"Die anderen braucht man im Unterricht, damit es ein bisschen voran geht": Jugendtheologie und religiöse Diversität 3766844083, 9783766844088

In diesem Jahrbuch wird untersucht, wie Jugendliche religiöse Diversität in ihrer schulischen Lebenswelt wahrnehmen, wie

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German Pages 180 [179] Year 2017

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Inhalt
Vorwort
Inhalt
I. Theoretische Grundlagen
Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion: Perspektiven von Schülerinnen und Schülern der weiterführende
Theologisieren in der Kunst. Religionspädagogik der Vielfalt
Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch
Empirische Befunde über Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule in den Niederlanden. Ein Tryptichon
»Wir waren Kopftuch schwarz, aber unser Oberteil war farbig« – Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berlin
Heilige sind anders. Zur Diversität der Sache als Baustein einer Theologie für Jugendliche
Meinen und Gelten Kritische Anmerkungen zur Jugendtheologie
II. Religionspädagogische Anregungen
Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen
»So konnte ich zeigen, was wirklich in mir vorgeht« – Kreatives Schreiben in einem diversitätssensiblen Religionsunterricht
Argumentieren lernen als Theologisieren lernen
Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen – eine qualitative Untersuchung
„Das weiße Feuer entfachen …“ – Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule
»Also, das ist ja wie im Kindergarten« – Was ist das für ein Gott, der sich vom Satan reizen lässt? – Jugendliche und Theodizeen
»Es kann ja jeder glauben, was er will« Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte
III. Buchbesprechungen
Philipp Klutz:
Religionsunterricht vor den Herausforderungen religiöser Pluralität.
Eine qualitativ-empirische Studie (Rezension von Alina Brinkmann)
Tobias Faix / Ulrich Riegel / Tobias
Künkler (Hg.), Theologien von Jugendlichen.
Empirische Erkundungen
zu theologisch relevanten Konstruktionen
Jugendlicher, LIT-Verlag, Münster
2015
Die Autorinnen und Autoren
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"Die anderen braucht man im Unterricht, damit es ein bisschen voran geht": Jugendtheologie und religiöse Diversität
 3766844083, 9783766844088

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Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Friedhelm Kraft, Oliver Reis, Bert Roebben, Hanna Roose, Martin Rothgangel, Thomas Schlag und Martin Schreiner

»Die anderen braucht man im Unterricht, damit es ein bisschen voran geht« Jugendtheologie und religiöse Diversität Jahrbuch für Jugendtheologie Band 5 Herausgegeben von Bert Roebben und Martin Rothgangel

Calwer Verlag Stuttgart

eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4410–1 ISBN 978–3–7668–4408–8 © 2017 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii – 05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com

Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

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Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Theoretische Grundlagen

Julia Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion: Perspektiven von Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Schulen im Vereinigten Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Gordon Mitchell Theologisieren in der Kunst. Religionspädagogik der Vielfalt. . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Klaus von Stosch / Carina Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Ina ter Avest Empirische Befunde über Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule in den Niederlanden. Ein Tryptichon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Joachim Willems »Wir waren Kopftuch schwarz, aber unser Oberteil war farbig« – Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule. . . . . . . 61 Oliver Reis Heilige sind anders. Zur Diversität der Sache als Baustein einer Theologie für Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Thomas Weiß Meinen und Gelten – Kritische Anmerkungen zur Jugendtheologie. . . . . . . . . . . . 87 II. Religionspädagogische Anregungen

Alina Bloch Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen . . . . . . . . . . . . . . . 101

6 Veronika Burggraf »So konnte ich zeigen, was wirklich in mir vorgeht« – Kreatives Schreiben in einem diversitätssensiblen Religionsunterricht. . . . . . . . . . 108 Theresa Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Regina Dahms Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen – eine qualitative Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Lisa Krasemann »Das weiße Feuer entfachen …« – Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Judith Krasselt-Maier »Also, das ist ja wie im Kindergarten« – Was ist das für ein Gott, der sich vom Satan reizen lässt? Jugendliche und Theodizeen – Eine Spurensuche in einer 10. Realschulklasse am Evangelischen Schulzentrum Leipzig . . . . . . . . . . 147 Nadja Troi-Boeck Es kann ja jeder glauben, was er will. Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Buchbesprechungen

Philipp Klutz: Religionsunterricht vor den Herausforderungen religiöser Pluralität. Eine qualitativ-empirische Studie (Rezension von Alina Brinkmann) . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Tobias Faix / Ulrich Riegel / Tobias Künkler (Hg.): Theologien von Jugendlichen. Empirische Erkundungen zu theologisch relevanten Konstruktionen Jugendlicher (Rezension von Thomas Weiß). . . . . . . . . . . . . . 173 Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

7 Vorwort

Jugendtheologie und religiöse Diversität

Der vorliegende fünfte Band des »Jahrbuchs für Jugendtheologie« greift mit dem Thema »Diversität« eine aktuelle bildungswissenschaftliche Diskussion auf und reflektiert sie im Horizont der Jugendtheologie. Die Beiträge sind im Wesentlichen der Jahrestagung an der TU Dortmund zum Thema »Theologisieren in der Gegenwart der/s Anderen. Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule« zu verdanken, die vom 6.–7. März 2015 stattfand. »Jugendtheologie kommt dann ins Spiel, wenn Jugendliche über ihren eigenen Glauben und ihre eigenen religiösen Vorstellungen nachdenken oder auch über solche Vorstellungen, die sie bei anderen wahrnehmen. Insofern ist Jugendtheologie eng mit der Ausbildung religiöser Urteilsfähigkeit verbunden, im Verhältnis zu sich selbst, aber auch zur Gesellschaft«1. Diese Ausbildung findet heutzutage in einem komplexen Kontext von Traditionsabbruch und Religionsplural statt, zwei gleichzeitig auftretende Phänomene, die sich in der Schule wechselseitig prägen. Bei der Tagung und in diesem Sammelband war es von vornherein unser Ziel, diese Thematik aus ganz verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. So wurde untersucht, wie Jugendliche religiöse Di-

versität in ihrer schulischen Lebenswelt wahrnehmen, wie religiöse Bildung als »Theologisieren mit Jugendlichen« in der Vielfalt gestaltet werden kann und welche Lerngegenstände benötigt werden, um diesen Prozess sinnvoll und ertragreich durchzuführen. Die nachstehende Bündelung der Beiträge, ergänzt mit Forschungsberichten von Nachwuchswissenschaftler/innen, spiegelt diesen Reichtum wider und lässt sich in einen Teil mit theoretischen Grundlagen und in einen mit religionspädagogischen Anregungen unterteilen. Die erste Gruppe der Beiträge zu den »Theoretischen Grundlagen« setzt ein mit einer internationalen Perspektive, die von Julia Ipgrave eingebracht wird, indem sie Interviews von Schülerinnen und Schülern aus Großbritannien analysiert und differenziert Hindernisse und Bedingungen für einen jugendtheologischen Diskurs analysiert. Der zweite Beitrag wird von Gordon Mitchell zu »Theologisieren in der Kunst. Religionspädagogik der Vielfalt« angeführt, in dem Kunst als ein besonderes Format für theologische Reflexion bedacht wird. Dies geschieht unter Bezugnahme auf Workshops für 1 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 44.

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Vorwort

junge Teilnehmer/innen ohne bestimmte Vorerfahrung in der Kunst, bei denen eigene Werke produziert und dann im Austausch diskutiert werden. Klaus von Stosch und Carina Caruso führen einen Dialog zwischen Jugendtheologie und Komparativer Theologie und präsentieren die Idee einer komparativen Jugendtheologie. Eine zweite internationale Perspektivierung erhält diese Thematik durch den Beitrag von Ina ter Avest, die zum Thema »Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule« zum einen empirische Befunde der europäischen REDCo-Studie sowie zum anderen ihre eigene Gottesbildforschung in den Niederlanden präsentiert. Joachim Willems skizziert ein Interview mit einer 17-jährigen Muslimin aus einem DFG Forschungsprojekt und analysiert »dieses interreligiöse Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule«. Dabei zieht er folgende Konsequenz: »Jugendtheologie, zumal das Theologisieren mit Jugendlichen angesichts von religiöser Pluralität, darf die Theologie nicht trennen von den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie betrieben wird. Denn das Beispiel von Ayşe, ihrer Freundin und ihrer Lehrerin illustriert, dass unter den Bedingungen von religiös-weltanschaulicher Pluralität Religion in einer Vielzahl von Kontexten thematisiert wird, nicht nur in religiösen Kontexten. Solche Kontexte werden von verschiedenen Personen unterschiedlich konstruiert und gewichtet.« (S. 69f) Oliver Reis bedenkt in seinem Beitrag »Heilige sind anders. Zur Diversität der Sache als Baustein einer Theologie für Jugendliche« didaktische Meta-Strukturen für das Heilige und veranschaulicht dies differenziert an verschiedenen Heiligenverständnissen im

Diskurs. Schließlich bringt Thomas Weiß in der Grundlagendiskussion kritische Anmerkungen gegenüber gewissen Formen der Jugendtheologie zur Geltung, indem er sich gegen ein weites Theologieverständnis wendet, demzufolge bereits »jedes ernsthafte Nachdenken von Jugendlichen« (S. 99) als Theologie zu qualifizieren wäre. Vielmehr ist seines Erachtens »von einem Theologieverständnis auszugehen, welches nicht nur auf die (notwendige) Tätigkeit der Reflexion von Glaubensaussagen, religiösen Aussagen und Glaubenspraxen abzielt, sondern zugleich den Reflexionsrahmen darstellt.« (S. 99) Auch die Beiträge im zweiten Teil (»Religionspädagogische Anregungen«) stellen sowohl thematisch als auch religionsdidaktisch in gewisser Weise eine Diversität dar. Alina Bloch diskutiert unter dem Titel »Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen« die Frage, was das interreligiöse Lernen von der Jugendtheologie lernen kann, und stellt in dieser Hinsicht abschließende Thesen auf. Veronika Burggraf berichtet von ihrer Forschung, in welcher sie kreatives Schreiben mit Jugendlichen und Theologisieren in der Vielfalt verknüpft und feststellt, dass Diversität im Schreibprozess selbst entsteht, reflektiert und kommuniziert werden kann. Theresa Schwarzkopf beschreibt das Argumentieren und Theologisieren in theoretischer wie in empirischer Hinsicht und gelangt zum Schluss, »dass das Argumentieren als typische Tätigkeit des Diskurses dem Theologisieren gleichgesetzt werden kann«. (S. 129) Die qualitativen Untersuchungen von Regina Dahms über »religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten

9 Begabungen« zeigen eine methodische Vorgehensweise zum Theologisieren mit diesen jungen Erwachsenen auf, bei denen keine Lese- und Schreibkompetenz vorausgesetzt werden kann. Im Anschluss daran führt Lisa Krasemann in die Methode des Bibliologs ein und verknüpft diesen mit Diversität einerseits sowie mit Kinder- und Jugendtheologie andererseits. Resümierend stellt sie fest, dass der Bibliolog »als Methode dazu geeignet ist, die unterschiedlichsten Personen gemeinschaftlich an und mit einem biblischen Text arbeiten und neue Interpretationsund Wahrnehmungsansätze auf Basis der Vielheit innerhalb der Gruppe erschließen zu lassen.« (S. 145) Judith Krasselt begibt sich auf eine »Spurensuche in einer 10. Realschulklasse am Evangelischen Schulzentrum Leipzig« und untersucht im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema Theodizee, wie Jugendliche die Theodizee-Frage beantworten und wie sie auf alternative Antwortmöglichkeiten reagieren. Nadja Troi-Boeck stellt ihre Untersuchung zur Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte unter das Motto: »Es

kann ja jeder glauben, was er will« und gelangt zu folgendem Fazit: »Für den Umgang mit Diversität im Konfirmationsunterricht heißt das: Glaubensdiversität beginnt nicht erst bei anderen Religionen. Schon in den Konfirmationsklassen gibt es divergierende Glaubenseinstellungen. Damit alle Jugendlichen mit ihren Meinungen Raum finden, muss ein Bewusstsein für Glaubensunterschiede geschaffen werden: Es ist außerdem notwendig, mit den Jugendlichen eine Haltung zu erarbeiten, die Diversität positiv aufnimmt. Mindestens ebenso wichtig ist, mit den Jugendlichen zu üben, ihre eigenen Einstellungen überhaupt formulieren zu können.« (S. 170). Der Band wird mit zwei Rezensionen (von Alina Brinkmann und Thomas Weiß) abgeschlossen. Als Herausgeber sind wir Frau Alina Brinkmann, studentische Hilfskraft an der TU Dortmund, für die intensive Textbearbeitung dieses Jahrbuchs zu Dank verpflichtet. Wir wünsche allen Leser/innen eine anregende Lektüre! Bert Roebben und Martin Rothgangel

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Theoretische Grundlagen

Julia Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion: Perspektiven von Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Schulen im Vereinigten Königreich1 Die Soziologin Grace Davie erkannte ein Paradoxon sowohl für Großbritannien als auch darüber hinaus für Europa: Einerseits tritt die Religion wieder neu in unsere Gesellschaft ein und bietet eine Antwort für ihre Bedürfnisse; andererseits jedoch hat ein Großteil der Bevölkerung Schwierigkeiten mit religiösen Themen, da den Menschen die Konzepte, das Vokabular und das Wissen fehlen, um über Religion zu sprechen.2 In diesem Zusammenhang ist das Thema Jugendtheologie ebenso von besonderer Wichtigkeit wie die Idee, dass eigene Aktivitäten auf Seiten der Jugendlichen dazu führen können, die Situation der »religious illiteracy« für die Zukunft zu verändern. Gleichzeitig verlangt die Tatsache, dass dieser Analphabetismus in Kombination mit dem lange bestehenden, obligatorischen Religionsunterricht ein großes Problem in Großbritannien darstellt, eine kritische Überlegung bezüglich jenes religiösen Lernens, das in den britischen Schulen stattfindet. Wieso ist die religiöse Sprache derer, die dieses Schulsystem durchlaufen haben, so verarmt? Was sind die Bedingungen für eine Verbesserung? Ich möchte für diesen Band einen Beitrag aus der Perspektive Großbritanniens leisten, indem sowohl Hindernisse als auch Bedingungen für einen theologischen Diskurs mit Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren im schulischen

Kontext erforscht werden. Dazu werde ich eine Reihe von Forschungsprojekten mit Schülerinnen und Schülern aus weiterführenden Schulen, mit denen ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe, skizzieren. Dazu zählen unter anderem auch der englische Strang des REDCo Projekts zu Religion in den Schulen sowie ein national finanziertes Projekt, das die Einstellung Jugendlicher gegenüber Religion und religiöser Diversität in Schulen in Großbritannien erforscht.3 Die Schulen decken ein breites Spektrum der vier Nationen Großbritanniens ab und umfassen sowohl große Metropolen wie London als auch ländliche Gegenden wie die Hebriden. Einbezogen wurden Schulen mit säkularer Schülerschaft (z.B. eine Klasse, in der 18 von 21 Schülerinnen und Schüler sich als 1 Aus dem Englischen übersetzt von Alina Brinkmann. 2 Grace Davie, The Religious Life of Modern Europe: understanding relevant factors. Online verfügbar unter: http://www.patheos. com/Resources/Additional-Resources/Religious-Life-of-Modern-Europe-Understanding-Relevant-Factors.HTML?print=1. 3 Thorsten Knauth / Dan-Paul Jozsa / Gerdien Bertram-Troost / Julia Ipgrave (Hg.), Encountering Religious Pluralism in School and Society: A Qualitative Study of Teenage Perspectives in Europe, Münster 2008; Elisabeth Arweck / Robert Jackson, Religion in Education: Findings from the Religion and Society Programme, in: Journal of Beliefs and Values vol. 33, Number 3, December 2012.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

Atheisten definieren) bis hin zu Schulen, an denen die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler streng gläubig ist und ihren Glauben praktiziert. An einigen Schulen bilden ethnische Minderheiten (südasiatischer oder afrikanischer Herkunft) die Mehrheit, an anderen hingegen gehört die Schülerschaft größtenteils der weißen, britischen Bevölkerungsschicht an. Darüber hinaus werde ich die umfangreichen, für Simeon Wallis gesammelten Daten einer Untersuchung heranziehen, welche sich mit den Ansichten derjenigen Jugendlichen der West Midlands beschäftigt, die angaben, keine Religion zu haben.4 Angesichts der unterschiedlichen religiösen Ansichten der Jugendlichen innerhalb dieser Forschungsprojekte stellt die Lücke zwischen dem Verständnis für religiöse und nicht religiöse Ansichten die größte Herausforderung dar. Diese Lücke bildet den Schwerpunkt dieses Aufsatzes. Ich werde zunächst damit beginnen, festzulegen, wie der Begriff der »Theologie« in meiner Analyse definiert ist, bevor ich die verschiedenen Faktoren betrachte, die die Natur und Qualität des »God-Talk« Jugendlicher beeinflussen. Dabei werde ich der Degradierung der Theologie innerhalb des Religionsunterrichts nachgehen und untersuchen, wie die Theologie durch die Diskurse der Ethik, Philosophie und Autonomie ersetzt wurde. Was ist Theologie?

Die Analyse der qualitativen Daten aus diesen Projekten hat zur Notwendigkeit geführt, in den aufgezeichneten Worten und Gesprächen der jungen Teilneh-

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merinnen und Teilnehmer, zu untersuchen, was mit dem Begriff »Theologie« gemeint ist. John Macquarries Begriff »God-Talk« hat eine große Bedeutung für meine Forschung – Theologie beinhaltet verbale Interaktion – »talk«. Das Gespräch über Gott ist wichtig, meint jedoch nicht das Sprechen über eine unbestimmte Spiritualität oder über frei schwebende Werte und Ethik. Gleichzeitig würde ich ebenso wie Macquarrie betonen, dass sich nicht jeder God-Talk als Theologie qualifizieren lässt. Denn laut Macquarrie »theological language arises out of religious language as a whole, and it does so when religious faith becomes reflective«.5 Die Theologie beschäftigt sich sowohl mit dem Kognitiven als auch dem Affektiven, aber (und dieser dritte Punkt ist sehr wichtig) sie hat ebenso eine Fundierung. Marcquarries Ausgangspunkt für Theologie als »religiöser Glaube« ist ein Echo von Anselms »fides quaerens intellectum«. Dieser Formel nach war die Theologie in früheren Forschungen, die ich bei Kindern mit multireligiösen Hintergründen im Alter von acht bis elf Jahren (jünger als unsere aktuelle Jugendgruppe) durchgeführt habe, sehr evident. Der GodTalk dieser Gruppe suchte nach einem größeren Verständnis von Göttlichkeit. »Ich möchte wissen, warum Gott …«; »Ich möchte wissen, wie Gott …«; »Ich 4 Simeon Wallis, Young Nones: young People of No religion, unpublished PhD thesis. University of Warwick 2015; Simeon Wallis, Ticking the »No Religion« box – A Case Study Amongst »Young Nones« in: Diskus Vol. 16 (2) 2014. 5 John Macquarrie, God-Talk: An Examination of the Language and Logic of Theology, London 1967, 19.

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Theoretische Grundlagen

möchte wissen, was Gott über … denkt«; »Ich möchte wissen, ob er einer ist oder mehrere zur gleichen Zeit sein kann«.6 In all diesen Fragen und in dem Dialog, der sich anschloss, war Gott als feste Größe vorausgesetzt und seine Existenz stand nicht zur Diskussion. Also was bedeutet es, für ein theologisches Gespräch, eine »Basis des Glaubens« zu verlangen? Bedeutet es, dass die theologische Diskussion nicht angemessen ist oder überhaupt unmöglich ist, in einem Kontext, in dem in den meisten britischen Klassen im Religionsunterricht junge Menschen unterschiedlichen Glaubens zusammen lernen? Und wenn wir entscheiden, dass diese Theologie nicht in einem solchen Umfeld angemessen ist, welche Fülle an Verständnis und Erfahrung des Menschlichen würde fehlen! Insbesondere für die heutige Gesellschaft, wie würden diejenigen ohne religiösen Hintergrund beginnen, diejenigen zu verstehen, deren Weltanschauung von ihrem religiösen Glauben gerahmt wird? Die primäre Absicht meiner Arbeit ist es jedoch zu beschreiben und zu analysieren, was ich sehe, anstatt eine endgültige Antwort auf diese Frage zu geben. Aber ich wage zu vermuten, dass es möglich ist, innerhalb des Raums des Religionsunterrichts um eine vorübergehende »suspension of disbelief« der Schülerinnen und Schüler zu bitten und weiter zu arbeiten von der Plattform »Wenn Gott existiert, wie … was … warum?«. Es sollte möglich sein, Pascals Rat zu folgen und fortzufahren »veluti si Deus daretur«, als ob Gott gegeben wäre – nicht um unsere »Wetten auf das Jenseits« abzusichern, sondern für unsere geistige Übung und unser Verständnis.7

Und so werden die konstitutiven Elemente der Theologie für meine Analyse deutlich: es geht um Gott; die Theologie beinhaltet verbale Interaktion und kognitive Reflexion und arbeitet mit der Annahme der Existenz Gottes, auch wenn das nicht die Glaubensposition aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist. Die Degradierung des Glaubens

Meine frühere Arbeit mit jüngeren Kindern schloss den Unterricht und damit die Aufnahme und Analyse von Beispielen des theologischen Dialogs ein. Die Forschung, die ich mit Jugendlichen in Schulen durchgeführt habe, hat jedoch einen anderen Charakter. In weiterführenden Schulen habe ich qualitative Fragebögen und Gruppeninterviews genutzt, um unter anderem zu erforschen, wie God-Talk bei den Jugendlichen funktioniert und ob Teile des God-Talks Theologie sind und welche Faktoren die Häufigkeit und die Art und Weise des God-Talks beeinflussen. Ich werde mit einem Blick auf die Faktoren beginnen, 6 Julia Ipgrave, »My God and other people’s gods«: Children’s Theology in a Context of Plurality, in: Gertrud Yde Iversen / Gordon Mitchell / Gaynor Pollard (Hg.), Hovering over the Face of the Deep: Philosophy, theology and children, Münster 2009, 53ff; Julia Ipgrave, The Language of Inter Faith Encounter Among Inner-City Primary School Children, in: Joyce Miller / Kevin O’Grady / Ursula McKenna (Hg.), Religion in Education: Innovation in International Research, New York 2013, 90ff. 7 See Cardinal Ratzinger’s use of Pascal’s phrase. Joseph Ratzinger, Christianity and the Crisis of Cultures, San Francisco 2006, 51.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

die gegen das theologisches Lernen sprechen.8 Meine erste Beobachtung war, dass es laut den Ergebnissen der REDCo Umfrage (eine qualitative Umfrage von 109 Schülerinnen und Schülern in vier staatlichen Schulen in unterschiedlichen Teilen Englands) eine große Anzahl von Jugendlichen gibt, die sich nicht mit dem God-Talk beschäftigten. 95 Schülerinnen und Schüler behaupteten, dass Religion kein Thema sei, das sie mit ihren Freunden diskutieren. Zehn von ihnen sagten weiterhin aus, dass das Thema Religion primär in den Religionsklassen (manchmal einzig hier) als einem Forum, in dem ein solches Gespräch stattfinden kann, diskutiert wird. Meine zweite Beobachtung ist, dass selbst dort, wo God-Talk stattfindet (mit Freunden, innerhalb der Klasse), dieser selten theologisch ist. Die Begriffe, mit denen Religion oder Gott diskutiert werden, könnten ebenso durch andere Disziplinen ersetzt werden; sie sind soziologisch – was sind die sozialen Erscheinungsformen und Auswirkungen von Religion?; psychologisch – warum und wie machen Menschen religiöse oder spirituelle Erfahrungen im eigenen Leben?; ethisch – was sagen Religionen (andere und meine eigene) zu moralischen Dilemmata unserer modernen Welt?; philosophisch – welche Beweise gibt es für die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes? Dieser Ersatz der Religion durch andere Diskurse stimmt überein mit John Milbanks Einschätzung des sich verändernden Stellenwertes der Theologie in unserer Gesellschaft.9 Die Degradierung der Theologie von einem Meta-Diskurs zu einem Diener anderer Ziele endet laut Milbank nicht nur in einem Voranschrei-

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ten der Säkularisierung, sondern in dem Verlust des Vertrauens der Theologie in sich selbst: »The pathos of modern theology is its false humility«.10 Nach den Worten eines Mitglieds des Erzbischöflichen Rats der Church of England ist der Vertrauensverlust in die Theologie im Rahmen des Religionsunterrichts auffallend evident. Im Jahr 2015 kritisierte Canon Robert Cotton die Lehrplanreformen der Regierung, in denen ein systematisches theologisches Lernen von zwei religiösen Traditionen für 14- bis 16-jährige Schülerinnen und Schüler vorgeschlagen wurde: »Dies ist ein Rückzug in die Theologie, in ein rein religiöses Interesse – das ist nicht das, was unsere Gesellschaft braucht. Dieser neue Lehrplan für Religionsunterricht wird immer mehr wie ein Katechismus.«11 Obwohl es überraschend sein mag, diese Worte von einem Priester zu hören, ist die Auffassung nicht unüblich, dass die Theologie nicht das ist, worum es im Religionsunterricht gehen sollte. Der Umfang der Theologie ist so schmal, dass sie nicht relevant für unsere Gesellschaft ist und sie zur Indoktrination führen kann. Die Alternativen zu einem auf der Theologie basierenden Religionsunterricht und seinem Einfluss auf das 8 Bei der Übersetzung von »theological enquiry« haben wir uns in diesem Zusammenhang bewusst für den Begriff »theologisches Lernen« entschieden. 9 John Milbank, Theology and Social Theory: Beyond Secular Reason, Oxford 1990. 10 Ebd., 1. 11 Observer Editorial The Observer view on Religious Education Sunday 8 February 2015. Online verfügbar unter: http://rachael98. me.uk/2182-the-observer-view-on-religiouseducation-observer-editorial-comment-isfree-the-guardian/.

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Theoretische Grundlagen

religiöse Verständnis junger Menschen werden in dieser Arbeit später behandelt. Denn wenn Jugendtheologie das Thema ist, macht es zunächst Sinn zu reflektieren, wie die Theologie zu betreiben ist, damit sie die Erfahrungswelt eines Kindes aufnehmen kann. Theologie für Kinder

Erwähnt wurde die aus früheren Untersuchungen theologischer Dialoge von Kindern stammende Beobachtung, dass die Gruppe jüngerer Kinder offener gegenüber theologischem Lernen ist und es eher eine Bereitschaft gibt, ihre Diskussion über Gott oder über Geschichten aus der Bibel ruhen zu lassen, ohne deren Wahrhaftigkeit in Frage zu stellen. Dies scheint die Ansicht vieler Teenager innerhalb meiner Forschung zu sein. Einige zeigen ein wenig Nostalgie für die eigenen, offeneren Tage ihrer Kindheit, während sie gleichzeitig erkennen, dass ihre Annahmen und Erwartungen aus dieser Frühphase in ihrer Entwicklung nicht zu ihrem aktuellen Selbst passen können: »In erster Linie war es viel religiöser, und ich fühlte mich damals wohler damit. Ich weiß nicht, ob es bequemer sein würde, wenn es jetzt wie damals wäre.« (Edinburgh)12

Fragen zum Glauben wurden nicht als Hindernisse bei der Auseinandersetzung mit Religion und Bibel betrachtet. »An meiner Grundschule … hatten wir Versammlungen, sie wurden Bibel genannt, aber der Gemeindeleiter kam am Mittwochmorgen zu unserer Schule und er erzählte uns Geschichten aus der Bibel und dann sangen wir einige Lieder und es spielte keine Rolle,

wenn man damit nicht einverstanden war.« (Schottische Inseln)

Obwohl ein Schüler aus einer kleinen Stadt in Ostschottland die Religion in der Grundschule als aufgezwungen empfand, spiegelte das allgemeine Bild die Idee wider, dass Gott sowieso existiert und dass dies nicht von den Eltern oder Lehrkräften bezweifelt werden darf. Ein anderer Schüler sprach von einer Annäherung an die Religion, differenziert nach Alter und innerhalb der Familie: »Zuhause ist Religion nicht wirklich sehr ausgeprägt, außer bei meiner kleinen Schwester, weil sie nur zuhause aufwächst und wir sie nicht verwirren möchten. Also sagen wir ›Gott macht dies‹ und ›Gott macht das‹, aber wenn man ein gewisses Alter erreicht, trifft man seine eigenen Entscheidungen.«

Die Bedeutung von Religion als etwas, das man in der Kindheit zurücklassen kann, ist in den Aussagen vieler junger Menschen gegenwärtig. Dass »wir beginnen, Dinge anzuzweifeln, weil sie wie eine Art Santa Claus sind« (Südengland), führt zunehmend zu einem intellektuellen Verlust des Glaubens an Gott. So auch bei einem 14 Jahre alten Schüler der Studie, der erklärte, dass er, obwohl er christlich erzogen wurde, niemals an Gott glaubte, zumindest nicht, nachdem er »begann zu denken«.13 12 Die Originaltöne der Schülerinnen und Schüler wurden aus dem Englischen übersetzt und können bei den Herausgebern dieses Jahrbuchs in der ursprünglichen Form angefragt werden. 13 Abby Day, »Believing in Belonging«: Exploration of young People’s Social Contexts and Constructions of Belief, in: Sylvia Collins-Mayo and Pink Dandelion, Religion and Youth, Farnham 2010, 101.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

Die Verbindung von Religion und kindlichem Glauben bedeutet, dass sogar die Bibel als etwas jenseits des Heranwachsens der Jugendlichen werden kann, während sie für die Schülerinnen und Schüler des Primarbereichs noch nicht zugänglich ist. Ein Junge berichtete: »In der Schule meiner Schwester sind alle jünger, sie lernen etwas darüber und sie glauben es« (Südengland). Dieser Prozess des Verlustes, des Ablösens oder der »Befreiung« von begrenzenden Ansichten der Vergangenheit hat viel gemeinsam mit dem Begriff der »substraction stories« von Charles Taylor.14 Ich habe die Vermutung, dass es bei den Jugendlichen zwar eine gewisse Nostalgie hinsichtlich ihrer kindlichen Religion gibt, dass aber die Verbindung von Religion und kindlicher Naivität ebenso in abweisenden Begriffen ausgedrückt werden kann, wie zum Beispiel: »es ist nur eine große Komfort-Decke«, Gott ist »eine Gute-Nacht-Geschichte«, »glauben machen«, »ein riesiger Mann mit einem langen grauen Bart«.15 Solche Trivialisierung des Glaubens wandelt sich leicht in Verachtung für diejenigen, die glauben. Daher haben wir diese Erfahrung von Christen an einer Schule: »Es ist mehr ›die Dummheit des Christentums‹ und ›bist du religiös?‹ als die Frage ›glaubst du an Gott?‹ und ›religiöse Leute tun so und so‹ und ›es gibt Menschen und es gibt religiöse Menschen – die Dummen‹.« (Südengland)

Hier findet sich eine Umkehrung der Position in den Psalmen: »Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott!« Eine Verachtung für die Religion behindert nicht nur die theologische Entwicklung

15

von denjenigen, die eine solche Ansicht vertreten, sondern beschränkt auch die Haltung der Religiösen, die wiederum zögern, über ihre Religion zu sprechen aus Angst, von ihren Mitschülern/Mitschülerinnen verspottet zu werden: »Viele Leute denken, es sei nicht cool, religiös zu sein – aber man muss gar nicht seine Meinung äußern; man kann sie einfach für sich behalten und niemandem davon erzählen.« (Südengland) »Wir sprechen im Allgemeinen nicht viel über Religion … weil wir zahlenmäßig unterlegen sind … Wenn ich darüber spreche, habe ich Angst, dass die Menschen mich dann anders sehen.« (Ostschottland)

Wenn Religion stets mit kindlicher Unvernunft und Irrelevanz assoziiert wird, dann muss nach einer anderen Plattform für religiöse Bildung gesucht werden, die zum einen »erwachsener« in ihren Themen und zum anderen relevant für das moderne Leben der Jugendlichen ist. In den letzten Jahren wurde in der Einbindung von Ethik und Philosophie im Religionsunterricht die Lösung gesehen. Tatsächlich wurde diese Paarung im Religionsunterricht so beliebt, dass in regelmäßigen Abständen eine Namensänderung des Faches in professionellen Onlineforen16 diskutiert wurde. 14 Charles Taylor, A Secular Age, Cambridge, 2007, 22 passim. 15 Julia Ipgrave / Ursula McKenna, ›English Students‹ Perspectives on Religion and Religious Education, in: Thorsten Knauth / Dan-Paul Jozsa / Gerdien Bertram-Troost / Julia Ipgrave (Hg.), Encountering Religious Pluralism in School and Society: A Qualitative Study of Teenage Perspectives in Europe, Münster 2008, 126. 16 Reonline and TES Religious Education Forum.

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Theoretische Grundlagen

Als Argument für die Änderung wurde die Dominanz des philosophischen und ethischen Bereichs genannt. Viele Abteilungen für Religionsunterricht an den Schulen haben bereits das Image des Fachs verändert, beispielsweise in »Philosophie und Ethik«, »Glaube, Philosophie und Ethik« »Glaube und Werte« oder auch »Sophology«. Theologie und Ethik

Die Ethik und der sogenannte »themenbasierte Religionsunterricht«, der sie begünstigt, sind die alternativen Diskurse, die die Theologie in den Hintergrund der religiösen Erziehung treten lassen. Dies tun sie sogar so sehr, dass eine aktuelle Untersuchung zum britischen Religionsunterricht feststellte, dass »religiöse Konzepte oft als ein Anschlussgedanke an ein gemeinsames soziales Problem gesehen werden«.17 Junge Menschen brachten in meiner Forschung das gleiche Verständnis zum Ausdruck.

waren in der Lage, die Moral zu akzeptieren und wertzuschätzen, und lehnten gleichzeitig den Glauben ab. So war einer der nicht religiösen Jugendlichen in der Lage, innerhalb der Wallis’ Forschung zu sagen: »Obwohl ich nicht an ihre Idee von Gott glaube, glaube ich an ihre Moral – wie, dass man nicht töten darf, stehlen darf und solche Dinge. Also, sie haben ihre Moral und solche Dinge richtig gemacht. Mir würde es gut damit gehen, ein Christ zu sein, abgesehen von dem Teil, Gott anzubeten, ja, das kann ich nicht glauben.«19 (West Midlands)

Die Theologie ist praktischerweise abgestreift, aber die Werte bleiben. Eine weniger positive Beurteilung der Religionen (wie sie in ethischen Debatten angewandt wird) ist, dass diese nur von Befehlen festgelegt werde, die die Freiheit der Individuen einschränkt: »Man hört immer von den religiösen Gesetzen und das ist immer nur »Du darfst das nicht machen« und ›Anne, du musst jenes tun‹.« (Nordostengland)

»Die Dinge, mit denen wir uns im Religionsunterricht beschäftigen, sind Themen wie Gewalt und Abtreibung, Euthanasie, Gleichheit und diese Sachen, die uns jeden Tag betreffen – so gibt es ein besseres Verständnis für den Glauben aller.«18 (London)

»Ich denke wir verwenden nur unsere eigene Vernunft und unser Urteilsvermögen, wohingegen Christen sich an die Regeln von irgendjemand anderem halten, anstatt ihre eigenen zu erstellen.« (Ostschottland)

Im problembasierten Religionsunterricht erzeugt die Art, wie die einzelnen Religionen zugunsten der unterschiedlichen Perspektiven auf ethische Fragen nivelliert werden, eine Trennung zwischen moralischen Lehren, Spiritualität und Erzählungen der Glaubenstradition. Einige Schülerinnen und Schüler begrüßten die Entkoppelung von religiöser Moral und dem Glauben an Gott. Sie

17 James C. Conroy and colleagues, Does Religious Education Work? A three-year investigation into the practices and outcomes of Religious Education: A briefing paper. March 2011. http://www.secularism.org.uk/uploads/ does-religious-education-work-by-prof-c-con roy.pdf 18 Julia Ipgrave, Conversations between the Religious and the Secular in English Schools, in: Religious Education vol. 107, No. 1, JanuaryFebruary 2012, 38. 19 Wallis, Young Nones (wie Anm. 4), 177.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

In einer der Schulen entschied sich der Religionslehrer dafür, seiner Klasse von 15-jährigen Schülerinnen und Schüler einen Crashkurs über das Christentum zu geben, weil die jungen Menschen den christlichen Glauben als solchen nicht verstanden, sondern ihn nur für eine lange Liste von Regeln hielten. Unter allen nicht-religiösen Schülerinnen und Schülern gab es einigen Groll (auch ein Gefühl des persönlichen Angegriffenseins) bei der Idee, dass die Religionen irgendwie ein Monopol auf die Moral haben: »Man muss nicht religiös sein, um ein guter Bürger zu sein und um eine gute Moral zu haben, also warum haltet ihr so an eurem Glauben fest?« (Ostschottland) »Ich denke, ich habe eine ziemlich starke Moral und ich habe noch nie irgendeiner Religion angehört.« (Nordirland) »Mein Vater hat überhaupt keine Religion, er ist auch nie eine gelehrt worden, aber er hat mich gut großgezogen und er war alleine.« (Nordirland)

Tatsächlich könnte säkulare Moral als überlegen angesehen werden, da sie nicht ausgerichtet ist auf die Hoffnung auf einen himmlischen Lohn. »Wir sind gut, weil wir es sind, nicht weil wir versuchen, etwas daraus zu gewinnen, nicht weil wir Angst vor der Hölle haben oder in den Himmel kommen möchten.«20 (West Midlands)

Ihrerseits erheben religiöse Schülerinnen und Schüler, vor allem Christen, Einspruch gegen die Art und Weise, wie der ethische Fokus ihre Religion verzerrt – »Christ zu sein bedeutet nicht nur Regeln

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und Vorschriften« (Nordirland) – und sie suchen nach einer sich eingliedernden Ethik innerhalb der rationalen und theologischen Aspekte ihres Glaubens: »Ihnen wird klar, wenn man Gott liebt, bedeutet das nicht nur, zu tun, was Gott sagt. Wenn du ihn liebst, dann willst du wie er sein.« (Nordirland) »Jesus kam und er starb für dich und für jeden sündigen Menschen – wir sind alle damit geboren; Jesus starb für dich und ist wieder auferstanden und wenn du beginnst, daran zu glauben, dass er das Schlechte wegnimmt, dann beginnst du eine persönliche Beziehung zu ihm. Und das ist, was mich als Christ ausmacht, nicht die Regeln oder Vorschriften.« (Nordirland)

Was auch immer die Ansichten dieser christlichen Schülerinnen und Schüler sind – Ethik und »themenbasierter« Religionsunterricht sind das, was losgelöst von Theologie und sogar religiösem »Licht« übrig bleibt. Beides wird als ein Forum gewertet, in dem alle Schülerinnen und Schüler ihre Ansichten ausdrücken können, anstatt sich in den Inhalten religiöser Traditionen festzufahren. Wie ein Schüler aus einer Schule, die vor Kurzem ihre Leitlinien änderte, erklärte: »Ich bevorzuge diese Art des Religionsunterrichts, weil es mehr darum geht, was wirklich in der Welt geschieht, wie beispielsweise Abtreibungen. Das ist einfach etwas, zu dem jeder eine Meinung hat, anstatt zu dem bisherigen Unterricht, der sich mit Religion und solchen Dingen beschäftigte … Das wird man wahrscheinlich nicht mehr benutzen, wenn man nicht religiös ist. Deshalb denke ich, die neue Form ist nützlicher und relevanter.« (Südengland) 20 Ebd., 2015, 178.

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Theoretische Grundlagen

Theologie und Philosophie

Philosophie ist der Standardpartner der Ethik im Religionsunterricht. Die Philosophie wird seit Kurzem von den Religionslehrern bevorzugt, da oftmals eine negative Konnotation des Wortes »Religion« für junge Menschen (insbesondere nicht religiöse junge Menschen) besteht im Vergleich zur »coolen« Philosophie. In mehreren der erforschten Schulen wurde Religion als ein unpopuläres Fach angesehen, Philosophie hingegen galt als Attraktion, insbesondere, wenn es um Meinungen zu öffentlichen Auseinandersetzungen ging: »Die Menschen lernen nicht unbedingt, weil sie religiös sind, sie lernen, um eine philosophischere Sicht zu erlangen und um über aktuelle Themen zu debattieren, nicht über die tatsächliche religiöse Seite.« (Südengland)

Vielleicht: Ebenso wie ihre Lehrer werteten auch die Schülerinnen und Schüler die Verdrängung der Theologie und des Bibelstudiums durch die Philosophie im Religionsunterricht als Chance, bei Atheisten Interesse für den Religionsunterricht zu wecken und so einen Dialog mit ihnen zu ermöglichen, bei dem auch alternative, religiöse Perspektiven zur Sprache kommen. »Atheisten denken ›Oh Religion ist eine langweilige Sache, mit der wir uns nicht beschäftigen möchten‹ und ich denke, dass wir Philosophie betreiben, hilft den Atheisten – es bringt sie zum Nachdenken … sie akzeptieren Dinge dann mehr und mehr und sagen ›Oh, das ist, was du glaubst, ich verstehe deinen Standpunkt‹. Sie würden einem nicht notwendigerweise zustimmen, aber sie können den Standpunkt nachvollziehen und man selbst kann sich ihre Ansicht anhören.« (Südengland)

Gemäß dieser Perspektive kann eine philosophische Diskussion religiöse und nicht-religiöse Schülerinnen und Schüler zusammenbringen und zum gemeinsamen God-Talk führen: »Was sie dann tun, ist vor allem, Argumente für Gott und gegen Gott auszutauschen und über Wunder und solche Dinge zu sprechen.« (Südengland)

Und diese Art des »God-Talk«, an dem die Schülerinnen und Schüler beteiligt sind, hat die intellektuelle Präzision, die wir in der theologischen Diskussion suchen – die Schülerinnen und Schüler sprachen davon, dass sie mit Kopfschmerzen aus dem Philosophieunterricht gingen, weil sie so viel nachdachten.21 Allerdings würde ich vorschlagen, dass dieser God-Talk trotzdem Einschränkungen unterliegt, die die Entwicklung der Theologie junger Schülerinnen und Schüler hemmen. Es gibt eine Einschränkung des Begriffs »Gott«. Obwohl Gott ein Thema der philosophischen Debatte innerhalb und außerhalb des Klassenraums sein kann, ist der Gott, der diskutiert wird, oft nicht der Gott, den die Gläubigen kennen und verehren, sondern ein Gottesbegriff um der Diskussion willen. In seiner Anthologie der postsäkularen Philosophie weist Philip Blond auf die Bedeutung eines modernen Diskurses hin, nämlich dass ein personalisierter Gott in moralisierender Weise waltet.22 Dieses zeigt sich besonders im God-Talk nicht religiöser Jugendlicher. Gemäß Wallis’ Studie und auch in anderen For21 Diese Erfahrung wurde von Schülerinnen und Schülern einer Schule in Südengland berichtet. 22 As in Philip Blond (Hg.), Post-Secular Philosophy: between philosophy and theology, London 1998, 30.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

schungen ist der Gott, den die jungen Atheisten ablehnen, oftmals ein abwertender, kontrollierender, furchteinflößender Gott,23 der den individuellen Freiraum eingrenzt24 und so grausam ist,25 dass er Kinder in Indien sterben lässt.26 Daraus wird abgeleitet, dass kein allliebender Gott existieren kann.27 Zudem besteht das Problem der Erkenntnistheorie. Philosophieunterricht kann zwar ältere Schülerinnen und Schüler in kosmologische, teleologische und ontologische Diskussionen einführen. Allerdings zeigen die Kommentare der jungen Menschen ein generelles Vertrauen, empirische Beweise für die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes finden zu können. Diese Betonung spiegelt den Szientismus der neuen Britischen Atheisten wie Dawkins und der British Humanist Association, einer Organisation, die sich für ihre Philosophie einen eigenen Platz im Religionsunterricht erarbeitet hat. Die Auswertung der Fragebögen des REDCo Projekts und die daran anschließende Gruppendiskussionen haben gezeigt, dass es zahlreiche junge Menschen gibt, die Gott ablehnen aufgrund der Tatsache, dass es keinen Beweis für seine Existenz gibt, dass ihn niemand gesehen hat, dass wissenschaftliche Theorien biblische Erzählungen widerlegt haben und sie die Bibel deshalb ablehnen.28 »So wie diese biblischen Erzählungen nicht bewiesen sind, gar nicht bewiesen sind – und es kommen Dinge in den Nachrichten, die bewiesene, wissenschaftliche Theorien sind, und so realisiert man, dass es mehr Sinn macht, die Wissenschaft zu stärken als die Religion.« (Nordwestengland)

Viele von Wallis’ Forschungsteilnehmern und -teilnehmerinnen zeigen die gleiche

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Beschäftigung mit der Beweisbarkeit durch die Aufstellung einer simplen (und falschen) Dichotomie zwischen Wissenschaft und Religion: »Weil es für die Evolution so viele Beweise gibt, denke ich ›Oh, das muss wahr sein, es ist physikalisch nicht möglich, dass es nicht wahr ist‹. Aber die Leute sagen, ›Oh, das ist nicht wahr. Das war Gott‹ Und es scheint mir unmöglich zu ignorieren, dass Wissenschaftler so viel mehr bewiesen haben als der Glaube der religiösen Menschen es tut.«29 (West Midlands)

Ein anderer Schüler beobachtet, dass die Idee eines Gottes als »Lückenbüßer« immer seltener vertreten wurde, als diese »Lücken«, eine nach der anderen, durch wissenschaftliche Entdeckungen gefüllt wurden. Die Lücken, für die Gott benötigt wird, werden kleiner und kleiner und bald werde es überhaupt keine Lücken mehr für ihn geben.30 Die Unwahrscheinlichkeit der siebentägigen Schöpfung und der Geschichte von Adam und Eva31, die Unmöglichkeit, dass zwei Exemplare jeder Tierart auf eine Arche passen32 und die geringe Glaubwürdigkeit der biblischen Erzählungen wurden genutzt, um Zweifel an der Wahrheit des ganzen Gottes-Projekts aufzuwerfen:

23 Student from a school in Glasgow. 24 Wallis, Young Nones (wie Anm. 4), 228. 25 Ipgrave / McKenna (wie Anm. 15), 129. 26 Wallis, Young Nones (wie Anm. 4), 227. 27 Ebd. 28 Ipgrave / McKenna (wie Anm. 15), 126. 29 Wallis, Young Nones (wie Anm.4), 174. 30 Ebd., 173. 31 Ebd., 176. 32 Ebd.

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Theoretische Grundlagen

»Wenn dies Geschichten wären, die theoretisch so passiert sein könnten, dann würde ich sie vielleicht glauben, aber Jesus kann nicht von den Toten auferstanden sein, Moses kann nicht das Meer teilen und Jesus kann nicht Wasser zu Wein verwandeln – es ist nicht möglich. Also warum sollte ich dann daran glauben?«33 (West Midlands)

Gemessen an diesen Kriterien der wissenschaftlichen Erkenntnisse und seiner (Un-)Wahrscheinlichkeit wird Gott nur zu einem leeren Begriff. Religiöse Schülerinnen und Schüler drücken hingegen ihre Verärgerung über diese Enge des Gottesverständnisses aus, in Phrasen wie: »die Wissenschaft, die Wissenschaft, die Wissenschaft« und »wenn es Gott gibt, warum zeigt er sich dann nicht« sind routinemäßige Erwiderungen auf die Aussage, dass es einen Gott geben könnte. Sie erkennen eine Diskrepanz zwischen dem Thema der Diskussion (Gott, Glaube, Religion) und dem Diskurs (Wissenschaft, physikalische Beweise, »Sehen«), in den es aufgenommen wurde.34 Die Reaktion einiger Schülerinnen und Schüler war der Rückgriff auf eine Form des Fideismus, der die Methoden (empirische Beweise und Begründungen), die genutzt werden, um gegen die Existenz Gottes zu argumentieren, ablehnt. Auch wenn dabei das Risiko besteht, dass die Theologie als intellektuelle Reflexion irgendwo in der Mitte einer Kantianischen Kluft verloren geht. »Eine Sache, die die Menschen vergessen, ist, dass es bei Religion um Glauben geht, ohne sofort Quellen und Objekte um einen selbst zu haben, um durch diese eine Entscheidung zu treffen.« (Südengland) »Ich denke, viele Menschen sind zu rational in ihrem Denken.« (Südengland)

»Die Antwort auf die Atheisten ist Glauben / Ja, es ist gut, seinen Glauben zu haben. So einfach ist das.« (London) »Ich glaube einfach, ich glaube und ich weiß – ich lasse es zu, zu glauben, denn wenn du immer alles hinterfragst, dann geht es in der Religion nicht mehr darum, ich meine ›Selig sind, die nicht sehen und doch glauben‹.« (Edinburgh)

In ihrem Religionsunterricht und in den Diskussionen außerhalb des Klassenraums balancieren die Schülerinnen und Schüler oft an der Schnittstelle von Glauben und atheistischen Positionen. Der Glaube an Gott ist nicht die Plattform für die weitere intellektuelle Auseinandersetzung, sondern ein Streitpunkt. Wie ein Schüler über religiöse Diskussionen mit seinen Mitschülern / Mitschülerinnen sagte, thematisieren alle »Gott und seine Existenz« und viel von ihrem God-Talk scheint hinter der Frage, ob Gott existiert oder nicht, in Vergessenheit zu geraten. Es wird vom Religionsunterricht erwartet, dass die Schülerinnen und Schüler ihren eigenen Glauben erörtern – eine der Prüfungsfragen bestand darin, eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern die Frage beantworten zu lassen: »Gibt es Gott wirklich?« und »Was ist dein Glaube?« Die Gefahr dieses konfessionellen Ansatzes besteht darin, dass es, wenn die Schülerinnen und Schüler einmal eine negative Antwort auf die Frage nach der Existenz Gottes gegeben haben, auch 33 Ebd. 34 Beispielsweise wurden diese Frustrationen von Schülerinnen und Schülern aus Schulen in London, Südengland und Nordirland formuliert.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

nichts anderes Theologisches für sie gibt. Einige erklärten ihren Unglauben oder gaben an, dass einige ihrer Freunde der Grund für sie sind, nicht über Religion zu sprechen: »Ich glaube nichts davon« und »keiner meiner Freunde ist überhaupt sehr gläubig«.35 Andere sind daran interessiert, ihren Atheismus zu bekunden, ihr Mangel an Glauben (»Ich glaube einfach nicht«) war die finale Antwort in jeder Debatte.36 Von der Zurückhaltung der Nicht-Gläubigen, sich trotz ihres Unglaubens mit der Bibel auseinanderzusetzen, wurde an einer Schule berichtet. An dieser gab es (wahrscheinlich aus diesem Grund) eine aktuelle Änderung des Religionsunterrichts von der Bibelkunde zur Philosophie: »Einige Leute, die Atheisten sind, möchten nicht die Bibel lesen, und ich denke, sie fühlen sich dazu gezwungen.« (Südengland)

Diejenigen, die an Gott glauben, werden durch ihre positive Antwort bereits am Anfang des theologischen Lernens zurückgelassen. Es ist eine Basis, von der aus sie weitere Impulse brauchen, um weiter aufzusteigen. Die Forschung zeigte jedoch, dass sie kontinuierlich wieder zurückgezogen werden zu der Beschäftigung mit der Frage nach der Existenz Gottes und mit der »Wissenschaft versus Religion-Debatte«. Beispiele aus verschiedenen Schulen zeigen, wie es junge gläubige Menschen im Gespräch defensiv macht, sodass sie nicht so sehr auf ihren Gott bauen, sondern nur auf den »Nicht Gott-Protagonisten« antworten. In diesen Antworten greifen sie manchmal eher zu niedrigschwelliger Polemik als zu reflektierter Theologie. »Es ist schwieriger, sich auf Atheisten zu beziehen, weil man weiß, dass das Leben von

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Gott ausgeht, und sie bringen Mist hervor, wie dass wir von Tieren abstammen.« (London) »Ich mochte es wirklich, etwas über den Urknall und die Evolution zu hören, weil ich damit einfach nicht einverstanden bin. Ich denke, das ist einfach falsch und eine Menge Müll.« (Schottische Inseln)

Wie das Mädchen im letzten Zitat genießen manche der jungen Gläubigen die Möglichkeiten einer Debatte als Vorbereitung, um (wie sie es verstanden haben) ihren eigenen Glauben bei dieser Frage in der breiten Gesellschaft zu verteidigen. Das folgende Zitat stammt aus einer ländlichen protestantischen Gemeinde in Nordirland: »Unsere Lehrerin für Naturwissenschaft erzählte uns von dem Urknall und wir glaubten es nicht … und dann habe ich gesagt, dass ich glaube, dass Gott die Welt geschaffen hat, und eine Menge Leute unterstützten mich, und am nächsten Tag kamen die meisten von uns mit einer Bibel und wir waren alle bereit, unsere Sichtweise verständlich zu machen. Aber bei jeder Frage, die wir stellten, stellte sie eine andere Frage wie ›und woher wisst ihr, dass die Bibel real ist?‹ und dann haben wir gesagt ›weil Gottes Prophet sie geschrieben hat‹ und dann hat sie gesagt ›und woher wisst ihr, dass Gott real ist?‹ und es war sehr herausfordernd, denn wenn wir uns hinsetzten, um darüber nachzudenken, wurden wir mit diesen Fragen der anderen Leute konfrontiert … aber es war wirklich hilfreich, denn es hat mich erkennen lassen, wie ich in Zukunft auf so etwas antworten werde.« (Nordirland) 35 Ipgrave / McKenna (wie Anm. 15), 127. 36 Diese Haltung wurde bei Schülerinnen und Schülern einer Schule in Glasgow aufgezeichnet.

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Theoretische Grundlagen

Theologie und Identität

Ethik und Philosophie wurden im Religionsunterricht von Religionslehrer/ innen stärker berücksichtigt und von den Schülerinnen und Schülern als ein Versuch verstanden, sie mit einzubeziehen. Im Zuge der Säkularisierung führt dies jedoch zu der Annahme, dass religiöses Denken kein wichtiger Teil im Leben der Mehrheit ist und auch nicht sein wird. Die Form des Faches Religion wird weniger durch den Inhalt (von der Religion) als durch die empfundenen Erfahrungen, Interessen und Wünsche der Schülerinnen und Schüler bestimmt – dies stimmt überein mit einer Tradition von schülerzentrierter Pädagogik. Im britischen Religionsunterricht wurde die Unterscheidung von »learning about religion« und »learning from religion« genutzt, um einen kombinierten Fokus auf den Inhalt (learning about), auf die Schülerinnen und Schüler und auf ihre persönliche Entwicklung (learning from) zu lenken. Nach aktueller Einschätzung des Lehrens und Lernens innerhalb des Religionsunterrichts ist das »learning from«Ziel ein Geschenk, das jedoch gleichzeitig auch Schwierigkeiten mit sich bringt. Im offiziellen Inspektionsbericht aus dem Jahr 2013 stellten die Autoren die Neigung unter Lehrerinnen und Lehrern fest, die Selbstreflexion und Selbstbeobachtung ihrer Schülerinnen und Schüler vorschnell erzwingen zu wollen, bevor religiöse Inhalte und Konzepte begriffen worden sind. »Zu oft« wurde in dem Bericht festgestellt, »dachten Lehrer, sie könnten eher Tiefe in den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler bringen, indem sie sie einluden, zu reflektieren oder introspektiv über ihre eigenen Er-

fahrungen zu schreiben als konsequent ihre Religion oder ihren Glauben zu untersuchen und zu bewerten.37 Dieser Bericht ist voll von Hinweisen auf das »spärliche«, »oberflächliche«, »unzureichende«, »verzerrte«, »niedrigschwellige« und »schwache« Wissen über Religion, das dabei herauskommt. Die Förderung der Identität als Grundlage für das Lernen innerhalb des Religionsunterrichts verstärkt die Subjektivität und Individualität, wie verschiedene Forschungsprojekte über die Identitätsbildung junger Menschen herausgefunden haben, die die »Ich glaube an mich«Mentalität reflektieren.38 Unter vielen jungen Menschen in meiner eigenen und in der Wallis-Forschung konnte ein Impuls in Richtung Autonomie und das Vertrauen auf sich selbst als das Maß für eigene Handlungen, Glauben und Werte festgestellt werden. Es ist (um es mit den Worten des Soziologen Hervieu-Léger zu sagen) ein Impuls zur Selbstvalidierung.39 In diesem Prozess dachten jedoch manche der Befragten, dass Gott ihnen in die Quere kommt. Das wäre zu viel, um es auf der komplizierten Bühne ihres eigenen Lebens zu ertragen. »Wenn man ein Jugendlicher ist, versucht man, das zu finden, was man im Leben sein möchte und wer man sein möchte und des37 Ofsted, Religious Education: Realising the Potential, Manchester 2013, 14–15. 38 For example in Sally Collins-Mayo / Bob Mayo / Sally Nash /Christopher Cocksworth, The Faith of Generation Y, London 2010, 33. 39 Danièle Hervieu-Léger, Individualisation, the Validation of Faith, and the Social Nature of Religion in Modernity, in: Richard K. Fenn (Hg.), The Blackwell Companion to the Sociology of Religion, Oxford 2003, 161ff.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

halb ist es sehr schwierig, Religion an erster Stelle zu haben, das würde sich vielen Dingen in den Weg stellen.« (Südengland) »Man versucht, sich selbst zu finden und man möchte nicht wirklich auch noch Gott finden.« (Südengland) »Ich glaube, es gibt da etwas, aber konnte mich einfach nicht zu einem Menschen entwickeln, der alles glaubt. Ich denke nicht, dass ich in der Lage bin, einer Religion zu folgen.« (Kleinstadt in Schottland)

Andere argumentierten auf der Grundlage eines starken Selbstvertrauens und von dem fehlenden Bedürfnis nach Gott aus. »Ich verstehe mein Leben, ich weiß, wohin ich gehe, ich weiß, was ich tun möchte, und über Dinge, die in meiner Vergangenheit passiert sind – Ich brauche keinen Gott oder die Lehre über seine Wege, um mein Leben zu interpretieren. Ich denke, es geht mir so gut wie ich bin.«40 (West Midlands)

In dieser individualisierten Welt ist die Religion nichts, was man von der Gemeinschaft und Tradition empfängt, sondern etwas, das von dem Individuum für das Individuum konstruiert wird. »Es wird schrumpfen zu etwas wirklich, wirklich Kleinem, wie dass jeder seine eigene Idee hat, was passieren wird, wenn er stirbt, anstatt nur einem großen Mainstream-Ding zu folgen, wie dass es einen Gott oder Ganesha oder was auch immer gibt.« (Nordost­ england)

Wenn Aspekte unterschiedlicher Religionen innerhalb der Klasse und innerhalb einer religiös-pluralistischen Gesellschaft eingeführt werden, offenbaren einige Schülerinnen und Schüler

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die Bereitschaft, Elemente aus anderen religiösen Quellen anzunehmen, um eine eigene Sichtweise zu kreieren, die auf ihre eigenen Perspektiven und Verhaltensweisen zugeschnitten ist. Wie ein Junge sagt: »Ich bin eher die Person, die es mag, verschiedenen Dingen aus unterschiedlichen Religionen zu folgen …, weil es nicht wirklich die Religion ist, die ich mag, es ist mehr so, dass ich nicht an die Religion glaube, sondern ich mag es, verschiedene Teile der Religionen zu betrachten und zu schauen, ob sie zu der Art und Weise, wie ich lebe, passen.«41

Eine andere Schülerin erklärt, dass sie an die Aussagen »verschiedener Religionen« glaubt und schuf sich ein synkretistisches System des Jenseits aus einer Mischung verschiedener Ideen über Geister, Reinkarnation und Gericht. Auf diese Weise sind Religionen zu kulturellen Ressourcen geworden, aus denen junge Menschen, wenn sie sich dazu entscheiden, im Rahmen ihrer Identitätsentwicklung schöpfen können; sie sind, wie Grace Davie beobachtet, eher Objekte des Konsums als der Verpflichtung.42 Wenn, wie es scheint, dieser Ansatz von Religion unter jungen Menschen weit verbreitet ist, stellt sich die Frage, ob dies eine ausreichende Grundlage für anspruchsvolle Theologie bietet. Meiner Meinung nach ist das Potenzial dieses Ansatzes jedoch durch das Fehlen jeglicher geregelter Grundsätze mit Ausnahme von persönlichen Präferenzen, um 40 Zitat aus Wallis’ Daten, welches jedoch nicht in seiner Arbeit verwendet wurde. 41 Wallis, Young Nones (wie Anm. 4), 178. 42 Grace Davie, The Sociology of Religion, London 2007, 96f

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Theoretische Grundlagen

das Denken zu stimulieren und strukturieren, begrenzt. Wenn es kein externes, validierendes Prinzip gibt, wenn jeder seine eigene Idee hat, ohne sich auf andere zu beziehen, dann ist keine Konversation mehr nötig; dann gibt es kein gemeinsames Problem zu lösen und jede Antwort würde ausreichen. Kommunale Theologie

Subjektivität und Individualisierung sind nicht die einzigen Themen junger Menschen und Religion. Im Kontrast zu den Schülerinnen und Schülern, deren Ansichten wir untersucht haben, gibt es junge Menschen, die ihre Identität in ihrem Glauben finden und die zur Bestätigung auf ihre Religion und auf ihren Gott schauen. Wie es ein muslimischer Schüler ausdrückte: »Religion ist deine Identität und im Grunde gilt sie in allen Aspekten deines Lebens – deinem Familienleben, deinem Schulleben, deinem sozialen Leben – den ganzen Weg vom Anfang bis zum Ende.« (Birmingham)

Die Idee, nichts in sich selbst zu sein und nur etwas durch Gott zu sein (wie es von diesem christlichen Mädchen ausgedrückt wird), ist weit entfernt von dem Prinzip des Selbstvertrauens in den vorherigen Zitaten: »Du denkst, du bist jemand, du bist derjenige, mit der ganzen Kraft – während für mich persönlich die Zeiten in denen ich am schwächsten bin, die Zeiten sind, in denen ich die Kraft Gottes am meisten spüre. Denn dann realisiere ich, dass es nichts gibt, was mir Gott mehr bewusst macht.« (Nordirland)

Das Spiegeln dieser Kombination des Glaubens und die Suche nach einem besseren Verständnis, das ist Anselms Definition von Theologie. Schülerinnen und Schüler, die einen festen Glauben an Gott ausdrückten, haben ebenso Lücken in ihrem Wissen über ihre Religion erkannt und haben das Verlangen, mehr herauszufinden durch Fragen, Reflektieren und den Rückgriff auf respektierte Autoritäten, nicht zuletzt wegen des Wunsches, sich nach der Religion zu richten. »Gott zu gefallen« oder »wie Gott zu sein« erfordert Wissen über Gott und seine Absichten. Wie ein muslimischer Schüler sagte: »Als Jugendlicher hat man kein vollständiges Verständnis der eigenen Religion und man braucht ein wirklich gutes Verständnis, um religiöser zu werden.« (Birmingham)

Christliche und muslimische Schülerinnen und Schüler, die für die REDCo Studie interviewt wurden, sprachen von der Stärkung ihres Glaubens durch ein besseres Verständnis ihrer Religion (insbesondere ihrer Schriften), durch Phasen der Reflexion und durch Entscheidungen über Glaubenspraxis in ihrem Leben.43 Ein muslimischer Schüler sprach von den geistigen Auswirkungen des religiösen Lernens. »Religion ist, wie wenn du etwas wissen willst und wenn du eine Sache lernst, es hält für Stunden an und gibt dir ein spirituelles Gefühl und man hat tatsächlich das Gefühl, dass man nah bei Gott ist und man fühlt, man ist nah bei etwas und man weiß, wer man ist.« (Birmingham)

In diesen Fällen bauten die Schülerinnen und Schüler auf Gott und auf die Tradi43 Ipgrave/McKenna (wie Anm. 15), 126.

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

tion als Orientierung dafür, was sie glauben und wie sie handeln. Ein Ergebnis ist der Wert der Gemeinschaft als ein Kontext, in dem GodTalk zu Theologie werden kann. In einigen Fällen war es der evidente Mangel an so einer Gemeinschaft, der diesen Befund bestärkt. »Ich denke, dass die Menschen nicht wirklich ihren Glauben zum Ausdruck bringen, weil es nicht passt – wenn ihre Freunde nicht glauben, dann werden sie nicht wirklich viel darüber reden, weil es niemand verstehen würde oder nachvollziehen könnte, was sie sagen.« (Ostschottland)

Solche Fälle sind ein Kontrast zu der Situation einer überwiegend muslimischen Schule in Nordengland, in der die Schülerinnen und Schüler über die häufig diskutierten Fragen ihrer Religion sprechen: »Ich finde diese Gespräche sehr interessant aufgrund der Tatsache, dass wir alle Geschichten und alles Wissen miteinander teilen, etwas, das die anderen noch nicht wissen.« (Nordengland)

Sie schrieben darüber, voneinander etwas kennenzulernen, sowohl die »Gedanken und Überzeugungen« ihrer Religion als auch einander zu hinterfragen, ob sie »unsicher in einem bestimmten Bereich des Islams« sind. Sie erkannten, beides zu teilen bedeutet wachsendes Bewusstsein für die innere Vielfalt ihres Glaubens. Ebenso berichteten Schülerinnen und Schüler einer Pentecostal Schule in London, die auch eine hohe Anzahl religiöser Schülerinnen und Schüler verzeichnet, über ihre Gespräche über die Religion und dass es gut war, religiöse Ansichten mit anderen zu teilen, die »sich für die selbe Sache interessieren«.44 Andere Bei-

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spiele sind Gespräche zwischen Schülerinnen und Schülern einer Nordirischen Schule. »Wenn man etwas Interessantes in der Bibel findet, teile ich es mit meinen Freunden und so.« (Nordirland)

Diese Fälle unterstreichen die Wichtigkeit theologischer Diskussionen für den Kontext einer mitfühlenden und vor allem mitdenkenden Gesellschaft und einer gemeinsamen Plattform der Verständigung, während es ebenso Raum für Diversität in der Interpretation gibt. Die Gemeinschaft kann auch generationsübergreifend sein. Ein Schüler berichtete über eine theologische Diskussion mit seiner Mutter: »Wenn ich alleine zuhause bin, frage ich meine Mama, um zu versuchen, in meine Religion einzutauchen, also jedes Mal, wenn ich meiner Mama eine Frage stelle, geht es tiefer und tiefer und es gibt neue Dinge zu entdecken.« (London)

Eine andere Schülerin, eine Hindu, sprach von Gesprächen über Religion mit ihrem Großvater. In solchen Interaktionen finden junge Menschen die religiöse Sicherheit durch Gruppen. In ihrer Studie über den Glauben junger Menschen innerhalb eines kirchlichen Jugendclubs erläutern Sylvia Collins-Mayo und ihre Kollegen, dass Selbstvergewisserung alleine nicht die Beständigkeit liefert, die für eine Sprache benötigt wird, die robust genug ist, um über Gott zu sprechen und nicht nur zu Vorlieben und Meinungen tendiert.45 So postulieren sie 44 Ipgrave / McKenna (wie Anm. 15), 128. 45 Sylvia Collins-Mayo et al., (wie Anm. 38), 101.

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Theoretische Grundlagen

die Gemeinschaft als eine Voraussetzung für Theologie. Aus meiner Forschung heraus biete ich zwei weitere Beispiele, in denen die Gemeinschaft junger Menschen mit dem gemeinsamen Interesse an Religion absichtlich geschaffen wurde, sodass eine theologische Diskussion stattfinden könnte. Diese Gelegenheiten für eine theologische Diskussion wurden außerhalb der Schule und außerhalb des Lehrplans geschaffen. Eine Möglichkeit ist eine Jugendkirche in der Tradition der Pentecostal, die von den Schülerinnen und Schülern einer Londoner Schule besucht wird – Jugendkirchen, so behaupten die Schülerinnen und Schüler, wissen sehr gut, wie sie junge Menschen zur theologischen Diskussion ermutigen, »es ist einfach interessant, sie kennen eine Art, uns mit einzubeziehen«. Diese bestimmte Sitzung, von der die Gruppe berichtet, bestand aus einer hitzigen Debatte über Engel: »Und das Thema war in etwa ›haben Engel einen freien Willen?‹ / Nein, haben sie nicht, sonst wären sie keine Engel.« (London)

Eine andere Möglichkeit war das Treffen der »Christian Union« in einer Schule, in der religiöse Schülerinnen und Schüler sehr stark in der Minderheit waren und die Schwierigkeiten schilderten, die sie beim Sprechen über Religion in einem feindlichen Klima hatten. Sie berichteten über die Sitzung der vorherigen Woche, die eine Tiefe an theologischem Engagement und den Wert eines gemeinschaftlichen Settings, um diese Tiefe zu erreichen, zeigte. »Am vergangenen Freitag war das Thema ›Wer ist / wer war Jesus?‹ und wir sind einige Passagen durchgegangen – ich denke es war

Johannes, Kapitel 1, bis irgendwo zu Vers 14, und die Frage, wie Gott das Wort ist und Gott das Wort war und das Wort bei Gott war – und es war sehr interessant, es war sehr schwierig zu verstehen, aber es lässt einen im Inneren sehr tief nachdenken und deshalb denke ich, dass es mir sehr viel geholfen hat und deshalb denke ich, dass es uns Zwölf zusammenbringt, anstatt nur alleine zu sein und auf eigene Faust zu kämpfen, man kann mit anderen diskutieren, sie und ich – wir hören gegenseitig unseren Meinungen zu, hören den Meinungen anderer zu und bilden mehr Meinungen und Urteile, deshalb finden wir es sehr nützlich.« (Südengland)

Abschließende Worte

Diese Arbeit begann mit einem Problem – der weit verbreiteten »religious illiteracy« in einer Gesellschaft, in der religiöses Verständnis dringend benötigt wird. Und sie begann mit einer Hoffnung – dass Jugendtheologie ein Weg sein könnte, dieses Defizit zu verstehen und für die Zukunft zu begreifen. Ein weiteres Problem, das bei Religionslehrern/innen in Großbritannien aufkam, war die Negativität oder das mangelnde Interesse junger Leute an Religion, was, obwohl dies keinesfalls allgemeingültig ist, einen Einfluss auf viele Religionsstunden hat. Versuche, das Interesse der Jugendlichen zu wecken und ihnen die Freiheit zu geben, ihren eigenen Weg zu konstruieren, so wurde argumentiert, haben nur begrenzt die Möglichkeiten der theologischen Einstellungen und des Verständnisses verbessert. Die vielversprechenden Räume für theologische Aktivität und Entwicklung scheinen kommunale Settings zu sein, bei denen die Teilnehmer/ innen von der gleichen Basis ausgehen,

Ipgrave Der Stellenwert der Theologie im Umgang Jugendlicher mit Religion

anstatt antagonistische Begegnungen von Gläubigen und Nicht-Gläubigen zu veranstalten, von denen junge Menschen berichteten. In unserer religiös-pluralistischen und säkularen Gesellschaft scheint es keine Lösung für unseren religiösen Analphabetismus zu sein, alle theologische Aktivität in einer homogenen, konfessionellen Gruppe zu kanalisieren. Daher würde ich am Ende gerne zu der Idee zurückkehren, die ich bereits zu Beginn angestoßen habe: dass der theologische Dialog unter

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der Annahme der Existenz Gottes, ohne dieser zuzustimmen, funktionieren könnte. Vielleicht: »Wenn Gott existiert, wie kann dann … oder was … oder warum …?« Oder: »Wenn Gott allliebend und allmächtig ist, wie, was und warum …?« Oder: »Wenn wir alle nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurden, wie, was, warum …?« und so weiter. Vielleicht liefern Fragen wie diese einen Ausgangspunkt für ein Gespräch mit ausreichender Offenheit oder sie stellen Rätsel, die aktuelles Wissen und Verständnis erfordern und Raum geben für eine Vielfalt von Antworten.

