Interrogative und Exklamative: Syntax und Semantik von multiplen wh-Elementen im Französischen und Italienischen 9783110427417, 9783110424188, 9783110424256

This study investigates whether it is possible to use multiple question elements in a single interrogative sentence in F

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Interrogative und Exklamative: Syntax und Semantik von multiplen wh-Elementen im Französischen und Italienischen
 9783110427417, 9783110424188, 9783110424256

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Olga Kellert Interrogative und Exklamative

Linguistische Arbeiten

Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Müller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese

Band 560

Olga Kellert

Interrogative und Exklamative Syntax und Semantik von multiplen wh-Elementen im Französischen und Italienischen

Dissertation Freie Universität Berlin Verteidigung der Dissertationsschrift am 26. Februar 2013.

ISBN 978-3-11-042741-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042418-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042425-6 ISSN 0344-6727 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Das Thema dieser Arbeit entwickelte sich aus meiner Beschäftigung mit wh-­ Exklamativsätzen und ergab sich insbesondere aus der in der Literatur gemachten Beobachtung, dass diese im Gegensatz zu Fragesätzen im Englischen und einigen anderen Sprachen keine multiplen wh-Elemente erlauben. Dies konnte auch für verschiedene romanische Sprachen bestätigt werden, und nach und nach beobachtete ich bestimmte, z.T. auf den ersten Blick sehr heterogene Fragetypen, die eine ähnliche Beschränkung aufweisen. Da dies in der bisherigen Forschung zu romanischen und anderen Sprachen nur punktuell angesprochen wurde und bisher weder aus syntaktischer noch aus semantischer Sicht hinreichend geklärt war, erschien mir die Beschreibung und Erklärung der betreffenden Gegebenheiten als ein Desiderat. Aus praktischen Gründen behandelt die Arbeit nur das Französische und das Italienische, wenngleich ab und an andere romanische und nichtromanische Sprachen erwähnt werden. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Januar 2013 an der Freien Universität Berlin eingereicht wurde. Daher entspricht der wesentliche Forschungsstand der Arbeit dem Jahr 2012. Weitere Arbeiten, die danach entstanden sind, konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Dissertationsschrift von Andreea Cristina Nicolae „Any Questions? Polarity as a Window into the Structure of Questions“ (Harward University, Mai 2013) und ihr in Natural Language Semantics erschienener Artikel „Questions with NPIs“. Die Autorin hat unabhängig von mir die Idee von koverten Fokusoperatoren – allerdings in englischen wh-Fragen mit NPIs – entwickelt und hat wie ich angenommen, dass diese koverten Fokusoperatoren wh-Spuren als ihre Foki assoziieren. Die Tatsache, dass A.C. Nicolae anhand einer anderen Sprache und anderen Phänomenen zu demselben Schluss gekommen ist, mag man als weitere Bestätigung meiner diesbezüglichen Theorien werten. Zum Schluss möchte ich mich bei allen Personen bedanken, die mich in meiner Promotionsphase unterstützt haben. Ein besonderer Dank an meine Familie und meine Freunde, an meinen Erstgutachter Prof. Dr. Guido Mensching, meine Zweitgutachterin Prof. Dr. Cecilia Poletto, meine KollegInnen aus der Freien Universität Berlin und aus Göttingen, an Dr. Clemens Mayr, Dr. Radek Šimík und Dr. Berit Gehrke, die mich in einigen semantischen Fragen unterstützt haben – alle inhaltlichen und formalen Fehler sind allein mir zuzuschreiben. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Herausgebern der Reihe „Linguistische Arbeiten“, den hilfreichen Kommentaren der anonymen Gutachter und dem DeGruyter Verlag für die erfolgreiche Publikation bedanken. Göttingen, den 20. April 2015

Inhalt Abkürzungsverzeichnis  Verwendete Symbole  1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.4 1.5 1.6

 xi  xii

 1 Einleitung  Gegenstand, Ziel und Aufbau der Arbeit   1 Vertiefung der Fragestellung   3 Multiple wh-Elemente im Französischen und Italienischen   3 Ungrammatische Sätze mit multiplen wh-Elementen (Bmw-Effekt)   5 Taxonomie von Sätzen mit multiplen wh-Elementen   18 Forschungslücken   20 The hell- und verwandte Konstruktionen   20 Spaltfragen   24 wh-Exklamativsätze   25 Weitere Typen, die in der Literatur unberücksichtigt blieben   27 Interventionseffekte   28 Zentrale Hypothesen dieser Arbeit   33 Methode   35 Datenerhebung   35

 40 2 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen  2.1 Spaltfragen   40 2.1.1 Exkurs: Fragetypen im Französischen   40 2.1.2 Bmw-Effekt in wh-Spaltfragen   43 2.1.3 Exhaustivität in Spalt(frage)sätzen   48 2.1.4 Frequenz von Spaltfragen   55 2.1.5 Diskurseigenschaften von Spaltfragen   55 2.1.6 Zusammenfassung   60 2.2 wh-Exklamativsätze   60 2.2.1 Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen   60 2.2.2 Skalare Ordnung von Alternativen   63 2.2.3 Fokusmarkierung durch die Intonation   66 2.3 Fragen mit Partikeln cavolo/mai   66 2.3.1 Eine kurze Unterscheidung zwischen Partikeln und anderen Kategorien   67 2.3.2 Bmw-Effekt in Fragen mit mai/cavolo   76 2.3.3 Intonation von Partikeln   81

viii  2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 2.6 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.5.1 3.5.2 3.6

 Inhalt

Weitere Typen mit fokussensitiven Ausdrücken   83 cazzo/cavolo/diavolo/putain als defektive Nomina   83 Fragen mit se non x/si ce n’est x ‘wenn nicht x’   86 Fehlende distributive Lesart mit Fokus   87 Zusammenfassung des Kapitels und weiteres Vorgehen   90 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen   93 Zur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik   93 Grundlegendes zur Struktur von Fragesätzen   93 Split-CP-Theorie von Rizzi (1997) und ihre Anwendung auf Spaltsätze   97 Syntaktische Erklärungsversuche von Bmw-Effekten   100 Fragesatzsemantik   104 Einige Grundlagen der formalen Semantik   104 H&K-Fragesatzsemantik   106 Kompositionelle Ableitung einer einfachen wh-Frage   109 Offene Fragen und Probleme der H&K-Fragesemantik   111 Widening-Analysen von NPIs und Exklamativsätzen   117 NPIs in Aussagesätzen   117 NPIs in Fragesätzen mit the hell-Partikeln   119 Widening in wh-Exklamativsätzen   123 Schnittstellenbasierte Interventionseffektanalysen   125 Becks Erklärung   125 Mayrs Erklärung   129 Offen gebliebene Fragen von Interventionseffekterklärungen  Koverte Fokusoperatoren als Intervenierer?   134 Was assoziieren Fokusoperatoren in wh-Fragen?   136 Weiterer Verlauf der Arbeit   139

 134

 141 Spaltfragen  Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen   141 Syntaktische Analyse im Rahmen einer Split-CP   141 Semantik von Spaltfragen im Rahmen eines kartographischen Ansatzes   146 4.1.3 Bmw-Effekt im kartographischen Ansatz   152 4.1.4 Weitere Argumente für die Erklärung von Bmw-Effekten   160 4.2 Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse   164 4.2.1 Spaltfragen als Kopulakonstruktionen   165 4 4.1 4.1.1 4.1.2



4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.3

Inhalt  

 ix

 165 Die Spaltsatzkoda ist ein definiter Ausdruck  Syntax und Semantik von Spaltfragen im Rahmen einer Kopulaanalyse   171 Bmw-Effekt im Rahmen einer Kopulaanalyse   175 Kleiner Exkurs in infinite Spaltfragetypen   178 Vergleich mit alternativen Kopulasatzanalysen aus der Literatur   180 Zusammenfassung des Kapitels   183

 185 5 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen  5.1 Syntax von wh-NP-Exklamativsätzen   185 5.1.1 Finitheit und Faktivität von wh-Exklamativsätzen   185 5.1.2 Fokusmarkierung   188 5.2 Semantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen   191 5.2.1 Analyse der internen Struktur von wh-NP-Konstituenten   192 5.2.2 Semantische Analyse von wh-NP-Exklamativsätzen   195 5.3 Bmw-Effekt   200 5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse   205  207 6 Fragen mit mai/cavolo und anderen fokussensitiven Ausdrücken  6.1 Rekapitulation der Daten   207 6.2 NPI mai ‘jemals’ in Fragesätzen   208 6.3 NPI-Analyse von Partikeln mai/cavolo   212 6.3.1 Syntaktische Analyse von wh-mai/cavolo Fragen   212 6.3.2 Schnittstellenanalyse   220 6.3.3 Skalare Analyse von cavolo/mai   222 6.4 Bmw-Effekte   226 6.4.1 Bmw-Effekte als klare Fälle von Interventionseffekten (Typ 6-neg)   226 6.4.2 Bmw-Effekte mit Partikeln cavolo/mai (Typ 4-Partikel)   230 6.4.3 Bmw-Effekte mit cavolo/putain als defektive Nomina (Typ 5-NoN)   234 6.4.4 Bmw-Effekte mit se non x-Ausdrücken (Typ 7-Adjunkt)   235 6.4.5 Grammatische rhetorische Fragen mit multiplen wh-Elementen   236 6.5 Zusammenfassung   238 7 7.1 7.2 7.3

 239 Zusammenfassung und Ausblick  Bmw-Effekte in Spaltfragen (Typ 3)   240 Bmw-Effekte in Exklamativa (Typ 1-Exkl und Typ 2-Exkl-che)  Bmw-Effekte in Typen 4 bis 7   245

 243

x 

 Inhalt

7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.5 Appendix

Desiderata für die zukünftige Forschung   249 Beschränkungen in Spaltsätzen   249 Overte Fokusoperatoren in wh-Konstruktionen mit Bmw-Effekten   254 Erhebung weiterer Daten   257 Unterschiede innerhalb der Partikelgruppe   258 Fazit   259

Anhang 1 Kompositionelle Ableitung von Interventionseffekten nach Mayr (2014)   261 Anhang 2 Spaltfragen in einem kartographischen System   264 Anhang 3 Kompositionelle Analyse des Interventionseffektes in Spaltfragen   265 Anhang 4 Kompositionelle Analyse von Spaltfragen als Kopulakonstruktionen   267 Anhang 5 Kompositionelle Analyse von wh-Exklamativsätzen   269 Anhang 6 Kompositionelle Ableitung einer wh-mai/cavolo Frage in H&K   269

Literaturverzeichnis Korpora   271 Sekundäre Literatur   271 Verzeichnis der Beispiele aus Internetquellen  Wörterbücher   281 Sachregister 

 283

 280

Abkürzungsverzeichnis CQ oder C[Q] Komplementierer, der den Satztyp als interrogativ markiert CP Komplementiererphrase EPP Extended Projection Principle („erweitertes Projektionsprinzip“), bei Chomsky (2000) ein Merkmal, das Bewegung einer XP auslöst. Foc oder foc Fokusmerkmal Fokusphrase FocP FinP Finitheitsphrase ForceP Phrase, die Illokutionen und Satztypen markiert funktionale Applikation (vgl. Heim & Kratzer 1998) FA fem. Feminin fr. /franz. Französisch Fn. Fussnote Hamblin (1973) und Karttunen (1977) H&K Konjunktiv Konj. LF Logische Form Maskulin mask. neg.cl. Negation clitic („Negationsklitikon“) NPI (engl. Negative Polarity Item) Phonologische Form PF Pl. Plural pro phonetisch leeres Pronomen, das ein Kasusmerkmal trägt. Ps. Person PST engl. past („Vergangenheit“) Q Question („Frage“) s.cl. subject clitic („Subjektklitikon“) Singular Sg. trace („Spur“) t w Weltvariable wh-Element interrogatives Element, das im Englischen wh-markiert ist (z.B. what) wh-ex situ das wh-Element befindet sich nicht in der üblichen Argumentposition das wh-Element befindet sich in der üblichen Argumentposition wh-in situ Intermediäre Projektionsebene X’ Kopf X° Spec-X° Specifier-Head („Spezifizierer-Kopf“)

Verwendete Symbole * ungrammatisch (*…) die Klammer ist ungrammatisch *(…) ohne Klammer ist der linguistische Ausdruck ungrammatisch Grammatikalität ist fraglich ?? #  die Äußerung hinter # erfüllt nicht die Gelingens- oder Glückensbedingungen (engl. felicity conditions) # steht für eine Pause mit signifikanter Unterbrechung der Sprechfluidität im Korpus C-ORAL-ROM. / und // Grenzen einer intonatorischen Einheit in C-ORAL-ROM: / eine nicht-terminale prosodische Pause und // eine terminale prosodische Pause. ≈ Paraphrase ө phonologisch leeres Element φ-/phi-Merkmale Kongruenzmerkmale in der Syntax ‖φ‖ die Bedeutung eines beliebigen Ausdrucks φ g ‖φ‖ die gewöhnliche Bedeutung von φ (engl. ordinary meaning) ‖φ‖h die Fokusbedeutung von φ g Variablenbelegung g(C) ein Set von kontextuell relevanten Alternativen {} Alternativenmenge λ Lambda-Operator ∧/& und ∨ oder ⊆ in der Semantik: Entailment: p ⊆ q, zu lesen als ‘p impliziert q’ ∈ Element von p ˃ likely(hood) q (skalare Interpretation: „p ist wahrscheinlicher als q“) " Allquantor $ Existenzquantor @ Beispiel aus dem Internet (vgl. Literaturverzeichnis)

1 Einleitung 1.1 Gegenstand, Ziel und Aufbau der Arbeit In vielen Sprachen der Welt gibt es die Möglichkeit, mehrfache Frageelemente in einem Fragesatz auszudrücken. Derartige Fragesätze werden multiple Interrogativa genannt (engl. multiple interrogatives, vgl. hierzu die typologische Studie von Dayal 2006).1 Auch das Deutsche und das Englische bieten diese Möglichkeit (vgl. Krifka 2001, Dayal 2006): (1) Who ate what? (2) Wer hat was2 gegessen? Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, ob vergleichbare Strukturen im Französischen und im Italienischen möglich sind und wenn ja, welchen Beschränkungen diese Struktu­ren unterliegen. Es sollen vor allem Fragesätze mit Frageelementen, die eine Argument­funktion haben (z. B. Subjekt- und Objektfunktion wie in (1) und (2)), untersucht wer­den.3 Nun kommen Frageelemente nicht nur in Fragesätzen, sondern auch in Exklamativsätzen vor: (3) Quelle surprise! ‘Was für eine Überraschung!’ (4) Che faccia! ‘Was für ein Gesicht!’ Aus diesem Grund werden auch Exklamativsätze in die Untersuchung mit aufgenom­ men, zumal es romanische Sprachen geben soll, die multiple wh-­ Elemente in Exklamativsätzen erlauben sollen (vgl. Radford 1989 zum Französischen, Oda 2008 zum Rumänischen). 1 In der vorliegenden Arbeit wird kein Unterschied zwischen der Bezeichnung Fragesatz und Interrogativsatz gemacht. 2 Im Deutschen können wh-Elemente (wer, was, wen, etc.) auch als indefinite Pronomina wie etwas, jemand, jemanden, etc. verwendet werden. Es gibt jedoch einen semantischen und phonologischen Unterschied zwischen Fragepronomina und mit ihnen homophonen indefiniten Pronomina im Deutschen (vgl. hierzu Haida 2007). Man erkennt das Fragepronomen an der Menge der möglichen Antwortelemente: Wer hat was gegessen? {Maria hat einen Apfel gegessen, Peter hat eine Birne gegessen…}. Wer hat etwas gegessen? {Maria hat etwas gegessen, Peter hat etwas gegessen…}. Um Verwirrungen zu vermeiden, verwende ich in dieser Arbeit im Deutschen die lexikalischen Formen etwas, jemand, etc., wenn das indefinite Pronomen gemeint sein soll, d. h. Elemente wie was, wer, etc. sind immer Fragepronomina. 3 Komplexe Fragesätze mit mehrfachen Frageelementen, z. B. Wer hat gefragt, wen Paul angerufen hat, sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Im Zentrum der Untersuchung stehen vor allem einfache Fragesätze mit mehrfachen Frageelementen.

2 

 Einleitung

Wie sich in dieser Arbeit zeigen wird, gibt es Beschränkungen bei der Bildung von Sät­zen mit mehrfachen Frageelementen. Derartige Beschränkungen nenne ich ganz allge­mein Beschränkung multipler wh-Elemente mit Argumentfunktion oder abgekürzt Bmw-Effekt.4 Es wird sich herausstellen, dass einige Beschränkungen semantisch-pragmatischer und andere syntaktischer Art sind. Mit Beschränkungen ist gemeint, dass das Vorkommen multipler wh-Elemente nicht in jedem Kontext grammatisch ist. Die relevanten Be­schränkungen werden im Rahmen formal-semantischer Theorien von Fragesätzen theo­retisch beleuchtet, genauer in Anknüpfung an Hamblin (1973) und Karttunen (1977), von nun an H&K (vgl. die Darstellung des theoretischen Rahmens dieser Arbeit in Ka­pitel 3). Die syntaktische Analyse bewegt sich im Rahmen der Generativen Grammatik nach Chomsky (1995) und Rizzi (1997), wie unter 3.1 ausgeführt wird. Da das Ziel der genannten formal-semantischen Theorien darin besteht, die Bedeutung von Fragen aus den lexikalischen Einträgen von Wörtern und ihrer syntaktischen Zu­sammensetzung nach einem bestimmten Verfahren kompositionell abzuleiten, setzt ihre Anwendung eine syntaktische Analyse der Fragen voraus. Aus diesem Grund gilt es, die formal-semantische und die syntaktische Analyse von Fragen miteinan­der zu verknüpfen. Die relevanten Daten sollen hier im Rahmen dieser Einführung zunächst möglichst theorieneutral und allgemeinverständlich vorgestellt und besprochen werden. Dies erfolgt unter 1.2 Vertiefung der Fragestellung. Danach folgen eine Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand (1.3) sowie zentrale Hypothesen der Arbeit (1.4), die Methode (1.5) und Ausführungen zur Datenerhebung (1.6). Die vorliegende Arbeit besteht aus drei groben thematischen Teilen: aus dem empiri­schen Teil (vgl. 1.2 und Kapitel 2), der die eigenen Daten und die Daten aus der Litera­tur um­fasst, aus dem theoretischen Rahmen dieser Arbeit und dem Forschungsstand (Kapitel 3) und aus eigenen Analysevorschlägen (Kapitel 4 bis 6). Kapitel 7 bietet eine Zu­sammenfassung der Arbeit und einen Ausblick auf unbeantwortete Fragen für die zu­künftige Forschung.

4 Der Bestandteil wh ist aus der anglophonen Terminologie entlehnt und nimmt Bezug auf Frageelemente im Englischen, die mit wh anfangen (z. B. wh-elements, wh-pronouns, usw.). Da es sich in der allgemeinen und auch in der romanistischen Linguistik eingebürgert hat, wird es hier übernommen.



Vertiefung der Fragestellung 

 3

1.2 Vertiefung der Fragestellung 1.2.1 Multiple wh-Elemente im Französischen und Italienischen In diesem Abschnitt werden zunächst grammatische Sätze mit multiplen wh­ Elementen vorgestellt und insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen möglichen Interpreta­tionen solcher Fragen besprochen (zu ähnlichen Beispielen im Französischen, vgl. Déprez 2003, Marandin 2006, Boucher 2010 und Gazdik 2011, und zu ähnlichen Beispielen im Italienischen siehe Frascarelli 2000, Grasso 2007):5 (5) alors// alors qui avoue also// also wer gesteht ‘Wer gesteht nun was?‘

quoi? was (Marie gesteht dies, Pierre jenes) [C-ORAL-ROM Fnatco 02, Klammern O. K.]

(6) Kontext: Der Lehrer stellt eine mathematische Aufgabe an die Schulkinder: Esercizio 5: Chi abita dove? Aufgabe 5: ‘Wer wohnt wo?’ Richtige Antwort: Maria abita al 3° piano, Sara al 2°, Carlo e Giulio al 1°. ‘Maria wohnt im 3. Stock, Sara im 2. Stock, Carlo und Giulio im 1. Stock.’ (@-1) Im Französischen können beide wh-Elemente in Hauptsatzfragen auch postverbal stehen (von nun an wh-in situ) (vgl. (7)a.). In dieser Position stehen auch referentielle Ausdrü­cke (vgl. (7)b.). Vergleichbare Beispiele finden sich auch in der Literatur (vgl. Gazdik 2011: 259).6 Beispiele ohne Quellenangaben stammen, wenn nicht anders erwähnt, aus der eigenen Sprecherbefragung (vgl. 1.6 zur Datenerhebung): (7) a. Je dois quoi à qui? ich schulde was an wen ‘Wem schulde ich was?’ b. Je dois 250 euros à Pierre et 300 euros à Marie… ‘Ich schulde Pierre 250 Euro und Marie 300 Euro.’ Es wird sich im Laufe der Arbeit zeigen, dass die Elemente mai, diable (etwa vergleich­bar mit engl. the hell) zur Agrammatikalität von Fragen mit multiplen 5 Auf die Datenerhebung und auf die Frage, ob mehrfache wh-Elemente in italienischen Fragen ein rezentes Phänomen sind, gehe ich im Unterkapitel 1.6 ein. 6 Es wurden auch einige Belege im webbasierten Korpus COWFR11 gefunden: i. Mais ça relie quoi à quoi? [COWFR11_32896810] aber das verbindet was zu was ‘Aber womit ist was verbunden?‘

4 

 Einleitung

wh-Elementen führen. Es wird daher der Frage nachgegangen, ob diese Elemente selbst die Agramma­tikalität verursachen oder ob bestimmte von diesen ausgelöste Interpretationen zur Agrammatikalität führen. Schauen wir uns daher an, wie Fragen überhaupt interpretiert werden. Eine mögliche Interpretation von Fragen mit multiplen wh-Elementen ist die Listenlesart (engl. pair-list reading) (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002). Der Ausdruck pair-list verweist auf mehrere Paare oder Listen von Eigennamen oder anderen referentiellen Ausdrücken, die zusammen voll­ständige Antworten auf eine Frage mit multiplen wh-Elementen bilden (vgl. (5) und (6)). Fragen mit multiplen wh-Elementen können aber auch durch eine einzige Antwort voll­ständig beantwortet werden. Diesen Typ von Fragen nenne ich in Anlehnung an die Li­ teratur Fragen mit einer Einzelpaarlesart (engl. single-pair reading) (vgl. Krifka 2001, Den Dikken & Giannakidou 2002): (8) A: Chi ha chiamato chi? B: Lui ha chiamato lei. (Einzelpaarantwort) wer hat angerufen wen er hat angerufen sie ‘Wer hat wen angerufen?’ B: ‘Er hat sie angerufen.’ Fragen wie solche in (8) können in einem bestimmten Kontext auch als Echofragen interpretiert werden (d. h. als Fragen, die in einem Kontext geäußert werden, in welchem der Sprecher eine Information z. B. akustisch nicht verstanden hat): (9) Locutore A: Gino ha sorriso a Maria. Sprecher A: ‘Gino hat Maria angelächelt.’ Locutore B: Chi ha sorriso a chi? Sprecher B: ‘Wer hat wen angelächelt?’ (Grasso 2007: 216) Gewöhnlich gehen Hauptsatzfragen wie in (8) mit Antworten einher, die der Sprecher zum Zeitpunkt der Äußerung noch nicht weiß. Der Sprecher hat in diesem Fall einen Informationsmangel (man nennt diesen Fragetyp in der Literatur auch genuine Fragen bzw. Informationsfragen (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002). Es gibt jedoch auch Hauptsatzfragen, deren gültige Antworten der Sprecher bereits zu kennen glaubt, d. h. der Sprecher hat eine bestimmte Erwartungshaltung bezüglich der wahren Antwort auf seine Frage (vgl. (10)). Solche Fragen nenne ich in Anlehnung an Caponigro & Sprouse (2007) rhetorische Fragen. Bestimmte Typen von rhetorischen Fragen enthalten auf der Ebene der erwarteten Antwort anstelle von wh-Elementen keine Eigennamen oder sons­tige referentielle Ausdrücke, sondern Quantoren wie niemand oder etwas, z. B. ‘niemand hätte etwas machen können’. Ich verwende den Begriff negativ-rhetorische Fragen, um anzudeuten, dass das, was der Sprecher als Antwort erwartet, eine negative Bedeutungskomponente enthält:7 7 Diesen Typ rhetorischer Fragen mit einer negativen Bedeutungskomponente nennt man in der (englischsprachigen) Literatur negativ ausgerichtete Fragen (engl. negative biased questions),



Vertiefung der Fragestellung 

 5

(10) QUI aurait pu faire QUOI sous son administration sans risquer sa peau ou sa liberté? ‘Wer hätte unter seiner Regierung was machen können ohne seine Haut und Freiheit zu verlieren?’ (@-2) (Erwartete Antwort: ‘Niemand hätte etwas machen können.’) (11) (…) ma di questi tempi, chi può aiutare chi? aber von diesen Zeiten, wer kann helfen wem ‘Wer kann wem heutzutage (schon) helfen?’ (CORIS NARRATRomanzi) (erwartete Antwort: ‘Niemand kann jemandem helfen.’) Die negativ-rhetorische Interpretation hängt vom Kontext ab, d. h. die gleichen Fragen können in einem anderen Kontext auch als Fragen mit einer Listenlesart interpretiert werden: (12) Chi può aiutare chi?8 ‘Wer kann wem helfen?’ ‘Marco kann Paola helfen. Lucia kann Maria helfen,…’ (Listenlesart) (13) Qui aurait pu faire quoi? Pierre ceci. Marie cela. ‘Wer hätte was tun können? Pierre dies. Marie jenes.’ (Listenlesart) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Sätze mit multiplen wh-Elementen bei gleichbleibender Grammatikalität im Französischen und im Italienischen unterschied­lich interpretiert werden: a) mit einer Listenlesart, b) mit einer Einzelpaarlesart, c) mit einer negativ-rhetorischen Interpretation, d) als Echofragen. Es stellt sich nun die Frage, unter welchen Bedingungen Sätze mit multiplen wh-Elementen ungrammatisch sind. 1.2.2 Ungrammatische Sätze mit multiplen wh-Elementen (Bmw-Effekt) Die im Rahmen unserer Korpusanalyse sowie Sprecherbefragungen (vgl. 1.6) turen sind in die folgenden sieben behandelten ungrammatischen Struk­ weil sie dazu tendieren, durch eine negative Antwort wie niemand, nichts, etc. beantwortet zu werden (vgl. Han 2002, Guerzoni 2003). 8 Die Tatsache, dass Fragen mit multiplen wh-Elementen Zusätze wie (ital. domanda senza sfondo polemico ‘Frage ohne polemischen Unterton’ oder domanda retorica ‘rhetorische Frage’ enthalten können, ist ein weiterer Hinweis dafür, dass Fragen in (12) ambig sind, d. h. auch eine negativ-rhetorische Interpretation neben der Listenlesart zulassen. Die Möglichkeit einer negativ-rhetorischen Interpretation wird auch durch die Daten aus französischen Internetforen bestätigt: franz. Mais qui aurait fait quoi à ma place? ‘Aber wer hätte was an meiner Stelle getan?’ (vgl. @-3); Et t’as prouvé quoi à qui? (@-4) ‘Und? Wem hast du was hier jetzt bewiesen?‘.

6 

 Einleitung

Kategorien unterteilt, die hier und im weiteren Verlauf der Ar­beit mit Typ 1–7 bezeichnet werden.9 –– wh-Exklamativsätze bzw. wh-Exklamativa, eingeleitet durch ital. che (AP) NP (AP) oder franz. quel (AP) NP (AP) (z. B. ital. che (bella) ragazza hai sposato! ‘Was für eine (schöne) Frau du geheiratet hast!‘) (Typ 1-Exkl) –– italienische wh-Exklamativsätze, die einen overten Komplementierer che enthal­ten, z. B. Rotkäppchen zum Wolf: ital. che denti grandi che hai! ‘Was für (große) Zähne du (da) hast!‘ (Typ 2-Exkl-che). Im Französischen wird in vergleichbaren wh-Exklamativsätzen kein Komplementierer gebraucht. –– wh-Spaltfragesätze, die oberflächlich gesehen einen Kopulasatz und einen Relativsatz bzw. einen Komplementsatz realisieren: z. B. ital. Cos’è che hai fatto? franz. C’est quoi que tu as fait? ‘Was ist es, das du gemacht hast?’ (Typ 3-Spalt) –– wh-Fragesätze mit wh-Pronomina, die Elemente wie ital. cavolo (wörtlich ‘Kohl’), ital. diavolo (wörtlich ‘Teufel’), ital. cazzo (wörtlich ‘Penis’), franz. diable (wörtlich ‘Teufel’) aufweisen, welche ich hier als Partikeln bezeichnen möchte (z. B. ital. Ma che cazzo fai? ‘Was zum Teufel machst du da?’) (Typ 4-Partikel) –– wh-Fragen mit komplexen wh-Konstituenten, die eine komplexe nominale Konstituente der Form Nomen+di/de +Nomen (engl. Noun of Noun (NoN)) enthalten, wobei ein Nomen dieser Konstituente den Gegenstand, der mit dem anderen Nomen bezeichnet wird, negativ beschreibt (z. B. ital. che cazzo di processo è? wörtlich: was Penis von Projekt ist ‘Was ist das denn für ein Scheißprozess?’ franz. Mais de quel putain de jeu tu parles? wörtlich: von welchem Prostituierte von Spiel sprichst du ‘Von welchem Scheißspiel sprichst du (gerade)?’) (Typ 5-NoN) –– wh-Fragen mit einer overten Satznegation franz. pas und ital. non oder Negationsadverbien wie franz. jamais und ital. mai (wörtlich ‘niemals/jemals’) (z. B. ital. Chi non vorrebbe mangiare questa pizza gustosa? ‘Wer würde nicht diese leckere Pizza essen?’) (Typ 6-neg) –– wh-Fragen mit Ausdrücken, die einen Adjunktstatus haben, wie ital. se non x ‘wenn nicht x’ (z. B. chi, se non Piero? ‘wer, wenn nicht Piero?’), franz. si ce n’est x 10 ‘wenn es nicht x ist‘ (Typ 7-Adjunkt) 9 Die ungrammatischen Fragen, die weiter unten aufgeführt werden, sind in der Literatur in unterschiedlichen Sprachen (Englisch, Französisch, Katalanisch, Deutsch, Rumänisch) beobachtet worden. Mein Beitrag liegt darin, dass ich alle diese Typen zusammengetragen habe und dessen Beschränkung mit meinen italienischen und französischen SprecherInnen und in meinen Korpora überprüft habe. 10 Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem frz. Ausdruck um einen feststehenden Ausdruck handelt, der keine Negation pas enthält, obwohl im Standardfranzösischen die Negation ne…pas heißt.



Vertiefung der Fragestellung 

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Diese Typen werden nun nacheinander vorgestellt. Die folgenden Beispiele im Italie­nischen und Französischen zeigen, dass ein wh-Exklamativsatz, der durch die wh-Konstituente ital. che (AP) NP/frz. quel (AP) NP eingeleitet wird, nur diese wh-Konsti­tuente enthalten kann (vgl. den Unterschied zwischen a. und b. (vgl. die gleiche Beschränkung in vergleichba­ren englischen wh-Exklamativsätzen in Portner & Zanuttini 2003, Ono 2006, Oda 2008):11 (14) Typ 1-Exkl (= wh-Exklamativsätze mit multiplen wh-Elementen) a. Che (bella) donna ha sposato un uomo così brutto! 12 welche13 (schöne) Frau hat geheiratet einen Mann so hässlich ‘Welch eine (schöne) Frau hat einen so hässlichen Mann geheiratet!’ b. *Che (bella) donna ha sposato che uomo (brutto)! welche (schöne) Frau hat geheiratet welch Mann (hässlich) a épousé un homme tellement beau! (15) a. Quelle femme (laide) welche Frau (hässliche) hat geheiratet einen Mann so schön ‘Welch eine (hässliche) Frau hat einen so schönen Mann geheiratet!’ b. *Quelle femme (laide) a épousé quel homme (beau)! welche Frau (hässliche) hat geheiratet welchen Mann (schön) 11 Radford (1989) zufolge gibt es multiple wh-Elemente in Exklamativsätzen im Französischen: i. Les ravages du SIDA aux USA ne m’étonnent pas, ‘Die verheerende Ausbreitung von AIDS in den USA wundert micht nicht’, car combien de garçons couchent avec combien de filles ‘Denn wie viele Jungen schlafen mit wie vielen Mädchen!’ (Radford 1989: 251, Übersetzung O. K.) Während französische SprecherInnen Radfords Beispiel in i. nicht als völlig ungrammatisch bewerten, finden italienische SprecherInnen, dass dieser wh-Typ, wenn überhaupt, durch pensa un po’ ‘stell dir vor‘ eingebettet werden sollte: ii. ?Pensa un po’ quanti alunni hanno commesso quanti errori. stell dir vor wie viele Schüler haben gemacht wie viele Fehler ‘Unglaublich, wie viele Schüler wie viele Fehler gemacht haben.’ In dieser Arbeit wird diese Art von wh-Exklamativsätzen nicht untersucht. Möglicherweise kann der Grammatikalitätsunterschied zwischen den französischen und den italienischen Sprechern auf die syntaktische Struktur von wh-Phrasen combien de NP/quanti NP zurückgeführt werden. 12 Einige französische und italienische SprecherInnen formulieren den grammatischen Typ in (14)a. und (15)a. in eine elliptische Konstruktion um: i. Che bella donna per un uomo così brutto! (Ital.) ii. Quelle belle femme pour un homme si moche! (Franz.) ‘Was für eine schöne Frau für so einen hässlichen Mann!’ 13 Die wörtliche Übersetzung von che als ‘welche’ ist nicht ganz richtig, weil che im Gegensatz zu quale und welche keine Kongruenz mit der Nominalkonstituente aufweist (vgl. che libro, i, ‘was für ein Buch/Bücher’). Dennoch behalte ich weiterhin die Übersetzung ‘welche’.

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 Einleitung

Vergleichbare Fragesätze mit komplexen wh-Phrasen der Form quale/quelle NP ‘welche NP‘ sind in beiden Sprachen grammatisch (vgl. auch Beispiele mit whPronomina in (5) und (6)): (16) a. A: Quale file occupa quale cluster? welcher Ordner besetzt welches Cluster ‘Welcher Ordner ist welchem Cluster zugeordnet?’ (CORIS EPHEMLettere) b. A: Quel garҫon a épousé quelle fille? welcher Junge hat geheiratet welches Mädchen ‘Welcher Mann hat welche Frau geheiratet?’  (Boucher 2010: 130) Eine Besonderheit des Italienischen und anderer romanischer Sprachen wie z. B. des Portugiesischen, Spanischen und Katalanischen bilden wh-Exklamativsätze, die das Element ital. che, span. katal. und portug. que enthalten, welches wir der generativen Literatur folgend als Komplementierer (engl. complementizer) interpretieren (vgl. Port­ner & Zanuttini 2003, Castroviejo 2006).14 Ich werde diese Bezeichung von nun an ver­wenden, um dieses Element von dem homophonen it. Fragepronomen che (wörtlich ‘was’) abzugrenzen. (17) Che donna che è! welche Frau che ist ‘Welch eine Frau sie ist!’ Die nächsten Daten zeigen, dass der Komplementierer che mit dem Bmw-Effekt einhergeht (vgl. den Kontrast in (18)a. und b. (vgl. eine ähnliche Beschränkung in katalanischen wh-Exklamativsätzen in Castroviejo 2006): (18) Typ 2-Exkl-che (= wh-Exklamativsätze mit multiplen wh-Elementen und che) a. A: Che tipo di donna piace a che tipo di uomo? welcher Typ von Frau gefällt an welchen Typ von Mann ‘Welcher Typ Frau gefällt welchem Typ Mann?’ B: Le donne intelligenti piacciono agli uomini ricchi, ‘Intelligente Frauen gefallen reichen Männern, le donne belle piacciono agli uomini poveri… schöne Frauen gefallen armen Männern….’ 14 Im gesprochenen Französischen wird der Komplementierer que in wh-Exklamativsätzen, die durch quel/le NP ‘welche NP’ eingeleitet werden, selten gebraucht (vgl. jedoch einige Beispiele mit einem overten Komplementierer im geschriebenen Französischen in Kellert 2011). Es gibt jedoch whTypen, die einen overten Komplementierer im gesprochenen Französischen aufweisen, und zwar sowohl in Fragen als auch in Exklamativsätzen, wenn sie durch comment ‘wie’ eingeleitet werden: i. Comment que c’est joli! ‘Wie hübsch es ist!’ ii. Comment qu‘on appelle ça? ‘Wie nennt man das?’ [COR fpubcv01]



Vertiefung der Fragestellung 

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b. A: Che tipo di donna che piace a Mario/*a che tipo di welcher Typ von Frau che gefällt an Mario/an welchen Typ von uomo! Mann ‘Was für ein Typ Frau dem Mario gefällt!’ Obwohl man annehmen könnte, dass Exklamativsätze mit mehreren wh-Elementen grundsätzlich ungrammatisch sind, möchte ich den Exklamativsatztyp mit dem Komplementierer che als besonderen Typ betrachten (Typ 2-Exkl-che), weil einige wh-Typen, die eine Frageinterpretation haben und einen Komplementierer che enthalten (vgl. Spaltfragen bzw. Typ 3-Spalt), ebenfalls den Bmw-Effekt aufweisen. Die Beschränkung im Typ 2-Exkl-che könnte daher etwas mit dem Komplementierer che zu tun haben. Ich komme nun zum nächsten Typ (Typ 3-Spalt), der bei oberflächlicher Betrachtung aus einem Kopulasatz und einem Komplementsatz bzw. Relativsatz besteht. Dieser Typ wird in der Literatur als Spaltfragesatz bezeichnet (vgl. Lamb­ recht 1996). Lambrecht (1996) hat im Französischen folgenden Grammatikalitäts­ unterschied zwischen Spaltfragen und Fragetypen ohne Spaltsatzstruktur festgestellt: (19) Typ 3-Spalt (= Spaltfragen mit multiplen wh-Elementen) *C’ est qui qui a mangé quoi? s.cl. ist wer der hat gegessen was (20) Qui a mangé quoi? wer hat gegessen was ‘Wer hat was gegessen?’

(Lambrecht 1996: 330, Übersetzung O. K.)

In der Tat bestätigen die meisten der von mir befragten italienischen und französischen SprecherInnnen Lambrechts Beobachtung in (19) und in (20).15 Nun unterscheidet sich der Spaltfragetyp von den bisher betrachteten wh-Typen, weil er oberflächensyntaktisch komplexer ist. Er besteht aus einem Kopulasatz und einem Komplementsatz/Relativsatz (bzw. einer Koda), während die bisher genannten Typen keine solche Struktur realisie­ren, obwohl Typ 3-Spalt und Typ 2-Exkl-che einige formale Ähnlichkeiten aufweisen, unter anderem deshalb, weil sie beide einen Komplementierer che enthalten. Die Beschränkung könnte also auf diese Komplexität zurückzuführen sein. Man kann jedoch mit einigen Autoren dafür 15 Es gibt einige SprecherInnen des Französischen, die den Spaltfragesatz mit multiplen whElementen in (19) als grammatisch bewerten (von nun an Gruppe B). Auf diese Gruppe wird in Kapitel 2 genauer eingegangen.

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 Einleitung

argumentieren, dass dieser Fragetyp auf der semantischen Ebene eine einfache Proposition repräsentiert, bestehend aus einem Prädikat und seinen Argumenten. Das heißt, der folgende Fragesatztyp entspricht propositional-semantisch einem einfachen Fragesatz ohne komplexe Struktur (vgl. Lambrecht 2001): (21) C’est qui qui est venu? ≈ Qui est venu? ‘Wer ist es, der gekommen ist?’ ≈ ‘Wer ist gekommen?’ Aus diesem Grund wird auch der Spaltfragesatz in die Untersuchung mit aufgenommen. Den nächsten Typ (Typ 4-Partikel), der Beschränkungen aufweist, stellen Formen mit wh-Pro­nomina wie ital. chi/cosa ‘wer/was’ dar, denen solche Elemente wie cavolo (wörtlich ‘Kohl’), diavolo (wörtlich ‘Teufel’), cazzo (wörtlich ‘Penis’), frz. diable (wörtlich ‘Teu­fel’) direkt folgen. Alle diese Elemente können auch als Schimpfwörter gebraucht wer­den (z. B. ital. Cazzo! ‘Verdammt!‘). Ich bezeichne die erwähnten Elemente zunächst informell als Partikeln, wenn sie keine wörtliche Bedeutung zur Fragebedeutung bei­steuern und wenn diese Elemente zum wh-Element rechtsadjazent stehen [wh-Prono­men + cavolo/ diavolo/cazzo]: (22) Chi cavolo/diavolo verrà con questa pioggià? Nessuno. wer cavolo/diavolo kommen-wird mit diesem Regen niemand. ‘Wer sollte schon bei diesem Regen kommen? Niemand.’ Coniglio (2008) vergleicht diese Partikeln mit einigen deutschen Modalpartikeln wie denn/wohl/schon, die keinen propositional-semantischen Beitrag in Fragen leisten. In verwendungsorientierten Grammatiken des Italienischen heißt es, dass solche Partikeln wie cazzo die Funktion eines Verstärkers des Fragepronomens haben und dass die Fragen mit diesen Elementen niemals neutral sind und immer eine bestimmte Inten­tion des Sprechers kodieren (vgl. Bocchiola & Gerolin 1999: 25). Gleichzeitig kann cazzo in einigen Fragen das Fragepronomen ersetzen und im folgenden Frage­satz eine abwertende Meinung des Sprechers (hier gegenüber dem Essen) ausdrücken (vgl. Bocchiola & Gerolin 1999: 25): per cena? (23) (Che) Cazzo hai fatto (was) cazzo hast gemacht zum Abendbrot ‘Was hast du denn zum Abendessen vorbereitet?’ (Kontext: Dem Sprecher schmeckt das Essen nicht oder er findet die Auswahl des Essens schlecht) (Bocchiola & Gerolin 1999: 25) Obenauer (1994: 536) hat einige Beschränkungen in Verbindung mit der Partikel diable im Französischen festgestellt, die in Fragen mit multiplen wh-Elementen nicht auftreten darf, wenn sie einem wh-in situ-Element folgt:



Vertiefung der Fragestellung 

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(24) Qui a dit quoi? ‘Wer hat was gesagt?’ (25) Typ 4-Partikel (= Fragen mit multiplen wh-Elementen diable) *Qui a dit quoi diable? wer hat gesagt was Teufel (26) *Qui diable a dit quoi diable? wer Teufel hat gesagt was Teufel Ihm zufolge kann die Partikel diable generell nicht in situ stehen (vgl. auch Poletto & Pollock 2009): (27) Il a dit quoi (*diable)? +/– Echo er hat gesagt was (Teufel) ‘Was hat er gesagt?’ Die Partikel diable wird im gesprochenen Französischen sehr wenig gebraucht (vgl. Zribi-Hertz 2006), was eine Korpusanalyse des gesprochenen Französischen bestätigt hat.16 Die von Obenauer (1994) beobachtete Beschränkung ist von Pesetsky (1987) zu­vor zur englischen Partikel the hell festgestellt worden. Diese Beobachtung wurde später von Den Dikken & Giannakidou (2002) für das Englische erneut bestätigt. Den letzt­genannten Autoren zufolge kann the hell in der präverbalen Position durchaus mit mul­tiplen wh-Elementen mit einer geringen Akzeptabilitätseinschränkung auftreten, wenn sie eine bestimmte Lesart hat, und zwar eine Echolesart, während die Listenlesart ausge­schlossen ist: (28) a. ?Who the hell is in love with who? [single-pair echo reading only]17 b. *Who is in love with who the hell? (Den Dikken & Giannakidou 2002: 54) Es gibt andere Forscher, die davon ausgehen, dass die Partikel the hell in Fragen mit multiplen wh-Elementen auch nicht in der präverbalen Position stehen darf: (29) *? Who the hell read which book?

(Comorovski 1996: 96)

16 0 Belege mit wh-diable im COR und im PFC. FRANTEXT weist dagegen einige Belege in literarischen Texten auf (vgl. hierzu auch franz. Lexika wie Le Petit Robert). Das webbasierte Korpus COWFR11 enthält insgesamt 34 Belege. Aufgrund der geringen Frequenz bzw. stilistischen Markiertheit der Verwendung dieser Partikel im Französischen basieren meine Daten zum BmwEffekt im Französischen hauptsächlich auf Obenauers (1994) Daten. 17 Die Autoren geben keine Kontexte an, die eine wh-the hell Frage in einem Echokontext verdeutlichen könnten. Es stellt sich die Frage, worin der genaue Unterschied zwischen Echofragen mit und ohne the hell liegt.

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 Einleitung

Das Ergebnis meiner Datenerhebung zum Italienischen lautet wie folgt: Wenn die fol­gende Frage mit der Antwort nessuno vorrebbe mangiare niente ‘niemand würde etwas essen’ präsentiert wird, um die Erwartungshaltung des Sprechers widerzuspiegeln und den SprecherInnen gesagt wird, dass die Frage einen ­polemischen Unterton hat (ital. domanda con sfondo polemico), dann bewerten SprecherInnen die Fragen als inakzepta­bel: (30) Typ 4-Partikel (= Fragen mit multiplen wh-Elementen und cazzo/diavolo/ cavolo) *Chi cavolo/diavolo/cazzo vorrebbe mangiare cosa? wer cavolo/diavolo/cazzo würde essen was? Die Beschränkung im Fragesatz in (30) hängt mit der negativ-rhetorischen18 Lesart der Frage zusammen, weil vergleichbare Fragen mit einer Listenlesart grammatisch sind: (31) Trenta secondi di trailer che non rivelano un cazzo, dove ci si prende addirittura la briga di spiegare chi cazzo è chi con tanto di filmati di repertorio. ‘Dreißig Sekunden Trailer, die nichts aussagen und wo man sich sofort die Mühe macht, zu erklären wer wer ist, bei der großen Anzahl von Filmausschnitten.‘ (@-5) Es wurden auch Echofragen mit Partikeln überprüft. Italienische SprecherInnen finden die Verwendung von Partikeln wie cazzo in Echofragen nicht ungrammatisch, wenn die vorangegangene Äußerung bereits eine Frage mit einer Partikel enthalten hat und der Sprecher der Echofrage ein Element aus der Frage akustisch nicht verstanden hat, das dann hier hervorgehoben wird:

18 Es gibt im Französischen und im Italienischen einige lexikalische Elemente wie franz. après tout (engl. after all), ital. ma dai, sinceramente, in fondo, etc. ‘Komm schon/Mal ehrlich/Im Grunde’, die in Fragen eingesetzt werden, um sie als rhetorisch zu markieren: i. Je suis imparfaite. Après tout, qui ne l’est pas? (rhetorisch) ‘Ich bin nicht perfekt. Na und, wer ist es nicht?’ ii. In fondo che cosa ce ne? [COR ifamdl13] im Grunde was dort davon ‘Was ist schon dabei?’ Weitere Elemente, die in Fragen häufig eine rhetorische Interpretation auslösen, sind NPIs, z. B. quoi que ce soit ‘irgendwas’ (vgl. Le Goffic 1993, Larrivée 2001, Jayez et al. 2004 zu französischen NPIs und ihrer Lizenzierung): iii. Qui comprend quoi que ce soit dans tout cela? wer versteht irgendetwas in all dem ‘Wer versteht irgendetwas davon?’ (Der Sprecher glaubt, dass niemand etwas davon versteht.)



Vertiefung der Fragestellung 

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(32) A: Chi cazzo è Maria? B: Come? Chi cazzo è CHI? (Echo) wer cazzo è Maria B: wie? wer cazzo ist WER ‘Wer zum Teufel ist Maria? B: Wie bitte? Wer zum Teufel ist WER?’ Italienische SprecherInnen verwenden jedoch keine Partikeln in Echofragen, wenn die vorangegangene Äußerung keine Partikel enthält: (33) A: Piero ha visto Maria. B: Come? CHI (*cazzo) ha visto CHI? (Echo) Piero hat gesehen Maria. B: wie? wer cazzo hat gesehen wen ‘Piero hat Maria gesehen. B: Wie bitte? WER hat WEN gesehen?’ Vergleichbare Lesarten (Listenlesart und Echolesart) wurden für die Beispiele in (34)a. und b. mit einer Partikel, die wh-in-situ-Elementen folgt, nicht attestiert: (34) a. *Chi ha mangiato cosa cavolo/diavolo/cazzo? (Listenlesart, Echo) wer hat gegessen was cavolo/diavolo/cazzo? b. *Chi cavolo/cazzo/diavolo ha mangiato cosa cavolo/diavolo/cazzo? wer cavolo/cazzo/diavolo hat gegessen was cavolo/diavolo/cazzo? Eine mögliche Hypothese dazu ist, dass die Agrammatikalität in (34)a. und b. etwas mit der syntaktischen Stellung von Partikeln zu tun hat (vgl. auch Pesetsky 1987, Obenauer 1994, Den Dikken & Giannakidou 2002). Ich halte deshalb fest, dass man sowohl die syntaktische Stellung der Partikeln als auch die Lesarten der Fragen mit Partikeln bei der Frage nach der Wohlgeformtheit von Sätzen mit mehrfachen Frageelementen be­rücksichtigen muss. Der nächste Typ (Typ 5-NoN) enthält keine wh-Pronomina, sondern komplexe wh-Konsti­tuenten (z. B. che NP/quelle NP ‘was für eine NP/welche NP’), die die gleichen Ele­mente wie cavolo/cazzo/diavolo/diable aus Typ 4-Partikel innerhalb der komplexen wh-Konsti­tuente enthalten, denen allerdings in diesem Typ eine Präposition (di/de) folgt. In diesem Typ kommen an der gleichen Stelle noch einige weitere Elemente vor, wie franz. putain (wörtlich ‘Prostituierte’), drôle (wörtlich ‘merkwürdig/komisch’), ital. razza (wörtlich ‘Rasse/Art’) u. a. Alle diese Elemente werden meistens dazu verwendet, eine negative Einstellung des Sprechers bezüglich der Entität, die durch die Nominalkonstituente formal realisiert wird, auszudrücken (vgl. Bocchiola & Gerolin 1999: 26 zum Italienischen, Doetjes & Rooryck 2000 zum Französischen): (35) a. [che/quale cavolo/cazzo/razza/… di NP] b. [quel putain/drôle/diable…. de NP] ‘Was für ein Trottel/…von einer, m NP’ Fragen, die die genannten Konstituenten enthalten, weisen die gleichen Beschränkungen auf wie wh-Fragesätze mit wh-Pronomina und Partikeln (vgl. Typ 4-Partikel):

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 Einleitung

(36) Typ 5-NoN (=Fragen mit multiplen wh+cavolo di/diable de NP) Che cavolo di alunno avrebbe commesso questo errore/ was cavolo di Schüler hätte gemacht diesen Fehler/ *che (cavolo di) errore? *was (cavolo di) Fehler? ‘Was für ein Trottel von einem Schüler hätte diesen Fehler gemacht?’ (37) Quelle putain/diable/drôle de femme pourrait poser cette question/ welche putain/diable/drôle de Frau könnte stellen diese Frage/ *quelle (putain/diable/drôle de) question? *welche (putain/diable/drôle de) Frage ‘Was für eine dumme Frau könnte diese Frage stellen?’ Der nächste Fragesatztyp (Typ 6-neg) enthält Elemente, die mit Negation in Verbindung stehen, z. B. mit einer Satznegation. Allerdings lautet die vom Sprecher erwartete Ant­wort tutti/tous ‘alle’, wenn die Frage negativ-rhetorisch gemeint ist:19 (38) Chi non vorrebbe mangiare questa pizza gustosa? wer nicht möchte essen diese Pizza schmackhaft? ‘Wer möchte nicht diese leckere Pizza essen? (Erwartete Antwort: Alle möchten sie essen.) Dieser wh-Typ ist mit einem zweiten wh-Element ungrammatisch (Typ 6-neg): dai, chi non vorrebbe mangiare che cosa? (39) *Ma komm schon wer nicht möchte essen was (Erwartete Antwort: Alle möchten etwas essen.) (40) *Qu’ est-ce qu’ il ne faut pas expliquer à qui? was est-ce que man neg.cl. muss nicht erklären an wen (Erwartete Antwort: Man muss immer alles allen erklären.) Die Interpretation scheint erneut eine wichtige Rolle zu spielen, weil das Vorhandensein der Negation an sich nicht zur Agrammatikalität führt, z. B. wenn eine Listenlesart vor­handen ist:

19 Es gibt in der Literatur die Beschreibung ähnlicher wh-Typen mit einer rhetorischen Interpretation als wh-Exklamativsätze und nicht als rhetorische Fragen (vgl. Léard 1992, Rys 2006). Die Bezeichnung dieses wh-Typs als rhetorische Fragen oder als wh-Exklamativsätze spielt für meine Untersuchung eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist vielmehr, dass diese whTypen keine genuinen Informationsfragen sind.



Vertiefung der Fragestellung 

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(41) Kontext: In einem Restaurant fragt der Kellner nach den Personen und den Sachen, die diese Personen nicht essen, weil einige der Gäste Vegetarier sind und bestimmte Vorlieben haben: Chi non mangia cosa?20 ‘Wer isst was nicht?’ (42) Qui ne veut pas vivre avec qui ? wer neg.cl. will nicht leben mit wem ‘Wer will mit wem nicht leben?’ (COW FR11_108409216) Die folgenden Beispiele zeigen, dass Fragen mit Negationsadverbien wie frz. jamais und it. mai (‘jemals’) nur mit einem wh-Element grammatisch sind, wenn dieses ex situ steht, während die in-situ-Elemente nicht möglich sind. Wenn anstelle des wh-in-situ-Ele­mentes ein indefinites Pronomen (z. B. quelque chose/ qualcosa ‘etwas’) steht, dann ist der Satz grammatisch: (43) Qui n’ a jamais eu peur de quelque chose /*quoi? wer neg.cl. hat jemals gehabt Angst von etwas /*was? ‘Wer hat noch nie Angst vor etwas gehabt?’ (Erwartete Antwort: Alle haben schon mal Angst vor etwas gehabt.) (44) Chi vorrebbe mai

mangiare qualcosa/ *cosa (in una situazione del genere)? wer möchte jemals essen etwas/ *was? ‘Wer möchte in einer solchen Situation etwas essen?’ (Erwartete Antwort: Niemand möchte in einer solchen Situtation etwas essen.) Die genannten Negationsadverbien jamais und mai (‘jemals’) werden in der Literatur als NPIs (engl. Negative Polarity Items) bezeichnet, weil sie u. a. im Kontext einer Negation (genauer in monotonfallenden Kontexten,21 vgl. hierzu 20 Man sollte erwähnen, dass multiple wh-Elemente in Fragen mit einer Satznegation auch in unterschiedlichen italienischen Foren im Internet zu finden sind: i.  non sono in grado, occorrerebbe fare delle ricerche, di stabilire con esattezza, ieri, chi ha fatto cosa e, soprattutto, chi non ha fatto cosa. ‘Ich bin nicht in der Lage genau zu sagen, wer was gemacht hat und wer was nicht gemacht hat.’ (@-6). 21 Prototypisch monotonfallende Kontexte stellen die Satznegation und Negationsquantoren wie personne/noone/nessuno/keiner/niemand dar. Ganz grob lässt sich die Eigenschaft von monotonfallenden Quantoren wie folgt charakterisieren. Der spezifischere Satz in i. b. folgt logisch aus dem allgemeineren Satz in i. a., d. h. der allgemeinere Satz i. a. impliziert den spezifischen Satz in i. b. Anders gesagt: wenn der Satz i. a. logisch wahr ist, dann muss auch der Satz i. b. logisch wahr sein (Lechner 2011): i. a. Kein Gast ist heute angekommen. b. Kein Gast ist heute in der Früh angekommen.

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 Einleitung

Ladusaw 1980) oder in negativ-rhetorischen Fragen lizenziert werden können (vgl. Obenauer & Poletto 2000, Chierchia 2004, Homer 2008 für die Gleichsetzung von mai/jamais mit NPI-ever). Ich zähle diesen Typ aufgrund der Verbindung zur Negation zum Typ 6-neg. Das Element mai hat jedoch einen Sonderstatus, weil es im Gegensatz zum franz. jamais nicht nur postverbal, sondern auch präverbal in der gleichen Position wie die Partikeln cazzo/cavolo stehen kann, wie das Beispiel aus dem geschriebenen Korpus SSLMIT zeigt (vgl. Obenauer & Poletto 2000, Coniglio 2008 zu dieser Beobachtung): (45) Ma chi mai è di destra oggi in Italia? aber wer mai ist von rechts heute in Italien ‘Wer steht heutzutage schon politisch rechts in Italien?’ Nessuno, assolutamente nessuno. Sono tutti liberaldemocratici. ‘Niemand, absolut niemand. Alle sind Liberaldemokraten.’ Nun gibt es in der Forschung zu mai in Fragen keine Einigkeit darüber, ob mai dort zu einer Partikel grammatikalisiert ist, die mit deutschen Modalpartikeln wie z. B. schon, wohl, etc. vergleichbar ist (vgl. Coniglio 2008) oder ob mai in Fragen immer noch den Status eines temporalen Adverbs mit der NPI-Bedeutung ‘jemals’ hat (vgl. Obenauer & Poletto 2000). Cardinaletti (2011) übersetzt mai in Fragen einmal durch die NPI ever, einmal aber auch durch I‘m wondering, was irgendeine subjektive Einstellung ausdrücken soll (vgl. Cardinaletti 2011: 522): (46) Cosa avrà mai detto, poi, a Gianni? what he.will-have mai said poi to Gianni ‘What will he have said to Gianni? (I’m wondering)’ Fest steht, dass mai den Bmw-Effekt auslöst: (47) *Chi mai vorrebbe mangiare cosa? wer mai würde essen was? (erwartete Antwort: Niemand möchte etwas essen.) Ich betrachte das präverbale mai zunächst informell als eine Partikel, die ihre temporale Bedeutung verloren hat, vergleichbar mit dem mai, das in lexikalisierten Wörtern wie semmai (wörtlich: ob jemals idiom. ‘wenn überhaupt’) als Verstärker auftritt. Die empi­rische Auseinandersetzung mit dem Status von mai erfolgt in Kapitel 2. Monoton fallende Quantoren wie z. B. personne ‘niemand’ lizenzieren im Französischen NPIs wie z. B. wh-que ce soit ‘irgend-wh’ (vgl. Le Goffic 1993, Larrivée 2001, Homer 2008): ii. Personne n’a dit quoi que ce soit. ‘Keiner hat irgendetwas gesagt.’ (monotonfallend)



Vertiefung der Fragestellung 

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Der nächste Typ (Typ 7-Adjunkt) enthält die folgenden Ausdrücke: Ital. se non x ‘wenn nicht x’ bzw. im Frz. si ce n’est x (wörtlich: ‘wenn es nicht x ist’). Syntaktisch gesehen sind es Ausdrücke, die nicht in den Fragesatz integriert sind, und aus diesem Grund als Adjunkte bezeichnet werden können. Vergleichbare Ausdrücke werden in der englischen Literatur als counterfactuals bezeichnet (vgl. Horn 1972, Krifka 2007, Beaver & Clark 2008). Sie haben oft die Ei­genschaft, die existentielle Präsupposition der Frage aufzulösen (vgl. Horn 1972, Krifka 2007): (48) A: Who, if anyone, has solved this problem? B: Noone solved this problem. Diese Ausdrücke sind in Verbindung mit Fragen, die multiple wh-Elemente enthalten, ungrammatisch: (49) a. (*Se non lui) Chi vorrebbe mangiare cosa? wenn nicht er wer würde essen was? b. Chi (*se non lui) vorrebbe mangiare cosa? wer wenn nicht er würde essen was? c. Chi vorrebbe mangiare cosa (*se non questo)? wer würde essen was wenn nicht dieses? (50) (*Si ce n’ est lui) Qui aurait fait quoi? wenn es neg.cl. ist er wer hätte gemacht was ‘Wer hätte was tun können?’ Fragen mit diesen Ausdrücken sind grammatisch, wenn anstelle des wh-in-situElemen­tes ein indefinites Element eingesetzt wird (vgl. hierzu auch die grammatischen Fragen in (43) und (44)): (51) a. (Se non lui) Chi vorrebbe mangiare qualcosa? wenn nicht er wer würde essen etwas? b. Chi (se non lui) vorrebbe mangiare qualcosa? wer wenn nicht er würde essen etwas? ‘Wer, wenn nicht er, würde etwas essen wollen?’ Es fällt auf, dass in solchen Ausdrücken eine Negation frz. ne oder ital. non realisiert wird. Aus diesem Grund könnte man diesen Typ als einen Untertyp vom Typ 6-neg definieren. Gleichzeitig könnte dieser Typ auch als mit Typ 3-Spalt verwandt klassifiziert werden, zumin­dest im Französischen, weil er im Französischen einen Kopulasatz enthält und damit Gemeinsamkeiten mit Spaltsätzen aufweist. Allerdings stehen sowohl die Negation als auch die Kopula innerhalb des Adjunkts und somit nicht auf der gleichen Ebene wie der Fragesatz (vgl. dagegen Typ 3-Spalt und Typ 6-neg). Aus diesem Grund wird dieser Typ zunächst als ein eigenständiger Typ betrachtet.

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 Einleitung

1.2.3 Taxonomie von Sätzen mit multiplen wh-Elementen Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Fragetypen gibt, die mehrfache whElemente erlauben und solche, die sie nicht erlauben (vgl. Typen 3 bis 7). WhExklamativa, deren wh-Phrasen durch ein Verb getrennt sind, erlauben nicht mehrere wh-Elemente (vgl. Typen 1–2): (52) Taxonomie von +/– grammatischen wh-Konstruktionen mit mehreren wh-­ Elementen Wh-Sätze des Typs: wh 1 = Subj./Obj. Verb wh 2 = +/–dir.Obj. +gramm

–gramm Exklamativa Typ1 Typ 2-che

Fragen

(Typ 3-Spalt) ok für einige franz. SprecherInnen: Gruppe B)

Fragen [Echo] Fragen [Listenles.] Fragen [negativ rhetorisch] Fragen [Einzellesart] Spaltfragen (franz. Gruppe B)

Typ 6-neg Typ 4-cazzo Typ 5-NoN

Typ 7-Adjunkt

Die beobachteten Beschränkungen sind noch einmal in einer Tabelle zusammengefasst: Tabelle 1: Bmw-Effekt Wh-Sätze mit Beschränkungen

Frz.

Typ 1-Exkl = wh-Exklamativa ohne Komplementierer *

Ital. Kommentare *

auch im Englischen ungrammatisch (vgl. Portner & Zanuttini 2003, Ono 2004/2006, Oda 2008); formal identisch mit Fragesätzen

Typ 2-Exkl-che = wh-Exklamativa * mit Komplementierer

*

auch im Katalanischen mit einem overten Komplementierer que ungrammatisch (vgl. Castroviejo 2006)

Typ 3-Spalt = Spaltfragen

*

Ungrammatisch mit einer Listenlesart für alle ital. SprecherInnen, jedoch nicht für alle franz. SprecherInnen

*/ok



Vertiefung der Fragestellung 

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Tabelle 1: (fortgesetzt) Wh-Sätze mit Beschränkungen

Frz.

Ital. Kommentare

Typ 4-Partikel = wh-Fragen mit Partikeln

*

*

Ungrammatisch, wenn die Partikel hinter dem postverbalen wh-Element steht (vgl. auch Obenauer 1994 zum frz. diable). Steht die Partikel präverbal, dann ist die Frage nur mit einer negativ-rhetorischen Frage ­ungrammatisch, d. h. Echofragen und Listenlesarten sind nicht ausgeschlos­sen

Typ 5-NoN = [Wh cavolo/cazzo/ putain/….de NP] Verb [wh-XP]

*

*

Wird in grammatischen Fragen häufig dazu verwendet, die subjektive Einstel­lung gegenüber der NP zu markieren, selten eine Informationsfrage

Typ 6-neg = wh-Fragen mit einer * Negation: (Satz­negation, NPIs wie jemals, Negationsadverbien wie niemals)

*

Grammatisch mit einer Listenlesart

Typ 7-Adjunkt = wh-Fragen mit se * non x/si ce n’est x

*

Grammatisch, wenn se non x/si ce n’est x wegfallen. Im Französischen wird eine Kopula overt realisiert

Diese Tabelle zeigt, dass der Bmw-Effekt weitestgehend in beiden Sprachen auftritt. Der Spaltfragetyp (Typ 3-Spalt) zeigt jedoch sprachspezifische Differenzen, weil es individuelle Unterschiede in den Bewertungen bei französischen Sprech­ erInnen gibt. Die erste Generalisierung, die man aus den Daten ziehen kann, lautet, dass Partikeln wie cazzo/diable nie hinter postverbalen wh-Elementen stehen können (vgl. Obenauer 1994 für diese Beobachtung in Verbindung mit der Partikel diable): (53) Generalisierung 1: Partikeln wie diable stehen nie hinter wh-in situ-Elementen. Des Weiteren fällt auf, dass sehr viele wh-Typen, die Bmw-Effekte aufweisen, keine genuinen Informationsfragen bilden bzw. eine wertende Haltung des Sprechers ausdrücken, wenn sie mit nur einem wh-Element geäußert werden (vgl. z. B. wh-Exkla­mativsätze (Typ 1-Exkl u. Typ 2-Exkl-che), negativ-rhetorische Fragen (Typ 6-neg), Fragen mit cazzo/putain (Typ 4-Partikel u. Typ 5-NoN)). Die grobe Generalisierung könnte damit lauten, dass multiple wh-Elemente hauptsächlich in denjenigen Hauptsätzen erlaubt sind, die zumindest die Interpretation einer genuinen Frage nicht ausschließen. Man kann diese Generalisierung noch verfei­ nern und sagen, dass diejenigen wh-Typen, die die Interpretation einer Listenlesart und/oder Einzellesart ausschließen, den Bmw-Effekt auslösen:

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(54) Generalisierung 2: Ein grammatischer Fragesatz mit multiplen wh-­Elementen darf die Möglichkeit einer Listenlesart- oder einer Einzellesartinterpretation nicht ausschlie­ßen. Die Generalisierung in (54) ist nicht neu (vgl. Comorovski 1996, Krifka 2001). Sie wurde jedoch hauptsächlich nur in Zusammenhang mit einem einzigen wh-Typ im Eng­lischen erprobt, und zwar in wh-Fragen mit Partikeln wie the hell (Typ 4-Partikel). Meine Daten zeigen, dass diese Generalisierung weitere Typen erfasst (z. B. Fragen mit der Negation bzw. Typ 6-neg). Der einzige Typ, der die zweite Generalisierung teilweise verletzt, sind grammatische Fragen mit einer negativ-­­rhetorischen Interpretation (vgl. (10) u. (11)), weil solche Fragen auf keine Individuen referieren und, wie es scheint, weder eine Listenlesart noch eine Einzellesart haben. Das Ziel dieser Arbeit ist, die genannten Generalisierungen theoretisch näher zu beleu­chten und sie empirisch durch weitere Daten zu stützen, um letztendlich zu einer Erklä­rung für die Agrammatikalität von multiplen wh-­Elementen in den Typen 1 – 7 und für die Grammatikalität in den grammatischen Typen zu gelangen.

1.3 Forschungslücken Die meisten Analysen zum Bmw-Effekt in der Forschungsliteratur sind auf ei­nen bestimmten wh-Typ ausgerichtet, und es stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wie die jeweiligen Analysen auf andere Typen übertragen werden können. Außerdem wur­den einige der vorgestellten Daten aus 1.1 in der Forschung zu Bmw-Effekten überhaupt nicht thematisiert, z. B. Fragen mit Adjunkten wie se non x/si ce n’est x (Typ 7-Adjunkt), sowie Fragen mit wh-Phrasen der Form che cavolo di NP (Typ 5-NoN). Ich möchte die einzelnen Analysen in 1.3 kurz vorstellen und ihre Schwächen bzw. of­fenen Fragen aufweisen.

