Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau: Bd. XVII (1972). Hrsg.: Der Göttinger Arbeitskreis [1 ed.] 9783428426201, 9783428026203


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Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau: Bd. XVII (1972). Hrsg.: Der Göttinger Arbeitskreis [1 ed.]
 9783428426201, 9783428026203

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Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau XVII / 1972

Duncker & Humblot . Berlin

JAHRBUCH DER

SCHLESISCHEN FRIEDRICH-WILHELMS-UNIVERSITÄT ZU BRESLAU 1972 · Band X V I I Herausgeber: DER

GÖTTINGER

ARBEITSKREIS

JAHRBUCH DER

SCHLESISCHEN FRIEDRICH - WILHELMS - UNIVERSITÄT Z U BRESLAU

B A N D XVII

1972

D U N C K I R

Κ H U M B L O T

·

BERLIN

Redaktion: Dr. Hans Jessen

Alle Rechte

vorbehalten!

Copyright 1972 by Duncker & Humblot · Berlin Druck: Deutsche Zentraldrudcerei A G . , 1 Berlin 61

D e r G ö t t i n g e r A r b e i t s k r e i s : V e r ö f f e n t l i c h u n g N r . 399 ISBN 3 428 02620 9

Jahrbuch der Schlesisdien Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau Band X V I I

INHALT Seite

Kleine Beiträge zum Breslauer Dom, insbesondere zu seiner Innenausstattung im Mittelalter. Von Ewald Walter

7

Anna von Schweidnitz, die einzige Schlesierin mit der Kaiserinnenkrone. Von Joseph Gottschalk

25

Die schlesisdie Judenschaft im Jahre 1737. Von Bernhard Brilling

43

Die Cholera in Schlesien (1831—1837). Von Wolfgang Berndt und Gotthard Münch

67

Der schlesisdie Weberaufstand von 1844. Von Günther Meinhardt

91

Die Familie Alberti in Waldenburg. Ein Beitrag zur schlesischen Wirtschaftsgeschichte. Von Herbert Pönicke

113

Carl Freiherr von Hoiningen gen. Huene, der sdilesische Bauernkönig. Von Gerhard Webersinn

143

Winston Churchill 1906 in Breslau. Von Karl Schindler

189

Als Arzt am Jüdischen Krankenhaus zu Breslau 1906—1943. Von Siegmund Hadda, New York Max Stein. Ein oberschlesischer Bibliophiler und sein Verdienst um die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau. Von Armin Spiller

198 239

Das schweigende Bündnis. Der Gedanke konservativer Kooperation bei Rudolf Rocholl (1822—1905). Von Gerhard Schmölze

249

Das Ringen um das Selbstbestimmungsrecht für Oberschlesien 1918—1921. Von Josef Joachim Menzel Die Öffentlichkeitsarbeit im obersdilesisdien Abstimmungskampf 1919 bis 1921. Von Rudolf Vogel

283

Ermordete Majestät oder Carolus Stuardus König von Groß Britannien. Eine Betrachtung zu dem „Trauer-Spil* von Andreas Gryphius. Von Kurd Schulz

297

275

Der Anfang von Eichendorffs Abneigung gegen die Weimarer. Von Thomas A. Riley

311

Karl von Holtei und die Polen. Von Fritz Richter, Chicago

325

Die Welt ist Seele. Zu Carl Hauptmanns Werk. Von Alfred Carl Groeger

335

Künstler und Künstlerkolonien im Riesengebirge. Von Günther Grundmann

349

Fünfzig Jahre Historische Kommission für Schlesien. Von Ludwig Petry und Herbert Schlenger f

385

Ewald Walter K L E I N E BEITRÄGE Z U M BRESLAUER DOM, INSBESONDERE Z U SEINER INNENAUSSTATTUNG I M MITTELALTER 1. Barbarakapelle und Südwestturm Eine der Kapellen am nördlichen Seitenschiff des Domchores trägt das Patrozinium der hl. Barbara, deren Altar 1719 errichtet wurde 1 ). Nach der Inkorporationsurkunde der Altäre der Domkirdie von Kardinal Friedrich von Hessen vom 31. Mai 1677 war diese Kapelle jedoch bereits in d i e s e m Jahre u. a. audi der hl. Barbara geweiht2). Aber 1677 gab es im Dom noch eine zweite Kapelle, die u. a. auch das Patrozinium der hl. Barbara besaß; denn in der genannten Urkunde Friedrichs von Hessen heißt es: „Sacellum sub turri minori. Altare S. Wenceslai, S. Martini et S. B a r b a r a e v i r g i n i s e t m a r t y r i s 3 ) . " Freilich steht hier das Patrozinium der hl. Barbara erst an letzter Stelle. Nach Heyne ist mit diesem Sacellum die heutige Kreuzkapelle unter dem Südwestturm der Kathedrale gemeint4). Gründe für diese Annahme führt der verdiente Forscher nicht an. Wenn 1677 diese Kapelle sub turri minori lag, dann muß damals einer der beiden Westtürme des Domes niedriger gewesen sein als der andere. Während die Spitze des Nordwestturmes bereits am 20. Oktober 1416 fertiggestellt war, wurde der Südwestturm erst unter dem Breslauer Bischof Martin von Gerstmann (1574—1585) vollendet. Am 29. Juli 1580 wurde der Turm1) J. Jungnitz, Die Breslauer Domkirdie, Breslau 1908, S. 82; L. Burgemeister, Die Kunstdenkmäler der Stadt Breslau, 1. Teil, Breslau 1930, S. 89. Nach H . Hoffmann, Der Dom zu Breslau, Breslau 1934, S. 136, wurde der Barbaraaltar 1779 gestiftet. 2

) » . . . altare habet sub titulo beatae Mariae virginis, SS. Erasmi et Wenceslai martyrum, S. Martini episcopi et confessoris et SS. B a r b a r a e v i r g i n i s e t m a r t y r i s et Hedwigis . . . " (J. Heyne, Dokumentierte Geschichte des Bistums und Hochstiftes Breslau, Band 2, Breslau 1864, S. 309, Anm. 1, Nr. 6). 3) Ebenda, S. 309, Anm. 1, Nr. 15. 4) Ebenda. — Es fällt vielleicht auf, daß es nach der genannten Urkunde des Kardinals Friedrich von Hessen damals im Dom zwei Altäre gab, die den hll. Wenzel, Martin und Barbara geweiht waren, wenngleich der Altar in der heutigen Barbarakapelle des Domes damals zusätzlich noch das Patrozinium der Muttergottes, der hll. Erasmus und Hedwig besaß. Hier ist jedoch zu sagen, daß Dubletten bei Altarpatrozinien vorkamen, da der Wille des Stifters eines Altares bei der Wahl der Patrozinien eine wichtige Rolle spielte. 5) Jungnitz, S. 4 u. 7.

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knöpf aufgesetzt 5). Der Südwestturm war also vor dem 29. Juli 1580 ein turris minor. Nun hatte aber der Südwestturm das Geschick, noch ein zweites Mal ein turris minor zu werden. Als nämlich die kaiserlichen Truppen den Versuch machten, die 1632 von einem schwedisch-sächsisch-brandenburgischen Heere besetzte Dominsel zu entsetzen, fing der Südwestturm des Domes bei einer Kanonade der kaiserlichen Truppen am 23. November 1633 Feuer, so daß er seinen Helm verlor 6 ). Er war also seit dieser Zeit wieder ein turris minor. Hier interessiert die Frage, wie lange er diesen Charakter trug. Nach Jungnitz wurde die steinerne Galerie dieses Turmes mit den Ecktürmchen bereits 1656 wieder hergestellt 7). Dies ist jedoch ein Irrtum, da am 1. Juni 1656 das Domkapitel erst die Mittel zur Wiederherstellung der Galerie bewilligte. Außerdem gab der Bischof Sebastian von Rostock erst am 20. Januar 1668 seine Absicht kund 8 ), den Südwestturm wieder aufzubauen und erst im gleichen Jahre wurde der Bildhauer Urban Seidel in Naumburg am Queis mit der Lieferung des Kranzgesims für den Turm beauftragt, deren Werkstücke im April 1669 nach Breslau geschafft wurden 9 ). Nach Jungnitz hat der Bischof Sebastian von Rostock im Jahre 1668 den Südwestturm mit einem doppelt durchbrochenen Renaissancehelm gekrönt 10 ). Vorsichtiger als Jungnitz drückt sich Schulte aus, wenn er schreibt: „Die Errichtung des Renaissancehelmes scheint auch in diesem Jahre (1668) stattgefunden zu haben". Auf jeden Fall aber trug nach Schulte der Südwestturm spätestens beim Tode Sebastians von Rostock wieder seinen Helm, wenn er schreibt: „Nach der Restauration unter dem Bischof Sebastian von Rostock trugen die beiden... Westtürme die gleichen Renaissancehelme fast ein ganzes Jahrhundert.. , 1 1 )". Auch nach Hermann Hoffmann hat Sebastian von Rostock (1665—1671) den Südwestturm wieder aufgebaut. Nach ihm müßte also der Turm spätestens 1671 seinen Helm wiedererhalten haben12). Doch wir müssen dem Bischof Sebastian von Rostock den Ruhm streitig machen, auf den Südwestturm einen neuen Helm aufgesetzt zu haben. Wenn β) Jungnitz, S. 8; Burgemeister, S. 70 u. 71. 7) Jungnitz, S. 9. 8) W. Schulte, Gesdiichte des Breslauer Domes und seine Wiederherstellung, Breslau 1907, S. 41. 9) Burgemeister, S. 71. 10) Jungnitz, S. 9. H) Schulte, S. 41. 12) Hoffmann, S. 8.

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Kleine Beiträge

nämlich in der Inkorporationsurkunde des Kardinals Friedrich von Hessen vom 31. Mai 1677 der genannte Turm noch als turris minor bezeichnet wird, war er an diesem Termin immer noch ohne Helm. Es besteht daher nicht mehr der geringste Zweifel, daß unter dem in der genannten Urkunde aufgeführten sacellum sub turri minori mit seinem altare S. Wenceslai, S. Martini et S. Barbarae virginis et martyris die heutige Kreuzkapelle unter dem Südwestturm des Domes gemeint ist. Wann dieser Altar gestiftet wurde, ist uns nicht bekannt. Wenn wir jedoch nur das Patrozinium der hl. Barbara ins Auge fassen, hat es bereits im 15. Jahrhundert in dieser Turmkapelle einen Barbaraaltar gegeben. Dies läßt sich aus dem „Modus agendi in ecclesia Wratislaviensi et quod est de officio sacristanorum" ermitteln, einer im Erzbischöflichen Diözesanarchiv zu Breslau befindlichen Handschrift, die uns wertvolle Aufschlüsse über den Gottesdienst im Breslauer Dom aus der Mitte des 15. Jahrhunderts liefert. Dort heißt es an einer Stelle: „cappella sub magna campana siue s. Barbare 13)." Obwohl hier nicht angegeben ist, daß es sich um die südwestliche Turmkapelle handelt, läßt sich dies doch mit Sicherheit beweisen. Da die „cappella" nach unserer Quelle „sub magna campana" lag, müssen wir feststellen, in welchem Turm damals die magna campana des Domes aufgehängt war. Hier hilft uns eine andere Stelle des Modus agendi, wo es heißt: „ . . . polsatur magna campana in parua turri et Clementis in magna t u r r i . . . 1 4 ) a . Die große Glocke hing also damals (1484) im kleinen Turm im Gegensatz zum großen Turm, in dem die dem hl. Clemens geweihte Glocke aufgehängt war. Es besteht nun nicht der geringste Zweifel, daß unter dem kleinen Turm der damals noch unvollendete Südwestturm und unter dem großen Turm der bereits 1416 wesentlich vollendete Nordwestturm zu verstehen ist. Daraus ergibt sich zwingend, daß die cappella sub magna campana siue s. Barbare 1484 unter dem Südwestturm sich befand, also mit der heutigen Kreuzkapelle identisch ist. Ob sie damals außer der hl. Barbara noch anderen Heiligen geweiht war, läßt sich vorläufig nicht erweisen. Wenn dies der Fall wäre, hätte das Patrozinium der hl. Barbara damals auf jeden Fall den 13) Ex modo agendi in ecclesia Wratislaviensi Edidit F. Schubert (Opuscula et Textus Series Liturgica. Edita Curantibus R. Stapper et A. Rücker, Fase. V I I — V I I I , Monasterii 1936, S. 23); F. Schubert, Der Breslauer Domgottesdienst im ausgehenden Mittelalter, in: Theologie und Glaube, 18. Jahrgang, 1926, S. 221. 14) Ex modo agendi..., S. 17. Dieser Passus stammt aus dem Jahre 1484 (vgl. ebenda, S. 5). — Über die Breslauer Domglocken vgl. auch A. Sabisch, Die Glocken der Breslauer Domkirdie um 1500 (Schlesisdie Studien, hrsg. von A. Hayduk, Karl Sdiodrok zum 80. Geburtstag) München 1970, S. 41—49.

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Primat gehabt, da nur sie allein als Patronin der Kapelle an unserer Stelle des Modus agendi genannt wird. Hier soll gleich versucht werden, die Frage zu beantworten, warum diese Kapelle gerade der hl. Barbara geweiht wurde. Wie wir aus ihrer Legende erfahren, wurde Barbara von ihrem Vater Dioscorus ein Wohnturm als Gewahrsam zugewiesen, weil er wegen ihrer Schönheit in Sorge war. Diese Legende war der Anlaß, daß ein runder oder vierseitiger Turm als individuelles Attribut Darstellungen der hl. Barbara beigegeben wurde. Es ist dies das älteste Attribut dieser Heiligen, das bereits auf Darstellungen aus dem 14. Jahrhundert verwandt wird und bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts ihr einziges individuelles Attribut bleibt 15 ). Unter diesen Umständen war es sehr sinnig, die südwestliche Turmkapelle einer Heiligen zu weihen, bei der der Turm in ihrer Legende und als individuelles Attribut eine bedeutende Rolle spielt. Da wir feststellten, daß die im Modus agendi genannte „capella sub magna campana siue s. Barbare" die unter dem Südwestturm liegende Kapelle des Domes war, wissen wir auch, daß im 15. Jahrhundert das hl. Grab des Domes in dieser Kapelle hergerichtet wurde 16 ). Es heißt nämlich an einer Stelle des Modus agendi, daß die Sakristane am Gründonnerstag nach der Komplet das hl. Grab in der Kapelle unter der großen Glocke bzw. in der Kapelle der hl. Barbara zubereiten müssen17). Während es noch unter dem Pontifikat des Kardinals Bertram in der Erzdiözese Breslau Brauch war, nach der Karfreitagsliturgie das Sanctissimum in das hl. Grab zu überführen 18), wurde nach dem Modus agendi damals das K r e u z in das hl. Grab getragen 10). Das Breslauer Domkapitel war 15) J. Braun, Tracht und Attribute der Heiligen in der deutschen Kunst, Stuttgart 1943, Spalte 113, 115 u. 116. ΐβ) F. Schubert hat weder in seiner Veröffentlichung „Ex modo agendi. . . " noch in seinem Aufsatz „Der Breslauer Domgottesdienst im ausgehenden Mittelalter", in: Theologie und Glaube, 18. Jahrg. 1926, die Frage gestellt, wo sich die in dem Modus agendi. . . genannte St. Barbarakapelle und das in der gleichen Quelle angeführte hl. Grab des Doms befand. Audi Karl Kastner hat sich in seinem Aufsatz „Die geschichtliche Entwicklung der Heiligen Grab- und Auferstehungsfeier in der Erzdiözese Breslau", in: Archiv für schlesisdie Kirchengeschichte, Bd. 2, Breslau 1937, S. 173—184, nidit mit der Frage beschäftigt, welche Kapelle des heutigen Domes im Mittelalter als Grabkapelle diente. 17) „Item post completorium sacristani debent parare sepulcrum in cappella sub magna campana siue s. Barbare . . . " (Ex modo agendi..., S. 23). 18) Vgl. Appendix ad Rituale Romanum pro Dioecesi Wratislaviensi, Wratislaviae 1929, S. 75. l») „ . . . finitis psalmis tollant crucem*) et portant ad sepulcrum . . . " (Ex modo agendi. . . S. 24). — Durch die Anmerkung 4) „non ergo Eudiaristiam" hat bereits Schubert auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht.

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sich, als es im vergangenen Jahrhundert in dieser Kapelle das herrliche Kruzifix von Michael Pacher aufhängen ließ und damit diese Kapelle zu einer Kreuzkapelle machte20), wohl nicht bewußt, daß einst in die gleiche einst als heiliges Grab hergerichtete Kapelle nach Beendigung der Karfreitagsliturgie das Kreuz getragen wurde und dort bis zur „eleuacio" am Ostersonntag verblieb 21 ). Bekanntlich ist die heutige Kreuzkapelle durch Balustraden geschlossen. Daß sie auch bereits im 15. Jahrhundert durch ein Gitter oder eine andere Schranke abgeriegelt war, erfahren wir wieder aus dem Modus agendi, wo es an einer Stelle heißt, daß ein Sakristan sogleich, wenn die Herren vom Grabe wegeilen, die genannte Kapelle schließt22). Seit wann der Raum unter dem Südwestturm des Domes eine Barbarakapelle war, und seit welcher Zeit an dieser Stätte das hl. Grab hergerichtet wurde, konnten wir nicht feststellen. Doch läßt sich ein terminus ante quem ermitteln. Da nämlich der oben genannte Text des Modus agendi über die St. Barbarakapelle und das hl. Grab zu jenem Abschnitt der Handschrift gehört, der an seinem Anfang die Jahreszahl 1448 trägt 23 ), gab es also spätestens in diesem Jahre eine St. Barbarakapelle unter dem südwestlichen Turmjoch und ein hl. Grab an dieser Stätte. Es ist anzunehmen, daß diese Kapelle nicht willkürlich oder zufällig zur Bereitung des hl. Grabes gewählt wurde. Hier ist zunächst zu beachten, daß die hl. Barbara als Patronin der Sterbenden verehrt wird 2 4 ), so daß schon vom Patrozinium dieser Kapelle her der Gedanke des Todes an dieser Kapelle haftete. Außerdem lag die Kapelle nicht nur außerhalb des Chores, sondern als Turmkapelle gewissermaßen audi außerhalb des Langhauses. Die Wahl dieser Turmkapelle war daher vielleicht ausdi deswegen erfolgt, weil mit ihr symbolisch zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß Christus 20) Jungnitz, S. 98; Hoffmann, S. 60 u. 61. 21) „ . . . in die Pasche sacristani debent habere ignem paratum, antequam domini ueniunt ad eleuacionem crucis,. . (Ex modo agendi.. S. 27). 22) „Item nota, quod unus sacristanus statim, postquam domini currant de sepulcro, claudit capellam . . ( e b e n d a , S. 28). 23) Der oben genannte Text über die St. Barbarakapelle und das hl. Grab steht in dem Modus agendi.. . auf fol. 4 r. Fol. 1 r — 22 ν der Handschrift gehören zu dem Text, der als Überschrift die Jahreszahl 1448 trägt (Ex modo agendi..., S. 5 u. S. 23). — Wie A. Franz schreibt, tragen nach dem Rituale des Bischofs Heinrich I. von Breslau (1302—1319) „zwei ältere Kanoniker das Kreuz oder Korporale . . . in eine als heiliges Grab ausgerüstete Kapelle und legen das Kreuz dahin." (A.Franz, Das Rituale des Bischofs Heinrich I. von Breslau, Freiburg i. Br. 1912, S. 74). Im lateinischen Text dieses Rituale ist jedoch keine Kapelle erwähnt, vielmehr heißt es hier nur » . . . paretur sepulchrum" und „ortantes ad sepulchrum" (ebenda, S. 31). 24) Braun, Sp. 117.

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außerhalb der hl. Stadt Jerusalem sein Grab fand 26 ). Endlich sei hier hervorgehoben, daß einst über der ehemaligen Barbarakapelle der mächtige Torso des Südwestturmes sich erhob. Wie nun das Grab Christi in Jerusalem mit einem schweren Stein verschlossen wurde 26 ), so war gleichsam auch das hl. Grab, das in der Barbarakapelle bereitet wurde, mit einem gewaltigen Stein, nämlich dem massiven Torso des Südwestturmes abgeriegelt. 2. Altar hinter dem Hochaltar In einer Urkunde vom 31. März 1305 vermehrt der Breslauer Bischof Heinrich von Würben „die Einkünfte des zu Ehren der Heiligen Andreas und Agnes in der Domkirche h i n t e r d e m H o c h a l t a r e von dem Domkantor Veit errichteten und dotierten Altars" 27 ). Im Jahre 1305 stand also im Breslauer Dom ein Altar „hinter dem Hochaltar". Hier muß die Frage gestellt werden, ob dieser Altar noch im Binnenchor unmittelbar hinter dem Hochaltar seinen Platz hatte, oder ob er im östlichen Umgang zu lokalisieren ist. In beiden Fällen könnte man nämlich von diesem Altar sagen, daß er „hinter dem Hodialtar" stand. Der Kleinchor scheidet hier ganz aus, weil er erst nach Errichtung des Altares gestiftet und erbaut wurde 28 ). Wie schwer es ist, topographische Angaben wie „hinter dem Hochaltar" richtig zu deuten, beweist die Frage nach dem ursprünglichen Standort des Dreikönigenschreines im heutigen Dom zu Köln. Hier erfahren wir aus einer mittelalterlichen Quelle, daß die Leiber der hl. Drei Könige nach Vollendung des heutigen Chores retro summum altare aufgestellt wurden 29 ). Während im Inventarband des Domes diese topographische Mitteilung hier in der Weise verstanden wird, daß mit retro summum altare die hinter dem Chorumgange liegende Achsenkapelle gemeint ist 80 ), sucht Rosenau zu beweisen, daß der Schrein seinen ursprünglichen Standort im Binnenchor unmittelbar hinter dem Hochaltar hatte 81 ). Nun wird man vielleicht beim Breslauer Dom es von vornherein für unmöglich halten wollen, daß der Altar der hll. Andreas und Agnes noch im 25

) Vgl. J. Sickenberger, Leben Jesu nach den vier Evangelien, Münster i. W. 1932, V I , 19. Teil, S. 143 u. 145. 26) Ebenda, S. 158. 27) Schles. Regesten im Codex diplomaticus Silesiae, Bd. 16 (1892), Nr. 2832. M) Burgemeister, S. 126. 2») Vgl. den lateinischen Text dieser Quelle bei H . Rosenau, Der Kölner Dom. Seine Baugeschidite und historische Stellung, Köln 1931, S. 30. 30) p. Clemen, Der Dom zu Köln, Düsseldorf 1938, S. 58. W) Rosenau, Anm. 61.

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Kleine Beiträge

Binnenchor unmittelbar hinter dem Hochaltar seinen Platz gehabt haben könnte. Hierauf ist zu erwidern, daß im Mittelalter in den größeren Stifts-, Kloster- und Kathedralkirchen häufig hinter dem Hochaltar ein zweiter kleinerer Choraltar aufgestellt wurde. Er diente dem weniger feierlichen Stiftsgottesdienst und wurde ζ. B. zu der nach der Prim zelebrierten Morgenmesse, der sogenannten missa matutinalis benutzt, während die missa maior, das feierliche Kongentualamt, stets am Hochaltar gehalten wurde. Der kleinere Choraltar wurde daher altare matutinale und wegen seiner Lage hinter dem Hochaltar auch altare de retro genannt82). So befindet sich bereits auf dem bekannten Plan von St. Gallen hinter dem Hochaltar ein kleinerer Altar 8 8 ). Als weitere Beispiele seien genannt die ehemalige Benediktinerabtei (jetzt katholische Pfarrkirche) in Mönchen Gladbach, in der sich der Altar der hl. Barbara als altare minus hinter dem Hochaltar (retrum summum) befand 84), und die abgebrochene Stiftskirche St. Maria ad gradus in Köln, in der seit 1394 hinter dem Hochaltar (retro summum altare) der Allerheiligenaltar stand 85 ). Endlich sei noch erwähnt die ehemalige Stiftskirche St. Kunibert in Köln (heute katholische Pfarrkirche), in der sich noch jetzt hinter dem Hochaltar ein weiterer aus dem Ende des 15. Jahrhunderts stammender, den hll. Ewaldi geweihter Altar befindet 86 ). Unter diesen Umständen wird man zumindest die Frage stellen müssen, ob nicht auch im Breslauer Dom das feierliche Konventualamt am Hochaltar und die missa matutinalis an einem besonderen, hinter dem Hochaltar aufgestellten altare minus gefeiert wurde. Für einen solchen Altar im Breslauer Dom könnte vielleicht auch noch etwas anderes sprechen. An dem Altar hinter dem Hochaltar der Kathedrale zu Albi lasen die Vikare nach einem Visitationsbericht von 1698 gewisse gestiftete Seelenmessen87). Nun wissen wir, daß nach einer Urkunde des Bi32) J. Braun, Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung, Bd. 1, München 1924, S. 36, 399 u. 400. 33) Ebenda, S. 400. 34) „Lebendiges Münster" Mitteilungen des Münster-Bauvereins E. V. M. Gladbach, II/3—4. 1954, S. 55. 35) Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, hrsg. von P. Clemen, Bd. 2, I I I . Abtig., Düsseldorf 1937, S. 20. 3β) Ebenda, Bd. 1, I V . Abtig., Düsseldorf 1916, S. 278. 37) Braun, Bd. 1, S. 401.

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schofs Preczlaw von Pogarell vom 6. August 1369 die vicarii perpetui des Breslauer Domes stets alle jene Anniversarien für Verstorbene, die mit Zeremonien stattzufinden pflegen, gemäß der Vorschrift und der Gewohnheit der Breslauer Kathedrale nur im Hochchor abzuhalten hatten 88 ). Hier stellt sich sofort die Frage, ob die Breslauer Domvikare etwa wie in Albi ebenfalls an einem hinter dem Hochaltar gelegenen altare minus die oben genannten Anniversarien für Verstorbene gelesen haben, und ob unter dem in der Urkunde vom 31. März 1305 genannten Altar der hll. Andreas und Agnes „hinter dem Hochaltar" ein altare minus bzw. altare retro zu verstehen ist. Wie bekannt, diente der kleinere Choraltar aber nicht nur dem minder feierlichen Stiftsgottesdienst, sondern oft auch zur Aufstellung und Aufbewahrung der Reliquien 89 ). Als Beispiel sei hier nur der altare minus der oben genannten St. Kunibertskirche in Köln angeführt 40). Nun wissen wir, daß bereits Bischof Hieronymus (1046—1062) Reliquien des hl. Leviten und Märtyrers Vinzenz, das Haupt des hl. Märtyrers Cancianus und Armreliquien der hll. Märtyrer Clemens, Georg und Sebastian nach Breslau brachte 41), und Bischof Thomas I. überführte nach der feierlichen Erhebung der Gebeine des Bischofs und Märtyrers Stanislaus am 8. Mai 1254 in Krakau Reliquien dieses Heiligen in seine Breslauer Kathedrale 42 ). Außerdem besaß der Dom spätestens im Jahre 1448 Reliquien vom hl. Johannes dem Täufer, der hl. Hedwig und dem hl. Herzog und Märtyrer Wenzeslaus48). So wären also beim Breslauer Dom alle Voraussetzungen erfüllt gewesen, die die Aufstellung eines altare minus bzw. altare retro im Hochchor als zumindest möglich erscheinen lassen. Trotzdem werden wir jedoch den in der Urkunde vom 31. März 1305 genannten Altar der hll. Andreas und Agnes „hinter dem Hochaltar" nicht als einen solchen Altar ansehen dürfen. Dies ergibt sich aus der Geschichte des Hochaltars unserer Kathedrale. Als Bischof Andreas von Jerin 1590 für den Hochaltar einen Flügelaltar errichten ließ, wurde nicht die mittelalter38) Vgl. E.Walter, Zum Kaiserchor des Breslauer Domes, in: Archiv f. schles. Kirchengesch. Bd. 25, Hildesheim 1967, S. 143—145. 39) Braun, Bd. 1, S. 400.

40) Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Bd. 1, I V . Abtig., S. 278. 41) O. Schmidt, Untersuchungen zu den Breslauer Bischofskatalogen, Breslau 1917, S. 45. 42) Vgl. J. Gottschalk, St. Hedwig Herzogin von Schlesien, Köln Graz 1964, S. 280. 43) Ex modo agendi. . ., S. 5 u. 8.

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Kleine Beiträge

lidie Mensa, sondern nur der mittelalterliche Altaraufsatz beseitigt44). Der neue Flügelaltar wurde also auf die alte Mensa gesetzt. Da nun nicht bekannt ist, daß die mittelalterliche Mensa vor Errichtung des neuen Flügelaltars vor dem Platz des heutigen Hochaltars stand und erst 1590 an seine heutige Stelle versetzt wurde, ist anzunehmen, daß schon der mittelalterliche Hochaltar den gleichen Standort einnahm wie der heutige. In diesem Falle war aber kein Platz vorhanden, zwischen dem Hochaltar und der Stirnwand des Hochchores noch einen altare minus bzw. altare retro aufzustellen. Es ist daher anzunehmen, daß der in der Urkunde von 1305 gebrauchte Ausdruck „hinter dem Hochaltar" sich auf den östlichen Umgang des Chores bezieht. Hier sind zwei Standorte in Erwägung zu ziehen. Entweder stand dieser Altar an der Ostwand des Chorumganges oder an der Rückseite der Stirnwand des Hochchores. In letzterem Falle hätte der Priester mit dem Gesicht nach dem Westen zelebriert. Ein solcher Standort wäre nicht als unmöglich anzusehen, da auch im östlichen Joch des Umganges des Prager Domchors bereits im Jahre 1365 über dem Grabe des hl. Veit ein Altar geweiht wurde 45 ), der noch heute in der Weise zwischen zwei Pfeilern des Chorpolygons steht, daß der Priester beim Zelebrieren nach Westen schaut46). 3. St. Margarethenaltar im Breslauer Domchor Gab es im Breslauer Dom keinen altare retro, der im Hochchor unmittelbar hinter dem Hochaltar stand, so soll jetzt untersucht werden, ob etwa im Mittelalter v o r dem Hochaltar ein altare minus aufgestellt war, der für die oben genannten Zwecke verwendet wurde. Diese Frage stellt sich nämlich deswegen, weil man nicht selten, wenn der Hochaltar sich an der Stirnwand des Chores befand, vor dem Hochaltar noch einen anderen kleineren Altar aufstellte 47). Diese Anordnung finden wir bereits in der Richarius44) A. Naegele, Der Breslauer Fürstbischof Andreas Jerin von Riedlingen (1540—1596), Mainz 1911, S. 71. — Daß auch der mittelalterliche Hochaltar des Domes ein Flügelaltar war, ergibt sich aus folgender Stelle des Modus agendi. . . : „In uigilia Paschae . . . aperitur summum altare . . (Ex modo agendi.. ., S. 25). — Vgl. auch Schubert, Der Breslauer Domgottesdienst. . ., S. 230. 45 ) Vgl. O. Kletzl, Plan-Fragmente aus der deutschen Dombauhütte von Prag in Stuttgart und Ulm, Stuttgart 1939, S. 57. 4β) A. Podlaha, Führer durch den Dom zu Prag, 4. Aufl., Prag 1907, S. 24 u. S. 9 (Grundriß des Domes) ; H . W. Hegemann, Der Veitsdom in Prag, Königstein i. T., ο . J., Abb. auf S. 23. 47) Braun, Bd. 1, S. 399.

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kirche zu Centula und in der angelsächsischen Kathedrale zu Canterbury, und zwar bei der Vorgängerin des Baues Lanfrancs 48). Nun heißt es im Modus agendi in ecclesia Wratislaviensi zum Jahre 1448, daß am Gründonnerstag nach dem Sanctus das „crisma" geweiht und das Kreuz auf den Altar der hl. Margaretha und zwei Leuchter auf den Altar gestellt werden 49 ). Aus dieser Mitteilung über die Weihe des „crisma" und der Herrichtung des Altars der hl. Margaretha darf man wohl schließen, daß die Weihe der hl. öle damals an diesem Altar stattfand. Auch besteht wohl kein Zweifel, daß dieser Altar im Chore stand, da die bischöfliche Weihe der hl. öle wie das Gründonnerstagsamt sicherlich im Angesicht des Domkapitels und der Domvikare erfolgte. So wurde ja noch während des Pontifikates des Erzbischofs und Kardinals Adolf Bertram im unteren Chorplanum zwischen den Chorstühlen ein weißgedeckter Tisch zur Weihe der hl. öle aufgestellt. Vielleicht ist dieser Margarethenaltar mit dem am 26. Juni 1303 erwähnten Altar der hll. Georg und Margaretha identisch50). Daß im Modus agendi in ecclesia Wratislaviensi das Patrozinium des hl. Georg fehlt, würde nicht dagegen sprechen; denn in unserem Falle handelt es sich nicht um eine Stiftungsurkunde, die wegen ihres rechtlichen Charakters alle Patrozinien anführen muß, sondern um eine Handschrift, die für den praktischen Gebrauch der Domsakristane bestimmt war 51 ). Hier genügte bei Aufführung des Altares die Nennung des Heiligen, unter dem der Altar damals allgemein bekannt war. Auch bei Breslauer mittelalterlichen Kirchen wird gewöhnlich nur e i η Patrozinium genannt. So spricht man ζ. B. heute nur von der Magdalenenkirche, obwohl sie auch dem hl. Andreas geweiht ist 52 ), und auch bei der St. Elisabethkirche wird das erste Patrozinium des hl. Laurentius im gewöhnlichen Sprachgebrauch weggelassen58). Daß der oben genannte Margarethenaltar an der Stirnwand des Hochchores rechts oder links vom Hochaltar stand, ist schon deshalb nicht anzunehmen, 48) Ebenda, S. 400 u. Abb. auf S. 388 (Rekonstruierter Grundriß der Richariuskirche zu CentulaV *β) „Item nota, quod post Sanctus consecratur crisma et crux ponitur supra altare sancte Margarethe et duo lumina locantur super altare, . . (Ex modo agendi.. ., S. 5 u. 21). 50) Vgl. Schulte, Anm. 17. 51) Ex modo agendi.. ., S. 6. 52) H . Neuling, Schlesiens Kirchenorte und ihre kirchlichen Stiftungen bis zum Ausgange des Mittelalters, 2. Aufl., Breslau 1902, S. 28. 53) Ebenda, S. 28.

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weil man für die eine größere Anzahl von Klerikern erfordernde ölweihe mehr Platz brauchte. Daß er zwischen den Chorstühlen seinen Standort hatte, ist auch nicht anzunehmen, da bei der geringen Breite des Breslauer Domchors 54) ein dort stehender Altar dem Chorgebet hinderlich gewesen wäre. Hier ist nämlich zu beachten, daß wie bei anderen Domkirchen auch in der Breslauer Kathedrale zwischen den beiden Reihen des Chorgestühls das große Pult für die Verrichtung des Chorgebetes gestanden haben dürfte; denn nach einem Bericht über das Begräbnis des Breslauer Bischofs Johann IV. Roth am 27. Januar 1506 trugen die Vikare und Substituten die Leiche des Bischofs in die Mitte des Chors (ad medium chori) an den Ort, wo das große Pult (pulpitum maius) zu stehen pflegt 55 ); ja es dürften damals sogar mindestens zwei Chorpulte zwischen den beiden Reihen des Chorgestühls gestanden haben. Dies geht einmal daraus hervor, daß damals die pulpita ( M e h r z a h l ) aus dem Chore entfernt und außerhalb des Chores aufgestellt wurden und daß, wie sich aus dem Zusammenhang des Berichtes ergibt, diese Pulte deshalb aus dem Chore weggeschafft wurden, um für den in der Mitte des Chores aufzustellenden Sarg des Bischofs Raum zu schaffen 56). Standen aber damals wenigstens zwei Chorpulte zwischen den beiden Chorstuhlreihen, dann war in diesem Raum kein genügender Platz zur Aufstellung eines feststehenden Altares. Außerdem wären bei der geringen Breite des Breslauer Domchores durch einen solchen Altar auch die zum Hochaltar ziehenden Prozessionen stark behindert worden. Es bleibt daher als Standort für den Margarethenaltar wohl nur der Raum zwischen dem Hochaltar und dem Ostende des Chorgestühls übrig. Hier gibt es folgende Möglichkeiten. Entweder stand er vor dem Hochaltar, und zwar genau in der Achse dieses Altares, so daß er ein Maturaltar war, oder er stand seitwärts, wobei wieder offen bleibt, ob die Längsseite sich an die Nord- oder Südwand des Chores anlehnte oder ob der Altar so gerichtet war, daß der Priester zum Hochaltar gewendet zelebrierte. Auch wäre es 54) Das Mittelschiff des Breslauer Domchores ist nur 8,86 (8,70) m breit (L. Burgemeister, S. 76). 55) Vgl. Statuta vicariorum in der Handschrift des Erzbischöflichen Diözesanarchivs Breslau I I I d 7, fol. L X V I I I b: Ordo sepulturae episcoporum (Darstellungen und Quellen zur schlesisdien Geschichte, Bd. 3, Breslau 1907, S. 101). 5β) » . . . mortuum ad medium chori in locum, ubi pulpitum maius solet stare, deportauere: pulpita enim extra chorum locata erant. . ( E b e n d a , S. 101). 2 Breslau

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denkbar, daß dieser Altar wie einst zwei heute nicht mehr vorhandene Altäre des Kölner Domchores schräg gestanden hat 57 ). Übrigens wäre der Margarethenaltar nicht der einzige Nebenaltar, der im Mittelalter den Hochchor geziert hätte. So wird am 26. März 1333 berichtet, daß Bischof Nanker von Breslau zwei Altäre konsekriert habe: „unum superius contra summum altare in sinistro latere chori positum in honore sancte Anne . . . 5 8 ) a . Zweifellos stand nach dieser Angabe der eben genannte St. Annaaltar zwischen Chorgestühl und Hochaltar. Da er in sinistro latere des Chores seinen Platz hatte, wäre es denkbar, daß der Margarethenaltar als Paralellaltar in symmetrischer Aufstellung in dextero latere chori stand. So befand sich z. B. auch im Hochchor des Kölner Domes auf der Epistelseite neben dem südlichen Choreingang und auf der Evangelienseite neben dem nördlichen Choreingang je ein Altar. Diese beiden genau symmetrisch aufgestellten Altäre waren dem hl. Patroklus (Epistelseite) und dem hl. Antonius Abbas (Evangelienseite) geweiht 59 ). 4. Fastenvelum im Domchor Zur Ausstattung mittelalterlicher Kirchen gehört auch das velum quadragesimale, das sogenannte Fastenvelum oder Hungertuch. Man hing es gewöhnlich nach der Komplet des ersten Fastensonntags auf und entfernte es in der Regel am Mittwoch der Karwoche bei den Worten der Passion: „Et velum templi scissum est" oder nach Beendigung der Komplet. Es sollte für alle Teilnehmer des Gottesdienstes, die nicht unmittelbar am Altar Dienst taten, den Altar verhüllen. Infolgedessen hing es bei Pfarrkirchen am Eingang des Chores, dem sogenannten Triumphbogen. In Kloster-, Stifts- und Domkirchen dagegen, in deren Chor die Geistlichkeit saß, konnte das Hungertuch nicht am Eingang des Chores aufgehängt werden, da in einem solchen Falle der Altar nur dem Volke, aber nicht dem im Chore dem Gottesdienst beiwohnenden Klerus unsichtbar gewesen wäre. Das Fastenvelum mußte daher in solchen Kirchen zwischen Chorgestühl und dem im eigentlichen Altarraum stehenden Altar angebracht werden. Um den Altar den Blicken von Klerus und Volk ganz zu entziehen, war es notwendig, daß das Fastenvelum unten fast bis zum 57) Zu den beiden Seitenaltären des Kölner Domchores vgl. P. Clemen, Der Dom zu Köln, S. 218 u. Fig. 155. 58) Schulte, Anm. 17. 59) P. Clemen, Der Dom zu Köln, S. 211 u. 212 u. Fig. 155; J. Torsy, Vikare und Offi· zianten des Domes in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Kölner Domblatt, 10. Folge 1955, S. 114 u. 116 u. Fig. 9.

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Fußboden herabhing und oben so weit hinaufreichte, daß es den Altar genügend verhüllte 60 ). Auch der Breslauer Dom besaß ein solches Fastenvelum. Es wurde am Sonnabend vor dem Sonntag „Invocavit", nach der prima missa aufgehängt. Am Karmittwoch ließ es ein Sakristan während der Lesung der Passion herabfallen. Da dies, wie bereits oben bemerkt, bei den Worten „Et velum templi scissum est" geschah, wird dieses Fastenvelum in unserem Modus agendi... als „velum templi" bezeichnet61). Ausdrücklich wird im Modus agendi noch hinzugefügt, daß an der Stelle des Fußbodens, an der das Fastenvelum herabfiel, zwei Teppiche ausgebreitet werden sollen, damit das Hungertuch nicht beschmutzt werde 62 ). Nach dem eben Gesagten muß dieses Velum zwischen dem Ostende des Chorgestühls und dem Hochaltar, bzw. wenn vor dem Hochaltar noch ein kleinerer Choraltar gestanden hätte, zwischen dem Ostende des Chorgestühls und diesem Altar aufgehängt gewesen sein. Was uns hier aber besonders interessiert ist die Art und Weise, wie das Hungertuch in unserem Dom angebracht war. Nach Braun wurde das Fastenvelum, damit es leichter geöffnet und wieder geschlossen werden konnte, „wohl in der Mitte geteilt", wie es noch heute in Spanien üblich ist. Als Beispiel für diese Art der Aufhängung nennt Braun eine Miniatur aus dem Ende des 15. oder Beginn des 16. Jahrhunderts. Das Velum ist hier mittels Schlingen an einer Stange befestigt, die auf den Kapitellen der Chorpfeiler aufliegt. Es kam aber auch vor, daß das Fastenvelum an einer Stange befestigt war, die von dem Gewölbe der Kirche herabhing. Diese in der Mitte geteilten Velen konnte man „zur Seite und wieder vorschieben, auseinander und wieder zusammenziehen", ähnlich dem Vorhang eines Theaters 63). Auch im Breslauer Domchor mußte eine Vorrichtung getroffen werden, die es ermöglichte, den Altar nicht nur vor dem Klerus zu v e r h ü l l e n , sondern ihn auch bei bestimmten Gelegenheiten den Blicken der Domgeistlichkeit wieder f r e i z u g e b e n ; denn es war üblich, das Fastenvelum z. B. an den Sonntagen der Fastenzeit und meist auch in den in die Fastenzeit fallenden Festen mit neun oder zwölf Lektionen zurückzuziehen, und im 60) Braun, Bd. 2, München 1924, S. 148, 151, 153—154. ei) Ex modo agendi. . ., S. 18—20. — Die Bezeichnung Fastenvelum als »velum templi* kommt auch bei anderen Kirchen vor (vgl. Braun, Bd. 2, S. 152). 62) Ex modo agendi.. ., S. 20. 63) Braun, Bd. 2, S. 156 u. Tafel 146. 2*

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Spätmittelalter bürgerte sich der Brauch ein, es auch bei der hl. Wandlung wegzuziehen64). Aber im Breslauer Domchor war das Fastenvelum nicht zum Vor- und Zurückziehen, sondern anders konstruiert, wie sich aus folgendem Text des Modus agendi... ergibt. „ A m Feste mit neun Lektionen oder an einem Duplexfest wird das velum templi nach der Präfation hochgezogen" (trahitur sursum). Hierauf folgen Anweisungen, wann das Fastentuch herabgelassen wird (dimittitur) 65 ). Im Breslauer Domchor war demnach das Fastenvelum nicht in der Weise aufgehängt, daß es zur Seite und wieder zusammengezogen werden konnte, vielmehr bestand im Breslauer Dom das Hungertuch aus einem einzigen Stück, das emporgezogen und wieder herabgelassen werden konnte. Diese Art der Aufhängung ist aber kein Unikum, sondern kam auch anderwärts vor. So wurde z. B. nach den in ihrer heutigen Form aus der Frühe des 13. Jahrhunderts stammenden Consuetudines s. Osmundi von Salisbury das Fastentuch hochgezogen (extollitur) und herabgelassen (dimittitur) 66 ), und Durandus spricht von einem „retrahitur vel elevatur" des Fastenvelums, kennt also beide Arten der Aufhängung des Velums 67 ). 5. Wandteppiche im Domchor An der Ost wand von Raum I I I des Erzbischöflichen Diözesanmuseums in Breslau (ehemalige Dombibliothek) hing das Fragment eines Wandteppichs, auf dem eine höfisch allegorische Szene dargestellt ist. Vor einer auf einem Throne sitzenden höfisch gekleideten Dame, die durch die Inschrift als Venus bezeichnet wird, knien oder stehen reich geschmückte Männer und Frauen. Unter ihnen ist ein Mann durch eine Inschrift als „cor" und eine Frau als „pietas" bezeichnet. Der Teppich ist bunt, doch sind seine Farben verschossen68). Nach dem Inventarband des Breslauer Domes ist der Wirkteppich 3,17 m hoch und 3 m breit, während im später erschienenen „Führer durch das Erzbischöfliche Diözesanmuseum in Breslau" seine Höhe mit 2,16 m und seine Breite mit 2,03 m angegeben sind. Nach dem Inventarband stammt er 64) Ebenda, S. 152 u. 153. 65) Εχ modo agendi..., S. 19. 66) Braun, Bd. 2, S. 149 u. 150. 67) Ebenda, S. 152. 68) L. Burgemeister, S. 153 u. Abb. 121; A. Nowadk, Führer durch das Erzbischöfliche Diözesanmuseum in Breslau, Breslau 1932, S. 28.

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aus Brüssel oder Tournay und wird „um 1500* datiert, während im „Führer durch das Erzbischöfliche Diözesanmuseum in Breslau" „Burgund" angegeben ist und der Teppich der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zugewiesen wird. Da er aus dem Breslauer Dom stammt*9), erhebt sich hier die Frage, an welcher Stelle des Domes er einst seinen Platz hatte. Nun ist bekannt, daß Teppiche im Mittelalter, aber auch noch später zum Behängen der Wände und Pfeiler bei festlichen Gelegenheiten verwendet wurden. Schon Durandus spricht von „cortinae in festivitatibus propter ornatum" 70 ). Die im Jahre 1688 von Kardinal Wilhelm Egon von Fürstenberg geschenkten acht Rubensteppiche, die im Hochchor des Kölner Domes vor den Chorschranken aufgehängt waren, hingen bis zum Jahre 1842 ständig an dieser Stelle71). Auch der Breslauer Dom besaß Wandteppiche im Chore. So erfahren wir aus dem Modus agendi..., daß am Karfreitage nach dem Mittagessen die Teppiche im Chore aufgehängt wurden 72 ). Es wäre hier zu erwägen, ob der oben genannte Domteppich mit der Darstellung einer allegorisch höfischen Szene zu jenen eben genannten Wandteppichen des Chores gehörte. Dies wäre möglich, wenn er, wie Nowack angibt, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen würde, da der oben genannte Text des Modus agendi... über die Wandteppiche des Chores dem Jahre 1448 angehört 73). Würde er dagegen, wie der Inventarband will, „um 1500" angefertigt worden sein, dann könnte er nicht zu den Teppichen gehören, die 1448 im Chore hingen. Dies schließt aber nicht aus, daß er um 1500 im Chore aufgehängt wurde, sei es als zusätzliches Stück, sei es als Ersatz für einen anderen Teppich. Auch die Tatsache, daß dieser Teppich nur ein Fragment ist, könnte vielleicht dafür sprechen, daß er zu den Chorwandteppichen gehörte, da es denkbar wäre, daß er vor Anbringung an der Wand verkürzt werden mußte, um ihn in der Größe mit den anderen Teppichen in Einklang zu bringen bzw. ihn den Maß Verhältnissen der Chorwand anzupassen. So wurde ζ. B. auch bei den Rubensteppichen des Kölner Domes einer dieser Teppiche, um eine Übereinstimmung mit den anderen sieben Teppichen zu erreichen, um 69) Burgemeister, S. 153; Nowack, S. 28. 70) H . Otte, Handbuch der kirchlichen Kunst-Archäologie des deutschen Mittelalters, 5. Aufl. von E. Wernicke, Bd. 1, Leipzig 1883, S. 383. 71) H . Rode, Der Dom im Barock, in: Kölner Domblatt, 11. Folge, Köln 1956, S. 46 u. 47. 72) „Item feria sexta in Parascheue facto prandio cortine supra pendentur in choro . . .* (Ex modo agendi..., S. 24; Schubert, Der Breslauer Domgottesdienst..., S. 230). 73) Vgl. Ex modo agendi..., S. 5.

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mehr als einen Meter schmäler gemacht. Auf diese Weise wurde eine ganze Figurengruppe in der linken Hälfte des Gobelins herausgeschnitten, so daß nur ein Kopf und ein Knie von dieser Gruppe erhalten blieb 74 ). Der Breslauer Domteppich ist farbig gehalten, doch sind die Farben verschossen, während der Stoff selbst bis auf ein Loch (links) gut erhalten war 76 ). Aber gerade dieser schlechte Erhaltungszustand in der Farbe könnte wieder darauf hinweisen, daß der Teppich einst an einer Chorwand hing, und zwar vielleicht an der Nordwand, wo er direkter Sonnenbestrahlung ausgesetzt war. So ist audi der Erhaltungszustand der Rubensteppiche des Kölner Domes schon deshalb verschieden, weil vier von ihnen an der lichtgeschützten Südwand angebracht waren, während die übrigen an der Nordseite des Hochchores hingen, so daß letztere teilweise dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt waren 76 ). Im Raum 3 des Breslauer Diözesanmuseums hat der Breslauer Teppich sicherlich nicht viel von seiner Farbigkeit eingebüßt, da er an einer ziemlich dunklen Stelle der Ostwand hing. Er dürfte daher in seiner Farbigkeit nicht im Diözesanmuseum, sondern durch Lichteinwirkung im Dom gelitten haben, wo nach dem oben Gesagten wohl am ehesten eine Aufhängung im Chore in Frage käme. Man wird hier vielleicht einwenden, daß der Bildinhalt auf dem Breslauer Domteppich gegen eine Aufhängung im Hochchore spricht; denn wenn auch alle Personen dezent gekleidet sind, so ist doch eine Darstellung der Huldigung an die Göttin Venus der Würde der Kathedrale nicht angemessen. Hierauf ist zu erwidern, daß wir auch sonst in mittelalterlichen Kirchen Darstellungen finden, die in der Wahl der Themen kühn und gewagt sind. Als Beispiel sei nur das mittelalterliche Chorgestühl des Kölner Domes genannt. Hier finden wir u. a. zwei Darstellungen von Liebespaaren, ferner einen Mann und eine Frau an einem Spielbrett sitzend und eine tanzende Frau mit Musikant 77 ). Hier muß freilich auch gesagt werden, daß im Mittelalter Darstellungen dieser Art öfters mit solchen vereint sind, die einen Gegensatz zu den anstößig erscheinenden Bildinhalten bilden. Auf diese Weise sollte anschaulich 74) V. H . Elbern, Die Rubeftsteppiche des Kölner Domes, in: Kölner Domblatt, 10. Folge, Köln 1955, S. 65. 75) Burgemeister, S. 153. — Während der Auslagerung des Teppichs im zweiten Weltkriege hat der Stoff Schaden erlitten. 76) Elbern, S. 50 u. 66. 77) Clemen, Der Dom zu Köln, S. 161 u. 162.

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die Tugend gegenüber dem Laster bzw. der Welt hervorgehoben werden. So finden wir auf einer Wange des Kölner Chorgestühls links einen sich verneigenden Jüngling, der von einer vor ihm stehenden Jungfrau einen Kranz empfängt, während redits ein Mädchen sich um einen Jüngling bemüht, der es dadurch abweist, daß er sich von ihm abwendet78). Unter diesen Umständen wäre es denkbar, daß auch der Breslauer Domteppich ein Gegenstück besaß, auf dem im Gegensatz zur sinnlichen Liebe die himmlische Liebe dargestellt war. Während die Rubensteppiche des Kölner Domchores bis 1842 zur Verkleidung der Innenseite der steinernen mit Malereien versehenen Chorschranken dienten, also unmittelbar über den Sitzen des Klerus angebracht waren 79 ), muß man beim Breslauer Domchor aus den Worten „cortine supra pendentur in dioro" schließen, daß seine Teppiche höher aufgehängt waren, und zwar etwa zwischen dem Scheitel der Arkadenbögen und der Sohlbank der Chorfenster. Der Teppich des Breslauer Diözesanmuseums würde in diese Zone gut hineinpassen. Dies schließt freilich nicht aus, daß er etwas tiefer in der Weise aufgehängt war, daß seine untere Hälfte ein Stück in die Zone der Arkadenbögen hineinreichte. Außerdem ist er so breit, daß er zwischen zwei Dienstbündeln der Chorwand bequem Platz hat 80 ). 6. Adlerpult des Domes Zur Ausstattung mittelalterlicher Kirchen gehört auch das Adlerpult. Es ist ein Lesepult in Gestalt eines Adlers, an dem Epistel und Evangelium verlesen wurden. Auch dienten in der Mitte des Chores stehende Adlerpulte dem Chorgebet. Adlerpulte finden wir in Verbindung mit Ambo, Lettner, Kanzel und Chorschranke. Pulte dieser Art standen auf einer Brüstung oder waren an ihrer Front befestigt. Schon früh wurden aber auch Adlerpulte hergestellt, die mit Ambo, Lettner, Kanzel und Chorschranke nicht verbunden, sondern auf einem besonderen Sockel angebracht waren und frei im Raum standen. Wenn gelegentlich zwei Adlerpulte in einer Kirche waren, so hängt dies damit zusammen, daß Epistel und Evangelium an verschiedenen Plätzen verlesen zu werden pflegen 81). Neben diesen feststehenden zu beiden Seiten des Altars vorhandenen Adler78) Ebenda, S. 162. 79) Elbern, S. 46 u. Abb. 21 u. 22. 80) Vgl. Z. Swiechowski, Architektura na Sl^sku do Poiowy X I I I wieku, Warszawa 1955, Abb. 426. 81) O. Schmitt, Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. I , Stuttgart 1937, Sp. 187— 189.

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pulten (lectorilia stataria) gab es aber auch leichtere, die man von der einen auf die andere Seite tragen konnte (lectorilia gestatoria) 82). Auch vom Breslauer Dom wissen wir^ daß er zumindest e i n Adlerpult besaß. Dies ergibt sich wieder aus dem Modus agendi..., in dem für den Karfreitag folgende Anordnung gegeben wird: „Ebenso tragen die Sakristane eine Albe mit Stola und Manipel zur Passion heraus und nicht mehr, und das Adlerpult wird nicht eingedeckt"83). Da dieses Adlerpult zur Verlesung der Passion verwendet wurde, dürfte es nicht zwischen den beiden Chorstuhlreihen, sondern entweder als Evangelienpult am Hochaltar oder auf dem Lettner seinen Platz gehabt haben84). 82) Otte — Wernecke, Bd. 1, S. 302. 83) u . . . et aquila non cooperitur" (Ex modo agendi. . ., S. 24). 84) Zum ehemaligen mittelalterlichen Lettner des Breslauer Domes vgl. E. Walter, Zur architektonischen Gestaltung des ehemaligen mittelalterlichen Lettners im Breslauer Dom, in: Archiv für schles. Kirchengesch., Bd. 26, Hildesheim 1968, S. 64—95.