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Theoretische Grundlagen

Gordon Mitchell Theologisieren in der Kunst. Religionspädagogik der Vielfalt

Abstract

Eine wertvolle Voraussetzung für theologische Reflexion ist eine offene, ungezwungene Lernumgebung. Eine von Vorurteilen befreite Gleichheit entsteht besonders bei Aktivitäten, die unbekannt sind und herausfordern. Ein solches Format bietet die Kunst. Sie macht es möglich, durch Liminalbereiche Fragen aufzuwerfen, zu experimentiern und zu reflektieren. Der Theologe Paul Tillich argumentierte oft, dass sich die Künste wesentlich besser zu theologischer Reflexion eignen als von Theologen1 verfasste Texte. Für ihn ist ein ›religiöses‹ Kunstwerk nicht unbedingt ein solches, dass religiöse Symbole enthält, sondern ein jedes, das sich intensiv mit den fundamentalen Problemen menschlicher Existenz befasst. Diskutieren lässt sich darüber, ob die Beziehung zwischen existentiellen Erfahrungen und dem künstlerischen Produkt immer so offensichtlich ist, auch für die Künstler selbst, auf die Tillich verweist. Sagen lässt sich jedoch, dass Kunst ein Weg sein kann, Erlebtes zu reflektieren, und ein Ort, der andere dazu anregt, sich mit den großen Fragen der menschlichen Existenz zu befassen. Wertvolle Gedanken sowie soziale Prozesse können in der Kunst entstehen, und Lehrende sind zu der Erkenntnis gelangt, dass Kunst ein Forum zum Philosophieren2 und Theologisieren3 bietet. An dieser Stelle ist es möglich, ungeklärte Fragen auszubalancieren, zu

erforschen und starke Gefühle und Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen. Im Bereich der pädagogischen Literatur findet sich oft ein bestimmter Punkt – das produktive Aufgreifen solcher gemeinsamen Momente der Unvollständigkeit und Transzendenz, die aus der Konfrontation mit den großen Fragen der Menschheit resultieren. Kommunikation im Bereich der Bildung ist das, was sich zwischen Menschen verschiedener Hintergründe vollzieht, wenn diese gemeinsam neue Wege erkunden. Ohne behaupten zu wollen, dass dies die beste oder gar einzige Möglichkeit sei, Religion zu lehren, möchte ich einige Experimente vorstellen und anschließend theoretisch über diese nachdenken, indem ich mich auf die Bildungsphilosophie John Deweys berufe. »Arts-based inquiry«

Im Sommer des Jahres 2008 lernte ich zwei junge Künstler in Cape Town kennen, die Zwillinge Hasan und Husain 1 Paul Tillich, Existentialist Aspects of Modern Art, in: Carl Michalson (ed.), Christianity and the Existentialists, New York 1956. 2 Barbara Brüning / Ekkehard Martens, Anschaulich philosophieren. Mit Märchen, Fabeln, Bildern und Filmen, Weinheim 2007. 3 Guido Martin, Malen als Erfahrung – Kreative Prozesse in Religionsunterricht, Gruppenarbeit und Freizeiten, Stuttgart 1977.

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Essop. In dieser Phase ihrer Karriere wählten sie zunächst einen passenden Ort aus, positionierten eine Kamera mit Stativ und begannen damit, sich selbst abwechselnd in verschiedenen Positionen zu fotografieren. Da der Hintergrund bei diesen Fotoaufnahmen stets derselbe bleibt, ist es möglich, die Bilder später übereinander zu legen. Die Resultate sind verschiedene Bilder einer Person, die miteinander interagieren, so wird mit umstrittenen Bereichen der Identität und Macht gespielt. Das besagte Treffen ereignete sich zu einer Zeit, in der ich nach Wegen suchte, Kunst als Anregung für interkulturellen und interreligiösen Austausch zu nutzen. Und die Kunst dieser beiden Männer schien sich hervorragend für meine experimentelle Arbeit zu eignen. Ich lud sie ein, nach Hamburg zu kommen, um ihre Werke auszustellen und Workshops anzubieten. Auf diesem

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Weg entstand ein Modell, das ich in meiner Arbeit immer wieder verwendete.4 Eines ihrer frühen Werke trägt den Namen »Fast Food« und zeigt einen Sonnenuntergang an Cape Town’s Clifton Beach zu Ramadan. Ein und dieselbe Person verschlingt gierig Nahrung, betet gehüllt in eine weiße Robe gen Mekka, genießt den Strand als Bollywood Charakter und versucht sich zu entscheiden, ob die Fastenzeit lieber mit Chips oder traditionell mit Datteln gebrochen werden sollte. Für jemanden, der Menschen bevorzugt in die Kategorien »religiös« oder »säkular« unterteilt, ist dies äußerst verwirrend. Zur Zeit der Apartheid war Clifton Beach ausschließlich Weißen vorbehalten. Heutzutage dient er als internationale Spielwiese der Superreichen: Einheimische, nicht weiße oder religiöse Menschen fühlen sich demnach dort oft fehl am Platz.

Abb. 1: Hasan & Husain Essop, Fast Food 4 Weitere Informationen siehe: http://blogs.epb. uni-hamburg.de/artpeaceproject/.

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Theoretische Grundlagen

Die Bilder zeigen meist umstrittene Orte oder erlangen ihren kontroversen Charakter durch die dargestellten Szenarien. Sie tragen außerdem große Widersprüchlichkeit in sich. Merkt der Betrachter jedoch, dass es sich immer um dieselbe Person handelt und diese lediglich verschiedene Kleidung trägt, wird es deutlich schwerer, Partei zu ergreifen oder vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Globale Konflikte werden etwa durch palästinensische Schals, weiße Roben oder aber amerikanische Flaggen aufgeworfen. Ein und dieselbe Person kann eine Seite vertreten und die andere ebenfalls, sie kann Protagonist, Gegner oder aber lediglich ein interessierter Zuschauer sein. Eines der Bilder, das in Kuba aufgenommen wurde, befasst sich mit dem Stereotyp, dass junge religiöse Muslime gefährlich sein. Das Bild zeigt sie begeistert für ein paar rostige Raketen aus der Zeit des kalten Krieges. Die Werke der Brüder haben etwas Südafrikanisches an sich. Apartheid kategorisiert Menschen anhand äußerlicher Charakteristika. Ihre Gegner verhöhnten und verhöhnen noch heute jene Vereinfachung und betonen stattdessen fließende und konstruierte Identitäten als Realität, als Ideal und als Spiel. Wie auch Sprache beschreiben die Bilder nicht so sehr eine Identität, sondern sie kreieren vielmehr eine neue, andauernde und daher trügerische Realität. Teilnehmerinnen und Teilnehmer der angebotenen Workshops sind hauptsächlich jung und ohne bestimmte Vorerfahrung im Bereich Kunst. Das Format ist mehr oder weniger das einer Kunstakademie, an der Individuen zwar eigene Werke produzieren, jedoch in ständigem Austausch mit erfahreneren Künstlerinnen und Künstlern sowie mit ande-

ren »Laien« stehen. Zur Zeit der Filmaufnahmen haben Teilnehmende meist bestimmte Pläne und Vorhaben bereits miteinander und mit den Künstlern abgestimmt. Sie positionieren eine Kamera an dem ausgewählten, meist kontroversen Ort und schauen durch die Linse. Der Schauplatz ist nun abgesteckt und wird zur Bühne, auf der verschiedene Positionen und Posen geübt werden. Die Kommunikation zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und der Person hinter der Kamera vollzieht sich üblicherweise sehr natürlich. Kommen die Dinge erst einmal ins Rollen, zeigt sich schnell ein Anstieg der Gruppensolidarität. Während des Kostümwechsels bietet die Gruppe freundschaftlichen Schutz und sorgt ebenfalls dafür, Schaulustige auf Abstand zu halten. Während des ersten Workshops war lediglich eine Kamera für sechzehn Fototermine verfügbar. Weder die Gruppengröße noch der zusätzliche Zeitaufwand konnten die Intensität dieses gemeinsamen Prozesses mindern. Eine Beteiligung an gegenseitigen Projekten ist garantiert und alle Beteiligten zeigen großes Interesse an der Kreativität und der Risikobereitschaft ihrer Gegenüber. Auf Grund des ständigen spielerisch vollzogenen Rollenwechsels besteht die Freiheit, mit verschiedenen Arten des Seins und des Ichs zu experimentieren. Obwohl die Bilder meist einen sehr persönlichen Charakter haben, besteht die Bereitschaft, diese auf einer Metaebene zu diskutieren. In einem der Workshops, die eine Mischung aus Schule und Universität sind, erstellte einer der jüngeren Teilnehmer ein Bild mit dem Titel »Ein Eric ist nicht genug«, das gegen den Gebrauch von Stereotypen protestiert. Als einer der aktivsten

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und talentiertesten Graffiti-Künstler Hamburgs hatte er bereits Erfahrung mit sozialer Ausgrenzung und Vorurteilen, sowohl im Schulsystem als auch im Justizwesen. Während seiner Arbeit im Workshop wollte er weder ausschließlich als unsozialer Teenager noch als unschuldiges Opfer gesehen werden. Sein Bild konfrontiert den Betrachter vordergründig mit einer übertrieben gefährlichen Darstellung seiner selbst. Im Zentrum des Bildes liegt er alkoholisiert auf einer Treppe, während er neben sich selbst sitzt und eine rote Rose hält. Am oberen Ende der Treppe greift er sowohl einen Briefträger als auch einen Hund an! Die linke Seite des Bildes zeigt ihn im Handstand mit ausgestreckten, in verschiedene Richtungen zeigenden Beinen. Viele andere Workshops haben sich der Fotografie bedient. Ein solcher fand im Sommer 2014 in Tbilisi, Geor-

Abb. 2: Stalin, Nika Gogichaishvili

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gien, statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelten Konzepte zu bestimmten Themen, die sie in ihren Kunstwerken aufgreifen wollten. Durch die Abbildung der eigenen Person im Kunstwerk wurde dies für viele gleichzeitig zu einem persönlichen Statement. Der Schauplatz des Bildes wurde persönlich ausgewählt und hat auch hier oft einen kontroversen Charakter. In dem unten aufgeführten Bild wählte Nika Gogichaishvili den Saloon in Stalins gepanzertem Eisenbahnwaggon als Schauplatz, der direkt neben seinem Geburtsort in der Stadt Gori steht. Als in einem nahen Museum die verblüffende Ähnlichkeit Nikas zu Stalin auffiel, war ihm dies zunächst äußerst unangenehm. Das Bild zeigt ihn vor einem großen Spiegel stehend. Er betrachtet sein Spiegelbild und sieht dabei nicht nur sich selbst, sondern auch die Gesichter seiner

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Theoretische Grundlagen

Opfer. Er beschreibt seine Gefühle in einem Text, den er für die spätere Ausstellung anfertigte: ›Es ist stets schwierig, die politische Vormachtstellung mit Kunst zu verbinden, oder aber das Gefühl in sich selbst zu kreieren, man stünde kurz davor, die gesamte Welt zu zerstören. Für mich war der interessanteste Teil daran, Stalin zu sein, ein Gedanke: nämlich, dass wir wahrscheinlich jenes Gewaltpotenzial in uns tragen. Ich glaube, dass Liebe Angst erschafft …, jemanden oder einen Gedanken zu verlieren … nun habe ich herausgefunden, dass Angst Liebe erschafft … Du willst kämpfen?! Fühle den Triumph, dich selbst zu besiegen.‹

Die erstellten Kunstwerke sind das Produkt eines intensiven Dialogs mit sich selbst und mit anderen. Filmaufnahmen, die die Zusammenarbeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen, machen sehr deutlich, dass sich auch auf sozialer Ebene viel vollzieht. Die gegenseitige Erarbeitung von Konzepten und die Aufnahmen der Bilder werden mit einer Mischung aus Neugierde und Kameradschaft beobachtet und mit Rat und Tat begleitet. Ebenso werden die Endresultate gemeinsam gefeiert. Dieser Grad an Beteiligung ermöglicht es jedem, sowohl das eigene Kunstwerk als auch das der anderen mit Autorität zu diskutieren. Kunst ermöglicht es Menschen, eine vielseitige Beziehung zu religiösen und anderen Wertvorstellungen auszudrücken und existenzielle Fragen auszubalancieren, ohne sie zu einem Abschluss zu bringen, beziehungsweise die eine Antwort zu finden. Kunst wie diese ist von Anfang an ein Dialog mit verschiedenen antizipierten Betrachtern. Teilnehmende werden durch die Ausstellung

ihrer Kunst positiv bestärkt und lernen von den künstlerischen Prozessen aller Beteiligten. Sie üben sich außerdem darin, Ideen kritisch zu würdigen und eine solche kritische Würdigung zu empfangen. All dies hilft ihnen dabei, ein tiefer gehendes Verständnis für die großen Fragen der menschlichen Existenz zu entwickeln. Jedoch geschieht dies nicht immer, und es gibt durchaus Workshops oder Teilnehmende, bei denen sich überhaupt nichts ereignet oder vollzieht. Uns beschäftigt nun die Frage, warum Kunst das Paradox menschlicher Existenz derart hervorbringt. Drei mögliche Faktoren kommen mir hierbei in den Sinn: der Raum für spielerisches Experimentieren, das Zusammentreffen von sehr unterschiedlichen Menschen sowie manchmal die verwirrende Funktion des Schauplatzes selbst. Viktor Turner verwendet in seiner Forschung zur Wechselbeziehung zwischen Ritual und Performanz den Begriff der »Liminalität«, um einen kurzweiligen Zustand zu beschreiben, in dem das Individuum zu einer anderen Person werden kann.5 Spinnt man diese Metapher weiter, bedeutet dies, dass Künstler als »ritual specialists« gesehen werden, deren Autorität nicht bloß aus einem professionellen Bewusstsein ihrer selbst oder aber ihrer öffentlichen Rolle herrührt, sondern in ihrer großen Erfahrung in diesem Liminalbereich gegründet ist. Die ästhetischen Räume, über die solche »ritual specialists« verfügen, werden zu einem Bereich, in dem es möglich ist, Gefühle 5 Victor Turner, Von Religion zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1989.

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der Empörung oder aber des utopischen Verlangens auszudrücken: Ein Ort, an dem Dinge gesagt werden, die sich sonst nur schwer in Worte kleiden lassen. Er ermöglicht Momente der Selbstbestimmung. Neulinge verlassen den Workshop in einem Zustand der Überwältigung und Erschöpfung zugleich. Möglicherweise spricht die besondere Qualität der dort geformten sozialen Beziehungen für einen Zusammenhang zwischen »Liminalität« und »Gemeinschaft«, ein Gedanke auf den Turner aufmerksam macht. Auch wenn die rituelle Metapher überzogen ist, besteht wenig Zweifel daran, dass die experimentelle spielerische Atmosphäre des ästhetischen Raumes ein ungewöhnliches Lernumfeld bietet. Verschiedene Rollen können ausprobiert, verändert und verworfen werden. Die Möglichkeit, das gesamte Geschehen zu einem Versteckspiel werden zu lassen, kann eine wundervoll befreiende Wirkung haben. Teilnehmende schlüpfen für ein paar Tage in die Rolle von Künstlern und erfahren so die Intensität kreativer Arbeit. Anschließend sind sie angehalten, als Forscher zu agieren und ihre Erlebnisse zu reflektieren. Dabei scheint der vorübergehende Charakter der Erfahrung eine Rolle zu spielen. Die Struktur und Atmosphäre betreffend folgen die Workshops dem Format einer Kunstakademie. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bedienen sich nicht nur der Kunst, sie werden vielmehr vorübergehend zu Künstlerinnen und Künstlern und erhalten dabei professionelle Unterstützung. Erwartet wird ein Produkt, das ausstellungswürdig ist. In der Gegenwart tatsächlicher Künstler zu sein, die den Anspruch stellen, echte Kunst zu produzieren, fordert Teilnehmende auf eine

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Art und Weise, die vielen neu ist. Die Künstlerinnen und Künstler, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, waren ohne Ausnahme in der Lage, Menschen an die Spannungsfelder der Gesellschaft und der menschlichen Psyche zu bringen. Eben an diesem Ort der Instabilität, des Risikos und des Tabus entschlossen sie sich zu arbeiten. Im Gegensatz zu den meisten professionellen Pädagogen schienen sie keine Angst vor Emotionen zu haben. Künstler sind erfahren darin, tief in sich selbst und in die sie umgebende Welt zu horchen, auf Grund dessen sie in der Lage sind, Erkenntnis und Leidenschaft zu vermitteln. Mit Hilfe von Energie, Humor und Integrität wird eine Umgebung geschaffen, in der Teilnehmende Themen erforschen können, die sie beschäftigen, mögen diese auch manchmal schmerzhafter Natur sein. In Mitten der Heiterkeit findet sich eine enorme Ernsthaftigkeit. Wo sehr unterschiedliche Menschengruppen zusammen geführt werden, kann Fremdheit zu einem wichtigen pädagogischen Instrument werden. Wir lehren nie direkt, sondern indirekt durch eine strukturierte Lernumgebung. Um die Bedeutung eines Erlebnisses zu definieren, müssen auch die Erfahrungen anderer Menschen bewusst einbezogen werden. Lernen erfolgt durch Austausch und je größer die menschlichen Unterschiede sind, desto größer ist der nötige Aufwand, um Reaktionen absehen zu können und jemanden zu verstehen, der völlig andere Lebenserfahrungen aufweist. Neue Erlebnisse fordern zum Nachdenken auf. Ungewöhnliche Aktivitäten, Menschen und Orte können außerdem dazu beitragen, festgesetzte Denkmuster aufzubrechen. Heteroge-

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ne Orte sind »the space that claws and gnaws at us«.6 Was mag dort bereits geschehen sein und wie fühlen wir uns deshalb? Wem gehört dieser Ort und wie denkt er beziehungsweise sie über unser Eindringen? Dies ist das Rohmaterial künstlerischer Prozesse. Die untere Szene entstand ebenfalls während eines Workshops in Tbilisi.

Abb. 3: Assaf Quazbanov, The bigger punishes the smaller

Die Metekhi-Brücke erstreckt sich über den Fluss Mtkvari. Sie ist eine der bekanntesten Touristenattraktionen der Hauptstadt. Jedes Jahr im November versammeln sich dort Bewohner zu einer von der Georgischen Kirche organisierten Zeremonie, die der hunderttausend Märtyrer gedenkt, die dort angeblich umgekommen sind. Dies waren laut Tradition diejenigen, die sich weigerten, ihren christlichen Glauben zu leugnen, als die Stadt im Jahre 1226 durch Sultan Jalal ad-Din eingenommen wurde. Das Wasser des Mtkvari färbte sich, so wird berichtet, rot mit ihrem Blut. Diese Szenerie wählte Assaf Quazbanov, ein Student aus Aserbaidschan, für seine Darstellung menschlicher Tücke und Brutalität »wie Tiere im Wald« (like animals in the forest). Hier wird sich ganz offensichtlich mit Fragen

auseinandergesetzt, die Menschen beschäftigen. Es lässt sich nur vermuten, welche Gedanken und soziale Prozesse sich in der Entstehungsgeschichte solcher Kunst finden lassen. Die Workshops gliedern sich in drei Abschnitte: Forschung, Ausstellung, Reflexion. Die Reflexion ist zu einem großen strukturellen Teil der Workshops geworden, etwas, das beinahe rein zufällig passiert ist. Ein Verständnis von Forschung, das Teilnehmende als Subjekte und nicht als Objekte der Forschung sieht, bedeutet, dass Reflexion zu einem wichtigen Teil eines jeden Lernprozesses wird. Gegen Ende eines normalen drei- bis fünftägigen Workshops werden zuvor aufgenommene Bilder, die Gruppenaktivitäten der vorherigen Tage zeigen, auf Gedanken und Gefühlsprozesse hin untersucht. Die Methode der »photo-elicitation«7 wird dabei verwendet, um über den Lernprozess nachzudenken. Dies stellte sich als äußerst lebhafte Lernerfahrung heraus und nimmt mittlerweile beinahe ein Drittel der Workshop-Zeit in Anspruch. Die Kunstwerke selbst dienen als ständige Erinnerung an Momente der Unsicherheit und des Mutes, der Wärme und der Entfremdung. Solche Übungen in Abstraktion und Synthese sind mehr als nur routinierte Wirkungsuntersuchungen, sie sind vielmehr zentral für den Workshop selbst. Verweise

6 Michel Foucault, Von anderen Räumen (1967), in: Jörg Dünne / Stephan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2006. 7 Douglas Harper, Talking about pictures: a case for photo elicitation, in: Visual Studies 17 (2002), 1, 13–26.

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auf theoretische Literatur sind außerdem Bestandteil der Workshops und eignen sich als Instrument der Distanzierung und Analyse. Diskussionen über Texte, die zuvor gelesen wurden, ereignen sich somit in einem klar abgegrenzten wissenschaftlichen Raum. Nicht bei jedem vollzieht sich dies auf gleiche Art und Weise, es ist dennoch möglich, ein Muster zu erkennen.

Abb. 4: Prozess Photo, Georgien 2014

Reflexion ist ein bewusster Prozess, der verlangt, einen Schritt zurück zu treten, um uns selbst besser beobachten zu können. Indem wir zu Forschern unserer eigenen Erfahrungen werden, sehen wir uns selbst in einem anderen Licht und bedienen uns neuer Möglichkeiten, um unsere Situation zu beurteilen. Diese Losgelöstheit ermöglicht es uns, uns selbst dabei zuzusehen, wie wir Kunst produzieren, und festzuhalten, wie die intensive und fokussierte Beobachtung und Interpretation unserer Umgebung in diesen Prozess einfließt. Es ist der Ausgangspunkt künstlerischer Arbeit, der eigenen Erfahrung mit der Welt zugleich begeistert und besorgt gegenüber zu stehen. Ernsthafte Kunst strebt demnach nicht danach, klare Antworten zu geben, sondern fordert sein Publikum immer wieder aufs Neue he-

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raus. Einer der Gründe für die Lern­ effektivität von künstlerischer Arbeit scheint ihr direkter Zugang zu den von Menschen als wichtig erachteten Fragen zu sein. Zusätzlich bietet sie eine Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten und sorgt außerdem für Komplexität und Emotionen. Lernerfolge lassen sich nur schwer vorhersagen, dennoch scheint es, dass Kunst die Tendenz hat, den Themen menschlicher Existenz mehr Platz einzuräumen. Dies zu begründen, wäre nun hilfreich, und an dieser Stelle bietet es sich an, zu der Frage zurückzukehren: Inwieweit oben beschriebenes künstlerisches Arbeiten als Theologisieren bezeichnet werden kann. Es gibt verschiedene Ansichten darüber, was Theologie ausmacht und Karl Barth würde anders antworten als Paul Tillich! Ist das Kriterium, dass sich ein Kunstwerk auf Gott beziehen oder wiedererkennbare religiöse Symbole enthalten muss, so würde vieles des oben Beschriebenen nicht als Theologie zählen. Ein anderer Ansatz wäre zu untersuchen, wie der Vermittler beziehungsweise der Künstler zur Religion steht. Auch dies ist nicht sonderlich hilfreich. Obwohl sich die Kunst von Hassan und Husain Essop stark religiösem Symbolismus bedient, folgten Teilnehmende ihrer Workshops in Hamburg normalerweise nicht diesem Leitbild; und auch wenn die Teilnehmenden der Workshops in Tbilisi ihre Aufgabe nicht als theologisch ansahen, beinhalteten ihre Kunstwerke oft religiöse Symbole! Ohne den Versuch zu unternehmen, die Frage, was Theologie ausmacht, abschließend zu beantworten, ist es wichtig, eine allgemeingültige Definition des Theologisierens zu finden. An dieser Stelle mag Tillichs Ansatz mehr Einsicht

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bieten, da dieser einen offenen Raum für Fragen und Nachforschungen schafft. Für Tillich ist es wichtig, sich intensiv mit jenen Fragen auseinanderzusetzen, die sich aus unseren gewöhnlichen menschlichen Dilemmata ergeben. Erfahrungen können nicht genug sein, eine reflexive Dimension, ähnlich Anselm von Canterburys Definition von Theologie als »nach Glaube strebendes Verständnis« (fides quaerens intellectum) ist notwendig. Eine ähnliche Dynamik scheint sich in künstlerischem Schaffen zu finden, wo »ästhetische Räume« zu einem Instrument der Distanzierung werden, durch die über den »mythischen Raum« nachgedacht wird.8 Sowohl die Theologie als auch die Kunst vollziehen sich auf einem Kontinuum zwischen Erfahrung und Reflexion. Es ist nicht so, dass das Kunstwerk ein Spiegelbild einer ursprünglichen Erfahrung darstellt: Der Produktionsprozess ist selbst Teil eines teilweise langen Prozesses. Wie der Bildhauer einen Stein formt und diesen abträgt, so vollzieht sich auch bei künstlerischer Arbeit ein innerer Abtrageprozess – das Äußere und das Innere werden im Akt des Ausdrucks zu einer Symbiose. Kunst ist nicht nur die Konsequenz einer inneren Realität, sondern vielmehr ein kontinuierlicher Dialog, wie auch das Theologisieren. Die Frage, wie die Dialektik zwischen »Glaube« und »Verständnis« im schulischen Bereich funktionieren kann, benötigt noch weitere Klärung. John Dewey zu religiösem Glauben, Kunst und Bildung

In seinem Buch Ein gemeinsamer Glaube9 trennt Dewey genau zwischen dem Nomen »eine Religion« und dem Adjek-

tiv »religiös«. »Religion« wird als eine institutionell organisierte Gesamtheit von Überzeugungen und Praktiken beschrieben. Es gibt viele Religionen, deren Wahrheitsbehauptungen und Praktiken oft konkurrieren. Dewey besteht darauf, dass diesen nicht das Monopol religiöser Erfahrungen zukommen darf. Es ist vielmehr der alltägliche Glaube gewöhnlicher Menschen, den er verfechtet. Eben diese Menschen geben den Anstoß für Mitgefühl, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Was Dewey als religiösen Aspekt von Erfahrungen bezeichnet, gehört zu einer ganzen Reihe von Erfahrungen ästhetischer, wissenschaftlicher, moralischer oder politischer Natur bis hin zu Erlebnissen der Kameradschaft und Freundschaft. »Die Religion würde ihren natürlichen Platz in jedem Aspekt menschlicher Erfahrung zugewiesen bekommen, in der die verschiedenen Möglichkeiten des Lebens enthalten sind und in der emotionale Erregung angesichts der vielen, noch unverwirklichten Möglichkeiten erkennbar wird zugunsten der Verwirklichung dieser Möglichkeiten durch unser Handeln«.10 Matthew Arnold wiedergebend, versteht Dewey das Religiöse als »von Emotionen berührte Moral«.11 Alles in menschlichen Beziehungen, in 8 Ernst Cassirer, Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Hamburg 1930. 9 John Dewey, Ein gemeinsamer Glaube (1934). Pädagogische Aufsätze und Abhandlungen (1900–1944). Mit einer Einleitung neu herausgegeben von Rebekka Horlacher und Jürgen Oelkers, Zürich 2002. 10 Ein gemeinsamer Glaube, 203. 11 Ein gemeinsamer Glaube, 177.

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der Kunst und in der Natur wird als Teil des gleichen Ideals gesehen. »Genau diese aktive Beziehung zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit ist es, der ich den Namen ›Gott‹ geben möchte«. Er fügt sogleich hinzu: »Ich würde nicht darauf bestehen, dass man diesen Namen geben muss.«12 Seine Vision eines Universums, das aus der Natur und menschlicher Gemeinschaft besteht und unmittelbar schöpferisch und emotional erlebt werden kann, ist gleichzeitig ein Aufruf zum Handeln. Das Leben birgt vieles Böses, dies zu ändern ist das Ziel. Statt dem Bösen eine separate Existenz als abstrakte moralische Macht zukommen zu lassen, kann es anhand derselben gewöhnlichen Hilfsmittel analysiert werden, die auch der Analyse sozialer Phänomene dienen. Indem den Ursachen auf den Grund gegangen wird, kann an Heilungsmöglichkeiten gearbeitet werden. Dieses Glaubensverständnis ist es, das den Fehler umgeht, einen Handlungsidealismus zum einem System von Überzeugungen einer übernatürlichen Realität werden zu lassen. Im letzten Absatz von Ein gemeinsamer Glaube fasst Dewey sein Verständnis der Beziehung zwischen Tradition und individueller Verantwortung in wenigen Worten zusammen:13 Es ist an uns, das Erbe, das uns an Werten überliefert worden ist, zu hüten, es zu korrigieren und weiterzugeben, so dass wir es denjenigen, die uns folgen werden, gefestigter und gesicherter, mit noch breiteren Möglichkeiten des Zugangs (an denen noch mehr Menschen teilhaben können) übergeben können, als wir es selbst übergeben bekommen haben. Hierin liegen alle Elemente religiösen Glaubens, und sie sollen nicht in den engen Rahmen einer Sekte, Klasse oder

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Rasse gesperrt werden. Ein solcher Glaube lag immer schon im gemeinsamen Glauben der Menschheit verborgen. Es ist an uns, ihn nach aussen zu kehren und ihn mit Kraft zu beseelen.

Deweys Argumentation weist hier eine Ambivalenz auf, denn obwohl er die Rolle der Tradition herunterstuft, unterstützt er dennoch die laufende Diskussion bezüglich der Herkunft von Wertvorstellungen. Wenn er in Ein gemeinsamer Glaube die Ansicht kritisiert, religiöse Überzeugungen müssen einfach »geglaubt« und überliefert beziehungsweise vermittelt werden, dann tut er dies auf eine Art und Weise, die sich mit seinen breiteren pädagogischen Ansichten deckt. Deweys Kritik an der »Religion« stützt sich auf die Vorstellung, die er von organisierter Religion hat, nämlich, dass diese eine »hierarchical transmission« darstellt. Sein Verfechten der gewöhnlichen Person als Theologe, reduziert religiöse Institutionen sowie professionelle Theologen zu Gesprächspartnern! Im Grunde ist dies eine Diskussion über pädagogische Philosophie. In Demokratie und Erziehung14 entwickelt John Dewey die zentralen Punkte seiner pädagogischen Philosophie. Lernen ist ein demokratischer Prozess, in dem Schülerinnen und Schüler dazu ermutigt werden, an einer demokratischen Gemeinschaft innerhalb ihres Klassenraumes mitzuwirken. Dies konzentriert sich auf Situationen, die Schülerinnen 12 Ein gemeinsamer Glaube, 198. 13 Ein gemeinsamer Glaube, 225. 14 John Dewey, Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik, Braunschweig 1964 (1916).

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und Schüler dazu anregen, die Welt eigenständig zu entdecken. Erfahrung wird im Sinne des Experimentierens genutzt. Durch ›direktes Erfahren‹ erlangen die Kinder Wissen und formen somit ihre Umgebung. Das Curriculum sollte daher nicht mit Inhalten überladen werden. Statt die Inhalte spezifischer separater Lernbereiche zu reproduzieren, sollte interdisziplinäres, projektartiges Lernen verfolgt werden. Alle Wissensbereiche – Zoologie, Physik, Geschichte – können am besten unter Bezugnahme auf ihre menschliche Dimension eingeführt werden. Aus Verunsicherung und Erschütterung, aus Unklarheit erwächst frisches und neues Denken. Dewey formuliert dies wie folgt: »Einen Zustand des Zweifelns zu ertragen und systematisch weiter zu forschen, das sind die wesentlichen Elemente des Denkens.«15 Die Phantasie ist Medium der Wertschätzung verschiedenster Dinge, und die Kunst wird so zu einem wichtigen Lernort. In Kunst als Erfahrung argumentiert er, dass Kunst einen einzigartigen Raum zum Denken und Kommunizieren bietet.16 Besondere Bedeutung kommt nach ihm schließlich der Reflexion zu. Hierzu ein berühmtes Zitat: »We do not learn from experience, we learn from reflecting on experience!«17 Das Konzept der Schülerinnen und Schüler als aktive Schöpfer von Wissen sowie die Ansicht, dass unmittelbare Erfahrbarkeit am Anfang des Lernprozesses steht, ist in der Religionspädagogik zu einem angesehenen und weit verbreiteten Prinzip geworden. Es ist nicht nötig, Deweys gesamte Kritik am Supranaturalismus zu akzeptieren, um sich seiner Bildungsphilosophie zu bedienen, die Glaube, Kunst, Bildung und politischen Aktivismus zusammen sieht. Sei-

ne Denkweise bietet eine Möglichkeit, im schulischen Bereich über ›Glauben‹ zu sprechen und dabei verschiedene Menschen einzubinden. Sogar für diejenigen, die nicht als Theologen gesehen werden möchten, ist bei ihm Platz. Er kritisiert die blinde Akzeptanz der Tradition und vermittelt dabei jedoch auch das Bild, dass akademische und theologische Tradition keinen Sinn haben. Schaut man über diesen Disput hinweg, wird jedoch klar, dass Menschen, deren religiöse Erfahrungen an bestimmte Glaubenstraditionen gebunden sind, ebenso in Deweys Model passen wie andere. Indem er die Prozesse des Experimentierens, Vorstellens und Handelns mit einer religiösen Dimension verbindet, bietet er eine spannende Möglichkeit, mit Fragen zu religiöser Spiritualität und ihrer Bedeutung umzugehen. Die Glaubenslehren, die Geschichten, die Rituale und die Symbole der Religion werden wichtig, da sie zeigen, wie Menschen sich mit den häufig gestellten Fragen des Lebens auseinandergesetzt haben. Diese aufgezeichneten Experimente sollen nicht als letztes Wort feststehen, sondern vielmehr als Referenz für eigene Erfahrungen und neue Möglichkeiten dienen. Dies entspricht einer Konversation unter Gleichgestellten und die Situation gleicht dem Besuch einer Kunstausstellung. Mit Hilfe von Kopfhörern kann der Betrachter den Meinungen und Interpretationen von Experten lauschen und somit den eigenen Denkprozess stimulieren. An 15 John Dewey, Wie wir denken, Zürich 162002 (1910). 16 John Dewey, Kunst als Erfahrung, Berlin 1987 (1934). 17 Vgl. Demokratie und Erziehung, 193–203.

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anderer Stelle mag es sinnvoll sein, auf dieses zu verzichten. Wird Kunst als Lernmethode genutzt, so ist es wichtig, eine Kombination aus ›Glauben‹ und ›Einsicht‹ im Prozess aufrechtzuerhalten. Um den Platz des Theologisierens in schulischer Bildung zu rechtfertigen, benötigen wir allgemeingültige Definitionen, die in menschlichen Glaubenskonflikten unterstützend wirken können. Ich denke, dass Kunst ein wichtiges Medium theologischer Reflexion darstellt, das ohne Zwang erfolgt und sowohl den privaten und persönlichen Aspekt der Religion respektiert als auch die Möglichkeit bietet, sich selbst auszudrücken. Kunst macht es möglich, sich ernsthaft mit Fragen auseinanderzusetzten, auf die es keine klaren Antworten gibt. Dies geschieht in einer ehrlichen und sicheren Atmosphäre. Nicht alles, was unter Theologie fällt, weist jene Leidenschaft auf, die sich hier findet. Dies ist nicht der einzige Weg, Religion zu lehren, es ist jedoch ein wichtiger. Theologisieren in der Kunst

Es ist die Aufgabe der Lehrperson, den Lernenden zu ermöglichen, sowohl in die Rolle des Künstlers als auch des Forschers zu schlüpfen. Die hierfür nötigen Bedingungen zu schaffen, ist eine sehr praktische Aufgabe: Der Kunstraum muss mit dem nötigen Material bestückt werden, eine Ausstellung muss organisiert und die anschließende Reflexion strukturiert werden. Der schwerste Moment ist meist zu Beginn, wenn die Teilnehmenden noch unsicher und unentschlossen sind und nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Wichtig ist, dass den Kin-

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dern ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um sich für eine Frage zu entscheiden, die sie künstlerisch behandeln möchten. Ein Angebot an provokanten Kunstwerken, Geschichten oder Dilemmata kann in diesem Findungsprozess hilfreich sein. Das künstlerische Format muss einerseits für junge Schülerinnen und Schüler leicht anwendbar sein, jedoch gleichzeitig gute Ergebnisse hervorbringen. Es eignen sich zum Beispiel Collagen, Fotografie oder Filme. Haben die Schülerinnen und Schüler erst einmal ihr Projekt gefunden, ist es an der Lehrperson, die Ruhe zu bewahren und darauf zu vertrauen, dass das Endprodukt die Arbeit wert war. Das Wichtige an einem solchen Kunstformat ist, dass jeder für seine eigene Arbeit verantwortlich ist. Wir hatten die Gelegenheit, an der Seite professioneller Künstler zu arbeiten, und diese taten nicht viel mehr als taktvoll herumzugehen und wenn nötig hier und da kleine Tipps oder ein Feedback zu geben. Die dreigeteilte Struktur der Workshops wird von vornherein klar dargelegt: Produktion, Ausstellung, Reflexion. Das Zeitmanagement ist Aufgabe der Lehrperson; diese ist dafür verantwortlich, dass keine Zeitnot entsteht und besonders für die Reflexion ausreichend Raum zur Verfügung steht. Es ist sinnvoll, das Konzept der Reflexion direkt zu Beginn des Workshops zusammen mit der Gesamtstruktur und den Zielen vorzustellen. Wir fertigen gewöhnlich ein kleines Poster mit Deweys Worten an: »We do not learn from experience, we learn from reflecting on experience«. Die Reflexionsphase kann auf verschiedene Art und Weise organisiert werden. Die Teilnehmenden können kurze Texte oder Gedichte über ihre Werke oder aber

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Theoretische Grundlagen

die Werke der anderen schreiben. Eine Methode, die meist viel Interaktion generiert, ist die Interpretation von Fotos, die den Arbeitsprozess und die verschiedenen Stadien des Workshops zeigen. Des Weiteren kann wissenschaftliche Literatur hinzugezogen und eine abschließende Hausarbeit angefertigt werden, in der das eigene Kunstwerk theoretisch reflektiert wird. Die Aufgabe der Lehrperson

ist es, die nötigen räumlichen, zeitlichen und organisatorischen Bedingungen zu schaffen, unter denen theologisiert werden kann. Auf individueller und sozialer Ebene vollzieht sich vieles, was auch bewertet werden kann, doch wie es in der Religion und in der Kunst meist der Fall ist, lässt sich der wirklich entscheidende Zuwachs nicht messen.

von Stosch / Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

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Klaus von Stosch / Carina Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

Im Rahmen dieses Beitrags kommen Jugendtheologie und Komparative Theologie ins Gespräch, um zu sondieren, inwiefern so etwas wie eine Komparative Jugendtheologie entwickelt werden kann. Zuerst werden deshalb wesentliche Elemente der Jugendtheologie skizziert.1 Anschließend werden ausgewählte Einsichten der Komparativen Theologie vorgestellt, und es wird der Blick auf ihre praktische Umsetzung gerichtet.2 Diese Beschreibung der Anliegen und Kennzeichen erfolgt in fokussierter Betrachtung der Komponenten, die ein konstruktives3, interdisziplinäres Gespräch für eine praxisrelevante Gestaltung anstoßen. Jugendtheologie

Das Anliegen der Jugendtheologie besteht darin, Heranwachsende als Dialogpartner auf Augenhöhe wahrzunehmen und wertzuschätzen.4 Sie gründet auf der Grundannahme, dass Jugendliche selbst (theologische) Fragen haben, diese darlegen können, die Fähigkeit haben, eigenständig zu verstehen und diese (theologischen) Fragen sogar weiterzuentwickeln. Jugendtheologie zielt demnach darauf, dass das (theologische) Denken Jugendlicher wahr- und auch ernstgenommen wird. »Theologie ist dabei als Frage nach Gott nicht nur und nicht einmal primär akademische Disziplin, sondern suchen-

de Haltung und Annäherung an das, was den Menschen in seiner ganzen Existenz und mit seinem ganzen Leben betrifft.«5 Jugendtheologie versteht sich als Theologie, die von Jugendlichen ausgehen kann, indem sie Hypothesen aufstellen und bearbeiten, sich orientieren und somit ihre (theologische)Kompetenz (weiter-) entwickeln, wobei diese Theologie als Theologie auf Laienniveau zu charakte1 Vgl. zur ersten Orientierung Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Göttingen 2012. 2 Vgl. zur ersten Orientierung Klaus von Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen (Beiträge zur Komparative Theologie 6), Paderborn 2012. 3 Als Fortschreibung, insbesondere von Jan Woppowa, Das Konfessorische als Stein des Anstoßes. Aspekte eines kritisch-konstruktiven Gesprächs zwischen Komparativer Theologie und Religionsdidaktik, in: Rita Burrichter / Georg Langenhorst / Klaus von Stosch (Hg.), Komparative Theologie: Herausforderung für die Religionspädagogik. Perspektiven zukunftsfähigen Lernens, Paderborn 2015, 15–30. 4 Vgl. hierzu und zum Folgenden Annike Reiss, Jugendtheologie, 2015, in: WissenschaftlichReligionspädagogisches Lexikon im Internet (WiReLex) https:/www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/100022/ [Abrufdatum: 14.02.2016; permanenter Link zum Artikel]. 5 Thomas Schlag, Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie sprechen? In: Petra Freudenberger-Lötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«: Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, Stuttgart 2013, 9–23, 9.

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Theoretische Grundlagen

risieren ist. Jugendtheologie lässt »sich durch ihren sehr offenen, um nicht zu sagen: diffusen Charakter auszeichnen, was sich auch als eine Form des Ausprobierens und Suchens deuten lässt.«6 Die Jugendtheologie verdeutlicht, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche als Theologen gesehen werden können und der Ansatz eines Theologisierens mit Kindern nicht im Jugendalter hinfällig wird.7 Dabei ist die Jugendtheologie im engeren Sinn, die eine ausdrückliche Bindung an den re­flexen Glauben voraussetzt, zu unterscheiden von einer Jugendtheologie im weiteren Sinn, die »überall dort zu finden [ist; Vf.], wo sich Jugendliche ernsthaft auf das Nachdenken über Fragen von Religion, Glaube und Wahrheit einlassen.«8 Von daher gibt es nicht nur explizite, sondern auch implizite Jugendtheologien, die an theologisch relevante Aussagen von Jugendlichen auch dann anknüpfen können, wenn diese nicht intendieren, sich an einem religiösen Diskurs zu beteiligen.9 Die Jugendtheologie lässt sich durch die Bestimmung ihrer Dimensionen10 noch präziser charakterisieren. Es lässt sich zunächst zwischen den folgenden – bereits für die Kindertheologie entwickelten – Dimensionen unterscheiden: – Theologie von/der Jugendlichen: Der Theologie von Jugendlichen wird Raum gegeben und sich auf diese bezogen. Es handelt sich um die Theologie, die die Jugendlichen hervorbringen. – Theologie für Jugendliche: Versteht sich als subjektorientierte Theologie insbesondere hinsichtlich der Frage was Jugendliche ansprechen würde bzw. was für sie impulsgebend sein könnte.

– Theologie mit Jugendlichen: Diese Dimension verbindet die beiden vorangegangenen Dimensionen und zielt somit darauf, Jugendliche im Blick auf theologische Diskurse sprachfähig zu machen, Wissen aufzubauen, eigene Fragen weiterzuentwickeln, zu klären und einen eigenen Standpunkt zu bilden. Im Rahmen eines Gesprächs mit der Komparativen Theologie stehen die aufgeführten Dimensionen gleichermaßen in unserer Betrachtung, wobei eine Komparative Theologie der Jugendlichen auch nicht hinsichtlich einer Theologie von Jugendlichen impliziert bzw. voraussetzt, dass diese in einer religiösen Tradition beheimatet sind, wie im weiteren Verlauf im Zusammenhang mit der Bedeutungsbestimmung von religiösen Überzeugungen deutlich wird. 6 Gerhard Büttner, Die Sozialgestalt(en) einer Jugendtheologie, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Göttingen 2012, 140–154, 149. 7 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz / Raphael Döhn, Jugendtheologie. Der Kasseler Weg, in: RpB 70 (2013) 13–20, 13. 8 Thomas Schlag, Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie sprechen? in: Petra Freudenberger-Lötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«: Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, Stuttgart 2013, 9–23, 18. 9 Vgl. ebd., 16; Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Jugendtheologie in der Praxis von Schule und Gemeinde: Religionsunterricht, Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Göttingen 2012, 9–34, 10. 10 Vgl. zur Orientierung Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Göttingen 2012, 10f.

von Stosch / Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

Komparative Theologie

Das Anliegen der Komparativen Theologie ist der Dialog mit anderen Religionen auf Basis der eigenen religiösen Überzeugungen. Für den akademischen Kontext bedeutet das, dass Komparative Theologie sich als konfessionelle Theologie versteht und jeweils von einem bestimmten konfessionell strukturierten Überzeugungssystem ausgeht. Ihre Besonderheit im Vergleich zu herkömmlicher konfessioneller Theologie besteht darin, dass sie nach Möglichkeiten sucht, um fremde Religionen als loci alieni für die eigene Theologie zu entdecken. Die interreligiöse Auseinandersetzung verliert so ihr agonales Gepräge und sucht nach Wegen gegenseitiger Wertschätzung bei bleibender Treue zu dem eigenen Beanspruchtsein durch die Wahrheit. Die Komparative Theologie bietet also eine Hermeneutik, die die Anerkennung von Differenzen ermöglicht und Verschiedenheit als Bereicherung zu entdecken lernt. Übersetzt man die Denkbewegungen akademischer Theologie in den Kontext von Laientheologien, so kann man natürlich nicht mehr von einem fest gefügten konfessionellen Gepräge als Merkmal und Ausgangspunkt der jeweiligen Theologie ausgehen. Doch bei aller Diffusion oder Dekonstruktion von Konfessionalität im Kontext von Laientheologien stellt sich auch einer Laienund damit auch der Jugendtheologie die Grundfrage, die auch die Komparative Theologie antreibt: Wie kann ich religiöse Überzeugungen und Weltbilder, die mir zutiefst fremd sind und die zuweilen sogar das angreifen, wovon ich zuinnerst überzeugt bin, anders als negativ beur-

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teilen? Wie ist die Anerkennung von Verschiedenheit möglich, ohne in ein relativistisches Fahrwasser zu geraten? Hier scheint die Komparative Theologie einige hermeneutische Verfahren entwickelt zu haben, die durchaus auch lehrreich für die Jugendtheologie sein könnten. Ein methodisches Grundprinzip der Komparativen Theologie, an das wir deshalb gerne erinnern, ist die wechselseitige Inklusion in die eigenen Denkbewegungen. Dabei geht es einerseits um den Versuch den Blick vom Anderen in den Blick auf das Eigene einzubeziehen, dem Anderen also gewissermaßen die Möglichkeit einzuräumen, sich bei mir wie zu Hause zu fühlen.11 Dieses Wohnrecht des Heterogenen und Widerständigen im Eigenen ergibt sich nur aus einer Form von Inklusion, die den Anderen nicht im Eigenen absorbiert, sondern die bereit ist, das Eigene vom Anderen verändern und bereichern zu lassen. Komparative Theologie besteht aber nicht nur im Versuch, die Anliegen der Anderen im Eigenen aufzunehmen, sondern es geht auch um die umgekehrte Bewegung, die sich dem Anderen aussetzt und bei ihm Heimat sucht. Metaphorisch gesprochen könnte man sagen: Es handelt sich auch um eine Reise in ein fremdes Land, das ich mir vom Anderen zeigen und erklären lasse. Grundlage dieser Reise ist die Bitte an mein Gegenüber, dass sie/er mir ihr/sein Land zeigt und mir hilft, eine andere Perspektive auf 11 Vgl. Klaus von Stosch, Komparative Theologie als Hauptaufgabe der Theologie der Zukunft, in: Reinhold Bernhardt / Klaus von Stosch, Komparative Theologie. Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie, Zürich 2009, 15–34, 25.

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Theoretische Grundlagen

dieser gemeinsamen Reise einzunehmen. Die Gelingensfaktoren für diese Reise, die von einem Mitgehen geprägt ist, sind die Einladung und die beidseitige Offenheit, die sich im Interesse beider Parteien spiegelt. Die Reise zielt darauf, die Andere/den Anderen kennenzulernen, ihr/ ihm zu begegnen. Voraussetzung – dies gilt auch für die Jugendtheologie – ist daher zunächst das Wahrnehmen des Gesprächspartners. Die Reise bringt daher eine Per­spek­ tiv­erweiterung mit sich, die wiederum das Nachdenken über das Eigene initiiert, wobei Ziel nicht allein die Perspektiverweiterung und der Gewinn für den eigenen Horizont sind, sondern gleichwertig auch die intensive und tiefe Begegnung und das Kennenlernen der anderen Person, die mich auf eine Reise mitnimmt, um ihr Land aus ihrer Perspektive wahrzunehmen. Damit ist klar, dass Komparative Theologie nur als kooperatives Unternehmen gut gelingen kann und sie sich als Theologie aus dem Dialog heraus verstehen muss.12 Sie zielt in der Begegnung mit dem Anderen nicht ausschließlich auf einen Ertrag für die eigene Perspektive, sondern es wird dem Gesprächspartner immer zugleich eingeräumt, auch das für ihn Andere in seine Sichtweise und daher in seine persönliche Haltung einzubeziehen. Auf den persönlichen Ertrag für das lernende Subjekt in Form einer Perspektiverweiterung bzw. einer gebildeten Haltung und Einstellung zielt auch die Jugendtheologie, die wiederum im Kontext religiöser Bildungsprozesse steht. Die Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten, aber auch die Begegnung mit der Glaubenspraxis und ihrer Bedeutung für den Glaubenden, geben den Subjek-

ten religiöser Lernprozesse die Möglichkeit, sich begründet und somit bewusst zu positionieren und zu verhalten: Religiöse Bildung als Bestandteil allgemeiner Bildung zielt folglich nicht auf die Übernahme der Beheimatung in einer Konfession ab, sondern auf die Fähigkeit, sich bewusst in der Begegnung mit Glauben und Religion positionieren zu können. Ebenso zielt auch die Komparative Theologie nicht auf das Überzeugen des Anderen von dem Eigenen. Vielmehr will sie durch die Einbeziehung unterschiedlichster religiöser Überzeugungssysteme die Kontingenz auch unserer basalsten epistemischen Gewissheiten erweisen und sie so zum Gegenstand der Wahl machen. Sie zielt ebenso wie Bildungsprozesse auf die Befreiung der Menschen zur Freiheit. Kennzeichen Komparativer Theologie ist die Konzentration auf den interreligiösen und interkulturellen Vergleich genau spezifizierter theologischer, literarischer oder konfessorischer Texte, konkreter Rituale, klar umgrenzter Glaubensinhalte und bestimmter theologischer Konzeptionen, jeweils in konkreten Kontexten und historisch genau bestimmten Zeiträumen, wobei die Medien auf das gesamte Weltbild zu reflektieren sind, das durch einen konkreten Text oder eine konkrete Dialogerfahrung fassbar wird.13 Dieser mikrologische Zugang der Komparativen Theologie lässt sich auch in der Jugendtheologie entdecken, da es sich beider12 Vgl. ebd. 27. 13 Vgl. Klaus von Stosch, Komparative Theologie als Hauptaufgabe der Theologie der Zukunft, in: Reinhold Bernhardt / Klaus von Stosch, Komparative Theologie. Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie, Zürich 2009, 15–34, 21.

von Stosch / Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

seits um eine individuelle Theologie handelt, insofern als sich der persönlichen Theologie der Menschen zugewendet wird, die auf Grundlage eines individuellen Weltbildes gegeben ist. Die Wahrnehmung, Würdigung und Hinwendung des und zum Einzelnen, seinem individuellem Weltbild, ermöglicht eine implizite Theologie Jugendlicher aufzuspüren, da erst dieser mikrologische Zugang hilft, einzelne Aussagen zu hinterfragen, anzufragen, zu überdenken, die potenziell anschlussfähig sind an theologische Diskurse. In einem komparativ angelegten Gespräch muss daher insbesondere auch die regulativ-expressive Ebene religiöser Überzeugungen ernst genommen und gedeutet werden. Aus dem Verständnis Theologie aus dem Dialog ergibt sich für die Komparative Theologie, dass der Dialog einen konkreten Gesprächspartner benötigt, der bereit ist, sich zu öffnen und mich mitzunehmen und einzuladen, mich anzufragen und mich herauszufordern. Weiterhin ist dieser Dialog auf Vertreter verschiedener Religionen angewiesen, wobei Vertreter zu sein nicht den Anspruch hat, eine Religion abzubilden, sondern lediglich bedeutet, dass der Vertreter in den Dialog Äußerungen einbringt, die dem Kontext einer anderen Religion entstammen.14 Merkmal der Komparativen Theologie ist oder sollte sein, verschiedene Traditionen zusammenzudenken und im Rahmen eines dialogischen Prozesses einzelne Facetten aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.15 Die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven gründet auf der Suche nach Wahrheit und ermöglicht sie gleichzeitig in Form von potenziellen konfessorischen Wegen, wobei alles Beansprucht-

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sein durch Wahrheit wie alles Verstehen immer auch eine Lebensformgebundenheit aufweisen. Insgesamt nimmt also Komparative Theologie Ausgang bei den Fragestellungen der Menschen unserer Zeit16, geht mikrologisch vor und wendet sich insbesondere dem Einzelfall mit der Rückbesinnung auf religiöse Praxis17 zu. Auch die Jugendtheologie basiert auf einer dialogischen Hinwendung zum Subjekt, wendet sich den Aussagen und Fragen der Jugendlichen zu und richtet den Blick auf deren Biographien und somit auch auf die Praxis. Trotz der Gemeinsamkeiten scheint sich die Jugendtheologie als Laientheologie von der Komparativen Theologie darin zu unterscheiden, dass Jugendtheologie weniger explizite, sondern vielmehr implizite Theologie ist bzw. dieser impliziten Theologie mehr Raum gibt. Allerdings braucht genau dieses Raumgeben im Dienst einer impliziten Theologie ein philosophisch sensibles Konzept, so dass es sich lohnen könnte, gerade hier auf die an Wittgenstein orientierte philosophische Grundlegung Komparativer Theologie zu achten.18 (Religiöse) Überzeugungen

Schon die Definition religiöser Überzeugungen kommt den Anliegen einer impliziten Jugendtheologie entscheidend entgegen. Denn wenn religiöse Überzeu14 15 16 17 18

Vgl. ebd. Vgl. ebd. 18. Vgl. ebd. 22. Vgl. ebd. 26. Vgl. zum Folgenden Klaus von Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen, Paderborn 2012, 168–193.

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Theoretische Grundlagen

gungen als Ausdruck menschlicher Letztorientierung in Bezug auf die letzte Wirklichkeit gesehen werden19, ist deutlich, dass sie nicht auf reflexe religiöse oder gar dogmatische Gehalte beschränkt bleiben. Eine religiöse Überzeugung erscheint hier einfach als eine allgemeingültige Orientierung für das, was Wirklichkeit im Letzten ausmacht. Dies impliziert zwar, dass etwas Vorletztes keine religiöse Überzeugung sein kann, zugleich gibt sie aber einen großen Raum für Letztorientierungen ohne explizit religiöse Versprachlichung. Auch nicht religiös sozialisierte Menschen haben nicht selten verbindliche Orientierungen in Bezug auf die letzte Wirklichkeit und somit nach der Definition Komparativer Theologie auch eine religiöse Überzeugung. (Religiöse) Überzeugungen lassen sich jedoch an dieser Stelle zunächst noch weiter analysieren: Betrachtet man diese näher, werden kognitiv-propositionale und expressiv-regulative Elemente sichtbar.20 Richtet sich der Fokus auf die Analyse ihrer Oberflächenstruktur, ist die kognitiv-propositionale Dimension auffällig: Religiöse Überzeugungen scheinen in dieser Perspektive Aussagen über die (letzte) Wirklichkeit zu sein, die wahr sind, wenn die (letzte) Wirklichkeit so ist, wie in ihnen behauptet wird. Ihre Bedeutung scheint demnach allein von dem in ihnen behaupteten kognitiven Gehalt abzuhängen. Doch diese Betrachtung allein wird der Bedeutung und der Charakteristik religiöser Überzeugungen nicht gerecht, da religiöse Überzeugungen nicht ausschließlich Glaubensinhalte sind, sondern auch den Glaubensakt umfassen, der sich als tätiges Herangehen an die Wirklichkeit versteht. Die Tatsache, dass religiöse

Überzeugungen in der Regel nicht aufgegeben werden, wenn der kognitiv-propositionale Wahrheitsanspruch widerlegt ist (und umgekehrt!), verdeutlicht, dass religiöse Überzeugungen nicht einfach Aussagen über empirische Sachverhalte sind. Die letzte Wirklichkeit, über die religiöse Überzeugungen Aussagen treffen, ist nicht Bestandteil dieser Welt. In der Immanenz können sie folglich nicht verifiziert oder falsifiziert werden und sind von Sachverhalten zu unterscheiden, bei denen dies möglich ist. Offenbar prägen religiöse Überzeugungen mitunter die Weise, wie wir die Welt betrachten und an sie herangehen, so dass sie nicht (so einfach) durch angeführte und rational zu durchdringende Gründe widerlegt werden können. Sie sind oft genug Ausdruck einer Haltung der Welt gegenüber und verändern gleichzeitig die Einstellung zur und die Wahrnehmung der gesamten Wirklichkeit. Dies impliziert deren regulative Bedeutung für die Art, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe und wie ich mich in meinem Alltag verhalte. Sie sind demnach auch die Grundlage dessen, wie ich anderen Menschen im Gespräch begegne. Religiöse Überzeugungen sind eben nicht ausschließlich deskriptive Aussagen über die letzte Wirklichkeit, sondern Ausdruck der Lebenseinstellung und des Glaubens religiöser Menschen, die diesen Menschen nicht einmal unbedingt bewusst sein muss.21 D.h. die regulativexpressive Dimension religiöser Überzeugungen, deren Analyse für die Methodik

19 Vgl. ebd. 169. 20 Vgl. ebd. 171–175. 21 Vgl. ebd. 174.

von Stosch / Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

Komparativer Theologie von herausragender Bedeutung ist, eröffnet genau die Dimension, die in der Jugendtheologie als implizite Theologie thematisiert wird. Auch bei Jugendlichen ist also auf ihre in der Praxis vollzogene Haltung zur Wirklichkeit zu achten; auch bei ihnen gilt es eine Sensibilität für in der Praxis vollzogene letzte Verbindlichkeiten zu entwickeln, um die Grammatik ihres Weltzugangs zu verstehen und die dabei verwendeten religiösen Motive zu erkennen. Viele methodische Einsichten Wittgensteins, die die Komparative Theologie verwendet, um die regulativen Elemente fremder Weltbilder zu dechiffrieren, können auch hilfreich für die Jugendtheologie sein. Und umgekehrt kann die Komparative Theologie nur davon profitieren, wenn sie die speziellen Erfahrungen der Jugendtheologie kennenlernt, um auf diese Weise ihre Wahrnehmung religiöser Überzeugungen zu schärfen.22 Religiöse Überzeugungen als Letztorientierung – so macht die Wittgensteinsche Grundlegung Komparativer Theologie deutlich – werden im Handeln der Menschen konkret und können ohne die Betrachtung dieses Praxisbezugs nicht verstanden werden23, was wiederum das mikrologische Moment der Komparativen Theologie bedingt. Bei einer inhaltlichen Analyse muss daher unbedingt auch die Verortung im Weltbild erfolgen, welches (blind) befolgt wird. Aus (religiösen) Überzeugungen leben, denken und handeln religiöse Menschen. Das Potenzial der Komparativen Theologie besteht darin, dass man in der Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Fremden die Möglichkeit bekommt, bewusst wahrzunehmen, welche Handlungsmoti-

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ve uns zunächst nicht bewusst sind und daher blind befolgten Regeln gleichen. Sie stellen die Grundlage für deren Betrachtung der Welt und des eigenen Daseins dar. Religiösen Überzeugungen darf allerdings nicht der referentielle bzw. kognitiv-propositionale Charakter abgesprochen werden, da dies nicht zuletzt auch dem Selbstverständnis religiöser Menschen widerspricht. Nur wenn der kognitiv-propositionale Gehalt als wahr geglaubt wird, scheinen religiöse Überzeugungen ihre orientierende Kraft entfalten zu können. Beide Komponenten müssen daher unbedingt zusammen betrachtet werden. Der kognitiv-propositionale Gehalt religiöser Überzeugungen scheint die Voraussetzung des Greifens des Wirksamwerdens ihres expressiv-regulativen Charakters zu sein – genauso wie umgekehrt ihr kognitiver Gehalt erst in den durch eine bestimmte Grammatik geregelten Sprachspielen intelligibel wird. Bedeutung und Gewissheit religiöser Überzeugungen wurzeln also in einer kulturell und auch teilweise individuell unterschiedlich gegebenen praktischen Dimension, die man in den Blick nehmen muss, wenn man die Bedeutung einer religiösen Überzeugung verstehen will.

22 Vgl. Jan Woppowa, Das Konfessorische als Stein des Anstoßes. Aspekte eines kritischkonstruktiven Gesprächs zwischen Komparativer Theologie und Religionsdidaktik, in: Rita Burrichter / Georg Langenhorst / Klaus von Stosch (Hg.), Komparative Theologie: Herausforderung für die Religionspädagogik. Perspektiven zukunftsfähigen Lernens, Paderborn 2015, 15–30 26f. 23 Vgl. ebd.

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Theoretische Grundlagen

Ertrag eines interdisziplinären Gesprächs

Eine erste möglicherweise interessante Einsicht aus der soeben angedeuteten philosophischen Grundlegung Komparativer Theologie resultiert aus dem Verflochtensein von kognitiver und regulativer Ebene im religiösen Sprechakt. Wenn die enzyklopädische Bedeutung religiöser Überzeugungen tatsächlich von der Grammatik abhängt, in der sie artikuliert wird, ist klar, dass sich Theologie nicht auf bestimmten festen Bedeutungen von Glaubensgehalten ausruhen kann. So wie der Glaube im interreligiösen Dialog je neu auf dem Spiel steht und sich je neu finden und fortbestimmen muss, so hat er auch in den Bewegungen der Jugendtheologien je neu seine Identität zu finden. Da Teile der Grammatik der Lehrpersonen ebenso wie der Jugendlichen nicht bewusst sein können, fordert die Begegnung heraus, diese bewusst zu machen. Nicht nur die Jugendlichen auch die Lehrenden sind hier Lernende, weil sie in der interreligiösen Begegnung genauso wie in der Begegnung miteinander ganz neu ihren Glauben erhandeln müssen. Die eigene (religiöse) Überzeugung braucht die Begegnung mit dem anderen, um sich über sich selbst aufklären und um sich zu sich selbst verhalten zu können.24 Wahrscheinlich dürften die Konvergenzen in Methodik und Anliegen von Komparativer Theologie und Jugendtheologie so groß sein, dass man auch ohne größere Mühe eine Komparative Jugendtheologie konzipieren könnte: Eine solche Komparative Jugendtheologie müsste wie jede Komparative Theologie die mikrologische Wende vollziehen und sich konkreten Einzelfällen zuwenden, um auf

diese Weise in Form einer Beispielsammlung eine Übersicht über die Religiosität von Jugendlichen aus verschiedenen religiösen Milieus zu ermöglichen. Erkenntnisleitend bei der Auswahl der Einzelfälle müssten Fragen nach letzter Orientierung sein, die sich Jugendliche heute stellen und die für ihre Identitätsfragen von entscheidender Bedeutung sind. Nur wenn es gelingt, Jugendliche bei existenziellen Fragen zu packen, die sich ihnen tatsächlich stellen, können sie für das Anliegen einer komparativen Jugendtheologie gewonnen werden. Dies können Fragen sein, die von ihrem eigenen Glauben oder Unglauben ausgehen. Es können aber auch Fragen sein, die sich durch das als bedrohlich empfundene Gegenüber stellen. Gerade Jugendliche erleben oft Formen von fundamentalistischer Religiosität, die sie verunsichern und die Orientierungsprobleme im Blick auf Religion aufwerfen. Schließlich können die genannten Orientierungsfragen aber auch gänzlich säkularer Natur sein. Sobald sie den Menschen tief bewegen oder verunsichern, lohnt es sich nach Wegen zu suchen, wie religiöse Überzeugungen helfen können, mit ihnen umzugehen. Wichtig wäre in jedem Fall, die Jugendtheologie nicht einfach nur von außen an Jugendliche heranzutragen, sondern deren eigene Perspektive in den Entwicklungsprozess der Theologie einzubringen. Die Idee einer Komparativen Jugendtheologie ist also in Bezug auf alle oben genannten Dimensionen der Jugendtheologie durchführbar und kann auch nur im Zusammenhang aller drei Dimensionen seine ganze Fruchtbarkeit entfalten: Im Kontext einer Theologie für Jugendliche 24 Vgl. ebd. 188.

von Stosch / Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

ist zu beachten, dass theologische Deutungsangebote nur dort greifen können, wo diese Angebote konkret werden und an den Bedürfnissen und individuellen Fragen der Jugendlichen anknüpfen. Beispielsweise könnte ein problemfokussierendes Gespräch, welches komparativ angelegt ist, die Lernausgangslage erheben und einen Zuschnitt des Inhalts und des Materials für eine Theologie für Jugendliche ermöglichen. Hinsichtlich einer Theologie für Jugendliche ist der Blick insbesondere auf die elementaren Zugänge und die elementaren Wahrheiten zu richten. Komparative Jugendtheologie würde hier den Blick auf nichtchristliche Bekenntnisse weiten können und Erfordernisse von Rationalisierung, Emanzipierung und Pazifizierung nicht nur auf den Binnenraum des eigenen Bekenntnisses beziehen. Zugleich kann sie dazu ermutigen, nicht nur bei der eigenen, sondern auch bei fremden Religionen Verstehenszugänge jenseits normativer Texte zu suchen – etwa im Film, der Musik, Literatur oder Kunst. Gerade wenn sich die Theologie dabei auch an Zeugnisse der Jugendkultur wagt, muss sie ihre Deutungsangebote mit Jugendlichen zusammen entwickeln, d.h. sie darf sich nicht darauf beschränken, nur Theologie für Jugendliche zu sein. Bei der Theologie mit Jugendlichen käme alles darauf an, die Jugendlichen als Ansprechpartner auf Augenhöhe mit eigenen unverfügbaren Weltbildern zu respektieren. Unabhängig davon, ob Jugendliche auf dem Papier die gleiche Religiosität wie ihre Lehrpersonen haben, ist es aus christlicher Sicht klar, dass auch sie vom Logos Gottes Zeugnis ablegen können, dass auch sie Entscheidendes zu sagen haben. Die Lehrperson hat hier maieutische Hilfe-

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stellungen zu geben und mit den Jugendlichen gemeinsam zu entdecken, welche regulativ-expressiven Orientierungen sich in ihrer Praxis dokumentieren und wie diese Praxis aus der Perspektive religiösen Glaubens tiefer verstanden und ggf. auch verändert werden kann. Der Perspektivenwechsel zu nichtchristlichen religiösen Deutungssystemen kann hier helfen, die Besonderheit des Eigenen besser zu sehen bzw. das Eigene allererst zu finden. Gerade die dialogisch-kooperative Verfahrensweise aller Komparativen Theologie kann sich in einer komparativen Jugendtheologie besonders bewähren, insofern hier Jugendliche unterschiedlicher Religionen Orientierungsprobleme miteinander bearbeiten und konkurrierende Geltungsansprüche diskursiv voranbringen können. Wichtig wäre es hier allerdings, dass auch auf der Ebene der Lehrpersonen unterschiedliche religiöse Grundoptionen vertreten sind, damit nicht eine Religion allein in professionell-akademischer Weise reflektiert werden kann, während alle andere Religionen nur in Laientheologien artikuliert werden. Von daher braucht eine kompetente Theologie mit Jugendlichen auch Theologen und Theologinnen verschiedener Religionen – zumindest dann, wenn die Jugendlichen selbst aus keinem homogenen religiösen Milieu stammen. Wenn ein solches Co-Teaching aus pragmatischen Gründen nicht möglich ist, sollte man wenigstens versuchen, dass »Materialien mit theologischen Impulsen aus verschiedenen Religionen eingebracht werden, in dem diese Materialien dann miteinander in Beziehung gesetzt, auf ihre Voraussetzungen hin befragt und dahingehend geprüft werden, ob sie den Lernenden individuell plausible Optionen zur Selbst- und Weltdeutung eröffnen. Diese

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Theoretische Grundlagen

Materialien und Impulse müssen selbstverständlich, wie andere Unterrichtsmaterialien auch, dem Entwicklungsstand und den Verstehensmöglichkeiten der Lernenden angemessen und insofern Komparative Theologie für Jugendliche sein.«25 Von daher wird deutlich dass Komparative Theologien für Jugendliche und mit Jugendlichen wechselseitig aufeinander verwiesen bleiben. Allerdings muss man auf der Ebene der Komparativen Theologie immer darauf achten, dass die eigene konfessionelle Theologie für den Lehrenden selbst und auch für die Lernenden in ihrer heuristischen Kraft genutzt wird, ohne die Bewegungen des Inkludierens zu vereinseitigen. Es besteht hier wegen der Asymmetrie der Kräfteverhältnisse zwischen Lehrenden und Lernenden immer die Gefahr einer Verzerrung der Kommunikationssituation, die der Wahrheitsfindung schadet. Die Idealform einer komparativen Theologie für und mit Jugendlichen braucht deshalb auch auf der Ebene der Lehrenden eine kooperativdialogische Organisationsform. Bei einer Theologie der Jugendlichen ist der Fokus auf die implizite Theologie gerichtet, wobei diese an Sinn- und Orientierungsfragen der Jugendlichen anknüpft. Hier sind insbesondere die Betrachtung der elementaren Zugänge, der elementaren Erfahrungen sowie der elementaren Wahrheiten ausschlaggebend. »So berührt sich die Dimension der elementaren Zugänge unmittelbar mit der Theologie der Jugendlichen, eben weil diese Theologie als spezifisch jugendliche Zugangsweise verstanden werden kann.«26 Komparative Theologie bietet hier Hilfestellungen, wie Haltungen und Praxisformen theologisch erfasst und fruchtbar gemacht werden können. D.h. Komparative Theologie

kann die implizite religiöse Grammatik von Letztorientierungen beschreiben, die auf reflexer Ebene gar nicht als solche kenntlich gemacht werden. Auf allen drei Ebenen käme auch in einer komparativen Jugendtheologie die Wahrheitsfrage ins Spiel.27 Bei der Theologie für die Jugendlichen wäre es wichtig wahrzunehmen, dass die Jugendlichen die Autorität der Erwachsenen in Frage stellen wollen und von daher die Wahrheit nicht in ihrer Vorgegebenheit und Unabänderlichkeit zu faszinieren vermag. Wichtig wäre es hier, unterschiedliche Identifikationsangebote zu schaffen und Wahrheitsfragen immer auch auf ihre praktischen Implikationen hin darzustellen, damit Möglichkeiten der Wahl aufscheinen. Überhaupt könnte ein transparentes Ringen verschiedener Theologien für Jugendliche durchaus attraktiver für die Glaubensvermittlung sein als die Fokussierung auf einen einzigen Ansatz. Gespräche einer komparativen Theologie mit Jugendlichen sollten darauf abzielen, die Wahrheitsfragen der Jugendlichen in all ihrer Heterogenität miteinander ins Gespräch zu bringen. In diesem Kontext können auch Formen des interreligiösen Dialogs eingeübt werden. Haltungen wie 25 Joachim Willems, Komparative Jugendtheologie – ein sinnvoller Ansatz für interreligiöses Lernen? In: Beate Kowalski u.a. (Hg.), Herausforderungen Interkultureller Theologie (Beiträge zur Komparativen Theologie 25), Paderborn 2016 (im Druck),140. 26 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Jugendtheologie in der Praxis von Schule und Gemeinde: Religionsunterricht, Konfirman­ denarbeit und Jugendarbeit, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Göttingen 2012, 9–34, 15. 27 Ebd.

von Stosch / Caruso Jugendtheologie und Komparative Theologie im Gespräch

die der epistemischen Demut oder der Empathie sollten vermittelt werden, um zu einem ehrlichen gemeinsamen Ringen um die Wahrheit zu gelangen. Bei der Theologie der Jugendlichen schließlich bleibt die Wahrheitsfrage28 immer als Movens im Hintergrund. Sie in ihrer Radikalität wachzuhalten, so dass sich Jugendliche hart gegenseitig zu befragen lernen, ohne sich dabei die Luft zum Atmen zu nehmen, wäre eine wichtige Aufgabe Komparativer Jugendtheologie. Eine Jugendtheologie in Form einer Komparativen Theologie der Jugendlichen ist – wie bereits die Erläuterungen zum Thema der religiösen Überzeugungen gezeigt haben sollten – durchaus möglich, auch wenn Jugendliche nicht in einer religiösen Tradition beheimatet sind. Denn die impliziten Bezugnahmen auf letzte Orientierung können auch dann theologisch sinnvoll gedeutet werden, wenn sie aus Sicht der Jugendlichen selbst gar nicht religiös strukturiert sind. Zwischen Jugendlichen und der Theologie gibt es »mehr Potenzial und Dynamik im Verhältnis«29 als sich auf Grundlage des zu konstatierenden Traditionsabbruchs zunächst vermuten lässt. So lange Jugendliche noch nicht den Mut verloren haben, letzte Fragen zu stellen, dürfen sie auch nicht als Subjekte der Theologie aufgegeben werden. Die Aufdeckung impliziter Theologien kann ihnen Mut machen, die Suche nach dem, was den Menschen im Letzten ausmacht und antreibt, nicht vorschnell aufzugeben. Und die Tatsache, dass Jugendliche aus anderen Kulturen und Religionen noch leichter bereit sind, ihre Orientierungsprobleme mit religiös konnotierten Aussagen zusammenzubringen, kann es leichter machen, auch Jugendliche aus säkularisierten El-

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ternhäusern auf religiöse Dimensionen in ihren Letztorientierungen hinzuweisen. Von daher bietet eine komparative Jugendtheologie durchaus Potenziale, jugendtheologische Arbeit insgesamt voranzubringen. Umgekehrt kann eine komparativ informierte Jugendtheologie der Komparativen Theologie helfen, ihren Blick auf die anderen Religionen nicht nur auf theologische und religiöse Eliten zu richten, sondern die ganze Heterogenität und Widerständigkeit religiöser Traditionen im Blick zu behalten. Ausblick

Insbesondere der Ansatz bei den religiösen Überzeugungen von Jugendlichen scheint für die Jugendtheologie der entscheidendste Impuls seitens der Komparativen Theologie zu sein. Künftig sollte das gemeinsame Fundament hinsichtlich einer Konzeption für die konkrete Praxis weitergedacht werden. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch der Blick auf den Religionsunterricht, der sich einer Komparativen Jugendtheologie im Kontext der Kompetenzorientierung (Erhebung der Lernausgangslage/Anforderungssituationen) bedienen könnte. 28 Vgl. Jan Woppowa, Das Konfessorische als Stein des Anstoßes, in: Rita Burrichter / Georg Langenhorst / Klaus von Stosch (Hg.), Komparative Theologie: Herausforderung für die Religionspädagogik. Perspektiven zukunftsfähigen Lernens, Paderborn 2015, 15–30, 16f. 29 Thomas Schlag, Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie sprechen? In: Petra Freudenberger-Lötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«: Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, Stuttgart 2013, 9–23, 12.

