Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften: Band 2 [Reprint 2021 ed.] 9783112533963, 9783112533956


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Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften: Band 2 [Reprint 2021 ed.]
 9783112533963, 9783112533956

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P R O B L E M E D E R P O L I T I S C H E N ÖKONOMIE

Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften Band 2

Probleme der politischen Ökonomie

AKADEMIE-VERLÄG 1959

• BERLIN

Man,uskriptabschluß: 20. Mai 1959

Copyright 1959 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten Erschienen im'Akademie-Verlag GmbHf Berlin W 1, Leipziger Straße 3-4 Lizenz-Nr. 202 • 100/29/59 Satz, Druck und Bindung: VEB Werkdruck Gräfenhainichen- 1148 Bestellnummer 5366 Printed in Germany ES 5 B 1

INHALTSVERZEICHNIS Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften im Jahre 1958 . .

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Prof. Fred Oelßner Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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Prof. Dr. Gunther Kohlmey Zu einigen Fragen des Erkenntnisprozesses in der marxistischen politischen Ökonomie

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Dr. Lothar Rouscik/Dr. Hans Schönherr/Dr. Gerd Friedrich ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik

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Prof. Dr. Walter Schmidt/Dr. Horst Fruck/Dr. Claus Peter Kromm Zu Problemen der Erzielung der Wirtschaftlichkeit aller LPG und ihrer Bedeutung für die weitere sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft

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Dr. Andreas Schüler Zu einigen Problemen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der sozialistischen Industrie der Deutschen Demokratischen Republik

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Prof. Dr. Otto Rühle Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

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BERICHT Ü B E R D I E ARBEIT DES INSTITUTS F Ü R WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN IM J A H R E 1958 Im Jahre 1958 wurden, entsprechend der 1957 begonnenen Umstellung der Arbeit des Instituts auf die Grundlagenforschung, einige Grundfragen der politischen Ökonomie bearbeitet. Dadurch konnte eine größere Konzentration in der Forschungsarbeit und eine Festigung der kollektiven Arbeit am Institut erreicht werden. Diese Orientierung erforderte gegenüber der bisherigen Arbeit in der Struktur wie in der Themenstellung einige Änderungen. Der zum Teil schon verwirklichte frühere Plan, in der Abteilung „Politische Ökonomie des Sozialismus" auch Arbeitsgruppen zu allen Zweigdisziplinen der politischen Ökonomie zu bilden, wurde fallen gelassen, da es im Interesse der rationellen Koordinierung der wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit sinnvoll ist, diese speziellen ökonomischen Forschungsgebiete den Fachinstituten zu überlassen. In der Abteilung „Politische Ökonomie des Kapitalismus" erfolgte ebenfalls eine stärkere Konzentrierung auf Grundprobleme der Entwicklung der westdeutschen Wirtschaft. Nunmehr besteht das Institut aus zwei Abteilungen und der Bibliothek mit einer Abteilung Dokumentation: 1. Abteilung „Politische Ökonomie des Sozialismus" (Leitung: Professor Dr. G. Kohlmey) 2. Abteilung „Politische Ökonomie des Kapitalismus" (Leitung: Professor Dr. J. L. Schmidt, nebenberuflich) Diese Abteilung besteht aus zwei Arbeitsgruppen: a) Arbeitsgruppe ,,Reproduktion und Krisen" b) Arbeitsgruppe „Bürgerliche Wirtschaftstheorie" Infolge der neuen Themenstellung verminderte sich die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter von 32 haupt- und 4 nebenamtlichen Mitarbeitern am 1. 1. 1958 auf 27 haupt- und 2 nebenamtliche Mitarbeiter am 31.12.1958. Die Hauptarbeitsthemen, die für einige J a h r e beibehalten werden, sind: 1. Reproduktion und Krisen im Kapitalismus nach dem zweiten Weltkrieg. 2. Grundfragen der modernen bürgerlichen Apologetik und ökonomische Auffassungen der westdeutschen Sozialdemokratie. 3. Das Wirken und die Ausnutzung der ökonomischen Gesetze bei der Leitung und Planung der sozialistischen Wirtschaft — unter besonderer Berücksichtigung der DDR.

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Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

Aus diesen Hauptarbeitsthemen wurden, entsprechend der sich aus der politischökonomischen Entwicklung in Deutschland ergebenden Dringlichkeit ihrer Lösung, die im Jahre 1958 bearbeiteten Themen ausgewählt. Allerdings legte dabei die noch mangelhafte Kaderlage nicht unwesentliche Beschränkungen auf. So konnten beispielsweise weder in der Abteilung „Politische Ökonomie des Sozialismus" noch in der Abteilung „Politische Ökonomie des Kapitalismus" Probleme der Landwirtschaft bearbeitet werden. Das Institut legt zur Behebung der Kaderschwierigkeiten, neben den Bemühungen um neue Mitarbeiter, ein Hauptaugenmerk darauf, daß einige jüngere Mitarbeiter in kürzester Zeit die Ausarbeitung ihrer Dissertation ab schließen, um so den Kreis der qualifizierten Mitarbeiter zu erhöhen. Im Jahre 1958 konnte eine bemerkenswerte Anzahl von Arbeiten in Artikel- oder Buchform veröffentlicht bzw. für die Veröffentlichung fertiggestellt oder vorbereitet werden. In der Berichtszeit erschienen die folgenden Arbeiten (Bücher und Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften): Abteilung „Politische Ökonomie des

Sozialismus"

Prof. Dr. G. Kohlmey: „Entwicklungsprobleme des sozialistischen Weltwirtschaftssystems" — Buch; Band 7 der Schriftenreihe des Instituts für Wirtschaftswissenschaften, Akademie-Verlag „Industrie und Außenwirtschaft der D D R " — Beitrag zu dem Sammelband des Instituts füT Ökonomie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR „Probleme des sozialistischen Weltwirtschaftssystems" „Die Besonderheiten der Entwicklung der Industrie und der außenwirtschaftlichen Beziehungen der DDR", in: „Woprossi Ekonomiki", Nr. 5/1958 „Spaltungsdisproportionen und Außenhandel, Beitrag zu einer statistischökonomischen Analyse", Broschüre „Wirtschaftswissenschaftliche Informationen" Heft 4-5/1958 Dr. K. Bichtier / Dr. K. Zieschang: „Revisionistische Konzeption oder einzelne Fehler", in: „Wirtschaftswissenschaft", Heft 1/1958 Dr. K.-H. Jonuscheit: „Kosten und Kostensenkung im sozialistischen Einzelhandel der D D R " — Buch; Band 9 der Schriftenreihe des Instituts für Wirtschaftswissenschaften, Akademie-Verlag Dr. W. Kunz: „40 Jahre Sowjetmacht" — Eine Auswahl statistischen Materials ; Broschüre: „Wirtschaftswissenschaftliche Informationen", Heft 3/1958 / / . Gumprecht: „Probleme des Produktionsablaufes in der sozialistischen Industrie der D D R " — Broschüre; „Wirtschaftswissenschaftliche Informationen", Heft 6 bis 7/1958 Prof. Dr. G. Kohlmey¡J. Keil: „Die ökonomische Stärke des sozialistischen Lagers" — Lehrmaterial der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse 0. Kratsch: „Volkswirtschaftsräte in der UdSSR bewährten sich", in: „Die Wirtschaft", Nr. 27/1958 0. Kratsch/W. Schmidt: „Die Reorganisation der Leitung von Industrie und Bauwesen in der U d S S R " — Broschüre; Dietz-Verlag 1958

Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

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G. Ulisch: „Erfahrungen mit der Umsatzbeteiligung in unserem sozialistischen Einzelhandel", in: „Der Handel", Nr. 5/1958 Die Abteilung gibt seit Anfang 1956 das wissenschaftliche Bulletin „Geld und Kredit" heraus, das viermal jährlich zu je 80 Seiten erscheint. Abteilung „Politische Ökonomie des

Kapitalismus"

Sammelband „Ökonomisch-historische Aufsätze" (anläßlich des 40. Jahrestages der Novemberrevolution und der Gründung der KPD): Dr. H. Heininger: „Die ökonomische Stellung des deutschen Imperialismus vor dem 1. Weltkrieg und seine bedeutende ökonomische Schwächung im Ergebnis des Krieges" Dr. E. König: „Die Sozialisierung ist da!" W. Tuchscheerer: „Die historische Bedeutung der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands" Prof. Dr. J. L. Schmidt: „Die Weltwirtschaftskrise ist unvermeidlich", in: „Einheit", Nr. 5/1958 „Der Nachkriegszyklus in Westdeutschland und die beginnende Wirtschaftskrise" — Broschüre; Dietz-Verlag Berlin „Prohleme des Krisenzyklus in der Epoche der allgemeinen Krise", in: „Konjunktur und Krise", Nr. 4/1958 Hr. H. Heininger: „Über das sogenannte Wirtschaftswunder", in: „Kösdaszagi Szemble", Nr. 10/1958 Dr. E. König: „Die deutsche Sozialdemokratie und die Monopole" — Buch; DietzVerlag Berlin Dr. K. Zieschang: „Zu einigen Problemen der Investitionen und der inflationistischen Entwicklung in Westdeutschland", in: „Konjunktur und Krise", Nr. 1/1958 A. Bönisch: „Zur westdeutschen Kartellpolitik", in: „Wirtschaftswissenschaft", Heft 6/1958 R. Gündel: „Zum Problem der Disproportionalität in der Entwicklung der Gruppen A und B der kapitalistischen Industrieproduktion", in: „Konjunktur und Krise", Nr. 2/1958 „Zur Entwicklung des Widerspruches zwischen Produktion und Konsumtion im Verlauf der Aufschwungsphase des westdeutschen Nachkriegszyklus", in: „Konjunktur und Krise", Nr. 4/1958 K. Nehls: „Überlegungen zum Problem des staatsmonopolistischen Kapitalismus"', in: „Wirtschaftswissenschaft", Nr. 2/1958. Die Abteilung gibt seit Ende 1957 das wissenschaftliche Bulletin „Konjunktur und Krise" heraus, das viermal jährlich (je Heft 80 Seiten) erscheint. Im Jahre 1958 wurde die Verbindung des Instituts nach außen, vor allem die Verbindung zur Praxis, weiter verbessert. Zur Erfüllung der Forschungsaufgaben wurden Untersuchungen in der sozialistischen Industrie und im sozialistischen

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Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

Handel durchgeführt. Mitarbeiter des Instituts nahmen an Arbeitskreisen staatlicher Stellen (zu Fragen der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung, der Investitionen und zu Fragen der Arbeitskräfte im Handel), wie auch an Arbeitskreisen von Universitäten und Hochschulen teil. A m Institut selbst bestanden drei Arbeitskreise: „Probleme des ökonomischen Zyklus nach dem zweiten Weltkrieg", Leiter Prof. Dr. J. L. Schmidt; „Probleme der Geschichte der politischen Ökonomie", Leiter Dr. H. Meißner. Der Arbeitskreis „Geld, Kredit und Finanzen in Westdeutschland", Leiter Prof. Dr. A. Lemmnitz, wurde im Laufe des Jahres 1958 wegen der veränderten Aufgabenstellung des Instituts von der Hochschule für Ökonomie übernommen. Eine Reihe von Mitarbeitern hielt an Universitäten, Hochschulen und Instituten Vorlesungen oder führte Seminare durch. Die Arbeitsweise des Instituts konnte verbessert werden. So wurden beispielsweise für alle Mitarbeiter Perspektivpläne aufgestellt, deren Erfüllung durch Arbeitsberichte und Manuskript-Diskussionen in Abteilungssitzungen kontrolliert wird. Regelmäßige Plenartagungen des Instituts zu Grundfragen der Theorie dienen der Erhöhung des theoretischen Niveaus. In der Rerichtszeit veranstaltete das Institut folgende öffentliche Vorträge: Prof. Dr. J. L. Schmidt: „Einige Resonderheiten der zweiten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus", „Aktuelle Probleme der Krisentheorie — Zu den Ergebnissen der internationalen Konferenz der Wirtschaftswissenschaftler über Konjunktur, Krise, Krieg". Die internationalen Reziehungen des Instituts konnten erweitert werden. Mit den meisten Akademie-Instituten der sozialistischen Länder besteht eine ständige wissenschaftliche »Zusammenarbeit. Es finden gegenseitige Resuche und Konsultationen statt, und es werden Publikationen und Arbeitsprogramme ausgetauscht. Auf einer im Dezember 1958 in Prag abgehaltenen internationalen Konferenz der wirtschaftswissenschaftlichen Akademie-Institute der sozialistischen Länder über die wissenschaftliche Zusammenarbeit wurde eine Reihe von Reschlüssen über die internationale Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit, über durchzuführende internationale Konferenzen u. ä. gefaßt, die zu einer wesentlichen Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit führen sollen. Die Ribliothek konnte ihren Ruchbestand bis zum 31. 12.1958 auf 23555 Rücher erweitern. Alle für die Arbeit des Instituts wichtigen Zeitschriften und Zeitungen der D D R , der anderen sozialistischen Länder, Westdeutschlands und der wichtigsten kapitalistischen Staaten stehen in der Ribliothek zur Verfügung. Die Tauschbeziehungen wurden erweitert. Durch die Neueinstellung von qualifizierten Mitarbeitern konnte die Arbeit der Dokumentation wesentlich verbessert werden. Rerlin, im Mai 1959 Die Institutsleitung

Fred Oelßner D I E R O L L E D E R STAATSMACHT B E I M A U F B A U D E S S O Z I A L I S M U S In den theoretischen Auseinandersetzungen, die in den letzten Jahren um Probleme der Politischen Ökonomie geführt wurden, nimmt die Frage des Staates den zentralen Platz ein. Die von revisionistischer Seite gegen die Grundprinzipien der marxistisch-leninistischen Ökonomie geführten Angriffe drehen sich im Kern gerade um diese Frage. Preisen die Revisionisten auf der einen Seite die wachsende aktive Rolle des bürgerlichen Staates in der Wirtschaft, die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus als Entwicklung zum Sozialismus, so wettern sie andererseits gegen die schöpferische Rolle des volksdemokratischen Staates beim sozialistischen Aufbau und wollen sie beseitigen. Daher ist die Rolle des Staates in der Ökonomie gegenwärtig zu einer Grundfrage der Politischen Ökonomie geworden. I. Seitdem es ßineq S t a a t gibt, wurde er von der herrschenden Klasse zur Festigung ihrer Herrschaft und (soweit er der Staat einer Ausbeuterklasse war) als Mittel zur Ausbeutung der Werktätigen ausgenützt.. Der S t a a t hat daher stets bestimmte wirtschaftliche Funktionen im Interesse der herrschenden Klasse ausgeübt. Besonders beim Übergang von einer gesellschaftlichen Formation zu einer neuen hat die Staatsmacht in der Geschichte eine große Rolle gespielt, denn „die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz". 1 Die Ökonomische Bedeutung der Staatsgewalt trat in der Geschichte so offenkundig zutage, daß jahrhundertelang die in letzter Instanz bestimmenden Triebkräfte der geschichtlichen Entwicklung verdeckt blieben, nämlich die ökonomischen Verhältnisse und der aus ihnen entspringende Klassenkampf. 2 E s bedurfte langer wissenschaftlicher Entwicklung, bis Marx und Engels mit der materialistischen Geschichtsauffassung die letztlich entscheidenden historischen Triebkräfte entdeckten. Jedoch haben Marx und Engels bei der Hervorhebung des ökonomischen Moments als des in letzter Instanz entscheidenden keineswegs die aktive Rolle der Überbaufaktoren, besonders der politischen Gewalt, verneint. 1 2

Marx, K., Das Kapital. Bd. I, S. 791. Vgl. hierzu Engels, F., Antidühring. Abschnitte über „Gewaltstheorie".

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Fred Oelßner

In der bürgerlichen Gesellschaft dient der Staat nicht nur dazu, das kapitalistische Eigentum zu schützen, die allgemeinen Bedingungen der Lohnsklaverei zu erhalten und die Werktätigen zu unterdrücken, sondern er selbst ist zugleich ein Instrument der Ausbeutung. Durch Steuern, Zölle und andere Mittel nimmt er nachträglich eine Umverteilung des Volkseinkommens auf Kosten der werktätigen Massen vor. In den Wirtschaftskrisen haben sich die Kapitalisten an den Staat um Hilfe gewandt, wenn ihnen das Wasser bis an den Hals stand, und sie haben diese Hilfe auch oft erhalten, wenn sie groß und einflußreich genug waren, während die hungernden Arbeitslosen ihrem Schicksal überlassen wurden. Der Staat war ¿auch bei der Hand, wenn Produktions- oder Verkehrsmittel errichtet werden mußten, die über die Finanzkraft einzelner Kapitalisten oder Kapitalgesellschaften hinausgingen. Die im modernen Kapitalismus typisch gewordene Methode, mit Staatsmitteln Werke zu errichten, die dann für einen Pappenstiel an die Kapitalisten verschachert werden, ist keineswegs neueren Datums. William Z. Foster schildert in seinem „Abriß der politischen Geschichte beider Amerika," wie auf diese Weise schon nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in den USA die Eisenbahnen gebaut wurden: „In der Periode nach dem Bürgerkrieg wurde schnell ein ausgedehntes Eisenbahnnetz über die gesamten Vereinigten Staaten ausgebreitet. Um diese Eisenbahnen zu finanzieren, unterstützte die Regierung sie verschwenderisch mit Geld und Böden. In Wirklichkeit baute die Regierung die Strecken und übereignete sie dann den privaten Gesellschaften." 3

Auf die gleiche Weise wurde der Eisenbahnbau in Kanada durchgeführt. 4 Mit der Epoche des Imperialismus tritt auch die ökonomische Rolle des bürgerlichen Staates in eine qualitativ höhere Entwicklungsphase ein, so daß W. I. Lenin von einem „Prozeß der Umwandlung des monopolistischen in den staatsmonopolistischen Kapitalismus" sprach.® Dieser Prozeß kommt besonders in der Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus zur Entfaltung. Es ist ein außerordentlich widerspruchsvoller Prozeß. Dehn während einerseits die hohe und ständig wachsende Konzentration der Produktion und des Kapitals dazu zwingt, immer mehr Betriebe und Industriezweige in Staatseigentum zu überführen und von Staatswegen in die Wirtschaft einzugreifen, widerspricht andererseits gerade diese Entwicklung der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, nämlich dem privaten Eigentum an den Produktionsmitteln. Dieser Widerspruch bringt die Tatsache zum Ausdruck, daß der Kapitalismus in den entwickelten Ländern längst überreif und der Übergang zum Sozialismus (d.h. die proletarische Revolution) zur Notwendigkeit geworden ist. , Schon Marx und Engels haben diesen Widerspruch nachgewiesen. In bezug auf die Aktiengesellschaften sagte Marx: „Ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion und Unternehmungen, die für Einzelkapitale unmöglich waren. Solche Unternehmungen zugleich, die früher Regierungsunternehmungen waren, werden gesellschaftliche." 6 3 Foster, W. Z., Abriß der politischen Geschichte beider Amerika. Berlin 1957, S. 346. 4 Ebenda, S. 362. 6 Lenin, W. J., Staat und Revolution. Vorwort. , • Marx, K., Das Kapital; Bd. III, S. 477.

Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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Und an anderer Stelle: „ E s ist dies die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst, und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie (offensichtlich) als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich dann auch in der Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sphären das Monopol her und fordert daher die Staatseinmischung heraus.'"1 Auch Friedrich Engels hat die objektive Notwendigkeit des Staatseigentums hervorgehoben. Im „Antidühring" schrieb er: „So oder so, mit oder ohne Trusts muß schließlich der offizielle Repräsentant der kapitalistischen Gesellschaft, der Staat, ihre Leitung übernehmen. Diese Notwendigkeit der Verwandlung in Staatseigentum bricht zuerst hervor bei den großen Verkehrsanstalten: Post, Telegraphen, Eisenbahnen." 8 ' Da aber die Verwandlung in Staatseigentum der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise widerspricht, da sie „ d i e Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst" darstellt, verläuft dieser Prozeß in der Praxis äußerst widerspruchsvoll. E s zeigt sich, daß auf Perioden der monopolkapitalistischen Nationalisierung in der Regel Perioden der Reprivatisierung folgen. So wurde in England ein Teil der 1948 von der LabourRegierung nationalisierten Betriebe nach 1950 von der konservativen Regierung wieder reprivatisiert. In Westdeutschland führt die monopolkapitalistische Adenauer-Regierung seit Anfang dieses Jahres die Reprivatisierung einer Reihe von Staatsbetrieben durch, so vor allem der „Preußag", wobei sie dies in der demagogischen Form der Herausgabe von „Volksaktien" (als „breite Eigentumsstreuung") tut. Diese widerspruchsvolle Entwicklung ist ein weiterer Beweis dafür, daß die kapitalistischen Produktionsverhältnisse längst für die Entwicklung der Produktivkräfte zur Fessel geworden sind. Besonders aktiv ist heute die wirtschaftliche Tätigkeit des bürgerlichen Staates als Auftraggeber der großen kapitalistischen Monopole. Diese Tätigkeit hängt vor allem mit der wahnwitzigen Aufrüstung und der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges zusammen, die einen wachsenden Teil des Staatsbudgets verschlingen und die Staatsschulden in märchenhafte Höhe treiben. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, daß damit auch die Profite der großen Monopole in märchenhafte Höhe klettern. Schließlich wächst die wirtschaftliche Tätigkeit des bürgerlichen Staates auch durch die zunehmende Einmischung der Staatsorgane in die Wirtschaft, durch die Reglementierung des Wirtschaftsprozesses mittels staatlicher Eingriffe. Diese Reglementierung betrifft vor allem die Kontingentierung der Ein- und Ausfuhr, die Festsetzung des Diskontsatzes, des Währungskurses, Einmischung in Lohnkämpfe usw., sie läuft auf Maßnahmen zur Umverteilung der Einkünfte der Werktätigen und eines Teiles des kapitalistischen Profits zugunsten der Monopole hinaus. Die offiEbenda, S. 479. (Hervorhebungen von mir — F. 0.). Engels, F., Antidühring. S. 343—344. (Hervorhebungen von mir — F. 0.). Siehe hierzu auch die sehr wichtige Fußnote S. 344. 7

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zielle Wirtschaftspolitik der Bonner Regierung lehnt diese Staatseinmischung zwar ab und stellt sie als „Dirigismus" der „freien Marktwirtschaft" gegenüber; jedoch kommt auch der Bonner S t a a t in der Praxis keineswegs ohne diese Einmischung ins Wirtschaftsleben aus. Und je mehr einzelne Wirtschaftszweige von der Krise erf a ß t werden, desto lauter ist der Schrei nach dem staatlichen Eingreifen. Die Entwicklung staatsmonopolistischer Züge des modernen Kapitalismus wird von den Revisionisten und Apologeten des Kapitalismus als Entwicklung zum Sozialismus ausgegeben. Sie h a t gar nichts damit zu tun. Wenn durch diese Entwicklung auch die materiellen Voraussetzungen f ü r den Sozialismus weiter anwachsen, so sind diese Erscheinungen ihrem Wesen nach doch nichts anderes als eine Stärkung des Monopolkapitals, das den S t a a t s a p p a r a t völlig in seine Dienste gestellt h a t . Staatsmonopolistischer Kapitalismus bedeutet die vollständige Beherrschung des Staatsapparates durch die Finanzoligarchie. Die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, das kapitalistische Eigentum wird nicht aufgehoben. Selbst die staatsmonopolistische Nationalisierung gewisser Produktionsmittel hebt das Monopoleigentum der Bourgeoisie an den Produktionsmitteln nicht auf, sie ersetzt nur das individuelle oder Gruppeneigentum durch das Kollektiveigentum des von der Finanzoligarchie beherrschten Staates. Die werktätigen Massen bleiben vom Eigentum an den Produktionsmitteln nach wie vor ausgeschlossen. (Daran ändert sich auch gar nichts, wenn ein Proletarier in Westdeutschland auf die Demagogie der CDU hereinfällt und ein oder zwei 'Volksaktien' á 100 Mark von einem Millionenkonzern erwirbt.) Die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus kann deshalb auch das Gesetz der Anarchie und Konkurrenz nicht aus der Welt schaffen, weil die Grundlage dieses Gesetzes, das kapitalistische Eigentum, bestehen bleibt. Daher ist im Kapitalismus auch eine planmäßige Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion nicht möglich. Das heißt nicht, daß es im Kapitalismus, besonders im Imperialismus nicht Elemente der Organisiertheit und Planmäßigkeit gibt. Darauf h a t schon Lenin hingewiesen. 9 Aber diese Elemente verstärken nur die Unorganisiertheit, die Anarchie in der gesellschaftlichen Produktion. Sie verschärfen den bereits von Engels nachgewiesenen Gegensatz zwischen der Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik (oder dem Trust) und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft. 10 Die Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft beruht auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln, das die Produzenten voneinander trennt und nur isoliert voneinander produzieren läßt. Unter dieser Produktionsweise können die objektiven ökonomischen Gesetze der kapitalistischen Produktion nicht bewußt ausgenutzt werden. Die Anarchie findet eben darin ihren Ausdruck, daß diese Gesetze elementar, spontan wirken, gegen den Willen der Menschen, daß sie sich nur mit Hilfe von Katastrophen (Krisen) durchsetzen können. Anders kann der Kapitalismus nicht existieren. Es bleibt also dabei, daß Anarchie (Spontaneität) und Planmäßigkeit sich nicht vereinen lassen. • Vgl. Lenin, W. J., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. I, S. 873/74. 10 Vgl. Engels, F., Antidühring. S. 337.

Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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Daraus ergibt sich, daß auch die wirtschaftliche Tätigkeit des bürgerlichen Staates stets begrenzt, beschränkt bleibt, trotz noch so starker Tendenzen zum staatsmonopolistischen Kapitalismus. Der bürgerliche Staat kann niemals zu einer gesamtgesellschaftlichen Planung und Leitung der Produktion emporsteigen. Selbst im Kriege, wenn der staatsmonopolistische Kapitalismus seine höchste Stufe erreicht, ist eine planmäßige Leitung der gesamten Produktion nicht möglich, weil das auf dem Privateigentum beruhende Privatinteresse, d. h. das Profitinteresse oberstes Gesetz bleibt. Und gerade der bürgerliche S t a a t ist es, der die Verwirklichung einer die ganze gesellschaftliche Produktion umfassenden Planung verhindert, weil er die Grundlage der Anarchie und Konkurrenz, das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln, schützt. II. So bedeutend auch die Rolle des bürgerlichen Staates bei der Genesis der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, der Basis der bürgerlichen Gesellschaft, war, so blieb sie auch hierbei begrenzt. Denn diese Produktionsverhältnisse hatten sich bereits vor der bürgerlichen Revolution im Schöße der feudalen Gesellschaft zu entwickeln begonnen, wobei „in der anarchisch aufgebauten kapitalistischen Gesellschaft der elementar in die Breite und Tiefe wachsende nationale und internationale Markt die grundlegende organisierende Kraft war". 1 1 Zum Teil hat die Bourgeoisie auch den alten feudalen Staatsapparat ihren Zwecken dienstbar machen können, wie z. B . in Preußen-Deutschland, wo dieser Apparat bekanntlich nicht in einer bürgerlichen Revolution zerschlagen wurde. Ganz anders ist die Lage beim Ubergang zum Sozialismus, der ja nicht eine Ausbeutungsform durch eine andere ablöst, sondern die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen überhaupt abschafft. Die Arbeiterklasse, deren historischer Beruf es ist, die sozialistische Gesellschaft zu errichten, kann den bürgerlichen Staat nicht ihren Zwecken dienstbar machen. Denn der Zweck des bürgerlichen Staates besteht ja gerade darin, die kapitalistische Ausbeutung zu erhalten, d. h. den Sozialismus zu verhindern. Diese marxistische Erkenntnis wird bei jedem revolutionären Kampf der Volksmassen von jedem bürgerlichen S t a a t immer wieder bestätigt, was sich wieder einmal besonders drastisch bei dem belgischen Bergarbeiterstreik im Frühjahr 1959 gezeigt hat. Darum kann das Proletariat den bürgerlichen S t a a t nicht übernehmen, nicht erobern, sondern es muß ihn zerschlagen, es muß die bürgerliche Staatsmaschine, die Armee, Polizei, Justiz, das Beamtenheer usw. zerbrechen. Der auf die Vernichtung des kapitalistischen Klassenstaates gerichtete Kampf der Arbeiterklasse ist aber nicht ein Kampf gegen den Staat überhaupt. Im Gegensatz zu den Anarchisten, die jede Staatsmacht vernichten wollen, vertreten die Marxisten — Leninisten den Standpunkt, daß die Arbeiterklasse einen neuen, ihren eigenen Klassenstaat für eine bestimmte historische Periode braucht, um die alte, 11

Lenin, W. I. Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. II, S. 358.

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kapitalistische Gesellschaftsordnung zu vernichten und die neue, sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen. An Stelle des zerschlagenen kapitalistischen Staates wird also ein neuer S t a a t aufgebaut, dessen Formen verschieden sein können (Sow j e t m a c h t , Volksdemokratie), dessen Wesen aber überall das gleiche ist: die Diktatur des Proletariats. Dieser S t a a t der Diktatur des Proletariats ist das wichtigste Instrument der Arbeiterklasse beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Wie der bürgerliche, so verkörpert auch der proletarische S t a a t eine Klassenherrschaft. Aber es besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen diesen beiden Staaten. Der bürgerliche S t a a t ist das Herrschaftsinstrument der kleinen Minderheit der kapitalistischen Ausbeuter über die ungeheure Mehrheit der arbeitenden Menschen. Die Bourgeoisie lebt vom Proletariat, d a r u m kann sich der bürgerliche S t a a t nicht die Aufgabe stellen, die Klassen abzuschaffen, deren Gegensätze er im Zaume halten soll. J e mehr diese Gegensätze sich mit der Entwicklung zuspitzen, u m so brutalere Repressivmaßnahmen wendet der bürgerliche S t a a t an, bis zum Einsatz militärischer Machtmittel gegen die Arbeiterklasse. Der kapitalistische S t a a t ist also unentbehrlich, solange die kapitalistische Gesellschaftsordnung besteht. E r kann nicht absterben oder einschlafen, sondern muß zerstört werden. Ganz anders der proletarische S t a a t , die Diktatur des Proletariats. E r verkörpert die Herrschaft der ungeheuren Mehrheit der arbeitenden Menschen über eine kleine Minderheit von Ausbeutern u n d Parasiten. Denn das Proletariat, als die führende Klasse der proletarischen Diktatur, ü b t seine Herrschaft im Bündnis und in Zusammenarbeit mit den Massen der werktätigen Bauern, der Mittelschichten und der Intelligenz aus. Darum spielen — nach der Konsolidierung des proletarischen Staates — die eigentlichen Unterdrückungsfunktionen bei ihm eine viel geringere Rolle als beim bürgerlichen Staat. Und je mehr sich die neue Gesellschaftsordnung entwickelt und festigt, um so mehr nehmen diese Unterdrückungsfunktionen ab. Dafür aber entwickeln sich völlig neue Funktionen (von denen noch die Rede sein wird), die schon keine eigentlichen Staatsfunktionen mehr sind. Dies hatten Marx, Engels und Lenin im Auge, als sie davon sprachen, daß der proletarische S t a a t schon kein S t a a t im eigentlichen Sinne mehr, daß er ein „ H a l b s t a a t " ist. Während der bürgerliche S t a a t solange existieren muß, wie die kapitalistische Produktionsweise besteht und daher gewaltsam zerstört werden muß, wird der proletarische S t a a t von vornherein n u r f ü r eine historisch begrenzte Zeit geschaffen. Die Bourgeoisie k a n n nicht ohne Proletariat existieren und braucht darum den S t a a t zu dessen Unterdrückung, solange sie herrscht. Das Proletariat kann aber sehr gut ohne Bourgeoisie existieren — das ist nicht nur theoretisch völlig klar, sondern von der Arbeiterklasse der sozialistischen Länder überzeugend bewiesen worden. Der proletarische S t a a t stellt sich darum die Aufgabe, die Bourgeoisie und alle Ausbeuter zu vernichten (als Klasse, nicht als Personen!), damit die Klassen und die Klassengegensätze zu beseitigen und eine klassenlose Gesellschaft zu errichten. Mit dem Verschwinden der Klassengegensätze im nationalen und im internationalen Maßstabe verschwindet auch die Notwendigkeit einer Staatsorganisation als Unterdrückungsmaschine, je mehr die Klassengegensätze verschwinden, u m so weniger gibt es zu unterdrücken. Damit schlafen die Unterdrückungsfunktionen des Staates

Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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ein, der S t a a t stirbt ab. Dieses von Engels geprägte W o r t drückt schon aus, daß es sich dabei nicht u m ein plötzlich eintretendes Ereignis handeln kann, sondern u m ein allmähliches Einschlafen der eigentlichen Staatsfunktionen, u m die allmähliche „Entwicklung der sozialistischen Staatlichkeit zur kommunistischen Selbstverwaltung der Gesellschaft" 1 2 . Das Absterben gilt wohlgemerkt n u r f ü r den proletarischen S t a a t , denn nur dieser ist imstande, die Klassengegensätze zu beseitigen. Indessen ist das Absterben des proletarischen Staates eine Sache der fernen Zuk u n f t , des endgültigen Sieges des Kommunismus im Weltmaßstabe. Bis dahin braucht das Proletariat den Staat, und zwar einen starken, gutorganisierten Staat, nicht n u r u m die Resultate der sozialistischen Revolution zu sichern, sondern vor allem als das wichtigste I n s t r u m e n t f ü r den Aufbau der neuen Gesellschaft, des Sozialismus. Bei diesem Aufbau besteht die erste wichtige Aufgabe des neuen Staates darin, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch sozialistische Produktionsverhältnisse, die kapitalistische Basis durch eine sozialistische Basis zu ersetzen. Die erste Maßnahme dazu ist die Vernichtung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln, die Verwandlung der großen Produktionsmittel, Verkehrsmittel, Banken und Versicherungen in gesellschaftliches Eigentum, das in dieser E t a p p e nur Staatseigentum sein kann. Damit wird der S t a a t m i t einem Schlage Eigentümer einer gewaltigen Masse von Produktionsmitteln. E r m u ß diese nicht nur vor den Anschlägen kapitalistischer Restaura teure schützen, sondern er h a t auch die Pflicht, sie sachgemäß zu verwalten. Produktionsmittel sachgemäß zu verwalten heißt aber, sie sinnvoll in Bewegung setzen. So erwächst dem proletarischen S t a a t auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums die Aufgabe, den Produktionsprozeß planmäßig zu leiten. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die erst nach der siegreichen sozialistischen Revolution möglich ist, stellt den entscheidenden Schritt in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte dar. Die Bedeutung dieses Schritts ist offenkundig noch nicht voll erfaßt, sicher sind daraus noch nicht ausreichend die zwingenden theoretischen Schlußfolgerungen gezogen worden. Durch diesen Schritt t r i t t eine qualitative Veränderung des Wechselverhältnisses von Basis und Überbau ein, die natürlich die letztlich bestimmende Rolle der Basis nicht aufhebt, aber dem Überbau eine qualitativ neue Bedeutung gibt, die ihren hauptsächlichen Ausdruck darin findet, daß die Menschen von nun an ihre Geschichte bewußt gestalten, also nicht mehr den blind wirkenden Gesetzen der ökonomischen Verhältnisse ausgeliefert sind. „In der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus verändern sich in grundlegender Weise die Funktionen der Überbauelemente" — schreibt der sowjetische Philosoph M. 0 . Kammari. „Zum erstenmal in der Geschichte tritt er (der Überbau — F. 0.) als eine Kraft auf, die die planmäßige Entwicklung der Wirtschaft und der ganzen 12 Chruschtschow, N. S., Über die Kontrollziffern für die Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR in den Jahren 1959 bis 1965. Rede auf dem XXI. Parteitag der KPdSU S. 127.

2 Probleme Bd. 2

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Fred Oelßner Gesellschaft im Interesse der Verbesserung des materiellen Wohlstandes der werktätigen Massen organisiert und lenkt." 1 3

Um die qualitativ neue Rolle des Überbaus und den prinzipiellen Unterschied der mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft eingeleiteten Geschichtsepoche gegenüber den früheren Klassengesellschaften ganz, deutlich zu machen, sei es mir gestattet, die entscheidenden diesbezüglichen Ausführungen von Friedrich Engels anzuführen. Er schrieb im „Antidühring": „Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Waren" Produktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die ProduzentenDie Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die nun zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eigenen Vergesellschaftung werden. Die Gesetze ihres eignen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von den Menschen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. Die eigne Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte oktroyiert gegenüberstand, wird jetzt ihre eigne freie Tat. Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Heich der Freiheit." 14

Ich betrachte diese Ausführungen von Engels, deren wichtigste Gedanken ich hervorgehoben habe, als den wesentlichen Ausgangspunkt für das Verständnis der neuen Rolle des Überbaues, besonders des Staates. Die Bemerkung von Engels, daß der Mensch mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel im gewissem Sinne erst endgültig aus dem Tierreich ausscheidet, besagt doch, daß dieser Akt der sozialistischen Revolution (die Vergesellschaftung der Produktionsmittel), gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Damit werden die Menschen, so sagt Engels, zum ersten Male (!) bewußte, wirkliche Herren der Natur — weil sie Herren ihrer eigenen Vergesellschaftung werden. Herren werden, das heißt aber doch, daß sie nicht mehr von den objektiven Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung (darunter auch den ökonomischen Gesetzen) beherrscht werden, sondern umgekehrt selbst diese Gesetze beherrschen. Damit verlieren diese Gesetze den Charakter elementarwirkender Naturgesetze (was nicht ihren objektiven Charakter aufhebt). Das spricht Engels in den folgenden Sätzen klar und eindeutig aus Die den Menschen bisher (!) von Natur und Gesellschaft aufgezwungene Vergesellschaftung wird nun ihre eigene freie (!) Tat. Und das Ergebnis wird sein, daß 13 Kammari, M. 0 . , Lenin über die Umwälzung in Basis und Überbau während der Periode der sozialistischen Revolution. In: „Sowjetwissenschaft", Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, Heft 2/1958, S. 153. 14 Engels, F., Antidühring. S. 351.

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ihre gesellschaftliche Tätigkeit (darunter auch die wirtschaftliche) nicht mehr zu vorher unbekannten Ergebnissen führt, sondern die von ihnen vorher gewollten (!) Wirkungen haben wird. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: In der Morgenröte ihrer Revolution schrieb die Bourgeoisie die Losungen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" auf ihre Fahnen. Das war damals kein demagogischer Betrug, sondern drückte die hochfliegenden Ideen aus, von denen die Bourgeoisie und besonders ihre Ideologen (die Aufklärer) beflügelt waren. Das Ergebnis aber war die Unterdrückung der Ausgebeuteten an Stelle der Freiheit, die Ausbeutung der Arbeiterklasse auf der Basis der Gleichheit des Warenaustausches, das Wolfsgesetz der Konkurrenz an Stelle der Brüderlichkeit. In der Morgenröte seiner Revolution schrieb das Proletariat die Losungen Beseitigung der Ausbeutung, Abschaffung der Klassen und Aufbau des Sozialismus auf seine Fahnen. Weniger als ein halbes Jahrhundert sozialistischer Entwicklung haben bewiesen, daß diese gewollten Wirkungen erzielt wurden und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß auch die heute gewollten, höher gesteckten Ziele erreicht werden. Die Menschheit zieht seit der siegreichen sozialistischen Revolution nicht mehr einer in Dämmer und Dunkel liegenden Zukunft entgegen, sondern erleuchtet mit Hilfe der marxistisch-leninistischen Theorie den vor ihr liegenden Weg und bestimmt klar und zielbewußt die nächsten auf diesem Weg zu erreichenden Etappen. Der X X I . Parteitag der KPdSU wie der V. Parteitag der SED sind gleichermaßen Beweise dafür. Freilich ist es nicht mehr der einzelne Mensch, der, auf sich selbst gestellt, diesen Weg beschreitet, denn „der Kampf ums Einzeldasein hört auf", sagt Engels. Es ist der vergesellschaftete Mensch, die organisierte Gesellschaft, die ihr Leben in neuer Weise ordnet. Die sozialistische Gesellschaft hat viele Formen der Organisation. An ihrer Spitze steht die Organisation der Vorhut der fortschrittlichsten Klasse, die marxistisch leninistische Partei. Im „Manifest der Kommunistischen Partei" haben Marx und Engels nachgewiesen, daß dem Proletariat die geschichtliche Mission zufällt, die Ordnung der Bourgeoisie zu Grabe zu tragen und die sozialistische Gesellschaft zu errichten. Schon damals erklärten sie, daß die Arbeiterklasse diese Mission nur erfüllen kann, wenn sie die politische Macht erobert, sich selbst zur herrschenden Klasse erhebt. Das Proletariat kann aber die politische Macht nicht erobern und sie noch weniger ausüben, es kann nicht seine eigene Staatsmacht errichten und als Instrument des sozialistischen Aufbaus handhaben, wenn es nicht eine revolutionäre Partei besitzt. Nur eine solche Partei, in der die fortschrittlichsten Kräfte der Klasse vereinigt sind, die sich in ihrer Politik von der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus leiten läßt, die in die Masse den Geist der Organisiertheit und Disziplin hineinträgt, die alle anderen Massenorganisationen führt, — nur eine solche Partei vermag die richtige Ausübung der Diktatur des Proletariats zu garantieren und. den Aufbau des Sozialismus zu sichern. Darum ist die Rolle des proletarischen Staates untrenn2*

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bar verknüpft mit der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei. Diese leitet und lenkt den ganzen gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß, weil nur das Proletariat imstande ist, den Aufbau der neuen Gesellschaft zu leiten. Der Partei zur Seite stehen andere Massenorganisationen der Werktätigen, vor allem die Gewerkschaften als die Organisationen der gesamten Arbeiterklasse. Daneben stehen Organisationen anderer Schichten, wie der Bauern, der Jugend, der Frauen usw. In vielen sozialistischen Ländern gibt es Organisationen, die sich der Zusammenfassung aller Schichten der Bevölkerung widmen, wie in der DDR die Nationale Front des demokratischen Deutschland. In manchen sozialistischen Ländern gibt es auch noch politische Parteien anderer werktätiger Schichten, wie z. B. in der Deutschen Demokratischen Republik. Alle diese gesellschaftlichen Organisationen werden von der Partei der Arbeiterklasse geführt, die als Vortrupp der fortschrittlichsten Klasse allein fähig ist, die ganze Masse des Volkes in die neue Gesellschaft zu führen. Außer diesen gesellschaftlichen Organisationen gibt es aber noch eine Organisation die das ganze Volk umfaßt, die als Repräsentant der gesamten Gesellschaft auftritt. Diese Organisation ist der sozialistische Staat. Der sozialistische Staat lenkt und leitet unmittelbar den sozialistischen (oder kommunistischen) Aufbau auf allen Gebieten, der Politik, der Wirtschaft, der Erziehung, der Kultur usw. Der sozialistische Staat ist das unentbehrliche wichtigste Instrument der Arbeiterklasse zur Errichtung der neuen Gesellschaft. Als Instrument der Arbeiterklasse kann der Staat seine Aufgabe nur erfüllen unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei. Die enge Verbindung und das straffe Führungsverhältnis zwischen dieser Partei und dem sozialistischen Staat ist die unerläßliche Bedingung für den Erfolg des sozialistischen Aufbaus. Darum müssen den Entscheidungen und Maßnahmen der Staatsmacht die Entscheidungen der Partei vorangehen, darum muß die Partei die Tätigkeit der Staatsmacht ständig kontrollieren. Partei, Massenorganisationen und auch der sozialistische Staat sind Überbaufaktoren. Aber sie üben auf die Basis (die sozialistischen Produktionsverhältnisse) nicht nur bedeutenden Einfluß aus, sondern sie schaffen in der Übergangsperiode überhaupt erst die neue Basis. Durch die Vernichtung des kapitalistischen und die Bildung des sozialistischen Eigentums errichten sie die Grundlage für die Entstehung sozialistischer Produktionsverhältnisse und damit zugleich für die Entstehung und das Wirken der objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Durch ihre Tätigkeit festigen und entwickeln sie die sozialistischen Produktionsverhältnisse, d. h. die Basis der sozialistischen Gesellschaft. Mit dieser grundsätzlich neuen Erscheinung in der gesellschaftlichen Entwicklung tritt nicht nur die qualitativ neue Rolle der Überbaufaktoren hervor, sondern es ändert sich auch grundlegend das Wechselverhältnis zwischen Basis und Überbau. Es ist nicht mehr so, daß infolge der gegeneinander wirkenden Akteure des Produktionsprozesses (Konkurrenzkampf) in der Basis, d. h. in den Produktionsverhältnissen, ungewollte Wirkungen eintreten, die notwendigerweise auch ungewollte Wirkungen im Überbau hervorrufen, sondern die bewußte Gestaltung der Basis führt zu den vorher geplanten Resultaten, wie z. B. der Abschaffung der Klassen und führt daher auch zu gleichsfalls

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vorher geplanten, also gewollten, Änderungen im Überbau, wie z. B. anderen Funktionen des Staates, anderem Recht usw. Da die Art dieser Wechselbeziehungen, zumindest in bezug auf Staat und Ökonomie, der Gegenstand der weiteren Untersuchungen dieses Aufsatzes ist, darf ich die Betrachtung über Basis und Überbau damit abschließen. Die Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft, so sahen wir, stellt dem sozialistischen Staat als ihrem Organ die Aufgabe, den gesellschaftlichen Produktionsprozeß planmäßig zu leiten. Diese Leitung des Produktionsprozesses umfaßt auch die planmäßige Verteilung der gesellschaftlichen Produktivkräfte; der Produktionsinstrumente, der Rohmaterialien usw. und der Arbeitskräfte auf die verschiedenen Produktionszweige. Durch diese Verteilung wird die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt. Bei der Festlegung dieser Verteilung muß der proletarische Staat die Aufgabe im Auge behalten, das materielle und kulturelle Lebensniveau der werktätigen Massen fortwährend zu heben, denn schließlich kämpfen die Massen für den Sozialismus, um dem Elendsdasein des Kapitalismus zu entrinnen und ein besseres Leben zu erlangen. Aber der proletarische Staat darf gerade auch in der Übergangsperiode nicht nur diese Konsumenteninteressen im Auge haben. E r muß die wirtschaftliche Entwicklung so lenken, daß die kapitalistischen und die privatwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse endgültig überwunden und durch sozialistische Produktionsverhältnisse ersetzt werden. E r muß eine solche Vorwärtsentwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, der Arbeitsproduktivität und der Produktion sichern, daß dadurch die ökonomische Voraussetzung für den Kommunismus geschaffen wird: ein Überfluß an Produkten. Es kann in gewissen Zeiten vorkommen, daß die Erhöhung des Wohlstandes um der zweiten, höheren Aufgabe willen langsamer vorangetrieben wird, d. h. daß gewisse Opfer gebracht werden müssen. Gerade die politisch-ökonomische Zielsetzung — die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft — zeigt mit aller Deutlichkeit die unerläßliche Notwendigkeit der Staatsmacht für den Aufbau des Sozialismus. Der Sozialismus-Kommunismus kann sich nicht spontan entwickeln, er muß von der Arbeiterklasse im Verein mit den übrigen Werktätigen bewußt geschaffen, nach einem einheitlichen Plan aufgebaut werden. Das ist unmöglich ohne den Staat, ohne die Diktatur des Proletariats. Der Aufbau der kommunistischen Gesellschaft ist nur planmäßig und nur auf der Grundlage der höchstentwickelten Technik zu erreichen. Dies erfordert die allseitige Entfaltung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und seiner breiten Anwendung in der gesellschaftlichen Produktion. J e höher das technische Niveau, desto notwendiger und komplizierter aber auch die gesellschaftliche und technische Organisation des Produktionsprozesses, desto besser organisiert und diszipliniert muß die Arbeit sein. Entwicklung des Kommunismus heißt Verwandlung der Arbeit aus einem Mittel zum Leben zum ersten Lebensbedürfnis des Menschen. Eine der entscheidensten Aufgaben ist darum die Organisierung der sozialistischen Arbeit, die nur vom sozialistischen Staat durchgeführt werden kann. Bis zur Erringung des Kommunismus wird es nicht möglich sein, die Bedürfnisse der Menschen voll zu befriedigen. Darum müssen bis dahin die erzeugten Produkte

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nach dem Maß der geleisteten Arbeit verteilt werden. Auch diese Verteilung kann nur vom Staat reguliert und kontrolliert werden. Dem proletarischen Staat obliegt also nicht nur die Verteilung der Produktivkräfte, sondern auch der Produkte. Auf diese Seite der wirschaftlichen Tätigkeit des Staates, die von der ökonomischen Theorie etwas stiefmütterlich behandelt wird, hat Lenin wiederholt hingewiesen. Nur ein Beispiel. In seiner Arbeit „Über die Naturalsteuer" schrieb Lenin: „Sozialismus ist undenkbar ohne großkapitalistische Technik, die auf den neuesten Errungenschaften der modernen Wissenschaft beruht, ohne planmäßige staatliche Organisation, die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm bei der Produktion und Verteilung der Produkte zwingt."15 Auf diese Seite der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates, die nicht nur die Arbeiterklasse, sondern alle Bevölkerungskreise berührt, wird später eingegangen werden. Hier sei lediglich hervorgehoben, daß diese wichtige Funktion, die Regulierung der individuellen Konsumtion in der sozialistischen Gesellschaft (oder der Übergangsperiode) ohne einen Staatsapparat ganz unmöglich ist. Das Proletariat braucht die Staatsmacht zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaft. Es baut diese Gesellschaft jedoch nicht allein auf, sondern in Zusammenarbeit mit den übrigen Massen der werktätigen Bevölkerung, den Bauern, Handwerkern, Intellektuellen, Kleinbürgern usw. Diese Massen muß es aber politisch, wirtschaftlich und kulturell führen. Auch dazu braucht es den Staat. Lenin schrieb bereits in „Staat und Revolution": „Das Proletariat bedarf der Staatsmacht, einer zentralisierten Organisation der Macht, einer Organisation der Gewalt, sowohl zur Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuter als auch zur Leitung der ungeheuren Masse der Bevölkerung, der Bauernschaft, des Kleinbürgertums, der Halbproletarier, um die sozialistische Wirtschaft in Gang zu bringen."16 Aus alldem ist ersichtlich, daß die Arbeiterklasse zum Aufbau des Sozialismus unbedingt des Staates bedarf, daß der proletarische Staat, die Diktatur des Proletariats, in der geschichtlichen Entwicklung eine ungleich größere Rolle spielt als jeder frühere Staat. Zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit errichten die Volksmassen bewußt eine neue Gesellschaftsordnung. Dazu brauchen sie ein wirksames Instrument, das nur der proletarische Staat sein kann. Aus dieser seiner historischen Rolle erwachsen dem proletarischen Staat neue Funktionen, die über die eigentlichen staatlichen Funktionen hinausgehen. Auch dieser Staat hat typische Staatsfunktionen auszuüben, wie die Niederhaltung der Ausbeuter und die Verhütung einer Restauration, die Verteidigung des Landes gegen imperialistische Aggressoren und der Kampf gegen Spione, Agenten, Diversanten usw. Daneben entstehen und entwickeln sich aber neue Staatsfunktionen, die mit dem fortschreitenden Aufbau des Sozialismus immer mehr in den Vordergrund rücken. Es sind dies 1. die wirtschaftlich-organisatorische Funktion: die Verwaltung des gesellschaftlichen Eigentums, die planmäßige Leitung des Produktionsprozesses, 15 Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. II, S. 830. (Hervorhebungen von mir — F. 0.). 16 Ebenda, S. 176.

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die Verteilung der gesellschaftlichen Produktionskräfte und der Produkte, die Mobilisierung und Organisierung der werktätigen Massen für den sozialistischen Aufbau, die Organisierung der wirtschaftlichen Beziehungen, der Arbeitsteilung und der Koordinierung mit anderen Ländern; 2. die kulturell-erzieherische Funktion: die sozialistische Organisierung des Schul- und Hochschulwesens, die sozialistische Lenkung der Presse, des Funks, der Kinos, Theater, Museen usw., die sozialistische Förderung von Wissenschaft, Kunst, Literatur, die Erziehung der Menschen zu einem neuen sozialistischen Bewußtsein. Indem der volksdemokratische oder sowjetische S t a a t diese Funktionen ausübt, lenkt und leitet er den Übergang zum Sozialismus bzw. Kommunismus. III. Betrachten wir nunmehr, wie sich die volksdemokratische Staatsmacht in der Deutschen Demokratischen Republik herausgebildet und wie sie ihre ökonomische Tätigkeit entwickelt hat. Der zweite Weltkrieg endete mit der völligen Zerschlagung und der bedingungslosen Kapitulation der faschistischen Staatsmacht. Das ganze Land wurde von den Truppen der Siegermächte besetzt. E s gab keine Reichsregierung, keine Länderregierungen und auch keine Provinzial- und Kommunalverwaltungen mehr. Da alle diese Stellen von Nazis besetzt gewesen waren, blieben sie nun verwaist, da diese Nazis entweder geflohen, verhaftet oder abgesetzt worden waren. An die Stelle der deutschen Verwaltungen traten die Militärverwaltungen und ihre Organe in den entsprechenden Besatzungszonen. Damit war 1945 im wesentlichen in ganz Deutschland der alte, bürgerlich-faschistische Staatsapparat paralysiert, es gab kein funktionierendes deutsches Staatsorgan mehr. Das heißt nicht, daß der alte Staatsapparat schon völlig, bis auf seine Reste zerstört war, aber diese Reste konnten keine staatlichen Machtfunktionen ausüben. Das ganze deutsche Volk war vor die entscheidende Aufgabe gestellt, entweder den alten Staatsapparat der Bourgeoisie wieder aufzubauen oder einen neuen Staatsapparat zu errichten, in dem die werktätigen Massen das entscheidende Wort sprechen. Wäre es damals nach dem Willen der Mehrheit des deutschen Volkes gegangen, dann wäre ohne Zweifel in ganz Deutschland ein solcher neuer S t a a t errichtet worden. Aber das deutsche Volk vermochte trotz eindeutiger Willensbekundung (Volksabstimmung in Hessen u. a.) seinen Willen nicht durchzusetzen, obwohl die Bourgeoisie keinen staatlichen Machtapparat zur Unterdrückung dieses Willens hatte. Die Besatzungstruppen in den drei westlichen und südlichen Zonen gehörten Armeen kapitalistischer Staaten (USA Großbritannien und Frankreich) an, deren Kommando kein Interesse daran hatte, in Deutschland eine andere als eine kapitalistische Staatsmacht zu errichten. Zwar waren auch diese Staaten durch das Potsdamer Abkommen gebunden, das sie feierlich unterzeichnet hatten. In diesem Abkommen war festgelegt worden, daß in Deutschland der Nazismus und Militarismus ausgerottet und die Monopole vernichtet werden sollten, sowie daß eine echte Demokratisierung Deutschlands durch-

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geführt werden sollte. Gleichzeitig war dem deutschen Volke die Erhaltung seiner staatlichen Einheit versprochen worden. Die westlichen imperialistischen Staaten stellten jedoch ihre Klasseninteressen über diese feierlichen Verpflichtungen und kamen damit zugleich den Klasseninteressen der deutschen Monopolkapitalisten und Junker entgegen. Vom ersten Tage an sabotierten sie die völlige Zerschlagung des nazistisch-militaristischen Staatsapparats. Nicht einmal die faschistische Armee wurde völlig aufgelöst, sondern einzelne Truppeneinheiten den westlichen Besatzungstruppen angegliedert. Bei der allmählichen Bildung deutscher Verwaltungsstellen wurden vielfach die alten nazistischen Bürgermeister, Landräte usw. wieder eingesetzt oder in ihren Ämtern bestätigt. Am wenigsten wurde der alte Justizapparat angetastet, der bekanntlich eines der entscheidensten und zugleich brutalsten Machtorgane der Bourgeoisie war. E s wurde eine sogenannte Entnazifizierung durchgeführt, deren Hauptaufgabe darin bestand, die braunen Westen der Nazibanditen weiß zu färben. Wie wenig in Westdeutschland der alte kapitalistische Staatsapparat der 1945 nicht funktionsfähig war, tatsächlich zerstört wurde, beweist der § 131 des westdeutschen Grundgesetzes, der den Beamten des alten (faschistischen!) Staatsapparates ausdrücklich das Recht zubilligt, wieder in Beamtenfunktion eingesetzt zu werden oder Beamtenpension zu beziehen. Durch diese Politik, die völlig den Interessen der deutschen Monopolkapitalisten und J u n k e r entsprach und darum von diesen aktiv unterstützt wurde, wurde in Westdeutschland der alte bürgerliche Staatsapparat tatsächlich in wesentlichen Bestandteilen über die Katastrophe hinaus gerettet und diente als Grundlage für den Aufbau des heutigen monopolkapitalistischen Staatsapparates der Bundesrepublik, der ein williges und brauchbares Instrument in den Händen der Finanzoligarchie ist. Um diese Politik ungestört durchführen zu können, führten die Westmächte im Verein mit der westdeutschen Großbourgeoisie 1949 die Spaltung Deutschlands durch, indem sie ihre drei Besatzungszonen zum Bonner Separatstaat vereinigten. Diese gegen die Interessen der Mehrheit des deutschen Volkes gerichtete Politik der Besatzungsmächte und der deutschen Bourgeoisie wurde von den rechten SPD-Führern aktiv unterstützt. Trotz der blutigen Erfahrungen, die die deutsche Arbeiterklasse im Faschismus gemacht hatte, verhinderten die rechten SPD-Führer nach 1945 wiederum die Vereinigung der Arbeiterparteien und verurteilten damit die Arbeiterklasse erneut zu der Ohnmacht, die ihr schon mehrfach entscheidende geschichtliche Niederlagen eingebracht hatte. Ganz anders verlief die Entwicklung in Ostdeutschland. Hier gehörten die Besatzungstruppen der Armee des Sowjetstaates an, der Diktatur des Proletariats. Sie hatten kein Interesse an der Erhaltung des alten Staatsapparates und konnten auch kein Interesse daran haben. W a r die Sowjetische Militär Administration in Deutschland (SMAD) auch ein Organ der Diktatur des Proletariats in der U d S S R , so sah sie ihre Aufgabe doch keineswegs darin, nun in diesem Teile Deutschlands die Sowjetmacht, die Diktatur des Proletariats, zu errichten. Die Marxisten-Leninisten wissen, daß die politische Herrschaft der Arbeiterklasse (die Diktatur) kein Exportartikel ist, daß sie einem Volke nicht von außen aufgezwungen oder geschenkt werden kann, wenn sie Bestand haben soll. Die Herrschaft der Arbeiterklasse muß von den Arbeitern jedes Landes

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selbst errichtet werden, wenn die Verhältnisse dafür reif sind. In Deutschland waren aber 1945 nach zwölf Jahren Naziherrschaft die Verhältnisse dafür nicht gegeben. Die SMAD hielt sich bei ihrer Politik in der von ihr verwalteten Zone Deutschlands streng an die Abmachungen des Potsdamer Abkommens. Sie sorgte für die Ausrottung des Nazismus und Militarismus und überwachte die Liquidierung der Monopole. Damit trug sie sehr wesentlich dazu bei, die Zerstörung der Reste des alten Staatsapparates fortzuführen. Vor allem aber gab die SMAD den antifaschistisch-demokratischen Kräften volle Entfaltungsmöglichkeiten. Damit gerade legte sie den Weg frei zur völligen Vernichtung der Überreste des alten Staatsapparates und zum Aufbau eines neuen Staates, in dem das werktätige Volk bestimmt. Bereits am 11. Juni 1945 trat die wieder legal arbeitende Kommunistische Partei Deutschlands mit einem Aufruf vor das deutsche Volk, in dem sie die Aufgaben für die nächste Etappe des Wiederaufbaus Deutschlands formulierte. In diesem Aufruf hieß es: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk." 1 7

Die Kommunistische Partei Deutschlands sagte in diesem Aufruf klar und deutlich, daß die nächste Aufgabe in Deutschland darin bestand, „die bürgerlich-demokratische Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen". Diese große historische Aufgabe, die Schaffung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung, der Aufbau eines neuen Staatsapparates dieser Art, konnte nur unter der Führung der Arbeiterklasse erfolgreich gelöst werden. Darum war es für die weitere Entwicklung von entscheidender Bedeutung, daß sich die beiden Arbeiterparteien, die K P D und die SPD bereits im April 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vereinigten. Damit wurde in diesem Teile Deutschlands endlich die Partei geschaffen, die allein es dem Proletariat ermöglicht, die bürgerlich-demokratische Revolution erfolgreich zu Ende zu führen und in die sozialistische Revolution überzuleiten. Die unerläßliche Voraussetzung dafür war aber die Errichtung einer neuen Staatsmacht, die in jener Etappe noch nicht die Diktatur des Proletariats sein konnte, sondern „ihrem Klassencharakter nach eine revolutionär-demokratische Arbeiter- und Bauernmacht unter Beteiligung auch anderer Schichten" war. 18 Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands wurde zu der Kraft, die fähig war, alle antifaschistisch-demokratischen Kräfte um sich zu sammeln und für die demokratische Neugestaltung zu gewinnen. Auf Initiative der S E D wurden der demokratische Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien und später die Nationale Front des demokratischen Deutschland gebildet, die alle fortschrittlichen Kräfte in sich vereinigt und aktiv am Neuaufbau teilnimmt. 1 7 Ulbricht, W., Zur Geschichte der Neuesten Zeit. Bd. I, 1. Halb., Dietz-Verlag, Berlin 1955, S. 375. 1 8 Siehe Beschluß des V. Parteitages der S E D , S. 13, 1958.

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Natürlich vollzog sich dieser Prozeß nicht reibungslos und ohne Konflikte, sondern ging in hartem Klassenkampf vor sich. Vertreter der gestürzten Klassen und sonstige reaktionären Elemente, die von Westdeutschland aus unterstützt wurden, stemmten sich gegen die fortschrittliche Entwicklung. Manche von ihnen versuchten in einigen der neugebildeten Parteien Widerstandszentren gegen die neue Ordnung zu organisieren (Hermes, Kaiser u. a.). Sie wurden jedoch von den fortschrittlichen Elementen aus ihren Positionen vertrieben und gingen nach Westdeutschland. Die nächsten und dringendsten ökonomischen Aufgaben nach der Zerschlagung des Faschismus waren die Beseitigung der feudalen Überreste und die Liquidierung der kapitalistischen Monopole. Die erste Aufgabe wurde durch die demokratische Bodenreform gelöst, welche die bis dahin größte sozial-ökonomische Umwälzung in der Geschichte des deutschen Volkes darstellte. Eine der reaktionärsten Klassen der Geschichte, wenn nicht die reaktionärste, das feudale Junkertum, wurde entschädigungslos enteignet und damit völlig ihrer ökonomischen Macht entkleidet. Jahrhundertelang an den deutschen Bauern begangenes Unrecht wurde wieder gutgemacht. Dabei muß hervorgehoben werden, daß die Bodenreform keine sozialistische Maßnahme war, der konfizierte Boden ging als Privateigentum an die Bauern über. Die demokratische Bodenreform war die erste große Maßnahme der eben entstehenden demokratischen Staatsorgane, die so erfolgreich durchgeführt werden konnte, weil diese Organe von der sowjetischen Besatzungsmacht tatkräftig unterstützt wurden und weil sie sich auf die Aktivität breiter werktätiger Schichten, besonders der armen Bauern, stützen konnten. Die zweite große ökonomische Maßnahme war die Enteignung der Kriegsverbrecher, die Auflösung der Monopole und die Überführung ihrer Betriebe in Volkseigentum. Diese Maßnahme wurde durch den Befehl 124 der SMAD eingeleitet der die Beschlagnahme der Betriebe der Kriegsverbrecher und der aktiven Nazis verfügte. Diese Betriebe wurden zunächst unter Sequester gestellt und dann nach einer überwältigenden Volksabstimmung in die Hände des deutschen Volkes übergeben. Damit entstand ein volkseigener Sektor der Wirtschaft, der nun verwaltet und als Produktionssektor geleitet werden mußte. Zu diesem Zwecke wurde im J u n i 1948 durch SMAD-Befehl die Deutsche Wirtschaftskommission ( D W K ) gebildet, die den Anfang eines zentralen Staatsapparates in der heutigen Deutschen Demokratischen Republik bildete. Schon mit der Beschlagnahme der Betriebe der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten erwuchs die Notwendigkeit der planmäßigen Leitung dieser Betriebe. Die Anfänge der volkswirtschaftlichen Planung gehen ebenfalls auf die SMAD zurück. Sie begann mit den Produktionsbefehlen für die wichtigsten Großbetriebe, für die Energieversorgung, den Transport und die einzelnen Industriezweige. E s folgten Pläne für die Materialversorgung einzelner Industriezweige und schließlich Quartals • pläne für die Volkswirtschaft. Mit der Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission erfolgte zugleich die Aufstellung des ersten Halbjahrplanes für das zweite Halbjahr 1948. Das war der Anfang einer volkswirtschaftlichen Gesamtplanung. 19 19

Vgl. Ulbricht, W., Rede auf dem III. Parteitag der SED. Protokoll, Bd. I, S. 343.

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Die erste Etappe dieser Entwicklung endet mit dem Jahre 1949, der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Über den sozialen Inhalt dieser Etappe sagt der Beschluß des V. Parteitages der S E D : „ I n den Jahren 1945 bis 1949 wurden die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik gelöst." 2 0

Auch diese Etappe war durch einen erbitterten Klassenkampf charakterisiert. Die Junker und Großbauern leisteten wütenden Widerstand gegen die Bodenreform. Die Anhänger der ehemaligen Konzernleitungen widersetzten sich der Überführung der Monopolbetriebe in Volkseigentum, sie versuchten die Produktion zu sabotieren und Produktionsunterlagen, Patente, Zeichnungen und auch Kapital nach Westdeutschland zu verschieben. Auch rückständige Elemente der Klein- und Mittelbauern und sogar der Arbeiterklasse, die unter dem Einfluß kapitalistischer Elemente standen, widersetzten sich der fortschrittlichen Entwicklung. In diesem Klassenkampf legte die neugegründete Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ihre Bewährungsprobe ab. Sie verstand es, die fortschrittlichen Kräfte aller werktätigen Schichten um sich zu scharen, den Widerstand des Klassenfeindes zu brechen und die erforderlichen Reformen erfolgreich durchzuführen. Dabei konnte sie sich auf die Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht stützen. Mit der Gründung der DDR beginnt die zweite Etappe der Entwicklung, die durch die Herausbildung der Arbeiter- und Bauernmacht als einer Form der Diktatur des Proletariats und den planmäßigen Aufbau des Sozialismus gekennzeichnet ist. Die Umwandlung der antifaschistisch-demokratischen in die volksdemokratische Ordnung, d. h. die Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht ging nicht mit einem Schlage vor sich. Walter Ulbricht hebt hervor, „daß eigentlich erst nach der Konstituierung der Volkskammer und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und im Zusammenhang mit der Durchführung des ersten Fünfjahrplanes eine systematische Entwicklung der Arbeiter- und Bauernmacht erfolgen konnte." 2 1

Mit der Entwicklung und dem Erstarken der volksdemokratischen Staatsmacht wuchs auch ihre ökonomische Rolle. Nachdem in den Jahren 1949—1950 der Zweijahrplan verwirklicht wurde, beschloß der III. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Juli 1950 den ersten Fünfjahrplan, der im Jahre 1951 begann. Dieser Plan, der von der Volkskammer als Gesetz beschlossen wurde, sah ein Tempo der industriellen Entwicklung vor, wie es in Deutschland bisher unbekannt war. Bis zum Jahre 1955 sollte die industrielle Brutto-Produktion gegenüber 1936 verdoppelt werden. Der Landwirtschaft wurde die Aufgabe gestellt, im Verlauf des Jahrfünfts den Friedensstand im Umfang der Produktion zu erreichen und im Niveau der Ernteerträge und der Produktivität der Viehzucht zu überschreiten. Im Fünfjahrplan war eine Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Industrie um mindestens 60 Prozent, im Bauwesen um mindestens 55 Prozent Beschluß des V. Parteitages der S E D , S. 13. Ulbricht, W., Die Entwicklung des deutschen volksdemokratischen Staates 1945. 1958, S. 588. 20

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vorgesehen. Die Selbstkosten sollten in der Industrie gegenüber 1950 um mindestens 23 Prozent gesenkt werden. Das Volkseinkommen sollte um mehr als 60 Prozent und der Durchschnittslohn in der Industrie um 20 Prozent steigen. Der Fünfjahrplan stellte eine politische Zielsetzung und ökonomische Aufgabenstellung dar, die vom S t a a t unter Führung der Partei vorgenommen wurden. Darin kam die subjektiv-aktive Rolle des Staates klar und eindeutig zum Ausdruck. Natürlich waren die ökonomischen Kennziffern nicht aus der Luft gegriffen, sondern auf Grund sorgfältiger Studien und Berechnungen ermittelt. Dennoch kam in diesem Fünfjahrplan das Primat der Politik über die Ökonomie im Sinne Lenins zum Ausdruck, der sagte: „Ohne politisch richtig an die Sache heranzugehen, wird die betreffende Klasse ihre Herrschaft nicht behaupten, also auch ihre Produktionsaufgabe nicht lösen können."22 Wenn im Fünfjahrplan vorgesehen war, die Produktion im Bergbau auf 194, in der Metallurgie auf 237, im Maschinenbau auf 221 Prozent zu steigern, dagegen in der Leichtindustrie auf 176, in der Zellstoff- und Papierindustrie auf 149 und in der Lebensmittelindustrie auf 187 Prozent, 23 , so entsprach diese Aufgabenstellung gewiß den ökonomischen Tatsachen und den ökonomischen Gesetzen. Aber es ist damit keineswegs gesagt, daß dies unter den gegebenen Bedingungen die objektiv einzig mögliche Lösung gewesen wäre. Es wurden j a verschiedene Varianten des Planes ausgearbeitet und diskutiert. Nach Abwägen aller Faktoren entschieden sich die Staatsorgane unter der Führung der Partei für diese Variante, weil sie unter Beachtung aller Umstände, auch der politischen Lage im Kampf um die Einheit Deutschlands, als die günstigste Lösung erschien, um die politische Zielsetzung — die maximale Entwicklung der Friedenswirtschaft und die größtmögliche Verbesserung der Versorgung — zu erreichen. Die Entscheidung darüber wurde aber nicht von irgendwelchen objektiven Faktoren oder Gesetzen erzwungen, sondern auf Grund dieser Faktoren und Gesetze und unter Berücksichtigung der politischen Lage von der Staatsmacht unter Anleitung der Partei getroffen. Noch klarer tritt die aktive Rolle der Überbaufaktoren bei der nächsten großen Wendung in der zweiten Etappe der Entwicklung hervor. Auf der 2. Parteikonferenz der S E D im J u l i 1952 wurde beschlossen, in der D D R planmäßig mit dem Aufbau des Sozialismus zu beginnen. Natürlich ergab sich diese Aufgabe aus dem erreichten Stand der Entwicklung. Es heißt in dem Beschluß der Parteikonferenz ausdrücklich: „Die politischen und die ökonomischen Bedingungen sowie das Bewußtsein der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen sind so weit entwickelt, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist." 24 Die objektiven Bedingungen für den Übergang zum sozialistischen Aufbau waren also 1952 in der Deutschen Demokratischen Republik herangereift. Auch das Bewußtsein der Arbeiterklasse war genügend entwickelt. Aber das genügt eben noch 22 28 24

Lenin, W. I., Sämtliche Werke. Bd. X X V I , Moskau 1940, S. 149. Siehe Protokoll des III. Parteitages der SED. Bd. II, S. 278/79. Siehe Protokoll der II. Parteikonferenz der SED. S. 492.

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nicht. Diese Lage mußte erkannt und daraus die entsprechende Aufgabe entwickelt werden. Das heißt, es war auch die aktive Rolle des subjektiven Faktors notwendig: die Partei und der von ihr geleitete Staat mußten den erreichten Reifegrad der Entwicklung erkennen, daraus die Schlußfolgerung ziehen und die entsprechenden politischen, ökonomischen und kulturellen Aufgaben stellen. Und bei der Lösung dieser Aufgaben kommt wiederum dem subjektiven Faktor, dem Staat außerordentlich große Bedeutung zu. In dem Beschluß der 2. Parteikonferenz heißt es weiter: „ D a s Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus ist die Staatsmacht. Deshalb gilt es, die volksdemokratischen Grundlagen der Staatsmacht ständig zu festigen. Die führende Rolle hat die Arbeiterklasse, die das Bündnis mit den werktätigen Bauern, der Intelligenz und anderen Schichten der Werktätigen geschlossen hat." 2 6

In diesen Sätzen des Beschlusses ist die aktive Rolle der Staatsmacht als Instrument der Arbeiterklasse in prägnanter Form ausgedrückt. Der Beschluß formuliert weiter die wichtigsten ökonomischen Aufgaben zur Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der D D R : die weitere Erfüllung des Fünfjahrplanes, insbesondere die Rekonstruktion der Hüttenindustrie, des Bergbaus, des Schwermaschinenbaues und der Energiewirtschaft, die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten und die Qualitätsverbesserung der Produkte, die breite Entfaltung des sozialistischen Wettbewerbs und der Neuererbewegung, Hilfeleistung für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und dadurch Festigung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern, Heranbildung einer neuen Intelligenz aus den Reihen der Jugend und der Aktivisten des Neuaufbaus. Nach diesem Beschluß standen die letzen S 1 ^ Jahre des ersten Fünfjahrplanes im Zeichen des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in der DDR. Eine breite Welle des Arbeitsenthusiasmus ging durch alle werktätigen Schichten der DDR, die nun nicht mehr allein in der ständigen Verbesserung ihrer materiellen und kulturellen Lebenslage das Ziel ihrer Arbeit sahen, sondern daneben ein neues, höheres Ziel vor Augen hatten: die Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung, des Sozialismus. Diese Bewegung des Arbeitsenthusiasmus, des entfalteten Wettbewerbs wurde angeleitet und gelenkt von der Partei, von den Staatsorganen und den Massenorganisationen. Auch sie konnte sich nur in harten Auseinandersetzungen mit rückständigen Auffassungen, in der kämpferischen Überwindung des Alten durchsetzen. Mit dem Jahre 1955 ging der erste Fünfjahrplan zu Ende. Auf der 3. Parteikonferenz der S E D im März 1956 wurde die Bilanz gezogen. Walter Ulbricht stellte in seinem Bericht fest, daß die Erfüllung des Planes auf den harten Widerstand des Klassenfeindes, der westdeutschen Konzernherren, Bankherren, Großagrarier und anderer Revanchepolitiker gestoßen ist. Dennoch gelang es, die feindliche Sabotage 25

Ebenda.

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weitgehend zu unterbinden und die Frage Wer-Wen? zugunsten des werktätigen Volkes zu entscheiden. 26 Das wäre aber ohne die aktive Tätigkeit der Staatsmacht nicht möglich gewesen. Die Aufgaben des ersten Fünfjahrplanes wurden im wesentlichen erfüllt. Wie im Beschluß der 3. Parteikonferenz festgestellt wurde, stieg die Bruttoproduktion der Industrie von 1950 bis 1955 auf 189,9 Prozent und hatte sich damit gegenüber 1936 verdoppelt. Dabei stieg die Bruttoproduktion der sozialistischen Industrie auf 212 Prozent, ihr Anteil an der gesamten industriellen Bruttoproduktion stieg von 77 Prozent 1950 auf 85 Prozent 1955. Die Produktion der Schwerindustrie stieg in der gleichen Zeit auf 177,1 Prozent, des Maschinenbaus auf 212,4 Prozent, der Elektrotechnik auf 235,9 Prozent, der Leichtindustrie auf 166,8 und der Lebensmittelindustrie auf 218,7 Prozent. 27 In der Landwirtschaft stiegen die durchschnittlichen Hektarerträge bei Getreide von 20,7 auf 26,4 Doppelzentner. Die Bruttoproduktion an tierischen Erzeugnissen stieg bei Schlachtvieh von 95,7 auf 180,5 Doppelzentner, bei Milch von 548,1 auf 853,8 Doppelzentner je 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. 28 In der Landwirtschaft wurde während des ersten Fünfjahrplanes mit der Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) erfolgreich der Weg der sozialistischen Umgestaltung beschritten Am Ende des ersten Fünfjahrplanes bearbeiteten die LPG 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der DDR. Das Volkseinkommen stieg im ersten Planjahrfünft um 62 Prozent. Jedoch konnten die gesteckten Ziele zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Senkung der Selbstkosten nicht ganz erreicht werden. Die große Bedeutung der erfolgreichen Durchführung des ersten Fünfjahrplanes charakterisierte die 3. Parteikonferenz in folgender Weise: „Durch den erfolgreichen Kampf um die Verwirklichung der Ziele des ersten Fünfjahrplans wurden die in den Jahren 1945 bis 1950 geschaffenen sozialökonomischen Grundlagen für das Wirken des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus gefestigt und sein Wirkungsbereich planmäßig ausgedehnt, so daß es zum bestimmenden Gesetz für die Entwicklung der ganzen Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik wurde." 2 »

Die Erfüllung des ersten Fünfjahrplanes in den meisten Positionen hat historisch bewiesen, daß der Staat, in diesem Falle der Arbeiter- und Bauern-Staat in der DDR, die Partei und die anderen Massenorganisationen fähig waren, die ökonomische Entwicklung in die im Plan festgelegte Richtung zu lenken und die werktätigen Massen für die Erfüllung der gestellten Aufgaben zu mobilisieren und zu organisieren. Mehr als das: Wie in der eben angeführten Stelle aus dem Beschluß der 3. Parteikonferenz richtig festgestellt wurde, h a t der Überbau (Staat, Partei usw.) durch sein aktives ökonomisches Handeln die sozialökonomischen Grundlagen für das Wirken des ökonomischen Grundgesetzes gefestigt und dessen Wirkungsbereich ausgedehnt, so daß es zum bestimmenden Gesetz wurde. Diese Feststellung gilt aber nicht nur für das Grundgesetz, sondern für alle ökonomischen Gesetze des 20 27 28 29

Vgl. Protokoll der 3. Parteikonferenz der S E D . Bd. I, S. 2 8 - 2 9 . Ebenda, Bd. II, S. 1022. Ebenda, B d . I, S. 35 und 37. Ebenda, Bd. II. S. 1023.

Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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Sozialismus, die vom S t a a t nicht nur bewußt ausgenutzt werden, sondern deren Wirkungsbereich durch die aktive ökonomische Rolle des volksdemokratischen Staates ausgedehnt wird. So war der Erfolg bei der Erfüllung des ersten Fünfjahrplanes ein weiterer Beweis für die Wirksamkeit der aktiven Rolle des Arbeiter- und Bauern-Staates im Ablauf der ökonomischen Prozesse. Auf der 3. Parteikonferenz im März 1956 wurde zugleich die Direktive für den zweiten Fünfjahrplan beschlossen, die als Grundlage für den später von der Volkskammer zum Gesetz erhobenen Plan diente. In dieser Direktive würde die allgemeine Aufgabe gestellt, „den während des ersten Fünfjahrplanes erfolgreich vollzogenen Ausbau der Grundstoffindustrie und des Maschinenbaus fortzusetzen, die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft weiterzuführen und die landwirtschaftliche Produktion zu steigern." 3 0 Auf dieser Basis kann die Produktion von Massenbedarfsgütern weiter entfaltet und der Lebensstandard der Bevölkerung gehoben werden. Der zweite Fünfjahrplan, wie er als Gesetz vom 9. J a n u a r 1958 von der Volkskammer beschlossen wurde, sieht eine Steigerung der industriellen Bruttoproduktion auf wenigstens 138 Prozent gegenüber 1955 vor, wobei der Anteil der sozialistischen Industrie auf 90 Prozent anwachsen soll. Während für die Abteilung I (Produktionsmittel) eine Erweiterung um 40 Prozent geplant ist, soll die Abteilung II (Konsumtionsmittel) um 33 Prozent wachsen. Als eine Hauptaufgabe bezeichnet es der Plan, den höchsten Stand der Technik zu erreichen. Auf dieser. Grundlage soll die Arbeitsproduktivität um 33 Prozent steigen, die Selbstkosten'sollen um 20 Prozent sinken. In der Landwirtschaft soll die Bruttoproduktion auf 117 Prozent anwachsen, wobei die Hauptaufgabe in der Steigerung der Produktivität aller Kulturen und der Viehwirtschaft besteht. Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sollen weiter gefördert werden, damit sie sich zu mustergültigen landwirtschaftlichen Großbetrieben mit hoher Marktproduktion entwickeln. Die Bildung neuer Genossenschaften, besonders durch Gewinnung der Mittelbauern, soll gefördert werden. Der zweite Fünfjahrplan sieht eine Erhöhung des Volkseinkommens um mindestens 45 Prozent vor. An Investitionen werden ca. 55 Milliarden Mark aufgebracht (einschließlich Kredite). 3 1 Mit der Ausarbeitung und Durchführung des zweiten Fünfjahrplanes setzte die volksdemokratische Staatsmacht konsequent die Linie ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit fort, die Friedenswirtschaft der D D R zu entwickeln, den Lebensstandard der werktätigen Massen zu heben und dabei zugleich die Grundlagen des Sozialismus in der D D R zu errichten. Um diese Entwicklung auf eine feste technisch-ökonomische Grundlage zu stellen, wurde im März 1957 von der Regierung der D D R ein umfassendes Programm zur Entwicklung der Kohle- und Energieproduktion beschlossen. Dieses Programm sieht die Erschließung des neuen Braunkohlenreviers bei Senftenberg („Schwarze Pumpe") und die Errichtung neuer Kraftwerke vor. Dadurch soll die Ebenda, S. 1025. Zahlen siehe Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil. 1,- 1958, Nr. 5. 31

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vorhandene Disproportion zwischen der raschen industriellen Entwicklung der Republik und der zurückgebliebenen Energiebasis beseitigt werden. Durch die Verwirklichung des Kohle- und Energieprogramms werden die Industrie, die Landwirtschaft und der Verkehr eine energetische Basis erhalten, die zusammen mit den anderen Energiequellen eine weitere rasche Aufwärtsentwicklung ermöglicht. Im Sommer 1958 konnte der V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands feststellen, daß in der DDR die Grundlagen des Sozialismus im wesentlichen geschaffen worden sind. Daher konnte der Parteitag nunmehr eine neue Grundaufgabe stellen, die lautet: „Die Grundaufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik war die Schaffung eines wahrhaften Friedensstaates durch die Beseitigung des Imperialismus mit der Wurzel und ist jetzt die Entwicklung der sozialistischen Demokratie und der Aufbau des Sozialismus, der Sieg der sozialistischen Gesellschaftsordnung." 32

Und an anderer Stelle formuliert der V. Parteitag die Aufgabe, „in absehbarer Zeit den Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik zu vollenden."33 Mit diesem Beschluß des V. Parteitages hat die Partei wiederum die grundlegende Aufgabe für einen ganzen Abschnitt der Entwicklung formuliert. Der Beschluß bestimmt die Richtung, in der die ökonomische Entwicklung vorangetrieben werden soll. Es versteht sich von selbst, daß die Partei dabei von den erreichten Ergebnissen des sozialistischen Aufbaues ausgeht und gleichzeitig in Rechnung stellt, daß die neu entstandenen objektiven ökonomischen Gesetze bei ihrer richtigen Ausnutzung den Sieg des Sozialismus in absehbarer Zeit möglich machen. Es hieße aber die Rolle der Partei herabsetzen und im weiteren die Rolle des Arbeiterund-Bauern-Staates verkleinern, wollte man daraus die Schlußfolgerung ziehen, daß allein die ökonomische Lage und die objektiven ökonomischen Gesetze die Vollendung des sozialistischen Aufbaus auf die Tagesordnung gesetzt hätten. Dann wäre ja der Beschluß des Parteitages überflüssig und auch die riesige Anstrengung im Kampf um seine Durchführung nicht vonnöten, denn ökonomische Lage und objektive Gesetze würden schon zum Sieg des Sozialismus führen. Aber dem ist nicht so! Der Sozialismus siegt nicht im Selbstlauf, durch das bloße Wirken der ökonomischen Gesetze, der Sieg muß erkämpft werden. Darum ist es unbedingt erforderlich, daß die Partei, gestützt auf die objektiven Faktoren, die Aufgabe formuliert, sie als Willensakt proklamiert und alle gesellschaftlichen Kräfte für ihre Durchsetzung mobilisiert und organisiert. Darum ist es erforderlich, daß alle Organe der sozialistischen Staatsmacht entsprechend dem Beschluß der Partei ihre ganze Tätigkeit unter richtiger Ausnutzung der objektiven Faktoren und Gesetze auf dieses Ziel lenken. So, und nur so, kann der Sieg des Sozialismus errungen werden. Dabei hat der V. Parteitag nicht nur diese große Linie festgelegt. Ein sorgfältiges Studium seines Beschlusses zeigt, daß hier die Direktiven für die Lösung einer großen Anzahl ökonomischer Probleme gegeben werden. 34 38 33 34

Beschluß des V. Parteitages der SED. Dietz-Verlag 1958, S. 17. Ebenda, S. 65 Vgl. besonders Abschnitt IV des Beschlusses. S. 32—65.

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Diese Direktiven stellen zugleich auch den Wirtschaftswissenschaftlern der D D R eine Fülle von Aufgaben, an deren Lösung noch immer nicht genügend gearbeitet wird. Den Höhepunkt dieser Direktiven bildet die Formulierung der ökonomischen Hauptaufgabe, die nicht mit der oben dargelegten Grundaufgabe der Vollendung des sozialistischen Aufbaus verwechselt werden darf. Im Beschluß des V . Parteitages heißt es: „Die ökonomische Hauptaufgabe besteht darin, die Volkswirtschaft innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend bewiesen wird. Deshalb muß erreicht werden, daß der Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern höher liegt als der Pro-Kopf-Verbrauch der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland."36 Bei der Behandlung der ökonomischen Hauptaufgabe wird häufig nur der zweite Teil beachtet, die Überflügelung Westdeutschlands im Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung. Eine solche Einseitigkeit führt jedoch zu einer völlig falschen Auffassung der ökonomischen Hauptaufgabe. Sie sieht das Wesen der Hauptaufgabe in der Steigerung des Verbrauchs, also vom einseitigen Konsumentenstandpunkt. Ein solcher Standpunkt ist nicht nur borniert, sondern auch falsch. Jeder sieht ein, daß nicht verbraucht werden kann, was nicht erzeugt wurde. Die vom Parteitag beschlossene Formulierung der Hauptaufgabe beginnt darum auch mit den Worten: „Die ökonomische Hauptaufgabe besteht darin, die Volkswirtschaft innerhalb weniger J a h r e so zu entwickeln, daß . . . " . Damit hat der Parteitag klar und eindeutig gesagt, daß bei der Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe die Produktionsaufgaben den Vorrang haben, denn nur ihre Erfüllung sichert die Erreichung des Zieles, Westdeutschland in wenigen Jahren im Pro-Kopf-Verbrauch zu überholen. Der V. Parteitag beschloß zugleich ein großartiges Programm zur Entwicklung der chemischen Industrie der D D R , das nunmehr neben dem Kohle- und Energieprogramm zum Schwerpunkt des wirtschaftlichen Aufbaus geworden ist. Insbesondere ist in diesem Programm die Steigerung der Herstellung von Kunstfasern und Kunststoffen vorgesehen, die eine außerordentliche Steigerung der Massenbedarfsgüterproduktion ermöglicht. Dank der großzügigen Hilfe der Sowjetunion wird es möglich sein, in der D D R einen neuen Zweig der chemischen Industrie, die Petrochemie, zu entwickeln. Gleichzeitig bestimmt die ökonomische Hauptaufgabe das zweite Ziel, die Volkswirtschaft so zu entwickeln, „daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend erwiesen wird". Damit dient diese Hauptaufgabe zugleich der vom Parteitag beschlossenen Grundaufgabe, in absehbarer Zeit den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft zu vollenden. Sie steckt eine Etappe zu diesem Ziel ab. Die Partei hat das Ziel gesteckt, die ökonomische Hauptaufgabe im wesentlichen bis zum J a h r e 1961 zu lösen. Dieses Datum ist gesetzt, weil die Bonner Regierung 1

Ebenda, S. 32.

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bis zu diesem Zeitpunkt die Atomausrüstung der Bundeswehr vollenden will. Die Gegenüberstellung dieser militaristischen Zielsetzung des Bonner Staates zur friedlichen Zielsetzung der D D R ist besonders geeignet, die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung über die kapitalistische zu zeigen. Jedoch erweist sich hierbei wiederum, daß die ökonomische Zielsetzung durch die Arbeiter-und-BauernMacht nicht nur auf ökonomischen Tatsachen und Gesetzen, sondern auch auf politischen Notwendigkeiten beruht. IV. Betrachten wir nun die historische Rolle der proletarischen Staatsmacht (der der Diktatur des Proletariats) als Hauptinstrument des sozialistischenAufbaus etwas näher. Durch die Revisionisten wurde in den letzten Jahren die Frage aufgeworfen ob die proletarische Staatsmacht in der Periode des sozialistischen Aufbaus und besonders mit der Annäherung an den Sozialismus zu stärken sei, oder ob sie abgebaut werden, zum Absterben gebracht werden müsse. Nicht nur die jugoslawischen Revisionisten haben die These vom Absterben des Staates in der Übergangsperiode vertreten, die gleiche These wurde auch von einigen Ökonomen in der Deutschen Demokratischen Republik verfochten. Diese These läßt völlig die konkrete historische Situation außer acht, in der sich der sozialistische Aufbau vollzieht. Die sozialistische Revolution siegte zunächst nur in einem Lande, in Rußland, das den Aufbau des Sozialismus in völliger kapitalistischer Umkreisung beginnen mußte. Später entstand das sozialistische Weltsystem, und das Kräfteverhältnis verschiebt sich immer mehr zugunsten des Sozialismus. Heute umfaßt das sozialistische Weltsystem bereits 26 Prozent des Territoriums, 35 Prozent der Bevölkerung und mehr als 35 Prozent der Industrieproduktion der Erde. Während die wirtschaftliche Entwicklung der sozialistischen Länder sich ununterbrochen in einem für kapitalistische Länder unerreichbaren Tempo aufwärts entwickelt, wurde die Entwicklung in den imperialistischen Ländern in den letzten Jahren wiederum durch eine Krise unterbrochen. Auch der erfolgreiche Kampf der bisher vom Imperialismus unterdrückten Völker, der fortschreitende Zerfall des Kolonialsystems führt zu einer zunehmenden Schwächung des imperialistischen Lagers. Ist angesichts dieser Entwicklungstendenz der Ausgang des Wettstreits der zwei Systeme auch völlig gewiß, so darf doch nicht übersehen werden, daß dem sozialistischen Lager heute noch ein umfangreiches und mächtiges Lager imperialistischer Länder gegenübersteht. Diese Situation hat den Klassenkampf nicht nur außerordentlich verschärft, sondern sie hat zugleich die internationale Politik zu seiner Hauptarena gemacht. E r wird nicht mehr nur zwischen Klassen, sondern zwischen Staaten mit konträr entgegengesetztem Klasseninhalt geführt. Aber zum ersten Male verfügt seit 1917 nicht nur die Bourgeoisie über einen Staatsapparat zur Führung dieses Klassenkampfes, sondern auch das Proleatariat. Es leuchtet ein, daß die sozialistischen Staaten die stärkste Waffe des internationalen Proletariats gegen die unternationale Bourgeoisie sind. Schon

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aus dieser Betrachtung wird deutlich, daß eine Schwächung der sozialistischen Staaten oder gar ihr Absterben einer Entwaffnung der internationalen Arbeiterklasse angesichts der schwerbewaffneten imperialistischen Staaten gleichkäme. Das wäre Selbstmord! Es ist bekannt, daß der Imperialismus infolge der ihm immanenten kapitalistischen Gesetze, besonders infolge des Gesetzes der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung, zum Kriege treibt. Ebenso bekannt ist, daß die sozialistischen Länder infolge der ihnen immanenten sozialistischen Gesetze eine konsequente Friedenspolitik betreiben. Sie schlagen darum den kapitalistischen Ländern eine Politik der friedlichen Koexistenz, des friedlichen Wettstreites auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiete vor. Dank der mächtig angewachsenen Friedenskräfte, auch in den imperialistischen Ländern selbst, kann eine solche Politik verwirklicht werden; der Krieg ist kein unabwendbares Schicksal mehr. Aber es wäre töricht und verbrecherisch, von den sozialistischen Staaten zu verlangen, daß sie einseitig ihre staatlichen Machtmittel abbauen. Gerade ein solcher Weg würde zum Krieg führen, denn nur die respektable wirtschaftliche und militärische Stärke der sozialistischen Länder kann den Imperialisten die Vernunft beibringen, auf die Politik der friedlichen Koexistenz einzugehen. Es ist bekannt, daß die sozialistischen Länder schon mehrmals die Zahl ihrer Streitkräfte verringert haben. Es ist weiter bekannt, daß die Sowjetunion im vergangenen Jahre freiwillig und einseitig die Versuche mit Kernwaffen einstellte. Die Imperialisten antworteten darauf mit weiteren Rüstungen und neuen Kernwaffenversuchen. All dies beweist, daß von einer Schwächung der sozialistischen Staaten in ihrem extremsten Repressivorgan, den Streitkräften, keine Rede sein kann, solange nicht durch Verhandlungen ein bindendes Abkommen über eine allgemeine Abrüstung erzielt wird. Die Lage in Deutschland weist hier wiederum eine Besonderheit auf. Im Gegensatz zu allen anderen Volksrepubliken in Europa ist in Deutschland der Klassenfeind der Arbeiterklasse, die Monopolbourgeoisie, noch nicht vernichtet. Nur in einem Teil Deutschlands — der DDR — konnte sie entmachtet werden. Aber die meisten der hier entmachteten Großagrarier und Monopolkapitalisten fristen nicht in der Emigration ihr Dasein, sondern sind in Westdeutschland aktive Teilhaber der politischen und wirtschaftlichen Macht. Natürlich" brüten sie Rache. In der Bundesrepublik ist die Monopolbourgeoisie im Bunde mit den Großagrariern immer noch die herrschende, ausbeutende Klasse. Sie hat ihre alten imperialistischen Eroberungspläne, durch die zwei Weltkriege entfesselt wurden, noch nicht aufgegeben. Hinzu kommt, daß die DDR mit ihrer Arbeiter-und-Bauern-Macht und ihrem sozialistischen Aufbau ihr wie ein Pfahl im Fleische steckt. Und das mit gutem Grund. Denn in der Tat ist die Schaffung der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse. Auch sie kann sich jetzt in ihrem Klassenkampf auf eine organisierte Staatsmacht stützen. Aus all diesen Gründen betreibt die noch immer herrschende deutsche Monopolbourgeoisie fieberhaft die Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus, die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen und bereitet den Revanchekrieg gegen die DDR und andere sozialistische Länder vor. Aber nicht nur das. Sie ist auch täglich und

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stündlich bestrebt, den friedlichen sozialistischen Aufbau in der D D R zu stören und zu sabotieren. Es wurde bereits darauf hingewiesen, wie diese Kräfte versucht haben, die Durchführung des ersten Fünfjahrplanes zu durchkreuzen. Das ist im zweiten F ü n f j a h r p l a n natürlich nicht anders geworden. Angesichts dieser Tatsachen einer Schwächung der S t a a t s m a c h t in der D D R das Wort reden, das würde eine direkte Untertützung der Pläne dieser restaurativen K r ä f t e sein. Ohne Zweifel werden die Repressivfunktionen im Inneren der sozialistischen Staaten schwächer in dem Maße, wie der Widerstand der Ausbeuter gebrochen wird und die Bauern und kleinbürgerlichen Mittelschichten f ü r den sozialistischen Aufbau gewonnen werden. Aber zur gleichen Zeit muß der militärische Machtapparat der sozialistischen Staaten nach außen stärker werden, u m gegenüber der Bedrohung durch die imperialistischen Länder gewappnet zu sein. Gewiß ist die Macht der sozialistischen K r ä f t e in der Welt seither unvergleichlich gewachsen, so daß keine Restauration des Kapitalismus mehr möglich ist und der Sozialismus endgültig gesiegt h a t . Aber das enthebt die sozialistischen Staaten nicht der Pflicht, gegenüber der Gefahr gerüstet zu sein. Auf dem X X I . Parteitag der K P d S U sagte N. S. Chruschtschow: „Solange die aggressiven Militärblocks der westlichen Mächte bestehen, sind wir verpflichtet, unsere ruhmreichen Streitkräfte, die auf der Wacht der großen Errungenschaften und der friedlichen Arbeit des Sowjetvolkes stehen, zu festigen und zu vervollkommnen,"3' Somit ergibt sich, daß selbst die militärischen Machtorgane des sozialistischen Staates ungeachtet der allmählichen Beseitigung der antagonistischen Klassen im Innern nicht geschwächt werden dürfen, solange noch eine imperialistische Bedrohung in der Welt vorhanden ist. Diese Funktionen werden auch erhalten bleiben, wenn die sozialistischen Länder den Übergang zum Kommunismus vollzogen haben werden, aber noch immer imperialistische Länder existieren. Mit dieser These h a t t e Stalin völlig recht. Sie widerspricht keineswegs den Auffassungen des MarxismusLeninismus, wie Fritz Behrens meinte 3 7 , sondern ergibt sich aus der gesellschaftlichen Tatsache, daß der Sieg des Kommunismus im Weltmaßstabe etappenweise voranschreitet. Jeder Versuch, die sozialistische S t a a t s m a c h t zu schwächen, widerspricht den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus und hilft den Feinden der Arbeiterklasse. Auf einen Versuch, die S t a a t s m a c h t der Arbeiter und Bauern in der D D R zu schwächen, lief auch — wie die 4. Tagung des Zentralkomitees der S E D feststellte — die Tätigkeit der Schirdewan-Gruppe hinaus. Obwohl ich selbst nicht zu dieser Gruppe gehört h a b e und auch ihre Ansichten nicht teilte, habe ich doch ihre Gefährlichkeit nicht erkannt und deshalb nicht rechtzeitig den Kampf gegen sie aufgenommen. Dadurch habe ich objektiv dieser schädlichen Gruppe Schützenhilfe geleistet und bin wider Willen zu ihrem Helfer geworden. Dieser Fehler, den ich schon vor mehr als eineinhalb J a h r e n bekannte, wiegt umso schwerer, als ich gerade in 36 37

Chruschtschow, N. S., ebenda, S. 131. Vgl. „Wirtschaftswissenschaft", 1957, 3. Sonderheft, S. 130.

