Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften: Band 3 [Reprint 2021 ed.] 9783112533987, 9783112533970


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German Pages 368 [369] Year 1961

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Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften: Band 3 [Reprint 2021 ed.]
 9783112533987, 9783112533970

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PROBLEME D E R P O L I T I S C H E N ÖKONOMIE

Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften Band 3

Probleme der politischen Ökonomie

AKADEMIE-VERLAG 1960

• BERLIN

Manuskriptabschluß: 20. Mai 1960

Copyright 1960 by Akademie »Verlag, GmbH, Berlin Alle Hechte vorbehalten Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3-4 Lizenz-Nr. 202 - 100/20/60 Satz, Druck und Bindung: IV/2/14 . V E B Werkdruck Grafenhainichen • 1449 Bestellnummer 5413 Printed in Germany ES 5 B 1

INHALTSVERZEICHNIS

Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften im Jahre 1959

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Prof. Fred Oelßner Ein Beitrag zur Monopoltheorie Dr. Hermann

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Turley

Zu einigen Fragen der Monopoltheorie und des apologetischen Antimonopolismus der westdeutschen Neoliberalen 104 Dr. Wiüi Kunz Zu einigen Grundproblemen der internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem Dr. Ottomar

137

Kratsch

Bürgerliche betriebswirtschaftliche Apologetik zu den aktuellen Abschreibungsproblemen in Westdeutschland 210 Dr. Rudi Gündel Zum relativ hohen Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion im Verlauf der Aufschwungsphase von 1950 bis 1957 261 Dr. Karl-Heinz

Jonuscheit

Einige Fragen der Theorie und der Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in der DDR 309

BERICHTIGUNGEN Seite

12, 3. Absatz, 3. Zeile: statt „stellen" lies: tiefste

Seite 97, 2. Absatz, letzte Zeile: statt „Mrd S" lies: Mrd $ Seite 146, 2. Absatz, 4. Zeile: statt „Bruttoerzeugung'' lies: Buttererzeugung Seite 270, 4. Zeile von oben: statt „Instition" lies: Institution

J a h r b u c h „Probleme der Politischen Ökonomie*' Bd. 3

BERICHT Ü B E R D I E A R B E I T DES I N S T I T U T S F Ü R W I R T S C H A F T S W I S S E N S C H A F T E N I M J A H R E 1959 Im Jahre 1959 wurde am Institut — neben einigen Einzeluntersuchungen — an vier Gesamtthemen gearbeitet: 1. Fragen der Ausnutzung des Wertgesetzes bei der Durchsetzung des Gesetzes der planmäßigen, proportionalen Entwicklung. 2. Die Rolle der internationalen Arbeitsteilung bei der Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe der sozialistischen Länder unter besonderer Berücksichtigung der DDR. 3. Probleme der Reproduktion, der Krisen und des ökonomischen Zyklus im Imperialismus und in der allgemeinen Krise des Kapitalismus mit besonderer Berücksichtigung Westdeutschlands. 4. Die moderne bürgerliche und sozialdemokratische Apologetik des Monopolkapitalismus in Westdeutschland. Entsprechend diesen Arbeitsthemen besteht das Institut aus drei Abteilungen und der Bibliothek mit einer Abteilung Dokumentation: 1. Abteilung „Politische Ökonomie des Sozialismus" (Leiter: Professor Dr. G. Kohlmey) 2. Abteilung „Politische Ökonomie des Kapitalismus" (Leiter: Professor Dr. J. L. Schmidt, nebenberuflich) 3. Abteilung „Geschichte der Politischen Ökonomie" (Leiter: Dr. H. Meißner) In diesen Abteilungen arbeiteten im Berichtsjahr 28 hauptamtliche und ein nebenamtlicher Mitarbeiter. Als Ergebnis der Forschungsarbeit konnte im Jahre 1959 eine Anzahl von Arbeiten in Artikel- oder Buchform veröffentlicht bzw. für die Veröffentlichung fertiggestellt oder vorbereitet werden: Das Institut gab das Jahrbuch „Probleme der Politischen Ökonomie", Bd. II, heraus. Im Berichtsjahr erschienen die folgenden Arbeiten: Abteilung „Politische Ökonomie des Sozialismus" Fred Oelßner: „Die ökonomische Theorie von Karl Marx als Anleitung für die sozialistische Wirtschaftsführung" „Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu

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Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

Berlin" Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Nr. 6, Akademie-Verlag, Berlin 1959 „ D i e Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus", in: „Probleme der Politischen Ökonomie" (Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften, Bd. II), Akademie-Verlag, Berlin 1959 Friedrich

Behrens:

„Der Faktor Zeit in der Ökonomie im Lichte des X X I . Parteitages", in: „Wirtschaftswissenschaft", Heft 3/1959 „Die Zusammenhänge zwischen Arbeitsproduktivität und Lohnentwicklung", in: „Statistische Praxis", Heft 5/1959 „Der Charakter der produktiven Arbeit im Sozialismus", in: „Wirtschaftswissenschaft", Heft 4/1959 „Der Doppelcharakter der Arbeit und die Steigerung der Arbeitsproduktivität", in : „Wirtschaftswissenschaft", Heft 8/1959 „Zu einigen Fragen der produktiven Arbeit und der Arbeitsproduktivität" — Bro" schüre; Akademie-Verlag 1959 Gunther

Kohlmey:

„Zu einigen Fragen des Erkenntnisprozesses in der marxistischen politischen Ökonomie", in : „Probleme der Politischen Ökonomie" (Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften, Bd. II), Akademie-Verlag, Berlin 1959 Karl-Heinz

Jonuscheit:

„Die sozialistische Umgestaltung in der D D R " — bei der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in Kiew erschienen Willi

Kunz:

„Zehn Jahre Binnenhandel der Deutschen Demokratischen Republik", in: „Zehn Jahre Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik" — Sammelband; Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1959 „Die Entwicklung des sozialistischen Binnenhandels und die sozialistische Umgestaltung des Privathandels in der D D R " , in: „Vorposten des Sozialismus im Westen" — Sammelband ; Staatsverlag für politische Literatur, Moskau 1959 Johannes

Behr:

„Zur Ermittlung des Anteils der Investitionskosten bei Wirtschaftlichkeitsberechnungen", in : „Wirtschaftswissenschaft", Heft 5/1959 Walter

Jansen:

,,Kapitalistisches ,Management' und sozialistische Leitung (zu den sozialökonomischen Wurzeln der Managerideologie)", in: „Einheit", Heft 8/1959 Jochen

Keil:

„Probleme der Übergangsperiode in der D D R " , in: „Geschichte in der Schule", Nr. 2/1959

Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

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Abteilung „Politische Ökonomie des Kapitalismus" Fred Oelßner: „Probleme der Krisenforschung" „Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin" Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Nr. 3, Akademie-Verlag, Berlin 1959 Johann-Lorenz Schmidt: „Zur Rolle des staatsmonopolistischen Kapitalismus auf dem kapitalistischen Weltmarkt", in: „Staatsmonopolistischer Kapitalismus und kapitalistischer Weltmarkt", Nr. 2 der Schriftenreihe „Probleme des kapitalistischen Weltmarktes", Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1959 „Über einige Besonderheiten der letzten Überproduktionskrise und deren Ursachen", in: „Probleme des gegenwärtigen Kapitalismus"; Sammelband zum 80. Geburtstag von Professor Eugen Varga, Verlag der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Moskau 1959 ;,Der Nachkriegszyklus in Westdeutschland und die beginnende Wirtschaftskrise", i n : „Konjunktur — Krise — Krieg, 4 Vorträge", Dietz Verlag, Berlin 1959 „Zu einigen Problemen der Überproduktionskrise 1957/58", in: „Die Krise und der kapitalistische Weltmarkt", Nr. 3 der Schriftenreihe „Probleme des kapitalistischen Weltmarktes", Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1959 „Probleme des Krisenzyklus in unserer Epoche", in: „Die Wirtschaft", Nr. 6 und 7/1959 „Über einige Probleme der Krisen und Zyklen im Monopolkapitalismus", in: Bulletin „Konjunktur und Krise", Heft 2/1959 „Haben die Marxisten ihre Ansichten über den Kapitalismus geändert? Antwort an die New-York-Times", in: „Probleme des Friedens und des Sozialismus", Nr. 10/1959 „Die westeuropäische Integration und die Gegensätze innerhalb der westdeutschen Bourgeoisie", in: „Probleme des Friedens und des Sozialismus", Nr. 12/1959 Horst Heininger: „Der Nachkriegszyklus der westdeutschen Wirtschaft 1945—1950" — Buch; Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1959 Peter Hess: „Bürgerliche Konjunkturlehre und die Apologetik des Faschismus", in: Bulletin „Konjunktur und Krise", Heft 4/1959 Kurt Zieschang: „Grundprobleme der Investitionsfinanzierung in Westdeutschland" — Buch; Band 9 der Schriftenreihe des Instituts für Wirtschaftswissenschaften, Akademie-Verlag, Berlin 1959 „Die wirtschaftliche Bedeutung der Selbstfinanzierung der Kapitalanlagen in Westdeutschland", in: „Mirovaja Ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, Heft 12/1959, Moskau

Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

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„Probleme der konjunkturellen Situation in Westdeutschland", in: Bulletin „Konjunktur und Krise", H e f t 3/1959 Robert

Katzenstein:

„Die Entwicklung der Brutto-Anlageinvestitionen in der westdeutschen Industrie von 1924—1956" (Statistischer Bericht), in: Bulletin „Konjunktur und Krise", Heft 2/1959 Helmut

Mante:

„Die Konjunkturschwankungen und Krisenerscheinungen in 1952-1954", in: Bulletin „Konjunktur und Krise", Heft 4/1959 Katja

Westdeutschland

Nehls:

„Die Verstärkung der direkten staatlichen Exportförderung als Ausdruck der desorganisierenden Rolle der USA auf dem kapitalistischen Weltmarkt", in: Bulletin „ K o n j u n k t u r und Krise", Heft 4/1959 Die Abteilung gibt viermal jährlich das Bulletin „Konjunktur und Krise" heraus. Abteilung „Geschichte der Politischen Herbert

Ökonomie"

Meißner:

„Zur Rolle der modernen bürgerlichen Ökonomie — Antwort an einen polnischen Ökonomen", in: „Wirtschaftswissenschaft", Heft 6/1959 „Bemerkungen zur Entwicklung des bürgerlichen Gleichgewichtsbegrifles als Ausdruck des Verfallsprozesses der bürgerlichen politischen Ökonomie", in: Bulletin „ K o n j u n k t u r und Krise", Heft 2/1959 „Einige Bemerkungen zur bürgerlichen Theorie des Wirtschaftswachstums", in: Bulletin „Konjunktur und Krise", Heft 3/1959 Herausgabe des Sammelbandes „Zur ökonomischen Konzeption der S P D " mit einer Einführung, Staatsverlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1959 Erika

König:

„Zur Kritik des SPD-Grundsatzprogramm-Entwurfs", in: „Zwischen zwei Parteitagen der SPD — zum Grundsatzprogramm —" Broschüre; Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1959 Harry Maier (zusammen mit Gerhard Liebig): „Das Großkapital und Kleineuropa" — Broschüre; Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1959 „Die Stellung des politischen Katholizismus zum Sozialismus", Beitrag für „Bausteine zu einem atheistischen Wörterbuch", Urania-Verlag, Leipzig 1959 Walter Tuchscheerer : „100 Jahre ,Zur Kritik der Politischen Ökonomie'", in: „Wirtschaftswissenschaft", H e f t 8/1959 Das Institut begann im Berichtsjahr mit der Herausgabe der von Prof. Dr. Gerhard Bondi besorgten „Ökonomischen Studientexte". Es erschien Band I, David

Bericht über die Arbeit des Instituts für Wirtschaftswissenschaften

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Ricardo „Grundsätze der Politischen Ökonomie". Weitere Bände dieser Schriftenreihe sind in Vorbereitung. Bei den Abteilungen des Instituts bestehen folgende Arbeitskreise: 1. Fragen der Arbeitsproduktivität Leiter: Friedrieh Behrens 2. ökonomische Auffassungen in Westdeutschland Leiter: Herbert Meißner Die Mitglieder dieser Arbeitskreise sind Mitarbeiter des Instituts, Mitarbeiter von Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten und Mitarbeiter der staatlichen Wirtschaftsleitung. Außerdem nehmen Mitarbeiter des Instituts an Arbeitskreisen anderer Institute oder Institutionen teil. In Plenartagungen des Instituts fanden wissenschaftliche Diskussionen zu aktuellen theoretischen Fragen statt und wurden Berichte über wissenschaftliche Tagungen, über Auslandsreisen u. ä. entgegengenommen. Im Berichtsjahr konnten die Planung der wissenschaftlichen Arbeit und die Plandisziplin weiter verbessert werden. Für das Institut wurde ein Perspektivplan bis zum Jahre 1965 erarbeitet. Durch diesen Plan wird es mit ermöglicht, Forschungsgruppen zu bilden, die gemeinsam systematisch theoretische Grundfragen bearbeiten. Die Verbindungen des Instituts nach außen, vor allem die Verbindungen zur Praxis, konnten weiter verbessert werden. Das geschah durch ein längeres Praktikum von Mitarbeitern, durch Mitarbeit in Arbeitskreisen und Kommissionen, durch Betriebsuntersuchungen und durch die Herstellung von Verbindungen zu staatlichen Organen der Wirtschaft. Eine Reihe von Mitarbeitern hielt Vorlesungen an Hochschulen und Universitäten, nahm an Forschungsarbeitskreisen teil und unterstützte die Arbeit der Verlage bei der Herausgabe ökonomischer Werke. Durch die Beschlüsse einer internationalen Koordinierungsberatung der wirtschaftswissenschaftlichen Institute der Akademien der sozialistischen Länder im Dezember 1958 in Prag konnten die Verbindungen mit Wissenschaftlern des Auslandes intensiver gestaltet werden. Das fand seinen Ausdruck in festen Vereinbarungen über Formen der Zusammenarbeit, gemeinsamen Diskussionen und Vorträgen über Forschungsergebnisse, gemeinsamen Vorbereitungen von internationalen Konferenzen, gegenseitiger Veröffentlichung von Beiträgen in Büchern und Zeitschriften u. a. Die Bibliothek des Instituts konnte ihren Buchbestand bis zum 31. 12. 1959 auf 24630 Bücher erhöhen. Alle für die Arbeit des Instituts wichtigen Zeitschriften und Zeitungen der DDR, der anderen sozialistischen Länder, Westdeutschlands und der wichtigsten kapitalistischen Staaten stehen in der Bibliothek zur Verfügung, und die in ihnen enthaltenen Artikel werden in der Dokumentation ausgewertet und erfaßt.

Fred Oelßner EIN B E I T R A G ZUR MONOPOLTHEORIE Die Monopole sind das entscheidende Merkmal des modernen, d. h. heutigen Kapitalismus (Imperialismus). Auch die zunehmende Entwicklung zum staatsmonopolistischen Kapitalismus beruht auf der Vorherrschaft der kapitalistischen Monopole. Die modernen Monopole sind infolge der Konzentration der Produktion und des Kapitals aus der Konkurrenz erwachsen, überwinden sie partiell und temporär und stellen sie auf höherer Stufenleiter wieder her. Die kapitalistischen Monopole beherrschen heute in den imperialistischen Ländern die Wirtschaft und das ganze gesellschaftliche Leben. Ihre Vorherrschaft ist auch die stellen Ursache für die internationale Spannung und die drohende Gefahr eines neuen Weltkrieges. In der Erklärung der Beratung von Vertretern der Kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die im November 1957 in Moskau stattfand, wird gesagt: „Die Arbeiterklasse und die Volksmassen richten im Kampfe gegen die Kriegsgefahr und für ihre Lebensinteressen die Spitze dieses Kampfes immer mehr gegen die großen monopolistischen Gruppen des Kapitals, da diese die Hauptschuld am Wettrüsten tragen, die Hauptorganisatoren und -inspiratoren der Pläne zur Vorbereitung eines neuen Weltkrieges und das Bollwerk der Aggression und der Reaktion sind. Die Interessen und die Politik dieses kleinen Häufleins von Monopolen geraten immer mehr in Widerspruch zu den Interessen nicht nur der Arbeiterklasse, sondern auch aller übrigen Schichten der kapitalistischen Gesellschaft: der Bauernschaft, der Intelligenz, der kleinen und mittleren städtischen Bourgeoisie." 1 .

Die überragende Bedeutung der modernen Monopole stellt der marxistischen Wirtschaftswissenschaft die Aufgabe, sich gründlicher und umfassender mit diesem Hauptphänomen des heutigen Kapitalismus zu befassen, als dies bisher geschah. Insbesondere gilt dies für die marxistischen Ökonomen in der Deutschen Demokratischen Republik. Sie können ihren Beitrag zur Lösung der nationalen Frage des deutschen Volkes nur dann voll leisten, wenn sie Klarheit über die aktuellen ökonomischen Probleme des Monopolkapitalismus, insbesondere in Westdeutschland erarbeiten. Trotz mancher Versuche, besonders zur Erklärung des Monopolpreises, des Monopolprofits und in geringerem Umfang auch der Bedeutung der Monopole für das Krisenproblem, entspricht die theoretische Erforschung der Monopole noch nicht 1 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder (Moskau, 14. bis 16. November 1957). Dietz Verlag, Berlin 1958, S. 18.

Beitrag zur Monopoltheorie

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ihrer praktischen Bedeutung in der kapitalistischen Wirklichkeit. Insbesondere läßt die theoretische Verallgemeinerung praktischer Erscheinungen zu wünschen übrig. Das Heraufkommen der modernen Monopole und ihre Vorherrschaft etwa seit der Jahrhundertwende hat auch die bürgerlichen Ökonomen gezwungen, sich mit dem Monopolproblem zu beschäftigen und eine Erklärung dafür zu finden. Dabei wurden in der ersten Periode große Hoffnungen an die Monopole geknüpft (besonders auf Beseitigung der kapitalistischen Krisen), die aber bald von der kapitalistischen Wirklichkeit grausam zerstört wurden. Eine ganze Reihe bürgerlicher Wirtschaftshistoriker hat durch empirische Forschung sehr viel wertvolles Tatsachenmaterial über die Geschichte und über die Ausbreitung der Monopole zutage gefördert, das auch der marxistischen Forschung reichhaltigen Rohstoff für ihre Arbeit liefert. Mehr und mehr gingen die bürgerlichen Ökonomen aber von dieser auch von ihrer Position aus noch immer fruchtbaren Bergwerksarbeit zu theoretischen Betrachtungen des Monopolproblems über, die sie infolge ihrer fehlerhaften Ausgangsposition unvermeidbar in den seichten Sumpf der Vulgärökonomie führen mußten, auf dem allein die Blüten der kapitalistischen Apologetik gedeihen können. Auch dieser Prozeß ist einer ausführlicheren marxistischen Beleuchtung wert, als es bislang geschah. Der vorliegende Aufsatz verfolgt das Ziel, die Aufmerksamkeit unserer Wirtschaftswissenschaftler auf diese Probleme zu lenken und durch einige Bemerkungen Anregung zur Diskussion darüber zu geben. Dabei wird das Problem breiter gefaßt, als es bisher üblich war. Von der Auffassung der Begründer der marxistischen politischen Ökonomie über das Verhältnis von Monopol und Konkurrenz sowie von der historischen Rolle der Monopole ausgehend, soll der Versuch gemacht werden, den spezifischen Charakter des modernen Monopols in seiner Totalität zu erfassen und daraus die Schlußfolgerungen zu ziehen. Dabei ist Lenins Lehre über den monopolistischen Kapitalismus die Richtschnur. Nur wenn wir das Monopol in seiner Gesamtheit in den Griff bekommen, können wir m. E. die ökonomischen Probleme des heutigen Monopolkapitalismus richtig lösen und auch der überragenden Bedeutung gerecht werden, die das Monopol des 20. Jahrhunderts nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, sondern in der gesamten kapitalistischen Gesellschaft hat. Wenn das Schwergewicht der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik auch auf die Probleme des sozialistischen Aufbaus gelegt werden muß, so dürfen wir doch die Erforschung des modernen Kapitalismus nicht vernachlässigen, weil 1. der Kampf um die Sicherung des Friedens die gründliche Kenntnis der Vorgänge im imperialistischen Lager erfordert; 2. die Politik der friedlichen Koexistenz, d. h. des friedlichen Wettbewerbs der zwei Lager sich besonders auf wirtschaftlichem Gebiet abspielt und darum die Kenntnis beider Lager notwendig macht; 3. der Imperialismus noch immer in einem Teile Deutschlands herrscht und der Kampf um die Herstellung friedlicher und demokratischer Verhältnisse in Westdeutschland vor allem eine gründliche Erforschung der wirtschaftlichen Entwicklung erheischt, und

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Fred, Oelßner

4. endlich, weil wir Internationalisten sind, die am Kampf der Arbeiterklasse aller Länder Anteil nehmen und sich darum auch prinzipiell mit allen internationalen Fragen beschäftigen. Damit scheint mir die Aktualität des angeschnittenen Themas hinlänglich dargetan. I. ZUR GESCHICHTLICHEN ROLLE DES MONOPOLS

Theoretisch wie historisch betrachtet ist das Monopol eine Kategorie der auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Warenproduktion. Es ist genauso ein Attribut dieser Warenproduktion wie die Konkurrenz. Beide, Konkurrenz und Monopol, bilden eine dialektische Einheit von Widersprüchen, die der Warenproduktion auf Basis des Privateigentums eigen ist. Das Monopol ist das Korrelat der Konkurrenz und umgekehrt. Die Entfaltung dieses Widerspruchs hat in der Entwicklung der Warenproduktion bis auf den heutigen Tag eine große Rolle gespielt. Der durch Jahrtausende zu verfolgende Kampf zwischen Monopol und Konkurrenz hat sich oft als vorwärts treibende Kraft der Geschichte erwiesen. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels, haben sich schon sehr früh mit dem Verhältnis von Monopol und Konkurrenz beschäftigt und es in eben diesem Sinne aufgefaßt. Schon in seiner Schrift „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" (1844) schrieb Friedrich Engels: „Der Gegensatz der Konkurrenz ist das Monopol . . . Die Konkurrenz beruht auf dem Interesse, und das Interesse erzeugt wieder das Monopol; kurz, die Konkurrenz geht in das Monopol über. Auf der anderen Seite kann das Monopol den Strom der Konkurrenz nicht aufhalten, ja es erzeugt die Konkurrenz selbst . . ." 2 .

Im selben Jahre schrieb Karl Marx in der Schrift „Zur Kritik der Nationalökonomie — ökonomisch-philosophische Manuskripte", „daß das notwendige Resultat der Konkurrenz die Akkumulation des Kapitals in wenigen Händen, also die fürchterlichere Wiederherstellung des Monopols ist". Marx macht der Nationalökonomie einen Vorwurf, weil sie den Zusammenhang der Bewegung nicht begreift, darum konnte sich die Lehre von der Konkurrenz der Lehre vom Monopol entgegenstellen, denn die Konkurrenz war nur als zufällige, absichtliche, gewaltsame, nicht als notwendige, unvermeidliche, natürliche Konsequenz des Monopols entwickelt und begriffen. 3 Einige Jahre später formuliert Marx in „Das Elend der Philosophie" (1847) das Verhältnis von Monopol und Konkurrenz in folgender Weise: „In der Praxis des Lebens findet man nicht nur Konkurrenz, Monopol und ihren Widerstreit, sondern auch ihre Synthese, die nicht eine Formel, sondern eine Bewegung ist. Das Monopol erzeugt die Konkurrenz, die Konkurrenz erzeugt das Monopol. Die Monopolisten machen sich Konkurrenz, die Konkurrenten werden Monopolisten. . . Die * Marx-Engels-Werke. Dietz Verlag, Berlin 1956, Bd. 1, S. 513. * Marx, Karl/Engels, Friedrich, Kleine ökonomische Schriften. Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 96 und 97.

Beitrag zur Monopoltheorie

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Synthese ist derart beschaffen, daß das Monopol sich nur dadurch aufrechterhalten kann, daß es beständig in den Konkurrenzkampf eintritt." 4

Auch W. I. Lenin hat das enge Wechselverhältnis zwischen Konkurrenz und Monopol, ihre Zusammengehörigkeit wie ihre Widersprüchlichkeit, hervorgehoben. Er schrieb: „Die freie Konkurrenz ist die Grundeigenschaft des Kapitalismus und der Warenproduktion überhaupt; das Monopol ist der direkte Gegensatz zur freien Konkurrenz; aber diese selbst begann sich vor unseren Augen zum Monopol zu wandeln . . . Zugleich aber beseitigen die Monopole nicht die freie Konkurrenz, aus der sie erwachsen, sondern bestehen über und neben ihr fort und erzeugen dadurch eine Reihe besonders krasser und schroffer Widersprüche, Reibungen und Konflikte." 6

Wir sehen also, die Klassiker des Marxismus-Leninismus haben das Monopol stets in seinem Wechselverhältnis zur Konkurrenz betrachtet. Die Konkurrenz negiert das Monopol, aber das Monopol negiert wiederum die Konkurrenz, es ist auch geschichtlich betrachtet die Negation der Negation. Ebenso wie die Konkurrenz die unvermeidliche Konsequenz des Monopols, so ist auch das Monopol die notwendige, unvermeidliche, natürliche Konsequenz der Konkurrenz. Die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhende Warenproduktion ist dadurch gekennzeichnet, daß die Warenproduzenten trotz gesellschaftlicher Arbeitsteilung als Produzenten voneinander isoliert sind, nicht im Zusammenhang miteinander stehen und daß dieser Zusammenhang erst nach vollbrachter Produktion zwischen den Warenbesitzern auf dem Markt hergestellt wird. Die ökonomischen Gesetze, welche die Warenproduktion regeln, können daher nicht anders als mittels der Konkurrenz wirken. Die bürgerlichen Ökonomen lieben es, die Konkurrenz euph mistisch als Wettbewerb zu bezeichnen. Die Konkurrenz ist aber alles andere als ein Wettbewerb, sie ist ein Kampf auf Leben und Tod. In diesem Kampf muß jeder bestrebt sein, dem Anderen gegenüber Vorteile zu erlangen. Das Produktions- und Geschäftsgeheimnis wird streng gehütet. In der einfachen Warenproduktion führt die Konkurrenz zur Differenzierung der einfachen Warenproduzenten, zum Aufstieg Weniger und zum Ruin Vieler. Das allgemeine Prinzip der Konkurrenz ist die Niederlage und der Tod der Einen, der Sieg und die Herrschaft der Anderen. Das tritt besonders scharf bei der Konkurrenz im Kapitalismus zutage. Hier geht der Konkurrenzkampf um die Erlangung des höchstmöglichen Profits. Die Konkurrenz erreicht hier ihre höchste Entwicklung. Die kapitalistische Konkurrenz führt in noch größerem Maße zum Ruin vieler einfacher Warenproduzenten, kleiner und mittlerer Kapitalisten. In dem allgemeinen Prinzip der Konkurrenz ist aber das Streben nach dem Monopol bereits einbegriffen. Jeder Teilnehmer strebt danach, seine Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen, sie zu vernichten und der Alleinsieger zu bleiben. Das heißt, er strebt nach dem Monopol. Monopol und Konkurrenz als Attribute der Warenproduktion sind ebenso wie diese historische Kategorien. Sie können darum auch nur historisch, das heißt aus 1

Marx-Engels-Werke. Dietz Verlag, Berlin 1959, Bd. 4, S. 163—164. Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Dietz Verlag, Berlin 1953, Bd. I, S. 839. Alle im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Werk. 6

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Fred Oelßner

den jeweiligen geschichtlichen Produktionsverhältnissen heraus richtig verstanden werden. Ebenso wie es grundfalsch ist, die Warenproduktion in den verschiedenen Gesellschaftsformationen gleichzusetzen, so ist es auch grundfalsch, Konkurrenz und Monopol in den verschiedenen Epochen gleichzusetzen. Eben dies t u t aber die ganze bürgerliche Ökonomie. Für sie ist Monopol gleich Monopol, ob es sich nun um ein Monopol im Altertum, im Mittelalter, der Neuzeit oder im 20. Jahrhundert handelt. Bei einer solchen Betrachtungsweise muß die bürgerliche Ökonomie an den äußeren Merkmalen des Monopols haften bleiben, sie kann (und will) sein Wesen nicht begreifen, das nur aus den konkreten gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen begriffen werden kann. Der spezifische Charakter des Monopols in jeder geschichtlichen Epoche erklärt sich aus der Entwicklungsstufe des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Warenproduktion, die ihrerseits auf der Entwicklung der Produktivkräfte beruht. Andererseits wäre es auch nicht richtig, Monopole nur für das 20. Jahrhundert gelten zu lassen, weil jetzt der Kapitalismus sein monopolistisches Stadium erreicht hat und das Monopol zum Hauptmerkmal geworden ist. Aus der Auffassung des Monopols als Attribut der Warenproduktion und als Korrelat der Konkurrenz ergibt sich mit Notwendigkeit, daß das Monopol ebenso alt ist wie die Warenproduktion selbst. Sein Umfang und seine Bedeutung ergibt sich aus dem Umfang und der Bedeutung der Warenproduktion in jeder geschichtlichen Epoche. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß Monopole und Konkurrenz nicht jederzeit gleichberechtigt nebeneinander bestehen, sondern daß ihre Koexistenz eine Entwicklung, ein Kampf ist. J e nach den geschichtlichen Umständen haben — wie wir sehen werden — Konkurrenz und Monopol in den unterschiedlichen Epochen eine verschiedene Rolle gespielt. In den Werken von Marx und Engels finden wir gelegentliche Hinweise auf die Monopole im späten Mittelalter und in der Neuzeit, besonders im 14. bis 17. Jahrhundert. In den letzten fünf Jahrzehnten hat die Erforschung der Wirtschaftsgeschichte so große Fortschritte gemacht, daß wir heute schon recht umfassende Kenntnis von der Rolle der Monopole in frühesten Zeiten haben und es durchaus möglich wäre, eine marxistische Geschichte der Monopole zu schreiben. Die zahlreichen Tatsachen, die von den bürgerlichen Wirtschaftshistorikern (meist in der hahnebüchendsten theoretischen Verpackung, wie beispielsweise bei Heichelheim) angeführt werden, haben die marxistische Auffassung vom Monopol als Attribut der Warenwirtschaft und als Korrelat der Konkurrenz vollauf bestätigt. Sie zeigen, daß dort, wo Warenproduktion bestand, auch Konkurrenz und Monopol als ihre Attribute vorhanden waren. Fritz M. Heichelheim weiß von ersten Monopolen der Fernhandelskanfleute gegenüber schwachen Produzenten bereits aus dem 3. bis 2. Jahrtausend v. d. Z. zu berichten. 6 Das deckt sich mit der Bemerkung von Engels, daß die Warenproduktion 6 Heichelheim, Fritz M., Wirtschaftsgeschichte des Altertums. Leiden 1938, S. 138. — Was von der Arbeit Heichelheims theoretisch zu halten ist, kann man daraus ersehen, daß er die Entstehung von Kapital und Rente in die mittlere und jüngere Steinzeit verlegt

Beitrag zur Monopoltheorie

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und das Wertgesetz während einer Periode von fünf bis sieben Jahrtausenden geherrscht haben. Zwar waren die meisten Monopole des Altertums, die den Handel mit Waren betrafen, staatliche Monopole. Aber es gab, wie das erwähnte Beispiel zeigt, auch schon private Handelsmonopole. Hierbei darf aber nicht übersehen werden, daß in dieser Zeit die auf Ausbeutung der Sklavenarbeit beruhende Naturalwirtschaft die vorherrschende Produktionsweise war, und die Monopole daher (ebenso wie die Konkurrenz und die Warenwirtschaft überhaupt) nur geringe Bedeutung hatten. Ihr Umfang wuchs erst in dem Maße, wie sich mit der Entstehung und Entwicklung der antiken Städte Warenproduktion und Handel ausdehnten. Die Städte machten den Warenhandel auch mit den wichtigsten Nahrungsmitteln unerläßlich. Mit der Ausdehnung des Handels entwickelten sich gleichzeitig die Konkurrenz und das Monopol. Heichelheim berichtet, daß im 4. Jahrhundert v. d. Z. die Kornhändler von Athen regelrechte Ringe gebildet haben, um die Preisbildung zu beeinflussen (S. 348). Natürlich wäre es grober Unsinn, diese Monopole mit den Monopolen unserer Zeit gleichzusetzen. Der weitaus überwiegende Teil der Wirtschaft war wie gesagt Naturalwirtschaft. Die Monopole konnten nur jenen geringen Teil der Produktion berühren, der für den Markt arbeitete, wobei auch hier die Monopole die Konkurrenz nur zeitweilig ausschalten konnten und durch die Konkurrenz wieder gesprengt wurden. Aber dessen ungeachtet waren die Monopole für die damalige Zeit auch nicht unbedeuteind, was aus der Menge der Waren bzw. der Produktionszweige hervorgeht, die monopolistisch erfaßt waren. Heichelheim berichtet über das 3. Jahrhundert v. d. Z.: „Wie in Ägypten wurde auch in Indien während unserer Periode der Binnenverkehr durch zahlreiche staatliche Vollmonopole entscheidend bestimmt. Wir finden solche für Pferdeund Elefantenzucht, für den Betrieb des Goldschmieds-, Silberschmieds-, Geräteschmieds- und Waffenschmiedehandwerks, für Bordelle, für Fischerei und Fährwesen, für Jagd, Viehzucht, Fleischverkauf, für alle Bergwerks- und Steinbruchserzeugnisse, für Salz, Zucker, Perlen und Edelsteine." (S. 545)

Fügen wir dem die besonders in den antiken Städten immer wiederkehrenden Monopole im Kornhandel hinzu, so bekommen wir doch ein recht ansehnliches Bild von der Rolle der Monopole in der allerdings sehr beschränkten Sphäre des Handwerks und des Handels jener frühen Zeit. Unbedingt muß aber hervorgehoben werden, daß der Zweck und Sinn der Monopole in jener frühen Zeit darin bestand, durch Ausschaltung der Konkurrenz die Preise hochzutreiben bzw. hochzuhalten und dadurch einen Monopolgewinn zu erzielen. Besteht das Wesen der Konkurrenz darin, den Gegner zum eignen Vorteil vom Markt zu verdrängen und das Monopol zu erlangen, so besteht das Wesen des Monopols von Anbeginn darin, mittels der erlangten Machtstellung einen höheren Profit zu erzielen, als es unter Konkurrenzbedingungen möglich ist. (S. 35). Ein großer Mangel des Buches besteht auch darin, daß der Autor der Entwicklung der Produktivkräfte nur geringe Aufmerksamkeit zuwendet und das Hauptgewicht seiner Forschung auf den Handel legt. Trotzdem ist das Buch wertvoll als Materialquelle. 2 Probleme Bd. 3

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Fred. Öelßner

Mit dem Verfall der antiken Reiche und Städte gingen auch Warenproduktion und Handel zurück. „Wer konnte, ging im 3. Jahrhundert n. Chr. zur reinen Naturalwirtschaft über, wie zahlreiche Papyrusurkunden beweisen", schreibt Heichelheim S. 775. Mit der Warenproduktion gingen aber auch ihre Attribute, Konkurrenz und Monopol zurück. Im Feudalismus war die Grundlage ebenfalls die Naturalwirtschaft, beruhend auf der Ausbeutung der leibeigenen oder hörigen Bauern. Das Monopoleigentum an Grund und Boden, auf dem diese Wirtschaft beruhte, ist eine ganz andere Art von Monopol, als die in diesem Aufsatz behandelte. Weder zwischen den Feudalherren und Bauern, noch zwischen den Bauern untereinander gab es Warenbeziehungen, folglich gab es in dieser Sphäre weder Konkurrenz noch Monopol. Nur soweit sich im Feudalismus Warenproduktion und Warenhandel entwickelten, entstanden auch ihre Attribute, die Konkurrenz und das Monopol. Trotzdem haben auch in der Epoche des Feudalismus, im Mittelalter und in der Neuzeit, die Monopole eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt. Darüber geben die umfangreichen Forschungen, besonders von Jakob Strieder (1914), Hermann Lewy (1927), Josef Kulischer (1928) und Joseph HöfTner (1941) reichliches Material. 7 Im frühen Mittelalter haben, ebenso wie im Altertum, offenkundig die fiskalischen Monopole vorgeherrscht, sie dienten vornehmlich dem Zweck, die allzeit dürftigen Kassen der Fürsten und Kaiser zu füllen. Auf dem europäischen Festland war schon zu jener Zeit auch der Papst recht maßgeblich an den Monopolen und natürlich auch an den Monopolprofiten beteiligt. Aber auch diese Monopole waren nur selten rein fiskalische Monopole. Die großen Handelshäuser jener Zeit kauften in der Regel die Monopolprivilegien den Fürsten und Päpsten ab und machten sie zu Geldquellen für ihre Privattasche. Auch diese Monopole betrafen aber nicht die Masse der Produzenten, die in der feudalen Naturalwirtschaft lebten. Monopole sind eben nur dort möglich, wo Warenproduktion und Warenhandel existierten. Dennoch dürfen wir auch für jene Zeit die Bedeutung der Monopole nicht unterschätzen. Sie zeigt sich am Umfang der Warengruppen, die in jener Zeit monopolistisch gehandelt wurden. Hermann Levy berichtet aus England über Monopole, die folgende Warenarten beherrschten: Kohle, Zinn, Salz, Alaun, Glas, Seife, Stecknadeln, Draht; Jakob Strieder nennt für Deutschland folgende monopolistisch erfaßten Warenarten: Salz, Wachs, Alaun, Erze, Metalle (besonders Kupfer, Zinn, Quecksilber), Glas, Tuche. Die Aufzählung ist alles andre als vollständig, sie ließe sich ganz bedeutend erweitern. Aber sie genügt als Beweis, daß die mittelalterlichen Monopole bedeutende 7

Strieder, Jakob, Studien zur Geschichte kapitalistischer Organisationsformen — Monopole, Kartelle und Aktiengesellschaften im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit. Verlag von Duncker & Humblot, München und Leipzig 1914, S. 160—62; Levy, Hermann, Monopole, Kartelle und Trusts in der Geschichte und Gegenwart der englischen Industrie. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1927, S. 39; Kulischer, Josef, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Rütten & Loening, Berlin 1954; Höffner, Joseph, Wirtschaftsethik und Monopole im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Verlag Gustav Fischer, Jena 1941. Höffner meint, daß das Wort Monopol zum ersten Male v o n Aristoteles gebraucht wurde. S. 8.

Beitrag zur Monopoltheorie

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Warengruppen umfaßten und darum auch tief in das Wirtschaftsleben jener J a h r hunderte einschnitten. Davon zeugt auch die Tatsache, daß während all dieser J a h r hunderte ein fortgesetzter Kampf gegen die Monopole tobte, daß immer wieder zahlreiche Monopolverbote erlassen wurden, die freilich genauso wenig fruchteten, wie die Monopolgesetze in unserer Zeit. Doch davon soll später noch die Rede sein. Außer diesen Handelsmonopolen war die Wirtschaft des Mittelalters aber noch durch eine andere A r t von Monopolen gekennzeichnet, die große Bedeutung h a t t e n : durch die Zünfte des Handwerks und die Gilden der Kaufleute. Die Zünfte des Handwerks monopolisierten nicht nur den Warenhandel, sondern auch die Warenproduktion. Sie legten genau fest, was und wieviel die einzelnen Meister erzeugen durften, wieviel Gesellen und Lehrlinge sie halten durften und vieles andere. Mit dem Ausgang des Mittelalters und in der Neuzeit wurden die großen monopolistischen Handelsgesellschaften vorherrschend, die besonders eng mit der beginnenden Kolonialpolitik verbunden waren. Im N a c h t r a g zum I I I . B a n d e des „ K a p i t a l " hat Friedrich Engels ausführlich das Treiben der Monopole im 14. und 15. J a h r h u n d e r t geschildert, das uns in mancher Hinsicht an das Treiben der modernen Monopole erinnert. Engels schreibt: „Die Venetianer und die Genuesen im Hafen von Alexandrien oder Konstantinopel, jede Nation in ihrem eignen Fondaco-Wohnhaus, Wirtshaus, Lagerhaus, Ausstellungs- und Verkaufsraum nebst Zentralbureaus — bildeten vollständige Handelsgenossenschaften, sie waren abgeschlossen gegen Konkurrenten und Kunden, sie verkauften zu unter sich festgesetzten Preisen, ihre Waren hatten bestimmte, durch öffentliche Untersuchungen und oft Abstempelung garantierte Qualität, sie beschlossen gemeinsam über die den Eingebornen für ihre Produkte zu zahlenden Preise etc. Nicht anders verfuhren die Hanseaten auf der deutschen Brücke (Tydske Bryggen) zu Bergen in Norwegen, und ebenso ihre holländischen und englischen Konkurrenten. Wehe dem, der unter dem Preis verkauft oder über dem Preis eingekauft hätte! Der Boykott, der ihn traf, bedeutete damals den unbedingten Ruin, ungerechnet die direkten Strafen, die die Genossenschaft über den Schuldigen verhängte. Es wurden aber auch noch engere Genossenschaften zu bestimmten Zwecken gegründet, dergleichen die Maona von Genua, die langjährige Beherrscherin der Alaungruben von Phokäa in Kleinasien sowie der Insel Chios, im 14. und 15. Jahrhundert, ferner die große Ravensberger Handelsgesellschaft, die seit Ende des 14. Jahrhunderts nach Italien und Spanien Geschäfte machte und dort Niederlassungen gründete, und die deutsche Gesellschaft der Augsburger Fugger, Welser, Vöhlin, Höchstetter etc. und der Nürnberger Hirschvogel und andrer, die mit einem Kapital von 66000 Dukaten und drei Schiffen sich an der portugiesischen Expedition nach Indien 1505/06 beteiligte und dabei einen Reingewinn von 150 nach andern 175 Prozent herausschlug (Heyd: „Levantehandel", II, 524) und eine ganze Reihe andrer Gesellschaften 'Monopolia', über die Luther sich so erzürnt." 8 Und anschließend daran sagt E n g e l s : „In den besten Zeiten, die allerdings selten von langer Dauer, war das Geschäft ein Monopolhandel mit Monopolprofit." In den neueren wirtschaftsgeschichtlichen Werken, finden wir eine reiche Fülle von historischen Tatsachen, die ein anschauliches Bild v o m Umfang und dem W i r k e n der Monopole im Mittelalter und in der Neuzeit geben. Diese Tatsachen lassen klar erkennen, daß das Monopol ebenso wie die Konkurrenz untrennbar mit der W a r e n produktion verbunden sind. Und ebenso wie der Charakter der Warenproduktion 8 2*

Siehe Marx, Karl, Das Kapital. Dietz Verlag, Berlin 1951, Bd. I I I , S. 36.

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jeweils durch die vorherrschenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse bestimmt ist, so sind es Konkurrenz und Monopol. Die in der industriellen Produktion des späten Mittelalters und der Neuzeit vorherrschenden Monopole in Form der Zünfte, Privilegien usw. wurden immer mehr zur Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte. Aber gleichzeitig wurden die großen monopolistischen Handelsgesellschaften zu einem der wirksamsten Hebel der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und damit zum Beförderungsmittel einer neuen, fortschrittlicheren Produktionsweise. Karl Marx hat das am Beispiel der englisch-ostindischen Monopolhandelsgesellschaft anschaulich geschildert: „Die englisch-ostindische Kompanie erhielt bekanntlich, außer der politischen Herrschaft in Ostindien, das ausschließliche Monopol des Teehandels wie des chinesischen Handels überhaupt und des Gütertransports von und nach Europa. Aber die Küstenschiffahrt von Indien und zwischen den Inseln, wie der Handel im Innern Indiens wurden Monopol der höheren Beamten der Kompanie. Die Monopole von Salz, Opium, Betel und andren Waren waren unerschöpfliche Minen des Reichtums. Die Beamten selbst setzten die Preise fest und schänden nach Belieben den unglücklichen Hindu. Der Generalgouverneur nahm teil an diesem Privathandel. Seine Günstlinge erhielten Kontrakte unter Bedingungen, wodurch sie, klüger als die Alchimisten, aus Nichts Gold machten. Große Vermögen sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die ursprüngliche Akkumulation ging vonstatten ohne Vorschuß eines Schillings."*

Sehr große Bedeutung hatte auch der Monopolhandel mit Negersklaven der für die Versorgung der Kolonialgebiete mit Arbeitskräften wichtig war und von wohl allen handeltreibenden Ländern betrieben wurde. Wie lukrativ dieser Handel war, dafür nur ein Beispiel: Im Jahre 1528 erhielten die Ehinger und Weiser das alleinige Recht, 4000 Sklaven nach Südamerika zu bringen. Dafür mußten sie der spanischen Krone 5 Dukaten pro Neger entrichten und durften nicht mehr als 50 Dukaten für einen Neger verlangen! 10 Schließlich sehen wir im Mittelalter und in der Neuzeit auch Finanzmonopole entstehen, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Bankwesens spielten. 11 Wir können also zusammenfassend feststellen, daß die Monopole im Mittelalter und in der Neuzeit eine beträchtliche Rolle gespielt haben, daß sie große Teile des Wirtschaftslebens durchdrangen und damit ein wesentlicher Faktor der Wirtschaftsordnung jener Zeit waren, soweit Warenproduktion bestand. Freilich nicht in dem Sinne, daß sie vollständig und allein geherrscht hätten, immer war auch ihr Korrelat, die Konkurrenz, vorhanden, untergrub das Monopol und führte zu neuem Monopol. Und dieser Kampf war nicht ein ständiger Kreislauf, ein Karussel gleichsam, sondern wurde zum wichtigsten Hebel der ursprünglichen Akkumulation als Vorbereitung des Industriekapitalismus. So spielte das Monopol in dieser Zeit eine doppelte Rolle: E s diente der feudalen Wirtschaft und festigte sie, und es diente im Schöße der feudalen Wirtschaft der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und bereitete damit die Sprengung der feudalen Wirtschaftsordnung vor. 8 10 11

Marx, Karl, Das Kapital, a. a. O., Bd. I, S. 792. Höffner, Joseph, a. a. O., S. 4 4 / 4 5 . Siehe Strieder, Jakob, a. a. O., S. 166, Höllner, Joseph, a. a. O., S. 47 ff.

Beitrag zur Monopoltheorie

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J e mehr sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte entwickelten, um so mehr wurden die mittelalterlichen Monopole, Privilegien, Zünfte usw. zu Schranken für ihre Entwicklung, um so mehr wurde der Freihandel, d. h. die freie, ungehemmte Konkurrenz zum Schlachtruf des Kapitals. Die mittelalterlichen Monopole mußten hinweggefegt werden, um dem modernen Kapitalismus den Weg frei zu machen. Und sie wurden hinweggefegt. „Die freie Konkurrenz in der Nation selbst mußte überall durch eine Revolution erobert werden — 1640 und 1688 in England, 1789 in Frankreich", schrieben Marx und Engels. 12 Dieser Sieg der freien Konkurrenz war zugleich der Anfang einer neuen Produktionsweise, der kapitalistischen. Sie stellt eine neue, höhere Stufe der Warenproduktion dar, die von allen früheren Stufen der Warenproduktion qualitativ verschieden ist. Nicht allein, daß die Warenproduktion jetzt eine allseitige Entfaltung erfährt, daß von ihr mehr und mehr alle Produktionszweige und alle Produkte erfaßt werden. Entscheidend für die neue Produktionsweise ist, daß jetzt alle Faktoren des Produktionsprozesses zu Waren werden. Vor allem nimmt der wichtigste Faktor, die Arbeitskraft selbst, allgemein Warencharakter an. Die Verbindung der Arbeitskraft mit den sachlichen Elementen des Produktionsprozesses kann nur noch durch den Verkauf und Kauf der Arbeitskraft bewerkstelligt werden. Diese Verwandlung ist aber nur möglich, weil sich die Grundlage der Warenproduktion selbst, das Privateigentum an den Produktionsmitteln, gewandelt hat. Aus dem Arbeitseigentum des einfachen Warenproduzenten sind die Produktionsmittel zum Monopoleigentum der besitzenden Klasse geworden, von dem die Masse der Produzenten, die Arbeiterklasse, ausgeschlossen ist. Produktionsmittel und Arbeitskraft werden in ihrer Zusammenführung zu Kapital, dessen Wesen und Zweck die Selbstverwertung ist. An die Stelle der Aneignung der eignen Arbeit tritt die Aneignung fremder Arbeit. Unter diesen neuartigen Produktionsverhältnissen wird auch der Widerspruch zwischen Konkurrenz und Monopol auf eine qualitativ höhere Stufe gehoben, er wird zu einem die ganze Existenz der bestehenden Produktionsweise bedrohenden Faktor. Der Zweck des Kapitals ist seine Selbstverwertung. Sie kann nur durch die Ausbeutung der Arbeitskraft im Produktionsprozeß erfolgen, durch die Erzeugung von Mehrwert. Aber der Prozeß der Selbstverwertung des Kapitals ist zugleich ein Produktionsprozeß von Waren. Diese Waren müssen verkauft werden, wenn das vorgeschossene Kapital ersetzt und der den Arbeitern erpreßte Mehrwert realisiert werden soll. Auf dem Markt treten sich die kapitalistischen Wareneigentümer als erbitterte Feinde gegenüber. Hier tobt jetzt die Konkurrenz in ganz anderem Ausmaß und viel schärferer Form, als jemals auf früheren Stufen der Warenproduktion. Die Konkurrenz erhält jetzt ihren besonderen Charakter dadurch, daß sie in entscheidendem Maße zu dem unerläßlichen Mittel wird, mit dessen Hilfe die Gesetze der kapitalistischen Warenproduktion wirken. Nur die Konkurrenz und die von ihr geförderten Krisen vermögen den ökonomischen Gesetzen der anarchischen kapitalistischen Produktionsweise zur freien Entfaltung zu verhelfen. So wird die Konkurrenz als Attribut der Warenproduktion zum Wesen und zur inneren Natur des Kapitals. Marx sagt: « Marx-Engels-Werke, a. a. O., 1958, Bd. 3, S. 59.

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„Begrifflich ist die Konkurrenz nichts als die innere Natur des Kapitals, seine wesentliche Bestimmung, erscheinend und realisiert als Wechselwirkung der vielen Kapitalien aufeinander, die innere Tendenz als äußerliche Notwendigkeit." 1 3

Die freie Konkurrenz entspringt und entspricht dem Wesen des Kapitals, sie ist wie Lenin sagt, eine Grundeigenschaft des Kapitalismus. „ S o sehr ist dies der Fall — schrieb Karl Marx —, daß die tiefsten ökonomischen Denker, wie Ricardo z. B., die absolute Herrschaft der freien Konkurrenz voraussetzen, um die adäquaten Gesetze des Kapitals — die zugleich als die es beherrschenden vitalen Tendenzen erscheinen — studieren und formulieren zu können. Die freie Konkurrenz ist aber die adäquate Form des produktiven Prozesses des Kapitals." 1 4

Ricardo m u ß t e die absolute Herrschaft der freien Konkurrenz voraussetzen, u m die Gesetze des Kapitals studieren und formulieren zu können! Was heißt dies anders, als: die Herrschaft der freien Konkurrenz ist die Bedingung für das Wirken und die E n t f a l t u n g der adäquaten Gesetze des Kapitals! Nur unter den Bedingungen der freien Konkurrenz können sich die adäquaten Gesetze des Kapitals ungehemmt entfalten, in der dem Kapital adäquaten Form, insbesondere indem sie sich periodisch mittels der Krisen durchsetzen. So erscheint die freie Konkurrenz als die Lebensbedingung des Kapitals! In der T a t h a t der industrielle Kapitalismus in seiner Sturm- und Drangperiode der freien Konkurrenz zum allgemeinen Durchbruch verholfen. Unter der Losung des Freihandels wurden alle die freie Konkurrenz hemmenden Schranken, alle Monopole, Privilegien, Zölle usw. hinweggefegt. Indessen war die Zeit der vollen Herrschaft der freien Konkurrenz recht kurz. W. I. Lenin spricht von „der höchsten Blüte der freien Konkurrenz in England in den Jahren 1840 bis 1860" 1 5 , dann kündigte sich bereits eine neue Periode an, in der das Monopol begann, die freie Konkurrenz zu verdrängen. Und das geschah durchaus gesetzmäßig. Der Kapitalismus ist die entwickeiste Stufe der Warenproduktion. In ihr wird das eine Attribut der Warenwirtschaft, die Konkurrenz, zur inneren N a t u r des Kapitals. Es gelangt zur vollen Blüte. Aber je mehr die Konkurrenz sich entwickelt, je umfangreicher, schärfer und zerstörender sie wird, um so mehr fördert sie auch zugleich ihr Gegenteil, ihr Korrelat, das Monopol. Denn ,,im Maß, wie kapitalistische Produktion und Akkumulation, im selben Maß entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden mächtigsten Hebel der Zentralisation." 1 6 Die Zentralisation aber fördert u n d beschleunigt die Konzentration der Produktion und des Kapitals, aus der das moderne Monopol hervorwächst. J e t z t t r i t t ein, was Marx im J a h r e 1844 voraussagte, daß das notwendige Resultat der Konkurrenz die Akkumulation des Kapitals in wenigen Händen, die fürchterlichere Wiederherstellung des Monopols ist. Die freie Konkurrenz r u f t über die Kapitalakkumulation, über die Konzentration u n d 13

Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 317. 14 Ebenda, S. 544. 18 Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden, a. a. 0 . , Bd. I, S. 830. 18 Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. I, S. 660.

Beitrag z u r Monopoltheorie

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Zentralisation des Kapitals und der Produktion mit Naturnotwendigkeit das moderne Monopol ins Leben! Das ist die Quintessenz der marxistischen Monopoltheorie. Bereits im „Antidühring" hat Friedrich Engels hervorgehoben, daß in den modernen Trusts die freie Konkurrenz ins Monopol umschlägt, und kurz vor seinem Tode, in einer Einfügung im III. Bande des „Kapital" hob er wiederum hervor, daß die Konkurrenz durch das Monopol ersetzt wird. 17 Lenin schließlich hat in seiner Studie über den Imperialismus das Hervorgehen des modernen Monopols aus der freien Konkurrenz allseitig wissenschaftlich bewiesen. Das moderne Monopol, das den Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus kennzeichnet, ist von den Monopolen früherer Zeiten qualitativ unterschieden, weil es einer neuen Entwicklungsstufe der Produktivkräfte entspringt. Es ist ein Kind der modernen Großindustrie mit ihrer Massenproduktion. Damit ist es zugleich auch quantitativ von früheren Monopolen verschieden: Es wird zum beherrschenden Merkmal der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und durchdringt das ganze gesellschaftliche Leben. So ergibt sich, daß im modernen Industriekapitalismus das Verhältnis zwischen Kenkurrenz und Monopol einen völlig neuen Charakter erhält. Die Konkurrenz wird zum wesentlichen Charakterzug der kapitalistischen Warenproduktion, ohne sie können die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus nicht ungehindert wirken. Aber zugleich fördert die Konkurrenz die Entstehung des Monopols und errichtet damit Hemmnisse und Schranken für das Wirken dieser Gesetze. Dieser Widerspruch ist ein Ausdruck der Tatsache, daß die kapitalistische Warenproduktion von Anfang an den Todeskeim in sich trägt. Auch das haben Marx und Engels schon vor mehr als hundert Jahren nachgewiesen. Friedrich Engels schrieb in „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie": . . . die Handelsfreiheit m u ß „auf der einen Seite die Restauration der Monopole, auf der anderen die Aufhebung des Privateigentums produzieren". 1 8

und an anderer Stelle: „das Monopol erzeugt die freie Konkurrenz und diese wieder das Monopol; darum müssen beide fallen und diese Schwierigkeiten durch die Aufhebung des sie erzeugenden Prinzips gehoben werden". 1 9

Karl Marx sagte in den „Grundrissen": Sobald das Kapital „anfängt sich gewußt zu werden, nimmt es zu Kapitals zu vollenden scheinen, Ankündiger seiner Auflösung und weise sind" (S. 544/45).

selbst als Schranke der Entwicklung zu fühlen und Formen Zuflucht, die, indem sie die Herrschaft des durch Züglung der freien Konkurrenz, zugleich die der Auflösung der auf i h m beruhenden Produktions-

Aus dem Dargestellten ergibt sich, daß das moderne Monopol den Übergang zu einer höheren Produktionsweise darstellt. Das monopolistische Stadium des Kapi17 18 19

Marx Karl, Das Kapital, a. a. O., Bd. III, S. 479. Marx, Karl/Engels, Friedrich, Kleine ökonomische Schriften, a. a. 0 . , S. 13. Ebenda, S. 38.

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talismus ist daher zugleich das Stadium des sterbenden Kapitalismus, die Epoche der proletarischen Revolutionen und des weltweiten Übergangs zum Sozialismus. Obwohl es ebenso wie das Monopol in früheren Zeiten ein Attribut der Warenproduktion und das Korrelat der Konkurrenz ist, ist das moderne Monopol also von allen Monopolen früherer Zeiten prinzipiell verschieden. Die wesentlichsten Seiten dieses Unterschiedes sind: 1. Das moderne Monopol ist ein Attribut der voll entfalteten und höchstentwickelten Warenproduktion. E s ist daher viel allseitiger und umfassender als frühere Monopole, es durchdringt alle Seiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Erst im 20. Jahrhundert wird das Monopol zum entscheidenden Charaktermerkmal der Epoche. 2. Das moderne Monopol ist das Produkt des hochentwickelten Industriekapitalismus. E s entsteht aus der Konzentration der Produktion und des Kapitals, die es gleichzeitig fördert und hemmt. Es beruht auf dem Großbetrieb. 3. Das moderne Monopol ist das Korrelat der Konkurrenz als dem Wesenszug der ganzen kapitalistischen Produktionsweise. E s ist aus der freien Konkurrenz gewachsen, nachdem diese zum herrschenden Prinzip der Produktion und des Austausches geworden war, es steht aber im Widerspruch zu diesem Wesenszug und setzt der herrschenden Produktionsweise eine Schranke. E s hemmt, stört und ändert das Wirken der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus, die der Konkurrenz als ihres Mechanismus bedürfen. 4. Das moderne Monopol stellt zugleich sein Korrelat, die Konkurrenz wieder her, aber nicht die alte freie Konkurrenz, sondern eine höhere Stufe, die monopolistische Konkurrenz, die ihrerseits, gegenüber der früheren Konkurrenz wesentliche Unterschiede aufweist. 5. Trotz seiner umfassenden, den Charakter der Epoche bestimmenden Ausdehnung kann das moderne Monopol die Alleinherrschaft nicht erlangen, es besteht nur der Übergang von der Konkurrenz zum Monopol, das heranwachsende Monopol (Lenin 2 0 ), das die Konkurrenz nie ganz überwinden kann, obwohl es dahin tendiert. Daraus entstehen besonders schroffe Widersprüche und Konflikte. 6. Das moderne Monopol ist das charakteristische Merkmal der letzten Stufe der Ausbeutergesellschaft überhaupt. E s ist darum ein Merkmal der Notwendigkeit des Übergangs zu einer solchen Produktionsweise, die frei ist von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Mit diesen sechs Punkten soll nicht das Wesen des modernen Monopols charakterisiert, sondern nur der Unterschied gegenüber früheren Monopolen hervorgehoben werden. Der Begriffsbestimmung des modernen Monopols ist erst der III. Abschnitt gewidmet. Die bürgerliche Monopoltheorie, der wir uns nun zuwenden, verwischt gerade den Unterschied zwischen den Monopolen der verschiedenen gei0

JleHHH, B . H . CoHHHeHHH. ( L e n i n , W . I . , W e r k e ) , FocyHapcTBeHHoe ÜOJiHTHqeCKOÖ J l H T e p a T y p n , M o s k a u 1952, B d . 24, S . 4 2 7 .

HaRaTejitcTBo

Beitrag zur Monopoltheorie

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schichtlichen Epochen, sie beachtet nicht den „radikalen Unterschied in den ökonomischen Gesellschaftsformationen", wie Lenin sagte, und artet darum unvermeidlich in leere Banalitäten und Flunkereien aus. Bevor wir uns der bürgerlichen Monopoltheorie zuwenden, ist jedoch noch eine Schlußbemerkung notwendig. Konkurrenz und Monopol wurden als Attribut der Warenwirtschaft behandelt. Nun besteht bekanntlich die Warenwirtschaft auch nach Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise in der Übergangsperiode, im Sozialismus und im Übergang zum Kommunismus fort. Wie steht es dann hier mit Konkurrenz und Monopol? Die Antwort wurde schon am Anfang gegeben. Konkurrenz und Monopol sind Attribute der Warenwirtschaft, sofern sie auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht. Die sozialistische Warenwirtschaft ist aber eine Warenwirtschaft, besonderer Art, die gerade auf der Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, auf dem gesellschaftlichen Eigentum beruht. Damit kommen auch die Attribute Konkurrenz und Monopol in Fortfall. Die Konkurrenz kann nicht mehr die innere Natur des Kapitals sein, weil das Kapitalverhältnis selbst aufgehoben ist. Das Ziel der Produktion ist nicht mehr die Selbstverwertung des Kapitals, der Profit, sondern die bestmögliche Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft. Die objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus bedürfen nicht des Konkurrenzmechanismus zu ihrer Wirkung, weil sie mittels der sozialistischen Planwirtschaft bewußt angewandt werden. Der sozialistische Wettbewerb ist nicht ein Konkurrenzersatz, sondern das gerade Gegenteil der Konkurrenz. Lautet das Prinzip der Konkurrenz Sieg des Starken und Tod des Schwachen, so lautet das Prinzip des sozialistischen Wettbewerbs gegenseitige Hilfe und Unterstützung besonders für den Schwachen, Zurückbleibenden, um allen zum Siege zu verhelfen. Ein Wesenszug der Konkurrenz ist das Geschäfts- und Produktionsgeheimnis, ein Wesenszug des sozialistischen Wettbewerbs ist der Erfahrungsaustausch, um die neuen Errungenschaften allen zugänglich zu machen; usw. Innerhalb der sozialistischen Warenwirtschaft ist kein Platz für die Konkurrenz da. So wenig aber Platz für die Konkurrenz da ist, so wenig auch für ihr Korrelat, das Monopol. Zwar bezeichnen bürgerliche Ökonomen zuweilen das Volkseigentum als gesellschaftliches oder staatliches Monopol. Aber das ist Unsinn, denn Monopol bedeutet immer, daß mehr oder weniger große Massen von der Teilnahme ausgeschlossen sind. Gesellschaftliches oder Volkseigentum besagt aber gerade, daß niemand von diesem Eigentum ausgeschlossen ist, weil es eben allen gemeinsam gehört. Hier von einem Monopol zu reden, ist also purer Unsinn. Auch ein etwaiger Hinweis auf das in den sozialistischen Ländern bestehende Außenhandelsmonopol ist ganz abwegig. Denn erstens handelt es sich hier um ein ganz anders geartetes Monopol, zweitens drückt das Außenhandelsmonopol aus, daß der Außenhandel nicht mehr in den Händen privater Kapitalisten oder kapitalistischer Monopole liegt, sondern ausschließlich von den staatlichen Organen im Namen der ganzen Gesellschaft getätigt wird.

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Fred

Oelßner II.

Z U R B Ü R G E R L I C H E N M O N O P O L T H E O R I E IN D E U T S C H L A N D In dem Maße, wie sich aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen

die

Vorherrschaft der modernen Monopole entwickelte, wie der D r u c k und die Ausb e u t u n g dieser Monopole auf i m m e r breiteren Bevölkerungsschichten lastete, wie die H e r r s c h a f t der Monopole die Gefahr verheerender Weltkriege v e r g r ö ß e r t e , im gleichen Maße m u ß t e n sich auch die bürgerlichen Ökonomen dem Monopolproblem zuwenden. In dunkler Ahnung, und m a n c h m a l auch in E r k e n n t n i s der T a t s a c h e , daß das monopolistische S t a d i u m das letzte S t a d i u m des K a p i t a l i s m u s ist, traten sie zur Verteidigung des Monopolkapitalismus auf den P l a n . S o ist in den imperialistischen L ä n d e r n eine umfangreiche L i t e r a t u r über das Monopolproblem entstanden, die durch die B a n k den Zweck verfolgt, die Monopole zu rechtfertigen, ihre wachsende M a c h t zu verdecken und vom K a m p f gegen die Monopole

abzulenken.

Begreiflicherweise h a t sich die bürgerliche Monopoltheorie besonders in den angelsächsischen L ä n d e r n , in Großbritannien und den U S A , sehr stark entwickelt. Aber auch die bürgerlichen Ökonomen Deutschlands waren und sind redlich b e m ü h t , ihren

angelsächsischen Kollegen in der R e c h t f e r t i g u n g des Monopolkapitalismus

n i c h t nachzustehen. Die folgenden B e m e r k u n g e n befassen sich nur m i t der deutschen bürgerlichen Monopoltheorie, m i t einer Ausnahme, die für das Verständnis

der

Monopolpreistheorie unerläßlich ist. E s ist charakteristisch, d a ß schon eine der ältesten in deutscher S p r a c h e erschienenen Abhandlungen über das Monopolproblem, die S c h r i f t von F r i e d r i c h Kleinw ä c h t e r über „ D i e K a r t e l l e " von 1883, als K a m p f p a m p h l e t gegen die sozialistische Arbeiterbewegung geschrieben wurde. K l e i n w ä c h t e r sucht den Nachweis zu erbringen, „ d a ß der Sozialismus im I r r t u m befangen ist, wenn er die soziale F r a g e als eine F r a g e der E i g e n t u m s v e r f a s s u n g a u f f a ß t " . In kindlich-primitiver

Apologetik

s c h r e i b t K l e i n w ä c h t e r den Monopolen die L ö s u n g der sogenannten sozialen F r a g e zu. E r t r i t t dafür ein, den K a r t e l l e n ein Produktionsmonopol zu erteilen, weil „eine R e g e l u n g der Produktion nach dem Bedarfe ohne ein gewisses Monopol der betreffenden Produzenten absolut u n d e n k b a r i s t " ( S . 178). Natürlich würde d a m i t n a c h K l e i n w ä c h t e r s naiver Meinung das K a r t e l l s y s t e m auch die Krisen beseitigen: „Andererseits hätte jedoch das Kartellsystem seine unläugbaren eminenten Vortheile. Zunächst würde durch dasselbe Ordnung in die ungeregelte gewerbliche Produktion gebracht; die Produktion würde dem Bedarfe angepaßt und damit wären die ewigen Krisen — Überproduktion und Absatzstockung — beseitigt" (S. 194). H a t die neuere bürgerliche Ökonomie auch diese naive Apologetik n i c h t beibehalten können, weil sie den T a t s a c h e n allzu offenkundig widersprach, so ist ihr Grundzug doch der gleiche geblieben, nämlich die Beschönigung der kapitalistischen Monopole zur Verteidigung des P r i v a t e i g e n t u m s und zum K a m p f gegen den Soz i a l i s m u s - K o m m u n i s m u s . Die ganze bürgerliche Monopoltheorie t r ä g t apologetischen u n d antisozialistischen Charakter. Zunächst sucht die bürgerliche Monopoltheorie den Begriff des Monopols so allgemein und verschwommen wie möglich zu fassen, d a m i t schon v o m Begriff her das

Beitrag zur Monopoltheorie

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Wesen der Monopole verdunkelt wird. Sie löst den Begriff völlig von den herrschenden Produktionsverhältnissen los und macht das Monopol zu einer reinen Marktkategorie. Der Zusammenhang des modernen Monopols mit dem Imperialismus als höchsten Stadiums des Kapitalismus wird von keinem einzigen bürgerlichen oder sozialdemokratischen Nationalökonomen anerkannt. Die bürgerliche Monopoltheorie faßt das Monopol auch nicht als Korrelat der Konkurrenz, weil sie die aus dem Widerspruch zwischen Konkurrenz und Monopol entspringenden besonders krassen Widersprüche und Konflikte vertuschen muß. Selbstverständlich findet auch der Monopolprofit als der Sinn und Zweck des Monopols in den Definitionen der bürgerlichen Ökonomen keine Erwähnung. So kommen sie zu einer so allgemeinen Begriffsbestimmung, in der das Wesen des modernen Monopols völlig vertuscht wird. Eine der ältesten Definitionen des Monopols stammt von Wilhelm Lexis, der im „Handwörterbuch f ü r Staatswissenschaften" von 1900 schrieb: „Das Verkaufsmonopol ist die Erwerbsstellung des Inhabers eines Verkehrsgutes, der gegenüber einer vorhandenen vielfachen Nachfrage allein das Angebot repräsentiert." 21

Nun muß man wissen, daß Lexis unter dem verschwommenen Begriff „Verkehrsgut" auch alle Dienstleistungen auffaßt, so daß nach seiner Theorie — er vermerkt das ausdrücklich! — auch „außerordentliche persönliche Begabungen", z. B. bei Künstlern, ein Monopol darstellen, das ihren Inhabern (eben den Künstlern) gestattet, „eine ganz selbständige Preistaktik" zu befolgen. Das ist kein Kuriosum, sondern diese abstruse Auffassung zieht sich seit Senior bis auf den heutigen Tag durch die ganze Vulgärökonomie hindurch. Auch die heutige bürgerliche Ökonomie strotzt von den ausgefallensten Beispielen für den Monopolfall, wobei sie sich nur widerwillig mit den wirklichen entscheidenden Monopolen unserer Zeit befaßt, wie sie z. B. die Kohle- und Eisen-Industrie, die elektrotechnische und chemische Industrie u. a. beherrschen. Jedenfalls ist die bürgerliche Ökonomie bis heute nicht über die Definition von Lexis hinausgekommen. Noch immer faßt sie das Monopol ausschließlich als eine Angelegenheit des Marktes auf, ohne seinen Zusammenhang mit der Produktion und mit der geschichtlichen Entwicklung der Produktionsverhältnisse aufzuzeigen und vor allem ohne die Erzielung eines übermäßig hohen Monopolprofits als ökonomischen Sinn und Zweck des Monopols hervorzuheben. So schreibt z. B. Stackelberg: „Das Monopol ist nicht dadurch definiert, daß der Monopolist den Preis von sich aus festsetzen kann, sondern dadurch, daß nur ein Anbieter bzw. nur ein Nachfrager auf dem Markt auftritt." 22

Schon ein flüchtiger Blick zeigt, daß mit dieser Definition die meisten und entscheidenden Monopole nicht erfaßt werden, denn es ist äußerst selten der Fall, daß nur ein einziger Anbieter oder Nachfrager vorhanden ist. Genauer gesagt, die Monopoldefinition ist so abgefaßt, daß die wirklichen Monopole, um die es geht, aus ihr 21 Lexis, Wilhelm, Artikel „Monopol". In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1900, Bd. 5, S. 850. 22 Stackelberg, H. v., Marktform und Gleichgewicht, 1934, S. 91.

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herausfallen, oder besser, daß sie durch die Monopoldefinition ihres monopolistischen Charakters entkleidet werden. Die apologetische Absicht ist offenkundig. Dessen ungeachtet oder gerade deshalb hält die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft eisern an dieser allgemeinen Monopoldefinition fest. In dem 1958 in Westdeutschland erschienenen Wirtschaftslexikon Dr. Gablers finden wir folgende Erklärung des Monopols: Monopol = „eine Marktform, bei der auf Seite des Angebots oder der N a c h f r a g e einer Ware oder auf beiden Seiten nur jeweils ein K ä u f e r oder/und ein Verkäufer v o r h a n d e n sind."23

Auch in dem 1959 in Westdeutschland erschienenen „Handbuch der Wirtschaftswissenschaften" bezeichnet Theodor Wessels als Angebotsmonopol eine solche Marktkonstellation, bei der es nur einen Anbieter gibt, „der das gesamte Angebot in seiner Hand vereinigt." 2 4 Nun werden mit solchen falsch-abstrakten Definitionen zwar die Monopole als Nicht-Monopole deklariert, aber sie werden damit nicht aus der Welt geschafft. Daher muß die bürgerliche Ökonomie unter anderem Namen — sei es als Oligopol, oder sei es unter den gewöhnlichen Bezeichnungen Kartelle, Trusts, Konzerne usw. — sich wohl oder übel auch mit den wirklichen Monopolen auseinandersetzen, oder besser gesagt, die wirklichen Monopole verteidigen. Die Zahl der Ökonomen, die sieh dieser apologetischen Aufgabe unterzogen haben, ist recht zahlreich. Unter den Neueren, die sich mit dem Problem befaßt haben, ist zunächst Herbert von Beckerath zu nennen, der 1930 ein Buch „ D e r moderne Industrialismus" veröffentlichte, in dem sehr eingehend die verschiedenen Monopolformen abgehandelt wurden. Beckerath grenzt sich zunächst von Robert Liefmann ab, der den Kartellen noch weitgehend „monopolistische Marktbeherrschung" zuschrieb und bemerkt ganz im Sinne der oben angeführten Monopoldefinition: „ U n s scheint es richtiger, den Ausdruck Monopol nur d a zu gebrauchen, wo eine einheitliche geleitete Wirtschaft oder W i r t s c h a f t s g r u p p e ihr Marktgebiet ausschließlich beh e r r s c h t " (S. 245).

Nachdem er somit den monopolistischen Charakter der Kartelle und Konzerne hinwegdefiniert hat, wendet sich Beckerath der Aufgabe zu, ihnen soviel wie möglich Gutes zuzuschreiben. E r hebt hervor, daß sich die Monopole aus der Konzentration der Produktion ergeben, aber gerade darum sind sie zu begrüßen, „weil sich dort und nur dort, wo ein Riesenunternehmen ein Marktgebiet beherrscht, für die Gesamtheit der Industrie die an sich gegensätzlichen Tendenzen der B e t r i e b s d y n a m i k und der Marktregulierung endgültig versöhnen lassen . . . " (a. a. 0 . , S . 302).

Somit verschärfen nach Beckeraths Meinung die Kartelle die Widersprüche des Kapitalismus nicht, sondern versöhnen sie! An sonstigen segensreichen Eigenschaften schreibt Beckerath den Monopolen zu: 1. die Verbesserung der Produktion: Die horizontale Konzentration im Kartell „legt die produktive Arbeit in die besten Hände und in die besten Betriebe und Dr. Gablers Wirtschafts-Lexikon. Wiesbaden 1958, Sp. 2000. Wessels, Theodor, E i n f ü h r u n g in die Volkswirtschaftslehre. I n : H a n d b u c h der Wirtschaftswissenschaften. Westdeutscher Verlag, K ö l n und Opladen 1959, B d . I I , S. 976. 23

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mildert andererseits die kapitalwirtschaftlichen Folgen des Niedergangs und Untergangs der schlechten B e t r i e b e " (S. 279); der Zweck des „nichtmonopolistischen Industriekonzerns" (!) „richtet sich nicht nach außen auf die Regulierung des Marktes, sondern nach innen auf die Verbesserung des Betriebes in Produktion und A b s a t z " (S. 334). 2. die Senkung der P r e i s e : ,, . . . findet die K a r t e l l e auf mancherlei Weise bemüht durch Preissenkung erhöhten A b s a t z zu ermöglichen" (S. 280); „ D a s E r g e b n i s der Untersuchung deutet d a r a u f hin, daß die Konzerne kostensenkend wirken, aber nicht in der L a g e sind, die verringerten Kosten bei monopolistischer Preispolitik in erhöhte Gewinnbildung umzusetzen, sondern die Kostensenkung in vollem Maße den Konsumenten durch niedrige Preise zugute kommen l a s s e n " (S. 339). 3. Verbesserung der W a r e n q u a l i t ä t : indem jeder F a b r i k a n t im R a h m e n der vom Kartell gegebenen Qualitätsnormierungen das B e s t e zu leisten sucht und sich möglichst zuverlässiger Lieferungen befleißigt" (S. 276); „ . . . die günstige Wirkung der K a r t e l l e (Preiskartelle) auf die Warenqualität . . . " (S. 309). 4. Milderung der Wirtschaftskrisen: „ E i n e derartige Preispolitik, von der zweifellos ein krisenmildernder Einfluß auf die Volkswirtschaft ausgehen kann . . . " ; ( S . 297) ,,. . . die Unternehmer durch genaue Marktübersicht veranlaßt werden, diejenigen Waren herzustellen, für welche a m meisten Nachfrage vorliegt und überschüssige Lagervermehrung, sowie diejenigen, periodisch sich häufenden Fehldispositionen (vor allem den übermäßigen Ausbau der Produktionsanlagen in den Produktionsmittelindustrien) zu vermeiden, welche nach den herrschenden Anschauungen der modernen Konjunkturtheorie ein H a u p t a n l a ß der Wechsellagen der Wirtschaft s i n d " (S. 311). W i e sich zeigt, h a t t e Beckerath ein ganzes P r o g r a m m der Monopol-Apologetik entwickelt, das nur den Fehler hatte, daß jeder seiner P u n k t e der Wirklichkeit des Monopolkapitalismus genau entgegengesetzt war. Beckerath h a t t e das Pech, daß sein Buch 1930 erschien, also j u s t in der Zeit, als die große Krise sich m i t aller W u c h t zu entfalten begann, und als diese Krise recht deutlich zeigte, daß die Monopole alles andere als Preissenkungen anstreben. Aber so ergeht es nun m a l den Apologeten, wenn sie versuchen, aus Schwarz Weiß zu machen. Daß es Beckerath weniger auf eine wissenschaftliche Analyse als auf eine Verteidigung des Monopolkapitalismus a n k a m , h a t er am E n d e seines Buches allzudeutlich gezeigt, a l s er schrieb: „ U . E. ist für absehbare Zeit jedenfalls die privatkapitalistische Organisation der Industrie die den bisherigen Zivilisationsstand eng wohnender Industrievölker allein ermöglichende Wirtschaftsorganisation" (S.428). D a s zu beweisen, und nicht die Monopole wissenschaftlich zu erklären, war also der Zweck aller Bemühungen v . B e c k e r a t h s ! Dieser edlen A u f g a b e ist von Beckerath auch nach dem zweiten Weltkriege treu geblieben, mit dem einzigen Unterschied, daß er nunmehr als offener Apologet des ü p p i g ins K r a u t geschossenen staatsmonopolistischen K a p i t a l i s m u s a u f t r i t t . I m J a h r e 1954 ist in Westdeutschland sein neues B u c h „Großindustrie und Gesells c h a f t s o r d n u n g " erschienen. Auch in diesem Buch finden wir wieder die alten apologetischen Behauptungen,

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daß die Monopole niedrige Preise anstreben: „ E s wird o f t übersehen, daß in Zeiten eines Verkäufermarktes die großen oligopolistischen oder monopolistischen Unternehmungen häufig niedrigere Preise berechnen als die, welche eine Industrie im vollkommenen Wettbewerb . . . unter gleichen Umständen verlangen w ü r d e " (S. 106); daß die Monopole die Krisen mildern: „Die destruktive W i r k u n g des Neuerungswettbewerbs (Schumpeter) kann durch mäßige und beweglich gehandhabte Monopolpolitik, welche die zerstörenden gewaltsamen K o n j u n k t u r s t ö ß e mildert, wirksam in Grenzen gehalten werden" (S. 198); daß die Monopole sogar keine Profitmaximierung anstreben: „Bei alledem spielt die Maximierung der Gewinne über kürzere Zeiträume und gemäß den Prinzipien der Marginaltheorie eine verhältnismäßig geringe Rolle". „Sind sie außerdem immer wieder erfolgreiche Neuerer, die wiederholt die quasi Monopolprofite (!) auf zunächst ihnen allein gehörende neue Verfahren und Warenformen einheimsen, werden sie um so erfolgreicher sein; auch wenn sie zu keinem Zeitpunkt (!) ihre Profite gemäß der Theorie m a x i m i e r e n " (S. 234). Aber Beckerath bleibt in seinem neuen Buch nicht auf dem alten S t a n d p u n k t stehen, sondern erklimmt eine höhere Stufe der Apologetik des modernen Kapitalismus. Der Typ des modernen Finanzoligarchen, der um des Monopolprofits willen Millionen Menschen ins Verderben stürzt, wird von Beckerath wie folgt charakterisiert : „Dieser neue Unternehmertyp wird gegenüber den allgemeinen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen immer hellhöriger und immer mehr willens, seine private Wirtschaftstätigkeit bewußt mit den Notwendigkeiten und Bedürfnissen des Ganzen in Einklang zu bringen" (S. 26).

Am sichtbarsten t r i t t aber die apologetische Absicht v. Beckeraths bei seiner Darstellung der wirtschaftlichen Rolle des von den Monopolen beherrschten Staates in Erscheinung, den er zum Wohlfahrtsstaat erhebt. Beckerath schreibt: „Wo Monopole unvermeidlich schienen, wie bei Eisenbahnen und anderen ,public Utilities' sorgte die öffentliche Gewalt dafür, daß sie sich soweit wie möglich gemäß den Normen der Marktwirtschaft betrugen. Weder sollten sie willkürlich zwischen ihren Kunden diskriminieren, noch durften sie Preise erheben, die zu Profiten führten, welche über den Durchschnittsertrag des Kapitals in privaten im Wettbewerb stehenden Industrien hinausgingen, einem Ertrag, der grob sich in dem Landeszinsfuß abspiegelt. Der moderne Wohlfahrtsstaat kann definiert werden als ein Gesellschaftssystem, das versucht, die wirtschaftliche Aufgabe der Produktion und Distribution der Privatwirtschaft zu überlassen, aber gleichzeitig das Ergebnis des Marktprozesses im Sinne sozialer Zielsetzungen, wie stabiler Vollbeschäftigung, Einkommennivellierung und Hebung der Massenlebenshaltung zu korrigieren" (S. 31).

Es p a ß t durchaus in dieses Bild der ungeschminkten Verherrlichung des staatsmonopolistischen Kapitalismus, wenn v. Beckerath andererseits den angeblich von der organiserten Arbeiterbewegung „ausgehenden Inflationsdruck als eine gefährliche Einmischung in den wirtschaftlichen und sozialen Prozeß" ansieht (S. 76). So b e m ü h t sich Herbert von Beckerath, sein Brot von den Monopolkapitalisten „ehrlich" zu verdienen, indem er die Ausbeutung und Auswucherung der Gesell-

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Schaft durch die Monopole beschönigt und verschleiert, den berechtigten Lohnkampf der Arbeiter aber als gefährliche Einmischung diffamiert. Beckerath gehört ohne Zweifel zu den offensten und schamlosesten Verteidigern des Monopolkapitals. Etwa um die gleiche Zeit wie Beckerath's Buch „Der moderne Industrialismus" erschienen in Deutschland zwei Arbeiten über die Monopole, die weniger bekannt, geworden sind, aber doch der Erwähnung verdienen, weil sie mit der gleichen Unverfrorenheit die offene Apologetik der Monopole betrieben. Georg Halm veröffentlichte 1929 das Buch „Die Konkurrenz". Anders als Beckerath läßt Halm gleich im Vorwort die Katze aus dem Sack, indem er schreibt: „Es soll nachgewiesen werden, daß die Konkurrenz als Ordnungsprinzip nicht zu entbehren, daß die sozialistische Wirtschaft auf die Dauer praktisch unmöglich ist, und daß deshalb die Entwicklungstendenzen der modernen Wirtschaft nicht zum Sozialismus führen können, daß sie vielmehr nur eine Veränderung, nicht eine Aufhebung der Konkurrenz bedeuten."

Von dieser für die Kapitalisten löblichen Absicht ausgehend, kommt Halm zu dem Schluß, daß aus der „ruinösen Konkurrenz" Zusammenschlüsse von Unternehmungen als „Kombinationen mit monopolistischer Tendenz" entstehen (S. 144), und daß „diese Zusammenschlüsse vielmehr selbst eine Regulierung der Konkurrenz bedeuten, in Fällen, in denen ein gesunder Konkurrenzkampf aus technischen Gründen nicht möglich ist" (S. 153). Und so ergibt sich bei Halm zum guten Ende: „Die Konkurrenzwirtschaft ist in ihrer heutigen Form eine reinere Verwirklichung des Konkurrenzprinzips, als es irgendeine .freie' Konkurrenzwirtschaft sein könnte" (S. 155). Natürlich weicht Halm bei seiner Theorie der konkreten Analyse konkreter Monopole aus, er verschweigt die ruinösen Wirkungen der Monopole, ihren parasitären Charakter, er verschweigt, daß die monopolistisch „regulierte" Konkurrenz viel ruinöser ist als die „freie Konkurrenz", daß eben aus dem Zusammenprall von Monopol und Konkurrenz die größten Konflikte entstehen. Der Theorie von Halm liegt die Furcht des bourgeoisen Ideologen vor der objektiven Gesetzmäßigkeit zugrunde, daß die moderne kapitalistische Monopolwirtschaft mit innerer Notwendigkeit zu einer sozialistischen Gemeinwirtschaft drängt. Dagegen tritt er auf, nicht mit einer wissenschaftlichen Analyse, sondern mit einem Kampfpamphlet gegen den Sozialismus. Im Jahre 1931 erschien eine kleine Broschüre von Erich Egner mit dem vielversprechenden Titel „Der Sinn des Monopols". In dieser Broschüre wird das Problem in der gleichen Weise, wenn auch mit etwas mehr pseudowissenschaftlichem Brimborium abgehandelt. Egner kommt zu dem Ergebnis, daß durch die Entwicklung der modernen Produktionstechnik (durch das Anwachsen des fixen Kapitals) ein „Reibungswiderstand" entsteht und darum das dauernde Monopol „als Gegenwirkung gegen den Reibungswiderstand" notwendig ist (S. 69). Daraus schlußfolgert Egner, daß der moderne Monopolkapitalismus, den er euphemistisch als Sozialwirtschaft bezeichnet, ohne Monopol nicht auskommen kann und darum das Monopol bejaht werden muß. Er schreibt: „Allein zu diesem Zwecke versuchte ich nachzuweisen, wie ganz bestimmte Schwierigkeiten, mit denen die gegenwärtige Wirtschaftsordnung zu ringen hat, zu der Entstehung

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des dauernden Monopoles führen. Sobald sie auftauchen, muß es das dauernde Monopol geben, weil ohne dies Gebilde das Grundprinzip der Sozialwirtschaft nicht zur Geltung gelangen könnte. Sobald dies Grundprinzip nicht mehr zur Wirkung kommt, wird die Sozialwirtschaft selbst unmöglich. Unter der komplizierten Situation, in welcher das Monopol entsteht, ist dies daher für die Lebensfähigkeit der Sozialwirtschaft konstitutiv. Das ist der ,Sinn' des Monopols" (S. 73).

Nach dieser Rechtfertigung der modernen Monopole ist es nicht verwunderlich, daß Egner die „Gefahren" des Monopols, „die man seit Beginn der monopolistischen Entwicklung in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung bald bewußt, bald unbewußt, an die Wand malte", als Irrtum bezeichnet (S. 79), daß er sich bemüht, „überall dort Notwendigkeiten nachzuweisen, wo man sonst allein Macht und Willkür beobachtet" (S. 84) und daß er zu dem Schluß kommt, „nicht das Monopol zu beseitigen gilt es. Denn es entspricht unter bestimmten Bedingungen ebenso der ökonomischen Vernunft wie unter andern die freie Konkurrenz" (S. 84). Sowohl Halm wie Egner haben eine Ahnung von der Wahrheit des modernen Monopols, indem sie es mit dem Anwachsen des fixen Kapitals in Zusammenhang bringen. Aber sie umgehen die Analyse der Produktionsverhältnisse, nehmen nicht die Konzentration der Produktion und des Kapitals zum Ausgangspunkt (das Anwachsen des fixen Kapitals ist nur ein Teil davon) und negieren deshalb den mit dem Monopol verknüpften Prozeß der Vergesellschaftung der Produktion, der das Kapitalmonopol als Fessel der gesellschaftlichen Entwicklung enthüllt. Indem sie dieses Wesen der monopolistischen Entwicklung eliminieren, verhüllen sie den parasitären Charakter des Monopols, machen es zum Regulator der Konkurrenz (Halm), oder zum konstitutiven Faktor der kapitalistischen Wirtschaft (Egner), m i t einem Wort, weit entfernt, den nahen Untergang der kapitalistischen Produktionsweise zu künden, wird das Monopol bei diesen Autoren zum Retter des Kapitalismus, zur Verhinderung des Sozialismus. Damit tritt der apologetische Charakter dieser Auffassungen klar zutage. Von den anerkannten Größen unter den neueren bürgerlichen deutschen Nationalökonomen ist vor allem Josef Schumpeter als offener Apologet der Monopole zu nennen. In seinem 1950 erschienenen Buche „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" versucht er nach bekannter Manier von den wirklichen Monopolen abzulenken, sie zu bagatellisieren und ihnen den Monopolcharakter oder zumindest die Monopolwirkung zu nehmen. Zum anderen stellt er die Monopole als die der freien Konkurrenz überlegene Form der kapitalistischen Marktbeeinflussung dar. In dem genannten Buche meint Schumpeter, das Wort Monopol sei zu einem „Schimpfnamen" und einem „Kinderschreck" (S. 164) geworden, sehr zu unrecht. Denn erstens könnten „Fälle langfristigen Monopols nur sehr selten vorkommen" (S.162) und zweitens könne die Stellung eines ,,,einzigen Verkäufers' im allgemeinen nur unter der Bedingung erobert und während Jahrzehnten gehalten werden, daß er sich nicht wie ein Monopolist benimmt" (S. 163). Das ist das alte Lied: die Monopole sind überhaupt keine Monopole, sie haben keine Wirkung: einen Monopolkapitalismus gibt es gar nicht! Die hohen Profite, • die von den Monopolen jahrzehntelang eingeheimst werden, existieren also nur in

B e i t r a g zur Monopoltheorie

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der Phantasie! Schumpeter konzidiert den Monopolisten durchaus positive Qualitäten. Er schreibt: „ I n Wirklichkeit stehen jedoch dem Monopolisten überlegene Methoden zur V e r f ü g u n g , die der Menge der Konkurrenten entweder nicht oder nicht so rasch zur V e r f ü g u n g stehen; denn es gibt Vorteile, die zwar auf dem Konkurrenzniveau der Unternehmungen nicht völlig unerreichbar, jedoch tatsächlich nur auf dem Monopolniveau gesichert sind, zum Beispiel weil die Monopolisierung die Einflußsphäre der helleren K ö p f e erweitern und die der schwächeren einengen kann, oder weil das Monopol ein unverhältnismäßig viel höheres finanzielles Ansehen genießt" (S. 165/66).

Wer andrer Meinung ist, der gehört nach Schumpeter eben in die Kategorie der schwachen Köpfe. Die hellen Köpfe aber, so versichert uns Schumpeter, können mit dem Monopol auch gar nichts anfangen, denn selbst wenn die Festsetzung hoher Monopolpreise das einzige Ziel wäre, würde das Monopol doch unter dem Druck verbesserter Produktionsmethoden nichts anderes können, als „ d a s Werk des Konkurrenzmechanismus vollziehen" (S. 166/67). Die hellen Köpfe in den Konzernleitungen werden dem Professor für diese Entdeckung gewiß dankbar sein. Nachdem er somit die Harmlosigkeit der großen Monopole postuliert hat, indem er sie als Nicht-Monopole hinstellt, kommt Schumpeter auf die „echten" Monopolsituationen zu sprechen, die auf kurze Sicht sehr viel häufiger sind: „Der Dorfkrämer am Ohio kann während einer Überschwemmung für Stunden oder sogar Tage ein wirklicher Monopolist s e i n " (S. 167). Im Dorfladen am Ufer des Ohio liegt also das Wesen des Monopolproblems, und nicht in den Zentren der Stahl- und Eisenindustrie, nicht in den Kontoren der Bank-, Versicherungs- und Handelskonzerne! Der Dorfkrämer hat es fertiggebracht, „den Glanz, der einst die vollkommene Konkurrenz umgab, zu trüben" (S. 169). Aber schnell geht Schumpeter wieder zu den neuen Produktionsmethoden über, die die vollkommene Konkurrenz beseitigen (S. 172) und schließlich die hellen Köpfe wieder an die Reihe bringen (S. 174). Und so kommt Schumpeter zu dem Schluß, da die Großunternehmung als kräftigster Motor des Fortschritts gilt „ i s t die vollkommene K o n k u r r e n z nicht allein unmöglich, sondern auch unterlegen, und sie kann keinen Anspruch erheben, als Muster idealer Leistungsfähigkeit zu g e l t e n " (S. 175).

Schumpeter unterscheidet sich von anderen bürgerlichen Ökonomen dadurch, daß er nicht in der Zirkulationssphäre stecken bleibt, sondern in den Großunternehmen, d. h. in der Konzentration der Produktion die Ursache der modernen Monopole sieht. Aber er tritt gleichzeitig als Apologet des Monopolkapitals auf, indem er gerade diesen Großunternehmen den Monopolcharakter abspricht und ihn dafür dem Dorfkrämer am Ohio zumißt, und indem er den wirklichen Monopolen eine ausschließlich progressive Rolle zuspricht. Von der ungeheuren Ausplünderung der Bevölkerung durch diese Monopole, von ihrem parasitären Charakter u. a. findet sich bei Schumpeter kein Wort. Eine etwas andere Stellung zu den Monopolen nimmt die neoliberale Schule der bürgerlichen Nationalökonomie ein, der so bekannte Leute wie Eucken, Röpke, Böhm, Rüstow, Bundeswirtschaftsminister Erhard u. a. angehören. Die Neoliberalen geben vor, Gegner der Monopole zu sein. Ihr Schlachtruf ist der freie Wettbewerb, die soziale Marktwirtschaft. Schon der Mißbrauch des Begriffs Wettbewerb deutet 3

Probleme Bd. 3

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auf die apologetische A b s i c h t der Neoliberalen hin, wie R o b e r t N e u m a n n r i c h t i g b e m e r k t 2 5 , d e n n dieser Begriff g e h ö r t der sozialistischen P r o d u k t i o n s w e i s e a n . Die Neoliberalen m e i n e n m i t W e t t b e w e r b die k a p i t a l i s t i s c h e K o n k u r r e n z . Sie v e r s u c h e n theoretisch nachzuweisen, d a ß die k a p i t a l i s t i s c h e W i r t s c h a f t a m b e s t e n im neoliberalen Idealmodell, der vollständigen K o n k u r r e n z , f u n k t i o n i e r e . J e d o c h m ü s s e n sie w e h m ü t i g eingestehen, d a ß es b r e i t e W i r t s c h a f t s b e z i r k e gibt, die sich f ü r die M a r k t f o r m der vollständigen K o n k u r r e n z n i c h t eignen, u n d in d e n e n d e s h a l b die Monopole h e r r s c h e n . Das sind a b e r g e r a d e die e n t s c h e i d e n d e n W i r t s c h a f t s b e z i r k e . Da in diesem B a n d e des J a h r b u c h e s ein b e s o n d e r e r A u f s a t z sich m i t der neoliberalen Monopoltheorie a u s e i n a n d e r s e t z t 2 6 , u n d a u ß e r d e m schon f r ü h e r zahlreiche A r b e i t e n d a r ü b e r erschienen sind 2 7 , k a n n ich d a h e r v e r z i c h t e n , n ä h e r d a r a u f einzugehen. Z u m A b s c h l u ß m ö c h t e ich n u r h e r v o r h e b e n , d a ß a u c h das „ a n t i m o n o p o l i s t i s c h e " Idealmodell der Neoliberalen, die vollständige K o n k u r r e n z , n u r zu apologetischen Zwecken a u s g e h e c k t worden ist. In einer n e u e r e n S c h r i f t ü b e r die neoliberale Monopoltheorie w i r d ihr bescheinigt: „ W e n n der K a p i t a l i s m u s g e r e t t e t werden soll, so ist es neoliberal gesehen, h ö c h s t e Zeit, den W e t t b e w e r b u n t e r H e i m a t s c h u t z zu stellen".28 W i r h a b e n eine Reihe (bei weitem n i c h t alle) bürgerlicher Ö k o n o m e n R e v u e passieren lassen, die sich m i t d e m Monopol als solchem b e s c h ä f t i g e n u n d m e i s t als offene Apologeten der m o d e r n e n Monopole a u f t r e t e n . I h r H a u p t a n l i e g e n b e s t e h t d a r i n , die verhängnisvolle H e r r s c h a f t u n d verderbliche Rolle der Monopole zu v e r d e c k e n , i n d e m sie diese verniedlichen, v e r h a r m l o s e n , zu einer bloßen M a r k t f o r m degradieren u n d die wirklichen Monopole als f o r t s c h r i t t l i c h e Gebilde darstellen, die eigentlich nichts m i t d e m Monopolismus zu t u n h a b e n . E s gibt a b e r noch eine a n d e r e A r t der Apologetik des I m p e r i a l i s m u s als Monopolk a p i t a l i s m u s , die weit r a f f i n i e r t e r u n d g e f ä h r l i c h e r ist. Das sind die verschiedenen bürgerlichen Monopolpreistheorien. Sie gehen auf d a s W e s e n der m o d e r n e n Monopole gar n i c h t besonders ein, sondern „ e r f o r s c h e n " n u r die angebliche P r e i s b i l d u n g bei den verschiedenen M a r k t k o n s t e l l a t i o n e n , wie Monopol, Dyopol, Oligopol, Polipol u. a . D a b e i gehen sie m i t einem großen A u f w a n d a n m a t h e m a t i s c h e n F o r m e l n u n d geom e t r i s c h e n F i g u r e n zu W e r k e , o h n e sich u m den realen ökonomischen I n h a l t i h r e r F o r m e l n u n d K u r v e n zu k ü m m e r n . So fehlt allen diesen Theorien die wissenschaftliche ö k o n o m i s c h e G r u n d l a g e , in ihnen wird die W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t d u r c h reine M a t h e m a t i k u n d Geometrie e r s e t z t . D a m i t verlieren alle diese Theorien j e d e n wissens c h a f t l i c h e n C h a r a k t e r , d e n n sie h a b e n a b s o l u t n i c h t s m e h r m i t der ökonomischen 26 Naumann, Robert, Theorie und Praxis des Neoliberalismus. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1957, S. 175. 26 Siehe Turley, Hermann, im vorliegenden Jahrbuch S. 104 £f. 87 Nur eine kleine Auswahl: Rühle, Otto, Zur Theorie der „Wettbewerbsordnung" von Walter Eucken. In: „Wirtschaftswissenschaft", II. Jahrg., H. 5, 1954; Turley, Hermann, „Über die apologetische Monopolkritik der neoliberalen Marktwirtschaftstheoretiker". In: „Wirtschaftswissenschaft", Sonderheft 1955; Naumann, Robert, a. a. 0., Riedel, Hannelore, Die Ziele der „Anti"-Monopoltheorie des Neoliberalismus. In: Monopoltheorie — Monopolpraxis. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1958. 28 Siehe Stocker, Erwin, Die Monopoltheorie des Neoliberalismus. Zürich 1957, S. 5.

Beitrag zur Monopoltheorie

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Wirklichkeit zu tun. Meistens geben das die Vertreter dieser Monopolpreistheorien selbst zu und sprechen damit ihrer Theorie das wissenschaftliche Todesurteil. Dabei könnten wir es bewenden lassen, wenn diese Theorien nicht so außerordentlich gefährlich wären. Ihre Gefährlichkeit besteht darin, daß sie mit ihren zahlreichen, äußerst komplizierten mathematischen Berechnungen und geometrischen Darstellungen — die vom Standpunkt dieser Wissenschaft richtig sein mögen — dem Leser und Studierenden vortäuschen, daß er Wissenschaft betreibe, d. h. daß er Prozesse des wirklichen Wirtschaftslebens vor sich habe und daß in diesem Leben — dem heutigen Monopolkapitalismus — alles mit mathematischer Genauigkeit und geometrischer Exaktheit zuginge. Indem sich der Studierende in die verwickelten Berechnungen und komplizierten Kurven und Figuren vertieft, soll er vergessen, daß es sich dabei um den Monopolpreis handelt, mit dessen Hilfe die Monopolkapitalisten hunderte Millionen Menschen ausbeuten und zu einem Hungerdasein verdammen. Darin liegt die raffinierte und gefährliche Apologetik dieser Theorien! Fast alle diese modernen Monopolpreistheorien schöpfen aus der gleichen trüben Quelle, die mehr als 120 Jahre alt ist, aus der Theorie des französischen Mathematikers und Nationalökonomen Augustin Cournot (1801 bis 1877). Einer der bekanntesten Vertreter der bürgerlichen Monopolpreistheorie, Erich Schneider hat die Bedeutung der Cournot'schen Theorie für die heutige bürgerliche Monopoltheorie in beredten Worten hervorgehoben. Er schrieb: „ F ü r uns Menschen der Gegenwart bekommt die Botschaft Cournots ein anderes Gesicht: Wir erkennen in ihr die geniale Analyse von Wirtschaftsformen und daraus entspringenden Erscheinungen, die für uns nicht mehr Theorie, sondern Wirklichkeit sind. In unserer Zeit erst, in der die überlieferte Wirtschaftsform der freien Konkurrenz durch grundlegende Umwälzungen von Grund auf zerstört worden ist und an ihre Stelle Bindungen auf Produzenten- und Konsumentenseite mit immer mehr sich geltend machendem monopolistischem Charakter getreten sind, ist die Cournot'sche Theorie als das erkannt worden, was sie ist: das Fundament, ohne das eine erfolgreiche Analyse des so komplizierten Monopolproblems eine Unmöglichkeit i s t " (S. 2).

In der Tat finden wir heute fast keine Schrift bürgerlicher Ökonomen über das Monopolproblem, die nicht auf Cournot fußt. Es wimmelt in diesen Schriften nur so von Cournot'schen Kurven, Cournot'schen Schwellen, Cournot'schen Punkten, Cournot'schen Theoremen usw. Theodor Wessel feiert in dem 1959 erschienenen „Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften" Cournot als den „großen Monopoltheoretiker". Wir kommen somit nicht daran vorbei, uns etwas ausführlicher mit den Grundlagen der Cournot'schen Theorie zu befassen. Das ist um so mehr zweckmäßig, als eine kritische Analyse der Cournot'schen Grundkonzeption zugleich die wissenschaftliche Leere und Haltlosigkeit der heutigen bürgerlichen Monopolpreistheorie beweist. Augustin Cournot veröffentlichte im Jahre 1838 ein Buch mit dem Titel: „Untersuchungen über die mathematischen Grundlagen der Theorie des Reichtums". Das Buch kam also zu einer Zeit heraus, als die klassische bürgerliche Ökonomie ihren Höhepunkt erreicht hatte, indem Adam Smith und David Ricardo die Arbeitswerttheorie bis an die vom bürgerlichen Standpunkt aus mögliche Grenze der Vollendung geführt hatten. Zugleich war zu dieser Zeit das moderne Proletariat mit seinen ersten s*

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Klassenschlachten auf der welthistorischen Bühne erschienen (1831 Aufstand der Seidenweber in Lyon) und hatte damit die Totenglocke der bürgerlichen politischen Ökonomie angeschlagen. Es begann der Übergang zur Vulgärökonomie. Es entspricht dieser Situation, daß Cournot nicht von den bürgerlichen Klassikern Smith und Ricardo ausgeht (Ricardo beachtet er überhaupt nicht), sondern von dem flachen Nützlichkeitsapostel Bentham, den Marx als „ein Genie in der bürgerlichen Dummheit" bezeichnete. Cournot beginnt mit der Definition des Begriffes Reichtum und erklärt: „wenn wir Theorie treiben wollen, so müssen wir den Begriff Reichtum dem gleichsetzen, was wir im Begriff Tauschwert zusammenfassen" (S. 2).

Schon an diesem Ausgangspunkt zeigt sich die Brüchigkeit der Cournot'schen Theorie. Nicht allein, daß er Gebrauchswert und Wert verwechselt, und diese Verwechslung zieht sich durch das ganze Werk, sondern er negiert überhaupt den Wert, er betrachtet nur die Wertform und diese wiederum nur als Wertgröße, ohne jemals auf den Inhalt des Wertes, auf die vergegenständlichte Arbeit einzugehen. Cournot geht weit hinter Smith und Ricardo zurück. Doch mehr als das, Cournot verwechselt auch den Tauschwert mit dem Preis, was ihn zu einem hahnebüchenen Unsinn treibt. Davon einige Kostproben: Über die von der holländischen ostindischen Kompanie im 17. Jahrhundert zum Zwecke der Preissteigerung vorgenommene massenhafte Vernichtung von Gewürzen schreibt Cournot: „Jedenfalls ist das eine Tat von Gier, Selbstsucht, im offenkundigen Widerspruch mit den Interessen der Allgemeinheit; und trotzdem ist es klar, daß diese engherzige Handlungsweise, diese Vernichtung von Gütern tatsächlich Reichtum im kommerziellen Sinne des Wortes geschaffen hat. Die Inventur des Verlegers wird mit bestimmten Aktivposten die Wertsteigerung(!) nachweisen" (S. 5).

Und gleich darauf finden wir auch das glanzvolle Gegenstück dazu. Cournot konstruiert einen Fall, wo durch die Neuauflage eines sehr teuren Buches der Preis so sinkt, daß der Verleger angeblich einen Verlust erleidet. Cournot schreibt: „Hier haben wir also eine gewerbliche Unternehmung, eine greifbare Produktion, die dem Buchhändler, der sie unternahm, Nutzen brachte, wie auch all denen, die ihm Material und Arbeit leisteten, eine Produktion, die selbst der Öffentlichkeit nützlich ist, sofern ihr das Buch Belehrung bietet; und doch liegt hier eine wahrhaftige Vernichtung von Reichtum im abstrakten und kommerziellen Sinn des Wortes vor" (S. 6).

Beide groteske Fälle zeigen in eklatanter Weise, daß Cournot weder den gesellschaftlichen Reichtum richtig versteht (denn im ersten Falle wurde natürlich Reichtum vernichtet und im zweiten Falle Reichtum geschaffen, trotz der spekulativen Preisänderungen), noch eine Ahnung von den wirklichen Produktionsverhältnissen der Warenwirtschaft hat, in der sich durch den Wertaustausch die gesellschaftlichen Arbeiten aufeinander beziehen. Aber Cournot geht bewußt den Weg der unwissenschaftlichen hohlen Abstraktion von der Wirklichkeit, er warnt ausdrücklich davor, „das Rationale mit dem Empirischen zu vermischen". (S. 8) Er erklärt offen, daß die praktische Wirklichkeit seiner Methode nicht zugänglich ist und er darum die abstrakten Begriffe braucht:

Beitrag zui Monopoltheorie

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„ W i r wollen lediglich klarstellen, daß die politische Ökonomie in ihrem vornehmen Ziel, das L o s der Menschheit zu verbessern, nicht theoretisch vorgehen kann, einerseits, weil die in B e t r a c h t kommenden Beziehungen exakter Begriffsbildung unzugänglich sind, andererseits wegen der außerordentlichen Kompliziertheit dieser Beziehungen, f ü r die unsere Mittel der K o m b i n a t i o n und Analyse nicht ausreichen" (S. 10).

Im Gegensatz dazu, so heißt es weiter, kann der abstrakte Begriff des Reichtums zum Gegenstand theoretischer Ableitungen gemacht werden! Da er sich um den Wert überhaupt nicht kümmert, kommt Cournot auf seinem abstrakten Weg zu dem logischen Schluß, daß der Wert einer Ware nur durch Beziehen auf andere Waren bestimmt (!) werden kann, und daß es in diesem Sinne nur relative Werte gibt (S. 14); andere suchen, heißt in Widerspruch mit der Begriffsbestimmung des Tauschwerts selbst geraten, der notwendigerweise ein Verhältnis zwischen zwei Größen ausdrückt (S. 17/18). Cournot setzt also den Tauschwert dem Werte gleich, d.h., er verwechselt die Form des Wertes mit dem Wert selbst. Bei ihm wie bei allen seinen Nachbetern verschwindet die Wertqualität, die gesellschaftliche Arbeit. Tauschwert ist ihm nur ein quantitatives, ein Größenverhältnis. Um aber die absoluten Veränderungen im Tauschwert einer Ware mit seiner mathematischen Methode ausdrücken zu können, braucht Cournot einen ruhenden Punkt, eine Ware von absoluter Wertkonstanz (eben weil er von der Wertsubstanz nichts weiß). Aber eine solche wertkonstante Ware gibt es in der Welt nicht. Also hilft sich Cournot mit einer weiteren inhaltlosen Abstraktion: „ A b e r wenn sich keine Ware mit den zu einer vollkommenen K o n s t a n z erforderlichen Eigenschaften findet, so können und müssen wir eine bilden, die natürlich nur ein abstraktes Leben f ü h r t " (S. 19).

Solcher Art also ist das Rüstzeug, mit dem Cournot beim Aufbau seiner „Theorie" zu Werke geht! Damit spürt er dem „Gesetz der Nachfrage" nach, schränkt die Aussagekraft seiner Methode aber selbst ein, indem er erklärt: D a s Gesetz der N a c h f r a g e oder des Absatzes „ h ä n g t offenbar v o m G r a d der Nützlichkeit des Gegenstandes ab, von der Art der Dienste, die er leisten kann, dem Vergnügen, d a s er verschafft, den Gewohnheiten und Sitten jedes Volkes, d e m durchschnittlichen Wohlstand und der A b s t u f u n g , in der der Reichtum verteilt ist. D a so viele moralische Ursachen das Gesetz der N a c h f r a g e beeinflussen, die weder zählbar noch meßbar sind, so darf man von diesem Gesetz nicht erwarten, daß es durch eine algebraische Formel ausgedrückt werden k a n n " (S. 38).

Hier haben wir einen Fingerzeig dafür, warum Cournot zum Ausgangspunkt auch für die subjektivistische Grenznutzenlehre werden konnte. Da er trotz vieler Formeln dem Gesetz der Nachfrage nicht auf die Spur kommen kann, geht Cournot zum Monopol über. Diesen Übergang erklärt er wie folgt: „ M a n muß in jeder A b h a n d l u n g v o m Einfachen z u m Verwickelten fortschreiten. Wenn m a n sich vornimmt, zu untersuchen, nach welchen Gesetzen sich die Preise gestalten, so ist die einfachste Hypothese die des Monopols, wobei dieser A u s d r u c k im engsten Sinn gebraucht ist, das heißt soviel, daß die P r o d u k t i o n der Ware in einer H a n d i s t " (S. 46).

Hier sehen wir den gewaltigen Unterschied zwischen Cournot und Ricardo, wenn dieser Vergleich überhaupt statthaft ist. Ricardo nahm die absolute Herrschaft der

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freien Konkurrenz zur Voraussetzung, um die Gesetze des Kapitals studieren und formulieren zu können. Cournot nimmt genau im Gegenteil das absolute Monopol zum Ausgangspunkt, um die Gesetze des Kapitals verschleiern zu können! Was bringt Cournot mit seiner Methode nun zuwege? Schon die Auswahl der Monopolbeispiele ist charakteristisch: „eine Mineralquelle, der man Heilwirkungen zuschreibt, welche keine andere bietet" (S. 47), „ein Theaterunternehmen (S. 51) und das Brückengeld" („einen anderen Fall einer monopolistischen produktiven Anlage" — S. 52). Aus seinem Monopolfall entwickelt Cournot mit unzähligen komplizierten Berechnungen, Formeln und Zeichen die bekannte Tatsache, daß Preis, Angebot und Nachfrage in einem bestimmten Wechselverhältnis zueinander stehen und daß der Monopolist Preishöhe und Angebotsmenge so kombinieren wird, daß er dabei den größtmöglichen Gewinn erzielt. Das ist der berühmte Cournot'sche Punkt, um den soviel Wesens gemacht wird und der als große wissenschaftliche Entdeckung angepriesen wird. 29 Von der gleichen Art ist auch die Darstellung der „unbeschränkten Konkurrenz", der Cournot ein besonderes Kapitel widmet, und deren Probleme sich ebenfalls bei den heutigen bürgerlichen Ökonomen in mehr oder weniger modifizierter Weise wiederfinden. Cournot selbst hat wiederholt darauf hingewiesen, daß seine Theorie „reine" Wissenschaft sein will und darum für die Erklärung der Wirklichkeit nicht taugt. Noch ein Beispiel dafür: „Es scheint also, daß man bei der vollkommenen und strengen Lösung von Teilproblemen des wirtschaftlichen Systems nicht vermeiden könne, das ganze System zu betrachten. Aber das würde die Kräfte der analytischen Mathematik und unserer praktischen Rechenmethoden übersteigen, selbst wenn alle Werte der Konstanten zahlenmäßig erfaßt werden könnten" (S. 111).

Aber das können sie eben nicht, und außerdem handelt es sich bei der politischen Ökonomie gar nicht um die „Werte der Konstanten", sondern um die Bewegungsgesetze der jeweiligen Produktionsweise. Damit fällt die Cournot'sche Theorie in sich zusammen. Der grundlegende Fehler der Cournot'schen Theorie besteht nicht darin, daß er versucht hat, mathematische und geometrische Methoden auf ökonomische Probleme anzuwenden. Der grundlegende Fehler ist der, daß er den Versuch auf einer solchen abstrakten Grundlage gemacht hat, die keinerlei Beziehung zu den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen hat. Die Prämissen der Cournot'schen Theorie sind nicht echte wissenschaftliche Abstraktionen, Verallgemeinerungen der Wirklichkeit, sondern unter bewußter Mißachtung und Entstellung der Wirklichkeit ausgeklügelte Konstruktionen. Sie geben zwar reichlichen Anlaß zu zahlreichen rechnerischen Spielereien, aber sie haben nichts mit ökonomischer Wissenschaft zu tun. Nehmen wir doch den berühmten „Cournot'schen Punkt". Er besagt, daß die Höhe des Monopolpreises und die Nachfrage in einem Wechselverhältnis zueinander stehen, solcherart, daß im Maße wie der Monopolpreis steigt, die Nachfrage sinkt, mit ihr der Absatz und der Gewinn, so daß ein Punkt erreicht wird, an dem eine 29

Schneider, Erich, Reine Theorie monopolistischer Wirtschaftsformen. 1932, S. 2.

Beitrag zur Monopoltheorie

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weitere Preiserhöhung zu einem solchen Rückgang der Nachfrage führt, daß der Gewinn (Profit) sinkt. Dieser Punkt, der das Gewinn-Maximum fixiert, ist der berühmte Cournot'sche Punkt, oder die Cournot'sche Monopolschwelle. Nun besagt diese Theorie erstens nichts über die Ursachen für die bestimmte Preishöhe überhaupt aus, und sie kann wissenschaftlich nichts darüber aussagen, weil ihr die reale Grundlage, die Arbeitswerttheorie fehlt. Alle modernen Monopolpreistheoretiker, die auf Cournot aufbauen, leugnen die Arbeitswerttheorie und fußen auf der subjektivistischen Grenznutzentheorie — das ist das hauptsächlichste Gebrechen dieser Theorien. Zweitens muß die Nachfrage nach der gleichen Ware durchaus nicht automatisch der Preissteigerung folgen, da ihr ja häufig ein dringendes Bedürfnis zugrunde liegt (Kohle!). In diesem Falle können die Monopolisten einen regelrechten Tribut erheben. Drittens umfaßt die Warenwirtschaft ja nicht den Austausch einer Ware, sondern die Beziehungen der Warenwelt, die eng miteinander verflochten sind. Viertens, wie sollen die Monopolisten denn den Cournot'schen Punkt herausfinden, wenn sie nicht wissen, wie die Nachfrage und die Konkurrenz auf ihre Preispolitik reagiert. Praktisch können sie also mit der Theorie von Cournot nichts anfangen. Das hat W. Lexis schon vor 60 Jahren festgestellt, als er schrieb: „Die Monopolinhaber bestimmen daher den für sie vorteilhaftesten Preis einfach durch Ausprobieren, und es ist keineswegs sicher, daß sie immer den richtigen Punkt treffen und sich nicht durch ihre natürliche Neigung, den Preis möglichst hoch zu halten, irreführen lassen." 30

Aber auch theoretisch ist die Cournot'sche Theorie unbrauchbar, weil sie, wie wir sahen, keinerlei Beziehungen zur ökonomischen Wirklichkeit hat. Ihre Prämissen sind wie gesagt nicht echte wissenschaftliche Abstraktionen, die der Wirklichkeit entsprechen, die sie umfassend und exakt widerspiegeln, sondern Abstraktionen von der Wirklichkeit selbst, Konstruktionen, die der Wirklichkeit widersprechen. Auch das hat Lexis bereits erkannt. Er schrieb: „Cournots Voraussetzungen entsprechen nicht den Bedingungen der wirklichen wirtschaftlichen Erscheinungen und seine Resultate stimmen daher nicht mit der Erfahrung, die je nach den Umständen einen sehr verschiedenen Verlauf der Dinge zeigt." 31

Das ist es also: die Cournot'schen mathematischen Grundlagen der „reinen" Theorie haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun und verdienen deshalb, beiseite geworfen zu werden. Aber just das, was Cournots Theorie untauglich macht, bildet ihren Anziehungspunkt für die moderne bürgerliche Theorie: ihre Wirklichkeitsfremdheit. Sie gestattet es den heutigen bürgerlichen Monopoltheoretikern, unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit über die wichtigste Erscheinung des wirtschaftlichen Lebens unserer Zeit, über die Monopole, zu schreiben, und dabei völlig vom Wesen dieser Monopole, von ihrer verderblichen Herrschaft abzulenken. Es ist daher kein Zufall, daß Cournot, der zu seiner Zeit ziemlich unbeachtet blieb und bald ganz in Vergessenheit geriet, von der bürgerlichen Nationalökonomie gerade in der Periode des Imperialismus neu entdeckt wurde. Das Schicksal der Cournot'schen Theorie ist nicht ohne Interesse für unser Thema. 30 31

Lexis, Wilhelm, a. a. 0., S. 853. Ebenda, S. 854.

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Wie schon erwähnt, blieb Cournot bei Lebzeiten ohne Einfluß und geriet bald ganz in Vergessenheit. Karl Marx, der bekanntlich mit einer Sorgfalt wie kein anderer die ökonomische Literatur seiner Zeit studierte, scheint Cournot's Buch überhaupt nicht gekannt zu haben, jedenfalls habe ich nirgends einen Hinweis darauf finden können. Hingegen k n ü p f t schon in den 70er J a h r e n des vorigen J a h r h u n d e r t s die sogenannte Lausanner Schule (Walras-Pareto) an Cournot an, u m mit der m a t h e m a tischen Methode eine „ r e i n e " Theorie der Wirtschaftswissenschaft zu entwickeln. Auch Jevons, ein Begründer der Grenznutzenlehre, b a u t auf Cournot als dem Meister seiner Methode weiter. Kurz darauf begann auch die Kritik an der Cournot'schen Theorie, die vor allem von Bertrand, Edgeworth, Marshall und Pareto geführt wurde. Diese Kritik setzte sich durch, so daß Cournot schließlich allgemein abgelehnt wurde. Edgeworth, der Hauptwidersacher Cournot's konnte sagen: „Now the demolition of Cournot's theory is generally accepted". Erst in den zwanziger J a h r e n t r a t , wie Erich Schneider hervorhebt, eine Wende ein. Cournot's Buch ist 1924 erstmalig in Deutsch erschienen. Dann t r a t der schwedische Nationalökonom K n u t Wickseil mit seiner „Mathematischen Nationalökonomie" entschieden f ü r Cournot ein. Joseph Schumpeter der bis dahin gegen Cournot aufgetreten war, schloß sich nun der neuen Mode an und wurde begeisterter Anhänger Cournot's, den er als „einen unserer Größten" pries. 32 Bald folgte ein ganzer Strom bürgerlicher Monopolpreistheoretiker, die sich zu Cournot als ihren Vater bekannten und auf ihn weiterbauten. Einige davon werden nachstehend behandelt. Es ist nicht schwer, diese Wende im Schicksal der Theorie Cournot's aus den Zeitläufen zu erklären. Der erste imperialistische Weltkrieg, der auf das Schuldkonto des Monopolkapitals k o m m t , endete mit der E n t s t e h u n g des ersten sozialistischen Landes und der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems. Die ganze imperialistische Welt war von schweren ökonomischen und politischen Krisen geschüttelt. Überall stand der Monopolkapitalismus im Zentrum der Konflikte. J e t z t wurden an die bürgerliche Apologetik weit höhere Anforderungen gestellt als bisher. Es galt den Nachweis zu führen, daß das Monopol eine harmlose gesellschaftliche Erscheinung ist, eine ebenso normale Marktform wie die freie Konkurrenz, daß es streng genommen eigentlich fast gar keine Monopole gibt, und daß Oligopol, Dyopol usw. genauso objektiven, mathematisch exakt zu berechnenden Gesetzen folgen wie andere Marktformen, daß auch die monopolistischen Marktformen zu einem stabilen Gleichgewicht führen, daß daher der Kapitalismus die einzig mögliche Produktionsweise und der Sozialismus zu bekämpfen sei. Dieser Nachweis konnte natürlich nur geführt werden, wenn man vom Wesen der wirklichen Monopole abstrahierte, ihre Herrschaft verdeckte und ihre Wirkung beschönigte. Dafür boten die wirklichkeitsfremden, unwissenschaftlichen Abstraktionen Cournot's eine mehr als erwünschte Handhabe. Sie gaben einmal dank ihrem Alter eine historische Legitimation und as

Schumpeter, Joseph, Zur Einführung der folgenden Arbeit von Knut Wicksell. In „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik", Bd. 58, S. 249, 1927.

Beitrag zur Monopoltheorie

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zum zweiten dank ihrer mathematischen Methode eine ausgezeichnete Gelegenheit, mit dem echt wissenschaftlichen Werkzeug der Mathematik unwissenschaftliche ökonomische Theoreme zu fabrizieren, zum Wohl und Frommen der Monopole. So kam es zur Renaissance der Cournot'schen Theorie. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Cournot-Renaissance ist der bereits erwähnte Erich Schneider. E r veröffentlichte 1932 eine Schrift „Reine Theorie monopolistischer Wirtschaftsformen", die zu einem großen Teil der Ehrenrettung Cournot's gewidmet ist. Schneider zeigt sich aufs tiefste von der Feststellung des CournotKritikers Edgeworth beunruhigt, der an Hand der Cournot'schen Theorie „eine unter der Herrschaft universellen Monopols stehende Wirtschaft durch vollkommene Instabilität charakterisiert; statt Ordnung und Stabilität dauerndes Chaos" (Schneider, a. a. O., S. 96). Diese die Anarchie der kapitalistischen Produktion nicht schlecht kennzeichnende Feststellung Edgeworth's läßt den Apologeten Erich Schneider auf die Schanze springen. E r macht das Studium des ökonomischen Gleichgewichts zum Zentrum seiner Untersuchung und wiederholt mit nimmermüdem Eifer den Satz, daß „die Existenz eines ökonomisch eindeutig bestimmten, stabilen Gleichgewichtszustandes möglich i s t " (S. 83), gerade unter der Herrschaft der Monopole! Welch panischer Schrecken Schneider in den Knochen sitzt, zeigen die folgenden gesperrt gedruckten Ausführungen gegen Edgeworth: „Würde die Existenz eines stabilen Gleichgewichtszustandes in einer solchen Wirtschaftsform nicht gesichert sein, so würden wir uns gegenwärtig in einem Übergangsstadiuni zu einer Wirtschaftsform befinden, deren Charakteristikum Instabilität, dauerndes Fluktuieren nach allen Seiten wäre. M. a. W . : wir würden einem wirtschaftlichen Chaos zustreben, beherrscht vom Zufall und nicht mehr regiert von unerbittlichen wirtschaftlichen Gesetzen" (S. 84).

Wie geht nun Schneider zu Werke? S t a t t die konkreten Produktions- und Austauschbeziehungen im Monopolkapitalismus zu analysieren, konstruiert er vier verschiedene Monopolformen (von denen die drei ersten in der Wirklichkeit nicht existieren), um an ihrem Beispiel mit großem mathematischen Apparat das stabile Gleichgewicht nachzuweisen. Die vier Monopolformen bei Schneider sind: I. Unilaterales Monopol I I . Bilaterales Monopol I I I . Universelles Monopol I V . Mehrfaches Monopol. Wie wirklichkeitsfremd und unwissenschaftlich diese Abstraktionen sind, dafür zwei Beispiele. Unter „unilaterales Monopol" untersucht Schneider in § 2 eine Wirtschaft, „in der die Produktion aller Waren monopolisiert ist, alle zur Produktion nötigen Produktionsfaktoren dagegen freier Konkurrenz unterliegen" (S. 28). Eine solche Wirtschaft kann wahrhaftig nur in einer verdrehten Phantasie existieren, denn jedem vernünftigen Menschen ist klar, daß, wenn alle Waren monopolisiert sind, eo ipso auch die Produktionsfaktoren monopolisiert sind, die j a als Waren ver- und gekauft werden. Den gleichen Unsinn, nur auf den Kopf gestellt, wiederholt Schneider in § 3, in dem „die Produktion aller Waren freier Konkurrenz unterliegt, alle zur Produktion nötigen Produktionsfaktoren dagegen monopolisiert sind" (S. 35).

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Was soll aber die Wissenschaft gewinnen, wenn auf solcher Grundlage mathematisch genaue Schlüsse gezogen werden? Mit der falschen Prämisse fällt die ganze Theorie! Schneider versteht es, geschickt zwischen den Berechnungen und Formeln Bemerkungen über die Nützlichkeit der Monopole für das breite Publikum einzustreuen, die den apologetischen Charakter seiner Arbeit unterstreichen. So schlußfolgert er aus einem Fall des unilateralen Monopols, mit mathematischer Beweisführung versteht sich: „Iiier kann jetzt der Monopolist ohne Schädigung seines Gewinns in vollem Ausmaße eine Preispolitik betreiben, die wirklich ,Dienst am Kunden' und ganz auf die Belange der Konsumenten eingestellt ist" (S. 18).

Schneider erdreistet sich zu behaupten, daß „für Verbraucher und Monopolisten ein Zusammenschluß der letzteren von Vorteil ist" (S. 88). Das Hauptanliegen Schneiders besteht jedoch in dem Nachweis, daß trotz der Aufhebung des Marktautomatismus der freien Konkurrenz, im Monopolkapitalismus ein ökonomisch eindeutig bestimmter stabiler Gleichgewichtszustand möglich ist, daß kein Chaos droht und daß trotz aller Monopole die kapitalistische Welt die beste aller Welten ist. Und diese Erkenntnis ist eben Cournot zu verdanken. Unserer Zeit, so schließt Schneider, ist es vorbehalten geblieben, „die Cournot'sche Lösung des Polypolproblems als das zu erkennen, was sie ist: die geniale, unter ihren Voraussetzungen (!) einzige mögliche Lösung eines zentralen ökonomischen Problems von eminenter Bedeutung" (S. 175).

Was den praktischen Wert seiner Gleichgewichtstheorie für die Festsetzung des Monopolpreises anbelangt, so muß auch Schneider eingestehen, daß die „Nachfragekurve" in der Regel unbekannt ist, und der Monopolist sich „tastend" den Weg zum richtigen Angebot suchen muß. Diese „experimentielle Ermittelung des Monopolpreises" geschieht so, daß der Monopolist „durch Preisvariationen festzustellen versucht", ob er sich oberhalb oder unterhalb des Monopolpreises befindet (S. 16). Von den neueren bürgerlichen Monopolpreistheoretikern muß weiter Heinrich von Stackelberg erwähnt werden, der auf die heutige bürgerliche Ökonomie einigen Einfluß ausübt. Auch Stackelberg knüpft an Cournot an und hat auf ihn fußend die mathematische Methode weiter entwickelt. Voraussetzung dieser Methode ist aber, daß alle ökonomischen Kategorien quantifiziert werden, womit auch bei Stackelberg der qualitative Inhalt dieser Kategorien völlig entschwindet. 1932 veröffentlichte Stackelberg ein Buch „Grundlagen einer reinen Kostentheorie", worin diese Quantifizierung der ökonomischen Kategorien bereits klar zutage tritt. Der Autor erklärt über das Kostenproblem: „Das zu lösende Problem ist ein quantitatives. Es handelt sich stets um Relationen zwischen Gutswertgrößen und Gutsmengengrößen" (S. 1).

Nimmt man diese Prämisse an, dann kann man Stackelberg zustimmen, daß die geeignetsten Mittel für die Durchführung einer quantitativen Analyse die Mathematik bietet. Aber ist denn die Prämisse richtig? Wir dürfen uns nicht durch den Ausdruck Gutstverigrößen täuschen lassen, denn eine wissenschaftliche Werttheorie hat Stackelberg nicht. Er bekennt sich ausdrücklich zur Knappheitstheorie Cassels.

Beitrag zur Monopoltheorie

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Ohne W e r t t h e o r i e kann aber auch die „ K o s t e n t h e o r i e " nicht wissenschaftlich begriffen werden. Natürlich verschwinden bei Stackelbergs q u a n t i t a t i v e r T h e o r i e die K a t e g o r i e n konstantes und variables K a p i t a l , das heißt, es verschwindet die Ausbeutung der Arbeiterklasse, die Entstehung des Mehrwerts. Was

die Monopoltheorie

anbelangt,

so

führt

auch Stackelberg den

mathe-

matischen Nachweis, daß der Monopolkapitalismus aller Widersprüche H e r r wird. In seinem X X I I . Lehrsatz verkündet er: „ D i e monopolistisch organisierte, erwerbswirtschaftlich orientierte Produktion funktioniert s t e t s " (S. 48). Stackelberg muß j e d o c h zugeben, daß die Monopole preiserhöhend wirken. E r schreibt am E n d e seiner Untersuchungen: „ W i r wissen auf Grund des Satzes ( X X I ) , daß der Monopolpreis stets größer ist als die Grenzkosten, während der Konkurrenzpreis ihnen gleich ist" (S. 79). Schließlich k o m m t Stackelberg in dieser A r b e i t zu d e m Ergebnis, daß das erwerbswirtschaftliche Prinzip „ i m P o l y p o l und erst recht im Monopol volkswirtschaftlich weniger r a t i o n e l l " wirke, als in der freien Konkurrenz. Es ist also nicht zu verkennen, daß Stackelberg hier noch einige neoliberale Scheinargumente gegen die Monopole vorbringt, die aber dem apologetischen Charakter seiner Theorie keinen Abbruch tun. I m Jahre 1934, ein Jahr nach Errichtung der faschistischen D i k t a t u r in Deutschland, trat Stackelberg m i t einem Buch auf, das er dem gleichen P r o b l e m w i d m e t e , das Schneider so sehr beunruhigt hatte, dem Gleichgewichtsproblem. D e r

Titel

lautet auch „ M a r k t f o r m und G l e i c h g e w i c h t " . Stackelberg stellt sich darin die A u f gabe, das Gleichgewicht

in allen denkbaren

(!!)

M a r k t f o r m e n zu

untersuchen.

D a v o n ausgehend, daß j e d e Marktseite die drei Grundformen Monopol, Oligopol und freie K o n k u r r e n z habe, konstruierte Stackelberg nun aus deren Wechselbeziehungen neun verschiedene M a r k t f o r m e n . J e d e dieser M a r k t f o r m e n w i r d unter die m a t h e matische L u p e genommen, weil nach Stackelberg der e x a k t e Beweis f ü r das Gleichg e w i c h t nur auf mathematischem W e g e geführt werden kann (S. 12/13). A b e r da diese Beweisführung trotz aller Berechnungen zu keinem exakten Resultat über die Monopolpreisbildung führt, muß Stackelberg eingestehen, daß es letzten auf das Verhalten

Endes

der Monopolisten ankomme. So vollendet sich die K a p i t u l a t i o n

der Ökonomie, indem sie über den W e g der M a t h e m a t i k bei der Psychologie landet. Es hat v o m S t a n d p u n k t der ökonomischen Wissenschaft gar keinen Sinn, Stackelberg in das über v i e r K a p i t e l ausgebreitete D i c k i c h t mathematischer F o r m e l n und T a b e l l e n zu folgen. Denn am E n d e dieses W e g e s stellt er f e s t : „ E s ist eigentlich selbstverständlich, daß das theoretische Bild, das in den ersten vier Kapiteln dieser Arbeit abgeleitet wurde, nicht unmittelbar die Wirklichkeit beschreibt" (S. 95). A b e r vielleicht entspricht dieses Bild mittelbar der W i r k l i c h k e i t ? Vielleicht ist es eine echte wissenschaftliche A b s t r a k t i o n , eine theoretische Verallgemeinerung, die die W i r k l i c h k e i t widerspiegelt? Ganz und gar n i c h t ! Stackelberg s a g t : „Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt — und sie sind in der Realität niemals ( ! ) erfüllt—dannmuß das Verhalten der wirklichen Individuen untersucht und erst daraus die effektive Preisbildung abgeleitet werden" (S. 95).

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Wozu dann aber der ganze scheinwissenschaftliche Aufwand, wenn er doch zu nichts anderem führt, als die ökonomische Wissenschaft der Psychologie zum Opfer zu bringen? Zwar ist die Psychologie auch eine Wissenschaft, die auf ihrem Gebiet zu durchaus wertvollen Forschungsergebnissen führt, aber sie hat nichts in der politischen Ökonomie zu suchen, die nach den objektiven Gesetzen der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse fragt. Die Flucht der bürgerlichen Ökonomen in die Psychologie, die Frage nach der Verhaltensweise der Individuen im Wirtschaftsprozeß, hat noch eine andere schillernde Blüte der bürgerlichen Apologetik hervorgebracht, die sogenannte Spieltheorie, auf die zum Schluß kurz eingegangen wird. Doch zunächst weiter zu Stackelberg. Eine Stelle fast am Schluß des zitierten Buches läßt uns aufhorchen. Nachdem Stackelberg in geschilderter Weise den Bankrott der bürgerlichen Ökonomie verkündet hat, kommt er zu dem alarmierenden Schluß, die Unverträglichkeit des Zirkulationsmechanismus bedeute „praktisch eine Gefährdung und Störung des ganzen volkswirtschaftlichen Apparates . . . Sie ist zugleich eine Kraft, die auf eine Umformung der Organisation der Volkswirtschaft tendiert" (S. 99). Worauf will Stackelberg hier hinaus? Dämmert ihm etwa eine Ahnung, daß das Monopol den Untergang des Kapitalismus und den Ubergang zum Sozialismus ankündet? Aber nein! Die neue Form der volkswirtschaftlichen Organisation erwartet Stackelberg von einem starken Staat ! Voller Begeisterung stimmt er den faschistischen Ökonomen de'Stefani und Luigi Amoroso zu, die verkündeten, daß „die Wirtschaft deshalb der ordnenden, verbindenden und ausgleichenden Leitung durch den Staat bedürfe. Das sei die wirtschaftliche Funktion des korporativen (d. h. italienischfaschistischen! - F. O.) Staates" (S. 102).

Dieser Auffassung können wir voll zustimmen, jubiliert H. v. Stackelberg! Die korporative, d. h. faschistische Organisation des Marktes ist es nach Stackelbergs Meinung, die „ein neues Gleichgewicht verwirklicht" (S. 105). So ist H. v. Stackelberg konsequent den Weg zu Ende gegangen, von der Verteidigung der Monopole zum Klopffechter des faschistischen Staates. Nach seinem Tode (1946) wurde aus seinem Nachlaß noch ein Buch „Grundlagen der theoretischen Volkswirtschaftslehre" herausgegeben. Auch hier behandelt Stackelberg noch einmal die Monopoltheorie, natürlich ebenfalls als reine Marktangelegenheit, sie kommt erst im IV. Teil, bei der Preisbildung, zur Behandlung. Das heißt, Stackelberg gibt auch hier nur eine Monopolpm'stheorie. Wiederum werden verschiedene Marktformen angenommen, wie die vollständige Konkurrenz, das Angebotsmonopol, das Nachfragemonopol, das zweiseitige Monopol, das Oligopol und die unvollständige Konkurrenz. Alle diese Formen werden nach Cournot'scher Manier in unzähligen komplizierten Formeln und geometrischen Figuren abgehandelt, daß dem Studenten nur so der Schädel kracht. Frage man sich aber, welches die wissenschaftliche Grundlage dieser Theorie ist, was diese komplizierte Preistheorie in der Wirklichkeit erklärt, inwieweit sie den tatsächlichen Monopolpreisen auf die Spur kommt, dann versagt die ganze Theorie genauso, wie einst die Cournot'sche Theorie versagte. Stackelberg selbst gesteht : „Die Theorie hat gezeigt, daß die Preisbildung auf gleichgewiclitslosen Märkten aus den allgemeinen Prämissen nicht zureichend erklärt werden kann, weil die logische Deduktion

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hier mit Kampfsituationen endet. D a m i t muß die Idee einer geschlossenen allgemeinen Preistheorie, wie sie der klassischen und auch der neueren Nationalökonomie vorgeschwebt hat, fallen gelassen werden" (S. 247/48).

Und dann k o m m t Stackelberg durch all seine Kurven und Linien schließlich zu genau dem gleichen Schluß wie 50 J a h r e vorher Lexis: „Die Ermittlung der Grenzkosten, die zur Bestimmung des Monopolpreises auf dem Absatzmarkt erforderlich wäre, wird meist unterlassen. Statt dessen wird zu den gesamten Stückkosten ein Gewinnanteil hinzugeschlagen. Dieser Gewinnanteil ist innerhalb der Preiskalkulation eine statistische Größe, ,mit der sich der Kalkulator an den erreichbaren Marktpreis heranfühlt' " (S. 251).

Das ist also der Fortschritt in einem halben J a h r h u n d e r t bürgerlicher Monopolpreistheorie: Vom „Ausprobieren" des Monopolpreises ist sie bis zum „ H e r a n f ü h l e n " gekommen! Wir haben schon oben das Eingeständnis Cournots kennengelernt, daß es die Kräfte der analytischen Mathematik überschreitet, das ganze Volkswirtschaftssystem zu betrachten. Auch Stackelberg sieht sich zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gezwungen, indem er schreibt: „ V o m theoretischen Bild weicht die Preisbildung unter den angegebenen Bedingungen insofern ab, als die tatsächlichen Preise stark ,historisch' b e s t i m m t sind und aus den jeweils wirkenden Kräften nicht vollständig abgeleitet werden können. Aber das gilt mehr oder weniger für die tatsächliche Preisbildung ganz allgemein" (S. 254).

Aus dem vollen Versagen, die tatsächliche Preisbildung im Monopolkapitalismus zu ergründen, flüchten sich die bürgerlichen Monopolpreistheoretiker — wie wir sahen — in die psychologische Frage nach den Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. Aus dieser Fragestellung leiteten 1944 der Mathematiker J o h n v. Neumann und der Nationalökonom Oskar Morgenstern die sogenannte Spieltheorie ab, die wohl die jüngste Blüte im Sumpf der bürgerlichen Monopolapologetik darstellt. In Westdeutschland versuchte Rudolf Richter sie zu verbreiten, der 1954 eine Schrift über „Das Konkurrenzproblem im Oligopol" veröffentlichte. Richter will sich m i t dem Problem der rationalen Verhaltensweise im Oligopol beschäftigen. Nachdem auch er Cournot als den Begründer der modernen Preistheorie gepriesen h a t (S. 13), will er „die Voraussetzungen f ü r die Anwendbarkeit der Spieltheorie schaffen" (S. 60). Die Verhaltensweise der Teilnehmer am Markt wird einem Spiel verglichen, wobei das völlige Beherrschen der Spielregeln unterstellt wird. Richter schreibt: „ E s bestellt kein Zweifel: eine Partie Schach, Poker oder Skat kann nur dann gespielt werden, w e n n die einzelnen Teilnehmer wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Nötigenfalls ist ihnen anzuzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten sie besitzen, was erlaubt und was verboten ist, und sie haben sich diesen Vorschriften zu fügen, w e n n sie keine Spielverderber sein wollen. Ein Spiel wird also durch bestimmte Gesetze, durch die Spielregeln, beschrieben, und die Teilnehmer können nur dann vernünftig spielen, w e n n jeder die Spielregeln einwandfrei beherrscht und einhält" (S. 79).

Es scheint auf den ersten Blick als ein Gipfel der Absurdität, den Marktkampf als Schach- oder Skatspiel aufzufassen, wie es die Anhänger der sogenannten Spieltheorie t u n . Doch Rudolf Richter übertrifft noch diesen Gipfel, indem er allen Ernstes behauptet, daß der „ U r s p r u n g wirtschaftlicher Handlungen oder Phäno-

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mene aus dem Spiele zu erklären" sei (S. 77) und sich dabei auf die unsinnige Erklärung Karl Büchers s t ü t z t : „Das Spiel ist älter als die Arbeit". Da hätten die Menschen also erst mal tüchtig gespielt, und erst als sie merkten, daß sie ohne Nahrung nicht leben können, sind sie auf den Gedanken gekommen, sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu erwerben. Wovon sie gelebt haben, solange sie spielten, ohne zu arbeiten, mag Allah wissen! Diesen blühenden Blödsinn sucht Rudolf Richter mit dem Hinweis darauf zu stützen, daß „wir in der üblichen Sprache der Wirtschaft eine Anzahl Ausdrücke der Spielerfahrungen" finden, wie „gewagtes Spiel", „hoher Einsatz", „Spielregeln der Goldwährung" u. a. (S. 78). Wie ein Schach- oder Skatspieler entwickelt nach dieser famosen Theorie der Monopolist oder Oligopolist seine „Strategie", seinen „Plan", macht danach seine Preise, kalkuliert nach den Spielregeln das Reagieren seines Partners, die „Verhaltensweise" . . . und „was jeder Anbieter am Ende des Planungszeitraumes in der Kasse hat, ist dann sein Spielgewinn" (S. 100), den er wohlweislich seinem Spielpartner auf dem Markt abknöpft, nicht etwa in Form von Mehrwert den Arbeitern im Betrieb abpreßt! Das alles wird wiederum mit komplizierten mathematischen Formeln, mit Diagrammen und geometrischen Figuren „streng wissenschaftlich" (mit Hilfe der Kombinatorik und ähnlicher mathematischer Methoden) abgehandelt. Es zeigt den ganzen Tiefstand der heutigen bürgerlichen Apologetik, daß solche unsinnigen Darlegungen als ernsthafte Wissenschaft diskutiert werden! Dabei landet auch diese neueste Variante der mathematischen Monopolpreistheorie bei dem gleichen traurigen Ende wie Cournot, Stackelberg u. Co., nämlich bei dem Eingeständnis ihrer eignen Pleite. Rudolf Richter schreibt am Ende seiner Ausführungen: „ K a n n mit Hilfe der Spieltheorie das Problem rationaler Verhaltensweise im Duopol auch gelöst werden, so stehen wir damit noch lange nicht am Ende der generellen Duopolanalyse. Denn da in Wirklichkeit die Spielregeln immer nur lückenhaft bekannt sein können, so dürfte der Min-Max-Kalkül als Maßstab rationaler Verhaltensweise für den Unternehmer unzureichend sein. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob die Unternehmer in der Realität überhaupt das Konkurrenzproblem durch streng rationales Verhalten allein bewältigen können. Der Unternehmer muß einfach den Mut haben, das ,Spiel zu wagen', er muß ,risikofreundlich' und (unternehmungslustig' sein" (S. 103).

Damit schließt sich der Kreis. Die „reine" Theorie des Monopols und des Monopolpreises, die dem Schöße Augustin Cournots entsprang, hat sich nach hundertjährigem Aufenthalt im Luftreich inhaltloser Abstraktion als Mißgeburt entpuppt, die die Wissenschaft der Lösung des Problems nicht näher gebracht hat, dafür aber ausgezeichnet der Verteidigung des Monopolkapitals zu dienen vermag. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die bürgerliche Monopoltheorie infolge ihrer bewußten Absicht, den Monopolkapitalismus gegen den Sozialismus zu verteidigen, jeden wissenschaftlichen Wertes bar ist. Sie will von der Herrschaft der Monopole, vom Klassenkampf gegen die Monopole ablenken, und darum kann sie nicht das Wesen der modernen Monopole erklären. Ihr Klassenstandpunkt ist es, der ihr den Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis des Monopols versperrt. Zum Abschluß sei noch ein Wort zur Anwendung mathematischer Methoden in der politischen Ökonomie gestattet. Diese mathematischen Methoden werden ja in den bürgerlichen Monopoltheorien besonders umfangreich angewandt und sind sehr

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geeignet, diesen Theorien einen seriösen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Ich möchte behaupten, daß der wissenschaftliche Wert dieser Theorien und Methoden äußerst gering, in den meisten Fällen gleich null ist, weil dieVoraussetzungen, von denen diese Theorien ausgehen, durchweg falsch sind. Alle Anhänger dieser Theorien verneinen die Arbeitswerttheorie und ersetzen sie durch die Grenznutzentheorie, sie verneinen die Mehrwerttheorie und ersetzen sie durch die Grenzkosten-, Kapitalrenten- und Zinstheorie usw. Was soll denn bei dieser Entfernung von der ökonomischen Wirklichkeit noch Nützliches für die ökonomische Wissenschaft herauskommen? Alle Wert-losen Monopolpreistheorien sind wissenschaftlich wertlos. F ü r eine Anwendung der mathematischen Methode in der politischen Ökonomie des Kapitalismus, der ja eine anarchische Produktionsweise ist und bleibt, ist nur eine sehr schmale Basis vorhanden. Einer der hervorragendsten Vertreter der mathematischen Nationalökonomie, Knut Wicksell, hat dies selbst betont, als er schrieb: „Da nämlich die Daten, über welche die Nationalökonomie verfügt, größtenteils nicht einmal statistischer Art, sondern nur so sind, wie die unmittelbare Beobachtung sie an die Hand gibt, kann das Ergebnis unserer Untersuchungen auch im besten Falle nur sehr rudimentär sein . . ." 3 3

Ist also die Aussagekraft der mathematischen Methoden bei der Erforschung des Kapitalismus sehr gering, so ist die Gefahr ihres apologetischen Mißbrauches um so größer. W . I . L e n i n hat darauf hingewiesen, daß seinerzeit dieMathematisierung der Physik die erste Ursache des „physikalischen" Idealismus war. „Der große Erfolg der Naturwissenschaft, die Annäherung an so gleichartige und einfache Elemente der Materie, deren Bewegungsgesetze sich mathematisch bearbeiten lassen, läßt die Mathematiker die Materie vergessen." 34

Lenin zitiert den französischen Philosophen Abel Rey, der schrieb: „Die Krise der Physik besteht in der Eroberung der Physik durch den Geist der Mathematik . . . Die Elemente als reale, objektive Gegebenheiten, d. h. als physische Elemente, sind ganz verschwunden. Übrig geblieben sind formale Relationen, ausgedrückt in Differentialgleichungen Der abstrakte Begriff tritt an die Stelle der realen Elemente." 3 6

Trifft diese Kennzeichnung nicht haargenau auf die bürgerlichen mathematischen Monopoltheorien zu ? Auch sie wurden vom Geist der Mathematik erobert. Die ökonomischen Kategorien als reale, objektive Gegebenheiten, d. h . als ökonomischer Ausdruck gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, sind ganz verschwunden. Übriggeblieben sind formale Relationen, ausgedrückt in Differentialgleichungen! Nun wird es keinem vernünftigen Menschen einfallen, etwa eine strenge Trennung von Physik und Mathematik zu fordern. Die Physik darf nur ihren Gegenstand nicht verlieren! Ebensowenig fällt es mir ein, etwa die Verbannung mathematischer Methoden aus der politischen Ökonomie zu fordern. Aber auch die politische Ökonomie darf dabei ihren Gegenstand, die gesellschaftliche Produktion, nicht verlieren! Ich bin überzeugt, daß unter sozialistischen Produktionsverhältnissen, bei gesellschaft33 Wickseil, Knut, Mathematische Nationalökonomie. In: „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik", a. a. 0 . , S. 256/57. 31 Lenin, W. I., Materialismus und Empiriokritizismus. Moskau 1947, S. 330. 36 Ebenda, S. 329-30.

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licher Planwirtschaft, die mathematischen Methoden (und die modernen Rechenmaschinen) eine große Rolle spielen werden, weil unter diesen Bedingungen die Wirtschaftswissenschaft in der Lage sein wird, die richtigen Voraussetzungen dafür zu erarbeiten. Aber ohne dies geht's nicht. Die beste Elektronenmaschine wird falsche Resultate hervorbringen, wenn ihr falsche Aufgaben gestellt werden. Gerade so, wie es heute den bürgerlichen Monopoltheorien ergeht, denen die richtigen Prämissen fehlen. Wir sollten uns deshalb auch von dem imponierenden mathematischen Beiwerk dieser Theorien nicht bluffen lassen. Da sie die richtigen Prämissen bewußt ausschalten, dient das ganze mathematische Feuerwerk nur dem niedrigen apologetischen Zweck, die Herrschaft des Monopolkapitalismus zu rechtfertigen.

III. ZUM

MONOPOLBEGRIFF

Die Voraussetzung für fruchtbringende wissenschaftliche Arbeit und besonders für wissenschaftliche Diskussionen ist Klarheit über die Begriffe. Wir haben gesehen, daß die bürgerlichen Nationalökonomen den Monopolbegriff so allgemein definieren, daß jede historische Konkretheit dabei verlorengeht, und vor allem die wirklichen Monopole, die heute die Wirtschaft in den kapitalistischen Ländern beherrschen, aus dem Monopolbegriff herausfallen, zu Nicht-Monopolen erklärt werden. Es kommt aber bei der Bestimmung des Monopolbegriffes heute gerade darauf an, mit diesem Begriff das Wesen des Monopols als Hauptmerkmal des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus zu erfassen. Auch in der marxistischen ökonomischen Literatur, ist der Monopolbegriff durchaus nicht so klar herausgearbeitet, wie es angesichts der großen Bedeutung der Monopole im modernen Kapitalismus erforderlich wäre. Was meinen wir denn, wenn wir von den Monopolen sprechen, die das entscheidende Merkmal des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus sind? Auf den ersten Blick scheint dies «ine überflüssige Frage zu sein; indessen zeigt schon ein wenig Nachdenken, daß diese Frage doch eine Diskussion wert ist. Die kapitalistische Produktionsweise ist von mancherlei Monopolen durchsetzt. So besteht in ihr das Monopol des Privateigentums an Grund und Boden. Seine •ökonomische Bedeutung ist bekannt, es bildet die Voraussetzung der Grundrente. Die absolute Grundrente ist überhaupt ein Produkt des Bodenmonopols. Das Bodenmonopol verschmilzt, wie sich noch zeigen wird, mit dem eigentlichen modernen Monopol. Trotzdem meinen wir nicht das Bodenmonopol, wenn wir vom monopolistischen Kapitalismus reden. Die kapitalistische Produktionsweise beruht auf dem Monopol des Privateigentums an den Produktionsmitteln, das ein ausgesprochenes Klassenmonopol ist. Die Arbeiterklasse ist von diesem Monopol ausgeschlossen. Ihre Ausbeutung beruht auf diesem Monopoleigentum der Kapitalisten an den Produktionsmitteln. Und doch

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darf auch dieses Monopol nicht mit den modernen Monopolen identifiziert werden, denn es ist die allgemeine Grundlage sowohl des Monopols wie der Konkurrenz. Auch die letztere ist ohne das Eigentumsmonopol gar nicht möglich. Das moderne Monopol, um dessen Begriffsbestimmung es geht, entwickelt sich auf der Grundlage des Eigentumsmonopols, es ist sozusagen ein Monopol im Quadrat. Weiter gab und gibt es alle möglichen staatlichen Monopole, wie Branntweinmonopol, Tabakregie u. a. Das wichtigste dieser Art Monopole ist heute das wohl in allen entwickelten kapitalistischen Ländern bestehende staatliche Monopol der Banknoten-Emission. Die große volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Monopols dürfte kaum umstritten sein. Es dürfte aber ebenso klar sein, daß wir mit der Bezeichnung Monopol nicht dieses spezifische Monopol meinen. Weitere Monopole bestehen infolge der Rechtsordnung, wie Patentrecht, Markenschutz u . a . Diese Monopole sind zwar heute meist mit den modernen Monopolen sehr eng verknüpft, die meisten Monopole, besonders in der Produktion, haben Dutzende solcher rechtlichen Monopole und heimsen dadurch riesige Profite ein (z. B. durch Lizenzverkauf). Und dennoch sind auch die rechtlichen Monopole nicht mit dem modernen Monopol gleichzusetzen. Alle diese verschiedenen Monopole bestehen in der kapitalistischen Produktionsweise bis auf den heutigen Tag fort, sie sind die Grundlage des modernen Monopols oder verflechten sich mit ihm, aber sie sind mit dem modernen Monopol nicht identisch. Im Abschnitt I wurde gezeigt, wie Marx und Engels das Monopol als Korrelat der Konkurrenz auffaßten. Nach Marx findet man in der Praxis des Lebens nicht nur Konkurrenz, Monopol und ihren Widerstreit, sondern auch ihre Synthese, die ,,nicht eine Formel, sondern eine Bewegung ist". Meines Erachtens haben wir hier den wissenschaftlichen Ausgangspunkt für das Verständnis deä modernen Monopols denn die Marx'sehe These besagt, daß die innere Gesetzmäßigkeit der Konkurrenz, mit Notwendigkeit das Monopol hervorbringen muß, während das Monopol sich nur behaupten und seinen Zweck (den Monopolprofit) erfüllen kann, indem es wieder in die Konkurrenz eintritt. Diese Gesetzmäßigkeit wirkt aber in verschiedenen Ges sellschaftsepochen verschieden und führt zu verschiedenen Resultaten, denn es ist ein wesentlicher Unterschied, ob wir es mit der Konkurrenz unter einfachen Warenproduzenten und Händlern oder mit der Konkurrenz unter kapitalistisch-industriellen Warenproduzenten zu tun haben. Darum müssen wir den Prozeß der Herausbildung des Monopols aus der Konkurrenz im Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise verstehen. Eben deshalb können uns die allgemeinen Begriffsbestimmungen des Monopols, die wir bei den bürgerlichen Ökonomen fanden, nicht weiterhelfen. Sie können die Frage nur verwirren. Den theoretischen Ausgangspunkt für die Bestimmung des Monopolbegriffs finden wir im 23. und 24. Kapitel des ersten Bandes des „Kapital", in dem Marx seine Konzentrationstheorie entwickelt. Hier weist Marx nach, daß die Konkurrenz die Kapitalisten dazu zwingt, einen Teil des Mehrwertes zu akkumulieren, und diese Akkumulation unvermeidlich zur Konzentration des Kapitals und der Produktion führt. Die Konzentration wird noch mehr gefördert durch die Zentralisation des i

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Kapitals, die „Verwandlung vieler kleinerer in wenige größere Kapitale". Marx schreibt: „Das Kapital kann hier zu gewaltigen Massen in einer Hand anwachsen, weil es dort vielen einzelnen Händen entzogen wird. In einem gegebnen Geschäftszweig hätte die Zentralisation ihre äußerste Grenze erreicht, wenn alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelkapital verschmolzen wären." 36

Gerade an diese Darstellung von Marx knüpft Friedrich Engels in einer Fußnote die Bemerkung an, daß die englischen und amerikanischen Trusts dieses Ziel anstreben, „indem sie versuchen, wenigstens sämtliche Großbetriebe eines Geschäftszweiges zu einer großen Aktiengesellschaft mit praktischem Monopol zu vereinigen". Die Konzentration der Produktion und des Kapitals ist in der Tat der historische und der logische Ausgangspunkt für die Entstehung des modernen Monopols. Sie wird auch von allen marxistischen Ökonomen bei der Bestimmung des Monopolbegriffs mit Recht in den Vordergrund gerückt. Nicht richtig ist es aber zu meinen, mit dem Hinweis auf die Konzentration allein sei der Begriff, der spezifische Charakter des modernen Monopols bereits ausreichend gekennzeichnet. Ich darf darauf hinweisen, daß bereits John Stuart Mill die Entstehung der Monopole aus der Konzentration der Produktion ableitete. Er schrieb im Zusammenhang mit dem Übergang vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb: „Wo es nur wenige Konkurrenten gibt, werden diese schließlich immer eins, nicht miteinander zu konkurrieren. Vielleicht lassen sie sich auf einen Wettlauf in der Billigkeit ein, um einen neuen Mitbewerber zu ruinieren; hat er aber einmal festen Fuß gefaßt, schreiten sie zu einer Verständigung mit ihm." 3 '

Es ist klar, daß damit die Entstehung eines Monopols gemeint ist. Natürlich wäre es unsinnig, nun etwa J . St. Mill als den Entdecker der modernen Monopole zu preisen. Das konnte er gar nicht sein, weil es diese Monopole zu jener Zeit noch gar nicht gab. Ich wollte mit dieser Behauptung lediglich darauf hinweisen, daß auch die Erklärung aus der Konzentration allein den Begriff des modernen Monopols nicht erschöpft. .. Dennoch ist, was die Genesis des modernen Monopols anbelangt, das Gesetz der Konzentration der Schlüssel zur Lösung des Problems. Alle bürgerlichen Versuche, die Entstehung der modernen Monopole aus subjektiven Ursachen abzuleiten, wie etwa aus „grundsätzlich anderem Geist" (Sombart), aus dem „Hang zur Monopolbildung" (Eucken), aus der „Verhaltensweise" der Kapitalisten (Stackelberg) u. a. gehen völlig an der Wirklichkeit vorbei. Fassen wir im Sinne von Marx das Verhältnis von Konkurrenz und Monopol als Bewegung auf, so ergibt sich, daß die Konkurrenz „als mächtiger Hebel der Konzentration" zur Bildung von Großunternehmungen führt, die das entscheidende Glied in der Bildung moderner Monopole bilden. W. I. Lenin begann seine Untersuchung des Imperialismus bekanntlich mit der Analyse der Konzentration der Produktion in der Industrie, die zur Bildung immer größerer Betriebe führt. Daraus aber entsteht das moderne Monopol. Von bürger38 37

Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. I, S. 660. Mill, John Stuart, Grundsätze der politischen Ökonomie. Jena 1924, Bd. 1, S. 215.

