 14-jährigen Gymnasiasten aus Wien förderte dem komplexen Einstellungskonstrukt genügende, mehrdimensionale Antworten zu Tage. Der Interview-Leitfaden wurde ein weiteres Mal der Expertengruppe der »religionspädagogischen Sozietät« präsentiert. Dort wurde ebenso der Grund

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für die Erarbeitung eines InterviewLeitfadens für die 5. Schulstufe gelegt. Zwei Probe-Interviews mit 11-jährigen erbrachten insofern sehr gute Ergebnisse, als das sprachliche Niveau und der Abstraktionsgrad der verwendeten Begrifflichkeiten ihrem entwicklungspsychologischen Stand entsprachen. Des Weiteren wurden die InterviewLeitfäden um wichtige Teilbereiche – Items zu NOS und NOT – ergänzt. Mit zwei 17-jährigen Lernenden erprobten wir den vervollständigten InterviewLeitfaden. Nach der Organisation der Einstellungserhebung (Koordination der Interview-Termine) wurden im Anschluss an den Regelunterricht Gespräche mit Schüler/innen des Ratsgymna­ siums Münster geführt und die qualitativ religionsdidaktische Datensammlung abgeschlossen. Die Auswertung der transkribierten Interviews erfolgt mit der Grounded Theory.30 Diese Methode verlangt ein abduktives Vorgehen und erlaubt – auf der Basis der erhobenen Daten – eine Theorie zu formulieren, die aus miteinander verknüpften Konzepten besteht. Mithilfe der Grounded Theory 26 Rene König, Das Interview, Dortmund / Zürich 1952, 111. 27 Vgl. Andreas Witzel, Das problemzentrierte Interview, in: FQS,2000, Heft 1. (http://www. qualitative-research.net/index.php/fqs/article/ view/1132/2520, vom 17.08.2010). 28 Vgl. Uwe Flick, Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 52000, 100–101. 29 Vgl. Barbara Friebertshäuser (wie Anm. 25), 437–455; Heinz Reinders, Qualitative Interviews mit Jugendlichen führen. Ein Leitfaden, München 2005. 30 Anselm L. Strauss / Juliet Corbin, Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung, Weinheim 1996.

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Empirische Aspekte

lassen sich psychologische Konstrukte wie »Einstellungen« beschreiben und erklären. 4.2 Ergebnisse und Diskussion

Da die Auswertung der Daten der Haupt­ erhebung mit der Grounded Theory gegenwärtig vorgenommen wird, sollen hier thesenartig vorläufige Befunde aus der ersten Analyse der Interviews vorgestellt werden:  Das Thema »Evolution« besitzt eine größere Bedeutung für die Schüler/innen als die »Schöpfung«. Sie begründen dies zum einen mit größerem Interesse, zum anderen mit mehr lebensweltlicher Nähe. Dennoch assoziieren sie mit »Schöpfung« positive Emotionen. Evolution lässt sie emotional eher ungerührt.  Ihr Verhalten ist weitgehend unbeeinflusst von Evolution und Schöpfung. Grund dafür ist, dass für Schüler/innen kein direkter Zusammenhang mit »Evolution oder Schöpfung« erkennbar ist, wenn sie mit ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt achtsam umgehen.  Keiner der Interviewpartner/innen der Probeinterviews vertritt eindeutig kreationistische oder szientistische Ein­stellungen.  Die Schüler/innen schätzen an den Naturwissenschaften besonders deren Erklärungspotenzial. Gleichwohl hat auch nicht Beweisbares einen hohen Stellenwert in ihrem Leben. Sie begegnen dem nicht Beweisbaren aber mit Vorsicht.  Schüler/innen sehen sich vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt, wenn sie das Verhältnis von »Schöpfung und

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Evolution« für sich zu definieren suchen. Sie sehen sowohl Annäherungsals auch Streitpunkte.  Die Befragten wissen mehr über die Naturwissenschaften als über die Theologie. Naturwissenschaft und Wissenschaft verwenden sie weitgehend synonym. Die Theologie bildet dazu eher ein Gegenstück. Analysiert man die Interviewdaten vor dem Hintergrund der Grounded Theory, dann erweist sich betreffs der Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft die Kategorie der »Unterschiedlichkeit« als konstruktiv. Die Aspekte Gegenstandsgebiet, persönliche Relevanz, Wahrheitsanspruch und subjektives Verhalten bestimmen die Kategorie »Unterschiedlichkeit« näher. Ein breites Spektrum an Dimensionen illustriert die Merkmale. »Unterschiedlichkeit« kommt in der Näherbestimmung des Gegenstandsgebietes – von ›biologisch / wissenschaftlich‹ bis ›idealistisch / metaphorisch‹ – zum Tragen. Eine vielfältige Ausdifferenzierung erfährt auch die Eigenschaft persönliche Relevanz (unbedeutend – existenziell). Was den Wahrheitsanspruch beider wissenschaftlichen Disziplinen anbelangt, so charakterisiert eine Spannweite von ›legitim‹ bis ›illegitim‹ die Schüler/innenaussagen. Jene Passagen, welche das subjektive Verhalten abfragen, verdeutlichen, dass von ›parteiergreifenden‹ bis ›unbewegten‹ Schüler/innenreaktionen auszugehen ist. Mit der Kategorie der »Unterschiedlichkeit« lässt sich demnach die Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaften aus Sicht der Interviewten treffend beschreiben. Das offene Kodieren hat außerdem die Kategorie »Tragfähigkeit« in Bezug auf

