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German Pages 1053 [1054] Year 2024
Das Bürgerliche Recht Habilitationen Band 5
Interessenwahrnehmung in der anwaltlichen Vertragsgestaltung
Von
Kathrin Brei
Duncker & Humblot · Berlin
KATHRIN BREI
Interessenwahrnehmung in der anwaltlichen Vertragsgestaltung
Das Bürgerliche Recht Habilitationen Band 5
Interessenwahrnehmung in der anwaltlichen Vertragsgestaltung
Von
Kathrin Brei
Duncker & Humblot · Berlin
Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Habilitationsschrift angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2024 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: Beltz Graphische Betriebe, Bad Langensalza Printed in Germany ISSN 2195-9641 ISBN 978-3-428-15903-1 (Print) ISBN 978-3-428-55903-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld als Habilitationsschrift angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden für die Drucklegung bis März 2023 berücksichtigt. Für die Veröffentlichung habe ich einige geringfügige Änderungen vorgenommen, vornehmlich hinsichtlich aktueller Literatur und Rechtsprechung zwischen 2016 und 2023. Die Arbeit ist sehr lang. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass es mein besonderes Anliegen war, die Thematik der Interessenwahrnehmung in der anwaltlichen Vertragsgestaltung nicht nur im juristischen, sondern gerade auch im interdisziplinären Kontext zu untersuchen. Bedeutung, Möglichkeiten und Wirkungen eines Vertrags erschließen sich nur bei Berücksichtigung weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse, nicht zuletzt solcher der Soziologie. Außerdem entstehen für den anwaltlichen Berater und Gestalter vor allem im Vorfeld des eigentlichen Vertragsschlusses nicht unerhebliche Gefahren einer möglichen Dritthaftung gegenüber dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten. Ich hoffe allerdings, dass einzelne Kapitel für sich genommen gewinnbringend gelesen werden können. Zu dem Zweck finden sich – vor dem Hintergrund gewollte – Wiederholungen von zuvor erarbeiteten Erkenntnissen oder Begriffsbestimmungen. Herzlich danken möchte ich allen Personen, die mich in der Zeit der Erstellung und des Abschlusses dieser Arbeit an der Universität Bielefeld begleitet, unterstützt und inspiriert haben. Ebenso gilt mein Dank allen, die mir in der Phase der Vorbereitung der Drucklegung an der Universität Bonn zur Seite standen. Verl, im Juli 2023
Kathrin Brei
Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
1. Teil Vertrag und Interessen A. Juristischer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. II.
43 43
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Juristischer Vertrag als Regelwerk mit staatlicher Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . .
43 44
III. Abschluss des juristischen Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
IV. Inhalt des Vertrags: „Angebote“ und Grenzen durch das Gesetz . . . . . . . . . . . . V. Grundgesetzliche Gewährleistung von Privatautonomie und Vertragsfreiheit . .
51 57
B. Interessenverständnis in Bezug auf die potentiellen Vertragsparteien und den gestaltenden Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interessen des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 62
II.
Interessen des potentiellen Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
III. Interessenbegriff des (vertragsgestaltenden) Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. II.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (Rechts-)Soziologische Ansätze zum Vertragsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
III. Notwendigkeit der Kombination einer juristischen und einer (rechts-)soziologischen Sichtweise auf den Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I.
Begriff und Erscheinungsformen des Dritten und seiner Interessen . . . . . . . . . . 256
II. Blick auf Drittinteressen im Rahmen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Verknüpfungen zwischen Mandanten- und Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 IV. Schlussfolgerungen bezüglich der Bedeutung der Drittinteressen . . . . . . . . . . . 369
2. Teil Interessenwahrnehmung und Kommunikation
371
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
8
Inhaltsübersicht
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 I.
Kommunikationsverständnis auf der Grundlage des anwaltlichen Vertrags – Die Frage nach dem Ob der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
II.
Auswirkungen auf die zwischen Anwalt und Mandant zu setzenden Signale/ Zeichen – Die Frage nach dem Wie der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
III. Ziel der Kommunikation – Die Frage nach dem Warum der Kommunikation
379
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I. II.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Veränderte Ausrichtungen der Kommunikation – Vorliegen von Kommunikation mit veränderten Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
III. Auswirkungen auf das Wie und auf das Ziel der Kommunikation . . . . . . . . . . . 421 IV. Anwaltlicher Umgang mit und Nutzbarmachung von kommunizierten Botschaften als prägender Teil der Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 V. Wahl eines strukturierten Verfahrens als Beitrag zur Interessenumsetzung . . . . 460 D. Fazit zur Interessenwahrnehmung und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
3. Teil Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertragsgestaltung
470
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 I. Öffnung zum Rollenverständnis in Bezug auf den Anwalt selbst . . . . . . . . . . . . 471 II.
Anwalt und die für den Mandanten zu entwerfenden Rollen . . . . . . . . . . . . . . . 474
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . 475 I.
Vornahme einer Trennung von Position und Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
II. Präzisierung des Positionsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 III. Positionierungen des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 IV. Zu schaffende (neue) Positionierung des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 I.
Einführung in das Rollenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
II. Begrenzung der Rollenuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 III. Rolle – Suche nach Inhalt und Schärfe bei Dahrendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 IV. Notwendige Einbettung der Rolle in einen größeren Kontext – Hinwendung zu Parsons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 V.
Schöpferische Individualität in Vertragsverhandlung und -gestaltung – Öffnung zum symbolischen Interaktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 VI. Die Rolle – Notwendige Denkkategorie innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671
Inhaltsübersicht
9
4. Teil Dritthaftungsproblematik beim Umgang des Interessenvertreters mit Informationen – Haftung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten
674
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 B. Rat, Empfehlung und Auskunft im Kontext von Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . 676 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676 II.
Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
III. Rat und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 IV. Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 C. Auskunft, Rat, Empfehlung und Interessenverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 I. Weitergabe, Empfang und Suche von/nach Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 II.
Umgang mit Informationen durch den Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685
D. Juristische Haftungsansätze bezüglich Auskunft, Rat und Empfehlung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten innerhalb von Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 I.
Hintergrund für die Suche nach Haftungsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
II.
Begründung eines (stillschweigenden) Auskunftsvertrags zwischen Anwalt und Drittem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 III. Konzentration auf die Profession – Weg in die Berufshaftung (Hopt) . . . . . . . . 734 IV. Fachmannseigenschaft und Kommunikation (Jost) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762 V. Haftung aufgrund Selbstbindung (Köndgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 VI. „Vertrauen“ als notwendige (Vor-)Überlegung des Verhältnisses zwischen Anwalt und Drittem – Nutzbarmachung der Vertrauenshaftung nach Canaris . . . . 818 VII. § 311 Abs. 3 BGB – Gesetzlicher Lösungsansatz für die Auskunftshaftung oder Sammelbecken alter Probleme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842
5. Teil Konsequenzen der Bedeutung der Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung – Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
899
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899 I.
Positionaler Ausgangspunkt des Anwalts und daraus folgende maßgebliche Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
II. Blick auf das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900 III. Notwendigkeit einer zweckorientierten Methodik der Vertragsgestaltung . . . . . 901 B. Subjektive Interessen des Mandanten als notwendiger Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . 903 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 II.
Umgang mit den Interessen des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904
10
Inhaltsübersicht III. Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912
C. Notwendigkeit der Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners . . . . . . . . . 914 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914 II.
Formale Willenseinigung als Ausgangspunkt eines (gegenseitigen) Interessenausgleichs in der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916
III. Bedeutung der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918 D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923 I. II.
Begriff des Normalstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 Umgang mit dem Gestaltungsbedarf – Freiheitliches Denken am Anfang der (weiteren) gestalterischen Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927
III. Funktionaler Umgang mit Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931 E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . 986 I.
Folgerungen der Erkenntnisse um den methodischen Umgang mit Generalklauseln – Methodik der Vertragsgestaltung als „flexibles System“ . . . . . . . . . . 986
II.
Die einzelnen Schritte einer Methodik anwaltlicher interessenorientierter Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
Schlussthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1049
Inhaltsverzeichnis Die Gliederungsebenen (aa) und (aaa) werden aus optischen Gründen nicht im Inhaltsverzeichnis abgedruckt, sind aber im Text zu finden. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
1. Teil Vertrag und Interessen A. Juristischer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
43 43
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
II. Juristischer Vertrag als Regelwerk mit staatlicher Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . III. Abschluss des juristischen Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 47
IV. Inhalt des Vertrags: „Angebote“ und Grenzen durch das Gesetz . . . . . . . . . . . .
51
1. Zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 54
Grundgesetzliche Gewährleistung von Privatautonomie und Vertragsfreiheit . .
57
1. Nutzen der gesetzlichen Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingriffsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 60
3. Schutzcharakter der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
B. Interessenverständnis in Bezug auf die potentiellen Vertragsparteien und den gestaltenden Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
V.
I.
Interessen des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
1. Subjektives Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formen von subjektiven Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 64
a) Unterschiedliche Präzisionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
aa) Weites Interessenverständnis unter Integration von Positionen . . . . . . bb) Vorstellungen als Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 67
b) Wünsche als Ausdruck alles Denkbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
aa) Wertungsfreiheit von Seiten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wertungsabstufung durch den Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67 69
3. Umgang mit objektivierten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
a) Bezugnahme auf Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Weitere) „Loslösung“ der Interessen vom Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . .
71 72
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
12
Inhaltsverzeichnis II.
Interessen des potentiellen Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
III. Interessenbegriff des (vertragsgestaltenden) Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwaltsvertrag als Ausgangspunkt zur Bestimmung des für den Anwalt maßgeblichen Interessenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragliches Verhältnis zwischen Anwalt und Mandanten . . . . . . . . . . . .
79 81 81
aa) Vertragstypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
bb) Vertragliche Fixierung der vom Anwalt zu erbringenden Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwaltliche Pflichten aufgrund des Anwaltsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 85
aa) Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
(1) Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts und relevanter Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Umgang mit verborgenen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86 89
(3) Zugrundelegung typischer Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
(4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beratungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91 92
cc) Spezielle Pflichten innerhalb der kautelarjuristischen Tätigkeit . . . . .
94
(1) Vollständige Wiedergabe des Mandantenwillens im Vertrag . . . . . (a) Auswirkung auf das Rechtsverständnis des Anwalts . . . . . . . .
94 95
(b) Schaffung eines wirksamen Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
(c) Fehlende juristische Umsetzung/Umsetzbarkeit . . . . . . . . . . . 99 (2) Zweckmäßiger Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 dd) Wahl des sichersten Wegs und Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . 102 (1) Wahl des sichersten Wegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Eigene Interessen des Anwalts innerhalb der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . 105 a) Zufriedenstellung des Mandanten als Ziel in bestimmten Grenzen . . . . . . 105 b) Rechtliche Bewertung von Mandanteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Ausgangsproblematik: Erstellung rechtsunwirksamer Verträge . . . . . 106 bb) Auflösung des Spannungsverhältnisses innerhalb der anwaltlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Anwaltsvertragliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Berufsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (3) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Anwaltsinteressen im weiteren sozialen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Inhaltsverzeichnis II.
13
(Rechts-)Soziologische Ansätze zum Vertragsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Trennung von Schuld und Haftung – Eugen Ehrlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Bedeutung von Schuld und Haftung für den Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Gesellschaftliche Relevanz schuld- oder haftungsbegründender Verträge 115 c) Nutzbarmachung der Erkenntnisse innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Außervertraglichkeit des Vertragsrechts – Emile Durkheim . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Mechanische und organische Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch den Vertrag . . . . 119 c) Notwendigkeit gesellschaftlicher Reglementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 d) Konfliktvermeidung und Vereinfachungen durch Schaffung von gesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 e) Weiteres Druckpotential durch die „Sitten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 f) Konsequenzen für die anwaltliche Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Bedeutung von zwingendem und dispositivem Recht . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Folgen für die individuell ausgerichtete Vertragsgestaltung . . . . . . . . 125 3. Entwicklung hin zum Zweckkontrakt mit der Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung – Max Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Zusammenspiel von Rechtssätzen und Zwangsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Unterscheidung von Status- und Zweckkontrakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Statuskontrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Zweckkontrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Auswirkung der Entwicklungen hin zum Zweckkontrakt . . . . . . . . . . . . . 133 d) Rechtliche Ermächtigung zwischen Freiheitsgewährung, Eingriffsgrundlage und Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 e) Ausfluss „gebündelter“ Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 f) Bedeutung des Zweckvertrags für die individuelle Vertragsgestaltung . . . 137 4. Nutzbarmachung einer auf den Vertragsschluss und den Vertragsfortgang angewandten Soziologie – Jean Carbonnier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Vertragsverständnis bei Carbonnier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Auf den Vertrag angewandte Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Auf den Vertragsschluss angewandte Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (1) Motivation zum Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Wahl des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Auf das Funktionieren des Vertrags angewandte Soziologie . . . . . . . . 147 (1) Beziehungsentwicklung von Begeisterung bis hin zur Abkühlung
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(2) Umsetzungsmöglichkeiten in der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . 148 5. Recht als „Versicherung“ bei gleichzeitiger Öffnung hin zu außervertraglichen Abläufen – Karl N. Llewellyn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Vertragsbegrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Trennung von „legal“ und „non-legal obligations“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
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Inhaltsverzeichnis c) Recht als „Versicherung“ – Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Unverzichtbarkeit eines Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 e) Anwaltliche Ausrichtung auf den Konfliktfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 f) Ausrichtung sowohl auf „legal“ wie auf „non-legal obligations“ . . . . . . . 159 g) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6. Besondere Berücksichtigung sich entwickelnder Vertragsbeziehungen – Ian R. Macneil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Unterscheidung von „transactional“ und „relational contract“ . . . . . . . . . . 163 aa) Wurzeln des Vertrags und ihre Auswirkung auf das Vertragsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Bildung von „transactional“ und „relational axes“ . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Vorrangigkeit der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Anfang und Ende des Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (4) Übernommene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (5) Umgang mit Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) „Common contract norms“ und weitere „normative“ Ansätze bei Macneil 171 aa) „Common contract norms“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) „Discrete norms“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 cc) „Relational norms“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 d) Nutzbarmachung der Macneilschen Ansätze in der Vertragsgestaltung . . . 180 aa) Behavioristischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Normativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Relationales Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (a) Relationales Vertragsrecht in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (b) Beispiele relationaler Einflüsse im deutschen Recht . . . . . . . . 183 (aa) Treu und Glauben, § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (bb) Rücksichtspflichten, § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 185 (cc) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (dd) Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB . . . . . . . . . . 186 (ee) Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, § 314 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (ff) Konkludente Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (gg) Sonstige Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (c) Kontrollinstanz und Normverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (d) Schaffung neuer Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
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(2) Vertrag selbst als „normative Umsetzung“ relationaler und transaktionaler Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (a) Vorrangigkeit der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (b) Graduelle Entwicklung der Vertragsbeziehung . . . . . . . . . . . . 198 (c) Vertrag als „Normwerk“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (d) Rückbesinnung auf ein kontrollorientiertes Normverständnis 204 (e) Schwierigkeiten einer vertraglichen Einkleidung . . . . . . . . . . 207 (aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (bb) Vertragliche Erfassung von Kommunikationspflichten . . . 210 (aaa) Pflicht zur Auskunft und Information . . . . . . . . . . 210 (bbb) Umgang mit subjektiven Umständen . . . . . . . . . . . 213 (ccc) „Pflicht“ zur andauernden Kommunikation . . . . . . 213 (cc) Anpassungsklauseln, insbesondere Neuverhandlungsklauseln – „Bindeglied“ zwischen „freien Abläufen“ und „normativem Zwang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (aaa) Einführung und Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (bbb) Tatbestandliche Erfassung veränderlicher Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (a) Enge Tatbestandsfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (b) Weite Tatbestandsfassung mit Inhaltsvorgaben 220 (c) Große Ausfüllungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . 221 (d) Umgang mit stark subjektiven Umständen . . . . 223 (ccc) Reaktionsformen auf der Rechtsfolgenseite als Konsequenz veränderlicher Umstände . . . . . . . . . . 224 (a) Gestalterische Orientierung auf der Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (b) Verhandlung und Anpassung sowie eine mögliche juristische Absicherung . . . . . . . . . . . . . . 226 (ddd) Berücksichtigung weiterer Stabilisierungsformen
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(a) Self-enforcing contract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (b) Stärkere Installierung von Auskunfts- und Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (c) Verhandlungen als Voraussetzung für den Gang zum staatlichen Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (d) Erweiterte Neuverhandlungsklauseln . . . . . . . . 251 e) Resümee zu den Macneilschen Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Notwendigkeit der Kombination einer juristischen und einer (rechts-)soziologischen Sichtweise auf den Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I.