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liehen Ökonomen wird bis auf den heutigen Tag versucht, die marxistische Konzentrationstheorie zu bestreiten. Dabei verweisen sie meist darauf, daß es noch immer zahlreiche Kleinbetriebe gibt, ja daß sogar ständig neue Kleinbetriebe entstehen. Jedoch besagen diese von keinem Marxisten bestrittenen Tatsachen nichts gegen die Konzentrationstheorie. Denn diese Theorie besagt nur, daß immer größere Betriebe entstehen, daß ihnen gegenüber die Zahl der Kleinbetriebe abnimmt, und vor allem, daß das ökonomische Gewicht der Großbetriebe ständig wächst, daß sie einen immer größeren Teil der gesellschaftlichen Produktion beherrschen und eben dadurch „dicht an das Monopol heranführen" (Lenin). Dieser Konzentrationsprozeß, den Lenin mit exakten Zahlen für die Zeit um die Jahrhundertwende darlegte, geht unvermindert fort. So zeigt die Aufgliederung der Industriebetriebe in Westdeutschland von 1952 bis 1957 folgendes Bild 3 8 : Betriebsgröße nach Zahl der Beschäftigten bis 49 50-499 von 500 und mehr

Anzahl der Betriebe 1952 1957

y

73600 16442 1783

— 4,3% + 17,2% + 38,4%

70472 19269 2467

, n

e n m g

Anteil am Umsatz % 1952 1957 13,7 38,2 48,1

10,6 34,4 55,0

Diese Übersicht zeigt, daß die Zahl der Kleinbetriebe zwar noch immer bei weitem überwiegt, daß sie aber in den fünf Jahren absolut abgenommen hat, dagegen die Zahl der mittleren Betriebe gering, die der Großbetriebe aber bedeutend angewachsen ist. Der Anteil am Umsatz ist aber sowohl bei den Klein- wie Mittelbetrieben zurückgegangen und nur bei den Großbetrieben gestiegen. Das Ergebnis ist, daß 2,7°/0 aller Betriebe 55°/0 des Umsatzes beherrschen. Darin eben zeigt sich die monopolbildende Wirkung des Gesetzes der Konzentration. Die Großbetriebe sind die Grundlage der modernen Monopole, denn sie beherrschen infolge ihrer ökonomischen Macht einen bedeutenden Teil der Produktion und des Absatzes und vermögen dadurch die freie Konkurrenz partiell und temporär auszuschalten, die Preise hochzutreiben und hochzuhalten und auf diese Weise einen hohen Monopolprofit zu realisieren. Wenige Großbetriebe sind auch viel leichter als zahlreiche Kleinbetriebe imstande, sich über ihre Marktpolitik zu verständigen und dadurch noch mächtigere Monopole zu schaffen. Dabei muß man berücksichtigen, daß die ökonomische Macht der Monopole sehr verschieden ist. Vor allem deshalb, weil sich der Konzentrationsprozeß äußerst ungleichmäßig vollzieht und sehr sprunghaft vor sich geht. Die obige Tabelle gibt insofern kein genaues Bild von der tatsächlichen Konzentration, als sie die zweieinhalbtausend Betriebe mit 500 und mehr Beschäftigten in eine Rubrik zusammenfaßt. Wir wären heute geneigt, einen Betrieb mit 500 Beschäftigten als mittleren Betrieb anzusehen. Die Zahl der wirklichen Großbetriebe mit mehreren tausend Beschäftigten und die der Riesen mit zehntausenden Beschäftigten ist natürlich viel geringer, ihre ökonomische Macht aber um so größer. (Im Jahre 1955 waren in den 38 Zusammengestellt nach dem Bericht des Deutschen Wirtschaftsinstituts, Bericht 3 t Februar 1959, S. (43) 3.

4*

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rund 980 Betrieben m i t über 1000 Arbeitern und Angestellten 38°/ 0 aller in der Industrie Beschäftigten konzentriert.) Dabei wird k a u m einer dieser Betriebe ein absolutes Monopol erlangen. Hier h a k t nun die bürgerliche Ökonomie ein und tischt eine ganze Skala monopolistischer Gebilde auf. Sie bezeichnet als ein Monopol den „Alleinverkauf", bei dem nur jeweils ein Verkäufer oder Käufer auftritt, als Oligopol den „Verkauf durch wenige", bei dem auf der Seite des Angebots oder der Nachfrage jeweils nur wenige relativ große Verkäufer bzw. Käufer auftreten. Dies ist der Normalfall dessen, was wir als Monopol bezeichnen. Weiter unterscheidet die bürgerliche Ökonomie (nach Cournot) das Dyopol, bei dem jeweils auf einer Seite nur zwei Marktteilnehmer miteinander konkurrieren, und das Polypol, den „Handel vieler", bei dem die Konkurrenz nur durch zeitliche, räumliche u. a. Differenzierungen der Konkurrenten beschränkt ist. Dies ist der Fall der „polypolistischen Konkurrenz" oder des „unvollkommenen Marktes". Neuerdings tauchen in der bürgerlichen Literatur auch die Begriffe Monopson und Oligopson auf, die ausdrücken sollen, daß ein oder wenige Käufer für eine Ware vorhanden sind. Diese in der bürgerlichen Monopoltheorie allgemein verbreitete Terminologie ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß es sich dabei u m reine Marktformen handelt, die von der Produktion völlig losgelöst sind. Die Konzentration der Produktion spielt dabei meist gar keine Rolle. Somit geht diese Gliederung am Wesen gerade der modernen Monopole vorbei und wird zur bloßen Begriffsspielerei. Über die t a t sächliche Rolle der Monopole vermag sie nichts auszusagen. Nach dieser Begriffsbestimmung steht z. B. der Krupp-Konzern in Deutschland oder General-Motors in USA auf der niedrigeren Stufe des Oligopols, während der Schumpeter'sche Krämer am Ohio ein echter Monopolist ist. Ich brauche hier auch nicht näher auf die Unterscheidung von Kartellen, Syndikaten, Trusts und Konzernen einzugehen. Sie sind zwar für die Monopoltheorie insofern von gewisser Bedeutung, als sie nicht nur Unterschiede in der juristischen Form, sondern auch Stufen in der Konzentration und damit der ökonomischen Macht ausdrücken. In der Regel stellt ein Trust oder Konzern eine höhere Stufe der Monopolisierung dar als ein Kartell oder Syndikat. Aber eben n u r in der Regel. Denn ein Kartell in der losesten Form, in dem sich Konzerne und Trusts zusammenschließen, stellt natürlich eine der höchsten Stufen ökonomischer Machtkonzentration dar. Andererseits unterscheiden sich die Monopole machtmäßig auch nach den Wirtschaftszweigen, die sie umfassen. Ein Kohlensyndikat h a t natürlich eine größere ökonomische Bedeutung als ein noch so straff organisierter Pinseltrust. Entscheidend ist also die Stufe der Konzentration und die darauf beruhende ökonomische Macht. Die Herausbildung von Großbetrieben erleichtert aber ungemein Verabredungen und Zusammenschlüsse zwischen ihnen. Dadurch wird es möglich, einen bedeutenden Teil der Gesamtproduktion des betreffenden Industriezweiges und somit des Marktes zu beherrschen. Lenin sprach von 7 bis 8 Zehnteln, heute sind es o f t mehr. In den bisherigen Ausführungen war nur von der Entstehung der Großbetriebe und der Monopole in der Industrie die Rede. Damit habe ich mich schon «iner Unterlassung schuldig gemacht. Denn der Konzentrationsprozeß erfaßt ja

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nicht nur die Produktion, sondern auch die Zirkulation. W. I. Lenin schrieb im J a h r e 1915: „Das Wachstum des Austausches, das Wachstum der Großproduktion, dies sind die grundlegenden Tendenzen, die im Verlauf eines Jahrhunderts absolut in der ganzen Welt zu beobachten sind. Und auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung des Austausches, auf einer bestimmten Stufe des Wachstums der Großproduktion, nämlich auf der Stufe, die etwa an der Grenze des 19. und 20. Jahrhunderts erreicht war, schuf der Austausch eine solche Internationalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen und Internationalisierung des Kapitals, die Großproduktion wurde so groß, daß die freie Konkurrenz begann, durch das Monopol ersetzt zu werden." 39

In allen entwickelten Ländern hat die Konzentration und damit die Monopolisierung den Handel in gleicher Weise erfaßt wie die Industrie. Der Prozeß ist in beiden Sphären gleichzeitig verlaufen. Einige große Industriemonopole in Deutschland, wie der Otto-Wolff-Konzern, der Klöckner-Konzern, die Metallgesellschaft AG. u. a. sind aus dem Handel hervorgegangen. Und im Handel selbst hat sich eine rapide Konzentration vollzogen, die sich vor allem darin ausdrückt, daß immer weniger Großunternehmen einen immer bedeutenderen Teil des Handelsumsatzes an sich reißen. So betrug z. B. der Anteil der Betriebe mit mehr als einer Million Jahresumsatz, die 0,3°/ 0 aller Betriebe ausmachten, im Einzelhandel im Jahre 1937 in Deutschland 23,7°/ 0 vom Gesamtumsatz. Der Anteil der gleichen Größenklasse am Umsatz des Großhandels betrug 1939 57%. 4 0 Während sich im Großhandel der Konzentrations- und Monopolisierungsprozeß vor allem darin äußert, daß die großen Industriemonopole selbst die Handelsfunktionen übernehmen und dadurch den privaten Großhandel ausschalten, haben sich auf dem Gebiete des Einzelhandels riesige Monopolunternehmen gebildet, deren bedeutendste heute in Westdeutschland die Warenhauskonzerne Karstadt AG., Kaufhof AG., die Hertie-Gruppen und die Gruppe Horten-Merkur-Köster (Defaka) sind. Dazu kommen die großen monopolistischen Versandhäuser, wie Quelle, Neckermann u. a. Nach dem zweiten Weltkrieg ist in Westdeutschland die Monopolisierung des Einzelhandels weiterhin besonders durch die Bildung sogenannter freiwilliger Ketten vorangetrieben worden, deren größte, die „ S p a r " etwa 45 Lebensmittelgroßhändler und 12000 Einzelhändler zusammenfaßt. 4 1 Ich darf mich mit diesen knappen Hinweisen begnügen und auf das zitierte Buch verweisen, denn kaum wird die Tatsache bezweifelt werden, auf die es mir hier allein ankommt: daß auch die Zirkulationssphäre, der Handel in den kapitalistischen Ländern heute völlig von den Monopolen durchdrungen ist. Nur noch ein Beispiel dafür, welche Rolle die Handelsmonopole heute in der Wirtschaft spielen. Das amerikanische Warenversandhaus Sears, Roebuck & Co., das 200000 Angestellte beschäftigt und in Nord-, Mittel- und Südamerika 691 Verkaufshäuser und 95 Fabriken besitzt, ist dem Umsatz nach das sechsgrößte Unternehmen der 33

JleHHH, B. H., CoHHHeHHH. (Lenin, W. I., Werke), a. a. O., 1952, Bd. 22, S. 91/92. Siehe: Heinrich, W., Seidel, H., Bertullis, L., Der monopolistische Handel ein Instrument zur Sicherung maximaler Profite. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1956, S. 32. — Das Buch bringt zahlreiche weitere Beweise für die Konzentration und Monopolbildung im Handel Westdeutschlands. 41 Ebenda, S. 58. 40

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USA. Vor ihm rangieren die bekannten Monopole General Motors, American Telephone & Telegraph Co., Atlantic Tea Co., Standard Oil of New Jersey und US Steel. 42 Das zeigt, welche beachtliche Macht heute auch die Handelsmonopole haben. Natürlich ist es nicht so, daß die Konzentration und die Monopolbildung im Handel unabhängig von der gleichen Entwicklung in der Industrie vor sich gegangen wäre. Im Gegenteil, Industrie und Handel waren in dieser Entwicklung, wie schon bemerkt wurde, eng miteinander verbunden. Es h a t sich zwischen den beiden Sphären eine so enge Verflechtung herausgebildet, daß es k a u m möglich sein wird,'bei den großen Monopolunternehmungen eine klare Trennungslinie zu ziehen. Besonders augenfällig t r i t t diese Verfilzung in der Personalunion in den Vorständen u n d Aufsichtsräten in Erscheinung, die schon von Lenin hervorgehoben wurden. Bei der Herausbildung der Monopole treten zwei Eigenheiten hervor, die ich schon hier erwähnen möchte, obwohl sie nicht nur Industrie und Handel betreffen. Erstens f ü h r t die Konzentration dazu, daß die erforderliche Minimalgröße des Kapitals ständig wächst und die Kapitalanwendung dadurch zu einem Monopol für die großen Kapitalisten wird. Auf diesen Prozeß h a t bereits Karl Marx hingewiesen: „Ganz normal verläuft der Prozeß nur, wenn die Wertverhältnisse konstant bleiben; er verläuft faktisch, solange sich Störungen in der Wiederholung des Kreislaufs ausgleichen; je größer die Störungen, um so größres Geldkapital muß der industrielle Kapitalist besitzen, um die Ausgleichung abwarten zu können; und da im Fortgang der kapitalistischen Produktion sich die Stufenleiter jedes individuellen Produktionsprozesses, und mit ihm die Minimalgröße des vorzuschießenden Kapitals erweitert, so kommt jener Umstand zu den andren, die die Funktion des industriellen Kapitalisten mehr und mehr in ein Monopol großer Geldkapitalisten, vereinzelter oder assoziierter, verwandeln." 43

Aus dieser Entwicklung ergibt sich zweitens, daß mit der zunehmenden Konzentration nicht nur die organische Zusammensetzung des Kapitals ständig höher wird, sondern besonders der Anteil des fixen Kapitals im Verhältnis zum Gesamtkapital ständig wächst, daß der Umfang des fixen Kapitals grandiose Ausmaße ann i m m t und d a r u m auch grandiose Kapitalaufwendung erfordert. Dies h a t f ü r die Behandlung des Grundproblems der Monopoltheorie, nämlich des Monopolprofits, große Bedeutung. Doch davon soll erst im nächsten Abschnitt die Rede sein. In der Industrie ist das Anwachsen des Kapitalminimums und des fixen Kapitals eine allbekannte Tatsache. Daß m a n heute ein Stahlwerk oder eine Kunststoffabrik nicht mit ein paar Millionen Mark errichten kann, weiß jeder. In Westdeutschland berechnet man den Kapitalaufwand für eine neue Schachtanlage im Steinkohlenbergbau auf 500 bis 750 Millionen Mark. Aber auch in der Zirkulationssphäre ist der U m f a n g des Kapitals f ü r Anlagen usw. ungeheuer angestiegen und steigt unentwegt weiter an. So h a t beispielsweise die Kaufhof AG. ihre Verkaufsfläche von 8000 qm im J a h r e 1945 auf 72000 qm im J a h r e 1950 und 137000 qm im J a h r e 1954 erweitert. 4 4 Das bedeutet natürlich eine gewaltige Kapitalanlage f ü r den Bau und die Einrichtung neuer Warenhäuser. Oder wenn das monopolistische Versandhaus Quelle in F ü r t h seinen Betrieb mit 8000 Beschäftigten automatisiert und dabei 42 43 44

Siehe: Nachrichtenmagazin „Der Spiegel", 8. Jahrg., Nr. 1, 1954. Marx, Karl, Das Kapital, a. a. O., Bd. II, S. 102/03. Heinrich, W., Seidel, S., Bertullis, L., a. a. O., S. 52.

B e i t r a g zur Monopoltheorie

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Elektronenmaschinen einsetzt 45 , so erfordert auch dies einen bedeutenden Kapitalaufwand. Es ist einleuchtend, daß solche Aufwendungen nur den großen Monopolunternehmungen im Handel möglich sind. Der Ausdruck Monopolunternehmung weist auf ein weiteres Problem der Monopoltheorie hin. Würden wir wie die bürgerliche Theorie nur von der Marktform ausgehen, so müßten wir den großen Trusts und Konzernen den Monopolcharakter absprechen, denn keiner von ihnen besitzt auf dem Markt ein Monopol im Sinne des Alleinverkaufs. Meistens gibt es mehrere Monopolunternehmungen in einem Industriezweig und oft daneben noch kleinere Betriebe. Bestenfalls könnten wir einen Verband dieser Trusts und Konzerne als Monopol bezeichnen. Es ist aber bislang keinem Marxisten eingefallen, etwa dem Krupp-, Mannesmann-, Klöckner-Konzern u. a. oder dem Kaufhof- oder Karstadt-Konzern den Monopolcharakter abzustreiten. Und das mit gutem Recht, weil diese u. a. Konzerne, obwohl sie kein absolutes Monopol haben (das wie gesagt überhaupt sehr selten vorkommt), gerade die typischsten Vertreter des Monopolkapitalismus sind. Denn infolge ihrer Größe und ökonomischen Macht sind sie in der Lage, Monopolprofite zu realisieren. Der Monopolprofit ist aber das entscheidende konstituierende Element der Begriffsbestimmung des modernen Monopols. Hinzu kommt noch das bereits erwähnte wichtige Element der totalen Verflechtung der Monopolunternehmungen untereinander, die unter Hinzunahme noch zu erörternder weiterer Faktoren zur Herrschaft der Finanzoligarchie führen, die innerhalb der Gesellschaft ein echtes Monopol darstellt. Diese Herrschaft der Finanzoligarchie, die wie ein gewaltiger Polyp die ganze Gesellschaft bedrückt und aussaugt, die die Haupttriebkraft zur Anzettelung imperialistischer Kriege ist, diese Herrschaft charakterisiert gerade das imperialistische Stadium des Kapitalismus! Aus diesen Erwägungen heraus scheint es mir unrichtig, den Monopolbegriff auf die Verbände der kapitalistischen Großunternehmer zu beschränken, wie es oft geschieht. So wurde z. B. in der ersten Auflage des sowjetischen Lehrbuches „Politische Ökonomie" das Monopol wie folgt definiert: „ D a s Monopol ist ein Übereinkommen, ein Verband oder eine Vereinigung von K a p i t a listen, die in ihren H ä n d e n die Produktion und den A b s a t z eines bedeutenden Teiles der Erzeugnisse eines oder mehrerer Produktionszweige konzentrieren zwecks Festsetzung hoher Warenpreise und Erzielung großer Monopolprofite." 4 8

Nach dieser Begriffsbestimmung würde solchen Unternehmungen wie Ford in Amerika und Krupp in Deutschland, die jahrzehntelang sogenannte Familienbetriebe waren, streng genommen der Monopolcharakter nicht zuerkannt werden. Ein weiterer Mangel dieser Definition besteht darin, daß in ihr nicht die Konzentration der Produktion und des Kapitals in Großbetrieben als Ursache der Monopole hervorgehoben ist. Die Monopoldefinition der dritten Ausgabe des Lehrbuches, zu der wir gleich kommen werden, ist als Fortschritt zu begrüßen, weil sie sowohl große Betriebe als auch Vereinigungen unter den Monopolbegrifl faßt. Zunächst ist aber noch eine andere Bemerkung notwendig. 46 48

Siehe „ D e u t s c h e Zeitung und W i r t s c h a f t s z e i t u n g " , S t u t t g a r t , v o m 11. 12. 1957, Politische Ökonomie. Lehrbuch. Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 258.

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In der bisherigen Betrachtung habe ich nur die Monopole in Industrie und Handel berücksichtigt. Dies geschah absichtlich, weil diese Monopole einen wichtigen gemeinsamen Zug aufweisen: sie betreffen die Produktion und den Austausch von Waren. Man könnte sie daher als Warenmonopole bezeichnen. Ihnen ist gemeinsam, daß sie den Monopolprofit über den Warenaustausch mittels des Monopolpreises realisieren. In allen bisherigen Untersuchungen über die Monopole, Monopolpreise und Monopolprofit ist fast ausschließlich von diesen Warenmonopolen die Rede. Und das ist auch in den Monopoldefinitionen der Fall. Wir sahen in der obigen Begriffsbestimmung, daß „hohe Warenpreise" als Zweck des Monopols angegeben wurden. In der Definition der dritten Ausgabe des Lehrbuches ist diese Seite sogar noch mehr hervorgehoben. Dort heißt es: „Monopole sind sehr große kapitalistische Betriebe oder Vereinigungen kapitalistischer Betriebe, die in ihren Händen einen so bedeutenden Teil der Produktion oder des Absatzes einer bestimmten Produktionsart konzentrieren, daß es ihnen dadurch möglich ist, die Konkurrenz einzuschränken und für ihre Waren hohe Monopolpreise festzusetzen. Indem die Monopole ihre Waren zu hohen Preisen absetzen, sichern sie sich hohe Monopolprofite."47 Zunächst ist zu dieser Definition zu bemerken, daß sie gegenüber der früheren einen Fortschritt darstellt, indem sie ausdrücklich auch „sehr große kapitalistische B e t r i e b e " und nicht nur Vereinigungen unter den Monopolbegriff faßt. Unrichtig scheint es mir aber selbst bei der Beschränkung auf das Warenmonopol, in der Definition nur von hohen Monopolpreisen zu sprechen, denn ein Monopolprofit kann auch durch monopolistisch niedrige Preise erlangt werden, nämlich wenn das Monopol als Käufer auftritt („Monopson"). Diese Art monopolistischer Preispolitik spielt beim Kolonialmonopol wie auch bei der Ausbeutung einfacher Warenproduzenten und kleinerer Kapitalisten (Bauern, ¿ulieferbetriebe) eine große Rolle. Aus der eben angeführten Definition ist klar ersichtlich, daß hier nur von Monopolen in Industrie und Handel, also von Warenmonopolen die Rede ist. Das geht besonders aus den Worten „für ihre Waren hohe Monopolpreise festzusetzen" hervor. Diese Beschränkung mag als Stufe in der Entwicklung der Monopoltheorie richtig und notwendig sein, wenn dabei zugleich betont wird, daß dies eben nur die erste, also unvollständige Stufe des Monopolbegriffs ist. Aber es fragt sich, ob diese Definition ausreichend ist, um die Totalität, das ganze Wesen des modernen Monopols zu erfassen? Wollen wir sie aber erweitern, so daß sie für alle Monopole und nicht nur für die Warenmonopole gilt, dann entsteht die Frage, ob wir die Warenpreise unbedingt als konstituierenden Bestandteil der Monopoldefinition brauchen. Dafür spricht die Tatsache, daß die Monopole in bedeutendem Maße die Verteuerung der Waren verursachen. Dagegen aber spricht, daß wir damit den Monopolbegriff unzulässig einschränken. In diesem Zusammenhang ist es interessant darauf hinzuweisen, daß die Monopoldefinition in der Großen Sowjetenzyklopädie die Warenpreise nicht enthält. Diese Definition l a u t e t : „Kapitalistische Monopole sind Verbände, Übereinkommen oder Vereinigungen von Kapitalisten, die auf Grund des hohen Niveaus der Konzentration der Produktion und 47 Politische Ökonomie. Lehrbuch. Dietz Verlag, Berlin 1959, 3. Ausgabe, S. 244/45. (Hervorhebungen — F. 0.)

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des Kapitals entstehen, in ihren Händen die Produktion und den Absatz eines bedeutenden Teils der Erzeugnisse eines gegebenen Zweiges konzentrieren; die kapitalistischen Monopole ergreifen die Herrschaft in diesem Zweig und nutzen sie für die Erzielung von Maximalprofiten aus." 49

Natürlich geht der Artikel in der Großen Sowjetenzyklopädie im weiteren auf die Monopolpreise ein, in die eigentliche Erklärung der kapitalistischen Monopole ist er jedoch nicht aufgenommen. Wenn wir das Wesen des modernen Monopols, nicht nur zum Unterschied von früheren Monopolen, sondern vor allem zum Verständnis seiner Totalität richtig im Begriff fassen wollen, dann erscheint es mir unzulässig, diesen Begriff auf die Warenmonopole zu beschränken, dann müssen wir ihn erweitern. W. I. Lenin schließt das erste Kapitel seines Werkes über den Imperialismus, das eben die Warenmonopole behandelt, mit den Worten a b : „Doch würde unsere Vorstellung von der tatsächlichen Macht und Bedeutung der modernen Monopole höchst ungenügend, lückenhaft und verkleinert sein, wenn wir die Rolle der Banken außer acht ließen."

Und im VII. Kapitel, wo Lenin die Definition des Imperialismus entwickelt, hebt er mit aller Deutlichkeit hervor, daß der Begriff des Monopols faktisch alle Merkmale des Imperialismus umfaßt. Dort lesen wir: „Wäre eine möglichst kurze Definition des Imperialismus erforderlich, so müßte man sagen, der Imperialismus ist das monopolistische Stadium des Kapitalismus. Eine solche Definition würde die Hauptsache enthalten, denn auf der einen Seite ist das Finanzkapital das Bankkapital einiger weniger monopolistischer Großbanken, das mit dem Kapital monopolistischer Industriellenverbände verschmolzen ist, und auf der anderen Seite ist die Aufteilung der Welt der Übergang von einer Kolonialpolitik, die sich ungehindert auf Kosten der noch von keiner kapitalistischen Macht besetzten Gebiete ausdehnt, zu einer Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung der restlos aufgeteilten Erde." 49

Handelt es sich bei unserer Suche nach dem richtigen Monopolbegriff eben um jenes Monopol, daß dem Imperialismus zum monopolistischen Stadium des Kapitalismus macht, so wird offensichtlich, daß wir uns nicht auf das Warenmonopol beschränken dürfen, sondern sowohl das Finanzkapital wie das Kolonialmonopol einbeziehen müssen. Andernfalls würden wir den Monopolbegriff vom Imperialismus trennen. Wenden wir uns nunmehr zunächst dem Monopol zu, das aus den Banken erwächst. Der Entstehungsprozeß ist hier der gleiche wie in Industrie und Handel. Er vollzieht sich über die Konzentration des Bankkapitals und der Bankoperationen, durch die mächtige Großbanken entstehen, die zu Monopolunternehmungen werden. Diesen Prozeß hat Lenin ausführlich geschildert. Auch auf dem Gebiete des Bankwesens ist der Konzentrationsprozeß weiter fortgeschritten. Nach dem zweiten Weltkriege beherrschen drei riesige Monopolbanken den westdeutschen Kapitalmarkt: die 48 Bojinuan CoBeTcuan 9HanKjionejiHH. (Große Sowjetenzyklopädie), TocyAapcTBeHHoe HayMHoe ManaTejibCTBo „BoJitman CoBeTCKan 3HqHKjioneRHH", Moskau 1954, Bd. 28, S. 240. 49 Lenin, W. I., Ausgewählte Werke in zwei Bänden, a. a. O., Bd. 1.

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Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank. Die Einlagen bei diesen drei Banken stiegen von 6529,7 Mill. Mark 1938 auf 11575,9 Mill. Mark 1954. Die Summe der gewährten Kredite erhöhte sich von 5196,5 Mill. Mark 1938 auf 9248,0 Mill. Mark 1954. Wie das Deutsche Wirtschaftsinstitut schon 1955 feststellte, haben die drei Monopolbanken „bereits den überwiegenden Teil aller Kreditoperationen bei sich konzentriert". 50 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Bankmonopol zum Begriff des Monopols gehört, obwohl es seine Monopolprofite nicht über Monopolpreise für die Waren, sondern durch ganz andere Manipulationen realisiert. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß sich ein analoger Prozeß auch in der dem Bankwesen verwandten Sphäre des Versicherungswesens vollzieht. Auch hier hat die Konzentration und damit die Monopolbildung bereits eine sehr hohe Stufe erreicht. Im Jahre 1956 gab es in Westdeutschland und Westberlin rund 10000 Versicherungsunternehmen. Von diesen waren 46 große Gesellschaften (also 0,46°/0 der Gesamtzahl) mit 6 2 , 9 % an der Gesamtprämieneinnahme beteiligt. Auch hier haben sich also bedeutende Monopolgruppen herausgebildet, deren bedeutendste die Münchener IG mit 2 0 % und die Rheinische IG mit ll,8°/ 0 Anteil an der westdeutschen Versicherungswirtschaft sind. 51 Dabei ist es wichtig zu beachten, daß die Versicherungsmonopole ebenso wie die Industrie-, Handels- und Bankmonopole nicht nur gegeneinander konkurrieren, sondern zugleich eng miteinander verflochten sind, sowohl durch direkte Kapitalbeteiligung wie besonders durch die Rückversicherung. Sind die Monopole im Bank- und Versicherungswesen ihrer Herkunft wie ihrem Wesen nach den Monopolen in Industrie und Handel gleichzustellen, so darf doch der wichtige Unterschied nicht außer acht gelassen werden. Sie befassen sich weder mit der Herstellung noch mit dem Verkauf von Waren. Sie können daher auch ihren Monopolprofit nicht über Monopolpreise für Waren realisieren. Dafür stehen ihnen andere Wege offen, wie Emissionen (Gründergewinn!), Kreditoperationen, Spekulationen u.a. Es muß auch hervorgehoben werden, daß die Bankmonopole oft einen so bedeutenden Einfluß auf Industrieunternehmungen ausüben, daß sie in der Lage sind, „ihre Rentabilität zu bestimmen" (Lenin). Hier ist nun der Einwand zu erwarten, man dürfe das Warenmonopol nicht so scharf von den anderen Monopolen trennen, die Banken handelten j a auch mit einer Ware, dem Kapital, und bekämen dafür einen Preis, den Zins. Auf diesen Einwand ist zu erwidern, daß er in gewissem Sinne richtig ist, daß aber dabei der wesentliche Unterschied nicht außer acht gelassen werden darf, der doch zwischen gewöhnlichen Gebrauchswerten als Waren und Leihkapital, Versicherungsleistungen usw. besteht. Hinter dem Preis der gewöhnlichen Waren steht ihr Wert als eine konkrete ökonomische Kategorie, was man vom „Preis" eines Darlehns oder einer Versicherungspolice nicht sagen kann. Die gewöhnlichen Waren kommen aus der materiellen 5 0 Bericht 10 des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Die neue Konzentration der Großbanken in Westdeutschland", Mai 1955, S. 19. Diesem Bericht sind auch die übrigen Angaben entnommen. 1 1 Bericht 11 des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Die westdeutschen Versicherungskonzerne", Juni 1958, S. 10 (194).

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Produktion, dort entsteht ihr W e r t und auch der Mehrwert, der mit ihrem Verkauf realisiert wird. Bank- und Versicherungskapital aber gehören ausschließlich der Zirkulationssphäre, ja mehr noch der Sphäre der Geldzirkulation an, in der nicht ein J o t a Mehrwert entsteht. Erst durch ihre Verschmelzung im Finanzkapital kommen sie wieder mit der Produktion in Berührung. Aber dennoch erlangen sie ihren Monopolprofit auf ganz anderem Wege als die Warenmonopole. Diese Unterschiede scheinen es mir zu rechtfertigen, die Bank- und Versicherungsmonopole gesondert hervorzuheben, wie ja auch die Handelsmonopole gesondert erwähnt wurden. Dies geschieht aber nicht, um sie voneinander zu trennen, sondern ganz im Gegenteil zu dem Zweck, in ihrer allseitigen Verflechtung die Allgemeinheit, die Totalität des modernen Monopols hervorzuheben. Darum m u ß nun auch noch eine weitere Gruppe von Monopolen erwähnt werden, nämlich die Verkehrsmonopole. Auch im Verkehrswesen sind die Monopole vorherrschend geworden. Die Eisenbahnen waren in Deutschland so ziemlich von Anfang an Staatsmonopol. In den USA und in anderen Ländern gibt es auch im Eisenbahnwesen eine Anzahl großer Privatmonopole. Dagegen herrschen in der Schiflfahrt, besonders der Seeschiffahrt auch in Deutschland die großen Privatmonopole. Die bedeutendsten Schiffahrtsmonopole in Westdeutschland sind gegenwärtig die Schuchmann-Gruppe mit der Hamburg-Amerika-Linie als Kern, der OetkerKonzern mit der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft Eggert & Amsinck als Kern, ferner der Stinnes-Konzern, die Hansa-Reederei, der Norddeutsche Lloyd u. a. 62 Das jüngste Verkehrsmittel, die L u f t f a h r t , ist vollständig eine Domäne der großen Monopolunternehmen, die allerdings einen scharfen Konkurrenzkampf gegeneinander führen. Nachdem mit Kriegsende auch die zivile L u f t f a h r t Deutschlands zusammengebrochen war, wurde im Mai 1954 die Deutsche Lufthansa AG als einziges ziviles Luftfahrtunternehmen Westdeutschlands neu gegründet. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, K u r t Weigelt, sitzt gleichzeitig im Aufsichtsrat folgender Gesellschaften: Baumwollspinnerei Germania, Epe/Westf., Deutscher Aero-Lloyd, Hamburg, Hansa Luftbild GmbH., Deutsche Luftversicherung AG., Berlin, Deutsch-Asiatische Bank AG., Hamburg, Deutsche Schlafwagen- und Speisewagen-Gesellschaft, F r a n k furt/M. u. a. m. 5 3 Wie die alte, so ist auch die neue westdeutsche Lufthansa ein typisches Monopolunternehmen. Auch diese Monopole haben es nicht direkt mit Warenherstellung und Warenaustausch zu tun, jedoch sind sie insofern näher den Industrie- und Handelsmonopolen verwandt, als sie durch die Festsetzung monopolistischer Fracht- und Beförderungstarife einen Monopolprofit realisieren können. Mit dem Dargelegten d ü r f t e hinlänglich bewiesen sein, daß der Begriff des modernen Monopols nicht auf die Warenmonopole beschränkt werden darf, die einen Monopolpreis f ü r Waren festsetzen können. Wir haben es mit wenigstens fünf verschiedenen Monopolgruppen zu tun, dem 62 Bericht 15 des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Die westdeutsche Seeschiffahrt", August 1958, S. 7/8 (259/60). 63 Bericht 8 des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Der Wiederaufbau der Luftfahrt in Westdeutschland", April 1955, S. 12.

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Fred Oelßner Industriemonopol Handelsmonopol Bankmonopol Versicherungsmonopol Verkehrsmonopol

die in verschiedenem Grade miteinander verwandt sind, von denen aber im eigentlichen Sinne nur die beiden ersten Warenmonopole sind. Nun ist es zwar zum Zwecke der theoretischen Analyse zulässig und zweckmäßig, diese fünffache Unterscheidung zu machen, aber die Analyse muß sofort durch die Synthese ersetzt werden, die alle fünf Monopolgruppen zusammenfaßt. Im praktischen Wirtschaftsleben durchdringen sich diese Monopolgruppen so intensiv, sind durch Kapitalbeteiligungen, Bankverbindungen, Personalunion usw. so eng miteinander verflochten, daß auch ihre theoretische Trennung nur als eine Stufe zur Erfassung ihrer Zusammengehörigkeit und damit zur Totalität des Monopolbegrifls zulässig ist. Denn diese Totalität, dieses Miteinanderverwachsensein macht einen wesentlichen Charakterzug des modernen Monopols aus. Dieses Monopol durchdringt das gesamte Wirtschaftsleben und darüber hinaus die ganze Gesellschaft. „Ist einmal das Monopol zustande gekommen und schaltet und waltet es mit Milliarden, so durchdringt es mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens", schrieb Lenin im „Imperialismus" (S. 813). Nun darf man sich diese Verflechtung wiederum nicht so primitiv vorstellen, daß jedes einzelne Monopol in allen fünf Gebieten engagiert sei. Wie schon die zahlreichen angeführten Beispiele zeigten, beherrscht die eine Monopolgruppe mehr die Produktionssphäre, die andere das Bank- und Versicherungswesen, eine dritte den Handel usw. Auch hier gibt es eine Art Arbeitsteilung. Aber alle haben miteinander gemein, daß sie auf Grund ihrer ökonomischen Macht eine Monopolstellung einnehmen und Monopolprofite einheimsen, daß sie untereinander eng verfilzt sind und jedes einzelne wie alle miteinander das Finanzkapital, die Herrschaft der Finanzoligarchie repräsentieren. Darum ist, so meine ich, das Finanzkapital ein Grundzug des modernen Monopols, der in einer Monopoldefinition nicht fehlen darf. Denn eben der Begriff Finanzkapital schließt die Herrschaft der Finanzoligarchie ein, die sich in der Beherrschung der ganzen Gesellschaft durch mächtige Finanzgruppen ausdrückt. In den USA sind das die bekannten Gruppen Morgan, Rockefeiler, Dupont usw. In Westdeutschland wird die gesamte Wirtschaft von vierzehn Monopolgruppen beherrscht, die selbst untereinander verflochten sind. Die wichtigsten sind: IG Farben, Vereinigte Stahlwerke, Mannesmann/Hoesch, Haniel, Klöckner, Krupp, Flick, Siemens, AEG, Wintershall-Quandt, Metallgesellschaft-Degussa u. a. Die Herren dieser Monopolgruppen, der Kern der Finanzoligarchie, sind die wahren Herren Westdeutschlands. Ein weiterer wesentlicher Grundzug des modernen Monopols ist die Besitzergreifung der wichtigsten Rohstoffquellen. Wie Lenin hervorhebt, hat die monopolistische Beherrschung der wichtigsten Rohstoffquellen die Macht des Großkapitals ungeheuer gesteigert und den Gegensatz zwischen den Monopolen und der

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nichtmonopolisierten Industrie verschärft. Es ist bekannt, welche gewaltigen Kämpfe um den Besitz der Erdölquellen oder wichtiger Metallvorkommen von den Monopolen ausgefochten wurden. Aber dieser Kampf geht nicht nur um den Besitz mineralischer Rohstoffe, sondern auch um die monopolistische Beherrschung der Erzeugung bestimmter Agrarprodukte (Bananentrust!), wobei hier das moderne Monopol mit dem Bodenmonopol verschmilzt, wodurch es die Möglichkeit für die Erzielung besonders hoher Monopolprofite erlangt. Ein wesentliches Merkmal des monopolistischen Kapitalismus besteht darin, daß in den Ländern, in denen die Wirtschaft von Monopolen durchsetzt ist, bei unentwickelter Landwirtschaft und Armut der Massen ein Kapitalüberschuß entsteht, der nach besseren Verwertungsbedingungen strebt. Damit nimmt im monopolistischen Stadium des Kapitalismus der Kapitalexport Riesendimensionen an und wird für den Kapitalismus typisch. Es entwickeln sich neuartige ökonomische Beziehungen und Herrschaftsverhältnisse, die zur Quelle riesiger Monopolprofite werden. Auch diese Profite werden nicht nur über Monopolpreise realisiert, obwohl der Kapitalexport den Nicht-Äquivalentenaustausch ungemein fördert. Hier kommen noch Finanztribute für imperialistische Anleihen und aus anderen Quellen hinzu. Obwohl das imperialistische Deutschland durch den zweiten Weltkrieg zunächst alle seine ausländischen Kapitalanlagen eingebüßt hatte, wurde mit dem Wiedererstehen des Imperialismus in Westdeutschland auch der Kapitalexport wieder aufgenommen. Er hat sich in folgender Weise entwickelt: Der direkte private Kapitalexport Westdeutschlands betrug (abgerundet auf volle Millionen) 1952/54 330

1955 356

1956 493

1957 483

1958 565 Mill. Mark

Insgesamt wurden in diesen sieben Jahren also bereits wieder 2227 Millionen Mark Kapital ins Ausland exportiert. 54 Aber das war nur der A u f t a k t zu der Kapitalexportoflensive Westdeutschlands. Erst im Jahre 1959 hat sich, wie Ferdinand Fried feststellte („Die Welt", 16. 4. 1960), die „Wendung zum Kapitalexport" vollzogen. Wenn Fried auch Kapitalexport mit Geldexport verwechselt und deshalb die Bezahlung von Auslandsschulden, die Wiedergutmachungszahlungen und ähnliches fälschlich als Kapitalexport bezeichnet, so verdienen doch seine Bemerkungen über den „eigentlichen kommerziellen Kapitalexport" Beachtung. Nach seiner Darstellung haben sich die deutschen Kapitalanlagen im Ausland etwa verdoppelt, besonders durch Ankauf von ausländischen Wertpapieren sowie durch staatliche Kredite an Indien, Türkei, Griechenland und Jugoslawien. Triumphierend ruft Ferdinand Fried aus: „Wir rücken zur großen Geldgeber- und Gläubiger-Nation auf." Diese Entwicklung zeigt drastisch, daß der Kapitalexport vom Imperialismus als monopolistischem Stadium des Kapitalismus nicht zu trennen ist. Eng verknüpft mit dem Kapitalexport ist aber das aus der Kolonialpolitik erwachsende Kolonialmonopol. 64 „Ministerialblatt des Bundesministeriums für Wirtschaft", 11. Jahrg., Nr. 4, vom 28. Februar 1959.

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Das Kolonialsystem macht es den Monopolisten möglich, ganze Erdstriche in ihren Besitz zu bringen und ihnen märchenhafte Profite keineswegs nur nach den Gesetzen der Warenproduktion abzupressen. Die Kolonien müssen vielfach an die Metropole politischen Tribut zahlen, der sich meist in Profit für die Monopole umwandelt. Davon wird im nächsten Abschnitt noch die Rede sein. Auch das Kolonialsystem ist also ein Monopol, daß die Realisierung eines Monopolprofites bezweckt. W. I. Lenin schrieb: „Ein Häuflein reicher Länder — es gibt ihrer im ganzen vier, wenn man selbständigen und wirklich riesengroßen ,modernen' Reichtum im Auge hat: England, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland —, dieses Häuflein Länder hat Monopole in unermeßlichen Ausmaßen entwickelt, bezieht einen Extraproiii in Höhe von Hunderten Millionen, wenn nicht von Milliarden, saugt die anderen Länder, deren Bevölkerung nach Hunderten und aber Hunderten Millionen zählt, erbarmungslos aus und kämpft untereinander um die Teilung der besonders üppigen, besonders fetten, besonders bequemen Beute." 6 5

Mit dieser monopolistischen Ausbeutung ist jedoch das Wesen des modernen Kolonialmonopols noch nicht erschöpft. Dieses Wesen ergibt sich daraus, daß mit Beginn der imperialistischen Ära die Erde unter die imperialistischen Länder aufgeteilt war und darum eine nichtmonopolistische Kolonialpolitik nicht mehr möglich war. „Als aber neun Zehntel Afrikas bereits besetzt waren (gegen 1900) — schrieb Lenin —, als die ganze Welt verteilt war, da begann unvermeidlich die Ära des monopolistischen Kolonialbesitzes und folglich auch eines besonders verschärften Kampfes um die Teilung und Neuverteilung der Welt." 5 6

Wir haben es hier also m i t einer besonderen Art von Kolonialmonopol zu tun, das von dem modernen Monopol nicht zu trennen ist. Somit kommen wir nicht umhin, auch das Kolonialmonopol in den Begriff des modernen Monopols einzuordnen. Dagegen könnte eingewendet werden, daß dieses Monopol zunehmend an Bedeutung verliert, weil sich das imperialistische Kolonialsystem im Zustande des progressiven Zerfalls befindet. Aber dieser Einwand ist unzulässig. Erstens weil der ökonomische Zerfall des Kolonialsystems nicht mit dem politischen Zerfall Schritt hält. Obwohl z. B. Indien bereits 1947 seine Unabhängigkeit erlangt hat, weist seine Wirtschaft noch immer starke koloniale Züge auf. In der Industrie herrscht nach wie vor das ausländische, vor allem das englische Kapital. Selbst der Außenhandel befindet sich noch überwiegend in den Händen der Engländer. Im Jahre 1952 wurden getätigt 6 7 Einfuhren von indischen Banken von englischen Banken

22,6% 65,4%

Ausfuhren 23,1% 53,0%

Diese Zahlen zeigen, welchen großen Einfluß das englische Monopolkapital auch nach der Erlangung der Unabhängigkeit in Indien noch besitzt. Die ehemaligen 65

Lenin, W. I., Werke. Dietz Verlag, Berlin 1957, Bd. 23, S. 112. Lenin, W. I., Ausgewählte Werke . . ., a. a. 0 . , Bd. I, S. 871. 67 Bericht 12 des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Die Expansion der westdeutschen Monopole in Indien", Juni 1957, S. 6 (220). 66

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englischen Kolonialbeamten in Indien erhalten bis auf den heutigen Tag noch ihre Pensionen von Indien gezahlt, obwohl in Indien schreckliche Not herrscht. Die neue Kapitalexport-Offensive Westdeutschlands fällt bereits in die Periode des zerfallenen Kolonialismus. Dessen ungeachtet bezweckt auch dieser neue Kapitalexport die Errichtung eines neuen wirtschaftlichen Kolonialismus. Davon legt das Verhalten der westdeutschen Monopolvertreter in den Kapital-Import-Ländem beredt Zeugnis ab. Zweitens ist der Hinweis auf den Zerfall des Kolonialsystems hier deshalb nicht am Platze, weil er die prinzipielle Seite nicht berührt, die Tatsache, daß das Kolonialmonopol zum Wesen des modernen Monopols gehört. Heute trifft j a auch der entscheidende Punkt des modernen Kolonialmonopols nicht mehr zu, der darin besteht, daß die Erde unter die imperialistischen Mächte aufgeteilt ist. Denn ein Viertel des Territoriums der Erde ist heute bereits völlig dem imperialistischen Machtbereich entrissen und bildet das mächtige sozialistische Lager, in dem das Monopolkapital weder politisch noch ökonomisch irgendwelchen Einfluß hat. Aber diese Tatsache ist nicht ein Merkmal des Monopols oder des Imperialismus als solchen, sondern ein Merkmal der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, d. h. der Niedergangsperiode des Kapitalismus. Die allgemeine Krise berührt einen anderen Wesenszug des Monopols, auf den ich noch zu sprechen kommen werde. Es war bereits von der großen Verflechtung der Monopole und der Monopoltypen miteinander die Rede, die einen Wesenszug des modernen Monopols darstellt. Diese Verflechtung macht aber an den Landesgrenzen nicht halt, sie ist international. Nicht nur in einem Industrie- bzw. Wirtschaftszweig bilden sich internationale Monopole, sondern quer durch die verschiedenen Wirtschaftszweige hindurch. E s gibt fast kein Monopolunternehmen, das nicht durch zahlreiche Auslandsbeteiligungen mit Monopolunternehmen in anderen Ländern verbunden wäre. Auch diese internationale Verflechtung muß als charakteristisches Merkmal des modernen Monopols angesehen werden. Die bisherige Untersuchung hat somit ergeben, daß der Begriff des modernen Monopols viel breiter und umfassender ist, als er gewöhnlich behandelt wird. Man kann nun einwenden, daß ich mit dem Dargelegten den Monopolbegriff unzulässig erweitere, daß damit die wichtigsten theoretischen Probleme, wie Monopolpreis und Monopolprofit unerhört kompliziert werden, daß die Definition des Monopols beinahe mit der Definition des Imperialismus identisch sei. Ich kann diesem Einwand nur die Frage entgegenstellen, ob die aufgezeigten Attribute zum Wesen des Monopols gehören oder nicht, ob das moderne Monopol ohne sie überhaupt denkbar ist. Denn daß sie praktisch zum modernen Monopol gehören, das dürfte außer jedem Zweifel sein. Es darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß W. I. Lenin in seiner Studie über den Imperialismus ,,vier Hauptarten der Monopole oder Haupterscheinungen des Monopolkapitalismus" hervorhebt, und zwar: „Erstens: Das Monopol ist aus der Konzentration der Produktion auf einer sehr hohen Stufe ihrer Entwicklung erwachsen."

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Fred Oelßner „Zweitens: Die Monopole haben in verstärktem Maße zur Besitzergreifung der wichtigsten Rohstoffquellen geführt . . . " „Drittens: Das Monopol ist aus den Banken erwachsen." „Viertens: Das Monopol ist aus der Kolonialpolitik erwachsen" (S. 870—71).

Wenn Lenin diese vier Hauptarten der Monopole hervorhebt, die für den modernen Kapitalismus charakteristisch sind, so ist damit eindeutig gesagt, daß wir uns bei der Erforschung der ökonomischen Probleme des Imperialismus eben nicht auf eine Art beschränken dürfen, wenn wir zu richtigen Erkenntnissen kommen wollen. Diesem Fehler können wir aber leicht verfallen, wenn wir schon den Monopolbegriff nur auf eine Monopolart einschränken. Es wird im nächsten IV. Abschnitt dieser Arbeit gezeigt werden, daß der Monopolprofit als das wichtigste Kennzeichen des Monopols aus dem Warenmonopol allein nicht erklärt werden kann. In noch größerem Maße trifft dies aber zu, wenn wir den Einfluß der Monopole auf die Wirtschaftskrisen erforschen wollen. Darum brauchen wir zur Lösung der ökonomischen Probleme des Imperialismus einen solchen Monopolbegriff, der das moderne Monopol in seinem ganzen Wesen umfaßt. Hätten wir somit die wesentlichen konstituierenden Elemente für den Begriff des modernen Monopols glücklich beisammen, so wäre dieser Begriff insofern noch mangelhaft, als er nicht genügend den dynamischen Charakter des modernen Monopols ausdrückte. Es wurde von der Bewegung zwischen Konkurrenz und Monopol ausgegangen. Das Monopol entsteht aus der Konkurrenz und hebt sie auf. Aber zugleich stellt es die Konkurrenz wieder her und hebt sie auf eine höhere Stufe. W. I. Lenin schrieb: „Nirgends in der Welt hat der monopolistische Kapitalismus ohne freie Konkurrenz in einer ganzen Reihe von Zweigen existiert und wird auch nicht existieren. Ein solches System zu beschreiben bedeutet ein System beschreiben, das vom Leben losgerissen und nicht richtig i s t . " 6 8

Neben der freien Konkurrenz in einer ganzen Reihe von schwach- oder nicht monopolisierten Zweigen schafft das Monopol die monopolistische Konkurrenz, deren Vorhandensein ohne große Mühe in jedem imperialistischen Land festzustellen ist. Dieser Konkurrenzkampf geht nicht nur um den Absatz von Waren, sondern um Rohstoffquellen und Einflußsphären und nicht zuletzt um die Beherrschung der Monopole selbst (Aktienmehrheit). Ein vollständiges Monopol mit vollständiger Ausschaltung der Konkurrenz gehört in die gleiche Kategorie wie der Ultraimperialismus Kautskys und das Generalkartell Hilferdings: es ist eine lebensfremde Abstraktion. Ist dem aber so, dann fragt sich, ob nicht auch die Konkurrenz als Korrelat des Monopols zu seinem Wesen gehört und in seine Begriffsbestimmung eingehen muß. Damit ist die Frage nach der geschichtlichen Rolle des modernen Monopols gestellt. Ich sagte schon, daß es nur im Rahmen der Entwicklung der Produktionsweise, der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse verstanden werden kann. Hier stoßen wir wiederum auf die äußerst zwieschlächtige Rolle des Monopols. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die dem Monopol zugrunde liegenden Großbetriebe den Kleinbetrieben auch in bezug auf die Entwicklung des technischen 58

JleHHH, B . H., CoiHHeHHH. (Lenin, W. I., Werke), a. a. 0 . , 1950, Bd. 29, S. 147.

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Fortschritts weit überlegen sind. Lenin hat bereits auf diese Seite des Monopols hingewiesen, als er hervorhob, daß „auch der Prozeß der technischen Erfindungen und Vervollkommnungen vergesellschaftet" wird. Natürlich liefert uns auch dafür der moderne Kapitalismus zahlreiche Belege. Nur die monopolistischen Großbetriebe können Mechanisierung und Automatisierung durchführen. Nur sie können große und kostspielige Forschungsstätten unterhalten, in denen planmäßig bestimmte Probleme erforscht werden, um dem Monopol einen neuen Vorsprung und damit neue Monopolprofite zu sichern. Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Auf der anderen Seite erzeugt auch das moderne Monopol unvermeidlich die Tendenz zur Stagnation und Fäulnis. W. I. Lenin schrieb: „Wie wir gesehen haben, ist die tiefste ökonomische Grundlage des Imperialismus das Monopol. Dieses Monopol ist ein kapitalistisches, d. h. ein Monopol, das aus dem Kapitalismus erwachsen ist und im allgemeinen Milieu des Kapitalismus, der Warenproduktion, der Konkurrenz, in einem beständigen und unlösbaren Widerspruch zu diesem allgemeinen Milieu steht. Und dennoch erzeugt es, wie jedes andere Monopol, unvermeidlich die Tendenz zur Stagnation und Fäulnis. In demselben Maße wie, sei es auch nur vorübergehend, Monopolpreise eingeführt werden, verschwindet bis zu einem gewissen Grade der Antrieb zum technischen und folglich auch zu jedem anderen Fortschritt, zur Vorwärtsbewegung; in demselben Maße entsteht ferner die ökonomische Möglichkeit, den technischen Fortschritt künstlich aufzuhalten" (S. 849).

Diese Tendenz zur Fäulnis, die der obigen Tendenz zur Vergesellschaftung der Vervollkommnung gegenübersteht, ist einer der Hauptgründe dafür, daß Lenin den monopolistischen Kapitalismus als parasitären oder faulenden Kapitalismus charakterisiert. An anderer Stelle schreibt Lenin: „Daß der Imperialismus parasitärer oder faulender Kapitalismus ist, zeigt sich vor allem in der Tendenz zur Fäulnis, die jedes Monopol auszeichnet, wenn Privateigentum an den Produktionsmitteln besteht." 59

Nicht nur in der Tendenz zur Hemmung des technischen Fortschritts kommt der Parasitismus zum Ausdruck. Für das Monopol ist bekanntlich auch das Bestreben charakteristisch, die Monopolpreise durch Drosselung der Produktion und durch Vernichtung von Waren und Produktivkräften hochzuhalten. Dies bedeutet, daß die Monopole trotz des in der Welt noch weit verbreiteten Massenelends die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums, die dieses Elend lindern könnte, künstlich zurückhalten. Dies ist einer der Gründe dafür, daß die Wachstumsrate in allen imperialistischen Ländern weit unter dem Stand liegt, der bei der heutigen Entwicklung der Produktivkräfte möglich wäre. — Auch der Zerfall des imperialistischen Kolonialsystems gehört zu den Faktoren, die den historisch begrenzten Charakter des modernen Monopols kennzeichnen. Schließlich sei noch eine besondere Form dieses Parasitismus erwähnt, die in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg besonders großen Umfang angenommen hat, nämlich die ständig steigende Rüstungsproduktion, die zwar den privatkapitalistischen Reichtum der Monopolisten ungeheuer vermehrt, dafür aber den gesellschaftlichen Reichtum um so mehr vermindert. Andererseits verstärkt diese Rüstungsproduktion die dem Monopolkapitalismus innewohnende Tendenz zur Entfesselung imperialistischer Raubkriege. " Lenin, W. I., Werke, a. a. 0., Bd. 23, S. 103. 5 Probleme Bd. 8

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Die T a t s a c h e , daß nach dem zweiten Weltkrieg ein noch größerer Teil der E r d e den Imperialisten entrissen wurde, stachelt besonders die „ z u kurz g e k o m m e n e n " imperialistischen Länder u m so mehr an, noch ein drittes Mal zum K a m p f u m die Neuverteilung der E r d e anzutreten. Darauf beruht die fieberhafte Aufrüstungspolitik der westdeutschen Imperialisten, die Westdeutschland zum Hauptkriegsbrandherd in E u r o p a g e m a c h t h a t . Die T a t s a c h e , daß die Imperialisten immer wieder danach streben, die Widersprüche auf kriegerische Weise zu lösen, ist ein weiterer Beweis d a f ü r , daß der K a p i t a l i s m u s durch die modernen Monopole in das S t a d i u m seines Niedergangs eingetreten ist. Der Imperialismus ist faulender und sterbender K a p i talismus. Aber dieser geschichtliche Platz des Imperialismus ist wiederum nur die eine Seite des Entwicklungsprozesses. Das moderne Monopol charakterisiert den Imperialismus als Ü b e r g a n g s k a p i t a l i s m u s nicht nur vom S t a n d p u n k t seines Untergangs, sondern auch vom S t a n d p u n k t der materiellen Vorbereitung einer neuen "Produktionsweise. W . I. Lenin charakterisiert diese Seite des Monopols mit folgenden bezeichnenden Worten: „In seinem imperialistischen Stadium führt der Kapitalismus bis dicht an die allseilige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und Wollen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang) von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet" (S. 784). An anderer Stelle hebt Lenin hervor, daß die B a n k e n und die Monopole „einen A p p a r a t für die gesellschaftliche Regulierung des Prozesses der Produktion und der Verteilung der P r o d u k t e " hervorbringen. 6 0 D a s moderne Monopol spielt ebenso eine wichtige Rolle in der geschichtlichen E n t wicklung der Produktionsweise, wie d a s Monopol im Feudalismus. Dieses letztere mußte, wie wir bei Marx und E n g e l s sahen, durch Revolutionen beseitigt werden. Mit dem modernen Monopol steht es nicht anders. E s muß durch die sozialistische Revolution des Proletariats beseitigt werden. E s fragt sich, ob diese historische Rolle des modernen Monopols auch für die ökonomische Analyse von B e d e u t u n g ist, oder ob wir sie beiseite lassen können. Meines E r a c h t e n s ist sie insofern für die ökonomische Analyse von B e d e u t u n g , als durch die Entwicklung der modernen Monopole und durch ihren Übergangscharakter d e r Marktmechanismus des K a p i t a l i s m u s gestört wird und die grundlegenden Gesetze des K a p i t a l i s m u s dadurch in ihrer Wirkung außerordentlich gehemmt werden. Doch davon soll im nächsten Abschnitt die R e d e sein. Hinzu k o m m t , daß heute nicht mehr bloß von der materiellen Vorbereitung einer neuen Produktionsweise durch das Monopol die R e d e ist, sondern daß auf einem Viertel der E r d e der Monopolkapitalismus bereits überwunden und die neue P r o d u k tionsweise bereits entstanden ist. Wenn diese neue sozialistische Produktionsweise auch nichts mehr mit der B e s t i m m u n g des Monopolbegriffs zu tun hat, so steht es doch außer Zweifel, daß die E x i s t e n z des sozialistischen L a g e r s nicht ohne Einfluß auf den Restkapitalismus bleiben kann, mit dem d a s sozialistische L a g e r im ö k o 80

JleHHH, B . H., OiHHeHHH. (Lenin, W. I., Werke), a. a. 0 . , 1952, Bd. 24, S. 421.

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nomischen Wettstreit steht. Hier tauchen zahlreiche neue Probleme auch für die Erforschung des Kapitalismus auf, die in dieser Arbeit nicht mehr behandelt werden können, die aber von den marxistischen Ökonomen bald und umfassend erforscht werden müssen. Abschließend ist folgendes zu sagen: Die bisherigen Definitionen des Monopols können nicht befriedigen, weil sie ungenügend sind und darum das komplizierte Wesen des Monopols nicht umfassen. Sie vereinfachen den Monopolbegriff u n s t a t t h a f t auf ein Teilgebiet und lassen dabei wesentliche Charakterzüge (Finanzkapital, Kolonialmonopol) außer acht. Sie erfassen einseitig und unvollständig das widerspruchsvolle Verhältnis von Konkurrenz und Monopol. Sie beachten auch nicht, daß das Monopol nur dynamisch begriffen werden kann, sie sind dynamisch höchstens in bezug auf die Vergangenheit, indem sie das Monopol aus der Konzentration ableiten, nicht aber in bezug auf die Zukunft. Daher bleiben solche Wesenszüge w i e die Fäulnis und der Übergangscharakter des Monopols unbeachtet. Nach allem Dargelegten müßte eine Monopoldefinition, die alle Grundzüge de& modernen Monopols wiedergibt, mindestens folgende Punkte berücksichtigen: 1. Konzentration der Produktion und des Kapitals in allen Wirtschaftssphären; 2. Verflechtung der Industrie-, Handels-, Bank-, Versicherungs- und Verkehrsmonopole zum Finanzkapital, Herrschaft der Finanzoligarchie; 3. Ausschaltung der Konkurrenz, um hohe Monopolprofite zu erhalten und W i e derherstellung der Konkurrenz zur Sicherung dieser Profite; der Monopolprofit ist das entscheidende Merkmal des Monopols; 4. Monopolisierung der Rohstoffquellen und des Bodens zur Sicherung des Monopolprofits ; 5. Kolonialmonopol, Ausplünderung der Kolonialbevölkerung zur E r l a n g u n g besonders hoher Monopolprofite; 6. Internationale Verflechtung der Monopole; 7. Tendenz zur Stagnation und Fäulnis; 8. Übergangscharakter des Monopoles zu einer höheren Ordnung. Auf dieser Grundlage müßten die modernen Monopole als Wesen des Imperialismus etwa folgendermaßen definiert werden: Monopole sind aus der Konzentration der Produktion und des Kapitals hervorgegangene kapitalistische Großunternehmen oder Vereinigungen solcher Unternehmungen in nationalem und internationalem Maßstab, die zum Zwecke d e r Erlangung von Monopolprofiten die freie Konkurrenz ausschalten und als monopolistische Konkurrenz wiederherstellen, durch Verflechtung aller Wirtschaftszweige zum Finanzkapital die Herrschaft der Finanzoligarchie begründen, die Rohstoffquellen in monopolistischen Besitz nehmen und durch Aufteilung des Territoriums der Erde ein Kolonialmonopol errichten; obwohl sie den Prozeß des technischen Fortschritts vergesellschaften, erzeugen die Monopole gleichzeitig d i e Tendenz zu Fäulnis und Stagnation, wodurch sie als Erscheinung des Untergangs des Kapitalismus und als Übergang zu einer höheren Ordnung gekennzeichnet sind. 5»

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Die Kompliziertheit und Schwerfälligkeit dieses Monopolbegriffs ist mir bewußt, sicher ist er nicht einprägsam. Aber es scheint mir unerläßlich, bei der theoretischen Untersuchung der Monopolprobleme diesen erweiterten Monopolbegriii zugrunde zu legen, weil nur so die Untersuchung dem Wesen des modernen Monopols a d ä q u a t sein kann. Eine kürzere und einprägsamere Begriffsbestimmung des modernen Monopols, die zwar wiederum unvollständig ist, aber doch das Wesentlichste der obigen Definition enthält, könnte etwa so aussehen: Monopole sind aus der Konzentration der Produktion und des Kapitals erwachsende ökonomische Machtpositionen der Finanzoligarchie zwecks Erlangung von Monopolprofiten.

IV. MONOPOLPREIS UND

MONOPOLPROFIT

Wie steht es nun m i t der Ausarbeitung der theoretischen Probleme des Monopols? Im Abschnitt H wurde gezeigt, daß die bürgerlichen Ökonomen das ganze Problem auf die Frage des Monopolpreises reduzieren. Das i&t verständlich, da f ü r sie das Monopol im wesentlichen eine reine Marktangelegenheit ist. Nur unter Mißachtung der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse konnten sie zum „Cournot'schen P u n k t " , zur „Angebotskurve" und ähnlichen Postulaten, aber auch zu einem für alle Zeiten anwendbaren, also zeitlosen Monopolbegriff kommen. Es wurde gezeigt, daß diese Auffassung unwissenschaftlich ist, weil sie nicht der Wirklichkeit entspricht. Damit ist nun keineswegs gesagt, daß die Frage des Monopolpreises unwichtig wäre. In der T a t wird der größte Teil des Monopolprofits der Industrie- und Handelsmonopole über den Monopol-Warenpreis realisiert. Man m u ß aber beachten, daß der Monopolpreis nicht das einzige Mittel zur Erlangung von Monopolprofit ist; man darf das Problem also nicht auf den Monopolpreis beschränken! Auch die marxistischen Ökonomen haben sich bei der theoretischen Behandlung des Monopols vorwiegend dem Monopolpreis zugewandt. Dabei tauchte auch in diesem Kreis die Meinung auf, daß die Preisfrage die ausschließliche oder die wichtigste Frage der Monopoltheorie sei. So schrieb Hans-Joachim B r a u n : „Es gibt keine andere Form zur Realisierung des Monopolprofits als den Monopolpreis." 61

S. J . Tjulpanow meint, daß der Monopolpreis die „zentrale konkrete Kategorie" sei, mit deren Hilfe sich das Monopolkapital letztlich den Monopolprofit sichert. 62 Es 61 Braun, Hans Joachim, Monopolpreis, Monopolprofit und das ökonomische Grundgesetz des Kapitalismus. In: „Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Hochschule Dresden", 8. Jahrg., H. 1, S. 140, 1958/59. 62 Tjulpanow, S. I., Die Struktur des kapitalistischen Maximalprofits. In: „Neue Welt", 9. Jahrg., Nr. 24, S. 3028, 1954.

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ist offensichtlich, daß die Autoren hier nur das Warenmonopol betrachten, die anderen Monopole und auch die Verflechtung aller Monopolarten aber außer acht lassen. Denn es ist nicht zu bestreiten, daß die Monopolbanken, die Versicherungs- und Verkehrsmonopole den Monopolprofit in anderer F o r m als über den Monopolpreis realisieren. Ganz abgesehen vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, der den Monopolen noch ganz andere Formen der Profitrealisierung erschließt. Es scheint mir daher unrichtig, den Monopolpreis zur zentralen Kategorie der Monopoltheorie zu erklären. Diese zentrale Kategorie ist der Monopolprofit 63 , ob er nun über Monopolpreise oder auf andere Weise erlangt wird. Der Monopolpreis, als eine sehr wichtige Form der Realisierung des Monopolprofits, ist eine Kategorie des Monopolkapitalismus, also eine, wenn auch sehr wichtige Teilfrage der Monopoltheorie. Letzten Endes kommt es darauf an, den Monopolprofit und seine Quellen zu erforschen. Eine marxistische Analyse des Monopolpreises f ü h r t unvermeidlich zur zentralen Kategorie, zum Monopolprofit hin. Hans-Joachim Braun sagt richtig: „Die Frage nach der Größe des Monopolpreises und seiner Bestimmung verwandelt sich also in die nach der Bestimmung des Monopolprofits" (S. 139). Und nicht n u r die Frage nach der Größe und der Bestimmung, sondern auch nach dem Wesen des Monopolpreises ist die Frage nach dem Monopolprofit, denn als verwandelte Form des Mehrwerts ist der Profit, welches immer seine Höhe, ein konstituierender Bestandteil des Preises jeder kapitalistisch produzierten Ware (Produktionspreis = Kostpreis -fDurchschnittsprofit). Der Monopolprofit m a c h t aber das Wesen des Monopols aus. Es gibt, wie wir sahen, auch solche Monopole, die nicht Waren verkaufen. Aber es gibt keine Monopole ohne Monopolprofit. Erlischt auf längere Dauer der Monopolprofit, d a n n erlischt auch das Monopol, es verliert jeden ökonomischen Sinn. Betrachten wir nun die bisherigen marxistischen Auffassungen über Monopolpreis und Monopolprofit etwas näher. Alle marxistischen Ökonomen sind sich in einer Frage einig, daß durch die Monopole das Wertgesetz als der einzige Regulator der kapitalistischen Warenproduktion nicht außer K r a f t gesetzt werden kann. Jedoch wird diese Auffassung, die meiner Meinung nach in letzter Instanz richtig ist, meist als Axiom vorgetragen und mit Argumenten begründet, die wenig Beweiskraft haben. Darauf werde ich später eingehen. Die H a u p t f r a g e besteht in diesem Zusammenhang darin, wie das Wertgesetz im monopolistischen Kapitalismus wirkt. Bekanntlich wirkt es im Kapitalismus der freien Konkurrenz nicht unmittelbar, sondern m i t t e l s der Durchschnittsprofitrate u n d des Produktionspreises, da gleich große Kapitale gleich große Profite erheischen. Die Frage nach dem Monopolpreis und Monopolprofit spitzt sich daher in der marxistischen Literatur notwendigerweise darauf zu, wie es im Monopolkapitalismus 63 Die Terminologie ist leider unter den marxistischen Ökonomen nicht ganz klar. Ich verzichte absichtlich auf den Ausdruck „Extraprofit", weil dieser der Bezeichnung für den besonderen Profit vorbehalten bleiben sollte, den der Kapitalist für den zeitweiligen Vorsprung in der technischen Entwicklung usw. erhält. Auch der Ausdruck „Maximalprofit" scheint mir unglücklich zu sein, weil das Streben nach Maximal- oder Höchstprofit allen Entwicklungsstadien des Kapitalismus eigen ist. Daher scheint mir der Ausdruck „Monopolprofit" der beste für die zentrale Kategorie des Monopolkapitalismus zu sein.

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m i t der Durchschnittsprofitrate steht, wie sich Monopolprofit und Durchschnittsprofit zueinander verhalten. Bereits Rudolf Hilferding h a t sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit dem sogenannten Kartellpreis beschäftigt. E r kam zu dem Schluß, daß die Durchschnittsprofitrate durch die Kartelle geändert wird: „Die Kartellierung bedeutet zunächst eine Änderung der Profitrate. Diese Änderung ist erfolgt auf Kosten der Profitrate der anderen kapitalistischen Industrien. Die Ausgleichung dieser Profitraten auf ein gleiches Niveau kann nicht erfolgen durch die Wanderung des Kapitals. Denn die Kartellierung bedeutet ja, daß die Konkurrenz des Kapitals um seine Anlagesphären gehemmt ist." 64

Hilferding vertrat also eindeutig die Ansicht, daß sich zweierlei Profitraten herausbilden; die Profitrate „ist verschieden f ü r die große kartellierte Industrie und f ü r die kleinen von ihr in Abhängigkeit geratenen Sphären der Kleinindustrie . . . " (S. 343/44). Ein Ausgleich dieser beiden Profitraten kann nicht stattfinden. Ebenso eindeutig vertrat Hilferding die Auffassung, innerhalb der nicht kartellfähigen (?) Industrien fände „eine Ausgleichung der Profitrate zu einem niedrigeren Niveau s t a t t durch die hier bestehende Konkurrenz des Kapitals um die verschiedenen Anlagesphären" (S. 344). Nicht so eindeutig wird dagegen von Hilferding die Frage beantwortet, ob innerhalb der kartellierten Industrien ebenfalls eine Ausgleichung der Profitrate (auf höherem Niveau) stattfindet. E r spricht immer nur generell von der höheren Profitrate in den kartellierten Industriezweigen. Mit seiner Kartellpreistheorie habe ich mich bereits früher auseinandergesetzt. 6 5 Die Frage, die hier von Hilferding aufgeworfen wurde, bildet auch heute noch den Gegenstand der Diskussion zwischen den marxistischen Ökonomen. Soweit mir die einschlägige Literatur bekannt ist, haben sich in den letzten J a h r e n unter den marxistischen Ökonomen über diese Frage vier verschiedene Auflassungen herausgebildet: 1. Das Gesetz der Durchschnittsprofitrate wirkt weiter, seine Durchsetzung ist zwar sehr erschwert, aber letzten Endes setzt sich doch eine einheitliche gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate durch. Diese Auflassung vertreten Motyljew, Mendelson, Hemberger. Es versteht sich, daß die Auffassung dieser Autoren nicht völlig einheitlich ist, besonders über den S t a n d p u n k t Mendelsons wird noch etwas zu sagen sein. Aber es k o m m t mir hier auf die Grundfrage an. 2. Es gibt zwei verschiedene Durchschnittsprofitraten, eine f ü r die monopolistische und eine f ü r die nichtmonopolistische Wirtschaft. Das meinen Wygodskij und Braun. 3. Es gibt eine Durchschnittsprofitrate nur f ü r die nichtmonopolistische Wirtschaft aber keine f ü r die Monopole. Dieser Meinung sind Behrens und andere. 4. Es gibt überhaupt keine Durchschnittsprofitrate mehr, da sie dem Wesen des Monopolkapitalismus widerspricht. Das ist die Meinung von Tjulpanow und in gewissem Sinne auch von Kaiweit. Betrachten wir diese Auffassungen etwas näher. Am meisten ist unter den marxistischen Ökonomen die Meinung vertreten, daß die Tendenz zur Bildung der Durchschnittsprofitrate weiter besteht, was ohne 44 45

Hilferding, Rudolf, Das Finanzkapital. Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 342. Ebenda. Vorwort zur Neuausgabe, S. IX.

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Zweifel richtig ist, da ja die Konkurrenz nicht völlig vernichtet wird u n d sogar im monopolistischen Teil der Wirtschaft auf höherer Stufe neu entbrennt. Diese Erkenntnis hilft aber nicht viel weiter, denn das Problem wird durch das W o r t Tendenz verwischt, Die Frage ist doch die, ob die Durchschnittsprofitrate den Monopolprofit und der Produktionspreis den Monopolpreis bestimmt. Manche Ökonomen behaupten eben dies. So schreibt z. B. Hemberger: „Der Monopolpreis ist eine konkrete Form des Marktpreises. Seine Festsetzung ist ein komplizierter Prozeß, der von vielen Faktoren beeinflußt wird. Solche wichtigen Faktoren sind die ökonomische Stärke eines Monopols, das heißt seine Stellung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß, die Bedingungen der Konjunktur, die Konkurrenz usw. Die Grundlage für seine Bildung ist der Wert bzw. der Produktionspreis. Daß der Wert auch weiterhin die Grundlage des Monopolpreises bleibt, äußert sich auch darin, daß die Veränderungen des Produktionspreises bzw. des Wertes sich in der Endkonsequenz auf den Monopolpreis auswirken. Das wird in Zeiten der Überproduktionskrisen deutlich, wo die Monopolpreise ebenfalls eine sinkende Tendenz zeigen, trotz des Widerstands der Monopole."6*

Hemberger meint also, daß „die Veränderungen des Produktionspreises bzw. des Wertes sich in der Endkonsequenz auf den Monopolpreis auswirken". Diese Behauptung ist aber durch nichts bewiesen. Es ist doch eine allbekannte Tatsache, daß die Monopolpreise in der Regel und meist auf sehr lange Dauer beträchtlich über den Produktionspreisen liegen. Selbst wenn die Monopolpreise infolge der Senkung des Produktionspreises heruntergehen, bleibt immer noch die Frage offen, ob ihre Senkung dann der Senkung des Produktionspreises entspricht. Und das ist auch nur in den seltensten Fällen so. Eine Herabsetzung der Monopolpreise kann sogar eine E r höhung des Monopolprofits (noch weiter über den Durchschnittsprofit hinaus) m i t sich bringen, wenn sie geringer ist, als die Senkung der Produktionspreise. Wenn Hemberger weiter auf die Krisen hinweist, so spricht dieses Argument gegen seine Auffassung. Denn um den Monopolpreis dem Produktionspreis anzupassen (und den Monopolprofit dem Durchschnittsprofit), müßten die Monopolpreise in den Krisen in viel größerem Maße sinken als die anderen Preise, weil sie ja weit über den Produktionspreisen stehen. Nun ist aber gerade das Gegenteil w a h r , die Monopolpreise sinken, wenn überhaupt, in der Krise viel langsamer und geringer, als die „ f r e i e n " Preise. Eine eigenartige Variante der Auffassung vom Weiterwirken der DurchschnittsProfitrate vertritt L. Mendelson. E r schreibt: „In Wirklichkeit existiert ein einziges Gesetz der Produktionspreise für die kapitalistische Wirtschaft in ihrer Gesamtheit und nur eine einzige gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate. Für die Monopole ist dieser Durchschnittsprofit das Minimum, für die nichtmonopolistischen Kapitalisten ist dies unter der Herrschaft der Monopole das schwer erreichbare Maximum."87 86

Hemberger, Horst, Über die Herausbildung der Durchschnittsprofitrate unter den Bedingungen des Imperialismus. In: „Wirtschaftswissenschaft", VI. Jahrg., H. 6, S. 843, 1958. 87 Mendelson, L., Über einige Seiten des ökonomischen Grundgesetzes des Imperialismus. In: „Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Abteilung", H. 5, S. 617, 1955.

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Der zweite Satz dieses Zitats steht offenbar in Widerspruch zu dem ersten. Denn wenn die Durchschnittsprofitrate für die einen das Minimum, für die anderen das schwer erreichbare Maximum ist, wenn darin der wesentliche Unterschied zwischen Monopolen und Nicht-Monopolen besteht, so bedeutet die Differenz zwischen Minimum und Maximum nichts anderes als einen Unterschied zwischen zwei verschiedenen Profitraten! Aber Mendelson kommt auf recht seltsame Weise zu der „einzigen gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate". E r eliminiert nämlich vorher einen ganz beträchtlichen Teil des Monopolprofits aus der Analyse. Er sagt, man müsse „Monopolprofit unterscheiden, der durch Methoden angeeignet wird, die den Warenaustausch zu Produktionspreisen und folglich das Gesetz des Durchschnittsprofits verletzen, und solchen, der durch Methoden angeeignet wird, die dies nicht bewirken". Zu den Methoden, die das Gesetz des Durchschnittsprofits nicht verletzen, gehören, ganz kurz rekapituliert: 1. Finanzmanipulationen 2. Senkung der Produktionskosten unter den gesellschaftlichen Durchschnitt (d. h. Extraprofit) 3. Monopolisierung von Grundstücken und Bodenreichtümern (Diflerentialrente) 4. Ausplünderung der Kolonialvölker, der Staatskasse usw. (S. 613/14). Mendelson meint, durch diese Methoden werde das Gesetz der Durchschnittsprofitrate nicht verletzt, weil sie entweder überhaupt unabhängig vom Mechanismus der Warenpreise, oder unabhängig von der Steigerung der Warenpreise über den Produktionspreis hinaus seien. Indem er zugibt, daß es sich hierbei um einen überaus großen Teil des Monopolprofits handelt, bestätigt er, daß der Monopolprofit zu einem großen Teil nicht durch das Gesetz der Durchschnittsprofitrate bestimmt wird. Was aber den anderen Teil anbelangt, so sagt Mendelson selbst, daß dieser durch Methoden angeeignet wird, die das Gesetz der Durchschnittsprofitrate verletzen. Worauf er nach all dem seine Behauptung stützen will, daß es nur „eine einzige gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate" gebe, die für alle gelte, ist nicht einzusehen. Seine Behauptung, der Durchschnittsprofit sei für die Monopole das Minimum, für die nichtmonopolistischen Kapitalisten das schwer erreichbare Maximum, ist eine nichtbewiesene Konstruktion. Ein Monopol, dessen Profit für längere Zeit auf den Durchschnittsprofit sinkt, hört ökonomisch auf, ein Monopol zu sein. Es scheint mir unerläßlich, bei der Lösung des Problems die Zeitfrage mit in Betracht zu ziehen. Die Wirkung des Gesetzes der Durchschnittsprofitrate verstehen wir doch so, daß gleich große Kapitale in längeren Zeitabschnitten, etwa im Verlauf eines Zyklus, im Durchschnitt ungefähr gleich große Profite machen. Wenn nun ein Monopol für einen längeren Zeitraum einen weit über den Durchschnittsprofit liegenden Monopolprofit realisiert, und dann durch das Auftreten einer neuen Konkurrenz diesen Monopolprofit einbüßt, wenn sein Profit auf den Durchschnitt sinkt — können wir dann sagen, der Monopolprofit sei durch die Durchschnittsprofitrate bestimmt worden? Müssen wir nicht vielmehr sagen, daß der Monopolprofit ständig über dem Durchschnittsprofit lag, also nicht durch das Gesetz der Durchschnittsprofitrate bestimmt

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wurde, und daß die Wiederherstellung des Durchschnittsprofits das Ende der Monopolstellung bedeutet? Dies scheint mir der Hauptpunkt zu sein. Alle Beweisführungen, daß die Durchschnittsprofitrate ersten oder letzten Endes auch für die Monopole besteht, besagen doch nichts anderes, als daß das Monopol — kein Monopol ist. Denn ohne Monopolprofit (der über dem Durchschnittsprofit liegt) hat das Monopol keinen Sinn. Der Monopolprofit ist das entscheidende, in letzter Instanz bestimmende Attribut des Monopols. Die Erklärung des Monopolprofits aus der Durchschnittsprofitrate ist eine condradictio in adjecto, sie widerspricht dem Wesen des Monopolprofits selbst. Von allen marxistischen Ökonomen wird die von Stalin aufgestellte These anerkannt, daß für die Monopole der Durchschnittsprofit nicht ausreicht, um die normale Reproduktion zu bewerkstelligen, daß sie deshalb Maximal-(= Monopol-) Profit brauchen. Für diese These sind in der Literatur viele richtige und auch unrichtige Gründe angeführt worden. Der Hauptgrund dürfte wohl doch in dem sehr großen und ständig zunehmendem Umfang des fixen Kapitals liegen. Doch welche Gründe dafür immer maßgebend seien, wenn die These richtig ist, dann widerspricht sie der These von der Durchschnittsprofitrate als Regulator des Monopolprofits. Und offensichtlich widerspricht die letztere These auch der Tatsache, daß die Monopole eine ständige Verteuerung der Waren herbeiführen. Motyljew selbst hat nachdrücklich darauf hingewiesen, ja er nimmt diese Teuerung sogar zum Ausgangspunkt seiner Betrachtung. Sein Aufsatz beginnt mit der Feststellung: „ D e r Übergang zum monopolistischen Stadium des Kapitalismus war durch eine gewaltige Preiserhöhung gekennzeichnet. Das niedrigste Preisniveau fällt nach den Indizes der Mehrzahl der Länder in der Hauptsache in das J a h r 1896." 88 ®8 Motyljew, W., Monopolpreis und Wert. I n : Marxistische Forschung. Dietz Verlag, Berlin 1949, S. 30. Bei Abfassung dieses Aufsatzes war mir leider noch nicht das 1959 in Moskau erschienene Buch W. E. Motyljews über „ D a s Finanzkapital und seine organisatorischen F o r m e n " bekannt, in dem sich der Autor eingehend auch m i t dem Problem Monopolpreis und Monopolprofit befaßt. Hier nur einige kurze Notizen dazu. Bemerkenswert ist die Feststellung Motyljews, d a ß „im weiteren Sinne im Finanzkapital die Beziehungen des Eigentums und der Kontrolle der verschmolzenen Finanz- und NichtFinanzunternehmungen verschiedener Zweige des U n t e r n e h m e r t u m s zusammenfließen", wie des Verkehrs, des Handels usw. (S. 86), und später daraus schlußfolgernd: „Die Monopolisten erlegen der Gesellschaft einen Tribut auf, indem sie einen ständig wachsenden Profit aus Gründungen, aus Wertpapier-Emissionen, aus Staatsanleihen usw. e r h a l t e n " (S. 210). — Den Monopolpreis definiert Motyljew als „räuberischen Preis, der auf Grund der Ausnutzung monopolistischer Positionen auf einem Niveau gehalten wird, das einen Monopolprofit sichert" (S. 174). Obwohl es schwierig sein d ü r f t e , den R a u b durch ein Gesetz exakt ökonomisch zu bestimmen, behauptet Motyljew: „Obwohl die Monopolpreise in der Regel den Wert und den Produktionspreis der entsprechenden Waren bedeutend übersteigen, unterliegt die Bewegung der Monopolpreise von Zeit zu Zeit einem mächtigen Druck durch die Bewegung ihres W e r t e s " (S. 184). Selbst wenn dies zugegeben wird, ist dadurch nicht bewiesen, d a ß der W e r t die Höhe des Monopolpreises bestimmt. Aber Motyljew behauptet weiter „letzten Endes folgen die Monopolpreise früher oder später der Bewegung der Arbeitsproduktivität und des Kostpreises" (S. 186). Zur S t ü t z u n g dieser These f ü h r t Motyljew eine größere Anzahl Preistabellen monopolistischer Waren an, die aber mit wenigen Ausnahmen das Gegenteil beweisen. N e h m e n wir als einziges Beispiel

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Auch W . I. Lenin hat mehrfach die „mit dem Wachstum der kapitalistischen Monopole im Zusammenhang stehende Teuerung" betont. 6 9 Wenn das Gesetz der die Stahlpreise. Sie betrugen pro Tonne (ich greife die Jahre willkürlich aus der S. 187/88 angeführten Tabelle heraus): 1897 14,93 Dollar 1900 25,15 1910 25,20 „ 1920 57,79 „ 1930 (Krise) 31,81 „ 1940 34,00 1948 48,13 „ Wenn diese Preise auch starken konjunkturellen Schwankungen unterworfen waren, kann doch kaum behauptet werden, daß sie der Bewegung der Arbeitsproduktivität gefolgt sind. — Was den Monopolprofit und die Durchschnittsprofitrate anbelangt, so ist Motyljew in seinem neuen Buch weniger bestimmt als in dem oben zitierten Aufsatz von 1948. Damals sagte er ziemlich summarisch, „daß die Tendenz zur Bildung des Durchschnittsprofits auch im Imperialismus weiterwirkt". In seinem neuen Buch ist leider der Abschnitt „Der Durchschnittsprofit unter den Bedingungen der Monopolherrschaft" der kürzeste des ganzen Buches. Nachdem er auch in dieser Arbeit S. 184 wiederholt hat, daß „die Tendenz zur Bildung einer allgemeinen Profitrate auch im Imperialismus fortfährt zu wirken" (S. 184), sagt er später: „Die Herrschaft der Monopole macht die Bildung und die Existenz (!) einer allgemeinen Profitrate in den monopolisierten Zweigen . . . unmöglich (!), da sie den Monopolen erlaubt, systematisch einen hohen Monopolprofit zu erhalten" (S. 208) und: „Bei Herrschaft der Monopole wird die dauernde (yCTOftlHBOe) und bedeutende Abweichung der Monopolprofite vom Durchschnittsniveau unvermeidlich" (S. 213). Das Fortwirken des Gesetzes des Durchschnittsprofits sieht Motyljew darin, daß das Verhältnis des gesamten gesellschaftlichen Mehrwertes zum gesamten gesellschaftlichen Kapital, d. h. der Durchschnittsprofit, als objektive Bestimmtheit mannigfaltigen Einfluß auf den Monopolprofit hat. Auch diese Beweisführung als richtig anerkannt, ist das Problem des Monopolprofits damit noch nicht geklärt. Erstens wird hier nur eine, wenn auch die Hauptquelle des Monopolprofits in Betracht gezogen, der Mehrwert. Zweitens leitet Marx ja gerade aus der gleichen Verteilung des gesellschaftlichen Gesamtmehrwerts auf das gesellschaftliche Gesamtkapital den Durchschnittsprofit und den Produktionspreis ab. Der Monopolpreis bedeutet aber implizite die Abweichung vom Durchschnittsprofit, die Störung dieser Verteilung, kann also auch nicht aus ihnen erklärt werden. Motyljew schränkt daher auch ein, „daß die Durchschnittsprofitrate einen bestimmten Einfluß auch auf die Monopolprofitrate hat, obwohl dieser Einfluß kein entscheidender sein kann, da das Niveau des Monopolprofits vor allem von Faktoren bestimmt wird, die mit der Monopolherrschaft zusammenhängen" (S. 214). Schließlich kommt Motyljew am Schluß wieder zu der unbefriedigenden These, „das Wirken des Gesetzes des hohen Monopolprofits begrenzt das Wirken des Gesetzes des Durchschnittsprofits, aber kann sein Wirken nicht beseitigen" (S. 233). Es geht ja gar nicht um diese Beseitigung, sondern um die Frage, was der Monopolprofit ist, welcher gesetzmäßige Zusammenhang mit dem Durchschnittsprofit besteht, ob der Monopolprofit durch den Durchschnittsprofit oder wodurch sonst reguliert wird. Auf diese Fragen finden wir auch in dem neuen Buch von Motyljew keine Antwort. Er spricht häufig vom „Gesetz des hohen Monopolprofits" — aber was ist neben dem Wertgesetz und dem Gesetz des Durchschnittsprofits, die uns wohl bekannt sind, dies für ein „Gesetz des hohen Monopolprofits", wie wirkt es? Diese Frage bleibt unbeantwortet. — Vgl. B . E . MoTMJieB, HHaHCOBuft KanHTan h ero opraHHaaunoHHue $opMii, MocKBa, 1959. «• JleHHH, B . H., COHHHeHHH. (Lenin, W. I, Werke), a. a. 0 . , 1952, Bd. 24, S. 421, 431.

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Durchschnittsprofitrate für den Monopolpreis b e s t i m m e n d wäre, dann müßte aber in größeren Zeitspannen eine S e n k u n g der Monopolpreise eintreten, weil die Arbeitsproduktivität steigt und die Profitrate die Tendenz z u m Fallen h a t . Die nächste A u f f a s s u n g , die von Wygodskij und B r a u n vertreten wird, besagt, daß sich im Monopolkapitalismus zwei verschiedene Durchschnittsprofitraten herausbilden, eine niedrige für die Nichtmonopolisten und eine hohe für die Monopolisten. Minus und Plus gleichen sich aus. H a n s - J o a c h i m B r a u n formuliert diesen S t a n d p u n k t folgendermaßen: „Daß die Profite auf der niedrigen Ebene den Trend zum Ausgleich haben, ist zweifellos einleuchtend. Daß ähnliche Tendenzen auch zwischen den Monopolen vorliegen, ist ebenfalls verständlich. Der Konkurrenzkampf der Monopole führt zu einer Annäherung der Monopolprofite" (S. 141). Wygodskij h a t versucht, diese T a t s a c h e sogar m i t Zahlen zu belegen und ist zu d e m Schluß gekommen, daß in den U S A 1951 die Profitrate der Gummi-, elektrotechnischen und Automobil-Industrie zwischen 36,7 und 40 Prozent schwankte, in der Textil-, Leder- und Konfektions-Industrie dagegen zwischen 17,4 und 12,1 Prozent. 7 0 Also existieren zwei Durchschnittsprofitraten, die eine wird durch die freie Konkurrenz, die andere durch die Monopolkonkurrenz herausgebildet. Diese Theorie h a t wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Die große Verschiedenheit der von verschiedenen Monopolen realisierten Profitraten ist hinlänglich bekannt. Bei Victor Perlo finden wir in seinem bekannten B u c h über den amerikanischen Imperialismus die folgende interessante Aufstellung: 7 1 Ertragsrate des investierten Kapitals im Jahre 1948 Inland Ausland (Prozent) (Prozent) Standard Oil (N. J . ) 11 33 General-Motors 25 80 Anaconda Copper 5 13 Firestone Rubber 7 26 Aus diesen Zahlen läßt sich beim besten Willen keine Ausgleichung der Monopolprofite herauslesen! Wygodskij versucht seine These noch durch ein anderes Rechenexempel zu stützen. E r hat für eine Anzahl amerikanischer Monopolgesellschaften die S u m m e des Profits m i t der V e r k a u f s s u m m e verglichen und ist zu dem R e s u l t a t gekommen, daß a u c h hier die Ausgleichstendenz ersichtlich ist. D a s Verhältnis schwankt in seinem Beispiel zwischen 12,3 und 13,6 Prozent. Nun ist d a s s t a t i s t i s c h e Material über die amerikanischen Monopole so reichhaltig, daß sich mühelos auch Zahlen gruppieren lassen, die das Gegenteil beweisen. Stellen wir z. B . nach einer A u f s t e l l u n g von 1956 die drei großen Automobil-Monopole der U S A gegenüber: 7 2 70

E u r o f l C K H ü , C . , CpenHHH n p u ß t u i e h q e H a npoH3Bo«CTBa KoMMyHHCT, 1954, N r . 14,

S. 118 (Wygodskij, S.) Durchschnittsprofit und Produktionspreis. In: „KoMMyHHCT", 31. Jahrg. H. 14, S. 118, 1954. 7 1 Perlo, Victor, Der amerikanische Imperialismus. Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 70. 72

KpynHeitMHe KOMnaHHH C I I I A n AHTJUIH, M o c K B a 9 5 7 , CTp 10 ( D i e g r ö ß t e n K a p i t a l -

gesellschaften in USA und England. Moskau 1957, S. 10).

76

Fred. Oelßner Umsatz

Reingewinn

/o

in 1000 Dollar General-Motors Corporation Ford Motor Compani Chrysler Corporation

12443,3 5594,0 3466,2

1189,5 437.0 100.1

9.6 7.7

2.8

Wie wir sehen, ist hier bereits innerhalb eines Industriezweiges eine sehr starke Differenzierung des Profits im Verhältnis zum Umsatz vorhanden. Bei Wygodskij erscheint dieser Unterschied nicht, weil er die ganze Automobilindustrie bereits auf einen Durchschnittsprozentsatz von 12,3 Prozent gebracht hat. Ich will gern zugeben, daß die der bürgerlichen Statistik entnommenen Zahlen über den Reingewinn wenig beweiskräftig sind, da sie nicht verraten, wieviel Reserven und sonstige Rücklagen davon abgerechnet sind, von den Abzügen für Direktorengehälter, Tantiemen usw. ganz zu schweigen. Aber muß man dasselbe nicht auch von den Zahlen Wygodskijs sagen? Die These von der Monopol-Durchschnittsprofitrate läßt sich meines Erachtens auch theoretisch nicht aufrechterhalten, weil die ökonomische Macht der Monopole sehr verschieden ist, und weil es, wie Mendelson richtig bemerkt, „ein Gesetz der gleichmäßigen Verteilung des Gründergewinns, der Differentialrente, der Profite durch Veruntreuung von Staatseigentum, durch die Ausplünderung der Kolonien usw. unter alle Monopole" nicht gibt und nicht geben kann (S. 617). Aber selbst wenn wir von diesen Faktoren absehen und nur die Warenmonopole und den Monopolpreis für Waren betrachten, kann es keine durchschnittliche Monopolprofitrate geben, weil unter den monopolistischen Industrie- und Handelsbetrieben nicht die alte freie Konkurrenz herrscht, sondern die Monopolkonkurrenz. Zum Unterschied von der freien Konkurrenz ist die monopolistische Konkurrenz im höchsten Grade ungleichmäßig. Sie wird nicht in allen Zweigen und zu allen Zeiten mit gleicher Vehemenz geführt. Mal wird sie durch Vereinbarung der Monopole in einem Zweig ganz aufgehoben, mal tun sich Monopole speziell zum Kampf gegen andere Monopole zusammen. Hinzu kommt die schon früher dargestellte außerordentliche Verflechtung der Monopole untereinander, die nicht selten dazu führt, daß ein Monopol bei einem solchen Kampf gleichzeitig an beiden Seiten beteiligt ist und am Ende Sieger und Verlierer zugleich ist, wenn es überhaupt gestattet, den Kampf bis zu Ende auszutragen. Ferner ist es in der Regel auch so, daß die stärksten Monopole auch im monopolistischen Konkurrenzkampf die stärkste Position haben. Daher wird durch den Kampf meist ihre Position gefestigt, d. h. ihr größerer Monopolprofit gesichert. Weiter ist zu beachten, daß auch der große Umfang des fixen Kapitals bei den Monopolen dem Ausgleich sowohl zu einer allgemeinen als auch zu einer monopolistischen Durchschnittsprofitrate entgegensteht. Gerade die Kapital-Übertragung wird dadurch außerordentlich gehemmt. Den nichtmonopolistischen Kapitalisten gelingt es nur in den allerseltensten Fällen, in den Bereich der Monopole einzudringen, und auch den schwach monopolistischen Kapitalisten ist es sehr schwer, zu den Großen aufzusteigen. Jedenfalls sind dies keine Massenerscheinungen, die eine Ausgleichung der Profitraten bewirken könnten. Völlig falsch wäre es, unter Hinweis auf das Aktienwesen eine leichtere Übertragbarkeit des Kapitals anzunehmen. Denn

Beitrag zur Monopoltheorie

77

die Käufe und Verkäufe von Aktien bedeuten eine Bewegung nur des fiktiven Kapitals, sie berühren in keiner Weise das produktive, am wenigsten das fixe Kapital. Die von Tjulpanow vertretene Auffassung, daß es ü b e r h a u p t keine Durchschnittsprofitrate mehr gebe, scheint mir über das Ziel hinauszuschießen, obwohl ich Tjulpanow in vielem zustimme, besonders seiner Darstellung des allgemeinen Zusammenhangs der Monopole. Tjulpanow schreibt über die Durchschnittsprofitrate in dem eingangs zitierten Aufsatz: „ D a s Gesetz der Verteilung ist bereits nicht mehr die Verteilung proportional d e m vorgeschossenen Kapital, sondern die progressive Steigerung der Profitrate direkt proportional der wirtschaftlichen und politischen Macht der Monopole" (S. 3021).

Dieser Meinung stimme ich zu, soweit es sich u m die Monopole h a n d e l t . Ich k a n n jedoch nicht verstehen, warum in den Teilen der W i r t s c h a f t , in denen noch die freie Konkurrenz herrscht, die Verteilung des verbliebenen Teils des Mehrwerts nicht n a c h dem Gesetz der Durchschnittsprofitrate vor sich gehen soll. Hier ist ja die freie Kapitalübertragung noch möglich, und ein überdurchschnittlich hoher Profit in einem Geschäftszweig zieht unweigerlich Kapital heran, das infolge der relativ geringen Bedeutung des fixen Kapitals in diesem Bereich auch verhältnismäßig leicht zuströmen kann. Tjulpanow f ü h r t dagegen an, daß dies 1. ein Zerreißen der einheitlichen Ökonomik des Kapitalismus im gegenwärtigen Stadium bedeute — aber faktisch bestehen monopolistische und nichtmonopolistische Zweige nebeneinander; 2. zur Annahme von zwei Grundgesetzen führe, die die Bewegung der verschiedenen Kapitalteile bestimmen — aber es geht hier doch darum, wie sich das Grundgesetz (das Mehrwertgesetz) im Monopolkapitalismus durchsetzt; 3. zur Verneinung des Imperialismus als besonderes Stadium des Kapitalismus führe, das ein Stadium des Niedergangs ist. Hier formuliert Tjulpanow seinen S t a n d p u n k t a m schärfsten. E r schreibt: „Wie kann unter diesen Bedingungen das Gesetz des Durchschnittsprofits, das eine völlig andere Entwicklungsstufe der Produktionsverhältnisse des Kapitalismus z u m Ausdruck bringt, weiterhin wirksam sein? Wie verträgt es sich mit der These Lenins, «laß das Monopol, w e n n es einmal die Herrschaft erlangt hat, zwangsläufig alle Seiten des gesellschaftlichen Lebens durchdringt?" (S. 3035).

Aber Lenin hat auch hervorgehoben, daß der Imperialismus, das Monopol ein „Überb a u " über den alten Kapitalismus ist, daß der Imperialismus immer noch Kapitalismus bleibt. Am Ende seiner Ausführungen k o m m t Tjulpanow zu dem Schluß, daß das ökonomische Grundgesetz weder in den monopolistischen noch in den nichtmonopolistischen Zweigen zur Beseitigung der anarchischen Folgen des Kampfes u m den Profit führen kann, daß es einen anderen ökonomischen Regulator als die Profitrate im Kapitalismus nicht geben kann. Aber die Frage ist doch gerade die, wie dieser Regulator wirkt, ob die verschiedenen Monopolprofitraten, die höher als die Durchschnittsprofitrate sind, die Rolle von Regulatoren spielen können. Auch Werner Kaiweit v e r t r i t t die Ansicht, daß es im nichtmonopolisierten Bereich keine Durchschnittsprofitrate gebe. E r schreibt:

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Fred

Oelßner

„Die Auffassung über das Bestehen einer Durchschnittsprofitrate .im nichtmonopolisierten Bereich hat wissenschaftlich nur geringen Wert; denn infolge des unterschiedlichen Einflusses der großen Kapitale in den verschiedenen Sphären kann die Grenze zwischen dem Monopolkapital und dem übrigen Kapital nicht eindeutig gezogen werden." 7 3 A u ß e r dem oben Dargelegten ist h i e r a u f zu erwidern, daß diese Grenze, wie überh a u p t j e d e Grenze sehr variabel ist, d a ß sie aber nur die Größe des Anteils am Mehrwert b e s t i m m t , der den Nichtmonopolisten verbleibt, nicht aber den Modus der Verteilung dieses Antei Is. Ob groß oder klein, wird dieser Anteil bei freier Konkurrenz der K a p i t a l e nicht anders verteilt werden können, als durch das Gesetz der Durchschn i t tsprofi tra te. Mir scheint, d a ß F r i t z B e h r e n s der W a h r h e i t am n ä c h s t e n

kommt,

wenn

er

schreibt: „daß es im Monopolkapitalismus eine Durchschnittsprofitrate nur für die nichtmonopolisierte Industrie gibt, die nicht zur allgemeinen Profitrate für die gesamte Wirtschaft wird, weil in den monopolisierten Industrien sich je nach den konkreten Verhältnissen verschiedene Monopolprofitraten herausbilden." 74 Diese Auffassung scheint m i r das R i c h t i g e zu treffen. Bedauerlich ist nur, d a ß F r i t z B e h r e n s an dieser Auffassung n i c h t konsequent festhält, sondern gleich anschließend den rätselhaften S a t z s c h r e i b t : „Da die Konkurrenz der Kapitalien um die Anlagesphäre aber nicht aufgehoben, sondern nur gehemmt ist, ergibt sich, daß diese Monopolprofitraten zwar ebenfalls eine Tendenz haben, sich auszugleichen; diese Tendenz verwirklicht sich jedoch nicht mehr wie im vormonopolistischen Kapitalismus über einen Zyklus." Also was ist nun, gleichen sich die Monopolprofitraten aus oder n i c h t ? B e h r e n s sagt, die Ausgleichungstendenz verwirklicht sich nicht über seinen Zyklus. W i e aber d a n n ? Und verwirklicht sie sich ü b e r h a u p t ? Das ist die F r a g e ! Völlig abwegig ist aber der Versuch von F r i t z B e h r e n s , seine T h e s e zu beweisen, d a ß „ a u c h die B i l d u n g der monopolistischen Produktionspreise (?) eindeutig ökonomisch b e s t i m m t " sei. Behrens begründet seine T h e s e folgendermaßen: „Im monopolistischen Kapitalismus schwanken die Marktpreise in den nicht oder noch nicht monopolisierten Sphären der Wirtschaft um die allgemeinen Produktionspreise; in den monopolistischen Industrien sind die Schwankungszentren die individuellen Produktionspreise der mit den höchsten Kosten produzierenden Betriebe." M i t dieser T h e s e gerät F r i t z Behrens in gefährliche Nähe der berüchtigten Grenzproduzententheorie. E s ist ein durch nichts bewiesenes Märchen, das die Preispolitik der Monopole beschönigt, wenn m a n b e h a u p t e t , daß die Monopolpreise um die individuellen

Produktionspreise

der am

teuersten

produzierenden

Betriebe

schwanken. W a s soll denn die Monopole hindern, ihre Preise über diesem Niveau fest73 Kaiweit, Werner, Über die Ursachen der Preissteigerungen im modernen Kapitalismus. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1958, S. 74. 74 Behrens, Fritz, Bemerkungen zur Profitrate im monopolistischen Kapitalismus. In: „Wirtschaftswissenschaft", V. Jahrg., H. 2, S. 256, 1957.

Beitrag zur Monopoltheorie

79

zusetzen, wenn die sonstigen Bedingungen es g e s t a t t e n ? In der Monopolpraxis k o m m t es häufig vor, daß solche unrentablen „ G r e n z b e t r i e b e " stillgelegt werden, ohne daß d a s „ S c h w a n k u n g s z e n t r u m " der Monopolpreise auch nur im geringsten sinkt. Die Monopole sacken dann einen um so höheren Profit ein. Der Versuch, den Monopolpreis „eindeutig ö k o n o m i s c h " zu bestimmen, ist also mißglückt. Und das ist kein Zufall, denn wenn irgendwo, dann ist gerade in der Monopoltheorie der „rein ökon o m i s c h e " S t a n d p u n k t , d. h. die Nichtbeachtung der politischen F a k t o r e n fehl a m Platze. Betrachten wir nun zunächst, wie K a r l Marx den Monopolpreis behandelte. Dabei schalte ich von vornherein das Problem der Grundrente aus, das nicht u n m i t t e l b a r zu unserem T h e m a gehört. Weiter ist zu beachten, daß Marx (ebenso wie Ricardo) von der absoluten Herrschaft der freien Konkurrenz ausging, also das Monopol a l s Ausnahme betrachtete. Unter diesem Gesichtspunkt sind die folgenden Darlegungen zu sehen. An einer Stelle s a g t M a r x : „Wenn wir von Monopolpreis sprechen, so meinen wir überhaupt einen Preis, der nur durch die Kauflust und Zahlungsfähigkeit der Käufer bestimmt ist, unabhängig von dem durch den allgemeinen Produktionspreis, wie von dem durch den Wert der Produkte bestimmten Preis. Ein Weinberg, der Wein von ganz außerordentlicher Güte erzeugt, Wein, der überhaupt nur in relativ geringer Quantität erzeugt werden kann, trägt einen Monopolpreis." 7 6 E s ist klar, daß wir diesen Fall aus unserer B e t r a c h t u n g ausschließen können, da essich um ein absolutes natürliches Monopol handelt. Die bürgerliche Theorie liebt es sehr, den Monopolpreis an ähnlich gelagerten Fällen darzustellen, wie alte G e m ä l d e , seltene Briefmarken und ähnlichem. Sie können zur modernen Monopoltheorie nichts beitragen. Die in diesem Z u s a m m e n h a n g meist zitierte Stelle bei M a r x ist die folgende a u s dem 50. Kapitel des dritten B a n d e s : „Findet endlich die Ausgleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit in den verschiedenen Produktionssphären ein Hindernis an künstlichen oder natürlichen Monopolen, und speziell am Monopol des Grundeigentums, so daß ein Monopolpreis möglich würde, der über den Produktionspreis und über den Wert der Waren stiege, auf die das Monopol wirkt, so würden die durch den Wert der Waren gegebnen Grenzen dadurch nicht aufgehoben. Der Monopolpreis gewisser Waren würde nur einen Teil des Profits der anderen Warenproduzenten auf die Waren mit dem Monopolpreis übertragen. Es fände indirekt eine örtliche Störung in der Verteilung des Mehrwerts unter die verschiedenen Produktionssphären statt, die aber die Grenze dieses Mehrwerts selbst unverändert ließe. Ginge die Ware mit Monopolpreis in den notwendigen Konsum des Arbeiters ein, so würde sie den Arbeitslohn erhöhen und dadurch den Mehrwert vermindern, falls der Arbeiter nach wie vor den Wert seiner Arbeitskraft bezahlt erhielte. Sie könnte den Arbeitslohn unter den Wert der Arbeitskraft herabdrücken, aber dies nur, soweit jener über der Grenze seines physischen Minimums stände. In diesem Falle würde der Monopolpreis durch Abzug am realen Arbeitslohn (d. h. der Masse der Gebrauchswerte, die der Arbeiter durch dieselbe Masse Arbeit erhielte) und an dem Profit der anderen Kapitalisten bezahlt. Die Grenzen, innerhalb deren der Monopolpreis die normale Regulierung der Warenpreise affizierte, wären fest bestimmt und genau berechenbar" (S. 917). 7e

Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. III, S. 825.

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Fred Oelßner

Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daß durch den Monopolpreis 1. die durch den Wert der Waren gegebenen Grenzen nicht aufgehoben werden, 2. eine Umverteilung des Profits und damit eine Störung in der Verteilung des Mehrwerts eintritt, 3. entweder der Arbeitslohn steigt oder unter den Wert der Arbeitskraft gedrückt wird, 4. die Grenzen, innerhalb der die normale Regulierung der Warenpreise berührt wird, fest bestimmt und genau berechenbar wären. Es versteht sich, daß dies alles allein unter der Voraussetzung gilt, die Marx in seiner ganzen Untersuchung macht, daß nur kapitalistische Produktionsverhältnisse bestehen. Eben unter dieser Voraussetzung spricht Marx aber nur davon, daß die durch den Wert gegebenen Grenzen nicht aufgehoben werden, daß die Grenzen, innerhalb der die normale, Regulierung berührt wird, fest bestimmt wären. Vom Monopolpreis selbst sagt Marx nur, daß er über den Produktionspreis und über den Wert der Waren steigt. Er sagt aber nicht, daß der Monopolpreis durch den Wert oder den Produktionspreis bestimmt wird. Das aber behaupten einige Ökonomen. So sagt Motyljew in dem schon erwähnten Aufsatz: „ D a s Wertgesetz regelt auch weiterhin im Stadium des monopolistischen Kapitalismus die Bewegung der Preise, obwohl die Formen, in denen es sich äußert, komplizierter werden und die Dauer und der Grad des Abweichens der Preise monopolisierter Waren v o m W e r t immer bedeutender w i r d " (S. 45).

Auch Hans-Joachim Braun vertritt, unter ausdrücklicher Berufung auf Motyljew, diesen Standpunkt, für den als entscheidendes Argument angeführt wird, daß die Summe aller Preise (Monopol- und „ f r e i e " Preise) gleich der Summe aller Werte ist. Dieses Argument stimmt unbedingt. Aber ist denn damit das Problem gelöst? Braun betont ausdrücklich: „ D i e Frage nach der Bestimmung des einzelnen Monopolpreises ist vollkommen abwegig. ökonomische Gesetze wirken im Kapitalismus immer nur als Durchschnitt zahlloser heterogener Einzelerscheinungen. Nur von der Summe der Einzelerscheinungen kann man zum Gesetz und nur vom Gesetz zu den Einzelerscheinungen k o m m e n " (S. 139).

Aber es geht doch gar nicht um die Bestimmung des einzelnen Monopolpreises, obwohl die Wissenschaft ein ganzes Stück vorankommen würde, wenn wir ein paar exakte Untersuchungen über das Zustandekommen einiger konkreter Monopolpreise hätten. Es geht doch um die Frage, 1. ob der Monopolpreis als Marktpreis den Produktionspreis oder den Wert als Gravitationszentrum beibehält, d. h. letzten Endes seine Bewegung unmittelbar durch den Produktionspreis oder den Wert bestimmt wird; oder 2. ob der Monopolpreis eine ökonomische Kategorie analog dem Wert oder dem Produktionspreis ist, also eine weitere Entfaltung des Wertgesetzes über den Produktionspreis hinaus; oder 3. ob der kapitalistische Marktautomatismus durch die Monopole dermaßen gestört wird, daß die als Marktpreise erscheinenden Monopolpreise überhaupt

Beitrag zur Monopoltheorie

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nicht eindeutig ökonomisch bestimmt sind und das Wertgesetz nur den allgemeinen Rahmen (die „Grenzen" nach Marx) absteckt, über die auch die Monopolpreise nicht hinaus können. Auf diese Fragen muß eine Antwort gegeben werden! Ich stimme Kaiweit zu, wenn er sagt, „der Monopolpreis, so wie er heute wirksam ist, muß als eine neue ökonomische Kategorie angesehen werden, die ihrem Wesen nach auf das engste mit dem Monopolkapitalismus verbunden ist" (S. 76). Aber ich kann Kaiweit nicht weiter folgen, wenn er auf der nächsten Seite meint, daß die Bildung des Monopolpreises durch den Wert bestimmt (!) ist. Denn das würde doch besagen, daß die Monopolpreise schließlich auf den Wert sinken bzw. sich an den Wert angleichen müßten. Und darauf läuft auch das Argument Kalweit's hinaus, daß sich die Vorherrschaft des Monopols auf die Dauer nicht halten kann: „Ein Blick in die Geschichte der Monopole zeigt, daß sich alle Monopole als mehr oder weniger kurzlebig erwiesen haben" (S. 77).

Als Beweis führt Kaiweit an, daß in der amerikanischen Autoindustrie innerhalb von 10 Jahren Ford durch die General-Motors und durch Chrysler vom ersten auf den dritten Platz verdrängt wurde. Aber hat Ford deshalb aufgehört, ein MonopolUnternehmen zu sein, bekommt er keinen Monopolprofit mehr? Wir haben oben gesehen (S. 99), daß Ford 1956 im Verhältnis zum Umsatz noch einen bedeutend höheren Profit realisieren konnte als die Chrysler Corporation, und im Jahre 1959 lag Ford nach 24 Jahren wieder an der Spitze der amerikanischen Automobilindustrie. Die Fordkompanie produzierte 1528523 Wagen, Chrysler dagegen nur 69273. Mit der Kurzlebigkeit der Monopole ist es also eine eigene Sache. Kaiweit selbst führt an, daß das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat nahezu 50 Jahre die westdeutsche Kohlenindustrie beherrschte. Aber es kommt doch gar nicht auf die Lebensdauer des einen oder anderen Monopols an, sondern auf die Tatsache, daß die Monopole seit sechs Jahrzehnten vorherrschend sind, daß sie in dieser Zeit als Regel hohe Monopolpreise und hohe Monopolprofite realisiert haben. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß von Zeit zu Zeit sogar mächtige Monopole zusammenbrachen. Die Geschichte des Imperialismus ist reich an solchen Zusammenbrüchen. Ungeachtet dessen ist das Monopol seit der Jahrhundertwende die beherrschende ökonomische Erscheinung, und die Macht der Monopole ist seitdem nicht geringer, sondern viel größer geworden. In dieser Zeit aber haben die Monopole Riesenprofite eingeheimst, die schwerlich mit der Durchschnittsprofitrate erklärt werden können. Wenn der Satz, daß die Monopolpreise durch den Wert bestimmt werden, einen Sinn haben soll, dann kann es doch nur der sein, daß die Monopolpreise über kurz oder lang mit dem Wert (oder dem Produktionspreis) übereinstimmen bzw. um den Wert schwanken müßten. Nun kann es aber gar keinen Zweifel darüber geben, daß der Wert (oder der Produktionspreis) der Waren in den letzten 50 Jahren dank der Steigerung der Arbeitsproduktivität stark gesunken ist. Und wie war es mit den Monopolpreisen? Kaiweit gibt uns die Antwort: Die Großhandelspreise für Steinkohlen stiegen im Jahresdurchschnitt vom Jahre 1885 = 12,6 RM je Tonne auf « Probleme Bd. 3

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17,1 RM im J a h r e 1900 und 22,3 RM im J a h r e 1905 (S. 75). Im Juli 1959 aber kostete die Tonne Steinkohle (Gasflamm-Kohle) in Westdeutschland 63,30 Mark. Selbst wenn man den veränderten Geldwert berücksichtigt, kann wohl kaum behauptet werden, daß sich der Kohlenpreis nach dem tatsächlichen W e r t der Kohle entwickelt hätte! Die These, daß die Monopolpreise letzten Endes doch durch den Produktionspreis, und der Monopolprofit durch die Durchschnittsprofitrate bestimmt werden, m u ß also abgelehnt werden. Ihre Annahme würde, wie ich schon früher aufzeigte, zur Verneinung des Monopols selbst führen. Kommen wir zur zweiten Frage, ob der Monopolpreis eine ökonomische Kategorie analog dem W e r t oder dem Produktionspreis ist, ob wir ein ökonomisches Gesetz finden können, das den Monopolpreis ebenso reguliert, wie die Durchschnittsprofitrate den Produktionspreis. Das Gesetz des Produktionspreises ist eine klare Sache. Wir wissen genau, woraus er besteht, nämlich Kostpreis und Durchschnittsprofit: k -f- p ' ! Wir wissen auch genau, wie der Durchschnittsprofit entsteht. Theoretisch dadurch, daß der gesamte Mehrwert der Gesellschaft auf das gesamte vorgeschossene Kapital der Gesellschaft bezogen wird, und dann die daraus entstehende Durchschnittsprofitrate auf das jeweilige Kapital angewandt wird. H a t ein Kapital durchschnittliche organische Zusammensetzung, so sind Produktionspreis und Wert gleich. Praktisch wissen wir, daß die Durchschnittsprofitrate durch die Konkurrenz der Kapitale um die günstigen Anlagesphären sich herausbildet. Wie steht es nun mit dem Monopolpreis? Da allgemein anerkannt ist, daß der Monopolpreis über dem Produktionspreis liegt, ist er k + p' + mp , wobei m p das Mehr des Monopolprofits über den Durchschnittsprofit bezeichnet. Und u m dieses m p geht es! Natürlich wäre theoretisch die einfachste Lösung, eine Monopol-Durchschnittsprofitrate (mp') zu unterstellen. Dann h ä t t e n wir die Formel f ü r den Monopolpreis = k -f- m p ' und damit zugleich das Gesetz des Monopolpreises gefunden. Eine solche Monopoldurchschnittsprofitrate m p ' läßt sich aber, wie ich gezeigt habe, weder theoretisch noch praktisch nachweisen. Damit entfällt auch der Versuch, ein rein ökonomisches Gesetz zu finden, das die Höhe des Monopolprofits und d a m i t die Höhe des Monopolpreises bestimmt. Ihr Wesen besteht gerade in der Abweichung von der „normalen" Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, die das Walten der freien Konkurrenz voraussetzt. Alle marxistischen Ökonomen sind sich darin völlig einig, daß durch die Monopole die von Marx aufgezeigte Gesetzmäßigkeit, gestört, gehemmt wird, daß die Anarchie und der chaotische Charakter der kapitalistischen Wirtschaft gestärkt wird, daß alle Widersprüche des Kapitalismus sich dadurch verschärfen. Ebenso herrscht unter den marxistischen Ökonomen Einmütigkeit darüber, daß der Monopolprofit höher als der Durchschnittsprofit, der Monopolpreis also höher als der Wert oder der Produktionspreis ist. Die Monopole wirken verteuernd auf die Waren, sie schrauben das allgemeine Preisniveau in die Höhe. Welche Auswirkungen diese Preispolitik der Monopole auf den Geldwert hat, ihr ursächlicher Zusammenhang mit den inflationistischen E r -

Beitrag zur Monopoltheorie

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scheinungen müßte gesondert behandelt werden. Die wichtigste Folge dieser Preispolitik ist die systematische Verschlechterung der Lebenslage der werktätigen Massen, besonders der Arbeiterklasse. Selbst wenn der Nominallohn steigt, sinkt der Reallohn, weil die Preise in der Regel noch rascher steigen. Am raschesten aber steigen die Profite der Monopole. Es ist eines der größten Betrugsmanöver an den Arbeitern in Westdeutschland, daß ständig von der „Lohn-Preis-Spirale" die Rede ist, und es ist ein Zeichen der mangelnden Aufklärung über die Preissteigerungspolitik der Monopole, daß diese Lüge von breiten Massen geglaubt wird. Längst ist es an der Zeit, die Lüge von der Lohn-Preis-Spirale durch die wissenschaftliche These der umgekehrten Lohn-Profit-Spirale bzw. der Profit-Preis-Spirale zu ersetzen und damit die Schuld der Monopole an den Preiserhöhungen aufzudecken. Doch kehren wir zum eigentlichen Problem zurück. Bedeutet die obige Beweisführung, daß das Wertgesetz im Monopolkapitalismus außer Kraft gesetzt ist, daß völlige Willkür an die Stelle ökonomischer Gesetzmäßigkeit getreten ist? Bedeutet es, daß keine objektive Basis für den Monopolpreis besteht und wir zu subjektiven Erklärungen Zuflucht nehmen müßten? Diese Schlußfolgerung ziehen bekanntlich die bürgerlichen Ökonomen, indem sie zu psychologischen Erklärungen des Monopolpreises Zuflucht nehmen, nach der „Verhaltensweise" der Monopolisten fragen usw. Übrigens war auch Hilferding der Meinung, daß der reine Monopolpreis aufhört, „eine objektiv bestimmte Größe zu sein, er wird ein Rechenexempel derjenigen, die ihn mit Willen und Bewußtsein bestimmen, wird an Stelle eines Resultates Voraussetzung, an Stelle eines Objektiven ein Subjektives . . . " (S. 339). Eine solche subjektivistische Erklärung des Monopolpreises ist durch nichts gerechtfertigt. Wäre der Monopolpreis ein bloßes subjektives Rechenexempel, dann könnten die Monopolisten ihn j a ohne Grenze in die Höhe schrauben. Das können sie jedoch nicht. Die These, daß der Monopolpreis nicht eindeutig ökonomisch bestimmt werden kann, besagt nicht, daß er nicht an objektive Faktoren gebunden ist. Die Monopolisten müssen — möge ihre Macht noch so groß sein — eine ganze Menge objektiver Faktoren berücksichtigen, wie die Zahlungsfähigkeit der Käufer, die Marktlage, politische Faktoren usw., die ihrer Macht Grenzen setzen. Die entscheidende ökonomische Grenze bleibt aber nach wie vor der Wert. Denn wo immer die Monopolprofite herstammen mögen, sie können stets nur Werte, d. h. Verkörperung gesellschaftlicher Arbeit darstellen. Es gibt keine andere Form und keinen anderen Inhalt des Monopolpreises und des Monopolprofits als den Wert, die Verkörperung der gesellschaftlichen Arbeit. Selbst wenn der Monopolprofit aus Tributen besteht, die naturalwirtschaftlichen Produzenten abgepreßt werden, muß dieser Tribut erst Wert werden, ehe er als Monopolprofit realisiert werden kann. Darüber hinaus ergeben sich folgende Zusammenhänge zwischen Monopolpreis und Wertgesetz: 1. die Monopole umfassen nicht die ganze Wirtschaft, neben ihnen bleibt die freie Konkurrenz noch bestehen. In den Bereichen, in denen das Monopol noch nicht herrscht, werden die Preise weiterhin grundsätzlich durch den Wert bzw. den Produktionspreis bestimmt; 6»

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2. da der Monopolpreis ein Aufschlag auf Kostpreis und Durchschnittsprofit, also den Produktionspreis ist, diese alle aber durch das Wertgesetz (in modifizierter Form) bestimmt werden, ist der Wert logisch und historisch der Ausgangspunkt für den Monopolpreis; 3. die Grenzen des Monopolpreises sind durch die gesamte Wertsumme bestimmt; 4. die Grenzen des Monopolprofits sind (wenn wir von nichtkapitalistischen Produktionsformen absehen) durch die gesamte Mehrwertsumme bestimmt. Darin besteht m. E. der Zusammenhang zwischen Monopolpreis und Wert. Wir können weder für den Monopolpreis noch für den Monopolprofit ein Gesetz ähnlich dem Gesetz der Durchschnittsprofitrate und des Produktionspreises nachweisen, weil es ein solches Gesetz nicht gibt. Es kommt noch ein Umstand hinzu. Viele Untersuchungen über den Monopolpreis gehen von der Annahme eines „reinen Kapitalismus" aus, d. h. sie abstrahieren von den noch zahlreich vorhandenen vorkapitalistischen Produzenten. Von dieser Abstraktion ging mit Recht Karl Marx aus, weil er nur so die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Produktionsweise entdecken konnte. Dabei mußte Marx, wie wir im I. Abschnitt sahen, auch von den Monopolen abstrahieren, weil die freie Konkurrenz „die adäquate Form des produktiven Kapitals" ist. Nur unter den Bedingungen der absoluten Herrschaft der freien Konkurrenz konnten die adäquaten Gesetze des Kapitalismus erkannt werden. Der Imperialismus bleibt Kapitalismus. Aber die adäquate Form des Kapitals — die freie Konkurrenz — wird partiell und temporär aufgehoben. Dadurch werden Erkenntnis und Wirkung der adäquaten Gesetze gestört. Wir müssen aber, weil das Monopol im Imperialismus typisch und vorherrschend geworden ist, die eine der unerläßlichen Voraussetzungen fallen lassen, die absolute Herrschaft der freien Konkurrenz. Wie das Monopol eine Abweichung vom „klassisch reinen" Kapitalismus ist, so sind es auch die vorkapitalistischen Produzenten usw. Es ist somit die Frage berechtigt, ob bei der Erforschung einer solchen konkreten Kategorie wie dem Monopolpreis, bzw. Monopolprofit die Abstraktion eines „reinen Kapitalismus" noch zulässig ist? W. I. Lenin hat mehrfach betont, daß dies unzulässig ist. So schrieb er^z. B.: „Auch die offenkundig nicht kapitalistisch organisierte Produktion, die kleinen Handwerker, Bauern, die kleinen Baumwollproduzenten in den Kolonien usw. usw., sind in Abhängigkeit von den Banken und überhaupt vom Finanzkapital geraten. Wenn wir vom „Weltkapitalismus" im allgemeinen sprechen (und man kann hier nur von ihm sprechen, wenn man nicht in Fehler verfallen will), so schließen wir, wenn wir sagen, die monopolistischen Verbände haben entscheidende Bedeutung erlangt, keinerlei Produzenten von der Unterordnung unter diese entscheidende Bedeutung aus. Den Einfluß der monopolistischen Verbände auf die kapitalistisch organisierte Produktion' zu beschränken, ist falsch." 78

Wenn wir aber die Abstraktion eines „reinen" Kapitalismus, in dem es nur kapitalistische Warenproduzenten gibt, fallen lassen müssen, so ergeben sich daraus notwendigerweise sehr weitgehende Schlußfolgerungen für die Erklärung des Monopolpreises und Monopolprofits. Darauf werde ich noch zurückkommen. Lenin, W. I., Sämtliche Werke. Wien-Berlin 1931, Bd. X X I , S. 391.

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Die bisherige Untersuchung, deren Ausgangspunkt der Monopolpreis war, hat sich auf die Warenmonopole beschränken müssen. Es ist nun an der Zeit, diese Beschränkung aufzugeben und die Aufmerksamkeit den anderen Monopolen, bzw. dem Monopol in seiner Totalität zuzuwenden. Im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, daß nach Lenin's Auffassung die Vorstellung vom Monopol ungenügend und lückenhaft ist, wenn man die Rolle der Banken außer acht läßt. Aus der Verflechtung des Industrie- und Bankkapitals und der anderen Kapitalarten erwächst auf der Grundlage der Konzentration das Finanzkapital, das der adäquateste Ausdruck des Monopolkapitals ist. Es ist aber ganz offensichtlich, daß die Monopolprofite des Finanzkapitals nicht aus dem Monopolpreis erklärt werden können. Lenin wies in seiner Studie über den Imperialismus unmittelbar darauf hin, daß die Warenmonopole für die Erklärung des Monopolprofits nicht ausreichen. Er schrieb: „ D e r Kapitalismus ist soweit entwickelt, daß die Warenproduktion, obwohl sie nach wie vor ,herrscht' und als Grundlage der gesaraten Wirtschaft gilt, in Wirklichkeit bereits untergraben ist und die Hauptprofite (! — F . O.) den ,Genies' der Finanzmachenschaften zufließen. Diesen Machenschaften und Schwindeleien liegt die Vergesellschaftung der Produktion zugrunde, aber der gewaltige Fortschritt der Menschheit, der sich bis zu dieser Vergesellschaftung emporgearbeitet hat, k o m m t den — Spekulanten z u g u t e " (S. 785).

Und an einer anderen Stelle: „ D a s Finanzkapital, das in einer H a n d konzentriert und faktisch Monopolinhaber ist, zieht kolossale und stets zunehmende Profite aus Gründungen, aus dem Emissionsgeschäft, aus Staatsanleihen usw., verankert die Herrschaft der Finanzoligarchien und legt der gesamten Gesellschaft einen Tribut zugunsten der Monopolinhaber a u f " (S. 8 0 9 ) .

Es ist völlig klar und auch unbestritten, daß diese Monopolgewinne, die sich auf hunderte von Millionen belaufen, nicht mit der Durchschnittsprofitrate erklärt werden können. Das sind nicht mehr die Profite des Bank- und Leihkapitals als Abzweigung des industriellen Profits, wie sie Marx im dritten Bande des „ K a p i t a l " behandelt hat. Bei den Gründergewinnen, Emissionsgewinnen und den Spekulationsgewinnen handelt es sich nicht einfach um eine Neuverteilung des Mehrwerts, sondern auch um eine Neuverteilung der bestehenden Vermögen zugunsten des Finanzkapitals. Daher sind diese Monopolprofite auch nicht durch die Masse des gesamten Mehrwerts begrenzt. Aber es geht nicht nur um eine Neuverteilung der bestehenden privaten Vermögen, sondern auch um eine Neuverteilung des Nationaleinkommens und des Nationalvermögens. Die Monopolbanken ziehen Riesenprofite aus den Staatsschulden. Victor Perlo schrieb in seinem Buch über den amerikanischen Imperialismus: „ A l s Hauptinhaber der Regierungsobligationen geht der weitaus größte Teil der mehr als fünf Milliarden Dollar Zinsen, die jährlich auf die S t a a t s s c h u l d gezahlt werden, an die Banken und Versicherungsgesellschaften" (S. 5 9 ) .

Das war 1951. Inzwischen ist die Staatsschuld und damit die jährliche Zinsensumme in den USA wie in den anderen kapitalistischen Ländern ungeheuer angewachsen und wächst ständig weiter. Sie betrug Ende 1959 in den USA 290 Milliarden Dollar,

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in Westdeutschland rund 25 Milliarden Mark. Das heißt, auch die daraus erzielten Profite des Finanzkapitals sind ungeheuer angewachsen. Sie sind eben ein Teil des Tributs, den die Monopolinhaber der ganzen Gesellschaft auferlegen. Noch riesenhafter sind die Profite, die das Finanzkapital aus dem monopolistischen Besitz der Rohstoffquellen schöpft. Ein charakteristisches Beispiel führt H. Deist aus der westdeutschen Erdölindustrie an: „Die Produktionskosten des Erdöls je 1000 1 betragen in Saudi-Arabien 9 DM. Der Verkaufspreis im Persischen Golf ist 45 DM. Verdienst 36 DM, davon 50% Saudi-Arabien, 50% die ölgesellschaften, also je 18 DM. Die Frachtkosten betragen etwa 20 bis 30 DM, an denen wiederum etwa 5 DM verdient werden. So beträgt der Einstandspreis für die Raffinerien der internationalen Mineralölgesellschaften in der Bundesrepublik etwa 65 bis 75 DM. Der Verkaufspreis für Rohöl in Hamburg an Fremde, ohne Zoll, Steuer und sonstige fiskalische Belastungen, liegt jedoch zwischen 95 und 100 DM. Das ist ein zusätzlicher Gewinn von 25 bis 30 DM, den die internationalen Mineralölgesellschaften anderen, die ihr Mineralöl brauchen, abnehmen. Das sind insgesamt bis hierhin 48 bis 53 DM Gewinn. Und dann lassen Sie sich nur noch sagen, daß der Weltmarktpreis für Benzin bei 130 DM liegt, der Benzinpreis ab Raffinerie in der Bundesrepublik, wieder ohne Zoll, Steuer, Provision und dergleichen, dagegen zwischen 200 und 240 DM. So ergibt sich insgesamt — das ist kaum zu bestreiten und gut nachzurechnen — bei einem Gesamtpreis von 200 bis 240 DM ein Gewinn von 115 bis 150 DM. Das ist für diese internationalen ölgesellschaften, die über das Mineralöl von der Erdölbohrung über die ölraffi nierung bis zur Tankstelle verfügen, eine Gewinnspanne von insgesamt mehr als 5 0 % . " ' "

Man stelle sich das vor, 115 bis 150 DM Profit, bei einem Gesamtpreis von 200 bis 250 DM und versuche, dies mit der Durchschnittsprofitrate zu erklären! Übrigens ist gerade das Erdöl ein charakteristischer Beweis gegen die auf Cournot aufbauenden bürgerlichen Monopolpreistheorien. Denn die Verbraucher können nicht eine Preissteigerung mit entsprechendem Rückgang der Nachfrage beantworten, sie können den Verbrauch vielleicht einschränken, aber nicht darauf verzichten. Wer einen Dieselmotor, ein Auto usw. hat, der braucht auch öl. Gewaltig sind auch die Tribute, die durch Kapitalexport und Kolonialmonopol vom Finanzkapital der werktätigen Bevölkerung der Kolonien und abhängigen Länder abgepreßt werden. Der Kapitalexport erfolgt bekanntlich zu einem bedeutenden Teil in Länder mit hoher Profitrate. Die Hauptursache für diese hohe Profitrate ist das niedrige Lebensniveau der eingeborenen Bevölkerung, der außerordentlich geringe Arbeitslohn. So erhielt z. B. in der Südafrikanischen Union im Jahre 1939 ein europäischer Bergmann einen Durchschnitts-Jahreslohn von 384 Pfund Sterling, ein afrikanischer Bergmann dagegen nur 33 Pfund, also weniger als ein Zehntel. Die Hauptmasse der Bergarbeiter sind aber Neger! Welche gewaltigen Monopolprofite sich aus so niedrigen Löhnen ergeben, bedarf keines Beweises. Eine andere wichtige Quelle der Bereicherung des Finanzkapitals sind die von den Monopolen diktierten niedrigen Einkaufspreise für die Agrarprodukte der Kolonien. V. Perlo führt als ein ganz krasses Beispiel die von der United Fruit Co. diktierten Bananenpreise an. Alle Aufwendungen des Bananentrusts in Mittelamerika betrugen im Jahre 1948 = 1,7 Cent je Pfund Bananen. Im gleichen Jahre betrug der durch"

Deist, Heinrich,. Wirtschaft von morgen. Berlin-Hannover 1959, S. 148.

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schnittliche Kleinhandelspreis in den USA 15,9 Cent je Pfund. Wenn man noch die Transport-, Verpackungskosten usw. in Rechnung stellt, ergab sich ein Gewinn von 11 Cent je Pfund Bananen, was bei 3 Milliarden Pfund einen Profit von 330 Millionen Dollar ergab (Perlo, S. 78/79). Was den amerikanischen Monopolen die Bananen, das ist den englischen Monopolen der Kakao. S. Datlin berichtet darüber: „Eine englische Firma, die in Kamerun, Togo und Nigeria Kakao aufkauft, bezahlt an Ort und Stelle 62 Pfund Sterling pro Tonne und verkauft sie auf dem Weltmarkt für 225 Pfund Sterling. Die Frachtspesen für die Beförderung einer Tonne Kakao betragen durchschnittlich 23 Pfund Sterling. Auf diese Weise verdient die Firma an jeder Tonne 140 Pfund Sterling."' 8

Die jährliche Kakao-Ausfuhr dieser Gebiete beträgt 85000 Tonnen. Somit ergibt sich ein Profit von rund 12 Millionen Pfund Sterling im Jahr. Und ebenso ist es mit Kaffee. Als die niedrigste Notierung für Santos Kaffee an der New Yorker Börse 3290 Conzeiros pro Sack betrug, erhielt der brasilianische Großgrundbesitzer nur 800 Conzeiros für den Sack Kaffee. 79 Den niedrigen Monopolpreisen für Agrarprodukte der Kolonien stehen die hohen Monopolpreise für Industrieerzeugnisse der imperialistischen Länder gegenüber. Perlo stellt fest, daß „bei den Ausfuhren von Metallen, Chemikalien, Maschinen und Fahrzeugen mindestens ein Drittel des ausgewiesenen Exporterlöses einen Tribut darstellte, den die ausländischen Käufer über die ohnehin schon hohen Inlandspreise hinaus zu zahlen hatten" (S. 77).

Welche riesigen Ausmaße dieser Nicht-Äquivalenten-Austausch angenommen hat, kann man ebenfalls bei Perlo nachlesen, der einen Bericht der brasilianischen Landwirtschaftsgesellschaft anführt, nach dem ein Ford-Kraftwagen 1929 für 20 Sack Kaffee erworben werden konnte, 1949 dafür aber 200 Sack Kaffee erforderlich waren (S. 76). Man versuche doch, diese Preisentwicklung mit dem Wertgesetz zu erklären! Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß die Arbeitsproduktivität in diesen zwanzig Jahren in der amerikanischen Automobil-Industrie in größerem Maße gestiegen ist als in den brasilianischen Kaffee-Plantagen. Aber die Ausbeutung der Kolonien vollzieht sich nicht nur durch die niedrige Entlohnung der einheimischen Bevölkerung und durch Nicht-Äquivalenten-Handel. Dazu kommen die Monopolgewinne bei Kreditgewährung, durch das System der differenzierten Wechselkurse, durch Steuern und durch direkte politische Tribute. Vor ein paar Jahren wurde in Brasilien ein Manganhafen mit amerikanischer Kredithilfe gebaut. Durch diesen Hafen soll das brasilianische Manganerz nach den USA verschifft werden. Wie bekannt wurde, war die amerikanische Kredithilfe mit der Vereinbarung verknüpft, für die Tonne Manganerz 50 Dollar zu zahlen. Zur selben Zeit betrug der Einfuhrpreis in die USA je Tonne Erz etwa 88 Dollar. 80 78 Datlin, S., Afrika unter dem Joche des Imperialismus. Verlag „Neues Leben", Berlin 1953, S. 53/54. 79 „Rheinischer Merkur", Koblenz, vom 6. März 1959. 80 Bericht 6 des Deutschen Wirtschaftsinstituts. „Das Regierungsprogramm der USA zum Abbau der Agrarüberschüsse", März 1957, S. 12 (116).

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Über die differenzierten (multiplen) Wechselkurse berichtet das Deutsche Wirtschafts-Institut folgendes: Die USA haben mit Spanien einen Vertrag über Weizenlieferungen abgeschlossen, der einen Kurs von 42,5 Peseten pro Dollar vorsah, während zu dieser Zeit der offizielle Wechselkurs 11 Peseten, der freie Hauptexportkurs 30,42 und der Hauptexportkurs 39,95 Peseten betrug. Allein dieses „Wechselgeschäft" kostete die Spanier 66,3 Millionen Peseten. 81 Was die Steuern anbelangt, so sind beispielsweise in Belgisch-Kongo die indirekten Steuern von 1950 bis 1956 um 2 2 0 % gestiegen. Noch rigoroser sind aber die direkten Steuern, durch die selbst den noch nahezu in völliger Naturalwirtschaft lebenden Eingeborenen ein Tribut für die Monopole abgepreßt wird. Datlin berichtet: „Den Afrikanern werden untragbare Steuerlasten aufgebürdet. So wird eine sogenannte Kopfsteuer ohne Berücksichtigung der Vermögenslage erhoben: die gleiche Summe zahlt sowohl der arme Bauer, dessen einziger Reichtum in einer Schaufel besteht, als auch d e r Farmer, der große Bananenplantagen besitzt. Ist ein Bauer nicht imstande, seine Kopfsteuer zu bezahlen, verschicken ihn die Kolonialbehörden in Zwangsarbeitslager, in denen er nicht selten bis an sein Lebensende bleibt" (S. 65).

Mit allen diesen und noch vielen anderen Methoden pressen die Monopole den Menschen in den Kolonien und abhängigen Ländern große Tribute ab, die sich in gingantischen Monopolprofiten niederschlagen. Wer aber steckt diese Profite ein? Die großen Industriegesellschaften? Die Bankmonopole? Die Handelsmonopole oder die großen Reedereien? Es ist klar, daß die Frage so nicht gestellt werden darf, denn sie alle sind zum Finanzkapital verflochten, ihre Macht drückt sich in der Herrschaft der Finanzoligarchie aus. Mehr oder weniger sind sie alle daran beteiligt, denn es gibt kaum ein großes Monopol, das seinen Profit nur aus Industrie oder Handel, aus Bankoperationen oder Verkehr realisiert. Durch die Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften, durch die Personalunion sind sie so miteinander verfilzt, daß man sie nicht trennen kann. Aber das bedeutet doch zugleich, daß Industrie- und Handelsprofit, Bank- und Versicherungsprofit, Zins- und Unternehmergewinn, aber auch die Grundrente in der Praxis der Monopole eng miteinander verflochten sind. Es hat wahrscheinlich wenig Sinn, einzelne Teile (oder Kategorien) herauszudestillieren, um die Durchschnittsprofitrate zu retten. Der Monopolprofit ist also ein riesiger Tribut, den das Finanzkapital der gesamten Gesellschaft auferlegt. Immer häufiger begegnen wir in der marxistischen Literatur über die Monopole dem Begriff Tribut. Aber nirgends ist begreiflicherweise ein Versuch gemacht worden, diesen Tribut eindeutig ökonomisch zu bestimmen, sozusagen ein Gesetz des Durchschnittstributs zu finden. Alle Versuche, ein exaktes ökonomisches Gesetz des Monopolprofits zu finden, destillieren aus dem Monopoltribut sozusagen einen reinen Monopolprofit heraus, den es nicht gibt und nicht geben kann. Aber selbst diese Versuche scheitern am Gesetz der Durchschnittsprofitrate, die nun mal dem Monopolprofit widerspricht. Wie der Monopolprofit stets größer als der Durchschnittsprofit ist, so sind auch die Quellen des Monopolprofits viel umfangreicher und ergiebiger als die, aus denen der Durchschnittsprofit geschöpft wird. 81

Ebenda, S. 11 (115).

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Der Monopolprofit schöpft aus folgenden Quellen: 1. Dem der Arbeiterklasse abgepreßten Mehrwert. Die Monopole steigern die Ausbeutung der Arbeiterklasse ungeheuer, besonders durch Intensivierung der Arbeit, frühzeitigen Verbrauch der Arbeitskraft usw. 82 Den Hauptanteil der gesteigerten Ausbeutung der ganzen Arbeiterklasse eignet sich das Finanzkapital an. Eine besonders ergiebige Quelle ist die Ausbeutung der Lohnarbeiter in den Ländern, in die Kapital exportiert wird; 2. dem Mehrprodukt und z. T. auch dem notwendigen Produkt der kleinen Produzenten, der Handwerker, der Bauern; 3. dem Einkommen aller Bevölkerungsschichten, die als Konsumenten infolge hoher Monopolpreise einen Teil ihres Einkommens den Monopolen abliefern müssen; 4. dem Profit der nichtmonopolistischen Kapitalisten, die sich zugunsten der Monopole mit einer niedrigeren Profitrate begnügen müssen; 5. dem Vermögen aller Besitzenden, das durch die Manipulationen des Finanzkapitals nach und nach in den Besitz der Monopole übergeht (eine wichtige Methode dazu ist die Inflation); 6. dem Nationaleinkommen, das durch Zölle, Steuern, Prämien, Subsidien zugunsten des Finanzkapitals umverteilt wird; 7. dem Staatsvermögen, das durch Staatsschulden in wachsendem Maße in den Besitz der Monopolkapitalisten übergeht; 8. dem Produkt der noch bestehenden Naturalwirtschaft in den Kolonien, das durch Steuern und Zwangsabgaben zu einem Teil in Ware und Wert verwandelt wird und sich im Monopolprofit niederschlägt. Diese Aufzeichnung der Quellen des Monopolprofits zeigt, daß es hoffnungslos ist, den Monopolprofit des Finanzkapitals mit rein ökonomischen Gesetzen erklären zu wollen. Wie in der Frühperiode des Kapitalismus, so spielt auch in seiner Niedergangsperiode die Gewalt, der Zwang eine entscheidende Rolle. W. I. Lenin schrieb, gegen Kautsky polemisierend: „Das Herrschaftsverhältnis und die damit verbundene Gewalt — das ist das Typische für die Jüngste Phase in der Entwicklung des Kapitalismus', das ist es, was aus der Bildung allmächtiger wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich hervorgehen mußte und hervorgegangen ist" (S. 786).

Der Monopolkapitalismus ist der niedergehende, sich zersetzende, verfaulende Kapitalismus. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß die „normalen" Funktionen des Kapitalismus gestört sind. Der Kapitalismus leidet in seinem imperialistischen Stadium an Kreislaufstörungen und Arterienverkalkung. Das Blut kann nicht mehr frei durch seine Adern pulsieren. Er wird von Krämpfen geschüttelt, die nicht nur in den Krisen, sondern mehr noch in sozialen Erschütterungen und in proletarischen Revolutionen zutage treten. Um dieses Zustandes Herr zu werden, nimmt er Zuflucht zur politischen Gewalt, deren Einfluß auf die Wirtschaft er einst verpönte. Er wird zum staatsmonopolistischen Kapitalismus. 82 Zur Frage der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das Monopolkapital vgl. den Aufsatz von Rudi Gündel im vorliegenden Jahrbuch, S. 27711.

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Fred Oelßner V. MONOPOL UND

STAAT

a) Die Gesetzgebung über die Monopole Seitdem es im Wirtschaftsleben Monopole gibt, mußte sich auch der Staat mit ihnen beschäftigen. Dabei war die offizielle Stellung des Staates, ganz gleich welchen Klasseninhalt er hatte, fast stets gegen die privaten Monopole gerichtet. Das erklärt sich leicht daraus, daß die Monopole bei der Mehrheit der Bevölkerung immer verh a ß t gewesen sind. Es konnte auch gar nicht anders sein, denn die der Stellung des Monopols geschuldeten außerordentlich hohen Gewinne entstammen ja nicht einer Leistung, sondern einer Erpressung. Das hat stets den Unwillen der Massen hervorgerufen und die öffentliche Gewalt zu Antimonopolgesetzen gezwungen, selbst wenn sie insgeheim auf der Seite der Monopole stand. Das Schauspiel eines öffentlichen Antimonopolkampfes mit Gesetzesparagraphen, das nach dem zweiten Weltkrieg auch im Bonner Bundesstaat wieder aufgeführt wurde, ist also einige Jahrtausende alt. Es ist stets ein bloßes Schauspiel gewesen, ohne praktische Wirkung auf die Monopole. Wie Heichelheim mitteilt, wurde es wie im klassischen Athen, in der hellenistischen Polis und im republikanischen Rom auch in Indien notwendig, juristische Schranken gegenüber Ringen von Händlern aufzurichten, die durch gemeinsames Vorgehen die Warenpreise zu verteuern suchten. 83 Strieder berichtet, daß bereits der oströmische Kaiser Zeno (474—91) ein Gesetz gegen die Monopole erlassen hat. Sehr reichhaltiges Material hat die Geschichtsforschung über die Antimonopolgesetzgebung im Mittelalter und der Neuzeit zusammengetragen. In Deutschland nahm diese Gesetzgebung besonders mit den Reichstagsabschieden seit 1512 großen Umfang an. Diese Abschiede waren gegen Versuche gerichtet, sich durch Aufkauf der Waren einen Monopolpreis zu verschaffen. Hieß es im früheren Mittelalter „Fürkauf", so wurde der Kampf jetzt unter dem Schlagwort „Monopolia" geführt. Jedes Monopol wurde als „wucherischer Kontrakt" gebrandmarkt und die Monopole wurden in verschiedenen Reichstagsabschieden streng verboten. 84 Diese Monopolverbote mußten immer wieder erneuert werden, und blieben immer wieder erfolglos, weil ihnen sehr wirksame ökonomische Interessen entgegenstanden. Strieder berichtet: „Während auf den deutschen Reichstagen seit Beginn des 16. Jahrhunderts die kleinen staatlichen und ständischen Gewalten gegen die Monopole wetterten und ihre strenge Bestrafung beschlossen, verpflichteten sich der deutsche König Ferdinand und sein kaiserlicher Bruder Karl V. in den Monopolkontrakten, die sie mit den Kaufleuten abschlössen, heimlich, die Monopolisten gegen jedes Eingreifen der Reichsgewalt zu verteidigen" (S. 71).

In England stand es mit der Antimonopol-Gesetzgebung nicht anders, wie Hermann Levy ausführlich schildert. So geht es das ganze Mittelalter und die Neuzeit 83 81

Heichelheim, Fritz M., a. a. 0 . , S. 546. Strieder, Jakob, a. a. O., S. 63/64.

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hindurch. Es werden fortdauernd Verbote gegen die Monopole erlassen, die aber bloßes Papier bleiben, weil es der Gesetzgeber entweder nicht ernst meint, oder weil er gegen die starken ökonomischen Interessen, die hinter den Monopolen stehen, machtlos ist. Anders war die Stellung der Staatsmacht zu den Handwerker- und Kaufmannsmonopolen des Mittelalters, den Zünften, Gilden usw., die von den Staatsorganen anerkannt und gefördert wurden. Besonders aber förderte die Staatsmacht die mit der Kolonialpolitik verbundenen monopolistischen Handelsgesellschaften, die, wie wir in Abschnitt I sahen, gewaltige Hebel der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals wurden. Auch in unserer Zeit, in der die Monopole zu alles beherrschenden Gebilden geworden sind, muß die Staatsmacht durch gesetzliche Maßnahmen den Anschein erwecken, daß sie die Bevölkerung vor der Bedrückung und Ausbeutung durch die Monopole in Schutz nehme. Die Gesetzgebung gegen die modernen Monopole, die Kartelle, Trusts usw. begann mit deren Entstehung. In den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgte bereits 1873 ein Verbot der offenen Monopolbildung „zum Schutze der Verbraucher". Mit der bekannten Sherman-Act begann 1890 dann die so laut propagierte Anti-Trüstgesetzgebung in den USA, der jedoch kein besseres Los beschieden war, als der früheren Antimonopolbewegung. Das Sherman-Gesetz, das durch viele andere Gesetze ergänzt wurde, ist in den ersten beiden Jahrzehnten fast nie angewendet worden. Zwar wurde die Standard Oil Company of Indiana einmal mit 29 Millionen Dollar bestraft, die Strafe ist jedoch angefochten und nie vollstreckt worden. Die Tatsache, daß die USA zum klassischen Land der Monopole geworden sind, zeigt am deutlichsten, was von der Antitrustgesetzgebung zu halten ist. In Deutschland wurden die Kartelle vor 1918 von der Regierung ganz unverhüllt gefördert, um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt zu steigern. Erst nach dem ersten Weltkriege, am 2. November 1923, wurde ein Kartellgesetz erlassen, die „Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen". Diese Verordnung war dadurch gekennzeichnet, daß die wichtigsten Monopole von ihr nicht erfaßt wurden. Von dem Gesetz ausgeschlossen blieben Konzerne, Interessengemeinschaften, Trusts und Fusionsunternehmungen. Das Gesetz sah die Bildung eines Kartellgerichtes vor, das nicht nur von den Vertragspartnern, sondern auch von den Regierungen angerufen werden konnte. Auch dieses Gesetz blieb nicht nur praktisch wirkungslos, sondern es förderte geradezu die Entstehung höherer Monopolformen. Nach dem Erlaß dieses Gesetzes entstanden die beiden größten Monopole der deutschen Wirtschaftsgeschichte: der deutsche Stahltrust (Vereinigte Stahlwerke AG) und der deutsche Chemietrust (IG Farbenindustrie). Auch in allen anderen mehr oder weniger entwickelten kapitalistischen Ländern wurden Antimonopolgesetze erlassen, so in England, Frankreich, Italien, Belgien, Rumänien u. a. Am radikalsten war die Antimonopolgesetzgebung in Norwegen. 1921 wurde dort die Registrierpflicht für Kartelle, Trusts und Monopolbetriebe verfügt. 1926 wurden zwei Kontrollinstanzen eingeführt, ein Kontrollkontor und ein Kontrollrat. Diesen Kontrollorganen wurden weitgehende Vollmachten erteilt, bis

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zur polizeilichen Beschlagnahme der Geschäftspapiere. Und das Ergebnis war, nach der Feststellung Liefmanns die Tatsache, „daß die weitgehenden norwegischen Bestimmungen zur Bekämpfung der finanziellen Mißbräuche bei den großen Unternehmungen nichts leisten". 8 5 Diese Feststellung gilt für die ganze Antimonopolgesetzgebung bis zum zweiten Weltkriege, und sie gilt auch heute noch dort, wo die Monopole herrschen. Nach dem Kriege wurde für Deutschland eine völkerrechtliche Grundlage für den Kampf gegen die Monopole geschaffen. Im wirtschaftlichen Teil der Potsdamer Beschlüsse der Siegermächte von 1945 wurde bestimmt: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Truste und andere Monopolvereinigungen." 86

Dieser Beschluß entsprach dem Willen breiter Volksmassen, die erkannt hatten, daß die Monopolherren, die Finanzoligarchen die Hauptschuld an dem furchtbaren Gemetzel des zweiten Weltkrieges tragen. Im östlichen Teil Deutschlands, der von den Truppen der Sowjetunion besetzt war, wurde dieser Beschluß der Potsdamer Konferenz getreulich durchgeführt. Die Monopole wurden vernichtet und ihre Betriebe in Volkseigentum überführt. Die mit der Entstehung der modernen Monopole begonnene Entwicklung wurde damit entsprechend der historischen Gesetzmäßigkeit folgerichtig zu Ende geführt: von der Aufhebung der freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung, einschließlich des Eigentums an den Produktionsmitteln. In diesem Teile Deutschlands, der Deutschen Demokratischen Republik, gibt es keine Antimonopolgesetze mehr und kann es auch keine geben, weil es keine Monopole mehr gibt. Anders verlief die Entwicklung in Westdeutschland. Um wenigstens zum Schein dem Potsdamer Abkommen zu genügen, wurde von den dort herrschenden westlichen Besatzungsmächten eine ,,Entflechtungs"-Komödie aufgeführt, in der die deutschen Monopolkapitalisten fleißig mitspielten. Einige Mammut-Vereinigungen wie die IG-Farben und der Stahltrust wurden auseinandergepolkt, im Wesen wurde jedoch die monopolistische Struktur der westdeutschen Wirtschaft durch die E n t flechtung nicht beseitigt, sondern im Gegenteil die Grundlage für ihre Verstärkung geschaffen. Das konnte auch gar nicht anders sein, weil keine Maßnahme gegen die Monopole wirksam sein kann, die das kapitalistische Eigentum nicht antastet! Es wurde schon früher gezeigt (Abschnitt I I I ) , daß die Konzentration der Produktion und des Kapitals in Westdeutschland nach dem zweiten Weltkriege weiter zugenommen hat. Damit war auch das Anwachsen der Macht der Monopole zwangsläufig gegeben. Westdeutschland steht — ganz abgesehen von der staatsmonopolistischen Entwicklung — trotz Potsdamer Beschlüsse heute auf einer höheren Stufe der Monopolisierung als vordem. Damit ist aber auch der erpresserische Druck der 86 Liefmann, Robert, Kartelle, Konzerne und Trusts. Verlag Ernst Heinrich Moritz, Stuttgart 1927, S. 20. 8* Das Potsdamer Abkommen und andere Dokumente. Kongreß-Verlag, Berlin 1957, S. 75.

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Monopole auf breite Volksschichten gewachsen, daraus ergibt sich die Wiederaufrüstung und die Entwicklung der Bundesrepublik zu einem neuen Kriegsbrandherd in Europa. Zugleich aber wuchs und wächst mit dieser Entwicklung die Empörung der Bevölkerung über die Monopole. Es ergab sich damit für die Bonner Regierung die Notwendigkeit, nach jahrhundertealtem bewährtem Muster diese Empörung durch eine Antimonopolgesetzgebung abzulenken und zu beschwichtigen. Hinzu kam, daß die in Westdeutschland vorherrschende neoliberale Schule — wenn auch bloß zur Tarnung — den Scheinkampf gegen die Monopole und für den freien Wettbewerb zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Theorie gemacht hat. Allerdings ist von der neoliberalen Theorie, wie wir gleich sehen werden, in dem neuen Gesetz nicht mehr als die Bezeichnung übrig geblieben. Zunächst stießen die Neoliberalen kräftig ins Horn und verlangten ein Monopolverbot. Das war zu der Zeit, als in den Massen die Erinnerung an den Krieg und an die Potsdamer Beschlüsse noch frisch war und die CDU in ihrem Ahlener Programm aus demagogischen Gründen sogar die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum forderte. Aber schon in dem 1952 von der Adenauer-Regierung dem Bundestag vorgelegten Entwurf wurde das Gesetz von vornherein auf nur eine Abart der Monopole, und zwar die schwächste, die Kartelle, beschränkt. Der Vorlage des Gesetzentwurfes folgte eine fünfjährige Debatte, in welcher der ohnehin schwache Entwurf Erhards immer mehr verwässert wurde, bis von ihm nicht viel übrig blieb. Schließlich wurde unter dem Druck nahe bevorstehender Bundestagswahlen am 4. Juli 1957 das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" beschlossen. Die CDU nutzte die Antimonopolstimmung der Massen zum Stimmenfang aus. Das angenommene Gesetz betrifft, wie gesagt, ausschließlich Kartelle. Konzerne, Trusts usw. werden von ihm nicht berührt. Aber auch die Bestimmungen über die Kartelle sind so durchlöchert, daß das ganze Gesetz nicht mehr ist als ein Fetzen Papier. In der Grundkonzeption dieses Gesetzes ist, wie Hans-Carl Nipperdey, darstellt, von dem ursprünglichen Kartellverbot nur die allgemeine Bestimmung übrig geblieben, daß gemäß § 1, Abs. 1, „Verträge, die Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen schließen, und Beschlüsse von Vereinigungen von Unternehmen unwirksam sind, soweit sie geeignet sind, die Erzeugung oder die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen durch Beschränkungen des Wettbewerbs zu beeinflussen". 87 Statt eines ausdrücklich formulierten Kartellverbots sieht das Gesetz also nur die Unwirksamkeit von Kartellabkommen vor, die aber nicht strafbar sind. Jedoch ist es auch mit dieser Unwirksamkeit nicht weit her, weil das Gesetz selbst eine ganze Reihe von Ausnahmen vorsieht. Diese Ausnahmen sind nach Nipperdey folgende: erstens sind ganze Wirtschaftsbereiche von der Geltung des Gesetzes oder wesentlichen Teilen des Gesetzes ausgenommen. Das sind die Bündespost, Bundesbahn, Monopolverwaltungen, das Verkehrsgewerbe, die Landwirtschaft, die Kredit-, Versorgungs- und Versicherungswirtschaft (S. 1643); 87 Nipperdey, Hans-Carl, Wirtschaftsrecht. I n : Handbuch der Wirtschaftswissenschaften, a. a. 0 . , Bd. II.

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zweitens sind folgende Kartellarten mit dem Vorbehalt kartellaufsichtsrechtlicher Maßnahmen generell erlaubt: Konditionskartelle, Rabattkartelle, Normierungs- und Typisierungskartelle, Ausschreibungsmethodenkartelle und reine Exportkartelle (S. 1 6 4 4 - 1 6 4 5 ) ; drittens können folgende Kartelle mit vorheriger Erlaubnis der Kartellbehörde wirksam werden: Strukturkrisenkartelle, höhere Rationalisierungskartelle, Inlandskartelle zur Sicherung von Exportkartellen und reine Importkartelle (S. 1647); , viertens endlich kann der Bundesminister für Wirtschaft die Erlaubnis zu einem Kartell erteilen, wenn ausnahmsweise die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gemeinwirtschaft und des Gemeinwohles notwendig ist (S. 1649). Diese Ausnahmen kennzeichnen das Gesetz. Was bleibt schon von dem neoliberalen „Monopolverbot" übrig, wenn die Bank-, Versicherungs- und Verkehrsmonopole ausdrücklich ausgenommen, wenn Konzerne und Trusts überhaupt nicht davon berührt werden? Schließlich macht die im vierten Punkt angeführte Ausnahme überhaupt jedes Verbot einer Wettbewerbsbeschränkung illusorisch, denn unter der Herrschaft der Monopole werden die Gründe des Gemeinwohls immer vorliegen, wenn es um den Monopolprofit geht. Was nun die Kartellbehörde angeht, die ein blasser Abklatsch des von Eucken geforderten Monopolamtes ist, so ist sie laut Gesetz nur verwaltungsmäßig für Kartellangelegenheiten zuständig, während die Rechtssprechung ordentlichen Gerichten obliegt. Hierin steht das Bonner Gesetz hinter dem Kartellgesetz der Weimarer Republik zurück. Gerhard Bondi sagt mit Recht, daß die Einschaltung der ordentlichen Gerichte an Stelle eines Kartellgerichtes zusätzlich garantiert, daß von dieser Seite nichts gegen die Monopole gerichtetes geschieht. 88 Die Bonner Mißgeburt eines Antimonopolgesetzes ist knapp drei J a h r e alt. Diese kurze Zeit hat aber schon vollauf genügt, um seine Wirkungslosigkeit aufzuzeigen. Zwei J a h r e nach Verabschiedung des Gesetzes wurde die westdeutsche Öffentlichkeit durch eine Debatte über die wirtschaftliche Konzentration erregt, die nichts anderes war, als das Echo der ständig zunehmenden Macht der Monopole in der westdeutschen Wirtschaft. Von dem laut hinausposaunten Schutz des Mittelstandes ist nicht mehr die Rede, denn die Zahl der Handwerksbetriebe ist in Westdeutschland von 1949 bis 1956 um 113000 zurückgegangen und der Prozeß des Handwerkersterbens hält auch nach Erlaß des Gesetzes an. Der Konzentrationsprozeß geht in Westdeutschland mit ungeminderter Kraft weiter und wird von dem Kartellgesetz überhaupt nicht berührt. Der Präsident des Bundeskartellamtes, Dr. Eberhard Günther, hat in einem „Spiegel-Gespräch" die völlige Ohnmacht dieses Amtes und des Gesetzes gegenüber der Konzentrationsbewegung unumwunden zugegeben. Auf die Frage, wie er denn der Konzentrationsbewegung zu Leibe rücken wolle (als ob er das überhaupt wolle, wollen dürfe!), antwortete Günther klar: „ I c h halte die gegenwärtige Regelung für 88 Bondi, Gerhard, „Anti"-Monopolismus in der Praxis — Das westdeutsche Kartellgesetz. In: Monopoltheorie — Monopolpraxis. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1958, S. 79.