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Theoretische Grundlagen

Ina ter Avest Empirische Befunde über Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule in den Niederlanden. Ein Tryptichon Mein Beitrag zu dem Thema »Theologisieren in der Gegenwart der/s Anderen« mit besonderem Bezug zum Bereich ›Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule‹ besteht aus einem Triptychon. Der erste Teil, der linke Flügel, betrifft die Ergebnisse der europäischen REDCo-Forschung (2006–2009). Der zweite Teil, der rechte Flügel, beleuchtet das interreligiöse Lernen, wie es in den Niederlanden entwickelt wurde, näher. Der dritte Teil, die Mitte, wird von den beiden Flügeln aus beleuchtet. Hier blicken wir auf die Generation, die in den Genuss des interreligiösen Lernens gekommen ist, und sehen, wie diese sich in der heutigen niederländischen, pluralisierten Gesellschaft positioniert. 1. Der erste Teil: REDCo

Die REDCo-Studie fokussiert sich auf die Rolle von Unterricht und Lernen in einer mulitreligiösen Gesellschaft im Fach Religion. Ihre Aufgabestellung war es, uns zu zeigen, wie Jugendliche zur Religion stehen (›Wenn man befreundet ist, so scheint es mir, sollte man Spaß und eine schöne Zeit miteinander haben und nicht über Religion diskutieren‹), welche Erfahrungen Jugendliche mit der eigenen und einer ›fremden‹ Religion haben (›Ich habe Dinge von meiner Großmutter gelernt,

sie ist praktizierende Muslima und nahm an der Pilgerfahrt nach Mekka teil‹), wie sie die Rolle der Religion in der Gesellschaft sehen (›Ja, sie leben auf der ganzen Welt zusammen. Nicht problemlos, aber sie leben zusammen‹) und was sie diesbezüglich von der Schule erwarten (›Wenn ich es zu entscheiden hätte, würde ich Religion und Schule trennen. Zu viele streiten sich darum und so entstehen Konflikte‹). Unsere spezielle Aufmerksamkeit galt dem Stellenwert der Religion in der schulischen Kommunikation und der Frage, ob dieses Thema ein Grund für Konflikte war1. In unserer Studie wurden quantitative und qualitative Untersuchungsmethoden angewandt. Ich möchte in diesem Beitrag besonders auf die Erkenntnisse der qualitativen Forschung eingehen. Dieser Teil der REDCo-Studie konzentriert sich auf Schüler und Schülerinnen zwischen 14 und 16 Jahren im weiterführenden Unterricht2. Die 1 R. Jackson / S. Miedema / W. Weisse / J.-P. Willaime (ed.), Religion and Education in Europe, Developments, Contexts and Debates, Münster 2007. 2 T. Knauth / D.P. Josza / G.D. Bertram-Troost / J. Ipgrave (ed.), Encountering religious pluralism in school and society. A qualitative study of teenage perspectives in Europe, München 2008; I. ter Avest, Dutch children and their God, in: British Journal of Religious Education, 2009, 31–3; I. ter Avest / G.D. Bertram-Troost (ed.), Geloven in samen leven, Amsterdam 2009.

ter Avest Empirische Befunde über Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule in den Niederlanden

Schüler haben sehr verschiedene religiöse Hintergründe. Der Großteil hat einen christlichen Hintergrund, die wenigsten einen muslimischen. Im Folgenden gehe ich nacheinander näher darauf ein 1. wie Schüler zur Religion stehen 2. welche Erfahrungen Schüler mit der eigenen und einer ›fremden‹ Religion haben 3. wie Schüler die Rolle der Religion in der Gesellschaft sehen 4. und – last but not least – was Schüler von der Schule erwarten. 1.1 Wie Schüler zur Religion stehen

Zunächst muss deutlich sein, dass es eine große Gruppe von Schülern gibt, für die Religion irrelevant ist. Sie geben an, gut ohne Religion auszukommen; für sie gibt es interessantere Dinge, mit denen sie sich beschäftigen wollen. Es gibt auch ausgesprochen gläubige Schüler. Sie glauben an Gott als den Schöpfer der Erde und verwenden Begriffe wie ›Leben nach dem Tod‹, ›Paradies/Himmel‹, ›Gnade‹ und ›Versöhnung‹. Sie sprechen von Gott als Vertrauensperson, dem sie ihre Geschichte erzählen können und der sie in schweren Zeiten tröstet. Die Kehrseite der Medaille ist, dass diese Schüler bittere Gefühle gegenüber Gott verspüren, wenn er ihre Gebete nicht erhört. Andere stellen sich selbst ausdrücklich in die Position des Suchenden – etwas, was auch zu ihrem Alter passt – und fragen sich, ob sie überhaupt jemals gläubig sein werden. Diese Schüler treten logisch an Gott und den Glauben heran

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und suchen nach Beweisen für die Existenz Gottes. Andere Suchende sehen die Geschichten über Gott und den Glauben als überholte Theorien an, für die es keine Beweise gibt. Für einige Schüler sind Gott und Religion Quellen, die ihnen zeigen was ›gut‹ und was ›schlecht‹ ist und ihnen helfen, auf ›dem rechten‹ Weg zu bleiben. 1.2 Die Erfahrungen, die Schüler mit der eigenen und einer ›fremden‹ Religion haben

Die Familie wird von Schülern regelmäßig als der Ort genannt, an dem sie mit der Religion in Berührung gekommen sind. Gleich darauf folgt die Schule. Die Familiensozialisierung erweist sich als ein ›Heimathafen‹. Einige Schüler erfahren die Dominanz des Elternhauses als beklemmend und erinnern sich an erzwungene Kirchgänge. Der Großteil der Schüler, unabhängig von der heimisch-religiösen Sozialisation, sagt, dass Religion derzeit keine Rolle in ihrem Leben spielt. Einige fügen hinzu, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht (wieder) der Fall sein könnte. Schüler mit Migrationshintergrund sind, im Vergleich zu ihren einheimischen europäischen Glaubensgeschwistern, hinsichtlich des eigenen Glaubens weniger kritisch, zeigen anderen Glaubensrichtungen gegenüber aber gleichzeitig eine negativ-kritische Haltung. Über die Medien kommen Schüler mit den anderen Religionen in Berührung. Für Schüler mit einem (säkularisierten) christlichen Hintergrund sind das häufig negative Meldungen über den Islam. Glücklicherweise kompen-

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sieren nach Aussagen der Schülerinnen und Schüler positive Erfahrungen mit Klassenkameraden diese Negativität der Medien deutlich. Die Schüler merken an, dass sie mit den Mitschülern lieber nicht über Religion sprechen. Nicht nur weil Religion ›uncool‹ ist, sondern auch aus Angst vor Vorurteilen, die ein (inter)religiöses Gespräch dominieren und in einem Konflikt enden könnten. Dies könnte zu einer Spirale des Schweigens führen. 1.3 Wie Schüler die Rolle der Religion in der Gesellschaft sehen

Insgesamt äußern sich Schüler positiv über das Zusammenleben von Menschen verschiedener religiöser Abstammung. Das Mikro-Niveau bedeutet, dass Schüler die Freundschaft zu ›dem Anderen‹ als Beweis dafür sehen, dass trotz des Unterschieds ein Zusammenleben möglich ist. Auch mehr oder weniger zufällige Aufeinandertreffen mit ›dem Anderen‹ auf langen Reisen oder während des Urlaubs stützen das Gefühl, dass ein Zusammenleben möglich ist. Das Meso-Niveau bedeutet, dass die Schüler im Vergleich zur Mikro-Ebene mehr Schwierigkeiten sehen. Für sie sind ›extremistische‹ Gruppen Hindernisse, und auch bestimmte Eigenarten (z.B. hinsichtlich der Kleidung) und religiöse Dogmen stehen einem Zusammenleben laut einigen Schülern im Wege. Das Makro-Niveau bedeutet, dass Schüler ein Zusammenleben mit deutlichen Regeln, die den Spielraum der Interaktion bestimmen und für jeden verbindlich sind, befürworten.

1.4 Was Schüler von der Schule erwarten

Schüler sind der Meinung, dass in der Schule Raum für Religion sein muss. Einige Schüler sind dieser Meinung, da sie etwas oder etwas mehr über ihre eigene Religion – die Religion, die sie als Kern ihrer Existenz betrachten – erfahren wollen. Andere möchten mehr über den Anderen erfahren. Es gibt auch Schüler, die Religion in der Schule unsinnig finden. Einerseits finden sie diese langweilig und andererseits befürchten sie religiöse Propaganda sowie eventuelle daraus entstehende Konflikte. Was den Inhalt des Religionsunterrichts (RU) betrifft, so möchte eine Gruppe Allgemein-/Basiswissen über verschiedene Religionen erwerben. Eine Andere möchte wissen, wie eine bestimmte Religion und religiöse Rituale im Alltag der Andersgläubigen zum Ausdruck kommen. Die Art des Unterrichtens – ›Teaching and learning in‹ – ist laut dieser Schüler abzulehnen. ›Teaching and learning about‹ wird hingegen deutlich bevorzugt. Was die Anforderungen, die man an Religions-/Philosophielehrer stellen könnte, betrifft, sind einige der Meinung, dass das Fach RU nur aus einer inneren Perspektive heraus unterrichtet werden kann. Andere befinden es nicht für notwendig, dass der Lehrer selbst gläubig ist. ›Wenn man Englisch unterrichtet, muss man doch auch kein Engländer sein‹, stöhnt einer der Schüler. Ob RU in hetero- oder homogenen Gruppen stattfinden muss, erweist sich als Frage, die eigentlich nicht zu beantworten ist, schließlich kennen die Schüler nur eine Herangehensweise: Das Modell, in dem sie unterrichtet werden.

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Einerseits möchten einige Schüler gern etwas über das Andere erfahren, was für ein gemischtes Modell sprechen und dem Integrationswunsch diverser Behörden entsprechen würde. Anderseits möchte eine andere Schülergruppe mehr Wissen über die eigenen Traditionen erwerben und diese konsequenter leben, ein Plädoyer für ein konfessionell getrenntes Modell. Im zweiten Teil des Triptychons informiere ich über ein Modell, in welchem sowohl die eigene Religion getrennt als auch gemeinsam die Religion der Anderen unterrichtet und gelernt wird: Das interreligiöse Model der Juliana van Stolberg-Schule. 2. Der zweite Teil: Interreligiöses Unterrichten und Lernen in den Niederlanden

Dieser zweite Teil, der rechte Flügel des Triptychons, zeigt einige Fallbeispiele des RU’s in der niederländischen postversäulten Gesellschaft. Dafür muss zunächst kurz zusammengefasst werden, was in den Niederlanden unter einer versäulten Gesellschaft verstanden wird, der post-versäulte Charakter erklärt sich anschließend von selbst. Religionsfreiheit ist ein Grundrecht aller Niederländer. Dieses Recht wird in der Freiheit, Organisationen in Übereinstimmung mit der eigenen religiösen oder säkularen Philosophie zu gründen, konkretisiert. Auf diese Weise sind verschiedene Organisationen entstanden, die durch ihre religiösen Grenzen voneinander getrennt sind: evangelische (auf Niederländisch: »protestants-christelijke«), katholische und öffentliche Orga-

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nisationen – von Zeitungen und Sportvereinen bis hin zu Krankenhäusern und Schulen. Wir sprechen hier von einer ›versäulten Gesellschaft‹ – einer typisch niederländischen Art des ›Living apart together‹ in einer Gesellschaft, in der jeder dieselbe niederländische Nationalität hat. In Anbetracht des Säkularisierungsprozesses als Abnahme der Rolle der institutionalisierten Religion in der öffentlichen Domäne sprechen wir jetzt in den Niederlanden über eine post-versäulte Gesellschaft, in der jedoch vom Namen her immer noch evangelische, katholische und öffentliche Schulen existieren. Etwa 30% aller Schüler besucht eine evangelische Schule. Ungefähr ebenso viele Schüler besuchen eine katholische oder öffentliche Schule. Nur ein Prozent der Schüler besucht eine islamische Schule. Die restlichen Schüler verteilen sich auf die Schulen mit einem spezifischen pädagogischen Konzept (z.B. Waldorfschulen, Montessori- oder JenaplanSchulen). Sämtliche Schulen werden vom Staat gleichermaßen gefördert und von Inspektoren hinsichtlich der Unterrichtsqualität beurteilt. Der Unterricht in der jeweiligen Tradition, zu der sich die Schule bekennt (Religionsunterricht, RU) entzieht sich jedoch dieser Inspektion. Die Pluralität der Religionen an den Schulen zwang die Schulen dazu, mit Besonderem Blick auf den RU über das Unterrichten und Lernen sehr heterogener Schülergruppen nachzudenken. An evangelischen Schulen unterrichtet die Klassenlehrkraft das Fach Religion. Mit der Teilnahme andersgläubiger Schüler entschieden sich einige Schulen dafür, allen Schülern christlichen RU zu erteilen (Modell A). Andere Schulen

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haben beschlossen, die ,andere‹ Religion aus einer christlichen Perspektive zu beleuchten (Modell B). Wieder andere entschieden sich für eine interkulturelle Position, in der das ›von- und miteinander Lernen‹ als Kernbegriff gilt (Modell C). An islamischen Schulen unterrichtet eine spezialisierte Lehrkraft das Fach Religion; dieser Unterricht wird von allen Schülern besucht. An öffentlichen Schulen wird von spezialisierten Lehrkräften evangelischer, katholischer, humanistischer oder islamischer Unterricht angeboten. Nur die Schüler, deren Eltern sich für diesen Unterricht entschieden haben, besuchen den RU; alle anderen Schüler werden während dieser Stunden in einem anderen Fach unterrichtet. In diesem Kontext der ›Versäulung-inBewegung‹ ist das interreligiöse Modell entstanden. ›Begegnung‹ ist der Kernbegriff in diesem Modell. An erster Stelle steht der RU mit seiner eigenen Tradition – sowohl der christlichen als auch der islamischen. Die eigene Klassenlehrkraft gibt christliche Stunden, ein Imam Islamische. Hinzu kommen wöchentliche Begegnungsstunden für alle Schüler. Diese liegen in den Händen der Klassenlehrkraft. Abhängig vom Alter der Schüler hören sie Geschichten über die verbindenden Aspekte der Traditionen (gemeinsame Geschichten wie die des Josef oder des Mose). Auch die unterscheidenden Akzente in den Religionen (wie die unterschiedliche Bedeutung der Fastenzeit und die Position Jesu) finden Raum. In einer Promotionsstunde wurden Schüler dieser Schule während ihrer Grundschulzeit über drei Jahre lang (Klassenstufen 4–6) beobachtet und im Anschluss 3-mal während des weiter-

führenden Unterrichts (Klassenstufen 7, 9, 11) interviewt. Für das Team dieser ersten interreligiösen Grundschule und auch für die Teams, die dieses Modell in den Folgejahren weiterentwickelt haben, gilt, dass das versäulte Unterrichtskonzept in einem multireligiösen Kontext nicht länger haltbar ist. Die Konsequenz ist die Suche nach anderen Formen des RU’s und der Formung einer Schulidentität – die auch in der heutigen Gesellschaft formal immer noch protestantisch, katholisch oder öffentlich sein kann. Es wird eine Verbindung zur politischen Bildung hergestellt, weniger zur christlichen oder humanistischen Tradition. Daher: post-versäult. In den interreligiösen Schulen wird explizit die Verbindung zur christlichen und islamischen Tradition im neuen Kontext der Multireligiosität und Säkularisierung hergestellt. Die Kinder werden jedoch nicht nur an einer interreligiösen Schule bei der Suche nach den Gemeinsamkeiten in der Diversität begleitet. Lasst uns zunächst einen Blick darauf werfen, wie ein Tag an einer islamischen Grundschule beginnt. Islamische Grundschulen sind in der Regel Mittelpunktschulen. Das bedeutet, dass die Kinder aufgrund von Staus nicht immer pünktlich um 08:30 Uhr in der Schule sein können. Aus diesem Grund gibt es in dieser Schule eine variable Anfangszeit zwischen 08:30 Uhr und 09:00 Uhr. Kinder können in dieser Zeit eine Aufgabe vom vorhergehenden Tag beenden, und Eltern können das Gespräch mit Lehrern suchen. Um 09:00 Uhr spricht die Lehrerin (katholisch!) mit ihren Schülern das islamische Morgengebet. Nach diesem Tagesbeginn werden die

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Mütter mit den Worten: ›So wie Sie zu Hause arbeiten, arbeiten wir auch hier!‹ nach Hause geschickt. An diesem Morgen liest die Lehrkraft die Geschichte ›Kikker vindt een vriendje‹3. Die Lehrkraft betont gegenüber ihren Schülern, dass die Tatsache, dass der Freund ›anders‹ ist, ihre Beziehung nicht komplizierter, sondern besser macht, da der Freund den Frosch bei Dingen unterstützen kann, die er selbst weniger gut beherrscht. Um dies zu vertiefen, bittet die Lehrerin die Schüler zu erzählen, was sie gut und was sie weniger gut können und von wem sie hinsichtlich ihrer Schwächen etwas lernen könnten. Auf diese Weise weckt sie bei ihren Schülern eine forschende Haltung gegenüber sich selbst und dem Anderen. Neugier hinsichtlich des Anderen ist nicht nur ein Thema für eine Religionsstunde, sondern kann auch außerhalb dieser stimuliert werden. Ein Beispiel hierfür ist eine Lehrerin, die ein augenscheinlich unschuldiges, alltägliches Phänomen aufgreift, um Schüler über ihren eigenen Tellerrand hinwegschauen zu lassen. Es geht um das Herunterladen von Musikdateien. Schritt für Schritt lässt dieser Lehrer einen Schüler Verbindungen zwischen Dingen erstellen. Die Lehrkraft fordert den Schüler heraus und tut dies in der sicheren Umgebung der eigenen Klasse. Ich sehe dies als ein Beispiel provokativer Pädagogik, wie wir sie (im Niederländischen) im unseren Teil der REDCo-Studie beschrieben haben.

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3. Der dritte Teil: wie wird interreligiös gelernt?

Ein – im niederländischen Kontext – interessanter Fall ist die enge Zusammenarbeit einer öffentlichen, einer säkular-christlichen und einer islamischen Grundschule im Stadtviertel ›Bijlmer‹ in Amsterdam. Das Motto dieser drei Schulen lautet ›Der Plural von Zusammen ist Zukunft‹. In der alltäglichen Praxis arbeiten sie da zusammen, wo es möglich ist (z.B. gemeinsame Vorschule für Kleinkinder ab 2 Jahren, Freizeitaktivitäten, eine Weihnachtsaktion für die Anwohner aus der Nachbarschaft) und, wenn nötig, getrennt voneinander (z.B. Feier des Geburtstages eines Propheten). Die Schulen haben sich für eine Methode entschieden, in der die sozial-emotionale Entwicklung und die Bürgerschaftserziehung Hand in Hand gehen: Die Methode ›Friedliche Schule‹ – in gewisser Weise eine Form von religions- oder weltanschaulichem Unterricht. Welche langfristigen Folgen hat diese Art des interreligiösen und inter-weltanschaulichen Unterrichts in einem pluralisierten Kontext? Um einen Einblick in dieses Thema zu bekommen, wurde erneut Kontakt mit den Probanden der Studie an der ersten interreligiösen Schule der Niederlande, der Juliana van Stolbergschool, aufgenommen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die gesellschaftliche Positionierung einer der ehemaligen Schüler/innen in

3 Deutsch: Der Frosch findet einen Freund, (1996).

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Arbeit und Erziehung. Hierfür umreiße ich kurz das Portrait dieser Schülerin während der Forschung und gestatte Ihnen einen Einblick in das aktuelle Portrait. Portrait von Louisa

Am Ende ihrer Grundschulzeit schreibt Louisa über sich selbst: Engelchen auf der Schulter, die Protokoll dar­über führen, was man gut und weniger gut gemacht hat. Man muss zusammen spielen, ›das steht im Koran‹ und ›Gott‹ hat das Stehlen verboten. Manchmal bin ich zickig, aber nur ganz manchmal.

Im ersten Jahr an der weiterführenden Schule erzählt Louisa, dass sie Muslima ist: ›Das ist mir sehr wichtig. Ich gehe nicht in die Moschee, ich bete 5-mal täglich.‹

Im dritten Jahr an der weiterführenden Schule sagt Louisa: ›Früher folgte ich der Religion und den Regeln, weil mein Vater es sagte, aber jetzt finde ich es gut, der Religion zu folgen, da ich es selber will.‹

Sechs Jahre nach Verlassen der Grundschule, gegen Ende der Zeit an der weiterführenden Schule, erzählt Louisa, dass ihr ihre Religion viel bedeutet. Louisa sagt: ›Ich habe selbst die Wahl getroffen zu beten und jetzt tue ich das noch immer.‹ Sie erfährt es als sehr positiv, dass ihre Eltern sie niemals dazu gezwungen haben, etwas

mit Religion zu tun. Sie ist ›noch nicht bereit um ein Kopftuch zu tragen‹, es beschäftigt sie jedoch sehr. ›Was werden die Menschen sagen? Das hindert [mich] daran, es zu tun.‹

Wie erging es Louisa, deren religiösen Position wir vom Kindes- bis ins Jugendalter folgen konnten? Auf welche Weise lässt sich die interreligiöse Erziehung, wie sie an der Juliana von Stolbergschool Form verlief, in ihrer heutigen Positionierung zum Islam, in ihrer Arbeit, in der Gesellschaft und in ihren eigenen Erziehungspraktiken als Mutter zweier kleiner Kinder wiederfinden? Louisa ist Lehrkraft an einer islamischen Schule. ›Wenn ein Kind also einen Streit hat, nimmt man den Glauben zu Hilfe.‹ ›Die Engel auf der Schulter treten auf, wenn ein Kind frech war.‹ Louisa denkt viel über sich als Gläubige in der heutigen niederländischen Gesellschaft nach. Prüfungen in ihrem Leben, wie sie es selbst nennt, haben sie klüger gemacht und ihr Leben im Glauben vertieft. Sie verweist auf die islamitische Tradition, die besagt: ›Nichts in diesem irdischen Leben geschieht grundlos. […] Für den Menschen ist es wichtig, den Grund eines Geschehens zu ermitteln.‹ Diese islamische Weisheit inspiriert Louisa dazu, die Dinge von mehreren Seiten zu betrachten. Für Louisa bilden ihre täglichen Gebete einen Ruhepunkt. Während des Gebets, besonders im Sujood, erfährt sie, dass sie ›in diesem Moment im Gespräch mit Gott ist‹, sie ›fleht‹ und ›findet hierdurch sehr viel Ruhe‹. Auch wenn sie findet, dass sie durch die Prüfungen weise und gläubiger geworden ist, so will sie solche Prüfungen

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nicht für ihre Kinder kreieren. Sie gibt ihnen den Raum, aus eigenen Fehlern zu lernen – wie schwer ihr das auch manchmal fällt. ›Ein Kind braucht keine echten Prüfungen, in der Kinderwelt stellen die begangenen Fehler Prüfungen dar. Das stärkt sich im Kind-sein.‹ Auch in der Erziehung ihrer Kinder erstellt Louisa eine Verbindung zum Glauben. Wenn ihr Sohn beispielsweise keine Lust hat, etwas zu tun, erinnert sie ihn daran, wie wichtig die Mutter im Islam ist. ›Dann macht er es dennoch.‹ ›So haben meine Eltern das auch gemacht; das hat mir viel Ruhe gegeben.‹ Um den Glauben ihrer Kinder zu stärken, reagiert Louisa offen auf ihre Fragen und spricht viel mit ihnen. Sie gibt ihnen eine kritische Haltung hinsichtlich der Dinge, die sie hören und lesen, mit auf den Weg. ›Du musst nicht alles glauben, was du im Fernsehen hörst. […] Allah hat dir dein eigenes Gehirn gegeben, du musst versuchen, selbst nachzudenken.‹ Von ihrer Grundschulzeit an der Juliana van Stolbergschool weiß Louisa noch, dass ›wir Islamunterricht bekamen und die anderen Kinder dann christlichen RU; jeder wurde in seinem Glauben unterrichtet.‹ Im Nachhinein betrachtet findet sie es schade, dass sie getrennt unterrichtet wurden. Louisa findet es wichtig, dass man an der Juliana van Stolbergschool anders sein durfte. ›Ich bin Muslima, sie ist christlich – dennoch probieren wir einander zu respektieren.‹ Sie realisiert, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen einander respektieren. Neben dieser positiven Erfahrung nennt Louisa auch eine negative Erfahrung: ›die weiße Flucht‹. ›Dass Kinder weggingen, das verstand ich nicht. Das macht schon was

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mit dir, wenn Menschen sich abwenden, weil du ‚schwarz‘ bist.‹ Gäbe es nun eine Schule wie die Juliana van Stolbergschool würde Louisa ihre Kinder dort anmelden. Louisa ist der Meinung, dass es Kindern gut tut, Unterschiede zu erleben und zu lernen, Fragen hierzu zu stellen, z.B.: ›um die Weihnachtszeit herum ‚Wer ist Jesus denn?‘‹ Für ihren älteren Sohn wäre es ihrer Meinung nach momentan zu verwirrend. ›Es verwirrt ihn schon, dass nicht jede Muslima ein Kopftuch trägt.‹ ›Die größte Prüfung in der Erziehung meiner Kinder sehe ich darin, dass sie sehr stark werden müssen. Wenn ich die heutigen Niederlande mit der von vor 30 Jahren vergleiche, sehe ich viele Unterschiede.‹ Einerseits merkt Louisa auf Kindergeburtstagen, dass die Eltern nicht-islamischer Kinder viel mehr über die Essgewohnheiten der Moslems wissen und diese berücksichtigen. Andererseits meint sie, dass ›unser Glaube in ein sehr schlechtes Licht gerückt wird. Dann muss man stark sein.‹ ›Ich hoffe, dass sich das in den Niederlanden in die richtige Richtung bewegt, dass man im Gespräch bleibt.‹ 4. Zusammenfassung, Schlussfolgerung und Empfehlungen

Für die meisten Jugendlichen in der REDCo-Studie ist Religion kein Gesprächsthema. Bei denjenigen, die darüber reden, erweist sich, dass der Bedarf, etwas über den Anderen zu wissen, und die Neugier nach dem Anderen sehr wichtig sind: Wissen über die Traditionen des Anderen und Wissen darüber, was dies im Alltag konkret bedeu-

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tet. Das erste Wissen kann von außen kommen – um Englisch zu unterrichten, muss man doch auch kein Engländer sein? Die zweite Art des Wissens muss von innen kommen. Dafür sind gemischte Schülergruppen notwendig. Dennoch dürfen wir den Wunsch nach weiterem Wissen über die eigene Tradition, den Schüler bevorzugen, nicht unterschätzen. Das interreligiös Lernen, so wie es gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts an der Juliana van Stolbergschool entwickelt wurde, kommt beiden Wünschen entgegen: sowohl dem Entdecken und Kennenlernen der eigenen Tradition als auch dem Lernen vom Anderen. Louisa gibt an, dass sie am interreligiösen Lernen gut fand, anders sein zu dürfen und dass sie darin akzeptiert und respektiert wurde. So eine Schule würde sie sich auch für ihre Kinder wünschen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Statt in einer Zeit, in der Neugier nach dem Anderen zur Entwicklung des interreligiösen Modells führen konnte, leben wir heutzutage in einer Zeit von Angst vor dem Anderen. Das führt dazu, dass Louisa sich Unterricht in der eigenen Tradition wünscht, sodass ihre Kinder in Bezug auf ihren Glauben stark werden können – etwas, was man ihrer Meinung nach in diesen

Zeiten braucht. Was wir in diesen Zeiten im Unterricht brauchen, ist der Mut mit dieser Angst umzugehen. Der Mut besteht daraus, die Spirale des Schweigens im Unterricht zu durchbrechen und miteinander ins Gespräch zu kommen und dabei zu bleiben. In ›Der Hofmeister‹ thematisiert der Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz4 1774 die Frage nach dem richtigen Erziehungsmodell. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Die Lehrkräfte bemühen sich um ihre Schüler – damals wie heute. Aber sobald das Kind schulreif ist, stellen Eltern sich die Frage, ob die nächstgelegene Schule auch gut genug ist. Aus Angst vor der öffentlichen Schule wählten Eltern damals den Hofmeister; aus Angst vor einer ›schwarzen Schule‹, in der ihr Kind angeblich zu wenig lernt, gehen heutzutage viele Ideale verloren und man denkt über kostenintensivere Alternativen nach – wenn man sich diese leisten kann. Ein Teufelskreis. Aber, wie es in ›Der Hofmeister‹ heißt: ›Die Schule ist unser aller gemeinsamer Garten, wir dürfen ihn nicht verwildern lassen.‹

4 J.M.R. Lenz, Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung. Eine Komödie, Stuttgart 1993.

Willems Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule

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Joachim Willems »Wir waren Kopftuch schwarz, aber unser Oberteil war farbig« – Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule1 Wir leben in einer pluralen Gesellschaft, in vielerlei Hinsicht. Geht es in der Schule um Religion, dann geht es deshalb häufig um Differenz und Diversität: um die Differenz etwa zwischen verschiedenen Weltanschauungen, Religionen, Konfessionen, Glaubensformen. Oder um die Differenz zwischen religiösen und naturwissenschaftlichen Deutungen der Wirklichkeit. In einem Interview2 berichtet eine Schülerin von einem Gespräch mit ihrer Lehrerin. In dem Gespräch ging es um ein Stück Stoff, das die Schülerin auf dem Kopf trägt. Zu sagen, es sei ein Kopftuch gewesen und damit religiöses Symbol, wäre schon eine begründungsbedürftige Interpretation. Ich möchte mit Ihnen gerne dieses Gespräch ein bisschen genauer anschauen. Worum geht es eigentlich? Und was lässt sich aus diesem Einzelfall vielleicht lernen mit Blick auf die Frage, wie religiöse Vielfalt in unseren Schulen zum Thema wird? Zuvor ein paar Allgemeinheiten über Kommunikation

Kommunikation ist nicht einfach die Übergabe einer Information vom Sender an den Empfänger. Vielmehr geht es um einen Vorgang, bei dem Zeichen kodiert und dekodiert, bei dem Bedeutungen

konstruiert und konstituiert werden. Steht eine gut gefüllte Mülltüte neben der Eingangstür, dann kann ich diese Mülltüte als ein Zeichen verstehen, das mir von meinem Mitbewohner ausrichten soll: ›Die letzten Male habe ich den Müll rausgebracht. Nimm du ihn heute bitte mit!‹ Ob ich dabei einen gereizten Unterton höre oder eine freundliche Bitte, liegt offensichtlich nicht an der Tüte. Die Tüte enthält keinen Unterton, sondern Müll. Ich höre den Unterton weniger heraus, sondern vielmehr hinein. Vielleicht hat mein Mitbewohner die Mülltüte ja auch dorthin gestellt, um selbst nicht zu vergessen, sie beim nächs1 Dieser Beitrag präsentiert Ergebnisse des Forschungsprojekts REVIER (Religiöse Vielfalt erleben – deuten – bewerten. Religionspädagogische Untersuchungen zum Umgang Jugendlicher mit religiös pluralen Situationen). REVIER wird gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, GZ: WI 2715/1–1 und WI 2715/2–1. 2 Das Interview wurde geführt im Rahmen des Forschungsprojekts REVIER (s.o. Fußnote 1). Ausführliche Informationen zum Forschungsprojekt, den Forschungsmethoden und dem theoretischen Rahmen werden sich in einer Monographie finden, die zurzeit in Arbeit ist. Einige Angaben können den bereits zu REVIER publizierten Texten entnommen werden, z.B. Joachim Willems, Interreligiöse Kompetenz an der öffentlichen Schule, in: Henning Schluß / Susanne Tschida / Thomas Krobath / Michael Domsgen (Hg.), Wir sind alle »andere«. Schule und Religion in der Pluralität, Göttingen 2015, 19–36.

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ten Gang vor die Wohnungstür zur Mülltonne zu bringen. Was mir die Mülltüte sagt, hängt also davon ab, wie ich sie deute. Und wie ich sie deute, hängt davon ab, in welchen Kontext ich sie stelle, welchen Kontext ich um die Situation, um die Tüte herum konstruiere. Und das hängt wiederum davon ab, welche Erfahrungen ich mit ähnlichen Situationen gemacht habe, worauf ich meine Aufmerksamkeit fokussiere, welche Gefühle mich gerade beschäftigen. Es ist offensichtlich, dass sich schon bei diesem einfachen Beispiel verschiedene Personen jeweils in unterschiedlichen Situationen befinden (können): In einer Situation der nebenbei erledigten Hausarbeit, in einem Erziehungsversuch, gar in einem Machtkampf, im Erfüllen eines Gefallens. In der Regel läuft Kommunikation glatt und wir werden uns nicht bewusst, dass wir alle sprachlichen und nichtsprachlichen Äußerungen in Kontexte einordnen, die wir selbst konstruieren, und dass dabei die Art der Kontextkonstruktion wesentlich davon bestimmt wird, welche Deutungsmuster und Rahmungen uns geläufig und selbstverständlich sind. Solche Deutungsmuster und Rahmungen aber unterscheiden sich von Person zu Person. Wie wir eine Situation deuten, in der Situation fühlen und werten, wie wir handeln, das hängt von individuellen Erfahrungen und Überzeugungen ab, die von uns als sozialen Wesen in sozialen Kontexten gemacht werden – als Angehörige einer bestimmten Kultur, Schicht oder Klasse, einer Religionsgemeinschaft oder Gruppe mit einem bestimmten äußeren Erscheinungsbild, eines Geschlechts oder eines Bildungs-

niveaus. Und alle diese Begriffe könnte man in Anführungsstriche setzen. Als Analysekategorien können sie zwar sinnvoll sein, zugleich aber sind sie immer auch gesellschaftliche Konstrukte. Weil sich Deutungen unterscheiden, hakt die Kommunikation zuweilen. Dann kann es hilfreich sein zu versuchen, die jeweils unterschiedlichen Kontextkonstruktionen zu rekonstruieren. Das gilt für alle Arten von sozialen Beziehungen, auch für solche, in denen Menschen miteinander kommunizieren, die unterschiedliche religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen haben. Um einen solchen Fall soll es nun gehen. Ein Beispiel: Das Tuch einer Berliner Schülerin

Das Interview, das den folgenden Überlegungen zugrunde liegt, findet in einer Berliner Moschee statt. Es ist Teil eines größeren Forschungsprojekts, in dem untersucht wird, wie christliche, muslimische und nicht-religiöse Jugendliche mit religiöser Pluralität umgehen, welche Erfahrungen sie mit anderen Religionen machen, wie sie diese Erfahrungen deuten und kontextualisieren. Die Interviewte wählt als Pseudonym den Namen Ayşe. Sie ist 17 Jahre alt und Muslimin. Unmittelbar vor dem Ausschnitt, der gleich analysiert werden soll, hat sie davon berichtet, wie es ihr gelingt, in der Schulzeit regelmäßig zu beten. Das sei nicht ganz unproblematisch, weil viele ihrer Lehrkräfte Gebete in der Schule nicht akzeptieren wollten. Aber dennoch fänden sie und ihre muslimischen Mitschülerinnen und Mitschüler Wege, die Gebetszeiten einzuhalten.

Willems Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule

Dann lenkt die Interviewerin das Gespräch auf ein anderes Thema: »Und die berühmte Frage: Kopftuch? Hattest du damit Probleme in der Schule oder so?« Die Antwort von Ayşe möchte ich nun Stückchen für Stückchen daraufhin befragen, welche Kontexte hier von Ayşe und den Personen, über die Ayşe berichtet, konstruiert werden (könnten). »Ähm, bisher hatte ich noch gar keine Probleme. Aber es war vor zwei Wochen ähm da hatte ich ähm schwarzen Rock [lacht] und schwarzes Kopftuch wie heute und ähm ich hatte ich einen lila Blazer an, und ich saß auf der Bank und hatte meine Tasche vor mir, und, und meine Freundin hatte sich auch schwarz gekleidet. Wir waren Kopftuch schwarz, aber unser Oberteil war farbig.«

Zunächst einmal gibt die Interviewte an, wegen ihres Kopftuchs in der Schule keine Probleme (gehabt) zu haben. Sie verstärkt dies mit dem Wörtchen »gar« vor »keine«. Diese Aussage wird relativiert durch zwei andere Worte: »Bisher« und »noch« implizieren zumindest eine gewisse Unsicherheit mit Blick auf die Zukunft. Hier kann logisch nur ein »Aber« folgen, und so setzt Ayşe ihre Schilderung tatsächlich fort. Sie berichtet nun allerdings nicht von ihren Befürchtungen für die Zukunft, sondern verweist auf eine Situation »vor zwei Wochen«. Das »Aber« deutet an, dass es nun um eine durchaus problematische Situation gehen wird. Warum hat sie dann vorher gesagt, dass sie »bisher … noch gar keine Probleme« gehabt habe? Möglicherweise misst sie der Situation »vor zwei Wochen« keine große Bedeutung zu, so dass das Wort ›Problem‹ aus ihrer Sicht übertrieben wäre, auch wenn die Situation für Ayşe problematische Züge hatte.

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Was geschah aber »vor zwei Wochen«? Ayşe berichtet, dass sie, wie auch ihre Freundin, »einen schwarzen Rock und schwarzes Kopftuch« sowie »einen lila Blazer« getragen habe. Offensichtlich geht es also nicht um sie alleine, sondern auch um ihre Freundin. Außerdem spielt für die Situation die Farbe ihrer Kleidungsstücke eine Rolle, weshalb sie wiederholt darauf hinweist. Dabei geht es anscheinend um den Kontrast zwischen den schwarzen und den nicht-schwarzen Kleidungsstücken: »schwarz, aber …«. »Wir wollten halt so Partnerlook machen. Und dann saßen wir so auf der Bank, und dann ist meine Lehrerin da vorbeigelaufen, und hat so komisch geguckt und ihren Kopf so geschüttelt, aber sie hat so richtig eklig geguckt.«

Ayşe nimmt nun eine neue Rahmung vor: War sie vom Kopftuch als einem in der Schule möglicherweise problematischen Kleidungsstück auf die Farbe ihrer Kleidung gekommen, so geht es nun um die Beziehung zu ihrer Freundin. Sie erklärt die Farben der Kleidungsstücke damit, dass sie beide »halt so Partnerlook machen« wollten. In (ihrer nachträglichen Schilderung) der Situation steht für sie etwas im Vordergrund, was für Jugendliche durchaus typisch ist: durch die Kleidung Zugehörigkeit und Verbundenheit zu symbolisieren. Nun tritt als dritte Person eine Lehrerin auf. Ayşe erzählt, wie sie im Vorübergehen auf die beiden Schülerinnen reagiert habe. Offensichtlich interpretiert Ayşe das Verhalten der Lehrerin (den Kopf schütteln, »komisch« bzw. »eklig« schauen) als Unverständnis ihr und ihrer Freundin gegenüber, als Ablehnung, möglicherweise auch als Feindseligkeit.

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Der Leser des Interview-Transkripts kann sich fragen, warum die Lehrerin so handelt. Diese Frage stellen auch die Schülerinnen sich – und der Lehrerin: »Und dann sind wir später zu ihr gegangen, da bin ich mit meiner Freundin zu ihr gegangen, und meinten, ja warum haben Sie so geguckt. […] meine Freundin, die hatte zu dem Zeitpunkt hat sie dann, hat sie neu Kopftuch getragen. Das war nach den Osterferien, also – vielleicht so ein paar Tagen und – ich hatte halt die Befürchtung, dass sie vielleicht denkt, dass ich sie beeinflusst habe und sie sozusagen so zum Kopftuch so gezwungen habe oder so. Obwohl – das habe ich nicht. Egal.«

Bevor Ayşe die Erklärung der Lehrerin für ihr Verhalten wiedergibt, schiebt sie eine zusätzliche Information ein: Ihre Freundin habe zu dieser Zeit erst seit ein »paar Tagen« ein Kopftuch getragen. Nun nimmt Ayşe einen Perspektivenwechsel vor und versucht, die Kontextkonstruktion ihrer Lehrerin zu antizipieren – womit sie eine bemerkenswerte interreligiöse Kompetenz unter Beweis stellt: Aufgrund ihrer Erfahrungen als Muslimin in Deutschland kennt sie die Vorstellung, dass Kopftücher nicht freiwillig, sondern aus Zwang getragen werden. Die Lehrerin ist für sie eine Person, die so denken könnte. Deshalb geht Ayşe auf diese Vorstellung ein, zumindest im Interview. Warum aber spricht Ayşe davon, dass sie das ›befürchte‹? Zum einen wäre möglich (und es erscheint mir als sehr wahrscheinlich), dass sie selbst, wie sie es auch von der Lehrerin annimmt, Zwang zum Kopftuch-Tragen ablehnt. Dann würde es hier um Scham gehen, weil Ayşe befürchten würde, dass die Lehrerin (zu

Unrecht) schlecht von ihr denkt, weil sie sie für eine Befürworterin von Zwang in religiösen Dingen halten könnte. Zum anderen könnte Ayşe von einer »Befürchtung« reden, weil sie die Konsequenzen für die ihr unterstellte Handlung fürchtet. So könnte sie Angst haben, dass sie für den vermeintlichen Zwang bestraft wird. Warum auch immer – auf jeden Fall betont Ayşe, dass sie ihre Freundin nicht beeinflusst oder gezwungen habe. Näher betrachtet, ist das absurd: Dass sich Freundinnen wechselseitig beeinflussen, ist normal und weder verwerflich noch verboten. Und dass eine Schülerin ihre Mitschülerin zwingt, also gegen ihren Willen dazu bringt, ein Kopftuch zu tragen, ist doch höchst unwahrscheinlich. (Ayşe scheint das zu wissen, wie die abschwächenden Wörter »sozusagen so« und »oder so« anzeigen.) Man stelle sich zum Vergleich und als ›Gedankenexperiment‹ die Situation vor, zwei Schüler, beide mit dem T-Shirt einer angesagten Band, würden auf einer Bank sitzen. Dann würde man sich nur unter besonderen Umständen dafür interessieren, wer hier wen ›beeinflusst‹ hat, und man würde kaum einem von beiden unterstellen, ›Zwang‹ auszuüben. Hier wird deutlich, wie unterschiedliche Kontextkonstruktionen zur Geltung kommen: Eingangs hatte ich darauf hingewiesen, dass die Kennzeichnung eines Kopftuchs als religiöses Kleidungsstück schon begründungsbedürftig ist. Das soll hier erläutert werden: Man kann mit guten Gründen annehmen, dass Ayşe nach eigenem Verständnis das Stück Stoff auf ihrem Kopf durchaus als Kopftuch versteht, das sie aus religiösen Gründen trägt. In ihrer Schilderung aber bleibt dieser Aspekt im Hintergrund, während

Willems Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule

zwei andere Aspekte im Vordergrund stehen: Zum einen nimmt Ayşe selbst eine Kontextualisierung vor, in der mit Blick auf das Kopftuch vor allem die Beziehung zu ihrer Freundin betont wird. Daneben bezieht Ayşe sich auf eine ihr bekannte Kontextualisierung des Kopftuchs, bei der Kopftuch-Tragen mit Zwang assoziiert wird. Diese Kontextualisierung lehnt sie als zumindest in diesem Fall nicht angemessen ab. Dennoch meint sie, sich mit dieser Kontextualisierung auseinandersetzen zu müssen, denn sie vermutet, dass ihre Lehrerin so kontextualisiert – ob sie das macht, muss hier noch offen bleiben. Wie die Lehrerin ihre Reaktion auf die Kopftücher rahmt, oder genauer: welche Rahmungen sich aufgrund der Darstellung durch Ayşe vermuten lassen, kommt in der Fortsetzung des Interviews zum Ausdruck. »Und dann bin ich halt zu ihr gegangen, und dann wollte sie mit mir auf einmal mit mir nicht reden. Und dann hab ich’s am nächsten Tag versucht, und dann haben wir uns halt getroffen, auf der Bank, und dann haben wir drüber geredet, und das, äh sie hat wohl so geguckt weil sie Angst um mich hatte, und, ähm – [kurze Pause]. Sie hat dann mit mir drüber geredet, dass ähm, dass es ähm mein Berufsleben beeinflussen würde und dass ich mich ja der modernen Gesellschaft anpassen müsste, und dass mich mein Kopftuch in meinem Leben nur hindern würde. Und dass sie es nicht nachvollziehen kann, und dass sie nicht versteht, wieso ich so schwarz gekleidet war, ob ich irgendwie Probleme hatte oder so.«

Leider liegt uns keine Schilderung der Situation durch die Lehrerin selbst vor. Wir kennen die Sicht der Lehrerin nur durch die Brille von Ayşe, die die Sicht ihrer Lehrerin nicht einfach abbildet,

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sondern auf eine bestimmte Art und Weise gehört hat und nun (re)konstruiert. Der Einfachheit halber nehmen wir hier an, dass sich die Lehrerin in dieser Schilderung wiederfinden könnte. Und selbst, wenn sie das nicht könnte, wäre die ihr unterstellte Sicht Ausdruck davon, wie Ayşe ihr soziales Umfeld wahrnimmt, wie sie sich von anderen als muslimische Jugendliche betrachtet sieht. In Ayşes Schilderung konstruiert die Lehrerin zwei Kontexte für ihre Reaktion auf die Kopftücher tragenden Mädchen. Zum einen ordnet sie das Kopftuch in einen gesellschaftlichen Kontext ein. Gesellschaft in Deutschland ist nach Aussage der Lehrerin ›modern‹ und verlangt Anpassung. Offensichtlich ist für die Lehrerin ein Kopftuch Zeichen fehlender Anpassung und ein Fremdkörper in der »modernen Gesellschaft«. Sie diagnostiziert, dass deshalb das Kopftuch Ayşe in ihrem »Leben nur hindern würde«. Die Lehrerin inszeniert sich hier zwar als fürsorgliche Pädagogin, die aus Sorge um ihre Schülerinnen handelt. Dabei aber steht sie ganz und gar auf der Seite ›der Gesellschaft‹, wenn sie die Position vertritt, dass nicht diese ›Gesellschaft‹ Ayşe in ihrem Leben behindert, sondern das Kopftuch. Die Lehrerin vertritt damit eine assimilationistische Position und ein normatives Gesellschaftsverständnis, das dem Konzept von ›Leitkultur‹ entspricht, wie es Anfang der 2000er Jahre in Deutschland von konservativer Seite vertreten wurde. Denn offensichtlich verlangt die Lehrerin mehr als dass sich Ayşe an die für alle geltenden Gesetze halten müsse. (Eher könnte sich ja Ayşe auf die deutsche Rechtsordnung berufen, etwa auf die Garantie von Religionsfreiheit in Artikel 4 Grundgesetz.) Ayşe soll

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Theoretische Grundlagen

sich auch Sitten, Stil und Geschmack einer vermeintlichen Mehrheit anpassen, als würde es in einer pluralen Gesellschaft einen Konsens oder Kanon geben, welche Religionen und Kleidungsstücke legitim seien und welche nicht. Hier passt die folgende Beobachtung von Castro Varela und Paul Mecheril: »Wenn es darum geht, Migrationsphänomene zu thematisieren, bleibt häufig interessanterweise gerade das ausgeblendet, was als Kennzeichen moderner Gesellschaften ausgegeben wird, nämlich dynamisch und selbstreflexiv zu sein. Indem von in der Migrationsgesellschaft als ›Andere‹ Geltenden gefordert wird, sozialen und kulturellen Standards zu entsprechen, versichert man sich zugleich der Fortschrittlichkeit dieser Standards und ihrer fraglosen Geltung. Diskontinuitäten und Friktionen einer sich in ihre eigenen Widersprüche verstrickenden Gesellschaft geraten auf diese Weise aus dem Blick und bleiben in der Debatte unbenannt.«3 Zum anderen assoziiert die Lehrerin mit der schwarzen Kleidung »irgendwie Probleme«. Es ist nicht ganz klar, welche Rahmung sie damit vornimmt. Verbindet sie mit schwarzen Kopftüchern eine spezielle, aus ihrer Sicht ›problematische‹ muslimische (Jugend-)Szene? Oder geht sie allgemeiner davon aus, dass schwarze Kleidung auf eine depressive Stimmungslage oder aggressive Haltung schlie­ßen lassen? Beide ›Ängste‹, die die Lehrerin äußert, rahmen das Kopftuch nicht explizit religiös. Vielmehr geht es nach dieser Darstellung für die Lehrerin um das fürsorgliche (und aus Sicht von Ayşe bevormundende) Interesse einer Erwachsenen, die das Beste für ihre Schülerinnen will. Ayşe freilich dürfte ihr das kaum abneh-

men, da es nicht zum abschätzigen Blick passt, den sie von der Lehrerin wahrgenommen zu haben meint. Auch hier wieder ist der Vergleich mit zwei Schülern und den (womöglich sogar schwarzen) T-Shirts ihrer Lieblingsband aufschlussreich: Welche Kontextualisierungen dieser Situation erscheinen uns aufgrund unserer Erfahrungen in Schulen und mit Lehrerinnen mehr oder weniger plausibel? Von wem und unter welchen Umständen würden diese Schüler darauf angesprochen, dass sie den Erwartungen ›der Gesellschaft‹ entsprechen müssten? Wer würde sie wegen ihrer Kleidung nach persönlichen Problemen fragen? In welchen Fällen stünde dahinter ein echtes Interesse oder ein Angebot zu Hilfe und Unterstützung, in welchen Fällen würden wir das als unangemessen ansehen, etwa als übergriffig? Kommen wir nun wieder zu den Kontextualisierungen, die Ayşe vornimmt: »Da meinte ich, ich hatte einen knall-lila Blazer an, es war jetzt nicht so, dass ich ganz schwarz war. Und wenn, ich fände es auch nicht schlimm, so. Erstmal reden wir von Religionsfreiheit und Deutschland ist frei, was weiß ich, jeder kann so sein wie er will. Und dann sagt sie mir halt, dass ich provokant gewirkt hab, nur weil ich schwarz gekleidet war.«

Ayşe weist auf eine sachliche Fehleinschätzung der Lehrerin hin, womit sie sich auf die Frage nach ihren ›Problemen‹ bezieht: Es sei falsch, dass sie schwarz 3 Maria do Mar Castro Varela / Paul Mecheril, Grenze und Bewegung. Migrationswissenschaftliche Klärungen, in: Paul Mecheril u.a., Migrationspädagogik, Weinheim/Basel 2010, 23–53, hier 48.

Willems Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule

gekleidet gewesen sei; sie habe einen lila-farbenen, sogar »knall-lila« Blazer angehabt. Die Kontextualisierung, die Ayşe nun vornimmt, ist auch angesichts der Forderung der Lehrerin nach Anpassung an die Gesellschaft interessant: Ayşe nimmt individuelle Freiheitsrechte für sich in Anspruch, die gerade als Charakteristikum dieser Gesellschaft gelten. Dabei spricht sie nicht (nur) vom Recht, schwarze Kleidung zu tragen, sondern zunächst und ausdrücklich von Religionsfreiheit. Sie geht also davon aus, dass es der Lehrerin letztlich, obwohl sie das nicht sagt, um das Kopftuch als religiöses Symbol geht. Während also die Lehrerin als Anwältin der »modernen Gesellschaft« auftritt und dabei auf Anpassung besteht, beruft sich die vermeintlich ›unmoderne‹ Schülerin, die ein vermeintliches Symbol für Zwang und Unterdrückung trägt, auf die Freiheit. Doch auch das geschieht nicht ungebrochen. Ayşe erhebt den Vorwurf der Doppelmoral. Die Freiheit, von der »wir« reden würden, scheint für Ayşe nicht (zumindest nicht in vollem Umfang) zu gelten. So gelesen, kommt hier Ayşes Gefühl und Erfahrung von Ausgegrenzt-Sein zum Ausdruck: Sie solle sich als muslimische Jugendliche in eine freiheitliche Gesellschaft integrieren, deren Regeln aber nicht für sie gelten würden, solange sie sich nicht assimiliere. In diesem Sinne kommt Ayşe wieder auf die Aussage der Lehrerin zurück, sie müsse sich der »modernen Gesellschaft anpassen«, und reagiert darauf: »Ja sie meinte, dass ich ein bisschen flexibler sein sollte, und dass ich Probleme im Arbeitsleben haben würde. Und dann hab ich ihr erklärt, dass es für alles eine Lösung

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gibt. Und wenn ich auch Probleme in meinem Berufsleben hätte, dann würde ich es eigentlich auch als Prüf-, als meine Prüfung halt ansehen, habe ich ihr auch gesagt, ich habe vielleicht im nächsten Leben dafür halt belohnt werde.«

Zunächst wehrt Ayşe die Forderung nach Assimilation ab, die in dem Vorschlag steckt, »ein bisschen flexibler« zu sein, indem sie optimistisch erklärt, es gäbe »für alles eine Lösung«. Damit signalisiert sie, dass sie durchaus nicht unflexibel sei, aber nicht die Lösungen übernehmen wolle, die ihr die Lehrerin vorschlägt. Mit dem Hinweis auf das ›nächste‹ Leben stellt Ayşe dann mögliche »Probleme im Arbeitsleben« in einen spezifisch religiösen Rahmen und deutet diese als »Prüfung«. Damit verlässt sie die rechtliche Rahmung (Religionsfreiheit), die sie hier ja hätte weiterführen können, indem sie gerade nicht erklärt, für ihre Rechte notfalls vor Gerichten kämpfen zu wollen. Wie dargestellt, hat, zumindest in der Schilderung von Ayşe, die Lehrerin das Kopftuch bisher nicht in einen ausdrücklich religiösen Rahmen gestellt. Wie wird sie nun also mit dieser explizit religiösen Kontextualisierung durch Ayşe umgehen? Hören wir weiter: »Und dann hat sie halt gesagt, ach komm hör auf. Sei nicht so gutgläubig, und ähm, wir werden alle sterben, und dann war’s das auch, und ich glaube an den Atheismus, und – wir hatten halt so ’ne Diskussion. Wir haben zwar normal geredet, aber – Also ich weiß jetzt nicht, so laut reden und sie anschreien, so Richtung – Ich sag ich mein, jetzt also – Auch wenn ich bemerke, sie provoziert, provoziert, provoziert. Ich hab dann halt gesagt, egal bleib ruhig. Ich red ganz normal mit ihr. Weil es würde jetzt auch nichts bringen, wenn ich

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Theoretische Grundlagen

jetzt sagen würde, ja, warum mischen Sie sich überhaupt ein in so was, weil ich würde dann nur meine Note beeinflussen, ich weiß das.«

Nun positioniert sich also auch die Lehrerin weltanschaulich. Die Vorstellung von einem ›nächsten‹ Leben lehnt sie ab, den Glauben daran hält sie für naiv (»gutgläubig«). Entweder die Lehrerin selbst oder Ayşe kategorisieren diese Äußerungen der Lehrerin als atheistisch (»ich glaube an den Atheismus«). Ayşe betont, dass sie »normal« geredet hätten, unterstreicht aber gerade damit, dass es sich für sie um kein ›normales‹ Gespräch gehandelt hat. Denn »normal« meint, dass sie den Rahmen der gesellschaftlichen Konventionen nicht verlassen haben. Schon die unvollständigen Sätze zeigen, dass Ayşe in dieser Situation emotional aufgewühlt war und sie sich beherrschen musste, um »ruhig« zu bleiben. Ihrer Lehrerin unterstellt sie, dass sie nicht nur ihrer eigenen Überzeugung Ausdruck verleihen wollte, sondern dass sie »provoziert«. Ayşe hat den Eindruck, dass die Lehrerin hier eine Grenze überschreite; sie mische sich in etwas ein, was sie eigentlich nichts angehe, und sie mache das nicht aus Wohlwollen Ayşe gegenüber. Das Ende des Interview-Ausschnitts erklärt dann das Verhalten von Ayşe: Sie würde sich nur selbst schaden, wenn sie nicht »ruhig« bleiben oder wenn sie die Einmischung der Lehrerin zurückweisen würde. Die Kontextualisierung, die Ayşe hier vornimmt, ist also noch einmal eine ganz andere: Für sie steht nun der schulische Rahmen mit seinen Machtstrukturen und Hierarchien im Vordergrund. Gerade innerhalb dieses Rahmens ist es nicht angemessen, dass die Lehrerin von einer partikularen weltanschaulichen

Position aus die religiöse Überzeugung ihrer Schülerin kritisiert. (Man stelle sich die Situation leicht verändert vor, um das Unangemessene im Verhalten der Lehrerin zu verdeutlichen: Eine atheistische Schülerin trägt ein T-Shirt mit einem durchgestrichenen Kreuz. Ein Lehrer schaut sie missbilligend an. Die Schülerin sucht daraufhin das Gespräch. Der Lehrer erläutert ihr, dass Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben sei und dass es leichtsinnig wäre, sein Seelenheil mit atheistischen Bekenntnissen und Lästerungen der Religion aufs Spiel zu setzen. Oder: Eine muslimische Lehrerin äußert sich abfällig gegenüber einer christlichen Schülerin, die ein Kreuz an ihrer Kette trägt. Gott habe keinen Sohn, und der Prophet Jesus sei nicht am Kreuz gestorben. Wer so etwas glaube, sei naiv.) Vielleicht geht die Lehrerin davon aus, dass eine nicht-religiöse Position ›neutral‹ und damit angemessen oder sogar erzieherisch geboten ist, wenn man es mit einer religiösen und ›unmodernen‹ Position zu tun hat. Dass eine solche Sichtweise unter Berliner Lehrkräften verbreitet ist, zeigen mehrere Interviews des Forschungsprojekts REVIER und ebenso die Äußerung einer Ethik-Lehrerin aus Ayşes Schule, die zum Gebet in der Schule gesagt habe: »Ja, geht auf keinen Fall! Wo sind wir denn hier!« Religiöse Praxis von Schülern scheint für die Lehrerin, die einem eher französischlaizistischem Verständnis folgt, die Neutralität der öffentlichen Schule zu verletzen.4 Vielleicht aber ist ihr auch gar nicht 4 Vgl. Joachim Willems, Keine Bedrohung, sondern Wahrnehmung eines Grundrechts – Muslimische Gebete in der Schule, in: TheoWeb, 14. Jg. 2015, Heft 1, 16–38.

Willems Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule

bewusst, dass sie in dieser Situation von Ayşe in der Rolle der Lehrkraft wahrgenommen wird, die durch die Noten, die sie verteilt, in einer Machtposition gegenüber der Schülerin ist. Versuch, etwas Ordnung zu schaffen und ein paar Schlussfolgerungen zu ziehen

Worum also geht es in dieser Situation? Es geht darum, dass zwei Freundinnen durch ihre Kleidung gegenseitige Verbundenheit miteinander und ihre Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe symbolisieren. Es geht um Freiheitsrechte. Es geht um Bilder vom Islam. Es geht um Toleranz und Bekleidungsnormen in der Arbeitswelt. Es geht darum, dass Schülerinnen gegenüber ihren Lehrerinnen oft in einer schwächeren Position sind. Es geht um Vorstellungen von (staatlicher) Neutralität und vom Zusammenleben in einer religiös und weltanschaulich pluralen Schule. Es geht um Ausgrenzungen und Diskriminierungen. Und, ja, es geht ums Kopftuch. Mit Blick auf die Frage nach Jugendtheologie scheint vor allem eine kurze Sequenz des Interview-Ausschnitts wichtig zu sein: Ayşe sagt, dass sie Probleme im Berufsleben als »Prüfung« ansehen würde, bei der ihr Verhalten zu einer Belohnung im Jenseits führen könne. Theologisch geht es hier, christlich gesprochen, um Eschatologie, um die Frage, wie der Mensch vor Gott ›gerecht‹ wird, um ein bestimmtes Bild von Gott als Richter, um ein Konzept von ›Welt‹ und ›diesem Leben‹ im Unterschied zum ›nächsten Leben‹. Doch eine ausschließlich theologische Beschäftigung mit diesen The-

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men wäre gerade nicht angemessen: Ayşe macht ihre Aussage in einem bestimmten kommunikativen Zusammenhang, sie interpretiert ihr Leben mit Hilfe religiöser Kategorien in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext. Alle ›richtigen‹ (evangelisch bzw. christlich) theologischen Aussagen, etwa über ›Werkgerechtigkeit‹, würden in der Gefahr stehen, genau dies aus dem Blick zu verlieren, und ebenso alle interreligiös informierten Aussagen über die Gnade und Barmherzigkeit Gottes im Christentum und im Islam. Das (jugend-)theologische Gespräch über Ayşe könnte nur zu leicht zu einer Bestätigung von Denkmustern wie denen der Lehrerin führen, wonach Ayşes Religiosität nicht in die ›moderne‹ Gesellschaft passe, oder zur Bestätigung eines bestimmten evangelisch-theologischen Vorverständnisses, wonach es im Islam und so auch für Ayşe darum gehe, dass der Mensch sich sein Heil verdienen müsse und Gott in seinem Urteil über den Menschen deshalb von dessen Taten abhängig gemacht werde. Ein Gespräch mit Ayşe (oder muslimischen Jugendlichen in ähnlichen Situationen) wiederum würde an den Fragen vorbeigehen, um die es hier für Ayşe auch und vielleicht vor allem geht: Wie gestalte ich mein Leben in dieser Gesellschaft und vor Gott? Von wem erfahre ich Anerkennung, von wem Ausgrenzung? Wie inszeniere ich durch die Gestaltung meines Aussehens meine Individualität, meinen Lebensstil und meine Verbundenheiten mit den Menschen, die mir wichtig sind? Verallgemeinern lässt sich dies: Jugendtheologie, zumal das Theologisieren mit Jugendlichen angesichts von religiöser Pluralität, darf die Theologie nicht trennen von den gesellschaftlichen

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Theoretische Grundlagen

Bedingungen, unter denen sie betrieben wird. Denn das Beispiel von Ayşe, ihrer Freundin und ihrer Lehrerin illustriert, dass unter den Bedingungen von religiös-weltanschaulicher Pluralität Religion in einer Vielzahl von Kontexten thematisiert wird, nicht nur in religiösen Kontexten. Solche Kontexte werden von verschiedenen Personen unterschiedlich konstruiert und gewichtet. Und die Personen, die sie konstruieren, haben jeweils spezifische soziale Positionen und damit bestimmte Positionen innerhalb von gesellschaftlichen Machtstrukturen. Ähnliches gilt für das, worüber sie reden: Auch jede Religion, ein religiöses Symbol, eine religiöse Handlung, ein religiöser Begriff ist positioniert in einem Feld von gesellschaftlichen Zuschreibungen, Assoziationen, Beurteilungen, die sich in unterschiedlichen Milieus stark voneinander unterscheiden können, und die mit unterschiedlichen Weltdeutungen und Werturteilen verbunden sind. Was das Stück Stoff auf dem Kopf der Schülerin ›ist‹, erschließt sich nicht ›an sich‹, sondern wenn man seine Bedeutung innerhalb von Diskursen und für bestimmte Personen nachzuvollziehen versucht. Daraus ergeben sich spezifische Dynamiken der Kommunikation über Religion: Ayşe reagiert auf zum Teil absurde Vorstellungen, mit denen sie sich konfrontiert meint, wie die Vorstellung, sie könnte ihre Mitschülerin zum Kopftuch-Tragen gezwungen haben. Sie kann die wie selbstverständlich vorgetragene Behauptung der Lehrerin, dass Modernität und zumindest ihre Form von Religiosität nicht zusammenpassen würden, nicht einfach ignorieren oder für falsch erklären. Sie muss gegebenenfalls anderen gegenüber erst plausibel

machen, warum auch für sie bestimmte Freiheitsrechte gelten. Dies unterscheidet dieses Gespräch von Gesprächen, in denen nicht-muslimische (atheistische, christliche, buddhistische …) Mädchen mit ihren Lehrerinnen reden. Vor diesem Hintergrund handelt Ayşe rational, wenn sie versucht, ruhig zu bleiben und Konfrontationen – am besten Gesprächen über Religion überhaupt – aus dem Weg zu gehen. Religionspädagog/innen aber müssten hier hellhörig werden: Wenn Ayşe in der in mehrfacher Hinsicht geschützten Situation des Interviews (in den Räumen einer Moschee, interviewt von einer muslimischen Interviewerin, anonymisiert) von einer solchen Situation berichtet und dabei erwähnt, dass sie mit ihrer Lehrerin gerade nicht über religiöse und weltanschauliche Überzeugungen redet, nicht darüber reden kann – »ich würde dann nur meine Note beeinflussen, ich weiß das« – was bedeutet das dann für interreligiöse Unterrichtsgespräche, für das Theologisieren mit Jugendlichen? Zunächst einmal: Theologische Gespräche und Gespräche über Religion können heikel sein. Dies gilt besonders für Personen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion Ausgrenzung erfahren. Um überhaupt erst ernsthafte Unterrichtsgespräche zu ermöglichen, muss die Schule oder zumindest die jeweilige Lerngruppe für alle Schülerinnen und Schüler ein ›sicherer Ort‹ sein. Das Gespräch zwischen Ayşe und ihrer Lehrerin beispielsweise ist ja gerade kein interreligiöser Dialog, sondern ein zutiefst durch Machtstrukturen geprägtes Gespräch. Dass in der Schule gesellschaftliche Machtstrukturen wirksam und Beziehungen (auch)

Willems Ein interreligiöses Gespräch über ein Stück Stoff in einer Berliner Schule

hierarchisch strukturiert sind, gehört zu ihrer institutionellen Eigenlogik. Gerade deshalb müssen die Lehrkräfte genau dies – und damit auch ihre eigene Position innerhalb von Machtstrukturen – professionell reflektieren, sie müssen Diskriminierungen entgegentreten und (auch eigene) Vorurteile hinterfragen. Eine religions- und pluralitätssensible Schulkultur benötigt pluralitäts- und religionssensible Lehrerinnen und Lehrer, die in der Lage sind zu erkennen, worum es bei einem Stück Stoff auf dem Kopf geht. Und dann: Theologische Gespräche mit Jugendlichen fördern nicht nur, sondern erfordern auch interreligiöse Kompetenz,5 bei Lehrkräften, bei Schülerinnen und Schülern. Geht man davon aus, dass sich fachspezifische Kompetenz auf Anwendungssituationen bezieht, so bietet es sich an, interreligiöse Kompetenz

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an Fällen zu schulen, in denen unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Überzeugungen eine Rolle spielen. Ein solcher Fall wäre auch das hier analysierte Gespräch zwischen Ayşe und ihrer Lehrerin, wenn es problembewusst und sensibel in den Unterricht eingebracht wird: mit Sympathie für Ayşe, mit Respekt vor den unterschiedlichen Situationen, die christliche, muslimische und andere Schülerinnen und Schüler erleben, auch mit der Garantie, ›sichere Orte‹ und Schutzräume bieten zu können. Unter diesen Voraussetzungen wäre an diesem Gespräch einiges zu lernen – für Lehrkräfte, für Schülerinnen und Schüler.