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Joseph Gottschalk A N N A V O N SCHWEIDNITZ, D I E EINZIGE SCHLESIERIN M I T DER KAISERINNENKRONE (1353—1362) Am Weihnachtstage des Jahres 800 empfing Karl der Große zu Rom die Kaiserkrone, 1806 legte sie Franz I I . nieder. In diesen tausend Jahren wurde so manche Frau die Gemahlin des Kaisers und erfuhr im Mittelalter die Krönung zur Kaiserin. Wohl hatte König Ludwig der Bayer eine schlesisdie Piastin zur ersten Gemahlin, Beatrix von Glogau. Mit ihm zusammen erhielt sie 1314 zu Aachen ihre Krönung zur deutschen Königin; aber sie war schon gestorben, als Ludwig 1328 aus der Hand des römischen Volkes die Kaiserkrone entgegennahm. So ist Anna von Schweidnitz die einzige Frau schlesischer Herkunft, die drei Kronen trug, die böhmische wie die deutsche Königinkrone und die Kaiserinnenkrone. Nur kurze Zeit währte diese Herrlichkeit. Denn Anna, im Alter von vierzehn Jahren dem König Karl IV. im Juni 1353 angetraut, starb bereits neun Jahre später bei der Geburt ihres dritten Kindes. Es müssen glückliche Jahre gewesen sein, in denen die jugendliche Frau an der Seite dieses bedeutendsten Kaisers des Spätmittelalters zu den Krönungen erschien, in Rom bejubelt wurde, auf den Reichstagen zu Nürnberg und Metz alle Ehren erfuhr, mit Petrarca, dem berühmtesten Humanisten ihrer Zeit, im Briefwechsel stand oder zur Verehrung der heiligen Elisabeth in Marburg weilte. Auf diesen Zügen nach Prag, Marburg, Köln, Aachen, Nürnberg, Metz und Rom war sie von schlesischen Fürsten begleitet, die ein reiches Gefolge aus der Heimat mitführten. Durch Anna von Schweidnitz erlebte und gestaltete Schlesien damals ein Stück Reichsgeschichte mit. Prag, dessen Dom Karl IV. neu errichtete, wurde damals zur internationalen Stadt, in der italienische, französische, deutsche und slawische Kultur sich gegenseitig befruchteten. Die 1348 entstandene Universität zog viele Schlesier an. Der erste Erzbischof von Prag, Ernst von Pardubitz, hat seine Jugendjahre und Schulzeit in Glatz verbracht und dort auf seinen Wunsch hin die letzte Ruhestätte gefunden. Dessen Bruder Bohussius stiftete 1357 im eben fertiggestellten Hochchor des Prager Domes 25

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einen Altar zu Ehren der hl. Anna und der hl. Hedwig. So ehrte man schon zu Lebzeiten die Kaiserin, die den Namen Anna trug und deren Heimat Schlesien, das Hedwigsland, war. Ihre Ahnen Annas Vater, Herzog Heinrich II., gebot über Schweidnitz. Dessen Großvater Bolko I., der 1301 im Kloster Grüssau begraben wurde, war ein Urenkel der hl. Hedwig. Ihre Mutter Katharina war die Tochter des ungarischen Königs Karl I I . Robert, der 1342 starb. Dessen Großvater ist Karl I I . von Anjou, König von Neapel, französischen Geblüts. Von den vier Großeltern Annas stammten drei aus dem Piastenhause, von den acht Urgroßeltern sind fünf plastischer, eins brandenburgischer, eins französischer und eins habsburgischer Herkunft. Denn Klementia war die Tochter Rudolfs, des ersten deutschen Königs aus dem Hause Habsburg. Ein Urgroßvater, Wladyslaw Lokietek, hatte die Königswürde in Polen erneuert. Daher konnte man sich schon damals darauf berufen, daß Anna königlichen Geblüts sei, würdig, die Kaiserinnenkrone zu tragen. Elternhaus und Erziehung Annas Vater Heinrich I I . wird um das Jahr 1308 geboren sein. Mit seinem Bruder Bolko I I . zusammen regierte er das Herzogtum Schweidnitz-Jauer, das vom Zobtenberge bis zum Riesengebirge reichte. Bolko I I . überwies am 1. Juli 1338 seiner jungen Gattin Agnes von Österreich als Leibgedinge Striegau bzw. Bolkenhain. Sein Bruder Heinrich, Herr von Fürstenberg und zu Schweidnitz, stimmte dem zu, aber ließ sich versprechen, daß er seiner Gemahlin ein ebenso gutes Gebiet und ebensoviel an Erbgut aus dem gemeinsamen Besitz schenken dürfe. An dieser Urkunde ist auch das Siegel Heinrichs I I . angebracht. Es zeigt den Herzog stehend, mit dem Schwert in der Rechten und dem Adlerschild in der Linken. Die Umschrift lautet: Sigillum Heinrici ducis Slesie et domini Swidnicensis. Heinrich war damals bereits verheiratet. Die Geburt des ersten und einzigen Kindes Anna fällt Ende 1338 oder Anfang 1339. An welchem Orte sie geboren ist, wissen wir nicht. Die Stammburg war Fürstenberg, an der Stelle des heutigen Schlosses Fürstenstein gelegen, bekannt durch das nahe Bad Salzbrunn im Kreise Waldenburg. Ihr Vater residierte in der Regel in Schweidnitz, ihr Großvater Bernhard wurde im dortigen Dominikanerkloster begraben. 26

Anna v. Schweidnitz,

die einzige Schlesierin mit der Kaiserinnenkrone

(1353—1362

Annas Mutter namens Katharina war die Tochter des Königs Karl I I . Robert von Ungarn aus dessen erster Ehe mit Maria, der Tochter des Beuthener Herzogs Kasimir, und nach 1306 geboren. Zwei Brüder dieser Maria von Beuthen gelangten auf ungarische Bischofsstühle. Boleslaus war 1321 bis 1329 Erzbischof von Gran, Mesko von 1328 bis 1334 Bischof von Neutra und von 1334 bis 1344 Bischof von Veszprem. Da Maria schon am 15. Dezember 1315 starb, heiratete Karl I I . Robert am 24. Juni 1318 Beatrix von Luxemburg, die Tochter des Königs Heinrich V I I . Nach deren Tode verehelichte er sich zum dritten Male, und zwar am 6. September 1320 mit Elisabeth, der Tochter des Königs Wladyslaw Lokietek von Polen. Diese Elisabeth wurde die Mutter des Königs Ludwig des Großen von Ungarn. Sie war aber auch eine Schwester der Kunigunde, die vor 1312 der Herzog Bernhard von Fürstenberg, Annas Großvater, zur Frau genommen hatte. Elisabeth, die erst am 29. Dezember 1381 starb, hat ihr Zeitalter mitgeprägt und auch im Leben unserer Anna von Schweidnitz eine Rolle gespielt. Denn Anna verlor beide Eltern früh. Ihr Vater Heinrich wird am 14. August 1343 zum letzten Male erwähnt und wird nicht lange nachher gestorben sein. Anna war damals etwa fünf Jahre alt. Wann ihre Mutter Katharina verschieden ist, wissen wir nicht, jedenfalls vor dem 29. September 1355; denn an diesem Tage stellte Anna, bereits Kaiserin, eine Urkunde zu Prag aus,durch die sie das ihr als Königin von Böhmen zustehende Patronat über die reich dotierte Pfarrei Lissa an ihren Gatten abtrat. Er übergab es an die Augustiner-Chorherrn zu St. Karl in der Prager Neustadt, denen schließlich die Pfarrei ganz zugesprochen wurde. Abt und Konvent mußten auf Annas Anordnung hin für alle Zeiten die Pflicht übernehmen, an den Jahrestagen ihrer beiden bereits verstorbenen Eltern, des Herzogs Heinrich von Schlesien und ihrer Mutter der Herzogin Katharina, das feierliche Totenoffizium zu halten. So hat die sechzehnjährige Kaiserin ihrer lieben Eltern in Prag gedacht. Über Annas Erziehung schreibt der Chronist Johann von Czarnkow in seinem Chronicon Polonorum: „Anna, die Tochter des Herzogs Heinrich von Schlesien, wurde nach dem Tode dieses Herzogs durch Elisabeth, die Königinmutter von Ungarn, in Ungarn aufgezogen und durch sie und ihren Oheim Herzog Bolko von Schlesien mit König Karl IV. vermählt." Anna hat also gegen zehn Jahre am ungarischen Königshofe geweilt, als Gast bei dem Stiefbruder ihrer Mutter, dem König Ludwig von Ungarn. Da er selbst noch jung war, am 5. März 1326 geboren, spielte seine Mutter, die 27

Joseph Gottschalk

Königinwitwe Elisabeth von Polen, eine führende Rolle. In der prunkvollen Hofhaltung in Visegrad wurden die verfeinerten Umgangsformen der französischen Ritter nachgeahmt. Hier liefen die Fäden der großen Politik zusammen, und Elisabeth hatte an ihren Hofe eine Art Erziehungs- und Heiratsanstalt für Fürstentöchter eingerichtet. So hat Anna eine gute Schule für ihre kommende Würde als Kaiserin durchgemacht. Am ungarischen Hofe wurde Margarete erzogen, die Tochter des späteren Königs Karl IV., die am 1. März 1338 dem König Ludwig von Ungarn verlobt worden war. Hier weilte auch die Tochter des Königs Stephan I I I . von Bosnien, als „das schöne Lieschen" überall bekannt. Diese wählte König Ludwig 1353 zu seiner Gattin, weil Margarete bereits am 7. Oktober 1349 gestorben war. Lieschen scheint die beste Freundin unserer Anna von Schweidnitz gewesen zu sein. Jedenfalls hat Anna mit ihr am 15. September 1353 ausgemacht, daß die zu erwartenden Söhne und Töchter beider miteinander verehelicht werden sollten. Elisabeth von Bosnien schenkte drei Mädchen das Leben, welche die Vornamen Katharina, Maria und Hedwig erhielten. Anna war übrigens in Ungarn von manchen Schlesiern umgeben. 1343 wird als Erzieher und Lehrer des Königs Ludwig der Breslauer Kleriker Nikolaus genannt, dem ein Kanonikat in Gran zuteil werden sollte. Ludwigs Kaplan, stellvertretender Graf der königlichen Kapelle und Gesandter zum Papst, war 1350 der rechtskundige Paul von Jägerndorf, der dann von 1351 bis 1359 Bischof von Gurk und von 1359 bis 1377 Bischof von Freising wurde. Ein anderer Kaplan des Königs Ludwig war 1352 Simon von Liegnitz. Gleichzeitig wird als Kleriker Ludwigs Ulrich genannt Schof (Schaffgotsch) bezeichnet, der als Propst von St. Ägidi in Breslau und als Domherr daselbst in Aussicht genommen wurde. Die Königinmutter Elisabeth verwandte sich für zwei Sdilesier, die in ihrem Dienste standen, beim Papst: 1347 für Nikolaus, den Sohn des Heinrich aus Striegau, einen Neffen ihres Sekretärs Albert, und 1351 für einen Petrus, der.aus einem der Dörfer namens Kunzendorf in der Breslauer Diözese stammte und Pfarrer von Domslau, Kreis Breslau, dann Kanonikus in Lebus, Kaplan des Erzbischofs Ernst von Prag, Offizial und Domherr in Prag geworden ist. Zur Umgebung der Anna von Schweidnitz werden sicherlich auch einige Ritter und Dienerinnen aus Schlesien gehört haben. Die Vermählung Karl IV., am 14. Mai 1316 in Prag geboren, war seit 1346 König von Böhmen und deutscher König. Als kluger Realpolitiker suchte er seine weitge28

Anna v. Schweidnitz,

die einzige Schlesierin mit der Kaiserinnenkrone

( 1353—1362

spannten Ziele mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Aus seiner ersten Ehe mit Blanka von Valois ( | 1348) war eine Tochter Margarete (geb. 1335, gest. 1349) hervorgegangen, die dem König Ludwig von Ungarn zur Ehe versprochen wurde, und eine Tochter Katharina (geb. 1342, gest. 1395), die Herzog Rudolf IV. von Österreich heiratete. Aus seiner zweiten Ehe mit Anna, der Tochter Rudolfs von der Pfalz, stammte ein Sohn Wenzel, der am 17. Januar 1350 geboren ist. Das hinderte Karl keineswegs, die Ehe zwischen dem damals elf Monate alten Wenzel und der elfjährigen Anna von Schweidnitz festzulegen. Am 13. Dezember 1350 wurde der Ehevertrag aufgesetzt. In der deutsch geschriebenen Urkunde, die Herzog Bolko I I . von Schweidnitz damals zu Prag ausstellte, heißt es: „Wenzel wird unseres Bruders Tochter zu einem ehelichen Weibe erhalten. Der erste Graf von Ungarn soll sie bis zum Johannestag 1351 zum König Karl nach Prag geleiten, damit man beide Kinder miteinander erziehe, eine Zeitlang im Lande Böhmen, die andere im Herzogtum Schweidnitz-Jauer, bis sie zu ihren Jahren kommen und man desto sicherer sei, daß die Freundschaft stets bleiben werde."

Wenzel starb jedoch schon am 26. Dezember 1351. Damit war der erste Heiratsplan, der Anna wohl einmal zur Königin und Kaiserin gemacht hätte, zunichte. Doch bald erreichte Anna auf anderem Wege weit schneller dieses Ziel, nach dem sie selbst wohl nicht gestrebt hat, jedenfalls nicht in so jungen Jahren. Herzog Bolko I I . von Schweidnitz hatte keine Kinder. Dazu war er der einzige schlesisdie Piast, der sein Land noch nicht in den Lehnsverband der Krone Böhmens eingegliedert, sondern seine Selbständigkeit bewahrt hatte. So war Anna die voraussichtliche Erbin dieser wirtschaftlich reichen und zum Teil an Böhmen angrenzenden Herzogtümer. Als Karls zweite Gemahlin Anna von der Pfalz am 2. Februar 1353 starb, warb der König nun selbst um die Hand der Anna von Schweidnitz. Zwar zählte er 37 Jahre, Anna erst 14 Jahre. Aber das spielte für Karl, den Meister berechnender Heiratspolitik, keine Rolle, wenn nur die entscheidenden Männer zustimmten. Von Bolko I I . war das von vornherein zu erwarten, weil er schon 1350 dem König die Zusage für die Ehe Annas mit Wenzel gegeben hatte. Bereits am 10. März 1353 trafen sich König Karl, Herzog Bolko II., König Ludwig von Ungarn, Markgraf Ludwig von Brandenburg und Herzog Rudolf von Sachsen, also die benachbarten Regenten, bei Herzog Albrecht von Österreich in Wien. König Kasimir von Polen hatte Gesandte dorthin geschickt. Von Papst Innozenz VI. erwirkte Karl durch Entsendung des Prager Erz29

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bischofs nach Avignon die Ehedispens wegen weitläufiger Verwandtschaft mit Anna. Am 27. Mai 1353 bestätigte König Ludwig zu Ofen für Karl IV. die Anwartschaft auf Schweidnitz-Jauer. Er verzichtete auf eigene Ansprüche an diese Herzogtümer, Karl auf alle Ansprüche auf die Herzogtümer Masowien und Plock. Beide schlossen damals ein Bündnis gegen alle, ausgenommen Polen und die österreichischen Habsburger. Das Datum der Heirat Karls mit Anna von Schweidnitz steht nicht mit Sicherheit fest. Wegen der ebengenannten Verträge wird oft der 27. Mai 1353 angegeben, doch ist das nur eine Vermutung. Andere nehmen „Anfang Juni" als Hochzeitstermin an. Heinrich von Dießenhofen (f 1376) dagegen schrieb in seiner als recht zuverlässig geltenden Chronik: „Im Monat Juni des Jahres 1353 kamen der Römische König Karl IV. und König Ludwig von Ungarn in der Stadt Ofen in Ungarn zusammen, und dort haben beide gleichzeitig Hochzeit gefeiert. König Karl führte die Tochter des Herzogs von Schweidnitz heim, die Erbin des Herzogtums. Der König von Ungarn ehelichte die Tochter des Herzogs von Bosnien.**

Ludwigs Hochzeit soll am 20. Juni stattgefunden haben. Die beiden glücklichen Königsbräute Anna und Lieschen waren längst Freundinnen. Von Ofen aus begab sich Karl über Brünn nach Schweidnitz. Hier wurden am Mittwoch, dem 3. Juli 1353, die entscheidenden Urkunden ausgestellt. Herzog Bolko I I . von Schweidnitz-Jauer vermachte für den Fall seines Todes ohne Leibeserben den gesamten Besitz seiner Nichte Anna und den Kindern, die aus ihrer Ehe mit Karl hervorgehen würden. Er betonte dabei: „Wir haben angesehen die besondere Gnade und freundliche Gunst des Allerdurchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Karls Römisdien Königs, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches und Königs zu Böhmen, unseres lieben, Gnädigen Herrn, die er uns und unserm Geschlechte bewiesen hat."

Als Annas künftiges Erbe werden genannt die Fürstentümer Schweidnitz und Jauer mit den Städten Schweidnitz, Striegau, Bolkenhain, Landeshut, Reichenbach, Nimptsch, Jauer, Löwenberg, Hirschberg, Bunzlau und Zobten sowie die Burgen und Märkte zu Greifenstein (Burg bei Greiffenberg), Lähn, Schönau, Klitschdorf, Hornschloß und Kynsburg. König Karl bestätigte in einer eigenen Urkunde diese Verfügungen Bolkos I I . und vermachte seiner Gattin als Leibgedinge ( = Privateinkommen) 15 000 Schock großer Prager Münze und gab als Pfand dafür die Städte Königgrätz, Hohenmauth und Pölitz. Am 4. Juli 1353 leisteten alle Städte des Herzogtums die Eventualhuldigung für die von König Karl mit Anna zu gewinnenden Nachkommen. 30

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Karl aber erteilte ihnen zusammen mit Anna am 4. April 1356 von Prag aus verschiedene Zusicherungen, während König Kasimir I I I . von Polen durch eine am 1. Mai 1356 zu Prag ausgestellte Urkunde alle Ansprüche, die er auf das Herzogtum Schweidnitz-Jauer haben könnte, für sich, seine Erben und Nachfolger ausdrücklich aufgab. Krönung zu Prag und Aachen In Prag wurde Anna am 28. Juli 1353 durch Erzbischof Ernst von Pardubitz zur Königin von Böhmen gekrönt. Wohl gleichzeitig fand dort die Hochzeit des Herzogs Albrecht von Bayern-Straubing mit Margarete, der Tochter des Herzogs Ludwig von Liegnitz und Brieg, statt. So konnten die schlesischen Fürsten ein doppeltes Fest in Prag mitfeiern. Zu Anfang des Jahres 1354 reiste Anna nach Frankfurt, wo sie mit ihrem Gatten zusammentraf. Dann zog sie nach Aachen, vom Klerus feierlich eingeholt. In der Marienkirche, dem heutigen Dom, salbte und krönte sie der Erzbischof Wilhelm von Köln am 9. Februar 1354 in der herkömmlichen Weise. Nach der Sequenz erfolgte die Salbung mit heiligem ö l unter den Worten: „Die Gnade des Heiligen Geistes komme durch unser demütiges Gebet auf didi in Fülle herab. Wie du durch unsere unwürdigen Hände äußerlich mit dem öle gesalbt wirst, so mögest du, von seiner unsichtbaren Salbung gestärkt, innerlich reich zu werden verdienen. Durch seine geistige Salbung, allzeit in vollendeter Weise aufgeprägt, mögest du lernen und imstande sein, Verbotenes von ganzem Herzen zu meiden und zu verachten. Du mögest in der Lage sein, das für deine Seele Nützliche ständig zu bedenken, zu wünschen und auszuführen, mit der Hilfe unseres Herrn Jesus Christus, der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebt und regiert, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen."

Dann setzten die drei Metropoliten von Köln, Mainz und Trier gemeinsam der Königin die Krone aufs Haupt. Der Erzbischof von Köln betete dabei: „Kraft unseres gemeinsamen Amtes zur Königin geweiht, empfange die Krone der königlichen Würde, welche deinem Haupte von zwar unwürdigen, so dodi bischöflichen Händen aufgelegt wird. Wie du äußerlich in der Bekränzung durch Gold und Edelsteine leuchtest, so mögest du dich bemühen, innerlich durch das Gold der Weisheit und die Edelsteine der Tugend geschmückt zu werden, damit du, nach dem Untergang dieser Welt, mit den klugen Jungfrauen dem Bräutigam, unserem Herrn Jesus Christus würdig und lobenswert entgegengehend, in die königliche Pforte des himmlischen Hofes einzutreten verdienest."

Die Königin begab sich zu ihrem Throne, die Geistlichkeit stimmte das Te Deum an. Nun wurde das Meßopfer fortgesetzt mit Evangelium, Glaubensbekenntnis, Opfergang, Wandlung und dem Kommunionempfang durch die 31

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Königin. Aus dem gesamten Ritus spüren wir die große Würde, die dem Königtum zukam. Der Königin galt, weil von ihr der Thronfolger erwartet wurde, das besondere Gebet der Kirche. Das Osterfest des Jahres 1354 feierte Anna zusammen mit ihrem Gatten in der Reichsstadt Kaysersberg im Oberelsaß. Die Kaiserkrönung zu Rom Deutscher König wurde man durch die Wahl seitens der Fürsten, ihr folgte die Krönung zu Aachen. Die Kaiserkrone konnte man sich im Mittelalter nur in Rom holen. Seit 1309 residierten die Päpste zu Avignon. Rom verödete immer mehr, Adel und Städte rissen die Macht in Italien an sich. Deshalb sehnten sich manche Italiener nach einem Kaiser, der mit starker Hand Ordnung schaffen solle. Gewiß war Ludwig der Bayer 1328 zu Rom gekrönt worden, aber er hatte die Krone aus der Hand des Volkes angenommen und dann einen Gegenpapst eingesetzt. Nun richtete sich die Hoffnung vieler auf Karl IV. Dieser wußte jedoch, daß die Stauferzeit endgültig vorbei war. Er erstrebte die Kaiserkrone, um seine Hausmacht und das Reich zu stützen, aber dachte nicht daran, seine Kräfte in Italien zu verschwenden. Dagegen nahm er die dem Römischen Kaiser zustehenden Tribute italienischer Städte gern an. Dem Papste gegenüber mußte er sich verpflichten, nicht in Rom zu bleiben. Peter de Columbario, der Kardinalbischof von Ostia und Velletri, wurde angewiesen, als Stellvertreter des Papstes die Kaiserkrönung in der herkömmlichen Weise vorzunehmen. Schon im Oktober 1354 begab sich Karl nach Oberitalien, um die Vorbereitungen zur Krönungsfahrt einzuleiten. Königin Anna kam erst später nach. Sie traf am 20. Januar 1355 in Friaul ein, am 23. Januar in Padua. Ihren Einzug in Pisa hielt sie am 8. Februar. In ihrer Begleitung befanden sich der Prager Erzbischof und der Oberstlandmarschall Czenko von Lipa. Sechzehn Hofdamen bildeten ihr weibliches Gefolge. Geschützt wurde der Zug durch mehrere schlesisdie Herzöge, deutsche Fürsten und böhmische Ritter mit großem Gefolge. Am 23. März war das Königspaar in Siena, am 24. April vor Rom. Am Ostersonntag, dem 5. April 1355, erlebte die nun sechzehnjährige Schlesierin die Kaiserkrönung. Ernst Werunsky schildert sie auf Grund eines Augenzeugenberichtes folgendermaßen: „Kaum dämmerte das Frührot des zur Kaiserkrönung bestimmten Ostersonntags, so eilte Karl hinaus zur Kirche der Maddalena, wo sein übriges Kriegsvolk

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lagerte, und brach von da nach St. Peter auf. Im purpurnen Krönungsornat ritt der König, an seiner Seite die Königin, mit seinen glänzend gerüsteten Scharen langsam auf das Tor des Crescentius bei der Engelsburg zu, wo ihn die Senatoren und übrigen Repräsentanten der römischen Bürgerschaft jubelnd empfingen. Nur äußerst langsam bewegte sich der Zug durch die Straßen vorwärts, da der König der zahllosen Menge derer, die von ihm den Ritterschlag begehrten, willfahren und denselben nach rechts und links, mit dem Schwert oder Scepter, austeilen mußte. Als der Zug endlich dort anlangte, wo sich der Platz vor der Basilika St. Peter, die Cortina, öffnet, da wogte und wimmelte es von Rittern und einer dicht gedrängten Volksmenge bunt durcheinander, so daß gar mancher im Gewühl zu Schaden kam. Vor den Marmorstufen der Basilika angelangt, stieg der König vom Pferde und begab sich zur Kirche. Ihn begleiteten der Patriarch von Aquileja, der Erzbischof von Pisa, die Bischöfe von Speyer, Minden, Olmütz, Leitomischl, Zengg, Emona, Vincenza, Volterra, Spoleto, die Herzöge Stephan von Baiern, Otto von Braunschweig, Nikolaus von Troppau, Wladislaus von Teschen, Bolko von Falkenberg, Nikolaus von Münsterberg, Heinrich von Sagan, Bolko von Oppeln, die Markgrafen Giovanni von Montferrat, Raimondino und Bonifazio von Soragna, die Burggrafen Johann und Albrecht von Nürnberg, Burchart von Magdeburg, der Landgraf Johann von Leuchtenberg und viele andere Grafen, Barone, Prälaten und Ritter. Oben auf den Stufen im Atrium der Basilika empfing der Kardinalbischof von Ostia, umgeben vom gesamten Klerus Roms, den König mit Kuß und Umarmung, der ihm als Stellvertreter des Papstes Gold darbrachte. Von da führte der Kardinal den König in die Kapelle der hl. Maria in turri, wo dieser den üblichen Krönungseid ablegte, indem er gelobte, Beschützer und Verteidiger des Papstes und der römischen Kirche zu sein und alle ihre Besitzungen, Privilegien und Rechte zu wahren und zu erhalten. Nach Ablegung des allgemeinen Krönungseides erneuerte Karl auf Wunsch des Papstes die Klemens VI. am 22. April 1346 und später noch öfter geschworenen speziellen Eide. Hierauf ward er von den Stiftsherrn von St. Peter zum Kanonikus und Bruder aufgenommen und begab sich dann mit dem Kardinal durch das Hauptportal der Basilika ins Innere derselben zur Konfessio des hl. Petrus, wo sie vom dröhnenden Lärm der Pauken und den schmetternden Fanfaren der Drommeten sowie vom jubelnden Beifallklatschen der zahllos versammelten Menge empfangen wurden. Sodann führte man Karl und seine Gemahlin zum Altar des hl. Mauritius im linken Kreuzschiff, wo der Bischof von Ostia unter Gebeten zunächst den König am rechten Arm und in der Achselhöhlung salbte und dann ebenso die Königin. Nachdem Karl darauf das Glaubensbekenntnis vor dem Hauptaltar abgelegt, stieg er mit der Königin und dem Kardinal zur Tribüne der Basilika hinan, wo zur Rechten der König, zur Linken die Königin auf Thronsitzen sich niederließen, während der Kardinal den päpstlichen Marmorstuhl in der Mitte der Tribüne einnahm. Nun begann das Hochamt. 3

Breslau

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Joseph Gottschalk Vor dem Evangelium begab sich der König in Prozession zum Hauptaltar, wo ihm der Kardinal mit Beistand des Stadtpräfekten, Giovanni da Vico, die bischöfliche Mitra aufs Haupt setzte und darüber die goldene Kaiserkrone. Sodann übergab ihm der Kardinal Scepter, Reichsapfel und Schwert. Geschmückt mit den Insignien der höchsten Würde der Christenheit schritt der neue Kaiser umgeben von seinen Prälaten, Fürsten und Baronen zu seinem Thronsitz zurück. Nun begab sich die Königin zum Hochaltar: audi ihr setzte der Kardinal die Mitra aufs Haupt, doch so, daß die Spitzen derselben nach rechts und links zu stehen kamen, und über dieselbe die Krone... Nach Beendigung des Hochamtes verabschiedete sich das Kaiserpaar vom Kardinal und stieg, von der wogenden Menge stürmisch bejubelt, die Marmorstufen der Basilika hinab. Zu Füßen derselben standen bereits zwei Zelter, welche Kaiser und Kaiserin bestiegen, um den Krönungsritt durch die ewige Stadt nadi dem Lateran anzutreten. Unter dem Geläute aller Glocken Roms setzte sich der Zug in Bewegung. Fürsten und Magnaten, Barone und Ritter, alle mit glänzenden Helmen und gezückten Schwertern, ritten in langen Scharen voran. Die Kämmerer warfen nach alter Sitte beständig Goldmünzen jeder Sorte unter die aufjauchzende Menge. Das Kaiserpaar selbst umgaben die Senatoren und Repräsentanten des römischen Adels und Volkes sowie die Würdenträger des Reichs und Hofs, welche im Verein die üblichen Ehrendienste versahen, die kaiserlichen Rosse beim Zügel führten, die Spitzen der sdiarlachenen Satteldecken sowie des goldenen Kaisermantels hielten und einen Thronhimmel von Goldbrokat und Seide über Kaiser und Kaiserin ausgebreitet trugen. Unabsehbare Reiterscharen folgten und beschlossen den Zug." Die Rückkehr des Kaiserpaares führte wieder über Siena. A m 6. M a i traf es i n Pisa ein, w o es i m Anzianenpalast wohnte. Spannungen unter den dortigen Adelsgeschlechtern bereiteten manche Sorge. D a brach i n der Nacht v o m 19. zum 20. M a i ein Feuer i m Palast aus, das schnell u m sich griff. N u r notdürftig bekleidet entkamen Kaiser u n d Kaiserin den Flammen. Als U n ruhen ausbrachen, r i t t der Kaiser zum Domplatz. D o r t nahm er v o n seiner jungen G a t t i n Abschied, die er zu Pferde z u m Stadttor hinausschickte. U m die Brücken über den A r n o entspann sich ein heftiger K a m p f . Schon auf die erste Kunde, daß die Aufständischen zurückgedrängt werden, kehrte A n n a i n die Stadt zurück u n d fand i n der Wohnung des Bischofs von Ostia Schutz. D o r t h i n k a m des Abends auch der Kaiser. Die Pisaner gaben i h m als Schadenersatz für die i m T u m u l t vernichteten Werte 13 000 Goldgulden, der Kaiserin 7000 Goldgulden, da ihr beim Brand des Palastes viel an K l e i dung und Schmuck verlorengegangen war. A m 27. M a i reisten beide ab nach Cremona. I n Nürnberg stiftete K a r l am 8. J u l i eine neue Kirche zu Ehren Mariens, als „Frauenkirche* am M a r k t bestens bekannt, w o h l zum D a n k für den 34

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glücklichen Ausgang der ersten Romfahrt. I n Prag zog der Kaiser am 15. September ein. Auf den Reichstagen zu Nürnberg und Metz Die „Goldene Bulle", jenes Gesetzeswerk, das die Wahl des deutschen Königs regelte, ist Karls IV. eigene Arbeit, gestützt auf die Gewohnheiten und Erfahrungen der Vergangenheit. Die ersten 23 Kapitel wurden auf dem Reichstag zu Nürnberg beraten und verkündigt, der kurz vor Weihnachten 1355 begann und am 12. Januar 1356 seinen Abschluß fand. Schon am 25. November 1355 war der Kaiser in Nürnberg eingetroffen, viele Fürsten folgten ihm; die sieben Kurfürsten erschienen kurz vor dem Weihnachtsfest. Bei der Matutin in der Christnacht war Karl von allen Fürsten und seiner Gattin umgeben, welche die Kaiserinnenkrone auf dem Haupte trug. Er las, wie es Sitte war, die siebente Lektion, die nach Lukas Kapitel 2 beginnt mit den Worten „in jener Zeit erging ein Befehl vom Kaiser Augustus", mit dem entblößten Schwert in der Hand. Viele Festlichkeiten folgten, an denen die Kaiserin als die ranghöchste Frau im Abendlande teilnahm. Am 17. Januar wurde dieses wichtige Reichsgesetz verkündet. Ein Festmahl beschloß den Reichstag, an dem audi die schlesischen Herzöge Johann von Troppau und Ratibor, Bolko von Falkenberg, Bolko von Oppeln und Przemislaus von Teschen teilnahmen. Am 13. Januar begab sich der Kaiser nach Sulzbach, am 2. Februar war er mit den schlesischen Fürsten wieder in Prag. Ende Februar traf er sich zu Raab in Ungarn mit König Ludwig, der dem Kaiserpaar und dessen Kanzleibeamten reiche Geschenke zuteil werden ließ. Auf die Einladung des Kaisers hin kam der erste italienische Humanist Francesco Petrarca von Ende Juni bis Ende Juli 1356 nach Prag, wo er sich mit den gebildeten Männern des Hofes wie dem Erzbischof Ernst von Pardubitz und dem Kanzler Johann von Neumarkt geistvoll unterhalten konnte, so daß er später voll des Lobes über die hohe Kultur des Prager Hofes war. Die sprachkundige Kaiserin wird es nicht an Aufmerksamkeiten dem berühmten Gaste gegenüber haben fehlen lassen. Karls Gesetzeswerk erhielt gegen Ende des Jahres 1356 auf dem Reichstag zu Metz seine Vollendung. Am 17. November traf Karl mit der Kaiserin zusammen in Metz ein. Auch der Abt von Fulda war dort und der Bischof von Lebus, der aus einer Breslauer Ratsfamilie stammende Heinrich von Banz, desgleichen Herzog Bolko von Falkenberg, Przemislaus von Teschen, Bolko von Oppeln, Johann von Troppau und Konrad von Oels. 3·

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Die Metzer Chronik gibt über diesen prunkvoll gefeierten Reichstag an der Westgrenze des Reiches folgenden Bericht: „Am Donnerstag nach dem Fest des hl. Martin im Winter kehrte der Kaiser Karl, König von Böhmen, nach Metz zurück und kam auf dem Wege von Thionville daher. Mit ihm erschien die Kaiserin, seine Gemahlin, die Tochter des Königs vom sarazenischen Krakau, begleitet von mehreren großen Fürsten, Herzögen, Markgrafen, Grafen, Baronen, Rittern und Knappen, Prinzessinnen, Damen und Jungfrauen aus verschiedenen Orten und Gegenden. Ihm gingen die Stadtverwaltung, die Bürger und das Volk der Stadt in guter Ordnung und beehrt durch die Justiz bis in die Nähe von Rechiefmont entgegen. Der Bürgermeister von Portemuzelle, der damals Jennat Grant Col hieß, der Sohn des Matthias Grant Col, entbot ihm den Zutrunk und überreichte die Sdilüssel der Stadt. An der Spitze des Zuges ging der Bischof von Metz mit der gesamten Geistlichkeit und mehr als zweihundert brennenden Kerzen bis jenseits des Kreuzes von Ponthieffroy. Bis dorhin ließen sie zwei Baldachine aus seidenem Gewebe bringen, jeden gestützt auf sechs Lanzen, die sie tragen und unterstützen sollten. Ein Baldachin diente für den Kaiser, der andere für die Kaiserin. Und sie zogen ein über die Totenbrücke. Am Zugang zur Brücke standen sedis Ritter aus Metz, die dorthin befohlen waren und die den Thronhimmel über den Kaiser nahmen und ihn trugen. Sie hießen . . . Um den Baldachin über der Kaiserin zu tragen, waren sechs Knappen aus Metz bestimmt worden mit Namen . . . Am genannten Weihnachtstage hielt der Kaiser öffentlich Hof im Zelt, das im Park auf dem Champaisaille errichtet worden war. Von den Kurfürsten — an seine Stelle als König von Böhmen setzte er seinen Bruder Wenzel, den Herzog von Brabant und Luxemburg — übte ein jeder sein Amt aus, wie sie gehalten waren, es zu tun. Der Kaiser saß am Kopfende des Parkes an einem Tisch, ganz allein, im Gewand und Staat des Kaisers, und speiste dort. Die sieben Kurfürsten, nämlich die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der Herzog von Brabant, der Dienste für den böhmischen König verrichtete, der Herzog von Baiern, der Pfalzgraf vom Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg, ein jeder von ihnen ritt hoch zu Roß, brachte die Speisen herbei und servierte sie, wie es dem Kaiser gebührt. So verrichtete jeder sein Amt. Auf der anderen Seite saß die Kaiserin auf einem Tische mit dem Kardinal von Perigord und dem französischen Kronprinzen, dem Herzog der Normandie, und den anderen Fürsten, Herren, Rittern und Knappen, die an anderen Tischen saßen. Alle wurden reichlich mit Speisen versorgt... Am genannten Weihnachtstage ließ der Kaiser in Gegenwart der Kurfürsten die Goldene Bulle veröffentlichen. Während der Zeit, da der Kaiser in Metz war, wurde auf dem Champaisaille ein Ochse an einem Spieß gebraten. Der Ochse enthielt ein Schwein, dieses einen Hammel, der eine Gans in sich. In der Gans war ein Huhn, in diesem ein Ei. Und dieses alles wurde öffentlich jedermann gezeigt. Der Kaiser verlangte keineswegs, daß die Stadt oder ein Bürger ihm Gold oder Silber gab. Die Stadt machte ihm ein Geschenk von 30 Faß Weines von Aussay, wobei jedes

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Faß 2V2 Maß enthielt, ferner 30 Ochsen, 50 Schweine und 1000 Viertel Hafer. Der Kaiserin, seiner Gemahlin, wurde in Gefäßen Gold und Silber im Wert von etwa 500 Pfund überreicht."

Die Chronik des Matthias von Neuenburg meint, daß der Hoftag zu Metz der festlichste des ganzen Zeitalters gewesen sei. Auf ihm wurden die letzten sieben Kapitel der Goldenen Bulle bekanntgegeben. Am 6. Januar 1357 empfing der Kaiser auf Bitten des Abtes von Fulda, der Erzkanzler seiner Gattin Anna war, den Dechanten und das Kapitel des Stiftes Fulda und machte sie zu Burgleuten in der Reichsburg Friedberg. Am 7. Januar reiste er mit der Kaiserin zu Schiff nach Diedenhofen, dann über Trier nach Luxemburg. Am 15. Januar nahmen sie am Gottesdienst zu Aachen teil, wobei sie wieder den kaiserlichen Schmuck trugen und Karl auf dem Kaiserstuhle seines Namenspatrons Karl des Großen Platz nahm. Am 4. März befand sich der Kaiser mit den schlesischen Fürsten in Nürnberg, Ende des Monats auf seinem Schlosse Karlstein. Die Wallfahrt nach Aachen, Köln und Marburg Im April 1357 war das Kaiserpaar nach Prag zurückgekehrt. Aber die Ruhe dauerte nicht lange. Die Königinwitwe Elisabeth, die Mutter des ungarischen Königs Ludwig und einstige Pflegemutter Annas am Hofe zu Ofen, machte in Begleitung von siebenhundert Reitern eine Wallfahrt zu den Heiligtümern des Westens. Seit dem 12. Jahrhundert war Aachen das Ziel vieler ungarischer Pilger. Auf dem Wege dorthin sah man Köln mit dem Schrein der hl. drei Könige. Elisabeth besuchte bei dieser Gelgenheit das Grab ihrer berühmten Namenspatronin und ungarischen Königstochter in Marburg an der Lahn. Karl und seine Gemahlin Anna ließen es sich nicht nehmen, die Königin auf dem ganzen Wege hin und zurück zu begleiten. Am 14. Mai war der lange Zug in Mergentheim, am 20. Mai in Marburg. Tags darauf fand eine feierliche Prozession statt, bei der Karl mit den Fürsten den Elisabeth-Schrein durch die Straßen der Stadt trug. Für seine umfangreiche Reliquiensammlung im Prager Dom erhielt er etwas von den Gebeinen der hl. Elisabeth. Deren Bild und das ihrer Tante, der hl. Hedwig von Schlesien, ließ er später für die Kapelle seiner Burg Karlstein in Böhmen malen. In Aachen hat der königliche Wallfahrerzug am 28. Mai das Pfingstfest mitgefeiert. Am 21. Juni befand sich der Kaiser wieder in Prag. Auch schlesische Fürsten haben das Kaiserpaar auf dieser Reise begleitet; in damals 37

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ausgestellten Urkunden erscheinen die Herzöge Albert von Groß-Strehlitz, Bolko von Falkenberg, Bolko von Oppeln und Johannn von Troppau. An der Westseite des Aachener Münsters wurde in den Jahren 1358—66 eine eigene „Ungarische Kapelle" errichtet. Die Geburt ihrer Tochter Elisabeth Kaiser Karl IV. war bemüht, seine luxemburgische Hausmacht nach allen Seiten hin zu vergrößern und zu sichern. Er sehnte sich nach einem Thronerben, der ihm bisher versagt war. Mit Spannung sah er dem Tage entgegen, an dem Anna im Frühjahr 1358 ihr erstes Kind erwartete. Am 18. März gebar sie in der Burg zu Prag eine Tochter. Karl gab dies allen Fürsten und Städten durch besondere Briefe bekannt und forderte sie zur Freude auf. In das Glück der neunzehnjährigen Kaiserin und Mutter mischte sich eine gewisse Enttäuschung darüber, daß sie dem Gatten nicht einen Knaben geschenkt habe. Dies brachte sie in einem Briefe an den Humanisten Petrarca zum Ausdruck, der aber nicht erhalten ist. Der Dichter tröstete sie in einem langen, zu Mailand am 23. Mai 1358 geschriebenen Brief, dessen Wortlaut bekannt ist. Das erstgeborene Kind erhielt den Namen Elisabeth. Wahrscheinlich wollte man die Mutter des Kaisers Karl und die Erzieherin Annas, die Königinmutter von Ungarn, damit ehren. Für Anna mag dieser Name zugleich eine liebe Erinnerung an Ofen und die dortige Jugendgefährtin, das schöne Liesdien, gewesen sein. Ob die Wallfahrt zum Mariendom in Aachen und zum Elisabethgrab in Marburg im Jahre zuvor der besonderen Bitte um Nachkommenschaft gegolten hatte? Jedenfalls war 1337 Herzog Albrecht I I . von Österreich nach Aachen gezogen, um Kindessegen zu erflehen. Die Kaisertochter Elisabeth ist am 19. März 1366 dem Herzog Albrecht I I I . von Österreich zur Ehe gegeben worden, starb jedoch schon am 4. September 1373, erst im 16. Lebensjahre stehend. Ihr Bildnis ist in einem Glasfenster in St. Erhard in der Breitenau erhalten geblieben. Für Anna und ihr weibliches Gefolge hat Karl ein eigenes Schloß in der Nähe von Karlstein bauen lassen, Karlik genannt. Schon um 1800 war dort nur noch Gemäuer unter den Schatten alter Bäume zu sehen. Die Geburt ihres Sohnes Wenzel Kaiser und Volk waren gespannt, ob und wann Anna einem Knaben das Leben schenken würde. Karl ließ, als eine neue Geburt bevorstand, seine Gattin nach Nürnberg bringen. Hier in der Mitte des Reiches, in der von 38

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ihm bevorzugten Reichsstadt, sollte der geboren werden, der — so hoffte und wünschte man — einst das Reich regieren müßte. Was mag das für eine Freude gewesen sein, als am 26. Februar 1361 auf dem Schlosse zu Nürnberg tatsächlich ein Knabe zur Welt kam. Sofort ließ die Kaiserin an den Papst berichten: »Mit Hilfe des Allerhöchsten, welcher über alle Reiche herrscht und den Königen Heil erteilt, haben wir am Freitag vor dem Sonntag Oculi, etwa zur dritten Stunde, ein männliches Kind, kräftig und in den einzelnen Gliedern wohlgestaltet, zum Licht dieser Welt gebracht. Wir befinden uns samt dem Kinde nach der Geburt mit Gottes Hilfe gesund. Wie wir darauf vertrauen, daß Ew. Heiligkeit von unserer Person gern etwas hören und sich über unsere Glückseligkeit freuen, haben wir Ew. Heiligkeit auch hiervon die Nachricht durch unseren Kaplan, den Überbringer dieses Briefes, Mitteilung madien wollen." Auch die Städte und Fürsten erhielten durch eigene Briefe die frohe Kunde. Dem Papste meldete der Kaiser die Geburt „des Sohnes, den der allmächtige Gott in seiner besonderen Güte nach so viel Sorge und Trübsal, womit er seit dem Tode der ersten Gemahlinnen Blanka und Anna sein Gemüt getrübt habe, nun habe geboren werden lassen". Die Nürnberger Bürger befreite er am 7. März von der für 1362 fälligen Reichssteuer und erließ eine allgemeine Amnestie für Gefangene, alles in größter Freude, weil »uns Gott durch seine Gnade in der Stadt zu Nürnberg, von der Allerdurdilauchtesten Anna, Römischen Kaiserin, unserer lieben ehelichen Wirtin, einen Erben männlichen Geschlechts gegeben hat". An seine Böhmen erließ Karl ein Rundschreiben, das ähnlich wie in der Liturgie des Karsamstags, — mit Exultent beginnend — das ganze Glück des kaiserlichen Vaters wiederklingen läßt. „Freuet euch, ihr Herzen aller unserer Getreuen. Frohlocket, unsere lieben Untertanen. Das ganze Volk feiere ein allgemeines Freudenfest. Ganz Böhmen samt den Provinzen frohlocke über das große Glück, welches ihm widerfahren ist. Ihr Reichen und Armen, ihr Jungen und Alten, jauchzet. Denn sehet, der Königliche Stamm hat einen Sprossen hervorgebracht. Der Himmel hat endlich unsere heißen Wünsche erhört und die Kaiserin, unsere Gemahlin, hat uns einen von Gott erbetenen Erben und Thronfolger geboren. Wir haben einen Sohn, ihr Getreuen! Frohlocket. Er befreit euch von der Furcht, unseren königlichen Stamm erloschen und hierdurch das Königreich zerrüttet zu sehen. Er bringt den Frohsinn auf eure Stirn zurück, die in Erwartung desselben mit Sorgen und Traurigkeit bis zu dieser Stunde umdüstert war. Wir haben einen Prinzen! Der Tag seiner Geburt war für uns ein glorreicher Tag. Seine Erscheinung war wie die aufgehende Sonne, die den Nebel vertreibt. Denn ebenso zerstreute dieser Neugeborene den Wankelmut, die Unentsdilossenheit, 39

Joseph Gottschalk Furcht und Hoffnung aus den Herzen unserer Untertanen und brachte die frühere Glückseligkeit, das heitere Zutrauen und die Liebe in dieselben wieder zurück. Wir haben endlich einen Prinzen! Auf diesem soll unser Königreich wie auf einem starken Felsen befestigt dastehen. Es hat nun vor dem Ungestüm der Feinde nichts zu fürchten. Die Vorsehung begünstigt es offensichtlich und wird es desto mehr beglücken, je mehr Prinzen, Nachkommen und Erben aus unserm Stamm entspringen, damit der Same des Gerechten nicht zugrunde gehe und das Gott gewidmete Geschlecht niemals ausgelösdit werde." Die Taufe des Kaisersohnes sollte zu einem großen Fest für das ganze Reich werden. Ein allgemeiner H o f t a g wurde nach Nürnberg einberufen. Die Heiligtümer des Reiches, die Reliquien und den Kaiserschatz ließ K a r l v o n Schloß Karlstein aus nach Nürnberg bringen. Heinrich v o n Rebdorf, ein Augenzeuge, schreibt folgendes: „Zu seiner Taufe rief er einen feierlichen Hoftag nach Nürnberg, und fast alle Kurfürsten erschienen. Und dieser Sohn wurde getauft am Sonntag Misericordia, am 11. April, in der Pfarrkirche von S. Sebaldus zu Nürnberg, Diözese Bamberg. Er wurde aus der Taufe gehoben durch die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Prag und durch sechs Bischöfe und fünf Äbte und erhielt den Namen Wenzel. Dieser Hoftag wurde acht Tage hindurch in großer Freude gefeiert. Denn der Kaiser ließ auch die kaiserlichen Insignien in feierlichem Zug von Böhmen herbeibringen und in Nürnberg ausstellen. Große Ablässe wurden verkündet, die Papst Innozenz VI. damals zugestand, nämlich dieselben Ablässe, die in Rom der Papst am Gründonnerstag zu erteilen pflegte. Auch wurden Turniere und zahllose Vergnügungen geboten. Nachher wollte der Kaiser eine Wallfahrt zur Marienkirche in Aachen machen, aber er beschloß, dorthin eine Opfergabe für sein Söhnlein zu senden. Deshalb befahl er, den Sohn auf einer Waage mit Gold zu wiegen. Er wog 16 Mark Goldes. Diese sandte er nadi Aachen. Er selbst kehrte mit der Gattin, dem Sohn und den obenerwähnten Reichskleinodien nach Böhmen zurück." Aus den Zeugenlisten der Urkunden, die damals i n Nürnberg ausgestellt wurden, wissen w i r , daß auch viele schlesisdie Fürsten an der Taufe des Kaisersohnes teilgenommen haben. A m 7. A p r i l werden dort genannt: Erzbischof Ernst von Prag, Bischof Heinrich v o n Lebus, die Herzöge Bolko v o n Schweidnitz, Bolko v o n Münsterberg, Bolko von Falkenberg, Heinrich von Glogau, Wenzel von Liegnitz, L u d w i g und Heinrich v o n Brieg, Nikolaus von Troppau, Przemislaus v o n Teschen und Bolko von Oppeln. Karls P o l i t i k zielte dahin, seinem Erben eine große gesicherte Hausmacht als Grundlage für seine künftige Stellung *is K ö n i g und Kaiser zu verschaffen. Er hat darum den erst ein halbes Jahr alten Wenzel verlobt m i t Elisabeth, der Tochter des Burggrafen Friedrich V . v o n Nürnberg. Durch eine eigene deutsche Urkunde gab auch die Kaiserin ihre Zustimmung. Sie 40

Anna v. Schweidnit

die einzige Schlesierin mit der Kaiserinnenkrone

(1353—1362

beginnt mit den Worten: „Wir Anna von gots gnaden Römische Keiserinne, zu allen Zeiten mererin des Reichs und Kunigin zu Behem." Das einfache Siegel der Kaiserin enthält nur den Reichsadler. Ihr Tod Niemals mag Karls Liebe zu Anna so groß gewesen sein wie 1361, als sie ihm den ersehnten Thronfolger geschenkt hat. In der Freude über Wenzels Geburt spricht er von seiner „allerteuersten Gattin". Nicht ganz eineinhalb Jahre später erwartete sie wiederum ein Kind. Auch diesmal war es ein Knabe. Aber Anna starb im Kindbett samt dem Neugeborenen, erst 23 Jahre alt, am 11. Juli 1362. Den Erzbischof Ernst bat der Kaiser, im ganzen Lande kirchliche Trauerfeierlichkeiten halten zu lassen, damit alle die Seele der Kaiserin dem lebendigen Gott anempfehlen. Im Dom zu Prag wurde die Kaiserin bestattet. Von ihrer ersten Grabstätte ist nichts mehr zu sehen, die Gebeine sind später in ein Grab der kaiserlichen Verwandtschaft übertragen worden. Als Karl seine zweite Gemahlin verloren hatte, wartete er nur drei Monate mit der Wiederverheiratung. Nach Annas Tod blieb er fast ein Jahr Witwer. Im Mai 1363 nahm er Elisabeth zur Frau, die Tochter des Herzogs Bogisl a w V . von Pommern und Nichte des Königs Kasimir von Polen. Sie hat dem Kaiser drei Söhne und zwei Töditer geschenkt und ihn lange überlebt. Erst spät hat Karl IV. das durdi seine Ehe mit Anna erhoffte Herzogtum Schweidnitz und Jauer für seine Familie in Besitz nehmen können. Herzog Bolko I I . starb am 28. Juli 1368 und wurde im Kloster Grüssau begraben, seine Gattin Agnes von Österreich starb am 2. Februar 1392 und fand in Schweidnitz ihre Grabstätte. Erbin Annas waren ihre beiden Kinder, Elisabeth und Wenzel. Den neunjährigen Wenzel erklärte Karl IV. am 11. Oktober 1369 für volljährig, so daß er über die Herzogtümer Schweidnitz und Jauer verfügen konnte. Elisabeth, seit 1366 mit Albrecht I I I . von Österreich verlobt, entsagte ihren Ansprüchen zugunsten von Wenzel. Dieser versprach am 12. Oktober 1369, die beiden Fürstentümer weder voneinander noch von der Krone Böhmens zu trennen und ihnen stets einen Landeshauptmann und einen Landschreiber zu geben, die in diesen Fürstentümern geboren und dort eingesessen sind. Städte und Ritter leisteten einen Treueid auf Karl und Wenzel. Während die anderen Landesteile Schlesiens den einzelnen Piastenherzögen oder dem Bistum Breslau gehörten, die sich alle der Krone Böhmens unter41

Joseph Gottschalk

stellt hatten, waren Schweidnitz und Jauer Eigentum ( = Erbfürstentümer) des jeweiligen Böhmenkönigs ebenso wie die Grafschaft Glatz. Die Eheschließung Karls mit Anna von Schweidnitz ist also von weittragender Bedeutung geworden. An Kaiserin Anna erinnern noch heute elf Bildnisse aus dem Mittelalter, vor allem ihre Sandsteinbüste im Chor des Prager Domes. Der schlesisdie Piastenadler auf der einen Seite zeigt ihre Herkunft an, der einköpfige kaiserliche Adler auf der anderen Seite ihre hohe Würde. Über diese leider etwas beschädigte, unter Peter Parlers Leitung geschaffene Büste sagt Otto Fischer in seinem Buch: Karl IV. Deutscher Kaiser, König von Böhmen (Bremen 1941), Seite 191 f. und S. 72: „Wie rein und verführerisch ist das glatte junge Mädchengesicht, das spielende Zucken um Mund und Augen und Nasenflügel." Dann spricht er vom „bezaubernden Lächeln und schrägen Blicken dieser mädchenhaften Mutter, deren fließende Locken einen neuen, fast farbigen Gegensatz des Stofflichen hinzufügen und dadurch die Haut erst recht blühend empfinden lassen... Ein schönes und liebes blondes Mädchengesicht mit schwellenden Wangen, schalkhaftem Mund und lachenden Augen — so hat sie der Maler vom Karlstein und der Bildhauer vom Veitsdom verführerisch uns vor Augen gestellt". Literaturangaben Die Urkunden aus der Zeit Karls IV. sind in Regestenform bekannt durch J. F. Böhmer, Regesta Imperii Band V I I I : Die Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser Karl IV. (1346—1378), hrsg. von A. Huber, Innsbruck 1877. Noch immer wertvoll ist die umfangreiche Biographie Karls von E. Werunsky, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit Bd. 1—3, Innsbruck 1880—1892, sowie C. Grünhagen, Schlesien unter Kaiser Karl IV., in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens Bd. 17 (1883), S. 1—43. Die große tschechische Biographie Karls vom J. Susta, Karel IV. reicht mit Band 2 (Prag 1948) nur bis zum Jahre 1355. Die Literatur für diese Periode verzeichnet K. Bosl, Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder Bd. 1, Stuttgart 1967, S. 384—413. Dazu kommen für unsere Fragen J. Gottschalk, Mittelalterliche Bildnisse der Anna von Schweidnitz, Gemahlin Kaiser Karls IV., in: Schlesien, Eine Vierteljahresschrift Jahrg. 7 (1962), S. 193—201; H.Wammetsberger, Individuum und Typ in den Porträts Kaiser Karls IV., in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe Jahrg. 16 (1967), S. 79—95; H . Stoob, Kaiser Karl IV. und der Ostseeraum, in: Hansische Geschichtsblätter Jahrg. 88, Teil 1 (1970), S. 163—214. Taf. 1: Die Verwandtschaften Karls IV. in Südosten um 1353, Taf. 2—5: Itinerar Karls von 1316—1378. Hervorragend ausgestattet ist K. M. Swoboda, Gotik in Böhmen. Geschichte, Gesellschaftsgeschichte, Ardiitektur, Plastik und Malerei, München 1969.

42

Bernhard Brilling D I E SCHLESISCHE JUDENSCHAFT I M JAHRE 1737 Nach der Einführung der Toleranzsteuer für die sdilesisdien Juden im Jahre 17131) gingen die kaiserlichen Behörden daran, alle zur Toleranzsteuer verpflichteten Juden zu erfassen, um sie zur Zahlung heranziehen zu können. Zuerst wurde der Versuch gemacht, die Abgabe durch Vermittlung von Pächtern einzuziehen, an die die Einnahmen des jüdischen Toleranzimposts (gemäß einer Verordnung vom 18.6.1721) 2 ) verpachtet wurden. Naturgemäß hatten die Pächter große Schwierigkeiten bei der Einziehung der Toleranzgelder. So behaupteten viele Juden, zur Klasse der Privilegierten zu gehören, die von der Toleranzsteuer befreit wären 8). Dabei handelte es sich um die Mitglieder der beiden jüdischen Großgemeinden Glogau und Zülz, sowie um einige kaiserlich privilegierte Juden4). Ein großes Hindernis bei der Einziehung der Steuer war die Zerstreuung der Juden über zahlreiche Ortschaften, so daß sich die Toleranzpächter gezwungen sahen, Unterpächter einzustellen, die die Gelder bei den einzelnen Juden einsammeln mußten5). Anscheinend rentierte sich dieses Verpachtungssystem nicht, weshalb sich die Regierung veranlaßt sah, selbst Ämter zur Einziehung der Toleranzsteuer von den Juden einzurichten. Für die verschiedenen Territorien und Bezirke mußten besondere Toleranzämter eröffnet werden, bei denen die dortigen Juden ihre Abgaben zu erlegen hatten. Dort erhielten sie den Toleranzschein bzw. die Quittung über die bezahlten Toleranzgelder, die sie zum Aufenthalt und zum Betreiben ihres Gewerbes in Schlesien berechtigte. Laut Verordnung vom 20. April 1729e) wurden in Schlesien 11 Toleranzämter (fünf in Nieder- und sechs in Oberschlesien) zwecks Einziehung der Toleranzsteuer von den Juden eingerichtet 7). In Niederschlesien gab es Toleranzämter in folgenden Orten: 1. Breslau: für die Juden des Fürstentums Breslau, des Burglehens GroßPeterwitz, der Standesherrschaften Militsch, Trachenberg und (Groß)43

Bernhard Brilling

Wartenberg, der Herrschaften Freyhan und Sulau, sowie der Stadt Herrnstadt und von Dyhernfurth. 2. Landeshut: für die in den Fürstentümern Schweidnitz und Jauer „vagierenden Butten-, Krämer-, und Federjuden", sowie für die in Landeshut, Schönberg, Hirschberg, Greifenberg und sonst im Gebirge „sich in ihren Schabbesherbergen verbergenden Juden". 3. Glogau: für die nicht privilegierten jüdischen „Einläger" in den Städten des Fürstentums Glogau (die Glogauer privilegierten Juden waren von der Toleranzsteuer befreit). 4. Freystadt: für die Juden aus Freystadt, aus den Städten Grünberg, Sagan und Sprottau, und aus den Orten Carolath, Möstichen, Skampe, Stensdi und Wilkau. 5. Bernstadt: für die Juden aus den Fürstentümern Öls-Bernstadt, für die in diesen Fürstentümern „vagierenden Koberjuden" 8 ) und die Juden im Weichbild Namslau. In Oberschlesien wurden Toleranzämter in folgenden Orten eingerichtet: 6. Oppeln: für die Juden des Fürstentums Oppeln. 7. Ratibor: für die Juden des Fürstentums Ratibor. 8. Teschen: für die Juden des Fürstentums Teschen, der Herrschaften Bielitz, Friedeck und Oderberg, sowie aus den Gütern und Städten Freystadt OS und Roy. 9. Troppau: für die Juden der Fürstentümer Jägerndorf und Troppau. 10. Pleß: für die Juden der Standesherrschaft Pleß, sowie der Herrschaften Loslau und Sohrau. 11. Beuthen: für die Juden der Standesherrschaften Beuthen und Tarnowitz. Auf Grund der von diesen Toleranzämtern geführten Listen wurde ein Verzeichnis der jüdischen Toleranzsteuerzahler aus ganz Schlesien zusammengestellt. Diese Listen, ebenso wie die Zusammenstellung selbst, sind vom Standpunkt einer vollkommenen Bevölkerungsstatistik aus unvollständig, da in ihnen, wie bei Steuerlisten üblich, nur die Namen der Steuerzahler selbst, nicht aber die ihrer Angehörigen und des Dienstpersonals aufgeführt sind. Ferner fehlen in dieser Aufstellung Anzahl und Namen der Toleranzsteuerzahler aus denjenigen Gemeinden, die ihre Steuern pauschal abgeführt haben. 44

Die schlesische Judens ft

im Jahre 1737

Es handelt sich dabei um die St. Vincenz-Vorstadt von Breslau, um das Dorf Langendorf im Fürstentum Oppeln-Ratibor, sowie um vier Orte im Fürstentum Glogau. Außerdem sind in dieser Aufstellung der Toleranzsteuer-Zahler verständlicherweise die Namen der von dieser Abgabe Befreiten sogenannten privilegierten Juden nicht gebracht. Fast völlig erfaßt ist dagegen in dieser Liste, die über Schlesien (d. h. vorzugsweise über Mittel- und Oberschlesien) verstreute Landjudenschaft, das heißt die in den kleinen Städten und Dörfern zumeist als Pächter (Arrendatoren) von den Guts- bzw. Herrschaftsbesitzern zugelassenen jüdischen Einwohner. So gibt diese Liste der Toleranzsteuerzahler vom Jahre 1737 doch trotz aller ihrer Mängel einen Aufschluß über die Verteilung der Juden in Schlesien, sowie über die Größe der jüdischen Gemeinden am Ende der habsburgischen Zeit. II Seinerzeit fand ich im damaligen Breslauer Staatsarchiv im Repertorium 13 A A I I 21 f auf Blatt 260—290 ein Heft, betitelt: „Rechnung über den jüdischen Toleranzimpost pro Joh. Bapt. und Weynachten anno 1737"9). Diese Abrechnung über die jüdische Toleranzsteuer in Schlesien, die ich abschrieb und hier veröffentliche, enthält eine namentliche Liste der jüdischen Toleranzsteuerzahler des habsburgischen Schlesiens vom Jahre 1737, zu dem auch das spätere sogenannte Östereichisch-Schlesien, sowie der Kreis Schwiebus gehörten 10). Dieses Verzeichnis war nach folgenden Territorien und Orten geordnet: Zahl der Toleranzsteuerzahler 236 65 43

Stadt Breslau (Bl. 263 a—268 b) Breslauer Vorstädte (Bl. 269 a—271 a) Fürstentum Tesdien (Bl. 271 b—272 a) 1 *) Herrschaft Oderberg (Bl. 272 b) Herrschaft Bielitz (Bl. 272 b) Fürstentum Troppau (Bl. 273 a—b) Fürstentum Jägerndorf (Bl. 273 b) Fürstentum Oppeln-Ratibor (Bl. 274 a—276 a) Freie Standesherrschaft Beuthen (Bl. 276 b) Freie Standesherrschaft Pleß (Bl. 277 a) Fürstentum Brieg (Bl. 277 b) Fürstentum Öls-Bernstadt (278 a) „Im Nambslauischen" (Bl. 278 b) Fürstentum Glogau (Bl. 279 a—b)

11

7 20 6 96 24 22 7 14 14 38

45

Bernhard Brilling Fürstentum Wohlau (Bl. 280 a) 12 Freie Standesherrschaft Wartenberg (Bl. 280 b) 8 Freie Standesherrschaft Trachenberg und Militsdi (Bl. 281 a) 17 Königliches Burglehen Groß-Peterwitz (281 b) 6 Dyhernfurth (Bl. 281 b) 1

Es folgen dann Listen von nicht örtlich gebundenen, bzw. auswärtigen Juden, die sich in Schlesien nur vorübergehend aufhielten, die aber für ihren Aufenthalt in Schlesien, bzw. in Breslau auch eine Steuer erlegen mußten. Es handelt sich um 1. die sogenannten „Landgeher" (Hausierer) (Bl. 281 b) 2. Juden, die die Breslauer Tore in der Zeit vom 20. August 1737 bis 5. Juni 1738 passierten (Bl. 282 a—284 b) 12 ). Auf Bl. 285 a—288 Β war die Abrechnung über die Einnahme und Ausgaben der Toleranzsteuer eingetragen 13). III In dieser Aufstellung vom Jahre 1737 sind 644 Toleranzsteuerzahler namentlich aufgezählt. Zu ihnen müßten noch die Mitglieder der Gemeinden hinzugerechnet werden, die ihre Beiträge pauschal abführten 14), ohne Zahl und Namen der steuerzahlenden Mitglieder anzugeben. Es handelt sich dabei um Juden aus folgenden Orten, bzw. Gemeinden, deren Mitgliederzahl ich allerdings auf Grund archivalischer Unterlagen annähernd bestimmen konnte: Breslau/St. Vincenz-Vorstadt 15) Langendorf O/S (Fürstentum Oppeln-Ratibor) 16) Möstichen (Fürstentum Glogau)17) Sabor (Fürstentum Glogau)18) Skampe (Fürstentum Glogau)19) Wilkau (Fürstentum Glogau)20)

65 Mitglieder 25 Mitglieder 18 Mitglieder 22 Mitglieder 14 Mitglieder 17 Mitglieder

Die Gesamtzahl dieser Gemeindemitglieder, bzw. Steuerzahler betrug 161; zusammen mit den oben angeführten 644 gab es also ca. 800 ToleranzsteuerZahler in Schlesien. Daneben lebten in Schlesien noch von der Toleranz-Steuer befreite Juden, nämlich die Mitglieder der beiden großen jüdischen Gemeinden von Glogau (1722: 265 Familien) 21 ) und Zülz (1725: 100 Familien) 22 ), sowie einige „Privilegierte". Die beiden Gruppen der Toleranzsteuer-Pflichtigen und der davon befreiten privilegierten Juden Schlesiens (800 + 365 Familien) zählten zusammen 46

Die schlesische Judens ft

im Jahre 1737

also über 1100 Familien, was wahrscheinlich einer Bevölkerungszahl von ca. 4000 Juden entsprechen dürfte. Im Jahre 175123) wurde von den preußischen Behörden eine Zählung aller tolerierten Juden Schlesiens durchgeführt. Dabei wurden 1133 Familien gezählt. Danach scheint die Zahl der Juden in Schlesien in der Zeit von 1737 bis 1751 trotz der Veränderung der politischen Verhältnisse ziemlich stabil geblieben zu sein. Allerdings ist zu bemerken, daß sich gewisse Veränderungen in der geographischen Verteilung der schlesischen Juden in der Zwischenzeit ergeben hatten. IV Das Verzeichnis vom Jahre 1737 ermöglicht es uns, einen annähernd genauen Überblick über die damalige Verbreitung der Juden innerhalb Schlesiens, sowie über die Größe der einzelnen Gemeinden jener Zeit zu erhalten. Allerdings erscheinen die zwei größten Gemeinden (neben Breslau) nämlich Glogau und Zülz nicht in dieser Toleranzsteuer-Liste, weil sie als privilegierte Gemeinden galten, deren Mitglieder von der Toleranzsteuerzahlung befreit waren. In der Liste selbst erscheint daher als größte Gemeinde die — trotz aller Widerstände des Breslauer Rates und der Breslauer Kaufmannsschaft entstandene — Breslauer Gemeinde (236 Steuerzahler), zu der noch die Gemeinden der drei Breslauer Vorstädte (mit zusammen über 100 Steuerzahlern) hinzuzurechnen wären. In Niederschlesien gab es damals (außer der alten Gemeinde Glogau) einige Gemeinden, die zum Teil im Fürstentum Glogau, zum Teil im Kreis Schwiebus lagen, der 1694 von Brandenburg an Österreich abgetreten worden war. Vereinzelte Juden gab es in den Standesherrschaften Carolath, Militsch, Trachenberg und (Groß)-Wartenberg. Während es in den Gebirgsgegenden (Glatz, Waldenburg), sowie in der Lausitz, aus der die Juden im Mittelalter vertrieben worden waren, damals keine seßhaften Juden mehr gab, war die jüdische Ansiedlung in Oberschlesien, d. h. auf den dortigen Dörfern, viel stärker entwickelt. Nach den Verwüstungen im Gefolge des 30jährigen Krieges waren die Standesherrschaften in Schlesien, trotz der antijüdischen Beschlüsse der Fürsten und Stände, sehr erfreut darüber, in den zu ihnen freiwillig und unfreiwillig kommenden polnischen, mährischen und böhmischen Juden einigermaßen finanzkräftige Leute gefunden zu haben, denen sie ihre Nutzungsrechte gegen Bargeld pachtweise überlassen konnten. Auf diese Weise gelangten seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter dem Schutz von Grund47

Bernhard Brilling

herren und Adeligen einzelne Juden als Pächter und Arrendatoren in das ihnen im vorigen Jahrhundert „auf ewig" verschlossene Schlesien. Besonders nach den blutigen Judenverfolgungen in Polen im Jahre 1648/49 kam eine große Anzahl Flüchtlinge nadi Schlesien, die sich, da die Städte die Niederlassung von Juden nicht gern sahen, bzw. ablehnten, zumeist auf den Dörfern der adligen Gutsbesitzer als Pächter niederließen. Im Jahre 1656 waren in Oberschlesien bereits an 100 Branntwein-Urbare (Schankgerechtigkeiten) an Juden verpachtet,24) die sich daneben auch mit Kleinhandel und Hausieren befaßten.