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unzureichend um die Konzentration zu hemmen". Und was soll also gegen die Konzentration geschehen? Günther sagte: „Wenn durch eine Fusion oder einen sonstigen Zusammenschluß von Firmen Marktmacht entsteht, dann soll der Staat wenigstens die Verpflichtung haben, das einmal anzusehen." 8 8

Nun, ansehen tut die Bonner Regierung den Konzentrationsprozeß der Monopole schon, sie sieht zu, duldet und fördert ihn, und erhebt in der Öffentlichkeit nur zuweilen Geschrei darüber, um die Massen über ihre wirklichen Absichten zu täuschen. Trotz seiner Ohnmacht ist das Bundeskartellamt den westdeutschen Monopolen ein Dorn im Auge, deshalb hat der Bundesverband der Deutschen Industrie ihm den Kampf angesagt. Den Monopolen sind selbst die Zwirnsfäden des sogenannten Kartellgesetzes ein Greuel, sie wollen volle Freiheit für jede beliebige Monopolform haben. Das Gespräch mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes gibt eine recht amüsante Anschauung über die viel gespriesene Freiheit in Westdeutschland. Günther sagte, nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sollte bei dem Kartellgesetz in Zweifelsfällen Freiheit walten. Er sei damit einverstanden, nur — wenn der Bundesverband das sage, dann meine er Freiheit zur Kartellierung, wenn er, Günther das sage, dann meine er den freien Markt. Das ist's: Freiheit, die ich meine . . . Es besteht kein Grund daran zu zweifeln, daß in der Bundesrepublik die Meinung der Monopole maßgebend ist, daß sie sich bei der Regierung und im Parlament durchsetzt und daß somit auch das westdeutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur das bleibt, was die Antimonopolgesetze immer waren: ein durchlöchertes Feigenblatt zur Verdeckung der Herrschaft der Monopole. b) Der staatsmonopolistische

Kapitalismus

Für das Verhältnis der modernen Monopole zum Staat ist aber nicht die Antimonopolgesetzgebung das Entscheidende, obwohl auch sie aus den angeführten Gründen notwendig ist, entscheidend ist der viel tiefer gehende Prozeß der Verschmelzung der Herrschaft der kapitalistischen Monopole mit der gewaltigen K r a f t des Staates, d. h. die Entwicklung zum staatsmonopolistischen Kapitalismus. Die Verschmelzung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Monopole sich den Staatsapparat unterordnen und als Mittel ihrer Politik gebrauchen. Der staatsmonopolistische Kapitalismus konnte nur auf der Grundlage des modernen Monopols, in der Epoche des Imperialismus erwachsen. Seine breite Entfaltung setzte besonders mit dem Beginn der allgemeinen Krise des Kapitalismus ein. Er ist wohl die wichtigste ökonomische Erscheinung im imperialistischen Lager und erfordert noch viel Forschungsarbeit der marxistischen Ökonomen. Ich kann dazu hier nur einige kurze Bemerkungen machen, die sich auf das bisher Dargelegte beziehen. Die Entwicklung zum staatsmonopolistischen Kapitalismus tritt in verschiedener Weise in Erscheinung. Das Wesen dieser Entwicklung besteht aber immer darin, mit staatlichen Mitteln den Monopolprofit zu sichern und zu erhöhen und damit den 88

Nachrichtenmagazin „Der Spiegel", 14. Jahrg., Nr. 8, S. 46, 1960.

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Monopolen die erweiterte Reproduktion zu ermöglichen. Die wichtigsten staatsmonopolistischen Methoden sind folgende: 1. die Schaffung eines staatsmonopolistischen Marktes für die Monopole. Damit schafft der S t a a t den Monopolen einen in gewissem Grade gesicherten Markt. Das entscheidende Mittel hierzu ist die Militarisierung der Wirtschaft, die mit dem staatsmonopolistischen Kapitalismus eng verbunden ist. Da die Regierungsaufträge meist langfristig sind, auf 4 bis 5 J a h r e laufen, geben sie den Monopolen eine gewisse Sicherheit des Absatzes unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung. Es ist bekannt, daß die Regierungsaufträge in allen imperialistischen Ländern sprunghaft zugenommen haben und einen ständig wachsenden Teil des Nationalproduktes verschlingen. So machten z. B . die Regierungskäufe in den USA 1929 8 , 2 % des Nationalproduktes aus, 1958 dagegen 21,4°/ 0 . Die Preise für die der Regierung gelieferten Waren werden in der Regel von den Monopolen diktiert. Dadurch ist ihnen ein hoher Monopolprofit sicher. Es wird häufig darauf hingewiesen, daß die ins riesenhafte gewachsenen Rüstungsaufträge der Regierungen pure Verschwendung sind, daß sie am Volksvermögen zehren. Das ist richtig. Aber das Volksvermögen darf nicht mit dem Privatvermögen der Monopole verwechselt werden. Zunächst sind die Rüstungsaufträge für die Monopole das beste Geschäft, sie vermehren ihre Profite und damit auch ihr Vermögen. Auf die gesellschaftliche Seite dieser Sache werde ich später eingehen. Die Staatsaufträge haben noch einen anderen großen Vorteil für die Monopole: Sie bewahren sie bei einer Absatzstockung vor dem Verlust ihres in Warenform steckenden Kapitals. In einer Krise bedeutet die Unabsetzbarkeit der Waren, daß die Kapitalisten ihre Waren nicht realisieren können, sie müssen entweder mit den Preisen heruntergehen oder einen Teil der Waren vernichten. Das eine wie das andere bedeutet den Verlust von Kapital. Anders bei Regierungsaufträgen. Hier ist den Monopolen der Absatz ihrer Waren zu hohen Monopolpreisen garantiert. Die Regierung nimmt die Waren auch dann noch ab, wenn keine Verwendung dafür da ist, z. B . die Waffen bei Kriegsende. Der Kapitalverlust muß von den Steuerzahlern getragen werden. 2. Das Anwachsen des Staatseigentums. Dies geschieht auf verschiedene Weise. In der großen Krise 1929 bis 1932 z. B . übernahm die deutsche Reichsregierung die Sanierung bankrotter Großbanken und erwarb einen bedeutenden Teil ihrer Aktien. In England nationalisierte die Labour-Regierung 1948 eine Anzahl Industriezweige, die unrentabel geworden waren, selbstverständlich gegen Entschädigung. Das wurde für die Finanzoligarchie ein glänzendes Geschäft, für die englischen Steuerzahler aber eine doppelte Last, denn sie mußten erstens die Mittel für die hohen E n t schädigungen aufbringen, und zweitens die Mittel für die Mechanisierung der nationalisierten Industriezweige. In den Vereinigten Staaten von Amerika baute die Regierung während des Krieges selbst neue Rüstungsbetriebe oder erweiterte bestehende Betriebe. Die Verwertung des investierten Kapitals überließ sie aber den privaten Monopolen, denen diese Betriebe und Einrichtungen für geringe Summen verpachtet wurden. Später wurden diese Betriebe für einen Bruchteil ihres Wertes an die Monopole verkauft. Indessen ist die Bildung des Staatseigentums für die Finanzoligarchie ein zweischneidiges Schwert. Sie bringt zwar einerseits sehr hohe

Beitrag zur Monopoltheorie

97

Monopolprofite ein, untergräbt aber andererseits das geheiligte Privateigentum, das die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise ist. Darum verläuft der Prozeß der Herausbildung des Staatseigentums, wie ich schon früher nachgewiesen habe, in sehr widersprüchlicher Weise. Auf Perioden der Nationalisierung folgen in der Regel Perioden der Reprivatisierung und umgekehrt. 90 Trotzdem ist der Umfang des Staatseigentums recht beträchtlich. Wie Anton Borgmeier 1958 mitteilte, umfaßte das sogenannte Bundeseigentum 128 Aktiengesellschaften mit einem Nominalkapital von 4855,2 Millionen DM, das sind 21,9% des gesamten westdeutschen Aktienkapitals. Der Bund verfügte über 96°/0 der Verteilung der Elektroenergie, 9 1 % der Gasversorgung, 75% der Braunkohlen und Pechkohlenförderung, 7 5 % der Aluminiumerzeugung, 60°/0 der Erzeugung von Elektroenergie, 48°/0 der Eisenproduktion, 3 5 % der Automobilproduktion usw. Insgesamt wurde errechnet, daß der Bonner Staat rund ein Drittel der Produktion direkt oder indirekt kontrolliert. 91 Dieser Umfang des staatsmonopolistischen Eigentums hat auch durch die inzwischen erfolgte teilweise Reprivatisierung (Preußag, Volks wagenwerk) nicht wesentlich an Bedeutung eingebüßt. 3. Staatsmonopolistische Finanzierungsmethoden. Im heutigen Kapitalismus ist der Staatshaushalt sehr eng mit dem kapitalistischen Reproduktionsprozeß verflochten. In Westdeutschland laufen etwa 30 bis 4 0 % des Volkseinkommens durch den Staatshaushalt, mit dessen Hilfe es zugunsten der Monopole neu verteilt wird. Die besonders durch das Rüstungsfieber ständig anschwellende Staatsschuld bildet in gleichem Maße eine Quelle der Verarmung der Nation und der Bereicherung der Monopole. Neben den direkten Investitionen und Subventionen an die Monopole spielt bei den staatsmonopolistischen Finanzierungsmethoden neuerdings besonders die durch gesetzliche Bestimmungen ermöglichte Finanzierung der erweiterten Reproduktion mittels überhöhter Abschreibungen des fixen Kapitals eine große Rolle. Diese als Selbstfinanzierung gepriesene Methode hat nach dem zweiten Weltkrieg sehr großen Umfang angenommen und sogar die Finanzierung durch Emissionen in den Hintergrund gedrängt. Der westdeutsche „Industrie-Kurier" brachte am 3. Dezember 1959 eine interessante Aufstellung über die Finanzierung der Vermögensbildung der Wirtschaft in den USA (in Mrd. S), siehe Tabelle S. 98. Wie aus dieser Tabelle ersichtlich ist, spielt die traditionelle finanzkapitalistische Finanzierung durch Aktien, Obligationen und Bankkredite nur noch eine geringe Rolle und hat auch absolut nur in geringem Maße zugenommen. Dagegen macht die Vermögensbildung aus eingehaltenen Gewinnen und aus Abschreibungen den Löwenanteil aus (Abschreibungen 1958 fast zwei Drittel!) und nimmt von J a h r zu J a h r zu. Dieser Prozeß wurde durch die Gesetzgebung gefördert, die eine degressive Abschreibung gestattet, nach der während der ersten Hälfte der Lebenszeit einer Anlage zwei Drittel ihres Wertes abgeschrieben werden dürfen. Auch in Westdeutschland ist diese Finanzierungsmethode nach dem zweiten Weltkriege in wachsendem Umfang angewandt worden. Ottomar Kratsch führt dafür als 90 Siehe meinen Aufsatz: Die Rolle der Staatsmacht beim Aufbau des Sozialismus. In: Jahrbuch des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der DAdW. Berlin 1959, Bd. 2, S. 13. 9 1 Borgmeier, Anton, Preispolitik. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1958, S. 35/36.

7

Probleme Bd. 3

Fred Oelßner

98

Vermögensbildung Einbehaltene Gewinne Abschreibungen Aktien Obligationen Andere langfristige Schulden Bankkredite Warenschulden Steuerschulden Andere

1953

1954

1955

1956

1957

1958

1959 1. Hj.

30,4

22,2

50,3

47,9

39,5

30,2

26,2

7,9 11,8 2,3 4,8

6,3 13,5 2,1 3,8

10,9 15,7 2,7 4,2

10,5 17,3 3,2 4,7

9,0 18,7 3,5 7,0

6,0 19,6 3,5 6,0

5,8 10,2 2,1 1,9

0,5 -0,1 0,4 0,6 2,2

0,5 1,1 -0,2 -3,1 0,4

1,7 3,7 5,5 3,8 2,1

3,2 2,2 5,5 - 1,7 3,0

1,4 0,3 -0,7 - 1,9 2,2

1,3 -2,4. - 1,4 - 2,5 0,1

0,7 1,1 2,0 0,5 1,9

Quelle: US Department of Commerce

Beispiel die Bilanz der AEG-Berlin von 1955 an. Danach ergab sich folgende Entwicklung des Anlagevermögens 92 : Stand am 1. 10. 1954 Zugang Abgang Abschreibungen

133947600,— 61893730,37 1997920,66 47090000,-

DM DM DM DM

Wie Kratsch hervorhebt, betragen die Abschreibungen 8 8 % des Zugangs und rund 14500°/ o des Abgangs des Anlagevermögens. Diese riesigen Abschreibungen sind auch in Westdeutschland (wie in vielen anderen Ländern) nur durch die monopolfreundliche Gesetzgebung ermöglicht worden (siehe Kratsch, S. 18011.). Der ökonomische Sinn dieser Methode besteht darin, daß den Kapitalisten gestattet wird, einen größeren Teil des fixen Kapitals in die Warenpreise einzukalkulieren, als tatsächlich Wert auf die Ware übertragen wird. Das bedeutet eine Erhöhung der Preise, die nur bei Ausschaltung der Konkurrenz wirksam werden kann. Zu den staatsmonopolistischen Finanzierungsmethoden ist auch die staatliche Exportförderung im Dienst der Monopole zu zählen. Nach dem „Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr" werden für Exportgeschäfte Erleichterungen bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer, der Gewerbesteuer und dem sogenannten Notopfer- Berlin gewährt. Außer diesen und noch anderen Steuererleichterungen sehen Bundeshaushalt und Länderhaushalte jährlich Millionensummen für die Exportförderung vor. Dem gleichen Zweck dienen die Währungsund Kreditpolitik und eine ganze Reihe anderer Regierungsmaßnahmen. 93 Es ver®2 Kratsch, Ottomar, Die Rolle der Abschreibungen im modernen Kapitalismus. In: „Wirtschaftswissenschaft", V. Jahrg., H. 2, S. 184, 1957; auch Zieschang, Kurt, hebt die Bedeutung der Abschreibungen für die Selbstfinanzierung hervor. Siehe: Grundprobleme der Investitionsfinanzierung in Westdeutschland. Akademie-Verlag, Berlin 1959, S. 115. Siehe auch den Aufsatz von Kratsch in vorliegendem Jahrbuch. , s Siehe Bericht 10 des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Die staatliche Exportförderung im Dienst der westdeutschen Monopole", März 1957, besonders S. 81, 89, 9 4 / 9 5 .

Beitrag zur Monopoltheorie

99

s t e h t sich, daß alle diese M a ß n a h m e n von den werktätigen Massen in F o r m von S t e u e r n bezahlt werden müssen.

— Außerordentlich wichtig ist für die s t a a t s -

monopolistischen Finanzierungsmethoden die Inflation, die heute in fast allen imperialistischen Ländern ständig fortschreitet. Sie ist ein wichtiges Mittel um das R e a l e i n k o m m e n der W e r k t ä t i g e n zugunsten der Monopole zu senken. 4 . S t a a t l i c h e Intervention in der W i r t s c h a f t . Inwieweit der S t a a t mit seinen legislativen und exekutiven Organen u n m i t t e l b a r in die S p h ä r e des Monopolkapitals eingreift oder nicht eingreift, wurde im Zusammenhang m i t dem westdeutschen Kartellgesetz bereits erörtert. Soweit diese Intervention ü b e r h a u p t wirksam wird, l ä ß t sich s a g e n : sie dient den Großen gegen die Kleinen, auch gegen die kleinen Monopole. Das weiteste Gebiet der staatlichen I n t e r v e n t i o n in der W i r t s c h a f t ist die Steuerpolitik. Mit der E n t w i c k l u n g des staatsmonopolistischen

Kapitalismus

h a t der U m f a n g der S t e u e r n ständig zugenommen und bereits für die W e r k t ä t i g e n unerträgliche Ausmaße erreicht. Dabei begünstigt die Steuerpolitik u n m i t t e l b a r die Monopole. E i n typisches Beispiel ist dafür die Umsatzsteuer.

Während

Klein-

betriebe für jedes T e i l f a b r i k a t 3°/ 0 Umsatzsteuer bezahlen müssen, zahlt ein vertikales Monopol nur einmal für das F e r t i g p r o d u k t diese 3°/ 0 und spart sie für j e d e Produktionsstufe ein, die es in sich vereinigt. 9 4 — Zuweilen m i s c h t sich der S t a a t auch in die Preisbildung ein und setzt b e s t i m m t e Preise fest (Höchstpreise, F e s t preise, Preisstop). Da diese Preise meist dem W u c h e r der Monopole hinderlich sind, streben sie danach, die unter dem D r u c k der Massen errichteten S c h r a n k e n wieder niederzureißen. S o soll in Westdeutschland 1 9 6 0 auf dem G e b i e t des W o h n u n g s wesens die „freie M a r k t w i r t s c h a f t " hergestellt werden, was unvermeidlich zu einer E r h ö h u n g der Mieten führen wird. — E i n umfangreiches Gebiet der S t a a t s i n t e r vention ist ferner die Diskont- und Währungspolitik, durch die der S t a a t die

finanz-

kapitalistischen Manipulationen des Monopolkapitals fördert. — A m wichtigsten aber ist für das Monopolkapital die staatliche I n t e r v e n t i o n in der L o h n p o l i t i k . D e r S t a a t wird von den Monopolen aufgefordert,

den „sozialen F r i e d e n " zu wahren,

d. h . die Arbeiter zu bändigen, möglichst einen L o h n s t o p zu verfügen, während die Monopole die Preise ungeniert in die Höhe treiben können. K o m m t es zu großen L o h n k ä m p f e n , dann wird der S t a a t beansprucht, sie im Interesse des Monopolkapitals zu beenden. S o wurde der große Stahlarbeiterstreik in den U S A im H e r b s t 1 9 5 9 nach mehr als 100 T a g e n von Präsident Eisenhower u n t e r Anrufung des T a f t Hartley-Gesetzes abgebrochen. In den staatlichen I n t e r v e n t i o n e n zeigt der moderne bürgerliche S t a a t sich als Organ nicht nur der ganzen Kapitalistenklasse, sondern speziell als Organ der Finanzoligarchie. 5 . Internationale staatskapitalistische Monopole.

Ein

besonderes

Kennzeichen

für die E n t w i c k l u n g nach dem zweiten Weltkriege ist die B i l d u n g i n t e r n a t i o n a l e r staatskapitalistischer

Monopole.

Die hervorragendsten

Beispiele dafür sind

die

Europäische Gemeinschaft für K o h l e und S t a h l — die M o n t a n - U n i o n —, die E u r o päische Atomgemeinschaft — E u r a t o m — und die E u r o p ä i s c h e W i r t s c h a f t s g e m e i n schaft, Gemeinsamer M a r k t 04



E W G . Nach dem, a m 2 5 . März 1957, in R o m a b -

Vgl. hierzu den Aufsatz von Gündel, Rudi, im vorliegenden Jahrbuch, S. 3 0 6 / 3 0 7 .

100

Fred Oelßner

geschlossenen Vertrag

erstrebt

die E W G zwischen den sechs Vertragsländern,

nämlich Westdeutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg, die Herstellung eines großen Wirtschaftsraumes in Gestalt einer Zollunion. Zu diesem Zwecke sollen schrittweise alle unter den Mitgliedstaaten

vorhandenen

Binnenzölle abgebaut und nach spätestens 15 Jahren ein von Binnenzöllen freier Markt geschaffen werden. 95 Im Frühjahr 1960 legte der EWG-Präsident Hallstein einen „Beschleunigungsplan" vor, nach dem die Zölle ab 1. Juli 1960 statt um 1 0 % gleich um 20°/0 gesenkt werden sollten. Um diesen Plan entbrannte ein heftiger Kampf, und die Beschleuniger mußten ihr Tempo verlangsamen. Es ist klar, daß die Zollfreiheit auf diesem „Gemeinsamen M a r k t " vor allem den westdeutschen Monopolen zugute kommt, hingegen der Landwirtschaft und weniger starken Monopolen aber schaden wird.

Darum hat in den Ländern der E W G eine heftige Konzen-

trationsbewegung eingesetzt, um durch neue Monopolbildungen der kommenden Konkurrenzverschärfung besser gerüstet entgegensehen zu können. A m stärksten ist diese Monopolisierungsbestrebung in Frankreich. Die „ N e u e Zürcher Zeitung" schrieb am 12. Juni 1959: „ E s sind in großer Mehrheit französische Gesellschaften, die an Abreden mit Unternehmungen anderer Länder beteiligt sind, wie denn auch in keinem Land die Zahl der mit Rücksicht auf den Gemeinsamen Markt erfolgenden Zusammenschlüsse und getroffenen Vereinbarungen zwischen Unternehmungen der gleichen Nationalität so groß ist, wie in Frankreich."

Aber auch Italien, Belgien und die anderen Länder stehen nicht nach. Innerhalb der E W G wurden bis 1959 bereits über 80 neue große Firmengruppierungen gezählt, davon befinden sich 39 in Frankreich, 24 in Belgien, der Rest in Westdeutschland, Italien und den Niederlanden. 96 Auch die Monopole in den Ländern außerhalb der E W G , besonders in den U S A , sehen der Entwicklung nicht tatenlos zu. Sie versuchen vor allem, sich an den Monopolen innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu beteiligen. So hat sich die Chrysler Corporation mit 25°/0 an dem französischen Automobil-Monopol Simca beteiligt. Die British Motor Corporation hat ein Abkommen mit der italienischen Firma Innocenti abgeschlossen, das die Teilfertigung und Montage englischer Erzeugnisse in Italien vorsieht. Und wie in der Automobilindustrie, so ist es in der Elektro-, der Flugzeug- und der chemischen Industrie, im Maschinenbau, in der Erdölindustrie wie im Bankwesen. So wurde beispielsweise ein Investment-Trust „ E u r u n i o n " von belgischen, holländischen und französischen Banken unter Beteiligung der Berliner Handelsgesellschaft Frankfurt/M. gegründet. Es zeigt sich also, wie der zur Verwirklichung des „freien Wettbewerbs" von den Regierungen

abgeschlossene

EWG-Vertrag

eine neue Welle der

Konzentration

monopolistischer Macht hervorgerufen hat. Aber auch die Gegenfront hat sich für den kommenden Kampf der MonopolGiganten schon formiert. Sieben europäische Länder — England, Schweden, Nor95 96

Nipperdey, Hans-Carl, a. a. O., S. 1672. „Marktinformation für den Außenhandel", Berlin, I I I . Jahrg., Nr. 44, 1959.

Beitrag zur Monopoltheorie

101

wegen, Dänemark, Österreich, die Schweiz und Portugal — haben sich zur sogenannten kleinen Freihandelszone („EFTA") zusammengeschlossen, um dem internationalen staatsmonopolistischen Gebilde EWG nicht ungewappnet gegenüberzustehen. Wie sehr auch die europäischen Integrationsapostel in Bonn darüber jammern mögen, daß ihr Kleineuropa in zwei feindliche Blöcke gespalten ist, sie werden es nicht verhindern können, daß die neue Etappe des internationalen staatsmonopolistischen Kapitalismus auch eine neue Etappe der staatsmonopolistischen kapitalistischen Konkurrenz einleitet. Der bereits erwähnte Beschleunigungsplan Hallsteins hat die Gegensätze zwischen EWG und EFTA bereits offen zutage treten lassen und nahe an einen Handelskrieg zwischen den beiden staatsmonopolistischen Blöcken herangeführt. Ich kann darauf verzichten, ausführlich darzustellen, wie sich der Verschmelzungsprozeß der Monopole mit dem Staat vollzogen hat. Schon Lenin hat auf die Personalunion zwischen Monopolen und Regierung hingewiesen. Die Tatsachen des Kaufes von Parteien, Abgeordneten und Staatsbeamten, der Besetzung von staatlichen Posten mit Vertretern des Monopolkapitals, der Beeinflussung der Gesetzgebung wie der Exekutivorgane durch direkte Bestechung sind in der ökonomischen Literatur wie in der Tagespresse genügend erörtert worden. Die Korruption, die in Westdeutschland so tolle Blüten treibt, ist mit dem staatsmonopolistischen Kapitalismus untrennbar verbunden. Auch durch sie kommt Monopolprofit zustande, der aber kaum mit einem ökonomischen Gesetz erklärt werden kann. Es gibt zwar eine Tarifskala der Bestechung, aber keine Durchschnittsrate der Korruption. Damit komme ich zu einigen Schlußfolgerungen. Durch die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus ist die Verflechtung der Monopole mit dem Staatsapparat noch enger geworden. Sie wird auch international wirksam. Die Herrschaft über den Staatsapparat wird für die Monopole zu einem Hebel für die Sicherung und Steigerung des Monopolprofits und für die Sicherung der erweiterten Reproduktion. Die Anwendung der Staatsgewalt für ihre Zwecke ermöglicht es den Monopolen, sich zeitweilig einen relativ gesicherten Markt zu schaffen, die Überproduktion teilweise zu drosseln und die mit dem zyklischen Verlauf untrennbar verbundenen Kapitalverluste auf den Staat abzuwälzen. Dadurch wird der Mechanismus der kapitalistischen Gesetze, der nur unter den Bedingungen der freien Konkurrenz ungehemmt läuft, noch mehr gestört als bisher. Die ökonomischen Gesetze werden in noch größerem Maße als bisher durch politische Faktoren in ihrer Wirkung beeinflußt. Der staatsmonopolistische Kapitalismus ist, wie schon der Name sagt, eine durch und durch politisch-ökonomische Erscheinung. Mit ihrer Macht über den Staatsapparat üben die Monopole nicht nur ökonomische, sondern nicht minder politische Gewalt aus. Mehr denn je haben die Abs, Pferdmenges und Konsorten unmittelbaren Einfluß auf die Regierung. Sie sind es, die den kalten Krieg schüren und Minen gegen die internationale Entspannung legen. Aber der Zweck ihrer politischen Gewaltausübung bleibt ein ökonomischer: die Sicherung und Steigerung des Monopolprofits. Auch in seiner höchsten Ent-

102

Fred Oelßner

wicklung bleibt das Monopol seinem Wesen treu. Aber können wir angesichts dieser Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus annehmen, daß wir auch nur eine Erscheinung dieses Kapitalismus erklären können, wenn wir uns auf die rein ökonomische Analyse beschränken? Wir können nicht das Wesen auch nur einer dieser Erscheinungen erfassen, wenn wir versuchen, es nur auf ökonomische Gesetze zurückzuführen. Natürlich müssen wir erforschen, wie unter den neuen Bedingungen die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus wirken, und das ist gewiß nicht leicht. Aber wir dürfen dabei keinen Augenblick aus dem Auge verlieren, daß diese Gesetze heute in einem Milieu wirken, das durch die ökonomische und politische Herrschaft der Finanzoligarchie gekennzeichnet ist. Heißt das etwa, daß damit die Grundsätze des historischen Materialismus außer Kraft gesetzt werden? Keineswegs. Ich habe schon oben darauf hingewiesen, daß nach wie vor die materielle Produktion, die Arbeit, die Grundlage für die Existenz der menschlichen Gesellschaft bleibt. Möge die Finanzoligarchie noch so viel Monopolprofit durch rein politische Methoden, ja durch nackte physische Gewaltanwendung erpressen — immer bleibt dieser Monopolprofit, wenn er real ist, Wert, der durch abstrakt gesellschaftliche Arbeit erzeugt worden ist. Und weiter. Der Zweck aller staatsmonopolistischen Maßnahmen ist ein ökonomischer: der Monopolprofit. So bleibt auch der Grundsatz des historischen Materialismus bestehen, daß von allen die geschichtliche Entwicklung bestimmenden Faktoren in letzter Instanz der ökonomische Faktor entscheidend ist. Die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus hat daher auch große Bedeutung für den Klassenkampf als der treibenden Kraft der Geschichte. Auch im staatsmonopolistischen Kapitalismus bleibt, weil er eben Kapitalismus ist, der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat der Hauptgegensatz, das Proletariat ist nach wie vor die Hauptkraft im Klassenkampf. Indem der staatsmonopolistische Kapitalismus die Herrschaft der Finanzoligarchie auf die Spitze treibt, schafft er aber der Arbeiterklasse die Möglichkeit, die breitesten Schichten des Volkes bis in die unteren Schichten der Besitzenden hinein als Bundesgenossen für den Klassenkampf gegen die Finanzoligarchie zu gewinnen. Diese Möglichkeit wird noch dadurch vergrößert, daß der staatsmonopolistische Kapitalismus die Fäulnis und Überlebtheit der kapitalistischen Produktionsweise in unübersehbarer Weise an den Tag bringt. Die Sicherung des Monopolprofits und der erweiterten Reproduktion durch staatsmonopolistische Maßnahmen zwingt den Staat und damit die Gesellschaft, in zunehmendem Maße Produktivkräfte für völlig unsinnige Zwecke zu vergeuden. Niemand hat den Irrsinn des staatsmonopolistischen Kapitalismus besser vor Augen geführt als sein Hauptprophet, J o h n Maynard Keynes, der schrieb: „Wenn das Schatzamt alte Flaschen mit Banknoten füllen und sie in geeignete Tiefen in verlassenen Kohlenbergwerken vergraben würde, sie dann bis zur Oberfläche mit städtischem Kehricht füllen würde und es dem privaten Unternehmungsgeist nach den erprobten Grundsätzen des laissezfaire überlassen würde, die Noten wieder auszugraben (wobei das Recht, also zu tun, natürlich durch Offerten für die Pacht des Grundstücks, in dem die Noten liegen, zu erwerben wäre), brauchte es keine Arbeitslosigkeit mehr zu geben, und mit Hilfe der Rückwirkungen würde das Realeinkommen des Gemeinwesens wie auch sein Kapitalreichtum wahrscheinlich viel größer als jetzt werden. Es wäre zwar

Beitrag zur Monopoltheorie

103

vernünftiger, Häuser und dergleichen zu bauen, aber wenn dem politische und praktische Schwierigkeiten im Wege stehen, wäre das obige besser als gar nichts." 97

Zeigen diese Ausführungen nicht drastisch, daß eine Produktionsweise, die ihre gelehrten Verteidiger zu solchen irrsinnigen Phantasien verleitet, längst aufgehört hat, eine Grundlage für die menschliche Gesellschaft zu sein? Nun, die monopolkapitalistischen Staaten vergraben nicht alte Banknoten in Schächten, sie tun etwas, was ebenso irrsinnig, aber viel gefährlicher ist. Sie werfen jahraus jahrein Milliardenwerte für die Aufrüstung zum Fenster hinaus und bilden sich ein, damit die kapitalistische Maschine am Laufen zu halten, Stockungen zu vermeiden. Aber sie irren sich auch darin. Die Aufrüstung und die Militarisierung, die ein Mittel ist, die erweiterte Reproduktion der einzelnen Monopole zu fördern, ist ebenso ein Mittel, die erweiterte Reproduktion der Gesellschaft zu hemmen. Denn die Panzer, Flugzeuge, Raketen usw. können in keiner Weise der Reproduktion dienen, weder als Produktionsmittel, noch zur Reproduktion der Arbeitskraft. Sie sind ein gefährlicher, parasitärer Luxus, der selbst das reichste kapitalistische Land schließlich zur Erschöpfung führen muß. Die Folgen zeigen sich heute an der niedrigen Zuwachsrate der Produktion in den imperialistischen Ländern. Fand der Irrsinn der kapitalistischen Produktionsweise früher nur in den periodischen Wirtschaftskrisen seinen offenen Ausdruck, so kommt heute noch der größere Irrsinn einer permanenten riesigen Vergeudung gesellschaftlicher Produktivkräfte hinzu. Der parasitäre Charakter der kapitalistischen Wirtschaft hat im staatsmonopolistischen Kapitalismus seinen Gipfelpunkt erreicht. Die historische Schranke dieser Produktionsweise ist eklatant. Der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte und dem kapitalistischen Eigentum, der sich im Gegensatz zwischen der ungeheuren Mehrheit der Völker und einem kleinen Häuflein von Finanzmagnaten offenbart, ist auf die Spitze getrieben. Er kann nicht gelöst werden durch die reaktionäre Utopie einer Rückkehr zur vollständigen Konkurrenz, sondern nur durch den revolutionären Vormarsch zur vollständigen Vergesellschaftung. Die historische Alternative des staatskapitalistischen Monopols ist die sozialistische Revolution. 97 Keynes, John Maynard, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Duncker u. Humblot, Berlin 1955, S. 110.

Hermann ZU

EINIGEN

FRAGEN

APOLOGETISCHEN

DER

Turley

MONOPOLTHEORIE

ANTIMONOPOLISMUS

DEUTSCHEN

DER

UND

DES

WEST-

NEOLIBERALEN

I m Jahre 1950 forderte die westdeutsche Regierung den in der Schweiz lebenden deutschen Ökonomen und Soziologen Wilhelm Röpke auf, ein Gutachten über die Probleme der westdeutschen Wirtschaftspolitik zu erstatten. U m dieser dringenden Aufforderung nachkommen zu können, ließ Röpke sich vorübergehend von seiner Lehrtätigkeit am Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf beurlauben. Dieses Gutachten wurde später unter dem Titel „ I s t die deutsche Wirtschaftspolitik richtig?" 1 veröffentlicht, und der Autor hat seine Auftraggeber nicht enttäuscht. W a s von dem „international anerkannten Fachmann", der angeblich „über der Parteien Gunst und Haß in kritischer Würdigung die ökonomischen Tatbestände zu analysieren und die sich daraus ergebenden Nutzanwendungen zu ziehen hatte", erwartet wurde, das gab er auch. Adenauer schätzte die Bedeutung des von Röpke vorgelegten Gutachtens in einem Vorwort — dem auch die oben zitierten Stellen entnommen sind — wie folgt ein: „Diese Untersuchung hat die Richtigkeit der von der Bundesregierung eingeschlagenen Wirtschaftspolitik nicht nur eindeutig bestätigt, sondern darüber hinaus die Notwendigkeit einer noch geschlosseneren Ausrichtung unter Beweis gestellt. Die Untersuchung rechtfertigt aber zugleich den Anspruch der Bundesregierung, die neue deutsche Wirtschaftspolitik mit Fug und Recht soziale Marktwirtschaft zu benennen." 2 Liest man diese W o r t e Adenauers, so wird man unwillkürlich an gewisse Praktiken kapitalistischer Konzerne erinnert, die der Reklame für ein minderwertiges aber profitversprechendes Produkt durch „fachmännische Gutachten" eine „seriöse" Grundlage zu geben versuchen. Praktisch handelte die Regierung der westdeutschen Monopole ebenso. Sie verpflichtete den „international anerkannten Fachmann" Röpke, ihren Charakter als Exekutivorgan der mächtigsten westdeutschen Monopole zu verschleiern. Und so erbrachte also Röpke, wie bestellt, den „ N a c h w e i s " , daß die westdeutsche Regierung in voller Unabhängigkeit, lediglich geleitet von den Interessen des Volkes und entsprechend den „ I d e a l e n " der sogenannten neoliberalen Theorie, der Verwirklichung einer „neuen" Ordnung der Gesellschaft, einer sogenannten „sozialen Marktwirtschaft" zustrebe. 1 Röpke, Wilhelm, Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig? W. Kohlhammer Verlag' Stuttgart und Köln 1950. 1 Ebenda. (Hervorhebung — H. T.)

Zur Monopoltheorie der westdeutschen Neoliberalen

105

Wilhelm Röpke gehört zu den namhaften Vertretern jener Richtung in der modernen bürgerlichen Ökonomie und Soziologie, die als Neoliberalismus bezeichnet wird. Die Neoliberalen behaupten, ihre Vorstellungen von der Überwindung der „Gesellschaftskrisis der Gegenwart" 3 durch die Verwirklichung einer sogenannten „Civitas Humana" 4 , die ihrem ökonomischen Inhalt nach eine „Soziale Marktwirtschaft" sein soll, verpflichte sie zum Antimonopolismus. Das eigentliche Wesen des neoliberalen Programms sei — so versichern sie — eine Antimonopolpolitik, „und zwar eine solche der echten und radikalen Art, die Monopole nicht tolerieren und überwachen, sondern abschaffen will." 5 Immer wieder finden sich in den Arbeiten bürgerlicher Ökonomen Formulierungen, durch die der angebliche „Antimonopolismus" der Neoliberalen unterstrichen wird. So lesen wir z. B. in einer Schrift über „Die Monopolpolitik des Neoliberalismus" den Satz: „Der Kern des Neoliberalismus liegt in der Monopolbekämpfung." 6 Bei Hero Moeller lesen wir: ,,Der Ordoliberalismus hat den Antimonopolismus in den Mittelpunkt eines ganzen wirtschaftlichen Systems gerückt." 7 Kommen wir noch einmal auf den Ausgangspunkt unserer Darlegungen zurück, so ergibt sich die gewiß zunächst recht eigenartig anmutende Situation, daß die Bonner Regierung — erwiesenermaßen staatliches Exekutivorgan der mächtigsten westdeutschen Monopole — ihre Wirtschaftspolitik der Restauration und Festigung der Monopolmacht von einem führenden Vertreter einer solchen ökonomischen Richtung „rechtfertigen" läßt, deren Ziel angeblich die kompromißlose Bekämpfung der Monopole ist. Wir sind von diesem Beispiel ausgegangen, weil sich aus ihm ganz klar die Frage nach dem Wesen und der Rolle des „Antimonopolismus" der westdeutschen Neoliberalen ergibt. Gründe für die dominierende

Stellung des Neoliberalismus

in

Westdeutschland

Wenn die herrschenden Kreise des westdeutschen Monopolkapitals mit Hilfe des Neoliberalismus ihre Diktatur als „freie" oder „soziale Marktwirtschaft" getarnt haben, so sehen wir dafür im wesentlichen folgende Gründe. Die deutschen Imperialisten hatten im zweiten Weltkrieg eine schwere militärische Niederlage erlitten. Wie sollte das gesellschaftliche Leben in Deutschland gestaltet werden? Diese Frage ergab sich für die Völker, die durch den deutschen faschistischen Imperialismus angegriffen worden waren. Diese Frage stand aber in erster Linie vor dem deutschen Volk selbst. Schon während des Krieges hatten weitblickende deutsche Antifaschisten, an ihrer Spitze die Kämpfer der KPD, in vielen Dokumenten ihren Willen bekundet, entsprechend den historischen Bedingungen 3 Röpke, Wilhelm, Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich 1942. 4 Röpke, Wilhelm, Civitas Humana. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich 1944. 6 Ebenda, S. 75. • Stocker, Erwin, Die Monopolpolitik des Neoliberalismus. Polygraphischer Verlag AG., Zürich 1957, S. 5. 7 Moeller, Hero, Liberalismus. In: „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik", Bd. 162, H. 3, S. 225, 1950.

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und Erfordernissen, in Deutschland eine antifaschistisch-demokratische Ordnung zu schaffen. Die historischen Beschlüsse von Potsdam zeigten nicht nur die Perspektive einer friedlichen und demokratischen Entwicklung in Deutschland, sondern legten gleichzeitig entsprechende politische, ökonomische und kulturelle Maßnahmen fest, deren Verwirklichung ganz Deutschland zu einem friedliebenden und demokratischen Staat hätten werden lassen. Obwohl alle damaligen Besatzungsmächte feierlich vereinbart hatten, dem deutschen Volk bei der Realisierung der in Potsdam beschlossenen Maßnahmen zu helfen, hielt sich nur die UdSSR an diese Abmachungen. Sie unterstützte die antifaschistisch-demokratischen Kräfte auf dem Gebiet der DDR bei der Verwirklichung weitreichender und grundlegender demokratischer Reformen, durch welche die Macht der Monopolisten und Junker gebrochen wurde. Im Rückblick auf die damaligen revolutionären Veränderungen, gab der V. Parteitag der SED folgende Einschätzung: „ I m breiten Bündnis mit den Bauern und den antihitlerischen bürgerlichen Kreisen und durch die sowjetischen Streitkräfte vor Interventionen der westlichen Imperialisten geschützt, organisierte die Arbeiterklasse die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und beseitigte die Grundlagen des Imperialismus." 8 Da die demokratischen Umwälzungen, die im harten Klassenkampf gegen reaktionäre Vertreter der Bourgeoisie durchgeführt wurden, sich unter der Hegemonie der von einer einheitlichen, marxistischen Partei geführten Arbeiterklasse vollzogen, waren sie konsequent und bargen bereits den Keim des Hinüberwachsens in die sozialistische Revolution in sich. Nach der Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution wurde in der DDR mit dem Aufbau der Grundlagen des Sozialismus begonnen. Ausgehend von den erzielten Erfolgen konnte auf dem V. Parteitag der SED der historische Beschluß gefaßt werden, in der DDR den Sozialismus zum Siege zu führen. Die objektive historische Notwendigkeit für revolutionäre demokratische Umwälzungen bestand 1945 für ganz Deutschland. Aber die aktive Unterstützung der deutschen Imperialisten durch reaktionäre Kräfte des amerikanischen Monopolkapitals und die verhängnisvolle Spalterpolitik rechter SPD-Führer verhinderten demokratische Umwälzungen in der Westzone. Während in der Praxis die demokratischen Umwälzungen, wie sie das Potsdamer Abkommen vorsah, verhindert wurden, hoffte man die werktätige westdeutsche Bevölkerung mit solchen Ideen und Versprechungen irreführen zu können, in denen scheinbar am „radikalsten" die Abwendung von der verhängnisvollen Vergangenheit zum Ausdruck kam. „Radikale" Forderungen wurden selbst von den politischen Vertretern der reaktionärsten Kreise erhoben. 8 Beschluß des V. Parteitages der SED über den Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat. In: „Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands". Dietz Verlag, Berlin 1959, Bd. 2, S. 1338.

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In den sogenannten Kölner Leitsätzen, einem programmatischen Dokument der Kölner CDU-Gründer, tauchte der Begriff „christlicher Sozialismus" auf. Entsprechend der Sozialismus-Demagogie wurde z. B. in diesem Dokument gefordert: „Die Vorherrschaft des Großkapitals, der privaten Monopole und Konzerne wird gebrochen" (S. 99). Ihren entwickeisten Ausdruck findet die Sozialismus-Demagogie der CDU im Ahlener Wirtschaftsprogramm der CDU der britischen Zone vom 3. Februar 1947. Selbst Adenauer erging sich seiner Zeit in einer „radikalen" Demagogie. So erklärte er z.B. 1947 in einer Rede im Landtag von Nordrhein-Westfalen: „Unter Kapitalismus verstehen wir eine Erscheinungsform der Wirtschaft, in der der Profit des Kapitals das allein Ausschlaggebende war. Diese Wirtschaftsform ist vorbei. Sie will keiner von uns jemals wiedersehen" (S. 109). Warum war selbst die CDU, sie sich später als Vorkämpfer für die von den Neoliberalen propagierte sogenannte „soziale Marktwirtschaft" aufspielte, zunächst gezwungen, als Verfechter einer „sozialistischen" Ordnung aufzutreten? In einem streng vertraulichen Diskussionsmaterial, in dem von dem ehemaligen christlichen Gewerkschaftsführer Johann Albers 1946 „Grundgedanken zum Thema Christlicher Sozialismus" niedergelegt wurden, können wir folgendes lesen: „Es kann kein Zweifel unterliegen, daß diese Forderung einer Sozialisierung der Wirtschaft heute einem aus der Tiefe der Volksseele kommenden allgemeinem Verlangen entspricht. Es sind nicht nur die Arbeiter, sondern auch viele intellektuelle Volksschichten, und ganz besonders die Massen der heimkehrenden Soldaten davon erfüllt. Das sozialistische Verlangen ist auch im christlichen Volk erwacht. Arbeiter und Intellektuelle — unter ihnen besonders die Jugend — streben aus religiöser Lebensauffassung heraus eine neue Staats- und Gesellschaftsordnung a n . " (S. 105f.) Später wurde von führenden Funktionären der CDU offen zugegeben, daß die „radikalen" Forderungen des „christlichen Sozialismus" der ersten Nachkriegszeit nur dazu gedient haben, wirkliche Veränderungen zu verhindern. Im Anschluß an den 7. Parteitag der westdeutschen CDU erklärte der stellvertretende Parteivorsitzende Franz Meyers auf einer Pressekonferenz, man müsse das Ahlener Programm aus den Gegebenheiten der Zeit verstehen, in der es entstanden sei. Dieses Programm habe schon damals die Sozialisierung verhindern sollen. 9 Auch die rechten SPD-Führer redeten, ohne daß auch nur an die Verwirklichung der elementarsten demokratischen Maßnahmen zur Zerschlagung der Grundlagen des Imperialismus gedacht wurde, davon, daß der Kapitalismus zusammengebrochen sei, daß der Neubau Deutschlands nur im Sinne des Sozialismus erfolgen könne, daß man geradeaus zum Sozialismus marschieren müsse, da der Sozialismus die Forderung des Tages, eine Gegenwartsaufgabe sei. 10 9

Stulz, P. / Thomas, S., Zur Entstehung und Entwicklung der CDU in Westdeutschland 1945—1949. In: „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", VII. Jahrg., H. 1, 1959. Die vorstehenden Zitate ohne Quellenangabe sind nach diesem Aufsatz zitiert. Die in Klammern beigefügten Seitenzahlen beziehen sich auf den Aufsatz. 10 Winzer, Otto, Sozialistische Politik. Eine kritische Stellungnahme zu Reden und Aufsätzen von Dr. Kurt Schumacher. Dietz Verlag, Berlin 1947, S. 13ff.

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Geschützt durch die verschiedensten demagogischen Beteuerungen — in Deutschland werde m a n sozialistische Verhältnisse schaffen — retteten sich die deutschen Monopolisten m i t aktiver Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte über die ersten J a h r e nach ihrer Niederlage. Aber die zunächst gewählte Form der T a r n u n g mit Sozialismus-Phrasen erwies sich f ü r die deutschen Monopolisten nur zeitweilig als besonders zweckmäßig. In dem Maße, wie einerseits in Westdeutschland die Restauration der Macht der Monopole voranschritt, anderseits aber auf dem Gebiet der D D R die Erfolge der demokratischen K r ä f t e zunächst beim Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung u n d später beim Aufbau der Grundlagen des Sozialismus sichtbar wurden, m u ß t e sich auch der demagogische Charakter der in Westdeutschland vertretenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Sozialismus-Phrasen erweisen. Demzufolge brauchten die deutschen Finanzkapitalisten immer dringender eine offizielle apologetische Doktrin, die das Versprechen einer „ r a d i k a l e n " Überwindung aller Gebrechen der kapitalistischen Ordnung mit einer Glorifizierung des Kapitalismus in sich vereinigte. Diese Lehre bot sich ihnen in der Theorie des sogenannten Neoliberalismus an. Ungefähr ab 1948 wurde der Neoliberalismus als Theorie einer dritten wirtschaftspolitischen Form der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft" von den stärksten westdeutschen Monopolen allgemein bevorzugt. Mit Hilfe des Neoliberalismus wurde das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus und seine erneut zunehmende Expansionskraft und Agressivität als eine grundlegend progressive gesellschaftliche Umgestaltung hingestellt. W a r u m war vom S t a n d p u n k t der Monopolbourgeoisie gerade der Neoliberalismus geeignet, die primäre Rolle im Rahmen der westdeutschen ökonomischen Apologetik zu übernehmen? Bei der Beantwortung dieser Frage k o m m t es uns nicht auf eine ausführliche Darlegung an, sondern wir wollen in möglichst knapper und präziser Form die wichtigsten Gründe aufzählen, die den Neoliberalismus besonders geeignet machten, in Westdeutschland in den R a n g einer staatlich sanktionierten apologetischen Doktrin aufzurücken. 1. Der Neoliberalismus ist eine antisozialistische Theorie. Die Ansichten des Neoliberalismus werden mit vollem Bewußtsein als ein gegen den Marxismus-Leninismus und gegen die sozialistische Praxis gerichtetes Gegenprogramm entwickelt. Die völlig unterschiedliche Entwicklung im Osten und Westen Deutschlands und die progressiven Wirkungen, die von der Entwicklung der D D R auf die werktätige Bevölkerung in Westdeutschland zu erwarten waren, erforderten vom S t a n d p u n k t der deutschen Finanzkapitalisten gerade eine solche Theorie. Von diesen Überlegungen aus dürfte die Ansicht von Robert N a u m a n n nicht haltbar sein, der die Verbreitung des Neoliberalismus in Westdeutschland u. a. aus den Schwierigkeiten erklärt, „die mit der großen sozialen Umgestaltung in der sowjetischen Besatzungszone verbunden waren und manchen ehrlichen Werktätigen vor diesen Schwierigkeiten zurückschrecken ließen." 1 1 11 Naumann, Robert: Theorie und Praxis des Neoliberalismus. Das Märchen von der freien oder sozialen Marktwirtschaft. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1957, S. 95.

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Eine den realen Bedingungen in Deutschland adäquate Erklärung müßte unseres Erachtens wie folgt formuliert werden: Eine so grundlegende gesellschaftliche Umwandlung, wie sie sich auf dem Gebiet der DDR vollzog, konnte nicht ohne Schwierigkeiten vor sich gehen. Gleich welche Ursachen ihnen im Einzelfall zugrunde lagen, es waren Geburts- und Wachstumsschwierigkeiten einer neuen Gesellschaft. Weil aber trotz aller Schwierigkeiten die immer erkennbarer werdenden Erfolge der Arbeiter, Bauern und der anderen Werktätigen einen zunehmenden Einfluß auf die werktätige Bevölkerung Westdeutschlands, vor allem auf die Arbeiterklasse und die werktätigen Bauern ausüben mußten, wurde gerade eine Theorie gebraucht, die Schwierigkeiten und Mängel bei der demokratischen Revolution und beim sozialistischen Aufbau als systembedingt hinstellt, um auf diese Weise dem positiven Einfluß unserer Erfolge auf die Werktätigen in Westdeutschland ideologisch entgegenwirken zu können. Nicht durch unsere Schwierigkeiten schreckten die Werktätigen vor dem Sozialismus zurück und wurden darum von neoliberalen Ideen beeinflußt, sondern umgekehrt; weil die deutschen Monopolkapitalisten den Neoliberalismus als ein aktives antisozialistisches ideologisches Instrument ausnutzten, erhielten viele Werktätige eine völlig entstellte Vorstellung von den realen Vorgängen in unserer Republik. 2. Der Neoliberalismus tritt in einer „antikapitalistischen" Hülle auf. Aus seiner echten antisozialistischen Zielrichtung und seiner scheinbaren antikapitalistischen Einstellung entwickelt er das Programm eines „Dritten Weges" der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft". Mit einer solchen Theorie konnte man den in Ostdeutschland beschrittenen Weg als unannehmbar und gleichzeitig die Restauration in Westdeutschland als „radikale" Änderung der Gesellschaft hinstellen, wobei der konjunkturelle Aufschwung in Westdeutschland als Realisierung einer „sozialen Marktwirtschaft" durch Anwendung der neoliberalen Wirtschaftspolitik ausgegeben wurde. 3. Der Neoliberalismus tritt als „Antimonopolismus" auf. Eine Theorie mit dieser Eigenschaft war mindestens aus folgenden Gründen für die Apologetik des Kapitalismus in Westdeutschland besonders geeignet. Die deutschen Monopolisten waren von dem deutschen Volk und auch von den anderen Völkern in einem hohen Maße als Verderber der Nation und als Drahtzieher imperialistischer Agression erkannt worden. Um zu verhindern, daß aus dem in der Hauptsache spontanen Antimonopolismus breiter Volkskreise in Westdeutschland eine politisch wirksame Massenbewegung gegen die Monopole wurde — was bei einer marxistischen Aufklärung und Führung der Massen unter dem Eindruck der Zerschlagung der Macht der Monopole auf dem Gebiet der DDR möglich gewesen wäre —, mußte eine Theorie in den Vordergrund treten, die mittels eines apologetischen „Antimonopolismus" den spontanen Antimonopolismus auffing, um ihn in eine für die Monopole ungefährliche, letzten Endes sogar direkt nützliche Richtung zu lenken. Wir möchten in diesem Zusammenhang allerdings ausdrücklich hervorheben, daß wir es für falsch und irreführend halten, wenn bürgerliche Ökonomen wie z. B. der Schweizer Professor Fritz Marbach von der Universität Bern die „neoliberalen Über-

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treibungen", wie er die dominierende Rolle des Neoliberalismus in Westdeutschland nennt, nur darauf zurückführen, „daß die Monopole, insbesondere die Kartelle in Deutschland durch den Nazismus kompromittiert sind." 1 2 4. Der Neoliberalismus bot auf Grund seines spezifischen „theoretischen" Apparates, hier besonders seiner Theorie der „idealtypischcn Wirtschaftssysteme", die besten Möglichkeiten, demagogische Manöver durchzuführen, die für die Sicherung der Herrschaft der Monopole außerordentlich wichtig waren. In Westdeutschland gab es nach dem Kriege in breiten Volkskreisen starke antifaschistische Stimmungen. Es mußten Mittel gefunden werden, um diese Stimmungen so zu lenken, daß sie den Interessen des Finanzkapitals nicht schädlich, sondern nützlich wurden. Hier spielte die neoliberale Theorie der sogenannten „Zentralverwaltungswirtschaft" eine besondere Rolle. Durch sie wurde der deutsche Faschismus mit dem Sozialismus gleichgesetzt. So versuchte man mit Hilfe des Neoliberalismus den Haß gegen den Faschismus als eine Quelle zur Verstärkung des Antikommunismus auszunutzen. Dabei machten sich die Neoliberalen die Tatsache zunutze, daß die deutschen Faschisten ihre rigorose staatsmonopolkapitalistische Wirtschaftspolitik demagogisch als „Planwirtschaft" deklariert hatten. Gestützt auf ihre Theorie der „Zentralverwaltungswirtschaft" behaupteten die Neoliberalen mit dreister Frechheit, die Planwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik sei nichts anderes als die faschistische Wirtschaftspolitik unter anderem Vorzeichen und in potenzierter Form. Demgegenüber wurde der Übergang von der staatsmonopolistischen Wirtschaftspolitik der Vorkriegs- und Kriegszeit in Hitlerdeutschland zur staatsmonopolistischen Wirtschaftspolitik des Bonner Staates als Übergang von der „Zentralverwaltungswirtschaft" zur „Marktwirtschaft" und damit entsprechend der neoliberalen Theorie, aber im Widerspruch zur Wirklichkeit, als eine Wesensänderung der Wirtschaftsordnung dargestellt. Es liegt auf der Hand, welch eine demagogische Apologetik eine derartige „theoretische" Position ermöglicht. 5. Den staatsmonopolkapitalistischen Maßnahmen des faschistischen Staates fiel eine große Zahl kleiner industrieller Unternehmer, Handwerker und Händler zum Opfer. So ging z. B. in der Zeit vom 1. April 1936 bis zum 1. April 1938 die Zahl der deutschen Handwerksbetriebe um 104000 zurück und in der Zeit von 1938 bis 1939 wurden 76000 Handwerksbetriebe geschlossen.13 Unter welchen Bedingungen haben die Mittelschichten eine reale Perspektive? Im Osten Deutschlands wurde diese Frage nach 1945 praktisch beantwortet. Eine Perspektive haben die Mittelschichten nur, wenn sie ein Bündnis mit der Arbeiterklasse eingehen und sich unter deren 12 Verhandlungsbericht der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Statistik und Volkswirtschaft vom 1. und 2. Juni 1951 in Bad Ragaz. In: „Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik", 87. Jahrg., S. 259, 1951. 1 3 Norden, Albert, Lehren deutscher Geschichte. Zur politischen Rolle des Finanzkapitals und der Junker. Dietz Verlag, Berlin 1947, S. 129.

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Führung von der Herrschaft der Monopole befreien, aktiv an der antifaschistisch demokratischen Umwälzung und schließlich am Aufbau des Sozialismus teilnehmen. Eine der wichtigsten Aufgaben bestand nach 1945 für die deutschen Finanzkapitalisten darin, das Zustandekommen eines solchen Bündnisses in Westdeutschland zu verhindern. Die Lehren des Neoliberalismus fanden in Westdeutschland nicht zuletzt darum eine so starke, von den Monopolisten bewußt geförderte Verbreitung, weil ihre kleinbürgerliche Demagogie ganz besonders geeignet erschien, den Mittelschichten die Möglichkeit einer ihren Interessen entsprechende Reform des Kapitalismus vorzugaukeln und sie auf diese Weise vom Bündnis mit der Arbeiterklasse fernzuhalten. Die Neoliberalen versuchen dem Mittelstand einzureden: „Die Soziale Marktwirtschaft ist die einzige Wirtschaftsordnung, die ein Höchstmaß an Gewähr dafür gibt, daß so etwas wie Mittelstand überhaupt erhalten bleibt." 1 4 6. Der Neoliberalismus rechtfertigt mit einer ganzen Reihe von Argumenten „Deutschlands Rückkehr zum Weltmarkt" 1 5 , d. h. mit anderen Worten die imperialistische Expansion der westdeutschen Monopole mittels außenwirtschaftspolitischer Maßnahmen. 7. Da der Neoliberalismus starke pro-amerikanische Züge aufweist, was sich besonders deutlich in den Büchern von Wilhelm Röpke, insbesondere in seinem Buch „Internationale Ordnung — Heute" 1 6 zeigt, wurde gerade diese Ideologie in der Westzone seitens der Amerikaner wohlwollend gefördert. Wir möchten betonen, daß nur die wichtigsten Gründe genannt wurden, die den Neoliberalismus besonders geeignet machten, um zur offiziellen ökonomischen Doktrin der westdeutschen Imperialisten zu werden. Sie genügen aber, um den apologetischen Charakter solcher „Erklärungen" der dominierenden Rolle des Neoliberalismus in Westdeutschland zu enthüllen, wie wir sie z. B. bei Ernst-Wolfram Dürr in folgender, für alle derartigen „Erklärungen" typischen Form finden. Dürr schreibt: „Mit dem Zusammenbruch der deutschen Kriegswirtschaft von kollektivistischer Prägung wuchsen die Aussichten, daß die Friedenswirtschaft von mehr liberaler marktwirtschaftlicher Art sein werde. Die Geschlossenheit des ordoliberalen Programms wurde in dem wirtschaftspolitischen Vakuum der frühen Nachkriegszeit von besonderer Bedeutung." 1 7 Eine wissenschaftliche Erklärung ist eben nur möglich, wenn der Neoliberalismus und seine Rolle in Westdeutschland nach 1945 als das behandelt wird, was er wirklich ist, nämlich eine Spielart der bürgerlichen Apologetik, die unter bestimmten historischen Bedingungen am besten geeignet war, den Interessen der deutschen Finanzoligarchie zu dienen. 14 llau, Hans, auf der Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft am 17. N o v e m b e r 1955 in Bad Godesberg. Siehe: Der mittelständische Unternehmer in der Sozialen Marktwirtschaft. Druckerei Martin Hoch Verlag in Ludwigsburg 1956, S. 70. 15 Erhard, Ludwig, Deutschlands Rückkehr zum Weltmarkt. E c o n Verlag G m b H . , Düsseldorf 1953. 16 Röpke, Wilhelm, Internationale Ordnung — Heute. E u g e n R e n t s c h Verlag, Erlenbach-Zürich, Stuttgart 1954, 2. veränderte und vermehrte Auflage. 17 Dürr, Ernst-Wolfram, Wesen und Ziele des Ordoliberalismus. Verlag P. G. Keller, Winterthur 1954, S. 15.

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Konzentration, Zentralisation, Monopol — Wissenschaftliche Theorie und apologetische Version Unter den Gründen, die den Neoliberalismus f ü r seine apologetische Funktion in Westdeutschland besonders geeignet machten, nannten wir seinen scheinbaren „Antimonopolismus". Dieser Frage wollen wir nunmehr unser Augenmerk schenken. Auf Grund einer eingehenden Analyse des modernen Kapitalismus kam Lenin zu dem Resultat, daß „die E n t s t e h u n g der Monopole infolge der Konzentration der Produktion überhaupt ein allgemeines Grundgesetz des Kapitalismus in seinem heutigen Entwicklungsstadium ist" 1 8 , so daß der moderne Kapitalismus seinem ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus ist. Dieser marxistischen Auffassung, in der sich die objektive Realität der kapitalistischen Entwicklung e x a k t widerspiegelt, t r i t t der Neoliberalismus mit folgender Behauptung entgegen: „Gegenüber der gerade heute weitverbreiteten Meinung, daß unser Wirtschaftssystem una u f h a l t s a m von Monopolen überwuchert werde, ist vor allem mit Nachdruck zu betonen, daß hier von einer zwangsläufigen Entwicklung ü b e r h a u p t keine Rede sein kann. . . . Der ,Konkurrenzkapitalismus' entwickelt sich aus eigener K r a f t ganz und gar nicht zum Monopolkapitalismus'' '. 19 Die Neoliberalen erklären die historischen Erscheinungen als Resultate einer sogenannten freien Gestaltungskraft der Menschen, die keinerlei objektiven und unabhängig vom Bewußtsein existierenden Gesetzen unterliege. Ausgehend von einer solchen Vorstellung behaupten die neoliberalen Schriftsteller, d a ß Monopole, Monopolkapitalismus, Imperialismus als durchaus vermeidbare Entartungserscheinungen der sogenannten „ M a r k t w i r t s c h a f t " anzusehen seien, und zwar vermeidbar, bei Befolgung der neoliberalen Vorschläge für die Gestaltung d e r Gesellschaft. Sofern sie von der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, so wie sie sich in der Praxis im imperialistischen Stadium des Kapitalismus entwickelt h a t , sprechen, reden sie von einem sogenannten „historischen Kapitalismus", der durch eine neoliberale Politik des „Dritten Weges" überwunden und durch eine sogenannte „soziale M a r k t w i r t s c h a f t " abgelöst werden müsse. Auf der Grundlage eines idealistischen und metaphysischen Begriffs von einer „ W i r t s c h a f t s o r d n u n g " leugnen sie den gesetzmäßigen Charakter der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich objektiv und unabhängig vom Bewußtsein der Menschen vollzieht. Das, was sie als „Wirtschaftsordnung" bezeichnen, wird als P r o d u k t individueller „ G e s t a l t u n g " hingestellt. Man h a t in diesem oder jenem Land, zu dieser oder jener Zeit die „Wirtschaftso r d n u n g " durch die Entscheidung f ü r dieses oder jenes „idealtypische Wirtschaftss y s t e m " , für diese oder jene Kombination von „Marktformen", f ü r diese oder jene „Geldordnung" zwar so „gestaltet", aber man h ä t t e es auch ebenso gut anders machen können. 2 0 18 Lenin, W. I., Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 23. le Röpke, Wilhelm, Die Lehre von der Wirtschaft. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach.Zürich und Stuttgart 1954, siebente veränderte und vermehrte Auflage, S. 203. 20 Röpke, Wilhelm, Die Gesellschaftskrisis . . ., a. a. 0., S. 178.

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In einem Aufsatz über Walter Eucken hat Franz Böhm die ideologische Bedeutung, die die Neoliberalen ihrem Herangehen an die gesellschaftlichen Erscheinungen beimessen, wie folgt dargestellt: „Eucken hat seine Zeit instandgesetzt, sich von dem Alpdruck geschichtlichen Entwicklungsdenkens in Zwangsabläufen . . . zu befreien, und hat ihr stattdessen eine schlichte, vollständige, übersichtliche und kristallklare Musterkarte von Gestaltungs- und Ordnungsmöglichkeiten dargeboten. Indem uns Eucken lehrte, in einem Nebeneinander von Ordnungsmöglichkeiten, anstatt in einem Nacheinander von geschichtlichen, psychologischen oder soziologischen Zwangsläufigkeiten oder Wahrscheinlichkeiten zu denken, hat er eine wahrhaft befreiende Tat vollbracht." 2 1 Auf derartigen Behauptungen gründen die Neoliberalen ihre These, sie könnten die Monopolfrage lösen, ohne an den monopolkapitalistischen Eigentumsverhältnissen auch nur das Geringste ändern zu müssen. Um dieser These einen Anschein von Glaubwürdigkeit zu verleihen, sind die Neoliberalen genötigt, idealistische Vorstellungen über den Konzentrations- und Zentralisationsprozeß zu vertreten. Natürlich leugnen sie diesen Prozeß nicht. Eucken z. B. schreibt ausdrücklich, daß „der moderne Konzentrationsprozeß" die „zentrale Tatsache der neueren wirtschaftlichen Entwicklung" sei.22 Auch Röpke spricht von „der wachsenden Bedeutung der Großbetriebe, Riesenunternehmungen und Monopole aller Art" als einer der wichtigsten Veränderungen des letzten halben Jahrhunderts, die nicht in Abrede zu stellen sei. 23 Wichtig ist aber nicht, daß die Neoliberalen eine unbestreitbare Tatsache anerkennen, sondern vielmehr, wie sie sie interpretieren, d. h. worin sie die Ursachen des Konzentrationsprozesses sehen, welche Bedeutung sie ihm für die geschichtliche Entwicklung zumessen und welche gesellschaftlichen Konsequenzen sie1 aus ihm und seinen Resultaten ableiten. Wenn wir zunächst in kurzen Zügen die marxistische Auffassung zu dieser Frage darlegen, so deshalb, um im Lichte dieser der Wirklichkeit adäquaten Theorie die völlige Unhaltbarkeit und die apologetische Funktion der neoliberalen Anschauungen erkennen zu können. Der Konzentrations- und Zentralisationsprozeß ist ein Ausdruck der objektiv und unabhängig vom Bewußtsein der Menschen wirkenden ökonomischen Gesetze des Kapitalismus, und das Monopol ist schließlich sein Resultat. Nachdem durch die ursprüngliche Akkumulation die Voraussetzungen für die kapitalistische Produktionsweise geschaffen waren — das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln und der eigentumslose, auf den Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesene Proletarier —, entwickelte sich diese nach ihren eigenen 21

Böhm, Franz, Die Idee des Ordo im Denken Walter Euckens. In: „ORDO", Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Verlag Helmut Küpper vormals Georg Bondi, Düsseldorf und München 1950, Bd. III, S. X L f. 22 Eucken, Walter, Nationalökonomie wozu? Verlag Helmut Küpper vormals Georg Bondi, Godesberg 1947, dritte durchgesehene Auflage, S. 82. 23 Röpke, Wilhelm, Die Gesellschaftskrisis . . ., a. a. O., S. 213. 8 Probleme Bd. 3

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Gesetzen. Das Ziel der kapitalistischen Produktion ist der durch die Ausbeutung der Arbeiter entstehende Mehrwert. U n t e r dem S t a c h e l des kapitalistischen K o n kurrenzkampfes wird der größte Teil des Mehrwertes kontinuierlich in

Kapital

rückverwandelt, so daß in den kapitalistischen Produktionsprozeß ein K a p i t a l von ständig wachsender Größe eingeht. Das ist der Prozeß der K o n z e n t r a t i o n durch A k k u m u l a t i o n . Aber m i t diesem Prozeß, der auf viele P u n k t e des gesamten kapitalistischen Produktionsprozesses zersplittert ist und ständig durch Bildung neuer und S p a l t u n g a l t e r K a p i t a l e durchkreuzt wird, geht die „Konzentration bildeter

bereits

ge-

die „Aufhebung ihrer individuellen S e l b s t ä n d i g k e i t " , die „ E x -

Kapitale1,

propriation von Kapitalisten durch K a p i t a l i s t e n " , die „Verwandlung vieler kleinerer in wenige größere K a p i t a l e " 2 4 einher. Diesen Prozeß n e n n t Karl M a r x die Zentralisation"26

„eigentliche

des K a p i t a l s . Dem Prozeß der Zentralisation, der sich im schärfsten

K o n k u r r e n z k a m p f der

Kapitalisten gegeneinander vollzieht, wohnt die T e n d e n z

zum Monopol inne. „ I n einem gegebenen Geschäftszweig", so schreibt Marx, „ h ä t t e die Zentralisation ihre äußerste Grenze erreicht, wenn alle darin angelegten K a p i t a l e zu einem E i n z e l kapital verschmolzen w ä r e n . " 2 6 Und Friedrich Engels b e m e r k t e dazu 1890 in einer F u ß n o t e zur 4. A u s g a b e : „ D i e neuesten englischen und amerikanischen

„Trusts"

streben dies Ziel bereits an, indem sie versuchen, wenigstens sämtliche G r o ß b e t r i e b e eines Geschäftszweigs zu einer großen Aktiengesellschaft m i t praktischem Monopol * t(97 zu vereinigen. " Auf den Erkenntnissen von M a r x und Engels 2 8 aufbauend, analysierte Lenin an H a n d eines umfangreichen Materials alle wesentlichen Wirkungen der K o n z e n t r a t i o n und Zentralisation der Produktion und des K a p i t a l s und gelangte so zu der S c h l u ß folgerung, daß „als Weiterentwicklung und direkte F o r t s e t z u n g der Grundeigenschaften des K a p i t a l i s m u s ü b e r h a u p t , " 2 9 der Imperialismus, das monopolistische S t a d i u m des Kapitalismus entstand, der „die Züge einer Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer höheren gesellschaftlich-wirtschaftlichen O r d n u n g " 3 0 t r ä g t . Von einem S t a d i u m des Kapitalismus, das die Züge einer Übergangsperiode zu einer höheren gesellschaftlich-wirtschaftlichen

Ordnung t r ä g t , kann m a n darum

sprechen, weil dort, wo T r u s t s ganze Wirtschaftszweige beherrschen und monopolisieren, nicht nur die Privatproduktion,

sondern auch die Planlosigkeit

aufhören. 3 1

Marx, Karl, Das Kapital. Dietz Verlag, Berlin 1951, Bd. I, S. 659. 28 Ebenda, S. 660. 27 Ebenda. Ebenda. 28 W. I. Lenin schätzte die Hinweise von F. Engels für die Analyse des Imperialismus sehr hoch ein. Sie beweisen, so schreibt Lenin, „wie aufmerksam und überlegt er (Engels — H. T.) namentlich die Veränderungen des modernen Kapitalismus verfolgte, und wie er es daher verstand, bis zu einem gewissen Grad die Aufgaben unserer, der imperialistischen Epoche vorwegzunehmen." Lenin, W. I., Staat und Revolution. Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution. Dietz Verlag, Berlin 1949, S. 92. 29 Lenin, W. I., Der Imperialismus . . ., a. a. 0 . , S. 95. 30 Ebenda. 31 Engels, Friedrich, Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891. I n : Marx, Karl, Kritik des Gothaer Programms. Verlag Neuer Weg GmbH., Berlin 1946, neu durchgesehene und vermehrte Ausgabe, S. 71. 24

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Dabei muß beachtet werden, daß es sich um die Aufhebung der privaten Produktion im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise handelt. Anstatt für Rechnung eines einzelnen wird nun „für assoziierte Rechnung von Vielen" 32 produziert. 33 Aber die Aufhebung von Planlosigkeit bedeutet noch nicht sozialistische Planmäßigkeit. „Eine vollständige Planmäßigkeit", so schreibt Lenin, „boten die Truste natürlich nicht, bieten sie bis auf den heutigen Tag nicht und können sie auch nicht bieten. Soweit sie auch Planmäßigkeit bieten, soweit die Kapitalmagnaten den Umfang der Produktion in nationalem oder gar internationalem Maßstab im voraus auch berechnen, soweit sie die Produktion auch planmäßig regulieren — wir verbleiben trotz allem im Kapitalismus, wenn auch in einem neuen Stadium, aber doch unverkennbar im Kapitalismus." 3 4 Die Einschätzung des monopolistischen Stadiums des Kapitalismus als „Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer höheren gesellschaftlich-wirtschaftlichen Ordnung" bedeutet also, daß sich im Kapitalismus eine materielle Vorbereitung des Sozialismus vollzogen hat, daß die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte einen Grad erreicht hat, der neue Produktionsverhältnisse erforderlich macht. Die Einschätzung des Imperialismus durch Lenin bedeutet aber nicht, daß sich im Kapitalismus bereits Elemente des Sozialismus herausbilden, wie das die alten und modernen Revisionisten behaupten. Die Leninsche Charakterisierung des monopolistischen Stadiums des Kapitalismus als „Übergangsperiode" ist konsequent revolutionär, ergibt sich doch aus ihr folgender klarer Schluß: „Die ,Nähe' eines solchen Kapitalismus zum Sozialismus muß für wirkliche Vertreter des Proletariats ein Beweisgrund sein für die Nähe, Leichtigkeit, Durchführbarkeit, Dringlichkeit der sozialistischen Revolution . . . " 3 5 Die Vergesellschaftung der Produktion bedeutet unter kapitalistischen Verhältnissen Konzentration und Zentralisation von Kapital und führt zur Herrschaft der Monopole. Im Monopol ist jener Punkt erreicht, wo die Vergesellschaftung der Produktion mit ihrer kapitalistischen gesellschaftlichen Hülle endgültig unverträglich geworden ist. Das Monopol bedeutet noch nicht die Sprengung dieser Hülle, durch das Monopol wird aber „der künftigen Expropriation durch die Gesamtgesellschaft, die Nation, aufs erfreulichste vorgearbeitet." 3 6 Diese „Vorarbeit" erfordert eine Fortsetzung, welche darin besteht, „daß die gesellschaftliche Natur der modernen Produktivkräfte tatsächlich anerkannt, daß also die Produktions-, Aneignungs- u n d Austauschweise in Einklang gesetzt wird mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionsmittel. Und dies kann nur dadurch geschehen, daß die Gesellschaft ollen und ohne Umwege Besitz ergreift von den, jeder andern Leitung außer der ihrigen, entwachsenen Produktivkräften." 3 7 32

Ebenda. Siehe dazu auch Engels, Friedrich. In: Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. I I I , S. 478f. 34 35 Lenin, \V. I., Staat und Revolution, a. a. 0., S. 93. Ebenda. 36 Engels, Friedrich. In: Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. I I I , S. 479. 37 Engels, Friedrich, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („AntiDühring"). Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 345. 33



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Der marxistisch-leninistischen Theorie der Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals, die die Entstehung der modernen kapitalistischen Monopole exakt erklärt und die sich die aus deren Existenz ergebenden revolutionären Schlußfolgerungen zieht, stellen die Neoliberalen ihre kläglichen apologetischen Ansichten entgegen. Entsprechend ihrer idealistischen Position in bezug auf die Geschichte und deren Erscheinungen werden auch der Konzentrations- und Zentralisationsprozeß und die Monopole behandelt. Die Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals vollzieht sich nach neoliberaler Version nicht auf Grund der objektiv wirkenden Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise, sondern weil, wie z. B. Röpke meint, eine bestimmte „Sozialphilosophie" vorherrsche. In seinem Buch „Jenseits von Angebot und Nachfrage" vertritt er die Ansicht, daß alle Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens als der Ausdruck von zwei entgegengesetzten „ D e n k t y p e n " oder zwei verschiedenen Arten der „Sozialphilosophie" anzusehen seien. Diese beiden „ D e n k t y p e n " oder „Sozialphilosophien" sind, nach der Terminologie Röpkes, der „Zentrismus" und der „Dezentrismus". Das seien die „zwei gegensätzlichen Prinzipien . . . die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens — Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, Wohnweise, Technik und Organisation — entscheidend bestimmen und ihnen den einen oder den entgegengesetzten Stempel aufdrücken." 3 8 Entsprechend dieser Auffassung figurieren bei Röpke z. B. der sogenannte „ W e t t b e w e r b " und die „Marktwirtschaft" als Ausdruck des „ D e n k t y p s " Dezentrismus u n d das Monopol und die sogenannte „kollektivistische W i r t s c h a f t " als Ausdruck des „ D e n k t y p s " Zentrismus. 3 9 Die Ursache f ü r den Konzentrations- und Zentralisationsprozeß und f ü r das u n t e r kapitalistischen Bedingungen unvermeidliche Resultat dieses Prozesses, das Monopol, wird auf diese Weise in den Ideen der Menschen und nicht, wie es der Wirklichkeit entspricht, in den unabhängig von den Ideen wirkenden objektiven Gesetzen der Produktion des materiellen Lebens der Gesellschaft unter kapitalistischen Bedingungen gesucht. Wenn es also heute „Großbetriebe, Riesenunternehmungen und Monopole aller A r t " gibt, so ist das nach Ansicht der Neoliberalen auf den Einfluß einer sogenannten „Sozialphilosophie des Zentrismus" zurückzuführen. Weil die Sozialphilosophie des Zentrismus z. B. Einfluß auf die Gesetzgeber und Juristen ausgeübt habe, darum hätten sie Gesetze gemacht, durch die der moderne Industrie- und Finanzkapitalismus geschaffen worden wäre. Wenn Röpke die Ursache der Konzentration und Zentralisation sowie des Monopols in der „Philosophie" sucht, so gibt Eucken eine psychologische „ E r k l ä r u n g " , indem er von einem universellen „Hang zur Monopolbildung" spricht. 4 0 38

Röpke, Wilhelm, Jenseits von Angebot und Nachfrage. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1958, S. 312. 39 Ebenda, S. 314. 40 Eucken, Walter, Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Herausgegeben von E. Eucken und K. P. Hensel. A. Franke AG. Verlag, Bern, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1952, S. 31.

Zur Monopoltheorie der westdeutschen Neoliberalen

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Diese Hinweise dürften genügen, um die idealistische Position des Neoliberalismus in bezug auf den Konzentrations- und Zentralisationsprozeß erkennbar zu machen. Welchen apologetischen Sinn haben derartige Ansichten? Die idealistische Auffassung des Neoliberalismus vom Konzentrations- und Zentralisationsprozeß ist die Grundlage für ihre Aussagen über die Entstehung der Monopole sowie für ihre „Vorstellungen" von der Lösung des Monopolproblems. Wenn die modernen Monopole nach neoliberaler Ansicht das Resultat eines „ E n t artungsprozesses" sind und dieser seinen Ursprung in der „Sozialphilosophie" des „Zentrismus" bzw. in bestimmten psychologischen Eigenarten hat, so kann die Lösung der Monopolfrage natürlich nur im Reich der Philosophie und der Psychologie entschieden werden. Nicht die Uberführung des Eigentums der Monopolisten in Volkseigentum, das ja als ein besonders krasser Ausdruck für die Herrschaft der „Sozialphilosophie" des „Zentrismus" bezeichnet wird, sondern die Ablösung der „Sozialphilosophie" des „Zentrismus" durch die des „Dezentrismus" sowie bestimmte institutionelle Maßnahmen werden als geeignete Wege angepriesen, um der Konzentration und Zentralisation wirksam begegnen und die Monopole erfolgreich bekämpfen zu können. Die idealistische Auffassung der Neoliberalen über den Konzentrations- und Zentralisationsprozeß bietet die Möglichkeit, eine ganze Reihe — ihrer Aufmachung nach kleinbürgerlich-reaktionäre — angeblich realisierbare Vorschläge zur Überwindung der „Gesellschaftskrisis der Gegenwart" zu offerieren. Dazu gehören z. B die „Vorschläge", die großen Unternehmen zu dezentralisieren, die Klein- und Mittelbetriebe zu vermehren, die bäuerliche Existenz zu sichern, die Arbeiter durch „Eigentum für alle" zu „entproletarisieren" usw. Was zeigt das alles? Wir müssen davon ausgehen, daß der westdeutsche Neoliberalismus vor allem zwei Aufgaben zu erfüllen hat. Mit dem trügerischen Ideal einer kleinbürgerlichen Perspektive soll die Arbeiterklasse vom revolutionären Kampf zur Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung abgehalten werden. Vor allem dient die neoliberale Apologetik aber dazu, die kleinbürgerlichen Schichten und auch die nichtmonopolistische Bourgeoisie zu beeinflussen. Mit Hilfe einer idealistischen Interpretation des Konzentrations- und Zentralisationsprozesses wird dieser als eine Fehlentwicklung dargestellt, die durch geschickte Reformen korrigierbar sei. Die Träume der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Kräfte, die dem Druck der Monopole ausgesetzt sind, von einem Kapitalismus, in dem es keine Monopole gibt und in dem sie selbst die entscheidende Rolle spielen, werden als realisierbar dargestellt. Auf diese Weise nähren die westdeutschen Neoliberalen in den kleinbürgerlichen Schichten und unter der nichtmonopolistischen Bourgeoisie Hoffnungen, die diese Kräfte zeitweilig an der realen Beurteilung ihrer Lage unter den Bedingungen des Monopolkapitalismus hindern. Die westdeutschen Imperialisten sind sehr daran interessiert, dem Kleinbürgertum und den nichtmonopolistischen Kapitalisten eine „gesunde" Perspektive als klein-

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bürgerliche oder kapitalistische Privateigentümer in Westdeutschland vorzugaukeln. Auf diese Weise hoffen sie nämlich, das gegen den militaristisch-revanchistischen deutschen Imperialismus gerichtete Bündnis der Arbeiterklasse m i t diesen Kräften verhindern zu können. Das ist der Zweck, dem die idealistische Auffassung des westdeutschen Neoliberalismus über den Konzentrations- und Zentralisationsprozeß heute objektiv und unmittelbar dient. Über die apologetische

Funktion

der neoliberalen

Marktformentheorie

Im Rahmen der neoliberalen Theorie spielt die sogenannte Marktformentheorie eine zentrale Rolle. Ihr kommt eine wichtige apologetische Funktion zu. 1. In der Marktformentheorie werden verschiedene sogenannts „reine Marktf o r m e n " als idealtypische Angebots- oder Nachfragesituationen von Waren oder Dienstleistungen behandelt, so auch das Monopol. Die Beispiele, die Eucken zur Erläuterung von „Monopolfällen" a n f ü h r t , lassen erkennen, daß die neoliberale Marktformentheorie dazu dient, der Monopolfrage ihren historisch-konkreten Charakter zu nehmen. Eine apologetische Pseudoproblematik des Monopols überhaupt soll davon ablenken, daß durch die Existenz und Herrschaft der kapitalistischen Monopole im imperialistischen Stadium des Kapitalismus mit aller Schärfe die Frage nach der Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und der Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse auf die Tagesordnung gesetzt ist. 2. Da die Neoliberalen das Monopol mit Hilfe der Marktformentheorie als mögliche Verhaltensweise eines „Anbieters" oder „Nachfragers" auf dem Markt behandeln, ohne daß sie auch nur den Versuch machen, zu klären, auf welchen Eigentumsverhältnissen eine solche Verhaltensweise möglich und notwendig wurde, existiert in ihren Darstellungen die Monopolfrage auch nur als ein subjektiv begründetes Problem der Zirkulationssphäre und ist folglich auch n u r in diesem Bereich zu lösen. Diese beiden Gesichtspunkte gilt es etwas näher zu erläutern, u m die apologetische Funktion der sogenannten Marktformentheorie des Neoliberalismus im Hinblick auf die Monopole klar erkennbar zu machen. Selbstverständlich kann der Terminus „Monopol" in vielfacher Beziehung im Zusammenhang mit Erscheinungen des ökonomischen Lebens der Gesellschaft oder anderen gesellschaftlichen Erscheinungen verwendet werden. Aus den Arbeiten der Wirtschaftshistoriker ist bekannt, daß es Monopole der verschiedensten Art bereits seit dem Altertum gibt. Auch im Sozialismus wird der Terminus „Monopol" verwendet, u m bestimmte ökonomische Tatbestände zu charakterisieren. So sprechen wir z. B. vom Valutamonopol und vom Außenhandelsmonopol des sozialistischen Staates. Uns interessiert aber hier lediglich das moderne kapitalistische Monopol, das auf der Grundlage des kapitalistischen Eigentumsmonopols aus der Konzentration u n d Zentralisation der Produktion und des Kapitals auf einer sehr hohen Stufe der E n t wicklung, aus der Monopolisierung der inneren und der kolonialen Rohstoßquellen und aus der beherrschenden Stellung der Großbanken entstanden ist und das ökonomische Wesen des modernen Kapitalismus bestimmt.

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Wir sprechen in bezug auf den modernen Kapitalismus von einem Monopol, u m das ökonomische Wesen jener Machtgebilde (Kartelle, Syndikate, Konzerne und Truste) zu charakterisieren, die auf Grund der Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals einen so großen Teil eines bestimmten Wirtschaftszweiges erfaßt haben, daß die freie Konkurrenz vernichtet wird. 41 Die Neoliberalen dagegen behandeln das Monopol als eine allgemeine Erscheinung, die sowohl im Altertum, im Mittelalter und in der Gegenwart anzutreffen sei. 42 Sie behandeln die Monopolfrage, obwohl z. B. Eucken viele „konkrete" Beispiele für einen „Monopolfall" anführt, also völlig unhistorisch und abstrakt und hoffen so, die aus der historisch-konkreten marxistischen Analyse der Monopolfrage im modernen Kapitalismus sich ergebende revolutionäre Schlußfolgerung — Beseitigung des Kapitalismus und Aufbau des Sozialismus — in Vergessenheit geraten zu lassen. Um den allgemeinen und abstrakten Charakter seiner Theorie zu unterstreichen, betont z. B. Eucken, daß es ihm darum gehe, stets wahre theoretische Sätze zu finden, die, wie er meint, allerdings „nicht immer ,aktuell'" zu sein brauchen. 4 3 ^uf die Monopoltheorie wendet er diesen Gedanken wie folgt an: „Zum Beispiel behalten theoretische Erkenntnisse über Preisbildung und Produktionsumfang im Falle des Angebots-Monopols immer ihren Wahrheitsgehalt. Jedoch sind sie nur dann aktuell, wenn diese Marktform des Angebots-Monopols zum mindesten annähernd verwirklicht ist. Heute finden sich solche Monopole auf vielen Märkten der Welt. Ohne Anwendung der Monopoltheorie sind die dort beobachteten Erscheinungen der Produktionslenkung und Preisgestaltung in ihrem Zusammenhang und-in ihren Wirkungen nicht erklärbar. Die Monopoltheorie ist also heute aktuell. Sollten später einmal alle Monopole aus den Volkswirtschaften verschwinden, so wäre sie nicht mehr aktuell, aber sie bliebe wahr. Dann würde sie ein gedankliches Werkzeug darstellen, das im Werkzeugkasten der Wissenschaft ruht, das aber sofort wieder benutzt werden kann, wenn irgendwo ein Anwendungsfall auftritt." 4 4 Man kann also sagen, daß die Neoliberalen die Monopolfrage zu einer allgemeinen Frage ausweiten. Dadurch verhüllen sie die Tatsache, daß es sich bei der Monopolfrage heute um nichts anderes handeln kann, als um die ökonomische Wesensbestimmung des höchsten Stadiums des Kapitalismus und um die objektiven Schlußfolgerungen, die sich aus der Existenz des modernen kapitalistischen Monopols für die revolutionäre sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ergeben. Wenn wir zunächst auf die mit Hilfe der Marktformentheorie in apologetischer Absicht vorgenommene Ausweitung der Monopolfrage hingewiesen haben, so müssen wir nunmehr das Augenmerk auf eine eigenartige Reduzierung der Monopolfrage, die sich ebenfalls aus der Marktformentheorie des Neoliberalismus ergibt, lenken. 41 Vgl.: Lenin, W. I., Hefte zum Imperialismus. Vorarbeiten zu dem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus". Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 317. 42 „Warum sollen drei Bäcker in einer Stadt des 13. Jahrhunderts konkurrieren? Sie verabreden sich und bilden ein Monopol und sie versuchen darüber hinaus, sich gegen weitere Konkurrenz abzuschirmen. Ahnlich war es vorher, ist es heute und wird es in Zukunft sein." Eucken, Walter, Grundsätze . . ., a. a. O., S. 31. 43 44 Eucken, Walter, Nationalökonomie wozu?, a. a. 0 . , S. 44. Ebenda, S. 44f.

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Die neoliberale Marktformentheorie kennt fünf sogenannte reine Marktformen und zwar Konkurrenz, Teiloligopol, Oligopol, Teilmonopol und Monopol. In dieser Reihe stehen sich die sogenannten Marktformen Konkurrenz und Monopol als Extremformen unvereinbar gegenüber. Durch entsprechende vulgärökonomische Interpretation erhält die „Konkurrenz" den Charakter eines erstrebenswerten Ideals, während das „Monopol" als eine Entartungsform bezeichnet wird. Nehmen wir einmal an, mit Hilfe der sogenannten Marktformen sollte die ökonomische Realität des modernen Kapitalismus erfaßt werden. Welches Resultat wäre dann zu erwarten? Es würde sich herausstellen, daß es überhaupt keine Monopole gäbe. Die neoliberalen Theoretiker konstruieren den Idealfall eines sogenannten „reinen" Monopols, um die monopolistische Beherrschung der Produktion und des Marktes in der historisch typischen Form, nämlich die Beherrschung durch einige monopolistische Gesellschaften als nichtmonopolistisch hinstellen zu können. 45 Im Zusammenhang damit, daß die faktisch existierende Herrschaft der Monopole gemessen an der Konstruktion des „reinen" Monopols als eine oligopolistische Situation bezeichnet wird, haben die Neoliberalen die Möglichkeit, die Monopolherrschaft zu beschönigen. Der „Antimonopolismus" der Neoliberalen richtet sich also nicht gegen die tatsächlich existierenden Monopole, sondern gegen das Phantom des „reinen" Monopols. Nach der neoliberalen Theorie ergibt sich folgende eigenartige Logik. Praktisch gibt es überhaupt keine Monopole. (Wir werden später sehen, in welchem Sinne von dieser These abgegangen wird, wenn die Gewerkschaften und der Sozialismus mit der neoliberalen Monopoltheorie angegriffen werden sollen.) Also kommt es überhaupt nicht darauf an, die Herrschaft der Monopole zu zerschlagen, sondern darauf, die Entstehung von Monopolen zu verhindern. Dazu, so meint Eucken, sei eine Monopolaufsicht notwendig, welche prophylaktisch wirken würde, und zwar insofern, als sie die sogenannten Oligopolisten daran hindert, sich durch Kartellbildung zu einem Kollektivmonopol zusammenzuschließen. Ebenso würde bei entschiedener Monopolaufsicht dem sogenannten Oligopolisten jeder Anlaß genommen, durch Kampf die anderen zu vernichten, um auf diese Weise eine Monopolstellung zu erlangen. „Denn dann rennt er in die harte Monopolkontrolle hinein." 4 6 Was werden die „Oligopolisten" also machen? Sie werden „von selbst bemüht sein, sich so zu benehmen, wie im Falle vollständiger Konkurrenz" 4 7 , versichert Eucken. Was ergibt sich also? Die Monopolisten sind nur „Oligopolisten", diese können aber durch eine „wirksame" Monopolaufsicht veranlaßt werden, sich so zu verhalten, wie im Falle der vollständigen Konkurrenz. Also gibt es nach neoliberaler Auffassung in bezug auf die Monopolfrage nur ein Problem, nämlich die Gewährleistung einer „wirksamen Monopolaufsicht" und die Monopolfrage ist gelöst. Das kommt also 46 Siehe: Bljumin, I. G., Vermindert oder verstärkt sich die Vorherrschaft der Monopole. In: „Die Presse der Sowjetunion", Nr. 70, S. 1551 ff., 1957. 46 Eucken, Walter, Grundsätze . . ., a. a. O., S. 299. « Ebenda.

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bei der eigenartigen Reduzierung des Monopols auf ein sogenanntes „reines" Monopol schließlich heraus. Wie m a n erkennen kann, ein f ü r apologetische Zwecke durchaus nützliches Resultat. Die neoliberalen „Antimonopolisten"

als Verteidiger der Konzernherrschaft

Obwohl die Neoliberalen immer wieder ihre „antimonopolistische" Einstellung zu beweisen suchen, k a n n es an dem apologetischen Charakter ihres „Antimonopolismus" keinen Zweifel geben. In dieser Hinsicht ist z. B. ihre Stellungnahme zu den verschiedenen F o r m e n des modernen kapitalistischen Monopols sehr aufschlußreich. Obwohl auch in Westdeutschland, entsprechend dem weit fortgeschrittenen Prozeß der Konzentration u n d Zentralisation der P r o d u k t i o n u n d des Kapitals, die Konzerne u n d Trusts die entscheidenden Formen der Monopolherrschaft sind, bek u n d e n die westdeutschen Neoliberalen ihren „ A n t i m o n o p o l i s m u s " bekanntlich durch feurige „Angriffe" auf die Kartelle. Den Konzernen gegenüber sind sie dagegen geradezu freundlich gesinnt. In der westdeutschen Diskussion u m ein Kartellgesetz wurde u. a. die Frage aufgeworfen, w a r u m sich die Neoliberalen „auf ein zivilrechtliches Kartellverbot versteifen u n d den Kartellen gegenüber nicht ebenso nachsichtig sind wie den monopolistischen Einzelunternehmen und monopolistischen Konzernen g e g e n ü b e r . " 4 8 Böhm b e a n t w o r t e t e diese Frage wie folgt: „ D e r Grund liegt darin, d a ß wir kein Mittel haben, die Rechtsgeschäfte zu verbieten, die j e m a n d b r a u c h t , u m sein U n t e r nehmen ins Riesenhafte zu vergrößern oder eine Konzernverschachtelung z u s t a n d e zu bringen. Hier gilt der S a t z : Ein Schelm gibt m e h r als er h a t . Bei den Kartellen liegen die Dinge ganz anders. Bei den Kartellen m u ß der S t a a t u n d m u ß die Rechtso r d n u n g mitwirken, d a m i t sie z u s t a n d e k o m m e n können. Diese V e r a n t w o r t u n g sollte, wie wir glauben, kein S t a a t übernehmen . . . Es ist tatsächlich n i c h t einzusehen, w a r u m wir n i c h t durch ein so einfaches Mittel der Gesetzgebung, wie es ein zivilrechtliches Kartellverbot ist, die Feinkorrektur des W e t t b e w e r b s in solchem U m f a n g sichern sollten, wie wir hierzu in der Lage sind. Erst, wenn wir mit unserem Latein zu Ende sind, haben wir ein Recht, uns zufrieden zu geben. Hierin liegt weder eine Ungerechtigkeit noch eine Bevorzugung bestimmter Monopolformen."i9 (Hervorhebungen — H. T.) Sieht m a n von den demagogischen Wendungen ab, so sagt uns das wiedergegebene Zitat ganz klar, d a ß die Macht der monopolkapitalistischen Konzerne nicht angetastet wird, d a ß m a n sich mit ihrer Macht abzufinden h a t , da m a n den monopolistischen Konzernen gegenüber m i t dem neoliberalen Latein zu E n d e ist. Das 48

Böhm, Franz, Schutz dem Leistungswettbewerb. I n : „Wir fordern eine zielklare Wirtschafts- und Sozialpolitik. Heraus aus dem Sumpf der Halbheiten und Inkonsequenzen." Wortlaut der Vorträge, die auf der dritten Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e. V. am 28. und 29. April 1955 in Bad Godesberg gehalten wurden. Druckerei Martin Hoch Verlag, Ludwigsburg 1955, S. 110 (Hervorhebungen — H. T.) 49 Ebenda, S. 110f.

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Verbot von Kartellen (natürlich mit entsprechenden Ausnahmen) wird von den Neoliberalen als das Kernproblem der Monopolfrage dargestellt.

Demgegenüber

handelt es sich bei den Konzernen und Trusts, wie Böhm unter Hinweis auf die U S A sagt, um „Rand- und Grenzprobleme der Monopolfrage." 6 0 Wenn Böhm z. B. sagt, daß es, solange die W e l t steht, keiner Nation gelingen werde, ihre Wirtschaft völlig von Monopolen zu reinigen und daß ein Erdenrest bleiben werde, „der mit den Methoden einer restriktiven Monopolzertrümmerung und Wettbewerbsbelebungspolitik nicht beseitigt werden" könne 51 , so haben derartige Erklärungen den Sinn, die Macht der mächtigsten Monopole als unvermeidbar hinzustellen. 50 heftig die Neoliberalen gegen die Kartelle „zu Felde ziehen", so eifrig reden sie von der Notwendigkeit der großen Monopole, die ihre Monopolmacht in

einem

hohen Grad der Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals entsprechenden Form des Konzerns ausüben. Was man bei Böhm angedeutet findet, machen die folgenden bemerkenswerten Aussprüche des Bonner Wirtschaftsministers Ludwig Erhard völlig klar.

„Wie

gesagt", so versicherte er, „nehme ich zu Konzernen eine etwas andere Haltung ein, als zu Kartellen. Es scheint mir ein Bruch der Logik vorzuliegen, wenn ich freien Leistungswettbewerb predige und höchste Anstrengung und Bewährung fordere, aber das erfolgreiche und sich ausdehnende Unternehmen dann unter die Rubrik ,Wirtschaftliche Macht' als gefährlich kennzeichnen wollte. Das heißt aber, daß, wenn ein Unternehmer sich in diesem freien Leistungswettbewerb als besonders tüchtig erwiesen hat, und in der Erweiterung seines Geschäftes die Früchte ernten will (sprich Monopolprofit erringen will — H. T . ) , er dann nicht in den Geruch kommen darf, böse zu sein. Ich käme in die komische Situation, bis zum 31. Dezember einen Unternehmer loben zu dürfen, ihn ob seiner Erfolge zu beglückwünschen, am 1. Januar aber ihm sagen zu müssen, daß er nunmehr ein gefährliches Subjekt geworden sei, dessen wirtschaftliche Macht einer besonderen Aufsicht bedürfe. Hier liegt tatsächlich ein logischer Bruch vor. Aber welch gewaltiger Unterschied ist es auch, ob jemand wirtschaftliche Stärke durch eigene Leistung im Wettbewerb dadurch gewonnen hat, daß er dem Verbraucher immer besseres zu bieten und seine Gunst zu erwerben wußte, oder ob sich die Machtstellung lediglich darauf gründet, daß selbst die Lahmen und Untüchtigen in einem Kartell kraft Beschluß die gleiche starke Stellung im Markt zu konstituieren versuchen. Schon daraus geht hervor, daß es sich hier um zwei ganz verschiedene Dinge handelt. Was jemand aus eigener K r a f t erreichen kann, soll keine künstliche Behinderung erfahren, was aber nur durch Absprachen, d. h. gerade umgekehrt durch eine künstliche, rechtlich begründete Macht erlistet werden will, das kann nicht toleriert werden." 5 2 60 Böhm, Franz, Die Aufgaben der freien Marktwirtschaft. (Ungelöste Fragen, insbesondere das Monopolproblem.) Isar Verlag, München 1951, S. 47. 51 Ebenda, S. 52. 62 Erhard, Ludwig, Freies Unternehmertum und Kartellgesetzgebung. In: „Gestaltwandel der Unternehmung", Nürnberger Abhandlungen zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, H. 4. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1954, S. 19.

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Hier singt also der ach so „antimonopolistische" Wirtschaftsminister der Bundesrepublik in der ihm eigenen phrasenreichen und demagogischen Terminologie geradezu ein Loblied auf die monopolistische Macht der westdeutschen Konzerne. Ahnliche Töne wie in seinem Vortrag anläßlich der Nürnberger Hochschulwoche im September 1953 vernahm man von Erhard bereits im April des gleichen Jahres, als er eine Rede zur Feier des 50jährigen Bestehens der Siemens-Schuckert-Werke hielt. „Aus dem großen Unternehmen", so sagte er, „wenn sie wollen aus dem Konzern, fließen der Fortschritt und der Geist, denen auch die kleine Industrie und der Mittelstand verhaftet sind. Es ist unmöglich zu sagen: ,Bis zu diesem Augenblick wäret ihr wohlgefällig, ab heute seid ihr gefährlich. Ihr verkörpert wirtschaftliche Macht und müßt unter Kontrolle, womöglich unter Strafe gestellt werden.' Ich bin bereit, die dem Unternehmen zuerkennen."53

durch wohlverdiente

Leistungen

erworbene

Macht voll an-

In völliger Übereinstimmung mit diesem aufschlußreichen Bekenntnis meinte Erhard, daß der Siemens-Konzern durchaus nicht zu groß sei, man müsse vielmehr wünschen, daß er noch mächtiger und größer werde. Nach solchen eindeutigen Bekenntnissen seitens des Bonner Wirtschaftsministers, der von neoliberalen Schriftstellern immer wieder als repräsentativster, im Geiste des Neoliberalismus handelnder Wirtschaftspolitiker gefeiert wird, erübrigt sich jeder Kommentar. Wir brauchen lediglich auf die Untersuchung des Deutschen Wirtschaftsinstituts „Siemens — ein Beispiel der Expansionsbestrebungen des deutschen Imperialismus" zu verweisen. 54 Diese Untersuchung zeigt deutlich, welchem gigantischen Monopolgebilde der „Antimonopolist" Erhard seine Lobreden hält, welche „Macht vollanzuerkennen" er bereit ist. Es zeigt sich also, daß die Neoliberalen die sich antimonopolistisch tarnenden Apologeten der Konzernherrschaft in Westdeutschland sind, was Erhard und Böhm durch ihre Bekenntnisse eindeutig bestätigen. Der antigewerkschaftliche

und antisozialistische Charakter des neoliberalen monopolismus"

„Anti-

Der neoliberale „Antimonopolismus" richtet sich nicht gegen die Macht der Monopole, sondern vielmehr gegen die Gewerkschaften und gegen den Sozialismus. So sagt z. B. Röpke, daß es ohne Scheu ausgesprochen werden müsse, „daß zu den monopolistischen Störungen der Marktwirtschaft nicht zuletzt auch eine Gewerkschaftspolitik'" gehöre, „die, wie historische Beispiele lehren, eine höchst bedenkliche monopolistische Macht erlangen" könne. 55 In einem anderen Zusammenhang bezeichnet Röpke die Gewerkschaften als „diejenige Monopolstellung, die sich mit unheimlicher Geschwindigkeit . . . als die stärkste und gefährlichste Bastion sozialwirtschaftlicher Macht erhoben" habe, und behauptet, daß „dieses Monopol. . . alle 63 54 55

„Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 15. April 1953. (Hervorhebungen — H. T.) DWI-Bericht, VI. Jahrg., Nr. 7, 1955. Röpke, Wilhelm, Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig? . . ., a. a. 0 . , S. 22.

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anderen an Gefährlichkeit durch seine alles durchdringenden W i r k u n g e n , als deren verhängnisvollste der Inflationsdruck unserer Zeit h e r v o r z u h e b e n " sei, überrage. D i e Gewerkschaften werden von R ö p k e als „die m i t allen M a c h t m i t t e l n des Monopols arbeitende und vor offener Erpressung n i c h t zurückschreckende K o n z e n t r a t i o n des Angebots auf dem A r b e i t s m a r k t " 5 6 bezeichnet. 5 7 Mit der B e h a u p t u n g , die Gewerkschaften seien Monopole, wird folgender Zweck verfolgt. D a die Neoliberalen „gegen M o n o p o l e " sind, die Gewerkschaften aber als die gefährlichsten Monopole hingestellt werden, wird hier u n t e r dem Vorwand des „Antimonopolismus"

eine „ t h e o r e t i s c h e "

B e g r ü n d u n g für antigewerkschaftliche

M a ß n a h m e n geliefert. H i e r zeigt sich die arbeiterfeindliche monopolkapitalistische Position der Neoliberalen ganz deutlich. D a ß die neoliberale These v o m Monopolcharakter der Gewerkschaften einzig und allein apologetischen Zwecken dient und m i t W i s s e n s c h a f t auch nicht das geringste zu tun h a t , zeigen die folgenden Überlegungen. U n t e r den Bedingungen des Kapitalismus sind die entscheidenden

Produktions-

m i t t e l von der Klasse der Kapitalisten monopolisiert. S o m i t können die Arbeiter als die Nichtbesitzer von Produktions- und Lebensmitteln nur leben, wenn sie die einzige ihnen zu Gebote stehende W a r e , ihre Arbeitskraft, an die Kapitalisten verkaufen. W a s der Arbeiter, völlig dem Wertgesetz entsprechend, billigerweise an Lohn zu beanspruchen h ä t t e , wäre eine S u m m e , die dem W e r t der A r b e i t s k r a f t entspräche. E b e n s o k ö n n t e aber der K a p i t a l i s t sagen, daß es dem W e r t g e s e t z zufolge nur billig sei, daß er aus der von ihm gekauften A r b e i t s k r a f t soviel Arbeit wie möglich herauspreßt, d. h., den Gebrauchswert der A r b e i t s k r a f t , die Arbeit, so intensiv wie nur möglich zur Produktion von W e r t und d a m i t auch von Mehrwert ausnutzt. E s zeigt sich also: „ D e r K o n t r a k t zwischen Arbeit und K a p i t a l k a n n deshalb nie auf billigen Bedingungen beruhen, billig im Sinne einer Gesellschaft, welche den Besitz der materiellen Bedingungen der Arbeit auf eine S e i t e , und die lebendige, produktive T a t k r a f t auf die entgegengesetzte S e i t e s e t z t . " 5 8 D e r K o n t r a k t zwischen K a p i t a l und Arbeit ist das R e s u l t a t eines e r b i t t e r t e n R i n gens. In diesem K a m p f haben die Arbeiter der konzentrierten sozialen Gewalt des K a p i t a l s nur die soziale Gewalt ihrer Anzahl entgegenzusetzen. Solange aber die Gewalt der Zahl der Arbeiter durch die Konkurrenz unter sich selbst zersplittert ist, sind die Arbeiter dem K a p i t a l gegenüber ohnmächtig. E r s t ihre Vereinigung in llöpkc, Wilhelm, Jenseits . . ., a. a. 0 . , S. 47. Wie notwendig es ist, sich mit derartigen Behauptungen auseinanderzusetzen, geht u. a. auch daraus hervor, daß selbst linke sozialdemokratische Theoretiker die Ansicht vertreten, die Gewerkschaften seien ein Monopol. So liest man z. B. in dem Beitrag: Zur ökonomischen Analyse einer Klassengesellschaft. I n : „Wiso", I I I . Jahrg., H. 17, 1958: „Der einzelne Proletarier, der sich vordem der wirtschaftlichen Macht seines Bourgeois gegenüber ausgeliefert fühlte, bietet seine Ware heute via Gewerkschaft gleichsam als Monopolist an." S. 313. 6 8 Marx, Karl, Instruktionen an die Delegierten des provisorischen Generalrates zu einzelnen Fragen. I n : „Karl Marx und Friedrich Engels über die Gewerkschaften". Tribüne Verlag und Druckereien des F D G B , Berlin 1953, S. 119. 66

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Gewerkschaften gibt ihnen die Kraft, sich „wenigstens über die Stellung einfacher Sklaven erheben" 5 9 und die Übergriffe des Kapitals in bezug auf Lohn und Arbeitszeit abwehren zu können. Die große Bedeutung gewerkschaftlicher Kämpfe wurde von Marx und Engels eingehend begründet. Für unsere Frage ist vor allem wichtig, daß sie nachgewiesen haben, daß der Kampf der Gewerkschaften durchaus nicht den ökonomischen Gesetzen des Kapitalismus widerspricht und durchaus keine Störung dieser Gesetze bedeutet. Wie aus der bekannten Feststellung von Engels über das Lohngesetz hervorgeht, ist genau das Gegenteil der Fall. „Das Lohngesetz", schreibt Engels, „wird durch den gewerkschaftlichen Kampf nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil, es wird durch ihn voll zur Geltung gebracht. Ohne die Mittel des gewerkschaftlichen Widerstandes erhält der Arbeiter nicht einmal das, was ihm nach den Regeln des Lohnsystems zusteht. Nur die Furcht vor den Trade-Unions kann die Kapitalisten zwingen, den vollen Marktwert der Arbeitskraft den Arbeitern zuzubilligen." 60 Wir haben diesen bekannten Ausspruch von Engels zitiert, weil aus ihm klar hervorgeht, daß die Gewerkschaften kein Monopol, sondern hinsichtlich ihres objektiv notwendigen ökonomischen Kampfes kollektive Organe des Widerstandes der Arbeiter gegen schrankenlose kapitalistische Ausbeutung sind. Sie haben dem Arbeiter zu sichern, was ihm nach den Regeln des Lohnsystems zusteht. Die soziale Macht der Kapitalisten beruht auf dem Eigentumsmonopol an den Produktionsmitteln. Die Stärke der Arbeiterklasse ergibt sich aus ihrer organisierten proletarischen Solidarität. In dem Maße, wie sich auf der Grundlage des kapitalistischen Eigentums die Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals vollzieht und sich dadurch die entscheidenden Produktionsmittel in den Händen von Monopolisten konzentrieren, wächst auch der despotische Druck des Kapitals auf die Arbeiterklasse, werden immer brutalere und raffiniertere Methoden der Ausbeutung angewandt. Dieser Druck erfordert, daß die Arbeiter ihre gewerkschaftlichen Organisationen dazu benutzen, der zunehmenden Ausbeutung und der wachsenden Existenzunsicherheit mit dem Kampf um die Durchsetzung ökonomischer Forderungen (Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, Verbesserung der Urlaubsregelung, Arbeitsschutz, Sicherheiten gegen Arbeitslosigkeit usw.) entschlossen entgegenzutreten. 6 1 Wenn wir also in bezug auf den modernen Kapitalismus von Monopolen sprechen, so ist das ganz eindeutig eine Kategorie zur Charakterisierung der auf dem monopolkapitalistischen Eigentum beruhenden Ausbeuterposition der Finanzoligarchie. 68

Ebenda, S. 120. Engels, Friedrich, Das Lohnsystem. In: „Karl Marx und Friedrich Engels über die Gewerkschaften", a. a. 0., S. 214. 61 Natürlich bedeutet der ökonomische Widerstand der Gewerkschaften gegen die Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Monopole nicht eine Neutralisierung der Macht der Monopole und die Herstellung eines Gleichgewichtes der Kräfte, wie es z. B. von dem Amerikaner J. K. Galbraith dargestellt wird. Siehe: American Capitalism. The concept of countervailing power. New York 1952. Deutsch: Der amerikanische Kapitalismus im Gleichgewicht der Wirtschaftskräfte. A. J. Walter Verlag, Stuttgart, Wien, Zürich 1956. 60

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Die Gewerkschaften sind dagegen auf proletarischer Solidarität beruhende Organisationen der Arbeiterklasse, die einen ökonomischen Kampf gegen die kapitalistischen Ausbeuter führen, um die materielle Lage der Arbeiter zu verbessern und soweit wie dies in den engen Grenzen kapitalistischer Produktionsverhältnisse möglich ist, den Kapitalisten höhere Löhne, kürzere Arbeitszeit, günstigere Urlaubsregelungen u. a. soziale und ökonomische Zugeständnisse abzuringen. In diesen gewerkschaftlichen Kämpfen lernen die Arbeiter die Begrenztheit des ökonomischen K a m p f e s und die Notwendigkeit des politischen Kampfes zur revolutionären Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise verstehen. Allerdings muß dazu die praktische Erfahrung, welche die Arbeiter in den ökonomischen Kämpfen gegen die Kapitalisten gewinnen, mit der marxistischen Aufklärung und mit der F ü h r u n g durch eine marxistisch-leninistische Partei verbunden werden. Wir können also feststellen: Die neoliberale Monopoltheorie dient zur Rechtfertigung antigewerkschaftlicher Maßnahmen. 6 2 Im Sinne des Neoliberalismus „Anlimonopolist" zu sein, heißt gegen die Gewerkschaften zu sein. Hier offenbart sich das neoliberale „ I d e a l " des „Antimonopolismus" als demagogische Begründung für eine ideale Verwertungssituation des Monopolkapitals; denn würden die Arbeiter ihrer gewerkschaftlichen Organisation beraubt, so hieße das, daß sie voll und ganz, ohne die geringste Möglichkeit der gewerkschaftlichen Abwehr, der Ausbeutung durch die kapitalistischen Monopole preisgegeben wären. Hier zeigt sich deutlich, daß der neoliberale „Antimonopolismus" durchaus nicht im Gegensatz zu den Profitinteressen der Monopole steht, sondern diesen gerade entspricht. Der antisozialistische Charakter der neoliberalen Monopoltheorie k o m m t am deutlichsten in den Schriften von Röpke zum Ausdruck. E r behauptet z. B., der Sozialismus sei ein auf dem Wege der Hyperkonzentration entstandenes „Supermonopol." In der Darstellung Röpkes nimmt sich diese Diffamierung des Sozialismus wie folgt aus: ,,In der T a t m u ß die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht im kollektivistischen Staate alle Monopolbildungen und Machtstellungen der Marktwirtschaft so sehr in den Schatten stellen, daß selbst ein bloßer Vergleich schwierig wird. Nicht nur gewinnt der kollektivistische S t a a t eine Monopolmacht, die an Umfang nicht mehr zu übertreffen ist, so daß der Kollektivismus geradezu als ein Pan-Monopolismus definiert und vom nationalökonomischen Theoretiker analysiert werden kann. Vielmehr ist es gerade der absolute, nicht einmal mehr eine potentielle Konkurrenz zulassende Charakter dieses Supermonopols, der ihn seiner ganzen Art nach von jedem, ja immer nur partiellen und selbst im ärgsten Falle Ausweichmöglichkeiten gewährenden Privatmonopol unterscheidet. Diese Sonderart des absoluten und totalen Monopols der kollektivistischen Wirtschaftsbehörde wird noch kräftig dadurch unterstrichen, daß es ja mit der aufs höchste gesteigerten 62 Beispiele dafür, wie man auch in den USA unter dem Vorwand „Monopolistische Umtriebe" zu unterbinden, gegen die Gewerkschaften vorzugehen sucht, findet man in dem Buch „Die Monopole der USA" (Eine Untersuchung der „Labor Research Association", Vereinigung zur Erforschung der Arbeiterfrage). Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 1140.

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politischen Machtkonzentration des Staates identisch ist und sich auf seine Zwangsund Propagandamittel stützt. Es ist ein Supermonopol, das in der Tat alles, was uns das Monopol verhaßt macht, ins Kolossale und schlechthin Unerträgliche steigern muß." 6 3 Wie wir sehen, ist den westdeutschen Neoliberalen jedes Mittel recht, um gegen den Sozialismus zu hetzen. Ihrer demagogischen Begriffsverwirrung liegt offensichtlich folgende infame Spekulation zugrunde: Die Mehrheit der Bevölkerung der kapitalistischen Welt ist dem Druck der Monopole ausgesetzt. Für sie wird der Sozialismus auf Grund seiner wachsenden Erfolge immer anziehender. Also muß man versuchen, mit Lügen und Verleumdungen, die der besseren Wirkung wegen in eine möglichst wissenschaftlich klingende Terminologie gekleidet werden, diese Anziehungskraft des Sozialismus zu beeinträchtigen, indem er als die Potenzierung aller negativen Seiten des Monopolkapitalismus dargestellt wird. Darum versteigen sich die Neoliberalen zu der unsinnigen Behauptung, der Sozialismus sei ein Supermonopolismus, weil sie hoffen, mit Hilfe eines solchen demagogischen Manövers die Abneigung und den Haß, die breite Kreise der Bevölkerung gegen den Monopolkapitalismus hegen, gegen den Sozialismus lenken zu können. Daß z. B. eine der elementarsten Forderungen der Wissenschaft darin besteht, verschiedene Qualitäten auch als solche zu behandeln, kümmert die neoliberalen Apologeten nicht im geringsten, da es ihnen ja nicht um wissenschaftliche Erkenntnis, sondern um Diffamierung des Sozialismus geht. Aber demagogische Verleumdungen ändern bekanntlich die Tatsachen nicht. Der Sozialismus wird nicht zum „Supermonopolismus", mag man das kapitalistische Monopol und die auf dem gesellschaftlichen Eigentum beruhende sozialistische Ordnung auch in der schlechten Absicht der Apologetik unter der Einheit „Monopolismus" zusammenfassen. Wenn die Neoliberalen den Sozialismus als „Supermonopol" bezeichnen, so rechnen sie offensichtlich damit, daß ihre Leser den Unterschied zwischen Konzentration und Zentralisation der Produktion einerseits und Monopolherrschaft andererseits nicht verstehen. Zwischen der Konzentration und Zentralisation der Produktion unter kapitalistischen Bedingungen — hier ist sie, und das ist in diesem Falle wesentlich, gleichzeitig Konzentration und Zentralisation des Kapitals — und den kapitalistischen Monopolen besteht tatsächlich ein untrennbarer Zusammenhang. Zur Monopolherrschaft führt der Konzentrations- und Zentralisationsprozeß der Produktion nur dort, wo er sich auf der Grundlage des kapitalistischen Eigentums vollzieht. Im Prozeß ihrer Entwicklung hat die kapitalistische Produktion durch Konzentration und Zentralisation einen gesellschaftlichen Charakter erhalten, der die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse unbedingt notwendig macht, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Fessel für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. Der gesellschaftliche Charakter der Produktion erfordert sozialistische Produktionsverhältnisse, die eine planmäßig geleitete sozialistische Volks- und Weltwirtschaft ermöglichen. 88 Röpke, Wilhelm, Maß und Mitte. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbach-Zürich S. 121 f.

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Die Beseitigung der Macht der Monopole bedeutet nicht Beseitigung der unter den Bedingungen des monopolistischen Kapitalismus erreichten hohen Stufe der Konzentration und Zentralisation der Produktion. Im Gegenteil. Die sozialistische Gesellschaftsordnung zeichnet sich durch eine noch höhere Stufe der Konzentration und Zentralisation der Produktion als der Monopolkapitalismus aus. Die durch das Privateigentum gesetzten Grenzen sind gefallen und so ist die Konzentration und Zentralisation der Produktion im volkswirtschaftlichen Ausmaß gegeben. Wenn wir von einer höheren Stufe der Konzentration und Zentralisation der Produktion im Sozialismus gegenüber dem Monopolkapitalismus sprechen, so haben wir dabei vor allem die qualitative Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Auge. Diese höhere Stufe der Konzentration und Zentralisation — welche im Gegensatz zum Kapitalismus alle Vorteile der Spezialisierung und Kooperation der Produktion planmäßig und in vollem Umfang ausnutzen kann — ist möglich, weil die Produktionsmittel gesellschaftliches Eigentum sind. Sie macht es möglich, daß durch die rationellste Ausnutzung der hochentwickelten gesellschaftlichen Produktivkräfte die wachsenden Bedürfnisse der Menschen in der sozialistischen Gesellschaft immer besser befriedigt werden können. Die neoliberale Behauptung, der Sozialismus sei ein „Supermonopol" soll nicht nur die Volksmassen in den kapitalistischen Ländern vor dem Sozialismus zurückschrecken lassen, sondern auch die Werktätigen in den sozialistischen Ländern zur Konterrevolution aufputschen. Indem die leitenden Funktionäre der sozialistischen Länder als die despotischen Nutznießer des angeblich in der sozialistischen Gesellschaft existierenden „Supermonopols" hingestellt werden, wird versucht, das Vertrauen des Volkes zu seinen Führern zu untergraben. Die neoliberalen Feinde des Sozialismus haben sehr gut begriffen, welcher Kraftquell der sozialistischen Entwicklung das enge, durch keinerlei Klassengegensätze gestörte Verhältnis zwischen den Werktätigen und den aus ihren Reihen hervorgegangenen Führern ist. Darum u. a. auch ihr Versuch, mit Hilfe ihrer apologetischen Monopoltheorie einen Keil zwischen sie zu treiben. Derartige Manöver müssen scheitern, weil die Praxis des sozialistischen Aufbaues den besten Beweis dafür liefert, daß der Sozialismus nicht irgendein „Supermonopolismus" ist, sondern gerade die Überwindung des Monopolkapitalismus und die Schaffung qualitativ neuer Produktionsverhältnisse bedeutet, Produktionsverhältnisse, die dem Wohl der werktätigen Menschen dienen. 64 Es zeigt sich also, daß von der Position des neoliberalen „Antimonopolismus" ein demagogischer Angriff gegen den Sozialismus unternommen wird, daß mit Hilfe der neoliberalen Monopoltheorie dem zügellosen Antikommunismus der westdeutschen Finanzoligarchie eine scheinheilige theoretische „Begründung" zu geben versucht wird. 64 Nebenbei sei noch bemerkt, daß die Neoliberalen den Sozialismus auch deshalb als „Supermonopol" bezeichnen, um mit gespielter Empörung auftreten und sagen zu können, die sozialistische Wirtschaft „schafft ein einziges großes Monopol, daß ihren Verfechtern jede Legitimation nimmt, die Entartung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs in den Monopolkapitalismus zu kritisieren." Muthesius, Volkmar, Die Wirtschaft des Wettbewerbs (Freiheit oder Sicherheit). Limes-Verlag, Wiesbaden 1948, S. 105.

Zur Monopoltheorie der westdeutschen Neoliberalen Der apologetische

Antimonopolismus

des Neoliberalismus Monopolbourgeoisie

— eine ideologische

129 Waffe der

In marxistischen Veröffentlichungen über den Neoliberalismus h a t immer wieder die Frage nach dem Klassencharakter dieser Richtung der modernen Apologetik eine Rolle gespielt. Da Klarheit über den Klassencharakter des Neoliberalismus gerade im Hinblick auf den neoliberalen „Antimonopolismus" notwendig ist, wollen wir im letzten Abschnitt unseres Beitrages kurz auf diese Frage eingehen. Der Konzentrations- und Zentralisationsprozeß der Produktion und des Kapitals und der damit zusammenhängende weitere Machtzuwachs der mächtigsten westdeutschen Monopole ist eine so offenkundige Tatsache, daß sie selbst von bürgerlichen Ökonomen nicht geleugnet werden kann. Bereits Mitte 1958 erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Beitrag des bürgerlichen Ökonomen Professor Dr. Harold Rasch unter dem Titel „Unternehmens-Konzentration, eine Gefahr für die freiheitliche Gesellschaftsordnung". In diesem Artikel lesen wir folgende aufschlußreiche Darstellung: „Seit Jahren erleben wir in Westdeutschland einen Prozeß der Unternehmenskonzentration. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht über Aktienaufkäufe dieser oder jener Interessengruppe, über den Erwerb von Minderheitspaketen, Schachtelbeteiligungen und qualifizierten Mehrheiten, über Verschmelzungen und den Abschluß von Organschaftsverträgen berichtet wird. An der Ruhr werden die letzten Spuren der Entflechtungspolitik der früheren Besatzungsmächte ausgelöscht; die entflochtenen, längst wieder in neuen Gruppierungen zusammengeflochtenen Firmen wachsen weiter in die Breite und Tiefe. In der chemischen und Erdölindustrie, in der Maschinen- und Automobil-, in der Elektro-, feinmechanischen und optischen Industrie, aber auch bei Kaufhäusern sind bedeutende Zusammenschlüsse zu verzeichnen. Die drei Filialgroßbanken, die in eine Reihe von Regionalinstituten aufgeteilt waren, haben sich wieder zusammengefunden. Natürlich zeigen die Konzentrationstendenzen in den einzelnen Wirtschaftszweigen durchaus verschiedene Ausmaße und Formen. Aber wohin wir auch blicken mögen, Zusammenschlüsse zweier oder mehrerer Gesellschaften sind an der Tagesordnung. Selbst die Neugründung größerer Unternehmen vollzieht sich praktisch niemals mehr unter Beteiligung des breiten Publikums, sondern von vornherein als Gemeinschaftsgründung .schon bestehender Unternehmen." 6 5 Solche Tatsachen, die von der zunehmenden Macht der Monopole in Westdeutschland zeugen, sind es offensichtlich, die selbst den bürgerlichen Ökonomen Anton Reithinger zwingen, zuzugeben: „Die Akkumulation der Reichtumsbildung in der Zehnjahresperiode 1949/57 ist in der Bundesrepublik genau nach den Erwartungen von Karl Marx erfolgt und nicht nach den Theorien von Ludwig Erhard." 6 6 Natürlich fehlt es in Westdeutschland nicht an Äußerungen, durch die der Konzentrationsprozeß als eine durchaus harmlose Angelegenheit hinzustellen versucht 85

„Frankfurter Allgemeine Zeitung", v o m 19. Juli 1958. Reithinger, Anton, Soziale Marktwirtschaft auf dem Prüfstand. Fritz Knapp Verlag, Frankfurt a./Main 1958, S. 26. 66

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wird. Charakteristisch dafür sind z. B. folgende Sätze aus dem westdeutschen „Sonntagsblatt" vom 18. Oktober 1959: „ W a s ist Konzentration und wirtschaftliche Macht, und gibt es bei uns tatsächlich eine bedrohliche wirtschaftliche Machtzusammenballung? Die Dinge haben sich im Laufe eines Jahrhunderts doch wesentlich verschoben. Karl Marx und Friedrich Engels operierten noch mit der Verelendungstheorie, und sie haben glücklicherweise unrecht behalten. Sie prophezeiten auch eine immer stärkere Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in wenigen Händen (von M o n o polkapitalisten'), aber das Wachstum von großen wirtschaftlichen Gebilden oder Konzernen hat in den letzten Jahrzehnten auch das Wachstum der mittleren und kleinen Betriebe gefördert. Sie sind nicht von den Großen aufgefressen worden, sondern sie sind, im Gegenteil, im Schatten oder unter dem Schutz der Großen erst richtig gediehen. . . . Zwar gibt es große wirtschaftliche Gebilde, Konzerne und Großunternehmen, zwar zeigt sich hier und da ein Zug zu weiterer Konzentration — aber das ist niemals mit einer Machtstellung verbunden,

das führt niemals zu einer Herrschaft der

Großen über die Kleinen, sondern das läßt oft die kleinen und mittleren Betriebe erst richtig leben . . . Man darf also die Konzentration an sich nicht verurteilen, denn sie ist aus drei Gründen heute immer notwendig und ganz ungefährlich. Erstens entsteht sie aus der technischen Entwicklung: Je riesiger und komplizierter der technische Apparat wird, um so größer müssen auch die wirtschaftlichen Betriebe sein, die ihn bewältigen. Zweitens bringt sie eine ständige Bewegung, eine Dynamik, in die wirtschaftliche Entwicklung, ohne die sie stillzustehen drohen würde; sie reißt also auch andere mit, Mittelbetriebe und ganze Scharen von Arbeitern und Angestellten. Drittens endlich fördert sie eine echte neue Mittelstandsbildung, sowohl in den Betrieben als auch um die Großbetriebe herum. Es entsteht um jeden Konzern gleichsam ein ganzes System von Planeten, Kometen und Monden, die um den Konzern wie um eine Sonne kreisen. Das ist solange ungefährlich, wie es andere Konzerne und Nebensonnen gibt; alles bleibt dadurch in einem natürlichen Gleichgewicht." 6 7 Aber trotz solcher optimistischen Tiraden wird die Zahl der Stimmen, die auf die gefährlichen Folgen des in Westdeutschland festzustellenden gigantischen Konzentrationsprozesses hinweisen, immer größer. Die Bonner Regierung hat unter Berücksichtigung solcher Stimmungen eine „ T a k t i k der Beruhigung der Gemüter" eingeschlagen. Das war schon den entsprechenden Ausführungen über die Frage der Konzentration im „Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1958" (Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucksache 1000) zu entnehmen. Deutlich ist die „ T a k t i k der Beruhigung der Gemüter" aber auch in der Antwortrede von Ludwig Erhard auf die im Bundestag bezeichnenderweise von der C D U eingebrachte große Anfrage zur Konzentration in Westdeutschland zu erkennen. Die „ T a k t i k der Beruhigung", die gegenwärtig im Zusammenhang mit dem enormen 47 Fried, Ferdinand, Was ist wirtschaftliche Macht. In: „Sonntagsblatt" vom 18. Oktober 1959.

Zur Monopoltheorie der westdeutschen Neoliberalen

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Konzentrations- und Zentralisationsprozeß in Westdeutschland eingeschlagen wird, läßt die neoliberalen Lehrmeister des apologetischen Antimonopolismus deutlich erkennen. Die führenden westdeutschen Wirtschaftspolitiker, an ihrer Spitze Ludwig Erhard, sind gelehrige Schüler des neoliberalen Demagogen Wilhelm Röpke, der einmal folgenden Ratschlag gab: „ J e geringer die Wahrscheinlichkeit ist, daß das Ideal des freien Wettbewerbs in der Praxis nicht ohne einen erheblichen Diskont verwirklicht werden kann (auf diese „elegante" Art umschreibt Röpke den auf Grund des Konzentrationsprozesses ständig wachsenden Einfluß der mächtigsten Monopole — H. T.), um so entschiedener muß das Ideal selber hochgehalten werden." 8 8 Warum propagieren die Neoliberalen aber ein „Ideal", von dem sie selber zugeben müssen, daß es mit der Praxis des monopolistischen Kapitalismus überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist? Auch auf diese Frage gibt Röpke eine relativ offenherzige Antwort, indem er sagt: „Wenn wir nicht mit der Marktwirtschaft gleichzeitig die Freiheit des Wettbewerbs und die Offenheit der Märkte fordern (wobei fordern natürlich nicht realisieren bedeutet — H. T.), so wäre uns die Aufgabe, die Marktwirtschaft (d. h. den Kapitalismus — H. T.) gegen ihre immer wachen Kritiker zu verteidigen, unmöglich gemacht."® 9 Einen Marxisten können derartige, eindeutig von einer apologetischen Absicht zeugende Darlegungen nicht überraschen. Sie bestätigen nur aufs Neue folgende, von Marx und Engels bereits vor mehr als hundert Jahren getroffene Feststellung: „ J e mehr die normale Verkehrsform der Gesellschaft und damit die Bedingungen der herrschenden Klasse ihren Gegensatz gegen die fortgeschrittenen Produktivkräfte entwickeln, je größer daher der Zwiespalt in der herrschenden Klasse selbst und mit der beherrschten Klasse wird, desto unwahrer wird natürlich das dieser Verkehrsform ursprünglich entsprechende Bewußtsein, d. h. es hört auf, das ihr entsprechende Bewußtsein zu sein, desto mehr sinken die früheren überlieferten Vorstellungen dieser Verkehrsverhältnisse, worin die wirklichen persönlichen Interessen ppp als allgemeine ausgesprochen werden, zu bloß idealisierenden Phrasen, zur bewußten Illusion, zur absichtlichen Heuchelei herab. J e mehr sie aber durch da» Leben Lügen gestraft werden und je weniger sie dem Bewußtsein selbst gelten, desto entschiedner werden sie geltend gemacht, desto heuchlerischer, moralischer und heiliger wird die Sprache dieser normalen Gesellschaft." 70 Auf Grund der Herrschaft der Monopole und den daraus für die Mehrheit des Volkes erwachsenden negativen Folgen ist das Auftauchen antimonopolistischer Stimmungen ganz natürlich. Wie soll solchen Stimmungen begegnet werden, wie sind die Gemüter zu beruhigen? In dieser Frage verlangt das Monopolkapital von seinen neoliberalen Apologeten Antwort und Hilfe. Und diese gehen wie folgt vor. Um die wachsende Kritik am 68 Röpke, Wilhelm, Kartelle — nur auf Rezept. In: „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 28. Mai 1955. 66 Ebenda. 70 Marx, Karl / Engels, Friedrich, Die deutsche Ideologie. Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 302.

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Monopolkapitalismus aufzufangen, stoßen sie gleichfalls kräftig in d a s Horn der „Monopolkritik". Gestützt auf ein prinzipielles Bekenntnis zum kapitalistischen E i g e n t u m , verkünden sie als Alternative zum gegenwärtigen K a p i t a l i s m u s , in dem die Monopole herrschen, einen „ I d e a l " k a p i t a l i s m u s , die sogenannte „Wettbewerbso r d n u n g " der „sozialen M a r k t w i r t s c h a f t " . D a m i t sie als kompromißlose Streiter für ein „ I d e a l " , mit dem die E x i s t e n z von Monopolen wie gewollt unvereinbar erscheint, auftreten können 7 1 , d . h . , d a m i t sie als echte Monopolgegner erscheinen, lassen sie es nicht an Worten fehlen, u m die „Verderblichkeit" der Monopole anzuprangern. 7 2 S o finden wir z. B . in einem der Bücher von R ö p k e ein „ S ü n d e n r e g i s t e r des Monop o l s " , in dem die hauptsächlichsten „ V o r w ü r f e " des Neoliberalismus gegen d a s Monopol zusammengestellt sind. D a r u m geben wir es hier vollständig im W o r t l a u t wieder: „ D a s Monopol ist in der T a t eine Verfälschung der Marktwirtschaft, die zugleich eine Privilegierung und eine Durchbrechung des Prinzips darstellt, daß ein höherer Gewinn nur mittels einer entsprechenden, durch d a s freie Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmten L e i s t u n g erworben werden kann (Leistungsprinzip). S i e ist nicht nur sozial unerträglich, sondern auch eine Störung des Wirtschaftsprozesses und ein Hemmschuh der Gesamtproduktivität. Eine Volkswirtschaft, die mit Monopolen durchwuchert ist, verfällt einem schleichenden Prozeß der Autointoxikation. der chronisch verläuft und mit akuten Verschlimmerungen schließlich die Marktwirtschaft zugrunde richten muß, mit ihr aber auch die demokratisch-liberale S t r u k t u r von S t a a t und Gesellschaft. Die Volkswirtschaft verliert ihre E l a s t i z i t ä t und Anpassungsfähigkeit; die Markterstarrung lähmt die zahlreichen Ausgleichsmechanismen, verschärft und verlängert damit die Wirtschaftskrisen und verzögert den Wiederaufschwung; die monopolistische Privilegierung s t u m p f t den Antrieb zur höchstmöglichen Leistung a b und f ü h r t zu einer ökonomisch wie sozial wie politisch unerträglichen Zusammenballung der W i r t s c h a f t s m a c h t , die einen wachsenden Teil der Kontrolle des volkswirtschaftlichen Gesamtprozesses in die H ä n d e weniger und zu keiner Rechenschaft Verpflichteter spielt, dadurch aber das Getriebe der Volkswirtschaft immer undurchsichtiger m a c h t ; diese Undurchsichtigkeit wird zum Treibhaus der Korruption aller G r a d e und Arten; die Irreführung der öffentlichen Meinung und die Verschanzung in den erworbenen Positionen m i t allen Mitteln 7 1 So findet man in der neoliberalen Literatur immer wieder Aussprüche wie den folgenden: „ M a n kann die Marktwirtschaft nur dann eine soziale nennen, wenn es in ihr keine Monopole gibt. Die Überwindung der Monopole ist eine wichtige Aufgabe für die Errichtung der sozialen Marktwirtschaft." Lautenbach, Otto, Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft. Vita-Verlag, Heidelberg-Ziegelhausen 1952, S. 61. 7 2 Die Notwendigkeit einer „antimonopolistisch" getarnten Apologetik des modernen Kapitalismus hat Röpke einmal wie folgt begründet: „Wir können nicht das, was uns wirklich am Herzen liegt (also den Kapitalismus — H. T.) ehrlich (! — H. T.) und wirksam verteidigen, wenn wir nicht gegen den Monopol- und Subventionskapitalismus dieselben scharfen Worte finden wie gegen den Kollektivismus, sondern uns hier auf schwächliche Kompromisse und auf ein unehrliches Spiel mit Worten einlassen, und wir können es den Menschen kaum übelnehmen, wenn sie endlich zu dem Schluß kommen: dann lieber Kollektivismus." Röpke, Wilhelm, Die Gesellschaftskrisis . . ., a. a. O., S. 288. (Hervorhebungen - H. T.)

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wird wichtiger als die beste, reichlichste und billigste Versorgung der Konsumenten; an die Stelle des Grundsatzes ,großer Umsatz — kleiner Nutzen' tritt der umgekehrte, .kleiner Umsatz — großer Nutzen', und vorhandene Möglichkeiten der Produktionssteigerung bei niedrigeren Preisen bleiben unausgenutzt, weil das Monopol die Kombination von hohen Preisen bei geringerer Produktion vorzieht; das Monopol erlaubt eine willkürliche Differenzierung der Preise zugunsten der einen und zuungunsten der anderen Abnehmergruppen; die Monopolpreispolitik enthält den Konsumenten die besseren und billigeren Versorgungsmöglichkeiten vor, die der technische Fortschritt und die Massenproduktion gewähren, und lähmt den Ausgleichsmechanismus, der bei freier Konkurrenz dafür sorgt, daß die durch den technisch-organisatorischen Fortschritt freigesetzten Arbeiter in kurzer Zeit neue Beschäftigung finden. Privilegierung, Ausbeutung, Markterstarrung, Verzerrung des Wirtschaftsprozesses, Kapitalstauung, Machtzusammenballung, Industriefeudalismus, Angebots- und Erzeugungsrestriktion, Schaffung von chronischer Arbeitslosigkeit, Verteuerung der Lebenshaltung und Verschärfung der sozialen Gegensätze, wirtschaftliche Disziplinlosigkeit, unkontrollierbare Beeinflussung des Staates und der öffentlichen Meinung, Verwandlung der Industrie in einen exklusiven Herrenklub, der sich gegen die Neuaufnahme von Mitgliedern absperrt — das ist das Sündenregister des Monopols, und dabei sind wir nicht einmal sicher, es wirklich erschöpft zu haben." 7 3 Soweit also Röpke. Gerade derartige Äußerungen neoliberaler Autoren dürften es wohl sein, die zu falschen Einschätzungen des Neoliberalismus beigetragen haben. 74 Wir werden nicht auf Einzelheiten dieses „Sündenregisters" eingehen. Die Frage, die unseres Erachtens in diesem Fall von Interesse und zu beantworten ist, lautet: Wie vereinbart sich die These, daß der Neoliberalismus eine Ideologie des Monopolkapitals ist, mit solch einem scheinbar von einem radikalen Antimonopolismus der Neoliberalen zeugenden „Sündenregister" der Monopole? ™ Ebenda, S. 359 f. In der verdienstvollen Arbeit von R. Naumann über die „Theorie und Praxis des Neoliberalismus" gibt es neben der richtigen Einschätzung des Neoliberalismus als einer kleinbürgerlich getarnten Verteidigung des Monopolkapitals (S. 382) auch mißzuverstehende. In dem Abschnitt „Neoliberaler Scheinkampf gegen die Monopole" charakterisiert Naumann den Neoliberalismus als reaktionäre, kleinbürgerlich utopische Theorie (S. 201). A. Dost spricht in einem Artikel von der gegenwärtig in Westdeutschland vorherrschenden „kleinbürgerlich neoliberalen Theorie von der sogenannten freien oder sozialen Marktwirtschaft." Die Preisbildung als bewußte Ausnutzung des Wertgesetzes (III). In: „Deutsche Finanzwirtschaft", Sammelausgabe, XII. Jahrg., H. 20, S. F 573, 1958. In einer Einschätzung des Buches „Grundsätze der Wirtschaftspolitik" von Walter Eucken durch den polnischen Ökonomen J. Nowicki lesen wir, daß die Eucken'sche Arbeit „eine kleinbürgerliche Einschätzung der modernen ökonomischen Probleme" darstelle. In: „Economista", H. 4, S. 977ff., 1958. In dem Artikel „Die ideologischen und soziologischen Wandlungen in der westdeutschen Arbeiterbewegung" bezeichnet V. Agartz den Neoliberalismus als den einzigen bürgerlichen „Rest einer Opposition", der dem Staatsmonopolismus aber hoffnungslos gegenüberstehe. In: „Wiso", IV. Jahrg., H. 11, S. 496, 1959. 74

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Die Ideologen des Monopolkapitals müssen heute vor allem folgende Tatsachen in Rechnung stellen. 1. Es gibt eine wissenschaftlich exakte Theorie des Monopolkapitalismus, die ihre Probe in der revolutionären Praxis des Klassenkampfes glänzend bestanden h a t . Diese Theorie, der Marxismus-Leninismus, erklärt sowohl die Entstehung, den Charakter, die ökonomischen und politischen Folgen, den historischen Platz und den Weg zur Überwindung des modernen kapitalistischen Monopols. Damit klärt die marxistische Theorie des Monopolkapitalismus aber auch die Stellung und Perspektive jeder Klasse und Schicht in der modernen kapitalistischen Gesellschaft, sowie das Verhältnis dieser Klassen und Schichten zueinander. Die marxistische Theorie des Monopolkapitalismus klärt ebenso die Frage des Verhältnisses zwischen der proletarischen Bewegung zum Sturz des Kapitalismus und f ü r den Sieg des Sozialismus, der allgemein-demokratischen Bewegung der Volksmassen der kapitalistischen Länder für eine demokratische Erneuerung sowie der antiimperialistischen Befreiungsbewegung der Völker in den kolonialen und halbkolonialen Ländern. 2. Es gibt ein sozialistisches Lager, in dem es keine kapitalistischen Monopole mehr gibt, die von der Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung profitieren könnten. Demgegenüber nimmt die Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung der kapitalistischen Länder sowie der Völker in den heute noch kolonialen und abhängigen Ländern durch die Monopole immer mehr zu, die Widersprüche zwischen den Monopolisten und der gesamten übrigen Bevölkerung werden immer spürbarer. Darum betreibt die Mehrzahl der bürgerlichen Ökonomen die Verteidigung des modernen Kapitalismus in verhüllter, demagogischer, häufig „antimonopolistischer" Form, denn ihre Aufgabe besteht darin, in solcher Weise auf das Bewußtsein der Volksmassen einzuwirken, damit diese den modernen Kapitalismus als eine lediglich durch Reformen noch zu verbessernde ewige Ordnung anerkennen. Deshalb gehen die Neoliberalen in bezug auf die Monopolfrage wie folgt vor: Sie analysieren die Wirklichkeit des Monopolkapitalismus überhaupt nicht wissenschaftlich — das können sie entsprechend ihrer gesellschaftlichen Funktion auch nicht —, sondern „beurteilen" die Monopole vom S t a n d p u n k t des in apologetischer Absicht postulierten „Ideals" der „sozialen Marktwirtschaft". Das bedeutet aber, daß die modernen kapitalistischen Monopole von ihnen nicht als historische Erscheinung anerkannt werden, in der sich die Notwendigkeit einer sozialistischen Gesellschaftsordnung andeutet, sondern sie stellen die Monopole als korrigierbare „Verfälschung der Marktwirtschaft" als „ E n t a r t u n g " dar. Die Darstellung des Monopols als Verfälschung oder E n t a r t u n g der Marktwirtschaft schließt aber revolutionäre Konsequenzen von Anfang an aus. Eine solche These ist lediglich die Grundlage für in der Praxis wirkungslose Reformvorschläge. 7 5 76

„Bürgerliche Gelehrte und Publizisten treten als Verfechter des Imperialismus gewöhnlich in etwas verhüllter Form auf, indem sie die völlige Herrschaft des Imperialismus und seine tiefen Wurzeln vertuschen, dafür aber Einzelheiten und nebensächliche Details in den Vordergrund stellen, um die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen abzulenken durch ganz unernste ,Reformprojekte' von der Art einer Polizeiaufsicht über die Truste oder Banken u. a. m. Lenin, W. I., Der Imperialismus . . ., a. a. 0., S. 119.

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Ist die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung des Monopolkapitalismus aber erst einmal grundsätzlich ausgeschlossen worden, so ist damit der Weg geöffnet für eine dem ideologischen Kampf der Monopole gegen die Volksmassen dienende apologetische Monopolkritik. Eine Reihe von „Vorwürfen", die Röpke in seinem „Sündenregister" gegen die Monopole erhebt, sind ihrem sozialen Ursprung nach auf Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen kleinbürgerlicher Schichten sowie der nichtmonopolistischen Bourgeoisie zurückzuführen. Das bedeutet aber nicht, daß Röpke damit zu einem theoretischen Repräsentanten dieser Schichten wird. 76 Die hier am Beispiel Röpkes auftauchende Erscheinung führt uns zu der prinzipiellen Frage nach der Bedeutung, die die soziale Quelle und die soziale Funktion bestimmter Ideen der modernen ökonomischen Apologetik für deren klassenmäßige Charakterisierung spielen. Unseres Erachtens wird häufig der Fehler gemacht, bei der klassenmäßigen Charakterisierung bestimmter Ideen lediglich deren soziale Quelle zu berücksichtigen. Die soziale Quelle, aus der bestimmte Vorstellungen und Ideen entspringen, ist aber nur das eine, das andere ist die soziale Funktion, die solche Vorstellungen und Ideen als Bestandteile einer bestimmten Richtung der bürgerlichen Ideologie zu spielen haben. Zur klassenmäßigen Charakterisierung darf man nicht nur das eine und auch nicht nur das andere heranziehen. Würde man z. B. den Charakter der von Röpke in dem zitierten „Sündenregister" genannten „Anklagen" gegen die Monopole nur nach deren sozialer Quelle bestimmen, so könnte man leicht dazu gelangen, den westdeutschen neoliberalen „Antimonopolismus" zu jener Richtung zu rechnen, die Lenin als „kleinbürgerlich-reaktionäre Kritik des kapitalistischen Imperialismus", die „von einer Rückkehr zur ,freien', friedlichen', .ehrlichen' Konkurrenz träumt". 7 7 bezeichnete. Berücksichtigt man aber die soziale Funktion dieses „Antimonopolismus", die darin besteht, die Arbeiterklasse in der Monopolfrage irrezuführen sowie durch Anknüpfen an die Eigentümerinteressen des Kleinbürgertums und der nichtmonopolistischen Bourgeoisie sich zum scheinbar radikalsten Fürsprecher dieser Schichten gegenüber den Monopolen zu machen — auf diese Weise hofft man das Zustandekommen eines antiimperialistischen Bündnisses dieser Schichten mit der Arbeiterklasse zu verhindern —, so muß man den „Antimonopolismus" der westdeutschen Neoliberalen wie folgt charakterisieren: Der „Antimonopolismus" der westdeutschen 76 Siehe hierzu: Bljumin, I. G., Grundriß der modernen bürgerlichen politischen Ökonomie der USA. Übersetzung aus dem Russischen. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1958, S. 177. Bljumin, I. G. / Dworkin, I., Über die gegenwärtige politische Ökonomie der Zwischenklassen. In: „Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge", H. 4, S. 416ff., 1956. Riedel, H. / Stollberg, R., Einige Bemerkungen zur Charakteristik des Schweizer Ökonomen Wilhelm Röpke und Antwort von Bljumin, I. G. / Dworkin, I. In: „Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge", H. 12, S. 1561ff., 1956. 77 Lenin, W. I., Der Imperialismus . . ., a. a. 0 . , S. 30.

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Neoliberalen ist ein sich mit demagogischer Absicht kleinbürgerlich tarnender, die reaktionären antimonopolistischen Vorstellungen und Wünsche des Kleinbürgertums und der nichtmonopolistischen Bourgeoisie im Interesse der Monopolbourgeoisie geschickt ausnutzender, apologetischer Antimonopolismus, der darauf berechnet ist, die Volksmassen in bezug auf die Monopolfrage irrezuführen, um ein antiimperialistisches Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den antiimperialistischen kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten zur Zurückdrängung und schließlich zur Beseitigung der Macht der Monopole zu verhindern.

Willi ZU

Kunz

EINIGEN GRUNDPROBLEMEN DER INTERNATIONALEN A R B E I T S T E I L U N G IM S O Z I A L I S T I S C H E N W E L T S Y S T E M Vorbemerkung

Unsere Gegenwart ist durch den Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus in der Welt gekennzeichnet. Die menschliche Gesellschaft ist in eine Etappe ihrer Entwicklung getreten, in der sich der Sozialismus als Weltsystem das absolute ökonomische Übergewicht gegenüber dem Kapitalismus erkämpft. Diesem Ziel entspricht die auf dem X X I . Parteitag der KPdSU formulierte ökonomische Hauptaufgabe des sozialistischen Lagers, die darin besteht, ,,. . . ein Übergewicht des sozialistischen Systems über das kapitalistische System in der Weltproduktion zu erreichen, die entwickeltsten kapitalistischen Länder in der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, in der Produktion pro Kopf der Bevölkerung zu übertreffen und den höchsten Lebensstandard der Welt zu sichern." Zur Erreichung dieses Zieles in historisch kürzester Frist werden von den arbeitenden Menschen in allen sozialistischen Ländern große Anstrengungen unternommen. Die Völker der sozialistischen Länder gehen dabei immer mehr dazu über, diese Anstrengungen zu vereinen, durch gemeinsame, sozialistische Hilfe und Unterstützung dem Wohle aller im sozialistischen Weltsystem vereinten Völker zu dienen und dem Sozialismus in der Welt zum Siege zu verhelfen. Die Maßstäbe der gesellschaftlichen Produktion und — als Reflex und zugleich als aktives, vorwärtstreibendes Element — auch des menschlichen Denkens erweitern sich im Sozialismus mit Riesenschritten. Der umfassende internationale Austausch von Erfahrungen, die Arbeitsteilung in der praktischen Produktionstätigkeit, kurzum — die Vertiefung der solidarischen internationalen Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Nationen ist es, was immer mehr in den Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Handelns gerückt werden muß, um die großen Aufgaben lösen zu können, die wir uns für die nächste Zeit gestellt haben. Die Aktualität der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung und ihrer Vertiefung kommt besonders in der von den Teilnehmerländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe beschlossenen Abstimmung der Perspektivpläne dieser Länder bis zum Jahre 1975/80 zum Ausdruck. Die sozialistische internationale Arbeitsteilung ist zu einem entscheidenden Kernproblem der Perspektivplanung in unseren Ländern geworden und wird es immer mehr. Mit dem vorliegenden Artikel wird das Ziel verfolgt, einige Gedanken zum ökonomischen Wettstreit zwischen Sozialismus und Kapitalismus sowie zu bestimmten Grundfragen der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung darzulegen, um somit zur Diskussion zu diesen Problemen beizutragen. Besonders soll die objektive Not-

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wendigkeit der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung als gesellschaftlicher Prozeß begründet werden, ferner soll der Versuch gemacht werden, einige wirtschaftspolitische Grundforderungen (Prinzipien) der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung im Zusammenhang mit der Abstimmung der langfristigen Entwicklungspläne der sozialistischen Länder zu entwickeln. In einem Teil des Beitrages werden Auffassungen bürgerlicher Ökonomen zu Fragen der sozialistischen Weltwirtschaft dargelegt, der apologetische Inhalt der bürgerlichen Auffassungen charakterisiert. Bei den Fragen der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung handelt es sich ohne Zweifel um eine Vielzahl sehr komplizierter ökonomischer Probleme, die eng auch mit dem politischen, kulturellen und sozialen Zusammenleben der Völker verknüpft sind. Zugleich handelt es sich in vieler Hinsicht noch um Neuland der ökonomischen Forschung. Es gibt bisher im sozialistischen Lager nur wenige Wirtschaftswissenschaftler, die sich umfassender um diese Fragen verdient gemacht haben. Neben einigen sowjetischen Wissenschaftlern (Gatowski, Tjulpanow, Bogomolow u. a.) sollen hier vor allem V. Kaigl (CSSR) und G. Kohlmey (DDR) erwähnt werden. Die außerordentliche Aktualität der Probleme macht ihre komplexe Untersuchung mit Hilfe einer zu organisierenden Gemeinschaftsarbeit von Wirtschaftswissenschaftlern aller sozialistischen Länder zu einer dringenden Aufgabe. Einige Anregungen zu Einzelfragen zu geben, soll Ziel dieses Beitrages sein. I. Die sozialistische internationale Arbeitsteilung und ihre Vertiefung als objektive ökonomische Notwendigkeit im sozialistischen Weltsystem Bereits unter den Bedingungen des Kapitalismus und besonders des Imperialismus vollzog sich ein Prozeß der weitgehenden Internationalisierung der gesellschaftlichen Produktion, es bildete sich eine arbeitsteilig organisierte kapitalistische Weltwirtschaft. Die Methoden und Formen dieser kapitalistischen internationalen Arbeitsteilung wurden durch die herrschenden (kapitalistischen) Produktionsverhältnisse bestimmt und kamen zum Ausdruck in der Unterdrückung und Ausbeutung anderer, besonders der schwächer entwickelten Länder durch die wirtschaftlich starken imperialistischen Staaten. Der antagonistische Grundwiderspruch des Kapitalismus erscheint in der kapitalistischen Weltwirtschaft als Widerspruch zwischen der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung — damit der Internationalisierung der gesellschaftlichen Produktivkräfte —, d. h. der wirtschaftlichen Annäherung und Verflechtung der verschiedenen Nationalwirtschaften und den imperialistischen Methoden und Formen dieser Arbeitsteilung. Diesen Widerspruch charakterisierte Marx für die Bedingungen des Industriekapitalismus bereits, als er schrieb: „Wenn die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen (Schaffung des kapitalistischen Weltmarktes bedeutet internationale Arbeitsteilung, bedeutet Internationalisierung der Produktivkräfte — W. K.), ist sie

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zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen A u f g a b e und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen." 1 Auf d e m X I I . Parteitag der K P R (B) wurde das gleiche Problem i m Zus a m m e n h a n g m i t der nationalen u n d kolonialen Frage ausführlicher behandelt. In den Thesen z u m X I I . Parteitag (1923) heißt es u. a . : 2 „Die Entwicklung des Kapitalismus zeigte bereits im vorigen J a h r h u n d e r t die Tendenz zur Intemationalisierung der Produktions- und Austauschmethoden, zur Aufhebung der nationalen Abgeschlossenheit, zur wirtschaftlichen Annäherung der Völker und zur allmählichen Vereinigung gewaltiger Territorien zu einem zusammenliegenden Ganzen. Die Fortentwicklung des Kapitalismus, die Entwicklung des Weltmarktes, d e r Ausbau der großen Seewege und Eisenbahnlinien, die Kapitalausfuhr u. a. verstärkten diese Tendenz noch mehr, indem sie die verschiedenartigsten Völker durch Bande internationaler Arbeitsteilung und allumfassender gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verknüpften. Soweit dieser Prozeß die kolossale Entwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e widerspiegelte, soweit er die Aufhebung der nationalen Isolierung und der Interessengegensätze zwischen den verschiedenen Völkern erleichterte, war und bleibt er ein progressiver Prozeß, denn er bereitet die materiellen Voraussetzungen f ü r die zukünftige sozialistische Weltwirtschaft vor." U n d weiter heißt es, daß sich diese Tendenz in eigenartigen Formen entwickelte, die ihrem inneren historischen Sinn absolut nicht entsprachen. „Die Abhängigkeit der Völker voneinander und die wirtschaftliche Vereinigung der Gebiete setzen sich im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus nicht in Form einer Zusammenarbeit der Völker als gleichberechtigte Einheiten durch, sondern in Form der Unterwerfung der einen Völker durch die anderen, in Form der Unterdrückung und Ausbeutung der weniger entwickelten durch die stärker entwickelten Völker. Kolonialraub und koloniale Annexionen, nationale Unterdrückung und Ungleichheit, imperialistische Willkür und Gewaltregime, Kolonialsklaverei und nationale E n t r e c h t u n g , endlich der Kampf der „zivilisierten" Nationen gegeneinander um die Herrschaft über die „unzivilisierten" Völker — das sind die Formen, in deren Rahmen der Prozeß der wirtschaftlichen Annäherung der Völker verlief. Deshalb erstarkte, gleichzeitig mit der Tendenz zur Vereinigung, die Tendenz zur Vernichtung der gewaltsamen Formen dieser Vereinigung, der Kampf um die Befreiung der unterdrückten Kolonien und der abhängigen Nationalitäten vom imperialistischen Joch. Soweit diese zweite Tendenz die E m p ö r u n g der unterdrückten Massen gegen die imperialistischen Formen der Vereinigung bedeutet, soweit sie die Vereinigung der Völker auf der Grundlage der Zusammenarbeit und des freiwilligen Bündnisses erforderte, war und bleibt sie eine progressive Tendenz, denn sie bereitet die geistigen Voraussetzungen f ü r die zukünftige sozialistische Weltwirtschaft vor." Diese Darlegungen des Zentralkomitees auf d e m X I I . P a r t e i t a g der K P R (B) v o r nunmehr 37 Jahren sind das Ergebnis einer klaren A n a l y s e des Übergangsprozesses v o n der kapitalistischen zur sozialistischen Weltwirtschaft. E s wird gezeigt, welche notwendigen Voraussetzungen für den Aufbau einer sozialistischen W e l t w i r t s c h a f t i m Schöße der kapitalistischen Gesellschaft geschaffen wurden. In diesen Thesen wird die Widersprüchlichkeit des Prozesses der wirtschaftlichen Vereinigung der Völker unter den B e d i n g u n g e n des Kapitalismus, der diesem Prozeß 1 1

Marx, K., Kapital, Dietz Verlag, Berlin 1951, Bd. I I I , S. 279. Stalin, J . , Der Marxismus und die nationale und koloniale Frage. S. 183/84.

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innewohnende Antagonismus analysiert. Es wird festgestellt, daß die Entwicklung des modernen Kapitalismus ein Prozeß der internationalisierung der Produktion und des Austausches ist, ein Prozeß, der die materiellen Voraussetzungen für die sozialistische Weltwirtschaft schuf. Zugleich aber wird gezeigt, daß die imperialistischen Methoden und Formen dieser Vereinigung es der Bourgeoisie unmöglich machen, diesen Widerspruch und damit die soziale oder die nationale Frage zu lösen. Obwohl die Industrieproduktion des Kapitalismus sich in den letzten 60 Jahren etwa verfünffacht und die agrarische Produktion verdoppelt haben, obwohl das Kolonialzeitalter mit seinen Formen und Methoden der offenen und direkten Beraubung der wirtschaftlich weniger entwickelten Nationen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas durch die entwickelten kapitalistischen Länder immer mehr seinem Ende entgegengeht und die jungen Nationalstaaten bestrebt sind, mit Hilfe der sozialistischen Länder immer mehr eine eigene und vom Imperialismus unabhängigere Wirtschaftspolitik zu betreiben, hält die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung im Kapitalismus an, lebt die große Masse der Menschheit in den Ländern der kapitalistischen Welt kaum besser als um die Jahrhundertwende. Der Leiter des Sonderfonds der UNO zur Hilfeleistung für schwachentwickelte Länder stellte fest, daß „man von 82 Ländern, die Mitglieder der Organisation der Vereinten Nationen sind, 60 zur Kategorie der wenig entwickelten Länder rechnen kann. In diesen 60 Ländern lebten im Jahre 1957 mehr als eine Milliarde Menschen, deren durchschnittliches Einkommen im Jahre 1957 nach den vorhandenen Angaben 120 Dollar betrug". 3 Das sind also je Kopf der Bevölkerung 2 Dollar in der Woche, wobei es sich hier keineswegs um das Einkommen der Arbeiter und Bauern oder um das niedrigste Einkommen handelt, sondern um das Durchschnittseinkommen, d. h. einschließlich des Einkommens der Gutsbesitzer, Kapitalisten, Kaufleute usw. E. Varga 4 weist darauf hin, daß es selbst in einem wirtschaftlich so entwickelten Land wie den USA noch mehr als 3 Millionen Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 1000 Dollar gibt. Diese wenigen Zahlenangaben zeigen, daß der Kapitalismus trotz Entfaltung seiner Produktivkräfte unfähig ist, die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Nationen zu beseitigen bzw. die soziale Frage (auch in den entwickelten Ländern selbst) zu lösen. Während die wirtschaftlich schwachentwickelten Länder der kapitalistischen Welt zu Rohstofflieferanten der starken Industrieländer degradiert sind und sich eine internationale Wirtschaftszusammenarbeit hier vorwiegend auf dieser Grundlage vollzieht, führen auch die Integrationsbestrebungen zwischen den entwickelten kapitalistischen Ländern nicht zu einer Lösung des antagonistischen Widerspruchs zwischen der Internationalisierung der Produktion und den kapitalistischen Ausbeutungs- und Konkurrenzformen. Wie widerspruchsvoll und anarchisch sich der Prozeß des ökonomischen Zusammenschlusses in der kapitalistischen Weltwirtschaft 3 Zitiert aus Varga, E., Der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts. I n : „Sowjetwissenschaft", Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, H. 3, S. 269, 1960. 4 Ebenda, S. 269.