5 Vgl. Joachim Willems, Interreligiöse Kompetenz. Theoretische Grundlagen – Konzeptualisierungen – Unterrichtsmethoden, Wiesbaden 2011.

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Theoretische Grundlagen

Oliver Reis Heilige sind anders. Zur Diversität der Sache als Baustein einer Theologie für Jugendliche 1. Zum gegenwärtigen religionspädagogischen Kontext der Heiligen

Für Hans Mendl, den katholischen Religionspädagogen, der sich gegenwärtig am intensivsten mit Heiligen und anderen Helden beschäftigt, haben die Heiligen durchaus unterschiedliche christentümliche und theologische Bedeutungen, aber im pädagogischen Kontext interessieren sie nicht mehr als Lerngegenstand »Heilige«, sondern aufgrund der vorgeordneten Subjektorientierung als Potenzial für Orientierungswissen. »Der Paradigmenwechsel weg vom Lerngegenstand und hin zum lernenden Subjekt führt zu der Frage, welches Personal für ein orientierendes Lernen als geeignet erscheint und wie mit diesen Personen gearbeitet werden kann.«1

Er unterscheidet dabei verschiedene Perspektiven, inwiefern Heilige als Personal selbstbestimmter ethischer Entwicklung eine Rolle spielen können: wider der Norm des Normalen, wider der Oberflächlichkeit der Immanenz und wider der Hoffnungslosigkeit einer scheinbar unveränderbaren Welt.2 Immer ist aber klar, dass Heilige »Symbolgestalten für christliche Tugenden« und damit für das Grundprinzip des Teilens mit Bedürftigen, für Prinzipien der Menschenfreundlichkeit und des Schenkens, für die praktische Zuwendung zu den Bedürftigen

oder für den sorgsamen Umgang mit der Natur und den Tieren stehen.3 Heilige haben damit ihren religionspädagogischen Platz im Vorbild- bzw. Modelllernen, »um als Vorbilder für ethische Entwicklung taugen zu können.«4 Mendl steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Schon die von Rudolf Englert 1993 herausgegebene Heiligensammlung5 hat die Heiligen als Modelle für Menschlichkeit und damit für aktuelles Christsein präsentiert. Und wenn Gabriele Miller 1995 für die Schulbücher feststellt, dass nur noch StandardHeilige vorkommen, deren ethisch gutes Leben in historisierten Berichten neben anderen großen und kleinen Menschen präsentiert wird, dann gilt das bis heute.6 Hans Mendls Bemühungen lassen sich so verstehen, dass er die Heiligen aus der moralisierenden Schematisierung befreit und Platz schaffen will für

1 Hans Mendl, Modelle – Vorbilder – Leitfiguren. Lernen aus außergewöhnlichen Biografien, Stuttgart 2015, 128. 2 Vgl. ebd., 133–137. 3 Vgl. ebd., 134. 4 Ebd., 133. 5 Vgl. Rudolf Englert (Hg.), Woran sie glauben, wofür sie leben. 365 Wegbegleiter für die Tage des Jahres, München 1993. 6 Vgl. Gabriele Miller, Art. ›Heilige/religionspädagogisch‹, in: LThk 31995, Bd. 4, Sp. 1275. Zu den aktuellen Schulbüchern vgl. z.B. »Leben gestalten 2«, Stuttgart 2014, 144ff.

Reis Heilige sind anders

ein geerdetes biographieorientiertes Lernen, in dem Entscheidungssituationen der Heiligen, ihre Handlungsspielräume sichtbar werden. Faszination nicht mehr durch legendenhafte Überhöhung, sondern durch Entschiedenheit und Radikalität, das Leben anzugehen.7 Und trotzdem bleibt der Kontext immer das Ethische Lernen. Diese Beobachtung passt zu den Vorstellungen von Kindern, denn nach Christina Kalloch nehmen diese »Heilige in erster Linie in ihrer Vorbildfunktion wahr. Diese bleibt für Kinder aber oft abgehoben und erhält gerade dadurch einen manchmal fast banal anmutenden Charakter, wenn es immer wieder um ›abgeben‹ und ›teilen‹ geht.«8

Hans Mendl entwickelt seine HeldenDidaktik gerade aus der Beobachtung, dass Jugendliche die Heiligen wie die Kinder kontextualisieren, aber eben ablehnend, weil auch noch der letzte Zauber verflogen ist und sie der ethischen Beanspruchung müde sind und explizit formulieren: »So kann und will ich nicht werden!«9 Aufgrund dieser Ausgangslage verwundert es nicht, dass mir kein jugendtheologischer Beitrag bekannt ist, der explizit mit Heiligen arbeitet. Heiligkeit wird meistens über den Heiligen Geist theologisiert, aber eben nicht über die menschliche Personalisierung. Ist es denn nun überhaupt nötig, das zu ändern? Aus meiner Sicht repräsentieren die Heiligen ein religionspädagogisches Lernfeld, an dem erstens gerade durch seine kontextuelle Starre deutlich wird, wie die Jugendtheologie von der Theologie für Jugendliche profitiert. So ist die These, dass eine fachdidaktisch gerahmte Theologie entscheidend bei

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der Themenkonstituierung hilft, weil sie Themen aus eingeschliffenen religionspädagogischen Kontexten befreit. Das ist dann möglich, wenn die Theologie selbst den Gegenstand mehrperspektivisch ausdifferenziert und diese fachliche Ausdifferenzierung selbst in einen didaktischen Kompass stellt.10 Dieser Ansatz, Theologie in ihrer mehrperspektivischen Entfaltung in der Jugendtheologie zu nutzen, ist nicht neu. Schon länger nutzt z.B. Annike Reiß11 die verschiedenen historischen Ansätze der Exegese von neutestamentlichen Wundererzählungen in jugendtheologischen Gesprächen der Kasseler Forschungswerkstatt, aber es ist wenig bekannt, dass dieser Zugang bei allen Themen ertragreich ist und dass es aus meiner Sicht eine zentrale fachdidaktische Aufgabe ist, die fachwissenschaftlichen Diskurse im Erhalt der Vielfalt auf diese zentralen Verständnisse hin zu systematisieren.12 So soll diese Arbeit an den Heiligenverständnissen den Blick für andere Themen weiten. Die Arbeit an dieser mehrperspektivischen und di7 Vgl. Hans Mendl (wie Anm. 1), 138–149. 8 Christina Kalloch, Heilige, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung, Schlüsselthemen, Methoden, Stuttgart/München 2014, 272. 9 Hans Mendl (wie Anm. 1), 132. 10 Vgl. Oliver Reis, Didaktik und Theologie in ihrer konstruktiven Wechselwirkung, in: Norbert Mette / Matthias Sellmann (Hg.), Religionsunterricht als Ort der Theologie, Freiburg i.Br. 2012, 284–296, hier 290–292. 11 Annike Reiß, »Man soll etwas glauben, was man nie gesehen hat«. Theologische Gespräche mit Jugendlichen zur Wunderthematik, Kassel 2015. 12 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 10), 294; Gerhard Büttner / Oliver Reis, Die Bedeutung theologischer Strukturen für das Elementarisierenlernen, in: ZPT 3/2010, 254–256.

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Theoretische Grundlagen

daktischen Ordnung zentraler Verständnisse eines Themas ist für mich zweitens der Schlüssel, um dem Lernprozess des Theologisierens eine gezielte, für Lehrkräfte lernbare und strukturierte Form zu geben, – was aus meiner Sicht nicht nur bei der Kindertheologie ein Problem ist.13 Der folgende Beitrag soll die verschiedenen didaktischen Möglichkeiten deutlich machen, die sich grundsätzlich an Kallochs Herausforderung für das Theologisieren orientieren: »Vor diesem Hintergrund liegt eine Herausforderung für die Praxis darin, mit Kindern theologische Gespräche darüber zu führen, welche Bedeutung Heilige über ihre moralische Bedeutung hinaus haben können.«14

2. Die Bedeutung von didaktischen MetaStrukturen für das Theologisieren 2.1 MetaStrukturen in der didaktischen Transformation

Die zentrale Aufgabe von Didaktik besteht darin, ein Thema aus der Perspektive in seiner Bedeutung für die Lernenden zu erschließen. Jugendtheologie ist insofern auch ein didaktisches Programm, als dass sie versucht, Lebenswelten von Jugendlichen und u.a. theologische Konzepte von der Lerngruppe aktual sinngenerierend aufeinander zu beziehen. Selbst in der Dimension einer Theologie für Jugendliche wird deutlich, dass hier nicht die wissenschaftliche Theologie in eine elementar-reduzierte Lehrrolle tritt. Sie ordnet sich den Verstehens- und Erkenntnisprozessen der Lehrgruppe unter. Theologie wird nicht

in ihrer wissenschaftlich-diskursiven Form relevant, sondern in einer didaktisch gerahmten. Schon Wolfgang Klafki hat in seinen didaktischen Überlegungen daraufhin gewiesen, dass nicht der Forschungsstand im wissenschaftlichen Diskurs Gegenstand der Sachanalyse ist, sondern der Prozess, in dem der Bildungswert eines Gegenstandes aus Sicht der Lernenden erschlossen wird. Und schon Klafki dachte diese Erschließung nicht als didaktische Reduktion des einen Gegenstandes, sondern als konstruktiven, heuristischen Prozess, der im Rahmen des wissenschaftlichen Wissens zu vollziehen ist.15 Die Vielfalt an Verständnissen zu einem Thema, die bei der Theologie von Jugendlichen gut sichtbar und zu vielen Themen gut erhoben ist, bildet sich in der Vielfalt möglicher Verständnisse in den aktuellen und historischen theologischen Diskursen ab. Gerade wenn der wissenschaftliche Diskurs didaktisch als Modellordnung gefasst wird, in der die konkreten Positionen Paradoxiebesetzungen einer formal-logischen Ordnung darstellen, werden Zuordnungen zwischen dem Theologiediskurs und den Verständnissen auf Seiten der Lernenden möglich, die über ein Wie13 Vgl. Oliver Reis, »Öffnen kann ja jeder!« – Von der hohen Kunst des Schließens beim Theologisieren mit Kindern, in: Hanna Roose / Elisabeth E. Schwarz (Hg.), »Da muss ich dann auch alles machen, was er sagt«. Kindertheologie und Unterricht, JaBuKi 15, Stuttgart, 44–55. 14 Christina Kalloch (wie Anm. 8), 272. 15 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 10), 286; Oliver Reis, Systematische Theologie für eine kompetenzorientierte Religionslehrer/innenbildung. Ein Lehrmodell und seine kompetenzdiagnostische Auswertung im Rahmen der Studienreform, Münster 2014, 28f, 162f.

Reis Heilige sind anders

dererkennen hinausgehen.16 In diesem Beitrag steht die Modellordnung, die ich als MetaStruktur17 bezeichne, im Vordergrund, weil sie aus meiner Sicht das in der Kinder- und Jugendtheologie bisher zu zufällig entwickelte Instrument ist, um Themen zu konstituieren und Lernprozesse zu entfalten. Die gegenwärtige religionspädagogische Diskussion z.B. fasst Heilige vor allem im Modell gelingenden (christlichen) Lebens und schließt dieses Modell über die Struktur des Modell- und Nachahmungslernens mit heutigen Vorstellungen zur Bedeutung von Vorbildern kurz. Solche Strukturen nenne ich Lernformat: »Das Lernformat ist das Modell eines zielgerichteten und geschlossenen Interaktionsmusters, das eine Phasierung von Öffnung und Schließung beschreibt. Insofern ist es die Tiefenstruktur (…) unterhalb der konkreten methodisch-medialen Ebene, es entwickelt seine spezifische Phasenstruktur aus einem bestimmten Anliegen heraus. Was für ein Format einem konkreten Lernweg zugrunde liegt, entscheidet sich meist im Zusammenspiel von Thema und den Annahmen über die Schülergruppe.«18

Das empirisch erhebbare Bedürfnis nach konsequent ich-orientierte19 Weltorientierung und die in den letzten Jahrhunderten sich vollziehende Ethisierung der Heiligen auf Seiten der Theologie und der kirchlichen Praxis unterfüttern genau solche Lernformate im Umgang mit Heiligen als didaktisch begründet. Nur dass dieser didaktische Schluss und seine Auswirkungen auf das Lernformat eben wenig Theologisierungspotenzial bietet, wenn das Theologisieren die Welt in der Differenz von Transzendenz und Immanenz beobachtet20 und die Transzendenz

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hier vor allem ethisch aufgelöst wird. Weil die Verständnisse über Anliegen und Phasierung auf die Lernwege wirken und eine Grundstruktur in sie hineinlegen – sie also formatieren – und weil die Zugangsvoraussetzungen meist implizit bestimmte Modelle präferieren, besteht die Didaktische Transformation21 als Didaktisierungsansatz darauf, zunächst einmal systematisch und explizit die MetaStruk16 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 10), 291; Oliver Reis (wie Anm. 15), 155f, 162f; inhaltlich ausgeführt z.B. in Oliver Reis, Was ist heute Schöpfung? Schöpfungsdidaktik an der Grenze von Theologie und Schülerdenken, in: Rellis 4/2014, 16f; Oliver Reis, »Sakramente gehören in die Oberstufe!« Zum schwierigen Stand der Sakramente in der Religionsdidaktik, in: Sabine PemselMaier / M. Schambeck (Hg.), Keine Angst vor Inhalten! Systematisch-theologische Themen religionsdidaktisch erschließen, Freiburg i.Br. 2015, 340–343. Solche Korrelationen zeigen sich für die Kindertheologie z.B. bei Claudia Gärtner / Bernadette Pisarski, »Erlösung ist, wenn man befreit ist von einem Fluch, wie bei Fluch der Karibik« Mit Grundschulkindern über Erlösung sprechen – empirische Einblicke und Praxisbausteine, in: Anton A. Bucher / Elisabeth E. Schwarz (Hg.), Gut sichtbar wird das an den verschiedenen Beiträgen zum: »Darüber denkt man ja nicht von allein nach …« – Kindertheologie als Theologie für Kinder, JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 159–170 oder bei Katrin Bederna, »für mich gibt’s ihn halt, weil er kann nichts dafür« – Kriterien einer Theodizee-Didaktik, in: Sabine Pemsel-Maier / Mirjam Schambeck (s.o.), 111–129. 17 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 15), 170; Oliver Reis / Theresa Schwarzkopf, Diagnose religiöser Lernprozesse, Münster 2015, 72–76; Gerhard Büttner / Oliver Reis (wie Anm. 12), 254–256; 18 Oliver Reis (wie Anm. 13), Fußn. 21. 19 Vgl. Wilfried Ferchhoff, Strukturwandel der Jugend(-phase) und der Jugend(-vor)bilder, in: JRp 24, 42–44. 20 Vgl. Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich / Hanna Roose, Einführung in den Religionsunterricht. Eine kompetenzorientierte Didaktik, Stuttgart 2015, 49–52. 21 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 15), 162f.

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Theoretische Grundlagen

tur als Modellordnung herauszustellen (vgl. Abb. 1). Erst von hierher werden die didaktischen Optionen benennbar und Lernformate begründet wählbar. Wenn Kinder- und Jugendtheologie selbst ein spezifisches Lernformat sind,22 um Gegenstände auf spezifische Weise unter der Denkfreiheit der Lernenden zu konstituieren, dann besteht eine zentrale Aufgabe der Theologie für Jugendliche darin, den Gegenstand in einer solchen MetaStruktur freizulegen.

Abb. 1: Reflexionsstruktur der didaktischen Transformation

2.2 Verständnismodelle und ihre Bedeutung im Theologisieren

Blickt man auf die Grundstruktur des Theologisieren mit Jugendlichen, das z.B. in den Theologischen Gesprächen mit Jugendlichen bei Petra Freudenberger-Lötz erkennbar wird und auch von Reiß für die Wunderdidaktik als produktiv rekonstruiert werden kann (vgl. Abb. 2),23 dann wird die MetaStruktur in allen drei zentralen Phasen bedeutsam. Wenn in der ersten Phase die Vorstellungen der Jugendlichen zu einem Gegenstand aufgenommen werden, bietet die MetaStruktur einen heuristischen Verstehensrahmen, der über das bloße dokumentarische Zuhören hinausgeht. Missverständnisse, Klärungsbedürfnisse, Lernhürden und Ängste stehen auch

hinter den Modellen und können zu Trägern werden, an denen Jugendliche ihr Verständnis thematisieren und kritisch reflektieren können, ohne dass es direkt um ihre persönliche Meinung geht. Denn die soll eher im Hintergrund bleiben, wie Reiß feststellt.24 In der zweiten Phase, wenn die Jugendtheologie für das Weiterlernen die verschiedenen Deutungen ins Gespräch bringen will, sind die Modelle und ihre Ordnung in der MetaStruktur eine Orientierungshilfe, gezielt Äußerungen oder Positionierungen sich wechselseitig erschließend einzuführen. Das ist möglich, weil die MetaStruktur Modelle in einem spezifischen Verhältnis zueinander setzt: Jedes einzelne Modell repräsentiert für sich genommen die Wahrheit (zu den Heiligen). Zugleich wird im wissenschaftlichen genauso wie im schulischen Diskurs der Modelle deutlich, dass keines für sich alleine die Wahrheit zur Heiligkeit repräsentieren kann, die Modelle weisen sich gegenseitig auf blinde Flecken hin. Auf dem Hintergrund der MetaStruktur bleiben die thematisierten Schülervorstellungen nicht mehr einfach additiv nebeneinander stehen oder werden für die Lernenden verdeckt auf ein bestimmtes Ziel hin geführt. Damit sind die Modelle und die MetaStruktur auch in der dritten Phase wichtig, die Vielfalt kann erhalten bleiben und trotzdem gibt es etwas zu lernen.25 22 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 13); vgl. hierzu auch den Beitrag von Theresa Schwarzkopf in diesem Band, der dasTheologisieren als Handlungsstruktur des Argumentierens rekonstruiert. 23 Vgl. Annike Reiß (wie Anm. 11), 591. 24 Vgl. Annike Reiß (wie Anm. 11), 347, 352, 521. 25 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 16), 167–169.

Reis Heilige sind anders

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Abb. 2: Der Prozess des Theologisierens und die Bedeutung der theologischen Modelle.26

3. Fachliche Klärung des »Heiligen« und der »Heiligung« von Menschen 3.1 Begriffsklärung und die Paradoxie des Heiligen

Das deutsche Wort ›heilig‹ hat die Grundbedeutung ›eigen‹, damit ist gemeint: was der Gottheit zu Eigen ist. Sowohl im Griechischen und Lateinischen gibt es zwei Begriffe für das Heiligsein, die zwischen dem Heiligen an sich und dem rechten Umgang mit dem Heiligen unterscheiden: Mit gr. »hierós« und lat. »sacer« (heilig) bzw. »sacrum« (das Heilige) wird das in sich Heilige, also das Numinose bzw. Göttliche selbst bezeichnet. Mit gr. »hágios« und lat. »sanctus« werden Trägermedium des Heiligen (sacrum) ausgesondert, die den rechten Umgang ermöglichen. In dieser Aussonderung

der res sancta spiegelt sich die religiöse Scheu, die dem Heiligen (sacrum) gegenüber angebracht ist. Diese Aussonderung ist schließlich auch auf Personen und ihre Heiligkeit übertragbar.27

26 Zum Grundmodell der theologischen Gespräche vgl. Petra Freudenberger-Lötz / Annike Reiß, Kognitive Aktivierung im theologischen Gespräch mit Jugendlichen, in: Andreas Feindt u.a. (Hg.), Kompetenzorientierung im Religionsunterricht, Münster 2009, 260. 27 Vgl. Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 2 1994, 15–21. Für eine breitere religionswissenschaftliche Einordnung vgl. Martin Rothgangel, »Die immer für mich da sind« – Familie und Freund als Heilige des Alltags, in: Ders. / Hans Schwarz (Hg.), Götter, Heroen, Heilige. Von römischen Göttern bis zu den Heiligen des Alltags, Frankfurt a.M. 2011, 213–218.

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Theoretische Grundlagen

3.2 Paradoxieentfaltung von »Heiligung«

Religion entsteht im Umgang mit dem Heiligen: Es wird beobachtet, markiert und in Rituale eingespannt. Dieser Umgang unterliegt aber der Paradoxie, dass sich das Heilige einerseits an Nichtheiliges bindet, dass es im Weltlichen sichtbar und kommunizierbar wird, sonst wäre es nicht zugänglich (vgl. Abb. 3). Andererseits muss es dieser Verfügung entzogen sein, sonst wäre es nicht mehr unterscheidbar. Regeln, die den Zugang zum Heiligen (sacrum) sichern und die eine notwendige und hinreichende Anzahl von Übergangselementen (sanctus) repräsentieren, sollen die Paradoxie erhalten, dass Gott die Welt objektiv heiligt und damit die Verheißungen seiner Gegenwart realisiert, ohne dass die Welt an sich heilig ist und seiner Heiligung gar nicht mehr bedarf. Das Sacrum macht sanctum, ohne dass das Sanctum sacer wäre (ungetrennt und unvermischt!). Zu verhindern sind die beiden Fälle, die die Paradoxie auflösen. 1. Fall: Elemente der Welt sind selbst heilig in dem Sinne, dass das Sanctum ununterscheidbar das Sacrum ist. Dieser Fall liegt verführerisch nahe, weil dabei verfügbare weltliche Elemente ritualisiert werden können. Das Sacrum gerät unter die Kontrolle der Religion. Und diejenigen, die über das Sacrum verfügen, verfügen damit auch über die Macht des Lebens. Theologisch ein hoch problematischer Vorgang, der die biblische Überzeugung aufhebt, dass nur Gott selbst heilig (sacrum) ist (Offb 15) und in dieser Heiligkeit seine Schöpfung erfüllt (Jes 6,3). 2. Fall: Um die Transzendenz und Reinheit Gottes zu wahren, wird das wahrhaftig Heilige zur eigenen Wahrung getrennt.

Echtes Sanctum ist dann gar nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit, dass das sacrum der Welt nahe kommt, ist dann noch die sacra scriptura. Die dadurch entstehende Spannung zwischen der Heiligkeit Gott und der Welt schützt vor falscher Inanspruchnahme, unterschlägt aber auch die Differenz von Sakralität und Sanctualität und damit die biblisch bezeugte Erwählung zur Heiligkeit der Menschen und des Gottesvolkes (Lev 20,7), das seinen Namen im ToraTun, im Gerechtigkeit üben oder im Gebot heiligt. Geheiligte Schöpfung legt Zeugnis ab für den Schöpfer.28

Paradoxie

1. Fall

2. Fall

Abb. 3: Die Paradoxie und die Paradoxieauflösungen

In Anlehnung an die systemtheoretische Deutung von Niclas Luhmann lassen sich Heilige als Kreuzungsmedien der Transzendenz-Immanenz-Kopplung verstehen, deren Funktion darin besteht, am menschlichen Tun den göttlichen Willen und seine Heilsmacht durchsichtig zu machen und umgekehrt das göttliche Tun in menschlichen Kategorien fassbar zu machen.29 Heilige machen eine Realität erfahrbar, die mit Anziehung und 28 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 16), 340f; Oliver Reis, Gott denken. Eine mehrperspektivische Gotteslehre, Münster 2012, 244f, 351–363. Rothgangel entfaltet diese paradoxale Struktur mit Tillich analog in der Unterscheidung von supranaturalistischen, idealistischen und theonomischen Heiligkeitskonzepten (vgl. Rothgangel (wie Anm. 27), 219f). 29 Vgl. ebd., 345–348.

Reis Heilige sind anders

Schrecken, Erlösung und Strafe, Machterfahrung und Ohnmacht verbunden ist. Die gegenwärtige Dominanz der Ethisierung des Sacrum lässt dagegen das Sanctus als nur noch symbolisch erscheinen und ist von daher im Grunde eine Form des zweiten Falls der Paradoxieauflösung. 3.3 Heiligenverständnis auf Schülerseite

Auf welchen Kontext stellen sich Jugendliche ein? Lässt sich der oben entfaltete Kontext von Heiligkeit auch auf Seiten der Schüler nachweisen? Rothgangel verweist z.B. auf Projekte und Befragungen von Jugendlichen, die diese auffordern zu benennen, was für sie heilig ist, und liest diese Ergebnisse zwar einerseits ebenfalls in dem Modell des gelingenden Lebens, macht aber auch darauf aufmerksam, dass in manchen Fällen Familie, Freunde und die Liebe so als »heilig« gekennzeichnet

Abb. 4: exemplarische Bedeutung von Heiligen für Jugendliche

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werden, dass in ihnen die Normalrealität transzendiert wird und alle drei Formen der Paradoxie und deren Auflösung nahe liegen können.30 In einem von mir durchgeführten Unterrichtsversuch wurden Jugendliche auf die Bedeutung von Heiligen befragt. Auffällig ist dabei, dass auch hier die Jugendlichen weniger die bei Mendl vorgegebene Kontextuierung des ethischen Lernens vorgenommen haben, sondern an den Heiligen genau diese eigenartige Transzendenz-Immanenz-Kreuzung thematisieren. Die Rückmeldungen (vgl. Abb. 4) lassen sich mal dem einen Pol, mal dem anderen und mal direkt der Paradoxie selbst zuordnen. Die Jugendlichen lösen mit diesen Verständnissen die klassische theologische Frage danach aus, welches Verhältnis von Gott und Welt sich in den Heiligen spiegelt. Die verschiedenen Positionen im theologischen Diskurs, die sich in der historischen Entwicklung in bestimmten Kontexten un-

30 Vgl. Martin Rothgangel (wie Anm. 27), 221f.

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Theoretische Grundlagen

terscheiden lassen, lassen sich ihrerseits als Paradoxiebesetzungen verstehen. 3.4 Heiligenverständnisse historisch

Ich möchte im Folgenden auf die historische Entwicklung eingehen, aber nicht um zu einem heute aktuellen Heiligenverständnis zu gelangen, sondern um über die historische Ausdifferenzierung die diskursive Ordnung zu erkennen, mit der auch heute Diskussionen aus ihrer Zufälligkeit gelöst und in ihrer Strukturhaftigkeit erkannt werden können. 1. Biblisch AT/NT: Schon die biblischen Texte bereiten im Grunde den Rahmen für die weitere Ausdifferenzierung vor. So findet sich im Alten Testament die Stilisierung der Propheten als Gottesmänner bzw. als Gottesmägde (vir dei bzw. famula dei), die von dem Virtus Gottes getragen sind und damit selbst zu Lebzeiten Heilungen oder Strafwunder, Speisevermehrung und Totenerweckung vollbringen. Die Gottesmenschen bereiten sich auf den Virtus vor, dieser bleibt aber unbedingte Gabe Gottes selbst, so dass sich in ihm immer schon Himmel und Erde berühren. Schon im biblischen Kontext ist klar, dass aufgrund des göttlichen Virtus‘ die Kraft des Gottesmenschen – vorzugsweise an den Gräbern – auch über dessen Tod hinaus erhalten bleibt und dass diese Kraft interzessorisch für das Volk eingesetzt werden kann. Für Angenendt ist im Neuen Testament gut nachvollziehbar, dass Jesus zunächst selbst als Gottesmann stilisiert, er dann aber als Sohn Gottes überformt wird und dessen virtus auf die Apostel übergeht. Diese Heiligen, die in der Heiligung Gottes ein besonderes Zeugnis

abgelegt haben, werden in den Himmel gerufen und werden durch die Nähe zu Christus auch nicht der Macht des Todes überlassen.31 Bei Paulus wird dieser individuellen Heiligkeit schon früh die Heiligkeit der Kirche gegenübergestellt, die mit der Taufe und der Eucharistie als Teilhabe am Leib Christi verbunden ist. Das Individuum wird geheiligt durch seine Teilhabe an der Gemeinschaft der Heiligen im Namen Jesu Christi (Röm 1,1; 1. Kor 1,1–3; Eph 5,25f). Das Zweite Vatikanische Konzil beruft sich später auf diese Gemeinschaft der Heiligen, die eben nicht die Gemeinschaft der Heiligen ist, sondern die Heilige Gemeinschaft im Namen Jesu Christi, in die hinein berufen wird: »Es wird geglaubt, dass die Kirche deren Geheimnis von der Heiligen Synode vorgelegt wird, unvermindert heilig ist. Denn Christus, der Sohn Gottes, der mit dem Vater und dem Geist als ›allein Heiliger‹ gepriesen wird, hat die Kirche als seine Braut geliebt, indem er sich selbst für sie hingab, um sie zu heiligen (…) Daher sind in der Kirche alle, mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geweidet werden, zur Heiligkeit berufen« (LG 39).

Wie Paul VI. in seinem Credo des Gottesvolkes festhält, ist die Kirche als geistliche Realität deshalb auch heilig, »wenn sich in ihrer Mitte Sünder befinden; denn sie lebt kein anderes Leben als das der Gnade. Wo die Glieder der Kirche an diesem Leben teilhaben, werden sie geheiligt, wo sie aber dieses Leben preisgeben, verfallen sie der Sünde und Unordnung« (SPF 22). Und so ist es auch 31 Vgl. Arnold Angenendt (wie in Anm. 27), 69– 88.

Reis Heilige sind anders

konsequent, wenn diese Gemeinschaft der Heiligen wie schon bei Paulus über die lebenden Menschen hinausreicht und Vergangenheit und Zukunft in Christus verbunden sind. 2. Antike: In der Antike differenziert sich die Spur der Gottesmenschen ausgehend von den Aposteln als Verkünder, Wunderwirkern und Dämonenaustreibern weiter über die Märtyrer, die Confessores und die Asketen aus. In allen drei Gruppen geht es nicht um die Überhöhung des Einzelnen oder die Betonung seiner Lebensentscheidung, sondern um die Repräsentation der himmlischen göttlichen Kraft, die zu den Taten befähigt. Die Zuschreibung von Heiligkeit ist an die Machterfahrung gebunden, die mit diesen Menschen gegenüber anderen politischen, sozialen oder sexuellen Kräften gemacht wird. Es geht nicht um die Zuschreibung an sich, sondern um die Heiligkeit für das Umfeld. In Kontinuität zu den biblischen Vorbildern bleibt der Virtus am Grab, dem Körper oder der Kleidung erhalten, so dass schon früh Wallfahrten zu diesem Virtus an res sancta einsetzen.32 3. Mittelalter: Im Mittelalter tritt die Person der Heiligen hinter dem Virtus deutlicher hervor. Als individuelle Heilige sind sie Teil der Gemeinschaft der Heiligen bleiben so auch nach dem Tod im Dienst Jesu. In ihrem Blick auf Sohn und Vater werden sie mittels ihrer Gräber, Kirchen über den Gräbern oder Reliquien selbst zu himmlischen Ansprechpartnern a. für den Weg ins Himmelreich in die Gemeinschaft der Heiligen als Vorausgehende (Gottesmenschen) und b. als Patrone der irdischen Existenz. a. Weil die Heiligen in ihrem Leben selbst Zeugnis für ein Leben nach Gottes Willen abgelegt haben, dienen sie der

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Orientierung für das eigene Leben, aber nicht direkt im Sinne ethischer Modelle, sondern eher als Wegbereiter, die vor allem durch ihre Fürsprache die Tür zum Himmelreich öffnen können. Wie bei den Gottesmännern stehen die Heiligen für eine besondere Auseinandersetzung mit widergöttlichen Kräften, die es zu überwinden gilt. b. Weil die Heiligen mit ihrem Virtus weiter irdisch wirken, werden sie für Patronate über Länder, Gruppen, Gerichte oder Lebensbereiche in Anspruch genommen. Die Heiligen werden ganz real in militärische, soziale oder juristische Handlungsmodelle eingebunden und sichern so angesichts der Ferne Gottes die Nähe der göttlichen Heilsmacht auf Erden. Die Reformation beobachtet zu Recht, dass immer wieder die Patronate selbst an Gottes Stelle gesetzt werden und aus der Verehrung (veneratio) der Heiligen eine Anbetung (adoratio) wurde. Die Heiligen übernahmen damit vielfach die Positionen, die im polytheistischen Kosmos mit Göttern besetzt wurden. Sie sind damit nicht mehr durch ihre Position im religiös besetzen Himmel Fenster zu Gott im Himmel, den kein Himmel und damit keine kultische Verehrung fassen kann, sondern selbst kleine Götter in ihrem Himmel geworden.33 32 Vgl. Klaus Hausberger, Art. ›Anfänge der christlichen Heiligenverehrung‹, in: TRE Bd. 14, Sp. 647–651; Sabine Pemsel-Maier, Maria und die Heiligen, Würzburg 2014, 13; Arnold Angenendt (wie Anm. 27), 55–68. 33 Vgl. Klaus Hausberger (wie Anm. 32), Sp. 651–653; Sabine Pemsel-Maier (wie Anm. 32), 26–33; Arnold Angenendt (wie Anm. 27), 102–206; Peter Gemeinhardt, Die Heiligen. Von den frühchristlichen Märtyrern bis zur Gegenwart, München 2010, 40–42.

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Theoretische Grundlagen

4. Neuzeit: In der katholischen Gegenreformation bleiben die Heiligen als himmlische Ansprechpartner und verborgen als kleine Götter bis weit in das 20. Jahrhundert erhalten. Die Heiligen gelten geradezu als Verkünder und Zeugen der nahen Gottesherrschaft und mildern damit die eschatologische Spannung zur Vollendung der Kirche ab. In der Reformation wird bei Luther zu Beginn die Gemeinschaft der Heiligen durchaus lebendig gehalten, sie wird aber sowohl in ihrer irdischen wie der himmlischen Dimension unter den eschatologischen Vorbehalt und christologisch zentriert. Schon bald interessieren Luther aber die toten Heiligen nur noch als Exemplum der Christusnachfolge. Hier wird die himmlische Gemeinschaft der individuell Heiligen aufgelöst und sie werden als historische, auf Christus hin orientierende Vorbilder den Gläubigen an die Seite gestellt. Heilige sind Modelle der wahren in Christus gründenden Menschseins der Nächstenliebe. Noch wichtiger als die toten Heiligen sind die lebendigen »Heiligen«, die die rechtfertigende Gnade Gottes bezeugen. Insgesamt wird Heiligkeit von den guten Taten der Menschen entkoppelt, der Virtus kehrt zurück zum Vater, sodass das Modell immer eine, die Heiligen als kleine Götter entgötzende Funktion besitzt.34 Die Katholische Kirche nimmt im 20. Jahrhundert selbst das Bild von der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen auf und verbindet es z.B. im Zweiten Vatikanischen Konzil mit der ekklesiologischen Neubesinnung der Kirche als Volk Gottes unterwegs in der Zeit. Wie schon bei Paulus tritt damit die individuelle Heiligkeit gegenüber der zugesagten und nun expliziten Himmel und Erde sowie Ver-

gangenheit und Zukunft umfassenden Gemeinschaft zurück, die nicht bruchlos über Heiligkeit verfügt, sondern christologisch ausgerichtet ist. In Lumen Gentium bleiben trotz dieser Zurückhaltung gleichzeitig die individuelle Heiligkeit und damit die legitime Heiligenverehrung präsent – allerdings in einem anderen Kontext. Denn paradoxerweise ist das 20. Jahrhundert das mit der größten Zahl an Selig- und Heiligsprechungen. Das ist verstehbar, wenn man bedenkt, dass die Kirche in der modernen Heiligsprechung weniger die eigene Kontrolle über die Heiligkeit von Welt gewinnt, als vielmehr Menschen als Gottesmenschen kennzeichnet, die in Zeiten eines scheinbar unsichtbaren Gottes und vor allem einer Kirche, die selbst die Heiligkeit verwirrend uneindeutig repräsentiert, die lebendige Mächtigkeit Gottes bezeugen. Sie zeigen damit gerade die Heiligkeit der Kirche als überindividuelle Gemeinschaft, die auf der Erde selbst ihre Orientierung verloren hat. Heiligenverehrung wird zum Bekenntnis zum geschichtsmächtigen Gott, der die Welt nicht aufgegeben hat.35 3.5 Heiligenverständnisse im Diskurs

So lassen sich schon in dem historischen Rückblick sechs Modelle erkennen, die in der Matrix (vgl. Abb. 5) festgehalten sind und noch um eines bzw. zwei erweitert werden, die für die didaktische Funktion 34 Vgl. Klaus Hausberger (wie Anm. 32), Sp. 664– 667; Martin Rothgangel (wie Anm. 27), 220. 35 Vgl. Klaus Hausberger (wie Anm. 32), Sp. 655– 657; Sabine Pemsel-Maier (wie Anm. 32), 16f, 21, 29, 31.

Reis Heilige sind anders

der MetaStruktur von Bedeutung sind. Zum einen kann der in der Reformation angestoßene entgötzende Prozess, die Heiligen (nur noch) als Vorbilder zu verstehen, radikalisiert werden, sodass die Heiligen vollständig aus der Christus Nachfolge gelöst werden. Es gibt dann immer noch einen normativen eindeutigen Horizont des Heiligen, nur reicht die damit angesprochene Transzendenz nur noch bis zur Idee der Mitmenschlichkeit. Die angebliche übernatürliche Transzendenz wird symbolisch verstanden (Variante B des Modells Heilige als Modelle ethischen Handelns). Zum anderen tritt ein siebtes Modell dazu, welches von keiner normativen Idee mehr ausgeht, für die die Heiligen stehen können. Heiligkeit wird als individuelle Zuschreibung von Besonderheit gesehen, deren Realität nur noch innerhalb der Zuschreibung selbst gedeckt ist. Heiligkeit hat keinen öffentlichen Charakter, sondern ist ein Code dafür, dass etwas für mich herausgehobene Bedeutung hat – was den Mainstream der Vorstellungen der Jugendlichen abbildet. Mit diesen sieben Modellen lässt sich eine Ordnung formulieren, die zumindest den westeuropäischen Diskurs der Heiligen und die zentralen alltagssprachlichen Vorstellungen erfasst. Es ist ersichtlich, dass sich die Modelle deutlich in ihren Weltbildkonstruktionen, der Bedeutung für das Individuum, aber vor allem auch ihren Botschaften über die Welt deutlich unterscheiden. Auch wenn manche Modelle klare Paradoxieauflösungen darstellen [3), 6) in Variante B und 7)], bilden manche auch komplexe Formen, um die Paradoxie zu erhalten. So kann gerade die Heiligenverehrung der Heiligen als himmlische Ansprechpartner

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im Mittelalter heute als anspruchsvolle Form gelesen werden, die irdische Wirklichkeit für die göttliche Gerechtigkeit vom geordneten Heiligenhimmel her zu desakralisieren.36 Aber auch die Gottesmenschen der Antike markieren den wirksamen Widerstand gegenüber den faktischen Lebensmächten und sind deshalb bis heute mehr als Vorbilder mit radikalen Lebensentscheidungen. Sie stehen für eine andere Wirklichkeit, die von Gott in dieser Welt immer wieder real geöffnet wird. Die Heiligen weigern sich grundsätzlich einem rein immanenten geschlossenen Weltbild zu weichen und erinnern an die theologische Bedeutung des Himmels als Feld der Auseinandersetzung der Mächte und Gewalten.37 Wer glaubt, der Himmel sei symbolisch überwunden, wird die Heiligen nicht anders als im ethischen Lernen kontextuieren können. Damit wird aber zugleich eine Grundentscheidung übernommen, nach der Transzendenz-Immanenz-Kreuzungen insgesamt nicht mehr plausibel sind. Die Heiligen regen gegen diese deistische Tendenz dazu an, Gottesmacht in der Welt einmal ausdrücklich von den menschlichen Möglichkeiten her zu denken, ohne sie als menschliches Potenzial zu verstehen.

36 Diese Desakralisierung kann auch der Hintergrund sein, wenn die Jugendlichen zu dem von ihnen vergötzten irdischen Heiligen wieder in eine gesunde Beziehung treten (vgl. Martin Rothgangel (wie Anm. 27), 222–224). Darin zeigen die Modelle 6) Variante A und 2) eine erstaunliche Nähe. 37 Vgl. einführend Oliver Reis, Himmel, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.) (wie Anm. 8), 284–286.

Heilige als Mittler zwischen Gott und Mensch

Heilige im zugänglichen Himmel als Türöffner für den unzugänglichen Himmel

Heilige als Vorbilder auf dem Weg ins Himmelreich,  als Vorbilder für den Glauben

Ja, himmlische Vorbilder auf dem Weg ins Himmelreich

Gottesmänner  in seiner Virtus kommt Gott zum Menschen

Himmel und Erde berühren sich nur im Gottesmann selbst

Ziel: Zubereitung, aber Heiligkeit selbst unverfügbar!  Entlastung für das Individuum

Ja, die Gottesmänner werden verehrt, aber nicht angebetet

Verhältnis zwischen Gott und Mensch

Verhältnis zwischen Himmel und Erde

Ethische Funktion?

Heiligenverehrung als Konsequenz?

Abb. 5: MetaStruktur der Heiligenverständnisse

Kriterien

2) Heilige als himmlische Ansprechpartner

1) Heilige als Repräsentanten himmlischer Macht

Modelle

Anbetung

Nein

Virtus auch in Reliquien auf Erden

Heilige an Gottes statt

3) Heilige als kleine Götter

Nein

Heiligkeit als Gemeinschaftszuschreibung  Verantwortung für Gemeinschaft

Durch die Heiligkeit der Gemeinschaft werden Himmel und Erde eins

Mensch von Gott in Gemeinschaft mit Jesus dem Heiligen berufen

4) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen

Verehrung als Zeichen für die Wirkung des Heiligen Geistes

Heilige als Vorbilder für die Kirche  Entlastung für das Individuum

Heiligen sind die, die den richtigen Himmel und Gott erkennen

Heilige Menschen handeln im Sinne Gottes, Kirche tut dies nicht mehr

5) Heilige als Repräsentanten einer heiligen Kirchen

Gedenken passender

A: christlich konsequent (götzenfrei) leben B: konsequent gut leben

Fokus: irdische Welt ohne Bezug zum Himmel

Jesus als alleiniger Bezugspunkt gelingenden Lebens

6) Heilige als Modelle ethischen Handelns

Transformiert sich in einen Privatkult (Religion)

Ethisches Selbstverständnis durch Individualität

Himmel ist verschwunden

keine GottMensch-Beziehung; man nimmt selbst die Funktion Gottes ein,

7) »Heilig« als Kennzeichnung von besonderen Personen

84 Theoretische Grundlagen

Reis Heilige sind anders

3.5 Die Gemeinschaft der Heiligen als Zielpunkt des Theologisierens?

Christina Kalloch hat im einzigen kindertheologischen Beitrag zu den Heiligen den folgenden Zielpunkt festgehalten: »Diese überragenden Gestalten der christlichen Glaubensgeschichte werden seither ausdrücklich als Heilige verehrt, weil ihr Leben als Verwirklichung einer besonders geglückten Gottesbeziehung gewürdigt werden kann. So sind sie einerseits hervorgehoben und andererseits doch gleich all denen, die auf den Namen Jesu Christi getauft sind. Diese werden, weil sie die Taufe empfangen haben, als Heilige und Erwählte angesprochen. Denn als Getaufte haben sie ausnahmslos teil am Gottesverhältnis Jesu. Ein gegenwärtig theologisch angemessenes und konfessionsverbindendes Heiligenverständnis basiert daher auf der neutestamentlichen Vorstellung, alle Gläubigen seien von Gott berufene Heilige (Röm 1,7).«38

Betrachtet man mit Blick auf die Matrix diesen Zielpunkt, dann lässt sich dieser gut einordnen: Auf den ersten Blick fällt auf, dass Kalloch ein bestimmtes Modell als Zielhorizont wählt: die Gemeinschaft der Heiligen (4). Ohne diese selektive Entscheidung genauer zu begründen, werden damit alle Modelle ausgeschlossen, die auf den Gottesmenschen basieren und die auch in den Schülerstatements zu sehen waren (vgl. Abb. 4). Dass damit ein konfessionsverbindendes Verständnis gewählt wurde, ist richtig. Und dass sich das Modell gut auch innerhalb der katholischen Kirche mit Lumen Gentium begründen lässt, stimmt auch. Was allerdings unterschlagen wird, ist, dass Lumen Gentium die himmlischen Ansprechpartner nicht als unangemessen ablehnt, sondern in die Gemeinschaft der

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Heiligen einbettet. Vor allem erhält aber Lumen Gentium das Verständnis in seiner Gänze, indem z.B. der Himmel ausdrücklich als Interaktionsort mitgedacht wird, Individualisierungen der Heiligkeit vermieden werden, die gemeinsame Verantwortung im Gottes-Dienst – com-munio sanctorum und nicht comunio! – für die konkrete soziale Form des Leibes Christi als Ort der Heiligkeit betont wird. Lumen Gentium betont ausdrücklich in der Wahl dieses Modells die Abgrenzung zur Welt und ihrer Autonomie und Fortschrittslogik – auch dieser Aspekt der Ecclesia als Gemeinschaft der Herausgerufenen wird bei Kalloch nicht angesprochen. Aber was gibt es dann noch zu theologisieren, wenn die Spannungen zwischen Heiligkeit als Anspruch oder als Entlastung, zwischen antifaktischer Wirklichkeitskonstruktion und Weltbezug, zwischen Erde und Himmel nicht erhalten bleibt? Bleibt dann nicht einfach ein Vermittlungsanliegen? Reizvoller scheint es dagegen, wenn gerade Jugendliche über die Heiligen in die Auseinandersetzung um Gottes Geschichtsmächtigkeit hineingenommen werden, die auch Reiß als zentrale Frage erhebt.39 In den Gottesmenschen der Antike, den Patronatskonzepten des Mittelalters oder auch den Leuchttürmen in der dunklen Zeit von Kirche und Gesellschaft steckt so viel Provokation und unerschlossene Kraft, die Spannungen anzusprechen, die Mendl aufwirft (s.o.) und die dann in der Ethisierung verpuffen. Die Arbeit an der MetaStruktur erschafft sich einen deutlich veränderten Kontext für das Theologisieren. 38 Christina Kalloch (wie Anm. 8), 271. 39 Vgl. Annike Reiß (wie in Anm. 11), 460–465.

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Theoretische Grundlagen

4. Heilige im Diskurslernen – Theologisieren jenseits von Ethisierung

Es ist nach meiner Wahrnehmung nicht nur einfach fachliches Wissen der Lehrkräfte zu einem Thema, das eine zentrale Voraussetzung für produktives Theologisieren mit Jugendlichen ist – gerade dann, wenn sich die Jugendtheologie nicht einfach a) auf spontane Theoriebildung, b) einen unverbindlichen Austausch von Meinungen oder c) eine verdeckte gesteuerte Kommunikation auf einen Zielpunkt hin reduzieren lassen will. Es mag vielleicht so sein, dass dokumentierte Lerngespräche eine erstaunliche theologische Tiefe erreichen, aber wenn man auf die Interventionen genau schaut, dann lässt sich immer ein Interventionsrahmen erkennen, der entweder von der Lehrkraft oder von Mitschülern der Momentaufnahme vorausgesetzt ist.40 Dabei lassen sich zwei Interventionsmuster unterscheiden: In dem ersten Muster wird durch den Rahmen gezielt Perspektivenvielfalt erhalten, weil die aufzudeckenden Spannungen die Lerndynamik41 erzeugen, in dem zweiten wird die Vielfalt dagegen argumentativ kontrolliert und wenn möglich (konsensual) reduziert. Im zweiten Muster wird die Jugendtheologie zu einer Vermittlungsmethode von Inhalten wie z.B. einem bestimmten Heiligenverständnis, welches sich auch didaktisch begründen lässt. Wenn aber im ersten Muster in einem konsequent und transparent geführten Unterrichtssetting immer wieder eigene Positionen gezielt durch anregende Fremdpositionen irritiert werden sollen und wenn genau diese Weiterentwicklung – in der dritten Phase – das eigent-

liche nur kooperativ zu erreichende Ziel ist, dann braucht dieses Lernformat, das ich Diskurslernen nenne, eben einen inhaltlichen Rahmen, der Positionsvielfalt als notwendig versteht.42 Und diesen Rahmen bietet die skizzierte MetaStruktur ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Innerhalb dieses Rahmens bedeuten Dekonstruktionen von Heiligkeit durch die Jugendlichen als soziale Kennzeichnung keine Bedrohung mehr, aber auch Jugendliche mit dem Wunsch nach Gottesmenschen, die ihnen zur Seite stehen und verehrt werden wollen, sind nicht einfach rückständig und stören nicht mit dem hohen Nachfolgeanspruch. Gerade weil die Diskurslogik verstehbar ist und ich als Lehrkraft nicht den Überblick verliere, kann ich mich auf den ergebnisoffenen Diskurs einlassen und noch neue Modelle suchen. Die Offenheit macht den Unterricht nicht ziellos, weil die Offenheit das theologisierende Material erzeugt, das in den drei Phasen verarbeitet werden kann. Und gerade weil die Phasenziele so klar sind, kann ich mich als Lehrkraft methodisch vom Gespräch lösen und nach für die Jugendlichen angemessenen Formen suchen.

40 Vgl. Oliver Reis (wie Anm. 13). 41 So ließe sich auch die jugendtheologische Anmerkung Rothgangels verstehen, der einerseits die Jugendlichen auffordert, die reine soziale Kennzeichnung – Modell 7) – in Richtung einer Transzendierung zu öffnen – Modell 6) Variante A – und andererseits Vergötzungen – Modell 3) – hinterfragen will (vgl. Martin Rothgangel [wie Anm. 27], 224). Was hier noch ausbaufähig ist, ist die konsequente Nutzung der ganzen Matrix und vor allem die positive Aufnahme der katholischen Modelle, die eben nicht historisch erledigt sind. 42 Vgl. ebd.; Annike Reiß (wie Anm. 11), 523, 559.

Weiß Meinen und Gelten – Kritische Anmerkungen zur Jugendtheologie

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Thomas Weiß Meinen und Gelten Kritische Anmerkungen zur Jugendtheologie

Jugendtheologie ist mitten im religionspädagogischen Diskurs angekommen. Davon zeugen umfassende Veröffentlichungen zu Aspekten eines Theologisierens von Jugendlichen1, eines mit Jugendlichen2 und eines für Jugendliche3. Auch die fünfte Tagung des Netzwerkes Jugendtheologie in Dortmund berücksichtigt die Differenzierung in von, mit und für, wobei speziell der Problematik nachgegangen wird, »wie Jugendliche religiöse Diversität in ihrer schulischen Lebenswelt wahrnehmen, wie religiöse Bildung als »Theologisieren mit Jugendlichen« in der Vielfalt gestaltet werden kann und welche Lerngegenstände benötigt werden, um diesen Prozess sinnvoll und ertragreich durchzuführen.«4 Drei Ebenen werden hier sinnvoll aufeinander bezogen: Die Ebene der subjektiven Wahrnehmung, die bildungstheoretische Ebene und die von konkreten Lerngegenständen und -prozessen. Gleichzeitig lässt sich ein eklatanter Mangel im Diskurs Jugendtheologie feststellen. Pointiert formuliert Dressler, dass der »Religionsbegriff unterbestimmt, während der Theologiebegriff trivialisiert zu werden droht, wenn unter Theologie jeder reflexive Bezug auf Religion gelten soll.«5 Porzelt attestiert einer Jugendtheologie »Hypertrophie« und macht dies u.a. an »konfuser Begrifflichkeit«6 fest. Wird der bisherige Diskurs verfolgt, so lassen sich zum Theologieverständnis drei Kontexte ausmachen. Im ersten Diskurskon-

text wird Jugendtheologie bestimmt »als Reflexion und Kommunikation religiöser Vorstellungen durch Jugendliche«7. Der zweite Diskurskontext ist an die Unterstellung gebunden, dass »sehr viele Jugendliche eine Theologie längst haben, zumindest im Sinne einer impliziten und einer persönlichen Theologie.«8 1 Vgl. dazu meine Rezension im vorliegenden Band: Tobias Faix / Ulrich Riegel / Tobias Künkler (Hg.), Theologien von Jugendlichen. Empirische Erkundungen zu theologisch relevanten Konstruktionen Jugendlicher, Münster 2015. 2 Vgl. Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, Stuttgart 2012. 3 Vgl. Katharina Kammeyer, Theologisieren in heterogenen Lerngruppen – Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen, in: Dieterich (wie Anm. 2), 191ff. 4 Vgl. das Tagungsprogramm: http://bertroebben.blogspot.co.at/2015/01/konferenz-jugend theologie-und-religiose.html [Zugriff am 28.07.2016]. 5 Bernhard Dressler, Zur »Kritik der Kinder- und Jugendtheologie«, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 111, 2014, 339; darauf verweisen auch Ulrich Riegel & Tobias Faix, (wie Anm. 1), 21. 6 Burkhard Porzelt, Differenz oder Vereinnahmung? Anfragen an eine hypertrophe Jugendtheologie, in: Religionspädagogische Beiträge, Heft 70/2013, 26ff. 7 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 2011. 8 Schlag / Schweitzer (wie Anm. 7), 181. Vollständig lauten die Dimensionen einer Jugend-

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Im dritten Diskurskontext wird die Unterscheidung zwischen einer Jugendtheologie im engeren und im weiteren Sinn vorgetragen.9 Obwohl Jugendtheologie im religionspädagogischen Diskurs angekommen ist, bleibt das Verständnis von Theologie problematisch. Im Folgenden soll die Kritik am weiten Theologieverständnis in Form einer Zusammenfassung vorgetragen werden (1).10 Ein Exkurs (2) zu schöpfungstheologischen Positionen (als ein Hauptthema von christlicher Theologie) kann Theologie als Reflexionswissenschaft ausweisen. An diesen Exkurs schließt sich ein weiterer zu Schülerhorizonten in Bezug auf Schöpfungstheologie an (3). Mit welchen (religiösen/theologischen) Aussagen zu rechnen ist, wenn SchülerInnen über dieses Thema reflektieren, wird an einem Beispiel demonstriert und interpretiert (4). Abschließend (5) werden resümierende Überlegungen zum Theologieverständnis im Rahmen von Jugendtheologie vorgetragen. 1. Zur Kritik am weiten Theologieverständnis

Ausgangspunkt der Kritik am weiten Verständnis von Theologie im jugendtheologischen Diskurs ist die folgende Aussage: »Jugendtheologie im weiteren Sinn ist […] überall dort zu finden, wo sich Jugendliche ernsthaft auf das Nachdenken über Fragen von Religion, Glauben und Wahrheit einlassen. Jugendtheologie im engeren Sinn hingegen geht von der Bestimmung einer nicht allgemein vorauszusetzenden Bindung an den christlichen Glauben und die dadurch zum Ausdruck gebrachten

Wahrheitsüberzeugungen aus.«11 Beim diesem weiten Verständnis von Theologie bleibt unklar, weshalb ein ernsthaftes »Nachdenken über Religion, Glauben und Wahrheit« ein theologisches Nachdenken sein muss. Kann darüber nicht auch aus einer philosophischen, historischen oder gar politischen Perspektive ernsthaft nachgedacht werden? Es lassen sich bei einem so definierten weiten Theologieverständnis keine Abgrenzungsmerkmale finden, die dieses Nachdenken als theologisches Nachdenken qualifizieren. Dressler, Porzelt, aber auch Englert sind sich dahingehend einig, dass gerade der Religionsunterricht ein Ort ist, an dem die Differenz zwischen Glaubensaussagen und anderen Aussagen, zwischen religiösen und nicht religiösen Aussagen, theologischen und nicht theologischen Aussagen zu beachten ist bzw. dass »sich der Religionsunterricht stärker um die Entwicklung des theologischen Unterscheidungsvermögens«12 bemühen muss. Damit dem Image, Religionsunterricht sei

theologie: (Schlag Schweitzer (wie Anm. 7), 61. Zur Kritik an den fünf Dimensionen von Jugendtheologie vgl. Thomas Weiß, Fachspezifische und fachübergreifende Argumentationen am Beispiel von Schöpfung und Evolution. Göttingen 2016, 493ff. 9 Vgl. Schlag / Schweitzer (wie Anm. 7). 10 Bei dieser Kritik beziehe ich mich vor allem auf Dressler (wie Anm. 5), Porzelt (wie Anm. 6) und Rudolf Englert, Religion gibt zu denken. Eine Religionsdidaktik in 19 Lehrstücken, München 2012. 11 Thomas Schlag, Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?, in: Jahrbuch für Jugendtheologie 1. Stuttgart 2013, 18 (Hervorhebung im Original). 12 Englert (wie Anm.10), 40.

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ein Laberfach13, entgegengewirkt werden kann, ist die Balance zu halten zwischen Ermutigung zum selbstständigen Denken und abwägendem Beurteilen dieses selbstständigen Denkens. Beides hat diskursiv und intersubjektiv zu erfolgen. Die Beurteilung der jeweiligen Aussagen muss dabei nicht zwingend und nicht nur durch die Lehrkraft vollzogen werden, aber die jeweilige Lehrerin/der jeweilige Lehrer hat die Aufgabe, den Diskurs (oder Dialog) so zu steuern, dass es ein solcher bleibt und nicht in ein subjektives Meinen abdriftet. Die Lehrkraft dürfte damit die Voraussetzung für einen »Dialog auf Augenhöhe«14 sein. Dies bedeutet nicht, dass die Lehrkraft prinzipiell auf der »richtigen Seite« steht. Ich möchte hier die These vertreten, dass Schülerinnen und Schüler gerade im Religionsunterricht die Chance erhalten müssen, sich an einer konkreten Norm abarbeiten zu können; mit Meyer-Blanck formuliert: »Je älter die Schüler werden, desto stärker müssen sie auch Anteil an der gesellschaftlichen Realität und damit an der Sperrigkeit des theologischen Wahrheitsdiskurses selbst gewinnen. Sie müssen konfrontiert werden mit den Ergebnissen professioneller Theologie – und sie werden dann auch die Ergebnisse professioneller Theologie selbst befruchten und verändern.«15 Sich an einer konkreten Norm – hier: christliche Theologie – abzuarbeiten, bedeutet nicht, die allgemeinpädagogische Voraussetzung von Unterricht – Ausgangspunkt ist die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler – aufzugeben. Es ist damit auch nicht ausgesagt, dass es im Unterricht zu einer erzwungenen Übernahme dieser Norm kommt, die gege-

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benenfalls noch zu bewerten ist. Wird aber im jugendtheologischen Diskurs mit dem hier kritisierten weiten Theologieverständnis operiert, besteht nicht nur die Gefahr einer Trivialisierung von Theologie. Es besteht auch die Gefahr, dass der Religionsunterricht keinen nennenswerten Beitrag zur allgemeinen Bildung leistet, wenn er Schülerinnen und Schülern nicht die Möglichkeit eröffnet, sich mit Theologie(n) in Tradition und Gegenwart auseinander zu setzen.16 Wie defizitär das Theologieverständnis im jugendtheologischen Diskurs ist, lässt sich auch mit dem Verweis verdeutlichen, Jugendtheologie sei Laientheologie.17 Als Gewährsmann 13 Vgl. Bernhard Dressler, »Die Schule entdeckt die Kirche als Ort von Religion. Was kann der Religionsunterricht von der Kirchenpädagogik lernen?«, in: Thomas Klie (Hg.), Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik und Religiöses Lernen, München 1998, 77ff; Friedrich Spaeth, »Am Ende ist er im Licht hochgestiegen« – Theologisieren mit Jugendlichen am Beispiel der Christologie, in: Dieterich (wie Anm. 2) 159ff. 14 Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern, Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 1/05, 52. 15 Michael Meyer-Blanck, Umrisse einer Jugendtheologie – Vorüberlegungen zu einer didaktischen Dogmatik,in: Petra Freudenberger-Lötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut.« JaBuJu 1, Stuttgart 2013, 31. Ob Schülerinnen und Schüler die professionelle Theologie befruchten, bleibt freilich fraglich. 16 Dass es solche jugendtheologischen Ansätze gibt, kann vor allem bei Dieterich (wie Anm. 2) und seinem Programm Theologie mit Jugendlichen sowie bei Gennerich nachgelesen werden. Vgl. Dieterich (wie Anm. 2) und Carsten Gennerich, Dogmatik des Jugendalters, Stuttgart 2010. 17 Schlag / Schweitzer (wie Anm. 7), 23 u.ö.; Schlag (wie Anm. 11), 12ff.

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wird der Dogmatiker Härle herangezogen: »Da an der Bildung und Erhaltung des kirchlichen Lehrkonsensus nach evangelischem Verständnis alle Christen verantwortlich beteiligt sind, partizipieren sie auch grundsätzliche alle an der (produktiven und rezeptiven) Pflege theologischer Lehre. Es gibt von den Anfängen der Christenheit bis heute eine in ihrer Qualität und Bedeutung nicht zu unterschätzende Gemeindeoder Laientheologie.«18 Härle schließt in seinem Verständnis von Laientheologie explizit Kinder- und Jugendtheologie ein.19 Wird genau gelesen, dann stimmt diese Beobachtung sicherlich für alle Christen. Aber was geschieht mit den Jugendlichen, die sich bewusst auf ein »ich glaube nicht, ich bin in keiner Kirche« zurückziehen und dennoch – und zwar berechtigt – am Religionsunterricht teilnehmen? Liegt hier nicht eine Vereinnahmung vor, die Kritikern des Religionsunterrichts an der öffentlichen Schule ein starkes Argument an die Hand liefert? Verwunderlich bleibt, und damit möchte ich die Kritik am weiten Theologieverständnis abbrechen, das seltsame Schwanken von Schlag / Schweitzer (u.a.) in dieser Frage. Einerseits ist ihnen bewusst, dass christliche Theologie eine Form der Reflexion ist, »für die der Bezug auf den Glauben in einem normativen Sinne konstitutiv [ist …]: Ohne Glaubensüberzeugung lässt sich demnach theologisch kaum sachgemäß reden und reflektieren.«20 Andererseits wird Jugendlichen unterstellt, dass sie schon eine Theologie haben bzw. »gerade im Jugendalter häufig die Infragestellung von in der Kindheit als selbstverständlich aufgenommenen Glaubensüberzeu-

gungen im Zentrum steht.«21 Ignoriert werden dabei Forschungsergebnisse wie von Bucher, der empirisch erfasst, dass Jugendliche gar keine Theologen sein wollen, wenn sie über Glauben und Religion nachdenken.22 Ignoriert wird aber auch, dass der Religionsunterricht an den öffentlichen Schule mittlerweile häufig der Ort ist, an dem Kinder und Jugendliche zum ersten Mal über Glauben und Religion nachdenken.23 Es ist erstaunlich, dass nach einem kritischen Forschungsüberblick bei Riegel / Faix24 zwar das weite Theologieverständnis als unzureichend problematisiert, im Fazit diesem aber doch gefolgt wird: »Der weite Theologiebegriff […] erlaubt es, die vielfältigen, sich sehr oft kritisch gegenüber institutionalisierten Christentum positionierenden Religiositäten und Weltanschauungen Jugendlicher auf theologische Positionen und Konzepte zu beziehen.«25 Theologie ist Reflexion und zwar von Religion26 als »eine 18 Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin/Boston 42012,13f. Dieses Zitat verwenden auch Schlag / Schweitzer (wie Anm. 7), 48. 19 Härle, (wie Anm. 18), 14, Fußnote 8. Die Bemerkung in der Fußnote widerspricht seinem eigenen Text. 20 Schlag / Schweitzer (wie Anm. 7), 48. 21 Schlag / Schweitzer (wie Anm. 7), 49. 22 Anton A. Bucher, Sind Jugendliche auch für Jugendliche Theologen? Eine Pilotstudie und konzeptuelle Überlegungen, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012, 102ff. 23 Vgl. dazu beispielsweise die Studie von Michael Domsgen, Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie, Leipzig 22006. 24 Riegel / Faix (wie Anm. 1), 22ff. 25 Riegel / Faix (wie Anm. 1), 25. 26 Funktional betrachtet ist Theologie Reflexion von (christlichem) Glauben.

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lebensweltliche Deutung der Faktizität menschlicher Selbstbestimmung.«27 Als Wissenschaft ist Theologie eine Reflexionswissenschaft. Als solche ist sie allerdings »nicht mit der kulturellen Praxis der Religion identisch, auf die sie sich bezieht.«28 D.h. Religion und Theologie müssen unterschieden werden. Auch christliche Theologie äußert sich kritisch gegenüber dem institutionalisierten Christentum. Kritische Distanz, als Kriterium für jugendliches Nachdenken, ist somit kein Argument für ein weites Theologieverständnis. Ernsthaftes Nachdenken von Jugendlichen über Fragen nach Religion, Glauben, Wahrheit sind vielleicht religiöse Aussagen und durchaus bedeutungsvoll. Inwiefern sie aber theologische Aussagen sind, lässt sich im Vorfeld nicht bestimmen. Deshalb sind zwei Exkurse angebracht, die verdeutlichen können, was theologische Reflexion sein und wie sich diese im Horizont von Schülerinnen und Schülern widerspiegeln könnte. Dies wird im Folgenden am Thema Schöpfung vorgeführt. 2. Schöpfungstheologie

Das Folgende ist umfangreich in meiner Habilitationsschrift ausgeführt, ich zeichne deshalb hier nur in groben Zügen nach.29 Theologie ist Reflexion von Religion als ein lebensweltlicher Deutungshorizont.30 Allgemein betrachtet zielt christliche Theologie31 auf das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens ab. Dieses Wirklichkeitsverständnis speist sich aus den beiden Bereichen Gottesverständnis und Weltverständnis. Eine christlich verstandene

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Schöpfungstheologie geht davon aus, dass Gott der Schöpfer »so unterschieden von seiner Schöpfung [ist], dass er ihr ganz gegenübersteht.«32 Gott ist somit kein Werkmeister, er kann nicht mit Kategorien der Kausalität erschlossen werden, was eine Rückführung von der Schöpfung auf einen Schöpfer verunmöglicht. Auch der Gedanke einer Emanation ist damit ausgeschlossen sowie der einer Zeugung von der Welt (aus dem Schoß Gottes). Die Wesensverschiedenheit ist nicht quantitativ oder qualitativ sondern »kategorial« gedacht.33 Dies bedeutet: »Die Lehre von der Schöpfung ist nicht die Geschichte eines Ereignisses, das irgendwann einmal stattgefunden hat. Sie ist vielmehr die grundlegende Aussage der Beziehung über Gott und 27 Christian Danz, Einführung in die Theologie der Religionen, Wien 2005, 45f. 28 Bernhard Dressler, Schule im Spannungsfeld von religiöser und kultureller Pluralität, in: Henning Schluß / Susanne Tschida / Thomas Krobath / Michael Domsgen (Hg.), Wir sind alle »andere«. Schule und Religion in der Pluralität, Göttingen 2015, 39. 29 Vgl. Weiß (wie Anm. 8) 53ff. 30 Ich halte die Aussage von Tillich, dass der Mensch die Frage nach sich selbst ist, noch ehe er eine Frage gestellt hat, noch immer als unaufgebbare Voraussetzung jeglicher Theologie. Zu Tillich vgl. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. 1, Berlin / New York 1987, 73ff. Zum religionspädagogische Zusammenhang: Johannes Kubik, Paul Tillich und die Religionspädagogik. Religion, Korrelation, Symbol und Protestantisches Prinzip, Göttingen 2011. 31 Christliche Theologie wird hier, im Sinne von Härle, als Wissenschaft verstanden (wie Anm. 18), 14ff. 32 Konrad Schmid, Schöpfung im Alten Testament in: Ders. (Hg.), Schöpfung. Tübingen, 90. 33 Härle (wie Anm. 18), 75 unterscheidet exakt zwischen quantitativer Differenz, qualitativer Differenz und kategorialer Differenz.