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schöpfungstheologische und evolutions­ biologische Inhalte zu Tage gebracht. Dazu gehörige Eigenschaften Sinn, Aktualität und persönliche Plausibilität definieren »Tragfähigkeit« als Kategorie näher. In den Interviewaussagen vorgefundene Eigenschaften werden ausdifferenziert in Dimensionen. Den Sinngehalt schöpfungstheologischer und evolutionsbiologischer Inhalte stufen die Befragten von ›existent‹ bis ›kaum existent‹ ein; die Aktualität derselben ist ›außerordentlich‹ bis ›mangelhaft‹. Auch variiert die persönliche Plausibilität besagter Inhalte von ›beweiskräftig‹ bis ›realitätsfremd‹. Je tiefer man in das Datenmaterial eindringt, desto offensichtlicher wird die Vielschichtigkeit der Aussagen der Lernenden. Gleichzeitig gewinnt auch die Komplexität der Vereinbarkeitsstrategien von »Schöpfung und Evolution« in den teils inkonsistenten Antworten der Befragten an Kontur. Obwohl der konzeptuelle Raum »Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft (Schöpfung und Evolution)« bereits ausdifferenziert wurde und einen klaren Problemhorizont eröffnete (Schwierigkeit, das Verhältnis von »Schöpfung und Evolution« widerspruchsfrei für sich zu definieren [vgl. Zitat *]), gilt es in weiterer Folge die erarbeiteten Kategorien miteinander in Beziehung zu setzen bzw. zu verknüpfen. Erst dann kann aus den gesättigten Kategorien eine gegenstandsbezogene Theorie formuliert werden. * Frage: »Schau dir die Welt, die vielen Pflanzen, Tiere und Menschen an! Können sie alle natürlich entstanden sein oder hat Gott sie geschaffen. Wie siehst du das?« Antwort: »Also, da sehe ich jetzt eine ziemlich schwierige Frage. Also, weil einerseits erklärt Gott natürlich wieso seine Arten, al-

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les so vielfältig sein könnte. Aber natürlich also, dadurch entstehen sie auch. (Also, das ist halt eines der Dinge, die die Naturwissenschaften meines Erachtens nicht erklären können, wie so viele verschiedene Arten entstehen können).«

5. Ergebnisse der quantitativen biologiedidaktischen Untersuchung

Im Weiteren werden exemplarische quantitative Ergebnisse vorgestellt, die im Rahmen von Vorstudien erhoben wurden und die in erster Linie der Entwicklung theoretisch und messtheoretisch fundierter Instrumente dienten. In der umfassenderen Gesamtstudie werden später neben Einstellungen im Themenkomplex »Schöpfung und Evolution« mögliche erklärende Faktoren aus dem Bereich Einstellungen und Verständnis erfasst (z.B. Einstellungen zu den Naturwissenschaften, Verständnis von Nature of Science, Verständnis von Nature of Theology). Im Zentrum der nun folgenden Auswertung steht die Frage, welche Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Einstellungen und Überzeugungen im Themenkomplex »Schöpfung und Evolution« bestehen. 5.1 Methodik

Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf eine Stichprobe mit insgesamt 227 Gymnasiast/innen der Klassenstufen 9 (43%) und 13 (57%) aus Nordrhein-Westfalen. Von den befragten Schüler/innen waren 52% weiblich und 48% männlich. Die Befragten waren zwischen 14 und 20 Jahre alt (M = 16,70, SD = 0,21) und gehörten

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Empirische Aspekte

mehrheitlich einer christlichen Konfession an (insgesamt 92% bzw. 73% katholisch und 19% evangelisch). Weitere 6% waren nicht konfessionsgebunden und 2% muslimischen Glaubens. Bei der Erhebung kam ein geschlossener Fragebogen mit verschiedenen Ant­wortformaten zum Einsatz. Die Er­ ge­bnisse zu Einstellungen zur Evolutions­ theorie und Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen beziehen sich auf ein 7-stufiges semantisches Differential mit je 16 Items. Bei dieser Methodik bewerten die Probanden ein Einstellungsobjekt auf der Basis bipolarer Adjektivskalen, indem sie jeweils die Antwort auswählen, die ihre Meinung am besten wieder­ gibt. Dieses Antwortformat hat den Vorteil, dass verschiedene Objekte auf einer gemeinsamen Skala verglichen werden können. Die verwendete Skala stellt eine deutsche Adaptation des kognitivaffektiven Differentials von Crites und Kollegen dar (Beispielitem: Die Evolutionstheorie ist wertvoll ... wertlos. Die Schöpfungserzählungen sind wertvoll ... wertlos.).31 Die Validität der Instrumente wurde konvergent durch eine gleichzeitige Verwendung von Likert-skalierten Instrumenten geprüft (Einstellungen zur Evolutionstheorie: r = 0,63***; Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen: r = 0,82***). Kreationistische Überzeugungen wurden durch eine 4-stufige Likert-Skala mit 10 Items erfasst. Diese Skala stellt eine Weiterentwicklung bestehender Skalen dar, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass die beiden definitorischen Aspekte, Ablehnung der Evolutionstheorie und wörtlicher Glaube an die Schöpfungserzählungen, als getrennte Skalen analysierbar sind.32 Ein Beispielitem lautet: »Ich glaube, dass

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die Welt genau so entstanden ist, wie die Bibel es in den Schöpfungserzählungen überliefert«. Szientistische Überzeugungen wurden ebenfalls durch eine 4-stufige Likert-Skala mit 10 Items erfasst.33 Ein Beispielitem lautet: »Vernunft verbietet es uns, an etwas zu glauben, das nicht naturwissenschaftlich bewiesen ist«. Die Auswertungsmethodik umfasst neben einer klassischen Item- und Skalenanalyse (Trennschärfen, Cronbach’s α), deskriptive Statistiken (Mittelwert, Standardabweichung), Mittelwertvergleiche mit Student T-Test für eine Stichprobe, Korrelationen (Pearsons r) und Partial­korrelationen. 5.2 Ergebnisse

In Tabelle 1 sind die wichtigsten Skalenkennwerte der vier Instrumente aufgeführt. Alle Skalen erreichen eine akzeptable Reliabilität (α > 0,7). Nach den Skalenmittelwerten zu urteilen, wird die Evolutionstheorie auf die Gesamtskala gesehen positiv bewertet, während die Bewertung der Schöpfungserzählungen insgesamt leicht negativ ausfällt. Damit 31 Vgl. Stephen L. Crites / Leandre R. Fabrigar / Richard E. Petty, Measuring the Affective and Cognitive Properties of Attitudes: Conceptual and Methodological Issues, in: Personality and Social Psychology Bulletin, 1994, Heft 6, 619–134. 32 Vgl. Christiane Konnemann / Nick, Muriel / Brinkmann, Sabine / Roman Asshoff / Marcus Hammann, Entwicklung, Erprobung und Validierung von Erhebungsinstrumenten zur Erfassung von Kreationismus und Szientismus bei deutschen Schüler/innen, in: Ute Harms / Franz X. Bogner (Hg.), Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik, Innsbruck 2012, Band 5, 133–152. 33 Ebd.