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vollzieht und wie die Interessengegensätze der großen Monopolgruppen hier aufeinanderprallen, kommt deutlich in dem scharfen Wirtschafts- und Handelskrieg in Westeuropa zum Ausdruck. Hier stehen sich zwei wirtschaftliche Mächtegruppen, nämlich die sogenannte Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die sogenannte Kleine Freihandelszone („Europäische Freihandels-Assoziation —EFTA") gegenüber. Die EWG, zu der Westdeutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten zählen, war bekanntlich am 1. 1. 1959 ins Leben gerufen worden und dient dem Ziel, durch allmählichen Zollabbau zwischen diesen Ländern und Schaffung eines gemeinsamen Marktes den Expansionsdrang der westdeutschen und französischen Monopolgruppen zu befriedigen. Der Konflikt mit den anderen kapitalistischen Staaten Europas, vor allem mit England, wurde sofort durch die Bildung einer „Gegengemeinschaft" — der „Kleinen Freihandelszone" offensichtlich. Das Abkommen über die „Kleine Freihandelszone" wurde im November 1959 zwischen England, Schweden, Norwegen, Dänemark, der Schweiz, Österreich und Portugal abgeschlossen und hat ebenfalls den Fortfall der Schutzzölle (besonders für Industriewaren) zwischen diesen Ländern und damit die Verdrängung der EWG-Länder aus dem Bereich der „Kleinen Freihandelszone" zum Ziel. Hier haben sich also im kapitalistischen Teil Europas zwei „Wirtschaftsblöcke" herausgebildet, die miteinander um die wirtschaftliche Vormachtstellung auf dem europäischen kapitalistischen Markt und in ihren überseeischen Einflußsphären ringen, dabei selbst aus Ländern mit einer ganz unterschiedlichen ökonomischen Stärke bestehen und von tiefen inneren Konflikten zerrissen sind. Besonders der sogenannte Hallstein-Plan — der von den westdeutschen Chemie- und Elektrokonzernen im Bunde mit Adenauer, Abs und Pferdmenges vertreten wird — sieht schnelle und drastische Zollmaßnahmen gegen die Länder der Kleinen Freihandelszone und damit besonders gegen England vor, um die ökonomische Position Westdeutschlands in Westeuropa zu stärken, wobei es letzten Endes um die höchsten Profite und besonders um hohe Profite bei der Ausplünderung schwachentwickelter Länder geht, aber auch um die Erringung der politischen und militärischen Vormachtstellung des westdeutschen Monopolkapitals im kapitalistischen Teil Europas. Diese Beispiele zeigen die Unfähigkeit des Kapitalismus, die ökonomische Grundlage für eine wirklich freie und gleichberechtigte Entwicklung einer Viehlzahl von wirtschaftlich und politisch selbständigen Nationen zu schaffen, die sich auf freiwilliger Basis und zum gegenseitigen Nutzen arbeitsteilig organisieren und somit eine Weltwirtschaft ohne gegenseitige Übervorteilung bzw. Ausbeutung des jeweils schwächeren Partners schaffen. Eine solche Weltwirtschaft kann nur geschaffen werden, wenn die für den Kapitalismus charakteristische Ausbeutung und Unfreiheit und damit der Kapitalismus selbst beseitigt werden. Aus diesen Gründen ist es auch falsch, anzunehmen, daß die materielle Vorbereitung des Sozialismus im Schöße des Kapitalismus allein zum Sozialismus führt, daß die materielle Vorbereitung des sozialistischen Weltsystems genügt, damit dieses System auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung des Weltkapitalismus automatisch entsteht. Dazu sind ferner die — in den Thesen zum

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X I I . Parteitag der K P R geforderten — „geistigen Voraussetzungen für die zukünftige sozialistische Weltwirtschaft" notwendig, d. h. die geistige Vorbereitung des Sozialismus im Weltmaßstäbe. Dieser Prozeß kommt zum Ausdruck im organisierten Zusammenschluß der Arbeiterklasse aller Länder auf der Basis des proletarischen Internationalismus, in der aktiven, bewußten und zielgerichteten Tätigkeit des internationalen Proletariats unter Führung von marxistisch-leninistischen Kampfparteien, die zum Sturze des Kapitalismus, zur Errichtung der Diktatur des Proletariats und zum Aufbau des Sozialismus führt. Der Sozialismus als Wirtschaftssystem wurde mit der siegreichen Oktoberrevolution in Rußland im Jahre 1917 und in den folgenden Jahren geschaffen, das sozialistische Weltwirtschaftssystem aber nach dem zweiten Weltkrieg mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats in einer Anzahl europäischer und asiatischer Länder und dem Herausbrechen dieser Länder aus dem System der kapitalistischen Weltwirtschaft. Gegenwärtig stehen diese Länder, die zum Zeitpunkt ihres Abfalls vom kapitalistischen Weltsystem durchweg ein niedrigeres Niveau der Produktivkräfte als die fortgeschrittenen kapitalistischen Industriestaaten aufwiesen 5 , vor der Aufgabe, den Kapitalismus, das kapitalistische Weltsystem im ökonomischen Wettbewerb allseitig zu überrunden. Das gegenüber dem Kapitalismus höhere System der Produktionsverhältnisse muß mit einem höheren Niveau der Produktivkräfte vereint werden; auf dieses Ziel orientieren sich die Länder des sozialistischen Lagers. Bereits in den vergangenen Jahren haben die sozialistischen Länder bewiesen, daß sie hinsichtlich des Tempos ihrer wirtschaftlichen Entwicklung dem Kapitalismus um ein Vielfaches überlegen sind. So betrug beispielsweise der durchschnittliche Jahreszuwachs der Industrieproduktion für das gesamte sozialistische Lager in den Jahren 1954 bis 1959 rund 11%) während die kapitalistische Welt ihre Produktion jährlich um knapp 3 % erhöhte. Infolge ihres schnelleren Entwicklungstempos erzielten die sozialistischen Länder 1957/58 bereits ein Drittel der Weltindustrieproduktion und besitzen damit eine solide Produktionsgrundlage, die es gestattet, sich neue und größere Aufgaben zu stellen. Das sozialistische Weltsystem sieht seine ökonomische Hauptaufgabe nunmehr darin, bis Ende 1965 ein absolutes ökonomisches Übergewicht gegenüber dem Kapitalismus zu erzielen, die kapitalistische Welt bis zu diesem Zeitpunkt öko4

Eine gewisse Ausnahme bilden hier die ÖSSR und die D D R , deren Wirtschaft bereits einen hohen Industrialisierungsgrad erreicht hatte und die über eine große und qualifizierte Arbeiterklasse und technisch-wissenschaftliche Intelligenz verfügten. Aber auch bei diesen beiden Ländern kann man nicht von den gewaltigen Disproportionen abstrahieren, die in ihrer Wirtschaft infolge der anarchischen Entwicklung im Kapitalismus entstanden waren 1. durch die einseitige Ausrichtung auf die Kriegsproduktion in den Jahren des zweiten Weltkrieges; 2. durch die während des Krieges und durch den Krieg verursachten Schäden; 3. durch die ungleichmäßige territoriale Entwicklung der Industrie. (So war im Gegensatz zu den tschechischen Gebieten die Slowakei beispielsweise kaum industrialisiert, auch die nordostdeutschen Gebiete Mecklenburg und teilweise Brandenburg besaßen kaum eine entwickelte Industrie); 4. in der D D R durch die Spaltung Deutschlands

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nomisch zu überrunden, um schließlich auch die fortgeschrittensten kapitalistischen Industriestaaten hinsichtlich ihrer Pro-Kopf-Produktion und Arbeitsproduktivität und damit auch ihres Lebensstandards zu überholen. Im sozialistischen Weltsystem sind alle notwendigen Voraussetzungen vorhanden, um dieses auf dem X X I . Parteitag der K P d S U formulierte Ziel im friedlichen ökonomischen Wettstreit des Sozialismus mit dem Kapitalismus zu erreichen. Die Bevölkerung der Länder des sozialistischen Systems beträgt gegenwärtig etwa ein Drittel der Erdbevölkerung (952 Millionen Menschen im J a h r e 1956), das Territorium macht mehr als ein Viertel des Erdterritoriums aus. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Europas (mehr als 250 Millionen Menschen) lebt in sozialistischen Ländern, wobei das Territorium dieser Länder 55°/0 des europäischen Territoriums umfaßt; fast die Hälfte der Bevölkerung Asiens lebt ebenfalls in sozialistischen Ländern. Die sozialistischen Staaten verfügen über 54°/0 des entdeckten Weltvorrates an Eisenerzen, über ungefähr 30°/0 der Kohlenvorräte, 20°/0 der Erdölvorräte, 70°/0 der Weltvorräte an Kalisalzen usw. 6 In den Ländern des sozialistischen Weltsystems wurden 1958 mehr als 30°/0 der Weltproduktion an Stahl erzeugt (83,2 Mill. t). Allein die Sowjetunion erhöhte ihre Produktion von 51,5 Mill. t (1957) auf 54,9 Mill. t (1958) und damit ihren Anteil an der Weltstahlproduktion von 1 7 , 4 % (1957) auf 20,3°/ o (1958). Mit 947 Mill. t Kohle 7 förderten die sozialistischen Länder im J a h r e 1958 fast die Hälfte der Weltproduktion, es wurden annähernd 2 0 % der Weltproduktion an Elektroenergie erzeugt (362,6 Mrd. kWh). Die Landwirtschaft der sozialistischen Staaten produzierte 1958 fast die Hälfte der Welterträge an Getreide, 43°/0 der Baumwollproduktion usw. Die Länder des sozialistischen Weltsystems haben bewiesen, daß ihr wirtschaftliches Entwicklungstempo dem der kapitalistischen Länder weit überlegen ist. Wenn man das Wachstumstempo der Industrieproduktion in den sozialistischen Ländern mit dem Entwicklungstempo der kapitalistischen Länder vergleicht, so ergibt sich folgendes Bild (1937 = 100): sozialistische Länder 1937 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1957 1958

100 192 226 259 295 332 368 450 500

kapitalistische Länder 100 142 154 158 169 169 186 198 200

6 Siehe dazu: Lawrischtschew, A. N., Die ökonomische Zusammenarbeit und die gegenseitige Hilfe der Länder des sozialistischen Weltsystems. In: „Wirtschaftswissenschaft", Sonderheft 4, S. 63, 1957. 7 Auf Steinkohleneinheiten umgerechnet.

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Wie aus der Gegenüberstellung ersehen werden kann, ist eine entscheidende Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus das um ein Vielfaches schnellere Wachstumstempo der Produktion in den sozialistischen Ländern. Wenn m a n die Wachstumsraten der Industrieproduktion der U d S S R und der USA — als ökonomisch jeweils stärkste Länder der beiden Weltsysteme — in den 40 J a h r e n vom Ende des ersten Weltkrieges bis zur Gegenwart gegenüberstellt, so ergibt sich, daß der durchschnittliche Jahreszuwachs der Industrieproduktion in den USA etwas mehr als 3 % betrug, der entsprechende Zuwachs in der Sowjetunion aber über 1 0 % . Diese beiden Zahlen allein zeigen schon, daß die durchschnittliche Jahreszuwachsrate der Industrieproduktion der U d S S R die Zuwachsrate der USA u m ein Vielfaches übertrifft. Hierbei m u ß noch berücksichtigt werden, d a ß bei der durchschnittlichen Jahreszuwachsrate von 1 0 % f ü r die sowjetische Industrie ein absoluter Rückgang der Industrieproduktion während der Kriegsjahre (1941 bis 1945) einbegriffen ist, ebenso eine wesentlich geringere Zuwachsrate von durchschnittlich 7 % während der Wiederherstellungsperiode der Volkswirtschaft (in den J a h r e n 1918 bis 1929). Die durchschnittliche Zuwachsrate der Industrieproduktion lag in den J a h r e n des friedlichen, planmäßigen Aufbaues der Volkswirtschaft in der U d S S R wesentlich ü b e r 10%, so z.B. in den elf Vorkriegs jähren von 1930 bis 1940 bei 16,5%, in den 13 Nachkriegsjahren 1947 bis 1959 bei mehr als 1 5 % . Die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate der Industrieproduktion in den USA war im Gegensatz dazu gerade während der fünf Kriegsjahre (1941 bis 1945) am höchsten und belief sich auf 9 , 8 % , während der J a h r e von 1930 bis 1940 und 1947 bis 1959 zusammengenommen aber nur auf 2 , 9 % . Allein diese Zuwachsraten zeigen bereits die immense Überlegenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems, das frei ist von antagonistischen Widersprüchen und d e m eine ständige, planmäßige und krisenfreie Entwicklung der Wirtschaft eigen ist. Infolge des schnelleren Produktionswachstums konnte die U d S S R ihre Industrieproduktion von 1917 bis 1958 auf mehr als das Fünfzigfache erhöhen, während die Industrieproduktion der Vereinigten Staaten im gleichen Zeitraum n u r auf das Dreieinhalbfache anstieg. Damit verschob sich das Verhältnis zwischen der Industrieproduktion der beiden Länder stetig zugunsten der Sowjetunion. Während die Industrie Sowjetrußlands nach der Oktoberrevolution (1917/18) weniger als 4 % der Produktion der USA ausmachte, die Industrie der Vereinigten Staaten demnach mehr als 2 5 0 0 % der sowjetischen Industrieproduktion erzeugte, betrug die Industrieproduktion der USA im J a h r e 1958 nur noch 1 8 0 % der sowjetischen Produktion. Mit anderen Worten — die Bruttoproduktion der sowjetischen Industrie beträgt heute mehr als die Hälfte d e r amerikanischen und wird laut Plan bis 1965 den heutigen S t a n d der USAIndustrieproduktion erreichen. Wie bedrückend diese Überlegenheit im Entwicklungstempo der sozialistischen Wirtschaft für den Weltkapitalismus ist, k o m m t in vielen Meinungsäußerungen von exponierten Vertretern der kapitalistischen Staaten zum Ausdruck. Die Meinung, die der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des USA-Senats, Senator

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Fulbright im Jahre 1959 in einem Interview im Pariser „Expreß" äußerte, mag für viele gelten. Er sagte: „Die Zahlen sind nicht so augenfällig wie die Sputniks oder Raketen, aber sie sind beunruhigender. Selbst wenn man den amerikanischen Rückgang von 1958 unberücksichtigt läßt, ist das Tempo der industriellen Entwicklung der UdSSR seit 1950 zweieinhalb mal größer als das unsrige, 9,5% jährlich gegenüber 3,6%. Es ist sicher, daß wir eingeholt werden, wenn die jeweiligen Zuwachsraten dieselben bleiben." 8

Es ist absolut sicher, daß die USA und die gesamte kapitalistische Welt nicht nur eingeholt, sondern auch überholt werden. Und die von Mister Fulbright gebrauchte Zahl von 9,5% Jahreszuwachs der Industrieproduktion der UdSSR ist zu niedrig gegriffen, die Sowjetunion beschleunigt ihr Entwicklungstempo, die industrielle Zuwachsrate der UdSSR belief sich 1958 auf 10%, 1959 aber bereits auf 11,3% und alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sie 1960 noch höher sein wird. Ähnlich sieht es mit der Steigerung der Industrieproduktion in den anderen sozialistischen Ländern aus. Die einzelnen Länder des sozialistischen Weltsystems erhöhten ihre Industrieproduktion während des sozialistischen Aufbaues bzw. gegenüber dem Vorkriegsstand folgendermaßen 9 : Land

Periode

Erhöhung d. Ind.-Produktion "/

UdSSR V R China V R Polen ÖS S R DDR VR Rumänien V R Ungarn V R Bulgarien V R Albanien VR Korea Mongolische V R alle soz. Länder

1913-1958 1950-1958 1938-1958 1938-1958 1938-1958 1938-1958 1938-1958 1938-1958 1938-1958 1949-1958 1940-1958 1937-1958

auf auf auf auf auf auf auf auf auf auf auf auf

etwa mehr als mehr als mehr als beinahe mehr als etwa

3600 1000 550 330 250 400 400 900 1800 350 490 500

Diese Entwicklung der Produktion im Sozialismus vollzieht sich planmäßig, bei vorrangigem Wachstum der Abteilung I, ohne das eine schnelle erweiterte Reproduktion und damit Weiterentwicklung der Produktivkräfte nicht möglich wäre, entsprechend dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus aber bei gleichzeitiger, schneller Steigerung der Produktion der Abteilung II (Konsumgüter). Es ist keineswegs so — wie die Gegner des Sozialismus behaupten —, daß die schnelle wirtschaftliche Entwicklung in den sozialistischen Ländern durch Konsumtionsbeschränkung der Massen erzielt wird. Die Tatsachen beweisen das Gegenteil. Die beiden wichtigsten Zweige der Konsumgüterindustrie sind die Nahrungsmittelindustrie und die Textilindustrie. Eine Gegenüberstellung der jährlichen Zitiert aus: „Berliner Zeitung" vom 24. 12. 1959 (Onkel Sam geht ein Licht auf). Konstantinow, F. T., Der Übergang der sozialistischen Länder zum Kommunismus Teil II: In: „Presse der Sowjetunion", Nr. 26, S. 10, Sonderbeilage, 1959. 8

9

10 Probleme Bd. 3

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Wachstumsrate beider Industriezweige von 1950 bis 1957 in der U d S S R und den U S A sieht folgendermaßen a u s : Nahrungsmittelindustrie UdSSR USA

9,8 1,2

Textilindustrie 10°3 1,5

Die gesamte Konsumgüterproduktion stieg in der U d S S R von 1913 bis 1958 aber auf das Vierzehnfache und die Landwirtschaft steigerte ihre Produktion allein in den fünf Jahren von 1953 bis 1958 um 40°/ 0 und wird im Siebenjahrplan um weitere 70°/ 0 erhöht. Bereits heute übersteigt beispielsweise die Milch- und Bruttoerzeugung der U d S S R die der U S A beträchtlich. In den anderen sozialistischen Ländern verläuft die Entwicklung ähnlich. Die schnelle Steigerung der Produktion von Produktionsmitteln im Sozialismus schränkt den Konsum der Bevölkerung nicht ein, sondern ist im Gegenteil eine unbedingte Voraussetzung für die ständige Durchsetzung des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus, für eine stetige und allseitige Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und in Ableitung davon für die immer vollständigere Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen in den sozialistischen Ländern. Das zeigt auch den tiefen sozialen Inhalt und zugleich die große politische Bedeutung, welche die ökonomische Hauptaufgabe des sozialistischen Weltsystems und der Sieg im ökonomischen Wettstreit mit dem Weltkapitalismus haben. Wird mit der schnellen Steigerung der Produktion und des materiellen Lebensniveaus in den sozialistischen Ländern doch nicht nur den ausgebeuteten und unterdrückten Menschen in den schwachentwickelten Ländern, sondern auch in den am meisten entwickelten Ländern des Kapitalismus demonstriert werden, daß der Sozialismus nicht nur soziale Sicherheit, Freiheit von Arbeitslosigkeit, von Krisen und Kriegspsychose bringt, sondern auch einen höheren Lebensstandard, als ihn der Kapitalismus den Werktätigen bieten kann. Diese Erkenntnis wird die sozialistische Bewegung in den kapitalistischen Ländern und damit den Sozialismus in der Welt stärken. Auch die ökonomische Hauptaufgabe der D D R , die Volkswirtschaft innerhalb weniger J a h r e so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft in Westdeutschland umfassend bewiesen wird, dabei Westdeutschland hinsichtlich seines Pro-Kopf-Verbrauches an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern zu übertreffen, ist ein wichtiges Ziel und ein Teil dieses ökonomischen Wettstreits zwischen Sozialismus und Kapitalismus in der Welt. Im ökonomischen Wettstreit mit dem Kapitalismus kommt der internationalen Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern, der weitgehenden Abstimmung, Spezialisierung und Kooperation der Produktion zwischen ihnen, eine immer größere Bedeutung zu. Die Forderung nach Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung entspricht nicht nur den wirkenden ökonomischen Gesetzen des Sozialismus, sie ist

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nicht nur eine ökonomische Forderung, sondern zugleich — wie aus dem weiter oben Gesagten ersichtlich — eine zutiefst politische und soziale Forderung. Die sozialistische internationale Arbeitsteilung ist der freiwillige internationale Produktionszusammenschluß sozialistischer Eigentümer (Staaten). Dieser Produktionszusammenschluß auf der Grundlage einer zunehmenden Spezialisierung und Kooperation hat vor allem zwei entscheidende objektive Ursachen: 1. Die Entwicklung der modernen Produktivkräfte drängt zur Spezialisierung und Konzentration, zu großen komplexen Wirtschaftsräumen und vielen Verarbeitungsstufen mit entsprechender Kooperation. Ausgehend von den unterschiedlichen natürlichen Bedingungen (Größe des Territoriums, Größe und Dichte der Bevölkerung, geographische Lage, vorhandene Bodenschätze, landwirtschaftliche Nutzfläche, Bodenfruchtbarkeit u. a.) und dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte (Niveau der Technik, Qualifikation der werktätigen Bevölkerung) nehmen die verschiedenen sozialistischen Länder auch in unterschiedlichem Grade an der internationalen Arbeitsteilung teil. Die rationellste Ausnutzung der Natur, die schnelle Steigerung der Arbeitsproduktivität erfordern bei den derzeitigen Produktionsmaßstäben und dem schnellen technischen Fortschritt eine moderne Industrie und Landwirtschaft mit hochspezialisierter Großproduktion. In der modernen Industrie ist bei der Mehrzahl der erzeugten Güter in immer stärkerem Maße nur die Massenproduktion volkswirtschaftlich rentabel. Deshalb ist neben einer wachsenden nationalen Spezialisierung auch eine zunehmende internationale Produktionsspezialisierung notwendig. Für die große Zahl der (kleinen und mittleren) Länder besteht wirtschaftlich nicht die Möglichkeit, auch nur annähernd alle Produktionen im eigenen Lande zu errichten, für die Mehrzahl der sozialistischen Länder ist eine solche komplexe, alle Produktionen umfassende volkswirtschaftliche Struktur auch nicht notwendig, da sie sich immer stärker arbeitsteilig im sozialistischen Weltwirtschaftssystem zusammenschließen. Bei der Produktionsspezialisierung zwischen den sozialistischen Ländern gilt es, sowohl im nationalen als auch im internationalen Maßstab gesellschaftliche Arbeitszeit einzusparen und mit Hilfe der internationalen Arbeitsteilung den größten wirtschaftlichen Nutzeffekt, die größte volkswirtschaftliche Rentabilität zu erzielen, also den Zeitfaktor in der Ökonomie zu berücksichtigen und auszunutzen. 10 2. Die zweite Ursache besteht darin, daß auch die sozialistischen Produktionsverhältnisse ihrem Charakter nach einen wirtschaftlichen Zusammenschluß zwischen den sozialistischen Nationen und Staaten ermöglichen und fordern. In den sozialistischen Ländern besteht eine ihrem Charakter nach gleiche ökonomische Struktur, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht. Das Wirken der ökonomischen Gesetze des Sozialismus und besonders des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus erfordert eine ununterbrochene Ausdehnung der Produktion auf Grundlage der fortgeschrittenen Technik, Die Rolle des Zeitfaktors im ökonomischen Wettbewerb des Sozialismus mit dem Kapitalismus wird später (in Abschnitt III) noch zu behandeln sein. 10

10»

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um den W o h l s t a n d der B e v ö l k e r u n g stetig zu erhöhen, den sozialistischen Aufbau in den volksdemokratischen L ä n d e r n zu vollenden, um schließlich in b r e i t e r F r o n t gemeinsam mit der Sowjetunion zum K o m m u n i s m u s überzugehen. U m diese E n t wicklung in allen sozialistischen Ländern schnell voranzutreiben, k o m m t es besonders darauf an, daß die wirtschaftlich entwickelteren L ä n d e r besonders den Ländern

des sozialistischen

Weltwirtschaftssystems

helfen, deren

ökonomisches

Niveau noch nicht dem Niveau der entwickelteren L ä n d e r entspricht, d. h. der Prozeß der Angleichung des ökonomischen Entwicklungsniveaus der sozialistischen L ä n d e r m u ß forciert werden, das liegt im Interesse aller sozialistischen L ä n d e r . 1 1 E i n wichtiges Mittel zur Beschleunigung dieses gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g s prozesses ist die planmäßige Vertiefung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit der L ä n d e r des sozialistischen W e l t s y s t e m s auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Dabei ist jedes sozialistische L a n d zutiefst auch an der Festigung des Sozialismus in den Bruderländern interessiert, da von der S t ä r k u n g des internationalen sozialistischen S y s t e m s auch die eigene wirtschaftliche und politische S t ä r k e a b h ä n g t . Die Gemeinsamkeit der Interessen aller sozialistischen L ä n d e r wird in der „ E r klärung der B e r a t u n g von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen L ä n d e r " 1 2 vom November 1957 folgendermaßen p r ä z i s i e r t : „ W a s die sozialistischen S t a a t e n zu einer einträchtigen Gemeinschaft vereint, ist der gemeinsame W e g des Sozialismus, den sie eingeschlagen h a b e n ; es ist der gemeinsame K l a s s e n c h a r a k t e r ihrer sozialökonomischen Ordnung und ihrer S t a a t s m a c h t , ihr Bedürfnis nach gegenseitiger Unterstützung und Hilfe, die Gemeinsamkeit ihrer Interessen und Ziele im K a m p f gegen den Imperialismus, für den Sieg des Sozialismus und des Kommunismus, die gemeinsame Ideologie des

Marxismus-

Leninismus." zwischen

den

sozialistischen L ä n d e r n auf der Basis des sozialistischen Internationalismus

Ein

enger und planmäßiger

wirtschaftlicher

Zusammenschluß

ent-

spricht demnach dem Wesen des Sozialismus selbst. Hinzu k o m m t , daß in der gegenwärtigen E t a p p e infolge des

Nebeneinander-

bestehens von Sozialismus und Kapitalismus ein besonders schneller und produktionsmäßiger

Zusammenschluß

der

sozialistischen

Länder

und

enger Volks-

wirtschaften notwendig ist, da die wirtschaftliche Verbindung der sozialistischen L ä n d e r störende Einflüsse des kapitalistischen W i r t s c h a f t s g e b i e t e s von vornherein ausschließt und die planmäßige, kontinuierliche E n t w i c k l u n g der Volkswirtschaften aller sozialistischen L ä n d e r und d a m i t des sozialistischen

Weltwirtschaftssystems

insgesamt fördert. *

W e n n wir allgemein von Arbeitsteilung sprechen, so werden d a m i t oft unterschiedliche Vorstellungen verbunden. Der Betriebsplaner beispielsweise

versteht

11 Die Angleichung des ökonomischen Entwicklungsniveaus der Länder im sozialistischen Weltsystem wird ebenfalls in Abschnitt III behandelt. 12 Ebenda, Berlin 1958, S. 12.

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

149

darunter vor allem eine Teilung der Arbeitsoperationen innerhalb des Betriebes, der Volkswirtschaftsplaner hingegen eine Teilung der Arbeit zwischen den Betrieben, den Produktions- und Volkswirtschaftszweigen. Bereits Karl Marx widmete dem Problem der Arbeitsteilung und besonders den Wechselwirkungen zwischen der Teilung der Arbeit innerhalb des Betriebes und innerhalb der Gesellschaft einen ganzen Abschnitt im „Kapital". 1 3 Er weist darauf hin, daß es nicht die betriebliche (manufakturmäßige) Teilung der Arbeit, sondern die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft ist, „welche die allgemeine Grundlage aller Warenproduktionen bildet" 1 4 und fährt fort: „Hält man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die Trennung der gesellschaftlichen Produktion in ihre großen Gattungen, wie Agrikultur, Industrie usw., als Teilung der Arbeit im allgemeinen, die Sonderung dieser Produktionsgattungen in Arten und Unterarten als Teilung der Arbeit im besonderen, und Teilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt als Teilung der Arbeit im einzelnen bezeichnen."1'» Gunther Kohlmey 1 6 stützt sich auf die bei Marx angeführten drei Stufen der Arbeitsteilung 17 und weist sehr richtig darauf hin, daß die hier geäußerten Gedanken ,,. . . in der Literatur bisweilen schematisch, unkritisch übernommen . . . " werden, 13 Siehe dazu Marx, Karl, Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft. In: Kapital, a. a. 0 . , Bd. I, S. 368—377. 14 Ebenda, S. 368. 15 Ebenda, S. 368 (Hervorhebung von Marx). 16 Kohlmey, Gunther, Entwicklungsprobleme des sozialistischen Weltwirtschaftssystems. Akademie-Verlag, Berlin 1958. 17 Ebenda, S. 47; Kohlmey unterstellt hier allerdings, daß Marx „. . . i m ersten Band des ,Kapital' von drei Stufen der gesellschaftlichen (Hervorhebung — W. K.) Arbeitsteilung . . ." spricht. Diese Unterstellung scheint uns nicht richtig zu sein, denn es kommt Marx in dem erwähnten Abschnitt gerade darauf an, den Unterschied und die Zusammenhänge zwischen der Arbeitsteilung im Betrieb (innerhalb der Manufaktur) und innerhalb der Gesellschaft herauszuarbeiten. Dabei muß man die gesellschaftliche Arbeitsteilung nach Marx unter dem Aspekt der Warenproduktion, als eine der Hauptvoraussetzungen (neben dem Privateigentum) für das Entstehen der Warenproduktion betrachten. Marx weist ausdrücklich darauf hin, wodurch sich die manufakturmäßige (die betriebliche) Arbeitsteilung von der gesellschaftlichen Arbeitsteilung — unter den Bedingungen der Warenproduktion — unterscheidet: „Was charakterisiert . . . die manufakturmäßige Teilung der Arbeit? Daß der Teilarbeiter keine Ware produziert. Erst das gemeinsame Produkt der Teilarbeiter verwandelt sich in Ware. Was aber stellt den Zusammenhang her zwischen den unabhängigen Arbeiten von Viehzüchter, Gerber, Schuster (also verschiedenen Betrieben und Zweigen — W. K.)? Das Dasein ihrer respektiven Produkte als Waren . . . Die Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft ist vermittelt durch den Kauf und Verkauf der Produkte verschiedener Arbeitszweige . . ." (K. Marx, Kapital, a. a. 0 . , Bd. I, S. 372/73). Lenin interpretiert die durch Marx vorgenommene Abgrenzung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft und innerhalb des Betriebes folgendermaßen: „. . . die erste schafft isolierte Warenproduzenten, die selbständig und unabhängig voneinander verschiedene Produkte hervorbringen, die in den Tauschverkehr eingehen; die zweite verändert die Verhältnisse der Produzenten zur Gesellschaft nicht, sie ändert nur ihre Stellung in der Werkstatt. Aus diesem Grunde spricht eben Marx, soweit ich urteilen kann, zuweilen von der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit', zuweilen einfach von ,Arbeitsteilung' . . .". (Lenin, W. I„ Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 546 xuss.).

Willi Kunz

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d a ß man sich auf diese Dreistufigkeit beschränkt. Kohlmey fährt f o r t : „Unkritisch deshalb, weil übersehen wird, daß Marx an der angeführten Stelle von Weltwirtschaft und Außenhandel abstrahiert. Einer der wichtigsten Prozesse der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist jedoch die internationale Arbeitsteilung, die Spezialisierung der einzelnen Volkswirtschaften auf bestimmte Produktionen. E n t f a l t u n g der Industrie, der internationalen Arbeitsteilung und des Warenaustausches ist ein einheitlicher, sich in seinen Elementen wechselseitig bedingender Prozeß. Der Kapitalismus h a t eine umfassende Internationalisierung der Produktion in die Wege geleitet. Eben darin liegt letzten Endes ökonomisch begründet, daß der Sozialismus, der den Gegebenheiten der modernen gesellschaftlichen Produktivkräfte Rechnung trägt, seinem Wesen nach Weltsystem i s t . " 1 8 Diesen Ausführungen kann m a n vollinhaltlich zustimmen. Weder unter den Bedingungen des Industriekapitalismus und noch viel weniger unter den gegenwärtigen Bedingungen der (internationalen) Entwicklung der Produktivkräfte, der weitgehenden Vollmechanisierung und Automatisierung der Industrieproduktion, der Kernreaktoren und der interplanetarischen Raketen ist es mehr möglich, ohne eine internationale Spezialisierung und Kooperation der Produktion, aber auch der gesamten wissenschaftlichen Forschungs-, Konstruktions- und Entwicklungsarbeit auszukommen. Besonders f ü r die große Zahl der kleinen und mittleren Staaten ist die Lösung dieses Problems und damit eine richtige Eingliederung in die internationale Arbeitsteilung eine dringende Lebensfrage. Dem aufmerksamen Beobachter wird nicht entgangen sein, daß sich besonders nach dem 2. Weltkrieg immer stärker eine bestimmte Zahl internationaler Wirtschaftskomplexe herausbildet, und zwar sowohl im kapitalistischen als auch im sozialistischen Weltwirtschaftssystem. Dieser Prozeß ist keineswegs absolut, sondern n u r als Tendenz aufzufassen, da sowohl zwischen den Wirtschaftskomplexen als auch zwischen den beiden Weltwirtschaftssystemen die vielfältigsten Zirkulations- und Produktionsbeziehungen bestehen. Die Herausbildung derartiger Wirtschaftskomplexe h a t zweifellos nicht nur ökonomische Ursachen. Wir zeigten bereits, daß die wirtschaftliche „Blockbildung" im Kapitalismus auch dazu dient, die politische und militärische Vormachtstellung der jeweils stärksten Monopolgruppen und Staaten zu sichern. Im Sozialismus, der frei von Ausbeutung und politischen oder militärischen Vormachtbestrebungen ist, sind es ebenfalls nicht nur ökonomische Erwägungen, die zum wirtschaftlichen Zusammenschluß verschiedener Länder führen, sondern auch die Gemeinsamkeit der politischen Interessen, der gemeinsame Kampf für den Frieden und gegen den Imperialismus, f ü r den Sieg des Sozialismus und des Kommunismus, ökonomisch bet r a c h t e t aber ist die Bildung solcher Wirtschaftskomplexe vor allem darauf zurückzuführen, daß die gesellschaftliche Produktion so gewaltige Maßstäbe angenommen h a t , daß die Erzielung eines Produktionsoptimums große gesellschaftliche Mittel (Investitionen) erfordert, die von den meisten Ländern (etwa von der Wirtschaftsk r a f t Kanadas, Frankreichs oder auch Polens bzw. der DDR) f ü r die ganze Breite 18

Kohlmey, G., a. a. 0 . , S. 47/48.

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

151

der industriellen Produktion nicht aufgebracht werden können, wohl aber von mehreren Ländern zusammen. Ferner erfordert die moderne Großproduktion auch große Märkte für den Absatz der Waren. Das ist aber in kleinen und mittleren Ländern nicht gewährleistet 19 , die Binnenmärkte dieser Länder sind begrenzt, so daß ein Ausgleich nur über den internationalen Handel erfolgen kann, was aber eine internationale Produktionsspezialisierung zur Voraussetzung hat. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf Marx, der bereits betonte, daß . . für die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft die Größe der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit . . . " eine wichtige Voraussetzung bildet. 20 Die internationale Arbeitsteilung — die gesellschaftliche Arbeitsteilung überhaupt — ist (wie auch die Produktion) ein gesellschaftlicher Prozeß. Als solcher ist sie die dialektische Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Diesen Prozeß charakterisiert Vladimir Kaigl folgendermaßen: Die ,,. . . Differenzierung der einzelnen Zweige der gesellschaftlichen Produktion bildet den Inhalt des Prozesses der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist deshalb eine Entwicklungsform der Bewegung und Veränderung der Produktivkräfte der Gesellschaft." Kaigl bemerkt sodann, daß die sozialistische internationale Arbeitsteilung „. . . die bisher höchste Etappe in der gesamten geschichtlichen Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung darstellt" 21 , und fährt an anderer Stelle fort: „Aber der eigentliche Inhalt dieses Prozesses (gemeint ist die ständige Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung — W. K.), seine Formen und seine Ergebnisse werden in entscheidender Weise und objektiv von dem System der Produktionsverhältnisse bestimmt, in denen die internationale Arbeitsteilung verwirklicht wird." 22 19 Nach unserer Auffassung gibt es in der gegenwärtigen Weltwirtschaft nur vier Länder die über einen genügend großen Inlandbedarf verfügen, um unter den Bedingungen einer modernen und komplexen Großproduktion in diesen Ländern ihre Produkte fast ausschließlich auf dem Binnenmarkt absetzen zu können. Es sind das die USA, die UdSSR, die VR China und Indien. Die USA und die UdSSR verfügen auch über eine entsprechende Wirtschafts- und Investitionskraft, um alle Teile der Abteilung I und II der gesellschaftlichen Produktion entwickeln zu können, ohne eine wesentliche Arbeitsteilung mit anderen Ländern einzugehen. Bei einem analogen Industrialisierungsgrad der Wirtschaft der VR China und Indiens (wie der USA oder der UdSSR) könnte man das für diese beiden Länder auch voraussetzen, vorläufig sind sie jedoch noch auf materielle Hilfe von außen angewiesen, die beide Länder vor allem dazu benutzen, eine moderne Industrie (vor allem produktionsmittelerzeugende Industrie) aufzubauen. Trotz der gewaltigen Wirtschaftskraft der USA oder der UdSSR haben auch diese beiden Länder einen Nutzen durch eine Arbeitsteilung mit anderen Staaten. Es gibt eine ganze Reihe von Produktionen, die in einem oder beiden Ländern nicht vorhanden sind und nur mit einem großen Aufwand an Mitteln aufgenommen werden könnten. Es gibt auch Produktionen, für die es in den USA bzw. in der UdSSR keine oder kaum natürliche Voraussetzungen gibt (in den USA z. B. die Produktion von Naturkautschuk, Nickel, Jod, Jute, bestimmte Düngemittel, Kopra u. a. m.). 20 Marx, K., Kapital, a. a. 0., Bd. I, S. 370. 21 „Die internationale Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem-", Heft 10/11 der Wirtschaftswissenschaftlichen Informationen des Instituts für Wirtschaftswissenschaften 22 Ebenda, S. 8. der DAW, S. 4/5.

152

Willi

Kunz

Und schließlich verallgemeinert Kaigl: „Die Gesetzmäßigkeit dieses Prozesses (der internationalen Arbeitsteilung — W. K.) beruht auf der Entwicklung der Produktivkräfte sowie auf dem Wirken der ökonomischen Gesetze, und zwar sowohl der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus als auch der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Daraus resultiert jedoch auch die völlige Unterschiedlichkeit der internationalen Arbeitsteilung, wie sie in jedem der beiden Weltwirtschaftssysteme verwirklicht wird." 2 3

Kaigl klassifiziert den gesellschaftlichen Prozeß der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung demnach als ein wesentliches Element der sozialistischen Produktionsweise. Diese Charakterisierung ist nach unserer Auffassung völlig richtig. Der Inhalt, die entscheidende Seite dieses Prozesses besteht in der Differenzierung der Produktion, in der „Bewegung und Veränderung der Produktivkräfte der Gesellschaft", wobei die sozialistischen Produktionsverhältnisse (die ökonomischen Gesetze des Sozialismus) als Entwicklungsformen der Produktivkräfte diesen Prozeß vorantreiben, die Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern gesetzmäßig beschleunigen. Es ist unserer Meinung nach falsch — wie es verschiedentlich versucht wird — die internationale Arbeitsteilung lediglich als gesellschaftliche Produktivkraft zu bezeichnen. So schreibt G. Kohlmey z. B . : Die „ . . . internationale Einheit der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse der sozialistischen Staaten ist das sozialistische Weltwirtschaftssystem. Es wird erstens durch das gegebene Volumen seiner Produktivkräfte, durch deren Charakter, Entwicklungsstand und Entwicklungstempo bestimmt; hierzu gehört auch die internationale Arbeitsteilung, die internationale Spezialisierung und Koordinierung der Produktion der einzelnen sozialistischen L ä n d e r . " 2 1

Hier wird die internationale Arbeitsteilung eindeutig den Produktivkräften zugeordnet. Die Zuordnung zu den Produktivkräften bestimmt aber nur die eine — wenn auch die wesentliche — Seite der internationalen Arbeitsteilung, abstrahiert aber von ihrer gesellschaftlichen Form als andere Seite der dialektischen Einheit. Insofern ist die angeführte Formulierung einseitig und damit falsch. In dem Bemühen um eine Klärung des Begriffes der (sozialistischen) internationalen Arbeitsteilung präzisierte G. Kohlmey seinen Standpunkt auf einer internationalen theoretischen Konferenz im Dezember 1958 in Prag folgendermaßen 25 : „Die menschliche Arbeit ist Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Natur zwecks Produktion materieller Güter für die Bedürfnisbefriedigung. Die Vervollkommnung der menschlichen Arbeit vollzieht sich als Entwicklung der Produktivkräfte . . . Zugleich bedeutet Vervollkommnung der menschlichen Arbeit . . . Teilung der gesellschaftlichen Arbeit." Eine Stufe ,,. . . der gesellschaftlichen Arbeitsteilung . . . ist die internationale Arbeitsteilung." Ebenda, S. 8. Kohlmey, G., a. a. O., S. 44 (Hervorhebungen von uns, W. K.). 2 5 Die folgenden Auszüge entstammen dem entsprechenden, vervielfältigten Vortragsmanuskript von Prof. Kohlmey, das in dem Protokoll der Konferenz in tschechischer Sprache veröffentlicht wurde. 23 24

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

153

,,Im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß treten die Menschen nicht nur zur Natur, sondern auch zueinander in Beziehung. So erhält jeder Arbeitsprozeß seine gesellschaftliche Form. Die gesellschaftliche F o r m des Arbeitsprozesses wird letzten Endes von der Entwicklung der Produktivkräfte b e s t i m m t . " „ M a n muß also zwischen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung als Produktivkraft und ihren gesellschaftlichen Formen (Produktionsverhältnissen) unterscheiden. Die gesellschaftlichen Formen wirken auf die Arbeitsteilung zurück und beeinflussen sie in reaktionärer oder progressiver R i c h t u n g . " „ W a s wir sofort beseitigen, sind die sozialökonomischen Formen der internationalen Arbeitsteilung des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems und viele ihrer Methoden." „ D i e internationale Arbeitsteilung (im Sozialismus — W. K.) erfolgt in der F o r m der solidarischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Völker und S t a a t e n . " D a s scheinen u n s — in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g — d i e w i c h t i g s t e n S t e l l e n a u s d e m V o r t r a g s m a n u s k r i p t v o n G . K o h l m e y zu sein. W i r d m i t diesen A u s f ü h r u n g e n a b e r b e w i e s e n , d a ß die i n t e r n a t i o n a l e A r b e i t s t e i l u n g a u s s c h l i e ß l i c h eine g e s e l l s c h a f t l i c h e P r o d u k t i v k r a f t ist (wie es d a s A n l i e g e n des A u t o r s w a r ) o d e r w i r d v i e l m e h r b e w i e s e n , d a ß die i n t e r n a t i o n a l e A r b e i t s t e i l u n g ein E l e m e n t d e r j e w e i l i g e n P r o d u k t i o n s w e i s e i s t ? U n s scheint g e r a d e l e t z t e r e s b e w i e s e n zu sein. M a n k a n n d o c h z. B . n i c h t die s o z i a l ö k o n o m i s c h e F o r m d e r k a p i t a l i s t i s c h e n intern a t i o n a l e n A r b e i t s t e i l u n g b e s e i t i g e n , ohne d a m i t e b e n d i e kapitalistische

internatio-

n a l e A r b e i t s t e i l u n g s e l b s t zu b e s e i t i g e n . E b e n s o w e n i g wie es eine F o r m ohne I n h a l t g e b e n k a n n , g i b t es einen I n h a l t o h n e F o r m ; die i n t e r n a t i o n a l e A r b e i t s t e i l u n g a b e r i s t (wie j e d e a n d e r e E r s c h e i n u n g ) die d i a l e k t i s c h e E i n h e i t v o n I n h a l t u n d F o r m , d. h. v o n P r o d u k t i v k r ä f t e n u n d P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e n ; s i e i s t ein g e s e l l s c h a f t l i c h e r P r o z e ß , i s t ein E l e m e n t der P r o d u k t i o n s w e i s e . D a ß d a b e i d i e P r o d u k t i v k r ä f t e u n d ihre E n t w i c k l u n g die e n t s c h e i d e n d e G r u n d l a g e , die h a u p t s ä c h l i c h e S e i t e d e r i n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s t e i l u n g s i n d , ä n d e r t n i c h t s an d e r T a t s a c h e , d a ß s i e allein e b e n n u r eine Seite des d i a l e k t i s c h e n P r o z e s s e s s i n d , n ä m l i c h d e r I n h a l t , d e r o h n e e n t sprechende F o r m , u n a b h ä n g i g v o m gesellschaftlichen Charakter der Arbeitsteilung und d a m i t von bestimmten Produktionsverhältnissen, nicht existent ist. U n s scheint, d a ß K o h l m e y d i e s e n engen Z u s a m m e n h a n g , die W e c h s e l w i r k u n g zwischen P r o d u k t i v k r ä f t e n u n d P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e n bei d e r C h a r a k t e r i s i e r u n g des B e g r i f f e s der i n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s t e i l u n g r i c h t i g a n d e u t e t . E r w i r d bei diesen D a r l e g u n g e n seiner eigenen F o r d e r u n g , d a ß ,,. . . a n die S t e l l e des m e c h a n i s c h e n N e b e n e i n a n d e r . . . die d i a l e k t i s c h e E n t f a l t u n g d e r B e g r i f f e t r e t e n . . . " 2 6 m ü s s e , d u r c h a u s g e r e c h t , ohne a b e r z u der einzig richtigen S c h l u ß f o l g e r u n g zu k o m m e n , d a ß n ä m l i c h d i e i n t e r n a t i o n a l e A r b e i t s t e i l u n g w e d e r nur a l s P r o d u k t i v k r a f t , n o c h nur a l s P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s g e f a ß t w e r d e n k a n n , s o n d e r n als E l e m e n t d e r j e weiligen P r o d u k t i o n s w e i s e , als E i n h e i t v o n P r o d u k t i v k r ä f t e n u n d P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e n , wobei der I n h a l t d e r i n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s t e i l u n g d e m E n t w i c k l u n g s s t a n d d e r P r o d u k t i v k r ä f t e e n t s p r i c h t , in e n t s c h e i d e n d e r W e i s e u n d o b j e k t i v a b e r von deren gesellschaftlicher F o r m — von dem S y s t e m der Produktionsverhältnisse b e s t i m m t wird (wie K a i g l w e i t e r o b e n sehr richtig f e s t s t e l l t ) . Kohlmey, G., a. a. O., S. 47.

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Willi Kunz

Der gesellschaftliche Charakter der internationalen Arbeitsteilung, ihre Form, ist von der Entwicklung der Produktionsverhältnisse der Gesellschaft abhängig, ist die Widerspiegelung der jeweiligen Produktionsverhältnisse. Wenn wir allgemein von internationaler Arbeitsteilung sprechen, so geht es uns dabei um die internationale Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit. Das Allgemeine existiert in der gesellschaftlichen Praxis aber nur im Konkreten, die internationale Arbeitsteilung als Prozeß der Differenzierung, Bewegung und Veränderung der gesellschaftlichen Produktivkräfte also beispielsweise als kapitalistische internationale Arbeitsteilung oder als sozialistische internationale Arbeitsteilung. Eine internationale Arbeitsteilung „an sich" gibt es nicht. In ihrer konkreten Form ist die internationale Arbeitsteilung somit ein bestimmtes, gesellschaftliches Verhältnis, ein Produktionsverhältnis, eine ökonomische Kategorie. Der sozialökonomische Inhalt (Kapitalismus, Sozialismus) dieser ökonomischen Kategorie ist von einem bestimmten (historischen) Entwicklungsstand der Produktivkräfte, d. h. also der Technik, der Produktionsorganisation und des Qualifikationsgrades der menschlichen Arbeitskraft abhängig. So kann beispielsweise die sozialistische internationale Arbeitsteilung erst entstehen, wenn die Produktivkräfte der Gesellschaft weit genug entwickelt sind. Etwa so verstehen wir auch Marx, der in seinem Werk „Das Elend der Philosophie" die Arbeitsteilung wiederholt als „ökonomische Kategorie", als „gesellschaftliches Verhältnis" bzw. „als allgemeines Gesetz" oder ähnlich bezeichnet. 27 Aus diesem gesellschaftlichen Charakter der internationalen Arbeitsteilung ist es auch nur zu erklären, daß die Theorie der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung ein Bestandteil der politischen Ökonomie des Sozialismus ist, denn die politische Ökonomie erforscht bekanntlich im Unterschied zu den technischen bzw. Naturwissenschaften vor allem die gesellschaftliche Seite, die gesellschaftliche Ordnung der Produktion, d. h. also die Produktionsverhältnisse, die ökonomischen Verhältnisse der Mens_chen bzw. sie befaßt sich — wie Lenin sagt — überhaupt nicht mit der ,Produktion', sondern mit den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in der Produktion, und mit der gesellschaftlichen Struktur der Produktion". 2 8 Wir wollen mit unseren Ausführungen keinesfalls die große Bedeutung der technischen und Naturwissenschaften sowie der Organisationslehre für die Vertiefung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung in Abrede stellen. Diesen Disziplinen kommt im Sozialismus eine ständig größere Bedeutung zu. Die internationale Arbeitsteilung als Entwicklungsstufe der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hängt hinsichtlich ihres EntwicklungsraiVeaus primär von der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft ab. Dabei vollzieht sich die Arbeitsteilung als gesellschaftlicher Prozeß auf einer bestimmten technisch-ökonomischen Grundlage und folglich in bestimmten historisch bedingten, technisch-organisatorischen Formen. So wird beispielsweise eine bestimmte Stufe der Spezialisierung immer einen bestimmten Entwicklungsstand der Produktivkräfte (sowohl der Produktionsinstrumente als auch der menschlichen Arbeitskraft) zur Voraussetzung 27 Siehe dazu Marx, Karl, Das Elend der Philosophie. Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 10, 11, 148, 151 u. a. 28 Lenin, W. I., Sämtliche Werke, Wien-Berlin 1929, Bd. III, S. 26/27.

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

155

haben. Der Entwicklungsstand der Produktivkräfte bestimmt nicht nur die gesellschaftlichen (inneren) Formen, sondern auch die technisch-organisatorischen (äußeren) Formen der Spezialisierung, der Kooperation und Kombination innerhalb des Produktionsprozesses und damit auch der internationalen Arbeitsteilung als Wesensbestandteil der modernen gesellschaftlichen Produktion. Die entsprechenden technischen Wissenschaften und die Organisationslehre bestimmen folglich die technisch und technologisch bedingten, jeweils rationellsten Formen der Arbeitsteilung und der Organisation der Produktion vor allem im Betrieb, aber auch innerhalb der Gesellschaft, also zwischen den Betrieben, Zweigen und Ländern. Die gesellschaftlichen Formen, in denen sich die internationale Arbeitsteilung vollzieht, sind für Kapitalismus und Sozialismus grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. Die Unterschiedlichkeit dieses objektiven Prozesses der immer stärkeren Internationalisierung der Produktion ist bedingt durch die in beiden Gesellschaftsordnungen wirkenden, diametral entgegengesetzten gesellschaftlichen Triebkräfte. (Siehe dazu auch die weiter oben, auf S. 147ff. angeführten Ursachen der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung.) Der gesellschaftliche Charakter der internationalen Arbeitsteilung wird dabei durch die im sozialistischen bzw. im kapitalistischen Wirtschaftssystem herrschenden Produktionsverhältnisse und durch die diesen Produktionsverhältnissen entsprechenden bestimmt. ökonomischen Gesetze des Sozialismus bzw. des Kapitalismus Entsprechend vollzieht sich auch der wirtschaftliche Zusammenschluß und die Arbeitsteilung zwischen den Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung auf einer unterschiedlichen Grundlage. Auf der einen Seite schließen sich freie und souveräne sozialistische Staaten arbeitsteilig zusammen, um einen größeren materiellen Nutzen für alle Mitglieder der Gesellschaft zu erzielen, auf der anderen Seite erfolgt die kapitalistische Integration mit den Mitteln des ökonomischen und außerökonomischen Zwanges und der Gewalt, durch brutales Niederkonkurrieren des schwächeren Partners durch den Stärkeren, um Höchstprofite aus den Werktätigen aller (besonders der schwächeren) kapitalistischen Länder herauszupressen, wodurch die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung im Kapitalismus sich vertieft. Der Charakter der Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern wird durch die sozialistischen Produktionsverhältnisse, durch die ihrem Charakter nach einheitliche ökonomische Basis des sozialistischen Weltsystems bestimmt. Das sozialistische Eigentum an den Produktions- und Zirkulationsmitteln und die sozialistischen Produktionsverhältnisse bedingen sowohl national als auch international Verhältnisse der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und der brüderlichen gegenseitigen Hilfe. Wenn die Arbeiterklasse sich in der sozialistischen Revolution zur herrschenden Klasse erhebt und mit Hilfe der proletarischen Diktatur auch die entscheidenden ökonomischen Positionen erobert, erhalten die ökonomischen Beziehungen zwischen den Menschen, zwischen den verschiedenen Schichten der Bevölkerung einen qualitativ neuen Klassencharakter. An die Stelle der Ausbeutung und Unterdrückung treten die brüderlichen Beziehungen und die gegenseitige sozialistische Hilfe zwischen

156

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verbündeten Klassen und Schichten. Dieser qualitativ neue Charakter in den Beziehungen zwischen den Menschen bildet auch die entscheidende Ursache für den Produktionszusammenschluß, für die kameradschaftliche Zusammenarbeit und brüderliche gegenseitige Hilfe zwischen den sozialistischen Nationen und Staaten. Die Arbeitsteilung bzw. die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Ländern sind ein entscheidender Teil ihrer Gesamtbeziehungen. Eine treffende und umfassende Formulierung des Charakters und der Prinzipien der Gesamtbeziehungen darunter auch des Charakters und der Prinzipien der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Ländern wurde in der Erklärung der Beratung von Vertretern der Kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder vom 14. bis 16. 11. 1957 gegeben. Dort heißt es: „Die sozialistischen Länder gestalten ihre Beziehungen zueinander nach den Prinzipien der vollen Gleichberechtigung, der Respektierung der territorialen Integrität, der staatlichen Unabhängigkeit und Souveränität, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen . . . Doch damit ist das Wesen der Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern noch nicht erschöpft. Unabdingbarer Bestandteil ihrer Beziehungen ist die brüderliche gegenseitige Hilfe. In dieser gegenseitigen Hilfe kommt das Prinzip des sozialistischen Internationalismus wirksam zur Geltung." Die sozialistischen Staaten erweitern und vervollkommnen ihre wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit ununterbrochen, davon zeugt die zunehmende sozialistische internationale Arbeitsteilung, die immer stärkere Spezialisierung und Kooperation zwischen den einzelnen Ländern des sozialistischen Weltsystems, in der Zirkulationssphäre zeugt davon die Zunahme der Außenhandelsumsätze, insgesamt zeugt davon das gemeinsame schnelle wirtschaftliche Wachstum, in der Gegenwart die immer detailliertere Plankoordinierung usw. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Ländern entfalten sich auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus. Der sozialistische Internationalismus ist das Grundprinzip aller Beziehungen und somit auch der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Ländern. Dabei dient als Kompaß für die internationale Wirtschaftszusammenarbeit im sozialistischen Weltsystem der ökonomische und politische Nutzen für die Arbeiterklasse, die allseitige Stärkung des Sozialismus im Weltmaßstabe. Nur eine solche konsequente Fragestellung ermöglicht es den Wirtschaftsleitungen der sozialistischen Länder, immer die politisch richtige Synthese zwischen nationalen und internationalen Interessen zu finden, d. h. die Triebkräfte der ökonomischen und politischen Entwicklung in den sozialistischen Ländern auch international durch eine sinnvolle und für alle vorteilhafte wirtschaftliche Zusammenarbeit in die richtigen Bahnen zu lenken. Dabei kommt der Koordinierung der Perspektiv- und Volkswirtschaftspläne zwischen den sozialistischen Ländern eine immer größere Bedeutung zu, die Koordinierung der Perspektivpläne wird zwischen den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe zur entscheidenden Form der Zusammenarbeit, sie schafft die planmäßige Grundlage für Spezialisierung- und Kooperationsvereinbarungen sowie für die technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

157

Ländern. Bei der Aufstellung der Perspektiv- und Volkswirtschaftspläne, beim Abschluß internationaler Wirtschaftsverträge und bei jeder bedeutenden wirtschaftlichen Entscheidung ist es hierbei wichtig, daß die Wirtschaftsleitung eines jeden sozialistischen Landes immer die Auswirkungen (den Nutzen als auch den Schaden) für das sozialistische Weltwirtschaftssystem als Ganzes berücksichtigt, um jeweils politisch und ökonomisch richtige Entscheidungen treffen zu können. Allein die Orientierung auf die schnelle wirtschaftliche Entwicklung des gesamten sozialistischen Lagers ermöglicht es uns, unter Ausnutzung der Vorzüge der sozialistischen Produktionsverhältnisse und damit auch der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung das Entwicklungstempo der Produktivkräfte und der Produktion der vergangenen Jahre auch für die Zukunft in jedem einzelnen Lande beizubehalten und teilweise sogar zu beschleunigen. Es besteht demnach im sozialistischen Weltsystem eine enge Verbindung und Wechselwirkung zwischen den nationalen und internationalen Interessen auf wirtschaftlichem Gebiet, es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse in den einzelnen sozialistischen Ländern und im sozialistischen Welt'ager, es besteht eine Einheit zwischen den ökonomischen und politischen Interessen der international organisierten Arbeiterklasse, deren einheitliche (ihrem Charakter nach einheitliche) ökonomische Basis das sozialistische Weltwirtschaftssystem ist.

II. Die Stellung der bürgerlichen Apologetik zur sozialistischen

Weltwirtschaft

Grundlegend andere Auffassungen zu den Fragen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, als wir sie im Abschnitt I dieser Arbeit darlegten, vertreten die bürgerlichen Ökonomen. Die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften dienen in unserem Zeitalter dazu, das sterbende kapitalistische System zu verteidigen und zu beschönigen. Das trifft in vollem Umfang für die bürgerliche Ökonomie und konkret auch für die Auffassungen zu, die von den bürgerlichen Ökonomen zu weltwirtschaftlichen Problemen vertreten werden. Dabei gilt es allerdings zu differenzieren. Die Skala der Auffassungen reicht von bestimmten liberalen Vorstellungen über eine wirtschaftliche Integration bis zu offen propagierten faschistischen „Raumtheorien". Wir werden uns im folgenden bemühen, die in bestimmten Fragen o f t sehr unterschiedlichen Auffassungen einiger exponierter Vertreter der bürgerlichen Weltwirtschaftstheorie darzulegen. Eines haben diese bürgerlichen Ökonomen aber gemein (und das wollen wir gleich vorausschicken) — sie vertreten eine gemeinsame Ideologie, nämlich die Ideologie des Kapitalismus. Mag es in dieser Ideologie noch so viele Schattierungen geben — und als theoretischen Ausdruck noch so viele unterschiedliche Vorschläge über die wirtschaftliche Integration —, die Ideologie der bürgerlichen Ökonomen basiert auf ihrem kapitalistischen Klassenstandpunkt, sie ist antikommunistisch, gegen das sozialistische Weltsystem und damit auch gegen die Interessen der Werktätigen in den kapitalistischen Ländern gerichtet.

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Ihr Klassenstandpunkt, ihre Ideologie zwingen die verschiedenen bürgerlichen Ökonomen, zu den Fragen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen eine grundlegend andere Auffassung zu vertreten als die marxistische Wirtschaftstheorie. Der Widerspruch, in dem sich die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler dabei gegenüber den objektiven Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft befinden — die in einer immer offensichtlicher werdenden ökonomischen Überlegenheit des sozialistischen Weltsystems zum Ausdruck kommen —, verleitet viele von ihnen zunächst dazu, bei ihren Weltwirtschaftstheorien von dem entgegengesetzten Klassencharakter der beiden Weltwirtschaftssysteme zu abstrahieren und zu versuchen, die Weltwirtschaft lediglich als räumliche, d. h. letztlich als quantitative, unveränderliche, zeitlose Kategorie zu erfassen. So sieht beispielsweise A. Forstmann 2 9 ,,. . . das Wesen der Außenwirtschaft . . . vor allem im Ausgleich der unterschiedlichen räumlichen Verteilung der Produktionsfaktoren 3 0 . . . " , wobei nach seiner Auffassung „die Art der Kombination der Produktionsfaktoren" abhängig ist „von der Gestaltung ihrer verhältnismäßigen Grenzergiebigkeiten" und die Grenzergiebigkeiten dem Knappheitsprinzip unterliegen. Thalheim „versteht unter wirtschaftlicher Integration die gliedhafte arbeitsteilige Einfügung eines Gebietes in ein übergeordnetes Ganzes, durch die die wirtschaftliche Eigenständigkeit dieses Gebietes mindestens zu einem Teile aufgehoben wird."31 Und E . Heuß schließlich, auf dessen Arbeit 3 2 sich viele, vor allem jüngere bürgerliche Ökonomen in ihren Schriften beziehen, macht die internationale Arbeitsteilung („die interräumlichen Marktbeziehungen") ausschließlich von der „interräumlichen Mobilität" bzw. „interräumlichen Immobilität" ,,. . . eines Gutes oder eines Produktionsfaktors . . . " abhängig. 3 3 Mit diesen Auffassungen, denen noch eine Vielzahl ähnlicher Ansichten über die internationale Wirtschaftszusammenarbeit oder die „wirtschaftliche Integration" hinzugefügt werden könnten, abstrahieren die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler von den Produktions- und Eigentumsverhältnissen als Grundlage für den unterschiedlichen Charakter der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern innerhalb der beiden Weltsysteme. Die zitierten Autoren versuchen, in ihren Darlegungen über die Weltwirtschaft die wirtschaftliche Integration im wesentlichen auf die Entwicklung und Verteilung der Produktivkräfte zu beschränken, dabei rationelle Formen und Wege der internationalen Ausnutzung der Produktivkräfte und damit bessere internationale Kapitalverwertungsbedingungen ausfindig zu machen u. a. m. Dabei ignorieren sie Forstmann, A., Die Grundlagen der Außenwirtschaftstheorie. Berlin 1956, S. 14/15. Gemeint sind hier Boden, Arbeit und Kapital. 3 1 Thalheim, Karl C., „Die Entwicklung der Wirtschaftsintegration im Ostblock. I n : „Osteuropawirtschaft", H. 1, S. 5, 1956. 3 2 Heuß, Ernst, Wirtschaftssysteme und internationaler Handel. Zürich und St. Gallen 1955. 3 3 Ebenda, S. 21£f. 29 30

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aber, daß in der kapitalistischen Weltwirtschaft einer sinnvollen „räumlichen Verteilung der Produktionsfaktoren" und ihrer Kombination bzw. der ,,arbeitsteilige(n) Einfügung eines Gebietes in ein übergeordnetes Ganzes" usw. die den kapitalistischen Produktionsverhältnissen entsprechenden Gesetze der Produktionsanarchie und der Konkurrenz entgegenwirken, daß das kapitalistische Eigentum eine unüberbrückbare Schranke für die organisierte und rationelle Verwirklichung einer internationalen (gesamtgesellschaftlichen) Arbeitsteilung ist und daß schließlich im Gegensatz dazu in der sozialistischen Weltwirtschaft die Produktionsverhältnisse kein hemmender Faktor für die schnelle Entwicklung der Produktivkräfte, für ihre internationale Spezialisierung, Kombination und räumliche Verteilung mehr sind, sondern die schnelle Entfaltung der Produktivkräfte, ihre rationelle und kontinuierliche Ausnutzung immer mehr und immer planmäßiger im internationalen Maßstab erfolgt. Das sozialistische Eigentum und die sozialistischen Produktionsverhältnisse sind die ökonomische Voraussetzung dafür, daß die gesellschaftlichen Produktivkräfte bei internationaler gegenseitiger Hilfe in allen sozialistischen Ländern ein Niveau erreichen, das unter kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnissen undenkbar ist. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse regen die stürmische Entwicklung der Produktivkräfte an und fördern sie. Darin eben besteht auch die gewaltige Überlegenheit der sozialistischen Produktionsweise gegenüber der kapitalistischen. Das ist es aber auch, was die bürgerlichen Ökonomen nicht verstehen bzw. ableugnen, da diese Erkenntnis zwangsläufig zu einer wissenschaftlichen und ideologischen Kapitulation gegenüber dem Sozialismus führen müßte. Da die stürmische wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung des Sozialismus von J a h r zu J a h r eindeutiger und für alle Welt sichtbarer wird, kann man in der bürgerlichen Wirtschaftstheorie nicht mehr einfach von einer hypothetischen allseitigen „wirtschaftlichen und sozialen Überlegenheit" der kapitalistischen Monopolwirtschaft ausgehen, bzw. die Entwicklung im sozialistischen Weltwirtschaftssystem überhaupt ignorieren. Auch die bürgerlichen Weltwirtschaftstheoretiker müssen schließlich einen Standpunkt zu dem Verhältnis zwischen kapitalistischer und sozialistischer Weltwirtschaft äußern und Stellung zu den Erscheinungen und Erfolgen im sozialistischen Weltwirtschaftssystem nehmen. Sie tun das auch, wobei sie sich offen auf den kapitalistischen Klassenstandpunkt stellen und auch nicht mit böswilligen Ausfällen gegenüber der sozialistischen Weltwirtschaft und besonders gegenüber der Sowjetunion sparen. Besonders die Festigung der Wirtschaftsbeziehungen, die Vertiefung der kameradschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern, die Freundschaft mit der Sowjetunion, die offensichtlichen gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolge des Sozialismus im Weltmaßstab rufen die Gegner des Sozialismus auf den Plan. Sie verstärken ihren wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Kampf gegen das sozialistische Weltsystem und versuchen es zu spalten. Besonders tun sich dabei einige Interpreten des „Kalten Krieges" unter den bürgerlichen Ökonomen hervor, die den Sozialismus vernichten möchten, die imperialistische Weltherrschaft dagegen aber verherrlichen. Der apologetische Inhalt ihrer „Weltwirtschaftstheorien" und der verleumderische Charakter ihrer Publikationen über das sozialistische Welt-

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Wirtschaftssystem k o m m e n an den folgenden, von uns aus einigen ihrer Arbeiten zitierten Stellen deutlich zum A u s d r u c k : So b e h a u p t e t beispielsweise Thalheim in einem Zeitungsartikel, der am Vorabend des 10. Jahrestages der G r ü n d u n g der Deutschen Demokratischen Republik erschien, d a ß „ . . . d i e Tendenz wirtschaftlicher Blockbildung . . . eine typische F o r m der Wirtschaftspolitik totalitärer S t a a t e n (womit er die sozialistischen S t a a t e n meint — W . K.) . . . " sei, u m d a n n f o r t z u f a h r e n : „ E s ist einer der entscheidenden Züge im Nachkriegsschicksal Mitteldeutschlands, daß . . . sein W i r t s c h a f t s p o t e n t i a l in die von der Sowjetunion inaugurierte u n d geführte wirtschaftliche Blockbildung im ost- u n d südosteuropäischen R a u m mit eingegliedert w u r d e . " U n d schließlich schreibt Thalheim, daß ,,. . . diese Eingliederung immer m e h r . . . zu einer der in ihren Wirkungen a m tiefsten greifenden Formen der wirtschaftlichen Sowjetisierung Mitteldeutschlands geworden . . . " sei. 34 Hier haben wir es mit der Publikation eines bürgerlichen Ökonomen zu t u n , die nichts weiter ist u n d sein soll als eine solche Verleumdung gegenüber dem sozialistischen Weltsystem im allgemeinen, gegenüber der Sowjetunion u n d der D D R aber im besonderen. Thalheim w i r f t dem Sozialismus einerseits „wirtschaftliche Blockbildung" vor u n d beklagt sich andererseits, d a ß die „wirtschaftliche Sowjetisierung Mitteldeutschlands", womit er die Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse in der D D R , den W e g der D D R zum Sozialismus meint, infolge Eingliederung der mittelu n d ostdeutschen W i r t s c h a f t in das sozialistische W i r t s c h a f t s s y s t e m schneller vorangetrieben wird. Mit dem letzteren h a t er Recht. Die planmäßige Einbeziehung unserer W i r t s c h a f t in die sozialistische W e l t w i r t s c h a f t u n d die d a m i t verbundene Hilfe, die uns von den sozialistischen Brudervölkern zuteil wird, ermöglichen es uns, schneller z u m Sozialismus voranzuschreiten u n d dabei in internationaler Arbeitsteilung mit den anderen europäischen sozialistischen L ä n d e r n eine hochspezialisierte, moderne W i r t s c h a f t a u f z u b a u e n , die Produktion u n d die Arbeitsproduktivität schnell zu steigern und den Lebensstandard der Bevölkerung stetig u n d schnell zu verbessern sowie bis 1961 unsere ökonomische H a u p t a u f g a b e zu lösen, d. h. die Überlegenheit unserer sozialistischen W i r t s c h a f t gegenüber der kapitalistischen Ökonomik Westdeutschlands allseitig zu beweisen und hierbei W e s t d e u t s c h l a n d im Pro-Kopf-Verbrauch bei den wichtigsten Lebensmitteln u n d K o n s u m g ü t e r n zu überholen. Neben unseren eigenen Anstrengungen haben wir diese ökonomischen Erfolge in der T a t der planm ä ß i g zunehmenden internationalen Arbeitsteilung mit den anderen sozialistischen L ä n d e r n zu v e r d a n k e n , ob das Herrn Thalheim p a ß t oder nicht, ob er das als „wirtschaftliche Sowjetisierung" (was aus seiner Feder offenbar eine Diskreditierung sein soll!) bezeichnet oder nicht. Thalheim bleibt in seinem Artikel, der ein politischer Artikel gegen die D D R anläßlich ihres 10. Jahrestages ist, allerdings jeglichen Wahrheitsbeweis f ü r seine zitierte 34 Thalheim, Karl C., Mitteldeutschland im Ostblock. In: „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 3. Oktober 1959.

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Behauptung der „wirtschaftlichen Blockbildung" schuldig. Mit dem Ruf: „Haltet den Dieb!" redet man von „wirtschaftlicher Blockbildung" im Osten, während die kapitalistische Integration im Westen zu einer so engen wirtschaftlichen Verflechtung führt, daß die großen westdeutschen, französischen und englischen Monopolgruppen ihre Herrschaft auf die kleineren westeuropäischen Länder in dem Maße ausdehnen, daß diese zur vollständigen Aufgabe ihrer ökonomischen und politischen Selbständigkeit gezwungen werden. Wir machten bereits im Teil I unserer Arbeit einige Ausführungen über die EWG und die Zone der Sieben (EFTA), in denen wir darzustellen versuchten, daß diese beiden wirtschaftlichen Machtblöcke im Konkurrenzkampf zwischen den westdeutsch-französischen Monopolen einerseits und den englischen Monopolen andererseits entstanden sind. Hier hätte Thalheim Gelegenheit, „wirtschaftliche Blockbildung" in flagranti zu untersuchen, eine Blockbildung, welche die so oft gepriesene freie kapitalistische Weltwirtschaft zerreißt 36 und die kleinen Staaten zur Preisgabe ihrer Souveränität zwingt. Wenn hier von wirtschaftlicher Blockbildung die Rede ist, so besteht dieser Begriff völlig zu Recht. Wenn man die Entwicklung der EWG und EFTA studiert, wird klar, gegen wen diese Wirtschaftsblöcke als Machtzusammenballungen großer Monopolgruppen gerichtet sind. Es sind Konkurrenzvereinigungen, die einen immer schärferen Kampf um die Vorherrschaft im kapitalistischen Teil Europas, im britischen Commonwealth, in den französischen Kolonien und in anderen außereuropäischen Ländern führen. Und wenn Herr Hallstein, der geistige Vater des so36 Wie die „Zusammenarbeit" der großen kapitalistischen Industriemächte von den Vertretern der kapitalistischen Monopole selbst eingeschätzt wird, kommt in einem Beitrag des Londoner „Economist" vom 9. April 1960 zum Ausdruck. Dort heißt es: „Mr.Macmillan fürchtet natürlich mit Recht, daß, wenn das freie Europa fortfährt, sich in separaten inneren und äußeren Gruppierungen zu organisieren, die daraus resultierende Spaltung sich nicht auf den Handel beschränken wird, sondern auch zu seiner politischen Zersplitterung tendieren wird. . . . Die Tatsache, daß die Größten der Sechs, Frankreich und (West-)Deutschland, auseinandergehende Bestrebungen verfolgen und kaum verhüllten Argwohn gegeneinander hegen, kann für Großbritannien kein Trost sein. Gerade der Mangel an gemeinsamen positiven Bestrebungen ist dazu angetan, daß Franzosen und Deutsche oder ihre Regierungen sich des gemeinsamen Mißtrauens und des Neides gegenüber Großbritannien bedienen, um ihren eigenen Zusammenhalt zu fördern." (Zitiert aus „Neues Deutschland" vom 15. 4. 1960.) Vom „Neuen Deutschland" werden diese Ausführungen des „Economist", der wichtigsten Zeitung der Londoner City, sehr richtig dahingehend kommentiert, daß hier „ein Bild westeuropäischer Politik" entworfen wurde, „das an Raubtiere erinnert und nicht an zivilisierte Staatsgebilde". Und die „New York Times" vom 5. April 1960 stellt zu dem gespannten Verhältnis zwischen Westdeutschland und England — das seine ökonomischen Ursachen in den entgegengesetzten Interessen der EWG und der EFTA hat — lakonisch fest, „. . . daß die Westdeutschen und die Briten in ihrer jetzigen Stimmung bereit sind, das Schlimmste voneinander zu glauben. Eine Lage, die kaum dazu angetan ist, ein Bündnis zu stärken, zu dessen Hauptpfeilern Westdeutschland und Großbritannien gehören." (Zitiert ebenfalls aus „Neues Deutschland" vom 15. 4. 1960.) Ein weiterer Kommentar zu diesen Eingeständnissen scheint uns überflüssig zu sein.

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genannten Beschleunigungsplanes der E W G 3 6 , „große Veränderungen der wirtschaftlichen und politischen Gleichgewichtsverhältnisse" 3 7 nach Verwirklichung der E W G ankündigt, so ist hierbei die expansive Stoßrichtung des unter Führung der westdeutschen Monopole stehenden Wirtschaftsblocks zunächst eindeutig gegen England gerichtet. Wenn man aber — wie Thalheim — von wirtschaftlicher Blockbildung als „typischer Form der Wirtschaftspolitik" sozialistischer Staaten spricht, so wird damit aus der eigenen Not eine Tugend gemacht, es wird versucht, von den ökonomischen E r scheinungen und Schwierigkeiten im eigenen (kapitalistischen) Lager abzulenken und dem Sozialismus das zuzuschreiben, was in der eigenen Wirtschaft geschieht. Falls Thalheim aber vielleicht meint, daß der angebliche sozialistische „Wirtschaftsblock" geschaffen worden sei, um Autarkiebestrebungen gegenüber dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem zu verwirklichen, so ist eine solche Behauptung, die von bürgerlicher Seite öfter erhoben wird, einfach absurd. Da muß man ganz einfach auf die Realitäten aufmerksam machen und z. B . fragen, wer Embargolisten herausgab und den Export drosselte? Waren das die sozialistischen Länder oder die kapitalistischen Staaten unter Führung der U S A ? Und wer behindert z. B . ständig eine Ausdehnung des innerdeutschen Handels, die Regierung der D D R oder die westdeutsche Regierung? Trotz der vielen Diskriminierungen des Ost-West-Handels seitens der kapitalistischen Staaten kann man aber feststellen, daß gegenwärtig rund ein Viertel des Außenhandelsvolumens der sozialistischen Länder mit kapitalistischen Ländern getätigt wird. Das widerspricht der Behauptung von der wirtschaftlichen Blockbildung und Abkapselung des sozialistischen Weltwirtschaftssystems gegenüber dem kapitalistischen ziemlich eindeutig. Wenn die sozialistischen Staaten sich im sozialistischen Weltsystem ökonomisch und politisch zusammenschließen, so ist das keine „Blockbildung", wie das die bürgerlichen Ökonomen behaupten (gegen wen sollte ein solcher Wirtschaftsblock auch gerichtet sein?), es ist kein Zusammenschluß, bei dem man dem äußeren Zwang der stärksten (kapitalistischen) Monopolgruppe unterworfen ist, bzw. bei dem ähnliche Wolfsgesetze der Konkurrenz und der gegenseitigen Übervorteilung als Spielregeln gelten wie bei der kapitalistischen Integration. Die entscheidenden inneren Ursachen für diesen Zusammenschluß haben wir in Abschnitt I unserer Arbeit dargelegt. Sie lassen sich zusammenfassen in der Gemeinsamkeit der ökonomischen und politischen Interessen aller sozialistischen Länder, die ihre Grundlage im gemeinsamen Klassencharakter der sozialökonomischen Ordnungen und der sozialistischen Staats3 6 Der „Beschleunigungsplan" oder auch „Hallstein-Plan" sieht vor, daß die Beseitigung der Zollschranken innerhalb der sechs EWG-Länder und ein gemeinsamer Außenzoll nicht erst binnen 12 Jahren in Kraft treten sollen (wie ursprünglich vorgesehen), sondern bereits mit Wirkung vom 1. Juli 1960. Die gegenwärtige Schärfe der Auseinandersetzungen zwischen den EWG-Ländern und England, das mit sofortigen Gegenmaßnahmen droht, aber auch innerhalb der E W G selbst deuten darauf hin, daß dieser kurzfristige Termin hinausgeschoben wird. (Die E F T A hat gegenüber Westdeutschland eine ziemlich solide ökonomische Position, denn 27% des westdeutschen Exports gehen in die E F T A - L ä n d e r , während Westdeutschland nur 20% seines Imports aus diesen Ländern bezieht.) 37 „Süddeutsche Zeitung" vom 9./10. April 1960.

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macht haben und in gegenseitiger Unterstützung und sozialistischer Hilfe beim Aufbau der Volkswirtschaften zum Ausdruck kommen. Dabei geschieht dieser Zusammenschluß auf völlig freiwilliger Grundlage und unter strenger Beibehaltung der Souveränität der einzelnen sozialistischen Staaten. Das ist ein gewaltiger qualitativer Vorzug des ökonomischen Zusammenschlusses in der sozialistischen Weltwirtschaft gegenüber der kapitalistischen Integrationspolitik. In stärkerem und eindeutigerem Maße noch als Thalheim polemisiert Röpke in seinen Arbeiten über Probleme der Weltwirtschaft gegen den wirtschaftlichen Zusammenschluß und die immer breitere internationale Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern. Röpke spricht beispielsweise von einer „. . . allen mehr oder weniger gutgemeinten Reparierungsversuchen trotzenden Zerreißung der Weltwirtschaft durch den kommunistischen Sektor." 3 8 Welcher Art diese „gutgemeinten Reparierungsversuche" eines Röpke sind, der sich nachsagen läßt, daß er einen „dritten Weg" ,,. . . jenseits von Kapitalismus u n d Kollektivismus . . ." gefunden habe, einen Weg, der auf der Weltanschauung des „ökonomischen Humanismus" beruhe und den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellt, aus welchem er durch den Monopolkapitalismus wie durch den totalitären Sozialismus vertrieben war" (Dr. Herbert Stegemann in der „Deutschen Rundschau"), kommt in folgenden Worten zum Ausdruck: „Worauf wir je unsere Hoffnungen setzen müssen, das ist die Möglichkeit einer allmählichen Erweichung dieses Riesenreiches (gemeint ist das sozialistische Weltsystem, W. K.), seiner Ideologie, . . . seiner imperialistischen Expansion; und das kann natürlich nur geschehen, wenn wir gleichzeitig alle gangbaren Wege benutzen, um auch geistig auf seine Bewohner einzuwirken." 39 Leider äußert sich Röpke hier nicht sehr klar, was er unter allen gangbaren Wegen der geistigen Einwirkung auf die Bewohner der sozialistischen Länder versteht, ob er z. B. die Hetzsendungen der Sender „Freies Europa" oder „ R I A S " , die zu Diversions- und Sabotageakten in den sozialistischen Ländern auffordern und solche Handlungen organisieren, hinzuzählt oder nicht. Er beschränkt sich an der angeführten Stelle auf den Handel zwischen West und Ost, spricht von einer „zivilisierenden Wirkung" dieses Handels gegenüber den sozialistischen Ländern, um aber sogleich wieder vor der Ausdehnung des Ost-West-Handels zu warnen, indem er feststellt: „Jedes Geschäft, das mit Rußland gemacht wird, ist zum Unterschied von einem Geschäft, das wir mit Amerika, Kanada oder der Schweiz machen, ein Akt der Politik." 4 0 Röpke fährt fort: „Man könnte sich auf den Standpunkt stellen: was der Westen gegenüber diesem Riesenreich tun sollte, wäre, es im eigenen Safte schmoren zu lassen, d. h. also völlige wirt38

Röpke, Wilhelm, Integration und Desintegration der internationalen Wirtschaft. I n : Wirtschaftsfragen der freien Welt. Frankfurt am Main 1957, S. 497. 39 Röpke, Wilhelm, Grundsätzliches zum Ost-West-Handel, Vortrag, gehalten am 11. Dezember 1954 anläßlich einer Tagung der Landesausschüsse der Commerz- und CreditBank AG im Kurhaus in Baden-Baden, S. 33. 40 Ebenda, S. 32. Ii»

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schaftliche Abschließung des Westens vom Osten. Die Frage ist, ob das, selbst wenn wir es könnten, aus dem politischen Grunde, der allen anderen vorangeht, das Richtige wäre." 4 1

Hier ist die Katze eindeutig aus dem Sack gelassen. Wirtschaftliche Verbindung mit den sozialistischen Ländern — j a ! Aber nur dann, wenn das für den Kapitalismus einen politischen Nutzen hat, wenn dabei „geistig" auf die Bewohner der sozialistischen Länder eingewirkt wird, wenn das sozialistische Lager dadurch allmählich ideologisch aufgeweicht wird. Aus dieser Konzeption schaut der kapitalistische Klassenstandpunkt ganz klar heraus, mehr noch — es ist der aggressive S t a n d p u n k t eines imperialistischen Ideologen. Es ist genau das, was die Apologeten des Imperialismus nicht müde werden, den sozialistischen Ländern, ihren Regierungen und Kommunistischen Parteien vorzuwerfen, daß nämlich alle ihre Maßnahmen auf wirtschaftlichem, kulturellem und sonstigem Gebiet lediglich von machtpolitischen Zielsetzungen bestimmt werden. Auch Röpke stellt in dem zitierten Vortrag diese Behauptung auf (wie könnte er als Ideologe des Imperialismus anders?!), die von den bürgerlichen Ökonomen bisher so oft wiederholt wurde, bis sie allmählich selbst daran glauben. E r sagte: „Es kann nicht der geringste Zweifel daran sein, . . . " daß das sozialistische Weltsystem „. . . nichts weniger als die nackte und vollständige Weltherrschaft anstrebt . . . Dieses Ziel sucht es mit allen Mitteln zu erreichen, die jeweils Erfolg versprechen, sei es mit militärischen, sei es psychologischen, kulturellen, sozialen, ideologischen und schließlich eben auch wirtschaftlichen." 4 2

Es ist nicht schwer, diese Verleumdungen und Tatsachenverdrehungen zu widerlegen. Man könnte beginnen mit dem ersten Dekret der jungen Sowjetmacht über den Frieden und der Fortsetzung dieser gleichen Friedenspolitik des Sozialismus seit mehr als 42 J a h r e n , man könnte Tausende Belege darüber bringen, wer im Gegensatz dazu sabotiert, Diversionsakte durchführt, Mordanschläge verübt, wer das Kolonialzeitalter mit den grausamsten aller Formen der Unterdrückung und Ausbeutung zu verewigen sucht, wer seit Generationen ständig zum Kriege hetzt und solche Kriege mit dem Ziel einer Neuaufteilung der wirtschaftlichen und politischen Einflußsphären — also doch der Weltherrschaft — auch wiederholt vom Zaune gebrochen h a t . Die Geschichte h a t eindeutig bewiesen, daß die letzteren Eigenschaften typische Kennzeichen des Imperialismus, nicht aber des Sozialismus sind. Man wirft hier dem Sozialismus als politischem Gegner die eigenen niederträchtigen Expansionsgelüste und Eigenschaften vor. Das ist die gleiche Methode, die wir — wenn auch viel abgeschwächter — bei Thalheim fanden und die wir in ihrer bisher offensten und brutalsten Form aus der unseligen Ära des „tausendjährigen Reiches" noch in frischer Erinnerung haben. Auch hier der R u f : „ H a l t e t den Dieb!" während man selbst versucht, dem sozialistischen Nachbarn etwas zu stehlen, und sei es zunächst auch n u r sein guter Ruf. Röpke kann seinen H a ß gegen das sozialistische Weltsystem und dessen große wirtschaftliche und politische Erfolge nicht unterdrücken und begibt sich eindeutig 41

Ebenda.

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in die Reihe derer, die Hetzsendungen, Sabotageakte und Aufruhr gegen die sozialistischen Länder organisieren. Er spricht die gleiche aggressive Sprache wie diese Propagandazentralen (womit er die weiter oben von uns gestellte Frage über die „gangbaren Wege" zur Einwirkung auf die sozialistischen Länder beantwortet). Bevor wir diese von uns aufgestellte Behauptung mit Röpke's Worten belegen, möchten wir vorausschicken, daß er die Politik der „Eindämmung" des Sozialismus bzw. der militärischen Entscheidung durchaus in seine Betrachtungen einer weltwirtschaftlichen Neuordnung einbezieht, sie aber nicht für wirksam bzw. nicht als unbedingt notwendig erachtet. Wirksamer scheint ihm in jedem Falle die innere Aufweichung des sozialistischen Systems zu sein. Lassen wir Röpke darüber selbst zu Worte kommen: „Wer heute noch die Politik der bloßen Eindämmung (des Sozialismus — W. K.) für ausreichend hält, b e w e i s t . . . daß er die ungeheure Dynamik des kommunistischen Pseudo-Islam noch immer nicht begriffen hat. Das Schlimmste aber ist: Nachdem die Vereinigten Staaten in einer unbegreiflichen Weise den Riesendammbruch in China zugelassen haben, ist es sehr zweifelhaft geworden, ob es mit einem bloßen Stopfen des Deiches, bald hier, bald dort, überhaupt noch getan ist und die Flut nicht vor allem in Asien Ausmaße anzunehmen droht, die dem Gedanken einer Stabilisierung des Status quo eine geradezu tragische Note zu geben beginnen." 4 3 Also darf — nach Auffassung von Röpke — das Bestehen zweier Weltsysteme und damit zweier Weltwirtschaftssysteme nicht hingenommen werden, auch nutzt es dem Imperialismus nichts, den Deich heute hier und morgen dort zu stopfen, sondern es muß etwas geschehen, was die Weltlage grundlegend ändert. Was geschehen soll und wie das Rad der Geschichte zurückgedreht werden soll, offenbart uns Herr Röpke ebenfalls. Er schreibt: „Es bleibt also der höchst unbequeme Schluß nicht erspart, daß der Westen die Mittel finden muß, um den gegenwärtigen Status quo zu seinen Gunsten zu verschieben . . . " — aber nicht auf militärischem Wege, versucht Röpke zu beteuern. „Die rein militärische Entscheidung ist nicht notwendig, solange die Hoffnung besteht, daß sich innerhalb des kommunistischen Großraums Änderungen oder Umwälzungen vollziehen, die das totalitäre Regime in einer im einzelnen nicht vorauszusehenden Art beseitigen . . ,"44 Hier haben wir es bereits mit einer offensichtlichen und wesentlichen Einschränkung zu tun. Keine militärischen Maßnahmen, solange noch Hoffnung auf eine Konterrevolution in den sozialistischen Ländern besteht. Wenn eine solche Hoffnung aber nicht mehr besteht — und sie schwindet auch für Leute wie Röpke immer mehr — was dann? Aber Röpke macht eine weitere Einschränkung und entlarvt sich und seine militante imperialistische Konzeption damit immer mehr: „Ist die militärische Entscheidung keine notwendige Bedingung einer stabilisierten Weltordnung, so heißt das natürlich nicht, daß sie unter allen Umständen cer43 Röpke, Wilhelm, Internationale Ordnung — heute. Eugen Rentsch Verlag, ErlenbachZürich, Stuttgart 1954, S. 89.

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mieden werden kann. Sie bleibt eine Eventualität, auf die sich vorzubereiten heute ja eine der ersten Aufgaben jeder verantwortungsbewußten Regierung des Westens geworden ist." 4 5 Also sollen die Westmächte unter bestimmten Umständen — wenn die Politik der inneren Aufweichung keine Erfolge zeitigt — doch zu militärischen Maßnahmen gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder übergehen, um eine Neuordung der Welt herbeizuführen. Deutlicher konnte es nicht gesagt werden! Als imperialistischer Weltwirtschaftstheoretiker denkt Röpke auch schon weiter und weist darauf hin, daß für eine „stabilisierte Weltordnung" (sprich: imperialistische Weltordnung!) alles davon abhängt, „ . . . w a s innerhalb des besiegten Landes (gemeint ist hier die Sowjetunion — W. K.) geschieht und was aus ihm werden soll. Die innere Zukunft Rußlands und seines Großraums wird (nach der von Röpke angenommenen militärischen Eroberung) damit zu einem Problem, das im Interesse der internationalen Ordnung nicht frühzeitig genug überdacht werden kann." 4 8 Röpke fordert also offen dazu auf, daß man sich schon heute Gedanken machen müsse, was mit den sozialistischen Ländern nach der gewaltsamen Beseitigung ihrer sozialistischen Ordnung (die er ideologisch vorzubereiten versucht) geschehen solle, wie sie am besten in die „stabilisierte" kapitalistische Weltwirtschaft eingegliedert werden können usw. usf. Es fällt wirklich schwer, bei der Auseinandersetzung mit solchen Auffassungen, die als „neoliberal" deklariert werden, in Wirklichkeit aber offen neofaschistisch sind, ein Fünkchen dessen zu finden, was die Nachbeter Röpkes als „ökonomischen Humanismus" zu propagieren versuchen. Es wäre treffender, wenn man die Bestrebungen Röpke's zur Neuordnung der Weltwirtschaft und seine entsprechende Lehre hinsichtlich ihrer logischen Konsequenz als ökonomisches Barbarentum bezeichnen würde. Nichts ist bei Röpke mehr von seinem sogenannten dritten Weg geblieben. Die ganze Stoßkraft dieses militanten und aggressiven Vertreters der imperialistischen „Theorie" einer Neuordnung der Welt ist eindeutig gegen die sozialistische Ordnung, gegen das sozialistische Weltsystem und dessen wirtschaftliche und politische Erfolge gerichtet. Das Allheilmittel eines Röpke ist der Weg zurück zum Kapitalismus, zu kapitalistischer Ausbeutung, Erniedrigung und Unfreiheit für die große Masse der Menschheit, zu Expansion und imperialistischen Kriegen. Damit hat er sich selbst und seiner „Theorie des Neoliberalismus" 47 das Urteil gesprochen. Er ist ein eindeutiger Vertreter der Reaktion, der imperialistischen Ideologie, über den die Geschichte hinweggehen und von dessen Wirtschaftslehren in wenigen Jahrzehnten 44

Ebenda, S. 30 (Hervorhebung von uns W. K.). 48 Ebenda, S. 91 (Hervorhebung von uns, W. K.). Ebenda. 47 Eine umfassende Kritik am Neoliberalismus als einer dem Sozialismus und jedem gesellschaftlichen Fortschritt zutiefst feindlichen Ideologie übt R. Naumann in seinem Buch „Theorie und Praxis des Neoliberalismus (Das Märchen von der freien oder sozialen Marktwirtschaft)". Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1957. Wir verweisen ferner auf den Beitrag von H. Turley in diesem Jahrbuch. 45

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kein Mensch mehr sprechen wird. Gefährlich an Ökonomen von der Art eines Röpke ist aber, daß sie heute mit ihren expansionistischen Weltwirtschaftstheorien noch manche Köpfe vernebeln (was auch ihre Aufgabe ist!), daß sie die Tatsachen verdrehen, daß sie dem Sozialismus Eigenschaften unterschieben, die für ihr eigenes imperialistisches System charakteristisch sind, daß sie ihre Anhänger lehren, den Sozialismus mit den Maßstäben des Imperialismus zu betrachten, damit aber den Sozialismus und sein Wesen als wirklich humanistische Gesellschaftsordnung verleumden und verschleiern. Wir brauchen wohl nicht besonders hervorzuheben, daß sich Röpke in seinen Schriften besonders vor den Karren des amerikanischen und des westdeutschen Imperialismus spannt, an der englischen Haltung z. B. — besonders zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den sozialistischen Staaten — aber vieles tadelt. Es entspricht der ökonomischen und politischen Grundkonzeption von Röpke, daß er sich mit dem aggressivsten Teil des Weltimperialismus verbündet, zum ideologischen Sprachrohr dieses Teiles des Imperialismus wurde. Daß Röpke in seiner Aggressivität und verleumderischen Haltung gegenüber dem sozialistischen Weltsystem selbst für viele westdeutsche Kapitalisten zu weit geht, wird aus der Aussprache ersichtlich, die sich dem weiter oben zitierten Vortrag vor führenden Bankleuten Westdeutschlands anschloß. Dabei wurde unter anderem festgestellt, daß „. . . das Problem des Ost-West-Handels von Deutschland aus gesehen (infolge der Spaltung — W . K.) in anderem Lichte . . ." als für die anderen kapitalistischen Länder erscheint und daß es deshalb schwierig ist, ,,. . . den Kampf auf der von Herrn Professor Röpke vorgezeichneten Linie zu führen." Da ferner ,,. . . die vernichtende Wirkung eines Krieges außer jedem Zweifel steht, bleibt als einzige Möglichkeit die sogenannte Koexistenz. Bietet nicht gerade . . . der Handel die beste Grundlage für eine allmähliche Verbesserung des politischen Nebeneinanderlebens ? " 48 Aus diesen, sehr vorsichtig formulierten Äußerungen in der Diskussion ergibt sich, daß Röpke mit seinen damals vor westdeutschen Bankleuten vorgetragenen aggressiven und militanten Ansichten über eine allmähliche Aufweichung des sozialistischen Weltsystems mit dem Ziele seiner Einordnung in die kapitalistische Weltwirtschaft nicht angekommen ist, bei aller ideologischen Gemeinsamkeit ist er an dem Geschäftssinn und ökonomischen (wenn auch kapitalistischen) Denken der westdeutschen Bankleute abgeblitzt. Neben Röpke t u t sich auch besonders Ferdinand Fried bei der Verbreitung imperialistischer und neofaschistischer Weltwirtschaftsgedanken hervor. Wie Fried z. B. den Ausbruch des zweiten Weltkrieges motiviert, kommt in den folgenden Worten zum Ausdruck: „. . . vor dem Tatbestand der ungerechten Verteilung der Schätze der Erde mußte es verständlich erscheinen, wenn die drei sich zurückgesetzt fühlenden Großmächte Deutschland, Italien und Japan vor dem endgültigen Schlußsignal noch einmal mit aller Macht versuchen wollten, sich einen neuen erhöhten Anteil an der Erde oder an der Weltherrschaft zu sichern." 4 ' 48 49

Röpke, Wilhelm, Grundsätzliches zum Ost-West-Handel, a. a. O., S. 29/30. Fried, Ferdinand, Wandlungen der Weltwirtschaft. München 1954, S. 261.

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Dieses Zitat kennzeichnet ganz klar Fried's Klassenstandpunkt. Die Einschätzung, daß „. . . es verständlich erscheinen . . ." muß, wenn die drei Achsenmächte den zweiten Weltkrieg vom Zaune brachen, um eine Neuaufteilung der Welt und eine Neuorganisierung der Weltwirtschaft unter ihrer Regie und Vormundschaft herbeizuführen, kennzeichnet Fried ganz deutlich als Ideologen des deutschen Imperialismus. Seine Grundkonzeption ist, daß die wirtschaftliche Stärke eines Landes gepaart sein muß mit weltwirtschaftlicher Stärke und mit dem Kampf um die Weltherrschaft, daß in den verschiedenen weltwirtschaftlichen Etappen jeweils das ökonomisch stärkste Land die Herrschaftsfunktion gegenüber den anderen Ländern ausüben solle, daß die Verhältnisse zwischen den Ländern also Verhältnisse der Hegemonie und Unterordnung sein sollen. Hierbei gibt es für Fried absolut keine Unterschiede zwischen imperialistischen und sozialistischen Staaten. Er führt aus, daß mit dem ersten Weltkrieg die pax britannica zu Ende ging, daß zwischen den beiden Weltkriegen bei Vorhandensein einer „latenten englisch-amerikanischen Rivalität" eine „allgemeine Anarchie" geherrscht habe und nach dem zweiten Weltkrieg eigentlich die pax americana hätte beginnen müssen. Fried schreibt: „Unter amerikanischer Hegemonie, unter einer pax americana hätte nach den Jahrzehnten der Umwälzungen und Verirrungen wieder eine neue freie Weltwirtschaft eingerichtet werden können. Man hätte die alte Entwicklung auf einer neuen, breiteren Ebene fortführen können: an die Stelle Englands wäre Amerika als Vormacht oder Schutzmacht getreten, die mit ihrer Flotte und ihrem Geld eine milde Herrschaft ausgeübt hätte, in der sich wieder ein freier Handel und Wandel entwickelt und weiterhin eine arbeitsteilige Weltwirtschaft herausgebildet hätte." 60

Man muß sich hier einfach fragen, ob bürgerliche Ökonomen wie Fried, die im 20. Jahrhundert leben, die zwei verheerende Weltkriege mitgemacht und eine Vielzahl von „lokalen" Kriegen und ständig wiederkehrenden bewaffneten Konflikten erlebt haben, die alle ihre Ursache erwiesenermaßen in den Widersprüchen des Kapitalismus, im Macht- und Expansionsdrang der großen imperialistischen Räuber und ihrer kleineren Abbilder hatten, selbst an das glauben, was sie schreiben, ob Fried selbst wirklich an „eine milde Herrschaft" des größten und stärksten imperialistischen Staates über die anderen Länder einer angenommenen einheitlichen kapitalistischen Weltwirtschaft glaubt, da doch die gesamte bisherige Geschichte der Menschheit und besonders des Imperialismus das Gegenteil beweist. Daß der von Fried und den amerikanischen Monopolen erstrebte Zustand einer „freien Weltwirtschaft" unter „milder Vorherrschaft" Amerikas, der mit der in Bretton Woods im Jahre 1944 beschlossenen Gründung einer internationalen Währungsgemeinschaft und einer Weltbank, sowie der in Havanna beschlossenen sogenannten Freihandels-Charta bereits in den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges und schließlich mit der Bildung der „Vereinten Nationen" im Juni 1945 in San Francisco vorbereitet werden sollte, nicht verwirklicht werden konnte, ist allein die „Schuld" der Sowjetunion. 60

Ebenda, S. 266 (Hervorhebung von uns, W. K.).

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

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D a z u sagt F r i e d : „ M a n glaubte, in diese neue Weltordnung stillschweigend auch Rußland mit einbeziehen zu können, so wie sich die alten europäischen Großmächte, England voran, die des Streitens müde geworden waren, willig und freudig in diese Ordnung einfügten und sich sogar vor den amerikanischen Wagen spannen ließen, sofern man es sie nur nicht zu deutlich merken ließ. Aber da machte plötzlich Rußland nicht m i t ; es fühlte sich als neue W e l t macht gestärkt, es fühlte sich vielleicht auch durch dieses milde und weiche amerikanische Vormachtstreben bedroht und wollte seine eigene A r t behaupten, kurz, es war zu neuen, gewaltigem Selbstbewußtsein erwacht und bestritt den amerikanischen Führungsanspruch. So verdarb es die ganze Nachkriegskonzeption der Amerikaner, und so wurden aus der einen Welt, die man gründen wollte, zwei W e l t e n ; so kam es zur Spaltung des Weltballes in die beiden Hemisphären." 6 1 Und Fried verallgemeinert: „ D i e Idee von der einzigen W e l t , so schön sie sein mag, ist nur zu verwirklichen auf der Grundlage der anerkannten Vorherrschaft einer Macht; wird sie von allen Seiten bestritten, so ergibt sich eine allgemeine Anarchie wie nach dem ersten W e l t k r i e g ; wird sie von einer Seite bestritten, so birgt sie die noch viel größere Gefahr einer Spaltung der W e l t in zwei feindliche Lager, die jederzeit bereitstehen, übereinander herzufallen, um sich zu verschlingen" 6 2 , u m schließlich zu d e r f ü r seine K o n z e p t i o n t y p i s c h e n S c h l u ß f o l g e r u n g zu k o m m e n , d a ß nur . . unter ungeheuren Opfern, in Blut und in Brand, ein neues Bild des Menschen und ein neues Bild der W e l t . . . " 5 3 g e f o r m t werden könne. D i e zitierten Stellen zeigen ganz klar, daß F r i e d v e r s u c h t , die faschistische

Raum-

theorie als A l l h e i l m i t t e l f ü r die W e l t w i r t s c h a f t zu p r o p a g i e r e n . I n s o f e r n unterscheiden sich seine A u f f a s s u n g e n auch nicht v o n denen, d i e er w ä h r e n d d e r N a z i z e i t v e r t r e t e n h a t . D a m a l s schrieb er in d e m V o r l ä u f e r des v o n uns z i t i e r t e n B u c h e s 5 4 : D i e „ . . . N e u o r d n u n g d e r W e l t w i r t s c h a f t v o l l z i e h t sich durch die

allmähliche

B i l d u n g großer W i r t s c h a f t s b l ö c k e . D i e A u t a r k i e . . . w i r d d i e w i r t s c h a f t l i c h e L e b e n s g r u n d l a g e großer R ä u m e o d e r B l ö c k e . . . Diese B l ö c k e b i l d e n sich n i c h t w i l l k ü r l i c h , sondern . . . " es sind „ . . . i r g e n d w e l c h e natürlichen

K r ä f t e und

bei der Schollenbildung in der W e l t w i r t s c h a f t a m W e r k e . .

Zusammenhänge

seien es die rassischen

o d e r völkischen B i n d u n g e n g r o ß e r V ö l k e r , seien es n a t ü r l i c h e r ä u m l i c h e o d e r w e i t reichende geschichtliche Z u s a m m e n h ä n g e ; meistens w i r k e n alle drei K r ä f t e g e m e i n sam."65 W i e sich F r i e d diese N e u o r d n u n g der W e l t w i r t s c h a f t und die B i l d u n g g r o ß e r W i r t s c h a f t s r ä u m e u n t e r den B e d i n g u n g e n einer a u f g e t e i l t e n W e l t praktisch v o r s t e l l t , v e r k ü n d e t e er an anderer S t e l l e : „ D a s Ventil der unentdeckten weiten Räume . . . wirkt jetzt nicht mehr. Jede Macht, die sich unbefriedigt fühlt und wachsen möchte, stößt überall an andere, mehr oder weniger gleichberechtigte Machtbereiche. Jede Macht aber muß diesen Drang zum Wachstum 61 54

62 Ebenda, S. 268. 53 Ebenda, S. 301. Ebenda, S. 267. Fried, Ferdinand, Wende der Weltwirtschaft. Wilhelm Goldmann Verlag,

i939. 66 Ebenda, S. 302.

Leipzig

WiUi

170

Kunz

haben, bevor sie sich als selbständiger W i r t s c h a f t s r a u m schließen kann. Es wird also, bevor die neue Weltwirtschaft endgültig geordnet werden kann, noch mannigfache Stöße, Reibungen und Schollenverwerfungen geben, die . . . auch zu vulkanischen Ausbrüchen und Erschütterungen führen können. S o erst werden sich die endgültigen Grenzen der großen R ä u m e ergeben . . . " M D a ß der nationalsozialistische

Größenwahn

b e i d e r B i l d u n g eines

„Tausend-

j ä h r i g e n G r o ß d e u t s c h e n R e i c h e s " u n d a u c h der italienische F a s c h i s m u s bei seiner P r o p a g i e r u n g eines „ R ö m i s c h e n I m p e r i u m s " u n d d i e sich d a r a u s e r g e b e n d e K o n s e q u e n z einer N e u a u f t e i l u n g d e r W e l t u n t e r V o r h e r r s c h a f t d e s d e u t s c h e n u n d i t a l i e n i s c h e n F a s c h i s m u s v o n F r i e d u n t e r s t ü t z t w u r d e , v e r s t e h t sich

von

selbst.

Er

schreibt d a z u : „ B e i d e L ä n d e r (Deutschland und Italien — W. K . ) befanden sich erst im Z u s t a n d ihrer nationalen E i n i g u n g — die in beiden Fällen erst durch Faschismus und Nationalsozialism u s abgeschlossen wurde —, als sich die anderen L ä n d e r des Abendlandes bereits eingehend mit der Aufteilung der erschlossenen Welt beschäftigten. Beide L ä n d e r knüpften aber bei ihrer N e u g e s t a l t u n g an eine viel ältere, große geschichtliche Überlieferung an, Deutschland a n den G e d a n k e n des ,Reiches', Italien an das alte , I m p e r i u m R o m a num'."" U n d ü b e r die R o l l e D e u t s c h l a n d s bei der g e f o r d e r t e n N e u o r d n u n g

(zunächst)

Europas meint Fried: „ D e u t s c h l a n d fällt die F ü h r u n g schon aus dem geschichtlichen Grunde zu, weil es diesen R a u m in K a m p f und in F r e u n d s c h a f t bereits von jeher gestaltet h a t ; und schließlich ist es j a wirtschaftlich a m weitesten entwickelt und k a n n in der größeren Wirtschaftsgemeinschaft die notwendige wirtschaftliche E n t w i c k l u n g auch der anderen L ä n d e r und Völker a m besten anleiten. Dies sind sachliche G r ü n d e für die mutmaßliche Neuordnung in diesem großen mitteleuropäischen R a u m , der ,von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer' reicht." 6 8 B e i d e r D a r l e g u n g seiner W e l t w i r t s c h a f t s g e d a n k e n e n t l a r v t s i c h F r i e d h i e r s e h r e i n d e u t i g a l s I d e o l o g e d e s d e u t s c h e n I m p e r i a l i s m u s , w o b e i es d e s d i r e k t e n G l a u b e n s bekenntnisses,

daß

der Nationalsozialismus

in D e u t s c h l a n d . . . d a s g r ö ß t e

U n t e r n e h m e n . . . " d a r s t e l l e , u m d i e ,,. . . u n g e h e u r e n s o z i a l e n S p a n n u n g e n u n s e r e r Zeit als H i n t e r l a s s e n s c h a f t des K a p i t a l i s m u s a b z u f a n g e n u n d ihre K r ä f t e f r u c h t b a r zu o r d n e n . . , " 5 9

g a r nicht b e d u r f t hätte, u m die Rolle von Fried als Vertreter

der faschistischen Forderung nach „ L e b e n s r a u m " zu erkennen.60 Diese G e d a n k e n eines F r i e d f a n d e n ihre logische F o r t f ü h r u n g im zweiten Weltkrieg,

den

die F a s c h i s t e n m i t der F o r d e r u n g n a c h N e u o r d n u n g E u r o p a s

unter

H e g e m o n i e d e s d e u t s c h e n M o n o p o l k a p i t a l s b e g a n n e n , sie f a n d e n i h r e P a r a l l e l e in E b e n d a , S . 372 (Hervorhebungen von uns, W. K.). i 8 E b e n d a , S. 322. E b e n d a , S. 325. » E b e n d a , S. 308. 6 0 Fried s a g t z. B . über das sogenannte Münchener A b k o m m e n f o l g e n d e s : „ S e i t dem Münchener A b k o m m e n von 1938 ist Deutschland der entscheidende Durchstoß in den ihm gemäß erscheinenden L e b e n s r a u m gelungen, und die E n t w i c k l u n g wird noch lange Zeit v o m A u s b a u dieses R a u m e s und von der A u s g e s t a l t u n g seiner Beziehungen erfüllt sein. Was Deutschland nun diesen g e s a m t e n mitteleuropäischen R a u m ihm gemäß erscheinen läßt, ist vor allem die T a t s a c h e , daß ihm als einem der großen Völker der E r d e und auch des Abendlandes nach vollendeter Aufteilung der Welt kein anderer Lebensr ä u m mehr ü b r i g b l i e b . " ( E b e n d a , S . 320.) 66

"

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

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dem nationalistisch überheblichen und aggressiven Text des „Deutschlandliedes", das die deutschen Soldaten auf den Lippen hatten, als sie andere Länder überfielen. Die gleichen Gedanken — heute geäußert — sollen einen dritten Weltkrieg ideologisch vorbereiten, sie drücken die Expansionsgelüste des amerikanisch-westdeutschen Imperialismus nach „Lebensraum", nach einer Neuordnung der Welt unter amerikanisch-westdeutscher Vorherrschaft (bei entsprechender Aufteilung der Interessensphären) aus. Insofern unterscheidet sich die Forderung Frieds und auch Röpkes nach einer „neuen, freien Weltwirtschaft" in keiner Weise von der Adenauer-, Strauß- oder Hallsteindoktrin über einen neuen Ritt nach dem Osten und Vorstoß bis zum Ural und über die notwendige Vernichtung des „Todfeindes" Kommunismus. Wenn die Kapitalisten und ihre Ideologen von „Freiheit" reden, so bedeutet das Antikommunismus, wenn sie von einer „freien" Weltwirtschaft reden, so ist damit eine gegen den Kommunismus, gegen das sozialistische Weltsystem gerichtete Weltwirtschaft gemeint, eine Weltwirtschaft, in der es keinen Sozialismus und Kommunismus und folglich kein sozialistisches Weltsystem gibt. So also sehen die Konzeptionen der theoretischen und ideologischen Streiter des Imperialismus auf dem Gebiete der Weltwirtschaft aus. Sie verschleiern den qualitativ verschiedenen Charakter der weltwirtschaftlichen Beziehungen zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten, ignorieren das Prinzip der friedlichen Koexistenz als das entscheidende Prinzip des Zusammenlebens zwischen Völkern und Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung, propagieren eine Block- und Machtpolitik als entscheidende Triebkraft zwischen den beiden Weltsystemen und versuchen andererseits, den Imperialismus, die imperialistischen Weltwirtschaftsbestrebungen und eine internationale Arbeitseinteilung mit kapitalistischem Vorzeichen zu verherrlichen, den amerikanischen Führungsanspruch in einer ihrem Charakter nach einheitlichen (kapitalistischen) Weltwirtschaft aber zu begründen. Am deutlichsten kommt dieser Versuch bei Röpke und Fried zum Ausdruck. Deshalb haben wir uns mit den apologetischen Auffassungen dieser beiden bürgerlichen „Theoretiker" zu Problemen der Weltwirtschaft auch so ausführlich auseinandergesetzt. Das sozialistische Lager ist in Wirklichkeit kein solcher „Machtblock", wie das die bürgerlichen Ideologen behaupten. Es hat auch nicht die Absicht, über die kapitalistischen Länder „herzufallen" und sie „zu verschlingen". Das sozialistische Lager ist aber eine feste und unerschütterliche Einheit in Frieden und Freundschaft, auf der Basis des sozialistischen Internationalismus miteinander verbundener Staaten, die die Prinzipien der friedlichen Koexistenz achten und ihr ganzes ökonomisches, politisches und militärisches Gewicht in die Waagschale werfen, um den Frieden in der Welt zu erhalten und zu festigen. Das sozialistische Weltwirtschaftssystem ist bemüht, seine Kräfte im friedlichen ökonomischen Wettbewerb mit dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem zu messen. In diesem Wettbewerb wird das sozialistische Weltsystem den Sieg davontragen, da es in ihm solche antagonistischen Widersprüche wie im kapitalistischen Weltsystem — die durch Hegemonie und Unterordnung ausgedrückt werden und ständig zu neuen Kämpfen um die Weltherrschaft und zur Neuaufteilung der Einflußsphären führen — nicht gibt, da das

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Ziel der sozialistischen Weltwirtschaft darin besteht, mit den Mitteln der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung und der brüderlichen gegenseitigen Hilfe die steigenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen in allen sozialistischen Ländern weitestgehend zu befriedigen. Die sozialistischen Staaten sind bestrebt, zur schnelleren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen auch in zunehmendem Maße den friedlichen Handel mit den kapitalistischen Ländern zu erweitern und somit (über die Zirkulation) auch die internationale Arbeitsteilung mit dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem zu vertiefen. Das sozialistische Weltwirtschaftssystem wird ferner mit steigendem eigenen wirtschaftlichen Reichtum, mit der Erweiterung seiner Möglichkeiten, die materielle Hilfeleistung für die antiimperialistischen Nationalstaaten vergrößern. Bei der Vergrößerung dieser Hilfe verfolgt das sozialistische Weltsystem nicht irgendwelche niederträchtigen machtpolitischen Ziele — wie das Röpke behauptet —, sondern es ist sich seiner internationalen Verantwortung gegenüber den weniger entwickelten Nationalstaaten, die Jahrhunderte hindurch kolonialer Ausplünderung unterworfen waren, voll bewußt; an die Hilfeleistungen aber sind keinerlei politische Bedingungen geknüpft. Das von uns skizzierte Bild über die Stellung der bürgerlichen Apologetik zur Weltwirtschaft und besonders zum sozialistischen Weltwirtschaftssystem wäre einseitig, wenn wir nur die militanten, aggressiven Vertreter der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft zu Worte kommen ließen. Es gibt durchaus gemäßigtere Auffassungen, die sich von den dargelegten Ansichten eines Röpke oder Fried in wesentlichen Punkten unterscheiden. Die Vertreter dieser Auffassungen sind nicht der Kriegshysterie und „Politik der Stärke" gegenüber der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern verfallen, sie erkennen auch die großen wirtschaftlichen Erfolge des internationalen sozialistischen Systems bis zu einem gewissen Grade an, unterstützen die Politik der friedlichen Koexistenz und fordern zum friedlichen ökonomischen Wettbewerb des Kapitalismus mit dem Sozialismus auf. Ein Vertreter dieser gemäßigteren Auffassung ist der Kieler Professor Fritz Baade. Wir möchten vorausschicken, daß Baade (obwohl Sozialdemokrat) keineswegs Marxist ist, sondern ein bürgerlicher Ökonom, ein Vertreter des Gedankens der „freien Marktwirtschaft", der aber bereit ist, bestimmte Vorteile der sozialistischen Planwirtschaft anzuerkennen und das auch wiederholt öffentlich kundgetan hat. Baade und eine Vielzahl ähnlich gesinnter Ökonomen in Westdeutschland lehnen vor allem den Krieg (den „kalten" wie den „heißen") als Mittel zur Lösung wirtschaftlicher (und politischer) Probleme und Streitfragen ab. Seine Meinung über die Frage: „Kalter Krieg und wirtschaftliche Zusammenarbeit!" sagte Baade sehr deutlich in folgendem: „Es müßte den geistigen Vätern des ,kalten Krieges' inzwischen ja wohl klar geworden sein, daß der Wirtschaftskrieg ein ungewöhnlich untaugliches Instrument ist, um die wirtschaftliche Entwicklung in dem östlichen Teil der Welt so zu stören, daß sie nicht zustande käme."

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Er sagte ferner, daß er und viele seiner Freunde bemüht sind, „. . . die Schlacken dieser Ideologie des ,kalten Krieges' abzubauen, wo wir nur irgend können." 61

Wie anders hört sich das doch an als die Haßgesänge eines Röpke oder die Konzeption eines Fried, dessen Raumtheorie unter ungeheuren Opfern, in Blut und in Brand . . ." Verwirklichung finden soll. Man hat schon nach diesen wenigen Worten den Eindruck, daß bei Baade der ehrliche Wille zur Verständigung und zur friedlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit vorhanden ist. Das sagt er schließlich auch selbst: „Auf die Frage, wie ich über die Beziehungen Westdeutschlands zu den Ländern Osteuropas denke, kann ich nur antworten, daß nicht nur ich persönlich, sondern auch meine politischen Freunde uns mit allem Nachdruck für die Förderung des wirtschaftlichen Austausches mit diesen Ländern einsetzen." 62 Baade unterscheidet sich von Röpke sehr positiv auch insofern, als er bei den internationalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West eindeutig die wirtschaftlichen Vorteile für beide Partner in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt und nicht von machtpolitischen Erwägungen bzw. von dem Gedanken ausgeht, „geistig" auf die Bewohner des sozialistischen Weltsystems einzuwirken. Dabei betonte Baade bereits zu einer Zeit, als in Westdeutschland ein mehrjähriger (für den Kapitalismus beträchtlicher) wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen war, und die bürgerlichen Ökonomen Westdeutschlands sich gemeinsam mit dem saturierten „Bundesbürger" an dem sogenannten westdeutschen Wirtschaftswunder berauschten, daß man dabei die großen wirtschaftlichen Erfolge und Leistungen in den sozialistischen Ländern nicht übersehen dürfe. In einem Aufsatz mit der vielsagenden (und f ü r bundesdeutsche Verhältnisse mutigen) Überschrift: „Gesamtdeutsches Wirtschaftswunder" 6 3 würdigt Baade bereits Anfang 1956 neben den wirtschaftlichen Leistungen in der Bundesrepublik auch die wirtschaftlichen Aufbauerfolge in der DDR. Baade kommt in diesem Artikel zu der aufschlußreichen Feststellung: „. . . es ist keine Illusion, sondern eine Realität, daß die Wirtschaftskurve im westlichen wie auch im östlichen Deutschland nach oben geht . . . Die Analyse der Auftriebskräfte, die auch im östlichen Deutschland vorhanden sind, kann uns hier wertvolle Erkenntnisse liefern. Die wichtigste Erkenntnis liegt darin, daß wir in Westdeutschland keineswegs einen Freibrief darauf haben, in dem Wettstreit des Aufstiegs immer an der Spitze zu liegen." 64

Und Baade schlußfolgert aus seinen Untersuchungen: „Das, was in unserem zerrissenen Deutschland in den letzten Jahren auf beiden Seiten geleistet worden ist, berechtigt uns zu der Hoffnung, daß das wirkliche deutsche Wirt61

Baade, Fritz, Deutschland und die europäische Integration. In: „Wirtschaftswissenschaftliche Informationen des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der Deutschen Akademie der Wissenschaften", Heft 3, S. 37, 1957. 62 Ebenda. 63 Baade, Fritz, Gesamtdeutsches Wirtschaftswunder. In: „Wirtschaftsdienst", 36. Jahrg., H. 1, S. 17ff., 1956. 64 Ebenda, S. 25.

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schaftswunder erst das gesamtdeutsche Wirtschaftswunder sein wird, mit allen Tatbeständen, die wir bisher als ein Privileg des westdeutschen Wirtschaftswunders betrachtet haben: steil aufwärtsführende Spirale von steigender Leistung, steigenden Exporten, steigenden Importen, höherer Kapitalbildung und höheren Reallöhnen und, als Resultat von alledem, immer wieder steigender Leistung . . . Nur im wiedervereinigten Vaterland können die Deutschen ihre Leistungskraft voll entfalten zum eigenen Nutzen, aber nicht zuletzt auch zum Nutzen ihrer Nachbarn und aller Volkswirtschaften, die mit der deutschen Volkswirtschaft über die Weltwirtschaft arbeitsteilig verbunden sind." 66 Baade erkennt in seinen Schriften auch die Arbeits- und Produktionsleistungen der anderen sozialistischen Länder an, er weist darauf hin, daß der Vorsprung der U d S S R und der anderen sozialistischen Länder bei der Ausbildung von Ingenieuren, Agronomen, Ärzten und Facharbeitern gegenüber den USA, der Bundesrepublik und den anderen kapitalistischen Ländern immer größer wird, daß die Ausbildung einer Vielzahl solcher Fachkräfte aber ein großes geistiges Potential und damit eine wichtige Voraussetzung für erneute Leistungs- und Produktionssteigerungen bedeutet, daß die sozialistischen Länder infolge dieser steigenden Zahl qualifizierter Fachkräfte immer mehr in der Lage sind, auch den jungen Nationalstaaten wirksame wissenschaftlich-technische Hilfe zu gewähren usw., usf. 66 Trotz dieser offenen Anerkennung der wirtschaftlichen Erfolge des sozialistischen Weltsystems und der Aufforderung zum friedlichen ökonomischen Wettbewerb zwischen den beiden Systemen ist Baade aber der Auffassung, daß es keinen gesetzmäßigen Weg zur geplanten Wirtschaft gibt, daß man mit der „freien Marktwirts c h a f t " alle wichtigen ökonomischen Probleme meistern, daß man mit Hilfe einer klugen Konjunkturpolitik z. B . auch in der kapitalistischen Wirtschaft Krisen verhindern und einen steten Aufschwung erzielen kann, daß es also letztlich die „freie" Unternehmerinitiative ist, mit deren Hilfe die Wirtschaft und auch die Weltwirtschaft am besten gesteuert wird. Wenn heute viele bürgerliche Ökonomen — besonders nach dem Bekanntwerden der Entwicklungsprogramme der sozialistischen Länder bis 1965 — immer mehr die wirtschaftlichen Erfolge in den sozialistischen Ländern zugeben, ebenso die Realität der Planziele und damit der ökonomischen Hauptaufgabe des sozialistischen Weltsystems, so bezeichnen sie aber (gewissermaßen als „letztes gewichtiges Argument") die sozialistische Planwirtschaft als „unfrei", als „Zwangs- oder Kommandowirtschaft". Sie verstecken sich dabei einfach hinter der „bürgerlichen Freiheit", die in Wirklichkeit Freiheit nur für ein kleines Häuflein von Großkapitalisten bedeutet, für die große Masse der werktätigen Menschen aber eine tiefe Unfreiheit. Die Masse der Werktätigen ist im Kapitalismus nur „ f r e i " vom Besitz an Produktionsmitteln und kann deshalb von den „freien" Unternehmern schrankenlos ausgebeutet werden. Ebenda, S. 24/25. Baade, Fritz, Das Interesse der alten Industrieländer an der Industrialisierung der Entwicklungsländer. Vortrag, gehalten am 11. 10. 1956, herausgegeben von der Deutschen Weltwirtschaftlichen Gesellschaft e.V., Berlin W 15, Kurfürstendamm 188, S. 13. Siehe dazu auch: Baade, Fritz, Wettlauf zwischen Ost und West. In: „Welt der Arbeit" vom 29. April 1960 u. a. m. 65

66

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Wenn die bürgerlichen Ökonomen aber die sogenannte freie Weltwirtschaft der sozialistischen Weltwirtschaft gegenüberstellen (und damit ihren Antikommunismus auch auf dem Gebiet der Weltwirtschaft unterzubringen versuchen), so führten wir in Abschnitt I am Beispiel der westeuropäischen Integration und besonders am Beispiel der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit zwischen wenigen entwickelten kapitalistischen Industriestaaten und der großen Masse der Menschen in den schwach entwickelten kapitalistischen Ländern®7 an, wie es um diese bürgerliche Freiheit in der kapitalistischen Weltwirtschaft, bei der Verwirklichung der kapitalistischen internationalen Arbeitsteilung in Wirklichkeit bestellt ist. Die Menschen in den schwachentwickelten kapitalistischen und kolonialen Ländern (d. h. mehr als drei Viertel der Menschen im kapitalistischen Weltsystem) sind frei von allem — außer von Ausbeutung. Wie im Gegensatz dazu die internationale Wirtschaftszusammenarbeit zwischen wirklich freien und souveränen sozialistischen Nationen und Staaten erfolgt, wie die sozialistische internationale Arbeitsteilung gerade dahingehend wirkt, die Ungleichmäßigkeit in der ökonomischen Entwicklung der verschiedenen Länder zu beseitigen und damit alle entscheidenden ökonomischen Voraussetzungen für eine wirkliche freie Entwicklung aller Menschen, für die volle Entfaltung aller ihrer Fähigkeiten geschaffen werden, wird in Abschnitt III der vorliegenden Arbeit nachzuweisen sein. Wir können also zusammenfassen: Das Herangehen der bürgerlichen Ökonomen an die Probleme der Weltwirtschaft bzw. der internationalen Arbeitsteilung — wie an die Probleme der politischen Ökonomie überhaupt — zeigt die Unfähigkeit der bürgerlichen Theorie und ihrer Vertreter, die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft richtig zu verstehen und zu erklären, die ökonomischen Prozesse als historische Prozesse aufzufassen, die Kategorien der politischen Ökonomie aber als historische, d. h. als veränderliche und jeweils nur für eine bestimmte historische Epoche gültige Kategorien. Das Akzeptieren derartiger Erkenntnisse müßte seitens der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler ja auch zu dem Eingeständnis führen, daß der Kapitalismus und damit auch die kapitalistische Weltwirtschaft eine historische Erscheinung, eine bestimmte, notwendige Stufe in der Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gesellschaft ist, keinesfalls aber die letzte und höchste Stufe, sondern daß der Kapitalismus notwendig, gesetzmäßig vom Sozialismus abgelöst wird. Ferner müßten sie 87 Baade weist z. B. in einem Vortrag darauf hin: ,,. . . daß in den letzten einhundert Jahren, in denen sich die Erdbevölkerung verdoppelt hat, das Sozialprodukt je Kopf um 50 v. H. gestiegen ist. Diese Steigerung ist allerdings sehr ungleichmäßig gewesen: Bei dem größten Teil der Erdbevölkerung ist das Sozialprodukt auch in den letzten einhundert Jahren nicht gestiegen. Überall dort, wo 80 v. H. der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten und kein anderes Arbeitsgerät als den hölzernen Pflug oder die Handhacke haben, liegt es noch bei 50 Dollar je Kopf und Jahr wie vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden." (Baade, Fritz, Das Interesse der alten Industrieländer an der Industrialisierung der Entwicklungsländer, a. a. 0 . , S. 15).

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akzeptieren, daß mit dem Niedergang und Verfall der kapitalistischen Produktionsweise auch die eigene, bürgerliche Ökonomie als Wissenschaft dem Verfall preisgegeben ist und keinerlei Zukunft mehr hat, daß sie selbst als bürgerliche Ökonomen also keinerlei Perspektive haben. Diese Ausweglosigkeit ihrer Lage als bürgerliche Ökonomen ist es, die sie — ganz gleich, welchen Schulen sie angehören, welche „Modelle" sie anpreisen, ob sie eine „statische" oder eine „dynamische" Konzeption vertreten — letzten Endes in das enge Korsett von Apologeten des kapitalistischen Systems preßt. Ihre unwissenschaftliche Position der Verteidigung des Kapitalismus als „der auf alle Ewigkeit gültigen Gesellschaftsordnung" läßt sie gegen den Strom der Geschichte schwimmen und sich den objektiven ökonomischen Entwicklungsprozessen entgegenstemmen. Dabei gibt es durchaus verschiedene Variationen bzw. Erscheinungsformen bürgerlicher „Theorie". Wir versuchten, bürgerliche Ökonomen zu zitieren, die in wichtigen Fragen unterschiedliche Auffassungen haben. Alle bürgerlichen Ökonomen (vom gemäßigten bis zum aggressivsten Flügel) haben aber eines gemeinsam. Ihre Theorien sollen der Festigung des kapitalistischen Systems dienen, ihre Ideologie ist die des Kapitalismus und damit völlig antikommunistisch. Wenn sie in ihren Wirtschaftslehren von „Freiheit" reden, so meinen sie damit Antikommunismus, wenn sie eine „freie Weltwirtschaft" propagieren, so ist damit eine kapitalistische Weltwirtschaft, die die sozialistischen Länder in sich aufsaugen soll, gemeint. Es gibt bei den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern vor allem unterschiedliche Auffassungen über die Methoden, wie dieses Aufsaugen geschehen soll, ob mit friedlichen Mitteln oder durch Aggression. Daß die sozialistische Welt überhaupt nicht vom Kapitalismus aufgesogen oder „verschlungen" wird, dafür sind die großen Erfolge der arbeitsteilig im sozialistischen Weltwirtschaftssystem zusammengeschlossenen Nationen und Staaten eindeutiger Beweis.

III. Die Abstimmung der langfristigen Entwicklungspläne der sozialistischen Länder und einige wirtschaftspolitische Grundforderungen (Prinzipien) der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung Die internationale Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Staaten, die internationale Spezialisierung, Kooperation und Kombination der Produktion ist in eine neue Etappe ihrer Entwicklung eingetreten. In der jetzigen Etappe wird die internationale Arbeitsteilung immer mehr zum Kernproblem bei der Abstimmung der langfristigen Entwicklungspläne zwischen den sozialistischen Ländern. Die große Bedeutung einer planmäßigen internationalen Spezialisierung und Kooperation zwischen den sozialistischen Volkswirtschaften hob N. S. Chruschtschow hervor, als er sagte: „Die Koordinierung der Volkswirtschaftspläne — das ist die Form, in der die Produktionsanstrengungen der sozialistischen Länder in der derzeitigen Etappe vereinigt werden. In der Entwicklung der Wirtschaft des sozialistischen Lagers muß die internationale' Arbeitsteilung, vor allem in ihren höchsten Formen — in der Spezialisierung und Kooperation — eine wichtige Rolle spielen. Darin liegen neue zusätzliche Möglichkeiten, die

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Produktion im gesamten Lager des Sozialismus und in jedem sozialistischen Lande zu steigern. Allein auf sich gestellt, könnte sich kein einziges Land in so stürmischem Tempo entwickeln, wie es ihm in dem System der sozialistischen Staaten möglich ist." 6 8 Diese Worte enthalten ein ganzes Programm — das Programm des gemeinsamen wirtschaftlichen Aufschwunges und seiner Beschleunigung mit Hilfe einer zunehmenden, planmäßigen sozialistischen internationalen Arbeitsteilung. Unter Führung der kommunistischen und Arbeiterparteien wurden für alle im R a t für gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammengeschlossenen Länder konkrete Wirtschaftsprogramme bis 1965 ausgearbeitet, die den Beitrag eines jeden Landes zur Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe des sozialistischen Weltsystems beinhalten. Entsprechend den Beschlüssen der im Mai 1958 in Moskau durchgeführten Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien der Länder des RgW wurden diese langfristigen Pläne der Ratsländer (die mehr als neun Zehntel der Industrieproduktion des sozialistischen Weltsystems auf sich vereinen) aufeinander abgestimmt. Der ökonomische Wettstreit mit dem Weltkapitalismus vollzieht sich also international nach einem gemeinsamen Plan der sozialistischen Staaten, die internationale Arbeitsteilung zwischen ihnen ermöglicht ein allseitiges und schnelles Wachstum der Produktion und des Verbrauchs in allen sozialistischen Ländern. Die Wirtschaftsleitungen der sozialistischen Länder nutzen bei ihren ökonomischen Maßnahmen die ökonomischen Gesetze des Sozialismus und deren Wirkungsweise aus. Die ökonomischen Gesetze des Sozialismus wirken — wie im Rahmen einer Volkswirtschaft — auch international im Rahmen des sozialistischen Weltwirtschaftssystems. Das sozialistische Weltwirtschaftssystem hat gegenüber dem kapitalistischen System z. B . den großen Vorteil, daß in den dazugehörigen Volkswirtschaften als ein entscheidendes ökonomisches Entwicklungsgesetz das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft wirkt, daß diese Tatsache und die gemeinsame und ihrem Charakter nach einheitliche ökonomische Basis des sozialistischen Weltsystems (die sozialistischen Produktionsverhältnisse) eine internationale Plankoordinierung ermöglichen und notwendig machen. Gegenwärtig wirken die ökonomischen Gesetze des Sozialismus international noch nicht voll entfaltet, da der Reifegrad in der Entwicklung der Produktivkräfte und der sozialistischen Produktionsverhältnisse in den einzelnen Ländern unterschiedlich ist, und die einzelnen nationalen Glieder der sozialistischen Weltwirtschaft als nationale Wirtschaften von einzelnen, souveränen sozialistischen Staaten geleitet und verwaltet werden, es aber kein darüberstehendes zentrales (d. h. supranationales) Planungsorgan gibt. Diese Spezifica erfordern von den einzelnen Ländern, Regierungen und Wirtschaftsexperten eine besonders hohe Verantwortung und Disziplin bei der Ausnutzung der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten im internationalen Maßstab, d. h bei der gemeinsamen Festlegung von Planzielen, bei der Übernahme internationaler 88 Chruschtschow, N. S., Über die Kontrollziffern für die Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR in den Jahren 1959 bis 1965. Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 81/82.

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Verpflichtungen, der Empfehlung bzw. Beschlußfassung von wirtschaftlichen Maßnahmen und bei der Verwirklichung bzw. Durchsetzung der Empfehlungen und Beschlüsse. E i n e Grundvoraussetzung bei der Beschlußfassung und Durchführung von international bedeutsamen Wirtschaftsmaßnahmen im sozialistischen Weltwirtschaftss y s t e m ist die Übereinstimmung der nationalen und internationalen Interessen. Auf dieser Grundlage erfolgt die Plankoordinierung zwischen den sozialistischen Ländern. 6 9 Die strenge B e a c h t u n g des Prinzips der politischen S o u v e r ä n i t ä t , des Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung, erstreckt sich zwischen den sozialistischen Ländern demnach auch auf ihre ökonomischen Beziehungen. Dabei wird von der richtigen These ausgegangen, daß es ohne ökonomische Selbständigkeit auch keine politische Selbständigkeit und Handlungsfreiheit einer Nation oder eines S t a a t e s geben kann. Man muß hierbei jedoch hinzufügen, daß die im sozialistischen Weltwirtschaftssystem vereinten Völker und S t a a t e n sich nach den Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus entwickeln, daß unter ökonomischer und politischer Selbständigkeit und Freiheit der einzelnen Länder keine Anarchie oder von den objektiven ökonomischen Entwicklungsgesetzen, von den jeweiligen ökonomischen Notwendigkeiten losgelöstes Wollen zu verstehen ist. Die Einsicht in die ökonomische Notwendigkeit der brüderlichen gegenseitigen Hilfe und Unterstützung zwischen den sozialistischen Nationen und S t a a t e n , das gemeinsame Interesse an einem allseitigen wirtschaftlichen Aufschwung in allen sozialistischen Ländern, bildet die ideologische Grundlage für eine immer festere internationale sozialistische Disziplin bei der Verwirklichung der Wirtschaftszusammenarbeit. Die sozialistische Disziplin (auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus) führt hierbei immer mehr dazu, daß v o r k o m m e n d e Verstöße gegen die internationale A b s t i m m u n g und Arbeitsteilung ständig seltener werden, wobei den Ausschlag die Erkenntnis gibt, daß eine wirtschaftliche S t ä r k u n g des sozialistischen Partnerlandes unter den Bedingungen der K o e x i s t e n z mit d e m K a p i t a l i s m u s zugleich eine F e s t i g u n g der eigenen Position, eine wirtschaftliche und politische S t ä r k u n g des Sozialismus als Weltsystem bedeutet. Darin beruht auch die dialektische Einheit zwischen den nationalen und internationalen Wirtschaftsinteressen im sozialistischen L a g e r ; die gemeinsame ökonomische B a s i s und die sozialistische Disziplin bilden eine sichere G a r a n t i e dafür, daß die Arbeitsteilung im sozialistischen Weltwirtschaftssystem planmäßig weiter vertieft und im Interesse aller beteiligten sozialistischen S t a a t e n a u s g e b a u t wird. 68 Die Übereinstimmung der nationalen und internationalen Interessen unterscheidet das sozialistische Weltwirtschaftssystem grundlegend vom kapitalistischen Weltwirtschaftssystem, wo die stärkeren kapitalistischen Staaten ständig den schwächeren ihren Willen aufzwingen, sie mit Hilfe von Kapitalexport, Zollschranken, Exportsubventionen und damit verbundenem Dumping u. a. wirtschaftspolitischen Maßnahmen unter Druck setzen und ökonomisch von sich abhängig machen. Wir zeigten diese Tendenz in der kapitalistischen Weltwirtschaft bereits an dem Wirtschafts- und Handelskrieg zwischen EWG und EFTA, der ein Ausdruck für die vom gegenwärtigen Imperialismus betriebene Wirtschaftspolitik der Stärke und Expansion ist.

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Jedes der sozialistischen L ä n d e r erbittet dabei v o n den anderen sozialistischen Staaten H i l f e und gewährt selbst i m R a h m e n seiner Möglichkeiten H i l f e . D i e führenden kommunistischen

Parteien und die Regierungen der sozialistischen

Staaten

wissen ganz genau, daß eine echte H i l f e beim A u f b a u ihrer Volkswirtschaften nur v o n den sozialistischen Bruderländern zu erwarten ist. Deshalb ist auch jedes L a n d des sozialistischen W e l t s y s t e m s daran interessiert, in erster L i n i e die W i r t s c h a f t s beziehungen zu den anderen sozialistischen L ä n d e r n auszubauen und zu festigen und auch vorübergehende materielle und finanzielle Verpflichtungen und Belastungen auf sich zu nehmen, da die V o r t e i l e einer engen Bindung an das sozialistische W e l t wirtschaftssystem für jedes

sozialistische

Land

ungleich

größer

sind als eventuelle

kurzfristige N a c h t e i l e (z. B . bei R o h s t o f f e x p o r t e n , K r e d i t g e w ä h r u n g , Differenzen hinsichtlich der Preisbildung usw.). Das erklärt z. B . auch, daß gewisse, hin und wieder auftretende Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen in kameradschaftlicher W e i s e und zum Nutzen des gesamten sozialistischen L a g e r s behoben werden, es erklärt ferner die Erscheinung, daß 58 bis 95°/0 des Außenhandels der einzelnen sozialistischen L ä n d e r innerhalb des sozialistischen W e l t w i r t s c h a f t s systems abgewickelt werden. Wenn

es bisher i m sozialistischen W e l t w i r t s c h a f t s s y s t e m

oder

für einen

be-

stimmten internationalen W i r t s c h a f t s k o m p l e x desselben 7 0 noch kein übernationales Planungsorgan gibt, das vorausschauend die gemeinsame T ä t i g k e i t mehrerer n a t i o naler W i r t s c h a f t e n bestimmt, so g i b t es dafür Ursachen, die in d e m unterschiedlichen Ausgangspunkt und dem W e g der verschiedenen N a t i o n e n zum SozialismusKommunismus sozialistischen

begründet Nationen

liegen. (im

Die

Gegensatz

gesellschaftlichen zu den

Beziehungen

Beziehungen

im

zwischen

Kapitalismus)

werden nach Prinzipien der Gleichberechtigung, der freiwilligen gegenseitigen H i l f e und der Beachtung der Besonderheiten bei der E n t w i c k l u n g einer jeden N a t i o n geregelt. Als entscheidender politischer Grundsatz gilt dabei die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und die Respektierung der nationalen

Souveränität

eines jeden sozialistischen Staates. Demnach besteht gegenwärtig i m sozialistischen W e l t s y s t e m ein zwischen

der

zunehmenden

Internationalisierung

der

Produktion,

stärkeren Annäherung der V ö l k e r und dem Bestehen souveräner

Widerspruch der

immer

sozialistischer

Staaten. Dieser Widerspruch ist nicht antagonistischer A r t . Im

Gegensatz zu allen vorangegangenen

Gesellschaftsordnungen ist erstmalig

i m Sozialismus die v o l l e politische Souveränität aller — der großen wie der kleinen — 70 Wir könnten uns vorstellen, daß sich perspektivisch gesehen mehrere internationale Planungszentren im sozialistischen Weltsystem herausbilden könnten. So beispielsweise ein Zentrum im Bereich der jetzigen Teilnehmerländer des R g W und ein zweites im Bereich der ostasiatischen Volksrepubliken. Es ist aber auch möglich, daß sich andere Wirtschaftskoinplexe als unser Beispiel mit je einem internationalen Planungsorgan bilden, so ein sozialistischer Wirtschaftskomplex in Europa, ein Komplex in Sibirien, und ein dritter ist Ostasien. Das sind aber vorläufig noch Hypothesen, die praktische Entwicklung wird zeigen, wie der Zusammenschluß zwischen verschiedenen sozialistischen bzw. kommunistischen Ländern und Nationen am zweckmäßigsten erfolgt, welche nationalen und territorialen Bedingungen berücksichtigt werden müssen usw. usf. 12»

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Nationen gesichert. Das wird dadurch erleichtert, daß die sozialistische Gesellschaft Eigentümer ihrer entscheidenden Existenzgrundlagen (der Produktionsmittel) ist. Die strenge Beachtung der nationalen Souveränität ist dabei notwendig, weil nur auf dieser Grundlage jedes Volk sich entsprechend seinen Eigenarten und Besonderheiten frei entfalten kann, weil die Masseninitiative sich am besten dort entwickelt, wo die Massen selbst sich wirtschaftliche und politische Ziele stellen, an deren Erfüllung sie unmittelbar interessiert sind und zu deren Erreichung sie ihr ganzes Können, ihre ganze Aktivität einsetzen und dabei auch vor auftauchenden Schwierigkeiten nicht haltmachen. Dabei kennt jede sozialistische Nation ihre Eigenschaften, die Besonderheiten ihrer Entwicklung am besten, um sie am zweckmäßigsten dem sozialistischen Aufbau nutzbar zu machen. Die strenge Beachtung der nationalen Souveränität ist demnach eine wichtige Bedingung dafür, daß der Aufbau des Sozialismus sich in jedem Lande (auf der Grundlage allgemeiner Voraussetzungen, wie Diktatur des Proletariats, Bildung allgemeinen Volkseigentums usw.) entsprechend den Traditionen und Besonderheiten der jeweiligen Nation vollzieht. Die Beachtung der nationalen Souveränität schließt die Annäherung der Völker nicht aus, sondern ist dafür eine entscheidende Voraussetzung. Nur auf der Basis der Freiwilligkeit und Gleichberechtigung wird das feste Vertrauensverhältnis zwischen großen und kleinen, politisch und wirtschaftlich selbständigen Nationen geschaffen, das den Inhalt des sozialistischen Internationalismus bildet. Nur ein solches Vertrauensverhältnis aber, das dem sozialistischen Internationalismus immanent ist, bildet eine wichtige Voraussetzung für die freiwillige wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe zwischen den von Ausbeutung und nationaler Unterdrückung befreiten und gleichberechtigten sozialistischen Nationen. Unter dem Gesichtspunkt der strikten Beachtung der nationalen Souveränität und der Beibehaltung des nationalen Rahmens für den sozialistisch-kommunistischen Aufbau noch für eine lange Zeit, muß auch die Frage nach der Bildung eines oder mehrerer internationaler Planungszentren beantwortet werden. Hierbei muß man auch in Betracht ziehen, daß die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse in den einzelnen sozialistischen Ländern noch einen sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand aufweisen, daß ferner erst allmählich die Überbleibsel der kapitalistischen oder feudalen Vergangenheit der sozialistischen Länder aus den Hirnen der Menschen verschwinden müssen, um einem Gedankengut Platz zu machen, das die internationalen Interessen des Sozialismus über die nationalen Interessen stellt, daß die sozialistischen Staaten gegenwärtig auch noch dabei sind, Erfahrungen hinsichtlich der Planung größerer Industrie- und Wirtschaftskomplexe sowie Territorien zu sammeln, d. h. also zunächst die nationale Planung zu vervollkommnen und zu festigen. Auch die Planmethodik in den verschiedenen sozialistischen Ländern weist noch Unterschiede auf; bei vielen statistisch-methodischen Plandaten und Kennziffern ist bisher kaum eine Vergleichbarkeit möglich. Diese, bei weitem nicht vollständigen Faktoren, die gegenwärtig und in der nächsten Zukunft noch der Bildung internationaler Planungsorgane entgegenstehen, sind einem Prozeß ihrer ständigen Veränderung und Weiterentwicklung unterworfen.

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Der Marxismus lehrt, daß das Verschmelzen der verschiedenen Nationen zu einer sozialistisch-kommunistischen Weltgesellschaft ein langer und komplizierter Prozeß ist. Dieser Prozeß führt über die Festigung der Nationen, ihres Selbstbestimmungsrechts, ihrer nationalen Eigenarten und auch ihrer ökonomischen Selbständigkeit. Deshalb wäre es gegenwärtig auch nicht richtig, die Bildung eines zentralen einheitlichen Planungsorgans zu fordern, da das im gegenwärtigen Stadium der Entwicklung den Interessen der einzelnen Länder auf Entfaltung ihrer nationalen Eigenarten widersprechen würde, da die Souveränität der einzelnen sozialistischen Staaten dadurch wesentlich eingeschränkt würde. Alle sozialistischen Nationen müssen zunächst eine selbständige Entwicklung nehmen, die den inneren Triebkräften jedes Volkes einen weiten Spielraum gewährt. Das trifft für die ökonomische Entwicklung gleichermaßen zu wie für die kulturelle Entwicklung (die Entfaltung von Kunst und Wissenschaft). Erst wenn die Produktivkräfte in den verschiedenen sozialistischen Ländern gleichermaßen hoch entwickelt sind, wenn es in allen Ländern eine klassenbewußte und anteilmäßig (zur Gesamtbevölkerung) starke Arbeiterschaft, eine eigene und hochqualifizierte wissenschaftlich-technische Intelligenz gibt, wenn die nationale Kultur sich zu voller Blüte entwickelt hat, wird die Zeit reif sein für die Bildung einer einheitlichen internationalen Planung und Leitung der Wirtschaft mit entsprechenden übernationalen Planungs- und Leitungsorganen als entscheidender Schritt auf dem Wege des Übergangs zu einer einheitlichen kommunistischen Weltgesellschaft. Unsere gegenwärtige Aufgabe besteht also nicht darin, ein übernationales Planungszentrum zu fordern — in dem falschen Glauben vielleicht, daß damit manche auftretenden Schwierigkeiten aus der Welt geschafft werden könnten —, sondern darin, die sozialistische internationale Arbeitsteilung durch immer bessere Abstimmung der Produktionspläne und disziplinierte Einhaltung der Spezialisierungsund Kooperationsverpflichtungen zu vertiefen und zu verbessern. Um den sich gegenwärtig vollziehenden Prozeß der internationalen Planabstimmung zwischen den sozialistischen Volkswirtschaften richtig einzuschätzen, muß man feststellen, daß diese Koordinierung der Perspektiv- und Volkswirtschaftspläne natürlich bereits wesentliche Elemente einer internationalen Planung enthält. Die internationale Planabstimmung dient der Sicherung wichtiger ökonomischer Proportionen, wobei sie bei weitem nicht alle volkswirtschaftlichen Proportionen erfaßt. Das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung wird international nur insoweit ausgenutzt, als es die Herstellung bestimmter Proportionen für international wichtige Wirtschaftszweige (Rohstoffversorgung, Energieerzeugung, Produktion bestimmter Produktionsinstrumente, bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugnisse, einiger Nahrungsgüter usw.) verlangt. Die internationale Arbeitsteilung und folglich auch das Wirken des Gesetzes der planmäßigen proportionalen Entwicklung im internationalen Maßstab haben keinen allumfassenden Charakter, sie umfassen nicht alle Teile der Reproduktion; es gibt bestimmte materielle Proportionen, die nur volkswirtschaftliche, also innere Bedeutung haben. 71 7 1 Zu den materiellen Proportionen mit volkswirtschaftlicher Bedeutung zählen z. B . die Kauffonds der Bevölkerung, die Einzelhandelsumsätze, die Dienstleistungen, aber auch

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Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, über den die internationale Plankoordinierung erfolgt, ist kein internationales Planungszentrum, sondern viel stärker ein international-koordinierendes Organ. Auch die Funktionen des RgW unterliegen aber (entsprechend den objektiven Veränderungen und der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Ländern) einer ständigen Veränderung. Wenn der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe in den ersten Jahren nach seiner Gründung (1949) vor allem die Aufgabe hatte, die Zirkulationsverbindungen zwischen den sozialistischen Staaten zu vermitteln, also den Abschluß von Außenhandelsverträgen anzuregen sowie die technisch-wissenschaftliche Hilfe zwischen den Ländern auf der Basis der Bilateralität zu organisieren, so gelangen gegenwärtig vor allem andere Aufgaben in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Es sind das seit 1956 immer mehr Aufgaben der Spezialisierung und Kooperation der Produktion, zunächst zwar auch noch vorwiegend auf der Grundlage von bilateralen Abkommen, aber auf Grund von Empfehlungen des RgW und seiner Fachkommissionen auch schon immer stärker multilateral, also zwischen mehreren Teilnehmerländern. Ein qualitativ neues Element der planmäßigen Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe ist die im voraus erfolgte Abstimmung der langfristigen Pläne aller Teilnehmerstaaten zunächst bis zum Jahre 1965. Die bisher unterschiedlichen Planzeiträume der acht Teilnehmer des RgW wurden vereinheitlicht und laufen für alle Länder bis 1965. Es werden auch bereits Arbeiten durchgeführt, die dazu dienen, die Perspektivpläne der sozialistischen Länder Europas für einen danach folgenden längeren Planzeitraum (bis 1975/80) aufeinander abzustimmen. Wir bezeichnen diese Abstimmung der Perspektivpläne als ein qualitativ neues Element in der Arbeit des RgW, weil damit erstmalig in der Geschichte der internationalen Wirtschaftszusammenarbeit zwischen den sozialistischen Staaten im voraus international verbindlich festgelegt wird, welche Produktionen in den einzelnen Ländern langfristig entwickelt werden müssen, welche Spezialisierung während dieses Zeitraumes zwischen den verschiedenen Ländern erfolgt und wie die Produktions- und Zirkulationsbeziehungen zwischen den Ländern sich in dieser Zeit entwickeln werden. Die langfristige Planabstimmung der Länder des sozialistischen Weltwirtschaftssystems führt dazu, daß bei der Aufstellung der Volkswirtschaftspläne in den einzelnen Ländern die internationalen materiellen und finanziellen Forderungen und Verbindlichkeiten bereits als fixe Größe bekannt sind und entsprechend Berückbestimmte Proportionen in der materiellen Produktion, die völlig aus Eigenaufkommen gedeckt und ausschließlich in der eigenen Volkswirtschaft verbraucht werden. Diese binnenwirtschaftlichen Proportionen sind für die internationale Arbeitsteilung ohne Bedeutung.

Mit der Entwicklung der Produktivkräfte tritt für die Teile der materiellen Produktion mit ausschließlich binnenwirtschaftlicher Bedeutung ein ständiger Wandel ein, bestimmte Teile (die bisher nur für den Eigenbedarf produziert wurden) werden international spezialisiert, andere (bisher international spezialisierte) Teile werden infolge gestiegenen Eigenbedarfs nur noch für die Versorgung der Binnenwirtschaft verwandt.

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sichtigung finden. Das ist bei einer zunehmenden internationalen Spezialisierung zwischen den sozialistischen Volkswirtschaften gar nicht anders denkbar, da der Anteil der international spezialisierten und damit auch international auszutauschenden Arbeit — zumindest in den nächsten langfristigen Planperioden — beständig zunimmt. Der Außenhandel zwischen den sozialistischen Staaten wird damit auch immer mehr von einem, dem Ausgleich der Rohstoff-, Material- und sonstigen Warenbilanzen dienenden Instrument — das er bisher vor allem war — zum hauptsächlichen Realisator der für lange Zeiträume vorherbestimmten internationalen Arbeitsteilung. Bei der Abstimmung der langfristigen Entwicklungsprogramme der sozialistischen Länder und der damit zusammenhängenden Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung müssen die Planer in unseren Ländern davon ausgehen, daß der laufende Siebenjahrplan der Sowjetunion und die entsprechenden Pläne der anderen sozialistischen Staaten einschließlich unserer Republik nicht die letzte Etappe im wirtschaftlichen Wettstreit des Sozialismus mit dem Kapitalismus bilden. Es ist aber eine entscheidende Etappe, nämlich die Etappe, die der sozialistischen Welt neben den höher entwickelten Produktionsverhältnissen auch das absolute Übergewicht hinsichtlich der materiellen Produktionsbasis und des Produktionsvolumens gegenüber dem Kapitalismus verleihen wird. Wenn die Industrie der sozialistischen Länder im Jahre 1965 mehr Industrieerzeugnisse produzieren wird als die Industrie der kapitalistischen Länder, kann auf dieser materiell-technischen Grundlage die nächste Aufgabe gelöst werden. Diese besteht darin, das Niveau der Produktivkräfte derartig zu entwickeln, daß die Pro-Kopf-Produktionsleistung der entwickelten kapitalistischen Länder erreicht und übertroffen wird, daß die Arbeitsproduktivität einen Stand erreicht, der höher ist als in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern, einschließlich der USA. Das wird die Aufgabenstellung für den Gesamtperspektivplan der im RgW zusammengeschlossenen sozialistischen Länder bis zum J a h r e 1975/80 sein, der bis Ende 1960 ausgearbeitet wird. Dieser Zeitraum bis 1975/80 ist die entscheidende Periode, in der sich jener qualitative Sprung vollziehen wird, wo der internationale Sozialismus die entwickeltsten kapitalistischen Länder hinsichtlich des Niveaus der Arbeitsproduktivität in allen entscheidenden Wirtschaftszweigen überholt, wo die materiall-technische Grundlage für einen Überfluß an Produkten in den sozialistischen Ländern geschaffen wird. Dieser Zehn- bzw. Fünfzehnjahresplan von 1966 bis 1975/80 wird das entscheidende Programm des kommunistischen Aufbaus in den sozialistischen Ländern auf der Grundlage der gegenseitigen, arbeitsteiligen Hilfe und Unterstützung sein. Die Erfüllung der Pläne bis 1965 und schließlich des in Ausarbeitung befindlichen Perspektivplanes bis 1975/80 sind demnach entscheidende Meilensteine im ökonomischen Wettbewerb des Sozialismus mit dem Kapitalismus und beim Aufbau einer kommunistischen Weltgesellschaft. Dabei gilt es aber zwei Erscheinungen strenger zu unterscheiden, obwohl sie historisch über einen Zeitraum von vielen Jahren zusammenlaufen. Es sind dies

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1. der ökonomische Wettstreit mit dem Kapitalismus, der Kampf um einen maximalen Zeitgewinn gegenüber dem kapitalistischen Weltsystem und 2. der Aufbau der kommunistischen Gesellschaft in den Ländern des sozialistischen Weltsystems und damit einer kommunistischen Weltgesellschaft. Bei der Analyse des Zusammenhanges dieser beiden Erscheinungen darf nicht der ökonomische Wettbewerb mit dem Kapitalismus und die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe der UdSSR und des sozialistischen Weltsystems etwa mit dem Aufbau des Kommunismus in der Sowjetunion bzw. den anderen sozialistischen Ländern gleichgesetzt werden. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Dinge. Wenn wir den Zeitraum bis 1965 betrachten, so sind die kommenden Jahre für den Sozialismus erstens die entscheidende Etappe im Wettstreit mit dem Kapitalismus, als deren wichtigstes Ergebnis der Sozialismus ein absolutes ökonomisches Übergewicht über den Kapitalismus erringen wird und zweitens eine entscheidende Etappe bei der Errichtung der materiell-technischen Basis des Kommunismus. Diese Etappen fallen deshalb zusammen, weil der Sozialismus in Ländern gesiegt hat, die im allgemeinen einen niedrigeren Stand hinsichtlich der Entwicklung der Produktivkräfte besaßen als die entwickeltsten kapitalistischen Länder, insbesondere als die USA. Nach dem Sieg im ökonomischen Wettbewerb mit dem Kapitalismus wird der kommunistische Aufbau noch nicht vollendet sein, sondern erst dann, wenn in den sozialistischen Ländern ein Niveau der Produktion und besonders der Arbeitsproduktivität erreicht ist, das weitaus höher ist als im Kapitalismus. Erst auf einer solchen materiell-technischen Basis werden kommunistische Beziehungen zwischen den Menschen und besonders auch kommunistische Verteilungsprinzipien zur vollen Entfaltung gelangen können. Trotz der Größe der Aufgaben für die nächsten Jahre, deren Lösung einen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit bedeuten wird, handelt es sich hier demnach nur um eine entscheidende Etappe des kommunistischen Aufbaues, aber um die entscheidende Etappe des ökonomischen Sieges über den Weltkapitalismus. N. S. Chruschtschow sagte auf dem X X I . Parteitag der K P d S U , daß man die USA als das fortgeschrittenste kapitalistische Industrieland (das gegenwärtig etwa 47°/0der Industrieproduktion der kapitalistischen Welt auf sich vereinigt), „ . . . nicht für das Maß aller Dinge im ökonomischen Aufbau . . . " halten darf und fuhr fort: „Wenn der Produktionsstand in den USA als Maßstab für das Wachstum unserer Wirtschaft genommen wird, dann nur, um sie mit der am weitesten entwickelten kapitalistischen Wirtschaft zu vergleichen. Mit dem Sieg im ökonomischen Wettbewerb mit den USA werden wir nur die erste Etappe des kommunistischen Aufbaues abgeschlossen haben." 72 Und er sagte weiter: „Der in dieser Etappe erreichte Stand der ökonomischen Entwicklung ist für uns keineswegs die Endstation, sondern nur eine Zwischenstation, auf der wir das am weitesten entwickelte kapitalistische Land einholen, wo wir es zurücklassen können, während wir uns selbst vorwärtsbewegen werden." 73 72

Chruschtschow, N. S., a. a. 0 . , S. 118/19 (Hervorhebung von uns, W. K.). Ebenda, S. 119.