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Welt.«34 Die Reflexion über die Wesensverschiedenheit von Gott und der Welt (erste schöpfungstheologische Relation) kann als »das Besondere des biblischchristlichen Schöpfungsverständnisses«35 gekennzeichnet werden, als eine Art Entzauberung der Welt (M. Weber), gerade weil z. B. in Gen 1 die Gottheiten als Lampen zur Orientierung für die anderen Geschöpfe (Gen 1,14–19) dienen, oder weil das Staunen über die Schöpfung »immer wieder in das Lob des Schöpfers mündet (vgl. Ps 139,14)«.36 Mit diesem Staunen über die Schöpfung ist eine zweite schöpfungstheologische Relation verknüpft: die Verbundenheit zwischen Gott und der Welt. Weil die erste Relation, exakt zu Ende gedacht, eine Wesensverschiedenheit zwischen Gott und der Welt impliziert, so dass Gott mit dieser Welt nichts (mehr) gemeinsam hat, er also nur der Ferne bzw. der Fremde ist, wird theologisch zugleich auf die Verbundenheit von Gott und der Welt reflektiert. Die zweite Relation setzt sich mit dualistischen Annahmen auseinander. Entgegen z.B. gnostischen Vorstellungen, nach denen »die Welt nicht das Werk Gottes, sondern des Demiurgen ist«37, zielt das Denken einer Verbundenheit von Gott und der Welt darauf ab, Schöpfung für gut, in sich wertvoll zu deklarieren. Dieser christlich-theologische Reflexionsversuch ist ein anderes Verständnis als das jüdische Schöpfungsverständnis.38 Das Christentum hat aus der priesterlichen Reflexion auf die Umwelt Israels einen Schöpfungsglauben kreiert, der sich im apostolischen oder im nizänischen Glaubensbekenntnis widerspiegelt und durch die Lutherische Auslegung einen ganz personal-menschlichen Zug erfährt.39 Die Verbindung zwischen Gott

und der Welt wird in der christlichen Tradition dahingehend reflektiert, dass die Welt »als Werk Gottes«40 verstanden wird, wobei die Liebe Gottes die verbindende Kraft dieses Verhältnisses ist. Christlicher Schöpfungsglaube hat seine »Pointe nicht in einer speziellen Weltentstehungstheorie, sondern in einem spezifischen menschlichen Selbstverständnis […], es legt seinen Akzent darauf, dass wir hier und jetzt von Gott bejaht sind«.41 Das Verhältnis von Gott und der Welt wird in den beiden bisher besprochenen Relationen in Anlehnung aber auch in Abgrenzung zu jüdischen Auslegungen und Vorstellungen zur Schöpfung entwickelt und trägt – zumindest im protestantisch-christlichen Verständnis – klare personale Züge, die einerseits verhindern wollen, Gott und die Welt zu vermischen, andererseits darauf abzielen, in Gott, dem Schöpfer, einen Garanten zu sehen, durch den die Existenz des Einzelnen schon gerechtfertigt ist. Im Zusammendenken dieser beiden Relationen 34 Tillich (wie Anm. 30), 291. 35 Härle (wie Anm. 18), 413. 36 Werner H. Ritter, Schöpfung. in: Rainer Lachmann / Gottfried Adam / Werner H. Ritter (Hg.), Theologische Schlüsselbegriffe. Biblisch-systematisch-didaktisch, Göttingen 1999, 321. 37 Härle (wie Anm. 18), 413. 38 Vgl. Walther Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie. Stuttgart 1987, 25ff. 39 Apostolicum: Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde …; Nizänisches Glaubensbekenntnis: Wir glaube an den einen Gott … der alles geschaffen hat, Himmel und Erde …; Luther: Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat … [Hervorhebung TW]. 40 Härle, (wie Anm. 18), 414. 41 Richard Schröder, Schöpfung und Evolution, in: Horst Bayrhuber / Astrid Faber / Reinhold Leinfelder (Hg.), Darwin und kein Ende? Seelze 2011, 85f.

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greift die christliche Theologie auf »zwei Metaphern zurück, die diese Einheit nicht nur aus unterschiedlicher Perspektive, sondern auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung beschreiben: »Die Welt ist Werk Gottes« und »Gott ist der Grund der Welt«.«42 Die Werkmetapher schiebt dabei die Trennung zwischen Gott und Welt, die Grundmetapher der Verbindung zwischen Gott und Welt in den Vordergrund. Verbunden werden beide durch den Gedanken »einer Partizipation der Welt am Wesen Gottes, und zwar als eine Partizipation, die von Gottes Seite aus unverbrüchlich gilt.«43 Dieser Gedanke muss genau durchdacht und nachvollzogen werden. Subjekttheoretisch (so bei Schleiermacher) ergibt sich daraus der Gedanke einer Endlichkeitsreflexion44, die sich aus dem unbedingten Abhängigkeitsgefühl speist. Allerdings hat diese subjekttheoretisch ausgelegte Endlichkeitsreflexion einen entscheidenden Nachteil: »Begünstigt durch die evolutionäre Denkfigur wird durch die subjekttheoretische Fundierung und Konzentration der Religion auf das menschliche Selbstbewusstsein die Möglichkeit nahe gelegt, den Gottesgedanken selbst nur als geschichtliches Produkt und nicht als Grund von Gefühl und Vernunft zu verstehen.«45 Was also könnte mit Partizipation als Einheit der Verschiedenheit und Verbundenheit gemeint sein? Partizipation meint zuerst einmal immer Teilnahme. Diese kann differenziert werden in Etwas teilen, gemeinsam haben oder Anteil haben und Teil von etwas sein.46 Partizipation setzt damit eine Trennung voraus, etwas Individuelles, eine Differenz z.B. zwischen Subjekt und Objekt. Zugleich beschreibt Partizipati-

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on aber auch die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Subjekt und Objekt, also eine Überschreitung der Trennung, des Individuellen. D.h. ein Teil dieser Differenz / Trennung muss so offen sein, dass es am anderen ein Teilhaben oder eine Teilnahme findet. Bezogen auf die Werkmetapher kann damit gesagt werden: Die Welt als Werk Gottes ermöglicht die Partizipation (Teil von etwas zu sein) des Menschen an dieser, was die menschliche Sonderstellung ausschließt – zumindest lässt sie sich nicht aus Gen 1,26 ableiten.47 Für die Grundmetapher ist zu notieren: Gott als Grund von Welt ermöglicht die Partizipation (gemeinsam Anteil haben) des Menschen an dieser, was eine (theologische) Konkurrenz zu jeglichen Weltentstehungstheorien ausschließt. D.h. die Einheit von Verschiedenheit und Verbundenheit zwischen Gott und der Welt ist theologisch über den Gedanken einer Partizipation als Mächtigkeit zu denken.48 Dieser Gedanke hat eine entlastende Funktion, denn er befreit von einem Scheinwiderspruch zwischen Urknalltheorie und Schöpfung 42 Härle (wie Anm. 18), 424. 43 Ebd. 44 Vgl. Tillich (wie Anm. 30), 291; Ulrich Barth, Gott und Natur. Schellings metaphysische Deutung der Evolution. in: Ulrich Barth, Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 421. 45 Dirk Evers, Raum – Materie – Zeit. Schöpfungstheologie im Dialog mit naturwissenschaftlicher Kosmologie (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 41), Tübingen 2000, 137. 46 Vgl. Paul Tillich, Philosophie und Schicksal. Hg. von Renate Albrecht, Gesammelte Werke Bd. IV, Stuttgart 1961, 107ff. 47 Mit Claus Westermann, Am Anfang. 1. Mose (Genesis) Teil 1 – Urgeschichte Abraham. Neukirchen-Vluyn 48 Tillich (wie Anm. 46).

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aber auch zwischen Evolutionstheorie und Schöpfung, weil er im Durchdenken des Verhältnisses Gott / Welt nicht auf einen Naturbegriff abzielt, der mit Hervorbringen, Verursachung oder anderen raum-zeitlichen Kategorien arbeitet und somit auch kein Naturalismus oder gar ein methodischer Naturalismus sein kann.49 Schöpfung, theologisch gedacht, ist nur als Beziehung oder Verhältnis sinnvoll zu bestimmen. 3. Schöpfungstheologie im Horizont von Schülerinnen und Schülern

Es bedarf wohl keiner gesonderten Begründung, dass die in Punkt 2 angezeigten schöpfungstheologischen Positionen so nicht im Horizont von Schülerinnen und Schülern sein dürften. Ritter hat für die Grundschule und die Sekundarstufe I Vorschläge unterbreitet, wie religionspädagogisch und damit fachdidaktisch verantwortet, mit dem Thema Schöpfung umgegangen werden könnte.50 Werden die hier explizierten schöpfungstheologischen Positionen zusam­ mengefasst und auf die Ebene der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II bezogen, lassen sich die folgenden Themenblöcke in Bezug auf die alttestamentlichen Texte aus Gen 1 und 2 vorschlagen: 1) Biblische Schöpfung ist eine Erzählung, Poesie, die ihren (ursprünglichen) Sitz im Leben des Volkes Israels hatte (und hat) und vom Christentum, aber auch vom Islam übernommen und verändert worden ist (z.B. im Christentum: Schöpfungsglauben). 2) Die Schöpfungserzählungen sind in Übernahme anderer Mythen (babylonischer Schöpfungsmythos) vor dem

Hintergrund damaliger (ca. 568 v.Chr.) (naturwissenschaftlicher) Erkenntnisse entstanden. 3) Auch wenn die Urgeschichte (Gen 1,1) mit der Einleitung ›Im Anfang …‹ die Idee einer Kosmologie nahe legt, ist Schöpfung kein Bericht über Tatsachen (Entstehung des Kosmos, der Welt oder des Lebens), sondern drückt Relationen / Verhältnisse zwischen Gott und Welt aus, die zeitgemäß zu interpretieren sind. 4) Schöpfung kann (sollte) unter theologisch weisheitlichen, heilsgeschichtlichen, anthropologischen, religionsphilosophischen, ethischen und kulturellen Gesichtspunkten betrachtet werden – keine dieser einzelnen Betrachtungsweisen darf für sich allein Absolutheit beanspruchen, aber auch keine dieser Positionen schließt den Gegenstand der Naturwissenschaften (Natur) ein. 5) Schöpfung spricht dem Menschen keine Sonderrolle zu, sondern lokalisiert das Du im angeredet werden durch Gott, also eine Verhältnisbeschreibung zwischen Schöpfer und Geschöpf, wodurch die Bewahrung der Schöpfung zumindest so kritisch zu reflektieren ist, dass es nicht zu einer In-Eins-Setzung von Schöpfung und Natur kommt. 6) In die Klärung des Verhältnisses zwischen Schöpfer / Geschöpf, Schöpfer / Welt ist ein prinzipieller Verstehensprozess eingebunden. D.h. Schöpfungstheologie umfasst wissenschaftstheoretisch die Bereiche Erklären und Verstehen. Deshalb muss unterschieden werden zwischen einem theologischen Erklären und 49 Damit ist dem Problem eines zeitlichen Anfangs nicht ausgewichen, benannt ist allerdings die Mehrdimensionalität dieses Problems. 50 Ritter (wie Anm. 36).

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einem naturwissenschaftlichen Erklären, aber auch zwischen einem theologischen Verstehen und einem naturwissenschaftlichen Verstehen. 7) Schöpfung bedarf einer dauerhaften Interpretation, weil es sich um eine textliche Struktur handelt, die über das eigentlich wörtliche hinausreicht und deshalb methodisch und inhaltlich immer neu zu erschließen ist.51 4. Textbeispiel und Interpretation

In meiner Habilitationsschrift habe ich Argumentationen von Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe zum Thema Schöpfung und Evolution empirisch erhoben. Die untersuchte Population (n=48) musste eine schriftliche Rede verfassen. Die Aufgabe bestand darin, aus der Rolle einer(s) TheologIn und aus der Rolle einer(s) EvolutionstheoretikerIn angesichts der jeweils anderen Sichtweise schriftlich zu argumentieren. Kategorial sind die Argumentationsmuster nach Kienpointner zur Anwendung gekommen, ausgewertet wurden sie mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring.52 Ich möchte jetzt aus Platzgründen53 am Text einer Schülerin (Rolle einer Theologin) zeigen, wie mit dieser Aufgabenstellung umgegangen wurde. An diesem Beispiel kann erhellt werden, wie inhaltlich zu Schöpfung argumentiert wird. Mit einer schematischen Darstellung lässt sich der Text54 der Schülerin in fünf Argumentationskontexte55 zusammenfassen: 1. Kontext: Die Schülerin geht als sehr religiös geprägter Mensch davon aus, dass Schöpfung ihre Berechtigung hat und sich

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Evolution und Schöpfung als Überzeugungen gegenseitig vollkommen ausschließen. 2. Kontext: Sie ist in der Lage, naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse und deren Eigenheiten in der Erkenntnisgewinnung (hypothetisch-deduktives Vorgehen) von normativen Zusammenhängen zu unterscheiden und anerkennt die Erkenntnisse, zu denen die Forschung heutzutage schon gelangt ist. Es wird von der Schülerin darauf verwiesen, dass es historisch betrachtet allerdings immer wieder zum menschlichen Irrtum über naturwissenschaftliche Erkenntnisse kam. Als Typisches der menschlichen Geschichte wird ein bloßer Irrtum konstatiert, der mit Beispielen (bessere Messgeräte; Menschen gebildeter) verstärkend 51 Vgl. Gängige Lehrbücher für den evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufe II: Das Kursbuch Religion Oberstufe (2006) (Wirklichkeit und Gott), das Buch ElfZwölf Religion – entdecken, verstehen, gestalten (2008) (Stichwort Glaube und Naturwissenschaft), ergiebige Materialsammlung zu Schöpfung und Evolution vgl. Matthias Roser, Gott vs. Darwin. Umfassende Materialien zur Kontroverse »Evolution und Schöpfung«. Donauwörth 22010. 52 Zur Typologie von Argumentationsmustern nach Kienpointner vgl. Weiß (wie Anm. 8), 81ff, zu Mayring, a.a.O., 113ff. 53 Die hier vorgestellte Argumentation lässt sich bei insgesamt 10% der untersuchten SchülerInnen in ähnlicher Weise finden. Insgesamt muss festgehalten werden, dass gymnasiale OberstufenschülerInnen zwar argumentieren, allerdings in der überwiegenden Mehrzahl theologisch nicht haltbar. Vgl. Weiß (wie Anm. 8), 473ff. 54 Die Aussagen der Schülerin sind jeweils kursiv gesetzt. 55 In jeder Argumentation lassen sich Kontexte (Rahmen) und deren Wechsel identifizieren. Vgl. dazu Harald Wohlrapp, Der Begriff des Arguments. Über die Beziehung zwischen Wissen, Forschen, Glauben, Subjektivität und Vernunft, Würzburg 22009, 434ff.

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illustriert wird. Die gesamte deskriptive Ebene dieser Argumentation läuft auf die Konklusion hinaus, dass alle naturwissenschaftliche Forschung an ihre Grenzen stößt. 3. Kontext: Die Schülerin nimmt einen Kontextwechsel vor. Sie betrachtet die Welt und das menschliche Leben in seiner Vielfältigkeit als Schöpfung und illustriert diese Betrachtung (Wälder, Flüsse, Seen, Berge, Tiere […] viele Millionen Menschen). Aus dieser Illustration leitet sie ab bzw. definiert: da kann ich nicht daran glauben, dass das alles ›Zufallsprodukte‹ sind. Von dieser Definition schließt die Schülerin auf die wunderbare Kreativität eines Gottes und unterstützt diese Konklusion durch weitere Illustrationen, die die Funktionalität von Welt in den Blick nehmen (z.B. aus Atomsammlungen entstanden Sterne, die Sonne hat dennoch den genau richtigen Abstand zur Erde). Daraus ergibt sich für die Schülerin der Wille eines allmächtigen Wesens, hier auf der Erde einen lebenswürdigen Raum zu schaffen. Auch in diesem Kontext verbleibt die Schülerin auf der deskriptiven Ebene. 4. Kontext: Dieser Kontext schließt unmittelbar an, fokussiert aber auf die Entstehung menschlichen Lebens. Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass es nicht einfach durch das Verschmelzen von Ei und Samenzelle zu einer Lebensform kommen kann, weil es dazu eines Gottes [bedarf], der so allmächtig ist, das er Leben schenken kann. Der Übergang zur Konklusion (es bedarf eines Gottes) wird von der Schülerin mittels eines deskriptiven Beispiels illustriert (vielleicht zu einem Körper, jedoch nicht zu einer Seele, einen Geist), wobei die Konklusion selbst normativ konnotiert ist. 5. Kontext: Die gesamte Argumentation wird zusammengefasst und durch ein

persönliches, normativ verankertes Bekenntnis verstärkt. Die Prämisse ist eine Rückkopplung an die eingangs anerkannten Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung, die aber keinen Einfluss auf meinen Glauben an Gott haben, so dass sich die Schülerin als ein von Gott erschaffenes, gewolltes und geliebtes Wesen in dieser wundervollen Schöpfung sehen kann. Illustriert wird diese Konklusion durch Beispiele. Die Schülerin trägt vor, dass sie diesem Schöpfergott immer mehr Bewunderung über die Kreativität, Ideenvielfalt, Allmacht und Liebe entgegen bringt. Mit solchen und ähnlichen Äußerungen ist in einem Religionsunterricht zu rechnen, wenn das Thema Schöpfung und Evolution behandelt wird. Aber ist das schon Theologie? Es kann nicht bestritten werden, dass sich die Schülerin »ernsthaft auf das Nachdenken über Frage von Religion, Glaube und Wahrheit«56 eingelassen hat, um die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Aber sind ihre Aussagen theologische Aussagen, kann hier von einem theologischen Argumentieren die Rede sein? Hinter dem gesamten Text stehen zwei existentielle Präsuppositionen57. Die erste ist deskriptiv und lässt sich durch die Formulierung ›Hinter der Welt steht eine schaffende Intelligenz‹ rekonstruieren. Die zweite ist normativ (und persönlich) und kann mit ›Das 56 Schlag (wie Anm. 11). 57 Zum Begriff Präsupposition, zur Diskussion über die semantische und pragmatische Präsuppositionstheorie und zu den Typen von Präsuppositionen (im vorliegenden Fall der existentielle Präsuppositionstyp in Form von »es gibt / existiert«) vgl. Jörg Meibauer, Pragmatik. Eine Einführung, Tübingen 22008, Zitat: 48.

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eigene Leben ist dieser schaffenden Intelligenz zu verdanken‹ formuliert werden. D.h. die Schülerin geht von einer beschreibenden Weise der Argumentation zu einer normierenden Weise, wodurch die Grenzziehungen in Bezug auf die naturwissenschaftliche Forschung eingeordnet werden können. Die Schülerin benutzt, um den wechselseitigen Ausschluss bzw. die Inkompatibilität von Schöpfung und Evolution einsichtig machen zu können, in erster Linie Illustrationen58. Dabei wird in Bezug auf Schöpfung ein ›objektiver Standpunkt‹ eingenommen (Wenn ich mir die Schöpfung betrachte), um von der Prämisse (Die Schöpfung ist unterschiedlich und vielfältig) zur Konklusion (Wille eines mächtigen Wesens, auf der Erde einen lebenswürdigen Raum zu schaffen) zu gelangen. Die Illustrationen liegen hier in den Bereichen der Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren sowie der Einzigartigkeit eines jeden Menschen, der Unklarheit eines Anfanges in Bezug auf die ersten Teilchen, die irgendwo her kommen müssen sowie der allgemeinen Funktionalität des Planeten Erde. Aber auch in Bezug auf Gott ist eine solche Illustration zu beobachten, denn die Verschmelzung Ei Samenzelle ist keine neue Lebensform sondern nur Körper; erst wenn Seele und Geist durch Gott gegeben sind (dazu gegeben werden), handelt es sich um eine Lebensform. Aus der Eigenlogik der Schülerin heraus, unter der Annahme, dass die Artenvielfältigkeit von Welt und Mensch kein Zufall59 sein kann, erscheint ein, bis in den persönlichen Lebensvollzug hineinreichender Gott, der kreativ ist, einsichtig. D.h. die von der Schülerin vorgetragene Argumentation ist in sich selbst stimmig (›logisch‹), weil sie in einer persönlichen

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Glaubenshaltung verankert ist, wie die beiden rekonstruierbaren Präsuppositionen veranschaulichen können. Ins Zentrum dieser Argumentation gestellt ist die Frage nach dem Verhältnis von Wahrheit und Zufall. Es ist für die Schülerin nicht einsichtig, dass die Entstehung und Entwicklung der Arten Zufallsprodukte sein sollen. Die hypothesengeleitete Generierung von Wissen unter dem Anspruch auf Wahrheit und unter Vernachlässigung der Woher-Frage zeigt sich so als das eigentliche Problem, welches die Schülerin vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung zu lösen versucht. Die Antwort auf diese Problemstellung ist der Verweis auf einen schaffenden, planenden Schöpfergott, zu dem die Schülerin ein persönliches Verhältnis pflegt. Dadurch wird der Zufall ausgeschlossen. Wird diese Vorstellung von Schöpfung inklusive eines Schöpfergottes theologisch näher betrachtet, so liegt klar auf der Hand (vgl. Exkurs I und II), dass es sich nicht um Theologie handeln kann. Die Schülerin geht von einem 58 Illustrationen werden in Argumentationen immer dann eingesetzt, wenn Aussagen nicht generalisiert werden können bzw. eine solche Generalisierung problematisch ist, so dass die angeführten Beispiele den Übergang von einer Prämisse zu einer Konklusion rechtfertigen können. Vgl. Manfred Kienpointner, Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern, Stuttgart 1992, 373ff. 59 Der Begriff Zufall wird allerdings in der Naturwissenschaft doppelt verwendet. Die Schülerin verwendet den Begriff Zufall weder im objektiven noch im subjektiven Sinn, sondern als Synonym für sinnlos (vgl. dazu Manfred Drieschner, Zufall Mensch – ein Missverständnis, in: Lars Klinnert (Hg.), Zufall Mensch? Das Bild des Menschen im Spannungsfeld von Evolution und Schöpfung, Darmstadt 2007, 51f.

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Theoretische Grundlagen

wörtlichen Verständnis der biblischen Schöpfungsgeschichten aus und setzt einen planenden Schöpfergott (Kreator) ein, der einen Welt- und Lebensentstehungsakt inszeniert(e). Die naturwissenschaftlich beschreibbare Entwicklung der Arten wird von ihr mit Reflexionen und literarischen Gestaltungen einer Vorstellung vom ›Im Anfang …‹ unzulässig vermischt. Selbst wenn behauptet wird, dass sich im persönlichen Verhältnis dieser Schülerin zu dem schaffenden und planenden Gott Elemente der lutherischen Katechismusauslegung60 finden lassen, handelt es sich um Aussagen eines Glaubens, die erst eine theologische Reflexion erfahren müssten. Von einer (Schöpfungs-) Theologie – auch im weiten Sinn als ernsthaftes Nachdenken über … – kann somit keine Rede sein. Auch wenn hier nur ein Beispiel veranschaulicht werden kann, so hat meine Forschung ergeben, dass gymnasiale Oberstufenschülerinnen zum Thema Schöpfung und Evolution zwar argumentieren, allerdings kann nur in Ausnahmefällen von einer theologischen Argumentation, von einer »Theologie«, die Rede sein. Ist deshalb und auch wegen der im ersten Punkt gezeigten Kritik der Begriff Jugendtheologie aufzugeben, da die Unterscheidung in ein weites und ein enges Theologieverständnis eher in die Irre führt? 5. Resümee

Den Begriff Jugendtheologie aufzugeben, halte ich nicht für sinnvoll. Es kommt aber darauf an, mit welchem Theologieverständnis dieser Begriff – nicht nur in didaktischer, sondern auch in theoreti-

scher Hinsicht – gefüllt wird. Am Ende meines Beitrages möchte ich dazu einen Vorschlag unterbreiten. Volker Landenthin macht unter der Überschrift Religionsunterricht und die Bildung des Menschen darauf aufmerksam, dass Bildung nur sinnvoll ist, wenn es um allgemeine Geltungsansprüche geht: »Entweder beanspruchen vernünftige Aussagen allgemeine Geltung – oder man kann sie in die private Beliebigkeit versenken. Entweder gibt es Allgemeinheit in der Bildung – oder es gibt keine Bildung.«61 Bildungstheorie bzw. allgemeine Pädagogik ist immer an Geltungsansprüchen ausgerichtet. Pädagogisches Handeln darf sich nicht einseitig an den »individuellen Bedürfnissen der einzelnen Menschen ausrichten«, aber auch nicht einseitig an den »Forderungen der Gesellschaft«.62 Beim ersten ist »Bildung nichts anderes als Pflege«, beim zweiten wäre Bildung nichts anderes als »Disziplinierung«.63 Subjektorientierung stößt hier m.E. an ihre Grenzen. Natürlich sind im Unterricht Aussagen, wie die mit dem Text der Schülerin gezeigten zuzulassen. Dabei handelt es sich aber um subjektive Glaubensüberzeugungen, die es gerade im Unterricht zu reflektieren und ob ihres Geltungswertes und Geltungs60 »Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat…« Vgl. http://www.ekd.de/glauben/bekenntnisse/kleiner_katechismus_2.html [Zugriff am 02.08.2016]. 61 Volker Ladenthin, Religionsunterricht und die Bildung des Menschen, in: Hans-Georg Ziebertz / Günter R. Schmidt (Hg.), Religion in der allgemeinen Pädagogik. Von der Religion als Grundlegung bis zu ihrer Bestreitung, Gütersloh 2006, 117. 62 Ladenthin (wie Anm. 61), 118 (Hervorhebung im Original). 63 Ebd.

Weiß Meinen und Gelten – Kritische Anmerkungen zur Jugendtheologie

gehaltes zu überprüfen gilt. Wird hier nicht theologisch interveniert, dann ist Religionsunterricht in der Tat nur noch Pflege persönlicher Meinungen. Damit ist eine Absage an das hier diskutierte weite Theologieverständnis formuliert: Nicht jedes ernsthafte Nachdenken von Jugendlichen ist schon Theologie. Soll Theologie und Jugend zusammengedacht werden, dann, so mein Vorschlag, ist von einem Theologieverständnis auszugehen, welches nicht nur auf die (notwendige) Tätigkeit der Reflexion von Glaubensaussagen, religiösen Aussagen und Glaubenspraxen abzielt, sondern zugleich den Reflexionsrahmen darstellt.64 Christliche Theologie ermöglicht Ordnung. Geordnet werden Geltungsansprüche. Nur vor dem Hintergrund einer solchen Ordnung können im Religionsunterricht rationale Geltungsansprüche erhoben, und diese gemeinsam mit Schülerinnen und Schüler befragt bzw. geprüft werden. Der Begriff Ordnung ist nicht als Seinshierarchie gedacht, auch nicht als Ver- oder gar Unterordnung, sondern dient der Orientierung. Religionsunterricht soll Schülerinnen und Schüler – pädagogisch verantwortet – fördern, damit sie selbst religiös mündig werden. Fördern heißt aber auch fordern. Zur Mündigkeit gehört Sprachfähigkeit, sie ist Bedingung von Mündigsein. Wenn aber Religion eine Deutungspraxis im Umgang mit der eigenen Endlichkeit ist und Theologie diese Deutungspraxis reflektiert und auch kritisiert, dann bedarf es, wie in jedem Diskurs, eines Reflexi-

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onsrahmens, der für die Schülerschaft als Rahmen erkennbar ist bzw. erkennbar wird. Theologie kann – schon rein auf semantischer Ebene – einen solchen Rahmen zur Verfügung stellen. Begriffe wie Schöpfung, Erlösung, Offenbarung, Ewigkeit, Theodizee verweisen auf ein semantisch bestimmtes Wirklichkeitsverständnis als einen möglichen Zugang zur Welt. Aus bildungstheoretischer aber auch aus theologischer Perspektive geht es um verstandene, nicht um geglaubte Geltungsansprüche. Daraus ergibt sich auch, dass für die religionspädagogische Forschung die Differenzierung in von, mit und für durchaus sinnvoll ist; didaktisch betrachtet halte ich sie nicht für zielführend, denn nur in einem Theologisieren mit Jugendlichen werden die Differenzen zwischen Meinen und Gelten deutlich bzw. können diskursiv ausgehandelt werden. Theologisieren mit Jugendlichen hat somit die Reflexivität und den Rahmen dieser Reflexivität auf Schülerebene, und das heißt mit Schülerinnen und Schülern, zu bearbeiten. Dazu bedarf es aber keines weiten Theologieverständnisses, sondern einer sprachlichen Transformationsleistung oder eben einer Über-Setzung. Dies wäre dann auch der Punkt, an dem die Frage nach der Wahrnehmung und dem Umgang mit Diversität überhaupt erst ansetzen kann.

64 Ein solches Theologieverständnis wäre theoretisch noch zu erarbeiten. Hier können nur zwei Hauptmerkmale benannt werden.

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Bloch Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen

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Alina Bloch Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen

»Welche Regeln und Gesetze gibt es in den unterschiedlichen Religionen?«, »Was soll man für Kleidung tragen?«, »Warum gibt es überhaupt so viele verschiedene Religionen?«, »Wie begleitet der Glaube Buddhisten in ihrem Alltag?« Diese und andere Fragen interessieren Jugendliche in Bezug auf die verschiedenen Religionen. Im Rahmen einer kleinen Umfrage im April 2016 in einer achten Schulklasse an einem mittelhessischen Gymnasium gaben 21 Schüler/innen an, dass sie mehrheitlich großes Interesse an den Religionen hegen. (Die Möglichkeit, Desinteresse zu artikulieren, war auch gegeben, wurde aber von nur einer Person wahrgenommen.) Auch die Kinderseite www.religionen-entdecken.de kann auf eine interessierte Userlandschaft im Alter von acht bis achtzehn Jahren verweisen. Dort können einmal im Monat Fragen in Bezug auf die verschiedenen Religionen gestellt werden, die dann direkt von den jeweiligen Religionsexperten aus dem Team beantwortet werden. Durchaus kniffelige Fragen wie »Was passiert, wenn man nicht verzeiht?«, »Was ist der Unterschied zwischen Propheten und Religionsstiftern?« oder »Darf man ein Grab mit einem Buddha schmücken?« finden dort Gehör.1 Religion interessiert also. Gerade an Fremdreligionen werden altersspezifische Fragen gestellt – das Fremde weckt Neugierde.

Bislang wurden in bildungstheoretischen Überlegungen zum interreligiösen Lernen kaum jugendtheologische Gedanken einbezogen, obwohl bei vielen Ansätzen durchaus Verbindungen zu Anliegen der Jugendtheologie auszumachen sind. Im Folgenden sollen daher die Chancen näher beleuchtet werden, die die punktuelle Verflechtung beider Bereiche mit sich bringt. 1. Zum interreligiösen Lernen

In Deutschland entstanden in den 1980er Jahren mit Johannes Lähnemann verstärkt die Überlegungen zum interreligiösen Lernen im Bereich der schulischen Bildung. Diese lösten den religionskundlichen Ansatz der sogenannten Weltreligionendidaktik ab. Zudem nahm Lähnemann den Gedanken von Hans Küng und seinem Projekt Weltethos auf, welches sich auf eine breite Wirkungsgeschichte berufen kann. Es liefert für die Überlegungen zum interreligiösen Lernen zumindest die Vision einer friedvollen Welt. Diese soll durch die Einhaltung der allen großen Religionen zugrunde liegenden Goldenen Re-

1 Viele weitere Fragen und ihre Antworten sind zu finden unter: http://religionen-entdecken. de/eure_fragen/startseite?&page=1.

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Religionspädagogische Anregungen

gel geschaffen werden.2 Ab den 1990er Jahren nehmen Arbeiten zum interreligiösen Lernen zum Beispiel durch Entwürfe von Stephan Leimgruber, Folkert Rickers, Karlo Meyer oder Hans-Georg Ziebertz zu.3 Das leib-räumliche Begegnungslernen wird als besondere Chance im Bildungsprozess angesehen. Zunehmend wird das lernende Subjekt in den Mittelpunkt gestellt, welchem durch die Beschäftigung mit unterschiedlichen Religionen verschiedene Deutungsmöglichkeiten und Sinnperspektiven des eigenen Lebens und der Welt an die Hand gegeben werden.4 Die Zugänge der verschiedenen Unterrichtsmodelle im Bereich des interreligiösen Lernens reichen von problem- und handlungsorientierten, existentiellen, theo­logisch-vergleichenden, religionswissenschaftlich-deskriptiven hin zur fächerübergreifenden Dimensionen.5 Neuere Arbeiten beschäftigen sich mit der Konzeptionierung von interreligiöser Kompetenz, wie beispielsweise durch Joachim Willems, Mirjam Schambeck und Max Bernlochner realisiert. Dabei ist der Prozess zur Definition interreligiöser Kompetenz noch nicht abgeschlossen. Vielmehr stehen die unterschiedlichen Modelle einander gegenüber ohne derzeit produktiv ins Gespräch gebracht zu werden.6 Insgesamt kann interreligiöse Kompetenz als ein Zusammenspiel verschiedener Kompetenzbereiche verstanden werden. Sie besteht zum einen aus dem Wissen um die eigene Tradition und Haltung sowie religionskundlicher Kenntnisse über die jeweiligen Religionen. Zum anderen sind hermeneutische Kompetenzen, wie beispielsweise die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel sowie die Herausbildung von toleranten

Haltungen und Einstellungen gegenüber Anders-Gläubigen bedeutsam.7 Nur mit­ hilfe dieses Fächers an Kompetenzen kann ein Individuum kommunikationsund deutungs- sowie reflexions- und partizipationsfähig in Bezug auf Fremdreligionen werden. Bislang ist eher weniger erforscht worden, welche spezifischen Fragen und Interessensschwerpunkte Jugendliche in Bezug auf Fremdreligionen hegen. Zwar liegen Studien zu Haltung und Einstellung Jugendlicher gegenüber dem Plural der Religionen sowie Untersuchungen zu jugendlichen Weltbildern vor, doch eine Konzentration auf genuine »Jugendfragen« an die Religionen werden ausgespart.8 Hier liegt ein großes Potential in 2 Vgl. Hans Küng, Weltethos und Erziehung, in: Johannes Lähnemann (Hg.), »Das Projekt Weltethos« in der Erziehung. Referate und Ergebnisse des Nürnberger Forums 1994; Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung, Hamburg 1995, 28f. 3 Vgl. Monika Tautz, Interreligiöses Lernen im Religionsunterricht. Menschen und Ethos im Islam und Christentum, Stuttgart 2007, 16. 4 Vgl. Mirjam Schambeck, Interreligiöse Kompetenz, Göttingen 2013, 57–110. 5 Vgl. Bernd Schröder, Islam, in: Rainer Lachmann / Martin Rothgangel / Bernd Schröder (Hg.), Christentum und Religionen elementar. Lebensweltlich – theologisch – didaktisch, Göttingen 2010, 158fff. 6 Lediglich Friedrich Schweitzers Monografie »Interreligiöse Bildung« kann als Systematisierungsvorschlag der bestehenden Modelle verstanden werden: Friedrich Schweitzer, Interreligiöse Bildung. Religiöse Vielfalt als religionspädagogische Herausforderung und Chance, Gütersloh 2014. 7 Vgl. z.B. Joachim Willems, Interreligiöse Kompetenz. Theoretische Grundlagen – Konzeptualisierungen – Unterrichtsmethoden, Wiesbaden 2011, 114f. 8 Zu denken ist hier bspw. an: Hans-Georg Ziebertz / Ulrich Riegel, Letzte Sicherheiten. Eine empirische Untersuchung zu Weltbildern

Bloch Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen

der Analyse dieser vor, um den Bereich der Jugendtheologie mit dem interreligiösen Lernen empirisch-theoretisch nachhaltiger verzahnen zu können. Wie die eingangs erwähnte kleine Umfrage in einer Schulklasse zeigt, nehmen Jugendliche das Thema »Religionen« im alltäglichen Leben deutlich wahr. So begegnet ihnen Religion neben dem kirchlichen Kontext, wie Konfirmandenunterricht oder Gottesdienst und der Schule eben auch in der Familie oder im Gespräch mit anderen. Schwerpunktmäßig interessiert sie der Bereich der alltäglichen Lebensgestaltung in den Religionen sowie die Ursprünge der verschiedenen Weltanschauungen. Besonders die eigene Religion sowie Buddhismus, Judentum und Islam sind bei den befragten Schüler/innen im Mittelpunkt des Interesses. Im Folgenden werden nun auf der Grundlage der mittlerweile gängigen Einteilung einer Theologie von, mit und für Jugendliche mögliche Anknüpfungspunkte aus dem Bereich des interreligiösen Lernens exemplarisch vorgestellt. Die Auflistung versteht sich nicht als eine erschöpfende, sondern eher als Impuls für eine Diskussion zur Verknüpfung beider religionspädagogischer Bereiche. 2. Jugendtheologische Impulse für das interreligiöse Lernen

(1) Theologie von Jugendlichen beinhaltet die eigenständigen Gedanken und Ideen der Jugendlichen im Hinblick auf einen bestimmten religiösen Sachverhalt. Theologisches Gedankengut wird von den Jugendlichen selbst hervorgebracht und in einen Diskurs eingebracht. Sie

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machen sich Gedanken dazu, wie beispielsweise die Welt entstanden sein mag, wie Gott zu beschreiben ist und welche Rolle Weihnachten für die Gesellschaft und/oder die eigene Person einnimmt. Wichtig ist die pädagogische Haltung, dass Jugendlichen die Entwicklung eigener, theologischer Erklärungsansätze prinzipiell zugetraut wird und diese nicht exklusiv der Lehrkraft und der Wissenschaft vorbehalten wird. Diese Perspektive lässt sich nun in dreifacher Hinsicht auf das interreligiöse Lernen anwenden: In der Begegnung mit fremden Religionen ist es von großer Bedeutung, die andere Religion zunächst erst einmal als andere wahrzunehmen, Differenzen zur eigenen Tradition und zur eigenen (non)religiösen Haltung ausfindig zu machen und diese dann in einem nächsten Schritt versprachlichen zu können. Genau hier können die eigens gefundenen Erklärungen der Jugendlichen zu einem fremden religiösen Phänomen Raum bekommen: Es können zum Beispiel tief verankerte Vorurteile, die durch die eigene Sozialisation oder/ und durch die Medien entstanden sind, aufgespürt werden oder aber ein Ausgangspunkt für a) die eigene (non)religiöse Haltung oder b) für das andersreligiöse Gegenüber sein. Bedeutsam ist, dass eigene theologische Gedanken nicht als Übergriff auf die fremdreligiösen Theologien zu betrachten sind. Vielmehr steht die aktive Auseinandersetzung des lernenden Individuums im Zentrum, das Jugendlicher, Gütersloh 2008; Hans-Georg Ziebertz, Germany: Belief in the Idea of a higher Reality, in: Ders., William K. Kay (Hg.), Youth in Europe II. An international empirical Study about Religiosity, Berlin 2006, 58–80.

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Religionspädagogische Anregungen

seine (ersten) Wahrnehmungen in Bezug auf ein fremdes Gegenüber/fremdreligiöses Thema zu artikulieren lernt. Ausgehend von dieser Kommunikationsleistung können dann aber sehr wohl Impulse für a) die eigenen (non)religiöse Position oder b) für den Andersgläubigen entstehen – oder zumindest Gesprächspotential liefern. Die (inter)religiösen Teilkompetenzen »wahrnehmen« und »kommunizieren« (sowie »deuten«) sind hier maßgeblich leitend. Gleichsam eines hermeneutischen Zirkels, der sich zwischen den Polen Eigenperspektive und Fremdperspektive spannt, erfahren die Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit dem Fremden vertiefte Erkenntnisse über sich und das Gegenüber. Dieser Bildungsprozess kann idealerweise als lebenslang beschrieben werden, so denn u.a. die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel sowie die prinzipielle Offenheit gegenüber der Umsetzung materialer Toleranz gegeben ist. Zweitens kann die Auseinandersetzung mit interreligiösen Thematiken eindrücklich nur mit einer irgendwie gearteten Begegnung geschehen, was besonders deutlich die Kritik an der quellenorientierten Weltreligionendidaktik zur Sprache bringt. Eine Begegnung ist wiederum immer von ihren Akteuren aus zu denken und zu gestalten, also in diesem Fall von den Jugendlichen aus. Gemeinsam kann und sollte vor einer didaktisch inszenierten Begegnung erarbeitet werden, was bei den Jugendlichen in Bezug auf das Thema/die Religion »oben aufliegt«, was die Schüler/innen, mit Tillich gesprochen, »unbedingt angeht«. Hierbei ist es also ratsam, sich auch an den Fragen und Erklärungsansätzen der Jugendlichen zu orientieren und sich

an diesen abzuarbeiten. Soll nun zum Beispiel laut Lehrplan der Buddhismus Thema der kommenden Religionsunterrichtseinheit sein, bietet es sich in der eingangs erwähnten Klasse an, den inhaltlichen Einstieg über Regeln der Lebensgestaltung im Buddhismus zu wählen, da dies die Schüler/innen der achten Klasse offensichtlich besonders interessiert. (Dieser Umstand ist natürlich auch entwicklungspsychologisch mit der Phase der Abgrenzung von und Orientierung an Regeln und Vorschriften zu erklären, mindert aber nicht die Bedeutsamkeit der Fragen. Jede Lebensphase birgt unterschiedliche Interessenschwerpunkte, die innerhalb von Bildungsprozessen produktiv aufgenommen werden können und sollten.) Diese Ausrichtung bietet die Chance, das Gelernte mit einem Gegenwartsbezug zu verbinden, was nachhaltigere Lernprozesse evozieren kann. Drittens ist es im interreligiösen Lernen immer wieder von großer Bedeutung zu wissen, wie denn die eigene Religion, wie sich das Individuum selbst zu den verschiedenen interreligiösen Themen positioniert. Erst durch die Ausbildung einer eigenen Position kann das Individuum zum Beispiel Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen verschiedenen Religionen ausfindig machen, Besonderheiten der eigenen und fremden Tradition erkennen und sich zu einem differenzierten, reflektierten Gesprächspartner in interreligiösen Gesprächen entwickeln. Erst ein eigenes Profil schärft die Wahrnehmung von Gleichem und Fremdem. Mithilfe der Perspektive einer Theologie von Jugendlichen kann also immer wieder herausgearbeitet werden, was die Gedankenwelt der Schüler/innen in Bezug auf ein bestimmtes religiöses Thema

Bloch Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen

bestimmt. Und die Jugendlichen können auch selbst herausfinden, ob und welche Position sie persönlich aus welchen Gründen zu einem Thema vertreten. So kann dieser Bereich des interreligiösen Lernens gewinnbringend gefördert werden, muss aber – wie im Fortgang noch näher beschrieben wird – mit den anderen beiden Perspektiven (Theologie mit und für Jugendliche) immer wieder verschränkt werden. (2) Theologie für Jugendliche beschreibt den Umstand, dass diese natürlich nicht alles aus sich selbst heraus wissen können. Menschen sind in einem bestimmten gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen, ideengeschichtlichen, (non)religiösen Hintergrund aufgewachsen und verstehen Sachverhalte aus dieser Perspektive heraus. Die Bewusstmachung dessen sowie das Nahebringen anderer Themenfelder und Disziplinen sowie die Einbettung in Erkenntnisse aktueller wissenschaftlicher Forschung sind daher unabdingbar für schulische Bildungsprozesse. Die Lehrkraft ist dazu angehalten, eben jene Informationen didaktisch angemessen in den Lernverlauf zu integrieren. Die Jugendlichen erhalten aufgrund dieser Impulse Anreize, ihre eigenen Erklärungsansätze (Theologie von Jugendlichen) zu überarbeiten. Damit ist eine Verschränkung von eigenem und wissenschaftlich bestehendem Gedankengut gewährleistet, die den Vorteil einer aktiven Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Modellen, Systemen etc. vor dem Hintergrund des Eigenverständnisses birgt und durchaus im Umkehrschluss auch neue Perspektiven für die Wissenschaft bereithält. Um interreligiöse Kompetenz aufzubauen, muss ebenfalls Wissen erworben

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werden, nämlich religionskundliches Wissen.9 Ohne Grundkenntnisse der fremden religiösen Traditionen, die beispielsweise Vergleiche mit der eigenen Religion ermöglichen, ist eine zuverlässige Orientierung in einer pluralen Gesellschaft nicht möglich.10 Auch hier geht es darum, statt eines dozierenden Stils eine für die Jugendlichen geeignete didaktische Aufarbeitung der anderen Theologien, Ursprünge, Ideenwelten u.v.m. zu finden, die sie nachhaltig zum Um- oder Weiterdenken anregt. In diesem Anliegen sind sich beide religionspädagogischen Bereiche grundlegend einig: Das Individuum steht mit seinen (Lern- und Verständnis-)Voraussetzungen im Zentrum der Auseinandersetzung mit (religionskundlichem) Wissen. Diese Sichtweise scheint aber prinzipiell ein Produkt der Subjektorientierung in der Pädagogik der letzten Jahre zu sein. (3) Die Perspektive Theologie mit Jugendlichen umfasst das theologische Gespräch von Jugendlichen und Erwachsenen auf Augenhöhe. Nur wenn man sich aktiv mit den Ansichten und Einstellungen des Gegenübers auseinandersetzt und eben diesem prinzipiell zutraut, tragfähige Antworten, die eventuell sogar für einen selbst bedenkenswert erscheinen oder aber Rückfragen zum eigenen Glauben evozieren, entwickeln zu können, können sich beide Ge9 Vgl. z.B. Joachim Willems, Interreligiöse Kompetenz. Theoretische Grundlagen – Konzeptualisierungen – Unterrichtsmethoden, Wiesbaden 2011, 114f. 10 So auch: Vgl. Johannes Lähnemann, Lernergebnisse: Kompetenzen und Standards interreligiösen Lernens, in: Peter Schreiner / Ursula Sieg / Volker Elsenbast (Hg.), Handbuch interreligiöses Lernen, Gütersloh 2005, 414f.

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sprächspartner wertschätzend im Austausch begegnen und weiterentwickeln. Dieses Grundprinzip der Wertschätzung des Gegenübers ist ebenfalls für das interreligiöse Lernen und die Ausbildung von Toleranz fundamental: Nur wenn jemand seinem Gegenüber grundlegend zutraut, eigenständige, für ihn tragfähige Weltinterpretationen formulieren zu können, die in der Kommunikation auch Impuls zum Weiterdenken für die eigene Perspektive auf die Welt sein kann, kann Toleranz für einen andersdenkenden/ -glaubenden Mitmenschen entstehen.11 Die prinzipielle Anerkennung des Anderen als ein sich im Plural der Religionen verortendes Individuum kann durch theologische Gespräche in der Perspektive »Theologie mit Jugendlichen« besonders gefördert werden. Die von Petra Freudenberger-Lötz so skizzierten unterschiedlichen Rollen, die die Lehrperson während eines theologischen Gesprächs einzunehmen versuchen sollte, sind dabei ebenfalls fruchtbar in den interreligiösen Lernprozess einzubringen. So variiert die Rolle der Lehrperson je nach Situation, Sachverhalt und Jugendlichen zwischen einem aufmerksamen Beobachter, einem stimulierenden Gesprächspartner sowie einem begleitenden Experten.12 Eine wichtige Maxime dabei ist, dass die Lehrperson authentisch ist und als authentischer Begleiter auch mögliche Zweifel, Probleme und Herausforderungen, die z.B. die Umsetzung von (materialer) Toleranz mit sich bringt, wahrnimmt und artikuliert bzw. artikulieren lässt. Gerade im Bereich des (inter)religiösen Lernens, in welchem die existentielle Dimension des Menschseins angesprochen wird, ist eine auf-

richtige, zwischenmenschliche sowie gegenstandsbezogene Begegnung richtungsweisend für die erfolgreiche Auseinandersetzung und Herausbildung eines eigenen Standpunktes zu eben jenen Themen. Jugendliche suchen nach Orientierungsmarkern, die ihnen als Beispiel für den Umgang mit den sich ihnen stellenden Herausforderungen dienen können und mögliche »Stolpersteine« klar benennen. Hier trägt das Prinzip der Kommunikation auf Augenhöhe erneut Rechnung. Jugendliche merken schnell, ob die Lehrperson nur vorgibt, an etwas Bestimmtes zu glauben oder eine Lösung für ein bestimmtes theologisches Dilemma für sich gefunden zu haben. Die Authentizität kann somit als ein Schlüssel für zu entwickelnde, tragfähige, (inter-)religiöse Konzepte angesehen werden. 3. Was kann das interreligiöse Lernen von der Jugendtheologie lernen? – Drei Thesen

(1) Jugendtheologie unterstützt den Findungsprozess der eigenen religiösen Haltung, die in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen von großer Bedeutung ist, um Wahrnehmungs- und Differenzkompetenz auszubauen. 11 Näheres zur Unterscheidung zwischen formaler und materialer Toleranz nach Gustav Mensching bei: Hartmut Kreß, Religionsfreiheit in protestantischer Perspektive, in: Hans-Georg Ziebertz (Hg.), Religionsfreiheit. Positionen – Konflikte – Herausforderungen, Würzburg 2015, 79–102. 12 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen, München 2012, 15ff.

Bloch Jugendtheologische Dimensionen für das interreligiöse Lernen

(2) Anerkennung und Wertschätzung des Gegenübers sind in einem theologischen Gespräch von grundlegender Bedeutung. Jugendliche erfahren, dass ihre eigenen theologischen Deutungsweisen Gehör finden und nicht als grundlegend defizitär einzustufen sind. Diese Haltung ist auch für den interreligiösen Diskurs fruchtbar zu machen und kann dazu verhelfen, materiale Toleranz zu entwickeln. (3) Die Authentizität der Lehrperson in einem theologischen Gespräch ist auch im interreligiösen Lernen vorzuleben. Erkenntnisse aus und Differenzen zwischen den Religionen sollten von der

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Lehrperson als ernstzunehmende Herausforderungen für das eigene (non) religiöse Selbstbild der Schüler/innen verstanden werden, indem beispielsweise auch die Lehrperson Grenzen des eigenen Erkenntnisprozesses offen artikuliert. Durch diese Offenheit zur Authentizität wird den existentiellen Herausforderungen, die die Beschäftigung mit fremden religiösen Erfahrungen mit sich bringen, produktiv begegnet: Schüler/innen erfahren, dass sie mit diesen nicht allein sind, sondern dass existentielle Fragestellungen ein Leben lang auftauchen und Teil eines immerwährenden Bildungsprozesses sind.

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Religionspädagogische Anregungen

Veronika Burggraf »So konnte ich zeigen, was wirklich in mir vorgeht« – Kreatives Schreiben in einem diversitätssensiblen Religionsunterricht Im Rahmen eines empirischen Forschungsprojektes an der TU Dortmund mit dem Titel »Große Erzählungen, kleine Erzählungen. Empirische Studien zur Stärkung personaler und spiritueller Kompetenzen in einer diversitätssensiblen Schulkultur« sollten Zugänge für Jugendliche gefunden werden, die ihnen in inklusiven Schulkontexten ermöglichen, von sich selber zu erzählen und so ihre narrative Identität (weiter) zu entwickeln.1 Darüber hinaus sollten sie Ausdrucksmöglichkeiten für ihre eigene Spiritualität finden, die ihnen jedoch einen sicheren Rahmen in dem Sinne geben sollten, dass sie nicht zu viel von sich preisgeben müssten, wenn sie nicht wollten. Diese Möglichkeiten bietet das Kreative Schreiben. Neben vielen weiteren Ausdrucksformen findet sich das Kreative Schreiben unter den ganzheitlichen Methoden, die im Religionsunterricht Auseinandersetzung mit und Austausch über religiöse Themen ermöglichen sollen. Unter ›Kreativem Schreiben‹ wird je nach Bezugsdisziplin und vorherrschendem Interesse Verschiedenes verstanden; nach Gerd Herholz bezieht es sich »mal biographisch/textkritisch auf die Schreibentwicklung des einzelnen […], mal textkritisch auf ästhetische Wertmaßstäbe«2. Vor dem Hintergrund eines diversitätssensiblen Religionsunter-

richts soll das Kreative Schreiben hier im Sinne einer Selbsterweiterung, also als Möglichkeit der Auseinandersetzung mit sich selber und somit als Beitrag zur individuellen Entwicklung, verstanden werden, sodass die Beurteilung der literarischen Qualität der Schreibprodukte in den Hintergrund rückt.3 Vordergründig soll vielmehr theoretisch betrachtet und an exemplarischen Schreibergebnissen von Schülerinnen und Schülern 1 Dokumentiert in: Bert Roebben / Katharina Kammeyer / Veronika Burggraf / Kathrin Hanneken, »Große Erzählungen, kleine Erzählungen«. Religiöse Bildung und die Entwicklung personaler und spiritueller Kompetenz von Jugendlichen in einer diversitätssensiblen Schulkultur, in: Martin Jäggle / Thomas Krobath / Helena Stockinger / Robert Schelander (Hg.), Kultur der Anerkennung. Würde – Gerechtigkeit – Partizipation für Schulkultur, Schulentwicklung und Religion, Baltmannsweiler 2013, 237–254. 2 Gerd Herholz, Checkpoint Immanuel, Achtung, Genies! Sie betreten den Sektor Kreativen Schreibens! Lässt sich das literarische Handwerk lernen wie jedes andere auch?, in: Ralf Thenior / Gerd Herholz (Hg.), »Wenn man das Weltall erforschen will, kann man leicht verloren gehen«. Essays, Reflexionen und Schülertexte zum ersten SchulschreiberModellprojekt. Eine Kooperation mit dem Dorstener Gymnasium Petrinum, Gladbeck 2001, 98. 3 Vgl. Renate Haußmann / Petra RechenbergWinter / Silke Heimes, Einführung, in: Renate Haußmann / Petra Rechenberg-Winter / Silke Heimes, Praxisfelder des kreativen und therapeutischen Schreibens, Göttingen 2013, 11–16.

Burggraf Kreatives Schreiben in einem diversitätssensiblen Religionsunterricht

gezeigt werden, wie und mit welchen Ergebnissen das Kreative Schreiben in einem Unterricht, der unterschiedlichste Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, eingesetzt werden kann. 1. Kreatives Schreiben als Methode im Religionsunterricht

Veröffentlichungen zum Kreativen Schreiben im Religionsunterricht sehen in kreativen Schreibmethoden eine Möglichkeit »zu einer neuen zeitgemäßen Alphabetisierung in religiöser Sprache«4 und rechtfertigen ihren Einsatz über religionspädagogische Prinzipien wie Subjekt- und Erfahrungsorientierung.5 Die von Kaspar H. Spinner aufgestellten und von Ingrid Böttcher erweiterten Prinzipien des Kreativen Schreibens nutzt Ludwig Sauter, um die Passung der Methoden mit religionsunterrichtlichen Inhalten aufzuzeigen: Das Prinzip der Irritation zeigt sich im Kreativen Schreiben darin, dass automatisierte Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster durchbrochen und neue Muster evoziert werden. Dieses Prinzip spiegelt sich wider in den Merkmalen religiöser Sprache (z.B. in der dialektischen Gottesrede) und der Verkündigung Jesu, die oft in Kontrast zur Lebenswelt der Zuhörer steht und so neue Perspektiven evoziert. Das Prinzip der Expression entspricht der Tatsache, dass »jedes kreative Schreiben (…) auch ein Schreiben über sich selbst«6 ist. Es ist äußerst subjektorientiert, da der Schreibende seine eigenen Gedanken, Gefühle und Erfahrungen ausdrücken und überdenken kann, und es zeigt sich in den

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vielfältigen biblischen Ausdrucksformen (z.B. in Psalmworten) sowie Identifikationsangeboten (Identifikation mit biblischen und außerbiblischen Gestalten). Das Prinzip der Imagination findet sich im Kreativen Schreiben durch den Wechsel von Perspektiven und in außergewöhnlichen Impulsen, die die Vorstellungskraft herausfordern und fördern. Dies ist auch grundlegendes Merkmal des Religionsunterrichts, der durch alternative Bilder und Visionen (z.B. vom Reich Gottes) Kontraste zur heutigen, eindimensionalen Wirklichkeitswahrnehmung eröffnet. Auf sozialer Ebene ergeben sich durch kreative Schreibmethoden vielfältige Lernarrangements, indem beispielsweise beim kooperativen Schreiben die Zusammenarbeit mehrerer Partner gefordert wird. Das kreative Schreiben umfasst ein breites Spektrum methodischer Vorgehensweisen, die den Gruppen »assoziative Verfahren« (spielerisch-experimentelle und meditative Methoden), »Schreibspiele« (z.B. kooperatives Schreiben reihum), »Schreiben nach Regeln, Vorgaben und Mustern« (Orientierung an inhaltlichen oder formalen Vorgaben, z.B. Elfchen, Akrostichon), »Schreiben zu und nach (literarischen) Texten« (Imitation von Regeln und Mustern, Perspektivwechsel), »Schreiben zu Stimuli« (Schreiben zu Musik, Bildern etc.) und »Weiter4 Mirjam Zimmermann / Michael Hellwig, Wo glaubst du hin? Kreatives Schreiben im Religionsunterricht, Göttingen 2011, 10. 5 Vgl. ebd., 19f und Ludwig Sauter, Kreatives Schreiben im Religionsunterricht, Stuttgart 2007, 6f. 6 Sauter, Kreatives Schreiben im Religionsunterricht 2007, 9.

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Religionspädagogische Anregungen

schreiben« (Revision von Texten) zugeordnet werden können.7 Indem die Schreibenden sich im kreativen Prozess ihre eigenen Beobachtungen, Fragen und Deutungen erarbeiten und dabei von der Lehrperson moderierend unterstützt werden, entspricht das Kreative Schreiben als Methodenkomplex dem Prinzip der Kinder- und Jugendtheologie, die Erfahrungen, Fragen und Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler als Ausgangspunkt für die Entfaltung eines Themas zu verwenden. Das Kreative Schreiben stellt also eine Möglichkeit dar, sich verbal, jedoch nicht mündlich, mit verschiedenen Inhalten auseinanderzusetzen und übernimmt darüber hinaus dabei eine epistemischheuristische Funktion, das heißt, dass beim Schreiben Gedanken erst entstehen und sich weiterentwickeln. In diesem Sinne kann das Schreiben als Denkmedium eingesetzt werden.8 Wenn es dabei um theologische Fragen geht, wird auf gewisse Weise durch das Schreiben Kinder- und Jugendtheologie betrieben.9 2. Kreatives Schreiben und die Berücksichtigung der verschiedene Lernvoraussetzungen: Schreiben zu sich selbst und zur eigenen Gottesvorstellung

Theoretische Parallelen und Zusammenhänge von Kreativem Schreiben und einer Pädagogik der Vielfalt, wie sie von Annedore Prengel beschrieben wird, auszuführen, führt an dieser Stelle zu weit, werden aber von Nadja Damm unter dem Begriff »Diversity writing« beleuchtet.10 Praktisch betrachtet bietet das Kreative Schreiben mit seiner Vielzahl

unterschiedlicher Methoden vielfältige Möglichkeiten innerer Differenzierung und damit einen Beitrag zur Arbeit in diversitätssensiblen Kontexten. Es kann in eine Lernumgebung eingebettet werden, die nicht-sprachliche Handlungsformen beinhaltet, deren Bewältigung aber im Sinne einer Arbeit am gemeinsamen Gegenstand und in gemeinsamen Lernsituationen die Zusammenarbeit von schreibenden und nicht-schreibenden Schülerinnen und Schülern ermöglicht. Beispielsweise können nicht schreibende Schüler sowohl nonverbale Schreibimpulse für die schreibenden Schüler bereitstellen als auch das Geschriebene szenisch umsetzen und so zur Präsentation beitragen. Wenn sich alle Schülerinnen und Schüler (wenngleich in unterschiedlichem Maße) schriftsprachlich äußern können, so kann beim Schreiben nach Vorgaben, Regeln und Mustern zwischen einfacheren Formen, wie dem Elfchen, und anspruchsvolleren, wie dem Haiku, ausgewählt werden. Auch innerhalb einer 7 Ingrid Böttcher (Hg.), Kreatives Schreiben. Grundlagen und Methoden. Beispiele, Vorschläge, Projekte, ab Jahrgangsstufe 2, Berlin 7 2012, 23–28. 8 Vgl. Hanspeter Ortner, Schreiben und Denken, Tübingen 2000; vgl. Ulrike Scheuermann, Schreibdenken. Schreiben als Denkund Lernwerkzeug nutzen und vermitteln, Opladen / Toronto 2012. 9 Vgl. Veronika Burggraf, »Das ist ja wie ein Dialog mit sich selber« – Theologisieren mittels kreativer Schreibverfahren, in: Katharina Kammeyer / Erna Zonne / Annebelle Pithan (Hg.), Inklusion und Kindertheologie, Münster 2014, 149–172. 10 Nadja Damm, Diversity Writing. Vorschläge für eine Schreibpädagogik der Vielfalt., in: Renate Haußmann / Petra Rechenberg-Winter / Silke Heimes, Praxisfelder des kreativen und therapeutischen Schreibens, Göttingen 2013, 96–112.

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Schreibmethode wie beispielsweise dem Akrostichon, bei dem die Buchstaben eines Wortes untereinander geschrieben werden und zu jedem Buchstaben ein Wort gefunden wird, das thematisch zum Ausgangswort passt, können verschiedene Komplexitätsebenen gefordert werden, indem sowohl passende Einzelworte als auch ganze Sätze pro Zeile zugelassen werden. Für die folgenden Beispiele hatten die Schülerinnen und Schüler einer sechsten Klasse an einer Gesamtschule, die bereits seit ungefähr zwanzig Jahren Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf gemeinsam unterrichtet, die Aufgabe, zu ihren eigenen Namen ein Akrostichon über sich selbst zu schreiben. Um eine Anonymisierung zu gewährleisten, wurden bei den folgenden Schülertexten die Anfangsworte bzw. der Satzbau der einzelnen Zeilen verändert, ohne dabei den Inhalt zu beeinflussen. Markus schreibt in kurzen Sätzen über eigene Vorlieben und präsentiert sich so der Klasse: Joghurt finde ich nicht so gut. Oft habe ich Unfälle. Löwe ist mein Lieblingstier. Fußball spiele ich gerne. Und abends spiele ich oft gerne Playstation. Naschen tue ich sehr gerne. Peer hingegen, der seinen Lehrern zufolge in »undurchsichtigen familiären Verhältnissen« aufwächst, aufgrund von Klassenwiederholungen bereits zwei Jahre älter ist als seine Mitschülerinnen und Mitschüler und der in der Klassengemeinschaft eine sehr dominante und stimmungsweisende Position einnimmt, hebt die Reflexion über sich selbst auf ein ganz anderes Niveau, indem er im ersten

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Teil seines Akrostichons Ansprüche der Erwachsenen an sich und sein eigenes Verhalten einander gegenüberstellt: Peer muss gut in der Schule sein. Aber auch Manieren haben Trotzdem schön feiern Auch richtig lustig sein Im zweiten Teil seines Akrostichons (zu seinem Nachnamen) beginnt er mit einer Aussage über seine Familie, die er über die folgenden Zeilen hinweg zu einer grundsätzlichen Frage zum Thema »Glück« weiterentwickelt: Meine Familie ist die Beste. Doch andere sind auch glücklich. Sind andere wirklich glücklich? Eigentlich wir wissen fast nix. Die Schreibprodukte der beiden Jungen sind sehr unterschiedlich, jeder Text spiegelt jedoch etwas von dem einzelnen Schüler wider und wurde in einer Vorleserunde gleichermaßen wertschätzend gewürdigt. Viele Schreibangebote differenzieren sich über die vom Lehrer eingebrachten Differenzierungen hinaus auf eine natürliche Art und Weise, indem die Schülerinnen und Schüler den eigenen Voraussetzungen entsprechend quantitativ und qualitativ unterschiedlich viel erarbeiten. Auch Schülerinnen und Schüler, die durch Probleme im schriftsprachlichen Bereich wie Lese-Rechtschreib-Störungen auffallen oder denen das konzentrierte Arbeiten bereits über einen kurzen Zeitraum hinweg generell schwerfällt, lassen sich ganz auf die Schreibaufgaben ein und kommen zu überraschenden Ergebnissen.

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Religionspädagogische Anregungen

Beispielsweise beschränkt Elias die Bearbeitung schriftlicher Aufgaben aufgrund seiner Schwierigkeiten auf pragmatisch-kommunikativer Ebene in der Regel auf das Nötigste. Doch trotz seines sprachlichen Unterstützungsbedarfes kann er seine Gedanken in mündlichen und schriftlichen Erzählungen und Diskussionen verarbeiten und entwickelt beim Schreiben viele Ideen. Während seine Schreibprodukte aus offenen Schreibanlässen, die Fließtexte evozieren, oft zusammenhanglos und schwer verständlich bleiben, gelingt es ihm in beschränkenden Schreibverfahren wie dem Akrostichon oder dem Elfchen, seine Gedanken zu präzisieren und anschaulich auszudrücken. In einem Akrostichon zum Thema »Freundschaft« schreibt er zum Beispiel: Friede zwischen einander. Rücksichtsvoll. Ehrlichsein. Uhrzeit vergeht schnell. Nett sein. Dunkelheit im Herzen wird hell. Elias beschreibt seine Vorstellungen und Erfahrungen mit Freundschaft sehr präzise und zeigt mit der abschließenden Gedichtzeile, dass er über einen Zugang zum Verständnis und Gebrauch symbolischer Sprache verfügt. Elias betätigt sich in seiner Freizeit gerne und viel handwerklich. In einem Elfchen11 bringt er, nachdem er ein Bild für Gott gefunden und begründet hat, seine Gottesvorstellung folgendermaßen zum Ausdruck: Für mich ist Gott am ehesten wie ein Kompressor, weil er hilft im Alltag und recycelt Sachen wie Luft, mit ihm kann man Spaß haben.

Kompressor der hilft er erleichtert Sachen ein Kompressor ist wie Gott Elias vergleicht Gott mit einem Kompressor, mit dem er in seiner Freizeit bereits gearbeitet hat. Diese sehr technische Vorstellung von Gott ist also in engem Zusammenhang mit Elias‘ eigenen Interessen zu sehen und spiegelt viel von seiner Persönlichkeit wider. Dabei ist Gott für Elias einerseits jemand, der hilfreich ist und das Leben erleichtert, andererseits aber, wie er in einem Kommentar dazu schreibt, auch jemand, mit dem »man Spaß haben« kann. Selbstsicher wählt Elias eine äußerst ungewöhnliche Metapher für Gott. Cornelius, ein Schüler mit Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen, ist sich hingegen weniger sicher, womit er persönlich Gott vergleichen würde. Er wählt direkt zwei Bilder, »Licht« und »Burg«, und begründet diese mit einer für ihn auch im mündlichen Sprachgebrauch typischen, rückversichernden Frage: »Ich finde, dass Gott am ehesten wie Burg/ Licht ist, Gott ist ja wie ein große Burg, er schützt, und Licht ist hell und Gott auch, oder?«

11 Die Bezeichnung »Elfchen« ist Ausdruck einer festgelegten Struktur: Es handelt sich um ein Gedicht aus fünf Zeilen, wobei die erste Zeile ein, die zweite Zeile zwei, die dritte Zeile drei, die vierte Zeile vier Worte und die letzte Zeile schließlich wieder ein Wort umfasst. Je nach Schwierigkeitsgrad können die Zeilen inhaltlichen Vorgaben zugeordnet werden, wovon hier aber abgesehen wurde.