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Konnemann / Oberleitner / Asshoff / Hammann / Rothgangel Einstellung Jugendlicher zu Schöpfung

wird die Evolutionstheorie insgesamt positiver bewertet als die Schöpfungserzählungen (t = 13,49, df = 209, p < 0,001). Dies gilt sowohl für die kognitive (t = 15,12, df = 208, p < 0,001) als auch die affektive Teilskala (t = 9,71, df = 209, p < 0,001). Die Mittelwerte in Bezug auf kreationistische ebenso wie szientistische Über-

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zeugungen liegen beide unterhalb des theoretischen Mittelwertes (Mtheoretisch = 2,5), d.h. die hier betrachtete Stichprobe neigt im Mittel weder zu kreationistischen (t = -30,03, df = 210, p < 0,001) noch zu szientistischen Überzeugungen (t = -8,18, df = 208, p < 0,001).­

Tabelle 1: Übersicht über die Erhebungsinstrumente Items

n

M

S

α

16

206

1,06

0,84

0,91

kognitive Teilskala

8

210

1,35

1,00

0,89

affektive Teilskala

8

207

0,75

0,82

0,82

Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen (SD) 16

205

-0,33

1,09

0,94

Konstrukt Einstellungen zur Evolutionstheorie (SD)

kognitive Teilskala

8

206

-0,51

1,25

0,92

affektive Teilskala

8

209

-0,16

1,02

0,88

Kreationistische Überzeugungen (L)

10

211

1,55

0,46

0,83

Szientistische Überzeugungen (L)

10

207

2,22

0,49

0,75

Anmerkungen: n = Stichprobengröße, M = Skalenmittelwert, S = Standardabweichung, α = Cronbach’s α, SD = 7-stufiges Semantisches Differential (Min = -3, Max = +3), L = 4-stufige Likert Skala (Min = 1, Max = 4).

Tabelle 2 zeigt die Korrelationsmatrix zur Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den Mittelwerten der vier Skalen. Danach sind positive Einstellungen zur Evolutionstheorie mit geringen Werten auf der Kreationismus-Skala assoziiert, wohingegen eine positive Einstellung zu den Schöpfungserzählungen mit hohen Werten auf der Kreationismus-Skala und niedrigen Werten auf der

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Szientismus-Skala verbunden ist. Inte­ ressanterweise besteht zwischen Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen und Einstellungen zur Evolutionstheorie ein schwacher negativer Zusammenhang, d.h. die befragten Schüler/innen zeigen auf den ersten Blick Schwierigkeiten positive Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen und zur Evolutionstheorie zu vereinbaren.

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Empirische Aspekte

Tabelle 2: Korrelationsmatrix Einstellungen zur Evolutionstheorie (EE) Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen (ES)

EE

ES

Kr

Sz

1

-0,18***

-0,57***

0,08

n = 210

n = 211

n = 209

1

0,56***

-0,54***

n = 210

n = 208

1

- 0,28***

Kreationismus (Kr)

n = 209 Szientismus (Sz)

1

Anmerkungen: *** p < 0,001, Pearson’s r, zweiseitig.

Angesichts der bestehenden negativen Zusammenhänge zwischen Szientismus und Kreationismus untersuchten wir in einem letzten Analyseschritt die Partial­ korrelation zwischen Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen und zur Evolutionstheorie unter Kontrolle der individuellen Unterschiede in den Überzeugungen der Schüler/innen zum Krea­ tionismus und Szientismus. Dadurch änderte sich die zunächst signifikant negative Korrelation zwischen den zwei Variablen (r = -0,18, p < 0,001) in eine signifikant positive Partial-Korrelation (r = 0,16, p < 0,05). Das bedeutet, dass Schüler/innen, die nicht zu kreationistischen oder szientistischen Einstellungen neigten, durchaus in der Lage waren, positive Einstellungen sowohl zu den Schöpfungserzählungen als auch zur Evolutionstheorie zu kombinieren. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich somit, dass der negative Zusammenhang, der zwischen Einstellungen zur Evolutionstheorie und zu den Schöpfungserzählungen besteht, durch kreationistische und szientistische Überzeugungen bedingt wird.

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5.3 Diskussion

Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass kreationistische und szientistische Aussagen in der untersuchten Stichprobe nur geringe Zustimmung erhalten. Sie zeigen andererseits, dass die negative Korrelation zwischen Einstellungen zur Evolutionstheorie und Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen damit in einem Zusammenhang steht, ob die Personen kreationistische bzw. szientistische Überzeugungen besitzen. Ähnliche Ergebnisse, allerdings auf der Ebene der Vereinbarkeit von Religion und Naturwissenschaften, wurden von Francis und Greer sowie Astley und Francis bei britischen Schüler/innen erbracht.34 In die34 Leslie J. Francis / John E. Greer, Shaping adolescents’ attitudes towards science and religion in Northern Ireland: the role of scientism, creationism and denominational schools, in: Research in Science & Technological Education, 2001, Heft 1, 39–53; Jeff Astley / Leslie J. Francis, Promoting positive attitudes toward science and religion among sixth-form pupils: dealing with scientism and creationism, in: British Journal of Religious Education, 2010, Heft 3, 189–200.