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der Frage des Staates schon vor Jahren gegen revisionistische Auffassungen aufgetreten bin. 38 Der sozialistische Staat entwickelt im Verlaufe des sozialistischen Aufbaus neue Funktionen, die keine eigentlichen Repressionsfunktionen mehr sind, aber doch nur vom Staate ausgeübt werden können. Dies sind folgende: 1. Die wirtschaftlich-organisatorische Funktion. Hierher gehört die Planung und Leitung der Volkswirtschaft, die Verteilung der Produktivkräfte auf die verschiedenen Produktionszweige, die sozialistische Organisierung der Wirtschaft und die Verteilung der Produkte. Besondere wirtschaftlich-organisatorische Aufgaben erwachsen dem Staat in der Übergangsperiode aus der Notwendigkeit, die einfachen und die noch vorhandenen kapitalistischen Warenproduzenten in den sozialistischen Aufbau einzubeziehen. In der DDR ist die aktive Rolle der Staatsmacht auf diesem Gebiete besonders groß, weil die historischen Umstände eine sehr differenzierte Behandlung dieses Problems erfordern. Während den Bauern und den Handwerkern der Weg zum Sozialismus durch den Zusammenschluß in Produktionsgenossenschaften geöffnet ist, gehen die Kleinhändler diesen Weg über den Abschluß von Kommissionsverträgen mit dem staatlichen und genossenschaftlichen Handel. Die privatkapitalistischen Unternehmer wiederum haben die Möglichkeit, durch die Annahme von Staatsbeteiligung sich der sozialistischen Entwicklung anzuschließen. Bei allen diesen Maßnahmen spielen die staatlichen Organe eine hervorragende Rolle, so bei den Produktionsgenossenschaften die unteren Staatsorgane und die MTS, bei den Einzelhändlern die staatlichen Handelsorgane und bei den Privatkapitalisten die Finanzorgane des Staates. Besondere Aufgaben ergeben sich daraus, daß diese Schichten nicht durch Zwang auf den sozialistischen Weg gebracht werden dürfen, sondern ihn völlig freiwillig beschreiten müssen, daß aber andererseits die Entwicklung dieser Schichten zum Sozialismus nicht dem Selbstlauf überlassen werden darf. Daraus folgern für die staatlichen Organe, die Partei und die anderen gesellschaftlichen Organisationen, große Aufgaben der Überzeugungsarbeit und der Leistung wirtschaftlicher und organisatorischer Hilfe. Dabei sind die Beziehungen zu den kleinen Warenproduzenten nicht nur wirtschaftlich-organisatorischer Natur, sondern umfassen das ganze gesellschaftliche Leben, woraus der Staatsmacht weitere Aufgaben erwachsen. So bedeutungsvoll die ökonomische Tätigkeit des sozialistischen Staates zur Überführung dieser Schichten zum Sozialismus auch ist, sie wird mit der Zeit tatsächlich schwächer und kommt ganz in Fortfall in dem Maße, wie alle diese Schichten in die sozialistische Wirtschaft eingegliedert werden. Aber damit entstehen und wachsen sogleich neue wirtschaftlich-organisatorische Funktionen des Staates: die Stärkung und Förderung der Produktionsgenossenschaften in Landwirtschaft und Handwerk, die Regelung ihrer Beziehungen zur volkeigenen Wirtschaft usw., die Regelung des Kommissionsvertragswesens im Einzelhandel, die Regelung der Beziehungen der halbstaatlichen Betriebe zur volkseigenen Wirtschaft und zu den Staatsorganen usw. 38

Siehe „Wirtschaftswissenschaft", Heft 3/1957.

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Zur wirtschaftlich-organisatorischen Funktion des Arbeiter-und-Bauern-Staates gehört auch die Vereinbarung mit anderen sozialistischen Ländern über die internationale Arbeitsteilung und die Koordinierung der Arbeit, wie überhaupt die Organisierung der Zusammenarbeit mit ihnen. Je mehr sich diese Zusammenarbeit entwickelt und die Volkswirtschaften der einzelnen sozialistischen Länder sich gegenseitig ergänzen, desto umfangreicher wird diese Funktion, desto bedeutungsvoller also auch die Rolle der Staatsmacht. Schließlich gehören zur wirtschaftlich-organisatorischen Funktion der Staatsmacht auch die ökonomischen Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern, die sich hauptsächlich durch den Außenhandel abwickeln. Bekanntlich ist in der DDR das staatliche Außenhandelsmonopol durch Gesetz festgelegt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die wirtschaftlich-organisatorische Funktion der Staatsmacht .in Verlaufe der Übergangsperiode nicht schwächer wird, nicht abnimmt, sondern im Gegenteil zunimmt und stärker wird. Mit jedem neuen Plan, mit jedem neuen Wirtschaftsjahr dringt der Staat mit seiner lenkenden und organisierenden Tätigkeit tiefer in das Wirtschaftsleben ein, bestimmt er konkreter und umfassender den Ablauf des Wirtschaftsprozesses. Die ökonmoische Rolle des sozialistischen Staates wird also nicht schwächer, sondern stärker. 2. Gleichzeitig mit der wirtschaftlich-organisatorischen entwickelt der Staat auch die kulturell-erzieherische Funktion. Aufbau des Sozialismus heißt ja nicht nur Errichtung einer neuen, sozialistischen Basis, sondern auch eines sozialistischen Überbaus, nicht zuletzt die Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins der Menschen. Der politischen Revolution muß nicht nur die ökonomische, sondern auch die Kulturrevolution folgen. Natürlich ist dafür die Errichtung und Stärkung der sozialistischen Basis von entscheidender Bedeutung. Auch für den Sozialismus gilt voll und ganz das Wort von Karl Marx, daß nicht das Bewußtsein das Sein, sondern umgekehrt das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt. Indessen wäre es ganz unmarxistisch anzunehmen, daß sich aus der sozialistischen Basis spontan, automatisch, im Selbstlauf das sozialistische Bewußtsein entwickelt. In der dritten seiner „Thesen über Feuerbach" schrieb Karl Marx: „Die materialistische Lehre, daß die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergißt, daß die Umstände eben von den Menschen verändert werden und daß der Erzieher selbst erzogen werden muß."39

Das sozialistische Bewußtsein muß auf Grund der Veränderungen in der Basis entwickelt werden. Das Instrument dazu ist der Staat, der mit seinen entsprechenden Organen bzw. Institutionen (Schulen, Hochschulen, Funk, Kino, Theater usw.) diese Aufgabe unter Führung der Partei vollbringt. Wie aktiv dabei die Rolle des Staates ist, das zeigen deutlich die in jüngster Zeit auf diesem Gebiet in der DDR eingeleiteten Maßnahmen: die sozialistische Umgestaltung der Hochschulen und die Einführung der polytechnischen Bildung. 39

Marx, K. und Engels, F., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. II, Berlin 1952, S. 376/77.

Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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Außer der Staatsmacht haben auch die gesellschaftlichen Organisationen bei der Erfüllung der kulturell-erzieherischen Funktionen wichtige Aufgaben zu erfüllen. Vor allem natürlich die Partei, die die gesamte Tätigkeit auch der Staatsorgane lenkt und leitet. Neben ihr spielen die Gewerkschaften als Schule des Kommunismus, die Jugendorganisation zur Erziehung der jungen Generation, die Frauen-, Bauern- und Kulturorganisationen eine große Rolle bei der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins. Mit dem fortschreitenden sozialistischen Aufbau dringt die kulturell-erzieherische Tätigkeit des Staates, der Partei und der Massenorganisationen in immer neue Gebiete des geistigen und sittlichen Lebens der Gesellschaft ein. So war mit der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der D D R die Zeit herangereift, bestimmte Normen der sozialistischen Moral zu formulieren, was Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag der S E D unternahm. Es ist klar, daß auch die kulturell-erzieherische Funktion des Staates mit dem fortschreitenden sozialistischen A u f b a u nicht schwächer wird, nicht abnimmt, sondern im Gegenteil zunimmt u n d stärker wird. Das bedeutet aber gleichzeitig eine Stärkung der sozialistischen Staatsmacht, der Diktatur des Proletariats. Dem k a n n engegengehalten werden, daß die wirtschaftlich-organisatorische und die kulturell-erzieherische Funktion keine eigentlichen Staatsfunktionen im Sinne der marxistisch-leninistischen Staatstheorie mehr sind. Denn diese Staatstheorie betrachtet den S t a a t als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument der jeweils herrschenden Klasse, und das gilt auch f ü r den sozialistischen Staat. Diese neuen Funktionen haben aber in der T a t wenig mit Unterdrückungsmaßnahmen zu tun. Aber trotzdem sind diese Funktionen eben doch Staatsfunktionen, sie werden von den Organen desselben Staates ausgeübt, der auch die noch verbliebenen Repressionsfunktionen ausübt. In diesem Widerspruch k o m m t die schon früher behandelte Tatsache zum Ausdruck, daß der sozialistische S t a a t ein S t a a t ganz neuer Art ist, der sich prinzipiell von allen früheren S t a a t e n unterscheidet, der schon kein S t a a t im eigentlichen Sinne mehr ist, weil die Mehrheit über die Minderheit herrscht. Der sozialistische S t a a t ist zwar noch Unterdrückungs-, aber niemals Ausbeutungsinstrument. Nun ist es das eigenartige der revisionistischen Konzeption, daß sie gerade die neuen Funktionen des Staates liquidieren will, die erst mit der Entwicklung des sozialistischen Staates entstehen. So leugnen die jugoslawischen Revisionisten die wirtschaftliche Rolle des sozialistischen Staates und verbinden ihre Angriffe gegen das staatliche sozialistische Eigentum m i t Ausfällen gegen die zentrale Planung durch den Staat. 4 0 Die gleiche Auffassung wurde auch von Vertretern revisionistischer Ansichten in der D D R vertreten. Arne Benary z. B. war der Ansicht, daß der S t a a t nicht während des gesamten Prozesses des Aufbaus der sozialistischen Ökonomik das entscheidende Instrument sei. 41 Auch Fritz Behrens vertrat die Meinung, die staatliche Administration müsse „abgebaut und ersetzt werden durch die wirt40 Vgl. Glasermann, G., Ukrainzew, B., Der Sozialismus und der Staat. In: „Probleme des Friedens und des Sozialismus", Nr. 1/1958, S. 23-24. 41 „Wirtschaftswissenschaft", 1957, 3. Sonderheft, S. 92.

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schaftspolitische Ausnutzung der Wirkungsweise der ökonomischen Gesetze". 42 Andernfalls, so drohte er, müsse es „zu Gegensätzen zwischen dem bürokratischen Verwaltungsapparat und den Werktätigen führen". 4 8 Klar ist an dieser Konzeption nur, daß die staatliche Administration, d. h. die ökonomische Funktion des Staates abgebaut werden sollte. Wenn sie durch die Ausnutzung der ökonomischen Gesetze er« setzt werden sollte, so bleibt völlig im Dunkeln, wer diese Gesetze ausnutzen solle. Denn das Tätigkeitswort ausnutzen bedingt doch ein tätiges Subjekt. Indessen vermag dies eine der damaligen 8 Gesamtkonzeption von Fritz Behrens nicht ganz entsprechende Formulierung gewesen sein. Denn an einer andren Stelle seiner Arbeit schrieb er: „Planen als bewußtes Ausnutzen ökonomischer Gesetze heißt nicht, wie manche glauben, daß der Staat und seine Organe die Handlungen der Menschen ersetzen, deren wesentlicher Ausdruck die ökonomischen Gesetze sind. Planen heißt, ökonomische Gesetze wirken lassen, d. h. menschliche Handlungen bewußt lenken, positive oder negative ökonomische Impulse auslösen." 45

Planen heißt . . . ökonomische Gesetze wirken lassen, das ist der Kern dieser Konzeption, die die aktive Rolle des Staates, die bewußte Ausnutzung der objektiven ökonomischen Gesetze (das heißt doch die Handhabung dieser Gesetze als Instrumentarium) durch die elementare, spontane Wirkung der Gesetze ersetzen will. Diese Konzeption negiert die unbestreitbare Tatsache, daß die objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus nicht spontan entstanden sind und nicht spontan entstehen konnten. Sie entstanden nur, weil der Staat (Überbau) durch seine aktive Tätigkeit die Basis änderte (Vergesellschaftung der Produktionsmittel, neue Produktionsverhältnisse) und damit die Grundlage für das Entstehen und Wirken dieser ökonomischen Gesetze schuf. Die revisionistische Konzeption negiert weiter, daß das Wirken der ökonomischen Gesetze nicht spontan zum Sozialismus führt, sondern daß es durch die Staatsmacht der Arbeiterklasse in diese Richtung gelenkt werden muß. Um ihre Konzeption zu krönen, ersetzten' Benary und Behrens die aktive ökonomische Rolle des sozialistischen Staates durch die unsinnige Losung der „Selbstverwaltung der Wirtschaft". „Die Selbstverwaltung der Wirtschaft muß jetzt an die Stelle der Verwaltung der Wirtschaft durch den zentralisierten Staatsapparat treten." 48

schrieb Arne Benary. Unsinnig ist diese Losung deshalb, weil ihre Väter (das sind nicht Benary und Behrens, sondern die rechten Führer der II. Internationale) damit ihre Unkenntnis der marxistischen Theorie wie auch der ökonomischen Tatsachen verraten. Was heißt denn übferhaupt Wirtschaft? Der Begriff Wirtschaft umfaßt alles, was die Menschen brauchen, um durch ihre Arbeit die zu ihrem Lebens42

Ebenda, S. 129. Ebenda, S. 129. 44 Ich sage „damaligen", weil sich Fritz Behrens begrüßenswerterweise weitgehend von dieser Konzeption losgesagt hat und heute in vielen Fragen einen anderen Standpunkt vertritt. Das macht aber die Auseinandersetzung mit der damaligen revisionistischen Konzeption nicht überflüssig. 45 „Wirtschaftswissenschaft", 1957, 3. Sonderheft, S. 109. 46 Ebenda, Benary, S. 89. Ferner bei Benary S. 90/91, bei Behrens S. 125/135. 48

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unterhalt notwendigen Mittel hervorzubringen. Zur Wirtschaft gehören die Produktions- und Verkehrsmittel, die Produktionsverhältnisse, die Organisationsformen wie auch die beruflich gegliederten Arbeitskräfte. Die „Wirtschaft" hat letzten Endes immer den Zweck, den Unterhalt der Menschen zu gewährleisten. In der Warenproduktion und besonders in der kapitalistischen Warenproduktion entwickeln sich nun solche gesellschaftlichen Verhältnisse (Produktionsverhältnisse), in denen die Leitung der Wirtschaft der Herrschaft der Menschen entgleitet. Die Wirtschaft macht sich selbständig und beherrscht die Menschen, statt von ihnen beherrscht zu werden. Gerade im Kapitalismus haben wir die höchste Stufe der „Selbstverwaltung" der Wirtschaft, eine solche Stufe, daß die Menschen völlig der Wirtschaft Untertan und ihren Gesetzen ausgeliefert sind. Die Menschen sind machtlos gegenüber dem Gesetz der Verelendung, dem Gesetz der Krise, dem Gesetz des Falls der Profitrate usw. Mit der Elementargewalt von Naturkräften (ganz spontan!) brechen diese Gesetze über die Menschen herein. Der Sozialismus stellt sich gerade die Aufgabe, dieser Selbstherrlichkeit der „Wirtschaft" ein Ende zu bereiten. Er will die Wirtschaft wieder zu einer Dienerin der Menschen machen, will ihre Elementargewalt bändigen und ihre Kräfte zum Wohle der Mens'chen nutzen. Um das zu erreichen, ist aber eine Gewalt, eine Macht nötig, die nur der sozialistische Staat sein kann. Dies sind Binsenwahrheiten der marxistisch-leninistischen Theorie. Es ist daher unverständlich, wie Ökonomen, die Marxisten sein wollen, das dumme (und demagogische) Geschwätz der rechten sozialdemokratischen Führer von der Selbstverwaltung der Wirtschaft nachplappern können. Indes ist die revisionistische Konzeption alles andere als harmlos. Bei den rechten sozialdemokratischen Führern dient sie dazu, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel (d. h. die Verstaatlichung) abzulehnen und damit das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln zu schützen. Wenn die Revisionisten auch nicht dem kapitalistischen Privateigentum das Wort reden, so läuft die Losung „Selbstverwaltung der Wirtschaft" doch auch bei ihnen darauf hinaus, die aktive ökonomische Rolle des sozialistischen Staates zu schwächen oder ganz zu negieren, angeblich um die Produktion, den Handel usw. von der „staatlichen Bürokratie" zu erlösen. Sie behaupten, daß die „Selbstverwaltung" höhere Formen der sozialistischen Demokratie gewähre und damit auch die Massen von der „staatlichen Bürokratie" befreie. Bürokratismus ist nun gewiß ein vom Kapitalismus überkommenes Übel, das ständigen Kampf herausfordert. Aber warum nur die staatliche Bürokratie? Es gibt doch auch eine „Wirtschaftsbürokratie", die vor allem mit dem Imperialismus groß wurde und sich zum Teil auch in den Sozialismus hinübergerettet hat. Diese Wirtschaftsbürokratie ist aber keinen Deut besser als die staatliche. Sie würde durch die sogenannte Selbstverwaltung der Wirtschaft nicht schwächer, sondern stärker werden! Sie würde bald in reinem Ökonomismus versinken und die große gesellschaftliche Aufgabe des sozialistischen Aufbaus vernachlässigen und sie schließlich ganz preisgeben. .Wird unter „Selbstverwaltung der Wirtschaft" verstanden, daß nicht der Staat die Produktionsmittel besitzen und den Produktionsprozeß leiten soll, sondern die

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unmittelbaren Produzenten selbst, so trägt die Losung anarcho-syndikalistischen Charakter. Sie würde nicht zur Zusammenfassung der Kräfte der Arbeiterklasse führen, sondern zu ihrer Zersplitterung, zur Entwicklung des Konkurrenzkampfes zwischen den Arbeitergruppen und damit zur Entfaltung der Marktanarchie. Das heißt, sie würde vom Sozialismus hinwegführen. Übrigens wäre auch sie kein Heilmittel gegen den Bürokratismus. Jeder Arbeiter weiß, daß sich auch innerhalb eines Betriebes eine Bürokratie entfalten kann, die den Werktätigen das Leben recht sauer macht. Versteht man endlich unter „Selbstverwaltung der Wirtschaft" die Freiheit für das spontane (elementare) Wirken der ökonomischen Gesetze, besonders des Wertgesetzes, so würde dies tatsächlich zu jener echten Selbstverwaltung der Wirtschaft zurückführen, wie sie oben geschildert wurde, nämlich zur kapitalistischen Anarchie, deren Überwindung die Sozialisten sich mit Recht als großes Verdienst anrechnen. Man kann die Dinge also drehen und wenden wie man will, immer läuft die Losung Selbstverwaltung der Wirtschaft darauf hinaus, die ökonomische Rolle des sozialistischen Staates abzubauen, die Anarchie der Produktionsweise wieder zu entfalten und damit nicht dem Sozialismus, sondern der kapitalistischen Restauration den Weg zu bahnen. Es bleibt also dabei, daß gerade die ökonomischen Funktionen des sozialistischen Staates gestärkt werden müssen, daß sie überhaupt nicht „absterben", sondern nur ihren politischen Charakter verlieren, wenn mit dem Absterben des Staates einst andere gesellschaftliche Organe an seine Stelle treten werden. Bereits im Jahre 1918 sprach Lenin auf dem I. Kongreß der Volkswirtschaftsräte die prophetischen Worte: „Es unterliegt keinem Zweifel: je weiter die Errungenschaften der Oktoberrevolution fortschreiten werden, je tiefer diese von ihr begonnene Umwälzung gehen wird, je dauerhafter das Fundament für die Errungenschaften der sozialistischen Revolution und für die Sicherung der sozialistischen Gesellschaftsordnung gelegt werden wird, desto größer, desto bedeutender wird die Rolle der Volkswirtschaftsräte werden, die allein unter allen staatlichen Institutionen dazu berufen sind, einen dauerhaften Platz zu behaupten, der um so dauerhafter sein wird, je mehr wir uns der Aufrichtung der sozialistischen Ordnung nähern werden, je geringer das Bedürfnis nach einem rein administrativen Apparat sein wird, einem Apparat, der sich eigentlich nur mit der Verwaltung befaßt. Nachdem der Widerstand der Ausbeuter endgültig gebrochen sein wird, nachdem die Werktätigen gelernt haben werden, die sozialistische Produktion zu organisieren, ist es diesem Apparat der Verwaltung im eigentlichen, engen Sinne des Wortes, diesem Apparat des alten Staates bestimmt zu sterben, während es einem Apparat von der Art des Obersten Volkswirtschaftsrates bestimmt ist, zu wachsen, sich zu entwickeln und zu erstarken, da er die gesamte wichtigste Tätigkeit der organisierten Gesellschaft umfaßt." 47 Gleichzeitig damit wächst auch im Maße des sozialistischen Aufbaus die Rolle der gesellschaftlichen Organisationen, die eine Reihe von bislang von Staatsorganen ausgeübten Funktionen übernahmen. Auf dem X X I . Parteitag sagte N. S. Chruschtschow: „Heute ist es schon klar, daß viele von staatlichen Organen ausgeübte Funktionen nach und nach den gesellschaftlichen Organisationen übertragen werden müssen."48 47 48

Lenin, W. I., Sämtliche Werke. Bd. XXIII, Moskau 1940, S. 48. Chruschtschow, N. S., a. a. 0., S. 128.

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Chruschtschow nannte dabei vor allem Fragen der kulturellen Betreuung der Bevölkerung, des Gesundheitswesens, des Sports und der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung. Es wäre aber wiederum völlig abwegig, aus dieser Übertragung staatlicher Funktionen an gesellschaftliche Organisationen auf eine Abschwächung der Rolle des Staates beim Übergang zum Kommunismus zu schließen. Chruschtschow hob ausdrücklich hervor: „Es ist selbstverständlich, daß der Übergang einzelner Funktionen von den Staatsorganen an die gesellschaftlichen Organisationen keineswegs eine Schwächung der Rolle des sozialistischen Staates im Aufbau des Kommunismus bedeutet." 49

Was die Überwindung des Bürokratismus in der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates (wie überhaupt) anbelangt, so wird sie durch die Entwicklung des demokratischen Zentralismus verwirklicht, von dem sich der sozialistische Staat auch in seinem ökonomischen Handeln leiten läßt. Die Diktatur des Proletariats stellt unbedingt eine zentralistische Staatsmacht dar. Die Staatsorgane in den unteren Verwaltungsgebieten, in den Bezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden unterstehen der zentralen Staatsgewalt. Das gilt auch für die ökonomische Tätigkeit des Staates. Die moderne Produktion mit ihrer hohen Konzentration und ihrer hochentwickelten Technik und Arbeitsteilung erfordert unbedingt die Organisierung der Produktion in gesamtgesellschaftlichem, d. h. in gesamtstaatlichem Maßstabe. Darum müssen eine Reihe wichtiger ökonomischer Funktionen unbedingt von den gesamtstaatlichen Organen ausgeübt werden. Das gilt vor allem für folgende Funktionen: 1. Planung der gesamten Volkswirtschaft, Festlegung der Investitionen. Bestimmung der Proportionen zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen, 2. Verteilung des Volkseinkommens, d. h. Festlegung der Akkumulationsrate, der Löhne und Preise, 3. Verwaltung der Finanzen des sozialistischen Staates, 4. Außenhandel, 5. Verwaltung der Staatsreserve. Dieser Zentralismus der staatlichen Lenkung der Wirtschaft bedeutet aber durchaus nicht, daß nun jede einzelne wirtschaftliche Frage eines Betriebes, eines Gutes, einer Bankfiliale oder einer Verkaufsstelle zentral von oben geregelt wird, wie die Revisionisten zur Begründung ihrer Thesen behaupteten. Ein solcher omnipotenter Zentralismus ist überhaupt unmöglich, er würde nur Chaos erzeugen. Jede zentrale Weisung ist darauf berechnet, von den unteren Organen in entsprechender Weise durchgeführt zu werden. Allerdings ist der Grad der Zentralisierung nicht in jeder Entwicklungsetappe gleich. Die Tendenz geht dahin, mit dem Erstarken der unteren Organe, sei es der unmittelbaren Staats- oder der Wirtschaftsorgane, ihnen immer größere Vollmacht und Selbständigkeit zu geben. Davon wird weiter unten die Rede sein. Prinzipiell unterscheidet sich der Zentralismus des sozialistischen Staates von dem des bürgerlichen Staates dadurch, daß er ein demokratischer Zentralismus ist, d. h., daß er sich auf die aktive Mitarbeit der breiten Völksmassen, in erster Linie der 49

Ebenda, S. 130/31.

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ganzen Arbeiterklasse stützt. Die zentralen wie die lokalen Staatsorgane gehen aus demokratischen Wahlen hervor, sie sind ihren Wählern Rechenschaft pflichtig und können von ihnen abgesetzt werden. Die Yolksmassen sind die entscheidende schöpferische Kraft in der Geschichte. Keine große geschichtliche Bewegung hat ohne Teilnahme breiter Massen stattgefunden. Aber die Massen können nur dann im Sinne des geschichtlichen Fortschritts handeln, wenn an ihrer Spitze eine zielbewußte Führung steht. Man darf auch die Massen nicht idealisieren.' Schließlich können wir die großen und bitteren Lehren der Novemberrevolution 1918 und des Faschismus nicht in den Wind schlagen. Das Unglück der deutschen Arbeiterklasse bestand 1918 doch gerade darin, daß an ihrer Spitze nicht eine kampferprobte und zielklare Partei stand, die den revolutionären Elan der Massen in die richtige Bahn lenkte. Der Faschismus konnte in Deutschland nur siegen, weil die Massen der sozialdemokratischen Arbeiter den rechten Führern folgten und nicht den Weg zur Einheitsfront mit den Kommunisten fanden, weil andere Massen der nazistischen Demagogie ins Netz gegangen waren. Aus diesen geschichtlichen Erfahrungen haben wir die große Lehre gezogen, daß die Volksmassen nur dann ihre geschichtsbildende Aufgabe lösen können, wenn eine zielklare revolutionäre Führung an ihrer Spitze steht. Dieser Grundsatz gilt für die Ökonomie genauso wie für die Politik. Die Massen können niemals spontan, sondern nur unter der Führung der Partei und des proletarischen Staates zum Sozialismus gelangen. Es scheint, daß dieses marxistische Axiom gerade nach den geschichtlichen Erfahrungen in Deutschland unbestritten ist. Und doch sind die Vertreter der revisionistischen Konzeption auch dagegen aufgetreten. Benary sprach von der Einheit von Spontaneität und Bewußtheit und erklärte: „Planmäßige Wirtschaftsführung heißt folglich nicht 'Unterdrückung' der Spontaneität ihre — illusorische — Leugnung, sondern im Gegenteil bewußte Lenkung der Spontaneität."60 Auch Fritz Behrens vertrat den Standpunkt, daß die zentrale Leitung der sozialistischen Wirtschaft darin bestehe, „die Spontaneität der werktätigen Massen in die richtige Bahn zu lenken" 61 . Das tollste dabei war aber, daß sich die Anhänger dieser neuen Spontaneitàtstheorie ausgerechnet auf — Lenin beriefen. Lenin hat sich bekanntlich in seiner Schrift „Was t u n ? " (1902) ausführlich mit dem Verhältnis von Spontaneität und Bewußtheit befaßt. Anlaß war ihm dazu eine gegen ihn gerichtete Anklage der späteren Menschewiki in der Zeitung „Rabotscheje Djelo", die lautete: „Unterschätzung des objektiven oder spontanen Elements der Entwicklung" 82 . Es war also genau der gleiche Vorwurf, den mehr als 50 Jahre später die Revisionisten gegen die marxistische Partei erhoben ! Und wie antwortet Lenin auf diese Anklage? E r schrieb : „Darum besteht unsere Aufgabe, die Aufgabe der Sozialdemokratie, im Kampf gegen die Spontaneität, sie besteht darin, die Arbeiterbewegung von d,em spontanen Streben 60 61

„Wirtschaftswissenschaft", 1957, 3. Sonderheft, S. 76. Ebenda, S. 125. Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. I, Berlin 1953, S. 189/98.

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des Trade-Unionismus, sich unter die Fittiche der Bourgeoisie zu begeben, abzubringen und sie unter die Fittiche der revolutionären Sozialdemokratie zu bringen." 63 Angesichts dieser klaren Stellungnahme Lenins scheint es doch reichlich unverfroren, wenn die Revisionisten den Versuch unternahmen, Lenin als Kronzeugen für ihre Spontaneitätstheorie anzurufen. Die Marxisten-Leninisten leugnen durchaus nicht das Vorhandensein des spontanen Elements bei den Massen. Aber sie betrachten dieses Element als etwas Unreifes, Unentwickeltes, das niemals von sich aus zum Sozialismus führen kann. Darum sehen sie ihre Aufgabe gerade darin, dieses spontane Element zu überwinden, es durch Bewußtheit zu ersetzen. Die marxistische Partei und der sozialistische Staat wollen die Massen nicht überlisten, nicht hinten herum unter Lenkung ihres spontanen Handelns zum Sozialismus zu führen, sondern sie zu bewußten Erbauern der sozialistischen Gesellschaft erziehen. Darum muß auch die Erziehung des sozialistischen Bewußtseins, d. h. die Überwindung des spontanen Handelns der werktätigen Massen, mit der Lösung der ökonomischen Aufgaben Hand in Hand gehen. Das Bewußtsein selbst ist ein Faktor bei der Lösung der ökonomischen Aufgaben. Von dieser Erkenntnis ausgehend, arbeiten die Sozialisten — gestützt auf die Erfahrung der Massen — die Methoden aus, die der aktiven und bewußten Teilnahme der Massen am sozialistischen Aufbau förderlich sind. Die wichtigste Methode der Massenführung im sozialistischen Aufbau ist der sozialistische Wettbewerb. Er vollzieht sich täglich in tausenden und millionenfachen Handlungen der Menschen in den Betrieben und Kontoren, auf dem Lande und in den Verkaufsstellen, in Lehranstalten und sonstwo. Es kann bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen, daß bei diesem Wettbewerb das spontane Element sehr stark ist. Wenn der Dreher X eine Selbstverpflichtung eingeht oder eine Neuerermethode ausknobelt, um die Produktivität zu steigern, wenn die Verkäuferin Y sich Gedanken darüber macht, wie die Kundschaft besser und rascher bedient werden kann, wenn der Rentner Z freiwillige Arbeitsstunden im Nationalen Aufbauwerk leistet usw., sind das denn nicht spontane Handlungen dieser Menschen? Gewiß, diese Handlungen wurden weder befohlen noch angeordnet. Und doch sind sie alles andere als spontan. Sie sind der Ausdruck der wachsenden Bewußtheit, die Frucht der erzieherischen Arbeit des sozialistischen Staates, der Partei und der anderen gesellschaftlichen Organisationen. Die Aufgabe des Staates, der Partei usw. besteht aber nicht nur darin, die Spontaneität durch Bewußtheit zu ersetzen, sondern ein bestimmtes, nämlich sozialistisches Bewußtsein zu entwickeln und die diesem Bewußtsein entspringenden Handlungen der Menschen in ganz bestimmte Richtungen zu lenken. Dies gilt ganz besonders für die ökonomische Tätigkeit des Staates, für die Lenkung der wirtschaftlichen Handlungen der Menschen. Der sozialistische Wettbewerb ist vornehmlich auf die Erfüllung der Wirtschaftspläne gerichtet. Dabei besteht die Hauptaufgabe in der ständigen Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Diese wird zwar vor allem durch die Entwicklung der Technik 63

Ebenda, S. 208.

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bestimmt, durch die Anwendung immer besserer, vollkommenerer Produktionsmittel und -methoden. Jedoch ist die Technik ohne den Menschen tot. E r s t die Verbindung mit der lebendigen Arbeit bringt die Wunder der Technik zur Wirkung. Die qualifizierte Handhabung der Technik durch den Produzenten entscheidet schließlich über ihren Nutzen. Das gilt für die Landwirtschaft und den Verkehr ebenso wie für die Industrie. Darum ist der Mensch der entscheidende Faktor bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Der sozialistische Wettbewerb soll das wirtschaftliche Handeln der Menschen in diese Richtung lenken. Dazu werden im wesentlichen folgende Wege beschritten: 1. Die Methode der Überzeugung. Sie dient dazu, das Bewußtsein der arbeitenden Menschen so zu entwickeln, daß sie die Bedeutung der Erhöhung der Arbeitsproduktivität für ihr eigenes Wohl wie für das Wohl der Gesellschaft erkennen und auf Grund dieses Bewußtseins ständig daran arbeiten, die Produktivität ihrer Arbeit zu steigern. Es wurde schon erwähnt, daß durch diese Methode bereits große Erfolge erzielt wurden. Man kann sich davon in jedem Betrieb der Republik überzeugen. 2. Die Methode des Zwanges. F ü r die Steigerung der Arbeitsproduktivität wie überhaupt für den ungestörten Ablauf des Produktionsprozesses sind Arbeitsdisziplin und Arbeitsmoral von großer Wichtigkeit. Die Methode der Überzeugung reicht jedoch nicht aus, um die erforderliche Arbeitsdisziplin zu gewährleisten. Darum muß sie mit der Anwendung von Zwangsmethoden verbunden werden. Lenin begründete die Notwendigkeit solcher Zwangsmethoden folgendermaßen: „. . . ohne in Utopien zu verfallen, darf man nicht annehmen, daß die Menschen sofort nach dem Sturz des Kapitalismus lernen werden, ohne alle Rechtsnormen für die Allgemeinheit zu arbeiten, sind doch die ökonomischen Voraussetzungen für eine solche Änderung durch die Abschaffung des Kapitalismus mit einem Male nicht gegeben."54 Es versteht sich, daß die Methoden des Zwanges nur von den Organen des sozialistischen Staates angewandt werden können. Sie verlieren jedoch in dem Maße an Bedeutung, wie das sozialistische Bewußtsein wächst und die Arbeitsdisziplin freiwillig eingehalten wird. 3. Die Methode der materiellen Interessiertheit. Sie ist ein sehr wichtiges Prinzip der sozialistischen Wirtschaftsführung, bei dem die persönlichen Interessen der Werktätigen mit den gesellschaftlichen Interessen verbunden werden. Dieses Prinzip findet seinen Ausdruck in den entsprechenden Formen des Lohnes, der Differenzierung der Tariflohngruppen und der Festlegung von Arbeitsnormen, in den verschiedenen Arten von Prämiierung, in der Festsetzung der Erfassungs- und Aufkaufpreise usw. Das Wesen dieses Prinzips besteht darin, den einzelnen Werktätigen entsprechend seiner Leistung für die Gesellschaft zu ent- und belohnen. Es beruht also auf dem Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung. 4. Die Methode der moralischen Interessiertheit. Sie kommt einerseits dadurch zur Anwendung, daß im Maße wie in den Betrieben eine hohe Arbeitsmoral entsteht, Bummelei und Verletzung der Arbeitsdisziplin immer mehr als unmoralisches Verhalten erkannt werden, das von der Mehrzahl der Kollegen verachtet und ge54

Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. II, Berlin 1953, S. 230.

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ächtet wird. Wer im Betrieb angesehen sein will, muß sich daher in die allgemeine Arbeitsdisziplin einordnen. Andererseits wird die Methode der moralischen Interessiertheit durch gesellschaftliche Ehrungen und Auszeichnungen für besondere Arbeitsleistungen angewandt. Hierher gehören die Aktivistennadeln, die Arbeitsorden, die Ehrennamen verdienter Bergmann, verdienter Eisenbahner usw. bis zum Titel Held der Arbeit mit dem goldenen Stern. Wer den Kumpel gesehen hat, der mit Stolz die Aktivistennadeln für mehrere Jahre, das Banner der Arbeit oder gar den goldenen Stern des Arbeitshelden trägt, der versteht, welch starken Anreiz diese moralische Interessiertheit darstellt. Natürlich werden diese vier Methoden nicht einzeln zeitlich nacheinander oder räumlich nebeneinander angewandt, sondern sie bilden eine Einheit als Methoden der sozialistischen Wirtschaftsführung, besonders des sozialistischen Wettbewerbs. Bei ihrer Anwendung, die der Lenkung der wirtschaftlichen Tätigkeit wie der Bewußtseinsbildung in gleicher Weise dient, spielt der sozialistische Staat die entscheidende Rolle. Auch in ihnen findet der demokratische Zentralismus seine Verwirklichung. Die Anwendung des Prinzips des demokratischen Zentralismus ist nicht in allen Etappen der Entwicklung gleich, sondern sie verändert, entwickelt sich selbst. Am Anfang, beim Aufbau der sozialistischen Staatsorgane, entwickelt sich zunächst eine straffe Zentralisierung. Die Unfertigkeit der unteren Staats- und Wirtschaftsorgane, noch mehr aber die Notwendigkeit, den alten- Staatsapparat restlos zu zerstören und die alten, kapitalistischen Wirtschaftsmethoden auszurotten, machen es erforderlich, daß viele Entscheidungen durch zentrale Stellen getroffen werden. Das birgt allerdings die Gefahr in sich, daß ein Überzentralismus entsteht, der mit fortschreitender Entwicklung immer mehr zu einem Hindernis wird, das beseitigt werden muß. In dem Maße, wie die Macht des alten Systems gebrochen wird, wie die unteren Organe des neuen Staats- und Wirtschaftsapparates sich entwickeln und qualifizieren, wie das sozialistische Bewußtsein der werktätigen Massen wächst, im gleichen Maße können viele der bisher zentralen Entscheidungen in die Hände der unteren Organe gelegt, können die werktätigen Massen umfangreicher in die staatliche und wirtschaftliche Verwaltung einbezogen werden. Die Beseitigung des Überzentralismus wird nun zum dringenden Gebot. Die Verlegung der Verantwortung und Entscheidung nach unten ist ein fortwährender, man möchte fast sagen, kontinuierlicher Prozeß, in dem natürlich bestimmte Schnittpunkte vorhanden sind. So wurde beispielsweise schon vor vielen Jahren (im Jahre 1951) den Gewerkschaften die Verantwortung für den Arbeitsschutz und die Verwaltung der Sozialversicherung übertragen.. Die Rechte und Vollmachten der Werkleiter wurden mehrfach durch Regierungsbeschlüsse erweitert. Besondere Einschnitte waren auf politischem Gebiet 1956/57 die Gesetze über die örtlichen Organe der Staatsmacht und über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen. Durch diese Gesetze wurden die Rechte der örtlichen Organe der Staatsmacht beträchtlich erweitert, d. h. eine große Anzahl von Fragen aus der zentralen Entscheidung in die örtliche übertragen. Dadurch wurden breitere

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Schichten der Werktätigen in die staatliche Verwaltungsarbeit einbezogen, also eine höhere Stufe des Demokratismus erreicht. Auf dem Gebiete der Wirtschaftsführung des Staates war der entscheidende Einschnitt der letzten Zeit das im Februar 1958 beschlossene Gesetz über die Vereinfachung und Vervollkommnung der Arbeit des Staatsapparates und die Änderung des Arbeitsstils. Durch dieses Gesetz wurden bei den Räten der Bezirke Wirtschaftsräte gebildet, denen ein bedeutender Teil der Wirtschaft ihres Bezirkes zur unmittelbaren Anleitung unterstellt wurde. Gleichzeitig wurden die Plankommissionen bei den Räten der Kreise verstärkt. F ü r die größeren Betriebe wurden zentralgeleitete aber weitgehend selbständige Vereinigungen volkseigener Betriebe (VVB) gebildet. Durch diese Maßnahmen wurden die zentralen Industrieministerien überflüssig und konnten aufgelöst werden. Wichtig war die Festlegung in dem Gesetz, daß in allen neugebildeten Wirtschaftsorganen des Staates Vertreter der Gewerkschaften als vollberechtigte Mitglieder sitzen sollen. In den Betrieben sind Kommissionen der ständigen Produktionsberatungen gebildet worden, die ebenso wie die Produktionskonferenzen die aktive Teilnahme und Einwirkung der Arbeiter auf die Planausarbeitung und Planerfüllung und alle anderen wirtschaftlichen Fragen ihres Betriebes gewährleisten sollen. Die Grundlinie des Gesetzes besteht darin, die Wirtschaftsführung durch den S t a a t näher an die Basis zu verlegen und konkreter zu gestalten, die Eigenverantwortlichkeit der unteren Wirtschaftsorgane zu erhöhen und vor allem die werktätigen Massen enger an die Wirtschaftsleitung heranzuziehen, besonders durch ihre berufene Organisation, die Gewerkschaften. Durch das Gesetz wird der Initiative von unten volle Entfaltungsmöglichkeit gegeben. Auf keinen F a l l bedeutete dieses Gesetz aber eine Abschwächung der ökonomischen Rolle des volksdemokratischen Staates. Die Verantwortung der Staatlichen Plankommission als dem zentralen planenden und leitenden Wirtschaftsorgan des Staates wurde durch das Gesetz erhöht. Und die unteren Wirtschaftsorgane, deren Verantwortung ebenfalls erhöht wurde, sind samt und sonders — von den V V B e n und den Wirtschaftsräten der Bezirke bis zu den Werkleitern — Organe der volksdemokratischen Staatsmacht. Im Gegenteil, durch dieses Gesetz wurde die ökonomische Rolle der Staatsmacht verstärkt und gefestigt, denn gerade die Erhöhung der Verantwortung der unteren Organe, die engere Heranziehung der Arbeiter ermöglicht es, den Wirtschaftsprozeß konkreter und detaillierter zu leiten und die gestellten Aufgaben besser zu erfüllen. Das ist aber nicht eine Abschwächung, sondern eine Stärkung der ökonomischen Rolle der Staatsmacht. Lenin schrieb: „Die Stärkung und Entwicklung (der Staatsmacht — F. O.) muß bestehen in der Verwirklichung (einer möglichst breiten, allgemeinen und planmäßigen Verwirklichung) der Aufgaben, die von der Geschichte dieser Form der Staatsmacht, diesem neuen Staatstypus gestellt werden. .

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Lenin, W. I., Sämtliche Werke. Bd. X X I I , Zürich 1934, S. 406.

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V. E s bleibt nunmehr noch übrig, etwas näher auf die ökonomischen Funktionen der sozialistischen Staatsmacht einzugehen. Bekanntlich entwickelte J . W. Stalin auf dem X V I I . Parteitag der K P d S U im Jahre 1939 die These über die neuen Funktionen des Sowjetstaates, die wirtschaftlich-organisatorische und kulturell-erzieherische Funktion. Jahrelang herrschte die Meinung vor, daß es sich dabei um nur eine allgemeine Funktion des sozialistischen Staates handelt. Diese Meinung wurde in jüngster Zeit mit Recht kritisiert. E s setzt sich, wie P. S. Romaschkin vor einem J a h r zeigte, immer mehr die Auffassung durch, daß die wirtschaftlich-organisatorische und die kulturell-erzieherische Tätigkeit des Sowjetstaates zwei verschiedene Hauptfunktionen sind. 56 Unverständlich ist mir jedoch, daß Romaschkin die Funktion der Kontrolle über das Maß der Arbeit und des Verbrauchs als eine besondere Hauptfunktion von der wirtschaftlichorganisatorischen Tätigkeit des Staates trennt. E r begründet diese Trennung folgendermaßen: „Indessen bilden viele Fragen, die mit der Regelung des Arbeitslohns der Werktätigen verschiedener Berufe und Qualifikationen, mit der Arbeitsnormierung und mit der Verteilung in den Kollektivwirtschaften verbunden sind, einen selbständigen Komplex, der nicht mit der wirtschaftlich-organisatorischen Arbeit verschmilzt. Diese Fragen werden in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gelöst.""7 E s drängt sich die Frage auf, was als konkreter Inhalt der wirtschaftlich-organisatorischen Tätigkeit übrig bleibt, wenn wir die Regelung des Maßes der Arbeit und des Verbrauchs davon ausschließen? Meines Erachtens umfaßt die wirtschaftlich organisatorische Tätigkeit des sozialistischen Staates die gesamte Ökonomie, ihr obliegt die Ausnutzung aller ökonomischen Gesetze des Sozialismus, einschließlich des Gesetzes des stetigen Wachstums der Arbeitsproduktivität und des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung, sie befaßt sich mit allen ökonomischen Kategorien, einschließlich des Lohnes, der Arbeitseinheiten der L P G und auch des Verbrauches. Die Trennung der wirtschaftlich-organisatorischen Tätigkeit von der Funktion der Kontrolle über das Maß der Arbeit und des Verbrauchs scheint mir daher künstlich und lebensfremd zu sein. Auch das Argument, daß diese Fragen in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gelöst werden, ist nicht stichhaltig, denn dies gilt mit der zunehmenden Entwicklung der sozialistischen Demokratie für alle Fragen der wirtschaftlich-organisatorischen Tätigkeit des Staates. Wie bereits oben gezeigt wurde, besteht die ökonomische Hauptfunktion des sozialistischen Staates in der Verwaltung des sozialistischen Eigentums und der Leitung der sozialistischen Produktion. An diese Aufgabe geht der von der marxistischen Partei geführte sozialistische S t a a t mit einer ganz bestimmten Zielsetzung heran, die darin besteht, die neuen sozialistischen Produktionsverhältnisse zu ent wickeln, die Klassenspaltung der Gesellschaft zu überwinden und damit die sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Dabei hat er 68 Romaschkin, P. S., Die Funktion des Sowjetstaates beim Aufbau des Kommunismus. In: „Sowjetwissenschaft," Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 1959, Heft 3, S. 266. « Ebenda, S. 268 und 270.

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zu beachten, daß die materielle und kulturelle Lebenslage der Werktätigen in diesem Aufbauprozeß ständig verbessert wird. Unter diesen Gesichtspunkten organisiert der sozialistische Staat den Prozeß der erweiterten Reproduktion, wobei die ständige Steigerung der Arbeitsproduktivität als zentrale Aufgabe immer im Mittelpunkt steht. In der Ausübung dieser Funktion hat der sozialistische Staat konkret zu regulieren : a) die Planung und Leitung der gesamten gesellschaftlichen Produktion, die Festlegung des Entwicklungstempos und der Proportionen der einzelnen Wirtschaftszweige. Das erfordert b) die Verteilung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, d. h. der Produktionsinstrumente, der Energie, der Roh- und Hilfsstoffe und der Arbeitskräfte auf die einzelnen Wirtschaftszweige. c) die Verteilung des Volkseinkommens. Dies erfordert die Festlegung der Akkumulationsrate und der Konsumtionsrate, die Entscheidung über die Verwendung der Akkumulationsmittel, sowie die Festlegung der Löhne, der Preise und der Steuern. Hierzu gehört auch die soziale Betreuung der werktätigen Massen, die Organisierung der Sozialversorgung und Sozialversicherung. M. J . Piskotin hat mit Recht darauf hingewiesen, daß diese sehr wichtige ökonomische Funktion des sozialistischen Staates bisher von der Theorie vernachlässigt wurde, obwohl sie in der ökonomischen Tätigkeit des sozialistischen Staates einen breiten Raum einnimmt. 68 Darum sei sie hier besonders hervorgehoben. Ein wichtiges Mittel zur Ausübung der ökonomischen Funktionen des sozialistischen Staates ist das Staatsbudget. Die Existenz der Warenproduktion und Warenzirkulation bedingt die Geldform der Produkte aller sozialistischen Betriebe. Diese Form gibt dem Staat solche wichtigen Mittel zur Leitung der Produktion in die Hand wie die wirtschaftliche Rechnungsführung und die Kontrolle durch die Mark. Sie ermöglicht die exakte Durchführung des Sparsamkeitsregimes. Mit Hilfe der Finanzen nimmt der Staat die Verteilung des gesellschaftlichen Gesamtproduktes in Geldform vor. Dabei darf jedoch nie außer acht gelassen werden, daß die Produktion die materielle Grundlage der Finanzen ist. Im sozialistischen Finanzsystem nimmt das Staatsbudget den führenden Platz ein. Der Staatshaushalt ist mit der ganzen Volkswirtschaft verbunden, es spiegelt den Volkswirtschaftsplan wider und hat gleichzeitig allseitigen Einfluß auf seine Erfüllung. Es wurde schon früher erwähnt, daß die Leitung des einheitlichen sozialistischen Finanzsystems die Angelegenheit der zentralen Staatsorgane ist. Indem der sozialistische Staat alle diese ökonomischen Funktionen ausübt, reguliert er den Verlauf und die Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft. Damit ist die Frage nach dem Regulator der sozialistischen Wirtschaft gestellt, die in der marxistischen Literatur noch nicht geklärt ist. Allgemein anerkannt ist unter den 58

Vgl. Piskotin, M. J . , Die gegenwärtigen Funktionen des Sowjetstaates. I n : „ S o w j e t wissenschaft", Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, H e f t 5/1958, S. 529/30.

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marxistisch-leninistischen Theoretikern das Gesetz des Wertes bzw. des Produktionspreises als Regulator der kapitalistischen Warenproduktion. Während die Revisionisten nun die These verfechten, daß das Wertgesetz der Regulator auch der sozialistischen Warenproduktion sei, wird diese These von den marxistischen Ökonomen mit vollem Recht als unmarxistisch verworfen. Jedoch gibt es noch keine allgemein anerkannte Antwort auf die Frage wie es mit dem Regulator der sozialistischen Produktion sei. Viele Ökonomen meinen, weil in der kapitalistischen Warenproduktion ein objektives ökonomisches Gesetz die Funktion des Regulators ausübe, müsse auch im Sozialismus ein objektives Gesetz als Regulator gefunden werden. Dabei schreiben sie diese Rolle meist dem Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung zu. Meines Erachtens beruht diese Auffassung über den Regulator der sozialistischen Wirtschaft auf einer Unklarheit über die ökonomische Rolle des sozialistischen Staates. Betrachten wir zur Klärung des Problems zunächst die Fragestellung bei Marx und Engels. In der Einleitung zum 47. Kapitel des I I I . Bandes des „ K a p i t a l " bezeichnet Marx den Durchschnittsprofit als „Regulator der Produktion", ohne näher darauf einzugehen. Dafür ist aber das Problem der „Regelung der Gesamtproduktion" mehrfach und ausführlich von Marx behandelt worden. So besonders im 51. Kapitel des I I I . Bandes, wo Marx schreibt: „. . . ergibt sich aus den beiden obigen Charakteren des Produkts als Ware, oder (der) Ware als kapitalistisch produzierter Ware, die ganze Wertbestimmung und die Regelung der Gesamtproduktion durch den Wert. In dieser ganz spezifischen Form des Werts gilt die Arbeit einerseits nur als gesellschaftliche Arbeit; andererseits ist die Verteilung dieser gesellschaftlichen Arbeit und die wechselseitige. Ergänzung, der Stoffwechsel ihrer Produkte, die Unterordnung unter und Einschiebung in das gesellschaftliche Triebwerk, dem zufälligen, sich wechselseitig aufhebenden Treiben der einzelnen kapitalistischen Produzenten überlassen. Da diese sich nur als Warenbesitzer gegenübertreten, und jeder seine Ware so hoch als möglich zu verkaufen sucht (auch scheinbar in der Regulierung der Produktion selbst nur durch seine Willkür geleitet ist) setzt sich das innere Gesetz nur durch vermittelst ihrer Konkurrenz, ihres wechselseitigen Drucks aufeinander, wodurch sich die Abweichungen gegenseitig aufheben. Nur als inneres Gesetz, den einzelnen Agenten gegenüber als blindes Naturgesetz, wirkt hier das Gesetz des Werts und setzt das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion inmitten ihrer zufälligen Fluktuationen durch."®9 Aus dieser Darstellung von Marx ergeben sich für unser Thema die folgenden Schlüsse: 1. die Regelung der Gesamtproduktion durch den Wert ergibt sich in der kapitalistischen Produktionsweise daraus, daß a) das Produkt die Form von Ware an nimmt, b) die Ware das Produkt des Kapitals ist. In der sozialistischen Produktion könnte es scheinen, daß die Ursache a) noch vorhanden ist, da auch hier das Produkt noch Warenform hat. Jedoch ist hier zu berücksichtigen, daß die sozialistische Warenproduktion keine gewöhnliche Warenproduktion mehr ist. Sie wird nicht mehr von isolierten Privatproduzenten, sondern von sozialistischen Produzenten vollzogen, die durch das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und durch die Planwirtschaft miteinander verbunden B»

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Marx, K., Das Kapital. Bd. III, S. 936/37.

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sind. Die Ursache b) hingegen ist in der sozialistischen Produktion fortgefallen, die Ware ist nicht mehr das Produkt des Kapitals. 2. die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit und ihre wechselseitige Ergänzung, der Stoffwechsel ihrer Produkte, sowie die Unterordnung unter und Einschiebung in das gesellschaftliche Triebwerk ist in der kapitalistischen Produktionsweise dem sich wechselseitig aufhebenden (weil gegeneinanderwirkenden) Treiben der einzelnen kapitalistischen Produzenten überlassen. In der sozialistischen Produktion ist die Lage gerade umgekehrt. Der Plan bestimmt die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit und den Stoffwechsel ihrer Produkte, er ist ein Plan der gesamten gesellschaftlichen Produktion, der von vornherein die „Unterordnung unter und die Einschiebung in das gesellschaftliche Triebwerk", d. h. die gesellschaftliche Gesamtproduktion, vornimmt. 3. die kapitalistischen Produzenten treten sich nur als Warenbesitzer gegenüber, d. h. als Produzenten sind sie voneinander isoliert, hier ist jeder scheinbar nur durch seine Willkür geleitet, sie treten sich als feindliche Brüder gegenüber, jeder will seine Ware so teuer wie möglich verkaufen, — darum setzt sich das innere Gesetz nur vermittels der Konkurrenz durch und hebt die Abweichungen gegenseitig auf. Wiederum haben wir in der sozialistischen Produktion eine entgegengesetzte Lage. Die sozialistischen Produzenten treten sich nicht als Warenbesitzer gegenüber, sondern sind als Produzenten durch den Plan zusammengefaßt, nicht als feindliche Brüder, sondern dank der neuen Produktionsverhältnisse in kameradschaftlicher Zusammenarbeit. Die Konkurrenz ist aufgehoben und die „Abweichungen" werden durch die bewußte Ausnützung des Gesetzes der proportionalen Entwicklung planmäßig aufgehoben. 4. das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion, d. h. die Proportionalität und die Anpassung an den Bedarf kann in der kapitalistischen Produktionsweise inmitten der zufälligen Fluktuationen nur durch das Wirken des Wertgesetzes als blindes Naturgesetz durchgesetzt werden. Im Sozialismus dagegen wird das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion, d. h. ihre Proportionalität und ihre Anpassung an den gesellschaftlichen Bedarf durch den Plan festgelegt, wobei das Wertgesetz als Instrument der Planung und Lenkung der Wirtschaft bewußt ausgenutzt wird. Somit ergibt sich, daß in der kapitalistischen Produktionsweise ein objektives Gesetz als Regulator der Produktion wirken muß, weil die Menschen den gesellschaftlichen Produktionsprozeß nicht bewußt zu regulieren vermögen, weil die Produzenten voneinander isoliert sind und der gesellschaftliche Charakter der Produktion nicht anerkannt ist, weil keine gesellschaftliche Planung und Regelung der Produktion existiert. Den gleichen Gedanken drückt Marx in seinem berühmten Brief an Kugelmann vom 11. J u l i 1868 aus, in dem er schreibt: „Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiedenen Bedürfnissen entsprechenden Massen von Produkten verschiedene und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Daß

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diese Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist seif evident. Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiedenen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen."60 Hier spricht Marx davon, daß die Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen entsprechend den verschiedenen Bedürfnissen ein Naturgesetz ist, das f ü r alle Gesellschaftsformationen gilt und nicht aufgehoben werden kann. Mit der bestimmten Form der gesellschaftlichen Produktion (kapitalistische oder kommunistische) kann es aber seine Erscheinungsweise ändern. Und dies geschieht auch. In der anarchischen kapitalistischen Produktionsweise setzt es sich durch, indem das Wertgesetz spontan, elementar, blind die gesellschaftliche Produktion reguliert, in der sozialistischen Produktionsweise setzt es sich durch, indem die Menschen es erkennen und beherrschen und durch die bewußte Anwendung der objektiven ökonomischen Gesetze mittels der gesellschaftlichen Organe ihre Produktion selbst regulieren. Marx sagt an anderer Stelle in dem zitierten Brief: „Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben darin, daß a priori keine bewußte, gesellschaftliche Regelung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich nur als blindwirkender Durchschnitt durch."'1 Der Witz f ü r unser Thema besteht aber darin, daß der Sozialismus keine bürgerliche Gesellschaft mehr ist, daß in ihm a priori eine bewußte gesellschaftliche Regelung der Produktion stattfindet und daher das Vernünftige und Naturnotwendige sich nicht mehr als blindwirkender Durchschnitt durchsetzt, sondern als Richtschnur bei der Aufstellung der Pläne f ü r die gesellschaftliche Gesamtproduktion und bei ihrer Verwirklichung dient. Darum braucht die Gesellschaft im Sozialismus keinen vom Willen der Menschen unabhängigen „Regulator" mehr, der die Regelung der Gesamtproduktion bewerkstelligen muß, weil die Menschen es nicht können, sondern die Gesellschaft besorgt durch ihre Organe dieses Geschäft selbst. Betrachten wir nun noch eine Stelle bei Friedrich Engels, wo er vom Regulator spricht. Im J a h r e 1884 schrieb Engels ein Vorwort zu Marx' Schrift „Das Elend der Philosophie", in dem er sich mit dem preußischen Ökonomen Rodbertus auseinandersetzt. In diesem Vorwort ist zu lesen: „Indem die Konkurrenz innerhalb einer Gesellschaft austauschender Warenproduzenten das Wertgesetz der Warenproduktion zur Geltung bringt, setzt sie eben dadurch die unter den Umständen einzig mögliche Organisation und Ordnung der gesellschaftlichen Produktion durch. Nur vermittels der Entwertung oder Überwertung der Produkte werden die einzelnen Warenproduzenten mit der Nase darauf gestoßen, was und wieviel davon die Gesellschaft braucht oder nicht braucht. Gerade diesen einzigen Regulator aber will die von Rodbertus mitvertretende Utopie abschaffen."82 Hier bezeichnet Engels ausdrücklich als den Regulator der Warenproduktion das Wertgesetz, das die unter den Umständen einzig mögliche Organisation und Ord60

Marx, K., Briefe an Kugelmann. Dietz Verlag, Berlin, S. 51. Ebenda, S. 52. 82 Marx, K., Das Elend der Philosophie. Dietz Verlag, Berlin 1947, S. 19/20. (Hervorhebungen von mir — F. 0.). 61

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nung der gesellschaftlichen Produktion durchsetzt, das die Produzenten mit der Nase darauf stößt, was und wieviel davon die Gesellschaft braucht oder nicht braucht. Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß die sozialistische Produktion eines solchen Regulators nicht bedarf. Sie stellt eine ganz andere, viel höhere Organisation und Ordnung der gesellschaftlichen Produktion dar, sie ermittelt planmäßig, was und wieviel davon die Gesellschaft braucht, 6 3 und arbeitet dementsprechend die Produktionspläne aus. Gut, k a n n m a n einwenden, aber das beweist doch nur, daß nicht das Wertgesetz der Regulator der sozialistischen Produktion sein kann. Und darin sind sich alle wirklich marxistischen Ökonomen einig. Auf dem X X I . Parteitag der K P d S U sagte K. W . Ostrowitjanow: „Die Idee des Wertgesetzes als Regulator der Produktion und des Umlaufs bedeutet eine Entfesselung der Spontaneität und Anarchie der Produktion mit allen sich daraus ergebenden Folgen und widerspricht absolut der Natur der sozialistischen Planwirtschaft, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht."64 Das Wertgesetz kann mithin nicht der Regulator der sozialistischen Produktion sein. Also müssen wir forschen — so meinen viele Ökonomen — welches andere objektive ökonomische Gesetz an seiner Stelle nun die sozialistische Produktion reguliert. Denn ein objektives Gesetz (etwa das Wertgesetz) kann nicht durch einen subjektiven F a k t o r (etwa den Staat) abgelöst werden, sondern n u r durch ein anderes objektives Gesetz. Aber ist denn diese Beweisführung richtig? Verkennt sie nicht vielmehr gerade den entscheidenden qualitativen Sprung, den die Menschheit mit dem Übergang zum Sozialismus-Kommunismus vollbringt? Das Neue besteht doch gerade darin, daß die Menschen von nun an beginnen, ihre Geschichte u n d ihre Geschicke bewußt, mit Vorbedacht, planmäßig zu gestalten, daß sie jetzt lernen, die Gesetze zu beherrschen, von denen sie bislang beherrscht waren. Wenn Marx und Engels von den Gesetzen der gesellschaftlichen (also auch ökonomischen) Entwicklung als von blindwirkenden Naturgesetzen sprachen, die den Menschen beherrschen, so haben sie das stets auf die antagonistische Klassenvergangenheit der menschlichen Gesellschaft bezogen. Nur zwei Beispiele als Beweis: Im September 1890 schrieb Engels an Bloch: „So verläuft die bisherige Geschichte nach Art eines Naturprozesses und ist auch wesentlich denselben Bewegungsgesetzen unterworfen."66 Im J a n u a r 1894 schrieb Engels an Starkenburg: „Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber bis jetzt nicht mit Gesamtwillen, nach einem Gesamtplan. . .' ,66 Diese immer wiederkehrende zeitliche Begrenzung „bis j e t z t " etc. besagt doch, daß Marx und Engels eine Zeit kommen sahen, in der die Geschichte nicht mehr als 63 Die Tatsache, daß die Bedarfsanalyse im Sozialismus auch theoretisch noch schwach entwickelt ist, ist kein Argument gegen die planmäßige Bedarfsproduktion. 64 Siehe: „Die Presse der Sowjetunion", Nr. 22/1959, S. 55. 65 Marx-Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden. Bd. II, Dietz Verlag Berlin 1952, S, 460 und 475, (Hervorhebungen von mir — F. 0.). Vgl. auch das auf S. 12 angeführte lange Zitat aus dem „Antidühring".

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ein Naturprozeß verlaufen, sondern von den Menschen mit Gesamtwillen nach einem Gesamtplan gestaltet wird. Und das gilt natürlich in besonderem Maße für die ökonomische Geschichte. Daß diese Zeit schon angebrochen ist, davon zeugt der grandiose Aufbau in den sozialistischen Ländern, davon zeugen die Siebenjahrpläne, die keine Utopien, sondern sehr reale Anleitungen zum Handeln sind. Diese völlig neue Situation rückt auch die Frage nach dem Regulator der Produktion in ein ganz neues Licht. Ein objektiver Regulator, der letztlich bestimmt, was und wieviel davon produziert werden soll, war in einer Produktionsweise notwendig, in der a priori keine bewußt gesellschaftliche Regelung der Produktion vorgenommen werden konnte. In der sozialistischen Produktionsweise gibt es eine solche bewußte gesellschaftliche Regelung der Produktion a priori, hier wird durch den Plan bestimmt, was und wieviel davon produziert wird. Dabei wird selbstverständlich das von Marx in dem Briefe an Kugelmann betonte Naturgesetz der proportionalen Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit beachtet und angewandt, aber seine Erscheinungsform, ist eine ganz andere. E s tritt nicht mehr als blindwirkendes Gesetz der Konkurrenz in Erscheinung, sondern in der bewußten Anwendung des Gesetzes der planmäßigen, proportionalen Entwicklung. E s wirkt nicht mehr gegen den Menschen als blindes Naturgesetz, sondern wird jetzt von ihm ausgenutzt, seinen Zwecken dienstbar gemacht. Somit ergibt sich der Schluß, daß die sozialistische Produktion keinen Regulator im Sinne des Wertgesetzes mehr braucht, der die gesellschaftliche Arbeit spontan entsprechend dem Bedarf proportional verteilt, weil die Menschen selbst die Produktion bewußt planmäßig gestalten. Die Rolle, die in der kapitalistischen Gesellschaft der Regulator (Wert oder Produktionspreis) hinter dem Rücken der Produzenten spielte, übt jetzt das bewußt handelnde Organ der Gesellschaft aus, nämlich der von der marxistisch-leninistischen Partei geführte sozialistische Staat. E r bestimmt, „reguliert" die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit. In diesem Zusammenhang ist ein Hinweis von W. I. Lenin interessant, in dem er das Recht als Regulator der Verteilung der Produkte und der Arbeit bezeichnet. In „ S t a a t und Revolution" schrieb Lenin, daß in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, im Sozialismus, das „bürgerliche R e c h t " noch „als Regulator (Ordner) bei der Verteilung der Produkte und der Arbeit (!) unter die Mitglieder der Gesellschaft" bestehen bleibt. 66 Es soll hier nicht auf das von Lenin behandelte Problem eingegangen werden, daß durch das Fortbestehen eines Teils des „bürgerlichen Rechts" im Sozialismus eine Verteilung nach den Bedürfnissen noch nicht möglich ist, weil noch kein Überfluß an Produktion besteht. Uns interessiert in diesem Zusammenhang die bemerkenswerte Tatsache, daß Lenin das Recht als Regulator der Verteilung der Produkte und der Arbeit bezeichnet, wobei er auch im russischen Original das Wort Regulator gebraucht. Das Recht bedingt aber den Staat. Mir scheint daraus der Schluß zulässig, daß Lenin nicht der Ansicht war, Regulator müsse ein objektives ökonomisches Gesetz sein, eine Ansicht, die von vielen Ökonomen vertreten wird. Daß diese Meinung nicht allgemein ist, zeigt 66

Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. II, S. 230.

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W. Djatschenko, der zwar nicht ausdrücklich die Frage des Regulators behandelt, aber doch von der „regulierenden Rolle des sozialistischen Staates in der Wirtschaft" spricht. 67 Nicht ganz klar ist die Rolle des Regulators der sozialistischen Wirtschaft in der dritten, umgearbeiteten Ausgabe des sowjetischen Lehrbuches „Politische Ökonomie" behandelt. Dort heißt es: „In Übereinstimmung mit den Erfordernissen des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus und des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft legt der proletarische Staat solche Proportionen zwischen den Wirtschaftszweigen fest, die für den Sieg des Sozialismus, für die Befriedigung der wachsenden Bedürfnisse der Gesellschaft erforderlich sind. Das Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft beginnt, die regulierende Rolle in der Entwicklung der Produktion im sozialistischen Sektor zu spielen und übt immer mehr bestimmenden Einfluß auf die Proportionen in der ganzen Volkswirtschaft aus." 68

Zwischen den beiden Sätzen dieses Zitats scheint mir ein Widerspruch zu bestehen. Während es im ersten Satz heißt, daß der Staat die Proportionen festlegt (yCTaHaBJiHBaeT), also damit die Rolle eines Regulators ausübt, heißt es im zweiten Satz, daß das Gesetz der planmäßigen Entwicklung die regulierende Rolle zu spielen beginnt, was wohl so zu verstehen ist, daß dieses Gesetz beginnt, die Rolle des Regulators zu spielen. Indessen ist gerade dieser wichtige Gedanke im Lehrbuch nicht weiter entwickelt. Im Gegensatz dazu — und in Übereinstimmung mit dem ersten Satz — heißt es an anderer Stelle: „Der Staat plant die Volkswirtschaft des Landes: er bestimmt (!) planmäßig den Umfang, die Struktur, das Wachstumstempo der Produktion, den Umsatz des Binnen- und Außenhandels, er setzt die Warenpreise und die planmäßigen Selbstkosten der Produktion-fest, das Niveau des Arbeitslohnes der Arbeiter- und Angestellten, verteilt die Material-, Arbeits- und Finanzkräfte usw." 4 '

Wenn der sozialistische Staat alle diese ökonomischen Funktionen ausübt — und er übt sie aus — was tut er dann anderes als die Produktion und Verteilung zu regulieren? Wozu ist dann noch ein objektiver Regulator nötig? Übrigens kommt das Lehrbuch in dem Kapitel XXIII, das speziell das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft behandelt, weder auf die Frage des Regulators noch auf den Gedanken der regulierenden Rolle des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung zurück. Dafür ist in diesem Kapitel um so mehr von der bestimmenden Rolle der Kommunistischen Partei und des sozialistischen Staaten die Rede. So heißt es z. B. „Die Erfordernisse des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft werden von der Kommunistischen Partei und dem sozialistischen Staat mit Hilfe der Pläne verwirklicht, die die schöpferische Tätigkeit der werktätigen Massen organisieren und ihr Richtung weisen." 70 " Djatschenko, W., Die ökonomische Rolle des sozialistischen Sowjetstaates. In: „Sowjetwissenschaft", Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, Heft 8/1958, S. 983. 48 Politische Ökonomie, Lehrbuch. Dritte umgearbeitete Ausgabe, Moskau 1958, S. 338 (russ.). •» Ebenda, S. 443. "> Ebenda, S. 466.

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An andere Stelle heißt es: „Die Planung der Volkswirtschaft kann dann positive Resultate geben, die proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft und den ununterbrochenen Aufschwung der Produktion sichern, wenn sie die Erfordernisse des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus und des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft richtig widerspiegeln. Die sozialistische Planung beruht auf der Ausnutzung aller anderen ökonomischen Gesetze des Sozialismus."71 Wenn die sozialistische Planung auf der Ausnutzung aller ökonomischen Gesetze des Sozialismus beruht, so fragt sich, warum gerade das eine Gesetz der planmäßgen Entwicklung der Regulator sein soll? W a r u m nicht das Grundgesetz? An anderen Stellen des X X I I I . Kapitels 7 2 wird dagegen mit aller Deutlichkeit dargelegt, daß der von der Kommunistischen Partei geführte sozialistische S t a a t die bestimmende regulierende Rolle in der sozialistischen Wirtschaft ausübt. Um noch einen letzten Beleg anzuführen: „Auf Grund der Bilanzen legt der sozialistische Staat die Proportionen in der Entwicklung der Volkswirtschaft fest, die in Natural- und in Geldform ausgedrückt werden, bestimmt die Kräfte (peoypcn) und ihre Verteilung auf die einzelnen Produktionszweige und die Arten der Produktion."78 Alle diese Belege zeigen meines Erachtens deutlich genug, daß die sozialistische Wirtschaft eines Regulators analog dem Wertgesetz im Kapitalismus nicht bedarf und daß der von der Partei geführte sozialistische S t a a t die regulierende Funktion ausübt. Man soll nicht glauben, daß es sich hier u m ein ausgetüfteltes abstraktes Problem handelt. Erstens k o m m t es der Wissenschaft ja auf die Erkenntnis der objektiven Wahrheit an, die an der Praxis ü b e r p r ü f t wird. Die Praxis aber zeigt, daß Partei und S t a a t im Plan die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit vornehmen, die erforderlichen Proportionen festlegen, die jeweilige ökonomische H a u p t a u f g a b e formulieren und die ökonomische Perspektive bestimmen. Zweitens besteht die große praktische Bedeutung des Problems darin, daß sich aus der Erkenntnis der regulierenden Rolle des sozialistischen Staates die Verantwortlichkeit f ü r die wissenschaftliche F u n dierung der Ausarbeitung und Erfüllung der Volkswirtschaftspläne ergibt. W i r können und dürfen uns nicht darauf verlassen, daß ein objektives ökonomisches Gesetz schließlich (quasi hinter unserem Rücken) die richtigen Proportionen herstellt, die Produktion „reguliert". Spontaneität und Selbstlauf widersprechen den Grundprinzipien der sozialistischen Planwirtschaft. Die Ökonomen, die nach einem objektiven Regulator der sozialistischen Produktion außerhalb des Staates suchen, vergessen die grundlegende Tatsache, daß die sozialistische Produktion eben nicht elementar, spontan vor sich geht, sondern bewußt, organisiert, planmäßig, daß sie vom S t a a t e gelenkt, das heißt eben reguliert wird. Also kann der S t a a t alles, wird man entgegenhalten, und wir sind wieder bei dem längst überwundenen voluntaristischen S t a n d p u n k t angelangt, Keineswegs: Die 71 72 73

Ebenda, S. 468. Siehe ebenda, S. 467, 472, 476 usw. Ebenda, S. 474.

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marxistische These, daß der proletarische Staat die sozialistische Produktion lenkt und reguliert, besagt nicht, daß der Staat nun willkürlich in der Wirtschaft machen kann, was er will (wobei im stillen die unsinnige philosophisch-idealistische „Willensfreiheit" unterschoben wird). Wir Marxisten verstehen unter Freiheit des Handelns immer ein auf erkannter Notwendigkeit beruhendes Handeln. In diesem Sinne kann man wohl sagen, daß der sozialistische Staat in der Regel das kann, was er will (er ist ebenso wie die Partei die Verkörperung der Einheit des Willens, ohne die große Werke nicht vollbracht werden können). Aber dieser Satz gilt doch selbstverständlich nur in dem Sinne, daß der Wille des sozialistischen Staates, der die ökonomischen Aufgaben festsetzt, der wissenschaftlichen Erkenntnis des Möglichen und Notwendigen entspringt. Um ein grobes Beispiel zu wählen: Trotz unseres Bedarfs an Kaffee würde der Versuch, in Mecklenburg Kafleeplantagen anzulegen, elend scheitern. Aber eine solche Idee, ein solcher „Wille" könnte doch auch höchstens im Kopfe eines Irren entspringen. Völlig richtig schrieb Erich Apel über das Chemieprogramm der Partei und Regierung: „Das Chemieprogramm ist ein Ausdruck der planmäßigen und konsequenten Ausnutzung der ökonomischen Gesetze sowie der Gesetze der Naturwissenschaften und geht von einer exakten Analyse der Lage in der Volkswirtschaft aus. Es zeigt sich also am Chemieprogramm, daß unsere wirtschaftliche und politische Perspektive ihre Wurzel in der wissenschaftlichen Erkenntnis hat und nicht in den Wunschträumen von einzelnen." 74

Es gibt allerdings eine andere ernst zu nehmende Möglichkeit: die staatlichen Organe können bei der Festlegung der ökonomischen Aufgaben oder Maßnahmen Fehler machen, sie können sich bei der Einschätzung des Möglichen irren. Dann wird sich allerdings ergeben, daß die fehlerhafte Aufgabe undurchführbar ist, in einem solchen Falle würden sich die objektiven ökonomischen Gesetze elementar durchsetzen. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung: um solche Fehler möglichst zu vermeiden, um überhaupt seine ökonomische Tätigkeit richtig ausüben zu können, muß der sozialistische Staat seine ökonomische Politik auf wissenschaftlicher Grundlage durchführen. Das bedeutet aber, er muß unbedingt die beiden folgenden objektiven Faktoren beachten: Erstens die objektiven natürlichen und ökonomischen Tatsachen des gegebenen Landes zur gegebenen Zeit. Dazu gehören die Naturreichtümer und die klimatischen Verhältnisse. Ein Land mit reichen Naturvorkommen nützlicher Minerale, mit mächtigen natürlichen Energiequellen und mit günstigen klimatischenVerhältnissen wird unter sozialistischen Bedingungen rascher vorwärts kommen, als ein armes Land. Jedenfalls gilt für jedes sozialistische Land das Prinzip, das Schwergewicht seiner wirtschaftlichen Entwicklung auf die Nutzbarmachung der vorhandenen natürlichen Reichtümer zu legen. In der DDR, die relativ arm an Naturschätzen ist, besteht der natürliche Reichtum hauptsächlich in der Braunkohle und im Kali, die daher auch einen bedeutenden Platz in der Wirtschaft der Republik einnehmen. M

„Einheit", Heft 12/1958, S. 1739.

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Weiter gehören zu den objektiven ökonomischen Tatsachen der Entwicklungsstand der materiellen Produktivkräfte, die Produktionsverhältnisse, der Umfang der Produktion und das Niveau der Arbeitsproduktivität. Die meisten sozialistischen Länder mußten, von dem niedrigen Stand der Entwicklung ausgehend, erst die sozialistische Industrialisierung durchführen. In der DDR wurde vom Kapitalismus eine hochentwickelte Industrie übernommen, die allerdings durch den Krieg stark zerstört war. Jedoch stand hier nicht die Aufgabe der Industrialisierung des Landes, sondern die der sozialistischen Umwandlung der vorhandenen Industrie, sowie die Überwindung der vom Kapitalismus übernommenen oder durch die Spaltung des Landes hervorgerufenen Disproportionen. Ein weiterer positiver Faktor ist in unserer Republik die hochentwickelte chemische Industrie, die eine gute Grundlage für die Verwirklichung des großen Chemieprogramms bildet, das vom V. Parteitag der S E D beschlossen wurde. Schließlich zählt zu den objektiven ökonomischen Tatsachen der Entwicklungsstand der menschlichen Produktivkraft im weitesten Sinne: der Stand der wissenschaftlichen Forschung und ihrer praktischen Anwendbarkeit, der Stand der Technik die Qualifikation der Arbeiter, Bauern und Handwerker. Auch in dieser Beziehung war die DDR bei Beginn des sozialistischen Aufbaus in einer besseren Lage als die meisten anderen Volksrepubliken. Es muß mit Nachdruck hervorgehoben werden, daß diese objektiven ökonomischen Tatsachen keineswegs konstante Faktoren sind. Im Gegenteil, sie verändern sich besonders unter sozialistischen Verhältnissen, unter der aktiven Einwirkung des sozialistischen Staates, außerordentlich schnell. Jeder Fünfjahrplan (und sogar jeder Jahresplan) bringt eine Änderung in der Ausnutzung der Naturreichtümer im Entwicklungsstand der Produktivkräfte, im Stand der Wissenschaft und Technik usw. mit sich. Mit dem fortschreitenden sozialistischen Aufbau festigen sich die sozialistischen Produktionsverhältnisse und dehnen sich aus, während die vorsozialistischen Produktionsverhältnisse immer mehr zurückgehen und schließlich ganz verschwinden. Und die zunehmende internationale Arbeitsteilung unter den sozialistischen Ländern gleicht auch die naturbedingten Unterschiede in der Ökonomik immer mehr aus. Dennoch sind die objektiven ökonomischen Tatsachen zu jedem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Größe, die der jeweiligen ökonomischen Aufgabe zugrunde gelegt werden muß. Man kann den dritten Fünfjahrplan nicht vor dem zweiten durchführen. Darum müssen die Volkswirtschaftspläne und sonstige ökonomische Maßnahmen sich stets auf wissenschaftlich exakte volkswirtschaftliche Bilanzen und Statistiken stützen. Buchführung und Statistik haben in der sozialistischen Wirtschaft eine unendlich viel größere Bedeutung als in der kapitalistischen. Der zweite objektive Faktor, den der Staat bei seiner ökonomischen Politik beachten muß, ist die Existenz objektiver ökonomischer Gesetze. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß diese Gesetze, soweit sie spezifische Gesetze der sozialistischen Ökonomie sind, nicht ohne die aktive Tätigkeit des sozialistischen Staates ent stehen. Der Staat gestaltet unter Ausnutzung des Gesetzes der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte die ökono-

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mische Basis der Gesellschaft um und schafft damit die Bedingungen für die E n t stehung und das Wirken der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Durch seine wirtschaftliche Tätigkeit erweitert er systematisch den Wirkungsbereich dieser Gesetze. Somit entstehen auch diese Gesetze nicht spontan, elementar, sondern unter der aktiven Einwirkung der proletarischen Staatsmacht. Das ändert nichts daran, daß es objektive Gesetze sind. Sie können nicht wieder abgeschafft und dürfen nicht ignoriert werden. Die objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus stellen einen großen Vorteil und eine große Kraft der sozialistischen Ökonomie dar, weil sie der proletarischen Staatsmacht die wissenschaftliche Leitung des Produktionsprozesses ermöglichen. Im ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus kommt der prinzipielle Unterschied der sozialistischen Produktion gegenüber der kapitalistischen zum Ausdruck die nicht mehr Profitproduktion, sondern Bedarfsproduktion ist. Indem das Grundgesetz sowohl das Ziel der sozialistischen Produktion als auch das Mittel zur Erlangung dieses Zieles formuliert, gibt es der ökonomischen Tätigkeit des sozialistischen Staates eine klare Richtlinie für die Entscheidung der grundlegenden Probleme der Wirtschaftsführung. Es bedarf keiner langen Begründung, daß gerade das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus sich nicht spontan verwirklichen kann, sondern die aktive Wirtschaftspolitik des sozialistischen Staates voraussetzt. Denn nur durch diese Politik kann der in diesem Gesetz enthaltene Widerspruch ständig gelöst werden. Die maximale Befriedigung der ständig wachsenden Bedürfnisse, d. h. die immer bessere Befriedigung, könnte ja zeitweise auf Kosten des Mittels dazu, auf Kosten des ununterbrochenen Wachstums und der stetigen Vervollkommnung der Produktion, auf Kosten der technischen Entwicklung, beschleunigt werden. Oder umgekehrt könnte die Entwicklung der Produktion auf Kosten der Befriedigung der Bedürfnisse erfolgen. Die Festlegung der richtigen Proportionen zwischen den Abteilungen I und II der gesellschaftlichen Reproduktion ist bekanntlich eine der entscheidenden ökonomischen Aufgaben, die unmöglich dem Selbstlauf überlassen werden darf. Der sozialistische Staat hat die Aufgabe, jeweils die Akkumulationsrate und die Konsumtionsrate festzusetzen, wobei er sich unbedingt von dem Gesetz des vorrangigen Wachstums der Abteilung I leiten lassen muß, weil anders das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus nicht verwirklicht werden kann. Auf der Basis des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus entsteht und wirkt das Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft, auf dem die volkswirtschaftliche Planung beruht, und mit dessen Hilfe die eben geschilderte Aufgabe gelöst wird. Das Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung gehört zu den objektiven ökonomischen Gesetzen, deren Mißachtung oder Verletzung sich am raschesten in der Wirtschaft bemerkbar macht. Jede Verletzung der aus der Gesamtentwicklung der Wirtschaft herzuleitenden Proportionen, macht sich sehr bald als Warenstau an der einen und Warenmangel an der anderen Stelle bemerkbar. Aber gerade darin ist wiederum die aktive Rolle der Staatsmacht enthalten. Denn in der planmäßigen sozialistischen Wirtschaft, die sowohl dem kommunistischen Aufbau wie der wachsenden Befriedigung der Bedürfnisse dient, können sich, wie eben

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dargelegt wurde, die erforderlichen Proportionen nicht spontan herausbilden, eine spontane Proportionalität wäre eine andere als die gewollte, sie würde zu anderen Ergebnissen führen. Daher fordert das Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung die aktive ökonomische Tätigkeit der Staatsmacht geradezu heraus, wie es andererseits dieser Tätigkeit einen objektiven Rahmen steckt, der nicht überschritten werden darf, wenn das gesteckte Ziel erreicht werden soll. Dem Staat obliegt die Pflicht, Reserven zu bilden, mit deren Hilfe auftretende Disproportionen rasch überwunden werden können. Das Gesetz des stetigen Wachstums der Arbeitsproduktivität ist eines der wichtigsten Gesetze der sozialistischen Ökonomie, weil, wie Lenin lehrte, die höhere Arbeitsproduktivität schließlich den Sieg des Kommunismus über den Kapitalismus entscheidet. Jedoch ist die Ausnutzung gerade dieses Gesetzes außerordentlich schwer. Zwar sind die Mittel zur Steigerung der Arbeitsproduktivität bekannt und werden auch, vom sozialistischen Staat weitgehend angewandt. Davon wurde schon früher gesprochen. Um die Effektivität dieser Methoden einzuschätzen und zu kontrollieren, wäre aber eine exakte Messung der Arbeitsproduktivität nötig und hier hat die Theorie bislang noch kein ausreichend funktionierendes Instrument schaffen können. Daß aber der Bedarf nach einem solchen Instrument vorhanden ist — und das wird nicht bestritten — beweist doch wiederum nur, daß die aktive ökonomische Rolle des Staates gewachsen ist, so daß er heute nach einem brauchbaren Instrument zur Ausnutzung dieses objektiven ökonomischen Gesetzes verlangt. Mit Hilfe des ökonomischen Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung regelt der sozialistische Staat zum Teil die Verteilung des Volkseinkommens und nutzt es gleichzeitig zur Anwendung des Prinzips der materiellen Interessiertheit aus. Bei der Wirkung dieses Gesetzes zeigt sich wiederum deutlich die aktive ökonomische Rolle des Staates, denn er vereinbart mit den Gewerkschaften die Tarifsätze und die Arbeitsnormen. Die staatlichen Betriebe schließen die Betriebs-Kollektivverträge mit den in der Gewerkschaft organisierten Arbeitern ab. Daß wir es dennoch mit einem objektiven Gesetz zu tun haben, hat sich darin gezeigt, daß die unterschiedliche Entwicklung der Effektivlöhne in einzelnen Industriezweigen der DDR zu unerwünschten Erscheinungen, wie falscher Einkommens-Differenzierung, Fluktuation der Arbeitskräfte u. a. führte. Die schlechte Anwendung des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung hat also zu ungewollten Ergebnissen geführt. Jedoch ist wiederum ein Willensakt des Staates notwendig, um diese Erscheinungen zu beseitigen. Der V. Parteitag der S E D gab dazu die Direktive indem er beschloß: „In der weiteren Entwicklung der Tarifpolitik und Normenarbeit muß erreicht werden daß der Anteil des Tariflohnes am Nominallohn der Werktätigen in den nächsten Jahren größer wird. Gleichzeitig müssen weiter die noch ungerechtfertigten großen Unterschiede zwischen den niedrigen und höheren Lohngruppen durch die Anhebung der unteren Lohngruppen unter Wahrung des Leistungsprinzips gemildert werden." 7 6

Inzwischen wurden bereits wichtige Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Beschlusses durchgeführt. Am 19. Februar 1959 beschloß das Präsidium des Minister75

Beschluß des V. Parteitages der S E D , S. 62.

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rats, die Tariflöhne der Bergarbeiter in den Lohngruppen I bis V ab 1. März zu erhöhen. Ferner wurden ab 1. April die Löhne fast aller Beschäftigten der chemischen Industrie und ab 1. Mai die Gehälter der Lehrer und Erzieher erhöht. Durch einen weiteren Beschluß des Präsidiums des Ministerrats wurden die Löhne der gewerblichen Arbeiter (Lohngruppen I bis V I I I ) und die Gehälter der unteren fünf, bzw. f ü r Berlin sechs Gehaltsgruppen im Bereich der staatlichen Verwaltungen, einschließlich Schulen, Krankenhäuser, Banken, Sparkassen, Versicherungen, Theater und Kreislichtspielbetriebe ab 1. März erhöht. Am 28. März beschloß das Präsidium des Ministerrats, in der sozialistischen Lebensmittelindustrie die Löhne und Gehälter für 140000 Produktionsarbeiter und Angehörige einiger anderer Beschäftigungsgruppen zu erhöhen. Bei der Deutschen Post wurden ab 1. April die Löhne f ü r etwa 75000 Beschäftigte der unteren Lohngruppen erhöht. F ü r die Beschäftigten in den sozialistischen Betrieben der zellstofl-, papier- und pappeerzeugenden Industrie sowie der Reifencord- und Kunstlederherstellung wurden ab 1. April Lohnerhöhungen ähnlich der chemischen Industrie beschlossen. Schließlich legte der Beschluß fest, im Bereich des staatlichen Gesundheitsund Veterinärwesens ab 1. April die Gehälter der Mitarbeiter mit abgeschlossener Hochschulbildung neu zu regeln und die Löhne und Gehälter f ü r bestimmte Beschäftigungsgruppen im Gesundheits- und Veterinärwesen zu erhöhen. Am 9. April beschloß das Präsidium des Ministerrates Lohn- und Gehaltserhöhungen f ü r den größten Teil der Beschäftigten der Bau- und Baustoff-Industrie, f ü r bestimmte Beschäftigungsgruppen im Bausektor des Verkehrswesens und der kulturellen Einrichtungen und Betriebe. Am 16. April wurden weitere Lohn- und Gehaltserhöhungen f ü r über eine dreiviertel Million Arbeiter und Angestellte der sozialistischen Leichtindustrie und des Handels beschlossen. Alle diese Maßnahmen dienen der Erfüllung des zitierten Beschlusses des V. Parteitages. Sie sind darauf gerichtet, die in der Vergangenheit eingetretenen Verletzungen des Gesetzes der Verteilung nach Arbeitsleistung zu beseitigen und das Gesetz besser auszunutzen. Dabei zeigt sich, daß in jedem einzelnen Falle ein Willensakt des Staates, ein Regierungsbeschluß notwendig ist, um dieses Ziel zu erreichen. Das von den Ökonomen am meisten behandelte objektive ökonomische Gesetz ist das Wertgesetz. Seine Existenz beruht darauf, daß infolge des besonderen Charakters der sozialistischen Arbeit in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft noch Warenproduktion und Warenzirkulation fortbestehen. Darum besteht auch noch das Wertgesetz fort, das nicht mit dem Sozialismus entstanden ist, sondern wie Engels bemerkte, schon 6000—7000 J a h r e alt ist. Nun h a t schon Stalin hervorgehoben, daß die Warenproduktion im Sozialismus eine Warenproduktion besonderer Art ist, eine Warenproduktion ohne Kapitalisten, die es hauptsächlich m i t Waren vereinigter sozialistischer Produzenten zu tun h a t . 7 6 Genauso wie es sich im Sozialismus um eine Warenproduktion besonderer Art handelt, so handelt es sich auch um einen W e r t und ein Wertgesetz besonderer Art. Vgl. Stalin, J . W 1952, S. 18.

Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR. Berlin

Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus

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In der dritten Auflage des Lehrbuches „Politische Ökonomie" heißt es darüber: „Dank der Vergesellschaftung der hauptsächlichen Produktionsmittel und der Entstehung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus wird die Sphäre der Warenproduktion und des Wertgesetzes eingeschränkt und ihre Rolle wird eine prinzipiell andere als im Kapitalismus." 77 Auch L. Leontjew hat hervorgehoben, daß ein Unterschied zwischen dem Wertgesetz der kapitalistischen Produktionsweise und dem Wertgesetz der sozialistischen Produktionsweise besteht. Er schrieb dazu: Dieser Unterschied „. . . hat entscheidende Bedeutung, denn das Wertgesetz der sozialistischen Gesellschaft wirkt unter Bedingungen, da die Anarchie der Produktion mit ihren zerstörenden Folgen liquidiert ist, da die Gesellschaft die ökonomischen Gesetze beherrscht und bewußt in ihrer Praxis anwendet, da das Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und folglich der planmäßigen Verteilung der Arbeit zwischen den Zweigen wirkt, da die Arbeitskraft aufgehört hat, eine Ware zu sein, da die krisenfreie Entwicklung der Volkswirtschaft gesichert ist." 7 8 Für unser Thema wichtig ist an diesen Ausführungen die Begründung für die Änderung im Charakter des Wertgesetzes u. a. damit, daß die Gesellschaft die ökonomischen Gesetze beherrscht und bewußt in ihrer Praxis anwendet. Leontjew hat m. E. auch Recht, wenn er meint, daß die sozialistische Gesellschaft in ihrer Vorwärtsbewegung zum Kommunismus das Wertgesetz immer vollständiger beherrscht und die Wertkategorien immer breiter ausnutzt. 7 9 Auch K. W . Ostrowitjanow sagte in seiner Rede auf dem X X I . Parteitag der KPdSU: „Unbestreitbar ist jedoch für uns — und davon zeugen alle Entwicklungstendenzen unserer eigenen Volkswirtschaft und der Volkswirtschaft der volksdemokratischen Länder —, daß in der Periode des Übergangs vom Sozialismus zur höheren Phase des. Kommunismus die Ware-Geld-Beziehungen eine außerordentlich große Rolle spielen werden." 8 0 Und mit den Waren-Geldbeziehungen auch das Wertgesetz, das auf ihnen beruht. Ostrowitjanow hat auch Recht, wenn er hervorhebt, daß mit dem Sieg des Kommunismus im Weltmaßstabe die Ware-Geldbeziehungen und damit das Wertgesetz absterben werden. Aber auch dieser Prozeß des Absterbens geschieht nicht plötzlich, sondern allmählich auf dem Wege der Umwandlung des Inhalts des Wertgesetzes. Vergessen wir nicht die wichtigen Hinweise von Marx und Engels, daß selbst im Kommunismus etwas vom Wertbegriff übrigbleibt. Marx schrieb: „Zweitens bleibt, nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die Wertbestimmung vorherrschend in dem Sinn, daß die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die verschiedenen Produktionsgruppen, endlich die Buchführung hierüber, wesentlicher denn je wird." 8 1 77 Politische Ökonomie, Lehrbuch. Dritte umgearbeitete Ausgabe. Moskau 1958, S. 339 (russ.) (Hervorhebungen von mir — F.O.). 78 Leontjew, L., Einige Probleme der ökonomischen Theorie. In: „Kommunist", Heft 16/1958, S. 43 (russ.). 79 Ebenda, S. 42. 8 0 Siehe „Presse der Sowjetunion", Nr. 22/1958, S. 549. 81 Marx, K„ Das Kapital. Bd. III, S. 907.

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Und Engels bemerkt in einer Fußnote im Antidühring: „Daß obige Abwägung von Nutzeffekt und Arbeitsaufwand bei der Entscheidung über die Produktion alles ist, was in einer kommunistischen Gesellschaft vom Wertbegriff der politischen Ökonomie übrigbleibt, habe ich schon 1844 ausgesprochen."82

Diese Bemerkungen sind nicht in dem Sinne zu verstehen, daß Warenproduktion und Wertgesetz auch im Kommunismus bestehen bleiben, sondern in dem Sinne, daß der Wertbegriff eine bestimmte historische Erscheinungsform der Regelung und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit ausdrückt, deren Inhalt allein die Arbeitswerttheorie (gegenüber allen anderen Wertlehren) aufgedeckt hat und daß in diesem Sinne der Arbeitswerttheorie die Wertbestimmung vorherrschend bleibt. Wenn eine zukünftige Gesellschaft die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unmittelbar in Arbeitszeit vornehmen wird, so bleibt sie doch, ebenso wie beim Wertgesetz, eben die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit, die Abwägung von Nutzeffekt und Arbeitsaufwand, d. h. sie ist die spezifische Erscheinungsweise des von Marx in dem Briefe an Kugelmann aufgezeigten Naturgesetzes. Unter diesem Gesichtswinkel gewinnt eine andere Seite des Problems Bedeutung. Ostrowitjanow sagte auf dem XXI. Parteitag: „Die Zeiteinsparung und die Erfassung des Aufwandes an gesellschaftlicher Arbeit wird in der kommunistischen Gesellschaft, wie Marx und Engels voraussagten, unmittelbar in Arbeitszeit erfolgen, ohne den Wert und seine Formen. Durch die Elektronenrechenmaschinen wird die Erfassung der gesellschaftlichen Arbeit direkt in Arbeitszeit in hohem Maße erleichtert."83

Schon vorher aber, bei Fortbestehen der Waren-Geldbeziehungen und des Wertgesetzes können diese modernen Rechenmaschinen für die praktische Ausnutzung des Wertgesetzes z. B. bei der Preisbestimmung, von großem Nutzen sein. Wer sich mit den praktischen Fragen der Preisbildung beschäftigt hat, der weiß, welche Masse statistischer und rechnerischer Arbeit sie erfordern. Schon dabei sind die ElektronenRechenmaschinen eine große Hilfe. Aber deutet diese wohl kaum bestrittene Tatsache nicht darauf hin, daß mit der fortschreitenden sozialistischen Entwicklung der Wertbegrifl selbst sich verändert bzw. seinen Inhalt erweitert? Es ist doch offensichtlich, daß der Wert in der sozialistischen Gesellschaftsordnung andere gesellschaftliche Produktionsverhältnisse ausdrückt als in der kapitalistischen Gesellschaft, also seinen Inhalt ändert. Wenn wir aber das Wertgesetz bewußt ausnutzen und den Wert als ein Instrument der sozialistischen Wirtschaftsführung handhaben, sei es in der Preispolitik, der Berechnung der Selbstkosten oder bei der wirtschaftlichen Rechnungsführung, so haben wir es hierbei offenbar mit noch etwas anderem zu tun, als dem allgemeinen theoretischen Ausdruck gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse. Wir benutzen dann den Wert, als technisch-rechnerischen Begriff, in den er sich verwandelt. Ich wies schon auf die Notwendigkeit hin, zur besseren Ausnutzung des Gesetzes des stetigen Wachstums der Arbeitsproduktivität eine wirksame Methode zu ihrer Messung zu finden. Sie wird ein Bestandteil im Wirken des Gesetzes und zugleich ein tech82 83

Engels, F., Antidühring. S. 386. Siehe „Die Presse der Sowjetunion", Nr. 22/1959, S. 549.

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nisch-rechnerischer Begriff sein. Ebenso das Wertgesetz. Wenn wir es praktisch ausnutzen, z. B . bei der Preisbildung, müssen wir dann nicht den Wert berechnen? (Eine Aufgabe, deren Wie? noch keineswegs gelöst ist!). Gerade hier haben wir es, so scheint mir, mit einer Änderung und Bereicherung des Wertbegriffes in der sozialistischen Wirtschaft zu tun, die sich aus der bewußten Anwendung des Wertgesetzes ergibt. Bewußte Ausnutzung oder Anwendung heißt doch, die objektiven ökonomischen Gesetze bei der Leitung der Wirtschaft als Instrumente handhaben, was nur durch die bewußte Tätigkeit der Gesellschaft, d. h. des von der Partei geführten Staates als dem Organ der Gesellschaft möglich ist. J e mehr der sozialistische Staat seine Fälligkeiten zur Wirtschaftsführung entwickelt, desto besser wird er diese Instrumente gebrauchen, d. h. die ökonomischen Gesetze ausnutzen und den Zwecken dienstbar machen können, die seiner historischen Aufgabe entspringen. Darin kommt die bewußte führende Rolle der Staatsmacht im sozialistischen Aufbau zum Ausdruck.

Gunther

Kohhney

ZU E I N I G E N FRAGEN DES E R K E N N T N I S P R O Z E S S E S IN DER MARXISTISCHEN POLITISCHEN ÖKONOMIE Vorbemerkung: Neue Tatsachen und Erkenntnisse

— neue theoretische Aufgaben

Jede Wissenschaft steht und entwickelt sich unter dem Druck der Tatsachen. Das gilt für die allgemeine, die philosophische Wissenschaft ebenso wie für die speziellen Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Unter dem Druck der harten Tatsachen des Klassenkampfes ist die Theorie des Marxismus-Leninismus entstanden, hat sie sich entwickelt und gefestigt, hat sie sich millionenfach als wahr bestätigt. Der Idealismus in Philosophie, Natur- und Gesellschaftswissenschaften hält dem Druck der Tatsachen in Natur und Geschichte schon lange nicht mehr stand. Der Einfluß der Realität auf das System des Marxismus insgesamt, auf seine einzelnen Wissenschaftsdisziplinen, auf deren verschiedene Elemente (Kategorien, Gesetze usw.) wie schließlich auf die speziellen Wissenschaften geht entweder von neuen Tatsachen aus (von neuen Dingen, Ereignissen, Erscheinungen, Prozessen, Zusammenhängen) oder aber von neuentdeckten Tatsachen (Prozessen, Zusammenhängen usw.). Die Wissenschaft muß diesem Druck der Tatsachen standhalten, sie muß ihm begegnen, d. h., sie muß die neuen oder neuentdeckten Tatsachen theoretisch verarbeiten, sie muß sie auf der weltanschaulichen Grundlage des dialektischen Materialismus und mit Hilfe des philosophischen bzw. spezialwissenschaftlichen kategorialen Instrumentariums verallgemeinern. Die Wissenschaft muß demnach ständig den Widerspruch zwischen den neuen Tatsachen und dem vorhandenen theoretischen System mit seinen einzelnen Elementen (Thesen, Begriffen, Widersprüchen, Gesetzen usw.) lösen. Wie meistert die Wissenschaft diesen Widerspruch? Erstens dadurch, daß die Grunderkenntnisse (-begriffe, -gesetze) der marxistischen Theorie richtig, prinzipienfest gehandhabt werden. Dabei werden die Grundbegriffe usw. durch die Entwicklung in Natur und Gesellschaft bestätigt, bereichert und vervollkommnet. Die Grundbegriffe der marxistischen Theorie haben sich stets als wahr erwiesen, wobei sie jeweils konkretisiert und weiterentwickelt werden mußten. (Wir verweisen z. B. auf die Bestätigung und Entwicklung so verschiedenartiger Grundbegriffe wie Materie, Grundgesetze der Dialektik, Kapitalismus, Staat, Klasse, Demokratie, Warenproduktion.)

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Zweitens dadurch, daß die speziellen Kategorien und Gesetze der verschiedenen Wissenschaften bestätigt und bereichert oder aber modifiziert oder gar, wenn sie sich als falsch erwiesen haben, liquidiert werden. (So sind z. B. die Begriffe sozialistische Produktionsgenossenschaft, wirtschaftliche Rechnungsführung und andere im Laufe der Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft und ihrer Theorie bestätigt und bereichert worden. So sind z. B. die Begriffe „Planung als Grundgesetz des Sozialismus" oder auch „Warenhülle" liquidiert worden, weil sie falsch waren.) Drittens dadurch, daß neue Begriffe usw. gebildet werden (so z. B. die Begriffe Produkt für die Gesellschaft, Grundgesetz des Sozialismus). Viertens dadurch, daß das gesamte gegebene theoretische System mit seinen Zusammenhängen, Vermittlungen, Gruppierungen usw. der einzelnen Kategorien und Gesetze überprüft und weiterentwickelt wird. (So arbeiten wir z. B. laufend an Aufbau und Struktur des theoretischen Systems der politischen Ökonomie des Sozialismus.) Die Einheit dieser vier Faktoren sichert der marxistischen Theorie die für sie charakteristische Eigenschaft, mit ihrer Hilfe die Entwicklung vorausschauend zu erkennen, unter der Führung der Partei die Massen zu mobilisieren und die Gesellschaft zu verändern. Charakteristisch für die Anwendung dieser vier Faktoren in der marxistischen Theorie sind demnach erstens das konsequente Festhalten an den weltanschaulichen Grundsätzen des Marxismus-Leninismus, an seinen Grundbegriffen und -gesetzen, zweitens aber die methodologische Beweglichkeit. Der Dogmatismus ignoriert de facto diese methodologische Beweglichkeit gemäß den neuen Prozessen resp. Erkenntnissen in Natur und Gesellschaft. Er gefährdet dadurch die Festigung, Entwicklung und Ausbreitung der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus, er lähmt die Fähigkeit zur rechtzeitigen und wegweisenden Vorausschau. Der Dogmatismus ruft Erscheinungen der Stagnation hervor und gewährt allem möglichen Obskurantismus, Skeptizismus und Revisionismus unnötigen Spielraum. Für den Revisionismus ist kennzeichnend, daß er, wenn neue Erscheinungen auftreten, der Klassenkampf kompliziert wird, stets bestrebt war und ist, die Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus in Zweifel zu ziehen, zu widerlegen, zu leugnen, zu bekämpfen. Diese Form des Kampfes gegen den Marxismus wählt der Revisionismus „an Hand der allerneuesten Tatsachen" in Natur und Geschichte, „an Hand der allerneuesten Erkenntnisse", sowohl in den Natur- als auch in den Gesellschaftswissenschaften. Um die Jahrhundertwende zogen Mach und Avenarius aus den neuen Erkenntnissen der Physik ebenso idealistische Schlußfolgerungen wie heute die revisionistischen Gefolgsleute der Kopenhagener Schule an Hand der neuen Entdeckungen der Mikrophysik. Vor Jahrzehnten zogen Vollmar oder Bernstein und später Hilferding ebenso antisozialistische Schlüsse aus den „neuen Tatsachen" des „modernen" Kapitalismus wie heute verschiedene Revisionisten mit ihrem Gerede von den progressiven, planmäßigen usw. Elementen im „modernen" monopolisti5*

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sehen Staatskapitalismus. Kautsky und andere schreckten zu ihrer Zeit ebenso vor der Diktatur des Proletariats zurück, kapitulierten ebenso vor dem ideologischen oder sonstigen Terror der „freiheitlichen", „abendländischen", parlamentarischen bürgerlichen Demokratie wie heute Djilas oder Lefebvre oder Gates. Lenin lehrte uns mit seinen Arbeiten über den Empiriokritizismus und über den Imperialismus, wie der revolutionäre Marxist die „allerneuesten" Tatsachen verarbeitet, dabei die Grundprinzipien des Marxismus verteidigt, anwendet und weiterentwickelt, zu neuen theoretischen Erkenntnissen gelangt und zugleich dem Revisionismus oder sonstigen Anti-Sozialismus eine Vernichtungsschlacht liefert. Am Beispiel der Kategorie „Materie" erläuterte Lenin die Relativität der speziellen Eigenschaften der Materie und den absoluten Charakter der Eigenschaft der Materie, objektive Realität zu sein: „'Die Materie verschwindet' heißt: es verschwindet jene Grenze, bis zu welcher wir die Materie bisher kannten, unsere Kenntnis dringt tiefer; es verschwinden solche Eigenschaften der Materie, die früher als absolut, unveränderlich, ursprünglich gegolten haben . . . und die sich nunmehr als relativ, n u r einigen Zuständen der Materie eigen entpuppen. Denn die einzige 'Eigenschaft* der Materie, an deren Anerkennung der philosophische Materialismus gebunden ist, ist die Eigenschaft, objektive Realität zu sein, außerhalb unseres Bewußtseins zu existieren." 1

Neue Endeckungen, Erkenntnisse usw. führen zu neuen Formen (Thesen, Gesetzen usw.) des Marxismus, nicht jedoch zur Revision des Wesens des Marxismus. Hierzu noch einmal Lenin: „Engels sagt vom Materialismus ausdrücklich: 'Mit jeder epochemachenden E n t deckung schon auf naturwissenschaftlichem Gebiete' (geschweige denn auf dem der Geschichte der Menschheit) ' m u ß er seine Form ändern' ('L. Feuerbach', S. 19). Eine Revision der ' F o r m ' des Engelsschen Materialismus, eine Revision seiner naturphilosophischen Sätze enthält folglich nicht n u r nichts 'Revisionistisches' im landläufigen Sinne des Wortes, sondern ist im Gegenteil eine unumgängliche Forderung des Marxismus. Den Machisten machen wir auch keineswegs eine solche Revision zum Vorwurf,

sondern ihr rein revisionistisches Verfahren: das Wesen des Materialismus unter dem Schein der Kritik an seiner Form preiszugeben, die grundlegenden Sätze der reaktionären bürgerlichen Philosophie zu übernehmen. . ." 2

In seiner Arbeit über „Marxismus und Revisionismus" legt Lenin u. a. dar, wie die Revisionisten auf dem Gebiet der politischen Ökonomie vorgehen. Das könnte wahrhaftig auch 1959 geschrieben sein (denn zwischen dem Revisionismus von 1908 und dem von 1959 ist ideologisch, theoretisch und klassenmäßig keinerlei wesentlicher Unterschied festzustellen): Die Revisionisten waren „bestrebt, durch 'neues Material über die Wirtschaftsentwicklung' auf das Publikum Eindruck zu machen . . . Man erklärte, die Krisen seien jetzt seltener und schwächer geworden, die Truste und Kartelle würden wahrscheinlich dem Kapital die Möglichkeit geben, die Krisen gänzlich zu beseitigen. Man erklärte, die 'Theorie des Zusammenbruchs', dem der Kapitalismus entgegengehe, sei unhaltbar, denn es t r e t e eine Tendenz zur A b s t u m p f u n g und Milderung der Klassengegensätze zu1 a

Lenin, W. I., Materialismus und Empiriokritizismus. Berlin 1952, S. 250. Ebenda, S. 241.

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tage. Man erklärte schließlich, auch eine Korrektur der Marxschen Werttheorie nach Böhm-Bawerk könnte nicht schaden." 8

Lenin schloß seinen Artikel mit der Voraussicht, daß sich alle Kontroversen mit dem Revisionismus, die damals (1908) nur ideologischen Charakter trugen und vielfach n u r Teil- und taktische Fragen betrafen, mit dem Kampf um Sieg und Aufbau des Sozialismus zuspitzen werden: „ . . . das alles wird die Arbeiterklasse fraglos noch in viel größerem Maßstab durchzumachen haben, wenn die proletarische Revolution alle Streitfragen verschärfen . . . wird."*

Diese Zeit ist heute da. Im erbitterten Kampf gegen die Rückzugsoffensive und -Scharmützel der imperialistischen Ideologie müssen die marxistischen Philosophen in engster Zusammenarbeit mit den Vertretern der speziellen Wissenschaften von Natur und Gesellschaft wirken, müssen die Vertreter der Spezialdisziplinen die Weltanschauung und Methode des dialektischen Materialismus stets aufs neue durchdenken, um sie mit Erfolg bei der Lösung ihrer Aufgaben und der Weiterentwicklung der Theorie des Marxismus-Leninismus anzuwenden. Dabei m u ß auch h e u t e gelten, was Lenin 1908 festhielt: „Der Kampf gegen die Revisionisten in diesen Fragen führte zu einer ebenso fruchtbaren Belebung des theoretischen Denkens des internationalen Sozialismus wie zwanzig Jahre vorher die Polemik von Engels gegen Dühring."®

Auf der Moskauer Konferenz über „Philosophische Fragen der heutigen Naturwissenschaft" im Oktober 1958 wurde von, wie es scheint, allen Diskussionsrednern kritisch und selbstkritisch festgestellt, daß Verständnis und Zusammenarbeit von marxistischen Philosophen und Naturwissenschaftlern in der Vergangenheit keineswegs befriedigend waren. Dogmatische Vorstellungen einer Reihe von Philosophen waren z. B. verantwortlich dafür, daß der „rationelle K e r n " der Relativitätstheorie, Mikrophysik, Mikrobiologie, Genetik, Kybernetik usw. philosophisch nicht rechtzeitig und tiefgreifend genug verarbeitet wurde. Nach Omeljanowski war eine Schulmeisterei der Philosophen gegenüber den Naturwissenschaftlern zu beobachten, es gab „Etikettierungen", es war ein „Zurückbleiben der Philosophie gegenüber den Fortschritten der Naturwissenschaft" und eine „von beiden Seiten geduldete Schwächung des Bündnisses der marxistischen Philosophen mit den Naturwissenschaftlern" festzustellen. 6 B. M. Kedrow steuerte auf dieser Konferenz ein neues Beispiel d a f ü r bei, wie der dialektische Materialismus, um an die oben zitierten Worte von Engels und Lenin anzuknüpfen, infolge der neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seine Form verändert, aber sein Wesen beibehält. Nach Kedrow 3 Lenin, W. I., Marxismus und Revisionismus. In: Marx-Engels-Marxismus, Grundsätzliches aus Schriften und Reden. Berlin 1957, S. 236. 4 Ebenda, S. 242. 5 Ebenda, S. 237. 6 Nach dem Bericht von Harig, G., in: „Einheit", Jg. 1959, H. 1, S. 131. - Vgl. auch die Artikel, Berichte und Materialien in der sowjetischen Zeitschrift „Fragen der Philosophie", Jg. 1959, H. 2 und 3.

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müsse man auf Grund der jüngsten Erkenntnisse der Mikrophysik die alte Engelssche Einteilung der Bewegungsgesetze in der Natur verändern und zu einer neuen Syste? matisierung gelängen. 7 Eine der Schlußfolgerungen, die die Konferenz zog, wird in der Konferenzentschließung formuliert: „Um die philosophischen Probleme der heutigen Naturwissenschaft auszuarbeiten, ist es erforderlich, daß die Anstrengungen der philosophischen Kader und der Naturwissenschaftler enger zusammengeschlossen und koordiniert werden." 8

Das gilt natürlich ebenso für die Arbeit der marxistischen Philosophen und sonstigen Gesellschaftswissenschaftler. Schließlich ist das große, das klassische Beispiel des Zusammenhangs, Ergänzens und wechselseitigen Befruchtens von Philosophie und Spezialwissenschaften Marx' Lebenswerk „Das Kapital". Auch unsere ökonomische Wissenschaft steht unter dem Druck neuer Tatsachen und neuer Erkenntnisse. Wir leben in einer neuen Etappe der internationalen revolutionären Bewegung, der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, des Wettkampfes zwischen Kapitalismus und Sozialismus, der Auseinandersetzung zwischen bürgerlicher und marxistischer Ökonomie; wir erleben den revolutionären Zusammenbruch des imperialistischen Kolonialsystems; in den neuen bürgerlichdemokratischen oder großbürgerlichen antiimperialistischen Staaten entwickelt sich ein neuer Staatskapitalismus; wir leben in einer weltwirtschaftlichen Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus; es entwickelt sich die vielfältige Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Staaten; die sozialistische Demokratie, die sozialistische Planwirtschaft und andere Bereiche der sozialistischen Gesellschaft zeigen stets neue Entwicklungsformen. All das vollzieht sich auf der Grundlage neuer Produktivkräfte, die ihren bestimmenden Einfluß auf die Produktionsverhältnisse geltend machen. Auch zwischen ökonomischer Basis und gesellschaftlichem Überbau bemerken wir auf der einen Seite im Kapitalismus und auf der anderen Seite in der sozialistischen Gesellschaft neue Züge, Zusammenhänge, Wechselwirkungen usw. Das gilt vor allem für die Zusammenhänge von Staat und Wirtschaft. Die neuen Tatsachen und Erkenntnisse müssen theoretisch verarbeitet werden. Der Widerspruch zwischen den neuen Tatsachen resp. Erkenntnissen und der vorhandenen Form des Systems der Theorie mit ihren einzelnen Elementen muß gelöst werden, damit die Theorie ihre Kraft behält und entwickelt, rechtzeitig vorausschauend zu erkennen und somit Anleitung zum revolutionären, sozialistischen Handeln zu sein. Lange Zeit hinderte uns der Dogmatismus an der schnellen und tiefgründigen Lösung dieses Widerspruchs, bremste er das Tempo der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion, Forschung, Erkenntnis und Voraussicht. Einige von uns marxistischen Wirtschaftswissenschaftlern antworteten darauf „an Hand der allerneuesten Tatsachen" mit revisionistischen Theorien oder Fehlern. Das waren Abweichungen, aber keine Weiterentwicklung des Marxismus. Unter dem Druck der Tatsachen des sehr komplizierten antimilitaristischen Kampfes in 7 8

Vgl. Harig, G., a. a. 0 . , S. 129. „Fragen der Philosophie", Jg. 1959, H. 2, S. 70 (russ.).

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Deutschland und des sozialistischen Aufbaus in der D D R gab es auch bei mir in den Fragen „Sozialistischer S t a a t und Planung" wie auch „Arbeiterklasse und sozialistische W i r t s c h a f t " b e s t i m m t e Fehler. Wie sind sie zu korrigieren? Praktisch durch die bewußte, parteiliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (dabei auch in der Wirtschaftspraxis) und theoretisch durch die konsequente Verteidigung und Anwendung der Grundsätze der marxistischen Philosophie und politischen Ökonomie in der wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit. Beide Wege bilden eine Einheit. Der Weg der marxistischen Wirtschaftswissenschaftler in die Praxis darf keine Flucht aus der Theorie werden; der Weg in die Praxis m u ß zugleich der Weg zu den Höhen neuer und vollkommenerer theoretischer Erkenntnis sein. Während auf der erwähnten Moskauer Konferenz über Philosophie und Naturwissenschaften Kritik an dem Bestreben einiger Naturwissenschaftler geübt wurde, die spezialwissenschaftliche Forschung alleine und mit „eigenen" philosophischen Konzeptionen zu fundieren, scheint bei uns Wirtschaftswissenschaftlern in der D D R Kritik an dem häufig zu erkennenden Bemühen notwendig, die spezialwissenschaftliche Forschung ohne Philosophie betreiben zu wollen. Die flachen, direktiven und deklarativen Thesen der Vergangenheit kann m a n aber nicht mit Empirismus und Organisationslehre aus dem Felde schlagen, sondern n u r m i t der fruchtbaren, konkreten Anwendung der dialektisch-materialistischen Theorie auf allen Gebieten der Wirtschaftswissenschaft. Es ist deshalb eigentlich zu bedauern, daß der orientierende Spitzenartikel von L. Gatowskij in „Fragen der W i r t s c h a f t " (Moskau, russ.), H . 3/1959, über „Einige Fragen der Entwicklung der politischen Ökonomie des Sozialismus in der gegenwärtigen E t a p p e " nicht ein einziges Wort über die Notwendigkeit enthält, im Kampf u m ein höheres theoretisches Niveau unserer marxistischen wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit das Bündnis von Philosophie und Ökonomie zu festigen. Wichtige theoretische Grundfragen der politischen Ökonomie des Sozialismus, wie das Verhältnis von Widerspruch und Gesetz, von allgemeinen und spezifischen Gesetzen, von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, Basis u n d Überbau, harren ebenso der Beantwortung, wie der objektive gesellschaftliche Zusammenhang der ökonomischen Gesetze und die S t r u k t u r des theoretischen Systems der politischen Ökonomie des Sozialismus zu erforschen sind. In diesem Zusammenhang müssen wir marxistischen Ökonomen in der D D R auch schneller, tiefgründiger, erkenntnistheoretisch fundierter, konkreter und häufiger auf die Angriffe der antisozialistischen Theorien westdeutscher Publizisten und Forscher antworten. Wenn wir so auf entschieden höherem theoretischen Niveau die qualitative ökonomische Analyse ausbauen und gleichzeitig der quantitativen Analyse zu Durchbruch und Anerkennung verhelfen, werden wir die Sandbänke, die sich im Fahrwasser unserer jetzigen theoretischen Arbeit zeigen, umschiffen. Es ist nicht n u r denkbar, sondern wäre durchaus wünschenswert, wenn sich Philosophen und Ökonomen, z. T. auch zusammen mit Historikern, Staatstheoretikern, Juristen, Statistikern, Mathematikern u n d Technikern, zu einigen

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sozialistischen Forschungsgemeinschaften zusammenschlössen, um brennende theoretische Probleme der sozialistischen Planwirtschaft, wie etwa das Verhältnis von Staat und Wirtschaft (dabei auch: ökonomische und juristische Gesetze), zu untersuchen. Bedarf nicht z. B. das Problem der Stellung des volkseigenen Betriebes im sozialistischen Staat, in der sozialistischen Planwirtschaft (dabei auch der Zusammenhang von Staatsapparat und Betrieb) dringend der philosophischen, ökonomischen und juristischen Durchleuchtung? In den anschließenden Ausführungen werden einige wenige Fragen der weltanschaulichen Grundlage und der philosophischen Methode in der marxistischen politischen Ökonomie behandelt. Es ist nicht mehr als ein kleiner Versuch. Ich hoffe, daß er eine Diskussion anregt und auslöst. Es schien mir zweckmäßig, gerade auf diesem Wege methodologischer Untersuchungen meine Ansichten über Staat und Wirtschaft, Wert, Geld und Finanzen zu prüfen, teils zu korrigieren und teils bestätigt zu finden. In weiteren Publikationen soll dann konkretisiert werden. Gleichzeitig jedoch muß der Weg der philosophisch-ökonomischen Untersuchungen über die Widersprüche, Kategorien, Gesetze und den objektiven Gesamtzusammenhang der sozialistischen Wirtschaft wie auch des theoretischen Systems der politischen Ökonomie des Sozialismus weitergegangen werden. I. DER ERKENNTNISPROZESS IN DER POLITISCHEN ÖKONOMIE 1. Die drei Stufen des Erkenntnisprozesses Auch in der marxistischen Wirtschaftswissenschaft besteht der Erkenntnisprozeß aus drei Bereichen; der Gang der Erkenntnis hat drei Stufen zu nehmen. Der erste Bereich umfaßt die Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen. Das ist der vorrationale Bereich. Durch ihn ist die menschliche Erkenntnis unmittelbar mit der materiellen Welt, der Natur und Gesellschaft, verknüpft. Der zweite Bereich des Erkenntnisvorgangs ist der rationale Prozeß. Hier wird, auf der Grundlage des zusammengetragenen empirischen Materials, mit Hilfe der Theorie des dialektischen Materialismus abstrahiert und konkretisiert, es werden Analysen und Synthesen vorgenommen, es werden Begriffe, Kategorien und Gesetze ausgearbeitet, es wird schließlich das theoretische Gebäude als Ganzes errichtet, es wird der Widerspruch zwischen Erscheinung und Wesen überwunden. Der dritte Bereich des Erkenntnisprozesses in der ökonomischen Theorie ist die gesellschaftliche Praxis selbst. Die Wechselbeziehungen zwischen dem zweiten und dritten Bereich des Erkenntnisprozesses, anders ausgedrückt: zwischen Theorie und Praxis, sind mannigfaltig. Eine der hauptsächlichsten Wechselbeziehungen kommt darin zum Ausdruck, daß die Erfahrungen der großen gesellschaftlichen Klassenkämpfe und der täglichen wirtschaftlichen Praxis theoretisch verallgemeinert werden, daß von den Erfahrungen und Erscheinungen zum Wesen der historisch gegebenen ökonomischen Verhältnisse vorgestoßen wird. Eine zweite wichtige Wechselbeziehung besteht darin, daß wir die im Denkprozeß verarbeiteten praktischen Erfahrungen und Anschauungen, d. h. also die theoretischen Ergebnisse des Erkenntnisprozesses, im gesellschaftlichen Leben und dabei auch in der Wirtschaftspraxis auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Richtigkeit überprüfen.

Zum Erkenntnisprozeß in der marxistischen politischen Ökonomie

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Die gesamte Menschheitsgeschichte ist das praktische Kriterium der marxistischen Theorie. Dabei ist z. B. die geschichtliche Ablösung des Feudalismus durch den Kapitalismus ebenso eine Bestätigung der marxistischen politischen Ökonomie des Kapitalismus wie die den Kapitalismus beseitigende sozialistische Revolution oder der Zusammenbruch des imperialistischen Kolonialsystems. Auf gleiche Art beweisen die großen internationalen Erfolge der sozialistischen Planwirtschaft die Richtigkeit der marxistischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft, der politischen Ökonomie des Sozialismus. So geht also der Erkenntnisprozeß über drei Stufen. „Vom lebendigen Anschauen zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis — das ist der dialektische Weg der Erkenntnis der Wahrheit, der Erkenntnis der objektiven Realität." 9 Wie wir sehen, spielt die gesellschaftliche Praxis im Erkenntnisprozeß der politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus eine grundlegende Rolle in doppelter Gestalt. Einmal ist die außerhalb des gesellschaftlichen Bewußtseins existierende gesellschaftliche Praxis (Menschheitsgeschichte) die objektive reale Quelle für das Werden unseres Wissens; zum andern werden die Ergebnisse des Denkprozesses in der Praxis überprüft und, wenn der rationale Prozeß einwandfrei war, auch bestätigt. Zwischen der zweiten und der dritten Stufe des Erkenntnisprozesses besteht demnach durchaus nicht ein einfaches Verhältnis der Rangfolge im zeitlichen, logischen oder erkenntnistheoretischen Sinne. Das Ausarbeiten der Kategorien und des theoretischen Systems stellt den rationalen Kern des Erkenntnisvorgangs dar. Die Erkenntnis, sagt Lenin, ist „der Prozeß einer Reihe von Abstraktionen, der Formulierungen, der Bildung von Begriffen, Gesetzen etc.", die „bedingt, annähernd die universelle Gesetzmäßigkeit der sich ewig bewegenden und entwickelnden Natur umfassen". Zur „Form der Widerspiegelung der Natur in der menschlichen Erkenntnis", fährt Lenin fort, gehören „die Begriffe, die Gesetze, die Kategorien etc.". Der Mensch kann die Natur nur erfassen, „indem er Abstraktionen, Begriffe, Gesetze, ein wissenschaftliches Weltbild usw. usw. schafft". 1 0 Über die allgemeine logische Bedeutung der Begriffe (und damit auch, wie wir noch zu zeigen haben, der Kategorien und Gesetze) bemerkt Mao Tse-tung: „Der Begriff widerspiegelt schon nicht mehr nur die äußeren Seiten der Dinge und Erscheinungen, nicht einzelne ihrer Seiten, nicht ihren äußeren Zusammenhang; er erfaßt das Wesen der Erscheinung, die Erscheinung als Ganzes, den inneren Zusammenhang der Erscheinungen. Zwischen Begriff und Empfindung besteht nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer Unterschied." 11

Der Übergang von der Empfindung zum Begriff ist u. a. im Sprung von der Erscheinung zum Wesen enthalten. Eben deshalb ist dieser Übergang nicht nur als eine quantitative Veränderung aufzufassen, sondern vielmehr als Sprung von einer • Lenin, W. I., Aus dem philosophischen Nachlaß, Exzerpte und Randglossen. Berlin 1949, S. 89. 10 Lenin, W. I., Philosophischer Nachlaß, S. 101. 11 Mao Tse-tung, Über die Praxis. In: Ausgewählte Schriften, Bd. I. Berlin 1956, S. 336 f.

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niederen zu einer höheren Qualität. Die Begriffe (auch die Kategorien und Gesetze) bringen das Wesentliche einer bestimmten Erscheinung, eines gesellschaftlichen Verhältnisses, Dings, ökonomischen Prozesses usw. zum Ausdruck. Diese Abstraktion vom Mannigfaltigen (Einzelnen, Zufälligen) f ü h r t im Abstraktionsverfahren natürlich zu Isolierungen, Einseitigkeiten, Starrheiten u. ä. Deshalb ist das Abstraktionsverfahren zwar eine wichtige, aber doch nur eine Seite des Denkprozesses; es wird durch das Verfahren der Konkretisierung ergänzt. Außerdem wird das theoretisch Ausgearbeitete in der gesellschaftlichen Realität überprüft. In ähnlicher Weise, wie die Abstraktion durch die Konkretisierung ergänzt wird, bilden Analyse und Synthese oder Deduktion und Induktion eine Einheit. Das Ergebnis des politökonomischen Erkenntnisprozesses sind die Begriffe, Kategorien, Gesetze, Systemzusammenhänge und Systeme. Dabei werden Urteile gefällt und Schlüsse gezogen, es werden Hypothesen und Thesen aufgestellt; vor allem aber ist das theoretische System in seiner Gesamtheit auszuarbeiten. In ihm werden die Kategorien und Gesetze in ihrer logischen S t r u k t u r zu einem die objektive Realität möglichst genau widerspiegelnden Ganzen zusammengefaßt. Die im Erkenntnisprozeß gewonnenen ökonomischen Begriffe dienen wiederum als Instrumente der weiteren Erkenntnis; der Arbeitsgegenstand wird gleichsam zum Arbeitsmittel. So gelangen wir vom unvollständigen Wissen zum vollständigeren. Der Erkenntnisprozeß ist das Werden unseres Wissens; wir erfassen einen Teil der Wahrheit nach dem andern. Der schon zum Teil erkannte Denkgegenstand (die ökonomische Kategorie X) wird alsbald zum Arbeitsmittel, das die weitere Bearbeitung des Objekts (etwa der Kategorie Y oder des Gesetzes Z) ermöglicht. Das ist die unendliche Spirale des Erkenntnisprozesses. Worauf es also, sagt Hegel gelegentlich sehr schön, „bei dem Studium der Wissenschaft ankommt, ist, die Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen". 1 2 2. Begriffe, Kategorien und Gesetze Wir gebrauchten in Ziffer 1, wie das allgemein üblich ist, die Ausdrücke Begriff; Kategorie und Gesetz. Wodurch unterscheiden sie sich, unserer Auffassung nach, voneinander? Bei der Bildung des Begriffs raffen wir zusammen, was f ü r verschiedene E r scheinungen gemeinsam ist, d. h., was f ü r sie alle wesentlich und notwendig ist. Der Begriff erfaßt nicht einzelne und äußere Seiten der verschiedenen Objekte, sondern die kausal bedingten allgemeinen inneren Zusammenhänge. Im Unterschied zu den „normalen" Begriffen sind die Kategorien Kristallisationsp u n k t e im Erkenntnisprozeß; sie sind höhere, reifere, abstraktere Formen der Erkenntnis, sie sind Grundbegriffe. I m sowjetischen Wörterbuch der Philosophie werden die Kategorien wie folgt definiert: 12

Hegel, G. W. F., Phänomenologie des Geistes, hrsg. von J. Hoffmeister. Der philosophischen Bibliothek Bd. 114. Leipzig 1949, S. 48.

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„Die Kategorien . . . der Philosophie sind logische Grundbegriffe, die die allgemeinsten und wesentlichsten Zusammenhänge und Beziehungen der Gegenstände und Erscheinungen in der Wirklichkeit widerspiegeln."18 Hegel vergleicht in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der „Wissenschaft der Logik" das Denken über den „unendlich mannigfachen Stoff" mit einem Netz, in dem sich „hin und wieder festere K n o t e n " schürzen, „welche die Anhalts- und R i c h t u n g s p u n k t e " des „Lebens und Bewußtseins sind; sie verdanken ihre Festigkeit und Macht eben dem, daß sie, vor das Bewußtsein gebracht, an und für sich seiende Begriffe seiner Wesenheit sind". 1 4 Lenin k n ü p f t hieran folgende Bemerkung: „Vor dem Menschen ist ein Netz von Naturerscheinungen ausgebreitet . . . die Kategorien sind Stufen des Heraushebens, d. h. der Erkenntnis der Welt, Knotenpunkte in dem Netze, die helfen, es zu erkennen und sich dessen zu bemächtigen."16 Die Kategorien sind Begriffe, aber nicht jeder Begriff ist eine Kategorie. Dabei sind die Übergänge vom „gewöhnlichen" Begriff zur Kategorie mannigfaltig, und die Grenzen sind durchaus fließend. Der „Arbeitslohn im Sozialismus" z. B. ist eine Kategorie der politischen Ökonomie des Sozialismus; die Ausdrücke Grundlohn, Zusatzlohn, Lohnzuschlag, Zeitlohn mit Prämie usw. sind im Verhältnis zur Kategorie „ L o h n " n u r einfache Begriffe. Oder der Begriff „Produktionskosten" ist eine Kategorie der marxistischen politischen Ökonomie; die Ausdrücke Gemeinkosten, Materialkosten, Lagerkosten, Stückkosten usw. sind im Verhältnis zur Kategorie „Produktionskosten" nur einfache Begriffe. Der Zusammenhang und Unterschied zwischen Kategorie und Gesetz wird, soweit wir dies zu übersehen vermögen, in der marxistischen Literatur nicht einheitlich und nicht immer präzis aufgefaßt. Uns scheint, daß die Kategorien und Gesetze 'der Wisseiftchaft das gleiche reale Objekt haben, es aber mit (mehr oder minder) u n t e r : schiedenem logischen Aspekt zum Ausdruck bringen. Die Kategorie orientiert sich auf die isolierende Hervorhebung der Wesenszüge des Objekts. Das Gesetz formuliert darüber hinaus den wesentlichen Zusammenhang, das Charakteristische (das Durchschnittlich-Massenhafte, das sich ständig Wiederholende) der Verbindungen und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Elementen des Objekts. Offensichtlich muß man u n t e r den ökonomischen Gesetzen, wenn man ihre Funktionen im theoretischen System im Auge hat, unter anderem zwei bestimmte Gruppen unterscheiden. F ü r die erste Gruppe ist kennzeichnend, daß die zu ihr gehörenden ökonomischen Gesetze den Zusammenhang und die Verbindung zwischen den verschiedenen Elementen des Objekts direkt in ihrer Entwicklung zum Ausdruck bringen; so z. B. die Gesetze von der kapitalistischen Akkumulation, von der ab13 Kurzes philosophisches Wörterbuch, 4. Aufl. Moskau 1954, S. 226 (russ.). Vgl. auch die folgende Definition: „Die allgemeinsten Begriffe, in denen sich die wichtigsten Eigenschaften, Gesetzmäßigkeiten der Welt widerspiegeln, heißen Kategorien." (Die Grundlagen der marxistischen Philosophie, hrsg. vom Institut für Philosophie bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Moskau 1958, S. 332, russ.) 14 Hegel, G. W. F., Wissenschaft der Logik.'Erster Teil, hrsg. von G. Lasson. Der philosophischen Bibliothek Bd. 56. Leipzig 1947, S. 16. 16 Lenin, W. I., Aus dem philosophischen Nachlaß, a. a. 0., S. 10.

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soluten Verelendung, von der Konzentration und Zentralisation des Kapitals, vom tendenziellen Fall der Profitrate, von der Steigerung der Arbeitsproduktivität, von der Entwicklung der Produktivkräfte, vom vorrangigen Wachstum der Produktionsmittelerzeugung usw. Das sind Beispiele aus dem Bereich der typischen ökonomischen Entwicklungsgesetze. Sie zeigen das sich ständig Wiederholende in seiner E n t wicklung; denn es handelt sich nicht u m einfache Wiederholung. Andere Gesetze bringen jedoch den Entwicklungsprozeß nicht unmittelbar zum Ausdruck; etwa das Gesetz des Geldumlaufs, das Wertgesetz, das Gesetz vom Produktionspreis. Was h a t aber diese Gruppe der ökonomischen Gesetze mit der ersten Gesetzesgruppe gemeinsam? Ihnen ist gemeinsam, daß sie wesentliche, notwendige, immanente, kausal bedingte Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen ökonomischen Erscheinungen der verschiedensten Art reproduzieren. Die Gesetze dieser zweiten Gruppe nähern sich stark den Kategorien. Wir denken z. B. an die Kategorie Geldmenge und an das Gesetz vom Geldumlauf, an W e r t und Wertgesetz, an Kapital und Mehrwertgesetz, an Produktionspreis und Gesetz vom Produktionspreis, an Konkurrenz und Gesetz von der Konkurrenz. Hier fällt lediglich der unterschiedliche logische Aspekt auf, von dem wir weiter oben sprachen: Die Kategorie orientiert sich auf die isolierende Hervorhebung und das Gesetz darüber hinaus auf das (sich wiederholende) Wesentliche in den Verbindungen und Zusammenhängen zwischen den Dingen. Ähnlich begreift auch D. P. Gorski den Unterschied und Zusammenhang von Kategorien und Gesetzen (allerdings in Anwendung auf die Kategorien und Gesetze der Dialektik): „Es gibt . . . eigentlich keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den Kategorien und den Gesetzen der Dialektik. Die feine Grenze, die sie trennt, besteht darin, daß die Hauptgesetze der Dialektik besonders wesentlich für die Kennzeichnung der objektiven Entwicklung sind, die wesentlichsten Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung sichtbar machen. Die Kategorien der Dialektik dagegen ergänzen, konkretisieren die allgemeine Konzeption der Entwicklung, wie sie durch die Hauptgesetze der Dialektik sichtbar gemacht wird . . . Im Gegensatz zu den Hauptgesetzen der Dialektik, die den inneren Zusammenhang und die Entwicklungstendenz der Dinge fixieren, widerspiegeln allerdings die einzelnen Kategorien für sich genommen nur einzelne Seiten des Gesamtzusammenhanges der Erscheinungen."1® Im gleichen Sinne auch S. F . Anissimow: „Das Gesetz ist ein Zusammenhang (der Terminus 'Zusammenhang' hat hier die Bedeutung der Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander, die vielfältige Formen haben kann: die Form der ursächlichen Bedingtheit einer Erscheinung durch die andere, der Wechselwirkung und überhaupt jeglicher Beziehung)."17 16 Gorski, D. P., Die Kategorien der materialistischen Dialektik. In: Über die Kategorien des dialektischen Materialismus. Sonderbroschüre der Monatszeitschrift „Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge". Berlin 1956, S. 11. (Übersetzung aus: „Fragen der Philosophie", Jg. 1955, H. 3, S. 17ff., russ.) 17 Anissimow, S. F., Die Wechselbeziehungen der Kategorien des Gesetzes, der Kausalität, der Notwendigkeit und der Zufälligkeit, ebenda, S. 33.

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Bei unseren Bemerkungen über Kategorie und Gesetz stützen wir uns besonders auf die Ausführungen im bereits zitierten sowjetischen Lehrbuch „Die Grundlagen der marxistischen Philosophie". Hier wird erstens die These vertreten, daß die Gesetze die notwendigen immanenten Zusammenhänge des gegebenen Objekts erfassen, und zweitens wird auf das Moment der Wiederholung hingewiesen : „In seiner allgemeinsten Form ist clas Gesetz eine bestimmte notwendige Beziehung zwischen den Dingen, Erscheinungen oder Prozessen, wobei sich diese Beziehung aus der inneren Natur, aus dem Wesen der Dinge, Erscheinungen und Prozesse ergibt." 18

An anderer Stelle: „Das Gesetz ist das Feste, Dauerhafte, scheinungen." 1 '

sich Wiederholende,

Identische

in den Er-

Oder in Kapitel XI („Der historische Materialismus als Wissenschaft von den Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft"), Ziffer 3 („Der Charakter der Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Lebens, der Entwicklung der Gesellschaft"): „Jedes wissenschaftliche Gesetz bringt den objektiven dauerhaften Zusammenhang, die notwendigen Beziehungen zwischen den Erscheinungen und Prozessen zum Ausdruck." 2 » Anschließend wird auch hier betont, daß ein Gesetz das sich Wiederholende erfaßt: „Das soziale Gesetz drückt den allgemeinen, wesentlichen, notwendigen inneren Zusammenhang der Erscheinungen, ihre Wiederholbarkeit, aus." 9 1

B. M. Kedrow weist noch auf einen besonderen Zusammenhang von Kategorien und Gesetzen hin. Er zieht aus einem Satz von Engels („Das Gesetz ist die Widerspiegelung des Wesentlichen in der Bewegung des Universums") und der hieran anknüpfenden Bemerkung von Lenin („Ergo sind Gesetz und Wesen gleichartige Begriffe . . . " ) den Schluß, daß die Definition von Begriffen „durch die Erforschung des entsprechenden objektiven Naturgesetzes erlangt" werden könne. „Eine solche Definition", fährt Kedrow fort, „von naturwissenschaftlichen Begriffen werden wir 'Definition durch ein Gesetz' nennen". 2 2 Die gleiche Methode hat Marx offensichtlich bei der Untersuchung einer Reihe von ökonomischen Kategorien angewandt: Wert und Wertgesetz, Kapital und Mehrwertgesetz usw. Aber er hat nicht nur diese Methode (der Definition eines Begriffs durch ein Gesetz) angewandt. In der Regel dürfte nämlich der methodische Verlauf über die Kategorie zum Gesetz führen (und nicht umgekehrt), dürfte das Formu18 Die Grundlagen der marxistischen Philosophie, S. 202. — Das Problem der Gesetze wird im Lehrbuch vor allem im VI. Kapitel („Der gesetzmäßige Zusammenhang der Erscheinungen der Wirklichkeit") unter Ziffer 2 („Das Gesetz als Form des Zusammenhangs der Erscheinungen. Das Einzelne, Besondere und Allgemeine") behandelt. Eine Klärung des Verhältnisses von Kategorie und Gesetz wird jedoch vermieden. Einige Definitionen der Gesetze sind sogar mit denen der Kategorien identisch. 19 Ebenda, S. 207. 20 Ebenda, S. 364. 21 Ebenda. 22 Kedrow, B. M., Über Inhalt und Umfang eines sich verändernden Begriffs. Berlin 1956, S. 9.

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lieren von ökonomischen Gesetzen eine höhere Form der Erkenntnis sein als das Ausarbeiten von Kategorien. Die Gesetze der ökonomischen. Wissenschaft erklären die unvermeidliche E n t wicklung der Wirtschaft vom Niederen zum Höheren, erklären den notwendigen Umschlag von einer ökonomischen Formation (z. B. der des Kapitalismus) in eine höhere ökonomische Formation (die des Sozialismus)* G. Klaus stellt, wie uns scheint, in seiner glänzenden Polemik gegen die antimarxistische Liturgie des Jesuitenpaters W e t t e r Gesetze und Methode einseitig und unvollständig gegenüber: „Das Gesetz gibt an, was ist, wie sich die Dinge verhalten und ist als solches unabhängig vom menschlichen Bewußtsein. Die Methode aber, die ein System von Regeln ist, sagt, was man tun soll . . . Jede Methode . . . beruht auf Gesetzen . . . Gesetze haben keinen Zweck, wohl aber hat die Methode einen Zweck. Ihr Zweck ist die Erkenntnis der Welt bzw. deren Umgestaltung." Dies sei, so schließt Klaus seine Bemerkung, die „Darlegung der marxistischen Auffassung von Gesetz und Methode."23 Diese Argumentation scheint uns deshalb einseitig, unvollständig, weil sie n u r von den Seinsgesetzen, nicht aber von deren ideellen Reflexen, den in der Wissenschaft formulierten Gesetzen spricht, die ein Teil des Abstraktionsverfahrens, ein Teil der Methode sind. Klaus faßt u . E . die Methode viel zu eng. E r zitiert eine Seite zuvor selbst, und zwar zustimmend, Shdanow, der nichts Geringeres als die marxistische Philosophie selbst als „ I n s t r u m e n t der wissenschaftlichen Forschung" bezeichnet, als „Methode, die alle Wissenschaften von N a t u r und Gesellschaft durchdringt". 2 4 Da wir — und auch Klaus — von Gesetzen der Dialektik sprechen, ergibt sich — im Widerspruch zu den oben zitierten Sätzen von Klaus —, daß zur philosophischen Methode wissenschaftliche Gesetze gehören, daß also die von Klaus vorgenommene Gegenüberstellung von Gesetz und Methode eine unvollständige Interpretation darstellt. Wenn wir also in unseren Ausführungen von Methode sprechen (z. B. die kategoriale Analyse als Methode bezeichnen), meinen wir in der Regel das Arbeiten mit der dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie in den Spezialwissenschaften (in unserem Falle: politische Ökonomie). Soviel über Unterschied und Zusammenhang von Begriffen, Kategorien und Gesetzen. Da sich die politische Ökonomie vor allem mit den Grundbegriffen, also den Kategorien, und ferner m i t den Gesetzen beschäftigt, werden wir uns im folgenden in erster Linie mit diesen beiden Formen des Denkprozesses beschäftigen. Das Arbeiten mit den Kategorien und Gesetzen kann m a n auch als kategorialen Prozeß und das gewonnene theoretische System als Kategoriensystem bezeichnen: das kategoriale System der politischen Ökonomie des Kapitalismus, das kategoriale System der politischen Ökonomie des Sozialismus. Doch hierzu später noch einmal. 23 21

Klaus, G., Jesuiten-Gott-Materie. Berlin 1958, S. 229. Ebenda, S. 228.

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Die Begriffe, Kategorien und Gesetze sind Formen des Denkens oder Denkbestimmungen , 25 Der kategoriale Prozeß vollzieht sich in bestimmten Denkformen; es ist das Arbeiten mit den Denkbestimmungen. Die Begriffe, Kategorien und Gesetze der politischen Ökonomie haben ontologische und gnoseologische Bedeutung. Was besagt das? Es soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß der Begriff usw. die Existenz und Bewegung des außerhalb unseres Bewußtseins gegebenen gesellschaftlichen Seins widerspiegelt, gleichzeitig aber Moment des geistigen Prozesses selbst ist, also seinen Platz und seine Funktion im Erkenntnisvorgang (im gnoseologischen Prozeß) hat. Die Kategorien der politischen Ökonomie sind die ideellen Reflexe (Widerspiegelungen, Resultate) der objektiv existierenden Produktionsverhältnisse. Existenz und Bewegung dieser Produktionsverhältnisse bedingen Existenz und Bewegung der sie rational reflektierenden Begriffe, Kategorien und Gesetze. Mit dieser wichtigen materialistischen Seite des kategorialen Prozesses befaßt sich W. W. Stoljarow in seinem bemerkenswerten Beitrag „Über Rolle und Stellung der philosophischen Kategorien im Denken". 26 Der sowjetische Autor behandelt in seiner „Genesis der Kategorien" sowohl „die logische Funktion" derselben als auch deren „objektiven Inhalt" und kommt zu dem Schluß, „die Kategorien der Philosophie als historisch entstandene notwendige und allgemeine Formen des Denkens zu bestimmen, welche die allgemeinsten und wesentlichsten Eigenschaften und Beziehungen der objektiven Realität und auch die Beziehungen zwischen Denken und objektiven Realität widerspiegeln."27

Aus dieser dialektisch-materialistischen Feststellung leiten sich die (in den Abschnitten II und I I I ausführlicher zu behandelnden) zwei Hauptattribute des kategorialen Prozesses in der marxistischen politischen Ökonomie ab : (1) Die Kategorien und Gesetze der politischen Ökonomie sind die im Erkenntnisprozeß gewonnenen und „verarbeiteten" realen, historisch gegebenen Produktionsverhältnisse der Gesellschaft. (2) Die Kategorien und Gesetze der politischen Ökonomie befinden sich, wie die ihnen zugrunde liegenden realen ökonomischen Prozesse selbst, in ständiger Veränderung, Bewegung und Entwicklung. Diese beiden Hauptattribute des kategorialen Prozesses ergeben sich aus der Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus. 3. Philosophische und ökonomische Kategorien Der dialektische und historische Materialismus ist die erkenntnistheoretische Grundlage der politischen Ökonomie. Bei dem Entdecken, Formulieren und Ent25 Vgl. Engels, F., Dialektik der Natur. Berlin 1953, S. 222. Engels betont hier, daß für die wissenschaftliche Arbeit Denkbestimmungen notwendig sind, und er identifiziert Denkbestimmungen und Kategorien. 26 Stoljarow, W. W., Über Rolle und Stellung der philosophischen Kategorien im Denken. In: „Deutsche Zeitschrift für Philosophie", Jg. 1957, H. 6, S. 672ff. (Wir verdanken diesem Artikel und einer mündlichen Konsultation des Autors wertvolle Anregungen für den vorliegenden Beitrag.) w Ebenda, S. 696.

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wickeln der Kategorien und Gesetze der politischen Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus, ebenso auch beim Arbeiten mit diesen Kategorien, findet der marxistische Wirtschaftstheoretiker im dialektischen Materialismus, d. h. in der Philosophie des Marxismus-Leninismus, seine weltanschauliche Grundlage und das notwendige methodologische Instrumentarium. Darin sehen wir die Hauptwurzel für den wissenschaftlichen Charakter, d. h. den Wahrheitsgehalt der marxistischen politischen Ökonomie und damit für ihre theoretische Überlegenheit über alle nichtsozialistischen Systeme der Wirtschaftstheorie. Die Kategorien der Wirtschaftstheorie liegen erkenntnistheoretisch keineswegs auf der gleichen Ebene wie die Kategorien des dialektischen Materialismus. Die Wirtschaftstheorie ist, wie die Physik oder Geologie oder Jurisprudenz, eine Einzelwissenschaft, während der dialektische Materialismus die allgemeine und grundlegende Wissenschaft ist. Das bedeutet für den Erkenntnisprozeß in der politischen Ökonomie: Während die Kategorien und Gesetze der Wirtschaft zunächst das Ziel des wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisprozesses sind, stellen die Kategorien und Gesetze des dialektischen Materialismus die Grundlage und das Instrumen. tarium dieses Erkenntnisprozesses dar. 28 Wirtschaftstheoretische Untersuchung setzt Kategorien, wie Materie und Bewegung, Sein und Bewußtsein, Basis und Überbau, Inhalt und Form, Qualität und Quantität, Begriff und Gesetz usw., als im Prinzip gegeben voraus. Selbstverständlich handelt es sich auch bei diesem Zusammenhang, wie bei allen Zusammenhängen in Natur, Gesellschaft und Denken, erstens um Wechselbeziehungen und zweitens um Zusammenhänge zwischen nicht gleichwertigen Faktoren resp. Kräften. Somit können die Kategorien des dialektischen Materialismus bereichert werden, wenn der marxistische Wirtschaftswissenschaftler die ökonomischen Kategorien und Gesetze ausarbeitet und anwendet. Der kategoriale Prozeß in der politischen Ökonomie kann dazu beitragen, die Kategorien und das gesamte kategoriale System der marxistischen Philosophie zu bereichern. Das klassische Beispiel für diesen dialektischen Wirkungszusammenhang von philosophischen und ökonomischen Kategorien ist „Das Kapital" von Karl Marx. Dadurch, daß Marx die Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus anwandte, war es ihm möglich, die ökonomischen Kategorien wie Ware, Geld, Mehrwert, Lohnarbeit usw. zu entdecken, auszuarbeiten und anzuwenden. Und gleichzeitig trug Marxens Arbeiten mit den ökonomischen Kategorien und Gesetzen nicht nur dazu bei, den dialektischen Materialismus zu bereichern, sondern war, wie bekannt, zugleich ein Prozeß des eigentlichen Ausarbeitens des dialektischen und historischen Materialismus. Die Unterscheidung zwischen Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem gilt demnach auch für diese Seite des Erkenntnisprozesses. Die Einzelwissenschaften haben 28 „Die Philosophie des Marxismus-Leninismus . . . gibt keine fertigen Antworten auf die Fragen, mit denen sich die Einzelwissenschaften befassen, wohl aber rüstet sie alle Wissenschaften mit einer richtigen Theorie vom Denken und mit der Methode aus, um die Antworten zu finden." (Die Grundlagen der marxistischen Philosophie, S. 27.)

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einen besonderen (und nicht allgemeinen) Erkenntnisgegenstand. Folglich dienen ihnen die Erkenntnisse (u. a. die Begriffe, Kategorien und Gesetze) des allgemeinen Erkenntnisprozesses der marxistischen Philosophie als weltanschauliche Grundlage und methodologisches Instrumentarium. Innerhalb der Einzelwissenschaften gibt es dann noch die speziellen Erkenntnisprozesse und -gegenstände. In diesem Falle werden neben den allgemeinen auch die besonderen Kategorien als Instrumentarium benutzt. So haben wir innerhalb der marxistischen politischen Ökonomie die verschiedenen Teildisziplinen (IndustrieÖkonomie, Agrarökonomie, Finanzwissenschaft usw.). Die theoretische Arbeit in diesen Teildisziplinen verspricht n u r dann Erfolg, wenn sie m i t den allgemeinen politökonomischen Kategorien und Gesetzen einwandfrei arbeitet. Auch hier natürlich Wechselwirkung: Der politökonomische Grundlagenforscher ist in der Regel n u r dann produktiv, wenn er die Probleme und Erkenntnisse zumindest einer Teildisziplin kennt und auswertet. Die skizzierten Zusammenhänge zwischen philosophischem und wirtschaftswissenschaftlichem Erkenntnisprozeß haben ihren objektiven Grund im gesellschaftlichen Sein, sind doch die ökonomischen Prozesse nur ein Teil (wenn auch der bestimmende, ausschlaggebende Teil) des gesamtgesellschaftlichen Prozesses. Deshalb sind die ökonomischen Bewegungsgesetze n u r im Zusammenhang erstens m i t den ganz allgemeinen Gesetzen in Natur, Gesellschaft und Denken zu begreifen und zweitens n u r im Zusammenhang m i t den gesamtgesellschaftlichen Bewegungsgesetzen. Umgekehrt stehen selbstverständlich die allgemeinen und die gesamtgesellschaftlichen Bewegungs- und Entwicklungsgesetze in notwendigen Zusammenhängen mit den spezielleren Gesetzmäßigkeiten. Hierbei verstehen wir u n t e r gesamtgesellschaftlichen Bewegungsgesetzen solche, die nicht n u r einen Bereich der Gesellschaft (etwa die ökonomische Basis oder den S t a a t oder das Recht), sondern mehrere Bereiche oder die gesamte Gesellschaft, jeweils einschließlich vor allem der Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Bereichen, umfassen. Es sind dies die Gesetze, die der historische Materialismus erforscht. Bisweilen werden sie auch (wenig glücklich) als soziologische Gesetze bezeichnet. Der dialektische Materialismus hingegen erforscht (1) die allgemeinsten Kategorien und Gesetzmäßigkeiten der Materie, deren Wirkungsbereich also Natur, Gesellschaft und Denken u m f a ß t , erforscht (2) aber auch bestimmte Seiten der spezifischen Gesetzmäßigkeiten des Denkens, des Erkenntnisprozesses. (Andere Seiten der Gesetze und Formen des Denkens untersucht bekanntlich die formale Logik.) II. DER KATEGORIALE AUSDRUCK DER PRODUKTIONSVERHÄLTNISSE 1. Die ökonomischen Kategorien und Gesetze als abstrakte der Produktionsverhältnisse

Ausdrücke

Die Kategorien der marxistischen politischen Ökonomie sind die im Denkprozeß „verarbeiteten" Produktionsverhältnisse. „Die ökonomischen Kategorien", schrieb Marx, „sind n u r die theoretischen Ausdrücke, die Abstraktionen der gesellschaft6

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liehen Produktionsverhältnisse". 2 9 Die Kategorien und Gesetze der marxistischen Wirtschaftstheorie sind abstrakte Fassungen wesentlicher, notwendiger, allgemeiner immanenter und kausal bedingter, objektiv existierender ökonomischen Beziehungen in der menschlichen Gesellschaft. Das ist das grundlegende Attribut des Kategoriensystems der politischen Ökonomie. Es ergibt sich aus der materialistischen Weltanschauung. Die Kategorien und Gesetze bringen unmittelbar nicht jeden einzelnen ökonomischen Prozeß zum Ausdruck. Da sie abstrakte Erkenntniselemente sind, formulieren sie nicht alle, sondern nur die wesentlichen ökonomischen Zusammenhänge, nicht die zufälligen, sondern nur die notwendigen ökonomischen Prozesse, nicht die einzelnen, sondern nur die allgemeinen (massenhaft-durchschnittlichen) Vorgänge, nicht die äußeren, sondern die inneren Zusammenhänge, wobei alle diese Prozesse als kausal bedingt, d. h. im Ursache-Wirkung-Verhältnis, gefaßt werden. In ihrem Begriff werden die Produktionsverhältnisse isoliert, vereinfacht, verengt, schematisiert, der historischen Mannigfaltigkeit entkleidet, vereinseitigt usw.; zugleich aber werden sie bereinigt, auf das Wesentliche verdichtet, konzentriert, gefiltert, auf ihren einheitlichen Nenner gebracht. In der ökonomischen Theorie wird, um einen Ausdruck von Marx zu gebrauchen, der Kapitalismus (vice versa Sozialismus) „auf seinen Begriff gebracht"; im theoretischen System wird das Massenhafte, Wesentliche, Notwendige, Allgemeine dargestellt. „In solcher allgemeinen Untersuchung wird überhaupt immer vorausgesetzt, daß die wirklichen Verhältnisse ihrem Begriff entsprechen, oder was dasselbe, werden die wirklichen Verhältnisse nur dargestellt, soweit sie ihren eignen allgemeinen Typus ausdrücken."30 An anderer Stelle trifft Marx die erkenntnistheoretische Feststellung, daß die ökonomische Theorie „nur die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen ihren idealen Durchschnitt" darzulegen habe. 3 1 Lenin, der diese Bemerkung zitiert, will dadurch den Gedanken unterstreichen, daß alle „Gesetze des Kapitalismus, die von Marx entdeckt wurden, genau so bloß das Ideal des Kapitalismus darstellen, keineswegs aber seine Wirklichkeit". 3 2 Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Historischem und Logischem in der politischen Ökonomie aufgeworfen. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem hier behandelten ersten Attribut des kategorialen Prozesses in der marxistischen politischen Ökonomie: Logisches und Historisches bilden in der Erkenntnistheorie der marxistischen Gesellschaftswissenschaft eine Einheit. Das Historische ist der wirkliche Ablauf des gesellschaftlichen Lebens. Das Logische ist das durchdachte, das theoretisch verarbeitete 29 Marx, K., Das Elend der Philosophie. Berlin 1952, S. 129. - Oder (ebenda, S. 42): ,,. . . die ökonomischen Kategorien . . . als theoretische Ausdrücke historischer, einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktion entsprechender Produktionsverhältnisse . . ." so Marx, K., Das Kapital. Bd. III. Berlin 1951, S. 167. 31 Marx, K., Das Kapital. Bd. II. Berlin 1951, S. 570. 32 Lenin, W. I., Nochmals zur Frage der Theorie der Realisierung. In: Marx, K., Das Kapital. Bd. II, S. 570.

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Historische. Das Historische ist reichhaltiger als das Logische, das Logische a b e r allgemeiner und wesentlicher als das Historische. Das Logische ist die rationale, abstrakte Form der Widerspiegelung der historischen Entwicklung. 3 3 Das Logische ist das erkannte und durchdachte Historische. Die dialektisch-materialistische Erkenntnistheorie stellt demnach die Erscheinung nicht äußerlich dem Wesen entgegen, sondern faßt sie als konkrete Ausdrücke des Wesens, des Allgemeinen. Das Einzelne ist im allgemeinen nicht geleugnet, sondern aufgehoben. Doch sind Historisches und Logisches in der Erkenntnistheorie der marxistischen politischen Ökonomie auch noch auf andere Art zur Einheit zusammengefaßt: Der kategoriale Prozeß, der vom Einfachen zum Komplizierten fortgeht, entspricht dem allgemeinen und wesentlichen Trend des historischen Prozesses: „Die Methode von Marx besteht im allmählichen Aufsteigen von den einfachsten ökonomischen Kategorien zu den komplizierten, was der fortschreitenden Entwicklung der Gesellschaft in aufsteigender Linie von den niederen Stufen zu den höheren entspricht. Bei dieser Methode der Erforschung der Kategorien der politischen Ökonomie ist die logische Erforschung eine Widerspiegelung des historischen Ablaufs der gesellschaftlichen Entwicklung." 34

Dieser historische Ablauf der gesellschaftlichen Entwicklung ist Einheit von Evolution und Revolution. An bestimmten „Siedepunkten" des Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen sowie von Basis und Überbau erfolgt der Umschlag aus einer gesellschaftlichen Formation in eine andere (höheren Typus'), deren Produktionsverhältnisse ein schnelleres Steigen der Arbeitsproduktivität, d. h. eine schnellere Entwicklung der Produktivkräfte, zulassen als die vorhergehenden. Das Charakteristische der ökonomischen Entwicklung sind also nicht so sehr ihre allgemeinen Kategorien, sondern vielmehr erstens das Absterben alter und das Entstehen neuer Kategorien und Gesetze sowie zweitens die Veränderung der historischen, konkreten Erscheinungsformen der allgemeinen Kategorien und Gesetze beim Übergang von einer gesellschaftlichen Formation in die andere. So ergibt sich aus dem ersten Grundsatz (Attribut) des kategorialen Prozesses in der marxistischen Wirtschaftstheorie die Notwendigkeit, die Produktionsverhältnisse nicht so sehr in ihren allgemeinen Charakterzügen, als vielmehr gerade in ihren historisch gegebenen Perioden (Systemen) mit den ihnen entsprechenden Kategorien und Gesetzen zu untersuchen. Demgemäß unterscheiden wir z. B. zwischen politischer Ökonomie des Kapitalismus und politischer Ökonomie des Sozialismus. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung hebt die marxistische Wirtschaftstheorie in ihrem prinzipiellen Gegensatz zur bürgerlichen Wirtschaftstheorie 33

Vgl. hierzu noch einmal Stoljarow, a. a. 0 . , S. 689: „Die Kategorien wurden im realen Prozeß der Vertiefung und Erweiterung der Erkenntnis der objektiven Eigenschaften und Verhältnisse des Seins ausgearbeitet, sie sind historisch entstanden und erfüllen eine logische Funktion, weil in ihnen allgemeine Eigenschaften fixiert sind, die der empirischen Welt eigen sind. Diese allgemeinen Verhältnisse und Eigenschaften bilden den objektiven Inhalt der Kategorien." 81 Politische Ökonomie, Lehrbuch, 3. Aufl. Moskau 1958, S. 14 (russ.). 6*

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ab, die diese Gliederung der ökonomischen Theorie in zwei Systeme nicht anerkennt, weil sie nicht zugeben will, daß der Sozialismus eine den Kapitalismus notwendig ablösende, höhere gesellschaftliche Formation mit eigenen Kategorien und Gesetzmäßigkeiten ist. Die Kategorien entarten zu leeren Wörtern, wenn sie nicht Historisches enthalten. Sie verlieren dann ihre theoretische und praktische Funktion. Der Dogmatismus birgt in sich die Gefahr, die Kategorien auszuhöhlen und das Kategoriensystem verknöchern zu lassen. So war zweifellos die Ausarbeitung und erste Definition einiger ökonomischer Gesetze des Sozialismus durch Stalin und die sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler ein bedeutender Schritt vorwärts in der Geschichte der politischen Ökonomie des Sozialismus. Es herrschte dann aber lange Zeit (z. T. übrigens auch noch heute) eine Tendenz, die bloße Deklaration eines ökonomischen Gesetzes an die Stelle der logischen und historischen Analyse zu stellen. Diese Mängel werden überwunden, wenn auf der einen Seite Lehre und Forschung stärker von den Kategorien und Gesetzen des dialektischen Materialismus durchdrungen werden (wir brauchen ein höheres Niveau der theoretischen Arbeit) u n d wenn auf der anderen Seite die Kategorien und Gesetze mehr historisch angereichert werden (wir brauchen mehr statistisch-mathematische, konkret-historische Analysen der volks- und weltwirtschaftlichen Gesamtprozesse). Das erste Attribut des kategorialen Prozesses in der politischen Ökonomie drängt uns weiter den Schluß auf, daß auf der Grundlage der materialistischen Erkenntnistheorie die Bildung von Begriffen und die Formulierung von Gesetzen kein Feld der subjektiven, individuellen Willkür sind. Umfang und Inhalt, Platz und Zusammenhang einer jeden Kategorie sind durch die objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse, deren ideelle Reflexe die Kategorien sind, gegeben. In der idealistischen und antidialektischen Wirtschaftstheorie ist der kategoriale Prozeß letzten Endes individuelles Gedankenspiel. Jedem Autor seine eigenen Definitionen! Und jedem „ G r o ß e n " unter den Herren Professoren ein neues System und eine eigene Schule! Das alles ist nichts anderes als der ideologische Reflex von Privateigentum u n d Konkurrenzkampf. Gegebenenfalls kann sich ein größerer oder kleinerer Kreis von bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern, die ja auf einheitlicher idealistischer Klassenposition stehen, f ü r kürzere oder längere Zeit über diesen oder jenen Begriff, über dieses oder jenes Modell, vielleicht sogar über dieses oder jenes System einigen — bis auch hier zu gegebener Zeit das dem Privateigentum und Konkurrenzsystem immanente Gesetz von der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung (selbstverständlich in zahlreichen Vermittlungen) zum offenen Durchbruch gelangt. Die heutige bürgerliche Wirtschaftswissenschaft ist ihrer antisozialistischen Klassenfunktion gemäß antimaterialistisch und antidialektisch. Ihr Idealismus lenkt von den inneren, objektiven, kausal bedingten Gegensätzen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Wirtschaft ab und wird weiter bei dem (schließlich doch völlig vergeblichen) Versuch benötigt, die historische Notwendigkeit und Lebenskraft des Sozialismus vor den Volksmassen zu verleugnen. In der Regel werden die ökonomischen Prozesse in der der kapitalistischen Unternehmerwirt-

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schaft verschriebenen Wirtschaftstheorie auf geistige bzw. psychische Verhaltensweisen oder auf andere außerökonomische Faktoren (Bevölkerungsentwicklung z. B. oder Technik) zurückgeführt. Dabei werden Gesetzmäßigkeiten entweder überhaupt abgestritten oder als allgemeine psychologische bzw. auch technische Gesetze „an sich" deklariert. Idealistisch und undialektisch sind zumeist auch die in der bürgerlichen „Wachstums-" bzw. „dynamischen" Theorie praktizierten Modellverfahren, wird doch in ihnen oft das Historische aus dem Logischen herausgefiltert und werden doch hier die ökonomischen Prozesse bei Liquidierung aller qualitativen Momente quantifiziert. Selbstverständlich kann man aber die geschichtliche Entwicklung nicht in quantitative Prozesse auflösen. Jedes Grund-Modell, in dem die vielen, so entscheidenden gesellschaftlichen Institutionen wie Eigentum, Distributionsverhältnisse, Monopol, Klassen, Staat usw. extrapoliert sind, kann nur unwahr sein und muß folglich den Studierenden in die Irre führen, ihn von den Realitäten des für den internationalen Sozialismus so erfolgreichen wirtschaftlichen Wettkampfes mit dem Kapitalismus ablenken. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß gerade dies das bewußt gesteckte Ziel einiger Ökonomen kapitalistischer Provenienz ist. Andere wiederum begreifen die Modell-Kombinationen als Spiel. Natürlich führt auch das zu keiner Erkenntnis des Seins. Die philosophischen und ökonomischen Kategorien, ebenso die Schemata und Modelle, müssen vielmehr Abstraktionen der realen gesellschaftlichen Prozesse sein (allerdings nicht ihres historischen Ab • laufs). Bewegung und Zusammenhang der Kategorien und Gesetze der marxistischen ökonomischen Theorie, die auf dem dialektischen Materialismus beruht, sind die ideelle Darstellung der Bewegungen und Zusammenhänge in der sozialökonomischen Wirklichkeit. Daraus folgt, wie von uns weiter oben schon betont wurde, daß die Kategorien der marxistischen Wirtschaftstheorie ontologische und gnoseologische Bedeutung haben. Als Elemente des Denkprozesses sind sie Reflexe, Abbilder, einseitige (nämlich abstrakte) Zusammenfassungen realer, objektiver Prozesse. Jede Kategorie erfaßt, in Abstufungen und „Vermittlungen" (dialektischen Wechselbeziehungen), einzelne Seiten, Momente, Prozesse, Verhältnisse der objektiven Realität der historisch bestimmten Produktionsweisen und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Diese materialistische These von der dialektischen Einheit von Gnoseologischem und Ontologischem im kategorialen Prozeß, einer Einheit, in der das Ontologische das Primäre ist, stellt eine der Errungenschaften der großen geistesgeschichtlichen Revolution dar, die mit dem Namen von Karl Marx verknüpft ist. 2. Erkenntnisprozeß, gesellschaftliche Praxis und Experiment Jede durch Abstraktion gewonnene wirtschaftstheoretische These muß nicht nur logisch gesichert, sie muß auch praktisch bestätigt werden. So ist die gesellschaftliche Praxis auf doppelte Art mit dem theoretischen Verfahren verknüpft: Die Erkenntnis kommt uns durch den Gang vom Praktischen, Empirischen zum Allgemeinen und dann den Gang zurück (nunmehr aber um den Gewinn des Allgemeinen be-

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reichert) zum Konkreten, das jetzt Erscheinung des Abstrakten ist, zum Einzelnen, das nunmehr Erscheinung des Allgemeinen ist, zum Praktischen, das wir jetzt bereits seinem Begriff gemäß erfassen. „Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens."36 Die abstrakten Bestimmungen führen also zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Dabei ist die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, so f ä h r t Marx fort, natürlich nur die Art und Weise, in der sich das Denken des Konkreten bemächtigt und nicht, wie etwa bei Hegel, der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst. Die P r ü f u n g durch die Praxis ist ein Bestandteil der Erkenntnistheorie. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können zum großen Teil durch Experimente g e p r ü f t werden. Im Unterschied jedoch zu den meisten Bereichen der Naturwissenschaften fehlt der politischen Ökonomie des Kapitalismus die Möglichkeit des Experiments, das unter von uns gesetzten Bedingungen, also in bestimmter Isolation, durchgeführt wird. 36 Die Experimente müssen in der politischen Ökonomie des Kapitalismus durch das Abstraktionsverfahren, durch die P r ü f u n g an H a n d der Geschichte und schließlich durch die praktische Anwendung im gesellschaftlichen Leben ersetzt werden. Lenin weist in seinen philosophischen Studien ausdrücklich auf diese Seite der marxistischen Erkenntnistheorie und ihre Anwendung im „ K a p i t a l " von Karl Marx hin. Die Analyse von Ware, Geld und Kapital sei, so bemerkt Lenin, „eine zweifache Analyse, eine deduktive und eine induktive — eine logische und eine historische (die Wertformen). die Kontrolle durch die Tatsachen respektive durch die Praxis findet hier bei jedem Schritt der Analyse statt." 37 Die oben erwähnte erste Form der P r ü f u n g der Denkergebnisse der politischen Ökonomie des Kapitalismus in der Praxis ist die Feststellung des Wahrheitsgehalts in der Geschichte selbst: Überprüfung der logischen E n t f a l t u n g der Wertformen in der Frühgeschichte der Warenproduktion, P r ü f u n g der Marxschen Konzentrationstheorie an H a n d der Entwicklung des Kapitalismus in den einzelnen Ländern usw. Die zweite Form der P r ü f u n g der Denkergebnisse der politischen Ökonomie des Kapitalismus in der Praxis sind Strategie und Taktik der gesamten internationalen revolutionären Arbeiterbewegung (der schon siegreichen und der noch nicht siegreichen). Revolutionäre Streikkämpfe in Amerika und Bauernbewegungen in Italien, 35

Marx, K., Zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin 1951, S. 257. Marx schreibt zu diesem methodologischen Problem im Vorwort zur 1.Auflage des ersten Bandes des „Kapitals": „Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann . . . weder das Mikroskop dienen noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen." (Marx, K., Das Kapital, Bd. I. Berlin 1953, S. 6.) 37 Lenin, W. I., Aus dem philosophischen Nachlaß, a. a. O., S. 249f. 36

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die antiimperialistische Politik der K P Indiens und die Außenpolitik der sozialistischen Staaten — all das ist unter anderem auch angewandte politische Ökonomie. Es ist die ausdrückliche Aufgabe der Wissenschaft, stellt Lenin bereits in den „Volksfreunden" fest, ,,die wahre Parole des Kampfes zu liefern. . ." 3 8 . Dem Wesen der Sache nach verfügt auch die politische Ökonomie des Sozialismus über diese zwei Formen des Kriteriums der Praxis: Überprüfung in der allgemeinen Geschichte der Menschheit und in der Geschichte des Sozialismus im besonderen, Überprüfung im Kampf der Arbeiterklasse um den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung des Sozialismus und Kommunismus. Jedoch kommt unserer Auffassung nach im Sozialismus, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, eine dritte Form des Kriteriums der Praxis hinzu. Es ist das praktische Experiment, das zwar nicht im Kapitalismus, wohl aber in bestimmtem Maße in der sozialistischen Planwirtschaft möglich ist — wenn auch nicht mit der in den Naturwissenschaften in der Regel möglichen Isolation und Bestimmung der gewählten Bedingungen wie auch nicht mit Versuchen in großer Serie und ständiger Wiederholung. Es gibt das Ausprobieren bestimmter volkswirtschaftlichen Leitungs- und Planungsmethoden, es gibt auch das Experiment in Betrieben (z. B. mit Finanzierungsmethoden u. a. m.). J e besser wir unter den Bedingungen der politischen Macht der Arbeiterklasse das gesellschaftliche Sein erkennen (wobei wiederum die Reife der Erkenntnis vor allem vom Entwicklungsstand des gesellschaftlichen Seins abhängt), desto besser werden wir es meistern. Deshalb verhelfen uns auch das schnelle Finden, das richtige Handhaben und die weitere Entwicklung der Begriffe und Gesetze der marxistischen Wirtschaftswissenschaft nicht nur zu tieferer Erkenntnis der sozialistischen Wirtschaftspraxis, sondern gleichzeitig auch zu ihrer besseren Gestaltung. Es besteht also gesellschaftsgeschichtlich, gesetzmäßig eine feste Einheit von sozialistischer Wirtschaftspraxis und marxistischer Wirtschaftstheorie. Jeder Versuch, diese Einheit auch nur teilweise zu zerreißen, muß zu Störungen des Erkenntnisprozesses und der Wirtschaftspraxis führen. Da die sozialistische Wirtschaftspraxis immer umfassender, vollkommener und reichhaltiger wird, können erstens die bereits bekannten Kategorien und Gesetze der politischen Ökonomie des Sozialismus exakter bestimmt werden, d. h., ihr Umfang wird klarer und ihr Inhalt reicher, woraus sich wiederum ergibt, daß gegebenenfalls Veränderungen dieser und jener Kategorien und Gesetze notwendig werden; zweitens wird es zum Entdecken neuer Kategorien und Gesetze kommen; drittens schließlich wird das kategoriale System der politischen Ökonomie des Sozialismus als materialistisch fundiertes System der dialektischen Vermittlungen der einzelnen Kategorien und Gesetze folgerichtiger und vollständiger ausgearbeitet werden können. All das dient wiederum der sozialistischen Praxis: Die einzelnen Kategorien, Gesetze usw. wie auch das gesamte Kategoriensystem werden nicht nur durch die Praxis der sozialistischen Wirtschaft geprüft und, wenn sie der Wahrheit entsprechen, bestätigt, sie machen es vielmehr möglich, aus der theoretischen Analyse praktische Schlüsse für die Vervollkommnung der sozialistischen Wirtschaftsleitung und -pla38 Lenin, W. I., Was sind die 'Volksfreunde' und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokratie? Berlin 1950, S. 246.

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nung zu ziehen. Mit Hilfe der Theorie wird die praktische Welt verändert. So sind die Beschlüsse und Dokumente der kommunistischen und Arbeiterparteien in den sozialistischen Ländern Ausdruck und Bestätigung der Einheit von marxistischer Wirtschaftstheorie und sozialistischer Wirtschaftspraxis. 3. Die kategorieden Systeme der politischen Ökonomie des Kapitalismus 39

und des

Sozialismus

Das W a h r e ist das Ganze, sagt Hegel. Gleichsam im Anschluß hieran bemerkt Marx: „Die Produktionsverhältnisse jeder Gesellschaft bilden ein Ganzes." 4 0 Dies bedeutet f ü r unseren kategorialen Prozeß: Die Kategorien und Gesetze werden in der politischen Ökonomie zu einem Ganzen, d. h. zu einem logisch in sich geschlossenen System zusammengefaßt. Die einzelnen Elemente müssen zu einem Ganzen organisiert werden. In diesem Ganzen, also in der Einheit des theoretischen Systems, gibt es Stufen und Gliederungen, Wechselbeziehungen und Entfaltungen, Widersprüche und Zusammenhänge. Aufbau und Gliederung des theoretischen Systems ergeben sich aus der S t r u k t u r seines Objekts, d. h. in unserem Fall der kapitalistischen bzw. sozialistischen Produktionsverhältnisse. Marx schreibt in seinen Bemerkungen zur Methode der politischen Ökonomie, daß es „ u n t u b a r und falsch" wäre, die Kategorien theoretisch so zu entwickeln, wie sie historisch die bestimmenden waren, noch — etwa a la Proudhon — eine Reihenfolge „in der Idee" zu konstruieren. „Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt", fährt Marx fort, „durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben. . .' Marx, IL, Das Kapital. Bd. I, S. 54. Ebenda, S. 50 n Ebenda, S. 56. 71

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Gunther Kohlmey duktion der einen notwendigen Arbeitszeit zu der für die Produktion der andren notwendigen Arbeitszeit', (Kapital, Erster Band, S. 44. — G.K.) Diese Formulierung enthält ohne Zweifel den wesentlichen Inhalt des Wertgesetzes. Sie bringt zum Ausdruck, daß die Waren nicht nur entsprechend der zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeit ausgetauscht, sondern auch produziert werden müssen".'®

Dies scheint uns eine falsche Interpretation des Marxschen Gedankengangs. Marx k o m m t zu der von Lemmnitz zitierten Definition in einem ganz bestimmten, von Lemmnitz übersehenen Zusammenhang. Erst nachdem Marx abstrakte Arbeit und Wertsubstanz behandelt hat, stellt er (S. 43.) die Frage, wie nun die Größe des Werts zu messen sei, gelangt er zum Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, definiert die Wertgröße als quantitatives Moment und t r i f f t in diesem Zusammenhang die erwähnte Formulierung des äquivalenten Austausches. Lemmnitz könnte sich auf die Formulierung des Wertgesetzes in der ersten Auflage des Lehrbuchs „Politische Ökonomie" berufen. Dort lesen wir: „Das Wertgesetz ist das ökonomische Gesetz der Warenproduktion, demzufolge sich die Waren entsprechend der zu ihrer Herstellung aufgewandten gesellschaftlich notwendigen Arbeitsmenge austauschen."71 Diese Definition ist aber auch nicht einwandfrei. In ihr haben wir zusätzlich zur Orientierung auf das quantitative Äquivalenzprinzip noch die Orientierung auf die Zirkulation. In der dritten Auflage des Lehrbuchs „Politische Ökonomie" finden wir denn auch eine nennenswerte Korrektur: „Das Wertgesetz ist das ökonomische Gesetz der Warenproduktion, demzufolge Produktion und Austausch der Waren auf der Grundlage des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwands vor sich gehen."'6 Das Entscheidende, nämlich das Qualitative, das im Wertgesetz zum Ausdruck gebracht werden muß, ist die Herstellung gesellschaftlicher Beziehungen der durch das Privateigentum getrennten Warenproduzenten. Der objektive ökonomische Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Arbeit und privater Aheignung wird durch die Kategorien der Waren- und Geldwirtschaft erklärt. Das Wertgesetz beantwortet die Frage, wie unter den Bedingungen des Privateigentums u n d der gesellschaftlichen Arbeitsteilung die gesellschaftlichen Zusammenhänge zwischen den Produzenten, die mit Notwendigkeit Warenproduzenten sind, hergestellt werden. Im 51. Kapitel des dritten Bandes, wie an vielen anderen Stellen im „ K a p i t a l " , setzt Marx „die Regelung der Gesamtproduktion durch den W e r t " 7 6 auseinander. Das „innere Gesetz", das den Aktionen der kapitalistischen Warenbesitzer zugrunde liege und sich nur „vermittels ihrer K o n k u r r e n z " durchsetzen könne, sei das Wertgesetz. 73

Lemmnitz, A., Die Grundlagen der Preisbildung und die Funktion des Wertgesetzes im Sozialismus. In: „Wirtschaftswissenschaft", Jg. 1958, 5. Sonderheft, S. 27. 74 Politische Ökonomie, Lehrbuch, 1. Aufl., Berlin 1955, S. 94. 75 Politische Ökonomie, 3. Aufl., S. 64 (russ.). '« Marx, K., Das Kapital. Bd. III, S. 936.

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Sehr treffend kennzeichnet Marx in den „Theorien über den Mehrwert" die „Natur des Werts" als eine „bestimmte gesellschaftliche Daseinsweise der menschlichen Tätigkeit (Arbeit)". 77 In dieser spezifischen ökonomischen Daseinsweise ist das Äquivalenzprinzip unserer Meinung nach nur das abgeleitete Prinzip, nur die quantitative Erscheinungsform der qualitativen Struktur der Gesellschaft privater Warenproduzenten. Die Marxsche Konzeption von Wert und Wertgesetz als Einheit von Qualität und Quantität ist die wissenschaftlich einzig mögliche Grundlage für das richtige Begreifen der vom Wertgesetz abgeleiteten Gesetze, etwa der Preisgesetze oder des Gesetzes von Angebot und Nachfrage. Bekanntlich faßt Marx im berühmten — übrigens für die politische Ökonomie des Sozialismus noch zu wenig ausgewerteten — 10. Kapitel des dritten „Kapital"Bandes die gewöhnliche Struktur sowohl der gesellschaftlichen Bedürfnisse als auch der Produktion als Bedingung (nicht Bestimmung!) der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Es sind also bestimmte Quanten an gesellschaftlichem Bedürfnis (zahlungsfähiger Nachfrage) und angebotener Warenmasse notwendig, damit die Waren im Durchschnitt zu ihrem Marktwert verkauft werden können. Marx widerlegt ebenso die Gleichgew.ichts-Simpelei eines J . B. Say wie auch den Gedanken des 'aggregate demand' (einer völlig formal aufaddierten Summe) von Keynes, wenn er feststellt, „daß das ,gesellschaftliche Bedürfnis', d. h. das was das Prinzip der Nachfrage regelt, wesentlich bedingt ist durch das Verhältnis der verschiednen Klassen zueinander und durch ihre respektive ökonomische Position, namentlich also erstens durch das Verhältnis des Gesamtmehrwerts zum Arbeitslohn und zweitens durch das Verhältnis der verschiednen Teilet worin sich der Mehrwert spaltet (Profit, Zins, Grundrente, Steuern usw.), und so zeigt sich auch hier wieder, wie absolut nichts aus dem Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr erklärt werden kann, bevor die Basis entwickelt ist, worauf dies Verhältnis spielt". 78

Wie in der trinitarischen Formel der kapitalistischen Produktionsfaktoren — Theorie nach Marx so verschiedene Faktoren wie „Notariatsgebühren, rote Rüben und Musik" zusammengefaßt werden 79 , so faßt Keynes in apologetischer Manier die individuelle Nachfrage der Werktätigen und die der Bourgeoisie, die konsumtive und die produktive Nachfrage, die unproduktive Nachfrage des bürgerlich-militaristischen Staats und die der Arbeitslosen zu 'aggregate demand' zusammen. Mit dieser völligen Quantifizierung der klassenbedingten Distributionsprobleme ist der Wissenschaft der Kehraus gemacht. An diesem Beispiel zeigt sich erneut die Bedeutung des dialektisch-materialistischen Verständnisses der Einheit von Qualität und Quantität im Kampf gegen die 77

Marx, K., Theorien über den Mehrwert. 1. Teil. Berlin 1956, S. 12. Marx, K., Das Kapital. Bd. III, S. 207. - Vgl. auch ebenda, S. 221: „Bei dem einfachen Kauf Und Verkauf genügt es, Warenproduzenten als solche sich gegenüber zu haben. Nachfrage und Zufuhr, bei weitrer Analyse, unterstellen die Existenz der verschiednen Klassen und Klassenabteilungen, welche die Gesamtrevenue der Gesellschaft unter sich verteilen und als Revenue unter sich konsumieren, die also die von der Revenue gebildete Nachfrage bilden . . ." 79 Ebenda, S. 867. 78

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imperialistischen Theorien. Das schließt für die marxistischen Wirtschaftswissenschaftler die Verpflichtung ein, die Marxsche Theorie v o m W e r t i m allgemeinen, v o n A n g e b o t und Nachfrage im besonderen, stets präzis wiederzugeben. Das ist nicht immer der Fall. So lesen wir z . B . in dem bereits erwähnten Preis-Artikel v o n Lemmnitz: „ D e r gesellschaftliche Wert des Produktionszweigs wird demnach durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit des Produktionszweigs bestimmt und diese wird ihrerseits vom Aufwand an lebendiger Arbeit und von der Höhe der organischen Zusammensetzung der Produktionsfonds der f ü r die Gesamtproduktion des Produktionszweigs ausschlaggebenden Betriebe beeinflußt. Es gibt aber auch noch weitere Faktoren, die auf die Bestimmung der Höhe der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit Einfluß nehmen, nämlich das Angebot und die gesellschaftliche Nachfrage. Angebot und Nachfrage im Sozialismus sind zunächst durch den Stand der Produktion und durch die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts bestimmt. Es k a n n aber sowohl aus objektiven als auch subjektiven Gründen eine Disproportion zwischen Angebot und Nachfrage entstehen. Diese wirkt auf die Bestimmung der Wertgröße ein." 8 0 Wir wollen in unserem uns hier angehenden Zusammenhang v o n der offensichtlich falschen These absehen, w o n a c h subjektive Fehler i m Sozialismus zu einem F a k t o r der objektiv b e s t i m m t e n Wertgröße werden k ö n n e n ; uns geht es vielmehr u m folgendes: W i r halten es für ungenau, ohne sorgfältige Erläuterung v o n einer „ B e s t i m m u n g " (d. h. doch wohl direkten, unmittelbaren, kausalen Fixierung?) der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit durch das Verhältnis v o n gesamtgesellschaftlichem A n g e b o t und gesamtgesellschaftlicher Nachfrage zu sprechen. Das Verhältnis v o n A n g e b o t u n d Nachfrage ist eine Bedingung des W e r t s (und dabei auch der Wertgröße), nicht jedoch ein ihn (bzw. diese) bestimmender Faktor. Für Angebot u n d Nachfrage gilt hier m u t a t i s mutandis das gleiche wie für den Gebrauchsw e r t : Er ist eine Bedingung des Werts, natürlich kein die Wertgröße bestimmender F a k t o r . B e s t i m m e n d ist allein die gesellschaftliche Arbeit. (Sonst könnten wir uns gleich v o n der materialistischen Arbeitswerttheorie verabschieden.) Zitieren wir, u m es ganz deutlich zu machen, noch einmal Karl Marx: „ E s ist die zur Produktion besondrer Artikel — zur Befriedigung eines besondren Bedürfnisses der Gesellschaft f ü r besondre Artikel notwendige Arbeit. Ist diese Verteilung proportionell, so werden die Produkte der verschiednen Gruppen zu ihren Werten (bei weitrer Entwicklung zu ihren Produktionspreisen) v e r k a u f t . . . Es ist in der T a t das Gesetz des Werts, wie es sich geltend macht, nicht in bezug auf die einzelnen Waren oder Artikel, sondern auf die jedesmaligen Gesamtprodukte der besondren, durch die Teilung der Arbeit verselbständigten gesellschaftlichen Produktionssphären; so daß nicht nur auf jede einzelne Ware n u r die notwendige Arbeitszeit verw a n d t ist, sondern daß von der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit n u r das nötige proportioneile Q u a n t u m in den verschiedenen Gruppen verwandt ist. Denn Bedingung bleibt der Gebrauchswert: Wenn aber der Gebrauchswert bei der einzelnen Ware davon abhängt, daß sie an und f ü r sich ein Bedürfnis befriedigt, so bei der gesellschaftlichen Produktenmasse davon, daß sie dem q u a n t i t a t i v bestimmten gesellschaftlichen Bedürfnis f ü r jede besondre Art von P r o d u k t a d ä q u a t , und die Arbeit daher im Verhältnis dieser gesellschaftlichen Bedürfnisse, die q u a n t i t a t i v umschrieben sind, in die verschiedenen Produktionssphären proportioneil verteilt i s t . . . Das gesellschaftliche Bedürfnis, 80

Lemmnitz, A., Die Grundlagen der Preisbildung, S. 22.