Das Ergebnis dieser Entwicklung sehen wir in dieser Liste des Jahres 1737. Wir finden darin Juden in den Dörfern und Kleinstädten der Fürstentümer Oppeln-Ratibor, der Standesherrschaften Beuthen OS, Pleß und Oderberg, der Fürstentümer Öls-Bernstadt sowie der Freien Standesherrschaften Trachenberg und (Groß)-Wartenberg. Sowohl in Mittel- als auch in Oberschlesien hatte sich eine jüdische Dorfbevölkerung herausgebildet, von der der größte Teil nicht Mitglieder der privilegierten Gemeinden Glogau und Zülz waren. Diese Juden waren in der sog. „Landjudenschaft" zusammengefaßt, einer jüdischen Korporation, die zum ersten Mal in der preußischen Zeit (1744) erwähnt wird 2 5 ), die aber wohl schon vorher in der österreichischen Zeit bestanden haben dürfte. Allerdings wurde die schlesisdie „Landjudenschaft" als dritte jüdische Korporation neben den Gemeinden Glogau und Zülz, die bereits vorher existierten, erst unter der preußischen Herrschaft (ebenso wie die Breslauer jüdische Gemeinde) als eine selbständige Körperschaft anerkannt, an deren Spitze der offiziell 1744 anerkannte „Landrabbiner" stand. Dieser Rabbiner der schlesischen Landjudenschaft war zugleich der erste Rabbiner der Breslauer jüdischen Gemeinde26). V

In der Aufstellung vom Jahre 1737 finden wir auch Angaben über Berufe bzw. die wirtschaftliche Tätigkeit der Juden. Im einzelnen sind Berufsangaben nur in der Aufstellung der Juden aus Breslau und aus den dortigen Vorstädten zu finden, aber auch hier nicht in allen Fällen. Sie sind meist nur insoweit angegeben, als diese Berufe außerhalb des damaligen normalen jüdischen Handels lägen. Die jüdische Einwohnerschaft von Breslau und seinen Vorstädten war nur im Zusammenhang mit den Breslauer Märkten und Messen, und zwar in Verbindung mit dem Handelsverkehr zwischen Breslau und den östlichen 48

Die schlesische Judenschaft im Jahre 1737

Nachbarn, in welchem sie die Hauptvermittler waren, nach Breslau gekommen und dort trotz des Widerstandes der Stadtbehörden verblieben 27). Den Hauptanteil an der für den Breslauer Handel wichtigen Vermittlung mit den benachbarten slawischen Ländern hatten die sogenannten „Schammesse", die zugleich Konsuln und anerkannte Vertreter der auswärtigen Judenschaften waren und zudem selbst als Handelsvermittler sich außerordentlich aktiv betätigten28). Zu den Handelsleuten gehörten auch die Makler, von denen einzelne speziell aufgeführt werden, so die Zitronen- und Pferdemakler. Speziell genannt werden ferner einzelne Pferdehändler, die Korn- und Buchhändler sowie die Schmuckler (d. h. die Schmuckwarenhändler). Eine besondere Art der Handelsbetätigung war das Hausieren, das von den sogenannten „Landgehern" betrieben wurde, die mit ihren Warenpacken („Kober", daher auch „Koberjuden" genannt) übers Land gingen, ihre Waren verkauften und zugleich auch die Produkte der Landleute aufkauften. Ein Teil dieser Hausierer lebte in Breslau, bzw. bezahlte dort seine Toleranzsteuer. Wie in jeder jüdischen größeren Gemeinde gab es auch in der Breslauer Judenschaft (die als Gemeinde nicht existierte) 283 ) einige Handwerker, die zum Teil speziell für Juden (wie ζ. B. die Fleischer und Schneider), zum Teil auch für Nichtjuden (wie ζ. B. die Petschierstecher und Pottaschbrenner) arbeiteten. Da, wie bereits gesagt, in Breslau (im Gegensatz zu Glogau und Zülz) keine offizielle jüdische Gemeinde zugelassen war 2 9 ), gab es dort weder einen Gemeinderabbiner, noch andere Gemeindebeamte. Bei den in den Listen erwähnten Schulmeistern handelt es sich wahrscheinlich um Lehrer, die den Unterricht gegen Entgelt in den Wohnungen der einzelnen Juden erteilten. Auch der Musikant, der zu Hochzeiten oder anderen Festlichkeiten aufspielte, wurde ebenso wie der sogenannte Hochzeitbitter von den einzelnen Familien für seine jeweilige Tätigkeit bezahlt. Ganz anders war die Berufsschichtung bei den auf dem flachen Lande, d. h. in den kleinen Städten und Dörfern außerhalb von Breslau, Glogau und Zülz wohnenden Juden, die die sogenannte „Landjudenschaft" bildeten. In vielen kleinen Städten und Dörfern, besonders Oberschlesiens, wohnten jeweils nur vereinzelte Familien, die von wenigen Ausnahmen abgesehen, zur Gruppe der sogenannten Arrendatoren (d. h. Pächter von herrschaftlichen Rechten, bzw. Regalien) gehörten. 4

Breslau

49

Bernhard Brilling

Dies war die Situation des schlesischen Judentums unter der habsburgisdien Herrschaft vor der Eroberung Schlesiens durch Preußen. Langsam hatte sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch stete Zuwanderung aus den benachbarten Ländern Polen, Böhmen und Mähren eine jüdische Gemeinschaft in Schlesien herangebildet. Nach 150 Jahren — in der Mitte des 18. Jahrhunderts — zählte sie drei Großgemeinden in denen zwei Drittel der schlesischen Juden lebten, d. h. etwa ein Drittel in der Messestadt Breslau und ihren Vorstädten, und etwas über ein Drittel in den beiden alten privilegierten Gemeinden Glogau und Zülz. Das restliche Drittel setzte sidi aus der über die kleinen Dörfer und Städte (hauptsächlich in Oberschlesien) verstreuten Landjudenschaft zusammen. Als die preußische Regierung 1812 die Juden Schlesiens emanzipierte bzw. ihnen die bürgerliche Gleichberechtigung gab, waren in zahlreichen Ortschaften und Dörfern noch Nachkommen der ersten jüdischen Siedler aus der österreichischen Zeit ansässig. Bei der Annahme der Familiennamen, die zugleich mit der Emanzipation vor sich ging, nahm ein Teil der inzwischen aus diesen Dörfern ausgewanderten Juden Namen an, die an die Orte erinnerten, in denen sich ihre Vorfahren bereits in der österreichischen Zeit niedergelassen hatten 30 ).

Liste der jüdischen Gemeinden Schlesiens im Jahre 1737 geordnet nach der Zahl der Toleranz-Steuerzahler bzw. Familien Die in Klammern gesetzten Orte bzw. Ziffern besagen, daß diese Gemeinden nicht in der Liste der Toleranz-Steuerzahler enthalten sind, da sie zu den sogenannten privilegierten Gemeinden gehörten, deren Mitglieder von der Toleranz-Steuer befreit waren. Ich habe also die Zahlen aus anderen Quellen ermittelt. Ein Stern *) hinter der Zahl besagt, daß die betreffenden Gemeinden einen Pauschalbetrag gezahlt haben und die Mitgliederziffern aus anderen Quellen errechnet werden mußten. Zwei Sterne **) besagen, daß in dieser Ziffer auch die Breslauer St. Vincenz-Vorstadt enthalten ist, deren Gemeinde einen Pauschalbeitrag zahlte und deren Mitgliederzahl gleichfalls aufgrund anderer Unterlagen ermittelt werden mußte.

(Groß-Glogau) Breslau Breslauer Vorstädte (Zülz OS) Langendorf OS Sabor Möstichen Wilkau Skampe Herrnstadt NS

50

(265) 236 120**) (100) 25*) 22*) 18*) 17*) 14*) 12

Freistadt NS Köben NS Prausnitz Beuthen OS Guhrau NS Eckersdorf (Kreis Namslau) Groß-Peterwitz (Kreis Trebnitz) Schreibendorf (Kreis Brieg) Städtel (Kreis Namslau) Groß-Wartenberg

11 11 9 8 8 7 6 6 6 5

Die schlesische Judens ft 5 Guttentag OS 4 Bernstadt Cziesdiowa (Kreis Lublinitz OS) 4 Landsberg OS 4 Sohrau OS 4 Bujakow (Kreis Beuthen OS) 3 Gleiwitz OS 3 Kieferstädtel OS 3

im Jahre 1737

Loslau OS Myslowitz OS Ratibor OS Rybnik OS Sdiätzke (Kreis Militsdi) Sdiisdiowitz (Kreis Ratibor OS) Tost OS Wundsdlütz (Kreis Kreuzburg OS)

Anhang Liste der toleranzsteuerpflichtigen Juden in Schlesien im Jahre 1737 „Berechnung über den jüdischen Toleranz-Impost pro Joh. Bapt. und Weynachten Anno 1737" aus dem ehemaligen Preußischen Staatsarchiv Breslau Rep. 13 AA I I Nr. 21 f., Bl. 263—271 1. Breslau 2. Breslauer Vorstädte 3. Fürstentum Oppeln-Ratibor 4. Freie Standesherrschaft Beuthen 5. Freie Standesherrschaft Pleß 6. Fürstentum Brieg 7. Fürstentum Öls-Bernstadt 8. „Im Nambslauischen* 9. Fürstentum Glogau 10. Fürstentum Wohlau 11. Freie Standesherrschaft Wartenberg 12. Freie Standesherrschaft Tradienberg (und Militsch) 13. Königliches Burglehen Groß-Peterwitz 14. Dyhernfurth 15. „Landgeher" Breslau*) (Hinter jedem Namen ist der Toleranzsteuerbetrag, der zweimal jährlich zu erlegen war, in Gulden, bzw. in Kreuzern, angegeben. Die Zahl (5) — in Klammern nach dem Namen — bedeutet einen Steuerbetrag von 5 Gulden; die Zahl (45 kr) — in Klammern nach dem Namen — bedeutet eine Steuerzahlung von 45 Kreuzern.) 1. Abraham Isaac (5) 2. Aaron C h i . . . aus Brod (5) 3. Abraham Joseph Sabathai (5) 2 ) 4. Abraham Götschel aus Ladislaw (7) 5. Abraham Samuel aus Tismanitz (5) 6. Abraham Salomon aus Glogau (9) 7. Ascher Jüdel aus Lissa (4) 8. Alexander Isaac (12) 9. Aba, Schulmeister (3) 10. Abraham Salomon aus Kaiisch (2) 11. Abraham Moses aus Auras (2) 12. Aaron Isaac aus Wartenberg (5) 13. Abraham Samuel (3) 14. Alexander, ein Schneider (3) 15. Aaron Josua, Landgeher (5) 16. Abraham Pincus aus Prörau, Landgeher (2) 17. Abraham Isaac aus Lissa (45 kr)

18. Abraham Lazarus, Pottaschbrenner (5) 19. Baruch Elias aus Groß-Glogau (3) 20. Berel Löbel Pick (7) für eine Köchin (45 kr) für einen Dienstjungen (1) 21. Berel Isaac aus Tismanitz (5) 22. Berel Jacob aus Lissa (3) 23. Berel Back aus Prag (4,30) 24. Benedict Abraham aus Groß-Glogau (5) 25. Baruch Löbel, Schammes (von Krotoschin) (5) 26. Berel Baruch, Landgeher (2,30) 27. Berel Hirschel (4) 28. Berel (aus) Tismanitz, Mäkler (5) 29. Benjamin Michel (3) 30. Baruch Selig aus Glogau (3,30)

51

Bernhard Brilling 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.

52

Callmann Alexander aus Ostrau (5) Callmann Nathan aus Pinczow (5) David Moyses, Zülzer Sdiammes (5) David Städtel (3)«) Daniel David aus Krotoschin (7) David Marcus, Lemberger Schammes* Bruder (2) Elias Abraham, Schlächtiger (3) Elias Sabathky (7) Elias Isaac Haaber (6) 4 ) Fischel Löbel aus Sulkow (5) Feibisch Moyses aus Lissa (2) Fischel Samuel aus Pinczow (5) Gerstel Isaac aus Kempen (2) Gerstel Lazarus aus Dresden (3) Gutmann Hirsdiel aus Gebitsdi, Landgeher (1,30) Gerstel Simon aus Prossnitz (4) Hertz Joseph aus Pentzelin (5) »ist weg" Hirschel Levin aus Wandsbek (5) Haskele Simon (7) Hirschel Henoch Reschower (2) Hirschel Abraham aus Tismanitz (5) Hirsdiel Henoch Peltes (?) (5) Hirschel Löbel aus Sulkow (5) Hirschel Mayer aus Opatow (?) (2) Hirschel Ephraim aus Krotoschin (2) Hirschel Marcus, Lemberger Sdiammes' Bruder (3) Haskel Salomon, Posener Sdiammes Sohn (2,30) Hirschel Kaiisch, Schulmeister (3) Händel Jacob, Fleischer (9) für einen Jungen (1) für einen Schulmeister (2) Hertz Ambsel5) (9) Haskel Zamosc (3) Joseph Moyses aus Groß-Glogau (4) Israel Berel aus Rubischow (2,30) Joachim Jacob aus Glogau (2,30) Josel Frank aus Brod (5) Joseph Seelig aus Glogau (6) Joseph Joachim aus Zülz (5) Isaak Hirschel aus Fraustadt (2)

69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106.

Israel Benjamin aus Jaroslaw (3,30) Jacob Eskeles (?) aus Prag (3) Isaac Michel Holländer (7) Isaac Koftka (?) aus Lissa (3) Isaac Samuel, Lemberger Sdiammes Eidam (5) Jacob Lazarus aus Opatschow (5) Joseph Moses aus Glogau (5) Joseph Sabathay, Buchhändler (9) e ) Joseph Elias aus Krotoschin (5) Jakob Abraham aus Pintschow (5) Jodiem Fischel aus Sulkow (3) Isaac Löbel, Bauern-Mäkler (2) Isaac Löbel aus Lissa, Schulmeisters Sohn (4) Jacob Fränckel (aus Eisenstadt) (4) Jacob Pinczow (3) Jacob Löbel Kupkes (2) Joseph Alexander aus Ostrow (2,30), »ist weg" Isaac Löbel, Pinczower Sdiammes (5) Isaac Jaroslaw (4), „ist weg" Joseph Diketin ( = Tiktin) (4) Jodiem Mayer aus Glogau (2) Juda Mayer Littauer (3) Jacob Isaak aus Glogau (2,30) Israel Gabriel aus Glogau (2,30) Jacob Hirschel Lichtenstadt (3) Jacob Aaron aus Goytane ( = Kojetein), Landgeher (2) Jakob Moyses, Pferde-Mäkler (1,30) Joseph Jacob, Zitronen-Mäkler (1) Josua Lemberger (4) Jakob Löbel aus Lissa (5) Isaac Nathan (5) Jerucham Salomon, Posener Sdiammes Sohn (4) Israel Löbel Bia (3) Jacob Samuel aus Posen (3) Israel Frändkel (7) für einen Dienstboten (1) Josua Mayer aus Posen (5) Jacob Löbel (Bruder von Nr. 62) (4) Jacob Simon, Lubliner Sdiammes (5)

Die slesische Judens ft 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145.

Joseph Abraham aus Glogau (6) Jochem Abraham aus Zülz (5) Jacob Samuel (2) Joseph Pincus aus Glogau (7) Jacob Haaber aus Prag (5) Isaac Nathan aus Prag (5) Isaac Samuel, Pferde-Mäkler (3) Israel Lentsdiütz (2) Isaac Samuel, Sohn der Hebamme (1) Jacob Löbel aus Prossnitz, Landgeher (2) Isaac Moses, des Ostrower 7) Eidam (1,30) Isaac Joseph aus Dyhernfurth (1) Isaac Moses aus Aussee, Landgeher (2) Isaac Seelig (2) Koppel Deutsch (4) Löbel Seelig aus Glogau (2,30) Löser Joseph (4) Löbel Jacob, Schmuckler (5) Löbel Lazarus aus Pinczow (3) Lippmann, Schneider (4) Löbel Marcus, Lemberger Sdiammes (5) Löbel Jacob, Schulmeister (5) Löbel Fischel oder Jisel, Musikant (3) Löbel Herschel aus Reschow (9) für Dienstjungen (1) Löbel Alexander (aus Glogau) (5) Lazarus Isaac, Buchbinder (3) Lazarus Joachim aus Lissa (2,30) Löbel, Schlächter (5) Löbel Pick (5) Löbel Salomon Kappon (2,30) Löbel Isaac Cal vac (?) aus Lissa (5) Löbel Pelten aus Glogau (4) Lieber aus Reschow (2) Löbel Guttmann aus Lissa (5) Löbel Isaac (Barudis Eidam) (3) Löbel Jacob Helfte (?) (2) Lazarus Meyer aus Posen (3) Liebmann Hamburger, Schulmeister (2) „ist wega Löbel Woydislaw (2,30)

146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183.

im Jahre 1737 Löbel Städtel (3) Löbel Nadiot (3) Moyses Marcus aus Loske (3) Moyses Abraham aus Krotosdiin (2) Moyses Jacob aus Pintschow (3) Mandel Samuel aus Reschow (5) Moses Israel (3) Marcus Löbel, Lemberger Schammes Sohn (3) Moyses Salomon (5) Moyses Salomon Welsch (5) Marcus Moses Bruck (7) Mayer Juda (5) für eine Köchin (90 kr) Moses Joseph aus Dyhernfurth (2) Marcus Hamburger (4) Moses, Pferdehändler (3) Moses Salomon von Prag (6) Mayer Samuel von Lublin (2) Moses Löbel von Lissa (3) Mayer Samuel, Kalischer Schammes (5) Mayer Abraham aus Prossnitz (3,30) Moses Abele (2) Moses Calmann aus Dyhernfurth (2) Moses Löbel (5) Mayer Joachim aus Thorn (?) (5) Moyses Koppel aus Pinczow (5) Marcus Nathan Bruck (5) Mayer Hertz, Landgeher (3) Model Haskel (3) Mändel Samuel aus Sulkow (3) Nathan Fabian aus Roschino (?) (5) Nathan Jonas aus Hamburg (7) Nissel Jacob, Schlächtiger (7) Naphtali Löbel (3) Nathan Löbel aus Zülz (4) Nathan Haskel (4) Nathan Seelig aus Aussee, Landgeher (2) Philipp Elias aus Reschow (2) Philipp Löbel Pick (10) für einen Dienstjungen (1) für eine Köchin (1)

53

Bernhard Brilling 184. Pesach Abraham (5) für eine Köchin (45 kr) 185. Samuel Israel, Schulmeister (4) 186. Sdiaye Mändel (5) 187. Seelig Jacob Constadt (5) 188. Simon Haskel (4) 189. Salomon Samuel aus dem Brandenburgischen (5) 190. Salomon David aus dem Brandenburgischen (5) 191. Salomon Mändel aus Wodyslaw (5) 192. Scheitel Fränckel (aus Zülz) (7) für eine Köchin (45 kr) für seine Mutter, eine Witwe (4) 193. Samson Joel aus Zülz (9) 194. Salomon Abraham aus Glogau (3,30) 195. Salomon Jacob aus Pinschow (2) 196. Salomon Hirschel (5) 197. Salomon Löbel aus Lissa (5) 198. Simon Isaac aus Krotoschin (5) 199. Sussmann Löbel aus Lissa (5) 200. Salomon Seelig aus Frankfurt (7) 201. Simon Joel aus Lissa (3) 202. Samuel Simon, Pferde-Mäkler (2) 203. Seelig Manasse (5) 204. Scholem Jeruchem aus Kaiisch (5) 205. Salomon Simon aus Lissa (2,30) 206. Salomon Simon, Posener Sdiammes (5) 207. Salomon Simon, Schulmeister (2,30) 208. Samuel Fischel aus Sulkow (4) 209. Simon Jüdel, Sdiammes Eidam (2) 210. Samuel aus Rubischow (3) 211. Samuel Noa aus Lissa (3)

212. Samuel Guttmann, Lissaer Sdiammes (5) 213. Simon Berel Mayer (5) 214. Samuel Jacob aus Reschow (5) 215. Salomon Löbel, des Krotoschiner Sdiammes Sohn (2) 216. Seelig Löbel aus Gebitsch, Landgeher (1,30) 217. Samuel Isaac aus Loschütz, Landgeher (2) 218. Samuel Löbel aus Aussee, Landgeher (1,30) 219. Salomon Diketin 7 *) (3,30) 220. Tobias Lazarus aus Prossnitz, Landgeher (1,30) 221. Todres Löbel aus Prag (5) 222. Tobias Isaac, Kornhändler (5) 223. Tobias Guttmann (3) 224. Vögelin, Witwe des Moses (1) 225. Valentin Sdimeyer aus Zülz (7) 226. Veitel Wolff aus Berlin (5) 227. Victor Löbel, Mährischer Sdiammes (5) 228. Wolff Jacob aus Krotoschin (5) 229. Wolff Isaac aus Reschow (5) 230. Wolff Löbel Pick (5) für einen Dienstboten (30 kr) 321. Wolff Nathan aus Hamburg (7) für eine Köchin (30 kr) 232. Wolff David aus Czekoczin (5) 233. Wolff Jakob, Pferde-Mäkler (3) 234. Wolff Löbel aus Glogau (4) 235. Wolff Salomon Prausnitzer (2,30) 236.®) Wolff Jacob Liditenstadt (3,30)

Empfang und Einnahme des Kayserl. Juden Toleranz-Imposts von denen in den Breslauisch. Vorstädten befindlichen Juden. A. Auf St. Matthiae Gutt 1. 2. 3. 4. 5.

Arie Josua (4,30) Abraham Jakob, Fleischer (9) Abraham aus Lissa (2) Abraham Isaac (1,30) Benedict Ruben Gumperts (12)®) zahlt für Köchin und Jungen (3) 6. Baruch Fabian aus Posen (5) 7. Berel Jakob, Juden Ältester (12)1»)

54

8. Berel Wiener (2) 9. Berisch Lachmann (3)") 10. Daniel Moses Kuh und Angehörige (28)*2) 11. Feibisch, Petschierstecher (4)*2) 12. Feibisch Abraham aus Glogau (2,30), zahlt für Haskel Isaac, Dienstjunge (1)

Die schlesische Judens ώα ft im Jahre 1737 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.

Götzel Schephtales ( I I ) 1 4 ) Hirschel Prossnitz (7) Isaac Simon (2) Jacob Joseph Schlapp (4) Jacob Moyses Schlapp (4) Joseph Alexander (2) Jeremias Juda (4) Idiel Löbel (4) Isaac Aussee (3) Jeremias Salomon aus Halberstadt (3) Löbel Joseph aus Ostrow (3) Lazarus Joseph (3) Löbel Alexander (4) Löbel Jacob aus Kaiisch (5) Mora Israel (3) Marcus Schweitzer (2,30) Moses Schweitzer (4) Moses Perez (9) Man Perez (4) Mayer Abraham (4)

33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.

Michael Abraham (3) Michael Samuel (1) Moses Jacob aus Kürsow (?) (3) Moses Jacob aus Lissa (9) Moses (Wolf) Stumes (11) Mayer Perez (4) Pesadije aus Kaiisch (4) Pinkus Sachs aus Zülz (5) Rabba (?) (4) Saul Noah (3) Salomon Hellmann aus Zülz (10) Salomon, ein Hochzeitbitter (1,30) Simon Stumes (7) Samuel Jacob (4) Tobias Isac (9) Wolf Abraham Raschkes (5) Wolf Lissa (4) Wolf aus Ostrow (5) Wolf Lazarus (7) Zacharias Kuh samt Zugehörigen (30)

B. Auf St. Vincent Die dortige Judensdiaft zahlte eine Pauschalsumme von 150 Gulden16) C. Ohlauisdies Tor 1. Aba, ein Schulmeister (1,30) 2. Hirsdiel Moses (5) 3. Hirschel Löbel aus Kempen (5) 4. Hirschel Jacob (1,30) 5. Jacob Salomon (1)

6. 7. 8. 9. 10.

Joseph Lazarus, ein Fleischer (6) Joseph Kuh (3) Lazarus Löbel (5) Lewin Hertz (aus Hamburg) (4) Lazarus Salomon (3,30)17)

Fürstentum Oppeln-Ratibor Belck: Bodland1®) : Baranowitz: Bodeland1®) : Bislowitz20) (?): Bischinke21) : Brinitze: Friedland: Friedersdorf : Guttentag:

Veitel, ist erst hinkommen Liebermann Jüdel Israel Salomon Ruben Salomon Samuel Moses Hirsdiel Noah Meister Nathan Salomon Simon Samson Wolff Abraham Pinkus Wolff Samson Esriel Mayer Isaac Joseph

Gleibitz 22 ) : Gogilow 23 ) : Hotzenplotz24) : Jaschkowitz: Kujaw: Krzelitz 25 ) : Kapponice : Kamin: Klein-Strelitz: Kaminitz:

Joseph Hirschel Haskel Löbel Salomon Löbel Samuel Moses sämtliche Juden allda geben 75 fl. Eber Joseph Aron Benjamin Isaac Simon Aron Samuel Moses Mayer Löbel Joseph Simon Mannele Michel

55

Bernhard Brilling Kieferstädtel:

Lenke: Loslau:

Lentschütz: Laband: Lubischa26) : Langendorf : Landsberg:

Marklowitz: Newiadim 28 ) :

Nebrowitz 29 ) : Olschin: Oschin: Ober-Glogau: Proskau: Panjow : Pianowitz : Ratibor:

Roy: Rybnik:

Radischow: Rogoschin: Roga: Sohrau:

Emmanuel Kaufmann Hirschel Hirschel Joseph, des vorigen Vater Abraham Hirsdiel David Hirschel Pinkus Löbel Samson Samuel Haskel Joseph David sämtliche Juden geben 11 fl. 27) Moses Haskel Moses Abraham Hirschel Samuel Süssmann Liebermann Joel Samson Joel Moses Jacob Nathan Jacob Israel (durchgestrichen) Nezanael Moses Löbel Moses Meister Samuel Moses Simon Löbel Isaak Moses Marcus, Pottasch-Brenner Löbel Isaac Nezanael 30 ) Hirsdiel Isaac Berel David Marcus Daniel Pesach Hirschel Moses Wolff Feibisch Dan Mändel Joseph Jacob Israel Sina Ruben Aaron Marcus, zahlt vor einen Bedienten

Scheschowitz: Scherwenke33) : SchirkowerHammer 34 ) : Schuchow35) :

Jacob Feibisch Esriel Hirschel Hirschel Salomon Elias Moses Abraham Josua Joachim Nathan Abraham Joseph

Hirschel Moses Hirschel, hat nach den Tagen, welche er im Lande ist, gegeben Salomon Schurgast: Joachim Prager Israel Schobrittowitz: Joseph Simon Sternalitz: Jacob Marcus Stubendorf : Jacob Belcana36) (!) Stübelau: 37 Schwerkeline ) : Nathan Hirschel StrachowitzPinkus Hirschel Hammer 38 ) : Kalmann Joseph Stanowitz: Moses Scheschow39) : Juda Simon Moses Schneider Nathan Jacob Abraham Tost: dessen Sohn Joseph Feibisch Salomon40) Mayer Marcus Tworcke 41) : Wolff Joseph Wranin : Treutel 4 3 ) Wenschin42): Joseph Simon Wirbitz: Löbel Josua Woyske: Model, samt SchwieWessele : gersohn Moses Israel Moses Ewadil (?) Marckele Jacob Winskowitz: Summa des völligen Empfangs (der Toleranz-Gelder) in den Fürstentümern Oppeln und Ratibor pro Termin: 331,25 fl.

Freie Standesherrschaft Beuthen Beuthen:

56

Aaron Löbel Wolff Aaron

Berel Marcus Jacob Isaac

Die schlesische Judens ft

Bobrek: Bujakow:

Georgenberg: Halemba: Heyduk:

Isaac Löbel Abraham Joseph44) Salomon Joseph, Viehpächter Joseph Israel Salomon Josserle David Hertz Joseph David Moses Joseph Jacob Joseph Hirschel Salomon Marcus Joseph

im Jahre 1737

Kropaczow 46) :

Jacob Salomon Abraham Isaac

KleinLöbel Singer Dombrowka: Klein-Panjow46) : Gerstel Joseph Salomon Joseph, Midiowitz: ein Neuer Salomon Lippmann Mickelschütz: Marcus Salomon Neudeck: Joseph Löbel Rudi-Pekari: Raphael Liebermann Schömberg:

Freie Standesherrschaft Pleß Boguschitz: Brzeska 47) : BogutzkerHammer: Gollassowitz: Gardowitz : Goldmannsdorf : Jeschkowitz : Kralowke :

KleinRiegersdorf:

Simon Samuel Jacob Veitel

Myslowitz:

Abraham Moses Hirschel Moses Isaac Samuel Moses Joseph N.N. Samuel Moses Joseph Marcus und vor einen Bedienten

Mittel-Lasitzke : Mockerau: Nicolai: Orzische: Topbele: Wosczücz : Sawade: Zalensche:

Jacob Simon Hirsdiel Kutschma Aaron Gerson Gerstel Schmeyer Aaron Ferenz 48) (?) Baruch Schmeyer Aaron Moses Jacob Veitel Löbel Israel Isaac Joachim Löbel David Abraham Löbel

Eber Löbel

Es folgen die Listen für Mittel- und Niederschlesien: Fürstentum Brieg Proschlitz : Sdireibendorf :

Mayer Hertzel Victor Aaron Arie Josua

Moses Samuel Moses Beer Joachim Singer Joel Feibisch

Fürstentum Öls-Bernstadt - Fruscho w: Bernstadt:

Ellguth:

Callmann Abraham Joseph Löbel Jacob Naphthali Mayer Esra Mayer Isaac von Ausse Joachim Alexander4») Samson Noah

Milatsdiütz: Simmenau: Wontschütz51) :

Wirbitz:

Scholem Salomon Mayer Simon Rauschtitz60) Samuel Moses Gerstel Isaac Lazarus Joachim Samuel Victor Löbel

57

Bernhard Brilling

Im Nambslausischen Dammer: Eckersdorf® 2) :

Baruch Abraham Abele Wolff Jacob Lazarus Samuel Löbel Salomon David Samuel Esra Salomon Moses

StädtelM):

Arie, PottaschBrenner Calriel, Benjamin Löbel Eibenitz Jacob Deutsch Eibenitz54) Lazarus Alexander Salomon Pinkus

Fürstentum Glogau Freystadt:

Guhrau 55) :

Koben60) :

Abraham Moses Berel Lazarus Berel Seelig Wolff Isaac von Lissa Joseph Lazarus Josua Joseph Moses Josua Moses Lazarus Pinkus Haskel Scholem Benjamin Salomon Moses Abraham Salomon58) Wolff Abraham Fischel Hentschel57) Moses Isaac Mändel Moses M) Wolff Isaac Joseph Elias 5 9 ) Moses Isaac Isaac Jacob Israel Mayer Mayer Jacob Mayer Mayer Mändel Salomon

Möstichen: Neukrug: Primkenau 64) : Rheinberg 65) : Ryssenee) :

Sabor: Stensch: Skamp: Steinbach®9) : Wilkau:

Berel Mayer, ein Neuer Mayer Liepmann01) Mayer Berel Samson Jacob Isaac Salomon Mändel Moses von Guhrau 02) sämtliche Judenschaft gibt 52 fl.e») Abraham Lazarus in Polen Elkan Ephraim Hirschel Isaac Simon Jacob Moses Isaac, ein Neuer sämtliche Juden geben 40 fl. 07 ) Seelig Juda (ist tot) Jacob Seelig sämtliche Juden geben 40 fl.«») Löbel Jacob sämtliche Juden geben 32,30 fl. 70 )

Fürstentum Wohlau Herrnstadt?!) :

58

Joseph Jacob Marcus Jacob Pinkus Jacob Baruch Löbel Salomon Simon

Seelig Moses Löbel Joseph Marcus, dessen Schwiegersohn Wolff Moses

Fischel Joachim Peter Elias Moses Jacob

Die schlesische Judens ft

im Jahre 1737

Freie Standesherrschaft Wartenberg Bralin: Ryppin 72 ) : Wartenberg:

Lazarus Isaac73) (Tischler) Nissel Wolff 74 ) Joachim Jacob

Joachim Moses Kallmann Aschner(?) dessen Bruder Isaac Hirsdiel Benjamin Joachim Nehemias samt Dienstboten

Freie Standesherrschaft Trachenberg Prausnitz:

Berel Baruch Abraham, des Aarons Schwiegersohn Hirsdiel Josua Seelig Hirschel (von Lissa) Haskel Marcus (ist in Polen) Moses Salomon Nathan Moses

Trachenberg: Militsch:

Samson Josua Samson Jacob Isaac Löbel Moses Salomon Joseph Isaac77) Liebmann, ein Landgeher Salomon Abraham 78) David Städtel70) Jacob80)

Dyhernfurth:

Josel Marcus Löser Peterwitz dessen Sohn Josel Berel Nathan 82 )

Peterwitz 75 ) : Schätzke76) :

Köngliches Burglehen Groß-Peterwitz GroßPeterwitz 81 ) :

Juda Löbel Mayer Schmalbach Isaac Joachim

Es folgt eine Liste mit der Überschrift: Landgeher: Abraham Weisskopf von Aussee Joel Joachim von Aussee Raphael Joachim von Aussee Jacob von Goytane88) Joachim David von Göbitsch84)

Simon Isaac von Goytane Simon Löbel von Goytane Moses Markel von Goytane Simon Moses aus Böhmen Sdiey, ein Bettler

Verzeichnis der in den Anmerkungen abgekürzt zitierten Literatur. Brann, Landgemeinde = Brann, Marcus: Etwas von der schlesisdien Landgemeinde, in: Festschrift zum 70. Geburtstage Jakob Guttmanns, Leipzig 1915. Brann, Landrabbinat = Brann, Marcus: Geschichte des Landrabbinats in Schlesien, in: Jubelschrift zum 70. Geburtstag des Prof. Dr. H . Graetz, Breslau 1887. Brilling I = Brilling, Bernhard: Geschichte der Juden in Breslau von 1454 bis 1702, Stuttgart 1960. Brilling I I = Brilling, Bernhard: Geschichte der Juden in Breslau (1702—1725), in: Jahrbudi der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau, X V I Würzburg 1971.

59

Bernhard Brilling Rabin, Beiträge = Rabin, Israel: Beiträge zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der Juden in Schlesien im 18. Jahrhundert, Heft 1, erschienen als Beilage zum Bericht des Jüd. Theol. Seminars zu Breslau für 1931, Breslau 1932. Rabin, Rechtskampf = Rabin, Israel: Vom Rechtskampf der Juden in Schlesien, erschienen als Beilage zum Bericht des Jüd. Theol. Seminars zu Breslau für 1926, Breslau 1927. *) Rabin, Rechtskampf, S. 84, Anm. 2; Rabin Beiträge, S. 21 ff., sowie Brilling II, Kap. I I I S. 96 ff. 2

) Rabin, Beiträge, S. 25, Anm. 57. 3) Rabin, Beiträge, S. 27 ff. 4

) Das kaiserliche Privileg für die jüdische Gemeinde Glogau datiert vom Jahr 1598, das für die Gemeinde von Zülz vom Jahre 1600. Zu den privilegierten Juden gehörten einige kaiserliche Münzlieferanten in Breslau, sowie die Familie Singer in Teschen; s. Brilling I I , Kap. I, S. 88 ff. sowie Brilling, Zur Geschichte der Juden in Österreidiisdi-Schlesien in: Judaica Bohemiae, I V (Prag 1968) S. 103 ff. 5 ) Rabin, Beiträge, S. 25, Anm. 58. e ) Staatsarchiv Breslau, Rep. 14, I I , 43 a, vol. 1. 7 ) M.Kopfstein: Geschichte der Synagogengemeinde Beuthen OS, Beuthen 1891, S. 14—15. In der preußischen Zeit gab es in Niederschlesien zehn und in Oberschlesien elf Toleranzämter; s. L.von Rönne und H.Simon: Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämtlichen Landesteilen des Preußischen Staates (Breslau 1841), S. 232/33. 8 ) So hießen die Juden, die mit ihrem Kober (Koffer), in dem sie ihre Waren mit sich führten, das Land bereisten. 9 ) Diese Handschrift ist auch bei Rabin, Beiträge, S. 37, Anm. 94, sowie bei Brann, Landrabbinat, S. 224, Anm. 1 ff. erwähnt. 10 ) Der Kreis Schwiebus war 1694 von Brandenburg an Österreich abgetreten worden. n

) Die Listen der Juden in den Fürstentümern Teschen, Troppau und Jägerndorf, sowie in den Herrschaften Oderberg und Bielitz sind bereits in der oben in Anm. 4 erwähnten Arbeit von B. Brilling über österr. Schlesien S. 114—116 abgedruckt worden. 12 ) Die Namen dieser Juden sind in der Arbeit von B. Brilling: „Breslauer Meßgäste 1651—1738" verzeichnet, die in den „Mitteilungen der Gesellschaft für jüd. Familienforschung" (Berlin) H . 39 (1935) und H . 40 (1936) abgedruckt ist. 13

) Bl. 261 b—262 a, sowie 289 a—290 b waren unbeschrieben. ) Von einer Pauschalgebühr für die außerhalb ihrer Heimatorte handelnden Glogauer und Zülzer Juden, wie bei Rabin, Beiträge, S. 35, Anm. 89 erwähnt, scheint im Jahre 1737 nicht mehr die Rede zu sein, wie aus diesem Verzeichnis hervorgeht. 15 ) Nach der Tabelle der Judenschaft in und außerhalb der Stadt Breslau aus dem Jahre 1726 im Staatsarchiv Breslau, Rep. 17 I I 69 w, abgedruckt im Anhang zu Brilling II. 14

60

Die schlesische Judens ft

im Jahre 1737

le

) In der von den preußischen Behörden 1751 aufgestellten Liste der schlesischen Juden werden 28 Familien in Langendorf aufgezählt; s. Staatsarchiv Breslau, Rep. 199 MR X V , 1, vol.1, Bl. 99—100. Wahrscheinlich dürfte die Zahl im Jahre 1737 nicht wesentlich anders gewesen sein. 17 ) Die Angaben für die folgenden Orte des Fürstentums Glogau (außer für Sabor) entnahm ich einer statistischen Aufstellung vom 13. 6.1733 aus dem Staatsarchiv Breslau: Rep. 24 I I 6 f. 18 ) Für Sabor benutzte ich eine Liste vom 11.9.1722 aus dem Staatsarchiv Breslau Rep. 13 AA I I 21 b.

i») s.o.Anm. 17. 20) s. o. Anm. 17. 21) M. Brann: Geschichte der Juden in Schlesien, H . 6, Breslau 1917, S. 236. 22) Die Liste der Zülzer Juden v. J. 1725 ist nach den Akten des Breslauer Staatsarchivs von B. Brilling in den „Mitteilungen der Gesellschaft für jüd. Familienforschung", H . 15 (1928) S. 72—76 und H . 19 (1929) S. 177—181 abgedruckt. 23) Das Verzeichnis der schlesischen Juden vom Jahre 1751, das ich seinerzeit auch abgeschrieben habe, lag im Breslauer Staatsarchiv in Rep. 199, MR X V 1,1, vol. 1, Bl. 77 a—107 a. 24

) Brann, Landrabbinat, S. 220, sowie Brilling in: Judaica Bohemiae, IV, 1968, S. 105/6. 2δ) Brann, Landgemeinde S. 238 sowie Brann, Landrabbinat S. 249. 2®) Brann, Landgemeinde, S. 237, Landrabbinat S. 246. 27) Darüber s. Brilling I, S. 9 ff. 28) Brilling I, S. 37 ff.; über die hier aufgeführten Schammesse vgl. B. Brilling: Friedrich der Große und der Waad Arba Arazoth, in: Theokratia, Jahrbuch des Institutum Judaicum Delitzschianum, I, 1967—1969 (Leiden 1970) S. 114—115. 29) Brilling I I , Kap. V, S. 102 ff. 80 ) Brilling, Schlesische Ortsnamen als jüdische Familiennamen, in: Zeitschrift für Ostforschung X V , 1966, S. 60—67. 81

) Hier sind nur die Orte aufgezählt, in denen mindestens drei jüdische Familien bzw. Toleranzsteuerzahler in der Liste aufgeführt worden sind. 82) s. o. Anm. 16—20. 83

) s. o. Anm. 15.

Anmerkung zum Anhang: Liste der Toleranzsteuerpflichtigen !) Betr. der Breslauer Liste verweise ich zum Vergleich auf die in Brilling I I im Urkundenanhang abgedruckte Breslauer Judenliste vom Jahre 1725. 2) A. J. Sabbathai war ein Enkel des Dyhernfurther Buchdruckers Sabbathai Bass und ein Sohn des in dieser Liste unter Nr. 76 aufgeführten Buchhändlers Joseph Sabbathai.

61

Bernhard Brilling 3) s. u. Anm. 79. 4

) E. I. Haber wohnte 1733 in der St.-Matthias-Vorstadt; s. Rabin, Beiträge, S. 53 Anm. 148. 5

) Ambsel = Amschel = Ascher.

e

) Vergleiche über ihn bei B. Friedberg: Geschidite der hebräischen Typographie der europäischen Städte, Amsterdam (hebr. Buch mit deutschem Titel), Antwerpen 1937, S. 63 ff.; sein Sohn Abraham s. o. Anm. 2; sein Schwiegersohn ist der unter Dyhernfurth aufgeführte Berel Nathan. 7) Hier fehlte im Originaltext ein Wort. 7a) = Tiktin. 8

) Brann, Landrabbinat zählt S. 224 Anm. 1 die Bediensteten, für die die Toleranzsteuer-Zahler als ihre Arbeitgeber die Steuer entrichteten, mit, so daß er eine Zahl von 253 Steuerzahlern erhielt. ®) B. R. Gumperts (Gumpertz) war als erster Rabbiner der jüdisdien Gemeinde Breslau und zugleich als erster Landrabbiner von Schlesien 1744 von Friedrich dem Großen eingesetzt worden; s. Brann, Landrabbinat S. 241 Anm. 4. io) Bei diesem Judenältesten handelt es sich um den Vorsteher der jüdischen Gemeinde in der St.-Matthias-Vorstadt, die offiziell anerkannt war, und nicht etwa um einen Altesten der Breslauer jüdischen Gemeinde, die damals noch gar nicht existierte, bzw. nicht anerkannt war; s. Brilling I I Kap. V, S. 107. n

) Ladimann ist eine falsch verstandene Wiedergabe des bei den Christen nicht bekannten hebräischen Vornamens Nachmann, wie ich in meiner Arbeit über jüdische Namen in der in Tel Aviv erscheinenden hebräischen Zeitschrift „Yeda-am" (Journal of the Israel Folklore Society), H . 11, (1953) S. 13 ff. nachgewiesen habe. 12

) Die aus Prag stammende Familie Kuh, die zu den ältesten Breslauer jüdischen Familien gehört, läßt sich seit 1665 auf dem Matthias-Stift bei Breslau nachweisen; s. Brilling I S. 72, bzw. S. 105 Anm. 30. Diese Familie ist, da sie nicht in der Stadt Breslau selbst wohnte, in den in Brilling I I gedruckten Breslauer Judenlisten aus den Jahren 1710 und 1725 auch nicht aufgeführt. 13

) Einige Angaben über ihn s. in Brilling: „Friedrich der Große und der Waad Arba Arazoth" in: Theokratia, Jahrbuch des Institutum Judaicum Delitzschianum, I (Leiden 1970), S. 112, Anm. 2. 14

) Schephtales = Sdieftels, Sohn des Sdieftel, bzw. Schabbathai.



) Ichel ist (ebenso wie der Name Euchel) eine Kurz- bzw. Koseform des hebräischen Namens Jediiel (Michel); s. Martin Philippson — Festschrift (Leipzig 1916) S. 214, Anm. 2. 15a Man ist eine Kurzform des hebräischen Namens Menachem. 16 Betreffs des Verzeichnisses dieser Juden verweise ich auf Anm. 15 der Einleitung. ι 7 ) Zwischen den Listen der Breslauer Juden und der Juden des Fürstentums Oppeln — Ratibor befanden sich die Listen der Juden von Österr.-Sdilesien, die ich hier nicht abgedruckt habe, da sie bereits von mir in: Judaica Bohemiae IV, 1968, S. 114—116 veröffentlicht wurden.

62

Die schlesische Judens ft

im Jahre 1737

18 ) Die Identifizierung von Ortsnamen in den folgenden Listen habe ich nadi I. G. Knie: Alphabetisch-statistisch-topographische Übersicht der Dörfer, Flecken, Städte . . . der Königl. Preußischen Provinz Schlesien, 2. Α., Breslau 1845, vorgenommen. 1β

) Der Ort Bodland (Bodeland) erscheint in meiner Abschrift zweimal; wahrscheinlich handelt es sich dabei in einem Falle um eine Verwechslung mit einem ähnlichen Ortsnamen. 20) = Buslawitz, Kreis Ratibor. 21) = Brzezinka (?), Kreis Tost/Gleiwitz. 22) = Gleiwitz. 28) = Gogolin, Kreis Rybnik. 24

) Die jüdische Gemeinde von Hotzenplotz gehörte nicht zur schlesischen Judenschaft, sondern zur mährischen. Die Stadt Hotzenplotz war eine mährische Enklave des Bistums Olmütz; s. Christian Ritter d'Elvert: Zur Geschichte der Juden in Mähren und Österr.-Sdilesien (Brünn 1895), S. 126. Die Hotzenplotzer Juden zahlten ihren Toleranzsteuerbetrag für die Genehmigung, in Schlesien handeln zu dürfen; s. auch Rabin, Reditskampf S. 14, Anm. 3. 25) = Chrzelitz, Kreis Neustadt OS (bei Proskau). Aus diesem Ort stammte die Familie Crzellitzer (Schelitzer), zu der der bekannte Begründer der Gesellschaft für jüdische Familienforschung Dr. A. Czellitzer in Berlin gehörte (geb. 5. 4.1871 in Breslau, deportiert 13. Juli 1943 von Holland nach Sobibor, Polen und dort ermordet). 2β)

=

Lubic, Kreis Tost/Gleiwitz.

27) s. Einleitung, Anm. 16; sowie Brann, Landgemeinde S. 244, Anm. 1. 28) = Niewiadom, Kreis Rybnik. 2») = Nieborowitz, Kreis Rybnik. *°) = Nathanael. 81

) = Plawniowitz, Kreis Tost/Gleiwitz.

82

) = Sdiischowitz, Kreis Ratibor (?).

33)

=

Czerwionka, Kreis Rybnik.

3*) Herkunftsort der Familie Schierokauer. 35) = Czuchow, Kreis Rybnik. 3β) verschrieben für: Elkana. 37) = Schwirklau, Kreis Rybnik. 38) Strandorf, Kreis Ratibor. 3») = Cziesdiowa, jüdische Dorfgemeinde mit einer bekannten Holzsynagoge, die im 18. Jh. erbaut wurde und nach dem Wegzug der Juden in das Eigentum des dortigen Ortspfarrers überging, der sich stolz als „Pfarrer und Synagogenbesitzer" bezeichnete, s. B. Brilling in: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, vom 9. 3. i\951; vgl. M. Brann, Die jüdischen Altertümer von Czieschowa, in der Monatsschrift: Oberschlesien, X V I , 1917.

63

Bernhard Brilling 40

) Seine Nachkommen nahmen den Familiennamen Adler an.

41

) = Tworog.

42

) = Wendzin (?), Kreis Lublinitz.

4S

) Treutel bzw. Treitel (Treidel) ist ein sehr seltener jüdischer Vorname.

44

) Seine Nachkommen nahmen den Namen Böhm an.



) = Chropaczow, Kreis Beuthen OS.

46

Nach diesem Ort, der polnisch: Paniowki hieß, dürfte die Breslauer Familie Panofka benannt sein. 47

) = Brzoska, Kreis Tost/Gleiwitz.

« ) = Perez (?). 4β

) Joachim Alexander aus Städtel (1687—1747) war der Schwiegervater des Samson Noa aus Fürstlidi Ellguth (bei Städtel), dessen Tochter Rele Samson mit dem (1734 in Breslau geborenen) Baruch Sdieftel verheiratet war. Dieser war der Vorfahre der Breslauer Familie Sdieftel, die also ihre Niederlassung in Schlesien bis ins 17. Jh. zurückverfolgen kann. Zu den Nachkommen bzw. Angehörigen dieser Hamilie gehört audi der Königsberger Rabbiner F. Perles.

δ0

) Rauschtitz ist die jüdische Form des mährischen Ortsnamens Rausnitz.

δ1

) Wontschütz gehörte dem Grafen von Frankenberg; s. Rabin, Beiträge, S. 37, Anm. 92. δ2

) Eckersdorf gehörte dem Baron von Prittwitz; s. Rabin, a.a.O.

δ3

) Städtel bei Namslau gehörte zu den jüdischen Dorfgemeinden Schlesiens, die schon im 17. Jh. erwähnt werden; s. Rabin, Rechtskampf, Anhang S. X I I . 54

) Eibenitz ist die jüdische Form des mährischen Ortsnamens Eiwanowitz.

δδ

) Die jüdische Gemeinde von Guhrau ist durch Juden aus Lissa in Posen, die während des schwedischen Krieges im Jahre 1709 nach Guhrau flüchteten, gegründet worden; s. Rabin, Beiträge, S. 39, Anm. 99. δβ

) Abraham Salomon sollte zusammen mit Joseph Elias und Hirschel Hentsdiel 1734 aus Guhrau ausgewiesen werden; s. Rabin, Beiträge, S. 11, Anm. 26. Dort wird auch erwähnt, daß das Tuchmachermittel in Guhrau und Köben für ihn eintrat, weil er durch Abnahme von Tüchern sowie durch Leistung von Vorschüssen und durch die Einführung guter Wolle aus Polen die Landesproduktion fördere.

δ7 ) Fischel Hentsdiel dürfte mit dem in der vorhergehenden Anmerkung erwähnten Hirsdiel Hentsdiel identisch sein; es dürfte eine Versdireibung vorliegen. 68 ) Mendel Moses erscheint auch in der Liste von Köben, wo er wohl auch einen Handel betrieb.

M) s.o.Anm.56. eo

) Die Mitglieder dieser drei Gemeinden Freistadt, Guhrau und Köben wurden aufgrund des kaiserl. Edikts vom 14. 6.1738 (Rabin, Beiträge, S. 58/59), das die Ausweisung der unprivilegierten Juden aus Schlesien anordnete, vertrieben, da die dortigen Juden keinen Nachweis über ihr Aufenthaltsrecht für Schlesien erbringen konnten. So hörten diese Gemeinden damals zu existieren auf. Die Erinnerung an

64

Die schlesische Judenschaft im Jahre 1737 sie lebte nur in den Familiennamen weiter, die die von dort vertriebenen Juden (Guhrauer, Köbner) annahmen. Das gleiche gilt auch für die Gemeinde von Herrnstadt im Fürstentum Glogau. 61

) Mayer Liepmann dürfte ein Vorfahre oder Verwandter des ca. 1750 in Koben geborenen Nathan Liepmann Heilbronn sein, der später nach Breslau verzog und dort den Familiennamen Reichenbach annahm (gest. 1817).

«2) s.o. Anm. 58. e8

) s. Einleitung, Anm. 17.

e4

) Von diesem Ort ist der Familienname Primker abgeleitet.

β5

) Reinberg, früher Reibnig, gehörte zum Fürstentum Carolath.

ββ

) = Rissen, Kreis Sdiwiebus.

e7

) s. Einleitung, Anm. 18.

e8

) s. Einleitung, Anm. 17; Skampe war ein Fürstl.-Trebnitzisches Stiftsgut.

ββ

) Steinbach im Kreis Züllichau.

70

) s. Einleitung, Anm. 17.

71

) s.o. Anm. 60.

72

) Nach diesem Ort im Kreis Groß-Wartenberg dürfte vielleicht die Familie Ruppin ihren Familiennamen gewählt haben. 73) Lazarus Isaac dürfte wahrscheinlich mit Lazarus Tischler identisch sein, der in der Liste der Juden der Standesherrschaft Trachenberg vom 13. 3.1722 aufgeführt ist; s. u. Anm. 76. 74) Nissel ist eine Kurz-, bzw. Koseform des hebräischen Namens Nathan, der von den aschkenasischen Juden Nossen ausgesprochen wurde. N. Wolff war ein auswärtiges Mitglied der Glogauer Gemeinde. 75) Peterwitz = Trachenberg.

Klein-Peterwitz, Kreis Militsch, gehörte zur Standesherrschaft

7

«) Im Breslauer Staatsarchiv Rep. 13 AA I I 21 b war ein von H. Lazarus unterschriebenes Verzeichnis der Juden aus Schätzke vom 13. 3.1722 erhalten, das ich hier nochmals zum Vergleich abdrucke, da diese Abschrift an einer für die normalen Leser nicht erreichbaren Stelle (im hebräischen Sammelbuch: Reschumoth = Sammelschrift für Memoiren, Ethnographie und Folklore in Israel, N . F., Tel.-Aviv, I I , 1946 S. 96) erschienen ist: „Consignation der in der freyen Standes Herrschaft Trachenberg in dem sogenannten Schätzger Branntweinhauss befindlichen Juden. 1. Hirschel Lazarus, Jud aus Mähren von Prossnitz, Branntwein-Jud des herrschaftl. Branntwein Urbars zu Schätzke.

2. Lazarus Tischler, Wayse, gehet nach getaner Arbeith bissweilen mit gemeinen Spitzen und anderen Krahmerwaren in die nahliegenden Dörfer. 3. Barbara Tischlerin, eine freyledige Wayse. 5

Breslau

65

Bernhard Brilling 4. Magdalena Tischlerin, eine freyledige Wayse alle drey Waysen, die von meines Weyhes Schwester Kinder sind— weder Vater noch Mutter — sondern statt meiner Kinder erziehe. 5. Ein bissweylen 2 freyledige Branntweinknechte zum Brennen. 13. März 1722." Der hier erwähnte Name Tischler hat nichts mit dem Beruf des Tischlers zu tun, sondern ist vom jüdischen Frauennamen Tischel abgeleitet, ebenso wie der jüdische Name Schiffer vom Frauennamen Schiffra und der Name Fischer vom männlichen Vornamen Fischel abgeleitet ist. 77

) Josef Isaac aus Sdiätzke besuchte 1727 den Jahrmarkt von Oels und behauptete, daß der Branntweinpächter von Schätzke sein Vetter wäre.

78

) Zwei zwischen 1730 und 1740 in Schätzke geborene, verheiratete Töchter des Salomon Abraham, namens Gittel und Breundel, lebten 1776 in Breslau; s. M. Brann, Die schlesisdie Judenheit vor und nach dem Edikt vom 11. März 1812 ( = Jahresbericht des Jüd. Theol. Seminars Fraenckelsdier Stiftung für 1912), Breslau 1913, S. 36, Nr. 5 und 6. Ihr Bruder war Michael Salomon, der nach seinem Wohnort den Familiennamen Freyhan annahm und später in Breslau lebte. Er wurde durch seine Stiftungen bekannt; s. A. Heppner: Jüd. Persönlichkeiten in und aus Breslau, Breslau 1931, S. 13.

79

) David Städtel bezahlte auch Toleranzsteuer in Breslau, um sich dort aufhalten und handeln zu können, und wird daher in der Breslauer Liste unter Nr. 34 aufgeführt. Seine Frau wurde 1732 auf dem Friedhof von Dyhernfurth beigesetzt, da es damals wohl in Trachenberg keinen Friedhof gab; s. Brann, Landgemeinde, S. 228, Anm. 6. 80

) Jacob dürfte mit dem 1732 in Militsch erwähnten Jacob Abraham identisch sein; s. Fritz Bloch: Die Juden in Militsch (Diss., Breslau 1926) S. 18 bzw. 67.

81

) Groß-Peterwitz im Kreis Neumarkt.

M) Berel Nathan (Isaschar Ber ben Nathan hakohen) aus Krotoschin, gest. 1745, war ein Schwiegersohn des oben (in Anm. 6) erwähnten Joseph Sabbathai, von dem er 1718 die Druckerei in Dyhernfurth erworben hatte; s. in dem oben in Anm. 6 erwähnten Werke von Friedberg, S. 64 ff. Außer Berel Nathan wohnten in Dyh. mehrere jüdische Buchdrucker, deren Namen aber nicht in das Verzeichnis aufgenommen wurden weil sie nur als Bedienstete des Budidruckereibesitzers Berel Nathan galten und daher keine Toleranzsteuer entrichteten. 8S

) = Kojetein in Mähren.

84) — Gewitsdi in Mähren.

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Wolfgang Berndt und Gotthard Münch D I E CHOLERA I N SCHLESIEN (1831—1837) Das aufgeklärte 19. Jahrhundert ist in seinem Fortschrittsglauben durch kaum eine andere Erscheinung so schwer erschüttert worden wie durch das Auftreten der Cholera zu Beginn der dreißiger Jahre und durch die Unfähigkeit, ihre immer von neuem erfolgenden Ausbrüche aufzuhalten. Die Seuche kam von Indien über Rußland nach Mittel- und Westeuropa und ergriff schließlich, von englischen Schiffen verschleppt, auch Nord- und Mittelamerika. Aus mannigfachen inneren und äußeren Gründen bekam Schlesien ihre Geißelschläge besonders schmerzhaft zu spüren. Zwei erst neuerlich bekannt gewordene Berichte aus dem böhmischen Winkel der Grafschaft Glatz und eine weitere tschechische Quelle aus dem unmittelbar angrenzenden böhmischen Gebiet geben uns Anlaß, uns die ersten schlesischen Cholerajahre einmal etwas näher anzusehen. Dabei kommt es uns nicht auf eine erschöpfende Darstellung, sondern auf die Verdeutlichung der charakteristischen Züge an 1 ). Im Bewußtsein der Schlesier hing der Einbruch der Cholera mit der polnischen Erhebung im Spätjahr 1830 zusammen, und es ist gewiß, daß ihr Vordringen nach dem Westen durch den russisch-polnischen Feldzug von 1830/31 begünstigt wurde. Die Observationsarmee, die im Februar-März 1831 unter dem Oberbefehl des greisen Generalfeldmarschalls Gneisenau an der preußischen Ostgrenze aufgestellt wurde, erhielt zu ihrer militärischen Aufgabe, das Übergreifen des polnischen Aufstandes auf preußisches Gebiet zu verhindern, alsbald auch die sanitäre, als Schutzkordon gegen die Cholera zu dienen. Die Seuche raffte in Rußland bis Ende Januar 1831 75 000 Menschen dahin, in Moskau allein starben 5000. Alarmierend aber wirkten erst die Nach1) Zu vorliegender Arbeit steuerte W. Berndt aus Neratovice/CSSR die aus dem Tschechischen übersetzten Quellen bei. G. Münch arbeitete sie in den gesamtsdilesisdien Zusammenhang ein. Von wichtiger älterer Literatur konnte er sich einiges nicht beschaffen. Wenigstens dem Titel nach sei genannt: Pistor, Die Verbreitung der Cholera im Regierungsbezirk Oppeln 1831—1874. In: Heft 6 der „Berichte der Cholera-Kommission für das Deutsche Reith", Berlin 1879, S. 139—287. 5*

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Wolfgang

Berndt und Gotthard Münch

richten im März und April dieses Jahres, daß auch die baltischen Länder und Polen von der Seuche erfaßt wären. Erst jetzt, Ende April, wurde in Berlin eine Immediat-Kommission zur Abwehr der Cholera eingesetzt, die die Provinzialbehörden mit einer Flut von Anordnungen überschwemmte und die Grenze von Memel bis Pleß für den Personen- und Warenverkehr sperrte. Der Übergang wurde nur an wenigen Stellen mit Quarantäneeinrichtungen gestattet. In Schlesien wurden dafür Landsberg und Berun vorgesehen. Ein dreifacher Kordon sollte der Überwachung der Sperrmaßnahmen dienen. Zu seiner Vervollständigung wurde auch die Zivilbevölkerung herangezogen. Man nahm dabei wohl oder übel in Kauf, daß die Erschwerung von Handel und Wandel die Bevölkerung der Grenzgebiete hart traf und besonders die kleinen Gewerbetreibenden um ihren Lebensunterhalt brachte. Man hätte sich sagen müssen, daß man dadurch erst recht die Voraussetzungen für das Umsichgreifen der Seuche schuf. Aber die unmittelbare Abwehr war nun einmal das erste Gebot2). In Schlesien lag die Leitung dieser Abwehr in den Händen des Oberpräsidenten Theodor von Merckel. Am 4. Mai erließ er eine Verordnung, die alles zusammenfaßte, was „Erfahrung, Vernunft und Wissenschaft gegen dergleichen Krankheiten" vorschrieben. Er untersagte allen Eingang von Menschen und Waren aus Russisch-Polen, dem Freistaat Krakau und Galizien, ordnete die schleunige Aufstellung eines Grenzkordons aus den Bewohnern der Grenzkreise an, unterwarf die aus verseuchten Ländern kommenden Briefsachen der Desinfektion und richtete das gesamte Polizei- und Nachrichtenwesen auf die Abwehr der „epidemischen Brechruhr" aus. Mit diesem aufklärenden Namen benannte man von Amts wegen die Seuche, um der lähmenden Angst entgegenzuwirken, die von dem geheimnisvollen Worte Cholera ausging3). Als dieser Erlaß verkündet war, machte sich der Oberpräsident persönlich auf den Weg in die Grenzgebiete. Mit seinem bedeutenden Ansehen sorgte er dafür, daß sich die militärischen und zivilen Stellen zu möglichst reibungsloser Zusammenarbeit bereit fanden. In Oberschlesien stand ihm in dem verdienstvollen Regierungspräsidenten Theodor Gottlieb von Hippel ein 2

) Amtsblatt des Oberpräsidenten von Schlesien, Breslau 1831, S. 149—152. — R. Biirkner und J. Stein, Geschichte der Stadt Breslau von ihrer Gründung bis auf die neueste Zeit, Bd. 2, Breslau 1851, S. 225. — J. Stein, Geschichte der Stadt Breslau im neunzehnten Jahrhundert, Breslau 1884, S. 93. — Carl Ignatius Lorinser, Eine Selbstbiographie, vollendet und herausgegeben von seinem Sohn Franz Lorinser, Regensburg 1864, Bd. 2, S. 12—13. 3) Amtsblatt 1831, Beilage nach S. 144. — Bürkner, Breslau, Bd. 2, S. 224—225. — Lorinser, Selbstbiographie, Bd. 2, S. 13—14.