Begriff und Erscheinungsformen des Dritten und seiner Interessen . . . . . . . . . . 256 1. Formale Bestimmung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
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Inhaltsverzeichnis 2. Arten von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II.
Blick auf Drittinteressen im Rahmen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . 260
III. Verknüpfungen zwischen Mandanten- und Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Intendierte Einwirkung auf Interessen individualisierbarer Dritter . . . . . . . . . 261 a) Unmittelbare (rechts-)gestalterische Einwirkungen auf die (Rechts-) Sphäre des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Verpflichtungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (1) Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Vertrag zu Lasten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (3) Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (a) Gründe für die Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (b) Rechtsgrundlage des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
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(aa) Rechtsgrundlage im Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (bb) Richterliche Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (cc) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (aaa) Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (bbb) Objektive gesetzliche Erweiterung des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (ccc) Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (ddd) Weg über § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . . . 277 (dd) Tatbestandliche Voraussetzungen für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (ee) Konsequenz für den Umgang mit den unterschiedlichen Ansätzen durch den Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (aaa) Vertragsfreiheit und Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (bbb) Abwägungen hinsichtlich der involvierten Interessen bei fehlender ausdrücklicher Regelung im Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (b) Fehlende ausdrückliche Regelung im Vertrag der Hauptparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (c) Resümee/Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Gestalterisches „Aus- oder Benutzen“ von Gesetzen als objektivierte Interessengewichtungen des Rechts zum Zweck der Dritteinwirkung . . . . . 293 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Gezielter Einsatz objektivierter Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 cc) Umgang mit Reflexwirkungen zur positiven Umsetzung der Interessen des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (1) Weites Verständnis von Reflexwirkungen – von Jhering . . . . . . . . 297
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(2) Enges Verständnis von Reflexwirkungen – Habersack . . . . . . . . . 298 (3) Probleme bei fehlenden tatbestandlich (genau) fixierten Vorgaben zur Dritteinwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Drittwirkungen als Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Mögliche Drittwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) Lastwirkungen – Umgang mit der Begrenzung von Inhalts- und Abschlusschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (1) Orientierung an der Wiedemannschen Begrifflichkeit . . . . . . . . . . 302 (2) Konsequenzen eines weiten Verständnisses von Drittwirkungen 305 (3) Rechtsvereitelung bei einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (4) Begründung von Verbindlichkeiten bei Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 307 (5) Andere Beeinträchtigungen von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Grenz- bzw. Schrankenbildungen aufgrund von Drittinteressen . . . . . . . . 309 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 bb) Immanente und/oder externe Grenzbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (1) Immanente Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 (a) Ausgangsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 (b) Lösung anhand der grundgesetzlichen Verankerung der Privatautonomie (Vertragsfreiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (aa) Vertragsfreiheit im außer- bzw. vorrechtlichen Bereich . . . 314 (aaa) Tatsächliche Abläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 (bbb) Fortentwicklung aus einer Bindungslosigkeit hin zur Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (ccc) Schritt zur Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . 317 (bb) Privates Recht als geschütztes Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (c) Notwendigkeit einer (gesetzlichen) Ausgestaltung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (aa) Vertragsfreiheit als gesetzlich konstituierte Freiheit . . . . . 320 (bb) Garantie des Instituts der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 323 (cc) Ausgestaltung als Chancenerweiterung und Eingriffspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (dd) Ausgestaltung und Eingriff als konnexe Gegebenheiten? 325 (ee) Weites Freiheitsverständnis auch bei zu konstituierender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (ff) Konsequenzen für die Drittberührungen eines Vertrags inter partes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (aaa) Vertrag zu Lasten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (bbb) Lastwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (a) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
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Inhaltsverzeichnis (b) Lösungsfindung über das Verständnis der Vertragsfreiheit als weite Freiheit . . . . . . . . . . . . . 330 (2) Lösung über „von außen“ (extern) angelegte Begrenzungen . . . . . 331 (a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (b) Sittenwidrigkeitskontrolle über § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . 332 (aa) Normzweck des § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 (bb) Rigorosität der Rechtsfolge des § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . 334 (cc) Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (aaa) Gute Sitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (bbb) Vorliegen von Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (a) Sittenwidrigkeitsbestimmung über eine Grenzwertfestlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (b) Zusammenspiel der Wertungsfaktoren in Bezug auf Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 (c) Hinwendung zu einem „flexiblen System“ . . . 340 (dd) Abstufungen gestalterischer Möglichkeiten zur Vermeidung des Eingreifens von § 138 Abs. 1 BGB bei Berührung von Dritt- oder Allgemeininteressen . . . . . . . . . . . . . 344 (aaa) Sittenwidrigkeit aufgrund des Inhalts des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 (bbb) Umsetzung der Interessen partiell möglich . . . . . . 346 (ccc) Sonstige gestalterische Einbindung von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 (ee) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (c) Inhaltliche Kontrolle aufgrund von § 242 BGB wegen eines Drittbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 (aa) Notwendigkeit eines Rückgriffs auf § 242 BGB? . . . . . . . 350 (bb) Rechtsfortbildung innerhalb des § 242 BGB . . . . . . . . . . . 351 (cc) Maßstab einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB . . . . . . . . 353 (dd) Erfordernis einer Sonderbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 (ee) Variable Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 (ff) Kritische Auseinandersetzung mit einem Weg über § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (d) Schrankenbildung über § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (bb) § 134 BGB und die Bewältigung von Lastwirkungen und sonstigen Drittwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 (aaa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 (bbb) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot (Mandantenschutzklausel) als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 (a) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
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(b) § 3 Abs. 3 BRAO als Verbotsgesetz mit Drittschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 (c) Einschränkende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 365 (d) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (cc) Konsequenz für den Umgang mit Lastwirkungen und sonstigen Drittwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 IV. Schlussfolgerungen bezüglich der Bedeutung der Drittinteressen . . . . . . . . . . . 369
2. Teil Interessenwahrnehmung und Kommunikation
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 I.
Kommunikationsverständnis auf der Grundlage des anwaltlichen Vertrags – Die Frage nach dem Ob der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
II.
Auswirkungen auf die zwischen Anwalt und Mandant zu setzenden Signale/ Zeichen – Die Frage nach dem Wie der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Sprache und die in ihr enthaltenen Botschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Anforderungen an den Anwalt bezüglich des Sprachverständnisses . . . . . . . 377
III. Ziel der Kommunikation – Die Frage nach dem Warum der Kommunikation 379 1. Informationsbeschaffung und Interessenfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 a) Problem der Erfassung sozialer Realitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 b) Anstoß durch die Mandantenschilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 c) Einfluss eigener gelebter Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 d) Rückgriff auf Alltagstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 e) Berufliche Erfahrung – Denken entlang von Sachverhaltstypen . . . . . . . . 388 f) Sachverhaltsermittlung im Anschluss an normative Typen . . . . . . . . . . . . 391 g) Nutzbarmachung (weiterer) wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 h) Topische Herangehensweise – Offenheit des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . 396 aa) Topik als methodischer Ansatz zur Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . 397 bb) Topische Herangehensweise zur kautelarjuristischen Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (2) Topik erster Stufe innerhalb der anwaltlichen Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 (3) Topik zweiter Stufe innerhalb der anwaltlichen Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (4) Konsequenzen für die Nutzbarmachung der Topik . . . . . . . . . . . . 404
20
Inhaltsverzeichnis 2. Interessenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 b) Auswirkungen auf das Ob und Wie der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 406 c) Konsequenzen für das Setzen sprachlicher Zeichen sowie für die Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 d) Besonderheiten aufgrund der Zielausrichtung auf die Interessenbildung – Einsatz von „Mustern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 e) Konsequenzen der Besonderheiten der Interessenbildung . . . . . . . . . . . . . 412 f) Topische Herangehensweise als Weg zur Interessenbildung . . . . . . . . . . . 413 3. Rechtliche Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 II.
Veränderte Ausrichtungen der Kommunikation – Vorliegen von Kommunikation mit veränderten Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
III. Auswirkungen auf das Wie und auf das Ziel der Kommunikation . . . . . . . . . . . 421 1. Auswirkungen auf das Ziel der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 2. Kommunizierte Nachrichten und ihr Einfluss auf die Notwendigkeit und den Umfang von Interessen- und Informationsweitergaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 b) Sachebene und sachliche Botschaft als Plattform von Interessen- und Informationsweitergaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 aa) Sachebene und unerlässliche Botschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 bb) Öffnung des Informationsflusses auf der Sachebene hin zur Entwicklung des eigentlich Gewollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 c) Auswirkungen der Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebenen auf den Informationsfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 IV. Anwaltlicher Umgang mit und Nutzbarmachung von kommunizierten Botschaften als prägender Teil der Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 a) Begriffsbestimmung der Vertragsverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 b) Kritische Auseinandersetzung mit einer begrifflichen Erfassung und Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 2. Einsatz, Nutzbarmachung und „Gefahren“ der Sachebene . . . . . . . . . . . . . . . 435 a) Verständliche Überbringung von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 b) Korrekte und vollständige Überbringung von Informationen . . . . . . . . . . . 437 c) Variable Informationsweitergabe zur Erreichung des Regelungsziels . . . . 440 d) Auswirkungen des Umgangs mit Informationen auf den Auftritt des Anwalts als Interessenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 e) Manipulativer Umgang mit Informationen aus dem außerrechtlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 f) Zusammenhang von anwaltlichem Selbstverständnis und Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
Inhaltsverzeichnis
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g) Hinwendung zu einer kooperativen Verhandlungsweise . . . . . . . . . . . . . . 447 h) Vermeidung von Störungen im Kommunikationsvorgang . . . . . . . . . . . . . 450 i) Codierungs- und Decodierungsproblematik bei „weiteren“ Interessen . . . 453 j) Anwaltliche Begleitung/Vertretung (auch) der anderen Vertragspartei . . . 455 3. Selbstoffenbarungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 4. Beziehungs- und Appellebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 a) Unterschiedliche Fokussierungen auf der Beziehungsebene . . . . . . . . . . . 459 b) Appellebene als Belastungs- und Manipulationsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . 460 V.
Wahl eines strukturierten Verfahrens als Beitrag zur Interessenumsetzung . . . . 460 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 2. Phasen einer rationalen Verhandlung mit Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 a) Eröffnungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 b) Rahmenphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 c) Themenphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 d) Informationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 e) Argumentationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 f) Entscheidungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 g) Fixierung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
D. Fazit zur Interessenwahrnehmung und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
3. Teil Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertragsgestaltung
470
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 I.
Öffnung zum Rollenverständnis in Bezug auf den Anwalt selbst . . . . . . . . . . . . 471
II.
Anwalt und die für den Mandanten zu entwerfenden Rollen . . . . . . . . . . . . . . . 474
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . 475 I. Vornahme einer Trennung von Position und Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 II.
Präzisierung des Positionsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
III. Positionierungen des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 2. Ausgangspunkt einer Positionierung durch die BRAO: Rechtsberatung und -vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 3. Anwalt als Rechtsberater/-vertreter im Sinne eines einseitigen (Mandanten-) Interessenvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 4. Positionierung über § 18 BORA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 IV. Zu schaffende (neue) Positionierung des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
22
Inhaltsverzeichnis
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 I.
Einführung in das Rollenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
II.