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Der Marxismus-Leninismus lehrt, daß der K o m m u n i s m u s nach dem S t u r z der kapitalistischen Ordnung und der Errichtung der D i k t a t u r des Proletariats nicht sofort erscheint, sondern daß die "Errichtung des K o m m u n i s m u s ein Prozeß ist, ein Prozeß des Entstehens, Reifens und Weiterentwickelns, daß der K o m m u n i s m u s bes t i m m t e Stadien durchläuft. D a s erste S t a d i u m dieser Entwicklung ist der Sozialismus, erst später aber, im L a u f e eines bestimmten Reifeprozesses der neuen Gesellschaft, entsteht der K o m m u nismus in seiner vollendeten F o r m . Das Gemeinsame an diesen beiden Stadien ist 1. daß in ihnen die Produktionsmittel gesellschaftliches E i g e n t u m sind und 2. daß d a s Ziel der Produktion die ständige E r h ö h u n g des materiellen und kulturellen Lebensniveaus aller Werktätigen ist und schließlich 3. daß das Mittel zur Erreichung dieses Zieles die ununterbrochene Entwicklung und Vervollkommnung der Produktion nach einem einheitlichen — immer stärker auch international wirksamen — Plan auf der G r u n d l a g e der höchsten Technik ist. Diese Merkmale sind beiden Phasen gemeinsam. B e i d e E t a p p e n im A u f b a u der kommunistischen Gesellschaft unterscheiden sich aber voneinander vor allem durch das Niveau der Produktion, durch den Stand der Produktivkräfte der Gesellschaft, durch den Grad der internationalen Arbeitsteilung, durch verschiedene Formen der Verteilung der erzeugten Produkte. Der vollentfaltete K o m m u n i s m u s setzt eine Entwicklungsstufe der Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität sowie eine solche internationale Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit voraus, die einen Überfluß an materiellen Gütern in allen im sozialistischen Weltsystem zusammengeschlossenen Ländern ermöglichen, wodurch das kommunistische Verteilungsprinzip: „ J e d e r nach seinen Fähigkeiten, j e d e m nach seinen B e d ü r f n i s s e n ! " national und international verwirklicht werden kann. Einen solchen Entwicklungsstand können die P r o d u k t i v k r ä f t e bei A b l ö s u n g der kapitalistischen durch die sozialistische Ordnung noch nicht haben, auch nicht unter den Bedingungen der hohen K a p i t a l - und Produktionskonzentration im Imperialism u s . E s ist unter den gegenwärtigen Bedingungen in der Welt immer eine kürzere oder längere Zeitspanne notwendig, während der die Völker die E t a p p e des Sozialismus als erste oder niedere Phase des K o m m u n i s m u s durchlaufen. Die sofortige Ablösung des K a p i t a l i s m u s durch den K o m m u n i s m u s ist auch deshalb nicht möglich, weil mit dem Entstehen und der Entwicklung der neuen, von Ausbeutung und Unterdrückung freien Gesellschaft allmählich die überlieferten kapitalistischen Denk- und Lebensgewohnheiten der Menschen überwunden werden müssen. Die Menschen müssen sich einem Umerziehungsprozeß unterziehen, d a m i t d a s kapitalistische Lebensprinzip: „ J e d e r gegen j e d e n ! " in den Vorstellungen der Menschen durch Prinzipien der Zusammenarbeit und der gegenseitigen H i l f e ersetzt wird, d a m i t schließlich die Arbeit zum Wohle und im Interesse der national und

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international organisierten sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft erstes Lebensbedürfnis jedes einzelnen Mitgliedes der Gesellschaft wird. Zwischen der ersten und der zweiten E t a p p e des Aufbaues der kommunistischen Gesellschaft, zwischen ihrer niederen und höheren Stufe gibt es keine unüberwindlichen Schranken, m i t der planmäßigen Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Produktion, mit der planmäßigen Entwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e der sozialistischen Gesellschaft, mit zunehmender internationaler Zusammenarbeit auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens (einschließlich der Wirtschaftszusammenarbeit) und der Entwicklung eines kommunistischen Bewußtseins wächst der Sozialismus allmählich in den Kommunismus hinüber. Diese Entwicklung ist — wie jede Entwicklung ü b e r h a u p t — natürlich eine widerspruchsvolle. Der Widerspruch zwischen P r o d u k t i v k r ä f t e n und Produktionsverhältnissen ist hierbei nichtantagonistischer Art. Die Vervollkommung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und der allmähliche Übergang zu kommunistischen Produktionsverhältnissen auf der Grundlage eines schnellen Wachstums der gesellschaftlichen P r o d u k t i v k r ä f t e bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Qualität dieses Widerspruchs. Durch die Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, d a m i t letztlich durch Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft — also der Menschen selbst — werden immer mehr die Muttermale des Kapitalismus verschwinden, die es in der Übergangsperiode und im Sozialismus noch gibt, die zwar nicht typisch f ü r den Sozialismus sind, aber noch eine letzte Fessel f ü r die völlig freie u n d ungehinderte (planmäßige) E n t f a l t u n g der gesellschaftlichen Prod u k t i v k r ä f t e darstellen. Solche Muttermale des Kapitalismus sind beispielsweise — um n u r einige zu nennen — die Hervorhebung der persönlichen Interessen im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Interessen (z. B. Normenschaukelei, Bummelantent u m usw.), Bürokratismus, Verletzung der Plandisziplin, in den Beziehungen zwischen den Nationen sind es Überbetonung nationaler Interessen (Nationalismus) Autarkiebestrebungen u. a. m. Sowohl der Entwicklungsstand der P r o d u k t i v k r ä f t e als auch das Entwicklungsniveau der Produktionsverhältnisse und des Bewußtseins der Menschen bedingen also nach der sozialistischen Revolution einen gewissen — längeren oder kürzeren — Zeitraum bis zur Errichtung einer vollentfalteten kommunistischen Gesellschaft. Die Erfüllung des Siebenjahrplanes der U d S S R und der entsprechenden Pläne der anderen sozialistischen Staaten, die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen ihnen treibt diesen Prozeß voran und bedeutet f ü r das sozialistische Weltsystem und die einzelnen Länder desselben dabei zunächst 1. eine ungeheure Vergrößerung der P r o d u k t i v k r ä f t e des Sozialismus und Verdoppelung der Produktion materieller Güter; 2. die Schaffung einer wirksameren und harmonischeren nationalen und internationalen Zweigstruktur der gesellschaftlichen Produktion, die ein bedeutend höheres Niveau der Arbeitsproduktivität und der Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung gewährleistet;

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3. die verstärkte Ausnutzung der vorhandenen Naturreichtümer in allen sozialistischen Ländern; 4. den Übergang zu einer höheren Stufe der Vergesellschaftung der Produktion (d. h. der Konzentration, Spezialisierung und Kooperation der Produktion). Insofern ist die Erfüllung der langfristigen Pläne bis 1965 und der Sieg im friedlichen ökonomischen Wettstreit mit dem Kapitalismus eine entscheidende Etappe bei der Errichtung des Kommunismus. Wie auf dem X X I . Parteitag der KPdSU festgestellt wurde, setzt die Errichtung der materiell-technischen Basis des Kommunismus folgendes voraus 7 4 : 1. Die Schaffung einer hochentwickelten modernen Industrie; 2. die volle Elektrifizierung des Landes; 3. einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt in allen Produktionszweigen (Industrie und Landwirtschaft); 4. volle Mechanisierung und Automatisierung aller Produktionsprozesse; 5. eine allseitige Ausnutzung neuer Energiequellen und der reichen Naturschätze sowie der neuen chemischen (synthetischen) Stoffe; 6. die Hebung des kulturellen und technischen Niveaus aller Werktätigen als der wichtigsten Produktivkraft; 7. eine weitere Verbesserung der Produktionsorganisation und der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Diese Voraussetzungen gelten allgemein, gelten grundsätzlich für alle sozialistischen Länder und Nationen, wenn sie den Weg zum Kommunismus beschreiten. Von diesen Voraussetzungen müssen sich die Perspektivplaner der sozialistischen Länder bei der Festlegung der Aufgaben bis 1975/80 leiten lassen, denn das gemeinsame Wirtschaftsprogramm der sozialistischen Länder für die nächsten 15 bis 20 Jahre ist eben das Programm des gemeinsamen kommunistischen Aufbaues. Die enge Wechselwirkung zwischen dem ökonomischen Wettstreit mit dem Kapitalismus, der Erzielung eines maximalen Zeitgewinns und der Schaffung der materiell-technischen Basis des Kommunismus besteht gegenwärtig darin, daß mit der Erlangung eines absoluten Übergewichts in der Weltproduktion zugleich ein wesentlicher Schritt bei der Errichtung der materiell-technischen Basis des Kommunismus getan wird. Den Kapitalismus ökonomisch zu schlagen ist deshalb die entscheidende ökonomische Gegenwartsaufgabe, weil nach der Lösung dieser Aufgabe der Sozialismus seine Überlegenheit über den Kapitalismus allseitig und umfassend bewiesen hat, weil damit die Möglichkeit neuer, verheerender Weltkriege ausgeschlossen ist und die sozialistischen Länder erst danach in breiter Front zum Aufbau des vollentfalteten Kommunismus übergehen werden. Insofern ist die ökonomische Hauptaufgabe der Gegenwart für das sozialistische Weltsystem eine Teilaufgabe bei der Errichtung der materiell-technischen Basis des Kommunismus und der Schaffung kommunistischer Produktionsverhältnisse, die Etappe ihrer Lösung aber ist eine Teiletappe des kommunistischen Aufbaues in den sozialistischen Ländern. 74

Ebenda, S. 118.

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Im Jahre 1965, wenn das sozialistische Weltwirtschaftssystem die Hälfte der Weltindustrieproduktion auf sich vereinigt, werden die Aufgaben des kommunistischen Aufbaus konkreter vor uns stehen. Es gilt aber schon heute, mit mehr schöpferischer Phantasie an die großen Aufgaben der Zukunft heranzugehen. Wir werden nach 1965 mit ganz anderen Maßstäben rechnen müssen als in der Gegenwart. Wenn man von 1965 an für die sozialistische Weltwirtschaft eine durchschnittliche jährliche Steigerung der Industrieproduktion von 10°/0 annimmt, so wird im Jahre 1975 in den Ländern des sozialistischen Weltsystems beinahe das Fünffache der heutigen Menge an Industriegütern erzeugt werden; 1985 aber wird es etwa das Zwölffache des gegenwärtigen Standes sein. Muß man da nicht mit ganz anderen Vorstellungen und Denkmaßstäben an die Ausarbeitung und internationale Koordinierung des Perspektivplanes bis 1975/80 und in Ableitung davon an alle entscheidenden Fragen der internationalen Produktionsspezialisierung und -kooperation zwischen den sozialistischen Ländern herangehen als heute? Man muß es zweifellos! Wenn man ferner annimmt, daß die Industrieproduktion in der kapitalistischen Weltwirtschaft weiterhin um durchschnittlich 3°/0 jährlich steigt, so wird der Sozialismus im Jahre 1975 einen Anteil von zwei Dritteln an der Weltindustrieproduktion, 1985 aber schon von beinahe 80°/0 auf sich vereinigen. 76 Das bedeutet eine gewaltige Verlagerung des ökonomischen Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus in den nächsten 15 bis 25 Jahren. Nach Ablauf dieser Zeit — und vielleicht schon früher — wird die materielltechnische Basis des Kommunismus in den heutigen sozialistischen Ländern errichtet sein, werden die Menschen zur kommunistischen Verteilung 76 der erzeugten Güter übergehen. Bei der Planung dieser großen Produktionsaufgaben, mit deren erfolgreicher Lösung die Errichtung der materiell-technischen Basis des Kommunismus eng zusammenhängt, gilt es zunächst die Denkschwelle zu beseitigen, mit der wir noch vom Kapitalismus behaftet sind. Kommunismus bedeutet nicht nur Erlangung eines 75 Bei dieser Berechnung wurde für 1965 zugrunde gelegt, daß Sozialismus und Kapitalismus je die Ilalfte der Weltindustrieproduktion erzeugen, es wurde ferner vom Ausbrechen weiterer Länder aus der kapitalistischen Weltwirtschaftssphäre abstrahiert. 76 Mit unseren heutigen Vorstellungen behaftet, scheinen die menschlichen Bedürfnisse zuweilen unerschöpflich. Sie sind es in Wirklichkeit aber nicht. Die menschlichen Bedürfnisse sind kein Faß ohne Boden, der normale Mensch kann nicht mehr essen, als ihm physiologisch zuträglich ist, er benötigt auch keine 20 Anzüge oder 50 Kleider. Überfluß an Produkten ist nicht gleichbedeutend mit einem Schlemmerleben oder einer Vergeudung von Konsumgütern. Eine solche Vergeudung widerspricht dem kommunistischen Bewußtsein. So ist es z. B. keineswegs notwendig, im Kommunismus für jedes Mitglied der Gesellschaft seinen eigenen Personenkraftwagen einzuplanen. Es wird für die Gesellschaft viel rationeller und für den Einzelnen viel bequemer sein, wenn für die vorhandenen Automobile ein gesellschaftlicher Ausleihdienst besteht und diese im Bedarfsfalle zur allgemeinen Nutzung bereitstehen. Auch wird es beispielsweise kaum sinnvoll sein, wenn sich jeder Bürger der kommunistischen Gesellschaft trotz seines viel höheren kulturellen Durchschnittsniveaus eine Bibliothek von Zehntausenden von Büchern zulegt, die er größtenteils nicht oder nur teilweise liest. Eine kleine Handbibliothek oft benutzter Bücher genügt vollkommen, darüber hinaus können Bücher nach Wunsch ausgeliehen werden.

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neuen Bewußtseins, eines neuen Verhältnisses zum Eigentum an den Produktionsmitteln, sondern auch Anlegen neuer Maßstäbe in der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung, bedeutet auch ein neues Verhältnis zu bestimmten Verteilungsformen, die es im Sozialismus noch nicht gibt. Auch bei der Entwicklung und Vertiefung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den sozialistischen Ländern müssen wir immer mehr die Hemmungen beseitigen, die sich in unserem Denken aus der Zeit des Kapitalismus angesammelt haben. Wir müssen uns zunächst darüber klar werden, daß der gegenwärtige Stand der internationalen Wirtschaftszusammenarbeit erst die allererste Keimform einer kommunistischen internationalen Arbeitsteilung ist, der noch viele Mängel der kapitalistischen internationalen Arbeitsteilung anhaften. Wir müssen neue, dem Charakter und der Entwicklung unserer Gesellschaftsordnung entsprechende revolutionäre Wege der Zusammenarbeit und Hilfe suchen und beschreiten. Dazu gehört unserer Auffassung nach beispielsweise eine stärkere und mutige Inangriffnahme großer internationaler Investitionsvorhaben zur gemeinsamen Erschließung bisher noch ungenutzter Rohstoff- und Energiequellen (Sonnenenergie, Ebbe und Flut, Erdwärme usw.). Solange noch Ware-Geld-Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern bestehen, gehören dazu auch neue Formen der Ausnutzung des Wertgesetzes, der Kreditgewährung, der internationalen Investitionsfinanzierung (beispielsweise die Bildung einer internationalen Investitionsbank oder ähnliches), die Bildung einer eigenen Preisbasis im Außenhandel der sozialistischen Länder untereinander u. a. m. Wie wir es verstehen, die objektive Entwicklung zum Kommunismus langfristig und planmäßig zu vollziehen und dabei die ökonomischen Gesetze des Sozialismus auch international durch Vertiefung der Wirtschaftszusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern ständig besser auszunutzen, verändern wir das reale Kräfteverhältnis in der Welt zu unseren Gunsten. Der Kommunismus ist gegenwärtig schon lange kein Gespenst mehr, er ist eine real existierende und ständig stärker werdende internationale Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung, die schon heute in ihrem ökonomischen, politischen und kulturellen Siegeszug von keiner Macht der Erde mehr aufgehalten werden kann. Diesen ganzen gesellschaftlichen Prozeß, der sich in den nächsten 15 bis 20 Jahren in den sozialistischen Ländern vollziehen wird — der zu einer Umwälzung unserer Ökonomik, unseres Denkens und gesellschaftlichen Handelns führen und einen großen Einfluß auch auf den kapitalistischen Teil unserer Welt ausüben wird —, müssen wir bei der Ausarbeitung des Gesamtperspektivplanes der sozialistischen Länder bis 1975/80, bei der eng damit zusammenhängenden Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern zugrunde legen. Dabei müssen bei der Vertiefung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung nach unserer Auffassung vor allem vier wichtige wirtschaftspolitische Grundforderungen (Prinzipien) erfüllt werden. Es sind dies folgende: 1. Die planmäßige und schnelle erweiterte Reproduktion im gesamten sozialistischen Lager und in jedem einzelnen Lande mit Hilfe der internationalen Arbeitsteilung.

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2. Die Bildung von nationalen und internationalen Wirtschaftskomplexen unter Einbeziehung und mit Hilfe der internationalen Arbeitsteilung. 3. Die Ausnutzung der internationalen Arbeitsteilung zur maximalen Einsparung an Arbeitszeit, zur Einsparung von gesellschaftlicher Arbeit in jedem einzelnen sozialistischen Lande und im gesamten sozialistischen Weltsystem. 4. Die Beseitigung der historisch entstandenen Unterschiede im Entwicklungsstand der einzelnen Länder und Angleichung des Entwicklungsniveaus der weniger entwickelten Länder an das Niveau der fortgeschrittenen. Zur ersten Grundforderung: Eine planmäßige und schnelle erweiterte Reproduktion im gesamten sozialistischen Lager und in jedem einzelnen Lande ist nur möglich, wenn das ökonomische Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Wirtschaft weitgehend auch international ausgenutzt wird, wenn die sozialistischen Staaten es vermögen, ständig den Widerspruch zwischen der planmäßigen und schnellen erweiterten Reproduktion in jedem einzelnen Lande und im gesamten sozialistischen Lager zu lösen. Entscheidend für die ständige Lösung dieses Widerspruchs ist die langfristige internationale Planung und Abstimmung, Spezialisierung und Kooperation, also die langfristig festgelegte Teilung der Arbeit zwischen den sozialistischen Volkswirtschaften. Dabei sollten vor allem folgende Bedingungen berücksichtigt bzw. geschaffen werden: a) Entwicklung der rohstofl-, brennstoff- und energieerzeugenden Industriezweige in allen Ländern. Die schnelle Erschließung und stärkere Ausnutzung dieser Zweige muß nach einem langfristigen Plan für jedes einzelne Land erfolgen und zwischen den Ländern langfristig aufeinander abgestimmt sein. Wenn die Erschließung größerer Rohstoff- und Brennstoffvorkommen von internationalem Interesse ist, die Wirtschaftskraft eines Landes aber übersteigt, sollten gemeinsame Investitionsprogramme mehrerer Länder in Angriff genommen bzw. dem erschließenden Lande von den anderen interessierten Partnern Kredite gewährt werden. 77 77 Es gibt bereits viele Beispiele, die darauf hinweisen, daß die sozialistischen Staaten immer mehr bei der Rohstoff-, Brennstoff- und Energieerzeugung dazu übergehen, ihre Anstrengungen zu vereinen. So wird z. B. das Zellstoffkombinat in Braila (VR Rumänien) von mehreren sozialistischen Ländern (neben der VR Rumänien von der DDR, der CSSR und anderen) erbaut. Nur dadurch ist es möglich, daß bis 1967 etwa 200000 t Donauschilf zu Zellstoff verarbeitet werden können, da ein solches Projekt die Wirtschaftskraft eines Landes wie Rumänien übersteigt. Ein anderes Beispiel ist ein 400-Mill.-Rubel-Kredit der D D R an die VR Polen. Im Rahmen dieses Abkommens wurden Ausrüstungen für die neuen Braunkohlentagebaue im Gebiet von Turow und Konin geliefert. Die verstärkte Braunkohlenförderung wird es Polen ermöglichen, einen Teil seiner Energieerzeugung von Steinkohlen- auf Braunkohlenbasis umzustellen und andererseits die steinkohlenarmen sozialistischen Länder (unter ihnen auch die DDR) verstärkt mit Steinkohlen zu beliefern. Als drittes Beispiel wollen wir noch anführen, daß auch an der weiteren Erschließung der reichen Kalivorkommen in der DDR sich andere interessierte sozialistische Länder materiell und finanziell beteiligen, so z. B. die CSSR. Auch die geplante gemeinsame Nutzung der Wasserkraftreserven der Donau und der Bau von Energieverbundsystemen zwischen den verschiedenen sozialistischen Ländern sind weitere Beispiele für eine immer

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b) Vorrangige E n t w i c k l u n g der Schwerindustrie (der P r o d u k t i o n s m i t t e l p r o d u zierenden P r o d u k t i o n s i n s t r u m e n t e ) in allen L ä n d e r n auf der G r u n d l a g e einer intern a t i o n a l e n Spezialisierung bei gleichzeitiger E n t w i c k l u n g aller wichtigen Industriezweiggruppen, der L a n d w i r t s c h a f t , des Verkehrs- u n d T r a n s p o r t w e s e n s , des Außenhandels usw. D i e v o r r a n g i g e E n t w i c k l u n g der Schwerindustrie für alle Länder des sozialistischen W e l t s y s t e m s sollte als langfristige T e n d e n z a u f g e f a ß t werden. D a b e i k a n n es nach unserer Meinung kurzfristige Abweichungen für einzelne L ä n d e r geben, doch niemals f ü r d a s g e s a m t e sozialistische W e l t w i r t s c h a f t s s y s t e m . K u r z fristige Abweichungen in der Produktion einzelner L ä n d e r müßten durch a n d e r e L ä n d e r über den Außenhandel ausgeglichen werden. c) Insbesondere E n t w i c k l u n g derjenigen v e r a r b e i t e n d e n Industriezweige in jedem einzelnen Land, die u n m i t t e l b a r an eine v o r h a n d e n e eigene Rohstoff-, Brennstoffund E n e r g i e b a s i s a n k n ü p f e n . Diese B e d i n g u n g h ä n g t eng m i t der unter a) genannten z u s a m m e n bzw. ist von dieser a b h ä n g i g . D i e beschleunigte E n t w i c k l u n g der rohstoff-, brennstoff- und energieerzeugenden Industriezweige in j e d e m sozialistischen L a n d ermöglicht die E n t w i c k l u n g entsprechender Verarbeitungsindustrien. Anschaulich k a n n d a s a m Beispiel der Chemie erläutert werden: W ä h r e n d die c h e m i s c h e I n d u s t r i e R u m ä n i e n s beispielsweise auf Petrol- und E r d g a s b a s i s arbeitet, basiert die chemische I n d u s t r i e der D D R vorwiegend auf B r a u n k o h l e und K a l i , die Polens v o r allem auf Steinkohle und K a l i . Mit zunehmender internationaler Arbeitsteilung, d e m A u s b a u und der Verbilligung des T r a n s p o r t w e s e n s und der E n t w i c k l u n g der chemischen Industrie erfolgt hier allerdings eine i m m e r s t ä r k e r e E m a n z i p a t i o n der einzelnen Volkswirtschaften v o n den eigenen R o h s t o f f v o r k o m m e n . 7 8 d) Vorrangige E n t w i c k l u n g derjenigen Zweige des M a s c h i n e n b a u e s in jedem einzelnen Land, die Maschinen und Ausrüstungen f ü r j e n e Industrie- u n d W i r t s c h a f t s zweige produzieren, auf die sich d a s jeweilige L a n d spezialisiert. e) E n t w i c k l u n g einer hochmechanisierten landwirtschaftlichen

in allen sozialistischen

Ländern.

Großproduktion

D a b e i sollte j e d e s L a n d grundsätzlich über eine

entwickelte Feld- und Viehwirtschaft m i t entsprechendem F u t t e r a n b a u v e r f ü g e n . E i n e internationale Spezialisierung in der L a n d w i r t s c h a f t m ü ß t e u n t e r Berücksichtig u n g der unterschiedlichen klimatischen B e d i n g u n g e n ( v e r s t ä r k t e r Obst- und Gestärkere gemeinsame

Erschließung der Rohstoff- und Brennstoffvorkommen sowie der

Energiequellen des sozialistischen Lagers. 7 $ Ein Beispiel dafür, daß die sozialistischen Länder zumindest z. T. immer mehr von den eigenen Rohstoffvorkommen unabhängig werden, ist der im Verlaufe des Siebenjahrplanes geplante Bau einer Erdölleitung von der Wolga über Mosyr (Bjelorussische S S R ) und Polen nach Schwedt (DDR) und über Ungarn nach Bratislava ( C S S R ) . Mit der Lieferung von mehreren Millionen Tonnen Erdöl ab 1963 jährlich durch die U d S S R wird an die Stelle des Rohstoffs Braunkohle in der chemischen Industrie der D D R zu einem großen Teil der viel rationellere Rohstoff Erdöl treten können. Ein weiteres Beispiel für die zumindest teilweise Emanzipation von den eigenen Rohstoffen ist ebenfalls in der Chemie zu suchen. So wird die beschleunigte Produktionsentwicklung und -Steigerung von Kunststoffen (Phenoplasten, Aminoplasten, Polyolefinen, Polyvinylchlorid und anderen und von Erzeugnissen aus ihnen) dazu führen, daß viele fehlende herkömmliche Rohstoffe, Metalle usw. in der Industrie und anderen Teilen der Wirtschaft einen vollwertigen Ersatz durch Chemieerzeugnisse finden.

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müseanbau in Ländern wie Albanien, Bulgarien, Ungarn und Rumänien), aber auch der unterschiedlichen Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche je Einwohner in den verschiedenen Ländern erfolgen. So sollten Länder mit einer großen Bevölkerungsdichte und geringer landwirtschaftlicher Nutzfläche je Kopf der Bevölkerung (wie z. B. die DDR) vor allem Intensivkulturen zur Eigenversorgung anbauen und bestimmte pflanzliche Erzeugnisse (z. B. Brotgetreide) weiterhin in großen Mengen importieren. f) Entwicklung einer vielseitigen Konsumgüterproduktion in allen sozialistischen Ländern. Ein bestimmtes Grundsortiment an Gütern der Nahrungsmittel- und Leichtindustrie wird von allen sozialistischen Ländern zur Eigenversorgung selbst hergestellt. Darüber hinaus sollten bestimmte Spezialitäten der Nahrungs- und Genußmittelindustrie stärker international ausgetauscht und auch bei vielen industriellen Konsumgütern mit langer Nutzungsdauer (z. B. Fernsehgeräte, Fahrzeuge, Haushaltmaschinen, optische Geräte, Musikinstrumente usw.) eine stärkere internationale Spezialisierung herbeigeführt werden. Neben diesen entscheidenden Bedingungen für eine planmäßige und schnelle erweiterte Reproduktion im gesamten sozialistischen Lager und in jedem einzelnen Lande muß bei der Organisierung einer immer enger verflochtenen, arbeitsteiligen sozialistischen Weltwirtschaft gesichert werden, daß jedes sozialistische Land bei seiner spezialisierten und international abgestimmten Produktion schnell Weltniveau erreicht, d. h. einen international (für Sozialismus und Kapitalismus) hohen Stand der Arbeitsproduktivität und der Qualität der erzeugten Produkte. Dieses Weltniveau muß dann ständig gehalten und wesentlich mitbestimmt werden. Dabei sollte völlige Klarheit darüber herrschen, daß Weltniveau kein statischer, sondern ein dynamischer Begriff ist. Um das Weltniveau bei einer bestimmten Produktion halten und mitbestimmen zu wollen, müssen die Produktivkräfte rasch weiterentwickelt werden. 79 Zur schnellen Weiterentwicklung der Produktivkräfte, zum Erreichen und Diktieren des Weltniveaus in der Produktion sukzessive auf allen Gebieten erscheint es angebracht, daß die sozialistischen Länder ihre Forschungs- und Entwicklungsprogramme stärker als bisher international koordinieren und auch direkte internationale Forscher- und Arbeitskollektive gründen. 80 Auch die technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit und Hilfe zwischen den sozialistischen Ländern wird zweifellos immer mehr vor allem auf der Grundlage von gefaßten Spezialisierungsbeschlüssen erfolgen. 79 So hatten bestimmte Teile der optischen und feinmechanischen Industrie der D D R bereits einmal Weltniveau (Photoapparate, Büromaschinen u. a. m.), sie haben dieses Prädikat infolge ungenügender Modernisierung der Betriebe und damit Weiterentwicklung der Produktivkräfte und der Produktion jedoch teilweise verloren. 80 Ein hervorragendes Beispiel für die Zusammenarbeit eines internationalen Forscherkollektivs an einem internationalen Forschungsprogramm ist die Arbeit des Vereinigten Instituts für Kernforschung in Dubna (UdSSR), es gibt aber auch zwischen den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe eine ständig zunehmende Zahl von Beispielen über die Koordinierung nationaler Forschungsprogramme und ihre Spezialisierung zwischen mehreren Ländern.

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In diesem Zusammenhang scheint uns für eine schnelle erweiterte Reproduktion im gesamten sozialistischen Lager noch ein anderer Gesichtspunkt wichtig zu sein. E s werden fortwährend neue, technologisch fortgeschrittenere Produktionen aufgenommen (z. B . automatische Steuerungsgeräte, Halbleitertechnik u. a.). Diese Produktionen mit einer besonders komplizierten Technologie erfordern ein hohes Maß an technischer Ausstattung, Produktionserfahrung und Qualifikation. Bei der Entwicklung dieser Produktionen, die für eine moderne Rekonstruktion der Industrie, für eine weitgehende Automation der Produktion unerläßlich sind, tragen die industriell entwickelten sozialistischen Länder die größte Verantwortung. Sie sind es, die zunächst die meisten Voraussetzungen für die Entwicklung dieser Produktionen haben und das in ihren Produktionsprogrammen berücksichtigen müssen, um ihre Produktionserfahrungen auf den jeweiligen Gebieten schließlich immer mehr den anderen sozialistischen Ländern zu vermitteln. 8 1 Zur zweiten Grundforschung: Die Bildung nationaler und internationaler Wirtschaftskomplexe ist ein objektiver ökonomischer Prozeß. W e i t e r oben (in Abschnitt I) zitierten wir bereits Marx, der darauf hinwies, daß für die gesellschaftliche Arbeitsteilung „ . . . die Größe der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit . . . " eine wichtige Voraussetzung bildet. Neben der Größe der Bevölkerung und der Größe des Territoriums als natürliche Grundlagen müssen auch noch die verschiedenen geographischen und historischen Bedingungen 8 2 8 1 Bei der Formulierung unserer Gedanken zu der ersten wirtschaftspolitischen Grundforderung zur Vertiefung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung übernehmen wir entscheidende Anregungen und Hinweise aus einem Artikel von V. Kaigl. I n : „Politickä ekonomie", 7. Jahrg., H. 6, 1959. E s heißt dort: „Jedes Land sollte vorrangig die Produktionszweige der verarbeitenden Industrie entwickeln, die unmittelbar an ihre eigene Rohstoff-, Brennstoff- und energetische Basis anknüpfen; jedes Land muß über seine eigene Maschinenbauproduktion verfügen, wobei dieses vorrangig jene Fachbereiche der Maschinenbauproduktion entwickeln sollte, die Maschinen und Ausrüstungen für die Industrie- und Landwirtschaftszweige produzieren, auf die sich das betreffende Land nach Absprache mit den anderen sozialistischen Ländern spezialisierte; bei der Festlegung der Produktionsspezialisierung müssen solche Bedingungen geschaffen werden, daß in der spezialisierten Produktion so schnell wie möglich zumindest das Weltniveau der Arbeitsproduktivität erreicht werden kann; die höchstentwickelten Staaten sollten vorrangig neue, technologisch fortgeschrittene Produktionszweige entwickeln und gleichzeitig sollten damit parallel die Produktionszweige mit der üblichen Technologie allmählich an die industriell bisher weniger entwickelten sozialistischen Länder abgetreten werden; jedes Land sollte sich jedoch verpflichten, daß es die technische Entwicklung des Weltniveaus in den Fertigungszweigen, auf die es sich absprachegemäß spezialisierte, sichert und mit den Erzeugnissen vorrangig den Bedarf der anderen sozialistischen Länder, insbesondere aber jener, die ihm eventuell die betreffende Produktion abgetreten haben und selbst auf diese verzichten, befriedigen wird." 8 2 Zu den geographischen Bedingungen zählt vor allem die Verteilung der Bodenschätze, aber auch klimatische Bedingungen, die z. B . den Anbau bestimmter Kulturen (Mais-, Wein- oder Baumwollanbau) gestatten, die Fruchtbarkeit des Bodens usw. Zu den historischen Bedingungen zählt der Entwicklungsstand der Industrie und Landwirtschaft, die Zahl und Qualifikation der Arbeiter, Ingenieure usw.

13 Probleme Bd. 3

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bei der Organisierung nationaler und internationaler Wirtschaftskomplexe berücksichtigt werden. Die Bildung von Wirtschaftskomplexen hängt eng mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die Bildung internationaler Wirtschaftskomplexe mit der internationalen Arbeitsteilung zusammen. Es gibt keine Komplexbildung ohne Arbeitsteilung, ohne Spezialisierung, und umgekehrt; Arbeitsteilung (Spezialisierung) und Bildung von Wirtschaftskomplexen sind zwei Pole ein und derselben Sache, sind zwei Seiten des gleichen ökonomischen Prozesses. Komplexe Entwicklung jeder sozialistischen Volkswirtschaft heißt strukturmäßig zunächst, daß jedes Land sowohl die Industrie als auch die Landwirtschaft entwickeln muß, innerhalb der Industrie sowohl rohstofferzeugende als auch verarbeitende Industriezweige (wobei die Abteilung I in allen Ländern vorrangig zu entwickeln ist), innerhalb der Landwirtschaft sowohl den Pflanzenbau als auch die Viehzucht. Komplexe Entwicklung einer Volkswirtschaft heißt aber auch ökonomische Regionierung, Bildung ökonomischer Bezirke, also rationelle territoriale Verteilung der Produktivkräfte und ständige Verbesserung der Standortverteilung der Produktion. Zur rationellen territorialen Verteilung der Produktivkräfte gehören eine fortwährende Verbesserung der Kooperationsbeziehungen zwischen den Betrieben und Rationalisierung des Gütertransports. Solche Maßnahmen erhöhen den ökonomischen Nutzeffekt der territorialen Verteilung der gesellschaftlichen Produktion. J e größer dabei ein Land, seine Bevölkerung und sein natürlicher Reichtum, je entwickelter seine Produktivkräfte sind, um so vielseitiger und komplexer kann seine nationale Produktion sein, um so unabhängiger ist ein solches Land von der internationalen Arbeitsteilung (Spezialisierung). Ohne Zweifel gibt es quantitativ und qualitativ unterschiedlich zu bewertende Wirtschaftskomplexe bzw. ökonomische Bezirke. Es gibt Bezirke, die einen oder mehrere Rohstoffe als Ausgangsstoff ihrer spezialisierten Produktion haben und sich von dieser Seite her komplex (mit Zulieferbetrieben, entsprechenden Maschinenbaubetrieben, mit Wohnungs- und Städtebau, der Konsumgüterindustrie usw.) entwickeln, wodurch das gesamte territoriale Profil des jeweiligen Bezirkes bestimmt wird. Es gibt aber auch territoriale Wirtschaftseinheiten, die alle entscheidenden Industrie- und Landwirtschaftszweige umfassen, die ein umfassendes industrielles und landwirtschaftliches System besitzen. 83 83 Die G r e n z e n f ü r die rationelle t e r r i t o r i a l e V e r t e i l u n g der P r o d u k t i v k r ä f t e b z w . f ü r die ö k o n o m i s c h e n Bezirke sind v e r ä n d e r l i c h . Sie sind a b h ä n g i g v o m E n t w i c k l u n g s s t a n d d e r P r o d u k t i v k r ä f t e u n d der T r a n s p o r t m i t t e l . D e r allgemeine A u f s c h w u n g d e r P r o d u k t i v k r ä f t e u n d d e r P r o d u k t i o n b r i n g t die T e n d e n z zu einer i m m e r u m f a s s e n d e r e n K o m p l e x i t ä t d e r P r o d u k t i o n u n d d e r W i r t s c h a f t ü b e r h a u p t auf e i n e m kleineren R a u m m i t sich, die E n t w i c k l u n g der T r a n s p o r t m i t t e l dagegen f ü h r t in d e r T e n d e n z z u r A u s d e h n u n g u n d V e r b r e i t e r u n g des W i r t s c h a f t s r a u m e s . 84 I n der U d S S R bilden sich i m m e r m e h r zwei u m f a s s e n d e W i r t s c h a f t s k o m p l e x e h e r a u s , ein bereits b e s t e h e n d e r westlich des Urals (im e u r o p ä i s c h e n Teil der U d S S R ) u n d ein n e u e n t s t e h e n d e r östlich des U r a l (mit d e m S c h w e r p u n k t i n Sibirien).

Zur internationalen Arbeitstagung im sozialistischen Weltsystem

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Zu den letzteren gehören vor allem die großen Nationalwirtschaften mit einer großen Bevölkerungszahl und einem großen Territorium, wie im sozialistischen Lager beispielsweise die U d S S R 8 4 und die Volksrepublik China, zu den ersteren dagegen die kleineren und mittleren sozialistischen Länder, die ihre Volkswirtschaften auf der Grundlage einer internationalen Spezialisierung komplex entwickeln. Damit die Mehrzahl der sozialistischen Länder (mit Ausnahme der U d S S R und der Volksrepublik China) ihre Volkswirtschaften auf der Basis eines oder mehr rerer Ausgangsstoffe komplex entwickeln und dabei das Entwicklungsniveau der Produktivkräfte maximal steigern können, ist eine internationale Spezialisierung zwischen diesen Ländern zur ökonomischen Notwendigkeit geworden, diese Länder sind objektiv zu einer solchen Spezialisierung gezwungen. Das bildet die Grundlage für die Herausbildung umfassenderer internationaler Wirtschaftskomplexe, in denen sich die Nationalwirtschaften mehrerer sozialistischer Staaten oder Teile davon arbeitsteilig zusammenfügen und ergänzen. Wir wiesen bereits in anderem Zusammenhang darauf hin, daß ein qualitativer Unterschied zwischen nationaler und internationaler Komplexbildung besteht. International werden nicht alle Proportionen der gesellschaftlichen Reproduktion geplant bzw. aufeinander abgestimmt, sondern nur die wichtigsten. Daraus resultiert aber, daß die Bildung von internationalen Wirtschaftskomplexen auf der Grundlage einer solchen internationalen Spezialisierung erfolgt, die arbeitsteilig auf bestimmte Schwerpunktproduktionen durch einzelne Länder orientiert. E s werden immer vor allem Erzeugnisse der Abteilung I und (in bestimmtem Umfange) agrarische Produkte sein, bei denen die Länder Spezialisierungsverpflichtungen übernehmen, durch welche die internationale Komplexbildung bestimmt wird. So ist eine internationale Spezialisierung und folglich die Bildung internationaler Wirtschaftskomplexe einmal bedingt durch die unterschiedlichen natürlichen Bedingungen (Rohstoffvorkommen und klimatische Bedingungen, die den Anbau bestimmter landwirtschaftlicher Kulturen ermöglichen), zweitens aber durch bestimmte optimale Produktionsgrößen, die eine Produktion erst bei einer bestimmten Produktionsmenge volkswirtschaftlich rentabel werden lassen. Hier muß besonders im Maschinenbau (und in bestimmtem Umfang in der Chemie) international verbindlich festgelegt werden, welches sozialistische Land welche Maschinen und in welcher Menge baut, um damit neben der Eigenversorgung auch den Bedarf der anderen sozialistischen Länder zu decken. Die natürlichen Bedingungen und die Übernahme internationaler Produktionsverpflichtungen im Maschinenbau und z. T. in der Chemie müssen also immer mehr das Produktionsprofil der einzelnen sozialistischen Länder, ihre Einordnung in den gemeinsamen internationalen Wirtschaftskomplex bestimmen. Um diese spezialisierte Produktion (vor allem in der Abteilung I) gruppieren sich die anderen, notwendigen Produktionen, die das gesamte Wirtschaftsprofil eines Landes bestimmen. Auch in der Konsumgüterindustrie erfolgt zweifellos eine gewisse internationale Spezialisierung und damit die spezialisierte Versorgung eines internationalen Wirt8 5 So wird jedes L a n d in der Regel z. B . seine eigene Textilindustrie, eine eigene N a h rungsmittelindustrie usw. besitzen. Ein internationaler A u s t a u s c h bei P r o d u k t e n dieser Industrien wird in den Grund- oder S t a n d a r d s o r t i m e n t e n k a u m erfolgen.

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schaftskomplexes mit bestimmten Gütern durch jeweils ein oder einige Länder. Diese Spezialisierung kann nach unserer Auffassung aber nicht so tiefgreifend sein wie bei der Produktionsmittelerzeugung. 8 ® Hier sollte eine stärkere Spezialisierung bei bestimmten hochwertigen (langlebigen) Konsumgütern (vor allem aus dem Maschinenbau) erfolgen, d. h. also bei Personenkraftwagen, Kühlschränken, Fernsehgeräten, Wasch- und sonstigen Haushaltsmaschinen, in der optischen und Fotoindustrie, aber auch der Holz- und Möbelindustrie, der Glas- und keramischen Industrie, im Musikinstrumentenbau u. a. m. Die Spezialisierung muß hier aber nach Erzeugnisarten oder Typen erfolgen und kann nicht etwa so aussehen, daß ein Land das gesamte sozialistische Lager mit Fotoapparaten, Fernsehgeräten oder Kühlschränken aller Arten und Typen versorgt. Unsere Ausführungen deuten schon darauf hin, daß bei einer sinnvollen internationalen Spezialisierung auch ein kleines oder mittleres sozialistisches Land, das sich auf die Produktion eines oder einiger Produkte von Bedeutung für das gesamte sozialistische Lager oder einen Teil desselben spezialisiert und sich damit arbeitsteilig in einen größeren, internationalen Wirtschaftskomplex einordnet (so z. B. Rumänien auf die Produktion von Erdöl -> einer erdölverarbeitenden Industrie -*• einer Petrochemie -> auf die Produktion von Erdölförder- und-verarbeitungsmaschinen, Kesselwagen usw.), eine sehr vielseitige Industrie- und Wirtschaftsstruktur von nationaler Bedeutung haben muß. Dabei sollte in der Regel für jedes sozialistische Land gelten, daß alle wesentlichen Industriezweiggruppen entwickelt werden, aber nicht bei allen die dazugehörigen Zweige. In der Regel sollte jedes Land für den technischen Fortschritt wichtige Industriezweige, aber nicht alle dazugehörigen Sektoren entwickeln. Dabei sollte jedes sozialistische Industrieland verfügen 1. über eine eigene Energiewirtschaft; 2. über ein eigenes Bauwesen einschließlich Baustoffindustrie; 3. über eine eigene Metallurgie; 4. über verschiedene Zweige des modernen Maschinenbaues; 5. über verschiedene Zweige der chemischen Industrie; 6. über eine entwickelte (vielseitige) Leichtindustrie; 7. über eine eigene Nahrungsmittelindustrie; 8. über eine intensive Groß-Landwirtschaft (wichtige Arten landwirtschaftlicher Erzeugnisse) und Forstwirtschaft; 9. über ein entwickeltes Verkehrswesen; 10. über eine Papier-, polygrafische Industrie und andere Zweige. Die Tatsache, daß in immer mehr Industriezweiggruppen die kleineren sozialistischen Länder nicht imstande sind, einen optimalen Produktionskomplex von Zweigen bzw. Produktionsstufen für sich allein zu errichten, zwingt zur immer stärkeren Herausbildung von Wirtschaftskomplexen, die mehrere Länder umfassen. Man kann dann, je nach Lage der Dinge

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

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a) einen erforderlichen, optimalen Produktionskomplex in einem Land (mit Hilfe der anderen Länder) errichten, der alle anderen Länder versorgt (letztere verzichten auf Eigenentwicklung der Produktion); b) einen optimalen Produktionskomplex international organisieren. 86 Mit der Entwicklung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung, der Spezialisierung der Produktion zwischen den Ländern und zugleich der maximalen Entfaltung der Produktivkräfte in jedem einzelnen Land befinden wir uns mitten in diesem Prozeß der Bildung internationaler Produktions- und Wirtschaftskomplexe im sozialistischen Weltwirtschaftssystem. Zur dritten Grundforderung: Der maximale Zeitgewinn gegenüber dem Kapitalismus — hierbei auch die stärkere Ausnutzung des Zeitfaktors in der Entwicklung der sozialistischen Weltwirtschaft — ist zu dem entscheidenden ökonomischen Problem unserer Gegenwart geworden. N. S. Chruschtschow bezeichnete den maximalen Zeitgewinn im friedlichen ökonomischen Wettstreit des Sozialismus mit dem Kapitalismus als das Grundproblem des sowjetischen Siebenjahrplanes. Man kann diese Formulierung auf die langfristigen Pläne der anderen sozialistischen Staaten und auf ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Anstrengungen ausdehnen. Der Zeitfaktor spielt in der Ökonomie eine außerordentlich große Rolle. „ Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf" 8 7 , schreibt Marx und erläutert: „ J e weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh usw. zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu anderer Produktion, materieller oder geistiger." 88 Das heißt aber mit anderen Worten: J e höher die gesellschaftlichen Produktivkräfte und damit die Arbeitsproduktivität entwickelt sind, desto weniger Zeit benötigt die Gesellschaft, um eine bestimmte Menge an Gebrauchsgütern — sowohl Produktionsmitteln als auch Konsumgütern — herzustellen. Und an der gleichen Stelle bezeichnet Marx die „Ökonomie der Zeit" als ökonomisches Gesetz. Er schreibt: „Ökonomie der Zeit, sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiedenen Zweige der Produktion, bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion. Es wird sogar in viel höherem Grade Gesetz." 88

Diese Worte Marx' werden von Fritz Behrens in einem Beitrag zum Problem des „Zeitfaktors in der Ökonomie" 90 folgendermaßen auf unsere Gegenwart angewandt: 88 Die letzten beiden Absätze wurden einem bisher noch unveröffentlichten Manuskript entnommen, das der Verfasser gemeinsam mit Dr. Brauer (Hochschule für Ökonomie) erarbeitet hat. 87 Marx, Karl, Grundrisse der politischen Ökonomie. Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 89. 88 89 Ebenda, Ebenda, 1,0 Behrens, Fritz, Der Faktor „Zeit" in der Ökonomie im Lichte des X X I . Parteitages. In: „Wirtschaftswissenschaft", 7. Jahrg., H. 3, 1959.

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„Daß das Gesetz der Ökonomie der Zeit unter den Bedingungen sozialistischer Produktionsverhältnisse das ,erste ökonomische Gesetz' bleibt, ja, daß Ökonomie bei der Verausgabung der vergangenen, in den Produktionsmitteln vergegenständlichten und der als lebendige Arbeit gegenwärtigen Zeit als Prinzip der Wirtschaftsführung in den Mittelpunkt gerückt ist, kommt in dem hohen Entwicklungstempo der Produktion zum Ausdruck . . . Ökonomie der Zeit, das heißt die planmäßige Verausgabung der gesellschaftlichen, vergegenständlichten und lebendigen Arbeit, das heißt planmäßige erweiterte Reproduktion der materiellen Fonds, der Arbeitsmittel, der Arbeitsgegenstände und der menschlichen Arbeitskraft selbst, das heißt ein planmäßig hohes Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung, die Erreichung der gesteckten Ziele, die sich aus den Bedürfnissen der ganzen Gesellschaft ergeben, in kürzester Zeit, das bedeutet maximalen Zeitgewinn." 91

Dieses Gesetz der Ökonomie der Zeit muß immer stärker auch international bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der sozialistischen Länder berücksichtigt und ausgenutzt werden. Das bedeutet Orientierung der internationalen Arbeitsteilung auf eine maximale Einsparung an Arbeitszeit in jedem einzelnen sozialistischen Lande und in der gesamten sozialistischen Weltwirtschaft durch schnelle und stetige Steigerung der Arbeitsproduktivität und Senkung des Verbrauchs an gesellschaftlicher Arbeit mittels planmäßiger internationaler Spezialisierung und Kooperation und internationaler sozialistischer Gemeinschaftsarbeit in Produktion, Forschung und Entwicklung. Die schnelle Steigerung der Arbeitsproduktivität und Senkung des Verbrauchs an gesellschaftlicher Arbeit im sozialistischen Weltsystem wird unserer Auffassung nach vor allem durch die Beachtung der folgenden Bedingungen und die daraus abzuleitenden Maßnahmen ermöglicht: a) Weitestgehende Ausnutzung der vorhandenen Produktions- und Zirkulationsfonds, ständige Erhöhung ihres technischen Niveaus und in Verbindung damit ständige Verbesserung der Qualität der Produktion und Verringerung der Produktions- und Zirkulationskosten je erzeugtes Produkt; b) rationellste Ausnutzung der vorhandenen Arbeitskräfte, Erhöhung ihrer Zahl und Qualifikation im internationalen Maßstab und durch internationale Hilfe (durch Kreditgewährung zur Entwicklung neuer Industrien, bei der Ausbildung der Arbeitskräfte usw.); c) Ausführung von Investitionen mit dem größten nationalen und internationalen Nutzeffekt bei international günstiger territorialer Verteilung der Investitionen (Standortwahl); d) Erweiterung der international spezialisierten Serienproduktion und Sicherstellung der sogenannten Rentabilitätsgrenze der Produktion, in Verbindung damit ständige Erhöhung der Rentabilität der Produktion und des Außenhandels; e) ständige Verbesserung und Vervollkommnung des Niveaus, der Methoden und Organisationsformen der internationalen Wirtschaftszusammenarbeit und Erziehung der Menschen zu internationaler Solidarität und sozialistischer Disziplin. Von dem Bewußtseinsstand der Menschen in den sozialistischen Ländern und dem 91

Ebenda, S. 358.

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Niveau der Zusammenarbeit hängt es weitgehend ab, inwieweit die objektiven Möglichkeiten der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung in der Praxis wirklich genutzt werden. Wie die verschiedenen sozialistischen Staaten ihre nationalen Wirtschaftsinteressen immer enger mit den internationalen Interessen des Sozialismus verbinden, wie sie bestrebt sind, die „Ökonomie der Zeit" immer stärker ihren internationalen Spezialisierungsfestlegungen zugrunde zu legen, um den ökonomischen Wettstreit mit dem Kapitalismus schnell zu gewinnen, wird aus den Ergebnissen der Arbeit des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe und den Beschlüssen der einzelnen Ratstagungen ersichtlich. Auf der 11. Tagung des RgW in Tirana wurde z . B . eine Abstimmung der Produktionsprogramme der Ratsländer für wichtige Grundstoffe, die Energiewirtschaft und für bestimmte, wichtige Maschinenbauerzeugnisse bis 1965 vorgenommen. Die Ratsländer berücksichtigen bei dieser Abstimmung ihrer langfristigen Produktionsprogramme, daß die Produktion bestimmter Maschinen jeweils in solchen Ländern entwickelt bzw. fortgeführt werden muß, die über die rationellsten Bedingungen (Produktionskapazitäten, qualifizierte Arbeitskräfte, Material und Transportbedingungen) verfügen. Auf Grund dieser Spezialisierungsvereinbarungen wird die Deutsche Demokratische Republik Feinprofilstraßen, Ziehstraßen und Ausrüstungen für Tagebaue (Eimerkettenbagger u. a.) produzieren, die UdSSR aber Grobprofilstraßen, Bohranlagen für die Erdölwirtschaft und Löffelbagger, die CSSR ebenfalls Grobprofilstraßen und Tagebauausrüstungen, die Volksrepublik Polen Feinprofilstraßen, die Volksrepublik Rumänien Bohranlagen für die Erdölwirtschaft usw. Auch die Spezialmaschinenproduktion für die Wälzlagerindustrie wurde bis 1965 festgelegt. So werden von der UdSSR 55, von der DDR 40, von der CSSR und der Volksrepublik Polen je 10 Spezialmaschinentypen produziert. 92 Die 12. Tagung des RgW, die vom 10. bis 14.12.1959 in Sofia stattfand, faßte neue Spezialisierungsbeschlüsse für die nächsten Jahre. Auf dieser Tagung wurden insbesondere Empfehlungen zur weiteren Spezialisierung der Produktion von wichtigen Arten chemischer Ausrüstungen, von Ausrüstungen für die Zucker-, fleischverarbeitende und Papierindustrie angenommen, ferner Maßnahmen gebilligt, die zu einer zusätzlichen Steigerung des Aufkommens an metallurgischen und Brennstoffen in einigen Ländern des RgW und zu einer Vervollkommnung der Technologie in der Schwarzmetallurgie führen. Es wurde festgelegt, daß mit Hilfe der interessierten Teilnehmerländer des RgW die Gewinnung von Eisen-Nickel-Erzen in Albanien und von Eisenerz in Bulgarien schneller vorangetrieben wird. Auf der 12. Ratstagung wurden auch Beschlüsse hinsichtlich der Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion gefaßt. So werden die Teilnehmerländer des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe bis zum Jahre 1965 ihre Produktion von Wolle auf 170%, von Obst auf 170%, von Weintrauben auf 210°/ 0 und von Gemüse .auf 190% gegenüber 1958 steigern. Besonders die Länder Albanien, Bulgarien, 92 Siehe dazu auch: Hofmann, O., Die Bedeutung des Sieben jahrplanes der Sowjetunion für die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten sozialistischen Weltsystems. In: „Einheit", 14. Jahrg., H. 7, S. 933, 1959.

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Ungarn und Rumänien werden auf Grund ihrer günstigen klimatischen Bedingungen die Erzeugung von Obst, Weintrauben und Gemüse f ü r den E x p o r t in andere sozialistische Länder bedeutend steigern. 93 Alle diese gefaßten Beschlüsse — die nur ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtzahl von Produktionsfestlegungen und Spezialisierungsvereinbarungen sind — dienen dazu, die rationellsten Wege und Mittel für einen allgemeinen und stetigen wirtschaftlichen Aufschwung der Länder des sozialistischen Weltsystems zu suchen und anzuwenden. Die Verwirklichung dieser Spezialisierungsempfehlungen in der Industrie — besonders im Maschinenbau — als auch in der Landwirtschaft wird zu einer wesentlichen Steigerung der P r o d u k t i v k r a f t der gesellschaftlichen Arbeit im sozialistischen Lager führen, nämlich zur Verwendung größerer Produktionsserien, zur Verbesserung des technischen Produktionsniveaus, zur Steigerung der Produktion bei gleichzeitiger Senkung der Produktions- u n d Konstruktionskosten. Auf der Grundlage dieser internationalen Spezialisierungsvereinbarungen nehmen die verschiedenen sozialistischen Länder den rationellsten E i n s a t z ihrer K r ä f t e und Mittel vor und führen den Kampf um die Erfüllung der Pläne. Die Realisierung eines jeden sinnvollen Spezialisierungsbeschlusses zwischen den sozialistischen Ländern bedeutet einen Erfolg im Kampf u m maximalen Zeitgewinn mit dem Kapitalismus, einen Schritt vorwärts zur Lösung der ökonomischen H a u p t aufgabe des sozialistischen Weltsystems, einen Schritt vorwärts zu steigendem Wohlstand in einer friedlich-vereinten sozialistisch-kommunistischen Welt. Zur vierten Grundforderung: In der Gegenwart haben die verschiedenen sozialistischen Länder noch einen unterschiedlichen Ausgangspunkt, ein unterschiedliches Niveau ihrer ökonomischen Entwicklung. Es vollzieht sich aber bereits seit J a h r e n ein Prozeß des allmählichen Angleichens, der allmählichen Nivellierung. Das Angleichen des Entwicklungsniveaus der ökonomisch schwächer entwickelten Länder an das Niveau der fortgeschritteneren ist eine Gesetzmäßigkeit des sozialistischen Weltwirtschaftssystems und wird mit den Mitteln der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung und Hilfe verwirklicht. Die Beseitigung der historisch entstandenen Unterschiede im Entwicklungsstand der einzelnen Länder und Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus der weniger entwickelten Länder an das Niveau der fortgeschrittenen kann grundsätzlich n u r durch Angleichung des Niveaus der Pro-Kopf-Produktion (Produktion je Kopf der Bevölkerung) und der Arbeitsproduktivität erfolgen. Deshalb muß die Produktion je Kopf der Bevölkerung und die Arbeitsproduktivität in den weniger entwickelten Ländern mit Hilfe der fortgeschritteneren schneller gesteigert werden als im Durchschnitt des sozialistischen Weltwirtschaftssystems. Die relative Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus der weniger entwickelten Länder an das Niveau der fortgeschritteneren darf zu keiner Verlangsamung des Entwicklungstempos der Wirtschaft in den fortgeschrittenen sozialistischen Ländern 93 Siehe dazu auch Kommunique der XII. Tagung des RgW (Sozialistische Länder vertiefen Zusammenarbeit.) In: „Neues Deutschland" vom 17. 12. 1959.

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führen, auch diese Länder müssen ihr Produktionsniveau stetig und schnell erhöhen. N. S. Chruschtschow charakterisierte diesen Angleichungsprozeß in seiner Ansprache im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld folgendermaßen: „ I m Prozeß des Aufbaues des Kommunismus werden die sozialistischen Länder ihre Wirtschaft einander angleichen, den Unterschied im Niveau ihrer Entwicklung beseitigen und sich dabei nicht nach den verhältnismäßig schwach entwickelten Ländern richten. Dieser Ausgleich wird nicht durch Senkung des Niveaus in den wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern vor sich gehen. Nein. Der Ausgleich muß und wird durch schnellere Entwicklung der wirtschaftlich verhältnismäßig weniger entwickelten Länder vor sich gehen. Somit werden alle sozialistischen Länder in gemeinsamer, einheitlicher Front auf Gesellschaft dem Weg des Sozialismus, auf dem Weg des Aufbaues der kommunistischen vorwärtsschreiten."**

Und auf dem X X I . Parteitag stellte N. S. Chruschtschow die These auf, „ . . . daß die Länder des Sozialismus, unter erfolgreicher Ausnutzung der der sozialistischen Ordnung innewohnenden Möglichkeiten mehr oder minder gleichzeitig in die höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft übergehen werden." 9 5

Wir zeigten bereits an anderer Stelle (vgl. S. 145) das Wachstum der Industrieproduktion aller sozialistischen Länder bis zum Jahre 1958. Die dort angeführten Zahlen demonstrieren diesen Nivellierungsprozeß in der Produktionsentwicklung. So steigerten beispielsweise Albanien seine industrielle Bruttoproduktion von 1938 bis 1958 auf das Achtzehnfache, Bulgarien auf das Neunfache, während die Industrieproduktion der CSSR ,,nur" auf 330°/0, die der D D R auf 250°/0 anstieg. Diese wesentlich schnellere Entwicklung der Industrieproduktion in den weniger entwickelten sozialistischen Ländern zeigt sich auch in dem folgenden Produktionswachstum einiger wichtiger industrieller Rohstoffe je Kopf der Bevölkerung in den europäischen volksdemokratischen Ländern im Jahre 1958 gegenüber dem Vorkriegsstand (in Prozent) 96 :

Elektroenergie Kohle Stahl Zement Baumwollgewebe

Polen

CSSR

DDR1

785 313 456 461 680*

511 251 257 347 114

216 194 223 190 1511

Ungarn Rumänien Bulgarien Albanien 430 200 235 356 —

472 225 283 458 —

933 468 2

1670 4800 2

336 404

610 4864

1 1957; 2 In den Vorkriegs jähren gab es keine Stahlerzeugung. 4 Gewebe aller Arten. * Künstliche und synthetische Gewebe.

Aus diesen Angaben ist ersichtlich, daß die Länder Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien ihre Produktion je Kopf der Bevölkerung bei den angeführten wichtigen industriellen Ausgangsstoifen und bei Baumwollgewebe im allgemeinen „Neues Deutschland" v o m 25. 7. 1958. Chruschtschow, N . S., a. a. 0 . , S. 134. 96 Gerzowitsch, G., Die ökonomische Entwicklung des sozialistischen Weltsystems. I n : „ F r a g e n der Ökonomie", H . 4, S. 143, 1959. M

96

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wesentlich schneller steigerten als die CSSR 9 7 und die DDR. Das ist ein Ausdruck für den Industrialisierungsprozeß in diesen Ländern, die sich von Agrarstaaten bzw. Agrar-Industriestaaten zu Industrie-Agrarstaaten entwickelt haben und zu Staaten mit einer modernen Großindustrie weiterentwickeln, wobei sie sich auf die Hilfe der entwickelteren sozialistischen Länder (UdSSR, C S S R und DDR) stützen. Die schnelle industrielle Entwicklung der ökonomisch schwächeren Länder führte dazu, daß sich in diesen Ländern der Anteil der Industrie an der Bruttoproduktion der Wirtschaft in wenigen Jahren wesentlich erhöhte. So stieg der Anteil der Industrie an der Bruttoproduktion von Industrie und Landwirtschaft in der Volksrepublik China von 30°/0 (1949) auf 5 6 , 5 % (1957), in Bulgarien von 2 4 , 8 % (1939) auf 6 8 , 3 % (1957) und in Albanien von 9 , 8 % (1938) auf 4 8 , 9 % (1957). 98 Der allmähliche Angleichungsprozeß in der industriellen Produktion kommt am besten in der Entwicklung des Verhältnisses der Produktion je Kopf der Bevölkerung zwischen ehemals rückständigen und fortgeschrittenen Ländern des sozialistischen Weltsystems zum Ausdruck. Ein solcher Vergleich zwischen einigen Ländern sieht für die weiter oben angeführten fünf Positionen folgendermaßen aus : Verhältnis des Produktionsniveaus je Kopf der Bevölkerung zwischen sozialistischen Ländern99 Bulgarien und CSSR Vorkriegs jähr Elektroenergie Kohle Stahl Zement Baumwollgewebe

1:6,8 1:6,8 - * )

1:2,4 1:4,8

Bulgarien und DDR

1957

Vorkriegsjahr

1957

1:3,8 1:3,5

1 : 20,6 1: 17,8

1:5,4 1:7,8



1:2,4 1 : 1,4

- * )

1:2,9 1:3,2



1 : 1,7 1 : 1,4

Rumänien und DDR Vorkriegsjahr

1957

1 : 12 1:40 1:4,0 1:3,2 1:2,2

1:6 1:31 1:3,4 1 : 1,5 1 : 2,2

verschiedenen Albanien und CSSR Vorkriegsjahr

1957

1:47,5 1:667

1:15,4 1:31

- * )

1 : 10 1:8,7



1:5,8 1:5,4

* In den Vorkriegs jähren gab es keine Stahlerzeugung.

Für die gesamte Industrieproduktion wird der Prozeß der Anglei chung daraus ersichtlich, daß beispielsweise die Produktion pro Kopf der Bevölkerung in der polnischen Industrie sich im Jahre 1950 im Vergleich zur industriellen Pro-KopfProduktion der U d S S R auf 7 7 % belief, 1958 aber bereits auf 8 5 % ; entsprechend entwickelte sich die Produktion in der V R Rumänien von 46 auf 5 0 % , in der V R Bulgarien von 35 auf 4 0 % . 1 0 0 Diese Entwicklung des Niveauausgleiches führt dazu, daß der Anteil der ehemals rückständigen Länder an der Industrieproduktion des sozialistischen Weltsystems 97 Eine Ausnahme bildet hier lediglich die CSSR bei der Elektroenergieerzeugung, die in einem außerordentlich schnellen Tempo gesteigert wurde, da das Niveau der Energieerzeugung nicht dem Industrialisierungsgrad der CSSR entsprach. 8 8 Gerzowitsch, G., a. a. 0 . , S. 114. 89 Ebenda. 100 Siehe dazu auch: Bogomolow, O., Die internationale sozialistische Arbeitsteilung. In: „Presse der Sowjetunion", H. 23/24, S. 535, 1960.

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ständig zunimmt, die Industrieproduktion im gesamten sozialistischen W e l t s y s t e m schneller steigt als die Arbeitsproduktivität, die Arbeiterklasse aber absolut und relativ (gemessen an der Gesamtzahl der B e s c h ä f t i g t e n im sozialistischen Lager) wächst. Der Prozeß der Angleichung ist eine gesetzmäßige Bewegung, er vollzieht sich p l a n m ä ß i g und unterscheidet sich grundlegend von der ungleichmäßigen E n t w i c k lung der einzelnen L ä n d e r im kapitalistischen W e l t s y s t e m , wo die großen kapitalistischen Industriestaaten b e s t r e b t sind, sich auf K o s t e n der schwächeren L ä n d e r zu entwickeln. Dieser entgegengesetzte Prozeß in der kapitalistischen W e l t w i r t s c h a f t wird am besten daraus ersichtlich, daß die vier größten kapitalistischen Industriestaaten ihren Anteil an der kapitalistischen W e l t p r o d u k t i o n , den sie vor dem ersten W e l t k r i e g h a t t e n , bis heute b e h a u p t e t haben. I m J a h r e 1 9 1 3 erzeugten die U S A , England, F r a n k r e i c h und Deutschland 72,2°/ 0 der Weltindustrieproduktion, im J a h r e 1957 a b e r belief sich der Anteil der U S A , Englands, Westdeutschlands und F r a n k r e i c h s an der kapitalistischen

Industrie-

produktion auf 71,8°/ 0 . Dabei h a b e n diese v i e r L ä n d e r n u r einen Anteil an der B e völkerung der kapitalistischen W e l t von 17,9°/ 0 . E i n L a n d wie Indien, das über eine größere B e v ö l k e r u n g verfügt als diese vier L ä n d e r zusammen, h a t demgegenüber nur einen Anteil an der industriellen Weltproduktion des Kapitalismus von rund 1 % . Allmähliche Angleichung der P r o d u k t i o n in den sozialistischen Ländern h e i ß t natürlich keinesfalls Beseitigung d e r nationalen Produktions- und eigenarten und -unterschiede. Angleichung Niveauunterschiede.

der

Produktion

heißt

KonsumtionsBeseitigung

der

E s wird i m m e r b e s t i m m t e Unterschiede in der K o n s u m t i o n und

folglich auch in der Produktion geben, die beispielsweise klimatisch bedingt sind oder als Folge b e s t i m m t e r Traditionen auftreten. W o r a u f es a n k o m m t , ist die Herstellung eines relativ einheitlichen Niveaus der P r o d u k t i v k r ä f t e , und zwar eines solchen Niveaus, das notwendig ist, um einen Überfluß an P r o d u k t e n zu erzeugen, um a u f dieser Grundlage in allen Ländern zu kommunistischen Verteilungsprinzipien übergehen zu können. Die E n t w i c k l u n g des ökonomischen Niveaus der sozialistischen L ä n d e r spiegelt sich dabei in der E n t w i c k l u n g des Volkseinkommens j e K o p f der B e v ö l k e r u n g wider. Das Volkseinkommen j e K o p f der B e v ö l k e r u n g ist die allgemeinste und zugleich umfassendste Kennziffer für den E n t w i c k l u n g s s t a n d der P r o d u k t i v k r ä f t e in j e d e r sozialistischen Volkswirtschaft. Die Beseitigung der historisch entstandenen U n t e r schiede im ökonomischen Niveau der sozialistischen L ä n d e r m u ß demnach

mit

einem schnelleren W a c h s t u m des Volkseinkommens j e K o p f der Bevölkerung in den weniger entwickelten L ä n d e r n

als im gesamten sozialistischen W e l t s y s t e m ver-

bunden sein, ebenso m u ß der Lebensstandard in diesen Ländern schneller steigen als in den fortgeschrittenen Ländern (bei gleichzeitiger ständiger E r h ö h u n g des Lebensstandards in allen sozialistischen Ländern). In den J a h r e n nach 1965 wird der Prozeß der Angleichung des Entwicklungsniveaus zwischen den sozialistischen Ländern sich zweifellos noch schneller als gegenwärtig vollziehen und in wenigen J a h r e n abgeschlossen werden, da die ökonomisch entwickelten sozialistischen Nationen ihrer Pflicht der Hilfeleistung gegenüber den

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schwächer entwickelten Ländern — auf Grund ihres ungleich stärkeren Wirtschaftspotentials als gegenwärtig — dann viel schneller und leichter nachkommen können. Das wird auch dadurch erleichtert, daß die sozialistische Weltgesellschaft nach 1965 ungleich stärker ist als der Kapitalismus, ihre ökonomische Stärke gegenüber dem Kapitalismus von J a h r zu J a h r wächst und auch deshalb ungleich mehr gesellschaftliche Mittel für einen friedlichen wirtschaftlichen Aufschwung und für eine stetig schneller wachsende Befriedigung der gesellschaftlichen und persönlichen Bedürfnisse eingesetzt werden können. Soweit einige Bemerkungen zu vier wichtigen Grundforderungen, von denen beim produktionsmäßigen Zusammenschluß der sozialistischen Länder, bei der Vertiefung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung, ständig ausgegangen werden muß.

Bevor wir unsere Arbeit abschließen, möchten wir noch auf eine für das sozialistische Weltwirtschaftssystem und die internationale Arbeitsteilung wichtige Frage eingehen, die sich infolge des Nebeneinanderbestehens von Sozialismus und Kapitalismus in der Welt ergibt. Solange es zwei Weltwirtschaftssysteme mit entgegengesetzter sozialökonomischer Struktur gibt, müssen die sozialistischen Länder bei ihrem produktionsmäßigen Zusammenschluß davon ausgehen, daß eine kontinuierliche Entwicklung ihrer Volkswirtschaften gesichert wird und keine Störungen von der kapitalistischen Weltwirtschaft in ein oder mehrere sozialistische Länder hineingetragen werden. Deshalb erfolgt teilweise ein Zusammenschluß zwischen Wirtschaftsgebieten, der vom Standpunkt des Zeitfaktors in der Ökonomie nicht immer am günstigsten ist und infolgedessen nicht den größten wirtschaftlichen Nutzen hervorbringt. Ein Beispiel dafür ist unsere Wirtschaft in der DDR. Durch die Spaltung Deutschlands wurde ein organisch gewachsener Wirtschaftskomplex zerrissen. Die völlig entgegengesetzte wirtschaftliche und politische Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands machte eine starke Anlehnung der DDR-Wirtschaft an die anderen sozialistischen Länder, besonders an die UdSSR erforderlich, und zwar eine stärkere Anlehnung, als das zunächst aus dem Entwicklungsstand und der Struktur der Produktion in beiden Ländern und der damit zusammenhängenden internationalen Arbeitsteilung erklärt werden konnte. 101 Vom Standpunkt des größeren Nutzeffekts, der Einsparung an gesellschaftlicher Arbeitszeit (kürzere Transportentfernungen, entsprechende, bereits aufeinander abgestimmte und genormte Produktionsprofile, 101 Nach der wirtschaftlichen und politischen Spaltung Deutschlands durch die Westmächte und die westdeutsche Separatistenregierung waren es bekanntlich die volksdemokratischen Länder und vor allem die UdSSR, die aus ihren in den Nachkriegsjahren selbst keineswegs reichlich vorhandenen Mitteln die aus Westdeutschland ausbleibenden Materialien, Rohstoffe, Maschinen usw. an die D D R lieferten, die es uns zum großen Teil erst ermöglichten, den heutigen Stand unserer wirtschaftlichen Entwicklung zu erreichen. Auch in der Gegenwart und Zukunft sind wir hinsichtlich unserer Außenwirtschaftsbeziehungen zu etwa drei Vierteln auf das sozialistische Weltwirtschaftssystem orientiert. In den Jahren 1960 bis 1965 werden 45% unseres Außenhandels mit der UdSSR und 30% mit den anderen sozialistischen Staaten abgewickelt.

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-typen usw.) wäre es für viele Industriezweige in der DDR zweifellos vorteilhafter, eine stärkere Arbeitsteilung und Kooperation mit westdeutschen Produktionszweigen herbeizuführen, beispielsweise mit dem westdeutschen Steinkohlenbergbau, der .westdeutschen Metallurgie, vielen Zweigen des Maschinenbaues usw. Dem wirkten aber die Entwicklung Westdeutschlands als NATO-Staat und die damit verbundene, von der westdeutschen Regierung betriebene „Politik der Stärke" 1 0 2 sowie die ausschließliche Einverleibung der westdeutschen Wirtschaft in das krisenanfällige kapitalistische Weltwirtschaftssystem entgegen. Dieses Beispiel zeigt, daß es unter den gegenwärtigen Bedingungen des Nebeneinanderbestehens von Sozialismus und Kapitalismus in der Welt für die sozialistische Wirtschaftsleitung nicht immer möglich ist, sich bei der Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung ausschließlich von der größtmöglichen Einsparung an Arbeitszeit leiten zu lassen. 103 Man muß unseres Erachtens in der Problemstellung sogar noch weiter gehen und sie nicht allein auf die Möglichkeit einer rationelleren Arbeitsteilung mit kapitalistischen Ländern als zuweilen mit sozialistischen Ländern beschränken. Die Fragestellung sollte dahingehend ausgedehnt werden, ob bei Entscheidungen über eine Arbeitsteilung mit sozialistischen oder kapitalistischen Ländern überhaupt der größtmöglichen Einsparung an Arbeitszeit in jedem Fall die entscheidende Bedeutung beigemessen werden sollte? Wenn wir nur die größtmögliche Einsparung an Arbeitszeit in unseren außenwirtschaftlichen Beziehungen berücksichtigen würden, so würden wir einen entscheidenden Grundsatz in den ökonomischen Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern außer acht lassen, nämlich die internationale Solidarität und Hilfe, so z. B. die Entwicklung bestimmter Produktionen, die für die Wirtschaft eines 102 Auch in westdeutschen Wirtschaftskreisen setzt sich allerdings immer mehr die Erkenntnis durch, daß wirtschaftlicher Druck gegenüber der D D R keinen Erfolg verspricht, da unsere Republik zu einem festen Bestandteil des sozialistischen Weltwirtschaftssystems wurde und alle benötigten wichtigen Materialien erhält. So mußte die „WirtschaftsZeitung" vom 29. November 1959 im Zusammenhang mit der Deckung unseres Walzmaterialbedarfs durch die UdSSR bis zum Jahre 1965 feststellen: „Die Erfahrungen zeigen, daß die Sowjetzone (hier meinen sie die DDR) andere Handelspartner findet, um die Waren zu erhalten, die ihr Westdeutschland nicht liefert". 103 Zweifellos ist das Beispiel der DDR-Wirtschaft, wo eine bereits bestehende, in mehr als hundertjähriger kapitalistischer Entwicklung entstandene Volkswirtschaft künstlich zerrissen wurde, einmalig und insofern sind die Widersprüche und Schwierigkeiten für uns besonders groß gewesen und es teilweise heute noch. Ahnlich zerrissene Volkswirtschaften und damit organisch gewachsene territoriale Wirtschaftskomplexe (wenn auch nicht mit dem gleichen hohen Industrialisierungsgrad wie in Deutschland) gibt es noch in Korea und in Vietnam. Es war nach der Bildung des sozialistischen Weltsystems und um die eigene wirtschaftliche Entwicklung nicht zu gefährden auch für die anderen sozialistischen Länder notwendig, sich stärker arbeitsteilig in das sozialistische Weltwirtschaftssystem einzugliedern, obwohl vom Standpunkt des Nutzeffektes der Arbeit in bestimmten Zweigen und vor allem auch territorialen Wirtschaftsgebieten eine Arbeitsteilung mit kapitalistischen Ländern zuweilen rationeller war (so beispielsweise Bulgarien : Griechenland; Albanien : Italien; Korea : Japan; Ungarn : Österreich; CSSR : Westdeutschland u. a. m.).

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sozialistischen Bruderlandes lebensnotwendig sind, zunächst aber noch einen größeren Arbeitsaufwand erfordern als beispielsweise in den entwickeltsten kapitalistischen Industrieländern für diese Produktionen oder im eigenen Lande für andere Produktionen notwendig sind, auch die Kreditgewährung an weniger entwickelte sozialistische Länder gehört dazu usw. Wir würden bei einer solchen Fragestellung die ökonomischen Beziehungen zu den sozialistischen Ländern mit den ökonomischen Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern gleichsetzen, wir würden uns beispielsweise bei unseren Importen ausschließlich auf die niedrigsten Importpreise orientieren, ohne zunächst zu beachten, ob diese Importe aus einem sozialistischen oder kapitalistischen Land bezogen werden, bei den Exporten würden wir uns entsprechend darauf orientieren, wo wir den günstigsten Exporterlös erhalten, ohne zu berücksichtigen, ob die von uns exportierten Waren in einem befreundeten sozialistischen Land dringend benötigt werden. Mit anderen Worten: Wir würden bei einer solchen einseitigen Orientierung unserer Außenwirtschaftspolitik einen entscheidenden Vorzug der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung nicht berücksichtigen. Dieser entscheidende Vorzug besteht in der Planmäßigkeit des Prozesses der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung, seiner Herausbildung und Vertiefung, in der planmäßigen gegenseitigen Hilfe und Unterstützung zwischen den sozialistischen Ländern. Es ist eine Tatsache, daß gegenwärtig noch die Arbeitsproduktivität in den entwickelten kapitalistischen Industrieländern höher ist als die durchschnittliche Arbeitsproduktivität in der Industrie der sozialistischen Staaten. Das spiegelt sich natürlich wider in den Produktionskosten und Preisen. Wenn wir uns nun ausschließlich von der Einsparung an Arbeitszeit leiten lassen würden, müßten wir bestrebt sein, die relativ billigen Industrieerzeugnisse aus den kapitalistischen Ländern zu importieren, d. h. eine enge Arbeitsteilung mit der kapitalistischen Weltwirtschaft lediglich auf der Grundlage des Prinzips der komparativen Kosten herbeizuführen, dabei aber auf die Eigenentwicklung vieler, besonders technisch komplizierter und hochwertiger industrieller Produktionen zu verzichten. Eine solche Auffassung, die von vielen bürgerlichen Ökonomen verbreitet wird und zuweilen auch von Wirtschaftlern in einigen sozialistischen Ländern vertreten wurde, ist grundfalsch. Eine derartige engere Arbeitsteilung mit kapitalistischen Ländern auf der Basis einer größtmöglichen Einsparung an Arbeitszeit durch den Import (relativ) billiger Industriegüter (Maschinen, Chemikalien und Konsumgüter) aus dem kapitalistischen Wirtschaftsgebiet und Verzicht auf eine Eigenentwicklung bzw. Arbeitsteilung mit einem anderen sozialistischen Partnerland würde das jeweilige sozialistische Land nicht nur in den entsprechenden Industriezweigen von den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus und besonders des kapitalistischen Weltmarktes abhängig machen, sondern ein solches Land würde sich ökonomisch in völlige Abhängigkeit zum Kapitalismus begeben, da 1. es zwischen kapitalistischen und sozialistischen Ländern keine planmäßige Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung geben kann und die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus ständig zu Störungen des Reproduktionsprozesses auch

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innerhalb des sozialistischen Landes und zu dessen Eingliederung in den kapitalistischen Krisenzyklus führen würden; 2. die vorläufig noch höhere Arbeitsproduktivität in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern gegenüber dem sozialistischen Partner (der in solchen Fällen auf den arbeitsteiligen Import bestimmter Waren aus dem kapitalistischen Land angewiesen ist) dem Kapitalismus ein vielfältiges Diktat (mit Hilfe von Embargolisten, durch Veränderung der Außenhandelspreise usw.) ermöglichen und die Vorteile des staatlichen Außenhandelsmonopols in den sozialistischen Ländern zumindest teilweise außer Kraft setzen würde und schließlich 3. durch die ständige Importabhängigkeit vom Kapitalismus keine völlige ökonomische und damit auch politische Unabhängigkeit des sozialistischen Landes möglich wäre. Diese Faktoren zeigen, daß es bei der gegenwärtigen widerspruchsvollen Entwicklung der allumfassenden Weltwirtschaft, in der sich das kapitalistische und das sozialistische Weltwirtschaftssystem diametral gegenüberstehen und nach eigenen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten entwickeln, für die sozialistischen Länder nicht allein darauf ankommt, eine internationale Arbeitsteilung zu suchen, die in jedem Falle und kurzfristig den größtmöglichen ökonomischen Nutzen sichert, die mit einem komparativen Kostenvorteil unabhängig davon verbunden ist, ob es sich dabei um eine Arbeitsteilung mit einem sozialistischen oder einem kapitalistischen Partnerland handelt. Es kommt für die sozialistischen Länder vielmehr darauf an, sich in den entscheidenden Produktionszweigen (bei der gesamten Erzeugung von Produktionsmitteln und bei den entscheidenden Lebensmitteln und Konsumgütern) von dem kapitalistischen Wirtschaftsgebiet unabhängig zu machen, diese Unabhängigkeit ständig zu sichern und ihre Produktivkräfte bei internationaler Spezialisierung und Abstimmung zwischen den sozialistischen Ländern planmäßig und allseitig zu entwickeln. Nur auf der Grundlage einer völligen ökonomischen Unabhängigkeit von der kapitalistischen Weltwirtschaft und den ihr immanenten Gesetzmäßigkeiten können die Produktivkräfte des internationalen Sozialismus komplex, d. h. für alle Zweige und wichtigen Produktionsarten, in wenigen Jahren so entwickelt werden, daß sie in ihrem Niveau das der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder einholen und überholen. Die Verwirklichung dieser Forderung hat nichts mit Autarkie gemein, wie es uns unsere Gegner (vor allem die bürgerlichen Ökonomen) vorwerfen. Sie bedeutet nicht, daß wir uns von dem kapitalistischen Wirtschaftsgebiet völlig isolieren wollen. Sie bedeutet lediglich, daß wir im sozialistischen Lager alle entscheidenden Produktionsmittel und Konsumgüter selbst produzieren und mit Hilfe der internationalen Spezialisierung auch die „Engpaßproduktionen und -materialien" selbst entwickeln bzw. produzieren müssen, und zwar in der Höhe, dem Sortiment und der Qualität, wie das für die wirtschaftlichen Zielstellungen des gesamten sozialistischen Lagers für langfristig geplante Zeiträume notwendig ist. Hierin besteht die wesentliche materielle Voraussetzung dafür, daß sich das sozialistische Weltwirtschaftssystem und jedes einzelne Land als Bestandteil desselben planmäßig, schnell und

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proportional entwickeln können. Über diesen für die Erfüllung der Pläne unbedingt notwendigen F u n d u s an bestimmten Rohstoffen, Produktionsinstrumenten und K o n s u m g ü t e r n hinaus sind die sozialistischen S t a a t e n auch an einer Ausdehnung des Außenhandels mit den S t a a t e n des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems interessiert. Die außenwirtschaftlichen Beziehungen dürfen also nicht allein durch die Ökonomie an Zeit, die größtmögliche E i n s p a r u n g an Arbeitszeit b e s t i m m t werden. Als entscheidender F a k t o r für die L ä n d e r des sozialistischen Weltsystems k o m m t die ökonomische Sicherheit bei den Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern hinzu, d. h. die Sicherheit, von dem sozialistischen Partner nach einem auf lange F r i s t vereinbarten Plan der Arbeitsteilung festgelegte Waren zu beziehen und für die eigenen Waren ebenfalls auf lange Frist einen gesicherten A b s a t z zu haben. 1 0 4 Eine solche Garantie, wie sie die sozialistischen S t a a t e n (auf Grund des staatlichen Eigent u m s und des Außenhandelsmonopols) untereinander für die langfristige Realisierung der internationalen Arbeitsteilung (über den Außenhandel) geben können, ist kein kapitalistischer S t a a t zu geben in der L a g e . Solange der internationale W e t t k a m p f zwischen Sozialismus und K a p i t a l i s m u s sich nicht eindeutig und vor allem dem ökonomischen Wettbewerb zwischen den beiden Weltsystemen zugewandt h a t und der Gedanke der friedlichen K o e x i s t e n z in der P r a x i s nicht völlig verwirklicht ist, solange noch nicht total abgerüstet ist und die großen kapitalistischen S t a a t e n noch glauben, internationale Streitfragen möglicherweise durch Kriege klären zu können, wirken noch andere, außerökonomische F a k t o r e n bzw. Erwägungen einer rationellen internationalen Arbeitsteilung entgegen. Hierzu gehört innerhalb des sozialistischen Weltsystems z. B . eine strategische Standortwahl bei der Produktion bestimmter materieller Güter, aber und vor allem auch die für die Entwicklung der gesellschaftlichen P r o d u k t i v k r ä f t e 104 Die Vorzüge des sozialistischen Wirtschaftssystems, die eine langfristige Planung und Abstimmung der Produktions- und Außenhandelspläne zulassen, werden z. B. durch -das im November 1959 zwischen der U d S S R und der DDR abgeschlossene langfristige Handelsabkommen demonstriert. Neben einem Protokoll für das Jahr 1960 wurde ein Abkommen für die Jahre 1961 bis 1965 abgeschlossen. Der wertmäßige Warenaustausch beträgt auf Grundlage beider Abkommen mehr als 50 Md. Rubel. In dem veröffentlichten Kommunique heißt es u. a. folgendermaßen: „Die U d S S R liefert an die D D R in den Jahren 1960—1965 in großem Umfang Rohstoffe, Nahrungs- und Genußmittel sowie in steigendem Maße Erzeugnisse des Maschinenbaus und andere Fertigwaren ... zum Beispiel über 32 Mill. t Steinkohle, über 12 Mill. t Koks, etwa 15 Mill. t Walzwerkerzeugnisse sowie Rohre und Roheisen, über 17 Mill. t Erdöl, über eine halbe Mill. t Baumwolle, 8,5 Mill. cbm Holz, etwa 200000 t Zellstoff sowie große Mengen Buntmetalle, wie Aluminium, Kupfer, Blei, Zink und Ferrolegierungen . . . die DDR wird in diesen sechs Jahren für rd. 16 Md. Rubel Erzeugnisse des Maschinenbaus nach der U d S S R liefern, unter anderem Kühlwagen und -züge für 490 Mill. Rubel, Langstrecken-Personenwagen für 1.670 Mill. Rubel, Seefracht-, Seefahrgast- und Fischereischiffe für über 2 Md. Rubel, Zementfabriken für 625 Mill. Rubel, Ausrüstungen für die Nahrungsmittelindustrie für über 800 Mill. Rubel, Kühlausrüstungen für 170 Mill. Rubel, technologische Ausrüstungen für die chemische Industrie für 700 Mill. Rubel, Ausrüstungen für die Leichtindustrie für 750 Mill. Rubel und Werkzeugmaschinen, einschließlich Schmiede- und Preßausrüstungen, für rund eineinhalb Md. Rubel."

Zur internationalen Arbeitsteilung im sozialistischen Weltsystem

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des Sozialismus nutzlose Verausgabung menschlicher Arbeit für die Verteidigungsindustrie. Es ist klar, daß die Produktivkräfte des Sozialismus sich viel schneller entwickeln und die materiell-technische Basis des Kommunismus im Weltmaßstabe viel früher errichtet werden könnten, wenn die für die Verteidigung des sozialistischen Weltlagers jährlich verausgabte Menge an materieller und geistiger Arbeit zusätzlich für die Organisierung einer hochspezialisierten und international koordinierten, friedlichen Zwecken dienenden Großproduktion verwandt werden könnte.

Die angeführten Probleme und Beispiele zeigen, wie eng die beiden im ersten Abschnitt unserer Arbeit (vgl. S. 147) genannten Ursachen für die sozialistische internationale Arbeitsteilung zusammenwirken, wie widerspruchsvoll und kompliziert dieser Prozeß sich durch das Nebeneinanderbestehen der beiden Weltsysteme (Sozialismus und Kapitalismus) aber gestaltet. Immer müssen beide Ursachen berücksichtigt, muß die Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen beachtet werden, wenn die bewegenden Kräfte für den Produktionszusammenschluß der Länder des sozialistischen Weltsystems und damit für die sozialistische internationale Arbeitsteilung erforscht werden sollen. Dabei sind die sozialistischen Produktionsverhältnisse in den Ländern des sozialistischen Systems die entscheidende Triebkraft der Produktivkräfte, d. h. bezogen auf die sozialistische Weltwirtschaft die entscheidende Triebkraft für die Fortentwicklung und Vervollkommnung der sozialistischen internationalen Arbeitsteilung. Die ständige Festigung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und damit der einheitlichen ökonomischen Basis des sozialistischen Weltsystems bildet demnach die gesellschaftliche Voraussetzung für eine ständige Vertiefung der sozialistischen internationalen Wirtschaftszusammenarbeit, für einen schnellen Fortschritt im Kampf um maximalen Zeitgewinn mit dem Kapitalismus, für die Erhöhung des ökonomischen und politischen Gewichts des Sozialismus in der Welt.

Ottomar

Kratsch

BÜRGERLICHE BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHE APOLOGETIK ZU D E N A K T U E L L E N A B S C H R E I B U N G S P R O B L E M E N I N W E S T DEUTSCHLAND Die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre als „selbständige" Fachdisziplin bildete sich erst um die Jahrhundertwende heraus. Sie ist das Produkt der zunehmenden Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktion und der zwangsläufig damit verbundenen Verschärfung der antagonistischen Widersprüche des Kapitalismus. Aus der Tatsache, daß die Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre unmittelbar mit der Entstehung und Entwicklung des Monopolkapitalismus verbunden ist, leitet sich direkt die zweifache Aufgabenstellung für diese „Wissenschaftsdisziplin" ab. Curt Teichmann charakterisiert sie sehr treffend in einer der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre gewidmeten Arbeiten mit den folgenden Worten: „Einmal steht vor ihnen die Aufgabe, die Ausbeutung der Werktätigen durch das Monopolkapital 1 bewußt zu verschleiern und die Existenz der kapitalistischen Verhältnisse zu verteidigen; zum anderen muß man aber auch dem Monopolkapital die Mittel, das sogenannte „wissenschaftliche" Handwerkszeug geben, um den Prozeß der Sicherung der Maximalprofite auch praktisch erfassen und durchführen zu können. Beides sind notwendige Anforderungen, die die kapitalistische und speziell monopolkapitalistische Praxis ihren Ökonomen stellt." 1

Kurt Braunreuther bringt den gleichen Gedanken zum Ausdruck, wenn er feststellt: „Die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre ist also ein Instrument zur Schaffung des Monopolprofits, zugleich aber in verschiedener Weise und — je nach der Eigenart eines Autors — mehr oder weniger ein Instrument zur Verschleierung dieses Profits. Realisierung und Verschleierung des Profits sind oft dabei verflochten." 2

Schon aus dieser generellen Aufgabenstellung heraus läßt sich nachweisen, daß kaum ein prinzipieller Unterschied zwischen der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre einerseits und der sogenannten bürgerlichen Nationalökonomie andererseits 1 Teichmann, Curt, Über Wesen und Rolle der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre. I n : Aktuelle Fragen der Ökonomie und Politik des wiedererstandenen deutschen Imperialismus. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1956, S. 134. 1 Braunreuther, Kurt, Versuch einer theoriegeschichtlichen Darstellung der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre. I n : „Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin", Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Jahrg. V, Nr. 4, S. 340, 1955/56.

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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bestehen kann. Beide „Fraktionen" erfüllen die gleichen Aufgaben. Aber auch die graduellen Unterschiede zwischen ihnen bestehen nur der äußeren Form nach. Beide, sowohl die Nationalökonomie als auch die Betriebswirtschaftslehre bilden gemeinsam die apologetische Vulgärökonomie, deren ausschließlicher Zweck die Verteidigung der verfallenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist. „Da die moderne bürgerliche Ökonomie methodisch und inhaltlich den Charakter einer Kunstlehre angenommen hat, ist auch die Feststellung berechtigt, daß die Volkswirtschaftslehre vollends auf das Niveau der Betriebswirtschaftslehre herabgesunken i s t . " 3

Das theoretische Rüstzeug der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre entstammt dem buntgescheckten Arsenal der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre, vor allem der Grenznutzenschule, der „Theorie der Produktionsfaktoren", dem Keynesianismus u. a. Zugleich beschränken sich die betriebswirtschaftlichen Untersuchungen in vielen Fragen längst nicht mehr auf den eng begrenzten Bereich des Einzelunternehmens, vielmehr greifen sie Probleme auf, die — wenn auch von betriebswirtschaftlicher Sicht gestellt — zugleich von allgemeiner volkswirtschaftlicher Bedeutung sind. Trotz der gleichen Aufgabenstellung und der weitgehenden Annäherungen ist es besonders wichtig, sich speziell mit der betriebswirtschaftlichen Apologetik auseinanderzusetzen. Das nicht nur, weil diese ernste Aufgabe bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Bei vielen marxistischen Ökonomen scheint sich die Vorstellung eingebürgert zu haben, daß die „betriebswirtschaftlichen" Probleme nur von zweitrangiger Bedeutung seien, während die eigentlichen Hauptfragen von der sogenannt ten bürgerlichen Nationalökonomie behandelt würden. Eine solche „Arbeitsteilung" existiert aber im Lager der bürgerlichen Ökonomie nicht, wenn auch bestimmte Themen „traditionsgemäß" vorwiegend in dieser oder jener „Fachabteilung" behandelt werden. Die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen betriebswirtschaftlichen Apologetik für den Kampf der Arbeiterklasse ergibt sich vor allem aus zwei Gesichtspunkten. Erstens: Gegenstand betriebswirtschaftlicher Untersuchungen sind vorwiegend aktuelle Probleme der kapitalistischen Monopolpraxis. Die bürgerlichen Betriebswirtschaftler erarbeiten für die Monopole ein „theoretisch"-methodisches Instrumentarium zur Erzielung maximaler Profite. Dieses Instrumentarium dient aber — entsprechend der zweifachen Aufgabenstellung —gleichzeitig der Profitverschleierung und damit der Verschleierung der bestehenden Ausbeutungsverhältnisse. Eine gründliche Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre, vor allem die wissenschaftliche Widerlegung ihrer apologetischen Scheintheorien, bedeutet somit zugleich die Aufdeckung der tatsächlichen Ausbeutungsverhältnisse, was für den Kampf der westdeutschen Arbeiterklasse gerade im gegenwärtigen E n t wicklungsstadium sehr wichtig ist. Zweitens: Die betriebswirtschaftliche Apologetik ist eine der raffiniertesten Formen der bürgerlichen Apologetik. Die apologetischen Bemühungen der bürger3

14»

Teichmann, Curt, a. a. 0 . , S. 134.

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liehen Nationalökonomie sind vielfach zu offensichtlich, als daß sie großen Einfluß gewinnen könnten. Mit ihren Phrasen vom „Volkskapitalismus", vom „Wohlfahrtsstaat", von der „freien Marktwirtschaft" u. dgl. mehr gerät sie allzu augenscheinlich mit der Realität der kapitalistischen Praxis in Widerspruch. Die betriebswirtschaftliche Apologetik ist in vielen Fällen, undurchsichtiger, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einmal stellt sie scheinbar „klassenindifferente" methodologische Fragen in den Vordergrund ihrer Untersuchungen. Ein komplizierter Begriffsapparat, eine Unmasse von mathematischen, statistischen und methodischen Verfahren werden entwickelt, um die für die Kapitalisten geeignetsten Methoden der Profitproduktion und -realisierung aufzufinden und damit auch zugleich dieses Hauptproblem hinter dem organisatorischen und methodischen Brimborium zu verstecken. Zum anderen ist es eben wegen der betriebswirtschaftlichen Bemühungen sehr schwer, die tatsächlichen Sachverhalte aus den zur Verfügung stehenden veröffentlichten Materialien herauszufinden. Die Mehrzahl der Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes und anderer Institutionen basieren letzten Endes auf Publikationen der kapitalistischen Unternehmen (Jahresabschlüsse, Geschäftsberichte, Umfragen usw.). Das heißt, die den volkswirtschaftlichen Untersuchungen zugrunde liegenden Daten werden aus dem mit Hilfe der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre aufbereiteten und entstellten Material entnommen. Es sei stellvertretend nur auf ein Beispiel verwiesen. Durch die überhöhten Abschreibungen auf das Sachanlagevermögen wird ein Teil des kapitalistischen Profits in den Jahresabschlüssen der Unternehmungen nicht als Profit, sondern als Kostenbestandteil ausgewiesen. Da den Berechnungen des westdeutschen Nationaleinkommens die steuermäßigen Jahresabschlüsse der einzelnen Unternehmen zugrunde liegen, wird das Nationaleinkommen um die Differenz dieses verschleierten Profits zu gering ausgewiesen. Andererseits ist das Nationaleinkommen künstlich dadurch aufgebauscht, daß auch ein großer Teil der nichtproduktiven Sphäre einbezogen ist. Es ergibt sich, daß der Anteil der „unselbständig Beschäftigten" (Arbeiter, Angestellte, Beamte usw.) gegenüber dem Einkommen aus „selbständiger Arbeit" (Kapitalisten und einfache Warenproduzenten) außerordentlich hoch ist. So „errechnete" ein bürgerlicher Ökonom für das J a h r 1953 z. B. folgende Relativzahlen: Anteil der Löhne und Gehälter am Nettosozialprodukt — 87,1% und Anteil des Besitzeinkommens am Nettosozialprodukt — 12,9°/0.4 Krelles „wissenschaftliche" Untersuchungen gehören gewiß zu den extremsten Versuchen, die tatsächlich bestehenden Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern. Wenn man alle Entstellungen und Verfälschungen eliminiert, wird man nämlich zu dem wesentlich veränderten Ergebnis kommen, daß der Anteil des kapitalistischen Profits am Nationaleinkommen mehr als 50°/0 ausmacht. 4 Krelle, Wilhelm, Bestimmungsgründe der Einkommensverteilung in der modernen Wirtschaft. In: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Einkommensbildung und Einkommensverteilung. Verlag von Duncker und Humblot, Berlin 1955, Neue Folge, Bd. 13, S. 67.

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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A. Birman führt folgende sehr aufschlußreiche Daten a n : Anteil der Werktätigen

und der Kapitalisten

am

Nationaleinkommen

(in Prozent zum gesamten Nationaleinkommen) I. Vor dem zweiten Weltkrieg

U S A (1923) England (1924) Frankreich (1938)

Werktätige

Kapitalisten

54 45

46 55 34

66

II. Nach dem zweiten Weltkrieg (1951) USA England Frankreich

42 40 46

58

60 54

Quelle: A. Birman, Lerne wirtschaften! Moskau 1959, S. 235.

Diese Daten bringen auch sehr deutlich die Tendenz zur ständigen Verringerung des Anteils der Werktätigen am Nationaleinkommen zum Ausdruck, was eine Folge der zunehmenden Verschärfung der Ausbeutung der Werktätigen durch das Kapital ist. Schon aus den angeführten Gründen ist ersichtlich, daß die Auseinandersetzung mit der betriebswirtschaftlichen Apologetik nicht unterschätzt werden darf und ein stetes Anliegen der marxistischen Ökonomen sein muß. In dem vorgelegten Beitrag geht es jedoch nicht um die Auseinandersetzung mit der betriebswirtschaftlichen Apologetik im allgemeinen. Vielmehr soll an Hand eines konkreten Fragenkomplexes aufgezeigt werden, wie die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre ihre Rolle als Diener des Monopolkapitals erfüllt, wobei aber auch einige Hauptargumente auf dem Gebiet der Abschreibungstheorie widerlegt werden sollen. Die betriebswirtschaftliche „Abschreibungstheorie", die erst nach dem zweiten Weltkrieg entstand, dient im wesentlichen der Rechtfertigung der Formen der beschleunigten Abschreibung des Sachanlagevermögens der monopolkapitalistischen Unternehmen, hinter denen sich — wie noch zu zeigen sein wird — bedeutende Akkumulations- und Ausbeutungsprozesse verbergen. Es handelt sich dabei also nicht um irgendwelche engbegrenzte „Fach"fragen, sondern um Hauptprobleme der kapitalistischen Ausbeutung überhaupt. Die Auseinandersetzung mit den betriebswirtschaftlichen Hauptargumenten zu diesem Fragenkomplex ist somit von allgemeiner Bedeutung. I. Die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen als Hauptmethode Investitionsfinanzierung in Westdeutschland

der

Die Abschreibungen auf das Sachanlagevermögen der kapitalistischen Industrieunternehmen erlangten in den letzten Jahrzehnten, insbesondere aber nach dem zweiten Weltkrieg eine außerordentliche Bedeutung im Rahmen der innerbetrieblichen kapitalistischen Akkumulation und Investitionsfinanzierung. Die in den Jahresabschlußbilanzen der westdeutschen Aktiengesellschaften ausgewiesenen Ab-

Ottomar Kratsch

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Schreibungen auf das Sachanlagevermögen, deren eigentliche Funktion die Gewähr" leistung der einfachen Reproduktion des konstanten fixen Kapitals ist, übersteigen bei weitem das durch die objektiven Reproduktionsbedingungen gegebene Maß, und zwar in einem solchen Umfange, daß die erweiterte Reproduktion des fixen Kapitals zum überwiegenden Teil über die Abschreibungsmittel finanziert wird. E s handelt sich hierbei um ökonomische Erscheinungen, die nicht nur für Westdeutschland typisch, sondern gegenwärtig für fast alle entwickelten kapitalistischen Länder charakteristisch sind. F ü r den Zeitraum von 1948 bis 1957 (und auch noch gegenwärtig) war die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen die Hauptmethode der Investitionsfinanzierung in Westdeutschland. Das kommt sehr deutlich in folgenden Daten zum Ausdruck: In den acht Jahren von 1950 bis 1957 einschließlich wurden in der westdeutschen Wirtschaft insgesamt 257,2 Milliarden DM für Brutto-Anlageinvestitionen verwendet. F ü r den gleichen Zeitraum werden 116,0 Milliarden DM an Abschreibungen ausgewiesen. 5 Demnach wurden also fast die Hälfte aller Investitionen allein aus Abschreibungsmitteln finanziert, ein außergewöhnlich hoher Anteil, wenn man berücksichtigt, daß sich der jährliche Investitionsaufwand in Westdeutschland von 18,4 Milliarden DM im J a h r e 1950 auf nicht weniger als 46,1 Milliarden DM im J a h r e 1957, d. h. auf nicht weniger als 250°/0 erhöhte. Bei diesem schnellen Wachstumstempo der Investitionen ist es höchst unwahrscheinlich, daß die Hälfte dieser Investitionen reine Ersatzinvestitionen für ausscheidende verbrauchte Arbeitsmittel sein sollten, vielmehr dürfte schon dadurch als erwiesen gelten, daß ein großer Teil der ausgewiesenen Abschreibungen der Finanzierung von Neuinvestitionen in das Anlagevermögen, d. h. der erweiterten Reproduktion des fixen Kapitals diente. Wesentlich höher ist aber der Anteil der in den Bilanzen ausgewiesenen Abschreibungen an der Investitionsfinanzierung in der westdeutschen Industrie und ganz besonders in den industriellen Großunternehmen. Nach eigenen Berechnungen schwankte der Anteil der Abschreibungen an den Investitionen in das Sachanlagevermögen der Aktiengesellschaften der westdeutschen Industrie in den Jahren 1948/49 bis 1957 zwischen 60 und 76°/0 (vgl. Tabelle 1). TABELLE 1

Verhältnis der Abschreibungen zu den Zugängen zum Sachanlagevermögen der Aktiengesellschaften der westdeutschen Industrie in den Geschäftsjahren 1948/49 bis 1957* (in Prozent) Geschäftsjahr Anteil Geschäftsjahr Anteil 1948/49 1950 1951 1952 1953

75,8 70,7 59,7 69,8 68,1

1954 1955 1956 1957

67,0 62,5 63,1 67,6

s „Wirtschaft und Statistik", 10. Jahrg. N. F., H. 5, S. 268, 1958. • Als Quelle dienten die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten zusammengefaßten Jahresabschlüsse der westdeutschen Aktiengesellschaften. Zu dem im kapitalistischen Rechnungswesen üblichen Begriff „Zugänge zum Sachanlagevermögen" ist zu bemerken: Zugänge und Investitionen in das Sachanlagevermögen

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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Nach diesen Daten wurden also während des gesamten Zeitraums sogar reichlich zwei Drittel aller Sachanlage-Investitionen allein über die Abschreibungen finanziert. Hinter dieser Tatsache verbergen sich eine Reihe neuer ökonomischer Erscheinungen, die unmittelbar mit dem zunehmenden Grad der Vergesellschaftung der kapitalischen Produktion zusammenhängen. Wohl gab es auch früher bestimmte Perioden, in denen der Anteil der Abschreibungen an den Investitionen sehr hoch' war, doch hat das keinerlei Bezug auf die gegenwärtige Praxis. So war beispielsweise in den Jahren der großen Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 die Summe der ausgewiesenen Abschreibungen größer als der Gesamtbetrag der Investitionen. Hier galten aber die bilanzmäßigen Abschreibungen bei allgemein außerordentlich niedrigem Investitionsniveau vor allem der Verlustabdeckung, wobei in einer Spezialuntersuchung zu ermitteln wäre, inwieweit diese Abschreibungen tatsächlich über die Warenpreise realisiert werden konnten. Das Neue in dem Zeitabschnitt nach dem zweiten Weltkrieg besteht darin, daß über die Formen der beschleunigten Abschreibungen Prozesse der kapitalistischen Akkumulation vollzogen werden. Dem aufgezeigten hohen Investitionstempo in der westdeutschen Wirtschaft liegt eine entsprechende Steigerung der Kapitalakkumulation zugrunde. Die Investitionen in das fixe Kapital beinhalten Prozesse der Verwandlung von Profit in Kapital, denn die Quelle der erweiterten Reproduktion des Kapitals ist die kapitalistische Akkumulation, die entsprechende Profite voraussetzt. Die westdeutschen Kapitalisten vermochten also in dem betrachteten Zeitraum ihre Profite in einem solchen Ausmaß zu steigern, daß die bereits 1950 sehr hohen Investitionen bis zum J a h r e 1957 noch auf das 2,5fache erhöht werden konnten. Daß diesem Prozeß eine bedeutende Verschärfung der Ausbeutungsverhältnisse in Westdeutschland zugrunde liegt, ist offensichtlich. Dieser Prozeß wird aber dadurch verschleiert, daß die tatsächlichen ökonomischen Beziehungen des Akkumulationsprozesses nicht ohne weiteres an der Oberfläche erkennbar sind. Dazu tragen auch wesentlich die Methoden der Investitionsfinanzierung bei, die von den Monopolen in der Nachkriegsperiode angewandt werden. Die „traditionelle Finanzierung" war bislang im entwickelten Kapitalismus die Investitionsfinanzierung über den Kapitalmarkt. Dieser spielte in der Nachkriegsperiode nicht nur in Westdeutschland, sondern auch in den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern eine wesentlich veränderte Rolle. Kurt Zieschang, der eine wichtige Arbeit über die Investitionsfinanzierung in Westdeutschland verfaßte, hebt hervor, daß „die Formen und Methoden der Investitionsfinanzierung von dem jeweiligen Entwicklungsstand des Konfliktes zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen im allgemeinen und vom Reproduktionsprozeß im besonderen bestimmt werden." 7 sind nicht völlig identisch, da die kapitalistischen Unternehmen erfahrungsgemäß einen Teil der Anlagenzugänge nicht in der Bilanz aktivieren. Es ist weiter zu beachten, daß die Summe der betrieblichen Investitionen nicht identisch ist mit der realen volkswirtschaftlichen Größe, da in den Zugängen auch die Erwerbungen bereits gebrauchter Anlagen eingehen. 7 Zieschang, Kurt, Grundprobleme der Investitionsfinanzierung in Westdeutschland. Akademie-Verlag, Berlin 1959, S. 12.

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Der grundlegende Widerspruch der kapitalistischen Akkumulation, der in der steigenden organischen Zusammensetzung und im sinkenden Verwertungsgrad des Kapitals zum Ausdruck kommt, verschärft sich und führt schließlich auch zu „qualitativen Änderungen in der Investitionsfinanzierung". 8 Die wachsende Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals, der sich ständig verschärfende Konkurrenzkampf zwischen den kapitalistischen Unternehmen und Kapitalgruppen und der Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus zwingt die Monopole zu stets größeren Kapitalinvestitionen, was steigende Profitmasse und erhöhte Ausbeutung der Werktätigen voraussetzt. Wenn z. B . in den USA 1929 bis 1938 im Jahresdurchschnitt 3,5 Milliarden Dollar in Maschinen und Anlagen investiert wurden, so betrug der Investitionsaufwand im J a h r e 1957 bereits mehr als das Zehnfache, nämlich 37,0 Milliarden Dollar. In England erhöhte sich der Investitionsbetrag von 656 Millionen Pfund Sterling im J a h r e 1938 auf 3139 Millionen Pfund Sterling 1956. In Westdeutschland wurden 1938 insgesamt 7,1 Milliarden Mark in Arbeitsmittel und Bauten investiert, 1957 aber bereits 46,1 Milliarden Mark. 9 Diese Daten lassen erkennen, in welchem bedeutenden Ausmaß der kapitalistische Akkumulationsfonds anwächst. Die Quelle der kapitalistischen Akkumulation ist aber der Profit. In noch viel stärkerem Maße muß also die Profitmasse zunehmen, denn es wächst nicht nur der Akkumulationsfonds, sondern es wachsen zumindest ebenso die unproduktiven Ausgaben, ganz zu schweigen von der kapitalistischen Revenue. Die zunehmende Konzentration der Produktion macht zugleich den Kapitalfluß zwischen den verschiedenen Anlagesphären immer schwieriger, da die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals ein stets größeres Kapitalminimum j e Betriebseinheit bedingt. Hinzu kommt, daß in den Jahren ab 1948 ein plötzlicher und außerordentlich hoher Kapitalbedarf vorhanden war, der nur durch eine immense Kapitalakkumulation, d. h. durch eine unwahrscheinlich gesteigerte Ausbeutung zu decken war. Die Investitionsfinanzierung über den Kapitalmarkt entsprach somit nicht mehr den neuen Bedingungen. Zur Hauptmethode der Investitionsfinanzierung wurde die sogenannte „Selbstfinanzierung", d. h. die Mobilisierung zusätzlicher Kapitalmittel für die erweiterte Reproduktion innerhalb der kapitalistischen Unternehmen selbst, wobei die ausschlaggebende Rolle — wie bereits dargelegt — die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen spielt. Die überaus bedeutende Investitionstätigkeit der westdeutschen Monopole und der hohe Anteil der Abschreibungen an der Investitionsfinanzierung machen deutlich, daß die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen als Hauptmethode der Investitionsfinanzierung einen wesentlichen Teil des kapitalistischen Akkumulationsprozesses beinhaltet und zugleich verschleiert. Ebenda, S. 16. Varga, Eugen, Probleme des industriellen Nachkriegszyklus und die neue Überproduktionskrise. I n : „Kommunist", Moskau, 35. Jahrg., H. 8, S. 147, 1958. Die Daten sind zu jeweiligen Preisen, so daß noch die Preissteigerungen zu berücksichtigen sind. 8 9

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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Die Untersuchung der Abschreibungsprobleme hat somit große Bedeutung, werden dabei doch wesentliche Seiten des kapitalistischen Akkumulations- und damit Ausbeutungsprozesses berührt. Bei diesen Untersuchungen ist aber streng zwischen den Amortisationen als objektiver ökonomischer Kategorie und den Abschreibungen im kapitalistischen Rechnungswesen zu unterscheiden. Die in den Bilanzen der westdeutschen Aktiengesellschaften ausgewiesenen Abschreibungen weichen wesentlich von den Amortisationen als objektiver ökonomischer Kategorie, die den ökonomischen Verschleiß der Arbeitsmittel im Produktionsund Reproduktionsprozeß charakterisiert, ab. Die Amortisationen sind der Teil des konstanten fixen Kapitals, der entsprechend dem ökonomischen Verschleiß der Arbeitsmittel auf die Produkte übertragen und in Geldform realisiert wird. Ihre Funktion ist die Gewährleistung der einfachen Reproduktion des fixen Kapitals. Die Amortisationen stellen also eine objektive Größe dar, die durch die Bedingungen der Reproduktion des fixen Kapitals bestimmt ist. Von dieser objektiven Größe weichen die Abschreibungen im kapitalistischen Rechnungswesen mehr oder weniger stark ab. Diese Tatsache findet ihren Ausdruck allein schon darin, daß man im kapitalistischen Rechnungswesen kalkulatorische, steuerliche und bilanzmäßige Abschreibungen unterscheidet, die unterschiedlichen Zielen dienen und daher recht beträchtlich voneinander abweichen. Bislang entsprachen die steuerlichen Abschreibungen am ehesten der objektiven Größe. Nach dem zweiten Weltkrieg trat der angedeutete Wandel ein, der es nunmehr besonders notwendig macht, streng zwischen den Amortisationen als ökonomischer Kategorie und den Abschreibungen im kapitalistischen Rechnungswesen zu unterscheiden. Daß die Abschreibungen von den Amortisationen als objektiver Kategorie abweichen, ist im Kapitalismus gesetzmäßig, da es sich um eine anarchische Produktionsweise handelt. Zudem sind auch willkürliche Manipulationen möglich, denn die Abschreibungen sind nur im Durchschnittsmaß bestimmbar. Im vormonopolistischen Kapitalismus jedoch waren diesen Abweichungen enge Grenzen gesetzt, da das Gesetz der Durchschnittsprofitrate voll wirksam war. Von diesen Abweichungen unterscheiden sich die überhöhten Abschreibungen nach dem zweiten Weltkrieg prinzipiell. Über die Formen der beschleunigten Abschreibungen vollziehen sich Prozesse der Profitrealisierung. In Westdeutschland wird ebenso wie in den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern die beschleunigte Abschreibung in den verschiedensten Formen (Sonderabschreibungen, degressive Abschreibungsmethode u. a. m.) praktiziert. Das Wesen der beschleunigten Abschreibung besteht darin, daß in den ersten Jahren der Nutzung der Anlagen weit größere als dem tatsächlichen Verschleiß entsprechende Beträge abgeschrieben werden, so daß für den übrigen Abschreibungszeitraum nur geringfügige Summen übrigbleiben. Detaillierte Untersuchungen lassen erkennen, daß in der westdeutschen Industrie in den Jahren 1948 bis 1957 regelmäßig im ersten Drittel der Abschreibungsperiode bereits zwei Drittel des gesamten Abschreibungsbetrages abgeschrieben werden. Die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen (erhöht vorwiegend im Sinne der beschleunigten Abschreibungen, obwohl es auch teilweise Zweit-

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abschreibungen der Anlagen gab durch mögliche Aufwertungen des Sachanlagevermögens) wurde durch eine Reihe staatsmonopolistischer Maßnahmen wesentlich gefördert. An erster Stelle ist das „Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung" vom 21. August 1949 zu nennen, das recht umfangreiche Aufwertungen des Sachanlagevermögens ermöglichte, was für die Bemessung künftiger Abschreibungen sehr bedeutungsvoll war: ,,Der Gesetzgeber wollte den Betrieben mit diesen verhältnismäßig hohen Werten die Möglichkeit höherer steuerlicher Abschreibungen und damit erhöhter Reinvestitionen geben." 1 0 Das Einkommenssteuergesetz gewährte dann in den Jahren 1948 bis 1951/52 eine ganze Reihe von Sonderabschreibungen. So war es den kapitalistischen Unternehmen z. B. nach § 7 a E S t G (Bewertungsfreiheit für „Güter der Ersatzbeschaflung") möglich, über die „Normalabschreibungen" hinaus die zum Ersatz angeschafften Grundmittel im J a h r der Anschaffung und im darauffolgenden J a h r bis zu insgesamt 50°/ o der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzuschreiben. Bei einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von 10 Jahren konnte also beispielsweise eine Maschine in den ersten beiden Jahren bis zu 70°/0 abgeschrieben werden. Weitere Sonderabschreibungsmöglichkeiten gewährte das „Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft" vom 7. Januar 1952, die vor allem den Monopolen des Bergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie zugute kamen. Ab 1953 wurde in Westdeutschland die degressive Abschreibungsmethode, bei der bereits im ersten Drittel des Abschreibungszeitraumes zwei Drittel des gesamten Abschreibungsbetrages abgerechnet werden und die neben den direkten Sonderabschreibungen die verbreitetste Form der beschleunigten Abschreibung darstellt, steuerlich anerkannt. Die genannten staatsmonopolistischen Maßnahmen, die die beschleunigte Abschreibung und dadurch die Selbstfinanzierung der Investitionen über erhöhte Abschreibungen ganz außerordentlich förderten, indem in Höhe der über das objektive Maß hinausgehenden Abschreibungen automatisch eine Steuerfreiheit für die in den Abschreibungen verschleierten Profitteile wirksam wird, machen zugleich in besonders anschaulicher Form deutlich, daß die in den Bilanzen der kapitalistischen Unternehmen ausgewiesenen Abschreibungen nicht identisch sind mit jenen objektiven Größen, die die Reproduktion des fixen Kapitals in Übereinstimmung mit dem realen ökonomischen Verschleiß der Anlagen charakterisieren. Die überhöhten Abschreibungen entspringen nicht der subjektiven Willkür einzelner kapitalistischer Unternehmer. Vielmehr spiegeln sich in dieser Erscheinung objektive ökonomische Prozesse wider. Grundlage der Abschreibungen im modernen kapitalistischen Rechnungswesen ist nicht mehr der ökonomische Verschleiß des Sachanlagevermögens, sondern vielmehr der Monopolprofit und der Bedarf an künftigen Investitionen. Das macht es erforderlich, den eigentlichen ökonomischen Gehalt dieser Abschreibungen exakt zu bestimmen. Die Größe der Amortisationen ist — wie bereits festgestellt — durch die Bedingungen der einfachen Reproduktion des fixen Kapitals bestimmt. Obwohl sie nur 10 Kosiol, Erich, Anlagenrechnung. Theorie und Praxis der Abschreibungen. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden 1955, S. 229.

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im Durchschnittsmaß zu ermitteln ist, ergeben sich doch objektiv bedingte quantitative Verhältnisse. Die Amortisationen bringen zum Ausdruck, welcher Teil des fixen Kapitals im gegebenen Zeitraum auf das Produkt übertragen und dementsprechend von der Gesellschaft bzw. von dem kapitalistischen Unternehmen wieder ersetzt werden muß. Die innerhalb eines Jahres ausscheidenden Arbeitsmittel und die für die Generalreparaturen notwendigen Aufwendungen bilden den Ersatzfonds für die verbrauchten sachlichen Elemente des fixen Kapitals. Der Jahres-Amortisationsfonds als Ausdruck der übertragenen Wertteile des konstanten fixen Kapitals ist durch diesen Ersatzfonds weitgehend bestimmt, denn Funktion des Amortisationsfonds ist es, die einfache Reproduktion d^r verbrauchten (und wertmäßig auf das Produkt übertragenen) Bestandteile des fixen Kapitals zu gewährleisten. Dabei kann es zwar Abweichungen zwischen diesen beiden Fonds geben (z. B. kann der Amortisationsfonds unter Bedingung der erweiterten Reproduktion größer sein als der Ersatzfonds), doch das ändert nichts am Wesen der Sache, nämlich, daß die jährlichen Amortisationen eine objektiv gegebene Größe innerhalb der Reproduktion des konstanten fixen Kapitals darstellen. Da es Funktion der Amortisationen ist, die einfache Reproduktion des fixen Kapitals zu gewährleisten, bedeutet jede überhöhte, über das objektive Maß hinausgehende Abschreibung, Profitverschleierung und direkte Verwandlung von Profit in Kapital, wenn die Abschreibungen der Investitionsfinanzierung dienen. Überhöhte Amortisationen enthalten einen Teil des kapitalistischen Akkumulationsfonds, der der erweiterten Reproduktion des fixen Kapitals dient. Indem die kapitalistischen Unternehmen einen Teil ihrer Profite in Form überhöhter Abschreibungen unmittelbar für die Investitionsfinanzierung verwenden, verwirklichen sie die innerbetriebliche Akkumulation, ohne daß dieser Prozeß an der Oberfläche sichtbar wird. Die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre (und auch die bürgerliche Volkswirtschaftslehre!) versucht nun nachzuweisen, daß es sich bei Sonderabschreibungen und sonstigen überhöhten Abschreibungen lediglich um eine zeitliche Vorwegnahme der Abschreibungen handele, da ja in späteren Jahren entsprechend weniger abgeschrieben werde. Es handele sich also lediglich um eine zeitweilige Steuerstundung. Es sei ausnahmsweise ein Vertreter der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre zitiert. Der Amerikaner Samuelson gibt die folgende tiefgründige Erklärung: „Warum korrigieren sich Fehler in der Abschreibungsrechnung letzten Endes selbst? Angenommen, daß unser Lastwagen nicht, wie vermutet, zehn, sondern fünfzehn Jähre lebt. Wir haben dann unsere Abschreibungskosten während der ersten zehn Jahre zu hoch angesetzt. Für das elfte und die folgenden Jahre bleiben dann keine Abschreibungen mehr übrig, die auf den Lastwagen angerechnet werden könnten. Denn wir haben den Lastwagen ja bereits am Ende des zehnten Jahres bis auf seinen Schrottwert abgeschrieben. Unsere Gewinne zeigen daher in den letzten Jahren die Tendenz, um etwa so viel höher auszufallen, als wir sie in den vergangenen Jahren zu gering ermittelt hatten. Nach fünfzehn Jahren läuft alles auf dasselbe hinaus." 11 11 Samuelson, Paul A., Volkswirtschaftslehre. Eine Einführung. Bund-Verlag, KölnDeutz 1955, 2. Aufl., S. 108/09.

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Demnach ist eine beschleunigte Abschreibung nicht tragisch zu nehmen. Es wird lediglich eine zeitweilige Steuerstundung wirksam: „Indes, denken wir an die Steuern! Unterschiedliche Abschreibungsmethoden führen offenbar zu einer Umschichtung der Einnahmen im Zeitverlauf. Entsprechend verändert sich auch die Struktur unserer Körperschaftssteuerzahlungen. Ein K a u f m a n n zieht natürlich eine Abschreibungsmethode vor, die sein Durchschnittseinkommen auf lange Sicht hin geringeren Schwankungen aussetzt. Er wird bestrebt sein, seinen effektiven Steuersatz so niedrig wie möglich zu halten und Verluste gegen Gewinne aufzurechnen. Und er schätzt auch die Methode, die ihm erlaubt, den unangenehmen Steuertermin so lange wie möglich hinauszuschieben." 1 2

Auf das Problem der sogenannten Steuerstundung werden wir an anderer Stelle zurückkommen. In dem Begriff der „Vorwegnahme der Abschreibungen künftiger Abschreibungsjahre" liegt jedoch ein politökonomischer Trugschluß verborgen, der nur apologetischen Bemühungen, vor allem dem Streben nach Verschleierung der Ausbeutungsverhältnisse entspringen konnte. Das gesellschaftliche Gesamtprodukt — ganz gleich welcher sozialökonomischen Formation — zerfällt wertmäßig in zwei Teile: In den Ersatzfonds, der gleich dem W e r t des verbrauchten konstanten Kapitals ist, und in das Nationaleinkommen, das den im Produktionsprozeß geschaffenen Neuwert verkörpert; letzteres unterteilt sich in Konsumtions- und Akkumulationsfonds. Jegliche Investition, die über den Ersatz der verbrauchten Elemente hinausgeht, m u ß aus dem gesellschaftlichen Akkumulationsfonds finanziert werden. „Neubildung v o n konstantem Kapital — im Unterschied v o n der Reproduktion des vorhandnen capital constant — fließt aus dem Profit als seiner Quelle . . ." 1 3

Die Relation zwischen Ersatzfonds einerseits und Konsumtions- und Akkumulationsfonds andererseits ist ein durch die Bedingungen der Produktion und Reproduktion gegebenes festes Verhältnis, das nicht durch irgendwelche Maßnahmen willkürlich verändert werden kann. Innerhalb dieses Verhältnisses sind auch keine „Anleihen" möglich, da dieses nicht vom menschlichen Willen willkürlich konstruiert, sondern durch den jeweiligen Entwicklungsstand der P r o d u k t i v k r ä f t e bestimmt ist. Diese im R a h m e n der Volkswirtschaft wirkende objektive Gesetzmäßigkeit h a t in diesem Falle auch im Rahmen der kapitalistischen Einzelunternehmen volle Gültigkeit. Betriebswirtschaftlich handelt es sich ebenso wie in der Volkswirtschaft insgesamt ganz einfach um die Anlage eines Teils des Profits in neuen Arbeitsmitteln zur Erweiterung bzw. Intensivierung der Produktion. Die Behauptung, daß die kapitalistischen Unternehmer zeitweilig auf einen Teil ihres Profits verzichten (in den ersten J a h r e n schlössen zahlreiche Bilanzen infolge der weitgehenden Ausschöpfung aller gebotenen Abschreibungsmöglichkeiten mit Verlust ab), ist nicht stichhaltig. Der Profit wird als Profit realisiert, ganz gleich ob er in die kapitalistische Revenue eingeht oder ob er in Form überhöhter Abschreibungen über die Investitionsfinanzierung der Kapitalanlage in das fixe Kapital dient. Es handelt sich 12 13

Ebenda. Marx, Karl, Theorien über den Mehrwert. Dietz Verlag, Berlin 1956, Teil I, S. 73.

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also lediglich um das Verhältnis zwischen Akkumulation und Revenue (die Revenue wurde zugunsten der Akkumulation zeitweilig eingeschränkt, was allerdings sicher nur für die Kleinaktionäre gilt, denn die „Großen" haben noch bedeutende andere Einkommensquellen als die Dividende), nicht aber um das objektive Verhältnis zwischen Ersatzfonds und Profit. Profit bleibt Profit, ganz gleich in welcher Form der kapitalistische Akkumulationsprozeß vollzogen wird. Dabei wird auch völlig negiert, daß die der beschleunigten Abschreibung zugrunde liegenden Umverteilungsprozesse (z. B. sind die in den Abschreibungen verschleierten Profite steuerbefreit) eine entsprechende Erhöhung des Monopolprofits zum Ausdruck bringen. Auch die allen Tatsachen widersprechende Behauptung, daß sich die Amortisationsfonds in den folgenden Abschreibungsjahren verringern werden, da die Abschreibungen späterer Jahre auf eine frühere Periode vorverlagert seien, ist nicht stichhaltig und beruht bestenfalls auf einem theoretischen Trugschluß. Wenn man einen einzelnen Anlagegegenstand, beispielsweise eine Maschine, gesondert betrachtet, dann trifft es zu, daß das, was in den ersten Jahren der Nutzung abgeschrieben wurde, in den folgenden Jahren entsprechend weniger abgeschrieben werden kann, da das Prinzip der Einmaligkeit bei Abschreibungen besteht. (Dieses Prinzip wurde allerdings 1948 anläßlich der Erstellung der DM-Eröffnungsbilanzen zugunsten der kapitalistischen Unternehmer durchbrochen. Die ermöglichten Aufwertungen für das Sachanlagevermögen bedeuteten in Höhe der Aufwertung gleichzeitig eine Zweitabschreibung.) Dieser Fall tritt aber nur dann ein, wenn man einzelne Anlagegegenstände isoliert und in ihrer gegenständlichen Form betrachtet. Hier geht es aber nicht um einzelne Maschinen und Anlagen, sondern um die Betriebsfonds, um deren Beziehungen im Reproduktionsprozeß des produktiven Kapitals. Wird der Amortisationsfonds auf Kosten des Profits erhöht, d. h., enthält der zum Ersatz der verbrauchten Elemente des fixen Kapitals bestimmte Amortisationsfonds einen Teil des Akkumulationsfonds, dann kann sich der Amortisationsfonds in der Folge nicht verringern, sondern er wird sich im Gegenteil — unter sonst gleichen Bedingungen — ständig weiter erhöhen. Es wird bekanntlich abgeschrieben, um mehr und billiger zu investieren. Die neuen Anlagen erbringen neue zusätzliche Abschreibungsmöglichkeiten zu fast unveränderten Bedingungen. Damit wächst ständig die effektive Summe der Abschreibungen und es wächst auch die Summe des akkumulierten Profits in den Abschreibungen. Das geht auch sehr eindeutig aus der Entwicklung der Gesamtsumme der Abschreibungen in der westdeutschen Industrie hervor (vgl. Tabelle 2). Insgesamt erhöhte sich das Volumen der Jahresabschreibungen in der westdeutschen Industrie in den Jahren 1950 bis 1957 auf 209,l°/ 0 . Obwohl die Zuwachsraten über die einzelnen Jahre hinweg sehr starken Schwankungen unterliegen, ist doch die Tatsache zu verzeichnen, daß in allen Jahren eine Zunahme (insgesamt in den acht Jahren von 1950 bis 1957 mehr als eine Verdoppelung), niemals aber eine absolute Abnahme der Jahresabschreibungsbeträge stattfand. Die Gesamtsumme der Abschreibungen der westdeutschen Industrie ist die Addition der betrieblichen Abschreibungsbeträge. Die Bewegung der gesamtindustriellen Abschreibungsbeträge

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TABELLE 2

Entwicklung

der Abschreibungen der gesamten westdeutschen Industrie (einschließlich und Energiewirtschaft) in den Jahren 1950 bis 195714

Geschäftsjahre 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957

Abschreibungen in Md. D-Mark 5,172 6,333 6,950 7,036 7,344 8,083 9,315 10,813

Bau-

Zunahme gegenüber Vorjahr in % 22,4 9,8 1,2 4,3 10,1 15,2 16,1

charakterisiert somit auch die Entwicklung der betrieblichen Abschreibungen, wobei lediglich zu berücksichtigen wäre, daß den Löwenanteil der Abschreibungen die Monopole auf sich vereinen. Mit diesen — der westdeutschen offiziellen Statistik entnommenen — Daten dürfte die apologetische Legende von nur „zeitlichen Vorverlagerungen der Abschreibungen künftiger Abschreibungszeiträume" durch die Praxis selbst am treffendsten widerlegt sein. Es sei denn, die betriebswirtschaftliche Apologetik rechne mit Zeitkategorien eines „tausendjährigen Reiches". Dann müßte allerdings der gewiß vergebliche Versuch unternommen werden, die „Vorverlagerung" theoretisch zu beweisen. TABELLE 3

Anteil

der Profite an den ausgewiesenen Abschreibungen 1958 (in %J1S

bei 5 Gesellschaften von 1952 bis

Jahr

BASF1

Bayer 2

AEG 3

Oberhausen 4

1952 1953 1954 1955 1956 1757 1958

58,1 59,6 59,1 58,3 56,3 52,6

45,2 49,1 54,6 63,2 67,3 61,2 58,3

56,9 60,9 68,9 68,7 65,7 61,1 58,4

56,7 51,1 53,2 66,9 44,4 29,9





57,0 58,9 63,1» 51,8 Badische Anilin- und Sodafabrik AG, Ludwigshafen a. Rhein. 2 Farbenfabrik Bayer AG, Leverkusen. 3 Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft, Berlin und Frankfurt. 4 Hüttenwerk Oberhausen AG, Oberhausen. 5 Dortmund-Hörder Hüttenunion AG, Dortmund. • Im Durchschnitt der Geschäftsjahre 1950/51 bis 1957/58.

DHHU5 55,0 62,8 61,9 43,6 42,7 42,9 52,5

1

14

Die absoluten Zahlen aus: „Wirtschaft und Statistik", a. a. 0 . , S. 291 (Anhang). Zur Ermittlung des Profitanteils an den Abschreibungen waren komplizierte Umrechnungen notwendig, da das Sachanlagevermögen in den Bilanzen der Gesellschaften zu Buchrestwerten ausgewiesen wird. Es wurde auf Anschaffungsbasis umbewertet; sodann wurden die realen Abschreibungen mit Hilfe der Fortschreibungsmethode, bei der Ab15

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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Überhöhte Abschreibungen können keinesfalls als zeitweilige Vorwegnahme späterer Abschreibungen gewertet werden. Vielmehr handelt es sich hier um eine Form der unmittelbaren Verwandlung des Profits in Kapital. Der Amortisationsfonds enthält somit einen Teil des betrieblichen Akkumulationsfonds und dient der erweiterten Reproduktion des fixen Kapitals. In speziellen Untersuchungen konnte exakt nachgewiesen werden, daß mindestens 50°/ o aller in den Bilanzen der westdeutschen Aktiengesellschaften ausgewiesenen Abschreibungen dem ökonomischen Gehalt nach kapitalistische Profite darstellen. Als Illustration mögen die Daten einiger ausgewählter Aktiengesellschaften dienen (vgl. Tabelle 3). Im Rahmen dieses Artikels ist nicht der Platz, die Ursachen und Bedingungen für diese neuartige und höchst sonderbare Erscheinung darzulegen. 16 Es ist nur die Tatsache zu fixieren, daß zumindest die Hälfte der ausgewiesenen Abschreibungen ihrem ökonomischen Gehalt nach kapitalistischen Profit darstellen. Jegliche Form der beschleunigten Abschreibung spiegelt Prozesse der innerbetrieblichen Kapitalakkumulation wider und jegliche Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen bedeutet unmittelbare Verwandlung von Profit in Kapital, da es im Reproduktionsprozeß des fixen Kapitals keine „Vorwegnahme" künftiger Abschreibungen geben kann. J e höher der Grad der beschleunigten Abschreibung, um so höher auch der Anteil des Profits an den ausgewiesenen Abschreibungen. Die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen als gegenwärtige Hauptmethode der Investitionsfinanzierung in Westdeutschland und auch der Mehrzahl der entwickelten kapitalistischen Länder spiegelt objektive ökonomische Prozesse wider. Die ökonomische Grundlage der in den überhöhten Abschreibungen verschleierten Profite bilden die mit der Selbstfinanzierung verbundenen Prozesse der Umverteilung des Nationaleinkommens zugunsten der Monopolprofite. Während die ökonomische Notwendigkeit der Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibung aus dem hohen Grad der Vergesellschaftung, vor allem aus der wachsenden Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals erwächst, ergibt sich die Möglichkeit zur Verwirklichung der innerbetrieblichen Akkumulation über erhöhte Abschreibungen aus den hohen Monopolprofiten, die die Monopole auf Grund ihrer gewachsenen Machtpositionen erzielen. Die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen als monopolkapitalistische Hauptmethode der Investitionsfinanzierung ist vor allem durch zwei Voraussetzungen bestimmt, die sowohl den Grad der Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktion erkennen lassen, als auch deutlich machen, daß es sich bei der Selbstfinanzierung um eine monopolkapitalistische Methode handelt. schreibungssätze zugrunde gelegt wurden, die für die entsprechenden Zweige in der D D R gelten, ermittelt. 18 Das wurde ausführlich in der vom Verfasser der Hochschule für Ökonomie 1959 vorgelegten Dissertationsschrift ,,Zur Rolle der Abschreibungen bei der Investitionsfinanzierung der westdeutschen Industriemonopole in der Zeit von 1948 bis 1957" getan. In der bereits erwähnten Arbeit von Kurt Zieschang wurden eine Reihe allgemeiner damit im Zusammenhang stehender Probleme (vor allem die der Selbstfinanzierung zugrunde liegenden Umverteilungsprozesse) dargelegt.

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Die erste und entscheidende Voraussetzung der Investitionsfinanzierung über erhöhte Abschreibungen sind hohe Monopolpreise. Hohe Abschreibungen haben nur Sinn, wenn sie über entsprechend hohe Preise realisiert werden können. Für die westdeutsche Nachkriegsentwicklung ist typisch, daß trotz dem — gemäß der sehr umfangreichen Neuanlage von fixem Kapital — schnell gestiegenen Niveau der Arbeitsproduktivität die Warenpreise nicht nur nicht sanken, sondern eine sehr deutlich steigende Tendenz aufweisen. Die verschiedenen Industriegruppen sind allerdings nicht gleichermaßen daran beteiligt, vielmehr gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Zweigen der Gruppen A und B. Während die Preise im Durchschnitt in den Jahren 1950 bis 1957 in der gesamten westdeutschen Industrie auf 124°/ 0 anstiegen (macht im J a h r etwa 3 % aus!), erhöhten sich im gleichen Zeitraum die industriellen Erzeugerpreise im Bergbau auf 172°/ 0 , im Kohlenbergbau sogar auf 178°/ 0 und in der Eisen- und Stahlindustrie, die von 9 — die ganze Wirtschaft beherrschenden — Konzernen geführt wird, auf nicht weniger als 192°/ 0 . Dagegen stiegen die Erzeugerpreise in den Zweigen der Verbrauchsgüterindustrie und in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie nur um weniges und blieben recht beträchtlich gegenüber dem Durchschnittsniveau zurück. Dieser Tatsache liegen bedeutende Umverteilungsprozesse zugrunde. Hauptursache dieses für das imperialistische Stadium charakteristischen Preistrends ist die Entwicklung der Monopolpreise. Über die ständig ansteigenden Preise erfolgt eine zusätzliche Ausbeutung der Werktätigen. Letzten Endes bezahlen die Verbraucher die zunehmenden Investitionen. Darüber hinaus eignen sich die Monopole einen Teil des Profits der nichtmonopolisierten kapitalistischen Unternehmen an. Zwischen Monopolpreis und überhöhten Abschreibungen bestehen enge Beziehungen. Doch darf man diese keinesfalls so auffassen, daß übermäßige Abschreibungen die steigenden Preise verursachen, wie man mitunter in der westlichen Literatur lesen kann. Wohl sind die Abschreibungen Kostenelement. Aber doch nur so weit, als sie den im Reproduktionsprozeß gegebenen realen Bedingungen entsprechen. Wenn im kapitalistischen Rechnungswesen die Abschreibungen samt und sonders den Kosten zugerechnet werden, so ist das lediglich eine der vielen Manipulationen zur Profitverschleierung. Diese Möglichkeiten aber bewegen sich vollständig innerhalb des Rahmens, der durch das Preisniveau der Erzeugnisse abgesteckt ist. Hohe Preise sind die Voraussetzungen für hohe Abschreibungen. Eine zweite wichtige Voraussetzung der Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen sind die — zum Teil bereits genannten — staatsmonopolistischen Fördermaßnahmen. Insbesondere müssen überhöhte Abschreibungen auch in der Steuergesetzgebung anerkannt werden. Diese steuerliche Anerkennung überhöhter Abschreibungen bedeutet aber den Verzicht auf die Gewinn- und Vermögensbesteuerung eines großen Teils der kapitalistischen Profite durch den kapitalistischen Staat zugunsten der Kapitalakkumulation der Monopole. In allen kapitalistischen Staaten stieg in den Nachkriegsjahren das Steuerbudget bedeutend an, ebenso in Westdeutschland. Im Rahmen der Forcierung des „kalten Krieges" sind umfangreiche Mittel für die Unterhaltung des sich immer mehr aufblähenden Staatsapparates und für die Militarisierung notwendig. Allein in der Zeit

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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von 1951 bis 1956 erhöhte sich das jährliche Gesamtsteueraufkommen des westdeutschen Staates von 27280,2 Millionen DM auf 50013,4 Millionen DM, d. h. auf 172,2°/0. Wenn der westdeutsche Staat trotzdem weitgehend auf eine Profitbesteuerung der Monopole verzichtet, dann muß er zusätzliche Mittel aus den übrigen Bevölkerungsschichten herauspressen. Es muß eine Umverteilung der Mittel zugunsten der Kapitalisten stattfinden. Die Förderung der Selbstfinanzierung setzt die Verschärfung der Ausbeutung der Werktätigen durch den kapitalistischen Staat voraus. Die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen ist eine Methode des Monopolkapitals. Das wird nachdrücklich dadurch erhärtet, daß ab dem Jahre 1952 mehr als die Hälfte aller Abschreibungen der westdeutschen Industrie-Aktiengesellschaften allein in den von den mächtigen Monopolen beherrschten Zweigen — Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie und Energiewirtschaft —, die auch den überwiegenden Teil der Investitionen auf sich vereinigen, ausgewiesen werden. Die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen ist aber zugleich auch Ausdruck objektiver ökonomischer Prozesse. Sie spiegelt den Grad der Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktion wider, der einerseits eine immer größere Kapitalakkumulation durch die Monopole und damit eine verschärfte Ausbeutung der Werktätigen bedingt, andererseits aber den staatsmonopolistischen Kapitalismus möglich und notwendig macht. Die reale Grundlage der überhöhten Abschreibungen ist der durch die Umverteilungsprozesse erhöhte Monopolprofit. Die Umverteilung des Nationaleinkommens zugunsten der monopolkapitalistischen Akkumulation erfolgt dabei — wie aufgezeigt — vorwiegend auf zwei Wegen. Einmal in Form des Monopolpreises, der Voraussetzung überhöhter Abschreibungen ist, zum andern aber über die staatsmonopolistisch geförderte Steuerbefreiung des größten Teils des kapitalistischen Profits. Um beispielsweise einen Betrag in Höhe von einer Million DM akkumulieren zu können, müßten entsprechend der gegenwärtig in Westdeutschland geltenden Steuergesetzgebung etwa 2 Millionen DM Profit realisiert werden, da etwa 50°/0 des Profits als Steuern abgeführt werden müßten. Die direkte Zuführung des Profits zum Akkumulationsfonds über erhöhte Abschreibungen macht es aber möglich, die 2 Millionen ohne Abzug der Akkumulation zuzuführen. Im Ergebnis ist die tatsächlich akkumulierte Profitmasse größer als die als Profit realisierte und dank der zusätzlichen Profitrealisierung aus der Umverteilung auch größer als der produzierte und für die Akkumulation bestimmte Profit. Ab 1951 betrug der von den westdeutschen Aktiengesellschaften zu entrichtende Körperschaftssteuersatz 60°/o des sogenannten „Reingewinns". Hinzu kamen etwa 5°/0 „Notopfer Berlin" und andere Abgaben. In der Zeit von 1951 bis 1955 hätten also 70°/0 des Profits als Steuern an den Staat abgeführt werden müssen. Dank der beschleunigten Abschreibung und der damit verbundenen Profitrealisierung unter der Kategorie Kapital aber erfolgte eine Erhöhung des kapitalistischen Akkumulationsfonds in Höhe dieser Differenz. Bei absolut anwachsendem Umfang des Steuerbudgets bedeutet das, daß die Arbeiterklasse und die übrigen werktätigen Schichten eine ständig steigende Steuer15 Probleme Bd. 3

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last aufbringen müssen, da der bürgerliche S t a a t auf die Besteuerung der Monopolkapitalisten weitgehend verzichtet. Das Monopolkapital erlegt der gesamten Gesellschaft einen zunehmend größeren Tribut auf. Die über die Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen verwirklichte außerordentliche Steigerung der Investitionstätigkeit beruht auf der verstärkten Ausbeutung der Werktätigen, wobei die Formen der Umverteilung des Nationaleinkommens als wichtige Methode zur Erhöhung des Monopolprofits eine zunehmende Bedeutung erlangen. Die besondere Bedeutung der Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen liegt dabei vor allem auch darin begründet, daß sie in besonderem Maße zur Verschleierung dieser Ausbeutungsverhältnisse beiträgt. Die Tatsache, daß diese besondere Form der monopolkapitalistischen Akkumulation auf der verstärkten Ausbeutung beruht, zeigt aber auch die Grenzen der Selbstfinanzierung auf. Sie vermag keineswegs die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft zu lösen, sie spitzt sie zu. Das unmittelbare Resultat dieser Methode ist die verstärkte Konzentration der Produktion einerseits und die verschärfte Ausbeutung andererseits. Das aber bedeutet, daß der Grundwiderspruch des Kapitalismus im verstärkten Maße wirksam wird. II. Der

„Lohmann-Ruchti-Effekt"

Angesichts der außerordentlichen Bedeutung, die die Abschreibungen bei der Investitionsfinanzierung nach dem zweiten Weltkrieg in Westdeutschland und in den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern erlangten, verwundert es nicht, daß gerade in jener Zeit zahlreiche Veröffentlichungen hervortraten, die sich vorwiegend mit dem Problem der Abschreibung als „Finanzierungsfaktor" befaßten. Es m u ß bei dieser Gelegenheit bemerkt werden, daß es bis dato weder in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre noch in der Betriebswirtschaftslehre eine Abschreibungstheorie gab. F ü r die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre galten die Abschreibungen seit eh und je lediglich als F a k t o r des Rechnungswesens, als Aufwandsfaktor, der nach Möglichkeit eine gleichmäßige Kostenverteilung bewirken soll. Die betriebswirtschaftlichen Bestimmungsgründe f ü r die Vornahme der Abschreibungen unterliegen reinen Zweckmäßigkeitserwägungen. Im wesentlichen galt das, was noch Schmalenbach darlegte: „Zu einer richtigen Abschreibung gehört eine richtige Abschätzung der Lebensdauer des verbleibenden Restwerts nach Ablauf der Lebensdauer und des Nutzungsverlaufs. Keine dieser für die Abschreibung wesentlichen Faktoren läßt sich mit Genauigkeit schätzen. Infolgedessen ist man sehr häufig vor die Wahl gestellt, welche von zwei vertretbaren Abschreibungssätzen man wählen soll. In diesem Falle wählt der Bilanzierende, dem Grundsatz der Vorsicht folgend, den höheren Abschreibungssatz und befolgt dabei folgende Erwägung: Wähle ich den Abschreibungssatz zu niedrig, so kommt der Erfolg hoch heraus, wähle ich ihn hoch, so kommt er niedrig heraus. Im Zweifel ist ein zu hoch berechneter Erfolg wesentlich gefährlicher als ein zu niedrig berechneter Erfolg." 17 17 Schmalenbach, Eugen, Dynamische Bilanz. Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen 1953, S. 84.

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Was also bisher zu diesem wichtigen Problemkreis geleistet wurde, waren bestenfalls methodologische Erörterungen über Abschreibungsmethoden und ähnliches, während man sich im übrigen auf die Erläuterung und Auslegung der in der Handelsund Steuergesetzgebung fixierten Tatbestände beschränkte. Das war aber für die damalige kapitalistische Praxis auch völlig ausreichend, da die Abschreibungen nicht die besondere Rolle spielten, die sie gegenwärtig einnehmen. Die neuen Bedingungen in der Nachkriegsperiode stellten aber der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre neue große Aufgaben, und zwar in der — eingangs erwähnten — Doppelfunktion: Einmal ein entsprechendes monopolkapitalistisches Instrumentarium für die höchstmögliche Profitrealisierung zu entwickeln und zum anderen mit Hilfe dieses Instrumentariums die tatsächlichen Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern. Es verwundert daher nicht, daß nunmehr die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre den theoretischen Seiten des Problems der Abschreibungen außerordentlich große Aufmerksamkeit zuwendet. Indem man sich den Anschein gibt, als sei man ernsthaft um die Lösung von Teilproblemen der Abschreibungstheorie bemüht, entsteht eine entsprechende Abschreibungs,,theorie", die ausschließlich apologetischen Zielen im oben angeführten Sinne dient und daher von vornherein unwissenschaftlich ist. Behandelte man früher die Abschreibungen vorwiegend als „Aufwandsfaktor", so untersucht man in jüngster Zeit die Abschreibungen schon als „Aufwands-, Ertragsund Finanzierungsfaktor". Bei den Abschreibungen als „Aufwandsfaktor" geht es ausschließlich um die „zweckmäßige" Verteilung des Gesamt-Abschreibungsbetrages über den Abschreibungszeitraum. Die Abschreibungen als „Ertrags- (sprich: „Gewinn") faktor" dienen schon der Regulierung des Gewinnausweises in den Bilanzen. Die Abschreibungen als „Finanzierungsfaktor" schließlich beinhalten das Problem der Verwendung der Abschreibungsmittel für die Investitionen. Das Hauptinteresse gilt in der neueren Literatur vor allem den Abschreibungen als Finanzierungsfaktor, dem die übrigen Gesichtspunkte untergeordnet sind. Man wird allerdings vergeblich nach objektiven Bestimmungsgründen für die Amortisationen suchen, wie es ebenso vergeblich wäre, etwas über die Rolle der Amortisationen im kapitalistischen Reproduktionsprozeß erfahren zu wollen. Die Abschreibungen sind nach wie vor nur „Faktor", d. h., man kann beliebig mit ihnen „kombinieren", sie unterliegen keinerlei objektiven Bestimmungsgründen. Das entspricht aber voll und ganz dem apologetischen Charakter der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre, deren Aufgabe es nicht ist, bestimmte gesetzmäßige gesellschaftliche Zusammenhänge aufzudecken, sondern die ausschließlich dazu dient, für die kapitalistischen Unternehmer und ihre Interessenvertreter die bestmöglichen Verwertungsbedingungen des Kapitals zu erkunden und die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern. Anfangs der 50er Jahre entstand in Westdeutschland eine große Anzahl betriebswirtschaftlicher Arbeiten, die fast ausschließlich die „Abschreibungen als Finanzierungsfaktor" zum Gegenstand hatten. Schon diese Orientierung ist symptomatisch. Es wird die Frage gestellt: Inwieweit kann man mit den vorgenommenen Abschreibungen Investitionen in Neuanlagen finanzieren? 15*

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Hans Ruchti griff das genannte Problem erstmals im Jahre 1942 in einer Artikelreihe über „Die Abschreibung als Finanzierungsmittel" auf. 18 Diese Ergebnisse fanden ihre Weiterentwicklung in einem 1953 veröffentlichten Buch. 19 (Der erste bürgerliche Betriebswirtschaftler, der diese Frage am Beispiel der Erneuerung von Anlagen im Schiffbau untersuchte, war allerdings J . Polak, der bereits 1926 dazu ein Buch veröffentlichte. 20 Diese Arbeit blieb damals aber verständlicherweise unbeachtet.) Mit dem gleichen Problemkreis beschäftigten sich noch eine Reihe weiterer Autoren, so u. a. M. Lohmann 21 , H. Neubert 22 , K. H. Forster 23 , H. Langen 24 , E. Schäfer 25 und K. Hax. 26 Auch E. Kosiol 27 widmete diesem Problem in seinem im Jahre 1955 in zweiter Auflage erschienenen Werk über die Anlagenrechnung breiten Raum. Es ist interessant, daß Kosiol in dieser Arbeit die kalkulatorischen Abschreibungen als Grundlage seiner Darlegungen über die Anlagenrechnung wählt. Er bezeichnet sie direkt als „das Kernziel der Anlagenrechnung". 28 Man muß aber wissen, daß die kalkulatorischen Abschreibungen eine rein innerbetriebliche Angelegenheit sind. Sie sind nicht publikationspflichtig. In den kalkulatorischen Abschreibungen wird nach Möglichkeit der tatsächliche Wertverzehr der Anlagen erfaßt. Die Tatsache, daß sich Kosiol im Gegensatz zu den meisten anderen Betriebswirtschaftlern auf die kalkulatorischen Abschreibungen stützt, ist ein indirektes Eingeständnis dessen, daß die steuerlichen und bilanzmäßigen Abschreibungen nicht den tatsächlichen Wertverzehr zum Ausdruck bringen. Die Aufzählung der westdeutschen betriebswirtschaftlichen Literatur zu Abschreibungsfragen ist unvollständig, wie wir uns überhaupt auf nur einige Vertreter und auf die wichtigsten Fragen beschränken müssen. Allen genannten Arbeiten ist gemeinsam, daß sie sich vor allem darum bemühen, für die in der gegenwärtigen Praxis übliche Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen die entsprechende „theoretische" Umschreibung, Argumentation und 1 8 Ruchti, Hans, Die Abschreibung als Finanzierungsmittel. In: „Die Betriebswirtschaft", Jahrg. 1942, H. 4/5, 6 und 7/8. 1 9 Ruchti, Hans, Die Abschreibung. Ihre grundsätzliche Bedeutung als Aufwandsfaktor, Ertragsfaktor, Finanzierungsfaktor. C. E. Poeschel Verlag, Stuttgart 1953. 2 0 Polak, N. J . , Grundzüge der Finanzierung mit Rücksicht auf die Kreditdauer. Berlin und Wien 1926. 2 1 Lohmann, M., Der Wirtschaftsprüfer. Jahrg. 1949, H. 12. 2 2 Neubert, Helmut, Anlagenfinanzierung aus Abschreibungen. I n : „Zeitschrift f ü r handelswissenschaftliche Forschung", 3. Jahrg., H. 8/9, 1951. 2 3 Forster, Karl-Heinz, Finanzierung durch Abschreibungen, 1953. 24 Langen, H-, Die Kapazitätsausweitung durch Reinvestition liquider Mittel aus A b schreibungen. I n : „Zeitschrift f ü r handelswissenschaftliche Forschung", 5. Jahrg., H. 2, 1953. 2 5 Schäfer, Erich, Abschreibung und Finanzierung. I n : „Zeitschrift f ü r handelswissenschaftliche Forschung", 7. Jahrg., H. 3, 1955. 2* Hax, Karl, Abschreibung und Finanzierung. In: „Zeitschrift f ü r handelswissenschaftliche Forschung", 7. Jahrg., H. 3, 1955. 2 7 Kosiol, Erich, Anlagenrechnung. Theorie und Praxis der Abschreibungen, a. a. 0 . , 2. Aufl. 28 Ebenda, S. 30.

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Verschleierung zu finden. Das allgemeine Resümee dieser Arbeiten ist der „Nachweis", daß es möglich ist, aus Abschreibungen erweitert zu reproduzieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sogenannten „Lohmann-Ruchti-Eflekt", in dem man die beiden Autoren als Entdecker dieser Erscheinung betrachtet. In diesem Zusammenhang spricht man in der westdeutschen Betriebswirtschaftslehre sogar von einem neuentdeckten „Phänomen" der Abschreibungen: „ E r s t der neuen betriebswirtschaftlichen Forschung blieb es vorbehalten, ein bedeutsames Wachstumsphänomen des Betriebes zu ergründen. Es beruht auf der Erkenntnis, daß die hereinkommenden Abschreibungsbeträge f ü r jede Neuinvestition langlebiger Wirtschaftsgüter in der Regel sofort wieder investiert werden und daß sich dadurch die Investitionsmittel unter Umständen ganz beträchtlich erhöhen, und zwar je nach der Lebensdauer der investierten Güter, dem Abschreibungssatz und der Abschreibungsmethode. Die Betriebe haben also über die' ihnen zugeführten Mittel hinaus eine n a t ü r liche Fähigkeit, einen Drang zum Wachstum, ähnlich wie Organismen in der N a t u r , solange die biologischen Bedingungen dazu gegeben sind und keinerlei Störungen erfolgen. Die Neuinvestitionen werden auf diese Weise — dem Unternehmer meist unbewußt — ohne neue Zufuhr von Kapital vermehrt und führen so zu Erweiterungen. Es handelt sich dabei um eine Erscheinung, die m a n mit der Geldschöpfung der Banken vergleichen kann, die aus eigener K r a f t Geld aus dem ,Nichts' s c h a f f e n . " 2 '

Auf diese Weise wird den Abschreibungen ein „Fetischcharakter" angedichtet. Die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre kann offenbar ebensowenig wie die Religion ohne „Wunder" auskommen. Es bleibt zunächst die Frage der Priorität in der Erkenntnis des Freisetzungseffektes der Abschreibungen zu klären. Wenn nämlich Prioritätsrechte verliehen werden sollen, dann muß man diese unbedingt den Klassikern der marxistischen Politischen Ökonomie Karl Marx und Friedrich Engels zuerkennen, denn die bürgerliche Betriebswirtschaft „entdeckte" in diesem Falle etwas neu, was die Klassiker bereits vor hundert Jahren aufgezeigt hatten 30 , wobei es allerdings — wie noch zu zeigen sein wird — bedeutende qualitative Unterschiede gibt. Auf diese Tatsache wurde bereits mehrfach hingewiesen, u. a. auch von Yoshiro Kimizuka in „Ein Paradoxon: Abschreibung und Anlagenersatz in der kapitalistischen Produktion (2)".31 Kimizuka nennt weiter Guy Mareshal und Branko Horvat. Es sei auch auf eine Arbeit von Jozef Sojka verwiesen: „Nach Marx haben sich mit dieser Frage mehrere bürgerliche Ökonomen beschäftigt, in dem Bemühen, sie f ü r die Bedürfnisse der kapitalistischen Unternehmen auszunutzen. Es ist jedoch eigenartig, daß sie sich d a f ü r auch das Urheberrecht aneignen. Die Möglichkeit, Abschreibungen f ü r die Erweiterung der K a p a z i t ä t des Unternehmens zu verwenden, bezeichneten sie sogar als L o h m a n n - R u c h t i - E f f e k t , obwohl der erste bürgerliche Betriebswirtschaftler', der diese Erkenntnis am Beispiel der E r n e u e r u n g von 29

Henzel, F., Die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft u n d ihre Aufgaben f ü r die Praxis. I n : „Zeitschrift f ü r Betriebswirtschaft", 27. J a h r g . , H . 12, S. 674, 1957. 30 Marx-Engels, Briefwechsel. Dietz Verlag, Berlin 1950, S. 120, 488 und 491. Marx, K., Das Kapital. Dietz Verlag, Berlin 1951, Bd. II, S. 166. 31 Kimizuka, Yoshiro, A P a r a d o x : Depreciation and Replacement in Capitalist Reproduction (2), Reports of the University of Electro Communications, Tokyo, December 1957, No. 9.

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Ottomar Kratsch

Anlagen im Schiffbau formulierte — wie sie selbst anführen —, J. Polak war, dessen Arbeit schon im Jahre 1926 erschienen ist. Wie wir gesehen haben, beschäftigten sich Marx und Engels mit dieser Frage bereits im Jahre 1867." 32 A u c h der Verfasser dieses Beitrages verwies selbst bereits in einer 1957 erschienenen A r b e i t auf K a r l Marx. 3 3 D i e westdeutsche Betriebswirtschaftslehre brauchte bis zum Jahre 1958, u m den eigentlichen Urheber des Freisetzungseflektes zu „ e n t d e c k e n " . U n t e r der R u b r i k „ M i t t e i l u n g " der „ Z e i t s c h r i f t f ü r handelswissenschaftliche F o r s c h u n g " zitiert K a r l H a x ohne K o m m e n t a r zur Sache aus dem Briefwechsel zwischen K a r l M a r x und Friedrich Engels die diesbezüglichen Stellen. 3 4 D e r E x p o n e n t der „ A b s c h r e i b u n g s t h e o r e t i k e r " in der westdeutschen

Betriebs-

wirtschaftslehre ist Hans Ruchti, m i t dessen wichtigsten Thesen w i r uns hier auseinandersetzen wollen. E r betrachtet seine A r b e i t als einen „ V e r s u c h , ein T e i l g e b i e t der allgemeinen v o n der Betriebswirtschaftslehre noch nicht systematisch in A n griff genommenen Investitionstheorie zu b e h a n d e l n " . 3 5 Es interessieren v o r allem die Finanzierungsvorgänge. „ E s wird der theoretische und praktische Beweis erbracht, daß eine echte Selbstfinanzierung aus Abschreibungen, also eine Erweiterung des Betriebes, möglich ist." 3 6 W i r werden uns zunächst m i t d e m „theoretischen B e w e i s " zu beschäftigen haben, wobei dieser allerdings nur darin bestehen könnte — w i e wir bereits a u f z e i g t e n —, das bestenfalls zu quantifizieren, w o f ü r der theoretische Beweis bereits v o n M a r x und Engels erbracht wurde. Voraussetzung w ä r e dann allerdings, daß ebenso wie bei M a r x und Engels v o n den o b j e k t i v e n Bedingungen des Reproduktionsprozesses ausgegangen wird. Zunächst sei festgestellt, was R u c h t i unter Abschreibungen v e r s t e h t : „ D e r Charakter der Abschreibung als über die Zeit verteilte Kosten des festen Faktors ist von anderer Natur wie der der festen Kosten in der statischen Gesamtkostenkurve. Die festen Kosten sind hier mit den Ausgaben für den festen Faktor identisch. Die Abschreibung dagegen ist ein Rechenverfahren, wobei es keine Möglichkeit gibt, sie exakt über die Zeit bzw. auf die Produktmengen zu verteilen. Sie selbst entspringt Zweckmäßigkeitserwägungen, um den Gewinn in der betrieblichen Abrechnung (Bilanz und Erfolgsrechnung) ,richtig' zu ermitteln. Die Abschreibung ist mithin eine Rechenoperation, für deren Höhe bestimmte Grundsätze aus Zweckmäßigkeitsgründen entwickelt worden sind. Daraus folgt auch, daß es sie als feste Kosten im Zeitablauf nicht g i b t . " 3 ' (Hervorhebungen — 0 . K . ) 32 Sojka, Josef, Die Beziehung der Abschreibungen zu Ersatz- und Neuinvestitionen. I n : „Ekonomicky casopis", Prag, 7. Jahrg., Nr. 2, 1959. 33 Kratsch, Ottomar, Zu einigen Abschreibungsproblemen. I n : „Wirtschaftswissenschaft", 5. Jahrg., H. 4, 1957. 34 Hax, Karl, Karl Marx und Friedrich Engels über den „Kapazitätserweiterungs-Effekt". I n : „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung", Köln und Opladen, 10. Jahrg., H . 4, S. 222ff., 1958. 86 Ruchti, Hans, Die Abschreibung. Ihre grundsätzliche Bedeutung als Aufwandsfaktor, Ertragsfaktor, Finanzierungsfaktor, a. a. O., S. V I . 37 Ebenda, S. 23. »• Ebenda, S. V I .