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Die Cholera in Schlesien (1831—1837)

ebenso einsichtiger wie eifriger Helfer zur Verfügung 4). An dessen Seite wieder trat in Medizinalrat Carl Ignaz Lorinser der sachkundigste Berater, den man sich wünschen konnte. Seit langen Jahren bemühte sich Lorinser, nachdem er sich in Berlin und Wien hervorragende human- und veterinärmedizinische Grundlagen erworben hatte, in Oberschlesien um ein tieferes Verständnis des eigentlichen Wesens der epidemischen Krankheiten. Im Winter 1829/30 unternahm er im Auftrage der preußischen Regierung eine beschwerliche, aber ungemein ergebnisreiche Reise zu den Kontumazanstalten, die die Donaumonarchie entlang ihrer russischen und türkischen Grenze zur Abwehr der Pest errichtet hatte, und soeben hatte er seine grundlegenden „Untersuchungen über die Rinderpest" (Berlin 1831) unter der Feder. Er war einer der ersten, die erkannten, daß es sinnlos war, die Cholera mit denselben Mitteln abwehren zu wollen wie die Pest, vermochte sich aber bei den maßgebenden Stellen zunächst nicht durchzusetzen5). Nicht ohne Sarkasmus berichtet er in seiner Selbstbiographie: „Durch seinen Eifer zeichnete sich besonders der Oberpräsident von Merckel aus. Er strebte nach dem Ruhme, seine Provinz vor der asiatischen Geißel zu bewahren, und hatte ganz richtig erkannt, daß das angenommene System eine diktatorische Gewalt erheischte. Unglücklicherweise fehlte ihm die Kenntnis der Sachen, und seine Eigenliebe erlaubte ihm nicht, bei anderen Belehrung und Rat zu suchen. In den Kontumazen wollte er (wie idi in Groß Chelm aus seinem Munde vernahm) Apotheken und Pferdeställe einrichten, Mägde und Wäscherinnen anstellen und dergleichen. Mit Mühe gelang es der (Oppelner) Regierung, ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Die Grenze ließ er durch einen Oberforstmeister re vidieren, der den Vorschlag machte, zum Einfangen der Überläufer Wolfsgruben anzulegen. Er korrespondierte unmittelbar mit den Quarantäneanstalten über jeden einzelnen Kontumazisten, ließ die Ärzte mit einsperren und machte durch eine unendliche Schreiberei allen Beamten das Leben sauer e).a

Am 4. Juni ordnete die Berliner Immediatkommission an, daß sich möglichst viele Ärzte zum Studium der Krankheit in den Kontumazanstalten melden sollten7). Aus Breslau begab sich der jüngere Remer, eines der fähigsten Mitglieder der Medizinischen Fakultät, unmittelbar nach Warschau, wo die 4) Alfred Steinert, Theodor Gottlieb von Hippel, der Schöpfer des „Aufruf an mein Volk" und zweite Chef-Präsident des Regierungsbezirks Oppeln 1823—1836. In: Der Obersdilesier. Monatsschrift für das heimatliche Kulturleben. 20. Jg., Oppeln 1938, S. 140—144. 5) Lorinser, Selbstbiographie, Bd. 1, S. 179, 193—194; Bd. 2, S. 8—9, 13—14. — A. Steinert, Carl Ignaz Lorinser. In: Der Obersdilesier, Jg. 20, 1938, S. 448—451. — Constantin von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 16, Wien 1867, S. 52—53. β) Lorinser, Bd. 2, S. 15. 7) ebenda. Vgl. Merckels Aufruf vom 21. 6. 1831. Amtsblatt 1831, S. 195.

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Wolfgang

Berndt und Gotthard Münch

Cholera Ende April ausgebrochen war. Er sollte für die dort gewonnenen Erfahrungen zu Hause bald die beste Verwendung finden 8). Der Obersdilesier Max Ring, der in den Jahren 1836 bis 1838 sein Schüler war, nennt ihn einen „geistvollen Chirurgen und geschickten Operateur", der sich durch seine Aufgeschlossenheit für moderne Methoden vorteilhaft von seinem allzu konservativen Vater abhob9). Große Sorge bereitete der Immediatkommission die Ende Juni fällige Messe in Frankfurt an der Oder. Man konnte sich nicht entschließen, sie ganz abzusagen, unterwarf aber die Besucher aus den östlichen Ländern einer zwanzigtägigen Kontumaz. Auch den Schiffsverkehr auf der Oder nahm man in scharfe Kontrolle 10 ). Schlesien war als Durchgangsland von diesen Maßnahmen natürlich schwer betroffen. Sie schienen aber unvermeidlich. Alarmierende Nachrichten aus Lemberg veranlaßten den Oberpräsidenten sogar, am 9. Juni auch die Grenze gegen Österreichisch-Schlesien und Böhmen abzuriegeln 11). Wie das im einzelnen aussah, darüber erfahren wir Näheres aus den beiden Quellen aus dem böhmischen Winkel der Grafschaft Glatz, die bisher von der deutschen Literatur nicht erfaßt wurden. In der ersten von ihnen handelt es sich um Eintragungen des Tscherbeneyers Johann Kubu in sein Gebetbuch12). Sie lauten in wörtlicher Obersetzung: „Im Sommer 1831 begann der Krieg in Polen mit den Russen, und dann wurden in Preußen Wachen gehalten, und das dauerte sechs Wochen; sie wurden von der Zivilbevölkerung gehalten. Gleich danach kamen kaiserliche Soldaten an die Grenze, und die standen überall in großer Stärke. Die Gewehre waren scharf geladen, und im Falle, daß jemand von der preußischen Seite ins kaiserliche Land hinein wollte, konnten sie auf ihn schießen. Ebenso wurde von der preußischen Seite auch kein Hund, keine Katze, kein Huhn dort hineingelassen; eben nichts, gar nichts durfte dort hinein. Die kaiserlichen Soldaten standen 100 Schritte von einander entfernt, an manchen Stellen noch dichter, so, wie es eben ging, manche standen in den Kartoffeln, manche auf den Wiesen und so weiter. Und es war so, daß, wenn ein Preuße dort entlang ging und an einem Soldaten vorbei mußte, so trat der Soldat einige Schritte zurück und wandte sein Gesicht von ihm ab, um nicht die Cholera zu bekommen. Später begannen sie dann auf den Feldern solche Buden zu bauen, die waren so groß, daß darin 8) Stein, Breslau, S. 557. ») Max Ring, Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 1898, S. 57. 10) Bürkner, Bd. 2, S. 226. — Stein, Breslau, S. 94. 11) Amtsblatt 1831, S. 171—173. — Bürkner, Bd. 2, S. 225. — Stein S. 93—94. 12) Der tschechische Text wurde wortgetreu veröffentlicht von J. Zidka in der Zeitschrift „Od kladského pomezi", Jg. 9, 1932.

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Die Choera in Schlesien (1831—1837) auch die Zivilbevölkerung hätte ordentlich wohnen können. Als sie dann aber sahen, daß hier keine Cholera oder andere Krankheit herrscht, marschierten die tschechischen Land wehr leute wieder weg." „Damals war es so eingerichtet, daß für Leute, die ihrer Geschäfte wegen usw. nach Böhmen gehen mußten, Kontumazion war. Die mußten in Beloves13) auf dem neuen Amte anfangs 20 Tage und später 10 Tage bleiben. Dort wurde der Mensch jeden Tag früh und abends ausgeräuchert, und erst wenn er so wirklich ausprobiert war, konnte er seinen Geschäften nachgehen. Auch sonst wurde Kontumazion gehalten. Bei jedem Markt für die preußische Bevölkerung war es so, daß bei der Schlaneyer Brücke14) eine starke Wache stand, und die ließ niemanden vor der festgesetzten Stunde durch. £rst dann durften die Leute aus Preußen gehen, aber auf beiden Seiten der Straßen standen Soldaten. Die standen ein Stück weiter im Feld, wohl deswegen, damit sie nicht mit dem Atem und den Ausdünstungen der preußischen Bevölkerung in Berührung kamen. Weiter wurde dann so vorgegangen, daß in einem Schuppen, der in der Mitte durch eine Bretterwand geteilt war, auf der einen Seite die kaiserlichen Verkäufer und auf der anderen die preußischen Käufer standen. Hier wurde dann herüber und hinüber geschrien, und wenn ein Preuße Geld gab, so wurden Geldscheine mit Zangen entgegengenommen und Silbermünzen mit einer Schaufel. Das Papiergeld wurde gut ausgeräuchert, die Silber- oder Kupfermünzen wurden mit £ssig gewaschen, dann erst nahmen sie es in die Hand und steckten es ein." M i t großer Deutlichkeit geht aus dieser Tscherbeneyer Schilderung hervor, daß man sich i m Kaiserlichen womöglich noch stärker gegen Schlesien abschirmte als i n Schlesien gegen Böhmen. Der zweite Bericht führt uns ein Stück südwärts nach Böhmen hinein i n die Gegend von Opotschno. Sein Verfasser ist der Lehrer v o n Dobré, einem D o r f etwa z w ö l f Kilometer v o n der Glatzer Grenze. A u f das Cholerajahr 1831 zurückblickend, schrieb der Lehrer i n sein K a n z i o n a l 1 6 ) : „Es war eine furchtbare Zeit, und bei allen Dörfern waren im freien Felde schon Friedhöfe vorbereitet, die für die bestimmt waren, die an dieser Krankheit starben; von diesen Toten sollte keiner, welchem Stande er auch angehörte, auf dem normalen Friedhofe begraben werden. Auch Totengräber und Krankenhelfer und Spitale waren schon gewählt und von dem Amte in Rychnov (Reichenau) ernannt,... die sollten, falls einer erkrankte, den Kranken sofort ins bestimmte Spital tragen, und die Krankenhelfer sollten ihn bedienen. Zu dieser Zeit galten jedoch auch noch andere Vorschriften und zwar: Falls in einem Dorfe oder einer Stadt die Krankheit ausbredien sollte, sollten Wachen tt) Beloves ist der böhmische Grenzort unmittelbar südlich der wichtigen Straße von Glatz über Keinerz und Lewin nach Nachod. * 4 ) Schlaney ist an der Straße Glatz-Nachod der letzte Ort auf preußischer Seite. Die Brücke führt über die Mettau. IS) Diese Aufzeichnungen wurden veröffentlicht von Karel Michl in der Zeitschrift „Od kladského pomezi", Jg. 8, 1930—1931, S. 111—112.

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um das Dorf oder die Stadt aufgestellt werden, fünfzehn Schritte voneinander entfernt. Keiner durfte aus dem Dorfe oder der Stadt fortgehen, und umgekehrt durfte auch niemand in den betreffenden Ort hinein. Wer der Krankheit durch Verlassen des Ortes entrinnen wollte oder anderswo den Vater, die Mutter, Brüder, Schwestern oder Freunde hatte und deshalb aus dem Orte hinaus und in einen anderen gehen wollte, der sollte ermahnt werden, und falls er den Wächtern nicht Folge leisten wollte, so waren diese ermächtigt, ihn ohne Pardon zu erschießen. Die Grenze um das böhmische Land herum war von Militär besetzt, und an Orten, wo kein Militär in der Nähe war, mußte die Zivilbevölkerung Wache stehen. In Preußen und den anderen Ländern, die mit uns grenzen, war es genau so, auch dort wurde die Grenze von Militär bewacht, und niemand von uns durfte ins Ausland und niemand aus dem Ausland zu uns. Diese Bewachung der Grenze hieß Kontumazion, und kein Fuhrmann, mochte er geladen haben, was er wollte, und überhaupt niemand durfte von einem Land ins andere. Und wenn aus dem Ausland irgendein Brief zu uns geschickt wurde, so wurde er an der Grenze erst mit Nadeln durchstochen und ausgeräuchert. Man war deshalb so vorsichtig, daß die Krankheit nicht etwa durch einen Brief bei uns eingeschleppt würde. Weiter kam auch vom Amt in jedes Dorf ein Beamter, der die Häuser besichtigte und besonders in den Wohnungen die Reinlichkeit kontrollierte. Jede Wohnung mußte zweimal wöchentlich gewaschen werden. Klosette und Abtritte, die nahe bei der Haustür standen, wurden beseitigt und an einem abseits liegenden Orte aufgestellt. Und jeden Tag früh mußte die Wohnung mit Essig ausgeräuchert werden. Zu diesem Zwecke wurde der Essig auf einen ganz heißen Ziegelstein gegossen. Damit alle Anordnungen eingehalten wurden, waren an jedem Orte Kontrolleure ernannt. Von denen hatte jeder eine gewisse Anzahl Häuser unter sich und kontrollierte dort, ob alle Vorschriften richtig eingehalten würden." Es ist wahrscheinlich, daß der Lehrer selbst ein solcher Kontrolleur gewesen ist und deshalb die Vorschriften so genau i m K o p f behielt. Z u m Glück erwiesen sich all diese beschwerlichen Vorkehrungen diesseits und jenseits des schlesischen Gebirges zunächst als überflüssig. Der Feind kam von Posen und Russisch-Polen her. Als die Gräfin Reden Ende Juni von einem Verwandtenbesuch i n Sachsen nach Buchwald i m Hirsdiberger T a l zurückkehrte, fand sie alles i n großer Unruhe vor. Die besorgten Blicke waren aber nicht nach Böhmen, sondern nach Kaiisch gerichtet. Die fromme Frau blieb gelassen; sie war entschlossen, allen ein gutes Beispiel zu geben. A m 1. Juli schrieb sie an ihre Schwägerin Caroline: „Ich erhalte manchen Brief — sogar Fragen und Mahnungen, ob ich bleiben werde, wenn die Cholera hereindringe; sie ist mir wahrlich nicht gleichgültig . . . , aber soll man deshalb Haus, Hof, Untertanen, Beruf fliehen, weil des Herrn Hand eine Zeit der Prüfung herbeiführt und auch vielleicht über uns? Aber alles tun, sie abzuwenden oder minder gefährlich zu machen..., das scheint 72

Die Cholera in Schlesien (1831—1837) mir die höchste Pflicht für mich und meine 1400 Angehörigen, so weit meine Kräfte reichen. So fängt in diesen Tagen meine Suppenanstalt an — einen Tag 100 Portionen für die Quirler 16 ), den anderen für die Buchwälder. Es beschäftigt mich sehr 17)."

Das gesunde Empfinden sagte der mütterlichen Frau, daß eine bessere Ernährung die arme Weberbevölkerung des Gebirges noch am ehesten gegen die Seuche schützen würde. Sie teilte ihre Suppen aus und fand hie und da bei ihren Standesgenossen Nachahmung. So konnte sie am 1. August dem Kronprinzen, der seinen Besuch angekündigt hatte, voll Freude mitteilen, daß das Hirschberger Tal bis jetzt „rein und durchaus gesund" sei. Noch freudiger klingt ihr Brief an die Schwägerin vom selben Tage: „Die Grenzbewachung hat zur großen Freude vor drei Tagen aufgehört auf einen Befehl unseres Königs aus Teplitz, dem bewiesen wurde, daß die Österreicher einen dreifachen Kordon gegen Galizien und Ungarn gestellt und von Böhmen und Mähren nichts zu befürchten ist. Ich will wünschen, daß dem so sei18)."

In der Tat erklärte eine Verfügung des Oberpräsidenten vom 21. Juli, daß der Sanitätskordon nur noch gegen Polen und Krakau, nicht mehr gegen die österreichischen Provinzen aufrechterhalten werde 19 ). Anders als im Gebirge sahen die Dinge freilich in der Landesmitte Breslau aus. Für die große, volkreiche Stadt wurde am 1. Juli eine besondere Cholera-Kommission gebildet, in der die Vertreter aller staatlichen, militärischen und kommunalen Behörden zu einheitlichem Handeln zusammengeschlossen waren. Ihr gehörten an der Kommandant von Strantz, der Regierungspräsident von Kottwitz, der Polizeipräsident Heinke, der Medizinalrat Professor Dr. Remer und sein aus Warschau zurückgekehrter Sohn, Dr. Wentzke und mehrere Stadträte und Stadtverordnete. Die Kommission setzte alsbald acht Bezirkskommissionen ein, in denen dem zuständigen Polizeikommissar, dem Armenarzt und dem Bezirksvorsteher eine Reihe freiwilliger Helfer zur Seite traten. Die ganze Bevölkerung wurde zu vertrauensvoller Mitarbeit aufgerufen, und den Familienvätern insbesondere wurde es zur Pflicht gemacht, jeden verdächtigen Fall sofort zu melden. Der Oberpräsident seinerseits versprach, die aus der Provinz einΐβ) Quirl liegt zwischen Schmiedeberg und Buchwald. 17 ) Eleonore Fürstin Reuß, Friederike Gräfin Reden geb. Freiin Riedesel zu Eisenach. Ein Lebensbild nach Briefen und Tagebüchern, Bd. 1, Berlin 1888, S. 485—486. 18

) ebenda S. 491—492.

i») Amtsblatt 1831, S. 243—244.

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gehenden Nachrichten über die Seuche dem Publikum nicht vorzuenthalten 20 ). Als im Lauf des Juli die Krankheit ins Großherzogtum Posen einbrach, ging die Breslauer Sanitäts-Kommission an die Errichtung zusätzlicher Hospitäler. Als erstes und wichtigstes bestand bereits das der Barmherzigen Brüder mit hundert Betten unter der Aufsicht der Medizinalräte Hanke und Wentzke. Nun kam ein zweites im sogenannten „Birnbaum" auf der rechten Oderseite mit siebzig Betten hinzu. Seine Leitung übernahmen Dr. Pabst und Dr. Remer junior. Ein drittes Hospital wurde für die Nikolaivorstadt und ein viertes für den Hinterdom vorgesehen. Es wurden auch zwei abgesonderte Friedhöfe angelegt, der eine im Norden unweit der Elftausendjungfrauenkirche, der andere im Westen bei der Hahnenkrähe an der Bunzlauer Straße 21). So trefflich all diese Vorbereitungsmaßnahmen waren, die Ängstlichen wurden durch sie nur noch ängstlicher und fingen an, die Stadt zu verlasssen, obwohl die Schlesische Zeitung in einem halboffiziellen Artikel am 3. August erklärte, daß der Gesundheitszustand der Stadt nach wie vor erfreulich sei22). Alles Unheil brach in diesen Tagen über das arme Oberschlesien herein. „Meine Vorrede zu den 'Untersuchungen über die Rinderpest' war vom 24. Juli datiert", berichtet Lorinser in seiner Selbstbiographie, „und schon am 31. wurde mir die Ehre zuteil, als Abgeordneter der Regierung die Orientalin (Cholera) und ihr düsteres Gefolge an unserer Grenze (im Kreise Beuthen) zu empfangen" 23). Von Amts wegen wurde erst am 5. August zugegeben, daß sich in den Kreisen Beuthen und Pleß verdächtige Krankheitsformen gezeigt hätten 24 ). Die Maßnahmen, die nun ergriffen wurden, redeten eine deutlichere Sprache. Die Stadt Beuthen wurde mit ihrer Feldmark unter Kontumaz gestellt und der zunächst betroffene Stadtteil noch besonders abgeriegelt. Das war das seit dem Mittelalter übliche System der Abwehr von Epidemien, von dessen Unwirksamkeit im Falle der Cholera Lorinser zu tiefst überzeugt war. 20) Bürkner, Breslau, Bd. 2, S. 226. — Stein, Breslau, S. 94—95. 21) Bürkner, Bd. 2, S. 227. Den Friedhof an der Bunzlauer Straße übernahm 1845 die Christkatholisdie Gemeinde. Hermann Markgraf, Geschichte Breslaus in kurzer Übersicht. 2. Aufl., Breslau 1913, S. 49. 22) Bürkner, Bd. 2, S. 227. — Über die verschärfte Pressezensur in der Cholerazeit vgl. Paul Diepgen, Geschichte der Medizin, 2. Bd., 1. Hälfte, Berlin 1951, S. 190. 23) Lorinser, Selbstbiographie, Bd. 2, S. 12. — Vgl. Walther Fühauf, Die Cholera in Beuthen. In: Obersdilesische Zeitung, Beuthen, Nr. 158 vom 9. 8. 1933. 24) Bürkner, Breslau, Bd. 2, S. 227.

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Als Amtsarzt aber war er gehalten, sich für die Befolgung der von oben erteilten Vorschriften einzusetzen. Wichtiger erschien ihm freilich, in ernsten Auseinandersetzungen das Verantwortungsbewußtsein der Beuthener Ärzte zu schärfen. Diese waren geneigt, die Gefahr zu unterschätzen, als die Seuche zunächst nicht in der grauenhaften Gestalt auftrat, die sie in der Phantasie angenommen hatte 25 ). Da die Cholera nun wirklich im Lande war, empfand der leitende Arzt mit doppelter Sorge die negativen Seiten der bloßen Absperrung. Er schreibt: „Der Handelsverkehr und die Schiffahrt lagen gänzlich darnieder, die Jahrund Wochenmärkte waren gehindert, die nötige Zufuhr gehemmt und dadurch auch die Preise mancher Lebensbedürfnisse empfindlich gesteigert. Die letzte Ernte war schlecht gewesen, und in manchen Gegenden war Not vorhanden."

Diese Not hatte bei der sonst so friedfertigen Bevölkerung unerwartete Folgen. „So erklärt es sidi", fährt Lorinser fort, „wie leicht und schnell der Unwille über die Furcht den Sieg davon trug und in tätlichen Widerstand überging... Die Angriffe waren zunächst auf die Polizeibeamten, auf das Militär und die Ärzte gerichtet. Wie zur Zeit der alten Pesten wurden die abenteuerlichsten Gerüchte geglaubt.. . 2 e )."

Die heilsamen Ratschläge kamen nicht mehr an, und so wurde durch die Unvernunft das Elend noch vergrößert. Der südöstliche Grenzkreis Pleß war seit langem ein Notstandsgebiet. Er hatte unter der Absperrung besonders zu leiden. Die Mißernte des nassen Sommers 1830 hatte hier eine regelrechte Hungersnot zur Folge. Viele Familien fristeten ihr Dasein mit Gras, Hederich und Sauerampfer. In dieser üblen Ernährungslage sah der Regierungspräsident von Hippel — ähnlich wie die Gräfin Reden im Riesengebirge — die eigentliche Gefahr beim Herannahen der Cholera, und er hörte daher nicht auf, die verantwortlichen Berliner Stellen zu baldiger Hilfe aufzurufen. Aber Berlin war weit, der Beamtenapparat arbeitete langsam, und selbst in Breslau sah man die Dinge nicht so ernst, wie sie wirklich waren. Der Oberpräsident versäumte es jedenfalls, den Hilferufen des Oppelner Regierungspräsidenten seinerseits Nachdruck zu verleihen 27). Die an Pleß und Beuthen anstoßenden Grenzkreise Lublinitz, Rosenberg und Kreuzburg übersprang die Seuche zunächst. Dahinter breitete sie sich 2

5) Lorinser, Bd. 2, S. 15. 0) ebenda S. 16. 27 ) Alois M. Kosler, Die preußische Volksschulpolitik in Oberschlesien 1742—1848, Breslau 1929, S. 257—258.

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schnell auf dem ganzen rechten Oderufer aus. Der Regierungspräsident suchte das Übel durch persönlichen Einsatz bis zur Erschöpfung seiner Kräfte einzudämmen, und es gelang ihm zunächst auch, das linke Oderufer von der Seuche freizuhalten 28). Der Oberpräsident unterstützte ihn wenigstens insofern, als er am 20. August die Errichtung eines Sperrkordons entlang der Oder zum Schutz der westlich liegenden Landesteile anordnete 29). In der Oderstadt Ratibor erlebte Max Ring als vierzehnjähriger Gymnasiast diese drangvollen Wochen. Die Erinnerung an sie war noch nach sechzig Jahren in dem Greise lebendig. Er schreibt: Niemand kann sich heute eine Vorstellung von der Furcht machen, welche damals die nodi gänzlich unbekannte, unheimliche Krankheit begleitete. Wie ein entsetzliches Gespenst schwebte sie unsichtbar auf den Schwingen des Todes in der verpesteten Luft von Osten nach Westen unaufhaltsam von Ort zu Ort, alle Grenzen, jede Absperrung und alle Vorsichtsmaßregeln der Behörden verspottend. Schrecklicher als die Cholera selbst war die blinde Angst in ihrem Gefolge. Wo sie sich zeigte, hörte jeder Verkehr, alles Leben auf. Man floh die davon befallenen Häuser und mied jede Berührung mit ihren unglücklichen Bewohnern. Die Briefe, welche man von der Post erhielt, waren durchstochen und durchräuchert; das Geld mußte, bevor man es aus fremder Hand nahm, mit Essig gewaschen und sorgfältig gereinigt werden. Die Straßen rochen nach Chlor, die Menschen, in Wolle und Flanell gehüllt, eilten aneinander vorüber, und selbst die besten Freunde wagten kaum, einander die Hand zu reichen. Die meisten Ärzte erschienen in schwarzen Wachstuchanzügen wie Dämonen und ängstigten ihre ohnehin verzagten Patienten durch die seltsame Tracht. Die Leichen wurden sang- und klanglos, gewöhnlich des Nachts, begraben und, da die Totenwagen nicht hinreichten, auf elenden Karren heimlich fortgeschafft. Überall sah man nur die Embleme des Todes: Särge, Bahren und düstere Trauerkleider."

Das Gymnasium Schloß seine Pforten, und der Tertianer Max Ring kehrte bis zum Erlöschen der Epidemie in sein Heimatstädtchen Zauditz halbwegs zwischen Ratibor und Troppau zurück 80 ). Mitten im Seuchengebiet lag der Wallfahrtsort Deutsch-Piekar. Pfarrer Johann Alois Fietzek, der in den vierziger Jahren als Vater der Mäßigkeitsbewegung sich um Oberschlesien unvergängliche Verdienste erwarb, weilte, als die Cholera ausbrach, zur Kur in Salzbrunn. Er eilte sofort nach Hause, um seinen Pfarrkindern und allen, die seine Hilfe brauchten, beizustehen. Man riet ihm, bei seinen Krankenbesuchen und Versehgängen nach dem Beispiel der Ärzte einen Wachstuchanzug anzuziehen. Doch er erklärte: „Ich 28) In: 29) 30)

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Kosler, Volksschulpolitik, S. 257. — Eugen Krawczynski, Theodor Gottlieb von Hippel. Obersdilesien, Jg. 14, 1915—1916, S. 16. Amtsblatt 1831, Beilage nach S. 254. Ring, Erinnerungen, Bd. 1, S. 37—38.

Die Cholera in Schlesien (1831—1837)

habe einen kräftigen Schutz in dem Heiland, den ich auf meiner Brust zum Kranken trage" 81 ). In der Nacht vom 23. zum 24. August starb Gneisenau nach nur eintägigem Krankenlager in Posen an der Cholera. Das war eine Nachricht, die das ganze Land erschütterte. Die Schlesier betrachteten den General seit langem als den Ihren. In den kleinen schlesischen Garnisonen Löwenberg und Jauer hatte er sich von 1786 bis 1806 langsam herauf gedient, als Generalstabschef der Schlesischen Armee hatte er an Blüchers Seite Napoleon niedergerungen, und als dann endlich der Friede kam, war er in dem schönen Erdmannsdorf im Riesengebirge schlesischer Gutsbesitzer geworden 82). Die Gräfin Reden im benachbarten Buchwald vertraute ihrem Tagebuch erschütternde Klagen an, aber sie kümmerte sich audi um die Hinterbliebenen in Erdmannsdorf 38), und Henrik Steffens, der Breslauer Professor, der dem großen Soldaten und Menschen seit dem bewegten Frühjahr 1813 nahestand, nahm Abschied von ihm mit den Worten: „Es war etwas Fürstliches in seiner Gestalt, in seiner Art, sich darzustellen und sich zu äußern... er war der ritterlichste, freigebigste Held, den idi jemals sah... kein Mensch ist mir so teuer gewesen. Wenige Tage vor seinem plötzlichen, erschütternden Tode trat er, im hohen Alter noch fest und rüstig einhersdireitend, in meine Wohnung. Die Cholera erschien mir erst drohend, als sie in ihrem verwüstenden Fortschreiten ein solches Opfer zu ergreifen wagte 84 )."

Im ersten Septemberdrittel folgte ein Regenguß dem andern. Die Flüsse traten über die Ufer und richteten schweren Schaden an. Es war fast unmöglich, den Rest der Getreideernte einzubringen, und die Kartoffeln verfaulten in der Furche 35). Die Angst vor der Cholera wuchs. Am 2. September schrieb die Gräfin Reden an die Prinzessin Wilhelm: „Diesen Morgen war ich lange auf dem großen Gewende beim Feldspatbruch und wohnte der Ernte bei, deren Einbringen dieses Jahr wegen der Unbeständigkeit des Wetters sehr schwierig i s t . . . Man glaubt, es werden Sdiwärme von Flüchtlingen aus Breslau und anderen Gegenden nach Warmbrunn und 31) Alfons Nowack, Lebensbilder schlesischer Priester, Breslau 1928, S. 48. Nowack gibt versehentlich 1830 statt 1831 als Cholerajahr an. Zur Cholera in Ratibor vgl. den Beitrag von G. H . „Vor hundert Jahren" in: Ratiborer Heimatbote, Jg. 6, 1931, S. 46—48. — Über die Cholera in der Gegend von Tost s. Karl Sylvester, Der Cholerafriedhof bei Dombrowka, in: Ausschau von Burg Tost, Jg. 1, 1926, Nr. 7. 82 ) Manfred Laubert, Das Heerwesen. In: Frech und Kampers, Schlesisdie Landeskunde, Leipzig 1913, Bd. 2, S. 96. — Hans Speidel, August Graf von Gneisenau. In: Die großen Deutschen, Bd. 2, Berlin 1956, S. 441. M) Reuß, Reden, Bd. 1, S. 495—496. 84

) Henrik Steffens, Was ich erlebte, Bd. 7, Breslau 1843, S. 51—52. 35) Johannes Chrz^szcz, Geschichte der Stadt Neustadt, Neustadt 1912, S. 339.

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Hirschberg ziehen, wenn die Cholera bei ihnen ausbrechen sollte, — die Toren — sind sie denn hier sicher?! wenn es der Herr nicht beschlossen hat, uns aus Barmherzigkeit zu s c h ü t z e n 3 « ) . "

In Oppeln, Kosel und anderen oberschlesischen Städten wurden die Jahrmärkte abgesagt, und die Handwerker blieben auf ihren Waren sitzen37). In allien Städten richtete man wie in Breslau Sanitätskommissionen ein. In der Garnisonstadt Neustadt gehörten ihr Rittmeister von Treskow, Bürgermeister von Adlersfeld, die Ärzte Dr. Reimann und Dr. Biefel, der Regimentsarzt Fleischhammer, Wundarzt Mogala, Frater Adrian Spickermann von den Barmherzigen Brüdern, Dr. Droß, Apotheker Hirschberg, Destillateur Gunzer und noch fünf weitere Bürger an. Die Kommission richtete für 500 Taler ein Choleralazarett mit zwanzig Betten, Badewannen und Wärmeflaschen ein 38 ). Es war wohl ihrer Aufmerksamkeit vor alllem zu danken, daß die Seuche in Neustadt erst im Januar 1832 ausbrach. Allen noch so strengen Kontrollmaßnahmen zum Trotz 39 ), sprang die Cholera im September 1831 von Hafenplatz zu Hafenplatz oderabwärts und erreichte am Ende des Monats Breslau. Die ersten tödlich verlaufenden Erkrankungen fielen hier auf den 29. September und den 2. Oktober 40 ). Der am 4. Oktober beginnende Wollmarkt wurde schweren Beschränkungen unterworfen. Außerschlesische Produkte wurden nicht zugelassen, auch Wolle aus den Kreisen Beuthen und Pleß und dem Oderhafen Maltsdi nicht. Alles übrige Material mußte mit dem Reinheitsattest versehen sein41). Für die Desinfizierung der abgehenden Post wurde in der Münze auf der Sandstraße eine besondere Anstalt eingerichtet. In den vierzehn Tagen vom 29. September bis zum 12. Oktober erkrankten in Breslau 93 Personen, von denen 41 starben. Am 12. Oktober allein gab es 20 Neuerkrankungen und 11 Sterbefälle. Vom 16. bis zum 22. Oktober starben von 341 Erkrankten 185. Dann wurde es langsam besser42). Dafür griff die Seuche nun auch auf das offene Land über, verlief hier aber meist harmlos. So blieben in Obermois Kreis Neumarkt alle Erkrankten am Leben43). M) Reuß, Reden, Bd. 1. S. 498—499. 37) Chrz^szcz, Neustadt, S. 337. 38) ebenda, S. 339—340. 39) Vgl. die umfangreiche Bekanntmachung der Immediatkommission in: Amtsblatt 1831 nach S. 400. Sie beauftragt u. a. unter 7 die Oberpräsidenten, die Schiffseigner und ihre Mannschaften einer genauen Gesundheitskontrolle zu unterwerfen. 40) Bürkner, Breslau, Bd. 2, S. 228. — Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben, Bd. 2, Hannover 1868, S. 200. 41) Bürkner, Bd. 2, S. 227. 42) ebenda, S. 228. — Stein, Breslau, S. 96. 43) Joseph Jungnitz, Geschichte der Dörfer Ober- und Nieder-Mois, Breslau 1885, S. 92.

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Die Cholera in Schlesien (1831—1837) Seit dem August wütete die Seuche i n Berlin. H i e r verliefen zwei D r i t t e l der Erkrankungen tödlich 4 4 ). Infolgedessen wurde Schlesien am 4. September auch gegen Brandenburg durch einen K o r d o n abgeriegelt 46 ). Doch bereits nach einem Monat, am 7. Oktober, wurde diese Sperre, ebenso wie die gegen Posen und Sachsen wieder aufgehoben 46 ). Die Immediatkommission fing an, sich v o n der Nutzlosigkeit der Kordons zu überzeugen. Sie näherte sich damit der Auffassung der Dinge, die der Oppelner Medizinalrat Lorinser schon seit langem vertrat. Lorinser führt uns i n seiner Selbstbiographie mitten hinein i n die Schwierigkeiten, m i t denen er i m September 1831 fertig zu werden hatte. Er schreibt: „Der Grenzkordon und die Kontumazen wurden . . . nidit aufgehoben, obgleich die Krankheit im Lande bereits über mehrere Kreise sich ausgebreitet hatte. Inmitten dieser Wirren war meine Lage höchst peinlich und unangenehm. Idi war gezwungen, aus Gehorsam gegen meine Obren fortwährend Maßregeln anzuordnen und ausführen zu helfen, die nach meiner innersten Überzeugung eben so zwecklos als verderblich waren . . . Dennoch habe ich mich dem moralischen Zwange gefügt und alles verrichtet, was mir befohlen und aufgetragen war, ja idi darf sagen, daß die nach meiner Angabe erbauten Kontumazen noch am besten der Einrichtung entsprachen, die man in solchen Anstalten zu finden berechtigt ist." M i t spürbarer Genugtuung fährt er f o r t : „Während andere Medizinalräte beständig in ihrem Wohnsitz verblieben, mußte ich häufig im ganzen Lande umherreisen, um die Krankheit zu konstatieren und die getroffenen Anstalten zu untersuchen. In Neustadt, Nikolai und später noch an anderen Orten konnte ich einem schweren Erkranken nur durch reichliches Schwitzen entgehen; ja einige Monate ließ mich das empfängliche Nervensystem besonders im Unterleib die noch ungewohnte Beschaffenheit der Cholera-Atmosphäre empfinden." D a z u k a m die feindselige H a l t u n g der unteren Bevölkerungsschichten, die das nie sehr feste Vertrauen zur behördlichen Führung i n diesen Notzeiten v ö l l i g verloren zu haben schienen. Darüber berichtet der Medizinalrat: „Überdies lag die Möglichkeit nicht fern, gelegentlich von dem aufgebrachten Pöbel die ärgste Mißhandlung zu erfahren. Als ich nach dem Ausbruch der Cholera in Ratibor mit dem Kreisphysikus von Ostrog zurückkehrte, wo ich Kranke besucht hatte, wurden wir an der für den gewöhnlichen Verkehr gesperrten Oderbrücke von einem Volkshaufen mit drohendem Geschrei und dem Ausruf begrüßt: ,Da kommen die Schinderknechte! Ins Wasser mit ihnen!' Schon begann man mit Steinen zu werfen, und die uns begleitenden zwei Gens44) Diepgen, Geschichte der Medizin, Bd. 2, 1. Hälfte, S. 189—190. 45) Bürkner, Bd. 2, S. 227. 46) ebenda, S. 228. — Stein, Breslau, S. 96.

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darmen wären zu unserem Schutz nicht hinreichend gewesen, hätten wir nicht beizeiten noch die Brücke und das jenseitige Ufer erreicht. Der Physikus durfte sidi nicht anders als bewaffnet und in starker Begleitung nachOstrog wagen47)."

In dieser drangvollen Lage bedeutete es für Lorinser eine Entspannung, als die Sozietät für wissenschaftliche Kritik in Berlin, deren Mitglied Lorinser seit ihrer Gründung war, ihn mit der Rezension einiger der zahllosen Choleraschriften betraute, die damals von berufenen und unberufenen Leuten veröffentlicht wurden 48 ). „Diesem Verlangen", erzählt Lorinser 49), »fügte ich midi um so lieber, da sich hier eine gewünschte Gelegenheit darbot, mein geistiges Gewissen zu entlasten und vor den Männern der Wissenschaft auszusprechen, was ich als wahr und heilsam erkannte oder für irrig und schädlich hielt. Das nächste Bedürfnis im Auge behaltend, ging mein Bestreben vorzüglich dahin, klar zu zeigen, daß die Cholera keine pestartige Krankheit und mit Kordons und Kontumazen nicht zu bekämpfen sei."

Er sandte das Manuskript Ende September an die Redaktion der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik" ein und staunte nicht wenig, als bereits am 4., 5. und 6. Oktober die offizielle „Staatszeitung" den langen Aufsatz als „treffliche" Rezension an die Öffentlichkeit brachte. Die „Staatszeitung" vollzog damit eine Schwenkung um 180 Grad; denn bisher war sie beflissen gewesen, „als eifrige Contagionistin... alle Regierungsmaßregeln zu rechtfertigen" 60 ). Lorinsers Rezension sprach nur deutlich aus, was die Mehrheit der urteilsfähigen Zeitgenossen, Laien und Ärzte, mehr oder minder klar seit langem empfand. Der Aufsatz ging durch alle Blätter und verschaffte dem Verfasser neben einer umfangreichen Korrespondenz auch die Ehre manches wißbegierigen Besuchs. So ließ es sich Dr. Kaltenbrunner, der von der bayerischen Regierung 51) nach Preußen geschickt worden war, um die Cholera zu studieren, nicht nehmen, von Berlin nach Oppeln zu reisen, um sich mit Lorinser persönlich über seine Beobachtungen und Schlußfolgerungen auszusprechen52). 47) Lorinser, Selbstbiographie, Bd. 2, S. 17—18. 48) U. a. griff Christoph Wilhelm Hufeland, der bereits 1823 eine Schrift über »die Ankunft der orientalischen Cholera an der Grenze Europas" veröffentlicht hatte, durch mehrere Abhandlungen in die wissenschaftliche Diskussion über die Seuche ein. Vgl. August Hirsch (Hrsgb.), Biographisches Lexikon der hervorragendsten Ärzte aller Zeiten und Völker, 3. Aufl., 3. Bd., München 1962, S. 331. Über Lorinser ebenda S. 842. 4») Lorinser, Selbstbiographie, Bd. 2, S. 18. — Vgl. Wurzbach, Bd. 16, S. 53. 50) Lorinser, Bd. 2, S. 18—19. 51) Nach Bayern kam die Seuche erst 1837. Diepgen, a.a.O., S. 189. 52) Lorinser, Bd. 2, S. 19—20.

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Die Cholera in Schlesien (1831—1837)

Die leitenden Männer in Berlin freilich, die nun Zug um Zug an den Abbau der nutzlosen Grenzkordons und Kontumazen gingen58), der hochmögende Minister von Altenstein und der Präsident der Medizinalkommission Rust vor allem, nahmen es dem Manne aus der Provinz übel, daß er ihnen in den Rücken gefallen war, und er mußte die Hoffnung begraben, jemals von Oppeln weg an einen günstigeren Platz versetzt zu werden. Ihm mußte es genug sein, daß er nun unbehindert durch verfehlte Anordnungen arbeiten konnte. Die beste Bestätigung seiner Ansichten war es, daß die Seuche auch nach der Aufhebung des Kordons noch wochenlang an der Oder stehen blieb und erst im November in den Neisser Kreis einbrach 54). In Breslau ließ die Epidemie zwar langsam nach, aber noch immer gab es in der Woche vom 12. bis zum 19. November 107 Erkrankungen und 67 Todesfälle. Danach wurden die Erkrankungen immer seltener, und am 22. Dezember konnte die Ortskommission mitteilen, daß seit einigen Tagen kein neuer Fall mehr gemeldet worden sei. Bis zum 31. Dezember schmolz die Zahl der Patienten auf zwei zusammen. Im ganzen erkrankten in dieser ersten Breslauer Choleraepidemie 1309 Personen, von denen 690 starben. Als schmerzliches Problem blieben die Cholerawaisen zurück. Zu ihrer Betreuung bildete sich am 27. Oktober ein besonderer Verein, der später kurz „Choleraverein" genannt wurde. Die bereits bestehenden Frauenvereine suchten die Ärmsten wenigstens durch Kleidung und Lebensmittel zu unterstützen, da sie an den elenden Wohnverhältnissen nichts zu ändern vermochten55). Der Abbau der Kordons war eine Frage, die vor allem auch die Armee anging. Ihre sanitäre Schutzfunktion erlosch, und gleichzeitig erledigte sich auch die militärische Aufgabe der Grenzsicherung gegen das im Aufruhr befindliche Polen durch den Sieg der russischen Übermacht. Am 20. Oktober ergingen die ersten Weisungen an das Posener Oberkommando, die Rückkehr der Linientruppen des V. und V I . Armeekorps in ihre Friedensgarnisonen einzuleiten56). Das Oberkommando selbst wurde Anfang November 53) Der Abbau spiegelt sich in einer Reihe von Erlassen des schlesischen Oberpräsidenten im Amtsblatt 1831, S. 370, Erleichterung des Verkehrs mit Posen am 4. 11., S. 406—407, Erleichterung der Schwarzvieheinfuhr am 30. 11. 1831. 54) Lorinser, Bd. 2, S. 19—20. — Vgl. Beck, Heinersdorf und das Cholerajahr 1831, in: Heimatblätter des Neissegaus, Jg. 8, 1933, S. 61—63 und 75—76; Josef Strecke, Lebensnöte unserer Vorfahren vor 100 Jahren, in: Aus dem Oberglogauer Lande, Jg. 1932, S. 5 und 14—15 (Verzeichnis der 1831 in der katholischen Pfarrei zu Oberglogau an der Cholera verstorbenen Personen). — In Münsterberg starben 1831 von 28 Erkrankten 15. Franz Hartmann, Geschichte der Stadt Münsterberg, Münsterberg 1907, S. 381. 55) Bürkner, Breslau, Bd. 2, S. 228—229. 5«) Georg Wolfram von Ebertz, Hundertjährige Geschichte des Grenadierregiments König Friedrich I I I . (2. Sdilesisches) Nr. 11 1808—1908, Stuttgart 1908, S. 240. 6

Breslau

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Wolfgang

Berndt und Gotthard Münch

aufgelöst. Gneisenaus Generalstabschef Carl von Clausewitz kehrte nach Breslau zurück und starb hier am 16. November an der Cholera 57 ). Der Oberpräsident Merckel aber sprach am 23. November in seinem Amtsblatt den Epilog auf diesen ganzen militärisch-zivilen Einsatz. Gemäß Kabinettsorder vom 31. Oktober, so verlautbarte er, solle nach Wiederherstellung der Ruhe im Königreich Polen bei den vier östlichen Armeekorps der alte Zustand wieder eintreten, die Landwehr entlassen und die Linientruppen in ihre Friedensgarnisonen zurückgeführt werden. Der König wünsche, den östlichen Provinzen und Kreisen seine Zufriedenheit und dankbare Erkenntlichkeit auszudrücken. Mit besonderer Freude bringe er diesen neuen Beweis der allerhöchsten Huld und Gnade den Bewohnern der Provinz Schlesien zur Kenntnis. Die neuesten Zeitereignisse hätten es wieder bestätigt, wie tief die Schlesier den unschätzbaren Wert solcher huldreichen Anerkennung empfänden und wie sehr sie ihrer daher würdig seien58). Diese Bekanntmachung ist ein sprechender Beweis dafür, daß der alternde Lenker der schlesischen Geschicke je länger je mehr dem Hange unterlag, in seiner Provinz alles im freundlichsten Lichte zu sehen. Das alte Jahr ging nicht zu Ende, ohne daß in Oberschlesien noch einmal Unruhe entstand. Regierungspräsident von Hippel mußte besorgen, daß die in Krakau neu aufflackernden Unruhen auf die oberschlesischen Grenzkreise übergriffen. Seine Befürchtungen erwiesen sich aber als unbegründet 59 ). So fing das neue Jahr wie immer mit frohen Hoffnungen an. Die Stadt Breslau konnte am 13. Januar 1832, zehn Tage, nachdem der letzte Cholerakranke entlassen worden war, von der Ortskommission als „cholerafrei" erklärt werden, und am 22. Januar wurden in allen Kirchen der Stadt Lobund Dankgottesdienste gehalten80). In den westlichen Teilen der Provinz trat die Seuche freilich jetzt erst ihren Siegeszug an. In Neustadt brach sie am 17. Januar aus. Von 32 Erkrankten starben 24. Der letzte Kranke wurde am 16. Februar in Pflege genommen. Regimentsarzt Dr. Fleischhammer bewährte sich als besonders kundiger und einsatzbereiter Helfer. Die dankbare Stadt ernannte ihn dafür zum EhrenS7) Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz. In: Die großen Deutschen, Bd. 2, Berlin 1956, S. 496. Zwei Tage vor Clausewitz wurde in Berlin der Philosoph Hegel ein Opfer der Cholera. 68) Amtsblatt 1831, S. 401—402. 5») Manfred Laubert, Eine Denkschrift Gottlieb Theodor von Hippels zur Polenfrage. In: Schlesische Gesdiichtsblätter 1922, S. 22. 60) Bürkner, Bd. 2, S. 229. — Stein, Breslau, S. 96.

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Die Cholera in Schlesien (1831—1837)

bürger. Anerkennend vermerkt der Chronist auch, daß Apotheker Hirschberg die Medikamente zu Armenpreisen lieferte 61). Im Februar griff die Seuche auch in Böhmen um sich. Ober Nachod erreichte sie die Grenzdörfer Beloves und Poric 62 ). Sie blieb aber zunächst harmlos und schien im Frühjahr wieder zu erlöschen. Am 24. April hatte die Gräfin Reden in Buchwald Besuch von jenseits der Grenze, den Pastor Baensch aus Hermannsseifen, der die gute Nachricht brachte, daß die Cholera in Böhmen abnähme und daß in Prag zur Zeit nur noch drei Erkrankte seien68). Das war aber nur eine Atempause. Im Sommer setzte die Seuche mit erhöhtem Nachdruck ein. In Breslau dauerte diese zweite Choleraepidemie vom 13. Juli bis zum 14. Oktober. Von 407 Erkrankten starben 242. Die Seuche suchte zum Teil dieselben Quartiere auf, aus denen sie schon bei ihrem ersten Auftreten die meisten Opfer geholt hatte. Am 3. August raffte sie den hochverdienten Oberbürgermeister von Kospoth hinweg, der seit 1812 die Stadt vorbildlich geleitet hatte 64 ). Daß nun die Flucht ins Gebirge verstärkt einsetzte, war mehr als verständlich. Die Universität begrüßte den Semesterschluß. Der Historiker und Oberbibliothekar Johann Friedrich Ludwig Wachler und sein Schwiegersohn, der Altphilologe Franz Passow, zwei Koryphäen der philosophischen Fakultät, gingen mit ihren Familien nach Landeck65). Aber auch im Gebirge war man nicht mehr sicher. In Schmiedeberg und Hirschberg gab es einige Todesfälle, und die Liebenthaler dankten Gott, daß sie diesmal das kleine Lazarett noch nicht benötigten, das sie vorsorglich im Gärtnerhause neben dem Dominialschafstalle eingerichtet hatten 66 ). In Neustadt griff die Seuche bei ihrem zweiten Auftreten wieder scharf zu: von 18 Erkrankten starben 17, unter ihnen der sechsunddreißigjährige Apotheker August Förster 67). In den Westwinkel der Grafschaft drang die Cholera von Böhmen her ein. In Lewin forderte sie am 29. Juli das erste Opfer. Im ganzen Kirchspiel 61) Chrzijszcz, Neustadt, S. 340. 62) Wilhelm Mader, Chronik der Stadt Lewin, 2. Aufl., Lewin 1903, S. 136. 63) Reuß, Reden, Bd. 2, S. 13. 64) Biirkner, Bd. 2, S. 229. — Stein, Breslau, S. 96—97. 65) Franz Passow's Leben und Briefe. Eingeleitet von Dr. Ludwig Wachler, hrsg. von Albrecht Wachler, Breslau 1839, S. 354—355. 66) Handschriftliche Chronik der Stadt Liebenthal, im Besitz von Frau Lena Hansel in Iserlohn, S. 141—142. — Vgl. Reuß, Reden, Bd. 2, S. 21. 67) Chrz) Es wurde gelegentlich betont, daß S t a n i s l a u s eigentlich noch nicht zu den Polendichtungen zu rechnen sei, da er kein nationalpolnisches Gepräge aufweise: „Deshalb gehört S t a n i s l a u s eigentlich nicht zu den Polendichtungen; er ist ja auch nicht aus dem Gedanken der Polenverehrung herausgewachsen, sondern geschrieben, um den polnischen Freunden durch einen vaterländischen Stoff eine Freude zu machen." (Siehe Anm. 3, Max Back, S. 53). 11) Die Adelskonföderation war kurz nach der Entführung des Königs aufgelöst worden. 12) Diese Exilpolen haben ihm das nicht besonders übel genommen. Sie waren zu jener Zeit froh, daß etwas Polnisches zur Sprache kam. „Die Zuneigung der Polen zu Holtei verminderte sich nicht, wenn sie sich auch durdi das aufgeführte Werk nicht geschmeichelt fühlten." (Siehe Anm. 3, Max Back, S. 53).

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Karl von Holtei und die Polen

1825, drei Jahre nach dem S t a n i s l a u s , ist von Holtei in Berlin als Sekretär und Theaterdichter am Königstädter Theater. Hier entsteht D e r a l t e F e l d h e r r , Liederspiel in einem Akt. Es ist das Werk, „das die ganze Reihe der Polendichtungen eröffnete". 13) Angeregt wurde es sicher von den ihn auch hier wie in Breslau umgebenden polnischen Studenten, die nun besonders von ihrem größten Helden sprachen, von Tadeusz Kosciuszko, der vor einigen Jahren, 1817, im Schweizer Exil gestorben war. Den direkten Anlaß jedoch gab die Tatsache, daß Remie, ein Schauspielerfreund von Holteis, Napoleon sehr ähnlich sah, was den Theaterdichter auf den Gedanken brachte, Napoleon auf die Bühne zu bringen. Das war 1825 in Berlin unmöglich. Wenn überhaupt, dann durfte er nur „als ein vorübergehendes Bild, als eine Erscheinung" auftreten. Diese Erscheinung wollte er bringen, das Ganze sollte jedoch mit Szenen aus dem Leben Kosciuszkos, auch eines alten Feldherrn wie Napoleon, ausgerundet werden. Er las über Kosciuszko im Konversationslexikon und in der „Breslauer Zeitung". Das wiederum einaktige Stück, ein Liederspiel, sei hier inhaltsmäßig skizziert. Der Diener der Familie von Schönenwerth serviert das Frühstück für seine Herrin und deren Tochter. Draußen ziehen Landmädchen singend vorbei. Das Gespräch kommt auf den geheimnisvollen Nachbarn Thaddäus, von dem der Diener viel Rühmliches zu berichten weiß. Dieser kommt zu einem Morgenbesuch. Mutter und Tochter sind schon lange neugierig, wer dieser Thaddäus sei, wie er eigentlich heiße, usw. Er singt daraufhin das bald sehr bekannte Lied „Fordre Niemand mein Schicksal zu hören". Ein Bote bringt die Nachricht, daß plündernde Ulanen das Haus des Thaddäus in Brand gesteckt haben, auch seien einige hinter den Bauernmädchen her, die eben zur Arbeit hinausgezogen waren. Sie suchen nun schreiend im Schloß Zuflucht. Die Soldaten kommen auf diese Weise ans Schloß, fangen die Mädchen, tanzen mit ihnen. Sie dringen plündernd ins Innere, dringen in den Weinkeller. Sie belästigen im trunkenen Zustand schließlich die Herrin und ihre Tochter. In dieser Not erscheint Thaddäus wieder, der von seinem brennenden Haus zurückgekehrt ist, um den zwei alleinstehenden Nachbarn zu helfen. Doch stört das die plündernden polnischen Soldaten nicht, bis Lagienka in Thaddäus seinen früheren Herrn Kosciuszko erkennt und dessen Namen den Plünderern nennt. Sie alle huldigen schnell ernüchternd dem Helden, der das berühmt gewordene Lied „Denkst Du daran" dem getreuen Lagienka singt. !3) siehe Anm. 3, S. 53.

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F. Κ. RichterChicago

Im letzten Auftritt erscheint Napoleon ganz unvermittelt unter den Klängen der Marseillaise. Er zieht stumm über die Bühne.14) Die Erstaufführung fand am 1. Dezember 1825 in Anwesenheit einer größeren polnischen Besucherzahl im Königstädter Theater statt. Der Erfolg war merklich, doch schadete es dem Stück, daß damals Kosciuszko in Deutschland nocht nicht allgemein bekannt war. Die Polenbegeisterung und damit das genauere Wissen um polnische Geschichte und Helden sollte erst nach 1830 den Höhepunkt finden. Dieser Abend war trotz des beachtlichen Erfolges ein Schicksalsabend für den Dichter. Er hatte beim König angefragt, ob gegen ein Auftreten Napoleons auf der Bühne Bedenken bestünden, was eine kleine List war. Von Holtei wollte natürlich von Kosciuszko als dem alten Feldherrn auf Napoleon ablenken. Kosciuszko hatte gegen den Vater des regierenden preußischen Königs gekämpft. Der König antwortete, daß Napoleon auf der Bühne erscheinen dürfe. Bei der ersten Aufführung hatte natürlich die Zensur gemerkt, daß von Holtei in Wahrheit Kosciuszko verherrlichen wollte. Die zweite Aufführung wurde sofort verboten, doch mit Rücksicht auf des Königs Versprechen wurden sechs weitere Aufführungen genehmigt.15) Der König sah das Stück. „Von dem Tage an hatte Holtei seine Gunst verloren, wenn der König es ihn auch nicht unmittelbar fühlen ließ." 16 ) Zu fühlen bekam er es von anderer Seite, besonders von Geheimrat Gustav Adolf Tzschoppe, dem späteren Mitglied des preußischen Oberzensurkollegiums. Er haßte und verdächtigte von Holtei sein Leben lang. Er bezeichnete ihn als einen unruhigen Kopf, da er einen Rebellen verherrlichte. Die Rückkehr von Holteis zum Königstädter Theater (1834) wird mit Tzschoppes Machenschaften in Zusammenhang gebracht, der öffentlich bemerkte, daß man auf jede Weise verhindern müsse, daß der Autor des a l t e n F e l d h e r r n sich in Berlin „fixiere", da er ein unverbesserlicher Revolutionär sei. 14) D e r a l t e F e l d h e r r erschien 1829 im Druck ( J a h r b u c h deutscher B ü h n e n s p i e l e f ü r 1 8 2 9 , Berlin, S. 1 ff.) und enthielt die Widmung: „Zur Erinnerung froh durchlebter Jugendzeit widme ich meinen lieben Freunden in Polen den a l t e n F e l d h e r r n . " — Übrigens geht diese Koéciuszko-Begebenheit auf eine wahre Begebenheit zurück, die sich in der Nähe von Fontainebleau ereignete, wo Kosciuszko ein Landgut besaß (Berville). Die plündernden Soldaten gehörten offenbar der polnischen Legion an, die unter Dabrowskis Führung in französischen Diensten stand. Von Holtei verlegte den Schauplatz von Fontainebleau nach Deutschland. Er denkt wohl an die Schweiz, wo Kosciuszko die letzten Lebensjahre verbrachte. 15) R. F. Arnold berichtet irrtümlicherweise von nur drei. 16) Alfred Moschner: H o l t e i a l s D r a m a t i k e r , Ferdinand Hirt, Breslau, 1911, S. 135.

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Karl von Holtei und die Polen

In einigen deutschen Städten ist das Stück weiterhin aufgeführt worden, in Breslau am 2. März 1826. Dann erlosch die Teilnahme. D e r a l t e F e l d h e r r war „vergessen und begraben"17), bis es zur polnischen Erhebung von 1830/31 kam, welche das deutsche Poleninteresse in einen „Kultus" (Arnold) verwandelte. Durch jene Erhebung der Polen, von den Deutschen mit Interesse beobachtet, wurde plötzlich der Name Kosciuszko allgemein bekannt, denn im Namen dieses toten Helden kämpften die patriotischen polnischen Truppen. Es strömten dann nach dem verlorenen Kampf viele, die an dem Aufstand teilgenommen hatten, nach Deutschland, um der russischen Rache zu entgehen. Sie fanden hier viele Landsleute vor, die an früheren Aufständen teilgenommen hatten und damals schon geflohen waren. Die neuen polnischen Patrioten wurden in Deutschland herzlich empfangen. Es gehörte zum Programm der Liberalen, den Polen zu helfen. In Bismarcks P o l i t i s c h e n R e d e n findet sich über jene Polenliebe die Bemerkung, daß die Aufnahme jener Fremden herzlicher war als später die der deutschen Krieger, die aus den siegreichen Feldzügen heimkehrten.18) Von Holtei, der gerade eine schwierige Zeit am Darmstädter Hoftheater durchmachte, holte seinen a l t e n F e l d h e r r n wieder hervor und überarbeitete ihn. Eine im Jahre 1827 erschienene ausführliche Kosciuszko-Biographie19) regte ihn erneut an, erweiterte sein Wissen um jenen bedeutenden Polen und half ihm bei der Umarbeitung. Diese Neufassung (1831), obwohl weniger gespielt als die erste, macht den a l t e n F e l d h e r r n zum „Polenstück par excellence", weil sie das National-Polnische betont, das Patriotische, die glühende Liebe zur fernen, von fremder Macht regierten Heimat, und vor allem, weil sie die Hoffnung auf einen neuen Aufstand ausspricht.20) Die völlig unbegründete Napoleonic) Karl von Holtei im Vorwort zum a l t e n F e l d h e r r n ,

siehe Anm. 6, S. 69.