Begrenzung der Rollenuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 1. Anwalt in der Berufsrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 2. Kreation der durch den Mandanten aufgrund des Vertrags zu erfüllenden Rollenerwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
III. Rolle – Suche nach Inhalt und Schärfe bei Dahrendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 2. Muss-Erwartungen und Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 a) Begrifflichkeit der Muss-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 b) Tätigkeit des Anwalts (in seinem Berufsfeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 aa) Bezugsgruppen des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 bb) Muss-Erwartungen an den Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 (1) Muss-Erwartungen aufgrund der BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 (2) Muss-Erwartungen durch das BGB (Anwaltsvertrag) . . . . . . . . . . 500 cc) Zwischenfazit: Muss-Erwartungen als Faktor anwaltlichen Handelns
502
c) Muss-Erwartungen und vom Mandanten zu übernehmende Position/Rolle 504 3. Öffnung zur Berücksichtigung anderer Sanktionsformen – Übergang zu Sollund Kann-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 a) Soll-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 aa) Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 bb) Schwierigkeiten der inhaltlichen Erfassung/Abgrenzung bezüglich der Rolle des Anwalts als solchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 cc) Soll-Erwartungen in Bezug auf die zu schaffende Mandantenrolle . . 507 b) Kann-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 aa) Begrifflichkeit und inhaltliche Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 bb) Inhaltliche Kriterien für Kann-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 4. Zwischenergebnis bezüglich der verschiedenen Erwartungen im Dahrendorfschen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 5. Dahrendorfs Rollenverständnis und die anwaltlich umzusetzenden Mandanteninteressen im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 b) Interessen des Mandanten und ihre Einbettung in die Funktionen des Rechts als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 c) Umsetzung der (Mandanten-)Interessen durch das Dahrendorfsche Verständnis von Muss-/Soll- und Kann-Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 aa) Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
Inhaltsverzeichnis
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bb) Muss-Erwartungen und Mandanteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 (1) Grundsätzliche Eignung von Muss-Erwartungen zur Interessenumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 (a) Gesetz als Verhaltensangebot und Leitlinie . . . . . . . . . . . . . . . 516 (b) Bedeutung von Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 (c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 (2) Muss-Erwartungen als (problematischer?) Faktor bezüglich der Umsetzung von Mandanteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (a) Unsicherheitsfaktor Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (b) Umgang mit Präventionsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 (c) Berücksichtigung von Verfahrensbedingungen . . . . . . . . . . . . 524 cc) Soll- und Kann-Erwartungen sowie Mandanteninteressen . . . . . . . . . 526 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 a) Mandant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 b) Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 IV. Notwendige Einbettung der Rolle in einen größeren Kontext – Hinwendung zu Parsons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 2. Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 3. Einzelne (Teil-)Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 a) Verhaltensorganismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 b) Kulturelles System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 bb) Bedeutung der Verfassung im kulturellen System . . . . . . . . . . . . . . . . 540 cc) Anwalt als Interessenvertreter und Organ der Rechtspflege . . . . . . . . 541 c) Soziales System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 aa) Bedeutung von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 bb) Soziales System als Interaktionssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 (1) Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 (2) „Vorboten“ möglicher Probleme in Bezug auf Vertragsverhandlung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 (3) Bedeutung eines symbolischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 d) Persönlichkeitssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 4. Rolle bei Parsons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 a) Grundsätzliches Rollenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 aa) Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 bb) Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 cc) Konsequenzen einer normgeprägten Rolle bei Parsons . . . . . . . . . . . . 552 dd) Vermittlung von Erwartungsmustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 b) „Rollen und Wollen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 aa) Bedeutung der need-dispositions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
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Inhaltsverzeichnis bb) Internalisierung und Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 cc) Funktionale Bedeutung der Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 dd) Rolle und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 (1) Sozialisation und Voluntarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 (2) Gratifikation als Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 ee) Sanktion und formale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 c) Kritisches Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 aa) Einschränkung des Einzelnen in seiner Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 bb) „Sozialisation“ des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 cc) Problematik gleichlaufender Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 dd) Schwierigkeit der Rollenkombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 ee) Problem der sich entwickelnden Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 d) Pattern variables . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 aa) Einführung – Die Modi des Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 (1) Objekte der Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 (2) Parsons’ Modi des Handelns und die Notwendigkeit der Integration des Mandanten in den Vertragsverhandlungsprozess . . . . . . . 574 (3) Evaluativer Orientierungsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 (4) Unterscheidung in drei Modi der Wertorientierung . . . . . . . . . . . . 576 (a) Kognitiver Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 (b) Appreziativer Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 (c) Moralischer Modus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 (d) Unterschiedliche Handlungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 bb) Pattern variables . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 (1) Affektivität – affektive Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 (2) Selbstorientierung – Kollektivitätsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . 583 (3) Universalismus – Partikularismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 (4) Zuschreibung – Leistung/Eigenschaft – Leistung . . . . . . . . . . . . . 587 (5) Spezifität – Diffusität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 cc) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 e) AGIL-Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 aa) Einzelne Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 (1) G-Funktion („goal-attainment“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 (2) A-Funktion („adaption“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 (3) I-Funktion („integration“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 (4) L-Funktion („latent pattern maintenance and tension management“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 bb) Anwendung/Umsetzung des AGIL-Schemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
Inhaltsverzeichnis
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cc) AGIL-Schema und Vertragsverhandlungen sowie Vertrag . . . . . . . . . . 599 (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 (2) G-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag . . . . 602 (3) A-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag . . . . 604 (a) Vertragsabschließende Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 (b) Schaffung von Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 (c) Vertragsrecht als Rahmenbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 (aa) Bedeutung des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 (bb) Zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 (cc) Dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 (4) I-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag . . . . . 609 (a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 (b) Weg zur Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 (c) Bedeutung des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 (d) Situation der Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 (5) L-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag . . . . . 614 (a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 (b) Allgemeine Wertemuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 (c) Außervertragliche Grundlagen des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . 616 (d) Tension management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 dd) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
V.
5. Parsons’ Rollenverständnis – Schwächen als Begründungsansatz einer gestaltenden Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Schöpferische Individualität in Vertragsverhandlung und -gestaltung – Öffnung zum symbolischen Interaktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 1. Grundausrichtung an George Herbert Mead . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 a) Annäherung an die Rolle über das Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 aa) Gesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 bb) Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 b) Rollenübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 aa) Rolle und Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 bb) Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 (1) „Play“ und „Game“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 (2) Generalisierter Anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 (3) Soziale Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 cc) Generalisierter Anderer als „Interpretationshilfe“ . . . . . . . . . . . . . . . . 634 c) „Self“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 aa) Möglichkeit zur Selbstbezüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 bb) Phasen des „I“ und des „Me“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 d) Dialogischer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
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Inhaltsverzeichnis e) (Erweitertes) Rollenverständnis bei Mead und die Auswirkung auf den „unabhängigen Einzelnen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 f) Nutzbarmachung der Meadschen Erkenntnisse für die interessengeleitete Vertragsverhandlung/-gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 aa) Anwalt innerhalb der Vertragsverhandlung (und -gestaltung) – „Positionierung“ von Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 bb) Kreativität am Beispiel der Optionensammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 (1) Bedeutung von „Me“/„I“ für den handelnden Anwalt . . . . . . . . . . 648 (2) Einflussnahme von „I“ und „Me“ des Mandanten . . . . . . . . . . . . . 649 cc) Lösungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 (1) Durch den Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 (2) Notwendige Einbindung des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 2. Fortführung der Meadschen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 a) Rollendistanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 aa) Bedeutung der Rollendistanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 bb) Situation der Vertragsverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 (1) Verhandelnder Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 (2) Leistung des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 cc) Rollendistanz als Wegbereiter zur Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 b) Role-making . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 aa) Untrennbarkeit des role-makings von role-taking und Rollendistanz
658
bb) Rahmenbedingungen und Fertigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 (1) Äußere Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 (2) Persönliche Fertigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 cc) Eigene Rollenentwicklung als notwendige Basis vertragsgestalterischer Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 dd) Defizite bei einer Fokussierung auf das role-making innerhalb der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 (2) Repressionstheorem als notwendiges Element innerhalb der (juristischen) Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 (3) Repression und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 (4) Problem der Machtfrage innerhalb des role-makings . . . . . . . . . . 669 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 VI. Die Rolle – Notwendige Denkkategorie innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671
Inhaltsverzeichnis
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4. Teil Dritthaftungsproblematik beim Umgang des Interessenvertreters mit Informationen – Haftung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten
674
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 B. Rat, Empfehlung und Auskunft im Kontext von Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . 676 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676 II.
Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 2. Omnipräsenz von Auskünften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 3. Situative Anlage der Auskunftserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
III. Rat und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 2. Bedeutung innerhalb von Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 IV. Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 C. Auskunft, Rat, Empfehlung und Interessenverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 I. II.
Weitergabe, Empfang und Suche von/nach Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 Umgang mit Informationen durch den Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 1. Ausrichtung an Mandanteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 2. Einfluss der (Mit-)Bestimmung der anwaltlichen Position durch die Stellung als Organ der Rechtspflege auf die Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . 687 a) Problem der Informationslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 b) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688
D. Juristische Haftungsansätze bezüglich Auskunft, Rat und Empfehlung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten innerhalb von Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 I.
Hintergrund für die Suche nach Haftungsansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 1. Omnipräsenz des Informationsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 2. Mögliche Defizite des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 a) Eingreifen des § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Garantenpflicht des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 b) (Verkehrs-)Pflichten zum Schutz fremden Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . 693 c) § 826 BGB als Lösung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 aa) Gefahr sittenwidrigen Verhaltens seitens des Anwalts in der Vertragsverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 bb) Vorsatzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700 d) Verbleiben von Defiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
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Inhaltsverzeichnis II.
Begründung eines (stillschweigenden) Auskunftsvertrags zwischen Anwalt und Drittem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 1. RGZ 52, 365 ff. – Wegweisung zum stillschweigenden Auskunftsvertrag . . . 702 a) Inhalt der Entscheidung RGZ 52, 365 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 b) Haftungsansatz und Zusammenhang zur Interessen- und Rollensicht . . . . 704 aa) Haftungselemente und Informationslast des Dritten . . . . . . . . . . . . . . 704 bb) Abstellen auf die Berufstätigkeit des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 (2) Ausgangspunkt in der Positionierung des Anwalts . . . . . . . . . . . . 707 (3) Weg in den notwendigen Konflikt für den anwaltlich Handelnden 708 (4) Weg in die Fiktion von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 cc) Frage nach der Berufsbezogenheit der Informationen . . . . . . . . . . . . . 714 dd) Vorliegen eines Bedürfnisses des Dritten nach einer verlässlichen Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 ee) Beweislast als Anknüpfungspunkt der Probleme des Dritten . . . . . . . 718 ff) Antizipierbarkeit als Problem auf Seiten des Anwalts . . . . . . . . . . . . . 718 (1) Aktive (gewollte) Erwartungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 (2) Fokussierung auf objektivierte Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720 gg) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 2. Willenselement im Kontext von Antizipation und Reaktion – Fortentwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 a) Irrelevanz des tatsächlichen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 b) „Rückbesinnung“ auf die Rechtsgeschäftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724 aa) Veränderte Ausrichtung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724 bb) Objektive Elemente der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 cc) Subjektive Elemente der Willenserklärung und ihre Erforderlichkeit 726 3. Bleibende Kritik am Ansatz des stillschweigenden Auskunftsvertrags . . . . . 729
4. „Ausweg“ über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte? . . . . . . . . . . . . . . 731 III. Konzentration auf die Profession – Weg in die Berufshaftung (Hopt) . . . . . . . . 734 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 2. Wertungselemente und Rollenverständnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 a) Berufliche Spezialisierung bzw. Auftreten am Markt als Ausgangspunkt 737 aa) Feststellung einer Spezialisierung oder eines Marktauftritts . . . . . . . . 737 bb) Flexibilität in Bezug auf Erwartungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 cc) Stabilisierung von Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 dd) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741 b) Schutz des Unterlegenen als Zwecksetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741 c) Optimierung am Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 3. Berufsrecht als Teil eines privaten Marktrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
Inhaltsverzeichnis
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b) Vier Schichten des Berufsrechts nach Hopt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 c) Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 aa) Marktspezifisches Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 bb) Berufsbezogenes Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 cc) Privatautonom konkretisiertes Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 4. Voraussetzung für das Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 a) Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752 b) Selbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752 c) Berufseinschlägiges Auftreten am Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 5. Bestimmung des Inhalts des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 6. Kritik und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 758 IV. Fachmannseigenschaft und Kommunikation (Jost) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762 2. Auskunftshaftung als „Erklärungshaftung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 a) Fachmannseigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 b) Bedeutung der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 aa) Kommunikation als Zubewegen auf den Dritten und Erwartungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 bb) Aufbau einer (verpflichtenden) Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 cc) Informationsbeziehung des Anwalts zum Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 (1) Überlegenheit des anwaltlichen Auskunftsgebers . . . . . . . . . . . . . 772 (2) Angewiesenheit des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 (3) Gerichtetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776 (a) „Entlassen“ der Auskunft in den Verkehr und steuerndes Willenselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776 (b) Lösung im Kommunikationsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 (c) Problem der angelegentlich in der Vertragsverhandlung getätigten Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 3. Weitere Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 V.
4. Abschließendes Resümee und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Haftung aufgrund Selbstbindung (Köndgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 2. Verpflichtungsgrund von Auskunfts- und Raterteilungen bei Köndgen . . . . . 788 a) Kommunikatives Handeln mit Geltungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 aa) Geltungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 bb) Geltungsanspruch gerade bei Rat und Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . 792 cc) Geltungsanspruch und Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793 dd) Begründung der Vertragsähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794 ee) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
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Inhaltsverzeichnis b) Marktbezogenheit der Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798 c) Berufsrolle des Auskunftsgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 d) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803 e) Rollenkonflikt als Haftungsausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 aa) Eingrenzung der tatsächlichen Begebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 bb) Bestehen von Rollenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 cc) Bestehen von Rollenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 (1) Konflikt nicht als notwendige Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 (2) Aktualisierung des Rollenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810 (3) Bedeutung des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810 (4) Aufgreifen von Konfliktängsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 dd) Rangfolgen für die Berufsrolle(n) und Konsequenz des Haftungsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 (1) Grundsätzliche Fokussierung auf das Verhältnis zum Mandanten 813 (2) Problem der Nachrangigkeit des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814 (3) Möglichkeit der Berücksichtigung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . 815 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 VI. „Vertrauen“ als notwendige (Vor-)Überlegung des Verhältnisses zwischen Anwalt und Drittem – Nutzbarmachung der Vertrauenshaftung nach Canaris . . . . 818 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818 2. Vertrauenshaftung als Folge von Vertragsverhandlungen durch den Anwalt 822 a) Vorrang der Vertragshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823 b) Zweispurigkeit der Vertrauenshaftung bei Canaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 825 c) Vertrauenshaftung zwischen Vertrags- und Deliktshaftung . . . . . . . . . . . . 827 d) Culpa in contrahendo und Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828 e) Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 aa) Problem der Fassbarkeit des „Vertrauens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829 bb) Schaffung von Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830 cc) Probleme der Umsetzung innerhalb von Vertragsverhandlungen etc.
831
(1) Ebene Anwalt – Mandant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832 (2) Ebene Anwalt – Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833 f) Ubiquität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 aa) Vertrauen als Spezifikum in verschiedenen Haftungsformen . . . . . . . 835 bb) Vertrauensgedanke als konstituierendes Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 836 cc) Vertrauensgedanke und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 (1) Zu schließender Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 (2) Bedeutung des Vertragsgestalters (als Verhandelnder) . . . . . . . . . 840 3. Resümee und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
Inhaltsverzeichnis
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VII. § 311 Abs. 3 BGB – Gesetzlicher Lösungsansatz für die Auskunftshaftung oder Sammelbecken alter Probleme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842 a) Aufnahme der Dritthaftung in das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842 b) Keine grundsätzliche Auflösung „alter Probleme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845 2. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 a) Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 aa) Tatbestandsmerkmale aus § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . 849 (1) Vorliegen von Vertragsverhandlungen oder eines Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849 (2) Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße für sich durch den Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 (a) Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 (aa) Problem der Operationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 (bb) Bestimmung im normativen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . 853 (aaa) Vertrauennehmen und -geben als aktiver Prozess 853 (bbb) Role-making . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854 (ccc) Betonung der Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856 (b) Inanspruchnahme von Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 858 (aa) Nutzen situativer Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 860 (bb) Rückgriff auf vorhandene Erwartungsbilder (Rollen) und der damit einhergehenden Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 862 (cc) Inanspruchnahme von Vertrauen durch role-making . . . . . 867 (dd) „Annahmeproblematik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869 (ee) „Annahme“ in Bezug auf die Inanspruchnahme . . . . . . . . 873 (c) „Für sich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876 (d) In besonderem Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877 (e) Erhebliche Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 879 bb) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 882 b) Vorliegen einer Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 882 aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 882 bb) Inhalt des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883 (1) Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses als Problem der Pflichtenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 884 (2) Pflichteninhalt in Abhängigkeit von der anwaltlich gerierten Rolle 886 (a) Anwalt als (juristischer) Fachmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887 (aa) Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 888 (bb) Rat und Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 890 (b) Anwalt als Vermittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 890 (c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891
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Inhaltsverzeichnis (d) Sonderproblematik: Begrenzung der Pflichten aus § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB in „zeitlicher“ Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . 891 cc) Verletzung der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892 c) Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892 d) Schaden und Kausalität zur Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894
5. Teil Konsequenzen der Bedeutung der Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung – Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899 I.