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In seinem Elfchen beschränkt er sich dann auf das Bild des Lichtes und bezieht sich dabei allein auf die Helligkeit, die Licht spendet: Gott ist Licht so hell wie ein gutes Licht wenn scheint Dabei fällt es ihm noch schwer, sprachlich obligatorische Elemente und die Gedichtform aufeinander abzustimmen. Auf dieselbe Metapher greift Luis zurück, wenn er von Gott als »Licht« spricht. Dieses Bild verwendet er in seinem Elfchen zwar nicht direkt wörtlich, stellt in seiner schriftlichen Begründung aber den Zusammenhang darüber her, dass Gott wie das Licht denn helfe, »wenn es uns schlecht geht«. In seinem Elfchen schreibt er: Gott beschützt uns hilft bei Not ist fast immer da Leben Luis’ Elfchen umfasst im Gegensatz zu dem von Cornelius mehrere unterschiedliche Merkmale. Er scheint sich in seiner Gottesvorstellung auch sicherer zu sein, stellt jedoch mit dem Wort »fast« in der vorletzten Zeile in Frage, dass Gott immer da sei. Seine Mitschülerin Joelina bringt in ihrem Elfchen zum Ausdruck, nicht an Gottes Existenz zu glauben und kommentiert dies mit »Für mich ist Gott am ehesten wie gar nichts.«:

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Gott ist nichts ich glaube nicht dran ich habe keinen Plan Ihr Nichtwissen drückt Joelina mit der Wendung »Ich habe keinen Plan« aus, die umgangssprachlich so viel bedeutet wie »etwas nicht wissen«. Ihre starke Ablehnung der Existenz Gottes wird so – bewusst oder unbewusst – etwas relativiert. In einem starken Gegensatz dazu steht Davids allumfassende Vorstellung von Gott, in der er in jugendlichem Sprachgebrauch Gott äußerst positiv beschreibt, indem er zunächst alle unterrichtlich erarbeiteten Bilder für Gott aufgreift und diese in einem prägnanten Elfchen zusammenfasst: Für mich ist Gott am ehesten wie Licht, Burg, Quelle, Decke, Freund, weil Gott ist alle wunderbaren Eigenschaften, die es gibt. Gott ist für mich der coolste Typ den es überhaupt gibt. Ausnahmslos alle Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse haben ihre Elfchen gerne vorgetragen. Zu Beginn der Arbeit mit kreativen Schreibangeboten sollten Regeln aufgestellt werden, die zu einer angstfreien und wertschätzenden Atmosphäre beitragen. Dazu gehört, die Einhaltung grammatikalischer und vor allem orthographischer Regeln in den Hintergrund zu stellen und keine literarischen Maßstäbe an die Produkte der Schülerinnen und Schüler anzulegen. Wertschätzende Rückmeldungen

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und Impulse zum Weiterdenken können jedoch in die Vorleserunden integriert werden.12 Diese Regeln führen dazu, dass Schreibhemmungen abgebaut werden und auch dazu, dass die Texte von vielen Schülerinnen und Schülern gerne vorgetragen werden, wodurch die Schreibenden etwas voneinander erfahren. So war es für die Jugendlichen möglich, viele unterschiedliche Produkte und damit verschiedene Sichtweisen kennenzulernen und einander gegenüber zu stellen, ohne dass die Ergebnisse qualitativ unterschiedlich bewertet wurden. Die Schülerinnen und Schüler lernen durch ressourcenorientierte Rückmeldungen, andere Beiträge wohlwollend wahrzunehmen und wertzuschätzen und erfahren in der Unterschiedlichkeit der Schreibprodukte die Vielfalt der Individuen. Ihre Gottesvorstellungen haben die Schülerinnen und Schüler nicht nur explizit in Elfchen festgehalten; indirekt transportieren sie diese auch im Fortschreiben der Geschichte »Mit Gott zu Mittag gegessen …«. Die Geschichte handelt von einem kleinen Jungen, der sich mit etwas Proviant im Gepäck auf den Weg macht, um Gott zu finden. In einem Park trifft er eine alte, hungrige Frau, mit der er wortlos seine Brotzeit teilt, und die ihm dafür mehrmals ihr wunderschönstes Lächeln schenkt. Am Ende der Geschichte erkennen beide Menschen im jeweils anderen Gott, wenn sie am Abend ihren Angehörigen erzählen, mit Gott zu Mittag gegessen zu haben und dabei festgestellt zu haben, dass dieser ganz anders ist, als sie sich ihn vorgestellt haben.13 Die Geschichte wurde den Jugendlichen nur bis zu der Stelle präsentiert, an der der Junge die Frau im Park trifft und sich zu

ihr auf die Bank setzt, wohlwissend, dass der Junge losgezogen war, um Gott zu suchen. Die Schülerinnen und Schüler hatten nun die Aufgabe, die Geschichte selber fortzuschreiben, beginnend mit dem Satzanfang »Der Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und …«. Auch bei diesem Schreibauftrag wurden die unteschiedlichen Gottesvorstellungen der Schülerinnen und Schüler und auch ihre eigenen Erfahrungen sichtbar. So schreibt der dreizehnjährige Lukas, der als Messdiener in seine Gemeinde eingebunden ist: Der Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und fragte sie: »Wissen Sie, wo Gott ist?« Die alte Frau antwortete: »Komm mit, ich zeige dir ihn!« […] Die alte Frau und der Junge waren vor einer Kirche. Der Junge sagte: »Hier wohnt Gott.« »Nein«, antwortete die alte Frau, »hier kannst du mit ihm reden.« Der Junge sagte: »Ich will ihn aber sehen!« »Das kannst du nicht, aber wenn du mit ihm beten tust, dann wird er bei dir sein.« Der Junge betete. Er bedankte sich bei der alten Frau. Er ging nach Hause. Seitdem geht er jetzt einfach jeden Sonntag in die Messe, um Gott »zu treffen«. Lukas’ eigenen gottesdienstlichen Erfahrungen bzw. sein regelmäßiger Gottesdienstbesuch spiegeln sich neben der Erkenntnis, Gott nicht sehen zu können, wider. 12 Vgl. Nadja Damm, Deutsche (Einwanderungs-)Geschichte(n). Praxisbericht über eine Schreibwerkstatt mit muslimischen Jugendlichen, in: Katharina Kammeyer / Bert Roebben / Britta Baumert (Hg.): Zu Wort kommen lassen. Narration als Zugang zum Thema Inklusion, Stuttgart 2015, 100. 13 Online verfügbar unter http://www.zeitzuleben.de/mit-gott-zu-mittag-gegessen/, letzter Zugriff: 03.07.2016.

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Joelina, die in ihrem Elfchen angibt, nicht an Gott zu glauben, gibt dem Jungen den Namen Roy und lässt ihn nach einem kurzen Gespräch mit der Frau direkt Gott treffen: Als Gott runter kam, sagte er: »Da bist du ja, Roy.« Roy sagte: »Kannst du mir helfen?« Gott sagte: »Bei was denn?« Er sagte: »Meine Eltern streiten nur noch.« Gott sagte: »Ich habe eine Idee, sage deinen Eltern, wenn sie weiter streiten, haust du ab von zu Hause und sag, ich hasse es, dass ihr streitet.« Da sagte Roy: »Danke schön«, und ging nach Hause. Er merkte, dass Gott ihn begleitet, und zu Hause sagte Roy: »Wenn ihr weiter streitet, haue ich ab von zu Hause.« Jetzt wurde den Eltern klar, dass ihr Sohn wütend war, und sie sagten: »Es tut uns leid. Sollen wir morgen schwimmen gehen?« »Ja«, sagte Roy. Am nächsten Tag gingen sie schwimmen und er war glücklich und sagte: »Danke Gott dafür.« Joelinas Text sollte nicht psychologisiert und zwingend auf eigene Erfahrungen mit elterlichem Streit zurückgeführt werden. Interessant ist aber, dass sie das Problem der Suche nach Gott schnell löst, um sich dann intensiver mit der Frage zu beschäftigen, warum der Junge eigentlich Gott treffen möchte, was er von ihm erwartet und wie Gott ihm durch einen Ratschlag (nicht durch direktes Eingreifen) hilft. Sie stellt damit einen stärkeren Bezug zum Alltag, vielleicht (!) ihren eigenen Erfahrungen und Wünschen, her. Ganz anders, mit einem nachdenklichen und offenen Ende, das Anlass für vertiefende theologisierende Gespräche geben kann, gestaltet David seine Geschichte von der Suche nach Gott:

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Der Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und fragte sie, was sie denn da macht. Die Frau antwortete: »Sieh dir diese Tauben an, sie sind so einfach glücklich zu machen.« Daraufhin warf sie ein Brotstück zu den Tauben. »Im Gegensatz zu uns sind sie mit etwas Futter zufrieden, nicht so wie wir, wo wir in diesem Zeitalter immer mehr und mehr wollen, denk mal darüber nach.« Die Frau stand auf und ging. Der Junge saß noch lange auf der Bank und dachte nach. Dann stand er mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf und ging, denn er hatte verstanden, dass man Gott im Kleinen finden kann. Das Fortschreiben dieser Geschichte spricht unterschiedliche Altersgruppen an. Es wurde nicht nur in der sechsten, sondern auch in einer zehnten Klasse derselben Schule als Schreibangebot unterbreitet und auch hier von den meisten Schülerinnen und Schülern gut angenommen, was sich in einer konzentrierten und ausdauernden Arbeitshaltung der Jugendlichen und einem großen Interesse an den entstandenen Texten der Klassenkameraden widerspiegelte. Auch in der zehnten Klasse verdeutlichen die Schülerprodukte die unterschiedlichen Vorstellungen und Einstellungen der Jugendlichen. So begründet beispielsweise Jasmin ihren von Gotteszweifeln dominierten Text: »Mir persönlich hat Gott nicht in schlechten Zeiten geholfen und deswegen diese Antwort.« Sie schreibt: Der Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und fragte sie, ob sie weiß, wo Gott ist. Daraufhin antwortete die alte Frau: »Für mich ist Gott im Himmel und er besteht nur in meinem Kopf so wie ich ihn haben möchte. Du selber entscheidest, wo Gott ist und wie er in deinen Gedanken aussieht. Meiner Mei-

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nung nach muss sich jeder selber ein Bild von Gott und an den Glauben an Gott machen. Nicht jeder mag Gott, auch ich glaube nicht immer an ihn und habe Zweifel. Aus meiner Sicht kann man ihn nicht sehen oder finden.« Danach wurde es still und der Junge fing an nachzudenken, wie sein Gott aussieht und wo er ist. Jasmin gibt zwar ihre eigenen Gotteszweifel preis, streitet die Existenz Gottes aber nicht völlig ab und gesteht dem Jungen in der Geschichte zu, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass der Schreibimpuls auch atheistische Deutungen zulässt, zeigt die Geschichte von Leander, der eine deutlich naturwissenschaftliche und die Existenz Gottes ablehnende Position einnimmt: Der Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und hatte so die Tauben aufgescheucht und die Frau beschwerte sich bei ihm und fragte, was das denn sollte. Der Junge sagte: »Ich bin auf der Suche nach Gott!« Die Frau antwortete: »Es gibt keinen Gott, ich glaube, du bist nicht mehr ganz dicht im Kopf. Du gehörst in eine Anstalt, wenn du denkst, dass er existiert.« Die Frau stand auf und verließ den Park. Ein junger Wissenschaftler hatte die Unterhaltung mitgehört, er setzte sich neben den Jungen und sagte zu ihm: »Junge, Gott existiert nur in deinem Kopf, er ist nicht real. Aber wenn du willst, kann ich es dir gerne in einem Geologiebüro erklären und beweisen.« Die beiden gingen in das Büro, als der Junge herauskam, war er um Einiges klüger und meinte: »Jetzt glaube ich nicht mehr an Gott und breche meine Suche ab. Er existiert nur in meiner Fantasie und ist nicht real.« Zuhause erzählte er seinen Eltern, was er heute erlebt und gelernt hatte.

In seiner kurzen schriftlichen Reflexion des Textes verweist Leander auf die Inhalte und Erkenntnisse des Biologieunterrichts und untermauert damit seine eigene Meinung. Anders geht Marina mit dem Schreibimpuls um. Sie verarbeitet, wie auch Jasmin, die Theodizeeproblematik, indem sie die Frau aufgrund eigener negativer Erfahrungen an der Existenz Gottes zweifeln lässt. Der kleine Junge lässt sich davon jedoch nicht beirren: Der Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und packte seinen Schokoladenriegel aus, aß eine Hälfte und gab die andere den hungernden Tauben. So kam der Junge mit der alten Frau ins Gespräch und auf die Frage, wo sein Weg denn alleine hinführte, antwortet er: »Zu Gott.« Die alte Frau sagte nichts mehr, Schweigen herrschte. Als der Junge die Frau wieder ansah, sah er eine Träne über ihr Gesicht rollen. Erschrocken fragte er: »Was ist denn los?« Die Dame wischte sich die Träne weg und fragte: »Wenn es Gott gibt, wo ist er?« Der Junge antwortete: »Es gibt ihn! Da bin ich mir sicher!« Darauf sagte die Frau: »Mit der Zeit habe ich aufgehört, an ihn zu glauben, er war nie für mich da!« Der Junge stand auf, sagte: »Genau das war dein Fehler.« Er drehte sich um und machte sich weiter auf die Suche. Das Ende ihrer Geschichte ist offen gehalten, da der kleine Junge Gott immer noch nicht gefunden hat; mit ihrer Geschichte gibt Marina jedoch einen starken Impuls, die Hoffnung auf Gott nicht aufzugeben. Die vorgestellten Schülerarbeiten zeigen beispielhaft, dass und wie sich das Kreative Schreiben zur Erarbeitung und Prä-

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sentation eigener Gedanken eignet. Sie spiegeln eine Bandbreite unterschiedlicher Vorstellungen wider und laden zu intensiverer Auseinandersetzung ein. In Interviews mit ausgewählten Schülerinnen und Schülern wurde deutlich, dass auch die Jugendlichen diese Form der schriftlichen Auseinandersetzung mit theologischen Themen sehr begrüßten und daran interessiert waren, einerseits die Ideen der Mitschülerinnen und Mitschüler kennenzulernen, andererseits aber auch etwas von sich selber preis-

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geben zu können. So sieht Jonathan, ein Schüler der zehnten Klasse, im Kreativen Schreiben und der Präsentation seiner Texte die Möglichkeit, anderen von sich und seinen Vorstellungen zu erzählen: »Also das war für mich so eine Möglichkeit, so eine Chance, anderen Menschen zu zeigen, was wirklich in mir vorgeht. Weil wie gesagt, ich sehe jetzt nicht so aus als wäre ich so ein groß denkender Mensch und ich komme auch nicht so rüber, aber da geht schon relativ viel vor in meinem Kopf (…).«

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Religionspädagogische Anregungen

Theresa Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

Das religionspädagogische Konzept der Jugendtheologie steht für einen bestimmten Umgang mit Theologie, den manche Vertreter als ›Theologisieren‹ bezeichnen. Was aber genau ist diese Tätigkeit? Wie kann sie von anderen theologiebezogenen Tätigkeiten abgegrenzt werden? Wie lässt sich z.B. die folgende Äußerung einer 17jährigen Schülerin zur Auferstehung charakterisieren? »Meiner Meinung nach sieht Auferstehung so aus, dass der Mensch nach seinem Tod auf einen Weg mit mehreren Abzweigen gelangt auf dem er entscheiden kann welchen Weg er geht. Einer der Wege führt ihn als Neugeborenes zurück auf die Erde, wo er ein weiteres Leben in einem anderen Umfeld und Körper lebt. Der andere Weg führt ihn an einen Ort, der dem Paradies ähnelt. Dort lebt er weiter mit seinen verstorbenen Freunden und Familie. Auferstehungsvorstellungen in denen jemand von einer Last aufersteht oder anfängt ein neues Leben zu leben habe ich nicht, weil zu einer Auferstehung für mich immer ein biologischer Tod gehört. Auch Auferstehungsvorstellungen in denen es nach dem Tod noch Gut und Böse gibt finde ich nicht gut, weil ich glaube, dass der Mensch sich nach einem Leben mit Höhen und Tiefen ein ruhiges du erholsames Leben nach dem Tod verdient hat. Deshalb verbinde ich Tod immer mit Frieden, Ruhe und Geborgenheit.«1

Wenn durch den Inhalt hier unstrittig ist, dass dieses Schülerprodukt der Jugendtheologie zuzuordnen ist, welche

Tätigkeit wird dann hier vollzogen, dass man sicher von einem Theologisieren der Jugendlichen sprechen kann? In diesem Beitrag wird genau dieses ›Theologisieren‹ und die dahinter liegende Handlung in den Mittelpunkt gestellt und die Nähe und Distanz zum Argumentieren geprüft. Diese Beziehung hat zwei Ursprünge: 1. Durch die Pluralität in unseren Klassenräumen gewinnt die Kompetenz, die eigenen Vorstellungen argumentieren zu können, an Bedeutung. Auch im konfessionellen Religionsunterricht kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei allen Schülerinnen und Schülern religiöse Themen die gleiche substanzielle Füllung und kognitive Repräsentation erfahren2; in konfessionell-gemischten oder multireligiösen Klassenräumen erst recht nicht. Wie steht allerdings diese Fähigkeit des Argumentierens der Jugendlichen im Verhältnis zum Theologisieren von, für und mit Jugendlichen? Ist die Tätigkeit des Argumentierens eine Möglichkeit, die Handlung des Theologisierens zu füllen bzw. näher zu bestimmen? 2. Die Theologie, von der das Kunstwort ›Theo1 Die Aussage stammt von einer 17jährigen Schülerin, vgl. Theresa Schwarzkopf, Vielfältigkeit denken. Wie Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht argumentieren lernen (= Religionspädagogik innovativ, Bd. 15), Stuttgart 2016. 2 Eva Maria Stögbauer, Die Frage nach Gott und dem Leid bei Jugendlichen wahrnehmen, Eine qualitative Spurensuche, Bad Heilbrunn 2010.

Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

logisieren‹ abgeleitet ist, ist im Kern eine Diskursdisziplin. Wahrheiten können nicht durch scheinbar objektive Realexperimente geschaffen werden, sondern werden sozial im Diskurs konstruiert.3 Die Diskurs- oder eben die Argumentationsfähigkeit ist damit Kernkompetenz der Theologie. Wenn Meyer-Blanck in seinem Begriff der ›Theologie im weiteren Sinn‹ die Jugendtheologie sowie die akademische Theologie als gleichberechtigte Teile von Theologie sieht4, müsste die Jugendtheologie – logisch gefolgert – damit auch Diskursdisziplin sein. Ist die Handlung des Theologisierens damit im Kern mit der Tätigkeit des Argumentierens gleichzusetzen? Dieser Beitrag möchte eine Verhältnisbestimmung der Konstrukte des ›Theologisierens‹ und des ›Argumentierens‹ vornehmen, um sich dem Kunstwort des ›Theologisierens‹ zu nähern und mögliche Lernprozesse beschreiben zu können. Dafür wird zunächst das Feld, in dem sich der Begriff des ›Theologisierens‹ bewegt, aufgefächert, um dann die Handlung des Argumentierens zu diesem in Beziehung setzen zu können. Anschließend wird von einer Untersuchung berichtet, die Lernweg zum Argumentieren der eigenen Vorstellungen zur Auferstehung der Toten untersucht hat. Hieraus werden abschließend Konsequenzen für einen Lernprozess zum Argumentieren aufgezeigt.5 1. Von der Schwierigkeit den Begriff des ›Theologisierens‹ zu bestimmen

Das ›Theologisierens‹ ist ein Kunstwort nach dem Vorbild des Philosophierens. Genutzt wird das Wort zentral im Zu-

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sammenhang mit Kinder- und Jugendtheologie. In Anlehnung an das Philosophieren mit Kindern beschreiben u.a. Reiß/Freudenberger-Lötz das Theologisieren als »dialogisches Ringen um theologische Fragen und Probleme«6 und wollen es synonym mit dem Begriff der ›theologischen Gespräche mit Jugendlichen‹ verwendet wissen. Dieterich richtet sich explizit gegen eine rein verbale und »einseitig (mündlich) akzentuierte«7 Auffassung. Dies zeigt bereits wie unterschiedliche die Auffassungen des ›Theologisierens‹ sind. Im Folgenden soll sich diesem Feld aus zwei Perspektiven genähert werden. Eine erste Frage nimmt die Differenzierung des Theologisierens von, für und mit Jugendlichen 3 Gerhard Büttner, Konstruktivistische Perspektiven für den Religionsunterricht – Einleitende Überlegungen, in: ders. (Hg.), Lernwege im Religionsunterricht, konstruktivistische Perspektiven, Stuttgart 2006, 9–22. 4 Michael Meyer-Blanck, Umrisse einer Jugendtheologie – Vorüberlegungen zu einer didaktischen Dogmatik, in: Petra FreudenbergerLötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«. Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, Jahrbuch für Jugendtheologie, Bd. 1, Stuttgart 2013, 24–34. 5 Vgl. Schwarzkopf (wie Anm. 1). 6 Annike Reiß / Petra Freudenberger-Lötz, Didaktik des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen, in: Bernhard Grümme / Hartmut Lenhard / Manfred L. Pirner (Hg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 2012, 134. 7 Vgl. Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II, in: Petra Freudenberger-Lötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«, Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, Jahrbuch für Jugendtheologie, Bd. 1, Stuttgart 2013, 35.

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Religionspädagogische Anregungen

in den Blick. Ist hier ›Theologisieren‹ immer gleich ›Theologisieren‹? Oder meint das Theologisieren von Jugendlichen etwas anderes als das Theologisieren mit Jugendlichen oder das Theologisieren für Jugendliche? Eine zweite Perspektive geht der Nutzung des Wortes nach. Grammatikalisch betrachtet, handelt es sich bei dem Begriff des ›Theologisierens‹ um ein substantiviertes Verb. Eine genaue Operationalisierung der Tätigkeit lässt sich jedoch nicht einheitlich ausmachen. Daneben wird das Theologisieren durch bzw. über die Benennung von Kommunikationsgegenständen, als Kommunikations- bzw. Lernform, als Habitus sowie als Gesprächskultur bestimmt. Diese weiteren Felder sollen angerissen werden, um anschließend die Tätigkeit des Argumentierens dazu ins Verhältnis setzen zu können. 1.1 Theologisieren = Theologisieren?

Veit-Jakobus Dieterich trifft in seinem theoretischen Grundlagenartikel zum Theologisieren mit Jugendlichen im ersten Jahrbuch für Jugendtheologie eine interessante Unterscheidung: Explizit ersetzt er mit dem Begriff des ›Theologisierens mit Jugendlichen‹ das übliche Element der Theologie mit Jugendlichen, spricht aber weiterhin von einer Theologie von und für Jugendliche. Hier scheint eine Differenz zu bestehen. Für ihn kann die ›Theologie mit Jugendlichen‹ nicht die prozesshafte Dynamik des ›Theologisierens‹ ausdrücken und wirkt entsprechend statisch.8 In den ›von‹ und ›für‹ Phasen bleibt er aber zunächst weiter bei der Theologie. Dieterich unterscheidet zwischen dem Substantiv (Theologie)

und dem substantivierten Verb (Theologisieren). Die Theologie von und für Jugendliche ist also in seinem Verständnis ein statisches Gedankengebäude, wogegen das Theologisieren eine prozesshafte und dialogische Tätigkeit meint. In diesem Sinne sollte es keine Schwierigkeit geben, ein Handlungsmodell für das Theologisieren zu finden. Kompliziert wird es jedoch in einem nächsten Schritt, wenn Dieterich das ›Theologisieren‹ als didaktisches Programm für alle Phasen des Unterrichts entwickelt. »Das Theologisieren mit Jugendlichen ist ein didaktisches Setting mit mehreren Teilaspekten.«9 Dieterich gliedert dann vier bis zehn Ebenen bzw. Phasen für den Unterricht auf. Dabei überschreibt er die ersten drei mit »Theologie von Jugendlichen«, die folgenden drei mit »Theologie für Jugendliche« und die weiteren drei mit »Theologie mit Jugendlichen«. Allein in diesen Überschriften lässt er die Differenzierung zwischen Substantiv und Verb außen vor. Spannend wird es, wenn man die einzelnen Ebenen näher betrachtet: Die Phase der ›Theologie von Jugendlichen‹ entspricht einer diagnostischen Anfangserhebung. Die Schülerinnen und Schüler formulieren und diskutieren ihre eigene Position, bevor die Lehrkraft diese analysiert. Die Analyse und Diskussion der eigenen Position wird von Dieterich mit ›Theologisieren 1‹ bezeichnet. Anschließend werden für die Phase der ›Theologie für Jugendliche‹ Fremdpositionen ausgewählt, von den Lehrenden präsentiert und von den Schülerinnen und Schülern angeeignet. 8 Dieterich, Theologisieren (wie Anm. 7), 35. 9 Dieterich, Theologisieren (wie Anm. 7), 48.

Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

Hier begegnet ein ›Theologisieren 2‹, was der Präsentation der theologischen Fremdpositionen entsprechen soll. Dem Theologisieren 1 und 2 sind also bereits zwei unabhängige Tätigkeiten und Akteure zugeordnet: Einerseits analysieren und diskutieren die Schülerinnen und Schüler und andererseits präsentieren die Lehrenden. Die Parallelhandlungen für die jeweils anderen Akteure werden zwar mit angeführt (Analyse der Lehrenden und Aneignung der Schülerinnen und Schüler), allerdings nicht in die Bestimmung des jeweiligen ›Theologisierens‹ aufgenommen. Auf der Ebene der ›Theologie mit Jugendlichen‹ begegnet dann mit dem ›Theologisieren 3‹ eine

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weitere Ausgestaltung: Die Durchführung eines multiperspektivischen Dialogs.10 Dem Analysieren und Diskutieren der Schülerinnen und Schüler sowie dem Präsentieren der Lehrenden wird hier vielleicht ein Beurteilen und Positionieren hinzugefügt. Dem einen Verb des Theologisierens stehen in den unterschiedlichen Phasen von Unterricht vier Handlungen verschiedener Akteure gegenüber (an Abb. 1 fett). Interessant ist dabei, dass dem ›Theologisieren 3‹ bzw. dem multiperspektivischen Dialog kein Akteur explizit zugeordnet wurde, so dass sich ableiten lässt, dass der dialogische Anspruch des ›Theologisierens‹ hier im Kern erfüllt wird.

Theologie von Jugendliche

Theologie für Jugendliche

Theologie mit Jugendlichen

Lehrende

analysieren

präsentieren

Multiperspektivischer Dialog

Schülerinnen und Schüler

analysieren und diskutieren

aneignen

Multiperspektivischer Dialog

Abb. 1: Handlungs- und Akteurswechsel im Begriff des ›Theologisierens‹ nach Dieterich11

Theologisieren scheint also längst nicht Theologisieren zu sein. Allerdings sind hier bereits klare Tätigkeiten mitgedacht. Die Vielfältigkeit an Handlungsideen, die hinter dem Wort des ›Theologisieren‹ stehen, lässt sich zunächst noch einmal bestärken und erweitern. Das Theologisieren als Ausbildung religiöser Urteilsfähigkeit12 entspricht dem Beurteilen, wie es Dieterich kennt. Wenn Reiß und Freudenberger-Lötz ›Theologisieren‹ als Gesprächsfähig-Sein im Sinne von eigene Fragen und Deutungen glaubwürdig und selbstbewusst vortragen können und Suche nach Antwortmöglichkeiten

auf theologische Fragen und Problemstellungen verstehen13, so ist hier ein Sich-Positionieren und Reflektieren zu denken. Auch wenn dem Theologisieren diese Handlungen zu geordnet werden, 10 Vgl. Dieterich, Theologisieren (wie Anm. 7), 49. 11 An dieser Stelle ein Dank an Oliver Reis für die intensive Auseinandersetzung mit meinen Ideen. 12 Vgl. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen 2011. 13 Vgl. Reiß / Freudenberger-Lötz (wie Anm. 6).

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Religionspädagogische Anregungen

so werden sie in sich nicht näher bestimmt bzw. operationalisiert. Es wird also kein Handlungsmodell bestimmt, was die Schülerinnen und Schüler im (kompetenzorientierten) Religionsunterricht lernen könnten. Wenn ich keine klare Tätigkeitsbeschreibung habe, kann ich auch keinen Lernprozess hierzu entwickeln.14 Ist die Tätigkeit des Theologisierens demnach vielleicht gar nicht erlernbar? Im Folgenden wird sich zeigen, dass das Konzept des Theologisierens auch anders beschrieben werden kann. 1.2 Ausformungen des Theologisierens

Neben der Bestimmung des Theologisierens im Kern als Verb wird es ebenfalls durch die Benennung von Kommunikationsgegenständen ausgeschärft. Hierbei reicht das Feld von engen Zuschreibungen bis zu einer sehr breiten Öffnung, von einer theologischen hin zu einer ethischen Ausrichtung. Im engen Sinn kann das Theologisieren ein Reden von und über Gott (›God-Talk‹15) meinen. Hier wird das theologische Verständnis eng verstanden. Weiter wird das Theologisieren gefasst, wenn es als Suchen nach Antworten oder Sprechen über Vorstellungen zu theologischen Fragen und Problemen verstanden wird.16 Ähnlich weit und doch fokussierter beschreibt es Dieterich, indem er eine »intensive Auseinandersetzung mit Fremdpositionen, Gedankengebäuden und Argumentationsstrukturen17 darstellt. Dabei stehen also die eigenen Gedanken und Suchbewegungen weniger offen im Blickpunkt. Es wird bewusst auf die Tradition zurückgegriffen und die Antworten von früheren Generationen oder fachlicher

Auseinandersetzung werden mitgedacht. In einer ethischen Perspektive stellt die Reflexion ein sog. ›burning issue‹ dar.18 Die Schülerinnen und Schüler werden auf- und herausgefordert, die zentralen Fragen ihres Lebens zu bedenken. Dabei ist es prinzipiell unwichtig, wie theologisch, christlich oder glaubensbezogen diese sind. Alle existenziellen Anfragen dürfen aufkommen und thematisiert werden. Das Theologisieren wird hier über seine Bezugsgegenstände bestimmt. In anderen Zusammenhängen wird der Begriff direkter in didaktischer Perspektive verstanden. Reiß/Freudenberger-Lötz beschreiben die dialogische Vermittlungsbemühung zwischen einer Theologie von und einer Theologie für Heranwachsende. Hierbei wird das Theologisieren mit den theologischen Gesprächen gleichgesetzt.19 In dem 14 Zu kompetenzorientierten Learning-Ergebnissen vgl. Oliver Reis / Theresa Schwarzkopf, Diagnose religiöser Lernprozesse. Ein kompetenzdiagnostisches Grundlagenmodell, in: Oliver Reis / Theresa Schwarzkopf (Hg.), Diagnose im Religionsunterricht, Konzeptionelle Grundlagen und Praxiserprobungen, Berlin 2015, 6–161. 15 Julia Ipgrave, Reason, relationship and identity: the place of theology in young people’s religious engagment, Beitrag zur 5. Tagung des Netzwerks Jugendtheologie »Theologisieren in der Gegenwart des/der Anderen, Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule«, 6. März 2015 in Dortmund. 16 Vgl. Reiß / Freudenberger-Lötz (wie Anm. 6). 17 Vgl. Dieterich, Theologisieren (wie Anm. 7). 18 Gordon Mitchell, »Theologizing in Art«, Religionspädagogik der Vielfalt vielfältig gestalten, Beitrag zur 5. Tagung des Netzwerks Jugendtheologie »Theologisieren in der Gegenwart des/der Anderen, Jugendliche und religiöse Diversität in der Schule«, 6. März 2015 in Dortmund. 19 Vgl. Reiß/Freudenberger-Lötz (wie Anm. 6).

Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

Handbuch ›Theologisieren mit Kindern‹ greifen die Herausgeber genau dieses Führen von theologischen Gesprächen auf und ordnen es als Methoden dem Theologisieren zu. Daneben werden der Godly Play-Ansatz sowie der Umgang mit Büchern, Liedern, Bildern, Bodenbildern, Geschichten und Filmen als Methoden vorgestellt.20 Veit-Jakobus Dieterich erläutert das religionsdidaktische Programm bzw. Typus des Theologisierens als »dialektisch-dialogische Verknüpfung bzw. Verschränkung von eigenen mit fremden Positionen«21. Weniger stark vertreten sind zwei weitere Ansätze. Zum einen wird das Theologisieren mit der »Entwicklung einer Gesprächskultur«22 – auch wenn diese nicht näher benannt wird – zusammen gedacht. Zum anderen wird damit eine Haltung beschrieben. Es geht dabei um »einen gemeinsamen Habitus bei Schülerinnen und Schülern und Lehrenden, ohne dass das ›pädagogische Gefälle‹ zwischen Lehrenden und Lernenden negiert wird«23. Den Begriff des Theologisierens näher zu bestimmen erscheint in dieser Heterogenität von Ansätzen fast aussichtslos – und hier sind mit großer Sicherheit noch nicht alle Dimensionen berücksichtigt. Vielleicht kann ein kleiner Umweg über die Definition eines anderen Handlungsmodells helfen. Im Folgenden wird daher die Tätigkeit des Argumentierens dargestellt. 1.3 Vom Verhältnis des Argumentierens zum Theologisieren

Grundsätzlich ist das Argumentieren eine komplexe sprachliche Begründungshandlung. Damit ist das Handlungsziel

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gegeben: die »auf Gründen beruhende Nachvollziehbarkeit von Positionen«24. Ob hierfür entweder die Strittigkeit eines Sachverhalts oder einer Handlungsorientierung25 oder alleine eine offene Frage26 den Ausgangspunkt bestimmt, ist nebensächlich. Zentral ist das Anliegen, die eigene Position einem anderen einsichtig oder nachvollziehbar zu machen.27 Hier wird also nicht der vernunftbasierte Konsens zum obersten Ziel erklärt. Die differenten Konzepte können nebeneinander stehen bleiben. Im bleibenden Dissens öffnen sich die Kommunikationspartner dahingehend, dass die divergierenden Positionen plausibel nebeneinander gedacht werden können. Damit steht das Konzept des Argumentierens in direktem Zusammenhang zu den sog. un20 Vgl. Gerhard Büttner / Petra FreudenbergerLötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner, Theologisieren mit Kindern, Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart/München 2014. 21 Dieterich, Theologisieren (wie Anm. 7), 42. 22 Christina Kalloch, Kindertheologie – Kinderphilosophie, in: Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner, Theologisieren mit Kindern, Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart/München 2014, 15. 23 Friedhelm Kraft: Theologisieren mit Kindern und Kompetenzerwerb, in: Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner, Theologisieren mit Kindern, Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart/München 2014, 26. 24 Elke Grundler, Kompetent argumentieren, Ein gesprächsanalytisch fundiertes Modell, Tübingen 2011, 46. 25 Vgl. Grundler, ebd. 26 Vgl. Werner Kallmeyer, Was ist Gesprächsrhetorik? In: Werner Kallmeyer (Hg.), Gesprächsrhetorik, Rhetorische Verfahren im Gesprächsprozess, Tübingen 1996, 9. 27 Vgl. Theodor Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch 1, Heidelberg 1994.

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Religionspädagogische Anregungen

entscheidbaren Fragen. Heinz von Foerster unterscheidet zwischen entscheidbaren und unentscheidbaren Fragen.28 Die wesentliche Differenz dabei ist, dass die entscheidbaren Fragen oder Sachverhalte vor einem festgelegten Kontext beantwortet werden und die unentscheidbaren Fragen unabhängig von diesen Rahmen zu klären sind. Die unentscheidbaren Fragen sind also nur vor dem persönlichen Hintergrund entscheidbar. Diese Wahlfreiheit bringt jedoch auch die Verantwortung für die Wahl der Antwortmöglichkeit mit, die hier ebenfalls gleichberechtigt nebeneinander stehen.29 Zu Beginn der Argumentation muss diese Position zum Ausgangspunkt noch nicht fertig entwickelt bzw. ›ausgewählt‹ sein. Diese kann im Prozess generiert werden. Wenn Lösungsmöglichkeiten einander gegenübergestellt werden und auf ihre Plausibilität hin geprüft werden, aber auch zunächst grundlegend kognitiv durchdrungen werden, kann die eigene Position entstehen oder sich verändern.30 Das Argumentieren ist die gemeinsame Konstruktion von Wirklichkeit, indem Argumente ausgetauscht werden. Argumente sind hierbei begründungsfunktionale Äußerungen. Durch den Austausch von Argumenten wird die Wirklichkeit also erst konstruiert. Dafür sind nach Grundler einige Komponenten wesentlich: Die Argumentation braucht eine inhaltliche Kohärenz. Die Argumente sollten sinnlogisch aufeinander aufbauen, so dass das Gedankengebäude als solches erkennbar ist. Hinzu kommt, dass diese ausreichend komplex angelegt werden. Die Partnerorientierung spielt hier eine wichtige Rolle. Hohle oder unterkomplexe Argumente gefährden den argumentativen Erfolg.31

Dieses allgemeine Verständnis von Argumentieren wurde für ein Lernsetting im Bereich des religiösen Lernens mit Bezug zu unentscheidbaren Fragen in ein konkretes Handlungsmodell überführt. Das Lernergebnis für das LehrLernarrangement lautet: Die Schülerinnen und Schüler können ihre Vorstellung von Auferstehung der Toten innerhalb der Pluralität religiöser Denkmodelle argumentieren, um Teil der Kommunikationsgemeinschaft zu werden. Für diese Begründungshandlung der eigenen Position zur Auferstehung der Toten werden also divergierende und konvergierende Fremdpositionen herangezogen, die dazu genutzt werden, die eigene Vorstellung nachvollziehbar zu machen. Alle beteiligten Positionen werden dabei nicht als eine verschmolzene Einheit verstanden, sondern gegliedert in ihre Bedeutungseinheiten (Selbst- und Fremdverstehen). Nur so kann eine differenzierte Auseinandersetzung stattfinden, die ein sich positiv oder negativ gegenüber einer Position verhalten (Relation) mit einschließt. Abschließend werden auf Ebene dieser Bedeutungseinheiten Gemeinsamkeiten, Differenzen und Widersprüche ausge28 Vgl. Heinz von Foerster, Lethologie, Eine Theorie des Erlernens und Erwissens angesichts von Unwißbarem, Unbestimmbarem und Unentscheidbarem, in: Reinhard Voß (Hg.), Die Schule neu erfinden, Systemisch-konstruktivistische Annäherungen an Schule und Pädagogik, Neuwied 2002, 14–33. 29 Vgl. Reis/Schwarzkopf (wie Anm. 14) 30 Diese Positionen können für Jugendliche auch multioptional gedacht werden, d.h. dass sie ohne weitere Schwierigkeiten scheinbar gegensätzliche Vorstellungen zusammen bzw. nebeneinander denken. Vgl. Schwarzkopf (wie Anm. 1), 88ff. 31 Vgl. Grundler (wie Anm. 24), 79.

Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

handelt (Analyse). Ziel des Prozesses ist es, die eigene Position klar in Abgrenzung begründen zu können. Ein konkretes Handlungsmodell, welches dann auch lernprozesssteuernd wirkt, kann folgendermaßen aussehen: (1) Aufbauend auf einem strukturellen Verständnis ihrer eigenen Position … (2) sowie einem strukturellen Verständnis fremder Positionen, (3) setzen die Schülerinnen und Schüler die eigene mit fremden Positionen in Beziehung. (4) Die Schülerinnen und Schüler analysieren diese Beziehung systematisch auf Gemeinsamkeiten, Differenzen und Widersprüche hin, (5) u m daraufhin ihre eigene Position in Abgrenzung zu den fremden Positionen zu begründen.32 Einige der Tätigkeiten, die in der Literatur dem Konzept des ›Theologisierens‹ zugeordnet wurden, finden sich in diesem Handlungsmodell des Argumentierens eigener Vorstellungen zu religiösen oder ethischen Fragestellungen wieder. Das Selbstverständnis der eigenen Position benötigt eine grundlegen-

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de Analyse der eigenen Vorstellung. Die eigenen Vorstellungen in ein Verhältnis zu fremden Positionen zu bringen, beinhaltet auch, dass diese Fremdmeinungen beurteilt werden und die Schülerinnen und Schüler sich zu ihnen positionieren. Das hier vorgestellte Handlungsmodell schließt diese Tätigkeiten mit ein und ordnet sie dem Handlungsziel des Argumentierens unter. Die Analyse, Beurteilung und Positionierung sind in gewisser Weise Vorarbeiten, um Argumente zu generieren und stehen nicht für sich. Wenn die Handlungsschritte in dieser Art operationalisiert wurden, sind sie für den Unterricht verfügbar und entziehen sich nicht der Lernbarkeit. Darüber hinaus lassen sich die einzelnen Elemente der Operationsbeschreibung so den Phasen des ›Theologisierens‹ zuordnen, d.h. in diesem Verständnis ist das ›Theologisieren‹ über die Phasen von, für und mit Jugendlichen hinweg strukturidentisch zum Argumentieren. Das ›Theologisieren‹ im Sinne eines ›Argumentierens‹ der eigenen Vorstellung zu religiösen Fragestellungen unter Berücksichtigung religiösen Denkmodelle ist damit anschlussfähig an den Lehrplan.33

Operationsbeschreibung

Phasen des ›Theologisierens‹

Aufbauend auf einem strukturellen Verständnis ihrer eige- Theologisieren von Jugendlichen nen Position sowie einem strukturellen Verständnis fremder Positionen Theologisieren für Jugendliche setzen die Schülerinnen und Schüler die eigene mit fremden Positionen in Beziehung. Die Schülerinnen und Schüler analysieren diese Beziehung Theologisieren mit Jugendlichen systematisch auf Gemeinsamkeiten, Differenzen und Widersprüche hin, um daraufhin ihre eigene Position in Abgrenzung zu den fremden Positionen zu begründen. 32 Ableitung eines Handlungsmodell Reis/ Schwarzkopf (wie Anm. 14). 33 Vgl. Kernlehrplan für die Sekundarstufe II für Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-



Westfalen, Katholische Religionslehre, Hg. v. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014.

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Religionspädagogische Anregungen

2. Lernwege für das Argumentieren – empirische Erfahrungen

Folgend soll eine Untersuchung vorgestellt werden, die ein Lehr-Lernarrangement, das von oben genanntem Learning-Outcome und Handlungsmodell gesteuert wird, entwickelt und erprobt hat und in der durch die systematische Beobachtung der Lernprozesse Lernschritte bzw. -hürden gehoben wurden.34

schaftlichen Erforschung der Tätigkeit mit den zentralen Schlüsselstellen, an denen Lernhürden zu erwarten sind.37 Eine strukturelle Auswertung geschah anschließend über die linguistische Textanalyse nach Klaus Brinker. Hier lag der Schwerpunkt auf der Analyse der Textstruktur und der Themenentfaltung.38 Aus den Ergebnissen diesen Analyseschritten wurde eine lokale Lerntheorie zum Argumentieren von Auferstehungsvorstellungen formuliert. Entwicklungsund Forschungsprodukt werden im Folgenden vorgestellt.

2.1 Anlage der Untersuchung

Im Rahmen des Forschungsprogramms der fachdidaktischen Entwicklungsforschung, die sowohl praktische Hinweise für Lernprozesse (Unterrichtsdesign) also auch lokale Lerntheorien zum Ziel hat, entstand diese Untersuchung.35 Auf der Entwicklungsebene hat die vorzustellende Untersuchung das Lehr-Lernarrangement einer theologisch-literarischen Forschungswerkstatt erprobt. In drei Zyklen haben insgesamt neun Schülerinnen im Alter von 16 bis 17 Jahren an dem Lernsetting teilgenommen, die dafür jeweils an zwei Nachmittagen (insgesamt ca. sechs Stunden) in die Räume der Universität Dortmund kamen.36 Von diesen Schülerinnen entstanden Argumentationstexte zu Beginn und zum Abschluss sowie Reflexionstexte während der Werkstattphase. Diese Texte wurden inhaltlich mit einer Bearbeitungsstruktur ausgewertet. Die Bearbeitungsstruktur ist ein Diagnoseinstrument aus der normativen Leistungserfassung für den Religionsunterricht und visualisiert den idealen Bearbeitungsweg des Argumentierens auf Grund der fachwissen-

34 Vgl. Schwarzkopf (wie Anm. 1). 35 Vgl. Stephan Hußmann / Jörg Thiele / Renate Hinz / Susanne Prediger / Bernd Ralle, Gegenstandsorientierte Unterrichtsdesigns entwickeln und erforschen, Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell, in: Michael Komorek / Susanne Prediger (Hg.), Der lange Weg zum Unterrichtsdesign, Zur Begründung und Umsetzung fachdidaktischer Forschungs- und Entwicklungsprogramme, Münster 2013, 25–42; in Anwendung auf die Religionspädagogik s. Theresa Schwarzkopf, Fachdidaktische Entwicklungsforschung zum Lernprozess des theologischen Argumentierens, in: Christian Höger / Silvia Arzt (Hg.), Empirische Religionspädagogik und Praktische Theologie. Metareflexionen, innovative Forschungsmethoden und aktuelle Befunde aus Projekten der Sektion »Empirische Religionspädagogik« der AKRK, Freiburg und Salzburg 2016, 188–198. 36 Im Weiteren wird nur die weibliche Form ›Schülerin‹ genutzt, da ausschließlich Mädchen an dieser Untersuchung teilnahmen. 37 Vgl. Reis / Schwarzkopf (wie Anm. 14) 79–81; Oliver Reis / Theresa Schwarzkopf, Diagnosemodelle für den Religionsunterricht. Eine Bestandsaufnahme, in: RpB 76 (2017), 85–95. 38 Vgl. Klaus Brinker, Linguistische Textanalyse, Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden, Berlin 52005.

Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

2.2 Das Lehr-Lernarrangement der Forschungswerkstatt

Das Lernsetting der theologisch-literarischen Forschungswerkstatt teilt sich in vier Phasen. Zunächst wurde die Lernausgangslage der Schülerinnen erhoben, d.h. mit der Bearbeitungsstruktur39 wurde diagnostiziert, welche Lernschritte des Argumentierens die Schülerinnen bereits gehen. Darüber hinaus wurde die Vorstellung der Schülerinnen zur Auferstehung der Toten analysiert und in religiöse Denkmodelle rekonstruiert. Den Orientierungsrahmen bot hier eine MetaStruktur40 zu den Auferstehungsvorstellungen aus dem religiösen bzw. theologischen Kontext (Fachliche ReModellierung). In dieser standen sich beispielsweise eine präsentische Auferstehungsvorstellung, in der ein Zustand des Todes im Leben überwunden wird, mit einer symbolischen Auferstehung durch die Erinnerung der Hinterbliebenen oder aber eben die Auferstehung nach dem Tod in Bildern wie dem Himmel oder Paradies gegenüber. Für die anschließende Phase der Werkstattarbeit wurden Werke der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur41 herangezogen, in denen eine Auferstehungsvorstellung transportiert wird. Diese Bücher mussten einerseits qualitativen Mindeststandards entsprechen42 und sich andererseits gerade einem dieser religiösen Denkmodelle zuordnen lassen. Mit welcher dieser literarisch vermittelten Positionen die Schülerinnen in Berührung kamen, wurde gemeinsam auf Grundlage des Diagnoseergebnisses entschieden. In der Werkstattphase analysierten die Schülerinnen das gewählte Werk mit mehreren Aufgaben. Unter anderem fassten die

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Schülerinnen die Position, die in ihrem Werk vermittelt wurde, zusammen. Die Schülerinnen haben unterschiedlich schnell gearbeitet, so dass sie bis zu zwei Werken bearbeiteten. An diese individuelle Phase schloss sich eine kooperative Einheit an, in der sich die Schülerinnen zu einer Schreibkonferenz trafen, um hier ihre Positionstexte zu besprechen oder durch Fragen und Rückmeldungen zu schärfen. Anschließen waren die Schülerinnen also mit allen sich im Raum befindenden Positionen zu Auferstehung vertraut. Das Lehr-Lernarrangement endete mit einer Abschlussanforderung, in der sie wiederum ihre Vorstellung argumentieren sollten. 2.3 Die lokale Lerntheorie des Argumentierens von Auferstehungsvorstellungen

Durch die Analyse der Schülertexte konnten drei Lernschritte empirisch begründet werden. Die beiden weiteren Lernschritte wurden durch das LehrLernarrangement nicht unterstützt, konnten aber in hochschuldidaktischem Kontext nachgewiesen werden.

39 Vgl. Schwarzkopf (wie Anm. 1) 87. 40 Vgl. Reis / Schwarzkopf (wie Anm. 14), 72–74. 41 Insbesondere Astrid Lindgren, Die Brüder Löwenherz oder C.S. Lewis: Die Chroniken von Narnia – Der letzte Kampf. 42 Vgl. Carsten Gansel, Moderne Kinder- und Jugendliteratur, Vorschläge für einen kompetenzorientierten Unterricht, Berlin 2010 (4. überarb. Auflage).

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Religionspädagogische Anregungen

mehrperspektivische Denkweise

strukturierte Wahrnehmung

affektives und differenziertes Beurteilen

Kriterien gestützte Bezugnahme

Argumentation auf Modellebene

Abb. 2: Lernschritte des Argumentierens

(1) mehrperspektivische Denkweise. Ein erster Lernschritt ist die »freiwillige Einstellungsveränderung«43 dahin gehend, dass das eigene Denken anderen Positionen gegenüber geöffnet wird. Nur in einer Mehrperspektivität ist die Tätigkeit des Argumentierens überhaupt sinnvoll, da diese miteinschließt, dass die Menschen unterschiedliche Vorstellungen haben. Der argumentative Erfolg erhöht sich darüber hinaus dadurch, dass andere Positionen in den Prozess des Nachvollziehbarmachens miteinbezogen werden. Dafür braucht es allerdings den geweiteten Blick für die Mehrperspektivität von Denkmodellen, wie es diese Schülerin zeigt: »Auferstehung stelle ich mir als eine Art Befreiung vor. (…) Ich denke das man nicht unbedingt sterben muss um auferstehen zu können bzw. befreit zu werden. Man kann auch nach einem schlechten und enttäuschenden Erlebnis auferstehen (…).« Dieser Schülerin ist bewusst, dass es neben der präsentischen Auferstehung im Leben auch eine Vorstellung gibt, die einen biologischen Tod mit einschließt, auch wenn sie ihrer nicht entspricht. (2) strukturierte Wahrnehmung. Die Komplexität von Argumentation kann nur dann erreicht werden, wenn die einzelnen Positionen – die eigene oder fremde – als detaillierte und strukturierte Einheit mit entsprechenden Bedeutungseinheiten wahrgenommen wer­den. Eine

Schülerin schrieb in der Beurteilung zu dem Buch ›Die Brüder Löwenherz‹: »Ich finde die Vorstellung gut, weil der Unterschied zwischen den verschiedenen Welten deutlich wird und die Veränderung der ›Lebensqualität‹ bei der Auferstehung wird gezeigt. Außerdem wird deutlich, dass der Ort, an dem man nach dem Tod ist zwar schön sein kann, aber nicht nur positiv ist.« Sie bezieht sich hier auf die drei Merkmale Differenz der Welten, Lebensqualität und Beschaffenheit des Ortes nach dem Tod, die diese direkt und indirekt benennt. Dieses strukturierte Verständnis ist die Grundlage für die differenzierte Beurteilung des nächsten Lernschritts. (3) affektives und differenziertes Beurteilen. Die Lernenden können intuitiv und affektiv fremde Vorstellungen mit Bedeutung belegen. Diese pauschale Beurteilung ist keine Lernhürde. Die Herausforderung der Argumentation besteht aber gerade darin, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, differenziert zu beurteilen, um die Verbindungen und Gegensätzen zwischen den Positionen und in Bezug zur eigenen mit Bedeutung belegen zu können. Eine Schülerin greift zum Abschluss des Lehr-Lernarrangement sich bewusst Bedeutungseinheiten 43 Michael Krelle, Wissensbasierte Argumentation, Ein deutschdidaktisches Modell mündlicher Argumentation 2006, 6.

Schwarzkopf Argumentieren lernen als Theologisieren lernen

heraus und bewertet diese für sich: »(…) Auferstehungsvorstellungen in denen jemand von einer Last aufersteht oder anfängt ein neues Leben zu leben habe ich nicht, weil zu einer Auferstehung für mich immer ein biologischer Tod gehört. Auch Auferstehungsvorstellungen in denen es nach dem Tod noch Gut und Böse gibt finde ich nicht gut, weil ich glaube, dass der Mensch sich nach einem Leben mit Höhen und Tiefen ein ruhiges und erholsames Leben nach dem Tod verdient hat. (…)« (4) Kriterien gestützte Bezugnahme. Der/die Lernende kann nach diesem nächsten Lernschritt den Bezug zwischen den fremden und der eigenen Position in einzelnen Bedeutungseinheiten herstellen und orientiert sich dabei an den Kriterien der MetaStruktur. (5) Argumentation auf Modellebene. In einem letzten Schritt können die Lernenden konkrete Positionen auf einer Modellebene rekonstruieren und in Beziehung setzen. Diese Lernschritte gelten vorerst für das erprobte Lehr-Lernarrangement, das den Umgang mit fantastischer Kinder- und Jugendliteratur und das

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inhaltliche Element der Auferstehung der Toten miteinschließt. Die Generalisierung war mit dieser Untersuchung nicht angestrebt und müsste in weiteren quantitativen Settings erhoben werden. 3. Fazit

Mit diesem Beitrag soll vorgeschlagen werden, die Handlung des ›Argumentierens‹ für das ›Theologisieren‹ zu nutzen, um die Jugendtheologie als Diskusdisziplin ernst zu nehmen. Durch das Handlungsmodell konnte formal gezeigt werden, dass das Argumentieren als typische Tätigkeit des Diskurses dem Theologisieren gleichgesetzt werden kann. Darüber hinaus hält der Argumentationsbegriff den dialogischen Anspruch sowie die drei Phasen der Jugendtheologie in einer Handlung zusammen. Diese Tätigkeit umfasst alle Akteure durch alle Phasen hindurch. Somit wird das Theologisieren mit dem theologischen Argumentieren zu einer vollständigen und – wie empirisch belegt werden konnte – lernbaren Handlung.

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Religionspädagogische Anregungen

Regina Dahms Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen – eine qualitative Untersuchung 1 Einleitung 1.1 Kontext der vorliegenden Untersuchung

»Welche Vorstellungen haben junge Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen (vormals: Menschen mit geistiger Behinderung)1 aus dem Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung2 von Gott und der Welt?« lautete die Leitfrage, die Anlass zu der vorliegenden Untersuchung gab. Hintergrund dieser Frage ist die Erkenntnis, dass kein religionspädagogisches Material für die Klassen der Schülerinnen und Schüler aus dem Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung3 vorliegt, das den persönlichen (Lebens-) Fragen dieser Schülerinnen und Schüler Rechnung trägt. Bei der ausgewählten Untersuchungsgruppe handelt es sich um Schülerinnen und Schüler aus dem Berufsbildungsbereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die in der Regel nach überwiegend zwölfjähriger Schulzeit die Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung verlassen haben. Darüber hinaus gibt es in diesem Bildungsgang grundsätzlich auch Schülerinnen und Schüler, die die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen oder motorische Entwicklung abgeschlossen haben,

ebenso wie Schülerinnen und Schüler, die den Haupt- oder Realschulabschluss erworben haben und aufgrund einer psychischen Erkrankung im Kindesund Jugendalter diesen Bildungsgang besuchen.4 Häufig ist bei diesen letztgenannten Schülerinnen und Schüler die Erkrankung im Kindes- und Jugendalter aufgetreten, so dass die Schulpflicht zwar erfüllt und ein Schulabschluss noch erreicht werden konnte, allerdings sind sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage, eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu absolvieren. Nach entsprechender Prüfung durch die Agentur für Arbeit und dem örtlichen Sozialhilfeträger können die Betroffenen dann die Möglichkeit erhalten, das 1 Vgl. hierzu auch Gerry Besems-van Vugt, Die Sprache der Zeichnung, Norderstedt 2004, 13 sowie Thijs Besems, Sie können, wenn wir wollen – Menschen mit Vielseitigen Undefinierten Potentialitäten, vormals geistig Behinderte: Eine Psychotherapiestudie, Norderstedt 2004, 21, deren Bezeichnung ich in die meines Erachtens nach passendere Bezeichnung von Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen verändert habe. 2 Vgl. Niedersächsisches Schulgesetz § 67 Abs. 4 NSchG 2015. 3 Im schulischen Kontext wird die Bezeichnung Schülerinnen und Schüler verwendet, im Kontext des Berufsbildungsbereich als Ausbildungs- und Erhebungsort wird in dieser Untersuchung von den gleichen Personen als Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesprochen. 4 Vgl. § 67 NSchG 2015.

Dahms Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen

Eingangsverfahren und nach Bewährung den anschließenden Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu durchlaufen, um erste Arbeitserfahrungen zu sammeln.5 Religionspädagogische Forschung im sonderpädagogischen Kontext erscheint vor dem Hintergrund der inklusiven Bestrebungen, insbesondere im Kontext Schule, auf den ersten Blick vielleicht befremdlich oder überholt. Mit Tanja Sturm wird davon ausgegangen, dass »theoretisch-analytische Betrachtungen notwendig bleiben, um systematische Benachteiligungen zu beschreiben und zu erkennen.«6 Aus religionspädagogischer Perspek­ tive ist Bert Roebben zuzustimmen, dass der Mensch keine Religion braucht, um mit dem Anderssein des Menschen umzugehen. Der Wert der Religion liegt Roebbens Ermessen nach darin, den Zusammenhang des Menschen in Bezug auf seine ethische und pädagogische Pflicht zu entdecken, wie es zum Beispiel nach Abraham Berinyuu7 beim Ebenbild Gottes oder Gottes bedingungsloser Akzeptanz als Mensch der Fall ist. Nach Roebben gilt: »Diese religiöse Identität erlaubt es ihm, eine grenzenlose Freiheit kreativer Handlungen zu entdecken. Religionen bieten ein beachtliches Feld von Bedeutungen in Sprache und Symbolen, in welchem sich die spirituelle Erfahrung von Hingabe und Selbsttranszendenz ausdrücken kann.«8 Er verweist mit Recht auf die Notwendigkeit einer neuen europäischen Befreiungstheologie, wie sie von Ulrich Bach zu Beginn dieses Jahrtausends vorgelegt wurde.9 Roebben schließt sich Paul Tillichs Worten an: »Glaube bedeutet Vertrauen, die bedingungslose Sicherheit, sein zu

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dürfen, so wie und wer man ist, und das man darin fundamental angenommen ist von Gott, dem tragenden Grund. Da kann keine Schuld oder Sünde, kein Tod oder ultimative Sinnlosigkeit gegen ankommen.«10 Die hier skizzierte Haltung bietet Anschlussstellen, die im schulischen Alltag in Form eines Leitbildes und eines Schulprogrammes umgesetzt und konkretisiert werden können. Im Berufsbildenden Schulwesen stellt sich die Arbeit in den Klassen des Berufsbildungsbereichs der Werkstätten für Menschen mit Behinderung wie folgt dar:  Neben Religion werden Deutsch/ Kommunikation, Politik und Bewegungserziehung/Sport vorwiegend projektorientiert oder fächerübergreifend unterrichtet.  Auch Lehrerinnen und Lehrer ohne Fakultas Ev. Theologie unterrichten dort.  Fachdidaktische Materialien liegen für diesen Bildungsgang bzw. für das Lebensalter der Schülerinnen und 5 Vgl. hierzu das Fachkonzept für Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), 2ff. 6 Tanja Sturm, Lehrbuch Heterogenität, München 2013, 130. 7 Vgl. Abraham Berinyuu, Healing and Disability, in: International Journal of Practical Theology, 2004, 202–211 zitiert nach Bert Roebben, Leben und Lernen in der Gegenwart des Anderen, in: Agnes Wuckelt / Annebelle Pithan / Christph Beuers (Hg.), »Und schuf dem Menschen ein Gegenüber …« – Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Angewiesensein 2011, 46. 8 Ebd. 9 Vgl. ebd. 10 Bert Roebben, Religion und Verletzbarkeit, in: Agnes Wuckelt / Annebelle Pithan / Christoph Beuers (Hg.), »Was mein Sehnen sucht …« – Spiritualität und Alltag 2009, 41.

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Religionspädagogische Anregungen

Schüler und das Unterrichtsfach Religion (in Niedersachsen) nicht vor. Die vorliegende Untersuchung will zur Klärung der Frage nach den religiösen Vorstellungen der jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen aus den Berufsbildungsbereichen der Werkstätten für Menschen mit Behinderung beitragen. Am Beispiel von Simone soll deutlich gemacht werden, wie Theologisieren mit Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen mit vielseitig undefinierten Begabungen aussehen kann. 1.2 Methodisches Design

Die Untersuchungsgegenstände dieses Forschungsprojektes sind die religiösen Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitigen Begabungen. Konkret bedeutet dies: Über welches Gotteskonzept verfügen sie? Wo und wie erleben sie Gott im Zusammenhang mit Leid? In welchen ethischen Dimensionen des Miteinander-Lebens denken sie? Wie und wo erleben sie Gottes Nähe oder Distanz in verschiedenen Lebenssituationen? Ausgehend vom qualitativ-heuristischen Forschungsansatz nach Gerhard Kleining11 wurde in der vorliegenden Untersuchung, mit dem von Anna-Katharina Szagun entwickelten Rostocker Methodenensemble12 gearbeitet und die Auswertung in Form von Einzelfallanalysen durchgeführt.13 Die Erhebung wurde von Juli 2014 bis Januar 2015 in den Berufsbildungsbereichen zweier Werkstätten für Menschen mit Behinderung in einer großen niedersächsischen Stadt durchgeführt. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer des Berufsbildungsbereichs, die

bzw. der sich aktuell im ersten Jahr des Berufsbildungsbereichs befand, konnte an der Untersuchung teilnehmen und wurde daher vorab im Rahmen eines Einzelgespräches über die Planung informiert. Es entschieden sich nach dem Vorgespräch 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Berufsbildungsbereichs, sieben weibliche und vier männliche, die zu Beginn der Erhebung 19–23 Jahre alt waren, an der Untersuchung teilzunehmen. Die Ergebnisse von elf Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind in die Auswertung einbezogen wurden. Von jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer lagen folglich fünf vollständig transkribierte Einzelgespräche und Fotoaufnahmen der Materialcollagen sowie der verschiedenen Positionierungsübungen zur Auswertung vor. Die je Teilnehmerin und Teilnehmer geführten Gespräche wurden in Form des Persönlichen Gesprächs in der psychologischen Forschung nach Inghard Langer geführt. Jedes Gespräch wurde aufgezeichnet, transkribiert und anschließend das sog. Verdichtungsprotokoll erstellt, das zugleich Grundlage für die zu verfassende Gebündelte Wiedergabe war und als Ausgangspunkt für die zu erstellende Einzelfallanalyse diente.14 11 Vgl. Gerhard Kleining, Lehrbuch entdeckende Sozialforschung, Weinheim 1995, 223–280. 12 Vgl. Anna-Katharina Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, Jena 2006, 65–91. 13 Vgl. ebd., 107 und 109–357 sowie ebenfalls Astra Dannenfeldt, Gotteskonzepte bei Kindern in schwierigen Lebenslagen, Jena 2009, 178–313. 14 Vgl. Inghard Langer, Das Persönliche Gespräch als Weg in der psychologischen Forschung, Köln 2000, 56ff.

Dahms Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen

Der Untersuchungsgruppe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit vielseitig undefinierten Begabungen angemessen, wurde mit den Visualisierungen des Rostocker-Methodenensembles15 gearbeitet, da weder eine Lese- noch eine Schreibkompetenz vorausgesetzt werden konnten. Die zu erstellende Materialcollage diente der Darstellung einer Gottesmetapher, um die Frage nach dem vorhandenen Gotteskonzept zu klären.16 Die Positionierungsübungen dienten einmal dazu, mit Hilfe einer Knetfigur die Nähe oder Distanz zur Gottesmetapher in Form der Materialcollage zu erheben sowie bei den später durchgeführten Positionierungsübungen die Nähe oder Distanz zu Gott in Form einer brennenden Teelichtkerze in verschiedenen Lebenssituationen (gelbe Figur = Fröhlichsein, weiße Figur = Ängstlichsein, schwarze Figur = Traurigsein, graue Figur = Schuldbeladensein, rote Figur = Wütendsein und blaue Figur = Nachdenklichsein) darzustellen.17 Die Auswahl aus verschiedenen Gegenständen bot einen Gesprächsimpuls auf die Frage, welche Gegenstände zu Gott passen würden, an, um hiervon ausgehend – nach Möglichkeit – die Lebenswelt und somit verschiedene Lebensbereiche der Teilnehmerin und des Teilnehmers näher zu beleuchten und kennenzulernen. Der Fotoeinsatz ging der Frage nach, in welchen ethischen Dimensionen gedacht und begründet wird.18 Darüber hinaus galt es parallel die grundsätzliche Frage, wo und wie sie Gott im Zusammenhang mit Leid erleben, zu klären. Sämtliche Einzelgespräche wurden in Form des Persönlichen Einzelgespräches geführt und ausgewertet.19

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2. Einzelfallbeschreibung

Am Beispiel von Simone wird nachfolgend eine Auswahl der angewandten Methoden in Form der Materialcollage und der I. Positionierungsübung auszugsweise dargestellt und die Teilergebnisse werden offengelegt, um das forschungsmethodische Vorgehen darzulegen. Auf die Darstellung des Fotoeinsatzes, der Auswahl von Gegenständen und der II. Positionierungsübung wird an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet.20 2.1 Simone – »Gott der Hörner«



Materialcollage

Abb. 1: Materialcollage »Gott der Hörner« 15 16 17 18

Vgl. Szagun wie Anm. 12, 54–57 und 65–91. Vgl. ebd., 65–75. Vgl. ebd., 87–91. Vgl. ebd., 79, was der Fotocollage 1 des Rostocker-Methodenensembles entsprach. 19 Vgl. Langer wie Anm. 14, 44–72. 20 Siehe die in 2018 geplante Veröffentlichung des Dissertationsprojektes von Regina Dahms »Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen – eine qualitative Untersuchung«.

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Religionspädagogische Anregungen

Transkriptausschnitt zur Materialcollage I: O.k., Simone, dann erzählen Sie mir mal, was Sie da so gestaltet haben! Was ist das denn, was man da so sieht? S: Das soll der liebe Gott sein, der raucht. I: Der raucht? S: Ja. I: Hm-hm. Und das, was ist das? S: Seine Zigarette. I: Hm-hm. Und worauf geht die oder worauf liegt die? S: Auf ’m Herz-Aschenbecher. I: ’N Herz-Aschenbecher, [hm-hm. S: Hm-hm], und das ist seine Sonne. I: Hm-hm. S: Und das sind seine Hö-, Hörner auf ’m Kopf. Mit den Kugeln. I: Hm-hm. S: Hm-hm. I: Und hier an der Seite: Was ist das? S: Das soll ’n die Arme sein. Und das da soll ’n die Füße sein. I: Ja. S: Und was das wer-, sein soll, weiß ich nicht. I: Hm-hm. Und die Beine: Haben Sie die extra nach oben gedrückt oder, äh, hat der Platz nicht gereicht, das war das Brett nicht groß genug? S: Die sollten so sein. I: Hm-hm, hm-hm. S: Dass er Sport gemacht hat, aber er hat seine Füße so angewinkelt und kriegt ’se nicht mehr runter. I: Hm-hm, hm-hm. Und das sind die Augen hier, ja? S: Ja, und Nase. I: Hm-hm. S: Und Mund. I: Hm-hm. Hat der auch Ohren? S: Nö. I: Hm-hm, und Haare? S: Auch nicht. I: Ach ja. Und die Sonne, die guckt aber in ’ne ganz andere Richtung, ja? S: Ja, die guckt mich an. I: Die guckt Sie an. Und er guckt Sie nicht an, ja?

S: Mh’mh (verneinend). I: Hm-hm, ähem, guckt der Sie manchmal an oder gar nicht? S: Gar nicht.

Ausschnitt aus dem Verdichtungsprotokoll Das gemeinsame Entdecken in Simones gestalteter Materialcollage steht im Mittelpunkt dieses ersten Gesprächsteils. Es geht um eine Beschreibung der Materialcollage und um ein Aufzeigen von Eigenschaften der Materialcollage, die für Simone wie Gott ist: »Das soll der liebe Gott sein, der raucht. […] Seine Zigarette.« (Und worauf liegt die Zigarette?) »Auf ’m Herz-Aschenbecher .[…] und das ist seine Sonne. […] Und das sind seine Hö-, Hörner auf ’m Kopf. Mit den Kugeln. […] Das soll ’n die Arme sein. Und das da soll ’n die Füße sein.« (Die Beine sind nach oben gedrückt. Hat der Platz nicht gereicht oder soll das extra so sein?) »Die sollten so sein. […] Dass er Sport gemacht hat, aber er hat seine Füße so angewinkelt und kriegt ’se nicht mehr runter.« (Und das sind die Augen?) »Ja, und Nase. […] Und Mund.« (Hat er auch Ohren?) »Nö.« ([…] und Haare?) »Auch nicht.« »Ja, die guckt mich an.« (Und Gott guckt Sie nicht an, ja?) »Mh’mh (verneinend).« (Sieht er Sie manchmal an oder gar nicht?) »Gar nicht.«

Ausschnitt aus der Gebündelten Wiedergabe Simone hat aus Ton zwei Collagen entworfen. Die größere der beiden Collagen besteht aus einer Figur mit Kopf, Bauch, Armen und Beinen. Der Kopf zeigt Augen, Nase und Mund, jedoch ohne Ohren und Haare. Auf dem Kopf sind zwei Hörner abgebildet, obenauf ist jeweils eine Kugel gesetzt worden. Gott wird rauchend mit einer Zigarette dargestellt. Die im Mund befindliche Zigarette mündet in einen Herz-Aschenbecher. Die

Dahms Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen

Beine und Füße Gottes sind nach oben, bauchwärts, gedrückt. Da er Sport gemacht habe, bekomme er jetzt seine Beine nicht mehr herunter. Ebenfalls aus Ton hat Simone eine Sonne gestaltet. Die Sonne sähe Simone an, wohingegen sie die andere, für Gott gestaltete Materialcollage nicht ansehe. (Sieht er Sie manchmal an oder gar nicht?) »Gar nicht.« Transkriptausschnitt zur Theodizee-Frage I: Genau: Jesus ist Gottes Sohn. Simone, es gibt immer auch viel Schlimmes in der Welt. Ist Gott daran schuld? S: Den Unfällen? I: An den Unfällen oder an Flugzeugabstürzen oder an irgendwas. S: Mh, manchmal schon, manchmal nicht. I: Was meinen Sie denn, wann ist er denn schuld? S: Wenn der Blitz irgendwo einschlägt. I: Hm-hm. S: Dann muss er sich eigentlich da drum kümmern und nicht wir. I: Hm-hm, also wenn der Blitz irgendwo einschlägt. Und wann ist er nicht schuld? S: Wenn ’s nirgendswo donnert oder blitzt, dann ist er brav. I: Dann ist er brav. Und, und, ähem, an den anderen Sachen, die so passieren: Ist Gott daran schuld oder sind Menschen daran schuld an den schlimmen Dingen, die in der Welt passieren? S: Auch die Menschen. I: Hm-hm. Und warum? S: Weil sie es selber verbockt haben und geben den Gott die Schuld. I: Hm-hm, ja. Wie geht Gott denn mit Menschen um, die Böses tun? S: Gibt denen ’ne Strafe. I: Wie macht er das denn? S: Keine Ahnung.

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Ausschnitt aus dem Verdichtungsprotokoll Ist Gott an dem Schlimmen in der Welt schuld? Simone unterscheidet zwischen Natur­ gewalten und menschlichen Tragödien. Bei Unglücken, die auf natürliche Ursachen zurückzuführen sind, hat für sie Gott Schuld, bei Unglücken, die durch Menschen verschuldet wurden, sind die Menschen Schuld. Gott bestraft die Menschen, die Böses tun. Simone weiß nicht, wie Gott das macht: ([…] Es gibt immer auch viel Schlimmes in der Welt. Ist Gott daran schuld?) […] Mh, manchmal schon, manchmal nicht.« ([…] Wann ist Gott schuld?) »Wenn der Blitz irgendwo einschlägt. […] Dann muss er sich eigentlich da drum kümmern und nicht wir. […] Wenn ’s nirgendswo donnert oder blitzt, dann ist er brav.« ([…] Und […] an den anderen Sachen, die so passieren: Ist Gott daran schuld oder sind Menschen daran schuld an den schlimmen Dingen, die in der Welt passieren?) »Auch die Menschen. […] Weil sie es selber verbockt haben und geben den Gott die Schuld.« ([…] Wie geht Gott denn mit Menschen um, die Böses tun?) »Gibt denen ’ne Strafe.« (Wie macht er das denn?) »Keine Ahnung.«

Ausschnitt aus der Gebündelten Wiedergabe Simone unterscheidet bei der Frage nach dem Schlimmen in der Welt zwischen Naturgewalten und menschlichen Tragödien. Bei Unglücken, die auf natürliche Ursachen zurückzuführen sind, wie z.B. ein Blitzeinschlag habe für sie Gott Schuld und er müsse sich darum kümmern: »Wenn der Blitz irgendwo einschlägt. […] Dann muss er sich eigentlich da drum kümmern und nicht wir. […]« Bei Unglücken hingegen, die durch Menschen verschuldet worden seien, wären die Menschen schuld. ([…] Und an den anderen Sachen, die so passieren: Ist

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Religionspädagogische Anregungen

Gott daran schuld oder sind Menschen daran schuld […]?) »Auch die Menschen. […] Weil sie es selber verbockt haben und geben den Gott die Schuld.« Simone geht davon aus, dass Gott die Menschen bestrafe, die etwas Böses tun, auch wenn sie nicht wisse, wie er das mache. Ausschnitt aus der Analyse Simone hat eine anthropomorphe Materialcollage gestaltet, die durchaus persönliche Anteile wie die des Rauchens enthält. Ihre Gestaltung enthält keine Ohren und Haare. Simone stellt sich Gottes Einfluss differenziert vor, da sie zwischen menschlichen und natürlichen Unglücksfällen unterscheidet. Sie sieht das menschliche Handeln losgelöst vom göttlichen Handeln. Gott bestraft die Menschen, die Böses tun. 