1.3.1 The hell- und verwandte Konstruktionen Es gibt zwei einschlägige Erklärungen des Bmw-Effektes in Zusammenhang mit den Daten, die Partikeln wie the hell und diable (also Typ 4-Partikel) behandeln: die prag­ matische Analyse, die Fragesätze bezüglich ihrer Diskursgebundenheit (engl. (non)-D-linked questions) unterscheidet (vgl. Pesetsky 1987, Comorovski 1996, Krifka 2001) und die syntaktische Analyse, die davon ausgeht, dass

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bestimmte wh-Elemente im Satz vorangestellt werden, weil sie eine abstrakte Kongruenzrelation mit einem interrogati­ven Komplementierer, CQ°, oder einer Fokuskategorie, Foc°, eingehen müssen (vgl. Obenauer 1994, Den Dikken & Giannakidou 2002). 1.3.1.1 Syntaktische Erklärungen Die syntaktische Erklärung besagt, dass ein wh-Element mit einer Partikel wie diable oder the hell nie in situ auftreten darf, weil das wh-Element laut dieser Erklärung mit der Partikel in die linke Peripherie des Satzes vorangestellt werden muss, um eine Kongruenzrelation mit einem interrogativen Komplementierer, CQ° (vgl. Obenauer 1994) und/oder einer Fokuskategorie, Foc°, einzugehen (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002). Auf diese Weise erklären die Vertreter dieses Ansatzes die erste Generalisierung, dass Partikeln wie diable nie hinter postverbalen wh-Elementen stehen können (vgl. die Generalisierung in (53)). Diese syntaktische Erklärung kann jedoch nicht die folgende Beschränkung erklären, da die Partikeln dort stehen, wo sie stehen sollten, nämlich am Satzanfang, bzw. ex situ (vgl. Typ 4-Partikel in 1.1): (55) *Chi mai/cavolo/diavolo/cazzo vorrebbe mangiare cosa? wer mai/cavolo/diavolo/cazzo würde essen was? ‘Niemand möchte etwas essen.’ (erwartete Antwort) Des Weiteren muss man sehen, wie solche Partikeln wie diable definiert werden, weil einige andere Partikeln wie z. B. franz. alors, ital. allora, die erste Generalisierung in (53) verletzen können, da sie postverbal stehen können: (56) A: vous avez fait quoi ce week-end alors? B: Ben, moi j’étais ‘A: Was haben Sie dieses Wochenende nun gemacht? B: Ich war….’ [COR ffamcv05] Eine weitere offene Frage ist, wie man ital. mai in Fragen analysieren soll. Der Forschungs­literatur und Lexika zufolge ist mai polysem. Man findet in zweisprachigen und einspra­chigen Wörterbüchern unterschiedliche Bedeutungen von mai (u. a. temporales Adverb mit der Bedeutung ‘jemals’; Negationsadverb mit der Bedeutung ‘niemals’; Partikel vergleichbar mit deutschen Partikeln bloß, denn, je, schon, wohl, Verstärker; vgl. Zingarelli 1999, Langenscheidt 2010). Verwendungsorientierte Grammatiken weisen mai und anderen Elementen wie cazzo, cavolo und diavolo die Funktion eines Verstär­kers zu (ital. Rafforzativo; Bocchiola & Gerolin 1999: 92). In der neueren Forschung gibt es ebenfalls verschiedene Analysen von mai, z. B. als eine NPI, weil sie u. a. im Kontext einer Negation lizenziert wird (vgl. Obenauer & Poletto 2000, Chierchia 2004/2011, Homer 2008);

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als Modalpartikel (vgl. Coniglio 2008), als temporales Adverb, welches, je nach Satzstellung, fokussiert sein kann (vgl. Cinque 1999). Keiner dieser Ansätze thematisiert den Bmw-Effekt in Fragen mit mai. Man sollte erwähnen, dass Modalpartikeln wie schon/denn/wohl im Deutschen mit multiplen wh-Elementen nicht ungrammatisch sind (vgl. Reis 1992: 485, Bayer & Obenauer 2011: 474): (57) BLINDES Vertrauen ist schon ein großes Wort, wer kann schon wem BLIND vertrauen? Ich denke, man sollte wirklich mal die Kirche im Dorf lassen und nicht alles zerpflücken, was hier geschrieben wird.(@-7, Hervorhebung O. K.) Wenn Partikeln wie mai/cazzo/cavolo Modalpartikeln sind (vgl. zu dieser These Coniglio 2008), dann muss man begründen, warum Modalpartikeln im Deutschen mit multiplen wh-Elementen nicht ungrammatisch sind. Dagegen sind NPIs (z. B. jemals und ever) für ihre Beschränkungen in Fragen mit einfachen und multiplen wh-Elemen­ten in der Literatur bekannt (vgl. Tomioka 2007, Hamlaoui 2010, Mayr 2011).22 Will man den Bmw-Effekt im Typ 4-Partikel auf den NPI-Status der genannten Partikeln zurück­führen, dann muss man unabhängig vom BmwEffekt empirisch und theoretisch begründen, dass diese Partikeln NPIs sind und was es genau heißt, dass sie NPIs sind. Eine NPI-Analyse von englischen Partikeln wie the hell wurde bereits vorgeschlagen (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002). Die Autoren vergleichen wh-the hell Elemente mit englischen NPIs wie anyone, anything, etc. Die zentrale Frage ist, ob Partikeln wie mai und cazzo/cavolo ebenfalls NPIs in Fragen sind und wenn ja, wie der NPI-Status den Bmw-Effekt im Typ 4-Partikel erklärt.

1.3.1.2 Pragmatische Erklärungen Die pragmatische Erklärung besagt, dass multiple wh-Elemente ausschließlich in Fragen möglich sind, die auf der Antwortebene anstelle der wh-Elemente auf Individuen (z. B. Personen) Bezug nehmen, die im Diskurs bereits erwähnt wurden und damit dem Spre­cher der Äußerung und/oder dem Hörer bekannt sein sollten (vgl. D-linked Fragen in Pesetsky 1987, Comorovski 1996, u. a.). Was dem Sprecher unbekannt ist, ist vielmehr die Verteilung der Individuen: (58) Kontext: der Sprecher A unterhält sich mit Maria, die mit Peter verheiratet ist: Wer hat wem einen Heiratsantrag gemacht? Er dir oder du ihm? Fragen mit Partikeln wie the hell (vgl. Typ 4-Partikel) seien keine D-linked Fragen (vgl. Pesetsky 1987, Obenauer 1994, Comorovski 1996, Krifka 2001, Den Dikken & 22 Eine modifizierte Version findet sich in Mayr (2014), eine Arbeit, auf die hier ab und an verwiesen wird.

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Giannakidou 2002), und aus diesem Grund erlaubten sie keine multiplen whElemente (vgl. ebd). Krifka (2001) zufolge hat die fehlende Diskursgebundenheit von wh-on earth Elementen (z. B. who on earth…?) etwas mit der Erweiterung (Widening) der Quantifikationsdomäne des Frageelementes zu tun: „The phrase on earth indicates that the domain for who should be taken as widely as pos­ sible, hence it marks the phrase as not D-linked.” (Krifka 2001: 307). Die Eigenschaft der Erweiterung steht Krifka (2001) zufolge in Konflikt mit der Annahme, dass wh-Elemente in Fragen mit multiplen wh-Elementen D-linked sein müssen. An dieser Stelle sollte man auf Den Dikken & Giannakidou (2002) zurückkommen, die nicht nur den syntaktischen Status von Parti­keln wie the hell, sondern auch ihren semantischen Status analysieren. Ihnen zufolge folgt die Widening-­ Eigenschaft von wh+the hell Elementen aus ihrem NPI-Status. NPIs werden in der NPI-­Forschung als Existenzquantoren mit einer erweiterten Quantifikations­ domäne analysiert, die nur in bestimmten Kontexten auftreten dürfen (z. B. im Skopus der Negation, im Skopus von Frageoperatoren, etc.) (vgl. Kadmon & Landman 1993, Krifka 1995, Guerzoni 2003, Chierchia 2004). Die pragmatische Erklärung im Rahmen der Diskursgebundenheit allein kann jedoch die syntaktische Beschränkung nicht erklären, derzufolge Partikeln wie diable keinen post­verbalen wh-Elementen folgen können (vgl. (53)). Sie sagt außerdem grammatische Fragen mit multiplen wh-Elementen, die eine negativrhetorische Interpretation haben und keine Partikeln enthalten (vgl. z. B. (10) in 1.1), fälschlicherweise als ungramma­tisch voraus. Der Grund dafür ist erstens, dass die Antworten anstelle von wh-Elemen­ten Quantoren und keine Individuen enthalten können, und zweitens, dass der Sprecher die Alternativenwerte einer Frage mit multiplen wh-Elementen nicht kennen muss. Das zeigt der folgende Fragesatz aus Meibauer (1999). Dieses Beispiel sagt gerade explizit aus, dass der Sprecher keine (zutreffenden) Alternativen kennt („mir jedenfalls erscheinen die Alterna­tiven finster“):23 (59) […], dass das Wollen aller einzelnen der letzte Bezugspunkt für die Rechtfertigung eines politischen Systems ist. Und wer kann dem heute mit welchen Gründen wider-sprechen? Mir jedenfalls erscheinen die Alternativen finster. ([ZEIT 10/1983: 46] zitiert in Meibauer 1999: 110) Entsprechende Beispiele finden sich auch im Französischen und Italienischen:

23 Ein Reviewer teilt die vorgeschlagene Interpretation des Beispiels in (59) nicht, weil ihm zufolge der Sprecher des Fragesatzes die Alternativen kennt, jedoch als schlecht bzw. finster bewertet. Die Beispiele in (60)–(61) verdeutlichen m. E. etwas besser die Möglichkeit der besagten Interpretation anhand der erwarteten negativen Antwort.

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(60) Non, mais qui agresse qui ici? Ce n’est pas une attaque. ‘Nun mach mal halblang, wer greift hier wen an? Das war kein Angriff.’(@-8) (61) Ma chi nega cosa, scusa? ‘Aber entschuldige mal, wer verneint was?’ (‘Niemand verneint etwas.’) (@-9, Klammer von O. K.) Meibauer (1999) hat das Beispiel in (59) in einem anderen Zusammenhang ge­­ bracht, nämlich um zu zeigen, dass rhetorische Fragen im Deutschen keinen eigenen Satztyp rechtfertigen, weil sie sich syntaktisch wie gewöhnliche Fragen verhalten. Fra­gen wie in (59) haben nach Meibauer (1999) auf der pragmatischen Ebene nicht die Be­deutung einer Frage, sondern die Bedeutung einer indirekten Behauptung bzw. Asser­tion (vgl. auch Han 2002). Es stellt sich damit die Frage, warum Fragesätze mit Parti­keln (vgl. Typ 4-Partikel) keine vergleichbare Inter­ pretation wie die grammatischen Fragen mit einer negativ-rhetorischen Interpretation (vgl. 1.2.1) haben können.

1.3.2 Spaltfragen Die nächste offene Frage ist, ob alle anderen Typen, die Bmw-Effekte aufwei­ sen, auf der Basis der o. g. pragmatischen Erklärung erfasst werden können. Die Cha­rakterisierung von Spaltfragen als diskursungebunden ist nicht zufriedenstellend (vgl. die Beschreibung von Spaltfragen als diskursgebunden in Chang 1995, Boeckx et al 2001, Starke 2001). Die Diskursgebundenheit sieht man besonders daran, dass man in französischen Spaltsätzen und Spaltfragen auch demonstrative Pronomina wie ça ‘das/dieses‘ verwenden kann (weitere empirische Evidenz für die Diskursgebundenheit von Spaltfragen folgt in 2.1): (62) Ça c’ est moi qui vous l’ assure das s.cl. ist ich die euch es versichert ‘Ich bin es, die es euch versichert.’

[PFC snain1]

(63) Kontext: A sieht wie B etwas isst. A fragt zeigend auf die Speise: A: ça, c’ est quoi que tu manges? dies, s.cl. ist was das du isst? ‘Du isst x, x ist das, worauf ich, Sprecher, zeige, und ich möchte wissen was es ist.’ Daraus schließe ich, dass die Erklärung über +/– Diskursgebundenheit nicht alle Typen erfasst.

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1.3.3 wh-Exklamativsätze Was den Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen angeht, so haben einige Autoren wh-Phrasen mit einer prädikativen und/oder adverbialen Funktion in katalanischen und englischen wh-Exklamativsätzen untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Agrammatikalität in den folgenden Daten etwas mit der Illokution der Sätze zu tun habe (Castroviejo 2006, Rett 2008). Grammatische wh-­Exklamativsätze wie z. B. How tall Mary is! drücken Überraschung oder irgendeine subjektive Einstellung des Sprechers gegenüber einem hohen Grad aus, den wh-Exklamativsätze denotieren. Der Sprecher ist somit überrascht oder hat eine besondere Einstellung dazu, dass Mary sehr groß ist (der sogenannte Gradansatz von wh-Exklamativsätzen). Die Autorinnen nehmen weiterhin an, dass der Sprecher eines Exklamativsatzes sich nur über einen einzigen Grad wundern kann bzw. eine Einstellung dazu haben kann. Die ungrammatischen Beispiele in (64)(66) drücken jedoch zwei Grade aus, die durch graduierbare Adjektive vermittelt werden (vgl. z. B. die beiden Adjektive ràpid ‘schnell‘ und gran ‘groß‘ in (64)). Das würde bedeuten, dass der Sprecher sich über zwei Grade wundern müsste bzw. eine Einstellung gegenüber zwei Graden haben müsste, was der Annahme jedoch widerspricht. Auf diese Weise erklären die Autorinnen die Agrammatikalität in den besagten Beispielen (vgl. Castroviejo 2006: 15, Rett 2008: 610): (64) *Que ràpid que t’ has menjat quina hamburguesa tan gran! how fast that to.you AUX.you eaten what hamburger so big (65) *Quin home tan alt com corre! what man so tall how runs (66) */?? How can you solve how many problems! Es ist allerdings nicht sicher, dass ihre Daten das zeigen, was die Autorinnen daraus ableiten, weil entsprechende Beispiele meinen Befragungen zufolge auch in Fragesätzen ungrammatisch oder besonders markiert sind: (67) */??Com has menjat quina hamburguesa? (Katalanisch) how have-you eaten which hamburger (68) */??Quin home com corre? which man how runs

(Katalanisch)

(69) */?? How can you solve how many problems? Man beachte außerdem, dass in dem Beispiel (65) die Einführung von Graden auf der pragmati­schen Ebene postuliert werden müsste, weil dort kein overtes Adjektiv in Verbindung mit dem zweiten wh-Element com realisiert ist.

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Die Beschränkungen haben in den Daten von Castroviejo (2006) und Rett (2008) möglicherweise nichts mit der Illokution von wh-Exklamativsätzen zu tun, sondern mit der prädikativen und/oder adverbialen Funktion von wh-­ Adverbien wie com und how, die mit weiteren wh-Phrasen auch in Fragesätzen nicht kompatibel oder sehr stark mar­kiert sind (vgl. Grewendorf 2001, Gärtner & Michaelis 2010). Ein weiteres Problem der genannten Gradanalyse ist, dass es anscheinend sprachspezifische Unterschiede in der Gültigkeit von Bmw-Effekten in Exklamativsätzen gibt (vgl. Ono 2004/2006 zum Japanischen, Oda 2008 zum Japanischen und Rumäni­schen, Rebuschi 2008 zum Lateinischen und Altgriechischen). Die folgenden Daten sollen Ono (2004: 1) zufolge zeigen, dass im Japanischen der Bmw-Effekt im Gegensatz zum Englischen nicht existiert: (70) a. *What a long paper John sent to what a famous journal! b. John-wa nante nagai ronbun-o nante yuumeina zassi-ni oku-tta John-TOP wh long paperACC wh famous journalDAT-sendPST no da NL COP ‘What a long paper John sent to what a famous publisher!’ Oda (2008: 259) zufolge gibt es sprachspezifische Unterschiede zwischen dem Englischen und dem Rumänischen. Während der englische Satz in (70)a ungrammatisch ist, ist ein vergleichbarer rumänischer Satz grammatisch, wenn auch leicht markiert: (71) ?Ce fata frumoasă cu ce bărbat uratâ s- a căsătorit! what girl beautiful with what man ugly recip.- has married Lit. ‘What a beautiful girl married what an ugly man!’ Aus diesem Grund haben Ono (2004) und Oda (2008) eine syntaktische Erklärung in Anlehnung an Obenauer (1994), Den Dikken & Giannakidou (2003) vor­ geschlagen, derzufolge ungrammatische wh-Exklamativsätze im Englischen daraus folgen, dass jede wh-Phrase ein formales Merkmal enthält, welches nur in der linken Peripherie des Satzes überprüft werden kann. Da im Rumänischen multiple wh-Phrasen in der linken Peripherie stehen können, sind ­multiple whElemente in Exklamativsätzen des Rumäni­schen grammatisch. Im ­Japanischen gibt es dieses Merkmal nicht und aus diesem Grund können wh-Elemente in situ stehen bleiben (vgl. Ono 2004, Oda 2008). Abgesehen von den unterschiedlichen Erklärungen des Bmw-Effektes in wh-Exklamativsätzen stellt sich die Frage, wie diese Erklärungen andere Typen erfassen.

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1.3.4 Weitere Typen, die in der Literatur unberücksichtigt blieben Einige der vorgestellten Typen aus 1.1 wurden in der Forschung zu Bmw-Ef­fekten überhaupt nicht thematisiert, z. B. Fragen mit Ausdrücken wie se non x/si ce n’est x (Typ 7-Adjunkt), sowie Fragen mit wh-Phrasen der Form che cavolo di NP (Typ 5-NoN). Zum Ausdruck wie franz. si ce n’est x ist zu sagen, dass er einige formale Gemeinsamkeiten mit Spaltsätzen (vgl. (73)) teilt, weil er einen Kopulasatz aufweist, die auch Spaltsätze aufweisen. Außerdem entspricht der Ausdruck, der an­­ stelle von x in franz. si ce n’est x oder anstelle der XP in Spaltsätzen steht, einem Ar­gument des lexikalischen Verbs der Frage in (72) und dem in der Koda in (73). Die Präpositionalphrase pour des hommes qui… ‘für die Männer, die…‘ ist das Argument des Prädikats der vorausgehenden Frage était bruyante ‘war wichtig‘ und nicht des Verbs est ‘ist‘ in si ce n’est (sogenannte Kasus-Matching-Effekte in Spaltund Relativsätzen): (72) Mais pour qui cette sonnerie était-elle bruyante? ‘Aber für wen war dieser Anruf wichtig?’ Si ce n’est pour des hommes qui ont passé une nuit blanche dans le hall de l’hotel? ‘Wenn nicht für die Männer, die eine schlaflose Nacht in der Eingangshalle des (C-ORAL-ROM fnatla03, Hervorhebung O. K.) Hotels verbracht haben?’ (73) C’est pour lui que je l’ ai fait. es ist für ihn dass ich es habe gemacht. ‘Für ihn habe ich es gemacht (und nicht für sie).’ Man könnte deshalb annehmen, dass Spaltsätze und Ausdrücke wie si ce n’est x eine einheitliche Analyse verlangen und dass der Bmw-Effekt in beiden Konstruk­tionstypen (Spaltfragen und Fragen mit si ce n’est x) aus dem gleichen Prinzip folgt. Zum Typ 5-NoN ist zu sagen, dass er große Ähnlichkeiten mit dem Typ 4-­Partikel teilt (vgl. die Ver­wendung der Elemente cavolo/cazzo). Gleichzeitig haben diese Elemente im Typ 5-NoN ei­nen anderen syntaktischen Status. Sie zeigen mehr Ähnlichkeiten mit Nomina, weil sie mit einem definiten Artikel einhergehen können (ital. che musica di/del cazzo è? wört­lich: ‘was Musik von/vom Penis ist es?‘). Außerdem treten sie in einer komplexen wh-Konstituente auf. Es gibt einige Analysen vergleichbarer Konstruktionstypen wie z. B. franz. cet idiot de Jean (wörtlich: ‘dieser Idiot von Jean‘ idiom. ‘Jean ist ein Idiot.‘) (vgl. Kayne 1994, Den Dikken 1998, Doetjes & Rooryck 2000, Potts 2007). Einigen Autoren zufolge haben Nomina wie idiot einen prädikativen Status und werden als solche auch abgeleitet (vgl. Kayne 1994, Den Dikken 1998). Potts (2007) zufolge bilden

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vergleichbare Elemente im Englischen (z. B. damn, fucking, bastard, etc.), die syntaktisch an Nomina adjungieren können (z. B. that bastard Kresge is famous), expressive Typen (vgl. auch Doetjes & Rooryck 2000). Diese Typen nehmen keinen Einfluss auf die wahrheitsfunktionale Bedeutung des Satzes (vgl. (74)a.), sondern kodieren eine negative Einstellung des Sprechers, die paral­lel zu der wahrheitsfunktionalen Proposition des Satzes berechnet wird (vgl. (74)b.): (74) a. Descriptive: Kresge is famous b. Expressive: Kresge is a {bastard/bad in the speaker’s opinion} Beaver & Clark (2008: 74) analysieren expressive Ausdrücke wie damn, fucking, really, etc. als intensivierende Partikeln bzw. Intensivierer, die ihnen zufolge fokussensitiv sind. Das bedeutet, dass der Satz I went to this fucking house eine Antwort auf eine im­plizite Frage wie where did you go? darstellt. Auf diese Weise wird die rechtsadjazente Konstituente des Intensivierers (engl. prejacent) fokussiert. Der Intensivierer fucking operiert Beaver & Clark (2008) zufolge auf den Fokusalternativen, indem er sich eine Alternative aus der Alternativenmenge herausgreift und über sie aussagt, dass sie be­sonders erwähnenswert (engl. particularly notable) ist (vgl. Beaver & Clark 2008: 74 f.). Die relevante Frage für diese Arbeit ist, ob eine der skizzierten Analysen den Bmw-Effekt im Typ 5-NoN erklären kann.

1.3.5 Interventionseffekte Der Bmw-Effekt in Zusammenhang mit der Negation (vgl. Typ 6-neg) wurde in verschiedenen Sprachen beobachtet (vgl. Rizzi 1990, Cinque 1990, Obenauer 1994, Honcoop 1998, Beck 1996/2006, Hamlaoui 2010, Mayr 2011). Die Beschränkung im Typ 6-neg wurde auf sogenannte Interventionseffekte zurückgeführt. Die grobe empirische Generalisierung von Interventionseffekten der genannten Autoren lautet, dass wh-Ele­mente keinen Negationselementen (z. B. einer Satznegation, NPIs wie ever, Negations­adverbien wie never) folgen können. Dies soll das folgende Minimalpaar aus Mayr (2011) illustrieren. Mehrfache Frageelemente sind nicht erlaubt, wenn zwischen den beiden wh-Elementen ein Intervenierer (z. B. ein Negationsquantor) steht wie in (75)b. (vgl. auch Beck 1996/2006 für diese Beobachtung im Deutschen): (75) a. Wen hat wem niemand vorgestellt? b. *Wen hat niemand wem vorgestellt? Die Beschränkung in (75)b. gilt nicht nur in Fragen mit multiplen wh-Elementen, son­dern auch in einfachen Fragen bzw. Fragen mit nur einem wh-Element, wenn

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es einem Quantor wie in (76)a. folgt (vgl. Rizzi 1990, Beck 1996/2006, Zubizarreta 2003, Kim 2006, Tomioka 2007, Hamlaoui 2010, Mayr 2011): (76) a.#24 personne n’ a acheté quoi? niemand neg.cl. hat gekauft was b. qu’ est-ce que personne n’ a acheté? was est-ce que niemand neg.cl. hat gekauft ‘Was hat keiner gekauft?’ (Hamlaoui 2010: 352) Außerdem wurde die gleiche Beschränkung in Verbindung mit Fokuspartikeln wie juste/nur/only und même/sogar/even festgestellt, d. h. wh-Elemente können auch keinen von Fokuspartikeln modifizierten Konstituenten folgen (vgl. Hamlaoui 2010: 352 und die darin zitierte Literatur): (77) # seule MiraFokus nur Mira

a acheté quoi? hat gekauft was

Gleichzeitig haben einige Autoren darauf hingewiesen, dass die Beschränkung in (76)a. und (77) keine absolute Beschränkung ist, weil vergleichbare Daten in Echofragen und in diskursgebundenen Fragen vollkommen in Ordnung sind (vgl. Starke 2001, Adli 2006, Hamlaoui 2010 zum Französischen). Meine Sprecherbefragungen und die Korpusuntersuchung haben diese Einschränkung bestätigt, weil die Satznegation pas sowohl in wh-ex situ als auch in wh-in situ Fragen im Französischen auftreten kann, d. h. Interventionseffekte existieren, wenn überhaupt, nur mit gewissen Lesarten (vgl. z. B. (42)).25 Die gleiche Beobachtung gilt für das Italienische, wie die Daten in 1.1, genauer der Unterschied zwischen (39) und (41), gezeigt haben. Außerdem können wh-Elemente Fokuspartikeln in Echo­ fragen folgen, wie das folgende Beispiel aus dem Französischen zeigen soll: 24 Man beachte, dass Hamlaoui (2010) Interventionseffekte durch das Zeichen # repräsentiert, das in der Literatur für eine semantische und keine syntaktische Beschränkung steht. 25 Echofragen mit Negation sind vollkommen grammatisch: i. A: Personne n’a compris ce que j’ai dit. B: Comment? Personne n’a compris QUOI? ‘A: Niemand hat verstanden, was ich gesagt habe. B: Niemand hat WAS nicht verstanden?’ Im Korpus PFC lassen sich Belege mit Negation in wh-in situ Fragen finden (von insgesamt 317 wh-in situ Fragen mit quoi gibt es 2 Beispiele mit der Negation pas): i. E: C’est pas quoi? ‘Was ist es nicht?’ [61alh1] ii.  Je te[sic!] serais pas tentée par quoi? ‘Wovon würde ich mich nicht verführen lassen?’ [13ads1]. Es wurde nur ein Beleg mit pas in qu’est-ce que Fragen attestiert (von insgesamt 639 Belegen): iii. Qu’est-ce que tu as pas appris? ‘Was hast du nicht gelernt?’[75xjo1]. Es gibt einen Beleg mit einer Negation im webbasierten Korpus COWFR: iv. il n’a pas bombardé quoi? ‘WAS hat er nicht bombardiert?’(COWFR11_49323259)

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(78) a. Person A: Même/Juste le chat a mangé des insectes. ‘Selbst/nur die Katze hat Insekten gegessen.’ b. Person B: Comment? Même/Juste le chat a mangé QUOI? wie sogar/nur die Katze hat gegessen WAS ‘Wie bitte? Selbst/nur die Katze hat WAS gegessen?’ Es gibt in der Literatur weder Übereinkunft darüber, ob alle Intervenierer eine einheitli­che syntaktische und/oder semantische Klasse bilden (vgl. Rizzi 1990, Beck 1996, Beck 2006, Mayr 2011), noch gibt es Übereinkunft darüber, auf welcher Ebene oder auf wel­chen Ebenen der Interventionseffekt genau definiert werden soll: auf der syntaktischen Ebene (Rizzi 1990, Kim 2006), auf der Ebene der Schnittstellen zwischen Syntax und Semantik (vgl. Beck 2006), zwischen Syntax, Semantik und dem pragmatischen Kontext der Äußerung (vgl. Mayr 2011) oder auf der Ebene der Informationsstruktur, genauer auf der Ebene der Strukturierung einer Äußerung in Fokus und Hintergrund, welche phonologisch markiert wird (Zubizarreta 2003, Tomioka 2007, Hamlaoui 2010). Eine ungefähre Skizzierung der syntaktischen und/oder semantischen Erklärung von Interventionseffekten sieht so aus, dass intervenierende Elemente die strukturelle Rela­tion zwischen einem funktionalen Element, CQ, das einen Satz als eine Frage markiert, und dem wh-Element in situ unterbrechen (vgl. Rizzi 1990, Beck 1996, Kim 2006). Ich verdeutliche diese Idee informell bei einem Interventionseffekt im Französischen (die Linien symbolisieren irgendeine syntaktische und/oder semantische Abhängigkeit, die durch das fettgedruckte intervenierende Element unterbrochen wird): (79) *[CQ [ personne n’ a acheté quoi?]] Niemand neg. hat gekauft was (80) *[CQ [juste/même nur/sogar

MiraFokus a acheté quoi?]] Mira hat gekauft was

Eine solche Erklärung ist jedoch aus empirischen Gründen problematisch, weil Interven­tionseffekte nicht absolut sind (vgl. (78)). Nicht alle Autoren teilen eine solche Erklärung von Interventionseffekten (vgl. Hamlaoui 2010, Mayr 2011). Hamlaoui (2010) geht von einer prosodisch orientierten Erklä­rung von Interventionseffekten in Verbindung mit Fokuspartikeln aus. Ihr zufolge erhält das wh-in situ-Element im Französischen einen Satzakzent, der den Kopf einer Intona­tionsphrase (IntP) bildet (der Satzakzent wird durch die beiden Sternchen in der folgen­den Abbildung repräsentiert). Gleichzeitig wird der nicht wh-markierte Teil, der wie das wh-Element eine

Forschungslücken 

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phonologische Phrase (P) bildet, im Französischen deakzentuiert (wes­wegen dieser Teil auch keinen Akzent trägt) und pragmatisch im Sinne Schwarzschilds (1999) als gegeben oder anaphorisch zugänglich (engl. given) interpretiert: * * ok [{….. }P {WH}P]IntP (81) Bsp. [ {tu fais}P quoi}P]IntP du machst was ‘Was machst du?’ Wenn nun eine Fokuspartikel wie juste/même im nicht wh-markierten Teil verwendet wird, dann muss das Bezugselement der Partikel in (82) (hier: Mira) ebenfalls einen Akzent bekommen. Diese Bedingung widerspricht der Forderung nach einer vollständi­gen Deakzentuierung des gegebenen Teils (vgl. Schwarzschild 1999). Aus diesem Grund bezeichnet Hamlaoui Intervenierer als Anti-Given Items, AGI: (*) * * * # [{Intervenierer = AGI}P {WH}P]IntP (82) # [ {seule MiraFokus nur Mira

a acheté}P{ quoi}P]IntP hat gekauft was

Nun kann Hamlaouis (2010) Erklärung nicht auf Interventionseffekte in Verbindung mit einer Negation und einer negativ-rhetorischen Lesart übertragen werden (vgl. (79)), es sei denn, es ließe sich nachweisen, dass eine Satznegation (z. B. franz. pas) oder ein Ne-gationselement (z. B. personne ‘niemand’ oder jamais ‘jemals/niemals’) im Französi­schen eine Akzentsetzung verlangen und als AGI definiert werden können. Es bleibt auch offen, ob die Begründung prosodischer oder pragmatischer Natur ist. Es ist zweifelhaft, dass die Proso­die in (78) eine andere ist und dass man alle Bmw-Effekte (vgl. Typen 1–7) aus Hamlaouis (2010) Erklärung von Interventionseffekten ableiten kann. Die meisten Interventionseffekttheorien lassen sich nur auf bestimmte Gruppen von Intervenierern anwenden, z. B. auf Interventionseffekte in Verbindung mit Fokus (vgl. Zubizarreta 2003, Beck 2006, Kim 2006, Tomioka 2007, Hamlaoui 2010). Die selben und andere Autoren schlagen vor, dass Interventionseffekte auch in Verbindung mit einer Quantifikation stehen, die durch Quantoren wie jeder, niemand, etc. ausgelöst werden (vgl. Beck 1996/2006, Sauerland & Heck 2003, Butler & Mathieu 2004). Nach meiner Kenntnis des Forschungsstandes sticht Mayrs (2011) Theorie unter den bisheri­ gen Erklärungen von

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 Einleitung

Interventionseffekten besonders hervor, weil sie sowohl unter­schiedliche semantische Klassen von Intervenierern (z. B. Negation(sadverbien), Fokus­partikeln, distributiven Quantoren wie jeder/each, etc.) als auch die Unterschiede inner­ halb von Quantoren und Fokuspartikeln berücksichtigt. Mayr (2011) zeigt für das Deut­sche, dass nicht jeder Quantor und nicht jede Fokuspartikel ­automatisch ein starker Intervenierer ist und dass die logischen Eigenschaften innerhalb der Intervenierergruppe entscheidend für den Interventionseffekt im Deut­ schen sind. So sind z. B. Quantoren wie niemand/nichts stärkere Intervenierer als Quantoren wie je­mand/etwas, weil die letzten spezifisch (d. h. als jemand/ etwas be­stimmtes) interpretierbar sind und damit ihre Quantorbedeutung verlieren können. Fokuspartikeln, die eine Negation semantisch ausdrücken, wie z. B. nur (nur Peter ≈ ‘kein anderer als Peter’) sind stärkere Intervenierer als Fokus­ partikeln wie auch (z. B. auch Peter), die keine Negation ausdrücken (vgl. 3.4.2). Da Mayr zufolge die Interpretation eine große Rolle bei Interventionseffekten spielt, liegt die Annahme nahe, dass die negativ-rhetorische Interpretation bzw. die Abwesenheit der Listenlesart oder der Einzellesart den Interventionseffekt im Typ 6-neg begünstigt. Folglich sollte die Interpretation einzelner wh-Typen genaustens untersucht werden. Allerdings stellt sich dann immer noch die Frage, warum die negativ-rhetorische Interpretation allein keinen Interventionseffekt auslöst (vgl. grammatische Fragen mit multiplen wh-Elementen mit einer negativ-rhetorischen Interpretation in 1.2.1). Eine weitere bisher nicht gestellte Frage, die in der vorliegenden Arbeit prominent verfolgt wird, ist, ob alle anderen Typen ebenfalls mit Hilfe von Interventionseffekten analysiert werden können. Die meisten Interventionseffekttheorien setzen einen sichtba­ren bzw. hörbaren lexikalischen Intervenierer voraus, z. B. eine Satznegation, die zwischen dem interrogativen Komplementierer CQ und dem wh-in situ interveniert (vgl. Rizzi 1990, Kim 2006, Beck 2006, Mayr 2011). Interventionseffekte mit koverten bzw. nicht hörbaren quantifizierenden Elementen oder Operatoren, die intervenierend wirken könnten, sofern sie überhaupt existieren, werden entweder gar nicht thematisiert oder nicht detailliert behandelt (vgl. jedoch Zubizarreta 2003, Beck 2006, Mayr 2011).26 26 Den zitierten Autoren zufolge können auch fokussierte Konstituenten intervenieren. Zubizarreta (2003) zufolge kann der Interventionseffekt in wh-in situ Fragen im Französischen auf Fokus mit einer Kontrastfunktion zurückgeführt werden, die durch die nachgestellte Negation explizit gemacht werden kann: i. *JEAN a parlé à qui? (mais pas Pierre) ‘JOHN talked to whom (but not Pierre)’ Mayr (2011) zufolge wird der Interventionseffekt in Verbindung mit einer fokussierten Konstituente auf einen koverten only-Operator zurückgeführt (den ich in einer Klammer repräsentieren möchte): ii. ??Wen hat (nur) LUISE wo gesehen? (Beck 2006: 32) (zitiert in Mayr 2011: Fn. 17).



Zentrale Hypothesen dieser Arbeit 

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Daraus folgt natürlich nicht, dass es prinzipiell unmöglich sein sollte, Interventionsef­ fekte aus koverten Intervenierern abzuleiten. Nicht jede Theorie kommt jedoch für eine solche Möglichkeit in Frage. Wenn Spaltfragen (vgl. Typ 3-Spalt), wh-Exklamativtypen (vgl. Typ 1-Exkl und Typ 2-Exkl-che), wh-Fragen mit Partikeln (Typ 4-Partikel) bzw. schimpfwortartigen Nomina (Typ 5-NoN) und wh-Fragen mit Adjunkten (Typ 7-Adjunkt) ein solches Element voraus­setzen sollten, das einen Interventionseffekt auslöst, vergleichbar mit einem Interventionseffekt, den eine Negation oder eine lexikalisch overte Fokuspartikel aus­löst, dann muss man die Existenz solcher intervenierender Elemente auf der Bedeu­tungsebene begründen. Aus diesem Grund muss man sich die Bedeutungen dieser Strukturen und die Kontexte anschauen, in denen sie auftreten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Analysen einzelner Typen aus dem For­schungsstand keine einheitliche Erklärung des Bmw-Effektes bieten. Es besteht der Grund zu der Annahme, dass zumindest der Typ 6-neg mit einer overten Satznegation und quantifizierenden Adverbien wie jemals/niemals als ein Interventionseffekt be­schrieben werden kann. Was jedoch noch gezeigt werden muss ist, welche Rolle die negativ-rhetorische Interpretation bei diesem Effekt spielt. Zu sagen, dass alle wh-Typen mit Bmw-Effekten auf einen Interventionseffekt zurückzuführen sind, scheint zu implizieren, dass dieser Effekt auf der Bedeutungsebene erklärt werden muss. Denn fast alle Typen mit Bmw-Effekten enthalten kein sichtbares bzw. hörbares lexi­kalisches Element wie eine Satznegation oder eine lexikalische Fokuspartikel, die inter­venierend wirken könnten. Im Folgenden stelle ich die zentralen Hypothesen vor, die in dieser Arbeit überprüft werden.

1.4 Zentrale Hypothesen dieser Arbeit Die erste zentrale Hypothese dieser Arbeit ist, dass der Bmw-Effekt in den genannten Typen auf einen Interventionseffekt hinausläuft, der entweder durch be­stimmte Fokusoperatoren mit der Bedeutung ‘nur/sogar’ und/oder Negation zusammen mit einer bestimmten Lesart ausgelöst wird, die die Listenlesart von Fragen mit multi­plen wh-Elementen unmöglich macht (z. B. die negativ-­ rhetorische Lesart). Die besagten Operatoren, die den Interventionseffekt auslösen, müssen nicht immer durch overte Fokuspartikeln wie it. solo/persino oder frz. seulement/même ‘nur/sogar’ realisiert sein, sondern können durch andere linguistische Elemente bzw. Strukturen ausgedrückt werden (z. B. Spaltsatzstruktur, NPIs, Exklamativsatzoperator, etc.). Alle diese Ausdrücke müssen die

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 Einleitung

Eigenschaft haben, Fokusalternativen zu evozieren und diese auf eine bestimmte Art und Weise zu interpretieren: entweder skalar wie die skalare Fokuspartikel sogar oder exkludierend wie die exklusive Fokuspartikel nur. Der Bmw-Effekt ist ein Interventionseffekt, der eine Agrammatikalität in Sätzen verur­sacht, die von der Form a. bzw. b. sind: (83) Zentrale Hypothese: (Hypothese 1) a. *Wh-ex situ Negation(sadverb) Verb wh-in situ + negativ-rhetorische Lesart (Typ 6-neg, evtl. weitere Typen) b. *Wh-ex situFokus (k)overte Fokusoperatoren mit der Bedeutung ‘nur/sogar’ Verb wh-in situ + negativ-rhetorische Lesart (alle übrigen Typen: Typ 1–5; Typ 7-Adjunkt) In dieser Arbeit möchte ich außerdem überprüfen, ob die in 1.1 vorgestellten whTypen in Anlehnung an Mayr (2011) abgeleitet werden könnten und damit eine empirische Evidenz für seine Theorie darstellen: (84) Hypothese 2: Bmw-Effekte (vgl. Typen 1–7) = Interventionseffekte in Anlehnung an Mayr (2011). Es sei an dieser Stelle betont, dass diese Arbeit nicht das Ziel hat, Mayrs (2011) Theorie auf der Basis französischer und italienischer Daten zu überprüfen. Ein solches Unter­nehmen würde andere Daten voraussetzen (z. B. Daten mit allen möglichen Fokusparti­keln, Quantifizierern, Negationselementen, die die beiden romanischen Sprachen auf­weisen). Mir geht es lediglich um den Bmw-Effekt in den genannten wh-Typen (vgl. Typen 1–7). Die empirische und die theoretische Begründung der Verbindung zwischen Bmw-Effekten und Interventionseffekten, die durch Negation(sadverbien) und/ oder Fokusoperatoren (lexikalisch ausgedrückt durch nur und sogar) und gewisse Lesarten (z. B. negativ-rhetorische Fragen) ausgelöst werden, stellt die größte Herausforderung und auch den zentralen Teil dieser Arbeit dar. Wenn man zeigen kann, dass wh-Typen mit Bmw-Effekten (vgl. Typen 1–7) einen skopustragenden Operator (z. B. eine Negation oder einen Fokusoperator) implizieren, der z. B. auf der Ebene der Präsupposition Skopus über den Existenzquantor hat, welcher durch das wh-Element in situ ausgedrückt wird (vgl. Mayr 2011), dann hat man zumindest eine einheitliche empirische Basis mit den Daten geschaffen, die unter der Bezeichnung Interventionseffekte bekannt sind. Der Vorteil dieser einheit­ lichen Beschreibung ist evident, denn damit könnten viele Daten aus 1.2 einheitlich erfasst werden. Die nächste theoretische Herausforderung bestünde dann darin, den Interventionseffekt bzw. den Bmw-Effekt möglichst kompositionell aus der Interaktion

Methode 

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zwischen der Form und Bedeutung abzuleiten. Da die Arbeit sich im Rahmen der Generativen Grammatik bewegt, stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob und wie die ge­nannten wh-Typen (vgl. Typen 1 bis 7) in diesem Rahmen syntaktisch modelliert werden sollen und wie diese Modellierung mit der semantischen Modellierung interagiert. Die formal-semantische Analyse von wh-Fragetypen und wh-Exklamativtypen basiert größ­tenteils auf der Fragesemantik von Hamblin (1973) & Karttunen (1977) (vgl. Kapitel 3). Was die Mo­dellierung der Form und der Bedeutung und ihre Interaktion angeht, so werde ich sie an ausgewählten Typen exemplarisch vorführen (Typ 2-Exkl-che, Typ 3-Spalt und Typ 4-Partikel) und nur kurz skizzieren, wie die Interaktion zwischen der Form und der Bedeutung in anderen Typen aussehen könnte.

1.5 Methode Um die zentralen Hypothesen in (83) und (84) überprüfen zu können, gehe ich metho­disch wie folgt vor: Ich werde zunächst überprüfen, ob alle oder einige wh-Typen, die den Bmw-Effekt aufweisen, als Fragen analysiert werden können, die einen skopustragenden Operator (in Form eines Fokusoperators oder einer Negation) in ihrer Struktur involvieren, der den Bmw-Effekt erzeugt (vgl. Hypothese 1 in (83)). Eine mögliche Vorhersage lautet daher, dass die Kontexte, in denen grammatische wh-Typen vorkommen, Alternativen und eine skalare und/oder exklusive Bewertung der Alternativen salient machen sollten, die für Fokusoperatoren typisch ist. Dazu wurden einige zufällige Treffer in Korpora überprüft (meistens die ersten 10 Belege in einem randomisierten Korpus). Zusätzlich wurden MuttersprachlerInnen zur Beurteilung der Kompatibilität von Äußerungen in bestimmten Kontexten hinzugezogen. Die empiri­ schen Ergebnisse werden Typ für Typ im empirischen Teil der Arbeit in Kapitel 2 vor­gestellt.

1.6 Datenerhebung Die Daten, die in dieser Arbeit verwendet werden, kommen aus unterschiedlichen Quellen: Sprecherbefragungen, Korpusdaten aus getaggten und nicht getaggten Korpora der gesprochenen und geschriebenen italienischen und französischen Sprache und aus der Forschungsliteratur. Die Entscheidung darüber, unterschiedliche Quellen für die Daten zu verwenden, erfolgte aus praktischen und theoretischen Gründen. Für die Unter­suchung italienischer Partikeln wie cazzo/mai wurden sowohl gesprochene Korpora als auch geschriebene Korpora verwendet,

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um den syntaktischen und semantisch-pragmati­schen Status dieser Partikeln zu bestimmen (+/– NPI-Status, +/– Partikelstatus, +/– Fluchwortcharakter). Für beide Sprachen wurden Teilkorpora der gesprochenen italienischen und der gespro­chenen französischen Sprache aus C-ORAL-ROM von Cresti & Moneglia (2005) ver­wendet. Sie enthalten insgesamt 4.052 Äußerungen mit einem Fragezeichen im Italieni­schen und 2.227 im Französischen. Außerdem wurden noch zwei weitere Korpora der gesprochenen Sprache hinzugezogen. Das Korpus PFC des gesprochenen Französischen (insgesamt 15.205 Äußerungen mit einem Fragezeichen) und das Korpus BADIP des gesprochenen Italienischen (insgesamt 490.000 Wörter). Diese gesprochenen Korpora sind jedoch viel zu klein oder nicht POS-getaggt. Sie ent­halten z. B. kaum Fragen mit multiplen wh-Elementen (1 franz. Beispiel in C-ORAL-ROM). Hinzu kommt, dass die gewählten gesprochenen Korpora bestimmte Suchabfragen aufgrund des verwendeten Tagging-Systems gar nicht ermöglichen. Aus diesem Grund wurden zwei große getaggte Korpora der geschriebenen italienischen Sprache verwendet: SSLMIT aus der Zeitung La Repubblica und CORIS = Corpus di italiano scritto.27 Für das Französische wurde das geschriebene Korpus FRANTEXT und das webbasierte Korpus COW (vgl. Schäfer & Bildhauer 2012), genauer das Subcorpus: FRCOW(20)11(XS)) verwendet. Nun sind selbst sehr große Korpora der geschriebenen Sprache für bestimmte Abfragen nicht ausreichend. Aus diesem Grund wurde auch das Internet konsultiert (die Quellen werden durch @ im Literaturverzeichnis repräsentiert) und es wurden zudem Sprecher­befragungen durchgeführt. Die Sprecherbefragung zum Italienischen basiert auf 5 SprecherInnen aus Parma, 5 SprecherInnen aus Florenz, 5 SprecherInnen aus Rom. Keine dieser SprecherInnen hat einen linguistischen Hintergrund. Die meisten SprecherInnen waren junge Menschen (SchülerInnen und StudentInnen). Des Weiteren wurden 27 Man findet Korpusdaten im geschriebenen Italienisch in CORIS mit der Konfiguration whElement Verb wh-Element in Hauptsatz-und Nebensatzfragen, wobei das linke wh-Element in den genannten Korpora in mehr als die Hälfte der Belege (insgesamt 20) auf das wh-Pronomen chi ‚wer‘ beschränkt ist und das rechte wh-Element eine Argumentfunktion hat. Sätze mit mehr als zwei wh-Elementen, die nicht koordiniert sind (z. B. Chi ha dato (che) cosa à chi? ‘Wer hat wem was gegeben?‘), wurden nicht attestiert. Exklamativa, auf die weiter unten genauer ein­ gegangen wird, wurden ebenfalls nicht gefunden. Man findet ebenso Daten in italienischen Foren und im gesprochenen Korpus BADIP: i. Chi presentare a chi? wen vorstellen an wen ‘Wen sollen wir wem vorstellen?’ ii. Ma chi scusa chi? ‘Aber wer entschuldigt (hier) wen?’

Datenerhebung 

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Internetplattformen genutzt, um Sprecherbefragungen im Internet durchzuführen, vor allem für Sprecherbefragungen norditalienischer Dialekte (die in Veneto und Padova gesprochen werden).28 Es wurden außerdem 7 SprecherInnen aus Sizilien (3 aus Palermo, 2 aus Bronte und 2 aus Torregrotta) per Mail gefragt, ob sie multiple wh-Elemente in ihrer Varietät akzeptie­ren.29 Die französischen Sprech­ erInnen kommen aus den Regionen Lille (5 SprecherIn­nen), Paris (5 SprecherInnen) und Toulouse (5 SprecherInnen). Es waren vorwiegend StudentInnen, die keinen linguistischen Hintergrund hatten. Die italienischen Befragungen zeigen eine weitestgehende Konsistenz, so dass zumindest für die hier be­rücksichtigten Varietäten in Bezug auf die Bmw-Effekte nicht von einer diato­pischen Variation auszugehen ist. Die französischen Befragungen haben zwar einen Unterschied in der Bewertung von Spaltfragen aufgezeigt (vgl. 2.1), allerdings lässt sich dieser Unterschied nicht auf eine diatopische Variation zurückführen. Es gab mehrere Gründe für die Auswahl von jungen Personen als Informanten. Erstens enthalten viele Typen, die in dieser Arbeit untersucht werden, Fluchwörter, die häufiger von Jugendlichen verwendet werden (z. B. ital. cazzo wörtlich: ‘Penis‘). Der Fluchwortcharakter wurde auch von einer Korpusuntersuchung bestätigt, die gezeigt hat, dass das Wort cazzo in bestimmten Textsorten nicht erscheint, nämlich in jenen, die formalen Charakter haben, wie z. B. juristische Texte. Der zweite Grund für die Befragung junger Personen hat mit der An­nahme in der Literatur zu tun, derzufolge die Verwendung multipler whElemente in Fragen im Italienischen ein re­zentes Phänomen sei (vgl. Grasso 2007: 34). Das Phänomen kann allerdings nicht so rezent sein, dass es sich nur auf Sprecher einer Generation im Alter von 20–30 Jahren bezieht, da entsprechende Strukturen u. a. in den geschriebenen Korpora ebenfalls ge­funden wurden. Eine systematische Untersuchung des Alters und der diachronen Herausbildung dieses Phänomens ist nicht Zielsetzung dieser Arbeit.30 28 Die Befragung wurden mit SprecherInnen eines Dialektes im Rahmen eines Blogs durchgeführt: URL: [http://www.raixevenete.com], Stand 4. Juni 2010. 29 SprecherInnen süditalienischer Dialekte akzeptieren multiple wh-Elemente in Fragen: i. Cu accattàu socco? (Sizilianisch-Trapani) ‘Wer hat was gekauft?’ ii. Cu ccattà cosa? (Sizilianisch-Bronte) ‘Wer hat was gekauft?’ 30 Grasso (2007) zeigt, dass italienische Fragesätze mit mehrfachen Frageelementen noch vor 10 Jahren weniger produktiv waren als heute und dass sie noch vor nicht langer Zeit nur bestimmte Verben enthielten (z. B. Chi è chi? Chi fa cosa? ‘Wer ist wer? Wer macht was?’). Das moderne Italienische verwendet heute produktiv Fragen mit multiplen wh-Elementen, die mit unterschiedlichen Verben und Tempusformen gebildet werden können, d. h. diese Fragetypen sind keine lexikalisierten Einzelfälle mehr (vgl. Grasso 2007: 219). Er vermutet, dass dieser Frage­ typ aus dem Englischen übernommen wurde und sich über das Internet über die letzten Jahre

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Es gab ebenso mehrere Gründe für die Auswahl der InformantInnen aus unterschied­lichen Regionen Frankreichs und Italiens. Mit dieser Auswahl sollte die Wahrschein­lichkeit vermindert werden, zufällig einen möglicherweise rein regionalen Sprachge­brauch zu dokumentieren. Die SprecherInnen haben Fragebögen ausgefüllt, in denen sie die Akzeptabilität von Testsätzen auf einer Skala von 1 bis 4 relativ zu einem Kontext und/oder einer Inter­pretation bewerten sollten. Alle Testsätze, die entweder die Zahl 1 oder 2 bekommen haben, wurden als nicht akzeptabel definiert. Diese Testsätze werden durch ein Asterisk * repräsentiert. Aus diesem Grund sind die Sternchen, die die geringe oder fehlende Ak­zeptabilität von Testsätzen repräsentieren, relativ zu einem bestimmten Kontext zu betrachten. Der Durchschnitt wurde auf eine ganze Zahl gerundet (z. B. 2,1 ≈ 2 und 2,9 ≈ 3). Nun wird in der Literatur kontextabhängige Bewertung meistens anders repräsentiert (z. B. durch das Symbol #). Ich folge jedoch Den Dikken & Giannakidou (2002), die die Grammatikalitätsbewertung von Bmw-Effekten in wh-the hell Fragen, die sie ebenfalls durch ein Sternchen repräsentieren, immer von einer bestimmten Interpretation abhängig machen (z. B. Echolesart, Listenlesart, Einzelpaarlesart, etc.). Die Kontextan­gabe bestand meistens aus der Angabe von möglichen Antworten oder bestimmten Interpretationsmöglichkeiten: (85) Chi avrebbe potuto fare cosa? (domanda senza sfondo polemico). ‘Wer hätte was machen können?’ (Frage ohne polemischen Unterton) Marco avrebbe potuto fare questo, Piero quello… ‘Marco hätte dies machen können. Peter jenes…’ (86) *Che (bella) donna ha sposato che uomo (brutto)! welche (schöne) Frau hat geheiratet welch Mann (hässlich) (per dire: una donna così bella ha sposato un uomo così brutto) ‘um zu sagen, dass eine so schöne Frau einen sehr hässlichen Mann geheiratet hat’ Während die Sprecher ihre Testsätze bewertet haben, wurde keine Zeit gemessen. Aller­dings wurden die Sprecher gebeten, nicht lange zu überlegen, sondern sich so spontan wie möglich zu entscheiden. Eigene Beobachtung einiger Versuchspersonen hat gezeigt, dass die Reaktionszeiten der Interpretation von Sätzen, die als unakzeptabel oder weni­ger akzeptabel bewertet wurden, um einiges länger gedauert haben und oft auch von Gesichtszügen des Unverständnisses und von Nachfragen der SprecherInnen begleitet waren im Gegensatz zu Sätzen, die als rasant verbreitet hat. Diese Beobachtung erklärt möglicherweise, warum Calabrese (1984) mul­ tiple wh-Elemente in Fragen des Italienischen ablehnt (vgl. hierzu auch Stoyanova 2008).

Datenerhebung 

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akzeptabel bewertet wurden. Da die Verarbeitung und Messung der Reaktionszeiten nicht im Fokus dieser Arbeit stehen, wurden sie auch nicht weiter untersucht. Meine eigene Beobachtung der SprecherInnen beim Bewerten nicht akzeptabler Fragen hat mich aber auf die Idee gebracht, die Verarbeitung der Ak­zeptabilität von Daten in Zukunft stärker zu berücksichtigen.

2 V  ertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen Das wichtigste Resultat der empirischen Untersuchung in diesem Kapitel wird es sein, zu zeigen, dass die im letzten Kapitel besprochenen Bmw-Effekte in wh-­ Fragesätzen und wh-Exklamativsätzen in den verschiedenen Strukturen auftreten, wobei in der vorliegenden Forschungsliteratur die Typen unterschiedlich erklärt wurden (vgl. 1.3 zu Forschungslücken). Die Ausgangshypothese der Arbeit ist, dass die unterschiedlichen Typen einheitlich nach dem selben Prinzip beschreibbar sind (vgl. 1.4 zu zentralen Hypothesen der Arbeit). In diesem Kapitel erfolgt zunächst eine weitestgehend deskriptive auf empirisch gewonnen Daten beruhende Vertiefung der einzelnen Typen. Um den komplexen Datenbereich strukturiert und theoriegeleitet darzustellen, wird in diesem Kapitel eine Vorgehensweise gewählt, die von vornherein darauf abzielt, Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Strukturen, in denen Bmw-Effekte auftreten, theoriengeleitet festzustellen. Da die weiterführende Hypothese der Arbeit darauf hinausläuft, Interventionseffekte verantwortlich zu machen, finden in diesem Kapitel Interventionseffekte besondere Beachtung.

2.1 Spaltfragen Ausgangspunkt dieses Unterkapitels wird es sein, sich zunächst mit den Eigenschaften von Spaltfragen zu beschäftigen, die sich von est-ce-que-Fragen unterscheiden, obwohl sich beide Fragetypen oberflächlich betrachtet ähneln. Wir werden sehen, dass die Diskurseigenschaften, die Exhaustivität und die Pros­odie wichtige Unterscheidungspa­rameter der beiden Typen darstellen. Neben den Bmw-Effekten und den eben genannten Eigenschaften lässt sich auch allein auf der Frequenzebene der Verwendung der beiden Typen ein Unterschied vermuten. Ziel dieses Unterkapitels ist es, zu zeigen, dass sich die beiden Fragetypen in wichtigen Punkten unterscheiden, was den Gedanken nahelegt, dass das unterschiedliche Gram­ matikalitätsverhalten der beiden Fragetypen bezüglich der Bmw-Effekte in eben genannten Eigenschaften begründet liegt.

2.1.1 Exkurs: Fragetypen im Französischen Es folgt zunächst eine kurze Vorstellung von existierenden Fragetypen des Französischen, um den Spaltfragetyp, der den Bmw-Effekt aufweist, von anderen Fragetypen abzugrenzen. Dabei wird das Französische eine große Rolle spielen,

Spaltfragen 

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weil es dort (anders als im Italienischen) ein großes Inventar von verschiedenen Fragesatztypen gibt. Im Französischen gibt es unterschiedliche Formen von Fragesätzen: a) Fragesätze mit einer Subjekt-Inversion, b) Fragesätze ohne Subjekt-Inversion, c) Spaltfragesätze, d) est-ce-que-Fragen und e) wh-in-situ-Fragen. Nach der traditionellen Grammatik erscheint die Subjekt-Inversion hauptsächlich in interrogativen Sätzen des schriftsprachlichen Französisch (frz. français soutenu) (cf. Grévisse 1986: 654 f.). Die folgenden Beispiele zeigen zwei bekannte Arten der Subjekt-Inversion: Die stilistische und die klitische Inversion. Bei der ersten ist das Subjekt eine volle DP und steht nach dem verbalen Komplex (Auxiliar + Partizip). Bei der letzten steht ein klitisches Subjektpronomen zwischen dem Auxiliar und dem Partizip. Zusätzlich kann eine Subjekt-DP präverbal realisiert werden (sogenannte komplexe Inversion, vgl. Rizzi & Roberts 1989): (87) Stilistische Inversion a. Qu’a mangé Jean? was hat gegessen Jean ’Was hat Jean gegessen?’ b. Je me demande quand partira ce garçon. ich mich frage wann gehen[Fut. 3.Ps.Sg.] dieser Junge ’Ich frage mich, wann dieser Junge gehen wird.’ c. Où voulait aller ton ami? wo wollte gehen dein Freund ’Wohin wollte dein Freund gehen?’

(de Wind 1995: 153 ff.)

(88) Klitische (und komplexe) Inversion: a. Quel film (Jean) a-t-il vu? welchen Film (Jean) hat er gesehen ’Welchen Film hat Jean gesehen?’ b. (Marie) est-elle venue? (Marie) ist sie gekommen ‘Ist Marie gekommen?’ c. Quand (Jean) viendra-t-il? wann (Jean) kommen[Fut., 3.Ps.Sg.]-er ’Wann wird Jean kommen?’

(de Wind 1995: 23 ff.)

Die Subjekt-Inversion im Französischen sollte von der freien Inversion im Italienischen (und anderen Nullsubjektsprachen) unterschieden werden (cf. Roberts 1993: 68), u. a. weil die freie Inversion nicht nur in Fragesätzen vorkommen kann (vgl. ebd.).

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Im gesprochenen Französisch gibt es auch die Möglichkeit, präverbale Subjekte zu verwenden: (89) Où il est passé? wo ist er durchgefahren. ‘Wo ist er durchgefahren?’

[COR fnatps01]

Im folgenden Fragesatztyp steht das wh-Element in situ. Es handelt sich um den am meist verwendeten Fragetypen des gesprochenen Französischen neben estce-que-Fragen (s. u.) (Obenauer 1994: 300, Mathieu 2004): (90) Tu fais quoi dans la vie? you do what in the life ‘What do you do (for a living)?’ Wh-in-situ-Fragen verhalten sich strukturell wie Deklarativsätze mit dem einzigen Unterschied, dass sie anstelle des Arguments ein wh-Element enthalten. Aus diesem Grund können wh-in-situ-Elemente nicht in Inversionsfragen oder est-ceque-Fragen verwendet werden: (91) *Est-ce que tu as vu qui? Est-ce que du hast gesehen wen (92) *As- tu vu qui? Hast-du gesehen wen Wh-in-situ-Fragen können diskursungebunden verwendet werden, d. h. sie müssen nicht in einen Diskurs integriert sein. Sie müssen keine existentielle Präsupposition haben, d. h. der Sprecher muss nicht unbedingt eine positive Antwort auf seine Frage erwarten. Aus diesem Grund können sie wie in (90) in einer Situation geäußert werden, in der A die Person B seit Jahren nicht gesehen hat und nicht unbedingt voraussetzt, dass B einen Job hat. In der Tat kann B auf eine solche Frage antworten, dass er keinen Job hat (vgl. Mathieu 2004, dagegen Cheng 1995). Im gleichen Kontext kann ein anderer Fragetyp (die sogenannten est-ce-que-Fragen) verwendet werden, der in allen Korpora des gesprochenen Französischen der frequenteste Fragetyp ist (vgl. Myers 2007, Boucher 2010):31 (93) Qu’ est-ce que tu fais dans la vie? what est-ce que you do in the life ‘What do you do (for a living)?’

31 Die Aussage über die Frequenz kann auch unsere Korpusanalyse des gesprochenen Korpus COR bestätigen. Dort gibt es insgesamt mehr wh-est-ce-que-Fragen als wh-in-situ-Fragen (99 vs. 54).

Spaltfragen 

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Die Einheit est-ce que bildet diachron einen Kopulasatz mit einer Inversion des Subjektpronomens (wörtlich: ‘ist es, dass’) (vgl. Dufter 2008). Synchron kann man davon ausgehen, dass est-ce que ein lexikalisiertes Morphem bildet (vgl. Rooryck 1994; zu einem kompositionellen Ansatz vgl. Munaro & Pollock 2005; zu den Unterschieden zu Spaltfragen siehe 2.1.2). Im Italienischen gibt es auch wh-in-situ-Fragen, allerdings werden diese ausschließlich als wh-Echofragen verwendet (d. h. in Äußerungskontexten, in denen die Person B den Adressaten A bittet, einen Teil seiner Äußerung zu wiederholen): (94) A: Sto faccendo ‘A: ‘Ich mache gerade

una eine

pizza. B: Faccendo COSA? Pizza.’ B: Du machst WAS?’

Eine Frage wie in (90) muss im Italienischen als eine wh-ex-situ-Frage realisiert werden, wenn sie in einem diskursungebundenen Äußerungskontext (z. B. A hat B lange nicht gesehen und fragt B nach seinem Job) verwendet wird: (95) A: (Che) cosa fai nella vita? ‘Was machst du?’ B: Studio. ‘Ich studiere.’ Da Spaltfragen einen wichtigen Teil dieser Arbeit bilden, werden sie im nächsten Unterkapitel getrennt vorgestellt.

2.1.2 Bmw-Effekt in wh-Spaltfragen Wie bereits aus dem Kapitel 1 bekannt wurde, hat Lambrecht den folgenden Unter­schied in französischen Fragesätzen beobachtet (vgl. Typ 3-Spalt, 1.2.2): (96) C’ est qui qui a mangé le fromage/*quoi? es ist wer der hat gegessen den Käse/*was ‘Wer war es, der den Käse aufgegessen hat?’ (97) Qui a mangé quoi? wer hat gegessen was ‘Wer hat was gegessen?’

(Lambrecht 1996: 330)

Eine Forumsdiskussion im Internet (genauer: Forum wordreference) bestätigt Lam­brechts (1996) Beobachtung. In diesem Forum hat ein russischer Sprecher aus Israel die französischen SprecherInnen gefragt, ob sie den folgenden Fragesatz akzeptieren, der keine Kopula, jedoch einen Komplementierer que enthält: qu’ a dit quoi? (98) Qui wer dass hat gesagt was ‘Wer hat was gesagt?’ (Anfrage des russ.Sprechers aus Israel, vgl. @-10)

44 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Alle 3 französischen MuttersprachlerInnen, die auf diese Anfrage reagiert haben, geben an, dass der Fragesatz in (98) vergleichbar ist mit den Fragesätzen in (100) und dass sie beide ungrammatisch sind bzw. schlechter sind als der Fragesatz in (99), der wiederum vollkommen grammatisch ist: (99) Qui a dit quoi? ‘Wer hat was gesagt?’ quoi? (100) a. *C’ est qui qui a dit quoi? b. *Qui c’ est qui a dit s.cl. ist wer der hat gesagt was wer s.cl. ist der hat gesagt was (1 Sprecher aus Paris, 1 aus Grenoble und 1 aus franz. Belgien @-10) Entsprechende Fragen ohne Spaltsatzstruktur (genauer Inversionsfragen in (101)a; est-ce-que-Fragen in (101)b und wh-in-situ-Fragen in (101)c werden von allen von mir befrag­ten SprecherInnen besser bewertet) (vgl. folgende Beispiele aus Gazdik 2011: 65): (101) a. Qu’ as- tu donné à qui? was hast du gegeben an wen ‘Wem hast du was gegeben?’ b. Qu’ est-ce que tu as donné à qui? was est-ce que du hast gegeben an wen ‘Wem hast du was gegeben?’ c. Tu as donné quoi à qui?32 du hast gegeben was an wen ‘Wem hast du was gegeben?’ Gazdik (2011: 65) berichtet, dass die Fragen in (101) die gleiche Bedeutung haben ‘Wem hast du was gegeben?’ und sie können sowohl eine Listenlesart (z. B.‘du hast Marie ein Buch gegeben und du hast Pierre eine Zigarette gegeben’) als auch eine Einzellesart ha­ben (z. B. ‘du hast Marie ein Buch gegeben oder du hast Pierre eine Zigarette gege­ben’).33 Lambrechts (1996) Generalisierung, derzufolge Spaltfragen niemals multiple Fragepro­nomina enthalten können, muss jedoch etwas relativiert werden, weil 32 Es gibt ein paar französische SprecherInnen, die Fragen mit wh-Elementen, welche ein direktes und ein indirektes Objekt bilden, koordiniert besser finden: T’as donné quoi? Et à qui tu l’as donné? Die gleiche Beschränkung zeigt sich auch im Italienischen, weil alle Belege mit einem indirekten wh-Element im Korpus SSLMIT und CORIS koordiniert sind: sapevo chi faceva cosa e a chi. ‘Ich wusste, wer was gemacht hat und an wen‘. 33 Man sollte jedoch hervorheben, dass die Fragen in (101) diaphasische Variationen aufweisen. So wird z. B. der Fragesatz in (101)a. seltener in einem Freundeskreis verwendet als der Fragesatz in (101)c. (vgl. Coveney 2002, der diese Hypothese für einfache wh-Fragen vertritt).

Spaltfragen 

 45

multiple Frage­pronomina in Spaltfragen möglich sind, wenn sie gemeinsam im Kopulasatz stehen können:34 (102) De quel âge à quel âge c’ est qu’ils perdent leurs dents? von welchem Alter bis welches Alter s.cl. ist dass sie verlieren ihre Zähne ‘In welchem Zeitraum verlieren sie ihre Zähne?’ Derartige multiple wh-Elemente kommen auch sonst in Kopulasätzen vor, die nicht Teil von Spaltfragen sind: (103) Donc, ça, c’ est de quelle période à quelle période? [PFC ciapa1]35 also das s.cl. ist von welcher Periode bis welche Periode ‘Ab wann bis wann ist das?’ Des Weiteren sei darauf hingewiesen, dass es bei französischen SprecherInnen Unter­schiede in der Bewertung des Bmw-Effektes in Spaltfragen gibt: Während ei­nige SprecherInnen Spaltfragen mit multiplen wh-Elementen in (100)a. als ungramma­tisch bewerten (vgl. Gruppe A), bewerten sie andere Sprecher als vollkommen gramma­tisch und weisen ihnen eine Listenlesart zu (Gruppe B). Es wurden zwar keine Spaltfra­gen mit multiplen wh-Elementen in den Korpora PFC und COR gefunden, jedoch wurden – entsprechend den Urteilen der Gruppe B – einige Daten im Internet (u. a. in lokalen Online-Zeitungen, vgl. (106)) und im webbasierten Korpus COW gefun­den: (104) Qui c’ est qui a fait quoi? wer s.cl. ist der hat gemacht was? ‘Wer hat was gemacht?‘ (@-11).

34 Die gleiche Beobachtung gilt auch für Spaltsätze, d. h. es können dort zwei Argumente abgespalten werden (meistens handelt es sich dabei um Präpositionalphrasen, die semantisch einen temporalen oder räumlichen Pfad kodieren, engl. path), wie bereits Gross (1981) für das Französische beobachtet hat (vgl. i. und ii.):     i. a. Léa parle de Max à Luc. ‘Lea talks about Max to Luc.’   b. C’est de Max que Léa parle à Luc. ‘It’s about Max that Lea talks to Luc.’   c. C’est à Luc que Léa parle de Max. ‘It’s to Luc that Léa talks about Max.’   d. *C’est de Max à Luc que Léa parle. ‘It’s about Max to Luc that Lea talks.’ (Gross 1981: 19)     ii. C’ est de Berlin à Paris que nous avons fait le voyage. (et pas de Strasbourg à Nice).   s.cl. ist von B. nach P. dass wir haben gemacht die Reise (nicht von S. nach N.)   ‘Wir sind von Berlin nach Paris und nicht von Straßburg nach Nizza gefahren.’ 35 Dieser Typ kommt relativ häufig im gesprochenen Korpus PFC vor. Von insgesamt 573 Treffern mit wh-Typen, eingeleitet durch quelle ‘welche’, gibt es über 10 Treffer mit multiplen wh-Phrasen, die alle ex situ stehen bzw. eine Konstituente bilden, während es 0 Treffer mit multiplen whPhrasen gibt, die nicht innerhalb einer Konstituente stehen (z. B. quelle NP Verb quelle NP).