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Konnemann / Oberleitner / Asshoff / Hammann / Rothgangel Einstellung Jugendlicher zu Schöpfung

sen Studien zeigte sich, dass sich eine zunächst negativ erscheinende Korrelation zwischen Einstellungen zur Religion und Einstellungen zu den Naturwissenschaften in eine positive verwandelte, wenn die kreationistischen und szientistischen Überzeugungen kontrolliert wurden. Wir konnten hier zeigen, dass Vergleichbares auch auf der Ebene der Vereinbarkeit von Schöpfungserzählungen und Evolutionstheorie gilt. Dieses Ergebnis hat klare pädagogische Implikationen: Es zeigt, dass Schüler/innen, denen die Naturwissenschaften so vermittelt werden, dass sie nicht zu Szientismus neigen, und denen Religion so vermittelt wird, dass sie die Schöpfungserzählungen nicht kreationistisch missverstehen, die Möglichkeit haben, in der Debatte um die Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und Schöpfungserzählungen eine vereinbarende Position einzunehmen. Damit unterstützen unsere Daten die Empfehlungen verschiedener Autoren, die eine Behandlung des Themas Religion und Naturwissenschaften ebenso wie eine Vermittlung der Natur der Naturwissenschaften im Schulunterricht fordern. Unsere Ergebnisse deuten über diese Empfehlungen hinaus, insofern als dass sie zusätzlich die Bedeutung der Vermittlung von Wissen über die Natur der Theologie in den Blick rücken. 6. Fazit und Ausblick

Das aufeinander abgestimmte Design der beiden Teil-Studien ermöglicht eine Triangulation der Daten d.h. eine Verknüpfung der Ergebnisse des qualitativen und quantitativen Zugangs. So zeigen beide Studien, dass die Neigungen

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der befragten Schülerinnen und Schüler zu kreationistischen ebenso wie zu szientistischen Überzeugungen gering sind. Gleichzeitig zeigt sich in beiden Untersuchungen, dass die Evolutionstheorie generell positiver bewertet wird als die Schöpfungserzählungen. Allerdings lassen sich die im qualitativen Teil identifizierten positiven Emotionen bezüglich der Schöpfungserzählungen nicht ohne weiteres in den quantitativen Daten wieder finden, zumal die Mittelwerte der Einstellungsskalen grundsätzlich eher auf eine negative affektive Bewertung der Schöpfungserzählungen hindeuten. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich nicht abschließend klären, ob dies der Methodik oder vielleicht auch der Stichprobe geschuldet ist. Zusätzlich zum Vergleich der deskriptiven Ergebnisse erlauben die qualitativen Ergebnisse punktuelle Rückschlüsse auf die Validität der eingesetzten quantitativen Methoden. So lässt sich die Entscheidung, kognitive und affektive Anteile von Einstellungen in den Mittelpunkt der quantitativen Erhebungsinstrumente zu rücken und die verhaltensbezogene Komponente außen vor zu lassen, durch die Ergebnisse der qualitativen Studie im Nachhinein rechtfertigen. Auch die zentrale Berücksichtigung der Emotionskategorien »Interesse« und »Faszination« wird durch die qualitativen Ergebnisse gestützt. Didaktisch bedeutsame Folgerungen ergeben sich aus den Forschungsergebnissen zur Verhältnisbestimmung. So zeigte sich qualitativ, dass die Schü­ler/in­nen erhebliche Schwierigkeiten haben, das Verhältnis von »Schöpfung und Evolution« für sich explizit zu bestimmen. Gleichzeitig zeigt der quantitative Untersuchungsteil,

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Empirische Aspekte

dass es den Schüler/innen dann möglich ist, positive Einstellungen zu den Schöpfungserzählungen und zur Evolutionstheorie miteinander zu vereinen, wenn nicht kreationistische und szientistische Überzeugungen eine solche Vereinbarung behindern. Daher gilt es im Religions- wie im Biologieunterricht derartigen Überzeugungen vorzubeugen.

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Danksagungen: Wir danken der FriedrichStiftung für die Förderung des Projekts »Einstellungen und Unterricht zum Themenkomplex ›Evolution und Schöpfung‹«, im Rahmen dessen dieser Beitrag entstand. Unser Dank gilt auch allen Schüler/innen, die an dieser Studie teilgenommen haben, und den Masterstudierenden, die maßgeblich an der Erhebung der Daten beteiligt waren.

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Weiß / Basel / Rothgangel / Harms / Prechtl Argumentationsmuster von Jugendlichen zu Schöpfung

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Thomas Weiß / Nicolai Basel / Martin Rothgangel / Ute Harms / Helmut Prechtl Argumentationsmuster von Jugendlichen zu Schöpfung und Evolution 1. Einleitung

Seit etwas mehr als zehn Jahren und verstärkt im Darwin-Jahr 2009 lässt sich wieder ein zunehmendes öffentliches Interesse an der Thematik Schöpfung und / oder Evolution feststellen. Dies mag daran liegen, dass mit wachsendem Unmut beobachtet wird, wie sich in Deutschland bzw. im europäischen Raum Strömungen des Kreationismus bzw. des Intelligent Design versuchen zu etablieren. Weitere Stationen dieses wachsenden Interesses sind beispielsweise Äußerungen wie die von Kardinal Schönborn in der ›New York Times‹ vom 07. Juli 2005 oder der 2006 öffentlich ausgetragene Streit zwischen der damaligen hessischen Bildungsministerin Wolf und dem Biologen Kutschera1. Im Darwin-Jahr selbst kam es nicht nur zu einer Würdigung der Leistungen von Charles Darwin, sondern auch zu wechselseitig anerkennenden wissenschaftstheoretischen und fachwissenschaftlichen Positionsbestimmungen über die Reichweiten und Grenzen natur- und geisteswissenschaftlicher Forschung. Die am 04.11.2009 in Berlin ausgerichtete Tagung Streit um Darwin ist nur ein Beispiel für diese Bemühungen.2 Auch wenn die Thematik Schöpfung und / oder Evolution im öffentlichen Raum stellenweise polemisch angegangen wurde, kann festgehalten werden, dass ein Grundkonsens – zumindest