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d. h. der Gebrauchswert auf gesellschaftlicher Potenz, erscheint hier bestimmend für die Quota der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit, die den verschiednen besondren Produktionsphären anheimfallen. Es ist aber nur dasselbe Gesetz, das sich schon bei der einzelnen Ware zeigt, nämlich: daß ihr Gebrauchswert Voraussetzung ihres Tauschwerts und damit ihres Werts ist . . . Diese quantitative Schranke der auf die verschiednen besondren Produktionssphären verwendbaren Quoten der gesellschaftlichen Arbeitszeit ist nur weiter entwickelter Ausdruck des Wertgesetzes überhaupt; obgleich die notwendige Arbeitszeit hier einen andern Sinn enthält. Es ist nur soundso viel davon notwendig zur Befriedigung des gesellschaftlichen Bedürfnisses. Die Beschränkung tritt hier ein durch den Gebrauchswert. Die Gesellschaft kann, unter den gegebenen Produktionsbedingungen, nur soviel von ihrer Gesamtarbeitszeit auf diese einzelne Art von Produkt verwenden."81 Marx sagt deutlich genug: Das gesellschaftliche Bedürfnis erscheine hier als bestimmend, es gelte aber doch nur das allgemeine Wertgesetz, wonach der Gebrauchswert Voraussetzung des Tauschwerts ist. Der Gebräuchswert ist Träger des Tauschwerts, bestimmt aber nicht seine Größe. Dieses Gesetz gilt im einzelnen und im gesellschaftlichen Ganzen. Die gesellschaftliche Nachfrage ist Träger des produzierten Gesamtwerts, bestimmt aber nicht seine Größe. Wichtig ist dabei noch dies: Die Arbeit realisiert und bewährt sich nicht, wenn ein bestimmtes quantitatives Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach oben oder unten überschritten wird. Nicht jede Änderung im Verhältnis von gesellschaftlichem Angebot und gesellschaftlicher Nachfrage führt zu einer gesellschaftlich wesentlichen Veränderung der Realisierungs- und Produktionsbedingungen, d. h. zu Veränderungen des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwands je Produktionszweig bzw. je Warengruppe. Kleinere Änderungen im Verhältnis von Angebot und Nachfrage führen nur zu Preisschwankungen, und das durchschnittliche, übliche, gewöhnliche Verhältnis von Angebot und Nachfrage bleibt bestehen. Selbstverständlich : Wirken die kleinen Änderungen eine gewisse Zeitlang nur in einer Richtung, so erfolgt der Umschlag in eine neue Qualität, in eine qualitativ veränderte Struktur von gesellschaftlichem Angebot und gesellschaftlicher Nachfrage. Das Quantum wird also hier, so stellt Marx ausdrücklich fest, ein wesentliches Moment. 8 2 Marx spricht denn auch im schon erwähnten 10. Kapitel des dritten ,,Kapital"-Bandes mehrfach von der gewöhnlichen Nachfrage der Gesellschaft, deren Änderungen zu Änderungen in den Bedingungen der Wertproduktion führen. Weiter heißt es: „. . . so ist doch, wenn die bestimmte Ware in einem das gesellschaftliche Bedürfnis dermalen überschreitenden Maß produziert worden, ein Teil der gesellschaftlichen Arbeitszeit vergeudet, und die Warenmasse repräsentiert dann auf dem Markt ein viel kleineres Quantum gesellschaftlicher Arbeit, als wirklich in ihr enthalten ist." 8 3 84 Marx, K., Das Kapital. Bd. III, S. 685f. Ebenda, S. 210. 83 Ebenda, S. 213. 84 Wir gingen bereits in einer früheren Arbeit kurz auf diese Zusammenhänge von Wert und gesellschaftlicher Nachfrage ein; vgl. Kohlmey, G., Einige Fragen der planmäßigen Ausnutzung der Wertformen und des Wertgesetzes in der Periode des Übergangs zum Sozialismus. In: „Wirtschaftswissenschaft", Jg. 1956, H. 3, S. 458ff. 81 82

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Das richtige Erkennen der S t r u k t u r der gesellschaftlichen Bedürfnisse und ihrer Entwicklung ist f ü r die Bildung des Festpreissystems der sozialistischen Planwirtschaft (und f ü r dessen laufende Überprüfung) von erstrangiger Bedeutung. Deshalb heißt es in den Begründungen und Anweisungen, die der Minister der Finanzen f ü r die Tätigkeit der Arbeitskreise zur Ermittlung der verschiedenen Festpreise Anfang 1957 gab: „Quantitativ betrachtet stellt der Wert eine Durchschnittsgröße dar . . . Zu den Faktoren, die im einzelnen auf den Durchschnitt einwirken, gehören: 1. Die Produktionsbedingungen. 2. Der Umfang des gesellschaftlichen Bedürfnisses. . . . D e r Umfang der gesellschaftlichen Bedürfnisse beeinflußt die Höhe der gesellschaftlich notwendigen Selbstkosten. Davon hängt ab, welche Betriebe mit welchen Produktionsbedingungen und Selbstkosten zur Produktion herangezogen werden müssen."8*

Hieraus ergibt sich allerdings eine bestimmte Schlußfolgerung: Da sich nicht n u r die unmittelbaren gesellschaftlichen Produktionsbedingungen verändern und entwickeln, sondern dies auch f ü r die zahlungsfähige gesellschaftliche Nachfrage und ihre S t r u k t u r zutrifft, folgt mit Notwendigkeit, daß die Verschiebungen in der zahlungsfähigen gesellschaftlichen Nachfrage, in der Arbeitsproduktivität (d. h. im Wert) und folglich in der Differenz zwischen dem sich laufend verändernden gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand und dem fixierten Preis ständig ü b e r p r ü f t werden müssen. Wird diese Differenz wesentlich, wie das nach längerer Zeit der Fall sein muß, so sind die Preise zu ändern. 8 ® Es scheint uns deshalb, daß die Dinge in dem folgenden Passus der „Verordnung über die Verbesserung der Arbeit des Ministeriums der Finanzen und der übrigen Finanzorgane" vom 13. 2 . 1 9 5 8 etwas zu einfach dargestellt werden: „Nachdem in zunehmendem Maße für große Teile der Volkswirtschaft sowohl einheitliche Festpreise als auch einheitliche Produktionsabgaben pro Produkt gebildet worden sind, kommt nunmehr im Gewinn bzw. Verlust des Betriebes die echte volkswirtschaftliche Rentabilität zum Ausdruck." 8 '

Ganz abgesehen von einem halben Dutzend anderer Einwände: Selbst wenn die einzelnen Festpreise (die ja je f ü r sich wieder auf vielen anderen Preisen beruhen) richtig gebildet worden wären — wie könnte man das bei der Fülle von Preisen und der Fülle von einzukalkulierenden Umständen behaupten! —, selbst wenn das der Fall wäre, so gibt es doch eine ständige und in den einzelnen Industriezweigen ungleichmäßige Bewegung des technischen Fortschritts, der Arbeitsbedingungen, der gesellschaftlichen Nachfrage usw. Folglich m u ß das Festpreissystem beweglich sein, u m seine Funktion in der proportionalen Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft zu erfüllen. Es geht nicht um die laufende Beweglichkeit aller einzelnen Preise und des gesamten Preissystems; es geht um die periodische Korrektur, die den Festpreis 8

* Rumpf, W., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Festpreisbildung und die Aufgaben und Arbeitsmethoden der Arbeitskreise bei der Schaffung des Festpreissystems. In: „Deutsche Finanzwirtschaft", Jg. 1957, H. 14, S. 216. 88 Wir meinen hier die Industrieabgabepreise (I.A.P.), die sich aus Produktionsselbstkosten, Betriebsgewinn und Produktionsabgabe zusammensetzen. 87 Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Jg. 1958, Nr. 13 vom 27. Februar 1958, S. 134.

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mit dem neuen Stand der Arbeitsproduktivität (Wert) und den anderen zu berücksichtigenden Faktoren in Übereinstimmung bringt. Wird diese periodische Korrektur nicht oder nicht rechtzeitig vollzogen, so verliert der Preis mehr oder minder von seiner Funktion, bei der Steuerung der volkswirtschaftlichen Proportionen mitzuwirken und die Arbeit der Produktionsbetriebe zu stimulieren und zu kontrollieren. Das Beispiel des Wertgesetzes und der ihm zugehörigen Kategorien (wie Angebot und Nachfrage, Preis usw.) demonstriert deutlich genug die Bedeutung quantitativer Analysen. Wenn wir deshalb — in Auseinandersetzung mit der nichtsozialistischen Wirtschaftstheorie — die Bedeutung der qualitativen Analyse, des richtigen Arbeitens mit den ökonomischen Kategorien und Gesetzen, und zwar ausgehend von Eigentum und Klassen, immer wieder so energisch betonen, so soll das auf keinen Fall einer Unterschätzung der quantitativen Analyse das Wort reden. Es geht uns darum, das Gesetz von der Einheit des Qualitativen und Quantitativen in den ökonomischen Prozessen anzuerkennen und zu berücksichtigen. Wir sind durchaus der Ansicht, daß bisher die quantitative Analyse in der politischen Ökonomie des Sozialismus unterschätzt und arg vernachlässigt wurde. Wir brauchen zweifellos mehr exakte quantitative Analysen, z. B. über das Verhältnis von Investitions- und Nationaleinkommensentwicklung, über das Verhältnis von Kredit und Zahlungsbilanz, von Kaufkraft und Geldmenge usw. 88 Mit dem energischen Ausbau der quantitativen Analyse muß die Befreiung der qualitativen Analyse von noch vorhandenen deklarativen Charakterzügen parallel laufen. 89 Nur ein schöpferisches, von der Praxis ausgehendes, diese enthüllendes, verallgemeinerndes Arbeiten mit den Begriffen, Widersprüchen und Gesetzen nützt der Praxis selbst, der Weiterentwicklung unserer Theorie und dem Kampf gegen die imperialistischen und revisionistischen Konzeptionen auf dem Gebiete der Wirtschaftswissenschaften. Daß es bei der richtigen Verknüpfung von qualitativer und quantitativer Analyse nicht ohne Anwendung der höheren Mathematik und mathematischen Statistik 88 Wir verweisen auf die Ausführungen des ehemaligen Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der UdSSR, 1. Kusmin, auf dem X X I . Parteitag der KPdSU. Kusmin führte in seinem Diskussionsbeitrag u. a. aus: „Bekanntlich hat W. I. Lenin alle theoretischen Untersuchungen an Hand großen Tatsachenmaterials angestellt. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist auch das Referat des Genossen N. S. Chruschtschow auf diesem Parteitag. In diesem Referat sind als Ergebnis einer eingehenden und allseitigen Analyse der realen, konkreten ökonomischen Wirklichkeit neue Probleme des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft entwickelt und außerordentlich wichtige theoretische Schlußfolgerungen gezogen . . . Indessen sind viele methodologische Probleme der Aufstellung von Volkswirtschaftsbilanzen ungenügend erforscht. Die vom Institut für Ökonomie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR herausgegebenen Veröffentlichungen über Fragen der sozialistischen Reproduktion und der Volkswirtschaftsbilanz sind weit von den tatsächlichen Anforderungen der Praxis der Planung entfernt." („Die Presse der Sowjetunion" vom 13. Februar 1959, S. 485.) 89 Vgl. auch zu dieser Frage I. Kusmin (ebenda, S. 484): „Die Veröffentlichungen sind häufig beschreibender Natur, sie wiederholen längst bekannte Thesen, Tatsachen und Argumente . . . "



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geht, m a g noch bis vor kurzem diesen oder jenen v e r s t i m m t haben, sollte aber eine Binsenwahrheit sein. Sie wird in der dritten Auflage des Lehrbuchs „Politische Ökonomie" erneut ausgesprochen: „ I n den letzten J a h r z e h n t e n fand in den kapitalistischen Ländern auf einzelnen Gebieten der Wirtschaftswissenschaften die mathematische Methode, die dabei die Bezeichnung Ökonometrie erhielt, in breitem Ausmaß Anwendung. Sie wird benutzt beim Studium der Nachfrage nach einzelnen Waren, der Veränderungen der Proportionen zwischen den Wirtschaftszweigen im Verlauf der technischen Entwicklung wie auch bei der Lösung einer Reihe von Aufgaben, die mit der Organisation der Produktion in den Betrieben zusammenhängen, so z. B. der Bestimmung des zweckmäßigsten Warensortiments oder der zweckmäßigsten S t r u k t u r der Produktionsausgaben usw. Geht m a n methodologisch richtig vor, so k a n n die mathematische Methode als Hilfsmittel beim Studium der ökonomischen Erscheinungen mit ihren quantitativen Seiten sehr positive Ergebnisse zeitigen. Die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler jedoch, die diese Methode beim Studium der quantitativen Seiten konkreter ökonomischer Erscheinungen anwenden, ignorieren die qualitative Seite — den Charakter der Produktionsverhältnisse—oder versuchen sogar, die mathematische Methode aus einer helfenden zur hauptsächlichen Methode bei der Erkenntnis des Wesens der ökonomischen Erscheinungen zu machen." 9 0 9 1 4. Vulgarisierung der Theorie durch absolute Quantifizierung der Ökonomie Die Methode der Quantifizierung der ökonomischen Prozesse u n d der B e s t i m m u n g des Q u a n t i t a t i v e n als einzigen oder d o c h wichtigsten Gegenstand der Wirtschaftstheorie ist in mehr oder minder starkem Maße aller Vulgärökonomie eigen. W i e in anderen Fällen, so wählt auch hier die Vulgärökonomie b e s t i m m t e Fehler und Mängel der klassischen und vorklassischen bürgerlichen Wirtschaftslehre als Anknüpfungsund Ausgangspunkt. Die Methode der einseitigen oder auch absoluten Quantifizierung ist bei den Reichtums- und Zirkulationsvorstellungen des Monetär- und Merkantilsystems ganz offensichtlich. I m weiteren ideengeschichtlichen Verlauf ist es zwar das theoretische Verdienst der klassischen bürgerlichen Ökonomie, die engen quantitativen Oberflächenvorstellungen der Merkantilisten überwunden und Wert, Kreislauf, KapitalPolitische Ökonomie, 3. Aufl., S. 312f. (russ.). I m bestimmten Sinne gingen auf dem X X L Parteitag der K P d S U auch Nesmejanow und Ostrowitjanow auf die Bedeutung des „Rechnens" in der Wirtschaftswissenschaft ein. A. N. Nesmejanow, Präsident der Akademie der Wissenschaften der U d S S R , f ü h r t e u. a. aus: „ U m die ihr gestellten Aufgaben zu lösen, m u ß die Wirtschaftswissenschaft ihre Methoden vervollkommnen, das Leben studieren, m u ß sie sich zu einer exakten Wissenschaft im vollen Sinne des Wortes entwickeln, die neuesten Mittel der Rechentechnik in großem Umfang ausnutzen und zu einem Wegbereiter f ü r die Planung der Volkswirtschaft werden." („Die Presse der Sowjetunion" vom 11. Februar 1959, S. 479.) K. W. Ostrowitjanow stellte fest: „Die Zeiteinsparung und die Erfassung des Aufwandes an gesellschaftlicher Arbeit wird in der kommunistischen Gesellschaft, wie Marx und Engels voraussagten, unmittelbar in Arbeitszeit erfolgen, ohne den Wert und seine Formen. Durch die Elektronenrechenmaschinen wird die Erfassung der gesellschaftlichen Arbeit direkt in Arbeitszeit in hohem Maße erleichtert." („Die Presse der Sowjetunion" vom 16. Februar 1959, S. 549.) Wir wollen hier nicht die theoretischen Fragen, die die Referenten aufgeworfen haben, diskutieren; uns geht es an dieser Stelle nur u m den Hinweis auf die Bedeutung der Anwendung von Mathematik und Statistik in der Wirtschaftswissenschaft. ,l

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profit und Kapitalakkumulation als wissenschaftliche Kategorien und Probleme behandelt zu haben, doch scheiterte die Analyse, was ihre erkenntnistheoretische Seite anbetrifft, u. a. an der ungenügenden Reduzierung des Quantitativen auf das Qualitative. So ist die Darstellung und erst recht Erklärung des Arbeitswerts widerspruchsvoll; Wertsubstanz und abstrakte Arbeit werden nicht entdeckt, d a f ü r steht der relative Wert, d. h. es stehen die quantitativen Tauschwertbeziehungen im Vordergrund. Das f ü h r t denn auch zur Quantitätstheorie des Geldes, bei der sich die auch von Smith und Ricardo teilweise praktizierte Methode der Quantifizierung der ökonomischen Kategorien vielleicht am deutlichsten zeigt. Was bei den bürgerlichen Klassikern einzelner Fehler und I r r t u m , wird für die Vulgärökonomie System. So ist für die Grenznutzentheorie die Methode der absoluten Quantifizierung zusammen mit der Methode der ahistorischen Psychologisierung kennzeichnend. Obwohl es, wie der bekannte Disput zwischen Menger und Walras zeigt, bemerkenswerte Unterschiede zwischen den einzelnen Grenznutzentheoretikern in der Beurteilung der quantitativen Analyse gibt, darf man doch mit vollem Recht generalisieren und Menger ebenso in die Schule der mechanischen, ahistorischen Quantifizierung einbeziehen wie Jevons, Walras und Pareto. Der sogenannte Methodenstreit zwischen Schmoller und Menger zeigt, daß es auch eine bürgerliche Kritik an der Methode der Quantifizierung gibt. Aber die Kritik der jüngeren historischen Schule, die in vielen methodologischen Fragen auf den Repräsentanten der älteren historischen Schule, Wilhelm Roscher, zurückgeht, wurde von der unhaltbaren Position eines idealistischen Empirismus geführt. Die Methode der Quantifizierung ist auch m i t Namen wie Cassel oder Schumpeter verbunden. Bekanntlich eliminierte Cassel das Wertproblem gänzlich aus der ökonomischen Theorie. Und Schumpeter meinte, daß „jede ökonomische Theorie ihrer N a t u r nach immer q u a n t i t a t i v " sei. Erich Schneider, der diese Bemerkung zitiert 9 2 , fügt hinzu, daß „ n u r eine numerische Theorie, d. h. eine Theorie, der es gelingt, mit Hilfe ihrer Theoreme numerische Aussagen über Zusammenhänge zwischen ökonomischen Variablen zu machen, . . . als eine leistungsfähige Theorie angesprochen werden" könne. 9 3 A. Wissler behauptet in einer Besprechung von Schumpeters 'History of Economic Analysis': „Die Theorie schreitet immer mehr zur Begrenzung ihres Bereichs auf das Gebiet des Quantitativ-Meßbaren als des allein der exakten Durchdenkung Zugänglichen."84 Es ist natürlich kein Zufall, daß der Altweibersommer der quantitativen Analyse (bei gleichzeitiger Negierung entscheidender ökonomischer Kategorien) vor allem ein P r o d u k t des heutigen .Imperialismus ist. Wenn man nämlich die ökonomischen Beziehungen ausschließlich oder überwiegend auf quantitative Prozesse reduziert, dann werden alle Grundfragen der ökonomischen Daseinsweise der Gesellschaft, wie 92

Schneider, E., Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Tinbergen, Jan, Einführung in die Ökonometrie. Wien-Stuttgart 1952, S. 5. 93 Ebenda. 94 Wissler, A., Schumpeters 'History of Economic Analysis'. In: „Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung", Jg. 1955, H. 1, S. 59.

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Eigentum, Arbeit, Ausbeutung, Wert usw., von der Tagesordnung abgesetzt. Dieses Verfahren entspricht voll und ganz der apologetischen Funktion der imperialistischen Wirtschaftstheorie. Wir sehen auch in diesem Falle: Die Fragen des Privateigentums und des Verhältnisses von Kapital und Arbeit wirken bei der Prüfung des Charakters einer ökonomischen Theorie wie das Lackmuspapier als Indikator bei der chemischen Analyse. Im allgemeinen ist die quantitative Methode eng mit der psychologischen verknüpft. 9 5 Das ist durchaus folgerichtig; eliminiert man nämlich die grundlegenden ökonomischen Kategorien, wie Lohnarbeiter, Monopol, Wert, Klassenstruktur des Nationaleinkommens usw., aus der ökonomischen Analyse, dann kommt man zu so inhaltlosen oder verzerrten termini, wie „der Verbraucher", „der Produzent", „die gesellschaftliche Nachfrage" usw., und muß, da ja deren Verhalten bzw. Bewegung zu erklären ist, adäquat zu den allgemeinen termini zu allgemeinen, „ewigen" Motiven und Verhaltensweisen der Produzenten, der Verbraucher usw. gelangen. Das zeigt sich bei Jevons' „ökonomischer" Theorie der Lust- und Unlustgefühle ebenso wie in Mises' Theorie vom menschlichen Handeln 9 6 und bei Keynes' verschiedenen sogenannten allgemeinen „psychologischen Gesetzen" (Hang zum Verbrauch, Sparneigung usw.). Die Methode der Quantifizierung leitet sich aus dem allgemeinen Prinzip der modernen Vulgärökonomie a b : aus ihrem ahistorischen Herangehen, aus ihrem Leugnen einer gesetzmäßigen ökonomischen Entwicklung mit qualitativem Umschlag aus dem Kapitalismus in den Sozialismus. Natürlich gibt es in der heutigen Apologetik nicht nur die Quantifizierung als Hauptmethode. Es gibt daneben andere Strömungen mit (wenn man das einmal so nennen darf) qualitativ orientierten Systemen; es wäre auf Mises, Hayek und Eucken zu verweisen. 97 Ein besonders breites Wirkungsfeld hat die Methode der absoluten, ahistorischen Quantifizierung in den sogenannten dynamischen und Wachstumsmodellen Domars, Hicks', Harrods und anderer gefunden. ,s Umgekehrt sind bisweilen allerdings die „Meister" der psychologischen Methode durchaus Gegner der Quantifizierung; so z. B. Mises: „Quantitative Wirtschaftstheorie gibt es nicht und kann es nicht geben." (Mises, L., Falsche Propheten, In: „Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik", Jg. 1956, H. 7, S. 399.) ,6 „Die Wissenschaft vom menschlichen Handeln . . . steht vor uns als System der Gesellschaftslehre ; in ihr ist das bisher am feinsten ausgearbeitete Stück die Nationalökonomie. Diese Wissenschaft ist in allen ihren Teilen nicht empirische, sondern apriorische Wissenschaft ; sie stammt wie Logik und Mathematik nicht aus der Erfahrung, sie geht ihr voran (!). Sie ist gewissermaßen die Logik des Handelns und der Tat" (Mises, L., Grundprobleme der Nationalökonomie. Jena 1933, S. 12). Die Nationalökonomie „ist die Lehre von allem menschlichen Handeln schlechthin . . .; die Nationalökonomie wird zu einem Teil, wenn auch zum wichtigsten Teil, einer allgemeinen Wissenschaft, der Praxeologie" (Mises, L., Nationalökonomie, Theorie des Handelns und Wirtschaftens. Genf 1940, S. 3). 97 Kürzlich nahm ein Autor in „Schmollers Jahrbuch" kritisch zur quantifizierenden Ökonomie Stellung. (Sanmann, H., Nationalökonomie als Sozialwissenschaft. Kritische Bemerkungen zur herrschenden ökonomischen Theorie. In: „Schmollers Jahrbuch", Jg. 1958, H. 3, S. 35ff.)

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Worum es hier im Grunde geht, formulierte Nicholas Kaldor vor einiger Zeit in einem vielbeachteten Artikel über „Ein Modell des wirtschaftlichen Wachstums" in 'The Economic Journal' vom Dezember 1957. Wir lesen dort: „ E s ist der Zweck einer Theorie des wirtschaftlichen Wachstums^ das Wesen der nichtökonomischen Veränderlichen darzulegen, die letzten Endes die R a t e bestimmen, mit der das allgemeine Produktionsniveau einer Gesellschaft ansteigt. Auf diesem Wege wird dazu beigetragen, die Frage zu verstehen, w a r u m einige Gesellschaftsordnungen u m soviel schneller wachsen als andere. Es besteht allgemeines Einverständnis darüber, daß die kritischen Faktoren, die im Trend die 'Wachstumsrate bestimmen, zu suchen sind in den Sparneigungen der Gesellschaft (wodurch die R a t e der Kapitalakkumulation bestimmt wird), in dem Strom der Erfindungen und Neuerungen (wodurch die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität bestimmt wird) und im Bevölkerungswachstum . . . In jüngster Zeit wurde m a n sich in zunehmendem Maße darüber klar . . ., daß die jeweilige Fortschrittsrate einer kapitalistischen Wirtschaft das Ergebnis der Wechselwirkung von K r ä f t e n ist, die a d ä q u a t nur in Form einfacher funktionaler Beziehungen (ähnlich wie in den Angebots- u n d Nachfragekurven) dargestellt werden können . .

Hier finden wir die trinitarische Sünde der bürgerlichen Ökonomie in Konzentration : (1) Die Entwicklung des Kapitalismus wird in idealistischer Manier nur aus nichtökonomischen Faktoren erklärt; (2) die ökonomischen Probleme werden ausschließlich auf quantitative Beziehungen reduziert, womit Privateigentum und Ausbeutung sanktioniert sind; (3) es gibt keine objektiven Gesetzmäßigkeiten, die die Überlegenheit des so* zialistischen über das kapitalistische Weltsystem erklären könnten. Hier zeigt sich die apologetische Funktion der quantitativen Wirtschaftstheorie sehr deutlich. Das unerhörte Wachstumstempo der Sowjetwirtschaft und des sozialistischen Weltwirtschaftssystems, das nur aus dem gesellschaftlichen Eigentum, der kollektiven Arbeit, der Planwirtschaft, dem sozialistischen Staat usw. erklärt werden kann, zwingt zwar die bürgerlichen Ökonomen, sich mit den quantitativen Entwicklungsproblemen auseinanderzusetzen", veranlaßt sie aber gleichzeitig, die Tatsachen zu verzerren und die ökonomischen Kategorien des Eigentums, der Ausbeutung usw. zu liquidieren, wobei dann die Wurzeln der ökonomischen Entwicklung in außerökonomischen Faktoren gesucht werden. An den praktischen und theore88 Kaldor, N., A Model of Economic Growth. I n : 'The Economic Journal', vol. L X V I I , Dec. 1957, S. 591. 99 P . Wiles machte vor einiger Zeit eine offenherzige Aussage über den materiellen und politischen Nährboden der Wachstumstheorien: „Heutzutage, in der Zeit des kalten Krieges, verlangen die Ziele der Propaganda, Außenpolitik und Militärstrategie, daß die R a t e des ökonomischen Wachstums in den NATO-Ländern nicht unter die der kommunistischen Welt . . . absinkt . . . W e n n wir die Kommunisten heute auch noch (im ökonomischen Niveau-G.K.) schlagen können, so wachsen sie doch doppelt so schnell wie wir und werden morgen in der Lage sein, uns zu schlagen. Der kalte Krieg wird sehr lange dauern. Wir werden ihn nur gewinnen, wenn wir den Feind im Wachstum ausstechen (by outgrowing). (Wiles, P., Growth versus Choice. I n : 'The Economic Journal', J g . 1956, J u n i - H e f t , S. 244.) Wir sind doch, Mr. Wiles, recht erstaunt über Ihre offen militante Sprache in der angeblich so objektiven bürgerlichen Wissenschaft!

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tischen Siegen des Sozialismus allerdings werden diese Herren nichts ändern. Ein altes türkisches Sprichwort sagt: Die Sonne läßt sich nicht m i t Lehm verschmieren. Die proimperialistischen Modell-Theoretiker sind voll des Eigenlobs über die angebliche Exaktheit ihrer Aussagen. Sie setzen aber in ihren Modellen so viele entscheidende qualitative Faktoren (wie Konzentration des Kapitals, Eigentum, klassenmäßige Verteilung des Nationaleinkommens usw.) als P a r a m e t e r resp. Daten, daß die mathematisch exakte Aussage zu einer historischen und wissenschaftlichen Lüge wird. Es ist richtig, wir dürfen die Theorie nicht mit historischen Einzelprozessen belasten, es k o m m t aber, um die schon weiter oben angeführten W o r t e von Marx zu wiederholen, darauf an, daß die wirklichen Verhältnisse in der Theorie ihrem Begriff entsprechen; die Produktionsverhältnisse z. B. sind so darzustellen, daß sie ihren allgemeinen Typus ausdrücken. 1 0 0 Gerade dieser Forderung kommen die bürgerlichen Modell-Theoretiker nicht nach. Demgegenüber zeichnen sich in der marxistischen Theorie die Modelle und Schem a t a (die uns übrigens n u r Hilfsdienste leisten können und denen von uns stets nur Teilaussagen zugemutet werden) gerade dadurch aus, daß sie die wirklichen Verhältnisse (Privateigentum, Kapitalakkumulation, Monopol usw.) ihrem Begriffe gemäß ausdrücken und daß der historische Gesamtprozeß in den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten stets seiner Tendenz nach erfaßt wird. 1 0 1 Auf eben diese Art wird in der marxistischen ökonomischen Analyse die Einheit von Historischem und Logischem hergestellt, während sie in den Modellen der bürgerlichen Theorien vom ökonomischen Wachstum zerstört wird. Abschließend zu dieser Frage: Das philosophische Problem der Einheit des Widerspruchs von Qualität und Q u a n t i t ä t h a t für uns marxistische Wirtschaftswissenschaftler, wie zu zeigen versucht wurde, praktische und ideologische Seiten. Einer der praktischen Aspekte ist die weitere Untersuchung quantitativer Zusammenhänge in der sozialistischen Welt- und Volkswirtschaft mit dem Ziel der theoretischen Verallgemeinerung. Das betrifft hauptsächlich, aber keineswegs nur, die Fragen der volkswirtschaftlichen Bilanzierung. Einer der ideologischen Aspekte ist das Zurückweisen aller Versuche, Probleme der sozialistischen Wirtschaft, wie erweiterte Reproduktion, Angebot und Nachfrage, Außenhandelsrentabilität, internationale Arbeitsteilung usw., in „Verkehrsgleichungen" aufzulösen und auf diese Art die Kategorien des dialektischen Materialismus und der politischen Ökonomie auszuradieren. Schlußbemerkung: Zur ideologischen Seite des Problems Die beiden H a u p t a t t r i b u t e des politökonomischen Erkenntnisprozesses ergeben sich — wir waren bemüht, das zu zeigen — aus der Anwendung sowohl der Dialektik als auch des Materialismus auf die politische Ökonomie. Aller Kampf zwischen 101

Marx, K., Das Kapital. Bd. III, S. 167. Ebenda, S. 200.

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marxistischer und nichtmarxistischer Wirtschaftstheorie geht auf erkenn tnistheoretischem Gebiet letzten Endes u m diese beiden Fragen, wobei die Grundfrage die des Verhältnisses des Seins zum Bewußtsein ist. Alle Angriffe auf die marxistische Wirtschaftstheorie richten sich in ihrem ideologischen Kern gegen die Anwendung des dialektischen u n d historischen Materialismus in der politischen Ökonomie. Es waren Marx und Engels, die die Lehre von den allgemeinen philosophischen und ökonomischen Kategorien auf materialistischer Grundlage entwickelten und damit dem System der objektiven Dialektik F u n d a m e n t und Folgerichtigkeit verliehen. Bereits Ende des 18. J a h r h u n d e r t s h a t Immanuel K a n t (nach der langen Periode des klerikal-scholastischen Erstarrtseins) der Dialektik in der Kategorienlehre wieder eine gewisse Rolle zugewiesen. Hegel rechnet diesen Abschnitt des Kantschen Schaffens „unter die größten seiner Verdienste" und schreibt unter anderem: „. . . die allgemeine Idee, die er zugrunde gelegt und geltend gemacht hat, ist die Objektivität des Scheins und Notwendigkeit des Widerspruchs, der zur Natur der Denkbestimmungen gehört . . ,"i®a K a n t preßte jedoch die in seiner Erkenntnistheorie zweifellos vorhandenen einzelnen dialektischen Elemente erneut in ein starres System des Dogmatismus, der Metaphysik und bekanntlich auch des Agnostizismus. K a n t faßte die Denkbestimmungen als der Vernunft und erst recht der realen Welt a priori vorausgegebene Begriffe, die zwar der Erkenntnis der realen Welt dienen sollen, aber nicht aus dieser abgeleitet sind. Außerdem zwängte K a n t die Welt und das Denken in ein festes, starres, ein f ü r alle Male gegebenes u n d unveränderliches Schema einer „ K a t e gorientafel". So verdienen, wie Hegel meint, „ K a n t s dialektische Darstellungen in den Antinomien der reinen Vernunft . . . freilich kein großes Lob." 1 0 3 Die K a n t s c h e > Lehre von den Kategorien, Antinomien usw. sei in sich selbst gehindert, schief und verschroben. 1 0 4 Hegel philosophierte gegen das Kantsche Kategorien- und Antinomien-Schema. Es sei erstens nicht richtig, so argumentiert er, daß die Denkbestimmungen n u r „äußere F o r m " seien, sie h ä t t e n auch einen I n h a l t ; deshalb seien sie zweitens nicht „nur als zum Gebrauch und als Mittel" zu nehmen. 1 0 5 Der „ G a n g der Methode" ist nach Hegel „der Gang der Sache selbst." 1 0 6 Es ist die Dialektik, die der objektive Inhalt „an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt". 1 0 7 Damit m a c h t Hegel die Kategorien nicht m e h r zu Elementen einer „Kategorientafel", sondern gibt ihnen ontologische Bedeutung, m a c h t sie zu Bewegungsformen des objektiven Seins. Doch faßt Hegel diese Bewegungsformen des objektiven Seins keineswegs materialistisch, ist doch „der Gang der Sache selbst" bei ihm nichts anderes als die E n t f a l t u n g des absoluten Geistes, der Idee. 102

Hegel, G. W. F., Wissenschaft der Logik. Erster Teil, S. 38. Ebenda. 104 Ebenda, S. 183. i»6 Ebenda, S. 15. 108 Ebenda, S. 36. 107 Ebenda. 103

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Marx stellte Hegels Dialektik des objektiven Idealismus vom Kopf auf die Füße. Mit der Theorie des dialektischen und historischen Materialismus gab er der ökonomischen Wissenschaft eine feste weltanschauliche Grundlage und das erforderliche methodologische Rüstzeug. Kategorien, Gesetze und System des dialektischen und historischen Materialismus dienen uns in der Wirtschaftstheorie als Grundlage und Leitfaden; sie orientieren unser ökonomisches Forschen. Nur mit ihrer Hilfr gelangen wir zum Ziel, erhalten wir Übereinstimmung des ökonomischen Denkens mit der Realität. Die Kategorien und Gesetze des dialektischen Materialismus bilden das Gerüst des kategorialen Prozesses in der politischen Ökonomie. Wenn wir auf wirtschaftlichem Gebiet in neue Räume der Erkenntnis vorstoßen, dienen uns die Kategorien des dialektischen Materialismus als Wegweiser, von denen wir die Richtung ablesen, die wir im Denkprozeß einzuschlagen haben. Mit Hilfe der Erkenntnisse des dialektischen Materialismus können wir in der spezialwissenschaftlichen Forschung Konkretisierungen vornehmen, Hypothesen aufstellen und aus allgemeinen Thesen Schlüsse für konkrete Prozesse des Denkens und der Praxis ziehen. Wir können wissenschaftlich vorausschauen und den Kampf gegen die imperialistischen Wirtschaftslehren mit weltanschaulicher und logischer Überlegenheit führen. Deshalb versteht es sich, daß jeder Versuch der Revision der marxistischen Wirtschaftstheorie mit einer Revision der philosophischen Grundlage und Methode der politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus verbunden ist. In der Methodologie besteht die Gefährlichkeit des Revisionismus darin, gerade gegen die philosophischen und ökonomischen Grundbegriffe Sturm zu laufen und ihre Wahrhaftigkeit zu bestreiten. Wir denken an Kategorien, wie Revolution, Diktatur, Demokratie oder auch Arbeitswert, Planwirtschaft usw. Wenn wir marxistischen Theoretiker mit diesen Begriffen zum Teil auch recht dogmatisch gearbeitet haben, so ist doch das prinzipielle Festhalten an den grundlegenden Begriffen der marxistischen Philosophie und Wirtschaftstheorie alles andere als Dogmatismus; es ist, im Gegenteil, ganz unerläßlich; denn diese Begriffe sind von der gesellschaftlichen Praxis der Vergangenheit und Gegenwart immer wieder bestätigt worden. So sind die Siege der sozialistischen Revolutionen, das Entstehen und Erstarken des sozialistischen Weltwirtschaftssystems, die antiimperialistischen Freiheitsbewegungen und der Zusammenbruch des kapitalistischen Kolonialsystems die Bestätigung der Wahrhaftigkeit und Richtigkeit der Weltanschauung und Methode des Marxismus-Leninismus. Die Politik der Kommunistischen und Arbeiterparteien ist wissenschaftlich begründet; unsere Politik entspricht den Forderungen der geschichtlichen Entwicklung; wir sehen die Grundzüge dieser Entwicklung voraus. Deshalb gilt das, was in der Moskauer „Deklaration der Kommunistischen und Arbeiterparteien" vom November 1957 über die Bedeutung des dialektischen Materialismus im allgemeinen gesagt wurde, im besonderen auch für die politische Ökonomie. In der „Deklaration" wird die richtige Anwendung des dialektischen Materialismus als aktuelle Aufgabe in der theoretischen und praktischen Arbeit der Kommunistischen und Arbeiterparteien bezeichnet. Wenn wir, so heißt es in der „Deklaration" weiter, bei der Prüfung der verschiedenen Fragen nicht von der

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Dialektik und dem Materialismus ausgehen, „so führt das zu Einseitigkeit und Subjektivismus, zur Verknöcherung des Denkens, zur Loslösung von der Praxis, zum Verlust der Fähigkeit, die Dinge und Erscheinungen richtig zu analysieren, zu revisionistischen oder dogmatischen Fehlern und zu Fehlern in der Politik." 1 0 8 Anknüpfend an die „Deklaration", wird im Beschluß des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom Sommer 1958 festgestellt: „In den Gesellschaftswissenschaften ist die Lehr- und Forschungsarbeit auf der Grundlage der Erkenntnisse des dialektischen und historischen Materialismus durchzuführen. Es ist anzustreben, daß in allen Fachwissenschaften mehr und mehr die materialistische Dialektik angewandt wird. Auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften ist ein konsequenter Kampf gegen die Erscheinungen des Dogmatismus zu führen und die Theorie lebendig mit der Praxis des sozialistischen Aufbaus zu verbinden."10» Aus dem Faktum, daß der dialektische Materialismus das weltanschauliche und methodologische Fundament der marxistischen Wirtschaftstheorie ist, ergibt sich, daß Revisionen und sonstige Entstellungen der marxistischen politischen Ökonomie auf dem Felde der Theorie nur folgerichtig und endgültig widerlegt werden können, wenn ihre weltanschauliche Grundlage ebenso wie ihre Methode von den Positionen des dialektischen Materialismus aus angegriffen werden. Das hat sich, wie wir jetzt kurz erläutern wollen, in der Geschichte der marxistischen politischen Ökonomie immer wieder gezeigt. Schon in der Zeit des Aufkommens des Revisionismus weist Friedrich Engels in einem vom 27. 10. 1890 datierten Brief an Conrad Schmidt auf die Bedeutung hin, die das richtige Verstehen des historischen Materialismus für den Kampf gegen den Revionismus habe. Gleiches gelte für das Begreifen der materialistischen Dialektik. „Was den Herren allen fehlt, ist D i a l e k t i k . . . für sie hat Hegel nicht existiert..." 1 1 0 Eduard Bernstein richtete bekanntlich schon in seinen „Voraussetzungen des Sozialismus" (1899) ganz ungeniert offene Angriffe gegen die dialektische Methode des Marxismus. Um die von ihm geforderte „nötige Revision" der marxistischen Theorie in Angriff zu nehmen, eine Korrektur, die sich „für die ganze Auffassung vom Kampfe und den Aufgaben der Sozialdemokratie ergibt", müsse man nicht nur den (von Bernstein behaupteten) „ursprünglichen inneren Zusammenhang des Marxismus mit dem Blanquismus" auflösen, sondern auch „mit der Hegeldialektik abrechnen." 1 1 1 F ü r Bernstein hat Marx die Hegeische Dialektik nicht vom Kopf auf die Füße gestellt, ihren rationellen Kern herausgeschält, sie revolutioniert. Nach Bernstein ist die „Hegeldialektik; . . . das Verrätherische in der Marxschen Doktrin, der Fallstrick, der aller folgerichtigen Betrachtung der Dinge im Wege liegt." 1 1 2 „Neues Deutschland" vom 22. November 1957. Beschluß des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Berlin 1958, S. 75 f. 110 Marx, K., und Engels, F., Ausgewählte Briefe. Berlin 1953, S. 511. 111 Bernstein, E., Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie. Stuttgart 1898, S. 26. " a Ebenda. 108

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Marx sei die Reste „Hegelscher Widerspruchsdialektik . . . sein Lebtag nicht völlig losgeworden." 113 Betrachtungen „im Lichte der Philosophie der Entwicklung von und in Gegensätzen" führten zu Selbsttäuschungen, und dies sei „der Marx-Engelschen Lehre am verhängnisvollsten geworden." 114 Diese antidialektischen Thesen sind eine der erkenntnistheoretischen Wurzeln des antimarxistischen Reformismus ä la Bernstein, der Lehre von der möglichen Besserung, Harmonisierung, Reformation des Kapitalismus. Wenn auch Kautsky um die Jahrhundertwende gegen Bernsteins antidialektischen und damit antimarxistischen tour de force Stellung nahm, so stand doch auch er bereits damals nicht gut mit der materialistischen Dialektik, was denn schließlich eine der ideologischen Quellen für sein späteres Nichtverstehen der geschichtlichen Notwendigkeiten der sozialistischen Revolution (Frage der „Reife" der Bedingungen im allgemeinen, der Arbeiterklasse im besonderen) und des erbitterten Kampfes gegen die Errichtung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse in der Sowjetunion wurde. Es ist das geschichtliche Verdienst Lenins, die marxistische Philosophie und die einzelnen marxistischen Gesellschaftswissenschaften gerade dadurch verteidigt und weiterentwickelt zu haben, daß er alle revisionistische Angriffe auf die materialistisch-dialektische Weltanschauung und Erkenntnistheorie des Marxismus entlarvte und zurückwies. Was Wladimir Iljitsch 1910 gegen den Revisionismus, gegen das Wanken und Schwanken seiner Vertreter schrieb, gegen die „ernsthafte innere Krise", die der Revisionismus darstellt, gilt dem Wesen der Sache nach auch heute: „Gerade weil der Marxismus kein totes Dogma, nicht irgendeine abgeschlossene, fertige, unveränderliche Lehre, sondern eine lebendige Anleitung zum Handeln ist, gerade deshalb mußte er unbedingt den auffallend schroffen Wechsel der Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens widerspiegeln. Als Widerspiegelung dieses Wechsels traten (bei den Opportunisten usw. — G.K.) tiefgehender Zerfall, Zerfahrenheit, ein Wanken und Schwanken jeder Art, mit einem Wort — eine höchst ernsthafte innere Krise des Marxismus in Erscheinung. Die entschiedene Abwehr dieses Zerfalls, der entschlossene und hartnäckige Kampf für die Grundlagen des Marxismus stand wieder auf der Tagesordnung."11®

Hier deckt Lenin nicht nur das klassenmäßige Wesen, sondern auch die erkenntnistheoretische Seite der Frage auf. Worum geht es? Das gesellschaftliche Leben verändert sich mehr oder minder stürmisch; wenn nun, um Lenins Ausdruck zu gebrauchen, ein „auffallend schroffer Wechsel der Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens" eintritt, beginnen bei den Unklaren und Schwankenden Zweifel an den Grundwahrheiten des Marxismus (was dann von der antimarxistischen Reaktion sofort ausgenutzt wird). Statt sich um die richtige wissenschaftliche Auslegung der neuen gesellschaftlichen Erscheinungen — es können auch umwälzende Entdeckungen in den Naturwissenschaften sein — gerade an Hand 113

Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 23. Lenin, W. I., Über einige Besonderheiten der historischen Entwicklung des Marxismus. In: Lenin, W. I., Marx-Engels-Marxismus, S. 281. 116

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der in der Menschheitsgeschichte geprüften marxistischen Grunderkenntnisse zu bemühen, zweifelt der Revisionismus die Richtigkeit der Grundbegriffe an. Lenin bewies sowohl im „Materialismus und Empiriokritizismus" als auch im „Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus", wie die neuen Widersprüche zwischen Wesen und Erscheinung einmal in der Natur, zum anderen in der Gesellschaft gerade und nur mit Hilfe der marxistischen Grundbegriffe (durch Bereicherung und Weiterentwicklung des Marxismus) theoretisch erfaßt werden können. Im Prinzip Gleiches gilt für die Gegenwart. Der internationale Wettkampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die Entwicklung des internationalen Sozialismus und die Veränderungen im untergehenden kapitalistischen Weltsystem werden erneut zum Ausgangspunkt einer „Revision" der marxistischen Lehre genommen. Natürlich gibt es viele neue Erscheinungen in Naturwissenschaften und Technik im Kapitalismus und im Sozialismus, natürlich gab es dogmatische Schranken auf dem Wege zur theoretischen Erkenntnis der neuen Erscheinungen, aber das zu lösende Problem kann doch, wie uns die jüngsten großen Diskussionen in der Sowjetunion auf allen Gebieten der Wissenschaft zeigen, nur eines sein: tiefes theoretisches Durchdringen der neuen Erscheinungen mit Hilfe der Leitsätze des dialektischen Materialismus, die in den Spezialwissenschaften angewandt werden. Das Ergebnis ist, wie die Jahre nach dem X X . Parteitag der KPdSU klar erkennen lassen, das weitere Erstarken des internationalen Sozialismus und der marxistischen Theorie. Wohin die „Revision" grundlegender Erkenntnisse des Marxismus — in diesem Falle des Gesetzes von der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte — in Theorie und Praxis führt, sei an einem Beispie) illustriert. Während in der Lehre von Marx alle grundlegende ökonomische Entwicklung aus der Bewegung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen resultiert, stößt man bei führenden jugoslawischen Sozialisten und im Programm des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens auf andere Formulierungen und Ansichten. Danach erzeugen die Produktivkräfte überall in der heutigen Welt direkt, unmittelbar und spontan sozialistische Tendenzen, Elemente und Erscheinungen. Es wird im „Programm" z. B. vom „Eindringen sozialistischer Tendenzen in das System des Staatskapitalismus" gesprochen. K. Popovic, sozialistischer Theoretiker und zugleich Jugoslawiens Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, hat das gesamte hier in Frage stehende Problem gelegentlich wie folgt formuliert: „Im internationalen Leben handelt es sich um eine objektive Tendenz zu einer immer größer werdenden allgemeinen gegenseitigen Abhängigkeit und Zusammenarbeit aller Länder auf der Basis ihrer Unabhängigkeit und Gleichberechtigung mit dem Ziel der Bildung eines einheitlichen Weltmarkts und einer allgemeinen wechselseitigen wirtschaftlichen Verflechtung, was auch die Notwendigkeit einschließt, die Unterschiede zwischen den entwickelten und unentwickelten Gebieten und Ländern zu verringern... Diesen ganzen Prozeß . . . nennen wir die Stärkung und das Übergewicht der sozialistischen Elemente in der Welt, die Bewegung der Welt zum Sozialismus." 116 116

Popovic, K., Unsere Politik der aktiven friedliebenden Koexistenz dient dem Frieden und entspricht unseren langfristigen und unmittelbaren Interessen. In: „Borba" vom 27. Februar 1957.

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Was macht Popovic aus der richtigen marxistischen Erkenntnis, daß die modernen Produktivkräfte gesamtgesellschaftliches Eigentum, gesamtgesellschaftliche Planung und Liquidierung des internationalen Konkurrenzkampfes verlangen? Er wandelt diese Erkenntnis in die These um, daß heute im gesamten internationalen Leben, also auch in der von den großen Monopolen beherrschten kapitalistischen Weltwirtschaft, eine Tendenz zur „Zusammenarbeit auf der Basis der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung" wirke und zum Durchbruch dränge. Was steht diesem Durchbruch noch hinderlich im Wege? Nach Popovic sind es nicht n u r die kapitalistischen Produktionsverhältnisse und die Monopolherrschaft, sondern „die politischen Verhältnisse und Auffassungen . . . in der heutigen Welt." Auch hier, wie in den zuvor zitierten Ausführungen, wird „die heutige Welt" als Einheit gefaßt, wird kein prinzipieller Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus gemacht. Popovic ignoriert nicht nur die marxistische Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, er hält auch nichts von der marxistischen Theorie von Basis und Überbau. Das Ergebnis ist ein Kapitalismus und Sozialismus gleichermaßen umfassender weltweiter Widerspruch zwischen „schlechter" Blockpolitik und objektiver Tendenz zum Fortschritt: „Die politischen Verhältnisse und Auffassungen, die in der heutigen Welt noch in Kraft sind, bleiben hinter dieser materiellen Entwicklung zurück. In ihnen dominiert ein militär-strategisches Herangehen an die Probleme . . . Wir stehen also vor folgender Situation: auf der einen Seite haben wir eine allgemeine fortschrittliche objektive Tendenz, auf der anderen Seite die nichtadäquate, aber harte Wirklichkeit, die das Erbe der vergangenen Verhältnisse ist und durch die diese Tendenz durchbricht . . . Nach dem zweiten Weltkrieg bildeten sich zwei Blocks, was zu einer Zweiteilung der Welt geführt und die internationale Zusammenarbeit erschwert h a t . . . Einmal geschaffen, waren beide Blocks naturgemäß jeder für sich bestrebt, sich nach ihrer inneren Logik in getrennte Militärlager zum Schaden der kollektiven Sicherheit und in geschlossene Wirtschaftssysteme zum Schaden des freien und allgemeinen Güteraustauschs sowie in exklusive politische und ideologische Gruppierungen umzuwandeln . . ." 11?

So ist denn glücklich das sozialistische Weltwirtschaftssystem zu einem häßlichen Kind der militär-strategischen Blockpolitik geworden; ebenso ist der Gegensatz zwischen Marxismus und bürgerlicher Theorie nur das Ergebnis bedauerlicher „exklusiver ideologischer Gruppierungen." Die heute historisch notwendige Koexistenz von kapitalistischem und sozialistischem Weltsystem ist nach Popovic nicht mehr das Resultat der gesetzmäßigen Entwicklung des Kapitalismus und der ebenso gesetzmäßigen sozialistischen Revolution, sie ist vielmehr das Erbe schädlicher politischer Verhältnisse und Auffassungen im Imperialismus und im Sozialismus. Wir können abschließen. Wir versuchten zu zeigen, daß die logische und revolutionierende Kraft der marxistischen politischen Ökonomie darauf beruht, daß sie sich auf die dialektisch-materialistische Geschichtsauffassung und auf die dialektisch-materialistische Erkenntnistheorie stützen kann. Da das empirische Material (der Erfahrungsstoff) der poli1M

Ebenda.

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tischen Ökonomie des Sozialismus noch relativ knapp ist, ergibt sich die Verpflichtung, die einzelnen Kategorien und das kategoriale System der Theorie von der sozialistischen Wirtschaft laufend sowohl in der Praxis als auch an Hand des dialektischen und historischen Materialismus zu überprüfen. Wir zeigten, daß diese methodologischen Probleme bisher recht vernachlässigt wurden. Bei der in Angriff zu nehmenden Arbeit müssen wir gegen jegliches Dogmatisieren und Revidieren des dialektischen Materialismus kämpfen. Derartige Entstellungen müssen zu logischen und ideologischen Fehlern in der Theorie, zu wirtschaftspolitischen und ideologischen Fehlern in der Praxis führen. Die Erkenntnisse und Begriffe der marxistischen Philosophie und Wirtschaftstheorie sind der unerläßliche Kompaß, mit dessen Hilfe wir auf dem Wege der Erkenntnis der Probleme unserer aufblühenden sozialistischen Wirtschaft schnell voranschreiten können.

L. Rouscik, H. Schönherr, G. Friedrich ÖKONOMISCHE PROBLEME DER INDUSTRIELLEN ENTWICKLUNG IN D E R D E U T S C H E N D E M O K R A T I S C H E N R E P U B L I K Die Arbeiter und Bauern, Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler haben den 10. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik mit vielen Produktionsverpflichtungen vorbereitet. Sie unterstützen mit zusätzlichen Leistungen die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe, Westdeutschland im Pro-KopfVerbrauch der wichtigsten Gebrauchsgüter der Bevölkerung einzuholen und zu überholen. Diese Aufgabe bestimmt das Denken und Handeln aller fortschrittlichen Bürger, weil sie wissen, daß sie mit ihrer Erfüllung nicht nur die eigenen Lebensbedingungen verbessern und dem Sozialismus in der DDR zum Siege verhelfen, sondern gleichzeitig einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung des Friedens und gegen die Atomaufrüstung in Westdeutschland leisten. Die Werktätigen lernen, geführt und geschult von der marxistisch-leninistischen Partei, im täglichen Leben immer besser, daß zwischen Politik und Ökonomie und demzufolge zwischen ökonomischen Erfolgen und dem Kampf um die Erhaltung des Friedens, um die Einheit Deutschlands, ein enger Zusammenhang besteht. Die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe wird die Erfolge krönen, die wir seit der Gründung unserer Republik errungen haben, weil sie jedem Menschen in Deutschland die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaft beweist. In den 10 Jahren des Bestehens der DDR hat die Bevölkerung unter Führung der Partei der Arbeiterklasse, der mobilisierenden, organisierenden und umgestaltenden Kraft im gesellschaftlichen Leben, bedeutende Erfolge errungen. Trotz der im Vergleich zu Westdeutschland wesentlich schlechteren Ausgangsposition hinsichtlich des Wirtschaftspotentials konnte deshalb das Ziel gestellt werden, Westdeutschland ökonomisch einzuholen und zu überholen. Zehn Jahre nach Gründung der DDR ist die Wirtschaft unserer Republik technisch und ökonomisch so weit entwickelt, daß wir beispielsweise ein eigenes Atomkraftwerk bauen. Heute wird in vielen Forschungsinstituten und Produktionsabteilungen die Arbeit mit radioaktiven Isotopen begonnen und durchgeführt. Ging es 1949 noch um den Bau von kleinen Fischereiholzkuttern, so stehen heute die stahlgeschweißten Schiffe mit 10 und sogar 15 tdw im Mittelpunkt unserer Werftindustrie. TurbinenPassagierflugzeuge waren vor zehn Jahren nicht bekannt; im Jahre 1959 gehören diese komplizierten Maschinen zum Produktionsprogramm unserer volkseigenen Industrie. Das Chemieprogramm und der Bau des größten Braunkohlenverarbeitungswerkes der Welt, das in Gestalt des Kombinates „Schwarze Pumpe" gegenwärtig entsteht, wären damals nicht durchführbar gewesen. Im Jahre 1949

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

129

waren wir in der antifaschistisch-demokratischen Ordnung noch mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau beschäftigt. 1959 kämpfen die fortschrittlichen Kräfte darum, das Programm des siegreichen Aufbaus des Sozialismus zu erfüllen. Das zeigt, welcher Sprung nach vorn auf ökonomischem und politischem Gebiet getan wurde. Die von der ersten Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands für das Planjahr 1949 gestellten Aufgaben erforderten damals alle unsere Kräfte und brachten uns ein gutes Stück voran. Der Siebenjahrplan enthält jedoch unvergleichlich größere Aufgaben; denn in der Zwischenzeit ist das Wirtschaftspotential stark gewachsen, es sind grundlegende Veränderungen in der Wirtschaft eingetreten und die Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Staaten hat sich quantitativ und qualitativ weiterentwickelt. Die Lebenslage der Bevölkerung verbesserte sich ständig. E s erhöhte sich die Autorität des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Die durch die kapitalistische E n t wicklung, den Krieg und besonders durch die Spaltung Deutschlands entstandenen wirtschaftlichen Disproportionen konnten spürbar gemildert werden. Die besten Söhne der Arbeiterklasse lernten, die Wirtschaft planmäßig zu leiten und den Sieg des Sozialismus auf allen Gebieten zu organisieren. Seit Gründung der Republik ist die sozialistische Basis ständig gewachsen und erstarkt. Im J a h r e 1949 betrug der Anteil der volkseigenen Betriebe an der industriellen Bruttoproduktion 45 Prozent 1 ; bis 1959 ist er auf nahezu 90 Prozent gestiegen. Im Zusammenhang damit hat sich die Zahl der Beschäftigten in der volkseigenen Industrie von rund 1,5 auf 2,5 Millionen erhöht. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse sind eine gewaltige Triebkraft für die Entwicklung der Produktivkräfte. I m J a h r e 1949 entstand die Hennecke-Bewegung. Heute gibt es vielfältige Formen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung, sozialistische Kollektive in allen Industriezweigen der D D R , die einen entscheidenden Einfluß auf die Planziele und deren Erfüllung ausüben. Ständig bilden sich neue Brigaden und Gemeinschaften der sozialistischen Arbeit. In ihnen kommt die Schöpferkraft und das neue Bewußtsein der Massen zum Ausdruck. Mit der Ausbreitung des Volkseigentums, der sozialistischen Bewußtseinsbildung der Werktätigen und der Sammlung von Erfahrungen in der Leitung der Wirtschaft entwickelte sich die Planung mehr und mehr zur Hauptmethode der Wirtschaftsführung. Das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln und der hohe Grad der Vergesellschaftung der Produktion ermöglichen und erfordern diese planmäßige Leitung des Aufbaus durch den sozialistischen Staat. Unter diesen Bedingungen konnte in den letzten zehn Jahren ein höheres Entwicklungstempo der Industrieproduktion erreicht werden als während der kapitalistischen Entwicklung Deutschlands. Vor allem wurde ein höheres Entwicklungstempo der Industrieproduktion als in Westdeutschland erzielt. In der Zeit von 1948 bis 1959 stieg die Industrieproduktion auf knapp das Vierfache. Die Produktionssteigerung bei einzelnen Erzeugnissen geht aus folgender Aufstellung hervor: 1

9

Walter Ulbricht, Unsere Wirtschaftspolitik 1949. Berlin 1949.

Probleme Bd. 2

130

Lothar Roüscik/Hans Schönherr/Gerd Friedrich Die Produktion volkswirtschaftlieh wichtiger Erzeugnisse2 Erzeugnis

Elektroenergie Braunkohle Roheisen Rohstahl in Blöcken Schwefelsäure Zement Personenkraftwagen Lastkraftwagen Lederschuhe

1948 14,6 Mrd. kWh 110 Mill. t 192 Tt 304,7 Tt 155,1 Tt 936 Tt 2551 Stück 311 Stück 5124 in 1000 Paar

8

1958 34,9 Mrd. kWh 215 Mill. t 1775 Tt 3043 Tt 530,9 Tt 3558 Tt 38422 Stück 15741 Stück 19774 in 1000 Paar

Mit den Produktionserfolgen hängen die Leistungen auf wissenschaftlichtechnischem Gebiet eng zusammen. So wurden in der Metallurgie und im Maschinenbau neue Verfahren entwickelt und — besonders in der chemischen Industrie — neue Rohstoffe in die Produktion eingeführt. Unsere moderne und weit verzweigte Industrie ist das Resultat einer über ein J a h r h u n d e r t währenden industriellen Entwicklung unter kapitalistischen Verhältnissen, die von Kriegen und Krisen unterbrochen wurde, und unseres ein J a h r zehnt umfassenden sozialistischen Aufbaus. Der sozialistische Wirtschaftsaufbau wurde durch die imperialistischen Westmächte erschwert. Das historisch gewachsene Wirtschaftsgefüge in Deutschland wurde gewaltsam, auseinandergerissen. Während die Disproportionen, die die kapitalistische Entwicklung Deutschlands in ihrem tödlichen Zyklus Krieg—Krise—Krieg mit sich brachte, beide Teile Deutschlands etwa gleichmäßig belasteten, trifft das f ü r die direkten Folgen des Krieges und der Spaltungspolitik der imperialistischen Westmächte nicht zu. So waren die Zerstörungen durch direkte Kriegseinwirkungen in dem Teil Deutschlands, der heute zur D D R gehört, wesentlich schwerer als in der heutigen Bundesrepublik. Das liegt einmal daran, daß die faschistische Wehrmacht gegen die sowjetischen T r u p p e n härtere und blutigere Kämpfe f ü h r t e als gegen die West-: mächte. Zum anderen wurden unsere Gebiete schwerer durch die anglo-amerikanischen Luftangriffe zerstört als der Westen unserer Heimat. Über die Spaltung Deutschlands schreibt der Amerikaner Wallich in seinem Buch „Triebkräfte des (west-)deutschen Wiederaufstieges": „Die Spaltung konnte — vom S t a n d p u n k t des Westens her — kaum besser vor sich gehen." Natürlich entstanden durch die Spaltung Deutschlands f ü r beide deutsche Staaten wirtschaftliche Schwierigkeiten — aber doch sehr verschiedener Art. Die unterschiedliche Lage kann m a n so charakterisieren, daß in Westdeutschland die Feinstrümpfe, in der D D R aber die Steinkohle und der Stahl fehlten. Umgerechnet auf die Gebiete der beiden heutigen deutschen Staaten war die Industrieproduktion im J a h r e 1936 — um n u r einige Zahlen zu nennen — etwa folgendermaßen verteilt:

1 s

Statistisches Jahrbuch der DDR 1955. Berlin 1956. Berichte über die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes 1958.

Ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

131

Westdeutschland DDR in Prozenten Absatz der Industrieproduktion gesamt Steinkohle Eisenerze Roheisen Rohstahl Walzerzeugnisse Umsatz der eisenerzeugenden Industrie Metallverarbeitende Industrie, insgesamt Werkzeugmaschinenbau Textilmaschinenbau Landwirtschaftliche Maschinen Fahrzeugbau Schiffbau Flugzeugindustrie Textilindustrie insgesamt Spinnereien Webereien Trikotagen Feinstrümpfe

73 97,7 94,9 97,9 90,8 91,2 93,75 68,7 62,1 45.7 77.8 72,5 98 40 56 69 65 34 0

27 2,3 5.1 2,1 9.2 8,8 6,25 31,3 37,9 54,3 22,2 27,5 2 60 44 31 35 66 1004

Diese stark zusammengefaßten Zahlen zeigen schon deutliche Disproportionen und verweisen insbesondere auf die schwersten, auf die Disproportionen zwischen dem hoch entwickelten Maschinenbau und der schmalen Metallbasis in der D D R . Das Bild verschlechtert sich aber noch, analysiert man einzelne Industriezweige oder Branchen. So könnte z. B . ein Anteil von 31,3 Prozent an der Maschinenbauproduktion Deutschlands als durchaus befriedigend angesehen werden. Doch handelt es sich dabei zum großen Teil um den B a u von Ausrüstungen für die Leichtindustrie und andere Zweige der Konsumtionsmittelindustrien. Der B a u von Ausrüstungen für die Schwerindustrie war im wesentlichen in oder bei ihrem Zentrum in Deutschland, dem Ruhrgebiet, konzentriert. Im Landmaschinenbau z. B . wurden Maschinen zur Bestellung und Pflege der Felder zu 38 Prozent, Maschinen zur Erntebergung hingegen nur zu 7,4 Prozent im heutigen Gebiete der D D R hergestellt. Als letztes Beispiel sei noch auf den Automobilbau verwiesen. Die Produktion von P K W und L K W lag 1936 zu etwa 25 Prozent, die Herstellung von Getrieben und Wälzlagern aber nur zu 14,5 Prozent, von Autoreifen nur zu 6,5 Prozent und von Zündkerzen nur zu etwa 3 Prozent auf unserem Gebiet. Solche Beispiele finden sich in fast allen Zweigen der Industrie. Sie sind der Ausdruck dafür, daß die historisch entstandene territoriale Arbeitsteilung durch die Spaltung Deutsch4 Die Zahlen wurden aus folgenden Quellen berechnet: Vierteljahrshefte zur Statistik, Heft 4, S. 131; Wirtschaftswissenschaft 1958, Heft 1, S. 56; Zahlen aus der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik; Schriftenreihe „Der Fünfjahrplan", Heft 8, S. 13; „Die eisenschaffende Industrie und ihre Helfer", Jahresschaü der deutschen Industrie, Jahrgang 1953, Darmstadt; „Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie". Düsseldorf 1956, S. 52; Manuskript zum Lehrbuch „Politische und ökonomische Geographie", Abschnitt Industrie.

9*

132

Lothar Rouscik/Hans Schönherr ¡Gerd Friedrich

lands seitens der Westmächte brutal zerstört wurde. Es war bedeutend leichter, in Westdeutschland auf der Grundlage der nahezu intakten Schwerindustrie im Ruhrgebiet die Leichtindustrie und ihren Maschinenbau zu ergänzen, als in der DDR unter großem materiellen und finnanziellen Aufwand wichtige Zweige der Schwerindustrie zu ergänzen bzw. in einigen Branchen überhaupt erst zu schaffen. Hinzu kommt, daß das westdeutsche Monopolkapital durch ca. 13 Milliarden DM Marshallplan anleihe untersützt wurde, während die demokratischen Kräfte im Gebiet der DDR bemüht waren, wenigstens einen kleinen Teil der durch den deutschen Faschismus in anderen Ländern angerichteten Schäden wieder gut zu machen. Die Erfolge des wirtschaftlichen Aufbaus in den zehn Jahren des Bestehens der DDR erscheinen in noch viel hellerem Licht, wenn man von der unterschiedlichen Ausgangsbasis beider deutscher Staaten ausgeht. Erst dann kann man die großen Leistungen der Arbeiter, der Angestellten und der Intelligenz in unserer Republik richtig einschätzen; erst dann wird die Folgerichtigkeit, Zielstrebigkeit und Konsequenz der Wirtschaftspolitik von Partei und Regierung voll ersichtlich — einer Wirtschaftspolitik, die im Marxismus-Leninismus das wissenschaftliche Fundament besitzt. I. Die bedeutenden Resultate der verflossenen zehn Jahre konnten erreicht werden, weil in der D D R die sozialistischen Produktionsverhältnisse und die ihnen entsprechenden Leitungsformen als Triebkräfte der Entwicklung wirkten und der wirtschaftliche Aufbau im engen Bündnis mit den anderen sozialistischen Staaten durchgeführt wurde. Die Tatsache, daß die DDR dem sozialistischen Weltwirtschaftssystem angehört, gewinnt durch die Vertiefung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung immer größere Bedeutung für die Entwicklung unserer Republik. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der DDR mit den anderen Staaten des sozialistischen Weltsystems beruht auf der Grundlage des proletarischen Internationalismus. Sie vollzieht sich, indem mehrere souveräne sozialistische Staaten entsprechend ihrem Klassencharakter und den gemeinsamen Interessen und Zielen die sozialistische internationale Arbeitsteilung organisieren. Die DDR nimmt mit ihrer Industrieproduktion unter den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, dem die Sowjetunion und die europäischen Volksdemokratien einschließlich der DDR angehören, und damit im sozialistischen Weltwirtschaftssystem eine beachtliche Stellung ein. Der Anteil der in unserer Industrie beschäftigten Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der Arbeitskräfte, die in den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe in der Industrie tätig sind, beträgt rund 10 Prozent. Für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der sozialistischen Länder haben solche für eine hochentwickelte Produktion entscheidenden Zweige wie die metallverarbeitende und die chemische Industrie unserer Republik besondere Bedeutung. Der Maschinenbau der D D R spielt neben dem der Sowjetunion und der CSR in den Ländern, die dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe angehören, eine ausschlaggebende Rolle; er ist umfangreich, hoch entwickelt und stark spezialisiert.

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

133

Der Produktionsanteil unseres Maschinenbaus an der Maschinenproduktion der Länder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe war 1955 folgender: Prozent spanabhebende Werkzeugmaschinen Schmiede- und Pressausrüstungen Metallurgische Ausrüstungen Zementausrüstungen Tagebauausrüstungen Ausrüstungen für Brikettfabriken

11 38 15 80 95 1005

Im Elektromaschinenbau, im Hebe- und Transportmaschinenbau, im Auto- und Schiffbau, bei der Herstellung von Ausrüstungen für die chemische Industrie, im Gerätebau, in der Produktion von polygraphischen Maschinen und Ausrüstungen, in der Herstellung von Ausrüstungen für die Leicht- und die Nahrungs- und Genußmittelindustrie sowie in der Betriebsmeß- und Steuerungstechnik nimmt die D D R den zweiten Platz unter den sozialistischen Staaten ein. Die D D R liefert über 20 Prozent der Erzeugnisse ihrer metallverarbeitenden Industrie an die anderen Länder des sozialistischen Weltwirtschaftssystems und unterstützt damit die Industrialisierungsprogramme der sozialistischen Länder. Auch unsere chemische Industrie ist innerhalb der Produktion der Länder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe bedeutend. An Schwefelsäure erzeugte die D D R 1956 9 Prozent der Produktion dieser Länder; in der Soda- und Stickstoffdüngererzeugung beträgt der Anteil 23 Prozent, bei Chlor sogar 3 0 Prozent. Noch höher ist der Anteil an Kalidünger, Karbid und verschiedenen Ausgangsstoifen für die Kunststofferzeugung (bei Karbid 56 Prozent, bei Kalidünger 62 Prozent und bei den Ausgangsprodukten der Kunststoffe, wie Plasten, Elasten und Fasern ca. zwei Drittel der Produktion der Länder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe). Die Rolle unserer chemischen Industrie in der sozialistischen Weltwirtschaft kommt aber in den Produktionszahlen nicht voll zum Ausdruck. Sie besteht auch darin, daß den anderen sozialistischen Staaten eine große technisch-wissenschaftliche Hilfe beim Ausbau ihrer chemischen Betriebe gegeben werden kann. So weilen ständig Spezialisten aus den befreundeten Ländern in den chemischen Kombinaten der D D R und studieren zum Nutzen ihres Landes und des sozialistischen Weltwirtschaftssystems die Produktionsmethoden. Jährlich werden etwa 20 Prozent der Chemieproduktion der D D R exportiert. Davon geht der größte Teil in die sozialistischen Länder. In den Jahren von 1960 bis 1965 wird die D D R neben Kali und Soda, besonders Natriumsulfat, PVC, synthetischen Kautschuk, Weichmacher, Melamin, Medikamente, Kino-Farbfilme usw. liefern. Die Rolle unserer Industrie im sozialistischen Weltwirtschaftssystem wächst zunehmender sozialistischer internationaler Arbeitsteilung ständig, denn die dustrie der D D R wird immer enger in den gesamten Reproduktionsprozeß sozialistischen Weltsystems einbezogen. Das kommt auch darin zum Ausdruck, 5

Vgl. Einheit, Heft 10/1957, S. 253.

mit Indes daß

134

Lothar Rouscik/Hans

Schönherr/Gerd

Friedrich

die lebenswichtigsten Importe unserer Republik aus dem sozialistischen Lager, besonders aus der Sowjetunion, bezogen werden, und daß ihr Umfang ständig zunimmt. Die D D R wiederum wird immer mehr zu einem wichtigen Exporteur für die anderen sozialistischen Staaten. Die Industrialisierungsprogramme des sozialistischen Lagers werden zum Teil mit Hilfe einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der D D R verwirklicht. Die Betriebe der D D R haben in den letzten Jahren unter anderem 78 Zementfabriken mit einer Tagesleistung von 200 bis 1200 Tonnen, 13 Stahlsaitenspannbetonanlagen, 4 Glasfabriken von 5 bis 75 Tonnen Tagesleistung, 6 Baumwollspinnereien mit j e 5000 bis 10000 Spindeln, 6 Webereien mit 5 0 bis 100 Stühlen, 24 Kraftwerke für Kapazitäten bis 50 MW, 3 Schwefelsäurefabriken für 5 0 0 0 0 Tonnen Jahresleistung, 4 Zuckerfabriken von 800 bis 2000 Tonnen Tagesleistung, 5 Kunstfaseränlagen für täglich 20 bis 60 Tonnen Leistung und 5 Produktionsanlagen für vollsyn thetische Textilfasern vorwiegend in den sozialistischen Ländern und antiimperialistischen Nationalstaaten mit Maschinenausrüstungen, -anlagen und -einrichtungen versehen. Gewaltige Lieferungen unseres Maschinenbaus in die sozialistischen Länder, besonders in die Sowjetunion, sind auch für die J a h r e 1960 bis 1965 vorgesehen. Damit bleibt die D D R weiterhin der größte Maschinenexporteur im sozialistischen Weltsystem. Die bedeutendsten Lieferungen an die Sowjetunion bestehen aus Maschinen und Ausrüstungen für die chemische Industrie, Maschinen für die Leichtindustrie, die Lebensmittelindustrie und die polygraphische Industrie. Weiterhin exportiert die D D R in die Sowjetunion vollständige Ausrüstungen für kleine Kraftwerke, ferner Motoren, Generatoren, Apparaturen, Geräte für das Fernmeldewesen, Rechenmaschinen, Holzbearbeitungsmaschinen, Hauptstrecken- und Industrieloks, Kühlwagen und verschiedene Schiffe. Wie auf dem V. Parteitag der S E D bekanntgegeben wurde, liefert die Sowjetunion, um die Erfüllung unserer ökonomischen Hauptaufgabe und den Aufbau des Sozialismus in der D D R zu unterstützen, in den kommenden J a h r e n neben Dieselloks, Personenkraftwagen, Walzwerkausrüstungen, Pumpen, spanabhebenden Werkzeugmaschinen, Häuten und Wolle hauptsächlich folgende Produkte: Lieferungen der Sowjetunion an die DDR: Erzeugnis Erdöl Roheisen Metallurgischer Koks Walzstahl und Rohre Kupfer Ap atitkonzentrat Schnittholz Nutzholz

1957 1040 417 928 652 15000 365 406 240

Tt Tt Tt Tt t Tt Tt Tt

1965 4800 1600 1550 1560 43000 800 1200 700

Tt Tt Tt Tt t Tt Tt Tt6

• W. Ulbricht, Rechenschaftsbericht auf dem V. Parteitag, 1958, S. 46.

Ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

135

Durch die Lieferung von Rohstoffen aus der Sowjetunion wird es möglich, ein hohes Entwicklungstempo der Industrie in der D D R zu gewährleisten. Infolgedessen unterstützen die Werktätigen der SU unmittelbar die Werktätigen der D D R bei der Lösung der komplizierten Aufgaben. Die Stellung der D D R als einer Industriemacht in Europa wird damit weiter gefestigt. Die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit der sozialistischen Länder t r ä g t auch dazu bei, die ökonomische H a u p t a u f g a b e des sozialistischen Weltsystems zu lösen, und zwar die hochentwickelten kapitalistischen Länder in der Pro-Kopf-Produktion einzuholen. In diesem ökonomischen Wettbewerb zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem spielt die D D R eine wesentliche Rolle. Vergleiche des Entwicklungsniveaus der Produktivkräfte in den einzelnen Ländern ergeben, daß die D D R unter den Industriemächten des europäischen Kontinents den f ü n f t e n Platz einnimmt. Industriell stärker als unsere Republik sind in Europa die Sowjetunion, England, die Bundesrepublik und Frankreich. Damit liegen ein sozialistisches Land und drei kapitalistische Länder vor uns. Der Abstand zwischen den einzelnen Ländern und der D D R ist allerdings sehr unterschiedlich. Die Sowjetunion produziert schätzungsweise das Zehnfache der Industrieproduktion der D D R , England und Westdeutschland jeweils etwa das Dreifache. Solchen kapitalistischen Ländern wie Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen, den Niederlanden, Portugal, Spanien, der Türkei, Griechenland usw. ist die D D R industriell überlegen. Zwischen den meisten von diesen Staaten und der D D R liegt ein erheblicher Abstand. Das trifft nicht n u r f ü r den Umfang der Industrieproduktion zu, sondern gilt auch f ü r das technische Niveau, die Arbeitsproduktivität und die Anzahl der ausgebildeten Facharbeiter und wissenschaftlichen Kräfte. So ergibt es sich, daß die D D R hinsichtlich des Umfanges der Industrieproduktion in den europäischen Ländern den f ü n f t e n Platz einnimmt, während sie nach der Anzahl der Bevölkerung in Europa an neunter Stelle steht. Hinsichtlich der Größe des Territoriums liegt unsere Republik sogar auf dem 17. Platz. Das zeigt, daß auf einem verhältnismäßig kleinen Territorium und mit einer relativ niedrigen Bevölkerungszahl eine bedeutende Industrieproduktion entwickelt wurde. F ü r die industrielle Stärke eines Landes ist u. a. das Entwicklungstempo ausschlaggebend. Die Industrie der D D R erreichte im Vergleich zu den kapitalistischen Ländern Europas in den letzten zehn J a h r e n das höchste Entwicklungstempo. Das spiegelt die Wachstums- und Akkumulationskraft unseres Landes wider. Das hohe Entwicklungstempo der Industrie der D D R , das in der Anfangsperiode des zweiten Fünfjahrplanes etwas zurückging, ist eine wesentliche Voraussetzung, u m in kürzester Zeit die führenden kapitalistischen Industrieländer Europas auch in der ProKopf-Produktion einzuholen. Neben dem absoluten Produktionsumfang und dem Entwicklungstempo gibt die Anzahl der Beschäftigten einen Anhaltspunkt f ü r die industrielle Stärke eines Landes, denn keine Produktion ist ohne den Einsatz von Arbeitskräften möglich. Über die Anzahl der Arbeiter und Angestellten der Industrie und des Handwerks

136

Lothar RouscikjHans Schönherr/Gerd Friedrich

in den wichtigsten europäischen Industrieländern (ohne Sowjetunion) gibt folgende Aufstellung einen Überblick 7 : DDR Großbritannien DBR Frankreich Italien

3008 9334 6968 4205 3686

T Arbeiter und Angestellte T „ „ „ T T T

Obwohl diese Kennziffern f ü r internationale Vergleiche verhältnismäßig grob sind, geht daraus doch hervor, daß die D D R trotz ihrer niedrigen Bevölkerungszahl hinsichtlich der Anzahl der industriellen Arbeitskräfte ebenfalls den f ü n f t e n Platz belegt. Hierin k o m m t die Tatsache zum Ausdruck, daß unsere Republik über eine verhältnismäßig starke Arbeiterklasse verfügt. Ihre besten K r ä f t e haben sich in der SED, dem Vortrupp beim siegreichen Aufbau des Sozialismus, organisiert. Ausschlaggebende Kennziffern f ü r die industrielle Stärke eines Landes sind die Pro-Kopf-Produktion und der Pro-Kopf-Verbrauch wichtiger industrieller Erzeugnisse. Sie bringen im Zusammenhang. mit bereits genannten Zahlen das E n t wicklungsniveau eines Landes erst vollständig zum Ausdruck. Die Kennziffer der Pro-Kopf-Produktion ist f ü r die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Landes von großer Aussagekraft, weil sie die absolute Industrieproduktion unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl wiedergibt. Dabei gilt die feststehende Regel, daß die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Landes um so größer ist, je höher die industrielle Produktion pro Kopf der Bevölkerung liegt und umgekehrt. Aus diesem Grunde ist es notwendig, die Pro-Kopf-Produktion einiger volkswirtschaftlich wichtiger Erzeugnisse in der D D R u n d in den ökonomisch stärksten kapitalistischen Ländern Europas zu vergleichen. Das ist insbesondere f ü r den ökonomischen Wettbewerb mit dem Kapitalismus von Bedeutung. Der Elektroenergie k o m m t in unserer Epoche u n t e r den volkswirtschaftlich wichtigen Erzeugnissen eine große Bedeutung zu, weil die moderne Technik aller Wirtschaftszweige auf ihr basiert. \

Die Elektroenergieerzeugung und die Pro-Kopf-Erzeugung 19568

einiger wichtiger Länder Europas

Gesamterzeugung Pro- Kopf-Erzeugung Mrd. kWh kWh DDR Großbritannien DBR Frankreich Italien 7 8

31,2 89,0 85,1 53,8 39,7

Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 610ff. Statistisches Jahrbuch der Volksrepublik Polen 1957, S. 436/37.

1770 1740 1680 1230 800

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

137

Die Automatisierung, die breite Anwendung der Chemie, die begonnene Ausnutzung der Kernenergie sowie der moderne Haushalt sind ohne Elektroenergie nicht möglich. Deshalb ist die Erzeugung von Elektroenergie ein wichtiger Gradmesser für die industrielle Entwicklung und Stärke der D D R . Alle übrigen Länder Europas (mit Ausnahme der Sowjetunion) erzeugen weniger Elektroenergie als die D D R . Somit steht unsere Republik hinsichtlich der Elektroenergieerzeugung an sechster Stelle in Europa (die Sowjetunion eingerechnet); außerhalb Europas gewinnen die USA, Kanada und J a p a n mehr Elektroenergie. Ein anderes Bild gibt die Pro-Kopf-Erzeugung. Hierin liegt die D D R unter den in der Tabelle aufgeführten Ländern an erster Stelle. Das weist darauf hin, daß bereits ein hoher Stand der Elektrifizierung erreicht wurde. Trotzdem reicht die erzeugte Elektroenergie nicht aus; denn wir besitzen eine hochentwickelte Industrie, die etwa zwei Drittel des Elektroenergieaufkommens benötigt. Dabei erfordert die chemische Industrie bereits über ein Drittel des Gesamtaufkommens. Allein der V E B Buna hat einen Anteil von 12,5 Prozent und der V E B Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld von 6,5 Prozent am gesamten Stromverbrauch der Industrie. In Westdeutschland entfällt dagegen auf die chemische Industrie nur etwa ein Fünftel des Stromverbrauchs. Das resultiert daraus, daß die chemische Industrie in der Zweigstruktur der westdeutschen Wirtschaft nicht so hervortritt, daß sie eine andere Erzeugnisstruktur aufweist und zum Teil weniger energie-intensive Verfahren anwendet. Um den Engpaß in der Versorgung mit Elektroenergie zu überwinden, ist vorgesehen, die Energieerzeugung schneller zu steigern als die Industrieproduktion. Für das J a h r 1960 sind 41,5 Mrd. kWh geplant. Aber selbst damit werden nicht alle Energiesorgen beseitigt. Aus diesem Grunde ist äußerste Sparsamkeit erforderlich, und der vorrangigen Steigerung der Elektroenergieerzeugung muß in den kommenden Planjahren größte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Umfang der Kohleförderung ist ebenfalls ein Kriterium für die industrielle Stärke eines Landes. Um die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kohle zu unterstreichen, wird sie oft als das B r o t der Industrie bezeichnet. Bei der industriellen Entwicklung eines Landes spielt sie eine große Rolle. Sie dient nicht nur als Brennstoff, sondern gewinnt auch als Grund- und Hilfsstoff für die chemische Industrie immer mehr Bedeutung. In unserer Republik wurden im J a h r e 1956 208 Mill. t Braunkohle und 3 Mill. t Steinkohle gefördert. Mit der Braunkohlenförderung liegt unsere Republik in der Welt absolut an der Spitze. Unser Anteil an der in der ganzen Welt geförderten Braunkohle betrug im J a h r e 1956 über 35 Prozent. In der Steinkohleförderung liegt die D D R in Europa an zehnter Stelle, weil sie keine ausreichenden und abbauwürdigen Steinkohlevorkommen besitzt. Uns steht im wesentlichen nur das Zwickauer-, Lugau-Ölsnitzer-Gebiet zur Verfügung. Aus diesem Grunde ist unsere Wirtschaft auf Steinkohle- und Koksimporte angewiesen. Wenn die geförderte Braunkohle und Steinkohle entsprechend den internationalen Gepflogenheiten auf Steinkohleeinheiten umgerechnet wird, ergibt sich folgendes Bild:

138

Lothar Rouscik/Hans Schönherr/Gerd Friedrich

Kohleförderung im Jahre 1956 (umgerechnet auf Steinkohleeinheiten) und die Pro-Kopf-Produktion der (vichtigsten europäischen Länder:

DDR UdSSR Polen Großbritannien DBR Frankreich

absolut

pro Kopf

72 Mill. t 346 „ t 97 „ t 226 „ t 166 „ t 56 ,, r.

4,1kg 1,7 „ 3,6 „ 4,5 „ 3,1 „ 1,3 „ 9

Damit steht die DDR hinsichtlich der Kohleförderung in Europa auf dem fünften Platz. In der Pro-Kopf-Produktion nimmt sie unter den in der Tabelle aufgeführten Ländern den zweiten Platz ein. Wenn die Kohle trotzdem nicht ausreicht, so liegt das wiederum daran, daß wir eine verhältnismäßig stark entwickelte Industrie besitzen, die zusammen mit der Reichsbahn große Kohlemengen benötigt. Überdies stehen uns nur wenig Wasserkraftwerke und noch keine ausreichenden Mengen Erdöl zur Verfügung, und in verschiedenen Fällen wird auch mit entsprechend größeren Braunkohlemengen nicht der gleiche Nutzeffekt wie mit Steinkohle erreicht. Um das Defizit in der Kohlebilanz zu decken, ist vor allem der Ausbau der Kohlenindustrie und der Import von Steinkohle und Koks aus der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen vorgesehen. Hinzu kommt der großangelegte Aufbau der Petrochemie und der Bau der Erdölleitung aus der Sowjetunion. Das wird eine Entlastung der Kohlebilanz bringen. Zement ist ebenfalls ein Produkt, das für internationale Vergleiche geeignet ist, weil es in der modernen Bauwirtschaft fast überall verwendet wird. Mehr und mehr geht der Zement in die Betonindustrie ein, die Großbauplatten, Deckenelemente, Schwellen für die Reichsbahn, Mäste für die Energiewirtschaft, Rohre für die Wasserwirtschaft usw. herstellt. Im Vergleich zum Jahre 1936 ist die Zementproduktion 1956 im Gebiet der DDR auf mehr als das Doppelte angewachsen: sie stieg von rd. 1,7 auf 3,4 Mill. t. Im Jahre 1960 ist ein Ausstoß von 5,1 Mill. t geplant. Um diese Produktionssteigerung zu erreichen, ist der Bau neuer Werke und die Erweiterung bestehender vorgesehen. Zementproduktion und Pro-Kopf-Produktion einiger wichtiger Industrieländer im Jahre 1956 absolut DDR DBR Großbritannien Frankreich Italien

3,3 Mill. t 19,7 „ t 13,0 „ t 11,4 „ t 10,8 „ t

pro Kopf 194 kg 389 „ 255 „ 262 „ 225 „ 1 0

• Statistisches Jahrbuch der Volksrepublik Polen 1957, S. 436/37. Statistisches Jahrbuch der Volksrepublik Polen 1957, S. 445.

10

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

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In der Zementproduktion n i m m t die Industrie der D D R in Europa den neunten Platz ein. In der Pro-Kopf-Produktion erreicht sie die sechste Stelle. Die Zementindustrie wird im Siebenjahrplan sehr schnell ausgebaut und erweitert. Das ist vor allem möglich, weil die Rohstoffe zur Zementherstellung auf unserem Gebiet zum größten Teil vorhanden sind. Damit k a n n der wachsende Zemèntbedarf der Bauwirtschaft gedeckt werden. Betrachten wir noch einige Produkte der chemischen Industrie. Die Schwefelsäure ist ein wichtiger Grundstoff und ein unentbehrlicher Hilfsstoff f ü r viele Industriezweige. Sie gilt als ein Spiegel f ü r das Entwicklungsniveau der chemischen Industrie und als Kennziffer zur Einschätzung des Entwicklungsstandes der Volkswirtschaft. F ü r die Produktion von Düngemitteln, Kunststoffen und anderen chemischen Produkten wird sie in großem Umfang verwendet. Die Produktion von Schwefelsäure 1955 Produktion in Tt DBR Großbritannien Italien Frankreich DDR

2279 2129 1910 1473 592

kg pro Kopf 46 42 40 34 11 33

In der absoluten Schwefelsäureproduktion steht die D D R in Europa an neunter Stelle. Die Pro-Kopf-Produktion liegt mit 33 kg ebenfalls hoch. Bei diesem Vergleich m u ß aber darauf hingewiesen werden, daß ein Teil der Schwefelsäure in der Industrie der D D R , z. B. im V E B Chemisches Werk Leuna, durch Gips ersetzt wird. In der D D R wurden 1956 etwa 370 T t Schwefelsäure (S0 3 ) durch etwa 600000t Gips ausgeglichen. Infolgedessen ergibt sich eine „ProKopf-Produktion" von 47kg Schwefelsäure im J a h r e 1956 in der D D R . Nur wenige Länder der Welt weisen eine höhere Pro-Kopf-Produktion auf. Gleichfalls ein wichtiger chemischer Grundstoff ist Soda. Sie findet ihre Verwendung bei zahlreichen chemischen Produkten, wie Düngemitteln, Waschmitteln und Seifen usw. Produktion von Soda 1955 kalzinierte Soda Prod. Tt kg pro Kopf DBR Frankreich Italien DDR

983 724 472 459

18,0 18,5 9,9 28,3

kaustische Soda Prod. Tt Prod. pro Kopf 556 256 255 257

6,7 11 5,6 15,6 18

Die D D R n i m m t in Europa den fünften Platz in der absoluten Produktion von kalzinierter Soda und den zweiten Platz bei kaustischer Soda ein. In der Pro-KopfProduktion überragt die D D R die in der Tabelle angeführten Länder. 11 12

Statistisches Jahrbuch der Volksrepublik Polen 1957, S. 441/42. Statistisches Jahrbuch der Volksrepublik Polen 1957, S. 442/43.