Positionaler Ausgangspunkt des Anwalts und daraus folgende maßgebliche Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
II. Blick auf das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900 III. Notwendigkeit einer zweckorientierten Methodik der Vertragsgestaltung . . . . . 901 B. Subjektive Interessen des Mandanten als notwendiger Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . 903 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 II.
Umgang mit den Interessen des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 1. Erforschung der Interessen des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 a) Mittel zur Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 b) Interessenerforschung als eine Form von „Machtoption“ . . . . . . . . . . . . . . 908 2. Bewertung der Mandanteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910 a) Möglichkeit zur Interessenabstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910 b) Bewertung von Mandanteninteressen als Schritt hin zur rechtlichen Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910
c) Eröffnung weiterer Optionen aufgrund rechtlicher Kenntnisse . . . . . . . . . 911 III. Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912 C. Notwendigkeit der Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners . . . . . . . . . 914 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914 II.
Formale Willenseinigung als Ausgangspunkt eines (gegenseitigen) Interessenausgleichs in der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916
III. Bedeutung der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918 2. Steuerbare Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 920 3. Unbeeinflussbare Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922 4. Zwischenresümee bezüglich methodischer Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 923
Inhaltsverzeichnis
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D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923 I.
Begriff des Normalstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 1. Funktionaler Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 a) Grundsätzliches Nutzen einer Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 b) Besondere Form der Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 925 c) Typen aus der Kautelarpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926 2. Methodische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926
II.
Umgang mit dem Gestaltungsbedarf – Freiheitliches Denken am Anfang der (weiteren) gestalterischen Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927 1. Ausgangspunkt wiederum in den subjektiven Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 928
2. Entstehung von Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 930 III. Funktionaler Umgang mit Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931 1. „Sichere“ Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931 a) Regelungen bezüglich der Abschlussfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931 b) Zwingende inhaltliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 932 c) Sonstige Grenzen durch zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933 d) „Auflösung“ der Grenzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933 2. Zwingendes Recht als gestalterischer „Unsicherheitsfaktor“ . . . . . . . . . . . . . 934 a) Grundsätzliche Problematik um den gestalterischen/methodischen Umgang mit Generalklauseln – Zwischen Zwang und Gestaltungsoptionen
934
aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934 (1) Begriff der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934 (2) Funktionen der Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935 (3) „Folgeprobleme“ für den gestaltenden Anwalt . . . . . . . . . . . . . . . 937 bb) Wertende Betrachtung als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 cc) Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938 (1) Suche nach systematischer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938 (2) Vorliegen von „Fallgruppennormen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940 (3) Fallvergleich bzw. typisierender Fallvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . 942 (4) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943 dd) Maßstäbe, Wertungsfaktoren und Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . 944 ee) Exemplifikationen der Schritte anhand möglicher inhaltlicher Vertragskontrolle mittels Generalklauseln (§§ 138 Abs. 1, 242 BGB) . . . 946 (1) „Fallgruppennormen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946 (a) Angehörigenbürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 947 (aa) Wertungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 949 (aaa) Verfassungsgerichtliche „Vorgaben“ . . . . . . . . . . . 949 (bbb) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 951 (bb) Berücksichtigung des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 951 (b) Ehevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952
34
Inhaltsverzeichnis (2) Fallvergleich bzw. typisierter Fallvergleich exemplifiziert hinsichtlich der Paritätsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955 (a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955 (b) Notwendigkeit des Umgangs mit Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . 956 (c) Eingrenzungsmöglichkeiten mittels Fallgruppen/Fallgruppenvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 958 (d) Einzelfallbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962 (aa) Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962 (bb) Verbindung zu den Wertungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 964 (3) Einzelfallbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 b) (Grundsätzliche) Methodische Herangehensweise des Anwalts beim Umgang mit Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 aa) Feststellung von Beteiligteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 (1) Feststellung der involvierten Mandanteninteressen . . . . . . . . . . . . 971 (2) Ermittlung der Interessen des potentiellen Vertragspartners sowie von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 (3) Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 bb) „Subsumtion“ unter den Gesetzestext der Generalklausel . . . . . . . . . . 972 cc) Abgleich der Interessen mit Fallgruppennormen/Fallgruppen . . . . . . . 973 dd) Aufdeckung/Erarbeitung der relevanten Wertungsfaktoren für die jeweilige Gestaltungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974 (1) Klärung, was als Wertungsfaktor in Betracht kommt . . . . . . . . . . 974 (2) Fallgruppennormen und Wertungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 (3) Fallgruppen und Wertungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976 (4) Umgang mit Wertungsfaktoren in gestalterischen Situationen ohne einschlägige Fallgruppennormen oder Fallgruppen . . . . . . . . . . . . 977 (a) Zuweisung von Bedeutung in Bezug auf die ermittelten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 978 (b) „Einstieg“ in den Umgang mit beweglichen Elementen . . . . . 979 (aa) Wertungsfaktoren, „Abstufungen“ von Wertungsfaktoren und Wechselwirkungen zu anderen Wertungsfaktoren . . . 980 (bb) Gestalterischer Umgang mit beweglichen Elementen . . . . 981 (aaa) Eigener wertender Vorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981 (bbb) Ausdrückliche Fixierung involvierter Interessen (ccc) Aufnahme von Wertungsfaktoren in den Vertrag
981 982
(ddd) Schaffung oder Modifizierung von „Umweltfaktoren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 (eee) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 (5) Nochmaliger Rekurs auf Fallgruppennormen/Fallgruppen . . . . . . 984 c) Methodischer Umgang mit Generalklauseln – Beitrag für eine (Gesamt-) Methodik der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985
Inhaltsverzeichnis
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E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . 986 I.
Folgerungen der Erkenntnisse um den methodischen Umgang mit Generalklauseln – Methodik der Vertragsgestaltung als „flexibles System“ . . . . . . . . . . 986
II.
Die einzelnen Schritte einer Methodik anwaltlicher interessenorientierter Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 1. Sachverhaltsermittlung im weiten Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990 2. Bestimmung des/der Interessenziels/-ziele des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . 991 3. Bestimmung des Rechtsziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993 4. Abklärung der Möglichkeiten der rechtlichen Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . 993 5. Feststellung von Gestaltungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995 6. Herausbildung von Gestaltungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995 7. Auswahl unter den Gestaltungsalternativen und Entwicklung der endgültigen Vertragsklauseln/des endgültigen Gesamtvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 997 8. Niederschrift des Gesamtvertrags und Vornahme etwaiger Umsetzungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999
Schlussthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1049
Einführung Verträge sind ubiquitär, wir leben in einer Vertragsgesellschaft.1 Jeden Tag schließt der Einzelne in der Regel zahlreiche Verträge ab. Es ist oftmals ein selbstverständlicher Vorgang. Diese „Selbstverständlichkeit“ ist aber auch ein Grund, warum über den Vertrag, was er voraussetzt, was er bedeutet und was man mit ihm erreichen will und kann, häufig kaum oder nicht im ausreichenden Maß reflektiert wird. Gerade eine differenzierte Betrachtungsweise ist aber erforderlich, um Verträge, ihr Verständnis, ihre Möglichkeiten und Grenzen zu begreifen und auszuschöpfen. Im Alltagsleben tritt der Vertrag vor allem als juristischer Vertrag in typisierten Formen in Erscheinung. Erfasst sind etwa alltägliche Geschäfte2 wie (Ein-)Käufe (§ 433 BGB) von Lebensmitteln oder die Inanspruchnahme von bestimmten Dienstoder Werkleistungen (§ 611 bzw. § 631 BGB). Hinsichtlich solcher Verträge und des Umgangs mit ihnen sind mehrere Umstände auffallend: Diese Verträge sind eben zumeist solche im juristischen Sinn, das heißt für den Abschlussmechanismus, den inhaltlichen Rahmen, die Störfallvorsorge und die Durchsetzbarkeit hat das staatliche Recht Regelungen getroffen, auf die zurückgegriffen wird bzw. werden kann. Das „Juristische“ an solchen alltäglichen Geschäften ist dem einzelnen Vertragspartner, vor allem, wenn er nicht in kaufmännischer Weise involviert ist, vielfach aber nicht aktuell bewusst. Man hat zwar in der Regel ein entsprechendes „sachgedankliches Mitbewusstsein“,3 das sich etwa darin zeigt, dass man weiß, für viele Leistungen eine Gegenleistung in Form der Entgeltzahlung erbringen zu müssen. „Wissen“ ist dann oft (nur) ein ständiges Begleitwissen,4 ein „jederzeit verfügbares Wissen“, das „aus dem Stand reproduziert werden kann“5.
1
So Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 351. Gemeint sind damit hier Geschäfte, die von ihrem (quantitativen) Auftreten her als „alltäglich“ angesehen werden können. 3 Die Begrifflichkeit des sachgedanklichen Mitbewusstseins stammt aus dem Strafrecht, gehört dort zur Bestimmung des Wissenselements beim Vorsatz, siehe etwa Rengier, Strafrecht AT, § 14, Rn. 51. 4 Das ist eine andere Begrifflichkeit des sachgedanklichen Mitbewusstseins im Strafrecht, siehe Rengier, Strafrecht AT, § 14, Rn. 51. 5 So die entsprechende Erläuterung des sachgedanklichen Mitbewusstseins bzw. des Begleitwissens bei Rengier, Strafrecht AT, § 14, Rn. 51, unter Verweis auf Rönnau, JuS 2010, 676. Auch wenn die Beschreibung der Wissensabläufe dem Strafrecht entnommen ist, passt sie gleichwohl in den hier dargestellten Kontext. 2
38
Einführung
Ein aktuelles Bewusstwerden im Sinn einer Reflexion juristischer Elemente findet am ehesten dann statt, wenn Erwartungen enttäuscht werden, das heißt, wenn es zu „Störfällen“ kommt. Erklärungen für einen „nicht juristisch geleiteten“ Umgang mit Verträgen können sich in den Motiven und den damit verbundenen Verhaltensmustern des Einzelnen finden. Bei Verträgen des täglichen Lebens liegt der Grund ihres Abschlusses vielfach in der Notwendigkeit, (elementare) Bedürfnisse zu befriedigen. Man kauft Lebensmittel, um die Nahrungsaufnahme sicherzustellen. Man kauft Kleidungsstücke, um sich der Witterung angemessen anzuziehen. Man mietet eine Wohnung, um eine sichere Unterbringung zu haben. Die Motivation ist somit völlig unjuristisch, der juristische Vertrag ist nur eine Umsetzungsmöglichkeit zur Erfüllung der Bedürfnisse. Dementsprechend werden solche Möglichkeiten auch „erlernt“. Von klein auf wird man damit vertraut gemacht, wie bestimmte auftretende Bedürfnisse befriedigt werden können. Dazu gehört beispielsweise das Erlangen von Lebensmitteln gegen die Hingabe von Geld. Juristische Feinheiten werden in dem Kontext nicht oder vielfach nicht (unmittelbar) mit vermittelt. Der Fünfjährige, der vom Großvater zwei Euro erhält, damit er sich ein Eis kaufen kann, begreift, dass er mit Geld seinen Wunsch nach Eis erfüllen kann. In der Praxis wird der Fünfjährige, der sich mit dem Geldstück zum Eisverkäufer begibt, häufig sogar selbst das Eis „erwerben“ können. Mit der Aussage der §§ 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 BGB wird er somit zumeist nicht vertraut gemacht. Der Eisverkäufer, der ggf. weiß, dass er an „kleine Kinder“ nichts (wirksam) verkaufen kann, wird dieses Wissen, jedenfalls bei „geringen“ Geschäften, in der Regel ebenfalls nicht umsetzen und das Geschäft mit dem Geschäftsunfähigen nicht verweigern. Selbst wenn Geschäfte im alltäglichen Leben ein Volumen annehmen, bei dem (erwachsene) Geschäftspartner sie nicht mehr mit Minderjährigen abschließen,6 beobachtet der Heranwachsende dennoch immer wieder den Zusammenhang von Vertragsabschlüssen und „Wunscherfüllung“. Diese Abläufe lassen sich auch wie folgt umschreiben: Der Einzelne lernt von klein auf, sein Leben mit und durch Verträge (mit) zu gestalten. „Gestaltung“ soll hier zunächst verkürzt als Handeln zur Bewältigung und Veränderung der (eigenen) Lebensumstände begriffen werden. Einerseits werden somit zu Beginn dieses Lernprozesses der Bedürfnisbefriedigung, ggf. auch noch in seinem weiteren Verlauf, in großen Teilen die juristischen Dimensionen von Verträgen nicht begriffen bzw. ausgeblendet. Gleichwohl kann der Einzelne aber später im weiteren Fortschreiten des Erlernens um die Möglichkeiten der eigenen Lebensgestaltung sich immer stärker zur Erfassung juristisch geprägter Zusammenhänge hinwenden. Zum einen kann man den juristischen Aspekt als „Grenze“ erfahren. Mag der Eisverkäufer auch bedenkenlos ein Eis für zwei Euro an einen Fünfjährigen „ver6 Es mag dahingestellt bleiben, ob dies in genauer Kenntnis der Normen um §§ 104 ff. BGB geschieht, oder weil man „allgemein“ weiß, dass man meistens keine wirksamen Rechtsgeschäfte mit einem Minderjährigen abschließen kann.