46 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(105) C’ est qui qui a dit quoi? s.cl. ist wer der hat gesagt was? ‘Wer hat was gesagt?‘(@-12). (106) Qui c’est qui a dit quoi ? wer s.cl.ist der hat gesagt was? ‘Wer hat was gesagt?‘(@-13) (107) Qui c’ est qui doit qui? wer s.cl. ist der schuldet wem ‘Wer schuldet wem etwas?’ (COWFR 108492376) Hierbei ist zu berücksichtigen, dass alle befragten SprecherInnen (also auch Gruppe B) den folgenden Fragesatz mit einer Kopulastruktur und einem freien Relativsatz, einge­leitet durch ce que, eindeutig von allen französischen Sprecher­ Innen als ungrammatisch bewerten und niemals in einem Diskurs mit einer ­Listenlesart verwenden würden: (108) Kontext: Marie hat unterschiedliche Sachen unterschiedlichen Personen gegeben. Pierre möchte nun wissen, welche Sachen welchen Personen gegeben wurden: *C’est quoi ce que tu as donné à qui? s.cl. ist was das was du hast gegeben an wen Die Beobachtung, dass das zweite wh-Element nicht in einem Relativsatz eingebettet werden kann, wird auch durch den folgenden Relativsatz mit einem lexikalisch sichtbaren Relativpronomen ce dont (109)b. bestätigt: (109) a. Tu as parlé de quoi à qui? du hast gesprochen von was an wen ‘Wovon hast du mit wem gesprochen?’ b. *C’ est quoi ce dont tu as parlé à qui? s-cl. ist was wovon du hast gesprochen an wen? Es sei darauf hingewiesen, dass die o. g. Beschränkung nicht mehr gilt, wenn der ge­samte Fragesatz mit multiplen wh-Elementen das Argument einer Kopula wie in (110) (hier: Qui a mangé quoi) bildet, dann wird der Fragesatz als grammatisch beurteilt (vgl. grammatische Fragen in 1.2.1): (110) Ce qui m’ intéresse c’ est (de savoir) qui a mangé quoi. s.cl. was mich interessiert s-cl. ist (zu wissen) wer hat gegessen was ‘Was mich interessiert ist (die Frage), wer was gegessen hat.’

Spaltfragen 

 47

Die Tatsache, dass die französischen SprecherInnen aus der Gruppe B systematisch ei­nen Unterschied zwischen Spaltfragesätzen und Kopulafragen machen, deutet darauf hin, dass sie die beiden Fragetypen unterschiedlich analysieren. Es ist jedoch möglich, dass die Gruppe A Spaltfragen und Kopulafragen einheitlich analysiert und aus diesem Grund beide Typen in Verbindung mit multiplen wh-Elementen als ungrammatisch be­wertet (vgl. (108)). Was das Italienische angeht, so bewerten alle befragten italienischen Sprecher­ Innen Spaltfragen mit multiplen wh-Elementen wie die franz. Gruppe A als ­ungrammatisch. Das folgende Minimalpaar zeigt noch einmal den Kontrast (vgl. Typ 3-Spalt in 1.2.2): (111) Kontext: Marie ähnelt Marika und Lucia ähnelt Giulia. Der Sprecher erkundigt sich nach den Personen, die sich ähneln: a. Chi assomiglia a chi? ‘Wer ähnelt wem?’ b. *Chi è che assomiglia a chi?36 wer ist der ähnelt wem Das Italienische bietet eine weitere strukturelle Möglichkeit, die in der Literatur eben­falls unter dem Begriff eines Spaltsatzes subsumiert wird (vgl. Sleeman 2010). Dabei handelt es sich um Kopulasätze, denen infinite Sätze folgen:37 (112) Fu Marco a dirmelo war Marco zu sagen-mir-es ‘Es war Marco, der es mir gesagt hat.’ Der Einfachheit halber nenne ich diesen Spaltsatztyp den infiniten Spaltsatztyp. Auch dieser Typ ist mit multiplen wh-Elementen nicht akzeptabel:

36 Die gleiche Beschränkung gilt für einige norditalienische Dialekte, wie meine Sprecher­ befragung im Internet ergeben hat:     i. Kontext: Verschiedene Personen haben verschiedene Sachen gegessen/gekauft,     z. B. Piero hat einen Apfel gegessen/gekauft, Paola eine Birne. Der Sprecher erkundigt sich nach den Personen und den jeweiligen Sachen, die sie gegessen/gekauft haben:   a. *Chi xe che gà magnà còsa? (2 Sprecher aus Veneto)   wer ist der hat gegessen was   b. Chi gà magnà/comprà còsa? ‘Wer hat was gegessen/gekauft?’ URL: [http://www.raixevenete.com], Stand 4. Juni 2010 37 Die XP, die in dem Kopulasatz enthalten ist, muss eine Subjektfunktion haben. Sie kann z. B. nicht durch eine Präpositionalphrase ersetzt werden (vgl. Sleeman 2010): i. *Fu a Marco a regalarlo.   war zu Marco zu schenken-es (intendiert: Man hat es Marco geschenkt.)

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(113) a. *Chi fu a convincere chi? (Ital.) wer war zu überzeugen wen b. Chi ha convinto chi? ‘Wer hat wen überzeugt?’ (Paul hat Maria überzeugt und nicht umgekehrt.) Ich fasse die wichtigsten Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen: a. Spaltfragen erlauben keine multiplen wh-Elemente im Italienischen, wenn ein wh-Element in der Koda steht. b. Es gibt SprecherInnen des Französischen, die keinen Grammatikalitäts-­ unterschied zwischen Spaltsatzfragen und Fragesätzen ohne Spaltsatzstruktur sehen. Die selben SprecherInnen beurteilen Fragen mit Kopulastrukturen und freien Relativsätzen, eingeleitet durch ce que/ce qui, die zwei wh-­Elemente enthalten, als ungrammatisch. c. Die Konstruktion [von x nach y] erlaubt multiple wh-Elemente in Spalt­ fragen.

2.1.3 Exhaustivität in Spalt(frage)sätzen Der Abschnitt 2.1.3.1 legt einen Zusammenhang zwischen dem Bmw-Effekt und exhaustivem Fokus nahe, der darauf zurückgeführt wird, dass das wh-in-situ-­ Element einem exhaustiven Fokuselement folgt. Im Abschnitt 2.1.3.2 wird die Fokus­eigenschaft von Spaltfragen phonologisch bestätigt. 2.1.3.1 Die Exhaustivität und ihr Einfluss auf den Bmw-Effekt Shlonsky (2008: 5) zeigt, dass nicht exhaustive Adverbien wie par exemple, entre autres ‘zum Beispiel, außerdem’ mit Spaltfragen semantisch inkompatibel sind (vgl. auch Clech-Darbon et al 1999, Hamlaoui 2007): (114) A: C’est à qui que tu as parlé à la soirée de Bertrand? ‘Who was it that you spoke to at Bertrand’s party?’

B: #(J’ai parlé) à Marie, entre autres / par exemple. (I spoke) to Mary, among others / for example.

Die von mir befragten SprecherInnen bestätigen Shlonskys Beobachtung, indem sie Fra­gen mit einer Spaltsatzstruktur ohne exhaustive Adverbien wie chi altro/ qui d’autre ‘wer sonst noch’ präferieren: (115) a. Chi altro è venuto? vs. b. ?? Chi altro è che è venuto? Wer sonst ist gekommen? wer sonst ist der ist gekommen

Spaltfragen 

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(116) a. Qui d’autre est venu? vs. b. ?? C’ est qui d’autre qui est venu? Wer sonst ist gekommen? s.cl. ist wer sonst der ist gekommen Die Exhaustivität von Spaltfragen bedeutet, dass jede Antwort auf eine Spaltfrage voll­ständig sein muss. Aus diesem Grund sind Adverbien wie aussi im nachgestellten Satz nicht erlaubt (vgl.(117)B im Gegensatz zu B’), weil sie der exhaustiven Antwort c’est Pierre widersprechen würden (vgl. hierzu auch den too-Test in Krifka 2007, der als Be­weis für die Exhaustivität von Spaltsätzen betrachtet wird): (117) A: C’ est qui qui l’ a mangé? es ist wer der es hat gegessen ‘Wer war es der es gegessen hat?’ B: C’est PierreFokus ?? Et Marie aussi. ‘Pierre Fokus Und auch Marie’ qui l’ ont mangé. B’ C’est (Pierre et Marie)Fokus es ist (Pierre und Marie) Fokus die es haben gegessen ‘(Pierre und Marie)Fokus haben das gegessen.’ Der Unterschied zwischen Spaltfragen und Nichtspaltfragen besteht darin, dass letztere nicht unbedingt stark exhaustiv interpretiert werden müssen. Bei stark exhaustiven Fragen weiß man nicht nur, was die richtigen Antworten sind, sondern auch, was die falschen Antworten sind. Zu wissen, mit wem der Sprecher in (114) auf der Party von Bertrand zu einem bestimmten Zeitpunkt (z. B. als der Adressat den Sprecher mit jemandem sprechen sah) gesprochen hat, bedeutet auch zu wissen, mit wem er nicht gesprochen hat. Wenn die Antwort auf die Spaltfrage in (117) lautet, dass es Pierre war, dann weiß man automatisch, dass alle anderen Möglichkeiten wie z. B. dass es Marie war, falsch sind. Am besten lässt sich dieses Argument am Beispiel der Partikel so in deutschen wh-Fragen und am Bei­spiel von par exemple ‘zum Beispiel’ in französischen wh-Fragen verdeutlichen (soge­nannte mention-some-Fragen). Die Partikel so und par exemple signalisieren in wh-Fra­gen, dass der Sprecher keine vollständige Antwort auf seine Frage erwartet: (118) Na, wer war gestern so da? Qui était là par exemple? ‘Nenne mir mindestens einen Wert für x, so dass gilt: x war da, und mich interessieren nicht alle Werte.’ Wenn die Antwort auf eine mention-some-Frage in (118) Pierre war da lautet, dann müssen nicht alle anderen Antworten automatisch falsch sein, weil die besagte Antwort nur eine Teilantwort ist.

50 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Man kann jedoch auch Nichtspaltfragen in bestimmten Kontexten (stark) exhaustiv in­terpretieren: (119) Kontext: A weiß, dass Peter nur eine einzige Person eingeladen hat und A will nun wissen, wer diese Person ist: A: Wen/Welche Person hat Peter eingeladen? B: Klaus. Der Unterschied zwischen Spaltfragen und Nichtspaltfragen besteht darin, dass er­stere die Exhaustivität strukturell durch die Verwendung der Spaltsatzstruktur ausdrücken, während Nichtspaltfragen eine kontextualisierte Exhaustivität ausdrücken, die nur in bestimmten Kontexten gilt. Es ist jedoch möglich, dass in einigen Sprachen und/oder in einigen Varietäten Spaltsätze das Merkmal der Exhaustivität verloren haben (vgl. Hole & Zimmermann 2008 zu sprachtypologischen Unterschieden bezüglich der Exhaustivität von Spaltsätzen) und man aus diesem Grund erwarten kann, dass in diesen Sprachen oder Varietäten Fragen mit oder ohne Spaltsatzstruktur semantisch nicht un­terschieden werden. Ich nehme an, dass diese Eigenschaft für est-ce que-Fragen gilt, weil sie nicht unbedingt stark exhaustiv interpretiert werden müssen (vgl. dagegen Spaltfragen in (114)): (120) A: A qui est-ce que tu as parlé à la soirée de Bertrand? ‘Mit wem hast du auf der Party von Bertrand gesprochen?’

B: (J’ai parlé) à Marie, entre autres / par exemple. ‘Ich habe u. a./zum Beispiel mit Marie gesprochen.’

Um nun auf den Bmw-Effekt in Spaltfragen zu sprechen zu kommen, ist eine mögliche Hypothese, dass just die Exhaustivität von Spaltfragen den Bmw-Effekt auslöst. Da Fragen mit est-ce que nicht exhaustiv sind, erlauben sie multiple wh-­ Elemente (vgl. 2.1.2). Im Rahmen einer solchen Hypothese müsste man annehmen, dass das zweite wh-Element innerhalb der Koda einer Spaltfrage keinem exhaustiven Fokus (repräsentiert durch Fokus [+exh.]) folgen darf, welcher durch das erste wh-Element im Kopulasatz markiert wird: (121) *C’est quiFokus [+exh] qui es ist wer der

a hat

mangé gegessen

quoi? was

Die prosodischen Daten von Spaltfragen scheinen diese Annahme zu belegen. Es zeigt sich, dass die Koda in Spaltfragen deakzentuiert wird oder ein niedriges Tonhöhenregister hat (engl. compression of the pitch range) (vgl. 2.1.3.2). Die Koda kann im Einzelfall auch getilgt werden (vgl. Doetjes et al 2004). Sie wird außerdem semantisch als präsupponiert interpretiert (vgl. ebd). Diese Eigenschaften sprechen dafür, dass die Koda kein weiteres fokussiertes Element aufnehmen kann.

Spaltfragen 

 51

In diesem Zusammenhang sei an exhaustive Fokuspartikeln seulement/juste ‘nur’ erinnert, die ebenfalls ungrammatische Sätze hervorrufen, wenn wh-Elemente in situ auftreten (vgl. Beck 2006, Mayr 2011):38 (122) *Juste PierreFokus a mangé quoi? nur Pierre Fokus hat gegessen was Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier angenommen wird, dass Spalt­ fragen exhaustiv sind, weil sie mit nicht exhaustiven Adverbien wie aussi ‘auch’, d’autre ‘sonst noch’ nicht verwendet werden. In Spaltfragen wird das wh-Element, welches im Kopulasatz steht, mit dem exhaustiven Fokus assoziiert. Außerdem wurde ein Zusammenhang zwischen dem Bmw-Effekt und exhaustivem Fokus postuliert, der darauf zurückgeführt wurde, dass das wh-insitu-Element einem exhaustiven Fokuselement folgt. Ein weiterer Beleg für die Fokuseigenschaft von Spaltfragen liegt in ihrer Intonation, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird.

2.1.3.2 Fokusmarkierung durch die Intonation Die folgende Beschreibung der Intonation von Spaltsätzen und Spaltfragen basiert auf der Autosegemental-Metrischen Analyse von Pierrehumbert (1980). Die Intonation wird in diesem Modell mit Hilfe eines Inventars diskreter Töne analysiert (Hochton, H (engl. high), Tiefton, L (engl. low), Akzentton * und Grenzton %). Diese Töne werden auf einer autonomen Tonschicht repräsentiert (daher der Name autosegmental) und werden mit metrisch starken Silben assoziiert (daher metrisch). Es können auch mehrere Töne miteinander kombiniert werden (vgl. Pustka 2011). Eine idealisierte Spaltsatzstruktur zeichnet sich durch eine Phrasierung des Spaltsatzes in zwei Intonationsphrasen (IntP) ab (vgl. Doetjes et al. 2004, Hamlaoui 2007). Die erste IntP korreliert syntaktisch mit dem Kopulasatz, und ihr Ende wird durch einen Tiefton als Grenzton L% markiert (vgl. Doetjes et al. 2004: 543). Die zweite IntP korreliert syntaktisch mit dem Komplementsatz bzw. Relativsatz und informationsstrukturell mit dem Hintergrund. Die zweite IntP ist intonatorisch nicht so ausgeprägt wie die erste IntP, was man an dem niedrigen Tonhöhenregister erkennt. Letztere zwei Eigenschaften signalisieren, dass keine weitere Hervorhebung vorliegt. Der Tiefton am Ende jeder IntP signalisiert den Aussagetyp der Äußerung: 38 Die Frage, ob die Exhaustivität in Spaltfragen präsupponiert oder assertiert wird, spielt in diesem Abschnitt keine große Rolle (vgl. 4.1.2 für eine Auseinandersetzung dieser Frage).

52 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(123) A: Pour qui Mathilde va-t-elle voter? ‘Wen wird Mathilde wählen?’ B: C’est pour Tournier L%]IntP qu’ elle va voter. L%]IntP es ist für Tournier dass sie geht wählen ‘Sie wird Tournier wählen.’ 300

200

100

0 C’est pour Toumier 0

L%

qu’elle va voter

L% 1.40281

Time (s)

Abbildung 1: Betonung von C’est pour Tournier qu’elle va voter (Doetjes et al. 2004: 543)

Spaltsätze in Ja/Nein Fragen werden Doetjes et al. (2004: 542) zufolge intonatorisch anders realisiert, weil jede Intonationseinheit nun einen Hochton am Ende realisiert, der den Satztyp der Frage markiert: (124) C’ est pour Jospin H%]IntP qu’ es ist für Jospin dass ‘Sie wird Jospin wählen?’

elle va voter? H%]IntP sie geht wählen

Hamlaoui (2007) geht ebenfalls davon aus, dass ein französischer Spaltsatz zwei Intonationsphrasen enthält. Sie unterscheidet jedoch zusätzlich zwischen starken und schwachen Intonationsphrasen, IntPs(trong) und IntPw(eak). IntPs wird mit dem Ausdruck assoziiert, der auf der Ebene der Informationsstruktur dem Fokusteil entspricht. IntPw wird dagegen deakzentuiert und entspricht dem Hintergrund auf der Ebene der Informationsstruktur. Die gleiche Unterscheidung in schwache und starke Elemente findet auf niedrigeren phonologischen Ebenen statt (d. i. phonologischen Phrasen φ, prosodischen Wörtern ω, etc.):

Spaltfragen 

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(125) C’ est Ella qui a mangé un biscuit. es ist Ella die hat gegessen einen Keks ‘Ella hat einen Keks gegessen (und nicht Marie).’ IntPs IntPw

IntPs φw

φs

[TP [TP

ωw C’est

ωs

[VP [DP Ella ]]] [CP

ωs qui a mangé

φs

[DP

ωs un biscuit

]]]

Abbildung 2: Phonologische Analyse von C’est Ella qui a mangé un biscuit (Hamlaoui 2007: 5)

Italienische Spaltsätze sind Frascarelli & Ramaglia (2009: 37) zufolge intonatorisch unterteilt in einen prosodisch prominenten Teil (bis zum //) und einen prosodisch weniger prominenten Teil. Der prominente Teil enthält eine Konstituente mit einem Hochton auf der betonten Silbe und der nicht prominente Teil wird den Autoren zufolge vollständig deakzentuiert bzw. intonatorisch flach realisiert: H* // flach realisierte Intonation  L% (126) Potevo anche essere io che rispondevo ai suoi sguardi. konnte auch sein ich dass antwortete an seine Blicke ‘Auch ich konnte es gewesen sein, die seine Blicke erwidert hat.’ Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Spaltsätze im Französischen und im Italienischen eine prosodische Hervorhebung des Kopulasatzes auf unterschiedlichen Ebenen aufweisen, die das phonologische Korrelat von Fokus bildet. Die folgende Intonation französischer wh-Spaltfragen zeigt, dass sie eine ähnliche Intonation aufweisen wie Ja/Nein-Spaltfragen in (124), d. h. der Kopulasatz und die Koda bilden zwei getrennte prosodische Einheiten, deren Ende durch H% symbolisiert wird:39

39 Die folgende akustische Analyse basiert auf dem Programm WinPitch, das keine IPA Tabelle enthält, und aus diesem Grund musste die phonetische Umschrift extra eingefügt werden.

54 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

H% 350

Mais en fait

300

H%

C’est

c’est

qui qui t’a parlé du “ Cuba libre”?

[sɛ



ki

ki ta parle du kγba

libʁә]

250 200 150 100 50 40 30 20 10 0

206.5

207

207.5

208

208.5

209

209.5

Abbildung 3: Winpitchbild Spaltfragen Betonung von mais en fait c’est/ c’est qui qui t’a parlé du ‘Cuba libre‘ ‘Wer ist es, der dir von ‘Cuba libre’ erzählt hat? [ C-ORALROM ftelpv09]

Italienische Spaltfragen weisen eine ähnliche Intonation wie italienische Spaltsätze im Hinblick auf die Phrasierung der Intonationseinheiten auf, die mit dem Kopulasatz und mit der Koda bzw. mit dem Fokus und dem Fokushintergrund korrelieren. Anders als bei Spaltsätzen weist eine Spaltfrage eine steigende Intonation am Ende der zweiten Intonationseinheit auf, die zur Markierung der Äußerung als Fragesatz dient und als H% symbolisiert wird:

350 300

H*

Dov’è [ do

v:

L*+H H% che vai?

L%

ɛ

ke

v

a

i

]

250 200 150 100 50 40 30 20 10 0

155

155.2

155.4

155.6

155.8

156

156.2

Abbildung 4: Winpitchbild aus C-ORAL-ROM itelpv06 Betonung von dov’è /che vai? ‘Wohin gehst du?’

Die folgenden Abschnitte sollen zeigen, dass die Fokuseigenschaft von Spalt­ fragen und ihre exhaustive Interpretation durch ihre seltene Verwendung im Vergleich zu häufiger gebräuchlichen Fragetypen und ihre Diskurseigenschaft bestätigt wird.

Spaltfragen 

 55

2.1.4 Frequenz von Spaltfragen Es ist bekannt, dass wh-Spaltfragen im Vergleich zu allen anderen Typen von wh-­ Fra­gen im gesprochenen Französischen sel­tener verwendet werden (vgl. Myers 2007, Boucher 2010). Das Ergebnis meiner Korpusuntersuchung zeigt, dass Spaltfragetypen im Französischen in der Tat seltener verwendet werden als andere Fragetypen. Am besten zeigt dies der Vergleich zwischen Spaltfragen und est-ce-que-Fragen im Französischen im gesprochenen Korpus PFC (8 Spaltfragen gegen 620 est-ce-que-­ Fragen in PFC).40 Der Unterschied in der Frequenz zwischen Spaltfragen und est-ceque-Fragen ist ein mögliches Argument dafür, dass Spaltfragen von est-ce que-Fragen unterschieden werden müssen (vgl. Rooryck 1994, Munaro & Pollock 2005).41 Da das Italienische ein anderes Verhalten zeigt als das Französische, weil es weder est-ce-que-Fragen noch wh-in-situ-Fragen kennt, wurden für diese Sprache Spaltfragen mit Fragen verglichen, die ein wh-Element ex-situ aufweisen (z. B. Cos’è che hai fatto? ‘Was ist es, das du ge­macht hast?’vs. Cosa hai fatto? ‘Was hast du gemacht?’). Die italienischen Spaltfragen sind viel seltener. In BADIP gibt es von insgesamt 706 Fragen nur eine Spaltfrage und in CORIS gibt es von 12.142 Fragen 3 Spaltfragen. Es stellt sich nun die Frage, warum Spaltfragen seltener verwendet werden als andere Fragetypen. Eine mögliche Antwort auf diese Frage liegt in ihrer Diskurseigenschaft.

2.1.5 Diskurseigenschaften von Spaltfragen Wie sich in diesem Abschnitt zeigen wird, lässt sich die geringe Verwendung der Spaltfragen dadurch erklären, dass diese auf ein bestimmtes Individuum aus dem Diskurs referieren und dass Fragen ohne Spaltsatzstruktur keine Referenz auf ein bestimmtes Individuum voraussetzen und damit in viel größeren Kontexten verwendet werden können (u. a. in Kontexten, in denen neue Diskurse ein­ geleitet werden). Außerdem ist die Koda in Spaltfragen präsupponiert und damit diskursalt, weswegen sie nicht immer realisiert sein muss.

40 Da das PFC-Korpus nicht getaggt ist, wurde die Untersuchung auf Spaltfragen mit quoi bzw. qu‘ ‘was‘ in est-ce que-Fragen beschränkt. Da Inversionsfragen (z. B. Que veut-il? ‘Was will er?‘) ohnehin sehr selten in der gesprochenen Sprache sind, wurden sie bei der Untersuchung nicht berücksichtigt. 41 Da wh-in-situ-Fragen ein weiterer häufig gebrauchter Fragetyp neben est-ce que-Fragen ist (vgl. Myers 2007, Boucher 2010), könnte man vermuten, dass Spaltfragen auch seltener als wh-in-­ situ-Fragen gebraucht werden (vgl. Myers 2007 zu dieser Beobachtung).

56 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Eine mögliche Hypothese zur Beschreibung der Diskurseigenschaft von Spalt­fragen ist, dass Spaltfragen auf eine bestimmte Entität aus dem Diskurs verweisen, deren Existenz vom Sprecher präsupponiert wird und nach deren Namen sich der Sprecher erkundigt (die sogenannte Einzigkeitspräsupposition, engl. uniqueness presupposition) (vgl. Boeckx et al 2001, Starke 2001). Die Diskursreferenz kann durch die Verwendung eines demonstrativen Pronomens wie ça hergestellt werden. Man beachte, dass das klitische Pronomen ce die unbetonte Variante von ça ist: (127) Kontext: A sieht, wie B etwas isst. A fragt zeigend auf die Speise: A: ça, c’ est quoi que tu manges? dies, s.c.l. ist was dass du isst? ‘Du isst x und x ist die Sache, auf die ich zeige, und ich möchte wissen, was es ist.’ Vergleichbare Beispiele wurden auch im Internet gefunden: (128) C’ est qui ҫa qui est seul contre tous? [@-14] s-cl. ist wer das der ist einzige gegen alle ‘Wer ist gegen alle?’ Das betonte demonstrative Pronomen ça kann auch in Spaltsätzen verwendet werden: (129) Ça c’ est moi qui vous l’ assure [PFC snain1] das s.cl. ist ich die euch es versichert ‘Ich bin es, die es euch versichert.’ Die Beobachtung, dass in Spaltsätzen ein demonstratives Pronomen verwendet werden kann, ist nicht neu (vgl. Hedberg 2000, u. a.). Hedberg (2000) hat die interessante Beobachtung für mehrere Sprachen gemacht, dass sich das Subjektpronomen in Spaltsätzen von expletiven Pronomina unterscheidet. Im Standardfranzösischen unterscheidet sich das Subjektklitikon ce morphologisch vom expletiven Pronomen il: (130) Il / *Ça pleut. [+expl.]/ es[-expl.] regnet.

(im Standardfrz.)

(131) Ce /*Il est Jean qui est venu. s.cl. [-expl.]/ es [+expl.] ist Jean der gekommen ist. Das Russische, welches gar keine overten expletiven Pronomina kennt, verwendet in Spaltsätzen demonstrative Pronomina (vgl. Reeve 2012 zu dieser Beobachtung): (132) Ėto Petja. das Peter. ‘Das ist Peter.’

Spaltfragen 

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(133) Ėto Petja prišel. das Peter kam ‘Es ist Peter, der gekommen ist.’ Das Pronomen ça hat eine kataphorische Verwendung, d. h. es verweist auf einen Dis­kursreferenten, der durch die Koda des Spaltfragesatzes ausgedrückt wird. Die Funktion von Spaltfragen besteht demnach darin, diesen Diskursreferenten zu identifizieren. Die kataphorische Beziehung wird informell durch den Index j zwischen dem Pronomen und der Koda, die semantisch eine Entität bzw. ein Individuum (z. B. eine bestimmte Person) denotiert, repräsentiert: (134) C’ est qui ҫaj (qui est seul contre tous?) ≈ Diskursreferentj s-cl. ist wer das der ist einzige gegen alle ‘Wer ist gegen alle?’ [@-14] In Spaltfragen, in denen das betonte Pronomen fehlt, stellt im Rahmen der besagten Analyse in (134) das klitische Pronomen ce bzw. das koverte Pronomen pro die Diskursreferenz her: (135) a. C’j est qui (qui te l’a dit ?) ≈ Diskursreferentj? b. Chi fu proj (a dirtelo)  ≈ Diskursreferentj? c. ‘Wer ist esj (der es dir erzählt hat)’ ≈ Diskursreferentj? In Kopulafragen kann der Diskursreferent durch eine overte definite Nominalphrase (kurz DP) (hier le SMIC) ausgedrückt werden: (136) Le SMIC c’est quoi? ‘Der SMIC was ist das?’ [C-ORAL-ROM ffamdl08] Die overte DP kann auch dem Kopulasatz folgen und komplex sein, d. h. durch einen Relativsatz (hier: qui va pas alors) modifiziert sein: (137) C’ est quoi le truc qui va pas alors? s.cl. ist was das Ding das geht nicht also ‘Welches Ding funktioniert also nicht?’ [C-ORAL-ROM ffamcv06] Lässt man die DP (hier: le truc) weg, dann entspricht dieser Typ der Form eines Spalt­fragesatzes: (138) C’ est quoi (le truc) qui va pas alors? s.cl. ist was (das Ding) das geht nicht also  ‘Welches Ding funktioniert also nicht?’[C-ORAL-ROM ffamcv06, meine Klammer] Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Spaltfragen als Kopulafragen mit einer DP analysiert werden könnten, wobei von der besagten DP nur der Relativsatz overt realisiert wird, welcher formal der Koda eines Spaltfragesatzes entspricht.

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Im Folgenden soll die Eigenschaft der Diskursreferenz von Spaltfragen durch weitere Argumente gestützt werden. Spaltfragen werden nicht in neuen Diskursen gebraucht, die durch Grußformeln wie ‘Hallo. Wie geht’s?‘ markiert werden und damit ein neues Diskursthema eröffnen. Die meisten französischen SprecherInnen bevorzugen in neuen Diskursen est-ce-que-Fragen gegenüber Spaltfragen: (139) Kontext: A weiß nicht, ob B etwas am Abend vorhat: A: Salut! Ҫa va? Qu’est-ce que tu fais ce soir? Hallo! Wie geht’s dir? ‘Was machst du heute abend?’ * A: Salut! Ҫa va? C’est quoi que tu fais ce soir? ‘Hallo! Wie geht’s dir? Was ist es, das du heute abend machst?’ Auch Changs (1995) Daten in (140) bestätigen den Unterschied zwischen est-ceque-Fragen und Spaltfragen im Französischen, weil die letzteren eine existentielle Präsupposition ausdrücken, die die ersteren nicht ausdrücken müssen (vgl. auch Boeckx et al 2001, Starke 2001): (140) a. Q: Qu’est-ce que Marie a acheté? A: Rien was EST-CE QUE Marie hat gekauft nichts ‘Was hat Marie gekauft? Nichts’ b. Q: C’est quoi que Marie a acheté? A:?? Rien scl.ist was dass Marie hat gekauft nichts ‘Was ist es, das Marie gekauft hat?’ Der Unterschied zwischen Spaltfragen und est-ce-que-Fragen lässt sich auch phonolo­gisch bestätigen. Während Spaltfragen mit zwei phonologischen Einheiten assoziiert werden, die hier durch // markiert werden (vgl. 2.1.3.2), lässt sich in est-ce que-Fragen nur eine phonologische Einheit beobachten (vgl. Pustka 2011: 135 zur Intonationsanalyse in (142): (141) Mais en fait c’est qui // qui t’a parlé du “Cuba libre” // ‘Wer ist es, der dir von ‘Cuba libre’ erzählt hat? [ C-ORAL-ROM ftelpv09] (142) Qu’est-ce qui a donc/ valu à Beaulieu// was est-ce quiNOM hat also wert an Beaulieu ‘Was hat Beaulieu diese große Ehre verschafft?’

ce grand honneur? diese große Ehre

Weitere Daten, die die Vorhersage der Einzigkeitspräsupposition für italienische und französische Spaltfragen erfüllen, haben etwas mit der fehlenden NPI-Lizenzierung in der Koda eines Spaltfragesatzes zu tun. Spaltfragen lizenzieren keine starken NPIs wie z. B. ital. un cavolo ‘ein Kohl’ / franz. la moindre chance ‘die geringste Chance’ (vgl. Chierchia 2013, u. a. für die Unterscheidung

Spaltfragen 

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von schwachen und starken NPIs). Da Spaltfragen eine Einzigkeitspräsupposition haben, sollten sie keine starken NPIs lizenzieren, weil starke NPIs die existentielle Präsupposition der Frage negieren. Diese Vorhersage wird durch (143)b. erfüllt. Wh-Fragen ohne die Spaltsatzstruktur müssen keine existientielle Präsupposition haben und aus diesem Grund lizenzieren sie starke NPIs in (143)a.: (143) a. Chi ci capisce un cavolo con queste equazioni? wer davon versteht einen Kohl mit diesen Gleichungen ‘Wer versteht schon diese Gleichungen?’

Nessuno capisce un cavolo. niemand versteht einen Kohl Niemand versteht etwas.

b. *Chi è che ci capisce un cavolo con queste equazioni? wer ist dass davon versteht einen Kohl mit diesen Gleichungen Die fehlende NPI-Lizenzierung von NPIs wie franz. la moindre chance ‘die geringste Chance’ bestätigt die These der Einzigkeitspräsupposition von Spaltfragen (vgl. auch Homer 2008): (144) a. Qui a la moindre chance de gagner? ‘Wer hat die geringste Chance zu gewinnen?’ b. */? C’est qui qui a la moindre chance de gagner? s.cl. ist wer der hat die geringste Chance zu gewinnen

c. C’est qui qui a une chance de gagner? ‘Wer ist es, der eine Chance zu gewinnen hat?’

Die existentielle Präsupposition von Spaltfragen erklärt auch, warum Spaltfrage­ sätze keine Adjunkte wie se non x ‘wenn nicht x’ im Kopulasatz in den untersuchten Korpora enthalten. Wie sich in 2.4.2 noch zeigen wird, werden solche Ausdrücke bevorzugt in Fragen verwendet, die keine existentielle Präsupposition haben: (145) wh-Pronomen se non x è che ….?

(0 Belege)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine mögliche Diskurseigenschaft von Spaltfragen darin besteht, dass sie der Erfragung des Namens eines bestimm­ ten Indivi­duums dienen, das dem Sprecher und dem Hörer aus dem Diskurs bekannt sein sollte. Diese Eigenschaft von Fragen bezeichnet man in der Literatur als diskursgebundene Fragen (vgl. Pesetsky 1987 und 3.2.4.3). Auf diese Weise erklärt sich die existentielle Präsupposition (genauer die Einzigkeitspräsuppo­ sition), die SprecherInnen mit Spaltfra­gen verbinden, sowie ihre eingeschränkte Verwendung in Korpora. Geht man davon aus, dass das Subjektpronomen ce/ça in französischen Spaltfragen bzw. das leere Sub­jektpronomen pro in italienischen

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Spaltfragen auf die Koda verweisen, die den Status eines Diskursreferenten hat, dann folgt die existentielle Präsupposition von Spaltfragen automatisch.

2.1.6 Zusammenfassung Spaltfragen haben eine Einzigkeitspräsupposition und sind exhaustiv. Die Eigen­­­ schaft der Exhaustivität teilen diese Strukturen mit Sätzen, die exklusive Partikeln (z. B. nur/only) enthalten. Spaltfragen weisen sprachspezifische Eigenschaften im Italienischen und Französischen auf. Das wh-Element kann im Französischen entweder vor dem Ko­pulaverb oder danach stehen, nicht so im Italienischen, wo es immer vor dem Kopula­verb steht. Außerdem kennt das Französische est-ceque-Fragen, die sich von Spaltfra­gen hinsichtlich der Bmw-Effekte und weiterer Eigenschaften (prosodisch, se­mantisch, hinsichtlich der Frequenz und ihrer Diskurseigenschaft) unterscheiden.

2.2 wh-Exklamativsätze In diesem Abschnitt geht es um Exklamativsätze, insbesondere diejenigen, die den Komplementierer che enthalten, weil er eine Rolle für den Bmw-Effekt in Spaltfragen und wh-Exklamativsätzen spielt (vgl. Typ 1-Exkl). Abschließend stelle ich eine Hypothese auf, wie man den Parameter erfassen kann, der den Bmw-Effekt in unterschiedlichen wh-Exklamativtypen bestimmt.

2.2.1 Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen Wie sich hier zeigen wird, gilt der Bmw-Effekt nicht nur in Spaltfragen, sondern auch in wh-Exklamativsatztypen, die einen overten Komplementierer che im Italieni­schen aufweisen können: (146) *[wh-XP] [(che) … Verb [fin].... [wh-YP]]! (Ital.) Man betrachte den folgenden Unterschied zwischen einem grammatischen Fragesatz und einem ungrammatischen Exklamativsatz (vgl. Typ 2-Exkl-che in 1.2.2). Der Exklamativsatz unterscheidet sich im Italienischen vom Fragesatz (vgl. (147) a.) dadurch, dass er einen overten Komplementierer che enhält (vgl. (147)b.), worin er den Spaltfragesätzen (vgl. (147)c.) ähnelt: (147) a. A: Che tipo di donna piace a che tipo di uomo? was Typ von Frau gefällt an was Typ von Mann ‘Welcher Frauentyp gefällt welchem Typ Mann?’

wh-Exklamativsätze 



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B: Le donne intelligenti piacciono agli uomini ricchi, le donne belle piacciono agli uomini poveri. ‘Intelligente Frauen gefallen reichen Männern, schöne Frauen gefallen armen Männern,….’

b. A: Che tipo di donna che piace a Mario/*a che tipo welcher Typ von Frau che gefällt an Mario/an welchen Typ di uomo! von Mann ‘Was für ein Typ Frau dem Mario gefällt!’ c. A: *Che tipo di donna è che piace a che tipo di uomo! Welcher Typ von Frau ist che gefällt an welchen Typ von Mann Die genannte Beschränkung gilt nicht für die Konstruktion [franz. de x à y/ital. da x a y ‘von x nach y’] (vgl. Gross 1981 und 2.1, Bps. (102)). Diese Konstruktion zeigt, dass multiple wh-Elemente in Exklamativsätzen grammatisch sind, wenn sie beide ex situ bzw. am linken Satzrand stehen: (148) De quelle joie à quel deuil nous sommes passés en un moment! (Franz.) von welchem Glück in welche Trauer wir sind gekommen auf einmal alternativ: Nous sommes passés d’une grande joie à un grand deuil. ‘Vor einem Augenblick waren wir noch sehr glücklich und nun sind wir traurig.’ (149) Da che casa grande à che appartamento piccolo si è trasferita/ von was Haus groß bis was Appartment klein sich ist transferiert/ spostata! (Ital.) umzieht ‘Sie ist aus so einem großen Haus in ein so kleines Haus umgezogen.’42 Des Weiteren können wh-Exklamativsätze in beiden Sprachen einen overten Komple­ mentierer franz. à und ital. da ‘um zu’ enthalten, der ebenfalls nicht mit einer weiteren wh-Phrase kompatibel ist. Diese Komplementierer leiten einen infiniten Satz ein (vgl. dagegen den Komplementierer che, der einen finiten Satz in (147)b. einleitet): (150) Quel joli cadeau à offrir aux enfants/*à quels braves enfants! welches schönes Geschenk zu schenken an Kinder/an welch gute Kinder! ‘Was für ein schönes Geschenk man den Kindern schenken kann!’ (151) Che bel libro da regalare ad una ragazza come te/ *che ragazza! was schönes Buch zu schenken an ein Mädchen wie dich/welch ein Mädchen! ‘Was für ein schönes Geschenk man so einem Mädchen wie dir schenken kann!’ 42 Der Grund dafür, dass die deutsche Übersetzung keine wh-Elemente enthält, liegt darin begründet, dass einige deutsche SprecherInnen, die ich befragt habe, die Übersetzung ohne whElemente besser finden.

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Es zeigt sich erneut, dass der Bmw-Effekt unabhängig vom Status des Kom­ plementsatzes als +/– finit und von der Realisierung der Kopula ist (vgl. für die gleiche Feststellung in Verbindung mit Spaltfragen in 2.1.2). Wh-Exklamativsätze im Französischen sind auch dann ungrammatisch, wenn sie keinen overten Komplementsatz aufweisen (vgl. Typ 1-Exkl in 1.2.2): (152) a. Quelle femme (laide) a épousé un homme tellement beau! welche Frau (hässliche) hat geheiratet einen Mann so schön ‘Welch eine (hässliche) Frau hat einen so schönen Mann geheiratet!’

b. *Quelle femme (laide) a épousé quel homme (beau)! welche Frau (hässliche) hat geheiratet welchen Mann (schön)

Die nächsten Daten zeigen, dass auch französische wh-Exklamativsätze einige struktu­relle Gemeinsamkeiten mit Spaltsätzen teilen, weil sie einen overten Komplementsatz bzw. Relativsatz realisieren können. Einige französische Sprecher­ Innen formulieren den ungrammatischen Typ mit multiplen wh-Elementen (vgl. (153)) spontan in einen Exkla­mativsatz um, der einen overten Komplementsatz bzw. Relativsatz enthält, in welchem das zweite Fragemorphem combien in einer referentiellen Nominalphrase eingebettet wird (vgl. (154)): (153) *Quelle femme riche a épousé quel homme pauvre! welche Frau reich hat geheiratet welchen Mann arm (154) Quelle femme riche qui a épousé ce combien pauvre homme! welche Frau reich die hat geheiratet diesen wieviel arm Mann ‘Was für eine reiche Frau hat diesen sehr armen Mann geheiratet!’ Man sollte erwähnen, dass der Ausdruck combien pauvre in (154) syntaktisch optional ist und außerdem innerhalb einer definiten Phrase ce (combien pauvre) homme steht. Diese zwei Eigenschaften fehlen in (153), weil die zweite wh-Phrase in (153) nicht optional ist. Das sieht man daran, dass die ganze rechte wh-Phrase in (153) die grammatische Funktion eines direkten Objektes hat. Außerdem gibt es in (153) keine Hinweise auf die Definitheit des direkten Objektes. An dieser Stelle sei an die Beob­ achtung in der Literatur erinnert, derzufolge quantifizierende, jedoch nicht definite Aus­drücke Beschränkungen aufweisen können (sogenannte Interventionseffekte in 1.3.5). Das Minimalpaar in (153) und (154) scheint diesen Unterschied zu bestätigen. Gibt es weitere Hinweise für eine Parallele zwischen französischen Exklamativsätzen und Spaltsätzen? Es gibt in der Tat einige wh-Exklamativsätze, die einen overten Komplementierer que enthalten können. Im gesprochenen Französi­schen wird der Komplementierer que meistens in wh-Exklamativsätzen, eingeleitet durch comment ‘wie’, realisiert (Radford 1989: 226):

wh-Exklamativsätze 

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(155) Comment que c’ est mignon! wie dass s.cl. ist niedlich ‘Wie niedlich es ist!’ Im geschriebenen Französischen lassen sich auch wh-Exklamativsätze, die durch quel, le ‘welche, r, s’+ NP eingeleitet werden, mit einem overten Komplementierer finden: (156) Quel idiot (que) ce type! welcher Idiot (dass) dieser Typ ‘Was für ein Idiot dieser Typ ist!’ 

(Munaro & Pollock 2005: 594)

bâtarde c’ est que cette fille (est)43 (157) Quelle putain welche Prostituierte unehelich s.cl. ist dass dieses Mädchen ‘Was für ein Miststück dieses Mädchen ist! (du Maine 2004: 18, Klammer um est von O. K.) Die Daten in französischen wh-Exklamativsätzen in (155)- (157) legen nahe, dass auch französische wh-Exklamativsätze mit Spaltsätzen einige Gemeinsamkeiten teilen. Wie sich im nächsten Abschnitt zeigen wird, sind wh-Exklamativsätze mit (skalarem) Fokus verbunden.

2.2.2 Skalare Ordnung von Alternativen Wie in diesem Abschnitt noch deutlich werden wird, spielen für die Herausarbeitung der hier verfolgten Hypothese die Fokuseigenschaften von Exklamativsätzen eine wichtige Rolle. Zu diesem Zweck möchte ich die Standardanalyse von Gradexklamativsätzen einführen (z. B. Wie schön du bist! Franz. Comme tu es belle! Ital. Che bella che sei!). Dieser Analyse zufolge drücken wh-Exklamativsätze eine skalare Ordnung von Alternativen aus (vgl. Gutiérrez-Rexach 1999/2008, Portner & Zanuttini 2003, Villalba 2004). Angenommen jemand äußert den Satz Wie groß Maria ist! Quanto è grande! In diesem Fall wird ausgesagt, dass Maria größer ist als jeder alternative Grad d’ und zu­sätzlich gilt, dass der Grad d, zu dem Maria de facto groß ist (z. B. 190 cm.), unerwartet ist (vgl. Rett 2008). Demnach drücken Gradexklamativsätze eine Alternativenmenge von Graden aus, die nach einer Skala der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens geordnet sind (die skalare Ordnung sei informell durch > symbolisiert):

43 Ich gehe in Anlehnung an Dufter (2008: 6) davon aus, dass selbst wenn die Kopula est ‘ist’ im Komplementsatz nicht overt realisiert ist, diese kovert ausgedrückt wird.

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(158) Quanto è grande! Wie groß die ist! Qu’est-ce qu’elle est grande! >{190 cm.,…140 cm.. 120 cm…} geordnete Alternativenmenge De facto Grad, 190 cm, ist unerwartet. (Einstellung des Sprechers) Dagegen sind die Antworten in dem folgenden Fragesatz ungeordnet und der Fragesatz drückt keine Erwartungshaltung bezüglich einer bestimmten Antwort aus: (159) Wer war auf der Party? Mögliche Antworten: Maria war da, Paul war da,…. Die eingangs erwähnte skalare Analyse von Gradexklamativen möchte ich auf Exklamativtypen übertragen, die einen nominalen Kern innerhalb der wh-Konstituente haben (vgl. wh-NP-Exklamativsätze wie z. B. Was für ein Mädchen! Quelle belle fille! Che bella ragazza!). Wh-NP-Exklamativsätze (vgl. Bsp. (160) aus dem Korpus SSLMIT) nehmen Bezug auf eine bestimmte Eigenschaft, die auf ein Individuum zu­trifft. Diese Eigenschaft wird vom Sprecher am wenigsten erwartet. Diese Einstellung des Sprechers wird wörtlich durch den nachgestellten Satz in (160) ausgedrückt (ital. non ne ho mai vista una così ‘ich habe nie ein solches (Gesicht) gesehen’) (vgl. Marandin 2008: Fn.2, für eine ähnliche Beobachtung im Französischen):44 (160) Oh, ma che bella faccia (…):non ne ho mai vista una così. oh, aber was schönes Gesicht: nicht davon habe jemals gesehen ein solches ‘Was für ein schönes Gesicht! Ich habe nie ein solches (Gesicht) gesehen.’ Die skalare Analyse gilt nicht nur für wh-Exklamativsätze. Es gibt auch eingebettete Fragen, die wie wh-Exklamativsätze eine skalare Ordnung aufweisen. Diese Ordnung wird lexikalisch durch das satzeinbettende Prädikat vermittelt, das man allgemein als ein surprise-Prädikat klassifizieren kann. Die folgende eingebettete Frage des Französi­schen zeigt die salienten Alternativen, die durch den Sprecher B gegeben werden. Diese Alternativen sind nach der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens geordnet, d. h. in diesem Kontext ist es wahrscheinlicher, dass die Schwester anruft, als dass Nicolas Sarkozy persönlich anruft: 44 Marandin (2008) verweist in einer Fußnote darauf, dass nominale wh-Phrasen im Französischen keine Gradinterpretation haben, sondern auf einen bestimmten Typ Bezug nehmen, den man als einen Idealtyp beschreiben könnte: “For example, the interpretation of Quel chapeau (elle portait ce soir-là)! (What a hat (she had that night)!) involves the ideal (or the anti-ideal) hat (in the speaker’s view) (Lakoff 1987): ‘she wore a hat having the features that make up the best/worse hat (best/worse[sic!] in the speaker’s view)’.”(Marandin 2008: Fn.2). Marandin (2008) beschäftigt sich hauptsächlich mit Gradexklamativsätzen wie comme il est beau! und weist darauf hin, dass Gradexklamativsätze von wh-NP-Exklamativsätzen (eingeleitet durch quel, le, s) unterschieden werden sollten.

wh-Exklamativsätze 

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(161) A:- Chérie, tu ne devineras jamais qui m’a appelé. (@-17) ‘Liebste, du wirst niemals erraten wer mich angerufen hat.’ B:- Ta sœur ? ‘Deine Schwester?’ A:- Non, non… Plus étonnant encore… Cherche… ‘Nicht doch… Noch spannender….Suche weiter…’ B:-  Je ne sais pas moi, le maire de Montévrain?..... ‘B: Ich weiß nicht recht, der Bürgermeister von M.?’ A:- Tu refroidis. Non plus haut, plus haut! ‘Ganz kalt. Noch höher!’ B:- Oh tu m’ennuies, tu ne vois pas que je suis en train de nettoyer l’évier? ‘Du nervst, siehst du nicht, dass ich gerade abwasche?’ A:- Eh bien, Nicolas Sarkozy m’a appelé! ‘Nicolas Sarkozy hat mich angerufen.’ Man kann die skalare Ordnung in (161) wie folgt informell formulieren: (162) Du wirst nie erraten, wer mich angerufen hat. ≈ Du wirst nie erraten, dass mich SarkozyFokus angerufen hat ≈ dass mich Sarkozy anruft, ist unwahrscheinlicher als dass mich meine Schwester, der Bürgermeister von ­­M.,… anrufen. Weitere Fragetypen, die eine skalare Interpretation aufweisen, sind wh-­ Fragetypen, die NPIs enthalten (vgl. Krifka 1995, Guerzoni 2003), sowie solche, die Partikeln wie ital. mai/cazzo, franz. diable oder (defektive) Nomina wie ital. cazzo/franz. putain, etc. aufweisen (vgl. 2.3 und 2.4). Die Annahme der skalaren Analyse ist zentral für diese Arbeit, weil sie eine Perspektive auf eine einheitliche Analyse des Bmw-Effektes in denjenigen Typen ermöglicht, die diese aufweisen. Es sei an dieser Stelle an die Haupthypothese dieser Arbeit erinnert (vgl. 1.4), derzufolge der Bmw-Effekt auf einen Interventionseffekt hinausläuft, der durch be­stimmte Fokusoperatoren mit der Bedeutung ‘nur/sogar’ ausgelöst wird. Da wh-Exklamativsätze eine skalare Interpretation aufweisen, wie dieses Unterkapitel gezeigt hat, kann man davon ausgehen, dass wh-Exklamativsätze einen skalaren Fokusoperator mit der Bedeutung von ‘even’ enthalten, der den Bmw-Effekt auslöst. Man kann den Bmw-Effekt in Ver­bindung mit der skalaren Interpretation wie folgt informell erfassen: (163) Multiple wh-Elemente sind ungrammatisch, wenn die Alternativen, die aus einer der wh-Phrasen hervorgehen, skaliert werden: ‘even’{a, b, c ….} Es sei darauf hingewiesen, dass sich der Ausdruck des skalaren Fokus’ in wh-­ Exklamativsätzen phonologisch bestätigen lässt, weil wh-Exklamativsätze eine Intonations­ struktur aufweisen, die sich mit der Fokus-Hintergrund-Struktur assoziieren lässt (vgl. 2.2.3).

66 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

2.2.3 Fokusmarkierung durch die Intonation Wh-Exklamativsätze zeigen eine ähnliche Phrasierung wie eine Spaltsatzstruktur, die sich durch zwei Intonationseinheiten auszeichnet (vgl. Sorianello 2011). Die erste Intonationseinheit korreliert syntaktisch mit der wh-Konstituente und ihr Ende wird durch einen intermediären Grenzton L- bzw. / markiert (vgl. Sorianello 2011). Die zweite Intonationseinheit korreliert syntaktisch mit dem Komplementsatz und informationsstrukturell mit dem Hintergrund. Die folgende Intonation von Exklamativsätzen zeigt, dass die Fokuskonstituente prosodisch markiert wird durch die Hochtöne, die mit metrisch starken Silben assoziiert werden. Der Fokushintergrund ist dagegen deakzentuiert. In Anlehnung an Sorianello (2011) repräsentiere ich den Anfang der Äußerung durch einen hohen initialen Grenzton (repräsentiert durch %H): H* H* -L L* L-L% (164) %H Che mAni grAndi/ che hai// was Hände  grOße die hast-du ‘Was für große Hände du hast!’ ke

ma

ni

gr

A

n-

di

(ke

ai)!

300 250 200 150 100 50 40 30 20 10 0

155.5

156

156.5

157

157.5

Abbildung 5: Betonung von Che mani grandi che hai! ‘Was für große Hände du hast!’ C-ORAL-ROM [ifamn25]

2.3 Fragen mit Partikeln cavolo/mai In diesem Abschnitt geht es um Fragen mit Elementen wie cavolo/mai. Zunächst wird eine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Funktionen dieser Elemente vorge­nommen (2.3.1) und anschließend der Bmw-Effekt in diesem Typ näher be­stimmt (2.3.2).

Fragen mit Partikeln cavolo/mai 



 67

2.3.1 Eine kurze Unterscheidung zwischen Partikeln und anderen Kategorien 2.3.1.1 Partikel cazzo vs. Interjektion cazzo Angesichts dessen, dass Elemente wie diable/the hell in der Literatur als Partikeln be­zeichnet werden, wird dieser Begriff übernommen, d. h. im Folgenden werden Elemente wie ital. cazzo/mai oder franz. diable in Anlehnung an die Literatur als Partikeln be­zeichnet.45 Partikeln wie ital. cazzo/mai oder franz. diable sollten von homophononen Interjektionen unterschieden werden. Interjektionen haben anders als Partikeln eine Satzfunktion, d. h. sie lizenzieren sich selbst und sind unabhängig. Sie treten in Verbin­dung mit unterschiedlichen Satztypen und Illokutionstypen auf (z. B. in Befehlssätzen in (165)a.; und sie sind durch weitere Interjektionen ersetzbar z. B. accidenti ‘verdammt’ (vgl.(165)b.):



(165) a. Me lo devi dire, cazzo ! mir es must sagen, cazzo ‘Du musst es mir sagen, verdammt!’

[CORIS, MON 2005_07]

b. Guardami, accidenti! ‘Schaue mich an, verdammt!’

[CORIS, MON 2005_07]



Cazzo steht als Partikel anders als eine Interjektion rechtsadjazent zu wh-markierten Elementen, die meistens eine Frageinterpretation haben, und wird nur einmal verwen­det: (166) E chi (cazzo) verrà (*cazzo) qui (*cazzo)? und wer cazzo kommt cazzo hier cazzo ‘Wer wird hierher kommen?’ Die nächsten Daten relativieren teilweise die Annahme, derzufolge cazzo nur in Fragesätzen auftritt, weil die Konfiguration wh+cazzo auch in freien Relativsätzen vorkommen kann, wie meine Sprecherbefragungen und Korpusuntersuchung bestätigen. Allerdings ist die Verwendung der besagten Konfiguration in Relativsätzen viel seltener als in Fragesätzen und sie ist hauptsächlich auf das Verb parere ‘scheinen‘ beschränkt:46

45 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es in der Literatur umstritten ist, ob Partikeln eine eigenständige syntaktische Kategorie bilden (vgl. Zwicky 1985). Meine Unterscheidung steht nicht unbedingt in einem Widerspruch zu Zwicky (1985), weil ich Partikeln syntaktisch als Adverbien analysieren könnte, um sie von den ‘defektiven’ Nomina (vgl. 2.4.1) abzugrenzen. 46 Diesbezüglich gibt es eine interessante Verbindung zu der Partikel diable, die in eingebetteten Fragen im Französischen vorkommen kann, welche die Struktur eines freien Relativsatzes haben aufgrund der Verwendung des klitischen Pronomens ce und des Komplementierers que:

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(167) Può invitare chi cazzo gli pare  kann  einladen wer cazzo ihm  erscheint ‘Er kann alle möglichen Leute einladen.’

(SSLMIT)

(168) (…) però puoi scegliere chi cazzo te pare te lo puoi scegliere per esempio negro ‘Du kannst dir irgendjemanden aussuchen, du kannst z. B. einen Schwarzen aussuchen.’  (BADIP) (169) Fa un po‘ come cazzo ti pare. mach ein wenig was cazzo dir scheint. ‘Mach doch was du willst!’

[CORIS, MON 2005_07]

(170) Va dove cazzo gli pare. geht wohin cazzo ihm schein. ‘Er geht, wohin er will.’

[CORIS, MON 2005_07]

Diese Daten sind ein Argument dafür, dass cazzo von den deutschen Modalpartikeln wie schon/wohl unterschieden werden sollte, da Modalpartikeln in freien Relativsätzen nicht lizenziert werden: (171) Mach was du (*schon/*wohl) willst! Vielmehr sind die Belege mit freien Relativsätzen ein Argument dafür, dass cazzo mit quantifizierenden Partikeln wie z. B. immer/ever verglichen werden sollten, die der Literatur zufolge eine Widening-Interpretation haben, weil sie die Quanti­ fikationsdomäne des wh-Elementes so maximal wie möglich erweitern (vgl. die detaillierte Vorstellung des Begriffs Widening in 3.3): (172) Mach was immer du willst. Take whatever you want. Des Weiteren gibt es phonologische Unterschiede zwischen Partikeln und Interjektionen. Während Interjektionen eine eigene phonologische Einheit bilden (vgl. die nicht-termi­nale Pause / hinter der Interjektion in (173)), sind Partikeln phonologisch in die Satzäußerung integriert, in der sie auftreten (vgl. die Abwesenheit von / hinter cazzo in (174)): (173) Cazzo/ ’un  ho chiuso// [COR ifamcv 14] cazzo/ nicht habe geschlossen. ‘Verdammt, ich habe nicht abgeschlossen.’

i. Dis moi ce  que diable tu  cherches dans ce placard? sag mir s.cl. dass diable du suchst in diesem Schrank ‘Sag mir was du in diesem Schrank suchst?’ (vgl. Poletto & Pollock 2009: 243)



Fragen mit Partikeln cavolo/mai 

 69

(174) Ma che cazzo me ne frega settimila lire//[COR ifamcv02] aber was cazzo mich davon kümmert siebentausend lire ‘Was kümmern mich siebentausend Lire?’

2.3.1.2 mai als Partikel und mai als temporales Adverb Es gibt Unterschiede zwischen dem Adverb mai und der Partikel mai. Während Adverbien wie mai modifizierbar sind (z. B. mai più ‘nie mehr’ oder quasi mai ‘fast nie’) und alleine stehen können (z. B. B: no// mai. ‘Nein, niemals.’), ist die präverbale Partikel mai in Fragen nicht modifizierbar und kann als Partikel nicht alleine stehen: (175) Chi mai (*più) è capace di farlo? Nessuno. wer mai mehr ist fähig zu tun-es ‘Wer ist (*nicht mehr) in der Lage es zu tun? Niemand.’ In der postverbalen Position kann mai durchaus modifiziert werden, was auf den Adverbstatus von mai hindeutet: (176) Perché non ritorni mai più? ‘Warum kommst du nicht mehr zurück?’ [SSLMIT] Folgt mai in Fragen einer overten Satznegation, dann kann mai nur den Status eines temporalen Adverbs haben, was das Beispiel in (177) und alle Treffer aus dem Korpus SSLMIT bestätigen: (177) Perché non esci mai? ‘Warum gehst du nie aus?’ Partikeln wie mai/cazzo sind syntaktisch weglassbar (die Weglassbarkeit ist repräsentiert durch die Klammer) und sie können wh-Elementen folgen, die mit der leeren Argu­mentstelle im Nebensatz assoziiert sind (repräsentiert durch _j) (vgl. Obenauer & Poletto 2000 zu ähnlichen Daten). Man nennt dieses Phänomen auch Fernabhängigkeit: (178) Cosaj (mai) pensi  che potresti fare_j, strangolarmi? was mai denkst dass kannst tun erwürgen-mich ‘Was glaubst du, was du tun kannst, mich erwürgen?’ (179) Chij (cazzo) pensi di prendere _j  per il culo? wen cazzo denkst zu nehmen für der Arsch ‘Wen glaubst du verarschen zu können?’ [CORISMON2001_04, Klammer v. O. K.] Die Eigenschaft der Fernabhängigkeit ist wichtig für die Unterscheidung zwischen mai als Partikel und mai als Adverb mit der Bedeutung ‘jemals‘, weil das

70 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

temporale Adverb keine Fernabhängigkeit eingehen kann, was man anhand des temporalen Adverbs jemals im Deutschen erkennen kann: (180) Wann (*jemals) denkst du wirst du (jemals) spielen können? Wenn es verschiedene mai-Elemente gibt (eine Modalpartikel mai und ein temporales Adverb mai), dann sollte man die Möglichkeit erwarten, dass mai doppelt auftreten kann. Es wurden einige Belege mit einem doppelten mai in Adjunktfragen in SSLMIT und BADIP gefunden. Alle diese Fragen weisen eine Satznegation auf. Dabei steht ein mai hinter der Negation und ein mai vor der Negation, wie die folgenden beiden Bei­spiele aus SSLMIT zeigen: (181) E come mai non  ha mai partecipato? und wie mai nicht hat mai teilgenommen ‘Und wieso hat er bloß niemals teilgenommen?’ mai fornita una prova dell’ (182) Perché mai non è stata warum mai nicht ist gewesen mai ausgestattet ein Beweis der esistenza in vita di Emanuela ? Existenz des Lebens von Emanuela ‘Warum wurde bloß niemals der Beweis dafür erbracht, dass Emanuela lebt?’ Die Daten mit dem doppelten mai weisen darauf hin, dass mindestens ein mai kein tem­porales Adverb sein kann, weil zwei temporale Adverbien mit der gleichen Bedeutung in einem Satz unmöglich sind. Eine weitere wichtige Unterscheidung zwischen der präverbalen Partikel mai und dem postverbalen temporalen Adverb mai besteht darin, dass das temporale Adverb in Ja/Nein-Fragen gebraucht wird, die echte Informationsfragen bilden, was man ahand der Antwort des Adressaten B erkennt: B: la chiesa/ si (183) A: L’avete mai vista? ’Haben Sie sie jemals gesehen?’ B: die Kirche, ja [C-ORAL-ROM ifamcv17] (184) A: La solitudine la mai conosciuta? L’ha mai incontrata? B: No, pero trovo che… ‘Haben Sie jemals das Gefühl der Einsamkeit erlebt? B: Nein, aber….’ [C-ORAL-ROM imedin01] (185) A: Sei mai stata persequita da un rivale? B: persequita? No. ‘Bist du jemals von einem Rivalen verfolgt worden? Verfolgt? Nein.’ (186) A: Ci sei mai stata a Sesto? ‘A: Bist du jemals in Sesto gewesen?’ B: Mah..mi sembra di no.// A: Non ti sei persa nulla. B: ‘Ich glaube nicht.// A: Du hast auch nichts verpasst.’ [C-ORAL-ROM Itelpv16]



Fragen mit Partikeln cavolo/mai 

 71

Dagegen wird die Partikel mai hauptsächlich in rhetorischen Fragen gebraucht (vgl. Obenauer & Poletto 2000, Coniglio 2008). Ein weiteres Indiz für den Partikelstatus von mai stellen Fragesätze dar, die bereits durch einen temporalen Ausdruck modifiziert sind. Somit kann mai in solchen Fragen keine temporale Bedeutung haben, weil der Satz bereits temporal modifiziert ist (z. B. durch den temporalen Ausdruck um 5 Uhr): (187) Ora, parleremo alle cinque. E perché mai alle cinque? ‘Jetzt werden wir um 5 Uhr sprechen. Und warum (bloß nur/*jemals) um 5?’ Nessuno lo capisce. ‘Niemand versteht es.’ [SSLMIT] Eine weitere wichtige Unterscheidung zwischen dem temporalen Adverb mai und der Partikel mai stellt ihre Distribution in wh-Adjunktfragen dar, die die Wahrheit ihrer Komplemente präsupponieren. Das sind Fragen, die den Grund oder das Motiv eines Sachverhaltes bzw. einer Handlung erfragen. Während wh-Argumentfragen das postverbale mai auch ohne die Negation lizenzieren können, können es wh-­ Adjunktfragen nicht. Das temporale Adverb mai ist in solchen Fragen nicht lizenzierbar, während die Partikel mai dort lizenzierbar ist: (188) perché mai/come mai ci siamo (*mai) fermati? warum mai/wie mai uns sind mai angehalten ‘Warum haben wir angehalten?’ Die fehlende Lizenzierbarkeit vom postverbalen mai lässt sich auf den NPI-Status dieses Adverbs zurückführen, weil NPIs generell nicht in Propositionen einbettbar sind, deren Wahrheit präsupponiert wird (vgl. Fitzpatrick 2005, Homer 2008). Diese Vorhersage wird für NPIs wie franz. quoi que ce soit in (189) erfüllt: mere?47 (189) a. *Pourquoi/Comment Marie a-t-elle écrit quoi que ce soit à sa why/ how Marie has she written what that this beSUBJ to her mother ‘Why/How has Marie written anything to her mother?’ b. Pourquoi/Comment Marie a-t-elle écrit quelque chose (‘something’) à sa mère? c. Presupposition of b.: Marie wrote something to her mother. (Homer 2008: 432) 47 Homer (2008: 432) weist jedoch darauf hin, dass die Präsupposition in Adjunktfragen, die durch pourquoi eingeleitet werden, durch den Verbmodus aufgehoben werden kann und aus diesem Grund auch Adjunktfragen NPIs lizenzieren können: franz. Pourquoi écrirait-elle quoi que ce soit à sa mère? ‘Warum sollte sie irgendetwas ihrer Mutter schreiben?‘ (keine Präsupposition) (vgl. auch Fitzpatrick 2005 für den gleichen Punkt im Englischen). Diese Beobachtung gilt auch für mai:  i. perché saranno mai venuti a riprendermi? ‘Warum sollten sie mich abholen kommen?’ [CORIS]

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Ich möchte daher festhalten: NPIs wie mai sind im Kontext einer Proposition, deren Wahrheit präsupponiert wird, nicht lizenzierbar. Adjunktfragen lizenzie­ ren kein mai oder sonstige NPIs, die in der Proposition stehen, die als wahr prä­ supponiert wird. Partikeln sind dagegen in Adjunktfragen lizenzierbar.

2.3.1.3 Sind Partikeln wie cavolo/mai Modalpartikeln? Partikeln wie cavolo/mai können keiner komplexen Konstituente der Form wh+(di) XP direkt folgen: (190) Chi di queste ragazze (*diavolo/*mai) può (mai) invitare? wen von diesen Mädchen diavolo/ mai kann (mai) einladen ‘Wen von diesen Mädchen kann er (jemals) einladen?’ (191) ci chiediamo meravigliati quale lingua sia mai questa uns fragen verblüfft welche Sprache ist-Konj. mai diese ‘Wir fragen uns verblüfft welche Sprache das (wohl) sein mag.’ [SSLMIT] Die gleiche Beschränkung hat Meibauer (1994: 59) für die deutschen Modalpartikeln beobachtet (vgl. (193)): (192) Wer schon will das? (193) *Wer von den restlichen Wählern schon will das? (194) Wer von den restlichen Wählern will das schon? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob cazzo/mai Modalpartikeln sind bzw. einige Gemeinsamkeiten mit Modalpartikeln teilen (vgl. Coniglio 2008, Cardinaletti 2011). Coniglio (2008) vertritt die Hypothese, dass mai eine Modalpartikel48 ist, die hauptsächlich in rhetorischen Fragen oder Fragen mit einer ähnlichen Funktion auftritt: 48 Coniglio (2008) gibt folgende Definition von Modalpartikeln, die auch mehr oder weniger mit bekannten Definitionen von Modalpartikeln übereinstimmt (vgl. z. B. Thurmair 1989, Meibauer 1994, Kwon 2005): a. Im Deutschen erscheinen Modalpartikeln im sogenannten Mittelfeld, d. h. zwischen finitem und nicht-finitem Teil des Verbs. Diese Eigenschaft teilen die meisten Modalpartikeln im Deutschen (Coniglio 2008: 92). b. Modalpartikeln sind in den Satz integriert (vgl. Coniglio 2008: 93). c. Modalpartikeln haben keine lexikalische Bedeutung und tragen keine wahrheitspropositionale Bedeutung zu der Äußerung bei, in der sie auftreten. Stattdessen müssen sie in dem Diskurszusammenhang analysiert werden. d. Modalpartikeln haben Skopus über die ganze Proposition des Satzes, in welchem sie auftreten und nicht über einzelne Konstituenten (vgl. Coniglio 2008: 96).



Fragen mit Partikeln cavolo/mai 

 73

In general, depending on contexts, its function [the function of mai] is that of signaling the rhetoricity of a question or the total incapacity on the speaker’s side to give an answer to it. (Coniglio 2008: 108, eckige Klammer O. K.)