18) bei Cotta, X I , S. 415. 19) Th. Falkenstein: T h a d d ä u s

Kosciuszko,

Leipzig, 1827.

2

0) Siehe Anm. 1, S. 482. — Die erste Fassung blieb zu von Holteis Ärger die am meisten gespielte, da die Bühnen eine Neueinstudierung sdieuten. Obgleich die Neufassung bereits 1831 im Druck vorlag, jeder Direktion ohne Honorar vorlag, wurde sie dodi nur in Hamburg und Leipzig gespielt. Von Holtei hatte die Rolle des Thaddäus übernommen und das Spielen der Neufassung zur Bedingung gemacht. — Es ist durchaus möglich, daß die Neufassung den Theatermännern trotz der allgemeinen Polenbegeisterung zu extrem polnischpatriotisch war. So beklagte sich in Hamburg der russische Ministerresident von Struwe über gewisse Stellen, die auf Polens Schicksal anspielen. Diese wurden dann weggelassen.

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Schlußszene fällt fort, da eine Irreführung der Zensur nicht mehr möglich und auch nicht mehr nötig war. 21 ) Es muß aber betont werden, daß nicht das Polenthema allein das Stück in jener Zeit berühmt machte. Es waren auch oder sogar vor allem die Lieder, die das bewirkten. Selbst als d e r a l t e F e l d h e r r kurz nach der Aufführung von 1825 „vergessen und begraben" war, blieben die Melodien „Fordre Niemand mein Schicksal zu hören" und „Denkst Du daran, Lagienka" allgemein beliebt. In der Silvesternacht 1826 hörte von Holtei deutsche Handwerksburschen in Paris den „Lagienka" singen. Von Holtei benutzte bekannte Melodien alter Lieder oder bereits bekannter Lieder und versah sie mit neuen Texten.22) 1832, ein Jahr nach der Umarbeitung des a l t e n F e l d h e r r n , schreibt er das Gedicht vom „letzten Polen", „das die äußerste Grenze bezeichnet, zu welcher sich Holteis Polenkult vorwagte". 23) Es berichtet vom Untergang Polens, den der alte Feldherr schon ahnend aussprach: „Gott! Willst Du uns nicht ehrenvoll erheben, / So laß nur ehrenvoll uns untergehen." Der letzte Pole, ein Greis, sitzt an einem Leichenstein und trauert über seine gefallenen Kameraden und über den Verlust der Heimat. Die neue Generation lacht über die Kämpfe der Patrioten und lächelt freundlich ergeben dem fremden Herrscher zu. Selbstsucht ist die Haupteigenschaft dieser neuen Generation. Darum wendet er sich den wahren Polen zu, den Helden, denen Kosciuszko und Sobieski voranschritten. Er redet auch einen anscheinend vorbeigehenden Deutschen an: „Steh* mir fern! / Kein Gefühl in euren Herzen! / Saht uns martern bis in Lebens Kern / Und bliebt doch 21) Über die Unterschiede zwischen erster und zweiter Fassung berichtet Max Back ausführlich (Anm. 3, S. 59 ff.). Es seien hier nur die Umänderungen der Auftritte I I I und X I I I erwähnt. Im dritten Auftritt zeigt von Holtei (der Falkenstein hierin folgt) die starke Wirkung des Menschen Thaddäus auf andere, besonders auf edle Menschen. Selbst die bei Falkenstein erwähnte Nelke spielt eine Rolle. Vor allem bringt aber dieser Auftritt die in der ersten Fassung nicht vorhandene Klage um das verlorene Vaterland. — Der dreizehnte Auftritt bringt nicht nur eine Ermahnung Koéciuszkos zu gutem Verhalten, sondern einen flammenden Aufruf zur Freiheit. Er sieht bereits den kommenden Aufstand und mahnt zur Einigkeit (»Du stetes Ziel der allerbängsten Sorgen"). Eine Aussicht auf Sieg besteht noch einmal, deshalb wird die Schlußstrophe dieses dreizehnten Auftritts positiver gestaltet. („Denkst Du daran — doch nein, das sey vergangen, genug der Klagen!"). 22) Siehe Anm. 16, S. 138: »Als Melodien der seinerzeit allenthalben verbreiteten Lieder wählte Holtei fast ausschließlich französische Weisen, die er größtenteils dem C l e f d u c a v e a u von P. Capelle (1811, 1816, 1827, 1848) entnahm." — Näheres über das deutsche Liederspiel als „Gattung" bei H . M. Schletterer: D a s d e u t s c h e S i n g s p i e l v o n s e i n e n A n f ä n g e n b i s a u f d i e n e u e s t e Z e i t , Verlag von Breitkopf und Härtel, Leipzig, 1863. 23) Siehe Anm. 1, S. 483/484. — Das Gedicht „Der letzte Pole" befindet sich im ChamissoSchwabschen M u s e n a l m a n a c h f ü r 1 8 3 3 , S. 88 ff., — später in Karl von Holteis G e d i c h t e n , 1861, S. 54 ff.

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kalt bei solchen Höllenschmerzen. / Nuri'ist es erreicht. / — Ich bin der letzte Pole, ich." Es ist verständlich, daß dieses Gedicht, das nahelegt, die Deutschen seien angesichts des Geschicks des unglücklichen Volkes gefühllos und kalt geblieben, Protest von deutscher Seite hervorrufen mußte. Selbst wenn die Anklage von den Lippen des zutiefst erschütterten polnischen Patrioten kommt, so ist sie doch bloße Unwahrheit. Es ist schade, daß Wolfgang Menzel es für nötig hielt, einen völlig unsachlichen Vorwurf wegen des „letzten Polen" zu erheben.24) In jener Situation war ein Herunterreißen der Persönlichkeit des Autors nicht am Platze, aber eine sachliche Kritik wäre am Platze gewesen. Diesem Vorstoß zur „äußersten Grenze" der Polenverherrlichung folgte für den Dichter eine grenzenlose Ernüchterung, ein völliger „Umschwung in seinen Gefühlen". 25) Niemals hat er seine Bewunderung für Kosciuszko bereut, aber er hat allmählich und ganz sicher bemerkt, daß er sich in den Exilpolen getäuscht hatte. Wie ein Abschied von ihnen erscheint uns heute der 14. Mai 1847, als er in Braunschweig zum letztenmal von der Bühne sein „Denkst Du daran" sang. Es kam das Jahr 1848. Wenn bei von Holtei etwas gewiß war und zutiefst echt war, dann ist es seine Königstreue gewesen. Er sah mit Schrecken die führende Rolle, die einzelne Polen während der Märztage in Berlin spielten. Er bemerkte, wie sich die exilpolnischen Kolonien mit den revolutionären deutschen Kräften vereinten, um mit ihnen für ein republikanisches Polen zu kämpfen. Bei allen radikalen Handlungen, so stellte er fest, hatten die Polen irgendwie die Hand im Spiele. Schon beim Hambacher Fest hatte man auch ihre Fahne vorangetragen und einen Trinkspruch auf sie erhoben. Beim Frankfurter Putsch war der Anführer ein Pole. All diese Wege, welche diese „in Revolutionsgeschäften so zu sagen Reisenden"26) einschlugen, konnten unmöglich diesem preußischen Monarchisten sympathisch erscheinen. „Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß die Revolution überall von Fremden angeregt und unterstützt wird." 27 ) Wo er jetzt Polen auf Reisen trifft, fällt ihm deren stolze Absonderung von den Deutschen auf und deren förmlich herausforderndes Benehmen. Als nach 2

4) 5) 2 «) 2 ?) 2

Siehe Anm. 5. Siehe Anm. 3 (Max Back), S. 71. Karl von Holtei: N a c h l e s e , Breslau 1870/71, I, S. 216. Karl von Holtei: S i m m e l s a m m e l s u r i u m , Breslau, 1872, S. 2.

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Karl von Holtei und die Polen

einem verunglückten Attentat auf den König die Deutschen das Preußenlied sangen, nahmen die Polen keinerlei Anteil, lachten aber höhnisch auf. Dramatisch fast spitzt sich die Situation zu: Als von Holtei in Trachenberg weilte, mußte er vor einem drohenden Überfall polnischer Insurgenten über Neiße nach Wien fliehen. Dieses Ereignis, so berichtet R. F. Arnold, scheint dem Polenkult des leidit bestimmbaren Sanguinikers völlig den Rest gegeben zu haben. Er setzte sich nicht mehr für sie ein. Er wurde still, doch kämpfte er nicht gegen sie. Er verurteilte die Radikalen, welche die Monarchie stürzen wollten, und er verwehrte den die Gastrolle verletzenden Polen das Recht, die Ruhe zu stören. Er wollte Preußen bewahren, wie er es seit seinen Kindestagen erlebt und geliebt hatte.

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Alfred Carl Groeger DIE WELT IST SEELE Zu Carl Hauptmanns Werk „Es gibt nur zwei Wege: entweder legst du die Hand an den Pflug, säest, erntest, nimmst Lust und Sorgen gleichförmig hin wie Sommer und Nacht. Oder du greifst hinaus über das nahrhafte Behagen des Landmannes — du greifst in die innersten Geheimnisse der Seele, in das schimmernde Licht ihrer Nacht oder in die Gründe des Grausens: und du verloderst wie ein in tausend Flammen sehnsüchtig himmelan sich erstreckendes Feuer — nur daß an ihm Seelen sich entzünden, erleuchten, wärmen. — Nun entscheide dich!" Carl Hauptmann: Tagebücher

Es besteht kein Zweifel darüber, daß Carl Hauptmanns Persönlichkeit und Werk im Bewußtsein des großen Publikums als das des „schwierigeren" und „philosophischeren" Hauptmann im Schatten seines Bruders Gerhart stand und steht, obwohl sich in ihm und seinem Werk eine überzeugende schlesische Stimme kundtut, die aus dem Chor unserer heimischen Dichter und aus der literarischen Substanz Schlesiens nicht mehr wegzudenken ist. Er errang nie die weltweite Bedeutung und Beachtung wie sein jüngerer Bruder, obwohl er oft hartnäckig um Anerkennung kämpfte, denn sein Werk ist zeitverhafteter, enger, hintergründiger und strenger, es zeigt durchaus das Signum echten Dichtertums auf den Fundamenten mystischen Schlesiertums — aber es ist darum auch eigenwilliger, herber, weniger glatt und weniger leicht zugänglich. Darum war und blieb der Ältere nach dem Ausspruch seines weit erfolgreicheren Bruders „ein einsamer Kämpfer". Er ist mit seinem Prosawerk, mit seiner etwas romantisch-traumhaften Lyrik und mit seinen eindrucksvollen, farbigen und problemstarken Bühnenwerken ohne Zweifel ein wirklicher Dichter, der sich im Laufe seines Schaffens vom Naturalismus seiner ersten Dramen zu einem mystischen Symbolismus hinwandelte, was ihn in starke Nähe zu Jakob Böhme, Angelus Silesius oder Hermann Stehr rückt, obwohl seine Bedeutung im Bereich der Literatur vor allem nach den Worten von K. Briegleb in der Struktur seiner thematischen und stilistischen Tendenzen zu suchen ist und weniger in der künstlerischen Harmonie seiner Probleme. Alles zusammen mag wohl der Grund sein, daß 335

Alfred

Carl Groeger

viele Literaturgeschichten oder literarische Fachbücher nicht einmal seinen Namen nennen. Vor einem runden Jahrzehnt verlautete, daß auf einem Landgut in Schlesien — nach anderen Meldungen in Warschau — überraschend seine verloren gegangenen Tagebücher gefunden wurden, die man in die Breslauer Bibliothek schaffte, um sie dort zu ordnen und zu katalogisieren. Jetzt ruht er fünfzig Jahre in schlesischer Erde — eine Verpflichtung für uns, sich dieses Dichters gebührend zu erinnern. Es gab schon immer einzelne zaghafte Stimmen, die in Carl den größeren der beiden Dichter sahen, auch wenn sein Werk kleiner und sein Ruhm bescheidener war. So Joseph Nadler: „Gegen Gerhart, den großen Dichter, war Carl der tiefere Denker und Künstler." Aber man muß wohl sehr in sein Werk hineinhorchen, um dies festzustellen — in sein Werk, das viel weniger naturalistische Züge trägt als das des Bruders, das durchgeistigter, visionärer ist, mehr der Intuition unterworfen und sich entfernend vom Realen und der nackten Wirklichkeit — und wenn doch daran haftend, dann immer bemüht, hinter der Erscheinung die Wesenhaftigkeit der Dinge zu ergründen. „Er ist der philosophischere Kopf, dem die Aufgabe gestellt war, Dichten und Denken zusammenzubringen" (Grenzmann), wobei ganz sicher seinem Denken, seiner grüblerischen Philosophie der Vorrang einzuräumen ist, was letzten Endes seinem Dichten in der Wahl der Stoffe, der Bearbeitung und Durchdringung der Motive und der stilistischen Gestaltung abträglich war. „Hauptmann versucht, die Darstellung der gewählten Stoffe und Motive durch eine brennend pathetische Sprache und mit Hilfe einer extremen psychologischen Konstruktion der Bilder zu einer autonomen Ausdruckskunst zusammenzudrängen" (K. Briegleb).

Es ist in ihm das Ringen zwischen Wissenschaftler und Dichter, zwischen Wissenschaftler und Künstler, das nicht ganz reibungslos vonstatten ging, weil er spürte, daß auch „der andere Teil seiner Natur, seine lyrische Träumerwelt, das Recht auf Wirken und Sichausgeben habe, daß er kein Wissenschafts-, kein Intellektmensch sei, sondern neue Pfade bahnbrechend wandeln müsse, als ein Entdecker, als Offenbarer, als Dichter" (H. M. Elster).

Darum hat er sich tief in letzte Probleme hineinversenkt und daher weniger schnell und weniger umfassend den Übergang vom Wissenschaftler zum dichtenden Künstler gefunden, und darum wohl ist das immer wieder merkbar werdende Grundmotiv seines Schaffens der Zwiespalt zwischen Seelentum und Erscheinungswelt und der Drang und die Sehnsucht nach einer Brücke zwischen beiden. 336

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In der Tat ist sein ganzes Schaffen ein rastloses Ringen und ein großes Mühen um den Urgrund allen Seins, und fast in jedem Satz seiner zahlreichen Schauspiele und in seinen Romanen und Erzählungen offenbart sich der grüblerische, schwer ringende Mensch und Künstler so stark, daß man manchmal den Eindruck hat, als ob er nicht Herr seines inneren großen Reichtums wäre und ob sich mitunter ein Bruch in seinem Schaffen bemerkbar macht. So sehr uns seine stimmungsvollen Naturschilderungen, seine exakten Beobachtungen und liebevollen Details erfreuen und sein waches Aufnehmen und Wiedergeben seiner Umwelt, wesentlich für ihn ist und bleibt doch das Sein hinter den Dingen, das, was unter der Oberfläche ist, die innere Welt, der metaphysische Kern: „Was er eigentlich finden will, das sind die großen Ordnungen, die Gesetze, in denen der ,Sinn des Lebens' verborgen liegt" (W. Menzel). Sein Blick geht stets nach innen — wie der seines Bruders Gerhart nach außen, nach der Umwelt. „Er war viel klüger als Gerhart, viel reicher an Wissen und Erfahrung: ihm fehlte aber, was der Jüngere besaß, die gewissermaßen natürliche Kraft des Gestaltens" (P. Fechter). Er sah Probleme, wo sein Bruder klaren Konturen und Wirklichkeiten nachging, er rang mehr um die Tiefe, während Gerhart sich mehr den äußeren Erscheinungen verhaftet sah, er mußte zergliedern, zerfasern, zerdenken, wo der Jüngere sich mehr an das Erscheinungsbild dieser Welt klammerte. So konnte er den Naturalismus nicht restlos bejahen, so nahe er ihm mitunter stand, denn: „Der Naturalismus hat redit, sofern er das Milieu ergriff. Aber nidit, weil er damit ins Menschenwesen als Naturwesen, sondern nur als Sozialwesen Einblick gewährt. Der Naturalismus ist die Kunst des Menschen als Sozialwesen. Aber wenn er damit die Naturwesen erklären will, so irrt er. Die tiefsten Verborgenheiten unserer Leidenschaften wurzeln in einer anderen Natur, und das Milieu, das sie bilden half, ist lange versunken" (Tagebücher).

Für ihn ist der Mensch nicht das Ergebnis seines Milieus, sondern das Milieu das Ergebnis aus seiner sich entfaltenden Persönlichkeit. Und dennoch nennt ihn E. Alker trotz seiner ungewöhnlichen Verinnerlichung einen getreuen Spiegel des Zeitgeschehens, „dessen Suchertum erstaunliche Witterung für alle atmosphärischen Veränderungen im geistigen Zeitklima besaß". Vor allem aber scheint uns das Wort Hugo Hartungs besonders treffend, wenn er sagt: „Carl Hauptmann war wohl der jschlesischere' von den beiden, wenn man darunter das Mystisch-Grüblerische, Gottsucherische versteht." Oft ertrug er seine Zweitrangigkeit mit resignierendem Gleichmut, und nur manchmal brach es auch ihm heraus, wenn er etwa an seinen Freund schrieb: 22 Breslau

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„So leben wir nebeneinander, wissen, daß wir uns in tiefster Seele verwandt und in innersten Lebensgefühlen verbunden sind, und können nicht zu einander. Die Händler stehen dazwischen. Ο Wirrsal, wer hat ein Schwert, den Knoten durchzuhauen. Sie wissen, hier liegt die Tragik meines Lebens."

Trotz allem: Carl Hauptmann war unzweifelhaft einer der schlesischen Dichter, der seine ganze Kraft aus dem Heimatboden schöpfte, in dem er fest verwurzelt war, so daß Stimmungsbilder von großer Schönheit entstanden und Hans Zuchhold von ihm sagte : „Wie Walderde und Harz schmecken Carl Hauptmanns Bücher, wie blauer Enzian blüht es darin, und vor unserer Sehnsucht leuchtet der Scheitel der Schneekoppe, von Rosenketten umhängen",

oder wie Helmuth Richter in seinen Versen „An Carl Hauptmann" es ausdrückt: Du wohnst in der Täler friedlichem Abendschein, Der Bergwald rauscht dir im Bart, Aus schwellendem Moos, aus stillem Gestein Erhebt sich dein Antlitz groß und zart.

Sein Leben ist schnell umrissen: seine Vorfahren kamen aus Böhmen nach Schlesien und waren ursprünglich Weber. Als einer von ihnen nadi der Teilnahme an den Befreiungskriegen 1815 nach Herischdorf bei Warmbruiih zurückkehrte, wurde er Kellner und erarbeitete sich seine Gastwirtschaft in Bad Flinsberg. Später war es das Hotel „Zur Preußischen Krone" in Niedersalzbrunn, das der Sohn Robert bewirtschaftete. Hier wurde Carl am 11. Mai 1858 geboren. Seine Mutter Marie Hauptmann war die Tochter des Fürstl. Pleßschen Bade- und Brunneninspektors Friedrich Straehler, die sich tapfer und gewissenhaft des oft kränklichen und ernsthaft kranken Zweitgeborenen annahm. Er war der geweckteste der Hauptmannbuben, besuchte nach der heimischen Volksschule bis zu seinem 22. Jahre das Breslauer Realgymnasium am Zwinger, studierte von 1880 - 1883 in Jena Naturwissenschaften bei Ernst Haeckel: und Philosphie bei Eucken und später bei Richard Avenarius, um dadurch den Problemen des Lebens auf den Grund zu kommen. Er promovierte 1883 zum Dr. phil. mit der Arbeit „Die Bedeutung der Keimblättertheorie für die Individualitätslehre und den Generationswechsel" und war in dem folgenden Jahrzehnt noch durchaus seiner Naturwissenschaft verhaftet, bis hin zu seiner letzten derartigen Arbeit aus dem Jahre 1893: „Die Metaphysik in der modernen Psychologie." 338

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Nach einer Italienreise und seiner einjährigen Militärdienstzeit und nach seiner 1884 erfolgten Verheiratung mit einer der vermögenden Thienemanntöchter, auch seine Brüder Robert und Gerhart heirateten zwei Schwestern seiner Frau, wandte er sich nach kurzen Aufenthalten in Zürich mit großen Ferienreisen und in Berlin wieder in die schlesische Heimat und ganz der Schriftstellerei zu, da er eingesehen hatte, daß die Naturwissenschaften nicht den letzten Sinn des Lebens erschließen konnten und seine „Welträtsel" andere waren als die seines Lehrers Haeckel : „Welträtsel — nur diejenigen lösen es, die es nicht stellen — und nur aus Gnade des Lebens selbst. Es sind Menschen, von denen die Sage geht, sie seien auf hohen Bergen geboren, von Wölfen gesäugt, Bienen wären herangeflogen, ihren Kindermund mit Honig zu füllen, und schon ihre kleinen Hände hätten spielend böse Schlangen erdrückt."

Er kam zu der Erkenntnis, die sich in seinen Tagebüchern findet: „Was wir wissen möchten, wissen wir dodi nicht. Es ist doch im Grunde nur ein Bedier voll Rätsel, den wir nun in der Hand halten."

Und seine weitere große Erkenntnis wurde zum Ausspruch: „Die Welt ist Seele" — wonach er seine Eintragung ins Tagebuch formulierte: „Ich fahnde allenthalben nach Seele. Seele ist immer gut, wie Licht leuchtend. Alles um mich, alle Wesen, Felsen, Bäume, Tier und Mensch, alles ist ein Grab der Seele. Manche, die allenthalben den Sehnsuchtsruf vernehmen : Madie midi leuchtend! Das Böse ist nur eine flüchtige Phase im Kampf ums Licht!"

Ausgerechnet er, der als junger Wissenschaftler dem „törichten Begriff der Seele" durch sein geplantes wissenschaftliches Werk mit dem Nachweis des rein mechanistischen Aufbaues alles Seins in glühendem Eifer auch die letzte Wahrscheinlichkeit der Existenz nehmen wollte, er mußte aus tiefem Drang seines Innern den Begriff der Seele zu seinem inneren Schwerpunkt machen! So kam er, beeindruckt von der Mystik Jakob Böhmes, zu seiner traumhaften, mythischen, magisch-beseelten Dichtung, nachdem er den Naturalismus in sich überwunden hatte. Sein erstes episches Werk erschien unter dem Titel „Sonnenwanderer" (1896) unter einem Pseudonym, von dem der darüber begeisterte Bruder Gerhart nicht einmal wußte, daß Carl der Autor war. Es enthielt eine Anzahl Erzählungen, deren „Helden" seltsame Käuze der Riesengebirgslandschaft waren, die damals vor der Jahrhundertwende als Wunder- und Erholungsgebiet noch recht unbekannt war. Die Jahre des Suchens waren vorüber, der Dichter in ihm war geboren. Nicht ohne menschliche Erschütterungen, hervorgerufen durch die Entfremdung 22*

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zwischen den Ehegatten und die Trennung von seiner Frau, die die Scheidung nach sich zog und 1908 die Ehe mit der schönen, jungen Worpsweder Malerin Maria Rohne, die ihm dann auch die ersehnte Tochter schenkte und einer Gestalt aus seinem näheren Freundeskreis: seiner Freundin Anna Teichmüller aus Dorpat, die, aus einem dortigen Gelehrtenhaus stammend, das Ehepaar Hauptmann einst in Jena kennenlernte und, fasziniert von der Persönlichkeit des Dichters, sich in seiner Nähe in Schreiberhau ansiedelte. Sie wurde so etwas wie ein guter Geist für sein Schaffen. Er las ihr seine Gedichte vor, er verlangte ihr Urteil, und sie vertonte manchen seiner Verse. Es war eine bis zu seinem Ende fruchtbare Freundschaft, aus der manche Anregung erwuchs. Früh wandte er sich auch dem Drama zu, und es entstanden bald Werke von künstlerischem Wert, fest in schlesischem Boden und schlesischem Menschentum verwurzelte Stücke, die zwar formal noch im Naturalismus staken; sie „bergen jedoch in ihrem ästhetischen Wollen bereits Elemente impressionistischer und neuromantischer Art, welche diesen höchst wandlungsfähigen Autor nachmals weit von seinen Anfängen wegführte" (E. Alker). Seinem ersten Stüde „Marianne" (1894), einer Folge von Szenen um eine unverstandene Frau, folgten bald andere wie die bäuerlichen Volksstücke „Waldleute" (1895), ein an Anzengruber erinnerndes Stück mit typischen Holzfällern, Wilderern und Paschern, und das mundartliche „Ephraims Breite" (1898), und später das Versdrama „Die Bergschmiede" (1902), „Des Königs Harfe" (1903), „Die Austreibung" (1905), ferner ein Mosesdrama (1906), ein Doppeldrama „Napoleon Bonaparte" (1911), das durch kraftvoll gezeichnete bäuerliche Menschen hervorragende Schauspiel „Die lange Jule" (1913) mit dem Motiv des Kampfes zweier Frauen um den Mann und damit des Kampfes um Besitz und Erbe. Nicht zuletzt sei das große seherische Werk genannt, die visionäre Allegorie „Krieg. Ein Tedeum" (1914), in der er mitten im Frieden — das Werk erschien schon im Mai des Jahres 1914 — Bilder des Grauens schaute, die dann in zwei Weltkriegen zur traurigen Wahrheit wurden, in der er als erstaunlicher Seher und Prophet die Menge den Lehren des „ausgebrochenen Staatsphantasten" zujubeln läßt und dieser seine betörend-unseligen Parolen verkündet: „Mein Reich ist nur von dieser Welt! Rolle, Goldwagen, durch Ströme von Menschenblut, Millionen zermalmend. Ich will in den neuen Morgen fahren, ich will euch in den neuen Morgen fahren, ich will euch alle Reiche der Erde geben!" Doch Hauptmann, der immer an das Gute glaubte, ließ auch diese Vision versöhnend ausklingen mit dem Erscheinen des neuen Menschensohnes und dem Gebet: „O Herr, träufle aus deinem reichen, gütigen Herzen in das Blut des lieblichen Knäbleins die große Liebe zur armen, schönen 340

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Erde!" Im Juli 1914, kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges, entstand mit ähnlichen Motiven die Legende „Der abtrünnige Zar", die aber erst 1918 erschien. Einer seiner größten Bühnenerfolge wurden „Die armseligen Besenbinder" (1918), ein Drama, das er selbst „ein altes Märchen" nennt und das mit dem Thema des Totentanzes beginnt. Auch sein „Tobias Bundschuh" innerhalb seiner Trilogie „Die goldenen Straßen" mit den Einzeltiteln „Tobias Bundschuh" (1916), „Gaukler, Tod und Juwelier" (1917) und „Musik" (1918) erlebte an den Reinhardtbühnen mit Max Pallenberg in der Titelrolle einen überaus großen Erfolg, so daß die Kritik von einer „Steigerung Gerhart Hauptmannscher Dramatik" sprach — sicher zu früh, denn bei aller Anerkennung seiner Werte war es eine Überschätzung. Die folgenden Zeiten erwiesen es, daß der jüngere Hauptmann theaterwirksamer war. Gewiß errang Carl Hauptmann so manchen schönen und beachtlichen Erfolg, der große Durchbruch wurde es nicht, den sein Bruder schon längst erlebt hatte. Des älteren Bruders Los und Schicksal war und blieb es, zu den Stillen zu zählen und nur König im kleineren Reich zu sein. Fast immer spielen seine Stücke im Riesengebirge, und seine Menschen sind die Gebirgler. Des Dichters und ihre Sprache ist die Sprache des Riesengebirges, so daß Prof. Borchardt urteilte: „Noch nie hat das Riesengebirge einen solchen Darsteller gefunden, der es so aus dem Innersten heraus erfaßt hätte; keinen wuchtigeren Hintergrund konnte Carl Hauptmann für seine Dichtung finden als diese eigentümliche Natur seiner heimatlichen Berge, über denen immer eine herbe Stimmung liegt, deren kahle Gipfel an die Vergänglichkeit alles Irdischen zu mahnen scheinen und die, vom Sturme umtost, eine ähnliche Leidenschaft zu fühlen scheinen wie der Bergschmied, der an ihren Hängen wohnt. Die Berge selbst scheinen an diesem Drama teilzunehmen."

Selten hat auch ein anderer so schöne Verse geschrieben über das Riesengebirge wie er, keiner hat den Reiz des Gebirges, die Romantik der wälderreichen Bergwelt oder der kahlen, sturmumwehten Grate so empfanden wie er, der begeistert ausrief: „Meine Berge leuchten wieder" oder beglückt erkannte: Wenn idi hoch oben geh, Schwinden die Qualen Wenn idi hoch oben geh, Wird mir so frei.

Und auch in seiner Lyrik kommt immer wieder sein Diesseits und Jenseits im Denken und Fühlen zum Ausdruck, sein erdverhaftetes, erdgeborenes Dasein, 341

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und dodi sein „Erde halb — und halb auch Träume", seine „Position des Sterblichen, sein Hier und Dort, Irdisches und Himmlisches zugleich" (W. Schwarz). Vor allem die Sammlung „Aus meinem Tagebuch" (1900, sehr erweiterte Auflage 1910) „verfügte über einen Reichtum an schönen und musikalischen Versen" (E. Alker), von Versen, die alles in ihren traumhaften Bann ziehen und in leuchtenden Bildern die Schönheiten der Natur schildern: Tageszeiten und Jahreswechsel, Wetterleuchten und wilde Herbststürme, Winternächte und Waldeinsamkeit, Nachtwind und Waldesrauschen, Abgründe und nebelumwobene Grate, grüne Matten und verstreute Hütten am Hang — und in ihnen das Leben der Menschen in Lust und Leid. Es ist nicht ein Tagebuch im gebräuchlichen Sinne des Wortes, sondern eine zwanglose Zusammenfassung von Gedichten, Gedanken und Gedankensplittern, Aphorismen, prophetischen Worten, grüblerischem Nachsinnen und Gestalten des Geheimnisvollen und Mythischen. Kaum einer hat seine Bergheimat so geliebt mit ihrer Einsamkeit, mit ihrer Sonnenschönheit im Sommer und ihrer Winterpracht: „Bin wieder einsam und stark und frei, fern den Menschen, die midi umschnüren . . . " — so daß auch H. Zuchhold von ihm sagte: „Ich kenne keinen anderen Dichter, der die Eigenart des Riesengebirges, seine Schönheit und seine Herbheit so vielseitig, so eindringlich und völlig dargestellt hätte wie Carl Hauptmann: Die Berge und die Kammwiesen, die Wälder und die Hütten am Hange, die Klänge und Farben, die Tiere und die Menschen, die Einsamkeit und die Größe und die Armut und Enge und Bedrängtheit, das Beieinander von Kühnheit und Liditdrang und Lebensgier und Sinnenlust."

So ist er auch der „schlesische Leutemaler", der mit besonderer Einprägsamkeit und Plastik all die Gestalten seines schlesischen Gebirgsdorfes vor uns hinstellt: Tölpelhafte und Weise, Einfältige und Gerissene, Eigenbrötler und Gegenwartsnahe, Phantasten und Realisten, Holzhauer, Bergbauern, Wilderer und Pascher, Sanftmütige und Derbe, Reine und Lüsterne, Feine und Grobe — vor allem aber die Unglücklichen und die vom Schicksal Vernachlässigten. Wie armselig müssen sich die Besenbinder in ihren ärmlichen Gebirgshütten durchs Leben schlagen, die zwischen gut und böse Schwankenden, die auch darum wissen: „Mit einem Fuße stecken wir immer noch wieder in der Sünde und Schande — aber mit dem anderen Fuße stecken wir in der Erwartung, im Glauben, in der Hoffnung." Der Dichter weiß mit ihnen um das Verwurzeltsein im heimischen Boden, er weiß vor allem: „Das Gefühl von Mensch, 342

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dais einen trägt und das einen froh macht und das einem leben hilft, das ist dòdi aller Geheimnisse Sinn." Er ist durch und durch Schlesier, der sein Land und, dessen Menschen nicht nur mit den Sinnen, sondern auch in tiefster Seele erfaßt, denn — wie Friedrich Bischoffs erste Zeilen seines Gedichtes lauten —: Wenn der Föhnwind durch den Bannwald fährt, Daß die Föhren ächzen und schrein, Steht einer am Grubenrand, in sich gekehrt, Und schaut in den Berg hinein.

So erlebt er und erleben seine Gestalten das „eigentümliche Doppelgefühl von kh-Einsamkeit und Weltunendlichkeit" (W. Meridies) und leben in einer irdischen und überirdischen Welt. Seinen größten Ruhm aber gewann er durch seine Erzählkunst, zunächst nach den schon erwähnten lyrischen Skizzen „Sonnenwanderer", die ihn seine dichterische Begabung erkennen ließen, und nach den im schlichten Tonfall recht lebens- und volksnahen Erzählungen in dem Band „Hütten am Hang" (1902), durch seinen Roman „Mathilde" (1902), den „Zeichnungen aus dem Leben einer armen Frau", worin er das ergreifende Schicksal einer schlesischen Arbeiterfrau schildert, eines Schreiberhauer Armenhausmädels, das also aus demselben sozialen Milieu stammt wie seines Bruders Hannele, das aber das Leben tüchtiger meistert als die Materntochter. In allen Fährnissen bleibt sie sauber, das Porträt einer Fau, die sich auch in der Armut behauptet und letztlich das Leben bezwingt. Über dieser vordergründigen Handlung aber steht das Problem der Landflucht. Formal ist dieses erste größere Werk insofern bedeutsam, als es eine Absage an den Naturalismus ist, der „über tausend kleinen Ornamenten das Herausarbeiten der großen Linie" übersah, künstlerisch nach E. Alkers Ansicht nicht voll überzeugend, aber doch ein einzigartiges und ergreifendes Werk. Es folgten weitere Erzählbände, so „Miniaturen" (1905), „Der Einfältige" (1906) und „Judas" (1909) — unterschiedlich an Wert, Ausdrucks- und Gestaltungskraft. Bleiben wird auch sein Künstlerroman „Einhard der Lächler" (1907), der besonders überzeugend Hauptmanns Wandlung vom Naturalisten zum Expressionisten verdeutlicht, der wie sein Held „ein rechter Nimmersatt von Traum und Verachtung" (das Urbild dafür war wohl der Maler und spätere Akademieprofessor Otto Müller) von sich sagen konnte: „Er lauschte in sich und erlauschte die Welt." Das Buch, das W. Meridies eine der vollkommensten Dichtungen des psychologischen Impressionismus nennt, ist seit 1953 wieder in Neuauflage zu haben, nachdem es lange vergriffen war und sich wegen des 343

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nicht ganz rassereinen Helden keinesfalls der Machthaber des Dritten Reiches erfreute — jenes Helden, mit dem sich auch der Dichter in seinem Grübeln und Suchen nach dem wahren Lebenssinn vielleicht unbewußt identifizierte, jenes eigenwilligen Künstlers, der jede Konvention ablehnt und sich mühsam zu Eigenem durchringt, aber immer „voll Güte und Einfalt und dem verlorenen Lächeln eines Kindes". Sein dritter großer Romanerfolg war schließlich „Ismael Friedmann" (1913), der ebenfalls wieder das Streben nach Seele, das Problem der seelischen Behauptung gegenüber der materiellen Vermassung zum Gegenstand hat. Der Held ist ein Halbjude, der „zwischen den Rassen" lebt und darum vom Leben betrogen wird, der sich aus dieser so sehr dem Materiellen verbundenen Welt in seine Einsamkeit zurückzieht, sich als „Überzähliger" fühlt. In jenem Jahr entstanden auch einige Novellen, zusammengefaßt in den beiden Bändchen „Nächte" (1912) — drei Arbeiten von hohem dichterischem Wert — und „Schicksale" (1915). Eines seiner schönsten Bücher aber wurde das „Rübezahlbuch" (1915), das ihm — neben seinem Aussehen: struppiges Borstenhaar, großer Mund, Warzen im Gesicht, heller Bocksbart, wehender Lodenmantel und großer Schlapphut — den Beinamen „Carl Rübezahl" eintrug. Dieses Buch brachte nach E. Alkers Meinung, der man sich ganz und gar anschließen kann, die Vollendung des neuen Stiles Carl Hauptmanns, denn „mythische Naturstimmungen fanden durch eine herb dahinstürmende und süß einschmeichelnde, Berg und Wald zu kosmischen Erlebnissen überhöhende Sprache Verkörperlichung" (E. Alker). Hier werden aber nicht einfach Rübezahlsagen nacherzählt, sondern in freier Dichtung ein neues Rübezahlbild geschaffen als Erscheinungsbild für die Natur des Gebirges, für den „Geist der Natur, das geheimnisvolle Leben in seinem unfaßbaren Gestaltwandel, jenes Blendwerk unserer Sinne, dem wir täglich ausgeliefert sind" (J. Nadler). Zeitlebens war Carl Hauptmann ein Dichter der Einsamkeit, ein Grübler und Gottsucher, immer ringend mit Gott und den zweifelnden Menschen, beseelt von seinem Tagebuchwort: „Ich fahnde allenthalben nach Seele." Die ihn umgebende schweigende Bergwelt bestimmte durch ihre Majestät mit sein Weltbild, machte ihn mehr und mehr in schwerem Ringen zum Dichter: Gott! In Erden- und Himmelsgründen Könnt ich dichfinden ! Wollt ich wie Jakob dich eisern umklammern, Bis du erhörest unser Jammern. Ziehn wir im Licht? So wollt ich dich fragen, Ziehn wir in ewige Nacht hinein?

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Oft war er innerlich unglücklich und nach der Art der schlesischen Menschen zwiespältig, aber immer glaubte er an die Macht des Guten im Menschen und in dieser Welt. „Unser Geist, unser Traum, unser Lebenssinn, unsere Sehnsucht, unsere letzte Liebe und letztes Gebet, unser unsichtbarer Gott, unsere innere Stimme muß doch wahr sein. Und muß dodi siegen!"

Tiefes Mitleid mit allen Leidenden ist ihm eigen, so daß Gerhart Hauptmann in seinem „Buch der Leidenschaft" es ausspricht, wie Carl „bewußt und unbewußt dem ganzen Menschenschicksal verhaftet ist, wie alles in ihm nach Erlösung schreit: für sich, für die anderen, für die Welt". Bezeichnend für sein Menschen- und Dichtertum ist darum noch sein Ausspruch: „Glücklich, wer helfen kann, dem, der in Not ist, ohn* andern Grund als Liebe." Und so besteht das Wort von Hans Stolzenburg über ihn zu recht: „Der Urgrund dieses seelensuchenden Dichters ist Güte. Wie in ein schönes, geschliffenes Josephinenhüttener Kristallglas seiner heimatlichen Berge ein Sonnenstrahl dringt, der in unendlicher Spiegelung und unnennbarem Glanz zurückgeworfen wird, so empfing die Gestalt des Dichters das Leben, es zurückspiegelnd mit der Fülle seiner Werke. Im Glas und Wesen des Kristalls wohnt das Geheimnis seiner Leuditkraft, in Wesen und Leben des Dichters wohnt das unergründliche Geheimnis seiner Seele."

Dafür spricht auch das Wort, das Carl Hauptmann für seinen Grabstein wählte, der sich auf dem schönen Schreiberhauer Bergfriedhof befindet und den sein Freund, der bekannte Architekt Hans Pölzig, als einen von Flammen umgebenden Block, aus denen sich ein Vogel schwingt, in der Badischen Porzellan-Manufaktur aus Majolika herstellte: Wohl unter den Röslein, wohl unter dem Klee, darunter Verderb ich nimmermeh' ! Denn jede Träne, die dem Auge entquillt, macht, daß mein Sarg mit Blute sich füllt. Doch jedesmal, wenn du fröhlich bist, mein Sarg voll duftender Rosen ist!

Große Resonanz fand der Dichter auch bei der Jugend, da die junge Generation um 1920 eine kurze Zeit in ihm den Schrittmacher ihrer Bestrebungen sah, weil er ihr „kraft seiner glühenden, rauschhaften Menschenliebe, seiner tendenzlosen, zweckentrückten Kunst als Führer in ein grenzenloses Reich seelenhafter Möglichkeiten erscheinen mußte" (W. Meridies). Gern hörte sie ihm zu wie im Januar 1915, als er in der Berliner Universität begeistert zur studentischen Jugend sprach, und fand den Weg zu ihm, denn er, selbst immer ein Ringender und Suchender, wußte um ihr Ringen und verstand es, Wege 345

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zu weisen. Sein Ziel war hier immer die Hinführung zur freien, im Sittlichen verantwortungsvollen und -bewußten Persönlichkeit, leider zu kompromißlos, so daß sich die Jugend bald enttäuscht wieder von ihm abwandte und ihre Ideale anderswo suchte. Seine letzten und reifsten Erkenntnisse vertraute er seinen Tagebüchern an, finden sich auch in seinem letzten fragmentarischen Werk „Tantaliden" (1927), das aus seinem Nadilaß herausgegeben wurde. Noch einmal und ausführlicher klingen hier die Motive seines Tedeums „Krieg" an, als die ersten Niederschriften — allerdings ohne Zeitbezug — in den Augusttagen 1918 entstanden: seiner Seele „Traumgesichte, gewirkt aus Leid und Leben, wie aus Licht, Wahnspielen gleich — ein Nichts . . . " Will Erich Peuckert berichtet darüber: „Nicht darum ging es ihm, Zukünftiges vorauszuwissen. Er ist nie stolz darüber gewesen, hat nie davon gesprochen, daß er gesehen, was kam. Niemand außer den Allernächsten hat — während er lebte — gewußt, was in den /Tantaliden* stand. Im ersten Jahr seiner Krankheit sprach er einmal davon, aber nicht, daß er das Kommende geahnt, sondern daß der Dichter berufen sei, ins Dunkel und in den Abgrund, den Gott zwischen sich und den Menschen geschaffen, Stufen bauen müsse. Hinauf zu Gott. Kein anderer sonst könnte das Nichts überbrücken außer dem Dichter. Und er berief sich dabei eben auf seine /Tantaliden', in denen er eine solche Stufe errichtet habe."

Und W. Grenzmann f aßt es in die Worte : „Es ist das Äußerste an bloßer Expression, was Hauptmann geleistet hat, obwohl er in allem, was er schuf, vom Uberfall der Eingebungen abhängig war und sich dem Rausch der Stimme hingab."

Er starb am 3. Februar 1921 in Schreiberhau, ein sdilesischer Dichter und Gottsucher, ein Mensch voll einfacher und natürlicher Güte und Herzenseinfalt, von dem einer seiner Freunde, der Maler Hanns Fechner, zu sagen weiß: „Wie hatten ihn die Dorfleute doch ins Herz geschlossen! Mit allen ihren kleinen Nöten kamen sie zu ihm. Er kannte sie alle, kannte ihren Lebensweg und belächelte gütig ihr störrisches Gebahren, ihre menschlichen Unzulänglichkeiten. Nie ging einer von ihm ohne guten Rat oder ein tröstliches Wort, nie ohne beschenkt zu werden mit dem, was ihm am meisten nottat. Waren doch einst die Armenhäuslerinnen, die alten Weiblein, zu ihrem ,Herrn Dukter' gegangen, um Hilfe in ihren Nöten: die Armeleut-Särge seien immer so voller Astlöcher, daß Regen, Wind und Kälte hineindringen könnten. Und der Gütige hat beim Schreiner für Abhilfe gesorgt. Ein heilig-frohes Lächeln hatte seine Lippen umspielt: sancta simplicitas!"

oder wie Gerhart Pohl berichtet, daß sogar jeder Schreiberhauer für ihn den sonst nur in Freundeskreisen gebräuchlichen Spitznamen „Zarle" gebrauchte 346

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und ein Bauer lobend sagte: „Inser Zarle is a gutter Moan, keen bissel huchnäsig und dabei a richtiger Dukter." Noch ist Carl Hauptmann auch heute nicht vergessen: seine Werke werden immer wieder verlangt, drei seiner Bücher — zuletzt das herrliche „Rübezahlbuch" — haben seit 1945 Neuauflagen erlebt, Bühne und Funk brachten Dramen von ihm, Gedichte werden häufig abgedruckt. Seine zweite Gattin und seine Tochter wohnen heute wohl noch, ebenfalls heimatvertrieben, in der Nähe von Leipzig. Das Carl-Hauptmann-Haus in Schreiberhau soll — wie man hörte — unter polnischen Denkmalschutz gestellt worden sein. In den dreißiger Jahren wurde es einst als Heimatmuseum eingerichtet mit dem Hinweis: „Hier lebte, arbeitete und starb der Dichter und Denker Carl Hauptmann. Sein Bruder Gerhart schrieb hier seine bekanntesten dramatischen Dichtungen: Die Weber — Elga — Hanneies Himmelfahrt — Fuhrmann Henschel — Kollege Crampton — Biberpelz." Es barg unendlich viel kostbares Gut: Handschriften des Dichters, Briefe, Erstausgaben seiner Werke und vieles, vieles andere, besonders Kunstwerke, vor allem Holzplastiken von Prof. dell Antonio, Notenblätter mit Vertonungen seiner Gedichte und viele persönliche Erinnerungsstücke. Wer weiß, wohin die Kriegs- und Nachkriegszeit alles verweht h a t . . . Trotz vielem Positivem ist nicht zu leugnen, daß Carl Hauptmann in unserer Zeit eines oft eiskalten Realismus, eines alles beherrschenden Materialismus verhältnismäßig wenig Resonanz findet und nur „ein Juwel unter Freunden, ein Juwel der unsterblichen Heimat" (Th. Duglor) ist. Für uns aber bleibt er immer der große schlesische Dichter, der zweite Rübezahl, der Dichter der Einsamkeit, der Dichter des Riesengebirges, der Dichter der Seele, der die Welt von innen her melodisch erlebte, so wie H. Chr. Kaergel ihn einmal kennzeichnete: „Was er uns auch schenkte, alle seine Bilder und Gestalten sind weniger geschaut als gehört. Er wußte von jedem Menschen, der ihm vorüber kam, die Melodie der Seele." Literatur: Ernst Alker, Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1961. Klaus Briegleb, Carl Hauptmann. In: Hermann Kunisch: Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur. München 1965. Thomas Duglor, Carl Hauptmann: Ein schlesischer Dichter. Schriftenreihe für die Ost-West-Begegnung. Heft 32. Troisdorf 1958. Paul Fechter, Geschichte der deutschen Literatur. Gütersloh 1957.

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Wilhelm Grenzmann, Deutsche Dichtung der Gegenwart. Frankfurt/M. 1953. Hugo Härtung, Schlesien 1944/45. München 1956. Wilhelm Menzel. Carl Hauptmann. In „Der Heimabend", Blätter für die Begegnung der deutschen Stämme. Heft 12. Troisdorf 1958. Wilhelm Meridies, Carl Hauptmanns Weg zur Mystik. In „Schöpferisches Schlesien". Herausgegeben von Karl Schodrok. Nürnberg 1970. Gerhart Pohl, Alt wie die Bergquellen. Dank an Carl Hauptmann. Nachwort zum „Rübezahlbuch". München 1960. Wolfgang Schwarz, Carl Hauptmann 1858—1921. In H. Hupka: „Große Deutsche in Schlesien". München 1969. A. Soergel-C. Hohoff, Dichtung und Dichter der Zeit. Düsseldorf 1963.

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Günther Grundmann KÜNSTLER U N D KÜNSTLERKOLONIEN I M RIESENGEBIRGE Aus der Sicht der Künstler, aus dem Wirken ihres Geistes und dem Schaffen ihrer Hände bleibt der Nachwelt das Gesicht eines verlorenen Landes und einer vergangenen Zeit. Lebende Schatten! Ruth Storm1)

Für das 19. Jahrhundert war das Riesengebirge eine Gegend fremdartiger Naturwunder. Mit seinem nackten Kammrüchen zwischen 1000 und 1600 m Höhe, mit seinen Hochmooren und schroffen Felskaren, seinen Bergseen und Wasserfällen war es zudem immer noch schwer zugänglich. Seine Sagen- und Märchenwelt verkörperte sich im Berggeist Rübezahl. Diese Eigenart und, verglichen mit den mitteleuropäischen Gebirgen, diese Fremdartigkeit lockte die Maler der ersten Jahrhunderthälfte, einen Caspar David F r i e d r i c h , einen Carl Gustav C a r u s, einen Claussen D a h l zu Maler- und Wanderfahrten in ein Reich romantischer Schönheit.2) Freilich waren die reichen künstlerischen Ergebnisse nach wenigen Jahrzehnten, wohl infolge ihrer Motivferne, kaum noch bekannt. Dafür schuf ein liebenswürdigerer Künstler wie Ludwig R i c h t e r 3 ) die ersten illustrativen Ansichten der bekannten Gebirgsmotive, die für den Leipziger Verleger Wiegand als Stahlstiche vervielfältigt wurden. Gleichzeitig blühte in dem zentral gelegenen Bad Warmbrunn eine üppige Andenkenindustrie, produzierte in Schmiedeberg ein eifriger Verleger seine farbigen Lithographien und stellte die Josephinenhütte die Brunnengläser her, die nach den Knippelschen Vorbildern 4) mit 1) Diese Worte von Ruth Storm, der ehemals in Schreiberhau lebenden Dichterin, sind geeignet, sie dem Rückblick auf die Schreiberhauer Künstlerkolonie, der zugleich in seiner Anlage eines Überblicks über die Künstler im Riesengebirge zu einer Dokumentation ausgeweitet wurde, voranzustellen. Die Worte von Ruth Storm entstammen einem Beitrag mit dem Titel: Schlesische Künstlervereinigung St. Lukas in Schreiberhau, in: Der Schlesier, Nr. 4 1965. 2 ) G. Grundmann, Das Riesengebirge in der Malerei der Romantik, München 1965, Kapitel I V , Caspar David Friedrich, der romantische Maler des Riesengebirges, S. 68—99, u. Anhang S. I — I X . Kapitel V, Der romantische Landschaftsästhetiker Carl Gustav Carus und die Riesengebirgslandschaft, S. 100—109. Kapitel V I , Die deutschen Spätromantiker und das Riesengebirge, Johann Christian Claussen Dahl, S. 110—112 und Anhang S. X bis X V I I I . 3) G. Grundmann, Das Riesengebirge in der Malerei der Romantik, München 1965* Kapitel V I I , Ludwig Richter als Schilderer des Riesengebirges, S. 122—132. 4) G. Grundmann, Das Riesengebirge in der Malerei der Romantik, München 1965, Kapitel I X , Die Maler und Zeichner der Biedermeierzeit im Riesengebirge: Der Sdimiedeberger Verlag A. Tittel, C. T. Maties, Rieden und Knippel, S. 155—164.

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gemalten und gravierten Gebirgsansichten versehen wurden. Aber für die Maler der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde das Riesengebirge erst in den letzten beiden Jahrzehnten zum eigentlichen Sammelpunkt. Als erster Gebirgsmaler darf mit vollem Recht, wenn er sich auch noch nicht dauernd im Gebirge niederließ, Adolf D r e s s l e r 6 ) genannt werden. Der Breslauer Kaufmannssohn (geboren am 14. Mai 1832) hatte sich die ersten Kenntnisse als angehender Maler bei Lehrern der Breslauer Kunstschule wie König d. Ä. und Ernst Resch angeeignet und diese am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main von 1855 bis 1864 unter dem Düsseldorfer Maler Jacob Becker vervollkommnet. In einem bereits fortgeschrittenen Stadium schloß er sich dann im Taunus der koloristischen Reformbewegung eines Dielmann und Burger an und gewann hier in Kronberg, gern als deutsches Barbizon bezeichnet, die Unmittelbarkeit seiner Anschauung durch ein intensives Naturstudium, das ihn in seinem weiteren künstlerischen Schaffen zu einem Landschafter im Range vorimpressionistischer Naturauffassung werden ließ. Familiäre Umstände zwangen ihn, 1862 in seine Vaterstadt Breslau zurückzukehren, wo er 1880 als Lehrer für Landschaftsmalerei in dem beim Schlesischen Provinzialmuseum eingerichteten Meisteratelier ernannt wurde. Von Breslau aus hatte er jeden Sommer in Hain im Riesengebirge sein Stammquartier aufgeschlagen und die große Zahl seiner frisch aufgefaßten und rasch heruntergemalten ölstudien, die das Schlesische Museum der Bildenden Künste in Breslau aufbewahrte, ließen erkennen, welche vorzüglichen Voraussetzungen er aus der Kronberger Zeit mitgebracht hatte. Sie hätten ihn zu einer reichen Ernte befähigt, wäre er nicht allzu sehr zur Brotarbeit gezwungen gewesen, und eine solche war auch das Kolossalgemälde eines Riesengebirgspanoramas zur Schlesischen Gewerbeausstellung in Breslau 1880/81, an dem er sich übernommen und das seinen frühen Tod am 7. August 1881 zur Folge gehabt hatte. Vom Schaffen Dresslers kann man mit Recht sagen: Es kam viel zusammen, was ihn zu einem der besten Landschafter des 19. Jahrhunderts in Schlesien machte: einer der Hauptvorzüge seines Temperaments waren die malerische Raschheit und die andeutende farbige Pointierung. Sie zeichnete vor allem seine Skizzen aus und charakterisierte in besonderem Maße sein Verhältnis zur Natur. β) G. Grundmann* Das Riesengebirge in der Malerei der Romantik, München 1964, Kapitel X, Der nachromantisch-realistische Ausklang der Riesengebirgsmalerei mit besonderer Berücksichtigung von Adolf Dressier, S. 178—182. E. Scheyer, Schlesische Malerei der Biedermeierzeit, Frankfurt 1965, Kapitel 18: Adolf Dressler und seine Schule schlesischer Landschaftsmalerei.

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Von einer großen Liebe beseelt für alles, was im Walde lebt, stand neben dem künstlerischen Gestalten das Interesse eines Botanikers und das Verständnis eines Forstmannes und Jägers. Kräuter, Gräser, Blumen, Farne, Laub- und Nadelhölzer, blankgewaschener Stein und durchsichtiges Wasser sind zu einer heiteren und erquickenden Waldesschönheit verwoben, die Fülle der Licht- und Farbengegensätze war ihm ein lebendiger Quell der Freude. So glaubt man an ihm den kommenden Impressionismus zu spüren, zumindest die Ansätze eines soliden Realismus, obgleich audi ein letztes Nachwehen der Romantik anklingt, die das Gesehene zum Träger eigener Seelenstimmung werden läßt. In den frühen Zeichnungen, die das Idyllische stark betonen, ist noch eine retrospektive biedermeierische Bindung vorhanden, dafür fällt in den kleinformatigen ölskizzen eine selbständige Formgestaltung und subtile Farbgebung immer stärker auf. Von ihnen aus erscheint es berechtigt, hier von einer neuen Deutung der Riesengebirgsnatur zu sprechen, die sich freilich auf die Vorgebirgslandschaft, die Waldtäler um Hain, die Baberhäuser und Brückenberg, Saalberg und die Gegend um den Herdberg beschränkte. Es war die beglückende Nähe, das Atmosphärische, die Verstecktheit des Waldes und das Liditgeriesel der Sonne, die ihn anzogen, und in denen er von der Weite zur Enge und damit zur sinnlichen Konkretheit den Weg gefunden hatte. Darum war es richtig, wenn der 1880 gegründete Riesengebirgsverein ihm nach seinem Tode am schattigen Waldwege von Oblassers Hotel zum Hainfall einen großen Findlingsblock als Denkmal aufrichtete und mit der Inschrift: „Dem Maler des Riesengebirges" versah. Man hätte mit einigem Recht auch sagen können, dem „ersten" Maler des Riesengebirges. Das Jahrzehnt, in dem dieses Denkmal errichtet wurde, ist in vieler Hinsicht bedeutungsvoll. Die Initiative, der es seine Entstehung verdankt, entsprang der in den achtziger Jahren einsetzenden Bemühung, sich dem Fremdenstrom aufnahmebereit zu zeigen, der das Gebirge als Sommerfrische aufzusuchen begann. Instrument für diese Aufgeschlossenheit sollte der Riesengebirgsverein sein, der es sich zur Aufgabe machte, einerseits das Gebirge den Sommerfrischlern zu erschließen, andererseits zu verhindern, daß mit der wirtschaftlichen Erschließung das Eigenständige der Landschaft und ihrer Bewohner verloren ginge. Gleichzeitig mit dem wirtschaftlichen Aufstieg in Deutschland erfolgte auf dem Gebiet der Kunst der Durchbruch zum Realismus. Diese Entwicklung vollzog sich nicht nur auf dem Gebiet der Dichtung und der darstellenden Kunst des Theaters, sondern auch auf dem der Malerei. Im Riesengebirge war 351

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es Carl Ernst M o r g e n s t e r n 6 ) , den man mit Redit als den zweiten Maler des Gebirges bezeichnen darf; denn er war schon frühzeitig durch seinen Vater zu einer durchaus realistischen Auffassung der Landschaftsmalerei erzogen worden. Dieser Vater Christian Morgenstern7), geb. 1805 in Hamburg und 1867 in München gestorben, war in seiner Jugendzeit durch Hamburger Künstler wie Bendixen und Suhr sowie an der Kopenhagener Akademie, an der er seit 1827 studierte, zu einem vielversprechenden Landschaftsmaler ausgebildet worden. Seitdem er aber auf den Rat des Freiherrn von Ruhmor 1829 nach München übergesiedelt war, entwickelte er sich dort zu einem der führenden Landschaftsmaler der Münchner Schule, und zwar ganz besonders durch die Aufenthalte in Dachau, wo sich ein Kreis gleichgesinnter Maler traf, um gemeinsam vor der Natur die optischen Natureindrücke im Bilde festzuhalten. Man kann also den Vater Christian Morgenstern mit vollem Recht als einen ausgesprochenen Vertreter des frühen Realismus um 1840 bezeichnen und seine Arbeiten in ebenbürtige Parallele zu Rhoden und Waldmüller stellen. Es versteht sich, daß der Sohn Carl Ernst Morgenstern, der in München 1847 geboren wurde, vom Vater ebenso wie von Joseph Schertl im gleichen Sinne künstlerisch erzogen und angehalten wurde, sich in den Niederlanden, in Frankreich und der Schweiz umzusehen, wo sich allenthalben der neue landschaftliche Realismus durchsetzte. Nach München zurückgekehrt, schloß er sich Eduard Schleich d. Ä. und Theodor Kotsch enger an. Unter solchen Voraussetzungen erreichte ihn nach Adolph Dreßlers Tod der Ruf nach Breslau, dem er 1884 Folge leistete, um die Leitung der Landschaftsklasse und der Klasse für graphische Künste zu übernehmen. So wie er und sein Vater von München aus mit ihrem Malzeug in die Umgebung und vor allem in das Dachauer Moos gezogen waren, zog es Ernst Morgenstern von Breslau aus immer wieder ins Riesengebirge, und zwar vornehmlich in die Umgegend von Krummhübel. Schließlich kaufte er sich an der Grenze zwischen Obersteinseiffen und Wolfshau ein großes Grundstück und erbaute sich hier ein behagliches Holzhaus in jenem für die Zeit um 1900 charakteristischen Stil, wie er durch Architekten wie die Gebr. Albert in Hirschberg und wie Großer und Eras in Breslau entwickelt worden war. In diesem Haus ist er 1928 gestorben. β) Carl Ernst Morgenstern, Thieme-Becker, Künstlerlexikon, Bd. X X V , 1931, S. 148, dort weitere Literatur. 7) Christian Morgenstern, Thieme-Becker, Bd. X X V , Leipzig 1931 mit umfänglicher Literaturangabe.