Einführung
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kaufen“, so wird dem Versuch eines 14-Jährigen, Alkohol käuflich zu erwerben, demgegenüber häufig ein Misserfolg beschieden sein.7 Ein anderer Aspekt, den man durchaus ebenfalls als (lebenslangen) Lernprozess bezeichnen kann, besteht in einem immer weiter fortscheitenden Prozess der Aufklärung. So erfolgt beispielsweise durch eine breite Verbraucheraufklärung und -beratung eine Bewusstwerdung um die juristischen Abläufe von Verträgen. Das betrifft vor allem den Bereich der möglichen Reaktionen auf „Störfälle“, etwa die Kenntniserlangung um die Mängelgewährleistung beim Kauf beweglicher Sachen (§§ 434 ff. BGB). Ein anderes Gebiet, in welchem sich die Gewichte hin zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit juristischen Fragen im Zusammenhang mit Verträgen verschieben, ergibt sich beim Umgang mit komplexeren Sachverhalten, die vertraglich geregelt werden sollen. Zwar nicht täglich, doch keinesfalls selten, ist der Einzelne Vertragspartei eines komplexeren Vertragswerkes. Beispiele dafür können bereits Versicherungsverträge sein, Darlehensverträge, die von diversen Kreditsicherungen flankiert sind, oder der Kaufvertrag über ein Grundstück. Komplexität findet sich erst recht, wenn umfängliche atypische Situationen einer vertraglichen Regelung zugeführt werden sollen, etwa bei der Regelung der Versorgung eines Pflegebedürftigen im Alter in dessen eigenem Haus. Auch bei vielschichtigen Sachverhalten hat der Einzelne Wünsche, die er umgesetzt wissen möchte, etwa die Absicherung der Familie im Todesfall oder den Erhalt eines Unternehmens am Markt durch Sicherstellung der Abläufe in einem Großprojekt. Hier greift der Einzelne nicht, wie etwa beim Kauf von Lebensmitteln, auf immer wieder erprobte Abläufe zurück. Man hat zwar gelernt, dass es auch für solche (komplexen) Situationen das Instrumentarium „Vertrag“ gibt, nähert sich diesem jedoch in anderer Weise, zudem in der Regel mit nicht so einer großen Selbstverständlichkeit. Der rechtliche Aspekt tritt zumeist viel stärker bzw. viel früher in den Vordergrund, wie umfangreiche Planungen bzw. eine rechtliche Beratung im Vorfeld des Vertrags zeigen können. Diese stärkere Hinwendung zu juristischen Überlegungen kann zu einer veränderten Sichtweise in Bezug auf den Vertrag als Mittel zur Veränderung sowie auf den Ort seiner (Aus-)Wirkungen führen. „Wirken“ soll der Vertrag im tatsächlichen Leben. Während sich der Einzelne bei Geschäften des alltäglichen Lebens dieser Wirkung zumeist unmittelbar bewusst ist (z. B. wird der Hunger durch den Kauf von Lebensmitteln beseitigt), er allerdings kaum oder wenig über den juristischen Weg dorthin reflektiert, kann dies bei komplexeren Verträgen anders sein. Trotz der Umsetzung von bestimmten Zielen wird hier dem juristisch Möglichen und Machbaren mehr Aufmerksamkeit gewidmet, es findet viel stärker eine aktive Auseinandersetzung mit juristischen Fragen und Problemen statt. Die Schwierigkeit, die sich dann allerdings eröffnen kann, liegt 7
Das Verbot folgt aus § 9 Abs. 1 Jugendschutzgesetz. Die Kenntnis der Verbotsnorm wird zumindest unter Verkäufern alkoholischer Getränke als weit verbreitet anzunehmen sein. So haben Veranstalter und Gewerbetreibende die nach den §§ 4 bis 13 JuSchG für ihre Betriebseinrichtungen und Veranstaltungen geltenden Vorschriften durch deutlich sichtbaren und gut lesbaren Aushang bekannt zu machen (§ 3 Abs. 1 JuSchG).
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Einführung
in der möglicherweise vernachlässigten Berücksichtigung des Wirkungsorts des Vertrags, dem schon zuvor genannten „tatsächlichen“ Leben. Das Bewusstsein allein um Ziele und Wünsche, die man mittels des Vertrags realisiert wissen möchte, reicht zur Erfassung der entsprechenden Abläufe nicht aus. Bei Geschäften des alltäglichen Lebens werden die Wirkungen des Vertrags im sozialen Umfeld miterlernt, bzw. sehr schnell erfahren, so beispielsweise, dass der Verkauf eines Autos eine Form von sozialer Isolierung bedeuten kann, weil man bestimmten privaten Kontakten nicht mehr nachkommen kann. Solche Auswirkungen wird der Einzelne bei der Abwägung um die Umsetzung seiner Wünsche, oftmals sogar bei der Bildung letzterer, in einfachen Kontexten beachten. Ein solches Erlernen ist bei immer komplexeren Sachverhalten deutlich schwieriger, erfordert jedenfalls einen wesentlich reflektierteren Umgang mit der Materie, das heißt mit den Wirkungen des Vertrags im sozialen Umfeld, den Wechselwirkungen zwischen Vertrag und sozialen Begebenheiten wie auch den Auswirkungen auf die eigentlich verfolgten Wünsche und Interessen. Flankiert werden die in dem Zusammenhang zu erbringenden Leistungen um die soeben beschriebene Reflexion mitunter in der Form, dass sich ein Vertragspartner der Hilfe eines professionellen (juristischen) Dritten, vor allem eines Anwalts, bedient. Dieser weiß zwar um die juristischen Möglichkeiten eines Vertrags, kennt die Voraussetzungen und Grenzen. Problematisch ist, wie der juristische Fachmann die im sozialen Leben wurzelnden Wünsche seines Mandanten erkennen kann (und will), sie entsprechend in die Gestaltung einbindet und umsetzt, ob bzw. wie er zudem in der Lage ist, die Wirkungen des (endgültigen) Vertragswerks im sozialen Leben8 zu berücksichtigen. Das bedeutet keineswegs, dass entsprechende Verknüpfungen durch den juristischen Berater unberücksichtigt bleiben, im Gegenteil. So nehmen anwaltliche Berater die Interessen der von ihnen Beratenen wahr. Das beinhaltet schon notwendigerweise einen Umgang mit deren Wünschen und Begehrungen. Das ist Anwälten auch durchaus bewusst, nicht zuletzt aufgrund der typisierten Pflichten9 gegenüber dem Mandanten aus dem Anwaltsvertrag, einem Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienst- oder werkvertraglichem Einschlag (§ 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 bzw. § 631 BGB). Notwendig ist dann allerdings ein Wissen darum, was Interessen im Einzelnen sind und wie man mit ihnen umzugehen hat. Ein solches Wissen kann in vielen Bereichen durch eine entsprechende Berufserfahrung erworben werden. Gleichwohl bedeutet Interessenvertretung, namentlich innerhalb der Vertragsgestaltung, viel 8
Zum privatautonomen Vertrag als rechtliche Reglung des Soziallebens, Rittner, JZ 2011, 269 ff. Vgl. auch die Aussage Schapps, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 60: „Mit dem Vertragsverhältnis gewinnt die juristische Deutung des Vertrages, die sich der Kategorien des Rechtsgeschäfts und des schuldrechtlichen Anspruchs bedient, ihren Anschluß an die Lebenswelt.“ 9 Dazu gehört u. a. die Sachverhaltsermittlung.
Einführung
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mehr als das Bewusstsein, Interessen eines anderen umzusetzen, eine entsprechende Berufserfahrung aufzubauen und auf sie zurückzugreifen. Die Möglichkeiten, die durch die Vertragsfreiheit in all ihren Ausprägungen eingeräumt werden, können für und von dem jeweiligen Vertragspartner nur eingesetzt und zu seiner größtmöglichen Befriedigung be- und genutzt werden, wenn umzusetzende Interessen in all ihren Facetten reflektiert erforscht und erfasst werden können. Dazu gehört auch und vor allem die Einbettung von Interessen in die soziale Wirklichkeit, die nicht zuletzt durch den Vertrag mit- oder umgestaltet werden soll. Solche Verbindungen stellen im Besonderen an den anwaltlichen Vertragsgestalter eigene Herausforderungen. Kernfragen sind dabei u. a., was der juristische Vertrag leisten kann bzw. muss und wo ihm bei der Interessenumsetzung Grenzen gesetzt sind. Ggf. muss sich auch der Jurist einem anderen oder erweiterten Vertragsverständnis, d. h. einem solchen nicht (nur) juristischer Art, öffnen. Notwendig ist es in vielen Fällen, neben Fragen des formellen und materiellen Rechts intra- und interdisziplinär die Kenntnisse anderer Wissenschaften zu nutzen, um den Rechtsgebrauch zu optimieren. Wie und in welcher Form sich der Jurist solchen Erkenntnissen öffnen kann und muss, wird also stets Berücksichtigung finden müssen. Für den weiteren Gang der Untersuchung ist somit zunächst bei den Begrifflichkeiten und deren Inhalten anzusetzen, die in der zuvor aufgezeigten „ZweckMittel-Relation“ besonders prägend sind. Das sind zum einen die Interessen („Zweck“) in ihrem Bedeutungsgehalt und ihren unterschiedlichen Ausgestaltungen. Zum anderen geht es sich um den (juristischen) Vertrag als Mittel zur Interessenumsetzung.10 Der Vertrag als Mittel bietet des Weiteren eine besondere und wesentliche Schnittstelle der Kombination von juristischen und den erwähnten anderen intra- und interdisziplinären Bereichen, deren Einbindung innerhalb der Vertragsgestaltung angezeigt ist, wie z. B. Fragen aus dem rechtssoziologischen Kontext. Daran anschließend wird zu klären sein, ob sonstige intra- und interdisziplinären Erkenntnisse nutzbar gemacht werden können, um die Vertragsgestaltung als Mittel zur (rechtlichen) Interessenumsetzung zu präzisieren, zu verbessern oder zu analysieren. Aufzugreifen sind u. a. kommunikationstheoretische Ansätze oder Untersuchungen zum (soziologischen) Rollenbegriff. Dabei sollen auch diese Erkenntnisse nicht separat neben einem gestalterischen Umgang mit juristischen Kategorien stehen. Es geht vielmehr erneut um eine, soweit mögliche, Integration entsprechender Gedanken in juristische Überlegungen und um die Weiterentwicklung letzterer innerhalb der gestalterischen Tätigkeit. Das zeigt sich u. a. in den Ausführungen zur Dritthaftung des Anwalts in der Vertragsverhandlung und -gestaltung. Die Arbeit mündet in einer Auseinandersetzung um die methodischen Schritte der Vertragsgestaltung durch den die Mandanteninteressen vertretenden Anwalt. Diese bilden gleichsam die Schlussfolgerung unserer Ergebnisse.
10 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 1 m. w. N., spricht von der „Gestaltung von Lebensverhältnissen für die Zukunft mit den Mitteln und in den Grenzen des Rechts.“
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Einführung
In Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands werden Fragen und Probleme der Gestaltung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, sonstiger vorformulierter Vertragsbedingungen, gerade solcher, die von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB erfasst sind,11 zudem andere besondere Regelungsgegenstände, wie etwa solche des Arbeits-12 oder Gesellschaftsrechts, ausgenommen.13 Ziel der Arbeit ist die grundsätzliche Auseinandersetzung um die anwaltliche Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung. Keine gesonderte Berücksichtigung findet daher die notarielle Tätigkeit. Im Nachfolgenden wird, wie bereits in dieser Einführung geschehen, zur Vereinfachung jeweils nur die männliche Form in der Darstellung gewählt. Selbstverständlich sollen durch die Ausführungen inhaltlich ebenso weibliche, divers oder queer Handelnde erfasst sein.
11 Aus gestalterischer Sicht muss selbstverständlich im Einzelfall darauf geachtet werden, ob z. B. einzelne Klauseln einer AGB-Kontrolle unterfallen können und deshalb mitunter eine andere Gestaltung zu wählen ist. 12 Dazu etwa Preis, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht. 13 Auf unterschiedliche Vertragstypen wird zwar exemplarisch zugegriffen, es soll jedoch keine spezifische Vertiefung erfolgen.
1. Teil
Vertrag und Interessen A. Juristischer Vertrag I. Einführung Bilden auch die Interessen1 des Einzelnen die Motivation und die Zielausrichtung, auf die die Vertragsgestaltung hinsteuern soll, so ist als Ausgangspunkt der notwendigen Überlegungen gleichwohl zunächst das „Mittel“ der Umsetzung in den Fokus der Betrachtung zu rücken. Es sollen die Interessen des Einzelnen vornehmlich durch ein bestimmtes Mittel, nämlich den juristischen Vertrag realisiert werden.2 Er ist folglich an den Beginn der anschließenden Untersuchung zu setzen. Nur eine (vorherige) Auseinandersetzung mit dem einzusetzenden Mittel ermöglicht später eine optimale Umsetzung von Interessen durch dieses Instrument. Jedoch soll die Darstellung des juristischen Vertrags als Mittel keinesfalls dahingehend verstanden werden, dass im weiteren Verlauf der Arbeit andere, das heißt nicht juristische, insbesondere rein gesellschaftliche Abläufe und Mechanismen, als Weg zur Interessenverwirklichung unberücksichtigt bleiben sollen oder dürfen. Es geht auch nicht darum, solche Abläufe gleichsam antithetisch dem juristischen Vertrag entgegenzusetzen. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, dass diese Bereiche sich in weiten Teilen beeinflussen, einander bedingen und daraus ganz eigene Konsequenzen für den Vertragsgestalter eines juristischen Vertrags zu ziehen sind. So wird etwa zu untersuchen sein, welche Kenntnisse um soziale Abläufe notwendig sind, um die Bereiche, die juristischer Regelung zugeführt werden sollen, richtig begreifen und erfassen zu können, welche Mechanismen ggf. gegeben sein können, um juristische und nicht juristische Regelungen zu kombinieren, oder wie eine anwaltliche Beratungsleistung dahingehend erbracht werden kann, Vor- und Nachteile einer Regelung eines Sachverhalts durch einen juristischen Vertrag abzuwägen. Es geht also zusammenfassend darum, die Nutzbarmachung des Instrumentariums „juristischer Vertrag“ zu optimieren. Das kann neben der zuvor aufgezeigten Öffnung hin zu gesellschaftlichen Abläufen auch den Gebrauch weiterer, nicht juristischer Erkenntnisse erfordern, z. B. kommunikationstheoretischer. Ein Umgang 1
Ausführlich zu den Interessen noch unter Teil 1 B. Grundsätzlich mit dem „Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht“ setzt sich Kumpan auseinander. 2
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1. Teil: Vertrag und Interessen
mit der Materie des juristischen Vertrags kann also, vor allem im Bereich der gestaltenden Tätigkeit, oftmals einen (Mit-)Gebrauch anderer wissenschaftlicher Erkenntniszweige erfordern. Es sei aber nochmals betont, dass es nicht darum geht, den juristischen Vertrag als solchen als Gestaltungsmittel abzulösen, sondern die durch ihn gegebenen Möglichkeiten weitestgehend auszuschöpfen. Ein juristisches Vertragsverständnis, sei es bezüglich des Zustandekommens, sei es bezüglich der Regelungsmöglichkeiten und der Folgen, bildet den Ausgangspunkt aller Überlegungen. Nicht zuletzt geht es auch um den Einsatz dieses Mittels durch einen juristischen Fachmann, den Anwalt. Im Nachfolgenden sollen zunächst einzelne Eckpunkte hinsichtlich des zugrunde gelegten Verständnisses des juristischen Vertrags in der Vertragsgestaltung übersichtsartig aufgezeigt werden.