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Lothar RouscikjHans Schönherr/Gerd Friedrich

Eine große Bedeutung hat die Produktion von Stickstoff-, Kali- und Phosphordüngemitteln, d. h. mineralischen Düngemitteln für die Landwirtschaft. Vom Düngerverbrauch hängt in der Regel der Ernteertrag unmittelbar ab. 1956 produzierte die chemische Industrie der DDR rund 10 Prozent des gesamten Mineraldüngers der Welt. Sie nimmt damit den fünften Platz in der Welt ein. Produktion von Mineraldüngemitteln 1956

DDR DBR Frankreich

absolute Prod. Mill. t

, . pro Kopf

1^97 2,87 2,31

111,2 53,4 52,9

Produktion Verbrauch je ha Ackerland je ha Ackerland kg

kg

398,2 331,0 108,0

164^0 216,0 74,0

Es ist ersichtlich, daß sowohl die absolute und die Pro-Kopf-Produktion als auch der Verbrauch je Hektar Ackerland in der DDR schon einen hohen Stand erreicht haben. Zur besseren Versorgung der Landwirtschaft wird eine Erweiterung der Sortimente an Stickstoffdüngemitteln angestrebt. Die Steigerung der Produktion von Phosphordüngemitteln hängt vom. Import von Rohstoffen ab, die wir jedoch in Zukunft aus der Sowjetunion erhalten werden. Für die Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung und die Ausnutzung der Reserven der Volkswirtschaft spielt die Produktion von Kunststoffen eine Rolle. Sie zeigt, inwieweit es einem Land gelungen ist, auch die neuesten Zweige der chemischen Industrie zu meistern. Produktion von Kunststoffen 1956 absolut Pro-Kopf-Prod. Pro-Kopf-Verbrauch Tt kg kg DDR Großbritannien DBR Italien

103 219 243 159

6,0 6,5 9,6 2,4

4,8 5,3 8,5 2,0

Abgesehen von diesen Ländern haben nur noch die USA eine höhere absolute Produktion von Kunststoffen. Auch in der Pro-Kopf-Produktion an Kunststoffen steht die DDR im Weltmaßstab an vierter Stelle. Nach den Angaben des Statistischen Jahrbuches der Volkrepublik Polen belegt die DDR im Jahre 1955 bzw. 1956 bei folgenden Erzeugnissen die aufgeführten Plätze in der Welt bzw. in Europa: Ziegelsteine Schnittholz Zellstoff Papier

1954 Mill. Stck. 3270 Tm 3 303 Tt 422 Tt

8. Weltplatz 7. Platz i. Europa 13. „ 8. „ „ 11. „ 7. „ „ „ 14. „ 10. „ „ ,,

Die Vergleiche zeigen, daß die DDR in bezug auf die absolute Industrieproduktion, auf die Pro-Kopf-Produktion und den Pro-Kopf-Verbrauch sowie auf das Ent-

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

141

wicklungstempo in Europa und in der Welt einen fährenden Platz als Industriemacht einnimmt. Innerhalb des sozialistischen Weltsystems hat die DDR durch die Lieferung von Erzeugnissen des Maschinenbaus und der chemischen Industrie sowie durch die technisch-wissenschaftliche Hilfe für die anderen sozialistischen Staaten eine große Bedeutung. Andererseits ist die DDR bei einigen wichtigen Rohstoffen, besonders bei Stahl, Steinkohle und Koks sowie Erdöl, von Importen aus den sozialistischen Ländern abhängig. Die Koordinierung der langfristigen Perspektivpläne zwischen den sozialistischen Staaten und die Vorteile der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung tragen viel zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme der sozialistischen Staaten und zur Festigung des sozialistischen Weltsystems bei. Besonders die SU leistet den anderen sozialistischen Staaten, u. a. der DDR, eine unschätzbare Hilfe. Gestützt auf die Arbeitsteilung und gegenseitige Hilfe der sozialistischen Länder wird die DDR ihre ökonomische Hauptaufgabe lösen. Durch die schnelle Entwicklung der Industrieproduktion wurde im Jahre 1958 der Vorsprung, den die westdeutsche Industrie 1957 in der Pro-Kopf-Produktion besaß, um ein Viertel reduziert. Bis 1961 wird die Pro-Kopf-Produktion der DDR die Westdeutschlands bei weiteren wichtigen Positionen übersteigen. Damit wird das internationale Ansehen der DDR erhöht und die Stellung der friedliebenden Kräfte in Deutschland gefestigt. Das ist der wichtigste Beitrag der DDR im friedlichen Wettbewerb zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Weltsystem. II. Die Arbeiterklasse hat unter der Führung ihrer Partei noch viele Probleme zu lösen, um den Aufbau der Wirtschaft fortzusetzen und die Perspektivpläne zu erfüllen. Die Disproportionen, die infolge der Spaltung Deutschlands entstanden sind, müssen weiter gemildert und die Wachstumswidersprüche in der Wirtschaft ständig überwunden werden. Aus der Vielzahl der Probleme seien zwei herausgegriffen: 1. Die teilweise Überwindung der größten Disproportion in unserer Wirtschaft, der Disproportion zwischen dem hoch entwickelten Maschinenbau und der relativ schmalen Metallbasis. 2. Die Verwirklichung des Chemieprogramms mit allen Konsequenzen, die dieses Vorhaben für die gesamte Volkswirtschaft mit sich bringt. Der Hauptwiderspruch in der Zweigstruktur der Industrie der DDR und die größte Disproportion, die sich für unsere Wirtschaft aus der Spaltung Deutschlands ergab, bestand in den Beziehungen zwischen Metallurgie und metallverarbeitender Industrie. Nachdem im Gebiet unserer Republik die Industrie und das Verkehrswesen in Gang gesetzt worden waren und die Ernährung der Bevölkerung so weit wie mög-

Lothar Rouscik/Hans Schönherr¡Gerd Friedrich

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lieh gesichert war, begann der Wiederaufbau der zerstörten Werke der Schwarzmetallurgie und die Rekonstruktion dieses Industriezweiges. Ungeheuer mühevoll war der Aufbau und die Inbetriebnahme der vorhandenen Anlagen. 1946 arbeitete nur ein Werk, das Roheisen und Thomasstahl erzeugte. Kein SM-Ofen war in Tätigkeit, nur vier Walzstraßen waren in Betrieb. 1950 sah das Bild schon anders aus. Am ersten Jahrestag der Gründung der Republik produzierte zwar immer noch lediglich ein Werk Roheisen, nun aber mit vier Hochöfen, es gab schon sechs Stahlwerke mit 25 SM-Öfen, 2 Elektroofen und 4 Thomas-Konvertern sowie 9 Walzwerke mit insgesamt 29 Walzstraßen. Nach Beendigung des ersten Fünfjahrplanes hatte sich die Situation wiederum sehr verbessert. Nunmehr produzierten 3 Roheisenwerke mit 10 Hochöfen und 10 Niederschachtöfen, 9 Stahlwerke mit 4 3 SM-Öfen, 18 Elektroofen und 4 Thomaskonvertern erzeugten Rohstahl und in 14 Walzwerken arbeiteten die Kumpel an 41 Walzstraßen. Die Produktion war steil angestiegen: In Tt Roheisen Rohstahl i. Blöcken Walzerzeugnisse warm gewalzt

1936

1946

1948

1950

1955

1958

201,8 1198,6

123,6 152,7

182,0 304,7

337,2 998,7

1516,6 2507,5

1774,9 3043,0

898,0

104,0

167,7

737,6

1767,0

1992,613 (1957)

Um diese Ziele zu erreichen, flössen etwa 2 Milliarden DM Investitionsmittel — das waren 21 Prozent des gesamten Investitionsvolumens der Industrie im ersten Fünfjahrplan — allein in die Metallurgie. Die Produktionszahlen von 1936 wurden weit überholt. Das war von größter Bedeutung für den wirtschaftlichen Aufstieg. Bezog im J a h r e 1936 das Gebiet der heutigen D D R etwa 1,8 Millionen Tonnen Stahl aus Westdeutschland, so wurden 1955 nur noch 0,68 Millionen Tonnen, d. h. 3 8 Prozent der Menge von 1936, importiert. Diese Zahlen erscheinen aber dann erst im richtigen Licht, wenn man die Entwicklung des Maschinenbaus im gleichen Zeitraum betrachtet. Die Maschinenbauproduktion lag 1936 im Gebiet der heutigen D D R bei 3,6 Milliarden RM und 1955, umgerechnet auf Preise von 1936, bei 9,5 Milliarden RM. Das heißt, die Maschinenbauproduktion war auf das 2,6fache gestiegen. Dabei war der Anteil des Schwermaschinenbaus, für den innerhalb des Maschinenbaus der meiste Stahl verbraucht wird, gewachsen. Untersuchungen der spezifischen „Import"-Quote zeigen, daß 1936 0,5 Millionen Tonnen und 1955 nur noch 0,071 Millionen Tonnen Stahl pro Milliarde RM Produktion des Maschinenbaus aus Westdeutschland eingeführt wurden. Dieser Vergleich ist nicht ganz exakt, weil sich der Anteil des Maschinenbaus an der Verteilung des Aufkommens metallurgischer Produkte durch planmäßige Maßnahmen von Partei und Regierung der D D R zugunsten des Maschinenbaus ver18

Statistisches Jahrbuch der DDR für 1955, S. 162 f., 1956, S. 278f„ 1957, S. 294f.

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

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ändert hat. Trotzdem zeigt der Vergleich, welche großen Anstrengungen unternommen werden mußten, um trotz aller Störversuche der Bonner Machthaber die Industrie unserer Republik aufzubauen und auf so wichtigen Gebieten von Lieferungen aus Westdeutschland unabhängig zu werden. Die Produktion unserer Schwarzmetallurgie reicht noch nicht aus, um den Bedarf quantitativ und qualitativ zu decken. Im Siebenjahrplan wird die Kapazität an Rohstahl und Walzerzeugnissen erhöht. Auf der Basis von eigenem und aus der Sowjetunion importiertem Roheisen wird ein Stahlwerk sowie ein Walzwerk errichtet. Ein besonderer Schwerpunkt der Schwarzmetallurgie wird aber die Verbesserung der Qualität und des Sortiments metallurgischer Produkte sein. Beinahe die Hälfte der für die Erweiterung der Anlagen bestimmten Investitionsmittel werden diesem Zweck dienen, wobei die zweite Stufe der Walzwerksproduktion, die kalte Verarbeitung der Produkte der ersten Stufe zu Draht, Bändern bzw. Rohren, im Vordergrund steht. Da aber auch damit der Stahlbedarf der Industrie der D D R noch nicht gedeckt werden kann, wird die Sowjetunion helfen, indem sie ihren Export an Walzerzeugnissen in unsere Republik auf das Zweieinhalbfache — von 0,652 Millionen Tonnen im J a h r e 1957 auf 1,56 Millionen Tonnen im J a h r e 1965 — erhöht. 1 4 Darüber hinaus müssen wir aus eigener Kraft Maßnahmen durchführen, um den vorhandenen Stahl mit höherer volkswirtschaftlicher Effektivität, d. h. mit geringeren Verlusten und einem höheren Veredlungsgrad, zu verarbeiten. Hierzu gibt es viele Möglichkeiten, die zum Teil mit der planmäßigen Einführung neuer technischer Verfahren und neuer Konstruktionen zusammenhängen. Der erste Weg ist der Übergang zur Leichtbauweise. Die meisten Erzeugnisse unseres Maschinenbaus sind, international verglichen, noch immer zu schwer. Welche großen Möglichkeiten hier bestehen, stellten z. B . die Konstrukteure von Schienenfahrzeugen unter Beweis. E s gelang ihnen, D-Zugwagen zu entwerfen, deren Gewicht pro Sitzplatz unter der Hälfte des internationalen Standards liegt. Die Verringerung der toten Last erspart Material, aber auch Lokomotiven und Brennstoff. E r r e i c h t wurde dieser Erfolg durch den Übergang von dem uralten Postkutschen- zum Brücken typ und durch die Verwendung von Leichtbaustoflen. Leichtbaustoffe sind die sogenannten Chemie-Metalle, Aluminium und Magnesium, dazu Plaste, Schaumgummi sowie Spezialprofile aus legierten Stählen. Hier zeigt sich, daß unser Chemieprogramm nicht nur die Schwarzmetallbilanz entlasten, sondern u. a. einen Teil der hochwertigen Stahlveredler in reiner Form liefern wird und so zur weiteren qualitativen Entwicklung der Metallurgie beiträgt. Der zweite Weg besteht darin, die bisher angewandten technologischen Verfahren, die sich meistens auf die verlustreiche Zerspanung gründen, zu ändern. Im Durchschnitt wurden 1957 im allgemeinen Maschinenbau nur 65 Prozent und im Schwermaschinenbau nur 79 Prozent des Walzmaterials ausgenutzt. Im Automobil- und Traktorenbau betrug die Ausnutzung der Walzmaterialien nur ca. 50 Prozent. 1 5 14 Walter Ulbricht, Der Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender demokratischer Staat. Berlin 1958, S. 46. 15 Vgl. Die Materialwirtschaft, Heft 3/1958.

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Friedrich

Hier kann durch neue technologische Verfahren, durch weitgehende Anwendung der spanlosen Verformung und durch den Einsatz von Plasten Abhilfe geschaffen werden. Es gibt noch einen dritten Weg zur Steigerung der Effektivität der Stahlbasis. Die SED wies auf der dritten Parteikonferenz und erneut auf dem V. Parteitag darauf hin: Übergang der Produktion von Erzeugnissen des Maschinenbaus mit relativ hohem Materialeinsatz und geringer Veredlung zu solchen mit relativ niedrigem Materialeinsatz und hoher Veredlung. Hierbei sind der Bedarf unserer Volkswirtschaft und die internationale Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern genau zu berücksichtigen. Die planmäßige Änderung der Struktur des Maschinenbaus muß unter Wahrung aller Proportionen vor sich gehen. Sie kann nur bis zu einem gewissen Grade realisiert werden. Unsere Wirtschaft hat selbst einen hohen Bedarf an schweren Ausrüstungen, z. B. für das Kohle-Energie-Programm und auch f ü r das Chemieprogramm. Einen Teil dieser Ausrüstungen können wir im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung aus anderen sozialistischen Ländern mit einer günstigeren Stahlbasis erhalten. Das trifft aber nicht für die Tagebauausrüstungen, die Brikettfabriken und für einen Teil der Chemieausrüstungen zu, weil diese hauptsächlich in unserer Republik gebraucht und deshalb vorwiegend bei uns produziert werden. Zum anderen muß man die Aufgaben beachten, die aus der Bedeutung unseres Maschinenbaus für das sozialistische Lager resultieren. Für verschiedene Erzeugnisse des Schwermaschinenbaus ist die DDR der wichtigste Produzent. So liefert unsere Industrie z . B . c a . 80 Prozent der Zementausrüstungen des gesamten sozialistischen Lagers. Die Zementproduktion der sozialistischen Staaten liegt beträchtlich unter dem Niveau der Zementproduktion der entwickelten kapitalistischen Staaten. Zement ist aber für die Industrialisierung der Bauwirtschaft unumgänglich notwendig. Kann man unter diesen Umständen die Produktion von Ausrüstungen für die Zementindustrie in der DDR einstellen, weil sie einen außerordentlich hohen Materialverbrauch bei entsprechend niedrigem Veredlungsgrad hat? Für eine Million DM Zementausrüstung werden ungefähr 340 Tonnen Walzstahl benötigt. Aus dieser Stahlmenge könnten für etwa 4 Millionen DM Werkzeugmaschinen bzw. für 5,3 Millionen DM polygraphische Maschinen produziert werden. Man kann jedoch eine solche Produktion trotzdem nicht aufgeben, sowohl im Hinblick auf die Interessen des gesamten sozialistischen Lagers als auch im Hinblick auf die spezialisierten Anlagen und Produktionskapazitäten in unserem Maschinenbau. Der Ausweg kann nur darin bestehen, daß jene sozialistischen Länder, in die diese Anlagen exportiert werden und die über eine ausreichende Stahlbasis verfügen, in Kooperation selbst die Produktion bestimmter, besonders materialintensiver Einzelteile dieser Anlagen übernehmen. Derartige Kooperationsverträge wurden bereits mit der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen abgeschlossen. — Im übrigen muß die erforderliche Strukturänderung im Maschinenbau vor allem beim Bau neuer und bei der Erweiterung vorhandener Produktionskapazitäten berücksichtigt werden.

ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

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Um die Beziehungen zwischen Metallurgie und metallverarbeitender Industrie optimal gestalten zu können, ist es erforderlich, alle drei Wege einzuschlagen, um den Verbrauch von Schwarzmetall im Verhältnis zur Produktionsmenge der metallverarbeitenden Industrie zu verringern. Gleichzeitig müssen in den anderen Industriezweigen die Voraussetzungen hierfür geschaffen werden, vor allem in der Metallurgie durch qualitäts- und sortimentsgerechte Produktion und in der chemischen Industrie durch Produktionssteigerung der Kunststoffe sowie der Chemiemetalle. Der zweite Problemkreis, der sich um das Chemieprogramm schließt, hängt eng mit dem ersten zusammen, baut gewissermaßen auf ihm auf. Um den Zusammenhang vorweg zu nennen: Die Entwicklung der chemischen Industrie erfordert mehr Stahl, mehr Schwermaschinen und darüber hinaus mehr Kohle und mehr Elektroenergie. Letzteres bedeutet aber noch einmal mehr Stahl, noch mehr Schwermaschinen und Ausrüstungen. Hier zeigt sich, daß die Reihenfolge der großen wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur sozialistischen Rekonstruktion der Industrie in den zehn Jahren des Aufbaus der Republik nicht anders verlaufen konnte, als sie geplant und durchgeführt wurde. Zuerst mußten die Schwarzmetallurgie und der Schwermaschinenbau rekonstruiert werden. Als beide einen gewissen Entwicklungsstand erreicht hatten, wurde dem inzwischen immer stärker in Erscheinung tretenden Engpaß „Energie" zu Leibe gerückt. Das Kohle-Energieprogramm, ein in die Zukunft weisendes Werk sozialistischer Planung, wird zur Zeit mit Erfolg realisiert. Nun kann die Aufgabe gestellt werden, das Entwicklungstempo der chemischen Industrie zu forcieren, d. h., das Chemieprogramm zu realisieren. Die Entwicklung der chemischen Industrie hat das Ziel, der Volkswirtschaft mehr Grundstoffe, Werkstoffe mit solchen Eigenschaften zur Verfügung zu stellen, wie sie die Natur überhaupt nicht oder nicht in ausreichendem Maße bietet. Diese Stoffe lassen sich entweder mit einer sehr hohen Arbeitsproduktivität verformen (Plaste, Schaumgummi) oder verleihen dem Fertigprodukt einen sehr hohen Gebrauchswert (z. B . vollsynthetische Faser, Plaste). Zum anderen produziert die chemische Industrie Hilfsstoffe, die ihrerseits die Anwendung hochproduktiver chemischer Arbeitsmethoden in anderen Industriezweigen ermöglichen. Als Beispiel seien unter anderem die autogene Metallverarbeitung, der chemische Oberflächenschutz und die auf chemischer Basis arbeitenden Reinigungs-, Bleich- und Farbmittel genannt. Zum dritten werden in der chemischen Industrie sehr wichtige Sekundärenergieträger erzeugt, nämlich brennbare Gase und vor allen Dingen die flüssigen Treibstoffe. Diese haben einen höheren Wirkungsgrad und erfordern weniger Aufwand bei der Bedienung der Maschinen als Kohle und führen deshalb in allen Zweigen des Verkehrswesens zu einer schnelleren Steigerung der Arbeitsproduktivität. E s handelt sich hierbei um eine Hauptrichtung zur Einführung der neuen Technik : die Chemisierung. Sie wird durch chemische Arbeitsmethoden in allen Zweigen der Produktion, durch breite Anwendung chemischer Werkstoffe und gasförmiger oder flüssiger Sekundärenergieträger in der gesamten Volkswirtschaft charakteri10 Probleme Bd. 2

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Schönherr ¡Gerd Friedrich

siert. Wie alle Hauptrichtungen der Entwicklung der modernen Technik ist sie mit einer erheblichen Steigerung der Arbeitsproduktivität sowohl bei der Produktion wie auch bei der Verarbeitung zahlreicher Materialien und Hilfsstoffe verbunden. In der chemischen Produktion ist die Arbeitsproduktivität deshalb so hoch, weil die Spezialisierung der Anlagen, durch die Eigenart stoffverwandelnder Prozesse erzwungen, einen sehr hohen Stand erreicht hat. Es bestand von Anfang an der Zwang zur Massenfertigung, der mit einer relativ hohen Konzentration der Produktion verbunden ist. Die Massenfertigung muß wiederum, bedingt durch die Eigenart der stoffverwandelnden Prozesse, mechanisiert sein. Im Laufe der technischen Entwicklung ist man hier weitgehend zur vollmechanisierten Massenfließfertigung übergegangen. Dadurch wurde aber nicht nur die Arbeitsproduktivität sehr günstig beeinflußt, sondern auch die Stellung des Arbeiters grundsätzlich verändert, da dieser in immer stärkerem Maße mit der Regulierung und Bewachung von Apparaturprozessen beschäftigt ist und der Anteil der technisch-wissenschaftlichen Tätigkeit im Produktionsprozeß ständig wächst. Bei der Entwicklung der chemischen Industrie stehen deren modernste Zweige, die der Makromolekularchemie, im Vordergrund. Die Bedeutung der anderen Zweige bleibt natürlich erhalten bzw. steigt ebenfalls. Zur Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe sind in verstärktem Maße Hilfsstoffe für die Landwirtschaft zu produzieren. So wird die Herstellung von künstlichen Düngemitteln erheblich erweitert werden, um neben den Exportverpflichtungen die eigene Landwirtschaft qualitativ und quantitativ besser versorgen zu können. Da heutzutage noch beinahe 20 Prozent von den Erzeugnissen der Land- und Forstwirtschaft durch tierische und pflanzliche Schädlinge sowie durch Krankheiten von Tier und Pflanze verloren gehen, sind durch die Zweige der chemischen Industrie, die Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel, Tierarzneimittel, Impfstoffe usw. herstellen, noch große Aufgaben kurzfristig zu lösen. Der Wirtschaft gehen ferner jährlich durch die Korrosion der Metalle und das Faulen von Holz Millionenwerte verloren. Auch hier liegen große Aufgaben im Chemieprogramm. Die Erzeugnisse der Makromolekularchemie, die Plaste und chemisch-technischen Fasern rücken allerdings ganz besonders in den Blickpunkt. Die Plaste sind eine Gruppe sehr vielseitig verwendbarer Stoffe, die auf Grund ihrer besonderen Eigenschaften in immer stärkerem Maße in die Produktion der Arbeitsmittel und der Konsumgüter Eingang finden. Entscheidend für ihren Wert sind ihre Korrosionsfestigkeit, ihr geringes Gewicht und ihre leichte Verformbarkeit, die es gestattet, komplizierteste Teile in einem Arbeitsgang durch spanlose Verformung herzustellen. Der Anwendungsbereich der Plaste wird mit der Entwicklung neuer Stoffklassen ständig ausgedehnt und dringt schon bis zu höheren Temperaturen vor. In der chemischen Industrie werden im Rahmen bestimmter Temperaturgrenzen „Werkstoffe nach Maß" produziert. Ihre besondere Bedeutung liegt in der hochproduktiven Möglichkeit ihrer Verarbeitung, die als Verformung im plastischen Zustand ein Minimum an lebendiger Arbeit erfordert. Weiterhin sind

Ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

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sie gegenüber den meisten äußeren Einflüssen von hoher Beständigkeit, und auch hierdurch kann viel gesellschaftliche Arbeit eingespart werden. Auf Grund dieser guten Eigenschaften wird die Produktion der Plaste von 7 kg im Jahre 1960 auf 16 kg pro Kopf der Bevölkerung im Jahre 1965 erhöht werden. 18 Hierbei wird nicht nur die Produktion an Plasten schlechthin gesteigert, sondern auch das Sortiment wird sich ändern. Zur Zeit treten in unserer Produktion mit einem Anteil von etwa 50 Prozent besonders die Abkömmlinge des Vinvlchlorids sowie mit etwa 35 Prozent die Duroplaste vom Typ der Phenoplaste und der Derivate des Kalkstickstoffs in Erscheinung. 17 Ohne diese Stoffe zu vernachlässigen, sollen weitere Plasttypen entwickelt werden, wie das Polystyrol, das Polyaethylen, Polyesterharze usw. — Stoffe, die auf Grund ihrer Eigenschaften viele Wünsche nach formschönen Konsumgütern erfüllen können. Insbesondere wird uns mit dem Polyaethylen ein ideales Verpackungsmittel zur Verfügung stehen. Mit dieser Entwicklung der Plaste wird sich der ohnehin nicht schlechte Platz der DDR in der internationalen Produktion auf diesem Gebiet weiter erheblich verbessern können. Zur Zeit liegen wir im Entwicklungsniveau des sozialistischen Lagers an der Spitze und auch über dem Durchschnitt der in der OEEC zusammengeschlossenen europäischen Länder. Durch die Verwirklichung des Chemieprogramms wird sich unsere Position mengenmäßig und hinsichtlich der Breite des Sortiments verbessern. Ahnlich wie bei den Plasten ist der derzeitige Entwicklungsstand bei den chemisch-technischen Fasern. Allerdings darf man sich dabei nicht von der Tatsache täuschen lassen, daß die DDR in der Welt innerhalb der Bilanz für Spinnereierzeugnisse den höchsten Anteil dieser Fasern aufweist: Der Anteil der Zellwolle an den chemisch-technischen Fasern ist sehr hoch, der der vollsynthetischen Fasern aber relativ niedrig. Dieses Mißverhältnis gilt es zu ändern, und so werden im Siebenjahrplan mit allem Nachdruck die vollsynthetischen Fasern vom Seide- und vor allem vom Wolltyp, wie Lanon und Wolcrylon, entwickelt "werden. Damit gewinnt die Zellwolle wiederum an Bedeutung, da die neuen Fasern nicht rein, sondern unter anderem mit Zellwolle gemischt verwendet werden sollen. Die Mischgewebe werden wesentlich haltbarer sein als Zellwollgewebe. Unter allen Branchen der chemischen Industrie wird sich die Produktion vollsynthetischer Fasern am schnellsten entwickeln. Sie wird im Laufe des Siebenjahrplans gegenüber 1957 versiebenfacht werden. Die chemische Industrie der DDR steht im sozialistischen Wettbewerb mit der chemischen Industrie der Sowjetunion. Genosse Chruschtschow hat vor den Chemiearbeitern des Bezirkes Halle erklärt, daß die Sowjetunion die DDR auf diesem Gebiet bestimmt einholen wird. Das wird für sie nicht leicht sein. Das hohe Niveau dieses Wettbewerbs geht daraus hervor, daß die Sowjetunion durch den Wärenkredit zur Entwicklung unserer chemischen Industrie der DDR, ihrem Wettbe16 Vgl. „Chemie gibt Brot — Wohlstand — Schönheit", Chemiekonferenz des Z K der S E D und der Staatlichen Plankommission in Leuna am 3. und 4. X I . 1958, S. 27. 17 „Die Wirtschaft", Heft 6/1957; S. 9.

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werbspartner, hilft. Das ist wiederum — wie schon so oft — proletarischer Internationalismus in Aktion. Das ist aber nicht die einzige Hilfe, die uns die Sowjetunion zur schnelleren Entwicklung der chemischen Industrie gewährt. Durch die Lieferung großer Mengen Erdöl wird sie der D D R in nächster Zukunft behilflich sein, die Rohstoffbasis der chemischen Industrie zu ergänzen. Das bedeutet nicht nur eine mengenmäßige Steigerung der chemischen Erzeugnisse und ein breiteres Sortiment, sondern auch eine erhebliche Steigerung der Arbeitsproduktivität. Einige Beispiele sollen das zeigen. Wir stellen den größten Teil unserer Treibstoffe zur Zeit aus Braunkohle her. Dabei ist der Aufwand an Arbeitskräften etwa zwanzigmal so groß wie bei der gleichen Jahresproduktion von Treibstoffen aus Erdöl. Im Vergleich zur Kohle können aus Erdöl die Ausgangsstofle für die organische Chemie, insbesondere die Makromolekularchemie, zu sehr günstigen Preisen gewonnen werden. Das sind einige Vorteile, die es so schnell wie möglich zu nutzen gilt. Darüber hinaus wird das Kohle-Energie-Programm durch den Einsatz von Erdöl eine wesentliche Veränderung erfahren. Für die Entwicklung der chemischen Industrie in der D D R mußten gewisse Voraussetzungen geschaffen werden. Es wurde bereits auf die erforderliche metallurgische Basis hingewiesen, auf den Ausbau des Schwermaschinenbaus und den notwendigen Stand im Kohle- und Energieprogramm. Durch die Änderung des Entwicklungstempos der chemischen Industrie in der D D R werden an viele Zweige der Industrie sowie der gesamten Volkswirtschaft neue Anforderungen gestellt. Die stärksten Auswirkungen werden sich im Maschinenbau zeigen. Hier besteht der Widerspruch zwischen der hohen Entwicklung der chemischen Industrie der DDR, deren Pro-Kopf-Produktion etwa an zweiter Stelle in der Welt liegt, und der Tatsache, daß es in der D D R keinen entsprechenden Maschinen- und Apparatebau für diesen Industriezweig gibt. Was vorhanden ist, ist weitgehend zersplittert. Dabei liegt der chemische Apparatebau zum großen Teil in den „Zentralwerkstätten" der chemischen Großbetriebe. Im Leunawerk arbeitet nahezu die Hälfte der Belegschaft in mechanischen Werkstätten. In den „Zentralwerkstätten", die nach ihrem Produktionsprogramm und ihrer Belegschaftsstärke Großbetriebe des Maschinenbaus sind, werden solche chemische Apparate produziert, und zwar meist in Einzelfertigung, die der Maschinenbau der D D R noch nicht liefert. Die chemischen Großbetriebe waren zu dieser Verfahrensweise gezwungen, weil durch die Spaltung Deutschlands in der D D R nur wenige spezialisierte Betriebe für die Produktion von chemischen Maschinen und Apparaten bestanden. Zur Zeit sind nur einige Betriebe in der D D R in der Lage, der chemischen Industrie spezielle Apparaturen zu liefern, wobei die Lieferfristen für einfache Apparaturen schon mehrere Monate betragen. Die Durchführung des Chemieprogramms stellt an den Maschinenbau höchste Anforderungen, und zwar hinsichtlich der Quantität und Qualität der Anlagen und auch in bezug auf die Lieferfristen. Von 1961 bis 1965 werden der chemischen Industrie etwa 9 Milliarden DM an Investitionsmitteln zufließen. Davon wird etwa je die Hälfte für die Rekonstruktion bestehender Werke und den Bau von neuen

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Werken verwendet werden. 18 Von diesen 9 Milliarden DM entfallen mindestens 5 Milliarden DM auf den Maschinenbau für Maschinen, Apparaturen und Stahlkonstruktionen. Diese Summe entspricht etwa der Produktion des Schwermascliineni baus und des allgemeinen Maschinenbaus — der Hauptlieferanten für die chemische Industrie — im Jahre 1957. Im Siebenjahrplan muß also etwa eine Jahresproduktion dieser beiden Zweige in die chemische Industrie geleitet werden, wobei die übrigen Aufgaben für den Export, das Kohle- und Energieprogramm usw. nicht verringert werden. Hinzu kommt noch die Ausrüstung der Zweige, die die neuen Erzeugnisse der chemischen Industrie-Plaste und vollsynthetische Fasern weiter verarbeiten sollen. Diese Aufgaben können nur bewältigt werden, wenn die Struktur des Maschinenbaus grundlegend umgestaltet wird und neue Produktivkräfte entwickelt werden. Dies muß durch die Spezialisierung der Maschinenbaubetriebe, durch Schaffung neuer Kooperationsbeziehungen, durch Anwendung neuer hochproduktiver technologischer Verfahren, durch weitgehende Modernisierung und Mechanisierung in Verbindung mit der Normung, Typung und Standardisierung erreicht werden. Man darf hierbei aber nicht nur die Quantität sehen. Auch die Qualitätsforderungen, die die chemische Industrie stellt, müssen beachtet werden. Diese bestehen einmal darin, daß für die neuen Anlagen eine sehr hohe Produktivität pro Arbeitskraft gefordert wird. Während diese zum Beispiel im Bunawerk, einem Werk mit relativ hoher Produktivität, heute bei etwa 40 bis 50 Tausend DM pro Beschäftigten liegt, muß sie in den neuen Werken etwa 600000 DM bis 1 Million DM betragen. Damit wäre der Anschluß an die entwickeltsten kapitalistischen Länder erreicht. Diese Produktivität ist aber nur in vollautomatisierten Betrieben möglich. Das bringt wieder bedeutende Aufgaben für den Industriezweig Meß- und Regeltechnik, für die Vakutronik, die Halbleitertechnik usw. mit sich, wobei die chemische Industrie für diese Zweige wiederum die Voraussetzungen schaffen muß. Andererseits werden die modernen Verfahren enorme Ansprüche an die Druckund Korrosionsfestigkeit der Apparaturen stellen. Hier stehen große Aufgaben vor der Forschung und der technischen Entwicklung. Ihre Lösung wird dadurch erschwert, daß zwischen den Maschinen und Apparatebauern und den Chemikern zur Zeit noch keine enge Zusammenarbeit besteht, die nötig ist, um entsprechend dem Tempo des naturwissenschaftlichen Fortschritts in kürzester Frist neue Apparaturen zu schaffen. Hier liegt ein weiterer Widerspruch zwischem dem Tempo des allgemeinen naturwissenschaftlichen Fortschritts und der Schwerfälligkeit unserer Forschung einschließlich der Überführung ihrer Ergebnisse in die Großtechnik. Man rechnet in den USA mit einer durchschnittlichen Lebensdauer der Verfahren in der Makromolekularchemie von ungefähr 7 Jahren. Bei uns dauert es etwa von Beginn der Ausarbeitung des Laborverfahrens über die halbtechnische Stufe zur Pilotanlage durchschnittlich 6 bis 8 Jahre. 1 9 Das heißt, bei Einführung des Verfahrens in die Großtechnik kann es schon wieder dem moralischen Verschleiß erlegen sein. Durch bessere Organisation der Forschung, durch schnelle Bedienung der 18 „Chemie gibt Brot — Wohlstand — Schönheit", ebenda, S. 40. " Ebenda, S. 77. .

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chemischen Industrie mit neuen Apparaten, was gewisse Reserven sowohl an Material als auch an Kapazitäten voraussetzt, und nicht zuletzt durch die laufende Modernisierung der Verfahren im Betrieb muß und kann man diesem Widerspruch begegnen. Die reibungslose Zusammenarbeit von Maschinenbau und chemischer Industrie ist die Kernfrage für die Verwirklichung des Chemieprogramms und damit auch für die Lösung dieser Seite der ökonomischen Hauptaufgabe. Dem Maschinenbau erwachsen aus seinen engen Beziehungen zur chemischen Industrie noch weitere Aufgaben: E r muß sich auf die breitere Anwendung der sog. Chemie-Metalle, d. h. Aluminium, Magnesium, Titan usw., sowie der Plaste einstellen. In den USA umfassen die Plaste bereits etwa 10 Prozent des Materials für den Maschinenbau. 20 Das erhöht die Qualität der Maschinen und vermindert ihr Gewicht, trägt also zur Einführung des Leichtbaus bei. Es erfordert aber eine Umstellung der Konstrukteure und die Schaffung neuer Berufe im Maschinenbau, zum Beispiel den des Heißluftschweißers oder Hochfrequenzschweißers für Thermoplaste, des Metallklebers usw. So werden sich Maschinenbau und chemische Industrie wechselseitig beeinflussen. Das betrifft aber nicht nur das Verhältnis dieser beiden Industriezweige: Auch alle anderen Zweige werden durch das Chemieprogramm mehr oder weniger starke Umstellungen erfahren müssen. Im Zusammenhang mit den Veränderungen des Maschinenbaus muß auch in der Metallurgie eine planmäßige Strukturänderung erfolgen. Selbstverständlich wird der Stahl weiterhin die Grundlage des Chemieapparates bleiben. Aber hier wird es sich nicht mehr um Stahl schlechthin, sondern um Elektrostahl, Spezialstahl, Stahllegierungen — unter hohem Aufwand an Elektroenergie erschmolzen — plattierten Stahl usw. handeln. Das heißt, der Anteil von veredelten Stählen an der gesamten Stahlproduktion muß steigen. Hinzu kommt noch der große Bedarf der chemischen Industrie an Erzeugnissen der zweiten Verarbeitungsstufe der Walzwerke, insbesondere an nahtlosen Rohren, kaltgewalzten Bändern für Hochdruckkörper usw., die meist ebenfalls aus Spezialstälilen bestehen müssen. Die Metallurgie wird also einen rasch steigenden Bedarf an Elektroenergie haben, der durch einen raschen Ausbau der Kraftwerke und Braunkohlengruben gedeckt werden muß. Stärker und schneller wird allerdings der Bedarf der chemischen Industrie an Elektroenergie steigen. Einmal deshalb, weil das Karbid noch für längere Zeit eine der wichtigsten Basen für die Makromolekularchemie bleiben wird. Zur Zeit wird das Bunawerk zum größten Karbidwerk der Welt ausgebaut. Allerdings entsteht hier mit diesem Ausbau auch eine Art Speicher für Elektroenergie, in dem diese, insbesondere in den Zeiten großen Stromangebots, in Form chemischer Energie, und zwar in einer sehr reaktionsfähigen Dreifachbindung des Kohlenstoffs, dem Kalziumkarbid, gebunden wird. Hier entwickelt sich ein Verbundbetrieb zwischen der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft. Zum anderen sind aber auch die Zwischenprodukte der Makromolekularchemie oft recht große Stromverbraucher, so

Ebenda, S. 23.

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wie zum Beispiel der Ausgangsstoff für Perlon, das Kaprolactam, für dessen Produktion von einer Tonne ca. 11000 kWh verbraucht werden, und der Ausgangsstoff für Nylon, das AH Salz, für dessen Erzeugung von einer Tonne ca. 18000 kWh benötigt werden. 21 Des weiteren gehört die Plastproduktion zu den wichtigsten Verbrauchern von Chlor und Salzsäure, die zur Zeit als Koppelprodukt in der Alkalielektrolyse anfallen. Diese zählt aber ebenfalls zu den großen Stromverbrauchern. Selbst wenn in naher Zukunft Salzsäure aus anderen Quellen gewonnen werden wird, sind diese als thermische Prozesse oder Schmelzelektrolysen auch wieder große Energie- bzw. Elektroenergieverbraucher. Dazu kommt noch die Strukturänderung in der Branche „Chemie-Metalle", d. h. die Aufnahme der Produktion von Magnesium in nächster Zukunft und die Erweiterung der Aluminiumindustrie. Daher kann man das Chemieprogramm und das Kohle-Energie-Programm nur als eine Einheit betrachten. Aber damit noch nicht genug. Zur Zeit verbraucht die chemische Industrie etwa 1 Mrd. cbm Wasser pro J a h r 2 2 , das ist ca. 1 / 3 der gesamten Wasserförderung in der DDR.« Der Wasserverbrauch wird mit der Entwicklung der chemischen Industrie rasch steigen, und zwar zuerst im Bezirk Halle, wo die Wasserversorgung der Industrie heute schon Schwierigkeiten bereitet. Man muß deshalb in den chemischen Großbetrieben verstärkt zur Kreislaufwirtschaft übergehen, um das Wasser 4—5mal und öfter zu gebrauchen. Das erfordert wiederum umfangreiche Anlagen zur Wasseraufbereitung und Kühlung, d. h. Stahl, insbesondere Rohre, Chemikalien usw. Neue Forderungen ergeben sich auch für die Wechselbeziehungen zwischen der chemischen Industrie und dem Transportwesen. Dieses muß sich auf die quantitativen und qualitativen Ansprüche der chemischen Industrie einstellen. So wird z. B . der Transport flüssiger Produkte rasch zunehmen. Weiterhin wird es notwendig sein, die Arbeitsproduktivität bei den Be- und Entladearbeiten zu erhöhen, d. h., es müssen Spezialwagen geschaffen werden, mit denen Staub, Granulate usw. vollmechanisch in kürzester Frist bewegt werden können. Damit entstehen wieder hohe Anforderungen an den Transportmaschinenbau. Im Rahmen der Verwirklichung des Chemieprogramms wird im Transportwesen eine Strukturänderung der Antriebsarten erfolgen. Der Elektrozugbetrieb wird immer größeren Umfang annehmen, um insbesondere in Mitteldeutschland den Transportbedarf der Grundstoffindustrie zu befriedigen. Aber auch der Anteil des Dieselbetriebes steigt an. Das Beispiel des Chemieprogramms zeigt überzeugend, daß die Wirtschaft ein einheitliches Ganzes ist, bei dem jeder Teil harmonisch mit allen anderen Teilen abgestimmt sein muß. Kein Teil kann unabhängig vom Ganzen bestehen, geschweige denn sich entwickeln. Die Verflechtung der Zweige in der Industrie ist objektiv vorhanden. Sie muß in der Wirtschaftspolitik von Partei und Regierung sehr sorgfältig beachtet werden. Eine wichtige Seite der Leitung der Wirtschaft und der sozialistischen Industrie ist es, die vielfachen Wechselbeziehungen zu den Zweigen sowohl 21 22

,,Chemische Industrie". Düsseldorf, Heft 10/1957. „Chemie gibt Brot — Wohlstand — Schönheit", ebenda, S. 234.

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in den laufenden Plänen als auch für die Perspektive so zu gestalten, daß die Industrie, die gesamte Volkswirtschaft mit höchstmöglicher Effektivität arbeitet. III. Um die durch den Y. Parteitag der SED gestellte ökonomische Hauptaufgabe bis 1961 und die Aufgaben des Sieben jahrplanes bis 1965 lösen zu können, ist eine beträchtliche Steigerung der Arbeitsproduktivität erforderlich. Sie ist der Schlüssel zur Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe. 2 3 Es handelt sich nicht nur schlechthin darum, daß die höhere Arbeitsproduktivität für den Sieg der sozialistischen Wirtschaft gegenüber der kapitalistischen letztlich entscheidend ist, wie Lenin lehrt. Darüber hinaus geht es in der Industrie unserer Republik gegenwärtig darum, daß auf Grund der Arbeitskräftelage der gesamte Produktionszuwachs durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität getragen werden muß. Welche Probleme hier entstehen, zeigt allein ein Blick auf die Bevölkerungss t r u k t u r : den ca. 1 Million Einwohnern im Alter von 60—65 Jahren stehen etwa 700000 im Alter von 10—14 Jahren gegenüber. 24 Die geburtenschwachen Kriegsund Nachkriegsjahrgänge treten in die Produktion. Berücksichtigt man hierbei noch die Verlängerung der durchschnittlichen Ausbildungszeit durch die Erweiterung der Mittelschulbildung und die Zunahme des Anteils der Studierenden, so ergibt sich, daß es nicht möglich ist, die aus der Produktion Ausscheidenden auch nur annähernd zu ersetzen. Die DDR steht erstmalig und im Unterschied zu allen anderen sozialistischen Ländern vor der komplizierten Aufgabe, die Arbeitsproduktivität schneller steigern zu müssen als die Produktion. Da die annähernde Verdopplung der Industrieproduktion im Zeitraum von 1957 bis 1965 mit sinkenden Beschäftigungszahlen zu erreichen ist, müßte sich die durchschnittliche jährliche Steigerung der Arbeitsproduktivität auf mindestens 8—10 Prozent belaufen. Vergleicht man diese Jahresquote mit der durchschnittlichen Stei" gerung der Arbeitsproduktivität in den Jahren 1955—1957, so zeigt sich, daß sie um etwa 40 Prozent höher liegt als die Durchschnittsquote in diesen drei Jahren. Dies erfordert die maximale Ausschöpfung jener Quellen der Steigerung der Arbeitsproduktivität, auf die auf dem V. Parteitag hingewiesen wurde: „Auf drei Wegen müssen wir zu einem hohen Stand der Arbeitsproduktivität gelangen: a) indem wir die Produktivkräfte rasch entwickeln; b) indem die Arbeiterklasse einen neuen großen Arbeitsaufschwung im Kampf um den technischen Fortschritt, in der Entfaltung der sozialistischen Wettbewerbs- und Aktivistenbewegung in der ganzen Volkswirtschaft erreicht; c) indem wir die sozialistischen Produktionsverhältnisse vervollkommnen." 26 Was allein durch den Arbeitsaufschwung innerhalb der Arbeiterklasse zu erreichen ist, zeigte sich bereits im Jahre 1958 — in der Verpflichtungsbewegung für 23 Vgl. Beschluß des V. Parteitages der SED, „Für den Aufschwung der sozialistischen Wirtschaft in der DDR", S. 339. 24 Vgl. Statistisches Jahrbuch der D D R 1957. 26 Beschluß des V. Parteitages, ebenda, S. 339/340.

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den V. Parteitag, in der Bewegung zur freiwilligen Planerhöhung, in der Entwicklung der Neuerermethoden, vor allem von Seifert und Christoph. Dieser Arbeitsaufschwung, gekoppelt mit den ersten Ansätzen eines neuen Arbeitsstiles in der Wirtschaftsführung, mit der technischen Vervollkommnung der Produktion und der verstärkten Hilfe der befreundeten Länder, hat zu einer gegenüber den vorhergehenden Jahren und gegenüber dem Plan für 1958 wesentlich höheren Steigerung der Arbeitsproduktivität geführt: Sie betrug in den ersten neun Monaten gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres 9 Prozent. — Hier zeichnet sich jener neue Aufschwung ab, der erforderlich ist, um die Ziele des Siebenjahrplanes zu erfüllen. Die Ausschöpfung der Quellen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität ist in hohem Maße von der Qualität der Wirtschaftsführung und vom Niveau der staatlichen Leitung der Industrie abhängig. Die Voraussetzungen dafür, daß die staatliche Leitung auf der Höhe ihrer Aufgaben stehen kann, wurden durch die Vereinfachung des Staatsapparates auf der Grundlage der von der Volkskammer am 11. 2.1958 beschlossenen Gesetze geschaffen. Damit werden jene Widersprüche, die sich in den letzten Jahren zwischen dem Organisationsaufbau und der Arbeitsweise des zentralen Staatsapparates und den Bedingungen des politischen und wirtschaftlichen Lebens in der D D R herausgebildet hatten, gelöst. Diese Widersprüche resultierten vor allem aus der Tatsache, daß der Aufbau des Staatsapparates, wie er bis zum Frühjahr 1958 bestand, vor 8—9 Jahren unter beträchtlich anderen Bedingungen entstanden war. Die wichtigsten Widersprüche in der Leitung der Industrie bestanden in folgendem: 1. Gab es einen Widerspruch zwischen dem wachsenden Bedürfnis breitester Bevölkerungskreise nach Mitarbeit an der staatlichen Leitung und der starken Zentralisierung vieler Aufgaben der Wirtschaftsführung im zentralen Staatsapparat, die einer solchen Mitarbeit von vornherein enge Grenzen setzte. 2. Gab es einen Widerspruch zwischen der gewachsenen Selbständigkeit der Betriebe und der ungenügenden operativen Leitung durch die S taatsorgane, hervorgerufen sowohl durch die Schwerfälligkeit des zentralen Staatsapparates als auch durch die weite Entfernung der unmittelbar anleitenden Organe von den Betrieben. 3. Gab es einen Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach komplexer Planung und Leitung der Wirtschaft und häufig ressortmäßigen Entscheidungen der Staatsorgane, die durch den strukturellen Aufbau und den einseitigen produktionsmäßigen Zentralismus begünstigt wurden. Die notwendigen Maßnahmen zur Lösung dieser Widersprüche wurden auf der 32. und 33. Tagung des Z K der S E D sowie auf der 32. Tagung der Volkskammer festgesetzt: Auflösung der Industrieministerien und Vereinfachung des zentralen Staatsapparates, so daß die Staatliche Plankommission das zentrale, planende und leitende Organ der Volkswirtschaft ist; Herauslösung der Organe aus dem zentralen Staatsapparat, die die zentralgeleitete Industrie unmittelbar anleiten, und Annäherung dieser Organe an das örtliche Zentrum des jeweiligen Industriezweiges; Erweiterung

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der Rechte der örtlichen Organe der Staatsmacht, so daß sie die volle Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Gebiet übernehmen können. Zugleich wurde auf diesen Tagungen die Linie für die inhaltliche Vervollkommnung der Wirtschaftsführung angegeben: die staatliche Leitung der Industrie ist stärker auf die Überwindung der für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus charakteristischen Widersprüche zu orientieren, d. h., die Mittel der politischen Überzeugung sind in der Wirtschaftsführung stärker anzuwenden, die Werktätigen sind mehr als bisher an die Aufgaben der Leitung der Wirtschaft heranzuziehen, die Einheit von politischer und wirtschaftlicher Leitung ist zu verstärken; die Wirtschaftsführung muß sowohl in den Grundfragen (z. B . auf dem Gebiet der Perspektivplanung) als auch in der operativen Anleitung (z. B . der Organisation des Erfahrungsaustausches und der Betriebs vergleiche) verbessert werden, um günstigere Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen und alle Ressourcen der Wirtschaft optimal zu nutzen. Die organisatorischen Veränderungen in der staatlichen Leitung wurden im Jahre 1958 im wesentlichen abgeschlossen. Für die inhaltliche Vervollkommnung der Wirtschaftsführung gibt es schon Ansätze, aber diese Veränderungen werden sich notwendigerweise über einen längeren Zeitraum hinziehen, da sie nicht allein von den geschaffenen organisatorischen Voraussetzungen abhängen. Ein wichtiger Maßstab für die Arbeitsweise der staatlichen Leitung der Industrie ist es, wieweit es den Organen gelingt, die in der Industrie vorhandenen Reserven zur Steigerung der Produktion und der Arbeitsproduktivität aufzudecken und die Initiative der Menschen so zu wecken und zu lenken, daß diese Reserven voll genutzt werden. Um die Tätigkeit der Werktätigen, der einzelnen Betriebskollektive, in der richtigen Weise lenken zu können, müssen die staatlichen Leitungsorgane nach drei Seiten hin wirken: in der Richtung der politischen Erziehung der Menschen zu bewußten Erbauern des Sozialismus; in der Richtung der Administration, d. h. der Erteilung verbindlicher Anweisungen für die Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgaben; in der Richtung der Ausnutzung der materiellen Interessiertheit der Menschen durch Verbindung der persönlichen und gesellschaftlichen Interessen. Diese drei Seiten staatlicher Tätigkeit sind in der Wirtschaftsführung untrennbar miteinander verbunden. Vernachlässigt man die eine oder andere Seite, so werden die Maßnahmen der Leitungsorgane nicht den vollen Effekt haben. Man darf sich beispielsweise beim Planen nicht darauf beschränken, die Betriebskollektive für die Planerfüllung verantwortlich zu machen. Diese administrative Regelung muß mit der materiellen Interessiertheit der Menschen sowie mit ihrer politischen Erziehung verbunden werden. Das Lösen der staatlichen Aufgaben muß mit materiellen Vergünstigungen verbunden werden und ist zugleich eine Angelegenheit des Ruhmes, der Ehre, der gesellschaftlichen Anerkennung. Würde das übersehen, so wäre es nicht möglich, die Mehrzahl der Werktätigen für den Plan und seine Erfüllung zu interessieren und ihre Initiative zu wecken. Beschränkung auf die Administration

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führt leicht zur Bürokratie. Beschränkung auf materielle Interessiertheit in Verbindung mit Administration behindert die Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins, vor allem, indem sie gewisse aus dem Kapitalismus resultierende Vorstellungen konserviert (z. B. „Hauptsache, das Geld in der eigenen Tasche stimmt"), den Egoismus fördert. Beschränkung auf Administration und politische Erziehung bringt auch nicht den vollen Erfolg, da es sich in der ersten Phase des Kommunismus, im Sozialismus, auf Grund des gesamten ökonomischen und sozialen Lebens als unabdingbar erweist, das unmittelbare materielle Interesse der Menschen in Rechnung zu stellen. Die staatlichen Leitungsorgane müssen an der Entwicklung einer wahrhaft revolutionären Einstellung zur Arbeitsproduktivität bei den Arbeitern, Technikern und Wirtschaftsfunktionären durch die Einheit von politischer und wirtschaftlicher Leitung mitwirken. Das persönliche Interesse ist auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität zu richten. Bei der Analyse der Arbeitsproduktivität stellt Marx folgende objektive Faktoren heraus, die ihre Höhe bestimmen: „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse." 26 Diese Faktoren wirken sowohl im einzelnen Betrieb wie im Maßstab der Gesellschaft auf die Höhe der Arbeitsproduktivität ein. Sie müssen in der Planung und Leitung der sozialistischen Industrie berücksichtigt werden. Pflicht der staatlichen Leitungsorgane ist es, durch ihre Tätigkeit eine solche Entwicklung auf den einzelnen Gebieten zu sichern, daß die höchstmögliche Entfaltung der Produktivkräfte im friedlichen ökonomischen Wettbewerb mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und ein maximaler Zeitgewinn gegenüber den kapitalistischen Ländern erreicht werden. In der Staatlichen Plankommission, dem höchsten planenden und leitenden Organ der Industrie, gehört das Hauptaugenmerk 1. der komplexen Planung und Bilanzierung der industriellen Entwicklung, 2. der Ordnung der Beziehungen zwischen den Zweigen und Betrieben der Industrie, 3. der Koordinierung der produktionsmäßigen und der territorialen Entwicklung der Industrie im Maßstab der Republik. Die komplexe Planung erfordert eine Organisation der Planungsarbeiten, die es gestattet, die einzelnen Planteile (Produktion, Arbeitskräfte, Material, Finanzen usw.) koordiniert auszuarbeiten und aufeinander abzustimmen. Ferner ist es notwendig, die vielfältigen ökonomischen Beziehungen der Industriezweige in der richtigen Weise zu erfassen. Die Hauptmethode hierfür ist die Bilanzmethode. Während 26

Marx, K., Das Kapital. Bd. I, S. 44.

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die Materialbilanzen, die das Aufkommen und die Verteilung einzelner Erzeugnisse gegenüberstellen, eine gewisse Vollkommenheit erreicht haben, wurden die synthetischen Bilanzen, die in umfassender Weise die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge und die Beziehungen zwischen den einzelnen Zweigen und Seiten der Reproduktion widerspiegeln, erst in letzter Zeit in stärkerem Maße ausgebaut. Auf diesem Gebiet findet man erst Anfänge einer systematischen Planungsarbeit. Der gesamte Stofffluß zwischen den verschiedenen Industriezweigen, die Abhängigkeit der Produktionserweiterungen einzelner Zweige von den in anderen Zweigen aufzuwendenden Investitionsmitteln, die Auswirkungen von Veränderungen im Produktionsprogramm auf die Arbeitsproduktivität in den nachfolgenden Produktionsstufen, solche und ähnliche Zusammenhänge werden noch nicht systematisch durch Bilanzen und Kennziffernsysteme erfaßt. Die komplexe Planung verlangt aber ein solches Vorgehen, z. B. die richtige Abstimmung der Investitionsvorhaben mit den für die Aufnahme der Produktion erforderlichen Zulieferungen, so daß es nicht geschehen kann, daß neugeschaffene Produktionskapazitäten nicht genutzt werden können, weil man „vergessen" hat, die Zulieferungen zu planen. Die Überwindung derartiger Mißstände ist sowohl von der Verbesserung der Bilanzierung als auch von der engeren Zusammenarbeit aller Ebenen der staatlichen Leitung und der Betriebe bei der Ausarbeitung der Perspektiv- und Jahrespläne abhängig. Der Ausbau des Bilanzsystems in dieser Richtung und die stärkere Einbeziehung der örtlichen Organe der Staatsmacht und der Vereinigungen Volkseigener Betriebe in die Arbeit der Bilanzierung schafft in methodischer und inhaltlicher Hinsicht bessere Voraussetzungen f ü r die Arbeit der Staatlichen Plankommission und für die Planung der Industrie überhaupt. Die Ordnung der Beziehungen zwischen den Zweigen und Betrieben der Industrie und die Koordinierung der produktionsmäßigeri und der territorialen Entwicklung der Industrie erfordern vor allem von den Abteilungen für die Planung der Industrie, für die Bilanzierung und Verteilung der Produktionsmittel und für die Koordinierung der Bezirke eine operative Anleitung der Plandurchführung. Die Wirtschaftstätigkeit der Betriebe ist in hohem Grad von der rationellen Organisation des Absatzes und der Versorgung, von der planmäßigen Verteilung der Produktionsmittel in der Volkswirtschaft abhängig. Durch die Bildung der staatlichen Kontore bei der Staatlichen Plankommission wurde die Verantwortung der zentralen Organe für die Deckung des Bedarfs der Volkswirtschaft an den Haupterzeugnissen der Industrie erhöht. Aber das Gesamtsystem des Absatzes und der Versorgung, vor allem die Verantwortung der Produzenten für die Deckung des Bedarfs der Volkswirtschaft an ihren Erzeugnissen, ist noch lückenhaft. Hier muß die Plankommission Ordnung schaffen, um die Bereitstellung der Produktionsmittel und der Konsumgüter in der Volkswirtschaft zu verbessern. Infolge der besseren Materialbereitstellung hat sich in den letzten Jahren die Kontinuität der Produktion verschiedener Industriezweige bereits verbessert. So zeigt z. B. die durchschnittliche Abweichung der Tagesproduktion jedes einzelnen Tages vom Durchschnitt des Monats bei der Produktion des Pkw P 70 in jeweils zwei ausgewählten Monaten der Jahre 1954, 1956 und 1957 folgende Werte:

Ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR Februar 1954 ± 32,8°/o Februar 1956 ± 26,5% Februar 1957 ± 17,6%

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November 1954 ± 3 1 , 0 % November 1956 ± 23,7 % November 1957 ± 1 6 , 5 %

Trotzdem ist der Zustand der Versorgung noch unbefriedigend. Vor allem aber sind in den letzten Jahren die Vorräte bei den Verbrauchern bedeutend angestiegen — schneller als die Produktion. So betrugen die Bestände an Einsatzmaterial je 1000 DM Bruttoproduktion im III. Quartal 1957 etwa 105 Prozent und im III. Quartal 1958 etwa 110 Prozent im Vergleich zum III. Quartal 1956. Diese Tendenz ist um so alarmierender, als sie sich zum Teil auf Kosten der Vorräte bei den Lieferfirmen durchgesetzt hat. Volkswirtschaftlich wichtiger aber ist die Bevorratung im Lieferbetrieb, weil hier die Bestände allen Betrieben, die das betreffende Material brauchen, zur Verfügung stehen, während die Bestände des Verbrauchers nur ihm selbst zugute kommen. Die rationelle Ausnutzung aller Ressourcen der Volkswirtschaft erfordert eine gut organisierte Vorratswirtschaft, die eine reibungslose Produktion mit einem Minimum anr Beständen in der gesamten Volkswirtschaft sichert. Bei der Koordinierung der produktionsmäßigen und territorialen Entwicklung der Industrie stützt sich die Staatliche Plankommission auf die Arbeit der Wirtschaftsräte der Bezirke und ihrer Fachorgane. Zu ihren Aufgaben gehört die Planung der wirtschaftlichen Entwicklung ihres Bezirks, die Anleitung der unterstellten Betriebe und Industriezweige und die Zusammenarbeit mit der zentralgeleiteten Industrie, um vor allem in jenen Fragen der Wirtschaftstätigkeit der zentralgeleiteten Betriebe, die eine unmittelbare Auswirkung auf das Wirtschaftsleben im Bezirk haben, die notwendige Abstimmung herbeizuführen. Die Erhöhung der Rolle der örtlichen Staatsorgane bei der Leitung der Wirtschaft — eines der wichtigsten Anliegen der weiteren Vervollkommnung der Arbeit des Staatsapparates — dient vor allem der Annäherung der Leitung der Industrie an die Basis, sichert in breiterem Umfang die Mitwirkung der Bevölkerung an der Leitung der Industrie und hilft, alle' örtlichen Ressourcen besser für die Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgaben auszunutzen. Gleichzeitig stützen sich die örtlichen Organe auf zentralgeleitete Betriebe, um die notwendige fachliche Anleitung und die Organisation des Erfahrungsaustausches auch zwischen den Betrieben der örtlichen volkseigenen Industrie durchzusetzen. So setzt man beispielsweise zentralgeleitete Betriebe als Leitbetriebe für einzelne Zweige der örtlichen Industrie ein. Eine besondere Rolle bei der Lösung der Aufgaben der Wirtschaftsführung kommt den Vereinigungen Volkseigener Betriebe zu. Sie sind im System der staatlichen Leitung gegenüber der zentralgeleiteten Industrie diejenigen Organe, die den größten Einfluß auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität in den Betrieben ausüben können. Als jeweils leitendes Zentrum sind sie verantwortlich für die planmäßige Entwicklung des Industriezweiges und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben, für die operative Anleitung und Kontrolle der Betriebe, für die Organisation des Erfahrungsaustausches und des Betriebsvergleiches zwischen den Betrieben. Von ihren Aufgaben seien in diesem Zusammenhang drei besonders hervorgehoben: 1. die sozialistische Kooperation der Arbeit in den Betrieben zu festigen;

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Lothar Rouscik/Hans Schönherr/Gerd Friedrich 2. den rationellen Einsatz der Mittel für die erweiterte Reproduktion des Industriezweiges zu sichern; 3. die planmäßige Rekonstruktion des Industriezweiges zu organisieren.

Die sozialistische Kooperation der Arbeit zu festigen heißt, den Einfluß der sozialistischen Produktionsverhältnisse auf alle Seiten der Wirtschaftstätigkeit verstärken und die Überreste kapitalistischer Gepflogenheiten in den Beziehungen der Menschen beseitigen. Solche Überreste zeigen sich in falscher Einstellung zur Arbeit und mangelhafter Arbeitsdisziplin, in Erscheinungen der Unehrlichkeit gegenüber der Gesellschaft, in dem Bestreben, mehr zu erlangen, als man für die Gesellschaft gibt (z. B . durch „weiche" Normen, durch Vortäuschung von Krankheit, also bezahlte Arbeitsbummelei), in ungenügendem Interesse an der Entwicklung der Produktion. Diese Wiedersprüche müssen wir vor allem durch die politische Erziehung der Menschen überwinden, und eine Aufgabe der Funktionäre der Vereinigungen Volkseigener Betriebe besteht darin, sich aktiv an dieser politischen Erziehung zu beteiligen. Um alle diese Aufgaben erfüllen zu können, ist es erforderlich, die Werktätigen in den volkseigenen Betrieben so weit wie möglich in die Wirtschaftsführung einzubeziehen. Der Auftakt für eine solche engere Verbindung der Vereinigungen Volkseigener Betriebe mit den Werktätigen des Industriezweiges wurde mit der 1. ökonomischen Konferenz verschiedener Industriezweige gegeben, die mit der Vorstellung der leitenden Funktionäre der Vereinigungen Volkseigener Betriebe verbunden war. So hatte zum Beispiel die Hauptverwaltung Automobilbau der Gründung der Vereinigungen Volkseigener Betriebe und der hierfür durchzuführenden ökonomischen Konferenz eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Vorbereitungsarbeiten in den Betrieben organisierte. Als Ergebnis konnte auf der ökonomischen Konferenz eine umfangreiche Broschüre mit Verpflichtungen der Werktätigen des Industriezweiges anläßlich des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vorgelegt werden. Dieser Auftakt zeigte gute Anfangsergebnisse einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Werktätigen in den Betrieben und der Leitung des jeweiligen Industriezweiges. Um diesen neuen Arbeitsstil in der Arbeit der Vereinigungen Volkseigener Betriebe durchzusetzen, ist die engste Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften erforderlich. Die Beziehungen der Vereinigungen Volkseigener Betriebe zu den Gewerkschaften erstrecken sich auf die gemeinsame Organisation des sozialistischen Wettbewerbs im Industriezweig, auf die Anleitung zum Abschluß der Kollektivverträge in den Betrieben sowie auf die Kontrolle über die Rechenschaftslegung zu den Betriebskollektivverträgen, auf die Planausarbeitung und die Mitwirkung der Arbeiter bei der Erarbeitung von Planvorschlägen sowie auf die Vorbereitung von technisch-ökonomischen Konferenzen. Diese Zusammenarbeit wird unter anderem auf der Ebene des technisch-ökonomischen Rates organisiert, in dem die jeweilige Industriegewerkschaft vertreten ist. • .

Um die Einheit von politischer und wirtschaftlicher Leitung im gesamten Industriezweig zu sichern, müssen die Vereinigungen Volkseigener Betriebe der Über-

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windung jener Mängel, die gegenwärtig in den Betrieben die Durchsetzung eines sozialistischen Arbeitsstils noch behindern, große Aufmerksamkeit schenken. Es gibt gegenwärtig vor allem drei Ursachen für Mängel im Leistungsstil in den Betrieben: Die erste ist, daß bei einem Teil der Leiter noch eine falsche Einstellung zu den Vorschlägen der Arbeiter besteht. Man kann sie etwa so charakterisieren: Der Meister oder Technologe ist für einen bestimmten Produktionsbereich verantwortlich. E r fühlt sich dafür auch voll verantwortlich, und kommt ein Vorschlag, dann empfindet er diesen als persönliche Kritik an seiner Arbeit. Aus dieser Einstellung heraus resultiert eine gewisse Tendenz, Vorschlägen möglichst aus dem Wege zu gehen. In dieser Frage muß die V V B die Wirtschaftsfunktionäre und die Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre der Betriebe unterstützen, um die Meister und Technologen so zu erziehen, daß sie gemeinsam mit den Arbeitern die besten Wege der Organisation der Produktion und auch der technologischen Gestaltung der Produktionsprozesse finden. Die zweite Ursache besteht darin, daß bei einem Teil der Wirtschaftsfunktionäre noch ein gewisser Unglaube an den Nutzen der Aktivität und Initiative der Arbeiter besteht. Manche Wirtschaftsfunktionäre gehen nicht zu den Produktionsberatungen, weil sie von deren Nutzen überzeugt sind, sondern weil Partei und Regierung verlangen, daß man daran teilnimmt. Wenn sie aber mit einer solchen Haltung an die Vorbereitung von ökonomischen Konferenzen oder an Produktionsberatungen herangehen, ist es nicht verwunderlich, wenn es ihnen nicht gelingt, die Initiative der Arbeiter zu wecken und ihren Vorschlägen mit dem notwendigen Ernst nachzugehen. Hier kommt es darauf an, daß die Vereinigungen Volkseigener Betriebe für einen gut organisierten Erfahrungsaustausch und die Popularisierung der besten Beispiele aus den ökonomischen Konferenzen und aus den Produktionsberatungen Sorge tragen, um so alle Wirtschaftsfunktionäre von dem Wert dieser Arbeit zur Weckung der Initiative der Arbeiter zu überzeugen. Eine dritte Ursache für Mängel im Arbeitsstil der Betriebe liegt schließlich darin, daß einzelne Leiter versuchen, politischen Auseinandersetzungen aus. dem Wege zu gehen und sich ihrer Aufgaben auf rein administrativem Wege zu entledigen. Dieses Zurückweichen muß durch die Funktionäre der Vereinigungen Volkseigener Betriebe bekämpft werden. Sie müssen vor allem die Gewerkschaften bei der Erziehung der Wirtschaftsfunktionäre in den Betrieben unterstützen und die leitenden Funktionäre der Betriebe an Hand der Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit immer wieder auf die politischen Hauptaufgaben in den Betrieben orientieren. Diese Mängel werden überwunden, wenn es der Vereinigung Volkseigener Betriebe mit Unterstützung der Gewerkschaft und der Parteiorganisationen in den Betrieben gelingt, auf allen Ebenen die volle Einheit zwischen politischer und wirtschaftlicher Leitung herzustellen. Die Vereinigung Volkseigener Betriebe hat hierauf großen Einfluß, denn sie muß zu den Betriebskollektiven enge Beziehungen unterhalten — sei es durch die häufige Teilnahme ihrer Funktionäre an Betriebsberatungen, an Rechenschaftslegungen oder durch die Arbeit mit dem technisch-ökonomischen Rat.

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Es ist schwer, die einzelnen Seiten des neuen Arbeitsstils verallgemeinern zu wollen: Der neue Arbeitsstil besteht nicht in dieser oder jener Form oder Methode der Leitung, sondern im richtigen politischen Auftreten jedes Funktionärs in der tagtäglichen Arbeit, in der Umsicht und Initiative bei der Anleitung der Betriebe, in der Verbundenheit mit den Arbeitern und in hohem fachlichem Können. Die Herstellung der Einheit von politischer und wirtschaftlicher Leitung ist eine Aufgabe der Vereinigung Volkseigener Betriebe, die mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität zusammenhängt. Die zweite Aufgabe besteht darin, den rationellen Einsatz der Mittel für die erweiterte Reproduktion zu sichern. Dies erstreckt sich vor allem auf die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und auf die Durchführung der Investitionen. Um die Wirksamkeit der Mittel für Forschung und Entwicklung zu steigern, ist es erforderlich, die Entwicklungszeiträume möglichst zu verkürzen und die zu bearbeitenden Themen auf die wirtschaftspolitische Zielsetzung im Industriezweig auszurichten. Um beide Aufgaben zu lösen, muß die Vereinigung Volkseigener Betriebe die Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen den zentralen und den betrieblichen Entwicklungs- und Konstruktionsbüros organisieren sowie die Gemeinschaftsarbeit von Wissenschaftlern und Technikern sowie von Technikern verschiedener Fachrichtungen zur komplexen Lösung einzelner Aufgaben fördern. Auch hier gilt es, Erziehungsarbeit zu leisten, vor allem gegen noch vorhandenen Individualismus. Dieser zeigt sich bei einzelnen Technikern in der Abneigung gegen technische Gemeinschaftsarbeit, in dem Bestreben, individuellen Neigungen nachzugehen, anstatt sich von der volkswirtschaftlichen Zielstellung leiten zu lassen, und in dem Bemühen, möglichst originelle eigene Lösungen zu finden, wo es möglich wäre, bereits Vorhandenes zu übernehmen bzw. genormte Bauelemente an Stelle eigener Entwürfe zu verwenden. Dieser schädliche Individualismus muß von der Vereinigung Volkseigener Betriebe sowohl durch politische Erziehungsarbeit als auch durch die Organisation der Entwicklungsarbeiten selbst bekämpft werden. Zuerst sind die Themen mit dem Perspektivplan des Industriezweiges abzustimmen. Hierbei müssen auch die internationale Spezialisierung zwischen den Produktionszweigen der sozialistischen Länder und die Möglichkeiten der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit berücksichtigt werden. Die internationale Arbeitsteilung beginnt mit den Entwicklungsarbeiten. In diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Aufgabe, die Schwerpunkte entsprechend der vorgesehenen Entwicklung des Industriezweiges auszuwählen und ihre kurzfristige Bearbeitung durch Konzentration der erforderlichen Kräfte zu sichern. Zweitens ist bei einzelnen Themen von Anfang an die erforderliche Zusammenarbeit zwischen Konstrukteuren, Normeningenieuren und Technologen zu gewährleisten, um die produktionswirksamste Lösung der Aufgabe zu sichern. Die dritte Forderung schließlich erstreckt sich darauf, für jedes Thema eine genaue Wirtschaftlichkeitsberechnung zu erlangen, mit der vor Aufnahme der Arbeit die ökonomische Zielsetzung klar umrissen wird. Der wirtschaftliche Effekt von Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der Produktionsmittel muß sich in der Regel in einer Steigerung der Arbeitsproduktivität

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und Senkung der Selbstkosten des produzierenden oder des die Produktionsmittel in Anwendung bringenden Industriezweiges niederschlagen. Aber nicht immer ist es die Rentabilität im engen Sinne, die den Effekt einer Entwicklungsarbeit ausmacht: Einsparung von wertvollem oder knappem Material, Erreichung eines hohen technischen Niveaus als Ausgangsbasis für zukünftige Arbeiten u. ä. Aufgaben können unter Umständen im Vordergrund stehen. Nicht für jedes Thema läßt sich die Zweckmäßigkeit der Bearbeitung durch eine Wirtschaftlichkeitsberechnung erfassen — aber trotzdem müssen selbst für derartige Themen Wirtschaftlichkeitsberechnungen angestellt werden, um Klarheit über den zu erwartenden Aufwand und die Ergebnisse zu bekommen. Da die Überführung abgeschlossener Arbeiten in die Produktion häufig von der Höhe der Investitionen für die Produktionsaufnahme abhängig ist, m u ß auch hierüber, soweit wie möglich vor Aufnahme des Themas eine Übersicht geschaffen werden. Einzelne Vereinigungen Volkseigener Betriebe sind schon dazu übergegangen, die existierenden Pflichtenhefte für jedes Thema, in denen die technische Zielstellung, der Lösungsweg, die Fristen, der Aufwand an Mitteln und die verantwortlichen Bearbeiter festgelegt sind, um eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zu erweitern, die folgende Faktoren erfaßt: a) die Bedarfshöhe und —hieraus abgeleitet—die jährliche Produktionsmenge des Erzeugnisses (einschließlich Marktanalyse für den Außenhandel und zu erwartende Erlöse); b) der voraussichtliche Zeitraum, währenddessen dieses Erzeugnis in der Produktion sein wird, und — hieraus abgeleitet — die Produktionsstückzahl insgesamt, auf die sich die Entwicklungs- und Anlaufkosten verteilen; c) die Höhe der Investitionen für die Produktionsaufnahme; d) die Auswirkungen der Produktion auf den Arbeitskräfte- und auf den Materialplan ; e) die auszulösenden Folgeentwicklungen bei benachbarten Industriezweigen; f) gegebenenfalls die kostenmäßigen Auswirkungen bei vor- oder nachgelagerten Produktionen; g) ein Auszug aus der Kalkulation für das Erzeugnis, in dem die zu erwartenden Vorlaufkosten, die Selbstkosten insgesamt und der voraussichtliche Preis angegeben werden. Diese Wirtschaftlichkeitsberechnung wird sowohl von der verantwortlichen Entwicklungsstelle als auch von dem voraussichtlichen Herstellwerk unterschrieben. Derartige Wirtschaftlichkeitsberechnungen sollten als verbindlicher Bestandteil des Pflichtenheftes von allen Vereinigungen verlangt werden. Die Abstimmung mit den Perspektiven des Industriezweiges und die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Entwicklungsthemen schränken die Möglichkeiten von Fehlentwicklungen ein und tragen zu einer rationellen Verwendung der Mittel bei. Rationeller Einsatz steht auch bei der planmäßigen Verwendung der Investitionsmittel im Vordergrund. Auch hier müssen die Vereinigungen Volkseigener Betriebe ihr Augenmerk darauf richten, daß die Fristen für die Durchführung der Investitionen verkürzt und die Mittel für die erweiterte Reproduktion zweckmäßig konzentriert werden und daß die Wirtschaftlichkeit gewährleistet ist. 11 Probleme Bd. 2

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Bei der Ermittlung des Nutzeffektes von Investitionen kann man nicht von einer engen Rentabilitätsberechnung ausgehen. Der Nutzeffekt von Investitionen wird vor allem dadurch bestimmt, wie sie insgesamt zur Lösung der wirtschaftlichen Hauptaufgaben beitragen. Das erfordert aber eine komplexe Betrachtung jedes Investitionsvorhabens: die Stellung der zu schaffenden Produktionskapazitäten im volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß, die Standortbedingungen, die Kennziffern des Arbeitskräftebedarfs und des Materialverbrauchs, der im Verhältnis zu dem eingesetzten Grundfonds zu erzielende Zuwachs an Volkseinkommen und die Renlabilitätskennziffern des Vorhabens. — So müssen eine Vielzahl von Naturalund Wertkennziffem herangezogen werden, um den Effekt der Investitionen zu ermitteln. Im Unterschied zur Forschung und Entwicklung sind für Investitionen die Nutzeffektermittlungen in Form volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Gutachten gesetzlich vorgeschrieben und Bestandteil der Investitionsvorbereitung. Nur werden diese Gutachten häufig noch nicht mit der notwendigen Sorgfalt ausgearbeitet. Aufgabe der Vereinigungen Volkseigener Betriebe ist es, eine sorgfältige Dokumentation der Investitionen in ihrem Industriezweig durchzusetzen und der Steigerung der Arbeitsproduktivität durch die vorgesehenen Investitionen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Für den Vergleich des Arbeitsaufwandes bei verschiedenen Varianten zur Errichtung eines Investitionsobjekts wird der Koeffizient der Rückflußdauer der investititonsmittel herangezogen. Die Anwendung dieses Koeffizienten ist aber nicht auf den Variantenvergleich beschränkt — er kann auch zum Vergleich der Investitions- und Arbeitsaufwendungen geplanter Investitionsobjekte gegenüber bereits arbeitenden Anlagen oder Betrieben dienen. Hierin liegt seine große Bedeutung als Maßstab für die durch Ersatz- und Neuinvestitionen zu erzielenden Einsparungen an gesellschaftlicher Arbeit in der Produktion im Vergleich zu bestehenden Betrieben. Für die Vereinigungen Volkseigener Betriebe kommt es darauf an, durch den Vergleich der neuen Technik mit der bestehenden Produktion für den einzelnen Industriezweig Werte zu ermitteln, die den Mindesteffekt der Investitionen in bezug auf die Einsparung an gesellschaftlicher Arbeit angeben. Diese Werte werden den Projektanten als Mindestforderung vorgegeben, um sie von vornherein zu veranlassen, den Projekten moderne technische Verfahren zugrunde zu legen und solche Lösungen zu finden, die dem modernen Stand der Technik und der Produktion entsprechen. Dies ist ein Weg, um von der Vereinigung Volkseigener Betriebe aus die Projektierung von Objekten mit hoher Wirtschaftlichkeit zu unterstützen und die Investitionen als ein wichtiges Mittel zur Steigerung der Arbeitsproduktivität besser auszunutzen. Die Einführung neuer technischer Verfahren und Ausrüstungen als wichtigste Voraussetzung zur Steigerung der Arbeitsproduktivität von Seiten der objektiven Elemente des Produktionsprozesses her führt in der Tendenz zu einer Zunahme des Anteils der vergegenständlichten Arbeit am Gesamtarbeitsaufwand. Diese Zunahme ist der Ausdruck für die Anwendung komplizierter, vollkommener Ausrüstungen. Der hiermit verbundene höhere Anteil für die Produktionsgrundfonds

Ökonomische Probleme der industriellen Entwicklung in der DDR

163

kann bei einer entsprechend niedrigen Produktionsmenge nicht nur zur relativen Zunahme der vergegenständlichten Arbeit für das einzelne Erzeugnis führen, sondern unter Umständen einen solchen Anstieg zur Folge haben, der sogar die Ersparnis an lebendiger Arbeit übersteigt. So stehen sich z. B . bei der Bearbeitung eines bestimmten Einzelteiles in einem Maschinenbaubetrieb Revolverdrehbank und Vierspindelhalbautomat gegenüber: Der Arbeitsaufwand, ausgedrückt in den Lohnkosten, sinkt am Automaten auf ein Drittel. Das bedeutet bei 1000 Stück eine Einsparung von ca. DM. 240,—. Die jährlichen Amortisationen aber übersteigen im Falle des Automaten die Amortisationen der Drehbank um ca. DM 5000,—. Das heißt, daß im Gesamtarbeitsaufwand beim Automaten gegenüber der Revolverdrehbank erst bei einer Produktion von jährlich mindestens 21000 Stück eine Einsparung eintritt. Dieses Beispiel zeigt, daß die Stückzahlen der Produktion für die wirtschaftliche Anwendung der neuen Technik eine entscheidende Voraussetzung darstellen. Die Stückzahl der Produktion wiederum ist bei gegebener Höhe des Bedarfs an einer bestimmten Produktionsgruppe abhängig vom Grad der Standardisierung und der Typenbeschränkung sowie vom erreichten Stand der Konzentration, Spezialisierung und Kooperation der Produktion zwischen den Betrieben. Das System der Massenproduktion als Voraussetzung für die Automatisierung wird nur bei einem hohen Grad der Vergesellschaftung der Produktion erreicht. Das ist entscheidend für den beginnenden Prozeß der technischen Umwälzung in der Industrie: Es müssen die notwendigen ökonomischen Voraussetzungen vom Standpunkt der gesellschaftlichen Organisation der Produktion — ihrer Konzentration, Spezialisierung und Kooperation — geschaffen werden, damit die neue Technik in ihrer Anwendung tatsächlich zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität in breitem Maße führen kann. Hier liegt ein wesentlicher Vorzug des sozialistischen Wirtschaftssystems: Die gesellschaftliche Organisation der Produktion wird nicht durch das kapitalistische Privateigentum behindert, sondern der Prozeß der Vergesellschaftung der Arbeit kann durch das sozialistische Eigentum planmäßig vorangetrieben werden. Und hier liegt die große Aufgabe der Vereinigungen Volkseigener Betriebe, planmäßig die Rekonstruktion ihres Industriezweiges vorzubereiten und durchzuführen. Diese Rekonstruktion ganzer Industriezweige umfaßt den Prozeß der Konzentration und Spezialisierung der Produktion mit dem Ziel, eine sozialistische Großproduktion auf der Basis der modernsten Technik zu schaffen. Für die Vereinigungen Volkseigener Betriebe ergibt sich hieraus die Forderung, Rekonstruktionspläne auszuarbeiten, die die notwendigen Arbeiten zur Standardisierung und Typenbeschränkung enthalten, in denen Produktion und Bedarf koordiniert sind, die die erforderliche Produktionskonzentration und die notwendige Verlagerung einzelner Produktionen vorsehen sowie die Einführung neuer Produktionstechnik einschließen. Welche Möglichkeiten zur Steigerung der Arbeitsproduktivität auf diesem Wege bestehen, wurde auf dem V. Parteitag der S E D an Hand zahlreicher Beispiele erläutert: ii»

164

Lothar RouscikJHans SchönherrjGerd Friedrich

„Die Produktion von Radiogeräten ist auf neun Betriebe mit mehr als 7000 Beschäftigten zersplittert, während Experten bestätigen, daß bei rationellster Arbeitsorganisation in drei Werken mit nicht mehr als 3000 Beschäftigten die gleiche, ja sogar eine wesentlich größere Menge von Radiogeräten erzeugt werden kann. In unserer Büromaschinenindustrie werden allein fünf Typen von Kleinschreibmaschinen hergestellt. Wenn diese fünf Typen auf zwei reduziert werden, ist eine hohe Steigerung der Arbeitsproduktivität und eine Senkung der Selbstkosten u m 30 Prozent möglich." 2 7 Diese Beispiele ließen sich sowohl aus dem Schwermaschinenbau, dem allgemeinen Maschinenbau, der Elektrotechnik sowie auch aus der Leichtindustrie beliebig vermehren. Hier zeigt sich, daß die dem kapitalistischen System innewohnende Zersplitterung der Produktion, die unsere Wirtschaft aus der Vergangenheit übernommen hat, bisher nicht überwunden wurde und daß nicht alle Möglichkeiten genutzt sind, die unser Wirtschaftssystem f ü r diese Überwindung bietet. Hier zeigt sich auch, daß die Partei der Arbeiterklasse die Werktätigen auf die Ausschöpfung der bestehenden großen Reserven orientiert, u m das Leben allseitig und schnell zu verbessern. Dabei spielt auch die Hilfe der Sowjetunion f ü r unseren weiteren wirtschaftlichen Aufbau eine wichtige Rolle. Der Prozeß der sozialistischen Rekonstruktion wird durch die Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern wesentlich u n t e r s t ü t z t : Trifft die Spezialisierung und Konzentration der Produktion auf die mitunter sehr engen Grenzen des inländischen Bedarfs, so bietet die internationale Arbeitsteilung die Möglichkeit, über diese Grenzen wesentlich hinauszugehen. Auch dieser Prozeß m u ß in den Rekonstruktionsplänen erfaßt werden. Indem die Vereinigungen Volkseigener Betriebe die Konzentration und Spezialisierung der Produktion vorantreiben, die internationale Spezialisierung fördern und die Standardisierung und Typenbeschränkung leiten, schaffen sie notwendige Voraussetzungen f ü r den Beginn der technischen Umwälzung in der Industrie der D D R und f ü r eine hohe Arbeitsproduktivität. 27

Für den Aufschwung der sozialistischen Wirtschaft in der DDR, S. 329/330.

W. Schmidt, H. Fruck, C. P. Kromm ZU PROBLEMEN D E R E R Z I E L U N G DER W I R T S C H A F T L I C H K E I T ALLER L P G UND I H R E R B E D E U T U N G F Ü R D I E W E I T E R E SOZIALISTISCHE UMGESTALTUNG D E R LANDWIRTSCHAFT I. Der V. Parteitag der SED stellte die ökonomische Hauptaufgabe, die Volkswirtschaft der DDR innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung der DDR gegenüber der kapitalistischen in Westdeutschland eindeutig bewiesen wird. Der Pro-Kopf-Verbrauch unserer werktätigen Bevölkerung soll deshalb den der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern erreichen und teilweise übertreffen. Die Landwirtschaft als ein wichtiger Zweig unserer Volkswirtschaft hat zur Lösung dieser Aufgabe einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Sie muß mehr, bessere und billigere Produkte zu den erforderlichen Terminen bereitstellen. Die zersplitterte kleine Warenproduktion der werktätigen Bauern vermag dieses Ziel nicht zu erreichen. Den Hauptanteil müssen mustergültig wirtschaftende sozialistische Landwirtschaftsbetriebe erbringen. Die sozialistischen genossenschaftlichen Betriebe, die sich noch in den ersten Schwierigkeiten ihres Aufbaus befinden, sind allseitig zu unterstützen, damit auch sie alle Vorteile der sozialistischen Großproduktion voll ausschöpfen und auf diese Weise zur Erfüllung der ökonomischen Hauptaufgabe weitestgehend beitragen können. Der V. Parteitag der SED stellte daher der Landwirtschaft folgerichtig zwei Hauptaufgaben: 1. Allen LPG sind die Erfahrungen der besten sozialistischen Großbetriebe zu vermitteln, um sie zu vorbildlich wirtschaftenden sozialistischen genossenschaftlichen Betrieben zu entwickeln; 2. es ist weiterhin eine systematische Überzeugungsarbeit zu leisten, um die werktätigen Einzelbauern für den Beitritt zur LPG zu gewinnen. Die VI. LPG-Konferenz hat die große sozialistische Perspektive unserer Landwirtschaft beraten und die Produktionsziele für den Siebenjahrplan zur sozialistischen Entwicklung der Landwirtschaft gestellt. Die Wege zur Steigerung der Hektarerträge und zum Aufschwung in der Viehwirtschaft wurden aufgezeigt und die sich dabei ergebenden Aufgaben formuliert. Der Schlüssel für die Lösung aller in der Landwirtschaft stehenden Aufgaben ist die Steigerung der Marktproduktion unserer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Diese Zielsetzung bedeutet Produktion von mehr Rohstoffen und mehr Lebensmitteln in der eigenen Landwirtschaft, wodurch den ökonomischen Ge-

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Walter Schmidt/Horst FruckjClaus

Peter Kromm.

setzen des Sozialismus, die eine ständige Erweiterung der sozialistischen Industrie und eine fortlaufende Erhöhung des Lebensstandards der Werktätigen fordern, Rechnung getragen wird. Gleichzeitig damit ist die Erhöhung der Marktproduktion auch die Grundlage für die politische und ökonomische Festigung der L P G selbst. Durch die Erhöhung der Marktproduktion können die Genossenschaften höhere Einnahmen realisieren, die Zuwendungen zu den Fonds erhöhen und den individuellen Konsumtionsfonds der Genossenschaftsbauern vergrößern. Im Ergebnis erreichen wir eine Stärkung der Genossenschaften, eine Steigerung des Wohlstands der Genossenschaftsbauern, wodurch unsere L P G ihre Anziehungskraft auf die noch abseitsstehenden werktätigen Einzelbauern weiter verstärken. Somit bilden Steigerung der Marktproduktion, Erfüllung der ökonomischen Hauptaufgabe die Erreichung der Wirtschaftlichkeit aller Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eine organische, untrennbare Einheit. Zuerst ist die Wirtschaftlichkeit im Aufbau befindlicher und wirtschaftlich noch nicht genügend gefestigter L P G zu erreichen. Die Existenz wirtschaftlich noch nicht gefestigter L P G in der DDR muß als eine Erscheinung der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus verstanden werden. Tatsächlich tragen solche L P G nach ihrer Gründung und in den ersten Jahren ihres Aufbaus noch Züge der alten, der überlebten, aber noch nicht allseitig überwundenen Wirtschaftsweise. Die Wirtschaftlichkeit aller noch schwachen LPG durchzusetzen, enthält in der Tat die Forderung, das Alte, Überlebte endgültig zu überwinden und die neue sozialistische genossenschaftliche Großproduktion überall durchzusetzen. Das betrifft selbstverständlich nicht nur den Kulturzustand und die moderne Bewirtschaftung des Bodens, übernommene Viehbestände, Maschinen und Geräte, sondern vor allem die Menschen, die in diesen L P G arbeiten, ihre Arbeitsmoral, ihre Arbeitsdisziplin, ihre Qualifikation und ihre Einstellung zur genossenschaftlichen Wirtschaft. Der sozialistische genossenschaftliche Großbetrieb verwirklicht bereits die Prinzipien der sozialistischen Wirtschaftsweise und wendet sozialistische Formen der Leitung und der Arbeitsorganisation an. Er ist deshalb hochproduktiv und leistet einen hohen Beitrag zur Erfüllung der ökonomischen Hauptaufgabe. Der sozialistische genossenschaftliche Großbetrieb arbeitet zugleich rentabel und beweist so die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaftsweise gegenüber dem kapitalistischen Großbetrieb, dessen Produktion, wie Karl Marx feststellt, auf die unmittelbare höchste Verwertung seines Kapitals gerichtet ist. Die Aufgabe, wirtschaftlich noch schwache L P G zu festigen und ihre Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten, ergibt sich deshalb aus dem Prozeß der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft. Dabei muß man an das bisher Erreichte anknüpfen und die erzielten Fortschritte vergrößern. Zu beachten ist, daß die Festigung der L P G und die Gewinnung der noch einzeln wirtschaftenden Bauern eine Einheit bilden. Wenn sich die bestehenden Genossenschaften weiterhin günstig entwickeln, so steigert das die Anziehungskraft der sozialistischen genossenschaftlichen Großproduktion für die werktätigen Einzelbauern und führt ihnen ihre große Perspektive als Genossen-

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schaftsbauern vor Augen. Andererseits bedeutet die Gewinnung von Einzelbauern für die Genossenschaft, daß neue Mitglieder mit ihrem Wissen und Können, mit ihrer Produktionserfahrung und Arbeitskraft in die genossenschaftliche Arbeit, in die Teilnahme an der Leitung der L P G einbezogen werden. Die von den neuen Mitgliedern eingebrachten Bodenflächen helfen, die Zersplitterung des genossenschaftlichen Bodenfonds zu überwinden, und ihre Inventarbeiträge, vor allem Viehbestände, erhöhen die Produktionsfonds der L P G . Die wirtschaftlichen Maßnahmen für die Festigung der Genossenschaften überzubetonen, wäre also ebenso fehlerhaft wie eine einseitige Orientierung auf die Werbung neuer Mitglieder. Daß die Festigung der L P G und die Gewinnung neuer Mitglieder untrennbar zusammengehören, wurde bereits von Walter Ulbricht auf der IV. LPG-Konferenz betont: „Man kann doch nicht behaupten, die LPG festigen zu wollen, wenn man nicht auch Mitglieder wirbt. Die Festigung erfolgt doch nicht nur durch besseres Wirtschaften, sondern auch durch die Gewinnung von Altbauern, von Kleinbauern und Mittelbauern, um durch ihre Mitarbeit und ihre Erfahrungen die LPG weiter zu stärken." 1 So ist also die Gewinnung werktätiger Einzelbauern ein untrennbarer Bestandteil der Maßnahmen zur Erzielung der Wirtschaftlichkeit der L P G . Wie bedeutsam es ist, weitere werktätige Einzelbauern zu gewinnen, wird klar, wenn man sich die Mitgliederstruktur unserer Genossenschaften vergegenwärtigt. .1957 waren in den Genossenschaften vereinigt (ohne Familienangehörige) ca. 95000 39420 14077 2717

Landarbeiter Neubauern Altbauern bis 20 ha Altbauern über 20 ha.

Hinzu kamen Industrie- und andere Arbeiter, die mit ihren Familienangehörigen 27558 Mitglieder ausmachten. Diesen in der Genossenschaft vereinigten 39420 Neubauern und 14077 Altbauern standen 254433 einzelbäuerliche Betriebe in der Größengruppe von 5—20 ha und 159627 private landwirtschaftliche Betriebe in der Größengruppe von 1—5 ha gegenüber. Die Privatbetriebe bewirtschafteten eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 3029006 ha. Die Angaben bestätigen die in der Sowjetunion und den Ländern der Volksdemokratie gewonnenen Erfahrungen, daß die Mittelbauern, bei uns vor allem die reicheren Altbauern, in ihrer Mehrzahl den Genossenschaften erst später beitreten, wenn diese ihre Überlegenheit in der Praxis nachgewiesen haben. Die Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft ist die schwierigste Aufgabe der Arbeiterklasse in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Doch ungeachtet der kurzen Zeit, die seit dem Entstehen der ersten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im J a h r e 1952 vergangen ist, haben wir in der D D R bereits große Erfolge bei der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft erzielt. 1

Protokoll der IV. LPG-Konferenz. Deutscher Bauernverlag. Berlin 1956, S. 65.