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Hier ist auch sein berühmterer Sohn, der Dichter Christian Morgenstern, aufgewachsen. Der Vater hatte das Haus jedoch vor seinem Tode der Stadt Breslau vermacht8), die es als Künstlerheim in Form einer Stiftung einrichtete. Letzte Leiterin war die Frau des Malers Nickisdi und in ihm wohnte auch Nickisch selbst bis zur Vertreibung aus Schlesien. Verglichen mit Adolph Dreßlers Lebenswerk ist das Ernst Morgensterns vielseitiger. In den Galerien und Museen in Breslau, München, Halle, Stettin und Donaueschingen lassen seine Ölgemälde diese landschaftliche Vielseitigkeit schon in motivlicher Hinsicht nachprüfen. Das gilt vor allem für die schlesischen Gebirge. Neben der Ölmalerei lag Morgenstern auch die Aquarelltechnik. So besitzt das Stadtmuseum München in der Maillinger Sammlung Zeichnungen und Aquarelle von seiner Hand. Dazu trat die Radierung in Gestalt zweier Radierwerke von 1889 und 1896. Wesentlich zur Ansiedlung in Wolfshau mag der Umstand beigetragen haben, daß in dessen unmittelbarer Nähe sich in dem vom Fremdenverkehr bevorzugten Krummhübel der Pächter der Prinz-Heinrich-Baude, Gustav Eisner, befand. Er war ein guter Freund und lohnender Auftraggeber des Malers und hatte zudem einen eigenen Verlag in Krummhübel begründet, der sich als Herausgeber der Morgenstern-Postkarten einen Namen gemacht hat. Die Erbauung der nach dem Bruder des Kaisers benannten Prinz-HeinrichBaude war ein großes Ereignis zur damaligen Zeit. Morgenstern erhielt von Eisner den Auftrag, die große Gaststube mit einer Reihe dekorativer Wandbilder auszuschmücken. In ihnen konnte er in großzügig stilisierter Monumentalform die Hochgebirgswelt der Kammlandschaft zur Darstellung bringen. Die Bilder waren im Lauf der Jahre stark nachgedunkelt und rauchgeschwärzt. Mit dem Brand der Baude nach 1945 sind sie zu Grunde gegangen. Hier hatte übrigens auch das Dreßlersche Riesengebirgspanorama nach Schluß der Breslauer Gewerbeausstellung, dessen Entwurf im Riesengebirgsmuseum in Hirschberg hing, eine Heimstatt gefunden, mit der es ebenfalls untergegangen ist. Die Riesengebirgslandschaft hat im Gesamtwerk Morgensterns ihren motivlichen Niederschlag in seinen Vorlagen für Postkarten gefunden. Es war nämlich ein Anliegen seiner Zeit, diese auf den Fremdenverkehr berechnete Postkartenherstellung durch die Schaffung der sogenannten Künstlerpostkarte zu veredeln. Das ist Morgenstern in hohem Maße geglückt. 8) F. Wiedermann, Der Morgenstern der Breslauer Kunst, in: Breslauer Nachrichten Nr. 2, Jahr unbekannt. 23

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Allerdings bezieht sich die Unterscheidung der Qualität nicht nur auf die Vorlagen, sondern auch auf die Reproduktionstechnik. Während die Postkarten nach Ölbildern im Vierfarbendruck vervielfältigt wurden, sind die wesentlich früher zu datierenden Postkarten nach Aquarellen auf lithographischem Wege hergestellt worden. Die Lithographien fertigte L. Niester in Nürnberg an. Eisner versah diejenigen Karten, die ein Motiv seiner Baude zeigten, mit dem Aufdruck: Eigentum und Verlag von Gustav Eisner, Prinz-Heinrich-Baude. Ebenso gehörte der Pächter der Deutschen Koppenbaude Pohl zu Morgensterns Auftraggebern, so daß auch die Karten mit Motiven der Schneekoppe den Aufdruck: Eigentum und Verlag von E. Pohl, Schneekoppe, zeigen. Für die allgemeinen Riesengebirgsmotive waren der Postkartenverlag Förster und Borries in Zwickau und vor allem der Kunstverlag Max Leipelt in Warmbrunn Hersteller. Der Vertrieb erfolgte in allen Bauden und Postkartenbuden im Gebirge. Da die Postkarten nach ölvorlagen uns in großer Zahl erhalten geblieben sind9), dagegen von der späteren Gemäldeproduktion Morgensterns nicht viel, was wohl auch nicht so wichtig sein dürfte, da sie stark unter Auftragszwang gestanden hat, so bildet die Gruppe dieser Postkarten die eigentliche Unterlage für die künstlerische Einordnung Morgensterns. Aus ihnen geht hervor, daß das Motiv und die Farbe eine ganz wesentliche Rolle gespielt haben, und zwar aus der unmittelbaren Anschauung heraus im Sinne einer Freilichtmalerei im Gegensatz zur Ateliermalerei. Daß dieser unmittelbaren Anschauung vor der Natur die rasch auftrockende Aquarellmalerei besonders entgegenkam, darauf beruht vor allem die ausgesprochene künstlerische Überlegenheit der Aquarellvorlagen gegenüber der schwerfälligeren Ölmalerei im Werk Morgensterns. Wir besitzen erfreulicherweise ein literarisches Zeugnis des Malers selbst über seine Auffassung von der Landschaftsmalerei, das in einem Beitrag in der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum der in Hirschberg erscheinenden Zeitung „Der Bote aus dem Riesengebirge" aus dem Jahre 1912 enthalten ist. Hieraus mag die wichtigste Stelle zitiert werden: 10) . . . „Es ist noch nicht lange her, daß Maler die Höhen des Gebirges zum Tummelplatz ihrer Studien gemacht haben. Es kostete erst einen sdiweren Kampf, 9) Bildarchiv des Riesengebirges, Graf v. Sdimettau, Berlin. Mein besonderer Dank gilt dem Sammler Christoph Graf v. Sdimettau, der mir freundlicherweise für diese Arbeit sämtliche in seinem Besitz befindlichen Postkarten von Ernst Morgenstern leihweise zur Verfügung gestellt hat. 10) Ρ. Werth, Festschrift des Boten aus dem Riesengebirge: Hundert Jahre Bote aus dem Riesengebirge, Hirschberg 1912, Wanderung durch das malerische Riesengebirge von Professor Karl Ernst Morgenstern, S. 102—105.

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dem Laien begreiflich zu machen, welche Farbenpracht sich hier oben entfaltet, welch herrliche Stimmungen sich beobachten lassen, und wieviel Malerisches sonst noch sich dort verbirgt. Mit den Worten ,das gibt es nicht4 wurden die ehrlichsten Arbeiten der Künstler einfach abgetan, und es bedurfte jahrelangen Ringens, um die wunderbare Schönheit unseres Gebirges der Allgemeinheit glaubhaft zu machen. Der Ausdruck Mode findet in seinem eigentlichen Sinne keine Anwendung auf die Kunst, wenngleich mit modern jede neue Richtung in ihr bezeichnet zu werden pflegt. Wie auf allen Gebieten übt der Zeitgeist auch seinen Einfluß auf die Kunst aus, insofern die Anschauungen wechseln, unter welchen Gesichtspunkten Bildwerke hergestellt werden sollen. Der Umschwung, der sich Ende des vorigen Jahrhunderts in der Malerei vollzogen hat, gab der Farbe eine höhere Bedeutung. Ein breiteres Sehen verdrängte die schärfer durchgeführte Nachbildung der Natur, und damit gleichen Schritt haltend vollzog sich auch eine Vereinfachung der Maltechnik, sowie der Wahl der Motive. Gerade in der letzteren wird oft vielfach gesündigt, unschönes absichtlich gesucht, Häßliches muß den Stoff zu einem Bilde hergeben. In diesem Fehler wird aber ein Maler des Riesengebirges kaum verfallen, denn wo ers pakt, da ist es interessant und oft auch schön. Die großzügigen Linien, die weiten Kammflächen begünstigen eine breite Pinselführung, die den Künstler gleich aufs Ganze führt. Es sind kaum 10 Jahre her, da zählte ein Gebirgsbild nicht zu den künstlerischen Leistungen, die sich ein aufstrebender Maler leisten durfte. Wie schnell hat sich aber diese Anschauung gewandelt, im Süden wurden auf einmal hochalpine Landschaften modern, bei uns feierte das Riesengebirge Erfolg auf Erfolg, und so ist es geblieben bis heute. Ich habe vordem keinen Maler im Winter da droben getroffen, denn es war ein schlechtes Fortkommen ohne den damals hier noch unbekannten Schneeschuh, ein lustiges Malervölkchen überwinterte aber bald mehrere Jahre auf dem Kamm, und Sport und Kunst gingen Hand in Hand. Wenn die gewaltigen Schneemassen alles unter einer gleißenden Schneedecke begraben haben, tritt die Ähnlichkeit mit alpinen Landschaften deutlicher hervor als im Sommer und Herbst. Es gefällt sich der Mensch zwar, in Vergleichen sich zu bewegen, und das Geringere höher einzuschätzen, wenn es Mehrwertigem ähnlich kommt. Das Riesengebirge hat aber einen so selbständigen eigenartigen Charakter, daß seine malerische Schönheit allein für sich bestehen kann. Immerhin aber macht es manchem Freude und Genuß, und erweckt ein stolzes Gefühl, in seinen Bergen auch alpine Größe bewundern zu können" . . .

Dieses Bekenntnis Morgensterns ist für ihn und seine Malerei sehr aufschlußreich. Es enthält alles, was für die künstlerische Auffassung um 1900 stilbildend sich auswirkte: Malen im Freien zu allen Tages- und Jahreszeiten, Betonung des Motivs, und zwar des schönen Motivs, höhere Bedeutung der Farbe, breiteres Sehen statt allzu scharfer Nachbildung der Natur und damit vereinfachte Maltechnik, also breitere Pinselführung und damit Hinführung zum Ganzen. 23*

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Das waren die Voraussetzungen für Morgensterns künstlerisches Landschaftswerk, das er geschaffen und das wenigstens heute noch in den nach seinen Gemälden und Aquarellen angefertigten Postkarten anschaulich geblieben ist. Hierbei handelt es sich um drei Motivgruppen: Die Karten nach Vorlagen von Ölgemälden mit Motiven der östlichen, also der Krummhübler Gebirgsseite mit der Schneekoppe, dem Koppenplan, der Prinz-Heinrich-Baude, dem großen und dem kleinen Teich und dem Krummhübel-Brückenberger Vorland, und mit Motiven der westlichen, also der Schreiberhauer Gebirgsseite mit den Schneegruben, dem Reifträger und dem Vorland von Saalberg, dem Kynast, Hermsdorf und Schreiberhau mit Zacken- und Kochelfall, insgesamt mit mehr als 30 Motiven. Nach Fertigstellung der zweiten Linie ihres Streckennetzes im Hirschberger Tal nach Obergiersdorf (Endstation Himmelreich) gab die Hirschberger Talbahn AG Morgenstern den Auftrag, acht Motive als Ölgemälde zu malen, die besonders schöne Blickpunkte auf einer Fahrt mit der Bahn zeigen sollten. Die Postkarten nach diesen Ölbildern verlegte der Kunstverlag Max Leipelt in Warmbrunn. Als Motive boten sich Blicke auf das Gebirge von Herischdorf, Warmbrunn, Giersdorf und Hain an. Es handelte sich um acht Karten. Als dritte Serie folgte schließlich eine solche aus dem Isergebirge mit acht Motiven aus und um Flinsberg, Groß Iser bis hinein ins Böhmische mit Kloster Haindorf und Schloß Friedland. Während diese Postkarten als ein Abbild einer Arbeitsweise gelten können, bei der das Motiv immer mehr an Bedeutung zunahm, wobei die Auffassung sehr oft Stimmung und Effekt allzu sehr betonte und damit hart an die Grenze des Effektvollen ja betont Gefälligen geriet, eine Entwicklung, die sich mit zunehmenden Jahren des Malers noch verstärkte, nehmen die Karten nach Aquarellen als Vorlagen eine erheblich gewichtigere Position im Gesamtwerk Morgensterns ein. In ihnen hat Morgenstern einen eigenen Stil gefunden, wobei die durch den Auftragszwang bedingte und durch die Aquarelltechnik unterstützte Auffassung der Motive echte illustrative Wirkung hervorgebracht hat. Eben diese aber entsprach dem, was Morgenstern den Zeitgeist in Linienführung, Komposition, Technik und Farbigkeit nannte. Es ist die Art der Illustrationen, wie sie in der Zeitschrift „Jugend" zufinden sind, und die dekorative Abstraktion in Farbe und Linie ist vom „Jugendstil" nicht zu trennen. Es sind im Lauf der Jahre alle nur denkbaren Motive des Gebirges von Morgenstern aquarelliert worden und aus diesem Studienschatz wurden rund 356

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40 Reproduktionen hergestellt. Die wichtigsten Motive sind im östlichen Gebirgsteil wiederum die Schneekoppe von den verschiedensten Seiten aus gesehen, der Koppenplan und die beiden Teiche mit vielen Ansichten der Prinz-Heinrich-Baude, im westlichen Gebirgsteil die Schneegruben, Spindler-, Peter- und andere Bauden, die Wasserfälle der Elbe, des Zacken und der Kochel, die Burgruine Kynast und das Schreiberhauer Tal. Die wechselnden Beleuchtungen bis zu Mondscheinstimmungen, die jahreszeitlichen Charakterisierungen und das Wechselspiel von einsamer Höhe, felsiger Schroffheit und lieblichen Tälern hat sich von den Aquarellvorlagen in unmittelbarer Frische den lithographischen Reproduktionen mitgeteilt. Anknüpfend an die Schilderung Morgensterns, daß es noch nicht lange her sei, seitdem die Maler die Höhen des Gebirges zum Tummelplatz ihrer Studien gemacht hätten, gilt es sich zu vergegenwärtigen, daß damit vor allem Morgensterns Schüler gemeint waren. Zwei von ihnen, Arthur W a s η e r und Friedrich I w a n , haben sich später im Gebirge niedergelassen. Wasner in Schreiberhau, wo er sich ein Sommerhaus erwarb, um von Breslau aus mitten in der Landschaft zu arbeiten. Sein flotter flächiger Pinselstrich, der eine gewisse Verwandtschaft zu Trübner anzeigte, ließ erkennen, daß er sich vom Einfluß seines Lehrers mehr und mehr freigemacht hat. Iwan lebte in Hirschberg. Neben dieser von Morgenstern eingeleiteten Epoche der naturalistischen Auffassung der Riesengebirgslandschaft verlief eine zweite Richtung, die man als eine Verbindung von naturalistischen und romantisch-mystischen Elementen bezeichnen könnte. Ihr Vertreter wurde Morgensterns Zeitgenosse Herman H e n d r i c h. 11 ) Auf zwei Voraussetzungen beruht die Wirkung seines Lebenswerkes im Riesengebirge: Einmal auf der eigenartigen Veranlagung und dem ihr entsprechenden Werdegang des Malers selbst, zum anderen auf dem Zusammentreffen von schöpferischen Menschen in Schreiberhau, in dieser „magischen Talsenke", wie Hermann Stehr es einmal ausgedrückt hat. Rein historisch betrachtet war der bahnbrechende Bühnenerfolg des jungen Gerhart Hauptmann die Voraussetzung dafür, daß er und sein Bruder sich in Mittelschreiberhau ankaufen konnten, 1887 hatte Gerhart Hauptmann auf einer Gebirgswanderung die alte Heimat wieder entdeckt, und wenn es ihn seitdem mit unwiderstehlicher Macht zurück in die Berge zog, so ging in seiner Dichtung die gleiche Hinkehr zu schlesischen Stoffen Hand in Hand, i l ) Hermann Hendridi, Mein Leben und Schaffen, Kiel 1906, Thieme-Becker, Bd. X V , Leipzig 1922; dort umfängliche Literaturangaben und Ausstellungskataloge; F. v. Bötticher, Malerwerke des 19. Jh., 1895; A. Koeppen, Hermann Hendridi und seine Tempelkunst, in: Westermanns Monatsheften, C I I I , 1908, S. 651 ff.

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so daß es 1890 zu dem Hauskauf kam, als Gerhart und Carl mit ihren Frauen einige Wochen in Bad Flinsberg zubrachten und vom Hochstein aus den Blick auf das damals noch unerschlossene Schreiberhau genossen. Wenige Tage später fuhr man mit dem jetzt in Warmbrunn ansässigen Vater nach Mittelschreiberhau und im August 1891 konnte der Einzug in das beträchtlich ausgebaute Haus erfolgen. So schildert Felix A. Voigt 12 ) das für Hauptmann wichtige Ereignis, das aber im Rahmen unserer Darstellung deshalb von entscheidender Bedeutung wurde, weil die Ansiedlung der Brüder Hauptmann im Riesengebirge die Anziehungskraft der Riesengebirgslandschaft auf Künstler und Gelehrte entscheidend verstärkt hat. Unter ihnen war Bruno Wille der Mitarbeiter der „Freien Bühne" und, wie Hansgerhard Weiss13) es sagt „ein leidenschaftlicher Naturalist; aber zugleich der magischen Talsenke verfallen". Er geriet in den Bann der einst hier heimisch gewesenen Sekte der Putzkeller mit ihrem Sonnenkult: „Lichtvater in uns — nicht über uns! Lichtsonne — Born der Lust." Er aber war es, der auf Hermann Hendrich tiefen Eindruck machte und der mit dem allem Mystischen, allem Sagenhaften in der Umwelt des Riesengebirges aufgeschlossenen Hermann Hendrich mit eigenen und ähnlichen Gedanken entgegenkam, und so wurde aus beider Phantasievorstellungen die Idee der Sagenhalle geboren.14) Dieses originelle Bauwerk lag ziemlich versteckt in einem Gebüsch von Kiefern und Fichten nahe dem Bahnhof Mittel-Schreiberhau. Das urtümliche in Holz errichtete Gebäude folgte in etwa der Walpurgishalle im Harz. Das Satteldach überragten zwei hohe Masten, zwischen denen ein altgermanischer Eidring schwebte, die ganze reichlich angewandte Ornamentik war der nordischen Mythologie entnommen und nicht ungeschickt mit ihren Band- und Flechtmotiven der rustikalen Holzarchitektur angepaßt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Gebäude im Westen des Gebirges als eine Art modernen nordischen Gegenstücks zu der norwegischen Stabwerkkirche Wang oberhalb Brückenberg gedacht war, um zugleich Aus12) F. A. Voigt, Gerhart Hauptmann der Schlesier, Schlesien-Bändchen Nr. 16, Breslau 1942. 13) H . Weiss, Schreiberhau, Die magische Talsenke, in: Zeitschrift Schlesien, 14. Jg. 1969, S. 38—42. 14) E. Geyer, Hermann Hendrich, Krummhübel-Leipzig 1924, erschienen im Verlag von Frömberg, ehemals Krummhübel. Ich danke Herrn Kurt Frömberg für die umfänglichen Angaben, insbesondere zur Literatur über Hermann Hendrich und den Kreis seiner Verehrer, unter denen E. Geyer, Arzt in Arnsdorf, außer der Biographie noch ein zweites kleines Werk veröffentlichte: E. Geyer, Der Mythos von Wotan-Rübezahl mit Bildern von Hermann Hendrich, erschienen bei Max Leipelt in Warmbrunn, ohne Jahr.

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druck eines weltanschaulichen Rückgriffs auf den germanischen Götterkult zu sein. Ihn freilich mit der Gestalt- und Sagenwelt Rübezahls zu verbinden, stieß sdion bald nach der Erbauung auf sachliche Kritik in dem Band „Das Riesen- und Isergebirge* meines verehrten Lehrers, des Geographen Paul Regell, in den bei Velhagen und Klasing erschienenen Monographien zur Erdkunde (1905).15) Diese Kritik ist um so bemerkenswerter, als sie mit der von Bruno Wille 1903 herausgegebenen Veröffentlichung 16) über das Bauwerk und seinen Bilderzyklus in starkem Widerspruch steht. Diese Publikation Willes in sozusagen eigener Sache wird uns wegen ihrer vorzüglichen farbigen Abbildungen der Gemälde noch beschäftigen, vorerst aber dürfte es interessant sein, ein zeitbedingtes Urteil über die in und mit der Sagenhalle beabsichtigte Idee im Wortlaut nachzulesen. Regell schreibt nach knapper Schilderung des Außenbaues folgendes: „Leider entspricht das Innere der Halle der durch das Äußere geweckten Stimmung nur zum Teil und läßt daher einen reinen künstlerischen Genuß nicht aufkommen. Es leidet an der Zwiespältigkeit der Idee, die den Bau ins Leben gerufen hat. Die schlesische Sage hat ihrer „Idee", d. h. ihrer ursprünglichen Bedeutung nach nicht das geringste mit dem nordischen Mythus zu tun. Der Mißklang, den diese widernatürliche Verbindung weckt, wird in dem Wotan-Rübezahl-Zyklus von Hendrich einigermaßen dadurch gemildert, daß der Maler den Wotan überwiegend als Natur- und Wettergott auffaßt und dadurch einen ideellen Zusammenhang mit dem Rübezahl in der späteren Ausgestaltung der Sage herstellt. So ist es dem Künstler gelungen, Werke von überzeugender Kraft zu schaffen: den Wolkenwanderer, die Frühlingsgöttin, die Riesenburg, Rübezahls Garten, den Wolkenschatten, den Donnergott, die Nebelfrauen und den schlafenden Riesen. In diesen Bildern lebt wirklich etwas von dem Geist der Sage wie von der Seele der Landschaft, aus deren unmittelbarem Nachempfinden heraus die Sage später weitergebildet wurde."

Aus dieser Kritik wird zweierlei deutlich. Einmal die Ablehnung der weltanschaulichen Verbindung der Sagengestalt mit dem germanischen Donnergott Wotan, andererseits das künstlerische Zugeständnis an die spätere Umdeutung der Sage in den Bereich der Personifizierung des Naturgeschehens mit der Rübezahlgestalt. Entspricht doch letzteres einem der schönsten Rübezahlbücher des in nächster Nähe der Sagenhalle lebenden Dichters Carl Hauptmann und sie entspricht im Grunde auch der geistigen Vorstellungs18) p. Regell, Das Riesen- und Isergebirge, Land und Leute, Monographien zur Erdkunde, Bd. X X , Bielefeld und Leipzig 1905. ΐβ) Β. Wille, Die Sagenhalle zu Schreiberhau, Der Mythos von Wotan-Rübezahl in Werken der Bildenden Kunst, 8 Bilder von Hermann Hendrich, Erläuterungen von Dr. Bruno Wille, Verlag der Sagenhalle GmbH, Berlin und Mittelschreiberhau 1904.

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Günther Grundmann welt Bruno Willes, dem wir nicht nur den chronikalischen Roman der sagenumwobenen Abendburg oberhalb Schreiberhaus verdanken, sondern der uns auch in seinen „Erinnerungen an Gerhart Hauptmann" einen geradezu anschaulichen Begriff der Schreiberhauer Tallandschaft und damit zugleich seines Eindringens in das Wesen einer Landschaft vermittelt. Er schreibt: 17) „Lodernd von bunten Blumen geht hier das Wiesental der Siebenhäuser niederwärts, von Murmelbächlein durchronnen. In halber Tiefe liegt eine Schleifmühle an einem Teidie, der emporlugt wie ein Auge. Kulissenhaft ragt links ein Bergwald, rechts der felsige Eulenstein mit der katholischen Kirche. Im Hintergrunde steigt zunächst ein Hang empor mit etlichen Waldarbeiter-Häuschen und jenem „Rettungshaus", das in „Hanneies Himmelfahrt" eine Darstellung gefunden hat. Links davon nebelt es aus den Schluchten des Zackenflusses und des Kochelfalls, und es wölbt sich der waldige Breite Berg. Dahinter ins Ferne gedehnt, steigt zu den Wolken die teils grünliche, teils violette Wand des Gebirgskammes, zerrissen durch die Schneegruben, darin noch im Juni Winters Reste schimmern... In dieser Ansicht schwelgend meinte Gerhart Hauptmann: ,Hier ist gut sein* — und Carl spann das Zitat weiter: ,Hier laßt uns Hütten bauen'.* Auf dieser eingehenden A r t der Naturschilderung als Ausdruck des Naturerlebens beruhte die innere geistige Verbindung der damals in Schreiberhau ansässig gewordenen Schriftsteller und Künstler, von denen Dr. Richard Biedrzynski 18 ) geradezu als einer geistigen Gemeinde spricht: „Unter sie zählte Carl Hauptmann, Wilhelm Bölsche, Hermann Stehr, Paul Keller, Hanns Fechner, Hermann Hendrich und Werner Sombart. Im Laufe der Zeit hat sich diese Gemeinde zerstreut. Nach dem Tode Carl Hauptmanns, der das Priesterliche dieses Bundes am stärksten empfand, befiel Vereinzelung und Zersplitterung die Gemeinde. Aber die Spur dieses alten Bundes lebt für mein Géfûhl am wunderbarsten in Hermann Hendrich, der sich in Mittelschreiberhau sein Heim und sein Werk errichtete, als die Berge nodi ungerodet, die Landschaft nodi unberührt waren, als die Sonnwendfeuer nodi auf heimlicher Flur brannten. In dieser sprachlosen Weihe des unversehrten Gebirges formte Hermann Hendrich Werk um Werk, bis er sich ganz mit diesem Boden der Sage und Natur verband.** Dieses Urteil ist 1929 zum 75. Geburtstag Hermann Hendrichs niedergeschrieben und gedruckt worden. Wenig später beendete Hermann Hendrich sein Leben, tief enttäuscht vom Wandel der Zeit und Einschätzung seines Lebenswerkes, das er in Schreiberhau mit einem Erweiterungsbau der Sagenhalle und einem Zyklus der Gralsbilder vollenden zu müssen glaubte. 17) Bruno Wille ist zitiert bei Felix A. Voigt, siehe Anm. 12. 18) R. Biedrzynski, Hermann Hendrich zu seinem 75. Geburtstage, in: Der Wanderer im Riesengebirge, 49. Jg. 1929, Nr. 11, S. 170/71.

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Doch dieser tragische Ausgang ändert nichts an der Tatsache, daß ein Viertele jahrhundert zuvor der Ursprungsbau seine Entstehung dieser geistigen Gemeinde und insbesondere der Freundschaft zwischen Bruno Wille und Hermann Hendrich verdankt hat. Es lag daher auch nahe, daß Bruno Wille den erläuternden Text zu einer Publikation des Bauwerks und des Bilderzyklus schrieb, der in der Schilderung der Hendrichsdien acht Gemälde sich einer ähnlich lyrisch-dichterischen Diktion bedient, wie sie seinen Romanen und Erzählungen entspricht. Im Grunde handelt es sich um eine auffällige Übereinstimmung der sprachlichen und malerischen Mittel, beide in ihrer Stilistik der Spätphase des Jugendstils eng verbunden. Betrachtet man unter diesem Aspekt die Reproduktionen der Rübezahlsage, dann versteht man Regells Urteil, daß es Hendrich gelungen sei, Werke von überzeugender Kraft zu schaffen, in denen etwas vom Geist der Sage, wie sie später weitergebildet wurde wie von der Seele der Landschaft miteinander verwoben sei. So entspricht das Bild der Frühlingsgöttin mit seinen blühenden Wiesen und Bäumen samt den zierlich modischen Mädchengestalten einem zeitbedingten Schönheitsideal, dem auch ein Maler wie Vogeler in Worpswede verhaftet war. Die vor dem Wasserfall schwebenden Nebelfrauen lassen Erinnerungen an das Rheingold aufkommen wie überhaupt die Szenerien etwa der Riesenburg oder des Donnergottes an Wagnersche Inszenierungen, wie sie um 1900 allgemein verbindlich waren, anklingen, wie ja auch das Bild mit Rübezahls Zaubergarten die Parallele zum Venusberg im Tannhäuser erahnen läßt. Den Wolkenwanderer kann man vielleicht als eine Weiterführung des Schwindschen Rübezahl, der zudem eine Umsetzung in eine Holzplastik in der Eingangshalle gefunden hatte und damit als eine romantische Art von Legitimation für die Wotan-Rübezahl-Verbindung ansprechen. Am stärksten entsprechen die Bilder Wolkenschatten und schlafender Riese der Vorstellung einer Personifikation der Elemente (jagende Wolken über dem Kamm, deren Schatten die Konturen des Berggeistes erkennen lassen) und das Felsgebilde des Mittagsteins (in Gestalt des versteinerten Berggeistes, versunken in das abgrundtiefe Auge des großen Teichs). Diese Beurteilung und stilistische Einordnung des Hendrichsdien Bilderzyklus in der Sagenhalle wird durch einen kurzen Rückblick auf seine Ausbildung und künstlerische Entwicklung bestätigt. 1856 in Heringen am Harz geboren ging er nach kurzer Lehre als Lithograph zur Bühne. Stationen waren das Detmolder Landestheater und das Düsseldorfer Stadttheater. 361

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Dann widmete er sich dem Studium der Malerei, und zwar nach Studienreisen, besonders nach Norwegen, bei Wengelin in München und Eugen Bracht in Berlin. Vor allem die romantisch pathetische Landschaftsauffassung des letzteren, auch die Phantasieschöpfungen Böcklins entsprachen Hendrichs Hang zum Mystischen; auch die intensive Begegnung mit der Landschaft und Sagenwelt Skandinaviens förderten Hendrichs Einfühlungsvermögen in die germanische Mythologie und ihre Götterwelt. Das aber waren die Voraussetzungen zu den großen Sagen- und Heldenzyklen in der Walpurgishalle im Harz, der Sagenhalle im Riesengebirge, der zwölf Bilder für die Nibelungenhalle auf dem Drachenfels bei Königswinter und dem Hendrichsaal im Kehdenhaus in Kiel. So sensationell und zum Teil opernhaft sie auch sein mochten, sie beschäftigten stark die Öffentlichkeit, während uns heute Hendrichs Landschaften ohne Staffage von Figuren mehr zusagen. Im Gegensatz zur naturalistischen Malerei um 1890 vertrat jedoch Hendrich konsequent seine germanisch-mythologischen Bildinhalte.19) Diese germanische Götterwelt geisterte auch sonst noch in Schreiberhau. Dabei denke ich daran, daß der bedeutende Berliner Porträtmaler Hanns F e c h η e r 2 0 ), als er sich nach seiner Erblindung nach Schreiberhau zurückzog, sein Haus „Hütte Hagel" gleich „Hege das All" nannte. Hanns Fechner war 1860 in Berlin geboren, erwarb schon mit jungen Jahren den Professorentitel und richtete an der Berliner Hochschule die Klasse für Steinzeichnen ein. Als Porträtmaler schuf er viele Bilder berühmter Männer und schöner Frauen der damaligen großen Welt. Bekannt sind seine treffenden Porträts von Raabe und Fontane. In seinem 50. Lebensjahr erblindete er. Nach diesem schweren Schicksalsschlag zog er nach Schreiberhau und richtete sich an der Hochsteinlehne ein kleines Bauernhaus ein.21) In einem Gedächtnisaufsatz heißt es über ihn: „Wer die magische Schwelle dieser Hütte überschritt... saß drinnen in der großen Stube unter der niedrigen Balkendecke einem alten König gegenüber, mit dem konnte das Leben nicht spielen wie mit anderen Sterblichen — er spielte mit ihm! Wie er aussah? Machtvoll, prachtvoll, ein Märchenkönig mit schlohweiß aufgebäumtem Lockenhaar und feinem Genießergesicht — aber die Augen unter der hohen Denkerstirn waren tot. Und der Gast bemerkte das 1») G. Holstein, Hermann Hendrich eine deutsche Kunstgabe, Berlin 1921 und P. Friedrich, Vom heiligen Gral, Bilderfolge von Hermann Hendrich, Stuttgart 1926. 20) H . Fechner, Menschen, die ich malte, Verlag und Jahresangabe fehlen. 21) M. Roegner, Zu Hanns Fechners Gedächtnis, in: Der Wanderer im Riesengebirge, 51. Jg. 1931.

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häufig nicht einmal, denn er war alsbald gefangen vom Zauber einer starken Vitalität voll hoher Geistigkeit, voll lachenden Humors."

Diesen Eindruck hat das ausgezeichnete Porträt festgehalten, das Werner Fechner von seinem Vater gemalt hat und das sich im Besitz der Stadt Breslau befand. Außer dem Gedächtnisaufsatz von M. Roegner hat die Tochter Hannah Fechner den Lebensabend ihres Vaters liebevoll geschildert, der 1931 verstarb. 22) Aber ich möchte meinen, nicht nur die großartige Gestalt des blinden MalerBürsten" gehört in die Umwelt der Sagenhalle und des Naturmythos sowie zu den weltanschaulichen Gesprächen, die damals in Schreiberhau geführt wurden, sondern es entspricht audi der geistigen Situation, daß sich zur gleichen Zeit bei Gerhart Hauptmann als der stärksten Künstlerpersönlichkeit im Bereich des Riesengebirges der für viele so irritierende Obergang vom herben Naturalismus des Frühwerks zu mystischen Stoffen wie der „Versunkenen Glocke" und zu „Pippa tanzt" vollzogen hat. Betrachtet man zudem die Erstausgaben dieser Werke in ihren Einbänden und Illustrationen, so deckt sich Figürliches und Ornament als Jugendstilgeflecht durchaus mit der Stilistik, Auffassung und Pinselführung des Hendrichsdien Bilderzyklus in der Schreiberhauer Sagenhalle. Für alle diese Künstler, Maler und Dichter war zudem der Umgang mit einem Schriftsteller wichtig, der gewissermaßen die Mitte zwischen Kunst und Wissenschaft in seinen Schriften vertrat. Dieser Mann war der in Schreiberhau lebende Ernst-Haeckel-Schüler Wilhelm Β ö 1 s c h e (1861 - 1939).23) Er gehörte zu den Naturwissenschaftlern, die als Anhänger des Darwinismus die ungeheuren Fortschritte ihrer Zeit populär zu machen wußten und dem die breitere Öffentlichkeit Bücher wie „Das Liebesleben in der Natur" oder „Die Natur als Künstlerin" verdankte. Bölsche hatte sich um 1900 in Schreiberhau niedergelassen und hier entstanden seine schönsten Naturschilderungen und Deutungen in einem Buch unter dem Titel: „Aus der großen Schneegrube". Bölsche zählt zu den Berühmtheiten für die Fremden in Schreiberhau. Für die Künstler war seine lebhaft brillante und witzig-kluge Kunst der Unterhaltung ebenso anregend wie wegweisend, besonders nahe stand er Carl Hauptmann. 22) Hannah Fechner, Hanns Fechners Lebensabend, Berlin 1932. 23) Mitteilungen über Wilhelm Bölsche verdanke ich Herrn von Jackowski, Wangen. Außerdem W. Bölsche, Carl-Hauptmann-Feier in Schreiberhau, in Berliner Tageblatt vom 1. Juli 1925. Herr Franz v. Jackowski hat bei seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik sehr viel persönliches Material und Kunstgut, sowie solches seiner Freunde der Künstlervereinigung St. Lukas in Schreiberhau nach der Bundesrepublik mitnehmen können und mir freundlicherweise zugänglich gemacht.

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Als das Grabmal des 1921 verstorbenen Dichters, ein reines Jugendstil-Werk von Hans Poelzigs Frau Marlene, auf dem stimmungsvollen Friedhof in Niederschreiberhau aufgestellt und dabei eine Gedenkfeier veranstaltet wurde, schrieb Bölsche einen Artikel im Berliner Tageblatt, der die enge geistige Beziehung des geistreichen Schriftstellers zu dem ungewöhnlichen Dichter so recht deutlich macht: »Die Feier als solche, zunächst wohl wirklich nur für wenige gedacht und durchweg literarische', aber hübscher Weise viel weiter ausholend. Fast den ganzen Kirchberg füllend, eng gedrängtes, leise bewegtes, murmelndes, schwärzliches Volk. Durchweg kleine Leute, aus dem weit verstreuten Ort, die den weltenfernen und ihnen doch instinktiv audi wieder vertrauten ,Dukter' fast alle noch gekannt. Seinen zuletzt fast bizarren, wie von innen verbrannten Dante-Kopf. Die beinahe gespenstische Gestalt, die mit der Mappe unter dem Arm durch die sdiarfe, helle Gebirgslandschaft hastete. Aus einer winzigen Studierzelle heraus, wo ihm nicht wohler, als wenn auch gegen den Tag alle Vorhänge hermetisch zugezogen waren und nur die grüne Lampe in den Brillengläsern des Dich ter aldiymis ten glühte . . .*

Auch Bölsche war so eine in Schreiberhau allgemein bekannte Erscheinung. Meist konnte man ihn, von Zeitungen umgeben, des Nachmittags im Kaffee Zumpe in der Hauptstraße treffen. In dieser Hauptstraße hatte audi Wanda Bibrowicz ihre Webwerkstatt aufgeschlagen. Eng befreundet mit ihrem Breslauer Lehrer Max W i s l i c e n u s 2 4 ) , entstanden hier nach eigenen und ihres Lehrers Entwürfen Bildwebereien in alter Gobelintechnik. Sie waren noch stark vom späten Jugendstil geprägt, den auch Wislicenus in seinem Riesengebirgszyklus für das Museum des Riesengebirgsvereins in Hirschberg in den dreißiger Jahren des Jahrhunderts noch nicht ganz abgestreift hatte. Max Wislicenus verdankte die Schreiberhauer Künstlerschaft ein besonders aussagekräftiges Porträt eines ihrer Mitglieder, des Malers Alfred Nickisch. Auch für einen zweiten Lehrer an der Breslauer Kunsthandwerkerschule wurde Schreiberhau zu einem häufigen wochenlangen Aufenthaltsort: Die Josephinenhütte zog Professor Siegfried Härtel als Formberater für ihre Hohlglasproduktion heran. Ihm folgte später Alexander Pfohl in ein festes Anstellungsverhältnis, so daß er sich in Schreiberhau niederlassen konnte. Jedoch die Anziehungskraft des Gebirges beschränkte sich nicht nur auf Schreiberhau. Seit Morgensterns Hausbau in unmittelbarer Nähe von Krummhübel und Theodor Fontanes viele Jahre lang wiederholten Besuchen in jenem Urlaubsort blieb auch dieser Gebirgsteil begehrenswert als Aufenthaltsort, und zwar ebenso für Dichter wie für Maler, so für Gerhart Pohl, dem wir 24) Max Wislicenus, Thieme-Becker, Künstlerlexikon Bd. X X X V I , S. 108.

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die wertvollen Aufzeichnungen über die letzten Tage Gerhart Hauptmanns verdanken. Er hatte sich in Wolfshau seine „Fluchtburg" geschaffen. Friedrich Bischoff fand im Ercklentzschen Haus in Wolfshau Aufnahme, als Berlin in Trümmer sank, so wie Otto Dix im Querseiffener-Haus von Haselbach, um im östlichen Gebirge eine Folge wenig oder gar nicht bekannter Riesengebirgslandschaften als Hintergrund biblischer Geschehnisse zu malen. Und in Krummhübel lebte ein Dresdner Akademieschüler, Martin Fritzsche, als Landschaftsmaler den Einfluß Max Pechsteins nicht verleugnend. Ähnlich wie in den beiden Hauptorten des Gebirges, Schreiberhau und Krummhübel, entstand um 1900 in dem Baudendorf Saalberg, oberhalb Giersdorf und Hermsdorf gelegen, eine Kolonie von Sommerhäusern, die sich Vertreter der Intelligenzschicht und der Sparte Kunst erbaut hatten. Den Anfang hatte wohl ein Hirschberger Rechtsanwalt Dr. Reier gemacht, der als Partner im Anwaltsbüro Avenarius mit einer Familie eng verbunden war, deren wichtigster Vertreter der berühmte Herausgeber des „Kunstwart" Ferdinand Avenarius war. Dicht neben dem Reierschen Grundstück bauten sidi drei Mitglieder der alten Berliner Familie Wilm schöne Landhäuser, von denen der Schriftsteller Bernhard Wilm, später Schwiegervater des Malers Arthur Ressel, zu den originellsten Persönlichkeiten im kulturellen Bereich des Riesengebirges gehörte. Seine Theaterstücke „Der Streußelkuchen" und „Goldmacher Michael" sind zwar vergessen, aber seine Trachtenvorschläge, so vor allem das gestickte Saalberger Trachtenhemd, sein Weihnachtsbaum und vieles andere sind unter dem Begriff eines Bemühens zu bewerten, das unter der Führung des Deutschen Bundes für Heimatschutz gerade im Riesengebirge auf besonders günstigen Boden fiel. Ein Vorkämpfer des Bundes war der in Schreiberhau geborene später in Breslau ansässige Architekt Theo Effenberger. In diesem Zusammenhang haben die Neubauten des Riesengebirgsmuseums in Hirschberg und die Gründung der Holzschnitzschule in Warmbrunn sowie des Hausfleiß Vereins ebendort, den idi später in enger Verbindung mit Männern wie Bernhard Wilm und Dr. Reier leitete, ihre Bedeutung erlangt. Gerade Wilms Bestrebungen verdankten die Schreiberhauer Trachtenfeste oder die Kiesewalder Spinnstube wichtige Impulse und sind keineswegs nur unter dem Gesichtswinkel der Fremdenverkehrs-Propaganda zu beurteilen. Sich für alte Handwerkstechniken und für die Bewahrung alter Trachten ebenso einzusetzen wie für die Erhaltung der heimischen Bauweise, war für eine Zeit charakteristisch, die vor dem Ersten Weltkriege noch stark von der Jugendbewegung geprägt war. Ebenso aber entsprach es der auf Traditions365

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bewahrung bedachten Grundauffassung der damaligen Generation, aus ihr neue Form- und Sachvorstellungen zu entwickeln. Hierfür waren gerade im Riesengebirge einige Neubauten von Gebirgsbauden und von Privathäusern vorzüglich geeignet, um sie als Beispiele für diese geistigen Zusammenhänge zu bezeichnen:25) es waren das Gerhart Hauptmanns Haus Wiesenstein in Agnetendorf, Bernhard Wilms Haus Wetterwart in Saalberg, später die Lukasmühle in Oberschreiberhau und der Ausbau und spätere Neubau des Bärndorfer Hauses durch Joachim Wichmann. Unter all diesen Bauwerken spielte das Haus Wiesenstein die Rolle eines neuen Sammelpunktes, nachdem es 1900 von Gerhart Hauptmann bezogen worden war. Außerordentlich groß war die künstlerische Befruchtung, die von ihm ausging. Aus der großen Avenarius-Familie malte der Maler Hans M. A v e n a r i u s 2 e ) die Halle aus. Wir besitzen hierüber seine jüngst veröffentlichten Aufzeichnungen seiner Aufenthalte in Agnetendorf als Gast Gerhart Hauptmanns. Aus ihnen geht hervor, daß sidi der Dichter Entwürfe für die Ausmalung oder zumindest Vorschläge von Max Liebermann, Ludwig von Hofmann, Emil Orlik und Max Slevogt hatte machen lassen. Bei Avenarius heißt es dann weiter: „Ich habe Gerhart Hauptmanns ,Drei Sonette' als kostbares Buchkunstwerk gestochen und mit reichem ornamentalem Schmuck ausgestattet. Diese Arbeit gefiel Hauptmann so, daß er mir vorschlug, ich solle bei dem Gemälde einfach darauflos fabulieren, wie idi es zu mancher guten Stunde plaudernd und Geschichten erzählend oft getan habe. So entstand die ,Paradieshalle' wie Hauptmann sie fortan nannte. — In diesem Paradies wird das Hannele beglückt in den Himmel gebracht, Eva und Adam dürfen unverschuldet und ungefährdet vom Baume des Lebens köstliche Früchte schmausen, die Alten und Leidenden werden auf einer Himmelsleiter hinaufgeführt, Musik und Jubel wogen durcheinander. Auf der Wand über dem Arbeitszimmer ist die Huldigung der Elemente an die Ewigkeit gemalt. Und über der Eingangstür zum Speisezimmer haben sich die neun Musen soeben an einen reidigeschmückten Tisch niedergesetzt und Engelskinder tragen ihnen köstliche Speisen auf. Dies alles gelang zu Hauptmanns anhaltender Freude und bis in sein hohes Alter hielt sie an.

Dieser scliöne große Freskenzyklus von Avenarius macht die Spannweite dëutlich, die zwischen dem Rübezahlzyklus Hendrichs und diesem mit der Dichtung Hauptmanns eng verflochtenen Phantasiegebilde bestand. Auch 25) G. Grundmann, Kunstwanderungen im Riesengebirge, Studien aus 50 Jahren 1917 bis 1967, München 1969, Kapitel 15, Die bauliche Entwicklung im Riesengebirge in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, S. 201—210. 26) Johannes M. Avenarius, Aus meinem Leben mit Gerhart Hauptmann, freundlich zum Abdruck überlassen von Herrn Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Rusche, Kiel, veröffentlicht in: Schlesische Bergwadit, 20. Jg. 1970, Nr. 31, 32, 33.

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in ihm und seiner gobelinartig ineinander gewebten Figuren und Ornamenten lebt der Jugendstil weiter und verflüchtet sich langsam in eine schöne ästhetische Träumerei. Um die Vielschichtigkeit der geistigen Atmosphäre der Epoche ganz auszudeuten, bedarf es eines weiteren Hinweises darauf, daß Gerhart Hauptmanns Sohn Ivo während seiner Studienjahre als Maler eine Jugendfreundschaft mit dem Künstler verband, der sich später als Maler der Brücke in Dresden und danach in Breslau an der Akademie einen großen Namen erwarb: Otto Müller (1874- 1939).27) Als junger Mann tauchte er in Saalberg auf und malte dort zarte und ausdrucksvolle Tanzfigurenbilder. Durch seine Dresdner Freundschaft mit Ivo Hauptmann öffnete sich ihm auch der Wiesenstein. 1903 traf ihn Ivo Hauptmann bei seinem Vater in Agnetendorf. Hierüber schreibt er in seinen Erinnerungen an Otto Müller: „Otto Müller hatte noch nicht seine endgültige Form gefunden und experimentierte mit Leimfarben, die den Vorzug hatten, sehr billig zu sein und ihn zur dekorativen Malerei hinführten. Beim Wein wurde abends bis nachts philosophiert und diskutiert. Mein Vater las vor aus dem, was er am Tage geschrieben hatte. Er hatte die Absicht, Otto zu seinem Sekretär zu machen und diktierte ihm ab und zu, da ihm seine Schrift gefiel. Otto Müller malte im Riesengebirge Tänzerpaare; der Tänzer war er selbst oder ein Neger. Eines dieser Bilder hing in Agnetendorf. Er wandte noch nicht die starken Konturen an, mit denen er später seine eigene Form fand. Er siedelte von Saalberg nach Schreiberhau über und war viel mit Carl Hauptmann, meinem Onkel, zusammen, der sich durch ihn zu dem Roman ,Einhart, der Lächler' anregen ließ, von dem mir Otto Müller sagte, daß der Einhart nidit seiner Person entspräche."

Doch Otto Müller blieb nur ein vorübergehender Gast im Riesengebirge. Als er noch ein Werdender war, hatten bereits zahlreiche sehr viel ältere Künstler im Gebirge festen Fuß gefaßt, die im wesentlichen für das erste Halbjahrhundert der Landschaftsmalerei ein bestimmtes Gepräge gaben und die sich nicht alle, aber der größere Teil im Herbst 1922 zusammenschlossen und ihrer Vereinigung den Namen des Heiligen Lukas gaben. Hanns Fechner hatte hierzu den Anstoß gegeben. Zugleich gab die Erbauung der Lukasmühle in Oberschreiberhau dieser Vereinigung bildender Künstler St. Lukas28) die Möglichkeit, einen Ausstellungsraum zu erstellen und damit die 27) Ivo Hauptmann, Erinnerungen an Otto Müller, Hamburg 1953 und Heinz Holtmann, Otto Müller, in: Schlesisdie Lebensbilder, Bd. 5, Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, Würzburg 1968. 28) F. Castelle, Die Lukasmühle in Schreiberhau, Breslau 1926, Sonderdruck aus: Die Bergstadt, März-Heft 1926 und C. del Antonio, St. Lukas in Oberschreiberhau, in: Der Schlesier, Nr. 48, 1956.

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materielle Seite eines solchen Zusammenschlusses zu fördern. Ehrenmitglieder waren außer dem Begründer Hanns Fechner Gerhart Hauptmann und Hermann Stehr. Als Geschäftsführer wurde der Bruder des Malers Franz von Jakowski, Nepomuk, gewählt. Insgesamt gehörten der Vereinigung folgende Maler und Bildhauer an: Alfred Nickisch, Georg Wichmann, Hans E. Oberländer, Franz von Jakowski, Hanns Fechner, Werner Fechner, Erich Fuchs, Hans Herbert Hübner, Willi Oltmanns, Alexander Pfohl, Artur Ressel, Michael Uhlig, Joachim Wichmann, Cyrillo dell Antonio und Paul Aust. In dem in Schreiberhau lebenden Kunsthistoriker Dr. Koppen besaß die Vereinigung einen aufmerksamen Kritiker. Mit den Jahren stellte es sich heraus, daß die Lukasmühle etwas zu weit vom Verkehr ablag und da man mit den zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer mehr Gewicht auf das Verkaufsgeschäft legen mußte, entschloß sich die Vereinigung, im Hotel Zackenfall an der Hauptstraße mehrere Zimmer als Ausstellungsräume einzurichten. In ihnen wurde die erste Ausstellung am letzten Tag des Jahres 1930 eröffnet. Das zehnjährige Bestehen im Jahre 1932 verband man mit einer Sonderausstellung zu Ehren des 60. Geburtstags von Alfred Nickisch. Mit der Einberufung zum Militär der jüngeren Mitglieder und der des Geschäftsführers im Januar 1945 hörte praktisch der Verkauf auf. Die Ausstellungsräume wurden für die Unterbringung von Flüchtlingen aus Oberschlesien geräumt. Die Bilder konnte zwar die Frau des Geschäftsführers Ellen von Jakowski in ihrem Haus Villa Fichteneck sicherstellen, aber das Haus wurde von den einrückenden Russen und den nachfolgenden Polen beschlagnahmt und die Besitzerin ausgewiesen. So hörte die Vereinigung zu bestehen auf, die 23 Jahre lang nicht nur für Schreiberhau, sondern für das ganze Riesengebirge und die dort ansässigen Künstler zu einem letzten Mittelpunkt geworden war. Die Lukasmühle selbst wurde unmittelbar an einer gewölbten Bruchsteinbrücke über das Zackerle erbaut. Hier stand eine alte unförmige Brettmühle, die die ganze Landschaft verschandelte. Das Wertvollste an dem halb zerfallenen Gebäude waren die mächtigen Granitmauern des Sockelgeschosses. Auf diesen granitnen Grundmauern sollte unter Anpassung an die ortsübliche Fachwerkbauweise der Neubau nach den Plänen des Regierungs- und Baurats Schumann, von dem der Maler Arnold Busch ein Porträt gemalt hat, entstehen. Ursprünglich kam Schumann von der Eisenbahnarchitektur her. Als Kriegsflüchtling war er nach dem Ersten Weltkrieg aus Ostoberschlesien 368

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nach Oberschreiberhau verschlagen worden. Seine Freundschaft mit dem Hirsdiberger Architekten Valerius Siedler29) bewirkte, daß er sich für dessen Bestrebungen zur Neubelebung der heimischen Bau- und Siedlungsformen einsetzte und unter solchen Gesichtspunkten, die Siedler an vielen Stellen publizierte, muß auch der Entwurf für den Bau der Lukasmühle betrachtet und in das Architekturbild der Riesengebirgslandschaft eingeordnet werden. Daß derartige Tendenzen keineswegs vereinzelt geblieben sind, beweist der Neubau des Hauses, das sich der Bildhauer Joachim Wichmann in Bärndorf an Stelle des im Ersten Weltkrieg abgebrannten schönen alten Kretschams, in dem er sein Atelier eingerichtet hatte, erbaute, beweisen vor allem aber die Neubauten der Bauden und Gebirgsgaststätten. Die Lukasmühle konnte freilich nur als Sammelpunkt der Schreiberhauer Künstler verwirklicht werden, wenn das geplante Ausstellungslokal mit einer Gaststätte und einem kleinen Hotelbetrieb verbunden wurde. Diese Kombination stellte den Architekten vor eine nicht leicht zu lösende Aufgabe. Sie wurde erschwert durch den Zwang, die massiven Granitmauern der alten Brettmühle bis ins erste Stockwerk hinein mit zu verwenden. Der Außenbau stellte eine malerisch vielgestaltige Verbindung von massiven und Fachwerkelementen dar, der Hauptbau mit seinem hohen Satteldach wurde von Vorund Anbauten sowie Dachausbauten vielbildig überschnitten und die Farbkontraste von schwarzem Fachwerk und weißem Verputz zur kräftigen Farbigkeit des Daches ließen den Bau inmitten der umgebenden Baumgruppen zu einem malerischen Motiv werden, das Georg Wichmann in einer ölskizze festgehalten hat. Der betont malerische Gruppenbau fand in den inneren Räumen seine Fortsetzung ins gemütlich Behagliche. Unten befand sich alter Tradition von der jenseitigen ehemals österreichischen Gebirgsseite folgend die Schwemme, hier als deftige Bierstube eingerichtet, in der oberen Kaffeediele war mit viel Holz unter der Balkendecke und mit leuchtenden Farben eine heitere Atmosphäre geschaffen worden. Von dieser Kaffeediele war der große Kunstausstellungsraum zugänglich. Von den Innenräumen hat der Breslauer Maler Arnold Busch eine hübsche Zeichnung „Zitterspieler" und ein Ölbild „Bauernkretscham in der Lukasmühle" gefertigt, die in dem Aufsatz von F. Castelle ebenso wie das Außenbild von Georg Wichmann abgebildet sind und damit die Erinnerung an dieses für die Schreiberhauer Künstlervereinigung in ihren Anfängen so wichtige Ausstellungs- und Versammlungszentrum festgehalten haben. 2·) V. Siedler, Heimatkunst im schlesischen Gebirge, Warmbrunn, Verlag M. Leipelt, ohne Jahr. 24 Breslau

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Versuchen wir nunmehr den großen Kreis der Künstler, Maler, Graphiker und Bildhauer im Riesengebirge zu überblicken, so kann es sich nur darum handeln, die das Gesamtbild wesentlich beeinflussenden und damit noch einmal in der Erinnerung vorstellbar machenden Namen zu nennen und sie mit ihrem Lebensweg und Werk kurz zu charakterisieren. Diese Künstler lassen sich ihren Lebensdaten nach in zwei Gruppen der älteren und der jüngeren Generation abhandeln, und dieser Einteilung folgt nunmehr unsere Darstellung. Die Reihe der älteren Maler beginnt mit Alfred N i c k i s c h 8 0 ) , der aus der Umgegend von Breslau, aus Bischdorf, Kreis Neumarkt, stammte. Dort wurde er 1872 geboren, aber seine eigentliche Heimat wurde das Gebirge. Als freischaffender Landschaftsmaler baute er sich an den Kochelhäusern zwischen Ober- und Mittelschreiberhau im Jahre 1917 an, wenn er auch schon längst seit seinen Studienzeiten mit der Riesengebirgslandschaft vertraut geworden war. Er galt als einer der begabtesten Schüler Karl Ernst Morgensterns, ehe er in Karlsruhe bei Carlos Grethe und Viktor Weißhaupt studierte und sich auf Reise- und Wanderjahren vervollkommnete. In Schreiberhau gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Künstlervereinigung St. Lukas. Nach der Vertreibung lebte er weiter malend in Bamberg, wo er 1948 starb. Kennzeichnend für das Schaffen von Nickisch war die Sicherheit der malerischen Interpretation landschaftlicher Eindrücke, wobei er in der Wahl der Motive die Sehenswürdigkeiten des Riesengebirges bewußt mied und größeren Wert auf das Wesentliche der Landschaft, ihre Atmosphäre und ihre jahreszeitliche Stimmung legte. Ihm kam es auf Schlichtheit des Landschaftsbildes an, und seine Kompositionen entsprachen der eigenen Bescheidenheit und Zurückhaltung, wie sie uns aus dem schönen Porträt des stillen ernsten Mannes anspricht, das Max Wislicenus von ihm gemalt hat. Was die Landschaften von Nickisch auszeichnete und begehrt machte, war die kraftvolle Pinselführung, verbunden mit einer wirkungsvollen Farbgebung. Beides hatte er sich in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Gebirgsnatur im Sommer wie vor allem im Winter angeeignet, hier ganz und gar seinem verehrten Lehrer Morgenstern nacheifernd, aber in der unromantischen und unpathetischen Auffassung sich wohltuend von ihm unterscheidend. 30) Alfred Nickisch, Dresslers Kunsthandbuch 1930, I I ; Die Kunst 27 (Kunst für alle 28) 1913; Kunstchronik neue Folge 34, 1922/23; Schlesisches Jahrbuch 1913; Katalog der Ausstellung des Künstlerbundes Schlesien, Breslau 1913; Thieme-Becker, Künstlerlexikon X X V 1931.

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Der nächstälteste Künstler ist ein Bildhauer. 1903 wurde ein Südtiroler Bildschnitzer, Cirillo d e l A n t o n i o 8 1 ) , geboren 1876 in Moena und in St. Ulrich im Grödnertal ausgebildet, als Lehrer für figürliche Bildhauerei an die 1902 neu eröffnete Holzschnitzschule in Bad Warmbrunn berufen. Von 1922 bis 1940 leitete er sie als Direktor. In diesen 37 Jahren wurde aus dem „Herrgottschnitzer" des Südens ein bedeutender Holzbildhauer, der durch sein Vorbild als Künstler und durch seinen Unterricht als Lehrer sowie durch seine fachlichen Publikationen eine ganze Generation von Bildhauern ausbildete. Einige von ihnen blieben im Riesengebirge ansässig, aus dem sie zum Teil stammten. Genannt seien die Bildhauer Brochenberger und Wache in Jannowitz und Warmbrunn, Helmut Benna in Schreiberhau und Walter Volland in Warmbrunn. Del Antonio gehörte zu den Mitbegründern der Künstlervereinigung St. Lukas. Nach seiner Pensionierung bezog er 1940 ein eigenes Haus in Warmbrunn, aus dem er 1945 in seine angestammte Heimat floh, um hier in Moena eine Scuola d'Arte zu eröffnen. Von 1954 lebte er bis zu seinem 1971 erfolgten Tode in Trier. Del Antonios Lebenswerk kulminierte im religiösen Andachtsbild und im Porträt, hinzu traten seine ausgezeichneten Plaketten. Mit Recht hat einer seiner Schüler ihn einen Sculptor des Südens und einen Bildhauer des Nordens genannt. In seinem Leben und seinem Werk begegneten sich Anmut und Lebhaftigkeit mit Ernst und Pflichtbewußtsein, überstrahlt von menschlicher Güte. Es folgt ein Brüderpaar, und zwar ein Maler und ein Bildhauer. Die Familie Wichmann stammte aus Löwenberg, hier wurde der Maler Georg W i c h m a n n 8 2 ) 1876 geboren. Anfänglich ausgebildet bei Anton von Werner in Berlin, wurde er Meisterschüler bei Leopold von Kalkreuth in München. Nach seiner Heirat 1907 hielt er sich in Hermsdorf, Kiesewald und Bärndorf auf, ehe er 1925 nach Schreiberhau übersiedelte. Eng befreundet mit Hanns Fechner, den Dichtern Gerhart und Carl Hauptmann, Hermann Stehr und 31) G. Grundmann, Die Warmbrunner Holzsdinitzschule im Riesengebirge, Silesia, Folge I , München 1968; F.Thomas-Gottesberg, Cirillo del Antonio, Sculptor des Südens, Bildhauer des Nordens, in: Zeitschrift Schlesiens, X I V . Jg. 1969, S. 193, dort Angabe der Schriften del Antonios über die Verhältnislehre und plastische Anatomie des menschlichen Körpers, Erstauflage München 1919, Die Kunst des Holzschnitzens, Ravensburg 1921 und über Wegweiser und Schilder, sowie neue Grabmale der Holzschnitzschule. 32) Georg Widimann, Thieme-Becker, Künstlerlexikon Bd. X X X V , Leipzig 1942; Dresslers Kunsthandbuch 1930, Bd. I I , Die Bergstadt Breslau, 14. Jg. 1925/26; Das Bild, Jg. 12, 1942, H . Vollmers Künstlerlexikon und ein Nachruf in den Leipziger Neuesten Nachrichten vom 7. Dezember 1944. Herrn Dr. Hans Wichmann bin ich für Angaben über das Leben seines Vaters und für Fotos zu Dank verpflichtet. 24»

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Wilhelm Bölsche gehörte er zu den Mitbegründern der Künstlervereinigung St. Lukas. Er starb 1944 in Oberschreiberhau. Wichmanns reifste Schaffensjahre sicherten ihm den unbestrittenen Ruf eines realistischen Landschafters. Immer wieder malte er die Schneegruben, die sich von Kiesewald aus so eindrucksvoll wie von keinem anderen Standort in ihrer ganzen erhabenen Großartigkeit darboten. Karl Schef fier, dessen Kunstkritiken in den Jahren zwischen den Weltkriegen maßgebende Bedeutung hatten, schätzte Wichmanns maltechnische Könnerschaft und seine Auffassung der Riesengebirgslandschaft, die eine langjährige Einfühlung und eine tiefe Ehrfurcht vor der Schöpfung voraussetzte. Mir sind aus meiner Jugendzeit starke Eindrücke erinnerlich, die ich von seinen zum Teil großformatigen Bildern mitnahm und die meine Augen für das landschaftliche Szenarium meiner Heimat öffneten. Eine erste Ausstellung im Haus seines Vaters weit vor der Stadt Hirschberg auf dem Weg zu den Abruzzen um 1907/08 und immer wieder Ausstellungen in der Buch- und Kunsthandlung von Paul Röbke in der Bahnhofstraße und in der Marienkirche in Hirschberg trugen hierzu wesentlich bei. Joachim W i c h m a η η 3 S ), der jüngere Bruder des Malers Georg Wichmann, wurde 1882 in Löwenberg geboren. Zahlreiche Porträtreliefs und Plaketten sowie Grabmäler zeugten von der sorgfältigen Beobachtungsgabe und von dem Einfühlungsvermögen in das Wesen der Dargestellten. So wurden seine Porträts mehr als nur naturgetreue Wiedergaben der äußeren Erscheinung, sondern beseelte Kunstwerke. Neben der bildhauerischen Begabung eignete Wichmann eine hohe Musikalität als Klavierspieler und eine unzweifelhaft starke architektonische Fähigkeit. Mit feinem Gespür für das Charakteristische eines alten bäuerlichen Kretschams in Bärndorf baute er das Fachwerkhaus stilvoll aus und errichtete an seiner Stelle, als es 1916 abbrannte, einen durchaus gleichwertigen Fachwerkneubau mit Werkstatt und Musikraum aus eigener Kraft und mit großem handwerklichen Können. Als er die Heimat verlassen mußte, schuf er sich in Lauenburg ein kleines Häuschen, bei dem er zum dritten Mal seinen ausgeprägten Sinn für eine malerische Bauromantik bewies. In diesem Grundgefühl spätromantischer Verinnerlichung vereinigte er in seinem künstlerischen Schaffen die Liebe zur Musik, er spielte vor allem Beethoven, und die Neigung zur Architektur mit dem Beruf des Bildhauers. Joachim Wichmann starb in Lauenburg im Jahre 1963. 33) Joachim Wichmann, Thieme-Becker, Künstlerlexikon Bd. X X X V , Leipzig 1942, die übrigen Angaben danke ich der Witwe Frau Hanna Wichmann, Lauenburg; G. Grundmann, Nadiruf 1963 im Lauenburger Anzeiger.