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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Die Abschreibungen sind nichts weiter als ein „Rechenverfahren", sie entspringen reinen „Zweckmäßigkeitserwägungen", man vermißt also jegliche objektiven Bestimmungsgründe. Im weiteren Verlauf wird sich zeigen, daß das nicht ohne Bedeutung ist. An dieser Stelle kam es Ruchti allerdings nur darauf an, festzustellen, daß die Abschreibungen nicht zu den festen Kosten gehören. Das war wichtig zu beweisen, denn bei der Bestimmung der Abschreibungen als Finanzierungsfaktor ist es nicht gleichgültig, wann und in welcher Höhe die Abschreibungen anfallen. Indem Ruchti die Abschreibungen nicht zu den festen Kosten rechnet, trifft er bereits eine wichtige Vorentscheidung, die ausschließlich apologetischen Charakter hat. Der Sinn dieser Feststellung kann doch nur darin bestehen, daß die Vornahme der Abschreibungen aus reinen „Zweckmäßigkeitserwägungen" beliebig innerhalb des Abschreibungszeitraumes verlagert werden kann. Das ist unter anderem eine „theoretische" Argumentation der inzwischen in vielen modernen kapitalistischen Staaten anerkannten degressiven Abschreibungsmethode, bei der bereits im ersten Drittel des Abschreibungszeitraumes zwei Drittel des gesamten Abschreibungsbetrages abgerechnet werden und aller Formen von Sonderabschreibungen. In diesem Zusammenhang sei noch auf eine Bemerkung aus dem Vorwort verwiesen, wo es heißt: „Die finanzmäßige und nicht die aufwands mäßige Seite der Abschreibung wird also in den Vordergrund gestellt." 38

Von Bedeutung sind die Abschreibungen lediglich als „Finanzierungsfaktor". Es mußte der Nachweis geliefert werden, daß die Abschreibungen als „Aufwands- und Ertragsfaktor" keine fixen Größen darstellen, sondern einzig durch „Zweckmäßigkeitserwägungen" bestimmt sind. Daraus folgt, daß die Abschreibungen als „Aufwands- und Ertragsfaktor" jederzeit den Abschreibungen als „Finanzierungsfaktor" untergeordnet werden können. Wie aus der Vorbemerkung hervorgeht, war das der eigentliche Zweck der Sache. Und damit geht Ruchti einen bedeutenden Schritt weiter als Schmalenbach. Für jenen waren die Abschreibungen vor allem ein „Mittel der Aufwandsberechnung". Bei Ruchti aber ist nunmehr der „Aufwandsfaktor" nur noch von zweitrangiger Bedeutung. Die eigentliche Rolle der Abschreibungen besteht vielmehr in ihrer Funktion als „Finanzierungsfaktor". Eines der Hauptprobleme, mit dem sich Ruchti befaßt, ist die Freisetzung von liquiden Mitteln aus Abschreibungen. Ruchti versucht zunächst, eine Erklärung für den Freisetzungseffekt zu geben. „Es handelt sich hier um eine ähnliche Erscheinung des wirtschaftlichen Lebens wie im Bankgeschäft. In der bankwirtschaftlichen Literatur ist die sogenannte goldene Bankregel aufgestellt worden. Für das kurzfristige Kreditgeschäft der Bank bedeutet sie, daß Gelder, die kurzfristig aufgenommen sind, auch nur kurzfristig ausgeliehen werden sollen. Dabei hat die Erfahrung gelehrt, daß die erwähnte Bankregel durchbrochen werden kann. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache der Überschneidung der einzelnen Kündigungsfristen. Ein bestimmter Grundstock kurzfristig hereingenommener Gelder bleibt so immer bei der Bank, der, entgegen der Regel, langfristig ausgeliehen werden kann. Wie hoch dieser Grundstock ist, ist aus der Erfahrung zu ermitteln . . . 38

Ebenda, S. V.

232

Ottomar

Kratsch

Das gleiche Problem liegt bei der Abschreibung vor. Die Abnehmer der Ertragsgüter stellen dem Betrieb durch die Abschreibung Beträge für eine bestimmte Zeit zur Verfügung. Bei Erneuerungen fließen diese Beträge wieder aus dem Betrieb hinaus. Es muß hier auch die Möglichkeit vorhanden sein, daß ein bestimmter Grundstock an liquiden Mitteln aus Abschreibungen dem Betrieb verbleibt, der also dauernd zu anderen Zwecken, z. B. zu Investitionen in Anlagegüter oder Umlaufsgüter, verwendet werden kann."3" (Hervorhebungen — 0 . K.)

Ruchti geht es also nicht um zeitweilig freie Mittel, sondern um einen Grundstock an Abschreibungsbeträgen, der dauernd frei ist und in Neuanlagen investiert werden kann. Am abstrakten Schema wird nun das Vorhandensein eines solchen Grundstockes nachgewiesen und seine Höhe bestimmt. Es werden zunächst zwei Beispiele konstruiert. Im ersten Beispiel wird angenommen, daß nacheinander mehrmalige Kapitalinvestitionen erfolgen, bis eine gegebene Größe des Betriebes erreicht ist. Mit einem Geldkapital von 5000,— M sollen fünf Maschinen zu je 1000,— M nacheinander im Verlaufe von 5 Jahren angeschafft werden. In diesem Falle ergibt sich ein dauernder Einnahmeüberschuß von 2000,— M nach 5 Jahren. Ruchti errechnet folgende Formel für den dauernd freien Abschreibungsbetrag 4 0 : =

%

(n-1)

Af = dauernd freier Abschreibungsbetrag a = Anschaffungswert einer Maschine n = Nutzungsdauer „Der Betrieb braucht also kein Kapital von M 5000,— für die Maschinen bereitzuhalten, sondern lediglich M 3000,—, da die restlichen M 2000,— aus freien liquiden Mitteln aus Abschreibungen zur Verfügung stehen. Der erste Investitionsbedarf (Jj), der gleich den Anschaffungswerten der Maschinen ist, beträgt für die 5 Jahre allerdings M 5000,—." 4l

Nach 5 Jahren stellten sich die jährlichen Abschreibungen (1000,— M) auf den jährlichen Erneuerungsbedarf (1000,— M) ein, so daß 2000,— M ständig frei bleiben. „Die Überschneidung der Nutzungsdauer, hier bedingt durch die Beschaffung der Gebrauchsgüter zu unterschiedlichen Zeitpunkten, die zu einem gleichmäßigen Anfall der Erneuerungen führen, bewirkt die Freisetzung von Abschreibungsbeträgen, deren Höhe, wenn wir Zahlungsströme unterstellen, immer die Hälfte des ersten Investitionsbedarfs bzw. der Anschaffungswerte ausmacht, gleichgültig wie hoch der Prozentsatz der linearen Abschreibung ist." 42 (Hervorhebungen — O. K.)

Gegen die letzte Behauptung, daß die Höhe des Abschreibungssatzes gleichgültig sei, sind Einwendungen notwendig. Ruchti hat recht, wenn er feststellt, daß die Höhe des Abschreibungssatzes keinen Einfluß darauf hat, daß der Effekt eintritt, aber er hat großen Einfluß darauf, wann er eintritt. Das ist wichtig festzustellen, da das Zeitproblem fast ganz ignoriert wird. Der errechnete Freisetzungeffekt ist nun geringer, wenn die Bedingung Zahl der Gebrauchsgüter gleich Nutzungsdauer dieser nicht erfüllt ist. 39 42

Ebenda, S. 95f. Ebenda, S. 119.

40

Ebenda, S. 116.

41

Ebenda, S. 116.

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

233

Bei Anwendung der degressiven Abschreibungsmethode (bisher war die lineare unterstellt worden) sind die dauernd freien liquiden Mittel höher als bei der linearen Abschreibung und erreichen bis zu 6 6 , 6 6 % der Anschaffungswerte. 43 Das zweite konstruierte Beispiel befaßt sich mit dem Problem bei einmaliger Kapitalinvestition, d. h. bei dem Fall, daß alle Gebrauchsgüter in einem Zeitpunkt beschallt sind. Dann gibt es in einem Fall keine dauernd freien liquiden Mittel: „Handelt es sich um Gebrauchsgüter, die die gleiche Nutzungsdauer haben, so ist es offenbar, daß der Investitionsbedarf nach Ablauf der Abschreibungszeit zum alten Maximum der Erstinvestition werden muß. Wir haben es dann nur mit einer zeitlichen Freisetzung der Abschreibungsbeträge zu tun und nicht mit einer dauernden." 4 4

Haben die Gebrauchgüter unterschiedliche Nutzungsdauer, so stellen sich die Restwerte ,,im Durchschnitt auf 5 0 % der Anschaffungskosten bei linearer Abschreibung ein". 4 6 Bei Anwendung der degressiven Abschreibungsmethode ist der freie Abschreibungsbetrag höher. Es ist also im wesentlichen das gleiche Ergebnis wie im ersten Beispiel. Dieser kurz skizzierte „theoretische Beweis" für den Freisetzungseflekt der Abschreibungen weist große Mängel auf. Ruchti geht nicht von den objektiven Bedingungen des Reproduktionsprozesses des Kapitals aus. Sein Demonstiationsobjekt ist das abstrakte Schema. Das ist zunächst nur ein formaler Mangel, denn die aus einem abstrakten Schema gewonnenen Ergebnisse können durchaus der Praxis angenähert sein, wenn die im Schema gemachten Voraussetzungen richtig sind. Aber eben weil Ruchti nicht von den objektiven Reproduktionsbedingungen ausgeht, sind die Prämissen falsch. Er hat es nicht mit der Bewegung der betrieblichen Anlagefonds zu tun, sondern immer nur mit einer bestimmten Anzahl von Maschinen. Wir zeigten aber schon im ersten Teil der Arbeit, daß das, was für eine einzelne Maschine oder für eine Maschinengruppe richtig ist, durchaus falsch sein kann (und in bezug auf die Abschreibungstheorie sogar falsch sein muß), wenn man die Bewegung des gesamten Anlagefonds untersucht. Indem sich Ruchti nur auf einzelne Maschinengruppen beschränkt, sind seine am abstrakten Schema gewonnenen Ergebnisse nicht bewiesen. Dabei ist Ruchti auch nicht in der Lage, die Ursache und die Faktoren des Freisetzungseffektes aufzudecken. Ruchti erfüllt eine andere Aufgabe, nämlich die tatsächlichen Verhältnisse zu verschleiern. Den Abschreibungen wird ein Fetischcharakter beigelegt, indem der ganze Abschreibungsprozeß in der Art eines Bankgeschäfts behandelt wird. Wir zitierten bereits die Berufung auf die „durchbrochene Bankregel". Aber auch im Schlußteil der „theoretischen Beweisführung" wird im Grunde genommen nichts anderes gesagt: „Der hier geschilderte Vorgang der Investition der freien Abschreibungsbeträge kann aufgefaßt werden als eine Kreditierung von Anlagekonto zu Anlagekonto, wobei sich jedes Anlagekonto darauf verläßt, daß die anderen Anlagekonten zum gegebenen Zeitpunkt, wenn die Erneuerung fällig wird, ihre Verbindlichkeiten erfüllen. Die Buchhaltung beinhaltet in diesem Falle ein Netz von Kreditbeziehungen; nichts anderes also, wie es in anderen Bereichen unserer Wirtschaft vorhanden i s t . " 4 6 « Ebenda, S. 123 .

44

Ebenda, S. 128.

45

Ebenda, S. 136.

46

Ebenda, S. 154.

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Zuletzt trifft Ruchti Schlußfolgerungen f ü r die Praxis, und das ist, was uns am meisten interessiert: „Die Ergebnisse, die bei zeitlich aufeinander folgenden Kapitalinvestitionen gewonnen wurden, sind allgemein gültig. Nur muß in der Praxis die Struktur der Gebrauchsgüter genau untersucht werden, wenn Zahlenwerte gewonnen werden sollen, da jede theoretische Betrachtung die Vorgänge idealisiert oder Annahmen unterstellt, die in dieser Reinheit praktisch nicht vorhanden sind. Der Satz von 40—50% freier Abschreibungsbeträge von den Anschaffungsiverten dürfte jedoch bei Anwendung der linearen Abschreibung in mittleren und größeren Betrieben die Regel sein."47 (Hervorhebungen — O. K.)

So mathematisch genau die Berechnungen am abstrakten Schema auch sein mögen, die Aussage f ü r die praktische Wirtschaftspolitik ist mehr als n u r unexakt. In der „reinen Theorie" wird im Idealfall ein Freisetzungseffekt von 5 0 % errechnet und Ruchti behauptet, daß dieser Idealfall in der wirtschaftlichen Praxis die Regel sei, ohne d a f ü r auch n u r einen einzigen wissenschaftlichen Beleg zu bringen. Ruchti beruft sich auf die betriebliche Praxis, daß es da so sei. Aber wir wissen und konnten e x a k t nachweisen, daß die von den kapitalistischen Unternehmen ausgewiesenen Abschreibungen zu mehr als 50°/ 0 Profitbestandteile enthalten, die ihrem ökonomischen Wesen nach absolut nichts mit den reproduktionsbedingten Abschreibungen gemein haben. Der unwissenschaftliche Charakter solcher Art von „wissenschaftlichen" Schlußfolgerungen f ü r die wirtschaftliche Praxis sind f ü r den unbefangenen Leser einfach verblüffend. Danach besteht offenbar der einzige nennenswerte Unterschied zwischen dem abstrakten Schema und der eigentlichen Praxis nur darin, daß die strukturelle Verteilung der Arbeitsmittel entsprechend ihrer unterschiedlichen Nutzungsdauer nicht mit jener „idealen" Annahme übereinstimmt, die im Schema f ü r die „günstigste Variante" getroffen wurde. S t a t t einer gründlichen Untersuchung der konkrethistorischen Bedingungen, unter denen der Freisetzungseffekt wirksam sein könnte, wird einfach behauptet, daß die Ergebnisse der Theorie mit der Praxis übereinstimmen. Anscheinend mißt Ruchti solchen Erscheinungen, wie dem zyklischen, von Krisen unterbrochenen Produktionsverlauf, der ungleichmäßigen und disproportionalen Kapazitätsauslastung, der zweckentfremdeten Verwendung der Abschreibungsmittel, der Unmöglichkeit langfristiger Planung usw. ü b e r h a u p t keine nennenswerte Bedeutung bei. Ruchti h a t also bestenfalls rechnerisch bestätigt, daß ein dauernd freibleibender Abschreibungsbetrag theoretisch möglich ist, und daß dieser Betrag bei linearer Abschreibungsmethode bis zu 50°/o der ursprünglichen Anschaffungswerte der Arbeitsmittel erreichen kann. Dieser Freisetzungseffekt ist jedoch nur u n t e r ganz bestimmten Voraussetzungen wirksam, die zwar Ruchti zum Teil bei der Konstruktion seiner abstrakten Schemata, nicht aber f ü r die Praxis geltend macht. Annähernd k a n n dieser Effekt nur in einer sozialistischen Planwirtschaft wirksam werden, da dort alle Voraussetzungen gegeben sind. F ü r die kapitalistische Praxis m u ß es jedoch grundsätzliche Einschränkungen geben, wie noch an anderer Stelle zu zeigen sein wird. " Ebenda, S. 137f.

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235

Sehr ungenügend ist in der „theoretischen Beweisführung" noch ein anderes Problem behandelt, nämlich die Frage des Zeitpunktes, zu dem der „theoretisch" ermittelte Freisetzungseffekt der Abschreibungen wirksam wird. Im ersten Schema war festgestellt worden, daß die dauernd freien liquiden Mittel aus den Abschreibungen nach E n d e der Nutzungsperiode zur Verfügung stehen, da sich dann die jährlichen Abschreibungen auf den Erneuerungsbedarf der Sachanlagen eingestellt haben. An anderer Stelle ergänzt Ruchti, daß sich die jährliche Abschreibungssumme „auf den Anschaffungspreis des Gebrauchsgutes einstellt, das die längste Nutzungsdauer h a t " . 4 8 Schließlich wird dann zwei Seiten später behauptet, daß „der dauernd freigesetzte Abschreibungsbetrag schon nach kurzer Zeit zur Verfügung steht". 4 9 Hier ist nicht nur eine weitere Lücke in der „theoretischen Beweisf ü h r u n g " , sondern offenbar eine B e h a u p t u n g mit unverhüllter apologetischer Zielsetzung. Wohlgemerkt ist hier nicht die Rede von zeitweilig freigesetzten, sondern von dauernd freien liquiden Mitteln aus Abschreibungen. Bekanntlich besteht das Sachanlagevermögen eines industriellen Unternehmens durchschnittlich zu 40 bis 5 0 % aus solchen Anlagewerten wie Gebäuden und anderen langlebigen Ausrüstungen und Anlagen, die eine Nutzungsdauer von 40 bis 50 J a h r e n und länger haben. Dieser Umstand begünstigt zwar die zeitweilige Freisetzung von Abschreibungsmitteln, schiebt aber den Zeitpunkt hinaus, zu dem sich der Grundstock an dauernd freien liquiden Mitteln bildet. Unter den rechnerischen Beispielen Ruchtis findet man nicht eines, das eine solche Nutzungsdauer berücksichtigen würde. Eine genauere Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem der Freisetzungseffekt wirksam wird, wäre aber gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt wichtig und aktuell gewesen, da doch die Frage h ä t t e geklärt werden müssen, ob beispielsweise schon 1950 dieser Effekt bei der Investitionsfinanzierung in Westdeutschland eine Rolle gespielt h a t . Indem Ruchti diese Frage faktisch überhaupt nicht beantwortet, gibt er — ob beabsichtigt oder nicht — allen Manipulationen mit erhöhten Abschreibungen eine „theoretische Begründung". Im Grunde genommen konnte der ermittelte Freisetzungseffekt der Abschreibungen erst aus den neuen, nach 1948 angeschafften Anlagen erzielt werden. F ü r die vorher angesammelten Abschreibungsmittel m u ß eine zweckentfremdete Verwendung angenommen werden (u. a. auch Verlustabdeckung), wenn sie nicht der einfachen Reproduktion des fixen Kapitals dienten. Wenn m a n aber berücksichtigt, daß die durchschnittliche Nutzungsdauer aller Anlagen des Betriebes etwa 20 J a h r e beträgt, dann m a g m a n beurteilen, wie gering der Anteil dieses Faktors an der tatsächlichen Investitionsfinanzierung in Westdeutschland in der Zeit von 1948 bis 1957 war. Das nicht klargestellt zu haben, ist m e h r als n u r ein Versäumnis der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre. Gerade aber an diesem „Versäumnis" läßt sich der ausgesprochen apologetische Charakter der betriebswirtschaftlichen Untersuchungen sehr illustrativ nachweisen. Ruchti schreibt nämlich in einem anderen Zusammenhang selbst davon, daß der Freisetzungseffekt „verloren" geht, wenn nicht eine ständige Erneuerung der Anlagen erfolgt: 18

Ebenda, S. 130.

49

Ebenda, S. 132.

Ottomar Kratsch

236

„Ist der Betrieb durch irgendwelche Umstände nicht in der Lage, die Erneuerungen laufend durchzuführen, und sammeln sich die Abschreibungsbeträge in liquiden Mitteln an, so können aus ihnen in einem späteren Zeitpunkt die Erneuerungen nicht in vollem Umfang nachgeholt werden. Der Betrieb muß dann zu Kapitalaufnahmen greifen, wenn er seine frühere Größe wieder erreichen will. Der zeitliche Vorteil ist ihm durch die Unterbrechung der laufenden Erneuerungen verlorengegangen. Das gleiche gilt für die gesamte Wirtschaft. Wird der kontinuierliche Wirtschaftsablauf durch irgendwelche äußeren Umstände unterbrochen, so staut sich der Erneuerungsbedarf stark an. Andererseits wird die Wirtschaft sehr liquide, doch reichen eben diese liquiden Mittel später nicht aus, um den Ersatzbedarf zu decken." 6 0

Hier spricht Ruchti deutlich aus, daß eine entscheidende Voraussetzung für das Wirksamwerden des FreisetzungsefTektes der Abschreibungen die kontinuierliche Erneuerung der Anlagen und sogar der „kontinuierliche Wirtschaftsablauf" ist. Wird diese Kontinuität unterbrochen, so geht nicht nur der Freisetzungseflekt verloren, sondern es reichen auch die angesammelten Abschreibungsmittel nicht mehr aus, um den Erneuerungsbedarf zu decken. Das ist aber genau die Situation in den Jahren unmittelbar nach 1948 in Westdeutschland. Ruchti schrieb sein Buch im Jahre 1952. Wie vereinbart sich dann diese seine Feststellung mit der bereits zitierten Behauptung auf S. 138, wo er sagt: „Der Satz von 40—50% freier Abschreibungsbeträge von den Anschaffungswerten dürfte jedoch bei Anwendung der linearen Abschreibung in mittleren und größeren Betrieben die Regel sein."?

Es ist dies nicht die einzige Stelle, an der sich Ruchti im Feuereifer der Apologetik selbst widerlegt. Die bisher gewonnenen „Erkenntnisse" werden im folgenden auf das Problem der Investitionsfinanzierung angewandt. Es wird die Frage gestellt, „wieweit eine Zusatzinvestition aus Abschreibungsbeträgen getrieben werden kann" 6 1 und wie folgt beantwortet: „Mit einem ersten Investitionsbedarf von 1, der gleich dem Kapitalbedarf in tn (im J a h r der Investition — 0 . K.) ist, lassen sich mithin aus den freiwerdenden Abschreibungsbeträgen nochmals auf die Dauer zusätzliche Investitionen von 1 vornehmen, ohne daß die Erneuerungen vernachlässigt werden oder neues Kapital, also von außen kommende Mittel, aufgenommen wird. Es ist also eine mengenmäßige Verdoppelung der Gebrauchsgüter möglich. Umgekehrt können wir sagen, daß nur ein Kapital von 1 / 2 notwendig ist, um auf die Dauer Anlagegüter zu Anschaffungskosten in Höhe von 1 zu beschaffen." 6 2

Für die degressive Abschreibungsmethode gilt adäquat: „Der mengenmäßige Bestand an Gebrauchsgütern kann also auf die Dauer verdreifacht werden." 6 3

Dazu ist bereits alles gesagt. Es ist dies lediglich eine andere Formulierung des am abstrakten Schema „theoretisch bewiesenen" Freisetzungseflektes der Abschreibungen. 60 65

Ebenda, S. 154f. Ebenda, S. 146.

51

Ebenda, S. 140.

52

Ebenda, S. 142.

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

III.

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Die Möglichkeit zur erweiterten Reproduktion der Anlagefonds aus den Amortisationen

Obwohl die eigentliche ökonomische Funktion der Amortisationen die Gewährleistung der einfachen Reproduktion der Anlagefonds ist, ermöglichen sie zugleich unter bestimmten Bedingungen und im begrenzten Rahmen eine erweiterte Reproduktion der Arbeitsmittel. Die Amortisationen sind allgemein der Geldausdruck für den ökonomischen Verschleiß der Grundmittel. Die Übertragung des Werts der Arbeitsmittel auf die Fertigerzeugnisse erfolgt stückweise, „im Verhältnis, worin er (der Teil des konstanten Kapitals — 0 . K.) mit seinem eignen Gebrauchswert seinen eignen Tauschwert verliert." 5 4 Diese übertragenen Wertteile fließen nach Realisierung der Produkte zurück und werden in Amortisationsfonds angesammelt, um neben der wertmäßigen auch die gebrauchswertmäßige Reproduktion der Grundmittel zu ermöglichen. Daraus folgt, daß der einheitliche Reproduktionsprozeß der Anlagefonds in zwei selbständige Teilprozesse zerfällt: Erstens, in die wertmäßige Reproduktion der Arbeitsmittel, die ständig und (bei linearer Abschreibung) kontinuierlich erfolgt und zweitens, in die gebrauchswertmäßige Reproduktion (Erneuerung und Generalreparatur ausgeschiedener bzw. veralteter Anlagen), die sich nur periodisch von Zeit zu Zeit vollzieht. Eine zeitliche Übereinstimmung dieser beiden Teilprozesse ist nur insofern vorhanden, als zu einem bestimmten Zeitpunkt (vor allem beim Ausscheiden der Arbeitsmittel) diese beiden Teilprozesse einander entsprechen müßten. Diese Feststellung ist sehr wichtig, weil sie den Schlüssel für die Lösung der Frage liefert, inwieweit die erweiterte Reproduktion aus Amortisationsmitteln möglich ist. Dieser Frage wurde bisher in unserer Literatur — völlig zu Unrecht — nur geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Karl Marx wies aber bereits auf die Bedeutung dieser Frage hin: „Mit Bezug auf allmähliche Ausdehnung des Geschäfts im Lauf der teilweisen Erneuerung bemerken wir folgendes. Obgleich, wie wir gesehn, das fixe Kapital fortfährt in natura im Produktionsprozesse zu wirken, hat ein Teil seines Werts, je nach dem Durchschnittsverschleiß, mit dem Produkt zirkuliert, ist in Geld verwandelt worden, bildet Element des Geldreservefonds zum Ersatz des Kapitals für den Termin seiner Reproduktion in natura. Dieser so in Geld verwandelte Teil des fixen Kapitalwerts kann dazu dienen, das Geschäft zu erweitern oder Verbesserungen an den Maschinen anzubringen, welche deren Wirksamkeit vermehren. In kürzren oder längren Abschnitten findet so Reproduktion statt, und zwar — vom Standpunkt der Gesellschaft betrachtet — Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter; extensiv, wenn das Produktionsfeld ausgedehnt ; intensiv, wenn das Produktionsmittel wirksamer gemacht. Diese Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter entspringt nicht aus Akkumulation — Verwandlung von Mehrwert in Kapital —, sondern aus Rückverwandlung des Werts, welcher sich abgezweigt, in Geldform losgelöst hat vom Körper des fixen Kapitals, in neues, entweder zuschüssiges, oder doch wirksameres, fixes Kapital derselben Art. Es hängt natürlich teils von der spezifischen Natur des Geschäftsbetriebs ab, wie weit und in welchen Dimensionen er solches allmählichen Zuschusses fähig ist, also auch in welchen Dimensionen ein Reservefonds gesammelt sein muß, um in dieser Weise rückangelegt werden 54

Marx, Karl, Das Kapital, a.a.O., Bd. II, S. 151.

238

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zu können, und in welchen Zeiträumen dies geschehen kann. Wie weit andrerseits Detailverbesserungen an vorhandner Maschinerie angebracht werden können, hängt natürlich von der Natur der Verbesserungen und der Konstruktion der Maschine selbst ab." 5 5

Im wesentlichen bestimmen zwei F a k t o r e n die Möglichkeiten zur erweiterten R e p r o d u k t i o n der Anlagefonds ohne zusätzliche Investitionsmittel: E r s t e n s : Die Möglichkeit der erweiterten Reproduktion der Anlagefonds aus Abschreibungsmitteln ergibt sich aus der zeitlichen Differenz zwischen der wertmäßigen und der gebrauchswertmäßigen Reproduktion der Anlagefonds. Die zurückfließenden Amortisationsmittel können zum Teil f ü r zusätzliche Investitionen verwendet werden, die ihrerseits wieder Abschreibungen bringen. Zweitens: Bei ständig steigender Arbeitsproduktivität sinkt der W e r t des P r o d u k t s , also auch der W e r t der Arbeitsmittel. F ü r die einfache Reproduktion der Anlagefonds sind entsprechend weniger Mittel erforderlich. Ein zusätzlicher E f f e k t ergibt sich bei u n u n t e r b r o c h e n e r R e p r o d u k t i o n auf steigender Stufenleiter, da in diesem Falle der jährliche Ersatzfonds der zu ersetzenden Arbeitsmittel immer kleiner ist als der Jahres-Amortisationsfonds. Die Differenz ist dabei u m so größer, je höher die Stufenleiter der erweiterten Reproduktion. Dem Wesen nach handelt es sich hierbei u m eine Erweiterung des genannten ersten F a k tors, wobei zu berücksichtigen ist, daß jener auch bei einfacher R e p r o d u k t i o n wirksam ist. Auf diese Möglichkeit weist auch A. I. Notkin hin, wenn er schreibt: „ U n t e r diesen Bedingungen, d. h. bei von Jahr zu Jahr sich vergrößerndem U m f a n g der Grundmittelfonds, ist der Jahresbetrag der Amortisationen immer größer als der Reproduktionswert der faktisch ausscheidenden Fonds. Es scheiden die Fonds aus, die vor 5, 10, 15 und mehr Jahren in Betrieb genommen wurden, wertmäßig abgeschrieben wird aber v o n den vorhandenen Fonds, deren Umfang bei dem hohen Tempo der sozialistischen erweiterten Reproduktion in jedem gegebenen Moment den U m f a n g der Fonds zu irgendeinem früheren D a t u m um ein Vielfaches übertrifft. W e n n die wertmäßigen Amortisationen aller im gegebenen Jahr vorhandenen Grundmittelfonds 5% ihres Wertes v o n 100 Milliarden Rubel, d. h. 5 Milliarden Rubel ausmachen, aber nur 2 % des Wertes, d. h. 2 Milliarden Rubel ausscheiden, dann sind die restlichen 3 Milliarden Rubel der Teil des Amortisationsfonds, der im gegebenen Jahre nicht in den Ersatz der Grundmittel eingeht. Das bedeutet, daß ein bestimmter Teil . . . zeitweilig eine zusätzliche Quelle für die Akkumulation und die erweiterte Reproduktion neben dem im gegebenen Jahr geschaffenen Mehrprodukt ist." 5 ®

Allgemein k a n n m a n feststellen, d a ß die Möglichkeiten zur erweiterten Reproduktion der Anlagefonds aus Amortisationsmitteln bedeutend sind. F ü r die sozialistische Volkswirtschaft u n d insbesondere f ü r die P l a n u n g der wirtschaftlichen E n t wicklung h a t die wissenschaftliche U n t e r s u c h u n g der sich daraus ergebenden Fragen eine große Bedeutung. Es ist noch zu bemerken, d a ß sich die zeitweilig freien Abschreibungsmittel zum Teil in dauernd freie Mittel verwandeln, wenn diese jeweils sofort wieder in Grund55

Ebenda, S. 166. N o t k i n , A. I., Abriß zur Theorie der sozialistischen Reproduktion. Moskau 1948, S. 104/05. 66

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mittel reinvestiert werden, die der Erweiterung der Produktion dienen (extensiv und intensiv). Unter Voraussetzung der erweiterten Reproduktion wird der jährliche Amortisationsfonds immer größer als der jährliche Ersatzfonds der verbrauchten Arbeitsmittel sein. Die Differenz ist dabei um so größer, je stärker die Stufenleiter der erweiterten Reproduktion. Die Ursache dieser Erscheinung ist, daß der Amortisationsfonds auf Durchschnittswerten basiert, die alle Arbeitsmittel, sowohl die alten als auch die neuen, erfassen. Der jährliche Ersatzfonds dagegen besteht nur aus den jährlich zu ersetzenden Anlagen und Bauten, aus Grundmitteln also, die vor 10, 20, 40 und mehr Jahren beschafft wurden. Es ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit vor allem die Frage zu klären, ob die genannten Faktoren und Möglichkeiten zur erweiterten Reproduktion der Anlagefonds auch unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise, insbesondere für Westdeutschland in der Nachkriegsperiode wirksam sind. Dazu ist zu bemerken, daß die entscheidenden Voraussetzungen nicht gegeben sind. Auf der Grundlage des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln ist der Verlauf von Produktion und Reproduktion nicht stetig und ständig ansteigend, sondern zyklisch, von Krisen unterbrochen. Es kann auch nicht von einer planmäßigen Entwicklung gesprochen werden, da das Gesetz der Konkurrenz und Anarchie herrscht. Selbst innerhalb des einzelnen kapitalistischen Unternehmens sind die Möglichkeiten zur Ausnutzung des Freisetzungseffektes der Abschreibungen gering. Man könnte vielleicht sagen, daß sich zumindest innerhalb der Periode von 1948 bis 1957 in Westdeutschland teilweise die Möglichkeit für die Realisierung dieses Freisetzungseffektes ergeben hat, da es sich um eine Periode relativ beständigen Produktionsanstieges handele. Doch auch das muß ernsthaft bezweifelt werden. Abgesehen davon, daß es überhaupt problematisch ist, einen solch kurzen Zeitraum für sich allein genommen zu betrachten, da die durchschnittliche Nutzungsdauer der Gesamtanlagen etwa 20 Jahre, für Gebäude gar 40 bis 50 Jahre beträgt. Da die kapitalistische Produktion wesentlich zyklisch verläuft, müssen ökonomische Untersuchungen, die nur kurze Teilabschnitte erfassen, zu falschen Ergebnissen führen. Es gibt aber auch Einwendungen speziell für die betrachtete Periode von 1948 bis 1957. Erstens ergibt sich ein wesentlich anderes Bild, wenn man die Entwicklung der einzelnen Industriezweige beobachtet. Es zeigt sich, daß auch in dem genannten Zeitraum einzelne Zweige recht beträchtlichen Schwankungen unterliegen. So ist es beispielsweise eine Tatsache, daß im J a h r 1952 absolute Produktionsrückgänge in der Chemie und in der Textilindustrie, 1953 in der sogenannten eisenschaffenden Industrie und im Maschinenbau zu beobachten waren. Zweitens ist eine wichtige Voraussetzung, daß die realisierten Amortisationsmittel sofort wieder in Anlagen investiert werden. Innerhalb der Unternehmen werden zwar die Amortisationen sofort reinvestiert, aber durchaus nicht immer in Anlagen, sondern zum Teil auch in das Umlaufvermögen. Überhaupt sind in dieser Hinsicht die Möglichkeiten sehr begrenzt. Eine dritte Voraussetzung ist die langfristige Planung der Anlageentwicklung. Diese ist aber selbst innerhalb großer kapitalistischer Monopolunternehmen nur im begrenzten Rahmen möglich, da die Investitionen ausschließlich

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unter dem Gesichtspunkt der höchstmöglichen Profiterzielung getätigt werden. Auf Grund der Wirkungsweise des Gesetzes der Konkurrenz und Anarchie sind Fehldispositionen in der Neuanlage von fixem Kapital, unausgelastete Kapazitäten u. a. m. unvermeidbar. Zugleich zwingt der technische Fortschritt und der ökonomische Wettstreit zwischen Sozialismus und Kapitalismus selbst die Monopole zur technischen Vervollkommnung der Produktion und zu Neuorientierungen in der Fertigung, was einen hohen moralischen Verschleiß der Maschinen und Anlagen hervorruft. Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß die Freisetzung der Amortisationsmittel erst über einen längeren Zeitraum hinaus wirksam wird. Für Westdeutschland ist aber gerade typisch, daß in den ersten Jahren des betrachteten Zeitraumes viele veraltete Anlagen noch in Betrieb waren, da während des Krieges in zahlreichen Zweigen keine oder nur ungenügende Erneuerungen vorgenommen worden waren. Die auf sie verrechneten Abschreibungen waren aber vor 1948 zum großen Teil zweckentfremdet verwendet worden bzw. dienten der Verlustabdeckung. Diese Anlagen arbeiteten zumindest bis etwa 1950/51, da die für die kapitalistischen Unternehmer äußerst günstige Marktsituation genutzt werden mußte. Später aber waren diese Arbeitsmittel zu ersetzen, so daß der tatsächliche Ersatzfonds für verbrauchte Arbeitsmittel entsprechend hoch war. Auf die Tatsache des enorm angestauten Erneuerungsbedarfs verweist selbst die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre. Daß die Möglichkeit zur dauernden oder zeitweiligen Freisetzung von Amortisationen für die erweiterte Reproduktion der Anlagefonds fast gar nicht gegeben war, wird ganz offensichtlich bei Betrachtung des zweiten genannten Faktors, der Entwicklung des Reproduktionswertes der Arbeitsmittel. Obwohl in Westdeutschland die Arbeitsproduktivität vor allem durch die verschärfte Ausbeutung der Arbeiterklasse nicht unbedeutend gestiegen ist, weist der Preisindex für Arbeitsmittel ständig steigende Tendenz auf. Der Index der Erzeugerpreise für Produkte des Maschinenbaus erhöhte sich von 1950 ( = 100) bis 1957 auf 141 (Jahresdurchschnitt), darunter für Metallbearbeitungsmaschinen der spangebenden Formung auf 149, der spanlosen Formung auf 168, bei Maschinen für die Bauwirtschaft auf 145, für Landmaschinen auf 162 und für gewerbliche Arbeitsmaschinen auf 152 Punkte. 67 Hier spiegeln sich verstärkt inflationistische Prozesse wider, die durch das Preisdiktat der kapitalistischen Monopole hervorgerufen werden und die die zunehmende Ausbeutung der Werktätigen durch die Monopole zum Ausdruck bringen. Aber diese steigenden Preise liegen der Anlagenrechnung zugrunde und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Zusammenfassend darf man feststellen, daß unter den in Westdeutschland in den Jahren 1948 bis 1957 gegebenen konkreten Bedingungen die Möglichkeiten für die Freisetzung von Abschreibungen für die erweiterte Reproduktion der Anlagefonds ernsthaft bezweifelt werden müssen. Konnten wir eingangs feststellen, daß Ruchti nicht den notwendigen Versuch unternahm, die realen Ursachen und Faktoren für den ermittelten Freisetzungseffekt der Abschreibungen aufzudecken, sondern daß er sich lediglich auf einige " „Wirtschaft und Statistik", 11. Jahrg., H. 5, Anhang S. 275, 1959.

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allgemeine Bemerkungen beschränkte, die angetan sind, den Freisetzungseflekt der Abschreibungen als ein „Wunder" erscheinen zu lassen, welches bislang geduldig darauf wartete, von Ruchti endlich entdeckt und für die Monopole nutzbar gemacht zu werden, so müssen wir nunmehr konstatieren, daß er auch mit großer Eleganz und sicher nicht ohne Grund der Analyse der konkreten Bedingungen in Westdeutschland ausweicht. Er behandelt das Problem der Abschreibungen „als Finanzierungsfaktor" nur ausschließlich im Rahmen des kapitalistischen betrieblichen Rechnungswesens, nicht aber als ökonomisches Problem der Reproduktion des fixen Kapitals. Dementsprechend gibt es für ihn auch keinerlei objektive Bestimmungsgründe für die reproduktionsbedingte Höhe der Abschreibungen. Seine abstrakten Untersuchungen gleichen somit rein rechnerischen Übungen. Nach Ruchti ist es völlig gleichgültig, ob die wirtschaftliche Entwicklung gradlinig oder zyklisch verläuft; offenbar wirkt — seinen Darstellungen zufolge — der ermittelte Effekt auch zu Zeiten der periodischen Wirtschaftskrisen. Es muß auch auffallen, daß Ruchti nur einen Teilkomplex dieses Problems abhandelt. Den zweiten Faktor der Freisetzung aus Amortisationen — sinkender Reproduktionswert der Anlagen bei steigender Arbeitsproduktivität — beachtet er überhaupt nicht. Das ist sicher kein Zufall, wissen wir doch, daß unter den Bedingungen der schleichenden Inflation der Reproduktionswert (bzw. -preis) nicht nur nicht sinkt, sondern sogar ständig ansteigt. Damit wird aber der eventuell aus dem ersten Faktor erzielte Effekt zum großen Teil kompensiert. Die Gesamtanlage der Arbeit, das Negieren jeglicher objektiver Bestimmungsgründe und die Abstraktion von den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen in Westdeutschland verrät somit schon hinlänglich den apologetischen Charakter dieses Werkes über ein „neuentdecktes Phänomen" der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre.

IV. Zur wirtschaftspolitischen Konzeption der Abschreibungs„theoretiker"

betriebswirtschaftlichen

Der Haupteinwand gegen die genannte Arbeit Ruchtis gilt nicht so sehr diesen „theoretischen" Untersuchungen, er gilt vielmehr vor allem den wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen, die daraus gezogen wurden, denn diese sind noch weit aufschlußreicher, als die theoretisch-methodologischen Tarnmanöver. Letzten Endes wird ja mit diesem „theoretischen Exkurs" ein bestimmter ökonomischer, politischer und ideologischer Zweck verfolgt, was nicht nur aus der brennenden Aktualität des gewählten Untersuchungsobjekts hervorgeht. Dieser apologetische Zweck der Arbeit wird an Hand der wirtschaftspolitischen Forderungen und Schlußfolgerungen „aus der Theorie" völlig klar und eindeutig offenbar. Wir wiesen bereits mehrfach darauf hin, daß es zu aktuellen Problemen der Abschreibungstheorie wesentliche Lücken in der „theoretischen" Beweisführung gibt, was den apologetischen Charakter der Arbeit bereits hinlänglich andeutet. Dieser Charakter wird aber ganz offensichtlich, wenn wir die Äußerungen zur eigentlichen 16 Probleme Bd. 3

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Hauptfrage, zur Frage nach der Abgrenzung der Abschreibungen vom kapitalistischen Profit, analysieren. Die einzig mögliche Schlußfolgerung aus den „theoretischen" Untersuchungen könnte nur sein, den Schmalenbach'sehen „Grundsatz der Vorsicht" ad absurdum zu führen. Wenn sich — echte verbrauchsbedingte Abschreibungsnormen unterstellt — aus den angesammelten Abschreibungsbeträgen nach einem bestimmten Zeitpunkt etwa 50°/ 0 des ursprünglichen Anschaflungswertes der Anlagen dauernd freisetzen, dann gibt es doch weder theoretisch noch praktisch eine begründete Erklärung dafür, daß die betrieblichen Abschreibungssätze eher zu hoch als zu niedrig zu wählen sind. Die aus dem „theoretischen E x k u r s " abzuleitende Forderung an die Wirtschaftspraxis könnte doch — wenn das Ganze einen echt wissenschaftlichen Sinn haben soll — nur lauten: niedrige Abschreibungssätze, wobei die auf die verbrauchsbedingte Nutzungsdauer begründete Abschreibungsrate die oberste Grenze f ü r die Berechnung darstellt. Selbst vorzeitige Verluste und die möglichen Auswirkungen des moralischen Verschleißes der Arbeitsmittel könnten noch aus dem angesammelten Amortisationsfonds gedeckt werden, da sie k a u m in ihrer Gesamtheit die Hälfte des Anlagevermögenswertes erreichen. Diese einzig mögliche theoretische Schlußfolgerung wird aber weder von Ruchti noch von anderen bürgerlichen Betriebswirtschaftlern gezogen. Und hier erweist es sich in aller Eindeutigkeit, daß es der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre überhaupt nicht u m eine wissenschaftliche Untersuchung der Abschreibungsprobleme geht. Die Lücken in der „theoretischen Beweisführung" sind nicht zufällig. Das Ergebnis der „Untersuchungen" ist von vornherein durch die monopolkapitalistische Praxis antizipiert. In der Praxis werden die Investitionen in das Sachanlagevermögen der kapitalistischen Unternehmen zum überwiegenden Teil über die Abschreibungen finanziert, also muß man „wissenschaftlich nachweisen", daß den Abschreibungen an sich eine solche Möglichkeit innewohnt. Den Abschreibungen wird ein Fetischcharakter angedichtet, womit die apologetische Zielstellung bereits zu einem guten Teil erfüllt wäre, nämlich im Teil der Profitverschleierung. Nunmehr ist ein weiterer Schritt zu t u n : Es sind alle die staatsmonopolistischen Maßnahmen „theoretisch" zu rechtfertigen, die den Prozeß der Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen fördern. Deshalb behauptet Ruchti auch — entgegen seinen „theoretischen Ergebnissen" —, daß die Höhe der Abschreibungssätze keine Rolle spiele. Das ist aber das direkte Gegenteil von dem, was gefolgert werden müßte. Es ist bekannt, daß bei höheren als durch die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer bedingten Abschreibungssätzen der jährliche Ersatzfonds für die Sachanlagen höher ausgewiesen wird, als er tatsächlich ist. Im gleichen Maße wird aber der Profit geringer angezeigt und dadurch — mit staatlicher Genehmigung — der Besteuerung entzogen. J e höher aber der in den Abschreibungen verschleierte kapitalistische Profit, um so größer sind auch die freien liquiden Mittel f ü r Zusatzinvestitionen. Doch haben diese nichts mehr mit dem ermittelten und „theoretisch" begründeten Freisetzungseffekt gemein, vielmehr handelt es sich dabei samt und sonders um eine Methode der direkten Verwandlung von Profit in Kapital.

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Nicht nur, daß Ruchti dieses Problem überhaupt ignoriert, fördert er diesen Prozeß, ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen. Er wirft selbst die berechtigte Frage auf, „inwieweit bei der degressiven Abschreibung stille Reserven gelegt werden, so daß eine Finanzierung aus Gewinn stattfindet" 6 8 , und gibt die nichtssagende Antwort: „ M a n kann nun nicht bei jeder Degression sagen, daß stille Reserven gelegt sind. E s k o m m t auf den S t a n d p u n k t an, von dem aus das Problem der stillen Reserven betrachtet wird, und auch der Degressionsverlauf spielt eine Rolle. Eine Grenze zwischen Abschreibungen und Gewinn läßt sich nicht eindeutig z i e h e n . " 6 8

Auch hier ist wieder die bewußte Ignoranz der in Westdeutschland oder in einem beliebigen anderen entwickelten kapitalistischen Staate wirksamen konkret-historischen Bedingungen bemerkenswert und aufschlußreich. Es geht letzten Endes nicht um „jede Degression", sondern es geht um die in Westdeutschland seit 1953 steuerrechtlich genehmigten Sätze für die degressive Abschreibungsmethode. Die seit dem 1. Januar 1953 in Westdeutschland zugelassenen degressiven Abschreibungssätze erlaubten beispielsweise bei lOj ähriger Nutzungsdauer der Arbeitsmittel eine 2,8fache Mehrabschreibung im ersten Jahr der Nutzung (28,31°/ 0 gegenüber 10 Prozent bei linearer Abschreibung), da in diesem Falle Anschaffungs- und Restbuchwert gleich groß sind. Bei 20jähriger Nutzungsdauer betrug die Mehrabschreibung im ersten J a h r das 3,5fache (17,65% gegenüber 5) und bei 40jähriger Nutzungsdauer gar das 4fache (10,63 zu 2,5°/ 0 ). Bei einer vergleichenden Gegenüberstellung von degressiver und linearer Abschreibungsmethode wird das besonders deutlich. Der Einfachheit halber wird eine 5jährige Nutzungsdauer der Maschinen und Anlagen angenommen: Jährlicher Abschreibungbetrag bei Abschreibungsjahr

1 2 3 4 5

linearer Abschreibung 20000 20000 20000 20000 20000

Summe

DM DM DM DM DM

100000 DM

geometrisch-degressiver Abschreibung 43770,24611,87 13839,26 7781,81 9997,06

DM DM DM DM DM

1 0 0 0 0 0 , - DM

Allgemein werden in der Regel bei Anwendung der degressiven Methode im ersten Drittel der gesamten Abschreibungsperiode bereits zwei Drittel des gesamten Abschreibungsbetrages abgerechnet. Der in den ersten Jahren der Nutzung erzielte Effekt wird in den folgenden Jahren unter Bedingung erweiterter Reproduktion nicht nur nicht aufgelöst, sondern steigert sich sogar, eben weil abgeschrieben wird, um zu investieren. In Neuanlagen reinvestierte Abschreibungen erbringen neue Abschreibungen. Niemand könnte das besser wissen als Ruchti selbst. 58

16«

E b e n d a , S. 147.

58

Ebenda.

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Statt dessen wird aber euphemistisch behauptet: „Es läßt sich aber nicht sagen, daß durch die Verwendung verschiedener Abschreibungsverfahren stille Reserven in großem Umfang gebildet werden. Selbst wenn die lineare Abschreibung als Norm angesehen wird, ergibt sich kein Beweis, daß die degressive Abschreibung stille Reserven legt, da die Anwendung dieser Verfahren durch reine Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt wird, die heute vorwiegend finanzieller A r t sind . . . Dagegen kann man durchaus auf dem Standpunkt stehen, daß jede Abschreibung eine zeitliche Vorwegnahme von Gewinn beinhaltet, um spätere Verluste abzudecken.""0 (Hervorhebungen — O. K.)

Auf diese Ruclitische Art könnte man auch sonst noch was beweisen. Dieser bewußt falschen Konzeption liegt zunächst ein methodischer Trick zugrunde. Ruchti behandelt die Entwicklung der betrieblichen Geldströme (auch die über die Fertigprodukte realisierten Abschreibungen sind für Ruchti nur Geldströme) losgelöst von den entsprechenden materiellen Bedingungen der Reproduktion. Unter diesen Umständen ist es natürlich ein Leichtes zu behaupten, daß z. B. durch die degressive Abschreibungsmethode eine rein zeitliche Vorverlegung späterer Geldströme bewirkt werde. Diesem methodischen liegt ein theoretischer Grundfehler zugrunde. Alle Geldbewegungen und -prozesse spiegeln nur die Prozesse der materiellen Produktion und Reproduktion wider, sind also funktionelle, abgeleitete Prozesse. Diese Erscheinungen sind aber nie aus sich selbst heraus erklärbar, sondern bedürfen ständig der Rückführung auf ihre ursprüngliche Basis. Die Entwicklung der Amortisationen und der Gesetzmäßigkeiten, die mit ihnen im Zusammenhang stehen, sind nur erklärbar, wenn vom Prozeß der materiellen Reproduktion im allgemeinen und von der Reproduktion der Arbeitsmittel im besonderen ausgegangen wird. Für Ruchti kann es keine objektiven Bestimmungsgründe der Amortisationen geben, weil er — wie wir aufzeigten — die Bedingungen der Reproduktion völlig ignoriert und in seiner apologetischen Zielstellung auch ignorieren muß. Damit ist aber auch allen Schlußfolgerungen die wissenschaftliche Grundlage entzogen, es handelt sich somit nur noch um unbewiesene Behauptungen. Die objektiven Bestimmungsgründe der Amortisationen sind in den Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion gegeben. Jede willkürliche Erhöhung des Amortisationsfonds hat einen falschen Ausweis des gesellschaftlichen Gesamtproduktes zur Folge, da die „Willkürlichkeit" nur darin bestehen kann, große Teile des für die kapitalistische Akkumulation bestimmten Profits in den Abschreibungen zu verstecken. Die Anwendung der degressiven Abschreibungsmethode ist eine solche Maßnahme, die eine willkürliche Erhöhung des Amortisationsfonds zur Folge hat. Im ersten Jahre der Nutzung sind Anschaflungswert und Buchrestwert des Anlagengegenstandes identisch. Wenn also nach den gültigen Abschreibungssätzen das Dreifache respektive seit 1958 das 2,5fache mehr als bei linearer Methode abgeschrieben wird, so bedeutet das eine Erhöhung des Amortisationsfonds um das 3- respektive 2,5fache, ohne daß sich der Ersatzfonds für verbrauchte Arbeitsmittel entsprechend erhöht «• Ebenda, S. 190.

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hätte. Dieser Effekt wiederholt sich im folgenden Jahr, da die Abschreibungen sofort reinvestiert werden. Dieser Effekt hat jedoch nichts mit der von Ruchti im „theoretischen Teil" der Arbeit dargelegten dauernden Freisetzung liquider Mittel gemein, sondern beruht ausschließlich auf der Tatsache, daß bedeutende Profite über den fälschlichen Ausweis als Abschreibungen direkt den Kosten zugerechnet werden und bildet solcherart die zur Zeit für die Monopole geeignetste Methode zur direkten Verwandlung von Profit in Kapital. Es gehört zur logischen Konsequenz der Ruchtischen Auffassung über die Abschreibungen, daß sich „eine Grenze zwischen Abschreibung und Gewinn nicht eindeutig ziehen läßt". 6 1 Das ist reine Apologetik, denn an anderer Stelle des besprochenen Buches wird offenbar, daß das Problem der Profitverschleierung und seine Bedeutung für die Investitionsfinanzierung durchaus klar und richtig verstanden wird, wofür die folgenden Sätze aus der gleichen Arbeit zeugen mögen: „Die Ertragsverteilung ist jedoch unter den heutigen Verhältnissen (1952 — O. K.) das Kardinalproblem, da der Staat vom Nettoertrag (Gewinn) 70%, wenn an die steuerliche Belastung der Körperschaften gedacht wird, für sich in Anspruch nimmt. Da auch eine Dividende gezahlt werden soll, verbleibt dem Betrieb nicht allzuviel für eine Selbstfinanzierung. Es ist daher verständlich, wenn heute der Abschreibung eine so große Bedeutung beigemessen wird, da sie in der betrieblichen Abrechnung Aufwand darstellt. Sie ist Ertragsverteilung besonderer Art, die nicht der Besteuerung unterliegt. Der Kampf geht um ausreichende Abschreibungssätze und um die Anwendung anderer Abschreibungsverfahren als bisher." 62 (Hervorhebungen — 0 . K.)

Was Ruchti im zweiten Absatz dieses Zitats darlegt, steht im krassesten Widerspruch zu den „theoretischen" Ergebnissen, die 50 Seiten vorher gewonnen wurden. Jedermann weiß (und wer es nicht wissen sollte, kann es in der westdeutschen Tagespresse nachlesen), daß die Forderung nach „ausreichenden Abschreibungssätzen" höhere Abschreibungssätze als bisher und die Forderung nach „Anwendung anderer Abschreibungsverfahren" die Zulassung und Erweiterung der degressiven Abschreibungsmethode bedeutet. Indem Ruchti diese Forderungen bedenkenlos unterstützt, bescheinigt er die apologetische Zielstellung seiner Arbeit. Die gleiche Haltung liegt der Auffassung zugrunde, daß die zeitliche Vorverlegung bestimmter Abschreibungsbeträge lediglich einer Steuerstundung seitens des Staates gleichkäme. Ruchti meint, daß der bürgerliche Staat dem kapitalistischen Unternehmen durch die steuerrechtliche Zulassung der degressiven Abschreibungsmethode „eine zinslose Anleihe für etliche Jahre gewährt, wenn er nicht in den folgenden Jahren die Steuersätze erhöht". 6 3 Diese These von der sogenannten „Steuerstundung" ist genauso eine apologetische Scheintheorie, wie die bereits behandelte betriebswirtschaftliche Behauptung von der „nur zeitlichen Vorverlagerung der Abschreibungen künftiger Abschreibungszeiträume". Die staatsmonopolistischen Maßnahmen zur Förderung der Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen, die — wie wir aufzeigen konnten — vor allem und fast ausschließlich von den großen Monopolen genutzt werden, bewirken eine « Ebenda, S. 147.

82

Ebenda, S. 182.

83

Ebenda, S. 192.

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ständige Steuerbefreiung des f ü r die kapitalistische Akkumulation vorgesehenen und über die Abschreibungen realisierten Profits. Darin besteht ja letzten Endes der Sinn dieser staatsmonopolistischen Maßnahmen. Die ökonomische Grundlage der überhöhten Abschreibungen sind Monopolprofite, die zusätzlich durch die dieser besonderen F o r m der Investitionsfinanzierung zugrunde liegenden Umverteilungsprozesse eine Steigerung erfahren. Es sind also Prozesse zusätzlicher Ausbeutung der Werktätigen, die dieser „Steuerstundung" zugrunde liegen. Außerdem gilt f ü r die „Steuerstundung" durch die Gewährung von Sonderabschreibungen das gleiche Argument, wie gegen die These von der „Vorverlagerung der Abschreibungen künftiger Abschreibungszeiträume": Wenn der bürgerliche S t a a t allen Monopolen gleichzeitig enorme „Steuerstundungen" gewährt, obwohl sein eigenes Steuerbudget von J a h r zu J a h r ständig ansteigt, dann m u ß doch der S t a a t die den Monopolen „ g e s t u n d e t e n " Steuermittel aus anderen Gesellschaftsschichten abziehen. Wenn man also den tatsächlichen Sachverhalt zum Ausdruck bringen will, so muß man feststellen, daß nicht der S t a a t eine „ S t e u e r s t u n d u n g " gewährt, sondern daß die Werktätigen über das staatsmonopolistische Steuersystem den Monopolen die vom S t a a t gewährte Steuerbefreiung für große Profitteile bezahlen müssen. Über das staatsmonopolistische Steuersystem erfolgt eine zusätzliche und verstärkte Ausbeutung der Arbeiterklasse und der übrigen werktätigen Schichten zugunsten des Monopolprofits. K u r t Zieschang weist nach, daß die staatsmonopolistische Steuerpolitik gegenwärtig vor allem zwei ökonomische Aufgaben zu erfüllen h a t : „Einmal ist sie für die erweiterte Reproduktion ein objektiv notwendiges Instrument, das Nationaleinkommen im Interesse der Monopole umzuverteilen. Zum anderen — diese Aufgabe ergibt sich aus der ersten — ist sie ein ebenso objektiv notwendiges Instrument zur Regulierung der Produktion im Interesse der Monopole. Beides ist für die .Selbstfinanzierung* von ausschlaggebender Bedeutung . . . Die Besteuerung erfolgt nicht mehr einfach nach der Höhe des Einkommens, sondern auch vom Gesichtspunkt der Kapitalverwendung 64 ".

Zugleich m u ß aber auch die demagogische Behauptung von der angeblichen „Steuerverlagerung" entschieden abgelehnt werden. Die bürgerlichen Betriebswirtschaftler wollen den Menschen eingeben, daß die von den Kapitalisten auf Grund der staatsmonopolistischen Maßnahmen erzielten „Steuerersparnisse" in späteren J a h r e n zurückbezahlt werden müßten. Es ist das Märchen von der guten bürgerlichen Gerechtigkeit, und Ruchti ist sein Apostel. Die staatsmonopolistischen Maßnahmen zur Stimulierung der monopolkapitalistischen Investitionstätigkeit stellen ein ganzes System dar, das auf den von Keynes entwickelten Grundsätzen a u f b a u t . Die im ersten Teil dieses Beitrages angeführten Maßnahmen entspringen nicht einem einmaligen Notstand, sie bringen vielmehr bestimmte objektive ökonomische Prozesse im Verfallsstadium des Kapitalismus zum Ausdruck. Die Monopole können ohne diese Fördermaßnahmen nicht mehr existieren. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse und der übrigen werktätigen Schichten n i m m t zunehmend unmittelbar gesellschaftlichen Charakter an. Die Monopole brauchen den von ihnen beherrschten M

Zieschang, a. a. O., S. 128.

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Staatsapparat zur Erzielung der Monopolprofite. Es heißt deshalb Märchen erzählen, will man den Menschen glauben machen, daß die einseitigen Begünstigungen für die Monopole irgendwann einmal aufgehoben werden, und daß die Monopole dann das zurückzahlen würden, was sie sich durch diese Umverteilung früher einmal angeeignet haben. Es ist eigentlich ein Märchen für Kinder. Aber die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre erzählt es in einer mit tausend „Fachbegriffen" geschmückten Sprache, wodurch es selbst diesen zu langweilig ist. Die staatsmonopolistischen Maßnahmen, die für die Monopole eine „zinslose Anleihe für etliche J a h r e " bewirken, werden nicht nur nicht aufgehoben, es erfolgt darüber hinaus auch noch eine ständige Senkung der Steuersätze für den nicht in den Abschreibungen versteckten Gewinn. Nach dem „Einkommenssteuer- und Körperschaftssteuer-Änderungsgesetz" vom 27. Juni 1951 betrug der Körperschaftssteuersatz in Westdeutschland 60°/ 0 . Bereits ab dem Veranlagungszeitraum 1953 wurden für die Dividendenausschüttung durch die sogenannte „kleine Steuerreform" wesentliche Veränderungen getroffen, indem für „berücksichtigungsfähige Ausschüttungen" der Steuersatz nur noch 30°/ 0 betrug. Die sogenannte „große Steuerreform" brachte eine generelle starke Steuersenkung. Ab dem Veranlagungszeitraum 1955 betrug der allgemeine Tarifsatz der Körperschaftssteuer nur noch 45°/ 0 . Gleichzeitig wurden die Erleichterungen für die Dividendenausschüttung (nur 30°/ 0 ) beibehalten. Selbst wenn also die die beschleunigte Abschreibung fördernden staatsmonopolistischen Maßnahmen aufgehoben würden, käme für die Kapitalisten durch die mehrfach zwischenzeitlich erfolgte Steuersenkung für die Profitbesteuerung eine echte Steuerschenkung zustande. In der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre wird das unumwunden zugegeben. Der bereits zitierte Samuelson schreibt dazu: „. . . Das erklärt auch, warum so viele Unternehmen (in den USA — O. K.) im Kriege von dem staatlichen Angebot Gebrauch machten, die neuerbauten Kriegsfabriken und -ausrüstungen binnen fünf Jahren abzuschreiben. Sie waren ganz froh, mit Hilfe der hohen Abschreibungen die hohen Kriegsgewinne im Wege .beschleunigter' Abschreibungen auf die Nachkriegszeit zu verschieben. Denn sie rechneten damit, daß die Körperschaftssteuersätze dann wieder niedriger sein würden." 66

Aber neben diesen staatlichen Steuergeschenken, die von den Monopolen selbstverständlich nach Bedarf genutzt werden, wirkt doch fast unverändert die alljährliche Steuerbefreiung des für die kapitalistische Akkumulation bestimmten Profits fort, da die prinzipiellen Bedingungen für die Verwirklichung der gesellschaftlichen Ausbeutung der Werktätigen über die Umverteilung des Nationaleinkommens im Interesse der Monopole aufrechterhalten werden. Diese Umverteilung des Nationaleinkommens zugunsten der monopolkapitalistischen Akkumulation mittels der Steuern, der Monopolpreise u. a. m. erfolgt ständig und definitiv. Es gibt also keine Umkehrung dieses Prozesses. Es kann somit weder von volkswirtschaftlicher Sicht noch im Rahmen des kapitalistischen Einzelunternehmens eine „Steuerstundung" oder „Steuerverlagerung" durch die Formen der beschleunigten Abschreibung geben. Trotz dieser unleugbaren Tatsachen jonglieren die Betriebswirtschaftler mit der Phrase von der „Steuerstundung". Es ist auch nicht neu, wie der „Beweis" für diese w

Samuelson, a. a. 0 . , S. 108/09.

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wohlklingende Phrase e r b r a c h t wird. Zunächst „beweist" Ruchti die „Steuerstund u n g " am Beispiel einer einzelnen Maschine. Es ergibt sich folgerichtig, daß das, was vorher zu viel, in der Folge entsprechend geringer abgeschrieben werden kann, was also eine entsprechende Erhöhung des Gewinns und damit auch der Steuern auf den Gewinn in den letzten J a h r e n der Abschreibung bewirken würde. In der gleichen Weise wird der „Beweis" f ü r eine Gruppe von Maschinen geführt. Das Unwissenschaftliche und Demagogische dieser „wissenschaftlichen" Beweisführung besteht dabei eben darin, daß erstens nie Anlage- und Amortisationsfonds in Beziehung zueinander gebracht werden und zweitens, daß immer einfache Reproduktion unterstellt wird. Jedermann, der sich n u r oberflächlich mit dieser Materie beschäftigt, weiß aber, daß überhöht abgeschrieben wird, u m zu investieren und daß neuinvestierte Abschreibungen zusätzliche Abschreibungsmittel freisetzen. Dieser Prozeß h a t keine rückläufige Tendenz, solange erweiterte Reproduktion stattfindet. Die Demagogie besteht dabei vor allem auch darin, daß m i t Hilfe einiger abstrakter Rechenexempel und mathematischer Formeln der ganze sozial-ökonomische Inhalt der beschriebenen Prozesse ausgelöscht und dadurch verschleiert wird. Nun verläuft allerdings die Entwicklung im Kapitalismus insgesamt und entsprechend auch in den einzelnen kapitalistischen Unternehmen zyklisch. Bei rückläufiger allgemeiner Investitionstätigkeit, die vor allem durch die krisenhafte E n t wicklung hervorgerufen und bedingt ist, t r i t t natürlich auch eine rückläufige — wenn auch verminderte — Tendenz in der Entwicklung der Amortisationsfonds ein (wobei noch ein Sonderproblem ist, inwieweit in diesen Fällen die in den Bilanzen ausgewiesenen Abschreibungen tatsächlich auf dem Markt realisiert werden können). Das wirft zwei Probleme auf. Einmal steht fest, daß der Amortisationsfonds bei Einschränkung der Investitionen in das fixe Kapital umfangmäßig trotzdem größer ist, als er unter normalen Bedingungen, d. h. ohne die Vornahme überhöhter Abschreibungen wäre, da in den Amortisationsfonds Profitbestandteile eingegangen sind. Zum anderen aber beruht die Abschreibungspolitik der Monopole auf einer ganzen Reihe staatsmonopolistischer Maßnahmen. Es ist klar, daß sich bei sinkender Tendenz der Investitionen im Interesse der Monopole neue staatsmonopolistische Maßnahmen notwendig machen, die entsprechend neue Aspekte aufwerfen. Die schlimmste Befürchtung der kapitalistischen Unternehmer bestand und besteht nun aber darin, daß die steuerrechtliche Zulassung der degressiven Abschreibungsmethode irgendwann wieder aufgehoben werden könnte, so daß dann wieder zur linearen Abschreibung übergegangen werden m ü ß t e . Diese Befürchtungen sind nicht völlig unbegründet, ist doch zu berücksichtigen, daß eines der wesentlichen H a u p t a r g u m e n t e f ü r die E i n f ü h r u n g der degressiven Methode die staatliche Förderung der „privaten Investitionstätigkeit" war. Diese Investitionsförderung gilt als Argument jedoch n u r für einen begrenzten Zeitraum. Zugleich wird aber durch dieses Argument bereits indirekt eingestanden, daß sich über die degressive Abschreibung zum Teil auch Akkumulationsprozesse vollziehen. Der Übergang von der degressiven zur linearen Abschreibungsmethode h ä t t e aber f ü r die kapitalistischen Unternehmen einige unangenehme Folgen. Nicht nur, daß ihnen künftig nicht mehr die außerordentlich vorteilhaften Möglichkeiten zur bestmöglichen Profitrealisierung

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und Profitverschleierung zur Verfügung ständen, könnte sich gleichzeitig der Umfang der Amortisationsfonds bis auf etwa die Hälfte des bisherigen Umfanges vermindern. Zwar sind Befürchtungen solcher Art schon deswegen unbegründet, weil der bürgerliche Staat gewiß nicht den Interessen des Monopolkapitals — dessen Herrschaftsinstrument er ist — schaden wird. Zudem läßt die im Dezember 1959 verwirklichte sogenannte „kleine Aktienrechtsreform" erkennen, daß vor allem für die Monopole neben den steuerbefreiten erhöhten Abschreibungen auch noch andere Formen der Steuerbefreiung für Monopolprofite gefunden werden. Nach den Bestimmungen des „Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinnund Verlustrechnung" sowie des „Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln . . ." vom 2. Dezember 1959 ist es den westdeutschen Aktiengesellschaften möglich, einen Teil der steuerfrei bzw. steuerbegünstigt gebildeten Rücklagen durch die Ausgabe von steuerfreien Gratisaktien an die Aktionäre in Nominalkapital umzuwandeln. Diese staatsmonopolistische Maßnahme verweist auf zwei interessante Probleme, die eng miteinander verknüpft sind und in der Selbstfinanzierung ihre gemeinsame Basis haben. Das eine Problem ist die zunehmende Differenz zwischen fungierendem und Nominalkapital der Aktiengesellschaften. Eine direkte Folge der Selbstfinanzierung der Investitionen ist die ständige Zunahme des tatsächlich fungierenden Kapitals der Aktiengesellschaften, denn Investition bedeutet Neuanlage von Kapital (natürlich unter Abzug der echten Ersatzinvestitionen). Die Erhöhung des durch den Nominalwert der Aktien repräsentierten Grundkapitals der Aktiengesellschaften kann aber nur durch neue Aktienemissionen erfolgen. Da jedoch die Selbstfinanzierung die Hauptmethode der Investitionsfinanzierung gegenwärtig ist und der Kapitalmarkt demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle spielt, bleibt der Zuwachs des Nominalkapitals beträchtlich hinter der laufenden Erhöhung des tatsächlich fungierenden Kapitals der Aktiengesellschaften zurück. Wenn man berücksichtigt, daß das Sachanlagevermögen der Industrie-Aktiengesellschaften durch die Formen der beschleunigten Abschreibung beträchtlich unterbewertet ist, ergibt sich das sonderbare Phänomen, daß das tatsächlich fungierende Kapital das Grundkapital der Aktiengesellschaften um das Fünf- bis Zehnfache übersteigt. Hinter diesem ökonomischen Phänomen verbergen sich neue Aspekte des Verwertungsprozesses des Kapitals. Ein zunehmend größeres fungierendes Kapital wird von einem relativ abnehmenden vorgeschoßnen Aktienkapital in Bewegung gesetzt. Das Resultat dieses Prozesses ist, daß sich der Umschlag des vorgeschoßnen Kapitals bedeutend beschleunigt, obwohl die Reproduktionszeit des fungierenden Kapitals, insbesondere des fungierenden fixen Kapitals wesentlich unverändert bleibt. Das findet u. a. auch seinen Ausdruck in dem sinkenden Kapitalkoeffizienten der Produktion. Grundlage dieses Prozesses ist die beschleunigte Abschreibung. Zweifellos spiegeln diese Relationen eine Erhöhung des Verwertungsgrades des von den Aktiengesellschaften vorgeschoßnen Kapitals wider. Dieser ist aber nicht unabhängig vom zyklischen Verlauf der Produktion. Dieser Effekt kann zu Zeiten der

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Krise und Stagnation nicht wirksam sein. Vielmehr m a c h t sich gerade d a n n eine Aufbesserung der Grundkapitalbasis notwendig. Das würde aber bedeuten, daß gerade in dieser Zeit der Kapitalmarkt stark belebt und verstärkt in Anspruch genommen werden müßte. Durch die obengenannten Gesetze wurde jedoch eine Form der Nominalkapitalerhöhung ermöglicht, die den Monopolen gestattet, auch darin den Kapitalm a r k t zu übergehen. Das Hauptproblem der E r h ö h u n g des Nominalkapitals der Aktiengesellschaft durch Ausgabe von Gratisaktien an die Aktionäre scheint aber in einem zweiten Problemkreis begründet zu sein. Der größte Teil der durch die wirksam gewordenen Umverteilungsprozesse und die zunehmende Ausbeutung der Werktätigen s t ä n d i g erhöhten Monopolprofite wurde über die Selbstfinanzierung innerhalb der Unternehmen steuerbegünstigt akkumuliert. J e t z t aber geht es darum, einen größeren Teil dieser ins unermeßliche gestiegenen Profite auch in größeren Anteilen als kapitalistische Revenue zu realisieren. Wenn es nicht möglich ist, den Profit über die Selbstfinanzierung innerhalb des Unternehmens oder als Konzernbeteiligung anzulegen, dann m u ß der Profit zunächst als Revenue realisiert werden, um eventuell über den Kapitalmarkt in anderen Zweigen angelegt oder als zusätzlicher Luxus verbraucht zu werden. Diese Realisation soll aber ebenfalls wieder u n t e r Umgehung der Steuerbeauflagung erfolgen. Diesem Ziel dient die steuerbefreite Ausgabe von Gratisaktien an die Aktionäre. Zunächst bedeutet die Übergabe der Gratisaktie f ü r den einzelnen Aktionär eine Erhöhung seines Vermögens, da er die Aktie wieder verkaufen kann, wodurch sich sein Geldvermögen entsprechend erhöhen würde. Zugleich erhöht sich aber auch der Betrag der Dividendenausschüttung, ohne das sich der Prozentsatz der Dividendenausschüttung verändert. Werden z. B. Gratisaktien im Verhältnis 1 : 1 zum alten Grundkapital ausgegeben, dann erhält der Aktionär bei der nächsten Dividendenausschüttung die doppelte Dividende (bei einem Dividendensatz von 12°/ 0 also effektiv 24%), ohne eine entsprechende Kapitaleinlage geleistet zu haben. Natürlich könnten die Aktiengesellschaften auch unmittelbar den Dividendensatz auf 24°/ 0 erhöhen. F ü r den Aktionär wäre der Effekt in bezug auf die Dividendenhöhe der gleiche. Aber erstens bliebe das Problem der Nominalkapitalbasis ungelöst, und zweitens schütten die Monopole schon aus „optischen" Gründen „ n u r " Dividenden in Höhe von 12 bis 15°/ 0 des Nominalwerts aus. Die Verschärfung der Ausbeutungsverhältnisse in Westdeutschland würde zu offensichtlich werden, zumal die Monopole den berechtigten Forderungen der Arbeiterklasse auf Lohnerhöhungen die berüchtigte „ T h e o r i e " von der „Lohn-Preis-Spirale" entgegenzusetzen suchen. Die t a t sächliche Ursache der ständigen Preissteigerungen, die die Lebenshaltungskosten der Werktätigen entsprechend erhöhen, würden auch dem Letzten unverhüllt deutlich werden. Durch die Ausgabe von Gratisaktien an die Aktionäre erfolgt eine weitere Verschleierung der tatsächlichen Ausbeutungsverhältnisse in Westdeutschland. Dem ökonomischen Wesen nach handelt es sich bei dem Gratisaktiengesetz vor allem um die Profitrealisierung als Reveniie. Der Gesamtbetrag der Gratisaktienausgabe wird auf etwa 10 bis 15 Milliarden DM geschätzt.

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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Das Beispiel soll eigentlich aber nur zeigen, daß die Steuerbefreiung des in den überhöhten Abschreibungen verschleierten Profits nicht die einzige Form der Steuerbefreiung für den Monopolprofit ist. Um so bezeichnender ist es aber, daß sich die betriebswirtschaftliche Apologetik schon um ein scheinbar ernstes Problem bemühte, als es noch gar nicht spruchreif war (es ist es auch heute noch nicht!). Ruchti warnt bereits 1952 vor dem Übergang von der degressiven zur linearen Abschreibungsmethode und hat dafür eine entsprechende „theoretische Begründung" parat: „Wenn wir unterstellen, daß der Betrieb die liquiden Mittel aus Abschreibungen laufend investiert hat — und das ist schließlich der Zweck der steuerlichen Abschreibungsfreiheit, die Investitionen zu fördern — so kommt der Betrieb durch den Wechsel des Abschreibungsverfahrens in finanzielle Schwierigkeiten, wenn die Nettoerträge durch Steuern abgeschöpft werden . . . 66 Daher hat die zeitliche Verlagerung der Nettoerträge durch den Übergang von der degressiven zur linearen Abschreibung und ihre nachträgliche Besteuerung unter den heutigen Verhältnissen schädliche Auswirkungen nicht nur für den Betrieb, sondern auch für die gesamte Wirtschaft." 67

Das dürfte der Gipfel der Demagogie sein. Es wird völlig ignoriert, daß die Monopole dank dieser außerordentlich umfangreichen Abschreibungsfreizügigkeiten ihre alten Machtpositionen festigen und erweitern und in der Zwischenzeit die Profite ins unermeßliche steigern konnten. Wenn sich nun die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu Zeiten krisenhaften Tiefs verschlechten!, versucht die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre nachzuweisen, daß die Ursache dafür in bestimmten steuergesetzlichen Bestimmungen und anderen staatlichen Maßnahmen zu suchen sei. Wäre aber in einem solchen Falle die einfache Reproduktion der Anlagefonds tatsächlich gefährdet? Man braucht diese Frage nur ernsthaft zu stellen, um sie sofort ad absurdum führen zu können. Die erste Folge einer Rückführung auf die lineare Methode wäre die unmittelbare Verminderung des Amortisationsfonds um den Betrag, der dem Wesen nach Profit darstellt (vorausgesetzt natürlich, daß nicht gleichzeitige andere Formen für zusätzliche, über das nutzungsbedingte Maß hinausgehende Abschreibungen eingeführt wurden). Trotzdem wäre aber auch dann noch zumindest die einfache Reproduktion des konstanten fixen Kapitals gewährleistet, denn die Mehrabschreibungen der vergangenen Jahre wurden ja ausnahmslos wieder in Anlagen investiert, die neuen Anlagen erbringen aber ebenfalls wieder entsprechende Abschreibungen. Außerdem ist der Umstand nicht unbedeutend, daß sich zwischen dem Abschreibungsstadium, in dem sich die Anlagen befinden, und dem Zeitpunkt des voraussichtlichen Ersatzbedarfes eine gewisse Differenz gebildet hat. Der Zeitpunkt der Ersatzinvestition ist dadurch relativ (im Vergleich zu den bereits abgerechneten Abschreibungen) hinausgeschoben. Schließlich bringt der Übergang von der degressiven zur linearen Abschreibungsmethode eine Umstellung von der Buchrestwertrechnung auf die Anschaffungswertrechnung mit sich. Während beim zuerst genannten Verfahren — wenn wir einzelne Anlagegegenstände betrachten — die 8

« Ruchti, a. a. 0 . , S. 197.

87

Ebenda, S. 199.

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jährlichen Abschreibungsbeträge abnehmen, bleiben sie n u n m e h r gleich über die verbleibenden J a h r e . Es ist also unverständlich, wie daraus irgendwelche finanzielle Schwierigkeiten durch den Wechsel des Abschreibungsverfahrens entstehen sollen. Letzten Endes bleibt doch das Prinzip der Einmaligkeit der Abschreibung erhalten, so daß nichts verloren geht. Wir haben die Frage nach den Folgen einer eventuellen Aufhebung der degressiven Abschreibungsmethode nur der Vollständigkeit halber gestellt. Daß im „wirtschaftswunderlichen" S t a a t niemand daran denkt, die f ü r die westdeutschen Monopole so außerordentlich vorteilhafte F o r m der beschleunigten Abschreibung zu beseitigen, davon zeugen nicht zuletzt die scheingefechtsmäßig „ u m s t r i t t e n e n " Maßnahmen zur „ D ä m p f u n g der konjunkturellen Situation", die Bundesfinanzminister Etzel Anfang März 1960 vor der H a u p t v e r s a m m l u n g der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf begründete. 6 8 Etzel wies dort darauf hin, daß über der Entwicklung der Bundesfinanzen, die noch in guter Ordnung seien, einige dunkle Wolken hingen. Eine dieser dunklen Wolken ist die inflationistische Preisentwicklung. „Denn in der gleichen Zeit, in der das Bruttosozialprodukt um rund 7,5 vH wuchs (1959 — 0 . K.), stieg das reale Sozialprodukt nur um 5,7 vH. Das sprunghafte Überborden von Konjunktur und Beschäftigung wurde mit einer Minderung der Kaufkraft unseres Geldes um etwa 1,7 vH bezahlt. Uns alle muß es erschrecken, daß die Kaufkraft der Deutschen Mark in zehn Jahren seit 1950 sich um rund ein Fünftel verringert hat." 8 '

Zwar n e n n t Etzel erwartungsgemäß nicht die tatsächlichen Ursachen der ununterbrochenen Preissteigerungen. Interessant ist aber immerhin, daß er die degressive Abschreibungsmethode mit zu den preissteigernden Faktoren rechnet. „Ihr Höchstbetrag (der degressiven Abschreibung — 0. K.) im ersten Jahr ist zur Förderung des Wiederaufbaus nach dem Krieg bisher auf das Zweieinhalbfache der linearen Abschreibung und höchstens 25 vH begrenzt. Dieser Satz liegt über den Höchstsätzen anderer Länder, soweit sie die degressive Abschreibung steuerrechtlich zulassen. Olfensichtlich geht von dieser hohen Steuerbegünstigung in den ersten Jahren der Anschaffung ein außerordentlicher Anreiz zu neuen Investitionen aus. Unternehmer investieren manchmal weniger aus wohlüberlegter Planung als aus guter Gelegenheit. Sie befürchten Preissteigerungen und meinen, ihnen durch kräftige Investitionen und zeitlich vorgezogene Bestellungen begegnen zu können. Tatsächlich lösen sie damit aber nur eine zusätzliche Nachfrage in jener inflationären Spirale von steigenden Preisen und Löhnen aus." 70 (Hervorhebungen — 0 . K.)

Trotz dieser immerhin bemerkenswerten Einschätzung der Rolle der degressiven Abschreibungsmethode sieht die „antizyklische Finanzpolitik" keineswegs die Aufhebung dieser Form der beschleunigten Abschreibung vor. Vielmehr beschränkt sich die „ K o n j u n k t u r d ä m p f u n g " — soweit sie die Abschreibungspolitik betrifft — auf zwei Maßnahmen, die k a u m eine nennenswerte Bedeutung haben. Zunächst sollen einige der verbliebenen Sonderabschreibungen abgebaut werden, die hier klar und deutlich als Subventionen bezeichnet werden: 68 Etzel, Franz, Finanzpolitik in der Hochkonjunktur. In: „Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung", Bonn, Jahrg. 1960, Nr. 48, S. 467ff. 70 «8 Ebenda, S. 467. Ebenda, S. 471/72.

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

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„Nachdem der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Kriege im wesentlichen abgeschlossen ist, sollten nunmehr alle jene vielfältigen Subventionen überprüft werden, die ganz überwiegend unsichtbar in der Form von Steuerbegünstigungen gewährt worden sind und werden. Dazu rechnen zum Beispiel die Reste der Abschreibungsvergünstigungen in der 7er-Gruppe des Einkommensteuergesetzes, soweit sie nicht schon beseitigt sind oder 1961 auslaufen." 71

Hier wird — im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Apologetik — offen ausgesprochen, daß es sich bei Sonderabschreibungen um die Steuerbefreiung großer Teile des kapitalistischen Profits handelt, denn bekanntlich wird die Einkommensund Körperschaftssteuer auf den „erwirtschafteten Gewinn" bezogen. Zugleich wird aber in demagogischer Weise der Anschein erweckt, als ob diese weitgehende Steuerbefreiung des Profits nunmehr aufgehoben wurde. Dabei besteht die Demagogie in zweierlei Hinsicht. Erstens ist gegenwärtig der Anteil dieser Art von Abschreibungsvergünstigungen am Gesamtbetrag der überhöhten Abschreibungen relativ gering. Die steuerrechtlichen Möglichkeiten zur überhöhten Abschreibung in der 7er Gruppe des Einkommensteuergesetzes spielten eine entscheidende Rolle in der Zeit von der Währungsreform im Juni 1948 bis gegen Ende des Jahres 1951. Danach wurden sie wesentlich eingeschränkt und durch andere Formen der beschleunigten Abschreibung abgelöst. Ab 1953 wurde das degressive Abschreibungsverfahren zur Hauptmethode der überhöhten Abschreibung für die Selbstfinanzierung der Investitionen. Sie ist damit auch die steuerrechtliche Grundlage für die weitgehende Steuerbefreiung großer Teile des kapitalistischen Profits. Soll diese aufgehoben und beseitigt werden, muß die degressive Abschreibungsmethode beseitigt werden. Zweitens besteht die Demagogie dieser „antizyklischen Finanzpolitik" darin, daß gleichzeitig mit der proklamierten Aufhebung solcher Art von Subventionen neue Sonderabschreibungen für einige Monopolgruppen eingeführt werden, wie aus dem „Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Einkommen-, Körperschaftund Gewerbesteuergesetzes" hervorgeht: „Um drei Jahre soll nach dem Entwurf ferner die Ermächtigung zur Gewährung von Sonderabschreibungen für bestimmte Investitionsvorhaben im Bergbau verlängert und ergänzt werden. Es handelt sich dabei um Sonderabschreibungen für den Wiederaufschluß stilliegender Grubenfelder und Felderteile sowie für die Umstellung der Förder- und Seilfahrtseinrichtungen, und zwar von Flur- auf Turmförderung, von Dampf- auf elektrischen Antrieb, von Gestell- auf Gefäßförderung und von Hand- auf halb- oder vollautomatische Steuerung . . . Ebenfalls um drei Jahre soll die Ermächtigung zur Gewährung von Sonderabschreibungen für Maßnahmen der Abwässerreinigung und der Luftreinigung verlängert werden." 72 (Hervorhebung — 0 . K.)

Aus dieser Aufzählung kann man unschwer entnehmen, daß für fast alle Rationalisierungsmaßnahmen im westdeutschen Bergbau, der von den mächtigsten Monopolen beherrscht wird, großzügige Sonderabschreibungen — also „Subventionen, die ganz überwiegend unsichtbar in der Form von Steuerbegünstigungen gewährt -werden" (Etzel) — bewilligt werden. Und das zu einem Zeitpunkt, da „der Wieder71 72

Ebenda, S. 468/69. „Handelsblatt", Düsseldorf, 15. Jahrg., Nr. 60, S. 7, 1960.

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aufbau der (west-)deutschen Wirtschaft nach dem Kriege im wesentlichen abgeschlossen ist'" (Etzel), da es immer noch Kohlenhalden gibt und da man in der „wirtschaftswunderlichen" Presse immer wieder von erneuten Zechenstillegungen und von Massenentlassungen der Bergarbeiter lesen muß. Auch die degressive Abschreibungsmethode wird in die „antizyklische Finanzpolitik" einbezogen. Selbstverständlich wird sie nicht beseitigt, wie die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre befürchten zu müssen glaubte. Die Degression wird lediglich etwas gemindert. Auf Beschluß des westdeutschen Bundeskabinetts wird mit Wirkung vom 9. März 1960 der steuerlich zulässige Abschreibungssatz von 25 auf 20°/0 herabgesetzt. Betrug also bisher (seit 1958 — vorher war der Satz noch höher) der Höchstsatz im ersten Jahr der Abschreibung das Zweieinhalbfache der linearen Abschreibung, so vermindert er sich nunmehr auf das Zweifache. Etzel versäumt nicht, dieser fiskalischen Maßnahme einen weiten Wirkungsgrad anzubeschwören: „ I c h weiß, welche W i d e r s t ä n d e dagegen v o n Seiten der Industrie zu erwarten sind A b e r hier handelt es sich um einen geradezu klassischen Anwendungsfall antizyklischer Finanzpolitik, der die gesamte W i r t s c h a f t , Unternehmer wie Verbraucher, v o r weiteren Preissteigerungen aus einer Übernachfrage nach Anlagegütern bewahren will. Es liegt auch im Eigeninteresse der Unternehmer, daß einem Rückschlag als N a c h w i r k u n g einer übersteigerten K o n j u n k t u r vorgebeugt wird. A n d e r e Länder verfahren entsprechend." 7 3 (Hervorhebungen — 0 . K . )

Wahrhaftig: „Viel Lärm um nichts!" — oder noch besser — „Eine leere Tonne macht viel Krach!" Es ist kein Geheimnis, daß auch die „weiseste antizyklische Politik" des bürgerlichen Staates nicht die zyklischen Krisen zu beseitigen vermag. Über das aber, was Etzel als „klassischen Anwendungsfall antizyklischer Finanzpolitik" zu bezeichnen beliebt, lachen selbst die Spatzen im bundesbürgerlichen Blätterwald. Nach dem Vorwärts" „ . . . repräsentiert sich damit eine finanzpolitische Maßnahme, die z w a r v o n einiger Bedeutung ist, aber konjunkturpolitisch nicht kurzfristig, sondern langfristiger wirkt. Alles zusammen erbringt dem rund 40 Mrd. D M umfassenden und keineswegs notleidenden Bundesetat (erhöhte Steuereinnahmen!) rund 400 Mill. D M Ersparnis, d. h. nur rund 1% faktisch N u t z e n . " 7 4

Das aber nur, wenn alle Maßnahmen wirksam werden. Die Abschreibungsbestimmungen sind nur ein Teil davon. Auch im „Handelsblatt" wird diese Tatsache unumwunden ausgesprochen. „ S o schnell, wie man dies wünscht, w i r k t die steuerliche Benachteiligung der Investitionen nicht, und man weiß nie, ob die W i r k u n g in der Zeit, w e n n sie tatsächlich eintritt, überhaupt noch erwünscht ist." 7 5

Zunächst beweisen die Tatsachen, daß der „klassische Anwendungsfall" das Gegenteil von dem bewirkt, was erreicht werden sollte: E t z e l , a. a. 0 . , S. 472. „ V o r w ä r t s " , Jahrg. 1960, N . 13, S. 14. 76 Flume, W . , E i n Bündel steuerlicher Maßnahmen. I n : „ H a n d e l s b l a t t " , 15. Jahrg., N r . 54, S. 13, 1960. 73

74

Düsseldorf,

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsmethoden

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„Zunächst hat der Bundesfinanzminister es jedenfalls einmal erreicht, daß die Investitionsaufträge steil angestiegen sind. Diese Reaktion hätte sich allerdings auch der Bundesfinanzminister voraussagen können. Jeder hofft, seine Investitionen noch unter Dach zu haben, bevor die angekündigten Steuermaßnahmen in Kraft treten. Einen größeren Bärendienst als die Düsseldorfer Rede hätte der Bundesfinanzminister in der Tat den Bestrebungen um eine Beruhigung gar nicht erweisen können."7®

Es geht aber nicht einmal darum, zu welchem Zeitpunkt die Minderung der Degression in dem Abschreibungsverfahren im Sinne einer „Konjunkturdämpfung" zum Tragen kommen könnte. Das entscheidende ökonomische Problem ist doch, daß jegliches degressive Abschreibungsverfahren — ganz gleich mit welcher Degression der ungleichmäßigen Verteilung der Jahresabschreibungen über dem Gesamtabschreibungszeitraum — immer Prozesse der Profitverschleierung und entsprechende Steuerbefreiung kapitalistischer Profite beinhaltet. Mit dieser steuerrechtlichen Anerkennung der degressiven Abschreibungsmethode sind Umverteilungsprozesse zugunsten der monopolkapitalistischen Akkumulation verbunden. Wenn nun Etzel richtig erkennt, daß damit ein „außerordentlicher Anreiz zu neuen Investitionen" verbunden ist, so könnte dieser steuerrechtliche Anreiz doch nur dadurch unwirksam gemacht werden, indem die degressive Methode beseitigt würde. Solange sie aber steuerrechtliche Anerkennung genießt, ist auch der Anreiz wirksam, ganz gleich, ob in höherem oder etwas niedrigerem Grade. Auch dieser „klassische Anwendungsfall antizyklischer Finanzpolitik" erweist sich somit dem prinzipiellen Gehalt nach als Demagogie. Etzel versucht den Anschein zu erwecken, als ob mit der geringwertigen Verminderung der Degression der degressiven Abschreibungsmethode dieser „außerordentliche Anreiz" beseitigt wurde. Es kann sich aber bestenfalls nur um eine ganz geringfügige Verminderung dieses „Anreizes" handeln, wobei zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar noch eine umgekehrte Tendenz zu beobachten ist. Dabei ist sicher auch nicht unwichtig, daß die Monopole die Möglichkeit haben, diese Minderung effektiv dadurch zu kompensieren, daß sie die „betriebsgewöhnliche" Nutzungsdauer der Anlagen in der Steuerbilanz unter Hinweis auf das erhöhte Wirksamwerden des moralischen Verschleißes verkürzen. Im Grunde genommen sind die publizistischen und rhetorischen „Schlachten" für und wider die degressive Abschreibungsmethode bloße Scheingefechte, denn nie wird die entscheidende Frage nach dem Anteil des in den überhöhten Abschreibungen verschleierten Monopolprofits gestellt. Letzten Endes sind doch nicht die Abschreibungen hoch, weil der Fiskus gerne hohe Abschreibungen wünscht, sondern sie sind hoch, weil die Monopolprofite ins unermeßliche wachsen und die Monopole den bürgerlichen Staat für die Realisierung von Umverteilungsprozessen größten Ausmaßes nutzbar machen können. Die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre aber ist vor allem bemüht, diese Grundwahrheit aus dem Kompetenzbereich der „Wissenschaft" zu verbannen. Die apologetische Haltung Ruchtis tritt auch bei der Würdigung des DMEröffnungsbilanzgesetzes zutage.. Auch hier muß wieder das Argument der sogenannten „Steuerstundung" den wissenschaftlichen Beweis ersetzen. 7S

Ebenda.

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„ E s entstand ein erheblicher Kapitalbedarf. Der Gesetzgeber half hier in der Weise, daß er bei Ersatzbeschaffungen in den Jahren 1949 bis 1951 weitgehende Abschreibungsfreiheiten gewährte und über den Umweg der Steuerstundung — denn was anderes ist die Abschreibungsfreiheit nicht, wenn später wieder normale Abschreibungen erfolgen — die Wirtschaft finanzierte.""

Die „normalen Abschreibungen" sind — wie wir wissen — bis heute nicht wieder in Westdeutschland eingetreten, und Ruchti hat eigentlich auch alle seine bescheidenen Kräfte dafür zum Einsatz gebracht. Man braucht nur an die Gefahren zu denken, die Ruchti glaubt heraufbeschwören zu müssen für den Fall, daß die degressive Abschreibungsmethode wieder durch die lineare ersetzt werde. Die Kehrseite der sogenannten „Steuerstundung", das Problem nämlich, auf Kosten welcher Bevölkerungsschichten der Staat den bei weitem nicht geringer gewordenen Steuermittelbedarf deckt, wenn er — wenn auch nur zeitweilig, wie uns die betriebswirtschaftlichen Apologeten glaubhaft machen wollen — auf einen großen Teil des Steueraufkommens der Kapitalistenklasse verzichtet, dieses Problem wird völlig aus dem Kompetenzbereich der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre ausgeklammert und braucht also nicht beantwortet zu werden. Das ist aber das Hauptproblem, das bei allen ökonomischen Prozessen in der kapitalistischen Gesellschaft steht. Die betriebswirtschaftliche Apologetik zu Abschreibungsfragen sei noch an einer anderen Frage demonstriert, und zwar an der Frage der Aufwertung des Anlagevermögens in Westdeutschland. Das

,,Gesetz

neufestsetzung"

über

die

Eröffnungsbilanz

in

Deutscher

Mark

und

die

Kapital-

vom 21. August 1949 enthielt eine Reihe wichtiger Bestimmungen,

die die bilanzmäßigen Ausgangswerte der Sachanlagen und damit die zukünftigen Abschreibungsmöglichkeiten in der Jahresbilanz entscheidend beeinflußten. Nach § 5 des Gesetzes konnten zum Teil recht erhebliche Aufwertungen des Sachanlagevermögens vorgenommen werden: „Vermögensgegenstände dürfen . . . höchstens mit dem Wert angesetzt werden, der ihnen am Stichtage der Eröffnungsbilanz beizulegen ist." (Hervorhebungen — 0 . K . )

Zwar sind im § 18 des Gesetzes einige Grundsätze dargelegt, die bei der Errechnung des festzusetzenden Neuwerts Anwendung finden sollen, doch sind dessen ungeachtet noch vielfältige Möglichkeiten zu einer umfangreichen Höherbewertung der

bereits weitgehend abgeschriebenen Anlagen gegeben.

Selbst in der west-

deutschen Literatur wird das fast ausnahmslos eingestanden: „ E s erwies sich jedoch als notwendig, den Betrieben, soweit dies (auch fiskalisch) noch vertretbar war, in der Bewertung und Abschreibung dieser Vermögensteile ein Mittel zu geben, mit dessen Hilfe die ärgsten Schäden beseitigt und die dringend erforderlichen Investitionen vorgenommen werden gönnten. So ist es zu verstehen, daß die Bewertungsansätze des § 18 für das bewegliche Anlagevermögen im allgemeinen über den Werten liegen, die diesen Vermögensteilen oft auf Grund ihrer objektiven wirtschaftlichen Wirkungsfähigkeit zukommt. Der Gesetzgeber wollte den Betrieben mit diesen verhältnismäßig hohen Werten die Möglichkeit höherer steuerlicher Abschreibungen und damit erhöhte Reininvestitionen geben." 78 (Hervorhebungen — O. K . ) Ruchti, a. a. 0., S. 167. Kosiol, Erich, Anlagenrechnung. Theorie und Praxis der Abschreibungen. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden 1955, S. 229. 77

78

Bürgerliche Apologetik zu aktuellen Abschreibungsproblemen

257

Die kapitalistischen Unternehmer gewannen durch diese staatsmonopolistische Maßnahme doppelt: Einmal bedeutete schon die Nichtabwertung der sachlichen Bestandteile des Kapitals de facto eine Aufwertung um ein Vielfaches gegenüber den kärglichen Ersparnissen der Werktätigen, die durch die Geldabwertung fast alles verloren. Zum anderen wurde den kapitalistischen Unternehmern nunmehr zusätzlich noch die Möglichkeit zu einer umfangreichen Überbewertung der vorhandenen Vermögenswerte gegeben, die auch reichlich genutzt wurde. Einige Apologeten des Kapitalismus versuchen diese unwiderlegbare Tatsache dadurch zu verwässern, indem sie behaupten, daß die kapitalistischen Unternehmer die in früheren Jahren vorgenommenen Abschreibungen eingebüßt hätten: „ I n den meisten Fällen waren jedoch die Betriebe während des Krieges und besonders von 1945 bis 1948 gar nicht in der Lage, die Erneuerungen in vollem Umfang durchzufuhren. Die Abschreibungen schlugen sich in liquiden Mitteln nieder und waren mehr oder weniger zwangsweise in Wertpapieren des Reiches angelegt. Die Geldmittel wurden bei der Währungsreform im Verhältnis 100 : 6,5 abgewertet und die Wertpapiere des Reiches waren in der DM-Eröffnungsbilanz mit einem Erinnerungsposten von einer Deutschen Mark anzusetzen. Die Abschreibungsgegenwerte waren also zum größten Teil verloren. Dazu kam noch, daß die Betriebe durch Kriegseinwirkungen zerstört waren oder durch Reparationen und Demontage große Anlagenverluste erlitten h a t t e n . " "

Dagegen ist einzuwenden: Erstens: Die Tatsache, daß die in Westdeutschland nach Kriegsende vorhandenen Kapazitäten trotz der Kriegsschäden zum Teil den Stand von 1936 noch übertrafen, spricht gegen eine Annahme, daß während der Kriegskonjunktur keine oder nur geringe Investitionen in Sachanlagen getätigt wurden. Zweitens: Bezüglich der Periode von 1945 bis 1948 ist zu berücksichtigen, daß das allgemeine Produktionsniveau sehr gering war, die vorhandenen Kapazitäten also bei weitem nicht ausgelastet wurden. Da aber die Amortisationen in einem bedeutenden Maße durch den physischen Verschleiß der Anlagen bestimmt werden, mußten die Abschreibungen entsprechend geringer sein. Hinzu kommt noch, daß in Zeiten allgemeinen Mangels der moralische Verschleiß als Bestimmungsgrundlage der Abschreibungen kaum wirksam ist. Außerdem ist der Anteil der Abschreibungen unter Bedingungen vorübergehender „Naturalwirtschaft" selbstverständlich in den Äquivalenten des Naturaltausches, d. h. in den aus spekulativen Gründen angestauten Vorräten und Fertigprodukten enthalten. Drittens: Es ist unbewiesen, daß die erwähnten „Wertpapiere des Reiches" aus zurückgeflossenen Abschreibungsmitteln erworben wurden. Es ist eher anzunehmen, daß es sich dabei um eine Anlageform der enormen Rüstungsprofite handelte. Die Apologetik in dieser Frage besteht vor allem darin, daß versucht wird, das Problem der Aufwertung des Sachanlagevermögens als ein „rein ökonomisches", den Bedingungen der Reproduktion der sachlichen Elemente des fixen Kapitals entspringendes Problem darzulegen. Es ist aber ein Problem der kapitalistischen Akkumulation. Es werden mit Hilfe bestimmter staatsmonopolistischer Maßnahmen Bedingungen für eine zusätzliche Profitrealisierung über die Umverteilung des National79

Ruchti, Hans, a. a. 0 . , S. 166.

17 Probleme Bd. 3

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einkommens zugunsten der kapitalistischen Akkumulation geschaffen. Indem die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre die ermöglichte Aufwertung des Sachanlagevermögens als ein „rein ökonomisches" Problem darstellt, versucht sie von der Tatsache der darin zum Ausdruck kommenden verschärften Ausbeutung der Werktätigen durch das Monopolkapital abzulenken. Die Erstellung der Eröffnungsbilanzen auf den Stichtag 21. Juni 1948 zog sich vielfach bis Mitte 1951 hin, d. h., viele Aktiengesellschaften berücksichtigten bereits die folgenden „ f e t t e n " Geschäftsjahre in der neuerstellten Eröffnungsbilanz. Die Jahre 1949 und 1950 waren bekanntlich durch einen steilen Produktionsanstieg gekennzeichnet. Dieser Umstand fand bei der Bilanzgestaltung eine entsprechende Berücksichtigung dahingehend, daß bedeutende Aufwertungen des Sachanlagevermögens vorgenommen wurden, da der allgemeine Trend zum Produktions- und Preisanstieg die Realisierung hoher Profite und dadurch auch bedeutend überhöhter Abschreibungen garantierte. Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden hatten bis zum 31. August 1951 insgesamt 2241 Aktiengesellschaften das Ergebnis ihrer Kapitalumstellung veröffentlicht. 5 2 % dieser Gesellschaften hatten ihr Grundkapital 80 im Verhältnis 1 : 1 umgestellt, 32°/0 waren zu einer Umstellung niedriger als 1 : 1 und weitere 1 6 % der Gesellschaften waren zu einer Umstellung höher als 1 : 1 gelangt. 81 Diese Kapitalumstellung im durchschnittlichen Verhältnis von 1 : 1 basierte im wesentlichen auf einer beträchtlichen Aufwertung der Vermögenswerte an Sachanlagen. Die kapitalistischen Unternehmer ließen sich bei der Bestimmung der Wertansätze für das Sachanlagevermögen vor allem von dem Gesichtspunkt leiten, daß sie künftig hohe Abschreibungen verrechnen und dadurch bedeutende Steuern ersparen können. Vielfach wird die Meinung geäußert, daß es sich bei der Aufwertung der Sachanlagen um die Aktivierung früherer — in den Bilanzen nicht ausgewiesener — stiller Reserven handele. Eine solche Annahme, die in Einzelfällen durchaus zutreffen mag, ist vom gesamtvolkswirtschaftlichen Standpunkt aus zurückzuweisen, da sie dem historischen Prozeß widerspricht. Tatsache ist, daß durch ein ganzes System staatsmonopolistischer Maßnahmen (Währungsreform, Aufhebung der Preiskontrolle bei Beibehaltung des Lohnstops und DM-Eröffnungsbilanzgesetz) eine Verschiebung in der Einkommensverteilung größten Ausmaßes zugunsten der kapitalistischen Profite und auf Kosten der Werktätigen gefördert wurde, die zu einer äußersten Verschärfung der Ausbeutungsverhältnisse in Westdeutschland führten. Diese Tatsache wird selbst von Bundeswirtschaftsminister Erhard nicht bestritten, der in bezug auf die damalige Lohnpolitik sagte: „Als ein wesentliches Element der Stabilisierung darf die Lohnpolitik verzeichnet werden, die zunächst — bei noch beträchtlicher Arbeitslosigkeit — den Preissteigerungen nicht folgte. Auch war noch der Lohnstop in Kraft." 8 2 Das ist das in Aktien repräsentierte Kapital, "i „Wirtschaft und Statistik", 3. Jahrg., H. 9, S. 344, 1951. 82 Erhard, Ludwig, Wohlstand für alle. Econ Verlag GmbH, Düsseldorf 1957, S. 32.

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Der dekredierte Lohnstop wurde erst aufgehoben, als die Arbeitslosenzahl anstieg (in der Folge bis auf 3 Millionen Arbeitslose). Das spricht dafür, daß sich in dieser Zeit die Löhne kaum erhöht haben können. Ähnlich, wenn auch weniger klar, äußerte sich Erhard zur Investitionsfinanzierung: „Die Notwendigkeit des Investierenmüssens, daß solcherart über den Preis durchgesetzt wurde, fand auch in der Steuergesetzgebung ihren Niederschlag. Das Militär-Regierungsgesetz Nr. 64 v o m 20. J u n i 1948 sah relativ großzügige Abschreibungsmöglichkeiten und eine Reihe sonstiger Vergünstigungen an Stelle einer effektiven Steuersenkung v o r . " 8 3 (Hervorhebungen — O. K.)

Selten wird so klar ausgesprochen, daß die Möglichkeit zur überhöhten Abschreibung einer Senkung der Profitbesteuerung gleichkommt. Die ökonomische Grundlage für die Aufwertung des Sachanlagevermögens war die Reaktivierung bereits abgeschriebener oder teilweise abgeschriebener Werte ausschließlich zum Zwecke der Erzielung hoher Abschreibungssummen für die Reinvestition in Arbeitsmittel. Es handelt sich dabei um eine reale ökonomische Grundlage, da sie von einer gleichzeitigen Umverteilung der Einkommen zugunsten der kapitalistischen Akkumulation begleitet war. Daraus folgt aber, daß es sich bei diesen zusätzlichen Abschreibungen fast ausschließlich um Teile des Profits handelt. Wir ersparen uns, noch andere Probleme der betriebswirtschaftlichen „Abschreibungstheorie" und weitere Vertreter der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre anzuführen. Es ergeben sich keine prinzipiell neuen Gesichtspunkte. W i r können die in einer westdeutschen Buchbesprechung gegebene Gesamteinschätzung nur unterstreichen: „Ruchtis Feststellungen, die der Abschreibung daneben einen expansiven Effekt zuerkennen, zielen darauf ab, die von den Unternehmungen längs geübte Praxis nun auch theoretisch zu festigen." 8 4

Die eingangs getroffene Feststellung, daß die betriebswirtschaftliche Apologetik eine der raffiniertesten Formen der bürgerlichen Apologetik ist, hat sich am Beispiel der betriebswirtschaftlichen „Abschreibungstheorie" vollauf bestätigt. Am Beispiel der Arbeit Ruchtis über die Abschreibung konnte demonstriert werden, wie ein echtes wissenschaftliches Problem — der von Marx und Engels entdeckte Freisetzungseffekt der Abschreibungen — von der bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre aufgegriffen, „wissenschaftlich verarbeitet" (Lohmann-RuchtiEffekt), fetischisiert und mißbraucht wird. In diesem Beispiel wurde offensichtlich, daß die bürgerliche Betriebswirtschaftslehre nicht nur ihrer apologetischen Zielstellung wegen, sondern auch in der „wissenschaftlichen Verarbeitung" unwissenschaftlich ist. Zwischen der „reinen Theorie" am abstrakten Schema und der praxisbezogenen Analyse fehlen eine Reihe wichtiger Bindeglieder. Ruchti „entdeckt" am abstrakten Schema den Freisetzungseffekt, stellt sodann befriedigt fest, daß in der Ebenda, S. 29. Göseke, Gerhard. In: „ Viertel] ahreshefte zur Wirtschaftsforschung", Berlin-Dahlem, Jahrg. 1955, H. 1, S. 80. 83

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westdeutschen Praxis tatsächlich ein Erweiterungsefiekt bei der Investitionsfinanzierung über die Abschreibungen erzielt wird und hat somit den „Beweis" erbracht, daß der Freisetzungseffekt in der westdeutschen Wirtschaft außerordentlich stark wirksam ist. Dieser „Beweis" begründet sich aber auf das Fehlen echter wissenschaftlicher Beweise. Wenn im Vogelnest ein Kuckucksei liegt, so „beweist" das noch lange nicht, daß der brütende Vogel auch tatsächlich ein Kuckuck ist. Die Fragen der Investitionsfinanzierung betreffen letzten Endes Probleme der kapitalistischen Akkumulation. Grundlage der Akkumulation aber sind die kapitalistischen Profite. Es besteht eine direkte Abhängigkeit zwischen dem Umfang der Investitionen und der Höhe der monopolkapitalistischen Profite. In der Zeit von 1948 bis 1957 erhöhten sich die bereits damals schon außerordentlich hohen Investitionen in der westdeutschen Wirtschaft noch auf das Zweieinhalbfache. In noch viel stärkerem Ausmaße sind die kapitalistischen Profite gewachsen. Die Hauptfrage ist also: Wie und auf welche Weise konnten die westdeutschen Monopole die Ausbeutung der Werktätigen und der übrigen Bevölkerungsschichten so forcieren, daß eine solche Steigerung der Investitionen möglich war? Die Untersuchung der Probleme der Investitionsfinanzierung vermag darüber eine Teilantwort zu geben. Die Investitionsfinanzierung behandelt ein Teilproblem der kapitalistischen Akkumulation. Sie u m f a ß t die Quellen, die Formen und Methoden der Bildung und Mobilisierung des Geldkapitals f ü r die Investitionen. Gerade die Investitionsfinanzierung läßt die Akkumulationsquellen weitgehend erkennen. Die entscheidende Frage der Selbstfinanzierung über erhöhte Abschreibungen als gegenwärtige Hauptmethode der Investitionsfinanzierung der westdeutschen Monopole ist die Verwandlung der Monopolprofite in Kapital über die beschleunigte Abschreibung der Sachanlagen und die Verwirklichung umfangreicher Umverteilungsprozesse des Nationaleinkommens zugunsten der monopolkapitalistischen Akkumulation als gesellschaftliche Form der Ausbeutung der Werktätigen durch das Monopolkapital. Die neugeborene betriebswirtschaftliche „Abschreibungstheorie" ist ein Kind des „Wirtschaftswunders", ist selbst ein „ W u n d e r " und verbreitet literarische „ W u n d e r " . Sie befaßt sich ausdrücklich und ausschließlich mit den Abschreibungen als „Finanzierungsfaktor", also u. a. auch mit den Quellen der kapitalistischen Akkumulation. Aber kein Wort von Ausbeutung. Der Profit wird nur genannt, um von der betriebswirtschaftlichen „ U n t e r s u c h u n g " völlig ausgeklammert zu werden. Nicht die Ausbeutung, nicht die Profite liegen den Investitionen zugrunde. Nein, die Abschreibungen sind es. Sie sind in der Lage, „aus dem Nichts Geld zu schöpfen". Es kommt nur auf die „richtige S t r u k t u r der Anlagen" an. Ruchti h a t im Dienste der Apologetik eine w a h r h a f t artistische Leistung vollbracht, indem er die Magie in die Betriebswirtschaftslehre einbürgerte. Die westdeutsche Arbeiterklasse wird sich jedoch durch diese professorale Scharlatanerie nicht bluffen lassen, denn es genügt eine gründliche Faktenanalyse, um die t a t sächlichen Quellen der monopolkapitalistischen Akkumulation aufzudecken.

Rudi Giìndel ZUM R E L A T I V H O H E N W A C H S T U M S T E M P O WESTDEUTSCHEN

INDUSTRIEPRODUKTION

DER AUFSCHWUNGSPHASE

VON

IM

DER VERLAUF

1950-1957

Der deutsche Imperialismus hat sich in jüngster Zeit wieder zur ökonomisch stärksten Macht des kapitalistischen Europas entwickelt und England zum dritten Mal innerhalb eines halben Jahrhunderts von dieser Stelle verdrängt. Hierin wird erneut auf die anschaulichste Weise die Richtigkeit des von W . J . Lenin entdeckten Gesetzes der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung der kapitalistischen Länder in der Periode des Imperialismus bewiesen. Lenin ging bei der Begründung dieses Gesetzes davon aus, daß zu Beginn der imperialistischen Ära die Aufteilung der Welt unter einigen Großmächten im wesentlichen abgeschlossen war, während sich das ökonomische Kräfteverhältnis mit unerhörter Schnelligkeit veränderte. Diesem Prozeß lag die vorher nicht gekannte schnelle Entwicklung der Technik und die rasch fortschreitende Konzentration der Produktion zugrunde, die es den zu spät gekommenen imperialistischen Mächten ermöglichte, die an der Spitze liegenden Länder einzuholen und zu überholen. Aus der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der kapitalistischen Länder und des hieraus sich ergebenden Kampfes um die Neuverteilung der Welt sind beide Weltkriege erwachsen, die ihrerseits wieder zu einer Verschärfung dieser Ungleichmäßigkeit führten. Die Ungleichmäßigkeit in der Entwicklung der einzelnen Länder im Stadium des Imperialismus zeigt sich überaus klar in der folgenden Tabelle. TABELLE 1

Anteile an der Industrieproduktion der kapitalistischen Länder (in USA 1870 1900 1913 1920 1930 1937 1946 1950 1958

23 31 36 47 42 42 62 55 46,6

England 32 18 14 14 10 11 10 10 8,2

Deutschland 13 16 16 9 11 12 — — —

%)

Westdeutschland Frankreich — — — —

•—

8 3 5 10,5

10 7 6 5 8 5 4 4 5,4

Quellen: Jürgen Kuczynski, Studien zur Geschichte der Weltwirtschaft, Berlin 1952, S. 31/32; Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland, Bd. II, Zweiter Teil, Berlin 1955, S. 216; Deutsches Wirtschaftsinstitut, Bericht 1, 11. Jahrg., Januar 1960, S. 1.

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Besonders sprunghaft veränderten sich die prozentualen Anteile der U S A und Deutschlands bzw. Westdeutschlands an der industriellen Gesamtproduktion der kapitalistischen Länder: Die der U S A schnellten während beider Weltkriege in die Höhe — ein Zeichen, in welchem Maße sich die amerikanischen Monopolherren während beider Weltkriege bereichert haben — und verringerten sich dann wieder; die von Deutschland bzw. Westdeutschland fielen im Ergebnis beider Weltkriege und besonders im Ergebnis des zweiten stark ab und erhöhten sich in der Folgezeit wieder beträchtlich. Dagegen weisen die Anteilzahlen von England und Frankreich seit 1913 eine relative Konstanz, wenn auch mit sinkender Tendenz auf. Betrachtet man die Anteilzahlen Englands und Deutschlands bzw. Westdeutschlands für die J a h r e 1913, 1930 und 1958, dann zeigen sich in ihnen geradezu exakt die Perioden der Verschärfung der Widersprüche zwischen beiden imperialistischen S t a a t e n ! Daß es dem deutschen Imperialismus gelang, seine infolge der zwangsläufig eingetretenen Niederlagen in beiden Weltkriegen stark geschwächten Positionen in der darauffolgenden Zeit wieder enorm auszubauen und zu festigen, ist in beiden Fällen aus dem wechselseitigen Zusammenhang zwischen den spezifischen inneren Ursachen für eine schnelle Expansion und den allgemeinen politischen und ökonomischen Bedingungen in beiden Etappen der allgemeinen Krise abzuleiten. Wenngleich die inneren Ursachen (vor allem die vorteilhaften Ausbeutungsmöglichkeiten, die auf der günstigen materiellen Produktionsgrundlage und den stark gesunkenen Löhnen beruhten) die überragende Rolle hierbei spielten, so erlangten diese doch ihre volle Wirksamkeit erst in dem Maße, wie sie durch die Prozesse im kapitalistischen Gesamtsystem Anstoß und Impulse erhielten. Besonders ausgeprägt zeigt sich dies nach dem zweiten Weltkrieg. Aber auch nach dem ersten Weltkrieg läßt sich dies feststellen. Den Anstoß für die verhältnismäßig schnelle Entwicklung der deutschen Industrieproduktion in der Periode der relativen Stabilisierung des Kapitalismus, in deren Verlauf der deutsche Imperialismus den englischen zum zweiten Mal überholte, gaben in beträchtlichem Maße die Anleihen des internationalen Monopolkapitals. So betrugen bereits im J a h r e 1926 die an Deutschland gewährten langfristigen Anleihen 4,1 Milliarden Mark und die kurzfristigen 4,0 Milliarden Mark. Bis zum J a h r e 1929 erhöhten sich die ersteren auf 11,7 Milliarden Mark und die letzteren auf 7 Milliarden Mark. 1 Das Einströmen des ausländischen Kapitals, wovon rund 70°/0 aus den U S A kam, war die Reaktion der internationalen Bourgeoisie auf die Errichtung der Arbeiter-und-Bauern-Macht in der Sowjetunion und der Furcht vor einer möglichen Wiederholung einer revolutionären Situation in Deutschland. Durch diese Zusammenarbeit des internationalen Monopolkapitals mit der deutschen Reaktion und gedeckt durch den verderblichen Antikommunismus und der Arbeitsgemeinschaftspolitik rechter sozialdemokratischer Führer wurde die industrielle und militärische Machtbasis des deutschen Monopolkapitals als „Bollwerk gegen den O s t e n " wieder gefestigt und ausgebaut. 1 Kulbakin, W. D., Die Militarisierung Deutschlands (1928—1930) — Übersetzung aus dem Russischen. Dietz Verlag, Berlin 1956, S. 14.

Zum W achstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion

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Auf der Grundlage der objektiv gegebenen vorteilhaften Ausbeutungsmöglichkeiten, deren Wirkungsgrad sich noch durch die umfassende Übernahme amerikanischer Rationalisierungsmethoden steigerte, startete das deutsche Monopolkapital erneut seine Exportexpansion, trieb die Produktion und die Produktionsmöglichkeiten weit über die Aufnahmefähigkeit der Märkte hinaus und geriet schließlich im Strudel der Weltwirtschaftskrise — wie kaum ein anderes Monopolkapital — wiederum an den Rand des Abgrunds, vor dem es sich nur durch die schrittweise Errichtung des Faschismus halten konnte. Gesetzmäßig vollzog sich die Vorbereitung und Entfesselung des zweiten Weltkrieges durch den deutschen Imperialismus. Bis er unter den Schlägen der Roten Armee zusammenbrach und Deutschland in seine tiefste Katastrophe gestürzt hatte, waren von ihm auch ein Teil seiner „westlichen Gönner" unterjocht und andere, wie der englische Imperialismus, waren auf das ernsteste angeschlagen. Wenn der deutsche Imperialismus heute, 15 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, wiederum als eine der aggressivsten Macht bezeichnet werden muß, so vollzog sich dies im grundsätzlichen in ähnlicher Weise wie nach dem ersten Weltkrieg. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der deutsche Imperialismus, der am Ende des zweiten Weltkrieges in unvergleichlich stärkerem Maße als nach dem ersten Weltkrieg geschwächt war, nur dank seiner besonderen Rolle und Stellung im Kampf der beiden Weltsysteme in so kurzer Zeit seinen Anteil an der Industrieproduktion der kapitalistischen Länder wieder von 3°/0 auf 10,5°/o steigern konnte. Selbstverständlich mußten die inneren Bedingungen für einen schnellen Produktionsanstieg außerordentlich günstig gewesen sein — und wie wir das weiter unten sehen werden, waren sie es auch —, aber es wäre falsch, würde man nur sie berücksichtigen. Den Ausgangspunkt bei der Erklärung des raschen Produktionsanstieges müssen vielmehr die politischen und ökonomischen Prozesse in der Anfangsperiode der zweiten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus bilden, denen wir uns nunmehr zuzuwenden haben. Dabei stellen wir uns bei diesem wie auch bei den anderen Abschnitten natürlich nicht die Aufgabe, auch nur annähernd alle wichtigen Fragen und Prozesse zu berücksichtigen, die mit dem relativ schnellen Entwicklungstempo der westdeutschen Industrieproduktion des genannten Zeitraumes in Beziehung stehen. Wir wollen lediglich einige uns besonders wichtig erscheinende Gesichtspunkte näher untersuchen.

I. Die Wiedererrichtung des deutschen Imperialismus als Aggressionsbasis gegen das sozialistische Lager und die ,,Starthilfe" durch das amerikanische Monopolkapital Im Zusammenhang mit der Sonderstellung Westdeutschlands müssen vor allem drei Momente berücksichtigt werden: die politische und ökonomische Lage in Europa in den ersten Nachkriegsjahren, der Weltherrschaftsdrang des USA-Imperialismus und die besonders reaktionären Traditionen sowie die potentielle Stärke des deut-

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sehen Imperialismus. Bei den folgenden Ausführungen hierzu handelt es sich nur um eine zusammenfassende, wenig differenzierte Darstellung. 2 Die kapitalistische Klassenherrschaft war in Europa am Ende des Krieges stark erschüttert. Durch die vom deutschen Imperialismus begangenen Verbrechen und durch das namenlose Elend, das der zweite Weltkrieg den europäischen Völkern brachte, war er in den Augen der einfachen Menschen der ganzen Welt aufs schwerste diskreditiert. Die Völker einer beträchtlichen Anzahl europäischer Länder waren über das Paktieren oder das Zusammenarbeiten ihrer herrschenden Kreise mit dem deutschen Imperialismus empört und forderten ihre Bestrafung bzw. Entmachtung. Im Osten und Südosten Europas zogen die Völker die Konsequenzen und entledigten sich ihrer eigenen und fremden Unterdrücker. Dadurch wurde in kurzer Zeit der Machtbereich der europäischen Imperialisten bedeutend eingeschränkt. Die westeuropäischen Imperialisten sahen sich vor die Notwendigkeit gestellt, ihre Macht unter den Bedingungen einer relativ starken antiimperialistischen Volksbewegung und beträchtlich zerrütteten wirtschaftlichen Verhältnissen zu festigen. Ihrer labilen Lage versuchten sie auf zweifacher Art beizukommen. Erstens dadurch, daß sie den im Verlauf des zweiten Weltkrieges enorm gestärkten amerikanischen Imperialismus um wirtschaftliche Hilfestellung angingen, was zugleich bedeutete, sich in dessen Abhängigkeit zu begeben; und zweitens dadurch, daß sie den deutschen Imperialismus weitgehend als Konkurrenten ausschalteten. Das letztere wiederum beschwor die Gefahr der Beseitigung der kapitalistischen Ordnung in ganz Deutschland herauf. Infolge der spezifischen ökonomischen und politischen Lage, in der sie sich befanden, waren sie sowohl an der rigorosen Ausschaltung des deutschen Imperialismus als gefährlichen Konkurrenten, als auch an der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung interessiert, da sich ohnehin in einem Teil Deutschlands, in der sowjetischen Besatzungszone, erfolgreich — und daher für sie gefährlich — die antifaschistischdemokratische Ordnung entwickelte. Ihre Furcht vor der Beseitigung des Kapitalismus und der Errichtung des Sozialismus in ganz Deutschland mit den späteren unvermeidlich schnellen Ausstrahlungen auf das gesamte Westeuropa trieb sie zwangsläufig zur Zusammenarbeit mit den deutschen Monopolherren. Der USA-Imperialismus stand bei weitem nicht vor einem solchen Dilemma wie die westeuropäischen Mächte. Er hatte im Verlauf des zweiten Weltkrieges einen solchen Zuwachs an ökonomischer Macht gewonnen, daß er das absolute Übergewicht im Produktionspotential der gesamten kapitalistischen Welt besaß. In seinem Streben nach der Errichtung der Weltherrschaft bestand sein Nahziel zunächst in der völligen Beherrschung des kapitalistischen Teils der Welt, um dann auf gewalt2 Diese Fragen werden ausführlich behandelt bei: Kuczynski, Jürgen, Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis in die Gegenwart. Tribüne-Verlag und Druckereien des FDGB, Berlin 1955, Bd. II, Zweiter Teil, Westdeutschland seit 1945. Heininger, Horst, Der Nachkriegszyklus der westdeutschen Wirtschaft 1945—1950. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1959. Altmann, Eva, u. a., Westdeutschland unter den Gesetzen der Reproduktion des Kapitals und die Arbeiterklasse. Dietz Verlag, Berlin 1959.

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same Weise das sich entwickelnde sozialistische Weltsystem zu beseitigen. Hinsichtlich des zerschmettert am Boden liegenden deutschen Imperialismus stand er vor allem vor dem Problem, wie er einerseits dem Druck der öffentlichen Meinung in der ganzen Welt und auch im amerikanischen Volk nach Ausrottung des Faschismus und Liquidierung der wirtschaftlichen Macht der Monopole dem Scheine nach Rechnung tragen und zugleich die Grundlagen deren Macht erhalten und wieder festigen konnte. Das Ziel stand von Anbeginn an fest: Das Menschenpotential und die ökonomischen Ressourcen Westdeutschlands mußten in den Dienst seiner Weltherrschaftspläne eingespannt werden. In Verfolgung dieser Politik wurden alle zielstrebig geführten demokratischen Bewegungen und Aktionen behindert und verfolgt. Die durch Volksabstimmungen und Landtagsbeschlüsse in einigen westdeutschen Ländern geforderte Verstaatlichung oder „Sozialisierung" von Grundstoffindustrien, wie z. B . in Hessen, wurde verboten. Statt dessen wurde zur Irreführung der öffentlichen Meinung die Entflechtungskomödie in Szene gesetzt, die an den Eigentumsverhältnissen nichts änderte. Folgerichtig wurde dementsprechend auch die Entnazifizierung zu einer lächerlichen Formsache gemacht. Alle drei westlichen Besatzungsmächte stimmten also darin überein, daß die antiimperialistische Bewegung der Volksmassen in Westdeutschland gehemmt werden mußte und statt dessen die geschlagenen imperialistischen Kräfte, die zielstrebig an der Wiedererlangung ihrer alten Positionen in Staat und Wirtschaft arbeiteten, zu begünstigen sind. Die gestiegene Autorität der Sowjetunion infolge ihres dominierenden Anteils an der Zerschlagung des deutschen Faschismus, wie die breite antiimperialistische Volksbewegung in ganz Europa erlaubten es den westlichen Imperialisten natürlich nicht, das Potsdamer Abkommen gleich unmittelbar nach seiner Unterzeichnung zu zerfetzen, zumal zwischen ihnen in wichtigen Einzelfragen Gegensätze bestanden. Sie benötigten hierzu eine Übergangsperiode, in der einerseits im großen und ganzen völlig gradlinig auf dieses Ziel hin gearbeitet wurde, und in der andererseits aber auch gewisse imperialistische Gegensätze auszutragen waren. Gleichzeitig bemühten sich die großkapitalistischen Kreise, alle an der Restauration der Herrschaft des Monopolkapitals und der Erhaltung der reaktionären Staatsmacht interessierten Kräfte zusammenzuschließen und eine politische Massenbasis hierfür zu schaffen. Zu diesem Zweck gründeten sie die CDU. Währenddessen kämpften alle drei imperialistischen Besatzungsmächte um die Vorherrschaft über Westdeutschland, und vor allem England und Frankreich suchten ihre Positionen auf Kosten Westdeutschlands zu stärken. Hieraus ist vor allem die Ausplünderungspolitik der Besatzungsmächte in den ersten Nachkriegsjahren zu erklären. Enorme wirtschaftliche Werte in Form von Patenten, Warenzeichen, Auslandsvermögen usw. wurden beschlagnahmt und ausgesprochene Konkurrenzdemontagen durchgeführt. Damit sollte auch der Eindruck erweckt werden, als hielten sich die westlichen Besatzungsmächte an wichtige Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Durch willkürliche Produktionsbeschränkungen und bürokratische Reglementierung des gesamten Produktionsablaufes desorganisierten die Besatzungsmächte das gesamte Wirtschaftsleben. Sie kamen hierin den Interessen

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der westdeutschen Großbourgeoisie entgegen, da diese einerseits aus der Demoralisierung der Arbeiterklasse durch Hunger und Entbehrungen Nutzen zog und andererseits gar nicht an einer Ausweitung der Produktion interessiert sein konnte, da die Verwertungsbedingungen für das Kapital infolge der riesenhaften Ausmaße der Inflation untergraben waren. Auf diese Weise gelang es den imperialistischen Besatzungsmächten und der deutschen Großbourgeoisie, selbst unter den Bedingungen einer sich verschlechternden Wirtschaftslage um die Jahreswende 1946/47, die Positionen des Monopolkapitals zu festigen. Große Schuld trifft hierbei die rechte SPD-Führung um Schumacher. „Die allmähliche Restauration der Macht der Monopole wurde durch die Politik der rechten SPD-Führung um Schumacher ermöglicht. Statt sich auf die Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und die Sammlung aller demokratischen Kräfte zur Entmachtung des Imperialismus und Militarismus zu orientieren, vertieften sie unter der verderblichen Flagge des Antikommunismus und Antisowjetismus die Spaltung der Arbeiterklasse. Wie 1918/19 und 1932, so diente auch jetzt wieder die sozialdemokratische Politik des sogenannten dritten Weges den Feinden der Nation. Die Verhinderung der auch in Westdeutschland von den sozialdemokratischen Arbeitern gemeinsam mit ihren kommunistischen Klassenbrüdern und vielen parteilosen Werktätigen nachdrücklich geforderten Aktionseinheit der Arbeiterklasse ermöglichte den Imperialisten die Zerreißung der nationalen Einheit Deutschlands." 3 Wenn sich bereits ab Ende 1947 die auf die Spaltung Deutschlands und die beschleunigte Wiedererrichtung des deutschen Imperialismus gerichtete Politik der reaktionären Kreise der USA und Westdeutschlands sowie Englands und Frankreichs verstärkt durchsetzen konnte, so muß man die Lage und die vermutliche Entwicklung im westlichen und im östlichen Teil Europas vor Augen haben. Was den westlichen Teil Europas anbelangt, so wird im 2. Bericht der „Organisation für europäische Zusammenarbeit" (OEEC) die Lage und die mögliche Perspektive kurz und treffend so eingeschätzt: „Die drohende Gefahr eines Bankrotts und eines wirtschaftlichen Zerfalls mit politischen Folgen stand 1947 vor der T ü r . " 4

Im östlichen Teil Europas hatten die Sowjetunion im Jahre 1947 den durch die Kriegsfolgen bedingten Produktionsrückgang des Vorjahres wieder wettgemacht, und bereits 1948 lag die Industrieproduktion wieder um 1 8 % über dem vorherigen Höchststand, dem Stand des Jahres 1940. Die USA mußten ihre politischen Pläne auf eine Restauration des Kapitalismus in den osteuropäischen Ländern, besonders nach dem gescheiterten Putsch Anfang 1948 in der heutigen C S S R , vorerst als gescheitert ansehen. 3 Thesen des Politbüros des ZK der S E D zum 10. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Sonderbeilage in „Neues Deutschland" vom 25. August 1959, S. 7. 4 Europäisches Wiederaufbauprogramm. Zweiter Bericht der Organisation für europäische Zusammenarbeit (OEEC). Herausgegeben vom Bundesministerium für den Marshall-Plan, Bonn, April 1950, S. 17.

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Die wirtschaftliche Entwicklung in allen Ländern Osteuropas ging trotz der Kriegszerstörungen, trotz der Schwierigkeiten der Übergangsperiode schnell voran. Zudem zeichnete sich bereits der Erfolg des chinesischen Volkes gegen die amerikahörige Koumintang-Clique ab. Die westeuropäischen und natürlich auch die amerikanischen Imperialisten kannten die stürmische Entwicklung in der Sowjetunion in den Vorkriegsjahren, sie hatten die unglaubliche Leistungsfähigkeit dieses Staates in den Kriegsjahren wie auch in den ersten Nachkriegsjahren kennengelernt, und sie konnten sich daher gut vorstellen — wenngleich sie in der Öffentlichkeit natürlich das Gegenteil behaupteten — wie die wirtschaftliche Entwicklung erst verlaufen würde, wenn die Kriegszerstörungen völlig überwunden waren und das sozialistische Weltsystem in sich konsolidiert war. Auf der Grundlage dieser objektiven Bedingungen, wo die europäischen Imperialisten einerseits bei den USA Halt suchten und andererseits die USA-Imperialisten ein kapitalistisch-gefestigtes Europa als Agressionsbasis gegen das sozialistische Lager benötigten, ergab sich jene Situation, in der der deutsche Imperialismus wiedererstehen konnte. Die besonders aggressive Tradition und die potentielle ökonomische K r a f t des deutschen Imperialismus machten ihn unter den Bedingungen dieser Zielsetzung des USA-Imperialismus nicht nur unentbehrlich, sondern prädestinierten ihn auch für eine Vorzugsstellung. An die Stelle der Politik der Ausplünderung Westdeutschlands und der verhüllten Unterstützung der deutschen Großbourgeoisie setzten die imperialistischen Besatzungsmächte mehr und mehr die Politik der unverhüllten, aktiven Hilfe f ü r das deutsche Monopolkapital. Von der aktiven Inangriffnahme dieser Politik bis zum Zeitpunkt, an dem die deutschen Imperialisten im wesentlichen ihre Macht wieder errichtet hatten, und sie im Rahmen der USA-Kriegspläne ihre eigenen „Europapläne" schmieden und an ihre Verwirklichung gehen konnten, liegt eine Spanne von drei Jahren. Am 19. 12. 1947 erklärte Marshall in einer Rundfunkrede, daß „zur Zeit . . . an ein einheitliches Deutschland nicht zu denken" sei und auf der Tagung des Nordatlantikpakt-Rates in Brüssel vom 18. bis 19. 12. 1950 erklärte der dort neu ernannte Oberbefehlshaber der Atlantikpakt-Streitkräfte Eisenhower, daß „vollkommene Übereinstimmung über die Rolle, die (West-) Deutschland in der gemeinsamen Verteidigung übernehmen könnte", bestehe. 5 Marksteine dieser für das deutsche Monopolkapital so verheißungsvollen und daher für das deutsche Volk so verhängnisvollen Entwicklung waren die Einbeziehung Westdeutschlands in den Marshallplan, die Durchführung der separaten Währungsreform, die die faktische Spaltung Deutschlands bedeutete, die Errichtung der Internationalen Ruhrbehörde, die Bildung der westdeutschen Seperatregierung und das Inkrafttreten des Besatzungsstatuts, die Einbeziehung Westdeutschlands in den Europarat und schließlich die Beschlüsse über die Remilitarisierung Westdeutschlands. 5 Zitiert nach: Kuczynski, Jürgen, Die Geschichte der Lage der Arbeiter . . ., a. a. O., S. 131 und 135.

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Jeder dieser Schritte bedeutet eine Stärkung der deutschen Monopolherren — wenn auch zunächst in Hörigkeit vom USA-Imperialismus und unter immer wieder notwendig werdendem Druck gegenüber den beiden anderen Besatzungsmächten, die z. B. in den Fragen der Demontagen, der Produktions- und Exportbeschränkungen nicht völlig und nicht widerstandslos gleichgeschaltet werden konnten und in den Jahren 1948 und 1949 noch so manchen ihrer Wünsche auf diesen Gebieten durchzusetzen in der Lage waren. Aber dadurch, daß der eine oder andere Betrieb entgegen den amerikanischen Wünschen doch noch demontiert wurde, konnte das schnelle Wiedererstehen des deutschen Imperialismus natürlich nicht verzögert werden. Die Liste der zu demontierenden Betriebe wurde mehrmals zusammengestrichen. Letzten Endes waren von den ehemals 1800 zur Demontage vorgesehenen Betrieben bzw. Betriebsanlagen nur noch 739 übriggeblieben und auch diese wurden nicht völlig demontiert. Blieb so die materielle Produktionsgrundlage der deutschen Monopole weitgehend erhalten, so sicherten die Währungsreform (sie ließ den Sachwertbesitz unangetastet), das mit der Währungsreform verbundene DM-Eröffnungsbilanzgesetz (es ermöglichte durch die Neubewertung der Produktionsanlagen die Realisierung von Kriegsprofiten), der katastrophale Tiefstand der Löhne und die Lieferungen im Rahmen des Marshallplanes günstige Verwertungsbedingungen für das westdeutsche Kapital. Schließlich wurden die einer schnellen und kontinuierlichen Produktionssteigerung noch entgegenstehenden Bestimmungen über Produktionsbeschränkungen (z. B. in der Stahlerzeugung) jeweils dann gelockert oder revidiert, wenn die Produktion an die vorgegebenene Grenze anstieß. Das Fazit dieser Entwicklung zog die 6. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Juni 1951. Walter Ulbricht stellte in seinem Referat fest, daß die Lenin'sehe Definition des Imperialismus wieder auf den deutschen zutrifft, daß er wiedererstanden ist. Wörtlich heißt es in der Rede Walter Ulbrichts: „ D a s Neue in der Lage in Westdeutschland besteht darin, daß mit der Vereinbarung des Schumannplanes zwischen amerikanischen und deutschen Imperialisten und durch die Vereinbarungen zwischen der Bonner Regierung und dem Vertreter der USARegierung offenkundig geworden ist, daß der amerikanische Imperialismus den deutschen

Imperialismus zu seinem Hauptverbündeten Hauptaufmarschgebiet des Atlantik-Kriegsblocks

in Europa macht, zu machen."*

um Westdeutschland

zum

Diese Politik der beschleunigten Wiedererrichtung des deutschen Imperialismus als Aggressionsbasis gegen das sozialistische Weltsystem muß zumindest in dreifacher Hinsicht zum schnellen Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion im Verlauf der Aufschwungsphase in Beziehung gebracht werden: 1. Die materielle Hilfeleistung durch den amerikanischen Imperialismus. Bis Ende 1952 erhielt der deutsche Imperialismus Warenlieferungen von insgesamt • Ulbricht, Walter, Das Wiedererstehen des deutschen Imperialismus und die nächsten Aufgaben. Dietz Verlag, Berlin 1951, S. 20/21.

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3071,1 Mill. Dollar. 7 Diese setzen sich zusammen aus Warenlieferungen im Rahmen des GARIOA-Programms a ) (vom 1. 7. 1946 bis 31. 5. 1950 = 1534,4 Mill. Dollar; hierin sind auch z.Z. britische Lieferungen einbegriffen) und aus ECA/MSA Einfuhren b ) in Höhe von 1536,7 Mill. Dollar. Bei diesen Lieferungen handelte es sich zwar keineswegs um eine uneigennützige Hilfe, denn erstens muß ein erheblicher Teil dieser Mittel zurückgezahlt werden und zweitens nutzte das amerikanische Monopolkapital den mit der Verteilung dieser Kredite und der Verwendung der Gegenwertmittel geschaffenen Mechanismus dazu aus, um seine Positionen in der westdeutschen Wirtschaft weiter auszubauen. Aber diese Warenlieferungen (Nahrungsmittel, Rohstoffe usw.) waren in der Zeitspanne der Wiedererrichtung des deutschen Imperialismus, als der Reproduktionsprozeß infolge der Spaltung Deutschlands, infolge Demontagen und eines völlig ungenügenden Außenhandels durch mannigfaltige Disproportionen gestört war, äußerst wichtig für den Produktionsanstieg und die kapitalistische Akkumulation. Zudem ergab sich in der Folgezeit durch die Rückzahlung der Kredite, die sog. „DM-Gegenwerte", ein ständig wachsender Kapitalfonds, der in den Händen des Bonner Staates und unter Mitwirkung amerikanischer Behörden zur Finanzierung von Investitionen zur Verfügung stand. 2. Die Einbeziehung des deutschen Imperialismus in die verschiedensten internationalen Organisationen, Abkommen, Pakte usw. Dadurch, daß der amerikanische Imperialismus seinem Juniorpartner den Weg in die verschiedensten internationalen Institutionen ebnete (und über ihn — wie z. B. bei der Montanunion — hauptsächlich seinen Einfluß ausübte), machte er ihn wieder „salonfähig", was eine wichtige Voraussetzung für seine erneute Außenhandelsexpansion bildete. Aber nicht nur das. Die Einbeziehung des deutschen Imperialismus in die verschiedensten Wirtschafts- und Militärpakte befreiten ihn Schritt für Schritt von allen Produktionsbeschränkungen und -verboten, ermöglichte es ihm, zunächst die Aufrüstung vorzubereiten und später in schnellem Tempo durchzuführen. Glaubten zunächst einige französische Politiker, daß die westdeutsche Schwerindustrie im Rahmen der Montan-Union in gewissem Sinne kontrolliert werden könnte (Verhinderung eines erneut schnellen Konzentrationsprozesses), so vollzog sich in der Folgezeit genau das Gegenteil. Oder nehmen wir die Einbeziehung Westdeutschlands in die OEEC c) und die EZUd>. Durch diese Institutionen erhielt der deutsche Imperialismus in den ersten Jahren die Möglichkeit, Einfuhren mit Hilfe von Krediten zu finanzieren. So verschuldete er sich vom Herbst 1949 bis zum Sommer 1950 mit über 100 Mill. Dollar gegenüber anderen europäischen Ländern. Durch die Bildung der EZU konnte diese Ver7 Wiederaufbau im Zeichen des Marshall-Planes. Zwölfter abschließender Bericht der Deutschen Bundesregierung über die Durchführung des Marshall-Planes für die Zeit bis 30. Juni 1952, S. 23/24. a> GARIOA = Government and Relief in Occupied Areas. b ) ECA = Economic Cooperation Administration. MSA = Mutual Security Agency. c) Organisation of European Economic Cooperation. d) Europäische Zahlungsunion.

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schuldung über einen längeren Zeitraum konsolidiert werden. Darüber hinaus erhielt er im Rahmen seiner Quote weitere Kreditmöglichkeiten. 8 Seit 1952 gab die EZU (bis zu ihrer Auflösung Ende 1958) den Rahmen ab für seine Außenhandelsexpansion. Welche Bedeutung dieser Instition bei der Außenhandelsexpansion der deutschen Monopole zukam, geht daraus hervor, daß das westdeutsche „Handelsblatt" 1957 einen Leitartikel mit der Überschrift: „Amerika finanziert unseren Export" betitelte. Darin hieß es: „Zweifellos hätte Westeuropa seine hohen Bezüge aus der Bundesrepublik schon früher einstellen müssen, wenn ihm nicht durch die amerikanischen Dollarzuschüsse die Abwicklung der Salden in Gold und Dollar wesentlich erleichtert worden wäre. Wir verzeichnen die eigenartige Tatsache, daß Westeuropa in der Gestalt hoher Importe aus (West-) Deutschland über seine Verhältnisse lebt, die Rechnung aber wird durch die Vereinigten Staaten beglichen!" 9 Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, welche Bedeutung dieser Art der Unterstützung des amerikanischen Imperialismus für seinen Juniorpartner bei dem schnellen Produktionsanstieg zukommt. 3. Der Ausbau Westdeutschlands als Aggressionsbasis gegen das sozialistische Lager hatte zur Folge, daß das amerikanische Monopolkapital und die deutsche Großbourgeoisie eine Regierung an die Macht lancierten, die mit größter Energie und den vielfältigsten Methoden das Wiedererstehen und -erstarken der Monopole betrieb, wie wir das weiter unten in einem besonderen Abschnitt darstellen werden. Dieses schnelle Wiedererstehen war nur möglich durch die umfassende Unterstützung seitens des amerikanischen Imperialismus und im Rahmen seiner aggressiven Weltherrschaftspläne. Diese reaktionäre Zielsetzung bei der Wiedererrichtung des deutschen Imperialismus sowie die spezifischen inneren ökonomischen und politischen Bedingungen während dieser Zeit gaben zugleich eine Treibhausatmosphäre wie einen fruchtbaren Nährboden für die Rekonzentration der Produktion und des Kapitals und damit für die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus ab, dessen Organisiertheit und dessen Entwicklungsniveau eine bedeutende Rolle im Konkurrenzkampf auf dem kapitalistischen Weltmarkt in der Gegenwart spielt. Die Tatsache, daß der deutsche Imperialismus bereits zu Beginn der Aufschwungsphase im kapitalistischen Weltwirtschaftssystem wieder als Machtfaktor auftreten konnte, war eine wichtige Vorbedingung dafür, daß er besonders erfolgreich an ihr partizipieren konnte. II. Die besonders günstigen Bedingungen für die erweiterte Reproduktion deutschland in ihrer Wechselwirkung mit den ökonomischen und politischen im gesamten kapitalistischen Lager

in WestProzessen

Ausgehend von der Einschätzung des Nachkriegsaufschwungs im kapitalistischen Lager im Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Ebenda, S. 49. Zitiert nach: Aust, Hans W., Droht eine Wirtschaftskrise? In: „Deutsche Außenpolitik", 8. Jahrg., H. 12, S. 1086, 1957. 8

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der Sowjetunion an den X X . Parteitag und dabei die wichtigsten Besonderheiten in Westdeutschland berücksichtigend, wird in den Thesen „Konjunktur-Krise-Krieg" der Abteilungen Agitation, Propaganda und Wissenschaften beim Zentralkomitee der SED zum schnellen Anstieg der Industrieproduktion in den meisten kapitalistischen Ländern im Verlauf des Nachkriegsaufschwungs zusammenfassend festgestellt : „ i . Die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges riefen eine große Nachfrage nach neuen Produktionsmitteln und notwendigen Konsumgütern (Wohnungsbau, Hausrat usw.) hervor. 2. Massenhafte Investitionen wurden unbedingt notwendig, weil im Gegensatz zum ersten Weltkrieg schon lange vor dem zweiten Weltkrieg und während des zweiten Weltkrieges keine nennenswerten Erneuerungen der Produktionsanlagen vorgenommen wurden. Die Investitionskonjunktur wurde durch die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende Umwälzung der Produktionstechnik wesentlich gefördert. 3. Die Imperialisten betrieben eine umfassende Militarisierung der Volkswirtschaft, die in Friedenszeiten noch nie in solch breitem Umfang durchgeführt wurde wie nach dem zweiten Weltkrieg — besonders nach Beginn des Krieges in Korea — und bis heute immer weiter verstärkt wird. Die deutschen Imperialisten, die in der ersten Nachkriegsperiode noch keine eigene Rüstungsproduktion durchführten, nutzten die durch die Militarisierung hervorgerufene Belastung der anderen kapitalistischen Länder Europas aus, um auf deren Kosten ihren Export bedeutend auszudehnen. Dabei spielt die Ausdehnung des Exports in die unterentwickelten Länder eine große Rolle. 4. In diesem Zusammenhang war die ungleichmäßige ökonomische und politische Entwicklung von großer Bedeutung. Dabei spielte die Tatsache, daß Westdeutschland zur Hauptbasis der imperialistischen Aggressionspläne in Europa gegen das sozialistische Lager ausgebaut wurde, eine besondere Rolle. Weiter waren in Westdeutschland weitaus günstigere Bedingungen vorhanden als in den anderen kapitalistischen Ländern Europas. In Westdeutschland war trotz aller Zerstörungen nach dem zweiten Weltkrieg die Industriekapazität größer als 1936, die Bevölkerungszahl war um rund 25% höher als in der Vorkriegszeit, das Lohnniveau war niedriger als in den meisten anderen führenden kapitalistischen Ländern Europas. Im Ergebnis der ungleichmäßigen Entwicklung hat Westdeutschland die westeuropäischen Länder faktisch überholt, was von den deutschen Imperialisten ausgenutzt wird, um die Vorherrschaft über die kapitalistischen Länder Europas zu erringen. 5. Schließlich wurde die Entwicklung Westdeutschlands unterstützt und gefördert durch die Hilfe des amerikanischen Imperialismus. Diese Hilfe bestand sowohl in der kapitalmäßigen Unterstützung des deutschen Imperialismus (Marshall-Plan u. a) als auch in der Hilfe beim Eindringen in die Märkte und Einflußsphären der anderen kapitalistischen Länder sowie durch den Ausbau Westdeutschlands zur Hauptaggressionsbasis der NATO in Europa." 10 Das Wirken der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus und das Zusammentreffen dieser verschiedenen Faktoren war für die Konjunktur nach dem zweiten Weltkrieg bestimmend. Hierauf ist es zurückzuführen, wenn sich die Industrieproduktion der kapitalistischen Welt innerhalb der zwanzig Jahre von 1937 bis 1957 etwa verdoppelte und die Produktionssteigerung in der Nachkriegszeit von 1948 bis 1957 etwas größer war (rund 6 2 % ) als im Verlauf der Zwischenkriegsperiode T

Konjunktur-Krise-Krieg. Thesen der Abteilungen Agitation/Propaganda und Wissenschaften beim Zentralkomitee der SED. In: „Einheit", 13. Jahrg., H. 12, S. 1794/95, 1958. 10

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in der sich für die Zeit von 1920 bis 1929 eine Steigerung von 5 1 % und von 1929 bis 1937 eine solche von 12% errechnet. 11 Wenn sich also auch die erweiterte Reproduktion unter der Wirkung der genannten Faktoren in der Nachkriegszeit etwas beschleunigt hat und das Produktionsniveau auf das 2 fache gegenüber 1937 gestiegen ist, wie bescheiden wirkt diese Zahl, wenn man ihr die 5 fache Produktionssteigerung im Lager des Sozialismus von 1937 bis 1958 gegenüberstellt! Bezieht man für die wichtigsten kapitalistischen Länder das im Jahre 1957 erreichte Produktionsniveau auf den jeweils vorherigen Höchststand, um die unterschiedliche Dynamik der Produktionsentwicklung zu kennzeichnen, so ergibt sich für die USA eine Steigerung von 13% gegenüber 1943; für Frankreich eine Steigerung von 4 8 % gegenüber 1929; für Japan eine solche von 4 4 % gegenüber 1944 und für Westdeutschland eine solche von 8 1 % gegenüber 1939. 12 Westdeutschland hätte nach diesen Angaben den vorherigen Höchststand am stärksten überschritten. Hierzu muß aber bemerkt werden, daß die westdeutsche Industrieproduktion während des Krieges (bis 1943) den Stand von 1939 auch beträchtlich überschritt, so daß sich wahrscheinlich unter Berücksichtigung dieser Tatsache kein sehr großer Unterschied zu Japan ergibt. Aber es ist unzweifelhaft, und die eingangs angeführten Anteilzahlen an der kapitalistischen Weltindustrieproduktion veranschaulichen es deutlich, daß der Anstieg der westdeutschen Industrieproduktion in der Nachkriegszeit kontinuierlicher und auch schneller war als in den meisten kapitalistischen Ländern. Darin drückt sich einerseits die vom USA-Imperialismus gewährte Hilfestellung und der Expansionsdrang des deutschen Imperialismus aus, der unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen den Kampf um die Vorherrschaft in Europa aufnahm und andererseits zeigt sich hierin, daß die Verwertungsbedingungen für das westdeutsche Monopolkapital und — wenn auch in geringerem Maße — für das nichtmonopolistische Kapital außerordentlich günstig gewesen sein mußten, da ja im Kapitalismus auf all seinen Entwicklungsetappen die Bewegung der Produktion von den Profiten bzw. Profitaussichten bestimmt wird. Im folgenden wollen wir aus den oben zitierten Thesen der Abteilungen Agitation, Propaganda und Wissenschaften beim ZK der SED einige uns besonders wichtig erscheinende Gesichtspunkte herausgreifen und sie näher behandeln. Es sind dies Fragen der besonders günstigen Ausbeutungsbedingungen, Fragen der Realisierungsmöglichkeiten und schließlich soll abschließend die Rolle der staatsmonopolistischen Steuerpolitik für die erweiterte Reproduktion skizziert werden. 1. Die profitablen Produktionsbedingungen Als der deutsche Imperialismus zu Beginn der Aufschwungsphase im Jahre 1950 im wesentlichen wiedererrichtet war und das Produktionsniveau des Jahres 1936 wieder erreicht und schon etwas überschritten wurde, waren —unter Berücksichtigung der wachsenden Märkte — die Bedingungen für einen schnellen Produktionsanstieg in 1 1 Vgl. Mendelson, L. A., Wirtschaftskrisen und Wirtschaftszyklen nach dem zweiten Weltkrieg. In: Konjunktur-Krise-Krieg. Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 46. 1 2 Ebenda, S. 47.

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dreifacher Hinsicht günstig: erstens durch das beträchtliche Ausmaß von Kapazilätsreserven; zweitens durch den hohen Konzentrationsgrad der Wirtschaft und drittens durch die niedrigen Löhne und das vorhandene große Arbeitslosenheer. Alle drei Momente standen mit den hohen Profiten in Beziehung, die das Monopolkapital und in geringerem Maße auch große Teile des nichtmonopolisierten Kapitals in den folgenden Jahren erzielten. Beim ersten, weil eine Erhöhung der Kapazitätsauslastung im Zuge steigender Produktion die Profitrate erhöht, da der Mehrwert nicht mehr auf ein überflüssig großes Kapital zu verteilen ist; beim zweiten, weil die Ausbeutung der Arbeiter um so „rationeller" organisiert werden kann, je höher der Konzentrationsgrad ist; beim dritten, weil niedrige Löhne für die kapitalistische Produktion immer einen besonderen „Stachel" abgeben. Die beiden zuerst angeführten Momente wollen wir nur kurz, das letztere ausführlicher betrachten. Hemmende Einflüsse auf einen schnellen Produktionsanstieg gingen zu Beginn der Aufschwungsphase noch von verschiedenen knappen Rohstoffen aus, was auf die noch zu schwache weltwirtschaftliche Verflechtung zurückzuführen war. Jedoch konnten diese Hemmnisse durch vermehrte Rohstofflieferungen im Rahmen des Marshall-Planes gemildert und dann im Zuge der Exportexpansion während des Korea-Booms, wodurch auch erhöhte Importe möglich wurden, im wesentlichen überwunden werden. Außerdem schöpfte der deutsche Imperialismus — wie schon erwähnt — die EZU-Quote für vermehrte Einfuhren aus. Während die Apostel der „sozialen Marktwirtschaft" lange Zeit die Kapazitätsverluste der westdeutschen Industrie infolge von Kriegszerstörungen und Demontagen maßlos aufbauschten, um die angebliche „Wunderwirkung" der sozialen Marktwirtschaft begründen zu können, ist von marxistischen Ökonomen, besonders von Horst Heininger, schon vor Jahren durch eingehende, auf die Kapazitätsentwicklung der wichtigsten Industriezweige seit 1936 sich erstreckende Untersuchungen nachgewiesen worden, daß die Produktionskapazitäten der Industrie nach Abschluß der Demontagen höher waren als 1938. 13 In einer im Jahre 1958 vom Westberliner Wirtschaftsforschungsinstitut herausgegebenen Schrift mußte der Verfasser, der bürgerliche Ökonom Krengel, sogar feststellen, daß „das Volumen des Mitte 1948 im Gebiet der Bundesrepublik noch vorhandenen industriellen Brutto-Anlagevermögens offenbar ziemlich genau jenem, das im Jahresdurchschnitt 1939 vorhanden gewesen war", entsprach. 14 Er stellt dann weiter fest, daß es ihm keineswegs darauf ankommt die Verluste durch Kriegsschäden und Demontagen zu bagatellisieren, jedoch: „Heute — mehr als zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch — ist es . . . an der Zeit, manche Vorstellungen, die relativ kurze Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, also noch in unmittelbar zeitlicher Nähe zum damaligen Chaos der Kapitulation, entstanden (!) waren, durch eine ruhigere und leidenschaftslosere Betrachtung der Tatsachen zu revidieren." 1 5 Krengel führt in dieser Schrift folgende Daten zur Kapazitätsausnutzung an. Heininger, Horst, a. a. O., S. '214. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Sonderhefte, Neue Folge Nr. 42, Reihe A : Forschung, Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der 1 5 Ebenda. Bundesrepublik von 1924 bis 1956. Duncker u. Humblot, Berlin 1958, S. 14. 13

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18 Probleme Bd. 3

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TABELLE 2

Die Entwicklung der Ausnutzung des industriellen Brutto-Anlagevermögens Industrie von 1948 bis 1956

der

westdeutschen

Schätzung des D I W 1 in % Bergbau, GrundstoffInvestitionsund Produktionsgüterindustrien güterindustrien 1948/1 1948/2 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956

38,8 53,3 62,7 74,6 83,6 82,9 82,7 84,9 87,5 85,6

27,9 43,2 51,8 64,1 78,0 81,0 79,0 86,7 96,4 93,4

Verbrauchsgüterindustrien 32,5 47,6 62,8 77,3 81,6 77,7 85,7 88,4 91,9. 93,1

Nahrungs- und Industrie, Genußmittel2 industrien " G e s a m t 41,1 58,2 71,0 76,6 80,8 82,3 91,3 93,1 98,4 100,0

35,9 50,9 61,3 73,0 81,8 81,6 83,8 86,6 91,2 99,8

1 Unter der Annahme errechnet, daß bei optimaler Anlagenausnutzung der B r u t t o Kapitalkoeffizient in den einzelnen Bereichen konstant bleibt. 2 Gewogener Durchschnitt. Quelle: Deutsches Institut f ü r Wirtschaftsforschung, a. a. 0 . , S. 87.

Betrachten wir in diesem Zusammenhang lediglich die Zahlen für das J a h r 1950, als die Produktion von 1936 um rund 9 % überschritten wurde. Die gesamten industriellen Kapazitäten waren danach nur zu 73% und die der Investitionsgüterindustrien nur zu 6 4 % ausgenutzt! Wie unvergleichlich günstiger waren die materiellen Möglichkeiten zur Steigerung der Produktion in Westdeutschland als bei uns in der DDR! In der DDR waren nicht nur weitaus mehr industrielle Kapazitäten zerstört, sondern es fehlte vor allem mit dem Ruhrgebiet ein entscheidender Teil der materiellen Basis der Industrie. Nur verschwindend wenig Steinkohle, nur 1,7% Roheisen und 7 % Eisen und Stahl wurden vor dem Krieg auf dem Gebiet der DDR erzeugt. Wichtige Erzeugnisse des Schwermaschinenbaues wurden überhaupt nicht produziert. „Dadurch wurde nicht nur die schnelle Entwicklung der Volkswirtschaft behindert, sondern um ihrer Entwicklung und Unabhängigkeit willen war es notwendig, fast alle Mittel für den Aufbau der metallurgischen bzw. schwerindustriellen Basis auszugeben. Aber dadurch fehlten die Mittel, um in allen Zweigen die Produktion auf einen hohen wissenschaftlich-technischen Stand zu bringen . . . " 1 6 Aber dennoch stieg die Produktion in der DDR schneller als in Westdeutschland — weil befreit von den kapitalistischen Fesseln — an! Betrachten wir nun das zweite Moment, den hohen Konzentrationsgrad der westdeutschen Wirtschaft. In seinem grundlegenden Werk über den Imperialismus erklärte Lenin die Überlegenheit des deutschen Imperialismus im Konkurrenzkampf mit dem englischen 1 6 Neue Probleme der Übergangsperiode v o m Kapitalismus zum Sozialismus in der D D R . Herausgegeben vom ZK der SED, Abteilung Agitation und Propaganda. Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 33/34.