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westlich geprägter gesellschaftlicher Systeme – erhalten blieb: Im alltäglichen menschlichen Zusammenleben sind gegenteilige Meinungen, Haltungen oder Überzeugungen argumentativ zu vertreten bzw. es sollte über die Fähigkeit verfügt werden, Argumente für oder wider einer Angelegenheit hervorbringen zu können, Gegenäußerungen abzuwägen und Lösungen oder Kompromisse auszuhandeln. Umso verwunderlicher ist die faktisch feststellbare Lücke innerhalb der religionspädagogischen Forschung zur Frage, ob Schülerinnen und Schüler argumentieren und wie sie argumentieren. Zwar haben Studien wie die von Körner3, Hunze4, Höger5 oder Rothgangel6 1 Vgl. ›Die Welt‹, 01.11.2006. 2 Vgl. Horst Bayrhuber / Astrid Faber / Reinhold Leinfelder (Hg.), Darwin und kein Ende?, Seelze 2011. 3 Beatrice Körner, Schöpfung und Evolution. Religionspädagogische Untersuchungen zum Biologieunterricht an kirchlichen Gymnasien in Ostdeutschland, Leipzig 2006. 4 Guido Hunze, Die Entdeckung der Welt als Schöpfung. Religiöses Lernen in naturwissenschaftlich geprägten Lebenswelten, Stuttgart 2007. 5 Christian Höger, Abschied vom Schöpfergott? Welterklärungen von Abiturientinnen und Abiturienten in qualitativ-empirisch religionspädagogischer Analyse, Berlin 2007. 6 Martin Rothgangel, Naturwissenschaft und Theologie. Wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte im Horizont religionspädagogischer Überlegungen, Göttingen 1999.

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Empirische Aspekte

das inhaltliche Thema Schöpfung und Evolution religionspädagogisch und empirisch ins Zentrum gerückt, allerdings nicht unter argumentationstheoretischen Voraussetzungen. Und auch wenn beispielsweise im EKD-Text von 20107 betont wird, dass für den Religionsunterricht das kommunikative Element als ein wichtiges, besonderes Element dieses Unterrichts anzusehen ist, oder auf die Wichtigkeit einer theologischen Frage- und Argumentationsfähigkeit8 verwiesen bzw. der Dialog als eine kommunikative Grundform dieses Unterrichts hervorgehoben wird9, erfährt das Thema Argument, Argumentation, Argumentationsfähigkeit bisher nicht die entsprechende Beachtung10 und schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Inhalt Schöpfung und Evolution. Dieser Zustand ist deshalb unbefriedigend, weil Schöpfung und Evolution in fast allen Jahrgängen der Sekundarstufe I und II im evangelischen Religionsunterricht thematisch präsent ist und unterrichtet wird. Im Folgenden wird ein interdisziplinäres Projekt zwischen dem Fach Biologie und dem Fach evangelische Religion vorgestellt, welches dieses Forschungsdesiderat in doppelter Weise bearbeitet. Am Inhalt Schöpfung und Evolution wird unter argumentationstheoretischen (Kap. 2) und methodisch-empirischen (Kap. 3 und 4) Voraussetzungen der Frage nachgegangen, ob und wie Schülerinnen und Schüler argumentieren. Erste Ergebnisse (Kap. 5) werden gezeigt und in der abschließenden Diskussion (Kap. 6) wird auf mögliche Probleme eines Diskurses zwischen den schulischen Fächern Biologie und evangelische Religion hingewiesen.

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2. Argumentationstheoretischer Hintergrund

Aus philosophischer Sicht besteht die Tätigkeit des Argumentierens darin, dass rechtfertigende und begründende Argumente für die einzelnen Meinungen und Entscheidungen vorgetragen werden11. Durch den Bezug zu Unstrittigem, den sogenannten Prämissen, soll also eine strittige Aussage, die Konklusion (Meinungen oder Entscheidungen), unstrittig gemacht werden.12 Somit können verschiedene Operationen unter Benutzung von Argumenten durchgeführt werden, nämlich zu behaupten, zu begründen oder zu kritisieren. Für den wissenschaftlichen Diskurs bedeutet dies, dass sie einen Übergang vom Meinen zum Wissen13 erlauben sollen. Um einen 7 Vgl. EKD-Text 109, Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe. Themen und Inhalte für die Entwicklung von Kompetenzen religiöser Bildung, Hg. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2010. 8 Vgl. Rudolf Englert, Bildungsstandards für ›Religion‹: Was eigentlich alles wissen sollte, wer solche formulieren wollte, in: Theo-Web, 3. Jg. 2004, Heft 2, 2ff . 9 Folkert Doedens / Wolfram Weiße, Religion unterrichten in Hamburg, in: Theo-Web, 6. Jg. 2007, Heft 1, 50ff. 10 Bernhard Grümme, Nicht mehr als ein Laberfach? Argumentative Gesprächsmethode im Religionsunterricht, in: Elke Grundler / Rüdiger Vogt (Hg.), Argumentieren in Schule und Hochschule. Interdisziplinäre Studien, Tübingen 2006, S. 131–145. 11 Thomas Gil, Argumentationen – Der kontextbezogene Gebrauch von Argumenten. Berlin 2005, 1. 12 Vgl. Manfred Kienpointner, Alltaglogik: Struktur und Funktion von Argumentationsmustern, Stuttgart-Bad Cannstatt 1992. 13 Vgl. Harald Wohlrapp, Der Begriff des Arguments: über die Beziehungen zwischen Wissen, Forschen, Glauben, Subjektivität und Vernunft, Würzburg 2009.

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Weiß / Basel / Rothgangel / Harms / Prechtl Argumentationsmuster von Jugendlichen zu Schöpfung