Modalpartikeln (wie das Wort selbst schon sagt) haben etwas mit Modalität zu tun. Es gibt verschiedene Formen der Modalität (z. B. epistemische Modalität). Die epistemische Modalität nimmt Bezug zum Wissen des Sprechers und besagt ganz grob, dass die modifizierte Proposition nicht Teil des Sprecherwissens ist (vgl. Horn 2001, Zimmermann 2004, Fălăuş 2011). Wenn cazzo/mai Modalpartikeln sind, die eine epistemische Modalität ausdrücken, dann liegt die Hypothese nahe, dass die epistemische Modalität sich in der Spezifikation des Verbs (z. B. Modalverben), Tempusformen (z. B. Futur49) und Modus (Konditional) bemerkbar macht (vgl. Giannakidou 1997, Den Dikken & Giannakidou 2002, Zimmermann 2004). Dagegen sollen Verbformen wie z. B. Perfekt und Präsens in Sätzen mit Modalpartikeln seltener vorkommen, weil sie auf ein bestimmtes Ereignis verweisen und somit keine epistemische Modalität ausdrücken können (vgl. Giannakidou 1997, Den Dikken & Giannakidou 2002). In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der Verbmodus (z. B. Konjunktiv) eine wichtige Rolle auch für die Lizenzierung von mai als temporales Adverb in vielen Satztypen (Existenzkonstruktionen, Nebensätzen, Relativsätzen, etc.) spielt (vgl. Chierchia 2004, Homer 2008). Chierchia (2004) zufolge werden Sätze mit mai in Existenzkonstruktionen wie ci sara qualcuno che ‘es wird wahrscheinlich jemanden geben der…’ mit Konjunktiv besser bewertet als mit Indikativ: (195) a. ?? Ci sara’ qualcuno che ha mai sentito nominare Pavarotti ‘There will be somebody who ever heard of Pavarotti’



e. Sie sind syntaktisch weglassbar, ohne dass die Struktur des Satzes als ungrammatisch interpretiert wird (ebd) (syntaktische Bedingung). f. Sie sind satztypabhängig und/oder illokutionstypabhängig (ebd) (syntaktisch-pragmatische Bedingung). g. Sie verstärken oder modifizieren die Illokution der Äußerung, in der sie auftreten (ebd). h. Sie können in einzelnen Fällen die Illokution der Äußerung auch verändern (z. B. von einer Aussage in eine Frage) (ebd). i. Modalpartikeln sind weder koordinierbar noch modifizierbar: Kommen Sie doch (*und) mal zu mir! *Kommen Sie sehr mal zu mir! (ebd) j. Sie sind nicht flektierbar (morpho-syntaktische Bedingung). k. Sie erscheinen nie im Skopus der Negation (Coniglio 2008: 98). l. Sie folgen thematischen Elementen und gehen rhematischen Elementen voran. m. Modalpartikeln sind schwache Adverbien im Sinne von Cardinaletti (2007). 49 Im Italienischen kann Futur Zweifel ausdrücken (vgl. Bertinetto 1991: 115), d. h. der Sprecher zweifelt daran, dass p der Fall ist: i. Non gli sarà piaciuto. ‘Er/sie/es wird ihr wahrscheinlich nicht gefallen haben.’

74 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

b. Ci sara’ qualcuno che abbia mai sentito nominare Pavarotti! ‘(I hope) there will be somebody who has-SUBJ ever heard of Pavarotti.’

Er begründet die Verbmoduswahl damit, dass der Konjunktiv im Gegensatz zum Indikativ eine Proposition ausdrückt, die nicht auf ein faktisches Ereignis verweist, sondern auf ein gewünschtes Ereignis des Sprechers (engl. „optative meaning“): In (51a)[(195)a.] we have a presentational construction “there will be” with an embedded indicative future. The embedded clause contains the NPI mai ‘ever’ and the result is marginal. If one switches to subjunctive, as in (51b) [(195)b.], the presentational sentence acquires an optative meaning (I hope/wish that there will be…) and the sentence becomes grammatical. (Chierchia 2004: 54, eckige Klammern O. K.)

Homer (2008) zeigt ebenfalls, dass die Verwendung von mai in Nebensätzen in (196) nur mit dem Konjunktiv funktioniert. Er begründet die Verbmoduswahl ähnlich wie Chierchia durch die Annahme, dass der Konjunktiv die Wahrheit der Proposition, die durch den Nebensatz ausgedrückt wird, nicht präsupponiert und dadurch NPIs lizenziert werden können: (196) a. *Gianni non pensa che Maria è mai andata a Parigi. Gianni NEG thinks that Maria be.IND ever gone to Paris. ‘Gianni doesn’t think that Maria has ever been to Paris.’ (Presupposition: the speaker believes that Mary has been to Paris) b. Gianni non pensa che Maria sia mai andata a Parigi. Gianni NEG thinks that Maria be.SUBJ ever gone to Paris. ‘Gianni doesn’t think that Maria has ever been to Paris.’ (Presupposition: None) (Homer 2008: 431) Der Konjunktiv spielt auch bei der Lizenzierung von französischen NPIs wie wh-que ce soit eine Rolle: (197) Je suis surpris que Pierre ait quoi que ce soit à voir ich bin überrascht dass Pierre hat-Konj. irgendetwas zu tun avec cette histoire. mit dieser Geschichte ‘Ich bin überrascht, dass Pierre überhaupt etwas mit dieser Geschichte zu tun hat.’ Auch hier markiert der Konjunktiv die Einstellung des Sprechers, die besagt, dass der Sprecher eher erwartet hat, dass Pierre nichts mit der genannten Geschichte zu tun hat.

Fragen mit Partikeln cavolo/mai 



 75

Um die besagte Hypothese zu testen, wurde überprüft, ob das Verb in wh-Frage­sätzen mit Partikeln mai/diavolo/cazzo so spezifiziert ist, dass es epistemische Modalität ausdrückt. Untersucht wurden im Korpus SSLMIT verschiedene Modi und Tempora in Fragen, die durch das Fragepronomen dove ‘wo‘ und adjazente Partikeln mai/­ diavolo/cazzo eingeleitet sind. Die folgende Tabelle zeigt, dass Modalverben fast die Hälfte der Belege der Konfiguration dove mai + Verb bilden, während es nur 2 Belege von Modalverben in der Konfiguration dove diavolo/cazzo + Verb gibt (vgl. Zeile 2): (198) dove+mai/diavolo/cazzo Tabelle von dove+ mai/diavolo/cazzo Total

mai

diavolo

cazzo

55

34

3

1

Infinites Verb

1

0

0

2

Modalverben

16

2

0

3

Futur

8

4

0

4

Konditional

5

2

0

5

Andere Verbformen [Ind.Präsens oder (Im)Perfekt]

14

20

3

6

Konjunktiv

11

6

0

Auch das Korpus C-ORAL-ROM mit den wenigen Belegen, die es hat, zeigt, dass alle Belege mit wh-cazzo (insgesamt 8) kein einziges Modalverb enthalten: (199) a. indo cazzo si va qui ‘Wo zum Teufel geht man hier hin?’[iffamdl19] b. ma che cazzo fai? ‘Aber was zum Teufel machst du da?’[iffamdl19] c. ma dove cazzo sono? ‘Wo zum Teufel sind sie?’ [ifamn03] d. dove cazzo fa[sic!] ora? ‘Wo zum Teufel ist sie?’ [ifamn03] e. ma che cazzo me ne frega settimila lire? [ifamcv02] ‘Was kümmern mich siebentausend Lire?’ f. ma che cazzo è ‘Aber was zum Teufel ist das?’[ifamn 03]… Schaut man sich die Beispiele mit Verbformen, die im Präsens oder im (Im)Perfekt sind, genauer an (vgl. (198), Zeile 5), so stellt man auch dort einen Unterschied innerhalb der Partikelgruppe fest. In Fragen mit der Partikel mai werden unpersönliche Verben (mit si impersonale) verwendet oder Verben mit einer generischen Interpretation, die den Bezug auf ein bestimmtes Ereignis unmöglich machen: (200) Dove mai si spende più che in Italia? [SSLMIT] ‘Wo gibt man noch mehr Geld aus als in Italien?‘ (erwartete Antwort: Nirgendwo.)

76 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Es scheint also einen Unterschied zwischen der Partikel mai einerseits und dia­volo/cazzo/cavolo andererseits zu geben. Somit wäre allenfalls mai, jedoch nicht diavolo als Modalpartikel zu bezeichnen. Bereits an dieser Stelle kann gesagt werden, dass die Eigenschaft einer Modalpartikel keine Ursache für den Bmw-­ Effekt sein kann. In Zukunft sollten größere Datenmengen analysiert werden und ein systematisches Ver­fahren entwickelt werden, um die Verbindung zwischen der Spezifikation von Tempus und Modus und der Distribution von Partikeln genauer untersuchen zu können. Den­noch lässt sich auf der Basis der durchgeführten Untersuchung eine Tendenz von wh-mai in Richtung einer bestimmten Spezifizierung des Verbs herauslesen (überwiegend Modalverben). Diese Spezifikation könnte unter dem Gesichtspunkt der epistemischen Modalität (vgl. Horn 2001) interpretiert werden. Dieses Ergebnis stützt die Definition von mai als Modalpartikel (vgl. Coniglio 2008, Cardinaletti 2011). Da Partikeln wie cazzo keine Präferenz für Modalverben aufgewiesen haben, konnte die Modalpartikelanalyse für cazzo nicht bestätigt werden.

2.3.2 Bmw-Effekt in Fragen mit mai/cavolo Es wurde bereits unter 1.2.3 darauf hingewiesen, dass die Agrammatikalität in den folgenden Daten aus einer allgemeineren Beschränkung folgt. Elemente wie ital. cavolo/cazzo/diavolo/mai oder franz. diable sind mit einem weiteren wh-­ Element, welches hinter dem Verb erscheint, ungrammatisch:



(201) a. *Qui diable a dit quoi diable? wer Teufel hat gesagt was Teufel

b. *Chi mai/cavolo/diavolo/cazzo vorrebbe mangiare cosa? wer mai/cavolo/diavolo/cazzo würde essen was? (vgl. Typ 4-Partikel in 1.2.2)

Dies ist eine Eigenschaft, die diese Elemente mit fokussensitiven Partikeln teilen: (202) *Même/juste PierreFokus a mangé quoi? sogar/nur PierreFokus hat gegessen was Aus diesem Grund liegt die Hypothese nahe, dass Elemente wie ital. cavolo/ cazzo/diavolo/mai oder franz. diable in (201) eine Art Fokuspartikeln sind. Diese Hypothese sollen die folgenden Daten stützen. Die Bewertungen von SprecherInnen des Minimalpaars in (203) besagen, dass mai in der präverbalen Position emphatischer ist als in der postverbalen Position. Die emphatische

Fragen mit Partikeln cavolo/mai 



 77

Funktion möchte ich im Beispiel (203)a. auf der Ebene der Übersetzung durch den quantifizierenden Ausdruck um alles in der Welt in der deutschen Übersetzung wiedergeben: (203) a. Chi mai vorrebbe andare in Cina? wer MAI würde gern fahren in China ‘Wer um alles in der Welt würde gern nach China fahren?’ b. Chi (di voi due) vorrebbe mai andare in Cina? wer (von euch beiden) würde gern irgendwann fahren in China ‘Wer (von euch beiden) möchte gern einmal/irgendwann nach China fahren?’ Die informelle Beschreibung von mai als Verstärker bzw. als ein emphatisches Element deckt sich auch mit der Literatur, in der angenommen wird, dass das präverbale mai in Aussagesätzen eine informationsstrukturelle Funktion oder genauer eine Fokusfunktion hat (vgl. Cinque 1999): (204) MAI ‘Never (focus movement)

Gianni ti farebbe di male! G. would hurt you.’ (Cinque 1999: 17)

Da ein postverbales mai keine Umstellung aus Fokusgründen voraussetzt, muss es keine Fokusinterpretation haben, d. h. es hat in dieser Position nur die lexikalische Bedeutung eines temporalen Adverbs wie z. B. ‘una volta/qualche volta’ (deutsch: ‘je­mals/manchmal/irgendwann’, engl. ever) ohne informationsstrukturelle Funktion (vgl. Zingarelli 1999 zur lexikalischen Bedeutung des temporalen Adverbs mai): (205) Chi (di voi due) è mai stato in Cina? Com’è? wer (von euch beiden)ist mai gewesen in China wie ist-es ‘Wer (von euch beiden) war jemals/einmal in China? Wie ist es (da so)?’ Coniglio (2008) beobachtet ebenfalls den Unterschied zwischen dem präverbalen und dem postverbalen mai und schreibt dem präverbalen mai die Funktion eines Modifikators zu, der das Fragepronomen modifiziert: However, in this case [(206)b.], mai seems to directly modify the wh-element (thus taking narrow scope over it), as do certain expressions like diavolo (‘devil’) and similar ones (cf. English ‘what the hell... ?’) (Coniglio 2008: 109).

(206) a. Cosa significheranno mai quelle parole? what will mean PRT those words ‘What could those words mean?’

78 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

b. Cosa mai avrebbe Gianni potuto fare in quel frangente? what PRT would have Gianni could do in that occasion ‘What could Gianni do on that occasion?’

Man könnte außerdem erwarten, dass die Verstärkerfunktion von mai oder cazzo pho­nologisch durch eine “emphatische” Intonation markiert wird, die typisch für Hervorhe­bungen ist (vgl. Gussenhoven 2002, Kohler 2006). In der Tat zeigen die wenigen münd­lichen Daten mit wh-Fragen und der Partikel cazzo in C-ORAL-ROM (insgesamt 8 Be­lege), dass eine solche Hervorhebung vorliegt, die durch einen Anstieg der Intonation auf der akzentuierten Silbe cA von cazzo signalisiert wird (vgl. 2.3.3): (207) Kontext: Martina fährt mit dem Auto des Beifahrers. In einer kritischen Situation schaltet sie falsch. Der Beifahrer ist außer sich, weil es sein Wagen ist:

Martina// ma che cAzzo fai? Martina aber was cazzo machst ‘Was zum Teufel machst du (da)?’ (C-ORAL ROM [iffamdl 19])

Außerdem teilen Elemente wie cazzo und mai semantische Eigenschaften mit NPIs wie z. B. un cazzo/un cavolo in (208), weil beide Typen eine zweifelnde Einstellung des Sprechers ausdrücken können.50 In diesem Fall zweifelt der Sprecher daran, dass es eine einzige positive Antwort auf seine Frage gibt: (208) Kontext: der Sprecher sitzt an seinen Matheaufgaben, die er schwierig findet: Chi capisce un cavolo/ un cazzo con questi equazioni? wer versteht einen Kohl/ einen Penis mit diesen Gleichungen ‘Wer kennt sich mit diesen Gleichungen schon aus? (Keiner)’ (209) Più intelligente di lui? E chi mai? noch intelligenter als er? und wer mai ‘Noch intelligenter als er? Wer denn?’ Der Zweifel an der Gültigkeit einer einzigen positiven Antwort wird in (209) vor dem Hintergrund der Annahme er ist der intelligenteste von allen anderen Personen ausge­löst, während er in (208) vor dem Hintergrund der Annahme ausgelöst wird, dass kaum jemand mathematische Gleichungen versteht. Des Weiteren ist die Frage in (209) ellip­tisch. Die einzigen Ausdrücke, die nicht elidiert werden, sind das Fragepronomen und das Element mai. Geht man davon aus, dass nur 50 Es sei darauf hingewiesen, dass NPIs wie un cavolo/un cazzo ‘ein Kohl/ein Penis’ mit Partikeln wie cavolo/cazzo auch lexikalische Ähnlichkeiten aufweisen.



Fragen mit Partikeln cavolo/mai 

 79

gegebene Information elidiert wird, während neue Information übrig bleibt (vgl. Merchant 2001), dann bildet mai in (209) entweder Teil der fokusmarkierten Konstituente oder modifiziert sie. Ein Beleg für den NPI-Status von mai/cavolo liegt in ihrer Nicht-Lizenzierbarkeit durch faktivische Prädikate. In dieser Hinsicht verhalten sie sich wie NPIs, weil NPIs von faktivischen Prädikaten nicht lizenziert werden (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002): (210) *(Non) so chi mai/cazzo può permettersi vestiti così costosi *(nicht) weiß wer mai/cazzo kann leisten-sich Sachen so teuer ‘Ich weiß nicht wer sich solche teuren Sachen leisten kann.’ An dieser Stelle sollte man Pesetskys (1987) Beschreibung von wh-the-hellFragen als diskursungebundene Fragen erwähnen. Pesetsky (1987) geht davon aus, dass solche Fragen nicht diskursgebunden sind, weil der Sprecher nicht nach einem bestimmten In­dividuum fragt, das den Diskursteilnehmern bekannt sein sollte, sondern er fragt auch nach Individuen, die diskursneu sind. Das bedeutet, dass der Sprecher der Frage in (210) nicht danach fragt, ob eine bekannte Gruppe von Personen (z. B. Piero und Maria) sich leisten kann, teure Kleidung zu tragen, sondern ob eine x-beliebige Person und damit auch eine unbekannte Person es sich leisten kann. Für die Diskursungebundenheit spricht auch die statistische Signifikanz der Kookkurenz von wh-Pronomina (z. B. chi, che, cosa, che cosa, perché, come ‘wer, was, warum, wie‘) und Partikeln (vgl. Zeilen 1–7), die Pesetsky (1987) zufolge typisch non-D-linked sind. Wie man in der Tabelle 2 sieht, kommen Partikeln wie cazzo/cavolo/diavolo/ mai nie adjazent zu diskursgebunde­nen wh-Phrasen (z. B. quale+NP, vgl. Zeile 8) und nur selten adjazent zum diskursge­bundenen wh-Element quale vor (vgl. Zeilen 9–11):51

51 Es bleibt allerdings offen, wie man mit dem wh-Element quanto ‘wieviel‘ umgehen soll, welches sehr selten in Verbindung mit Partikeln in allen untersuchten Korpora vorkommt (vgl. Tabelle 2, Zeile 12), zumal quanto non-D-linked zu sein scheint, weil es nicht aus (negativen) Inseln extrahieren kann, während D-linked wh-Elemente extrahieren können (vgl. Rett 2008, Villalba 2004, Abrusán 2011, u. a.). Inseln sind Domänen, die syntaktische Dependenzbeziehungen (typischerweise zwischen wh-Elementen und ihren Spuren) blockieren: i. *Quantoj non è tj grande? wieviel nicht ist groß Offen bleibt auch, wie man mit der Beschränkung umgehen soll, derzufolge Partikeln auch nicht non-D-linked wh-Pronomina folgen können, die durch eine Präpositionalphrase modifiziert sind: chi di tutti voi (*mai/cazzo)….‘Wer von euch allen…’ (vgl Tabelle 2, Zeile 11).

80 

 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Tabelle 2: Distribution von cavolo/cazzo/diavolo/mai5253 SSLMIT Nr.

BADIP

Dia­- Ca­- Cazzo volo volo

C-ORAL-ROM

mai dia­- Cavolo Cazzo mai dia­- cavolo cazzo mai volo volo

1

(che) cosa _ ‘was‘

84

18

2

427

0

0

0

4

0

0

0 022

2

che_(Verb) ‘was‘

122

40

67

0

2

12

26

0

0

0

4

0

3

Dove_‘wo‘

42

3

3

0

0

0

0

0

0

4

0

4

Chi_‘wer‘

47

10

5

274

0

0

2

0

0

0

0

0

5

Perché_ ‘warum‘

31

2

2 2126

0

0

0

0

0

0

0

0

6

Se ‘ob‘

0

0

0 1093

0

0

0

8

0

0

0

8

7

Come_ ‘wie‘

100

9

5 5011

0

0

0 94

0

0

0 20

8

Quale [+/– Sg.] NP[+/– Sg.]_

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

9

Quale_(Verb)

1

0

0

101

0

0

0

0

0

0

0

0

10 Quale _ di NP ‘Welche _von NP’

3

2

2

0

0

0

0

0

0

0

0

0

11 che_ di NP ‘was_ von NP‘

7

5

3

0

0

0

3

0

0

0

1

0

12 Quanto, i, e_ ‘wie viel, e’

1

0

0

223

0

0

0

1

0

0

0

0

Ich halte deshalb fest, dass wh-Fragen mit mai, cavolo und andere NPIs eine Frage als diskursungebunden markieren (vgl. auch Krifka 2001, Den Dikken & Giannakidou 2002).

52 Es wurde ein postverbales mai in Verbindung mit was im Toskanischen gefunden:   A:Poi ora icché tu c’avrà mai ni frigorifero/ che gli faccia pigliar‘? B. Nulla. (Toskanisch)   Ital.: poi ora cosa tu avrai nel frigorifero da fargli prendere? [COR ifamdl11]   ‘Was kannst du im Kühlschrank so Tolles haben, dass ihn veranlassen könnte, es zu nehmen?’ 53 In die folgende Zählung wurde die Form quanto mai, die nicht in Fragen, sondern in Aussagesätzen und postverbal erscheint, nicht aufgenommen (insgesamt 1.950 Belege in SSLMIT).

Fragen mit Partikeln cavolo/mai 



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Die Tabelle 2 (Zeile 6) zeigt außerdem, dass Partikeln wie cazzo nicht mit dem Element se ‘ob‘ auftreten können, was auch SprecherInnen bestätigt haben (vgl. (211)). Die gleiche Beschränkung gilt für diable, weil keine Belege mit si+diable in FRANTEXT gefunden wurden: (211) non so se (*cazzo) ti può consigliare qualcosa. ‘Ich weiß nicht ob (*zum Teufel) er dir einen Rat geben kann.’ Diese Beobachtung hat möglicherweise etwas damit zu tun, dass se (sowie if im Eng­ lischen und ob im Deutschen) kein wh-Element ist. Da Partikeln wie cazzo/cavolo/ diavolo nur wh-Pronomina folgen können, können sie keinem se ‘if/ob‘ folgen. Da mai auch ein Tempusadverb mit einem NPI-Status ist, sollte sein Vorkommen in NPIs lizenzierenden se-Sätzen nicht verwundern (vgl. Tabelle 2, Zeile 6). Ich fasse die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen:

a. Elemente wie ital. mai/cavolo/cazzo/diavolo franz. diable könnten informell als Verstärker beschrieben werden. Diese informelle Beschreibung kann man empirisch durch ihr syntaktisches Verhalten (Adjazenz zu Ausdrücken, die Alternativen auslösen) sowie ihre Interpretation (negativ-rhetorische Fragen mit einer skalaren Interpretation) untermauern.



b. Sowohl Fokuspartikeln juste/même als auch Elemente mai/cavolo/cazzo/ diable sind in Fragen mit einem postverbalen wh-Element ungrammatisch.

2.3.3 Intonation von Partikeln Ich komme nun zur Prosodie von Fragen mit Partikeln wie cazzo. Wie bereits in 2.3.1 + 2.3.2 festgestellt wurde, können italienische Partikeln wie cazzo/mai/diavolo und cavolo als Verstärker (ital. rafforzativo) beschrieben werden, wobei die Autoren Bocchiola & Gerolin (1999) eine genauere Beschreibung dieser Partikeln geben, indem sie diese als Verstärker des interrogativen Pronomens charakterisieren. Die zentrale Frage ist, ob diese Verstärkerfunktion auch prosodisch markiert wird. Die Verstär­ kerfunktion lässt eine bestimmte Intonationskontur erwarten, die in der Literatur als typisch für Hervorhebungen angesehen wird. Um diese Hypothese überprüfen zu können, wurden alle Belege mit [wh+Partikel] im Korpus C-ORAL-ROM überprüft (insgesamt 8 Belege, davon 4 Belege mit dove ‘wo’+cazzo Verb, 3 Belege mit che ‘was’ cazzo Verb und ein Beleg mit che +cazzo ohne Verb, 0 Belege mit wh+cavolo/diavolo und 25 Belege mit wh+mai, davon bilden alle Belege Fragen mit come mai (wörtlich: ‘wie jemals’, idiom: ‘wie kommt es, dass/warum’). Die Konfiguration come mai ist lexikalisiert, da sie die Bedeutung von ‘wie kommt es, dass/warum’ hat; aus diesem Grund wird sie im Korpus C-ORAL-ROM zusammen geschrieben (come_mai).

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Die folgende Abbildung weist einen Hochton H* auf, der mit der akzentuierten Silbe [k:a] der Partikel cazzo assoziiert wird und einen Tiefton L*, der mit der akzentuierten Silbe des Verbs fare verbunden wird.54 Die fallende Intonation wird durch den tiefen Grenzton L% am Ende der Äußerung symbolisiert. Die besagte Analyse der fallenden Intonation am Ende einer wh-Frage deckt sich mit Intonationsanalysen italienischer wh-Fragen aus der Literatur (vgl. D’Imperio 2006 für einen Überblick): (212) Kontext: Martina fährt mit dem Auto des Beifahrers. In einer kritischen Situa­­ tion schaltet sie falsch. Der Beifahrer ist außer sich, weil es sein Wagen ist:

Martina// ma che cAzzo fai? Martina aber was cazzo machst ‘Was zum Teufel machst du (da)?’ H*

mar.ti.na// ma. ke k:a

L* L-L% tso.

fai.

Abbildung 6: Quelle: C-ORAL ROM [iffamdl 19]

Die phonologische Realisierung der emphatischen Funktion von cazzo deckt sich mit der besagten Beschreibung von cazzo als Verstärker (ital. rafforzativo). Diese Annahme rechtfertigt die Beschreibung von cazzo und vergleichbaren Aus­ drücken als fokussensitive Ausdrücke. 54 Der Konsonant /k/ in cazzo wird wie nach che zu erwarten, durch ital. Raddoppiamento Sin­ tattico gelängt, also als [k:] realisiert. Im Toskanischen bzw. Toskanischen Regionalitalienisch wird der Konsonant /k/ spirantisiert [h]azzo. Die folgenden Daten eines toskanischen Dialektes aus Florenz zeigen, dass eine Spirantisierung des Konsonanten /k/ in indo’[h]azzo eintritt: i. Indo’ cazzo si va qui? // Qui ‘un si va da nessuna parte// wo [h]azzo man geht hier hier nicht man geht von keiner Seite ‘Wo zum Teufel fährt man hier? Hier kommt man nirgendwo hin.’ [C-ORAL-ROM iffamdl19] Aus der Längung im Italienischen und Spirantisierung im Florentinischen des Konsonanten /k/ folgt, dass die genannten Partikeln in die Frageäußerung integriert sind und keine parenthetischen Ausdrücke sein können, die der Forschung zufolge eine eigene Intonationsphrase bilden und damit die Spirantisierung und die Längung blockieren sollten (vgl. Nespor & Vogel 1986, Meisenburg & Selig 1998, Hall 2011), was jedoch nicht eintritt (vgl. jedoch Dehé & Kavalova 2006).



Weitere Typen mit fokussensitiven Ausdrücken 

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2.4 Weitere Typen mit fokussensitiven Ausdrücken In diesem Abschnitt werden andere Typen hinsichtlich ihrer Fokuseigenschaft und der damit verbundenen einheitlichen Analyse mit anderen wh-Typen überprüft (vgl. Typ 5-NoN und Typ 7-Adjunkt in 1.2.2). 2.4.1 cazzo/cavolo/diavolo/putain als defektive Nomina Offen geblieben ist, ob Elemente wie ital. cavolo/cazzo/diavolo, die innerhalb der komplexen wh-Konstituente auftreten, und Elemente wie franz. drôle/putain (vgl. Typ 5-NoN in 1.2.2), den gleichen Status haben wie cavolo/cazzo/diavolo/mai/ diable, die adjazent zu wh-Pronomina stehen (vgl. Typ 4-Partikel): (213) Che cavolo di alunno avrebbe commesso questo errore/*che was cavolo di Schüler hätte gemacht diesen Fehler/was (cavolo di) errore? (cavolo di) Fehler? ‘Was für ein Schüler hätte diesen Fehler gemacht?’ (214) Quelle putain/drôle de femme pourrait poser cette welche putain/drôle de Frau könnte stellen diese question/*quelle (putain/drôle de) question? Frage/welche (putain/drôle de) Frage? ‘Was für eine Frau könnte diese Frage stellen?’ Elemente wie cavolo/cazzo/diavolo/putain, die im Kontext einer komplexen NP vor­ kommen, haben eine andere syntaktische Funktion als Partikeln. Sie sind Nomina, was man an der Präposition di/de erkennt, weil Präpositionen gewöhnlich Nomina selegieren. Aus diesem Grund sind diese Elemente auf die Selektion von Nomina beschränkt und treten nicht mit anderen syntaktischen Kategorien auf: (215) *Cazzo di mangiare una pizza Penis von essen eine Pizza. Der nominale Status von cavolo/cazzo/diavolo erklärt, warum die Partikel mai, die weder synchron noch diachron einen nominalen Status (gehabt) hat, in dieser Konstruktion ungrammatisch ist: (216) *Che mai di ragazza/*Che ragazza del mai was mai von Mädchen/was Mädchen vom mai Außerdem sind diese Nomina wie gewöhnliche Nomina durch Adjektive modi­ fizierbar:

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(217) A casa dei McCain non c’ era nessuno. zu Hause bei McCain nicht da war niemand ‘Bei den McCains war niemand.’

Un bel cazzo di nessuno. Ein schöner Penis von niemand. ‘Wirklich niemand.’ [CORIS MON2008_10]

Diese Elemente sind nicht auf einen bestimmten Satztyp und eine bestimmte Illokution ausgerichtet (vgl. den Aussagesatz in (218) und den wh-Exklamativsatz in (219)), was die genannte Unterscheidung zwischen Partikeln und Nomina rechtfertigt, weil Partikeln satztyp- und illokutionstypabhängig sind (vgl. Coniglio 2008/2011, Zim­mermann 2009, u. a.): ieri non la trovo più. (218) Il cazzo di ricevuta che ho fatto der cazzo von Rechnung die habe gemacht gestern, nicht sie finde mehr … ‘Ich finde die Scheißrechnung, die ich gestern geschrieben habe, nicht mehr.’  (Bocchiola & Gerolin 1999: 26) (219) Che cazzo di freddo! ‘Was für eine Scheißkälte!’ Allerdings sind cavolo/cazzo/diavolo keine gewöhnlichen Nomina, weil sie mit dem vorangehenden Determinierer nicht kongruieren müssen, wenn man davon ausgeht, dass das Nomen cazzo ‘Penis’ die Merkmale [Sg.Mask.] hat (vgl. (220)): (220) Sempre sti cazzo di cinesi. immer diese[Pl.] cazzo[Sg.] von Chinesen. ‘Immer diese Scheißchinesen.’ 

[CORIS MON2005_07]

Selbst wenn die Kongruenz vorhanden ist (weil der Determinierer il mit dem maskuli­nen Nomen cazzo und nicht mit dem femininen Nomen ricevuta kongruiert), zeigt das Nomen cazzo keine Koreferenz mit dem Pronomen la (ricevuta) ‘die (Rechnung)’ in (218). Man könnte sie deshalb als ‘defektive’ Nomina bezeichnen, d. h. Nomina mit einigen und nicht mit allen Eigenschaften eines prototypischen Nomens (vgl. Doetjes & Rooryck 2000 für diese Bezeichnung im Französischen). Kayne (1994) hat ähnliche defektive Nomina im Französischen analysiert und eine Analyse solcher Ausdrücke als Prädikatsnomina vorgeschlagen (vgl. auch Den Dikken 1998 für eine prädikative Analyse solcher Nomina): idiot de Jean (221) cet dieser Idiot von Jean ‘Jean ist ein Idiot.’



Weitere Typen mit fokussensitiven Ausdrücken 

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Wendet man Kaynes Analyse auf defektive Nomina wie cazzo und putain an, dann könnte man annehmen, dass diese Nomina die Bedeutung eines Prädikats wie ‘schlecht/scheiße’ auf der Ebene des Sprechers haben (vgl. Potts 2007). Der Sprecher drückt mit den defektiven Nomina wie cazzo oft aus, dass etwas ‘schlecht/ scheiße’ ist: (222) Ma che cazzo di vita è? [CORIS MISCRivist] ‘Aber was für ein (Scheiß)Leben ist das denn?’ ≈ ‘Das Leben ist scheiße!’ Eine Besonderheit des Italienischen in Zusammenhang mit den defektiven Nomina ist, dass die defektiven Nomina auch nach der Präposition stehen können und dabei die gleiche Interpretation ausdrücken wie in (222): (223) Ma che storia del cazzo è? [CORIS MON2008_10] ‘Aber was für eine (Scheiß)Geschichte ist das denn?’ ≈ ‘Die Geschichte ist scheiße!’ Man könnte diese Ausdrücke in Anlehnung an Beaver & Clark (2008: 74) als Intensivierer wie damn, fucking, etc. bezeichnen, die fokussensitiv sind. Die Fokussensitivität dieser Intensivierer wird dadurch definiert, dass sie eine Proposition als Argument nehmen, die im Vergleich zu alternativen Propositionen für den Sprecher besonders erwähnenswert (engl. particularly notable) ist (vgl. ebd). Im Beispiel (224) ist der Grad der Kälte oder die Art der Kälte im Vergleich zu gewöhnlichen Temperaturen erwähnenswert: (224) Che cazzo di freddo c’ è oggi? ‘Was ist denn das für eine (Scheiß)Kälte?’ (Kontext: Der Sprecher findet, dass es am Tag der Äußerung extrem kalt ist) Eine ähnliche Interpretation haben wir in Verbindung mit wh-Exklamativsätzen kennengelernt. Der Unterschied ist, dass diese Elemente auch in Fragen vorkommen können. Geht man davon aus, dass diese Elemente ebenfalls eine fokussensitive Funktion wie Fokuspartikeln persino/solo ‘sogar/nur’ haben, dann könnte man den Bmw-Effekt auf die gleiche Beschränkung zurückführen wie in (202), d. h. auf die Regel, derzufolge keine wh-Elemente fokussensitiven Ausdrücken folgen dürfen. Die Beschreibung des Elementes cazzo als fokussensitives Element deckt sich auch mit der phonetischen Hervorhebung dieser Elemente auf der Ebene der Frequenz und der Intensität (vgl. 2.3.3). Die fokussensitive Beschreibung des Elementes cazzo ermöglicht uns, die Partikel cazzo und das defektive Nomen cazzo einheitlich als eine semantisch-pragmatische Kategorie zu analysieren und den Bmw-Effekt im Typ 4 und Typ 5 einheitlich aufgrund des fokussensitiven Charakters dieser Kategorie zu erklären.

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

2.4.2 Fragen mit se non x/si ce n’est x ‘wenn nicht x’ Ein weiterer Typ ist der Typ 7-Adjunkt: (225) a. (*Se non lui) Chi vorrebbe mangiare cosa? wenn nicht er wer würde essen was? b. (*Si ce n’ est lui) Qui aurait fait quoi? wenn es neg.cl. ist er wer hätte gemacht was ‘Wer hätte was tun können?’ Wie sich auch in diesem Abschnitt zeigen wird, sind Fragen mit se non x/si ce n’est x ‘wenn nicht x’ mit Fokus verbunden, weshalb man auch diesen Typ zusammen mit Spaltfragen und wh-Exklamativsätzen aufgrund ihrer Fokuseigenschaft einheitlich analysieren könnte. Fragen, die mit ital. se non x verwendet werden, werden im Korpus SSLMIT negativ-rhetorisch gebraucht, d. h. der Sprecher glaubt, dass die negative Antwort die einzig gül­tige Antwort auf die Frage darstellt (alle Ausdrücke der Form chi se non Pronomen ‘wer wenn nicht Pronomen’ (insgesamt 51) legen eine negativ-­ rhetorische Interpretation nahe: (226) Chi se non la Pirelli poteva farlo? (Nessuno) ‘Wer wenn nicht la Pirelli konnte es tun? (Niemand)’ Der Adjunkt im Französischen si ce n’est x kommt kein einziges Mal im gesprochenen Korpus PFC und nur ein einziges Mal im gesprochenen Korpus C-ORAL ROM vor. Man könnte an dieser Stelle auch Meibauer (1986) zitieren, der auf der Basis seiner Korpusdaten zum Deutschen beobachtet hat, dass Konditionalsätze wenn nicht …so häufig in rhetorischen Fragen vorkommen, „dass man schon fast vom Typ der konditionalen rhetorischen Frage sprechen kann“ (Meibauer 1986: 144). Horn (1972) zufolge haben vergleichbare Ausdrücke im Englischen die Funktion, die existentielle Präsupposition der Frage aufzulösen bzw. sie zu verwerfen (engl. „presupposition suspender/denial“), d. h. der Sprecher zweifelt daran, dass es eine positive Antwort auf die von ihm gestellte Frage geben kann: (227) Who, if anyone, is interested? (228) When, if ever, is abortion permissible? Die Frage ist nun, was die negative Antwort auslöst, oder mit Horns (1972) Worten, was die existentielle Präsupposition auflöst. Die naheliegende Hypothese ist, dass es an der exklusiven Gültigkeit des Wertes x liegt, d. h. dass der Wert, der für x in frz. si ce n’est x oder in ital. se non x eingesetzt wird, mit jedem anderen Wert, der für die wh-Variable eingesetzt werden könnte, nicht kompatibel ist.



Fehlende distributive Lesart mit Fokus 

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Die exklusive Interpretation von se non x/si ce n’est x entspricht damit der eines Fokusadverbs mit exklusiver Funktion z. B. seulement/solo ‘nur’: (229) A: Qui pourrait le faire, si ce n’est Pierre? ‘Wer, wenn nicht Pierre, kann es machen?’ ≈ ‘Nur Pierre kann es machen.’ Pierre ≠ {Paul, Mike, ...…} (230) A: Chi può aiutarci, se non lui? ‘Wer, wenn nicht er, kann uns helfen?’ ≈ ‘Nur er kann uns helfen.’ lui ≠ {Paul, Mike, ...…} In Fragen mit Adjunkten entspricht der Wert der Variable x (Pierre in (229)) dem einzigen gültigen Wert einer Alternativenmenge, die durch das wh-Element (qui in (229)) ausgedrückt wird, welches mit dem Wert x koindiziert ist (quij …… Pierrej). Der Bmw-Effekt könnte damit erneut mit der Fokusmarkierung der Frage in Verbindung gebracht werden, die dadurch zustande kommt, dass der Ausdruck se non x die Fokusmarkierung der Frage auf ein einziges wh-Element beschränkt.

2.5 Fehlende distributive Lesart mit Fokus Es soll nun ein weiteres Argument präsentiert werden, das für die Beschreibung der besagten Typen mit Bmw-Effekten in Verbindung mit Fokus sprechen könnte. Diesem Argument liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Listenlesart in wh-­ Fragen mit einem distributiven Quantor wie jeder/everyone/ognuno/chacun (auch bekannt als distributive Lesart) fehlt, wenn der Fragesatz eine Partikel wie the hell enthält (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002) oder wenn das Frage­ element fokussiert wird bzw. phonologisch hervorgehoben wird (Pafel 2005: 82). Die Vorhersage lautet also, dass die Listenlesart bzw. die distributive Lesart in den genannten wh-Typen fehlen sollte, wenn die besagten Typen in Zusammenhang mit Fokus analysiert werden. Dieses Argument soll hier nun detailliert vorgestellt und empirisch anhand einiger wh-Typen überprüft werden. Zuvor sind einige Grundlagen für das Herstellen von Listenlesarten darzulegen, die sich zunächst nicht direkt auf the hell und ähnliche Partikeln beziehen. Wird in einem wh-Fragesatz ein distributiver Quantor wie franz. chacun oder ital. ognuno ‘jeder’ oder eine pluralisch markierte Nominalphrase an Stelle des Subjektes eingesetzt, dann kann der Fragesatz im Prinzip eine distributive Lesart bzw. eine Listenlesart ausdrücken, d. h. der Sprecher der Äußerung kann Antworten erwarten, die so aussehen, dass Elemente einer Menge, über die der distributive Quantor quantifiziert, auf einzelne Individuen verteilt werden (von nun an gebrauche ich die Bezeichnung distributive Lesart für den genannten Typ):

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

(231) Kontext: der Sprecher möchte wissen, wer woran glaubt: In cosa crede ognuno di loro? In cosa credono? ‘Woran glaubt jeder von ihnen/Woran glauben sie?’ (distributive Lesart: Marco glaubt an den Weihnachtsmann, Paul an Gott,…) (232) Kontext: der Sprecher möchte wissen, was jeder gegessen hat: Qu’est-ce que chacun de vous a mangé? ‘Was hat jeder von euch gegessen?’ (distributive Lesart: Marc hat dies gegessen, Paul jenes.) Eine distributive Lesart setzt nicht unbedingt die Existenz eines overten Elementes wie ognuno/chacun voraus, bedarf aber logischerweise der Existenz mehrerer Individuen. Das folgende Beispiel zeigt, dass die distributive Lesart in dem folgenden wh-­ Exklamativsatz fehlt, weil die wh-Phrase quel livre sich auf ein bestimmtes Buch bezieht, das durch die referentielle NP ce livre im darauf folgenden Satz ausgedrückt wird: (233) Quel livre ils ont choisi! J’adore ce livre! Was für ein Buch sie ausgewählt haben! Ich liebe dieses Buch! * ‘Pierre hat dieses Buch ausgewählt. Marie jenes.’ (distributive Lesart) Siehe ebenso das folgende Beispiel eines italienischen wh-Exklamativsatzes aus dem Korpus SSLMIT: (234) Oh, ma che bella faccia : non ne ho mai oh, aber was schönes Gesicht : nicht davon habe jemals vista una così. gesehen ein solches ‘Was für ein schönes Gesicht! Ich habe nie ein solches (Gesicht) gesehen.’ In diesem Beispiel bezieht sich die wh-Phrase auf einen bestimmten Typ von Gesichtern. Die Referenz wird durch die NP una cosi ‘ein solches Gesicht’ ausgedrückt. Das Klitikon ne ‘davon’ drückt eine Menge von Gesichtern aus und der Sprecher sagt ausdrücklich, dass das Gesicht, worauf sich die wh-Phrase des Exklamativsatzes bezieht, kein Element der Menge von Gesichtern ausmacht, die der Sprecher zuvor gesehen hat. Setzt man nun ein pluralisch markiertes Verb ein, dann verändert sich nichts, weil der Sprecher immer noch auf einen bestimmten Typ von Gesichtern referiert, den alle Individuen haben, die durch das Pluralmorphem des Verbs erfasst werden: (235) Oh, ma che bella faccia hanno: non ne ho mai oh, aber was schönes Gesicht haben: nicht davon habe jemals vista una così. gesehen ein solches ‘Was für ein schönes Gesicht sie haben! Ich habe nie ein solches (Gesicht) gesehen.’



Fehlende distributive Lesart mit Fokus 

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Ich halte daher provisorisch fest, dass nominale wh-Phrasen (quelle NP/che NP) keine distributive Lesart erlauben, wenn sie sich auf ein bestimmtes Individuum oder einen bestimmten Typ von Individuen beziehen. Dieses empirische Ergebnis könnte die Fokushypothese noch einmal bekräftigen, wenn man der Hypothese von Pafel (2005) folgt, derzufolge das Fehlen einer distributiven Lesart daraus resultiert, dass der Sprecher eine bestimmte Alternative aus der Alternativenmenge des wh-Elementes hervorhebt. Die hervorgehobene Alternative wird in wh-Exklamativsätzen wie z. B. in (235) durch einen referentiellen Ausdruck vom Sprecher wieder aufgegriffen.55 Spaltfragen legen die gleiche Beschränkung wie wh-Exklamativsätze nahe. Es wurden in allen untersuchten Korpora keine Belege für die Verteilung wh+Kopula­ satz + distributiver Quantor ognuno/chacun gefunden. Dagegen wurden mehrere Belege mit wh+ distributiver Quantor ohne Kopulasatz in Fragen gefunden: (236) Bisogna chiedersi cosa ognuno di noi può fare per muss fragen-sich was jeder von uns kann machen für la collettività (…). die Gemeinschaft ‘Man muss sich fragen was jeder von uns für die Gemeinschaft tun kann.’  (CORIS STAMPAQuotidiani) Es liegt die Vermutung nahe, dass die distributive Lesart deshalb ausfällt, weil Spaltfragen die Existenz eines einzigen Individuums oder einer einzigen Individuengruppe präsupponieren (vgl. 2.1.5 für den empirischen Nachweis). Ein Fragesatz mit einer Einzigkeitspräsupposition kann keine distributive Lesart haben (vgl. Krifka 2001, Roguska 2007). Im nächsten Schritt überprüfe ich die Möglichkeit einer distributiven Lesart in Fragen mit Partikeln (vgl. Typ 4). Wenn Fragen eine Partikel wie the hell enthalten, dann ist die distributive Lesart nicht mehr gegeben (vgl. Den Dikken & Giannaki­ dou 2002: 57): (237) What did everyone buy for Max? [ambiguous] (Mary bought this, Peter that.) (238) What the hell did everyone buy for Max? [unambiguous] (*Mary bought this, Peter...)  (Den Dikken & Giannakidou 2002: 57, runde Klammern von O. K.)

55 Man beachte, dass distributive Quantoren nicht an sich ungrammatisch in italienischen wh-­ Exklamativsätzen sind:   i. in ogni giorno/ quanti caduti/ quanti feriti//   ‘Wie viele Gefallene, wie viele Verletzte es jeden Tag gibt!’ [CORAL ROM inatps01]

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Die Frage ist, ob diese Beobachtung auch für italienische Partikeln zutrifft. Die folgenden Bewertungen durch Muttersprachler scheinen diese Beobachtung zu bestätigen. Man sieht, dass Fragen mit mai/cavolo keine distributive Lesart auslösen: (239) Ma cosa mai/cavolo possiamo regalare ad una ragazza che aber was mai/cavolo können-wir schenken an ein Mädchen das ha già tutto? hat bereits alles ‘Was können wir einem Mädchen (schon) schenken, das bereits alles hat?’ Non possiamo regalarle niente. ‘Wir können ihr nichts schenken.’ * Mario può regalarle una macchina, Piero una bici…. (distributive Lesart) ‘Mario könnte ihr ein Auto schenken, Piero ein Rad …’ Außerdem wurden in keinem der untersuchten Korpora Belege für die Verteilung wh+mai/cavolo + distributiver Quantor ognuno gefunden. Die Begründung für die Abwesenheit einer distributiven Lesart in (239) ist relativ einfach: Der Sprecher der Frage drückt mit Hilfe von mai/cavolo aus, dass es nichts gibt, was man einem Mädchen, welches bereits alles hat, schenken könnte. Eine distributive Lesart setzt jedoch die Existenz mehrerer Elemente voraus, die man dem Mädchen schenken könnte. Im Falle einer negativ-rhetorischen Interpretation gibt es also nichts zu verteilen, weil die Menge der Objekte leer ist. Zusammenfassend lässt sich also Folgendes sagen: Die distributive Lesart fehlt in Fragen und Exklamativsätzen, deren wh-Phrase fokussiert wird. Somit haben wir eine weitere Begründung dafür gefunden, dass die Typen mit Bmw-­ Effekten in Verbindung mit Fokus analysiert werden sollten.

2.6 Zusammenfassung des Kapitels und weiteres Vorgehen In 2.1 wurde die Hypothese aufgestellt, dass Spaltfragen mit Sätzen, die exklusive Fokuspartikeln (z. B. nur) enthalten, eine Gemeinsamkeit teilen. Beide Typen sind exhaustiv. Diese Hypothese wurde weitestgehend empirisch überprüft. Die spezifische Interpretation von Spaltfragen er­klärt ihre geringe Frequenz in Korpora und ihre Diskurseigenschaft. In 2.2 wurde festgestellt, dass wh-Exklamativsätze eine skalare Interpretation haben, die mit overten skalaren Fokuspartikeln wie persino ‘sogar’ vergleichbar ist. Es wurde die Vermutung geäußert, dass diese skalare Interpretation eine Rolle beim Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen und in anderen wh-Fragetypen spielt. Wenn der skalare Operator sich ausschließlich auf ein wh-Element bezieht, dann darf kein weiteres wh-Element verwendet werden.



Zusammenfassung des Kapitels und weiteres Vorgehen 

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Partikeln wie mai/cavolo haben eine verstärkende Funktion (vergleichbar mit at all/überhaupt), die auch Fokuspartikeln haben, und sie treten häufig in negativrhetori­schen Fragen auf (vgl. 2.3). Außerdem haben diese Elemente einen NPI-­ Status. Wh-Fragen mit mai/cazzo lösen eine skalare Interpretation aus, die mit overten skalaren NPIs wie nemmeno ‘nicht einmal’ vergleichbar ist. Die gleiche Eigenschaft gilt für die defektiven Nomina cazzo/putain (vgl. 2.4.1). Es wurde dann gezeigt, dass se non x-Ausdrücke eine vergleichbare Interpretation haben (wie exklusive Fokuspartikeln), weil nur so die negativ-rhetorische Interpretation von Fragen mit diesen Ausdrücken erklärt werden kann (vgl. 2.4.2). Zum Schluss wurde festgestellt, dass die distributiven Lesart in den meisten Typen, die den Bmw-Effekt aufweisen, fehlt (vgl. 2.5). Diese Eigenschaft wurde auf die Fokusmarkierung der wh-Phrase in den besagten Typen zurückgeführt. Einige zentralen Ergebnisse seien wie folgt tabellarisch zusammengefasst: Tabelle 3: Zusammenfassung der wesentlichen Eigenschaften in Typen 1–7 56575859 Ja = trifft zu Typ 1Leeres Feld = keine Exkl Information vorhan­den

Typ 2Exkl-che

Typ 3Spalt

Typ 4Partikel

Typ 5NoN

Typ 6neg

Typ 7Adjunkt

Bmw-Effekt

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Fokusprosodie

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

skalar

Ja

Ja27

Ja

26

Ja

NPI Ja28

exhaustiv

Ja29

Negationsoperator Distributive Lesart

Ja Nein

Nein

Nein

Nein

In diesem Kapitel wurde außerdem beobachtet, dass die gleichen Typen, die den Bmw-Effekt in Verbindung mit einem wh-in situ aufweisen, welches meistens die 56 Che faccia che hai! ‘Was für ein Gesicht du da hast!’ Skalare Interpretation: Das Gesicht, das du hast, habe ich im Vergleich zu allen anderen Gesichtern weniger erwartet. 57 i. Chi mai verrà? ‘Wer sollte schon kommen?’ Skalare Interpretation: Niemand, nicht einmal Pierro, wird kommen. ii. Che cavolo di processo è? ‘Was für ein Scheißprozess ist das denn?’ Skalare Interpretation: Der Prozess, auf den ich, Sprecher, mich beziehe, ist im Vergleich zu allen erwarteten Prozessen der schlechteste oder der am wenigsten erwartete. 58 Chi è che hai visto? ‘Wer ist es den du gesehen hast?’ PieroFokus (und keinen anderen ≈ ‘nur Piero’) 59 Chi se non lui? ‘Wer wenn nicht er?’ ≈ ‘nur er’

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 Vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Typen

Funktion eines direkten oder indirekten Objekts hat (vgl. Typen 1–7), den Bmw-­ Effekt nicht mehr aufweisen, wenn das zweite wh-Element ex situ steht. Eine solche Konfiguration ist jedoch nur mit bestimmten Verbtypen möglich, die ein zeitliches oder räumliches Intervall als Argument nehmen (vgl. z. B. gehen von x nach z, dauern von x bis z). Die Taxonomie der wh-Sätze mit multiplen wh-­ Elementen in 1.2.3 lässt sich damit auch auf diesen Konstruktionstyp wie folgt erweitern: (240)  Taxonomie von +/– grammatischen wh-Konstruktionen mit mehreren wh-Elementen Wh-Sätze wh 1=Subj./Obj. Verb wh 2=+/-dir.Obj. wh1 wh2 Verb (z.B. [von wh1 nach wh2]+Verb) -gramm

+gramm

+gramm

Fragen

Exklamativa Fragen [Echo] alle Fragen Typ1 Fragen [Listenles.] alle wh-Exklamativa Typ 2-che Fragen [negativ.rhet.] Fragen [Einzellesart] Spaltfragen (franz. Gruppe B)

Typ 4-cazzo

Typ 6-neg

Typ 5-NoN

-gramm

Typ 7-Adjunkt

(Typ 3-Spalt) ok für einige franz. SprecherInnen: Gruppe B)

Ich werde im weiteren Verlauf der Arbeit die empirischen Beobachtungen mit dem theo­retischen Forschungsstand in Verbindung setzten (vgl. Kapitel 3) und eine Analyse von Bmw-Effekten auf der Basis meiner Daten und der Erkenntnisse aus dem For­schungsstand vorschlagen.

3 T  heoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen Im Folgenden wird der theoretische Rahmen der Arbeit und der Forschungsstand vorge­stellt. Die meisten umfassenden syntaktischen Analysen, die sich mit wh-Fragen und Partikeln wie the hell/cavolo/mai, wh-Exklamativsätzen und Spalt(frage)sätzen be­schäftigt haben, sind im Rahmen der Generativen Grammatik im Anschluss an die The­orien von Chomsky (1995 ff.) und/oder Rizzi (1997) entwickelt worden (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002 zu wh-Fragen mit the hell Partikel, Portner & Zanuttini 2003 zu wh-Exklamativsätzen). Des Weiteren setzten auch viele semantische Analysen von Fragen die Struktur von Fragen im Rahmen der Generativen Grammatik voraus (vgl. Dayal 2006, Beck 2006, Mayr 2011). Aus diesem Grund sind die Grundlagen der Generativen Grammatik für das Verständnis der jeweiligen Analysen der Fragesyntax und der Fragesemantik unabdingbar und müssen hier vorausgesetzt werden. Ich werde mich hauptsächlich auf die Analysen von Fragesätzen und Spaltsätzen beschränken (vgl. 3.1). In 3.2 stelle ich die Fragesemantik von Hamblin (1973) & Karttunen (1977) vor, die vielen semantischen Analysen von Frage-und Exklamativsätzen zugrunde liegt (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002, Portner & Zanuttini 2003, Guerzoni 2003, Mayr 2011/2014). Danach wird der Begriff Widening eingeführt, der in vielen für diese Ar­beit relevanten Analysen eine große Rolle spielt (NPI-, Partikel- und wh-Exklamativsatzanalysen) (vgl. 3.3). Im Unterkapitel 3.4 werden Interventionseffektanalysen vorgestellt, weil eine zentrale Hypothese dieser Arbeit ist, dass Bmw-Effekte zusammen als Interventionseffekte analysierbar sind (vgl. 1.3). In 3.5 werden einige Probleme dieser Analysen erörtert und das weitere Vorgehen in 3.6 formuliert.

3.1 Z  ur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik In diesem Unterkapitel wird der Forschungsstand von Spaltsätzen und von einigen Fra­gesatztypen im Rahmen der Generativen Grammatik vorgestellt.

3.1.1 Grundlegendes zur Struktur von Fragesätzen Im Folgenden werden einige Grundlagen für die generative Analyse von Fragesätzen, insbesondere im Minimalismus (vgl. Chomsky 2000 f.) und der hauptsächlich auf Rizzi (1997) zurückgehenden Split-CP-Hypotese, erläutert. Die folgenden

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Ausführungen sind stark vereinfacht,60 reichen aber für das Verständnis des Forschungsstands und der Analysen aus. Spezielle Mechanismen und Erweiterungen werden im Laufe der Arbeit erläutert, wenn erforderlich. Chomsky (1995) zufolge bildet ein sprachlicher Ausdruck eine Menge von Paaren (π, λ), die Laut und Bedeutung symbolisieren. Des Weiteren geht Chomsky (1995) von der Operation MERGE aus, bei der zwei syntaktische Objekte, die Träger bestimmter pho­nologischer, semantischer und formaler Merkmale sind, aus einer lexikalischen Kollek­tion (engl. Numeration) selegiert und zu einem neuen komplexeren Element zusammen­gefügt werden (z. B. [DP D the N girl]). Ein Satz verfügt neben der Verbalphrase (VP) über eine darü­ber gelagerte Tempusphrase (TP), die aus der Flexionsphrase (IP) der vorgehenden Theorienvarianten hervorgegangen ist, über der wiederum eine CP-Schicht angesiedelt ist. Chomsky (1995) geht von der folgenden Struktur von Fragen aus: CP steht für eine Komplementiererstruktur (engl. Complementizer Phrase, CP), zu der Fragestrukturen gehören. Der funktionale Kopf C hat spezielle Merkmale für die Illokution eines Satzes. Einen Kopf C mit interrogativen Merkmalen bezeichne ich im Folgenden vereinfacht als CQ. Der funktionale Kopf CQ markiert den Satztyp einer Satzstruktur als einen inter­ro­gativen Satz (und nicht z. B. als einen Imperativsatz). In einigen Sprachen markiert die Subjekt-Verb-Inversion (als Bewegung von T° nach CQ interpretiert) eine Satzstruk­tur als eine Frage. Das Symbol tk (bekannt als Spur61) zeigt die Position des finiten Verbs in Aussagesätzen an (TP steht für finite Sätze). Aus expositorischen Gründen verzichte ich auf die Repräsentation von (kleinen) Verbalphrasen (vPs/VPs62): (241) [CPqui CQ ask [TP tu tk vu?]] wer hast du gesehen ‘Wen hast du gesehen?’

60 Vertiefende Ausführungen sind bei Radford 2004 nachzulesen. 61 Um dieses Buch für Leser, die mit älteren Modellen vertraut sind, verständlich zu halten, verwende ich in aller Regel die präminimalistische Notation von Spuren anstelle von Kopien (vgl. Chomsky 1993). Außerdem gehe ich in dieser Arbeit von der Fragesemantik von Hamblin (1973) & Karttunen (1977) aus, die ebenfalls mit Spuren arbeitet (vgl. 3.2). 62 Man geht in der generativen Literatur davon aus, dass die Verbalphrase in mehrere Schichten mit bestimmten Funktionen geteilt wird (vgl. Larson 1988). Eine Funktion dieser Teilung betrifft die Theta-Rollenzuweisung. Die kleine VP (die vP also) ist eine Verbalphrase mit einem externen Argument, während VP eine Verbalphrase mit mindestens einem internen Argument ist. Die externe Theta-Rolle wird von v (’kleines’ Verb) an eine Konstituente in Spec, vP vergeben, während die interne Theta-Rolle an eine Konstituente im Komplement der VP vergeben wird. Eine andere Funktion von v betrifft die Kasuszuweisung. Wenn v transitiv ist, weist es einer DP Akkusativ zu.



Zur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik 

 95

Bereits Chomsky (1995) geht davon aus, dass der funktionale Kopf CQ mit einem Fra­gepronomen eine Kongruenz eingehen und ein Subjekt eine Kongruenz mit einem finiten Verb eingeht. Anders als die Kongruenz zwischen einem Verb und einem Sub­jekt wird die Kongruenz zwischen einem wh-Element und dem funk­ tionalen Kopf C morphologisch nicht realisiert. Aus diesem Grund kann man nur von einer abstrakten Kongruenz sprechen und nicht von einer morphologisch sichtbaren Kongruenz. Die Kongruenz zwischen einem Fragepronomen und CQ soll bedeuten, dass Fragepronomina mit Fragesätzen kompatibel sind (und nicht mit Imperativsätzen, etc.). Die Kongruenz­relation zwischen CQ und dem Fragepronomen findet in einer bestimmten syntaktischen Konfiguration statt: Chomsky (1995) ging davon aus, dass dies in einer Spec-X°-Konfi­guration stattfindet, d. h. das Fragepronomen muss wie in (241) auf der linearen Ebene vor CQ stehen, um eine Kongruenzrelation einzugehen (vgl. auch das wh-Kriterium63 bei Rizzi & Roberts 1989, Rizzi 1997). Nun gibt es Sprachen, in denen das Fragepro­nomen in einfachen Fragesätzen nicht (unbedingt) vor dem interrogativen Komplemen­ tierer stehen soll (so genannten wh-in situ Sprachen), wie das folgende Bei­spiel aus dem Französischen zeigt: (242) Tu fais quoi? du machst was ‘Was machst du?’ Das wh-in situ tritt auch in einigen wh-ex situ Sprachen auf, wenn der Fragesatz mehre­re wh-Elemente enthält (z. B. im Italienischen): (243) Chi ha fatto cosa? ‘Wer hat was gemacht?’ Die Daten mit wh-in situ-Elementen sind ein Problem für die Annahme der Notwendig­ keit einer Kongruenzrelation, die syntaktisch Bewegung auslösen soll. Es wird sich zei­gen, dass die fehlende Bewegung auch ein Problem für einige semantische Analysen von wh-Fragen ist (vgl. 3.2.4.1). Es gibt verschiedene Lösungsvorschläge für dieses Problem, welches ich als das wh-in situ Problem bezeichnen möchte. Huang (1982) und Rizzi (1990) argumentieren für eine wh-Bewegung auf der Logischen Form (LF.) und damit für die Erfüllung des wh-Kriteriums. Die LF war in vorminimalistischer Interpre­tation eine Repräsentationsebene, die zwischen der Oberflächenstruktur und der seman­tischen 63 Die wh-Bewegung wird bei Rizzi durch das wh-Kriterium motiviert: A: a wh-operator must be in a Spec-X° configuration with X° [+wh] B: An X° [+wh] must be in a Spec-X° configuration with a wh-operator. (Rizzi 1996: 64) Rizzi geht von einem analogen Kriterium aus, um Fokusbewegung zu motivieren.

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Interpretation eines Satzes vermittelt. Eine grundlegende Neuerung des Mini­ malismus ab Chomsky (2000) besteht darin, dass das wh-Element in der Argumentposi­tion verbleibt und mit CQ in situ kongruiert: fais quoi?]] (244) [CP CQ [tu du machst was ‘Was machst du?’

Kongruenz

Im Folgenden soll die Kongruenzrelation in situ, die auch unter dem Namen der Opera­tion AGREE bzw. Agree bekannt ist, anhand des interrogativen Komplementierers C° erklärt werden. Meine Darstellung basiert auf Grewendorf (2001). Wh-Phrasen bzw. Fragepronomina haben ein interpretierbares [Q]-Merkmal, [+Q], vergleichbar mit inter­pretierbaren φ-Merkmalen einer Nominalphrase, NP (z. B. Personenmerkmale und Sin­gularmerkmale). Sie bilden das Ziel des Komplementierers C°, der in seinem C-Kommando Bereich nach entsprechenden Elementen sucht, die für eine Kongruenzrela­tion in Frage kommen. Ein solches suchendes Element nennt man eine Sonde. Das [+Q] Merkmal kann als Ziel von einer Sonde gefunden werden, welche ein nicht interpretier­bares [Q]-Merkmal (von nun an [uQ]) enthält. Eine Sonde mit einem solchen Merkmal stellt der Komplementierer C° in (241) dar. Man könnte die Sonde in C° auch als eine abstrakteres Merkmal vF (entspr. F = X), betrachten, dessen Wert (oder Variable x) durch eine Satztypinformation (z. B. Fragesatz, Relativsatz, Imperativsatz oder Deklara­ tivsatz) spezifiziert werden muss: C° [phon Ø] SATZTYP: x (vgl. ähnlich z. B. bei Rad­ford 2004: 419, dort Periphäres Merkmal P, vgl. auch Mensching 2011). Das Fragepro­nomen spezifiziert die Variable x als einen Fragesatztyp. Das Fragepronomen hat zu­sätzlich ein nicht-interpretierbares Merkmal [uwh]. Dieses Merkmal ist vergleichbar mit einem Ka­susmerkmal einer NP, welche als Folge einer Sondierung einen bestimmten Kasuswert erhält, und so das Merkmal [+wh] erhält. Die Bewegung einer Konstituente wird durch ein EPP-Merkmal motiviert. Dieses Merkmal besagt, dass C° durch eine Konstituente (z. B. ein Frageelement) spezifiziert werden muss. Wenn C ein EPP-Merkmal hat, dann muss das vorher sondierte Fragepronomen in die linke Peripherie des Satzes verschoben werden, ansonsten nicht. Auf diese Weise können unterschiedli­che Fragestrukturen im Französischen modelliert werden (vgl. (241) und (242)). In (241) hat C° ein [EPP]-Merkmal und die wh-Bewegung wird ausgelöst. In (242) gibt es dieses Merkmal nicht, und aus diesem Grund wird keine wh-Bewegung ausgelöst.64 Die in (245) und (246) dargestellten grammatischen Merkmale von lexikalischen E ­ lementen sind nicht 64 Das Phasenkonzept von Chomsky (2001) wird hier nicht berücksichtigt.



Zur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik 

 97

komplett. Sie sollen nur die Überprüfung der nicht-interpretierbaren Merkma­le von [uQ] und [uwh] verdeutlichen. Die Enumeration zeigt, dass C° eine Sonde aufgrund des Merkmals [uQ] enthält, die in ihrem C-Kommando Bereich ein Ziel fin­det, welches ein ensprechendes Merkmal hat [+Q]. Die Sonde bekommt einen Wert, nämlich Q und als Gegenleistung bekommt das wh-­Element sein ‘Kasusmerkmal‘ instantiiert: [+ wh]. Das EPP-Merkmal löst die Bewegung des wh­ Elementes aus: (245) Enumeration der Frage {C° [phon Ø] [uQ] [+wh] [EPP], T° avoir, V° voir, N° tu, N° qui [uwh]. [+Q]} (246) a. [C° [phon Ø] [uQ] [+wh] [EPP] [TP tu as vu qui]] Schritt 1: Sondierung durch C° du hast gesehen wer b. [CP quij C° [EPP] [TP tu as vu tj]] Schritt 2: wh-Bewegung wer du hast gesehen ‘Wen hast du gesehen?’ In dieser Arbeit wird in Übereinstimmung mit Chomsky (2000) davon ausgegangen, dass wh-in situ-Strukturen keine Bewegung auf der syntaktischen Ebene voraussetzen. Anders ausgedrückt, syntaktisch erfolgt in-situ Kongruenz. Eine Bewegung auf LF – im Minimalismus als Schnittstelle und nicht als Repräsentationsebene interpretiert – ist allein aus Skopusgründen erforderlich und wird daher hier auch angenommen (vgl. 3.2.3).

3.1.2 Split-CP-Theorie von Rizzi (1997) und ihre Anwendung auf Spaltsätze In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass eine einfache CP-Struktur (vgl. 3.1.1) für die Analyse von komplexen wh-Strukturen (z. B. wh-Spaltfragesätzen) nicht ausreicht. Aus diesem Grund wird die Split-CP-Theorie von Rizzi (1997) vorgestellt, die eine komple­xere CP-Struktur vorsieht. Rizzi (1997) geht von der Annahme aus, dass das C-System nicht mit nur einer funktio­nalen Projektion ausgestattet ist, wie es bei Chomsky (1995) angenommen wird, son­dern mindestens vier unterschiedliche Projektionen enthält: eine Projektion des Satztyps ForceP/CP, eine Fokusprojektion FokP, eine Finitheitsprojektion FinP und mehrere To­pikprojektionen TopP. Der Split-CP-Annahme zufolge besteht das C-System also aus mehreren Phrasen:

98 

 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

ForceP Forceo

TopP Top'

Spec

FokP

Topo

Fok'

Spec

TopP

Foko Spec

FinP Fino

IP

Abbildung 7: Split-CP Struktur (Rizzi 1997: 297)

Die Bewegung wird im Rahmen von Rizzis Split-CP-Theorie aus ähnlichen Gründen abgeleitet wie die Bewegung bei Chomsky (1995), d. h. ein funktionaler Kopf wie z. B. Foc° geht mit einer fokussierten Konstituente in Spec, Foc° eine abstrakte Kongruenz­relation ein, die man mit der Kongruenzrelation zwischen einem nominativischen Ele­ment und dem finiten Verb vergleichen kann. So muss z. B. eine fokussierte Konstitu­ente im Italienischen nach Spec, FocP bewegt werden, um mit Foc° in eine Spec-X°-Relation einzutreten. Meistens handelt es sich dabei um Kontrastfokus (vgl. Brunetti 2009):65 (247) [FocP [A Mario]j Foc°[IP l’ ho detto tj (e non a Maria)]]. an Mario es habe gesagt (und nicht an Maria) ‘Ich habe es Mario gesagt und nicht Maria.’ Einige Autoren analysieren Spaltsätze im Rahmen einer modifizierten Split-CP Analyse von Rizzi (1997) (vgl. É. Kiss 1998 und Meinunger 1998). Die modifizierte Struktur weist zwischen der CP2 (die mit Rizzis ForceP verglichen werden kann) und der CP1 (die mit Rizzis FinP verglichen werden kann) einen finiten Satz auf, eine IP: (248) [CP2 [IP [FocP [CP1 [IP ….]]]]] modifizierte Split-CP von É. Kiss (1998)

65 Man kann sich fragen, ob die Informationsstruktur syntaktisch repräsentiert werden soll oder nicht vielmehr eine getrennte Ebene darstellt, die mit der Syntax genauso interagiert wie z. B. die Phonologie, die Pragmatik, etc. Diese Frage ist eine theoretische Frage, die in der Forschung immer noch nicht geklärt ist (vgl. Vallduví & Engdahl 1996, Lambrecht 1996, Rizzi 1997 für verschiedene Ansätze).