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damit, daß der deutsche „frischer", „kräftiger", „organisierter" und „höher" entwickelt sei. Diese von Lenin angeführten Attribute des deutschen Imperialismus waren ein Ausdruck der Tatsache, daß sich in Deutschland aus einer Reihe von Gründen besonders sprunghaft die Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals vollzog, daß Deutschland im Monopolisierungsgrad seiner Wirtschaft die anderen europäischen Länder überflügelte, oder ihnen voraus war. Natürlich wäre es falsch, würde man heute — ohne Berücksichtigung der seitdem erfolgten Veränderungen — alle diese von Lenin gebrauchten Begriffe wieder heranziehen, um die Erfolge des deutschen Imperialismus im Konkurrenzkampf der letzten Jahre erklären zu wollen. Aber, daß er schon wieder „organisierter" und „höher entwickelt" ist und die gegenwärtig charakteristische Form des Kapitalismus, den staatsmonopolistischen Kapitalismus, stärker ausgebildet hat als sämtliche anderen kapitalistischen Länder des kontinentalen Europas ist eine Tatsache. Etwa zu Beginn der Aufschwungsphase des Nachkriegszyklus im kapitalistischen Weltwirtschaftssystem, so stellten wir fest, war der Prozeß des Wiedererstehens des deutschen Imperialismus zu einem gewissen Abschluß gelangt. Dies zeigte sich vor allem darin, daß sich bis 1950 im Maßstab der gesamten Wirtschaft — noch nicht unbedingt bei jedem einzelnen Monopol — der Prozeß der Rekonzentration vollzogen hatte. Der Konzentrationsgrad der deutschen Wirtschaft der Jähre 1935/36 ist bereits für die westdeutsche Wirtschaft im Jahre 1950 wieder feststellbar und dieser bildete nur den Ausgangspunkt für eine beschleunigt sich fortsetzende Erhöhung der Konzentration der Produktion in den folgenden Jahren. Eine ungefähre Vorstellung davon soll zunächst die folgende Tabelle vermitteln. TABELLE 3

Die Entwicklung der Konzentration Umsatzgrößenklassen

nach der Umsatzsteuerstatistik 1935

von 1935 bis 1955 1950

1950

bis unter 50000 DM 50000 bis 1 Mill. DM 1 Mill. DM und mehr davon 10 Mill. DM und mehr

a) Steuerpflichtige in % 83,6 83,1 75,5 15,5 16,0 22,9 0,9 0,9 1,6 0,1 0,07 0,15

bis unter 50000 DM 50000 bis 1 Mill. DM 1 Mill. DM und mehr davon 10 Mill. DM und mehr

b) Umsätze 13,5 30,4 56,1 36,2

in % 11,3 30,3 58,4 34,7

6,7 24,8 68,5 44,6

Quellen: Für 1950 und 1955: WWI-Mitteilungen, Wirtschaftswissenschaftliches Institut der Gewerkschaften, Heft 9/1957, S. 219. Für 1935: Errechnet nach den Angaben in „Statistik des Deutschen Reiches", Bd. 511 sowie des Index der Erzeugerpreise industrieller Produkte. Dieser Index weist auf Basis 1950 = 100 für 1938 ein Niveau von 54 aus. Zwischen 1935 bis 1938 erhöhte sich das Preisniveau um 3 bis 5%. Bei der Umrechnung von RM in DM wurde daher das Verhältnis 1: 2 zugrunde gelegt. 18*

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Die Zahlen für 1935 und 1950 decken sich weitgehend sowohl bei der Gruppierung nach den Steuerpflichtigen wie auch nach den Umsätzen. Bevor wir die Veränderungen bis 1955 betrachten, ist es zunächst wichtig, den Konzentrationsgrad der deutschen bzw. westdeutschen Wirtschaft für die Jahre 1935 und 1950 einzuschätzen, da wir ja zu Schlüssen hinsichtlich des höheren Wachstumstempos der westdeutschen Industrie im Vergleich zu den meisten anderen kapitalistischen Ländern kommen wollen. Über Angaben, die mit denen in der Tabelle gebrachten vergleichbar sind, verfügen wir nicht. Der sowjetische Ökonom Faingar gelangte in seiner umfangreichen Untersuchung über die Entwicklung des deutschen Monopolkapitals zu dem Schluß, „daß die Monopolisierung in der Industrie des faschistischen Deutschlands sehr weit fortgeschritten war und namentlich in der Schwerindustrie den in England, Frankreich und sogar in den USA erreichten Monopolisierungsgrad übertraf." 1 7 An anderer Stelle heißt es : „Die deutschen Monopole standen beispielsweise hinsichtlich ihres Kapitalumfanges und des Ausmaßes der Produktion bedeutend hinter den amerikanischen zurück, aber sie hatten unbestreitbar eine höhere Monopolisierung des Kapitals, einen höheren Grad von Organisiertheit, d. h. einen höheren Reifegrad des staatsmonopolistischen Kapitalismus erreicht. Alle diese Faktoren gaben den deutschen Monopolen eine zusätzliche ökonomische Kraft in ihrem Kampf um die Neuaufteilung der Welt." 1 8 Und schließlich: „ F a ß t man die genannten Tatbestände zusammen, so gelangt man zwangsläufig zu dem Schluß, daß das höchste Niveau der Konzentration der Produktion und der Zentralisation des Kapitals die Ursache für die in Deutschland am höchsten entwickelte Monopolisierung der Volkswirtschaft war In dem untersuchten Zeitraum (Zwischenkriegsperiode und vor allem die Zeit des Faschismus — R. G.) war Deutschland in bezug auf die Vergesellschaftung der Produktion und auf die allseitige Herrschaft der Monopole den USA und England weit überlegen." 19 Wir können also sagen, daß die Zahlen für 1935 und 1950 einen vergleichsweise sehr hohen Monopolisierungsgrad der Wirtschaft ausdrücken und daß Westdeutschland zu Beginn der Aufschwungsphase in dieser Hinsicht bereits wieder mit an der Spitze lag. Betrachten wir nun die Veränderungen zwischen 1950 und 1955. Der Anteil der Steuerpflichtigen der kleinsten Umsatzgrößenklasse (bis unter 50000 DM) an der Gesamtzahl der Steuerpflichtigen verminderte sich von 83,1% auf 75,5°/ 0 , ihr Anteil an den Umsätzen reduzierte sich sogar von 11,3 auf 6,7°/ 0 . Die nächste Umsatzgrößengruppe (50000 — 1 Mill. DM), die den „gehobenen Mittelstand" repräsentiert, zeigt zwar ein nicht unbeträchtliches Ansteigen in der Anzahl der Steuerpflichtigen auf und eine Steigerung ihres Anteils an der Gesamtzahl der Steuerpflichtigen von 16,0 auf 22,9°/ 0 , aber ihre ökonomische Position, ihre relative Stellung, hat sich bedeutend verschlechtert. 1950 hatte sie noch einen Umsatzanteil von 30,3, 1955 aber nur noch von 24,8%. Auf beide Gruppen zusammen entfielen 1950 99,1 und 1955 98,4% der Umsatzsteuerpflichtigen, ihr Anteil am Umsatz verringerte sich •dagegen von 41,6 auf 31,5%! Daß auf diesem 1955 erreichten Konzentrationsgrad 17 Faingar, J. M., Die Entwicklung des deutschen Monopolkapitals. Übersetzung aus dem Russischen. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1959, S. 69. 18 19 Ebenda, S. 136. Ebenda, S. 43.

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in den folgenden Jahren nicht stehengeblieben wurde, sondern sich der Prozeß der Konzentration noch in beschleunigtem Maße fortsetzte, zeigt sich fast überzeugender noch, als dies Zahlen ausdrücken, wenn man selbst in der großbürgerlichen „Frankfurter Allgemeinen" vom 18. 12. 1957 lesen konnte: „Wohin man auch gegenwärtig in unserer Wirtschaft blicken mag, überall wird neu verflochten, verschachtelt, fusioniert . . . Kapitalstarke Unternehmen suchen ihre Produktions- und Verkaufsprogramme ,abzurunden', ,auf eine breitere Basis zu stellen', sie wollen die ,Lieferung vitaler Vorprodukte sichern' oder die Krisenfestigkeit gegenüber der neuen großbetrieblichen Konkurrenz im Gemeinsamen Markt herstellen'." Übertraf der im Jahre 1955 erreichte Konzentrationsgrad schon bei weitem denjenigen der faschistischen Zeit, so ist er seitdem noch bedeutend angestiegen. Wir können also feststellen, daß der deutsche Imperialismus bereits 1950 einen höheren Konzentrationsgrad der Wirtschaft aufzuweisen hatte als viele andere kapitalistische Länder und sich dieser in den folgenden Jahren sehr schnell weiter erhöhte. Wenn Faingar für die Vorkriegszeit aus dem vergleichsweise sehr hohen Monopolisierungsgrad der deutschen Volkswirtschaft auf eine „zusätzliche ökonomische Kraft (der deutschen Monopole — R. G.) in ihrem Kampf um die Neuaufteilung der W e l t " folgert, so gilt das gleichermaßen für die Jahre des Nachkriegsaufschwunges. Das Verschmelzen der Monopole mit dem Staat und die restlose Ausnutzung dieser ökonomischen und politischen Machtpotenz nach innen und nach außen — dieser hohe Grad der Organisiertheit des deutschen Imperialismus zeichnet ihn heute wie ehedem aus. In welchem Maße die deutschen Monopole den Staat für die Umverteilung des Nationaleinkommens zu ihren Gunsten ausnutzten, werden wir weiter unten in einem gesonderten Abschnitt skizzieren. Hier in diesem Abschnitt interessiert vor allem der Zusammenhang zum Ausbeutungsprozeß. Mit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus vollzog sich allgemein eine Erhöhung der Ausbeutung der Arbeiterklasse. Das darf aber nicht so aufgefaßt werden, daß die Arbeiter in den Monopolbetrieben durchweg höher ausgebeu tet werden als in den nichtmonopolisierten Betrieben; oder daß in den entwickeltsten kapitalistischen Ländern die Arbeiterklasse stärker ausgebeutet wird als in den schwächerentwickelten kapitalistischen Ländern. Es kann vielmehr in beiden Fällen das Umgekehrte der Fall sein: In der monopolistischen Ära kann die Ausbeutung in kleinen und mittleren Betrieben schärfer sein als in den Monopolbetrieben, und zwar deswegen, weil das nichtmonopolistische Kapital auch zum Monopolprofit „beizusteuern" hat und die Kapitalisten dies durch erhöhte Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte wettzumachen versuchen; bei Bestehen eines Herrschaftsverhältnisses zwischen einem hochentwickelten und einem schwachentwickelten kapitalistischen Land verhält es äich ebenso. So, wie zwischen hochentwickelten kapitalistischen Ländern (wie zwischen allen) eine nationale Verschiedenheit der Löhne festzustellen ist, die durchaus nicht direkt aus dem jeweiligen Monopolisierungsgrad der Wirtschaft abgeleitet werden kann, sondern die Resultante einer ganzen Reihe von Momenten (unterschiedliche Intensität der Arbeit, unterschiedlicher kultureller Standard, unterschiedliche Kampfkraft

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der Arbeiterklasse u. a.) ist, so ist auch der umfassendere Komplex der Ausbeutungsbedingungen in den einzelnen Ländern nicht schlechthin aus dem Monopolisierungsgrad abzuleiten. Vielmehr spielen hier die historischen Entwicklungsbedingungen eine große Rolle. Die Ausbeutungsbedingungen in Deutschland bzw. in Westdeutschland sind weitgehend durch die Aggressivität und die reaktionären Traditionen des deutschen Imperialismus geprägt: Seit 6 Jahrzehnten kämpft er wie kein anderer imperialistischer Staat mit ökonomischen, politischen und militärischen Mitteln um die Erweiterung seiner schon eroberten bzw. um die Wiedergewinnung seiner infolge der Weltkriege verlorengegangenen Einflußsphären. Die Militarisierung der Wirtschaft war daher fast ständiger Charakterzug der Wirtschaft des deutschen Imperialismus. Sie drückte dem gesamten Ausbeutungsprozeß ihren Stempel einerseits in Form der militärischen Disziplin, der Anwendung von Ausnahmegesetzen usw. und andererseits in der Abwälzung der Kosten der Kriegsvorbereitung der Kriegsführung und der Kriegsfolgen auf die Schultern der Werktätigen auf. Wenn für den deutschen Imperialismus für die Nachkriegsjahre besonders günstige Ausbeutungsbedingungen gegeben waren, so hängen sie also nicht in erster Linie nur mit dem hohen Monopolisierungsgrad an sich zusammen (obwohl dies natürlich eine Rolle spielt), sondern mit seinen ihn charakterisierenden spezifischen Entwicklungsbedingungen, die nach dem zweiten Weltkrieg noch einige besondere Züge aufweisen. Die Ausbeutungsbedingungen für den deutschen Imperialismus sind also weitgehend durch dessen besonders sprunghafte Entwicklung mit geformt. Von allen hochentwickelten kapitalistischen Ländern weist Deutschland bzw. Westdeutschland besonders ausgeprägte Perioden auf, in denen — vor allem als Folge der Kriege und Inflationen — der Lohn weit unter den Wert der Ware Arbeitskraft sank. Die Perioden mit steigenden Löhnen, die Aufschwungsphasen, waren gleichzeitig Perioden einer schnellen Steigerung der Arbeitsintensität, weil der Kampf um die Wiedereroberung der verlorengegangenen Einflußsphären mit allen Mitteln geführt wurde. Natürlich dürfen bei der Analyse der Ausbeutungsbedingungen in der Nachkriegszeit auch andere Momente nicht außer acht gelassen werden. So spielte bei der Steigerung der Ausbeutung die Erhöhung der Arbeitsproduktivität eine beträchtliche Rolle, denn dadurch verminderte sich (infolge des Absinkens des Wertes der Waren die der Reproduktion der Arbeitskraft dienen) der Wert der Arbeitskraft, während der Mehrwert stieg. Ferner erhöhte sich die Ausbeutung über die (bis 1955) an gestiegene Arbeitszeit. Schließlich — aber darauf gehen wir weiter unten in anderem Zusammenhang noch ausführlicher ein — verbreiterte sich mit der beachtlichen Ausweitung der Beschäftigung die Ausbeutung. Die große Konkurrenzfähigkeit der westdeutschen Monopole auf dem kapitalistischen Weltmarkt während der Aufschwungsjahre hängt aber unzweifelhaft in sehr starkem Maße mit den spezifischen Kauf- und Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft und der (hiermit auch in Beziehung stehenden) breiten Anwendung raffinierter Ausbeutungsmethoden zusammen.

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Mit beiden Momenten, besonders dem ersteren, soll sich daher etwas näher — zunächst in allgemeiner Form und sodann an Hand empirischer Daten — befaßt werden. Beim ersteren handelt es sich hauptsächlich um das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Grundklassen, das über die Abweichungen und den Grad der Abweichungen des Arbeitslohnes vom Wert der Ware Arbeitskraft entscheidet. Dieses Kräfteverhältnis bleibt nicht immer im Verlauf eines Krisenzyklus das gleiche. Daher sind auch die Abweichungen des Arbeitslohnes vom Wert der Ware Arbeitskraft in der Krisen- und Depressionsphase einerseits und der Aufschwungsphase andererseits unterschiedlich. Nach den rein ökonomischen Gegebenheiten ist in der Krisen- und Depressionsphase natürlich ein erdrückendes Übergewicht auf Seiten der Kapitalistenklasse. Ähnlich verhält es sich auch, wenn während der Belebungs- und Aufschwungsphasen eine hohe oder zumindest beträchtliche Arbeitslosigkeit besteht. Der entschlossene Kampf der Arbeiterklasse kann unter diesen — für sie objektiv ungünstigen Bedingungen — die verhängnisvollen Auswirkungen abschwächen, aber er kann sie nicht völlig abwenden. Unter den Bedingungen einer relativ geringfügigen Arbeitslosigkeit und Tendenzen ansteigender Beschäftigung neigt sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse und ihr Kampf wird — zumal wenn er entschieden geführt wird — schneller Resultate zeitigen. Diese Situation existiert in der Periode der allgemeinen Krise indessen selten. Beim zweiten Moment handelt es sich hauptsächlich um das Bestreben des individuellen Kapitalisten bzw. der Monopolisten oder einer Monopolistengruppe, soviel Mehrwert wie möglich aus „ihren" Arbeitern herauszupressen. Dazu wenden sie die mannigfaltigsten Methoden an. Die Kapitalisten werden hierbei um so größere Erfolge haben, je besser es ihnen gelingt, den Widerstand der Arbeiter zu brechen, die Arbeiter zu täuschen usw. Da in unserer ökonomischen Literatur zu dem zweiten Moment schon verhältnismäßig ausführlich Stellung genommen wurde, verzichten wir hier auf eine eingehende Darstellung dieses Komplexes. Wir werden einige wesentliche Gesichtspunkte kurz zusammengefaßt der etwas ausführlichen Darstellung des ersten Moments vorausschicken. Die Kapitalisten und Monopolisten Westdeutschlands stellten im Verlauf der Belebungs- und Aufschwungsphase erneut ihr „Organisationstalent" bei der Steigerung der Ausbeutung unter Beweis. Sie wetteiferten untereinander bei der Ausknobelung und Anwendung der verschiedensten Antreibersysteme und werteten dabei nicht nur ihre eigenen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, sondern auch in verstärktem Maße die Erfahrungen anderer Länder, insbesondere die der amerikanischen Monopolisten, aus. Institutionen wurden gegründet, um die verschiedensten Methoden der „Schweißauspressung" zu systematisieren, zu verallgemeinern, zu popularisieren. Als Beispiele seien nur der „Produktivitätsrat" und das „Rationalisierungs-Kuratorium der deutschen Wirtschaft" genannt. Besonders erfolgreich steigerten sie die Ausbeutung mit Hilfe der „analytischen Arbeitsplatzbewertung" — dem großangelegten Versuch, die Geschlossenheit und die Solidarität der Arbeiterklasse bzw. der Betriebsbelegschaften zu durchbrechen —

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sowie durch die verschiedenen „Erfolgsanteil"- bzw. „Gewinnbeteiligungssysteme". Bis 1955 fanden von den letzteren bereits etwa 400 der verschiedensten Systeme Anwendung. 20 Gleichzeitig damit starteten sie ein umfangreiches Programm der ideologischen Beeinflussung der Arbeiterklasse, das sich in dem aus den USA importierten Begriff „Human Relations" zusammenfassen läßt und dessen wichtigste Schlagworte (z. B. „Harmonie von Kapital und Arbeit") die kapitalistische Wirklichkeit genau auf den Kopf stellten. Es ist unzweifelhaft, daß sich die Austüftelung und Anwendung raffiniertester Ausbeutungsmethoden für die Kapitalisten profitiert haben. Man kann jedoch die Erfolge der westdeutschen Kapitalisten bei der Steigerung der Ausbeutung nicht ausschließlich auf die verstärkte Anwendung „wissenschaftlicher Prinzipien der Menschenführung", also raffinierter und demagogischer Täuschungsmanöver, zurückführen. Wenn die Verwertungsbedingungen für das westdeutsche Kapital und besonders für das Monopolkapital günstiger waren als für die Mehrzahl der europäischen kapitalistischen Länder und die Grundlage hierfür in den Ausbeutungsbedingungen zu suchen ist, dann muß man m. E. — wie schon erwähnt — vor allem auch von den ökonomischen und politischen Bedingungen der Nachkriegszeit in Westdeutschland ausgehen und das Augenmerk darauf legen, worin sich diese in wesentlicher Hinsicht von denen in anderen kapitalistischen Ländern unterschieden haben. Zwei Fakten springen dabei sofort ins Auge: Erstens brachte der zweite Weltkrieg und die nachfolgende Inflationsperiode ein unerhörtes Absinken des Lebensstandards der Werktätigen. Das Gesetz der absoluten Verelendung hatte sich wohl in keinem anderen europäischen Land so ungehemmt durchgesetzt wie in Westdeutschland ! Zweitens kam es durch die Umsiedlung und Zuwanderung von Millionen von Werktätigen zu einem Anwachsen der relativen Übervölkerung, wodurch einerseits die Verelendung der westdeutschen Werktätigen zunächst noch zunahm oder zumindest noch augenscheinlicher wurde und andererseits verhältnismäßig nachhaltige Einwirkungen auf den Reproduktionsprozeß ausgehen mußten. Betrachten wir den ersten F a k t isoliert vom zweiten, so liegt zunächst die Vermutung nahe, daß auch ohne die durch die Umsiedlung vermehrte relative Übervölkerung die westdeutschen Werktätigen in ihrem Kampf um die schrittweise Besserung des Lebensstandards vielen anderen westeuropäischen kapitalistischen Ländern beträchtlich hinterher gehinkt hätten, da sie stärker verelendet waren und jeder Pfennig Lohnerhöhung ja den Kapitalisten abgerungen werden muß. Durch die Umsiedlung, so könnte man meinen, habe sich daran nicht sehr viel geändert, der Kampf sei vielleicht dadurch etwas erschwert oder etwas in die Länge gezogen worden. Unserer Auffassung nach wurde indessen durch die Umsiedlung mehr bewirkt als eine nur geringfügige graduelle Erschwerung des Kampfes um höhere Löhne. Es ist nämlich durchaus denkbar, daß durch die Notwendigkeit des Wiederaufbaus der zerstörten Städte und Dörfer rasch ein Mangel an Arbeitskräften eingetreten wäre, 20

Deutsches Wirtschaftsinstitut, Bericht 1/2, Januar 1956, S. 18.

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wodurch sich wesentlich günstigere Verkaufsbedingungen für die Ware Arbeitskraft ergeben hätten. Daß es zu einem verhältnismäßig schnell einsetzenden Mangel an Arbeitskräften hätte kommen können, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit daraus ableitbar, daß die Zerstörungen ein weites Betätigungsfeld und hohe Profitmöglichkeiten für eine ganze Reihe von Produktionszweigen mit relativ niedriger organischer Zusammensetzung des Kapitals eröffneten. Es hätte eine solche Entwicklung stattfinden können, wie sie Marx bei der Untersuchung des Akkumulationsprozesses unter der Annahme gleichbleibender organischer Zusammensetzung des Kapitals als zwangsläufig feststellt. „. . . Da in jedem Jahr mehr Arbeiter beschäftigt werden als im vorhergehenden, so muß früher oder später der Punkt eintreten, wo die Bedürfnisse der Akkumulation anfangen, über die gewöhnliche Zufuhr von Arbeit hinauszuwachsen, wo also Lohnsteigerung eintritt." 21

Man wird diese Vermutung nicht als haltlos bezeichnen können, wenn man bedenkt, daß die Beschäftigung in der westdeutschen Industrie im Verlauf der Aufschwungsphase von 1950 bis 1957 um 5 0 % anstieg, während sie in der Aufschwungsphase des Zyklus der zwanziger Jahre stagnierte bzw. sogar tendenziell rückläufig war. Betrachten wir nun den zweiten Fakt. Zunächst die diesbezüglichen Zahlenangaben. Von 1938 bis 1956 nahm die Bevölkerung Westdeutschlands (ohne Saargebiet) um 27°/ 0 zu. Von 1938 bis 1946 verringerte sich die westdeutsche Bevölkerung durch Kriegsverluste um 2,9 Mill. (von 39,8 auf 36,9), während sie zugleich um knapp 7 Mill. (Umsiedler und Zugewanderte) zunahm. Bis 1950 bzw. 1956 betrug der Zuwachs durch Umsiedler und andere 9,4 Mill. bzw. 11,5 Mill. Der Anteil der letzteren an der Gesamtbevölkerung Westdeutschlands betrug 1956 23°/ 0 . 22 Es ist ganz selbstverständlich, daß dieser sprunghafte Bevölkerungsanstieg nachhaltige Auswirkungen für die Produktionsentwicklung im Verlauf des Nachkriegszyklus haben mußte. Diese Auswirkungen haben mehrere Aspekte, von denen wir zunächst nur einen, nämlich die verstärkte Ausbeutung durch den Druck der Unbeschäftigten auf den Lohn der Beschäftigten und auf die Intensität der Arbeit, behandeln wollen. Man muß sich die konkreten Nachkriegsbedingungen in Westdeutschland vor Augen halten, um die Wirkung der Übervölkerung einigermaßen erfassen zu können: durch Kriegseinwirkungen ausgedehnte Zerstörungen auf allen Gebieten; die Werktätigen, einheimische wie umgesiedelte, leiden ungeheuren Mangel an Nahrung und Bekleidung, Millionen von ihnen besitzen keine Wohnung und leben statt dessen zusammengepfercht in Baracken, Bunkern usw. Es fehlt an notwendigem Hausrat, Möbeln und Gebrauchsgegenständen aller Art. Die Werktätigen haben in den ersten Nachkriegsjahren buchstäblich für ein dürftiges Mittagessen gearbeitet. Von diesem ungeheuer gedrückten Lebensniveau mußten sich die westdeutschen Werktätigen eine Verbesserung ihrer Lebenslage unter den Bedingungen einer star21

Marx, Karl, Das Kapital, Dietz Verlag, Berlin 1956, Bd. I, S. 644. Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Verlag Kohlhammer, Stuttgart 1957, S. 4 6 - 4 8 . 22

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ken Übervölkerung, also einer hohen Arbeitslosigkeit erkämpfen. 23 Hinzu kam, daß erst im Oktober 1948 als Folge verstärkter Kampfaktionen der Arbeiter gegen die sprunghaft angestiegenen Preise für Konsumgüter der faschistische Lohnstop aufgehoben wurde. Es ist ohne weiteres einleuchtend wie ungünstig diese Bedingungen für die Werktätigen und wie ideal sie für das durch die Verbrechen des zweiten Weltkrieges aufs schwerste belastete Monopolkapital waren. Wie stark die Auswirkungen einer hohen Arbeitslosigkeit auf die Beschäftigten sind, hängt von vielen Umständen, in entscheidendem Maße aber von der Kampfkraft und der Führung der Arbeiterklasse ab. Wir erwähnten bereits, daß die imperialistischen Besatzungsmächte und die deutsche Großbourgeoisie sich einer ganzen Skala von Mitteln bediente, um die Kampfkraft der Werktätigen zu schwächen, sie zu spalten und die Positionen der am weitesten rechtsstehenden Kräfte im DGB und der SPD zu stärken und zu festigen. Die in die Führungsgremien der SPD und des DGB geschobenen rechten Kräfte verhinderten den entschiedenen Kampf der westdeutschen Werktätigen zur Realisierung der gewerkschaftlichen Forderung auf das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben. Sie praktizierten dagegen wiederum mit den Monopolherren die schändliche Politik der „Sozialpartnerschaft", wodurch sich das „Mitbestimmungsrecht" für die Werktätigen in eine „taube Nuß", für sie selbst aber in klingende Aufsichtsratstantiemen verwandelte. War so die Kampfkraft der Gewerkschaften und folglich der gesamten Arbeiterklasse durch die opportunistische Gewerkschaftsführung geschwächt — was der Tatsache nicht widerspricht, daß die westdeutschen Werktätigen viele und erfolgreiche Streiks durchgeführt haben —, so sind folglich die ungünstigen Verkaufsbedingungen für die Ware Arbeitskraft durch den subjektiven Faktor auch nicht annähernd in dem Ausmaß abgeschwächt worden, wie es bei einem entschlossenen Kampf der Gewerkschaften möglich gewesen wäre. Insofern sich der Kampf der westdeutschen Werktätigen nach Lohnerhöhungen (bei dem gegebenen Zustand der gewerkschaftlichen Führung) durch die aus der Umsiedlung resultierende relative Übervölkerung beträchtlich erschwerte, ist folglich das verhältnismäßig niedrige Lohnniveau der westdeutschen Werktätigen mit diesem Moment in Verbindung zu bringen, muß zu einem wesentlichen Teil daraus erklärt werden. 23

Nach den amtlichen Angaben erreichte die Arbeitslosigkeit die folgenden A u s m a ß e :

a) Belebungsphase (Mitte 1948 bis Mitte 1950) b) Aufschwungsphase 1950 bis 1957 (Jahresdurchschnitt in 1000) Dez. 1948 760 1950 1580 1432 J a n . 1949 1951 963 1952 J u n i 1949 1283 1379 Dez. 1949 1953 1259 1558 J a n . 1950 1954 1221 1898 J u n i 1950 1538 1955 928 761 1956 1957 668

Zum Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion

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Wenn es bei den Apologeten des Monopolkapitals gang und gäbe ist, die Umsiedler als große wirtschaftliche Belastung hinzustellen, so ist demgegenüber festzustellen, daß die Umsiedler zu einer äußerst ergiebigen Akkumulationsquelle für das westdeutsche Kapital wurden, weil sie infolge ihrer Verelendung auch unter den schlechtesten Bedingungen die Arbeit aufnahmen. Die den besonders vorteilhaften Verwertungsbedingungen für das westdeutsche Kapital zugrunde liegenden entsprechend günstigeren Ausbeutungsbedingungen können m. E. nicht ohne Berücksichtigung der im vorstehenden geschilderten Verkaufsbedingungen für die Ware Arbeitskraft abgeleitet werden. Die erfolgreiche Anwendung der verschiedensten modernsten Ausbeutungsmethoden kann nicht allein aus der Raffinesse ihrer Handhabung, sondern muß ebenso aus den ihre Anwendung begünstigenden ökonomischen und politischen Umständen erklärt werden. Man kann natürlich nicht berechnen, wie stark die Löhne der westdeutschen Werktätigen durch die über lange Zeit hinweg stark spürbare relative Übervölkerung gedrückt wurden. Um neben den theoretischen Darlegungen wenigstens gewisse Vorstellungen über die Wirksamkeit des Lohndrucks durch die relative Übervölkerung zu vermitteln, seien die folgenden empirischen Daten angeführt. Vergleicht man innerhalb des Zeitraumes von Juni 1948 bis 1951, in dem die relative Übervölkerung sich am sichtbarsten zeigte (und die Wirtschaftstätigkeit weitgehend normalisiert war) die Entwicklung der Bruttostundenverdienste z. B. in der Gruppe der angelernten Arbeiter für die Länder Schleswig-Holstein und Bayern (2 Länder der Bundesrepublik mit einem hohen Bevölkerungszuwachs infolge der Umsiedelung) einerseits und dem Land Nordrhein-Westfalen andererseits, dann waren die Unterschiede im Juni 1948 nicht sehr groß: Die Stundenlöhne betrugen 103,6; 105 und 108 Rpf. Auch ein kontinuierliches Ansteigen ist für alle drei Länder für die Folgezeit festzustellen, aber das Ergebnis von Juni 1950 lautet so: Gegenüber Juni 1948 waren die Bruttostundenverdienste in Schleswig-Holstein um 19, in Bayern ebenfalls um 19 und in Nordrhein-Westfalen um 4 0 % angewachsen. Für März 1951 lauten die entsprechenden Steigerungssätze 30, 31 bzw. 49°/ 0 und für Juni 1951 42, 45 und 55%. In der Folgezeit verringern sich die Unterschiede noch weiter, was ganz natürlich ist, weil sich die Unterschiede in der relativen Übervölkerung durch Abwanderung und stärkere Industrialisierung auch abschwächen. Betrachten wir nunmehr an Hand einiger charakteristischer Daten diese für die Kapitalisten „idealen" Ausbeutungsverhältnisse. Sie zeigen sich besonders gut durch einen Vergleich mit der Vorkriegszeit und mit anderen kapitalistischen Ländern. TABELLE 4

Vergleichsdaten zur Lage der Arbeiterklasse 1938 1953 Reallöhne Arbeitslosigkeit Arbeitsleistung pro Stunde Unfallrate pro 1000 Versicherte Krankenrate pro 1000 Versicherte Quelle-. Kuczynski, Jürgen, a. a. O., S. 299.

100 2% 100 98 43,4

94 7% 113 120 46,2 (1952)

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Trotz bedeutend höherer Arbeitsleistung als 1938 liegen 1953 die Reallöhne noch unter dem Niveau der Herrschaft des Faschismus! Das beträchtliche Ansteigen der Unfallrate und der Krankenrate zeigt gleichzeitig, daß die erhöhte Arbeitsleistung wesentlich mit gestiegener Arbeitshetze zusammenhängen. Was das im Vergleich zu anderen Ländern niedrige westdeutsche Lohnniveau anbelangt, so gab Dr. Viktor Agartz auf dem I I I . DGB-Kongreß für die J a h r e 1953/54 folgende Einschätzung: „ E s steht fest, daß etwa 80°/o aller Berufstätigen ein Einkommen unter 400 DM brutto haben. Es steht fest, daß der deutsche Industriearbeiter mit der Kaufkraft seines Lohnes für eine Arbeitsstunde von 16 westlichen Ländern an drittletzter Stelle steht. Es steht ferner fest, daß die Preise für Lebensmittel in diesen 16 Ländern sich so gruppieren, daß Westdeutschland in der Spitzengruppe, und zwar an vierter Stelle rangiert. Betrachten wir dazu noch die Umsätze des Einzelhandels; es wird gemeldet, daß die Umsätze mit 16 °/0 das Vorkriegsniveau überschritten h ä t t e n . Es wird bei der Berechnung dieser Zahl aber vergessen, daß gleichzeitig die Bevölkerung sich um 2 0 % vermehrt hat. Es steht also weiter fest, daß der Verbrauch je Kopf der Bevölkerung in Westdeutschland um 8°/0 niedriger ist als vor dem K r i e g . " 2 4 Das vergleichsweise niedrige westdeutsche Lohnniveau konnte selbst in der „Deutschlandfibel" nicht bestritten werden. Sie bringt denselben Vergleich wie Dr. Viktor Agartz. Dort heißt es: „Unter 16 westlichen Ländern liegt der Stundenlohn eines westdeutschen Arbeiters — auf die Kaufkraft gesehen — an drittletzter Stelle." 2 5 In den folgenden Jahren, im Verlauf der Hochkonjunktur, sind die Reallöhne der westdeutschen Arbeiter unzweifelhaft noch etwas angestiegen. Sie erreichten 1955 etwa das Niveau von 1938 und überschritten dieses in den beiden darauffolgenden Jahren. Wie es vor allem durch die Zugeständnisse der westdeutschen Bourgeoisie im Zusammenhang mit der schweren Steinkohlenkrise ab 1958 offenbar wurde, die unterblieben oder in nur viel schwächerem Maße erfolgt wären, würde in Deutschland heute nicht die D D R existieren, ist die Steigerung der Reallöhne während der Hochkonjunktur natürlich nicht ausschließlich, aber sicherlich z. T. aus der Einwirkung der D D R auf Westdeutschland zu erklären. „In vielen Lohnkämpfen hat die Bourgeoisie Zugeständnisse gemacht, um große und lange Streikkämpfe, wie sie in vielen anderen kapitalistischen Ländern geführt wurden, angesichts der Existenz und des Einflusses der D D R zu verhindern. Das heißt, die D D R hat schon heute der Arbeiterklasse Westdeutschlands eine große Hilfe geleistet." 2 6 Trotz dieser Lohnerhöhungen im Verlauf der Aufschwungsphase und besonders während der Hochkonjunktur hat sich — wie die folgenden Angaben zeigen werden — 24 Wirtschafts- und Steuerpolitik, Grundsätze und Programm des DGB, Referat von Dr. Viktor Agartz auf dem 3. Ordentlichen Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Frankfurt am Main, vom 4. bis 9. Oktober 1954, S. 31/32. 25 Deutschlandfibel. Ein Wegweiser durch die Bundesrepublik. Herausgegeben vom Beirat für den bürgerschaftlichen Austausch mit dem Ausland. Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main, Berlin 1955, S. 52. 26 Neue Probleme der Übergangsperiode . . ., a. a. O., S. 37.

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weder an der im Vergleich zur Vorkriegszeit noch an der gegenüber vielen anderen hochentwickelten kapitalistischen Ländern höheren Ausbeutung der westdeutschen Werktätigen etwas geändert. Dies zeigt sich einerseits im Ansteigen der Arbeitshetze und der Krankenrate und andererseits darin, daß 1956 das westdeutsche Lohnniveau immer noch beträchtlich unter dem vieler anderer hochentwickelter kapitalistischer Staaten lag. W a r 1953 die Arbeitsleistung pro Stunde nach den Angaben von Kuczynski um 13°/0 höher als 1938, so lautet der entsprechende Prozentsatz für 1956 32°/0.27 Die Krankenrate pro 100 Versicherten stieg von 46,2°/0 (1952) auf 5 3 , 5 % im Jahre 1956! 28 Die Erhöhung ihrer Reallöhne mußten also die Werktätigen mit weitaus überproportionaler Leistungssteigerung bezahlen. Das zeigt sich auch darin, daß der Reallohn je Produktionseinheit von 100 im Jahre 1950 auf 96 im Jahre 1956 fiel. (Für England und Frankreich lauten die entsprechenden Ziffern 101 bzw. 99) 29 . Über das vergleichsweise niedrige Lohnniveau der westdeutschen Werktätigen seit 1953 geben die Untersuchungen der Hohen Behörde der Montanunion über die Realeinkommen der Arbeiter im Steinkohlenbergbau und der Stahlindustrie einigen Aufschluß. Für das Jahr 1953 zeitigten die Untersuchungen für die Bergarbeiter folgende Ergebnisse: TABELLE 5

Einkommen der Bergarbeiter unter Tage ( Eingeschrieben, verheiratet, ohne Kinder, in zecheneigener Wohnung, Jahreseinkommen 1952) Land

in bfrs.

Land mit höchstem Einkommen = 100 100,0 96,9 95,7 83,5 78,5 63,6

67900 Saarland 65800 Belgien 65000 Niederlande 56700 Frankreich Bundesrepublik 53300 43200 Italien Quelle: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Hohe Behörde, Statistische Informationen, 5. Jg., Nr. 3, Mai/Juni 1958, Luxemburg, S. 147. Die Entwicklung der Löhne der Bergarbeiter und Stahlarbeiter von 1953 bis 1956 ergibt folgendes Bild, wobei jeweils das Land mit dem höchsten Einkommen gleich 100°/o gesetzt wird (vgl. Tabelle 6). Unter Berücksichtigung der in diesem Abschnitt erörterten spezifischen Prozesse und der angeführten statistischen Angaben dürfen wir diese Untersuchungen der Hohen Behörde als repräsentativ für das relative westdeutsche Lohnniveau überhaupt betrachten. 27 Berechnet nach den Angaben des Statistischen Jahrbuches für die Bundesrepublik Deutschland, a. a. O., 1957, S. 232. 28 Berechnet nach der gleichen Quelle, S. 397. 29 „Probleme des Friedens und des Sozialismus". Zeitschrift der Kommunistischen und Arbeiterparteien für Theorie und Information. Dietz Verlag, Berlin 1960, 3. Jahrg., Nr. 1; Beilage: Die Wirtschaftslage der kapitalistischen Länder (Zahlen und Tatsachen) S. 32.

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TABELLE 6

Entwicklung (in

zecheneigener

Wohnung,

Einkommen

der Jahreseinkommen eingeschriebene des Landes

Bundesrepublik Belgien Frankreich Italien Niederlande Saarland in werkseigener

Bundesrepublik Belgien Frankreich Italien Luxemburg Niederlande Saarland Quelle: Ebenda, S. 150.

Tage

Einkommen

mit 2

1953 =

Kindern)

100

1954

1955

1956

74,7 100,0 96,9 66,7 95,0 99,3

75,1 101,8 99,7 69,9 99,8 104,7

80,1 103,9 106,0 71,9 105,4 113,0

93,2 106,6 111,0 74,6 111,5 120,0

der

Wohnung,

Einkommen

mit höchstem

unter

verheiratet,

1953

Entwicklung (nicht

der Bergarbeiter Untertagearbeiter,

Jahreseinkommen

eingeschriebene

des Landes

der

Arbeiter,

mit höchstem

1953

1954

61,0 79,3 70,4 58,2 100,0 62,7 64,1

64,3 81,6 73,0 59,4 97,1 62,9 65,6

Stahlarbeiter verheiratet,

Einkommen

1955 68,6 85,0 83,2 62,3 100,7 69,1 75,7

mit zwei

1953 =

Kindern)

100

1956 70,9 88,6 88,1 64,8 107,6 72,5 83,5

Die besonders günstigen Ausbeutungsbedingungen für das westdeutsche Monopolkapital, die sich aus den stark gesunkenen Löhnen infolge des Krieges und der Inflationszeit, der stark geschwächten Kampfkraft der Arbeiterklasse infolge der opportunistischen Führung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften sowie der Erhöhung der relativen Übervölkerung durch die Umsiedlung von Millionen Werktätigen ergaben, waren neben den großen Kapazitätsreserven und des hohen Entwicklungsstandes des staatsmonopolistischen Kapitalismus die wichtigsten Faktoren für die profitablen Produktionsbedingungen. 2. Die Realisierungsbedingungen Die „Bedingungen der unmittelbaren Exploitation" waren — wie wir sahen — für das westdeutsche Monopolkapital und auch für große Teile des nichtmonopolistischen Kapitals überaus vorteilhaft. Dadurch allein waren natürlich noch nicht die verhältnismäßig günstigeren Verwertungsbedingungen konstituiert. Es mußten auch Bedingungen gegeben sein, die es gestatteten, den produzierten Mehrwert zu realisieren. „Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktionskraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft." 3 0 30

Marx, Karl, Das Kapital, a. a. O., Bd. III, S. 272.

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Die Nicht-Identität zwischen den gesellschaftlichen Produktivkräften und den Realisierungsmöglichkeiten zeigte sich im Verlauf der Belebungs- und Aufschwungsphase in Westdeutschland in verschiedenen Formen, obwohl der schnelle Produktionsanstieg natürlich nur möglich war, weil die Absatzmärkte sich ausdehnten. Die verschiedenen Formen, in denen sie sich zeigte, kamen zum Vorschein; erstens darin, daß trotz des an kapitalistischen Maßstäben gemessenen hohen Wachstumstemposder Industrieproduktion die Produktivkräfte noch bei weitem nicht voll ausgenutzt werden konnten; zweitens in den mehrmals auftretenden Krisenerscheinungen und drittens im ständig zunehmenden Zwang, neue Absatzmärkte auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu erobern. Bezüglich der ersten Form genügt hier der Hinweis auf die angeführten Arbeitslosenziflern sowie auf die Angaben zur Kapazitätsauslastung der Tabelle 2. Auf die zweite Form soll dagegen hier — wenn auch nur skizzenhaift — eingegangen werden, weil dadurch auch klarer wird, welche Bedeutung der dritten Form, der Rolle der Exporte, bei der Realisierung zukommt. Überblickt man den Entwicklungsverlauf der westdeutschen Industrieproduktion von 1948 bis Ende 1957 Anfang 1958, so lassen sich 3 Perioden sprunghaften Produktionsanstiegs mit jeweils folgenden Absatzschwierigkeiten und Produktionsrückgängen einzelner Bereiche der Industrie feststellen. Den ersten sprunghaften Produktionsanstieg beobachten wir im zweiten Halbjahr 1948 im Anschluß an die Währungsreform. Es war dies der sogenannte „Währungs-Boom", in dessen Verlauf sich die Industrieproduktion um nahezu die Hälfte erhöhte. (Der Index der Produktion stieg von 47,0 im Durchschnitt des 2. Quartals 1948 auf 68,0 im Durchschnitt des 4. Quartals, 1950 = 100). Gleichzeitig mit diesem Produktionsanstieg kletterten die Preise, insbesondere für Konsumgüter, in die Höhe, so daß sich schnell eine beträchtliche Disproportion zwischen dem Warenangebot und der kaufkräftigen Nachfrage herausbildete. Die Folge waren eine bedeutende Verlangsamung der Produktionszunahme, eine sinkende Tendenz der Preise und in Teilbereichen der Industrie Stagnationserscheinungen. Wie beengt die Realisierungsmöglichkeiten auf dem westdeutschen Binnenmarkt bis Mitte 1950 waren, ergibt sich daraus, daß der Inlandsumsatz der Industrie im 1. Halbjahr 1950 um 1 °/0 gegenüber dem 2. Halbjahr 1949 absank. Der Gesamtumsatz (also einschließlich des Auslandsumsatzes) stieg lediglich um 0,5°/0.81 Mit Ausnahme der Zeit des „Währungs-Booms" selbst, war die Nicht-Identität der Produktions- und Realisierungsmöglichkeiten in diesem Zeitabschnitt in besonderem Maße ausgeprägt. Dies ergab sich vor allem aus den bedeutenden Überkapazitäten, die eine schnelle Produktionssteigerung ermöglichten, ohne daß sich die Konsumtionskraft der Massen auch nur annähernd im entsprechenden Tempo (vor allem über die Ausdehnung der Beschäftigten) heben konnte, wie das Angebot an Konsumtionsmitteln zunahm. 31 „Wirtschaftskonjunktur". Berichte des Ifo-Instituts München. 2. Jahrg., H. 1, S. 11,. 1950/51.

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Mit der Entfesselung des Korea-Krieges durch den amerikanischen Imperialismus und der südkoreanischen Li Syng Man-Clique setzte der zweite sprunghafte Produktionsanstieg der westdeutschen Industrie ein. Begünstigt durch die verstärkte Rüstungsproduktion in den anderen imperialistischen Hauptländern, wodurch sich für den deutschen Imperialismus außerordentlich große Exportmöglichkeiten eröffneten, sowie durch die im Gefolge der Preissteigerungen einsetzenden „Hamsterkäufe", die auf allen Stufen des Reproduktionsprozesses zunächst durch vermehrte Verschuldung und später durch erhöhte Profite und auch wachsende Löhne und Gehälter finanziert wurden, weiteten sich die Realisierungsmöglichkeiten in starkem Maße aus, so daß die westdeutsche Industrieproduktion binnen eines Jahres, von Mitte 1950 bis Mitte 1951, um rund 3 0 % ansteigen konnte. Aber auch während dieser Periode blieb die Konsumtionskraft der Werktätigen weit hinter dem durch Preissteigerungen aufgeblähten Warenangebot an Konsumtionsmitteln zurück. In vielen Konsumtionsmittelindustrien oder ihren unmittelbaren Zulieferern war die Produktion im folgenden Jahr rückläufig oder sie stagnierte. Bei insgesamt 11 Industriezweigen lag das Produktionsniveau im 2. Halbjahr 1952 niedriger als im 1. Halbjahr 1951. Darunter bei der Textilindustrie und der holzverarbeitenden Industrie um 13,3 bzw. 13,2°/ 0 . In zwei weiteren Industriezweigen verblieb sie auf gleicher Höhe. Die Absatzschwierigkeiten dieses Bereichs wirkten gegen Ende 1952 und im Verlaufe des Jahres 1953 auf die Zweige der Produktionsmittelindustrien zurück und riefen hier — soweit sie nicht in entsprechendem Ausmaß verstärkt exportieren konnten — partielle Krisenerscheinungen hervor. Produktionseinbußen in einem solchen Maße, daß das vorjährige Niveau unterschritten wurde, erlitten 1953 7 Industriezweige dieses Bereichs. Am stärksten erfaßte die partielle Krise die Eisenund Stahlindustrie. Sie dauerte hier etwa l 1 /^ Jahre. Vom 4. Quartal 1952 bis zum 4. Quartal 1953 sank die Produktion um 17,5°/ 0 ab (von 146,4 auf 1 2 0 , 8 , 1 9 5 0 = 100). Am umfassendsten waren die Krisenerscheinungen im Anschluß an den zweijährigen Investitionsboom von Mitte 1954 bis Mitte 1956, in dessen Verlauf die Industrieproduktion ähnlich stark anstieg (rund 27°/ 0 ) wie während des ein J a h r dauernden Korea-Booms. Die Krisenerscheinungen im Anschluß an die dritte Periode sprunghaften Produktionsanstiegs begannen im Unterschied zu den vorherigen zuerst in den Produktionsmittelindustrien und erst später (im 1. Halbjahr 1958) traten sie konzentrierter in den Konsumtionsmittelindustrien auf. Von den 26 wichtigsten Zweigen der westdeutschen Industrie wiesen im 2. Quartal 1958 17 Zweige Rückgänge auf und in 2 weiteren stagnierte die Produktion. Das Gewicht der Zweige mit absoluten Rückgängen an der industriellen Produktion betrug mindestens 60°/ 0 . Der Entwicklungsverlauf der westdeutschen Industrieproduktion während der .10 Jahre von Mitte 1948 bis Mitte 1958 zeigte also trotz des Wirkens einer Reihe besonderer Faktoren, die sich teils aus der Vorkriegszeit und zum größten Teil aus den Folgen des zweiten Weltkrieges und der Vorbereitung eines dritten Weltkrieges herleiten, die widerspruchsvolle Natur der kapitalistischen Produktion. Die Be-

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dingungen der unmittelbaren Exploitation waren auch während dieser Zeitspanne keineswegs identisch mit den Bedingungen der Realisierung. Wir wollen nun einige Fragen näher betrachten, die mit der immerhin erstaunlichen Ausdehnungsfähigkeit des westdeutschen Binnenmarktes zusammenhängen. a) Zur Dynamik des westdeutschen Binnenmarktes Die grundlegenden Prozesse und Faktoren, die im Nachkriegszyklus zu einer Ausweitung der Märkte führten, waren in den weiter oben zitierten Thesen der Abteilungen Agitation/Propaganda und Wissenschaften beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands enthalten. In ihnen wird auf die umfangreichen Zerstörungen von Produktionsanlagen und Wohnvierteln, auf die während des zweiten Weltkrieges und der Vorkriegszeit weitgehend unterbliebenen Ersatzinvestitionen und Neuanlagen sowie auf die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende Umwälzung in der Produktionstechnik verwiesen, wodurch die besonders umfangreichen Investitionen der Nachkriegszeit bedingt waren. Natürlich war bezüglich dieser Faktoren die Lage in den einzelnen Ländern nicht völlig gleichartig: Vor dem Kriege waren die Investitionen in Deutschland vergleichsweisehöher als in den anderen Ländern, dafür waren die Zerstörungen hier größer usw. Diese notwendig gewordenen umfangreichen Investitionen, also die Erweiterung der Produktion auf Rechnung der Produktionsmittel, zogen infolge des wechselseitigen Zusammenhanges der beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion auch eine Erweiterung der Märkte für Konsumtionsmittel nach sich. Abstrahiert man von den spezifischen Momenten der Nachkriegszeit, so vollzog sich die Ausdehnung des Marktes wie in jedem zyklischen Aufschwung. Die Ausdehnung der Produktion in der Abteilung I, wenn sie bedeutend ist, zieht in der Regel 2 Momente nach sich: erstens ein Ansteigen der Beschäftigung und des variablen Kapitals und zweitens des Mehrwerts dieser Abteilung. Dies zieht sowohl durch die Arbeiter und Angestellten wie auch durch die Kapitalisten eine vermehrte Nachfrage nach Konsumtionsmitteln nach sich. Die Folge ist größere Produktion in Abteilung II, was auch hier zu einer erhöhten Beschäftigung, also zu einem Anwachsen des variablen Kapitals und des Mehrwerts führt. Die Kapitalisten der Abteilung II werden in die Lage versetzt, ihre Produktionsanlagen zu erweitern, also in erhöhtem Maße Waren von Abteilung I zu beziehen usw. Dieser Prozeß vollzieht sich um so ausgeprägter, je größer der Zwang zu einer umfassenden Erneuerung des fixen Kapitals aller Bereiche ist. Die seit dem zweiten Weltkrieg sich vollziehende Umwälzung in der Produktionstechnik, die natürlich noch bei weitem nicht abgeschlossen ist, war ein überaus wichtiges Moment bei der Erweiterung der Märkte. Dadurch, daß in Westdeutschland außer den oben genannten Faktoren noch zwei weitere hinzukamen — zunächst ganz abgesehen von den Anreizen zur erhöhten Investitionstätigkeit infolge der besonders günstigen Ausbeutungsbedingungen —, nämlich die erforderlichen Investitionen, um die durch die Spaltung Deutschlands entstandenen Disproportionen auszugleichen sowie die mit dem starken Bevölkerungsanstieg zusammenhängenden, erlangte der westdeutsche Markt trotz des 19 Probleme Bd. 3

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vergleichsweise niedrigen Lohnniveaus seine auf den ersten Blick erstaunliche Expansionsfähigkeit. Im folgenden wollen wir uns mit einigen hier angeschnittenen Fragen, die weitgehend Besonderheiten der westdeutschen Entwicklung sind, noch etwas näher befassen. Zunächst zu den erforderlichen Investitionen zur Überwindung der durch die Spaltung Deutschlands entstandenen Disproportionen. Neben der Konsumtionskraft ist die Proportionalität der verschiedenen Industriezweige eine wesentliche Bedingung für eine mehr oder weniger reibungslose Realisierung des jährlich produzierten „Warenhaufens". Obwohl die durch die Spaltung Deutschlands in der westdeutschen Wirtschaft entstandenen Disproportionen in gar keinem Verhältnis zu denen in der Wirtschaft der DDR hervorgerufenen standen, störten auch sie während einer gewissen Zeitspanne unzweifelhaft die Realisierung. Diese Disproportionen konnten zwar durch den Außenhandel etwas gemildert, aber nicht überwunden werden. Worin zeigten sich beispielsweise Disproportionen ? Geht man von den Industriezweigen als Einheiten aus, so läßt sich für Westdeutschland ein Mangel von Kapazitäten insbesondere bei einer Reihe von Industriezweigen der Konsumgüterindustrie, wie der Bekleidungsindustrie, der Textilindustrie, der keramischen Industrie usw. feststellen. Ferner waren die elektrotechnischen und die feinmechanisch-optische Industrie schwächer, als es dem Bevölkerungsanteil entsprach, in Westdeutschland ansässig. Geht man von kleineren Einheiten, von den einzelnen Branchen der Industriezweige aus, dann summiert sich die Zahl der fehlenden Kapazitäten natürlich beträchtlich. Beispielsweise waren solche Branchen des Maschinenbaus, wie Werkzeugmaschinen, Textilmaschinen, Nähmaschinen, Papierverarbeitungsmaschinen, Druckmaschinen, Armaturenindustrie u. a. zu schwach vertreten. Das traf selbstverständlich für eine Reihe weiterer Industriezweige, wie z. B. der chemischen Industrie zu. Alles in allem läßt sich zu diesen „nichtzyklischen" Disproportionen sagen, daß sie bei der westdeutschen Industriestruktur und dem vorhandenen Arbeitskräftereservoir schnell zu überwinden waren, zumal der Ausbau dieser Industriezweige als Folge der starken Nachfrage zu einer äußerst profitablen Angelegenheit wurde. Aber dieses Moment erforderte Investitionen und insofern wirkte die Beseitigung der Disproportionen in der Produktionsstruktur markterweiternd. Wenden wir uns nunmehr dem Zusammenhang zwischen dem sprunghaften Bevölkerungsanstieg und der Marktentwicklung zu. Den Bevölkerungszuwachs betrachteten wir im vorigen Abschnitt ausschließlich unter dem Blickpunkt seines Einflusses auf die Löhne, auf die Verkaufsbedingungen für die Ware Arbeitskraft und die Steigerung der Ausbeutung. In diesem einen Aspekt erschöpfte sich die Einwirkung des Bevölkerungszuwachses auf den Reproduktionsprozeß natürlich nicht. Ein anderer keineswegs unwichtiger Aspekt des Bevölkerungszuwachses ist mit der schnellen Beseitigung der durch die Spaltung Deutschlands entstandenen Disproportionen verbunden. Das berufsmäßig vielschichtig zusammengesetzte Arbeitskräftereservoir ermöglichte es, daß sowohl die fehlenden Kapazitäten schnell erzeugt als auch schnell in Betrieb genommen werden konnten, weil genügend Fachleute

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sowohl f ü r deren Projektierung und Erzeugung wie f ü r deren Ingangsetzung vorhanden waren. Schließlich ist ein weiterer Aspekt des Bevölkerungszuwachses m i t der Entwicklung des Binnenmarktes verbunden. Um die Einflüsse des Bevölkerungszuwachses in Westdeutschland auf die E n t wicklung des Binnenmarktes erfassen zu können, ist es m. E . notwendig, das Allgemeine dieses Prozesses, es besteht in der Tatsache des Bevölkerungszuwachses überhaupt, vom Spezifischen oder Besonderen, es besteht im sprunghaften Anwachsen der arbeitsfähigen Bevölkerung, zu unterscheiden. Betrachten wir zuerst das Allgemeine des Prozesses. H a t man einen verhältnismäßig langen Zeitraum vor Augen, dann kann m a n einerseits eine Ausdehnung der Beschäftigung im Rahmen der gesamten Wirtschaft wie auch eine Ausdehnung der Arbeitslosigkeit (im Trend) feststellen. Darin bestätigt sich die Marx'sche Feststellung, die er bei der Untersuchung des Akkumulationsprozesses t r i f f t : „Der kapitalistischen Produktion genügt keineswegs das Quantum disponibler Arbeitskraft, welches der natürliche Zuwachs der Bevölkerung liefert. Sie bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke unabhängigen industriellen Reservearmee."82 Obwohl die industrielle Reservearmee zusammen „ m i t den Potenzen des Reicht u m s " periodisch angewachsen ist, wurde diese in den Aufschwungsphasen u n d vor allem während der H o c h k o n j u n k t u r bis zum Ausbruch der allgemeinen Krise aufgesogen und auch die durch die natürliche Bevölkerungsvermehrung angewachsene Zahl von Arbeitskräften fand Beschäftigung. J a , die Bevölkerungsvermehrung verlieh der Akkumulation eine gewisse Stetigkeit, und zwar insofern als z. B. der Wohnraumbedarf kontinuierlich stieg, das Verkehrsnetz erweitert werden m u ß t e usw. „Soll die Akkumulation ein stetiger, fortlaufender Prozeß sein, so dies absolute Wachstum der Bevölkerung (obgleich sie relativ gegen das angewandte Kapital abnimmt) Bedingung. Vermehrung der Bevölkerung erscheint als Grundlage der Akkumulation als eines stetigen Prozesses. Dies setzt aber voraus ein average Salär, das beständiges Wachstum der Arbeiterbevölkerung, nicht nur Reproduktion derselben, erlaubt. Für plötzliche Fälle sorgt die kapitalistische Produktion schon dadurch, daß sie einen Teil der Arbeiterbevölkerung überarbeitet und den andren als Reservearmee halb oder ganz verpaupert in petto hält." 33 Unter den Bedingungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus t r i t t insofern eine Änderung ein, als sich ein Teil der industriellen Reservearmee als Folge der Verschärfung der Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise in eine ständige Arbeitslosenarmee verwandelt. Im Gegensatz zur Zeit vor der allgemeinen Krise kann unter diesen Bedingungen die reale Akkumulation, abgesehen von bestimmten Perioden (Weltkriege), k a u m noch durch Arbeitskräftemangel g e h e m m t werden, obwohl die Beschäftigung auch weiterhin im Trend steigt. Aber selbstverständlich gehen vom Bevölkerungswachstum weiterhin Wirkungen auf die Akkumulation aus. Wohnungsbauten, Verkehrsbauten werden z. B. infolge 32

Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0., Bd. I, S. 669. Marx, Karl, Theorien über den Mehrwert. (Vierter Band des „Kapitals".) Dietz Verlag, Berlin 1959, 2. Teil, S. 474. 9» 33

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des Bevölkerungswachstums von Jahr zu J a h r notwendig. Sie sind daher eine sich stetig ausdehnende Anlagesphäre des Kapitals. Infolge der allseitigen Abhängigkeit der Produktionszweige voneinander gehen dadurch Einflüsse sowohl auf andere Zweige der Abteilung II wie auch auf die Abteilung I aus. Die Bevölkerungsvermehrung beeinflußt in direkter Weise hauptsächlich einige mit der Bauwirtschaft zusammenhängende Zweige und über diese, also auf indirekte Weise, mehr oder weniger alle übrigen Wirtschaftsbereiche. Dieser Zusammenhang zeigte sich in Westdeutschland nach dem II. Weltkrieg besonders offensichtlich, weil einerseits die Zerstörungen und andererseits der starke Bevölkerungszuwachs zu einem äußerst krassen Mißverhältnis, z. B. zwischen dem Wohnraumbestand und -bedarf geführt hatten. Durch beide Momente stieg die Wohndichte in Westdeutschland von 3,8 Bewohnern je Wohnung im Jahre 1939 auf 5,1 Bewohner im Jahre 1950. Es ist dies eine Erhöhung um 34°/0! Unter diesen Bedingungen wurde der Wohnungsbau in Westdeutschland nicht nur zu einem äußerst profitablen Geschäft, wozu die entsprechen? den gesetzlichen Bestimmungen wesentlich beitrugen (steuerliche Begünstigungen usw.), sondern auch zu einer der wichtigsten „Konjunkturstützen". Gleichzeitig war die Beseitigung des drückendsten Wohnraummangels von ungeheuer großer Bedeutung für die Entwicklung der Industrieproduktion, weil in den Industriezentren die Zerstörungen am größten waren. Ohne den enormen Bevölkerungszuwachs und die günstigen Profitmöglichkeiten wären selbstverständlich in Westdeutschland in der Zeit von 1949 bis 1957 nicht rund 4 Millionen Wohnungen mit einem Aufwand von etwa 66 Md. DM gebaut worden.34 Der so notwendig gewordene vermehrte Wohnungsbau wirkte sekundär in beträchtlichem Maße auf die Steigerung der Investitionen in vielen Industriezweigen ein. Er war damit ein überaus wichtiger Faktor der Ausdehnung des Binnenmarktes. Wenden wir uns nun der spezifischen oder besonderen Seite des Bevölkerungszuwachses, der sprunghaft angestiegenen Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung, zu. Während sich uns bisher die Einflüsse der Bevölkerungsvermehrung auf die Investitionstätigkeit in den verschiedenen Zweigen der Industrie vor allem als Sekundärwirkung darstellten, handelte es sich jetzt um die direkte Einwirkung auf die Investitionstätigkeit in jedem Betrieb und jedem Industriezweig. Eine Primärwirkung des Bevölkerungszuwachses auf die Erhöhung der Investitionen in allen Industriezweigen ist nur unter einer Bedingung denkbar: Es muß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ihm und einem günstigen Verwertungsgrad für die Investitionen bestehen. Wenn unsere im vorigen Abschnitt erfolgte Ableitung der für das westdeutsche Kapital gegebenen besonders günstigen Ausbeutungsbedingungen richtig ist (den Wirkungen der relativen Übervölkerung räumten wir dabei eine wichtige Stellung ein), so sind wir auch hier berechtigt, diese besondere Seite des Bevölkerungszuwachses als ein die Investitionen anspornendes, ankurbelndes und ausweitendes Moment anzusehen. Insofern die westdeutsche Investitionsquote die der anderen kapi3 4 Deutschland im Wiederaufbau. Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für das J a h r 1958, S. 360ff.

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talistischen Länder so beträchtlich übertraf, ist dies eigentlich nur ein anderer Ausdruck dessen, daß die Ausbeutungsbedingungen für das westdeutsche Kapital entsprechend günstiger gewesen sind. Die hohe und fortgesetzt steigende Investitionsquote führte aber über eine relativ lange Zeitspanne hinweg nicht nur zur Expansion des Produktionsmittelmarktes, sondern über die anwachsende Beschäftigung, die verlängerten Arbeitszeiten und die im Kampf erzwungene steigende Tendenz der Reallöhne auch zur Ausweitung der Konsumtionskraft und damit zur Ausdehnung des Konsumtionsmittelmarktes. Wenn wir uns vor Augen halten, daß die Zahl der in der westdeutschen Volkswirtschaft insgesamt beschäftigten Arbeiter und Angestellten von 13,8 Millionen im Jahre 1950 auf 18,9 Millionen im Jahre 1957 anstieg, das ist eine Erhöhung um 37°/ 0 , und sich die tägliche Arbeitszeit bei den männlichen Arbeitskräften (Industrie und Baugewerbe) von durchschnittlich 47,3 Stunden im Jahre 1949 auf 49,8 Stunden im Jahre 1955 erhöhte, so läßt sich allein aus diesen Daten die zeitweilig beträchtliche markterweiternde Wirkung der beschleunigten realen Akkumulation in Westdeutschland deutlich ablesen. Hauptfaktor der Ausweitung des Konsumtionsmittelmarktes war unzweifelhaft die über den starken Beschäftigungszuwachs angestiegene Konsumtionskraft (In der Industrie erhöhte sich zwischen 1950 und 1957 die Beschäftigung sogar um 50°/ 0 ). Während sich die zahlungsfähige Nachfrage jedes einzelnen Werktätigen infolge der gegebenen und ausführlich geschilderten Ausbeutungsbedingungen nur innerhalb verhältnismäßig eng gezogener Grenzen ausdehnen konnte, weitete sich die Konsumtionskraft insgesamt, eben vor allem über die erhöhte Beschäftigung, nicht unbeträchtlich aus. Hinsichtlich der Dynamik des Binnenmarktes ist mithin vor allem noch der starke Beschäftigungszuwachs zu erklären. Wenn wir bisher den Beschäftigungszuwachs als bloße Folge der umfangreichen Investitionstätigkeit betrachteten, so war das zwar nicht falsch, aber es war vereinfacht, weil wachsende Investitionen nicht unter allen Bedingungen mit wachsender Gesamtbeschäftigung einhergehen. Im Kapitalismus wird die Beschäftigungsentwicklung maßgeblich vom Niveau und der Entwicklungstendenz der organischen Zusammensetzung des Kapitals bestimmt. Sind umfangreiche Investitionen mit einer schnellen Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals verbunden, so kann die Beschäftigung stagnieren oder nur leicht ansteigen, sie kann sogar absinken (Wirkungen der Automatisierung). Weitet sich dagegen innerhalb kurzer Zeit die Beschäftigung sehr erheblich aus, so kann die Investitionstätigkeit — und sei sie auch noch so umfangreich — nicht sehr stark zur Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Gesamtkapitals beigetragen haben. Für Westdeutschland drängt sich ¡angesichts einer 50prozentigen Erhöhung der Beschäftigung in der Industrie in einem Zeitraum von 8 Jahren eine solche Folgerung auf. Gegen diese Feststellung scheint indessen zu sprechen, daß sich seit dem zweiten Weltkrieg, und insbesondere seit dem Investitionsboom 1954/55, die technische Entwicklung beschleunigt durchsetzte, wodurch sich ja die organische Zusammensetzung des Kapitals erhöht. So ist bekannt, daß z. B. in einigen Teilen der Siemenswerke je Arbeitsplatz 100000

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bis 110000 DM, bei der Einführung automatischer Walzstraßen im Ruhrgebiet 260000 DM und in der automatischen Buna-Fabrik Hüls sogar 280000 DM aufgewandt werden mußten. 35 Wenn man solche Einzelbeispiele als repräsentativ betrachten könnte, so müßte man selbstverständlich zu dem Schluß kommen, daß sich die organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals im Verlauf des Aufschwungs enorm erhöht hat. Wie wäre aber dann der starke Beschäftigungsanstieg zu erklären? Indessen sind diese Einzelbeispiele nicht nur nicht repräsentativ, sondern sie sind ganz und gar Ausnahmefälle ! Nach den Berechnungen des Westberliner Wirtschaftsforschungsinstituts standen im Durchschnitt der westdeutschen Industrie im Jahre 1957 je Beschäftigten etwa 13900 DM Brutto-Anlagen (in Preisen von 1950) zur Verfügung. Für die verarbeitenden Industrien waren es etwa 13100 DM. Unter diesem Betrag lagen sämtliche Verbrauchsgüterindustrien, sämtliche Investitionsgüterindustrien (also Maschinenbau, Schiffsbau, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik, EBMIndustrien, Stahlbau) mit Ausnahme der Automobilindustrie, ferner einige Zweige der Grundstoffindustrien (wie Steine und Erden, Gießereien, Holzverarbeitung usw.) und auch einige Zweige des Bergbaus. 36 Ebenso unbestritten wie der starke Beschäftigungsanstieg ist selbstverständlich, daß in vielen Industriezweigen die organische Zusammensetzung des Kapitals angestiegen ist. Unzweifelhaft ist aber gleichfalls, daß sich die Industriezweige mit unterdurchschnittlicher organischer Zusammensetzung des Kapitals in den Jahren des Aufschwungs in der Regel viel schneller entwickelt haben als diejenigen mit überdurchschnittlicher Zusammensetzung, so daß der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Gesamtkapitals durch diese strukturellen Verschiebungen entgegengewirkt wurde. Die folgende Tabelle soll hierfür zunächst eine gewisse Vorstellung vermitteln. TABELLE 7

Investitionen

und Zunahme

der Beschäftigung

von 1950

bis

1956

Grundstoff- Investitions- Verbrauchs- N a h r u n g s - u . u. P r o d u k t i o n s gütergüterGenußmittelgüterindustrien industrien industrien industrien (in Mill. D M , jeweilige Preise) 1. S u m m e der B r u t t o - A n l a g e i n v e s t i t i o n e n v o n 1950 bis 1956 2. Z u n a h m e der B e s c h ä f t i g u n g v o n 1950 bis 1956 1:2

21,135 (in 1000)

14,790

7,840

4,760

400,8 (in D M ) 52705

1065,2

542,8

103,8

13000

14438

45770

Quelle: E i g e n e B e r e c h n u n g e n n a c h d e n Veröffentlichungen des S t a t i s t i s c h e n B u n d e s a m t e s b z w . des D e u t s c h e n I n s t i t u t s f ü r W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g ( V i e r t e l j a h r e s h e f t e z u r W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g , J g . 1958, E r s t e s H e f t S . 43). 3 5 „ F r a n k f u r t e r A l l g e m e i n e Z e i t u n g " v o m 7. 3. 1959 sowie v o m 28. 6. 1958. Zitiert n a c h : N e u e P r o b l e m e der Ü b e r g a n g s p e r i o d e a. O., S . 83. 3 8 „ V i e r t e l j a h r e s h e f t e zur W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g " , H e r a u s g e b e r : D e u t s c h e s I n s t i t u t f ü r W i r t s c h a f t s f o r s c h u n g . D u n c k e r u. H u m b l o t , Berlin, J a h r g . 1959, E r s t e s H e f t , S . 7 8 u n d 8 0 .

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Die Investitionsgüterindustrien erzielten eine größere Beschäftigtenzunahme als die übrigen drei Gruppen zusammengenommen. Sie hatten aber, und das ist das besonders Bemerkenswerte dabei, die niedrigste Investitionssumme pro neubeschäftigte Person. Hält man sich in diesem Zusammenhang nochmals vor Augen, daß die Investitionsgüterindustrien im J a h r e 1956 ihre Produktion gegenüber 1950 um 143°/0 und die anderen Industriegruppen nur zwischen 42,5 (Bergbau) und 8 7 % (Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien) steigern konnten, dann wirkt die These von der relativ wenig veränderten Durchschnittszusammensetzung des westdeutschen Gesamtkapitals gar nicht mehr so problematisch. Es ist nach den hier dargelegten Überlegungen und den angeführten Fakten somit nicht mehr erstaunlich, wenn die Berechnung der organischen Zusammensetzung des westdeutschen Gesamtkapitals für die J a h r e 1950 und 1955 keine wesentliche Veränderung ergibt, wie es die nachstehende Tabelle ausweist. TABELLE 8

Die organische Zusammensetzung des westdeutschen industriellen Gesamtkapitals für die Jahre 1950 und 1955 Strukturdaten in Mrd. DM I. Konstantes Kapital 1. fixes Kapital 2. zirkulierendes Kapital (CZ) II. Variables Kapital III. Vorgeschossenes Gesamtkapital

1950

1955

102,7 61,1 41,6 14,1 116,8

194,7 107,0 87,7 27,4 222,1

Anteile in % am vorgeschossenen Gesamtkapital IV. Konstantes Kapital 87,85 87,56 V. Variables Kapital 12,15 12,44 Quellen-. I. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Sonderheft N. F. Nr. 42, Berlin 1958; I a + II Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1956, S. 566. Es kann natürlich sein, daß sich seit 1955 die Durchschnittszusammensetzung etwas erhöht hat, indessen wird dies bis Ende 1957 kaum einen nennenswerten Umfang angenommen haben. Erst seit 1958 dürfte sich der Prozeß zur Erhöhung der organischen Zusammensetzung für das Gesamtkapital durchsetzen, was aus dem verstärkten Übergang zu den sogenannten Rationalisierungsinvestitionen geschlossen werden kann. Die erstaunliche Konstanz in der Zusammensetzung des Gesamtkapitals erklärt sich aus einer Reihe von Umständen. Am wichtigsten scheint uns hierbei zu sein, daß durch die Konzentration der deutschen Schwerindustrie im Ruhrgebiet für die westdeutschen Verarbeitungsindustrien ein weiter Raum für Produktionssteigerungen gegeben war, ohne daß es innerhalb einer mehrjährigen Zeitspanne durch das Zurückbleiben der Produktion im Grundstoffsektor zu wirklich ernsthaften Störungen im Reproduktionsprozeß kommen konnte. Hieraus sind die so beträchtlichen Verschiebungen innerhalb der westdeutschen Industrie zugunsten

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von Produktionszweigen mit relativ niedriger organischer Zusammensetzung des Kapitals hauptsächlich zu erklären. Von Einfluß war ferner, daß sich die beträchtlichen Überkapazitäten in nahezu allen Bereichen der westdeutschen Industrie im Jahre 1950 und die noch sehr niedrigen Löhne in einer hohen organischen Zusammensetzung des Gesamtkapitals im Jahre 1950 ausdrücken mußten. Beides, die höhere Auslastung der Kapazitäten und die im Verlauf des Aufschwungs gestiegenen Löhne, wirkten sich demgegenüber vermindernd auf die Zusammensetzung des Kapitals aus. Schließlich spielten die vergleichsweise niedrigen westdeutschen Löhne auch noch nach 1950 eine gewisse Rolle, so daß kostspielige modernste Produktionsanlagen noch nicht in breitem Maße angewandt wurden, weil sich die Profite leichter durch größere Beschäftigung erhöhen ließen. Sind diese Überlegungen und Berechnungen richtig, dann findet hierin die starke Beschäftigungsentwicklung und mit dieser auch weitgehend die Expansionsfähigkeit des westdeutschen Konsumtionsmittelmarktes seine Erklärung. Sie wären auch bedeutsam für die Einschätzung der Verwertungsbedingungen des westdeutschen monopolistischen und nichtmonopolistischen Kapitals, weil die Profitraten hiervon beeinflußt werden. Abschließend sind noch einige Bemerkungen zum sogenannten Nachholbedarf der Bevölkerung an Konsumtionsmitteln angebracht. Gegen dieses Moment ist verschiedentlich eingewandt worden, daß ein vorhandener Bedarf, und sei er noch so dringend, nur bei Vorhandensein von entsprechender Kaufkraft wirksam werden kann. Im Gegensatz zu den USA z. B. könne aber von einer „aufgestauten Kaufkraft" bei den Werktätigen Westdeutschlands nach dem Kriege keine Rede sein, denn die Ersparnisse der Werktätigen seien weitgehend durch die Inflation entwertet worden, und die 1948 durchgeführte Währungsreform habe diesen Enteignungsprozeß vollendet. Eine solche Auffassung vereinfacht jedoch das Problem zu sehr. Es genügt, einige Stichworte zu nennen, wie: gewachsene Konsumentenverschuldung, Überstundenarbeit, Nebenbeschäftigung von Familienangehörigen, um die reale Bedeutung dieses Faktors erkennen zu können. Wird gesagt, daß di« Möglichkeit zur Verlängerung der Arbeitszeit und zur Ausdehnung der Beschäftigung an die Marktlage gebunden ist, also wesentlich aus den anderen Faktoren resultiert, und der Nachholbedarf somit nur sehr bedingt als selbständiger Faktor anzusprechen ist, so wird vergessen, daß die Wirkung ihrerseits zur Ursache wird. Ohne die drückende Notlage der Werktätigen wären zweifellos nicht in dem beträchtlichen Ausmaß Überstunden geleistet worden, hätte kein so großer Zwang auf Nebenbeschäftigung usw. bestanden. Folglich wäre auch die dadurch entstandene kaufkräftige Nachfrage nicht wirksam geworden, ganz abgesehen von der gegenüber der Vorkriegszeit stark vergrößerten Konsumentenverschuldung, die zwar nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal in erster Linie, aber sicherlich z. T. auf die großen Verluste der Werktätigen an Möbeln, Hausrat u. a. infolge der Bombenschäden usw. zurückzuführen ist. Diejenigen, die diesem Faktor mit den oben erwähnten Argumenten entgegentraten, betrachten somit dieses Problem zu statisch.

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Die relativ starke Expansionsfähigkeit des westdeutschen Binnenmarktes im Verlauf der Aufschwungsphase ist somit hauptsächlich das Resultat der besonders tiefgreifenden Folgen des zweiten Weltkrieges. b) Die Rolle der Exporte Während sich die Inlandsumsätze der westdeutschen Industrie im Jahre 1957 gegenüber 1950 etwa verdoppelt hatten, waren die Auslandsumsätze um mehr als das Vierfache angestiegen. Die Außenhandelsexpansion ist somit ein äußerst wichtiges Moment bei der Analyse der Realisierungsbedingungen und damit des relativ hohen Wachstumstempos der westdeutschen Industrieproduktion im Verlauf der genannten Jahre. Daher müssen wir weiter unten auch kurz auf die wichtigsten Ursachen der Exporterfolge der westdeutschen Monopole eingehen. Es wurde gezeigt, daß der hohe Ausbeutungsgrad zugleich die Ausdehnung der kaufkräftigen Nachfrage der Werktätigen behinderte und die Investitionsfähigkeit infolge der hohen Profitrate immer wieder anstachelte. Daß dieser Widerspruch in den Jahren bis 1957 nur zeitweilig und nur einzelne Industriezweige zu einer Einschränkung der Produktion zwang, partielle Krisenerscheinungen, nicht aber bis dahin eine allgemeine Überproduktionskrise auslöste, ja sogar über eine relativ lange Zeitdauer hinweg das verhältnismäßig hohe Wachstumstempo nicht verhinderte, erklärt sich nicht zuletzt aus den Wirkungen der Außenhandelsexpansion. In unserer Literatur wurde dieser Faktor, zumindest bis 1955, nicht seiner wirklichen Bedeutung entsprechend eingeschätzt, weil in der Regel den theoretischen Überlegungen die zu niedrigen offiziell ausgewiesenen Exportquoten zugrunde gelegt wurden. Es ist selbstverständlich, daß man die Bedeutung der Exporte hinsichtlich der Realisierungsbedingungen und des Wachstumstempos der westdeutschen Industrieproduktion anders einschätzt, wenn an Stelle der für das J a h r 1955 offiziell ausgewiesenen Exportquote von 13°/ 0 die annähernd richtigere von 23°/ 0 gesetzt wird. (Zur Quote von 23°/ 0 gelangt man, wenn der Wert der tatsächlichen Exporte mit dem von Doppelzählungen bereinigten Wert der Gesamtumsätze in Beziehung gesetzt wird.) Geht man von Exportquoten, die den tatsächlichen Gegebenheiten einigermaßen entsprechen aus, so läßt sich feststellen, daß 1950 etwa ein Siebentel und 1957 mindestens ein Viertel aller industriell erzeugten Waren auf den Außenmärkten abgesetzt wurden. 37 Eine so schnelle Erhöhung dieses Anteils bis zu einem so beträchtlichen Niveau mußte auch erhebliche Rückwirkungen auf die Entwicklung des Binnenmarktes ausüben. Dies läßt sich z. T. am Zusammenhang zwischen dem Grad der Kapazitätsauslastung und der Höhe der Investitionen zeigen. Im allgemeinen entscheidet im Kapitalismus ein bestimmter Verwertungsgrad des Kapitals über eine weitere Ausdehnung oder eine Einschränkung der Produktion. 37 Einigermaßen vergleichbare Exportquoten der Vorkriegszeit sind in: Rolf Wagenfülir, Die Bedeutung des Außenmarktes für die deutsche Industriewirtschaft. Berlin 1936, S. 65 angegeben. Von 1927-1929 werden dort Quoten von 19,8; 21,0 und 23,7% und für 1934 und 1935 vom 12,8 bzw. 11,4% genannt.

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Können infolge von einsetzenden Absatzschwierigkeiten die Kapazitäten nicht mehr voll ausgelastet werden, so wirken verschiedene Umstände sowohl im Produktionsprozeß wie auch im Zirkulationsprozeß auf ein Absinken des Verwertungsgrades des vorgeschossenen Kapitals hin: Die fixen Kosten verteilen sich auf einen geringeren Produktionsausstoß, die Umschlagszeit des Kapitals verlängert sich, häufig müssen die Preise auf dem Markt herabgesetzt werden, Rohstoffvorräte können durch zurückgehende Rohstoffpreise z. T. entwertet werden usw. Die Folge von alldem ist gewöhnlich eine Einschränkung der Investitionstätigkeit, die solange anhält, bis sich die Profitaussichten wieder verbessern. Dieser Zusammenhang existiert nicht unbedingt in jeder Situation, er existiert auch nicht unbedingt, wenn ein Kapitalist oder nur wenige Kapitalisten oder ein Monopol sich in einer solchen Lage befindet, denn hier kann sich gerade ein umgekehrter Zusammenhang zeigen, nämlich erhöhte fnvestitionstätigkeit, um gegen den Ruin anzukämpfen. Handelt es sich jedoch um eine prekäre Situation für einen ganzen Industriezweig, oder gar für mehrere Industriezweige, dann kommt es in der Regel zu einer Einschränkung der Investitionen. Unterstellen wir, daß die betreffenden Industriezweige ihre Absatzschwierigkeiten durch Erringung von Positionen auf dem Weltmarkt beheben können, so kommt es nicht zu diesem Zusammenhang. Es besteht für die Kapitalisten dieses Bereichs kein Grund zur Einschränkung der Investitionen. Beträgt nun der angenommene Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz 10 oder 20°/ o , er würde nicht die wirkliche Bedeutung des Auslandsumsatzes für die gesamte Situation des Industriezweiges oder mehrerer Industriezweige widerspiegeln, weil es ja diese wenigen Prozente waren, die darüber entschieden, ob die Produktion eingeschränkt oder auf gleicher Höhe fortgeführt oder weiter ausgedehnt wird. Selbstredend werden dadurch eine ganze Anzahl weiterer Industriezweige ebenfalls beeinflußt. Ganz offensichtlich herrschte für entscheidende Teile der westdeutschen Industrie von Mitte 1956 bis Ende 1957 eine solche Lage. Der verstärkte Export verhinderte zunächst ein Absinken der Investitionstätigkeit und damit einen Rückgang der Industrieproduktion. Es kam nur zu einer ständigen Verringerung des Wachstumstempos. Nicht so eindeutig, aber dennoch unverkennbar waren auch die ansteigenden Exporte in den Jahren 1951 bis 1954, als es 1952 zu partiellen Krisenerscheinungen bei Konsumtionsmitteln und 1953 bei Produktionsmitteln kam, ein überaus wichtiger Faktor der weiter ansteigenden Investitionen und damit der wachsenden Produktion. Wenn also die wachsenden Exporte in beträchtlichem Maße auf die Investitionstätigkeit einwirkten, so war die Exportexpansion nicht nur ein Moment, daß die inländischen Absatznöte behob, sondern gleichzeitig ein Moment der Ausweitung des Binnenmarktes. Primär dehnte sich hierdurch der Produktionsmittelmarkt sekundär der Konsumtionsmittelmarkt aus. Ein weiterer Zusammenhang zwischen der Exportexpansion und der Dynamik des Binnenmarktes ergibt sich über die seit 1952 ständig erzielten umfangreichen Exportüberschüsse. Im Umfang der Außenhandelsüberschüsse scheiden Waren aus dem Reproduktionsprozeß stofflich aus, während ihr Wert — Abschreibungen, Löhne

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und Gehälter sowie Profite — durch die Bezahlung der ausländischen Abnehmer im Reproduktionsprozeß verbleibt, also als kaufkräftige Nachfrage auf dem westdeutschen Markt statt auf dem Außenmarkt in Erscheinung tritt. Die Milliardenbeträge, die seit 1953 J a h r für J a h r die Außenhandelsüberschüsse ausmachen, sind zugleich Ausdruck des zu engen Binnenmarktes wie Faktor seiner Erweiterung. In einer vom Westberliner Wirtschaftsforschungsinstitut herausgegebenen Schrift, die einen Überblick über die industrielle Entwicklung Westdeutschlands für die Zeit von 1948 bis 1954 gibt, heißt es gleich zu Beginn: „Eine Analyse der Bestimmungsgründe der industriellen Expansion seit 1950 ergibt» daß — unter Berücksichtigung der Multiplikatorwirkung — über die Hälfte der gesamten industriellen Expansion auf die Nachfragesteigerung des Auslandes zurückzuführen ist. Ein weiteres reichliches Viertel der Gesamtexpansion beruhte auf der inländischen Nachfrage nach industriell erzeugten Investitionsgütern. In das restliche Viertel teilten sich die übrigen Nachfrage-Elemente." 3 8

An dieser ganzen Darstellung, deren apologetischer Ausgangspunkt darin zum Ausdruck kommt, daß das Ziel der kapitalistischen Produktion in der Befriedigung vorhandener Nachfrage gesehen wird, ist jedoch interessant, welche Bedeutung dem Export als Faktor der Produktionssteigerung in den betreffenden Jahren beigemessen wird. So anfechtbar auch die im gleichen Heft auf S. 32/33 angeführten Berechnungsgrundlagen sein mögen, so anfechtbar auch die Aussage im vorstehenden Zitat, daß über die Hälfte der gesamten industriellen Expansion auf die Steigerung der Exporte zurückzuführen sei, so ist doch meines Erachtens aus dem im vorigen Abschnitt Behandelten und den wenigen in diesem Abschnitt gegebenen Überlegungen eindeutig zu folgern, daß die Bedeutung der Außenhandelsexpansion für das Wachstum der Industrieproduktion während der genannten Zeit doch wesentlich größer ist, als es auch die oben angeführten annähernd richtigeren Exportquoten auszudrücken vermögen. Wenn somit die Exportexpansion eine außerordentlich bedeutende Rolle bei der Realisierung der erzeugten Waren, den inländischen Investitionen und der Erhöhung der Konsumtionskraft spielte, so müssen die wichtigsten Ursachen für die Exporterfolge auch zur Erklärung des hohen Wachstumstempos der westdeutschen Industrieproduktion herangezogen werden. Wie schon an verschiedenen Stellen hervorgehoben wurde, profitierten die westdeutschen Monopole zeitweilig aus der für sie günstigen Lage, die infolge der Schürung des Kalten Krieges geschaffen wurde und ganz besonders im Verlauf des KoreaBooms entstand, als sich der Reproduktionsprozeß im kapitalistischen Weltwirtschaftssytem sprunghaft erweiterte und die wichtigsten imperialistischen Länder durch die verstärkte Aufrüstung weniger als Verkäufer, sondern als Käufer auftraten. Die Entwicklung des Außenhandelsvolumens in der kapitalistischen Welt vermittelt einen ganz interessanten Einblick über die objektiven Möglichkeiten auf dem Weltmarkt, die äußeren Bedingungen der westdeutschen Außenhandelsexpansion. In den zwanzig Jahren von 1936 bis 1956 verdoppelte sich das Außenhandelsvolumen der kapitalistischen Welt. Das Außenhandelsvolumen von „Außer38 Grünig und Krengel, Die Expansion der westdeutschen Industrie 1948 bis 1954. Duncker u. Humblot, Berlin 1955, S. 7.

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europa" stieg von 100 auf 239,8 und das von Europa von 100 auf 164,5. Gegenüber 1950 errechnet sich jedoch für Europa eine Steigerung von 55 und für „Außereuropa" nur von 32°/0!39 Da die westdeutschen Monopole etwa zwei Drittel ihrer Exportwaren in den Ländern Westeuropas absetzen (sie waren schon immer hauptsächlich auf Europa orientiert — notgedrungen), bestanden für sie — wie die Zahlen zeigen — relativ günstige Bedingungen. Günstige äußere Umstände, w i e die im Gefolge des vom USA-Imperialismus entfesselten Korea-Krieges entstandene Lage auf dem kapitalistischen Weltmarkt, w i e von den U S A gewährte Hilfestellung sowie die verhältnismäßig geringe „kolonialpolitische" Vorbelastung spielten unzweifelhaft eine beträchtliche Rolle. Die entscheidenden Ursachen für die westdeutschen Exporterfolge sind u. E. aber aus den inneren Bedingungen abzuleiten. Aus dem im vorigen Abschnitt Behandelten ergibt sich zwingend, daß die Produktionskosten vieler westdeutscher Erzeugnisse als Folge der günstigen beutungsbedingungen

Aus-

(auch die stabilere Preisentwicklung in Westdeutschland

spielt eine Rolle dabei) unzweifelhaft niedriger lagen als bei den gleichartigen Erzeugnissen aus anderen als Konkurrenten Westdeutschlands auftretenden Ländern. Weiterhin folgt aus der hohen Ausbeutung aber auch, daß ein großer objektiv vorhandener Zwang für die Steigerung der Exporte bestand, weil die Produktionskapazitäten

ständig

über

die

Aufnahmefähigkeit

des

Binnenmarktes

hinaus-

wuchsen. Es mußte folglich versucht werden, dem Export alle „ W e g e zu ebnen". Dies geschah durch vielfältige staatsmonopolistische Maßnahmen. 40 Als zwei besonders augenfällige und wichtige Momente für die Erklärung der schnellen Steigerung der westdeutschen Exporte, sind somit das sogenannte „Lohndumping" und die staatlichen Exportförderungsmaßnahmen anzusehen. Beide Momente sind in unserer Literatur, vor allem in den einschlägigen DWI-Berichten, in den letzten Jahren ausführlich und gründlich behandelt worden. Während wir auf die „Exportförderungsmaßnahmen" im nächsten Abschnitt noch kurz eingehen, halten wir den Faktor „Lohndumping" durch die im vorigen Abschnitt angeführten Daten über das international niedrige westdeutsche Lohnniveau bereits für ausreichend bewiesen, so daß sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen. Keiner ausführlichen Begründung bedarf es auch, wenn die großen Kapazitätsreserven gerade zu Beginn der Aufschwungsphase im Zusammenhang mit dem Drang

der

westdeutschen

Monopole

auf

die

Wiedereroberung

der

verloren-

gegangenen Einflußsphären als Ursache der Exporterfolge angesehen werden. Meines Erachtens müßte eine weitere Ursache für die Exporterfolge daraus abzuleiten sein, daß die Nachfrage auf dem kapitalistischen Weltmarkt in besonderem Maße der traditionellen Exportstruktur entsprach. 39 Berechnet nach Angaben des Statistischen Jahrbuches für die Bundesrepublik Deutschland, a. a. O., 1957, S. 80. 40 Hierzu muß allerdings bemerkt werden, daß diese nicht ausschließlich aus den „inländischen Absatznöten" herrühren, sondern auch Ausdruck des Expansionsdrangs der westdeutschen Monopole sind.

Zum Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion

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Es handelt sich hier um das Problem „nationaler W e r t " und „internationaler W e r t " . Hierzu schreibt Karl Marx: „Die mittlere Intensität der Arbeit wechselt von Land zu Land; sie ist hier größer, dort kleiner. Diese nationalen Durchschnitte bilden also eine Stufenleiter, deren Maßeinheit die Durchschnittseinheit der universellen Arbeit ist. Verglichen mit der weniger intensiven, produziert also die intensivere nationale Arbeit in gleicher Zeit mehr Wert, der sich in mehr Geld ausdrückt. Noch mehr aber wird das Wertgesetz in seiner internationalen Anwendung dadurch modifiziert, daß auf dem Weltmarkt die produktivere nationale Arbeit ebenfalls als intensivere zählt . . Z' 4 1 Die deutschen Monopole sind seit Jahrzehnten auf dem Gebiet des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der chemischen Erzeugnisse und der Feinmechanik und Optik besonders konkurrenzfähig. Bei einer Vielzahl von Erzeugnissen dieser Industriezweige waren sie auf dem Weltmarkt führend, d. h. sie besaßen einen Produktivitätsvorsprung. Da es sich bei diesen Erzeugnissen zumeist um vergegenständlichte komplizierte Arbeit handelt, also Arbeitserfahrung, Fertigungstechnik usw. eine große Rolle spielen, ist ein einmal gewonnener Vorsprung nicht so leicht einzuholen. Als Ursachen für das schnelle Ansteigen der westdeutschen Exporte, soweit sie sich aus den inneren Bedingungen ergeben, wären anzuführen: 1. Das Vorhandensein großer Kapazitätsreserven in jenen Industriezweigen, nach deren Erzeugnissen seit Ausbruch des Korea-Krieges auf dem kapitalistischen Weltmarkt eine starke Nachfrage herrschte. 2. Die Kostpreise der Waren (c -f- v) sind infolge der hohen Ausbeutungsrate niedrig, und es besteht demzufolge ein großer Spielraum für Dumpingpreise. 3. Der westdeutsche S t a a t sicherte in vielfältiger Weise (Steuererleichterungen, Subventionen, Kredithilfen usw.) dem aliquoten Teil des Kapitals, der exportorientiert ist, einen besonders günstigen Verwertungsprozeß. 4. Es ist anzunehmen, daß bei einer Reihe wichtiger Exportartikel die Werte unter den internationalen Werten liegen und folglich bei diesen Waren eine sehr günstige Konkurrenzfähigkeit bestand. Die hohe Investitionstätigkeit auch in anderen kapitalistischen Ländern nach dem zweiten Weltkrieg rief gerade einen solchen Bedarf hervor, den die westdeutschen Monopole besonders konkurrenzfähig decken konnten. Auf die obengenannten vier Industriezweige — die unzweifelhaft bei einer stattlichen Anzahl von Waren einen Produktivitätsvorsprung besitzen — entfiel seit 1951 ständig ein Anteil am gesamten Auslandsabsatz der Industrie, der bei oder über 4 0 % lag! 3. Zur Rolle der staatsmonopolistischen Steuerpolitik In den Jahren seit 1948 wurden in Westdeutschland zwischen einem Drittel und reichlich zwei Fünfteln des Nationaleinkommens durch den zentralen und die örtlichen öffentlichen Haushalte umverteilt. Der Hauptteil dieser riesigen Mittel entstammte den Steuereinnahmen. Angesichts des Ausmaßes, die der Umverteilungsprozeß des Nationaleinkommens angenommen hat, mußte selbstverständlich die Steuerpolitik in beträchtlichem Maße den Reproduktionsprozeß beeinflussen. Bevor 41 Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0., Bd. I, S. 586/87.

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wir uns mit dem diesbezüglichen Faktenmaterial auseinandersetzen, haben wir uns zunächst zu fragen, ob sich in irgendeiner Hinsicht Westdeutschland von den anderen imperialistischen Hauptländern bei diesem Fragenkomplex unterscheidet, da ja das rasche Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion zu erklären ist. An sich ist die oben angeführte Größenordnung keine westdeutsche Besonderheit in der Nachkriegszeit. In den anderen imperialistischen Hauptländern verfügt der von den Monopolen beherrschte Staatsapparat auch über ein Drittel und mehr des Nationaleinkommens. Dennoch muß man die staatsmonopolistische Steuerpolitik in Westdeutschland mit dem vergleichsweise höheren Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion in Verbindung bringen, weil bis etwa 1955/56 die Rüstungsproduktion im engeren Sinne begrenzt blieb und diese riesigen Finanzmittel demzufolge in größerem Ausmaß als in anderen kapitalistischen Hauptländern zur Stärkung des Produktionspotentials der Monopole beitrugen. Stehen somit die staatsmonopolistischen Maßnahmen, insbesondere die Steuerpolitik, unzweifelhaft mit dem höheren Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion in Verbindung 42 , so haben wir uns auch — wenn auch nur in gedrängter Form — damit zu beschäftigen, auf welche Weise dies geschah, welche Methoden angewandt wurden usw. Einen ersten Überblick über den wichtigsten Charakterzug der Steuerpolitik vermittelt die folgende Tabelle. TABELLE 9

Das Aufkommen KalenderJahre 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956

an Lohn1

und Einkommensteuern im Vergleich Lohn- bzw. Gewinnquoten 2

in Mrd. D M

2,07 1,81 2,80 3,66 3,74 3,87 4,40 5,40

2,69 2,09 2,30 3,93 4,87 4,59 4,35 4,73

mit der Bewegung

3

4 in %

5

77,0 86,6 121,7 93,1 76,8 84,4 101,2 114,3

39 37 34 34 35 34 33 35

61 63 66 66 65 66 67 65

der

1 = Lohnsteueraufkommen; 2 = Aufkommen an veranlagter Einkommensteuer; 3 = L o h n s t e u e r a u f k o m m e n in % der v e r a n l a g t e n E i n k o m m e n s t e u e r ; 4 = L o h n q u o t e ; 5 = G e w i n n q u o t e (4 -j- 5 d r ü c k e n die Anteile a n der W e r t s c h ö p f u n g in d e r I n d u s t r i e aus).

Quellen-, S p a l t e n 1 + 2, 4 -f- 5 S t a t i s t i s c h e s J a h r b u c h f ü r die B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , l f d . D e u t s c h e s W i r t s c h a f t s i n s t i t u t , B e r i c h t 18, 8. J g . , S e p t e m b e r 1957, S . 8. (Die L o h n - u n d G e w i n n q u o t e n f ü r 1949 sind v o n mir g e s c h ä t z t . )

Wenn wir zunächst die Daten der Spalten 1 und 2 sowie 4 und 5 nach ihrer Bewegungsrichtung, nach ihren charakteristischen Veränderungen hin überblicken, dann springt die Gegenläufigkeit der Entwicklung beim Lohnsteueraufkommen, das 42 Wir v e r w e i s e n hier auf die sehr a u s f ü h r l i c h e u n d g r ü n d l i c h e U n t e r s u c h u n g v o n K u r t Z i e s c h a n g , G r u n d p r o b l e m e der I n v e s t i t i o n s f i n a n z i e r u n g in W e s t d e u t s c h l a n d . A k a d e m i e - V e r l a g , Berlin 1959.

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sehr rasch ansteigt und der Lohnquote, die eine deutlich absinkende Tendenz zeigt, zuerst auf. Weiterhin zeigt sich, daß das Lohnsteueraufkommen bedeutend rascher ansteigt als das Aufkommen an Einkommensteuer, obwohl die Gewinnquote im gleichen Verhältnis ansteigt wie die Lohnquote sinkt. Aus der Spalte 3 lesen sich deutlich drei Perioden der Steuergesetzgebung seit 1948 a b : die erste, bis 1951 andauernde, ist durch eine besonders stark ausgeprägte gegenläufige Entwicklung der die Lage beider Klassen ausdrückenden Reihen charakterisiert; die zweite, bis 1953 währende Periode, bringt ein Ansteigen der Einkommensteuer bei stagnierendem Lohnsteueraufkommen; die dritte Periode schließlich, die Zeitspanne der Hochkonjunktur und beträchtlich ansteigender Profite, zeigt ein stagnierendes, ja tendenziell sinkendes Aufkommen an Einkommensteuer bei starkem Ansteigen desjenigen der Lohnsteuer. Wir wollen zunächst vom Wechsel in den Methoden der Steuerpolitik absehen und uns mit dem Gemeinsamen aller drei Perioden beschäftigen. Da wir in der Tabelle nur die zwei für beide Klassen repräsentativsten Steuerarten angeführt haben, seien zuvor noch einige ergänzende Daten erwähnt. Von 1950, dem Jahre des Beginns der Aufschwungphase, bis 1956, dem letzten Jahr mit einer relativ hohen Wachstumsrate, erhöhte sich das Aufkommen an: allen Steuern zusammengenommen Einkommensteuern Körperschaftssteuern Umsatzsteuern Lohnsteuern

um um um um um

123°/ 0 126% 150% 156% 200%

Ganz klar geht aus diesen Angaben hervor, daß die eingangs erwähnten riesigen Summen, die der Staatsapparat umverteilte, mehr und mehr vom Einkommen der Werktätigen abgeschöpft wurden. Im selben Maße wie der Teil des Nationaleinkommens größer wurde, der über den von den Monopolen beherrschten Staatsapparat umverteilt wurde, ist auch der auf den Werktätigen lastende Druck angewachsen. In welchem Maße sich diese Entwicklung für das Kapital, besonders das Monopolkapital „bezahlt" machte, läßt sich aus folgenden, vom Deutschen Wirtschaftsinstitut berechneten Daten ermessen. Die öffentlichen Haushalte waren danach in den Jahren 1926 bis 1929 zu 14°/ 0 , in den Jahren 1934 bis 1938, einer Zeitspanne forcierter Aufrüstung, mit 26°/ 0 und mit mehr als 35°/ 0 im Zeitabschnitt von 1949 bis 1956 an der Bereitstellung längerfristiger Finanzierungsmittel beteiligt. Im Jahre 1956 allein waren es sogar 43°/ 0 . 4 3 Natürlich sind davon nur Teile der Riesensummen, die diesen Prozentsätzen zugrunde liegen, den Monopolen direkt zugeflossen. Aber in der Nachkriegszeit war die direkte staatliche Finanzierung privater Investitionen (in Form von Investitionsbeihilfen, Entschädigungsleistungen für die Exportwirtschaft, Bereitstellung von Mitteln für die Schaffung von „Arbeitsplätzen" usw.) bedeutend umfassender als in der Vorkriegszeit. 43

Vgl. Bericht 21, 8. Jahrg., November 1957, S. 7.

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Die Umverteilung eines Teils des Nationaleinkommens zugunsten der Förderung der realen Akkumulation bei den Monopolen gewann größere Bedeutung. Besonders charakteristisch hierfür war auch das sogenannte Investitionshilfegesetz („Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft" vom 7 . 1 . 1952) 44 . Obwohl der Grundstock der „Investitionshilfe", die 1 Md. DM, den Umweg über die öffentlichen Haushalte erst gar nicht nahm. Die indirekte staatliche Förderung der realen Akkumulation, worunter wir jene steuerlichen Festlegungen, Sonderbestimmungen usw. verstehen, die es ermöglichten, daß Teile des Profits unversteuert in fixes Kapital oder in Rohstoffvorräte verwandelt werden konnten, erlangte noch größere Bedeutung als die direkte staatliche Förderung. Der amerikanische Ökonom Wallich, der in seinem bereits zitierten Buch die westdeutsche Wirtschaftspolitik im allgemeinen bewundert, bemerkt hierzu: „In die Steuerstruktur wurden geradezu phantastische Komplikationen hineingebracht, und häufig gestaltete sich die Suche nach Lücken der Steuergesetzgebung zur interessantesten und gewinnbringendsten Form der Geschäftstätigkeit." 46

Die „phantastischsten Komplikationen" wies die Steuerstruktur Westdeutschlands unzweifelhaft in der Periode von 1948 bis Mitte 1951 auf. Sie sind eng verbunden mit der sogenannten „Siebener Gruppe" (§§ 7a, 7c, 7d und 7e vor allem) des Einkommensteuergesetzes, die in beträchtlichem Umfang die Umwandlung von Profiten in Abschreibungen, also in „Kosten" ermöglichte. Ab Mitte 1951 kamen diese Sonderbestimmungen weitgehend in Wegfall; die indirekte Förderung der realen Akkumulation steht seitdem viel eindeutiger als in der ersten Periode der Steuergesetzgebung im Dienste des Monopolkapitals. In welchem Umfang die Investitionen auch ab diesem Zeitpunkt, als die drastischste Durchlöcherung des Steuersystems aufgehoben wurde, durch steuerliche Regelungen, und zwar durch Gewährung von Steuerfreiheit für Rückstellungen verschiedener Art und durch steuerliche Begünstigungen der nichtentnommenen Gewinne gefördert wurden, geht aus den Angaben Schachts, eines unzweifelhaft guten Kenners dieser Materie, hervor: „Seit 1951 sind über 50 Milliarden, die sonst dem Kapitalmarkt hätten zufließen müssen, den Besitzern der Produktionsmittel steuerfrei verblieben." 46

Unter dem Komplex steuerlicher Begünstigung erlangten vor allem das „Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr" vom 1. 7. 1951 und das Investitionshilfegesetz große Bedeutung. Als drittes Moment ist hier auch die Anerkennung der degressiven Abschreibungsmethode durch die Steuerbehörden zu nennen, da diese ja auch eine steuerliche Begünstigung der Profite bedeutete. 44

Die Ausarbeitung und Verabschiedung dieses Gesetzes war angeblich deswegen notwendig, weil vom Grundstoffbereich „schwerwiegende Wachstumshemmungen" ausgingen. 45 Wallich, Henry C., Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs. Übersetzung aus dem Englischen, Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main, Berlin 1955, S. 155. 46 Schacht, Hjalmar, Kapitalmarktpolitik. Hamburg 1957, S. 23, Zitat nach Deutsches Wirtschaftsinstitut, Bericht 21, 8. Jahrg., November 1957, S. 10.

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Zur Förderung des Exports wurde eine Vielzahl gesetzlicher Steuervergünstigungen erlassen und Vergünstigungen anderer Art ausgebaut. Ertragssteuerliche Vergünstigungen wurden eingeräumt bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer, der Wechsel- und Versicherungssteuer. Die Umsatzsteuer wird rückvergütet. Dazu kamen eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen wie bevorzugte Kreditgewährung, staatliche Risikoversicherung u. a. 47 Wie profitabel sich die steuerlichen Vergünstigungen für die Exporteure (in der Hauptsache sind es die großen Monopole) auswirkten, geht daraus hervor, daß nach Meinung des westdeutschen Ökonomen Schönwandt ,,der Außenhandel von der Besteuerung gesteuert wird, wenigstens hauptsächlich von der Besteuerung". Dies versuchte er mit einem Beispiel 48 zu begründen, wonach beim Auslandsabsatz des betreffenden Erzeugnisses ein um 25 bzw. sogar 7 0 % höherer Profit erzielt wird als beim Inlandsabsatz, trotz einer Minderung des Verkaufspreises um 14°/ 0 . Wie aus dem vorigen Abschnitt hervorging und wie die weitere Steigerung der westdeutschen Exporte auch nach Wegfall der ertragssteuerlichen Vergünstigungen in den Jahren 1956 und 1957 beweist, ist eine solche generelle Aussage, „daß der Außenhandel durch die Besteuerung gesteuert wird", übertrieben und folglich unrichtig. Dennoch spielten natürlich diese steuerlichen Vergünstigungen und andere staatliche Exportförderungsmaßnahmen eine wichtige Rolle bei der Außenhandelsexpansion der westdeutschen Monopole, denn durch sie wurde ja der Export (auf Kosten der großen Masse der Steuerzahler) zu einer sehr ergiebigen Profitquelle. Das DWI bemerkt in dem erwähnten Bericht 5 (S. 28) dazu: „Obwohl eine genaue Quantifizierung des sich aus dem System der staatlichen Exportförderung ergebenden Vorteils nicht möglich ist, belaufen sich allein die direkten materiellen Zuschüsse oder Zahlungserlasse und die Kredite jeweils auf viele Milliarden Mark."

Zogen aus dem Exportförderungsgesetz vor allem die Monopole und Kapitalisten der eisenverarbeitenden Industrien, die sogenannten Investitionsgüterindustrien, den Hauptvorteil, weil sie die überragende Rolle im Export spielten, so wurde die Steuererhöhung für die schwerindustriellen Monopole mit Hilfe des sogenannten Investitionshilfegesetzes weitgehend kompensiert. Durch die steuerlichen Sonderbestimmungen dieses Gesetzes wurde die Hauptmasse der Investitionsmittel mobilisiert. Die Unternehmen der betreffenden Industrien durften gemäß § 36 dieses Gesetzes alle zwischen dem 1. Januar 1952 und 31. Dezember 1955 angeschafften Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens steuervergünstigt abschreiben. Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens 47 Näheres hierzu: Deutsches Wirtschaftsinstitut, Bericht 9, 8. Jahrg., Mai 1957 sowie Bericht 5, März 1957. 4 8 „Der Unternehmer, ob er Hersteller oder Händler sei, der zu 86% des vergleichbaren Inlandspreises ins Ausland verkauft . . . hat einen größeren Nettonutzen, als wenn er zu 100% im Inland verkauft. Er hat nämlich statt netto 2,40 DM bei 8% Gewinn an diesem Geschäft 3,01 DM, wenn er direkt verkauft. Verkauft er aber noch über seine Organgesellschaft als Ausfuhrhändler, dann hat er netto 4,07 DM, und dies bei einer Herabsetzung des Preises für den Auslandsverkauf in diesem Beispiel um 14% gegenüber dem völlig vergleichbaren Inlandsverkaufspreis." — Deutschland und die Weltwirtschaft. Verlag Duncker u. Humblot, Berlin 1954, S. 182/83.

20 Probleme Bd. 3

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konnten in den ersten drei Jahren bis zu 50%, unbewegliche Wirtschaftsgüter bis zu 3 0 % abgeschrieben werden. Auf Grundlage dieser Bestimmungen konnten die Grundstoffmonopole bis zum 31. 3. 1955 mehr als 2 Md. DM „erschließen". 49 Man geht wohl kaum fehl in der Annahme, daß der § 36 des Investitionshilfegesetzes denjenigen westdeutschen Monopolen, die daraus keinen Vorteil ziehen konnten, solange nicht sonderlich gefiel, wie sie nicht gleiche Möglichkeiten der Verwandlung von Profiten in „ K o s t e n " hatten. Es ist daher durchaus erklärlich, daß bereits am 27. Mai 1952 — wenige Monate nach Wirksamwerden des § 36 — durch ein Urteil des Finanzgerichts Stuttgart die degressive Abschreibungsmethode formell als gleichberechtigte Methode anerkannt wurde. In den daraufhin einsetzenden Verhandlungen zwischen dem Bundesverband der Industrie und der Finanzverwaltung wurde erreicht, daß „für 1952 die degressive Abschreibung bei Anlagegütern mit zehn- oder mehrjähriger Nutzungsdauer uneingeschränkt zugelassen wurde". 60 Von der linearen Abschreibungsmethode unterscheidet sich die degressive dadurch, daß die Abschreibungsquoten in den ersten Jahren der Nutzungsdauer wesentlich höher liegen als bei der linearen, in den späteren Jahren verhält es sich dagegen umgekehrt. Bereits in den ersten 3 bis 4 Jahren wird bei der degressiven Abschreibungsmethode der Hauptteil des Anschaffungswertes von Maschinen usw. abgeschrieben. Die Anwendung der degressiven Abschreibung ist natürlich nicht in jeder konjunkturellen Lage möglich. Besteht ein relativ starker Preisdruck, wie es für die Konsumgüterindustrien im Jahre 1952 und z. T. auch noch 1953 der Fall war, dann ist sie kaum anwendbar, weil die durch sie erhöhten Preise nicht realisierbar sind. Die Monopole im Bereich der Schwerindustrie und auch im Bereich der Investitionsgüterindustrien waren dagegen in der Lage, durch entsprechende Preistreibereien die degressive Methode anzuwenden und auf Kosten der übrigen Steuerzahler und der Kapitalisten der Leichtindustrien beschleunigt zu akkumulieren. Daß die Monopole nicht daran dachten, nach 3 bis 4 Jahren entsprechend mehr Steuern zu entrichten (weil in den stark zurückgehenden Abschreibungssätzen kaum noch Profit zu „verstecken" ist), zeigte das „termingerechte" Eintreffen der „Großen Steuerreform" im Dezember 1954 (nachdem 1 Jahr vorher schon die „ K l e i n e " erfolgt war), die einen starken Abbau der Steuerprogression und eine wesentliche Herabsetzung der Steuersätze brachte. Der westdeutsche Staat hat also — wie die vorstehenden skizzenhaften Ausführungen andeuteten — auf sehr vielfältige Weise auf den Prozeß der realen Akkumulation Einfluß genommen. Man muß jedoch — bevor wir abschließend eine gewisse Einschätzung dieser staatsmonopolistischen Steuerpolitik vorzunehmen haben — noch einige weitere steuerliche Festlegungen erwähnen. Der angeblich die freie Marktwirtschaft vertretende Bonner Staat brachte in seine Steuergesetze selbstverständlich noch eine ganze Anzahl von Bestimmungen unter, die ausschließlich das Monopolkapital begünstigten. Die bedeutendste Rolle spielt hierbei die Bevorzugung der Monopole bei der Umsatzsteuer. Diese ist eine sogenannte Allphasensteuer, d. h., sie wird bei jedem Warenverkauf in jedem Stadium des Reproduktions48 M

Deutsches Wirtschaftsinstitut, Bericht 9, 8. Jahrg., Mai 1957, S. 11. Ebenda, S. 12.

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prozesses erhoben. Sie gilt als überwälzbare Steuer, d. h., der Verkäufer ist berechtigt, die Umsatzsteuer im Preis zu kalkulieren. Abgesehen von einigen wenigen Sonderfällen trifft die Umsatzsteuer die Lieferungen und Leistungen zwischen den Betrieben der gleichen Unternehmung nicht. Da die wichtigsten Monopole in der Regel auf einer vertikalen Konzentration beruhen, also eine Reihe von Verarbeitungsstufen in sich vereinigen, sparen sie Umsatzsteuer und erlangen dadurch Kostenvorteile gegenüber dem nichtmonopolisierten Kapital. Gleichzeitig erhöhen sich ihre Profite und damit auch die Möglichkeiten zur schnelleren realen Akkumulation. 61 Weiterhin werden die Monopole durch die Kapitalverkehrssteuer begünstigt, da die Betriebsgewinne, die im Unternehmen behalten werden, um andere Betriebe zu finanzieren, steuerlich nicht erfaßt werden. Ferner erwachsen den Monopolen Vorteile beim Grundstücksverkehr (bei Wechsel von Grundstücken innerhalb eines Unternehmens entfällt die Grunderwerbssteuer) und vor allem durch den möglichen Ausgleich zwischen Betrieben mit Gewinn und solchen mit Verlust innerhalb eines Monopols. 52 Die Erhebung riesiger Steuerbeträge bei weitgehenden Steuererleichterungen für die Monopole bildete also den Grundzug der Steuerpolitik. Es ist dies nur ein anderer Ausdruck dessen, daß der staatsmonopolistische Kapitalismus zur charakteristischen Form des Kapitalismus geworden ist. J e stärker die Steuerpolitik von diesem Grundzug durchdrungen ist, desto deutlicher zeigt sich das erreichte Entwicklungsniveau des staatsmonopolistischen Kapitalismus, da die Größe jenes Teils des Nationaleinkommens, der zugunsten des Monopolkapitals umverteilt wird, anwächst und die vom Monopolkapital selbst zu entrichtende Steuersumme relativ abnimmt. Im Entwicklungsniveau des staatsmonopolistischen Kapitalismus nimmt Westdeutschland unzweifelhaft einen der vordersten Plätze unter allen kapitalistischen Staaten ein; es läßt sich dies u. a. eben an seiner dafür so typischen Steuerpolitik ermessen. 53 Diese Steuerpolitik trug wesentlich zur Erhöhung des Verwertungsgrades des Monopolkapitals bei. Sie trug daher mit dazu bei, daß die Monopole am stärksten die Produktion steigerten. Sie erhöhten sowohl ihre Marktanteile auf dem Binnenmarkt, wie sie auch die Hauptmasse der Exporte lieferten. Betrachten wir dies unter dem Gesichtspunkt der erweiterten Reproduktion im Maßstab der gesamten Wirtschaft, so kann man sagen, daß durch die geschilderte Steuerpolitik ein beträchtlicher Teil des Nationaleinkommens auf die am meisten vergesellschafteten Zentren der Produktion — wie es die Monopole in ihrer Gesamt5 1 Die für das Monopolkapital hieraus sich ergebenden Vorteile illustriert der westdeutsche Ökonom Kahl wie folgt: Was das praktisch bedeutet, ist aus einem Beispiel zu ersehen, in dem ein Betrieb von einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens Rohstoffe bezieht, die wertmäßig die Hälfte des Fertigerzeugnisses kosten. Die gesparte Umsatzsteuer macht 4% des Rohstoffpreises oder 2% des Fertigerzeugnisses aus, wäs ein beachtlicher Wettbewerbsvorteil im Preiskampf ist. Der so erzielte Gewinn reicht im vorliegenden Falle aus, um auf das Aktienkapital nach Absetzung der Ertragssteuern eine Dividende von 6% zu zahlen." — Kahl, Joachim, Macht und Markt. Duncker u. Humblot, Berlin 1956, S. 131. 6 2 Vgl. ebenda, S. 131/32. 5 3 Vgl. hierzu auch die schon erwähnte Untersuchung von Kurt Zieschang.

20*

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Rudi

Gündel

heit sind — konzentriert wurde, wodurch sich — solange wie die Rüstungsproduktion im engeren Sinne noch keinen so großen Umfang einnahm wie in anderen Ländern — der ökonomische Effekt zeitweilig erhöhte und das Wachstumstempo der Gesamtproduktion beschleunigte. *

Das an kapitalistischen Maßstäben gemessene rasche Wachstumstempo der westdeutschen Industrieproduktion im Verlauf des Aufschwungs von 1950 bis 1957 hat — wie aus dem Vorstehenden ersichtlich wurde — nicht das geringste zu tun mit irgendwelchen Impulsen, die angeblich der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft" eigen seien und die die wirtschaftliche Entwicklung beflügeln, wie es der Bonner Wirtschaftsminister Erhard behauptet. Es ergab sich vielmehr aus dem Wirken der Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise unter den historisch-konkreten Besonderheiten der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg im kapitalistischen Lager insgesamt und den spezifischen Bedingungen in Westdeutschland sowie der in verschiedenen Formen gewährten Hilfeleistung durch den amerikanischen Imperialismus unter der Zielsetzung, Westdeutschland als Aggressionsbasis gegen das sozialistische Lager auszubauen. Die spezifischen Bedingungen in Westdeutschland waren vor allem durch die besonders vorteilhaften Ausbeutungsmöglichkeiten charakterisiert. Neben anderem ergab sich hieraus, daß in der westdeutschen Wirtschaft während der 9 Jahre von 1949 bis 1957 die riesenhafte Summe von rd. 273 Md. DM investiert wurde. Das sogenannte „Wirtschaftswunder" wurde zum größten Raubzug der Konzernund Bankherren gegen das Volk, der jemals in Deutschland stattgefunden hat. Selbst einzelne bürgerliche Ökonomen sind gezwungen, darauf hinzuweisen. So z. B. der bürgerliche westdeutsche Ökonom Reithinger in seiner Schrift: „Soziale Marktwirtschaft auf dem Prüfstand". Darin konfrontiert er einige in Erhards Buch: „Wohlstand für alle" enthaltenen Behauptungen, wie z. B. „Neugestaltung unserer Einkommensschichtung" über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft die alte k o n s e r v a t i v e soziale

Struktur

endgültig

zu überwinden"

m i t der tatsächlichen E n t -

wicklung (sogar an Hand amtlicher statistischer Angaben) und sieht sich anschließend zu der bezeichnenden Feststellung genötigt: „Die Akkumulation der Reichtumsbildung in der Zehnjahresperiode 1949/57 ist in der Bundesrepublik genau nach den Erwartungen von Karl Marx erfolgt und nicht nach den Theorien von Ludwig Erhard." 6 4 Dem haben wir nur noch hinzuzufügen, daß diese dem Kapitalismus auf all seinen Entwicklungsetappen innewohnende Gesetzmäßigkeit die Produktion immer wieder begrenzen, abstoppen und schließlich zum Absinken bringen muß, weil der Absatz der Waren durch die zurückbleibende Konsumtionskraft der Massen ins Stocken gerät. . Nur die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und ihre Ersetzung durch die sozialistischen gewährleistet ein fortwährend hohes Wachstumstempo der Produktion, wie es durch die Entwicklung in allen sozialistischen Ländern und darunter in der DDR bewiesen wird. 5 4 Reithinger, Anton, Soziale Marktwirtschaft auf dem Prüfstand. Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main 1958, S. 26.

Karl-Heinz

Jonuscheit

E I N I G E FRAGEN DER T H E O R I E UND DER ANWENDUNG DER W I R T S C H A F T L I C H E N R E C H N U N G S F Ü H R U N G IN D E R D D R Einleitung Die Frage der wirtschaftlichen Rechnungsführung erfordert die ununterbrochene Aufmerksamkeit der Ökonomen; geht es hierbei doch um eine grundlegende Form der planmäßigen Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben, mit deren Hilfe der sozialistische Staat den Kampf der Werktätigen um Sparsamkeit und Rentabilität organisiert. Aufgabe der Ökonomen ist es, auf der Grundlage der ökonomischen und politischen Entwicklung ständig neue Möglichkeiten zur Vervollkommnung der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu erforschen. Diese neuen Möglichkeiten ergeben sich gegenwärtig aus dem großen Programm unserer gesamten gesellschaftlichen Entwicklung, dem Siebenjahrplan. Es kommt darauf an, die wirtschaftliche Rechnungsführung in den Dienst der Verwirklichung des Siebenjahrplanes zu stellen. Die Erfolge bei der Aufdeckung neuer Möglichkeiten zur Vervollkommnung der wirtschaftlichen Rechnungsführung hängen indessen nicht nur von der Kenntnis der praktischen Erfordernisse, sondern gleichzeitig davon ab, in welchem Grade Klarheit über das Wesen der wirtschaftlichen Rechnungsführung besteht. Erst bei inhaltlicher Klarheit über ihr Wesen und ihre Erfordernisse kann eine zielgerichtete Orientierung für die praktische Anwendung gegeben werden. Die noch relativ starken Meinungsverschiedenheiten über die Stellung, das Wesen, die Merkmale und die Erfordernisse der wirtschaftlichen Rechnungsführung zeigen, wie notwendig Diskussionen zu diesem Problemkreis sind. Ziel dieser Arbeit ist es, einen Diskussionsbeitrag sowohl zum Wesen als auch zur Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung im Siebenj ahrplan zu leisten. I. ZUR THEORIE D E R WIRTSCHAFTLICHEN

RECHNUNGSFÜHRUNG

1. Wirtschaftliche Rechnungsführung und staatliche

Wirtschaftsleitung

Die wirtschaftliche Rechnungsführung ist eine objektiv notwendige Methode der sozialistischen Wirtschaftsführung. Sie wurde zuerst in der Sowjetunion, dem ersten Land des Sozialismus, eingeführt und ist heute die grundlegende Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben aller sozialistischen Länder. Bürgerliche Ökonomen behaupten, daß die wirtschaftliche Rechnungsführung und die von ihr ausgenutzten Wertkategorien Geld, Preis, Kosten, Gewinn, Rentabilität

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Karl-Heinz

Jonuscheit

ein Eingeständnis dafür wären, daß die sozialistische Planwirtschaft auf ihrer eigenen Grundlage nicht funktioniere und daß man gezwungen sei, auf das Instrumentarium der kapitalistischen Marktwirtschaft zurückzugreifen. Sie sind der Meinung, daß die wirtschaftliche Rechnungsführung in Wirklichkeit nichts Neues, sondern lediglich eine wenn auch verschleierte Form der kapitalistischen Profitwirtschaft sei. So erklärte z. B. der Executiv-Direktor des Economic Committee des Kongresses der USA Dr. Grover W . Ensley über ein Gespräch mit sowjetischen Wirtschaftswissenschaftlern u. a.: „Sie (die sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler — K. J.) wiesen darauf hin, auf welche Weise sie die Zunahme der Produktivität fördern. Mit anderen Worten: es ist fast ein Gewinn-Motiv." 1

Bruno Kiesewetter sagt in einem Nachwort 2 zu den Ausführungen von Ensley erläuternd, daß die sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler eigentlich e r k a n n t hätten, daß der Kapitalismus noch nicht abgewirtschaftet habe. E r schlußfolgert daraus: „Die aus dieser Erkenntnis entstandene eingehendere Beschäftigung mit dem Kapitalismus, speziell dem der USA, hat nicht nur zu einer Auflockerung der bisherigen dogmatisch-bestimmten Wirtschaftsideologie, sondern auch zum Einbau gewisser ¡kapitalistischer' Wirtschaftsmethoden geführt, die den Anschein einer Wandlung des wirtschaftlich-kommunistischen Denkens hervorrufen, den Ensley ziemlich stark betont."

Kiesewetter, der natürlich n u r den kapitalistischen Inhalt dieser Begriffe sieht, bezweifelt, daß m a n diese „kapitalistischen Methoden" erfolgreich in den Sozialismus einbauen k a n n und läßt dann die Katze aus dem Sack, wenn er schreibt: „Mit der Anerkennung des Primats des Staates verbaut man sich alle Möglichkeiten, die eigentliche Ursache der Unproduktivität der Wirtschaft, die zentrale Planung zu erkennen und dagegen anzugehen . . ."

Es gehört schon allerhand Unverfrorenheit dazu, das offensichtlich viel höhere Entwicklungstempo der Länder des sozialistischen Lagers gegenüber den kapitalistischen Ländern, das gerade durch die staatliche Planung möglich wurde, in das Gegenteil umzumünzen. Indessen sollten wir Kiesewetter „ d a n k b a r " sein, daß er sofort klare Fronten schafft. E r richtet sein H a u p t f e u e r offen gegen das H a u p t instrument des erfolgreichen sozialistischen Aufbaus, entlarvt sich als Feind des Sozialismus u n d Apologeten des Monopolkapitalismus und bestätigt uns d a m i t nur, daß wir auf dem richtigen Wege sind. F ü r Kiesewetter ist produktive Tätigkeit mit staatlicher Wirtschaftsleitung unvereinbar. Die kapitalistische Praxis — und n u r diese sehen die bürgerlichen Ökonomen — gibt ihm allerdings Recht. Alle bisherigen Planungsversuche des bürgerlichen Staates waren zum Scheitern verurteilt. Das verwundert nicht, denn in einer auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung ist eine volkswirtschaftliche Planung unmöglich. Als gute Apologeten fällt es den bürgerlichen Ökonomen nicht im geringsten auf, daß die Produktionsmittel 1

Ensley, Grover W., Die Revolution im wirtschaftlichen Denken der Sowjetunion. In: „Konjunkturpolitik", 3. Jahrg., H. 5/6, S. 311, 1957. a Ebenda, S. 312-314.

Zur Theorie und Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung

311

im Sozialismus gesellschaftliches Eigentum sind und daß der sozialistische Staat die Organisation der Werktätigen selbst ist, mit dessen Hilfe sie ihre gesamte gesellschaftliche Entwicklung, so auch die Entwicklung der Wirtschaft, durchsetzen. Wenn Kiesewetter indessen meinen sollte, daß spontane Marktwirtschaft und individuelles Profitstreben

m i t dem sozialistischen

S t a a t — u n d diese V e r b i n d u n g

unterstellen die bürgerlichen Ökonomen dem Sozialismus gegenwärtig, indem sie auf die Rentabilität im kapitalistischen Sinne verweisen — unvereinbar sind, dann können wir das nur unterstreichen. Spontanes Profitstreben der sozialistischen Betriebe auf der Grundlage von Anarchie und Konkurrenz widerspricht tatsächlich zutiefst dem Wesen der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Die Argumentation der bürgerlichen Ökonomen ist für unsere Problematik nicht ohne Bedeutung. Es gab und gibt auch bei uns Auffassungen, die die wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe als außerhalb des Systems der staatlichen Wirtschaftsleitung, als eine rein ökonomische Methode, in deren Rahmen die sozialistischen Betriebe auf Markteinflüsse spontan reagieren, behandeln. Gewollt oder ungewollt werden hierbei Staat und Ökonomie getrennt und Methoden und Kategorien der spontanen Marktwirtschaft auf die sozialistische Wirtschaft übertragen. So empfahlen Behrens und Benary an Stelle einer durchgehenden staatlichen Planung und Leitung von der Plankommission bis zum Betrieb eine Selbstverwaltung der Wirtschaft, deren Handeln in der Hauptsache vom Preis, Kredit, Zins, Lohn, Gewinn, Steuern bestimmt wird. 3 Danach obliegt es dem Staat, lediglich solche Bedingungen zu schaffen, die die spontan verlaufenden Prozesse — welche nach Benary planbar sind — ermöglichen. Nachdem Benary auf den seiner Meinung nach entstandenen Konflikt zwischen bewußter Leitung und Planung der Volkswirtschaft und der schöpferischen Aktivität der Werktätigen hingewiesen hat, schreibt er: „Allerdings geht es nicht um die Beseitigung von Überspitzungen. Die Frage ist viel prinzipiellerer Natur. Es handelt sich darum, daß die volle Entfaltung der schöpferischen Aktivität der Werktätigen jene Methode der Leitung der Volkswirtschaft verlangt, die man kurz als ökonomische Methode bezeichnen kann. Diese Methode besteht — wie oben bereits auseinandergesetzt — darin, nicht vorwiegend durch unmittelbare Anweisungen zentraler (oder sogar örtlicher) Instanzen zu leiten, sondern durch die Schaffung solcher Bedingungen (gesellschaftlicher Institutionen, z. B. wirtschaftliche Rechnungsführung, Vertragssystem, Bankinkasso usw.), unter denen die spontan verlaufenden Prozesse planbar, berechenbar, ihre Richtung, Art und Stärke bestimmbar werden. An die Stelle der unmittelbaren Anweisung tritt die Ausnutzung ökonomischer Hebel. Das heißt natürlich nicht, daß die Leitung der Volkswirtschaft ohne Anweisung (Gesetze, Verordnungen, Richtlinien usw.) möglich wäre. Diese Anweisungen sollen jedoch nicht unmittelbar der Leitung der Produktionsbetriebe im einzelnen dienen, sondern jenes System von Bedingungen schaffen, das den Rahmen für die selbständige operative Tätigkeit der Betriebe und die Leitung und Koordinierung ihrer Tätigkeit vermittels ökonomischer Hebel (vor allem: Preis, Kredit und Zins, Lohn und Gewinn, Steuern) bildet." 4 (Hervorhebungen von mir — K. J.) 3 Benary, Arne, Zu Grundproblemen der politischen Ökonomie des Sozialismus in der Übergangsperiode. In: 3. Sonderheft „Wirtschaftswissenschaft", Jahrg. 1957, Verlag Die Wirtschaft, Berlin. 4 Ebenda, S. 84.

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Uns interessiert hier nicht die Fragestellung in ihrer ganzen Breite, sondern lediglich insoweit sie die wirtschaftliche Rechnungsführung betrifft. Zu den Bedingungen, die das spontane Handeln ermöglichen sollen, zählt Benary auch die wirtschaftliche Rechnungsführung. Nun ist die wirtschaftliche Rechnungsführung für die sozialistische Ökonomie nicht mehr neu. Neu ist nur, daß sie Benary zu einer Institution eines spontanen Marktmechanismus machen will. 5 Damit bringt er die wirtschaftliche Rechnungsführung jedoch in Gegensatz zur Planung des sozialistischen Staates. In einem solchen System können sich die Betriebe in der Tat nur nach dem Gewinnmotiv orientieren. Die durchgehende Planung und Leitung von oben bis unten durch Partei und Staat, aber ebenso der bewußte politische organisierte Kampf der Werktätigen in den Betrieben werden überflüssig. Was dabei im Resultat herauskommt, kann nur eine wenn auch verbrämte kapitalistische Marktwirtschaft sein. Und gerade diese Verquickung von staatlich-sozialistischer Planwirtschaft und kapitalistischer Marktwirtschaft werfen uns die bürgerlichen Ökonomen, wie wir es zu zeigen versuchten, vor. Die Ursache dieser Verquickung liegt in der Negierung des prinzipiellen Gegensatzes der Ökonomik im Sozialismus und Kapitalismus. Wer von einem spontanen Handeln der Betriebe nach dem Markt-Preismechanismus ausgeht, geht nicht von der sozialistischen, sondern von der kapitalistischen Wirklichkeit aus. Warum haben Preis, Kredit, Zins usw. nur im Kapitalismus spontan regulierende Funktionen? Weil auf Grund des zersplitterten privatkapitalistischen Eigentums das ökonomisch Notwendige sich nur durch Anarchie und Konkurrenz auf der Grundlage des individuellen Profitstrebens durchsetzen kann. Jeder private Betrieb arbeitet individuell, isoliert. Doch seine individuelle private Arbeit muß gleichzeitig Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit sein. Mangels einer bewußten gesellschaftlichen Regelung der Produktion erfährt der Produzent erst hinterher auf dem Markt, wenn er seine Ware und deren Preis realisieren kann, ob und in welchem Maße er gesellschaftliche Arbeit geleistet hat. Der Wert und die mit ihm verbundenen Kategorien Geld, Preis, Kredit, Zins sind infolgedessen ein Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse, nämlich der Tatsache, daß die gesellschaftliche Gesamtarbeit von Einzelproduzenten in privater Form geleistet wird. „Nur als inneres Gesetz, den einzelnen Agenten gegenüber als blindes Naturgesetz, wirkt hier das Gesetz des Wertes und setzt das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion inmitten ihrer zufälligen Fluktuationen durch." 6

Der spontane Markt-Preismechanismus ist also in einer solchen Gesellschaft unentbehrlich, gesetzmäßig bedingt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse. Anders 5

Diese Auffassung ist, wenn auch nicht so eindeutig ausgesprochen, in der Praxis weiter verbreitet als man für gewöhnlich annimmt. Anstatt die Planerfüllung zu organisieren, die Werktätigen von der Notwendigkeit und der Bedeutung der ökonomischen Aufgaben zu überzeugen, verlassen sich manche Wirtschaftsfunktionäre noch darauf, daß sich das „Notwendige" schon im Selbstlauf durchsetzen wird. Vielfach wird die wirtschaftliche Rechnungsführung geradezu als Puffer des spontanen Ausgleichs von Mängeln angesehen. Deshalb darf diese Frage nicht unterschätzt werden. « Marx, Karl, Das Kapital, Dietz Verlag, Berlin 1956, Bd. III, S. 937.

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kann eine Wirtschaft, die auf dem isolierten Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht, nicht existieren und anders können sich die kapitalistischen Betriebe nicht orientieren.7 Diese anarchische Marktwirtschaft, die die bürgerlichen Theoretiker als „produktiv" preisen, ist alles andere als „ökonomisch". „Während die kapitalistische Produktionsweise in jedem individuellen Geschäft Ökonomie erzwingt, erzeugt ihr anarchisches System der Konkurrenz die maßloseste Verschwendung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben einer Unzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger Funktionen." 8 Der einzelne Kapitalist mag in seinem Betrieb nach Ökonomie streben — und das geschieht vor allem durch verstärkte Ausbeutung seiner Arbeiter —, ob er sie erreicht, hängt jedoch angesichts des Fehlens einer bewußten gesellschaftlichen Leitung nicht von ihm, sondern von vielfältigen Markteinflüssen ab. Seine einzige Orientierung ist der sich spontan bildende Produktionspreis. Wie unökonomisch diese anarchische Marktwirtschaft ist, davon zeugen die ständig wachsenden Warenbestände, nicht ausgelastete Anlagen und Ausrüstungen, Fehlinvestitionen, hohe Zirkulationskosten (allein die Reklamekosten haben in den USA bereits jährlich die 10 Md. -Dollar-Grenze überschritten!) u. a. m. Lenin charakterisiert die kapitalistische Verschwendung sehr anschaulich, wenn er schreibt: „Was für eine Unmenge von Arbeit geht heutzutage dank der Unordnung, dem chaotischen Charakter der ganzen kapitalistischen Produktion ungenutzt verloren! Wieviel Zeit geht verloren bei der Belieferung des Fabrikanten mit Rohmaterial durch die Vermittlung Hunderter von Aufkäufern und Wiederverkäufern, wobei die Ansprüche des Marktes unbekannt bleiben! Nicht nur Zeit, sondern die Produkte selbst gehen verloren und verderben. Und die Verluste an Zeit und Arbeit bei der Zustellung des Fertigfabrikats an die Konsumenten durch eine Unmenge kleiner Vermittler, die ebenfalls die Ansprüche der Käufer nicht kennen können und eine Menge nicht nur überflüssiger Bewegungen, sondern auch überflüssiger Ankäufe, Reisen machen und so weiter und so f o r t . " '

Das ist der „Segen" der spontanen Marktwirtschaft, die, wie wir zeigten, allerdings unter den Bedingungen des zersplitterten kapitalistischen Eigentums die einzig mögliche Entwicklungsform der Produktivkräfte ist. Wir bedanken uns vor diesem „ S e g e n " der „freien" Marktwirtschaft und lehnen selbst jede Anleihe hinsichtlich der spontanen Wirkung von Marktkategorien, wie sie von einigen Ökonomen empfohlen wurde, im Rahmen der wirtschaftlichen Rechnungsführung ab. Doch selbst wenn wir solche „ökonomischen Methoden" übernehmen wollten, könnten wir es nicht, da wir in der Wahl der Mittel und Methoden der Leitung abhängig sind von den neuen sozialistischen Verhältnissen. Diese neuen sozialistischen Verhältnisse — und folglich auch die Methoden und Mittel — sind denen des Kapitalismus völlig entgegengesetzt. Das Privateigentum 7 „Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben darin, daß a priori keine bewußte gesellschaftliche Reglung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich nur als blindwirkender Durchschnitt durch." Marx, Karl, und Engels, Friedrich, Ausgewählte Briefe, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 242. 8 Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. I, S. 554/55. * Zitiert nach: Pereslegin, W. I., Das Sparsamkeitsregime in der sozialistischen Wirtschaft. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1955, S. 6.

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an den Produktionsmitteln wird durch die sozialistische Revolution beseitigt und auf dieser Grundlage wird gesellschaftliches, sozialistisches Eigentum geschaffen. Damit wird auch der elementare Marktmechanismus als Regulator der Produktion aufgehoben. Das sozialistische Eigentum erfordert gesetzmäßig eine planmäßige Entwicklung der Ökonomik wie der ganzen Gesellschaft. Die Werktätigen sind durch die Aufhebung der Trennung von den Produktionsmitteln und die Beseitigung der durch das Privateigentum bedingten gesellschaftlichen Isolierung kollektiv zu bewußten Gestaltern ihres Schicksals geworden. Bewußte kollektive Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist in der Übergangsperiode und im Sozialismus in allen Lebenssphären seinem Ziel und seinem Inhalt nach politische Gestaltüng. Der bewußte politische Kampf der Arbeiterklasse war die Voraussetzung für die Schaffung des sozialistischen Eigentums, und der seinem Inhalt nach bewußte politische Kampf ist die Bedingung für die Überwindung aller Klassen und den Aufbau des Kommunismus. Ihre neue bewußte politische Rolle verwirklichen die Werktätigen in der Übergangsperiode und im Sozialismus durch ihren Staat 1 0 , der im Ergebnis des politischen Kampfes des Proletariats, in der proletarischen Revolution, unter der Führung ihrer Partei aufgerichtet wurde. Er ist als umfassendste Organisation der Werktätigen berufen, alle Kräfte (politische, ökonomische und ideologische) auf das einheitliche Ziel — den Aufbau des Sozialismus — zusammenzufassen und zu leiten. Diese Leitung kann indessen nicht nach subjektivem Ermessen erfolgen, sondern muß sich auf die bewußte Ausnutzung der ökonomischen Gesetze stützen. Mit der Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse treten neue ökonomische Gesetze ins Leben wie das Grundgesetz des Sozialismus, das Gesetz der planmäßigen Entwicklung, das Gesetz der Steigerung der Arbeitsproduktivität, das Gesetz der sozialistischen Akkumulation usw. Gleichzeitig müssen die auf Grund des noch unterschiedlichen Vergesellschaftungsgrades der Arbeit noch existierende Warenproduktion, das Wertgesetz und die mit ihm verbundenen Wertkategorien ausgenutzt werden. Diese Kategorien sind nicht mehr Ausdruck des zersplitterten privatkapitalistischen Eigentums, d. h. der gesellschaftlichen Arbeit, die in privater Form geleistet wird, sondern basieren auf dem gesellschaftlichen Eigentum und beinhalten infolgedessen gesellschaftlich-sozialistische Arbeit. Sie sind folglich dem Grundgesetz des Sozialismus und dem Gesetz der planmäßigen (proportionalen) Entwicklung untergeordnet und wirken nur in Verbindung mit allen anderen ökonomischen Gesetzen des Sozialismus. Da sich die ökonomischen Gesetze im Sozialismus nicht im Selbstlauf sondern n u r durch die bewußte Tätigkeit der Werktätigen verwirklichen, obliegt es dem sozialistischen Staat, die Werktätigen in ihrer ökonomischen Tätigkeit zu organisieren und zu führen. 10

„Wenn gesagt wird, daß die Menschen im Sozialismus ihre gesellschaftliche Entwicklung bewußt lenken, so heißt das, daß sie das über die Partei und den Staat tun, die die führende und organisierende Rolle in der sozialistischen Wirtschaft ausüben." In: Grundlagen des Marxismus-Leninismus — Lehrbuch, Dietz Verlag, Berlin 1960.

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Da es sich um den Staat der Werktätigen handelt, sind das Recht und die Pflicht der Teilnahme der Mitglieder der Gesellschaft an der staatlichen Leitung eine Selbstverständlichkeit. Das Zusammenwirken der Werktätigen zur Erreichung des einheitlichen Zieles geht nicht etwa in Form einer ,bewußten' Spontaneität vor sich, sondern bedarf einer straffen, einheitlichen zentralen Leitung und einer bewußten Disziplin. 11 Diese zentrale Leitung ist jedoch nichts anderes als ein Teil, wenn auch der bewußteste Teil, der Werktätigen. Infolgedessen kann die zentrale Leitung ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie sich bei ihrer Leitungstätigkeit auf die Mitarbeit der Werktätigen stützt, wenn sie einerseits die Massen führt, ihr Bewußtsein entwickelt, ihre Initiative weckt und andererseits von den Massen, den wirklichen Gestaltern der Geschichte, lernt und entsprechend ihre Leitungsmethoden vervollkommnet. Diese Wechselbeziehung kommt im demokratischen Zentralismus zum Ausdruck. Dieses Prinzip sichert die Einheit von straffer zentraler Planung und Leitung und größtmögliche Teilnahme der Werktätigen an der Leitung von Staat und Wirtschaft. Der demokratische Zentralismus hat in jeder Lebensphäre spezifische Erscheinungsformen. Er wirkt innerhalb und auf der Grundlage der jeweiligen Bedingungen. Solche Bedingungen sind in der sozialistischen Wirtschaft der Entwicklungsstand der Produktivkräfte (Konzentrationsgrad der Produktion, Arbeitsteilung und Spezialisierung), der Produktionsverhältnisse (der Entwicklungsgrad des sozialistischen Eigentums, die Formen des Zusammenwirkens der Werktätigen in der Produktion — Distributions-, Zirkulations- und Konsumtionsverhältnisse —) und der Bewußtseinsstand der Werktätigen. Auf dem Gebiete der sozialistischen Wirtschaft wird der demokratische Zentralismus in der Leitung, Planung, Organisation und der wirtschaftlichen Rechnungsführung verwirklicht. Erst die Anwendung des demokratischen Zentralismus — der Form des organisierten, kollektiven und bewußten Zusammenwirkens der Werktätigen — ermöglicht eine rationelle Wirtschaftsführung. Die gesellschaftliche Produktion, die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit, die Herstellung richtiger Proportionen zwischen den Zweigen sind die bewußte Tat der im sozialistischen Staat organisierten gesamten Gesellschaft. 12 Die bewußte und planmäßige Ausnutzung aller ökonomischen Gesetze, durch den Staat vermittels der Planung und der wirtschaftlichen Rechnungsführung ermöglicht die sparsamste Verwendung und den optimalen Einsatz aller produktiven 11

Schon die Vergesellschaftung der Produktionsmittel im Rahmen der Großproduktion macht — wie Marx nachwies — objektiv die Unterordnung der vielen Einzelwillen unter einem einheitlichen Gesamtwillen notwendig. 12 Als Erwiderung auf kleinbürgerliche revisionistische Angriffe gegen die wirtschaftlichorganisatorische Funktion des sozialistischen Staates heißt es im Lehrbuch „Grundlagen des Marxismus-Leninismus": „Wenn der Staat als Vertreter der gesamten Gesellschaft auftritt, dann ist es nur natürlich, daß er und seine zentralen Organe im Rahmen der Gesellschaft die Richtung, die Proportionen und das Entwicklungstempo der Volkswirtschaft festlegen. Nur durch die wirtschaftlich-organisatorische Tätigkeit des Staates werden alle objektiven Möglichkeiten und Vorzüge des Sozialismus Wirklichkeit." Ebenda, S. 660.

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und gesellschaftlichen Kräfte mit höchstem Nutzeffekt. Es widerspricht jeder Logik und Erfahrung, daß die spontane Marktwirtschaft, in der sich das „Notwendige" nur durch Disproportionen, durch ständige Verletzung der ökonomischen Gesetze durchsetzt, rationeller sein soll. Durch die Schaffung der sozialistischen Produktionsverhältnisse wird der für den Kapitalismus typische Widerspruch zwischen Ökonomie im Betriebe und Verschwendung in der ganzen Gesellschaft aufgehoben. Die sozialistischen Betriebe reagieren und orientieren sich nicht nach spontanen Markteinflüssen, sondern arbeiten als Glieder der sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage staatlicher Pläne, Gesetze und Bestimmungen. Dadurch können von vornherein Fehldispositionen, wie überhaupt die im Kapitalismus infolge der Anarchie und Konkurrenz auftretenden Verluste an gesellschaftlicher Arbeit, ausgeschaltet werden. Durch die staatliche Planung, durch die proportionale Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die Betriebe wird indessen nicht nur der Verlust an gesellschaftlicher Arbeit beseitigt, sondern von vornherein ein hoher Nutzeffekt der gesellschaftlichen Arbeit sowohl im Betrieb als auch in der gesamten Volkswirtschaft erreicht. Dieser hohe Nutzeffekt wird erzielt durch die Verbindung der zentralen Planung und Leitung mit der schöpferischen Teilnahme der Werktätigen in den Betrieben, wie es dem Prinzip des demokratischen Zentralismus entspricht. Während die Werktätigen in den kapitalistischen Betrieben durch die Trennung von den Produktionsmitteln und die Ausbeutung kein Interesse an der Produktion und der Leitung der Betriebe haben, setzt ihre Stellung als Eigentümer an den Produktionsmitteln und Träger des Staates im Sozialismus eine schöpferische Mitwirkung an der Produktion und Leitung der Betriebe voraus. Dem tragen die Methoden der Wirtschaftsführung in den Betrieben Rechnung. Der sozialistische Betrieb arbeitet unter den Bedingungen der sozialistischen Warenproduktion nach wirtschaftlicher Rechnungsführung. Die wirtschaftliche Rechnungsführung setzt die operative Selbständigkeit der Betriebe, ihre Ausstattung mit Produktions- und Zirkulationsfonds voraus. Im Rahmen ihrer operativen Selbständigkeit nehmen die Betriebe in ihrer ökonomischen Tätigkeit selbständig gesamtstaatliche Interessen wahr, nützen alle örtlichen Möglichkeiten aus und verwirklichen durch bewußte Einbeziehung aller Werktätigen in die Produktion und die Leitung der Betriebe eine rationelle Wirtschaftsführung. Die wirtschaftliche Rechnungsführung als planmäßige Methode der sozialistischen Wirtschaftsführung steht darum nicht außerhalb der staatlichen Leitung, sondern ist ein Teil derselben. Sie ist eine Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung, mit deren Hilfe der sozialistische Staat die Werktätigen in den sozialistischen Betrieben zum sparsamen Umgang mit der Arbeit und zur Erzielung höchster Produktionsergebnisse — wie im nächsten Abschnitt gezeigt werden soll — anhält. Lenin zeigt die Stellung der sozialistischen Betriebe im System der staatlichen Wirtschaftsführung und ihre Funktionen im Hinblick auf die wirtschaftliche Rechnungsführung sehr klar, wenn er ausführt: „ J e d e Fabrik, jedes Dorf ist eine produzierende und konsumierende Kommune, die das Recht und die Pflicht hat, auf ihre Art die allgemeinen Gesetzesverordnungen der Sowjets

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anzuwenden (,auf ihre Art' nicht im Sinne ihrer Verletzung, sondern im Sinne der Mannigfaltigkeit der Formen ihrer Durchführung), auf ihre Art das Problem der Rechnungsführung in der Produktion und der Verteilung der Produkte zu lösen. Unter dem Kapitalismus war das eine ,Privatsache' des einzelnen Kapitalisten, Gutsbesitzers und Kulaken. Unter der Sowjetmacht ist das keine Privatsache, sondern wichtigste Staatsangelegenheit." 1 3 14

2. Zum Wesen der wirtschaftlichen

Rechnungsführung

Die Analyse der Stellung des sozialistischen Betriebes im S y s t e m der staatlichen Wirtschaftsleitung darf nicht zu der Schlußfolgerung veranlassen, daß sich in der operativen Selbständigkeit der Betriebe bereits das Wesen der wirtschaftlichen Rechnungsführung ausdrückt. Eine solche Folgerung würde der wirtschaftlichen Rechnungsführung den spezifischen Inhalt und die konkrete Zielsetzung nehmen. Die operative Selbständigkeit ist vielmehr als eine sehr wichtige Bedingung für die Verwirklichung der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu sehen. Sie ermöglicht und erfordert die schöpferische Mitwirkung der Werktätigen der Betriebe zur Durchsetzung der wirtschaftlichen Rechnungsführung bei ständiger Beachtung der gesamtstaatlichen Interessen. Über die operative Selbständigkeit wird der demokratische Zentralismus in der wirtschaftlichen Rechnungsführung der Betriebe durchgesetzt. 1 5 Doch darin k o m m t noch nicht das Spezifische der wirtschaftlichen Rechnungsführung zum Ausdruck. Worin besteht der spezifische Inhalt der wirtschaftlichen Rechnungsführung? Im Lehrbuch Politische Ökonomie wird das Wesen der wirtschaftlichen Rechnungsführung u. E. treffend ausgedrückt, wenn es heißt: „Die wirtschaftliche Rechnungsführung ist die Form der planmäßigen Wirtschaftsführung der sozialistischen Betriebe, die durch das Wirken des Wertgesetzes bedingt ist. Sie findet ihren Ausdruck in der Gegenüberstellung der Produktionsaufwendungen und den Produktionsergebnissen in Geldform in der Deckung der Ausgaben des Betriebes 13

Lenin, W. I., Ausgewählte Werke, Dietz Verlag, Berlin 1953, Bd. II, S. 377. „Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, eben den demokratischen Zentralismus auf dem Gebiete der Wirtschaft zu verwirklichen, f ü r absolute Koordiniertheit und Einheitlichkeit im Funktionieren solcher Wirtschaftsbetriebe zu sorgen, wie sie Eisenbahn, die Post, das Fernmeldewesen, die übrigen Verkehrsmittel etc. darstellen, gleichzeitig aber bietet der im wirklich demokratischen Sinne des Wortes verstandene Zentralismus die erstmalig durch die Geschichte geschaffene Möglichkeit, nicht nur die örtlichen Besonderheiten, sondern auch die örtliche Tatkraft, die örtliche Initiative, die vielfältigen Wege, Verfahren und Mittel, die der Bewegung zum allgemeinen Ziele dienen, voll u n d ungehindert zu entfalten." Lenin, W. I., Werke, Bd. 27, S. 181, russ., zitiert bei D j a tschenko, i n : Sowjetwissenschaft — gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, H . 5, 1956, S. 560. 15 Hemmerling, Joachim, hat den Zusammenhang von wirtschaftlicher Rechnungsführung und demokratischem Zentralismus gut herausgearbeitet. Siehe: Zum Verhältnis von demokratischem Zentralismus und wirtschaftlicher Rechnungsführung bei der Leitung der sozialistischen Wirtschaft. I n : „ S t a a t und Recht", 8. Jahrg., H. 7, S. 879, 1959, 14

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aus eigenen Einnahmen, in der sparsamen Verwendung der Mittel und in der Sicherung der Rentabilität der Produktion." 16 17 18 Offenbar sind aber einige unserer Ökonomen mit dieser Definition nicht ganz einverstanden. So heißt es in der Anleitung zum Studium der politischen Ökonomie des Sozialismus — ausgearbeitet vom Institut für Politische Ökonomie der KarlMarx-Universität Leipzig für die Teilnahme am Fernstudium der Universitäten und Hochschulen der DDR, S. 6 2 : „Die wirtschaftliche Rechnungsführung wird oft als bloße Methode der Wirtschaftsführung im Sozialismus bezeichnet, z. R. als die Methode der Ausnutzung des Wertgesetzes. Indem sie die Wert- und Preisformen ausnutzt, beruht sie natürlich auf dem Wertgesetz. Aber das ist nicht das typische Kennzeichen der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Ihr wichtigstes Kriterium ist die wirtschaftlich-operative Selbständigkeit der einzelnen Retriebe, d. h. ihre Selbständigkeit im Rahmen einer straffen zentralen Leitung durch den S t a a t . " W i r bestreiten nicht, daß die operative Selbständigkeit eine wichtige Bedingung für die Verwirklichung der wirtschaftlichen Rechnungsführung ist. Ohne operative Selbständigkeit gibt es keine wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe. Sie ist, wie wir zeigten, dem demokratischen Zentralismus und dem gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den Betrieben geschuldet. Darin jedoch das typische Kennzeichen der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu sehen, halten wir für falsch. Diese Charakterisierung lenkt vom eigentlichen Sinn der wirtschaftlichen Rechnungsführung, dem Kampf um Sparsamkeit und Rentabilität, ab. Die Ursache für diese Charakterisierung der wirtschaftlichen Rechnungsführung liegt letztlich in der Unterschätzung des Wertgesetzes. Auch R. Hahn wendet sich in der Zeitschrift „Staat und Recht" (ohne es jedoch offen auszusprechen) gegen die Charakterisierung der wirtschaftlichen Rechnungsführung im Lehrbuch. Nachdem er eine Seite zuvor einige Stellen des Lehrbuches (jedoch nicht die Definition der wirtschaftlichen Rechnungsführung) zitiert hat, schreibt er: „Die wirtschaftliche Rechnungsführung ist eine objektive ökonomische Kategorie, die sich aus den Erfordernissen der ökonomischen Gesetze in der sozialistischen Gesellschaft ergibt. Sie dient als Leitungsmethode des sozialistischen Staates der Durchsetzung der verschiedenen Seiten objektiver ökonomischer Erfordernisse. Eine Zurückführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung nur auf das Wertgesetz oder im hauptsächlichen auf das Wertgesetz muß deshalb in Zweifel gezogen werden. Wie die Vergangenheit gelehrt hat, lag in einer solchen Regründung auch teilweise der Lehrbuch Politische Ökonomie. Dietz Verlag, Rerlin 1959, S. 618. „Der Sinn der wirtschaftlichen Rechnungsführung besteht darin, daß die Ausgaben jedes Retriebes, jeder wirtschaftlichen Organisation durch die eigenen Einnahmen gedeckt werden und daß der Betrieb darüber hinaus einen Gewinn erzielt." In: Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Lehrbuch, a. a. 0 . , S. 675. 18 Djatschenko, W., stellt das Wesentliche der wirtschaftlichen Rechnungsführung heraus, wenn er schreibt: „Die Ausnutzung der Wertform (Geldform) der Erfassung, um die Aufwendungen und die erzielten Resultate miteinander zu vergleichen, ist einer der Hauptzüge der wirtschaftlichen Rechnungsführung." Djatschenko, W., Die objektiven Grundlagen der wirtschaftlichen Rechnungsführung. I n : Sowjetwissenschaft — gesellschaftswissenschaftliche Reiträge, 1. Halbj., 1956, S. 553. 18 17

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Ausgangspunkt für revisionistische Konzeptionen hinsichtlich der Leitung der sozialistischenVolkswirtschaft." 1 9

Zunächst möchten wir anmerken, daß der Ausgangspunkt für revisionistische Konzeptionen durchaus nicht schlechthin die Zurückführung der wirtschaftlichen Rechnungsführung auf das Wertgesetz, sondern auf ein elementar wirkendes Wertgesetz war. Das scheint uns doch recht wesentlich zu sein. Ein Negieren dieses Unterschiedes muß zur Unterschätzung der objektiv existierenden Kategorien der Warenproduktion und der gesellschaftlichen Arbeit, die sich in ihnen verkörpert, führen. Durch die Unterschätzung des Wertes wird die wirtschaftliche Rechnungsführung zum allgemeinen Leitungsprinzip, wie es bereits der demokratische Zentralismus darstellt, gemacht. Das Spezifische der wirtschaftlichen Rechnungsführung als der Methode zur Einsparung von gesellschaftlicher Arbeit und zur Steigerung der Rentabilität gerät dabei ins Hintertreffen. Nehmen wir weiter die Charakterisierung der wirtschaftlichen Rechnungsführung durch eine unserer jüngsten Arbeiten. In dem erst kürzlich in der „Wirtschaftswissenschaft" (8/1959) veröffentlichten Artikel von Bordag/Schneider „Die objektiven Grundlagen der wirtschaftlichen Rechnungsführung" (der im ganzen gesehen positive Anregungen gibt) heißt es: „Die wirtschaftliche Rechnungsführung als Form oder Methode der sozialistischen Wirtschaftsführung ist ein Erfordernis aller ökonomischen Gesetze des Sozialismus, dabei insbesondere des ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus, des Gesetzes der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft und des Gesetzes von der stetigen Steigerung der Arbeitsproduktivität." Bordag und Schneider merken nach ihrer Definition, daß die wirtschaftliche Rechnungsführung nicht ohne Wert und Wertgesetz existieren kann und nehmen, unter Abgrenzung von all denen, die die wirtschaftliche Rechnungsführung ausschließlich aus der Warenproduktion erklären wollen, das Wertgesetz als weitere Ursache hinzu. Allerdings schränken sie sofort wieder ein, wenn sie schreiben: „Die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Rechnungsführung muß jedoch in erster Linie aus der sozialistischen Ökonomik, d. h. aus den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus, abgeleitet werden und erst in zweiter Linie aus der Warenproduktion und der Wirkung des Wertgesetzes." 2 0

Man muß fragen, was heißt in erster und zweiter Linie? Gehört denn die Warenproduktion im Sozialismus nicht zur sozialistischen Ökonomik? Hier zeigt sich doch nur die Verwirrung bei der Begründung der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Die zweitrangige Behandlung des Wertgesetzes muß sich notwendig auch bei der Charakterisierung der Merkmale der wirtschaftlichen Rechnungsführung widerspiegeln. Als Hauptmerkmale erkennen Bordag und Schneider lediglich die wirtschaftlich operative Selbständigkeit der Betriebe und die materielle Interessiertheit an. Sie schreiben: 19 Hahn, Rainer, Einige Schlußfolgerungen aus der Babelsberger Konferenz für die politische Ökonomie des Sozialismus. In: „ S t a a t und Recht", 9. Jahrg., H. 2, S. 284, 1960. s o Bordag, Artur, und Schneider, Günter, Die objektiven Grundlagen der wirtschaftlichen Rechnungsführung. In: „Wirtschaftswissenschaft", 7. J a h r g . , H. 8, S. 1231, 1959.