Vergleich von Schülerargumentationen in zwei unterschiedlichen Disziplinen wie einer Naturwissenschaft und der Theologie zu ermöglichen und die kontextuellen Besonderheiten zu erarbeiten, ist eine möglichst kontextunabhängige Ausgangsbasis zu wählen. Dabei erwies sich die Theorie der Argumentationsmuster in der Alltagslogik nach Kienpointner als besonders fruchtbar, da sie sich einerseits direkt an die Topik-Tradition14 anschließt und sich andererseits durch ihre Kontextabstraktheit sowohl auf naturwissenschaftliche als auch theologische Argumentationen anwenden lässt. Für die Analyse von Argumentationen geht Kienpointner von einem kontextunabhängigen, dreigliedrigen Grundschema aus (s. Abb. 1): Über eine Schlussregel (SR bzw. Präsupposition) wird es ermöglicht, plausibel von einem Argument (A) auf eine Konklusion (K) zu schließen. Dabei klassifiziert Kienpointner die Argumentationen nicht nach der Komplexität der Argumentationen, d.h. er fragt nicht, aus wie vielen Elementen eine Argumentation besteht, sondern nach der Art der Verwendung der Schlussregel. Die von Kienpointner auf diese Weise beschriebenen Argumentationsmuster sind zwar abstrakt gefasst und insoweit kontextunabhängig, haben aber in einer bestimmten Situation (z.B. in einem theologischen Zusammenhang) kontextspezifische Varianten und eignen sich daher, um die Argumentationspraxis von Schülerinnen und Schülern zu zwei unterschiedlichen thematischen Inhalten wie Evolution und Schöpfung zu vergleichen. Argument

> Konklusion Schlussregel

Abb. 1: Kienpointners dreigliedriges Grundschema der Argumentation.

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Durch diese Art der Klassifizierung werden von Kienpointner drei Großklassen unterschieden: In der Großklasse I fasst er die schlussregelbenutzenden Argumentationsmuster zusammen. Dies sind Muster, die auf Basis der in der »typologischen Tradition immer wieder erörterten Inhaltsrelationen«15 gebildet werden (s. Abb. 2). In der Großklasse II werden die Muster zusammengefasst bei denen durch Bezug zu einzelnen Beispielen auf einen allgemeinen Satz, die Schlussregel, geschlossen wird. Kienpointner fasst die Muster dieser Klasse als schlussregeletablierende Argumentationsmuster zusammen. Zuletzt werden in der Großklasse III Argumentationsmuster zusammengefasst, auf die keine der genannten Kriterien zutreffen, d.h. es werden weder Schlussregeln genutzt noch etabliert. In dieser Großklasse können wiederum drei Subklassen differenziert werden. Hierzu zählen (1) das illustrative Beispielmuster, bei dem ein Beispiel zur Stützung, der »Illustration«, der Schlussregel, angeführt wird, (2) die Subklasse der Analogiemuster, bei der eine Analogie zwischen zwei Fällen unterschiedlicher Realitätsbereiche gesehen wird und (3) die Autoritätsargumentation, bei der »bereits existierende Regeln«16 durch den Bezug auf eine Autorität bestätigt werden. Für Beispiele aller drei Großklassen und Muster siehe Tabelle 1 (s. Seite 68). 14 Vgl. Manfred Kienpointner (wie Anm. 12), 43. 15 Vgl. Manfred Kienpointner (wie Anm. 12), 243. 16 Vgl. Manfred Kienpointner (wie Anm. 12), 244.

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Empirische Aspekte

Argumentationsmuster Großklasse I

Großklasse II

Großklasse III

Einordnungsmuster

Induktive Beispielmuster

Illustrative Beispielmuster

Vergleichsmuster

Analogiemuster

Gegensatzmuster

Autoritätsmuster

Kausalmuster

Normative & deskriptive Varianten Abb. 2: Übersicht über Typologie der Argumentationsmuster nach Kienpointner (1992).

3. Fragestellungen

Im Rahmen von zwei Vorstudien wurden bereits Schülerargumentationen und Argumentationen in Schullehrbüchern auf die Verwendung von Argumentationsmustern hin analysiert. Diese sollen kurz skizziert werden: (1) In der biologischen Vorstudie17 wurden Transkripte von fachspezifischen problemzentrierten Schülerinterviews analysiert. Die Interviews entstammten einer Studie zur Erfassung von Schülervorstellungen zu Prozessen der Anpassung.18 Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse, die sowohl der Entwicklung eines Kodierleitfadens zur Identifizierung der Argumenta­ tionsmuster als auch zur Analyse ihrer Häufigkeit diente, konnte gezeigt werden, dass Schülerinnen und Schüler Argumentationen zur Evolutionstheorie vor allem auf Kausal-, illustrative Beispiel-, und Analogiemuster stützen. (2) In der zweiten, aus der Theologie stammenden Vorstudie wurden neben

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einem argumentativen religionsbezogenen Schülertext, der aus der Pilotierungsphase des Argumentationsanlasses entstammt (s. 4.2), Lehrbuchtexte aus zwei Oberstufenlehrbüchern (für das Fach Biologie: Linder Biologie Gesamtband, 22. Aufl.; für das Fach Religion: Kursbuch Religion Oberstufe) untersucht. Alle drei Texte befassten sich mit der Frage der Herkunft der Welt bzw. des Menschen.19 In beiden religi17 Nicolai Basel / Ute Harms / Helmut Prechtl, Analysis of students’ arguments on evolutionary theory. Journal of Biological Education (2013). 18 Wilfried Baalmann / Holger Weitzel / Vera Frerichs / Harald Gropengießer / Ulrich Kattmann, Schülervorstellungen zu Prozessen der Anpassung – Ergebnisse einer Interviewstudie im Rahmen der Didaktischen Rekonstruktion, in: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 10. Jg. 2004, 7–28. 19 Thomas Weiß, Zur Verwendung von Argumentationsmustern in Schulbüchern für die gymnasiale Oberstufe. Ein Vergleich in den Fächern evangelische Religion und Biologie am Beispiel Schöpfung und Evolution, in: Jörg Doll (u.a.), (Hg.), Schulbücher im Fokus. Nutzungen, Wirkungen und Evaluation, Münster 2012, 141–162.