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Peter Kromrn

Innerhalb von etwa sechs Jahren bildeten sich 9625 L P G , die 3 4 5 3 6 0 Mitglieder vereinigen und 35,9 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der D D R genossenschaftlich bewirtschaften. In über 90 Prozent aller Dörfer bestehen bereits L P G . 2 Jahresende

insgesamt

1952 1953 1954 19553 1956 1957 19584

1906 4621 5120 6047 6231 6691 9625

Produktions genossenschaften davon Typ I Typ II 1649 2596 1917 1030 944 1065 3165

91 169 143 92 77 72

Typ III 166 1926 3060 4632 5260 5554 6460

Mitglieder insgesamt 37000 128356 158356 196946 219599 229026 345360

Ein Vergleich der Anzahl der Genossenschaften in den einzelnen Jahren zeigt jedoch, daß die genossenschaftliche Entwicklung in einer Reihe von Jahren in der Landwirtschaft zurückblieb. Die Tabelle zeigt deutlich, daß das Wachstumstempo des sozialistisch-genossenschaftlichen Sektors in den Jahren 1956/57 wesentlich geringer war als in den übrigen Jahren. Diese Erscheinung ist auf eine Reihe von Ursachen zurückzuführen, die in ihrer Gesamtheit ein abwartendes Verhalten der Einzelbauern gegenüber den Genossenschaften hervorriefen. Zu diesen Ursachen gehört einmal, daß in dieser Zeit viele Genossenschaften aus ehemaligen örtlichen Landwirtschaftsbetrieben gegründet worden waren, die nur wenig Vieh und Boden in schlechtem Kulturzustand besaßen. Diese Genossenschaften hatten mit doppelten Schwierigkeiten zu kämpfen. Einerseits mußten die Genossenschaftsbauern, in der Mehrzahl ehemalige Landarbeiter, lernen, die genossenschaftliche Großproduktion zu organisieren. Andererseits standen sie vor der Notwendigkeit, den Viehbestand und die Flächen der heruntergewirtschafteten devastierten Betriebe auf ein normales Durchschnittsniveau zu heben. Viele Einzelbauern sahen nur die Schwierigkeiten dieser Genossenschaften. Sie verstanden nicht, daß die Unrentabilität dieser Genossenschaften in den feindlichen Maßnahmen der Klassengegner und in den früheren Wirtschaftsverhältnissen, nicht aber in der sich entwickelnden genossenschaftlichen Großproduktion begründet ist. Daraus resultierte die abwartende Haltung vieler Einzelbauern, die ihren Eintritt in die Genossenschaft von der Festigung und Entwicklung dieser L P G abhängig machten. Eine weitere Ursache liegt in den konterrevolutionären Ereignissen 1956 in Ungarn und der damit verstärkt einsetzenden Hetze der westlichen Agentenzentralen gegen die Bildung von Genossenschaften. Diese Ursache wurde noch verstärkt durch das revisionistische Auftreten des damaligen Direktors des agrar2 Siehe „Thesen des Politbüros des ZK der SED, des Beirates für LPG beim Ministerrat der DDR und des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft zur VI. Konferenz der Vorsitzenden und Aktivisten der LPG", Der Genossenschaftsbauer, Beilage zu Nr. 42/58. 3 Stand vom 15. November. 4 Stand vom 31. Oktober 1958.

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ökonomischen Instituts der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, Vieweg, der die Auflösung der Genossenschaften, die Übergabe der Maschinen der MTS an die Einzelbauern und die Entwicklung bäuerlicher Familienbetriebe forderte. Zur Rechtfertigung seiner Ansichten führte Vieweg die Existenz wirtschaftlich noch schwacher L P G an. Diese revisionistischen Ansichten waren eine glatte Absage an die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Das mußte unter den Einzelbauern Verwirrung stiften. Zu den Ursachen für das langsamere Wachstum des sozialistischen Sektors in der Landwirtschaft gehört auch die parteifeindliche Tätigkeit der Gruppe Schirdewan, Selbmann u. a., die nach dem X X . Parteitag der K P d S U eine Änderung der Parteiführung und, damit verbunden, eine Änderung der marxistischen Wirtschaftspolitik unserer Partei forderten. Diese fraktionelle, antimarxistische Haltung fand Unterstützung durch den Genossen Oelßner, der die weitere sozialistische Entwicklung der Landwirtschaft falsch einschätzte und durch seine unmarxistischen Forderungen Unklarheiten unter den Mitarbeitern des Partei- und Staatsapparates, unter den Praktikern unserer Landwirtschaft hervorrief. Alle diese Ursachen führten dazu, daß oftmals die Genossenschaftsbewegung unterschätzt und die Bildung der Genossenschaften dem Selbstlauf überlassen wurde. In einigen Kreisen unserer Republik sank die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft zu einer Ressortangelegenheit herab, mit der sich oftmals nur die Abteilung Landwirtschaft oder einer ihrer Mitarbeiter beim R a t des Kreises beschäftigte. Oftmals wurde der Typ III der L P G einseitig unterstützt und gefördert, während man die Bedeutung der anderen Genossenschaftstypen unterschätzte und deren Bildung teilweise sogar verhinderte. So verhinderten einzelne Partei- und Staatsfunktionäre tatsächlich die Gründung einer L P G vom Typ I, weil in diesen Gemeinden bereits L P G vom Typ III bestanden. Die Folgen dieses mangelnden Verständnisses der wichtigsten und allgemeingültigen marxistisch-leninistischen Prinzipien der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft spiegeln sich deutlich in der Tabelle über die Entwicklung der L P G vom Typ I. Von 1953—1956 ist die absolute Zahl der Genossenschaften dieses Typs zurückgegangen, obgleich, wie wir zeigten, sich ein großer Teil der werktätigen Einzelbauern noch nicht zum Eintritt in die L P G entschließen konnte und in vielen Gemeinden diö Voraussetzungen für die Gründung einer L P G vom Typ III auch noch nicht gegeben sind. Hier wurde offensichtlich gegen das Prinzip des stufenweisen Übergangs von der einzelbäuerlichen zur sozialistischen genossenschaftlichen Produktion verstoßen. Das Tempo der Vergesellschaftung der bäuerlichen Produktionsmittel und die jeweiligen konkreten Formen der Produktionsgenossenschaften hängen aber von den materiellen Voraussetzungen ab. Die hierauf begründeten Maßnahmen müssen den werktätigen Bauern verständlich sein. Entsprechend diesen Erfordernissen wurden in der D D R die Musterstatuten von drei Genossenschaftstypen bestätigt, die sich in erster Linie durch den Grad der Vergesellschaftung der Produktionsmittel voneinander unterscheiden.

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Walter Schmidt/Horst Fruck/Claus Peter Kromm

Im Typ I werden der Boden, und zwar in jedem Falle das Ackerland, aber auf Beschluß der Mitgliederversammlung auch die Wiesen, die Weiden und der Waldbestand genossenschaftlich bewirtschaftet. Ebenso können, wie das Musterstatut der L P G des Typs I vorsieht, bereits in diesem Typ, die in bäuerlichen Betrieben vorhandenen tierischen und motorischen Zugkräfte u n d landwirtschaftlichen Maschinen in genossenschaftliches Eigentum übergeführt werden. Dabei sollen Leistungen der einzelnen Mitglieder auf den Inventarbeitrag beim Übergang zum Typ I I I erfolgen. In der L P G vom T y p I I I werden schließlich die Viehbestände der Bauern außer denen der durch das S t a t u t begrenzten persönlichen Hauswirtschaft vergesellschaftet. Zwischen der L P G vom T y p I und der L P G vom Typ I I I können jedoch weitere Entwicklungsstufen liegen. Das Leben im Dorf h a t uns gelehrt, vielfältigere Wege zur Lösung dieses Problems einzuschlagen und mannigfache Übergänge zu finden. Es m u ß jedoch dafür gesorgt werden, daß die Entwicklungsstufen zwischen der L P G vom Typ I und der L P G vom Typ I I I eine klare zielstrebige Linie im Aufbau mustergültiger sozialistischer genossenschaftlicher Großbetriebe aufweisen. Oftmals mußten in Dörfern, in denen L P G vom Typ I bestanden, frei werdende, seitens der Eigentümer nicht mehr bewirtschaftete Flächen von diesen L P G übernommen werden. Die Viehbestände dieser Wirtschaften gingen in genossenschaftliches Eigentum über. Auf diese Weise entstand in den L P G vom Typ I bereits eine genossenschaftliche Viehhaltung, obwohl dies die damalige Fassung des Musterstatuts f ü r Typ I nicht vorsah. Schließlich setzt in jeder L P G vom Typ I der Übergang zum Typ I I I stufenweise ein. Bei der rasch ansteigenden Zahl der L P G und dem schnellen Wachstum der genossenschaftlich bewirtschafteten Flächen durch den Eintritt neuer Mitlieder ist es in den Bezirken und Kreisen der D D R nicht möglich, alle f ü r den Übergang zur L P G vom T y p I I I notwendigen Gebäude sofort oder wenigstens innerhalb kurzer Zeit zu errichten. Viele L P G vom T y p I sind deshalb dazu übergegangen, verschiedene Zweige der genossenschaftlichen Viehwirtschaft, wie die Haltung von Wassergeflügel, die Aufzucht von Jungrindern, die Ferkelaufzucht oder auch die Schweinemast, auszubauen. Derartige Maßnahmen stimmen völlig mit den Zielen des genossenschaftlichen Aufbaus überein und nutzen günstige örtliche Möglichkeiten zur Förderung der landwirtschaftlichen Produktion. Gleichzeitig können dadurch Teile der noch in den individuellen Wirtschaften der Mitglieder vorhandenen Viehbestände vergesellschaftet werden. In der gegenwärtigen E t a p p e der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft in der D D R h a t die L P G vom Typ I besondere Aufgaben zu erfüllen. So h a t der Übergang zu kollektiver Arbeit in der Feldwirtschaft durch die Gründung der L P G vom Typ I außerordentliche Bedeutung f ü r die Entwicklung des Feldbaus. Das Zusammenwirken vieler Mitglieder in der L P G vom Typ I schafft an s'ich schon eine neue, viel höhere Produktivkraft. Der ökonomische Wirkungsgrad wird noch vervielfacht, weil die in den MTS konzentrierte moderne Technik mit dem

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Fortschritt des genossenschaftlichen Zusammenschlusses immer rationellere Einsatzmöglichkeiten erhält. Es ist der Vorteil der Kooperation, den sich die Genossenschaftsbauern durch den Zusammenschluß zur LPG vom Typ I nutzbar machen können. Die zu einem Kollektiv vereinigten Genossenschaftsbauern bieten der Gesellschaft, den staatlichen Organen und der Arbeiterklasse, die feste Gewähr für eine einheitliche gute Bewirtschaftung des Bodens. Gewiß ist die LPG vom Typ 1 eine der ersten Formen des sozialistischen genossenschaftlichen Zusammenschlusses. Aber dies betrifft nur den Grad der Vergesellschaftung der Produktion, und man kann sich deshalb nicht mit der Unterschätzung der LPG vom Typ I einverstanden erklären. Die LPG vom Typ I ist eine Entwicklungsstufe zum sozialistischen genossenschaftlichen Großbetrieb und kann in der Regel nicht einfach übersprungen werden. Die LPG vom Typ I setzen der weiteren raschen sozialistischen Umgestaltung keinerlei materielle Hemmnisse entgegen und gewährleisten die Ausnutzung der Vorteile der Kooperation. Zugleich ermöglicht es die LPG vom Typ I, und darauf verweisen die Vorschläge in den Thesen zur VI. LPG-Konferenz ausdrücklich, bestimmte Zweige der genossenschaftlichen Viehwirtschaft aufzubauen und so schrittweise den Übergang zur LPG vom Typ I I I vorzubereiten und durchzuführen. Dies entspricht zugleich am besten dem Prinzip des stufenweisen Überganges zur genossenschaftlichen Großproduktion. Für die Leitung der LPG bietet der stufenweise Übergang ebenfalls große Vorteile. Die Organisation und Leitung der Produktion bleibt vorerst auf die Feldwirtschaft begrenzt, und die Leitung der LPG kann sich deshalb zunächst auf diesem Bereich konzentrieren. Es werden Erfahrungen in der Arbeitsorganisation gesammelt, und die für die einzelnen Zweige der Viehwirtschaft vorgesehenen Kräfte können bereits vor dem Übergang zur LPG vom Typ I I I für ihre Arbeit in der Vieh Wirtschaft qualifiziert werden. Auf diese Weise vermeidet man Rückschläge, die in der Viehwirtschaft leicht durch den Einsatz ungenügend ausgebildeter Kräfte eintreten können und die zu empfindlichen, sich über mehrere Jahre auswirkenden Produktions- und Einnahmeminderungen führen. Die Förderung des genossenschaftlichen Zusammenschlusses zur L P G vom Typ I hat über die einzelnen LPG hinaus auch für die gesamte Gesellschaft große Bedeutung. Hier sei auf die Feststellungen von Karl Marx verwiesen, der der Einzclarbeit das Wesen der Kooperation gegenüberstellt: „Wie die Angriffskraft einer Kavallerieschwadron oder die Widerstandskraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe der von jedem Kavalleristen und Infanteristen vereinzelt entwickelten Angriffs- und Widerstandskräfte, so die mechanische Kraftsumme vereinzelter Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz, die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in derselben ungeteilten Operation zusammenwirken, z. B. wenn es gilt, eine Last zu heben, eine Kurbel zu drehen oder einen Widerstand aus dem Weg zu räumen. Die Wirkung der kombinierten Arbeit könnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in viel längeren Zeiträumen oder nur auf einem Zwergmaßstab hervorgebracht werden. Es handelt sich hier nicht nur um Erhöhung der individuellen Produktivkraft durch die Kooperation, sondern

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um die Schöpfung einer Produktivkraft (Hervorhebung von den Verfassern), die an und für sich Massenkraft sein muß. Abgesehen v o n der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler Kräfte in eine Gesamtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produktiven Arbeiten der bloße gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine eigene Erregung der Lebensgeister . . welche die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen erhöhen, . . ." 5

Diese durch das Kollektiv der Genossenschaftsbauern geschaffene neue Produktivkraft mit dem höchstmöglichen ökonomischen Nutzeffekt einzusetzen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Leitung der LPG. Die, wie Karl Marx sagt, eigene Erregung der Lebensgeister und den in der Natur des Menschen liegenden und bei gesellschaftlichem Kontakt wirkenden Wetteifer hinüberzuleiten, in die Formen des sozialistischen Wettbewerbs, muß der Leitung der LPG in erster Linie gelingen. Tatsächlich vermag in schlecht geführten Brigaden oder Arbeitsgruppen die mangelhafte Arbeitsorganisation den ökonomischen Nutzeffekt der neuen Produktivkraft ganz oder doch teilweise zu kompensieren, Wetteifer und Aktivität der Mitglieder lahmzulegen und so den Fortschritt in der gesellschaftlichen Produktion zu hemmen. Wird die neue Produktivkraft richtig eingesetzt, dann leistet das Kollektiv der Genossenschaftsbauern qualifizierte Arbeit, produziert mehr und senkt gleichzeitig den Arbeitsaufwand je Einheit des erzeugten Produkts. Auf diese Art fördert es den Wohlstand der Gesellschaft wie ihren eigenen. Die als Typ I organisierte und sich schrittweise zum Typ I I I entwickelnde LPG ist in der Lage, jederzeit neue Mitglieder aufzunehmen, während die LPG vom Typ I I I zur Aufnahme der von den neuen Mitgliedern einzubringenden Viehbestände entsprechenden Stallraum besitzen muß. Dieser ist meist erst zu errichten. Die Genossenschaftsbauern in der LPG vom Typ III, die im Dorf oft noch die geringere Zahl der Bauern ausmacht, haben unter diesen Umständen die materiellen Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Zusammenschluß aller Bauern des Dorfes zu schaffen, während der größere Teil der Bauern im Dorf, d. h. die noch einzeln wirtschaftenden Bauern, außerhalb der LPG die Entwicklung abwartet. Deshalb kann in jenen Dörfern, in denen eine kleinere L P G vom Typ I I I besteht, eine zweite vom Typ I gegründet werden. Die Perspektive beider nebeneinander bestehenden und selbständigen LPG darf jedoch nur der Zusammenschluß zur LPG vom Typ I I I sein. Das muß u. a. im gemeinsam erarbeiteten Perspektivplan sichtbar werden. Der Übergang von der LPG vom Typ I zum Typ I I I erfolgt stufenweise, wobei solche Zweige der Viehwirtschaft genossenschaftlich betrieben werden, für' die die materiellen Voraussetzungen vorhanden sind oder rasch geschaffen werden können. Künftig können dann Neubauten in Übereinstimmung mit dem Perspektivplan der jeweiligen LPG errichtet werden. Nach und nach entstehen somit auch in diesen LPG Möglichkeiten, Zweige der Viehwirtschaft genossenschaftlich zu betreiben. Bekanntlich ist der Aufbau aller für den Übergang zur LPG vom Typ III erforderlichen Gebäude in einem einzigen Bauabschnitt nur sehr selten durchzuführen. 5

Marx, K., Das Kapital. Bd. I, Dietz Verlag. Berlin 1951, S. 341.

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m

Der Kampf der Partei gegen die Unterschätzung der LPG vom Typ I und für eine konsequente Verwirklichung der marxistisch-leninistischen Prinzipien bei der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft führte zu einem neuen Aufschwung der Genossenschaftsbewegung. In nur neun Monaten des Jahres 1958 wurden 116334 Einzelbauern Genossenschaftsmitglieder; die Zahl der Genossenschaften stieg um 2934. Von besonderer Bedeutung ist auch die Tatsache, daß sich die Zahl der Genossenschaften vom Typ I vom 1. Januar bis 31. Oktober 1958 um 2100 erhöhte, während sie sich zuvor im Laufe von drei Jahren verringert hatte. Das 33. Plenum des Zentralkomitees der SED orientierte die Bezirks- und Kreisparteiorganisationen auf die Verbesserung der politischen Massenarbeit unter den Einzelbauern. Dadurch gaben viele werktätige Einzelbauern ihre abwartende Haltung auf. Allein vom Oktober 1957 bis März 1958 wurden 51000 neue Mitglieder, davon 24032 werktätige Einzelbauern, mit ihren Familienangehörigen für die LPG gewonnen. Der neue Aufschwung in der Gewinnung der werktätigen Einzelbauern zeugt auch für die wirtschaftlichen Erfolge der Genossenschaften, die in der Praxis ihre Überlegenheit nachgewiesen haben. II. Wie die Gewinnung der werktätigen Einzelbauern für die Genossenschaften, ist auch die wirtschaftliche Festigung der LPG eine wichtige Aufgabe. Deshalb muß das Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung und das Prinzip der materiellen Interessiertheit streng beachtet werden. Das genannte Prinzip ist ein außerordentlich wirksames Mittel zur Steigerung der Produktion und der Produktivität der Arbeit. Es muß jedoch mit der Erziehung zum sozialistischen Bewußtsein verbunden sein, wie dies z. B. im sozialistischen Wettbewerb geschieht. Das materielle Interesse allein gewährt nicht die Herausbildung des sozialistischen Bewußtseins aller Mitglieder. Notwendig ist es daher, die persönlichen Interessen der Mitglieder mit denen der Gesellschaft richtig zu verbinden. Nur so wird die materielle Interessiertheit der Genossenschaftsbauern zu einem Faktor der Erziehung und Bewußtseinsbildung. Voraussetzung für die bessere Durchsetzung der Verteilung nach der Leistung und der materiellen Interessiertheit ist die Ausarbeitung technisch begründeter Arbeitsnormen. Sie sind das Maß des planmäßig festgelegteu Anfwandes an lebendiger Arbeit und gestatten die genaue Vorgabe und Kontrolle der geleisteten Arbeit. In fast allen LPG wird nach den Musterarbeitsnormen gearbeitet. Technisch begründete Arbeitsnormen auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten der LPG durch die Normenkommission werden jedoch noch nicht in allen Genossenschaften richtig aufgestellt. Häufig gibt es nur Erfahrungswerte, die nicht technisch begründet sind. Ausgehend von den Erfahrungen der vergangenen Jahre sind darüber hinaus für solche Arbeiten technische Arbeitsnormen aufzustellen, dis bisher noch nach Stunden bewertet wurden.

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Um das Interesse der Mitglieder an der Aufstellung von Normen für alle hierfür geeigneten Tätigkeiten zu erwecken, prämiiert z. B. die L P G Trinvillershagen nur jene besonders guten Arbeitsleistungen, für die Arbeitsnormen bestehen. Es ist wichtig, die Normen der L P G mit denen der MTS abzustimmen, damit den Traktoristen und den Mitgliedern der Feldbaubrigade bei gleicher Tätigkeit auch gleiche Normen vorgegeben werden. Die von der Normenkommission ausgearbeiteten technischen Arbeitsnormen sind von der Mitgliederversammlung zu beschließen. So wird jedem Genossenschaftsbauern ermöglicht, an der Aufstellung der Normen auf Grund seiner Kenntnisse des Arbeitsprozesses teilzunehmen. Aufgabe der Normenkommission ist es dann, die Arbeitsnormen ständig zu überprüfen. Mit den auf der Grundlage technisch-begründeter Arbeitsnormen berechneten Arbeitseinheiten wird in den L P G die aufgewendete lebendige Arbeit auf ein gemeinsames Maß reduziert, das die Grundlage für die Verteilung der Einkünfte der Genossenschaftsbauern entsprechend ihrer Arbeitsleistung ist. In der Praxis ist jedoch der Erfüllungsstand der Normen in den meisten Fällen noch nicht der Ausgangspunkt zur Berechnung der Arbeitseinheit. Vielmehr werden sehr häufig die Arbeitsstunden in Arbeitseinheiten umgerechnet. Mit dieser Methode kann die tatsächlich verausgabte lebendige Arbeit nicht genau ermittelt werden, und dementsprechend umfaßt die Arbeitseinheit auch nicht die tatsächlich geleistete Arbeit. Auf diese Weise berechnete Arbeitseinheiten führen zur Gleichmacherei; denn die Arbeitseinheit enthält ein unterschiedliches Maß verausgabter lebendiger Arbeit, für die andererseits ein gleicher Anteil an den Einkünften gewährt wird. In einigen L P G ist dies fast ausschließlich die Form der Berechnung von Arbeitseinheiten. Die Ursache dafür ist in einer schlechten Arbeitsorganisation und im Fehlen von Leistungsbüchern zu suchen. Die Brigadiere und Arbeitsgruppenleiter unterlassen es dann, die vom einzelnen Genossenschaftsbauern geleistete Arbeit täglich zu messen und zu kontrollieren. Statt dessen wird am Wochenende rückwirkend die Arbeitsleistung geschätzt. Es entspricht nicht dem Prinzip der materiellen Interessiertheit, wenn z. B . in der L P G die Leistungen der Mitglieder der Arbeitsgruppe Rinder rückwirkend für den Monat mit 35 Arbeitseinheiten bewertet werden. Solche Tendenzen zur Gleichmacherei müssen überwunden werden; denn die genaue Ermittlung der Arbeitseinheiten auf der Grundlage von Arbeitsnormen ist ein wesentliches Mittel, die materielle Interessiertheit der Genossenschaftsmitglieder an der Steigerung der genossenschaftlichen Produktion und für die Rentabilität ihrer L P G zu erhöhen. Die zweite große Quelle erheblicher Verstöße gegen das Gesetz der Verteilung nach der Leistung liegt in der Zuteilung des Futters für die individuelle Hauswirtschaft bzw. die private Viehhaltung in den L P G vom Typ I. Um das Gesetz der Verteilung nach der Leistung auch in der Futterwirtschaft in den L P G vom Typ I durchzusetzen, muß einmal das für diese Zwecke notwendige bzw. vorhandene Futter genau berechnet werden. Zum anderen sollten aber auch ehemalige Landarbeiter für nicht in Anspruch genommene Futtermittel einen Wertausgleich erhalten. Am besten ist das Problem der Futtermittelverteilung nach der Leistung

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dort lösbar, wo auch das Grünland genossenschaftlich genutzt; wird. Die Verteilung nach der Leistung ist nicht nur in der materiellen Produktion konsequent zu beachten. Seine Anwendung und Ausnutzung muß auch bei der Vergütung der Arbeit der leitenden Kader der L P G gesichert sein. Ein Teil der Einkünfte dieser Funktionäre der L P G sollte in Zukunft gleichfalls von der Erfüllung und Übererfüllung der Pläne der Genossenschaft abhängig gemacht werden. Besondere Bedeutung kommt in den L P G dem Prämiensystem als Hebel zur konsequenten Verwirklichung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeistleistung und des Prinzips der materiellen Interessiertheit zu. Eine Eigenart in der Verteilung nach der Arbeitsleistung besteht in den L P G gegenüber den volkseigenen Betrieben darin, daß bei höherer Leistung der volle Betrag des gestiegenen Anteils am Konsumtionsfonds erst am Jahresende in seiner Höhe bekannt wird und mit den Einkünften nach den geleisteten Arbeitseinheiten verteilt werden kann. Das läßt die materielle Interessiertheit nicht genügend zur Wirkung kommen, wenn man nicht durch Prämien während des laufenden Jahres unmittelbar eine höhere Arbeitsleistung belohnt und fördert. Die Prämien in den L P G können daher nicht nur eine einfache Zuwendung für besondere Leistungen bei der Steigerung der genossenschaftlichen Produktion sein. Ihre besondere Bedeutung liegt gerade darin, daß sie an die einzelnen Abschnitte des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses gebunden sein müssen und dadurch periodisch während des ganzen Jahres bei höherer Leistung den Mitgliedern einen größeren Anteil am Konsumtionsfonds der Genossenschaft sichern. Das schließt eine Gleichmacherei weitgehend aus und hebt das materielle Interesse. Grundlage für das Prämiensystem in den L P G muß also die Erfüllung und Übererfüllung der Pläne für die einzelnen Kampagnen in der Feldwirtschaft bzw. die Leistung der Viehwirtschaftsbrigaden in den einzelnen Quartalen sein. Ein solches Prämiensystem wird bisher nur unvollkommen und nicht in allen L P G angewandt. In vielen L P G erfolgt statt dessen eine Prämiierung in der Form, daß die Brigaden und Arbeitsgruppen an der Übererfüllung der jährlichen Produktionsauflage interessiert werden. Dieses Prinzip hat jedoch auch Nachteile. Wie wir zeigten, wird die Prämiierung erst am Jahresende wirksam, und es werden überall dort keine Prämien gezahlt, wo Kollektive ihre Auflage insgesamt nicht erfüllten. Die Arbeitsleistung der einzelnen Genossenschaftsbauern in der Brigade wird also nicht berücksichtigt. Es herrscht dann nicht nur Gleichmacherei, sondern es wird auch das materielle Interesse an der Erfüllung und Übererfüllung der Planauflage für die einzelnen Produktionsabschnitte genügend gefördert, da der Zusammenhang zwischen den einzelnen konkreten Arbeitsleistungen und der Prämie nicht klar ersichtlich ist. Im übrigen handelt es sich bei der Prämiierung für den Fall der Überschreitung der Produktionsziele oder der Unterschreitung der Selbstkosten dem Wesen nach um eine Zusatzvergütung. F ü r die zuerst aufgezeigte Art der Prämiierung ist es notwendig, einen speziellen Prämienfonds zu bilden, der aber 1 Prozent der Einnahmen nicht überschreiten sollte. Ein Teil der Mittel dieses Fonds wäre für die Sieger im innerbetrieblichen Wettbewerb bereitzustellen. Die zweite Voraussetzung, um ein solches Prämiensystem einzuführen, ist die Ausarbeitung klarer Richtlinien für die Gewährung von

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Prämien im Verlaufe des Produktionsprozesses, d. h. nach Abschluß bestimmter Arbeiten, z. B. der Herbst-, der Frühjahrsbestellung, der Pflege- und Erntearbeiten wobei die Termine und die Qualität der ausgeführten Arbeiten streng zu beachten sind. Für die Organisierung des Kampfes um die Wirtschaftlichkeit der LPG ist es wichtig zu klären, welche ökonomischen Kennziffern den bereits erreichten Entwicklungsstand der LPG am genauesten widerspiegeln und welche ökonomischen Kennziffern, so zuverlässig wie nur irgend möglich, den Grad der Rentabilität bestimmen. Ohne Zweifel trifft auch für die Rentabilität unserer LPG die im Lehrbuch für Politische Ökonomie enthaltene Begriffsbestimmung zu. Hier heißt es: „Die Rentabilitätsrate des Betriebes ist das prozentuale Verhältnis zwischen dem Reineinkommen des Betriebes und den vollen Selbstkosten der zu realisierenden Erzeugnisse." 6

Es ist eindeutig klar, daß die Vergütung der Arbeit der Genossenschaftsbauern ebenso wie der Arbeitslohn, der in VEG an Arbeiter gezahlt wird, ein Bestandteil der Selbstkosten sein muß. Keineswegs kann man die Vergütung der Arbeit der Genossenschaftsbauern als eine Art „Gewinnverteilung" betrachten, weil im Verlaufe des Wirtschaftsjahres nur Vorschüsse gezahlt werden und die endgültige Auszahlung in ihrer Höhe nach der Jahresendabrechnung erfolgt. In den LPG handelt es sich ebenso wie in den VEG um die Verteilung des notwendigen Produkts an die Werktätigen des Betriebes. Der Unterschied in der Art und Weise der Auszahlung erklärt sich aus der Stellung des Genossenschaftsbauern bzw. des Arbeiters zu seinem Betrieb. Für die genaue Ermittlung der Selbstkosten der LPG ist es somit wichtig, daß die Vergütung der Arbeit in die Selbstkosten einbezogen wird. Die Aufgabe besteht nunmehr darin, zu klären, wie und in welcher Höhe die Vergütung der Arbeit an die Genossenschaftsbauern in die Selbstkosten zu verrechnen ist, weil ja die tatsächlich erreichte Höhe der Vergütung der Arbeit erst nach erfolgter Jahresendabrechnung ermittelt werden kann. In den vergangenen Jahren wurde vielfach der erreichte Wert der Arbeitseinheit einseitig als Gradmesser für die wirtschaftliche Stabilität der LPG benutzt. Das persönliche Einkommen des einzelnen Genossenschaftsbauern wird also letztlich in seiner Höhe davon bestimmt, wieviel Arbeitseinheiten er tatsächlich leistete, während der zur Verteilung bereitstehende Teil des Einkommens der LPG in Geld und Naturalien einer Gesamtzahl der Arbeitseinheiten gegenübersteht, die von allen Mitgliedern im Verlaufe des Jahres geleistet worden ist. Dem Bestreben einzelner Mitglieder, möglichst viele Arbeitseinheiten zu erreichen, wenn nötig, sich „anschreiben" zu lassen, steht das genossenschaftliche Interesse und das Interesse der Mehrheit der Mitglieder gegenüber, durch exakte Normen, durch produktive Leistung jeder Arbeitseinheit einen möglichst hohen Wert zu sichern. Wird die Zahl der Arbeitseinheiten z. B. durch Umrechung von Arbeitsstunden in Arbeitseinheiten oder durch Anwendung ungerechtfertigt niedriger Arbeitsnormen künstlich aufgebläht, so geht der steigenden Zahl von Arbeits* Lehrbuch für Politische Ökonomie. Dietz Verlag. Berlin, S. 538.

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einheiten ein Sinken des Wertes der Arbeitseinheit einher. Um die Wirtschaftlichkeit der L P G zu bestimmen, müssen wir daher mehrere Kennziffern heranziehen, vor allem die Kennziffern für das genossenschaftliche Einkommen und die Fondsbildung. Rentabel wirtschaftet unserer Meinung nach eine L P G , wenn ihre Erlöse die Selbstkosten in einer Höhe übersteigen, daß die genossenschaftlichen Fonds ordnungsgemäß, d. h. dem S t a t u t entsprechend, gespeist werden können und den Genossenschaftsbauern ein persönliches Einkommen gesichert ist, das bei einer Durchschnittsleistung von 300 bis 400 Arbeitseinheiten einem Wert der Arbeitseinheit von 7 DM entspricht. Die Festlegung von 300 bis 400 Arbeitseinheiten pro J a h r erscheint uns deshalb vertretbar, weil bei den jetzt geltenden Musterarbeitsnormen, bei richtiger Bewertung der Arbeit und bei voller Auslastung der Arbeitskraft der LPG-Mitglieder diese Zahl an Arbeitseinheiten im Durchschnitt nicht wesentlich überschritten, aber auch nicht bedeutend unterschritten werden kann. Der Wert der Arbeitseinheit wurde bei 300 bis 400 geleisteten Arbeitseinheiten im J a h r auf mindestens 7 DM festgelegt, damit in diesem Falle das persönliche Einkommen der Genossenschaftsbauern (Einnahmen aus der genossenschaftlichen Wirtschaft einschließlich der Produkte aus der Naturalverteilung und den Einnahmen aus der Hauswirtschaft) das Einkommen der Mehrheit der werktätigen Einzelbauern überschreitet. Eine wichtige Kennziffer für die wirtschaftlich-organisatorische Festigung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ist ferner das genossenschaftliche Einkommen. Die wichtigste Quelle des Einkommens der L P G ist die genossenschaftliche Produktion mit ihren beiden Hauptzweigen, der Feld- und Viehwirtschaft. Die Genossenschaften erhalten ihr Einkommen in Natural- und Geldform. Das Einkommen in Naturalform fließt aus den Ergebnissen der landwirtschaftlichen Produktion selbst, die Geldeinnahmen entstehen aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte und durch Arbeiten außerhalb der Genossenschaft. Das genossenschaftliche Einkommen dient dazu, Verpflichtungen der Genossenschaft gegenüber dem S t a a t und der MTS nachzukommen, die genossenschaftlichen Fonds aufzufüllen und zu erweitern und die Arbeit der Genossenschaftsmitglieder zu vergüten. Damit wird das genossenschaftliche Einkommen zum Spiegelbild der genossenschaftlichen Produktion, einer wichtigen Kennziffer der ' wirtschaftlichen Entwicklung der L P G . Aus der Gegenüberstellung der genossenschaftlichen Einnahmen in den einzelnen Jahren können bereits gewisse Schlüsse über die E n t wicklung der Genossenschaften gezogen werden. Wenn wir die Einnahmen der L P G vom Typ I I I im J a h r e 1953 gleich 100 setzen, so ergibt sich eine prozentuale Steigerung auf 371 im J a h r e 1955 und auf 757 im J a h r e 1957. Die genossenschaftlichen Einnahmen der L P G vom Typ I I I erhöhten sich demnach im Laufe von vier Jahren um das Siebeneinhalbfache. Die Gesamteinnahmen geben jedoch nur Auskunft über die sozialistische genossenschaftliche Produktion und über die Entwicklung des sozialistischen genossenschaftlichen Sektors allgemein. Die steigende Anzahl der Genossenschaften, die damit verbundene Vergrößerung der Fläche und Erhöhung des genossenschaftlichen Produkts bleibt bei dieser Kennziffer unberücksichtigt. Ein genaueres Bild 12

Probleme Bd. 2

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erhalten wir, wenn die Gesamteinnahmen der Genossenschaften auf den Hektar bezogen werden. In diesem Fall erhalten wir folgendes Bild (DM/ha): 1953 - 100, 1955 - 148 und 1957 - 181. Die Einnahmen der Genossenschaften je Hektar erhöhten sich somit im Laufe von vier Jahren um 80 Prozent. Die erhöhten genossenschaftlichen Gesamteinnahmen dürfen also nicht ausschließlich auf die wachsende Zahl bestehender Genossenschaften zurückgeführt werden, sondern resultieren auch aus echter Produktionssteigerung. Abschließend sollen noch die genossenschaftlichen Geldeinkünfte angeführt werden, da die Einnahmen die genossenschaftlichen Ausgaben, die sich mit steigender Produktion ebenfalls erhöhen, nicht berücksichtigen. Die Geldeinkünfte der Genossenschaft als Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben sind als Kennziffer besonders wichtig, da aus ihnen die genossenschaftlichen Fonds gebildet werden. Die Höhe der genossenschaftlichen Einkünfte bestimmt also die Höhe der Akkumulationen und die Größe des individuellen Konsumtionsfonds der Genossenschaft. Setzen wir das J a h r 1953 wiederum gleich 100, so erhöhten sich die Einkünfte in den Genossenschaften vom Typ I I I auf 130 im Jahre 1955 und auf 154 im Jahre 1957. Diese wachsenden Geldeinkünfte der Genossenschaften ermöglichten es, dem genossenschaftlichen Fonds ständig mehr Mittel zuzuführen und damit auch das genossenschaftliche Vermögen zu erhöhen. Das beweisen die Zuführungen zu den Fonds und das Wachstum des genossenschaftlichen Vermögens in DM j e Hektar (1953 = 100 Prozent). Unteilbarer T, , r onds

1953 1955 1957

100 124 151

.., , . Hilfsfonds

TT

100 305 305

. , „ . Kulturfonds

genossenschaftl. bigenvermogen

100 213 359

100 183 245

T

Diese Kennziffern beweisen den erfolgreichen Prozeß der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft in der D D R . Die große Mehrzahl der Genossenschaften hat sich bereits wirtschaftlich-organisatorisch gefestigt. Das bedeutet andererseits nicht, daß bereits alle L P G vorbildlich wirtschaftende sozialistische Großbetriebe sind. Ein Teil der L P G hat noch Schwierigkeiten zu überwinden. Es gibt auch noch Genossenschaften, in denen die Ausgaben nicht durch die Einnahmen gedeckt werden können. Ein Vergleich der Zahlen über die Einnahmen der Genossenschaften, mit den genossenschaftlichen Einkünften auf den Hektar bezogen, zeigt, daß bei einem Teil unserer Genossenschaften die Ausgaben nicht den Einnahmen entsprechen, die daher noch erhebliche materielle Hilfe benötigen. Aber entscheidend ist nicht die Existenz solcher Genossenschaften, sondern die Tatsache, daß eine große Zahl der L P G die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden hat und heute bereits den bäuerlichen Einzelbetrieben überlegen ist. Damit wurde der Beweis erbracht, daß die Genossenschaftsbauern mit Unterstützung der Arbeiterklasse und ihrer Partei die Fähigkeit und die Kraft besitzen;

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ihre Genossenschaften in kurzer Zeit zu vorbildlichen sozialistischen genossenschaftlichen Großbetrieben zu entwickeln. Die harmonische Verbindung zwischen den gesellschaftlichen Interessen und den persönlichen Interessen, wie sie in der Verteilung nach der Arbeitsleistung und in den verschiedenen Formen der Verwirklichung des Prinzips der materiellen Interessiertheit zum Ausdruck kommt, erstreckt sich nicht nur auf die ökonomischen Beziehungen der Produktion und Verteilung zwischen der Genossenschaft und ihren einzelnen Mitgliedern, sondern findet auch ihre volle Gültigkeit in dem Verhältnis zwischen dem S t a a t und den Genossenschaften. III. In der heutigen Etappe der Entwicklung unserer L P G ist das entscheidende Kettenglied für die Entwicklung und Festigung aller L P G die Durchsetzung der sozialistischen Formen der Organisation und Leitung der L P G . E s wird auf der Grundlage der Kenntnis und Ausnutzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus gelingen, rasch die neuen Formen des sozialistischen Wirtschaftens in den L P G zu verwirklichen, die Initiative der Mitglieder zu wecken und zu fördern und die L P G zu mustergültigen sozialistischen Großbetrieben zu entwickeln. Nur so werden alle Vorzüge der sozialistischen Großproduktion in den Genossenschaften voll wirksam, und die Anwendung der sozialistischen Leitungs- und Organisationsprinzipien in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ist somit eine objektive Notwendigkeit. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch den genossenschaftlichen Zusammenschluß führt zu Verhältnissen der gegenseitigen Hilfe und kameradschaftlichen Zusammenarbeit der Genossenschaftsbauern in der Produktion. Diese neuen sozialistischen Beziehungen der Menschen in der genossenschaftlichen Produktion geben der Leitung der sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe einen völlig neuen gesellschaftlichen Inhalt. Die Leitung der sozialistischen Großbetriebe bringt nicht mehr wie im Kapitalismus die Verhältnisse der Ausbeutung und der Unterdrückung zum Ausdruck. Die wichtigste Aufgabe der Leitung der sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe besteht darin, die in der Landwirtschaft entstandenen sozialistischen Produktionsverhältnisse zu festigen und zu entwickeln. Das bewußte Handeln der Mitglieder auf Grund ihrer Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge und der objektiv wirkenden ökonomischen Gesetze des Sozialismus verlangt sowohl eine einheitliche Leitung als auch die Initiative und Mitarbeit der Werktätigen an der Leitung und Organisation der Produktion. Die bewußte Teilnahme der Genossenschaftsbauern an der Leitung ihrer Betriebe ist somit ein objektives Erfordernis, das sich aus den neuen sich entwickelnden sozialistischen Produktionsverhältnissen ergibt. Die aktive Mitarbeit aller Mitglieder an der Leitung der L P G ist jedoch vom Festigungsgrad der sozialistischen Produktionsverhältnisse, vom Entwicklungs12*

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stand des sozialistischen Bewußtseins und der fachlichen und politischen Qualifikation der Mitglieder abhängig. Das sozialistische Bewußtsein entsteht jedoch nicht von selbst mit dem Eintritt in die LPG. Es entwickelt sich nur, wenn die leitenden Kader der Genossenschaft unter der Führung der Parteiorganisation neben ihrer wirtschaftlich-organisatorischen Tätigkeit zugleich als Erzieher des Kollektivs der Genossenschaftsbauern tätig sind und die Bauern zur Leitung der Genossenschaft heranziehen. Dazu bedarf es der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit. Wenn die Leitung der LPG diese Aufgaben erfüllen will, muß sie einen hartnäckigen Kampf gegen die Überreste der bürgerlichen Auffassung über die Rolle der Werktätigen in der Produktion führen. Im Kapitalismus macht die Herrschaft des Kapitals die Teilnahme der Werktätigen an der Leitung der Betriebe unmöglich. Vom Standpunkt des kapitalistischen Produktionsprozesses interessiert nur der Einsatz der Ware Arbeitskraft unter dem Gesichtspunkt, höchsten Profit zu erzielen. Daher betrachtet die bürgerliche Betriebslehre die Arbeitskraft nur als einen „Betriebsbestandteil", ein Ausdruck, der leider mitunter auch noch in der agrarökonomischen Literatur der DDR zu finden ist. Im kapitalistischen Betrieb ist durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln die schöpferische Arbeit und wichtigste Produktivkraft entwürdigt und in ihrer Entfaltung gehemmt, während in den sozialistischen Betrieben die von Ausbeutung befreite bewußte Arbeit zur Haupttriebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist. Die bürgerliche Auffassung von der Arbeitskraft als „Betriebsbestandteil" hat nicht nur theoretische Bedeutung z. B. in der Literatur, sondern findet auch in der Praxis in den verschiedenartigen Verstößen gegen die innergenossenschaftliche Demokratie ihren Ausdruck. Die Verkennung der bewußten Tätigkeit der Werktätigen in der sozialistischen Produktion als entscheidender Produktivkraft und die Verstöße gegen die innergenossenschaftliche Demokratie durch leitende Kader in den sozialistischen Landwirtschaftsbetrieben sind der sozialistischen Produktion wesensfremd. Sie hemmen die Entwicklung dieser Betriebe. Die sozialistischen Leitungsprinzipien müssen daher mit ideologischen Auseinandersetzungen verbunden werden, in denen erklärt wird, wie wichtig es ist, daß alle Genossenschaftsbauern für die Vollendung des Sieges des Sozialismus auf dem Dorfe eintreten. Die Leitung der genossenschaftlich-sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe umfaßt verschiedene Bereiche. Das Wesen der sozialistischen Leitung, die bewußte Unterordnung unter die kollektive- und die Einzelleitung und die zugleich bewußte Teilnahme an der politischen und ökonomischen Leitung finden ihren Ausdruck im demokratischen Zentralismus, dem wichtigsten Prinzip der Leitung. Der demokratische Zentralismus ist fest im Statut der LPG verankert, es ist eine der vordringlichsten Aufgaben der Leitung der LPG, dieses Prinzip durchzusetzen. An erster Stelle ist der innergenossenschaftlichen Demokratie bei der Leitung, Planung und Organisation in den LPG Geltung zu verschaffen, denn sie ist am besten geeignet, die Leitung zu vervollkommnen und die Genossenschaftsbauern in sie einzubeziehen. Deshalb ist es notwendig, daß die Mitgliederversammlung als höchstes Organ der Genossenschaft den Vorstand wählt und in allen grundsätzlichen Fragen

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des genossenschaftlichen Lebens entscheidet. Die leitenden Kader sind der Mitgliederversammlung jederzeit rechenschaftspflichtig und diese kann sie von ihren Funktionen abberufen. Damit die Beschlüsse der Mitgliederversammlung verwirklicht werden, ist den leitenden Mitgliedern der L P G wie dem Vorsitzenden, Vorstand, Agronomen, Zootechniker, Brigadier und Arbeitsgruppenleiter das Recht zur Einzelleitung zu übertragen, und sie müssen für ihre Maßnahmen persönlich verantwortlich sein. Damit die Mitgliederversammlung gute Arbeit leisten kann, muß sie regelmäßig einberufen werden; das ist in den meisten L P G auch gewährleistet. Es gibt jedoch auch Genossenschaften, in denen nur selten Mitgliederversammlungen stattfinden oder nur eine geringe Beteiligung der Mitglieder aufweisen. Das tritt vor allem in den L P G zutage, in denen die Leitung die sozialistischen Prinzipien nicht genügend beachtet. Häufig ist in diesen Fällen die leitende Rolle der Mitgliederversammlung als höchstes Forum der innergenossenschaftlichen Demokratie nicht klar. Wenn aber die Mitgliederversammlung nicht dafür benutzt wird, die Werktätigen an die Leitung heranzuführen, dann wird der Boden für ein Paschatum vorbereitet. Die Initiative und Mitarbeit der Genossenschaftsbauern wird unter diesen Umständen gehemmt, und es verwundert nicht, daß diese L P G meist nicht zu den wirtschaftlich stärksten Betrieben zählen. Aber gerade die Initiative und Mitarbeit der Genossenschaftsbauern ist doch unentbehrlich, um die Wirtschaftlichkeit der neu gegründeten Genossenschaften zu erreichen. E s kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Leitung der neugegründeten und im Aufbau befindlichen L P G zwei Aufgaben gleichzeitig und in sehr enger Wechselbeziehung zueinander zu lösen h a t : Erstens: Die Leitung der L P G muß verstehen, die Arbeit des Kollektivs nach sozialistischen Grundsätzen zu organisieren. Nur so wird sie die Vorteile des genossenschaftlichen Zusammenschlusses, d. h. in jedem Falle Übergang von bäuerlicher Einzelarbeit zu genossenschaftlicher kollektiver Arbeit, voll ausnutzen, und nur auf diese Weise kann mit einem geringeren Aufwand an Arbeit ein hoher Ertrag in der Feld- und Viehwirtschaft erreicht werden. Ein rasches Wachstum der genossenschaftlichen Produktion, verbunden mit steigender Produktivität der Arbeit, wird dann die Überlegenheit der sozialistischen genossenschaftlichen Wirtschafts.weise über die der Einzelbauern überzeugend demonstrieren. Zweitens: Die Leitung der L P G muß sich gleichzeitig auf den stufenweisen Aufbau der materiellen Grundlagen eines mustergültigen sozialistischen genossenschaftlichen Großbetriebes orientieren und ihn entsprechend den im Perspektivplan festgelegten Zielen organisieren. Sehr häufig wird die zweite Aufgabe als eine Voraussetzung angesehen, um die erste Aufgabe erfüllen zu können. Hierfür reichen jedoch die Kräfte und die materiellen und finanziellen Mittel der neugegründeten L P G nicht aus; es kommt dann zu dem fehlerhaften Schluß, der Aufbau der L P G müsse eine mehr gesellschaftlich-staatliche und die dann folgende Neugestaltung der genossenschaftlichen Produktion eine mehr genossenschaftliche Aufgabe sein. Solche Ansichten sind unter Funktionären und Mitgliedern der L P G stärker verbreitet als meist angenommen wird, und sie hemmen offensichtlich die Kräfte

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der LPG, um die Produktion und den weiteren Aufbau der Genossenschaften organisieren und durchführen zu können. Gewiß ist die gesellschaftliche Hilfe beim Übergang zur genossenschaftlichen Großproduktion unentbehrlich. Sie wirkt in der Form politisch-ideologischer und materieller Hilfe und gewährleistet die rasche Entwicklung der Produktivkräfte in der Landwirtschaft, die nun von den sie hemmenden Fesseln der einzelbäuerlichen Produktionsweise befreit sind. Um aber nachteilige Auswirkungen zu vermeiden, muß der materiellen Hilfe durch die Gesellschaft die politisch-ideologische Überzeugungsarbeit vorauseilen. Dies zeigen folgende Beispiele: In vielen LPG werden neue Gebäude geschaffen. Dafür werden in vollem Umfang staatliche Kredite gegeben. Befragt man einzelne Mitglieder, auf welche Weise sie sich am Neubau der Wirtschaftsgebäude beteiligen, bekommt man nur zu oft die Antwort, daß der Rat des Kreises Bauherr sei und daß erst das fertige Gebäude von der LPG in Nutzung genommen würde. Hier hat die Leitung der LPG versagt und nicht verstanden, die Mitglieder an die Aufgaben des Aufbaus heranzuführen. Viele Genossenschaftsbauern kennen kaum oder nur ungenügend den Plan der Neuanschaffungen ihrer LPG. Sie sind dann erstaunt oder gar aufgebracht, wenn Maschinen, Geräte u. a. m. beschafft werden; deren volle Auslastung nicht gesichert ist. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, daß die gewählte Leitung der LPG den Plan der Neuanschaffungen in einzelnen Positionen im Laufe des Wirtschaftsjahres veränderte, und zwar ohne Beschluß der Mitgliederversammlung. Weder die Revisionskommission noch die Mitgliederversammlung hat dies jedoch bemerkt, und in den Rechenschaftsberichten zur Jahresabrechnung wurden diese Änderungen kurz erwähnt und von den Mitgliedern stillschweigend zur Kenntnis genommen und akzeptiert. Eindeutig handelt es sich in all diesen Fällen um Vorstöße gegen die Bestimmungen des Statuts und die innergenossenschaftliche Demokratie. Es ist wichtig, die Gründe für solche Verstöße aufzudecken. In einer Anzahl von LPG, oft sogar solcher, die sich rasch wirtschaftlich gefestigt haben, stellt der Vorsitzende nach einigen Jahren erfolgreicher (was die wirtschaftlich-materielle Seite anbelangt) Arbeit fest, die Mitglieder seien schuld, ihre Inaktivität sei es, die ihn zu selbständigem Handeln gezwungen habe. Die große Zahl der Mitglieder wiederum erkennt die persönlichen Leistungen eines solchen tüchtigen Vorsitzenden an, aber ihre geringe Teilnahme an der Leitung der LPG begründen sie mit der Antwort, der Vorsitzende sei schuld, er habe sie zu wenig an diese Aufgaben herangeführt, zuviel selbst entschieden und Fragen oder Kritik der Mitglieder schließlich sogar als „Einmischung" zurückgewiesen. Tatsächlich stellen die Entwicklung der genossenschaftlichen Produktion und die Erfordernisse des Aufbaus der LPG täglich neue Aufgaben. Demgegenüber hat die sozialistische Bewußtseinsbildung der Mitglieder und vor allem der Funktionäre, ihr persönliches Verantwortungsbewußtsein, ihre Bereitschaft zur Einordnung in das Kollektiv, in die Brigade oder Arbeitsgruppe und ihre Aktivität bei der Teilnahme an der Leitung und Verwaltung ihrer LPG nicht immer Schritt gehalten. In vielen LPG blieb daher die politisch-ideologische Erziehungsarbeit unter den

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Mitgliedern hinter der Lösung täglich neu auftauchender materieller Probleme zurück, und im Drange der täglichen genossenschaftlichen Arbeit, kam es zu eigenmächtigen Entscheidungen der LPG-Funktionäre, zur Unterdrückung der Kritik und Selbstkritik, zur Unterschätzung der Rolle der Mitgliederversammlungen, des höchsten Organs der L P G . Aus diesem Grunde fordern die Thesen zur V I . L P G Konferenz, die Arbeit der Parteiorganisationen, der staatlichen Organe und der LPG-Beiräte auf die Beseitigung bzw. Verhinderung solcher Mißstände zu orientieren. Vor allem muß der Einfluß der Mitgliederversammlung gehoben werden. Das wird dann von Erfolg sein, wenn die Beschlüsse der Mitgliederversammlung in den Brigaden, Arbeitsgruppen und Kommissionen gründlich diskutiert werden und die Mitgliederversammlung regelmäßig die Arbeit des Vorstandes und die Verwirklichung ihrer Beschlüsse kontrolliert. In den Berichtsversammlungen hat der Vor-, stand den Mitgliedern eine gründliche Analyse des Wirtschaftsablaufs in der Berichtsperiode vorzulegen. An der Ausarbeitung der Analyse sollte sich die Arbeitsgruppe der Hauptbuchhalter der MTS beteiligen. Die Mitgliederversammlung darf aber auch kein eigenmächtiges Revidieren ihrer Beschlüsse durch den Vorstand zulassen. Voraussetzung für die Kontrolle der Beschlüsse der Mitgliederversammlung ist das Abgrenzen der persönlichen Verantwortlichkeit beim Lösen der einzelnen Aufgaben. In der Mitgliederversammlung selbst muß die Kritik und Selbstkritik ohne Ansehen der Person konsequent angewendet werden, um die sozialistische Arbeitsmoral zu heben. E s kommt hier darauf an, den Genossenschaftsbauern zu erklären, daß für das Wachstum des Einkommens der L P G in erster Linie die Stäri kung der genossenschaftlichen Wirtschaft und nicht der individuellen Hauswirtschaft entscheidend ist. Der Übergang zur kollektiven genossenschaftlichen Arbeit ermöglicht die Arbeitsteilung und durch sie eine Spezialisierung der Arbeitskräfte auf einzelnen Gebieten der Agrarproduktion. Eine besondere Aufgabe der Leitung der L P G ist es hierbei, die vorhandenen Kräfte in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Statuts und der Betriebsordnung so in die genossenschaftliche Arbeit einzureihen (und zwar mit ihrer eigenen Zustimmung), daß schließlich unter Vorrang der genossenschaftlichen Belange und Interessen weitgehende Übereinstimmung zwischen den persönlichen Wünschen der Mitglieder und den genossenschaftlichen Erfordernissen besteht. Es ergeben sich in großen Genossenschaften, die ein oder mehrere Dörfer umfassen, gewisse technisch-organisatorische Schwierigkeiten, Mitgliederversammlungen regelmäßig durchzuführen. Hier wird es immer schwerer, die Mitglieder allmonatlich zusammenzufassen. In der Praxis bildeten sich daher verschiedene neue Methoden heraus, um die innergenossenschaftliche Demokratie trotz dieser Schwierigkeiten weiterzuentwickeln. Einige der großen L P G führen nur noch Quartalsberich terstattungen durch, in denen ausschließlich die Hauptprobleme, die die Genossenschaft insgesamt und die Zusammenarbeit der Brigaden betreffen, beraten und beschlossen werden. Die L P G Ilberstedt und Trinvillershagen haben diesen Bedingungen entsprechend ihr S t a t u t geändert. Zwischen den Quartalsbericht-

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erstattungen werden die sich aus den Hauptaufgaben ergebenden Einzelaufgaben auf Brigadeversammlungen diskutiert und beschlossen und später der Mitgliederversammlung zur Bestätigung vorgelegt. Diese Methode h a t sich durchaus bewährt, weil sie dem Entwicklungsstand und den Erfordernissen großer Genossenschaften entspricht. Sie setzt allerdings voraus, daß man die ökonomische und im S t a t u t verankerte Verantwortung und Selbständigkeit der Brigaden im Rahmen der einheitlich geplanten gesamten genossenschaftlichen Produktion genau festlegt und die Brigadeabrechnung eingeführt ist. In einigen anderen großen Genossenschaften werden Delegiertenversammlungen zwischen den Tagungen der Mitgliederversammlung abgehalten. Diese Delegiertenversammlungen dürfen in keinem Fall die Mitgliederversammlung völlig ersetzen, weil sonst ein großer Teil der Genossenschaftsbauern nicht mehr selbst unmittelbar seine Pflichten und Rechte wahrnehmen kann, sondern durch einen Delegierten vertreten wird. Andererseits wird diese Form aber auch nicht ausschließlich an den Platz der neuen Art der Brigadeversammlung, treten. Die Delegiertenversammlung kann aber in den großen L P G neben der neuen Art der Brigadeversammlung bedeutsam werden, wenn sie zwischen den Quartalsberichtsversammlungen durchgeführt wird, um, schnell und operativ über die Fragen entscheiden zu können, die die L P G als Ganzes betreffen. Aber auch f ü r Maßnahmen der Delegiertenversammlung müssen die von der Mitgliederversammlung gefaßten Beschlüsse auf jeden Fall verbindlich sein. Die ständige Mobilisierung der Genossenschaftsbauern zur Erfüllung der Beschlüsse der Mitgliederversammlung und ihre Einbeziehung in die Leitung des einzelnen Arbeitsbereiches erfolgt auf den Produktionsberatungen, den Brigadeversammlungen und den Arbeitsbesprechungen. Dabei sind aber stets die Zusammenhänge zwischen dem einzelnen Abschnitt des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses und der gesamten genossenschaftlichen Entwicklung zu wahren. Das m u ß die entscheidende Aufgabe der Mitgliederversammlung sein. F ü r die Arbeit der einzelnen Produktionsbrigaden gelten die gleichen Grundsätze des demokratischen Zentralismus wie f ü r die Mitgliederversammlung. Das persönliche Verantwortungsbewußtsein der Brigadiere und Brigademitglieder und die Kritik und Selbstkritik ist auch hier Grundlage f ü r eine erfolgreiche Erziehungs- und Organisationsarbeit. Von besonderer Bedeutung ist es, möglichst viele Genossenschaftsbauern durch ihre Teilnahme an der Arbeit der Kommission zur Leitung der L P G heranzuziehen. Durch die regelmäßige Arbeit der Kommissionen in ihren vielfältigen Formen wird ein großer Kreis von Genossenschaftsbauern eigenverantwortlich an der E n t scheidung von grundsätzlichen Fragen des gesamten genossenschaftlichen Lebens beteiligt. Neben ständigen von der Mitgliederversammlung gewählten Kommissionen, wie Revisionskommission, Inventarkommission, Normenkommission, Gesundheits- und Sozialkommission, Arbeitsschutzkommission, Kommission f ü r Kulturarbeit und Wohnungskommission, gibt es auch solche, die n u r zur Vorbereitung und Lösung einzelner Aufgaben der Leitung gebildet und gewählt werden. In der Kommissionsarbeit wird die Mitarbeit der Genossenschaftsbauern an der Leitung auf ein höheres Niveau gehoben und die politische und oranisatorische Qualifikation der Bauern gefördert. Der Erfolg der Kommissionsarbeit kann vergrößert

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werden, wenn ein Vorstandsmitglied, das den besten Gesamtüberblick über die L P G hat, an ihrer Arbeit teilnimmt. Für die Arbeit mit Kommissionen ist zu beachten, daß erstens die Kommissionen nicht formal gebildet werden dürfen, sondern ihre Arbeit eng mit den bestehenden Hauptaufgaben verbunden sein muß. Zweitens sollten sie von der Vollversammlung gewählt und ihr gegenüber auch rechenschaftspflichtig sein. Sie muß regelmäßig und nach einem Plan arbeiten, und die Ergebnisse müssen der Mitgliederversammlung berichtet werden. Kommissionen sollten in Zuk u n f t in allen LPG arbeiten. Die Arbeitsgruppen der MTS haben bei der Qualifizierung und Anleitung der Kommissionsmitglieder eine fühlbare Hilfe zu leisten. Die Aktivierung der Arbeit der Mitglieder in den verschiedenen Kommissionen der LPG wird wesentlich dazu beitragen, die in unseren LPG vorhandenen Produktionsreserven rascher auszuschöpfen. Ein schnelles Wachstum der Produktion und ein rationeller Einsatz aller vorhandenen wirtschaftlichen Mittel der LPG werden gewährleistet und führen so zur Wirtschaftlichkeit der LPG. Diese Seiten der Leitung der LPG werden ergänzt durch die wirtschaftliche Rechnungsführung als eine Hauptmethode der Leitung sozialistischer Betriebe. Die praktischen Erfahrungen lehren, daß mit Einführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ein ausschlaggebendes wirtschaftliches Instrument für die Erreichung und Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der LPG geschaffen wird. Die wirtschaftliche Rechnungsführung ist ein notwendiger ökonomischer Hebel, um die LPG und die Genossenschaftsbauern in den einzelnen Betriebszweigen durch Gegenüberstellen von Aufwand und Ertrag sowie der Kosten und Erlöse an einer guten Erfüllung der Pläne zu interessieren. Gleichzeitig können die Werktätigen durch die wirtschaftliche Rechnungsführung stärker in die Leitung der Genossenschaft einbezogen werden, da sie mit der Ökonomik des Betriebes vertraut gemacht werden und ihnen die wirtschaftliche Rechnungsführung auch ihre Rolle im Produktionsprozeß bewußt macht. Auf die LPG treffen alle Merkmale der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu, wie ökonomische und juristische Selbständigkeit im Rahmen der staatlichen Pläne, Deckung der Kosten durch die Erlöse und das materielle Interesse an einem möglichst hohen Reineinkommen sowie die Kontrolle durch die Mark und das Vertragssystem als Ergänzung zur wirtschaftlichen Rechnungsführung. In den LPG wird die wirtschaftliche Rechnungsführung ebenfalls bis auf die Brigade, die Arbeitsgruppe und letzthin auf den einzelnen Arbeitsplatz ausgedehnt werden müssen. Im Unterschied zur wirtschaftlichen Rechnungsführung in den volkseigenen Betrieben sind die Grundmittel in den LPG nicht staatliches sozialistisches Eigentum, und dementsprechend wird auch nicht der größte Teil des Reineinkommens an den Staat abgeführt. Nach dem durch den Ministerratsbeschluß vom 10. 3. 1955 in den VEG die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Rechnungsführung geschaffen worden sind und seit 1957 31 MTS versuchsweise nach ihr arbeiten, können jetzt auch in den LPG die Elemente der wirtschaftlichen Rechnungsführung schrittweise eingeführt werden. Seit 1957 arbeiten bereits 29 LPG nach der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Bis 1959 soll durch die wissenschaftlichen Stützpunkte die wirtschaftlich

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Rechnungsführung in weiteren L P G eingeführt werden. Das setzt ein einheitliches System der Planung und Abrechnung voraus, das durch eine einfache, übersichtliche Kostenrechnung mit einheitlicher Gliederung ergänzt werden muß. Dabei wird die Selbstkostenrechnung für die Planung des Aufwandes an vergegenständlichter und lebendiger Arbeit in den Perspektiv- und Jahresplänen, für die Auswertung des Jahresabschlußberichts, die Aufdeckung von Mängeln und Reserven und damit für die operative Leitungstätigkeit während des ganzen Jahres ökonomisch notwendig. Mit der Einführung der Kostenrechnung muß zugleich den rückständigen, kleinbürgerlichen Auffassungen, die den Nutzen des Rechnungswesens bestreiten, der Kampf angesagt werden. Die Arbeitsgruppen der Hauptbuchhalter der MTS sollen daher bei der Propagierung der Selbstkostenrechnung an Hand der Auswertung der Abschlußberichte und beim Erfahrungsaustausch zwischen den L P G den großen praktischen Nutzen der Selbstkostenrechnung erklären. Ein wichtiger Schritt zur Einführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung ist die Ausdehnung der Brigadenrechnung bis 1959 in weiteren L P G vom Typ I I I . Auch die Brigadeabrechnung wird die Verantwortung und Initiative der Brigademitglieder an der Erfüllung der Produktionspläne heben. Sie hat allerdings nur dann einen hohen wirtschaftlichen Nutzen, wenn sie ohne zusätzliche Verwaltungskräfte möglich wird. Den Übergang zur wirtschaftlichen Rechnungsführung kann die Brigadeabrechnung nur einleiten, wenn sie die gesamte in den Brigaden verausgabte Arbeit, also die lebendige und vergegenständlichte Arbeit, erfaßt. Es gibt L P G , in denen die vergegenständlichte Arbeit nicht berechnet wird und die Brigadeabrechnung sich nur auf die Abrechnung der Bruttoproduktion und der dafür aufgewendeten Arbeitseinheiten beschränkt. So wurde bis vor kurzem z. B . in Trinvillershagen verfahren. Dort meinten einige Funktionäre, daß die Genossenschaftsbauern auf die Höhe des Verbrauchs vergegenständlichter Arbeit keinen Einfluß haben. Das ist falsch, denn die Bauern können durchaus sparsam mit Dünger, Saatgut und auch mit Futter wirtschaften. Durch eine gut organisierte Brigadeabrechnung, die auch die vergegenständlichte Arbeit erfaßt und ihren sparsamen Einsatz anregt, können noch viele Reserven zur Selbstkostensenkung erschlossen werden. Soll die wirtschaftliche Rechnungsführung wirklich zu einem Mittel der planmäßigen Leitung der L P G werden, so darf sie nicht nur Angelegenheit des Buchhalters, des Vorsitzenden, des Vorstandes oder anderer Funktionäre bleiben. Es müssen unbedingt alle Mitglieder der L P G wirtschaftlich rechnen lernen und mit jedem Gramm, mit jeder Minute und mit jedem Pfennig sparsam umgehen; denn es ist ihr gemeinsames Eigentum, das verwaltet und produktiv eingesetzt werden soll, und es ist ein Teil ihres Arbeitsergebnisses, das schließlich am Ende des Jahres verteilt wird. E s ist ein gefährlicher Trugschluß zu behaupten, eine L P G sei noch nicht genügend entwickelt und man könne daher die wirtschaftliche Rechnungsführung nicht einführen, während man später umgekehrt festgestellt, die L P G entwickelte sich deshalb nur langsam, weil sie nicht die wirtschaftliche Rechnungsführung anwendet.

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Statt dessen müssen die Genossenschaftsbauern aller L P G von Anfang an wirtschaftlich rechnen lernen. Das gilt gerade für die noch schwachen LPG. Wir müssen deshalb heute die Methoden wirtschaftlichen Rechnens an die Genossenschaftsbauern heranführen und sie ihnen verständlich machen. Aber wir können natürlich nicht verlangen, daß eine neugegründete L P G vom Typ I mit 200 oder 300 ha gleich zu Beginn eine exakte Selbstkostenrechnung vorlegt. Ein wesentlicher Schritt zur erhöhten Wirtschaftlichkeit ökonomisch bereits gefestigter L P G ist die Übergabe der Technik der MTS an die L P G in Form von Leihverträgen. Das stellt jedoch zugleich die Leitung und Organisation der Genossenschaften vor neue Aufgaben. Auf Beschluß der VI. LPG-Konferenz wurden von den staatlichen Organen die notwendigen Maßnahmen eingeleitet, um Maschinen und Geräte der MTS an L P G leihweise zu übergeben. Leihverträge können dann abgeschlossen werden, wenn die L P G ökonomisch gefestigt und in der Lage ist, die ihr übergebenen Maschinen und Geräte voll auszulasten. Der Leihvertrag bringt zum Ausdruck, daß die Maschinen und Geräte Volkseigentum bleiben. Mit Hilfe der geliehenen Maschinen und Geräte werden die L P G in der Lage sein, ihre Arbeitsorganisation weiter zu verbessern und wirklich rationell zu wirtschaften. Dieser weitere Schritt in der sozialistischen Entwicklung der Landwirtschaft erfordert in jedem einzelnen Fall eine sorgfältige und umfassende politisch-ideologische und wirtschaftlich-organisatorische Vorbereitung. Vor allem gilt es, die Menschen, die Traktoristen, als LPG-Mitglieder zu gewinnen. Es ist nicht Vorbedingung, die Ausrüstungen ganzer Traktorenbrigaden den L P G zu übergeben. Die L P G übernimmt nur jene Produktionsmittel der Traktorenbrigaden, die von ihr tatsächlich voll ausgelastet werden können. Um die Wirtschaftlichkeit der L P G zu sichern — vor allem aber, um ein durch die Übergabe der Technik bewirktes Ansteigen der Selbstkosten auszugleichen — gewährleistet der Staat den L P G staatliche Zuschüsse für die Dauer von drei Jahren. Diese Zuschüsse nehmen von J a h r zu J a h r ab, so daß die L P G in der Regel zu Beginn des vierten Jahres nach Abschluß des Leihvertrages die vertraglich festgelegten Gebühren in voller Höhe an den Staat entrichten können. Die Feststellung Friedrich Engels in seiner Arbeit „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland" treffen auf die zur Festigung und Entwicklung unserer L P G gestellten Aufgaben ebenfalls voll zu. Friedrich Engels betont, daß die allgemein-gesellschaftliche Leitung sich den nötigen Einfluß auf die Bauerngenossenschaft sichern muß und die Gewährung materieller Vorteile an die Genossenschaften, wie die Vorschüsse an öffentlichen Mitteln zur Einrichtung des Großbetriebes, nur dann voll wirksam sein können, wenn die Rechte und Pflichten der Genossenschaft im ganzen ebenso wie die der einzelnen Mitglieder mit denen der gesamten Gesellschaft in Einklang stehen. Die materielle und ideologische Hilfe des Staates für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ist in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus ein objektiv notwendiges Erfordernis, um die sozialistischen Produk-

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tionsverhältnisse auf dem Lande zu stärken und zum Siege zu führen. Dieser Hilfe der ganzen Gesellschaft steht die Notwendigkeit der Ausschöpfung aller durch das sozialistische Wirtschaftssystem in den Genossenschaften vorhandenen Produktionsreserven als Ausdruck der Gegenseitigkeit des Bündnisses zwischen der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft gegenüber. Die materielle Hilfe des Staates, die politisch-ideologische Arbeit unter den Genossenschaftsbauern und die Mobilisierung der in der Genossenschaft vorhandenen Reserven sind somit ein Komplex von Maßnahmen, die ein Tempo der Entwicklung unserer LPG gewährleisten, um das von Partei und Regierung gestellte Ziel, die Wirtschaftlichkeit, zu erreichen. Die Rechte und Pflichten der LPG und ihrer Mitglieder können denen der Gesellschaft beispielsweise so angeglichen werden, daß man nur verteilt, was in der LPG tatsächlich erarbeitet wurde. Es gibt eine Anzahl von LPG, die tatsächlich schon rentabel wirtschaften, aber ungeachtet dessen eine materielle Hilfe des Staates zur Sicherung des Wertes der AE in Höhe von 7 DM beanspruchen. Die Überhöhung der Anzahl der Arbeitseinheiten durch Anschreiben von Arbeitsstunden, für die die produktive Leistung nicht exakt bestimmt ist, der unexakte Nachweis der für die individuelle Viehwirtschaft ausgegebenen Naturalien weisen im Rechnungswesen und im Jahresabschlußbericht den Entwicklungsstand der LPG zu ungünstig aus. Ein Teil solcher LPG beansprucht zu Unrecht staatliche Mittel, um die im Rechnungswesen ausgewiesenen Differenzen zwischen erreichtem Wert der Arbeitseinheit, z. B. 4,50 DM, und dem auszuzahlenden Wert von 7 DM zu decken, und erhöht so das persönliche Einkommen der Mitglieder auf Kosten der Gesellschaft. Die Interessen der LPG-Mitglieder, der LPG und der Gesellschaft müssen hier unbedingt ausgeglichen werden. Das erreicht man am besten, wenn die staatlichen Mittel nur solchen LPG zugeführt werden, die trotz aller Mühe und trotz des ordnungsgemäßen Betriebs ihrer Wirtschaften das in der DDR z. Z. festgesetzte Minimum des Wertes der Arbeitseinheit von 7 DM nicht erreichen können. In allen Fällen einer falschen Bewertung der Arbeit, der fehlerhaften und gegen das Statut vorstoßenden Verteilung von Naturalien sollte der Staat vor allem die erforderlichen Maßnahmen zur Überwindung solcher falschen und den Fortschritt nur hemmenden Wirtschaftsmethoden einleiten. Die LPG-Beiräte bei den Räten der Kreise, die ökonomischen Arbeitsgruppen der MTS und die Gemeindevertretungen werden hier sehr verantwortungsvoll arbeiten müssen. IV. Es ist wichtig, die Erfahrungen der fortgeschrittensten LPG auf alle LPG, vor allem aber auf die wirtschaftlich noch nicht gefestigten LPG zu übertragen. Es gibt mannigfaltige Ursachen für das Zurückbleiben von Genossenschaften. Darauf verwies Walter Ulbricht in seinem Referat auf der VI. LPG-Konferenz ganz besonders:

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,,In vielen Fällen haben die Genossenschaftsbauern unter ungünstigen natürlichen und" ökonomischen Bedingungen mit der genossenschaftlichen Arbeit begonnen. Daneben gibt es jedoch mannigfaltige Ursachen, wie ungenügende Hilfe und Anleitung durch die örtlichen Partei- und Staatsorgane sowie die MTS, das Fehlen qualifizierter'Leitungskader, schlechte Arbeitsmoral und Arbeitsdisziplin." 7

In den meisten Fällen wird eine exakte Untersuchung der Gründe für das Zurückbleiben in der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen L P G ergeben, daß nicht «ine, sondern mehrere Ursachen zusammenwirken und die wirtschaftlich-organisatorische Festigung beeinträchtigen. Ungünstige natürliche und ökonomische Bedingungen zu Beginn des genossenschaftlichen Wirtschaftens rufen oft Mängel in der Arbeit der Leitung hervor oder beeinflussen zunindest die richtige Arbeit der Leitung der LPG. Die ungenügende Erklärung der großen sozialistischen Perspektiven der Landwirtschaft, also Mängel in der politisch-ideologischen Arbeit der Partei bzw. Staatsorgane, äußern sich in einem fehlerhaften Verhalten zum sozialistischen genossenschaftlichen Eigentum, in Mängeln der Arbeitsdisziplin oder in Disproportionen zwischen der Entwicklung der genossenschaftlichen Wirtschaft und der persönlichen Hauswirtschaft der Mitglieder. Fehler und Mängel in der Organisation der Arbeit werden nicht nur das Wachstum der Arbeitsproduktivität beeinträchtigen, sondern auch die Einstellung der Mitglieder zur genossenschaftlichen Arbeit ungünstig beeinflussen. Die ungenügend organisierte Rechnungsführung wiederum wird nicht nur die exakte Ermittlung der Selbstkosten in der L P G verhindern, sondern auch dazu führen, daß die Verwaltung und der Schutz des genossenschaftlichen Eigentums nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden können. Unter den Mitgliedern entsteht Mißtrauen gegenüber den verantwortlichen Funktionären der LPG. Sie beteiligen sich nur mangelhaft an der Entscheidung über die richtige Verwendung, Verwaltung und vor allem über die Vermehrung des genossenschaftlichen Eigentums durch die Zuführungen zu den genossenschaftlichen Fonds, weil die Kontrolle über alle diese , wichtigen wirtschaftlichen Vorgänge lückenhaft bleiben wird. Bei der Vielfalt der Ursachen für das Zurückbleiben einer Reihe von L P G bei ihrer wirtschaftlich-organisatorischen Festigung kann die Verwirklichung der von Walter Ulbricht auf der VI. LPG-Konferenz gestellten Aufgabe, alle L P G noch im Jahre 1959 so zu festigen, daß sie rentabel wirtschaften, ebenfalls nur durch einen Komplex von Maßnahmen der Partei- und Staatsorgane sowie der Organe der einzelnen L P G erfolgen. Dies ist selbstverständlich eine Aufgabe, die die gesellschaftliche Hilfe und Initiative der Mitglieder und Funktionäre der L P G erfordert. Hervorzuheben ist, daß die gesellschaftliche Hilfe zur Erreichung dieses Zieles nicht einseitg auf Maßnahmen der materiellen Hilfe begrenzt werden darf. Bei Staatsfunktionären und Genossenschaftsbauern besteht hier und da noch eine solche Aussicht. Sie mißachten die Tatsache, daß politisch-ideologische und materielle Hilfe zwei Seiten der gesellschaftlichen Hilfe für die Durchsetzung der sozialistischen 7 Ulbricht,W., Der Siebenjahrplan der sozialistischen Entwicklung in der Landwirtschaft, Sonderdruck ND Nr. 53 vom 22. 2. 1959, S. 22/23.

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Wirtschaftsweise und die Sicherung der Rentabilität der L P G sind und in enger Wechselbeziehung zueinander stehen. Die Arbeit der staatlichen Organe muß gewährleisten, daß sich der Komplex politisch-ideologischer und wirtschaftlich-organisatorischer Maßnahmen für jede einzelne L P G auf die Untersuchung der Ursachen ihres wirtschaftlichen Zurückbleibens stützt und in der richtigen Reihenfolge durchgeführt wird. Große Unterstützung können sich die staatlichen Organe durch die Aktivierung der Arbeit der LPG-Beiräte sichern; denn diese kennen die Erfordernisse der sozialistischen Entwicklung ihrer Kreise genau und werden dadurch allen staatlichen Maßnahmen einen hohen Wirkungsgrad zusichern. Es sollten seitens der L P G Beiräte Vorschläge für die Konzentration der materiellen Mittel, für den Einsatz von Maschinen und Geräten sowie qualifizierter Kader ausgearbeitet und den Kreistagen zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Auf diese Weise werden administrative Entscheidungen weitgehend verhindert und durch Maßnahmen ersetzt, die die Erfordernisse der sozialistischen Entwicklung der Landwirtschaft berücksichtigen. Zusammenfassend können wir feststellen: Der Kampf um die Wirtschaftlichkeit aller L P G ist seinem Inhalt nach ein Kampf um die ständige Produktionssteigerung, die in den L P G auf der Basis des sozialistischen genossenschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und der in ihnen herrschenden sozialistischen Produktionsverhältnisse notwendig und möglich ist. Sein Weg kann nur über die Festigung und Ausweitung dieser sozialistischen Produktionsverhältnisse auf dem Lande, über die Durchsetzung der sozialistischen Wirtschaftsmethoden gegenüber Mängeln, die ein Ausdruck des Alten und Überlebten sind, führen. Ein Teil der Mängel und Hemmnisse bei der raschen Entwicklung der L P G wird nur durch die Gewinnung aller Bauern des Dorfes überwunden werden können, so z. B . die Zersplitterung der genossenschaftlich bewirtschafteten Fläche. Deshalb müssen die Maßnahmen zur Festigung der L P G und zur Sicherung ihrer Rentabilität den erreichten Entwicklungsgrad der sozialistischen Umgestaltung im einzelnen Dorf beachten und die Gewinnung weiterer Mitglieder, nach Möglichkeit aller Einzelbauern, in sich einschließen. Die Verstärkung der Leitungsorgane kann — das entscheiden die örtlichen Bedingungen— durch Qualifizierung der Mitglieder, durch Gewinnung befähigter und fortschrittlich wirtschaftender Einzelbauern, ferner durch Einsatz fähiger Vorsitzender, Brigadeleiter, Buchhalter aus den V E B , aus fortgeschrittenen L P G und gesellschaftlichen Organisationen erfolgen. Die weitere Festigung der innergenossenschaftlichen Demokratie muß durch die strenge Beachtung des Mitbestimmungsrechtes und durch den verstärkten Einfluß der Mitgliederversammlung gewährleistet werden. Die LPG-Konferenz des Kreises Seelow, die am 14. 3 . 1 9 5 9 stattfand, hob diese Aufgaben in ihrer Entschließung besonders hervor und forderte, erfahrene Fachkader, v o r allem Agronomen, aus V E G und L P G in noch nicht rentabel wirtschaftenden L P G einzusetzen. Bedeutsam ist auch die Forderung der LPG-Konferenz im Kreise Seelow, daß zur Unterstützung der noch nicht rentabel wirtschaftenden L P G der

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LPG-Beirat Patenschaften durch fortschrittlich wirtschaftende L P G zu organisieren hat. In einzelnen L P G besteht die Ursache ihres Zurückbleibens vor allem in einem sehr geringen Arbeitskräftebesatz je 100 ha. Da häufig auch noch das Durchschnittsalter der Mitglieder über 40 oder gar 50 Jahren liegt, müssen zusätzliche Mitglieder vor allem aus anderen Wirtschaftszweigen gewonnen werden. Desgleichen ist in solchen L P G die Mechanisierung der Arbeit rasch voranzutreiben. Den LPG-Beiräten fällt hierbei eine sehr wichtige Aufgabe zu: „Wir halten es für notwendig, daß die LPG-Beiräte der Kreise Vorschläge beraten und den Kreistagen unterbreiten, wie die L P G mit wenig Arbeitskräften noch im Jahre 1959 vorrangig mit Maschinensystemen der Innenwirtschaft und mit baulichen Anlagen ausgerüstet werden, um durch eine starke Verminderung des Handarbeitsaufwandes die komplizierte Arbeitskräftelage zu lösen." 8

Trotzdem wird es nicht überall in diesem Jahre möglich sein, die in den L P G anfallenden Arbeiten mit eigenen Kräften zu bewältigen. Um die für die Sicherung der Rentabilität wichtige termingemäße Ausführung aller Arbeiten zu gewährleisten, ist es notwendig, daß die Patenbetriebe sich mit ihren Möglichkeiten darauf konzentrieren, den L P G hierbei zu helfen. Der körperliche Einsatz der Partei- und Staatsfunktionäre wird, wie Walter Ulbricht forderte, ebenfalls auf die noch nicht wirtschaftlich gefestigten L P G zu konzentrieren sein. Die richtige Investitionstätigkeit, insbesondere die Bereitstellung von Maschinen, Geräten, ferner der Zukauf hochwertiger Viehbestände und der Bau moderner Wirtschaftsgebäude werden den raschen Aufschwung der sozialistischen Landwirtschaft in der DDR weiter fördern. Die Einbeziehung der Genossenschaftsbauern in diese großen rasch zu lösenden, aber auch real gestellten Aufgaben kann nur erfolgreich sein, wenn Ökonomie" und Politik, wirtschaftlich-organisatorische und politisch-ideologische Maßnahmen, politische und fachliche Qualifizierung, niemals voneinander getrennt werden. Jedes Genossenschaftsmitglied muß zwar genau wissen, was es an seinem Arbeitsplatz zu tun hat und wie es im einzelnen seine Arbeit auszuführen hat, aber es muß sich auch darüber klar sein, warum und wofür es seine Kräfte einsetzt. Ihm muß der große gesellschaftliche Zusammenhang zwischen seiner eigenen Arbeit, der Entwicklung der L P G und der Erfüllung der großen politischen Aufgaben für die weitere sozialistische Entwicklung in der DDR und die Erhaltung des Friedens im Herzen Europas bewußt sein. Dann wird ihm auch der Zusammenhang z. B. zwischen genossenschaftlicher und persönlicher Wirtschaft,' zwischen der Entwicklung des Reichtums der LPG, der Sicherung des eigenen Wohlstandes bekannt sein, und es wird ihm möglich, richtig zu arbeiten, bewußt und aktiv die genossenschaftliche Entwicklung mitzubestimmen. 8

Ebenda, S. 24.

Andreas Schüler ZU EINIGEN PROBLEMEN DER AKTIVISTEN- UND WETTBEWERBSBEWEGUNG IN DER SOZIALISTISCHEN INDUSTRIE DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN R E P U B L I K In seinen nach der Errichtung der Sowjetmacht geschriebenen Arbeiten wendet sich Lenin immer wieder einem Fragenkomplex zu, den er unter den verschiedensten Gesichtspunkten und mit besonderem Nachdruck behandelt: Dem Problem der höheren Arbeitsproduktivität, durch die in „letzter Instanz" der Sieg der neuen Gesellschaftsordnung gesichert wird, der höheren Form der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit, der neuen Arbeitsdisziplin und der Organisierung des sozialistischen Wettbewerbs. Er orientierte die Partei auf die entscheidende Aufgabe, die werktätigen Menschen zu einer neuen Einstellung zur Arbeit zu erziehen. Diese Aufgabe hielt er für so wichtig, daß er dem 1. Kongreß der Volkswirtschaftsräte 1918 zurief: „Wir dürfen nicht vergessen, daß wir zum ersten Mal an einem solchen Ausgangspunkt der Geschichte angelangt sind, wo von Millionen Werktätigen und Ausgebeuteten in der Tat eine neue Disziplin, die Arbeitsdisziplin, die kameradschaftliche Disziplin, die Sowjetdisziplin herausgebildet wird. Auf schnelle Fortschritte erheben wir keinen Anspruch, mit solchen rechnen wir nicht. Wir wissen, daß diese Sache eine ganze historische Epoche in Anspruch nehmen wird . . . Das ist ,eine unermeßlich schwierige Aufgabe, dafür aber auch eine dankbare Aufgabe, denn erst dann, wenn wir sie praktisch gelöst haben werden, wird der letzte Nagel in den Sarg der kapitalistischen Gesellschaft geschlagen sein, die wir zu Grabe tragen." 1

Es entspricht diesem Leninschen Vermächtnis, wenn die Entschließung des X X I . Parteitages der KPdSU vier Jahrzehnte später feststellt: „Die Kommunistische Partei hat Millionen neuer Menschen, bewußter Erbauer des Kommunismus, erzogen. Das ist die hervorragendste Errungenschaft der sozialistischen Ordnung." 2

Gerade die Möglichkeit, Millionen werktätiger Menschen bewußt für den wirtschaftlichen Aufbau zum Wohle der gesamten Gesellschaft zu mobilisieren, stellt ein wesentliches Element der Überlegenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems gegenüber der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft dar. In welchem Ausmaß das gelingt, entscheidet unter gegebenen Bedingungen über das Entwicklungstempo der neuen Gesellschaftsordnung. Daraus ergibt sich die große Bedeutung dieser Frage. 1

Lenin, W. I., und Stalin, J. W., Über die Gewerkschaften 1917-1952. Verlag Tribüne, Berlin 1955, S. 36. * Sonderbeilage zum Neuen Deutschland, S. 4.

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In der ganzen ersten Periode des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion hing von dem Entwicklungstempo der materiellen Produktionsbasis auf Grund der Angriffe der imperialistischen Mächte Leben und Tod der Sowjetgesellschaft ab. Heute, u n t e r gänzlich anderen Bedingungen, wird innerhalb der materiellen Produktion, „der entscheidenden Sphäre der menschlichen Tätigkeit", 3 die Entscheidung im Kampf zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Weltsystem herbeigeführt. Die Überlegenheit des sozialistischen Weltsystems im ökonomischen Wettbewerb m i t dem kapitalistischen schafft die Voraussetzungen, Weltkriege f ü r immer aus dem Leben der Gesellschaft zu b a n n e n . Unsere Aufgaben in dieser weltweiten Auseinandersetzung, die sich gegenwärtig um die Erhaltung des Friedens konzentriert, wurden auf dem V. Parteitag der S E D formuliert. Wir sind in die Periode der Vollendung des sozialistischen Aufbaus eingetreten, und es gilt, auf diesem Wege bis 1961 unsere Wirtschaft so zu entwickeln, daß durch das Überholen der Arbeitsproduktivität und des Pro-KopfVerbrauchs in Westdeutschland die Überlegenheit unsere Ordnung allumfassend bewiesen wird. Auf diese Weise wird auch in Deutschland das ökonomische, politische und ideologische Kräfteverhältnis weiter zu unseren Gunsten umgestaltet, es werden günstige Voraussetzungen d a f ü r geschaffen, die reaktionären und militaristischen Kräfte, die gegenwärtig den Bonner S t a a t beherrschen, zu isolieren und zu schlagen. Diese K r ä f t e lassen jedoch nichts unversucht, den Gang der Geschichte aufzuhalten, alle Bemühungen u m eine internationale E n t s p a n n u n g zu hintertreiben und mit der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr eine neue gefährliche Barriere gegen die friedliche Wiedervereinigung des deutschen Volkes zu errichten. Die krisenhafte Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft bietet einerseits zusätzliche Möglichkeiten, selbst Unternehmerkreise f ü r die Politik einer friedlichen Koexistenz zu gewinnen, verschärft aber andererseits zugleich die Gefahren faschistischer und kriegerischer Abenteuer. Unter diesen Bedingungen h a t der Zeitfaktor, die maximale Mobilisierung der werktätigen Massen zur Überbietung der Produktionsziele im vollen Bewußtsein der gesellschaftlichen Konsequenzen höchste aktuelle und politische Bedeutung. Um so mehr ist es ein ernstes Versäumnis, daß die Fragen der schöpferischen Initiative der werktätigen Massen in der Produktion in der recht umfangreichen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur unserer Republik k a u m ernsthafte Beachtung gefunden haben. Im folgenden soll versucht werden, einige theoretische Fragen zu beantworten, die die gesellschaftliche Entwicklung in diesem Zusammenhang längst aufgeworfen h a t . Dabei kann die Arbeit keinen Anspruch darauf erheben, diese Probleme umfassend und erschöpfend zu lösen; ihr Ziel ist es vielmehr, einige Gedanken aufzuwerfen und zur Diskussion zu stellen, damit in Zukunft dieser Komplex den ihm gebührenden R a u m in unserer ökonomischen Theorie und Praxis einnimmt. Der sozialistische Wettbewerb als ökonomische Kategorie des

Sozialismus

Die schöpferische Aktivität der werktätigen Massen im Arbeitsprozeß selbst findet ihren konkreten Ausdruck in solchen Erscheinungsformen wie dem sozialistischen 3

Entschließung des XXI. Parteitages der KPdSU, a. a. 0., S. 10.

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Wettbewerb, der Aktivisten- und Neuererbewegung, den Produktionsberatungen usw. Um das wesentlich Neue dieser Erscheinungen zu kennzeichnen, können wir zunächst von den jeweiligen Besonderheiten dieser Formen, ihrer spezifischen Rolle absehen und uns auf die Untersuchung des sozialistischen Wettbewerbs als einer ökonomischen Kategorie des Sozialismus beschränken. Der sozialistische Wettbewerb ist eine völlig neue ökonomische Erscheinung, die es in keiner vorsozialistischen Gesellschaft gibt oder geben kann, weil sie zutiefst dem Wesen der sozialistischen Produktionsverhältnisse entspringt. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse als Produktionsbeziehungen von der Ausbeutung befreiter Produzenten sind allgemein Beziehungen der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und der gegenseitigen Hilfe. Das findet seine vielfältigste Widerspiegelung in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens — Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe prägen in zunehmendem Maße den Charakter aller gesellschaftlichen Beziehungen im Sozialismus, der Beziehungen der Menschen, der Klassen und der Völker zueinander. Am unmittelbarsten drückt sich das in den Formen des Zusammenwirkens der Menschen im Arbeitsprozeß selbst aus. Der sozialistische Wettbewerb ist der deutlichste Ausdruck des Inhalts dieser neuen, sozialistischen Kooperation der Arbeit. Er ist eine Form des bewußten Kampfes der Werktätigen um die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das Wesentliche in den Beziehungen, die sich in ihm herausbilden, ist das Wetteifern zwischen den Arbeitern um höchste Produktionsleistungen und die gegenseitige Hilfe für Zurückbleibende. Der Charakter der Kooperation der Arbeit wird einerseits durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte, andererseits durch den Charakter der Produktionsverhältnisse bestimmt. Ein gewisser Entwicklungsstand der Produktivkräfte bedingt eine entsprechende Teilung und Kombination der Arbeit bei der Erzeugung eines Produktes. Die Art und Weise des Zusammenwirkens in der Arbeit ist zunächst technologisch bedingt. Schon in der ursprünglichen Form der Zusammenarbeit, in der einfachen Kooperation, zeigt es sich, daß jeder gesellschaftlich betriebene, kollektive Arbeitsprozeß materielle Bedingungen für gegenseitige Unterstützung und gegenseitiges Wetteifern in der Arbeit schafft. Marx weist nach, daß bereits die einfache Kooperation eine zusätzliche Produktivkraft hervorbringt. Diese zusätzliche Produktivkraft ist eine Kollektivkraft, insofern zehn Menschen in gemeinsamer Arbeit mehr leisten als zehn isoliert arbeitende. 4 Darüber hinaus steigert die Kooperation zugleich die individuelle Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Arbeiters. Selbst dort, wo nur nebeneinander die gleiche Arbeit verrichtet wird, führt die Kollektivarbeit zu einem höheren, belebenden Arbeitsrhythmus. Ganz augenfällig ist das bei dem gewohnten Bild einer Gleisarbeiterbrigade, die in einheitlichem Rhythmus das Schienenbett stopft. Eine im Gleichschritt marschierende Kolonne duldet keine Nachzügler, und der einzelne ermüdet weniger rasch als allein. Es treten zwei eng miteinander verbundene Momente in Erscheinung: Die Einordnung des einzelnen in das Arbeitskollektiv, die Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls, das den * Vgl. Marx, K., Das Kapital. Bd. I, Berlin 1951, S. 341.