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„Die wirtschaftlich-operative Selbständigkeit der Betriebe im Rahmen des demokratischen Zentralismus ist ein Hauptmerkmal der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Das zweite Hauptmerkmal ist die materielle Interessiertheit der Betriebe. Man kann diese beiden Seiten als die zwei Hauptmerkmale der wirtschaftlichen Rechnungsführung bezeichnen, da alle anderen Merkmale ihnen untergeordnet sind oder ihrer Verwirklichung dienen. Die Bezeichnung dieser beiden Seiten als Hauptmerkmale der wirtschaftlichen Rechnungsführung findet auch darin eine Bestätigung, daß alle Maßnahmen zur Einführung oder weiteren Vertiefung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Betrieben die Festigung der operativen Selbständigkeit und die Verwirklichung der materiellen Interessiertheit zum Inhalt haben." 21

Wir bestreiten auch hier nicht, daß die operative Selbständigkeit u n d vor allem die materielle Interessiertheit wichtige Bedingungen f ü r die Arbeit der Betriebe nach der wirtschaftlichen Rechnungsführung sind und daß sie wesentlichen Einfluß auf die wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe ausüben. Man k a n n nicht von wirtschaftlicher Rechnungsführung sprechen, ohne dabei gleichzeitig an ihre Voraussetzung, die operative Selbständigkeit und vor allem an die materielle Interessiertheit zu denken. Doch sie als Hauptmerkmale zu bezeichnen, die alle Maßnahmen zur „ E i n f ü h r u n g oder Vertiefung der wirtschaftlichen R e c h n u n g s f ü h r u n g " zum Inhalt haben, ohne gleichzeitig das Entscheidende — die Gegenüberstellung von Arbeitsaufwand und Ertrag, die Deckung der Ausgaben durch die Einnahmen und die Erzielung der Rentabilität — zu erwähnen, halten wir f ü r unzulänglich. So ausgedrückt würde die operative Selbständigkeit und die materielle Interessiertheit Selbstzweck und man m ü ß t e sich fragen, welchen Sinn überhaupt noch der Begriff „Wirtschaftliche Rechnungsführung" hat. Die Ursache liegt u. E. auch hier in der zweitrangigen Behandlung des Wertgesetzes. Offenbar erkennen die Verfasser diese Unzulänglichkeit selbst, denn im Fortgang ihrer Entwicklung sind sie gezwungen, dem H a u p t m e r k m a l der wirtschaftlichen Rechnungsführung — der Gegenüberstellung von Aufwand und E r t r a g in Wertform —, wenn auch nicht mit der nötigen Konsequenz Rechnung zu tragen. Man muß Bordag und Schneider zugute halten, daß sie bei der Behandlung der Grundfragen der wirtschaftlichen Rechnungsführung n u r zwei „ H a u p t m e r k m a l e " hervorheben und d a m i t den Leser schwerpunktmäßig auf wichtige Bedingungen der wirtschaftlichen Rechnungsführung orientieren. In der Regel werden in der Literatur zahlreiche Merkmale wie außen Aufwand und Ertrag, operative Selbständigkeit und materielle Interessiertheit, z. B. noch die Ausstattung der Betriebe mit Fonds, das Vertragssystem, die individuelle Leitung und persönliche Verantwortung, die Aufstellung einer Bilanz, die selbständige K o n t e n f ü h r u n g u. a. m. gleichrangig angeführt. 2 2 Natürlich handelt es sich hierbei um Merkmale bzw. Bedingungen und Erfordernisse der wirtschaftlichen Rechnungsführung, und ihre Untersuchung darf nicht unterschätzt werden. Jedoch wird durch die gleichrangige Darstellung und die Ausweitung des Begriffes, das Wesentliche — die Einsparung von gesellschaftlicher Arbeit — oft vergessen und die Praxis sehr verschwommen orientiert. 21

Ebenda, S. 1232. Oft wird sogar die gesamte Leitung, Planung und Organisation unter dem Begriff ¿.Wirtschaftliche Rechnungsführung" subsumiert. 22

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Wir wollen im folgenden den Versuch machen, das Charakteristische der wirtschaftlichen Rechnungsführung herauszuarbeiten. Wir dürften nicht fehlgehen, wenn wir bei der Begründung des wesentlichen Inhalts der wirtschaftlichen Rechnungsführung die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens, die gesellschaftliche Arbeit, zum Ausgangspunkt nehmen. Dabei empfiehlt es sich nicht sofort auf die wirtschaftliche Rechnungsführung als spezifische Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung der sozialistischen Betriebe, sondern von der Rechnungslegung als Buchführung und Kontrolle über die Arbeit, wie sie Marx im allgemeinen Sinne verstand, auszugehen. Rechnungslegung ist zunächst ganz allgemein gesehen nichts anderes als die F o r m der Bewertung über die im Produktionsprozeß verausgabte Arbeit. Diese Bewertung, die Buchführung und Kontrolle über die geleistete Arbeit, die verausgabte Arbeitszeit und das Ergebnis der Arbeit — mit einem W o r t : die Gegenüberstellung von Arbeitsaufwand und Arbeitsertrag ist in jeder Gesellschaft, die auf Arbeitsteilung beruht, objektiv notwendig. Das ergibt sich daraus, daß die Arbeit Quelle und Grundlage des gesellschaftlichen Lebens ist und von ihrer P r o d u k t i v i t ä t und ihrem proportionalen Einsatz die Entwicklung der Gesellschaft abhängt. Darauf wies Karl Marx anschaulich hin, als er schrieb: „Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiednen Bedürfnissen entsprechenden Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Daß diese

Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident. Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiedenen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen." 23

Und in seinem Werk „Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie" ist der wichtige Satz zu lesen: „Ökonomie der Zeit, darein löst sich schließlich alle Ökonomie auf." 2 4 Jede Gesellschaftsordnung k a n n — unabhängig von ihrer spezifischen F o r m — nur so viel verbrauchen, wie sie erarbeitet hat, und sie kann u m so mehr verbrauchen; je mehr sie erarbeitet hat. Dazu m u ß sie aber stets Arbeitsaufwand und Arbeitsergebnis gegenüberstellen und den Arbeitsertrag nachweisen. Die Rechnungslegung ist also niemals Selbstzweck, sondern immer auf die Arbeitszeit und den Nutzeffekt der Arbeit gerichtet. Ohne ständig den Arbeitsertrag mit dem Arbeitsaufwand gegenüberzustellen, ist eine rationelle Wirtschaftsführung unmöglich. Doch der Inhalt und die Art dieser Rechnungslegung sind von den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. In der kapitalistischen Gesellschaft, die auf dem Privateigentum und der Klassenspaltung beruht, ist die R e c h n u n g s f ü h r u n g über den Arbeitsaufwand und den Arbeitsertrag Privatangelegenheit und dient dem Nachweis der Verwertung des vorgeschossenen Kapitals der einzelnen Kapitalisten. Die gesellschaftliche Bewertung der individuell geleisteten Arbeit k a n n bei diesen 23

Marx, Karl, und Engels, Friedrich, Ausgewählte Briefe, a. a. 0., S. 241/42. Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 89. 24

21 Probleme Bd. 3

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gesellschaftlichen Verhältnissen — wie wir sahen — nur spontan indirekt über den Wert und seine Formen erfolgen. Die privat geleistete, konkrete Arbeit muß sich hinter dem Rücken der Produzenten auf dem Markt als abstrakte, d. h. gesellschaftliche Gesamtarbeit — als Wert — bewähren. Im Sozialismus, in dem das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben ist, dient die Rechnungslegung und Kontrolle dem Nachweis des Nutzeffektes der Arbeit im Rahmen der bewußten Planung und Leitung des Produktionsprozesses im Interesse der ganzen Gesellschaft. „ G e m e i n s c h a f t l i c h e Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeilbestimmung natürlich wesentlich. . . . Wie bei einem einzelnen Individuum, h ä n g t die Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab. . . . E b e n s o m u ß die Gesellschaft ihre Zeit zweckmäßig einteilen, u m eine ihren G e s a m t b e d ü r f n i s s e n gemäße Produktion zu erzielen; . . . Ökonomie der Zeit, sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige der Produktion, bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion. E s wird sogar in viel höherem G r a d e G e s e t z . " 2 6 (Hervorhebung — K. J.)

Die Rechnungslegung über die Arbeit und ihren Nutzeffekt wird erst unter den Bedingungen des Sozialismus zu einer bewußten gesellschaftlichen Angelegenheit und wichtiger denn je. 2 6 Auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums wird die Arbeit nicht mehr privat geleistet, sondern unmittelbar als gesellschaftliche Arbeit verausgabt. Infolgedessen erfolgt von vornherein eine planmäßige gesellschaftliche Bewertung der Arbeit. 27 Die Verausgabung der Arbeit erfolgt entsprechend den gesellschaftlichen Plänen. Die Kontrolle über die Verausgabung der Arbeit ist demzufolge eine gesellschaftliche Kontrolle. Rechnung führen bzw. Rechnung legen heißt hier zunächst nichts anderes als im Interesse der gesamten Gesellschaft auf den sparsamsten Umgang und den höchstmöglichen Nutzeffekt der gesellschaftlichen Arbeit zu achten. Genau Buch führen und Rechenschaft ablegen über die Arbeit und ihre Ergebnisse; siebenmal messen, einmal abschneiden, wie Lenin sagte; rechnen, messen und wiegen, wie es im Beschluß der 8. ZK-Tagung (1960) heißt — das ist wirtschaftlich Rechnung führen. Rechnungslegung und Kontrolle ist im Sozialismus darum so außerordentlich wichtig geworden, weil die Produktionsmittel Eigentum des ganzen Volkes sind, Marx, Karl, ebenda, S . 89. „ D i e Buchführung, als Kontrolle und ideelle Z u s a m m e n f a s s u n g des Prozesses wird um so notwendiger, j e mehr der Prozeß auf gesellschaftlicher Stufenleiter vorgeht und den rein individuellen Charakter verliert; also notwendiger in der kapitalistischen Produktion als in der zersplitterten des Handwerks- und Bauernbetriebs, notwendiger bei gemeinschaftlicher Produktion als bei kapitalistischer." Marx, Karl, D a s K a p i t a l , a. a. 0 . , B d . I I , S . 129. 27 E s „bleibt, nach A u f h e b u n g der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die W e r t b e s t i m m u n g vorherrschend in d e m Sinne, d a ß die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit u n t e r die verschiednen Produktionsgruppen, endlich die B u c h f ü h r u n g hierüber, wesentlicher denn j e w i r d . " Marx, Karl, D a s K a p i t a l , a. a. 0 . , B d . I I I , S. 907. 26

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weil es sich unmittelbar um gesellschaftliche Arbeit handelt und weil vom Nutzeffekt der vergegenständlichten und lebendigen Arbeit der Wohlstand des gesamten Volkes und die Stärke des sozialistischen Staates abhängen. Diese Auffassung der Rechnungslegung und Kontrolle ergibt sich aus der neuen Einstellung der Werktätigen zum sozialistischen Eigentum, zur sozialistischen Arbeit und ihrem Staat. Sie führt dazu, daß die Werktätigen sich Sorgen machen über die Verausgabung der Arbeit, ihren Nutzeffekt, daß sie im Interesse der ganzen Gesellschaft rechnen, buchführen und kontrollieren. (Anschaulich zeigte sich das an den persönlichen Konten im ersten Fünfjahrplan und gegenwärtig am Siebenjahrplanfonds!) Die Rechnungsführung wird so von einer Privatsache zur wichtigsten Staatsangelegenheit. Die Werktätigen durch Überzeugung, materielle Interessiertheit und Rechtsnormen zur Rechnungslegung über das Maß der Arbeit und des Verbrauches zu erziehen — darin besteht eine wichtige Aufgabe des sozialistischen Staates. 2 8 Lenin sagte mit allem Nachdruck: „Rechnungslegung und Kontrolle — das ist das Wichtigste, was zum Ingangsetzen, zum richtigen Funktionieren der kommunistischen Gesellschaft in ihrer ersten Phase erforderlich ist." 2 » 28 Man muß sich einmal einige Stellen der Arbeit Lenins über „Die Aufgaben der Sowjetmacht" vor Augen führen, um die Rolle der Rechnungsführung und Kontrolle als wichtigste Staats- und Massenangelegenheit zu begreifen. „Führt genau und gewissenhaft Rechnung über das Geld, wirtschaftet sparsam, faulenzt nicht, stehlt nicht, beobachtet strengste Disziplin in der Arbeit — gerade solche Losungen, die von den revolutionären Proletariern damals, als die Bourgeoisie mit derartigen Reden ihre Herrschaft als Ausbeuterklasse bemäntelte, mit Recht verlacht wurden, werden jetzt, nach dem Sturz der Bourgeoisie, zu den aktuellsten, wichtigsten Losungen des Augenblicks." Lenin, W. I., Ausgewählte Werke, a. a. 0 . , Bd. II, S. 361. — „Der Staat, der jahrhundertelang ein Organ zur Unterdrückung und Ausplünderung des Volkes war, hat uns als Erbe den größten Haß und das Mißtrauen der Massen gegen alles, was mit dem Staat zusammenhängt, hinterlassen. . . . In der Frage der Rechnungsführung und Kontrolle, dieser Grundfrage für die sozialistische Revolution am Tage nach dem Sturze der Bourgeoisie, zeigt sich dieses ,Erbe' besonders deutlich. Es wird unvermeidlich eine gewisse Zeit vergehen, bis die Massen, die sich nach dem Sturz der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie zum erstenmal frei fühlten, nicht aus Büchern, sondern auf Grund der eigenen Erfahrung, der .Soflp/eterfahrung, verstehen und fühlen werden, daß ohne eine allseitige staatliche Rechnungsführung und Kontrolle der Produktion und Verteilung der Produkte die Macht der Werktätigen, die Freiheit der Werktätigen sich nicht behaupten kann und die Rückkehr unter das Joch des Kapitalismus unvermeidlich ist. . . . Der Kampf für die Verwurzelung der Idee der sowjetischen staatlichen Kontrolle und Rechnungsführung in den Massen, für die Verwirklichung dieser Idee, für den Bruch mit der verfluchten Vergangenheit, die den Erwerb von Brot und Kleidung als eine Privatsache', als Kauf und Verkauf, als ein Geschäft, das ,nur mich angeht', zu betrachten gelehrt hat — dieser Kampf ist eben der gewaltigste Kampf des sozialistischen Bewußtseins gegen die bürgerlich-anarchische Spontaneität, ein Kampf von weltgeschichtlicher Bedeutung. . . . Daß das Fehlen einer Rechnungsführung in der Produktion und Verteilung der Produkte Vernichtung der Keime des Sozialismus, Diebstahl am Staatseigentum bedeutet — denn aller Besitz gehört dem Staate, der S t a a t aber ist die Sowjetmacht, die Macht der Mehrheit der Werktätigen — . . . darüber sprechen wir nicht genug in unserer Agitation, darüber denken und sprechen die fortgeschrittenen Arbeiter und Bauern nicht genug." Ebenda, S. 370/71. 29 Ebenda, S. 236. 31»

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Halten wir zunächst fest: Die Rechnungslegung und Kontrolle ist immer auf die gesellschaftliche Arbeit, den Nachweis und die Erhöhung ihres Nutzeffekts gerichtet. Der Inhalt und die Art und Weise der Rechnungslegung sind von den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Da es sich im Sozialismus um unmittelbar gesellschaftliche Arbeit handelt, von deren Nutzeffekt der Wohlstand aller Werktätigen und die Stärke des sozialistischen Staates abhängt, wird die Rechnungsführung und Kontrolle wichtigste Staats- und Massenangelegenheit. Diese allgemeine Zielsetzung der Rechnungsführung ist für das Erkennen des Wesens der wirtschaftlichen Rechnungsführung als planmäßige Methode der sozialistischen Wirtschaftsführung in den Betrieben von großer Bedeutung. Allerdings haben wir damit erst gezeigt, was allgemein unter Rechnungführen zu verstehen ist, ohne schon auf die spezifische Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung der sozialistischen Betriebe und die Form der Bewertung der Arbeit in den Betrieben einzugehen. Bisher haben wir von der Tatsache abstrahiert, daß im Sozialismus noch Warenproduktion existiert, daß die Produkte der gesellschaftlichen Arbeit Waren und Wert sind. Das kann nicht ohne Einfluß auf die Rechnungsführung sein. Ja, die Rechnungsführung erhält erst durch die Warenproduktion, in der sich die gesellschaftliche Arbeit vergegenständlicht, ihre im Sozialismus typische Form. Man muß zunächst betonen, daß die Warenproduktion im Sozialismus im Gegensatz zum Kapitalismus einen völlig neuen Inhalt hat. Sie beruht auf dem gesellschaftlich-sozialistischen Eigentum in seinen beiden Formen. Infolgedessen ist die Arbeitskraft keine Ware mehr. Das Wertgesetz wird — wie wir sehen — als Regulator der durch das Privateigentum zersplitterten Produktion aufgehoben. Es wird nunmehr auf der Grundlage des sozialistischen Eigentums in Übereinstimmung mit dem ökonomischen Grundgesetz und dem Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung durch den sozialistischen Staat bewußt zur Bewertung, Rechnungslegung und Kontrolle der Arbeit im Rahmen der sozialistischen Planung und Leitung ausgenutzt. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus folgendem: Wenn auch die Arbeit im Sozialismus unmittelbar gesellschaftlichen Charakter trägt, besteht zwischen dem kollektiven Gruppeneigentum und dem staatlichen bzw. Volkseigentum (dem die Arbeitsteilung zwischen Industrie und Landwirtschaft zugrunde liegt) noch ein unterschiedlicher Vergesellschaftungsgrad der Arbeit. Dadurch wird es erforderlich, die einzelnen Arbeitsarten auf den Wert zu reduzieren und die Ergebnisse der Arbeit, die Waren, gegen Geld auszutauschen. Dieser unterschiedliche Vergesellschaftungsgrad der Arbeit führt unter den Bedingungen des einheitlichen Reproduktionsprozesses dazu, daß auch in den volkseigenen Betrieben die Arbeit auf den Wert reduziert, die Produkte als Ware produziert und gegen Geld ausgetauscht werden müssen. Unter diesen Bedingungen werden die noch vorhandenen Reste der alten Arbeitsteilung zwischen den operativ selbständigen Betrieben zu einer Ursache der Warenproduktion und der Zirkulation auch im Bereich der staatlichen Betriebe. Die Existenz der Warenproduktion führt dazu, daß bei der Planung, Rechnungslegung und Kontrolle der Wert und die Wertkategorien berücksichtigt und ausge-

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nutzt werden müssen. Die Existenz der Warenproduktion wirkt sich jedoch insbesondere — und darum geht es uns hier — auf die Methoden der Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben aus. Die sozialistischen Betriebe arbeiten in der arbeitsteiligen sozialistischen Warenproduktion noch mehr oder weniger unter jeweils besonderen ökonomischen Bedingungen (Muttermale des Kapitalismus), bei meist unterschiedlichem Arbeitsaufwand für die von ihnen zu erzeugenden Produkte. 3 0 Es besteht darum auch noch ein — wenn auch nicht antagonistischer Widerspruch zwischen der individuellen Arbeit der Betriebe und der gesellschaftlichen Gesamtarbeit sowie zwischen den betrieblichen und den gesellschaftlichen Gesamtinteressen. Der Widerspruch zwischen der individuellen Arbeit des Betriebes und der volkswirtschaftlichen Gesamtarbeit wird planmäßig gelöst, wobei dem Wert und seinen Formen noch eine große Bedeutung zukommt. Der Wert, insbesondere in seiner Form als Geld, wird als gesellschaftliches Maß der individuellen Arbeit eines jeden Betriebes benutzt. Er ist zugleich eine ökonomische Form, mit deren Hilfe die gesellschaftlichen mit den persönlichen und betrieblichen materiellen Interessen verbunden werden. Die Lösung dieser Widersprüche erfolgt nicht spontan, sondern bewußt u. a. vermittels der wirtschaftlichen Rechnungsführung als der Methode der planmäßigen sozialistischen Wirtschaftsführung in den Betrieben, die auf der Ausnutzung des Wertgesetzes und der Wertformen beruht. Der Betrieb erhält in Form der Planauflage Warenproduktion (mengen- und wertmäßig), Plankosten, den zu erzielenden Gewinn und die abzuführende staatliche Akkumulation. Im Rahmen der staatlichen Planauflage arbeiten die Betriebe selbständig, sie verfügen über staatliche Grund- und Zirkulationsfonds, tauschen die Waren auf Vertragsbasis untereinander aus und realisieren den Geldwert der Waren für die Fortsetzung der Produktion, die staatliche Akkumulation usw. 31 30 „In der sozialistischen Gesellschaft erhalten sich noch beträchtliche Überreste der alten Arbeitsteilungen; so die wesentlichen Unterschiede zwischen der geistigen und körperlichen Arbeit, zwischen der des Arbeiters und der des Bauern, zwischen der qualifizierten und der einfachen, zwischen der schweren und der leichten Arbeit. Diese Überreste der alten Arbeitsteilung werden erst allmählich, mit zunehmender Entwicklung der Produktivkräfte des Sozialismus und mit der Schaffung der materiellen Produktionsbasis des Kommunismus überwunden. Obgleich sie unmittelbar gesellschaftlich und hochmechanisiert ist, hat die Arbeit im Sozialismus in den verschiedenen Produktionsabschnitten noch nicht den gleichen Grad der Vergesellschaftung und Mechanisierung. Damit hängen die beträchtlichen Unterschiede im Arbeitsaufwand für die Erzeugung des Produkts zusammen." In: Lehrbuch Politische Ökonomie, Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 558. — Zu diesen besonderen ökonomischen Bedingungen, unter denen die Betriebe arbeiten, gehört auch die Tatsache, daß die Arbeit noch nicht zum ersten Lebensbedürfnis geworden, daß die individuelle Arbeit im Betrieb noch nicht von allen Werktätigen bewußt als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit verausgabt wird und daß das Produktionsniveau noch nicht so hoch ist, daß zur Verteilung nach den Bedürfnissen übergegangen werden kann. Folglich sind die Verteilung nach der Leistung und die materielle Interessiertheit zur Herstellung der Übereinstimmung der persönlichen mit den gesellschaftlichen Gesamtinteressen objektiv notwendig. 81 „Jeder staatliche, auf wirtschaftliche Rechnungsführung gestellte Betrieb, wie er sich in der Volkswirtschaft auch herausschälen möge, wird zu einer Art selbständigen'

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I m Austausch ihrer Waren gegen Geld, dem allgemeinen Äquivalent, kontrollieren die Betriebe operativ selbständig, ob ihr individueller Arbeitsaufwand dem gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand (im Sinne der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit einerseits und der Befriedigung des konkreten Bedarfs andererseits) entspricht und ziehen daraus entsprechende Schlußfolgerungen für ihre Arbeit. Diese Schlußfolgerungen beziehen sich im Betrieb neben der Gestaltung des konkreten Sortiments entsprechend dem Bedarf (soweit das im Rahmen der Planauflage operativ selbständig möglich ist) und der Qualität der Produktion, insbesondere auf den Arbeitsaufwand. 32 Die Existenz des Wertes, insbesondere in der Geld- und Preisform, ermöglicht es den operativ selbständigen Betrieben, ja zwingt und interessiert sie, den Arbeitsaufwand und den Arbeitsertrag in Geldform gegenüberzustellen, die Selbstkosten und Preise zu kalkulieren und eine gründliche Rechnungslegung und Kontrolle im Interesse einer sparsamen sozialistischen Wirtschaftsführung und der Steigerung der Rentabilität vorzunehmen. In diesem Sinne sagte Walter Ulbricht auf der 21. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (12. bis 14. November 1954) : „ D i e wirtschaftliche Rechnungsführung ist die Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den volkseigenen Betrieben, die die in Geld ausgedrückten Kosten und die Ergebnisse der Produktion gegenüberstellt. Sie erfordert die Deckung der betrieblichen Ausgaben durch die Einnahmen und die Gewährleistung der Rentabilität der Produktion. Ihr Ziel ist es, die Betriebspläne mit dem geringsten Aufwand an Arbeit und Produktionsmitteln zu erfüllen und überzuerfüllen. Indem die wirtschaftliche Rechnungsführung das Wertgesetz ausnutzt, bietet sie die Möglichkeit genauer Kalkulation, gewissenhafter Rechnungslegung und ständiger Kontrolle der wirtschaftlichen Tätigkeit. Sie veranlaßt den Werkleiter zu rationeller Wirtschaftsführung und lehrt ihn, die Produktionsgrößen genau zu berechnen, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, die Selbstkosten der Produktion zu senken und die Rentabilität zu verbessern." Auf dem 8. ZK-Plenum (1960) wurde die wirtschaftliche Rechnungsführung „als die vollkommenste Methode der Leitung zur Erzielung höchster Produktionsergebnisse mit niedrigsten Kosten" bezeichnet. Warenproduzenten. Er führt ,seine' Wirtschaft selbst, verfügt über Produktionsmittel, ergänzt den Personalbestand sowohl an Arbeitern als auch an leitendem Produktionspersonal, kauft Rohstoffe ein und verkauft seine Erzeugnisse. Als wirtschaftendes Subjekt geht der Betrieb bestimmte Beziehungen mit anderen, ebenfalls selbständigen' Warenproduzenten ein, desgleichen mit dem Staat und dessen Organen (Finanzorganen, Bankorganen u. a.)." Pereslegin, in: „Sowjetwissenschaft — gesellschaftswissenschaftliche Beiträge H. 8, S. 957, 1956. Die Charakterisierung der auf wirtschaftliche Rechnungsführung überführten Betriebe kommt auch in rechtlichen Kategorien wie Fixierung des Betriebes als juristische Person, der materiellen Haftung, im Vertragssystem u. a. m. zum Ausdruck. 32 „Die Hauptbedeutung des Wertgesetzes für die Wirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik scheint mir in der gegenwärtigen Etappe unserer Entwicklung in seiner Anwendung bei der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu liegen, d. h. in seiner bewußten Anwendung im sozialistischen Sektor zur Durchsetzung des Sparsamkeitsregimes und zur Erlangung der Rentabilität aller sozialistischen Betriebe." Oelßner, Fred, Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik. Akademie-Verlag, Berlin 1955, S. 59, DAdW, Vorträge und Schriften, H. 56,

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Diese Charakterisierung der wirtschaftlichen Rechnungsführung durch die Partei trifft den eigentlichen Inhalt. Sie besagt letztlich, daß die Gegenüberstellung von Arbeitsaufwand und Arbeitsertrag in Wertform, die Deckung der Kosten durch das Ergebnis und die Gewährleistung der Rentabilität der entscheidende Inhalt der wirtschaftlichen Rechnungsführung der sozialistischen Betriebe ist. Anschaulich wird die wirtschaftliche Rechnungsführung als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben, wenn man sie der Arbeitsweise der staatlichen Verwaltungen gegenüberstellt. Während eine staatliche Verwaltung die für die Wahrnehmung ihrer Funktion notwendigen Mittel etatmäßig unabhängig von der Erfüllung der Aufgaben (z.B. Ministerien, Bezirks- und Kreisräte) zugeteilt erhält, muß der auf der Grundlage der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitende Betrieb die materiellen und finanziellen Mittel für die Weiterführung des Betriebes selbst erwirtschaften und selbständig berechnen. Ja, er m u ß nicht nur die Mittel für die Weiterführung seines Betriebes, sondern auch einen Überschuß für die Akkumulation, die Auffüllung der Betriebsfonds u. a. erwirtschaften. Realisiert der Betrieb beim Absatz der Waren an andere Betriebe in Produktion und Handel diesen Wert, so kann er seine Aufwendungen decken (Abschreibungen, Material-Kosten, Löhne) und ein Reineinkommen für die erweiterte Reproduktion u. a. erzielen. Stellt der Betrieb indessen nicht die Waren her, die nach Sortiment und Qualität von der Gesellschaft gebraucht werden (d. h. die geplant und vertraglich gebunden sind), bzw. wendet er zu viel Arbeit für die einzelnen Produkte auf, so kann er die Waren und ihren Geldwert nicht bzw. — bei zu hohem Arbeitsaufwand — nicht entsprechend dem Arbeitsaufwand realisieren. Er muß so bei der Fortsetzung seiner Produktion in Schwierigkeiten geraten. Um also seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können, d. h. erweitert zu reproduzieren, wird sich der Betrieb bemühen — ja, er wird dadurch materiell interessiert —, ständig seinen finanziellen Ertrag zu steigern. Sein Ertrag wird aber um so größer sein, je besser er es versteht, seine Produktion mit geringsten Kosten zu vollziehen. Durch das Vorhandensein der Warenproduktion und des Wertgesetzes, durch die Notwendigkeit des Verkaufs seiner Waren und die Realisierung des Preises wird der Betrieb gezwungen, bei jeder Maßnahme den gesellschaftlichen Nutzen — und diesen drückt der Wert durch die Beziehung der individuellen Arbeit auf die gesellschaftliche Gesamtarbeit aus — zu berechnen. Das erfolgt in Form der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Schon diese kurze Charakterisierung der wirtschaftlichen Rechnungsführung zeigt, welche große Bedeutung der Ausnutzung des Wertgesetzes und der Wertkategorien für die wirtschaftliche Rechnungsführung zukommt. Heißt das nun, daß durch die wirtschaftliche Rechnungsführung nur das Wertgesetz ausgenutzt wird? Bordag und Schneider führen — wie wir zeigten — an, daß durch die wirtschaftliche Rechnungsführung faktisch alle Gesetze ausgenutzt werden und das können wir nur bestätigen. Allerdings kann die Ausnutzung der Gesetze nicht einzeln, wie es oft dargestellt wird, erfolgen. Die ökonomischen Gesetze wirken immer komplex und können demzufolge auch nur im Komplex ausgenutzt werden. Da der größte Teil der von den sozialistischen Betrieben erzeugten Produkte als Waren erzeugt und gegen Geld ausgetauscht werden, und die wirtschaftliche Rechnungsführung auf dem

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Wert beruht, muß die Ausnutzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus im Rahmen der wirtschaftlichen Rechnungsführung noch zu einem großen Teil mit Hilfe des Wertes erfolgen. 33 Das Grundgesetz des Sozialismus, das Gesetz der planmäßigen (proportionalen) Entwicklung, die Gesetze der sozialistischen Reproduktion werden im Rahmen der wirtschaftlichen Rechnungsführung in Wertform planmäßig ausgenutzt. So ist z. B. die Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag in Geldform nicht Selbstzweck, sondern es geht dabei um den Nachweis, ob die Arbeit so fruchtbar war, daß sowohl die erweiterte Reproduktion (Akkumulation) als auch eine erhöhte Konsumtion, wie es das Grundgesetz des Sozialismus, das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung, das Gesetz der erweiterten Reproduktion, das Gesetz der Verteilung nach der Leistung usw. verlangen, möglich ist. Besonders augenscheinlich sind die bewußte Ausnutzung des Gesetzes der Verteilung nach der Leistung und des Prinzips der materiellen Interessiertheit im System der wirtschaftlichen Rechnungsführung mit Hilfe des Wertes. Der Betrieb kann nur den Teil des gesellschaftlichen Gesamtwertes in Geld realisieren, der seiner Leistung entspricht, und er kann nur dann planmäßig arbeiten und seine Verpflichtungen gegenüber seiner Belegschaft (Löhne Prämien usw.) und dem Staatshaushalt erfüllen, wenn sein finanzieller Ertrag höher ist als sein Aufwand. Ohne ständig Aufwand und Ertrag gegenüberzustellen, ist die Verteilung nach der Leistung weder für den einzelnen Arbeiter noch für den ganzen Betrieb zu verwirklichen. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Betriebes in Geldform ist gleichzeitig ein starker materieller Hebel zur Verbesserung der Produktion und zur Senkung des Arbeitsaufwandes. Die Wirkung dieses materiellen Hebels wird ferner durch die Bildung des Prämien-, Kultur- und Sozialfonds aus dem Betriebsergebnis verstärkt. Die wirtschaftliche Rechnungsführung als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den Betrieben nutzt infolgedessen nicht schlechthin nur das Wertgesetz aus, sondern alle wichtigen ökonomischen Gesetze, Kategorien und Prinzipien, die in der sozialistischen Ökonomik wirken bzw. angewandt werden. Doch das erfolgt, da die wirtschaftliche Rechnungsführung erst unter den Bedingungen der sozialistischen Warenproduktion zur spezifischen Methode der sozialistischen Wirtschaftsführung in den Betrieben wird — und das darf nicht übersehen werden — mit Hilfe des Wertes und der Wertformen. Deshalb ist auch die von uns zitierte Definition des Lehrbuches „Politische Ökonomie", wonach die wirtschaftliche Rechnungsführung auf dem Wertgesetz beruht, nach wie vor zutreffend. Das Wesen und der Sinn und Zweck der wirtschaftlichen Rechnungsführung als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben wird auch bei einem historischen Herangehen — was im Rahmen dieses Beitrages nur kurz erfolgen kann — klar. 38 Damit sei nicht gesagt, daß sich etwa auch die Planung primär auf den Wert stützen müßte. Die Planung geht selbstverständlich immer von den Gebrauchswerten aus, wobei allerdings der Wert berücksichtigt werden muß. Doch auch die wirtschaftliche Rechnungsführung in den Betrieben stützt sich teilweise auf die Erfassung von Gebrauchswerten bzw. von konkreter Arbeit. Doch zur Gegenüberstellung von Arbeitsaufwand und Arbeitsertrag zur Ermittlung des Ergebnisses bedarf es im Betriebsrahmen des Wertes.

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Die wirtschaftliche Rechnungsführung wurde zuerst in der Sowjetunion eingeführt. Bereits Mitte 1918 stellte die Sowjetmacht die Aufgabe, alle nationalisierten Betriebe nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu leiten. Infolge des Bürgerkrieges kam es jedoch nicht zur Verwirklichung. Um alle Kräfte zur Niederschlagung der Konterrevolution und der Intervention zu konzentrieren, war es notwendig, den sogenannten Kriegskommunismus einzuführen. Unter diesen Bedingungen erhielten die Betriebe die Produktionsmittel durch den Staat und hatten die Produkte ohne jede Geldrechnung an den Staat abzuliefern. Jede einzelne ökonomische Maßnahme wurde dem Betrieb vorgeschrieben und kontrolliert. Nur so war es möglich, die Produktion auf die Interessen des Krieges auszurichten. Nach dem Bürgerkrieg zeigte sich die Unzulänglichkeit dieser Wirtschaftsführung der Betriebe. Sie war nicht geeignet, einen radikalen Aufschwung in der Wirtschaft herbeizuführen, da sie die operativ selbständige Rechnungslegung, die Eigeninitiative, die materielle Interessiertheit außer acht ließ. Produktionsverluste, eine schlechte Arbeitsorganisation, ungenügendes Interesse an der Produktion waren die Folge. Mit dem Übergang zur neuen ökonomischen Politik wurden die Betriebe — zunächst in Form der Trust zusammengefaßt — auf das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung überführt. 34 Die Trust erhielten eine wirtschaftlich operative Selbständigkeit, wurden mit Grund- und Umlaufmitteln ausgestattet, hatten ihre Aufwendungen aus den durch den Verkauf erzielten Einnahmen zu decken, Aufwand und Ertrag zu bilanzieren und Gewinn und Steuern an den Staat abzuführen. Neben der Plankontrolle erfolgte die Kontrolle über den Rubel durch die Banken. Lenin erklärte ausdrücklich: „Ich denke, daß die Trust und Betriebe gerade deshalb auf der wirtschaftlichen Piechnungsführung basieren, damit sie selbst voll und ganz die Verantwortung für eine verlustfreie Arbeit ihrer Werke übernehmen können." 3 6

Die Überführung der Trust auf das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung entsprach dem demokratischen Zentralismus, da sie es den Werktätigen ermöglichte, an der Leitung der Wirtschaft teilzunehmen. Diese Anwendungsform der wirtschaftlichen Rechnungsführung war den Aufgaben der Wiederherstellungsperiode gewachsen. Die Überführung der Trust auf das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung führte zu einer Belebung der Wirtschaft und zur Festigung des Staatseigentums in der Industrie. Nach Abschluß der Wiederherstellungsperiode ging das Sowjetvolk zur sozialistischen Industrialisierung über. Die im Laufe der sozialistischen Industrialisierung beschlossenen großen Rekonstruktionsmaßnahmen erforderten umfangreiche 3 1 „Die Überführung der Staatsbetriebe auf das sogenannte Rentabilitätsprinzip (in neueren Übersetzungen wirtschaftliche Rechnungsführung — K. J . ) ist unvermeidlich und untrennbar verbunden mit der Neuen Ökonomischen Politik, und in nächster Zukunft wird dieser Typ unausbleiblich zum vorherrschenden, wenn nicht zum ausschließlichen werden. Lenin, W. I., Ausgewählte Werke, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1957, Bd. II, S . 9 0 1 . 3 5 Lenin, W. I., Ausgewählte Werke, Bd. 35, S. 468 (russ.), zitiert in: „Sowjetwissenschaft — gesellschaftswissenschaftliche Beiträge", H. 8, S. 958, 1956.

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Akkumulationsmittel. Die Akkumulationsmittel der Landwirtschaft und der Leichtindustrie waren nicht mehr ausreichend, um die erweiterte Reproduktion der gesamten Industrie zu sichern. Vom kapitalistischen Ausland konnte die junge Sowjetmacht nichts erwarten. Der Ausweg bestand einzig und allein darin, daß auch die Betriebe der Schwerindustrie rentabel arbeiteten, daß sie die notwendigen Akkumulationsmittel selbst aufbrachten. Darum wurden 1931 alle Betriebe auf das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung überführt. Stalin stellte fest: „Reichten früher die alten Akkumulationsquellen f ü r die Rekonstruktion der Industrie und des Verkehrswesens aus, so beginnen sie, heute bereits offenkundig unzulänglich zu werden. Es handelt sich jetzt nicht darum, die alte Industrie zu rekonstruieren. Es handelt sich u m die Schaffung einer neuen, technisch wohlausgerüsteten Industrie im Ural, in Sibirien, in Kasakstan. Es handelt sich um die Schaffung von neuen landwirtschaftlichen Großbetrieben in den Getreide-, Viehzucht- und Rohstoffgebieten der U d S S R . Es handelt sich um die Schaffung eines neuen Eisenbahnnetzes zwischen dem Osten und dem Westen der U d S S R . Es ist klar, daß die alten Akkumulationsquellen f ü r dieses grandiose Werk nicht ausreichen können. Aber das ist noch nicht alles. Dem ist der Umstand hinzuzufügen, daß die Prinzipien der Rentabilität infolge einer Mißwirtschaft in einer ganzen Reihe unserer Betriebe und Wirtschaftsorganisationen völlig untergraben worden sind. Es ist Tatsache, d a ß m a n in einer Reihe von Betrieben und Wirtschaftsorganisationen schon längst aufgehört h a t zu berechnen, zu kalkulieren, fundierte Bilanzen der E i n n a h m e n und Ausgaben aufzustellen. Es ist Tatsache, daß in einer Reihe von Betrieben und Wirtschaftsorganisationen die Begriffe ,Sparregime', ,Herabsetzung der unproduktiven Ausgaben', Rationalisierung der Produktion' schon längst aus der Mode gekommen sind. . . . Es ist Tatsache, daß in letzter Zeit die Selbstkosten in einer ganzen Reihe von Betrieben zu steigen begonnen haben. . . . Das Rentabilitätsprinzip einbürgern und festigen, die Akkumulation innerhalb der Industrie verstärken — das ist die Aufgabe." 3 6

Doch der Sinn und Zweck der wirtschaftlichen Rechnungsführung wird auch an Hand unsrer eigenen Entwicklung klar. Die Entwicklung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in der DDR war im Vergleich zur Sowjetunion insofern unterschiedlich, als es bei uns keine Periode des Kriegskommunismus gab und die Entwicklung der wirtschaftlichen Rechnungsführung bei uns demzufolge gradliniger vor sich ging als in der Sowjetunion. Im Gebiet der DDR bestanden von Anfang an Ware-Geld-Beziehungen und Wertrechnung. 37 Eine Parallele zur Sowjetunion zeigt sich indessen in den Entwicklungsstufen der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Nach der Schaffung und Konsolidierung des Volkseigentums wurde im Jahre 1948 eine neue Organisationsstruktur der Betriebe in Form der Stufenfolge Wirtschaftskommission — Hauptverwaltungen — VVB geschaffen. Die wirtschaftliche Hauptleitung lag in den Händen der VVB's. Schon bei ihrer Schaffung spielte die Frage der Sicherung der Rentabilität eine große Rolle. Im SM AD Befehl Nr. 16 heißt es ausdrücklich: 86 Stalin, J . W., Fragen des Leninismus. Verlag f ü r fremdsprachige Literatur, Moskau 1947, S. 419-421. 37 Außerdem ist zu berücksichtigen, daß sich das Volkseigentum im heutigen Gebiet der D D R zunächst im Rahmen der antifaschistisch-demokratischen Ordnung entwickelte.

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„In den volkseigenen Betrieben muß der hohe Grundsatz der ständigen Festigung und Entwicklung derselben im Interesse des gesamten Volkes verwirklicht werden. Die volkseigenen Betriebe müssen zu Musterbeispielen kluger Wirtschaftsführung, rationeller Ausnutzung der Einrichtung, hoher Arbeitsdisziplin und Leistungsfähigkeit sowie der Rentabilität werden. . . . Zur Verwirklichung rationeller und planmäßiger Produktion, Sicherung der Rentabilität und Entwicklung der volkseigenen industriellen Betriebe werden ¡Vereinigungen volkseigener Betriebe' auf der Grundlage betriebsfachlicher Gliederung geschaffen." 38

Die Forderang nach Gewährleistung der Rentabilität kam in der Wirtschaftsführung der VVB zum Ausdruck. Die VVB's waren selbständige bilanzierende Einheiten und mußten ihre Tätigkeit nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungslegung — wie es damals hieß — einrichten. Sie waren juristische Personen und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die VVB's schlössen mit anderen Vereinigungen und Wirtschaftsorganisationen Verträge ab, sie glichen Gewinne und Verluste zwischen den Zweigbetrieben aus und kontrollierten den gesamten Betriebsablauf. Die den VVB's zugehörigen Betriebe galten als unselbständige Zweigbetriebe. Bei der Organisation ihrer Arbeit wurden jedoch auch schon einige Elemente der wirtschaftlichen Rechnungsführung, die die Betriebe auf eine verlustfreie Wirtschaft orientieren und materiell interessieren sollten, angewendet, wie operative Ausstattung mit Grund- und Umlauffonds, teilweise selbständige Bilanzierung und geringe Beteiligung am Gewinn (5°/0). Das waren sowohl im Rahmen ¿(er VVB's als auch der Betriebe Vorstufen — Elemente der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Sie entsprachen dem seinerzeitigen Entwicklungsstand. Von einer wirklichen wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Betrieben kann man erst seit dem Jahre 1952 sprechen. Mit dem ersten Fünfjahrplan hatte eine neue Etappe in der Entwicklung der DDR begonnen. Das Ziel des ersten Fünfjahrplanes war die Beseitigung der aus der Spaltung Deutschlands resultierenden Disproportionen und die Schaffung der materiellen Basis für den Übergang zum Aufbau des Sozialismus. Die industrielle Bruttoproduktion sollte im Vergleich zu 1950 auf 190%, die Hektarerträge der Landwirtschaft um 22°/0, die Arbeitsproduktivität um 60°/0 gesteigert werden und die Selbstkosten um 23°/0 gesenkt werden. Die Partei der Arbeiterklasse ließ keinen Zweifel darüber, daß es großer Anstrengungen bedurfte, um diese hohen Ziele zu erfüllen. Sie forderte darum mit Recht eine grundlegende Verbesserung der Leitung der Wirtschaft und eine Aktivierung der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Auf der 6. Tagung des ZK (1951) wurde festgestellt, daß der auf dem III. Parteitag beschlossene Fünfjahrplan erfolgreich begonnen sei. Der Produktionsplan im ersten Quartal 1951 wurde bei Braunkohle mit 104°/0, Walzstahl mit 108%, metallurgische Ausrüstungen mit 121%, Zement mit 115% erfüllt. Dennoch entsprachen diese Erfolge noch nicht den objektiven Möglichkeiten. Das lag zu einem großen Teil an dem Zurückbleiben in den Methoden unserer Wirtschaftsleitung. Auf Grund dessen traten Schwächen auf, die die Erfüllung der Aufgaben des Fünfjahrplanes in Frage stellten. Ein Hauptmangel bestand darin, 38 SMAD-Befehl Nr. 36, Anlage A, zitiert nach „Deutsche Finanzwirtschaft", Jahrg. 3, H. 7/8, S. 59, 1949.

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daß nicht konsequent nach dem Bedarf und auf der Grundlage von Verträgen produziert wurde. Ausgangspunkt der Produktionsplanung waren meist nur die Produktionskapazitäten und nicht der im F ü n f j a h r p l a n festgelegte Bedarf. Insbesondere im Maschinenbau wurden vielfach Waren entsprechend den bisherigen Überlieferungen produziert, ohne entsprechende Einschätzung der neuen Bedürfnisse vorzunehmen. Auf der einen Seite kam es dadurch zum W a r e n s t a u , während auf der anderen Seite entscheidende Positionen wie Energiemaschinen, Turbinen, Hochdruckdampfkessel, Schmiedehämmer, große Drehbänke, Fräs- und Bohrmaschinen, Schleifmaschinen, Förderanlagen und andere für die im F ü n f j a h r p l a n festgelegten Rekonstruktionsmaßnahmen auf der Basis der modernen Technik fehlten. Der Ursprung dieser Mängel lag vor allem in den Betrieben. Da die Betriebe ihre Planauflagen durch die VVB erhielten und ebenso die Rohstoffversorgung sowie der Absatz durch die VVB organisiert wurden, h a t t e n sie keinen u n m i t t e l b a r e n K o n t a k t mit den Zulieferern und Abnehmern. Die Betriebe konnten darum selbst keinen konsequenten Kampf um eine wirkliche Bedarfsproduktion und u m den Absatz ihrer Produkte führen. Das Fehlen dieser unmittelbaren Verbindungen der Betriebe untereinander, die Produktion auf der Grundlage administrativer Planauflagen der VVB, ohne Kenntnis des Abnehmers, ohne spezifizierte Bestellung (Heinrich R a u sprach von Produktion auf Verdacht!), führte zur Gleichgültigkeit hinsichtlich der Qualität der Produktion. Die Nichtkenntnis der Abnehmer führte oft zu Stockungen in der Produktion, da sich immer wieder erwies, daß Produkte erzeugt wurden, für die überhaupt oder nach ihrer Ausführung kein Bedarf vorhanden war. Jede Verzögerung der Erteilung der Planauflage bedeutete darüber hinaus Stillstand und Kurzarbeit in den Betrieben. Die Herstellung unmittelbarer K o n t a k t e zwischen Betrieben, die vertragliche Sicherung der Produktion wurde zu einer dringenden Aufgabe. Außerdem war die Ausschußquote erheblich und die Qualität noch vielfach gering. Mängel gab es auch noch in der Investitionstätigkeit. Infolge Fehlens von E n t wicklungsprogrammen und eines ungenügenden Vorlaufs in der Projektierung kam es zu Verzögerungen bei Investitionen. Auch gab es noch Schwierigkeiten in der Materialversorgung. Teils wurden die notwendigen Materialien nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt, teils fehlte es überh a u p t noch an einer exakten Materialbilanzierung unter Anwendung von Materialverbrauchsnormen als Grundlage f ü r den Import und die Eigenproduktion. Diese angeführten und andere Mängel zeichneten sich—was f ü r die Begründung der Notwendigkeit der wirtschaftlichen Rechnungsführung entscheidend ist — vor allem in der Finanzwirtschaft der volkseigenen Betriebe ab. Die in der bisherigen Periode der Entwicklung notwendigerweise streng angewandte Form der Rationierung und Kontigentierung h a t t e dazu geführt, daß sich viele Leitungen ausschließlich auf die Produktion von Gebrauchswerten, unabhängig von den Kosten und den Preisen konzentrierten. Das Lieferanweisungsverfahren durch die staatlichen Verwaltungen nach Menge und Gewicht, unabhängig vom Wert, h a t t e sich in den Köpfen vieler Betriebsfunktionäre festgesetzt. Man richtete die ganze Aufmerksamkeit auf die Menge der Erzeugnisse und vergaß oft die Wirtschaftlichkeit der Produktion. Da-

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durch entstanden große volkswirtschaftliche Verluste. Infolgedessen wurde die Durchsetzung des Sparsamkeitsregimes zu einer ernsten Frage. Wie notwendig es war, die Frage der Sparsamkeit und der Rentabilität in den Vordergrund zu rücken, zeigte die Diskrepanz, die zwischen der Erfüllung der Produktionskennziffern und den Finanzkennziffern im I. Halbjahr 1951 bestand. Der Staatssekretär im Finanzministerium und heutige Finanzminister Willi Rumpf führte in seinem Referat auf der finanzpolitischen Konferenz (17. bis 19. 9. 1951) in Berlin aus: „Bei einer erfolgreichen Erfüllung des Produktionsprogramms der Industrie mit 1 0 5 % im I. Quartal und 1 0 7 % im II. Quartal haben die Industrieministerien ihre Verpflichtungen gegenüber dem Staatshaushalt nicht erfüllt. Die Abführungen der volkseigenen Industrie an Gewinnen, Körperschaftssteuern und Umlaufmitteln sind für das I. Halbjahr 1951 nur mit 8 0 % des Solls erfüllt worden. Das Ministerium für Maschinenbau hat nur 47,6%, das Ministerium für Leichtindustrie nur 77,6% und das Staatssekretariat für Nahrungs- und Genußmittelindustrie nur 97% seiner Haushaltsverpflichtungen im I. Halbjahr erreicht." 39

Der Staatssekretär wies dann auf die unterschiedliche Erfüllung der Selbstkostensenkungsauflage hin. Einige Hauptverwaltungen und Ministerien wie Metallurgie, Steine und Erden, Bauausrüstungen, Maschinenbau, Leichtindustrie hatten ihre Selbstkostensenkungsauflage nicht erfüllt, j a zum Teil sogar höhere Kosten in Anspruch genommen. Das führte dazu, daß viele Vereinigungen Volkseigener Betriebe ihren Verpflichtungen gegenüber dem Staatshaushalt in der Umlaufmittel- und Gewinnabführung nicht nachkamen. „Die planmäßig an den Staatshaushalt abzuführenden Umlaufmittel und in den Betrieben erwirtschafteten Gewinne und Körperschaftssteuern haben sie nicht an den Staatshaushalt abgeführt, sondern zur Finanzierung von Überplanbeständen und zur Warenhortung benutzt. In allen Ministerien, in allen Hauptverwaltungen war die Warenproduktion im I. Halbjahr 1951 höher als der Umsatz, d. h. daß die durch die erfolgreiche Tätigkeit der Arbeiter, Meister, Techniker und Ingenieure in der Produktion erzielten Erfolge nicht in dem gleichen Tempo demjenigen Teil unserer Wirtschaft und der Bevölkerung zuteil geworden sind, für dessen Bedarf die Produktion durchgeführt wurde. Besonders großes Ausmaß hat diese Erscheinung in dem Ministerium für Maschinenbau angenommen." 40

Die Nichterfüllung der Verpflichtungen der VVB gegenüber dem Staatshaushalt waren vor allem bedingt durch die inneren Verhältnisse in den VVB. Die VVB deckte die Verluste schlecht arbeitender Betriebe mit den Gewinnen gut arbeitender Betriebe ab und verrechneten den gesamten Warenverkehr zwischen den Betrieben der VVB. Das war in der Zeit des Halbjahrplanes 1948 und des Zweijahrplanes 1949/50 von Vorteil und hat sehr wesentlich zur Festigung aller volkseigenen Betriebe beigetragen. Doch nachdem sich das Volkseigentum in den Betrieben konsolidiert und die Produktion einen hohen Stand erreicht hatte, wurde es offensichtlich ein Nachteil. Durch diesen Zustand waren die Betriebe nicht gezwungen, ihre Aufwendungen durch ihre Einnahmen zu decken und einen entschiedenen Kampf um die Senkung 38 Rumpf, Willi, Die Finanzwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik. In: Finanzen und Kredit. Verlag „Die Wirtschaft", Berlin 1952, Bd. I, S. 256. 49 Ebenda, S. 257.

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der Kosten und um die Erhöhung der Rentabilität zu führen. Doch gerade jetzt kam es auf eine Kostensenkung und Rentabilitätssteigerung an. Die im Rahmen des ersten Fünfjahrplanes vorgesehenen Rekonstruktionsmaßnahmen erforderten umfangreiche Investitionen. Der Gesamtumfang der Investitionen wurde im Fünfjahrplan auf 27 Mrd. DM veranschlagt. Die dazu notwendigen Mittel mußten aus eigener Kraft mobilisiert werden. 41 Die großen Aufgaben des Fünfjahrplanes, die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten erforderten eine solche Vervollkommnung der Planwirtschaft, die die Initiative, Eigenverantwortung und materielle Interessiertheit der Werktätigen in den Betrieben zur Erzielung und Erhöhung der Rentabilität voll mobilisierten. Das 6. Plenum des ZK (1951) empfahl darum nach Auswertung und Verallgemeinerung der sowjetischen Erfahrung die Überführung der volkseigenen Betriebe auf das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Im Beschluß heißt es: „Zur Sicherung und Erhöhung der Rentabilität müssen neue Formen der Leitung der volkseigenen Betriehe entwickelt werden. Die bisher angewandten Methoden der Wirtschaftsleitung entsprechen nicht mehr in vollem U m f a n g e den gestellten A u f g a b e n . Der entscheidende Schritt d a z u ist die gründliche Anwendung des Prinzips der wirtschaftlichen R e c h n u n g s f ü h r u n g in jedem Betrieb und die E i n f ü h r u n g des allgemeinen Vertragssystems sowie die Weiterentwicklung der Kontrolle der volkseigenen Wirtschaft durch die M a r k . " 4 2 (Hervorhebungen von mir — K . J . )

Mit der Verordnung über Maßnahmen zur Einführung des Prinzips der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Betrieben der volkseigenen Wirtschaft vom 20. 3. 1952 begann ihre Verwirklichung. Aus der historischen Entwicklung sowohl der Sowjetunion als auch der DDR zeigt sich, daß die wirtschaftliche Rechnungsführung speziell zu dem Zweck eingeführt wurde, die Betriebe zum sparsamen Umgang mit der gesellschaftlichen Arbeit, zur verlustfreien, rentablen Wirtschaft und zur Aufbringung von Akkumulationsmitteln für die erweiterte Reproduktion anzuhalten. Unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Rechnungsführung mußten die Betriebe jetzt selbst schöpferische Initiative entfalten, selbständig Buchführen, Aufwand und Ertrag bilanzieren, die Aufwendungen durch die Einnahmen decken, einen Gewinn erzielen, um die Akkumulationsverpflichtungen erfüllen zu können. Die Überführung der Betriebe auf wirtschaftliche Rechnungsführung entsprach gleichzeitig dem demokratischen Zentralismus, da die Leitungen und Werktätigen in den Betrieben auf der Grundlage einer verbesserten zentralen Planung und Leitung nunmehr operativ selbständig gesamtstaatliche Interessen wahrnehmen konnten. 4 1 „ I n der Periode der Rekonstruktion liegt das Schwergewicht auf einer sorgfältig geplanten Akkumulation, der Mobilisierung und Erschließung aller Quellen der A k k u m u l a t i o n . " G r u n d s ä t z e und Methoden unserer Finanzpolitik, A u s z u g aus d e m R e f e r a t von F r a n z Ulbrig auf der VI. Z K - T a g u n g 1951, ebenda, S . 242. 4 2 Zur ökonomischen Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 116.

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3. Zum Anwendungsbereich

der wirtschaftlichen

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Rechnungsführung

Nach der Charakterisierung der wirtschaftlichen Rechnungsführung als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung der sozialistischen Betriebe, die auf dem Wert beruht, ergeben sich eine Reihe von Schlußfolgerungen für die Arbeit der Betriebe. Eine erste Schlußfolgerung ergibt sich für die staatliche Planung und Leitung. Durch die Planung muß der Betrieb eine Zielsetzung erhalten, die den Erfordernissen der ökonomischen Gesetze (einschließlich Wertgesetz) entspricht, den Produktionsbedingungen im Betrieb Rechnung trägt und die Mobilisierung aller Reserven erfordert. Da die ökonomischen Gesetze des Sozialismus sich nicht im Selbstlauf verwirklichen, sondern nur im Resultat des bewußten Kampfes der Werktätigen, ist die größtmögliche Einbeziehung aller Werktätigen bei der Planaufstellung und Verwirklichung notwendig. Die staatlichen Planungs- und Leitungsorgane müssen sich bei der Konkretisierung und Durchführung der Plankennziffern sowie bei der Kontrolle der Erfüllung auf die operativ selbständige schöpferische Tätigkeit der Werktätigen in den Betrieben stützen. Erst dann werden die individuellen Möglichkeiten in den Betrieben ausgenutzt. Damit hängt eine weitere, gegenwärtig sehr wichtige Bedingung zusammen. Da im Sozialismus noch Warenproduktion existiert und die wirtschaftliche Rechnungsführung auf der Ausnutzung der Wertkategorien beruht, muß schon bei der Planaufstellung die Übereinstimmung von Gebrauchswerte- und Werteplanung hergestellt werden. Viele Disproportionen zwischen Mengen- und Werteplanung ergeben sich aus der ungenügenden Zusammenarbeit der Planungs- und Finanzorgane — angefangen von der Ebene der Plankommission und des Finanzministeriums über die Plan- und Finanzabteilungen der VVBs bis zu den Betrieben. Es ist noch nicht allen voll zum Bewußtsein gekommen, daß der Produktions- und Finanzplan eine organische Einheit darstellt und demzufolge auch eine komplexe Aufstellung und evtl. komplexe Änderung erfordert. Nichtübereinstimmung von Mengen- und Werteplanung schränkt die Wirksamkeit der wirtschaftlichen Rechnungsführung ein. Die Übereinstimmung von Mengen- und Werteplanung setzt vor allem einheitliche Festpreise, die dem Wert angenähert sind, voraus. Mit der gegenwärtig laufenden Ermittlung des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwandes und der Festlegung von Festpreisen werden zweifellos wichtige Grundlagen für die Herstellung der Übereinstimmung von Gebrauchswerte- und Werteplanung (Bilanzierung im Rahmen der Reproduktion, Produktions- und Finanzplanung, richtige Ausstattung mit finanziellen Mitteln usw.) und damit auch Voraussetzungen für die bessere An • wendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung geschaffen. Festpreise haben insbesondere für den Kampf der Werktätigen um die Senkung der Selbstkosten große Bedeutung. An Hand von Festpreisen können die Betriebe sehr schnell feststellen, ob ihr individueller Arbeitsaufwand der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit entspricht und ihre Arbeit dementsprechend einrichten. Die entscheidende Aufgabe für die Verwirklichung der wirtschaftlichen Rechnungsführung betrifft indessen den Betrieb selbst.

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Da der Betrieb operativ selbständig nach der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitet, sind die Betriebsleitungen — gestützt auf das Kollektiv der Werktätigen des Betriebes — für eine verlustfreie, d. h. rentable Wirtschaftsführung voll verantwortlich. In erster Linie müssen die Leitungen und die Werktätigen der Betriebe ihre Aufmerksamkeit auf die bestmögliche Nutzung, pflegliche Behandlung und die einfache und erweiterte Reproduktion der ihnen vom Staat übergebenen Fonds konzentrieren. Bei Existenz von Warenproduktion und Zirkulation haben die Fonds der Betriebe Wertform und der Produktionsprozeß ist demzufolge gleichzeitig Wertbildungsprozeß. In ihrer Funktion durchlaufen die Fonds der Betriebe nacheinander und nebeneinander die Produktions- und Zirkulationssphäre und nehmen hierbei jeweils die Geld-, produktive und die Warenform an. Der Reproduktionsprozeß der Betriebe, der Kreislauf der Fonds durch die Produktions- und Zirkulationssphäre muß geplant, geldmäßig bewertet, rechnerisch überwacht und die Ergebnisse in Wertform fixiert werden. Diese Seite ist leider bisher als Aufgabe der wirtschaftlichen Rechnungsführung stark vernachlässigt worden. Marx sagt, was mit neuem Inhalt auch für die sozialistische Warenproduktion gelten kann: „Als Einheit innerhalb seiner Kreisläufe, als prozessierender Wert, sei es nun innerhalb der Produktionssphäre, sei es innerhalb der beiden Phasen der Zirkulationssphäre, existiert das Kapital nur ideell in der Gestalt des Rechengeldes, zunächst im Kopf des Warenproduzenten, resp. kapitalistischen Warenproduzenten. Durch die Buchführung, . . . wird diese Bewegung fixiert und kontrolliert. Die Bewegung der Produktion und namentlich der Verwertung — wobei die Waren nur als Wertträger fungieren, als Namen von Dingen, deren ideelles Wertdasein in Rechengeld fixiert ist — erhält so ein symbolisches Abbild in der Vorstellung." 43 (Hervorhebung — K. J.)

Als eine wichtige Aufgabe der wirtschaftlichen Rechnungsführung ergibt sich daraus die Notwendigkeit der Verfolgung des Umschlages und die Rechnungslegung über den Nutzeffekt der den Betrieben übergebenen Fonds. Sie muß auf eine schnelle Durchführung von Investitionen mit höchstem Nutzeffekt, eine höchstmögliche Ausnutzung der Grundfonds, eine richtige Bestandhaltung (Material und unvollendete Produktion) in Abhängigkeit von der Entwicklung der Produktion, einen schnellen Umschlag der Fertigbestände, eine Verteilung der Lohnfonds nach der Leistung usw. gerichtet sein. Von der Geschwindigkeit des Umschlages der Fonds und von ihrer maximalen Nutzung hängen die Wirksamkeit und die Größe der Fonds, die in Geld-, produktiver- und Warenform in den Betrieben gebunden sind, ab. Darum kommt es darauf an, diese Bewegung ständig zu verfolgen und Maßnahmen für die Beschleunigung des Umschlages der Fonds bzw. für die Erhöhung ihrer Nutzung und für die Freisetzung von materiellen und finanziellen Mitteln festzulegen. Das ist sowohl eine Aufgabe der Betriebe selbst als auch der übergeordneten Leitungs- und Finanzorgane, insbesondere der Notenbank. Hierbei wird die Kontrolle durch das Geld verwirklicht. Die wirtschaftliche Rechnungsführung verlangt jedoch nicht nur die Fonds vom Standpunkt ihres ökonomisch wirksamsten Umschlages, ihrer kontinuierlichen Funktion zu sehen und zu beeinflussen, sondern insbesondere vom Standpunkt 43

Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. II, S. 127/28.

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ihres Verbrauchs (vergegenständlichter und lebendiger Arbeit). Vom Standpunkt der Verausgabung bzw. des Aufwandes vergegenständlichter und lebendiger Arbeit spiegelt sich der betriebliche Reproduktionsprozeß in den Kosten und in dem Ergebnis wider. Darum muß den Kosten und dem Ergebnis besondere Aufmerksamkeit zugewandt werden. Die grundlegende Aufgabe der nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitenden Betriebe besteht — wie wir schon zeigten — darin, den Arbeitsaufwand und das Ergebnis der Arbeit zu messen, zu fixieren und abzurechnen. Bei Vorhandensein von Warenproduktion und Zirkulation heißt das, den Arbeitsaufwand und das Ergebnis der Arbeit in Wertform zu messen, gegenüberzustellen und abzurechnen. Dies erfolgt in Gestalt der Kosten- und Ergebnisrechnung der Betriebe. Man kann sagen, daß die Kosten- und Ergebnisrechnung das Kernstück der wirtschaftlichen Rechnungsführung ist. Erst durch die Kosten- und Ergebnisrechnung wird z. B. festgestellt, ob die Steigerung der Arbeitsproduktivität — die ein Ausdruck der konkreten Arbeit ist — auch zu einer Senkung des gesellschaftlichen Arbeitsaufwandes und zu einer Erhöhung des Reineinkommens der Gesellschaft geführt hat. Ohne die Kosten und das Ergebnis zu berechnen und gegenüberzustellen ist die Arbeit des Betriebes und ihre Leitung nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung, ist die Aufdeckung aller Reserven für den Kampf um die Senkung der Kosten und die Steigerung der Rentabilität nicht möglich. 44 Besondere Bedeutung kommt der Selbstkostenrechnung zu, da die Selbstkostensenkung im Sozialismus die einzige Quelle der Steigerung der Rentabilität der Betriebe sein kann. 4 5 Sie muß den gesamten Aufwand — sowohl vergegenständlichte als auch lebendige Arbeit — nach ihren Entstehungsarten (Abschreibungen, Materialkosten, Lohnkosten, Gemeinkosten u. a.) und -orten (z. B. Dreherei, Fräserei, Montage, Verwaltung) sowie nach Kostenträgern (Elektromotoren nach Typen usw.) exakt erfassen und dadurch die Grundlage für die Kalkulation, die Planung und den Kampf um die Selbstkostensenkung geben. Dies ist, wie die Erfahrung zeigt, durchaus keine leichte Aufgabe, da der Arbeitsaufwand im Arbeitsprozeß als konkrete Arbeit und das Produkt im Betrieb als Gebrauchswert in Erscheinung treten. Die Selbstkostenrechnung und der Kampf um die Selbstkostensenkung setzen deshalb ein Zwischenglied, nämlich das Vorhandensein exakter Aufwands- und Leistungsnormen voraus. Dazu gehören technischbegründete Arbeitsnormen für den Aufwand lebendiger Arbeit (TAN), Materialverbrauchsnormen, Maschinenleistungsnormen, Bestandsnormen u. a. m. Oelßner 44 Bei Anwendung der innerbetrieblichen wirtschaftlichen Rechnungsführung genügt es in der Regel, die Istkosten mit den Plankosten zu vergleichen und die Produktionsplanerfüllung zu analysieren. 46 ,,Genaue Kalkulation der Produktionskosten, d. h. eben Ausnutzung des Wertgesetzes zur Ermittlung des Aufwandes an vergegenständlichter und lebendiger Arbeit, das ist der erste entscheidende Schritt auf dem Wege zur Rentabilität, das ist die unbedingte Voraussetzung für Rechnungslegung und Kontrolle." Oelßner, Fred, Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, a. a. 0 . , S. 60.

22 Probleme Bd. 3

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drückt das Wesen und die Bedeutung der Normen sehr treffend aus, indem er feststellt: „Die Normen sind nichts anderes als der fixierte Aufwand von vergegenständlichter und lebendiger Arbeit für jeden Gebrauchswert. Sie sind die Grundlage der Planung und die Grundlage der wirtschaftlichen Rechnungsführung." 4 6

Man kann ferner sagen, daß die innerbetriebliche wirtschaftliche Rechnungsführung erst durch die Normen an jedem Arbeitsplatz zu verwirklichen ist. Die Normen sind für jeden Werktätigen der Maßstab, was die Gesellschaft von ihm, seiner Maschine usw. verlangt. Entsprechend der Verbesserung der technischen und technologischen Bedingungen, der Qualifikation der Arbeitskräfte, der Verbesserung der Organisation der Arbeit, müssen die Normen ständig auf den fortschrittlichen Durchschnitt des jeweiligen Produktionszweiges gebracht werden. Nur dann entsprechen sie der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und nur dann können sie eine echte Grundlage der Planung der Selbstkosten — insbesondere der Lohnfonds und der Selbstkostensenkung der Betriebe sein. Um den Arbeitsaufwand — sei es nun in vergegenständlichter oder lebendiger Form — dem Arbeitsertrag gegenüberstellen zu können, müssen jedoch auch die Normen ihren Geldausdruck erhalten. Das erfolgt in Form der wertmäßigen Festlegung der Abschreibungsquoten, der Berechnung der Preise des Materials, des Lohnanteils an den Normen usw. Erst nach dieser geldmäßigen Bewertung können sie die Grundlage für die Selbstkostenplanung sein. Die Selbstkosten erfassen jedoch nur einen — wenn auch sehr wichtigen — Teil des Arbeitsaufwandes, nämlich die Verausgabung der vergegenständlichten und den Teil der lebendigen Arbeit, der dem Produkt für sich entspricht. Der Teil des Arbeitsaufwandes, der das Mehrprodukt bildet, findet erst im Reineinkommen des Betriebes seinen Niederschlag. Dieser Teil hat für die wirtschaftliche Rechnungsführung besondere Bedeutung. Erst wenn der Betrieb als Resultat seiner Produktion und Realisierung ein Reineinkommen erzielt, d. h. wenn er mehr erarbeitet, als er selbst verbraucht, kann er erweitert reproduzieren und seine Verpflichtungen gegenüber dem Staatshaushalt (Aufbringung der Mittel für die erweiterte Reproduktion anderer bzw. für den Aufbau neuer Betriebe usw.) erfüllen und die verschiedenen Fonds des Betriebes, insbesondere den Prämienfonds bilden. Darum sind die Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag und der Kampf um die Erzielung des geplanten Reineinkommens durch Produktionssteigerung und Kostensenkung so außerordentlich wichtig. Das finanzielle Ergebnis, das durch die Bilanzierung von Aufwand und Ertrag ermittelt wird, zeigt gleichzeitig, ob der Betrieb rentabel oder mit Verlust arbeitet. Im finanziellen Ergebnis spiegelt sich in komplexer Form die Qualität der Arbeit des Betriebes wider. Der Vorsitzende der Staatl. Plankommission Bruno Leuschner weist auf die große Bedeutung des finanziellen Ergebnisses wie überhaupt die wirtschaftliche Rechnungsführung hin, wenn er ausführt: 46 Oelßner, Fred, Uber die wirtschaftliche Rechnungsführung. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1952, S. 22.

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„Die Erfüllung der Aufgaben des Produktionsplanes, die Einhaltung der Lieferverträge und der Qualitätsanforderungen, die ordnungsgemäße Durchführung der Investitionsvorhaben sowie vor allem auch das Bemühen um die Verbesserung des technischen Standes der Produktion und der Erzeugnisse, müssen sich letztlich in zusammengefaßter Form in der Einhaltung der finanziellen Kennziffern des Planes widerspiegeln." 47 Die R e n t a b i l i t ä t ist ein wichtiger Gradmesser des Nutzeffektes der betrieblichen Tätigkeit. Im Verhältnis des Reineinkommens zu den Selbstkosten drückt sich der Grad der Rentabilität — die Rentabilitätsrate aus. J e d e r Betrieb, der nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitet, ist solchen Bedingungen ausgesetzt, daß er seinen Produktionsplan mit geringsten Aufwendungen erfüllen und rentabel arbeiten muß. Nur auf diese Weise ist eine schnelle sozialistische Akkumulation für die erweiterte Reproduktion möglich. D a s war und ist ständiges Ziel der wirtschaftlichen Rechnungsführung. 4 8 Fassen wir z u s a m m e n : Die wirtschaftliche Rechnungsführung als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben, die auf dem Wert beruht, steht nicht außerhalb, sondern im S y s t e m der Planung und Leitung der sozialistischen Wirtschaft. Der Planung und Leitung des sozialistischen S t a a t e s gegenübergestellt, wird die wirtschaftliche Rechnungsführung — wie wir nachwiesen — zu einem Instrument der anarchischen Marktwirtschaft und — wie wir hier hinzufügen — zu einer Angelegenheit weniger Manager. Demgegenüber bringt die wirtschaftliche Rechnungsführung als Methode der planmäßigen W i r t s c h a f t s f ü h r u n g der Betriebe zum Ausdruck, daß die Werktätigen in den Betrieben gemeinsam mit ihrer Hilfe in der entscheidenden F r a g e der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft — dem Nachweis des Nutzeffekts der gesellschaftlichen Arbeit mit dem Ziel seiner ständigen E r h ö h u n g — gesamtstaatliche Interessen wahrnehmen. An H a n d unserer Betrachtungen zeigt sich, daß sich die wirtschaftliche Rechnungsführung auf alle Seiten der betrieblichen Tätigkeit erstreckt. Durch die wirtschaftliche Rechnungsführung werden infolgedessen alle Gesetze, die im Sozialismus wirken, im R a h m e n der operativen Selbständigkeit der Betriebe mit Hilfe des Wertes k o m p l e x ausgenutzt. Dabei geht es aber immer — und das nachzuweisen war wegen der Unterschätzung dieses Inhalts der spezielle Zweck dieses Abschnittes — u m einen bestimmten Aspekt. E s geht bei der wirtschaftlichen Rechnungsführung immer u m den Nachweis der Verwendung und den Nutzeffekt der gesellschaftlich-sozialistischen Arbeit — als der Grundlage des gesellschaftlichen Lebens, des Wohlstandes und der S t ä r k e der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Diese gesellschaftlich-sozialistische Arbeit n i m m t bei E x i s t e n z der sozialistischen Warenproduktion Wertform an. Wird 47 Leuschner, Bruno, Die Größe unserer Aufgaben erfordert eine höhere Qualität der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. In: „Einheit", 15. Jahrg., H. 2, S. 203/04, 1960. 48 Fred Oelßner hat schon 1952 die Bestimmung der wirtschaftlichen Rechnungsführung als Mittel zur Steigerung der Rentabilität herausgearbeitet, indem er u. a. feststellte, „daß man zwischen wirtschaftlicher Rechnungsführung und Rentabilität wie zwischen dem Mittel und dem Ziel unterscheiden muß". Oelßner, Fred, Über die wirtschaftliche Rechnungsführung, a. a. 0., S. 2.

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der Wert als Ursache für die wirtschaftliche Rechnungsführung als zweitrangig angesehen — wie das an Hand einiger Beispiele gezeigt wurde —, dann bedeutet das nichts anderes als die Unterschätzung der gesellschaftlich-sozialistischen Arbeit, die in Wertform zum Ausdruck kommt. Doch gerade um die in der Wertform zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Arbeit geht es bei der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Es geht darum, wie die Werktätigen in den Betrieben mit ihrem Eigentum und mit der gesellschaftlichen Arbeit umgehen, wie sie über die Verausgabung und die Resultate ihrer Arbeit Buch führen und die Ergebnisse der Arbeit im persönlichen und gesellschaftlichen Interesse erhöhen. In der wirtschaftlichen Rechnungsführung kommt die Einstellung der Werktätigen zur sozialistischen Arbeit, zum sozialistischen Eigentum und zum sozialistischen Staat zum Ausdruck. Man kann die wirtschaftliche Rechnungsführung als die auf der Wertform beruhende Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung der operativ selbständigen sozialistischen Betriebe, deren Ziel es ist, die höchstmöglichsten Produktionsergebnisse mit dem niedrigsten Aufwand an gesellschaftlicher Arbeit zu erreichen, charakterisieren. Wenn die wirtschaftliche Rechnungsführung die Werktätigen der sozialistischen Betriebe dazu erzieht und materiell interessiert, sorgsam mit der gesellschaftlichen Arbeit umzugehen, ständig zu messen, zu wiegen und zu rechnen, um den Nutzeffekt der Arbeit zu erhöhen, dann erfüllt sie ihre Aufgabe im System der Leitung der sozialistischen Wirtschaft.

II. PROBLEME DER WIRTSCHAFTLICHEN R E C H N U N G S F Ü H R U N G IM SIEBENJAHRPLAN „Man muß die wirtschaftliche Rechnungsführung, diesen wichtigsten Hebel zur Mobilisierung unserer Reserven, zur Erhöhung der Rentabilität und zur Vergrößerung der Akkumulation festigen." 4 »

1. Die Bedeutung des Kampfes um Sparsamkeit

und Rentabilität im Siebenjahr plan

Die wirtschaftliche Rechnungsführung ist, wie wir schon aus der kurzen historischen Betrachtung im ersten Teil sahen, in ihrer Anwendung nicht für alle Zeiten starr. Sie muß als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung den Entwicklungsbedingungen und den ökonomischen und politischen Aufgaben der Gesellschaft angepaßt, d. h. ständig vervollkommnet werden. Das grundlegende Programm unserer gegenwärtigen ökonomischen wie überhaupt der gesellschaftlichen Entwicklung ist der Siebenj ahrplan der DDR. Er bestimmt Richtung und Ziel aller Seiten des gesellschaftlichen Lebens. Die Hauptaufgabe des Siebenj ahrplanes besteht darin, die materiell-technische Basis für den Sieg des Sozialismus in der DDR zu schaffen. Da die Erhaltung des Friedens gegenwärtig 19 „Erfolge des Kommunismus zeigen einzigen Weg zur völligen Befreiung des Menschen" — Die große Rede N. S. Chruschtschows vor dem Obersten Sowjet. In: „Neues Deutschland" vom 7. Mai. 1960, Ausgabe B, S. 4.

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die Hauptfrage in der Welt im allgemeinen und in Deutschland im besonderen ist, kommt es darauf an, die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus in Deutschland in historisch kürzester Zeit unter Beweis zu stellen. Dazu bedarf es in erster Linie einer sprunghaften Erhöhung der Produktion. Es handelt sich darum, einen maximalen Zeitgewinn im friedlichen ökonomischen Wettbewerb zu erzielen. Die Industrieproduktion muß im Zeitraum des Siebenjahrplanes auf 188°/ 0 (gegenüber 1958) ansteigen. Die jährliche Steigerungsrate soll mindestens 9 bis 10°/ 0 (7,5 Md. DM jährlich) betragen. Auf der Grundlage dieser schnellen Erhöhung der Produktion und der maximalen Senkung der Selbstkosten wird das Volkseinkommen von 73 Md. DM im Jahre 1958 auf rund 100 Md. DM im J a h r e 1965 anwachsen. Das ermöglicht eine außerordentlich große Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung. So steigt z. B. der Reallohn der Arbeiter und Angestellten durch umfassende Lohnerhöhungen und Preissenkungen auf 160 bis 165% an. Die Durchschnittsrenten sollen auf 150 bis 155°/ 0 erhöht werden. Die Warenbereitstellung kann infolgedessen von 39 Md. DM im Jahre 1958 auf 66 Md. DM im Jahre 1965 bzw. auf 167% anwachsen. Bis 1965 werden 772000 Wohnungen errichtet. Ferner wird die gesundheitliche und kulturelle Betreuung der Bevölkerung wesentlich verbessert. Es handelt sich — wie wir sehen — um ein umfassendes Programm des friedlichen Aufbaus, wie es in der bisherigen deutschen Geschichte einmalig ist. Die Grundfrage nach dieser Aufgabenstellung besteht in dem „ W i e " der Erfüllung. Walter Ulbricht hat diese Frage bei der Begründung des Siebenj ahrplanes vor der Volkskammer beantwortet, indem er feststellte: „Das Tempo des Aufschwungs der Produktivkräfte in der Deutschen Demokratischen Republik wird wesentlich durch zwei Faktoren bestimmt: 1. durch hohe Arbeitsproduktivität, die sich auf die Anwendung von Maschinen mit höchstem technischen Niveau, auf eine qualifizierte Organisation der Produktion, auf die Initiative der Werktätigen und auf die qualifizierte fachliche Ausbildung der Arbeiter und der Intelligenz stützt; 2. durch strengste Sparsamkeit in allen Zweigen der Volkswirtschaft." 40

Beide Faktoren sind unmittelbar miteinander verbunden. In den Betrieben umschließt das Sparsamkeitsregime auch die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das Sparsamkeitsregime verlangt eine solche Verausgabung der gesellschaftlichen Arbeit, daß mit möglichst geringem Aufwand ein höchstmöglicher Nutzen erreicht wird. Wie steht es indessen mit der Verwirklichung des Sparsamkeitsregimes? Walter Ulbricht charakterisierte die Situation auf dem 6. Plenum (1959) sehr treffend, als er feststellte, daß das Sparsamkeitsregime etwas aus der Mode gekommen sei. 61 So 60 Ulbricht, Walter, Der Siebenj ahrplan des Friedens, des Wohlstands und des Glücks des Volkes. Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 46. 41 „Eine ganze Reihe von Tatsachen, z. B. die immer noch hohe Zahl der Verlustbetriebe, der Ruf nach mehr Investitionsmitteln, das Wachsen der Waren- und Materialbestände beweisen aber, daß das Sparsamkeitsregime ,etwas aus der Mode gekommen ist*. Viele Funktionäre haben den Grundsatz der strengen Sparsamkeit hintenan gestellt und sorgen nicht mehr für einen vernünftigen, sparsamen Verbrauch der staatlichen Mittel." Das Gesetz über den Siebenjahrplan und die*Aufgaben der Partei bei der Durchführung des Planes in der Industrie. Referat von Walter Ulbricht auf der 6. Tagung des ZK der SED, Dietz Verlag, Berlin 1959.

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ist es in der T a t . Untersuchungen von Brigaden des Ministeriums der Finanzen in verschiedenen Industriezweigen haben dies bestätigt. 6 3 Übereinstimmend wurde festgestellt, daß das Sparsamkeitsregime und das Mittel seiner Durchsetzung die wirtschaftliche Rechnungsführung und die Fragen der Finanzen stark vernachlässigt werden. Im Vordergrund der Arbeit der Betriebe stand in den letzten J a h r e n fast ausschließlich die Produktionsplanerfüllung. Die qualitativen Kennziffern, insbesondere die Finanzkennziffern, standen mehr oder weniger im Hintergrund. Rentabilitätsberatungen wurden in vielen Betrieben nicht mehr durchgeführt. Auch in den Wettbewerben fehlten die Fragen der Sparsamkeit und der Rentabilität. Es nimmt daher nicht Wunder, daß in vielen Betrieben die Lohnfonds überschritten, die Ausfallzeiten beträchtlich erhöht, Überbestände vorhanden und die Kapaziäten vielfach nicht genügend ausgenutzt werden. 5 3 Dieser Zustand m u ß überwunden werden, soll das Sparsamkeitsregime seine Aufgabe im Sieben jahrplan erfüllen. F ü r die Unterschätzung des Sparsamkeitsregimes, der Rentabilität und der wirtschaftlichen Rechnungsführung gibt es eine Reihe von Ursachen. Diese aufzudecken, ist nicht unwesentlich. Die Aufdeckung der Ursachen der Unterschätzung des Sparsamkeitsregimes ist der erste Schritt zur Überwindung dieses Zustandes. Eine erste Ursache besteht darin, daß viele Wirtschaftsfunktionäre nicht erkannten, daß das Sparsamkeitsregime ein dem Sozialismus immanentes, ständiges Prinzip der sozialistischen Wirtschaftsführung ist, mit dessen Hilfe wir unsere ökonomischen Potenzen vervielfachen können und das m a n folglich bei allen Maßnahmen und in allen Etappen der Entwicklung anwenden muß. Eine weitere, damit im Zusammenhang stehende Ursache scheint uns darin zu bestehen, daß das Sparsamkeitsregime und das Mittel seiner Durchsetzung, die wirtschaftliche Rechnungsführung bisher mehr oder weniger als eine Ressortangelegenheit, nämlich der Finanzen, angesehen wurde. Die Betriebsleiter, Techniker und die übergeordneten Lenkungsorgane betrachteten die Sparsamkeit als eine untergeordnete, ja oft störende Frage. Doch selbst die Finanzwirtschaftler sowohl des Betriebes als auch der staatlichen Leitungsorgane begnügten sich mehr oder weniger m i t einer Registrierung der ökonomischen, insbesondere der finanziellen Ergebnisse, ohne energisch gegen die Überschreitung der Kosten und u m die Verwirklichung des Sparsamkeitsprinzips zu kämpfen, d. h . die Massen für die Erfüllung dieser Aufgaben zu mobilisieren. Hierbei spielte allerdings die Auffassung eine große Rolle, daß sich die wirtschaftliche Rechnungsführung lediglich aus dem Wertgesetz, ja letztlich aus dem spontan wirkenden Wertgesetz ergebe. Da sich der Revisionismus insbesondere auf die Fragen des Wirkens des Wertgesetzes bezog, schien es vielen geboten, eine Zeitlang ü b e r h a u p t nicht mehr vom W e r t und Wertgesetz zu sprechen. Daraus m u ß t e sich aber zwangsläufig eine Unterschätzung der wirtschaftlichen Rechnungsführung, die unter den Bedingungen der Warenproduktion auf der bewußten Aus62 Der Verfasser war im Jahre 1959 längere Zeit Teilnehmer einer solchen Brigade im Bereich Maschinenbau. 53 Nach dem Stand vom 30. 11. 1959 arbeiteten 17,9% der zentralgeleiteten volkseigenen Industriebetriebe nicht rentabel.

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nutzung des Wertgesetzes und der Wertformen beruht, ergeben. Indessen versuchten wir bereits im ersten Teil dieser Arbeit nachzuweisen, daß die wirtschaftliche Rechnungsführung ihre Ursachen nicht schlechthin in der Wirkung des Wertgesetzes hat, sondern daß es sich um eine Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung der sozialistischen Betriebe handelt, mit deren Hilfe über die Wertform alle ökonomischen Gesetze ausgenutzt werden. Die bewußte Ausnutzung des dem Grundgesetz des Sozialismus und dem Gesetz der planmäßigen Entwicklung untergeordneten Wertgesetzes bedeutet nichts anderes, als rationelle Verwendung der gesellschaftlichen Arbeit — Ökonomie der Zeit.64 Aber es genügte nicht, allein aus den bestehenden Mängeln die Schlußfolgerungen für notwendige Verbesserungen zu ziehen. Es kommt vielmehr gleichzeitig und zunächst darauf an, zu untersuchen, warüm die Verwirklichung des Sparsamkeitsregimes und der wirtschaftlichen Rechnungsführung im Rahmen des Siebenjahrplanes zu einer besonderen Notwendigkeit wird und welche Erfordernisse auf Grund der neuen Bedingungen an die wirtschaftliche Rechnungsführung zu stellen sind. In der ersten Etappe des Aufbaus des Sozialismus waren das Sparsamkeitsregime und die wirtschaftliche Rechnungsführung dem Ziel untergeordnet, die Grundlagen des Sozialismus im Rahmen des ersten und zweiten Fünfjahrplanes zu schaffen. In dieser Zeit mußten das Sparsamkeitsregime und die wirtschaftliche Rechnungsführung als sozialistische Wirtschafts- und Leitungsmethoden erst durchgesetzt werden. Es war ein beharrlicher Kampf von Partei und Regierung notwendig, um eine Massenbewegung für die Durchsetzung des Sparsamkeitsregimes und der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu schaffen. Im Verlaufe des zweiten Fünfjahrplanes zeigte sich indessen, daß die Formen und Methoden der staatlichen Wirtschaftsleitung nicht mehr dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte, der Produktionsverhältnisse und dem Bewußtsein der Werktätigen entsprachen. Sie mußten so vervollkommnet werden, daß sie der schöpferischen Initiative der Werktätigen weitesten Raum gaben, d. h. ihre bewußte Teilnahme an der Leitung von Staat und Wirtschaft sicherten. Mit diesen Veränderungen in der staatlichen Leitung traten wir indessen schon in die Periode der Vollendung des Aufbaus des Sozialismus und des Siebenjahrplanes ein. Sie schufen die politische Voraussetzung für den Übergang zu einer höheren Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Einbeziehung aller Werktätigen zur Lösung dieser Aufgaben war und ist notwendig, um den Aufbau des Sozialismus in historisch kürzester Frist zu vollenden. Das Sparsamkeitsregime und die wirtschaftliche Rechnungsführung sind nunmehr zu einem Teil des Kampfes um den Sieg des Sozialismus im Rahmen des Siebenjahrplanes geworden. Ohne Verwirklichung des Sparsamkeitsregimes ist die Erfüllung des Siebenjahrplanes nicht möglich. Der Leiter der Wirtschaftskommission des Politbüros des ZK der SED Erich Apel sagte vor der Volkskammer: 54 Im Lehrbuch „Grundlagen des Marxismus-Leninismus" heißt es auf S. 673, daß „die Funktion des Wertgesetzes als Kennziffer des Arbeitsaufwandes, als Stimulator der Ökonomie der gesellschaftlichen Arbeit gewaltige Bedeutung" hat.

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„Wir erklären hier vor dem Plenum der Obersten Volksvertretung noch einmal mit aller Entschiedenheit, daß die strengste Sparsamkeit eine Voraussetzung für die quantitative und qualitative Erfüllung unseres Siebenjahrplanes und der Staatshaushaltspläne ist.""

Das Sparsamkeitsregime und die mit ihm verbundene wirtschaftliche Rechnungsführung sind darum keine Ressortangelegenheit oder gar eine zusätzliche Aufgabe, sondern ein organischer Bestandteil aller Maßnahmen um die Erfüllung des Siebenjahrplanes. Die Steigerung der Produktion auf 188°/0, das Wachstum des Volkseinkommens auf 100 Mrd. DM erfordern bereits den verstärkten Kampf um die Anwendung des Sparsamkeitsregimes durch die wirtschaftliche Rechnungsführung. 58 Danach wird auch klar, daß die bisherigen Methoden der Anwendung des Sparsamkeitsregimes und der wirtschaftlichen Rechnungsführung den Erfordernissen des Siebenjahrplanes angepaßt werden müssen. Diese neuen Erfordernisse ergeben sich aus den bereits skizzierten außerordentlich großen Aufgaben des Siebenjahrplanes. Sie bestehen vor allem darin, daß das bisherige Tempo in der Entwicklung der Produktion weit überboten werden muß, um die für den Sieg des Sozialismus, die Steigerung des Volkseinkommens und die Herbeiführung der Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus in Deutschland notwendige Produktionssteigerung zu erreichen. Dieses Neue besteht ferner darin, daß es nicht mehr wie in der Vergangenheit möglich ist, neue Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß einzubeziehen, um vielleicht auf extensive Weise die Steigerung der Produktion zu erreichen. Diese Quelle ist inzwischen versiegt. Wir müssen die vorgesehene Steigerung der Produktion mit den vorhandenen Arbeitskräften bei gleichzeitiger weiterer Verkürzung der Arbeitszeit erzielen, d. h. fast ausschließlich durch Steigerung der Arbeitsproduktivität. Während die Produktion auf 188°/0 steigt, muß die Arbeitsproduktivität im Siebenj ahrplan auf 185 % (in den dem Siebenjahrplan vorausgegangenen 7 Jahren betrug die Steigerungsrate der Arbeitsproduktivität 68%) ansteigen. Es ist also eine Steigerungsrate, wie wir sie bisher noch nicht zu verzeichnen hatten. Es ist klar, daß eine solche umfassende Steigerung der Arbeitsproduktivität allein mit den bisher üblichen Methoden nicht zu erreichen ist. Nachdem wir einen normalen Stand der Arbeitsintensität und eine relativ gute Arbeitsmoral und Arbeitsdisziplin erzielt haben, kann eine grundlegende Steigerung der Produktion nur auf der Basis der bestmöglichsteA Anwendung von Wissenschaft und Technik und durch größtmögliche Entfaltung der Initiative der Werktätigen im Rahmen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit erreicht werden. „Bereits auf dem V. Parteitag wurde nachgewiesen, daß das Hauptmittel zur Steigerung der Arbeitsproduktivität der Kampf um die Erreichung des wissenschaftlich-technischen " Apel, Erich, Sparsamkeit — Tugend des Reichtums, „Neues Deutschland" vom 10. Dezember 1959, Ausgabe B, S. 3. 51 „Die Ziele des Siebenjahrplans erfordern ein hohes Maß an Planmäßigkeit und Sparsamkeit in allen Fragen der Wirtschaftsführung. Um sie zu erfüllen, dazu müssen wir lernen, mit den Produktionsgrößen besser zu rechnen, die Produktionsmittel und die Arbeitskräfte so sparsam wie nur irgend möglich zu nutzen." Leuschner, Bruno, Tempo, Technik und Qualität, „Neues Deutschland" vom 18. Februar 1960, Ausgabe B, S. 5.

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Höchststandes ist. Diese Formulierung bedeutet, daß wir uns nicht auf kleine Schritte beschränken können, sondern einen regelrechten Sprung vollziehen müssen."®7 Diesen S p r u n g vollziehen wir d u r c h die Verwirklichung des auf d e m V. Z K - P l e n u m 1959 beschlossenen u m f a s s e n d e n P r o g r a m m s der sozialistischen R e k o n s t r u k t i o n . Sie ist das e n t s c h e i d e n d e K e t t e n g l i e d f ü r die E r f ü l l u n g des S i e b e n j a h r p l a n e s , die E r zielung des m a x i m a l e n Zeitgewinns u n d stellt die g e g e n w ä r t i g e H a u p t f o r m z u r S t e i g e r u n g der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t d a r . W e n n diese u m f a s s e n d e n R e k o n s t r u k t i o n s m a ß n a h m e n a u c h zu einem g r o ß e n Teil d u r c h V e r b e s s e r u n g der S t r u k t u r der Betriebe u n d der O r g a n i s a t i o n der P r o d u k t i o n , d u r c h größtmögliche E n t f a l t u n g der Neuerer- u n d E r f i n d e r b e w e g u n g u . a. m., d. h . ohne zusätzliche Mittel zu lösen sind, müssen in viel s t ä r k e r e m M a ß e als bisher n e u e Anlagen u n d K a p a z i t ä t e n eingesetzt w e r d e n . Das b e t r i f f t in e r s t e r Linie den w e i t e r e n vorrangigen A u s b a u der E n e r g i e w i r t s c h a f t , der c h e m i s c h e n I n d u s t r i e , der E l e k t r o t e c h n i k u n d der f ü r den technischen F o r t s c h r i t t (Vollmechanisierung u n d A u t o matisierung) u n d d a m i t f ü r die S t e i g e r u n g der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t wichtigen Teile des M a s c h i n e n b a u s . D a z u bedarf es jedoch u m f a s s e n d e r Investitionen. Sie b e t r a g e n im S i e b e n j a h r p l a n allein f ü r die I n d u s t r i e 60 Mrd. DM. F ü r die g e s a m t e Volksw i r t s c h a f t b z w . f ü r d e n g e s a m t e n sozialistischen A u f b a u b e l a u f e n sich die I n vestitionen auf 142 Mrd. DM. D u r c h diese u m f a n g r e i c h e n I n v e s t i t i o n e n m a c h e n wir einen großen S c h r i t t in der e r w e i t e r t e n R e p r o d u k t i o n . E s h a n d e l t sich a b e r u m eine I n v e s t i t i o n s s u m m e , wie sie bisher f ü r die erweiterte R e p r o d u k t i o n n o c h n i c h t a u f g e b r a c h t w e r d e n m u ß t e . (In den letzten 7 J a h r e n w a r e n es d e m g e g e n ü b e r n u r 24 M r d . DM.) A u c h d a r i n b e s t e h t das Neue der S i t u a t i o n . W o sind die Quellen dieser u m f a n g r e i c h e n I n v e s t i t i o n e n ? N a c h d e m S t e u e r n u n d sonstige A b g a b e n der B e v ö l k e r u n g e i n g e s c h r ä n k t , Akzisen, infolge v o r a n g e g a n g e n e r u m f a s s e n d e r P r e i s s e n k u n g e n der V e r g a n g e n h e i t a n g e h ö r e n , sind die Reineinkommen der sozialistischen Betriebe die entscheidende Quelle der sozialistischen Akkumulation. D e r K a m p f u m die S e n k u n g der S e l b s t k o s t e n , die Steiger u n g der R e n t a b i l i t ä t wie u m die S p a r s a m k e i t ü b e r h a u p t t r e t e n i m R a h m e n des S i e b e n j a h r p l a n s s t ä r k e r d e n n j e in d e n V o r d e r g r u n d . 5 8 W i e groß die B e d e u t u n g des K a m p f e s u m die s p a r s a m e V e r w e n d u n g der gesellschaftlichen A r b e i t in d e n B e t r i e b e n ist, g e h t schon d a r a u s h e r v o r , d a ß gegenwärtig 1 °/ 0 S e l b s t k o s t e n s e n k u n g 520 Mill. DM a u s m a c h e n . Das e n t s p r i c h t einem A k k u m u l a t i o n s m i t t e l b e d a r f f ü r c a . 2 4 0 0 0 W o h n u n g e n . Die L o s u n g „ S p a r e m i t j e d e m G r a m m Material, m i t j e d e r M i n u t e A r b e i t s zeit, m i t j e d e m P f e n n i g ! " ist, wie wir sehen, g e r a d e j e t z t ä u ß e r s t a k t u e l l . 67

Ulbricht, Walter, Das Gesetz über den Siebenj ahrplan . . ., a. a. 0., S. 14. „Die ständige Senkung der Kosten je Erzeugnis muß bei höchster Qualität zu einer schnellen Steigerung der Rentabilität in allen Wirtschaftszweigen führen. Das ist die entscheidende Quelle für die erweiterte sozialistische Reproduktion und die weitere Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung. Deshalb erfordert die erfolgreiche Durchführung des Siebenj ahrplanes die konsequente Anwendung des Prinzips der strengsten Sparsamkeit auf allen Gebieten der Volkswirtschaft, um mit dem geringsten Aufwand an Arbeitszeit, Material und Geld den besten volkswirtschaftlichen Nutzen im Interesse der ständigen Erhöhung des Volkseinkommens zu erzielen." Ulbricht, Walter, Der Siebenjahrplan des Friedens . . ., a. a. O., S. 167. 58

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2. Die Aufgaben der wirtschaftlichen Rechnungsführung im

Siebenjahrplan

Nach der Skizzierung der Bedeutung und Notwendigkeit des verstärkten Kampfes um Sparsamkeit und Rentabilität im Rahmen des Siebenjahrplanes sind Möglichkeiten zu erwägen, wie dieser Kampf durch die wirtschaftliche Rechnungsführung unterstützt und gefördert werden kann. Wenn die wirtschaftliche Rechnungsführung als Methode der planmäßigen Wirtschaftsführung in den sozialistischen Betrieben ihre Aufgabe — eine sparsame und rentable Arbeit zu garantieren — erfüllen soll, dann muß sie mit den Aufgaben des Siebenj ahrplanes verbunden und durch die Erfüllung dieser Aufgaben selbst durchgesetzt werden. Infolgedessen können sich die Schwerpunktaufgaben der wirtschaftlichen Rechnungsführung auch nur aus den Hauptmethoden zur Erfüllung des Siebenj ahrplanes ergeben. Wir stellten bereits fest, daß die sozialistische Rekonstruktion das wichtigste Kettenglied für die Erfüllung des Siebenj ahrplanes und die gegenwärtige Hauptform zum sprunghaften Ansteigen der Arbeitsproduktivität ist. Darum muß sich die wirtschaftliche Rechnungsführung im Rahmen des Siebenjahrplanes in erster Linie auf die sozialistische Rekonstruktion erstrecken. Hier seien nur einige Aufgaben der wirtschaftlichen Rechnungsführung im Zusammenhang mit der sozialistischen Rekonstruktion behandelt. Wie wir schon im ersten Teil ausführten, besteht das wesentlichste Erfordernis der wirtschaftlichen Rechnungsführung darin, ständig Arbeitsaufwand und Arbeitsertrag — Kosten und Ergebnis — gegenüberzustellen, überall zu messen, zu kontrollieren und Rechnung zu legen. Jeder Werktätige, ob Arbeiter, Techniker, Buchhalter usw. muß bei jeder Maßnahme den Arbeits- bzw. Kostenaufwand und den Nutzeffekt berechnen und nach Erfüllung der Aufgabe Rechenschaft ablegen über den erreichten Nutzeffekt. Diese allgemeine Aufgabe der wirtschaftlichen Rechnungsführung gilt nunmehr insbesondere für die sozialistische Rekonstruktion. In der Richtlinie zur sozialistischen Rekonstruktion („Die Wirtschaft" Nr. 41/42/1959) heißt es: „Maßstab für den Erfolg der sozialistischen Rekonstruktion ist ihr Nutzeffekt, die Höhe der Arbeitsproduktivität, das technische Niveau der Produktion, die Senkung der Selbstkosten je Erzeugnis und der erreichte Grad der Wirtschaftlichkeit der Betriebe. Der Erfolg der Rekonstruktionsmaßnahmen muß nach diesen unverrückbaren Maßstäben gemessen werden."

An anderer Stelle der gleichen Richtlinie wird gesagt, daß die sozialistische Rekonstruktion so durchzuführen ist, daß „immer wieder exakt gemessen und berechnet wird, Aufwand und Ergebnis ständig gegenübergestellt werden müssen". Damit sind die Aufgaben der wirtschaftlichen Rechnungsführung bei der sozialistischen Rekonstruktion sehr treffend umrissen: E x a k t die Kosten berechnen, Aufwand und Ertrag gegenüberstellen und die Wirtschaftlichkeit erreichen und nachweisen — darauf kommt es an. Steigerung der Produktion, Senkung des Arbeitsaufwandes und hoher Nutzeffekt der Rekonstruktionsmaßnahmen — das ist das Ziel.

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Der Hauptinhalt der sozialistischen Rekonstruktion besteht in der rationellen Organisation der Produktion auf der Basis des höchsten Standes von Wissenschaft und Technik und der vollen Nutzung der schöpferischen Initiative der Werktätigen. Zu ihr gehören u. a. die Überwindung der Reste der kapitalistischen Struktur und Organisation der Produktion durch Typisierung, Standardisierung, Konzentration, Spezialisierung, Vollmechanisierung und Automatisierung. Jede dieser Rekonstruktionsmaßnahmen für sich und alle im Komplex genommen führen bei richtiger Durchführung zu einer Erhöhung der Produktion bei gleichzeitiger wesentlicher Senkung des Arbeitsaufwandes je Erzeugnis und damit zur Steigerung der Rentabilität der Betriebe. Die aus dem Kapitalismus überkommene Vielzahl von Typen, die Zersplitterung der Produktion hemmen die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Senkung der Selbstkosten. Wie Walter Ulbricht bei der Begründung des Siebenj ahrplanes anführte, werden in der Elektrotechnik gegenwärtig noch rund 13500 Grundtypen an Kabeln und Leitungen mit 52000 Erzeugnissen, bei Lacken und Anstreichmitteln 5000, bei Wälzlagern 7000 hergestellt. Ebenso ist die Anwendung standardisierter Teile noch sehr gering, sie beträgt beispielsweise bei der Rundfunkempfängerproduktion nur 15°/ 0 . Die Folgen dieses Zustandes sind hoher Aufwand für Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Bearbeitung, Gütekontrolle, Verwaltung usw. Die radikale Verringerung der Typen und die weitestgehende Anwendung von Standards ermöglicht indessen eine rationelle Organisation der Produktion und eine wesentliche Senkung des Aufwandes. Sie begünstigt vor allem die Konzentration der Produktion und die Spezialisierung der Betriebe. Die auf einer durchgehenden Typisierung und Standardisierung aufbauende Konzentration und Spezialisierung der Produktion ermöglicht es, zur rationellen sozialistischen Großserienproduktion überzugehen und alle Vorteile der Kooperation, Mechanisierung und vor allem der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit auszunutzen. In Zeulenroda und Triebes bestanden beispielsweise ursprünglich acht Betriebe mit einer jeweils selbständigen Fertigproduktion von Möbeln. Durch eine Zusammenfassung der Betriebe wurde eine Konzentration der Produktion und eine Spezialisierung der acht Teilwerke auf Teilfunktionen (Aufteilung von der Bearbeitung der Furniere bis zur Montage) erreicht. Das Ergebnis war ein höherer Gesamtausstoß, eine bessere Auslastung der Anlagen, niedrigere Gemeinkosten, eine höhere Arbeitsproduktivität und ein höheres Ergebnis. Ähnliche Beispiele gibt es in der Rundfunk- und Fotoindustrie. Unseres Erachtens kann durch die Bildung und Arbeit von Werkgruppen im Rahmen der VVB der Prozeß der Konzentration und Spezialisierung der Produktion in vielen Industriezweigen wesentlich forciert werden. Die Typisierung der Erzeugnisse und die Anwendung von Standards in der Produktion sowie die Konzentration und Spezialisierung sind indessen wiederum die Voraussetzung für die bestmögliche Anwendung von Wissenschaft und Technik in der Produktion. Sie ermöglichen es immer mehr, ganze Produktionsabschnitte und Abteilungen zur Vollmechanisierung und Automatisierung unter Anwendung von mechanischer, elektronischer, hydraulischer und pneumatischer Regelung und Steuerung der Produktionsprozesse überzuführen. So werden in der Industrie im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion 2700 automatische Fließreihen auf-

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gebaut, u. a. im VEB Automobilwerk Eisenach für Kurbelwellen, im VEB D K K Scharfenstein für Kühlschränke, im VEB Rafena Radeberg zur Tauchlötung für gedruckte Schaltungen usw. Zu den Rekonstruktionsmaßnahmen gehören nicht zuletzt auch die vielfältigen Möglichkeiten der Kleinmechanisierung, der Anwendung von Vorrichtungen und Lehren (Schaffung von Ausleihstationen), der Durchsetzung von Neuerermethoden, der Verbesserung der innerbetrieblichen Organisation und der Technologie — die durchgehende Rationalisierung des gesamten Produktionsprozesses. Diese vielfältigen Möglichkeiten können nur voll ausgenutzt werden, wenn die Rekonstruktion nicht nur als eine technisch-organisatorische Angelegenheit einiger Betriebsfunktionäre, sondern als Weg zur Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und damit zur Stärkung der Initiative der Werktätigen im Rahmen der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit gesehen wird. Beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte, der sozialistischen Produktionsverhältnisse und des Bewußtseins der Werktätigen ist die sozialistische Gemeinschaftsarbeit zu einer objektiven Notwendigkeit geworden. Nur wenn sich alle Werktätigen für die sozialistische Rekonstruktion und die sich dabei für die wirtschaftliche Rechnungsführung ergebenden Aufgaben kollektiv verantwortlich fühlen, wenn sie durch ihre Vorschläge bewußt teilnehmen an der sozialistischen Rekonstruktion und wenn sie den Nutzeffekt aller Maßnahmen kontrollieren, können die Ziele der sozialistischen Rekonstruktion erreicht werden. Es besteht kein Zweifel, daß diese Rekonstruktionsmaßnahmen zu einer durchschlagenden Erhöhung der Arbeitsproduktivität und zu einer Senkung der Kosten in einem solchen Ausmaß führen werden, wie es uns heute kaum vorstellbar ist. Darum müssen die vorgesehenen Rekonstruktionsmaßnahmen mit größter Konsequenz verwirklicht werden. Dadurch entstehen jedoch für die wirtschaftliche Rechnungsführung neue Probleme. Die Rekonstruktion wird durch die sprunghafte Erhöhung der Arbeitsproduktivität auf der Grundlage der Anwendung neuer Technik, einer fortgeschrittenen Organisation und Technologie und der Qualifizierung der Arbeitskräfte zu einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen dem Aufwand von vergegenständlichter u n d lebendiger Arbeit führen. Während wir uns nach wie vor auf die höchstmögliche Steigerung der Produktivität der lebendigen Arbeit konzentrieren, dürfen wir die Anlagen und das Material, die als Voraussetzung und Folge der Steigerung der Arbeitsproduktivität immer stärker anwachsen, nicht aus den Augen verlieren. Infolge der großen Wirkung der im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion angewandten neuen Technik auf die Arbeitsproduktivität muß den Neuanlagen im Rahmen der wirtschaftlichen Rechnungsführung große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wenden wir uns hier zunächst den Neuinvestitionen zu. Dieses Gebiet ist bisher sehr wenig vom Standpunkt der wirtschaftlichen Rechnungsführung betrachtet worden. Dabei müßte es an sich eine Selbstverständlichkeit sein, daß der Kampf um Sparsamkeit und Rentabilität schon mit der Neuinvestition beginnt. Indessen sehen viele Betriebe die Durchführung von Investitionen mehr oder weniger als

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eine Angelegenheit der zentralen staatlichen Organe an und entwickeln selbst noch zu wenig Eigeninitiative. Walter Ulbricht verlangte auf dem 6. Plenum (1959) mit allem Nachdruck, bei der Verausgabung der Investitionen größte Sparsamkeit zu beachten und die Berechnung und Kontrolle des Nutzeffekts der Investitionen zu einem wichtigen Bestandteil der wirtschaftlichen Rechnungsführung der Betriebe zu machen. 69 Schon bei der Planung und Projektierung neuer Anlagen muß von der Erzielung eines höchstmöglichen ökonomischen Nutzens ausgegangen werden. Das gilt zunächst für die Durchführung der Investitionen selbst. Die Bauzeit muß so niedrig gehalten werden, daß das Objekt möglichst schnell in der Produktion wirksam wird. Aber vor allem gilt das für den zu erreichenden Nutzeffekt der Investitionen. Es muß zum Grundsatz werden, und darin besteht eine entscheidende Aufgabe der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Betrieben, daß der Planung von Investitionen eine umfassende Untersuchung des Auslastungsgrades der vorhandenen Anlagen, der Möglichkeiten ihrer wirksameren Auslastung durch moderne technische Verfahren vorangeht. Vorrang müssen die Erneuerung und Modernisierung der Ausrüstungen in den vorhandenen Betrieben gegenüber den Neubauten haben. In der Konfektionsindustrie scheint man es mit der Einschätzung des Nutzeffekts von Investitionen allerdings nicht sehr genau zu nehmen. Trotz umfangreicher nicht ausgelasteter Kapazitäten im Industriezweig wurden Investitionen insbesondere für Neubauten geplant. So z. B. im VEB Bekleidungswerk Zehdenick, im VEB Fortschritt, Lichtenberg, im VEB Treffmodelle, Berlin. Durch eine solche Handlungsweise werden den Schwerpunktaufgaben des Siebenjahrplanes Investitionsmittel entzogen. Erst bei voller Auslastung der Kapazitäten und nach Überprüfung aller Möglichkeiten zur Rationalisierung des Reproduktionsprozesses innerhalb des Betriebes und der VVB kann — wenn die Investition durch die steigende Nachfrage gerechtfertigt ist, zur Neuinvestition geschritten werden. Leider kommt es auch immer wieder vor, daß der Nutzen von Investitionen dadurch gemindert wird, daß vor Beginn der Investition nicht alle Faktoren eingeschätzt werden wie bei Neubauten von Produktionsanlagen: Standort, Verkehrsbedingungen, Wasserversorgung, Materialversorgung, Energie, Arbeitskräfte, Versorgungseinrichtungen u. a. m. Die ungenügende Einschätzung aller Faktoren erfordert vielfach neuen, nicht vorgesehenen Aufwand an Investitionsmitteln. Das Resultat sind letztlich höhere Produktionskosten und niedrigere Rentabilität. Einmal begonnen, muß die Investition zielstrebig durchgeführt und nach Fertigstellung rasch in die Produktion überführt werden. Eine Verzögerung führt zum Produktionsausfall und zur Minderung der Rentabilität. 69 Wie dringend notwendig Nutzeffektsberechnungen von Investitionen sind, soll an einem Beispiel veranschaulicht werden. Der VEB Elektromotorenwerk Dessau baute im Jahre 1957 einen elektrischen Trockentunnelofen für Elektromotoren mit einem Aufwand von ca. 40 TDM Investitionsmitteln. Nach Fertigstellung erwies sich, daß der Tunnelofen auf Grund seiner geringen volumenmäßigen Durchlaßfähigkeit nicht rentabel ausgelastet werden kann. Der Tunnelofen steht nunmehr ungenutzt. Mittel, Material, Arbeitszeit wurden nutzlos vertan.

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Bei jeder Neuinvestition müssen folglich alle Faktoren berücksichtigt werden. Sie m u ß auf dem modernsten Stand von Wissenschaft u n d Technik aufbauen, schnell durchgeführt werden und zu einer Erhöhung der Rentabilität des Betriebes führen. 6 0 Als Schlußfolgerung f ü r die wirtschaftliche Rechnungsführung ergibt sich, daß einerseits d i e Verantwortung der Betriebe bei der Durchführung von Investitionen und andererseits die Kontrolle durch die Mark seitens der Investitions- bzw. Notenbank gestärkt werden m u ß . Die Investitionen müssen im System der wirtschaftlichen Rechnungsführung voll wirksam werden. Um die materielle Interessiertheit und die Verantwortung der Betriebe f ü r den beschleunigten Abschluß und den höchstmöglichen Nutzen der Investitionen zu verstärken, m ü ß t e die Möglichkeit gep r ü f t werden, ob kleinere Investitionsobjekte nicht zweckmäßigerweise voll aus dem Betriebsgewinn zu finanzieren und bei größeren Investitionsobjekten der Anteil der Eigenfinanzierung der Betriebe zu erhöhen wäre. Ferner m ü ß t e erwogen werden, die vorfristige Fertigstellung von Investitionsobjekten mit höchstem Nutzeffekt f ü r eine bestimmte Zeit durch eine erhöhte Zuführung zum Prämienfonds zu stimulieren. Was von den Investitionen gesagt wurde, gilt in ebenso starkem Maße f ü r die vorhandenen Anlagen. Der Kampf um die optimale Auslastung der Maschinen ist noch völlig ungenügend entwickelt. Oft herrscht noch die Meinung vor, daß die genormte Leistung der Maschinen nicht zu steigern sei, ohne jedoch ernsthaft zu prüfen, ob und inwieweit vorhandene Maschinen durch den Einbau von Meß-, Kontroll- und Regelgeräten, durch neue technologische und organisatorische Verfahren des Produktionsablaufs gesteigert werden können. Hierin bestehen große Möglichkeiten der E r h ö h u n g des Nutzeffektes der Anlagen. Das ist ein großes Aufgabengebiet für die Gemeinschaftsarbeit von Arbeitern und Technikern im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion. In den Betrieben bestehen vielfach keine bzw. unzureichende Unterlagen über die Auslastung der Produktionsgrundfonds. Es fehlt auch noch an Maschinenauslastungsnormen. Dadurch sind unausgelastete Maschinen und Aggregate o f t nicht sichtbar, und es k o m m t zu unbegründeten Investitionsforderungen. Es verwundert daher auch nicht, daß die Auslastung gleichartiger Maschinen in verschiedenen Betrieben des gleichen Zweiges starke Unterschiede aufweist. Man kann auf diesem Gebiet noch nicht von echter wirtschaftlicher Rechnungsführung sprechen. Es ist eine dringende Aufgabe der Gemeinschaftsarbeit von Technikern und Wirtschaftlern der Betriebe, diese Unterlagen zu schaffen bzw. auf den laufenden Stand zu bringen. Darauf aufbauend m u ß ein verstärkter Kampf um die optimale Auslastung d e r Grundfonds einsetzen. Mit dem sprunghaften Ansteigen der Produktion durch die sozialistische Rekonstruktion ist jedoch nicht nur die Ausnutzung der Anlagen, die Berechnung 60 „Der erzielte ökonomische Nutzeffekt ist in allen Fragen der Verwendung der Mittel für die Erhaltung, Modernisierung und Erweiterung der Grundfonds das ausschlaggebende Kriterium." Leuschner, Bruno, Die Größe unserer Aufgaben erfordert eine höhere Qualität der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. In: „Einheit", 15. Jahrg., H. 2, S. 202, 1960.

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ihres Nutzeffektes ein Problem der wirtschaftlichen Rechnungsführung, sondern in kaum geringerem Maße die Materialwirtschaft. 61 Die Produktionssteigerung hängt entscheidend davon ab, wie es uns gelingt, die notwendigen Materialien bereitzustellen. Durch den Kampf um die sparsamste Verwendung von Roh- und Hilfsstoffen und eine richtige Bestandhaltung können der Materialbedarf vermindert bzw. die Produktion erhöht und die Kosten gesenkt werden. Der Kampf um Materialeinsparung ist darum ebenfalls ein Bestandteil der sozialistischen Rekonstruktion. Schon die Typisierung, Standardisierung, Spezialisierung, der Übergang zum Baukastenprinzip und zur Großserienfertigung, die Senkung des Eigengewichts der Ausrüstungen, die weitgehende Ersetzung von Gußteilen durch Schweißkonstruktionen u. a. m. wie die Anwendung neuer Technik überhaupt, wird zu einer Erhöhung des Ausnutzungsgrades des Materials und zur Senkung des Materialeinsatzes führen. Diese Tatsache muß in den Materialverbrauchsnormen und in den Rekonstruktions- und Kostenplänen berücksichtigt werden. Auch hier kommt es darauf an, eine breite Massenbewegung zur ökonomischen Ausnutzung und zur Senkung des Materialaufwandes zu entfalten. Angefangen von den Konstrukteuren bis zum letzten Arbeiter müssen im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion durch die Gemeinschaftsarbeit, durch die Neuerer- und Wettbewerbsbewegung die vielfältigen Möglichkeiten zur Senkung des Materialaufwandes genutzt werden. Aber der Materialeinsatz wird sich im Zuge der sozialistischen Rekonstruktion auch qualitativ verändern, da im Laufe des Siebenjahrplanes eine Strukturveränderung des Rohstoffeinsatzes eintritt. So werden — um nur einige Beispiele zu nennen — in der metallverarbeitenden Industrie in stärkerem Maße als bisher Edelstähle, aber vor allem leichtere und billigere Materialien wie Aluminium, Plastewerkstofle verwendet; in der chemischen Industrie wird an Stelle von Braunkohle immer mehr Erdöl, in der Energiewirtschaft werden an Stelle fester Brennstoffe immer mehr solche hochwertigen Brennstoffe wie Gas und Heizöl (Steigerung der Heizölproduktion auf das elfeinhalbfache) eingesetzt. In der Bau- und Möbelindustrie treten an Stelle von Holz immer mehr Hartfaser und Spanplatten sowie Betonteile, in der Textilindustrie nimmt der Anteil an vollsynthetischen Fasern am Spinnstoffverbrauch zu. Es ist klar, daß diese Strukturveränderung des Materialeinsatzes ihren Niederschlag in den Materialverbrauchsnormen, den Materialkosten, den Preisen und den Umlaufmitteln finden werden. Den Umfang dieser Wirkungen vermag heute noch niemand voll abzuschätzen. Doch sie dürfen nur in Richtung einer Senkung der Kosten bzw. in einer Erhöhung des Gebrauchswertes der Waren gehen. Es ist eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe, die Erforschung, Produktion und Verwendung neuer qualitativ hoher und billiger Rohstoffe zu fördern. Diese Förderung muß auch durch die Finanzierung und Preisgestaltung erfolgen. Die Betriebe, die neue, billigere Werkstoffe anwenden, müssen einen finanziellen Vorteil davon haben. Die'Anregungen für die Erforschung und Einführung neuer Werkstoffe 6 1 Im Siebenjahrplan steigt z. B. der Verbrauch an Stahl auf 177%, von Zement auf 217%, von Plasten auf 300% und von Wolle auf 212% an.

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sollten schon von den Betrieben, die sie verwenden, kommen. Der Betrieb, der nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitet, muß ständig seinen Produktionsplan mit den kostengünstigsten Materialien (wobei selbstverständlich die Gütebestimmungen zu beachten sind) zu erfüllen trachten. Das setzt allerdings eine verstärkte Mitwirkung der Betriebe an der Materialplanung und ein schnelles Reagieren der Preisbildungsorgane voraus. An Hand der Veränderungen im Materialeinsatz und in der RohstofFstruktur, wie sie sich aus den Rekonstruktionsmaßnahmen ergeben, zeigt sich, welche Möglichkeiten für eine Senkung der Materialkosten gegeben sind. Die vielfach noch anzutreffenden Auffassungen, daß der Senkung der Materialkosten nur sehr enge Grenzen gesetzt sind, sind folglich unbegründet. Weitere Möglichkeiten zur Senkung der Materialkosten und zur Einsparung von Umlaufmitteln ergeben sich durch die Beseitigung der Mängel in unserer Materialwirtschaft. Wir hatten in den letzten Jahren die Tatsache zu verzeichnen, daß die Bestände in den volkseigenen Betrieben schneller gestiegen sind als die Produktion. 82 Wenn auch das Wachstumsverhältnis zwischen Produktionssteigerung und Bestandsentwicklung noch nicht genügend erforscht ist, so muß uns das schnelle Anwachsen der Bestände — zumal unsere Rohstoflgrundlage immer noch sehr begrenzt ist — auf den Plan rufen. Der Kampf um die Beschleunigung des Umschlages der Umlaufmittel als auch um die Einsparung von Roh- und Hilfsstoffen wird immer noch unterschätzt. In diesem Zusammenhang besteht ein wesentliches Problem darin, daß die Planung des Materials und damit auch der Materialkosten noch nicht auf exakten Materialverbrauchsnormen basiert (Es bestehen erst ca. 50°/0 Materialverbrauchsnormen). Die Planung des Materials erfolgt zumeist durch Schätzungen bzw. durch grobe Rechnungen. Dadurch werden die Betriebe nicht gezwungen, um die Senkung des Materialverbrauchs und der Materialkosten zu kämpfen. 63 Allerdings beginnt der Mangel hier schon in der Technologie. Seitens unserer Technologen werden meist von Jahr zu J a h r die gleichen Materialmengen für die einzelnen Arbeitsgänge vorgegeben, ohne von vornherein Maßnahmen zur Materialieneinsparung vorzusehen. Hier muß ein grundlegender Wandel eintreten. Der im Zuge der Rekonstruktion veränderte Einsatz des Materials muß in der Materialverbrauchsnorm Berücksichtigung finden. Andernfalls kommt es zu einer falschen Umlaufmittel- und Kostenplanung. Hinsichtlich der Bestandhaltung werden die Bestimmungen über die Normung der Umlaufmittel noch nicht konsequent angewendet. So wurde z. B. im VEB Sachsenwerk Dresden im Jahre 1959 infolge falscher Normierung der Umlauffonds um ca. 4 Mill. DM zu hoch geplant. Abgesehen davon, daß der Volkswirtschaft umPer 30.9. 1959 beliefen sich die Überplanbestände in der volkseigenen Industrie (Z) auf 800 Mill. DM Einsatzmaterial, 400 Mill. DM unvollendete Erzeugnisse, 300 Mill. DM Fertigerzeugnisse. 63 Die Bedeutung der Senkung der Materialkosten geht schon daraus hervor, daß nach dem Stand von 1959 ein Prozent Materialeinsparung einem Wert von etwa einer halben Milliarde DM entspricht. 62

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fangreiche Materialien und Mittel vorenthalten wurden, macht eine so großzügige Normierung die wirtschaftliche Rechnungsführung nahezu wirkungslos. Obwohl der Betrieb Rückstände in der Produktion und Akkumulation hatte, entstanden weder Überbestände noch Liquiditätsschwierigkeiten. Die Bestandhaltung für die unvollendete Produktion muß auf exakt berechneten Fertigungszeiten und Produktionsdurchlaufplänen basieren. Es ist eine wesentliche Aufgabe der Notenbank, die Entwicklung der Bestände zu verfolgen, Überbestände an die Leitungsorgane zu signalisieren und mit Hilfe des Kredits und Zinses auf die Verringerung der Bestände einzuwirken. Von der finanziellen Seite her wäre die größtmögliche Einsparung von Material und Materialkosten dadurch zu stimulieren, daß der planmäßige Zuwachs von eigenen Umlaufmitteln im Prinzip aus eigenem Betriebsgewinn finanziert wird. Ferner scheint uns notwendig, die Frage zu prüfen, ob es im Zuge der Typisierung und Standardisierung der Erzeugnisse nicht zweckmäßig wäre, die Vorratshaltung (soweit es vom Standpunkt des Sortiments möglich ist) in den Betrieben stärker zu beschränken und diese dafür beim Materialgroßhandel zu erweitern bzw. zu konzentrieren. Die nicht zu leugnende Zersplitterung des Materialvorrates und noch gewisse Hortungstendenzen in den Betrieben können dadurch eingeschränkt und auf diese Weise Material und Mittel eingespart werden. Eine Voraussetzung dafür wäre allerdings eine durchschlagende Verbesserung des Produktionsmittelgroßhandels. Ein weiterer Faktor zur Selbstkostensenkung und Rentabilitätssteigerung, der sowohl mit der sozialistischen Rekonstruktion als auch dem laufenden Produktionsprozeß zusammenhängt, besteht in der Herstellung eines richtigen Verhältnisses zwischen der Entwicklung der Arbeitsproduktivität und der Lohnfonds. Die im Siebenjahrplan vorgesehene Senkung der Selbstkosten der volkseigenen Industrie um 20°/ 0 muß in erster Linie durch die geplante umfassende Steigerung der Arbeitsproduktivität erzielt werden. Durch die auf der Grundlage des technisch-wissenschaftlichen und organisatorischen Fortschritts im Rahmen der Rekonstruktion erreichte Erhöhung der Produktivität der lebendigen Arbeit kann der Lohnkostenanteil je Produkt trotz bedeutender Lohnerhöhungen wesentlich verringert und damit der Anteil des Reineinkommens erhöht werden. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch technische Verbesserungen wie aller Rekonstruktionsmaßnahmen ist aber vom Standpunkt der wirtschaftlichen Rechnungsführung ein Problem; das uns in der Vergangenheit große Sorgen bereitete und dies auch in der Zukunft tun wird, wenn wir hier nicht eine grundlegende Wende herbeiführen. In den letzten Jahren hatten wir die Tatsache zu verzeichnen, daß die Löhne der Produktionsarbeiter im Verhältnis zur Steigerung der Arbeitsproduktivität in einigen wichtigen Industriezweigen, vornehmlich im Maschinenbau, sehr schnell angestiegen sind. Zu einem großen Teil war das das Ergebnis des Arbeitsaufschwungs der Arbeiter in diesen Industriezweigen. Zu einem beträchtlichen Teil resultierte es aber auch aus einer ungerechtfertigten Übererfüllung der Normen. Zahlreiche in den

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letzten Jahren vorgenommene technisch-organisatorische Verbesserungen waren — infolge des Zurückweichens der Wirtschaftsfunktionäre in den Betrieben — nicht Anlaß einer Berichtigung der Normen. Die Auswirkungen sind allgemein bekannt. Hier sei nur auf das Problem der dadurch verursachten Übersteigerung der Lohnfonds, die Überhöhung der Kosten, die Minderung der Rentabilität und der Akkumulation hingewiesen. Nach unserer Auffassung kommt es hier darauf an, einer falschen Ideologie entgegenzutreten. Diese besteht — wie wir uns während eines längeren Brigadeeinsatzes in einem Zweig des Maschinenbaus überzeugen konnten — darin, daß viele Arbeiter ihren Lohn in ein unmittelbares Verhältnis zu den in den letzten Jahren erzielten Produktionssteigerungen setzen und erwarten, daß ihr Lohn entsprechend der Produktionssteigerung anwächst. (Aus dieser Ideologie resultieren verschiedene Mittelchen, um auf eine entsprechende Normerfüllung zu kommen!) Einmal berücksichtigen die betreffenden Arbeiter damit zumeist nicht die technisch-organisatorischen Verbesserungen, die die Erhöhung ihrer Leistungen oft ohne wesentliches eigenes Zutun ermöglichten, zum anderen — und das ist das Entscheidende — beruhen diese Auffassungen letztlich auf der schon von Marx widerlegten Theorie vom , u n verkürzten Arbeitsertrag". Es muß eine Aufgabe der Partei und Gewerkschaften sein, die Arbeiter, insbesondere mit Hilfe der Brigaden der sozialistischen Arbeit, darüber aufzuklären, daß bei einem ,,unverkürzten Arbeitsertrag" eine Weiterentwicklung der Technik, eine Steigerung der Produktion, eine stetige Erhöhung ihrer Arbeitseinkommen und der Aufbau des Sozialismus unmöglich ist. Letztlich kommt es darauf an, allen Arbeitern klarzumachen, daß sie selbst Eigentümer der Produktionsmittel sind und daß die Weiterentwicklung der Produktivkräfte demzufolge in ihrem ureigensten Interesse liegt. Bei den im Siebenjahrplan so umfassenden technischen Verbesserungen im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion muß infolgedessen besonders darauf geachtet werden, daß jede technisch-organisatorische Verbesserung eine Erhöhung der Arbeitsnorm nach sich zieht. Ein Zurückweichen in dieser Frage kann die ohnehin noch großen Diskrepanzen in unserem Lohngefüge verstärken und planmäßige Lohnerhöhungen, aber auch die notwendige Selbstkostensenkung und die Steigerung der Rentabilität gefährden. Das Normenproblem kann bei richtiger Anwendung der Seifertmethode und durch beharrliche Überzeugungsarbeit allmählich gelöst werden. Um die Wirksamkeit des Lohnes auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität zu erhöhen, müßten u. E. die Besonderheiten der jeweiligen Industriezweige mehr als bisher in den Lohnformen zum Ausdruck kommen. Da die sozialistische Gemeinschaftsarbeit der Schlüssel zur Lösung der großen Produktionsaufgaben im Siebenjahrplan ist, sollten immer mehr solche Lohnformen angewandt werden, die den kollektiven Kampf der Werktätigen um die Planerfüllung fördern. Das kann erreicht werden, wenn den einzelnen Kollektiven ein größerer Einfluß auf die Verteilung ihres Lohnfonds eingeräumt wird. Es ist eine dringende Aufgabe, die Erfahrungen mit dem Objektlohn in der Bauindustrie zu verallgemeinern und die Möglichkeiten der Anwendung in anderen Wirtschaftszweigen zu prüfen.

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Ein weiteres Problem der wirtschaftlichen Rechnungsführung, das mit der Durchführung der sozialistischen Rekonstruktion, besonders mit der Konzentration, Spezialisierung, Vollmechanisierung und Automatisierung der Produktion außerordentlich aktuell wird, ist die Erreichung eines kontinuierlichen Produktionsprozesses. W i r zeigten, daß durch die Rekonstruktionsmaßnahmen die Bedeutung und der Anteil der Anlagen und Ausrüstungen sowie der Materialien immer größer wird. Erst moderne technische Anlagen und entsprechende Materialvorräte ermöglichen eine wesentliche Produktions- und Rentabilitätssteigerung durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Doch diese großen Möglichkeiten werden nur bei einem kontinuierlichen Produktionsprozeß, d. h. bei voller Auslastung der Anlagen zur Wirklichkeit. Nicht ausgelastete Kapazitäten erhöhen die Kosten und führen zur Rentabilitätsminderung. Diese Kontinuität des Reproduktionsprozesses durchzusetzen, ist darum eine wichtige Aufgabe des Kampfes um Sparsamkeit und Rentabilität im Siebenjahrplan. Auf diesem Gebiet gibt es jedoch noch sehr viel zu tun, da der Reproduktionsprozeß gegenwärtig noch nicht voll kontinuierlich ist. Dadurch ist auch, was vom Standpunkt der wirtschaftlichen Rechnungsführung außerordentlich wichtig ist, die Geschwindigkeit des Umschlages und die Nutzung der Fonds noch ungenügend. Die Diskontinuität zeigt sich sowohl in der Produktion des Jahres 6 4 , der Quartale, aber insbesondere innerhalb der Monate. Das sei an einem Beispiel aus einem Betrieb des Elektromotorenbaus (bezogen auf die Monatsproduktion) veranschaulicht. Der Produktionsausstoß jeweils in der ersten und dritten Dekade der folgenden Monate des Jahres 1959 betrug in Prozent zum durchschnittlichen Ausstoß innerhalb des jeweiligen Monats: 1. Dekade 3. Dekade

Januar 70 150

Februar 57 158

März 32 210

April 54 170

Mai 25 220

Juni 36 170

Juli 50 220

Wie aus Revisionsberichten des Finanzministeriums hervorgeht, ist die Lage in vielen anderen Betrieben ähnlich. 65 Wir müssen demzufolge die Frage nach der Wirkung eines solchen diskontinuierlichen Reproduktionsprozesses auf die Rentabilität der Betriebe stellen. In wenigen Thesen ausgedrückt, ergeben sich durch den diskontinuierlichen Produktionsprozeß folgende Wirkungen: 1. E s bestehen Warte-, Stillstands- und Ausfallzeiten. Das sind die sogenannten Poren im Produktionsprozeß, die weder Gebrauchswerte noch Werte hervor64 Der Anteil der monatlichen Bruttoproduktion der DDR an der Jahresproduktion betrug 1959 in % : Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. 7,5 7,4 8,0 8,4 7,5 8,9 8,3 8,2 9,1 8,8 8,9 9,0 65 Es ist kein Problem, das etwa nur den Maschinenbau beträfe. In der Konsumgüterindustrie, besonders auf dem Gebiete der Gebrauchsgüterproduktion, sieht es nicht anders aus. So wurde z. B. im VEB Herrenmode Dresden im Jahre 1958 in acht von zwölf Monaten die höchste Produktion in der letzten Dekade gebracht. In keinem Monat fiel die höchste Produktion auf die erste Dekade.

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bringen, aber Kosten verursachen. Sie stellen einen Abzug vom geschaffenen Wert dar, schmälern die Rentabilität des Betriebes und sind ein Produktionsausfall für die Volkswirtschaft. 2. Die Produktionsanlagefonds werden während dieser Zeit nicht ausgelastet. Die Amortisationen müssen jedoch trotzdem aufgebracht werden. Die Unterbringung Pflege, Wartung und Erhaltung der Maschinen und Anlagen erfordern Raum und Kosten, Zeit und Geld. Diese Unterbelastung der Grundfonds infolge des diskontinuierlichen Produktionsprozesses, die man mit der Zeit als normal ansieht, veranlaßt viele Betriebe, Forderungen nach neuen Anlagen und Investitionen zu erheben. 3. Diese Stockung im Produktionsprozeß wirkt auch auf die Produktionsumlauffonds. Die Bestände an Roh- und Hilfsstoffen sind in Zeiten niedriger Produktion meist zu hoch, da sie nicht planmäßig, d. h. kontinuierlich in den Produktionsprozeß eingehen. Ihr Wert wird nicht auf das neue Produkt übertragen. Ferner entstehen dadurch überhöhte Lagerkosten und Verluste. Der diskontinuierliche Produktionsprozeß führt außerdem zur Anhäufung von unvollendeter Produktion Hortung an Material und veranlaßt viele Betriebe, um hohe Richtsätze schon bei der Planaufstellung zu „kämpfen" und verursacht demzufolge hohe Kosten. 4. Am stärksten sind die Auswirkungen auf die lebendige Arbeit und demzufolge auch auf den Lohnfonds. Die Grundlöhne müssen kontinuierlich, d. h. gleichmäßig über die ganze Zeitperiode gezahlt werden. Doch diesem Lohn steht kein bzw. kein entsprechendes Produktions- und finanzielles Ergebnis gegenüber. Es ist ein Abzug vom geschaffenen Produkt, vom geschaffenen Wert, ja letztlich vom geschaffenen Reineinkommen. Zusätzlich fallen jedoch in der letzten Dekade Überstunden an, die ebenfalls bezahlt werden müssen. Sie führen insbesondere zur Überziehung der Lohnfonds. Die Überstunden haben in vielen Betrieben ein unvertretbares Ausmaß angenommen. 66 5. Der diskontinuierliche Produktionsprozeß, insbesondere die Stoßproduktion in der letzten Dekade, führen nachgewiesenermaßen auch zu hohem Ausschuß und Mehrkosten für Nacharbeiten. Ausschuß ist reiner volkswirtschaftlicher Verlust. Doch auch die „Ausschußproduktion" verursachte gesellschaftlichen Arbeitsaufwand. (Maschinenbelastung und Verschleiß, Materialaufwand, Gemeinkosten, lebendige Arbeit — Lohn) und die Nacharbeiten erfordern zusätzlichen Arbeitsaufwand. 6. Die Auswirkungen des diskontinuierlichen Produktionsprozesses sieht man vor allem an den Gemeinkosten (insbesondere Verwaltungskosten). Sie entstehen gleichmäßig, auch in Zeiten der Minderbeschäftigung. Sie wirken sich darum besonders rentabilitätsmindernd aus. 66 Die Überstunden entwickeln sich in dem auf S. 349 genannten Betrieb im gleichen Zeitraum wie folgt: Jan. Febr. März April Mai Juni Juli 5861 7720 12818 6081 6751 8116 5951

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7. Die Wirkungen des diskontinuierlichen Produktionsprozesses zeigen sich auch in der Zirkulationssphäre. Einerseits werden die Lieferverpflichtungen entsprechend den Vertragsabschlüssen nicht rechtzeitig, sortiments- und qualitätsgerecht erfüllt; es müssen Vertragsstrafen und Schadenersatzzahlungen für dadurch in anderen Betrieben aufgetretene Verluste geleistet, zum anderen müssen Verträge vorgezogen werden, die bis zu ihrer vertraglichen Realisierung in der Regel Überbestände bilden, Mittel binden und unproduktive Kosten verursachen. Beides wirkt negativ auf das Ergebnis des Betriebes und damit auf die Rentabilität. Es ist nicht schwer zu verstehen, daß eine positive Umkehrung dieses Zustandes, d. h. die Verwirklichung eines kontinuierlichen Produktionsprozesses und ein ständiger Kampf um die höchstmögliche Auslastung aller Fonds zu einer hohen Produktionssteigerung, einer großen Selbstkostensenkung und zu einer wesentlichen Steigerung der Rentabilität führen muß. 67 Wirksamer Einsatz und höchstmögliche Auslastung aller Anlagen (Gebäude, Maschinen, Ausrüstungen, Werkzeuge) richtige Bestandhaltung in Roh-, Hilfsstoffen, Halbfertigerzeugnisssen und Fertigprodukten, sparsamste Verwendung aller Materialien, richtiger Einsatz und volle Auslastung der Arbeitskräfte führen zu einer wesentlichen Produktionssteigerung, zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität, zu einer Selbstkostensenkung und zu einer Rentabilitätssteigerung. Wichtige Bedingungen zur Beseitigung des diskontinuierlichen Produktionsprozesses sind gegenwärtig die Erhöhung des Niveaus der Leitung der Betriebe durch Einbeziehung aller Werktätigen in die Leitungstätigkeit, die konsequente Verwirklichung der Einheit von Planung und Leitung, der Übergang zu langfristigen Betriebsplänen, die Aufschlüsselung der Pläne, die rechtzeitige und langfristige Vertragssicherung hinsichtlich der Lieferung von Investitionsgütern, von Roh-, Hilfsstoffen und Halbfabrikaten, aber auch des Absatzes sowohl für den Import- als auch den Exportbedarf, die Verstärkung der Kontrolle durch die Mark seitens der Finanzorgane, die Verringerung der Typen durch Standardisierung, Spezialisierung und Konzentration der Produktion (dadurch Vereinfachung der Planung der Materialbeschaffung und des Absatzes), gute Produktionsvorbereitung, Organisation der Produktion auf der Grundlage exakter Durchlaufpläne, genaue Abstimmung zwischen den Produktionsabteilungen u. a. m. Wir haben eine ganze Reihe von Einzelproblemen angeführt, die sich beim Durchdenken des Siebenjahrplanes insbesondere der sozialistischen Rekonstruktion für den Kampf um Sparsamkeit und Vervollkommnung der wirtschaftlichen Rechnungsführung ergeben. Es ist jedoch offensichtlich, daß wir höchstmögliche materielle 67 Marx charakterisierte die Bedeutung der Kontinuität des Produktionsprozesses sehr eindeutig, indem er sie als eine Produktivkraft der Arbeit bezeichnet: „Aber abgesehn v o m größern Verderb des fixen Kapitals während der Brache . . ., und der Verteuerung der Arbeit, die während des g a n i e n Jahres bezahlt werden muß, obgleich sie nur einen Teil desselben wirkt, ist eine solche regelmäßige Unterbrechung des Produktionsprozesses mit dem Betrieb der modernen großen Industrie überhaupt unvereinbar. Diese Kontinuität ist selbst eine Produktivkraft der Arbeit." Marx, Karl, Das Kapital, a. a. 0 . , Bd. II, S. 28 0

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und finanzielle Ergebnisse nur erreichen können, wenn alle Maßnahmen nicht einzeln, sondern komplex angewendet werden. Dieses auf die Erfüllung des Siebenjahrplanes gerichtete Zusammenwirken der Faktoren vollzieht sich im Rahmen der wirtschaftlichen Rechnungsführung der Betriebe indessen nicht von selbst. Es bedarf einer guten Leitungs-, Planungs- und Erziehungsarbeit einerseits und der materiellen Interessiertheit andererseits. 68 Die wirtschaftliche Rechnungsführung ist gerade eine solche Methode, die den bewußten, kollektiven Kampf der Werktätigen mit der persönlichen materiellen Interessiertheit verbindet und darauf orientiert jede Maßnahme komplex vom Standpunkt des gesellschaftlichen Nutzens (der gesellschaftlich notwendigen Arbeit) zu sehen und zu lösen. Die wirtschaftliche Rechnungsführung muß im Rahmen des Siebenj ahrplanes so wirken, daß die Betriebe „mit der fortschrittlichen Technik, mit dem geringsten Arbeitsaufwand an Material, mit niedrigsten Kosten ein Erzeugnis von hoher Qualität" produzieren. 69 Unser Staat hat bereits eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die die Wirksamkeit der wirtschaftlichen Rechnungsführung und der materiellen Interessiertheit zur Erfüllung des Siebenj ahrplanes erhöhen. Hierzu gehören die erleichterte Kreditgewährung für die Rationalisierung der Produktionsprozesse, die Bildung des Fonds „Neue Technik" aus dem Gewinn des Betriebes in Höhe von 2 höchstens 4°/0 des geplanten Lohnfonds, die Ermöglichung der Fortschreibung des Finanzplanes bei Veränderung des Produktionsplanes, die Gewährung eines Gewinnzuschlags außerhalb des Planes für die Aufnahme neuer Erzeugnisse in die Produktion (auf die Dauer von längstens 12 Monaten) und vor allem die Neuregelung des Prämienfonds. Der Prämienfonds orientiert nunmehr auf die Planerfüllung in allen seinen Teilen, da er zu den bisherigen Bedingungen auch die Erfüllung der Staatsplanpositionen, gegebenenfalls auch die Ersatzteilproduktion, die Einführung neuer Erzeugnisse, die Einhaltung des Arbeitskräfteplans, des Lohnfonds u. a. m. berücksichtigt. Das sind sehr wichtige Veränderungen, die die Betriebe an der Förderung der neuen Technik, der Einführung neuer Produkte und der Erfüllung des Betriebsplanes in allen Teilen materiell interessieren und deshalb im Rahmen der wirtschaftlichen Rechnungsführung voll ausgenutzt werden müssen. Die Richtung dieser und weiterer Maßnahmen muß sein, den Betrieb bei höchstmöglicher schöpferischer Eigeninitiative dazu zu veranlassen und daran zu interessieren, seine geplante Produktion bei möglichst geringen Kosten und möglichst hoher Rentabilität nicht nur durch Einzel-, sondern komplexe Maßnahmen zu erfüllen bzw. übererfüllen. So muß auch gewährleistet sein, daß sich der Kampf um die Rentabilitätssteigerung nicht wie bisher fast ausschließlich nur auf die im Kontenrahmen ausgewiesenen Kosten erstreckt, sondern auch den höchstmöglichen Nutzeffekt der Investitionen, die volle Auslastung und Verbesserung der vorhandenen Anlagen, die höchstmögliche Beschleunigung der Umschlagsgeschwindigkeit der Zirkulationsfonds einbezieht bzw. stärker als bisher zum Ausdruck bringt. 88 „Die Sparsamkeit muß sowohl durch Erziehung und Überzeugung der Werktätigen wie durch Anwendung ökonomischer Maßnahmen gegen nachlässige Werkleitungen gefördert werden." Ulbricht, Walter, Das Gesetz über den Siebenj ahrplan a . a . O . , S. 3 i . 69 Ebenda, S. 32.

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Die wirtschaftliche Rechnungsführung muß ferner die Betriebe daran interessieren, möglichst hohe Planaufgaben zu übernehmen u n d die Bedarfswünsche seiner Vertragspartner termin-, sortiments- und qualitätsgerecht zu erfüllen. Zu einem solchen Herangehen werden die Betriebsfunktionäre u. E. erzogen, wenn stärker als bisher das Betriebsergebnis (sowohl materielle Produktion als auch finanzielles Ergebnis) in den Vordergrund gerückt wird. Das ist — zusätzlich zu den erwähnten Maßnahmen — bei Schaffung von zwei weiteren Voraussetzungen möglich: a) Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, daß sich die Betriebe fast ausschließlich auf die Erfüllung des Bruttoproduktionsplanes konzentrieren. 7 0 Die Warenproduktion und insbesondere die Erfüllung des Lieferplanes (sofern ein solcher ü b e r h a u p t bestand) wurden oft vernachlässigt. Entscheidend ist jedoch die Produktion, die in den volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß (erweiterte Reproduktion/Konsumtion) eingeht. Darum sollte u. E . den Betrieben die Warenproduktion nach Staatsplannomenklatur und die zu realisierende Lieferverpflichtung vorgegeben werden (die Bruttoproduktion könnte statistisch erfaßt werden!). Danach h ä t t e der Betrieb seinen Plan erst dann erfüllt, wenn er seiner Lieferverpflichtung nach Menge, Termin, Sortiment und Qualität nachgekommen ist. Die Erfüllung der Lieferverpflichtung könnte damit auch die erste Bedingung für die Auffüllung des Betriebsprämienfonds sein. Durch die stärkere Betonung der Lieferverpflichtung wird u. E . erreicht, daß sich der Betrieb nicht nur auf einzelne Schwerpunkte, sondern auf die Erfüllung seiner Absatzverpflichtung konzentriert. Diese wird er aber nur dann erfüllen können, wenn er auf das Sortiment und die geforderte Qualität im Verlaufe des gesamten Produktionsprozesses komplex einwirkt. b) Um das von uns geforderte komplexe Herangehen an die Ausnutzung aller Fonds des Betriebs zu erreichen, könnte ferner an Stelle bzw. in Überordnung mehrerer qualitativer, eine mit der Warenproduktion übereinstimmende zentrale qualitative Kennziffer, nämlich die Rentabilitätsrate vorgegeben werden. Dieses komplexe Herangehen an die Lösung der Betriebsprobleme wird jedoch erst dann erreicht werden können, wenn die Rentabilität nicht wie bisher als Verhältnis des Gewinns zu den Betriebskosten, sondern — entsprechend einem Vorschlag von Prof. Atlas — als Verhältnis des Gewinns zum Wert der f ü r die Produktion ausgenutzten Grund- und Umlaufmittel geplant wird. 7 1 Prof. Atlas weist nach daß diese Rentabilitätskennziffer den Betrieb daran interessiert und dazu zwingt, den tech70 „Manchmal gewinnt man den Eindruck, daß sich einige ganz gern etwas ,blauen Dunst' vormachen. Das zeigt sich besonders darin, daß z. B. manche Werkleitungen sich mit allen möglichen Mitteln und Maßnahmen lediglich auf die Erfüllung der Bruttoproduktion orientieren oder daß leichtfertig und formal Verpflichtungen eingegangen oder aber auch bestimmte Produktionsergebnisse zurechtfrisiert werden." Aus der Diskussionsrede des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission Bruno Leuschner auf der Arbeitstagung der Plankommission am 20. und 21. 1. 1960. In: „Die Wirtschaft", Nr. 5, vom 4. 2. 1960. 71 Wir sind uns allerdings dessen bewußt, daß die echte Rentabilität in dem Verhältnis Reineinkommen: Selbstkosten zum Ausdruck kommt. Diese Kennziffer hat für die Volkswirtschaftsplanung nach wie vor Bedeutung. Hier geht es um eine praktische Lösung, die die Betriebe dazu zwingt, alle Fonds höchstmöglich auszunutzen.

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nischen Höchststand zum Zwecke der maximalen Steigerung der Arbeitsproduktivit ä t zu erreichen, die Kapazitäten voll auszunutzen, die Bestände niedrig zu halten, Stillstands- und Wartezeiten zu vermeiden und die Kosten zu senken. 72 Diese Begründung k a n n auch von unserer Praxis her bestätigt werden. Untersuchungen in zahlreichen Betrieben haben ergeben, daß viele Betriebe trotz großer Mängel, z. B. ungenutzte Anlagen, Überplanbestände u. a. m., ihren geplanten Gewinn erzielten. Bei näherer Untersuchung zeigte sich, daß z. B. die Bestandsnormierung sehr großzügig gehandhabt und die Richtsätze demzufolge schon bei der Planaufstellung stark aufgebläht wurden, kurz, daß die Betriebe einen „weichen" Plan aufgestellt hatten. 7 3 Daraus ist auch zu ersehen, daß die Wirkung der Abschreibungen, aber insbesondere der Kosten der Bestandhaltung auf die Gesamtkosten und die Rentabilität ungenügend ist. Es ist klar, daß ein Betrieb m i t einem großzügigen Plan nicht gezwungen ist, alle Möglichkeiten zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Senkung der Selbstkosten auszuschöpfen. Die E i n f ü h r u n g einer Rentabilitätsrate scheint uns f ü r die materielle Interessiertheit der Gesamtbelegschaft an der höchstmöglichen Ausnutzung aller Reserven zur Rentabilitätssteigerung durchaus geeignet. Voraussetzung ist jedoch, daß die Zuführung und die Höhe der Zuführung zum Betriebsprämienfonds auch vom Grad der Erfüllung der Rentabilitätsrate abhängig gemacht wird. D a m i t ist jedoch ein drittes Problem verbunden, nämlich die Ausarbeitung langfristiger Normative. — Die vorgeschlagene Rentabilitätskennziffer wie auch die verbleibenden qualitativen Kennziffern Arbeitsproduktivität, Umschlagsgeschwindigkeit der Umlaufmittel, Kostensenkung u. a. können jedoch erst dann die Tätigkeit des Betriebes wesentlich beeinflussen, wenn sie nicht nur f ü r eine kurze Periode, sondern perspektivisch für mehrere J a h r e geplant werden. Viele Maßnahmen, besonders im Hinblick auf die Anwendung des Höchststandes von Wissenschaft und Technik (besonders Investitionen) erfordern eine relativ lange Aufbauperiode und werden nicht sofort, sondern erst nach einer bestimmten Zeit der Erprobung in der Rentabilität wirksam. Werden die Rentabilitätsrate und die anderen qualitativen Kennziffern jährlich verändert, wird der Betrieb n i c h t genügend daran interessiert, technisch-wissenschaftliche Verbesserungen im Interesse der Steigerung der Arbeitsproduktivität auch wenn notwendig durch langfristige Maßnahmen, durchzuführen, da ihm die Ergebnisse dieser Bemühungen in niedrigeren Plankosten und in höheren Akkumulationsforderungen der nächsten Planperiode sofort entzogen werden. Bei einer kurzfristigen Planung wird der Betrieb daran interessiert, seine Reserven zu verschleiern, eine niedrige Produktion und hohe Kosten durchzusetzen. 72

Näheres siehe Atlas, S., Das Wertgesetz und das Problem der Rentabilität der Betriebe im Sozialismus. In: „Geld und Kredit", 4. Jahrg., H. 1, S. 29 bis 49, 1959. 73 Im VEB Elektromotorenwerk Dessau wurde für 1959 ein Verlust von TDM 23 geplant. Bereits am 31. 8. 1959 wurde jedoch schon ein Gewinn von TDM 245 erzielt. Dieser Gewinn wurde erzielt, obwohl die Mehrkosten angestiegen, Überplanbestände vorhanden und die Lohnfonds teilweise überschritten wurden. Die Ursache war eine ,weiche' Kosten- und Ergebnisplanung. Siehe hierzu auch das Beispiel auf S. 352 aus dem Sachsenwerk.

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U m die materielle Interessiertheit zu erhöhen, m ü ß t e — wie die R e n t a b i l i t ä t s r a t e selbst — auch der Anteil des Betriebsprämienfonds a m Gewinn langfristig festgelegt werden. D a n n wird sich die materielle Interessiertheit der Gesamtbelegschaft auch auf den E i n s a t z u n d die Ausnutzung aller Fonds durch langfristige M a ß n a h m e n — wie sie in den Rekonstruktionsplänen festgelegt sind — erstrecken. Ob u n d wie eine solche Kennziffer festzulegen ist, k a n n n u r eine Angelegenheit der G e m e i n s c h a f t s a r b e i t von Praktikern u n d Wissenschaftlern sein. Hier geht es zunächst u m die H e r v o r h e b u n g eines prinzipiellen Problems, das zweifellos noch gründlicher Diskussionen bedarf. Die V e r s t ä r k u n g der materiellen Interessiertheit u n d die Festlegung langfristiger Normative können dazu beitragen, die Aufgaben der wirtschaftlichen Rechnungsf ü h r u n g im Siebenjahrplan zu lösen. Doch sie können es n u r auf der Grundlage des bewußten organisierten K a m p f e s der W e r k t ä t i g e n . „ D a s Neue besteht in der gemeinsamen V e r a n t w o r t u n g f ü r die richtige Leitung der P r o d u k t i o n , f ü r den höchsten ökonomischen Nutzen durch sparsame Verwendung der A r b e i t s k r a f t aller materiellen u n d finanziellen Mittel, f ü r den sorgsamen U m g a n g mit dem sozialistischen Eigent u m . " 7 4 Dieses gemeinschaftliche Streben m u ß durch die wirtschaftliche Rechnungsf ü h r u n g gefördert u n d f ü r den Kampf um S p a r s a m k e i t u n d R e n t a b i l i t ä t g e n u t z t werden. Wir sagten bereits, daß eine Ursache der Vernachlässigung der wirtschaftlichen R e c h n u n g s f ü h r u n g darin besteht, daß sie zu einer Ressortangelegenheit der Finanzen und der Finanzwirtschaftler g e m a c h t wurde. Das ist nicht n u r so zu verstehen, d a ß der Mangel lediglich darin b e s t a n d , daß sich die übrigen B e t r i e b s f u n k t i o n ä r e a u ß e r den Finanzwirtschaftlern nicht m i t den F r a g e n der wirtschaftlichen Rechnungsf ü h r u n g befaßten. Das entscheidende Versäumnis liegt vor allem darin, daß die Sparsamkeit u n d die wirtschaftliche R e c h n u n g s f ü h r u n g nicht zu einer Massenangelegenheit gemacht wurden. Die wirtschaftliche R e c h n u n g s f ü h r u n g war in vielen Betrieben zu einer bloßen äußeren Hülle geworden; es fehlte die Tiefenwirkung innerhalb des Betriebes. Zumeist erhielten die Produktionsbereiche n u r b e s t i m m t e Produktionskennziffern. Weiter h i n u n t e r kamen die Kennziffern jedoch nicht. Andere Kennziffern wie z. B. Kosten, wurden in der Regel nicht vorgegeben. Hierin m u ß ein grundlegender W a n d e l geschaffen w e r d e n . Schon Lenin wies, wie wir im zweiten Abschnitt zeigten, wiederholt darauf hin, d a ß die B u c h f ü h r u n g u n d Kontrolle im Sozialismus immer m e h r eine Angelegenheit der Massen wird. W e n n die wirtschaftliche R e c h n u n g s f ü h r u n g ihre Aufgaben im Siebenjahrplan erfüllen soll, d a n n m u ß sie zum I n h a l t der Arbeit der sozialistischen Gemeinschaften u n d Brigaden werden. 7 5 Das ist die wichtigste Aufgabe, die wirtschaftliche Rechnungsf ü h r u n g auf die Höhe der Aufgaben des Siebenjahrplans zu heben. 74

Ulbricht, Walter, Das Gesetz über den Siebenjahrplan . . ., a. a. O., S. 31. „Die Brigaden der sozialistischen Arbeit und die sozialistischen Arbeitsgemeinschaften sind der Schlüssel zur Lösung aller wichtigen Aufgaben der neuen E t a p p e unserer E n t wicklung." Ulbricht, Walter, Das Gesetz über den Siebenjahrplan . . ., a. a. O., S. 8. 76

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Was ist dazu notwendig? Jeder Produktionsbereich und jede Brigade müssen neben den Produktions- auch die beeinflußbaren Kostenkennziffern erhalten. Die Brigade muß in der Regel wissen, wieviel Kosten (Material- und Lohnkosten) sie für die geplante Produktion verwenden kann. Sie soll — je nach Lage — auch darüber informiert werden, wie hoch die Gemeinkosten sind, um die ganze Tragweite von Stillstands- und Wartezeiten ermessen zu können. Erst dann wird ein konkreter Kampf um die Senkung der Kosten, um die Steigerung der Rentabilität durch die Masse der Werktätigen selbst möglich. Ein solches Herangehen an das Problem des Sparsamkeitsregimes und der wirtschaftlichen Rechnungsführung setzt einen neuen Arbeitsstil in der Leitung voraus. Die Leitungen der Betriebe, der Partei und Massenorganisationen müssen die schöpferische Initiative der Arbeiter nutzen und durch eine ständige Erziehungsund Überzeugungsarbeit entwickeln. In erster Linie kommt es darauf an, die Neuerer Rationalisatoren, Erfinderbewegung und Wettbewerbsbewegung zur Erreichung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes im Rahmen der sozialistischen Rekonstruktion und zur sparsamen Verwendung der gesellschaftlichen Arbeit zu fördern und kameradschaftliche Beziehungen zwischen technischer Intelligenz und Arbeiterklasse in Form sozialistischer Gemeinschaften herzustellen. Neben den monatlich durchzuführenden Rentabilitätsberatungen müssen in allen anderen Veranstaltungen wie Produktionsberatungen, Meisterbesprechungen, „roten Treffs" und ökonomischen Konferenzen die Fragen der Steigerung der Arbeitsproduktivität, der Senkung der Selbstkosten, wie der Sparsamkeit insgesamt im Mittelpunkt stehen. Es kommt darauf an, durch die vielfältigsten Formen alle Werktätigen in den Kampf um die Sparsamkeit einzubeziehen. Das muß schon bei der Planaufstellung beginnen. Die Planung muß aufbauen auf den Diskussionen in den sozialistischen Brigaden und den sozialistischen Gemeinschaften. Erst dann werden alle Reserven aufgedeckt und durch eine hohe Zielstellung ausgeschöpft werden können. Schließlich müssen die Abteilungen, Meisterbereiche und Brigaden durch das Rechnungswesen laufend über die ökonomischen Ergebnisse ihres Bereiches informiert werden. Das gilt nicht nur für die Produktion und die Kosten im allgemeinen, sondern vor allem für Stillstands- und Wartezeiten, Ausschuß und Nacharbeiten. Dabei müssen zweckmäßigerweise Vergleiche dieser Kennziffern zu anderen Bereichen gezogen, ja wo nur möglich, Brigaden-, Abteilungs- und Betriebsvergleiche durchgeführt werden. Betriebsvergleiche schaffen außerordentlich wichtige Unterlagen für die konkrete Auseinandersetzung in den Brigaden, in Produktionsberatungen, roten Treffs, Rentabilitätsberatungen, ökonomischen Konferenzen und vor allem für die Organisierung einer breiten Wettbewerbsbewegung. Die Brigaden werden ihrerseits, wenn die Planung und Abrechnung so konkret erfolgt, auf die Verbesserung der Leitungstätigkeit im Interesse einer kontinuierlichen Produktion dringen. Die Entwicklung seit dem 6. Plenum des ZK (1959) und der Verkündung des Gesetzes über den Siebenj ahrplan zeigt, daß die sozialistischen Brigaden und Gemeinschaften immer mehr zum Träger der wirtschaftlichen Rechnungsführung werden. Das beweist insbesondere eine neue Bewegung, die an Breite und Tiefe rasch zu-

Zur Theorie und Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung

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nimmt. Die Brigaden der sozialistischen Arbeit verlangen von ihren Betriebsleitungen — dem Beispiel der Brigade Litzenberg des V E B Ernst-Thälmann-Werk Magdeburg folgend — die Bildung eines Siebenjahrplanfonds. In diesen Fonds werden alle Einsparungen, die sich aus der Wettbewerbs- und Aktivistenbewegung des Betriebes ergeben, erfaßt. Durch den Kampf um die Bildung dieser Fonds, die inzwischen durch die Staatliche Plankommission allgemein verbindlich eingeführt wurden, wird die Rationalisatoren-, Erfinder- und Neuererbewegung, insbesondere die Christoph-Wehner- und die Seifert-Methode wie die gesamte Wettbewerbsbewegung gefördert und die gesamte Belegschaft der Betriebe für den Kampf um Sparsamkeit und Rentabilität mobilisiert. Der Siebenjahrplanfonds ist eine wichtige Grundlage für die Entfaltung einer breiten Massenkontrolle. Im Rahmen des Siebenjahrplanfonds haben sich die Werktätigen der Betriebe Bücher angelegt „Mein Anteil am Siebenjahrplan", worin sie genau Buch führen über die von ihnen erzielten Einsparungen. Diese werden in Nachweisbüchern des Sieben jahrplanfonds der Brigaden und schließlich im Gesamtbetrieb zusammengefaßt. Auf der Grundlage dieser Bücher und des Siebenjahrplanfonds insgesamt verlangen die Brigaden und Gemeinschaften Rechenschaft der Betriebsleitung, in welchem Maße ihre Kosteneinsparung zu einer Erhöhung des Betriebsergebnisses geführt hat oder ob und wo sie durch schlechte Arbeit „verwirtschaftet" wurde. Besonders an Hand des Sieben jahrplanfonds zeigt sich sehr anschaulich, daß der Kampf um die Verwirklichung der wirtschaftlichen Rechnungsführung eine neue Qualität erreicht hat. Der Siebenjahrplanfonds ist die der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit im Siebenjahrplan adäquate Form im Gegensatz zu den persönlichen Konten, die eine dem ersten Fünfjahrplan entsprechende Form der individuellen Aktivistenbewegung war. Das Kollektiv der Werktätigen selbst ist damit zum Träger des Kampfes um die Erfüllung des Siebenjahrplanes und des Sieges des Sozialismus in unserer Republik geworden. Dieses gemeinsame bewußte Streben unserer Werktätigen ist die Garantie dafür, daß die hohen Aufgaben des Siebenjahrplanes erfüllt werden. Wenn die wirtschaftliche Rechnungsführung dieses gemeinsame und bewußte Streben fördert, wenn sie die persönlichen mit den gesellschaftlichen Interessen verbindet und die Steigerung des Nutzeffekts der gesellschaftlichen Arbeit in den Mittelpunkt rückt, dann entspricht ihre Anwendungsform den Entwicklungsbedingungen und den Aufgaben des S iebenj ah rplanes.

AUTOREN VERZEICHNIS

Fred Oelßner, Professor, Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der D A d W . Hermann Turley, Dr. oec., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftswissenschaften der DAdW, Stellvertretender Leiter der Abteilung „Geschichte der Politischen Ökonomie". WiUi Kunz, Dr. oec., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftswissenschaften der D A d W , Stellvertretender Leiter der Abteilung „Politische Ökonomie des Sozialismus". Ottomar Kratsch, Dr. oec., wissenschaftlicher Oberassistent Wirtschaftswissenschaften der D A d W .

am Institut

für

Rudi Gündel, Dr. oec., wissenschaftlicher Sekretär am Institut für Wirtschaftswissenschaften der DAdW. Karl-Heinz Jonuscheit, Dr. oec., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftswissenschaften der D A d W .