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Weiß / Basel / Rothgangel / Harms / Prechtl Argumentationsmuster von Jugendlichen zu Schöpfung

onsbezogenen Texten wird von einem existentiellen Präsuppositionstypen, der (unausgesprochenen) Schlussregel bei Kienpointner (z.B. »Es gibt einen Anfang«), ausgegangen. Von dieser Basis aus werden in den Texten dann Einordnungsmuster und illustrative Beispielmuster zur Entfaltung der Präsupposition verwendet. Im Gegensatz dazu ist der biologische Text durch unvollständige Kausalketten gekennzeichnet, die die Frage der Herkunft nicht in einem existentiellen Sinn beantworten. Aus dem theoretischen Hintergrund und den beiden beschriebenen Vorstudien lassen sich nun Fragestellungen ableiten, die für die Hauptuntersuchung den Fokus der Forschung bestimmen: 1) Welche fachspezifischen Argumentationsmuster lassen sich bei Schülerinnen und Schülern in den Fächern Biologie und Religion in Bezug auf die Thematik Evolutionstheorie und Schöpfungslehre identifizieren? 2) Welche fachübergreifenden Argumentationsmuster können im biologie- und im religionsspezifischen Kontext identifiziert werden? 4. Methode 4.1 Instrument der Hauptuntersuchung

Um Argumentationen von Schülerinnen und Schülern zu erfassen, wurde ihnen die Aufgabe gestellt, eine argumentative Rede zum Verhältnis von Schöpfung und Evolution zu schreiben. In dieser Rede sollten sie entweder die Position eines »religiösen Menschen« (Variante A) oder eines »Evolutionstheoretikers« (Varian-

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te B) einnehmen. Um den Schülern eine Möglichkeit zu zeigen, wie ein Naturwissenschaftler und ein Theologe über ihre unterschiedlichen Weltsichten diskutieren könnten, erhielten Sie als zusätzliche Information den Text »Das Netz des Physikers« aus dem Kursbuch Religion Oberstufe (S. 27). In Ihrer Rede sollten die Schülerinnen und Schüler entweder für Evolution oder für Schöpfung argumentieren. Damit sollte erreicht werden, dass die Schüler Argumentationen verschiedener Ausprägung erstellen, von einer rein naturwissenschaftlich-szientistischen Position bis hin zu einer tiefreligiösen oder gar kreationistischen. Die Schülerinnen und Schüler erhielten 90 Minuten Zeit, um eine 3–5-seitige Rede zu erstellen. Neben dieser offen gestellten Aufgabe erhielten die Teilnehmer einen Fragebogen zur Erfassung soziodemographischer Hintergrundvariablen und zur Einschätzung ihres Biologie- und Religionsunterrichts im Hinblick auf das Vorkommen diskursiver Elemente u.ä., Ausschnitte davon werden in 4.3 vorgestellt. 4.2 Qualitative Methoden – Inhaltsanalyse nach Mayring

Zur Analyse der Schülertexte wurde eine Strukturierung entsprechend der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring20 durchgeführt. Das Ziel der Strukturierung ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen, oder das Material aufgrund 20 Philipp Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim / Basel 11 2010.

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Empirische Aspekte

identifizieren, sondern auch die latenten Sinnstrukturen zu beachten22 – in diesem Fall also die unausgesprochene Schlussregel / Präsupposition zu benennen. Es werden im Folgenden nur die deskriptiven Varianten, mit theologischen Beispielen zur Schöpfungserzählung vorgestellt.

Muster Formale Darstellung

Theologisches Beispiel

Autoritätsmuster

Induktives Beispielmuster

Kausalmuster

Vergleichsmuster

Einordnungsmuster

bestimmter Kriterien einzuschätzen.21 Die angesprochenen bestimmten Aspekte sind im gegebenen Fall die Argumentationsmuster, die durch die formalen Kategorien bei Kienpointner vorgegeben sind (s. Tabelle 1). Zugleich hat eine inhaltsanalytische Auswertung nicht nur die an der Oberfläche zu findenden Strukturen zu A: X wird über die Definition ausgesagt. SR: Was über die Definition ausgesagt wird, wird auch über das Definierte ausgesagt und umgekehrt. K: X wird auch über das Definierte ausgesagt A: Die Gegenstände X sind hinsichtlich eines Kriteriums gleich. SR: Von hinsichtlich eines Kriteriums gleichen Gegenständen X werden gleiche Eigenschaften Y ausgesagt. K: Von den Gegenständen X werden die Eigenschaften Y ausgesagt. A: Die Ursache liegt vor. SR: Wenn die Ursache vorliegt, tritt die Wirkung auf. K: Die Wirkung tritt auf.

A: In Beispiel 1 kommt X die Eigenschaft Y zu. SR: In Beispiel n kommt X die Eigenschaft Y zu. K: In nicht wenigen / zahlreichen / vielen / den meisten Fällen ist die Bewertung Y von X gerechtfertigt.

A: X sagt, dass die Proposition P wahr / wahrscheinlich ist. SR: Wenn Autorität X sagt, dass P wahr / wahrscheinlich ist, ist P wahr / wahrscheinlich. K: P ist wahr / wahrscheinlich.

A: In der Schöpfungsgeschichte ist zu lesen, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde ... SR: ... und damit eine Art Hirtenposition zugeteilt bekommt. K: Der Mensch ist [...] der Hüter [...] allen Lebens auf der Erde. A: Gott hat uns Fähigkeiten, Eigenschaften und die Kunst des Lebens gegeben. All das ist es, was uns ausmacht. SR: Genau so verhält es sich mit Allem, was sich auf der Erde befindet. K: Gott hat eine Welt geschaffen, die die Möglichkeit hat, in sich schlüssig zu sein. A: Wie soll der Mensch alles erforschen, wenn er doch an gewisse Grenzen gebunden ist. SR: Wir können also nur das erforschen, was mit menschlichen Mitteln möglich ist. Aber wir können nicht das komplette Gottgeschaffene erforschen. K: Es ergibt sich daraus, dass auch die Wissenschaft lückenhaft ist. A: Gott sprach: »Es werde Licht.« Und so kam es. Gott erschuf unsere Erde und alles, was zum Leben erforderlich war. Nachdem er ein gutes Umfeld geschaffen hatte, schuf er am Ende uns, die Menschen. SR: Und so, wie Gott uns wollte, wie er sich uns vorstellte. So sind wir geworden K: Wir, die Menschen können nicht aus irgendwelchen Genen, durch irgendwelche Zufälle entstanden sein. A: Des Weiteren möchte ich Sie [...] darauf aufmerksam machen, dass ich mit meiner Auffassung und meinem Glauben nicht allein bin. SR: Millionen von gläubigen Menschen sind der gleichen Meinung wie ich und vertrauen auf die heilige Schrift, [...] K: Gott ist allgegenwärtig und hat die Erde und den Menschen geschaffen.