II. Juristischer Vertrag als Regelwerk mit staatlicher Akzeptanz Der juristische Vertrag als Mittel zur Umsetzung von individuellen Interessen ist namentlich vom Vertragsgestalter von seiner grundlegenden Funktion aus zu betrachten und einzusetzen. Der Vertag ist ein Regelwerk, durch ihn stellen die Vertragsparteien „Regeln“ für das sie betreffende Verhältnis auf.3 Es ist auch von der „lex contractus“4 die Rede. Die Parteien schaffen eine eigene Ordnung; „(…) (d)er Vertrag ist das universale Mittel, welches die Rechtsordnung zur Gestaltung privater Ordnung bereit stellt.“5 Der Vertragsgestalter ist für seinen Mandanten6 also gleichsam als „Normsetzer“, als „mikrokosmischer Gesetzgeber“ oder genauer „Mitgesetzgeber“7 gefordert. In dieser Funktion, die u. a. eine entsprechende methodische Herangehensweise des Gestalters erfordert, zeigt sich auch bereits am nachhaltigsten die Notwendigkeit der zuvor angesprochenen (untrennbaren) Verquickung von rechtlichen und sozialen Abläufen. Es wird eine Ordnung im privaten, im gesellschaftlichen Raum geschaffen; der Vertrag ist das entsprechende Mittel, welches die Rechtsordnung zur Verfügung stellt.
3
Siehe Bork, AT des BGB, Rn. 659. Bork, AT des BGB, Rn. 659, unter Hinweis (Fn. 4) auf Flume, AT des BGB, 2. Bd., § 33, 2. Prägnant auch Wolf, FS für Brandner, 299, 299: „Aufgrund der Vertragsfreiheit überläßt die Rechtsordnung den beteiligten Vertragsparteien die Festlegung ihrer Rechte und Pflichten zur grundsätzlich freien Bestimmung in eigener Verantwortung und erkennt deren Vereinbarung als lex contractus verbindlich an.“ 5 So Bachmann, Private Ordnung, S. 260; Hervorhebung bei Bachmann; siehe auch den entsprechenden Verweis bei Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 21, Fn. 2. 6 Die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung gibt selbstverständlich der Mandant ab, bzw. der Anwalt, sofern er von seinem Mandanten dazu bevollmächtigt worden ist (§§ 167 Abs. 1, 164 Abs. 1 BGB). 7 Notwendig ist ja die Zustimmung der jeweils anderen Vertragspartei. 4
A. Juristischer Vertrag
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Mit der Bezugnahme auf die Rechtsordnung ist das Element genannt, welches den (juristischen) Vertrag in seiner Funktion als regelndes Ordnungswerk8 prägt und von anderen Regelungsmechanismen unterscheidet. Denn Regelungsmechanismen, die eine Ordnung im gesellschaftlichen Bereich aufstellen, finden sich ebenso im (rein) außerjuristischen Bereich, z. B. durch Verhaltenskodices in sozialen Verbänden wie der Familie oder einer Nachbarschaftsgemeinschaft. So kann innerhalb der Familie die Regelung bestehen, stets um zwölf Uhr am Sonntag zu Mittag zu essen. Innerhalb eines Nachbarschaftsverhältnisses kann etwa die Maßgabe9 gelten, zwischen 12 und 14 Uhr eine Mittagsruhe einzuhalten. Solche Regelungen sind häufig nicht in eine juristische Form gegossen, können aber durchaus folgenbewährt sein, das heißt, bei Verstößen erfolgt eine Reaktion. Beispielsweise kann einem Kind, das zu spät zum Mittagessen erscheint, der Nachtisch vorenthalten werden. Einem Nachbarn, der sich nicht an die Mittagsruhe hält, kann der Ausdruck sozialer Missbilligung begegnen oder im Folgenden nachbarschaftliche Unterstützung versagt werden.10 Innerhalb der Vertragsgestaltung gilt es, ggf. solche außerrechtlichen Abläufe aufzugreifen und in einen (juristischen) Vertrag zu überführen, möglicherweise juristische und nicht juristische Regelungen zu „kombinieren“,11 oder aber sogar im Einzelfall in Kenntnis anderer Abläufe gänzlich vom juristischen Vertrag Abstand zu nehmen. So kann bei einem funktionierenden nachbarschaftlichen Gefüge möglicherweise davon abzuraten sein, dieses durch Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüsse zu belasten. In jedem Fall muss sich der Vertragsgestalter jedoch des wesentlichen Unterschieds zwischen den jeweiligen Ordnungen bewusst sein: Weil der juristische Vertrag von der staatlichen Rechtsordnung zur Verfügung gestellt und von dieser grundsätzlich akzeptiert wird, eröffnet er den Weg zum staatlichen Durchset8 Zur Ordnungsfunktion des Rechts, aufgezeigt am dispositiven Recht, Möslein, Dispositives Recht, S. 34. 9 Gemeint ist nicht das Befolgen gesetzlicher Vorgaben, z. B. nach Landesimmissionsschutzgesetzen. So sieht etwa § 8 LImSchG RhPf bestimmte Ruhezeiten beim Betrieb bestimmter Geräte und Maschinen vor. 10 Davon noch zu trennen sind Vereinbarungen, mit denen man bewusst rechtliche Verpflichtungen ausschließen möchte, z. B., wenn im Wirtschaftsbereich keine rechtliche Pflicht gewünscht ist und man aus dem Grund ein „gentlemen’s agreement“ eingeht; zum Vorstehenden Neuner, AT des BGB, § 28, Rn. 18, siehe auch Erman/Armbrüster, BGB, Vor § 145, Rn. 8. Die Erfüllung wird dann (nur) in das Anstandsgefühl der Beteiligten gestellt, so Soergel/Wolf, BGB, Vor § 145, Rn. 101. Dort aber auch dazu, dass es auf den Einzelfall ankomme, es also keinen allgemeinen Rechtssatz gebe, wonach Parteien bei einem gentlemen’s agreement stets der Rechtsfolgewille fehle. Zeitigt ein gentlemen’s agreement keine Rechtsfolgen, so liegen die Sanktionen wiederum allein im sozialen Bereich, Neuner, AT des BGB, § 28, Rn. 18. Möglicherweise kann ein gentlemen’s agreement aber die Beschreibung einer Geschäftsgrundlage beinhalten und so über § 313 BGB an Relevanz gewinnen, dazu OLG Nürnberg NRW-RR 2001, 636, 637. 11 Das kann z. B. in der Form geschehen, dass zwar nicht alle außerjuristischen „Regelungen“ (und Sanktionen) in einen Vertrag aufgenommen werden, man sich ihrer Wirkung jedoch bewusst ist und dies u. a. innerhalb einer rechtlichen Beratung (mit) in Rechnung stellt.
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zungspotential. Die Folgenbewährung beim wirksamen juristischen Vertrag besteht in der prinzipiellen Möglichkeit, den Regelungsinhalt von staatlicher Seite feststellen12 zu lassen, bzw. bei entsprechenden Leistungspflichten diese sogar im Weiteren ggf. mit Hilfe des staatlichen Machtapparats durchsetzen zu können13. Das ist qualitativ eine andere Folgenausrichtung als beispielsweise bei einem lediglich auf Vertrauen gegründeten Versprechen.14 Auch wenn dieser Umstand den Naturalparteien mitunter15 nicht bewusst ist, ist er u. a. ein tragender Aspekt für den eingeschalteten Berater, den Anwalt. Damit geht nicht nur eine entsprechende Beratungspflicht des Anwalts aufgrund des Anwaltsvertrags einher, sondern vor allem eine bestimmte Sichtweise auf das Recht. Es genügt insoweit also nicht, den Vertrag als „Mittel, welches die Rechtsordnung zur Gestaltung privater Ordnung bereit stellt“,16 in die Überlegungen einzustellen. Erforderlich ist es, zusätzlich zu berücksichtigen, dass dieses Mittel in der Regel nur dann tauglich ist, wenn es sich nicht nur im Rahmen der Rechtsordnung bewegt, sondern auch von dem entsprechenden Rechtsstab (insbesondere von den Gerichten) als rechtskonform akzeptiert wird. Denn die staatliche Akzeptanz mit ihren etwaigen Durchsetzungsmöglichkeiten erfolgt nur dann, wenn ein rechtlich wirksamer Vertrag geschlossen worden ist, der, und dies sei nochmals betont, gerade von den staatlichen Kontrollinstanzen als wirksam angesehen wird. Dem gestalterischen Schaffensprozess ist also in prognostischer Hinsicht der Blick auf die etwaige (staatliche) Kontrollinstanz immanent.17 Der Anwalt, der das Recht anwendet und dabei verwendet,18 um ein Regelungswerk zur Interessenumsetzung seines Mandaten zu schaffen, wird dies somit immer auch unter Ausrichtung auf die Kontrollinstanz, das heißt auf den Richter hin, tun.19 Man kann angesichts dessen von einer zweifachen Zukunftsorientiertheit20 in 12
Das betrifft die Fälle, in denen kein Leistungs- wohl aber ein Feststellungsurteil (§ 256 ZPO) erwirkt werden kann. 13 Das betrifft die Fälle, in denen, nach der Schaffung eines entsprechenden Titels, der Weg der Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. ZPO) beschritten werden kann. 14 Zum Aspekt der Bindungslosigkeit bei Autonomie, dort allerdings verstanden als Willkür, Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 22. 15 U. U. kann er aber auch von diesen von Anfang an sehr wohl intendiert sein. 16 Bachmann, Private Ordnung, S. 260. 17 Siehe auch das Zitat von O. W. Holmes: „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“ [Harvard Law Review 10 (1897), 457, 461.] Dieses Zitat etwa ebenfalls anführend Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, S. 4; Moes, Vertragsgestaltung, Rn. 4, Fn. 4, Moes verweist auf den Denkstil des im US-amerikanischen Recht verbreiteten legal realism. Zur pragmatischen Sichtweise des legal realism auch Wagner, 2. FS für Canaris (2017), 281, 283 m. w. N. 18 Siehe Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 42, wonach Vertragsgestaltung primär Rechtsverwendung und Rechtssetzung ist. Mit dem Begriff der Rechtsverwendung kann aber auch eine negative Assoziation bezüglich des anwaltlichen Berufsstands einhergehen. So lautet eine Zwischenüberschrift bei Westermann, Über Unbeliebtheit und Beliebtheit von Juristen, „Der Anwalt – Rechtsverdreher oder Rechtsverwender“ (S. 45). 19 Hier zeigt sich bereits die Prägung des gestaltenden Juristen u. a. in seiner Abgrenzung bzw. in seinem Verhältnis zu entscheidenden Juristen. Dies ist u. a. ein Instrument zur Dar-
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der Vertragsgestaltung sprechen. So gilt es, für die Zukunft die Verhältnisse des Mandanten21 zu regeln, das heißt, Wirkungen im sozialen Umfeld zu erzeugen und zu berücksichtigen. Dazu gehören u. a. die Überlegungen, ob und wie ein juristischer Vertrag dazu beitragen kann, bestimmte Veränderungen herbeizuführen. Weil aber in den meisten Fällen der juristische Vertrag (auch) wegen der Möglichkeiten der staatlichen (gerichtlichen) Feststellungen und wegen der Chancen zur Durchsetzung im Zwangsvollstreckungswege geschaffen wird, ist der Blick auf den eigenen Rechtsgebrauch ebenfalls zukunftsausgerichtet, nämlich dahingehend, wie der gerichtliche „Entscheider“ den entworfenen Vertrag rechtlich bewerten wird.22 Diese „doppelte“ Zukunftsorientierung wirft allerdings erneut eine bereits angesprochene Problematik auf. Die beiden Stränge der Zukunftsorientierung, die rechtliche Betrachtungsweise einerseits und die Wirkung des Vertrags im sozialen Kontext andererseits, gilt es zu harmonisieren. Da der Einsatz des Rechts das Mittel zur Umsetzung von Interessen im sozialen Umfeld ist, darf der Blick in die Zukunft nicht auf das rechtlich Machbare bzw. vor Gericht Durchsetzbare reduziert werden. Es kann zum einen nicht (nur) um einen optimalen Einsatz rechtlicher Möglichkeiten unter Inklusion des staatlichen Kontroll- und Zwangsapparats gehen. Zum anderen muss vielmehr die Sichtweise dahingehend geschärft werden, etwaige „Schwächen“ der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen und ihnen zu begegnen, u. U. sogar zu begreifen, dass eine gute Interessenumsetzung mit den Mitteln des Rechts nicht gegeben ist.
III. Abschluss des juristischen Vertrags Erfolgt die Gestaltung der Zukunft (auch) mittels eines kontrollierbaren juristischen Vertrags, so muss zunächst der eigentliche Vertragsschluss den Vorgaben genügen, die ihn zu einem von staatlicher Seite akzeptierten rechtswirksamen Vertrag machen.23 Maßgebend ist hier eine normativ-rechtliche Vertragsbegriff-
stellung der kautelarjuristischen Tätigkeit. Auf das unterschiedliche berufliche Handlungsprogramm von Kautelar- und Dezisionsjuristen hinweisend Moes, Vertragsgestaltung, Rn. 3. Dazu, zur Schwierigkeit der begrifflichen Erfassung der Kautelarjurisprudenz sowie deren geschichtlicher Entwicklung Fleischer, RabelsZ 82 (2018), 239, 240 ff. 20 Grundsätzlich zur Zukunftsorientiertheit der Vertragsgestaltung etwa Kanzleiter, NJW 1995, 905 ff. Siehe ferner u. a. Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 16; Ulrici, Fallsammlung zur Rechtsgestaltung, S. 19 f. 21 Zur Vorsorge für künftige Ereignisse u. a. Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 149. Siehe weiterhin Zawar, JuS 1992, 134, 134. 22 Siehe erneut das Zitat von O. W. Holmes: „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“ [Harvard Law Review 10 (1897), 457, 461]. 23 Zur Rechtsgültigkeit und Rechtsbeständigkeit eines Vertrags als Teil des Vorsorgedenkens Schmittat, RNotZ 2012, 85, 86 f.