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Einzelmenschen mit seiner begrenzten Leistungsfähigkeit dem höheren Ganzen des Kollektivs unterordnet und der natürliche Ehrgeiz, nicht schlechter als die übrigen zu arbeiten. „Abgesehen von der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler Kräfte in eine Gesamtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produktiven Arbeiten der bloße gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine eigne Erregung der Lebensgeister (animal spirits), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen erhöhen..." 5 Stärker noch treten diese Momente hervor, wo aus dem Nebeneinander ein unmittelbares Miteinander in der Arbeit wird. Die gemeinsame Arbeit erfordert ein gegenseitiges Abstimmen der Handgriffe, ein Aufeinander-Eingehen, eine Koordinierung der Bewegungen. Ist bei unserem Beispiel einer Gleisarbeiterbrigade der gemeinsame Arbeitsrhythmus noch kein zwingender, so wird er es beim gemeinsamen Schmieden mit zwei Hämmern. Jeder, der selbst produktiv gearbeitet hat, weiß, daß die Arbeit in einem gut eingespielten Arbeitskollektiv flotter von der Hand geht. Der reibungslose Ablauf jedes gesellschaftlich betriebenen Arbeitsprozesses erfordert ein gutes Einvernehmen der kooperierenden Arbeiter, eine gegenseitige Unterstützung und Hilfe in der Arbeit. Die materielle Grundlage für Beziehungen der gegenseitigen Hilfe und des gegenseitigen Wetteiferns sind demnach im kollektiven Charakter des Arbeitsprozesses selbst gegeben; mit dem wachsenden Grad der Vergesellschaftung der Arbeitsprozesse werden die Arbeiter immer stärker aufeinander angewiesen. Ob und inwieweit sich auf dieser materiellen Grundlage derartige Arbeitsbeziehungen frei entwickeln können, hängt von den herrschenden Produktionsverhältnissen ab. Die Einstellung zur Arbeit und zum Arbeitskollegen ergibt sich aus der Stellung des Menschen zu den Produktionsmitteln. J e d e Kooperation der Arbeit hat daher neben ihrer technologisch bestimmten Form einen spezifischen gesellschaftlichen Inhalt. Die kapitalistische Kooperation der Arbeit wird durch den Widerspruch zwischen dem hohen Grad der Vergesellschaftung der Arbeit im Produktionsprozeß und der privatkapitalistischen Aneignung des Produktes auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln charakterisiert. Alle Momente des einheitlichen und kollektiven Produktionsprozesses, die gegenseitiges Wetteifern und gegenseitige Hilfe erfordern und fördern, erscheinen im Kapitalismus als despotisch vom Kapital aufgezwungene Produktionsbeziehungen der Ausbeutung. Die Arbeiter haben keinerlei Interesse an einer Steigerung der Arbeitsproduktivität, die in Zusammenhang mit einer maßlosen Intensivierung der Arbeit nur zur Verschärfung der Ausbeutung auf dem Wege der Erzeugung von relativem und absolutem Mehrwert führt. Zugleich bedroht die fortschreitende Technisierung, die Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals den Arbeiter mit der Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Das Arbeitslosenheer wirkt seinerseits als Druckmittel auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der noch beschäftigten Arbeiter zurück. 5

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So geraten die Produktivkräfte in ihrer Entwicklung nicht nur immer mehr in Widerspruch zu den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, sondern ihre Entwicklung wird zugleich als Funktion des Kapitals zu einem Instrument, das die Arbeiterklasse immer stärker in die Zange der Ausbeutung nimmt. Dadurch gelangen die Arbeiter in ihren Beziehungen zueinander selbst in einen tiefen inneren Widerspruch. Einerseits vergesellschaftet das kapitalistische Fabriksystem die Produktionsund Arbeitsprozesse in großem Maßstabe und schafft somit die materiellen Bedingungen für kollektives Arbeiten; es führt große Arbeitermassen in die Produktionsstätten zusammen. Andererseits unterwirft die kapitalistische Produktion auch die Arbeiterklasse dem Konkurrenzkampf. Der grundlegende ökonomische Antrieb zur Steigerung der Produktion ist der Profit, der ein Antrieb für den Kapitalisten und nicht für, sondern gegen den Arbeiter ist. Der Wetteifer der Arbeiter in der Produktion, die gegenseitige Hilfe im Hinblick auf die Produktion, die der gesellschaftlichen Arbeit eigen sind, müssen daher im Kapitalismus verkümmern. Die kapitalistische Ausbeutung erstickt die Initiative und den Wettbewerb der eigentlichen Produzenten, der Arbeiter. Wenn die Apologeten des Kapitalismus vom „freien Wettbewerb" sprechen, so ist das der „Wettbewerb" des Kapitalisten, die Konkurrenz, die Marx als den „Wetteifer im Hinblick auf den Profit" 6 bezeichnete. Da im Kapitalismus die Arbeitskraft eine Ware ist, herrscht auch auf dem Arbeitskräftemarkt die Konkurrenz um den Arbeitsplatz — fortwährend verschärft durch die Furcht vor der Arbeitslosigkeit. Der Arbeiter im kapitalistischen Betrieb ist fortwährend hin- und hergerissen zwischen seinem natürlichen Bedürfnis, dem Arbeitskollegen zu helfen, und der Besorgnis, sich einen gefährlichen Konkurrenten heranzuziehen, der ihn von seinem Arbeitsplatz verdrängen kann. Der Konkurrenzkampf zwischen den Arbeitern droht ständig, die kameradschaftlichen Beziehungen und gegenseitige Unterstützung in der Produktion zu zerreißen. Wenn sich auf der Grundlage des kapitalistischen Fabriksystems die Arbeiter trotz der Konkurrenz solidarisch zur Klasse formieren und organisieren, so ist es gerade der Widerstand gegen das Kapital, der sie zusammenschweißt, ihr gemeinsames, gegen das Kapital gerichtete Klasseninteresse. Die Klassensolidarität des Proletariats, die gegenseitige Unterstützung und Hilfe richten sich nicht auf Produktionsziele, sondern im Gegenteil auf den Kampf gegen das Kapital, das die Produktion beherrscht. Das findet nicht nur in den großen Schlachten des Klassenkampfes, in Streiks und politischen Aktionen seinen Ausdruck, sondern bestimmt auch das tägliche Zusammenleben im Betrieb. So richtet sich die gegenseitige Hilfe nicht darauf, die Produktion zu steigern, sondern die Arbeit zurückzuhalten, nicht darauf, die besten Erfahrungen zu verallgemeinern, sondern sie erfolgreich vor dem Kapitalisten und seinen Aufsehern zu verbergen. Wenn sich die Arbeiter dennoch in der Arbeit unmittelbar gegenseitig helfen, dann ebenfalls nicht im Interesse einer Leistungssteigerung, sondern um sich die • Marx, K., Das Elend der Philosophie. Berlin 1952, S. 166.

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Arbeit zu erleichtern, ihr Los im Betrieb überhaupt einigermaßen menschlich und erträglich zu gestalten. Das alles verdeutlicht, wie groß die Umwälzung ist, die der Übergang zum Sozialismus im Denken und Handeln der Arbeiter erfordert. Der Sozialismus überwindet die Widersprüche des Kapitalismus, indem er die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum überführt und damit in Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte bringt. Lenin weist darauf hin, daß die Arbeit die Menschen verbindet, während das Privateigentum sie voneinander trennt. Der Sozialismus reißt die Schranken des Privateigentums zwischen den Menschen nieder; das gesellschaftliche Eigentum verknüpft die arbeitenden Menschen durch das Band der gemeinsamen Interessen auf das engste. Die Ausbeutung wird beseitigt, und die Arbeit wird zur einzigen Quelle des Einkommens. An die Stelle von Produktionsverhältnissen der Ausbeutung einer Klasse durch die andere treten Produktionsverhältnisse der kameradschaftlichen Zusammenarbeit. „Sobald die Gesellschaft sich in den Besitz der Produktionsmittel setzt und sie in unmittelbarer Vergesellschaftung zur Produktion verwendet, wird die Arbeit eines jeden, wie verschieden auch ihr spezifisch nützlicher Charakter sei, von vornherein und direkt gesellschaftliche Arbeit."' Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit bei der Erzeugung der zum Lebensunterhalt erforderlichen materiellen Güter ergibt sich hier nicht lediglich aus dem kollektiven Charakter des Arbeitsprozesses schlechthin, der im Kapitalismus jedoch als äußerer Zwang des Kapitals a u f t r i t t ; die produktive Arbeit wird zur freiwilligen Assoziation von der Ausbeutung befreiter, gleichberechtigter Gesellschaftsmitglieder. Da die Produktion jetzt unmittelbar der Befriedigung der Bedürfnisse dient, erhält die Kooperation der Arbeit einen neuen Sinn. An die Stelle des „ I c h " t r i t t das „ W i r " . Wetteifer und gegenseitige Hilfe bei der Arbeit erweisen sich nicht nur als natürliches Ergebnis des Arbeitsprozesses, sondern sind zutiefst begründet im gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln, im Wesen der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Aus ihnen ergibt sich eben, daß der Wetteifer nicht mehr mit dem Wolfsgesetz der kapitalistischen Konkurrenz verbunden ist, sondern die ökonomischen Voraussetzungen d a f ü r gegeben sind, ihn in menschlicher Form zu entfalten, d. h. verbunden mit kameradschaftlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse bieten aber nicht n u r erstmalig die Möglichkeit f ü r die Entwicklung derartiger Kooperationsbeziehungen, sondern diese sind auch ihrerseits f ü r die Entwicklung des Sozialismus objektiv notwendig, weil nur sie den gegebenen Klassenverhältnissen entsprechen. Mit dem Wegfall des ökonomischen Zwangs der kapitalistischen Konkurrenz kann das erforderliche Wachstum der Produktion lediglich durch kameradschaftliche Zusammenarbeit — bei gegenseitigem Wetteifern und gegenseitiger Unterstützung — auf der Grundlage der schöpferischen Masseninitiative gewährleistet werden. i Engels, F., Anti-Dühring. Berlin 1956, S. 385.

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Mit der neuen Stellung zu den Produktionsmitteln spielt der arbeitende Mensch als wichtigste Produktivkraft eine qualitativ neue Rolle. E r beherrscht den Produktionsprozeß nicht n u r technisch, sondern auch gesellschaftlich. „Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben."8 Die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung setzen sich nicht mehr spontan durch, sondern im Ergebnis der planmäßigen und bewußten Handlungen der gesellschaftlich vereinten Produzenten. Die schöpferische Masseninitiative, die im sozialistischen Wettbewerb ihren Ausdruck findet, wird somit zur entscheidenden Voraussetzung und Triebkraft des gesellschaftlichen Fortschritts. Schöpferische Masseninitiative in der Produktion in Form von Wetteifer und gegenseitiger Hilfe sind infolgedessen allgemeingültige und wesentliche Erscheinungen in den gesellschaftlichen Beziehungen des Sozialismus. Das bestätigen die praktischen Erfahrungen aller sozialistischen Länder. Sie sind als Wesenszug der Produktionsverhältnisse ebenso objektive Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus, wie Konkurrenz und Ausbeutung objektive Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus sind. Das Wesen der ökonomischen Gesetze des Sozialismus als bewußt erkannte und planmäßig durchgesetzte Notwendigkeiten bringt eine Reihe von Besonderheiten in ihrem Wirken mit sich. Wenn sich die sozialistischen Gesetzmäßigkeiten nicht im Selbstlauf durchsetzen, so heißt das: J e umfassender die Gesellschaft und jeder einzelne die gesellschaftlichen Zusammenhänge erkennt und alle Handlungen den Erfordernissen dieser Gesetze anpaßt, desto wirksamer werden alle objektiven Möglichkeiten des Sozialismus im Interesse eines raschen gesellschaftlichen Fortschritts ausgenutzt. So wird das sozialistische Bewußtsein zu einer gewaltigen vorwärtstreibenden K r a f t . Es entwickelt sich aber nicht im Selbtlauf auf der Grundlage der neuen gesellschaftlichen Bedingungen, sondern setzt sich unter dem Einfluß und dem Beharrungsvermögen alter Denkweisen u n d Gewohnheiten n u r allmählich und im Kampfe durch. Der Widerspruch zwischen den sozialistischen Bedingungen und den aus dem Kapitalismus übernommenen Vorstellungen f ü h r t zu bestimmten Übergangsschwierigkeiten. Mit der Überführung der Betriebe in Volkseigentum entfällt der ökonomische Druck der Ausbeutung, und es werden die materiellen Bedingungen f ü r sozialistische Beziehungen geschaffen. Relativ frühzeitig wird in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus auch die Arbeitslosigkeit überwunden, die einen H a u p t f a k t o r bei der Erzwingung der Arbeitsdisziplin im Kapitalismus darstellt. Demgegenüber bedarf es bei der Umerziehung der gesamten Arbeiterschaft zu einer neuen Einstellung zur Arbeit, zu einem sozialistischen Bewußtsein einer längeren Zeit. Die neuen ökonomischen Bedingungen werden also nur im Verlaufe eines Erziehungsprozesses voll wirksam, der f ü r die Partei der 8

Ebenda, S. 351.

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Arbeiterklasse eine große Verantwortung mit sich bringt. Als führende Kraft der Arbeiterklasse und auf Grund ihrer Einsicht in die ökonomischen und politischen Zusammenhänge muß sie dieses Bewußtsein mit Hilfe der Gewerkschaften — den ideologischen Schulen des Sozialismus — in die Massen hineintragen und festigen. Dieser Erziehungsprozeß ist nicht nur eine Sache der Aufklärung. Die stärkste Überzeugungskraft üben das persönliche Beispiel und die eigenen, praktischen Erfahrungen aus. Folglich genügt es nicht, eine allgemeine Aufklärungsarbeit zu leisten, sondern die Partei muß die Masse der Arbeiter für den Kampf um die Durchsetzung der ökonomischen Gesetze und Beziehungen des Sozialismus organisieren. Auch das kann nur über die Massenorganisation der Arbeiterklasse, die Gewerkschaft, erreicht werden. Der Kampf der Arbeiter um die Erfüllung der Produktionsaufgaben in den sozialistischen Betrieben wird vor allem in den Formen der Produktionsberatungen, der Aktivisten- und Neuererbewegung und des sozialistischen Wettbewerbs organisiert. Das sind die wichtigsten, den sozialistischen Produktionsverhältnissen und Kooperationsbeziehungen vollkommen entsprechenden Formen bzw. Methoden. Diese Formen oder Methoden bringen das Wesen der sozialistischen Produktionsverhältnisse und Kooperationsbeziehungen zum Ausdruck und können daher auch nicht auf andere, etwa kapitalistische Produktionsverhältnisse übertragen werden; andererseits ist es aber im Sozialismus nicht möglich, sie durch andere Methoden zu ersetzen. Insofern die Produktionsverhältnisse und die ökonomischen Gesetze die Formen und Methoden der Wirtschaftführung im Sozialismus bestimmen, sind diese Methoden keineswegs willkürlich, sondern objektiv und gesetzmäßig bestimmt, objektive Kategorien. Das darf jedoch nicht dazu verleiten, sie mit den ökonomischen Gesetzen selbst zu verwechseln: Der Unterschied zwischen beiden besteht in dem Unterschied zwischen der objektiven Möglichkeit und Notwendigkeit eines allgemeingültigen ökonomischen Prozesses und den konkreten Formen und Methoden ihrer Verwirklichung durch die handelnden Menschen. Es ist der gleiche Unterschied, den Stalin in seiner Arbeit „ökonomische Probleme des Sozialismus in der U d S S R " im Hinblick auf die Beziehung zwischen dem Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft und der Volkswirtschaftsplanung im Sozialismus aufdeckt. Schöpferische Initiative, gegenseitige Hilfe und Wetteifer sind gesetzmäßige Züge der sozialistischen Kooperation der Arbeit. Die sozialistischen Wettbewerbe werden jedoch von Menschen organisiert und geführt und können daher im konkreten Einzelfall den objektiven Erfordernissen der sozialistischen Produktionsverhältnisse und ihrer ökonomischen Gesetze mehr oder minder gut entsprechen. Es kommt darauf an, die Methoden des Wettbewerbs ständig zu vervollkommnen, um die durch die sozialistischen Verhältnisse gegebenen Möglichkeiten voll auszunutzen. Auf diese Weise trägt die Weiter- und Höherentwicklung des sozialistischen Wettbewerbs wiederum zur Festigung und Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse bei.

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Als Hauptform des Kampfes der Arbeiter um die Steigerung der Arbeitsproduktivität steht der sozialistische Wettbewerb in engem Zusammenhang mit einer Reihe von ökonomischen Gesetzen des Sozialismus; am unmittelbarsten mit dem Gesetz des stetigen Wachstums der Arbeitsproduktivität, auf dessen Durchsetzung er alle Anstrengungen konzentriert, mit dem Gesetz der planmäßigen und proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft und in letzter Instanz mit dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus. Soll er in dieser Richtung die maximale Wirksamkeit erlangen, muß seine Zielsetzung so gewählt sein, daß er positiv auf die wichtigsten Faktoren einwirkt, die die Produktivkraft der Arbeit bestimmen: Technik und Technologie, Qualifikation der Arbeiter, ihre Arbeitsmethoden und die Arbeitsorganisation. Dabei werden in unterschiedlichen Etappen der gesellschaftlichen Entwicklung und in verschiedenen Betrieben jeweils die eine oder die andere Frage die Hauptaufmerksamkeit erfordern. Ein sehr enger Zusammenhang besteht offensichtlich zwischen dem sozialistischen Wettbewerb und dem Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung, da die richtige Anwendung des Prinzips der materiellen Interessiertheit wesentlichen Einfluß auf die erfolgreiche Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs ausübt. Wetteifer und gegenseitige Hilfe im sozialistischen Wettbewerb Als eine der wichtigsten Formen der schöpferischen Massenaktivität in der sozialistischen Produktion macht der sozialistische Wettbewerb selbst im Verlauf des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaftsordnung eine Entwicklung vom Niederen zum Höheren durch. Diese Entwicklung erfolgt auf der Grundlage und in Wechselwirkung mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung: Der Entwicklung der Produktivkräfte, der Ausdehnung und Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse im Kampf gegen die Überreste bürgerlicher und kleinbürgerlicher Formen, dem Aufbau und der Vervollkommnung des sozialistischen Staatswesens und der gesellschaftlichen Organisationen und nicht zuletzt der sozialistischen Umwälzung auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur. Zugleich gibt es im sozialistischen Wettbewerb innere Widersprüche, die seine Entwicklung vorantreiben. Wir wenden uns zunächst der Untersuchung einiger dieser inneren Widersprüche zu. Das entscheidende Ziel des sozialistischen Wettbewerbs ist die allgemeine Steigerung der Arbeitsproduktivität; die Mittel dazu sind das Wetteifern zwischen den Arbeitern und die gegenseitige Hilfe. Diese beiden Seiten stellen im sozialistischen Wettbewerb eine dialektische Einheit dar. Die Einheit zwischen beiden besteht in ihrer gegenseitigen Bedingtheit: Das Wetteifern verschiedener Produzenten bzw. Produzentenkollektive erzeugt den gegenseitigen Ansporn zur Leistungssteigerung und damit überhaupt erst die Voraussetzung für das Bedürfnis, den Schwächern zu helfen, das Leistungsniveau der besten einzuholen. Diese Hilfe für die Schwächeren bewirkt erst die gesellschaftliche Wirksamkeit, eine allgemeine Erhöhung der Arbeitsproduktivität zu erreichen. Zugleich schafft die auf höherem Niveau erreichte größere Leistungsdichte erneute Voraussetzungen, den Wetteifer anzuspornen. Bekanntlich zeigen die Er-

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fahrungen, daß „Dauersieger" die Initiative und den Kampfgeist der übrigen erlahmen lassen. 9 Wie der sozialistische Wettbewerb dazu beitrug, eine größere Leistungsdichte auf höherem Niveau zu erreichen, läßt folgendes Beispiel erkennen: VEB Uhren- und Maschinenfabrik „Element Gottwald", Ruhla, Abt. Montage Modell II Arbeitsgang: Spirale rund und flach legen; Leistung in Stück je Stunde Arbeiterin 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Leistg. II. Qu. 58 96 95 82 89 84 90 87

Wbw. vpfl. 97,5 96,5 90 96,5 90 95 87,5

Leistg. III. Qu. 98,4 99,3 99,4 99,1 98,1 98 95,2

Leistg. Okt. 58 100,5 100 98,9 100 94,5 99,5 97,7

Vor dem Wettbewerb betrug die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Leistung beim gleichen Arbeitsgang 14 S t ü c k . Bereits bei der Wettbewerbsverpflichtung wird das Moment des persönlichen Ehrgefühls, nicht hinter den Besseren zurückzubleiben, deutlich: Nicht n u r die Verpflichtungen liegen in den meisten Fällen wesentlich über der bisherigen Leistung, sondern gerade die Kolleginnen mit den niedrigsten Leistungen setzen sich erheblich höhere Ziele (mit Ausnahme der Arbeiterin Nr. 7). Diese Zielsetzungen w u r d e n im I I I . Quartal in jedem Fall überboten, die maximale Differenz beträgt n u r noch 4,2 Stück, die höchste Leistung wird dabei von der Arbeiterin erzielt, die im I I . Quartal am weitesten zurück lag. Im Oktober 1958 steigen die Leistungen weiter an, wobei sich die Staffelung . der Leistungen erneut verändert und die maximale Leistungsdifferenz geringfügig auf sechs ansteigt. Es ist bei dem angeführten Beispiel nicht möglich, im einzelnen nachzuweisen, in welchem Umfang die gegenseitige Hilfe eine Rolle gespielt h a t . Unter gegebenen günstigen Bedingungen konnte der Wettbewerb ein augenfälliges Ergebnis bringen, da es sich u m einen Arbeitsgang handelt, der bereits ein hohes Maß an Können erfordert. Daher wird er n u r von erfahrenen Arbeiterinnen ausgeführt, die ziemlich gleiche Voraussetzungen mitbringen und ein stabiles Kollektiv darstellen. So notwendig beide Seiten, Wettstreit und gegenseitige Hilfe, im sozialistischen Wettbewerb eine Einheit darstellen, so entwickelte sie sich jedoch nicht ohne weiteres gleichmäßig u n d widerspruchslos. Nicht in allen Wettbewerben, die in den verschiedenen Betrieben organisiert und geführt werden, kommen beide Momente ausreichend zur Geltung. Bekanntlich wurden die Wettbewerbe in der Vergangenheit, insbesondere bis zur Initiative der Kollegen Hesse und Werner im E H W Thale in den seltensten Fällen • Deshalb fordert der Beschluß des Präsidiums des Bundesvorstandes des FDGB über die Organisierung und Führung des sozialistischen Wettbewerbs bei Anwendung des Prinzips der materiellen Interessiertheit im zweiten Fünfjahrplan vom 21. 2. 1957 die Auszeichnung derjenigen Arbeiter, „die gegenüber dem Stand im Vormonat bzw. -quartal den größten Fortschritt in ihrer Arbeitsleistung erreichen".

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wirklich von Mann zu Mann bzw. von Kollektiv zu Kollektiv geführt, und auch heute ist die gegenseitige Wettbewerbsaufforderung noch nicht in allen Betrieben Grundlage jedes Wettbewerbs. So notwendig und richtig konkrete Produktionsverpflichtungen der einzelnen Kollegen oder Kollektive sind, sie allein machen noch keinen sozialistischen Wettbewerb aus, da solcherart das Element des Wetteiferns nicht zur Geltung kommt. Der „Wettbewerb" wird anonym geführt, während gerade das Wetteifern erst den Kampf um die höchsten Leistungen mit Leben erfüllt und die individuelle Leistungsfähigkeit erhöht. Diese Tatsache ist jedem Sportler geläufig, der weiß, daß er im Wettkampf höhere Leistungen als im Einzeltraining erzielt. Ohne den gesunden Wettstreit zwischen den Arbeitern kann sich auch die Hilfe für die zurückbleibenden nicht entwickeln. Andererseits führt ein ausgeprägtes Wetteifern keineswegs automatisch zur gegenseitigen Hilfe, sondern kann sich sogar bei falsch verstandener Führung des Wettbewerbs auf Kosten der Hilfe entwickeln. Der persönliche Ehrgeiz oder das Streben nach einer Prämie können unter solchen Bedingungen und auf der Grundlage von Überresten einer kapitalistischen Konkurrenzideologie zu Formen eines verfehlten Wettbewerbsegoismus ausarten, der dem sozialistischen Inhalt des Wettbewerbs zuwiderläuft. Bisweilen kommt es sogar zu solchen extremen Erscheinungen, wie beispielsweise in dem Versuch, den Wettbewerb durch die Behinderung des Wettbewerbspartners zu gewinnen und damit die Formen der bürgerlichen Konkurrenz im sozialistischen Betrieb zu reproduzieren. Eine solche Fehlentwicklung entspricht nicht dem Wesen des sozialistischen Wettbewerbs und führt nicht zu dem Ergebnis einer allgemeinen Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Ihre Ursachen bestehen darin, daß die betreffenden Arbeiter auf Grund einer mangelhaften ideologischen Aufklärung den neuen Inhalt des Wettbewerbs noch nicht richtig erkannt.haben und ihn mit Methoden führen, die der kapitalistischen Vergangenheit angehören. Da die materiellen Bedingungen, die im Kapitalismus die Konkurrenz hervorbrachten, im sozialistischen Betrieb nicht mehr existieren, handelt es sich um einen Widerspruch zwischen den neuen, sozialistischen Produktionsverhältnissen und dem Zurückbleiben in der ideologischen Widerspiegelung dieser Verhältnisse, also um einen nichtantagonistischen Widerspruch, der mit Hilfe der Kritik und Selbstkritik und im ideologischen Umerziehungsprozeß überwunden wird. Während der Wetteifer an Motive anknüpfen kann, die auf anderer Ebene auch in der bürgerlichen Gesellschaft Geltung haben, und gerade deswegen Gefahren egoistischer Reaktionen in sich birgt, bedeutet die gegenseitige Hilfe das entscheidend Neue, das Sozialistische im Wettbewerb. Wenn sich auch schon im Kapitalismus die Solidarität der Arbeiterklasse entwickelt, so setzt sie in jedem Fall ein hochentwickeltes proletarisches Klassenbewußtsein voraus und steht in krassestem Widerspruch zu jeder bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie. Daraus erklärt sich, daß die Entwicklung von Beziehungen gegenseitiger Hilfe die weitaus schwierigere Aufgabe ist. Da sich die sozialistische Hilfe nicht im Selbstlauf entwickeln kann, sondern nur im Ergebnis der ideologischen Umerziehung, bedingt

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das stets die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse. Die Aufgabe bei der richtigen und politisch bewußten F ü h r u n g des sozialistischen Wettbewerbs besteht daher darin, die notwendige und innere Zusammengehörigkeit der beiden Seiten des sozialistischen Wettbewerbs, Wetteifer und gegenseitige Hilfe, zu festigen. Es k o m m t darauf an, den Wettstreit u m die besten Leistungen mit dem Geist der sozialistischen Hilfe zu durchdringen, denn es handelt sich hierbei nicht u m polare Gegensätze, sondern, wie schon bemerkt, um eine dialektische Einheit. Damit wird auch der Wetteifer auf eine höhere Stufe gehoben; zum treibenden Motiv wird nicht mehr der individualistische Ehrgeiz alter Prägung, sondern das sozialistische Streben, sich m i t hervorragenden Taten für die Gesellschaft auszuzeichnen. Das ist die beste Gewähr dafür, daß sich Wetteifer und gegenseitige Hilfe als notwendige Elemente im sozialistischen Wettbewerb gegenseitig befruchten und vorantreiben und d a m i t sowohl zur Steigerung der Arbeitsproduktivität im Interesse der Gesellschaft als auch zur sozialistischen Erziehung der Arbeiter beitragen. Überall dort, wo das gesellschaftliche Ziel der Produktionssteigerung zur Festigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht beim sozialistischen Wettbewerb im Vordergrund steht und nicht ausschließlich an den persönlichen Nutzen appelliert wird, beweisen die Erfahrungen überzeugend, wie der sozialistische Wettbewerb zu dieser Umerziehung der Menschen beiträgt. Das zeigen u. a. solche Äußerungen wie die des Schleifers Walter Willberg, der als einer der ersten in der Thüringer Kugellagerfabrik Zella-Mehlis die SeifertMethode anwandte u n d das folgendermaßen begründete: „Als ehrlicher Arbeiter will ich in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat meine Arbeitszeit ehrlich ausnutzen." Noch klarer erläuterte Günter Christoph: „Ich werde immer gefragt, warum ich so handle, warum ich in der Schicht acht Federn mehr anfertige, ohne daß ich mehr Geld verlange. Wenn man die Sache überdenkt, ist die Antwort gar nicht so schwer. Ich arbeite in einem volkseigenen Betrieb, d. h., was wir mehr arbeiten, kommt uns zugute und fließt nicht in die Taschen eines Kapitalisten."« In diesem Zusammenhang g e w i n n t auch die Beziehung zwischen der Anwendung des Prinzips der materiellen Interessiertheit und der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins wesentliche Bedeutung f ü r die E n t f a l t u n g des sozialistischen Wettbewerbs. Materielle Interessiertheit und sozialistisches Bewußtsein Der Marxismus-Leninismus lehrt, daß die Anwendung des Prinzips der materiellen Interessiertheit in der ersten •sozialistischen Phase der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung unumgänglich und gesetzmäßig ist. Kleinbürgerliche Gleichmacherei oder voreilige Versuche einer Verteilung nach den Bedürfnissen, ehe die P r o d u k t i v k r ä f t e eine vollständige Befriedigung aller Lebensbedürfnisse eines jeden Mitglieds der Gesellschaft gestatten, würden zu einer schädlichen Nivellierung führen, die Entwicklung der Produktivkräfte hemmen und den Aufbau des 1° „Einheit", Nr. 12/1958, S. 1747.

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Sozialismus-Kommunismus verhindern. Das wurde von N. S. Chrustschow erneut mit aller Deutlichkeit auf dem X X I . Parteitag der K P d S U begründet. 11 Gleichzeitig wird in dem Bericht an den X X I . Parteitag auf die ideologische Bedeutung der Verteilung nach der Arbeitsleistung eingegangen: „ S i e spielt auch eine große erzieherische Rolle, gewöhnt die Menschen an sozialistische Disziplin, macht die Arbeit zu einer allgemeinen Pflicht. In der sozialistischen Gesellschaft wird die Arbeitsbegeisterung der Menschen immer höher, eine immer größere Rolle erlangen die moralischen Impulse zur Arbeit. Durch die materielle Interessiertheit, mit dem wachsenden Bewußtsein und kraft der Gewohnheit wird die Arbeit zum Lebensbedürfnis der Millionen Werktätigen der sozialistischen Gesellschaft." 1 2

Diese Worte kennzeichnen den Zusammenhang zwischen materieller Interessiertheit und moralischen Impulsen in der sozialistischen Produktion, den auch Lenin im Auge hatte, als er 1921 davon sprach, daß die Millionenmassen „nicht auf Grund des Enthusiasmus unmittelbar, sondern mit Unterstützung des aus der großen Revolution geborenen Enthusiasmus, auf Grund des persönlichen Interesses . . . " l s zum Aufbau des Sozialismus und Kommunismus herangezogen werden müssen. Die Anwendung der materiellen Interessiertheit und des Leistungsprinzips ist im Sozialismus notwendig, weil die Arbeit noch nicht zum ersten Lebensbedürfnis jedes einzelnen geworden ist und um die Übereinstimmung zwischen den individuellen und gesellschaftlichen Interessen für jeden spürbar zu machen. Die alte Rechtsform des Äquivalenzprinzips drückt neue gesellschaftliche Verhältnisse aus. 14 Im Kapitalismus gibt es keine „materielle Interessiertheit" des Arbeiters an seinem Arbeitsergebnis, weil dies allein dem Ausbeuter zugute kommt. Der vermeintliche „Äquivalentenaustausch" beim Verkauf der Ware Arbeitskraft verschleiert nur die nackte Ausbeutung. Demgegenüber drücken das sozialistische Verteilungsprinzip nach der Arbeitsleistung und das Prinzip der materiellen Interessiertheit schon die neuen, sozialistischen Produktionsverhältnisse und die Identität zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen aus, wenn auch in überlieferten Formen. Die grundlegende Übereinstimmung zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen im Sozialismus schließt nichtantagonistische Widersprüche zwischen ihnen im einzelnen nicht aus, sondern sogar ein. Auf der Gru ndlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln gibt es keine private Aneignung des Mehrprodukts durch eine Ausbeuterklasse mehr; sowohl notwendiges als auch 1 1 Vgl. Chrustschow, N. S., Über die Kontrollziffern für die Entwicklung der Volkswirtschaft der U d S S R in den J a h r e n 1959-1965. Berlin 1959, S. 121. Mit diesem Hinweis und in Anbetracht der Tatsache, daß diese Frage in der marxistisch-leninistischen Literatur ausreichend behandelt ist, meinen wir, auf eine umfassende Darlegung der Notwendigkeit des Prinzips der materiellen Interessiertheit im Sozialismus verzichten zu dürfen. Uns interessiert hier vor allem seine Beziehung zur Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins im Wettbewerb. 1 2 Ebenda, S. 124. 1 3 Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Moskau 1947, S. 890 (Hervorhebung von A. S.). 14 Vgl. Chrustschow, N. S., a. a. 0 .

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Mehrprodukt werden von den Werktätigen selbst angeeignet. Die unterschiedliche Form dieser Aneignung, die direkte, individuelle Aneignung des notwendigen Produkts („Produkt für sich") und die indirekte, gesellschaftliche Aneignung des Mehrprodukts („Produkt für die Gesellschaft") läßt solche Widersprüche auftreten, wie sie sich z. B. in der Frage der Arbeitsnormung in den sozialistischen Betrieben ergeben. Dabei stellt sich aber heraus, daß beispielsweise das vermeintliche persönliche Interesse des einzelnen Arbeiters, durch eine „weiche" Norm eine vollere Lohntüte zu erhalten, nur kurzfristig und kurzsichtig ist, weil der Wohlstand des einzelnen im Sozialismus auf die Dauer n u r mit dem Wohlstand der ganzen Klasse, der Gesellschaft wachsen kann. Alle einzelnen Widersprüche zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen, die im Sozialismus auftauchen, lassen sich nur durch die Unterordnung der persönlichen unter die gesellschaftlichen Interessen positiv lösen. Daraus ergeben sich bestimmte Schlußfolgerungen für die Wechselbeziehungen zwischen der Anwendung der materiellen Interessiertheit und der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins. Da die materielle Interessiertheit an die alte Rechtsform anknüpft, erfüllt sie ihre erzieherische Rolle nicht richtig, wenn nicht zugleich der neue gesellschaftliche Inhalt deutlich gemacht wird, wenn die materiellen Impulse nicht durch ideologische Aufklärung und moralische Impulse ergänzt werden. Eine einseitige Überbetonung oder eine falsche Anwendung der materiellen Interessiertheit bei Vernachlässigung der Bewußtseinsbildung wirkt sich auf die Entwicklung sozialistischer Beziehungen und Arbeitsmethoden ebenso nachteilig aus wie Gleichmacherei; sie führen dazu, Einzel- und Gruppeninteressen über die gesellschaftlichen zu stellen. „Die große Kraft des Volkseigentums kann eingeschränkt und sogar aufgehoben werden durch eine falsche Wirtschaftspolitik, durch die Anwendung der kapitalistischen Marktgesetze, durch Spekulation, Schieberunwesen, Privilegien, durch die Überbetonung der persönlichen und Gruppeninteressen sowie die Verletzung der gemeinsamen gesellschaftlichen Interessen. Um den Egoismus zu bekämpfen, müssen wir das notwendige und nützliche Leistungsprinzip mit dem sozialistischen Bewußtsein verbinden." 16

Auf den sozialistischen Wettbewerb angewandt, bedeutet das: Weder die eine noch die andere Seite darf vernachlässigt werden; sie dürfen aber auch nicht voneinander isoliert nebenher laufen. Wesentliche Bedeutung kommt gleichfalls der Form zu, in der das materielle Interesse erweckt wird. Die Unterschätzung und Vernachlässigung materieller Anreize im sozialistischen Wettbewerb bedeutet eine Form des Sektierertums. Der alleinige, in solchen Fällen ohnehin zumeist formale Appell an das „Bewußtsein" schränkt von vornherein die Massenwirksamkeit des Wettbewerbs ein und orientiert aus Bequemlichkeit auf einige wenige der bewußtesten und fortschrittlichsten Arbeiter. Das widerspricht 415 Ulbricht, W., Der Kampf um Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat. Referat auf dem V. Parteitag der SED. Berlin 1958, S. 79.

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dem Prinzip, die Massen an die Fortgeschrittensten heranzuführen und benachteiligt darüber hinaus die Aktivisten materiell gegenüber Arbeitern mit niedrigeren Leistungen. Ebenso schädlich wirkt sich das andere Extrem aus, Wettbewerbe nur mit handfesten Prämienversprechungen ins Leben zu rufen. 16 Es entwürdigt den sozialistischen Wettbewerb, beraubt ihn seines sozialistischen Inhalts, wenn daraus ein nacktes Geldgeschäft, eine Art Prämienkontrakt gemacht wird. Auf diese Weise wird nicht das sozialistische, sondern das bürgerliche Bewußtsein gefördert. Es können keine dauerhaften Erfolge erzielt werden, weil mit dem Ablauf des „Prämienkontrakts" die Produktionsleistung wieder absinkt. Die schädliche Tendenz zur unrhythmischen Produktion wird verstärkt; es hat sogar Fälle gegeben, in denen Arbeiter bei wichtigen Exportaufträgen geradezu auf Terminverzögerungen spekulierten, um entsprechende Prämien für die Einhaltung gefährdeter Termine herauszulocken. Gewöhnlich beschweren sich in solchen Fällen die verantwortlichen Funktionäre des Betriebes über das angeblich mangelnde Bewußtsein der Arbeiter. In Wirklichkeit sind jedoch nicht die Arbeiter, sondern die leitenden Funktionäre des Betriebes und der gesellschaftlichen Organisationen, in erster Linie die Betriebsparteiorganisationen daran schuld, da sie ein einseitiges Appellieren an das Streben nach höheren Geldeinnahmen zuließen, ohne die gesellschaftlichen Ziele, Aufgaben und Bedeutung des sozialistischen Wettbewerbs ausreichend in den Vordergrund zu stellen. Das heißt aber von vornherein, auf die entscheidende und notwendige Triebkraft im sozialistischen Wettbewerb und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität zu verzichten, nämlich auf das sozialistische Bewußtsein. Dabei nutzt es relativ wenig, wenn z. B. in Kurzversammlungen zu bestimmten politischen Tagesfragen Stellung genommen wird, ohne hierbei direkte Verbindungen mit den Problemen des sozialistischen Wettbewerbs im jeweiligen Betrieb herzustellen, weil dadurch die konkrete Aufgabenstellung, die persönliche Schlußfolgerung für die tägliche Arbeit nicht deutlich gemacht wird. Es gilt vielmehr, den sozialistischen Wettbewerb mit politischer Zielsetzung zu führen, d. h. die ideologische Auseinandersetzung und Erziehung an Hand und im Interesse der ökonomischen Aufgaben zu führen, die materiellen Anreize zur politischen Bewußtseinsbildung auszunutzen. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist die Seifert-Methode, weil sie unter Berücksichtigung der persönlichen materiellen Interessen deren Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Interessen deutlich macht und die Auseinandersetzung über eine sozialistische Arbeitsmoral, eine ehrliche Arbeit für den Arbeiter-und-Bauern-Staat erfordert und fördert. Die Erfahrungen bei der Einführung der Seifert-Methode zeigen jedoch zugleich, daß das nicht von allen Funktionären verstanden wurde. Einerseits wurden stellen1 8 Vgl. hierzu Ludwig, B . F., Wie lange noch Brieftaschenwettbewerbe?, „ D i e Arbeit", Nr. 5/1958, S. 14, sowie die Stellungnahmen dazu in: „ D i e Arbeit", Nr. 7/1958, S. 4 8 f f . ; Müller, F., Materielle Interessiertheit und sozialistisches Bewußtsein. „ E i n h e i t " , Nr. 3/1959, S. 436.

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weise nicht unerhebliche Lohneinbußen bei Initiatoren der Seifert-Methode zugelassen, andererseits kam es auch vor, daß wohlVerlustzeiten ausgewiesen und n ur en tsprechend entlohnt, aber keine neuen Normen ausgearbeitet wurden. Die unvermeidlich nachfolgende Korrektur mußte notwendigerweise zu neuen Konflikten führen. In beiden Fällen wurde der ideologischen Überzeugung ausgewichen, die Einheit von gesellschaftlichen und persönlichen Interessen gröblichst verletzt, die Seifert-Methode in den Augen der Arbeiter diskreditiert und die sozialistische Bewußtseinsbildung gehemmt. Wo es demgegenüber gelang, die Arbeiter von Anfang an davon zu überzeugen, daß die Seifert-Methode keine Lohnunsicherheit zur Folge hat, sondern dazu dient, Verlust- und Wartezeiten in operative Zeiten umzuwandeln und ohne Lohnverluste fortschrittliche Arbeitsnormen einzuführen, wurden wesentliche Erfolge bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität, der Senkung der Selbstkosten und der Stärkung der sozialistischen Arbeitsmoral erzielt. Die Diskussionen über die Perspektiv- und Rekonstruktionspläne in unseren sozialistischen Betrieben, die vielfältigen Vorschläge und Verpflichtungen zur Überbietung der gestellten Ziele zeigen die wachsende Bereitschaft breitester Massen von Arbeitern, in selbstloser Weise und unter Zurückstellung persönlicher Vorteile für die Gesellschaft zu arbeiten. Da die Arbeiterklasse in ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln, in ihren Interessen und historischen Entwicklungsbedingungen in allen sozialistischen Betrieben im wesentlichen die gleichen Voraussetzungen mitbringt, können die unterschiedlichen Erfolge nur auf die unterschiedliche Fähigkeit der leitenden Funktionäre in ihrer Führungstätigkeit zurückzuführen sein. Es kommt nur darauf an, wie sie es verstehen, sich auf die Bereitschaft und Fähigkeit ihres Arbeitskollektivs zu stützen, dessen Initiative zu wecken und auf die großen Ziele zu lenken. Die Grundprinzipien

der sozialistischen Wirtschaftsführung Wettbewerb

im

sozialistischen

Im sozialistischen Wettbewerb manifestiert sich somit mit aller Deutlichkeit der Zusammenhang zwischen Ökonomie und Politik in der sozialistischen Wirtschaftsführung. Der revisionistische Charakter derjenigen Rezepte, die sich bei der Leitung der volkseigenen Wirtschaft allein auf „ökonomische Hebel" verlassen wollen, liegt nicht zuletzt in der Sprengung dieses Zusammenhangs, in der Unterschätzung des bewußten Faktors und damit in letzter Instanz der führenden Rolle der Partei. Die Notwendigkeit der Einheit von politischer und ökonomischer Leitung ergibt sich aus der Rolle der Bewußtheit der Massen bei der Durchsetzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Im Sozialismus beherrscht der Mensch die Bedingungen seines gesellschaftlichen Lebens; er gestaltet bewußt die notwendige Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, indem er sich auf die objektiven Erfordernisse des Gesetzes der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte stützt. Immer mehr wird die Produktionstätigkeit zum bewußten Kampf um die politische und ökonomische Festigung, um den endgültigen Sieg des Sozialismus und den Aufbau des Kommunismus.

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Mit der fortschreitenden Veränderung des Kräfteverhältnisses im Kampf zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Weltsystem zugunsten des Sozialismus nimmt der Klassenkampf immer mehr (neben anderen Formen) die Form des ökonomischen Wettbewerbs beider Systeme an. Damit gewinnt der Kampf um die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Entwicklung der sozialistischen Produktion einen tiefen politischen und sozialökonomischen Inhalt. J e besser und je stärker sich die Arbeiterkollektive in den einzelnen Betrieben über die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Produktionsaufgaben als Bestandteil dieses historischen Prozesses Klarheit verschaffen, desto wirksamer wird sich ihre schöpferische Aktivität entfalten. Alle großen Massenbewegungen in der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung der DDR entwickelten sich unter Losungen, die die politischen und ökonomischen Erfordernisse der gegebenen Etappe und damit die wachsende Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge ausdrückten. Für die richtige Führung des sozialistischen Wettbewerbs ist daher die Einheit von politischer und ökonomischer Leistung und das Primat der politischen Führung unerläßlich. Das ist zugleich die schwierigste Aufgabe, denn zu ihrer Lösung reicht eine allgemein gehaltene politische Aufklärung nicht aus. Vielmehr kommt es darauf an, konkret den wirkungsvollsten Zusammenhang zwischen den betrieblichen und den gesellschaftlich-politischen Aufgaben zu finden und überzeugend darzulegen, so wie das beispielsweise bei der ,,Steckenpferd"-Bewegung hervorragend gelang. Die „Steckenpferd"-Bewegung legt ein besonders augenfälliges Zeugnis dafür ab, wie weit die Arbeiter unserer Republik bereits den engen Horizont der bürgerlichen Gesellschaft überschritten und gelernt haben, in gesamtvolkswirtschaftlichen Zusammenhängen zu denken und sich für ihre sozialistische Wirtschaft als Ganzes verantwortlich zu fühlen. Die rasche und erfolgreiche Ausbreitung der „Steckenpferd"Bewegung gibt für die richtige politische Führung des sozialistischen Wettbewerbs zwei wesentliche Hinweise: 1. Die größte Lebensfähigkeit besitzen die aus der Arbeiterklasse selbst hervorgegangenen Wettbewerbsformen und Initiative. Daher besteht eine der wichtigsten Aufgaben bei der Führung des sozialistischen Wettbewerbs darin, alle solche aufkeimenden neuen Formen sorgfältig zu beachten, zu fördern und in die richtigen Bahnen zu lenken. 2. Diese Wettbewerbsformen und diese Initiative entstehen aus der Einsicht über die Bedeutung der eigenen Arbeit für den Aufbau des Sozialismus, und zwar nicht als allgemeine „Schulweisheit", sondern konkret, im Einzelfall. Daher bedeutet politische Führung des sozialistischen Wettbewerbs vor allem, zu zeigen, welche Rolle die Erfüllung des Produktionsprogramms im jeweiligen Betrieb, in der Abteilung für das Chemieprogramm, für die Massenbedarfsgüterproduktion, für die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe spielt, wie die Einhaltung einer Exportverpflichtung ein moralisches Gebot der sozialistischen gegenseitigen Hilfe im sozialistischen Lager oder zur Stärkung der anti-imperialistischen Nationen ist usw. Das heißt im Grunde nichts anderes, als die Losung „Plane mit — arbeite mit — regiere m i t " in der täglichen Arbeit mit Leben zu erfüllen. Die Verpflichtungs-

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bewegung zum 10. Jahrestag der Republik, die Kompaßbewegung der F D J , der eindrucksvolle Arbeitsaufschwung dokumentieren die Fähigkeit der Massen, diese Losung zu verwirklichen. Die politische Führung des sozialistischen Wettbewerbs, wie der Wirtschaft überhaupt, setzt die marxistisch-leninistische Analyse der ökonomischen und politischen Lage auf der Grundlage der Erkenntnis der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft voraus. Sie ist also ohne die führende Rolle der Partei sowohl im Maßstab der gesamten Gesellschaft wie auch im einzelnen Betrieb nicht zu verwirklichen. Ohne sie ist eine richtige Orientierung der Massenaktivität unmöglich. Für die planmäßige Durchsetzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus mit Hilfe der bewußten und organisierten Anstrengungen der werktätigen Massen bedarf die sozialistische Wirtschaft zugleich der einheitlichen, zentralen Leitung durch den sozialistischen Staat. Nichts widerspricht der Realität mehr als die Thesen der jugoslawischen Revisionisten und ihrer Anhänger, wonach die zentralisierte Leitung der Volkswirtschaft mittels Plandirektiven im Widerspruch zu der Entfaltung der schöpferischen Aktivität der Massen stünde. Im Gegenteil, beide stellen eine untrennbare Einheit dar, die sich im demokratischen Zentralismus als Grundprinzip der sozialistischen Wirtschaftsführung ausdrückt. Ohne die einheitliche Führung kann die Masseninitiative nicht planmäßig auf die Erreichung bestimmter notwendiger Ziele ausgerichtet werden. Das Fehlen einer einheitlichen politischen Führung macht eine organisierte Massenbewegung überhaupt unmöglich. Das gilt auch für die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung. An die Stelle der Konzentrierung aller Anstrengungen auf ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel muß in diesem Falle die spontane Durchsetzung von Einzel- und Sonderinteressen treten oder, in anderen Worten, der spontan-anarchische Marktmechanismus des Kapitalismus. Umgekehrt bleibt die zentrale Leitung ohne Entfaltung der Masseninitiative auf dem Papier, da die Realität der Planaufgaben nicht allein durch ihre richtige Festlegung, sondern vor allem erst durch ihre aktive Verwirklichung in der Arbeit der Massen garantiert wird. Die sozialistische Wirtschaft verlangt zu ihrer Verwirklichung die Einheit von zentraler Leitung in den Grundfragen und operative Selbständigkeit bei der maximalen Entfaltung der Masseninitiative. In diesem Zusammenhang hat der Kampf, der von der S E D und der Regierung um die weitere Vervollkommnung der Arbeitsweise des Staatsapparates geführt wird, enorme Bedeutung. Dem standen zwei Abweichungen vom Marxismus-Leninismus entgegen, die es ideologisch zu schlagen galt: Auf der einen Seite die revisionistische Vorstellung von einer „Selbstverwaltung der Wirtschaft" nach jugoslawischem Muster, die die Notwendigkeit der führenden Rolle der Partei und den sozialistischen Staat mit seinen wirtschaftlich-organisatorischen Funktionen faktisch negierte und damit die Masseninitiative der Spontaneität, dem Marktgesetz, dem kleinbürgerlichen Egoismus auslieferten; auf der anderen Seite bürokratisch-administrative ,,Manager"-Methoden der Leitung, die die schöpferische Bedeutung der Massen in der Produktion gröblich unterschätzten und die Werktätigen zu mehr oder minder passiven Ausführungsorganen von Anordnungen einiger „Industriekapitäne" reduzierten. 14

Probleme Bd. 2

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Stellt die Theorie von der „Selbstverwaltung der W i r t s c h a f t " kleinbürgerlichanarchistische Theorie dar, so handelt es sich beim „ M a n a g e r t u m " um eine Infiltration bürgerlicher Leitungsmethoden und ,,Elite"-Theorien. Ihre Gefährlichkeit besteht darin, daß sie im allgemeinen k a u m als theoretische Plattform formuliert und begründet werden, sondern bei deklamatorischer Anerkennung der schöpferischen Rolle der Volksmassen sich auf den leisen Sohlen des Praktizismus und bequemer bürokratischer Verwaltungsmethoden in die praktische Arbeit einschleichen. F ü r die Verwirklichung des demokratischen Zentralismus in der Wirtschaft genügt es nicht, daß die Arbeiterklasse als herrschende Klasse und gemeinsamer Eigentümer der Produktionsmittel im Sozialismus ihre Vertreter zur staatlichen Leitung der Wirtschaft in die entsprechenden Staats- u n d Wirtschaftsorgane delegiert, denn die wirksame E n t f a l t u n g der Masseninitiative erfordert auch die breiteste direkte Teilnahme der Massen an der Leitung der gesellschaftlichen Produktion und des Staates. Hierbei fällt den Gewerkschaften eine entscheidende Aufgabe zu. Sie ergänzen die wirtschaftlich-organisatorischen Funktionen des sozialistischen Staates, indem sie die Werktätigen in den Betrieben u n d Institutionen zur unmittelbaren Mitwirkung bei der Festlegung und Lösung der Aufgaben heranziehen. So wirken sie als Schulen des Sozialismus. In der Praxis der sozialistischen Produktion haben sich verschiedene Formen der Mitwirkung der Arbeiter und Angestellten bei der Entscheidung u n d Lösung der betrieblichen Probleme herausgebildet: der sozialistische Wettbewerb, die Aktivisten- und Neuererbewegung, das Rationalisierungs- und Erfindungswesen u. a., die jeweils spezifische Seiten dieses Prozesses zum Inhalt haben. In einer Gesamtschau stellen wir uns nicht die Aufgabe, sie im einzelnen zu untersuchen. Besondere Hervorhebung verdient jedoch das System der Produktionsberatungen als eine der wichtigsten und geeignetsten Methoden, die breiten Massen der Arbeiter zur aktiven Mitarbeit beim sozialistischen Aufbau heranzuziehen, weil sie in der kollektiven B e r a t u n g und Beschlußfassung am leichtesten ihre neue Rolle im sozialistischen Betrieb verstehen u n d anwenden lernen. 17 Da die E n t f a l t u n g der Massenaktivität in Produktionsberatungen, im sozialistischen W e t t b e w e r b usw. nicht durch Erlaß zu erwirken ist, müssen die Gewerkschaften als Massenorganisation der Arbeiterklasse ihre Träger sein. Eine echte Initiative wird jedoch nicht gefördert, wenn in der Praxis zahlreicher Betriebe der H a u p tanteil bei der Organisierung von Wettbewerben immer noch den Mitarbeitern der Abteilung Arbeit zufällt und Produktionsberatungen faktisch von Meistern und Abteilungsleitern geleitet werden. Das Gesetz und die Maßnahmen zur Vereinfachung und Vervollkommnung der Arbeitsweise des Staatsapparates schuf entsprechend der weiteren Entwicklung der 17 Der XIV. Parteitag der KPdSU bezeichnete die Produktionsberatungen als „die beste Form, die breiten Massen der Arbeiter zum praktischen Aufbau der Sowjetwirtschaft heranzuziehen, in ihnen das Verständnis für die enge wechselseitige Abhängigkeit der Interessen des Sowjetstaates zu erwecken". (Die KPdSU in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und ZK-Tagungen. 7. Ausgabe, Teil II, Moskau 1953, S. 98/99 russ.)

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sozialistischen Produktionsverhältnisse alle Voraussetzungen, den demokratischen Zentralismus als staatliches Leitungsprinzip von beiden Seiten her noch wirkungsvoller anzuwenden. Während auf der einen Seite die planmäßige Leitung in den Grundfragen konsequenter zentralisiert und die operative Anleitung näher an die Produktionsbetriebe herangebracht wurde, erhielten die Gewerkschaften noch größere Möglichkeiten und Befugnisse, bei der Leitung der Produktion in den Betrieben und staatlichen Organen mitzuwirken. Von besonderer Bedeutung erweisen sich hierbei die Ständigen Produktionsberatungen, die, auf den bisherigen Erfahrungen aufbauend, eine ausgezeichnete Organisationsform darstellen, um den Produktionsberatungen und den Vorschlägen der Arbeiter größere Wirksamkeit zu verschaffen. 18 Das wird durch die bereits mit den Ausschüssen für Produktionsberatungen gemachten Erfahrungen bewiesen, die zugleich auch die Voraussetzungen für den Übergang zur höheren Form der Ständigen Produktionsberatungen schufen. Mit Hilfe dieser Organe konnten die Produktionsberatungen in den Brigaden, Abteilungen usw. systematischer auf die entscheidenden Fragen orientiert und eine ständige Kontrolle über die Realisierung der Beschlüsse ausgeübt werden. Sie ermöglichten eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und technischer Intelligenz und die gemeinsame Lösung entscheidender betrieblicher Probleme. Dadurch wuchs auch das Interesse und die Anteilnahme der Arbeiter an den Produktionsberatungen und am sozialistischen Wettbewerb. Der spürbare Aufschwung der Masseninitiative in den qualitativ neuen Formen sozialistischer Gemeinschaftsarbeit von Arbeitern und Ingenieuren oder des Wettbewerbs um den Ehrentitel „Brigade der sozialistischen Arbeit" zeigt, daß durch den ideologischen Kampf der Partei um die marxistisch-leninistische Klärung der Perspektive und gegen revisionistische Entstellungen die herangereiften gesellschaftlichen Probleme auf die einzig richtige Weise gelöst wurden. Mit Hilfe dieser Auseinandersetzung um die Grundfragen der politischen Führung unserer Wirtschaft sowie mit Hilfe der eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsstils in der staatlichen und gesellschaftlichen Leitung wurde erreicht, was durch die anti18 Nicht bewährt haben sich die Versuche in einigen volksdemokratischen Ländern, neben den Gewerkschaften bestimmte Formen von Arbeiterräten mit Aufgaben der Mitwirkung bei der ökonomischen Leitung der Betriebe zu betrauen, weil sie faktisch zu einer Trennung zwischen politischer Aufklärung und Aufgabenstellung und ökonomischer Leitung führen mußten. So erklärte z. B. W. Gomulka in seiner Rede auf dem 4. Kongreß der polnischen Gewerkschaften: „Die Praxis hat gezeigt, daß sich die organisatorische Trennung dieser beiden Funktionen der Arbeiterselbstverwaltung, d. h. die Übertragung der organisatorischen und technischen Aufgaben auf die Arbeiterräte und der gesellschaftlichen und erzieherischen Aufgaben auf die Betriebsräte, nicht bewährt hat. Der krasseste Beweis hierfür waren die kurzen Streiks, die durch die Teilung der Betriebsfonds verursacht wurden bzw. dadurch, daß Auszahlungen aus einem Betriebsfonds gefordert wurden, der nicht vorhanden war, da die Belegschaft ihn nicht herausgewirtschaftet hatte. Abgesehen davon, daß bei diesen Streiks anarchistische Elemente in Erscheinung traten, beweisen diese Streiks, daß die gesellschaftliche und erzieherische Seite der auf die Arbeiterräte begrenzten Tätigkeit der Arbeiterselbstverwaltung nicht entsprechend funktioniert." („Aus der internationalen Arbeiterbewegung" Nr. 9/1958.) 14*

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marxistischen Vorschläge einer „Selbstverwaltung der Wirtschaft" nicht zu erreichen war: Das Zusammenschließen der Massen hinter einer zielklaren und einheitlichen politischen Führung bei gleichzeitiger Hebung der Masseninitiative mittels verstärkter Mitwirkung bei der Leitung der Produktion und des Staates. Damit die qualitativ neue Stufe der Wettbewerbsbewegung um eine sozialistische Gemeinschaftsarbeit richtig erfaßt werden kann, genügt es jedoch nicht, die inneren Widersprüche und Triebkräfte der sozialistischen Wettbewerbsbewegung und ihre Wechselwirkung mit den ökonomischen Gesetzen und Methoden der Wirtschaftsführung zu untersuchen. Sie muß auch als Bestandteil der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung gewertet werden. Ergebnisse

und Perspektiven

der Aktivisten-

und

Wettbewerbsbewegung

Es kann nicht an dieser Stelle unsere Aufgabe sein, historisch die Entwicklung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR zu würdigen. Das ist Sache einer Monographie. Es soll im folgenden daher lediglich versucht werden, ihre Hauptetappen als ein Teil unserer gesellschaftlichen Entwicklung kurz zu charakterisieren. Damit soll die Voraussetzung für die Einschätzung des zurückgelegten Weges und eine richtige Aufgabenstellung für die Zukunft geschaffen werden. Es wird sich in Kürze jedoch nicht vermeiden lassen, daß einige Gedanken nur angedeutet werden können und eine ausführliche Darlegung und Begründung einer anderen Arbeit überlassen werden muß. Man könnte in der Entwicklung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung analog zu der unseres Staates und unserer Wirtschaft etwa folgende Hauptetappen qualitativ unterscheiden: I. Die Etappe der bürgerlich-demokratischen Revolution und der Errichtung einer revolutionär-demokratischen Arbeiter-und Bauern-Macht (1945—1949). a) Die ersten Nachkriegsjahre der Ingangsetzung der Wirtschaft und der ersten demokratischen Umwälzungen. Die Zerschlagung des hitlerfaschistischen Staatsapparates durch die Sowjetarmee schuf nach 1945 die Voraussetzungen für den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Der Hauptinhalt dieser ersten demokratischen Umwälzungen bestand politisch in der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien auf marxistischer Grundlage, der Bildung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien unter Führung'der Partei der Arbeiterklasse, der Begründung der Freien Deutschen Gewerkschaftsbewegung und dem Aufbau antifaschistisch-demokratischer Verwaltungsorgane. Durch die Bodenreform und Entwicklung des volkseigenen Sektors in der Wirtschaft wurde eine grundlegende Umgestaltung der Produktionsverhältnisse eingeleitet. Volksbildung und Kultur wurden gründlich von faschistischen Kräften und Gedankengut gereinigt. Es liegt im Wesen dieser demokratischen Umwälzungen, daß sie nur das Ergebnis einer aktiven Mitwirkung breiter Massen von Werktätigen, in erster Linie der Arbeiterklasse sein konnten. Sie zu mobilisieren, war nach den verheerenden und demoralisierenden Folgen 12jähriger Hitlerherrschaft keine einfache Aufgabe. In erster

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Linie kam es darauf an, Produktion und Verkehr überhaupt wieder in Gang zu setzen. So begann unmittelbar nach Kriegsende der Kampf zwischen einem langsam erwachenden neuen Bewußtsein, einer von der gesellschaftlichen Verantwortung getragenen Einstellung zur Arbeit, wie sie in zahlreichen unbezahlten Aufbaueinsätzen und großen Arbeitsanstrengungen unter schwierigsten Bedingungen zum Ausdruck kam, und den Traditionen kapitalistischer Gewohnheiten und Denkweisen. Während anfangs die Mehrzahl der Menschen noch in kleinbürgerlicher Passivität und in ihrer einzigen Sorge um die Erhaltung ihres eigenen Daseins verharrten, strömten die besten Kräfte der Arbeiterklasse und auch anderer Bevölkerungsschichten allmählich wieder den Aufbau- und Produktionsstätten zu, angeleitet und organisiert von den antifaschistischen Widerstandskämpfern, den „Aktivisten der ersten Stunde". Diese von der Not diktierten Aufbauarbeiten freiwilliger Arbeitskollektive trugen vorerst vorübergehenden Charakter. Dennoch kennzeichnen sie für einen Teil Deutschlands den Beginn einer neuen Ära in der Arbeit, der „Arbeit für sich, für die eigene Klasse, für die Gesellschaft". Obwohl sich die Mehrzahl dieser Tragweite noch nicht bewußt war, bildeten sich bald Organisationsformen heraus, die sich sowjetische Erfahrungen zum Vorbild nahmen. In Leipzig kam es zur Organisierung „Roter Samstage", die ersten Wettbewerbe wurden abgeschlossen, hier und dort wurden „Stoßbrigaden" gebildet. Das sind die ersten Keime der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung, die zunächst darauf gerichtet waren, besondere Schwierigkeiten und Engpässe bei der Aufrechterhaltung der materiellen Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens zu überwinden. b) Die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution bis zur Gründung der D D R . Eine qualitativ neue Etappe in der Entwicklung der Massenaktivität in der Produktion setzt in den Jahren 1947—1948 ein. Nachdem in den ersten Nachkriegsjahren die elementaren Produktionsbedingungen wieder hergestellt und die Wirtschaft — wenn auch auf niedriger Stufe — in Gang gebracht worden waren und die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse sich gefestigt hatten, konnte der II. Parteitag der S E D im September 1947 feststellen, daß das wirtschaftliche Schwergewicht bereits bei den volkseigenen Betrieben lag und damit die Grundlagen für eine fortschrittliche, demokratische Wirtschaftsordnung gelegt waren. Das ermöglichte den Übergang zu einem größeren Wiederaufbauplan, zum Halbjahrplan 1948 und zum Zweijahrplan mit dem Ziel, das Vorkriegsproduktionsniveau wieder zu erreichen. Politisch fand der Aufbau einer revolutionär-demokratischen Arbeiter- und BauernMacht seine vorläufige Vollendung durch die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik als souveräner Staat. Anfang 1947 gab die Partei die entscheidende Losung a u s : „Mehr produzieren, richtig verteilen, besser leben!", die auf dem 2. FDGB-Kongreß verkündet wurde. Unter dieser Losung entwickelten sich Ende 1947 und 1948 die Anfänge der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung, in der besonders die Arbeiterjugend die Initiative

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ergriff. Der entscheidende Anstoß zu dieser Entwicklung k a m durch den bekannten Befehl 234 des Obersten Chefs der SMAD im Oktober 1947 über Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter. Der Kampf u m die Produktionssteigerung und um die Verbesserung der Arbeitsdisziplin in der täglichen Arbeit wurde in einer Reihe von Betrieben aufgenommen. Dennoch ergriff dieser Kampf noch nicht die Massen, das Niveau der Arbeitsproduktivität blieb im allgemeinen noch niedrig. Den entscheidenden Durchbruch brachte erst die historische Leistung Adolf Henneckes am 13. Oktober 1948, als er in einer Sonderschicht die Norm u m fast das Vierfache überbot. Diese T a t wurde zum zündenden Beispiel; die Aktivistenbewegung entwickelte sich in der folgenden Zeit mit erstaunlicher Geschwindigkeit: Zahl der Hennecke-Aktivisten 1948 bis 1950 Ende 1948 4000 Oktober 1949 Oktober 1950

36000 146000«

Die Ausbreitung der Hennecke-Bewegung beweist, daß sie den Bedürfnissen der Situation und dem Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Bewußtseins entsprach. Das Wesentliche dabei war der Umstand, daß sie die Frage der Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht mehr allgemein stellte, sondern die Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Organisation der Arbeit und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit lenkte. Sie forderte zugleich den Übergang von der Einzelleistung zur Kollektiv- u n d zur Dauerleistung. Das gelang jedoch nur in begrenztem U m f a n g . Es wurde erreicht, ganze Belegschaften in besonderen „Hennecke-Schichten" ebenso zu überdurchschnittlichen Ergebnissen zu führen, wie einzelne Aktivisten beständig vorbildliche Leistungen erbrachten. So h a t t e die Hennecke-Bewegung einen bedeutenden Beitrag bei der Durchbrechung des Teufelskreises „Niedrige Produktion — niedriges Lebensniveau" geleistet. Es darf aber nicht vergessen werden, daß dies einerseits oft in erbitterter Auseinandersetzung mit eingefleischten alten Gewohnheiten und in Überwindung des aktiven Widerstands des Klassengegners möglich war, und daß man andererseits auch die gegebene Entwicklungsstufe nicht überspringen konnte. Der Übergang zu einer kollektiven Aktivistenarbeit erforderte eine höhere Stufe in der Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse und sozialistischen Bewußtseins. I I . Die Periode der volksdemokratischen Revolution a) Der Übergang zum A u f b a u der Grundlagen des Sozialismus (1954 1953). Nachdem mit dem Zweijahrplan die Aufgaben der Wiederherstellung der Wirtschaft erfüllt und die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse politisch und ökonomisch gefestigt waren, ergaben sich neue Aufgaben. Auf wirtschaftlichem Gebiet bedeutete der Übergang zum ersten F ü n f j a h r p l a n die Ausarbeitung eines langfristigen 19 Vgl. Ehre unseren Besten. Berlin 1951, S. 11, Über die Ergebnisse der Betriebskollektivverträge 1952 und den Abschluß der Betriebskollektivverträge 1953, Referate und Dokumente der Gewerkschaftsbewegung Nr. 34, S. 6, Geschäftsbericht des Bundesvorstandes des FDGB zum 4. FDGB-Kongreß. Berlin 1955, S. 112.

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und umfassenden Perspektivplanes zum Aufbau einer sozialistischen Volkswirtschaft. Sozialökonomisch erforderten sowohl die innere Logik der ökonomischen Entwicklungsgesetze als auch die Lösung der nationalen Frage die Weiterführung der revolutionären Umgestaltung mit sozialistischem Inhalt. Der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus begann mit einer sozialistischen Reorganisation der volkseigenen Industrie (Reorganisation der Industriestruktur, Einführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung und der Betriebspläne). 1952 beschloß die 2. Parteikonferenz der SED den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Im Rahmen dieser Entwicklung verwandelte sich auch der Wettbewerb in einen sozialistischen Wettbewerb. Die schöpferische Arbeiterinitiative nahm neue Formen an. In den Jahren 1949 bis 1950 tritt als neue Erscheinung vor allem die Neuererbewegung in den Vordergrund. Charakteristisch ist dabei die immer stärker werdende Übernahme und Anwendung sowjetischer Neuerermethoden zur Verbesserung der qualitativen Kennziffern der Produktion, um den wachsenden Aufgaben gerecht zu werden. Revolutionierten die Hennecke-Aktivisten in erster Linie die Einstellung zur Arbeit, so begannen Neuerer wie Ermisch, Striemann, Borkmann, Wirth, Zabel, Raabe und viele andere den Arbeitsprozeß selbst zu revolutionieren. Sie gingen mit neuen, mit den Augen von Menschen an ihre Arbeit, denen die sachlichen Produktionsbedingungen keine Zwangsjacke des Kapitals mehr darstellten, sondern die gelernt hatten, sie als freie Menschen zu meistern und zum Wohle der Gesellschaft zu beherrschen. So betrachteten sie kritisch die alten Arbeitsmethoden und gingen daran, Arbeitsmethoden und Technologie umzugestalten. Während sich die Neuerermethoden zunächst auf einzelne Seiten des Produktionsprozesses (Qualität, Materialeinsparung, Schnellarbeitsverfahren) konzentrierten, brachte der Übergang zu den Aktivistenplänen und insbesondere die Rationalisatorenbewegung mit Rubbel und Naumann ein komplexes und planmäßigeres Herangehen an neue Arbeitsmethoden zum Ausdruck. Wesentliche Schritte beim Übergang zu sozialistischen Wettbewerbsformen bedeuteten die Sonderwettbewerbe der Stahlwerker, in denen sich vor allem eine höhere Form der politischen Führung des Wettbewerbs, echte innerbetriebliche Wettbewerbe und deutliche Züge einer sozialistischen gegenseitigen Hilfe durchsetzten, sowie der Aufruf zum Nationalen Aufbauprogramm für Berlin durch das ZK der SED im November 1951, aus dem sich später das Nationale Aufbauwerk als Massenbewegung freiwilliger unbezahlter Arbeit zum Aufbau des Sozialismus entwickelte. All diese neuen Formen der schöpferischen Tätigkeit der Volksmassen ermöglichten es, die Planaufgaben der Jahre 1950 bis 1952 wesentlich zu überschreiten; obwohl die ursprünglichen Planziele ohnehin ein hohes Wachstumstempo vorsahen. 20 20 Nimmt man das Jahr 1936 als Basisjahr ( = 100), so sahen die Volkswirtschaftspläne folgende Entwicklung der Industrieproduktion vor: 1950 — 103, 1951 — 130, 1952 — 152. Erreicht wurden demgegenüber:

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Die 2. Parteikonferenz konnte im J u l i 1952 feststellen, daß die Bedingungen so weit entwickelt waren, um den Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe werden zu lassen. Der Übergang zum planmäßigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus setzte jene Aufgabe auf die Tagesordnung, deren Lösung auf der damaligen Entwicklungsstufe der Henneckebewegung nicht voll gelingen konnte; den Übergang von der hervorragenden Einzelleistung zur kollektiven Dauerleistung, d. h. zur kollektiven Aktivistenarbeit. Die Erfüllung der neuen Aufgaben unter den schwierigen Bedingungen der Spaltung Deutschlands erforderten eine qualitativ höhere Form des Wettbewerbs, die bewußte Festigung sozialistischer Produktionsbeziehungen und Hebung des sozialistischen Bewußtseins. Dieser notwendige Übergang wird vor allem durch die Franik-Bewegung sowie andere Formen kollektiver Aktivistenarbeit gekennzeichnet, die im Bergbau ihren Ausgangspunkt nahmen. Die Verbindung des Wettbewerbs mit dem Prinzip der Hilfe der Fortgeschrittenen für die Zurückbleibenden — bei Franik in erster Linie in der Brigade — zeugt vom wachsenden sozialistischen Bewußtsein und erfüllt den Wettbewerb mit sozialis tischem Inhalt. Die Forderung nach der Aufschlüsselung der Betriebspläne schafft die Voraussetzung für konkrete Verpflichtungen und Kampfziele für die vorfristige Planerfüllung. Der Beschluß und die Hinweise der 2. Parteikonferenz gaben der Bewegung weiteren Auftrieb, so daß sie sich im Verlauf des Jahres und bis in das F r ü h j a h r 1953 hinein in den meisten Industriezweigen rasch verbreitete. Die Franik-Bewegung nahm in dieser Zeit Massencharakter an. Zugleich erwies sich jedoch, daß insbesondere die Qualität der Führungstätigkeit noch nicht den wachsenden Anforderungen gerecht wurde und hinter der Initiative der Arbeiter zurückblieb. Bei der Verbreitung der Franik-Bewegung wurden formalistische Entstellungen zugelassen, und die Aufgabe, die Zurückbleibenden an die Fortgeschrittenen heranzuführen, konnte nur zum Teil und stellenweise im Rahmen der Franik-Brigaden gelöst werden, während Teile der Arbeiterklasse außerhalb der Bewegung blieben. Es bleibt auch festzustellen, daß die Franik-Bewegung der sozialistischen Hilfe in der Folgezeit nicht mehr eine solche bedeutende Rolle spielte und erst in der gegenwärtigen Bewegung der Brigaden der sozialistischen Arbeit auf neuer und höherer Stufe ihre Fortsetzung findet. So erhebt sich die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung, die offenbar nicht geradlinig erfolgte. b) Der Zeitabschnitt vom „neuen K u r s " bis zum V.. Parteitag der S E D (1953 bis 1958). Der Hauptinhalt dieses Zeitabschnittes bestand darin, daß eine Reihe komplizierter Widersprüche, die sich beim Aufbau des Sozialismus unter den gegebenen historischen Bedingungen ergaben, gelöst wurden. E s war eine Zeit, in der die Grundlagen des Sozialismus im wesentlichen geschaffen wurden. 1950 - 110,6, 1951 - 135,6, 1952 - 157,4. (Vgl. Volkswirtschaftsplan 1950, Schriftenreihe DDR 1; Volkswirtschaftsplan 1951, Schriftenreihe DDR 5; Volkswirtschaftsplan 1951, Dokumente der DDR; Statistisches Jahrbuch der DDR 1957, S. 280.)

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Die in der ersten Periode des Neuaufbaus erforderliche Entwicklung der Grundstoff- und Schwerindustrie verlangsamte zunächst das Wachstum des Lebensstandards. Das machte im Jahre 1953, im neuen Kurs, bestimmte Korrekturen hinsichtlich des Tempos und der Proportionen notwendig. Daraus mußten sich jedoch neue Widersprüche ergeben, besonders hinsichtlich der Rohstoffversorgung, die in den Jahren 1954 bis 1957 die Zuwachsrate der Industrieproduktion verlangsamten. Diese Widersprüche wurden durch die komplizierte internationale Lage verstärkt. 2 1 Politisch-ideologisch äußerten sich diese Widersprüche auf einigen Gebieten in linken Überspitzungen und subjektivistischen Vorstellungen, die nach dem neuen Kurs in das andere Extrem, in rechte und opportunistische Erscheinungen auf zahlreichen Gebieten umschlugen. Diese Entstellungen der Parteilinie mußte die Parteiführung in den bekannten Auseinandersetzungen mit parteifeindlichen Gruppierungen zerschlagen. All diese Widersprüche in der Entwicklung der materiellen Basis und im politischen Überbau beeinflußten auch die Entwicklung der Masseninitiative bzw. spiegelten sich in ihr wider. Walter Ulbricht erklärte dazu auf der 15. Tagung des ZK: „Statt die Kraft und Initiative der werktätigen Massen, der Schöpfer der Geschichte, zur Entfaltung zu bringen, wurde der Personenkult durch idealistische Auffassungen über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte gefördert und dadurch die Initiative der Massen selbst gelähmt." 24

So entwickelte sich in der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung ein gewisser Widerspruch zwischen den fortgeschrittensten Aktivisten und Neuerern und der ungenügenden Einbeziehung der großen Masse der Arbeiter. Das Hauptaugenmerk wurde vielfach auf die Schaffung und die Popularisierung von Beispielen gelegt, während die Übertragung der Erfahrungen auf die Masse der Arbeiter ebenso wie die Förderung der einfachen und grundlegenden Formen der Masseninitiative (Produktionsberatungen, Wettbewerb von Brigaden zu Brigaden und von Mann zu Mann) in der täglichen Kleinarbeit vernachlässigt wurden. Während also die Spitze der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung mit bedeutenden Erfolgen rasch voranschritt und sogar in bestimmtem Umfang einen Massencharakter annahm, blieb doch ein großer Teil der Arbeiter bis zu einem gewissen Grad außerhalb dieses Prozesses, weil er bei den Funktionären wenig Beachtung fand. Dieser sich latent entwickelnde Widerspruch trat dann im Sommer 1953 u. a. in einem gewissen Rückgang der Wettbewerbsbewegung und in der Tatsache zutage, daß zurückgebliebene Arbeiter auch der klassenfeindlichen Hetze zum Opfer fielen. Der Übergang zum neuen Kurs brachte keine sofortige Lösung, weil unter dem Einfluß der parteifeindlichen Gruppe Herrnstadt-Zaisser vielerorts in das andere Extrem verfallen wurde. War zuvor der zurückbleibende Teil der Arbeiterschaft vernachlässigt worden, trat nunmehr eine opportunistische Orientierung auf rückständige Auffassungen in Erscheinung. Viele Gewerkschaftsfunktionäre wagten 21 22

S. 73.

Vgl. Bericht des ZK an den V. Parteitag der SED. Berlin 1958, S. 47ff. Der neue Kurs und die Aufgaben der Partei. 15. Tagung des ZK der SED. Berlin 1953,

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kaum noch, in den Betrieben solche Fragen, wie beispielsweise den sozialistischen Wettbewerb aufzuwerfen. Erst in dem Klärungsprozeß, der im Ergebnis der 15. und 16. Plenartagung des Z K der S E D erfolgte, wurden diese Schwächen überwunden und die Voraussetzungen für eine Verstärkung der massenpolitischen Arbeit geschaffen. Die Ergebnisse zeigten sich in einem deutlichen Aufschwung der Masseninitiative im Herbst des Jahres. Dieser Aufschwung ist vor allem mit dem Namen Hockauf-Bewegung verbunden. Ihren Erfolg verdankte die Initiative Frida Hockaufs nicht allein der Tatsache, daß sie unter den Bedingungen des neuen Kurses innerhalb eines Zweiges der Konsumgüterindustrie besonders sinnfällig den Zusammenhang zwischen der Arbeit von heute und dem Leben von morgen zum Ausdruck brachte, sondern weil ihre Form auf eine der Grundfragen des sozialistischen Wettbewerbs, auf die konkreten Produktionsverpflichtungen hinwies. Das gleiche gilt ein Jahr später für die Initiative von Werner und Hesse mit ihrem Anstoß zur Verbreitung des Wettbewerbs von Mann zu Mann. Die Gewerkschaften konzentrierten sich mehr auf eine Verbesserung der Produktionsberatungen und der Organisierung des innerbetrieblichen Wettbewerbs. Auf diese Weise wurde der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung auch unter den Arbeitern eine breitere und solidere Massenbasis gegeben, die bis dahin nur wenig von der Bewegung erfaßt worden waren. Dadurch wurde die Kluft zwischen der vorausgeeilten Spitze und der Masse bedeutend geschmälert. Damit wurde die Grundlage für die bis dahin größte Massenbewegung im WilhelmPieck-Aufgebot gelegt, an dem zum Abschluß des ersten Fünfjahrplanes 1,8 Millionen Werktätige teilnahmen. Es lassen sich zwei wichtige Lehren ziehen: 1. Bei zielklarer Führung durch ihre Partei und einer richtigen Erläuterung der Aufgabenstellung finden sich in der Arbeiterklasse stets die Kräfte für eine den Erfordernissen der Situation entsprechende Initiative. 2. Die ideologischen Widersprüche wurden in der Arbeiterklasse wesentlich rascher überwunden als in anderen Schichten der Bevölkerung, insbesondere der Intelligenz. Das zeigte mit aller Deutlichkeit die Situation im Jahre 1956. Unter dem Druck der imperialistischen Offensive nach dem X X . Parteitag der KPdSU kam es nicht nur zu Erscheinungen des Opportunismus und Revisionismus in Kreisen der Intelligenz und Studentenschaft, sondern auch bei solchen führenden Funktionären in Wirtschaft, Staat und Partei, die sich von der Arbeiterklasse entfernt hatten. Während jedoch 1953 auch Teile der Arbeiterklasse Schwankungen unterworfen waren, nahm 1956 die Arbeiterschaft sofort und ohne zu schwanken den aktiven Kampf gegen alle feindlichen Angriffe auf. Wenn also das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse im Kampf um den Aufbau des Sozialismus so weit herangereift war, daß es innerhalb der Arbeiterklasse keinen schmerzhaften Bruch mehr gab, so mußte ein neuer Widerspruch um so deutlicher hervortreten: Der Widerspruch zwischen dem gewachsenen sozialistischen Bewußtsein der Arbeiterklasse einerseits und dem Zurückbleiben eines Teils der leitenden Kader und den Methoden der Führung der Massen andererseits. Während die Arbeiter Anstrengungen zur Überbietung der Planziffern unternahmen, kämpften

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manche Wirtschaftsfunktionäre im Gegensatz dazu um eine Reduzierung der Plan-' ziele unter der Losung „realer Pläne". Neben bereits angeführten objektiven Schwierigkeiten hemmten also Mängel in der Wirtschaftsführung das Entwicklungstempo und die volle Entfaltung und Wirksamkeit der Masseninitiative. „Unter diesen komplizierten Bedingungen hat das Zentralkomitee auf der 30. und den folgenden Plenartagungen die Grundfragen der politischen und ökonomischen Perspektiven klar dargelegt und einen politisch-ideologischen Umschwung eingeleitet. Die Auseinandersetzungen mit revisionistischen und opportunistischen Entstellungen führten zu einer schnell anwachsenden Aktivität der werktätigen Massen, zu einem spürbaren Produktionsaufschwung, insbesondere seit dem Jahre 1957." 2 3

Diese Auseinandersetzungen fanden ihr konkretes Ergebnis in den Maßnahmen zur Vereinfachung und Vervollkommnung der Arbeit des Staatsapparates und der stärkeren Mitwirkung der Gewerkschaften im Kampf um die Verbesserung des Arbeitsstils. Außerdem trugen folgende weitere Faktoren zu dem Arbeitsaufschwung bei: Die Unterstützung der Sowjetunion und die Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der sozialistischen Länder ermöglichten ein planmäßigeres Arbeiten der Betriebe. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war sicherlich auch die Tatsache, daß immer spürbarer die Früchte der vergangenen Arbeit in Gestalt einer wesentlichen Erhöhung des Lebensniveaus heranreiften. Das zeigte besonders deutlich die Einführung der 45-Stundenwoche Anfang des Jahres 1957, auf die die Arbeiter mit einer Fülle von Vorschlägen und Verpflichtungen antworten, um trotz der Arbeitszeitverkürzung die Pläne voll erfüllen zu können. In der Tat wurde trotz dieser verkürzten Arbeitszeit der Volkswirtschaftsplan übererfüllt und eine höhere Zuwachsrate als im Vorjahr erreicht. Alle diese Momente: die bisherigen Erfolge des wirtschaftlichen Aufbaus, die Lösung der komplizierten Widersprüche, die beim Aufbau des Sozialismus aufgetreten waren und die ideologische Klärung, die Festigung des sozialistischen Staates und die Vervollkommnung seiner Führungstätigkeit, das Zurückschlagen der imperialistischen Offensive und die Stärkung des sozialistischen Weltsystems, und nicht zuletzt der wachsende Wohlstand trugen dazu bei, im Jahre 1958 das Tempo der ökonomischen Entwicklung und der sozialistischen Umgestaltung noch weiter zu steigern. Die schöpferische Initiative der Werktätigen nahm einen bedeutenden Aufschwung. Wenn am Wettbewerb zu Ehren des V. Parteitages der S E D über 75 Prozent aller Produktionsarbeiter teilnahmen, so ist das nicht nur Ausdruck der Breite dieses Arbeitsaufschwungs, sondern auch Zeugnis für die qualitative Verbesserungderpolitischen Führungstätigkeit im sozialistischen Wettbewerb. So wurden im Jahr 1958 die Aufgaben einer Entwicklungsetappe erfüllt und zugleich zu einer neuen übergeleitet. Der V. Parteitag konnte feststellen, daß die Grundlagen des Sozialismus in der DDR im wesentlichen gelegt waren und die Aufgabe nunmehr darin besteht, den Sozialismus zum Siege zu führen. 23

Bericht des Zentralkomitees an den V. Parteitag der S E D , S. 49.

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Dieses Überleiten zur nächsten Etappe — dem Siebenj ahrplan und schließlich der Vollendung der sozialistischen Umgestaltung — kündet sich in der Wettbewerbsbewegung in einer Reihe neuer Erscheinungen an, deren Heranwachsen dann zu einem qualitativen Sprung führt. Mit Hilfe der Ausschüsse für Produktionsberatungen wurden die Produktionsberatungen zu einem wirklichen Instrument, die Massen der Arbeiter zur direkten Mitwirkung bei der Leitung der Produktion heranzuziehen. In ihnen entstanden auch die Ansätze zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Intelligenz bei der Lösung betrieblicher Probleme. Die neuen Formen des Wettbewerbs, die Christoph-Wehner-Methode und die Seifert-Methode zeigen die zunehmende Beherrschung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus durch die Arbeiterklasse selbst. In ihnen dokumentiert sich ein sehr klares Verständnis für die Erfordernisse der Lage: Der umfassende Nachweis der Überlegenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems gegenüber dem kapitalistischen verlangt, daß alle objektiven Vorzüge des Sozialismus auch in der Wirtschaftspraxis voll ausgeschöpft werden. Beide, die Seifert- wie die Christoph-Wehner-Methode orientieren auf neuralgische Punkte entscheidender Schwächen unserer bisherigen Wirtschaftsführung. Der Kampf um die tägliche Planerfüllung richtet sich gegen das Übel des unrhythmischen Planablaufs; die Seifert-Methode sagt den Verlustzeiten, der ungleichmäßigen Ausnutzung des Arbeitstages, den Mängeln in der Arbeitsorganisation und der Arbeitsnormung den Kampf an. Die sozialistische gegenseitige Hilfe wurde zum Grundprinzip für die vor dem Parteitag entstandenen „Roten Brigaden". Nach dem Parteitag entwickelte sich die Kompaßbewegung der FD J nicht nur als Ausdruck eines neuen und bewußteren Arbeitsaufschwungs der Arbeiterjugend, sondern zugleich auch als eine klare Form, persönliche Schlußfolgerungen aus der gesellschaftlichen Zielsetzung der Partei zu ziehen und zwar nicht allein durch Produktionsverpflichtungen, sondern auch in der gesellschaftlichen Betätigung und bei der fachlichen, politischen und kulturellen Qualifizierung. Das sind im wesentlichen schon die Elemente, deren Zusammenfassung das charakteristisch Neue der gegenwärtigen Etappe in der Entwicklung der Wettbewerbsbewegung ausmachen. c) Die Etappe des Siebenjahrplanes Die Etappe des Siebenjahrplanes ist die entscheidende Etappe im ökonomischen Wettbewerb mit dem kapitalistischen Lager, wobei es, wie die gegenwärtigen weltpolitischen Auseinandersetzungen zeigen, gerade in den ersten Jahren auf einen maximalen Zeitgewinn ankommt. Die sozialistischen Länder schicken sich an, entsprechend ihren konkreten Entwicklungsbedingungen ihre ökonomische Hauptaufgabe zu lösen. Das verlangt eine sehr rasche und umfassende Entwicklung aller Seiten der sozialistischen Gesellschaftsordnung: ihrer materiellen Produktionsgrundlage, der sozialistischen Produktionsverhältnisse und des sozialistischen Bewußtseins. Dementsprechend schließt die Aufgabe die sozialistische Rekonstruktion der Volkswirt-

Zu einigen Problemen der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung

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schaft, die sozialistische Umgestaltung und Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und die noch stärkere Entfaltung der Masseninitiative ein. Eine sehr wesentliche Besonderheit der Siebenjahresetappe kommt schon äußerlich darin zum Ausdruck, daß der Planungszeitraum den sozialistischen Ländern gemeinsam ist. Das ist nicht nur eine Frage der umfassenderen Abstimmung der einzelnen Pläne und der langfristigen Koordinierung der wirtschaftlichen Maßnahmen, sondern Ausdruck der sozialistischen Zusammenarbeit bei der Lösung einer gemeinsamen Aufgabe. Während im Imperialismus das Gesetz der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung herrscht, wirkt das Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft immer stärker im Maßstab des sozialistischen Weltwirtschaftssystems. Auf dem X X I . Parteitag der KPdSU wies N. S. Chrustschow darauf hin, daß alle sozialistischen Länder gemeinsam den Weg zum Kommunismus beschreiten werden. Die unterschiedlichen Ausgangspositionen der verschiedenen sozialistischen Länder werden im Verlauf der Entwicklung durch die gegenseitige sozialistische Hilfe immer stärker ausgeglichen. Diese Wesenszüge der gegenwärtigen Entwicklungsetappe prägen auch den Charakter der neuen Formen der Masseninitiative und des sozialistischen Wettbewerbs. Kernstück der sozialistischen Rekonstruktion und Hauptkettenglied für die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe ist das Chemieprogramm, in dem die internationale Zusammenarbeit im sozialistischen Lager einen besonders deutlichen Ausdruck findet. Es ist daher keineswegs ein Zufall, daß die entscheidende neue Initiative von der chemischen Industrie ausging. Eine der wesentlichsten neuen Formen sind die sozialistischen Arbeitsgemeinschaften, die den Erfordernissen der sozialistischen Rekonstruktion insbesondere insofern Rechnung tragen, als sie den wissenschaftlich-technischen Fortschritt in den Mittelpunkt des sozialistischen Wettbewerbs stellen. Das entscheidende dabei ist jedoch nicht nur schlechthin die Orientierung auf die Hebung des wissenschaftlichtechnischen Niveaus der Produktion, sondern die Tatsache, daß sie die Lösung der Aufgaben auf sozialistische Art und Weise in Angriff nehmen. In der Gemeinschaftsarbeit werden die Vorzüge des sozialistischen Wirtschaftssystems ausgenutzt, wird das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz fruchtbar auf höherer Stufe geknüpft und eine neue Form der Verbindung von Theorie und Praxis gefunden. Die andere Seite des Prozesses stellen die Brigaden der sozialistischen Arbeit dar, die ebenfalls nicht zufällig in der chemischen Industrie entstanden. In der chemischen Industrie tritt der Gegensatz zwischen kapitalistischer und sozialistischer Entwicklung besonders kraß zutage, u. a. darin, daß in der chemischen Industrie des Kapitalismus die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit noch tiefer geht als in anderen Industriezweigen. Während im Kapitalismus der Chemiearbeiter nicht einmal Facharbeiter war, stellt das sozialistische Chemieprogramm die Forderung nach Qualifizierung gebieterisch auf die Tagesordnung. Es entstand die Bewegung zur Erlernung eines zweiten Berufs, ganz natürlich wurde gefordert, die Frage des sozialistischen Wettbewerbs und der Steigerung der Arbeitsproduktivität umfassender als bisher zu stellen.

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Auf der erreichten Entwicklungsstufe wirft eine derartige Fragestellung zugleich solche Probleme wie die der sozialistischen Zusammenarbeit und des sozialistischen Zusammenlebens auf, wie der sozialistischen Moral überhaupt. So entstand die Bewegung, sozialistisch zu arbeiten, zu lernen und zu leben. Die sozialistischen Brigaden lösen auf ihre Art die wichtigsten Aufgaben des gesellschaftlichen Fortschritts im Kollektiv und tragen somit zugleich zur bewußten Entwicklung der Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse und des sozialistischen Bewußtseins bei. Es ist nicht zu übersehen, daß unsere Brigaden wesentliche Anregungen von den Brigaden der kommunistischen Arbeit in der Sowjetunion übernahmen, die ersten Erfahrungen wurden hierbei bereits ausgetauscht. Ihr gleichzeitiges Entstehen in verschiedenen sozialistischen Ländern und ihre Zusammenarbeit dokumentiert und verbürgt das immer stärkere Zusammenwachsen der Länder des sozialistischen Weltsystems. Bedeuten die sozialistischen Arbeitsgemeinschaften und die Brigaden der sozialistischen Arbeit die Zusammenfassung und Vervollkommnung einer Reihe von Elementen, die sich schon früher herausgebildet haben, so geht der Entwicklungsprozeß — wie erste Anzeichen andeuten — mit logischer Konsequenz in Richtung ihrer noch engeren Zusammenarbeit und Verbindung. Das führt die Arbeitsgemeinschaften aus ihrer durch die Aufgabenstellung bedingten zahlenmäßigen Begrenztheit heraus und verbindet die Probleme des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts noch enger mit der Masseninitiative. Andererseits erfordert das sozialistische Lernen in den Brigaden neue Formen der Qualifizierung und der Hilfe durch die technische Intelligenz. Immer enger wächst somit das sozialistische Arbeitskollektiv von Produktionsarbeitern und Intelligenz zusammen und überwindet die Schranken zwischen geistiger und körperlicher Arbeit. 24 Obwohl diese ganze Bewegung noch sehr jung ist und erst am Anfang steht, sind die erzielten Erfolge bereits beachtlich. Die Arbeitsgemeinschaften im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld haben z. B. ihre Überlegenheit gegenüber kapitalistischen Arbeitsmethoden dadurch eindeutig bewiesen, daß sie neuentwickelte Aggregate in Fristen in der Produktion einsetzten, die alle bisherigen Erfahrungswerte revolutionieren. In den ersten vier Monaten des Jahres 1959 wurde die Industrieproduktion gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 12,4 Prozent erhöht. Am Ende dieser vier Monate gab es bereits etwa 6000 Brigaden, die um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit" wetteiferten. Das ist für eine so kurze Entwicklungszeit sehr viel und beweist die Lebensfähigkeit dieser Bewegung. Andererseits bedeuten diese 6000 Brigaden erst einen relativ kleinen Teil aller Brigaden und Arbeiter der volkseigenen Betriebe, und in der Verallgemeinerung der fortschrittlichsten Erfahrungen schlummern noch unermeßliche Potenzen der Schöpferkraft von Millionen Werktätigen. In ihr liegt die sicherste Garantie für den Endsieg des Sozialismus und für die Erhaltung des Friedens. M Vgl. Dr. Seidel, H., Sozialistische Gemeinschaften und Brigaden verschmelzen. „Neues Deutschland" vom 17. 5. 1959, S. 5.

Zu einigen Problemen den Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung

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Es versteht sich, daß diese neuen Entwicklungsformen eine Fülle praktischer und theoretischer Fragen aufwerfen. Insofern kann der vorliegende Beitrag, wie schon eingangs bemerkt, nicht mehr als ein allererster Anfang sein. Die ernste Lücke in unserer wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit ist auch nicht durch einen Aufsatz zu schließen. Diese dringliche Aufgabe zu erfüllen, kann wohl nur Ergebnis einer sozialistischen Gemeinschaftsarbeit sein.