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Ein Niditschlesier war der Maler Rudolf H a c k e. 84 ) Er, der im Vorgebirge, und zwar in einem Tal des Bober-Katzbachgebirges, in Seitendorf, lebte, war Berliner, dort 1881 geboren und auch im wesentlichen an der Berliner Kunstakademie ausgebildet. Hier hatte er Unterricht bei Eugen Bracht gehabt und war später Meisterschüler von Ulrich Hübner und Albert Hertel. Was er von seinem Studium und seinen Studienreisen in sein weltabgeschiedenes Atelier in Seitendorf mitgebracht hatte, war eine große zeichnerische Sicherheit und eine ausgesprochen dekorative Farbigkeit. Beides im Sinne der neuen Sachlichkeit kultivierte er in seinen Landschaften, Stilleben und Porträts und entwickelte sie auf einem Sondergebiet weiter zu großer Meisterschaft, des Kupferstichs. 1945 mußte er alles im Stich lassen und fand in Stadtlohn für nur noch eine kurze Lebensspanne eine bescheidene Arbeits- und Lebensmöglichkeit. Er starb dort 1963. Aus dem weiteren Osten stammte ein etwas jüngerer Maler. Franz v o n J a c k o w s k i 8 5 ) wurde 1885 auf dem väterlichen Gut im Posenschen geboren, besuchte das Elisabeth-Gymnasium in Breslau und studierte anschließend bei Professor Morgenstern an der Breslauer Kunstschule. Morgenstern, der den Namen nicht behalten konnte, nannte ihn kurzerhand Jasmacki. Später studierte er an der Akademie in Berlin und in München. Ab 1913 lebte er als freier Künstler und ließ sich 1920 in Schreiberhau nieder. Auf Studienreisen nach Italien begleiteten ihn seine Malerkollegen Oberländer und Nickisch, zum Teil auch Wilhelm Bölsche. Jackowski war eine ausgewogene Persönlichkeit ohne Tendenz zu bestimmten Richtungen. Nach der Vertreibung blieb er lange Jahre in Schreiberhau und kam erst als Spätaussiedler 1957 nach Wangen im Allgäu. Hier beging er am 22. Januar 1965 seinen 80. Geburtstag. Auch im Allgäu griff er, der ausgesprochene Landschafter, wieder zu Pinsel und Palette. Neben Landschaften malte er zahlreiche Blumenbilder, Erkenntnisse und Wahrheiten sammelnd und ohne den Wirklichkeitssinn in seinen malerischen Leistungen verlierend. Im gleichen Alter mit Franz von Jackowski war der aus Norddeutschland stammende Hans E. O b e r l ä n d e r . 8 e ) 1885 in Rostock geboren, besuchte 34) Rudolf Hacke, Thieme-Becker, Künstlerlexikon, Bd. X V , 1922, Dresslers Kunsthandbuch 1921 und Ausstellungskataloge Dresden und München 1911 und 1914. 35) Franz von Jackowski, Persönliche Mitteilungen aufgrund eingehenden Briefwechsels, wofür ihm an dieser Stelle gedankt sei. Siehe Anmerkung 23 und Ruth Storm, Kunstmaler Franz von Jackowski 80 Jahre, in: Der Schlesier, Nr. 4, 1965. 36) Hans E. Oberländer, H . Vollmers Künstlerlexikon, Leipzig 1956 mit Literatur; G. Grundmann, Schreiberhauer Kunst, Berliner Börsen-Zeitung vom 8. März 1923, Besprechung einer Ausstellung von Oberländer; G. Grundmann, Hans E. Oberländer, in: Künstlerkreis Niederschlesien, erste Veröffentlichung, Bunzlau 1928.

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er 1906 die Breslauer Kunstakademie. Seit 1909 lernte er als Schüler Carl Ernst Morgensterns das Riesengebirge kennen, doch unterbrach der Erste Weltkrieg seine Studien, so daß er sich erst nach Kriegsende in Schreiberhau niederlassen konnte, siedelte aber einige Jahre später in seine Vaterstadt Rostock über. 1941 kaufte er sich dann in Mittelschreiberhau an und arbeitete hier äußerst intensiv, bis er am Ende des Zweiten Weltkrieges eingezogen wurde. Erkrankt kam er nach Warmbrunn in das dortige Lazarett und starb hier im Anfang des Jahres 1945. Er liegt in Mittelschreiberhau begraben. Oberländer hatte 1933 den Rompreis erhalten. Schon 1922 war er mit seinen Kollegen der Künstlervereinigung St. Lukas Alfred Nickisch und Franz von Jackowski in Capri gewesen. Diese Malerfreundschaft versetzte Jackowski in die Lage, über Oberländers Technik einiges auszusagen: „Wir sind oft miteinander malen gegangen. Er änderte später seine Technik. Er malte nämlich auf Gipsgrund, den er sich auf starker römischer Leinwand selbst präparierte, untermalte dünn mit Terpentin, nachdem er flott mit dem Silberstift aufgezeichnet hatte. Sodann malte er mit dem Haarpinsel und benutzte Standöl mit etwas Zusatz von Lack. Dadurch erhielten seine Bilder den eigenartigen Oberflächenreiz des Aquarells, waren aber dennoch kräftig als Ölfarbe."

In einer Kritik einer seiner Ausstellungen vom Jahre 1923 schrieb ich über ihn in der Berliner Börsenzeitung: „Oberländers Lebens werk zeigt den Weg von einem dekorativen Impressionismus zu einem rein farbigen Expressionismus." Schon damals wurde sein Schaffen als ein Hin- und Herpendeln eines Übergangsstadiums erkannt. Das war wohl zum Teil ein Problem seiner Generation und bedeutete ebenso Stärke wie Schwäche seines Schaffens, und das um so mehr, als Oberländer keineswegs nur Landschafter war, sondern ebenso Stilleben und Porträts malte. In seinen Bildern ist. stets Bewegung und sowohl farbige wie inhaltliche Spannung, ja Aufgewühltheit. Allenthalben, so besonders in religiösen Bildern, vollzog sich eine Entmaterialisierung des Gegenständlichen und eine erregende Ausdruckskraft der Kompositionen. Damals faßte ich meinen Eindruck seines Schaffens in die Worte zusammen: „Es ist etwas Schönes um diese Fülle des Schaffens und um diese Kraft des Gestaltens; und das ist etwas, was Oberländer mit der Natur, in der er lebt, verbindet, denn diese Gebirgswelt um ihn ist selbst Ausdruck einer immer neu gestaltenden Kraft. 4*

Ein anderer wenig jüngerer Maler ist von ähnlich lebhafter Intensität, jedoch im Rahmen seines vom Naturalismus her bestimmten Werdeganges geblie374

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ben. Es handelt sich um den 1892 in Kontopp geborenen Otto H e i n s i u s.87) Sein Lebensweg führte ihn erst später und mit großen Unterbrechungen zur Malerei. In der kaufmännischen Lehre der Breslauer Kunsthandlung von Lichtenberg begann die Laufbahn dieses Nachfahren aus dem alten Handelshaus von Molinari, dem Gustav Freytag ein Denkmal Breslauer Reichsbürgerkultur in „Soll und Haben" gesetzt hat, bis Neigung und Begabung ihn zur Ausbildung als Maler in die Abendkurse von Prof. Kämpfer und in die Ateliers von Trautmann und des Graphikers Hugo Ulbrich führten. Diese Vertreter einer realistischen Kunstauffassung mit mancherlei Elementen des Jugendstils gemischt und in ihren bürgerlichen Reminiszenzen fest verankert vermochten Heinsius nach der Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg nicht mehr anzulocken. Jetzt besuchte er die Ateliers von Artur Wasner und anderen jüngeren Vertretern eines fortschrittlicheren Realismus in Breslau, bis er sich endgültig freimachte und nach Erdmannsdorf im Riesengebirge übersiedelte. Hier nun entwickelte Heinsius seine Handschrift. Ihm ging es in seiner vielseitigen Produktion — neben der Landschaft spielten das Stilleben und das Porträt eine wichtige Rolle so wie er auch als Zeichner, vor allem in beiden Kriegen, beachtliches leistete — nicht um das realistische Abbild, sondern um formauflösende und farbige Impression. Noch einmal als reaktivierter Offizier vor und durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, fand er sich bei Kriegsende in Bremen zur Malerei zurück, wo er nach einigen Jahren in Worpswede heute lebt und als freier Künstler arbeitet. Und nun zu den drei in ihrer Art höchst differenzierten Graphikern. Der geborene Grafschafter Paul A u s t 8 8 ) , (er war 1866 in Reinerz geboren) studierte Naturwissenschaften an den Universitäten in München und Erlangen. Sein Studium schloß er mit dem Doktordiplom 1907 ab, wandte sich dann aber der Malerei zu, und zwar in Dresden und München, um sich 1910 in Hermsdorf unter dem Kynast niederzulassen. Hier lebte er unermüdlich tätig bis zu seinem Tode 1934. Die Stärke der Begabung von Aust lag auf dem Gebiet der Graphik. Zu seiner Radiertechnik entwickelte er einen meisterlichen Stil. Die Landschaft 37) Otto Heinsius, Vollmers Künstlerlexikon des > 19. Jahrhunderts, Bd. I I , Leipzig, dort auch Literatur; Die Bergstadt, Jg. 19, 1930/31; Katalog der dritten deutschen Kunstausstellung, Dresden 1953. Für persönliche Mitteilungen bin ich zu Dank verpflichtet. 38) Paul Aust, Die Bergstadt, 15. Jg. 1927, S. 440 ff.

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und die dörfliche Architektur des Hirschberger Tales fanden in ihm einen kultivierten Vertreter. Die Stimmung seiner Blätter hatte zumeist einen lyrischen Charakter, wie er der Vorgebirgslandschaft mit ihren Baumgruppen, Wasserläufen und Brücken, ihren Bauernhäusern, alten Kirchen und Gutshöfen sowie behaglichen Gasthäusern entsprach. Dieser Hang zur idyllischen Auffassung der Landschaft, den er gewiß auch seiner Herkunft aus der lieblichen Tallandschaft der Grafschaft Glatz verdankte, bestimmte die Auswahl seiner Motive, die damit eine Tradition mit den Mitteln und der Auffassung seiner Zeit fortsetzen. Sie läßt sich am trefflichsten auf die Kupferstiche Daniel Bergers nach Reinhardt im Anfang des 19. Jahrhunderts beziehen. Paul Aust gehörte zu den Mitbegründern der Künstlervereinigung St. Lukas in Schreiberhau, die ihn 1926 aus Anlaß seines 60. Geburtstages mit einer Sonderausstellung seines graphischen Werkes ehrte. Friedrich I w a n 3 9 ), 1889 in Landeshut geboren, war von 1903 bis 1908 Schüler von Ernst Morgenstern an der Breslauer Kunstakademie, anschließend studierte er in Berlin, um sich bei Professor Hans Meyer in der Radiertechnik zu vervollkommnen. Nach dem Weltkriege machte er sich in Berlin selbständig und setzte sich hier mit seinen Radierungen (eine eigenständige Verbindung von Stahl, Feder und Farbe) bei Publikum und Verlagen bereits durch. 1921 zog er ins Riesengebirge, heiratete in Krummhübel, wo sein verehrter Lehrer Morgenstern inzwischen ansässig geworden war, und zog drei Jahre später 1924 nach Cunnersdorf bei Hirschberg in ein eigenes Haus. Hier lebte er, bis ihn 1945 die polnische Miliz in Hirschberg einsperrte und mißhandelte, und er 1946 ausgewiesen wurde. Er fand Aufnahme in Hessen ohne irgendetwas von seinem kostbaren Material an Kupferplatten mitnehmen zu dürfen, und zwar in dem weltabgeschiedenen Vogelsbergdörfchen Gunzenau. 1953 verlegte er dann seinen Wohnsitz nach Wangen, wo er 1967 starb. Iwans Tätigkeit in Hirschberg — Cunnersdorf machte ihn weit über die schlesischen Grenzen hinaus als Riesengebirgsmaler bekannt. Die von ihm angewandte Technik der farbigen Radierung gestattete ihm eine umfangreiche Vervielfältigung seiner Schöpfungen. Seine Beliebtheit verdankte er 3β) Friedrich Iwan, Vollmers Künstlerlexikon des 20. Jahrhunderts, Bd. I I , Leipzig 1955; Friedrich Iwan, Der Maler des Riesengebirges, in: Schlesische Bergwacht, Nr. 23/24 1970; Wilhelm Meridies, In Memoriam Friedrich Iwan, in: Der Schlesier, Nr. 3 vom 19. Januar 1967.

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der Wiedergabe des unmittelbaren und unverfälschten Naturerlebnisses, besonders in seinen Winterlandschaften. Er war ein begeisterter Wanderer und Skifahrer und schleppte auf seinen Maltouren sein Handwerkszeug im schweren Rucksack mit sich. Die ersten Konzeptionen entstanden stets unter freiem Himmel. Allenthalben kannte man ihn in den Bauden des Riesengebirges, des Eulengebirges, des Glatzer Berglandes und des Altvater als zünftigen Gesellschafter, der mit Humor, Gesang und Klampfe zur Stimmung beitrug. 1890 wurde Erich F u c h s 4 0 ) in Magdeburg geboren. Nach einigen Semestern lithographischer Lehre an der Magdeburger Kunst- und Gewerbeschule studierte er von 1909 bis 1914 an der Leipziger Kunstakademie bei Alois Kolb in der Meisterklasse für Graphik. Während des Ersten Weltkrieges zog er nach Bärndorf im Riesengebirge. Nach mehrfachem Ortswechsel (Albendorf, Dittersbach städt.) fand er 1923 in Obergiersdorf eine kleine Wohnung, bis er 1938 ein Haus, das ihm der Architekt Marschall erbaute, im Fuchswinkel in Hain sein eigen nennen konnte. 1948 ausgewiesen von den Polen fand er in Lindlar/Westf. erste Möglichkeit, seine Radierarbeit wieder aufzunehmen. Heute lebt er in Marburg/Lahn. Erich Fuchs ist auf dem Gebiet der Radierung sowie als Zeichner und Aquarellmaler ein ausgesprochen thematischer Spezialist. Seine Radierfolgen aus den verschiedensten volkskundlichen Gebieten sind Dokumente aussterbender Handwerke, Sitten und Gebräuche, Bauweisen und Lebensformen in den schlesischen Gebirgen, unmittelbar dem Leben abgelauscht, exakt beobachtet und superrealistisch graphisch wiedergegeben. In umfangreichen Mappenwerken zusammengefaßt (Webermappe, Glasbläsermappe, Trachtenmappe, Schömbergmappe) gehören sie in engen geistigen Zusammenhang mit den heimatkundlichen Bestrebungen der ersten Jahrhunderthälfte, in der Hauptsache zwischen den beiden Weltkriegen entstanden. Nachdem die Polen Erich Fuchs einen Teil seiner Arbeiten zurückgegeben haben, ist er bemüht, die Mappenwerke wieder zu vervollständigen und damit nach der Vertreibung diese einmaligen Aussagen zum schlesischen und besonders zum riesengebirgischen Volksleben als Überlieferung festzuhalten. 40) Erich Fuchs, Vollmers Künstlerlexikon des 20. Jahrhunderts, Bd. II, Leipzig 1955; G. Grundmann, Volkstum und Volkskunst, eine Lebensaufgabe; dem Maler und Radierer Erich Fuchs zum 75. Geburtstag am 14. Februar 1965, in: Oberlausitzer Rundschau, Nr. 4, S. 55, desgl. weitere Beiträge zum 75. Geburtstage, in: Der Schlesier, und in der Zeitschrift Schlesien; drei Aufsätze über Erich Fuchs im Wanderer im Riesengebirge, 45. Jg. 1925 und 52. Jg. 1932, sowie in Westermanns Monatsheften Nr. 946, H . 19, 1935; Festschrift zum 80. Geburtstag für Erich Fuchs, Darmstadt 1970.

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Die jüngere Gruppe, wobei das Geburtsdatum für die Einordnung nidit allein ausschlaggebend gewesen ist, beginnt mit dem Sohn des Gründers der Künstlergemeinschaft St. Lukas, mit Werner F e c h η e r. 41 ) Er ist 1892 in Berlin geboren, studierte an der Staad. Hochschule für Bildende Kunst in Weimar, zuletzt Meisterschüler von Fritz Mackensen. Zur Bauhauszeit einige Zeit Privatschüler von Lionel Feininger. Werner Fechner siedelte Anfang 1934 von Weimar nach Schreiberhau im Riesengebirge über. Durch seine Weimarer Tätigkeit (1933 war ihm bei einem Wettbewerb um das schönste Frauenbildnis der Zeit der AlbrechtDürer-Preis verliehen worden) hatte er eine solche Höhe des Schaffens erreicht, daß ihm eine weitere erfolgreiche Zukunft gewiß schien, stattdessen traf ihn im gleichen Jahr die Ablehnung der Aufnahme in die Reichskammer der Bildenden Künste und das Verbot zur Berufsausübung schwer. Grund: seine Mutter war die Tochter eines jüdischen Bankiers. So lebte er in aller Stille in Schreiberhau zehn bittere und notvolle Jahre, bis ihn im Jahre 1946 die Vertreibung traf. Seitdem lebt er in Wangen im Allgäu. Werner Fechner schuf ein sehr gutes und sprechendes Porträt seines Vaters. Immer malte er gern Bäume, Tiere und Blumen neben Landschaften, in denen Feininger in der Schreiberhauer Zeit noch nachklang. In einer Rede bei einer Ausstellungseröffnung in Kempen charakterisierte ihn Dr. Meridies mit folgenden Worten (Auszug) : Schon als Knabe sei er Dank der väterlichen Ausstrahlungskraft zum angesehenen und weithin bekannten Künstler geworden. Zeichnen sei ihm eine natürliche selbstverständliche Betätigung gewesen. Stundenlang habe er den vitalen Vater, Hanns Fechner, beim Porträtieren zusehen dürfen. Vom Vater zunächst unbeachtet habe sich sein Talent offenbart, das eindeutig in den Bereich der Kunst gewiesen habe. Seine Schulzeit habe er in Thüringen auf dem Lande bei Pfarrer Dr. Kleinschmidt, einem bekannten Ornithologen, zugebracht, und hier die Liebe zur Natur erfahren und Elemente aufgenommen, die sich später in seinen Tierbildnissen und Naturschilderungen offenbaren sollten. Wörtlich: Zuerst malte er zarte Kinderbilder, gepflegte Frauenbildnisse und Porträts bekannter Persönlichkeiten (Wilhelm Bölsche, Carl und Gerhart Hauptmann, Hermann Stehr, Marianne Hoppe, Albert Schweitzer usw.). Er wandte sich aber schon damals vom Porträt ab und bemühte sich um intensive Darstellungen der Natur. Hermann Stehr schätzte seine Natur- und Tierbilder, aus 41) Werner Fechner, Vollmers Künstlerlexikon für das 20. Jahrhundert, Bd. I I , Leipzig 1955; ich danke Herrn Werner Fechner in Wart gen für die Auskünfte, die er mir brieflich erteilt hat.

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denen Ergriffenheit und Gemütstiefe leuchtete. Er blieb zeitlebens dem Gegenstand treu, hatte aber ein offenes Auge für die Kunstströmungen seiner Zeit, vor allem Kandinsky und Franz Marc haben es ihm vielleicht unbewußt besonders angetan.

In Haida im alten Österreich ist Alexander Ρ f o h 1 4 2 ) 1894 geboren. Fünf Generationen seiner Vorfahren waren mit der alten Glasmacherstadt verbunden. Pfohl wurde an der Glasfachschule Haida und der k. und k. Künste gewerbeschule und Vollakademie Wien 1911-1915 ausgebildet. Seine große Begabung und Vielseitigkeit verschaffte ihm 1914 den Rom-Preis, ferner den Mauthner-Preis und 1915 das Stipendium der Wilhelm-Ritter-von-LucamStiftung. Der Direktor der Wiener Kunstgewerbesdiule Hofrat Roller setzte ihn für Bühnenentwürfe zu Festspielen ein, verschaffte ihm Stellen als Zeichenlehrer der Kinder des Fürsten Lichtenstein und Grafen Larisch, außerdem arbeitete er für führende Glasfirmen in Österreich. Nach der Abschlußprüfung 1915 und der Militärzeit bis Kriegsende 1919 kam er als Kunstgewerbler und Zeichner an die Josephinenhütte in Oberschreiberhau. Hier wurde er der entscheidende Zeichner (Designer) und Entwerfer. Er war Mitglied der Künstlergilde St. Lukas, in deren schönem Gebäude er in einer Sonderausstellung Landschaftsaquarelle zeigte. Er gehört der Malerei nach zu den charakteristischen Nachromantikern. Seine sehr dekorativen Aquarelle hatten ausgesprochen kunstgewerblichen Charakter, gingen oft stark ins Bühnenhafte und blieben seiner Generation entsprechend zugleich bezeichnend für die Zeit des Jugendstils seiner Wiener Ausbildung. Walter Stanke hat in der Nr. 24 vom 13. Juni 1968 im „Schlesier41 im Nachruf auf Pfohl über seine Tätigkeit in Hadamar in Hessen darauf hingewiesen, daß er mitten aus vollem Schaffen aus der Aufbauarbeit einer neuen Glasfachschule, die die Tradition des nordböhmischen Haida fortsetzen sollte, 1968 verstarb. Hier befinden sich im Besitz seiner Witwe, Frau Else Pfohl, zahlreiche Riesengebirgslandschaften, die seine charakteristische Handschrift ausweisen. Für seine Kunst hat sich besonders Ruth Storm eingesetzt. Zu den eigenartigsten Erscheinungen unter den Malern des Riesengebirges gehörte der Deutschböhme Artur Res sei. 4 3 ) Er wurde 1896 in Gablonz geboren, besuchte die Kunstakademie in Prag und siedelte nach dem Ersten 42) Alexander Pfohl, Nachruf von Walter Stanke, in: Der Schlesier, Nr. 24 vom 13. Juni 1968. 43) G. Grundmann, Artur Ressel in Künstlerkreis Niederschlesien, erste Veröffentlichung Bunzlau 1928; Wilhelm Meridies, In Memoriam Artur Ressel, in: Der Schlesier, Nr. 18 1966. Frau Ottegebe Ressel bin ich für Mitteilungen und Fotos zu Dank verpflichtet.

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Weltkrieg um 1920 nach dem Riesengebirge auf die schlesische Seite über und baute sich ein Bauernhaus in Agnetendorf in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses Wiesenstein Gerhart Hauptmanns aus und lebte hier bis Kriegsende mit seiner Ehefrau Ottegebe Wilm, Tochter des Schriftstellers Bernhard Wilm in Saalberg. Ressel war Mitglied der Künstlergilde St. Lukas in Schreiberhau und porträtierte hier 1927 Hermann Stehr in seinem Faberhaus. 1933 erhielt er den Rom-Preis des preußischen Staates, gleichzeitig veranstaltete er Ausstellungen in Breslau im Schlesischen Museum der Bildenden Künste. Das Museum erwarb das ausgezeichnete Porträt seines Schwiegervaters Bernhard Wilm. Ressels Porträts seiner Familie sind von altmeisterlicher zeichnerischer und malerischer Akkuratesse. Das Porträt von Fried Grundmann, das er Ende der zwanziger oder Anfang der dreißiger Jahre malte, erwarb die Moderne Galerie in Prag. Nach der Vertreibung 1946 lebte Ressel im württembergischen Schwarzwald in Aichhalden, wo 1956 im nahe gelegenen Schramberg zu Ehren des Sechzigjährigen eine Ausstellung stattfand. Ressel starb am 21. April 1966 in Aichhalden. Ressel ist seinen ureigenen Weg gegangen, mögen seine Bilder auch mancherlei Erinnerungen an Dürer erwecken, dann wieder an moderne Naive, wie Henri Rousseau, oder Surrealisten wie Otto Dix, so stellen sich diese Anklänge doch nur deshalb ein, weil Ressels künstlerisches Empfinden und Wollen seinem Wesen entsprechend ähnliche Wege ging wie jene. Ressels Bilder, Porträts, Szenen aus dem Volksleben, wie Dorfbegräbnis oder Karpfenfischer sind originell, liebevoll beobachtet und oft von einer fröhlich skurilen Art mit einem Gran Tragik. In einigen seiner stärksten Bilder steigerten sich diese Wesenszüge zu einer fast Dostojewski-artigen Eindringlichkeit. In der Heimat, wie in der Fremde lebte er als ein ausgesprochener Stiller im Lande. Er lebte immer im Abstand zur Zeit und selbst seine zeitnahen Bilder malte er fast ganz zeitlos. Michael U h 1 i g 4 4 ) wurde 1896 in Oberschreiberhau geboren, wo seine Eltern die Leitung einer Anstalt der Inneren Mission innehatten (Rettungshaus), er lernte zuerst den Gärtnerberuf, mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges mußte er das über 100 Morgen große landwirtschaftliche Gut der Anstalt selbständig führen, wobei er sich bis zum Jahre 1924 einen Ruf als Landwirt und Tierzüchter erwarb. 44) In Memoriam Michael Uhlig, in: Südkurier 103 vom 5. Mai 1966; ich danke der Witwe Michael Uhligs für das Material, das sie mir über ihren verstorbenen Mann zur Verfügung gestellt hat, sowie für die Auskünfte.

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Seine schon früh erkannte künstlerische Begabung erfuhr in diesen Jahren eine wesentliche Förderung durch den in Oberschreiberhau wohnenden Maler Nickisch. Aufgrund eines Museumsstipendiums besuchte er von 1924 bis 1928 die Kunstakademie in Breslau und war hier Schüler der Professoren Moll und Kardorff. In den folgenden Jahren betätigte er sich als freischaffender Maler in Oberschreiberhau und war Mitglied der Künstlergilde St. Lukas. Bis 1933 konnte er sich ausschließlich seinem künstlerischen Schaffen widmen und betrieb zusammen mit seiner Frau eine Fremdenpension in Oberschreiberhau. Im Dritten Reich wurden seine Bilder zu Ausstellungen nicht mehr zugelassen. Im Hilfsdienst verpflichtet, erkrankte er an schwerem Kniegelenkleiden und wurde noch im Sommer 1944 mit seiner Frau von der Gestapo verhaftet und in das Hirsdiberger Gefängnis eingeliefert. Seine Frau wurde wieder entlassen, er selbst verdankte dem Zusammenbruch 1945 sein Leben. Nach der Übernahme von Schlesien durch Polen blieb er in Oberschreiberhau, erhielt als ehemaliger Häftling zwar einen polnischen Ausweis, dennoch beschlagnahmten die Polen seine sämtlichen Bilder und wiesen ihn 1946 aus. Er fand zuerst Aufnahme im Kreis Braunschweig, siedelte dann aber nach Salem über, wo er von Neuem zu malen begann, wie es in einem Beitrag des „Süd-Kurier" „in memoriam Michael Uhlig" heißt. Er fand zurück zu beglückendem Kunstschaffen, dessen Kraftquellen vor allem in einer tiefen Religiosität und einer erlebensfähigen liebevollen Hinwendung zur Schöpfung lagen. Er erteilte während dieser Zeit auch Religionsunterricht unter Genehmigung des evangelischen Kirchenrats Karlsruhe in zwei Dorfschulen und gehört den dortigen Künstlervereinigungen an. Er starb 1966 in Salem. In Oberschreiberhau war er auch Mitglied der Künstlergilde. Der aus Ohlau stammende Herbert Martin H ü b η e r 4 5 ), geboren 1902, besuchte in der fruchtbarsten Zeit ihres Bestehens die Breslauer Kunstakademie. Seine Lehrer waren Oskar Moll, Alexander Kanoldt und Otto Müller. Vor allem war es Otto Müller, dem er sich in diesen Jahren zwischen 1924 und 1926 anschloß und in dessen Vorstellungen und aus dessen Anregungen er seinen eigenen Stil zu entwickeln suchte. Nach einer Reihe von Studienreisen fand Hübner 1930 im Riesengebirge die ihn anregende Umgebung für sein künstlerisches Schaffen und in Schreiber45) G. Grundmann, Der Maler Herbert Martin Hübner, in: Der Wanderer im Riesengebirge, 53. Jg. Nr. 9, 1933. Audi hier habe idi dem Maler und Architekten Hübner für die Unterstützung bei der Materialbeschaffung zu danken.

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hau schuf er sich ein eigenes Haus, das er sich mit der ihm gegebenen architektonischen Begabung zurecht baute. Sein Breslauer Akademiestudium hatte ihn zu den führenden Malern der zwanziger Jahre engere Verbindung finden lassen und er begleitete Maler wie Otto Müller und Max Pechstein oft auf Wanderungen ins Gebirge, die ihn wohl gelegentlich fragten: Wie werdet Ihr hier eigentlich mit den Fichten fertig? Eine Frage, die sehr simpel klingt, aber an ein sehr wesentliches Problem der Landschaftsmalerei im Gebirge rührt. Anläßlich einer Ausstellung im Jahre 1933 erwähnte ich bereits seine kunsthandwerkliche Tätigkeit für eine Baufirma bei Innenausgestaltung von Holzhäusern, seine Aufträge für Ausmalung und farbige Gestaltung für Kirchenräume und seine Arbeiten für Werbegraphik, insbesondere für Plakate. Diese starke dekorative Begabung und Schulung wirkte sich auf die in Schreiberhau entstandenen freikünstlerischen Arbeiten, insbesondere Landschaften mit blockigen Häusergruppen und Porträts mitbestimmend aus. Ich schrieb damals, . . . , „daß mehr und mehr eine auf Grau gestellte Tonskala, mit zartem Gelb und Grün gebrochen und gelegentlich durch kräftiges Rot aufgehellt, vorherrsche. Die Komposition wird kompakter in der Massenverteilung und von einer betonten Herbheit in der Wahl der Motive, denen jede Schönfärbung fehlt. Berghäuser am gekrümmten Weg, ein Zaun, ein gelbblättriger Baum, Telegraphenstangen... Man spürt an diesen langsamer und sparsamer entstehenden Arbeiten in den ersten Jahren die Einflüsse der Lehrer stärker. Akte und Frauengestalten atmen Otto Müllers Romantik ungewollt... Versuche zu einer formalen und farbigen Abstraktion wirken ebenso befreiend wie notwendig."

Das gilt besonders für die Frauenporträts und ein ausgezeichnetes Selbstporträt. Allenthalben ist ruhige Klarheit und in sich ruhendes Sein erstrebt. Es sind bezeichnende Gesichter von Menschen der Gegenwart, in denen sich die besondere Begabung des damals noch jungen Malers aussprach und zugleich seine innere Einbindung in die hinter seiner Ausbildung stehende Welt eines Künstlers wie Otto Müller. 1946 mußte Herbert Martin Hübner seine zweite Heimat verlassen, zu der ihm Schreiberhau geworden war. Seit 1949 lebt er als Architekt in Hamburg beziehungsweise in seinem schönen Haus, das er sich in Bollmoor bei Trittau erbaut hat. Der jüngste der Maler der Künstlervereinigung St. Lukas war kein Schlesier. Willi O l t m a n n s 4 6 ) stammte aus Wilhelmshaven, wo er 1905 geboren war. Nach Absolvierung einer handwerklichen Lehre in den Jahren 1920 bis 1923 kam er zum ersten Mal nach Schreiberhau, verließ den Ort noch 382

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einmal, um von 1928 bis 1929 in Berlin zu studieren. 1930 kehrte er zurück und wurde in die St. Lukas-Vereinigung aufgenommen. Erste Bilderankäufe erfolgten durch die Museen in Breslau und Görlitz, aber nach Entfernung eines dieser Bilder aus dem Görlitzer Museum hatte er bis 1945 keine Ausstellungsmöglichkeit mehr. Nach sechs Jahren Kriegsunterbrechung lebt er seit 1945 in Delmenhorst im Oldenburgischen als freischaffender Maler. Willi Oltmanns gehörte in Schreiberhau zu denjenigen Malern, die sich bewußt von der Motivmalerei abkehrten. Unter dem Einfluß der Kollegen, die von Otto Müller und Feininger kamen, also Hans Martin Hübner und Werner Fechner, wurde die Phase des Spätexpressionismus für sein ganzes späteres Schaffen die maßgebende Ausgangsposition. Von hier aus ist es zu verstehen, wenn H . Gilly in einem Vorwort zu einer Ausstellung 1970 ausspricht, was im wesentlichen die in Schreiberhau gewonnenen Eindrücke nachträglich kennzeichnet: „In jener zeitlich gemeinten Situation vermag naturgemäß ein Maler wie Willi Oltmanns alle Möglichkeiten expressiver Aussage zu nutzen, da vorhergegangene Hochleistungen ermöglichten, eine kongeniale Auswahl unter den expressiven Bewegkräften zu treffen, und zwar dahingehend, daß Oltmanns unter Mißaditung des avantgardistischen Weges, der zum abstrakten oder gegenstandslosen Expressionismus führte, im Sinne eigenkünstlerischen Selektierens, durch Weglassen und Hinzufügen jene noch gegenständlichen Ideen weiterentwickelte, die einstmals Movens der expressionistischen Meister, die sich in den Künstlergemeinschaften Brücke und Blauer Reiter zusammengefunden hatten, gewesen sein mögen."

Die im Besitz des Künstlers befindlichen aus der Schreiberhauer Zeit geretteten Aquarelle bestätigen diese Beobachtungen und sind ein Beweis für die Entwicklungsfähigkeit der Schreiberhauer Künstlerkolonie, wäre sie nicht durch den Krieg und die Vertreibung auseinandergerissen worden. Das gleiche gilt von den Werken, die Werner Fechner oder Herbert Martin Hübner bei sich aufbewahren, gilt von den Beständen, die Franz von Jackowski als Spätaussiedler von sich und den Freunden mitnehmen konnte, gilt von dem, was Polen Erich Fuchs zurückgab, und dem, was sich im Nachlaß von Alexander Pfohl, Artur Ressel und Michael Uhlig erhalten hat. Auch von Alfred Nickisch und den Wichmanns gibt es Reste ihres schlesischen Schaffe) K. Brecht Armbrecht, Verdichtung zu hoher Aussagekraft, Rundgang durch die Kollektivausstellung Willi

Oltmanns, in: Coburger

Tageblatt Nr. 137 vom

17. Juni

1970;

W. Gilly, Katalog der Ausstellung zum 65. Geburtstage des Malers Willi Oltmanns in der neuen Galerie des Oldenburger Stadtmuseums, Oldenburg 1970. Dankbar gedenke ich der persönlichen Begegnung in Hamburg.

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fens. Sie alle, die in dieser Darstellung mehr oder minder ausführlich behandelt wurden, hätten nach dem Zusammenbruch mit der gleichen Energie in der vertrauten Umgebung der Landschaft und in der Geborgenheit ihrer Künstlerheime neu aufgebaut, wie die Überlebenden der älteren und der jüngeren Generation mit bewundernswerter Energie unter ungünstigsten äußeren Umständen sidi erneut zu ihrer Arbeit bekannt und künstlerisch durchgesetzt haben. Ihnen, den Lebenden und den Toten, sei mit diesem Versuch einer späten Dokumentation der Dank abgestattet.

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Ludwig Petry und Herbert Schlengerf FÜNFZIG JAHRE HISTORISCHE KOMMISSION FÜR SCHLESIEN Inhaltsübersicht Anlauf jähre der Kommission, 1921—1936 (S. 385) — Die Kommission am Vorabend und im Verlauf des Zweiten Weltkrieges, 1937—1945 (S. 389) — Die beiden jüngsten Jahrzehnte, 1951—1971 (S. 394) — Veröffentlichungen: In Schlesien bis zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges (S. 405) — Seit der Wiederbegründung 1951 (S. 409) — Satzung in der seit dem 17. Juli 1970 gültigen Fassung (S. 410) — Mitgliederverzeichnis nach dem Stand vom 15. April 1971 (S. 413) — Schrifttum über die Kommission (in Auswahl) (S. 416)

Anlauf jähre der Kommission 1921—1936 Das Jahr 1971 ist für die schlesische Geschichtsforschung ein zweifaches Gedenkjahr: Vor 125 Jahren wurde der „Verein für Geschichte Schlesiens", vor 50 Jahren die „Historische Kommission für Schlesien" ins Leben gerufen. Beide verkörpern nicht nur zwei — in fast allen deutschen Landschaften gleicherweise zu beobachtende — aufeinanderfolgende Stufen geschichtswissenschaftlicher Organisation, sondern bieten auch für die fast 25 Jahre des Nebeneinanderbestehens in Schlesien das Bild eines fruchtbaren Zusammenwirkens im Zeichen zweckmäßiger Ergänzung und Arbeitsteilung. Die Historische Kommission wurde im Jahre und unter dem Eindruck der Volksabstimmung in Oberschlesien am 12. November 1921 gegründet und — wie schon der Verein in seinen Anfängen — hauptsächlich von Vertretern der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität und dem Breslauer Staatsarchiv getragen. Wenn auch die Berichte der allerersten Jahre nicht lückenlos erhalten sind, erlauben die vorhandenen zusammen mit rückschauenden Bemerkungen aus der Folgezeit doch die wichtigsten personellen Angaben für die Anfangsjahre. Erster Vorsitzender der Kommission wurde der bald nach Halle übersiedelnde Mediaevist Robert Holtzmann, Zweiter Vorsitzender der schon durch umfangreiche Editionen ausgewiesene Staatsarchivdirektor Konrad Wutke. Beide Vorsitzende bildeten mit den beiden Schatzmeistern Eckart von Eichborn und Stadtrat Jungfer sowie sechs Beisitzern den „Geschäftsführenden Ausschuß". Diese Beisitzer waren der 1933 25

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verstorbene Viktor Loewe, die nodi in der Mitgliederliste von 1941 aufgeführten Universitätsprofessoren Joseph Klapper, Waldemar Mitscherlich (seit 1934 in Halle) und Franz Xaver Seppelt sowie die das Altertumsmuseum und das Stadtarchiv repräsentierenden Direktoren Hans Seger und Heinrich Wendt. Der 3. Jahresbericht vom April 1924 meldet das Vorliegen einer neuen Satzung, die an Stelle des bisherigen Geschäftsführenden Ausschusses einen fünfgliedrigen Vorstand aufweist, während das zwölfköpfige Gremium, das zuvor den Namen „Vorstand" trug, jetzt unter der Bezeichnung „wissenschaftlicher Ausschuß" erscheint. Ihrer Rechtsform nach war die Historische Kommission für Schlesien — wie heute noch — ein eingetragener Verein. Das Amt des Ersten und Zweiten Vorsitzenden hatten Wutke und Seppelt inne, Schatzmeister waren von Eichborn und Staatsarchivrat Erich Graber, als Beisitzer wird Holtzmanns Nachfolger Hermann Reincke-Bloch genannt; diese Zusammensetzung des Vorstands blieb in den nächsten drei Jahren unverändert. Robert Holtzmann — Halle (später Berlin) war zunächst das einzige Ehrenmitglied. Bis 1941 traten in dieser Eigenschaft Fürsterzbischof Dr. Dr. Adolf Kardinal Bertram, der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Prof. Paul Fridolin Kehr und sein Nachfolger in diesem Amt Prof. Albert Brackmann hinzu. An Förderern (Personen und Einrichtungen, die einen regelmäßigen größeren Jahresbeitrag zahlten) wies die Kommission 101 auf, an Stiftern (Gönner, die einen einmaligen namhaften Betrag stifteten) 74, an ordentlichen Mitgliedern (aus wissenschaftlichen Verdiensten hinzugewählte Fachkenner ohne Beitragspflicht) 119. Wenn die betreffenden Zahlen für 1941 39, 48 und 189 lauten, so spiegeln sich im Rückgang der beiden ersten Zahlen z. T. der Wegfall jüdischer Förderer und Stifter, im Ansteigen der Mitgliederzahl das automatische Verbleiben der aus Schlesien beruflich Scheidenden in der Kommission, vor allem aber die erfreuliche Hinwendung des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Landesgeschichte und seine ansehnlichen Leistungen auf diesem Arbeitsfeld. Unter den im 3. Jahresbericht (April 1924) genannten Vorhaben lassen der Plan einer Akten- und Urkundenedition zur Geschichte des schlesischen Handels (1940 verwirklicht) und die Erwägung von Neujahrsblättern aufhorchen. Als 1926 der Deutsche Historikerverband seinen Kongreß in Breslau hielt, konnte die Historische Kommission für Schlesien den Teilnehmern Band I I ihrer besonders erfolgreichen Reihe „Schlesische Lebensbilder" sowie den Sonderdruck „Das herzogliche Archiv zu Sagan und die Manuskripte 386

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der herzoglichen Lehnsbibliothek" aus dem gemeinsam mit dem „Verein für Geschichte Schlesiens" herausgegebenen Codex diplomaticus Silesiae (Band 32: Die Inventare der nichtstaatlichen Archive Schlesiens. Kreis Sagan, hrsg. von Erich Graber) überreichen. Mit seiner Pensionierung räumte Wutke 1927 den Platz des Ersten Vorsitzenden seinem bisherigen Vertreter Seppelt, der den Vorsitz bis zum Oktober 1933 inne hatte; Zweiter Vorsitzender wurde Reincke-Bloch, den ein allzu früher Tod am 1. Januar 1929 dahinraffte. An seine Stelle trat bis zur Versetzung nach Koblenz (1935) der aus Hessen gekommene Staatsarchivdirektor Dr. Wilhelm Dersch, der dem Vorstand seit 1928 bereits als Beisitzer angehört hatte. Während die Schatzmeisteraufgaben bis 1931 unverändert bei von Eichborn und Graber lagen, erscheinen als Beisitzer nacheinander die Bibliothekare Oehler und Rother, seit 1927 neuerdings Heinrich Wendt und seit 1929 der um die Lebensbilder hochverdiente Friedrich Andreae. Vorarbeiten für das immer lebhafter als Desiderat empfundene Urkundenbuch leitete seit 1930 eine Unterkommission, die aus Wutke, Dersch und dem Privatdozenten Dr. Peter Rassow bestand. Als erster Mitarbeiter aus der jüngeren Generation trat Horst-Oskar Swientek hinzu. Für den in der Vorstandssitzung vom 8. Mai 1929 beschlossenen „Historischen Atlas für Schlesien" wurde ein Ausschuß mit Dersch, dem geographischen Ordinarius Max Friederichsen und dem Berliner historischen Geographen Walter Vogel gebildet — wenige Wochen, bevor der für landesgeschichtliche und kartographische Vorhaben besonders ausgewiesene Gießener Professor Hermann Aubin den Ruf als Nachfolger von Reincke-Bloch erhielt und annahm. Als Bearbeiter für den ersten Atlasband wurde Theodor Maschke gewonnen, an dessen Stelle 1931 und — nach einer Berliner Unterbrechung — von Oktober 1934 an endgültig Herbert Schienger trat. Seit Frühjahr 1931 gehörten dem wissenschaftlichen Gesamtausschuß der Historischen Kommission für Schlesien die beiden dem einstigen Habsburgerreich entstammenden Mediaevisten der Universität an: Hermann Aubin und der aus Berlin berufene Leo Santifaller; dieser begann mit seinen Schülern im Historischen Seminar die Untersuchung Breslauer Bischofsurkunden — gedacht als Vorarbeit für das Schlesische Urkundenbuch; jener, zunächst für drei Winter-Gastsemester in Kairo seinen Breslauer Anliegen immer wieder entführt, vertrat zusammen mit seinem jüdischen Kollegen Richard Koebner die Mediaevistik der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität auf dem Internationalen Historikerkongreß in Warschau, wo als erstes Er25*

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gebnis der schlesischen Atlasarbeit Schiengers „Friderizianische Siedlungen rechts der Oder" der Gelehrtenwelt vorgelegt werden konnten. Nach der Niederlegung des Vorsitzes durch Seppelt und dem Königsberger Beschluß des Gesamtvereins der deutschen Geschichtsvereine (Einführung des „Führergrundsatzes") übernahm Aubin durch Vorstandsbeschluß vom 15. Januar 1934 die Leitung der Historischen Kommission für Schlesien, bestätigt durch die Hauptversammlung am 24. März 1934 und nochmals aufgrund der neuen Satzung vom 23. März 1935 durch eine reguläre Wahl in der Hauptversammlung desselben Tages. Der Vorstand blieb mit Ausnahme des 1935 nach Koblenz übersiedelnden Dersch unverändert; das neue Amt des Geschäftsführers übernahm Staatsarchivassessor Dr. Karl G. Bruchmann. Dessen zusammenfassender Bericht über die Geschäftsjahre 1931—1933 führt nach der personellen Seite nur die eingetretenen Todesfälle auf; das nächste gedruckte Mitgliederverzeichnis stammt erst vom 1. Juli 1936, und so muß man aus einem Vergleich der Listen von 1930 und 1936 die Abgänge bzw. Streichungen ermitteln, welche auf die sich verschärfende Nichtariergesetzgebung der Jahre 1933—1935 zurückzuführen sind. Für die Entfaltung der wissenschaftlichen Arbeit kommt dem Jahr 1934 eine besondere Bedeutung zu. Zu der Geschäftsstelle im Staatsarchiv in der Tiergartenstraße trat eine gewichtige Außenstelle: es gelang im Oberstock des einstigen Polizeipräsidiums und nunmehrigen Seminargebäudes Schuhbrücke 49, welches u. a. das Historische Seminar mit seiner Sonderabteilung für geschichtliche Landeskunde sowie das Slawistische Seminar beherbergte, drei Räume zu gewinnen, von denen zwei dem Schlesischen Urkundenbuch (Leiter Prof. Leo Santifaller) und einer dem neuen Unternehmen „Geschichte Schlesiens" (Herausgeber Hermann Aubin) zur Verfügung standen. Als Bearbeiter des Urkundenbuches wirkte zunächst der aus Wien kommende Hanns Wohlgemuth-Krupicka, nach seinem Uberwechseln an das Breslauer Osteuropa-Institut sein Landsmann Heinrich Appelt; unter ihnen walteten eine Reihe von Promovenden, deren Arbeiten — soweit bis in den Krieg hinein veröffentlicht — in der Publikationsübersicht dieses Heftes zu finden sind. In dem Raum der „Geschichte Schlesiens" arbeiteten miteinander als Kartograph Herbert Schienger, als wissenschaftlicher Sekretär Ludwig Petry und als Übersetzer aus dem polnischen und tschechischen Fachschrifttum zunächst der Andreae-Schüler Bertold Spuler, nach ihm der Vasmer-Schüler Arnulf 388

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Schroeder. Damit waren zwei grundlegende Arbeitsvorhaben der Historischen Kommission für Schlesien institutionalisiert, welche sie — mit Teilveröffentlichungen aus den Jahren 1938, 1961, 1963, 1968 und 1971 — noch heute begleiten. 1934 fand außerdem die 1927 begonnene „Schlesische Bibliographie" mit dem Band VI/2 ihren Abschluß, kam die Vereinbarung über eine jährliche Schrifttumsübersicht in der „Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens" zustande und wurde mit einem Ergänzungsband begonnen, der die zwischen 1927 und 1933 abgeschlossenen Vorgängerbände I—VI/1 bis zum Berichtsjahr 1934 aufstocken sollte. Nicht zuletzt war 1934 das Jahr, in dem die unter Leitung von Albert Brackmann-Berlin stehende „Nordostdeutsche Forschungsgemeinschaft" mit Regionaltagungen (zuerst April 1934 in Neisse) ihre Tätigkeit aufnahm, welche die noch heute im Marburger Herder-Forschungsrat zusammenarbeitenden ostdeutschen Historischen Kommissionen in einen regelmäßigen fruchtbaren Austausch von Plänen und Forschungsergebnissen brachte. So war es eine von lockenden Vorhaben erfüllte und ersten Erfolgen beschwingte geistig vielseitige Arbeitsgemeinschaft, aus der heraus mit der vollen Schaffenskraft des gerade 50jährigen Hermann Aubin zu Anfang des Jahres 1936 seine Bilanz und Vorschau „15 Jahre Historische Kommission für Schlesien" niederschreiben konnte. Unter bewußtem Verzicht auf die Nennung irgendwelcher Namen stellt er die drei ersten Lustren der Kommission in den Zusammenhang der schlesischen Geschichtsforschung und -darstellung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und unterstreicht das einträchtige Zusammenwirken mit dem 75 Jahre älteren Verein, der einige ihn überfordernde Aufgaben an die Kommission abgegeben hatte, andere mit ihr gemeinsam durchführte und wieder andere neu mit ihr zusammen in Angriff nahm. Unter den „Schürf-, Stollen- und Aufschließungsarbeiten im Erdreich der geschichtlichen Quellen" verzeichnet er dabei mit besonderem Dank die umfassende freiwillige Mitarbeiterschaft allenthalben in der Provinz, namentlich aus Lehrerkreisen, bei der in Angriff genommenen Sammlung der Flurnamen und der alten Stadtpläne. Die Kommission am Vorabend und im Verlauf des Zweiten Weltkrieges (1937—1945) Die im Anschluß an das vorige Kapitel nunmehr zu behandelnden drei Vorkriegsjahre können unter dem doppelten Vorzeichen der Konzentration und der Entfaltung gesehen werden: Konzentration auf die beiden großen 389

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Vorhaben des Urkundenbuches und der „Geschichte Schlesiens" mit je einem eigenen Arbeitsstab sowie Entfaltung neuer Forschungsrichtungen im Zeichen der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte, wobei den betreffenden Forschern Sach- und Druckbeihilfen durch die Kommission zuteil wurden. Die bewährte Zusammenarbeit mit dem Verein für Geschichte Schlesiens auf dem Felde der laufenden Bibliographie wie der Inventarisation der nichtstaatlichen Archive setzte sich fort. Niemand ahnte, daß der Teilband X X X V I / 1 (Neisse-Stadt, 1933) der letzte ausgedruckte dieses verdienstvollen Unternehmens bleiben würde; bei dem für das Gedenkjahr 1941 unter Betreuung des Stadtarchivs angelaufenen mehrbändigen Jubiläumswerk bestand eine weitgehende personelle Verzahnung im Autorenbereich mit den Mitgliedern der Kommission. Der erste, auch Schlesien umfassende Band des von Erich Keyser herausgegebenen „Deutschen Städtebuches" (1938) durfte nicht nur aus den Materialsammlungen der Kommission schöpfen, sondern zog auch unmittelbaren Nutzen durch die Abfassung von Artikeln durch deren Mitarbeiter Hermann Uhtenwoldt. Von welcher Seite es Schwierigkeiten gab, deren Überwindung nicht allenthalben gelang, verraten die in den gedruckten Jahresberichten seit 1936 wiederkehrenden lapidaren Sätze „An dem Schlesischen Klosterbuch wurde nicht weitergearbeitet", „Ebenso ruhten die Untersuchungen über die Säkularisation der Klöster". Es war der von Parteistellen — nicht von dem maßvollen Gauleiter und Oberpräsidenten Josef Wagner — immer wieder geäußerte Verdacht einer reaktionär-klerikalen Geschichtsforschung und -Schreibung, die in wissenschaftlichen Planungen ihren Rückhalt finde; vor allem das Urkundenbuch, das stark aus der naturgemäß reicheren geistlichen Überlieferung schöpfte, hatte immer wieder gegen das Mißverständnis anzukämpfen, daß hier mit Staatsmitteln reine Bischofs- und Klostergeschichte betrieben werde. Die anfänglich in der Zeitschrift des Vereins, seit 1939 in einer eigenen Reihe erscheinenden Vorarbeiten und Teilforschungen waren dann freilich dazu angetan, solche Zweifel durch den Erweis eines künftigen reichen siedlungs- und wirtschaftsgeschichtlichen Ertrags der gesammelten, auf ihre Echtheit geprüften und in den größeren Erkenntniszusammenhang hineingestellten Dokumente zu zerstreuen. Bei der „Geschichte Schlesiens", die damit rechnen mußte, an dem zweibändigen Sammelwerk von Frech-Kampers (1913) als Vorgänger gemessen zu werden, kam ein dort vorhandenes eigenes Kapitel über das Judentum nicht in Betracht; man entschloß sich zu der Konsequenz, auch auf eine Sonderbehandlung der katholischen und evangelischen Kirchengeschichte zu 390

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verzichten, diese Teilthemen vielmehr weitgehend in die Darstellung der politischen Geschichte einzubeziehen: es traf sich daher besonders günstig, daß in dem evangelischen Sudetendeutschen Emil Schieche ein Autor für das Spätmittelalter gefunden wurde, dem die religiösen Fragen der Hussitenzeit ein besonderes Anliegen waren. Außerdem wurde im ersten, bis 1526 reichenden Bande ein eigener Abschnitt „Schlesisches Volkstum im Mittelalter" mit dem bewußt katholischen Joseph Klapper vereinbart, dessen öffentlicher Vortrag auf der Jahreshauptversammlung am 6. März 1937 „Deutsche Schlesier des Mittelalters. Nach schlesischen Klosterhandschriften" als ein Test auf die parteiamtliche Tolerierung dieses Autors gedacht war und ebenso glückte wie der Verzicht auf ein fragwürdiges Kapitel „Die rassische Zusammensetzung des Schlesiertums". Schließlich wurden die Ordinarien für Kirchengeschichte in der Katholischen wie in der Evangelischen Theologischen Fakultät regelmäßig zu den Abenddiskussionen geladen, in denen fast allmonatlich die heranreifenden Einzelbeiträge der beiden Textbände von einem sachverständigen Beraterkreis durchdiskutiert und dadurch mitgeformt wurden. Als dann die Manuskripte allmählich druckfertig eingingen, wurden sie zunächst bei den zuständigen Beratern in Umlauf gesetzt, so daß die Voten der Sprachwissenschaftler und des Anthropologen, des Redits- und Kirchenhistorikers noch einmal zur Geltung kamen, und es gehört zu Petrys schönsten Erinnerungen, daß sein im Sommer 1936 entworfenes Manuskript über die habsburgische Zeit Schlesiens mit ihren ernsten konfessionellen Spannungen bis auf kleine Änderungsvorschläge sowohl das Plazet von Franz Xaver Seppelt wie von Hans Leube fand. Als im Mai 1938 dann der erste Band der Öffentlichkeit übergeben wurde, fand er über die Anerkennung der Fachwelt hinaus bei der breiten Leserschaft in Schlesien einen solchen Anklang, daß noch im Erscheinungsjahr eine zweite, unveränderte Auflage nötig wurde. Unter den Beratern jener abendlichen Kolloquien ragten als Rechtshistoriker Theodor Goerlitz, als Wirtschaftshistoriker Heinrich Wendt, Marie Scholz-Babisdi und Kurt Gröba — dieser auch Mitautor beim zweiten Bande — hervor, denen von 1939 an die Eröffnung eigener neuer Reihen der Historischen Kommission zugedacht war. Das außenpolitisch scheinbar so erfolgreiche Jahr 1939, das mit der Zwangsschöpfung des Protektorates, dem Sieg über das isolierte Polen und der 391

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Einrichtung des Generalgouvernements der archivalischen Forschung zur ostdeutschen Geschichte zusätzliche Möglichkeiten erschloß, begann für die Kommission mit einem besonders schmerzlichen Verlust: Mitte Januar starb ihr langjähriges Mitglied Friedrich Andreae, auf Grund der Nürnberger Gesetze aus dem Lehramt entfernt und nur in dem weniger auffälligen Amt des Universitätsarchivars noch geduldet, Seele der „Schlesischen Lebensbilder" und unersetzlicher Berater der „Geschichte Schlesiens", für deren zweiten Band er unübertrefflich das Geistesleben nach 1740 gestaltete. Vom September an folgten einschneidende Einberufungen zur Wehrmacht bzw. Abkommandierungen in besetzte Gebiete, so des Zweiten Vorsitzenden Erich Randt an die Spitze des Archivwesens im Generalgouvernement, des Geschäftsführers Karl G. Bruchmann zur Leitung des Staatsarchivs Kattowitz. Der Arbeitsstab der „Geschichte Schlesiens" stand seit 1940 mit geringen, zu textlichen und kartographischen Teilarbeiten genutzten Unterbrechungen im Wehrdienst; in der durch Luftschutzanforderungen eingeengten Geschäftsstelle betreute ein über 70jähriger ehemaliger Hauptschriftleiter, Georg Fritze, aufopferungsvoll den schleppenden Fortgang des Druckes der „Schlesischen Bibliographie 1928/34" und des zweiten Bandes der „Geschichte Schlesiens"; dem Schlesischen Urkundenbuch entzog der Krieg den Hauptmitarbeiter Heinrich Appelt und weitere Helfer — im März 1943 drohte die völlige Verwaisung, als Leo Santifaller dem Ruf auf ein Wiener Ordinariat folgte. Ein Lichtblick war es, daß Heinrich Appelt die Breslauer Nachfolge erhielt und für geraume Zeit vom Militär freigestellt wurde. Bekundeten die letzten gedruckten Jahresberichte der Kommission für 1939, 1940 und 1941 noch einen gewissen Optimismus wenigstens für die Hauptvorhaben, konnte immerhin noch eine Reihe „Deutsche Rechtsdenkmäler aus Schlesien" mit einem stattlichen Bande, eine weitere („Forschungen zum Schlesischen Urkundenbuch") mit zwei wegweisenden Untersuchungen einsetzen und 1941 eine 3. Reihe „Forschungen zur schlesischen Wirtschaftsgeschichte" hinzutreten, begleitet von der gemeinsam mit dem Verein für Geschichte Schlesiens herausgegebenen ersten Lieferung von „Quellen zur schlesischen Handelsgeschichte" — so wurden die sinkenden Leistungsmöglichkeiten der Kommission und ihre personellen Engpässe spätestens vom Winter 1941/42 an unverkennbar: 1941 erschien als letzte Einzelschrift Petrys im Felde geschriebener und von Ernst Birke verlesener Vortrag zum Breslauer Stadtjubiläum. 392

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Die gemeinsam mit dem Verein betriebenen unentbehrlichen jährlichen Schrifttumsübersichten konnten noch bis zum 76. Band der Zeitschrift (1942) durchgehalten werden; die junge Forschungsstelle zur schlesischen Wirtschaftsgeschichte verlor durch tückische Krankheit im April 1943 Kurt Gröba, durch Partisanenanschlag am Weihnachtsabend 1943 Hans Wilhelm Büchsei, so daß ihr nur der ebenfalls vom Wehrdienst beanspruchte Heinrich Kramm verblieb. Die im Juli 1940 druckfertige Bibliographie für 1928—34 kam, aufgehalten durch Firmen Wechsel, Bleimangel und Papiersperren, erst im Dezember 1944 — zu spät für ihre Erhaltung — zur Buchbinderei. Der allmählich in Fahnen bzw. Manuskripten vorliegende Band I I der „Geschichte Schlesiens" gelangte infolge einer amtlichen Papierbeschlagnahme nicht mehr zum Umbruch und Ausdruck. Es berührt wie ein Todesurteil für alles seit Jahren von der Kommission Begonnene und Betreute, wenn der über 75jährige Georg Fritze am 29. Dezember 1944 aus Breslau an den damals im Elsaß eingesetzten einstigen Sekretär schrieb: „Die Geschichte Schlesiens stockt noch immer, da das Druckverbot trotz aller Bemühungen Aubins und des Verlags nicht aufgehoben ist, ein Antrag bei der Zentrale in Berlin ablehnend beschieden wurde." Zwei Wochen später begann der unaufhaltsame russische Vormarsch gegen Schlesien. Soweit die gesammelten Materialien, Druckfahnen, Fotos und Archivbestände nicht schon in der „Festungszeit" Opfer der Kampfhandlungen wurden, senkte sich in den Verwahr- und Auslagerungsorten über sie die große Ungewißheit, was der Eroberer mit ihnen beginnen werde. Das Schicksal der in Jahrzehnten mühevoll aus Dutzenden europäischer Archive von Hermann Markgraf, Heinrich Wendt und Marie Scholz-Babisch zusammengetragenen Zehntausenden von Zettelregesten zur schlesischen Handelsgeschichte liegt noch heute im Dunkel. Offenkundig verloren gingen die von Ernst Maetschke begonnene und von Arthur Zobel tatkräftig fortgesetzte Zentralsammlung von über 82 000 Flurnamen aus 2 850 Orten und die auf Gustav Schoenaich zurückgehenden Unterlagen über die Verzeichnung der alten Stadtpläne. Vermißt werden ebenso bis heute die von Herbert Schienger in der Tschechoslowakei deponierten vollständigen Kartenentwürfe zum Bande I I der „Geschichte Schlesiens"; gleichermaßen gehört zu den Verlusten das von Max-Josef Midunsky bereits druckfertig vorgelegte Register zu deren Bande I. Die Träger der bisherigen vielgegliederten Arbeit, unter denen in den letzten Kriegs- und Fluchtmonaten der Tod eine besonders schmerzliche Ernte hielt, 393

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waren in östliche oder westliche Gefangenschaft geraten oder mittellos in entlegene Aufnahmegebiete zerstreut — knapp ein Vier tel jahrhundert nach ihrer Begründung in ebenfalls schwerer Zeit schien die Geschichte der Historischen Kommission für Schlesien eindeutig abgeschlossen zu sein. Die beiden jüngsten Jahrzehnte 1951—1971 Dem in seiner Tatkraft ungebrochenen und in der Fülle seiner Anregungen unerschöpflichen Ersten Vorsitzenden Hermann Aubin, seit 1946 Inhaber des Hamburger Ordinariats für mittelalterliche Geschichte, verdankt die Historische Kommission für Schlesien die Wiederaufnahme der Arbeit nach dem Krieg. Sie begann 1950 mit der Gründung des Marburger Johann Gottfried Herder-Institutes und des gleichnamigen Forschungsrates in dessen Rahmen. In unverminderter Schaffenskraft stellte sich Aubin wieder an die Spitze der verstreuten Mitglieder, deren Zahl auf rund 100 zusammengeschmolzen war. Ihm zur Seite trat der gerade aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Herbert Schienger, der noch kurz vor Kriegsende zum api. Professor ernannt worden war und nun seine Umhabilitation nach Marburg vollzog. Zuerst galt es, die organisatorischen Grundlagen für eine fruchtbare Aufbauarbeit zu schaffen. Nach längerer Vorbereitung trat in Verbindung mit dem Deutschen Historikertag am 15. September 1951 die erste ordnungsgemäß einberufene Hauptversammlung in Marburg zusammen. Auf ihr gab Professor Aubin einen Überblick über das Schicksal der Kommission seit dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere seit dem ersten Zusammentritt nur weniger Mitglieder im Herbst 1950, und über die Zusammenarbeit mit den anderen ostdeutschen Historischen Kommissionen. Sein besonderer Dank galt dem bisherigen Geschäftsführer Staatsarchivdirektor a. D. Dr. Karl G. Bruchmann, der inzwischen Direktor der städtischen Kulturinstitute in Goslar geworden war. Mit Erschütterung gedachte man des Verlustes von 80 Toten, den die Kommission seit 1940 zu beklagen hatte. Ihnen widmete Aubin Worte ehrenden Gedenkens. Die vorgeschlagenen Satzungsänderungen wurden von der Mitgliederversammlung beraten und gebilligt. Als Sitz der Historischen Kommission wurde Marburg, der Sitz des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates, bestimmt, welcher Dachorganisation auch für die anderen ostdeutschen Historischen Kommissionen wurde. 394

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Da Aubin bat, vom Amt des Ersten Vorsitzenden entbunden zu werden, um der jüngeren Generation den Weg freizugeben, wurden auf seinen Vorschlag Herbert Schienger zum 1. Vorsitzenden, Ludwig Petry (nach kurzem Wirken an der Universität Gießen und am Pädagogischen Ausbildungslehrgang Fulda seit 1. Januar 1950 Professor für mittlere und neuere Geschichte und Geschichtliche Landeskunde an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz) zum 2. Vorsitzenden gewählt. Die Aufgaben des Geschäftsführers übernahm der 1. Vorsitzende. Einstimmig trug die Versammlung Hermann Aubin an, den Ehrenvorsitz zu übernehmen. Die langjährige Zusammenarbeit der beiden neuen Vorstandsmitglieder im Dienst der Kommission ließ hoffen, daß diese in der Lage sein werde, die sich ihr entgegenstellenden Schwierigkeiten zu überwinden und die Voraussetzungen für eine dauerhafte Weiterführung ihrer alten Aufgaben auch in der neuen Umwelt zu schaffen. Diese Erwartung hat sich vollauf bewährt, auch als Herbert Schienger im November 1952 für ein Jahr eine Gastprofessur in Köln übernahm, im Frühherbst 1954 einem Ruf auf das geographische Ordinariat in Graz und im Herbst 1957 auf das in Kiel folgte. Die Aufgaben, die Schienger der Historischen Kommission gestellt sah, hat er nach zweijähriger Amtsführung selbst folgendermaßen formuliert: „Einmal will sie die noch vorhandenen, über die Vertreibung geretteten Manuskripte der wissenschaftlichen und breiteren Öffentlichkeit im Druck zugänglich machen, zum andern will sie neue, den jetzigen Umständen angepaßte Forschungsarbeiten einleiten und fördern." Die am Ende dieses Heftes gebotene Übersicht über die Veröffentlichungen der Kommission seit 1951 läßt sich hiernach in vier Gruppen gliedern. Den beiden von Schlenger angesprochenen Zielsetzungen dienen die zwei zuerst aufgeführten, bereits auf eine stattliche Zahl von Nummern angestiegenen Reihen: innerhalb der vom Marburger Herder-Institut herausgegebenen Reihe „Wissenschafdiche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas" die einen früheren Titel aufnehmende Bandfolge „Einzelschriften der Historischen Kommission für Schlesien" sowie die mit einer Begriffsumstellung an die verdienstvolle einstige Buchfolge des Vereins für Geschichte Schlesiens anknüpfende Reihe „Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte". In der Folge der „Einzelschriften" stellen die Arbeiten von Kirchner sowie von Curt und Lotte Liebich Publikationen von älteren Manuskripten dar — den Hauptblock bilden die in entsagungsvoller Kleinarbeit erstellten biblio395

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graphischen Bände von Herbert Rister, mit denen sowohl das gesamte, auch fremdsprachige Schrifttum über Schlesien bis zum Erscheinungsjahr 1957 erfaßt, wie auch die am Kriegsende schon einmal geschlossene Lücke für 1928—1934 endgültig beseitigt ist. Schlesien gehört damit zu den bibliographisch am besten erschlossenen Geschichtslandschaften Mitteleuropas. In regelmäßiger Folge hat Herbert Rister auch in der „Zeitschrift für Ostforschung", dem 1952 begründeten wissenschaftlichen Organ des HerderForschungsrates, Auswahlbibliographien über Schlesien veröffentlicht; nicht zuletzt ist es sein Verdienst, daß mit den Seiten 154—217 Schlesien in der von Heinrich Jilek, Herbert Rister und Hellmuth Weiss bearbeiteten „Bücherkunde Ostdeutschlands und des Deutschtums in Ostmitteleuropa" (Köln/ Graz 1963) seiner Bedeutung entsprechend vertreten ist. Die — in vorläufiger Uberspringung der Nummern 8 und 9 — inzwischen auf 15 Bände gediehene Reihe „Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte"* war infolge der Vielzahl der Autoren und Themen ein besonderes Sorgenkind des Vorstandes, das jedoch auch entsprechende Freude bereitete. Schon zu Weihnachten 1951 konnte der erste Band, die Breslauer Habilitationsschrift (1943) von Hans Tintelnot, herauskommen; ihm folgten als weitere gerettete und nun zum Druck ergänzte Manuskripte die Bände 2 (Adolf Geßner), 3 (Hans Bahlow), 4 (Helmut Gumtau), 6 (Curt Liebich), 7 (Theodor Goerlitz I), 10 (Kurt Engelbert — August Müller) und 12 (Waldtraut Meyer) ; mit Band 5 (Gottfried Kliesch) setzte die durch Band 11 (Josef Joachim Menzel) und 14 (Otto Bardong) fortgeführte Folge Grazer und Mainzer Dissertationen ein, deren Verfasser in zwei Fällen gebürtige Schlesier, in einem ein für das schlesische Thema gewonnener Westdeutscher sind; Band 13 (Klemens Wieser) verkörpert den Typ eines archivalischen Findbehelfes, der Mut zu Arbeiten über schlesische Themen aus ungedruckten Quellen diesseits des Eisernen Vorhangs macht; Band 15 schließlich (Gerhard Wacke) ist in Verwertung einstiger Bestände des Breslauer Staatsarchivs als historisch-rechtswissenschaftliche Untersuchung eines vor der Emeritierung stehenden Hamburger Ordinarius ein bewegendes Zeugnis der Verbundenheit mit der unvergessenen Heimat. Diesen beiden ansehnlichen Buchreihen gegenüber kommen die anderen Publikationen der beiden jüngsten Jahrzehnte zahlenmäßig nicht auf, sind jedoch ihrer Tradition und ihrer Planung nach von eigenem Gewicht. Vorweg sei des neuen Bandes der „Schlesischen Lebensbilder" als Fortsetzung *) Im Verlage Holzner (Kitzingen), dann Würzburg.