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lichkeit24. Wenn der Staat Kontrollfunktionen ausüben und einen Zwangsapparat mobilisieren kann, müssen entsprechende normative Vorgaben gegeben sein.25 Daran soll die Darstellung hier anknüpfen, aber sich vorerst darauf beschränken, den juristischen Vertragsabschluss in Grundzügen aufzuzeigen. Gleichzeitig geht es darum zu verdeutlichen, dass schon hier (ein) wesentliches Element angelegt ist, wie Interessenumsetzung im Wege der Vertragsgestaltung erfolgt. Das Gesetz, namentlich das BGB, definiert den Vertrag als solchen nicht.26 Zum Vertragsschluss finden sich jedoch in den §§ 145 ff. BGB Regelungen,27 die den Vertragsschluss selbst betreffen, zudem enthalten das BGB wie auch andere Gesetze Bestimmungen zu besonderen Vertragstypen. Unter Abstrahierung28 in Bezug auf alle besonderen Vertragstypen, Vertragsgegenstände oder beteiligte Personen wird unter dem Begriff des Vertrags im Rechtssinne ein mehrseitiges Rechtsgeschäft verstanden, das aus inhaltlich übereinstimmenden abgegebenen Willenserklärungen (Antrag und Annahme) von mindestens zwei Personen besteht;29 hierbei muss die Willensübereinstimmung der Herbeiführung einer bestimmten rechtlichen Folge30 dienen. Die Notwendigkeit dahingehend, dass der Wille der Beteiligten auf die Herbeiführung einer rechtlichen Folge gerichtet sein muss, unterscheidet den juristischen Vertrag ganz wesentlich von anderen Verabredungen, etwa solchen im rein gesellschaftlichen Bereich,31 ggf. auch solchen im Wirtschaftsverkehr, die keine Rechtspflichten erzeugen sollen32. Die oben gemachte Unterscheidung zwischen juristischem Vertrag und nicht juristischer Vereinbarung anhand der Möglichkeit zur Mobilisierung des staatlichen Zwangsapparats ist also nicht unmaßgeblich bereits durch die inhaltliche Begrifflichkeit des juristischen Vertrags selbst angelegt. Es ist an den Parteien, ob sie durch 24
Begrifflichkeit von Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 267. Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 267. 26 Siehe dazu etwa MK-BGB/Busche, Vorbemerkung (Vor § 145), Rn. 31; außerdem Bork, AT des BGB, Rn. 655. 27 Nach Stadler, AT des BGB, § 19, Rn. 1, erfolgt auch dort die Regelung nur ausschnittsweise. 28 Dazu etwa Brox/Walker, AT des BGB, § 4, Rn 9. 29 U. a. Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf v § 145, Rn. 1; Brox/Walker, AT des BGB, § 4, Rn. 9 ff., dort auch zu dem teilweise geforderten weiteren Erfordernis, dass die Erklärungen mit Bezug aufeinander abgegeben werden müssen. 30 Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf v § 145, Rn. 2. Es geht um die rechtsgeschäftliche Regelung eines Rechtsverhältnisses, Bork, AT des BGB, Rn. 655. 31 MK-BGB/Busche, Vorbemerkung (Vor § 145), Rn. 31, spricht von gesellschaftlichen Gefälligkeitsabreden bzw. von anderen (nicht bindenden) Formen der Interessenverfolgung; siehe auch Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf v § 145, Rn. 2. Zum letter of intent als Mischform unverbindlicher sowie verbindlicher Vereinbarungen, MK-BGB/Busche, ebenda. 32 Ein so genanntes „gentlemen’s agreement“ im Wirtschaftsverkehr wird von den Parteien unter bewusster Vermeidung rechtlicher Leistungspflichten eingegangen, Neuner, AT des BGB, § 28, Rn. 18. 25
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ihr Verhalten Rechtsfolgen herbeiführen wollen. Nicht zuletzt ist für den Vertragsschluss erforderlich, dass alle Vertragsparteien einen entsprechenden Rechtsfolgewillen (Rechtsbindungswillen)33 haben müssen. So ist denn auch der Vertragsdefinition immanent, dass es um den intendierten Gebrauch des Rechts zur Umsetzung von eigenen Begehrungen geht. Weiterhin kann man in der notwendigen Willensübereinstimmung einen „Kern“ der Interessenumsetzung mittels des juristischen Vertrags erblicken. In einem engen begrifflichen Verständnis hieße das, dass (nur) das, was der einzelne Vertragspartner will, der vertraglichen Regelung zugeführt werden und damit auch nur dann Rechtsfolgen hervorrufen kann.34 In dem zum Vertrag führenden Einigungsprozess liegt somit eine Basis35 dafür, was die einzelnen, individuellen Vertragspartner als „gut“ oder „nützlich“ für sich erachten, um darüber eine Regelung zu treffen, die vom Staat bzw. seinen kontrollierenden Organen geachtet und ggf. unterstützend durchgesetzt wird. Der Einigungsprozess als tatsächlicher Prozess unterliegt jedoch unterschiedlichsten Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren. Beispielhaft seien hier nur das Alter der Beteiligten, wirtschaftliche Machtpositionen, unterschiedliche Wissensund Erfahrungsstände oder situative Besonderheiten wie starke emotionale Regungen genannt. Ob überhaupt und ggf. wie der Vertrag unter solchen Einflüssen ein Instrument sein kann, Interessen (gerecht) aufzunehmen und zu gestalten, wird später klärungsbedürftig sein.36 Auch wird auf unterschiedliche Bedingungen im weiteren Verlauf der Untersuchung noch in verschiedenen Kontexten einzugehen sein. Das gilt im Besonderen für den Gebrauch des Rechts unter Benutzung des juristischen Vertrags als Gestaltungsmittel. Für den Einigungsprozess an sich sei an dieser Stelle zunächst nur darauf hingewiesen, dass das Recht bereits für die Frage des Zustandekommens des Vertrags Normierungen bereithält.37 Gemeint sind damit solche gesetzlichen Regelungen, die die „rechtstechnische(n)“ Voraussetzungen“38 bilden. Sie betreffen nicht die Folgen 33
BGHZ 21, 102, 106; Erman/Armbrüster, BGB, Vor § 145, Rn. 4; Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf v § 145, Rn. 2; Bork, AT des BGB, Rn. 676 ff. 34 Das ist allerdings ein enges Verständnis und kann nur einen Ausgangspunkt der Überlegungen bilden. Denn bei der Frage, ob ein Rechtsbindungswille vorlag, wird überwiegend darauf abgestellt, wie der Empfänger der Erklärung sie nach seiner verobjektivierten Perspektive verstehen durfte; dazu Neuner, AT des BGB, § 28, Rn. 18. Aus der Rechtsprechung siehe u. a. wiederum BGHZ 21, 102, 106 f. 35 An dieser Stelle ist bewusst nur von einer Basis die Rede, die für gute oder nützliche Ergebnisse für die Parteien sprechen kann. Eine Auseinandersetzung etwa um die Lehre von der Richtigkeitsgewähr Schmidt-Rimplers wird u. a. noch in Teil 5 C. der Untersuchung (S. 914) im Zusammenhang mit einer anwaltlichen Methodik zu erfolgen haben. 36 Vgl. dazu die Ausführungen in Teil 5 innerhalb der Methodik der Vertragsgestaltung. 37 Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 25. 38 So Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 25; Hervorhebungen bei Cziupka; Cziupka, S. 25, Fn. 23, weist bezüglich der „Rechtstechnik“ auf Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 434, hin, die von „rechtstechnischen außervertraglichen Voraussetzungen des Vertrags“
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oder den Inhalt des Vertrags, sondern sind „(…) (s)trukturelle Normen“39, die den Rahmen für den Vertragsschluss vorgeben.40 „(…) (S)ie“, so Cziupka, „definieren die „Spielregeln“ des Vertrages, indem sie die Determinanten festlegen, unter denen soziale Kommunikation als rechtlich relevantes Verhalten bewertet und zugerechnet werden kann.“41 Gerade unter Bezugnahme auf die oben genannte Definition des Vertrags sind das etwa die Normen, die die Erfordernisse an eine gültige Willenserklärung festlegen, die Geschäftsfähigkeit bestimmen (§§ 104 ff. BGB), Formerfordernisse (z. B. § 311b Abs. 1 BGB) aufstellen oder die Loslösung von einer irrtumsbehafteten Willenserklärung ermöglichen (§§ 119 ff. BGB).42 Gerade weil hier das Recht einen (verlässlichen) Rahmen stellt/stellen muss, in welchem es überhaupt einen Vertrag in seinem Zustandekommen akzeptiert, wird es sich bei den entsprechenden Regelungen zumeist um zwingendes Recht43 handeln. Für den Vertragsgestalter können sich beim Umgang mit diesen strukturellen Normen unterschiedliche Herausforderungen ergeben. Selbstverständlich ist für den anwaltlichen Berater, dass eine Schaffung eines rechtsverbindlichen Vertrags nur unter Einhaltung dieser Voraussetzungen möglich ist. Eine entsprechende Beratung und Arbeitsleistung für seinen Mandanten ist Teil seines anwaltlichen Pflichtenprogramms. Viel schwieriger kann die Situation werden, wenn der Mandant, also eine der Vertragsparteien, die entsprechenden strukturellen Normen teilweise oder überhaupt nicht in Anspruch nehmen will.44 Dahinter können sich unterschiedliche Problemkreise verbergen. Möglicherweise will der Mandant eine andere, das heißt, eine nicht juristisch akzeptierte Form von Einigung, die sich etwa im rein sozialen Bereich abspielt.45 U. U. wird jedoch auch versucht, sich bewusst dem Recht mit seinen Folgen zu entziehen, z. B. um dem Vertragspartner keinen rechtswirksamen reden. Auf die außervertraglichen Voraussetzungen des Vertrags wird im Zusammenhang mit der Erörterung der Ansätze von Durkheim noch näher einzugehen sein. 39 Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 25. 40 Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 25. 41 Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 25; Hervorhebungen bei Cziupka. Siehe auch Bachmann, Private Ordnung, S. 379, wonach eine wesentliche Leistung des Privatrechts darin bestehe, mit seinen Handlungsformen eine Infrastruktur bereit zu stellen, die unsere moderne Sozialordnung von primitiven, allein auf sozialen Normen fußenden Gesellschaften unterscheide, und die den Aufbau komplexer, wohlfahrts- wie freiheitsfördernder Kooperationsverhältnisse überhaupt erst ermögliche. 42 Beispiele nach Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 26. 43 Zwingendes Vertragsrecht unterliegt nicht der Disposition der Parteien. Ob zwingendes Recht gegeben ist, ist entweder dem Wortlaut der Norm zu entnehmen oder im Wege der Auslegung zu entscheiden; so zum Vorstehenden m. w. N. Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14. 44 Auf diesen Aspekt, allerdings nicht aus anwaltlicher Gestaltungssicht, hinweisend Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 25. 45 Das kann z. B. der Fall sein, wenn ein Schenkungsversprechen nicht der von § 518 Abs. 1 BGB geforderten notariellen Form unterworfen werden soll. Die Parteien möchten dies u. U. nicht, weil sie darin eine Art von Misstrauen sehen. Das außerrechtliche Versprechen wird von ihnen als ausreichend bindend angesehen.
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Vertrag als Grundlage46 etwaiger Ansprüche zu verschaffen. Damit kann zudem eine besondere berufsrechtliche Problematik für den Anwalt verbunden sein. Grundsätzlich vorstellbar ist es aber auch, im Wege der Vertragsgestaltung die Rahmenbedingungen für das Zustandekommen eines (späteren) rechtswirksamen Vertrags eigenmächtig zu bestimmen, z. B. durch die Vereinbarung von Schriftformklauseln.47
IV. Inhalt des Vertrags: „Angebote“ und Grenzen durch das Gesetz Vorgabe- und Rahmenbedingungen für den juristischen Vertrag finden sich im Gesetz nicht nur in Bezug auf den eigentlichen Vertragsschluss. Wesentlich breiter angelegt sind solche, die für den Inhalt des Vertrags von Bedeutung sind. Dabei bestehen neben zwingenden Regelungen vor allem dispositive Bestimmungen. Es sind namentlich Fragen bezüglich des Inhalts eines Vertrags, bei denen die „Dichotomie zwischen zwingendem und dispositivem Vertragsrecht“48 deutlich zum Tragen kommt. 1. Zwingendes Recht Zwingendes Recht, das heißt Normen, die nicht zur Disposition der Vertragsparteien stehen,49 stellen für den zukunftsorientiert arbeitenden Vertragsgestalter im inhaltlichen Bereich eine besondere Herausforderung dar. Ob zwingendes Recht vorliegt, ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm50 oder aufgrund der Ermittlung im Auslegungsweg51. Die Gründe für den zwingenden Charakter einer Norm, sei es bei ausdrücklicher Normierung, erst recht jedoch bei einer Bestimmung im Auslegungsweg, sind bedeutsam und in ihrer Vielgestaltigkeit zu berücksichtigen. Genannt werden der Schutz am Vertrag unbeteiligter Dritter, der Schutz des schwächeren Vertragspartners, der Vertrauensschutz, der Übereilungsschutz, Gründe der Beweissicherung, die Vermeidung grober Ungerechtigkeiten, Ordnung und Sicherheit des Rechtsverkehrs, die öffentliche Ordnung sowie der Institutionen46 Beispielhaft sei hier die bewusste Täuschung des Vertragspartners über das Eingreifen von (zwingenden) Formvorschriften genannt. Die Folgen daraus können selbstverständlich Schadensersatzansprüche nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB sein, oder eine Verweigerung der Möglichkeit, sich auf den Formmangel berufen zu können (§ 242 BGB). 47 Zu beachten ist, dass entsprechende Regelungen für die Zukunft vorstellbar sind, nicht jedoch für den zunächst anliegenden Vertragsschluss selbst; siehe dazu die Nachweise bei Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 26, Fn. 27, unter Hinweis auf Bachmann, JZ 2008, 11. 48 Begrifflichkeit, allerdings im Kontext der Dogmatik des Vertragsrechts, von Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 13. 49 Bork, AT des BGB, Rn. 95. 50 Beispielsweise in § 137 Satz 1; dieses Beispiel anführend Bork, AT des BGB, Rn. 95. 51 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14.