Zur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik 

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Die Spaltsatzanalyse von É. Kiss (1998) soll anhand eines Beispiels kurz erläutert wer­den: (249) [CP2 [IP C’ estm [FocP Pierrej [+F] Foc° tm [CP1 qui[IP tj est venu]]]]]. s.cl. ist Pierre der ist gekommen ‘Peter ist gekommen.’ Sie geht davon aus, dass die abgespaltene XP-Konstituente in Spaltsätzen kein Argu­ment der Kopula repräsentiert, sondern in der Koda basisgeneriert wird. Diese Annah­me wird durch die Spur innerhalb der IP in (249) repräsentiert. Die XP bewegt sich aus ei­ner Argumentposition innerhalb der Verbalphrase in den Spezifizierer einer Fokus­phrase. Die Bewegung wird durch ein Fokusmerkmal [+F] motiviert. Diese Bewegung dient einem informationsstrukturellen Zweck, nämlich einer Fokussierung. Syntaktisch wird die Bewegung durch die Notwendigkeit einer Kongruenzrelation mit einem Fokus­kopf motiviert (vgl. 3.1 für solche Überprüfungsrelationen in Spec, X°). Das Subjekt­pronomen ce wird direkt als ein expletives Pronomen in eine Spezifiziererposition des finiten Kopulaverbs eingesetzt. In dieser Hinsicht gleichen Subjektpronomina in Spalt­sätzen den Subjektpronomina in Sätzen mit Wetterverben (z. B. il pleut, es regnet, it rains). Die Kopula fungiert im Rahmen von É. Kiss (1998) sowohl als ein Fokuskopf F(ok)° als auch als ein funktionales Element, das Finitheitsmerkmale trägt, I°. Aus die­sem Grund nimmt É. Kiss (1998) eine IP zwischen der höheren CP und der niedrigen CP an. Durch die Voranstellung der XP aus informationsstrukturellen Gründen kann É. Kiss (1998) die Tatsache erklären, dass die XP-Konstituente in Spaltsätzen nicht in der übli­ chen Argumentposition innerhalb der VP des Komplementsatzes verbleibt. Es gibt noch andere Spaltsatzanalysen, die eine Split-CP-Struktur voraussetzen, auf die jedoch aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann (vgl. Meinunger 1998).66 Ein bekannter Vorteil der vorgestellten Analyse besteht darin, dass sie erklären kann, warum die XP in bestimmten Fällen kein Argument der Kopula sein kann, sondern nur das Argument des lexikalischen Verbs der Koda. Die

66 Meinunger (1998) geht ebenfalls wie É. Kiss (1998) von einer Split-CP-Analyse von Spaltsätzen aus und analysiert das Subjektpronomen ce als einen Spezifizierer einer Topikphrase, die durch die Kopula est eingeleitet wird (vgl. Meinunger 1998): i. [SpecTopP ce Top° estk [FokP Pierrej Fok° tk [CP C° qui [IP tj est venu]]]] Obwohl Lambrecht (2001) ebenfalls von einer monoklausalen Analyse von Spaltsätzen ausgeht, unterscheidet Lambrecht zwischen syntaktischen und semantischen Argumenten. Ihm zufolge wird die fokussierte Konstituente in Spaltsätzen syntaktisch gesehen als das Prädikatsnomen der Kopula analysiert und die Koda wird syntaktisch als ein Relativsatz analysiert. Semantisch gesehen wird jedoch die fokussierte Konstituente als das Argument des lexikalischen Verbs in der Koda analysiert.

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Präpositionalphrase kann im fol­genden Satz kein Argument der Kopula sein, weil Kopulas in der Regel keine Präpositionalphrasen als Argumente nehmen: (250) C’ est à ça que ça sert. s.cl. ist an das dass das nützt. ‘Es nützt dafür.’ [COR ffamcv01] que vous avez fait la plupart (251) C’ est avec celui-là s.cl. ist mit diesem-da dass ihr habt gemacht die Mehrheit de vos photos? von ihren Fotos ‘Haben Sie mit diesem Fotoapparat da die meisten Fotos geschossen?’  [COR ffamdl25] Da XPs in der Koda basisgeneriert werden, gibt es kein Problem, im Rahmen der Bewe­gungsanalyse Kasus und Kongruenz zwischen der XP und dem finiten Verb in der Koda zu erklären, da finite Sätze gewöhnlich die gleichen Kongruenzphänomene aufweisen: (252) [CP C’ est euxi qui [IP ti sont fous]] s.cl. ist sie die sind verrückt ‘Sie sind verrückt.’ (253) [IP Ils sont fous] sie sind verrückt ‘Sie sind verrückt.’ Da man im Rahmen der Split-CP-Theorie die Kopula in Spaltsätzen als eine funktionale Kategorie vergleichbar mit einem Komplementierer oder als einen Marker ohne Flexion analysieren kann, kann man problemlos die fehlende Pluralkongruenz von être ‘sein’ in (252) erklären. Im Rahmen dieser Erklärung stellt sich die Frage, wie diese Analyse auf französische Spaltfragen adaptiert werden kann und wenn ja, wie sie den Bmw-Effekt in Spaltfragen erklären kann. In den folgenden Abschnitten sollen einige Erklärungsversuche des BmwEf­fektes aus der Literatur, die bereits kurz in 1.3 angerissen wurden, ausführlicher erörtert werden.

3.1.3 Syntaktische Erklärungsversuche von Bmw-Effekten Den Dikken & Giannakidou (2002) gehen bei ihrer Analyse von wh-the hell-Fragen von Rizzis Split-CP-Modell und Chomskys (1995) Merkmalüberprüfung aus



Zur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik 

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(3.1.1 und 3.1.2). Sie nehmen an, dass die Partikel the hell zusammen mit dem wh-Element in Hauptsatzfragen im Spezifizierer einer funktionalen Kategorie (Fokuskopf, Foc°) ihr Merkmal überprüft. Auf diese Weise motivieren sie die wh-Bewegung in (254): (254) [CP C[Q] [FocP [who the hell]j [Foc° Ø [IP tj bought that book]]]]  (Den Dikken & Giannakidou 2002: 47) Des Weiteren gehen sie davon aus, dass die wh-the hell-Phrase in Spec, FocP von einem Fra­geoperator CQ unter C-Kommando lizenziert wird (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002: 47). Die Lizenzierung der wh-the-hell-Phrase unter C-Kommando ist entschei­dend für die Erklärung der Agrammatikalität von wh-the-hellPhrasen in situ des fol­genden Satzes: (255) *who is in love with who the hell?  (Den Dikken & Giannakidou 2002: 56, Klammerstruktur von O. K.) Der Frageoperator Q in C° kann wh-the-hell nicht lizenzieren, weil who in Spec, FocP diese Lizenzierung hindert: (256) *[Q ….[who ….[who the hell …. ]]]  (Den Dikken & Giannakidou 2002: 56) Auf diese Weise erklären sie auch die fehlende Lizenzierung von NPIs wie a red cent, die von der Negation lizenziert werden sollten: (257) a. *[Neg ….[every charity ….[a red cent …. ]]] b. *John didn’t give every charity a red cent.  (Den Dikken & Giannakidou 2002: 56) Obenauer (1994) geht in Anlehnung an Pesetsky (1987) davon aus, dass whthe-hell-Phrasen im Französischen diskursungebunden sind, und nimmt an, dass diskursunge­bundene wh-Phrasen im Französischen unbedingt wh-bewegt werden müssen. Die Kor­ relation zwischen einer diskursungebundenen whPhrase und der Notwendigkeit einer wh-Bewegung geht jedoch nicht auf, wie bereits von mehreren Linguisten für das Fran­zösische gezeigt wurde. Mathieu (2004) beobachtet, dass wh-in situ Fragen diskursun­gebunden sein können und dennoch keine wh-Bewegung vollziehen müssen: (258) Après tout, ça sert à quoi? Ça sert à rien. ‘Was nützt das überhaupt? Es nützt nichts.’ Eine alternative Erklärung der Tatsache, dass Partikeln wie the hell nie wh-in-situEle­menten folgen können, hat etwas mit ihrem phonologischen Status als Partikel zu tun (vgl. Sprouse 2006 zur englischen Partikel the hell). Die phonologische

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Erklärung von Sprouse besagt ganz grob, dass Partikeln, die wh-in-situ-Elementen direkt folgen (vgl. (255)) einerseits den Satzakzent erhalten sollten, weil sie ganz rechts stehen, gleichzei­tig dürfen Partikeln keinen Satzakzent tragen (ebd). Dieser Ansatz lässt jedoch einige Fragen offen. Es stellt sich die Frage, wie man die Lizenzierbarkeit von vielen Partikeln in wh-in situ Fragen im Französischen (z. B. là, alors, déjà, etc.) nach Sprouse (2006) erklären soll. Sind es keine schwachen oder klitischen Elemente? Warum sind diese Partikeln grammatisch und die Partikeln the hell/diable nicht? (259) La question c’ était quoi déjà? die Frage s.cl. war was noch mal ‘Was war noch mal die Frage?’

[ C-ORAL-ROM fnatpd01]

(260) tu sors d’ où là?  du kommst von wo da ‘Wo kommst du her?’

[PFC 13alg1]

(261) A: vous avez fait quoi ce week-end alors? B: Ben, moi j’étais ‘A: Was haben Sie dieses Wochenende nun gemacht? B: Ich war….’  [C-ORAL-ROM ffamcv05] Was die syntaktische Analyse von Den Dikken & Giannakidou (2002) und die phonolo­gische Analyse von Sprouse (2006) jedoch nicht erklären, sind die ungrammatischen Fälle, in denen die Partikel da steht, wo sie nach beiden Analysen erwartet werden kann, nämlich ex-situ bzw. in einer Position, die nach Sprouse (2006) keinen Satzakzent erhält (vgl. Typ 4-Partikel in 1.2.2): (262) *[CP CQ [FocP [chi mai/cavoloj] Foc° [IP. avrebbe fatto cosa]]] wer mai/cavolo hätte gemacht was? Nessuno avrebbe detto niente. ‘Niemand hätte etwas gesagt.’ Es ist nicht klar, wie die Beschränkung des zweiten wh-Elementes aus den erwähnten Analysen folgen soll. Eine ähnliche syntaktische Erklärung für den Bmw-Effekt in englischen wh­Exklamativsätzen ohne Partikeln wie the hell bieten Ono (2004) und Oda (2008) (vgl. 1.2). Beide beobachten den folgenden Unterschied im Englischen und Japanischen: (263) a. *What a long paper John sent to what a famous journal! b. John-wa nante nagai ronbun-o nante yuumeina zassi-ni J-TOP wh long paper-ACC wh famous journal-DAT oku-tta no da send-PSTNL.COP ‘What a long paper John sent to what a famous publisher!’(Ono 2004: 1)



Zur Analyse von Frage-und Spaltsätzen in der Generativen Grammatik 

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Den Bmw-Effekt im Englischen leitet Oda (2008) aus einer syntaktischen Erklärung im Rahmen von Chomsky (1995) ab, die besagt, dass beide wh-Phrasen in Exklama­tivsätzen ein nicht weiter definiertes Merkmal haben, welches Bewegung nach Spec, CP voraussetzt. Da im Englischen nur eine einzige wh-Phrase in Fragesätzen be­wegt wer­den kann, folgt der Bmw-Effekt in Exklamativsätzen daraus, dass das Merkmal der zweiten wh-Phrase nicht gecheckt werden kann, weil die Überprüfung dieses Merkmals Bewegung voraussetzt. Im Japanischen bewegen sich wh-Elemente weder in Fragen noch in Exklamativsätzen. Auf diese Weise erklärt Oda den Unter­schied zwischen +/– wh in situ Sprachen, weil wh-Phrasen in wh-in situ Sprachen kein solches Merkmal zu überprüfen haben. Sprachen, die multiple wh-Elemente ex-situ erlauben (z. B. Rumänisch), erlauben mehrfache wh-Elemente auch in Exklamativsätzen, weil beide wh-Elemente das Merkmal x durch Bewegung überprüfen (vgl. Oda 2008). Diese Ana­lyse erfasst den folgenden Unterschied zwischen dem Rumänischen und dem Engli­schen (beides wh- ex situ Sprachen mit dem Unterschied, dass im Englischen nur eine wh-Phrase ex situ bewegt wird und im Rumänischen beide wh-Phrasen bewegt werden): (264) *What a poor student bought what an expensive car! casatorit! (265) ?Ce fata frumoasa cu ce barbat urat s-a What girl beautiful with what man ugly recip.-has married Lit. ‘What a beautiful girl married what an ugly man!’ (Oda 2008: 259) Ich möchte auf Odas (2008) syntaktische Erklärung eingehen und dafür argumentieren, dass die Beschränkung in wh-Exklamativsätzen mit einem wh­Element von der Beschränkung mit zwei wh-Elementen unterschieden werden sollte. Die folgenden Daten zei­gen, dass es zumindest im Französischen vereinzelte Beispiele gibt, in denen multiple wh-Elemente erlaubt werden können (vgl. 1.2.2), obwohl ein einzelnes wh-Element in situ in (268) nicht erlaubt wird (vgl. Obenauer 1994 für die Beobachtung der letztge­nannten Beschränkung im Französischen): (266) Les ravages du SIDA aux USA ne m’étonnent pas, ‘Die verheerende Ausbreitung von AIDS in den USA wundert micht nicht’, car combien de garçons couchent avec combien de filles! ‘denn wie viele Jungen schlafen mit wie vielen Mädchen.’(Radford 1989: 251) (267) Combien de livres il a lu(s)! ‘Wie viele Bücher er gelesen hat!’ (268) *Il a lu er hat gelesen

combien de livres! wie viele von Bücher

104 

 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Dies zeigt, dass der Ansatz von Oda (2008) überarbeitungsbedürftig ist. Zusammenfas­send lässt sich sagen, dass es einige Analysen in der Literatur gibt, die den Bmw-Effekt in Fragen und in Exklamativsätzen weitestgehend syntaktisch motivieren. Ich habe ge­zeigt, dass diese Analysen Einzelerklärungen für bestimmte Typen, jedoch nicht für andere Typen geben.

3.2 Fragesatzsemantik Da viele Ansätze in der Literatur, die Fragesätze und wh-Exklamativsätze untersuchen, im Rahmen der Fragesemantik von Hamblin (1973) & Karttunen (1977) formuliert sind (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002, Portner & Zanuttini 2003, Beck 2006, Mayr 2011), steht diese Fragesemantik im Zentrum meiner Arbeit. Aufgrund der minimalen Unterscheidung zwischen Hamblins und Karttunens Fragesemantik werden beide An­sätze in der Literatur meistens unter einem Ansatz, nämlich dem Proposition Set Approach, vorgestellt, weil Propositionen bei beiden Autoren Antworten auf eine Frage bilden. Ich werde von nun an in Anlehnung an die Literatur die Abkürzung H&K für die Fragesemantik von Hamblin (1973) & Karttunen (1977) verwenden.67 Bevor ich die Grundlagen der Fragesemantik von H&K vorstellen kann, muss ich zu­nächst auf ein paar Grundlagen der formalen Semantik eingehen (z. B. Lambdakalkül) (vgl. 3.2.1). In 3.2.2 skizziere ich die H&K-Fragesemantik und in 3.2.3 zeige ich, wie sie kompositionell aus der Fragestruktur abgeleitet wird. In 3.2.4 werden einige Probleme der H&K-Fragesemantik vorgestellt (z. B. die kompositionelle Ableitung von Fragen mit wh-in-situ-Elementen und die D-linking Eigenschaft von einigen Fragesätzen); es folgt eine kurze Anwendung auf die in dieser Arbeit im Vordergrund stehenden Bmw-Effekte.

3.2.1 Einige Grundlagen der formalen Semantik Die folgenden Grundlagen der formalen Semantik basieren auf Heim & Kratzer (1998). Die gewöhnliche Interpretation eines lexikalischen Elementes wird durch eine Bele­gungsfunktion g abgeleitet, die diesem Element eine Interpretation zuweist (‖φ‖ reprä­sentiert die Bedeutung von φ): (269) ‖Marie‖g = Marie ‖Pierre‖g = Pierre 67 Ich verweise den Leser auf einen alternativen Ansatz der Fragebedeutung von Krifka (2001).

Fragesatzsemantik 

 105

Man geht in der klassischen semantischen Analyse bei Verbindungen zwischen Prädi­katen und ihren Argumenten davon aus, dass Argumente durch λ-Abstraktoren gebun­den werden. Diese Idee soll anhand eines transitiven Verbs (franz. voir ‘sehen’) ver­deutlicht werden. Ein transitives Verb enthält Leerstellen, die gefüllt werden müssen. Transitive Verben werden in der formalen Semantik als Relationen ausgedrückt und sind vom Typ (De steht für die Menge von Individuen (z. B. Personen) vom Typ , d. h. die beiden Ar­gumente von voir müssen Individuen repräsentieren) (vgl. Heim & Kratzer 1998 für weitere Typen):68 (270) ‖voit‖g = λx ∈ De λy ∈ De voit (y, x) Man nimmt an, dass die Platzhalter von außen nach innen bzw. in der Reihenfolge x vor y gefüllt werden müssen, d. h. zweistellige Prädikate werden als zwei einstellige Funk­tionen aufgefasst, die nacheinander zunächst auf das interne Argument (z. B. Objektargument) und dann auf das externe Argument (z. B. Subjektargument) angewendet werden. Die Abarbeitung des sogenannten Lambdakalküls (bekannt als Lambdakonversion) geht mit der syntaktischen Verbindung in vielen syntaktischen Theorien einher, die davon ausgehen, dass das Verb zunächst mit dem Objekt und danach mit dem Subjekt verknüpft wird (vgl. Chomsky 1995):69 (271) MERGE: voit Pierre ‘sieht Pierre’ ||voit||g (||Pierre||g ) = λy ∈ De voit (y, Pierre) Funktionale Applikation, FA

||voit||g

||Pierre||g

λx ∈ De. λy. ∈ De. voit (y, x)

68 Prädikate sind vom Typ , Wahrheitswerte vom Typ , Negation vom Typ , Proposi­ tionen vom Typ , Quantoren wie z. B. jeder, keiner, einer vom Typ (vgl. Heim & Kratzer 1998). 69 Die Funktionale Applikation, FA, wird formal wie folgt definiert (vgl. Heim & Kratzer 1998): Wenn α ein verzweigender Knoten mit Töchtern β und γ ist und ‖β‖g eine Funktion ist, die ‖γ‖g als Argument nehmen kann, dann gilt für jede Belegung g, dass ‖α‖g = ‖β‖g (‖γ‖g).

106 

 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

(272) MERGE: Marie voit Pierre ‘Marie sieht Pierre’ g

||voit Pierre||

||Mariel||g

g

( ||Mariel|| ) = voit (Marie, Pierre) = ‘Marie sieht Pierre’ FA

||voit Pierre||g λx. ∈De. voite (Pierre, x)

Des Weiteren geht man in der formalen Semantik von Heim & Kratzer (1998) davon aus, dass Spuren semantisch als (gebundene) Pronomina interpretiert werden, d. h. dass sie ihren Wert durch Variablenzuweisung erhalten. Spuren bzw. Lücken tragen einen Index j, i, k. Den gleichen Index trägt auch das Ante­ zedens der Spur bzw. Lücke: (273) a. ‖tj‖g = g(j) b. ‖tj‖g [j→x] = g(j) = x Der folgende Ausdruck enthält eine Spur, die semantisch als eine Variable interpretiert wird. Angenommen der Wert der Belegungsfunktion g lautet Mary, dann kann der Satz als eine Proposition interpretiert werden: (274) ‖XPj Peter kissed tj‖g = λx ∈ D. ‖XPj Peter kissed tj‖ g [j→x] (Mary) = 1 iff Peter kissed Mary.70 Ich fasse die wesentlichen Begriffe der formalen Semantik von Heim & Kratzer (1998) zusammen: Funktionale Applikation, FA, ist dafür notwendig, komplexe A ­ usdrücke kompositionell zu interpretieren. Spuren (bzw. Lücken) werden semantisch als ­Variablen von der Belegungsfunktion interpretiert. Weitere Mechanismen, die man für eine bestimmte Ana­lyse braucht, werden im Laufe der Arbeit eingeführt.

3.2.2 H&K-Fragesatzsemantik Hamblin (1973) und Karttunen (1977) gehen davon aus, dass Fragen als Mengen von Propositionen bzw. Mengen von Antworten interpretiert werden. Ihre Fragesemantiken unterscheiden sich lediglich darin, dass Hamblin (1973) Fragen 70 Der Index j des Antezedenten löst eine Prädikatsabstraktion aus (engl. Predicate Abstraction, PA) (vgl. Heim & Kratzer 1998: 186): Wenn α ein verzweigender Knoten mit Töchtern β und γ ist, wo β ein Index j ist, dann gilt für jede Belegung g, dass ‖α‖g = λx.‖γ‖g [j→x]

Fragesatzsemantik 

 107

als Mengen möglicher Antworten und Karttunen (1977) als wahrer und nicht bloß möglicher Antworten begreift, d. h. die Denotation einer Frage wie wer war auf der Party? nach Karttunen ist identisch mit der Menge wahrer Antworten, z. B. {Peter war auf der Party, Maria war auf der Party}, vorausgesetzt es stimmt, dass Maria und Peter auf der Party waren. In dieser Arbeit spielt der Unterschied zwischen Hamblins und Karttunens Frageseman­tik keine große Rolle und aus diesem Grund wird ihre Fragesemantik als H&K-Frage­semantik bezeichnet (vgl. u. a. Mayr 2011). Des Weiteren analysieren Karttunen und Hamblin wh-Phrasen als generalisierte Quantoren (generalized quantifiers), die den folgenden lexikalischen Eintrag haben: (275) ‖who‖ = ‖which person‖ = ‖some person‖: λP ∃x [person(w)(x) ∧ P(x)] (276) ‖what‖ = ‖which thing‖ = ‖some thing‖: λP ∃x [thing (w)(x) ∧ P(x)]

Der Existenzquantor ∃x wird im Rahmen dieser Fragesemantik lexikalisch durch die wh-Phrase abgebildet. Das Nomen Person in (275) stellt den Quantifikations­ bereich des wh-Quantors dar, weil das wh-Pronomen wer bei Karttunen für welche Person steht (vgl. (275)). Die semantische Repräsentation der Fragedenotation als Menge von Propositionen (die Funktionen von möglichen Welten in Wahrheitswerte bilden) sieht wie folgt aus: (277) λp∃x [Person (w) (x) & p = λw’ [x war auf der Party in w’]] ‘Für welche Person x gilt, x war auf der Party?’ Die ungebundene Variable w steht für die aktuelle Welt. Die gebundene Variable w’ steht für eine Menge von Welten, für die gilt, x war auf der Party in w’. Im Rahmen der H&K-Fragesemantik haben indefinite Pronomina und Fragepronomina den gleichen lexikalischen Eintrag (vgl. (275)). Man sollte an dieser Stelle Haspelmath (1997) erwähnen, der gezeigt hat, dass sehr viele Sprachen morphologische Ähnlich­keiten zwischen indefiniten Pronomina und Fragepronomina aufweisen (z. B. ital. quale ‘welche’/ qualsiasi ‘irgendwelche’, franz. où/qui/quoi (que ce soit) ‘(ir­gend) wo/wer/was’). Im Italienischen kann das wh-Element chi sowohl als Fragepro­nomen ‘wer’ als auch als indefinites Pronomen ‘jemand’ analysiert werden, wie die folgenden Daten aus SSLMIT zeigen sollen: (278) C’ è chi parla di un inutile suicidio. dort ist wer spricht von einem unnötigen Suizid ‘Einige sprechen von einem unnötigen Selbstmord.’ (279) Chi parla? ‘Wer spricht?’

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Ich halte deshalb zunächst provisorisch fest, dass es einige empirische Hinweise dafür gibt, dass Fragepronomina und indefinite Pronomina ähnlich analysiert werden könnten. Obwohl Fragekonstituenten und Indefinita den gleichen lexikalischen Eintrag haben, haben sie nicht die gleiche Funktion im Satz. Indefinita wie qualcosa in (280)a. lösen keine alternativen Antworten aus, während Fragekonstituenten wie chi und cosa in (280)b. genau diese Eigen­schaft haben. Aus diesem Grund sind die Antworten auf die Frage mit mehreren Frageelementen in (280)b. keine passenden Antworten: (280) a. Chi ha mangiato qualcosa? ‘Wer hat etwas gegessen?’ Marco, Piero e Luca. (Alternativen sind nur Personen)

b. Chi ha mangiato cosa? ‘Wer hat was gegessen?’ *Marco, Piero e Luca. (Alternativen sind nur Personen)

Der Unterschied zwischen Fragepronomina wie which person und indefiniten Prono­mina wie some person wird in der vorgestellten Theorie in erster Linie durch den Satz­typ kodiert (vgl. den Unterschied zwischen Frage- und Aussagesätzen in (278) und (279)). Auf der morphosyntaktischen Ebene wird dieser Unterschied durch unter­schiedliche Merkmale des wh-Elementes und des Komplementierers C° ausgedrückt (vgl. 3.1.1). Geht man davon aus, dass ein Fragepronomen ein [Q-Merkmal] trägt (vgl. 3.1), dann sorgt dieses Merkmal für die Induzierung der Alternati­venmenge von Fragepronomina. Im Italienischen unterscheiden sich Fragepronomina von indefiniten Pronomina zumindest syntaktisch, weil das Fragepronomen im Italienischen präverbal stehen muss, wenn es keine Echointerpretation hat: (281) a. Vai da qualche parte? gehst zu irgendeinem Ort ‘Gehst du irgendwo hin?’ b. E tu, dove vai? c. *E tu, vai dove? und du, wohin gehst-du und du, gehst-du wohin ‘Was ist mit dir, wohin gehst du?’ Der Unterschied zwischen indefiniten Elementen und Fragepronomina kann auch durch die Wahl des Morphems ausge­drückt werden. Im Französischen gibt es einen Unterschied zwischen dem Frage­pronomen où ‘wo’ und dem indefiniten Pronomen quelque part ‘irgendwo’. Syntaktisch können wh-­Elemente im Französischen in situ stehen, dennoch werden Fragepronomina lexikalisch anders markiert (vgl. auch den Unterschied im Italienischen in (281)):



Kompositionelle Ableitung einer einfachen wh-Frage 

 109

(282) Tu fais quoi/quelque chose? du machst was/etwas ‘Was machst du?/Machst du etwas?’ Die syntaktische Position allein bestimmt somit nicht den Unterschied zwischen Fragepronomina und Indefinita. Außerdem wird der besagte Unterschied durch den Skopus von Frage­ elementen und indefiniten Pronomina bestimmt. Indefinite Pronomina haben zwar den Status eines Existenzquantors, sie haben jedoch keinen so weiten Skopus wie Fragepro­nomina, d. h. sie haben keinen Matrixsatzskopus. In der folgenden Abbildung erkennt man den engen Skopus von Indefinita wie some book daran, dass der Existenzquantor ∃y im Gegensatz zu ∃x der propositionalen Variable p folgt und nicht vorangeht:71 (283) Which lady read some book? Mary read some book. λp∃x[lady(w) (x) & p = λw’ ∃y [ book (y) & x read y in w’]] Nachdem ich die Grundlagen der Fragesemantik von H&K vorgestellt habe, stellt sich nun die Frage, wie die Bedeutung einer Frage kompositionell aus der Form abgeleitet wird.

3.2.3 Kompositionelle Ableitung einer einfachen wh-Frage Im Folgenden soll die Ableitung einer einfachen englischen Frage who will come? im Rahmen von H&K basierend auf Dayal (2006) demonstriert werden. Dayal (2006) geht von der syntaktischen Analyse von wh-Fragen nach Chomsky (1995) aus (vgl. 3.1). Der interrogative Kopf C° enthält ihr zufolge die folgenden Merkmale ([+wh, + int(errogativ) bzw. Q(uestion)]). Diese Merkmale sollen aus­ drücken, dass die Äußerung eine wh-Frage ist. Der interrogative Kopf C° (genauer

71 Ein Reviewer stimmt jedoch dem Skopusunterschied zwischen Fragepronomina und Indefinita in (283) nicht zu, weil ihm zufolge auch Fragepronomina engen Skopus haben können. Der enge Skopus würde aus der distributiven Lesart von Quantoren in wh-Fragen folgen (z. B. Wen hat jeder angerufen? Distributive Lesart: Peter hat Marie angerufen, Marc hat Jenny angerufen.). Dieses Argument ist jedoch nur dann gültig, wenn die distributive Lesart nicht anders repräsentiert werden kann als durch die Rekonstruktion (engl. reconstruction). Diese Annahme teile ich jedoch nicht, weil die distributive Lesart auch anders erklärt werden kann (vgl. Krifkas 2001 Analyse, derzufolge der distributive Operator Skopus über die Frage hat und als Folge davon distributive Lesarten von wh-Fragen als Koordinationen von Einzelfragen analysiert werden).

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

das Q-Merkmal) hat den folgen­den semantischen Wert: Es drückt eine Identitätsrelation von Propositionen aus: (284) ‖C° [+wh, + int(errogativ) bzw. Q(uestion)]‖ = λp λq. q = p Das Fragepronomen who hat den lexikalischen Eintrag in (275). Der Existenzquantor bindet eine Variable x, die durch die wh-Spur t repräsentiert wird. Dieser Variable wer­den unterschiedliche Werte zugewiesen (engl. assignment to the variable) (vgl. Heim & Kratzer 1998 und 3.2.1). In einem Kontext, in dem der Quantifikationsbereich des Exis­tenzquantors durch zwei Personen wie {Maria, Peter} bestimmt wird, wird ein ent­ sprechendes Alternativenset von Propositionen {Maria wird kommen, Peter wird kom­men} aufgebaut. Da der Wert der Variable p wiederum den Wert der Variable des Exis­tenzquantors voraussetzt, darf der Existenzquantor nicht im Skopus der Variable p ste­hen (vgl. dagegen den Skopus von indefiniten Elementen in (283)). Die Bedeutung des finiten Satzes (TP) in der folgenden Abbildung setzt sich zusammen aus der Bedeutung der Spur (die eine Variable ausdrückt) und der Bedeutung des verbalen Prädikats, der eine λ-Abstraktion über Individuen ausdrückt, die (zur Party) kommen werden. Die besagte Bedeutung wird kompositionell mittels der funktionalen Applikation (FA) berechnet. Genauso wird nach dem Kompositionsprinzip (genauer FA) die Bedeutung des Fragemorphems in C° mit der Bedeutung des finiten Satzes berechnet. Das Ergebnis ist eine Abstraktion über propositionale Variablen, die in einem Identitätsverhältnis stehen. Die Propositionen, über die abstrahiert wird, enthalten wiederum eine Variable anstelle des Subjekts. Diese Variable wird erst viel hö­her auf der Ebene der CP existentiell gebunden. Um Spec, CP und C’ semantisch inter­pretieren zu können, muss ein weiterer Mechanismus definiert werden, der die Verbindung zwischen Quantoren (lexikalisch repräsentiert durch das wh-­Element in Spec, CP) und einer Menge von Propositionen vom Typ (syntaktisch repräsentiert durch C‘) interpretieren kann. Dieser Mechanismus heißt (wh-Quantifying-in, Q-in) (vgl. Karttunen 1977) und wird wie folgt definiert:72 (285) Wenn α eine CP mit einer wh-Phrase β vom Typ und einem interrogativischem C‘ γ vom Typ mit einem numerischen Index i als Tochter ist, dann gilt für jede Welt w und Belegung g, dass ‖α‖ w, g = λp ‖β‖ w, g (λx‖γ‖w, g [x/1] (p)])].

72 Es gibt verschiedene Vorschläge in der Literatur, wie man eine wh-Frage ohne whQuantifying-in (Q-in) kompositionell deriviert (vgl. Sauerland 1998, Mayr 2011/2014).



Kompositionelle Ableitung einer einfachen wh-Frage 

 111

(286) Who will come? ||CP|| = λp ||Who||

(λx [||C‘|| [x/1] (p)]) =Ǝx[person (w)(x)& [p= λw’. will come (w’)(x)]]

w,g

= λp λq.[q=p] p= λw’ will come (w’)(g(1)) =

w

||C’||

||Who||w λP Ǝx[person (w)(x) & P(x)]

w,g

(Q-in)

λq. q= λw’ will come (w’)(g(1)) (FA) o

||C ||

w,g

||TP||

λx [will come (w) (x)] (g(1))= will come (w) (g(1)) (FA)

λp λq.q=p Spec,TP g

T’ w

||t || ||

||will come||

= g(1)

= λx. will come (w) (x)

1

Abbildung 8: Formal-semantische Analyse von wh-Fragen (Dayal 2006)

Im nächsten Abschnitt gehe ich auf einige offene Fragen und Probleme der H&KFrage­semantik ein.

3.2.4 Offene Fragen und Probleme der H&K-Fragesemantik 3.2.4.1 Die wh-in situ Problematik Während italienische Fragen der Fragesemantik von H&K kein Problem bereiten, weil Fragepronomina vorangestellt werden und damit den weiten Skopus von Frageelemen­ten syntaktisch abbilden, stellen wh-in-situ-Elemente im Französischen und wh-in situ Sprachen (z. B. Chinesisch und Japanisch) ein Problem für eine getreue syntaktische Abbildung des weiten Skopus von Fragepronomina dar (vgl. Huang 1982, Rizzi 1990). Ich möchte das Problem anhand des Franzö­ sischen genauer erläutern. Man geht in der Fragesemantik von H&K davon aus, dass in der Argumentposition (z. B. in der unmarkierten Position des direkten Objektes in Aussagesätzen des Französischen) nur Individuen oder allgemein referentielle Objekte interpretiert werden (z. B. franz. Tu fais cela ‘Du machst das.’). Daher darf das wh-Element quoi (z. B. Tu fais quoi?) nicht in der Argumentposition als ein Existenzquantor interpretiert werden (genau aus diesem Grund steht das indefinite Element in (283) auf der logischen Ebene in einer

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

höheren Position als in der Argumentposition). Ich nenne dieses Argument in Anlehnung an die Literatur das Typemismatch-Argument. Der Typemismatch kommt dadurch zustande, dass das Verb faire ‘machen’ mit einem Objekt vom Typ eines Individuums verbunden wer­den sollte, gleichzeitig trifft es auf einen Existenzquantor vom Typ : (287) Interpretation von faire quoi ?

faire ‘machen‘

quoi ‘was‘

Fragen mit multiplen wh-Elementen weisen eine ähnliche Problematik im Italienischen und Französischen auf, weil mindestens ein wh-Element in situ bleiben muss. Im Französischen können sogar alle wh-Elemente in situ verbleiben, wenn sie keine Subjektfunktion haben (vgl. 1.2.1). Der H&K-Fragesemantik zufolge hat jedes wh-Element weiten Skopus (vgl. (288)c.), d. h. dass jedes wh-Element auf LF ex situ oberhalb von C° stehen muss (vgl. (288)b.) (für eine kompositionelle Analyse, vgl. Dayal 2006): (288) a. Which lady read which book? PF b. [CP which booki [which ladyj C° [TP tj read ti]]]? LF c. λp∃y∃x [book (w)(y) & lady (w) (x) & p = λw’ [x read y in w’]] Denotation In einigen Sprachen ist die LF in (288)b. fast identisch mit der PF, d. h. dort werden alle wh-Elemente ex situ ausgesprochen (z. B. im Rumänischen und in slawischen Sprachen, wenn man von der Reihenfolge wh-Subjekt und wh-Objekt absieht) (vgl. Richards 1997, Grewendorf 2001): (289) i. Cine ce ar mânca? wer was würde essen ‘Wer würde was essen?’

ii. [CP cinei cej C° [TP tj ar mânca ti]]? PF = LF 73

73 Es gibt unterschiedliche Analysen von wh-ex situ Sprachen wie dem Rumänischen, auf die ich aus Platzgründen nicht eingehen kann (vgl. Rudin 1988, Richards 1997, Grewendorf



Kompositionelle Ableitung einer einfachen wh-Frage 

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Im Prinzip lässt sich die wh-in situ Problematik lösen, wenn man davon ausgeht, dass jedes wh-Element zumindest auf LF bewegt wird (vgl. u. a. Huang 1982, Rizzi 1990 für einen solchen Vorschlag). Einige Linguisten argumentieren dafür, dass Interventionsef­fekte einen empirischen Beweis für die LF-Bewegung darstellen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass wh-Bewegung über quantifikationelle Phrasen umöglich sein soll (vgl. Beck 1996, Sauerland & Heck 2003): (290) Ich frage mich, wer ihm/*keinem/*jedem Student was erklärt hat. Covert movement in German must not cross an intervener. (Sauerland & Heck 2003) Man kann nun dafür argumentieren, dass Interventionseffekte, die in der Literatur in Zusammenhang mit einer Satznegation und quantifizierenden Adverbien beobachtet wurden, den Teil meiner Daten abdecken, der Beschränkungen in Verbindung mit einer Satznegation und einigen quantifizierenden Adverbien wie jamais/mai ‘niemals/jemals’ aufweist (vgl. Typ 6-neg in 1.2.2): (291) A: *Chi (mai) non vorrebbe mangiare che cosa? wer mai nicht möchte essen was Alle würden etwas essen (erwartete Antwort). Der LF-Bewegungsansatz erklärt also die Beschränkungen in Verbindung mit der Ne­gation in negativ-rhetorischen Fragen, indem er Bewegung über quantifizierende Ele­mente auf LF vorschreibt, die aufgrund des Quantors unmöglich sein soll (vgl. Beck 1996, Sauerland & Heck 2003). An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass Interventionsef­fekte ein starkes empirisches Argument für die Fragesatzsemantik sind, die wh-Ele­mente als Quantoren begreift, wie es z. B. die H&K-Fragesemantik vorschlägt. Alterna­tive Fragesatzsemantiken haben Schwierigkeiten Interventionseffekte zu erklären, wenn sie dem wh-Element keinen Status eines Quantors zuweisen (vgl. z. B. die Fragesemantik von Groenendijk & Stokhof 1984, Reinhart 1997, Krifka 2001).74 2001). Grewendorfs (2001) und Richards (1997) Analyse haben etwas gemeinsam: Beide whElemente werden oberhalb des interrogativen Komplementierers C° positioniert. Dagegen wird bei Rudin (1988) nur das äußere linke wh-Element in Spec, CP positioniert, während alle anderen wh-Elemente an den finiten Satz adjungiert werden. Obwohl man aus allen Analysen schließen kann, dass in den slawischen Sprachen alle wh-Elemente in Fragen Matrixsatzskopus haben, weil sie oberhalb des finiten Satzes stehen, kann man nicht aus allen Analysen schließen, dass alle wh-Elemente Skopus über den interrogativen Komplementierer C° haben (vgl. z. B. Rudin 1988). 74 Genau aus diesem Grund ist der Ansatz von Groenendijk & Stokhof (1984) problematisch, weil dort Fragesätze weder als Mengen von Propositionen interpretiert werden, noch haben wh-Elemente dort den Status eines Existenzquantors (vgl. Lohnstein 2000: 56). In diesem

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass multiple wh-Elemente in der vorgestellten Fragesemantik von H&K den lexikalischen Eintrag eines Existenzquantors haben. Die­ser Existenzquantor hat in Fragesätzen Skopus über die propositionale Variable, die syntaktisch über dem finiten Satz (und damit semantisch über die Proposition) positio­niert wird (in C° im Rahmen der Generativen Grammatik). Dementsprechend wird der Skopusbereich des Fragepronomens auf LF in Spec, CP abgebildet. Ich habe gezeigt, dass in der Literatur einige Beschränkungen bezüglich des Vorkommens von multiplen wh-Elementen in Fragen formuliert werden: Multiple wh-Elemente sind mit einem Intervenierer komplementär, wenn dieser auf der Oberflächenebene zwischen dem ers­ten whElement und dem zweiten wh-Element steht. Intervenierer haben nach Beck (1996) und Sauerland & Heck (2003) meistens quantifikationelle Eigenschaften (z. B. Quantoren wie jeder, keiner, etc.). Auf diese Art und Weise könnte der Typ 6-neg erklärt werden.

3.2.4.2 Exhaustivität von Fragen In der Literatur wird die schwache Exhaustivität von Fragen im Rahmen der H&K-Fra­ gesemantik kritisiert (vgl. Groenendijk & Stokhof 1984). H&K zufolge ist ein Fragesatz schwach exhaustiv (vgl. zum Begriff der Exhaustivität in 2.1.3), während ein Fragesatz Groenendijk & Stokhof (1984) zufolge als stark exhaustiv interpretiert werden sollte. Diese Kritik trifft jedoch nicht auf alle Fragesätze zu, weil es auch schwach exhaustive Fragen gibt (vgl. Fragen mit der Partikel so/par exemple in 2.1.3). Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass die (+/– starke) Exhaustivität keine inhärente Eigenschaft von Fragesätzen bildet (vgl. auch Heim 1994, Beck & Rullmann 1999).

3.2.4.3 D-linking und pragmatische Erklärungsversuche von Bmw-Effekten Die H&K-Fragesemantik unterscheidet nicht zwischen +/– diskursgebundenen bzw. +/– D-linked wh-Fragen. Pesetsky (1987), Obenauer (1994), Comorovski (1996), Büring (1997), Erteschik-Shir (1997/2007), Krifka (2001) zufolge können ausschließlich D-linked wh-Elemente in Fragesätzen mit multiplen wh-­ Elementen vorkommen. Erteschik-Shir (1997) und Büring (1997) nehmen an, dass Fragesatzmodell sollte es keine Interventionseffekte geben, weil Fragen mit Intervenierern stets als spezifische Propositionen interpretierbar sind: i. Ich frage mich, wer ihm/*keinem was erklärt hat. (Sauerland & Heck 2003). Antworten auf die ungrammatische Frage in i. nach Groenendijk & Stokhof (1984): Maria hat keinem das erklärt, Peter hat keinem jenes erklärt,…



Kompositionelle Ableitung einer einfachen wh-Frage 

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die folgende grammatische Frage in a. aus der Verbindung von mehreren Teilfragen in b. besteht (das Fragezeichen ? symbolisiert den Frageoperator): (292) a. Who ate what? b. What about Fred? What did he eat? & What about Mary? What did she eat?...≈ ?yAte(Fred, y) & ?yAte(Mary, y) In der Literatur werden solche about NPs als aboutness Topics definiert, d. h. es handelt sich um ‘logische Subjekte’ des Satzes, über die etwas durch einen Kommentar (engl. comment) prädiziert wird: (293) [Who]Topic [ate what]Comment? Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nach der D-linked Theorie grammatische Fragen mit multiplen wh-Elementen immer mindestens ein wh-Element implizieren, das eine Topikfunktion hat (vgl. Comorovski 1996, Erteschik-Shir 1997/2007). Einige der genannten Autoren gehen davon aus, dass wh-Phrasen mit the hell Partikeln non-D-linked sind, d. h. sie haben keine Topikfunktion und beziehen sich nicht auf bekannte Individuen aus dem Diskurs, und aus diesem Grund sind sie in Fragen mit multiplen wh-Elementen nicht lizenzierbar (Comorovski 1996): (294) *? Who the hell read which book?

(Comorovski 1996: 96)

Welchen Status haben Partikeln wie the hell und warum geht dieser Status mit einer bestimmten Eigenschaft einher, die in der Literatur häufig als non-D-­linked bezeichnet wird? Krifka (2001) gibt eine informelle Antwort auf diese Frage. Ihm zufolge kann das wh-on-earth-Element in (295) nicht mit einer kontextuell beschränkten Menge von Entitäten assoziiert werden, d. h. solche wh-Elemente sind inhärent non-D-Linked (vgl. auch Pesetsky 1987, Comorovski 1996). (295) Who on earth broke the vase/*what? Die fehlende Diskursgebundenheit von wh-on earth Elementen hat Krifka (2001) zu­folge etwas mit der Erweiterung (Widening vgl. 3.3) zu tun (Krifka 2001: 307). Die Eigenschaft der Erweiterung steht in Konflikt mit der Annahme, dass wh-Elemente in Fragen mit multiplen wh-Elementen D-linked sein müssen (vgl. ebd). Die +/– D-linked Spezifizierung von wh-Fragen ist eine wichtige Beobachtung, jedoch kann man daran zweifeln, dass sie den Bmw-Effekt zufriedenstellend erklärt. Aus der D-linked Erklärung folgt die Vorhersage, dass der Sprecher keine Fragen äu­ßern kann, die Relationen über Individuen ausdrücken können, die dem Sprecher zum Zeitpunkt der Äußerung unbekannt sind. Das folgende Beispiel und seine Interpretation in Klammern zeigen, dass diese Vorhersage nicht erfüllt wird:

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

(296) […], dass das Wollen aller einzelnen der letzte Bezugspunkt für die Rechtfertigung eines politischen Systems ist. Und wer kann dem heute mit welchen Gründen widersprechen? Mir jedenfalls erscheinen die Alternativen finster. (Für alle Propositionen der Form: x kann aus dem Grund y widersprechen, gilt, sie sind dem Sprecher unbekannt.)  ([ZEIT 10/(1983: 46] zitiert in Meibauer (1999: 110), Klammern O. K.) Außerdem bleibt offen, wie der Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen (vgl. Typ 1-Exkl und Typ 2-Exkl-che) nach der D-linked Theorie erklärt werden kann. Erstens haben wh-Exklamativsätze (im Gegensatz zu wh-the-hell-Fragen) immer eine existentielle Präsup­position (vgl. auch Portner & Zanuttini 2000: 224): (297) Was für ein interessantes Buch du liest! Präsupposition: Es gibt ein Buch, das du liest. Da wh-Exklamativsätze aufgrund der existentiellen Präsupposition D-linked sind (vgl. auch Portner & Zanuttini 2000: 224), kann die D-linked Theorie den Bmw-Ef­ fekt in wh-Exklamativsätzen nicht erklären. Ein weiteres empirisches Argument für den D-linked Charakter von whExklamativsätzen ist die Pronominalisierbarkeit von wh-Elementen (vgl. (299)), die in typischen non-D-linked wh-Fragen unmöglich ist (vgl. (298)): (298) A: Chi mai sposerebbe una brutta? ‘Wer würde schon eine hässliche Frau heiraten?’ B: * Lo conosco? ‘Kenne ich ihn?’ (299) A: Che bella ragazza che ha sposato! A: ‘Was für ein schönes Mädchen er geheiratet hat!’

B: La conosco? B: ‘Kenne ich sie?’

Drittens kann der Quantifikationsbereich von wh-Phrasen in wh-Exklamativsätzen auf eine bestimmte Gruppe von Personen restringiert werden (vgl. Hervorhebung), während typische non-D-linked Fragen den Quantifikationsbereich eher erweitern (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002): (300) Quanti di noi magari crescendo cambiando insegnanti cambiando scuola hanno trovato bellisima una disciplina che prima non amavano (Tanti) ‘Wie viele von uns haben angefangen eine Disziplin zu mögen, die sie früher nicht mochten! (Viele)’  (C-ORAL ROM [inatpe 03], Klammer und Hervorhebung O. K.) Viertens bleibt es offen, wie man die Abwesenheit eines Bmw-Effektes in wh­Exklamativsätzen anderer Sprachen (vgl. 3.1.3) erklären kann. Da die +/–Dlinked Ei­ genschaft von wh-Exklamativsätzen eine pragmatische und damit sprachübergreifende Eigenschaft ist, kann man Sprachunterschiede in Bezug



Widening-Analysen von NPIs und Exklamativsätzen 

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auf den Bmw-Effekt nicht auf diese Eigenschaft zurückführen. Außerdem habe ich bei der Beschreibung von Spaltfragen gezeigt, dass auch diese als D-linked analysiert werden können (vgl. 2.1.3). Folglich kann die D-linked Theorie den Bmw-Effekt in Spaltfragen (vgl. Typ 3-Spalt) auch nicht erklären. Aus diesem Grund gibt es Zweifel darüber, dass die Diskursgebun­denheit allein eine Rolle beim Bmw-Effekt spielt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorgestellten Probleme und Kritikpunkte der H&K-Fragesatzsemantik nicht unlösbar sind.

3.3 Widening-Analysen von NPIs und Exklamativsätzen In diesem Unterkapitel geht es hauptsächlich um NPIs, weil einige Elemente, die für den Bmw-Effekt verantwortlich sind (z. B. das Element mai), als NPIs analysierbar sind (vgl. Obenauer & Poletto 2000). Es ist unmöglich, die Literatur zu NPIs vollständig darzustellen, weil das den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Aus diesem Grund reduziert sich meine Darstellung von NPIs auf einige zentrale Ansätze, die in der Literatur zu NPIs häufig zitiert werden (Kadmon & Landman 1993, Krifka 1995, Chierchia 2004). Zunächst werden allgemeine Definitionen von NPIs in Aussagesätzen vorgestellt (vgl. 3.3.1). Danach wird sich zeigen, welche Funktion NPIs in Fragen haben (3.3.2). In diesem Abschnitt wird eine NPIAnalyse von Partikeln wie the hell in Fragen präsentiert (vgl. Typ 4). Es wird sich herausstellen, dass wh-Exklamativsätze und Fragesätze mit NPIs ähnlich ana­ lysiert werden können (vgl. 3.3.3).

3.3.1 NPIs in Aussagesätzen Chierchia (2004/2011) geht in Anlehnung an Kadmon & Landman (1993) und Krifka (1995) davon aus, dass NPIs wie any die Bedeutung eines Existenzquantors haben. Das indefinite Pronomen anything hat die gleiche Bedeutung wie das indefinite Pronomen something, da es einen Existenzquantor repräsentiert, der über eine Domäne quantifiziert, die durch das Prädikat thing charakterisiert ist: (301) anything/something = λP $x [thing (x) Ù P (x)] Der zentrale Unterschied zwischen NPIs wie anything und Indefinita wie something besteht darin, dass die Quantifikationsdomäne der Existenzquantoren von NPIs erweitert wird (vgl. engl. Widening von Kadmon & Landman 1993). Der Begriff Widening besagt, dass eine NPI wie z. B. any eine Menge von Elementen x

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einführt (x Î D2), die man im Vergleich zu einer Vergleichsmenge D1 als erweitert bezeichnen kann, in dem Sinn, dass die Menge D1 in der erweiterten Menge D2 enthalten ist (D1 Í D2): (302) a. I don’t have any potatoes. b. D1: {cooking potatoes} (narrow domain) c. D2: {cooking potatoes, non-cooking potatoes} (widened domain)  (Kadmon and Landman 1993: 359) Die erweiterte Domäne D2 (bzw. D bei Chierchia 2011) wird definiert als die Ge-samtmenge von Untermengen D1. Die Untermenge enthält z. B. alle Kochkartoffeln, während die erweiterte Menge alle möglichen Sorten von Kartoffeln enthält. In dem o. g. Beispiel besteht die Untermenge aus genau einer Sorte von Kartoffeln, d. h. es ist eine Einermenge, die durch eine einzige Sorte von Kartoffeln definiert ist (engl. Singleton Set). Aus Einfachheitsgründen werde ich in der folgenden Darstellung davon ausgehen, dass die Untermenge D auf eine Einermenge restringiert ist ($xÎ {a}). Der folgende lexikalische Eintrag für any besagt, dass der Existenzquantor über eine erweiterte Domäne D quantifiziert: (303) any = λPλQ$xÎD [Pw(x) Ù Qw (x)] Zusätzlich geht Chierchia (2011) davon aus, dass NPIs im Gegensatz zu Indefinita wie something/somewhere eine Fokusinterpretation haben, d. h. NPIs führen eine Alternativenmenge ein (repräsentiert als ALT(any) = {….}). Die Alternativenmenge von any enthält alternative Propositionen. Der folgende Aussagesatz assertiert, dass eine Person, die durch die erste Person Singular I ausgedrückt wird, keine Kartoffeln hat, und die Alternativenmenge des Aussagesatzes besagt, dass die Person I jede spezifische Sorte von Kartoffeln ebenfalls nicht hat: (304) I don’t have any potatoes. i. Assertion: ¬ $xÎD [potatosw(x) Ù I havew (x)] ‘I don’t have any potatoes’ ii. ALT (any) = {I don’t have cooking potatoes, I don’t have baked potatoes…} Über die Alternativenmenge kann man sagen, dass sie keiner leeren Menge entsprechen darf und dass sie exhaustiv ist, d. h. die Menge von spezifischen Enti­ täten (z. B. von spezifischen Kartoffeln wie Backkartoffeln, etc.) muss vollständig sein. Diese Annahme ist intuitiv nachvollziehbar, denn es wäre falsch zu sagen: I don’t have any potatoes, but I have cooking potatoes. Chierchia drückt die Exhaustivität durch einen koverten Exhaustivitätsoperator O aus (O steht bei ihm für die Abkürzung only), der besagt, dass für alle Alternativen O(ALT(ɸ)) gilt, sie sind Teil der Alternativenmenge, ansonsten ist O(ALT(ɸ)) unbestimmt. Die Exhaustivierung kann damit formal wie folgt ausgedrückt werden:



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(305) I don’t have any potatoes. i. Assertion: ¬ $xÎD [potatosw(x) Ù I havew (x)] ‘I don’t have any potatoes’ ii. ALT(any) = {I don’t have cooking potatoes, I don’t have frozen potatoes…} iii. Exhaustification: O (I don’t have anyFokus potatoes) wörtlich: Für alle (Sorten von) Kartoffeln gilt, ich habe sie alle nicht. Chierchias Analyse von NPIs wie any in Aussagesätzen geht mit der Annahme konform, dass NPIs in monotonfallenden Kontexten lizenziert werden (vgl. Ladusaw 1980).75 Ich halte die wichtigsten Eigenschaften von NPIs fest: i. Sie haben die Bedeutung von Indefinita (z. B. something), d. h. es sind semantisch gesehen Existenzquantoren, die im Gegensatz zu Indefinita wie something über eine erweiterte Domäne D quantifizieren. ii. NPIs führen eine Alternativenmenge ein, ALT(any), die im Falle von NPIs wie any exhaustiviert wird (die Exhaustivität wird durch einen koverten O-Operator repräsentiert). iii. NPIs werden in monotonfallenden Kontexten lizenziert (vgl. Ladusaw 1980).76

3.3.2 NPIs in Fragesätzen mit the hell-Partikeln Den Dikken & Giannakidou (2002) gehen davon aus, dass wh-the-hell-Elemente NPIs sind, vergleichbar mit NPIs wie any. Begründet wird diese Annahme damit, dass diese Elemente nicht in Fragesätzen auftreten, die von faktivischen Prädikaten eingebettet werden (vgl. Den Dikken & Giannakidou 2002). Dies ist insofern aussagekräftig, als dass faktivische Prädikate nicht zu den NPI lizenzierenden

75 Die Gegenthese zu Ladusaws Theorie ist, dass NPIs nicht nur in monotonfallenden Kontexten lizenziert werden (vgl. Giannakidou 1997). Diese Gegentheorie ist für die erste Vorstellung von NPIs in Aussagesätzen, die eine Negation enthalten, nicht relevant. 76 Diese These ist zu stark formuliert, wie bereits Giannakidou (1997) gezeigt hat, weil NPIs nicht nur in monotonfallenden Kontexten lizenziert werden. Sie werden auch in Fragesätzen lizenziert und Fragesätze sind keine monotonfallenden Kontexte, weil der spezifischere Fragesatz in i. b. nicht logisch aus dem allgemeineren Fragesatz in i. a. folgt, d. h. der allgemeinere Fragesatz i. a. impliziert nicht den spezifischen Satz in i. b. Anders gesagt: es ist nicht der Fall, dass wenn der Fragesatz i. a. die wahre Antwort Peter ist heute angekommen hat, dann muss auch der Fragesatz i. b. diese Antwort haben: i. a. Welcher Gast ist heute angekommen?  b. Welcher Gast ist heute in der Früh angekommen? Es gibt jedoch einige Versuche in der Literatur, auch Fragesätze als monotonfallende Sätze ­abzuleiten (vgl. Nicolae 2015).

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Prädikaten gehören, weil sie die Wahrheit ihres Komplementsatzes präsupponieren (vgl. Giannakidou 1997):77 (306) I *(don’t) know who the hell would buy that book. (Den Dikken & Giannakidou 2002: 33) Den Dikken & Giannakidou (2002) gehen davon aus, dass wh-the-hell-Fragen eine negative Aussage ausdrücken, die präsupponiert und nicht assertiert ist (vgl. dagegen Meibauer 1999, Han 2002, die für eine indirekte Assertion der negativen Aussage in solchen Fragen argumentieren): (307) Who the hell talked to Ariadne? "x Î {person}: it is not true that x talked to her or it should not be true that x talked to her = presupposition. Die Allaussage folgt ihnen zufolge aus dem Widening Begriff von Kadmon & Landman (1993). Wendet man diesen Begriff auf wh-the-hell-Fragen an, dann enthält der Quantifikationsbereich der Frage nicht nur bekannte Individuen, sondern auch unbekannte Individuen: “The domain of who the hell is the open set including all persons in the universe, and all possible values are available for x, even less likely or prototypical ones.” (Den Dikken & Giannakidou 2002: 43). Den Autoren zufolge hat eine wh-the-hell-Frage die gleiche semantischen Repräsentation wie eine wh-Frage im Rahmen von Karttunen (1977), d. h. sie denotiert die Menge aller wahren Antworten: (308) Who the hell talked to Ariadne? λp∃x Î D [p(w) & person (x) (w) & p = λw (talked x (Ariadne) w))]  (Den Dikken & Giannakidou 2002: 43)

77 Horn (2001) weist darauf hin, dass solche Ausdrücke wie the hell/the fuck/in the name of all that’s holy, in God’s name/in the world nicht primär von der Negation eines faktivischen Prädikats wie know lizenziert werden, sondern davon, dass der Sprecher keinen Grund zu der Annahme hat, dass etwas der Fall sein sollte. Er nennt diesen Kenntnissmangel des Sprechers „epistemic impoverishment“ (vgl. Horn 2001: 183). Die folgenden Beispiele zeigen, dass, obwohl das faktivische Prädikat know negiert wird, die Partikel the hell nicht lizenziert wird, weil der Hauptsatz als Ganzes kein „epistemic impoverishment“ ausdrückt: i. (I d’like to know /*I wouldn’t like to know) who the hell you think you are. Das folgende Beispiel aus Merchant (2001) bestätigt Horns Hypothese, weil es zeigt, dass ein faktivisches Verb die Partikel the hell im Englischen lizenzieren kann, wenn das Subjekt des faktivischen Verbs auf Gott referiert und damit ausdrückt, dass keiner außer Gott etwas wissen kann: ii. He was talking, but God knows who the hell to.



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Dies sollte verwundern, da wh-the-hell-Fragen gerade nicht unter faktivische Prädikate eingebettet werden können (vgl. (306)). Dagegen fallen Karttunens (1977) Fragen alle unter faktivische Prädikate. Dieses Problem lösen die Autoren wie folgt. Sie gehen davon aus, dass wh-the-hell-Fragesätze zusätzlich eine negative Haltung (engl. negative attitude) ausdrücken, die besagt, dass jede wahre Antwort nicht wahr sein sollte (Den Dikken & Giannakidou 2002: 43). Just auf dieser modalen Interpretationsebene werden NPIs wie the hell lizenziert: (309) Presupposition of negative attitude of wh-the hell In the actual world w: If ∃x [P (x) (w) & Q (x)(w)] ® SHOULD NOT Q (x)(w), for all possible values of x. (where x is the variable of wh-the hell, P is the property denoted by the wh-the hell phrase, and Q is the property denoted by the VP) An dieser Stelle sollte der Zusammenhang zu Modalpartikeln wie schon, denn, wohl, etc. erwähnt werden. Modalpartikeln können ebenfalls die Einstellung des Sprechers, dass p nicht der Fall sein sollte oder dass p zweifelhaft ist, kodieren (vgl. die sogenannte epistemische Modalität bei Meibauer 1986, 1994, 1999, Zimmermann 2004 und 2.3.1.3). In dieser Hinsicht teilen Modalpartikeln und NPIs eine zentrale Eigenschaft. Der große Unterschied zwischen Modalpartikeln und NPIs ist der, dass NPIs als Existenzquantoren mit einer erweiterten Quantifikationsmenge definiert werden und die Alternativen dieser erweiterten Domäne Chierchia zufolge von einem Fokusoperator (z. B. exhaustiven Fokusoperator O) evaluiert werden. Modalpartikeln werden dagegen nicht als Existenzquantoren definiert (vgl. Mei­ bauer 1986, 1994, Coniglio 2011). Außerdem ist in der Modalpartikelforschung nicht ganz klar, wie Modalpartikeln mit Fokus interagieren (vgl. ebd). Es wird dort zwar eine gewisse Verbindung zum Fokus eingeräumt. So heißt es z. B. bei Thurmair (1989), dass Modalpartikeln auf fokussierte Elemente reagieren (vgl. Thurmair 1989, Meibauer 1994). Eine Präzisierung der Verbindung zum Fokus fehlt. Aufgrund der semantisch-lexikalischen Analogie zu der englischen Partikel the hell könnte man vermuten, dass eine ganze Reihe von italienischen und französischen Partikeln cavolo/cazzo/diavolo/diable NPIs sind und damit eine ähnliche Analyse verlangen. Zumindest scheint die Widening-Analyse einige Daten erklären zu können. Wie im empirischen Teil gezeigt wurde, taucht die Partikel mai in Fragen bevorzugt auf, die mit einer bestimmten Spezifikation des Verbs einhergehen (z. B. Modalverben). Die Erklärung dafür ist, dass Modalverben im Gegensatz zu Verben im Perfekt die Alternativenmenge der Frage erweitern. Modalverben wie können werden gebraucht, um über Möglichkeiten zu reden. Sie quantifizieren über Welten: w0, w1, w2 und sagen aus, dass es mindestens eine Welt gibt, für die der Sachverhalt, der durch die Proposition des Satzes ausgedrückt wird, zutrifft. Negiert man einen Satz mit einem Modalausdruck und die

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Negation hat Skopus über das Modalverb, dann negiert man die Existenz jeder möglichen Welt, für die ein Sachverhalt gilt: (310) Es ist unmöglich, dass Maria sterben wird. =  ‘Für keine Welt w gilt, Maria wird in w sterben.’ Aus diesem Grund haben negativ-rhetorische Fragen eine viel größere Alternativenmenge mit Modalverben als z. B. perfektive Verben, die auf ein bestimmtes Ereignis referieren und damit die Alternativenmenge viel mehr einschränken: (311) Cosa mai si può fare in una situazione del genere? Non si può fare niente. ‘Was kann man schon in so einer Situation machen? Man kann nichts machen.’ Erwartete Antwort: für keine Welt w gilt, man kann dort etwas machen. [SSLMIT] Der relevante Unterschied zwischen der erweiternden Funktion der Partikel mai und der erweiternden Funktion von Modalverben besteht darin, dass die Erweiterung unterschiedlichen Skopus hat: im Falle der Partikel mai wird die Alter­ nativenmenge des wh-Quantors erweitert (d. i. auf alle mögliche Sachen in (311)), während im Falle von Modalverben die Domäne der Weltvariable erweitert wird, weil Modalverben über Welten quantifizieren (d. i. für jede Welt w gilt, man kann in w x machen, vgl. (311)). Trotz der Vorteile einer Widening-Analyse von wh-Fragen mit Partikeln wie the hell müssen noch einige Fragen beantwortet werden. Den Dikken & Giannaki­ dou (2002) nehmen an, dass wh-the hell mit any im Englischen vergleichbar ist. Diese Annahme ist jedoch nicht unproblematisch. NPIs wie anywhere verhalten sich syntaktisch anders als wh-the hell Elemente. Erstere stehen in situ und Letztere ex-situ: (312) Where the hell are you going? You are not going anywhere. Dieser Unterschied gilt auch für das folgende Minimalpaar im Italienischen. Würden wh-Elemente mit mai/cavolo einen NPI-Status haben, dann würde man den folgenden Unterschied in der +/– Voranstellung nicht erklären können: (313) Chi mai/cavolo verrà? ‘Wer sollte schon kommen?’ Verra (mai) qualcuno? ‘Kommt jemand?’ Außerdem haben Fragepronomina einen weiteren Skopus als indefinite Pro­ nomina wie some und any (vgl. 3.2). Es gibt also einen Konflikt zwischen einer NPI Analyse wie anywhere und einer NPI Analyse von wh-the hell in Fragen, weil



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echte NPIs wie anywhere andere syntaktische und semantische Eigenschaften aufweisen als wh+the hell/cavolo/mai. Den Dikken & Giannakidou (2002) beobachten ebenfalls den Bmw-Effekt in englischen wh-Fragen, in denen wh-the hell in situ steht: (314) a. ?Who the hell caught what? vs.

b. *Who caught what the hell?

Den ungrammatischen Satz in b. leiten sie syntaktisch ab, indem sie eine whBewegung von wh-the hell an den Satzanfang postulieren (vgl. 3.1). Nun stellt sich die Frage, wa­rum grammatische Typen ohne Partikeln keinen Bmw-Effekt auslösen: (315) […], dass das Wollen aller einzelnen der letzte Bezugspunkt für die Rechtfertigung eines politischen Systems ist. Und wer kann dem heute mit welchen Gründen widersprechen? Mir jedenfalls erscheinen die Alternativen finster. ([ZEIT 10/(1983: 46] zitiert in Meibauer (1999: 110) Eine mögliche Hypothese ist, dass die Fokusmarkierung und die Syntax von Partikeln eine Rolle für den Bmw-Effekt spielt. Wenn man annimmt, dass diese Partikeln die Funktion haben, das vorangestellte wh-Element zu modifizieren und somit den Skopus der Alternativenmenge zu beschränken, die durch das wh-exsitu-Element eingeführt wird, dann könnte man den Bmw-Effekt aus der In­teraktion zwischen der formalen Ebene und der interpretativen Ebene ableiten. Diese Hypothese wird in Kapitel 6 genauer präzisiert.

3.3.3 Widening in wh-Exklamativsätzen Im Folgenden soll die Widening Analyse von wh-Exklamativsätzen von Portner & Zanuttini (2000/2003) vorgestellt werden (vgl. auch Rodriguez (2008) zu whExklamativsätzen im Spanischen). Die Autoren gehen davon aus, dass wh-Exklamativsätze eine Alternativenmenge von wahren Propositionen denotieren, so wie es die Fragesemantik von Karttunen (1977) voraussetzt (vgl. Portner & Zanuttini 2003: 52): (316) [[ che roba/cossa che l magna!]]w (Padua) ‘Was der (alles) isst!’  = {p: p is true in w and ∃x [p = ‘he eats x’]}  = {‘he eats poblanos’,‘he eats serranos, ‘he eats jalapeños’} Die Wahrheit der Propositionen wird in norditalienischen wh-Exklamativsätzen den Autoren zufolge durch den Komplementierer che kodiert, der einen

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Faktivitätsmarker repräsentieren soll. Dieser Marker lizenziert einen koverten FACT-Operator in der Syntax. Der koverte Operator FACT und der Komplementierer che stehen in einer Phrase, die tiefer liegt als die wh-Phrase: (317) [CP wh-Phrase [C Ø [CP FACT C’ [C che ] IP ….]]] (Portner & Zanuttini 2003: 64) Grimshaw (1979), Portner & Zanuttini (2003) zeigen, dass englische wh-Exklamativsätze nur unter faktivische Prädikate wie I know und nicht unter kontra-faktivische Prädikate wie I don’t know einbettbar sind: (318) I (*don’t) know how really nice she is. Die genannte Fragedenotation in (316) allein unterscheidet wh-Exklamativsätze noch nicht von wh-Fragen. Wird zu der bekannten Alternativenmenge ein neues Element hinzugefügt, z. B. dass er habanero isst, dann folgt den Autoren zufolge, dass alle Alternativen wahr sind, d. h. dass er alles isst und dass er sogar habanero isst, d. h. dass habanero im Vergleich zu allen anderen Alternativen auf der Skala der Wahrscheinlichkeit auf der niedrigsten Stelle eingestuft wird (die unwahrscheinlichste Proposition wird hier unterstrichen): (319) [[cossa/che roba che l magna]]w = {‘he eats poblanos’,‘he eats serranos’, ‘he eats jalapeños’, ‘he eats habanero’ }78 An dieser Stelle sei an unsere Analyse der wh-NP-Exklamativsätze (z. B. Was für ein Mann!) in 2.2 erinnert, die wie die Analyse von Portner & Zanuttini (2003) eine skalare Ordnung von Alternativen für wh-NP-Exklamativsätze vorsieht. Allerdings werden in wh-NP-Exklamativsätzen wie z. B. Was für einen Mann Marie geheiratet hat! nicht Individuen geordnet (*{Marie hat Markus geheiratet, Marie hat Tom geheiratet,… }, sondern Eigenschaften von Individuen oder besser gesagt Propositionen, die etwas über Eigenschaften von Individuen aussagen ({Marie hat einen starken Mann geheiratet, Marie hat einen attraktiven Mann geheiratet, …. }). Eine dieser Alternativen ist nach unserer Analyse unerwartet, z. B. dass Marie 78 Die formale Repräsentation von Widening in wh-Exklamativsätzen lautet wie folgt. Die Erweite­rung drückt eine teilweise geordnete Relation zwischen Domänen D2 und D1 aus, d. h. alle essbaren Gegenstände, die unter die Domäne D1 fallen, sind wahrscheinlicher > als alle essbaren Gegenstän­de, die unter die Domäne D2 fallen. Die Domäne D2 enthält alle unerwarteten bzw. neuen Gegen­stände (vgl. Portner & Zanuttini 2003): i. Widening: For any clause S containing Rwidening, widen the initial domain of quantifica­ tion for Rwidening, D1, to a new domain, D2, such that (i) ‖S‖w, D2, < − ‖ S‖w, D1,< ϴ; and (ii) "x"y[(x Î D1 & y Î (D2 – D1)) ® x< y].



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einen attraktiven Mann geheiratet hat. In Kapitel 5 wird die skalare Analyse von wh-NP-Exklamativsätzen genauer erläutert und der Bmw-Effekt im Rahmen der skalaren Analyse erklärt. Portner & Zanuttini (2003) gehen zwar auf die Existenz von Bmw-Effekten in engli­schen wh-Exklamativsätzen des Typs *What a nice man loves what a nice woman! (Typ 1-Exkl in 1.2.2) in einer Fußnote ein (vgl. Portner & Zanuttini 2003: Fn. 40). Allerdings er­klären sie die Agrammatikalität nicht.