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der vier Vorkriegsbände gedacht, dessen Verwirklichung ein Hauptverdienst des zeitweiligen Kommissionsassistenten Dr. Helmut Neubach ist; ob er in der bisherigen Weise mit einem 6. Band fortgeführt wird — an Themen und Bearbeitern dafür fehlte es nicht — oder ob der schon 1939 erwogene Gedanke einer „Schlesischen Biographie" in den Vordergrund rückt, bedarf noch sorgfältiger Überlegung. Die mit hoher Genugtuung zu verzeichnende Hauptleistung der Kommission in der Nachkriegszeit jedoch ist die Wiederingangsetzung der Arbeit am Schlesischen Urkundenbuch, dessen erster, bis 1230 reichender Band in diesem Jahr (nach Vorausgang zweier Lieferungen 1963 und 1968) abgeschlossen vorgelegt werden kann. Dank der Tatsache, daß Filme vom Großteil der schlesischen Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts aus den noch in Schlesien durchgeführten Vorarbeiten nach außerhalb verlagert worden waren, konnte Heinrich Appelt 1954 damit beauftragt werden, die Herausgabe des Urkundenbuchs in die Wege zu leiten. Zu diesem Zweck wurde in Graz — dem ersten Wirkungsort von Appelt nach dem Kriege — eine Arbeitsstelle eingerichtet, an der als Mitarbeiter mehrere Jahre hindurch Frau Dr. Annelies Pferschy und Herr Dr. Josef Joachim Menzel tätig waren. Zuerst galt es, wieder einen technischen und wissenschaftlichen Arbeitsapparat aufzubauen. Insgesamt handelte es sich um etwa 14 000 Leicaaufnahmen, die für die Bearbeitung zur Verfügung standen. Von den Filmen wurden Abzüge hergestellt, wovon eine Ausfertigung für die allgemeine Benutzung dem Archiv des Herder-Instituts in Marburg übergeben wurde. Gewisse Schwierigkeiten ergaben sich aus dem Fehlen von Urkunden der Bischöfe von Breslau, die seinerzeit noch auf Platten aufgenommen worden, jetzt aber dem Bearbeiter unzugänglich waren. Abzüge davon waren in den letzten Kriegsmonaten zusammen mit der gesamten Materialsammlung für das Urkundenbuch auf das Gut Ober Stephansdorf bei Neumarkt gebracht worden und dienten anscheinend als Fundgut für den verhältnismäßig rasch erstellten „Codex diplomaticus nec non epistolaris Silesiae" des aus Lemberg nach Breslau übergesiedelten Karol Maleczyùski. Seine Edition — bis 1227 reichend — scheint freilich mit dem Tod des Bearbeiters zum Erliegen gekommen zu sein und vermag dem Eigenwert der über 1227 hinausreichenden deutschen Edition auch deshalb keinen Abbruch zu tun, weil MaleczyAski nicht in jeder Hinsicht als zuständiger Fachmann für die Bearbeitung eines Codex Diplomaticus Silesiae gelten konnte, vielmehr die in den Einleitungen zu seinen drei Bänden gebotenen Übersichten, Tabellen und Pro397

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zentrechnungen vom methodischen Standpunkt aus nicht immer unproblematisch sind. Für die Bearbeitung der bisher drei deutschen Lieferungen bedeutete es eine große Erleichterung, daß Professor Dr. Dr. Bernhard Panzram (Freiburg/ Br.) der Grazer bzw. — nach der Berufung Appelts auf den Lehrstuhl Santifallers — Wiener Arbeitsstelle die Fotokopie einer Abschrift des durchschossenen Handexemplars der Regesten aus dem Staatsarchiv Breslau zur Verfügung stellte, welche dieser sich auf seine Kosten hatte herstellen lassen und welche die vielen zusätzlichen Eintragungen enthielt, die verschiedene schlesische Urkundenforscher in das Staatsarchiv-Exemplar Breslau gemacht hatten. Die heutige Wiener Arbeitsstelle, in der als Appelt-Schüler Franz Dirnberger die Urkundenfälschungen des Klosters Leubus als (noch ungedruckte) Dissertation untersuchte und die mühevolle Registerarbeit für den ersten Band des Urkundenbudies durchführte, konnte inzwischen dank einer großzügigen Bewilligung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ihre Forschungen über das Endjahr des ersten Bandes (1230) hinaus erstrecken und einen zweiten, nach Möglichkeit bis 1250 reichenden Band des Urkundenbudies in Angriff nehmen. Die Druckkosten für den 1971 abgeschlossenen ersten Band hat dankenswerterweise ebenfalls die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt. Für Band I I ist in der Hauptsache der Deutschmähre Winfried Irgang, ein Mainzer Petry-Schüler, tätig. Das zweite Hauptunternehmen der Kommission aus den 30er Jahren — die dreibändige „Geschichte Schlesiens" — hat eine nicht minder wechselvolle und im ganzen bisher nicht so günstige Entwicklung genommen. Das liegt nur zum kleineren Teil an finanziellen Engpässen, in der Hauptsache am Verlust von Manuskripten, Karten und Fahnen durch das Kriegsende, am Tode früherer Autoren und an enttäuschenden Absagen schon gewonnener neuer Mitarbeiter. Die Verlagsrechte gingen zunächst an den BrentanoVerlag in Stuttgart, dann an den Blaeschke-Verlag in Darmstadt über. In Stuttgart erschien bei Brentano 1961 in dritter Aufläge der viel gefragte erste Band, unverändert bis auf den einstigen Beitrag von Hans Seger über die Vorgeschichte, welche nach dem besonders raschen Fortgang der Forschung auf diesem Arbeitsfeld von Otto Kleemann neu geschrieben wurde. Für den zweiten — von 1526 bis zum 20. Jahrhundert geplanten — Band waren einige Fahnen gerettet, für die restlichen Abschnitte neue Bearbeiter gewonnen und die vernichteten Schwarz-Weiß-Karten wieder in Angriff 398

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genommen worden; audi stand der Kommission seit 1962 in Dr. Helmut Neubadi halbtägig ein wissenschaftlicher Assistent zur Verfügung, dessen Hauptaufgabe die Redaktion der „Schlesischen Lebensbilder BandV" sowie die Unterstützung der Autoren der „Geschichte Schlesiens" war. Nacheinander mußte die Kommission die Absage jener Bearbeiter entgegennehmen, welche für die politische und wirtschaftliche Geschichte sowie die Entwicklung von Österreichisch-Schlesien nach 1740 in Aussicht genommen waren; in Hermann Aubin und Herbert Schienger raffte im Winter 1968/ 69 der Tod zwei Herausgeber und Mitarbeiter hinweg, denen Dagobert Frey schon sechs Jahre zuvor vorangegangen war; schließlich schied zum 1. Oktober 1968 Helmut Neubach aus dem Dienst der Kommission, um seine Beamtensicherung im Schuldienst zu erreichen. Als einzig verbliebener Herausgeber mußte sich Petry zu dem von Herbert Schienger schon angebahnten Schritt entschließen, eine Teilung des Textbandes I I mit dem Grenzjahr 1740 vorzunehmen, wobei der dem ersten Band völlig fehlende, dem dritten vorbehaltene kritische Apparat von den noch lebenden Autoren (Petry für die Politische Geschichte von 1526—1740, Hans M. Meyer für das Geistesleben, Fritz Feldmann für die Musikgeschichte dieser Zeit) dem jeweiligen Beitrag angefügt werden soll, während für die Abschnitte der verstorbenen (Aubin für die Wirtschaft, Frey für die Kunst 1526—1740) ein kurzer Anhang über den Gang der Forschung seit 1945 berichten soll. Für die Bildbeigaben bietet die Fotosammlung des Marburger Herder-Institutes eine hinreichende Auswahl, die Karten dürften aus Vorarbeiten von Herbert Schienger und Karteningenieur Heinz HinkelMarburg zu gestalten sein. Damit läge — wie wir lebhaft hoffen — vom Jahre 1972 an wenigstens ein geschlossener Band I I a für die Zeit von 1526— 1740 vor. Wie sich dann ein Band I I b für die Zeit von 1740—1945 verwirklichen läßt, muß vorerst noch offen bleiben; die Kommission wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um hierfür aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs — auch außerschlesischer Herkunft — geeignete Bearbeiter zu gewinnen und aussagekräftige Quellen diesseits des Eisernen Vorhangs zu erschließen — eine auf lange Sicht angelegte und zweifellos kostspielige Aufgabe, sofern der Zugang zu den in Schlesien erhaltenen Quellen weiterhin den bisherigen Schwierigkeiten unterworfen bleibt. Die beachtlichen Veröffentlichungen der Jahre 1951—1971 spiegeln jedoch nur einen Teil der Kommissionsbemühungen in dieser Zeit. Zu ihren unab399

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dinglichen Aufgaben gehört von der Satzung her die Veranstaltung von Mitgliederversammlungen, von der Zielsetzung her die Ermittlung und ggf. Publikation von erreichbaren Quellen für künftige Forschungen zur schlesischen Geschichte. In der Satzung von 1951 war für Mitgliederversammlungen kein enger Turnus vorgeschrieben, Herbert Schienger hat aus Ersparnisgründen ein Jahrzehnt lang keine solche Versammlung einberufen, damit freilich auch die Ergänzung und Verjüngung der Kommission durch Zuwahlen hintangestellt. Erst 1962 — mit der Bewilligung eines halbtägigen Kommissionsassistenten und der Notwendigkeit, Band I I der „Geschichte Schlesiens" intensiver voranzutreiben, kam es mit Unterstützung des bisherigen Goslarer Kulturreferenten und nunmehrigen Bundesarchivdirektors Karl G. Bruchmann im Oktober in Goslar zu einer Mitgliederversammlung (mit Vorträgen), der im März 1963 eine Zusammenkunft der Mitarbeiter und Berater der „Geschichte Schlesiens" in Mainz und im Oktober 1964 eine weitere Mitgliederversammlung in Dortmund (mit Unterstützung des dortigen Archivdirektors Horst-Oskar Swientek und Bibliotheksdirektors Hans M. Meyer) folgten. Als neue Mitglieder wurden auf den Hauptversammlungen von Goslar und Dortmund gewählt: Oberarchivrat Dienwiebel-Koblenz, Staatsarchivrat Dülfer-Marburg, Studienrat Eistert-Braunschweig, Oberstudiendirektor Jäkel-Diepholz, Sektionsrat Klein-Bruckschwaiger-Wien, Fräulein Kustodin Lewald-Bonn, Dr. Ing. Liebich-Wolfenbüttel, Dr. Menzel-Graz, Bibliotheksdirektor Meyer-Dortmund, Rektor Rcnge-Bottrop, Oberbibliotheksrat Samulski-Münster, Archivar Walter-Köln, Oberarchivrat Wann-Würzburg, Archivdirektor Zimmermann-Berlin (Vornamen, volle Titel und genaue Anschrift sind aus dem Verzeichnis am Schluß dieses Berichtes zu entnehmen). Nach über vierjähriger Pause wurde durch den Tod des 1. Vorsitzenden Herbert Schienger am 3. Dezember 1968 eine weitere Mitgliederversammlung notwendig, die am 5. Juni 1969 in Marburg stattfand; sie erbrachte die Wahl eines neuen Vorstandes (1. Vorsitzender der bisherige Stellvertreter Ludwig Petry, 2. Vorsitzender der Leiter des Schlesischen Urkundenbudis Heinrich Appelt-Wien, Geschäftsführer Dr. Josef-Joachim Menzel, damals Assistent, inzwischen Professor an der Universität Mainz), die Verlegung der Geschäftsstelle von Kiel nach Mainz, die Zuwahl von Dr. Helmut Neubach als Mitglied sowie eine Ergänzung des Satzungsparagraphen 2: „In denjenigen Jahren, in denen eine Hauptversammlung nicht stattfindet, 400

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kann die Zuwahl von Mitgliedern auch schriftlich im Umfrageverfahren erfolgen." Die jüngste Hauptversammlung fand am 17. Juli 1970 in Würzburg im Rahmen der Jahrestagung des Kulturwerks Schlesien statt und brachte die formale Anpassung der Paragraphen 1 und 10 an das vom Finanzamt und Registergericht erstellte Muster, womit die Kommission vom zuständigen Finanzamt Gießen am 6. November 1970 die Anerkennung als gemeinnützig erwirkte. Die Kommission zählt zur Zeit 54 beitragsfreie Mitglieder und einen Förderer, die Stadt Goslar als Patenstadt von Brieg, mit einem Jahresbeitrag von D M 100,—. Die Frage wird zu prüfen sein, ob der seit 50 Jahren geübte Grundsatz, daß die Mitgliedschaft auf Zuwahl als Ehrung wissenschaftlicher Leistungen beruht oder ob eine freie Eintrittsmöglichkeit mit Beitragspflicht geschaffen werden soll — beide Möglichkeiten werden heute von ostdeutschen Historischen Kommissionen gehandhabt; jedenfalls besteht begründete Hoffnung, daß auf Grund der Gemeinnützigkeit und damit Steuerabzugsfähigkeit weitere westdeutsche Patenstädte schlesischer Orte nach dem Vorbild von Goslar sich zu einer regelmäßigen finanziellen Förderung der Kommission bereit finden werden. Die Ermittlung ergiebiger Quellen für künftige Forschungen zur schlesischen Geschichte ist zunächst im Rahmen der Initiative des Herder-Forschungsrates zu sehen, der Jahre hindurch unter der Leitung von Staatsarchivdirektor Prof. Dr. Kurt Dülfer eine „Inventarisation Ost", d. h. eine Bereisung von Archiven der Bundesrepublik durchgeführt hat mit dem Ziel der Erfassung von Fonds, die für die ostdeutsche und ostmitteleuropäische Geschichte ergiebig erscheinen. Diese auch Karten umfassende Ermittlungen sind inzwischen abgeschlossen. Das in Marburg deponierte Verzeichnis erlaubt mannigfache Ansätze einschlägiger Forschungen. Allerdings waren seiner Ausführlichkeit Grenzen gesetzt, so daß Sondererhebungen an bestimmten Orten für die Zwecke der Historischen Kommission von vornherein geboten erschienen. In Nürnberg, wo schon die „Schlesischen Handelsregesten" in den 30er Jahren eine reiche Ernte eingebracht hatten, stand für eingehende Ermittlungen in dem pensionierten Stadtarchivar Dr. Rudolf Wenisch eine ausgezeichnete Kraft zur Verfügung, der bis zu seinem Tode im Jahre 1967 folgende, heute in Marburg deponierte Bestände abschrieb bzw. in Regesten umsetzte: Briefwechsel der Markgrafen Georg und Georg Friedrich von Brandenburg in 26 Breslau

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schlesischen Angelegenheiten, Schlesien in den Nürnberger Ratsverlässen 1449—1808 sowie in den Nürnberger Ratsbüchern 1400—1619, Abrechnungen verschiedener Herrschaften aus dem 16. Jahrhundert; Urbare, Taxationen, Inventare, Instruktionen und Bestallungen aus dem 16. Jahrhundert; vor allem die von Walter Kuhn beabsichtigte kommentierte Ausgabe oberschlesischer Urbare (mit reichem Namenmaterial) verspricht wertvolle Erkenntnisse über das Teschener Schlesien, besonders die dortigen Standes- und Minderherrschaften. Da die Dülfersche Inventarisation sich auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt, sind außerhalb dieses Bereiches über etwa gedruckte Inventare hinaus archivalische Erhebungen geboten und aussichtsreich. Für das Deutschordenszentralarchiv in Wien hat die Kommission mit dem Buch von Klemens Wieser eine positive Probe bereits vorgelegt. Für andere Wiener Archive hat Franz Dirnberger auf der Studentenarbeitstagung des Kulturwerks Schlesien in Würzburg im Juli 1970 bedeutsame Quellen aus dem Mittelalter und der Frühneuzeit namhaft gemacht. Daß Archivstudien in Eisenstadt und in Linz für ostmitteldeutsche Handelsgeschichte sich lohnen, haben Veröffentlichungen von Harald Prickler über den burgenländisch-westungarischen Weinhandel und von Franz Fischer über den oberösterreichischen Sensenhandel dargetan. In römischen Archiven sind im Jahre 1970 Materialsammlungen zur schlesichen Geschichte des 15. Jahrhunderts angelaufen, deren Fortführung im wesentlichen eine Finanzfrage ist. In Stockholm wartet der Nachlaß des Wasa-Prinzen Bischof Karl Ferdinand von Breslau (1625—1655), in südeuropäischen Archiven entsprechendes Material zur Geschichte der um 1700 mit Schlesien verbundenen Pfalz-Neuburger der Auswertung. Die Ausschöpfung solcher Möglichkeiten erfordert freilich Geduld, langen Atem und angemessene Geldmittel für Archivreisen, Verfilmungen und Ubersetzungen, verspricht aber auch ertragreiche Arbeitsfelder auf viele Jahre hin. Die Anstrengungen etwa im heutigen Volkspolen und der aus Ostblockstaaten stammenden Exilwissenschaftler beispielsweise in England und den USA sollten uns nachdenklich stimmen und zum Wetteifer aufrufen, vielleicht könnten sie ein Hoffnungszeichen späterer fruchtbarer Zusammenarbeit sein. Versucht die Historische Kommission für Schlesien an der Schwelle des sechsten Jahrzehnts ihres Bestehens in Rückblick und Vorschau eine Bilanz zu ziehen, so hätte diese im Zeichen des Dankes und der Sorge zugleich, 402

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nach der personellen wie nach der finanziellen Seite, zu stehen. Der Dank gilt einmal den beiden bisherigen Ersten Vorsitzenden, die den Weg der Kommission seit 1929/30 begleitet haben. Mußten wir dem Tode Hermann Aubins im biblischen Alter von 83 Jahren gefaßt entgegensehen, in dem Bewußtsein noch lange von seinen Forschungen und Anstößen zehren zu können, so traf uns der Tod von Herbert Schienger im Alter von erst 64 Jahren als ein unerwartet harter Schicksalsschlag — manche unserer Pläne können nicht mehr mit der Wissensfülle und methodischen Verläßlichkeit fortgeführt werden, die ihm eigen waren; daß wir in unserem Bemühen nicht nachlassen, ist zu einem guten Teil in seinem verpflichtenden Vorbild begründet. Unser Dank gilt ferner den nach dem Zusammenbruch wiedererstandenen oder neu geschaffenen wissenschaftlichen Einrichtungen, die wir nicht als Konkurrenten, sondern als gleichstrebende Helfer empfinden: Dem von unserem Mitglied Joseph Gottschalk umsichtig betreuten „Archiv für schlesische Kirchengeschichte", dem evangelischen Verein für schlesische Kirchengeschichte mit seinem von unserem Mitglied Gottfried Hultsch ebenfalls ökumenisch geleiteten „Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte", dem unter unserem Mitglied Hans Jessen als Herausgeber nun schon dem 16. Jahrgang zustrebenden „Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität", das diesem 50-Jahresbericht freundicherweise zur Veröffentlichung verhilft, und schließlich dem von unserem Mitglied Karl Schodrok begründeten „Kulturwerk Schlesien" in Würzburg mit seiner vorbildlichen kulturellen Vierteljahresschrift „Schlesien", die auch schon 16 gediegene Jahrgänge aufweist. Dem Kulturwerk gebührt ein besonderer Dank für die alljährlich seit 1960 veranstalteten Studentenarbeitstagungen, die unter der Leitung von Ernst Birke zunehmend auch junge Nichtschlesier an unsere Anliegen heranführen. Sie haben doppeltes Gewicht erhalten, seit mit dem Tode Herbert Schiengers die zuvor halbjährlichen Marburger Nachwuchstagungen für die Ostforschung allgemein auf eine einzige Jahrestagung zusammengeschrumpft sind. Damit stehen wir bei dem abschließenden Thema: Dank und Sorge im Blick auf die Zukunft. Wir haben zu danken jungen Historikern und Vertretern benachbarter Fächer, welche — schlesischer, aber auch nichtschlesischer Herkunft, im Besitz slawischer Sprachkenntnisse oder um solche bemüht — Themen schlesischer Geschichte vorgenommen haben. Wir brauchen von dieser Seite her keinen Kontinuitätsbruch zu befürchten, wenn kein aus 26*

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Schlesien Stammender oder mit Schlesien noch persönlich vertraut Gewordener mehr am Leben ist. Wir stehen aber vor der großen Sorge, wie wir solche wertvollen Forschungsergebnisse durch Reisebeihilfen ermöglichen und durch Druckzuschüsse zur Veröffentlichung bringen sollen. Die seit mehr als einem Jahrzehnt — bei ständig steigenden Reise-, Geschäftsführungsund Druckkosten — praktisch stagnierenden öffentlichen Zuschüsse erlauben bei dem jetzigen Stand der Dinge pro Jahr gerade die Publikation eines einzigen Bandes unserer anerkannten Reihe „Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte". Für den Fortgang des Urkundenbuches sind wir dankbar und erleichtert, für einige Jahre voraussichtlich die unentbehrliche Stütze durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu genießen. Alles andere ist auf einen Jahresbetrag von rund 10 000 D M gestellt, wobei die Frage eines Honorars für die oft nur in Nacht- und Ferienstunden zu bewältigende wissenschaftliche Leistung noch gar nicht berührt ist. Allein aus der „Mainzer Schule", wenn dieser Ausdruck einmal gestattet ist, sind binnen Jahresfrist drei für die Reihe „Quellen und Darstellungen" vorbestimmte Arbeiten abgewandert: Die Habilitationsschrift von Dr. Konrad Fuchs über die oberschlesische Wirtschaft 1740—1870 ist aus Mitteln der Forschungsgemeinschaft und des Verfassers gesondert erschienen (gerade die Kosten für drei beigegebene Karten hat die Kommission beisteuern können), die aus den Königsberger Beständen des staatlichen Archivlagers Göttingen schöpfende Dissertation von Christel Krämer „Beziehungen zwischen Albredit von Brandenburg-Ansbach und Friedrich I I . von Liegnitz im Spiegel ihrer Korrespondenz" erscheint in den Veröffentlichungen der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz", und die aus den Schätzen des Deutschordenszentralarchivs Wien gespeiste Dissertation von Winfried Irgang „Die Deutschordensherrschaft Freudenthal von 1621—1740" kommt in den „Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens" heraus. Die Historische Kommission muß noch mehr solcher Jahre entgegensehen, wo sie drei- und viermal soviel an geeigneten Arbeiten für ihre Buchreihe verzeichnen kann, als ihr zu finanzieren möglich ist — müssen doch alle aus dem Verkauf dieser Werke rückfließenden Erlöse wieder an den staatlichen Geldgeber zurückerstattet werden. So überschreitet die Historische Kommission für Schlesien die Schwelle zum sechsten Jahrzehnt und zweiten Halbjahrhundert ihres Bestehens im Bewußtsein eines reichen Arbeitsfeldes, im begründeten Vertrauen auf rührige und opferbereite Mitarbeiter, aber auch in tiefer Sorge über die finanziellen Engpässe, in denen sie sich befindet. Die Bereitschaft zu weiterem Dienst 404

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an den vorliegenden vielfältigen Aufgaben braucht mehr als nur ein platonisches Echo — sie bedarf konkreter Hilfe aus der festen Uberzeugung heraus, daß die Beschäftigung mit schlesischer Geschichte ein uns Deutschen auch in Zukunft aufgegebenes Thema deutscher und europäischer Geschichte bleibt. Veröffentlichungen I n Schlesien bis zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges 1. Regesten zur Schlesischen Geschichte (gemeinsam mit dem Verein für Geschichte Schlesiens) 1334—1337 ( = Codex diplohiaticus Silesiae X X I X ) hrsg. von Konrad Wutke in Verbindung mit Erich Randt und Hans Bellée 1922/1923 1338—1342 ( — Codex diplomaticus Silesiae X X X ) hrsg. von Konrad Wutke und Erich Randt 1925/1930 2. Quellen zur Schlesischen Handelsgeschichte bis 1526 (gemeinsam mit dem Verein für Geschichte Schlesiens) l.Band, 1. Lieferung, bearbeitet von Marie ScholzBabisdi und Heinrich Wendt ( = Codex diplomaticus Silesiae II. Reihe, 1. Abteilung, 1. Band) 1940 3. Schlesische Lebensbilder 1. Band Schlesier des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Max Hippe, Otfried Schwarzer, Heinrich Wendt, 1922 2. Band Schlesier des 18. und 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Max Hippe, Paul Knötel, Otfried Schwarzer, 1926 3. Band Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Max Hippe, Paul Knötel, Otfried Schwarzer, 1928 4. Band Schlesier des 16. bis 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Andreae, Erich Gräber, Max Hippe, 1931 5. Band s. unten, Veröffentlichungen nach 1945 4. Die Inventare der nichtstaatlichen Archive Schlesiens (gemeinsam mit dem Verein für Geschichte Schlesiens) Kreis Sprottäu, hrsg. von Erich Graber ( = Codex diplomaticus Silesiae, Bd. X X X I ) 1925 Kreis Sagan, hrsg. von Erich Graber ( = Codex diplomaticus Silesiae, Bd. X X X I I ) 1927 Kreis Neustadt, (1. Landgemeinden und Dominien; 2. Städte) hrsg. von Erich Graber ( = Codex diplomaticus Silesiae, Bd. X X X I I I ) 1928 Kreis Habelschwerdt, hrsg. von Erich Graber ( = Codex diplomaticus Silesiae, Bd. X X X I V ) 1929 Kreis Jauer, hrsg. von Erich Graber ( = Codex diplomaticus Silesiae X X X V ) 1930 405

Ludwig Petry und Herbert Schienger f Neisse. Stadt Neisse. 1. Heft, hrsg. von Erich Graber ( = Codex diplomaticus Silesiae, Bd. X X X V I , 1) 1933 5. Wie sammle idi Flurnamen? Eine Einleitung von Fritz Geschwendt, 1925 6. Schlesischer Flurnamen-Sammler, hrsg. von Ernst Maetschke. Nr. 1—16, 1925— 1939 7. Literatur zur Schlesischen Geschichte 1. Für die Jahre 1920—1922 von Hans Beilee, 1924 2. Für die Jahre 1923—1925 von Hans Bellée, 1927 3. Für die Jahre 1926—1927 von Hans Jessen, 1928 8. Schlesische Bibliographie 1.Band Bibliographie der Schlesischen Geschidite, von Viktor Loewe, 1927 2. Band Bibliographie der Sdilesischen Vor- und Frühgeschichte von Ernst Boehlich, 1929 3. Band Bibliographie der Schlesisdien Volkskunde, von Ernst Boehlich, 2 Teile 1929/1930 4. Band Bibliographie der Schlesisdien Botanik, von Ferdinand Pax, 1929 5. Band Bibliographie der Schlesisdien Zoologie, von Ferdinand Pax und Hildebard Tisdibierek, 1930 Ergänzungsband hierzu von Ferdinand Pax, 1935 6. Band l.Teil. Bibliographie der Schlesischen Kunstgeschichte, von Herbert Gruhn, 1933 6. Band 2. Teil. Bibliographie des Sdilesischen Musik- und Theaterwesens, von Johannes Hübner, 1934 Ergänzungsband für 1928—1934 s. unten, Veröffentlichungen nach 1945 9. Einzelschriften zur Schlesisdien Geschichte 1.Band Heinrich Wendt, Ergebnisse der Schlesisdien Wirtschaftsgeschichte 1922 2. Band Hans Heckel, Geschidite der deutschen Literatur in Schlesien I : Von den Anfängen bis zum Ausgang des Barock, 1929 3. Band Alois M. Kosler, Die Preußische Volksschulpolitik in Oberschlesien 1742—1848, 1929 4. Band Werner Milch, Daniel von Czepko, Geistliche Schriften, 1930 5. Band Lydia Barudisen, Die Schlesische Mariensäule, 1931 6. Band Rudolf Stein, Das Breslauer Bürgerhaus, 1931 7. Band Hermann Hoffmann, Kardinal Melchior von Diepenbrock und die Herzogin Dorothea von Sagan. Ein Briefwechsel, 1931 8. Band Werner Milch, Daniel von Czepko, Weltliche Dichtungen, 1932 9. Band Aloysius Bollmann, Die Säkularisation des Zisterzienserstiftes Leubus, 1932

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10. Band Paul Kiemenz, Die Ortsnamen der Grafschaft Glatz, sprachlich und geschichtlich erklärt, 1932 11. Band Roman Kamionka, Die Reorganisation der Kreiseinteilung Schlesiens in der Stein-Hardenbergschen Reformperiode, 1934 12. Band Werner Milch, Daniel von Czepko, Persönlichkeit und Leistung, 1934 13. Band Adolf Moepert, Die Ortsnamen des Kreises Neumarkt in Geschichte und Sprache nach den alten und neuen Kreisgrenzen, 1935 14. Band Max von Bahrfeldt, Das geprägte amtliche Notgeld der Provinz Schlesien 1917—1921, 1935 10. Geschichtlicher Atlas von Schlesien 1. Stück Friderizianische Siedlungen rechts der Oder bis 1800 auf Grund der Aufnahmen von Hammer und von Massenbach, bearbeitet von Herbert Schienger, Blatt 1: Kreuzburg, Blatt 2: Oppeln, Blatt 3: Pleß, dazu Beiheft 1933 11. Grundkarten von Schlesien, bearbeitet von Max Hellmich: Breslau und Sagan 1927, Glatz und Ratibor 1928 12. Laufende Jahresbibliographie (gemeinsam mit dem Verein für Geschichte Schlesiens) 1.Hans Jessen, Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1935, Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 70, 1936, S. 345—410 2. Emil Schieche, Ergänzungsbericht über die tschechische Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1935, ebenda S. 411—413 3. Hans Jessen, Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1936, ebenda 71, 1937, 420—487 4. Emil Schieche, Ergänzungsbericht über die tschechische Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1936, ebenda S. 488—489 5. Kurt Willner, Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1937, ebenda 72, 1938, S. 399—468 6. Emil Schieche, Ergänzungsbericht über die tschechische Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1937, ebenda S. 469—471 7. Kurt Willner (in Verbindung mit W.Witte, A.Knauf und E. Schieche), Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1938 und Nachträge, ebenda 73, 1939, S. 368—431 8. Alfred Rüffler, Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1939, ebenda 74, 1940, S. 255—323 9. Alfred Rüffler, Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1940 und Nachträge, ebenda 75, 1941, S. 285—348 10. Emmy Haertel, Literatur zur schlesischen Geschichte für das Jahr 1941 und Nachträge, ebenda 76, 1942, S. 143—194 13. Vorträge l.Kurt Gröba, Der Unternehmer im Beginn der Industrialisierung Schlesiens, 1936

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Ludwig Petty und Herbert Schienger f 2. Joseph Klapper, Deutsche Schlesier des Mittelalters. Nach schlesischen KlosterhandsAriften, 1937 3. Walter Kuhn, Schlesische Siedlungsbewegungen in der Neuzeit, 1938 4. August Faust, Die Handschrift Jacob Böhmes, 1939 (gedruckt 1940) 5. Ludwig Petry, Breslaus Beitrag zur deutschen Geschidite 1941 14. Geschichte Schlesiens, hrsg. unter Leitung von Hermann Aubin. l.Band: Von der Urzeit bis zum Jahre 1526. 1. und 2. Auflage 1938 15. Hermann Aubin, 15 Jahre Historische Kommission für Schlesien 1921—1936 1936 16. Vorarbeiten zum Sdilesischen Urkundenbuch 1. Helene Krahmer, Beiträge zur Gesdiidite des geistlichen Siegels in Schlesien bis zum Jahre 1319, Zeitschrift des Vereins für Gesdiidite Sdilesiens 69, 1935, S. 1—39 2. Horst-Oskar Swientek, Das Kanzlei- und Urkundenwesen Herzog Heinridis I I I . von Schlesien (1248—1266), ebenda S. 40—69 3. Max-Josef Midunsky, Die Urkunde Papst Hadrians IV. für das Bistum Breslau vom Jahre 1155, ebenda 70, 1936, S. 22—62 4. Hanns Krupicka, Die sog. Leubuser Stiftungsurkunde von 1175. Ein Beitrag zur Beurteilung der Echtheitsfrage, ebenda S. 345—410 5. Heinrich Appelt, Die Echtheit der Trebnitzer Gründungsurkunden (1202— 1218) ebenda 71, 1937, S. 1—56 Nach der Reihen-Neuplanung von 1939: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Schlesien I. Reihe: Deutsche Rechtsdenkmäler aus Schlesien l.Band Rechtsdenkmäler der Stadt Sdìweidnitz einschließlich der Magdeburger Rechtsmitteilungen und der Magdeburger und Leipziger Schöffensprüche für Schweidnitz, bearbeitet von Theodor Goerlitz und Paul Gantzer, 1939 II. Reihe: Forschungen zum Schlesischen Urkundenbuch. Geleitet von Leo Santifaller 1.Band Hanshugo Nehmiz, Untersuchungen über die Besiegelung der Schlesisdien Herzogsurkunden im 13. Jahrhundert, 1939 2. Band Heinrich Appelt, Urkundenfälschungen des Klosters Trebnitz. Studien zur Verfassungsentwicklung der deutsdi-reditlidien Klosterdörfer und zur Entstehung des Dominiums, 1940 I I I . Reihe: Forschungen zur Schlesischen Wirtschaftsgeschichte, geleitet von Kurt Gröba l.Band Hans-Wilhelm Büchsei, Zur Rechts- und Sozialgesdiidite des Oberschlesischen Berg- und Hüttenwesens 1740—1806, 1941 Jahresberichte der Historischen Kommission für Schlesien Nr. 1—21, 1922—1942 408

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Seit der Wiederbegründung 1951 1. Einzelschriften

der Historischen Kommission für Schlesien

In der vom J. G. Herder-Institut Marburg herausgegebenen Reihe „Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas" (Die Klammerziffern beziehen sich auf die Zählung der wissenschaftlichen Beiträge) (Erscheinungsort für die Bände 1—8 ist Marburg/Lahn) (5) Band 1 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1942—1951. 1953 (2. Aufl. 1954, unveränderter Nachdruck 1964) (18) Band 2 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1952—1953 mit Nachträgen für die Jahre 1942—1951. 1954 (unveränderter Nachdruck 1964) (24) Band 3 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1954—1955 mit Nachträgen für die Jahre 1942—1953. 1956 (unveränderter Nachdruck 1964) (43) Band 4 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1956—1957 mit Nachträgen für die Jahre 1942—1955. 1959 (50) Band 5 Marlene K i r c h n e r : Das Görlitzer Stadtheater 1851—1898. (Diss, bei Hans Knudsen) 1960 (56) Band 6 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1928—1934 Teil A. 1961 (60) Band 7 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1928—1934 Teil B. 1962 (65) Band8 Herbert R i s t e r : Schlesische Bibliographie 1928—1934 Teil C. 1963 Band 9 Curt und Lotte L i e b i c h : Häuserbuch von Petersdorf im Riesengebirge. Neustadt/Aisch. 1965 2. Geschichte Sòie siens , herausgegeben von der Historischen Kommission für Schlesien unter Leitung von Hermann A u b i n , Ludwig P e t r y , Herbert S c h i e n g e r , Band 1 : Von der Urzeit bis zum Jahre 1526. 3. Aufl. Stuttgart 1961. 3. Qttellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, herausgegeben von der Historischen Kommission für Schlesien. (Erscheinungsort für die Bände 1—4 ist Kitzingen, für die Bände 5—15 Würzburg) Band 1 Hans T i n t e 1 η o t : Die mittelalterliche Baukunst Schlesiens, (vergriffen) 1951 Band 2 Adolf G e ß η e r : Die Abtei Räuden in Oberschlesien. 1952 Band 3 Hans B a h 1 o w : Schlesisdies Namenbuch. 1953 Band 4 Helmut G u m t a u : Das Entwicklungsbild eines schlesischen Dorfes (Scheidelwitz, Kr. Brieg) 1953 Band 5 Gottfried Κ 1 i e s c h : Der Einfluß der Universität Frankfurt/Oder auf die schlesische Bildungsgeschichte, dargestellt an den Breslauer Immatrikulationen von 1506—1648. 1961

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Ludwig Petry und Herbert Schenger f Band 6 Curt L i e b i c h : Werden und Wachsen von Petersdorf im Riesengebirge. 1961 Band 7 Theodor G ο e r 1 i t ζ : Verfassung, Verwaltung und Recht der Stadt Breslau, Band 1 (Mittelalter), hrsg. von Ludwig Petry. 1962 Band 8 dito Band 2 (1526—1740) in Arbeit Band 9 dito Band 3 (1740—1807) in Arbeit Band 10 Kurt E n g e l b e r t : Quellen zur Geschichte des Neisser Bistumslandes auf Grund der drei ältesten Neisser Lagerbücher. 1964 Band 11 Josef Joachim M e n z e l : Jura ducalia. Die mittelalterlichen Grundlagen der Dominialverfassung in Schlesien. 1964 Band 12 Waldtraut M e y e r : Gemeinde, Erbherrschaft und Staat im Rechtsleben des schlesischen Dorfes vom 16. bis 19. Jahrhundert. Dargestellt auf Grund von Schöppenbüchern an Beispielen aus Nieder- und Oberschlesien. 1967 Band 13 Klemens W i e s e r OT: Die Bedeutung des Zentralarchivs des Deutschen Ordens für die Gesdiidite Schlesiens und Mährens. Ein Findbehelf zum schlesisch-mährischen Aktenbestand des Archivs. 1967 Band 14 Otto B a r d ο η g : Die Breslauer an der Universität Frankfurt/Oder. Ein Beitrag zur schlesisdien Bildungsgeschichte 1648—1811. 1970 Band 15 Gerhard W a c k e : Dorf-Policey-Ordnung und Instruction für die Dorf-Scholzen für das Herzogthum Schlesien und die Grafschaft Glatz vom 1. May 1804. 1971 4. Schlesische Lebensbilder (Band 5 der Vorkriegsreihe): Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, im Auftrag der Historischen Kommission für Schlesien herausgegeben von Helmut N e u b a c h und Ludwig P e t r y . Würzburg 1968 5. Schlesisches Urkundenbuch, herausgegeben von der Historischen Kommission für Schlesien. Bearbeitet von Heinrich A p p e l t . Erster Band 1. Lieferung 971—1216. Graz/Köln 1963 2. Lieferung 1217—1230. Graz/Köln 1968 3. Lieferung Fälschungen und Register, Titelei und Einleitung. Graz/Köln 1971 Außerhalb der Kommission, jedoch mit ihrer Förderung erschien die Mainzer Habilitationsschrift von Konrad F u c h s : Vom Dirigismus zum Liberalismus. Die Entwicklung Oberschlesiens als preußisches Berg- und Hüttenrevier. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 18. und 19. Jahrhundert. Wiesbaden 1970

Satzung der Historischen Kommission für Schlesien (Seit dem 17. Juli 1970 gültige Fassung) §1 Die Historische Kommission für Schlesien, zu deren Sitz Marburg bestimmt wird, hat die Aufgabe, die für die Kenntnis der Geschichte und Landeskunde Schlesiens

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unerläßlichen Grundlagen zu schaffen durch Herausgabe und Bearbeitung ihrer Quellen sowie durch Herausgabe von Darstellungen in einer den Anforderungen der Wissenschaft entsprechenden Weise. Sie verfolgt damit ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24.12.1953, und zwar insbesondere durch die aus Absatz 1 dieses Paragraphen sich ergebende Förderung der Volksbildung. Etwaige Gewinne dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Die Mitglieder erhalten keine Gewinnanteile und in ihrer Eigenschaft als Mitglieder auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln des Vereins. Sie erhalten bei ihrem Ausscheiden oder bei Auflösung oder Aufhebung des Vereins nicht mehr als ihre eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert ihrer geleisteten Sacheinlagen zurück. Es darf keine Person durch Verwaltungsausgaben, die den Zwecken des Vereins fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.

§2 Die Mitglieder der Historischen Kommission (Einzelpersonen und Körperschaften) sind: a) Ehrenvorsitzende und Ehrenmitglieder b) Förderer c) ordentliche Mitglieder Zu Ehrenmitgliedern können Personen ernannt werden, die sich um die Historische Kommission besondere Verdienste erworben haben; als Förderer kann aufgenommen werden, wer einen einmaligen angemessenen Mindestbeitrag für die Zwecke der Kommission gespendet hat, oder wer sich zur Leistung eines jährlichen Beitrages verpflichtet — die jeweilige Höhe der Beiträge wird in einer ordentlichen Hauptversammlung festgesetzt, — als ordentliches Mitglied, wer durch seine Forschungen oder werbende Tätigkeit den Zwecken und Zielen der Kommission dient. Die Hauptversammlung ernennt nach Beratung mit dem Vorstand die Ehrenvorsitzenden und Ehrenmitglieder, die Förderer sowie die ordentlichen Mitglieder. In denjenigen Jahren, in denen eine Hauptversammlung nicht stattfindet, kann die Zuwahl von Mitgliedern auch schriftlich im Umfrageverfahren erfolgen. Stellungnahmen, die nicht fristgerecht gemäß der Anfrage des Vorstandes eingehen, werden als Zustimmung gewertet. Die Mitglieder können jederzeit durch schriftliche Erklärung gegenüber der Historischen Kommission aus der Kommission austreten. Mitglieder, die durch ihr Verhalten das Ansehen der Kommission schädigen oder gefährden, können von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit ausgeschlossen werden. Die Mitgliedschaft ist auf solche Persönlichkeiten zu beschränken, die in der Lage sind, aktiv an der schlesischen Landesforschung mitzuarbeiten. S3 Der Vorstand besteht aus dem l.und 2. Vorsitzenden und dem Geschäftsführer. Der Vorstand wird von der Hauptversammlung auf unbestimmte Zeit gewählt. Dies geschieht durch Zuruf oder durch Abgabe von Stimmzetteln. Die Wahl kann

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Ludwig Petry und Herbert Schienger f auch ohne Hauptversammlung erfolgen, wenn die Mehrheit der Mitglieder schriftlich ihre Zustimmung erklärt. Legt der 1. Vorsitzende sein Amt nieder oder verwaist das Amt auf andere Weise, übernimmt der 2. Vorsitzende die Leitung der Kommission bis zur Neuwahl des 1. Vorsitzenden. Zur Erleichterung der Geschäftsführung kann der 1. oder 2. Vorsitzende selbst die Geschäftsführung übernehmen. In diesem Falle besteht der Vorstand nur aus zwei Vorstandsmitgliedern.

§4 Die laufenden Geschäfte führt der 1. Vorsitzende in Verbindung mit dem 2. Vorsitzenden und dem Geschäftsführer. Vorstand im Sinne des Gesetzes (§ 26 Abs. 2 BGB) ist der 1. Vorsitzende. Er wird im Behinderungsfall durdi den 2. Vorsitzenden vertreten; beide können im Behinderungsfall durch den Geschäftsführer vertreten werden. $5 Für die Durchführung der wissenschaftlichen Arbeiten stehen dem 1. Vorsitzenden die Mitglieder des Vorstandes zur Seite, wobei einzelne Befugnisse und Aufgaben einzelnen Vorstandsmitgliedern oder Mitgliedern übertragen werden können.

§6 Der 1. Vorsitzende beruft die Vorstands- und Hauptversammlungen und leitet sie. Er ist audi verantwortlich für die Verwendung der der Kommission zur Verfügung stehenden Gelder.

S7 Der 1. Vorsitzende oder das dazu bestimmte Vorstandsmitglied weist die von der Kasse zu leistenden Zahlungen an. Die Rechnungsführung obliegt dem Geschäftsführer; er legt die für das Ende jedes Geschäftsjahres abzuschließende Jahresrechnung der Hauptversammlung vor. Zur Prüfung der Jahresrechnung beruft die Hauptversammlung 3 Mitglieder der Kommission. Das Vermögen der Kommission ist in einer den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entsprechenden Weise anzulegen.

§8 Die ordentliche Hauptversammlung findet in der Regel im Herbst statt, zu der 4 Wochen vorher die Mitglieder schriftlich mit Angabe der Tagesordnung zu laden sind.

§9 Die ordentliche Hauptversammlung nimmt den Bericht des 1. Vorsitzenden und seiner Beauftragten über die Arbeiten und die Geschäftsführung der Kommission sowie über die für das neue Jahr vom 1. Vorsitzenden festgesetzten Arbeitspläne, ferner den Kassenbericht und den Kassenprüfungsbericht entgegen. Sie billigt durch Abstimmung die Arbeitspläne der Historisdien Kommission.

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§10 Eine Auflösung der Kommission kann erfolgen, sofern in zwei zu diesem Zweck einzuberufenden, hintereinander folgenden Hauptversammlungen darüber beraten worden ist. Bei Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder bei Wegfall seines bisherigen Zweckes fällt das Vermögen des Vereins, soweit es die eingezahlten Kapitalanteile der Mitglieder und den gemeinen Wert der von den Mitgliedern geleisteten Sacheinlagen übersteigt, an die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen, welches dieses Vermögen unmittelbar und ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke zu verwenden hat, oder an eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes oder als steuerbegünstigt besonders anerkannte Körperschaft zwecks Verwendung für die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte Schlesiens. Beschlüsse über die künftige Verwendung des Vermögens dürfen erst nach Einwilligung des Finanzamtes ausgeführt werden.

SU Über die Verhandlungen der Vorstands- und Hauptversammlungen sind durch den Geschäftsführer oder im Behinderungsfall durch ein anderes Vorstandmitglied Niederschriften aufzunehmen, die vom 1. und 2. Vorsitzenden sowie vom Geschäftsführer (bzw. evtl. seinem Vertreter) zu unterzeichnen sind und damit bindend werden.

S 12 Das Gesdiäftsjahr fällt mit dem Kalenderjahr zusammen.

S 13 Die Veröffentlichungen der Kommission werden im allgemeinen auf budihändlerisdiem Wege vertrieben. §14 Die Historische Kommission ist in das Vereinsregister eingetragen. gez. Ludwig Petry 1. Vorsitzender

gez. Josef-Joachim Menzel Geschäftsführer

gez. Heinrich Appelt 2. Vorsitzender

Mitgliederverzeichnis nach dem Stand vom 15. April 1971 1. Appelt, Heinrich, Dr. phil., Universitätsprofessor, A 1030 Wien, Am Modenapark 13/12 2. Barthel, Gustav, Dr. phil., Professor, Direktor a. D. der Staatlichen Ingenieurschule für Druck, 7 Stuttgart-N, Birkenwaldstr. 213 Β 3. Birke, Ernst, Dr. phil., Universitätsprofessor, 41 Duisburg, Lotharstr. 51 (1. Adresse), 355 Marburg/Lahn, Friedridi-Ebert-Str. 85 (2. Adresse)

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Ludwig Petry und Herbert Schienger f 4. Brilling , Bernhard, Dr. phil., Akademischer Oberrat, Rabbiner, 44 Münster, Hollenbecker Str. 23 5. Czajka , Willi, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 3401 Göttingen-Nikolausberg, Am Schlehdorn 5 6. Dienwiebel, Herbert, Dr. phil., Oberarchivrat, 54 Koblenz, Karthäuserhof weg 102 7. Diilfer, Kurt, Dr. phil., Universitätsprofessor, Archivdirektor, 355 Marburg, Friedrichsplatz 15 8. Feldmann, Fritz, Dr. phil., Universitätsprofessor, 2 Hamburg 73, Ringstr. 144 a 9. Geschwendt, Fritz, Dr. phil., Landesamtsdirektor a. D., 55 Trier, Auf der Weismark 35 10. Goetting, Hans, Dr. phil., Universitätsprofessor, 34 Göttingen, Waitzweg 7 11. Gottschalk, Joseph, Dr. phil., Studienrat a. D., Prälat, 64 Fulda, Görres-Str. 22 12. Grundmann, Günther, Dr. phil., Universitätsprofessor, Denkmalspfleger und Museumsdirektor i. R. 2 Hamburg 13, Harvestehuder Weg 103 13. Hey er, Friedrich, Dr. jur., em. Universitätsprofessor, 53 Bonn, Humboldtstr. 35 14. Hoffmann, Hermann, Dr. phil., Universitätsprofessor, Leipzig C 1, Petersteinweg 17 15. Hultsch, Gerhard, Dr. theol., Dr. phil., Oberstudienrat, Kirchenrat, 653 Bingen/Rhein, Schmittstr. 38 16. Jäkel, Kurt, Dr. phil. Oberstudiendirektor, 284 Diepholz, Hindenburgstr. 6 17. Jedin, Hubert, Dr. theol., Dr. theol. h. c., Dr. phil. h. c., em. Universitätsprofessor, 53 Bonn-Venusberg, Am Paulshof 1 18. Jessen, Hans, Dr. phil., Bibliotheksrat i. R. 28 Bremen, Wätjenstr. 50 19. Jungandreas, Wolf gang, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 55 Trier-Mariahof, Klausenerstr. 14 20. Kauder, Viktor, Dipl.-Ing., Bibliotheksdirektor i. R. 469 Herne/Westfalen, Altenhöfenerstr. 128 21. Kiszlin%, Rudolf, Generalstaatsarchivar a. D., A 1050 Wien, Wehrgasse 27 22. Klein-Bruckschwaiger, Franz, Dr. jur., Universitätsdozent, A 1190 Wien, Billrothstr. 45 23. Kuhn, Walter, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 2 Hamburg 20, Kellinghusenstr. 12 I I I

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24. Latzke t Walter, Dr. phil., Oberarchivrat i. R., 6 Frankfurt, Am Lindenbaum 42 25.

Lewaldy Ursula, Dr. phil., Oberkustos, 53 Bonn, Am Hof garten 22 26. Menzely Josef Joachim, Dr. phil., Universitätsdozent, 65 Mainz, An der Allee 114 27. Meyer y Hans M., Dr. phil., Bibliotheksdirektor, 46 Dortmund, Davidisstr. 33 28. Müller-Hofstede y C., Dr. phil., Museumsdirektor i. R. 1 Berlin, Bogenstr. 10

29. Münch, Gotthard, Dr. phil., Oberstudiendirektor i. R., 6148 Heppenheim/Bergstr., Katzenpfad 8 30. Neubach, Helmut, Dr. phil., Studienrat, 65 Mainz-Lerchenberg, Fontanestr. 20 31. Panzram, Bernhard, Dr. theol., Dr. jur., em. Universitätsprofessor, Prälat, 78 Freiburg, Matthias-Grünewald-Str. 5 32. Alfons, Professor, 46 Dortmund, Rheinlanddamm 203 33. Petry, Ludwig, Dr. phil., Universitätsprofessor, 65 Mainz 21, Am Weisel 42 34. Quint, Josef, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 5 Köln 41, Classen-Kappelmannstr. 5 35. Rister, Herbert, Dr. phil., Bibliotheksdirektor, 355 Marburg, Im Stiftsfeld 4 36. Ronge, Paul, Rektor i. R., 425 Bottrop, Westring 81 37. Samulskiy Robert, Dr. phil., Bibliotheksdirektor, 44 Münster, Staufenstr. 13 38. Santifaller, Leo, Dr. phil., Dr. theol. h. c., Dr. jur. h. c., Dr. phil. h. c., em. Universitätsprofessor, A 1010 Wien, Singerstr. 27/11 39. Schieche, £mil, Dr. phil., em. Universitätsdozent, Pripps väg 15, 141 44 Huddinge, Schweden 40. Scbmidt-Rimpler, Walter, Dr. jur., Dr. h. c., Universitätsprofessor, 53 Bonn-Bad Godesberg 1, Büchelstr. 112 41. Schmitz, Arnold, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 65 Mainz-Mombach, Westring 251 42. Scbodrok, Karl, Schulrat i. R. 87 Würzburg, Herrnstr. 1 43. Sdoolz-Babisdi, Marie, Dr. phil., 53 Bonn, Sdiumannstr. 26 44. Schwarz, Ernst, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 852 Buckenhof bei Erlangen, Herrnlohe 17

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Ludwig Petry und Herbert Schienger f 45. Schwidetzky, Ilse, Dr. phil., Universitätsprofessorin 65 Mainz, Beuthener Str. 35 46. Stein, Rudolf, Dr. phil., Dr.-Ing. h. c., Oberbaurat i. R., 28 Bremen 1, H. H. Meier-Allee 17 47. UlitZy Otto, Dr. jur. h. c., Ministerialrat i. R. 4807 Borgholzhausen über Bielefeld, Haller Weg 279 48. Vogt y Joseph, Dr. phil., em. Universitätsprofessor, 74 Tübingen, Im Rotbad 10 49. Walter, Ewald, Archivdirektor, Msgr., 5 Köln 41, Klarenbachstr. 235 50. Wann, Wolfgang, Dr. phil., Oberarchivrat i. R. 87 Würzburg, Kapuzinerstr. 25 51. Wermkey Ernst, Dr. phil., Bibliotheksdirektor i. R., 8 München 13, Adelheidstr. 25 b 52. Wohlgemuthy Hanns, Dr. phil., Universitätsprofessor, A 8653 Stans/Münztal 53. Zimmermann, Gerhard, Dr. phil., Ardiivdirektor, 1 Berlin-Dahlem, Archivstr. 12—14

Schrifttum über die Kommission (in Auswahl) Herbert G r u h η : Die Historische Kommission für Schlesien (Schlesische Monatshefte 8, 1931, S. 485—488). Hermann A u b i n : 15 Jahre Historische Kommission für Schlesien 1921—1936, Breslau 1936 (7 S.). Herbert S c h i e n g e r : Die Historische Kommission für Schlesien (Zeitschrift f. Ostforschung 2, 1953, S. 585—591). Herbert S c h i e n g e r : Die Historische Kommission für Schlesien im Jahrzehnt 1954—1964 (Zeitschrift f. Ostforschung 14, 1965, S. 485—493). Helmut N e u b a c h : Die Historische Kommission für Schlesien, 1955/56 (Vierteljahresschrift Schlesien 11, 1966, S. 247—248). Helmut Ν e u b a c h : Die Historische Kommission für Schlesien, 1967 (Vierteljahressdirift Schlesien 13, 1968, S. 45—46).

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