Otto Rühle GRUNDLAGEN DER BEZIRKSÖKONOMIK

NEUBRANDENBURGS

Demokratischer Zentralismus und Planung Zu den charakteristischen Merkmalen unseres Staates der Arbeiter und Bauern gehört die Einheitlichkeit aller Machtorgane von der in Volkskammer und Regierung verkörperten Spitze bis hinunter zu den Gemeindevertretungen und ihren Räten. Diese Einheitlichkeit der Arbeiter-und-Bauern-Macht wurzelt in der Gemeinsamkeit der Gründlnteressen von Arbeitern, Bauern und anderen Werktätigen. Sie ist das Ergebnis eines sozial-ökonomischen Prozesses, der mit den im Osten Deutschlands nach dem Sieg der Sowjetarmee über den Hitlerfaschismus durchgeführten demokratischen Reformen begann, mit der planmäßigen Schaffung der Grundlagen des Sozialismus und mit dem vom V. Parteitag der SED verkündeten Kurs auf die in historisch kürzester Zeit anzustrebende Vollendung des sozialistischen Aufbaus in der DDR in jeweils neue Phasen eintrat. Blicken wir auf den Verlauf dieses Prozesses zurück, so zeigt sich, daß sich dank der prinzipienfesten und zugleich elastischen Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die politisch-moralische Einheit unserer Bevölkerung und damit auch die Geschlossenheit aller Organe unserer Staatsmacht immer mehr gefestigt haben. Dieser historische Erfolg wäre undenkbar gewesen ohne die strikte Einhaltung des Prinzips des demokratischen Zentralismus, jenes Prinzips, das sowohl das organisatorische Fundament der marxistisch-leninistischen Partei wie des volksdemokratischen Staates bildet. Auf Staat und Wirtschaft angewandt, sichert das Prinzip des demokratischen Zentralismus „die Einheit von straffer zentraler Planung und Leitung und größtmöglicher Teilnahme der Werktätigen an der Leitung von Staat und Wirtschaft". 1 Theoretisch gesehen ist der demokratische Zentralismus die dialektische Einheit von zentraler Leitung und maximaler Teilnahme der Werktätigen beim Aufbau des Sozialismus-Kommunismus. Wie bei jeder dialektischen Einheit liegt auch hier eine Einheit von Widersprüchen vor, allerdings eine Einheit neuer Qualität. Unter den gesellschaftlichen Verhältnissen des Sozialismus haben die Partei der Arbeiterklasse und die Regierung alle Möglichkeiten, dieses Verhältnis von zentraler Leitung und größtmöglicher Mitwirkung der Werktätigen so zu gestalten, daß in der Praxis keine ernsten Schwierigkeiten auftreten. 1

Beschluß des V. Parteitages der SED über den Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat. Berlin 1958, S. 26.

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Die ersten zehn Jahre des Bestehens der DDR umfassen hervorragende Beispiele für die schöpferische Anwendung der Prinzipien des demokratischen Zentralismus auf die wirtschaftlich-organisatorische und kulturell-erzieherische Funktion des volksdemokratischen Staates. Sehr deutlich zeigt sich das im Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. Juli 1952, im Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17. Januar 1957 und im Gesetzeswerk über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der DDR vom 11. Februar 1958. In jedem dieser Gesetze wird den Erfordernissen des demokratischen Zentralismus auf einer bestimmten Entwicklungsstufe unserer volksdemokratischen Ordnung Rechnung getragen. Immer geht es um das, den jeweiligen ökonomischen und politischen — also auch klassenmäßigen — Bedingungen entsprechende, richtige Verhältnis der beiden Seiten der Einheit Demokratie und Zentralismus. Das Gesetzeswerk vom 11. Februar 1958 trägt dem derzeitigen Stand dieser Bedingungen Rechnung. Es bestimmt, wie die weitere Entfaltung des demokratischen Zentralismus erfolgen soll. Dabei ist es durchaus möglich, daß der demokratische Zentralismus unter fortgeschritteneren gesellschaftlichen Verhältnissen auch weiterentwickelte gesetzliche Bestimmungen erfordert. Zweifellos wird in einem solchen Falle die Partei der Arbeiterklasse, gestützt auf die marxistisch-leninistische Theorie, die Initiative dazu ergreifen und dafür sorgen, daß etwaige Widersprüche zwischen der Struktur und Arbeitsweise der staatlichen Organe und den Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit gelöst werden. Die prinzipielle Einstellung zu dieser Frage hat Walter Ulbricht in seinem Referat zur Begründung des Gesetzeswerkes am 10. Februar 1958 vor der Volkskammer wie folgt formuliert: „Die Tatsachen bestätigen, daß sich allmählich ein Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung, der Entwicklung der Produktivkräfte, des Bewußtseins und der Aktivität der Menschen, ihrer Forderung nach klarer Führung und entschiedenem Kampf gegen Hemmnisse und Mißstände und der Struktur und Arbeitsweise der staatlichen Organe entwickelt hat . . . Diesen Widerspruch, der sich zwischen der Entwicklung der Basis und des, Überbaus herausgebildet hat, wollen wir jetzt überwinden." 2 Bei der Behandlung unseres Themas gehen wir von den Erfordernissen des demokratischen Zentralismus aus, wie sie im Gesetz vom 11. Februar 1958 ihren Niederschlag gefunden haben. „Das neue Gesetz geht konsequent weiter auf dem Weg, Verantwortung und Vollmachten bei der Leitung der Wirtschaft an die Basis der Produktion zu verlagern. Damit aber eine straffe Leitung der Volkswirtschaft gesichert wird, damit die Gesamtinteressen der volkswirtschaftlichen Entwicklung stets beachtet werden und sich kein Partikularismus breitmachen kann, verstärken wir (d. h. die Staatliche Plankommission — 0 . R.) gleichzeitig die Planung und Leitung der Wirtschaft in den Grundfragen." 3 „Neues Deutschland", Nr. 36, vom 11. Februar 1958, S. 3. Leuschner, B., Der neue Arbeitsstil in Planung und Leitung der Wirtschaft. „Neues Deutschland" vom 3. Mai 1958, S. 3. 2

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15 Probleme Bd. 2

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Diese Worte des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission kennzeichnen die Grundlinie des Gesetzes, das bei Straffung der zentralen Planung auf die Grundfragen der Wirtschaft gleichzeitig die Rechte aber auch die Verantwortung der örtlichen Organe der Staatsmacht erweitert. Beide Seiten des demokratischen Zentralismus werden also auf ein höheres Niveau gehoben. Dabei sind die zentrale wie die örtliche Planung auf ein einheitliches Ziel gerichtet: die sozialistische Umgestaltung der Volkswirtschaft planmäßig zu leiten und zu vollenden, so, wie es im Beschluß des V. Parteitages der S E D verankert ist. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zu diesem Ziel ist die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe bis zum Jahre 1961. Charakter der

Bezirksökonomik

Aus der durch das Gesetz vom 11. Februar 1958 qualifizierten Einheit von Demokratie und Zentralismus ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen für die gesamte Organisation und die Methoden der sozialistischen Planung. Nennen wir diejenigen, die für unser Thema am wichtigsten sind: 1. Bildung von Wirtschaftsräten bei den Räten der Bezirke und Umbildung der Kreisplankommissionen unter Anwendung des Prinzips der doppelten Unterstellung. 2. Neubildung von V V B und ihre gleichzeitige Annäherung an die Produktionsstätten. 3. Durchsetzung des Grundsatzes „Planung und Leitung in einer Hand" wie er in den neuen Funktionen der V V B , der Kreisplankommissionen, der Wirtschaftsräte und der Staatlichen Plankommission zum Ausdruck kommt. 4. Verbesserung der Perspektivplanung und der allseitigen Plankoordinierung auf allen Ebenen und in allen Zweigen der Planung. 5. Ausarbeitung komplexer und regionaler Entwicklungsprogramme sowohl für einzelne Volkswirtschaftszweige wie für einzelne Wirtschaftsgebiete. Der Beschluß des V. Parteitages der S E D widmet dem Gesetz vom 11. Februar 1958 über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der DDR große Aufmerksamkeit und fordert erneut eine höhere Qualität unserer Planungspraxis. Hervorgehoben werden die Aufgaben der Perspektiv- und Regionalplanung mit den Worten: „Durch die komplexe und territoriale Perspektiv- und Jahresplanung muß der Zusammenhang zwischen Forschung, technischer Entwicklung und Produktion, zwischen Kapazitäten, Investitionen, Arbeitskräften, Material, Finanzen sowie den Problemen der Wirtschaftsgebiete gesichert werden." 4 Diese Aufgabenstellung macht u. a. die Schaffung von Bezirksökonomiken notwendig. Die Bezirksökonomik ist ein Instrument der Perspektiv- und der Regionalplanung. Als Instrument der Perspektivplanung muß sie von den für die gegenwärtige Etappe festgelegten Grundzielen der sozialistischen Politik der Arbeiterklasse auf ökonomischem Gebiet ausgehen. Als Instrument der Regionalplanung 4

Beschluß des V. Parteitages der SED . . ., a. a. 0., S. 38/39.

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konzentriert sie sich auf die Probleme der Wirtschaft, der Kultur, des Gesundheitswesens usw. im Bezirk einschließlich ihrer gesamtstaatlichen Verflechtung. In dieser doppelten Eigenschaft als Hilfsmittel der Perspektivplanung wie als Hilfsmittel der Regionalplanung liegt ein spezifisches Kennzeichen der Bezirksökonomik. Beide Seiten bilden eine Einheit, für beide Seiten sind die Erfordernisse des demokratischen Zentralismus richtungweisend und verbindlich. In diesem Sinne ist die Bezirksökonomik ein komplexes regionales Entwicklungsprogramm des Bezirks. E s gründet sich auf die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung und erfordert wissenschaftliche Analysen der Wirkung der objektiven ökonomischen Gesetze, des Standes der materiellen Produktion und der Zweige außerhalb der materiellen Produktion, der natürlichen Bedingungen, der Möglichkeiten des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts aber auch der inneren und internationalen Lage. Gestützt auf diese Analysen, geleitet von den Erfordernissen des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus und des ihm untergeordneten Gesetzes der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft, beschäftigt sich die Bezirksökonomik in erster Linie mit den Fragen der inner- und zwischengebietlichen Verflechtung der Wirtschaftszweige. E s kommt darauf an, die zweckmäßigste Verbindung der zentralgeleiteten mit der örtlichen Wirtschaft — die richtigen Wechselbeziehungen zwischen beiden — zu finden. Gleichzeitig berücksichtigt die Bezirksökonomik, daß die Entwicklung der materiellen Produktion (Industrie, Landwirtschaft, Verkehr) im Bezirk und die Entwicklung der Zweige außerhalb der materiellen Produktion (Wohnungsbau, Handel, Kultur, Gesundheitswesen u. a.) koordiniert werden müssen. Spezifische Probleme der Bezirksökonomik ergeben sich unter anderem für solche Gebiete, die im Kapitalismus zurückgeblieben sind. Hier gilt es, im Wege der regional-proportionalen Planung Maßnahmen zur schrittweisen Überwindung der Zurückgebliebenheit vorzuschlagen. Wichtige Aufgaben hat die Bezirksökonomik zur Sicherung einer richtigen Standortfestlegung der Produktivkräfte, d. h. einer solchen, die sowohl den Interessen des betreffenden Bezirkes wie den gesamtstaatlichen Bedürfnissen (dazu gehören auch die Bedürfnisse des sozialistischen Lagers) entspricht. Dabei ergeben sich wichtige Wechselbeziehungen zwischen Gebiet und Produktivkräften, auf die Strassenberger wie folgt hinwies: einerseits die Anforderungen-, die das Gebiet an die Verteilung der Produktivkräfte stellt (z. B . zur Überwindung regionaler Disproportionen, wie sie etwa im Bezirk Neubrandenburg vorliegen, B a u neuer Industriewerke usw.), andererseits die Anforderungen, die neu zu verteilende Produktivkräfte an das Gebiet stellen (z. B . Arbeitskräftebedarf, Transportverhältnisse, Energie usw.). Strassenberger schreibt dazu: „Die Praxis zeigt, daß bei der groben, richtungweisenden Standortplanung die Anforderung des Gebietes an die Verteilung der Produktivkräfte in der Bedeutung überwiegen, während mit der Verfeinerung des Standortes mehr und mehr die Bedingungen der Vorhaben an das Gebiet in den Vordergrund treten. Beide Seiten bilden eine Einheit." 6 Bei dieser „verfeinerten" Standortfestlegung müssen alle Forderungen sorgfältig analysiert 8 Strassenberger, Methoden der Wirtschaftsplanung. Die Regionale Planung. „Die Wirtschaft", Nr. 45/1951, S. 3.

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werden, die ein bestimmtes Vorhaben an das Gebiet stellt. Bei Industriebetrieben sind das insbesondere: ,,a) b) c) d) e) f) g) h) i) j) k)

Die Lage zu den Rohstofflieferanten; die Lage zu den Abnehmern der Fertigerzeugnisse; die Transportmöglichkeiten (Wasserstraßen, Gleisanschluß usw.); Energiebedarf; der Wasserbedarf und die Ableitung der Abwässer; die Lage zu den Brennstoflquellen; der Arbeitskräftebedarf, besonders an Fach- und Spezialarbeitern; die Wohnraumlage zur Unterbringung zusätzlicher Arbeitskräfte; die Möglichkeiten der kulturellen und gesundheitlichen Betreuung; der Bedarf an Fläche insgesamt und besonderer Böden für Fundamente; die Sperrigkeit durch Rauch, Lärm, Gase usw.

Der endgültige Standort wird also eine Synthese sein, die mit dem geringsten Aufwand für Investitionen (Wohnungsbau, Energieleitungen, Straßen, Kanalisation usw.) den vorhergenannten zwei Seiten der Standortplanung am gerechtesten wird." 6 Aus dem bisher Gesagten ergibt sich die große Bedeutung der Bezirksökonomik für die Planung und Leitung der ökonomischen und kulturellen Entwicklung im Bezirk. Sie entspricht den Erfordernissen des demokratischen Zentralismus und dient dazu, diese Erfordernisse zu verwirklichen. Die Bezirksökonomik ist ein wissenschaftlich fundiertes Programm für den Sieg des Sozialismus und hernach für die Festigung dieses Sieges in einem Bezirk der D D R , unter Berücksichtigung dessen gesamtstaatlicher Verflechtung. Zusammengefaßt wird die Bezirksökonomik durch folgende hauptsächlichen Merkmale charakterisiert: 1. Die Bezirksökonomik berücksichtigt die Grundfragen der Politik der Arbeiterklasse, indem sie den Beschlüssen von Partei und Regierung Rechnung trägt. Sie gibt zugleich der Staatlichen Plankommission wichtige Grundlagen zur Ausarbeitung qualifizierter Direktiven, die richtige regionale Proportionen mit einschließen und die Entwicklung der zentralgeleiteten Wirtschaft mit den örtlichen Interessen des Bezirkes koordinieren. 2. Die Bezirksökonomik fixiert den Entwicklungsstand aller Zweige der Volkswirtschaft (zentral- und örtlich geleitet), der Kultur, des Gesundheitswesens usw., setzt diesen ins Verhältnis zum durchschnittlichen Entwicklungsstand der D D R bzw. einzelner anderer Bezirke und zeigt Problematik und Grundlinien der Gesamtperspektive des Bezirkes auf. Dadurch gibt sie dem Wirtschaftsrat, dem Bezirksrat und Bezirkstag wissenschaftliche Grundlagen zur komplexen und regionalen Planung, insbesondere für Fragen der Standortfestlegung, der Spezialisierung, aber auch der vielseitigen Entwicklung der Produktion. Da die Bezirksökonomik das Entwicklungsprogramm des Bezirks ohne zeitliche Be6

Ebenda.

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grenzung enthält, ist sie nicht nur f ü r die Ausarbeitung des 3. Fünfjahrplanes, sondern auch weiterer Perspektivpläne wertvoll. 3. Die Bezirksökonomik gibt eine ökonomische Charakteristik der natürlichen Bedingungen, sie analysiert örtliche Hilfsquellen und Möglichkeiten (Arbeitskraftreserven, Rohstoffe, Abfälle usw.) und gibt Hinweise f ü r die planmäßige Nutzung durch die zentralgeleitete und die örtliche Industrie. 4. Die Bezirksökonomik ist ein hervorragendes Hilfsmittel f ü r die massenpolitische Arbeit. Sie ermöglicht, dem Werktätigen die konkrete Perspektive im Bezirk aufzuzeigen und sie f ü r die Verwirklichung dieser Perspektive zu gewinnen. 5. Die Bezirksökonomik gibt auch die Grundlinie f ü r die technisch-gestalterische Planung durch die Abteilungen Stadt- und Dorfplanung in den Entwurfsbüros f ü r Hochbau. Perspektiv- und Regionalplanung im Bezirk unterstellen die Einheit von ökonomischer und technisch-gestalterischer Planung. Im Gegensatz zu hier und dort noch nicht überwundenen falschen Auffassungen der früheren Landesplanung m u ß betont werden, daß nicht die technisch-gestalterische Planung des Raumes dominieren kann, sondern — und hier stimmen wir Jacob zu —, daß es in erster Linie u m „Planung der Wirtschaft innerhalb eines Wirtschaftsgebietes" geht. 7 6. Die Bezirksökonomik bietet schließlich eine Anleitung und zugleich einen Rahmen f ü r die Ausarbeitung von Kreisökonomiken. Methodik und Organisation der Ausarbeitung der

Bezirksökonomik

Am 2. J u n i 1957 übermittelte die Staatliche Plankommission den Plankommissionen der Bezirke umfangreiche „Richtlinien f ü r die Ausarbeitung von Bezirksökonomiken". Diese Richtlinien sind unter Leitung der Hauptabteilung Perspektivplanung der Staatlichen Plankommission unter Mitwirkung einiger Praktiker und Wissenschaftler — hauptsächlich aus dem Bezirk Halle — entstanden. Allgernein gesehen wurde mit diesen Richtlinien ein bedeutungsvoller Anfang zur Schaffung von Bezirksökonomiken gemacht. Aber dabei blieb es im großen ganzen viele Monate lang. Unseres Erachtens haben es die verantwortlichen Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission an der Anleitung und Kontrolle zur praktischen Verwirklichung der Richtlinien fehlen lassen. Das mag daran liegen, daß sie die Qualifikation und Leistungskraft der ein bis zwei in der Perspektivplanung der früheren Bezirksplankommissionen tätigen Mitarbeiter überschätzt haben. Das kann die Unterlassung nicht entschuldigen. Bei ausreichendem K o n t a k t mit den unteren Planungsorganen h ä t t e n die Mitarbeiter der Perspektivplanung der Staatlichen Plankommission den Mangel erkennen müssen. In den Bezirken selbst blieb die Aufgabe nach unserer Kenntnis eine Resortaufgabe der Perspektivplanung. Sie wurde weder zur Aufgabe aller Mitarbeiter der Bezirksplankommission, geschweige denn der Fachabteilungen des Rates des Bezirkes oder gar eines noch breiteren Mitarbeiterkreises, zu dem vor allem die Gewerkschaften gehört hätten. So kam es günstigsten7 Jacob, G., Regionalplanung in Theorie und Praxis im Bezirk Halle. Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ges.-Sprachw. VI/4, S. 530.

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falls zu einer umfangreichen Sammlung analytischer Materialien, überwiegend mit dem Stichtag 31. Dezember 1956. Das wichtigste aber, die wissenschaftliche Einschätzung dieser Materialien und die Herausarbeitung der Grundprobleme eines regionalen Entwicklungsprogramms, unterblieb. Mit diesen Bemerkungen sei gesagt: Richtlinien sind wichtig, aber sie genügen nicht. Es geht um die höhere Qualität unserer Planungspraxis. Deshalb dürfen sich die wissenschaftlich qualifizierten Mitarbeiter der Perspektiv- und Regionalplanung in der Staatlichen Plankommission und der Wirtschaftsräte nicht auf die Ausarbeitung von Richtlinien beschränken. Sie müssen die Wissenschaftlichkeit durch konkrete Anleitung, und zwar mehr als bisher an Ort und Stelle, unterstützen. Bei ungenügender Anleitung und Kontrolle bleiben gestellte Aufgaben stecken. Dann werden — wie es die Beispiele der häufig veralteten, zudem oft wenig aussagekräftigen Analysen für die Bezirksökonomiken zeigen — wertvolle Arbeitskraft und Zeit nutzlos vertan. Im Wirtschaftsrat beim Rat des Bezirks Neubrandenburg wurde im April 1958 zielstrebig mit der Ausarbeitung der Bezirksökonomik begonnen. Dabei war vorgesehen, den Hauptteil der Arbeit, das Entwicklungsprogramm, erst nach Vorliegen der Beschlüsse des V. Parteitages der SED in Angriff zu nehmen. Unter Zugrundelegung der Richtlinien der Staatlichen Plankommission wurde zunächst durch die Gruppe Perspektivplanung im Wirtschaftsrat eine Konzeption erarbeitet. Um den praktischen Bedürfnissen besser gerecht zu werden, war es notwendig, die von der Staatlichen Plankommission vorgeschlagene Methodik zu ergänzen. Das geschah in folgenden Punkten: 1. Die Richtlinien sehen zwei Hauptteile der Ökonomik vor: A. ökonomische Analyse mit Schlußfolgerungen. B. Entwicklungsprogramme für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Bezirks. Es ist zweckmäßiger und übersichtlicher, Analyse, Einschätzung und Entwicklungsprogramm nicht zu trennen, sondern jeweils für ein bestimmtes Gebiet in sich geschlossen darzulegen. Das erleichtert die Benutzung der Ökonomik, insbesondere auch für die massenpolitische Arbeit. Das gleiche trifft für eine Reihe von Bilanzen zu, die nach den Richtlinien in besonderen Abschnitten aufgeführt werden sollen (Versorgungsbilanzen, Gebietsverflechtung), die aber unseres Erachtens bei den betreffenden Sachgebieten besser am Platze sind. 2. Soweit irgendwie möglich, wurden bei der Analyse nicht nur aussagekräftige Kennziffern über die Verhältnisse im Bezirk Neubrandenburg ermittelt, sondern auch entsprechende Kennziffern aus anderen Bezirken bzw. der gesamten DDR. Dadurch wird ein regionaler Vergleich ermöglicht, der für die Einschätzung und das Entwicklungsprogramm unerläßlich ist. Für den Bezirk Neubrandenburg wurde auf diese Weise die Zurückgebliebenheit sichtbar gemacht, deren Ursachen in dem noch nicht voll überwundenen belastenden Erbe der junkerlichkapitalistischen Vergangenheit liegen. Es ergab sich, daß der Bezirk in seinem Entwicklungsniveau fast ausschließlich den letzten Platz unter allen Bezirken

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der DDR einnimmt. Das muß sowohl Ansporn sein für die Ausschöpfung bisher unausgenutzter Reserven durch die örtlichen Organe des Staates wie für die regional-proportionale Planung der Staatlichen Plankommission. 3. Besonders betont wurde, daß die Analyse nie Selbstzweck sein darf. Sie muß sich in den Grenzen des unbedingt Notwendigen halten und weitgehend auf vorhandene Unterlagen der Statistik zurückgreifen. Entscheidend ist also nicht die Fülle des Zahlenmaterials, sondern die daraus unter Anwendung der marxistisch-leninistischen Theorie gezogene Schlußfolgerung. Unter diesem Gesichtspunkt wurde auf eine Reihe in den Richtlinien vorgeschlagener statistischer Angaben, die nur beschreibenden Charakter haben und meist unmittelbar dem Statistischen Jahrbuch entnommen werden können, verzichtet. 4. In den Richtlinien der Staatlichen Plankommission fehlen die Aufgaben, die sich bei der sozialistischen Umgestaltung des Handwerks, des privaten Einzelhandels und der privaten Industrie ergeben. In der Konzeption für den Bezirk Neubrandenburg sind Ausführungen über Grundrichtung, Weg und Methoden der Einbeziehung des Handwerks, des privaten Einzelhandels und der privaten Industrie in den sozialistischen Aufbau vorgesehen. 5. Erweitert wurde das Rahmenschema durch einen Abschnitt „Landschaftsschutz- und Erholungsgebiete", einige Zweige der Kommunalen Wirtschaft wie Wäschereien, Chemische Reinigungsanstalten, Müllabfuhr sowie durch einige andere für eine Bezirksökonomik wichtigen Zweige. 6. Die Richtlinien der Staatlichen Plankommission sehen vor, „zugleich in der Bezirksebene und in der Kreisebene mit der Ausarbeitung der ökonomischen Analysen zu beginnen". An anderer Stelle wird gesagt: „Das Entwicklungsprogramm wird im ersten Arbeitsgang auf Grund der ökonomischen Analysen zunächst in den Kreisen (Plankommission in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen) erarbeitet." Die Erfahrungen im Bezirk Neubrandenburg zeigten, daß es zweckmäßiger ist, zunächst nur auf Bezirksebene zu beginnen und daß die Kreise erst nach Vorliegen des ersten Entwurfs der Bezirksökonomik die Ausarbeitung von Kreisökonomiken aufnehmen. Dadurch erhalten sie in Gestalt des Entwurfs der Bezirksökonomik eine konkrete Anleitung, einen Rahmen und eine Richtung für die Kreisökonomiken. Das ist aus personellen (gegenwärtige Qualifikation der meisten Perspektivplaner in den Kreisen) und aus sachlichen Gründen (zentrale Gesichtspunkte der Planung, die im Wirtschaftsrat besser bekannt sind als in den Kreisplankommissionen) günstig. Dieses Vorgehen schließt natürlich nicht aus, daß die Kreisplankommissionen schon bei der Ausarbeitung des Entwurfs der Bezirksökonomik konsultiert werden. 7. Bereits beim ersten Entwurf der Bezirksökonomik Neubrandenburg wurde eine populärwissenschaftliche Form angestrebt. Dadurch wird auch einem Personenkreis, der planökonomisch nicht ausgebildet ist, die Benutzung ermöglicht und die massenpolitische Arbeit mit der Ökonomik erleichtert.

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8. Die Leitung der Arbeit hatte die Gruppe Perspektivplanung im Wirtschaftsrat (3 Mitarbeiter). Sie stützte sich von Anfang an auf einen breiten Mitarbeiterkreis aus Vertretern der Fachabteilungen, der Fachplanung, der Räte der Kreise, der Industrie- und Baubetriebe, der MTS, der Gewerkschaften, des Entwurfsbüros für Hochbau, der Wissenschaft usw. Wenig gerechnet waren es 300 Menschen, die bereits beim ersten Entwurf mitgewirkt haben. 9. Die Prinzipien des demokratischen Zentralismus wurden auf allen Plangebieten und in jeder Phase der Ausarbeitung verantwortungsbewußt beachtet. Das geschah einmal dadurch, daß stets die Generallinie der Politik, wie sie in den Beschlüssen des V. Parteitages der SED sowie in den entsprechenden Beschlüssen der Volkskammer und Regierung enthalten ist, zugrunde gelegt wurde. Zum anderen wurde von Fall zu Fall eine Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission vorgenommen. Schließlich wurde ausdrücklich betont, „daß der Entwurf noch kein verbindlicher Perspektivplan ist, sondern erst die Grundlage dazu. Erst nach Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission und nach Vorliegen weiterer Stellungnahmen wird es möglich sein, den ersten Entwurf so abzufassen, daß er den zuständigen Staatsorganen zur Beschlußfassung vorgelegt werden kann." Unter Berücksichtigung dieser und der in den Richtlinien der Staatlichen Plankommission enthaltenen Gesichtspunkte entstand für den Bezirk Neubrandenburg folgendes Rahmenschema einer Bezirksökonomik: 1. Einige Besonderheiten der Entwicklung des Bezirkes Neubrandenburg 2. Allgemeiner Überblick über Bevölkerung und Arbeitskräfte 21. Bevölkerung, Fläche 22. Beschäftigte 23. Beschäftigte nach Wirtschaftszweigen 24. Anteil der Beschäftigten an der Wohnbevölkerung 25. Bevölkerung nach Altersgruppen 26. Eheschließungen, Lebendgeborene, Gestorbene 27. Pendelwanderung 3. Administrative und territoriale Gliederung des Bezirks, Städte und Dörfer 31. Verwaltungsgliederung 32. Bezirksstadt Neubrandenburg 33. Kreisstädte, Städte — Wiederaufbau 34. Dörfer 4. Ökonomische Bedeutung des Bezirks Neubrandenburg für die DDR 41. Fläche, Bevölkerung 42. Struktur der Bevölkerung 43. Materielle Produktion in Industrie und Landwirtschaft 44. Ökonomische Charakteristik der natürlichen Bedingungen 5. Industrie, einschließlich Bau und Baustoffe 51. Chemie, Bergbau (Torf) 52. Maschinen- und Fahrzeugbau

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53. Installation, Elektrotechnik, Optik 54. Gießereien 55. Leichtindustrie 551. Holzbe- und Verarbeitung 552. Textilindustrie 553. Bekleidungsindustrie, Näherzeugnisse 554. Leder-, Schuh-, Filz- und Rauchwarenindustrie 555. Druckereien 56. Nahrungs- und Genußmittelindustrie 561. Fleischbe- und verarbeitende Industrie (Schlachthöfe) 562. Milchverarbeitende Industrie (Molkereien) 563. Mühlen 564. Brotfabriken, Großbäckereien 565. Spirituosen-Getränkeindustrie 566. Gemüse- und Obstverwertung 567. Zuckerindustrie 57. Bauindustrie 571. Volkeigene Bauindustrie 572. Bauhandwerk 573. Staatliche Beteiligung 58. Baustoffindustire 581. Betonwerke 582. Ziegeleien 583. Kies 584. Holzindustrie 6. Handwerk 66. Produktionsgenossenschaften des Handwerks 62. Privates Handwerk 7. Land- und Forstwirtschaft 71. Landwirtschaft 711. Sozial-ökonomische Struktur 712. Größenklassen, private Landwirtschaft 713. LPG 714. VEG 715. MTS 716. Arbeitskräftelage 717. Landwirtschaftliche Berufs- und Fachschulen 718. Hektarerträge 719. Anbauverhältnisse 720. Viehbestände 721. Marktproduktion 722. Wichtige Baumaßnahmen (Rinderoffenställe, MTS-Stützpunkte) 73. Forstwirtschaft '

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74. Landwirtschaftliche Wasserbauvorhaben 741. Friedländer Große Wiese 742. Tollense-Niederung 743./46. Weitere Vorhaben 75. Gartenbau 751. Gemüsebau 752. Grasflächen 753. Obstbau 754. Lagerhaltung 755. Obst- und Gemüseverwertung 8. Binnenfischerei 9. Verkehrswesen 91. Reichsbahn 92. Schiffahrt 93. Straßenwesen 94. Omnibusverkehr 95. Güter- und Kraftverkehr 96. Tankstellen 97. Kraftfahrzeuginstandsetzung 10. Energie- und Gasversorgung, Wasserversorgung, Wohnungswesen und kommunale Betriebe 101. Energieversorgung 102. Gasversorgung 103. Wasserversorgung 104. Kanalisation 105. Wohnungswesen, Wohnungsbau 106. Wäschereien, Chemische Reinigung, Färbereien 107. Müllabfuhr, Straßenreinigung 108. Friedhöfe 11. Handel und Versorgung 111. Einzelhandel — Gesamtüberblick 112. Zahl der Verkaufsstellen 113. Pro-Kopf-Verbrauch an Lebensmitteln und Industriewaren 114. Großhandel 115. Grundzüge der weiteren Entwicklung von Handel und Versorgung 116. Fragen des Exports 12. Volksbildung, Kultur, Sport, Jugendeinrichtungen 121. Volksbildung 122. Kultur 123. Sport 124. Jugendeinrichtungen

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

235

13. Landschaftsschutz- und Erholungsgebiete 131. Müritz-Seenpark 132. Tollense-See 133. Feldberger Seenlandschaft 134. Templiner Seenlandschaft 135. Haflküste bei Ückermünde 14. Gesundheits- und Sozialwesen 141. Krankenhäuser 142. Ambulante Versorgung 143. Angehörige der medizinischen Berufe 144. Apothekenwesen 145. Mutter- und Kinderschutz 146. Sozialwesen. Je nach Bedarf wurden die einzelnen Sachgebiete untergliedert, z. B. 52. Maschinen- und Fahrzeugbau 521. Stand 1957 (Gesamtüberblick — Anzahl der Betriebe, Bruttoproduktion, Anzahl der Beschäftigten, durchschnittliche Produktivität) 522. Volkseigene Betriebe (B) 5221. VEB (B) Maschinenbau Neubrandenburg 5222. VEB (B) Apparate- und Maschinenfabrik Teterow 5223. Sonstige bezirksgeleitete volkseigene Betriebe 523. Kreisgeleitete volkseigene Betriebe 524. Private Betriebe 525. Handwerk. Für die Erarbeitung und Darstellung der verschiedenen Abschnitte wurde im Prinzip folgender Aufbau zugrunde gelegt: 1. Analyse einschließlich regionaler Vergleich 2. Einschätzung der Kennziffern 3. Grundzüge der weiteren Entwicklung. Nachdem Rahmenschema und Systematik klar waren, wurden die verschiedenen Abschnitte einzeln mit den jeweils» in Frage kommenden Mitarbeitern der Fachabteilungen und der Fachplanung besprochen. Die Mitarbeiter der Gruppe Perspektivplanung im Wirtschaftsrat hielten die Gesamtleitung in Händen. Sie waren bemüht, bei allen Arbeiten ein möglichst hohes wissenschaftliches Niveau zu sichern, wobei sie sich besonders auf die Fragen des Bauwesens, der Landwirtschaft und der Industrie konzentrierten. Schließlich leistete die Gruppe Perspektivplanung die umfangreiche Arbeit der Systematisierung, wissenschaftlichen Wertung und Darstellung der von den einzelnen Arbeitsgruppen vorbereiteten Materialien. So entstand der erste Entwurf der Ökonomik des Bezirks Neubrandenburg. Die erste Etappe des Vorhabens war erreicht.

Otto Rühle

236

Die zweite Etappe war durch folgende Ziele und Maßnahmen gekennzeichnet: 1. Diskussion des Entwurfs der Bezirksökonomik mit einem größeren Personenkreis, insbesondere Werktätigen in den Betrieben, Vertretern der Gewerkschaften, Wissenschaftlern und Fachleuten. Es wurde angestrebt, den Entwurf der Bezirksökonomik mit in die Vorbereitung der Volkswahl am 16. November 1958 einzubeziehen. Dazu wurden Ausfertigungen sämtlichen Kandidaten der Volkskammer, dem Bezirksvorstand des F D G B , den Mitgliedern des Bezirksrats und des Wirtschaftsrats, allen Fachabteilungen, den Kreisplankommissionen, größeren Betrieben u. a. ausgehändigt. 2. Abstimmung des Entwurfs der Bezirksökonomik mit der Staatlichen Plankommission. Dazu wurden der Staatlichen Plankommission einige Ausfertigungen zur Durcharbeitung übersandt. Hernach fanden Beratungen über die einzelnen Abschnitte statt, deren Ergebnis für die endgültige Fassung der Ökonomik festgehalten wurde. 3. Ausnutzung des Entwurfs der Bezirksökonomik für die Ausarbeitung des dritten Fünfjahrplanes 1961—1965. Trotz noch vorhandener Lücken und Mängel leistete der Entwurf dazu eine wertvolle Hilfe. E r erleichterte und verkürzte die Vorbereitung und ermöglichte eine qualifiziertere Planausarbeitung als dies im Bezirk Neubrandenburg bei den vorangegangenen Fünfjahrplänen der Fall war. Auch für die regional-proportionale Planung durch die Staatliche Plankommission ergaben sich Hinweise. Gleichzeitig konnte der Entwurf der Bezirksökonomik in einer Reihe von Punkten präzisiert und verbessert werden. 4. Wissenschaftliche Vertiefung und Ergänzung des Entwurfs in einigen zunächst offen gebliebenen Fragen. 5. Durchführung einer zweitätigen Schulung mit den Perspektivplanern der Kreisplankommissionen, wobei diese durch ausführliche Erläuterung des Beispiels der Bezirksökonomik konkrete Anleitung für die Ausarbeitung von Kreisökonomiken erhielten. 6. Einarbeitung der aus den Beratungen, Ziffer 1—5, resultierenden Änderungen und Ergänzungen in den Entwurf der Bezirksökonomik. Nach weiteren Beratungen durch Wirtschaftsrat, Bezirksrat und Ständige Kommissionen soll dann die Ökonomik dem Bezirkstag zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Abweichend von der in den Richtlinien der Staatlichen Plankommission vertretenen Meinung 8 ist unseres Erachtens ein besonderer Bezirksperspektivplan nicht mehr erforderlich. Wenn die Bezirksökonomik nach unserer Zielstellung und Methodik erarbeitet wird, enthält sie die gesamte Entwicklungsproblematik und damit auch die Grundlinie der Entwicklungsperspektive des Bezirks. Tempo und Etappen der Verwirklichung sind von der inneren und äußeren Lage abhängig. Diese findet ihren Ausdruck in den Direktiven für die Fünfjahrpläne. Die Fünfjahrpläne greifen aus der in der Bezirksökonomik enthaltenen gesamten Entwicklungsproblematik j e weils den Teil heraus, dessen Lösbarkeit im Rahmen der gesamtstaatlichen Zielsetzung in einem Planjahrfünft gesichert ist. 8

Ebenda, S. 532.

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

237

Unbedingt erforderlich ist, die Bezirksökonomik fortzuschreiben, Das gilt sowohl f ü r die Analyse wie f ü r das Entwicklungsprogramm, das ständig den Erfordernissen des demokratischen Zentralismus entsprechen m u ß . Einige Probleme aus der Bezirksökonomik

Neubrandenburg

Der Bezirk Neubrandenburg ist ein territorialer Produktionskomplex mit der Spezialisierung auf Landwirtschaft. Ausgehend vom gesamtstaatlichen Interesse gilt es, diesen Produktionskomplex auf der Grundlage der ökonomischen Gesetze des Sozialismus unter Berücksichtigung der natürlichen, historischen und ökonomischen Besonderheiten optimal zu entwickeln. Diesem Ziel trägt die Bezirksökonomik Rechnung. Die systematische

Überwindung der Zurückgebliebenheit

des

Bezirks

Der Aufbau des Sozialismus wird von materiellen und personellen Faktoren beeinflußt, die im Kapitalismus — oder anderen vorsozialistischen Gesellschaftsformationen — entstanden sind. Im Bezirk Neubrandenburg befand sich bis zur Zerschlagung des Faschismus durch die ruhmreiche Sowjetarmee und der im Herbst 1945 durchgeführten demokratischen Bodenreform der größte Teil des Grund und Bodens in den Händen der J u n k e r und Großgrundbesitzer. Im Kreis Strasburg z. B . verteilte sich die landwirtschaftliche Nutzfläche am 1. J a n u a r 1945 auf Großgrundbesitz Großbauern Mittelbauern Kleinbauern Sonstige Besitzer (Kirche, Kleinstbesitz)

70,7 17,1 9,7 1,1 1,4

Prozent Prozent Prozent Prozent Prozent

100,0 Prozent Im selben Kreis Strasburg gab es zum gleichen Zeitpunkt in 19 Gemeinden überhaupt keine Bauern 12 Gemeinden 1—5 Bauern 4 Gemeinden 6—10 Bauern 5 Gemeinden 11—10 Bauern 11 Gemeinden über 20 Bauern Ahnlich war es in den anderen Kreisen. 60 bis 70 Prozent des Grund und Bodens im Bezirksgebiet befanden sich in den Händen der Gutsherren. Die Gutsdörfer mit Schlössern u n d stattlichen Herrenhäusern einerseits, armseligen Landarbeiterkaten andererseits, bestimmten das Gesicht von Mecklenburg, Vorpommern und der Uckermark. Sie waren der äußere Ausdruck der früheren Klassenverhältnisse. In ihnen erhielt der unversöhnliche Grundwiderspruch zwischen der junkerlichkapitalistischen Ausbeuterklasse, der H a u p t v e r b ü n d e t e n der Monopolherren, und den ausgebeuteten Arbeitern, werktätigen Bauern und anderen Werktätigen plastische Gestalt. Unterdrückung, Not, Armut, Ausbeutung, Unsicherheit, Unwissenheit, Menschenunwürdigkeit sind Worte, die n u r annähernd die frühere Lage

238

Otto Rühle

der Werktätigen kennzeichnen können. So war es uneingeschränkt bis 1918 — so blieb es bis 1945 mit geringen Verbesserungen in der Weimarer Republik. Der außerordentlich konzentrierte junkerliche Großgrundbesitz war die Ursache des niedrigen Entwicklungsniveaus auf ökonomischem, sozialem, kulturellem, hygienischem Gebiet, das die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten im Jahre 1945 übernehmen mußten. Das waren die Folgen des preußischen Weges der kapitalistischen Agrarentwicklung, die im Gebiet des Bezirks Neubrandenburg geradezu potenziert waren und durch folgende vier Hauptmerkmale gekennzeichnet sind: 1. Die Zurückgebliebenheit erstreckt sich auf das ganze Territorium des Bezirks Neubrandenburg. Auch die Städte sind von ihr stark betroffen. 2. Die Zurückgebliebenheit des ganzen Bezirks Neubrandenburg ist stärker als die durchschnittliche Zurückgebliebenheit der ländlichen Gebiete in der DDR, speziell in den mitteldeutschen Bezirken. 3. Der Bezirk verfügt über weniger Voraussetzungen zur Überwindung der Zurückgebliebenheit aus eigener Kraft als die anderen Bezirke. 4. Die Arbeiterklasse ist im Vergleich mit anderen Bezirken am schwächsten vertreten. In den zehn Jahren des Bestehens der DDR — besonders seit Beginn des sozialistischen Aufbaus — wurden Erfolge von historischer Bedeutung in der Überwindung der Zurückgebliebenheit des Bezirks Neubrandenburg gegenüber dem Durchschnitt der DDR erzielt. Der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Stadt und Land, der für die Menschen im Raum des heutigen Agrarbezirkes Neubrandenburg Ausbeutung, Unterdrückung und Unwissenheit bedeutete, wurde durch unsere Arbeiter-und-Bauern-Macht beseitigt. Die umwälzenden Reformen in Landwirtschaft, Industrie, Kultur und Sozialwesen eröffneten auch im Bezirk Neubrandenburg allen Menschen guten Willens ökonomisch, politisch, sozial und geistig eine neue Welt: die Welt der freien Arbeiter, Bauern und übrigen Werktätigen. Die volkseigene Industrie stattete die 72 Maschinen-Traktorenstationen im Bezirk Neubrandenburg als Zentren der modernen Technik und Wissenschaft auf dem Lande aus. Damit war der Haupthebel zur weiteren Lösung der noch bestehenden Widersprüche zwischen Industrie und Landwirtschaft geschaffen. Die MTS haben seit ihrem Bestehen sowohl im sozialistischen wie im privaten Sektor der Landwirtschaft viel zur Steigerung der Erträge in Ackerbau und Viehzucht beigetragen. Sie untersützen die weitere Herausbildung der sozialistischen Großlandwirtschaft, die sich auf dem Wege des freiwilligen Zusammenschlusses der Einzelbauern in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften vollzieht. Die MTS sind eine unerläßliche und hoch zu bewertende Hilfe bei der Überwindung der Zurückgebliebenheit des Bezirks Neubrandenburg. Ungeachtet dessen liegt das durchschnittliche Entwicklungsniveau des Agrarbezirks Neubrandenburg gegenwärtig noch niederiger als das ländlicher Gebiete in den meisten Bezirken der DDR. Zu den Grundaufgaben der sozialistischen Umgestaltung gehört die Überwindung dieser regionalen Disproportionen. Das erfordern die ökonomischen Gesetze des Sozialismus, insbesondere das dem öko-

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

239

nomischen Grandgesetz untergeordnete Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft. Wie bereits ausgeführt, fixiert die Ökonomik durch vergleichbare Kennziffern des Bezirks und dem Durchschnitt der DDR die gegenwärtig noch bestehende Zurückgebliebenheit des Bezirks Neubrandenburg. Sie zeigt gleichzeitig Wege zu ihrer Überwindung auf. Hierbei ergeben sich für die örtlichen Organe der Staatsmacht und die Werktätigen im Bezirk wie für die regional-proportionale Planung durch die Staatliche Plankommission folgende Schwerpunkte: 1. Raschere Entwicklung der Bau- und Baustoffindustrie im Bezirk bzw. Einsatz zusätzlicher Kapazität, um insbesondere das ländliche Bauwesen und den Wiederaufbau der Städte zu beschleunigen. 2. Stärkere sozialistische Industrialisierung entsprechend den Erfordernissen i der vielseitigen Entwicklung und der Stärkung der Macht der Arbeiterklasse im Bezirk. 3. Maßnahmen zur grundlegenden Verbesserung der Energieversorgung als einer wichtigen Bedingung für die weitere Mechanisierung der Landwirtschaft. 4. Sondermaßnahmen zur Verbesserung des Verkehrswesens, insbesondere des rückständigen Straßenwesens. 5. Durchführung eines umfassenden Programms zur Sicherung der Wasserversorgung von Städten und Dörfern sowie einiger dringender landwirtschaftlicher Wasserbauvorhaben. 6. Hilfe zur rascheren Lösung des Arbeitskräfte- und Kaderproblems. Auf einige dieser Schwerpunkte werden wir im Verlauf unserer weiteren Ausführungen eingehen. Regionale Verteilung der Bevölkerung und, der Arbeitskräfte im Bezirk Neubrandenburg9 Am 31. Dezember 1957 betrugen die Fläche die Wohnbevölkrung darunter

10951 qkm 667521 Einwohner 306781 männlich 360740 weiblich die Bevölkerungsdichte war 61 Einwohner je qkm.

Im Vergleich mit anderen Bezirken steht der Bezirk Neubrandenburg hinsichtlich der Fläche an 3. Stelle der Einwohnerzahl an 11. Stelle der Bevölkerungsdichte an letzter Stelle. * Soweit nichts anderes gesagt, stützen sich die Kennziffern auf das Statistische Jahrbuch der DDR 1957.

240

Otto

Rühle

Die Gesamtzahl der Beschäftigten teilt sich auf die einzelnen Wirtschaftszweige wie folgt auf: Bezirk Neubrandenburg absolut % Anteil 1. Industrie 2. B a u 3. Produzierendes Handwerk ohne Bauhandwerk 4. Land-, Forst-, Wasserwirtschaft 5. Verkehr ohne Post 6. Post 7. Handel 8. Bereiche außerhalb der materiellen Produktion zusammen:

DDR % Anteil

23978 15040

8,5 5,3

34,2 5,9

14357 147506 10129 4005 30521

5,1 52,0 3,6 1,4 10,7

7,0 20,5 4,7 1,6 11,3

37961

13,4

14,8

283497

100,0

100,0

Die Aufstellung unterstreicht den Agrarcharakter des Bezirks. Der Anteil von 52 Prozent der in der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft Tätigen wird von keinem anderen Bezirk der DDR erreicht (Schwerin 42 Prozent, Frankfurt/Oder 33 Prozent, Rostock 31 Prozent, Potsdam 30 Prozent, Magdeburg 29 Prozent). Andererseits steht der Bezirk mit dem Anteil der in der Industrie Beschäftigten an letzter Stelle unter allen Bezirken der DDR (Schwerin 13 Prozent, Frankfurt/ Oder 19 Prozent, Rostock 20 Prozent, Potsdam 22 Prozent, Magdeburg 27 Prozent). Der Anteil der in den anderen Wirtschaftszweigen Beschäftigten liegt im Bezirk Neubrandenburg ebenfalls durchweg unter den Durchschnittszahlen der DDR. Darin spiegelt sich unter anderem die Zurückgebliebenheit der betreffenden Gebiete des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens wider. Aufschlußreich ist eine Analyse des Anteils der Beschäftigten an der Wohnbevölkerung im arbeitsfähigen Alter von 19—65 (60) Jahre. Die Bezirksökonomik enthält folgende Kennziffern: männlich Wohnbevölkerung 19-65 Jahre männliche Beschäftigte prozentualer Anteil im Bezirk Nbg. desgleichen in der D D R

172543 164403 95,6 Prozent 99,4 Prozent

weiblich Wohnbevölkerung 19-60 Jahre weibliche Beschäftigte prozentualer Anteil im Bezirk Nbg. desgleichen in der D D R

199111 119094 60,0 Prozent 65,4 Prozent

Die Prozentzahlen zeigen, daß im Bezirk Neubrandenburg gegenwärtig die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter prozentual in geringerem Maße berufstätig ist als im Durchschnitt der DDR. Erhebliche Arbeitskraftreserven gibt es noch bei der weiblichen Bevölkerung. Neben Erschließung neuer geeigneter Beschäftigungs-

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

241

möglichkeiten sind ideologische Arbeit (Gewinnung für die Landwirtschaft), aber auch verstärkte sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen erforderlich (Wäschereien, Kinderkrippen, Kindergärten usw.). Eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Arbeitskräftesituation bildet die altersmäßige Gruppierung der Bevölkerung sowie die Bevölkerungsbewegung im Bezirk. Die Bezirksökonomik sagt hierüber folgendes aus: Anteil der Bevölkerung nach Altersgruppen am 31. Dezember 1957:

Altersgruppe bis 1 Jahr 1 bis 3 Jahre 3 bis 18 Jahre 18 bis 25 Jahre 25 bis 45 Jahre 45 bis 60 Jahre 60 bis 65 Jahre über 65 Jahre gesamt:

% Anteil Bezirk DDR Nbg.

männlich

weiblich

gesamt

7141 14032 80044 43198 58292 56190 14863 33021

6647 13462 76130 41017 82037 76057 21146 44244

13788 27494 156174 84215 140329 132247 36009 77265

2,1 4,1 23,4 12,6 21,0 19,7 5,4 11,7

1,5 3,1 21,1 10,8 21,7 22,5 6,1 13,2

306781

360740

667521

100,0

100,0

Die Übersicht läßt folgendes erkennen: 1. Der Anteil der Bevölkerung bis 18 J a h r e beträgt im Bezirk Neubrandenburg 29,6 Prozent, in der D D R nur 25,7 Prozent. Darin drückt sich vor allem die höhere natürliche Bevölkerungsvermehrung im Agrarbezirk Neubrandenburg aus. 2. Auf die arbeitsfähige Bevölkerung im Alter von 19 bis 65 Jahren entfallen im Bezirk Neubrandenburg 58,7 Prozent, im Durchschnitt der D D R 61,1 Prozent. In diesen Vergleichszahlen spiegelt sich unter anderem eine Fluktuation arbeitsfähiger Bezirksbewohner in industrielle Bezirke der D D R wider. Ein günstiges Bild ergibt die Betrachtung der Zahl der Eheschließungen, Lebendgeborenen und Gestorbenen j e 1000 Einwohner: 1956 Bezirk N. Eheschließungen Lebendgeborene Gestorbene

9,1 21,5 11,1

1957 0 DDR 8,6 15,9 12,0

Bezirk N. 9,0 21,2 11,8

0 DDR 8,6 15,6 12,8

Dazu folgende Erläuterungen: 1. Hinsichtlich der Zahl der Lebendgeborenen j e 1000 Einwohner steht der Bezirk Neubrandenburg an erster Stelle unter allen Bezirken der D D R . 2. Ebenfalls bei den Sterbefällen und Eheschließungen nimmt der Bezirk Neubrandenburg einen günstigen Platz ein. E r wird in beiden Fällen nur vom Bezirk Rostock ganz gering übertroffen. 16

Probleme Bd. 2

Otto Rühle

242

Der Bezirk Neubrandenburg h a t den höchsten Geburtenüberschuß in der D D R . E r betrug je 1000 Einwohner Bezirk N. 1956 1957

+10,4 + 9,4

0 DDR +3,9 +2,8

Diese günstige Entwicklung wird sich in den nächsten Jahrzehnten vorteilhaft auf das Kader- und Arbeitskräfteproblem im Bezirk auswirken, vorausgesetzt, daß es gelingt, die jungen Menschen f ü r ein Verbleiben im Bezirk, insbesondere in der Landwirtschaft zu gewinnen. Leider haben die bisherigen Bemühungen in dieser Richtung noch keinen genügenden Erfolg erzielt. Das zeigt eine Gegenüberstellung der Bevölkerungsdichte 1950 und 1957: Bevölkerungsbewegung 1950 bis 1957

Bezirk

Neubrandenburg Schwerin Rostock Potsdam Frankfurt/Oder

Bevölkerungsdichte Einwohner/qkm 1950 1957 66 80 120 98 91

61 74 118 96 94

% Rückgang Zugang -7,6 -7,5 -1,7' -2,0 3,3

Der Bezirk Neubrandenburg weist, auf den Quadratkilometer Fläche bezogen, den höchsten Bevölkerungsrückgang unter den genannten Bezirken mit hohem Agraranteil auf. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Bezirk Neubrandenburg u n t e r allen Bezirken der D D R den höchsten Geburtenzuwachs h a t und im Betrachtungszeitraum mindestens 2000 Industriearbeiter von außerhalb eine ständige Beschäftigung im Bezirk aufgenommen haben (Aktion „Industriearbeiter aufs L a n d " ) . Ohne diese hohen Zugänge wäre der Bevölkerungsrückgang noch größer. Um so sorgfältiger m u ß der aufgezeigte Bevölkerungsrückgang analysiert und durch wirkungsvolle Maßnahmen vermindert und beseitigt werden. E r ist in erster Linie ein Ausdruck der Fluktuation von Arbeitskräften und ihren Familien aus der Landwirtschaft. Demgegenüber weist der im Betrachtungszeitraum industriell stark entwickelte Bezirk Frankfurt/Oder einen Bevölkerungszuwachs auf. Bei den beiden ebenfalls industriell stärker entwickelten Bezirken Rostock und Potsdam ist der Bevölkerungsrückgang wesentlich niedriger als in den fast reinen Agrarbezirken Neubrandenburg und Schwerin. Die Bekämpfung der Fluktuation aus der Landwirtschaft erfordert ein ganzes System ideologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Maßnahmen. J e rascher die noch vorhandene Zurückgebliebenheit des Bezirks Neubrandenburg überwunden wird, desto nachhaltiger wird der Fluktuation von ländlichen Arbeitskräften begegnet. Der wichtigste Gesichtspunkt ist eine schnelle Lösung des Woh-

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

243

nungsproblems. Nach Berechnungen der Staatlichen Plankommission, Abteilung Wohnungsbau, weist der Bezirk Neubrandenburg nach dem Bezirk Rostock den relativ größten Fehlbetrag an Wohnungen unter allen Bezirken der D D R auf. Der Wohnungsbau war daher einer der Punkte, der im Mittelpunkt der Erörterungen über die Direktive für den dritten Fünfjahrplan im Bezirk Neubrandenburg stand. Der gegenwärtige Fehlbestand an Wohnungen im Bezirk Neubrandenburg wird im wesentlichen bis zum J a h r e 1965 behoben sein. Abschließend seien noch einige Probleme der Arbeitskräftelage in der Landwirtschaft im Bezirk Neubrandenburg aufgeworfen. Arbeitskräftebestand je 100 ha LNF im Bezirk Neubrandenburg (30. LPG YEG Privater Sektor Mitglieder je 100 ha in LPG 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Berlin Suhl Gera Erfurt Dresden Karl-Marx-Stadt Halle Leipzig

33,7 25,0 20,2 19,4 19,0 18,7 18,0 18,0

6.1958)

12,2 AK 15,1 AK 22,9 AK

(31.12.1957 lt. Statistisches 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Jahrbuch 1957 S. 369/70)

Cottbus Magdeburg Rostock Potsdam Frankfurt Schwerin Neubrandenburg

15,9 14,7 11,7 11,6 11,3 10,3 10,2

Insgesamt wird die Arbeitskräftesituation in der Landwirtschaft wie folgt i geschätzt: 1. Der Bezirk Neubrandenburg nimmt im Arbeitskräftebestand pro 100 ha sowohl bei V E G und L P G wie bei den einzelbäuerlichen Betrieben einen der letzten Plätze unter allen Bezirken der D D R ein. Die angespannte Arbeitskräftelage erfordert maximale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Technik, sorgfältige Beachtung der sozialistischen Wirtschaftsprinzipien und Mobilisierung der noch im Bezirk vorhandenen Arbeitskraftreserven. Sie erfordert aber auch noch stärkere Berücksichtigung des Bezirks Neubrandenburg im Rahmen der regionalproportionalen Planung durch die zentralen Regierungsstellen (maximale Zuweisung arbeitskräftesparender Maschinen, Aktion „Industriearbeiter aufs Land"). 2. Die gegenwärtige Arbeitskräftelage wird sich mit der weiteren sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft bessern. Die zahlenmäßig günstigere Arbeitskräftesituation in den privatbäuerlichen Betrieben (22,9 je 100 ha) berechtigt zu der Annahme, daß nach Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft der Arbeitskräftebestand in den L P G auf etwa 14—15 AK/100 ha L N F anwachsen wird. 16»

244

Otto Rühle

Stand und Möglichkeiten der industriellen Entwicklung des Bezirks

Neubrandenburg

Die Bezirksökonomik veranschaulicht die industrielle Entwicklung des Bezirks Neubrandenburg durch folgende Übersicht: Bezirk Neubrandenburg (15. Stelle) absolut % zu D D R 1000 DM Industrie-Bruttoproduktion gesamt darunter: Energiebetriebe Bergbau Chemische Industrie Baumaterialien S chwermas chinen Allg. Maschinenbau Fahrzeugbau Schiffbau Gießereien Metallwaren Elektrotechnik Feinmechanik, Optik Holz- u. Kulturwaren Textilind ustrie Bekleidungs- u. Näherzeugnisse Leder-, Schuhwaren u. a. Zellstoff, Papier Druckereien Nahrungs- u. Genußmittel Glas, Keramik

Bezirk Schwerin (14. Stelle) absolut % zu D D R 1000 DM

476513

0,93

796213

1,55

9706 2451 2074 24277

1,1 0,09 0,03 2,4

13092 2677 11444 31333 14824 10094 52690 28156

1,6 0,1 0,15 3,2 0,5 0,5 1,5 3,8



17270 29145 8269 32487 4164 241



0,7 0,8 1,1 4,9 0,4 0,008







2355 277 780

0,4 3,3

29966 217 127 53629 61237 27228 38785 6767 5487 414362









48592 10597 3691 856



2,6 0,16 0,22 0,07

2,8 0,007 0,11 2,9 1,08 1,6 2,7 0,7 1,0 4,0 —

Diese Übersicht läßt erkennen, daß die industrielle Bruttoproduktion im Bezirk Neubrandenburg nicht einmal 1 Prozent der industriellen Bruttoproduktion in der DDR ausmacht. Sie erreicht knapp die Hälfte des industriell am zweitschwächsten entwickelten Bezirks der DDR, Schwerin, der 43000 Einwohner weniger hat als der Bezirk Neubrandenburg. Der Bezirk Neubrandenburg wird auch künftig in erster Linie auf Agrarproduktion spezialisiert sein. Im Gegensatz zum Kapitalismus, in dem die volkswirtschaftliche Spezialisierung zu immer größerer Einseitigkeit bestimmter territorialer Gebiete führt, ist aber die Spezialisierung im Sozialismus mit einer komplexen bzw. vielseitigen Entwicklung der Wirtschaftsgebiete verknüpft. Der sowjetische Ökonom Pitajewski definiert den sozialistischen Begriff der komplexen Entwicklung bestimmter Wirtschaftsgebiete wie folgt: „Zugleich mit der Entwicklung der strukturbestimmenden Hauptwirtschaftszweige, die für die Spezialisierung der Bezirke auf gewisse Produktionsarten maßgebend sind, die für das ganze Land wichtige Bedeutung haben und aus einem Be.

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

245

zirk in andere Bezirke ausgeführt werden, muß sich jeder Bezirk weitestgehend mit den mannigfaltigsten industriellen und landwirtschaftlichen Produkten selbst'versorgen. Brenn- und Baustoffe, Kunstdünger, Massenerzeugnisse der Leichtindustrie .und der Nahrungsmittelindustrie müssen in jedem ökonomischen Bezirk des Landes in einem Umfang produziert werden, der den Bedarf des Bezirks deckt. Dabei müssen Waren des Massenbedarfs wie örtliche Baustoffe (Ziegel, Kalk, Bausteine usw.), Möbel, Erzeugnisse der Konfektionsindustrie, Mehl-, Milch- und Fleischprodukte, Konditoreierzeugnissse u. ä. in jeder Republik, in jeder Region und in jedem Gebiet in genügender Menge produziert werden." 1 0 Wenn auch die Bezirke der DDR nicht schematisch mit den ökonomischen Gebieten in der Sowjetunion gleichgesetzt werden können, so ergibt sich doch eine gewisse Parallelität der Funktionen. Jedenfalls widerspricht die Einseitigkeit der gegenwärtigen Wirtschaftsstruktur des Bezirks Neubrandenburg den sozialistischen Prinzipien, die sich aus den Erfordernissen des ökonomischen Gesetzes der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft ergeben. Aus der junkerlich-kapitalistischen Vergangenheit herrührend, ist der Bezirk "Neubrandenburg wie kein anderer Bezirk der DDR industriell zurückgeblieben. Diese Tatsache bedarf besonderer Berücksichtigung durch die regional-proportionale Planung. Es geht dabei nicht nur um ökonomische Fragen, sondern auch um die Stärkung der Position der in unserem Staat führenden Arbeiterklasse und ihrer Partei. Die Bedeutung und Notwendigkeit einer stärkeren industriellen Entwicklung des Bezirks Neubrändenburg wird am Beispiel der städtebaulichen Gesamtplanung der Bezirksstadt Neubrändenburg besonders offensichtlich. Die Stadt, die am 31". Dezember 1957 29018 'Einwohner zählte, ist für eine Größe von rund 50000Einwohnern geplant. Nach einer überschlägigen Berechnung sind für den Aufbau der Bezirksstadt Neubrandenburg (1956—1970) vorgesehen: Investitionen Bezirksplan 416960,0 TDM Investitionen Zentraler Plan 60325,0 TDM Lizenzen 11220,0 TDM gesamt (Hochbauten) 488505,0 TDM

Hierunter sind für Wohnungsbau 202850,0 TDM Volksbildung (Kindergärten, allgemeinbildende Schulen, Berufsschulen) 50775,0 TDM Gesundheitswesen 41520,0 TDM Kultur 20950,0 TDM Jugend und Sport 10980,0 TDM Handel und Versorgung 43400,0 TDM Verkehr 14260,0 TDM Industrie (K) 16270,0 TDM Betonwerke . 9400,0 TDM Handwerkerhöfe 1800,0 TDM 10

Pitajewski, P. I., Die Planung der Wirtschaft im Kreise, Berlin 1954, S. 362.

246

Otto Rühle

Verwaltung, Justiz, sonst. Büros Parteien und Organisationen Fernheizwerke Wasserwerk, Energie, Kommunale Einrichtungen Sonstige

39970,0 9950,0 10000,0 6230,0 10150,0 zusammen

TDM TDM TDM TDM TDM

488505,0 TDM

Aus dieser Grobaufschlüsselung geht hervor, daß der weitaus größte Teil der vorgesehenen Investitionen auf den Sektor der gesellschaftlichen Konsumtion entfällt. Der Anteil, der die Erweiterung der kreis geleiteten Industrie betrillt, beträgt nur 3.4 Prozent der Gesamtsumme. Werden die Positionen Industrie, Verkehr, Betonwerke und Handwerkerhöfe zusammengerechnet, so entfällt auf sie ein Anteil von 8.5 Prozent oder mit anderen Worten: nur 8,5 Prozent der insgesamt vorgesehenen Investsumme dienen der Entwicklung der materiellen Produktion. Um den Erfordernissen der städtebildenden Faktoren einer sozialistischen Stadt gerecht zu werden, zur Vermeidung einer einseitigen Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur, muß unbedingt eine stärkere industrielle Entwicklung der Stadt angestrebt werden. Die bestehende städtebauliche Gesamtplanung muß durch die Projektierung einiger größerer Betriebe der zentralgeleiteten Industrie ergänzt werden. Dazu bedarf es der Hilfe der Staatlichen Plankommission. Die Begründung ergibt sich aus folgenden politischen und ökonomischen Gesichtspunkten : 1. Der dritte der 16 Grundsätze für den Städtebau, die die Regierung der D D R am 27. J u n i 1950 beschlossen hat, sagt: „Die Städte werden in bedeutendem Umfange von der Industrie für die Industrie gebaut. Das Wachstum der Stadt, die Einwohnerzahl und die Fläche werden von den städtebildenden Faktoren bestimmt, das heißt: von der Industrie, den Verwaltungsorganen und den Kulturstätten, soweit sie mehr als örtliche Bedeutung haben." 2. Nach der gegenwärtig vorliegenden städtebaulichen Gesamtplanung würde der prozentuale Anteil der Arbeiterklasse an der Gesamtzahl der Einwohnerschaft bis 1970 um 2,7 Prozent zurückgehen, dagegen würde der Anteil der Angestellten und vor allem der Gruppe der Nichtberufstätigen, Hausfrauen, Rentner, Schüler und Kinder erheblich steigen. Die Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur Neubrandenburgs ist schon heute im Vergleich zu den meisten anderen Bezirksstädten der D D R ungünstig. Sie würde sich bis zum J a h r e 1970 weiter verschlechtern. Das würde um so weniger zu entschuldigen sein, als Neubrandenburg im wesentlichen neu aufgebaut wird. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in Neubrandenburg mit der Übersiedlung der Bezirksorgane der Partei der Arbeiterklasse, des Rates des Bezirkes u. a. starke politische Kräfte unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht vorhanden sind, muß eine Verstärkung der Industriearbeiterschaft angestrebt werden. Nicht zuletzt geht es darum, einer großen Zahl von Frauen geeignete Arbeitsplätze in Produktionsbetrieben zu sichern. 3. Neubrandenburg wird Bezirksstadt des Agrarbezirks, der wie kein anderer Bezirk in der Deutschen Demokratischen Republik — j a wir können sagen: ganz

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

247

Deutschlands — mit den Folgen des preußischen Weges der kapitalistischen Agrarentwicklung belastet ist. Ungeachtet anderer positiver Maßnahmen unseres Staates der Arbeiter und Bauern und der bereits erzielten bedeutungsvollen Erfolge bleibt noch vieles zu tun, um den Bezirk Neubrandenburg an das Entwicklungsniveau der fortgeschrittenen Bezirke der DDR heranzuführen. Hierzu ist auch eine stärkere industrielle Entwicklung des Bezirks und eine zahlenmäßige und ideologische Stärkung der Arbeiterklasse erforderlich, die sich politisch, ökonomisch, technisch, kadermäßig, kulturell günstig auf die sozialistische Entwicklung des ganzen Bezirkes auswirkt. Die überörtliche Bedeutung der Bezirksstadt, ihre Befähigung, dem Dorf und den kleineren Städten auf dem Wege des Sozialismus voranzugehen, wird beträchtlich gehoben, wenn sie selbst über eine stärkere Industrie und eine größere Zahl von Angehörigen der Arbeiterklasse verfügt. 4. Im Sozialismus wird die Spezialisierung bestimmter Wirtschaftsgebiete ergänzt durch eine vielseitige Entwicklung, das heißt, daß auch im Agrarbezirk Neubrandenburg die industrielle Produktion besonders von Massenbedarfsgütern, Baustoffen, Möbeln- usw. erweitert und vervollkommnet werden muß. Diese Frage berührt eng die bessere Versorgung der Bevölkerung mit Massenbedarfsgütern. Im Jahre 1958 entfallen auf den dezentralisierten Warenfonds zur Versorgung der Bevölkerung des Bezirks mit Industriewaren (Textilien, Schuhe, sonstige Industriewaren) 208,4 Millionen DM. Davon können aus der indudustriellen Produktion im Bezirk nur etwa 6 bis 7 Millionen gedeckt werden. Über 200 Millionen DM sind durch die Handelsorgane in anderen Bezirken vertraglich zu binden, was praktisch auf eine Fülle von 200 bis 300 km weiten Fahrten nach Mitteldeutschland hinausläuft. Die Praxis zeigt, daß trotz erheblicher Anstrengungen der Handelsorgane eine Reihe wichtiger Positionen nicht gebunden werden kann und insofern die Bevölkerung des Bezirks Neubrandenbürg in der Versorgung gegenüber anderen Bezirken benachteiligt ist. Die Staatliche Plankommission hat diese Gesichtspunkte im Prinzip anerkannt. Besonders deutlich kam das in einem Arbeitsmaterial zum Ausdruck, das zur Vorbereitung der Direktive für den dritten Fünfjahrplan von der Staatlichen Plankommission herausgegeben wurde, und in dem es u. a. heißt: „Die Leitung der Staatlichen Plankommission hat beschlossen, die bisherigen Vorstellungen über die Standortverteilung der wichtigsten Investitionsvorhaben des dritten Fünfjahrplanes mit dem Ziel zu überprüfen, in stärkerem Maße Industrie in die nördlichen Bezirke der DDR zu verlagern. Die z. Z. vorgesehene Standortverteilung der wichtigsten Investitionsvorhaben berücksichtigt nur in ungenügendem Maße die politische, ökonomische und kulturelle Entwicklung der nördlichen Gebiete der D D R . Das bedeutet, daß eine der wichtigsten Aufgaben der gesellschaftlichen Entwicklung in der D D R , die Hebung der zurückgebliebenen Gebiete auf das Niveau der entwickelten Gebiete, für die Periode des dritten Fünfjahrplanes nicht erfüllt wird. Das bedeutet gleichzeitig, daß die Schaffung einer starken Arbeiterklasse und damit die Festigung der Staatsmacht in den Nordbezirken nicht in genügend raschem Tempo vor sich geht."

248

Otto Rühle

Die Überprüfungen sind noch nicht völlig abgeschlossen. Sicher ist jedoch bereits so viel, daß im Bezirk Neubrandenburg im Laufe des dritten Fünfjahrplanes drei neue Spanplattenwerke mit 130, 140 bzw. 500 Arbeitskräften errichtet werden. Ferner wird eine neue Stahlgießerei mit 600 Arbeitskräften gebaut. Die Standortfestlegung weiterer Industriebetriebe im Bezirk Neubrandenburg wird nach dem Abschluß entsprechender Beratungen getroffen werden. In der landwirtschaftlichen

Marktproduktion vom dritten in der DDR

auf den zweiten

Platz

Im absoluten Marktaufkommen an pflanzlichen und tierischen Produkten nimmt der Bezirk Neubrandenburg gegenwärtig im Durchschnitt den dritten Platz unter allen Bezirken der D D R ein. Das veranschaulicht folgende Übersicht: Landwirtschaftliche

Marktproduktion

einiger wichtiger pflanzlicher und tierischer 1957 Bezirk Neubrandenburg in % Anteil 10001 DDR

Getreide- und Speisehülsenfrüchte Ölfrüchte Kartoffeln Zuckerrüben Schlachtvieh ohne Schwein Schwein Milch Wolle (t) Eier (MioStck)

224,1 22,5 392,8 684,9 20,7 65,3 355,4 716,6 149,8

Erzeugnisse

Stelle in DDR

11,0 13,2 12,7 11,2 8.3 9,7 9,6 9.4 10,0

Weniger günstig wird das Bild, wenn die Marktproduktion auf 100 ha L N F berechnet wird:

Art Getreide- und Speisehülsenfrüchte Ölfrüchte Kartoffeln Zuckerrüben Schlachtvieh ohne Schwein Schwein Milch Wolle (t) Eier (Mio Stck)

Marktprod. gesamt in 1000 t

bezogen auf ha/LNF

Marktprod. je 100 ha LNF in t

Stelle in DDR

224,1 22,5 392,8 684,9 20,7 65,3 355,4 716,6 149,8

302696 19494 84038 26350 678805 678805 678805 678805 678805

74,0 115,4 467,6 2604,2 3,0 9,6 52,3 0,1 22216 Stck

9. 7. 8. 11. 14. 12. 8. 8. 10.

Vergleiche mit dem Niveau der Landwirtschaft zur Junkerzeit (1938) zeigen, daß die früheren Hektarerträge im Durchschnitt um etwa 15 Prozent, die früheren

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

249

Rindviehbestände um etwa 30 Prozent, die früheren Schweinebestände um mindestens 100 Prozent überschritten sind. Insgesamt hat also die Landwirtschaft im Bezirk Neubrandenburg heute ein erheblich höheres Niveau als zur Zeit des junkerlich-kapitalistischen Großgrundbesitzes. Trotzdem bleibt die Flächenproduktion noch hinter dem Durchschnitt der DDR zurück. Die Ursachen dieses Zurückbleibens liegen hauptsächlich in folgenden objektiven und subjektiven Faktoren: 1. Fehlen von Arbeitskräften, besonders in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Dabei muß erwähnt werden, daß bis zum zweiten Weltkrieg auf den damaligen Junkergütern im Bezirk alljährlich rund 25000 Saisonarbeiter (Schnitter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene) eingesetzt waren. 2. Mangel an Spezialisten, wissenschaftlich-technischen Kadern und Facharbeitern, der größer ist als im Republikdurchschnitt. Daraus resultieren manche Unzulänglichkeiten in der Arbeitsorganisation, in der optimalen Ausnutzung der natürlichen Bedingungen, in der sozialistischen Wirtschaftsführung. 3. Fehlen von Stallraum und unzureichende Futtergrundlage, ebenfalls ein Erbe der junkerlich-kapitalistischen Ära, in der die1 Viehwirtschaft viel schwächer als heute entwickelt war. Der Haupthebel zur Überwindung des Zurückbleibens liegt in der weiteren sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft. Auf der Grundlage des Beschlusses des V. Parteitages der S E D legt die Bezirksökonomik die Hauptaufgaben fest, die in den Kreisökonomiken weiter konkretisiert werden. Wir wiesen schon darauf hin, daß nach Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft den L P G durchschnittlich 14 bis 15 Arbeitskräfte je 100 ha L N F zur Verfügung stehen. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Mechanisierung ist damit der Arbeitskräftebedarf der L P G — mit Ausnahme der Arbeitsspitze in der Hackfruchternte — gedeckt. Im Herbst 1958 nahm die neue LPG-Bezirksschule mit einer Kapazität von 160 Plätzen ihre Arbeit auf. Eine weitere landwirtschaftliche Fachschule wird in der Periode des dritten Fünfjahrplanes neu gebaut, so daß sich die Kadersituation bis 1965 ebenfalls bedeutend verbessern wird. Größte Aufmerksamkeit wird der Schaffung von Rinderstallplätzen, insbesondere durch den Bau von Rinderoffenställen, gewidmet. Die Bezirksökonomik bilanziert den Stallraumbedarf in Übereinstimmung mit der vorgesehenen Steigerung der Viehbestände und den beim Fortschreiten der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft weiter notwendigen Stallplätzen. Der ermittelte Bedarf wird bei der Entwicklung der Bauund Baustoffindustrie berücksichtigt. Die Bezirksökonomik entwickelt Grundzüge eines ganzen Systems von Maßnahmen für L P G , MTS und V E G , die einen hohen Aufschwung der Landwirtschaft im Bezirk Neubrandenburg sichern. In Übereinstimmung mit der Staatlichen Plankommission wurden Kennziffern für Anbauflächen, Hektarerträge, Viehbestände, Produktivität des Viehs und landwirtschaftliche Marktproduktion errechnet, die bis zum Jahre 1965 folgenden Entwicklungsstand ermöglichen:

250

Otto Rühle

Ziel der landwirtschaftlichen

Art

Getreide- und Speisehülsenfrüchte Ölfrüchte Kartoffeln Zuckerrüben Schlachtvieh ohne Schwein Schweine Milch Wolle Eier

Marktproduktion

für das Jahr 1965 im Bezirk

Marktprod. gesamt in 1000 t

bezogen auf ha LNF

237,0 18,3 426,0 935,0 44,5 91,0 735,0 1,0 256 Mio Stck

282900 12200 83000 29200 680000 680000 680000 680000 680000

Neubrandenburg

Marktproduktion je 100 ha LNF 1965 i n t 1957 in t 83.7 150,0 513,2 3202,0 6,5 11.8 108,0

74,0 115,4 467,6 2604,2 3,0 9,6 52,3

0,15 0,1 37647 Stck 22216 Stck

Mit der Verwirklichung dieser Ziele wird der Bezirk Neubrandenburg rund 12 Prozent der gesamten Marktproduktion an pflanzlichen und tierischen Produkten in der D D R aufbringen. E r rückt damit vom dritten auf den zweiten Platz unter allen Bezirken der D D R . Die Steigerung der Marktproduktion setzt eine Steigerung der Flächenproduktion voraus. Die Übersicht zeigt den großen Schritt, den der Bezirk bis zum J a h r e 1965 in der Marktproduktion j e 100 ha/LNF vorwärts tut. E r rückt damit auch in der Flächenproduktion in die Spitzengruppe der Bezirke auf. Besondere Aufmerksamkeit findet auch die Steigerung des Marktaufkommens an Gemüse und Obst, deren Anbau in der Vergangenheit im Bezirk Neubrandenburg stark vernachlässigt wurde. So wird sich die Marktproduktion bei Gemüse von 20455 t im J a h r e 1957 auf 4 0 1 0 0 t im J a h r e 1965, bei Obst von 779 t auf 1 0 5 0 0 t erhöhen. Die aufgezeigte Erhöhung der landwirtschaftlichen Marktproduktion ist der wichtigste Beitrag des Bezirks Neubrandenburg zur Lösung des vom V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands gestellten Zieles: „Auf der Grundlage des Aufschwungs der sozialistischen Produktion und durch die Arbeit der Einzelbauern muß bis Ende 1962 — bei wachsendem Verbrauch — die volle Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch, Milch, tierischem F e t t und Eiern aus unserer eigenen Landwirtschaft angestrebt werden, wobei gleichzeitig das Marktaufkommen an Gemüse, Obst und technischen Kulturen bedeutend zu erhöhen ist. Mit der Entwicklung der sozialistischen landwirtschaftlichen Produktion stellen wir das Ziel, die westdeutsche Landwirtschaft im friedlichen Wettbewerb auch in den Hektarerträgen und in der Milch- und Eierproduktion je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zu überbieten sowie den Rindfleischanteil an der Fleischproduktion einzuholen." 1 1 Da wir es uns aus Raumgründen versagen müssen, näher auf die komplexen Maßnahmen einzugehen, die die Bezirksökonomik zur Erfüllung des großen Pro 11

Beschluß des V. Parteitages der SED, a. a. O., S. 48/49.

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

251

gramms vorsieht, sei nur stichwortartig auf einige der wichtigsten Problemkreise verwiesen: 1. Schaffung von 2 0 0 0 0 0 Plätzen für Milchkühe durch den Bau von Rinderoffenställen bis 1965. 2. Sicherung der Futtergrundlage, wobei die-Anbauflächen von Silo- und Grünmais von 4 Prozent der Ackerfläche im Jalire 1957 auf 7,6 Prozent im J a h r e 1965 erweitert werden. 3 . Sozialistische Gestaltung des rund 2 5 0 0 0 ha großen Gebiets der Friedländer Wiese, insbesondere volle Kultiverung der darin liegenden 10000 ha Moorflächen. Der Nutzeffekt liegt hauptsächlich in einer wesentlichen Entwicklung der Rindviehwirtschaft, die aus folgender Gegenüberstellung hervorgeht: Viehbestände im Gebiet der Friedländer Großen Wiese 1958 Vieh insgesamt darunter Kühe durchschnittliche Milchleistung je Kuh

61GV/100 ha LNF 30,8/100 ha LNF 2900 kg

1965 95 GV/100 ha LNF 45/100 ha LNF 3800 kg

Es ist mindestens mit einem Mehrertrag von jährlich 2 0 Mio kg Milch oder 8 0 0 0 0 0 kg Butter und 1 2 0 0 0 dz Rindfleisch zu rechnen. Aus diesem Mehrertrag könnte die gesamte Bevölkerung des Kreises Ueckermünde (rd. 6 0 0 0 0 Einwohner) für 91/2 Monate mit Milch, für 20 Monate mit B u t t e r und für 24 Monate mit Rindfleisch versorgt werden. Außerdem werden in dem Gebiet der Friedländer Großen Wiese bis 1965 15000 dz mehr Schweinefleisch, 1700 dz mehr Geflügelfleisch und 3 Millionen mehr Eier erzeugt. Hinzu kommt eine intensive Nutzung der vielen Seen und Torfstiche für die Fischwirtschaft. 4. Neueinteilung der Brigadebereiche und Ausbau der Brigadestützpunkte. Bei der Festlegung der Standorte und Bereiche der Traktorenbrigaden wurde berücksichtigt, daß die künftige Mindestgröße einer L P G etwa 1200—1500 ha L N F betragen muß, wenn sie den Erfordernissen einer wissenschaftlich begründeten Spezialisierung und Kooperierung der L P G gerecht werden soll. Das bedeutet, daß sich in den nächsten Jahren in zunehmendem Maße auf freiwilliger Grundlage kleinere L P G zu großen zusammenschließen werden. Der Vorschlag einer Neueinteilung der Brigadebereiche trägt dem Rechnung. E r legt aber die Bereichsgroßen nicht schematisch fest, sondern berücksichtigt die jeweiligen natürlichen, ökonomischen und politischen Bedingungen. Es ist vorgesehen, das Netz der Brigadestützpunkte bis zum J a h r 1963 auszubauen. Die Standorte der Stützpunkte werden so gewählt, daß sie die immer mehr zu erwartende leihweise Übergabe von Produktionsmitteln der MTS an die L P G begünstigen.

252

Otto Rühle

5. Erhöhung des Mechanisierungsgrades der wichtigsten Feldarbeiten, aber auch der Hof- und Stallwirtschaft. Das Schwergewicht ist dabei auf die breite Anwendung komplexer Maschinensysteme, Durchsetzung der Fließarbeit und zur besseren Auslastung der modernen Technik auf die Ausdehnung der Schichtarbeit auf 30 Prozent zu legen. Bei der vollmechanisierten E r n t e der Hauptkulturen ist folgender Mechanisierungsgrad zu gewährleisten: a) Halmfruchtmahd mit Vollerntemaschinen 87,5 Prozent b) Kartoffelernte mit Vollerntemaschinen 85,5 Prozent 6. Berücksichtigung der sich aus dem Entwicklungsprogramm der Landwirtschaft ergebenden Ansprüche an andere Volkswirtschaftszweige, insbesondere an Bauund Baustoffindustrie, Lebensmittelindustrie, Transport. Dazu dienen eine Reihe von Bilanzen und Maßnahmen der komplexen Planung. Das Entwicklungsprogramm f ü r die Landwirtschaft im Bezirk Neubrandenburg stellt hohe, aber reale Ziele. Seine Verwirklichung erfordert volle Mobilisierung der schöpferischen K r ä f t e aller Werktätigen und wirklich sozialistische Leitung der Wirtschaft durch die Organe der Staatsmacht. Die Bezirksökonomik — richtig ausgenutzt — leistet dazu wertvolle Hilfe. Landschaftsschutz- und Erholungsgebiete Der Naturschutz 1 2 wie die Volksgesundheit fordern möglichst lärmfreie Erholungs- und Wandergebiete mit sauberem Fluß- und Seewasser, reiner L u f t und ausgedehnten Wäldern. Der Bezirk Neubrandenburg ist reich an solchen Gebieten. Bisher ist allerdings noch wenig getan worden, um sie planmäßig einer großen Zahl von Erholungsuchenden, Urlaubern und Wanderern zu erschließen. Ein langfristiger Perspektivplan und entsprechende Maßnahmen sind jetzt u m so notwendiger, als die Ostseeküste — der Erholungsraum Nr. 1 f ü r die Bevölkerung der D D R — im Sommer von dreimal so viel Urlaubern und Touristen aufgesucht wird wie vor 1939. Die Zahl von 2 Millionen ist überschritten. Eine weitere Steigerung ist k a u m mehr möglich, ohne den Erholungswert zu mindern und schwerwiegende Landschaftsschäden hervorzurufen. Schon heute zeigen sich im Urlauberbetrieb an der Ostseeküste gewisse Belastungen und negative Erscheinungen, die dazu zwingen, neue geegignete Gebiete der Volkserholung zu erschließen. I m Bezirk N e u b r a n d e n b u r g sind hierfür besonders geeignet die Groß-Seenplatte mit der Müritz und den angrenzenden Seen, der Tollense-See, die Feldberger Seenlandschaft, die Templiner Seenlandschaft, die Haffküste bei Ückermünde. Zugleich als Beispiel f ü r die übrigen Landschaftsschutz- u n d Erholungsgebiete wird der Vorschlag „Müritz-Seenpark" in der Bezirksökonomik ausführlicher behandelt. 12 Vgl. Gesetz zur Erhaltung und Pflege der Heimatlichen Natur (Naturschutzgesetz), vom 4. August 1954, GBl. Nr. 71/1954.

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

253

Entsprechend den Erfahrungen in anderen sozialistischen Staaten, insbesondere der Tschechoslowakischen Republik und der Volksrepublik Polen, könnte im Gebiet der mecklenburgischen Groß-Seenplatte ein Seen-Nationalpark geschaffen werden. 1. Lage und Umfang des Seenparks Vorgeschlagen wird das Gebiet Müritz-, Kölpin-, Fleesen-, Plauer See, einschließlich der angrenzenden kleineren Seen, einiger Wald-, Weiden- und Ackergebiete owie des bereits unter Naturschutz stehenden Gebietes am Ostufer der Müritz. s Dieses Gebiet umfaßt vier große Seen (Müritz-, Kölpin-, Fleesen- und Plauer See) mit etwa 20000 ha ca. 25 kleinere Seen mit etwa 2000 ha Waldflächen mit etwa 7000 ha Weiden- und Ackerflächen mit etwa 8000 ha zusammen:

37 000 ha

Hiervon sind bereits 5000 ha als Naturschutzgebiet „Ostufer Müritz" erklärt. Das vorgeschlagene Gebiet liegt größtenteils im Kreis Waren. Kleinere Flächen gehören zu den Kreisen Röbel und Neustrelitz, Bezirk Neubrandenburg, sowie Lübz, Bezirk Schwerin. In das Gebiet fallen die Stadt Röbel (ca. 5200 Einwohner) und Malchow (ca. 8000 Einwohner) sowie etwa 35 Dörfer und Ortsteile. Die Städte Waren und Plau liegen am Rande des Gebietes des Seenparks. 2. Erholungswerte Das als Seenpark vorgeschlagene Gelände zeichnet sich durch folgende Erholungswerte aus: a) Die ca. 22000 ha großen Seenflächen sind gegenwärtig noch relativ sauber und bieten für den Wassersport, Wander- und Urlauberverkehr ideale Möglichkeiten. b) Die übrige Landschaft mit Wald, Weiden, Äckern- und Parkanlagen ist abwechslungsreich gegliedert. Sie bietet dem Wanderer reizvolle Wege und Ziele, dem Urlauber Ruhe und Erholung. c) Das Gebiet ist reich an Naturdenkmälern (mehrere hundert Jahre alte Eichen, Buchen, Eiben und große Findlinge), die das Naturschutzgesetz als Wanderziele charakterisiert. In den Städten und Dörfern gibt es ferner eine beachtliche Zahl wertvoller Kulturdenkmäler. Hingewiesen sei auch auf vor- und frühgeschichtliche Fundstätten (Wendische Burgwälle, Hünengräber, Kegelgräber usw.). d) Im Gebiet, besonders am Ostufer der Müritz, finden sich wertvolle Flächen für die wissenschaftliche Lehre und Forschung sowie viele Plätze, an denen seltene, oft vom Aussterben bedrohte Tierarten leben (See-, Fisch- und Schreiadler, Kranich, Wildschwan, Wisent u. a.). Besonders erwähnt seien die bedeutendsten Kranichsammelplätze von Nordeuropa (in manchen Jahren über 5000 Kraniche) sowie

254

Otto Rühle

Rastplätze vieler Wasservogelarten (Wildgans, Singschwan und Wildenten). Unter Beachtung der Erfordernisse, die der vorbildliche Schutz stellt, könnten diese seltenen Tierarten einem breiteren, interessierten Personenkreis. nahegebracht werden. Richtlinien, die die Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen garantieren; müßten gesondert ausgearbeitet werden, e) Das Gebiet ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie sich das Neue des Sozialismus gegen das Alte der junkerlich-kapitalistischen Vergangenheit siegreich durchsetzt. Es wurde begonnen, heimatkundliche Lehrpfade auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Wissenschaft anzulegen, die einen bedeutungsvollen Beitrag zur sozialistischen Erziehung bilden. 3. Erholungseinrichtungen Das als Müritz-Seenpark vorgeschlagene Gebiet hat nationale und internationale Bedeutung. Wenn heute jährlich etwa 80000 bis 100000 Urlauber, Touristen, Zeltler usw. das Gebiet besuchen, läßt sich diese Zahl durch entsprechende Maßnahmen mindestens verdrei- bis vervierfachen. Dazu sind im Verlauf eines Zeitraumes von etwa zehn Jahren erforderlich: a) Schaffung weiterer Erholungsheime durch den F D G B , Jugendherbergen, Zeltplätze, Badeplätze, Wanderwege u. a. b) Schaffung einiger weiterer Hotels (Waren, Röbel, Malchow), von weiteren Gaststätten, Milchtrinkhallen, HO-Kiosken usw. c) Vorhandene Gebäude und Einrichtungen sind weitestgehend auszunutzen (z. B . Freimachung des früheren Schlosses Klink durch Neubau einiger Wohnungen, Umbau von Feldscheunen und alten Windmühlen für Jugendherbergen, Einrichtung schwimmender Jugendherbergen auf Kähnen). Es ist darauf zu achten, daß alle Einrichtungen der Landschaft angepaßt werden, so daß Natur und menschliches Gestalten harmonisch verbunden dem Seenpark das Gepräge geben. 4. Bebauung des Gebiets. Alle Baumaßnahmen müssen den für Landschaftsschutzgebiete vorgeschriebenen Richtlinien entsprechen. Dazu gehört insbesondere: a) Die Seeufer müssen den Urlaubern, Wanderern, Wassersportlern, Zeltlern u. a. erhalten bleiben und dürfen nicht durch weitere Bebauung blockiert werden. b) Die Bauten in den Dörfern müssen in Material und Architektur dem Charakter des Seenparks entsprechen. Die im Gebiet liegenden Dörfer sollen unter breiter Mithilfe der Bevölkerung bevorzugt zu sozialistischen Dörfern umgestaltet werden. Große Bedeutung hat dabei auch der Wettbewerb „Das schöne sozialistische Dorf". 5. Regelung des Verkehrs. Der Seenpark wird durch die Fernverkehrsstraßen F 192 und F 103 berührt. Dazu kommen geringe Strecken von Landstraßen I. Ordnung. Das übrige sind Kommunalstraßen. Für den Verkehr gelten folgende Richtlinien:

Grundlagen der Bezirksökonomik Neubrandenburgs

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a) Im Interesse der Erholung der Werktätigen wie auch möglichst geringer Störung der Tierwelt ist Motorenlärm auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Geeignete Maßnahmen sind gemeinsam mit der Verkehrspolizei zu entwickeln. Dazu gehört auch die Einrichtung von Saisonparkplätzen, Rastplätzen und Tankstellen b) Ähnliche Richtlinien sind für den Wasserverkehr gemeinsam mit der Wasserschutzpolizei auszuarbeiten. c) Unter Beachtung des in Punkt 1 aufgestellten Grundsatzes möglichst geringer Störungen sind neue Formen und Möglichkeiten des Verkehrs zu entwickeln (Kutschfahrten, Reitpferde, Bootsfahrten usw.). d) Um unseren Erholungssuchenden ein möglichst lärmfreies Gebiet zu sichern, sind von den zuständigen Staatsorganen in Zusammenarbeit mit der Leitung des Seenparks Richtlinien für den Betrieb von Lautsprecheranlagen, Kofferradios, Gaststätten usw. zu erlassen. e) Reklameschilder sollen im Gebiet des Seenparks grundsätzlich nicht angebracht werden. Die konkreten Maßnahmen werden in Zusammenarbeit von Rat des Bezirks, Naturschutzorganen und der Gebiets- und Dorfplanung in einem langfristigen Perspektivplan niedergelegt. In der Zeit des dritten Fünfjahrplanes stehen die Arbeiten im Vordergrund, die ohne große Investitionen durchgeführt werden können. Im Zeitraum des vierten Fünfjahrplanes wird es möglich sein, Investitionen für Hotels, Erholungsheime, Gaststätten, Strandbäder usw. bereitzustellen und damit dieses schöne Seengebiet voll für Touristen und Erholungssuchende zu erschließen. *

*

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Unsere Ausführungen geben einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle der Probleme, die die Ökonomik des Bezirkes Neubrandenburg enthält. Nehmen wir den- brutalen Druck und die schwerwiegenden Folgen der über fünfhundertjährigen Junkerherrschaft als Maßstab für die im Bezirk Neubrandenburg in den ersten zehn Jahren des Bestehens unserer Deutschen Demokratischen Republik erzielten Erfolge, so haben wir allen Grund, auf das Erreichte stolz zu sein. In hartnäckiger und zäher Arbeit wurden bedeutende Teile der Last beseitigt, die die feudalistisch-kapitalistischen Kräfte hinterlassen haben. Neue sozialistische Verhältnisse wurden mit Hilfe der Organe des Staates der Arbeiter und Bauern auf den verschiedenen Gebieten des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens geschaffen. Die Entwicklung vollzog sich keinesfalls reibungslos, sondern im Kampf gegen den Einfluß der reaktionären Kräfte der Vergangenheit. Sie war verbunden mit einer großen Umerziehung der Bevölkerung. Vieles ist noch zu tun, um die sozialistische Umgestaltung des Bezirks Neubrandenburg zu vollenden und damit das Erbe der Junkerherrschaft völlig zu überwinden. Auf der Grundlage der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse und der Regierung trägt die Bezirksökonomik zur Klärung des weiteren Weges bei, dessen Ziel der volle Sieg des Sozialismus ist.