3.4 Schnittstellenbasierte Interventionseffektanalysen 3.4.1 Becks Erklärung Um Becks (2006) Analyse von Interventionseffekten vorstellen zu können, muss man kurz auf Rooth (1985) eingehen, weil ihre Analyse auf seiner Fokussemantik aufbaut. Rooth (1985) geht davon aus, dass Fokuselemente zwei Interpretationen haben, eine gewöhnliche Interpretation (engl. ordinary semantic value) und eine Fokusinterpretation (engl. focus semantic value), die parallel berechnet werden: (320) JohnFocus left. a. John left. (gewöhnliche Interpretation) b. {John left, Mary left, Peter left} (Fokusinterpretation) Die gewöhnliche Interpretation einer Konstituente oder eines Satzes symbolisiert Beck (2006) (anders als Rooth 1985) durch die Belegungsfunktion g und die Fokusinterpretation einer fokussierten Konstituente (z. B. JohnFokus) wird bei ihr dagegen mittels einer extra dafür ausgewiesenen Funktion h zugewiesen (vgl. auch Kratzer 1991): (321) Function Application: If X = [Y Z] then for any g, h: [[X]]g = [[Y]]g ([[Z]]g) and [[X]]g, h = [[Y]]g, h ([[Z]]g, h) (Beck 2006: 14) Beide Interpretationen in (320)a.und b. werden parallel kompositionell abgeleitet: (322) a. ‖left‖g (‖John‖g) = λx. left (x) (‖John‖g ) = left (g(1)) b. ‖left‖g, h (‖JohnFokus‖g, h ) = λx. left (x) (‖JohnFokus‖g, h ) = left (h(1)) Die Alternativen einer fokussierten Konstituente sind durch den Kontext beschränkt. Diese Beschränkung wird durch C(ontext) ausgedrückt, das ein Symbol für eine Menge von kontextuellen Alternativen darstellt: (323) JohnFokus left. C = {Mary left, Peter left}

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Rooth geht weiterhin von einem Fokusoperator ~ aus. Dieser Operator hat einen propo­sitionalen Skopus, d. h. er hat Skopus über den ganzen Satz (repräsentiert in […]): (324) ~ C [IP JohnFokus left] Der Fokusoperator „verbraucht“ die Alternativen aus der kontextualisierten Alternativenmenge C, indem er den Fokuswert der Konstituente, die er einbettet, auf einen gewöhnlichen Wert absetzt bzw. „resettet“. Auf diese Art und Weise werden keine Alternativen angehäuft, die nicht interpretiert werden. Rooths (1985) Annahme, derzufolge jeder Satz mit einem Fokusausdruck XPFokus einen (k)overten Fokusoperator auf einer bestimmten Repräsentationsebene impliziert, teilen auch andere Linguisten (vgl. Jacobs 1984, Chierchia 2004).79 Beck (2006) analysiert ungrammatische Daten in unterschiedlichen Sprachen, die durch Fokusadverbien wie only, even ausgelöst werden. Das klassische Beispiel eines Inter­ventionseffektes kann anhand des Französischen demons­ triert werden (vgl. Hamlaoui 2010 für solche Beispiele): (325) *Même/Juste [le chat]Fokus sogar/nur die Katze

a mangé quoi? hat gegessen was

Beck (2006) zufolge ist die folgende Repräsentation der Oberflächenstruktur nicht interpretierbar, wenn sie einen Fokusoperator enthält (repräsentiert als ~), der zwischen dem Frageoperator C[Q] und dem wh-Element interveniert: (326) *[CP C[Q]…[ ~ [TP… XPFokus… wh…]]] PF Der Grund für den Interventionseffekt ist folgender: Wenn ein Fokusoperator einen Ausdruck einbettet, in dem ein wh-Element steht, dann „verbraucht“ der Fokusoperator ~ die Alternativen des wh-Elementes, das eine Fokusvariable trägt. Der Fokusoperator fängt die Alternativen vor dem Frageoperator ab, interpretiert sie und reicht die Alterna­tiven nicht mehr nach oben in den Strukturbaum zum Frageoperator C°[Q] weiter, so dass der Frageoperator ohne Alternativen leer ausgeht, was den Interventionseffekt ver­ursacht, d. h. der Frageoperator hat nichts mehr zum Evaluieren. Der Fokusoperator leitet die Alternativen nicht weiter, weil der Argumentsatz eines jeden Fokusoperators (die TP in (326)) nicht nur eine alternativensemantische Interpretation, sondern auch eine gewöhnliche 79 Es gibt jedoch auch Autoren, die davon ausgehen, dass es auch ungebundene bzw. freie Fokusausdrücke gibt (vgl. die Auseinandersetzung verschiedener Ansätze zu diesem Punkt bei Krifka 2007). Jacobs (1984) weist den Begriff des freien Fokus entschieden zurück. Er nimmt an, dass Fokusalternativen immer gebunden werden (z. B. in letzter Instanz von einem illokutiven Operator).



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Interpretation hat. Diese gewöhnliche Interpretation des Argumentsatzes stoppt den Prozess der Weiterleitung der Alternativen an den Frageoperator (an CQ in (232)). Beck (2006) beschreibt diesen Mechanismus wie folgt „it [~] resets the focus semantics to the ordinary semantics.“ (Beck 2006: 17, Klammer von O. K.). Ich will diese Regel am französischen Beispiel erläutern. Der französische Satz in (325) wird mit der folgenden Struktur korreliert, die auf der semantischen Ebene interpretiert wird: (327) *[C°[Q] [même/juste[~ [ le chatFokus a mangé quoi]]]? Der Fokusoperator ~ bettet einen Ausdruck ein (genauer: c-kommandiert ihn), in wel­chem das wh-Element steht und verbraucht damit alle Alternativen, die durch das wh-Element beigesteuert werden, sodass der Frageoperator, der durch C°[Q] repräsentiert wird, keine Alternativenmenge mehr bilden kann. Das führt wiederum zur Nichtinter­pretierbarkeit des Fragesatzes. Nun ist es so, dass Fokuspartikeln wie même/juste im Rahmen der Fokussemantik von Rooth (1985) und Beck (2006) keine ~ Operatoren dar­stellen dürfen, weil diese Partikeln sonst lediglich Skopus über die definite Phrase hät­ten, denn syntaktisch c-kommandieren même/ juste die definite Phrase [même/juste [le chat]] ‘selbst/nur die Katze‘ und nicht den finiten Satz: (328) *[même/juste sogar/nur

[le chat die Katze

a mangé hat gegessen

quoi]] was

Dass même die definite Phrase und nicht den finiten Satz einbettet ([DP même [le chat]]), sieht man am besten an der Voranstellung der DP. Im Französischen wird die Voranstellung durch Spaltsätze realisiert. Allerdings sind Spaltsätze nur mit be­stimmten Fokuspartikeln kompatibel: (329) a. Max veut expliquer {juste/ aussi / même} les clivées. ‘Max would like to explain only/also/even the clefts.’ b. C’est {juste/ ? aussi / ?? même} les clivées que Max veut expliquer. ‘It’s only/also/even the clefts that Max would like to explain.’ (Lambrecht 2004: 50) Nimmt man das Italienische hinzu, dann sieht man, dass dort Fokuspartikeln wie persino/solo/anche an DPs oder PPs adjungiert werden können: (330) Persino/Solo/Anche a Mario sogar/nur/auch an Mario ‘Selbst/Nur/Auch Mario mag sie.’

la piace. la gefällt

Wenn die Fokuspartikel même/juste die DP c-kommandieren würde, dann würde sie den finiten Satz nicht mehr c-kommandieren und même/juste würde damit

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nicht mehr in die Relation zwischen C° und wh-Element intervenieren. Damit bliebe die Agrammatikalität nach Beck (2006) unerklärt: (331) *[CP C°[Q] [TP [DP même/juste [~ le chat]] [T’ a mangé quoi]]]] sogar/nur die Katze hat gegessen was Beck (2006) diskutiert die eben geschilderte Problematik der Interakton zwischen Syn­tax und LF nicht, sondern verweist in einer Fussnote auf die Prämisse, dass Fokusad­verbien wie only zumindest im Deutschen und Englischen propositionalen Skopus ha­ben: I assume that focus-sensitive operators like ‘only’ are attached to verbal projec­tions and clausal nodes (extended verbal projections), as argued in Büring & Hartmann (2001) and suggested earlier in Jacobs (1983) for German. This holds even for the cases of apparent DP adjunction in many of the intervention data. Crosslinguistic support for this comes from Lee’s (2004) arguments for an abstract ONLY in Korean. (Beck 2006: 14, Fn.7, Hervorhebung O. K.)80

Beck (2006) generalisiert den ungrammatischen Typ mit intervenierenden Fokusopera­toren auf eine allgemeine Beschränkung, die sie General Minimality Effect (GME) nennt, die im Grunde genommen eine semantische Reinterpretation von Rizzis (1990) syntaktisch definierter Relativitierter Minimalität (RM) ist. Die RM besagt ganz grob, dass Abhäng­igkeiten zwischen einem Operator X und einer Variable Y durch ein weiteres Element Z unterbrochen werden können, wenn Z zwischen X und Y interveniert und wenn Z ir­gendwelche Merkmale hat, die eine solche Dependenzrelation stören könnten, z. B. quantifizierende Merkmale [quant.]: (332) *[wh-Opj …[Z [quant.] [ …tj …]]] Becks GME besagt, dass Fokusoperatoren (~C) generell kein Element (XP) ein­ betten können, wenn XP für die Alternativenmenge eines weiteren Operators Op1 relevant ist, d. h. ~C kann nicht ignoriert werden:

80 Büring & Hartmann (2001) zeigen folgende Daten in i., die ihnen zufolge gegen die DP-Adjunktion von nur sprechen. Aus diesen Daten schließen sie auf die syntaktische Analyse in iii. (gegen ii.): i. [nur [CP dass MARIA Hans geküsst hat] wussten wir [VP tCP tv] ii. *[TP [Nur Hans] war betrunken] iii. ok [TP Nur [TP Hans war betrunken]] Bayer (2009) zeigt jedoch empirische Daten, die gegen die Generalisierung von Büring & ­Hartmann (2001) (die gegen die DP-Adjunktion von nur argumentieren) sprechen: iv. [EINE SEKUNDE nur] hat den monatelangen Kampf mit dem DeutschenTennis-Bund ... zunichte gemacht.



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(333) GME: The evaluation of alternatives introduced by an XP cannot skip an intervening ~ operator. *[Op1 …[~C [/ …XP1 …]]] (Beck 2006: 17) Ich halte also fest: Becks Analyse erklärt Interventionseffekte unter der Prämisse, dass a) der Fokusoperator ~ in (331) einen propositionalen Skopus hat, obwohl Fokus­partikeln wie même auf der syntaktischen Oberflächenebene eine DP einbet­ten, b) der Fokusoperator ~ ein wh-Element einbettet bzw. c-kommandiert c) der Fokusoperator ~ alle Alternativen, die durch das wh-Element beigesteuert werden, verbraucht und den Prozess der Weiterleitung der Alternativen an den Frageoperator in C[Q] stoppt sowie d) der Frageoperator C[Q] keine Alternativen zum Interpretieren hat und aufgrund dessen der ganze Satz nicht interpretierbar ist. Die semantische Erklärung von Beck (2006) gilt jedoch nur für fokusmarkierte Konsti­tuenten, die auf der Oberflächenstruktur zwischen dem interrogativen Komplementierer und dem wh-in situ stehen. Interventionseffekte, die in Verbindung mit einer Negation entstehen, werden von dieser Erklärung nicht erfasst (vgl. auch Mayr 2011/2014).

3.4.2 Mayrs Erklärung Mayrs (2011/2014) Erklärung von Interventionseffekten ist anders als bisherige Erklärungen in der Literatur (vgl. Rizzi 1990, Beck 2006, Hamlaoui 2010), weil Mayr (2011/2014) sehr stark die logischen Eigen­schaften von Fokuspartikeln und Quantoren berücksichtigt. Schauen wir uns zunächst an, wie Mayr folgende Unterschiede erklärt: (334) a. Wen hat wem niemand vorgestellt? b. *Wen hat niemand wem vorgestellt? Die beiden Beispiele haben laut Mayr die gleiche Fragebedeutung, die der Bedeutung von Fragen mit multiplen wh-Elementen von (H&K) entspricht:81 81 Durch diese Annahme unterscheidet sich Mayrs (2011/2014) Theorie von klassischen Erklärungen von Interventionseffekten (vgl. z. B. Heck & Sauerland 2003, Beck 2006). Gewöhnlich geht man in der Literatur davon aus, dass Fragen mit Interventionseffekten nicht einmal eine Fragedenotation haben, weil das wh-in-situ-Element bereits auf der Ebene der Denotation im Skopus eines quantifizierenden Elementes steht und aus diesem Grund nicht interpretierbar ist, da wh-in-situ-Elemente weiten Skopus haben sollten (vgl. 3.2.2).

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

(335) ‖(334) a/b‖{p: ∃x. ∃y [p = λw. ¬ ∃z[introducew (z, x, y)]]} Die Fragebedeutung in beiden Beispielen ist identisch mit einer Alternativenmenge von Propositionen, die anstelle von wh-Elementen Individuenterme enthalten, z. B. {niemand hat Petra Mark vorgestellt, niemand hat Petra Mario vorgestellt, etc.}. Aus der Alternativenmenge, bei der anstelle von wh-Elementen Individuenterme verwendet werden, wird nun eine Disjunktion von den Alternativen gebildet, die als Raum möglicher Antworten gesehen werden kann. In gewisser Weise stellt die Proposition, die aus der Disjunktion der Alternativen entspringt, die existentielle Präsupposition der Frage. Allerdings wird diese Prä­ supposition nicht von der Oberflächensyntax abgelesen, sondern wird aus der Disjunktion der Alternativen generiert: (336) λw. ∃x. ∃y. ¬∃z. [introducew (z, x, y)] (= Präsupposition aus der Alternativenmenge, kurz PA) ‘Es gibt ein x und ein y so dass gilt, niemand hat sie einander vorgestellt.’ Des Weiteren geht Mayr davon aus, dass die Präsupposition, die aus der Alter­ nativenmenge berechnet wird (vgl. (336)), mit einer zweiten Präsupposition abgeglichen wird, die aus der Oberflächenform abgelesen wird. Dabei wird ein­fach die Position der wh-Elemente zur Negation abgelesen, die den Skopus des Existenzquantors, der durch das wh-Element ausgedrückt wird, bestimmt. Aus dem strukturellen Unterschied in (334) folgt, dass die Präsuppositionen der Fragesätze unter­schiedlich sein müssen. In dem ungrammatischen Typ besagt die Präsupposition, dass es jemanden gibt, den niemand irgendjemandem vorgestellt hat: (337) λw. ∃x. ¬∃z. ∃y [introducew (z, x, y)]. (= Präsupposition aus der Oberflächenform in (334)b., kurz PO) Die Proposition in (337) ist jedoch nicht äquivalent mit der Proposition, die aus der Disjunk­tion der Alternativen folgt, welche aus der Fragedenotation hervorgehen (vgl. (336)). In dem grammatischen Fragesatz (334)a besagt die Proposition, dass es Individuen gibt, die nie­mand einander vorgestellt hat, und diese Proposi­ tion ist äquivalent mit der Disjunktion der Alternativen, die aus der Fragedenotation hervorgehen: (338) λw. ∃x. ∃z.¬∃y [introducew (z, x, y)]. (PA = PO in (334)a.) Mayr (2011) analysiert Interventionseffekte damit als fehlende Entsprechungen von Präsuppositionen: von der Präsupposition, die aus der Alternativenmenge hervorgeht (PA) und von der Präsupposition, die aus der Oberflächenform abgelesen wird (PO). Worin sich die beiden Bei­spiele in (334) nach Mayr unterscheiden,



Schnittstellenbasierte Interventionseffektanalysen 

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ist also nicht ihre Fragedenotation, sondern ihre Präsupposition. Die zentrale Frage ist jedoch, warum die Äquivalenz zwischen den Präsuppositionen wichtig ist bzw. wichtig sein soll. Ganz grob gesagt läuft Mayrs Erklärung darauf hinaus, dass Fragen mit Interventionseffekten wie z. B. in (334)b. nicht beantwortet werden kön­nen. Wenn ein wh-Element wie in (334)b. keine existentielle Präsupposition hat, dann kann eine Frage nicht beantwortet werden. Diesen Erklärungsansatz überträgt Mayr auch auf Interventionseffekte in Verbindung mit bestimmten Fokusoperatoren, die in ihrer Semantik eine Negation und/oder einen Allquantor implizieren. Diese Fokusoperatoren führen dazu, dass das wh-Element in situ keine existentielle Präsupposition haben kann. Die Fokuspartikel nur stellt einen sol­chen Fall dar: (339) a. *Wen hat nur der HANS wann angerufen?

b. Wen hat wann nur der HANS angerufen?

Mayr geht in Anlehnung an Horn (1969) von dem folgenden Eintrag für only aus und überträgt ihn auf die Partikel nur. Dieses Element wählt zwei Argumente: ein Set von kontextuell relevanten Alternativen g(C) und eine Proposition p. Only präsupponiert, dass p wahr ist und assertiert, dass alle Alternativen, die nicht p entsprechen, falsch sind. Der Satz nur der Hans hat Klaus eingeladen präsupponiert p, nämlich dass Hans Klaus eingeladen hat und assertiert, dass niemand außer Hans Klaus eingeladen hat. Also assertiert der Satz, dass weder Peter noch Maria Klaus eingeladen haben. Der lexikalische Eintrag sieht dementsprechend folgendermaßen aus: (340) ‖only‖ (g(C) (p) (w) = 1 iff " q Î g(C) [q(w) = 1 ® p⊆ q] if p(w) = 1, otherwise undefined Sowohl das grammatische Beispiel als auch das ungrammatische haben eine H/K-Denotation von Fragesätzen, wie sie in (341) abgebildet ist. Die Denotation kann in etwa wie folgt paraphrasiert werden: {der Hans hat Petra um 13 Uhr angerufen und niemand sonst, der Hans hat Laura um 12 Uhr angerufen und niemand sonst …}: (341) ‖(339)‖{p: ∃x. ∃z [p = λw: callw (Hans, x, z)]. " q Î g(C) [q(w) ® λw’. callw’ (Hans, x, z)] ⊆ q]]} Die Disjunktion der Alternativen ergibt eine Proposition, die äquivalent ist mit der Präsupposition der Frage, die von der Oberflächensyntax abgeleitet wird (repräsentiert durch PA = PO in (342)). Da beide wh-Elemente vor dem Fokusausdruck stehen, haben sie weiten Skopus über den Fokusoperator auf der Ebene der präsupponierten Proposition:

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

(342) λw.∃x.∃z:82 [callw (Hans, x, z)].83 " q Îg(C) [q(w) ® λw’.callw’ (Hans, x, z)] ⊆ q] (PA = PO) Wie man anhand der Formel in (342) sieht, haben beide Existenzquantoren Skopus über den Fokusoperator only, und es gibt keinen Existenzquantor, der innerhalb der Alternativenmenge g(C) steht. Vielmehr binden beide Existenzquantoren Variablen innerhalb der Alternativenmenge g(C). Wenn das wh-­ Element wann nun hinter dem only-Operator wie in (339)a. steht, dann wird durch only präsupponiert, dass Hans jemanden, z. B. Maria, irgendwann angerufen hat,84 und es wird assertiert, dass niemand sonst Maria zu irgendeinem Zeitpunkt angerufen hat. Die Aussage, dass es niemanden gibt, der Maria irgend­wann angerufen hat, wird formal durch den engen Skopus des Ausdrucks irgendwann repräsentiert (d. h. nun steht der Existenzquantor ∃z auf der rechten Seite, in der die alternativen Propositionen repräsentiert werden): (343) λw. ∃x: ∃z[ callw (Hans, x, z)]. " q Î g(C) [q(w) ® λw’. ∃z [callw’ (Hans, x, z)] ⊆ q]. PO aus (339)a. Diese Repräsentation enthält nun einen Quantor und keine Variable in der Alternati­ venmenge g(C). Nun ist ein Existenzquantor Teil jeder alternativen Antwort oder Teil von g(C). Diese Proposition ist jedoch nicht äquivalent mit einer Proposition, die daraus entsteht, wenn wh-Ausdrücke Existenzquantoren abbilden, die Skopus über den only-Operator haben (vgl. (339)b.). Die Erklärung für den Interventionseffekt durch even oder sogar gilt genauso wie die o. g. Erklärung für den Interventionseffekt durch nur oder only. Der einzige Unterschied besteht darin, dass even eine skalare Präsupposition hat, die only in der o. g. Verwen­dung nicht hat. Der skalare Fokusoperator even nimmt zwei Argumente, nämlich eine kontextuell relevante Alternativenmenge von Propositionen g(C) vom Typ und eine weitere Proposition p vom Typ . Außerdem drückt even aus, dass alle alternativen Propositionen q wahrscheinlicher sind als p (repräsentiert als q>p). Der folgende Eintrag ist eine gekürzte Fassung der skalaren Präsupposition nach Horn (1969), Rooth (1985): (344) ‖even‖ (g(C) ( p) (w) = 1 iff p(w) if " q Î g(C) [q ≠p ® q>p], otherwise undefined Nun schauen wir uns die Fragen mit einem overten skalaren Fokusoperator an: 82 Der Doppelpunkt hinter z repräsentiert hier die Präsupposition (vgl. auch Heim & Kratzer 1998). 83 Die Präsupposition geht nur bis zum Punkt, der hier hervorgehoben wurde, weil die Exhaustivität in Verbindung mit only assertiert und nicht präsupponiert wird. 84 Man achte auf die Position des Doppelpunktes, der die existentielle Präsupposition markiert.



Schnittstellenbasierte Interventionseffektanalysen 

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(345) a. *Wen hat sogar HANS wann angerufen? b. Wen hat wann sogar der HANS angerufen? Der Fragesatz mit dem Interventionseffekt in (345)a. präsupponiert, dass es jemanden gibt, den Hans zu einem Zeitpunkt angerufen hat und es gilt, dass es für jede andere Per­son außer Hans wahrscheinlicher ist, dass diese Person eine andere Person zu irgendei­nem Zeitpunkt angerufen hat. Diese Proposition ist jedoch nicht identisch mit der Dis­junktion von Alternativen, die aus der Fragedenotation hervorgeht {dass Hans i zum Zeitpunkt j angerufen hat, dass Hans k zum Zeitpunkt m angerufen hat, …}. Die Präsupposition des grammatischen Fragesatzes be­sagt, dass es jemanden gibt, den Hans zum Zeitpunkt j angerufen hat, und es gilt, dass es für jede andere Person außer Hans wahrscheinlicher ist, dass diese Person eine andere Person zum Zeitpunkt j angerufen hat. Diese Präsupposition stimmt mit der Disjunktion von Alternativen, die aus der Fragedenotation hervorgeht, überein {dass Hans i zum Zeitpunkt j angerufen hat, dass Hans k zum Zeitpunkt m angerufen hat, …}. Mayr zeigt außerdem, wie Interventionseffekte kompositionell abgeleitet werden (vgl. Anhang 1). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Mayr Interventionseffekte als fehlende Ent­sprechungen zwischen Präsuppositionen einer Frage analysiert, die aus der Oberflächen­syntax abgeleitet wird, und der Disjunktion der Alternativen, die aus der Fragedenotation ei­ner Frage folgt. Der Unterschied zu Becks System ist, dass Interventionseffekte bei Mayr durch die Nichterfüllung einer formalen Bedingung auf Fragen zustande kommen, nämlich als fehlende Entsprechungen zwischen der Präsupposition einer Frage und der Proposition, die aus der Disjunktion der Alternativenmenge folgt. Etwas ist nur eine gute Frage, wenn es diese formale Bedingung erfüllt.85 Ein weiterer Unterschied zwischen Mayrs (2011) Theorie und vielen anderen Theorien (vgl. Rizzi 1990, Sauerland & Heck 2003, Kim 2006, Beck 1996/2006, Tomioka 2007, Hamlaoui 2010) besteht darin, dass sie zumindest den Anspruch erhebt, Interventionseffekte einheitlich zu erklären, auch wenn sie durch unterschiedliche Intervenierer wie Negation, monotonfallende Quantoren, distributive Quantoren

85 Ein anonymer Reviewer bemerkt kritisch, dass bei Mayr (2014) lediglich stipuliert wird, dass die Präsupposition einer Frage und die Fragedenotation unterschiedlich berechnet werden. In gewisser Weise hängt der ganze Erklärungsansatz von dieser Annahme ab. Würde die Präsupposition der Frage im Falle eines Interventionseffektes nicht aus der Oberflächenstruktur abgeleitet werden, derzufolge das wh-in situ von einem skopustragenden Operator c-kommandiert wird, dann käme der Interventionseffekt gar nicht zustande. M. E. ist Mayrs Annahme keine Stipulation, sondern eine Beobachtung, die ganz klar zeigt, dass (zumindest im Deutschen) die Oberflächenstruktur eine Rolle bei Interventionseffekten spielt (vgl. den Kontrast in (334)).

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

und Fokuspartikeln ausgelöst werden, während viele andere Theorien diesen Anspruch gar nicht stellen.

3.5 Offen gebliebene Fragen von Interventionseffekterklärungen Im Folgenden sollen einige offene Fragen bisheriger Analysen entsprechend ihrer Rele­vanz für meine Arbeit diskutiert werden.

3.5.1 Koverte Fokusoperatoren als Intervenierer? Die erste Frage ist, wie die vorgestellten Interventionseffekttheorien mit Fokuselemen­ten als Intervenierern umgehen, die nicht von einer overten Fokus­ partikel modifiziert werden. Diese Frage ist für meine Arbeit deshalb relevant, weil Bmw-Effekte in den meisten Fällen, die in dieser Arbeit untersucht wurden (vgl. Unterkapitel 1.2.2), keine overten Fokuspartikeln wie juste/solo/nur und sogar/persino/même enthalten. Mayr (2011) zitiert in einer Fussnote das folgende Beispiel von Beck (2006: 32) (vgl. Mayr 2011: Fn. 17): (346) ??Wen hat LUISE wo gesehen? (Beck 2006: 32) Er geht davon aus, dass in diesem Fall ein koverter Operator vom Typ only/nur interve­nieren würde (Mayr 2011: Fn. 17). Es stellt sich jedoch die Frage, ob alle Interventionseffekte, die keinen overten Intervenierer aufweisen, als Interventionseffekte mit einem koverten only definiert werden müssen. Chierchia (2011) geht jedoch davon aus, dass es auch koverte skalare Operatoren gibt (die nurLesart wird aufgrund der Bestätigung: „Yes (many people showed up)“ in dem folgenden Beispiel ausgeschlossen): (347) A: So how did the party go? Did many people show up? B: Yes. Imagine that [my ex]Fokus came! *Nur mein Ex ist gekommen. Sogar mein Ex ist gekommen. In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass es auch koverte even-Operatoren gibt, die als Intervenierer in Frage kommen können (vgl. Typen 1 u. 2 in Kapitel 5 und Typen 4 u. 5 in Ka­pitel 6). Dagegen enthalten Spaltfragen in der Tat einen koverten only-Operator, der den Bmw-Effekt auslöst (Typ 3-Spalt in Kapitel 4). Nun ist die Ähnlichkeit zwischen dem Beispiel in (346) und den Typen 1–7 nicht wirklich vorhanden, weil in den Typen 1–7 keine Konstituente zwischen den beiden wh-Elementen fokussiert wird. Vielmehr wird das wh-ex-situ-Element



Offen gebliebene Fragen von Interventionseffekterklärungen 

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selbst fokussiert. Was das für die Modellierung von wh-Fragen und von Fokus bedeutet, wird in 3.5.2 genauer diskutiert. Eine andere offene Frage ist, wie die Oberflächensyntax mit Interventionseffekten in Verbindung steht. Beck (2006) und Mayr (2011) setzen voraus, dass die LF bzw. die existentielle Präsupposition einer Frage im Deutschen von der Oberflächensyntax, also von der PF, abgelesen wird. Auf diese Weise können sie das folgende Minimalpaar er­klären: (348) a. Wem hat wen keiner vorgestellt? b. *Wem hat keiner wen vorgestellt? Nun ist die Möglichkeit einer wh-Bewegung über Intervenierer (vgl. (348)a.) (engl. Scrambling) ein spezifischer Fall der deutschen Syntax. Wie die folgenden italienischen Daten zeigen, müssen trotz der Negation keine Interventionseffekte eintreten (vgl. 1.3.5): (349) [CP chi [NegP non [TP mangia cosa ]]] 86 wer nicht isst was? ‘Wer darf/will was nicht essen?’ Daraus kann man schließen, dass der Kontext (zumindest im Falle einer Satznegation) eine wichtigere Bedingung für die Erklärung des (Fehlens eines) Bmw-Effektes im Italienischen ist als die Oberflächenrepräsentation. Was man noch zeigen müsste, ist, warum gerade diejenigen wh-Typen, die einen BmwEffekt und/oder einen Interventionseffekt aufweisen, so beschaffen sind, dass sie einen Kontext ausschließen, in dem der Bmw-Effekt und/oder der Interventionseffekt durch eine spezifische Interpretation des wh-in-situ-Elementes aufgehoben wird.

86 Man beachte, dass die distributive Lesart in diesem Beispiel im Rahmen von Mayr (2011) unerwartet ist, weil er davon ausgeht, dass Fragen mit multiplen wh-Elemente mit Intervenierern wie der Negation ausschließlich eine Einzelpaarlesart haben können (vgl. auch Dayal 2006 für die gleiche Schlussfolgerung wie Mayr 2011). Man sollte erwähnen, dass dieses Problem nicht in Bürings (1997) Analyse von Fragen auftritt. Büring (1997) geht davon aus, dass eine solche Frage mit multiplen wh-Elementen eine zugrunde liegende Koordination mehrerer Fragen impliziert, von denen jede wh-Frage nur ein wh-Element und damit nur einen Existenzquantor enthält und das zweite wh-Element nicht als ein wh-Element bzw. als ein Existenzquantor interpretiert wird: ‘Was will A nicht essen und was will B nicht essen?’ Bürings (1997) Analyse erklärt zwar diese Fälle, weil sie von einer Topikanalyse einer whPhrase in Fragen mit multiplen wh-Elementen ausgeht, sie muss jedoch erklären, warum man anstelle des Topiks ein wh-Element verwendet und nicht vielmehr Eigennamen, wenn Bürings Annahme stimmt, dass Topiks den Diskursteilnehmern bereits bekannt sind.

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

3.5.2 Was assoziieren Fokusoperatoren in wh-Fragen? Wenn die Hypothese stimmt, derzufolge wh-Fragen in den Typen 1 bis 7 einen (k) overten Fokusoperator enthalten, der den Bmw-Effekt bzw. den Interven­tionseffekt produziert (vgl. 1.4), dann stellt sich die Frage, was der Fokusoperator in wh-Fragen als Fokuselement assoziieren soll. Es ist naheliegend, anzunehmen, dass das Fokuselement irgendetwas mit dem wh-Element zu tun haben muss, da wh-Elemente gewöhnlich Alternativen induzieren und aus diesem Grund prototypische Träger von Fokusmerkmalen sind (vgl. auch Beck 2006, Haida 2007). Was genau am wh-Element oder an der wh-Phrase wird fokusmarkiert: a) ist es das wh-Element chi ‘wer’ in (350) a. oder b) der nominale oder adverbiale Restriktor des wh-Quantors, z. B. das Nomen (also chi = quale persona[Fokus]) in (350)b. oder möglicherweise c) die Spur des wh-Elementes in (350)c., die semantisch als ein gebundenes Pronomen bzw. als eine whVariable interpretiert wird (also t[Fokus] bzw. x[Fokus])? Demnach ergeben sich folgende Möglichkeiten einer Fokusmarkierung von wh-Elementen bzw. ihrer Spuren: (350) Chi (mai) verrà? ‘Wer sollte schon kommen?’ a. chiFokus verrà? b. quale personaFokus verrà? c. [quale persona]j tj Fokus verrà? Alle drei Optionen sind nicht unproblematisch. Die Annahme, dass das Fokusmerkmal auf dem wh-Element selbst liegt (also Option in (350)a.), ist nicht unproblematisch, wenn man davon ausgeht, dass wh-Elemente einen Existenzquantorstatus haben (vgl. H&Ks Fragesemantik in 3.2.2).87 Das Problem folgt daraus, dass (unspezifische) Indefi­nita, die ebenfalls einen Existenzquantors­ tatus im Rahmen von H&K haben, normaler­weise nicht fokussiert werden. Dies hat sowohl eine Sprecherbefragung als auch eine Korpusanalyse in CORIS der italienischen Fokuspartikel solo ‚nur‘ ergeben (vgl. auch Larrivée 2001: 126 für vergleichbare Beschränkungen im Französischen): (351) a. Ho visto solo PaoloFokus habe gesehen nur Paul ‘Ich habe nur Paul gesehen.’ b. ??Ho visto solo qualcunoFokus habe gesehen nur jemanden. 87 Im Rahmen einer Fragesemantik, in der wh-Elemente keinen Status eines Existenzquantors haben (vgl. Groenendijk & Stokhof 1984, Krifka 2001), stellt sich das Problem der Fokusmarkierung von wh-Elementen nicht.



Offen gebliebene Fragen von Interventionseffekterklärungen 

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Genau aus diesem Grund findet man keine indefiniten Elemente anstelle der fokussier­ten XP in Spaltsätzen (vgl. Hedberg 2000, Hamlaoui 2010, Brunetti 2009). Außerdem stellt sich die Frage, wo der Fokusoperator in der Struktur in (350)a. positioniert ist. Einige Autoren gehen davon aus, dass ein fokusmarkiertes Element von einem Fokus­operator wie z. B. only c-kommandiert sein muss (vgl. u. a. Jackendoff 1972, Tancredi 1990, Rooth 1985, Erlewine 2012): (352) [ only [ …..[XP]Fokus… …]] Diesen Autoren zufolge sollte das fokusmarkierte wh-Element in (350)a. vom Fokusoperator ebenfalls c-kommandiert werden: (353) [Fokusoperator [ [wh-XP]Fokus… …]] Es gibt in der Tat Beispiele für eine Struktur in (353) (vgl. Tancredi 1990, Beaver & Clark 2008, Erlewine 2012): (354) A: I only met MaryFokus. B: You only met whoFokus? Problematisch an der Struktur in (353) ist jedoch, dass sie Interventionseffekte in grammatischen wh-Fragen vorhersagt, die dadurch entstehen würden, dass das fokus­markierte wh-Element in (353) von einem Fokusoperator c-kommandiert würde bzw. im Skopus des Fokusoperators interpretiert würde (vgl. 1.3.5): (355) *[CQ [you

only met whoFokus?]]

Fokusmarkierung von phonologisch leeren Kategorien wie z. B. Spuren und nicht hörbaren Restriktoren von wh-Pronomina (d. h. Optionen b. und c.) ist aus empirischen Gründen problematisch. Denn Fokusadverbien können in den romanischen Sprachen nicht einmal klitische Pronomina als Fokuselemente assoziieren, geschweige denn gar nicht hörbare Kategorien (wie koverte Restriktoren oder Spuren bzw. Lücken) (vgl. Kaiser 1992): (356) a. Même/juste ça/*le/*ce. selbst/nur das/Klitikon/Klitikon b. Non ho visto nemmeno Paolo/lui/*lo nicht habe gesehen nicht-einmal Paul/ihn/Klitikon Diese Beobachtung wird durch eine allgemeine Regel erfasst, die bereits Tancredi (1990) für exklusive Fokuspartikeln wie only formuliert hat: (357) By definition, extraction gaps cannot be prosodically prominent. (Beaver & Clark 2008: 172)

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass gebundene Pronomina im Englischen wie in (359) fokusmarkiert sein können, wenn sie phonologisch realisiert werden (vgl. Erlewine 2012: 9): (358) *Which boyj does John only like [tj ]Fokus? (359) Which boyj is such thatj John only likes [himj]Fokus? Da gebundene Pronomina und Spuren sich nur phonologisch, jedoch nicht semantisch unterscheiden (vgl. Heim & Kratzer 1998 und 3.2.1), folgt daraus, dass die Agrammatikalität von (358) phonologischer und nicht semantischer Natur sein kann (vgl. auch Beaver & Clark 2008), d. h. es muss generell möglich sein, Fokus auf wh-Spuren wie in (360)a. interpretieren zu können (vgl. Tancredi 1990, Erlewine 2012, Nicolae 2015). Eine weitere Evidenz dieser Möglichkeit liegt darin begründet, dass Fokus auf Spuren in Verbindung mit anderen Fokuspartikeln wie z. B. also möglich ist: (360) a. Do you remember who you also interviewed tFokus? (mit der Lesart: für eine Person x gilt, x ist die Person, die sich dir vorgestellt hat und es gibt weitere Personen, die sich dir vorgestellt haben.) b. *Do you remember who you only interviewed tFokus? ( * mit der Lesart: für eine Person x gilt, x ist die einzige Person, die sich dir vorgestellt hat.) Beispiele der Art in (360)a. gibt es auch im Französischen und im Italienischen (vgl. auch Reis 1992 zu solchen quantifizierenden Partikeln/Adverbien im Deutschen): (361) Qui d’autre est-ce que tu as vu? Chi altri/altro hai visto? (die Antwort auf die Frage repräsentiert eine Person, die der Adressat gesehen hat und es wird präsupponiert, dass der Adressat noch jemanden gesehen hat) (362) Ça coûte combien au juste? ‘Wieviel genau kostet es?’ Einige dieser Adverbien sind teilweise homophon mit exklusiven Fokuspartikeln (z. B. frz. au juste ‘genau’, juste ‘nur‘). Sie weisen auch einige syntaktische Gemeinsamkeiten auf, weil sie adjazent zu denjenigen Elementen stehen (können), die sie modifizieren (z. B. juste Pierre ‚nur Pierre‘; ça coûte combien au juste? ‘wieviel genau kostet es?’). Folglich ist die Vergleichbarkeit dieser Partikeln mit Fokus­ partikeln nicht unplausibel. Es muss also möglich sein, Partikeln wie mai/cavolo als Fokuspartikeln interpretieren zu können, welche den Status eines Fokusoperators haben und diejenigen Alternativen evaluieren, die sich aus der Fragebedeutung ergeben.



Weiterer Verlauf der Arbeit 

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Diese Evaluierung setzt wiederum voraus, dass das fokusmarkierte Element auf der semantischen Ebene vom Fokusoperator c-kommandiert sein muss. Da wh-Elemente die Interpretation eines Existenzquantors haben, können sie nicht fokussiert werden. Wh-Spuren sind mit Pronomina äquivalent, so dass die Fokusmarkierung auf einer wh-Spur liegen muss: (363) Whatj the hell are you doing [tj ]Fokus? Che j cazzo fai [tj ]Fokus? Diese skizzenhafte Analyse wird im Laufe der Arbeit genauer ausbuchstabiert.

3.6 Weiterer Verlauf der Arbeit Wie sich im weiteren Verlauf der Arbeit zeigen wird, folgt der Bmw-Effekt in den meisten Typen, die in dieser Arbeit untersucht werden, aus einer Intervention von Fokusoperatoren, die in Rizzis Struktur in Foc° situiert sind und lexikalisch durch unterschiedliche linguistische Elemente ausgedrückt werden (z. B. das Exklamativsatzmerkmal [EXCL] in wh-Exklamativsätzen, vgl. Typ 1-Exkl und Typ 2-Exklche; das Element c’est in Spaltfragesätzen im Typ 3-Spalt; durch Partikeln cavolo/ mai im Typ 4-Partikel und defektive Nomina im Typ 5-NoN, durch Adjunkte im Typ 7-Adjunkt). Alle diese Elemente haben entweder die Bedeutung von einem skalaren Operator even bzw. evenNPI oder von einem exklusiven Fokusoperator only. Das Besondere an diesen Fokusoperatoren im Vergleich zu fokussensitiven Partikeln wie only/even/evenNPI ist, dass sie in wh-Konstruktionen eine Spur bzw. eine Kopie des wh-ex-situ-Elementes als Fokuselement assoziieren (vgl. Nicolae 2015 zu einer ähnlichen Syntax in wh-Fragen mit NPIs): CP Spec,CP Wh-Elementj

Foc‘

Foc° only/even/evenNPI Assoziation mit der Spur

TP

…[tj]Focus ….Verb

Abbildung 9: Fokusassoziation mit der wh-Spur.

Der Bmw-Effekt kommt nun dadurch zustande, dass das wh-in-situ-Element im Skopus des Fokusoperators interpretiert wird, was im Rahmen vieler

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 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand zu einzelnen wh-Typen

Interventionseffekttheo­rien unmöglich ist (vgl. Beck 2006, Mayr 2011). Die Typen 1–7 könnten damit als ein Fall von Interventionseffekten abgeleitet werden: *CP

Spec,CP Wh-Elementj

Foc‘

Foc° only/even/evenNPI Assoziation mit der Spur

TP

[tj]Focus ….Wh-Element

Abbildung 10: Bmw-Effekte

Im weiteren Verlauf der Arbeit soll die Übertragung von Interventionseffekten auf Bmw-Effekte in einem formalen Rahmen genauer präzisiert werden. In Kapitel 4 wird der Bmw-Effekt in Spaltfragen aus einem exklusiven Operator abgelei­ tet. In Kapitel 5 wird der Bmw-Effekt aus dem illokutiven Operator von Exkla­ mativsätzen abgeleitet, der Ähnlichkeiten mit der skalaren Partikel even hat, und in Kapitel 6 soll der Bmw-Effekt in Verbindung mit NPIs und Negationsele­menten erklärt werden.

4 Spaltfragen In diesem Kapitel analysiere ich Spaltfragen mit dem Ziel, eine Erklärung der Beschrän­kung multipler wh-Elemente in Spaltfragetypen zu finden. Es werden zwei konkurrie­rende Analysevorschläge aus der Literatur auf italienische und französische Spaltfrage­typen übertragen: Die monoklausale Analyse (vgl. 4.1) und die Kopulaanalyse (vgl. 4.2). Ich werde dafür argumentieren, dass wir beide Analysen brauchen, um die sprecherspe­zifischen Unterschiede innerhalb der französischen Gruppe und die sprachspezifischen Unterschiede (vgl. 2.1) zu erfassen. Zunächst soll die monoklausale Analyse von französischen Spaltfragen vorgestellt wer­den, die in einer Adaption der Spaltsatzanalyse von É. Kiss (1998) besteht (vgl. 4.1). Danach werden insbesondere italienische Spaltfragen im Rahmen einer Kopulaanalyse analysiert (vgl. 4.2). Der Bmw-Effekt wird im Rahmen jeder Analyse erklärt. In 4.3 werden die Er­ gebnisse zusammengefasst.

4.1 Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen In diesem Unterkapitel wird sich zeigen, wie man französische Spaltfragen mit einer monoklausalen kartographischen Struktur syntaktisch im Rahmen der Split-CP-Theorie von Rizzi (1997) analysieren kann (vgl. 4.1.1). In 4.1.2 wird die Struktur von Spaltsätzen und Spaltfragen auf die semantisch-pragmatische Repräsentation der Be­ deutung von Spaltsätzen und Spaltfragen abgebildet. Das Ziel der syntaktisch-semanti­schen Analyse von Spaltfragen besteht darin, den Bmw-Effekt von Spaltfragen aus der vorgeschlagenen Analyse abzuleiten (vgl. 4.1.3). Die kartographische Analyse ist für das Italienische nicht möglich, während die französischen Daten sowohl mit der letztgenannten Analyse als auch mit der Kopulaanalyse kompatibel sind. Die Vorteile der kartographischen Analyse werden in 4.1.1 dargestellt (zu Vorteilen der Kopulaanalyse siehe 4.2).

4.1.1 Syntaktische Analyse im Rahmen einer Split-CP Die kartographische Analyse soll an folgenden Beispielen erläutert werden: (364) a. qui (est-ce que) c’est qui l’ a fait? wer est-ce que c’est der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’  (Le Goffic 1993: 117)

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 Spaltfragen

b. c’est qui qui l’ a fait? c’est wer der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ In (364)a. steht das Fragepronomen linksperipher und kann zusätzlich von dem hier als Fragepartikel est-ce que analysierten Element gefolgt werden. In (364)b. steht das Fragepronomen hinter dem Element c’est (‘das ist’). Die Einführung von est-ce que ist hier nicht möglich. Die Derivation von (364)a. wird in der Abbildung 11 illustriert: CP

Quij

C'

C° (est-ce que) [uQ], [EPP]

FokP

Spec, Fok°

Fok'

tj Schritt 3

Fok°

FinP

Koda

c‘est [uFoc], [EPP]

Fin'

Spec, FinP tj

Schritt 2 Fin° qui [uφ], [EPP]

TP tj l'a fait

Schritt 1 Abbildung 11: Franz. Spaltfragen in Split-CP.

Im Rahmen der Split-CP-Theorie von Rizzi (1997) ließe sich der Komplementierer qui in (364) als eine morphologische Realisierung einer funktionalen Kategorie



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 143

analysieren, die für Finitheit, Fin°, spezifiziert ist. Die in (365)a. und b. illustrierte Alternanz zwi­schen que/qui hängt mit dem Kasus der sondierten XP (hier: Pierre) zusammen. Der Komplementierer qui geht mit einer XP einher, die den Kasus Nominativ aufweist (vgl. (365)a.), ansonsten wird que gebraucht (vgl. Mensching 2011 und Rizzi 1990).88 (365) a. C’ est Pierre qui est venu. s.cl. ist Pierre, der ist gekommen. ‘PierreFokus ist gekommen.’ vu. b. C’ est Pierre que j’ ai s.cl. ist Pierre, den ich habe gesehen. ‘Ich habe PierreFokus gesehen.’ Die morphologische Alternanz que/qui ist das Resultat eines Sondierungsprozesses, bei dem Fin° eine Sonde mit einem unvaluierten Kongruenzmerkmalbündel [uφ] darstellt, die mit einem entsprechenden wh-Element kongruiert: (366) Fin° [uφ], [EPP] ==>PF que/qui 89 Das obligatorische [EPP]-Merkmal von Fin° sorgt dafür, dass das wh-Element aus der Argumentposition nach Spec, FinP angehoben wird (vgl. Abb. 1, Schritt 1), denn die wh-Bewegung ist in Spaltfragen obligatorisch, d. h. das wh-Element kann nie innerhalb der Argumentposition (in situ) verbleiben (vgl. (368)): (367) A qui est-ce que Pierre l’ a donné? an wen est-ce que Pierre es hat gegeben ‘Wem hat Pierre es gegeben?’ (368) *Est-ce que Pierre l’ a donné est-ce que Pierre es hat gegeben

à an

qui? wen

Das Element c’est lässt sich im Rahmen dieser Analyse aufgrund der zunehmenden Tendenz einer Fixierung der Kopula auf feststehende Merkmale 88 Die Alternanz franz. que/qui hat Rizzi (1990) durch die Kongruenz eines abstrakten Morphems QUE in C° mit seinem Spezifizierer modelliert (hier die DP l’homme, die zunächst nach Spec, CP bewegt wird). Demnach enthält C° ein Kongruenzmerkmal [AGR] (engl. Agreement), das durch que oder qui spezifiziert werden kann: i. L’hommei que je crois [CP ti qui/ *que [IP ti viendra.]]   the man that I believe that[NOM]/ that[-NOM] will come (Rizzi 1990: 56) Die Beobachtung, dass Komplementierer kongruieren können, wurde bereits in Zusammenhang mit einigen deutschen und niederländischen Dialekten gemacht (vgl. Bayer 1984 im Baye­rischen, Haegeman 1992 in einigen niederländischen Dialekten). 89 Eine genauere Ausformulierung der que/qui-Alternanz findet sich in Mensching (2011: Fn.28.).

144 

 Spaltfragen

3.Ps.Sg.Ind.Präs. (vgl. Metzeltin 1989: 200) als die morphologische Realisierung einer funktionalen Kategorie analysieren, die man als Fokus, kurz Foc°, bezeichnen kann (vgl. Abbildung 11). Die ausführliche Begründung dieser Annahme folgt im semantisch-pragmatischen Teil in 4.1.2. Foc° enthält ebenfalls eine Sonde [uFoc] und ein EPP-Merkmal, welches wh-Be­wegung nach Spec, FocP auslöst (vgl. Abb. 1, Schritt 2): (369) Foc° [uFoc], [EPP] ==>PF c’est Die Fokussonde kann auch semantisch motiviert werden (vgl. Abschnitt 4.1.2). Das EPP-Merkmal ist in Foc° allerdings optional; wird es nicht ausgewählt, ergibt sich die Option unter (364)b. Das Q-Merkmal, das im Französischen durch est-ce que (auch in Spaltfragen) overt aus­gedrückt werden kann (vgl. Abbildung 11), markiert den Satztyp als interrogativ und ist in Force°/C° situiert (vgl. Abbildung 11). Um die Option mit est-ce que zu erklären, muss angenommen werden, dass das Fragepronomen noch eine Stufe höher nach Spec, CP bewegt wird (Abb. 1, Schritt 3). Zu diesem Zweck muss in C° neben dem Q-Merkmal und dem overten Element est-ce que ein weiteres EPP-Merkmal angenommen werden. Um eine einheitliche Repräsentation des Q-Merkmals unter C° zu gewährleisten, sei angenommen, dass auch bei Nichtrea­ lisierung von est-ce que eine C-Schicht vorhanden ist, wobei das [EPP]-Merkmal allerdings optional ist, damit die Option in (364)b. er­zeugt werden kann:90 (370) C° [uQ] [+wh]; [uφ], [EPP] ==>PF est-ce que/est-ce qui 91 Insgesamt ergeben sich drei mögliche Outputs:

a) bei Vorhandensein von est-ce que in der Enumeration (obligatorisches EPP-Merkmal in C°):

(371) [CP quij CQ° est-ce que [FokP tj c’est [FinP tj Fin° qui [TP tj  l’ a fait?]]]] wer est-ce que c’est der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ b) ohne est-ce que mit EPP-Merkmal in C°:

90 Wird das EPP-Merkmal in C° ausgewählt, muss das EPP-Merkmal in Foc° ebenfalls ausgewählt werden, weil die lange Bewegung von Fin° nach C° in der hier verwendeten Version des minimalistischen Programms nicht möglich ist. 91 Um die Alternanz zwischen est-ce que und est-ce qui zu erklären, wird davon ausgegangen, dass C° wie Fin° ein unvaluiertes phi-Merkmal [uφ] enthält. Wenn C° mit einem wh-Element kongruiert, das Nominativkasus enthält, dann wird C° als est-ce qui realisiert, ansonsten als est-ce que.



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 145

(372) [CP quij CQ° [FokP tj c’est [FinP tj Fin° qui [TP tj l’ a fait?]]]] wer c’est der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ c) ohne est-ce que ohne EPP-Merkmal in C° und in Foc°: (373) [CP CQ° [FokP c’est [FinP quij Fin° qui [TP tj l’ a fait?]]]] c’est wer der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Rahmen dieser Analyse das whElement aus der Koda in die Oberflächenposition bewegt wird: a. Spec, CP oder b. Spec, FinP. Im letzten Fall erscheint das wh-Element nach dem Element c’est und im ersten Fall davor. In 4.2 wird anhand italienischer Beispiele eine Kopulaanalyse vorgestellt, die im Prinzip auch auf das Französische übertragen werden könnte. Allerdings hat die hier vorge­ schlagene monoklausale Analyse den Vorteil, dass sie möglicherweise der folgenden Beobachtung (u. a. von Metzeltin 1989) Rechnung tragen kann. Im Gegensatz zum Französischen kann die Kopula in italienischen Spaltsätzen unterschiedlich flektiert werden (Tempus, Modus, Numerus, etc.) (vgl. hierzu auch Frascarelli & Ramaglia 2009), während im Französischen die Kopula weitestgehend auf c’est fixiert ist. Die folgenden Beispiele zeigen, dass im Italienischen die Kopula essere Vergangenheitsformen aufweist, während diese im Französischen fehlen: (374) a. Secondo te, chi è stato a scriverla ? (CORIS NARRATTrRo) nach dir, wer ist gewesen zu schreiben-es ‘Wer hat es, deiner Meinung nach, geschrieben?’ b. Qui c’ est qui l’ a écrit? wer s.cl. ist der es hat geschrieben ‘Wer hat es geschrieben?’ Dies ist erwartbar, wenn im Französischen das Element c’est zu einem overten Fokuskopf erstarrt ist, während es im Italienischen noch eine wirkliche Kopula enthält, die somit noch das volle Flexionsparadigma aufweist. Abschließend sei noch folgende Überlegung gemacht. Bekannterweise können sich in funktionalen Köpfen situierte grammatikalisierte Elemente im Laufe der Zeit in höher gelegene Köpfe verlagern. Im Laufe meiner Sprecherbefragung habe ich festgestellt, dass die unter 2.1.2 besprochene Sprechergruppe B, die multiple wh-Elemente in Spalt­fragen akzeptiert, diese nur dann akzeptiert, wenn est-ce que fehlt. Ein Grund hierfür könnte sein, dass bei diesen Sprechern das Element c’est nicht mehr in Foc°, sondern eine Stufe höher in C° situiert ist,

146 

 Spaltfragen

was die Inkompatibilität mit est-ce que verursacht. Ich werde im Rahmen der Behandlung des Bmw-Effektes darauf zurückkommen. Im nächsten Abschnitt wird die semantisch-pragmatischen Analyse des Fokusmorphems in Spaltfragesätzen, welches im Rahmen der hier vorgestellten kartographischen Ana­lyse die Einheit c’est repräsentieren soll, behandelt.

4.1.2 Semantik von Spaltfragen im Rahmen eines kartographischen Ansatzes In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass die in 4.1.1 vorgeschlagene syntaktische Analyse auch semantisch motiviert werden kann. Hierzu ist zunächst die Annahme der Exhaustivität von Spaltfragen etwas genauer zu betrachten (vgl. 2.1.3).

4.1.2.1 Präsupposition oder Assertion der Exhaustivität in Spaltfragen? Wie bereits in 2.1.3 gezeigt, sind Spaltfragen exhaustiv: (375) A: Qui c’ est qui l’ a fait? wer s.cl. ist der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ B: C’est JeanFokus. (Exhaustivität: kein anderer als Jean). ‘Es war Jean.’ Man kann Spaltfragen mit Fragen vergleichen, die overt die Exhaustivität lexikalisch ausdrücken durch le seul/la seule ‘der/die einzige, r’ bzw. la seule personne ‘die einzige Person’: (376) Qui est le seul qui l’a fait? ‘Wer ist der einzige, der es gemacht?’ (Lesart: ‘x ist die einzige Person, die es gemacht hat.’) Die Exhaustivität kann man zunächst sehr allgemein wie folgt ausdrücken: (377) "x"y (P)(x) ∧ (P)(y) → x = y ‘Für jedes x und jedes y gilt: Wenn das Prädikat P auf x und auf y zutrifft, dann ist x identisch mit y. In Spaltfragen wie in (375) entspricht das Prädikat P in (377) einem bestimmten Individuum, auf welches das Prädikat P = λx. x hat es gemacht zutrifft. Die zent­ rale Frage dieses Abschnitts ist, ob die besagte Exhaustivität in Spaltfragen prä­ supponiert oder assertiert ist.



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 147

Um den Status der Exhaustivität von Spaltfragen zu bestimmen, empfiehlt es sich, zunächst auf den Status der Exhaustivität von Spaltsätzen einzugehen. Percus (1997), Han & Hedberg (2008) argumentieren dafür, dass It-Spaltsätze im Englischen, sowohl affirmative (vgl. (378)a.) als auch negierte (vgl. (378)b.), eine existentielle and eine exhaustive Präsupposition haben (vgl. (378)c.), wie sie auch definite Ausdrücke haben (vgl. (379)c.): (378) a. It was Ohno who won. b. It was not Ohno who won. c. Someone won, and only one person won. (379) a. The king of France is bald. b. The king of France is not bald. c. There is one and only one king of France. Büring & Križ (2013) gehen ebenfalls davon aus, dass die Exhaustivität in Spalt­ sätzen präsupponiert wird, während sie in Sätzen mit nur assertiert wird. Die folgenden Sätze aus Büring & Križ (2013) drücken beide aus, dass sie nie­mand anderen eingeladen hat als Fred. Jedoch unterscheiden sich Spaltsätze von Sätzen mit only im Hinblick auf ihre +/– Assertierbarkeit: (380) a. It was Fred she invited. Präsupposition: Sie hat niemanden mehr ein­ geladen.

b. She only invited Fred. Assertion: Sie hat niemanden mehr eingeladen. Büring & Križ (2013) begründen ihr Argument damit, dass man die Assertion ‘Sie hat niemand anderen eingeladen als Fred’ negieren kann (vgl. (380)b.). Würde ein Spaltsatz die Exhaustivität assertieren, so würde man laut den genannten Autoren erwarten, dass man den Spaltsatz negieren können sollte. Da ein Spaltsatz nicht negiert werden kann (vgl. (381)a.), kann die Exhaustivität nicht Teil der Behauptung eines Spaltsatzes sein: (381) a. She invited Fred, but it wasn’t Fred she invited.

b. She invited Fred, but she didn’t invite only Fred.

Der Test in (381) zeigt außerdem, dass Spaltsätze kein kovertes only Element enthalten können, sonst könnte man den Unterschied in der Bewertung zwischen (vgl. (381)a.) und dem folgenden Satz nicht erklären (vgl. auch Destruel 2012 für den Unterschied zwischen Spaltsätzen und Sätzen mit only im Französischen): (382) She invited Fred, but it wasn’t only Fred she invited.

148 

 Spaltfragen

Ein weiteres Argument dafür, dass Spaltsätze die Exhaustivität nicht assertieren, kommt aus der NPI-Forschung. Sätze mit only lizenzieren schwache NPIs wie z. B. ever (vgl. von Fintel 1999, Homer 2008, u. a.): (383) Only John ever went to Chicago. (Homer 2008: 438) Die Lizenzierung von schwachen NPIs in Sätzen mit only wird auf die negative Aussage zurückgeführt, die mit only assertiert wird (hier: kein anderer als John ist nach Chicago gegangen) (vgl. von Fintel 1999). Spaltsätze hingegen lizenzieren keine schwachen NPIs wie z. B. ever, mai, jemals (vgl. auch Homer 2008): (384) It was John who (*ever) went to Chicago. (385) E lui che ha (*mai) torto. ‘Er ist es, der (*jemals) Unrecht hat.’ Da Spaltsätze die negative Proposition nicht assertieren (sondern allenfalls präsupponieren), können sie keine NPIs lizenzieren (vgl. Homer 2008). Nun stellt sich die Frage nach dem Status der Exhaustivität von Spaltfragesätzen. Wenn Spaltsätze die Exhaustivität wirklich präsupponieren, dann sollten es auch Spaltfragesätze tun, da Präsuppositionen in Fragesätzen normalerweise nicht gelöscht werden: (386) Who is the king of France? => There is one and only one king of France. Um den Status der Exhaustivität in Spaltfragen zu überprüfen, könnte man die Lizenzierung von schwachen NPIs in Spaltfragen untersuchen. Wenn Spaltfragen die Exhaustivität präsupponieren sollten, dann sollten sie keine schwachen NPIs wie z. B. any oder ever lizenzieren können.92 Die Lizenzierung von schwachen NPIs in Spaltfragen ist jedoch noch zu wenig erforscht. Nicolae (2015) geht davon aus, dass schwache NPIs in englischen Spaltfragen möglich sind: (387) Who was it that brought any veggie dishes to the reception? Es finden sich einige Belege mit der NPI mai in Spaltfragen im Internet.93 Die meisten Belege aus dem Internet weisen ein Modalverb oder ein für Modus spezifiziertes Verb auf, wie das folgende Beispiel aus einer Onlinezeitschrift zeigt (vgl. 2.3.1.3): 92 Starke NPIs spielen bei dieser Untersuchung keine Rolle, weil sie auch in Deklarativsätzen nicht von der Assertion der Exhaustivität lizenziert werden (vgl. die fehlende Lizenzierung starker NPIs wie in weeks in Nicolae 2015):   i. a. Bill hasn’t visited Mary in weeks.   b. *Only Bill has visited Mary in weeks. 93 Gleichzeitig zeigt die Korpusanalyse von SSLMIT und CORIS, dass es keinen einzigen Beleg mit der NPI mai in der Koda von Spaltfragen gibt (von insgesamt 333 Belegen mit chi è che..? in SSLMIT und 106 Belegen in CORIS). Dagegen gibt es dort sehr viele Belege von mai in



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 149

(388) Chi è che scriverebbe mai una storia senza fine? wer ist dass schreiben-würde jemals eine Geschichte ohne Ende ‘Wer würde jemals eine Geschichte ohne Ende schreiben?’ @-15 Die mögliche Verwendung von schwachen NPIs in Komplementsätzen von Spaltfragen (die im Italienischen ein Modalverb oder ein für Modus spezifiziertes Verb enthalten) oder in spaltfrageähnlichen Relativsätzen werte ich als ein Indiz dafür, dass die Exhaustivität in Spaltfragen nicht präsupponiert ist. Wenn die Exhaustivität in Spaltfragen nicht präsupponiert wird, liegt die Annahme nahe, dass sie dort assertiert wird (vgl. Nicolae 2015 für diese These). Die Assertion der Exhaustivität lässt sich anhand des Antwortverhaltens von Spaltfragen ablesen, weil die Exhaustivität der Antwort auf eine Spaltfrage negiert werden kann: (389) A: Who was it who passed the exam? Was it John? B: No, Mary did too. Wie sich gezeigt hat, scheinen Spaltfragen die Exhaustivität zu assertieren. Im weiteren Verlauf wird daher davon ausgegangen, dass der Exhaustivitätsoperator in Spaltfragen die Exhaustivität assertiert (vgl. Nicolae 2015).

4.1.2.2 Modellierung der Exhaustivität in einer kartographischen Analyse Im Folgenden soll die Exhaustivität von Spaltfragen im Rahmen einer kartographischen Analyse modelliert werden. Ich gehe davon aus, dass Spaltfragen eine Menge von exhaustiven Antworten denotieren (vgl. auch Nicolae 2015): (390) Who is it that came? = {only John came, only Mary came,…} Um die Exhaustivität von Spaltfragen abzubilden, gehe ich davon aus, dass Spalt­ fragen in ihrer Struktur einen Exhaustivitätsoperator O(nly) enthalten, der eine vergleichbare Semantik wie der Fokusoperator only hat (vgl. Nicolae 2015 für eine ähnliche Idee in wh-Fragen mit NPIs). Der Exhaustivitätsoperator wird in Fragen in Anlehnung an Mayr (2011) wie folgt definiert: (391) ‖O(nly)Q‖ (Q) (p) (w) = p(w) ∧ "qÎQ [q(w) → p⊆q]

Demnach nimmt dieser Operator eine Proposition p als erstes Argument und eine Frage Q (die semantisch eine Alternativenmenge denotiert) als zweites Argument und es gilt, dass die Proposition p eine vollständige Antwort auf die Fragen ohne die Spaltsatzstruktur (allein über 200 Belege mit chi mai? z. B. chi mai vorrebbe farlo?). Im gesprochenen Korpus BADIP gibt es 14 Belege mit wh-mai und kein Beleg davon bildet eine Spaltfrage. Ich möchte deshalb provisorisch festhalten, dass die tatsächliche Verwendung von mai innerhalb der Koda nicht so frequent ist wie die Verwendung von mai in einem Fragesatz ohne Koda.

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 Spaltfragen

Frage Q ist (vgl. Mayr 2011). Diesem Eintrag zufolge nimmt der Exhaustivitätsoperator die gültige Antwort auf eine Spaltfrage (Jean hat es gemacht in (375)) und exhaustiviert sie, d. h. die Antwort auf eine Spaltfrage lautet nun Jean hat es gemacht und kein anderer. Da Fragen keine Proposition denotieren, sondern eine Menge von Propositionen, exhaustiviert der Exhaustivitätsoperator jede Antwort auf eine Spaltfrage, die dadurch entsteht, dass man einen Antwortwert anstelle der wh-Variable einsetzt. Angenommen die Alternativantworten auf eine Spaltfrage sind {Jean hat es gemacht, Pierre hat es gemacht}. In diesem Fall exhaustiviert der Exhaustivitätsoperator jede mögliche Antwort auf eine Spaltfrage {Jean hat es gemacht und kein anderer, Pierre hat es gemacht und kein anderer}. Aus der Exhaustivierung jeder Antwort folgt, dass nur eine Antwort wahr sein kann, weil beide exhaustiven Antworten gleichzeitig nicht wahr sein können: (392) ‖(375)‖ = {Jean hat es gemacht und kein anderer, Pierre hat es gemacht und kein anderer} Formal lässt sich die Denotation einer exhaustiven Frage wie der Spaltfrage als eine Menge exhaustiver Antworten wie folgt darstellen: (393) ‖(375)‖ = {Antwort 1 = ‖O(nly)Q‖ (‖qui c’est qui l’a fait ‘wer hat es gemacht’?‖) (λw. hat es gemachtw (Jean)) ∧ "qÎ(‖wer hat es gemacht?‖) [q(w) → λw'. hat es gemachtw' (Jean) ⊆q] = ‘Jean hat es gemacht und niemand sonst.’ Antwort 2 = ‖O(nly)Q‖ (‖qui c’est qui l’a fait ‘wer hat es gemacht’?‖) (λw. hat es gemachtw (Pierre)) ∧ "qÎ(‖wer hat es gemacht?‖) [q(w) → λw'. hat es gemachtw' (Jean) ⊆q] = ‘Pierre hat es gemacht und niemand sonst.’} Schauen wir uns die folgende Abbildung im Rahmen der kartographischen Ana­ lyse an, um zu sehen, an welcher Stelle die Exhaustivität von Spaltfragesätzen interpretiert wird (zur vollständigen Repräsentation, vgl. Anhang 2). Sie zeigt, dass die Exhaustivität an der Stelle interpretiert wird, an der c’est eingesetzt wird, das im Rahmen des Split-CP-Ansatzes mit einer Fokuspartikel juste ‘nur’ vergleichbar ist. Diese Fokuspartikel assoziiert das c-kommandierte wh-Element als fokusmarkiertes Element, welches in der besagten syntaktischen Position als eine Variable (repräsentiert durch g(1)) interpretiert wird und nicht als ein Existenzquantor. Die Interpretation als Existenzquantor findet strukturell viel höher (auf der CP-Ebene) statt, wie sich weiter unten zeigen wird. Auf diese Weise umgehen wir das Problem, das mit der Fokusassoziation von Quantoren und Spuren verbunden ist (vgl. 3.5.2), indem wir das Fokusmerkmal auf ein phonologisch overtes Element (nämlich das wh-Element) setzen, welches in der besagten syntaktischen Position nicht als ein Quantor interpretiert wird:



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

Fok'

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λw. [ g(1) hat es gemacht]. ∀ q ∈g(C) [q(w) → [g(1) hat es gemacht]. ⊆ q]. ‘x has et gemacht und niemand sonst.’ FinP

Foc° c’est ≈ ‘only’

Fin'

SpecFin quiFokus

qui l’a fait Abbildung 12: Fokusassoziation mit wh-Pronomen.

Erst im weiteren Verlauf der Derivation wird das wh-Element qui in Spec, FinP auf PF gelöscht, und das wh-Pronoman wird auf der CP-Ebene als ein Existenzquantor interpretiert: CP

Qui

{p: ∃x [Person (w) (x) & p = λw: x hat es gemacht in w. ∀ q ∈g(C) [q(w) → λw'. x hat es gemachtw' ⊆ q]]} ≈ {Jean und kein anderer hat es gemacht, Pierre und kein anderer hat es gemacht} C'

FokP

C° [Q]

Spec, FokP qui

‘x hat es gemacht und niemand sonst.’

Fok'

Fok°

Fin

c’est ≈ ‘only’

Abbildung 13: Spaltfragen in Split-CP.

qui qui l’a fait

152 

 Spaltfragen

Die Bedeutung einer Spaltfrage gleicht damit der Bedeutung einer Frage mit einem overten Fokusoperator only mit dem Unterschied, dass der Fokusoperator only die c-kommandierte wh-Spur als fokusmarkiertes Element in Spaltfragen assoziiert (vgl. Erlewine 2012, Nicolae 2015): (394) Who is it that Mary likes? = Whoj is such thatj Mary only likes [himj]Fokus? Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Rahmen der vorgeschlagenen Analyse Spaltsätze monoklausale Sätze bilden, die ein fokusmarkiertes Element enthalten, welches eine Alternativenmenge einführt, die von einem Exhaustivitätsoperator, O(nly)Q (vergleichbar mit einem koverten only), interpretiert wird. Dieser Operator besagt, dass die Proposition, die der Spaltsatz ausdrückt, wahr ist und dass es keine andere wahre alternative Proposition gibt, die nicht von diesem Operator erfasst wird. Auf diese Weise können wir den folgenden Kontrast erklären: (395) C’est Jean  qui est venu. ??Et Marie aussi. ‘Es ist Jean der gekommen ist.  Und Marie auch.’ (396) C’est Jean et Marie qui sont venus. ‘Es sind Jean und Marie die gekommen sind.’ Überträgt man diese Idee auf Spaltfragen, dann besagt sie, dass jeder Antwortwert auf eine Spaltfrage vollständig sein muss. Der Exhaustivitätsoperator evaluiert die alternati­ven Antworten auf eine Spaltfrage und besagt, dass jede wahre Antwort vollständig ist. Diese Idee wurde dadurch modelliert, dass der koverte only Operator in FocP die wh-Spur, die semantisch als ein gebundenes Pronomen analysiert wurde, als Fokuselement assoziiert. Der Fokusoperator evaluiert auf diese Weise die Alternativen, die aus dem fokussierten Pronomen hervorgehen und besagt, dass nur dieses und kein anderes Pronomen auf das Prädikat, welches durch die Koda ausgedrückt wird, zutrifft. Auf diese Weise wird die Exhaustivität von Spaltfragen erklärt.