Tabelle 1: Argumentationsmuster (Beispiele), formale Darstellung und theologische Beispiele. 21 Vgl. Philipp Mayring (wie Anm. 20), 65.

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22 Vgl. Philipp Mayring (wie Anm. 20), 32.

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Weiß / Basel / Rothgangel / Harms / Prechtl Argumentationsmuster von Jugendlichen zu Schöpfung

Anzahl der Schüler

Um sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler über die notwendigen Voraussetzungen für die Bearbeitung des Impulses verfügen, d.h. über das notwendige Fachwissen über Evolutionstheorie und Schöpfungserzählungen sowie über grundlegende sprachliche Fähigkeiten beim Argumentieren, wurde die Aufgabe Schülerinnen und Schülern aus Oberstufenkursen (11./12. Jahrgang, Fach Biologie und Fach Evangelische Religion) gestellt. Insgesamt nahmen N = 48 Schülerinnen und Schüler aus Berlin und Brandenburg an der Studie teil. Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags lagen die Daten von 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Stichprobe aus Brandenburg vor (Geschlecht: 13 weiblich, 7 männlich; Alter: 17–19 Jahre). Um weitere Informationen über die Stichprobe zu erhalten, werden im Folgenden einzelne Fragen aus dem Fragebogen zu den Hintergrundvariablen vorgestellt. Sofern die Anzahl 20 nicht erreicht wird, haben einzelne Schüler keine Angaben zu der Frage gemacht. Beispielsweise wurden die Schülerinnen und Schüler gefragt, wie wichtig ihnen Religion sei, um festzustellen, inwiefern dies möglicherweise die Beantwortung der Aufgabe beeinflusst haben könnte bzw. welchen Zugang sie zur Schöpfungserzählung haben. Die Teilnehmer kreuzten an, dass Ihnen Religion tendenziell weniger wichtig sei, wobei die Zahl der Schülerinnen, für die die Religion scheinbar überhaupt keine Bedeutung hat, sehr gering ausfiel.

Wie wichtig ist Ihnen Religion?

N = 19 1: überhaupt nicht wichtig 5: sehr wichtig

Abb. 3: Angabe der Wichtigkeit der Religion für die Stichprobe.

Wie aus der Literatur bekannt ist, spielt der Unterricht für die Ausbildung argumentativer Fähigkeiten eine wichtige Rolle. Stellvertretend dafür wurden die Teilnehmer gefragt, inwiefern im Unterricht eine positive Bewertung von Diskussionen und unterschiedlichen Sichtweisen vorherrscht. Der Lehrer stellt unterschiedliche Sichtweisen vor, wenn er etwas erklärt.

Anzahl der Schüler

4.3 Stichprobenbeschreibung

N = 18 2 Schüler o.A.

Abb. 4: Vorstellung unterschiedlicher Sichtweisen im Kontext des Unterrichts.

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Empirische Aspekte

So zeigte sich beispielweise, dass in beiden relevanten Unterrichtskontexten (Religions- und Biologieunterricht) den Schülerinnen und Schülern zumindest in »seltenen« Fällen unterschiedliche Sichtweisen präsentiert werden (s. Abb. 4). Es ist zu vermuten, dass dies im Biologieunterricht Fragestellungen betrifft, die sowohl eine naturwissenschaftliche als auch eine ethische-normative Komponente haben, wie. z.B. Diskussionen um das Klonen von Tieren. Auch wenn eher im Religionsunterricht angesiedelt, machten die Schülerinnen und Schüler des Weiteren tendenziell die Angaben, dass sie in beiden Unterrichtsfächern dazu ermutigt werden, ihre Meinung zu äußern (s. Abb. 5). Insgesamt kann aus diesen beiden Fragen über den Unterricht geschlossen werden, dass die Schülerinnen und Schüler durch den Unterricht über grundlegende argumentative Fähigkeiten verfügen bzw. verfügen müssten.

Anzahl der Schüler

Der Lehrer achtet unsere Meinung und ermutigt uns, diese auch im Unterricht zu äußern.

Abb. 5: Ermutigung zur Meinungsäußerung im Rahmen des Unterrichts.

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5. Ergebnisse

Weil sich die Testunterlagen derzeit in der Dateneingabe befinden, können hier nur erste Ergebnisse präsentiert werden. Exemplarisch werden aus der Analyse eines Textes, der von einer Schülerin verfasst wurde, drei Textbausteine vorgestellt. Die Schülerin bearbeitete den Impuls in der Variante A, sie ist 18 Jahre alt, besuchte kontinuierlich den evangelischen Religionsunterricht sowie den Biologieunterricht und wählte für die Abiturstufe einen Grundkurs evangelische Religion und einen Grundkurs Biologie. Diese Angaben sind ein Hinweis darauf, dass sie mit dem Thema Schöpfung und Evolution entsprechend vertraut ist. Der abgegebene Fließtext der Schülerin wurde in eine tabellarische Form gebracht, so dass eine Einteilung in Textbausteine (Rahmen der Argumentation) sowie eine exakte und jederzeit nachvollziehbare Markierung der Fundstellen durch Angabe der entsprechenden Zeilen möglich ist. Zur Unterscheidung zwischen Schüleraussagen und Kommentaren wurden die Schüleraussagen kursiv und etwas größer, die Kommentare und anderes in einer kleineren Schrift gesetzt. Grammatikalische oder orthografische Korrekturen wurden nicht vorgenommen. Der Originaltext ist somit auch in der Tabelle vollständig (von links nach rechts) lesbar. Wurde kein Muster gefunden, ist dies ebenfalls in der Tabelle vermerkt. Die folgende Tabelle (s. Abb. 6) zeigt als Beispiel einen Auszug aus dem Textbaustein fünf. Intern wurde dem Text der Code Tn24A zugewiesen.

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Zeile

Textbaustein

Schüler-Text: Prämisse (P), Konklusion (K), Präsupposition (Prä.: >............