Positionierungsübung I

Abb. 2: Positionierungsübung I

(Positionsbeschreibung der Figuren: Links unten im Bild graue Figur für Schuldbeladensein; dicht an der Kerze linke Seite weiße Figur für Ängstlichsein; dicht an der Kerze rechte Seite gelbe Figur für Fröhlichsein; oberhalb der Kerze rote Figur für Wütendsein; rechts im Bild auf Höhe der Kerze blaue Figur für Nachdenklichsein und rechts unten im Bild schwarze Figur für Traurigsein)

Transkriptausschnitt zur I. Positionierungsübung I: […] Genau, Sie nehmen jetzt die weiße Figur, dass Ängstlichsein. (6.0) Können Sie sich an Situationen erinnern in Ihrem Leben? S: Wenn Julia und Fiona immer bei Nordzucker sind. I: Wenn die bei Nordzucker sind, ja? S: Da fühl’ ich mich nicht sicher. I: Hm-hm. Warum nicht? S: Weil sie mich dann als hässlich, du stinkst und so alles dann nennen. I: Hm-hm. Und dann haben Sie auch Angst vor denen? ((Simone nickt zustimmend?)) Hm-hm. S: Weil letztens bin, bin ich ja auch von Nordzuck-, äh, von Nordzucker nach Hause. Bin ich halt die Vier hinterhergerannt, weil die hatte da gerad’ gehalten. I: Ja. S: Und da haben sie gesagt »Iieeh, die hässliche Simone!«. Ich wollt’ beinahe sagen »Guck dich erst mal an, ey!«. Aber ich hab ’s gelassen. I: Hm-hm. S: Das sagt sie ständig zu mir. I: Hm-hm. S: Und das regt mich halt auf. I: Ja. S: Und dann, wenn ich ’s halt Marianne sage, dann sagt Marianne so »Ja, beachte die doch einfach nicht!«. Ich so »Ich seh’ sie doch jeden Morgen und jeden Tag!«. I: Hm-hm. S: Und das fällt mir voll schwer. I: Hm-hm. S: Hm-hm. I: Und wenn es solche Situationen gibt, denken Sie da auch irgendwo an Gott oder, äh, taucht da Gott in Ihren Gedanken gar nicht auf? S: Mh’mh (verneinend). […] I: […] Nach der blauen, äh, nach der weißen und nach der gelben Figur hatte ich ja eben schon gefragt. Sie haben gesagt, da taucht Gott eigentlich nicht auf. Oder aber möchten Sie ’s, möchten Sie

Dahms Religiöse Vorstellungen von jungen Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen

die Figuren irgendwie hinstellen? ((Simone positioniert die Figuren?)) Ja, jetzt stellen Sie die ganz dicht ans Glas ’ran, warum? S: Weiß ich nicht.

Ausschnitt aus dem Verdichtungsprotokoll zur I. Positionierungsübung und der weißen Figur Die aktuelle berufliche Situation ist für Simone gleich doppelt mit Angst behaftet. Sie ängstigt sich vor zwei Arbeitskolleginnen, die sie beleidigen und ihre Übermacht demonstrieren. Sie fühlt sich hilflos, weil sie von ihrer Vorgesetzten keinen ausreichenden Schutz erfährt. An Gott als mögliche helfende oder Kraft gebende Instanz denkt sie dabei nicht. Gott ist für Simone in diesen Momenten nicht da. Außerdem ist unklar, wo sie ihr zweites Praktikum absolviert. Bestimmte mögliche Einsatzorte lehnt sie ab: (Können Sie sich an Situationen erinnern in Ihrem Leben?) »Wenn Julia und Fiona immer bei Südzucker sind. […] Da fühl’ ich mich nicht sicher. […] Weil sie mich dann als hässlich, du stinkst und so alles dann nennen. […] Weil letztens bin, bin ich […] nach Hause. Bin ich halt die vier hinterhergerannt, weil die hatte da gerad’ gehalten. […] Und da haben sie gesagt ›Iieeh, die hässliche Simone!‹. Ich wollt’ beinahe sagen ›Guck dich erst mal an, ey!‹. Aber ich hab ’s gelassen. […] Das sagt sie ständig zu mir. […] Und das regt mich halt auf. […] Und dann, wenn ich’s halt Marianne sage, dann sagt Marianne so ›Ja, beachte die doch einfach nicht!‹. Ich so ›Ich seh’ sie doch jeden Morgen und jeden Tag!‹. […] Und das fällt mir voll schwer.« (Und wenn es solche Situationen gibt, denken Sie da auch irgendwo an Gott?) »Mh’mh (verneinend).« (Und gibt ’s noch andere Situationen, wo Sie Angst haben oder ängstlich sind?) »Mit meinem Praktikum, das Zweite. Da habe ich noch ein bisschen Angst vor. Ich weiß aber noch nicht, wo ich hinkomme. Ich hab’ zu Frau Müller gesagt, ›Martinstraße njiente‹!«

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Ausschnitt aus der Gebündelten Wiedergabe Für Simone ist die Situation am Praktikumsplatz mit Angst verbunden. Sie ängstige sich vor zwei Arbeitskolleginnen, die sie beleidigten und ihre Übermacht demonstrierten. Sie fühle sich hilflos, weil sie von ihrer Vorgesetzten keine Unterstützung und keinen ausreichenden Schutz erfahre. An Gott als mögliche helfende oder Kraft gebende Instanz denke sie dabei nicht. Gott ist für Simone in diesen Momenten nicht da. Außerdem empfindet sie die Unklarheit darüber, wo sie ihr zweites Praktikum absolviere, als beängstigend. Ausschnitt aus der Analyse Drückt das Stellen der weißen und gelben Figur an das Teelichtglas Simones unausgesprochenes Gefühl aus: Gott ist da in ängstlichen und in fröhlichen Situationen, auch wenn ich es nicht beschreiben oder fühlen kann? Oder teilt sie dadurch mit, dass sie Gott in ängstlichen und fröhlichen Situationen gerne erleben möchte, weil sie sich allein schutzlos ausgeliefert fühlt? Simone erlebt es momentan an ihrem Praktikumsplatz anders. Sie ängstigt sich vor zwei Kolleginnen. Trotzdem wähnt sie sich in Gottes Nähe. Durch die Positionierung drückt Simone zwar (den Wunsch?) aus, dass sie in fröhlichen und ängstlichen Situationen nah bei Gott ist. Allerdings kann sie es nicht in Worte fassen. Die fehlende Gottesbeziehung wird in allen anderen Situationen deutlich, in denen sie zwar weiß, dass Gott da, ihr aber nicht nah ist. Für Simone ist Gottes Präsenz unbestritten, auch wenn sie (noch) auf keine persönlichen Gotteserfahrungen in den wütenden, traurigen, nachdenklichen oder schuldbeladenen Lebenssituationen zurückgreifen kann.

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Religionspädagogische Anregungen

3. Resümee

Die hier vorgelegten Analyseausschnitte geben einen Einblick in erste Teilergebnisse der durchgeführten Untersuchungen. Mit diesem Beitrag sollte eine methodische Vorgehensweise zum Theologisieren mit jungen Erwachsenen mit vielseitig undefinierten Begabungen aufgezeigt werden, die keine Lese- und Schreibkompetenz voraussetzt. Die angewandten Methoden und das Setting des Einzelgesprächs gaben den notwendigen Freiraum für vertraute Gespräche. Bereits im Vorfeld dieses Forschungsprojektes ist deutlich geworden, dass qualitative Erhebungen im Bereich von Schülerinnen und Schüler mit vielseitig undefinierten Begabungen ein Schattendasein fristen, was nicht zuletzt auf die noch bis vor ca. 20 Jahren zurückhaltende Forschung im sonderpädagogischen Bereich mit dem Schwerpunkt »geistige Behinderung« zurückzuführen ist.21 Aus verschiedenen Perspektiven gab es zwischenzeitlich die Bemühungen, diesem Forschungsdesiderat zu begegnen, was nur schleppend gelang und auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist.22 Ohne die endgültigen Ergebnisse vorwegzunehmen kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Berufsbildungsbereich Antworten auf die oben genannten Fragen geben konnten. Es wurden darüber hinaus vielfältige Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Gesprächen deutlich, auf die an dieser

Stelle nicht vertiefend eingegangen werden kann und daher auf die geplante Veröffentlichung verwiesen sei. Trotz allem gab es auch Ergebnisse, die nicht explizit erhoben wurden, so z.B. die Tatsache, dass fast jeder der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Erfahrungen des Todes und des Verlustes eines nahen Angehörigen berichtete. Auch war festzustellen, dass auf die Frage nach ängstlichen Situationen in ihrem Leben, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern häufig (anfangs) keine Situationen einfielen. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich auch nach dem Aufzeigen von möglichen mit Angst behafteten Situationen an keine einzige Situation in ihrem Leben erinnern. Diese ersten Ergebnisse geben Einblick in die subjektiven Sichtweisen von Menschen mit vielseitig undefinierten Begabungen und können somit eine Grundlage bieten, um inklusives Unterrichts- und Arbeitsmaterial für Schule und Gemeinde zu erstellen.

21 Vgl. Stefan Anderssohn, Religionspädagogische Forschung als Beitrag zur religiösen Erziehung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung, Frankfurt a.M. 2002. 22 Vgl. Tobias Buchner / Oliver Koenig, Methoden und eingenommene Blickwinkel in der sonder- und heilpädagogischen Forschung von 1996–2006 – eine Zeitschriftenanalyse, in: Heilpädagogische Forschung 1/08, 15–34 sowie Jörg Schlee, Ist die sonderpädagogische Forschung in Deutschland provinziell und rückständig?, in: Zeitschrift für Heilpädagogik, 52. Jg. 2001, Heft 8, 331–334

Krasemann Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule

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Lisa Krasemann „Das weiße Feuer entfachen …“ – Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule Einführung

In ihrem Aufsatz über das Theologisieren in heterogenen Lerngruppen stellt Katharina Kammeyer der Annahme, dass durch konfessionellen Religionsunterricht eine homogenere Schülergruppe entsteht, das Inklusionsparadigma entgegen, welches davon ausgeht, dass in einer Klasse stets Menschen versammelt sind, die sich auf vielerlei Art und Weise unterscheiden. Die Unterscheidungen reichen von rein biologischen Merkmalen über Einstellungen und Fähigkeiten hin zu materiellen, kulturellen und auch religiösen Sozialisationsfaktoren.1 Die Kinder- und Jugendtheologie ist geprägt durch die »[…] Fragen und Deutungen zu Gott und den Menschen […]«2, welche die Kinder und Jugendlichen aus ihren Lebenskontexten heraus entwickeln. Für diese Theologie, die sich im Kontext des Alltages, des Lebens der Kinder und Jugendlichen, bildet, können im rezeptionsästhetischen Sinne nur Bezugsquellen aus der Theologie für Kinder und Jugendlichen eine Bedeutung gewinnen, die in einer Interaktion mit der Lebenswelt stehen.3 Dabei wird in der Kinder- sowie in der Jugendtheologie davon Abstand genommen, die Lernenden zu einer Problemlösung oder erwarteten Deutungsart zu führen. Vielmehr sollen die Lernenden auf dem Weg zur eigenen Lösung oder

Deutung begleitet werden.4 Es gilt, die Diversität der Kinder und Jugendlichen vor allem in ihren Sichtweisen auf das Leben zu beachten. Die in diesem Artikel vorgestellte Methode des Bibliologs ermöglicht die Interaktion von theologischer Bezugsquelle und differenten Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen, löst die diversitäre Vielfalt nicht zugunsten einer homogenen Wahrheit auf und erlaubt den Kindern und Jugendlichen gesteuert, aber nicht auf eine vorgegebene Deutung hin gelenkt, biblische Texte auszulegen.

1 Vgl. Katharina Kammeyer, Theologisieren in heterogenen Lerngruppen – Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen, in: Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, Stuttgart 2012, 192. 2 Katharina Kammeyer, Kinder- und Jugendtheologie auf dem Weg zur Inklusion – Kontextquelle und emanzipatorische Beispiele, in: Katharina Kammeyer / Erna Zonne / Annebelle Pithan (Hg.), Inklusion und Kindertheologie. Inklusion – Religion – Bildung, Bd. 1, Münster 2014, 9. 3 Vgl. ebd. 10. 4 Vgl. Gerhard Büttner et.al. (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, Stuttgart / München 2014, 9.

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Religionspädagogische Anregungen

1. Bibliolog – Zum Hintergrund des Ansatzes

Der Bibliolog kann als relativ neuer religionspädagogischer Ansatz verstanden werden. Begründet wurde er von dem nordamerikanischen Juden Peter Pitzele auf dem Hintergrund des jüdischen Verständnisses des Midrasch. Midrasch als eine spezifische Art der Auslegung biblischer Texte5, als »Bewegung des Herausfindens6«, vertritt kurz gefasst die Auffassung, dass hinter dem Geschriebenen der Bibel, dem schwarzen Feuer, zusätzlich auch das weiße Feuer7, das, was nicht explizit gesagt wird, jedoch im Subtext enthalten ist, lodert. Die Bibel ist unter dieser Annahme kein objektiver Ausgangspunkt sondern immer im Angesicht der Lebensgeschichte des Rezipienten und der Glaubensgemeinschaft neu zu interpretieren. In der Bewegung im weißen Feuer entsteht ein lebendiger und persönlicher Zugang zum schwarzen Feuer8. Im Bibliolog gilt es, das weiße Feuer in einem gemeinsamen Prozess zu entfachen. 2. Was geschieht während des Bibliologs?

Der Bibliolog ist ein lebendiger Dialog mit der Bibel, in den jeder Mensch eintreten kann. Bibliolog ist eine Einladung, sich in eine biblische Erzählung hineinzubegeben und den Menschen der Bibel nachzufühlen. Oder, wie der Erfinder der Methode, Peter Pitzele, niedergeschrieben hat, Bibliolog »is a form of role-playing in which the roles played are taken from biblical texts […] [it is] a form of interpretive play9«. Die Methode lädt somit dazu ein, sich mit seiner eigenen Lebensgeschichte

in die Geschichten der Bibel hineinzubegeben und diese auszulegen. Die Methode des Bibliologs weist durch die stetige Weiterentwicklung von der Grundform hin zu diversen Aufbauformen viele verschiedene Gestalten auf, doch alle Formen greifen auf feste Strukturen und Elemente zurück. Durch eben diese wird ein Wiedererkennungswert ermöglicht: »Menschen, die sich sonst ungern auf kreative Zugänge einlassen, wird durch die klare Struktur und die sprachliche Orientierung häufig die Teilnahme erleichtert.«10 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Grundform des Bibliologs. Der Bibliolog setzt sich aus vier übergeordneten Schritten zusammen, die 5 Vgl. Peter A. Pitzele, Scripture Windows. Towards a Practice of Bibliodrama, Los Angelos 1998, 15. 6 Peter A. Pitzele, Die Brunnen unserer Väter. Midraschim und Bibliologe über Bereschit – Genesis, Stuttgart 2012, 24. 7 Das weiße Feuer bezeichnet die Leerstellen, die im Text verbleiben, die durch das schwarze Feuer, die Schrift an sich, nicht explizit genannt und abgedeckt werden. Das weiße Feuer bietet Platz für unterschiedliche Deutungsund Interpretationsansätze. Diese jüdische Tradition deckt sich mit den neueren Erkenntnissen der Rezeptionsästhetik. Schülerinnen und Schüler adaptieren nicht einfach nur den Text in ihre kognitiven Wissensstrukturen, sondern verarbeiten diesen auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen und ihrem bisherigen Wissen. Dadurch entstehen die unterschiedlichsten Interpretationen und Annahmen über den Text. Vgl. Ulrich Kropač, Biblisches Lernen, in: Georg Hilger et.al., Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium Ausbildung und Beruf, München 2010, 426. 8 Uta Pohl-Patalong, Bibliolog. Gemeinsam die Bibel entdecken im Gottesdienst, in der Gemeinde, in der Schule, Stuttgart 22007, 25. 9 Pitzele, Scripture Windows [vgl. Anm. 5], 11. 10 Uta Pohl-Patalong, Religionspädagogik. Ansätze für die Praxis, Göttingen 2013, 60.

Krasemann Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule

wiederrum in kleinere Einheiten untergliedert werden. Dabei wird der erste, übergeordnete Schritt rein von demjenigen vollzogen, der den Bibliolog durchführt (im Folgenden Leitung genannt). Erst die Schritte zwei bis vier werden in und mit der Gruppe vollzogen. Der erste Schritt ist das Vorbereiten (I) des Bibliologs. Dieses beinhaltet die Auswahl des biblischen Textes (I.1), die Auswahl der Rollen (I.2), die Raumwahrnehmung und Gestaltung (I.3) sowie die eigene innere Vorbereitung (I.4). Nähere Erläuterungen zu diesem Prozess werden an dieser Stelle nicht vorgenommen, da der Prozess für die Vorbereitung der Leitung zwar elementar ist, jedoch an dieser Stelle für die Durchführungsstruktur keine Rolle spielt.11 Schritt zwei wird im deutschsprachigen Raum als Hineinkommen (II) betitelt. Dieser Schritt beinhaltet einen Prolog (II.1). In diesem werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Methode vorbereitet, indem das Vorgehen der Methode vorgestellt wird. Wichtig dabei ist der Hinweis auf zwei Regeln, die bei der Methode höchste Priorität haben: Jede und jeder darf sich aktiv an der Methode beteiligen, aber keiner muss dies tun. Genauso ist es erlaubt, die Methode still für sich mit zu vollziehen. Zudem kann niemand etwas Falsches sagen, alle Aussagen der Teilnehmenden werden wertgeschätzt und tragen zur Auslegung des Bibeltextes bei. Da der Bibliolog der jüdischen Tradition entspringt, hat er das Konzept des schwarzen und des weißen Feuers bei der Bibelauslegung übernommen. Als schwarzes Feuer werden die gesetzten und gültigen geschriebenen Worte des Textes verstanden. Das weiße Feuer

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hingegen befindet sich in den Zwischenräumen um das schwarze Feuer herum. Es ist die Interpretation und das Füllen von Freiräumen, die sich ergeben. Alle Aktionen innerhalb des Bibliologs befinden sich im Bereich des weißen Feuers, der Auslegung, der Interpretation und dem Füllen von Leerstellen. Daher kann auch keine Aussage eines Teilnehmenden falsch sein, da sie auf einer eigenen Interpretation und Wahrnehmung des schwarzen Feuers basiert.12 Nach dem Prolog schließt sich die Hinführung in den biblischen Text an (II.2). Die Leitung versetzt die Teilnehmenden in die historische Situation des Bibeltextes, indem Rahmenhandlungen und Schlüsselmomente erzählt werden. Dieser Schritt soll die Teilnehmenden mit auf die Reise in das biblische Geschehen hineinnehmen, sodass eine anschließende Identifikation mit der biblischen Figur stattfinden kann. Die Hinführung muss so weit reichen, dass die Teilnehmenden in eine sogenannte trance hineingeführt werden und auch während des Bibliologs in dieser verbleiben. Die Bibel wird geöffnet und der oder die ersten Vers(e) der biblischen Erzählung werden von der Leitung verlesen (II.3). Die Teilnehmenden sind nun so in der biblischen Situation eingeführt, dass sie sich in dem nächsten Schritt mit den biblischen Personen identifizieren und in diese hineinversetzen können. Sie sind über die Schwelle von ihrer eigenen Welt 11 Nähere Ausführungen zum generellen Aufbau des Bibliologs und explizit des ersten Schrittes sind nachzulesen in: Pitzele, Scripture Windows [wie Anm. 5] oder in Uta Pohl-Patalong, Bibliolog, Bd. 1: Grundformen [wie Anm. 8]. 12 Pitzele, Scripture Windows [wie Anm. 5], 23f.

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Religionspädagogische Anregungen

hin zur biblischen Welt getreten (II.4) und antworten nun aus der ihnen angebotenen Rolle heraus. Dies geschieht in der Ich-Form. In einem nahtlosen Übergang folgt Schritt drei, indem die Leitung nach dem Verlesen der Bibelverse stoppt und in die erste biblische Figur, aus der die Teilnehmenden sprechen sollen, mit den Worten »Ihr seid / Du bist« einführt (III). Die Teilnehmenden versetzen sich in diese biblische Gestalt hinein und beantworten die Frage der Leitung aus Sicht der befragten biblischen Figur (laut oder auch leise für sich selbst) (III.1). Die eigentlichen Techniken des Bibliologs, das sogenannte echoing als Pflichtelement sowie das interviewing als Kür (III.2) reihen sich nun ein. Dabei besagt das echoing, dass das, was die Teilnehmenden aus einer Rolle heraus laut ausgesprochen haben, in dem Anliegen und den Emotionen von der Leitung laut für die Gruppe wiederholt wird. Gegebenenfalls wird durch das interviewing weiter nachgefragt. Ist die Befragung der ersten Rolle abgeschlossen, wird der biblischen Figur gedankt, der sogenannte kleine Dank. Dies soll helfen, die Rolle abzulegen und offen für eine folgende biblische Figur zu sein, ohne aus der trance zu kommen. Es folgen Übergänge, in der Sprache des Bibliologs shift13 genannt, sowie weitere Verse der Bibel mit jeweiliger Unterbrechung, in der weitere biblische Figuren befragt werden (III.3). Jeder biblischen Figur wird der kleine Dank ausgesprochen. Ist die Auslegung des Bibeltextes durch die Befragung der biblischen Figuren beendet, folgt ein großer Dank, durch den allen Figuren noch einmal explizit dafür gedankt wird, dass sie dazu beigetragen haben, den Bibeltext verständlicher zu

machen (III.4). Mit der Abfolge der Rollen und dem Dank endet Schritt drei. Anschließend erfolgt das in der Sprache der Methode genannte deroling (IV.1). Hier führt die Leitung aus dem biblischen Geschehen hinaus, entlässt die biblischen Figuren zurück in die Bibel und führt die Teilnehmenden ins Hier und Jetzt. Dieser Schritt ist vor allem daher wichtig, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Rollen der biblischen Erzählung ablegen können. Als sie selbst hören sie die vorher thematisierten Verse im Gesamten (IV.2). Die Teilnehmenden können für sich nun nachempfinden, welche Verse für sie ganz besonders wichtig geworden sind. Ist der Text verlesen, schließt die Leitung die Bibel als Zeichen dafür, dass die Auslegung nun beendet ist und legt sie an einen passenden Platz zurück (IV.3). Nun bleibt die Möglichkeit, einige abschließende Worte zu der Bibelstelle zu finden (IV.4), womit die Methode des Bibliologs schließt.14 3. Wie viel Diversität lässt der Bibliolog zu?

Wurde die Methode des Bibliologs anfangs im Setting der Universität entdeckt und mit den gemachten Erfahrungen weiterentwickelt, so fand sie alsbald Ein13 »Die Shifts enthalten häufig einige Wörter der Überleitung und das nächste Stück des biblischen Textes. […] Im Shift kann auch die nächste Szene geklärt werden […] oder die Reaktionen der letzten Rolle können eingesammelt werden […]«, Pohl-Patalong, Uta, Bibliolog, Bd 1: Grundformen [wie Anm. 8], 60. 14 Ausführungen entnommen aus: Pitzele, Scripture Windows [wie Anm. 5] und Pohl-Patalong, Bibliolog, Bd 1: Grundformen [wie Anm. 8].

Krasemann Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule

gang in Gottesdiensten als Predigt, in diversen Bereichen der Gemeindearbeit sowie auch in dem Kontext des Religionsunterrichts an allen Schulformen15. Damit ist der Bibliolog offen für Menschen jeglichen Alters, jeglicher gesellschaftlichen Stellung sowie jeglichen Bildungsstands. Die zwei allgemeingültigen Regeln des Bibliologs führen zu einer größeren Heterogenität in der Gruppe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sichern sie den Unsicheren doch zu, nicht vorgeführt zu werden, mangelt es ihnen an fachlicher Kompetenz. Dies erweitert den Kreis der Zielpersonen, sodass nicht nur aktive Gemeindemitglieder oder studierte Theologen sich in einen Diskurs der Bibelauslegung begeben können, sondern auch diejenigen, deren Lebenswelt (bisher) nur sehr wenige bis gar keine Berührungspunkte mit religiösen Inhalten aufweist. Unterschiede im theologischen Wissen und in der Fähigkeit zu Theologisieren werden daher lediglich als graduell und nicht als substanziell angenommen.16 Die Methode ermöglicht im Hinblick auf die Regeln den mehr introvertierten Personen, die Auseinandersetzung mit dem biblischen Text auf einer intrinsischen Ebene zu vollziehen und die Äußerungen der biblischen Figuren, eingenommen durch stärker extrovertierte Personen, abzuwägen und in ihre innere Wahrnehmung zu integrieren.17 Aus eigenen Erfahrungen mit dem Bibliolog kann festgestellt werden, dass sogar gerade die Personen, die im Alltag und auch im Klassengeschehen als introvertiert erlebt werden, im Bibliolog aus sich herauskommen und aktiv-kommunikativ am Geschehen im Bibliolog teilnehmen.

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Der Bibliolog lädt noch auf weiteren Ebenen Interessierte, unabhängig ihres Vorwissens, zur Teilnahme ein. Zum einen werden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den Prolog in die Struktur des Bibliologs eingeführt, dieser leitet an und vermittelt somit eine Rahmung und gibt Sicherheit für das folgende Setting. Auch jene, die bisher noch keinen Bibliolog miterlebt haben, wissen so, was sie erwarten wird. Die Hinführung führt in das biblische Geschehen ein und nennt alle für die Auslegung des Textes wichtigen Informationen, sodass sich vor den Augen der Teilnehmenden die biblische Welt entfalten kann, ohne dass der zeitliche Kontext, die situativen Gegebenheiten oder auch die Vorgeschehen in der Bibel im Vorfeld bereits bekannt sein müssen. Durch die Rollenzuweisung der Teilnehmenden, in der Grundform des Bibliologs, findet in dem Raum, welchen der Bibliolog schafft, eine starke Führung statt. Innerhalb der durch die Leitung gesetzten Rollenvorgaben sind die Teilnehmenden wiederum frei in ihrer Wahrnehmung und in ihren Empfindungen. Sie betreten die biblische Erzählung als Raum und erkunden ihn, geführt von sich innerhalb des Textes anbietenden Perspektiven. Dabei schließen diese eingenommenen Perspektiven das Subjekt des Teilnehmenden aus dem Erkundungsprozess explizit nicht aus.18 15 Vgl. Pohl-Patalong, Bibliolog, Bd. 1: Grundformen [wie Anm. 8], 34. 16 Vgl. Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? In: Anton A. Bucher et.al., »Mittendrin ist Gott«. Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod, JaBuKi 1, Stuttgart 22008, 11. 17 Vgl. Pohl-Patalong, Bibliolog, Bd. 1: Grundformen [wie Anm. 8], 41. 18 Vgl. ebd. 92.

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Religionspädagogische Anregungen

Vielmehr gilt, »[d]as Subjekt ist das Instrument der Erkundung, indem es sich den vom Text angebotenen Perspektiven aussetzt und sich von diesen anregen und bewegen lässt«19. Die biblische Erzählung wird bereichert durch den Einfluss der eigenen Lebenswelt des Teilnehmenden, die dadurch in die biblische Erzählung einfließt, dass der Teilnehmende die zugewiesene Perspektive einnimmt. An die eigene Lebenswelt des Teilnehmenden werden durch die biblische Erzählung Fragen gestellt, die eine aktive Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, Vorstellungen und Meinungen erfordern. In diesem Frageprozess treten auch die Diversitäten der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Tage. Denn es gilt, nicht nur ein Einzelner darf aus der Rolle heraus auf die Frage antworten, sondern es ist vielmehr erwünscht, dass mehrere Personen sich aktiv zu derselben Frage äußern. Erst damit kommen die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Interpretationen zu ein- und derselben Situation in das aktive Bewusstsein aller Teilnehmenden. Dabei entsteht keine Diskussion, sondern die Beiträge der einzelnen Personen bleiben für sich stehen und sollen dazu anregen, sich mit diesen aktiv auseinander zu setzen. Hierbei zeigt sich aber auch eine Grenze des Bibliologs. Die Methode ermöglicht, die Vielfalt in Worte zu kleiden und lebendig werden zu lassen, sodass es den Teilnehmenden möglich wird, auf eine Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen und Betrachtungsmöglichkeiten wahrzunehmen, die für sie durch die eigene innere Haltung von alleine nicht einzunehmen wären. Jedoch bindet der Bibliolog diese Vielfalt nicht. Er lässt diese bewusst offen für die Teilnehmen-

den, weist aber keine Struktur auf, um mit dieser noch weiter zu arbeiten. Die Teilnehmenden müssen eine Bündelung und Sichtung der Vielheit für sich selbst vollziehen. Die möglichen Uneindeutigkeiten der Wahrheit, bedingt durch die Natur des weißen Feuers und die Wahrnehmung der Vielfalt, sollte von den Teilnehmenden ausgehalten werden können. Ein anderer Nachteil, der an den Bibliolog herangetragen werden kann, ist die hohe Sprachlastigkeit. Dadurch dass die gesamte Konzeption, die trance, in welche der Bibliolog führen soll, alleine durch Sprache erzeugt und aufrecht erhalten wird, können Personen, die in ihrer sprachlichen Entwicklung gehemmt sind, am Bibliolog gegebenenfalls nur schwer oder nur unter großen Anstrengungen teilnehmen. Auch gibt es bei der Methode des Bibliologs in der Grundform bewusst keinen körperlichen Ausdruck der Rollenübernahme, sodass die gesamte Zeit neben der sprachlichen auch eine hohe kognitive Leistung von den Teilnehmenden gefordert ist. 4. Der Bibliolog als Methode im Religionsunterricht

Für den Bibliolog in der Schule ist der Umstand aufzuzeigen, dass er die Vielheit und Mehrdeutigkeit der biblischen Erzählungen in das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler bringen kann. Dabei ist zu bedenken, dass der Bibliolog nicht die Möglichkeiten bietet, die wahrgenommenen diversitären Ansätze miteinander zu verbinden. Er löst sie nicht zugunsten einer einzigen Wahrheit 19 Ebd.

Krasemann Die Methode des Bibliologs im Kontext von Diversität und Schule

auf. Dass mehrere Positionen einen Anspruch auf eine Wahrheit im Sinne der Interpretation stellen und eine Auslegung der Erzählung nicht eindeutig ist, müssen die Schülerinnen und Schüler an dieser Stelle aushalten können. Die Theologie ist nicht eindeutig in dem Sinne, wie es die Naturwissenschaften, beispielsweise die Mathematik, ist. Daher sollte darauf geachtet werden, dass die Schülerinnen und Schüler nicht versuchen, die Mehrdeutigkeiten aufzulösen und die Vielheit zugunsten einer singulären Wahrnehmung zu verwerfen oder gar durch das Fehlen eines klaren Weges beginnen, theologisch falsche Aussagen als wahr anzunehmen. Der Bibliolog braucht weitere Methoden anbei gestellt, die mit der wahrgenommenen Vielheit weiterarbeiten und den Schülern die Möglichkeit geben, mit der Diversität umgehen zu lernen. Dabei gilt der in der Rezeptionsästhetik akzeptierte Standpunkt, dass die Deutungen »nicht als bloße Anknüpfungspunkte [dienen], die im weiteren Fortgang des Unterrichts durch die Resultate der historisch-kritischen Auslegung korrigiert oder überboten werden, sondern sie gelten als originäre Zugänge zur Bibel, unabhängig davon, ob sie mit den Ergebnissen der Exegese übereinstimmen oder nicht20«. 5. Fazit

Über den Bibliolog kann festgehalten werden, dass er als Methode dazu geeignet ist, die unterschiedlichsten Personen gemeinschaftlich an und mit einem biblischen Text arbeiten und neue Interpretations- und Wahrnehmungsansätze auf Basis der Vielheit innerhalb der

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Gruppe erschließen zu lassen. Durch unterschiedliche Perspektiven auf einen biblischen Text ermöglicht der Bibliolog ein tieferes Verstehen eben dieser Erzählungen und eröffnet so einen Zugang.21 Die Methode des Bibliologs gesteht nicht nur den Teilnehmenden das Recht zu, ihre je eigene Individualität zu bewahren und mit ihrer eigenen Erfahrung und Lebenswahrnehmung zur Interpretation der biblischen Erzählungen beizutragen, sondern gesteht auch dem biblischen Text Diversitäten in seiner Bedeutung zu. Ohne die Annahme der Existenz einer allgemeingültigen Wahrheit, erlaubt der Bibliolog unterschiedliche Deutungsansätze und Auslegungen der Texte, wie es auch in den Anfängen des Christentums noch üblich war.22 In den Ausformungen der Jugendtheologie nach Schlag und Schweitzer23 lässt sich der Bibliolog nicht exakt den einzelnen Stufen zuordnen. Er bahnt den Austausch der Jugendlichen an, wobei sich deren Kommunikation explizit auf biblische Inhalte und somit auf religiöse Gegenstände bezieht. Die Theologie der Jugendlichen wird reflektierter und erfährt eine stärkere Kommunikation untereinander. Religiöse Sinngehalte und theologische Dimensionen ergeben sich im weißen Feuer, in der Interpretation 20 Ulrich Kropač, Biblisches Lernen, in: Georg Hilger et.al., Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium Ausbildung und Beruf, München 2 2012, 426. 21 Vgl. Pohl-Patalong, Religionspädagogik. Ansätze für die Praxis [wie Anm. 10], 48. 22 Vgl. ebd., 54f. 23 Vgl. Thomas Schlag, Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011, 179.

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Religionspädagogische Anregungen

und den Deutungen des schwarzen Feuers respektive des geschriebenen Wortes, sodass sich die Frage stellt, ob bei der Berücksichtigung von Rezeptionsstrukturen der Jugendlichen die Bibel selbst durch den Bibliolog als Theologie für Jugendliche verstanden werden kann. Die Bibel selbst bietet sich den Jugendlichen in dieser Form als Theologie für sie dar. Im Bibliolog finden sich zudem Ausformungen der impliziten Theologie mit Jugendlichen. Die Schülerinnen und Schüler vollziehen durch das Aufdecken anderer Perspektiven innere Reflexionsprozesse und werden damit zur Auseinandersetzung mit der eigenen inneren, impliziten Theologie angeregt. Der Bib-

liolog kann damit als Methode angesehen werden, die das Implizite der Theologie von, für und mit Jugendlichen expliziter werden lässt. Abschließend bleibt zu sagen, dass im Dialog über die Bibel und über Glaubensaussagen, die aus dieser abgeleitet sind, immer zu beachten bleibt, dass nicht nur die Kommunizierenden eine Diversität aufweisen, sondern auch der Gegenstand der Kommunikation, das Subjekt Glauben, immer eine Mehrdeutigkeit aufweist. Damit fördert der Bibliolog die Wahrnehmung und die Begegnung mit Diversität im positiven Sinne und kann als geeignete Methode im religiösen Dialog bezeichnet werden.

Krasselt-Maier Jugendliche und Theodizeen

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Judith Krasselt-Maier »Also, das ist ja wie im Kindergarten« – Was ist das für ein Gott, der sich vom Satan reizen lässt? – Jugendliche und Theodizeen Eine Spurensuche in einer 10. Realschulklasse am Evang. Schulzentrum Leipzig 1. Der Glaube an Gott erfordert die Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage

Die Ergebnisse empirischer Studien zur Bedeutung der Theodizeeproblematik für Jugendliche sind im Laufe der letzten Jahrzehnte sehr unterschiedlich ausgefallen. Der Fokus dieser Untersuchungen lag vor allem auf der Frage, inwieweit die Theodizeefrage eine bedeutsame Einbruchstelle oder Herausforderung für den Gottesglauben Jugendlicher darstellt. In aller hier gebotenen Kürze seien zentrale Ergebnisse kurz in Erinnerung gerufen, da sie den Ausgangspunkt für die hier vorgestellten Forschungen darstellen. Karl E. Nipkow kam Ende der 80er Jahre zu dem Ergebnis, dass die Theodizeefrage von allergrößter Bedeutung für Jugendliche ist. »In verschiedenen Facetten zeigt sich die Theodizeeproblematik als die erste und wahrscheinlich größte Schwierigkeit in der Gottesbeziehung überhaupt.«1 Eine jüngere Studie von Werner H. Ritter, Helmut Hanisch u.a. aus dem Jahr 2006 relativiert und modifiziert diese Sicht.2 Danach stellen viele Jugendliche keinen unmittelbaren Zusammenhang mehr zwischen Leid und Gott her bzw. »sehen Gott nicht als Verursacher von bzw. Herr über Leid und stellen ihn demzufolge auch nicht in Frage, wenn Menschen Leid widerfährt«.3 Hauptursache dafür sei ein eher

deistisches Gotteskonzept, wonach Gott zwar existiere, aber nicht eingreife in das Geschehen auf der Erde. »Unsere Studie zeigt, dass viele Kinder und Jugendliche anders von Gott denken. Sie glauben nicht, dass er allmächtig, barmherzig, gütig und gnädig ist, dass er in die Welt eingreift und die leidverursachenden Bedingungen beseitigt.«4 Jugendliche, die sich dennoch mit der Frage nach dem Leid in Bezug auf Gott befassen, so ein weite-res zentrales Ergebnis der Studie, suchen nach einem Sinn im Leid oder verweisen auf tröstliche Erfahrungen. Leiderfahrung heißt für sie keineswegs den Glauben an Gott zu verlieren.5 Eva Maria Stögbauer hält in ihrer Befragung aus dem Jahre 2011 fest, dass die Bedeutung der Theodizeefrage für Jugendliche sehr verschieden ist und von mehreren Faktoren wie beispielsweise dem eigenen Gotteskonzept, der persönlichen Einstellung zu Religion und Glauben oder dem Grad der persönlichen Betroffenheit von 1 Karl E. Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, Gütersloh 1987, 56. 2 Werner H. Ritter / Helmut Hanisch / Erich Nestler / Christoph Gramzow, Leid und Gott. Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen, Göttingen 2006. 3 Werner H. Ritter, Leid und Gott aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen, in: KatBl 5/08, 364–368. 4 Ebd., 365. 5 Vgl. ebd., 364f.

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Leid abhängt. Sie benennt »sieben Typen im Umgang mit der Frage nach Gott und dem Leid«. Die Theodizeefrage kann für Jugendliche die alles entscheidende Frage oder für andere aber auch völlig bedeutungslos sein. Damit behält sie zugleich ihren Rang als wichtige Einbruchstelle des Glaubens, verliert aber ihre exklusive Bedeutung. Die Theodizeefrage, so resümiert Stögbauer, »kann zum Standbein, zur Achillesferse oder sogar zur Blutgrätsche eines sympathischen Gottesbildes werden. Ebenso kann sie als Katalysator für die Weiterentwicklung oder für die Verabschiedung der Gottesidee gelten. Und schließlich kann sie ein Randgebiet darstellen, über das man sich nicht oder nur gelegentlich den Kopf zu zerbrechen braucht.«6 In einer eigenen empirischen Untersuchung aus dem Jahre 20137, in der 14 bis 17 Jahre alte Jugendliche aufgefordert waren, Texte über ihre persönlichen Gottesvorstellungen zu schreiben, äußerten sich auffallend viele Jugendliche ausdrücklich auch zur Frage nach der Vereinbarkeit von Leid und Gott. »Ich hab mich immer gefragt, wenn es wirklich einen Gott gibt, warum lässt er schlimme Dinge geschehen?« (10,2)8 Für sie stellte sich insbesondere angesichts des Wissens um Ungerechtigkeit, Krieg, Armut und Naturkatastrophen in der Welt die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Glaubens an einen Gott ganz explizit und oft bedrängend. »Zusätzlich passieren jeden Tag viele, viele Unglücke oder zum Beispiel herrscht in manchen Ländern Krieg und was für ein Gott würde so etwas nicht verhindern« (9,18). Diese Äußerungen zeigen eindrücklich die Intensität des Fragens und verdeutlichen, dass die Theodizeefrage in ihrer Urform nach wie vor Jugendliche beschäftigt

und den Glauben an Gott ablehnen lässt, wenn sie unbeantwortet bleibt. »Ist nicht die Erfahrung [auch] von [fremdem] Leid gerade der Grund für den Zweifel an der Existenz eines allmächtigen und guten Gottes?«9 Ebenso konnte ich in meiner eigenen Unterrichtspraxis immer wieder erleben, dass für Jugendliche, die an Gott glauben oder Interesse an der Frage nach Gott bekunden, das Augenmerk weniger auf der Formulierung der Theodizeefrage, sondern vielmehr auf der intensiven Suche nach tragfähigen Theodizeeantworten liegt. »Ich begreife momentan, dass Gott nichts mit dem zu tun hat, für das wir Menschen verantwortlich sind. Der Anschlag in Paris, Pegida, dieses schreckliche Gedankengut, das Menschen dazu bewegt z.B. Attentate zu machen, hat nix mit Gott zu tun. Aber er ist da, wenn man zu ihm betet und um Beistand bittet, er lässt uns nicht allein.« (Jugendliche, konfessionslos, 16 Jahre, Januar 2015) Dieser Beobachtung wollte ich gern weiter nachgehen. Diese Suche von Jugendlichen gilt es meines Erachtens in besonderer Weise zu erforschen, zu be6 Eva-Maria Stögbauer, Konkret reden: Theologien und Theodizeen Jugendlicher, in: Petra Freudenberger-Lötz / Friedhelm Kraft / Thomas Schlag (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«, Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie, JaBuJu 1, Stuttgart 2013, 50–59. 7 Judith Krasselt-Maier, Gott ist (k)ein alter, weiser Mann! Jugendliche schreiben über ihre Gottesvorstellungen, ihren Glauben, ihre Zweifel, Kassel 2014. 8 Die Nummerierung bezeichnet mit der ersten Zahl die Klassenstufe und mit der zweiten den Einzeltext. Viele der Texte sind im unter Anmerkung 6 genannten Band veröffentlicht. 9 Michael Fricke, Von Gott reden im Religionsunterricht, Göttingen 2007, 50.

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gleiten und zu unterstützen, damit ihre religiöse Entwicklung weiter gehen und der Glaube an Gott für sie bedeutsam bleiben kann. Welche Antworten auf die Theodizeeproblematik haben Jugendliche bereits? Welche (neuen) Antworten anderer reizen sie zur Auseinandersetzung, welche werden abgelehnt, welche in eigene Antwortversuche integriert? 2. Das Untersuchungsdesign

Die Untersuchung fand im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema Theodizee im Januar 2015 in einer 10. Realschulklasse des Evangelischen Schulzentrums statt. Zu ihr gehörten 22 Jugendliche, neun Jungen und dreizehn Mädchen. Sie waren zum damaligen Zeitpunkt zwischen fünfzehn und siebzehn Jahren alt. Neun Jugendliche gehören der evangelisch-lutherischen, fünf der katholischen, eine der anglikanischen Kirche an. Fünf Jugendliche sind konfessionslos, zwei Muslime mit Migrationshintergrund. Den Einstieg bildete ein Text einer 17 Jahre alten Jugendlichen (siehe Anhang 1), der aus mehreren Gründen sehr geeignet erschien, den Schülern und Schülerinnen einen Anstoß zu geben, selbst über ihre aktuelle Antwort auf die Theodizeeproblematik zu reflektieren. Die Autorin ist mit 17 Jahren im gleichen Alter, sie verweist auf ihre religiöse Entwicklung seit ihren Kindertagen. Dabei formuliert sie die Theodizeefrage in aller Deutlichkeit und Dramatik. Zugleich zeigt sie sich als junge Erwachsene, die sich auf die schwierige Suche nach Antwort begeben hat. Ihr Text verdeutlicht die unbedingte Notwendigkeit einer zu-

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mindest vorläufig zufrieden stellenden Antwort, um weiter an Gott glauben zu können. Und schließlich lädt der Schlusssatz des Textes ein, eine eigene Antwort zu formulieren. So wurden die Schüler und Schülerinnen gebeten, der 17-Jährigen eine Antwort in Form eines Briefes zu schreiben. Die Aufgabenstellung bot ihnen viel Freiraum. Sie sollten Gelegenheit haben ihr gegenwärtiges Gottesverständnis und ihre Einstellung zum Glauben an Gott aufzuschreiben. Damit lässt sich zunächst feststellen, welche Antworten die Schülerinnen und Schüler bereits haben. Die zugesicherte Anonymität erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche offen und ehrlich über das schreiben, was sie denken und glauben. Das Schreiben von Texten wurde gewählt, da es für die befragte Altersstufe eine angemessene und den Jugendlichen vertraute (da auch sonst oft in der Schule geforderte) Methode ist, eigene Gedanken zu äußern. Jugendliche haben eine entwickelte Sprachkompetenz. Sie sind in der Lage, ihr Denken sprachlich nuanciert zu äußern. Die Analyse der Schülertexte orientierte sich an der von Gerhard Kleining entwickelten heuristischen Methodologie.10 Aus Platzgründen kann sie hier nicht näher vorgestellt werden. In den nachfolgenden Unterrichtsstunden analysierten und diskutierten die Schülerinnen und Schüler verschiedene im Buch Hiob enthaltene Antworten auf die Theodizeefrage. 10 Gerhard Kleining, Lehrbuch Entdeckende Sozialforschung, Band 1. Von der Hermeneutik zur qualitativen Heuristik, Weinheim 1995, 228ff.

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Dabei geführte Unterrichtsgespräche habe ich zum Teil als Gedächtnisprotokolle festgehalten bzw. aufgenommen.11 Den Abschluss der Unterrichtseinheit bildete ein Fragebogen, in der sich die Schülerinnen und Schüler zunächst zu vier dieser Antwortversuche positionieren sollten und schließlich aufgefordert waren, einen zweiten Antwortbrief zu dem bereits bekannten Text der 17jährigen zu verfassen (siehe Anhang 2). Durch die Analyse der Positionierungen und den Vergleich der Anfangs- und Schlusstexte lassen sich Antworten auf die eingangs gestellten Fragen finden. Welche Antworten reizen Jugendliche zur Auseinandersetzung, welche werden abgelehnt, welche in eigene Antwortversuche integriert? Verändern sich die Antworten? Interessant erschien mir dabei mit Blick auf die eingangs dargestellte Beobachtung vor allem ein Vergleich zwischen Jugendlichen, die von sich sagen, dass sie an Gott zu glauben und Jugendlichen, die formulierten, nicht an Gott zu glauben.

– Typ 3: Leid ist nicht erklärbar (ein Text) – Typ 4: Anklage und Ablehnung Gottes (fünf Texte)13 Typ 1 und Typ 4, die deutlich am häufigsten vorkamen, sollen im Rahmen dieses Aufsatzes in ihren Grundstrukturen vorgestellt werden.

3. Ausgewählte Ergebnisse12

Das hat verschiedene Gründe, – dass Gott nicht allgegenwärtig ist (»er kann seine Augen und Ohren nicht überall haben«, Text 1). – dass Gott hat die Welt erschaffen hat (»Gott schuf die Erde und die Men-

Nachfolgend werden einige Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. Fast alle befragten Schüler und Schülerinnen positionieren sich explizit zur Theodizeefrage. Die Antworten wiesen innerhalb der gewählten Schulklasse eine große Bandbreite auf. Ohne die Individualität der entstandenen Texte schmälern zu wollen, lassen sich meines Erachtens vier Argumentationsmuster unterscheiden. – Typ 1: Vertrauen in Gottes Hilfe (neun Texte) – Typ 2: Gott prüft den Menschen (zwei Texte)

3.1 Typ 1: Vertrauen in Gottes Hilfe – Grundstrukturen und gemeinsame Aussagen

Gemeinsam ist den zu Beginn der Unterrichtseinheit entstandenen Texten, die ich diesem Typ zugeordnet habe, – dass ihre Verfasser entweder äußern, dass sie persönlich an Gott glauben und / oder die Existenz Gottes allgemein bejahen, – dass in fast allen Texten erwähnt wird, dass die Welt voller Leid und Gewalt ist, jedoch niemand von Leid berichtet, dass ihn ganz persönlich betrifft und dass Gott für das Leid nicht (ursächlich) verantwortlich ist.

11 Ein Beispiel findet sich in Abschnitt 3.3. 12 Die im Laufe der Unterrichtseinheit entstandenen Texte der Schülerinnen und Schüler sowie ihre detaillierte Auswertung sind (bisher) nicht veröffentlicht. Im Rahmen dieses Aufsatzes können nur einzelne Beispiele dokumentiert und analysiert werden. 13 Alle Schülerinnen und Schüler erhielten jeweils eine Nummer, um alle Texte einer Person zuordnen zu können.

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schen«, Text 10), lässt die Menschen dann aber gewähren (»dass Gott die Menschen so handeln lässt, wie sie es für richtig halten«, Text 2). Weitere Gemeinsamkeiten bestehen darin, – dass Gott in leidvollen Situationen hilft (»Für mich ist Gott jemand, der einem in schwierigen Situationen hilft, auch wenn man manchmal nicht verstehen kann, wie«, Text 2), auch wenn dies nicht immer offensichtlich bzw. verstehbar ist (»aber wenn man ihn um Hilfe bittet, dann kommt es auf eine Art und wir merken es nicht«, Text 4) und – dass das Verhalten des Menschen eine entscheidende Rolle spielt. Der Mensch ist verantwortlich für die Welt (»Wir sind die Hüter der Erde«, Text 1), er handelt selbstständig. (»Ich glaube, dass Gott die Menschen so handeln lässt, wie sie es für richtig halten«, Text 2) Der Mensch selbst trägt Schuld an Leid und Zerstörung. (»Warum sollte Gott uns helfen? Wir sind es selbst, die sich das Leben schwer machen«, Text 10; »Das Problem ist, dass wir Menschen uns gegenseitig so viel Leid antun«, Text 12). Dennoch, so äußern einige Jugendliche, zieht sich Gott aber nicht einfach zurück, er hilft, jedoch nur, wenn Menschen dies auch wollen. Alles hängt von der Entscheidung des Menschen ab, Gott zu vertrauen. (»Wenn die Menschen, denen Gott helfen will, jedoch abblocken, dann ist das ihre Entscheidung und Gott kann nichts mehr für sie tun«, Text 3; »Er wird uns aber auch nicht unbedingt helfen wollen, wenn wir ihm nicht vertrauen«, Text 1)

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Der Mensch ist aufgefordert, selber etwas gegen das Leid zu tun. (»Meiner Meinung nach sollte man sich nicht wegen der Gewalt im Land von Gott abwenden, sondern selber versuchen sich für Frieden in der Welt einzusetzen und nicht tatenlos zusehen, wie die Menschen sich bekriegen«, Text 3). Zu den vier Antworttypen, die auf dem Fragebogen (siehe Anhang 2) am Ende der Unterrichtsreihe vorgegeben waren, positionierten sich die Jugendlichen folgendermaßen: Volle Zustimmung fand fast durchweg Antwort vier. Leid ist letztlich nicht verstehbar, der Mensch kann nicht alles begreifen. Fast durchweg abgelehnt hingegen wurde Antwort zwei. Leid als Prüfung empfanden fast alle als unfair und als kein gutes Mittel. Antwort eins fand zum Teil Zustimmung. Hiobs Vertrauen wird einerseits als gut eingeschätzt, andererseits soll man Unglück aber auch nicht einfach nur hinnehmen. Antwort drei schließlich wurde eher abgelehnt. Gott straft nicht, Leid kann ebenso kein Erziehungsmittel sein. Die zweite Antwort auf den Text der 17jährigen gestaltete sich ebenfalls individuell verschieden, dennoch ließen sich auch hier gemeinsame Tendenzen beobachten. – Die Jugendlichen betonten wiederum, dass Gott in leidvollen Situationen helfe. Sie äußerten dies als Hoffnung und eigene Erfahrung. Vertrauen und Glauben seien dafür wichtig. Insgesamt fokussierten die Texte nun stärker auf den Aspekt der Zukunft. Was kann im Leid helfen? (»… da er mir in verschiedenen Situationen geholfen hat, als ich ihn brauchte, deshalb ver-

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traue ich und glaube ich an ihn«, Text 1). – Auffällig war, dass die Frage nach dem ›Warum des Leides?‹ häufiger gestellt wurde, gleichzeitig aber in Auseinandersetzung mit dem Antworttyp 4 die Aussage, dass Leid letztlich nicht verstehbar sei, deutlicher hervortrat. (»In manchen Situationen denkt man sich, warum nur? Warum tust du mir das an?«, Text 2). – Die Aussage, dass Menschen Schuld am Leid tragen, kam weniger häufig vor, dennoch betonten einzelne Schüler und Schülerinnen die menschliche Selbstverantwortung für alles Geschehen. (»Es ist aber unsere Sache, was wir aus uns, unserer Erde und unseren Mitmenschen machen und wie wir mit ihnen umgehen. Ich finde, man macht es sich zu einfach zu sagen: »Gott hat schuld«. Jeder ist meiner Meinung nach für sich selbst verantwortlich«, Text 3). Die Mehrheit der Schüler und Schülerinnen äußerte, dass die Theodizeefrage für sie im Moment eine wichtige Rolle spielt. (»Ich finde es wichtig, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Ich finde es auch schwer bei all diesem Elend auf diesem Planeten an Gott zu glauben, aber ich tue es trotzdem«, Text 4). Die Schüler und Schülerinnen gehören verschiedenen Konfessionen und Religionen an oder sind ohne Religionszugehörigkeit, so dass kein Zusammenhang zwischen Konfession / Religion und diesem Typ erkennbar ist.

3.2 Typ 4: Anklage und Ablehnung – Grundstrukturen und gemeinsame Aussagen

Gemeinsam ist den zu Beginn der Unterrichtseinheit entstandenen Texten, die ich diesem Typ zugeordnet habe, – dass ihre Verfasser sehr deutlich und nachdrücklich äußern, dass sie persönlich nicht an Gott glauben und auch die Existenz Gottes allgemein verneinen oder mindestens anzweifeln, – dass in allen Texten erwähnt wird, dass die Welt voller Leid und Gewalt ist, jedoch niemand von Leid berichtet, dass ihn ganz persönlich betrifft, – dass entweder die Erwartung formuliert wird, wenn Gott existieren sollte, er doch das Leid auf der Welt verhindern müsste oder im Leid helfen könnte, (»Wenn es Gott wirklich in ir-gendeiner Form geben sollte, warum bewahrt und beschützt er die Menschen dann nicht?«, Text 5; »Wenn der feine Herr noch existiert, weiß ich nicht, weswegen er somit gegen das ganze Leid offensichtlich nichts tut«, Text 16; »… aber ab und zu kann er jedem doch mal helfen …«, Text 8), – dass Gott somit für das Leid (ursächlich) verantwortlich ist (»… oder hat sich von uns abgewandt. Ich weiß sonst nicht, woher das ganze Leid kommt, …«, Text 16), – oder Gott nicht existiert und er deswegen nicht für das Leid verantwortlich sein kann. (»Nur ich weiß, dass es ihn nicht wirklich gibt und somit fällt es mir auch leichter zu wissen, dass für das Chaos auf der Welt allein wir Menschen schuld sind«, Text 13).

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Die Konsequenzen für das Verhältnis zu Gott und zum Glauben sind individuell verschieden nuanciert. – Gott werden Vorwürfe gemacht, (»Es sterben so viele Menschen im Krieg und an Krankheiten und das jeden Tag. Der Kerl scheint da oben nur Däumchen zu drehen«, Text 5) – ihm wird Wut entgegen gebracht. (»denn wenn ich an ihn/es glauben würde, würde ich nur Wut und Hass empfinden für ihn / es«, Text 16) – Von Gott wird persönlich nichts mehr erwartet. (»Ich verlange ja nicht, dass ich nur Glück habe, aber ab und zu kann er jedem doch mal helfen und nicht nur denen, in den Krisenlän-dern. Klar brauchen die ihn mehr als ich, das heißt trotzdem nicht, dass wir ganz auf ihn verzichten müssen, oder? Aber ich warte auch nicht darauf, dass er sich irgendwann irgendwie beweist«, Text 8) – Es wird vermutet, dass Gott mit den Menschen nichts zu tun haben will. (»hat sich von uns abgewandt. Ich weiß sonst nicht, woher das ganze Leid kommt, …«, Text 16) – Gottes Existenz wird ganz abgelehnt. (»Wenn es ihn gab oder gibt, ist er schon lange verstorben …«, Text 16; »Nur weiß ich, dass es ihn nicht wirklich gibt …«, Text 13) – Der Glaube an Gott wird (mittlerweile) abgelehnt. (»Ich selber habe mich schon vor langer Zeit komplett von ihm / es abgewendet und ich denke, dass es auch besser so ist …«, Text 16) Die Konsequenzen für das Handeln des Menschen werden ebenfalls individuell verschieden nuanciert. – Der Mensch muss sich selber helfen. (»Wir helfen uns gegenseitig, so gut es

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geht und das ist es mir Wert auf Gott zu verzichten«, Text 8) – Der Mensch ist verantwortlich für das Leid. (»… dass für das Chaos auf der Welt allein wir Menschen schuld sind«, Text 13) Alle Jugendlichen äußern (zum Teil auch indirekt) Zustimmung zur Position der 17jährigen. Dieser Typ ist am zweithäufigsten anzutreffen. Zu ihm lassen sich vier Texte zählen. Zu den vier Antworttypen, die auf dem Fragebogen (siehe Anhang 2) am Ende der Unterrichtsreihe vorgegeben waren, positionierten sich die Jugendlichen folgendermaßen: Die Schüler lehnten alle Antworten überwiegend ab. Einzig Antwort vier fand teilweise Zustimmung. Einschränkend äußerten sie jedoch, dass Gott nicht allmächtig ist, Leid verhindern sollte oder eine Fantasiefigur ist. Antwort eins wurde abgelehnt, da den Schülern Hiobs Haltung, an Gott im Leid festzuhalten, unverständlich ist. Antwort zwei wurde als dumm, brutal oder unrecht zurück gewiesen. Antwort drei fand keine Akzeptanz, da das Denken im ErgehensTun-Zusammenhang als nicht akzeptabel galt. Die zweite Antwort auf den Text der 17jährigen ließ folgende Tendenzen erkennen. – Die Zweifel an Gottes Existenz formulierten die Jugendlichen noch deutlicher. Gott interessiert sie nicht wirklich, da er für sie nicht verstehbar schien. (»Heute denke ich, wenn es Gott wirklich gibt, dann kann man ihn gar nicht verstehen« Text 5).

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– Sie wiederholten ihre Aussage, dass es Gott nicht gäbe, er eine Phantasiefigur sei oder es besser sei, auf Gott zu verzichten. (»Doch irgendwann merkte ich, es ist wie mit dem Weihnachtsmann. Es gibt ihn nicht wirklich«, Text 13; »Man sollte nicht auf etwas warten, wobei man noch nicht einmal weiß, ob es überhaupt existiert. Bei Zweifeln und Problemen hilft es auch nicht, wenn man jeden Tag betet«, Text 8) – Ebenso erfuhr die Aussage, dass der Mensch Schuld am Leid trage, Kontinuität. (»Ja, wir leben in einem Chaos mittlerweile, aber dieses Chaos haben wir, die Menschen selber zu verantworten«, Text 8) – Nur bei einem Text ließ sich eher Verunsicherung im Denken wahrnehmen. (»… aber ich weiß momentan selber nicht so genau, wie ich das bewerten soll«, Text 16) Die Jugendlichen äußerten alle, dass die Theodizeefrage für sie im Moment keine wichtige Rolle spiele. (»Ich habe die 1 angekreuzt, da ich mich lieber auf das Schöne konzentrieren tue momentan, wie die kommende Zeit. Dazu kommt noch, dass ich persönlich gerade kein Leid erfahre und deshalb keinen Grund habe, mich mit dem Thema zu befassen«, Text 8). Sie gehören verschiedenen Konfessionen an oder haben keine Religionszugehörigkeit. Es ist auch hier kein Zusammenhang zwischen Konfessions- oder Religionszugehörigkeit und Typ zu erkennen.

3.3 Ein Unterrichtsgespräch zur himmlischen Vorgeschichte

Das folgende Unterrichtsgespräch über die beiden Dialoge zwischen Gott und Satan am Beginn des biblischen Hiobbuches (die sogenannte himmlische Vorgeschichte, Hiob 1,6–12 und Hiob 2,1–7) fand Mitte Dezember 2014 ungeplant und mit großem Engagement einiger Schüler statt. Ich habe es unmittelbar im Anschluss aus meinen Unterrichtsnotizen und als Gedächtnisprotokoll aufgeschrieben. Es zeigt exemplarisch, wie Jugendliche, die an Gott glauben, sich mit Theodizeeantworten auseinander setzen. Vorangegangen waren eine einführende Stunde, in der die Schüler und Schülerinnen erarbeitet haben, was mit der Theodizeefrage gemeint ist und erste eigene Texte zu dieser Problematik verfasst haben sowie eine zweite Stunde, in der das 1. Kapitels des Hiobbuches im Mittelpunkt stand und die Schüler, die Gestalt des Hiob zu Beginn der Geschichte und nach den sogenannten Hiobsbotschaften kennengelernt hatten. Nach der gemeinsamen Lektüre und der Analyse der Positionen von Gott und Satan entstand folgendes Unterrichtsgespräch zwischen fünf Schülern der 23köpfigen Klasse. Die anderen 18 Schüler und Schülerinnen verfolgten überwiegend interessiert und aufmerksam die Diskussion. Schon während der Analysephase hatte sich mehrfach Widerspruch unter den Schülern geregt und wurde ihr Wunsch nach einer Positionierung deutlich. Das Gespräch zeigt meines Erachtens sehr eindrücklich, wie engagiert sich Jugendliche mit Theodizeeantworten auseinander setzen können, zumal wenn sie Widerspruch bewegt.

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Ein Unterrichtsgespräch über die himmlische Vorgeschichte des Hiobbuches (geführt am 10. Dezember 2014 in einer 10. Realschulklasse) Domenic: Also, das hätt ich nicht von Gott erwartet. Das bedeutet ja, Gott ist schuld, dass Hiob alles verliert. Max: Was ist denn das für ein Gott? Das kann doch nicht sein. Eh, ich fass´ es nicht. Das kann der doch nicht machen. Jana: Ich … Nein … Gott ist schuld, dass Hiobs Kinder sterben mussten. Max: Das sag ich ja, das kann der doch nicht bringen. Daniel: Warum macht der das? Lehrerin: Ja, gute Frage, warum lässt sich Gott auf so was ein. Max: Eh, hier steht (gemeint ist Hiob 2,3 »wiewohl du mich wider ihn gereizt hast«), dass sich Gott vom Teufel reizen ließ, also, das ist ja wie im Kindergarten. Markus: Das ist ja total widersprüchlich. Ich denk, wir haben letzte Stunde gelernt, dass Hiob vorbildlich lebt und alles für Gott tut. Max: Eben, da hat Gott schon mal einen, der an ihn glaubt und betet und den macht Gott fertig. Das ist doch total bescheuert. Lehrerin: Wer hat denn Schuld an Hiobs Leid? Wer hat ihm denn was angetan? War das nicht Satan? Jana: Gott ist schuld, ganz klar. Max: Gott, wer denn sonst. Er bringt ja den Satan erst auf die Ideen. Domenic: Der Satan kann Gott doch eigentlich nichts anhaben. Gott müsste doch Hiob schützen mit allen Mitteln. Jana: Vielleicht wollte Gott ja nicht, dass es so schlimm kommt. Daniel: Aber er muss doch wissen, wie der Teufel ist. Gott ist doch nicht blöd, der Teufel ist immer schlimm. Jana: Ja, aber dass er gleich alle umbringt, das hat Gott nicht gesagt. Domenic: Aber Gott sieht doch, was der Satan tut. Wer zusieht, ist genauso schuld.

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Max: Erst gibt Gott an mit Hiob und dann tut er ihm so was an. Das ist wirklich Kindergartenniveau. Markus: Ich finde das echt unfair von Gott. Warum schickt er den Satan nicht weg? Warum steht er nicht drüber? Lehrerin: Wer müsste sich denn vor Gericht verantworten Gott oder Satan? Max: Das hat keinen Zweck, dass Sie Gott in Schutz nehmen. Eh, wer so was tut. Wir lernen doch heute was ganz anderes als letzte Stunde. Da kann ich auch Hiobs Frau gut verstehen. Domenic: Also ich würde beide bestrafen, aber Gott viel härter. Der Satan bringt zwar die Kinder um, aber Gott, der hat alles verursacht und zugeschaut, obwohl er Gott ist. So was macht Gott nicht. Daniel: Ich würde beide gleich bestrafen. Anstiftung und Ausführung – das ist beides gleich schlimm. Lehrerin: Nun hat diesen Text ja nicht Gott selbst geschrieben, sondern er stammt von Menschen, die so über Gott gedacht haben. Welche Antwort haben diese Menschen auf die Frage nach der Ursache von Leid? Jana: Auf jeden Fall, dass Gott nichts dagegen tut. Dass Gott auch einen Unschuldigen wie Hiob einfach ausliefert. Das ist grausam. Daniel: Ist doch klar, Gott will zeigen, dass Hiob immer zu ihm hält, wie ein … weiß nicht, wie ich sagen soll. Max: Also wenn das wirklich so ist, dann versteh ich den Hiob nicht. Wenn Gott unbedingt gegen den Satan gewinnen muss, wie ein kleiner Junge, dann ist er nicht Gott …

Ohne hier eine umfängliche Analyse des Gesprächs leisten zu können oder die Redebeiträge der einzelnen Schüler zu differenzieren, möchte ich einige Beobachtungen zusammenfassen. Die in den Dialogen zwischen Gott und Satan anklingende Antwort auf die

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Theodizeefrage lehnen Jugendliche ab. Sie provoziert deutlichen Widerspruch. Die Schüler und Schülerinnen distanzieren sich durchweg von Gottes Umgang mit Hiob bzw. von seinen Zugeständnissen gegenüber dem Satan. (Max: »Was ist denn das für ein Gott?«) Zum Teil geschieht dies in drastischer Sprache (Max: »Das ist doch total bescheuert«), in einigen Äußerungen schwingt Entsetzen und Fassungslosigkeit über Gott mit. (Max: »Das kann doch nicht sein. Eh, ich fass’ es nicht«; Jana: »Ich … Nein … Gott ist schuld, dass Hiobs Kinder sterben mussten.«) Das hier gezeichnete Gottesbild bricht offensichtlich deutlich mit bisherigen eigenen Vorstellungen. (Domenic: »Also, das hätt ich nicht von Gott erwartet«; Max: »Das kann doch nicht sein.«) Von Gott wird etwas anderes erwartet. Das lässt sich an vielen Beispielen zeigen. (Domenic: »Das bedeutet ja, Gott ist schuld, dass Hiob alles verliert«; Jana: »Ich … Nein … Gott ist schuld, dass Hiobs Kinder sterben mussten«.) Gott wird nicht in diesem Sinne schuldig vorgestellt. (Max: »dass sich Gott vom Teufel reizen ließ, also, das ist ja wie im Kinder-garten« »Erst gibt Gott an mit Hiob und dann tut er ihm so was an. Das ist wirklich Kindergartenniveau«.) Gott steht eigentlich über derart menschlichen Verhaltensweisen. (Domenic: »Gott müsste doch Hiob schützen mit allen Mitteln.«) Gott schützt Menschen und trägt nicht dazu bei, dass Menschen Leid geschieht. (Daniel: »Aber er muss doch wissen, wie der Teufel ist. Gott ist doch nicht blöd.«) Gott kennt die Absichten anderer, insbesondere im Falle des Teufels. Schließlich verliert das Reden über Gott alle Scheu. (Domenic: »So was macht Gott nicht«; Max: »Dann

ist er nicht Gott«.) Gott wird ohne Zögern schuldig gesprochen. (Jana: »Gott ist schuld, ganz klar«.) Sie sucht als einzige in Ansätzen nach einer möglichen Erklärung für Gottes Verhalten (»Vielleicht wollte Gott ja nicht, dass es so schlimm kommt«). Für andere muss Gott bestraft werden. (Domenic: »Also ich würde beide bestrafen, aber Gott viel härter«.) 3.4 Jugendliche und Theodizeen – eine Einordnung der Ergebnisse

Alle Jugendlichen, die von sich sagen, sie glauben an Gott oder Gottes Existenz bejahen, for-mulieren eine Antwort auf die Theodizeeproblematik, bei der sie Gott nicht ursächlich für das Leid verantwortlich machen und andere Gründe für die Existenz von Leid benennen. Sie pas-sen Gottes Eigenschaften so an, dass sie vereinbar sind mit der Existenz von Leid. Gott erle-ben sie zum Teil als hilfreich im Leid oder können sich dies zumindest vorstellen. Die Rolle des Menschen ist im Verhältnis zu Gott zumeist aktiv vorgestellt. Von der Entscheidung des Menschen für oder gegen Gott hängt für diese Jugendlichen viel ab. Gott und Leid sind vereinbar, diese Richtung wird, so zeigt der Text-Vergleich, weiter ausge-baut, die Frage nach den Ursachen von Leid zurückgedrängt, stattdessen betont, dass Leid bewältigt werden muss. Gott kann hier hilfreich sein. Es besteht Interesse bis großes Interesse an der Theodizeefrage (Typ 1, zum Teil auch der hier nicht vorgestellte Typ 2). (Fast) alle Jugendlichen, die von sich sagen, sie zweifeln oder glauben nicht an Gott oder die Gottes Existenz ver-

Krasselt-Maier Jugendliche und Theodizeen

neinen, formulieren eine Antwort auf die Theodizeeproblematik, bei der sie Gott ursächlich mit dem Leid in Verbindung bringen und ihm vorwerfen, dass er nichts gegen das Leid tut, er doch das Leid auf der Welt verhindern müsste oder im Leid helfen könnte. Einige erklären auch, dass Gott nicht existiert und er deswegen auch nicht für das Leid ver-antwortlich sein kann. Zweifel und Desinteresse an Gott, so zeigt der Vergleich der Anfangs- und Schlusstexte, verstärken sich. Es besteht insgesamt kein oder wenig Interesse an der Theodizeefrage (Typ 4). Insgesamt zeigt die Untersuchung eine große Verschiedenheit im Denken Jugendlicher in Bezug auf die Theodizeeproblematik. Die Anstöße im Religionsunterricht werden sehr unterschiedlich aufgenommen. Dies steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Konfessions- oder Religionszugehörigkeit bzw. Religionslosigkeit der Jugendlichen. Im Vergleich zur Untersuchung Nipkows in den 80er Jahren ist die Theodizeefrage nach wie vor eine bedeutsame Frage und kann auch zur entscheidenden Einbruchstelle des Glaubens werden (Typ 4). Sie muss es aber keineswegs, da Jugendliche auch Antworten auf diese Problematik finden, die für sie den Glauben an Gott weiterhin sinnvoll erscheinen lassen (v.a. Typ 1 und 2). Unter Jugendlichen, die Interesse am Glauben an Gott haben, scheint letzteres zu überwiegen und die Theodizeefrage zwar eine Herausforderung, aber keine Einbruch- oder gar Abbruchstelle für den Glauben zu sein. Die Hauptergebnisse der Studie von Ritter, Hanisch u.a. zur Theodizeefrage lassen sich insofern wiederfinden, als die

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Bedeutung der Theodizeefrage für viele Jugendliche, aber längst nicht für alle, insgesamt weniger dramatisch erscheint. Die Ursachen, soweit bisher erkennbar, können zwar in einem Gottes- und Weltbild mit deistischen Zügen begründet liegen (»Er schenkte uns alles, um leben zu können, aber wir müssen ab diesem Zeitpunkt um uns selbst kümmern und ihm vertrauen. Wir sind die Hüter der Erde und sind auf uns allein gestellt«, Text 1), dies scheint aber keineswegs der einzige oder vorherrschende Grund zu sein. Viele Jugendliche versuchen individuelle Antworten auf die Theodizeefrage zu finden. Dabei spielt die Vorstellung, dass Gott Menschen im Leid hilft, prüft oder die Frage nach dem Leid letztlich nicht zu klären ist, ebenso eine Rolle wie die deistische Konzeption. Das Thema Jugendliche und Theodizee ist bereits innerhalb einer Schulklasse vielfältig und differenziert, so dass eine genaue Wahrnehmung seitens des Lehrers von großer Bedeutung ist und die Jugendlichen voneinander sehr viel lernen können. Die Breite der Ergebnisse der Studie von Eva-Maria Stögbauer, die sieben verschiedene Typen im Umgang mit der Theodizeefrage aufzeigt, deutet sich auch in den hier untersuchten Texten an. Typ 1 zeigt Gemeinsamkeiten mit Merkmalen der Gottesbekenner (persönlicher Glaube an Gott, Gott im Leid erfahrbar) und der Gottessympathisanten (Gott existiert, Differenzierung der Handlungssphären von Gott und Mensch). Typ 2 hat keine Entsprechungen. Typ 3 zeigt Gemeinsamkeiten mit Merkmalen der Gottesneutralen und Gotteszweifler (Fragen bleiben offen, Suche nach Ver-

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träglichkeit von Gott und Leid und zugleich Wahrnehmung der Diskrepanz). Typ 4 schließlich weist Gemeinsamkeiten mit Merkmalen der Gottesverneiner (Zweifel bis Ablehnung Gottes, allgemeiner Atheismus) und der Gottespolemiker (Theodizeefrage demaskiert Gott) auf. Nach meiner Erfahrung braucht die Theodizeeproblematik viel Zeit und

Raum im Religionsunterricht der 9. oder 10. Klasse. Der jugendtheologischdidaktische Ansatz bietet die Chance, die Fragen und Antworten von Jugendlichen differenziert wahrzunehmen und geeignete theologische Impulse zu geben, so dass die Entwicklung des eigenen Glaubens altersangemessen weitergehen kann.