4.1.3 Bmw-Effekt im kartographischen Ansatz Die folgende Erklärung von Bmw-Effekten in Spaltfragen (vgl. Typ 3-Spalt und (397)) basiert auf der Beobachtung, dass overte Fokuspartikeln wie z. B. only/nur/ juste eine intervenierende Kraft in Fragesätzen ausüben (vgl. 1.3.5): (397) *Qui c’ est qui a mangé quoi? wer s.cl.ist der hat gegessen was



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 153

(398) *Même/juste [le chat]Fokus a mangé quoi? sogar/nur die Katze hat gegessen was Es soll nun gezeigt werden, dass die Beschränkung in Spaltfragen und der Interventionseffekt in Verbindung mit Fokuspartikeln die gleiche Ursache haben, mit dem Unter­schied, dass overte Fokuspartikeln wie juste/only/nur in Fragen in (398) kein wh-Element als Fokuselement assoziieren. Schauen wir uns zunächst die Syntax vom Typ-3-Spalt an: C



Qui

C'

FokP

C° [Q]

Fok° c’est≈ only

FinP

Spec,FinP qui Foc

Fin

qui a mangé quoi Abbildung 14: Syntax vom Bmw-Effekt in Typ 3 in Split-CP.

Die Erklärung von Bmw-Effekten in Spaltfragen kann in Anlehnung an Mayrs Interventionseffekttheorie (vgl. 3.4.2) wie folgt beschrieben werden. Der ungram­ matische Spaltfragesatz in (397) kommt zustande durch die fehlende Äquivalenz zwischen der Proposition, die aus der Disjunktion der Fragealternativen hervorgeht, und der Proposition, die die Präsupposition der Frage ausdrückt. Wir schauen uns zunächst an, wie die Disjunktion der Fragealternativen aussieht und vergleichen sie im nächsten Schritt mit der Präsupposition der Frage. Die Denotation von Spaltfragen mit multiplen wh-Elementen in (397) setzt sich zusammen aus der Menge von Propositionen, die anstelle von wh-Elementen

154 

 Spaltfragen

Individuenterme enthalten, also {a hat b gegessen, c hat d gegessen} (vgl. die Fragesemantik von multiplen wh-Fragen in 3.2.2), und zusätzlich wird jede Antwort aufgrund des semantischen Beitrags von c’est als exhaustiv interpretiert: (399) ‖(397)‖ = {p: ∃y. ∃x [p = λw: x hat y gegessenw. " q Îg(C)[q(w) → λw’. x hat y gegessenw’ ⊆ q]]} = Mengendenotation = {Only (Jean hat a gegessen), Only (Pierre hat b gegessen)}

Entscheidend für die Erklärung von Interventionseffekten ist, dass beide whElemente auf der Ebene der Denotation weiten Skopus haben, d. h. dass im Skopus des Exhaustivitätsoperators zwei wh-Variablen stehen. Die Denotation einer Spaltfrage wie in (399) gleicht damit der Denotation einer grammatischen Frage mit einer Einzellesart in (400)b., die nur eine richtige Antwort haben kann: (400) a. Qui a copié qui? Marie a copié Pierre ou vice versa? ‘Wer hat wen kopiert? Marie Pierre oder umgekehrt?’ b. {p: ∃y. ∃x [p = λw: x hat y kopiertw. " q Îg(C)[q(w) →[x hat y kopiert] ⊆ q]]} ={Only (sie hat ihn kopiert), Only (er hat sie kopiert)}.

Die Denotation einer Spaltfrage bzw. einer Frage mit einer Einzellesart sollte von Fragen mit einer Listenlesart unterschieden werden, weil dort mehrere Antworten gültig sind, d. h. die Exhaustivität würde sich allenfalls auf eine Liste bzw. auf eine Koordination von mehreren Antworten beziehen: (401) ‖Qui a mangé quoi? ‘Wer hat was gegessen?’‖ = {Only (Jean hat eine Birne gegessen & Pierre hat einen Apfel gegessen); Only (Jean hat einen Apfel gegessen & Pierre hat Schokolade gegessen)} Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Denotation von Spaltfragen mit multiplen wh-Elementen kaum von der Denotation von grammatischen Fragen mit multiplen wh-Elementen unterscheidet. Nachdem die Frage beantwortet wurde, was Spaltfragen mit Bmw-Effekten denotieren, soll nun die Frage beantwortet werden, was sie präsupponieren, da die Begründung des Bmw-Effektes in der fehlenden Entsprechung zwischen der Denotation und der Präsupposition liegt. Die Bildung einer Präsuppostion hängt im Rahmen der Interventionseffekttheorie von Mayr von der Oberflächenform ab, d. h. es wird nun geschaut, wo die beiden wh-Elemente im Vergleich zum jeweiligen Fokusoperator stehen. In Spaltfragen mit Bmw-Effekten wie in (397) steht das zweite wh-Element quoi ‘was’ hinter dem Exhaustivitätsoperator bzw. wird von diesem c-kommandiert. Eine solche Konstellation wird semantisch dahingehend interpretiert, dass das zweite wh-Element im Skopus des Exhaustivitätsoperators



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 155

interpretiert wird. Das wiederum bedeutet, dass präsupponiert wird, dass jemand etwas gegessen hat und es wird assertiert, dass niemand sonst außer x irgendetwas gegessen hat (sogenannte Proposition, die aus der Oberfläche abgelesen wird (PO)). Nehmen wir einen Diskurs an, in welchem Marie die einzige Person ist, die einen Apfel gegessen hat. Wird in diesem Diskurs die Frage in (397) gestellt, dann wird durch c’est ausgedrückt, dass nur eine Antwort aus der Alternativenmenge in (399) wahr ist, nämlich dass Marie einen Apfel gegessen hat und dass alle anderen Personen, die nicht Marie sind, nichts gegessen haben (vgl. die Wahrheitswerte F(alsch) und W(ahr) alternativer Antworten in dem besagten Diskurs): (402) a. Marie hat einen Apfel gegessen. b. Pierre hat einen Apfel gegessen. c. Pierre hat eine Birne gegessen.

W F F

Gleichzeitig lautet die Proposition, die aus der Disjunktion der Alternativen hervorgeht (kurz PA), dass es für alle anderen Personen außer x (z. B. Marie) nicht zutrifft, dass sie das gleiche gegessen haben wie x (z. B. einen Apfel). Die Wahrheit dieser Proposition schließt nicht die Möglichkeit aus, dass diese Personen etwas anderes gegessen haben könnten (vgl. (403)c.): (403) a. Marie hat einen Apfel gegessen. b. Pierre hat einen Apfel gegessen. c. Pierre hat eine Birne gegessen.

W F F/W

Vergleicht man nun die Wahrheitswerte der beiden Propositionen (PO und PA), dann stellt man fest, dass sie sich nicht entsprechen. Diese fehlende Entsprechung löst den Bmw-Effekt aus. Im Prinzip ließe sich die fehlende Entsprechung der beiden Propositionen (PO und PA) auch auf der Ebene der Mengendenotation formulieren, wenn man die Präsupposition, die aus der Oberflächenform hervorgeht (PO), in eine Menge überführt. In dieser Menge werden nur wh-ex-situ-Elemente durch Individuumterme ersetzt, während das wh-in-situ-Element in jeden alternativen Propos­ tion als ein indefinites Pronomen interpretiert wird {Maria und niemand sonst hat etwas gegessen, Pierre und niemand sonst hat etwas gegessen, Marc und niemand sonst hat etwas gegessen}. Eine solche Menge entspricht im Französischen und im Italienischen einer Frage, die anstelle eines wh-in-situ-Elementes ein indefinites Pronomen enthält: est qui a mangé quelque chose? (404) Qui c’ wer s.cl. ist der hat gegessen etwas ‘Wer ist es, der etwas gegessen hat?’

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 Spaltfragen

 engendenotation ={Maria und niemand sonst hat etwas gegessen, Pierre M und niemand sonst hat etwas gegessen, Marc und niemand sonst hat etwas gegessen}

Die besagte Alternativenmenge entspricht jedoch nicht einer Menge, derzufolge beide wh-Elemente durch Individuumterme ersetzt werden {Maria und niemand sonst hat a gegessen, Pierre und niemand sonst hat a gegessen, Marc und niemand sonst hat a gegessen}. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Interventionseffekt in Spaltfragen darauf hinausläuft, dass durch die Oberflächenform eine Alternativenmenge generiert wird, bei der nur ein wh-Element durch Individuumterme ersetzt wird. Diese Alternativenmenge entspricht jedoch nicht einer Alternativenmenge, bei der beide wh-Elemente durch Individuumterme ersetzt werden. Im nächsten Schritt soll die besprochene fehlende Entsprechung zwischen der Präsupposition (PO) und der Disjunktion der Alternativen (PA) formal ausgedrückt werden. Das zweite wh-Element in situ, welches in der Koda einer Spaltfrage positioniert ist (vgl. (397)) und damit im Fokushintergrund steht, wird auf der Ebene der präsupponierten Proposition (PO) als ein Existenzquantor ∃z auf der Ebene jeder alternativen Proposition interpretiert (vgl. die rechte Seite in (405), auf der die alternativen Propositionen repräsentiert werden): (405) PO von (397) = λw. ∃x: ∃z[hat gegessenw (x, z)]. " q Îg(C) [q(w) → λw’. ∃z [hat gegessenw’ (x, z)] ⊆ q]. Wörtlich: jemand hat etwas gegessen und kein anderer hat etwas gegessen.

Die besagte Präsupposition (PO) in (405) entspricht damit der Präsupposition einer Frage, die anstelle des wh-in-situ-Elementes ein indefinites Element quelque chose ‘etwas’ enthält, welches im Skopus des Exhaustivitätsoperators interpretiert wird: (406) C’est qui qui a mangé quelque chose? PO = λw. ∃x: ∃z[hat gegessenw (x, z)]. " q Îg(C) [q(w) → λw’. ∃z [hat gegessenw’ (x, z)] ⊆ q]. Wörtlich: jemand hat etwas gegessen und kein anderer hat etwas gegessen.

Die Präsupposition (PO) in (405) ist jedoch nicht kompatibel mit der Präsupposition, derzufolge das zweite wh-Element in situ auf der Ebene der Proposition im präsupponierten Teil als eine Variable z interpretiert wird: (407) PA von (397) = λw. ∃x. ∃z: [hat gegessenw (x, z)]. " q Îg(C) [q(w) → λw’.[hat gegessenw’ (x, z)] ⊆ q]. Wörtlich: Eine Person x hat eine Sache y gegessen und nur x hat y gegessen, niemand sonst hat y gegessen.



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

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Der Grund dafür, dass das Beispiel in (406) grammatisch ist, anders als das Beispiel in (397), obwohl beide die gleiche Präsupposition PO haben, ist der, dass sie nicht die gleiche Fragedenotation haben bzw. die gleiche Alternativenmenge und damit auch nicht die gleiche Proposition, die aus der Disjunktion der Alter­ nativenmenge folgt (PA). Im Beispiel (406) werden nur wh-ex-situ-Elemente durch Individuumterme ersetzt: {Marie hat etwas gegessen und keiner sonst hat etwas gegessen, Pierre hat etwas gegessen und keiner sonst hat etwas gegessen,…}. In Spaltfragen wird auch das wh-in-situ-Element durch Individuumterme ersetzt. Der Grund dafür, dass PO in (397) anders ist als die Proposition, die aus der Disjunktion der Alternativen folgt (PA), ist der, dass PO aus der Oberflächenform von Spaltfragen abgelesen wird (vgl. Abbildung unten). Diese Oberflächenform zeigt, dass das wh-in situ-Element im Fokushintergrund steht, der als präsup­ poniert interpretiert wird und der Existenzquantor, der durch das wh-Element in situ ausgedrückt wird, nun Teil jeder alternativen Antwort ist (d. h. Teil der Alternativenmenge g(C), vgl. 3.4.2) und damit Teil der präsupponierten Proposition. Die Abbildung zeigt einerseits, dass eine Spaltfrage mit multiplen wh-Elementen eine Fragesemantik im Rahmen von H&K vorsieht (vgl. die Interpretation der CP in Abb. 5), und gleichzeitig steht ein Existenzquantor in situ unterhalb des Exhaustivitätsoperators, der durch FokP ausgedrückt wird. Die folgende Reprä­ sentation der Bedeutung ist nicht vollständig, sie soll lediglich den engen Skopus des Existenzquantors, der durch das wh-in situ lexikalisch ausgedrückt wird, verdeutlichen (vgl. die kompositionelle Analyse im Anhang 3): Ich möchte dafür argumentieren, dass die Oberflächenform eine große Rolle beim Interventionseffekt in Spaltfragen spielt. Der Interventionseffekt wird in Spaltfragen noch dadurch verstärkt, dass die Koda einer Spaltfrage einerseits als given94 markiert wird und damit getilgt werden kann95 und gleichzeitig ein Fra­ gepronomen enthält, welches eine Alternativenbedeutung und damit eine Fokus­ bedeutung hat. In einer Domäne, die als [+given] markiert ist, kann kein fokussiertes Element verwen­det werden, weil sonst Schwarzschilds (1999: 13) Prinzip Avoid 94 Ich folge Krifkas (2007) Definition von Givenness: A feature X of an expression α is a Givenness feature if X indicates whether the denotation of α is present in the CG [Common Ground] or not, and/or indicates the degree to which it is present in the immediate CG (Krifka 2007: 37, Klammer von O. K.). 95 Für Merchant (2001) ist die Tilgung eines Ausdrucks (vgl. den durchgestrichenen Teil) das wichtigste formale Korrelat von Givenness: (i.) He said something, but I don’t remember what he said. Schwarzschild (1999) geht davon aus, dass die Deakzentuierung (engl. deaccenting) eines Ausdrucks das wichtigste phonologische Korrelat von Givenness im Englischen ist (Schwarzschild 1999). Es gibt jedoch andere Sprachen (z. B. einige romanische Sprachen), die Givenness nicht unbedingt durch eine Deakzentuierung markieren müssen (vgl. Vallduví & Engdahl 1996, D’Imperio 2002).

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Quij

 Spaltfragen

*||CP||g = {p: ∃x.∃y[p = λw: x hat y gegessen in w. ∀ q ∈g(C) [q(w) →[x hat y gegessen ⊆ q]]} ≈ {Jean und kein anderer hat es gegessen, Pierre und kein anderer hat es gegessen} Disjunktion = Es gibt ein x und ein y, so dass gilt nur x hat C' y gegessen.

C° [Q]

||FokP||g PO = ‘Nur x hat etwas gegessen und niemand sonst.’

Fok°

FinP

c’est

Spec, FinP tj Foc Skopus von Fok°

Fin'

qui a mangé quoi

Abbildung 15: Syntax und Semantik vom Bmw-Effekt in Typ 3-Spalt in Split-CP.

Focus (“Focus-mark as little as possible, without violating GIVENness”) verletzt werden würde. Folglich kann die Koda mit dem fokussierten Element nicht getilgt werden. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt auch Hamlaoui (2010) bei ihrer Erklärung von Interventionseffekten in Verbindung mit wh-in-situ-Elementen im Französischen, die im Skopus von Fokuspartikeln stehen (vgl. 1.3.5). In der Literatur ist es bekannt, dass die Koda in grammatischen Spaltfragen und Spaltsätzen als präsupponiert und gegeben (engl. given) interpretiert werden sollte, was auf PF durch Deakzentuierung, niedriges Tonhöhenregister und mögliche Elidierung der Koda ausgedrückt wird (vgl. 2.1.3.2). Der Begriff Givenness soll anhand des folgenden Beispiels eines Spaltsatzes kurz erläutert werden: (408) It was Margaret who broke the keyboard.

(Von Fintel 2000: 2)

Das Beispiel präsupponiert, dass jemand das Keyboard kaputt gemacht hat und assertiert, dass Margaret das Keyboard kaputt gemacht hat (vgl. von Fintel 2000: 2). Eine Präsupposition wird im Sinne von Stalnakers (1973) Common Ground (CG)



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

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defi­niert: “the set of propositions mutually held as true, for purposes of the conversation, by the participants in a conversation at a given time” (Portner & Zanuttini 2003: 51). Nimmt man von Fintels Beispiel als Diskussionsbasis, dann ist die Proposition someone broke the keyboard im CG der Diskursteilnehmer enthalten. Daraus folgt, dass präsupponierte Propositionen automatisch [+given] sind, da sie im CG präsent sind. Was nun neu an Informationen in den CG hinzuaddiert wird, ist die Proposition Margaret broke the keyboard: (409) a. Se è stato Leo a portare la torta, sono sicura che sarà buonissima. ‘Wenn es Leo war, der die Torte gebracht hat, dann bin ich mir sicher, dass sie gut sein wird.’

b. Forse non è stato Leo, ma Maria. ‘Vielleicht war es nicht Leo, sondern Maria.’ a + b. à Qualcuno ha portato la torta. ‘Jemand hat die Torte gebracht.’

Demnach wird die Koda in Spaltsätzen als [+given] markiert. Es sei darauf hingewiesen, dass das fokusmarkierte Element nicht im Fokushintergrund steht: (410) It was Margretfoc [[+given] who broke the keyboard] In Spaltfragen mit Bmw-Effekten würde das zweite wh-Element im als gegeben markierten Ausdruck stehen, was jedoch dem Prinzip Avoid Focus widerspricht: (411) *[CP quij  c’ est ‘only’ tj foc [[+given] qui a mangé quoifoc]]96 wer scl. ist dass hat gegessen was Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Bmw-Effekt daraus folgt, dass das wh-in-situ-Element im Skopus des Exhaustivitätsoperators interpretiert wird, der eine vergleichbare Semantik wie die Fokuspartikel nur/juste hat. Folglich sollte der Bmw-Effekt als ein Interventionseffekt analysiert werden, der dadurch entsteht, dass die Fokuspartikel nur/juste ein wh-Element einbettet. Der Bmw-Effekt in Spalt­fragen (bzw. im Typ 3-Spalt) folgt im Rahmen der vorgeschlagenen Erklärung daraus, dass der Typ 3-Spalt unterschiedliche Präsuppositionen auslöst, die sich nicht entsprechen: Einerseits sollen beide wh-Elemente weiten Skopus über den Exhaustivitätsoperator haben (das folgt aus der H&K-Fragesemantik in 3.2) und gleichzeitig steht das wh-in situ innerhalb der Koda und damit im Skopus des Exhaustivitätsoperators, der durch c’est ausgedrückt wird. In diesem Fall wird

96 In grammatischen Spaltfragen mit nur einem wh-Element steht die fokusmarkierte Spur nicht im Fokushintergrund. Auf diese Weise wird das besagte Prinzip Avoid Focus nicht verletzt:

  i. Qui c’est qui l’a mangé? ‘Wer hat es gegessen?’   [CP qui [FocP c’est ‘only’ [FinP tfoc Fin°[given] qui l’a mangé]]]

160 

 Spaltfragen

eine Präsupposition ausgelöst, die nicht kompatibel ist mit der exi­stentiellen Prä­ supposition eines jeden wh-Elementes. Abschließend lässt sich sagen, dass der Bmw-Effekt in Spaltfragen durch den exhaustiven Fokusoperator erzeugt wird, welcher nach unserer Analyse in der Struktur abgebildet wird. Dieser Operator erzeugt eine fehlende Entsprechung der Propositionen auf der semantischen Ebene und eine Verletzung des Prinzips Avoid Focus auf der informationsstrukturellen Ebene. 4.1.4 Weitere Argumente für die Erklärung von Bmw-Effekten Analysiert man est-ce que als eine Fragepartikel, die eine morphologische Instantiierung des Satztyps bildet und in C° positioniert ist (vgl. Abbildung 11 in 4.1.1), dann sollte man erwarten, dass Fragen mit est-ce que in Bezug auf den Bmw-Effekt sich so ähnlich verhalten wie Fragen ohne est-ce que. In der Tat erlauben est-ce que-Fragen (jedoch nicht Spaltfragen!) multiple wh-Elemente, was auch in der Literatur beobachtet wird (vgl. 2.1.2). Es stellt sich nun die Frage, wie die Daten der Gruppe B (vgl. 2.1.2) zu erklären sind, die multiple wh-Elemente in Spaltfragen erlauben. Ich möchte die Idee präsentieren, dass das Element c’est dieser Sprechergruppe sich in einem fortgeschrittenen Grammatikalitätsstadium befindet, dergestalt, dass es sich in C° und nicht in Foc° befindet. Sollte dies zutreffen, findet die Grammatikalität dieser Sätze eine einleuchtende Erklärung. Da das betreffende Element nun nicht mehr Teil eines Fokuskopfes ist, sondern zu einem Komplementierer bzw. einem Illokutionsmarker geworden ist, fehlen die ent­sprechenden Merkmale eines Fokuskopfes. Da der Bmw-Effekt durch den Fo­kuskopf ausgelöst wird, erklärt sich das Fehlen des Bmw-Effektes. Dies wiederum sagt voraus, dass die Sprecher der Gruppe B Spaltfragen gleichbedeutend mit anderen Fragen interpretieren sollten. Das trifft in der Tat auch zu, weil diese Sprecher Spaltfragen mit mehreren wh-Elementen eine Listenlesart zuweisen, die sie auch ganz normalen Fragen mit mehreren wh-Elementen zuweisen (vgl. 1.2.2 und 2.1.2). Im Folgenden sollen die drei Grammatikalisierungsstadien aufgezeigt werden (c’est als Kopulasatz, c’est als grammatikalisierte Fokuspartikel und c’est als Fragepartikel vergleichbar mit est-ce que): (412) [CP quij CQ° [TP c T° estk [VP tk tj [Relativsatz qui l’ a fait?]]] c’est als Kopulasatz wer c’est der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ (413) [CP quij CQ° [FocP tj Foc° c’est [FinP tj Fin° qui [TP tj l’ a fait?]]] c’est als Fokuspartikel wer c’est der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 161

(414) [CP quij CQ° c’est [FinP tj Fin° qui [TP tj l’ a fait?]]] c’est als Fragepartikel wer c’est der es hat gemacht ‘Wer hat es gemacht?’ Wenn c’est als Fragepartikel wie in (414) interpretiert wird, bedeutet das semantisch, dass für die Sprechergruppe B beide wh-Elemente gleicher­maßen für die Bildung einer Alternativenmenge verantwortlich sind (z. B. {Pierre hat dies gemacht, Maria jenes}). In der Tat weist die Gruppe B Fragesätzen mit einer Spaltsatzstruktur wie Fragen ohne Spaltsatzstruktur eine distributive Lesart zu: est qui a fait quoi? (415) Qui c’ wer s.cl. ist der hat gemacht was) ‘Wer hat was gemacht?’ (@-11, ok für die Gruppe B, * für die Gruppe A). Nach der besagten Hypothese über die Grammatikalisierung der Spaltfragesätze der Sprechergruppe B sollte man andere Urteile erwarten, wenn die Reanalyse des Elements c’est als Fragepartikel blockiert wird, sobald man eine overte Fragepartikel est-ce que in den Fragesatz einsetzt. In der Tat bewerten beide Sprechergruppen Spaltfragen mit einem zusätzlichen est-ce que und einem weiteren wh-Element als ungrammatisch, während die beiden Gruppen solche Strukturen mit nur einem wh-Element als grammatisch betrachten: (416) Qui est-ce que c’ est qui a mangé ma pomme? wer est-ce que s.cl. ist der hat gegessen meinen Apfel? ‘Wer war es, der meinen Apfel gegessen hat?’(Gruppe A und Gruppe B) (417) *Qui est-ce que c’ est qui a mangé quoi? wer est-ce que s.cl. ist der hat gegessen was? (Gruppe A und Gruppe B) Die Grammatikaliserungshypothese könnte möglicherweise auch den Unterschied in der Bewertung von multiplen wh-Elementen im Irischen erklären. McCloskey (1979) zufolge sind multiple wh-Elemente im Irischen unmöglich. Er weist darauf hin, dass Fragesätze im Irischen einen overten Komplementierer aL enthalten, der in Verbindung mit Nominalphrasen den Status eines definiten Artikels hat: (418) *Cé aL who COMP

rinne caidé? did what

(419) *Caidé aL what COMP

thug sé do cé? gave he to who (Mc Closkey 1979: 70)

Nun widersprechen andere Autoren McCloskeys Generalisierung, da einige irische Dialekte (Ulster, Connacht und Munster) multiple wh-Elemente mit einem overten Komplementierer aL erlauben (Maki & O Baoill 2007: 510):

162 

 Spaltfragen

(420) Cé aL cheannaigh cad é? who COMP bought what ‘Who bought what’ (421) Cé aL tháinig cà huair? who COMP came what time ‘Who came when?’ Keiner der Autoren hat allerdings die Funktionen bzw. die Kontexte der Verwendung multipler wh-Elemente in Fragen mit einem Komplementierer aL näher spezifiziert. Es könnte sein, dass sich der Widerspruch in den Daten durch die unterschiedliche Verwendung auflöst. Eine mögliche Erklärung des Widerspruchs könnte diachron begründet werden. Es kann sein, dass sich der Komplementierer aL in den besagten Dialekten zu einer einfachen Fragepartikel [Q] grammatikalisiert hat, so wie est-ce que sich zu einer Fragepartikel grammatikalisiert hat. Man muss in Zukunft jedoch weitere Tests durchführen, um diese Hypothese systema­tisch zu überprüfen. In dieser Arbeit konzentriere ich mich zunächst auf die Gruppe, die einen Unterschied zwischen Spaltfragen und Nichtspaltfragen macht. Es sollen nun weitere empirische Argumente für die genannte Erklärung vorgestellt werden. Das erste empirische Argument ist, dass französische Spreche­ rInnen eine an­dere Möglichkeit der Struktur wählen, wenn ein Spaltfragesatz mit multiplen wh-Ele­menten gebildet werden soll, und zwar die Möglichkeit der Koordination (ähnliche Bei­spiele gelten für das Italienische): est quoi qu’ il faut envoyer et à qui? (422) C’ es ist was dass man muss schicken und an wen ‘Was muss man schicken und an wen?’ Eine koordinierte Frage umgeht das Problem mit dem Bmw-Effekt, weil dort beide wh-Elemente weiten Skopus haben: (423) Präsupposition von (422) = wörtlich: man muss ein x und nichts anderes schicken und man muss es einer Person y und niemandem sonst schicken. Das zweite empirische Argument zeigt, dass multiple wh-Elemente in Spaltfragen er­laubt sind, wenn sie beide weiten Skopus haben, was syntaktisch durch die Voranstel­lung einer komplexen wh-Phrase, die zwei wh-Elemente enthält, ausgedrückt wird (vgl. 2.1.2): (424) De quel âge à quel âge c’ est qu’ ils von welchem Alter bis welchen Alter s.cl. ist dass sie perdent leurs dents? verlieren ihre Zähne ‘In welchem Zeitraum verlieren sie ihre Zähne?’



Kartographische Analyse von französischen Spaltfragen 

 163

(425) *De quel âge c’ est qu’ ils perdent leurs dents von welchem Alter s.cl. ist dass sie verlieren ihre Zähne à quel âge? bis welchen Alter Eine mögliche Repräsentation der Struktur solcher Fragen sieht wie folgt aus: CP

De quel âge à quel âgej

C'

C° [Q]

FokP

FinP

Fok° c’est Spec, FinP tj

Fin'

TP

Fin° qu’ Spec, TP ils

T' perdent leurs dents tj

Abbildung 16: Spaltfrage mit [de x à y] in Split-CP.

Man könnte dafür argumentieren, dass beide wh-Elemente zwei Argumente eines Verbs bilden, das einen Pfad oder einen Übergang (engl. path oder transition) kodiert (vgl. Gross 1981). Einer solchen Analyse zufolge würden beide wh-Elemente zwei Variablen x und y einführen, die durch Zeitpunkte oder Orte charakterisiert sind (z. B. von dann bis dann/von da nach da). Der Exhaustivi­ tätsoperator nimmt damit eine Proposition mit zwei Variablen als Argu­ment und drückt aus, dass ein bestimmtes Paar von Zeitpunkten bzw. ein bestimmtes Intervall und kein anderes gültig ist (hier: zwischen der 5. und der 7. Woche): (426) ‖O(nly)Q‖ (‖(424)‖) (λw. sie verlieren ihre Zähnew (zwischen der 5. und 7. Woche ∧ "p Î(‖(424)‖) [p (w) → λw'sie verlieren ihre Zähnew' (zwischen der 5. und 7. Woche) ⊆ p] ≈ ‘Für einen Zeitpunkt x und einen Zeitpunkt y gilt, sie verlieren ihre Zähne  zwischen x und y und für jedes z und jedes k gilt, z = x und k = y.’

164 

 Spaltfragen

Der Analyse in (426) zufolge gibt es keinen Bmw-Effekt, weil beide wh-Ele­mente in Spec, CP und damit außerhalb des Skopusbereichs von Foc° stehen.97 Im Folgenden soll die Kopulaanalyse anhand italienischer Spalt­fragen demonstriert werden und der Bmw-Effekt daraus abgeleitet werden.

4.2 Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse In diesem Unterkapitel wird eine alternative Analyse von Spaltsätzen vorgestellt, deren Annahme für das Italienische grundlegend ist, da die vorgeschlagene kartographische Analyse hier nicht funktionieren kann. Die Kopula kann in italienischen Spalt(frage)sätzen unterschiedlich flektiert werden (Tempus, Modus, Numerus, etc.) (vgl. hierzu auch Frascarelli & Ramaglia 2009), während sie im Französischen weitestgehend auf c’est fixiert ist. Im Gegensatz zu existierenden Kopulaanalysen von Spaltsätzen in der Literatur (vgl. 4.2.6) handelt es sich bei dieser Kopulaanalyse um eine monoklausale Analyse (wie bei der kartographischen Analyse in 4.1 auch) (zu biklausalen Analysen, vgl. 4.2.6). Bei der hier vorgestellten Analyse kommt man mit einem einzigen C° aus, so dass eine kartographische Analyse nicht erforderlich ist. Die Kopulaanalyse geht von der Annahme aus, dass Spaltsätze semantisch eine Identi­tätsrelation zwischen Individuen und definiten Ausdrücken bedeuten (vgl. auch Percus 1997, Han & Hedberg 2008, Frascarelli 2010, u. a.). Diese Idee werde ich auf Spaltfragesätze übertragen, indem ich annehmen werde, dass diese Identitätsrelation auf der Antwortebene von Spaltfragen definiert werden kann, d. h. dass der Wert auf eine wh-Variable in Spaltfragen identisch mit einem definiten Ausdruck ist, den die Spaltsatzkoda denotiert. Dieser Abschnitt ist wie folgt aufgebaut. Zunächst wird die grobe Idee vermittelt (vgl. 4.2.1). Danach wird diese Idee syntaktisch und semantisch ausbuchstabiert, indem die Repräsentation der Argumentstruktur des Kopulasatzes und der syntaktisch-semantischen Struktur der Koda präsentiert wird (vgl. 4.2.2). Danach wird die Analyse in (4.2.2) 97 Eine andere mögliche Analyse ist, dass der Fragesatz in (424) eine Koordination von zwei whFragen ausdrückt (vgl. i.). Nach dieser Analyse folgt die Abwesenheit vom Bmw-Effekt in (424) automatisch aus der Koordination.   i. ‖(424)‖ =   λ p. ∃x [Zeitpunkt (x) & p = λ w’. sie verlieren ihre Zähne ab dem Zeitpunkt x in w’]   wörtlich: ‘für welchen Zeitpunkt x gilt, sie verlieren ihre Zähne ab x?’   &   λ p. ∃y [Zeitpunkt (y) & p = λ w’. sie verlieren ihre Zähne bis zum Zeitpunkt y in w’]   wörtlich: ‘für welchen Zeitpunkt x gilt, sie verlieren ihre Zähne bis x?’



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

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auf Spaltfragen adaptiert (4.2.3). In 4.2.4 wird eine Erklärung des Bmw-Effektes im Rahmen der Kopulaanalyse geboten.

4.2.1 Spaltfragen als Kopulakonstruktionen Im Rahmen der Kopulaanalyse kann man davon ausgehen, dass Spaltsätze zumindest semantisch wie Sperrsätze interpretiert werden (vgl. Percus 1997, Han & Hedberg 2008, Frascarelli 2010, Reeve 2012, u. a.): (427) È Mario che parla. (Spaltsatz) ≈ ‘Quello che parla è Mario.’ (Sperrsatz) ‘Es ist Mario, der spricht.’ ≈ ‘Derjenige, der spricht, ist Mario.’ Überträgt man diese Idee auf Spaltfragen, dann entsprechen Spaltfragen des Typs in ((428)a.) semantisch einem Fragesatz mit einer Kopulastruktur und einem overten definiten Ausdruck in ((428)b.): (428) a. Chi è che parla? wer ist der spricht ‘Wer ist es, der spricht?’

(Spaltfrage)

b. Chi è quello che parla? wer ist derjenige der spricht ‘Wer ist derjenige, der spricht?’

(Sperrfrage)

Ich werde zeigen, dass italienische Spaltfragen und Sperrfragen strukturelle Gemeinsamkeiten tei­len. Wie sich bereits in 2.1 gezeigt hat, ist der Vergleich zwischen Spaltsätzen und Sperrsätzen sehr fruchtbar, weil beide Typen einige semantisch-pragmatische Eigen­schaften teilen wie z. B. a) die existentielle Prä­ supposition, b) die Exhaustivität, und c) ihre Verwendung in bestimmten Kontexten, in denen auf ein be­stimmtes und damit bekanntes Individuum referiert wird (vgl. 2.1.3–2.1.5). Bereits jetzt sei gesagt, dass ich davon ausgehe, dass dem overten Demonstrativpronomen quello in (428)b. in einem Sperrsatz in Spaltsätzen wie in (428)a. ein kovertes Element entspricht.

4.2.2 Die Spaltsatzkoda ist ein definiter Ausdruck In meiner Kopulaanalyse von Spaltsätzen gehe ich davon aus, dass ein Spaltsatz wie in ((428)a.) eine Identitätsrelation zwischen zwei Argumenten des Kopulaverbs sein aus­drückt, und zwar zwischen der abgespaltenen XP (Mario) und der Koda (che parla ‘der spricht’). Ich nehme an, dass beide Argumente der Kopula

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 Spaltfragen

vom Typ eines Individuums sind. Demnach ist die Kopula vom Typ (die Identitätsrelation wird durch sein= abgebildet): (429) ‖essere‖g λ ye λ xe [sein = ’ (x)(y)] (Mario’), (der spricht’) Wenn Kopulas in Spaltsätzen eine Identität zwischen einem Individuum (z. B. einem Eigennamen ‘Mario’), der vom semantischen Typ ist, und der Koda stiften sollen, dann muss die Koda ebenfalls vom Typ eines Individuums sein. Die wichtige Frage ist nun, wie die Koda ein Individuum denotieren kann. Ich gehe davon aus, dass die Koda in Spaltsätzen semantisch einem definiten Ausdruck entspricht. Der definite Arti­kel wie z. B. ital. la/il ‘die/der’, syntaktisch repräsentiert als Determinierer oder D°, ist vom semantischen Typ , welcher ein Prädikat vom Typ (d. h. ein Nomen) als Argument nimmt und auf ein Individuum wieder absetzt (vgl Heim & Kratzer 1998: 74 f.). Der definite Artikel wählt aus einer Menge von Individuen das einzige Individuum (Typ e) (oder das maximale plurale, d. h. eine bestimmte Gruppe von Individuen) in der Menge aus. Die syntaktische Projektion von D° zu einer DP bedeutet semantisch, dass D° auf eine Menge (repräsentiert durch eine NP) funktional appliziert. Als Endergebnis wird ein bestimmtes Individuum ausgewählt, das den semantischen Typ hat: (430) a. L’uomo oder b. Quello ‘Der Mann ‘dieser’ DP



L‘ quelloj

NP

uomo tj

Abbildung 17: Definiter Ausdruck.

Nun ist der definite Ausdruck in (428)b komplexer, weil er aus einer DP (quello) und einem Relativsatz (che parla) besteht. Ich gehe in Anlehnung an Heim & Kratzer (1998: 91) davon aus, dass ein solcher komplexer definiter Ausdruck eine DP repräsentiert, die aus einem Determinierer D°, einer Nominalphrase NP und einem Relativsatz CP besteht, und syntaktisch wie folgt gegliedert ist: (431) a. [DP D° la [NP N° persona [CP Rel.Opk C° che [TP tk parla]]]] die Person die spricht ‘Die Person, die spricht.’





Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

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b. [DP D° quelloj [NP N° tj [CP Rel.Op.k C° che [TP tk parla]]]] dieser der spricht ‘Derjenige, der spricht.’

Die komplexe NP drückt semantisch eine Koordination von Prädikaten aus (formal re­präsentiert durch N und die CP), die eine gemeinsame Variable teilen (vgl. Prädikats­modifikation bei Heim & Kratzer 1998: 65): (432) [DP [D° quelloj [N tj [CP che parla]]] dieser der spricht ‘derjenige, der spricht.’

die (z) [λz Person’(z) & spricht’ (z)] (wörtlich: ein bestimmtes z für das gilt, z ist eine männliche Person und z spricht) DP



NP

quelloj N°

CP

tj Spec, CP Rel.Op.k

C’ che tk parla

Abbildung 18: Komplexer definiter Ausdruck.

Die nächste zentrale Frage ist, ob die Koda in Spaltfragesätzen wie in (428)a. syntak­tisch einer komplexen DP wie in (431) entspricht. Wenn dem quello ein pro im italieni­schen Spaltsatz entspricht, wäre für den Spaltsatz eine analoge Analyse möglich. Ich gehe davon aus, dass das koverte pro im Italienischen ein definites Merkmal [+definit] in Spalt(frage)sätzen hat (vgl. auch Percus (1997), Han & Hedberg (2008) und 4.2.6 zur definiten Interpretation der Koda in englischen Spaltsätzen). Die Definitheit des koverten Subjektpronomens pro wird durch die Möglichkeit einer overten Realisierung des Pronomens quello im Italienischen in ((428)b.) bestätigt. Im weiteren Verlauf des Kapitels werde ich annehmen, dass

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 Spaltfragen

sich das definite pro aus der Koda in eine höhere Position bewegt und letztendlich als Subjekt des gesamten Satzes fungiert (vgl. ebd.): (433) [TP proj è Gianni [DP tj [CP che parla]]]98 ist Gianni der spricht ‘Es spricht Gianni.’ Im Französischen entspricht dem pro das Klitikon ce: (434) [DP [D° ce [CP que vous appelez une comptine …]]] das dass sie nennt einen Abzählreim ‘das, was Sie einen Reim nennen.’ Es existiert dort ein weiteres ce neben dem Subjektklitikon ce: (435) C’ est quoi ce  que vous appelez une comptine? s.cl. ist was s.cl. dass ihr  nennt einen Abzählreim ‘Was ist es, das Sie einen Abzählreim nennen?’ 

[PFC 31asl1]

Man könnte dafür argumentieren, dass das zweite Klitikon ce tatsächlich die phonologi­ sche Realisierung des angenommenen definiten Kopfes ist (nicht gelöschte Spur): (436) Cj’est quoi [DP D° (cej) [CP que vous appelez une comptine]]? ‘Was ist es, was Sie einen Abzählreim nennen?’ Allerdings kann dieses Klitikon nicht immer overt realisiert werden. Es kann z. B. nicht overt realisiert werden, wenn das wh-Element ein Merkmal [+human] enthält, und somit lexikalisch durch qui ‘wer’ ausgedrückt wird, weil ce selbst [– human] ist: (437) C’ est qui (*ce) qu’ on a invité? s.cl. ist wer (*s.cl.) den man  hat  eingeladen ‘Wer ist es, den wir eingeladen haben?’ In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten, dennoch ein solches gedoppeltes Element auszudrücken, wobei beide Möglichkeiten traditionell Sperrsätze sind, was in unserer Analyse aus den genannten Gründen keine Rolle spielt. Die erste Möglichkeit 98 Inwiefern italienische Spaltsätze mit einem koverten pro mit Kopulasätzen vergleichbar sind, die ein overtes Subjektpronomen ce (wörtlich dort) tragen, sollte in Zukunft genauer untersucht werden:   i. C’ è Gianni che parla.   dort ist Gianni der spricht.   ‘Es ist Gianni, der spricht.’



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

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besteht in der Verwendung von celui, welches für [+human] spezifiziert ist, und die zweite in der Verwendung von ça, welches für [+/– human] unterspezifiziert ist: (438) C’ est qui ça qui est seul contre tous? [@-12] s-cl. ist wer das der ist einzige gegen uns ‘Wer ist gegen uns alle?’ Für beide Fälle ist Wert auf die Feststellung zu legen, dass die betreffenden Elemente die Definitheit der Koda markieren in Übereinstimmung mit der Kernthese dieses Ab­schnittes, der zufolge die Spaltsatzkoda ein definiter Ausdruck ist. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die soeben besprochenen Strukturen mit gedoppeltem Definitheitselement im Französischen mit der unter 4.1 angenommenen kartographischen Analyse nicht plausibel erklärt werden können. Die Möglichkeit der kartographischen Analyse französischer Spalt(frage) sätze wird hier jedoch aufrechterhalten, weil sie die Erstarrung des Kopulasatzes c’est und das Verhalten der unter 2.1.2 refe­rierten Sprechergruppe B am besten erklären kann. Wir werden auf diesen Punkt in Ab­schnitt 4.2.4 eingehen. Die beiden Analysen französischer Spaltfragen können miteinander koexistieren, da sie sich auf unterschiedliche Stadien eines Grammatikalisierungsprozesses von Spaltfragesätzen beziehen. Die kartographische Analyse bezieht sich auf Daten, die ein fortgeschrittenes Stadium der Entwicklung von Spaltfragen widerspiegeln, in welchem der Kopulasatz als Fokuskopf reinterpretiert wurde. Dagegen bezieht sich die Kopulaanalyse von Spaltfragen auf Phänomene, die die Definitheit eines Arguments der Kopula overt markieren wie in (435) und (438). Bei der vorgeschlagenen Analyse stellt sich die Frage, worin der genaue Unterschied zwischen Spaltfragen in (439) und entsprechenden Kopulafragen mit einem overten defini­ten Ausdruck in (440) besteht: (439) Spaltfrage

a. Ce serait quoi que tu feras (premièrement)? s.cl. wäre was die du machen-wirst zu erst ‘Was wäre es, das du als erstes tun wirst?’



b. Chi è che manipola il linguaggio? wer ist dass manipuliert die Sprache ‘Wer ist es, der die Sprache manipuliert?’

(440) Kopulafrage + DP

a. Ce serait quoi la première  chose que tu feras? s.cl. wäre was die erste Sache die du machen-wirst ‘Was wäre es, das du als erstes tun wirst?’ 

[PFC 75xab1]

170  

 Spaltfragen

b. Chi è il soggetto  che manipola il linguaggio? wer ist  das  Subjekt dass manipuliert  die Sprache ‘Wer ist das Subjekt, der die Sprache manipuliert?’ [CORIS STAMPAPeriodici]

Der entscheidende Unterschied ist weitestgehend syntaktischer und nicht semantischer Natur, weil die beiden Fragen nach dem gleichen Gegenstand fragen, nämlich in (439)a. und (440)a. danach, was der Hörer als erstes tun wird, und in (439)b. und (440)b. danach, wer die Sprache manipuliert. Die syntaktische Realisierung ist jedoch eine andere. In (439)a. drückt das wh-Element quoi eine Menge von allen möglichen Individuen aus, die durch das Prädikat du wirst x als erstes tun eingeschränkt wird. In (440)a. drückt das wh-Element ebenfalls eine Menge von allen möglichen Individuen aus, die jedoch nun durch die overte DP (la premiere chose que tu feras ‘die erste Sache, die du tun wirst’) eingeschränkt wird. Das Gleiche gilt für (439)b. und (440)b. Dort wird die Menge der Individuen, die durch das wh-Element chi ausgedrückt werden, durch das Prädikat manipuliert die Sprache in (439)b. und die overte DP (il soggetto che….) eingeschränkt. Wenn der Quantifikationsbereich des wh-Quantors in Spaltfragen lediglich durch das Prädikat der Koda einschränkt wird, dann stellt sich die Frage, worin der genaue Unterschied zwischen Spaltfragen und Fragen ohne Spaltsatzstruktur liegt: (441) a. C’est qui qui l’a acheté? ‘Wer war es, der es gekauft hat?’ b. Qui l’a acheté? ‘Wer hat es gekauft?’ (442) a. Chi è che manipola il linguaggio? ‘Wer war es, der die Sprache manipuliert?’ b. Chi manipola il linguaggio? ‘Wer manipuliert die Sprache?’ In der Tat gibt es keinen großen semantischen Unterschied, welcher darin besteht, dass eine Spaltfrage einen Definitheitsmarker ce wie in (435), ça in (438) oder ein pro im Italienischen enthalten kann. Dieser Definitheitsmarker hat die Funktion, aus einer Menge aller möglichen Individuen ein bestimmtes Individuum auszuwählen. Auf diese Weise wird sowohl die existentielle Präsupposition als auch die Exhaustivität und die Diskursgebundenheit von Spaltfragen erklärt (vgl. 2.1.3–2.1.5). Die vorgeschlagene Analyse erklärt auch die fehlende distributive Lesart in Spaltfragen (vgl. 2.5), da ein Argument der Kopula einen definiten Ausdruck bildet. Distributive Quantoren wie chacun/ognuno können nicht über definite Ausdrücke quantifizieren, und so kommt es zu der fehlenden distributiven Lesart, die bereits in (2.5) beobachtet wurde: (443) Cos’è che piace a tutto il mondo/*ognuno? ‘Was ist es, das alle mögen?’/* ‘Was ist es, das jeder liebt’? ≈ ‘Für welche Sache gilt, alle lieben diese Sache?’ diese Sache > alle, *jeder > diese Sache



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

 171

Die gleiche Restriktion gilt für wh-Fragen mit einem overten definiten Pronomen ça im Französischen, welches die Skopusrelation von Quantoren beschränkt, nämlich auf den weiten Skopus des indefiniten Elementes quelqu’un: (444) A: Chaque fille aime quelqu’un. B: Qui ça? ‘Jedes Mädchen liebt jemanden’. ‘Wer ist es?/Wer ist diese Person’? (*chaque fille > qui ça [+ def.], qui ça [+ def.] > chaque fille) Die fehlende distributive Lesart in Spaltfragen lässt sich damit auf die Definitheit der Koda von Spaltfragen zurückführen.99 Die Zwischenergebnisse seien wie folgt zusammengefasst: Es wurde dafür argumentiert, dass die Spaltsatzkoda im Rahmen der Kopulaanalyse einen Relativsatz repräsentiert, der mindestens semantisch als ein definiter Ausdruck interpretiert wird. Es wurde auch gezeigt, dass die Koda syntaktisch als eine Determiniererphrase analysiert werden kann, wenn man das Subjektpronomen ce/ça oder das koverte Pronomen pro (bzw. das overte Pronomen quello) als einen Definitheitsmarker analysiert (vgl. Percus 1997, Han & Hedberg 2008). Im nächsten Abschnitt wird die syntaktische und semantische Analyse von Spaltfragen repräsentiert.

4.2.3 Syntax und Semantik von Spaltfragen im Rahmen einer Kopulaanalyse Ich gehe von der folgenden Analyse von italienischen Spaltfragesätzen aus: (445) [CP2 cos’j C° [Q] [TP prok è [VP [DP tj] V° [DP tk[CP1 Rel.Op.k  che hai scoperto tk…]]]] was ist das hast  entdeckt ‘Was ist es, das du entdeckt hast?’ Das Beispiel in (445) basiert auf der vereinfachten Enumeration in (446).100 Mir geht es vor allem um die Merkmale der Kopula, die im Rahmen einer Kopulaanalyse 99 Die vorgeschlagene Erklärung der fehlenden distributiven Lesart von Quantoren in Spaltfragen geht auch mit einer syntaktischen Erklärung konform, derzufolge distributive Quantoren generell satzgebundenen Skopus haben, d. h. sie können nicht über die Satzdomäne hinaus quantifizieren (Cecchetto 2004: 348):   i. A technician inspected every plane. Every > a technician   ii. A technician said that John inspected every plane. *for one technician one plan  Nach der vorgeschlagenen Analyse der Koda als eine komplexe DP bestehend aus einer DP und einem restriktiven Relativsatz wäre der distributive Quantor im folgenden Spaltfragesatz zu tief eingebettet (vgl. CP1) und aus diesem Grund kann er keinen Skopus über das wh-Element che cosa in CP2 haben:   iii. *[CP2 Cos’è [CP1 che piace ad ognuno]]? 100 Die Teilenumeration für den Relativsatz wird hier nicht abgebildet.

172 

 Spaltfragen

ein lexikali­sches Verb mit einer spezifischen Bedeutung (d. i. Identitätskopula) und keine Fokus­ partikel wie in der hier angenommenen kartographischen Analyse repräsentiert. Außer­dem ist die Argumentstruktur entscheidend, weil im Rahmen der Kopulaanalyse die Koda, die ich in Anlehnung an Percus (1997) als einen definiten Ausdruck analysiert habe, das zweite Argument des Kopulaverbs bildet. Das erste Argument des Kopulaverbs bildet das wh-Element (hier: cosa ’was’), welches eine Kongruenzrelation mit dem interroga­tiven Komplementierer C[Q] eingeht, weswegen es sich aufgrund eines EPP-Merkmals wh-bewegt: (446) Enumeration von (445) {C2° [Ø] [uQ] [+wh] [EPP] T° [uφ], [EPP] [Präsens. Indikativ] V° essere ‘Identitätskopula’ N° cosa ‘was’ [wh] [+Q] = erstes Argument der Kopula D° pro 3.Ps.Sg. [+definit] = zweites Argument der Kopula C1° che [Relativsatz] T° [uφ], [EPP] [Perfekt] V° scoprire ‘entdecken’ D° pro 2.Ps.Sg. [+definit] Rel.Op. 3.Ps.Sg. } Als erster Schritt wird die Koda des Spaltfragesatzes aufgebaut (vgl. 4.2.2): (447) [DP D° pro [CP C° che [TP hai scoperto]]] das hast  entdeckt ‘das, was du entdeckt hast’ Danach wird die folgende VP aufgebaut: VP

Spec,VP cosa 1.Argument V essere ‘Identitätskopula’

V'

DP

che hai scoperto 2.Argument Abbildung 19: VP im Rahmen einer Kopulaanalyse.



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

 173

Als zweites wird die TP aufgebaut und pro bewegt sich nach Spec, TP:101 TP

Spec, TP proj 3.Ps.Sg. [+definit]

T'

T° èk [3.Ps.Sg. Präs.Ind.] [EPP] V cosa [wh] [+Q]

VP

V'

tk [DP tj [CP che hai scoperto]] Abbildung 20: TP im Rahmen einer Kopulaanalyse.

Wie in der nächsten Abbildung gezeigt wird, wird pro nach Spec, TP bewegt, während C° sondiert und wh-Bewegung auslöst. Ich komme nun zu der Bedeutung von Spaltfragen im Rahmen der Kopulaanalyse bzw. der Definitheitsanalyse der Koda. Ich gehe von einer Fragebedeutung im Sinne von Hamblin (1973) und Karttunen (1977) aus (vgl. 3.2.2). Nach der hier vorgestellten Analyse von Spaltfragen besteht die Fragebedeutung aus einer Menge von Propositionen, von denen jede Proposition eine Kopula als Prädikat und zwei Argumente enthält. Von diesen zwei Argumenten der Kopula bildet ein Argument einen definiten Ausdruck (vgl. 4.2.2). Das zweite Argument stellt einen Existenzquantor dar, der Skopus über den Kopulasatz hat (vgl. Anhang 4 für eine vollständige kompositionelle Analyse von Spaltfragen als Kopulakonstruktionen):

101 pro bewegt sich über einen Spezifikator in Spec, vP als Zwischenlandeplatz. Analog zum Franz. ce welches eindeutig ein klitisches Element ist, muss pro in dieser Analyse ebenfalls ein Klitikon sein, damit es sich aus der Kopfposition in eine Spezifikatorposition bewegen kann (vgl. Chomsky 1995, der davon ausgeht, dass Klitika sowohl Köpfe als auch maximale Projektionen sein können).

174 

 Spaltfragen

CP

Cosaj

C'

TP

C° [Ø] [vQ] [+wh] [EPP] 1.Argument

T'

Spec, TP prom

VP

T èk

V'

Spec, VP tj

V tk

2.Argument

DP

tm che hai scoperto Abbildung 21: Spaltfragen im Rahmen einer Kopulaanalyse.

(448) a. [ CP cos’j C° [Q] [TP pro èk [VP [DP tj] V° tk [DP D° [NP [CP che hai scoperto…]]]] was ist das du hast entdeckt ‘Was ist es, das/was du entdeckt hast?’

b. λp ∃x [Sache (w) (x) & [p = λw’ sein = ‘(die (z) [λz Sache’(z) & du hast entdeckt’ (z)]) (x) in w'] ‘Für welches x gilt, x entspricht der Sache, die du entdeckt hast?’

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Rahmen einer Kopulaanalyse von italienischen Spaltfragen angenommen wurde, dass sie eine Art Kopulakonstruktion bilden, die eine Identität zwischen zwei Ar­gumenten stiftet. Das erste Argument wird durch den definiten Ausdruck bzw. durch die Koda repräsentiert und das zweite Argument durch das wh-Element. Die Identität wird auf der Antwortebene formuliert, d. h. der definite Ausdruck ist iden­tisch mit einem bestimmten Wert der



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

 175

CP = λp Ǝx [Sache (w) (x) & [p = λw' sein'(die Sache, die du entdeckt hast) (x) in w'] Spec, CP cosa C° [vQ] [wh]

C'

TP

è che hai scoperto Abbildung 22: CP mit Bedeutung.

wh-Variable, die durch die Spur des wh-Elemen­tes repräsentiert wird. Die Fragemarkierung des Spaltfragesatzes führt eine Alternativenmenge von Propositionen ein, so wie es die Fragesemantik von H&K nahe­legt (vgl. 3.2). Da der Wert der whVariable durch die Identität mit dem definiten Aus­druck beschränkt wird, kann eine Spaltfrage nur einen einzigen gültigen Antwortwert haben, nämlich einen Antwortwert, der mit dem definiten Ausdruck in der Identität übereinstimmt. Diese Schlussfolgerung bringt einige Konsequenzen mit sich, u. a. die Erklärung des Bmw-Effektes, der im nächsten Abschnitt diskutiert wird.

4.2.4 Bmw-Effekt im Rahmen einer Kopulaanalyse Im Rahmen der besprochenen Kopulaanalyse kann ein Spaltfragesatz nur ein wh-Element als Argument pro Satz haben. Diese Beschränkung folgt daraus, dass das zweite Ar­gument der Kopula bereits durch die Koda bzw. den definiten Ausdruck gesättigt ist. Das kann man anhand eines einfachen Kopulasatzes ohne Koda demonstrieren: (449) Chi è?/C’est qui? ‘Wer ist es?’ (qui/chi = 1. Argument & der Diskursreferent von pro/ce = 2. Argument) Daraus folgt, dass das zweite wh-Element kein Argument der Kopula sein kann. Da es kein Argument der Kopula sein kann, kann es auch keinen Matrixsatzskopus haben, weil es dafür ein Argument des Matrixprädikats (in diesem Fall der Kopula) sein muss (vgl. die Fragesemantik von H&K in 3.2): (450) *C’est qui quoi? *Chi cos’ è? *Wer was ist es? Nun stellt sich jedoch die Frage, warum das zweite wh-Element nicht tiefer innerhalb des definiten Ausdrucks eingebettet werden kann. Diese Frage wird nun diskutiert.

176 

 Spaltfragen

Im Rahmen der Interventionseffekterklärung folgt der Bmw-Effekt daraus, dass das wh-in situ im Skopus des Exhaustivitätsoperators interpretiert wird, der im Rahmen einer Kopulaanalyse durch den Definitheitsmarker D° formal markiert wird. Das bedeutet, dass auch Definitheitsmarker eine mit only vergleichbare Interpretation haben, wie man an der folgenden Definition des definiten Artikels erkennt, die durch die Verwendung der exklusiven Partikel only paraphrasiert wird (vgl. (451)c.): (451) a. the X = i X = the largest member of X if there is one (else, undefined) b. the dogs = i DOGS = the largest plurality of dogs c. the dog = i DOG = the only dog (if there is one)  (Frege und Russell, zitiert nach Chierchia 1998: 346) In der Tat kann man Spaltfragen durch Kopulafragen paraphrasieren, die ein only in der overten DP enthalten, wie bereits im Abschnitt 4.1.2.1 festgestellt wurde: (452) Who is it who came? ≈ Who is the only who came? (453) Qui c’est qui est venu? ≈ Qui est le seul qui est venu? ‘Wer ist der einzige, der gekommen ist?’ (Lesart: ‘x ist die einzige Person, die gekommen ist.’) (454) Chi è che è stato colpito? ≈ Chi è l’ unico che è stato colpito? ‘Wer ist es, der getroffen wurde?’ (Lesart: x ist die einzige Person, die getroffen wurde) Die Denotation solcher Spaltfragen sieht eine Menge mit einer DP vor, die ein overtes only enthält: (455) Denotation von (452) = {John is the only one who came, Peter is the only one who came, …} Die Frage, ob die Exhaustivität der definiten DP (the only one who came in (452)) auch in Spaltfragen präsupponiert bleibt (was zu erwarten wäre, weil echte Präsuppositionen in Fragen nicht löschbar sind), müssen wir in dieser Arbeit unbeantwortet lassen (vgl. 4.1.2.1). In dieser Arbeit wird der Unterschied zwischen only und the bezüglich des Status der Exhaustivität weitestgehend ignoriert. Der Bmw-Effekt folgt erneut aus der fehlenden Entsprechung der Präsupposition der Frage und der Disjunktion der Alternativen (vgl. 4.1.3): (456) PO von *chi è che ha mangiato cosa? = λw. ∃x: ∃z[seinw (x) (i(y) [λy Person’(y) & hat gegessen’ (y) (z)])]. " q Îg(C) [q(w) → λw’. ∃z [seinw’ (x) (iPerson, die z gegessen hat)] ⊆ q]. Wörtlich: Jemand ist identisch mit einer Person, die etwas gegessen hat, und es gibt keine weitere Person, die etwas gegessen hat.



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

 177

Diese Interpretation ist jedoch nicht kompatibel mit einer Interpretation, derzufolge das zweite wh-Element im Skopus der definiten DP, die Exhaustivität ausdrückt, als eine Variable z interpretiert wird: (457) PA von *chi è che ha mangiato cosa? = λw. ∃x. ∃z: [seinw (x)(die Person, die z gegessen hat)]. " q Îg(C) [q(w) → λw’. [seinw’ (x) (die Person, die z gegessen hat)] ⊆ q]. Wörtlich: x hat z gegessen und alle anderen Personen, die z gegessen haben, sind identisch mit x.

Eine ähnliche Erklärung wurde in 4.1.3 im Rahmen einer kartographischen Analyse an­genommen. Der einzige Unterschied zu der vorausgegangenen Interventionseffekterklärung im Rahmen einer kartographischen Analyse besteht darin, dass das Prädikat der Frage ein Kopulaverb essere bildet, das eine Identitätsrelation ausdrückt, und dass der Bmw-Effekt im Rahmen der Kopulaanalyse nun vom Definitheitsmarker ausgelöst wird, der wie only Exhausti­vität ausdrückt und damit die gleiche Wirkung wie der Exhaustivitätsoperator im Rah­men der kartographischen Analyse hat. Die Konsequenz aus beiden Analysen ist die gleiche: Das wh-in-situElement, welches innerhalb der Koda steht, wird einerseits als ein Existenzquantor und gleichzeitig als eine Variable im Skopus des Exhaustivitätsope­ rators interpretiert. Der Interventionseffekt wird außerdem noch dadurch verstärkt, dass die Koda eines Spaltsatzes einen Fokushintergrund bildet (vgl. auch Hamlaoui 2007, Frascarelli 2010). Der Bmw-Effekt erklärt sich daraus, dass das zweite wh-Element innerhalb des Fokushintergrundes steht. Dies löst die schlechte Bewertung aus, weil im Fokushintergrund keine fokussierten Elemente stehen dürfen (vgl. Hamlaoui 2010, u. a.): CP … V'

Wh1

V° Fokus

Fokushintergrund

DP

…. *wh2

Abbildung 23: Bmw-Effekt in Typ 3 im Rahmen einer Kopulaanalyse.

178 

 Spaltfragen

Es sei daran erinnert, dass alle französischen SprecherInnen (Gruppe A und B aus 2.1.2) den folgenden Fragesatz mit gedoppelten ce (vgl. 4.2.2) mit mehr­fachen wh-Elementen einheitlich als ungrammatisch bewerten (vgl. 2.1.2): (458) *C’est quoi ce que tu as donné à qui? s.cl. ist was das was  du hast  gegeben an wen Die Kopulaanalyse sagt den absoluten Bmw-Effekt in diesem Satz voraus, weil das zweite wh-Element innerhalb einer komplexen DP eingebettet sein würde. Wie kann es nun sein, dass die Gruppe B Spaltfragen mit mehreren wh-Elementen, wo das gedoppelte ce fehlt, als grammatisch bewertet? Dies kann mit der gerade vorgestellten Kopulaanalyse nicht erklärt werden. Die Vorteile der kartographischen Analyse für die Erklärung des Verhaltens der Sprechergruppe B wurden bereits unter 4.1.3 dargelegt. Vor diesem Hintergrund ist das so zu deuten, dass die betreffenden Sprecher zumindest die Strukturen, in denen das gedoppelte ce nicht auftritt, als monoklausal im Sinne der Analyse unter 4.1.1 interpretieren. Es sei daran erinnert, dass es sich um die selben Sprecher handelt, bei denen das Element c’est keinen Status als Fokusmarker mehr besitzt (vgl. 4.1.1).

4.2.5 Kleiner Exkurs in infinite Spaltfragetypen Wie bereits in 2.1.2 dargestellt, zeigen auch infinite Spaltfragetypen im Italienischen den Bmw-Effekt: (459) *chi fu a mangiare  che cosa? wer war zu essen was Um die Erklärung von Bmw-Effekten im Rahmen der Kopulaanalyse auf infi­ nite Spaltfragetypen übertragen zu können, gehe ich in Anlehnung an Sleeman (2010) davon aus, dass infinite Spaltsätze wie in (460) große Ähnlichkeiten mit infiniten Relativsätzen aufweisen, die durch bestimmte Nomina eingeleitet werden, welche Einzigkeit durch Nomina wie il solo und l’unico ausdrücken (vgl. (461) und (462)): (460) Fu Lupin a parlare per primo war Lupin zu sprechen als erster ‘Es war Lupin, der als erster gesprochen hat.’ (CORIS MON2008_10) (461) L’ unico a parlare fu Lupin. der einzige zu sprechen war Lupin.’ ‘Der einzige, der gesprochen hat, war Lupin.’



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

 179

(462) Lupin fu il solo a parlare. Lupin war der einzige  zu sprechen. ‘Lupin war der einzige, der gesprochen hat.’ Überträgt man die Kopulaanalyse auf die genannten infiniten Sätze, dann ergibt sich die folgende Struktur, derzufolge der infinite Satz von einer DP eingebettet wird, welche in Sätzen wie (461) und (462) durch die overte DP l’unico/il solo ausgedrückt wird und in Spaltsätzen kovert bleibt (vgl. die Klammer um l’unico in Abbildung 24): TP

Spec, TP

T'

pro



VP

fuk

Spec, VP

V'

Lupin

V° tk

DP

(l’unico) a parlare Abbildung 24: Infinite Spaltsätze.

Eine solche Analyse macht es möglich, den Bmw-Effekt in infiniten Spaltfra­ getypen genauso zu erklären wie den Bmw-Effekt in finiten Spaltfragetypen (vgl. 4.2.4), weil das wh-in-situ-Element erneut innerhalb einer DP eingebettet wird, die wie ein Exhaustivitätsoperator fungiert (vgl. Abbildung 25):

180 

 Spaltfragen

CP

C'

chij

C° [Q]

TP

Spec, TP

T'

pro T fuk

VP

Spec, VP tj

V'

V tk

Exhaustivität

DP (l’unico) a mangiare *che cosa

Abbildung 25: Bmw-Effekt in infiniten Spaltfragen.

4.2.6 Vergleich mit alternativen Kopulasatzanalysen aus der Literatur Die meisten Kopulasatzanalysen von Spaltsätzen aus der Literatur gehen davon aus, dass die Kopula être/essere ‘sein’ den Status eines lexikalischen Verbs (V°) mit einer bestimmten thematischen Struktur hat (vgl. Clech-Darbon et al. (1999), Doetjes et al. (2004), Han & Hedberg (2008), Belletti (2008), Hamlaoui (2007), Frascarelli 2010). Diese Annahme teilt keiner der Autoren einer kartographischen Analyse à la Rizzi (vgl. Meinunger 1998, É. Kiss 1998). Der Unterschied zwischen den einzelnen Kopulasatzanalysen liegt vielmehr darin, welchen syntaktischen und/oder semantischen Status die abgespaltene Konstituente bzw. die XP (engl. clefted constituent) und die Koda haben und wie ihre syntaktische und semantische Relation zueinander beschaffen ist. Da die Literatur zu Spaltsätzen als Kopulakonstruktionen sehr groß ist, ist es unmöglich, auf alle Analysen im Detail einzugehen. Aus diesem Grund möchte ich lediglich zwei unterschiedliche Kopulaanalysen genauer betrachten. Die anderen existierenden Kopulaanalysen werden



Spaltfragen des Italienischen im Rahmen der Kopulaanalyse 

 181

erwähnt, jedoch nicht detailliert behandelt. Han & Hedberg (2008) zufolge repräsentiert die Kopula be im Englischen das Prädikat des Spaltsatzes. Dieses Prädikat be selegiert eine Funktionale Phrase, FP, als Argument (vgl. Abbildung unten) (vgl. auch Belletti 2008, Frascarelli 2010 für eine ähnliche Annahme, derzufolge die Kopula einen SmallClause als Argument wählt). Diese FP besteht aus einer Koordination von zwei Sätzen, einer Art SmallClause [FP it F° F' Ohno] und einem Relativsatz [who won]. In dieser Hinsicht ist ihre Analyse von Spaltsätzen biklausal. Da Kopulas Finitheitsmerkmale tragen, bewegen sie sich in eine Tempuskategorie, T. Diese braucht einen Spezifizierer, der durch das Subjektpronomen it gefüllt wird. Das Subjektpronomen und der Relativsatz (repräsentiert als eine CP) sind koreferentiell miteinander verbunden, was man durch die Koindizierung zwischen dem Subjektpronomen it und dem Relativsatzoperator who erkennt: TP T'

DPi D

T

it

wask

CopP FP

Cop

CP

FP

tk

F'

DP ti

C'

DPl

F

DP

D

e

D

who

Ohno

C

TP T'

DP tl

VP

T [past]

DP

V

tl

won

Abbildung 26: Syntaktische Analyse von It was Ono who won (Han & Hedgerg 2008).

Der Spaltsatz in (463)a. wird semantisch wie ein Sperrsatz in (463)b. interpretiert und die Interpretation wird formal in (463)c. repräsentiert (vgl. Percus 1997, Frascarelli 2010 für eine ähnliche semantische Interpretation von Spaltsätzen): (463) a. It was Ohno who won. b. The one who won was Ohno. c. THEz [won(z)] [z = Ohno′]

182 

 Spaltfragen

Ich möchte nun auf den Unterschied zwischen meiner Analyse und der Kopulasatzanalyse von Han & Hedberg (2008) eingehen. Ich gehe nicht von einer biklausalen Analyse von Spaltsätzen aus (vgl. Han & Hedberg 2008). Stattdessen gehe ich da­von aus, dass die Kopula in Spaltsätzen die XP und die Koda als Argumente nimmt, so wie die folgende Kopula zwei Argumente selegiert. Das erste Argument wird durch ein kovertes referentielles Argument ausgedrückt, auf das der Sprecher verweist, und das zweite Argument wird durch den Namen Piero ausgedrückt: (464) È Piero. ‘Es ist Pierre.’ (465) ‖essere‖g λ ye λ xe [sein=’ (x)(y)] (Piero’), (derjenige auf den ich, Sprecher, verweise’) Kopulasätze des Typs in (464) unterscheiden sich von Spaltsätzen nach meiner Analyse lediglich dadurch, dass das koverte Argument in (464) (d. h. der Diskursreferent, auf den der Sprecher verweist) in Spaltsätzen overt durch die Koda realisiert wird. Auf diese Weise verzichte ich auf eine Adjunktion der Koda, die vielen Kopulasatzanalysen in der Literatur zugrunde liegt (Clech-Darbon et al. 1999, Doetjes et al. 2004, Hamlaoui 2007, Han & Hedberg 2008). Ich komme nun zum Vergleich mit Kopulaanalysen, die davon ausgehen, dass die Koda einen appositiven Relativsatz darstellt (vgl. Clech-Darbon et al. (1999), Doetjes et al. (2004), Hamlaoui (2007)). Diesen Kopulaanalysen zufolge wird die XP-Konstituente in einem Kopulasatz basisgeneriert (repräsentiert als [TP C’est Jean]), der mit einem rechts-adjungierten Relativsatz [CP qui est venu] zu einem komplexen Satz [TP [TP C’est Jean [CP qui est venu]] verbunden ist (ebd): (466) [TP[TP c’ est [DP Jean/qui]][CP  qui est venu]] s.cl. ist Jean/wer der ist gekommen ‘Es ist Jean, der gekommen ist. Wer ist es, der gekommen ist?’ CP TP Spec, TP C'

CP = präsupponiert T'

Rel-Operatorj



VP

est

JeanFokus/ qui Fokus

Øj

C'

C1°

TP

qui T°

[finit]

est

VP tjvenu

Abbildung 27: Syntaktische Analyse von C’est qui qui est venu (Clech-Darbon et al. 1999).



Zusammenfassung des Kapitels 

 183

Ich gehe nicht davon aus, dass die Koda einen appositiven Relativsatz bildet, der die XP (Jean in (466)) als Antezedens hat. Dagegen bildet der Relativsatz in meiner Analyse einen restriktiven Relativsatz, der nicht die XP, sondern die DP mit der Bedeutung ‘ce­lui qui est venu’ als Antezedens hat: (467) [TP T° c’ estk [VP [DP Jean/qui] V° tk [DP D° ‘celui’ CP qui est venu]]] s.cl. ist Jean/wer der ist gekommen ‘Es ist Jean, der gekommen ist. Wer ist es, der gekommen ist?’ Auf appositive Relativsätze kann man in einem Diskurs verzichten, denn sie haben nur die Funktion eines Kommentars des Sprechers: (468) Jean, qui est d’ailleurs mon copain, est venu me voir hier soir. ‘Jean, der übrigens mein Kumpel ist, hat mich gestern Abend besucht.’ Die Weglassbarkeit der Koda ist dagegen nur in einem bestimmten Diskurs möglich, nämlich dann, wenn die Koda im Diskurs bereits erwähnt wurde bzw. aus dem Diskurs abgeleitet werden kann (vgl. (469)): est Jean qu’ on a invité. (469) A. C’ s.cl. ist Jean den man hat eingeladen B. Mais non. C’est Pierre (qu’on a invité) A: ‘Es ist Jean, den wir eingeladen haben.’ B: Nein. ‘Es ist Pierre (den wir…).’ Man kann auf die Koda in Spaltfragen nicht einfach verzichten, weil man sie für die Identifikation der XP benötigt. Würde man auf die Koda verzichten, dann würde unklar bleiben, was das zu identifizierende Argument ist: (470) Kontext: Marie sucht wie verrückt ihr Zimmer ab:

Pierre: C’ est quoi (au juste) *(que tu cherches)? s.cl. ist was genau *(das du suchst) ‘Was ist es genau *(das du suchst)?’

Außerdem habe ich gezeigt, wie man den Bmw-Effekt in Spaltfragen aus der vorgeschlagenen Kopulaanalyse ableiten kann (vgl. 4.2.4 und 4.2.5).

4.3 Zusammenfassung des Kapitels In 4.1 wurde gezeigt, wie französische Spaltfragen in einer kartographischen Analyse im Rahmen von Rizzi (1997) analysierbar sind, indem davon ausgegangen wurde, dass eine französische Spaltfrage das Element c’est (ein erstarrter Kopulasatz) enthält, der in Foc situiert ist und den lexikalischen Eintrag eines

184 

 Spaltfragen

exhaustiven Operators, O(nly), hat, vergleichbar mit Fokuspartikeln wie z. B. juste ‘nur’. Der Operator O(nly) operiert in Spaltfragen auf den möglichen Antworten und besagt, dass jede Antwort auf eine Spalt­frage die Bedingung der Vollständigkeit erfüllen muss. Der Bmw-Effekt folgt daraus, dass das wh-in situ, welches innerhalb der Koda steht, im Skopus des Operators O(nly) interpretiert wird. Eine ähnliche Erklärung kennt man aus der Literatur von Inter­ventionseffekten, wenn das wh-in-situ-Element im Skopus einer Fokuspartikel wie nur interpretiert wird (vgl. Beck 2006, Mayr 2011, u. a.). Ich habe dann in 4.2 gezeigt, wie eine monoklausale Kopulaanalyse (genauer die Definitheitsanalyse von Percus 1997) auf Spaltfragen übertragen werden kann, indem ich davon ausgegangen bin, dass eine Spaltfrage eine Identität zwischen dem definiten Ausdruck und dem Wert der wh-Variable stiftet. Auf diese Weise wird die Quantifikationsmenge des Existenzquantors auf einen bestimmten Wert reduziert, d. h. wh-Spaltfragen haben eine Einzigkeitspräsupposition. Im Rahmen der Kopulaanalyse ist das zweite wh-Element in situ in einem definiten Ausdruck eingebettet, welcher eine exhaustive Interpretation wie der Operator O(nly) hat. Aus dieser Beschreibung kann man den Bmw-Effekt erklären. Der Bmw-Effekt folgt daraus, dass das zweite wh-Element in situ im Skopus des Exhaustivitätsoperators steht, so als ob es im Skopus einer Fokuspartikel nur/ solo/juste stehen würde. Es wurde auch gezeigt, dass die in 4.1 vorgeschlagene kartographische Analyse für die meisten französischen Spaltfragen ausreichend bzw. sogar plausibel ist. Nimmt man eine Variante dieser Analyse als Teil der Grammatik einiger Sprecher (Gruppe B) an, so sind hierdurch die abweichenden Sprecherurteile der Sprechergruppe B aus 4.1.4 gut erklärbar. Die vorgeschlagene Kopulaanalyse muss für das Französische zumindest für die Fälle angenommen werden, in denen das Element ce gedoppelt erscheint. Für das Italienische hingegen erscheint sie als einzig mögliche Analyse.

5 W  h-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen Das Ziel dieses Kapitels ist, den Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen auf der Schnittstelle zwischen der Form und der Interpretation genau zu beschreiben. Das Kapitel ist deshalb wie folgt aufgebaut: Ich gehe zunächst auf die formale Markierung der Informationsstruktur von wh-Exklamativsätzen ein (5.1). Im zweiten Abschnitt wird die Interpretation von wh-NP-Exklamativsätzen, die durch ital. che NP und franz. quel NP eingeleitet werden, modelliert (5.2). Ich werde die zentrale Eigenschaft von diesem wh-Exklamativsatztyp, ihre skalare Präsupposition (vgl. 2.2), theoretisch reflektieren und im Rahmen der Fragesemantik implementieren. Als nächstes leite ich aus der skalaren Präsupposition von wh-Exklamativsätzen den Bmw-Effekt ab (5.3). In 5.4 gibt es eine Zusammenfassung.

5.1 Syntax von wh-NP-Exklamativsätzen 5.1.1 Finitheit und Faktivität von wh-Exklamativsätzen Wie sich zeigen wird, sind wh-Exklamativsätze ohne Komplementierer im Französi­schen und Italienischen für ein finites Verb spezifiziert. Die folgenden Daten zeigen, dass wh-Exklamativsätze wie in (471) a. und in (472) a. im Gegensatz zu wh-Fragesätzen wie in (471) b. und in (472) b. keine infiniten Sätze einleiten dürfen, wenn sie nicht zusätzlich einen overten Komplementierer franz. à oder ital. da ‘(um) zu‘ enthalten: (471) a. Quel joli cadeau *(à) offrir! welches schönes Geschenk zu schenken! ‘Was für ein schönes Geschenk, das man schenken kann!’ b. Quoi faire? Quoi offrir? ‘Was tun? Was schenken?’ (472) a. Che regole stupide *(da) seguire! was Regeln dumm um beachten b. Quali regole seguire per fare del sole un amico? welche Regeln verfolgen um machen aus der Sonne einen Freund? ‘Was muss man beachten, um sich mit der Sonne anzufreunden?’  [C-ORAL-ROM imedsc03]

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

Diese Situation erinnert an die Restriktion auf finite Verben in Zusammenhang mit Sätzen, die von Verben wie stupirsi/ se surprendre ‚überrascht sein‘, jedoch nicht von Verben wie sapere/savoir ‚wissen‘, eingebettet werden: (473) a. Je sais où aller. ich weiß wohin gehen ‘Ich weiß, wohin man gehen könnte/sollte.’ b. *Je suis surpris (de) où aller. ich bin überrascht von wohin gehen fare (la prossima volta). [SSLMIT] (474) a. Adesso so cosa jetzt weiß was machen (das nächste Mal) ‘Ich weiß jetzt, was man nächstes Mal tun muss.’ b. *Mi stupisce cosa fare mich überrascht was machen Eine ähnliche Beobachtung hat Rooryck (2000) für freie Relativsätze gemacht, die eine Realisinterpretation [+ realis] haben, weil diese ausschließlich mit finiten Verben vor­kommen können (Rooryck 2000: 195): (475) a. *J’aime/ déteste quand/ comment b. *I love/ hate when/ how to

chanter sing

cette that

chanson. song.

Rooryck (2000) erklärt die Beschränkung dadurch, dass infinite Sätze in wh-Kon­ struktionen eine deontische Interpretation haben, d. h. ein infiniter wh-Satz kann Rooryck (2000) zufolge durch ein Modalverb can/should paraphrasiert werden: (476) I asked him what to do. ≈ ‘I asked him what I should/can do.’ Dagegen haben Verben wie détester/aimer keine deontische Lesart (Rooryck 2000: 195). Wenn Roorycks Analyse stimmt, dann sind faktivische Prädikate wie know/savoir/sapere ambig zwischen einer +/– deontischen Interpretation, und die Finitheit des Verbs des eingebetteten wh-Satzes könnte diese Lesart disambiguieren. Diesem Argument zufolge würden finite wh-Exklamativsätze für eine faktivische Interpretation spezifiziert sein (vgl. auch Portner & Zanuttini 2003 zur Faktivität von wh-Exklamativsätzen). Die unter (471) a. und (472) a. dargestellten uneingeleiteten Infinitivsätze sind daher ungrammatisch. Obwohl dies hier nicht weiter verfolgt werden kann, sei angemerkt, dass grammatische infinite wh-Exklamativa, die durch einen overten Komplementierer eingeleitet werden (vgl. (471) a. und (472) a.), möglicherweise für Faktivität spezifiziert sind und die genannten Strukturen retten können. Alternativ könnte man in Anlehnung an Radford (1982/1989) annehmen, dass infinite Sätze, die durch einen overten Komplementierer eingeleitet werden (vgl. (471) a. und (472) a.), Relativsätze bilden.



Syntax von wh-NP-Exklamativsätzen 

 187

Die weiter unten dargestellten Daten sprechen für die faktivische Interpretation von wh-Exklamativsätzen (bzw. eine Realisinterpretation in der Terminologie von Rooryck 2000). Es ist bekannt, dass faktivische Komplemente oder jegliche Komplemente, die die Wahrheit der Proposition, die sie ausdrücken, präsupponieren lassen, keine NPIs wie z. B. engl. any lizenzieren (vgl. Fitzpatrick 2005, Guerzoni & Sharvit 2004). Wenn wh-Exklamativsätze eine faktivische Lesart haben, sollten in ihnen eben­falls keine NPIs lizenziert werden können. Diese Vorhersage wurde für das Katalani­sche, Spanische, Englische und Schwedische bestätigt (vgl. Espinal 1997, Castroviejo 2006, Rodriguez 2008, Brandtler 2012). Auch für das Italienische lässt sich diese Vor­hersage bestätigen, wie der folgende Kontrast zwischen whExklamativsätzen und wh-Fragen zeigen soll. Nur die letzten lizenzieren NPIs wie ital. non avere la minima idea ‘nicht die leiseste Ahnung haben’ (ähnliche Daten wurden im Französischen beob­achtet): che ha la minima idea di dove cercarlo! (477) a. *Quanta gente wie viele Menschen che hat die leiseste Ahnung von wo suchen-ihn b. Quanti hanno la minima idea di dove cercarlo? Pochi. wie viele haben die leiseste Ahnung von wo suchen-ihn? Wenige ‘Wie viele wissen, wo man ihn suchen soll?’ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wh-Exklamativsätze mit faktivischer Lesart kompatibel sein müssen. Die Finitheit soll nun durch eine FinP in der Struktur in (478) repräsentiert werden. Ich gehe in Anlehnung an die Analyse spanischer wh-Exklamativsätze von Demonte & Fernández Soriano (2009) davon aus, dass der italienische Komplementierer che in finiten wh-Exklamativsätzen wie in (478) b. in Fin° situiert ist (vgl. auch die kartographische Analyse des Komplementierers que in Spaltfragen in 4.1.1):102 (478) a. [FocP wh-NP [FinP (che/ø)……]]! b. [FocP Che faccia [FinP Fin° che hai]]! was Gesicht che hast ‘Was für ein Gesicht du hast!’ Die wh-Konstituente ist hier in Übereinstimmung mit Rizzi (1997) in FokP situiert (vgl. jedoch Benincà 2001, Munaro 2010, die für eine höhere Positionierung der wh-Konstituente im Spezifizierer einer ForceP argumentieren).103 102 Munaro (2010: 300) analysiert den Komplementierer che als einen Fokuskopf Foc°. Diese Hypothese ist problematisch, weil der Komplementsatz samt che elidiert werden kann und semantisch Gegebenheit markieren kann (vgl. 5.1.2). 103 Die höhere Positionierung begründen sie durch die Voranstellung der wh-Konstituente gegenüber solchen Konstituenten, die in TopikP (hier: a Ugo) positioniert werden:

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

5.1.2 Fokusmarkierung Die Fokusmarkierung der wh-NP wird in (478) phonologisch durch eine Akzentuierung (vgl. 2.1.3.2) und semantisch durch die Auslösung von Alternativen signalisiert (vgl. 5.2). FinP wird dagegen deakzentuiert oder hat ein niedriges Tonhöhenregister und kann im Einzelfall auch getilgt werden. In der Tat findet man in allen Korpora des Französischen und Italienischen, die hier untersucht wurden, eindeutig mehr (und in französischen Korpora PFC und C-ORAL-ROM aus­schließlich) elliptische als nicht-elliptische wh-Exklamativsätze. Die Deakzentuierung und die Tilgung markieren Givenness (vgl. die Markierung der Koda von Spaltfragen in 4.1.3). Ich gehe deshalb davon aus, dass die FinP in wh-­ Exklamativsätzen das Merkmal [+given] enthält, wenn sie die genannten Eigenschaften aufweist (z. B. Deakzentuierung, Tilgung, etc.). Der sprachspezifische Unterschied zwischen italienischen und französischen wh-NP-Exklamativsät­ zen liegt nicht in der Realisierung des Merkmals [+given], sondern darin, ob die funktionale Kategorie, die für Finitheit steht, in Exklamativsätzen durch einen overten Komplementierer realisiert werden kann oder nicht. Im Gegensatz zum Italienischen (vgl. (478) b.) fehlt im Französischen in der Regel in finiten wh-NPExklamativsätzen der Komplementierer que/qui: (479) [FocP Quel chapeau] [Fin° Ø [+given] elle portait ce soir- là]! welchen Hut sie trug diesen Abend- da ‘Was für einen Hut sie an diesem Abend getragen hat!’  (Marandin 2008: Fn.2, Klammern von O. K.). In einer Domäne, die als [+given] markiert ist, kann kein fokussiertes Element verwen­det werden, weil sonst Schwarzschilds (1999: 13) Prinzip Avoid Focus verletzt werden würde (vgl. auch 4.1.3 zu einer ähnlichen Erklärung in Spaltfragen). Der folgende finite Satz in Klammern, der in der Regel elidiert wird, wenn er im Diskurs bereits erwähnt wurde, aber durchaus erwähnt sein kann, kann somit kein weiteres fokusmar­kiertes Element enthalten, weil er einerseits als [+given] und gleichzeitig fokusmarkiert sein würde: (480) Il ministro è euforico, eccome (è euforico il ministro)! ‘Der Minister ist euphorisch und wie (euphorisch der Minister ist)!’ (481) Il ministro è euforico, eccome (*è euforico il ministroFokus)! ‘Der Minister ist euphorisch und wie (*euphorisch der MinisterFokus ist)!’   i. Che bel libro, a Ugo, che gli hanno regalato!   was schön Buch, an Ugo, dass ihm haben geschenkt   ‘Was für ein schönes Buch sie Ugo geschenkt haben!‘



Syntax von wh-NP-Exklamativsätzen 

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Ob wh-Exklamativsätze ein gesondertes Satztypmerkmal haben sollten, ist sehr schwer zu bestimmen, weil wh-Exklamativsätze sich einerseits wie wh-Fragen und gleichzeitig wie gesonderte Satztypen verhalten. Aus diesem Grund könnten sie sowohl als Fragen (vgl. Portner & Zanuttini 2003) als auch als gesonderte Satztypen definiert werden (vgl. Rett 2008). Ich gehe von einem skalaren Merkmal [+skalar] aus, welches schriftlich (code graphique) durch das Ausrufezeichen ! und mündlich (code phonique) durch eine bestimmte Intonation ausgedrückt wird. Die semantische Definition eines solchen Merkmals wird im semantischen Teil dieses Kapitels 5.2 gegeben. Wie sich zei­gen wird, evaluiert dieses Merkmal die Alternativen, die durch die wh-Phrase ausge­drückt werden. Aus diesem Grund hat dieses Merkmal die Funktion eines Fokusopera­tors, weshalb es in der Struktur in Foc° seinen Sitz hat. Dies wird in der folgenden Abbildung verdeutlicht: FocP FocP

DPj che faccia

FinP

Foc° [+skalar] Fin° che [+given]

TP D pro

T’ T° haik [finit] [Pers = 2] [Num = sg]

VP

tk tj

Abbildung 28: Syntax von che faccia che hai! ‘Was für ein Gesicht du da hast!’.

Wenn ein overtes Subjekt vorhanden ist, kann Inversion eintreten oder das Subjekt in seiner kanonischen Position stehen. Man unterscheidet in der Literatur zwischen der klitischen und der Subjekt-DP-Inversion. Nur das Subjektklitikon und nicht die Subjekt-DP kann zwischen dem Auxiliarverb und dem Partizip stehen (vgl. Obenauer 1994, Jones 1996): (482) a. Est-il venu? ist-er gekommen ‘Ist er gekommen?’

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

b. *Est Pierre venu? Ist Pierre gekommen?

In französichen wh-Exklamativsätzen wird keine klitische Inversion ausgelöst (vgl. Obenauer 1994), was meine Korpusdaten größtenteils bestätigen (3 mit einer klitischen Inversion104 und 19 ohne klitische Inversion in COW-Korpus): (483) a. Quel beau poème tu as choisi! welches schöne Gedicht du hast ausgesucht ‘Was für ein schönes Gedicht du ausgesucht hast!’ (COWFR11_548045636) b. ?? Quel beau poème as tu choisi! welches schöne Gedicht hast du ausgesucht ‘Was für ein schönes Gedicht du ausgesucht hast!’ Die fehlende klitische Inversion kann man wie folgt analysieren. Ich gehe für das Fran­zösische davon aus, dass das finite Verb in Fragesätzen nach Fin° angehoben wird. Der Komplementierer Fin° enthält ein Head Attraction Feature, [HAF]-Merkmal, welches Kopfbewegung motiviert (zu diesem Merkmal vgl. Pomino 2005). In Interrogativsätzen wird das [HAF]-Merkmal durch die (Hilfs)Verbbewegung gesättigt und löst somit die Subjektpronomen-Inversion aus (vgl. zu einer ähn­ lichen Analyse in Rizzi & Roberts 1989): (484) [FocP Quel chapeauk] [Fin° portaitj [TP elle tj tk]]? Welchen Hut trug sie ‘Was für einen Hut hat sie getragen?’ Der Komplementierer Fin° enthält in wh-Exklamativsätzen kein [HAF]-Merkmal, wel­ches Kopfbewegung motiviert. Somit bleibt die Verbbewegung in Exklamativsätzen aus (vgl. (483) a.). Die Subjekt-DP-Inversion ist jedoch in französischen wh-Exklamativsätzen möglich (vgl. Jones 1996). Allerdings gibt es im Korpus COWFR11 zu wenige ­Beispiele mit einer overten Subjekt-DP, die auf eine Präferenz hindeuten könnten (1 Beleg ohne und 3 mit einer Subjekt-DP-Inversion): 104 Die drei Beispiele mit einer klitischen Version stellen vielmehr rhetorische Fragen als wh-Exklamativsätze dar, weil sie keine Verwunderung über eine Eigenschaft einer Entität ausdrücken (vgl. i. aus (COWFR11_400014652)), die für viele wh-NP-Exklamativsätze typisch ist (vgl. 5.2):   (i) Et quel jeune coeur honnête ne battra -   und welcher junge Herz ehrlich neg.cl. schlagen[Fut.3.Ps.Sg.] t-il pas à l‘ idée…! er nicht bei der Idee….   ‘Welches junge und ehrliche Herz würde nicht anfangen zu schlagen, wenn…!’



Semantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen 

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(485) (Par) Quel épouvantable chemin est passée la viande avant d‘être vendue …! durch was schrechlicher Weg ist gegangen das Fleisch bevor zu sein verkauft ‘Was für einen schrecklichen Weg das Fleisch gegangen ist…!’  (COWFR11_161360699, Klammer von O. K.) In italienischen wh-Exklamativsätzen überwiegt die Subjekt-DP-Inversion in whExklamativsätzen mit und ohne che im geschriebenen Korpus CORIS: Von insgesamt 20 Belegen mit einer overten Subjekt-DP stehen alle Subjekte postverbal (vgl. auch Castroviejo 2006 für die gleiche Beobachtung im Katalanischen): (486) Ah, ragazzi, che uomo incredibile era suo padre! (NARRATTrRomanzi) ah Leute was Mann unglaublich war sein Vater ‘Was für ein unglaublicher Mann sein Vater war!’ (487) Ohi, che naso che ha il tuo amico! (STAMPAQuotidiani) was Nase che hat der dein Freund ‘Uh, was für eine Nase dein Freund hat!’ Alle anderen Beispiele von wh-Exklamativsätzen in CORIS verzeichnen keine overte Subjekt-DP. Gesprochene Korpora weisen ebenfalls keine overten Subjekte auf. Da die Inversion in italienischen wh-Exklamativsätzen auch in Verbindung mit einem overten che stattfinden kann, kann sie ebenfalls nicht auf eine Bewegung von T° nach Fin° zu­rückgeführt werden, d. h. Fin° hat auch kein HAF-Merkmal in ital. wh-Exklamativsätzen. Ich gehe davon aus, dass im Italienischen die Inversion darin besteht, dass das postverbale Subjekt im Italienischen in der Regel in situ in der VP (bzw. klei­nen vP, vgl. Lopez 2009) verbleibt: (488) [FocP Che nasok [FinP Fin° che [TP haj [Spec,VP il tuo amico VP tj tk]]]! was Nase che hat der dein Freund ‘Was für eine Nase dein Freund hat!’ Wie die Inversion in italienischen wh-Exklamativsätzen mit ihrer Informationsstruktur genau zusammenhängt, muss in Zukunft genauer studiert werden (vgl. Frascarelli 2000, Belletti 2001, u. a.).105

105 Diese Ansätze studieren allerdings postverbale Subjekte in Deklarativsätzen und nicht in wh-Exklamativsätzen.

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

5.2 S  emantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen Im ersten Teil dieses Abschnitts werde ich eine einheitliche syntaktisch-semantische Analyse der inneren Struktur von wh-Phrasen wie che NP und quel,le NP ‘welche,r NP/was für ein,e NP’ in Exklamativsätzen und in Fragen vorstellen (vgl. 5.2.1). Kurz zusam­mengefasst besteht diese darin, dass das wh-Element, z. B. ital. che ‘was’, einen Exis­tenzquantor repräsentiert, der über Eigenschaften/ Arten/Typen (engl. kinds) quanti­fiziert, wenn er mit einer nominalen Konstituente einhergeht (che NP ‘was für eine NP’). Das bedeutet, dass die wh-Phrase che NP von ihrer Bedeutung her einer ver­gleichbaren wh-Phrase entspricht, die die Quantifikation über Eigenschaften lexikalisch ausdrückt che genere/razza/tipo di NP ‘was für ein,e Typ/Art/Genre von NP’. Im Fran­zösischen ist die wh-Phrase quelle NP dagegen ambig in Bezug auf ihre Eigenschaften­lesart. Im zweiten Teil dieses Abschnitts in 5.2.2 wird die gesamte Satzstruktur von wh-NP-Exklamativsätzen analysiert und ihre skalare Präsupposition (vgl. 2.2) formalisiert. Wie sich in 5.3 zeigen wird, ist die skalare Präsupposition für den BmwEffekt in wh-Exklamativsätzen verantwortlich.

5.2.1 Analyse der internen Struktur von wh-NP-Konstituenten In diesem Abschnitt werde ich die Bedeutung der inneren Struktur der komplexen wh-Phrase [che NP] in Anlehnung an Pafel (1996) formalisieren und zeigen, dass diese wh-Phrasen einen anderen Quantifikationsbereich haben als wh-Pronomina wie z. B. chi ‘wer’. Pafel (1996) analysiert folgende wh-Konstituenten im Deutschen: (489) Was für eine Frau Er geht davon aus, dass das Nomen was mit einer Präpositionalphrase zu einer komple­xen NP verbunden wird (Pafel 1996: 62): (490) [NP [N° was] [PP P° für [NP eine[Indef.] Frau]]] Das wh-Element was entspricht semantisch einem Existenzquantor (wie alle übrigen wh-Elemente auch, vgl. 3.2). Die NP, die von der Präposition für selegiert wird, ist in­definit und entspricht semantisch einem Prädikat, das den Quantifikationsbereich des Existenzquantors was charakterisiert. Dieses Prädikat ist durch For­men/­ Eigenschaften/Gestalten/Arten, kurz ART (engl. kinds) definiert (Pafel 1996: 62): (491) Was für eine NP = λP $x [ART(x) & NP (x) & P(x)]



Semantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen 

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Der lexikalische Eintrag einer [was für NP] unterscheidet sich kaum von dem Eintrag einer [welche NP] (vgl. 3.2.2): (492) ‖which NP‖= λP $x [NP (x) ∧ P(x)]

Der einzige Unterschied besteht nur in der zusätzlichen Charakterisierung der NP in (491) als Eigenschaft (bzw. ART). Pafels Analyse soll nun auf vergleichbare wh-Phrasen im Italienischen und Französischen übertragen werden. Die wh-Phrase che NP im Italienischen unterscheidet sich semantisch und syntaktisch von einer anderen wh-Phrase, nämlich quale,i NP ‘welche[Sg/Pl.] NP’. Anders als beim Fragepronomen ital. quale kann die wh-Konstituente che NP (wörtlich: ‘was NP’) auf Eigenschaften von Individuen referieren: (493) Che uomo ti piace? a: un uomo intelligente, b: alto e muscoloso, c…. ‘Was für ein Typ Mann gefällt dir? a: ein intelligenter Mann, b: groß und muskulös’ Diese Eigenschaft wird wie folgt repräsentiert. Der Existenzquantor che quanti­ fiziert über Eigenschaften von Entitäten, die durch die indefinite NP repräsentiert werden: (494) [DP[D/N che] [NP[indefinit][+/–Plural]]]/z. B. che libro,i ‘Was für ein Buch/was für Bücher’ = λP $x [ART(x) & NP (x) & P(x)] Im Französischen wird die Eigenschaftenlesart durch ein nominales Lexem genre/ type/catégorie ‘Art/Typ/Kategorie’ realisiert. In diesem Fall ist die indefinite NP meistens pluralisch markiert, wenn die Individuen, die die Menge charakterisieren, zähl­bar sind (z. B. Bücher). In diesem Fall muss der Determinierer franz. quel/ ital. quale mit dem nominalen Lexem franz. genre/type/catégorie oder ital. genere/tipo/razza kongruieren: (495) [DP/NP[D° [mask.sg.] quel ][NP N°[mask.sg.] genre de [NP [indefinit][+plural] livres]]] z. B. Franz. quel genre de livres? ‘Welches Genre von Büchern?’ z. B. Ital. quale genere di progetti? ‘Welche Art von Projekten?’ = λP $x [ART(x) & NP (x) & P(x)] Eine einfache wh-Konstituente ohne ein nominales Lexem mit der Bedeutung ART hat eine andere Syntax und Interpretation als in (495), weil der Determi­ nierer franz. quel/ital. quale mit der NP kongruiert (hier: livre). Außerdem kann diese wh-Phrase eine Individuumlesart haben, d. h. der Sprecher fragt nach einem bestimmten Buch (celui-ci):

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

(496) [DP/NP D° quel [+singular] [NP livre [+singular]]] z. B. Franz. quel livre ‘Welches Buch?’ Celui-ci ou celui-là? ‘Dieses oder jenes?’ = λP $x [NP (x) & P(x)] Die Quantifikation über Individuen (z. B. Personen, Sachen, etc.) wird durch wh-Prono­mina wie ital. chi/cosa, franz. qui/quoi ‘wer/was’ oder wh-Phrasen wie ital. quale di questi,e…franz. lequel, laquelle, lesquelles ‘welche (davon)’ realisiert. Nachdem gezeigt worden ist, dass wh-NP-Konstituenten unterschiedlich interpretiert werden können (Eigenschaftenlesart it. che NP oder Individuumlesart it. quale NP/chi), wird nun eine sprachübergreifende Generalisierung präsentiert, derzufolge Sprachen, die morpho-syntaktisch oder lexikalisch zwischen den beiden Lesarten unterscheiden, in nicht eingebetteten wh-Exklamativsätzen stets diejenige wh-NP wählen, die eine Eigenschaftenlesart und keine Individuumlesart hat. Die folgenden Minimalpaare zeigen, dass es formale Unterschiede in der Wahl der wh-Form in wh-Exklamativsätzen und in wh-Fragesätzen gibt. Diese formalen Unterschiede entsprechen der Unterscheidung zwischen der Eigenschaftenlesart in Exklamativsätzen und der Individuumlesart in Fragesätzen: (497) Engl. What a woman! vs. Which woman? Deut. Was für eine Frau! vs. Welche Frau? Ital. Che ragazza! vs. Quale ragazza? Span. ¡Qué libro! vs. ¿Cuál libro? Sprachen, die bei wh-Elementen zwischen einer Eigenschaftenlesart und einer Individuumlesart morpho-syntaktisch oder lexikalisch nicht unterscheiden, wählen die gleiche Form für wh-Exklamativsätze aus, die auch in Fragen verwendet wird: (498) Katal. Quina festa? oder Quina festa! ‘Welches Fest? oder Was für ein Fest!’ Frz. Quelle fille? oder Quelle fille! ‘Welches Mädchen? oder Was für ein Mädchen!’ Rum. Ce scrissori? oder Ce scrissori! ‘Welche Briefe? oder Was für Briefe!’ Ru. Kakaja devuška? oder Kakaja devuška! ‘Welche Frau? oder Was für eine Frau!’ Ein weiteres Argument dafür, dass wh-Exklamativsätze eine Eigenschaftenlesart haben, hängt mit der häufigen Verwendung von Nomina wie ital. razza ‘Rasse’ oder franz. espèce ‘Typ’, die lexikalisch eine Eigenschaftenlesart ausdrücken (vgl. auch Typ 5-NoN in 2.4.1 und 6.4.3):106 106 Solche Konstruktionen wie in (499) und (500) bilden einen Typ von NoN-Konstruktionen



Semantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen 

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(499) a. une espèce de plante ‘eine Pflanzenart’ b. Quel espèce de con j’ ai été! welcher Art von Blödmann ich habe gewesen ‘Was für ein Blödmann ich gewesen bin!’ (500) a. una razza di animali ‘eine Tierrasse’ b. Che razza di giornata! welche Rasse von Tag ‘Was für ein Tag!’ Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es empirische Argumente dafür gibt, dass wh-NP-Phrasen in Exklamativsätzen eine Eigenschaftenlesart haben. Ein Argument gegen die weitverbreitete Annahme, derzufolge nicht nur Gradexklamativa (vgl. (502)), sondern auch wh-NP-Exklamativsätze (vgl. (501)) notwendigerweise eine Gradlesart haben (vgl. Castroviejo 2006, Rett 2008, u. a.), hängt damit zusammen, dass die Negation in wh-NP-Exklamativsätzen möglich ist (vgl. (501) und auch Roguska 2007 zum Deutschen), während sie in wh-Sätzen mit einer Gradlesart wie in (502) unmöglich ist (vgl. Villalba 2004, Roguska 2007, Rodriguez 2008, Abrusán 2011 für diese Beobachtung in anderen Sprachen): (501) Kontext: Marco sollte eine schöne Frau heiraten, die er doch nicht geheiratet hat.

Die Gäste äußern: Che donna che non ha sposato! was Frau che nicht hat geheiratet ‘Was für eine Frau er nicht geheiratet hat!’

(502) Che bella che (*non) è! ‘Wie schön sie (*nicht) ist!’ Im nächsten Abschnitt komme ich zu der Bedeutung der gesamten Satzstruktur von wh-Exklamativsätzen.

(vgl. 2.4.1). Im Gegensatz zu den defektiven Nomina cazzo/cavolo im Typ 5 mit [Det+cazzo/ cavolo di/de N] (vgl. 2.4.1) kongruieren solche Nomina wie espèce und razza mit der whmarkierten Determinanten und scheinen eine lexikalische Bedeutung zu haben, die sich auf die Quantifikationsdomäne der wh-Phrase auswirkt (vgl. z. B. (495)).

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

5.2.2 Semantische Analyse von wh-NP-Exklamativsätzen Die semantische Analyse der wh-Phrasen che NP/quel (genre de) NP in 5.2.1 hat erge­ben, dass sie über Eigenschaften quantifizieren. Demnach kann man von der folgenden Fragebedeutung von wh-Exklamativsätzen des Typs in (503) ausgehen: (503) che donna (che) ha sposato Mario! ‘Was für eine Frau Mario geheiratet hat!’ λp∃x [ART (w)(x) & Frau (w)(x) & p(w) & p = λw’ [Mario hat x in w’ geheiratet]]107, 108 ‘Für welchen Frauentyp x gilt, es ist wahr dass Mario x geheiratet hat?’ Fragebedeutung Die Bedeutung in (503) unterscheidet wh-Fragen noch nicht von wh-Exklamativsätzen. Der Unterschied wird erst durch die skalare Präsupposition ausgelöst, die der Sprecher mit der Äußerung eines wh-Exklamativsatzes macht: (504) skalare Präsupposition in (503) = Ich, Sprecher der Äußerung, habe nicht erwartet, dass Mario einen solchen Frauentyp heiratet, den er de facto geheiratet hat. Ich habe erwartet, dass er jeden anderen Typ heiratet, nur nicht den Typ, den er de facto geheiratet hat. Ich gehe davon aus, dass die skalare Präsupposition durch ein oder mehrere Zeichen gleichzeitig signalisiert werden kann, die man mit Exklamativsätzen in einer bestimm­ten Sprache verbindet, wie z. B. ein Ausrufezeichen ! in der geschriebenen Sprache, (Ton)Akzent oder einen Grenzton in der mündlichen Sprache,109 Komplementierer che im Italienischen, fehlende est-ce que Partikel 107 Roguska (2007) nimmt für prädikative wh-NPs in Exklamativa wie what a guy he is! an, dass sie über Eigenschaften vom Typ P quantifizieren:   i.λp∃P [Eigenschaft (w)(P) & p(w) & p = λw‘ guy’ (w‘)(he’) & P(w’)(he’)]   ≈ ‘Für welche Eigenschaft P gilt, er hat diese Eigenschaft?’ Es nicht klar, ob diese Analyse auch auf wh-NPs mit einer Argumentfunktion wie in (503) übertragen werden kann. 108 Ein anonymer Reviewer hat darauf hingewiesen, dass das Prädikat heiraten ein Argument vom Typ eines Individuums nimmt und nicht eine Art oder eine Eigenschaft vom Typ . In dieser Arbeit gehe ich in Anlehnung an Carlson 1978 und Chierchia 1998 davon aus, dass kinds dem Typ eines Individuums entsprechen und nicht dem Typ einer Eigenschaft . 109 Im Deutschen gibt es nach Batliner & Oppenrieder (1989) einen Exklamativsatz-Akzent, der auf informationell nicht hervorgehobene Elementen liegt:   i. Hat DER vielleicht hingelangt! / DER hat vielleicht hingelangt! Ob es ein prosodisches Merkmal gibt, das italienische und französische wh-Exklamativsätze von wh-Fragen unterscheidet, soll in Zukunft genau untersucht werden. Es gibt jedoch eine Annahme in der Literatur, derzufolge der Hochton als Grenzton (repräsentiert durch %H) am Anfang einer exklamativen Äußerung den Satztyp einer Äußerung bestimmt (vgl. Sorianello 2011).



Semantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen 

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oder klitische Inversion im Französischen, Interjektionen (z. B. accidenti/caspita/ madonna, etc.), surprise110-Prädikate (Pensa un po’ ‘Stell dir vor’, sapessi ‘wenn du wüsstest’, etc. Alle diese Ausdrücke sind für ein skalares Merkmal [skalar] spezifiziert, das eine vergleichbare Semantik hat wie eine skalare Fokuspartikel even/persino/sogar (vgl. (505)). Da mich hier nur die skalare Präsupposition interessiert, werde ich auf den besagten Unterschied erst weiter unten in diesem Abschnitt eingehen. Wir schauen uns daher die skalare Bedeutung von even an: (505) ‖even‖ = ∀q [C(q) & q ≠ p → ( q) > likelihood (p)] skalare Präsupposition ‘Für alle Propositionen q gilt, wenn sie nicht identisch mit der Proposition p sind, dann ist q wahrscheinlicher als p.’ Die entscheidende Frage ist, wie sich die skalare Präsupposition in wh-Exklamativsätzen bildet und wie sie mit der Fragedenotation in (503) interagiert. Das theoretische Problem besteht darin, dass (skalare) Fokuspartikeln eine Proposi­tion als Argument nehmen (vgl. (505)) und wh-Exklamativsätze gleichzeitig keine Propositionen denotieren, sondern Mengen von Propositionen (vgl. (503)). Ich möchte zunächst eine informelle Lösung auf dieses Problem geben. Sie sieht so aus, dass ein wh-Exklamativsatz eine Fragebedeutung auf der semantischen Ebene hat und gleichzeitig eine skalare Bedeutung auf der Ebene der Präsupposition ausdrückt. Das heißt, dass das skalare Merkmal [+skalar] nicht auf der Ebene der Fragedenotation, sondern auf der Ebene der Präsupposition, interpretiert wird: (506) [FocP che donnaj Foc°[skalar] [FinP tjFoc (che) è Maria]]!‘Was für eine Frau Maria ist!’ Für welchen Frauentyp gilt, Maria ist dieser Frauentyp? (Fragedenotation) und dass Maria dieser Frauentyp ist, ist unwahrscheinlicher bzw. überraschender, als dass Maria jeder andere Frauentyp ist. (skalare Präsupposition)

110 Sharvit (2002) definiert surprise-Prädikate im Rahmen der H&K Fragesemantik wie folgt. Surprise- Prädikate nehmen eine Weltvariable w, eine Frage Q, die im Rahmen von H&K definiert ist, und einen Sprecher a als Argumente. Ihre wahrheitsfunktionale Definition lautet wie folgt: surprise- Prädikate definieren eine bestimmte Menge von Welten, die mit der Menge von Welten, welche mit a’s Erwartung kompatibel sind, keine Schnittmenge bilden (vgl. Sharvit 2002: 103):   i. ‖surpriseH&K‖ (w)(Q)(a) = 1 iff NONEXP(a)(w) ⊇ ∩{p: p ∈ Q(w) and w ∈ p} Sharvit 2002: 103 weist in der Fußnote 5 darauf hin, dass die Bedeutung von surprise-Prädikaten eine Ordnung von Welten involvieren muss, die mit der Erwartung des Subjekts einhergeht. Aus dieser Fußnote ziehe ich die Schlussfolgerung, dass er die skalare Präsupposition meint, die ich in dieser Arbeit genauer präzisieren werde.

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 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

Ich gehe von der folgenden Bedeutung des skalaren Operators EXCLQ in wh-Exklamativsätzen aus, der eine Proposition p als erstes Argument nimmt, welche der gültigen Antwort auf eine Frage enspricht. Das zweite Argument bildet die Alternativenmenge Q einer Frage: (507) ‖EXCLQ‖ (Q) (p) (w) = p(w) ∧ ⩝q∈Q [ Q(q) & q ≠ p →q> more likely p] ‘Für alle Propositionen q, die Elemente einer Frage Q bilden, gilt, wenn sie nicht identisch mit der Proposition p (der Antwort auf die Frage Q) sind, dann ist q wahrscheinlicher als p.’ Wendet man die Bedeutung in (507) auf den wh-Exklamativsatz in (506) an, dann folgt daraus, dass der skalare Operator EXCLQ die gültige Proposition p als Argument nimmt, nämlich dass Maria der Frauentyp x ist, der sie de facto ist. Des Weiteren nimmt er die Alternativenmenge der Frage {Maria ist Frauentyp y, Maria ist Frauentyp z} als zweites Argument und besagt, dass alle übrigen Alternativen q, die nicht der gültigen Antwort entsprechen, wahrscheinlicher sind bzw. mehr erwartet wurden. Der skalare Operator wird aufgrund seines Status als Fokusoperator in FocP verortet (die skalare Präsupposition wird hier erneut durch einen Doppelpunkt repräsentiert) (vgl. Anhang 5 für eine komplette kompositionelle Analyse von wh-Exklamativsätzen):

CP/FokP

Che donnaj

C'/Fok‘

FinP

C°/Fok° EXCLQ Assoziation mit der Spur

{p: ∃x [p = λw: ⩝ q ∈ g(C) [q≠ λw’. Maria ist Frauentypw’(a) → q > more likely λw’. Maria ist Frauentypw’ (x)]} Mengendenotation: {Maria ist sogar Frauentyp a, Maria ist sogar Frauentyp b, Maria ist sogar Frauentyp c}

Fin‘

Spec, FinP tj Foc Fin° che

IP

è Maria Abbildung 29: Syntax von wh-Exklamativa mit Semantik.



Semantische Analyse von che NP/quel NP-Exklamativsätzen 

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Portner und Zanuttini 2003 (P&Z) gehen ebenfalls von einer skalaren Interpretation von wh-Exklamativsätzen in (508) aus. So lautet die skalare Präsupposition in ihrem Bei­spiel, dass eine der alternativen Antworten (Er hat habanero (die schärfste Chili auf der Welt) gegessen) unwahrscheinli­cher ist als alle anderen Alternativen der Fragedenotation (P&Z 2003: 52): (508) Cossa che l magnava! (Padua) ‘Was der alles gegessen hat!’ A  lternativenmenge bzw. Fragedenotation ={‘he has eaten poblanos, he has eaten serranos, he has eaten jalapeños, he has eaten habanero’} Ich habe in diesem Abschnitt eine ähnliche Analyse von wh-NP-Exklamativsätzen vor­geschlagen, die anders als wh-Exklamativsätze in (508) einen anderen Quantifikations­bereich haben als das wh-Pronomen cossa, weil sie über Eigenschaften von Individuen quantifizieren. Es stellt sich nun die Frage, warum wh-NP-Exklamativsätze den Eindruck erwecken, als hätten sie keine Fragebedeutung. Dabei teilen sie einige formale Eigenschaften mit wh-Fragen, nicht zuletzt aufgrund der wh-Markierung und die typische syntaktische Posi­tion der wh-Phrase in der linken Peripherie des Satzes. An dieser Stelle sei auch er­wähnt, dass es in der Literatur immer noch eine heftige Debatte darüber gibt, ob wh-Exklamativsätze eine Fragesemantik haben oder nicht (vgl. D’Avis 2001, Portner & Zanuttini 2003, Roguska 2007, gegen Gutiérrez-Rexach 1999/2008, Castroviejo 2006, Rett 2008). Eine mögliche Antwort auf diese Frage ist, dass der Sprecher von wh-Exklamativsätzen die Antwort auf seine Frage bereits kennt, d. h. er stellt eine Frage, die er selbst auflöst. In diesem Sinn kann man wh-Exklamativsätze als einen Typ von rhetorischen Fragen klassifizieren (vgl. einen ähnlichen Lösungsvor­ schlag in D’Avis 2001). Diese Idee kann empirisch verdeutlicht werden, da whExklamativsätze in Kontexten verwendet werden, auf die der Sprecher keine Antwort erwartet: (509) Che donna (che) è Maria! Mi piace una donna del genere. ‘Was für eine Frau Maria ist! Mir gefällt so ein Frauentyp.’ Der nachfolgende Satz in (509) signalisiert, dass der Sprecher die Antwort bereits kennt. Die skalare Präsupposition operiert auf der gültigen Antwort und besagt, dass diese Antwort unwahrscheinlicher ist als jede andere mögliche Antwort, z. B. dass Maria ein anderer Typ ist (z. B. blöd und hässlich). Die skalare Präsupposition ordnet alternative Propositionen nach einer Wahrscheinlichkeit ihrer Gültigkeit an. Die wahre Proposition wird immer als die unwahrscheinlichste und damit als die am wenigsten zu erwartende Proposition betrachtet. Auf diese Weise entsteht die Emphase, die ital. SprecherInnen mit wh-Exklamativtypen assoziieren.

200 

 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wh-Exklamativsätze eine skalare Präsupposi­ tion haben. Auch Sätze mit skalaren Partikeln wie even/sogar/ persino/même haben eine solche skalare Präsupposition (z. B. Sogar Peter weiß es). Es wurde das Problem aufgeworfen, dass der skalare Operator in wh-Exklamativsätzen eine Proposition als Argument nehmen müsste, jedoch wh-Exklama­tivsätze im Rahmen einer Fragesemantik keine Propositionen, sondern Mengen von Propositionen denotieren. Dieses Problem wurde durch die Annahme gelöst, dass der skalare Operator in wh-Exklamativsätzen die gültige Antwort als Argument nimmt, die der Sprecher bereits kennt. Die Tatsache, dass wh-Exklamativsätze die Intuition erwecken, keine Fragen zu bedeuten, wurde auf ihre Kontextabhängigkeit zurückgeführt und darauf, dass der Sprecher die wahre Antwort bereits kennt. Ich komme nun zu den empirischen Vorhersagen der vorgeschlagenen Analyse von wh-Exklamativsätzen, nämlich zum Bmw-Effekt.

5.3 Bmw-Effekt Betrachten wir folgende Daten, die bereits in mehreren Kapiteln vorgestellt wurden (Typ 1-Exkl und Typ 2-Exkl-che in 1.2.2). Sie zeigen, dass zwei wh-Konstituenten ital. che (AP) NP (AP)/franz. quel (AP) NP ‘was für eine AP NP’ in Exklamativsätzen ungrammatisch sind: (510) a. Che (bella) donna (che) ha sposato un uomo così brutto! welche (schöne) Frau (dass) hat geheiratet einen Mann so hässlich ‘Welch eine (schöne) Frau hat einen so hässlichen Mann geheiratet!’ b. *Che (bella) donna (che) ha sposato che uomo (brutto)! welche (schöne) Frau (dass) hat geheiratet was Mann (hässlich) ‘Welch eine (schöne) Frau hat welch einen (hässlichen) Mann geheiratet!’ (511) a. Quelle femme (laide) a épousé un homme tellement beau! welche Frau (hässliche) hat geheiratet einen Mann so schön ‘Welch eine (hässliche) Frau hat einen so schönen Mann geheiratet!’ b. *Quelle femme (laide) a épousé quel homme (beau)! welche Frau (hässliche) hat geheiratet welchen Mann (schön) ‘Welch eine hässliche Frau hat welch einen schönen Mann geheiratet!’ Die gleiche Beschränkung gilt auch für wh-Exklamativsätze mit quanti NP ‘wie viele NP’ mit einem overten Komplementierer che: (512) a. *Quanti alunni che hanno commesso quanti errori! wie viele Schüler dass haben gemacht wie viele Fehler

Bmw-Effekt 



 201

b. Quanti alunni (che) hanno commesso questi errori! wie viele Schüler dass haben gemacht diese Fehler ‘Wie viele Schüler diese Fehler gemacht haben!’

Die Lösung soll zunächst nur aus syntaktischer Sicht erläutert werden. Sie lautet vereinfacht ausgedrückt: Der Satz in (513) hat kein Q-Merkmal, das einen wh-Exklamativsatz als eine Frage syntaktisch kennzeichnen würde. Aus diesem Grund kann er kein weiteres wh-Element lizenzieren, weil ein zweites wh-Element nur durch einen Satz mit einem Q-Merkmal bzw. durch eine Frage lizenziert wird: (513) *[FokP che uomoj [Fok° [skalar] che [IP tj was Mann dass

ha sposato [che donna [wh] [+Q]]]] hat geheiratet was Frau

In Fragesätzen enthält der Komplementierer C° ein [Q]-Merkmal und aus diesem Grund sind multiple wh-Elemente dort erlaubt. Q checkt mehrere wh-Elemente gleichzeitig (vgl. Boeckxs 2008 Idee von Multiple Agree). Das Konzept von Mul­ tiple Agree geht davon aus, dass eine Sonde eine Kongruenzrelation mit mehreren Zielen eingehen kann (vgl. Boeckx 2008): The idea behind Multiple Agree is that a checking relation can involve more than two participants at a given time. That is, within a given domain, a single Probe [dt. Sonde] may enter into checking relations with multiple Goals [dt. Ziel] simultaneously. (Boeckx 2008: 92, eckige Klammern O. K.)

Boeckx (2008) schematisiert Multiple Agree wie folgt: (514) Sonde [Ziel 1

[Ziel 2]]

Adaptiert man diesen Ansatz auf multiple wh-Elemente, die in diesem Modell zwei Ziele einer interrogativen C°-Sonde bilden, sieht die schematische Darstellung wie folgt aus: (515) [CP C[Q] ° = Sonde [TP Ziel 1 = wh1 ….Ziel 2 = wh 2]] (516) [CP chij = Ziel 1[C° [Q] [IP tj ha sposato wer hat geheiratet ‘Wer hat wen geheiratet?’

[chi]]]? wen

Vor dem Hintergrund dieser Erklärung lassen sich auch wh-Sätze mit mehrfachen wh-Pronomina gut erklären, die unter surprise-Verben einge­bettet werden:

202 

 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

(517) Pensa un po’ chi ha baciato chi! Maria ha baciato Piero! ‘Du wirst nicht glauben, wer wen geküsst hat. Maria hat Piero geküsst.’ Die Beobachtung, dass surprise-Prädikate Fragen mit multiplen wh-Elementen einbet­ten können, ist in der Literatur bekannt (vgl. Lahiri 1991): (518) It is amazing which men love which women. (Lahiri 1991: 26) Nach der syntaktischen Erklärung enspricht das Beispiel in (517) einem Interrogativsatz (repräsentiert durch C° [Q]) mit einer Fragebedeutung: (519) Pensa un po’ [CP chi C° [Q] ha baciato chi]! ‘Du wirst nicht glauben, wer wen geküsst hat’ ‖(519)‖ = λp∃x∃y [Person (w)(x) & Person (w)(y) & p(w) & p = λw’[x hat geküsst y in w’]] Fragedenotation Die exklamative Wirkung von (519) würde in diesem Fall aus der lexikalischen Seman­tik des surprise-Prädikats pensa un po’ ’stell dir vor’ folgen, die eine skalare Präsuppo­sition ausdrückt, derzufolge die gültige Antwort die am wenigsten erwartete Antwort darstellt (vgl. Sharvit 2002): (520) Skalare Präsupposition von (519): dass x y geküsst hat, ist unerwartet, bzw. dass x y geküsst hat, ist unwahrscheinlicher als dass z k geküsst hat. Aufgrund des Fehlens des Bmw-Effektes sollte man wh-Typen wie in (519) und (518), die unter surprise-Prädikate eingebettet werden, als Interrogativsätze und nicht als eingebettete Exklamativsätze analysieren. Nun bin ich in Anlehnung an viele Autoren davon ausgegangen, dass grammatische wh-Exklamativsätze eine Fragedenotation haben (vgl. 5.2). Die Fragedenotation habe ich dadurch begründet, dass wh-Exklamativsätze und wh-Fragesätze eine Alternativen­ menge evozieren und eine Alternativenmenge sowohl die Bedeutung von Fragen als auch die Bedeutung von Sätzen mit Fokus ausmacht. Wir haben es also mit einem theo­retischen Problem zu tun: Einerseits sollen wh-Exklamativsätze eine Fragedenotation haben und andererseits dürfen sie kein Q-Merkmal haben. Wenn sie ein Q-Merkmal hätten, dann würde die genannte Erklärung des Bmw-Effektes wegfallen. Geht man davon aus, dass wh-NP-Exklamativsätze eine Fragedenotation haben (vgl. 5.2.2), stellt sich die Frage, warum ein ungrammatischer wh-NP-Exklamativsatz nicht als eine Menge von Propositionen mit zwei wh-Variablen interpretiert werden kann. Man könnte sich die folgende Interpretation eines ungrammatischen Satzes vorstellen, derzufolge ein wh-NP-Exklamativsatz die Bedeutung einer Frage mit der zusätzlichen skalaren Prä­supposition hat:

Bmw-Effekt 

 203

(521) [[(510) b.]] = λp∃x∃y [ART (w)(x) & Frau (w)(x) & ART (w)(y) & Mann (w)(y) & p(w) & p = λw’[hat geheiratet (x,y) in w’]]= Fragedenotation

s kalare Präsupposition: dass y x geheiratet hat, ist unwahrscheinlicher, als dass z k geheiratet hat. CP

DP

λp∃x∃y [ART (w)(x) & Frau (w)(x) & ART (w)(y) & Mann (w)(y) & even p = λw'[y heiratete x in w']] C'

che donnaj DP

C'

che uomok C° che [skal.]

TP

T tj

T'

T° ha

VP

V sposato

DP

tk Abbildung 30: Hypothetische LF von multiplen wh-Exklamativsätzen.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass eine solche Analyse wie in (521) nicht völlig unplausibel ist, weil es in der Tat multiple wh-Elemente in Exklamativsätzen gibt, wenn beide wh-Elemente ex-situ stehen: (522) Da che casa grande a che appartamento piccolo si è trasferita/spostata! von was Haus groß bis was Appartment klein sich ist transferiert ‘Sie ist aus so einem großen Haus in ein so kleines Haus umgezogen.’ ‖(522)‖=λp∃x [Wohnung (w)(x)& groß (x) & ∃y [Haus (w)(y) & klein (x) & p(w) & p = λw’[du bist umgezogen von x nach y in w’]]] ‘Aus welcher Wohung x, x ist groß und in welches Haus y, y ist klein, ist es der Fall, dass du aus x in y umgezogen bist?’ (Fragedenotation)

204 

 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

‘Dass sie aus dieser großen Wohnung in dieses kleine Haus umzieht, habe ich, Sprecher, nicht erwartet.’ (skalare Präsupposition) Ich möchte dafür argumentieren, dass die zweite wh-Phrase in ((510) b.), die in situ realisiert wird, in dieser Position im Skopus des skalaren Operators interpretiert wird, der die skalare Präsupposition in Exklamativsätzen einleitet (­ausgedrückt durch [excl.] in C°). Skalare Operatoren sind für ihre Interventionskraft in der Literatur bekannt (vgl. Beck 2006, Mayr 2011). Diese Beschränkung kann man in Anlehnung an Mayr (2011) dadurch formulieren, dass wh-Exklamativ­sätze in (510) b. zwei Präsuppositionen einführen, die sich nicht entsprechen und aus diesem Grund setzt der Bmw-Effekt ein. Sie entsprechen sich deshalb nicht, weil die skalare Repräsentation in i. zwei wh-Variablen in der Alternativenmenge enthält, während die skalare Repräsentation in ii. nur eine wh-Variable enthält und das zweite wh-Element als ein Existenzquantor im Hintergrund des skalaren Operators interpretiert wird: (523) [[(510) b.]] = i. skalare Präsupposition (PA): dass x z heiratet, ist unwahrscheinlicher, als dass jeder andere z heiratet (skalare Präsupposition, die daraus folgt, dass alle wh-Elemente als Variablen im Skopus des skalaren Operators > interpretiert werden) λw. $x. $z: ⩝ q ∈ g(C) [q≠ λw’. heiratetw’ (x, z) → q > λw’. heiratetw’(x, z)]. heiratetw’ (x, z). ii. skalare Präsupposition (PO): dass x jemanden heiratet, ist unwahrscheinlicher als dass jeder andere jemanden heiratet (skalare Präsupposition, die daraus folgt, dass das wh-in situ als ein Quantor im Skopus des skalaren Operators >interpretiert wird) λw. $x: ⩝ q ∈ g(C) [q≠λw’. $z [heiratetw’ (x,z) → q > λw’. $z [heiratetw’(x,z)]. $z [heiratetw’ (x,z)].

Die Begründung dafür, dass das wh-in situ im Skopus des skalaren Operators und damit im präsupponierten Teil interpretiert wird, folgt aus der informationsstrukturellen Mar­kierung von wh-Exklamativsätzen. Die fokusmarkierte wh-in situ-Konstituente ist in einem Satz eingebettet, das Givenness markiert:

(524) *[FocP che ragazza] [FinP Fin° (che) [+given] ha sposato [che uomo]Fokus]! was Mädchen (dass) hat geheiratet was Mann Steht eine weitere wh-Konstituente außerhalb des Satzes, der Givenness markiert (vgl. (522)), dann wird sie nicht im Skopus des skalaren Operators interpretiert und der Satz ist grammatisch.



Zusammenfassung der Ergebnisse 

 205

Die gleiche Erklärung adaptiere ich auf wh-Exklamativsätze mit infiniten (Rela­tiv)Sätzen (vgl. 2.2). Da der infinite Satz den Fokushintergrund bzw. Schwarzschilds Givenness bildet, kann er kein weiteres wh-Element enthalten und aus diesem Grund wird der Bmw-Effekt ausgelöst (vgl. (525)): libro]Fokus [da regalare ad una ragazza come te/ (525) [Che bel was schönes Buch zu schenken an ein Mädchen wie dich/ *che ragazza! ]Hintergrund was Mädchen! ‘Was für ein schönes Geschenk, das man so einem Mädchen wie dir schenken kann!’ Ich fasse die Erklärung des Bmw-Effektes noch einmal zusammen: Ich bin von einer Interventionseffekterklärung in Anlehnung an Mayr (2011) ausgegangen, die gezeigt hat, dass der Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen inkompatible Präsuppositionen auslösen würde, weil das wh-in-situ-Element einerseits im Skopus des skalaren Operators interpretiert wird, und gleichzeitig darf es das nicht, weil alle wh-Elemente weiten Skopus haben sollten. An dieser Stelle sei an Jacobs (1984) erinnert, der annimmt, dass jedes Fokuselement, wenn es nicht von einer overten Fokuspartikel wie nur oder sogar gebunden wird, (spätestens) von einem illokutiven Operator, der in Force° seinen Sitz hat, gebunden wird. Diese Annahme ist m. E. korrekt und ich hoffe gezeigt zu haben, dass wh-Exklamativsätze einen weiteren Beweis dafür liefern, dass Jacobs (1984) richtig liegt. Der Grund für den Bmw-Effekt im Typ 1-Exkl und Typ 2 stellt die Annahme dar, dass das wh-in situ im Skopus eines skalaren Operators interpretiert wird, der in whExklamativsätzen in Force° seinen Sitz hat.

5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse In 5.1 wurde angenommen, dass wh-Exklamativsätze des Typs che NP/quelle NP im Italienischen und im Französischen eine Informationsstruktur aufweisen, die aus einem Fokusteil [FocP wh-NP] und einem Hintergrund besteht, der das Merkmal [+ given] enthält [FinP (che)[+given] …]. Die informationsstrukturelle Gliederung von wh-Exklama­tivsätzen wird mindestens phonologisch realisiert durch die phonologische Hervorhe­bung der wh-Phrase und die Deakzentuierung bzw. Tilgung des Komplementsatzes, der durch den Komplementierer che eingeführt wird. In 5.2 wurde die skalare Präsupposi­tion von wh-­Exklamativsätzen theoretisch reflektiert. Dort habe ich angenommen, dass der illokutive Operator

206 

 Wh-NP-Exklamativsätze im Italienischen und im Französischen

von wh-Exklamativsätzen die gleichen semantischen Eigen­ schaften aufweist wie eine skalare Fokuspartikel (z. B. sogar). In 5.3 wurde der Bmw-­Effekt genauer untersucht. Ganz grob lässt sich der Effekt darauf zurückführen, dass das wh-in situ auf der Ebene der Präsupposition im Skopus des illokutiven Opera­tors ­interpretiert wird, der wie eine skalare Fokuspartikel fungiert. In der Interventions­effektforschung erzeugt die Interpretation eines wh-Elementes im Skopus eines skalaren Operatos einen Interventionseffekt (vgl. 3.4). Aus diesem Grund kann der Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen als ein Interventionseffekt definiert werden. Die Beantwortung der Frage, wie die sprachspezifischen Unterschiede bezüglich Bmw-Effekte in Exklamativsätzen erklärt werden sollten (vgl. 1.3.3), muss der zukün­ftigen Forschung überlassen bleiben. Meine erste Vermutung ist, dass diejenigen Spra­chen oder Varietäten, die keinen Bmw-Effekt in wh-Exklamativsätzen aufwei­sen (vgl. z. B. das Japanische in 3.1.3), so ähnlich interpretiert werden wie wh-Sätze mit multiplen wh-Elementen, die unter ein surprise-Prädikat eingebettet werden (vgl. 5.3, Bsp. (519)). Das heißt, dass dort die skalare Präsupposition auf Propositionen mit zwei wh-Variablen operieren kann.

6 F ragen mit mai / cavolo und anderen ­fokussensitiven Ausdrücken In diesem Kapitel soll der Bmw-Effekt in den Typen 4 bis 7 (vgl. 1.2.2) analy­siert werden. Dieses Kapitel ist wie folgt gegliedert: Ich werde zunächst die zentralen Daten kurz rekapitulieren (vgl. 6.1), die dann im Anschluss analysiert werden. Danach gehe ich auf wh-Fragen mit dem temporalen Adverb mai mit einer NPI-Bedeutung ‘je­mals’ (vgl. 6.2) und auf wh-Fragen mit Partikeln wie mai/cavolo ein (vgl. 6.3 bzw. Typ 4-Partikel in 1.2.1). Den letztgenannten Fragetypen ist ein eigener Abschnitt gewidmet, weil die Semantik dieser Fragen nicht so offensichtlich ist wie das bei einigen anderen Fragetypen, die den Bmw-Effekt aufweisen, der Fall ist (z. B. Fragen mit einer Satznegation). In 6.4 stelle ich eine Erklärung des Bmw-Effektes in unterschiedlichen Fragetypen vor. Das Unterkapitel 6.5 liefert eine Zusammenfassung.

6.1 Rekapitulation der Daten Zu den Typen mit Bmw-Effekten gehören Fragen mit Partikeln wie mai/cavolo und bestimmten Ausdrücken wie se non x (‘wenn nicht x’), die einen Adjunktstatus haben (vgl. (526) bzw. Typ 4-Partikel und Typ 7-Adjunkt in 1.2.2), das temporale Adverb mai mit der Bedeutung ‘jemals‘ in (527) (vgl. Typ 6-neg), das einige Autoren als eine NPI analysieren (vgl. Obenauer & Poletto 2000, Homer 2008, Chierchia 2011) und in einsprachigen Lexika des Italienischen die temporale Bedeutung von una volta/qualche volta ‘einmal/manchmal’ hat (vgl. Zingarelli 1999); Fragen mit einer Satznegation, wenn sie negativ rhetorisch interpretiert werden (vgl. (528)): (526) *(Ma in fondo) Chi mai/cavolo/se non Piero può fare cosa? (aber im Grunde) wer mai/cavolo/wenn nicht Piero kann machen was? (erwartete Antwort: nessuno (a parte Piero) può fare niente ‘Niemand (außer Piero) kann etwas machen’) (527) *(Ma in fondo) Chi può mai fare cosa? (aber im Grunde) wer kann jemals machen was? (erwartete Antwort: nessuno può fare niente ‘Niemand kann etwas machen’) (528) *(Ma in fondo) Chi (mai) non vorrebbe mangiare che cosa? (aber im Grunde) wer (mai) nicht möchte essen was (erwartete Antwort: ‘non c’è nessuno che non vorrebbe mangiare qualcosa ‘Es gibt niemanden, der nicht irgendetwas essen möchte’)

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 Fragen mit mai / cavolo und anderen ­fokussensitiven Ausdrücken

Es sei daran erinnert, dass rhetorische Fragen mit multiplen wh-Elementen nicht an sich ungrammatisch sind (vgl. 1.2.1): cosa, scusa? Nessuno nega niente. (529) Ma chi nega aber wer verneint was, entschuldige? niemand verneint irgendetwas. ‘Aber entschuldige mal, wer widerspricht dem?’ Aufgrund des Vorkommens von Fragen mit multiplen wh-Elementen und ihrer Inter­pretierbarkeit als rhetorische Fragen wurde im Abschnitt 1.2.1 der Schluss gezogen, dass der Bmw-Effekt etwas mit den Partikeln mai/cavolo, dem temporalen Adverb mai, se non x-Ausdrücken, und der Satznegation zu tun haben muss, d. h. allein die Klassifikation einer Frage als +/– rhetorisch spielt keine Rolle für den Bmw-Effekt. Es besteht Grund zu der Annahme, dass zumindest die Satznegation und das temporale Adverb mai ‘jemals’ im Typ 6-neg einen Interven­ tionseffekt auslösen. Ich habe unter Abschnitt 2.3 für den NPI Status der Partikeln mai/cavolo argumentiert. Trifft meine Einschätzung zu, so sollten diese Partikeln den gleichen Interventionseffekt auslösen wie eine beliebige andere NPI, z. B. das temporale Adverb (mai ‘jemals’) (vgl. Typ 6-neg). Das heißt, dass der Bmw-Effekt im Typ 4-Partikel und im Typ 6-neg dann ähnlich analysiert werden könnte. Zuerst wird eine Analyse von wh-Fragen mit der NPI mai ‘jemals‘ vorgestellt (vgl. 6.2) und danach die NPI-Analyse von Partikeln wie mai/cavolo (6.3). Dies bildet die Grundlage für die Behandlung von Bmw-Effekten. Im Unterkapitel 6.4 wird der Bmw-Effekt in Fragen mit Partikeln aus der Ana­lyse von Partikeln in 6.3 abgeleitet. In diesem Unterkapitel wird auf andere whTypen und ihre Beschränkungen eingegangen (vgl. Typ 5-NoN und Typ 7-Adjunkt).

6.2 NPI mai ‘jemals’ in Fragesätzen Für die folgende Diskussion und die Erklärung des Bmw-Effektes in 6.4 sind folgende Eigenschaften des Adverbs mai mit einer temporalen Bedeutung relevant: a) es quantifiziert über Zeiteinheiten und b) es hat eine NPI-Bedeutung ‘jemals’, d. h. dieses Adverb ist nur in NPI-Kontexten lizenzierbar. Wie diese beiden Eigenschaften formalisiert werden sollten, wird nun genauer erläutert. Ich gehe davon aus, dass mai als temporales Adverb syntaktisch als ein Adjunkt der verbalen Kategorie, VP, analysiert wird:111

111 vgl. Cinque (1999) und Coniglio (2008) zu einer alternativen Analyse von Adverbien als Spezifizierer von funktionalen Kategorien, die im unteren Bereich der finiten Phrase (TP/IP) stehen.

NPI mai ‘jemals’ in Fragesätzen 

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(530) a. Chi è mai stato in Cina? Com’è? wer ist mai gewesen in China wie ist-es ‘Wer ist irgendwann mal in China gewesen? Wie ist es (da so)?’ b. [SpecCP Chij C°[Q] [SpecTP tj T° è [VP mai [VP V° stato [PP in Cina?]]]] Diese Analyse sagt voraus, dass mai niemals verbalen Argumenten (z. wB. (in) direkten Objekten) folgen kann, wie die Bewertungen des Beispiels in (531) aus meiner eigenen Befragung und Coniglios (2008) Intuition in (532) bestätigen: contatto con Carlo (*mai). (531) non aveva (mai) perduto il nicht hatte mai verloren den Kontakt mit Karl mai ‘Er hatte nie den Kontakt zu Carlo verloren.’ (532)  quando avrà letto