Anhang 1

Im Unterricht vorgegebener Ausgangstext: Eine Siebzehnjährige schreibt: Als ich klein war, erzählte man mir von Gott und seinen Wundern. Wie er die Welt, die Menschen, die Tiere, die Erde, das ganze Weltall geschaffen habe und wie wir dafür den Schöpfer loben und ihm danken müssten. Als ich klein war, war ich überzeugt von Gott. Ich glaubte an ihn, seine Macht, seine Güte, seine Gerechtigkeit. Ich wurde größer und erkannte alle Not und alles Elend um mich – da begann ich zu zweifeln. Und heute? Heute bin ich 17 und kann nicht mehr an die Märchen glauben, die sie mir von Gott erzählt haben. Wenn es Gott gibt, wenn es Gerechtigkeit gibt, warum denn die große Ungerechtigkeit auf unserer Erde? Warum leben wir in einem solchen Chaos? Man sagte mir: Gott liebt die Menschen … Wenn Gott die Menschen liebt, warum hilft er uns dann nicht? Warum zeigt er uns nicht den rechten Weg? Ist es nicht besser, wenn wir nicht mehr auf Gottes Hilfe warten, sondern selber versuchen uns zu helfen? Ich bin heute so weit, dass ich nicht mehr auf Gottes Hilfe warte. Vielleicht ist es mir später wieder einmal möglich seine Güte anzuerkennen. Aber heute lehne ich ihn ab. Meine Zweifel sind zu groß. Vielleicht hilft mir einmal jemand diese Zweifel zu beseitigen und mich zu Gott zurückzuführen. (Babette,17) Aus: Ernst Kappeler (Hg.), Es schreit in mir. Briefdokumente junger Menschen, 2. Aufl. Zürich 1979, 321f

Krasselt-Maier Jugendliche und Theodizeen

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Anhang 2 Fragebogen Hiob widerfährt furchtbares Unheil und Leid. Im Unterricht haben wir verschiedene Antworten auf die Frage kennen gelernt, in welchem Zusammenhang Gott und Hiobs Leid stehen könnten. Ich bitte dich nun abschließend nochmal vier dieser Antwortversuche in den Blick zu nehmen und dich selbst zu ihnen zu positionieren. Formuliere jeweils ausführlich, ob du dieser Antwort zustimmen kannst, nur teilweise zustimmen kannst oder sie ablehnst. Begründe jeweils deine Meinung. 1. Hiob akzeptiert sein Unglück und nimmt es im Vertrauen auf Gott an. » Jahwe hat gegeben, und Jahwe hat genommen, der Name Jahwes sei gepriesen« (Hiob 1,21). 2. Gott lässt den Satan gewähren, um zu zeigen, dass Hiob sich auch im Leid nicht von Gott lossagen wird. Leid dient der Prüfung von Hiobs Glauben. 3. Hiobs Freunde sind der Überzeugung, dass Hiob in irgendeiner Weise gesündigt haben muss. Leid dient als Zucht- und Erziehungsmittel, damit Hiob begreift, dass er sich wieder Gott zuwenden muss. 4. Leid ist letztlich nicht verstehbar. Kein Mensch kann Gott und seine Schöpfung vollständig begreifen. Gott zeigt sich Hiob als der Allmächtige in jeder Hinsicht. Ich bitte dich nun unseren Ausgangstext einer 17jährigen noch einmal zu lesen und nochmal zu beantworten. Zum Schluss interessiert mich noch, welche Rolle die Frage nach einem evtl. Zusammenhang von Leid und Gott für dich im Moment ganz persönlich spielt. Trage zunächst auf einer Skala ein, welche Bedeutung die Theodizee-Problematik (also die Frage nach Gott angesichts des Leides auf der Welt) für dich im Moment hat (0 = keine Bedeutung; 6 = sehr große Bedeutung). 0 1 2 3 4 5 6 Begründe deinen Eintrag auf der Skala ausführlich.

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Nadja Troi-Boeck »Es kann ja jeder glauben, was er will« Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte 1. Positive Einstellung zur Pluralität

Jugendliche in Deutschland und in der Schweiz haben generell eine positive Einstellung gegenüber religiöser Vielfalt. Das belegen sowohl quantitative als auch qualitative Studien, in denen Jugendliche zu ihrer Haltung bezüglich religiöser Pluralität befragt wurden.1 Die umfassende Befragung im Rahmen der VROID-MHAP2-Studie brachte für die Deutschschweiz folgende Ergebnisse: Jugendliche erleben religiöse Pluralität in ihrem Alltag, vermehrt trifft das auf den urbanen Raum zu. Kontakt haben die Jugendlichen aber am häufigsten mit Jugendlichen derselben Religionsgruppe, das gilt sowohl für christliche, muslimische, hinduistische und jüdisch sozialisierte Jugendliche.3 Ein klarer Zusammenhang besteht zwischen der Kontakthäufigkeit zu Andersgläubigen und den Vorbehalten, sie in eigenen Freundeskreis haben zu wollen. Freikirchliche Jugendliche haben am seltensten Kontakt zu Andersreligiösen.4 Im urbanen Lebensraum haben die Jugendlichen aller christlichen Konfessionen signifikant mehr interreligiöse Kontakte, nicht aber Muslime/innen und Hindus.5 Die Gesamtgruppe der insgesamt 750 befragten Jugendlichen der Deutschschweiz stimmt religiöser Pluralität (Gesamtgruppe: M = 3.85, SD = 1.12) signifikant mehr zu als christlicher Dominanz (M =

3.14, SD = 1.38).6 Mädchen und Jugendliche aus urbanen Lebenskontexten sind in dieser quantitativen Erhebung der religiösen Pluralität gegenüber positiver eingestellt.7 Durch eine Korrelationsanalyse konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass sowohl muslimische als auch christliche Jugendliche, die häufiger Kontakte 1 Vgl. z.B. Hans-Georg Ziebertz / William K. Kay (Hg.), Youth in Europe II. An international empirical Study about Religiosity, Berlin 2006, 72; Oliver Demont / Dominik Schenker, Ansichten vom Göttlichen. 22 Jugendliche, Zürich 2009, 194; Schweizerischer Nationalfonds (Hg.), Religion in der Schule, Religiosität von Jugendlichen und Grenzziehungsprozesse in einer religiös pluralen Schweiz. Forschungsresultate aus ausgewählten Projekten des Nationalen Forschungsprogramms »Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft« (NFP 58), Themenheft III Belp 2011, 29; Eva Zimmermann, Religiosität im Selbstverständnis Jugendlicher: Glaube, Skepsis und wohltemperiertes Interesse, in: Christoph Käppler / Christoph Morgenthaler (Hg.), Werteorientierung, Religiosität, Identität und die psychische Gesundheit Jugendlicher, Stuttgart 2013, 43; Sabine Zehnder-Grob, Jugendliche in der Deutschschweiz und ihre Religiosität, in: Christoph Käppler / Christoph Morgenthaler (Hg.), Werteorientierung, Religiosität, Identität und die psychische Gesundheit Jugendlicher, Stuttgart 2013, 70–74. 2 Values and Religious Orientations in relation to Identity Development and Mental Health – Adolescents’ Perspectives. 3 Vgl. Sabine Zehnder-Grob (wie Anm. 1), 70. 4 Vgl. ebd. 5 Vgl. ebd. 6 Vgl. ebd., 71. 7 Vgl. ebd.

Troi-Boeck Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte

zu Andersreligiösen haben, interreligiöses Zusammenleben stärker befürworten, wogegen dieser Zusammenhang bei Jugendlichen ohne Religionszugehörigkeit nicht signifikant beobachtet werden konnte.8 60,9% der Befragten sind von der Gleichwertigkeit aller Religionen überzeugt und bekunden somit eine grosse Toleranz.9 Auch hier ist der Zusammenhang zwischen Ablehnung der Gleichwertigkeit und der Stärke der Religiosität nach der Zentralitätsskala signifikant.10 Deutlich ausgeprägte Religiosität ist aber eher begründungspflichtig unter Jugendlichen als religiöses Desinteresse.11 Aber wie gehen Jugendliche mit Meinungsverschiedenheit in Glaubensfragen konkret um? Können sie die Diversität positiv für ihre Meinungsbildung gebrauchen oder entsteht doch ein Druck der Peergroup, der andere Meinungen zum Schweigen bringt? In meiner Studie zur Bibelrezeption Jugendlicher stand diese Frage nicht primär im Vordergrund. Aber es fiel nach der Feldphase sofort auf, dass in beinahe allen Interviews ein Abschnitt vorkommt, in dem Jugendliche äußern, dass sie unterschiedliche religiöse Meinungen befürworten, ja für selbstverständlich halten. Allerdings wurden diese Formulierungen im Interview von den Jugendlichen teilweise unterschiedlich gebraucht und hatten andere Auswirkungen auf die laufenden Diskussionen. Deshalb sollen diese Abschnitte aus Diskussionen der Konfirmand/innen genauer in den Blick kommen, obwohl oder gerade weil sie als Gruppe von der religiösen Sozialisation her relativ homogen sind und alle einen christlichen Hintergrund haben. Grösstenteils haben sie durch ihre Herkunfts-

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familien wenig religiöses Wissen bzw. religiöse Praxis mitbekommen. Trotzdem ist auch in diesen Klassen eine religiöse Diversität zu entdecken, wenn die Zentralitätsskala zur Messung der Religiosität beigezogen wird. Je nach Bewusstheitsgrad und dem herrschenden Respekt gegenüber dieser Diversität verlaufen die Diskussionen sehr unterschiedlich. Leitende Frage für den vorliegenden Artikel ist deshalb: Wie führen die Jugendlichen das Thema Diversität in die Diskussion ein und welchen Einfluss hat es auf den Fortgang der Diskussionen? Und wie gehen die Jugendlichen mit religiöser Diversität in ihrer Konfirmationsgruppe um? 2. Vorgehen 2.1 Dokumentarische Methode

Die analysierten Interviewausschnitte dieses Artikels stammen aus meinem Forschungsprojekt zum Thema Bibelrezeption von Jugendlichen. Für das Forschungsprojekt haben Konfirmand/in­ nen einen Bibeltext gelesen. Sie wurden dann gebeten, darüber zu diskutieren. Die Interviews sind in neun Konfirmationsgruppen durchgeführt worden. Eine Gruppe entsprach in den meisten Fällen einer halben Konfirmationsklasse. Die befragten Jugendlichen stammen aus vier Kantonen der Schweiz (Thurgau, Zürich, Fribourg, Bern) und gehören so8 Vgl. ebd. 9 Vgl. ebd., 72 und 78f. 10 Vgl. ebd. 11 Vgl. ebd., 79. Siehe auch Dominik Schenker (wie Anm. 1), 193.

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Religionspädagogische Anregungen

wohl städtischen Kirchengemeinden als auch Kirchengemeinden in Agglomerationen und Dörfern an. Es gab gemischte Gruppen mit Jungen und Mädchen sowie Gruppen mit nur Mädchen bzw. Jungen. Die Jugendlichen in den Gruppen kannten sich jeweils schon über mehrere Jahren aus der kirchlichen Unterweisung und häufig auch aus der Schule. Die Diskussion war nach der erzählgenerierenden Einstiegsfrage frei. Während des Gesprächs wurden nur wenige, möglichst immanente Zwischenfragen durch die Interviewerin gestellt, wenn es darum ging, den Gesprächsfluss zu aktivieren. Oder es handelte sich um explizite Nachfragen zu Widersprüchlichkeiten oder Unverständlichem. Erst wenn die Gruppe ihre Gesprächsrunde beendet hatte, wurden exmanente Fragen gestellt. Als Bibeltext wählte ich die Erzählung vom Ostermorgen aus dem Johannesevangelium (Joh 20,1–18). Diese Auswahl bringt die Auferstehung als Proprium des christlichen Glauben in all seiner Komplexität, Schwierigkeit und Unverständlichkeit als Thema ein, insofern wirkte der Bibeltext themengenerierend für die Diskussion der Jugendlichen.12 Die Interviews wurden nach den Vorgaben der dokumentarischen Methode geführt und sowohl in Ton als auch Bild festgehalten. Danach wurden sie transkribiert und dabei aus dem Dialekt ins Hochdeutsche über­ setzt. Transkiptionszeichen, die auch unten in Zitaten vorkommen sind: (.) für Pause, (?) für unverständlich, @.@ für Lachen. Es folgten die thematischen Gliederungen. Die Feinanalyse geschah wieder nach den Vorgaben der dokumentarischen Methode durch eine formulierende und eine reflektierende Interpretation. Für diesen Artikel wurden

die thematisch passenden Abschnitte aus drei Interviews feinanalysiert. 2.2 Quantitativer Frageteil

Nach den Interviews erhielten alle beteiligten Jugendlichen noch einen quantitativen Fragebogen. Dieser enthielt Items zur Erhebung der Zentralität der Religiosität.13 So konnte von allen Teilnehmenden erhoben werden, ob sie nicht religiös (1.0–2.0), religiös (2.1–3.9) bzw. hoch religiös (4.0–5.0)14 sind, des Weiteren gab es Items zur religiösen Sozialisation, zum 12 Die Frage, inwiefern sich die Jugendlichen theologisch äußern und um was für eine Theologie es sich in diesem Fall handelt, kann an dieser Stelle nicht ausführlich behandelt werden. Siehe dazu meine Ausführungen in Nadja Troi-Boeck, Empirische Zugänge. Lesen Jugendliche Bibel?, in: Nadja Troi-Boeck / Andreas Kessler / Isabelle Noth (Hg.), Wenn Jugendliche Bibel lesen. Jugendtheologie und Bibeldidaktik, Zürich 2015, 23–33. 13 Zur Zentralität der Religiosität siehe Stefan Huber, Zentralität und Inhalt. Ein neues multidimensionales Messmodell der Religiosität, Opladen 2003; Stefan Huber, Kerndimensionen, Zentralität und Inhalt. Ein interdisziplinäres Modell der Religiosität, in: Journal für Psychologie 16 (2008), 1–17; Stefan Huber, The Centrality of Religiosity Scale, in: Religions 3 (2012), 710–724. Die Fragen waren: Wie stark glaubst du, dass es Gott oder etwas Göttliches gibt? (Ideologie); Wie häufig betest du? (private Praxis); Wie häufig nimmst du an religiösen Feiern teil (Gottesdienst in der Kirche bzw. Synagoge, Gemeinschaftsgebet in der Moschee, Ritualen im Tempel usw.)? (öffentliche Praxis); Wie oft denkst du über religiöse Themen nach? (Intellekt); Wie oft erlebst du Situationen, in denen du das Gefühl hast, dass »Gott« oder etwas »Göttliches« in dein Leben eingreift? (Erfahrung); Wie oft hast du das Gefühl, mit allem Eins zu sein? (Erfahrung). 14 Auf einer Skala von 1.0 bis 5.0. Vgl. dazu Stefan Huber (wie Anm. 13), 720.

Troi-Boeck Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte

Gottesbild und insbesondere zu Bibelgebrauch, Bibelwissen und Einstellung zur Bibel. Die Items zur religiösen Sozialisation und zum Gottesbild, sowie zur Zentralitätsskala durfte ich dankenswerterweise dem Fragebogen der VROIDMHAP Jugendstudie entnehmen (s.o.). Da mein Sample für eine quantitative Untersuchung nicht repräsentativ ist, kann ich es auf diese Weise aber in den Kontext einer bereits durchgeführten, repräsentativen Jugendstudie setzen und so die Ergebnisse des Fragebogens zur Ergänzung des Kontextes der diskutierenden Jugendlichen nutzen. 3. Diversität als Thema im Interview

Aus dem Gesamtsample habe ich drei Interviews ausgewählt. In ihnen findet sich jeweils ein Abschnitt, in denen ein/e Jugendliche/r die Proposition macht, dass es allen freigestellt ist, zu glauben, was sie wollen. Es spricht sich also eine Person jeweils explizit für die Diversität in Glaubensüberzeugungen aus. Die Interviews zeigen eindrücklich, dass diese Proposition jeweils unterschiedlichen Einfluss auf den Interviewverlauf hat, da sie unterschiedlich eingeführt werden. 3.1 Gruppe 1: Diversität – ist doch alles egal

Die Gruppe W1 ist eine reine Jungengruppe. Sie sind alle Konfirmanden derselben Konfirmationsklasse in einer grösseren Stadt im Kanton Zürich. Von der Gesamtklasse haben sich diese sieben Jungen für das Interview bereit erklärt.

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Nachdem sie den Text gehört haben, entwickelt sich sofort eine Diskussion darüber, wie der Text zu erklären sei, denn J1 bringt als erste Proposition ein, dass die Auferstehung nicht beweisbar ist. Deshalb glaubt er nicht daran. Er sucht nach anderen Erklärungen, die für ihn die Geschichte verständlich machen würden und bleibt dabei auf einer historisierenden und psychologisierenden Ebene: J1: »Dass er wieder auferstanden ist. [glaubt er nicht Anm. A.] Ich denke, dass irgendwelche Leute (.) Wenn es echt passiert wäre, das kann ja niemand beweisen, denke ich, dass die Leute den Stein weggerollt haben und ihn mitgenommen haben. Und dass die Frau, um ihre Trauer zu lindern, das den anderen gesagt hat, dass sie ihn gesehen hat und so, dass er jetzt zum Vater hinaufgegangen ist. Ja, das wär’s gewesen.« Mit dem saloppen »Ja, das wär’s gewesen« macht J1 deutlich, dass er glaubt, damit den Text erfasst zu haben und es nichts mehr dazu zu sagen gibt. Seine Proposition regt dafür aber die Gruppe an, weiter zu diskutieren. Die Proposition wird sowohl zustimmend aufgenommen als auch hinterfragt. Warum denn alles Sinn machen müsse, fragt J2. Damit deutet er eine Differenz an: Auch wenn er die Erklärung von J1 nicht ablehnt, für die Erklärung der Geschichte müsse nicht die Frage nach Sinn oder Beweisbarkeit im Vordergrund stehen. Trotzdem nimmt J2 seinen eigenen Gesprächsvorschlag nicht weiter auf, sondern wagt nun eine Glaubensaussage. Die Stimmung der Diskussion hat ihn dazu befähigt, denn er hat gesehen, dass die Diskussion bisher ernsthaft geführt wurde, alle Äußerungen wurden stehengelassen. J2 sagt, er glaubt nicht an Gott und auch nicht

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an die Geschichte, sondern er glaubt an Fakten. So ein Fakt sei für ihn, dass der Mensch vom Affen abstammt. Damit entwickelt er die Proposition von J1 weiter, denn Beweisbarkeit braucht Fakten. J1 fühlt sich verstanden und unterstützt J2s Aussage. Dadurch ist J2 ermutigt, nun seine Erklärungen für die Auferstehungsgeschichte vorzubringen. Er nimmt dafür den psychologisierenden Vorschlag von J1 auf, dass Maria sich alles nur eingebildet habe, und zeigt, dass er sich sehr gut in ihre Situation hineinversetzen kann: J2: »Die Frau, die ihn gesehen hat. Vielleicht hat sie so sehr gewollt, dass es nicht wahr ist, dass sie ihn nicht mehr gesehen hat, hat sie ihn sich vielleicht eingebildet. Dann hat er nur das gesagt, was sie hören wollte und was sie den Jüngern erzählen wollte.« Die Diskussion zwischen J1 und J2 wird von den anderen fünf Jungen aufmerksam verfolgt. Sie sind bei der Sache, was man auch daran merkt, dass sie zwischendurch Kommentare einwerfen, die direkt mit dem Text zu tun haben. J7 meldet sich nun zu Wort und möchte seine Vorschläge einbringen, wie es zu der Geschichte gekommen ist. Er bleibt dabei auf einer historisierenden Ebene. Jesus sei vielleicht gar nicht gestorben und es wäre der falsche aus dem Grab gestohlen worden. Die Jungen interessiert es, was für natürliche Erklärungen es für die Auferstehung geben kann auf einer Ebene der wissenschaftlichen Weltanschauung. Andere Deutungsebenen jenseits von Logik und Beweisbarkeit gehen sie von allein nicht ein. Aber sie suchen weitere Antworten. Das erkennt man auch daran, dass sie nun direkt J5 ansprechen, der auf eine christliche Privatschule

geht. Von ihm erhoffen sie sich eine Art »Expertenmeinung«. Allerdings wird in der Art, wie von der Schule gesprochen wird, deutlich, dass Vorurteile gegenüber Schülern aus der »Christenschule« bestehen. J5 ist deshalb nicht fähig zu antworten und bleibt still. Die etwas despektierliche Art über die christliche Schule zu reden, ermutigt nun J3 zu sprechen. Er macht die Konklusion: J3: »Ich meine, es war ja keiner von uns dort, also weiss ja niemand von uns, ob es (.) […] Wie es war, daher meine ich, kann jeder glauben, was er will. Wenn die Leute glauben, dass er wieder auferstanden ist, dann glauben sie es, und wenn sie es nicht glauben, dann halt nicht. Das finde ich, ist jedem frei überlassen.« Auf der Inhaltsebene besagt J3, dass bei der Frage der Auferstehung Glaubensdiversität normal ist. Die Aufnahme zeigt aber, dass er in einem Tonfall redet, der zusätzlich transportiert, dass es eben deshalb auch egal ist. Es kann jeder glauben, was er will, weil es sowieso nicht beweisbar ist. Die unausgesprochene Botschaft ist, es gibt also auch nichts zu diskutieren. Damit löst er die Frage, was wirklich passiert ist – sie sei nämlich unlösbar. Aber er stellt so die bisherigen Erklärungsversuchte ebenso infrage, dass er sie gleichenfalls nicht für beweisbar hält. Der saloppe Unterton weist darauf hin, dass er eine Diskussion über solche Fragen unsinnig ist. Die Gruppe reagiert sofort auf diesen Einwurf und die Diskussion ist für die nächsten Minuten völlig unterbrochen. Es wird nur noch geäußert, dass man über den Text sowieso nicht diskutieren könne. Reagiert wird nicht auf die eigentlich positive Aussage, dass alle die Freiheit haben, selbst zu wählen, was sie

Troi-Boeck Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte

glauben, sondern auf die Botschaft, die unterliegend durch den Tonfall und die saloppe Wortwahl eingebracht wurde: Es ist also sowieso egal. Erst als J2 sie Frage der Beweisbarkeit wieder aufnimmt, nimmt die Intensität der Diskussion wieder zu. Die Szene macht mehrere Dinge deutlich. Zum einen wird zwar verbal Diversität gutgeheissen, aber es bestehen sichtlich Vorurteile gegenüber einem Jungen, der auf eine christliche Schule geht. Nach der Zentralitätsskala hat dieser keineswegs eine wesentlich höhere Religiosität als die anderen Jungen der Gruppe, aber er ist durch die Schule als »Christ« markiert, weshalb er einerseits als Experte für Glaubensfrage angesprochen wird, andererseits auch als komisch markiert wird. Die Gruppe akzeptiert Diversität in diesem konkreten Fall nicht, obwohl sie verbal bestätigt wird. Zum anderen setzt J3 Diversität mit völliger Beliebigkeit gleich, wodurch sich Diskussionen erübrigen. Damit stellt er die gesamte bisherige Diskussion infrage. Aufmerksam gemacht durch J3s Aussage, ist es den anderen Jungen dann auch unangenehm, über den Bibeltext zu sprechen. Sie drücken nur noch Widerstände gegenüber dem Bibeltext aus. Für einen Moment wird J3s Aussage bestimmend für die Gruppe, sodass die Diskussion fast zum Erliegen kommt. Doch dann finden sie in den Meinungsaustausch zurück, der sie letztlich doch sehr interessiert. Diversität wird in dieser Diskussion nicht positiv eingebracht, sondern blockiert das Gespräch. In der Gruppe ist auch noch kein vorurteilsfreier Umgang mit Diversität in Glaubensfragen entstanden.

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3.2 Gruppe 2: Glaubensdiversität – ist okay

Eine gemischte Konfirmationsgruppe aus einem kleinen Ort in der Westschweiz diskutiert ebenso über die Frage, was am Ostermorgen historisch tatsächlich passiert sein könnte. Die Gruppe besteht aus fünf Mädchen und drei Jungen. Sie kennen sich schon sehr lange, da sie auch in der Schule in dieselbe Klasse gehen. Der Konfirmationsunterricht wird hier innerhalb der Unterrichtszeit der Schule im Klassenverband gegeben. Gegen Ende des Interviews, das eher zäh verlaufen ist, stellt die Interviewerin die exmanente Frage, welchen Sinn die Ostergeschichte heutzutage macht und ob wir sie brauchen. Daraufhin entwickelt sich die Diskussion unter den Schüler/innen, ob man an die Ostergeschichte glauben kann. J3 weist zuerst kurz darauf hin, dass das Osterfest eigentlich ein bekanntes Fest der christlich geprägten Kultur der Schweiz ist. Dann stellt er in den Raum, dass es von der persönlichen Entscheidung abhängig ist, ob man es glaubt. Seine Proposition rückt die persönliche Glaubensentscheidung in den Mittelpunkt. Allerdings nimmt er selbst keine Stellung, wie die Glaubensentscheidung für ihn aussieht. M4 führt daraufhin eine andere Proposition als Opposition ein. Für sie kann die Geschichte erklärbar sein, denn sie hält es für möglich, dass in Marias Vorstellungskraft Jesus wirklich auferstanden ist. Damit wird für sie die Geschichte verständlich. Darauf reagiert M5, dass sie nicht an die Auferstehungsgeschichte glaubt, weil es nicht in ihre Weltanschauung passt. Alles Übernatürliche lehnt sie ab:

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M5: »Ich weiss nicht, an die Auferstehung direkt glaube ich nicht. So etwas wie M4 schon gesagt hat, kann sein, dass man bei einem Toten denkt, man hätte ihn noch einmal gesehen, das schon. Aber so Übernatürliches glaube ich nicht.« M4 und M5 haben eine andere Proposition als J3. Es geht für sie nicht um einen persönlichen Glaubensentscheid. Der Entscheid gegen die Geschichte ist für sie die Haltung, Übernatürliches sei nicht glaubhaft. Sie orientieren sich auf einer rationalen Entscheidungsebene, während J3 sich auf einer individuellspirituellen Ebene äußert. Die Mädchen entwickeln aber ein Erklärungsmodell, wie Maria dazu gekommen sein könnte, zu glauben, dass Jesus auferstanden ist. Es ist dieselbe psychologische Erklärung, wie die Jungen im vorangegangenen Interview vorgebracht haben. Damit bleibt die Auferstehung für die Mädchen unrealistisch, aber sie verstehen, dass die Vorstellungskraft eines trauernden Menschen solche Ideen vorbringen kann. Das passt in ihr Orientierungsmuster hinein. Daraufhin nimmt M1 die Proposition von J3 noch einmal auf und elaboriert sie. Sie ist die Einzige in der Gruppe, die auf der Zentralitätsskala hochreligiös ist. Sie verbindet die Frage, ob man an die Geschichte glaubt, mit der Frage an den Glauben an Jesus: M1: »Ich glaube, wenn man allgemein an Jesus und an die Bibel glaubt, glaubt man es wahrscheinlich. Aber wie M5 gesagt hat, ich weiss nicht, ob ihr an Jesus glaubt. Wenn ihr nicht an diese Geschichte glaubt, glaubt ihr auch nicht an Jesus. Oder?« Mit ihrer Frage fordert nun M1 die anderen direkt zu einer Glaubensaussage heraus und unterstellt ihnen, dass sie nicht an Jesus glauben. Darauf reagiert

M4 ablehnend. Dadurch wird M4s eigene Proposition noch einmal deutlicher. Sie unterscheidet nicht zwischen Glauben und Nicht-Glauben, sondern zwischen beweisbarer Realität und Übernatürlichem. Sie glaubt an das, was für sie erklärbar ist. Der Entscheid über Glaube und Nicht-Glaube auf z.B. einer existentiell-spirituellen Ebene ist in ihrem Orientierungsmuster nicht enthalten. Deshalb nimmt sie zuerst Stellung dazu, ob es Jesus historisch gegeben hat. Das ist ihre Antwort innerhalb ihres Orientierungsmusters auf die Frage, ob sie an Jesus glaubt. Sie sagt: M4: »Das ist eine recht schwierige Frage. Ich weiss auch nicht. Ich glaube, es könnte möglich sein, dass er existierte. Aber mich dünkt all das, auch dass er Menschen heilte, einfach ein bisschen übernatürlich. Etwas, was für mich einfach nicht passt in die Welt, wie ich sie sehe. Daher finde ich es (.) Ich finde es eine schöne Geschichte und wenn man daran glaubt, finde ich es okay, ich habe nichts dagegen. Aber ich persönlich glaube nicht wirklich daran.« Nach dieser Klärung der Orientierungsrahmen ist es ihr wichtig, andere Orientierungsrahmen anzuerkennen: Wenn man daran glaubt, finde ich es okay. M4 nimmt bewusst wahr, dass M1 eine andere Glaubenseinstellung hat als sie selbst. M1 ist die einzige hochreligiöse in der Gruppe (4.6) (Gesamtgruppe G1: M 2.65, SD: 1.0). M4 unterstreicht deutlich, dass Glaubensdiversität für sie absolut in Ordnung ist. Erst danach nimmt sie ganz persönlich Stellung: Sie glaubt nicht an die Auferstehung. Bevor sie eine Glaubensaussage wagt, ist es ihr wichtig, sich abzusichern, dass niemand denkt, sie würde durch ihre Positionierung andere Glaubenseinstellungen verurteilen.

Troi-Boeck Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte

Ganz anders als in Gruppe 3 bringt M4 hier die Diversität positiv ins Spiel. Sie will keine Gesprächspartnerin verurteilen. Deshalb klärt sie ihre Haltung zur Diversität sogar, bevor sie selbst ganz explizit Stellung bezieht. Es wird trotzdem deutlich, dass M1s Proposition, dass der Glauben an Jesus und an die Geschichte dasselbe sind, ihr fremd ist. Sie verurteilt die ihr fremde Haltung jedoch nicht. Dadurch bleibt M1 weiter in der Diskussion und wird nicht zum Schweigen gebracht. 3.3 Gruppe 3: Diversität – dann kann ich ja sagen, was ich denke

Die dritte Gruppe ist eine Konfirmationsklasse aus einer kleinen Gemeinde nahe Zürich. Es sind drei Jungen und sieben Mädchen, die sich auch aus der Schule kennen, aber es gehen seit dem Ende der Primarschule nicht alle in dieselbe Klasse bzw. Schule. Während des Interviews sind besonders vier Jugendliche aktiv dabei und diskutieren, während die anderen mehrheitlich schweigend, aber sehr aufmerksam zuhören. Zu Beginn des Interviews stellt J1 die Frage, wer denn der Vater sei, zu dem Jesus gehen will, wie es im Text heisst (Joh 20,17). Daraufhin entwickelt sich eine Diskussion um diese Fragen, die schnell als Hauptthema die Jungfrauengeburt hat. Darüber sagt J1: »[…] was schon mal (.) zu hundert Prozent nicht wirklich geht (.) das ist schon das, der ganze Anfang ist unlogisch von der Geschichte.« Nachdem M1 und J1 eine Weile diskutiert haben, wobei M1 vor allem über die Jungfrauengeburt lacht, sagt J1 dann:

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»Also ich denke jetzt einfach, das ist eine Glaubenssache, ob man an so etwas glaubt oder nicht.« J1 verändert sein Orientierungsmuster an dieser Stelle. Es geht nicht mehr um »möglich« oder »unmöglich« aus einer naturwissenschaftlich-historisierenden Perspektive, sondern um die Einordnung der Erzählung über die Jungfrauengeburt als eine Sache der Glaubensüberzeugung. Er zeigt an dieser Stelle, dass er sogar Erklärungen dafür kennt, warum man an die Jungfrauengeburt glauben könnte: »Es könnte ja sein, dass die einen jetzt sagen, also sehr viel sagen ja, es sei wegen Gott und seiner Kraft und dass er halt so etwas kann. Für sie, so Leute (.), und dass das jetzt eine Botschaft gewesen sei für uns, so etwas.« Deutlich grenzt sich J1 von dieser Meinung ab, durch »es könnte ja so sein …« »die einen« »so Leute«. Er selbst ist nicht dieser Überzeugung, aber er wertet diese Glaubenshaltung nicht ab. Seine eigene Glaubenshaltung gibt er nicht preis, ermöglicht aber durch die Ausführung dieser möglichen Glaubenseinstellung M1, ihre Meinung zu äußern, weil er deutlich macht, es ist Glaubenssache. Deshalb gibt es viele Ansichten. M1: »Ich glaub nicht an den Text, ich finde ich (?) keine Ahnung ich geb J1 recht, ich finde (.) keine Ahnung, heute (.) ich bin nicht für etwas was man nicht beweisen kann (.), also (.) alles was man beweisen kann, ist real, was man nicht beweisen kann ist nicht real (.) @.@« M1 nimmt ganz persönlich Stellung. Sie nimmt dabei die erste Proposition von J1 auf und entwickelt sie weiter, die Unterscheidung zwischen »beweisbar« und »nicht beweisbar« ist ihr positiver und negativer Horizont. Sie hält für real,

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Religionspädagogische Anregungen

was beweisbar ist. Glauben bewegt sich für sie auf dieser Ebene. Da M1 deutlich markiert, dass sie von sich selbst spricht, wertet sie aber andere Haltungen nicht ab. Trotzdem scheint es ihr nicht vorstellbar, dass Weltdeutung auf einer anderen Ebene als der wissenschaftlichen Weltsicht stattfinden kann. M1s persönliche Stellungnahme ermöglicht wiederum M2, sich zu Wort zu melden. Sie hatte bisher im Interview noch geschwiegen. Sie nimmt nun ebenfalls ganz persönlich Stellung. Dabei führt sie die Aussagen von M1 und J1 zusammen: M2: »Also ich glaub auch nicht dran an den (.) [den Text Anm. A.] Aber wenn jemand daran glaubt, dann ist ja. Es kann je… jeder glauben, was er will. […] Und ich glaub nicht dran, weil es unlogisch ist. Für mich ist es drum unlogisch, aber es kann ja, für andere Menschen kann es ja voll logisch sein. Einfach jeder hat eine andere Sicht.« M2 führt die Proposition von M1 weiter aus, sie glaubt nicht an den Text, weil er unlogisch für sie ist, also ihrem Weltdeutungsmuster nicht entspricht. Aber sie nimmt auch J1s Proposition auf, dass es andere Perspektiven gibt. Es ihr wichtig, explizit zu sagen, dass das auch in Ordnung für sie ist. Andere Menschen halten die Geschichte für logisch und glauben deshalb daran. Den Vorschlag von J1, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens an Gott auch an Auferstehung glauben, also jenseits der Frage nach »logisch« oder »unlogisch«, ist M2 nicht zugänglich. Es ist ihr nicht möglich, über ihren eigenen Orientierungsrahmen hinauszudenken. Nach diesen sehr persönlichen Stellungnahmen wirft M1 eine neue Frage ein, indem sie sagt, es müsse ja alles mal einen Anfang gehabt haben. Sie erfragt

so die Orientierungsmuster ihrer Mitschüler/innen zum Thema »Weltentstehung«, das nun neues Diskussionthema wird. M1s Frage ist so gestellt, dass sie eine Offenheit für verschiedenste Deutungsebenen lässt. Die anderen steigen darauf ein und es entspannt sich eine kurze Diskussion über Schöpfung vs. Evolution. Dabei bleiben aber alle wiederum auf der naturwissenschaftlichen Ebene und gehen nicht auf M1s Angebot ein, andere Sinngebungszusammenhänge zu überlegen. Auch für diese Jugendlichen ist die Diversität in Glaubensüberzeugungen selbstverständlich. Die Ausführung von J1, dass verschiedene Haltungen möglich sind, hilft den Jugendlichen, sich zu öffnen und ihre persönlichen Einstellungen preiszugeben. In einer Peergroup setzen sich Jugendlich durch die Preisgabe von Glaubensüberzeugungen der Gefahr aus, nicht ernstgenommen oder verlacht zu werden. Vielleicht fällt den Jugendlichen dieser Gruppe auch deshalb der Wechsel auf eine andere Ebene der Weltdeutung schwer, weil die Sicht »logisch-unlogisch« die dominante Weltdeutungsperspektive in der bisherigen Diskussion ist und J1 die Deutung des Textes als Gottes Werk als Glauben der anderen (so Leute) definiert. Zu »so Leuten« will keiner der Jugendlichen gehören. 4. Umgang mit Diversität in der Spannung zwischen Selbstverständlichkeit und Herausforderung

Die Konfirmationsgruppen sind nicht divers in ihrer Religionszugehörigkeit, aber in ihrer Religiosität. Sie sind sich dieser Diversität teilweise bewusst, es wird

Troi-Boeck Diversität in Gruppendiskussionen von Jugendlichen über die Ostergeschichte

aber unterschiedlich damit umgegangen. In der ersten Gruppe wird sie negativ konnotiert, obwohl der Junge, der in die christliche Privatschule geht, laut der Zentralitätsskale nicht viel religiöser ist als die anderen (2.6). Die anderen bewegen sich auf dieser Skala zwischen 2.0 und 3.0 (Gesamtgruppe W1: M 2.3, SD: 0.4). Nur durch den Besuch der christlichen Schule wird hier eine Diversität hergestellt, die zudem negativ konnotiert wird. Das bringt J5 zum Schweigen. Für eine Zeit setzt sich in diesem Interview die Ansicht durch, dass Diversität heisse: Es ist eh alles egal. Dadurch wird das Gespräch der Jungen abgebrochen, da diese Einstellung ihr Interesse an der Diskussion infrage stellt. Dagegen zeigt sich in der dritten Gruppe, dass die Feststellung von Diversität das Gespräch öffnet und sogar neue Themen ermöglicht. Trotzdem setzt sich bei ihnen vermutlich durch den Druck der Peergroup im Interview die Textdeutung auf der Ebene logisch/beweisbar durch. Wie in diesem Abschnitt finden sich im Interview mehrmals kurze Versuche einzelner Schüler/innen, andere Sichtweisen einzuführen, die aber nie viel Gehör finden. Gruppe zwei ist sehr vorsichtig. Diese Gruppe scheint sich bewusst zu sein, dass es verschiedene Grade an Religiosität in ihrer Gruppe gibt. M1 ist nach der Zentralitätsskala hochreligiös. In dieser Gruppe wird noch deutlicher markiert, dass andere Sichtweisen »okay« sind. Sie akzeptieren die Diversität und markieren sie als positiv noch bevor persönliche Stellungnahmen gemacht werden. Die Interviews machen drei verschiedene Umgangsweisen mit Diversität sichtbar:

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1. In der ersten Gruppe wird im Interview Diversität im Sinne von totaler Beliebigkeit eingebracht. Das unterbricht das Gespräch, weil dadurch jegliche Diskussionen für hinfällig erklärt wird. Auffälligerweise geht gerade mit diesem Verständnis von Diversität einher, dass Diversität in der Gruppe nicht vorurteilsfrei akzeptiert wird. 2. In der dritten Gruppe wird Diversität als selbstverständlich angenommen, aber im Gespräch konstruieren einige Jugendliche eine Unterscheidung von Ingroup und Outgroup. Durch die Trennung in zwei Gruppen, gibt es »die anderen«, die anderes glauben, für die eigene Gruppe wird aber angenommen, dass alle dieselbe Meinung haben. Trotz Versuchen kann so kein anderer Orientierungsrahmen in der Diskussion Raum gewinnen als die dominante Sichtweise, dass die Frage nach dem Glauben nach der wissenschaftlichen Weltdeutung beurteilt werden muss. 3. In der zweiten Gruppe ist der Bewusstheitsgrad, dass es eine Heterogenität in Glaubensfragen gibt, hoch. Es herrscht ein respektvoller Umgang mit der Diversität. Die Jugendlichen halten persönliche Stellungnahmen nicht zurück, sondern äußern sie nicht als exklusive Perspektive, sondern als eine mögliche. Trotzdem ist auch in der dritten Gruppe die wissenschaftliche Weltdeutung die dominante Herangehensweise an die Frage der Auferstehung. Die Jugendlichen versuchen historisch oder psychologisch zu erklären, was tatsächlich passiert sein könnte. Das zeigt, Jugendliche können Textdeutungen biblischer Texte einbringen. Es fällt ihnen dabei aber schwer, auf eine Deutungsebene zu wechseln, die nicht allein kon-

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Religionspädagogische Anregungen

statiert, ob etwas logisch oder beweisbar ist. Metaphorische Textdeutung ist nicht die erste Perspektive, die Jugendliche ein­ nehmen. Dafür brauchen sie Expert/in­­ nenunterstützung. Festzuhalten ist aus diesem Ergebnis, dass das Wissen um Diversität in der Peergroup und eine offen geäußerte, tolerante Haltung Jugendlichen dazu verhelfen, im Gespräch über Glaubensansichten ihre persönlichen Meinungen preiszugeben. Ist die Haltung in der Peergroup gegenüber religiöser Diversität nicht offen, wie in der ersten Gruppe, werden divergierende Meinungen gar nicht erst geäußert. J3 sagt am Ende des Interviews der zweiten Gruppe: »Wenn man selber glaubt und Leuten von Jesus erzählt, die nicht glauben, ist es schon ein bisschen eine Herausforderung. […] Wenn man glaubt und die anderen nicht, wird man zum Beispiel ganz komisch angeschaut. Ich weiss auch nicht.« Auch er hat schon Situationen in Peergroups erlebt, in denen er Diversität in der religiösen Einstellung als Herausforderung empfand. Unklar bleibt, ob er hier von einer persönlichen Erfahrung spricht, denn laut der Zentralitätsskala ist J3 weder hochreligiös, noch sonderlich religiös (2.2), so dass es eher unwahrscheinlich

ist, dass er in einer Peergroup von Jesus erzählt. Religiöse Diversität ist für die Jugendlichen auch noch aus einem weiteren Grund eine Herausforderung innerhalb der Peergroup: Sie sind nicht geübt, theologische Überlegungen zu formulieren. Sehr deutlich wird das zum Beispiel im ersten Zitat von M1 aus Gruppe 2 (S. 167). Sie bricht ihre Formulierung immer wieder ab, versucht es neu, macht viele Pausen und endet im Lachen. Es fällt den Jugendlichen schwer auszudrücken, was sie glauben. Das sagt am Ende des Interviews von Gruppe 2 ein Junge sogar explizit, der sich vorher gar nicht zu Wort gemeldet hat. Für den Umgang mit Diversität im Konfirmationsunterricht heißt das: Glaubensdiversität beginnt nicht erst bei anderen Religionen. Schon in den Konfirmationsklassen gibt es divergierende Glaubenseinstellungen. Damit alle Jugendlichen mit ihren Meinungen Raum finden, muss ein Bewusstsein für Glaubensunterschiede geschaffen werden: Es ist außerdem notwendig, mit den Jugendlichen eine Haltung zu erarbeiten, die Diversität positiv aufnimmt. Mindestens ebenso wichtig ist, mit den Jugendlichen zu üben, ihre eigenen Einstellungen überhaupt formulieren zu können.

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 Philipp Klutz, Religionsunterricht vor den Herausforderungen religiöser Pluralität, Eine qualitativ-empirische Studie, Waxmann, Münster u.a. 2015, 292 Seiten

Der Religionsunterricht muss sich in einer immer mehr durch Pluralität gekennzeichneten Gesellschaft vielen He­ rausforderungen stellen. Durch die wachsende religiöse Vielfalt gerät der konfessionelle Religionsunterricht zunehmend an seine Grenzen. Es stellt sich die Frage, welche Form des Religionsunterrichts im Kontext der religiösen Pluralität sinnvoll ist, ob Weiterentwicklungen der konfessionellen Form möglich sind und inwieweit Veränderungen für alle am Religionsunterricht beteiligten Menschen denkbar sind. Zu diesem in ganz Europa hochaktuellen Thema hat Philipp Klutz eine qualitativ-empirische Studie in der Großstadt Wien vorgenommen. Seine Dissertationsschrift besteht insgesamt aus fünf Teilen. Im ersten Kapitel beginnt Klutz seine Forschung zunächst mit einer Problemanalyse. Er bezieht sich auf ein Papier des Österreichischen Religionspädagogischen Forums von 2009, welches je nach Standort und Schultyp regionale Konzepte für den Religionsunterricht in Österreich fordert. Für seine Studie nimmt er dieses Positionspapier als Ausgangspunkt und fragt nach dem

eigentlichen Zweck des Religionsunterrichts (12ff). Dazu stellt Klutz zunächst die Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts in Österreich vor. Er bezieht sich auf die anerkannten Kirchen und Religionen und die Verteilung des Religionsbzw. Ethikunterrichts in Österreich. Anschließend weitet er die Perspektive und bezieht sich auf die religiöse Bildung in ganz Europa (25ff). Besonders im Zuge der verschiedenen Organisationsformen des Religionsunterrichts innerhalb Europas sieht Klutz das Fach Religion als begründungspflichtig an (32). Er nimmt die schwindende Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung und die geringen Anmeldezahlen für den Religionsunterricht wahr. Weiterhin wird das Konfessionalitätsprinzip zusehends hinterfragt und es herrscht immer mehr Pluralität an den Schulen. Gleichzeitig sind aber kaum Forschungen zu der religiösen Vielfalt an Schulen vorhanden (38ff). Somit stellt sich für Klutz die Frage nach der Organisationsform des Religionsunterrichts an österreichischen Schulen. Im zweiten Kapitel schließen sich der Analyse der Ausgangssituation die methodischen und methodologischen Überlegungen der Forschung an. Aus der vorangegangenen Problemanalyse entwickelt Klutz drei zentrale Fragestellungen für seine Forschung (53):

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1. Wie wird an Schulen Religion sowie religiöse Vielfalt wahrgenommen und eingeschätzt? 2. Wie wird an Schulen der konfessionelle Religionsunterricht wahrgenommen und eingeschätzt? 3. Welche Akzeptanz findet an Schulen ein Religionsunterricht für alle, der gemeinsam von Kirchen und Religionsgesellschaften verantwortet wird? Zur Erforschung dieser Fragen nutzt Klutz die dokumentarische Methode aus dem Bereich der Sozialwissenschaften mit dem Ziel, kollektiv geteilte Erfahrungsräume zu rekonstruieren. Das Forschungsdesign stellt sich in Form der qualitativen Sozialforschung bzw. in Form einer rekonstruktiv-empirischen Fallstudie dar. Diese zielt darauf ab, wenige Einzelfälle möglichst differenziert und detailliert zu ergründen. Klutz trifft bei seiner Forschung eine Auswahl spezieller Samples: Er orientiert sich bewusst an kritischen Fällen, d.h. an Schulen, an denen der Religionsunterricht an seine Grenzen gerät. Somit werden Untersuchungen an zwei Wiener Schulen vorgenommen. Aus dieser mikroskopischen Nahaufnahme soll dann eine allgemeinere Orientierung rekonstruiert werden (53ff). Dazu werden sowohl quantitative Daten (Religionszugehörigkeit, Teilnahme am RU, etc.) als auch qualitative Daten (zwei ausführliche Diskussionen an jeder Schule) erfasst (66f). Im Folgenden legt Klutz im dritten und vierten Kapitel dann jeweils die Untersuchungen in den beiden Schulen als Fallbeispiele A und B ausführlich dar. An jeder der beiden Schulen wurden Religionslehrerinnen und -lehrer sowie Mit-

glieder des Schulgemeinschaftsausschusses befragt. Klutz beschreibt jeweils die Wahrnehmung und Einschätzung von Religion und religiöser Vielfalt an den Schulen und geht dann genauer auf die Wahrnehmung von muslimischen Schülerinnen und Schülern ein. Anschließend untersucht er die Sichtweise der Teilnehmer bezüglich des Religionsunterrichts (66ff). Klutz geht hier sehr detailliert vor. Die Gespräche liegen dem Leser jeweils in längeren Auszügen transkribiert vor, sie werden ausführlich erläutert und besprochen. Abschließend nimmt Klutz eine Fallbündelung vor, indem er Erkenntnisse und Tendenzen für den Leser zusammenfasst. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse der Studie dann diskutiert und es wird ein religionspädagogischer Ausblick gegeben. Dazu zeigt Klutz dem Leser fünf empirische Befunde auf und verknüpft diese jeweils mit einem religionspädagogischen Plädoyer. Diese Ausführungen fasst er für jeden empirischen Befund abschließend in einem Schaubild zusammen (218ff). In seiner Forschung kann Klutz aufdecken, dass es verschiedene Hindernisse und Herausforderungen für den Religionsunterricht gibt. Hier nennt er beispielsweise das fehlende Gesamtkonzept im Umgang mit religiöser Pluralität (220) oder die Randständigkeit des Faches Religion in der Schule (234). In seinen Plädoyers setzt sich Klutz u.a. dafür ein, dass Religion und religiöse Vielfalt zu Themen von Schulentwicklungsprozessen gemacht werden, dass die »katalysatorische Kraft« (229) des Religionsunterrichts für die Schule als solche entdeckt wird oder dass der Religionsunterricht

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strukturell durch das Schulmanagement oder die Stundenplanerstellung gestärkt wird (242). Klutz beschränkt die Perspektive seiner Befragung nicht nur auf die Religionslehrer/innen, sondern bezieht ebenso den Schulgemeinschaftsausschuss mit ein. Dadurch erhält er einen differenzierteren Blick auf den Religionsunterricht. Die Ergebnisse der beiden Schulen werden ausführlich gebündelt und besprochen. So deckt Klutz nicht nur aktuelle Gegebenheiten auf, sondern kann aus diesen umfangreiche Schlüsse ziehen und religionspädagogische Perspektiven schaffen. Er zeigt auf, wie sich die Organisationsformen des Religionsunterrichts weiterentwickeln können. Ein besonderer Aspekt dabei ist, dass er bei seiner Auswertung die Schule als ganzes System mit einbezieht. Klutz bezieht sich dabei auf Faktoren wie das Schulmanagement oder die Randstellung des Religionsunterrichts innerhalb des Stundenplans. Er macht auf verschiedenste Problemfelder des heutigen Religionsunterrichts aufmerksam und widmet sich dabei nicht nur ausschließlich der interreligiösen Perspektive, sondern fragt nach der generellen Bedeutung des Religionsunterrichts im Rahmen der Schulorganisation. Dieser Rundumblick lässt die Studie im Vergleich zu anderen Forschungen besonders deutlich hervorstechen. Klutz greift mit seiner Forschung zu religionspädagogischen Herausforderun­ gen in pluralen Gesellschaften ein Thema auf, das in ganz Europa mehr aktuell denn je ist. Durch sein präzises, umfangreiches und kontextbezogenes Vorgehen gelingt es ihm, wichtige Denkanstöße und Anreize für eine weitere Erforschung dieses Themas zu geben. Damit

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leistet er einen großen Beitrag zur Umsetzung eines modernen Religionsunterrichts in einer pluralen Gesellschaft. Alina Brinkmann

 Tobias Faix / Ulrich Riegel / Tobias Künkler (Hg.), Theologien von Jugendlichen. Empirische Erkundungen zu theologisch relevanten Konstruktionen Jugendlicher, LIT-Verlag, Münster 2015

Der Sammelband Theologien von Jugendlichen ist fokussiert auf den noch jungen Forschungsansatz Jugendtheologie und vereint theologische Themen mit Ergebnissen empirischer Studien. Ulrich Riegel & Tobias Faix geben einführend einen kritischen Überblick über den Stand und die Breite der Forschung zur Jugendtheologie. Dabei wird die Genese einer Jugendtheologie aus der Kindertheologie – als festes Paradigma religionspädagogischer Forschung – belegt. Kritisch werden drei Punkte hervorgehoben: 1. Im Kontext kinder- und jugendtheologischer Forschung lassen sich zu viele Studien ausmachen, die »als empirische Studien deklariert werden« (20), allerdings hinsichtlich der entsprechenden Methodik unsauber arbeiten. 2. Mit Dressler (2014) ist festgehalten, dass theoretisch der »Religionsbegriff unterbestimmt« und der Theologiebegriff »trivialisiert zu werden droht« (21), wenn alles und jedes als Theologie von Jugendlichen verstanden wird. 3. Es fehlt die Abgrenzung zwischen Jugend- und Erwachsenenalter, was zur

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Folge hat, dass ein explizites »jugendtheologisches Anliegen nicht« formulierbar ist (27). Die Autoren dieser Einführung plädieren für ein methodisch exakteres Vorgehen, für einen weiten Theologiebegriff sowie für eine Klärung des Begriffs Jugend, der jugendtheologischer Forschung zugrunde liegt (27f). An dieser Stelle sei nur hervorgehoben: Die Forderung nach einem weiten Theologiebegriff vermag das prinzipielle Problem nicht zu lösen, wenn nicht eigens ausgeführt wird, was ein enger Theologiebegriff ist, wo sich beide Verständnisse von Theologie überschneiden und wo sie zu differenzieren sind. Im Folgenden werden alle zwölf Beiträge des Sammelbandes gewürdigt. Am Beispiel Christentum und Islam stellt Joachim Willems Ansichten Jugendlicher zu religiöser Pluralität vor. Dabei werden die drei bekannten religionstheologischen Modelle – exklusivistisches-, inklusivistisches- und pluralistisches Modell – als Grundlage verwendet (36f), um anschließend verschiedene empirische Befunde zu diskutieren (3844). Im Ergebnis kann Willems zeigen, dass bei aller Unterschiedlichkeit damit zu rechnen ist, dass »viele Jugendliche in religionstheologischer Hinsicht eine Affinität zur multireligiösen bzw. pluralistischen Haltung haben. Diese geht einher mit einer Indifferenz gegenüber religiösen Wahrheitsansprüchen« (44). Tobias Faix hebt hervor, dass sich das Verständnis jugendlichen Glaubens an der Fragestellung nach »der Semantik und des durch sie erschließbaren Deutungsprozesses« (49) entscheidet und stellt die Studie »Spiritualität von Jugendlichen« vor. Vor dem Hintergrund von anderen Studien, wie beispielswei-

se der von Porzelt (1999), kommt er zur Feststellung, dass »durch eine direkte Frage nach der eigenen Religiosität das, was erfasst werden soll, nicht erfragt werden kann.« (52) Deshalb, so schlägt der Autor vor, muss indirekt – hier über Symbole – nach Glauben und Spiritualität von Jugendlichen gefragt werden. Erst dadurch könnte es gelingen, dass die subjektive Selbstdeutung von Jugendlichen in den Vordergrund der Forschung gestellt werden kann. Ein sinnstiftendes Element jugendlichen Glaubens, so ein Ergebnis, zeigt sich z.B. im »Streben nach persönlichem Glück« (58). Der Ansatz von Sarah Dochhan & Tim Sandmann bemüht sich, den Glauben Jugendlicher eher strukturell zu untersuchen. Auffällig ist die hochgradige Affinität zur Untersuchung von Faix, denn auch hier wird das Problem der Semantik in den Zusammenhang zum religiösen Selbstverhältnis Jugendlicher unter die Lupe genommen. Beide Studien rekurrieren letztlich auf die Untersuchung von Feige & Gennerich 2008. Schwierig ist die Darstellung der empirischen Untersuchung von Dochhan & Sandmann. So fehlen konkrete Beispiele, wie es zur angestrebten Verdichtung, »zu übergeordneten Glaubensdimensionen« (77) gekommen ist. Es ist die Frage erlaubt, wie ein normativ aufgeladener Begriff (Spiritualität) untersucht werden kann, wenn dieser nicht definiert ist (vgl. 82). Eva-Maria Wüstner widmet sich dem schwierigen Thema ›Christologie und Jugendliche‹. Unter Rekurs auf ältere und neuere Studien – die Autorin hebt in Besonderheit die Studie von Albrecht (2007) hervor, welche auf Heilsbedeutungen des Todes Jesu Christi fokussiert – gelingt es ihr, die verschiedenen Fa-

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cetten (91ff) wie beispielsweise Wirken, Botschaft, Tod und Auferstehung nachzuzeichnen. Als Fazit betont Wüstner, dass gerade das Thema Auferstehung für Jugendliche schwierig ist, da es ihnen an »adäquaten Sprachmodellen [fehlt], um sich alternativ dazu zu äußern« (97). Religionspädagogisch zu bedenken sind die »Dissonanzen mit dem Thema Jesus Christus« (100), die sich für viele Jugendliche ergeben. »Als spirituell wird das akzeptiert, was persönlich gut tut und dem Leben Halt gibt.« (105) Mit dieser Definition arbeitet der Beitrag von Ulrich Riegel, um das Siegener Projekt »Sonntagskulturen« (106) vorzustellen. Von der Beobachtung ausgehend, dass Jugendliche dem Sonntag in der Regel keine religiöse Bedeutung beimessen, werden verschiedene Sonntagskulturen Jugendlicher erfasst und mit der »Thematic Analysis« (107) ausgewertet. Im Kern zeigen die Ergebnisse ein Sonntagsverständnis, welches mit »Zeit für mich« umschrieben werden kann – sei es im Ausschlafen, Freunde treffen oder Sport treiben. Religiöse Feiern wie der sonntägliche Gottesdienst spielen bei den »meisten von uns befragten Jugendlichen […] dagegen keine Rolle« (111), auch wenn vereinzelt Jugendliche über Gottesdienstbesuche erzählten. Der Beitrag kann die Differenzierung der Sonntagskultur mit umfangreichen Beispielen belegen und kommt zu dem Fazit, dass das »Thema Gott […] in der Regel gegen Ende des Interviews von den Interviewern eingespielt werden [musste] und die meisten Jugendlichen […] dezidiert reserviert auf diesen Einwurf [reagierten].« (120) Carsten Gennerich stellt mit der von ihm (und Andreas Feige) vielfach erprob-

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ten Wertfeldanalyse die Ergebnisse einer Untersuchung zu Endzeitvorstellungen Jugendlicher vor. Diese Untersuchung geht davon aus, dass »die Vorstellungen Jugendlicher in ein Gespräch mit den theologischen Denkhorizonten« (123) gebracht werden können. Akribisch werden exakt benannte Datensätze ausgewertet und einer wertfeldanalytischen Untersuchung zugeführt, um Aussagen über die Plausibilität verschiedener »endzeitbezogene[r] Vorstellungen« (143) von Jugendlichen treffen zu können. Verknüpft werden die jeweiligen Befunde mit jugendtheologischen Perspektiven, um abschließend »die adoleszente Sinnkonstruktion zusammenfassend« systematisieren zu können (151). Die Ergebnisse werden in pädagogische und theologische Horizonte eingetragen; sie veranschaulichen, dass Jugendliche beispielsweise (zukünftige) Lebenszeit als Hoffnungsbilder oder Gerichtsvorstellungen als Verantwortung (Selbstwertsteigerung) verstehen. Die aus der Kindertheologie stammende Differenzierung »Theologie von, mit und für« wird von Monika Fuchs auf die Ethik, speziell auf Bioethik übertragen. Die Autorin eröffnet ihren Beitrag mit einer theologischen Relevanzzuschreibung und verweist darauf, dass bioethische Diskurse eher nicht »in Räumen, Strukturen und Kontexten stattfinden, die religiöse« Bezüge aufweisen (158). Viel eher ist davon auszugehen, dass solche Themenfelder in anderen Schulfächern bzw. in öffentlich ausgetragenen Diskursen ihren Platz haben. Im Kontext unterschiedlicher empirischer Studien (auch der eigenen, vgl. Fuchs 2010), reflektiert Fuchs über Bioethik mit Jugendlichen als »religionspädagogische Praxis

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ethischen Fragens und Antwortens«, von Jugendlichen als »Reflexion über ethisches Denken« und für Jugendliche als »Aufklärung durch eine philosophische und theologisch fundierte Ethik« (172). An der Theodizee-Problematik wird seit Nipkow eine Einbruchstelle jugendlichen Glaubens festgemacht. Eva Stögbauer stellt zur Sachlage dar: Jugendliche, die sich selbst als atheistisch bezeichnen, sehen in der Theodizee ein Argument »für seine [Gottes, TW] Nichtexistenz« (189), während christlich orientierte Jugendliche das Theodizee-Problem verwenden, um es »in produktiver Weise mit der Existenz Gottes in Zusammenhang« (181) zu bringen. Damit hinterfragt die Autorin kritisch diese Einbruchstelle jugendlichen Glaubens. Nach Sichtung und Auswertung der empirischen Forschung der letzten 30 Jahre kommt die Autorin zu der Überzeugung, dass Jugendliche letztlich der Theodizee »einen geringen Stellenwert« (188) beimessen. Religionspädagogisch, aber auch theologisch, eröffnet dieses Ergebnis neue Fragen wie beispielsweise »welche säkularen und möglicherweise hybriden Leiddeutungen Jugendliche präferieren.« (189) Dekonvertiten und deren verschiedene Gründe, »nicht mehr zu glauben«, (191) stehen im Zentrum des Beitrages von Martin Hofmann. In Anlehnung an »Charakteristika von Dekonversionsprozessen« nach Barbour (1994) und Streib / Keller (2004) wird die Studie »Warum ich nicht mehr glaube« methodengeleitet vorgestellt. Gearbeitet wird mit dem Mixed-Methods-Ansatz, also der Verbindung zwischen quantitativer (Onlinefragebogen) und qualitativer Methodik (ausgewählte Interviewpartner) (vgl. 194f). Herausgearbeitet werden können

Leitmotive wie Zweifeln oder Enttäuscht sein, sodass sich die Frage stellen lässt, ob eine Ursache von Dekonversion nicht darin zu suchen ist, dass der Übergang von einem Kinderglauben zu einem reflektierendem Glauben nicht gelungen ist bzw. wie ein solcher religionspädagogisch begleitet werden kann. Der Autor verweist auf den explorativen Charakter der Studie und mahnt verstärkte Forschung zu diesem komplexen Themenfeld an. Das Bild einer Großbaustelle begleitet das Thema Schöpfungstheologie und Jugendliche, auf welches sich der Beitrag von Christian Höger fokussiert. Dabei werden die in verschiedenen anderen Studien schon vorgetragenen Dispositionen zwischen physikalischen, evolutionstheoretischen und theologischen Weltentstehungstheorien referiert. Höger fragt als Konsequenz seiner Darstellung kritisch an, ob »die heterogenen Einstellungen junger Menschen als ›Theologie‹ zu bezeichnen« sind, »gerade wenn diese sich exklusiv naturalistisch zum Ursprung von Mensch und Welt äußern« (220). Der Autor belegt somit die in den einleitenden Überlegungen vorgetragene Kritik, dass in der jugendtheologischen Forschung ein weit verbreitetes Defizit darin zu bestehen scheint, an welchem Theologiebegriff sich diese Forschung orientiert. Es ist eine nicht hoch genug zu schätzende Eigenart des Sammelbandes, eine kritische Würdigung aus allgemeinpädagogischer Perspektive mit aufgenommen zu haben. Tobias Künkler trägt eine solche vor, indem er zum einen darauf verweist, dass es den meisten Beiträgen nicht gelingt, eine »spezifisch inhaltlich bestimmbare Eigenlogik der Jugendlichen (bzw. ihrer Theologie)« (226) vortragen

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zu können. An drei Punkten macht der Autor diese Beobachtung fest. Es liegt keine »jugendgenerationelle Differenzierung im jugendtheologischen Diskurs« (227) vor, es lässt sich eine Vereinnahmung der unterschiedlichen Ausdehnungen der Lebensphasen wie »Peerteens und Postadoleszente« (ebd.) beobachten und es kommt zu einer Vernachlässigung »milieubedingter Unterschiede« (228). Trotz dieser Kritik hält Künkler an der Bedeutung jugendtheologischer Forschung fest, denn eine »Jugendtheologie ist heute sogar nötiger denn je, da bei aller vollkommen berechtigten Kritik am Säkularisierungstheorem ein Traditions-

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abbruch bei Jugendlichen fast einhellig festgestellt werden kann.« (233) Tobias Faix & Ulrich Riegel versehen den Band mit einem abschließenden Fazit. Hier werden noch einmal die kritischen Punkte aufgenommen und in einen Ausblick auf notwendige jugendtheologische Forschungsfelder überführt. Der Sammelband ist all jenen zu empfehlen, die sich einen konstruktiv-kritischen Überblick über jugendtheologische Forschung verschaffen möchten, aber auch jenen, die selbst in diesem Forschungsfeld arbeiten. Thomas Weiß

Die Autorinnen und Autoren

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Die Autorinnen und Autoren

Ina ter Avest ist ehemalige Dozentin für Religionspädagogik, Vrije Universiteit Amsterdam (NL).

Theologie an der Technischen Universität Dortmund und Doktorandin am Lehrstuhl für Religionsdidaktik.

Alina Bloch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Kassel.

Judith Krasselt-Maier ist Lehrerin für Evangelische Religion, Deutsch und Geschichte am Evangelischen Schulzentrum Leipzig, Abteilungsleiterin der Oberschule sowie Lehrbeauftragte am Religionspädagogischen Institut der Universität Leipzig.

Veronika Burggraf, ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionsdidaktik der Technischen Universität Dortmund, ist Lehrerin an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Sprache im Bildungsbereich der Primarstufe.

Dr. Gordon Mitchell ist Professorr für Religion und Interkulturelle Erziehung an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg.

Carina Tania Caruso ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionsdidaktik, Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn.

Dr. Dr. Oliver Reis ist Professor für Religionspädagogik/Inklusion am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn.

Regina Dahms ist Studienrätin mit der beruflichen Fachrichtung Pflege und dem Zweitfach Evangelische Theologie an der Helene-Engelbrecht-Schule in Braunschweig, einer berufsbildenden Schule, und Doktorandin an der Universität Hildesheim.

Dr. Theresa Schwarzkopf ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik unter besonderer Berücksichtigung von Inklusion am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn.

Julia Ipgrave ist Honorary Research Fellow an der University of Roehampton (UK). Lisa Krasemann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische

Dr. Klaus von Stosch ist Professor für Katholische Theologie (Systematische Theologie) und ihre Didaktik an der Universität Paderborn.

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Die Autorinnen und Autoren

Dr. Nadja Troi-Boeck ist Pfarrerin in der reformierten Kirche Regensdorf und Habilitandin an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Dr. Thomas Weiß ist Professor für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.

Dr. Dr. Joachim Willems ist Professor für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.