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schutz.52 Bereits aus dieser Auflistung möglicher Gründe53, warum einzelne Normen der Disponibilität entzogen sind, ergibt sich, dass ein wesentlicher Aspekt darin besteht, dass Interessen, ihre Bewertung und Gewichtung zu dieser Form von gesetzlicher Regelung geführt haben. Das zeigt sich exemplarisch an den angeführten Gründen des Schutzes unbeteiligter Dritter oder des Schutzes des schwächeren Vertragspartners. Hier bilden Interessen bestimmter Gruppen den Grund für zwingendes Recht.54 Es hat eine Objektivierung55 von Interessen durch Normierung 52 Die aufgezeigten Gründe sind übernommen aus der Auflistung von Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14 f.; dort auch zu umfangreichen weiteren Nachweisen. Zur Differenzierung nach potentiellen Schutzrichtungen bei zwingenden Regeln Möslein, Dispositives Recht, S. 32; siehe auch Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 49 f. 53 Die aufgelisteten Gründe können „Interessen“ im Sinne der Interessenjurisprudenz ausmachen. Nach Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 37, sind Interessen die „Bedeutung, die Lebensgüter für die Menschen haben, und daher das Begehren nach Lebensgütern“. Erfasst sei nicht nur das aktuelle, sondern auch das latente Begehren (ebenda). Gleichbedeutend sei der Begriff der „Belange“ (ebenda). Heck vertritt ein weites Interessenverständnis, das materielle und ideale Interessen umschließt, siehe Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 9, 33. Heck führt dort aus, wir gebrauchten das Wort Interessen für jede kulturelle Begehrungsdisposition, ohne Rücksicht auf die besondere Art des begehrten Objekts. Wir redeten heute nicht nur von materiellen, sondern ebenso von idealen, religiösen, nationalen, ethischen Interessen. Siehe dazu auch Coing, JZ 1951, 481, 483. Müller-Erzbach trennt bei den Elementen der Rechtsbildung zwischen Interessen, typisch gegebenem Beherrschungsvermögen und typisch gezeigtem Vertrauen (Müller-Erzbach, Die Rechtswissenschaft im Umbau, S. 68 f.). Unter „Interesse“ versteht Müller-Erzbach an anderer Stelle, das „Bedürfnis“ bzw. „Begehren (JZ 1952, 193, 193). Für den anwaltlichen Rechtsanwender kann die begriffliche Unterscheidung an dieser Stelle oftmals dahinstehen, da sowohl die Interessen als auch die Gründe innerhalb der Auslegungsarbeit zu berücksichtigen sind, vgl. dazu Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 263. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Interessenjurisprudenz lediglich eine „Säule“ der methodologischen Denkrichtungen bildet, dazu auch noch die nachfolgende Fußnote. Eine andere Sichtweise in Bezug auf „Interessen“ und „Kausalfaktoren“ wird der Anwalt einnehmen müssen, wenn es um den Interessenbegriff des Mandanten geht, dem innerhalb unserer Untersuchung ein weites Interessenverständnis zugrunde liegt, welches auch Kausalfaktoren einschließt (siehe dazu unter Teil 1 B. I., S. 62 ff.). 54 Der Gesetzgeber nimmt also durch die Schaffung zwingenden Rechts eine bestimmte Abwägung in der Form vor, gewisse Interessen als so schützenswert anzusehen, dass die sie betreffenden gesetzlichen Regelungen nicht abbedungen werden können. Eine derartige Sichtweise kann man wiederum mit den Erkenntnissen der Interessenjurisprudenz stützen. Die Interessenjurisprudenz hat als methodologische Konzeption zwar keine Alleinstellung, vgl. zu weiteren Richtungen, wie etwa die der Wertungsjurisprudenz oder die des typologischen System-Konstruktivismus, Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, Rn. 155. Im Zivilrecht hat u. a. die Interessenjurisprudenz über die Auslegung mit Hilfe der canones nach wie vor Einfluss, Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, Rn. 155. Bezogen auf das gesetzgeberische Handeln sind die Ausführungen Hecks nach wie vor bedeutsam. Nach Heck, AcP 112 (1914), 1, 17, sind „Gesetze (…) Resultanten der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen materieller, nationaler, religiöser und ethischer Richtung“. Darin bestünde der Kern der In-
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stattgefunden. Dies ist ein weiterer Grund, die in der Vertragsgestaltung zu berücksichtigenden Interessen näher zu differenzieren und zu untersuchen. Indem das Gesetz zwingendes Recht bezüglich des Inhalts durch Objektivierung von Interessen schafft, kann es in der Vertragsgestaltung selbst zu einem (einseitigen56) „Abschleifungsprozess57 eigener Art“ kommen. Individuelle Interessen, die mit dem Mittel des juristischen Vertrags um- und durchgesetzt werden sollen, müssen sich den Vorgaben des zwingenden Rechts grundsätzlich58 beugen. Sie können sich nicht des juristischen Vertrags bedienen, wenn sie sich nicht mit den inhaltlichen Anforderungen des zwingenden Rechts decken. Spezielle Schwierigkeiten beim Umgang mit zwingendem Recht und involvierten Interessen können sich schließlich vor allem im Zusammenhang mit den Generalklauseln der §§ 13859 und 24260 BGB ergeben. Letztere können einen notwendigen teressenjurisprudenz. „Der Gesetzgeber prüft die im Spiel befindlichen Interessen, vergleicht sie und entscheidet sich danach entweder dafür, bestimmte Interessen vorzuziehen, oder dafür, einen Ausgleich herzustellen“, so Coing, JZ 1951, 481, 483. Heck stellt allerdings darauf ab, es habe eine historische Interessenforschung zu erfolgen [Heck, AcP 112 (1914), 1, 8]. Die Interessenjurisprudenz als methodologische Richtung liefert aber unter „Besinnung“ auf den interessenbezogenen Zweck jeder Vorschrift ebenso die theoretische Grundlage für die „objektiv-teleologische“ Interpretationsmethode, so Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 186, unter Hinweis auf Jhering. 55 Zur Objektivierung von Interessen auch noch später unter B. I. 3., S. 71 ff. 56 Diese „Einseitigkeit“ steht hier im Gegensatz zu der Beschreibung der Möglichkeit einer „richtigen“ Regelung durch Vertrag, die Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff., vornimmt. Dort geht es um die Frage, inwieweit damit zu rechnen sei, dass niemand eine ihm nachteilige Rechtsfolge wolle, die er nicht aus irgendwelchen Gründen für sich als gerecht und richtig werte (S. 151). Innerhalb eines solchen Prozesses geht es um die Gestaltung des Vertrags durch die Vertragsparteien im Rahmen der Vertragsfreiheit (dispositives Recht). Demgegenüber ist das zwingende Recht der Disponibilität der Parteien grundsätzlich entzogen. Daher müssen beide Seiten jeweils ihre (individuellen) Interessen dahinter so weit zurückstellen („Abschleifen“), bis ein Einklang mit dem Gesetz geschaffen worden ist. Das ist eine andere Form von „Abschleifen“. 57 Zur Begrifflichkeit des Abschleifens entgegenstehender Interessen siehe Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 62; dort u. a. in Auseinandersetzung mit der Vertragstheorie Schmidt-Rimplers, AcP 147 (1941), S. 130 ff. 58 Dazu, dass die Wirkung absoluter Schranken keineswegs absolut sein muss, dass auch zwingendes Recht an Grenzen stößt, Möslein, Dispositives Recht, S. 188 ff., u. a. in Bezug auf den Mechanismus der Rechtsdurchsetzung, S. 192 f. 59 Der Charakter als zwingendes Recht folgt bei § 138 BGB bereits aus dem Gesetzestext, der als Rechtsfolge die Nichtigkeit normiert; zur Schlussfolgerung des zwingenden Charakters einer Nichtigkeitsvorschrift, Bork, AT des BGB, Rn. 95. Zu gleichwohl vorhandenen Möglichkeiten gestalterischen Einflusses siehe noch Teil 5 D. III., S. 931 ff. 60 Die Maßgeblichkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben ist als solche der Parteiendisposition entzogen, MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 125. Insoweit liegt also zwingendes Recht vor. Die Parteien können „die Kriterien der Redlichkeit, des Vertrauensschutzes, der materiellen Gerechtigkeit etc. nicht abbedingen“, so MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 125.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Abgleich von individuellen Interessen mit mehr oder weniger stark objektivierten Fallgruppen der Generalklauseln erfordern, beispielsweise mit der Gruppe der gemeinschaftswidrigen Rechtsgeschäfte im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB61. Mit Hilfe der Fallgruppen bis hin gerade zu einer Einzelfallbetrachtung bieten somit die Generalklauseln ggf. einen Anknüpfungspunkt, einen individuellen Vertrag dahingehend zu überprüfen62, ob die von den Vertragspartnern involvierten Interessen in einem so ausgewogenen Verhältnis stehen, dass der geschlossene Vertrag als rechtlich durchsetzbar zu akzeptieren ist.63 Beispielhaft seien hier die Überprüfung von Bürgschaftsverträgen (§ 765 BGB) mit Nahbereichspersonen64 oder die inhaltliche Kontrolle von Eheverträgen65 anhand von § 138 BGB und § 242 BGB genannt. Festzuhalten bleibt damit zunächst, dass durch das zwingende Recht inhaltliche Vorgaben vorhanden sind, die den juristischen Vertrag als Mittel zur Umsetzung von individuellen Interessen in seiner Reichweite begrenzen. Das wird nicht nur jeweils innerhalb des Gestaltungsprozesses zu berücksichtigen sein, sondern ggf. auch im Einzelfall zur Prüfung führen, ob es außerrechtliche Vereinbarungsformen gibt, die dann der durch das Recht „blockierten“ Interessenumsetzung förderlich sein können und ob und inwieweit hier ein Handeln durch den anwaltlichen Berater erwartet und verlangt werden kann.66 2. Dispositives Recht Maßstäbe und Steuerung bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung enthält das Gesetz weiterhin in Form des dispositiven Rechts. Hier steht es den Vertragsparteien offen, vom Recht abweichende Vertragsregelungen zu treffen.67 Anders als das „Davon ist die Interessenbewertung bzw. Rechtsfolgenbestimmung im konkreten Fall zu unterscheiden. Sie steht zur Disposition der Parteien, die die richterliche Interessenbewertung durch ihre privatautonome Risikoverteilung in den üblichen bzw. im konkreten Fall zu bestimmenden Grenzen binden.“, so MK-BGB/Schubert, ebenda, m. w. N. 61 Dazu etwa Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 42 ff. 62 Es ist hier vor allem auch die auf die Zukunft ausgerichtete Sichtweise hin zur kontrollierenden Instanz (Richter) von Bedeutung. 63 Siehe vertiefend vor allem noch Teil 5 D. III. 2,, S. 934 ff. 64 Siehe u. a. BVerfG NJW 1994, 36 ff. 65 Dazu u. a. BGHZ 158, 81 ff.; siehe auch noch ausführlicher in Teil 5. 66 Damit muss nicht notwendigerweise ein Umgehungsgeschäft intendiert sein. Es geht vielmehr auch um Fälle, in denen die Parteien zwingendes (staatliches) Recht vor einem bestimmten sozialen Hintergrund (z. B. familiäre Gründe) nicht einhalten wollen und beide Seiten sich bewusst sind, sich durch die Vereinbarung dem Recht nicht zu unterwerfen. Vgl. dazu das Beispiel, dass der Enkel bei einem Schenkungsversprechen des Großvaters trotz (beiderseitiger) Kenntnis um den § 518 BGB nicht auf die Einhaltung der Form dringt, weil beide Seiten dies vor dem familiären Hintergrund nicht für notwendig erachten. 67 Neuner, AT des BGB, § 3, Rn. 8.
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zwingende Recht lässt das dispositive Recht in seinem Geltungsbereich den Parteien grundsätzlich die Freiheit, ihren Interessen ohne Einschränkung rechtliche Akzeptanz zu verschaffen. Allerdings kann auch dem dispositiven Recht eine „Leitbildfunktion“68 zukommen, so über den § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn es um die Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen geht.69 Denkbar ist zudem das Heranziehen dispositiven Rechts zur (Mit-)Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe oder von Generalklauseln. In diesen Bereichen wird vom Vertragsgestalter vielfach eine vergleichbare Herangehensweise verlangt wie beim Umgang mit dem zwingenden Recht, das heißt, ggf. müssen sich hier die individuellen Interessen an die Leitbilder des dispositiven Rechts anpassen. Im Vordergrund stehen bezüglich der Bedeutung des dispositiven Rechts in der Vertragsgestaltung allerdings andere Umstände. Es ist oftmals70 das dispositive Recht, welches gleichsam Angebote an die potentiellen Vertragspartner bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Verträge macht.71 Dies geschieht einerseits in der Weise, z. B. durch die verschiedenen Vertragstypen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man bestimmte Sachverhalte regeln kann. Damit einher gehen die (weiteren) Vorteile, auf in vielen Details durchgeregelte rechtliche Komplexe72 zugreifen zu können. Gerade der zuletzt genannte Aspekt, das Vorhandensein eines umfänglichen Regelungsnetzes, wird als eine Funktion des dispositiven Vertragsrechts betont. Herausgestellt wird zum einen die Entlastungsfunktion.73 Die Parteien sind nicht gezwungen, jedes Detail im individuellen Vertrag zu regeln,74 weil das Gesetz bezüglich der accidentalia negotii Normierungen bereithält, z. B. § 269 BGB zum Leistungsort oder § 271 BGB zur Leistungszeit.75 Zudem wird durch das dispositive Recht auch gewährleistet, etwaige Vertragslücken, die die Parteien im Bereich der accidentalia negotii gelassen haben, u. U. schließen zu können.76 68 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 16; Neuner, AT des BGB, § 3, Rn. 9. 69 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14; Neuner, AT des BGB, § 3, Rn. 9. 70 Das gilt nicht ausschließlich nur für das dispositive Recht. Auch das zwingende Recht macht „Angebote“. Die oben näher beschriebenen Rahmenbedingungen in Bezug auf den Abschluss des Vertrags sind beispielsweise das gesetzliche „Angebot“, die eigenen Angelegenheiten im Wege eines Vertragsschlusses zu regeln. 71 Zum dispositiven Vertragsrecht als eine Art von Angebot, als eine Form von Baukasten, Moes, Vertragsgestaltung, Rn. 26. 72 Ein weiterer damit zusammenhängender Vorteil ist z. B. der mögliche Rückgriff auf umfängliche ergangene Rechtsprechung. 73 Bechtold, Die Grenzen des zwingenden Vertragsrechts, S. 14. 74 Dazu u. a. Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 339; siehe ferner Möslein, Dispositives Recht, S. 33. 75 Siehe auch Wolf/Neuner, AT des BGB, 11. Aufl., § 3, Rn. 8, wonach es Parteien häufig gerade bei Geschäften des täglichen Lebens unterlassen, nähere Regelungen zu treffen. 76 Zur Funktion des Lückenschlusses durch das dispositive Recht Bechtold, Die Grenzen des zwingenden Rechts, S. 14.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Über die essentialia negotii muss zwar von den Vertragsparteien eine inhaltliche Einigung dahingehend erfolgen, welches diese überhaupt sind. Jedoch können sich die relevanten essentialia negotii, wenn auf Typen des Gesetzes77 zurückgegriffen wird, (abstrakt) aus dem Gesetz selbst ergeben.78 So sind die essentialia negotii des Kaufvertrags nach § 433 BGB die Kaufsache, der Kaufpreis sowie die Parteien (Käufer, Verkäufer). Die beschriebene Entlastungsfunktion sowie die Möglichkeit zur Lückenfüllung79 eröffnen es den Vertragsparteien vielfach erst, schnell und unkompliziert Geschäfte vor allem des täglichen Lebens eingehen zu können. Damit wird zugleich ein wesentlicher Beitrag zum Funktionieren der arbeitsteilig handelnden Gesellschaft80 geleistet. Eben weil vor allem das dispositive Recht die Funktion zur Lückenfüllung hat und damit ggf. eine massenkompatible Abwicklung von Verträgen eröffnet, da einzelne Vertragspunkte nicht der ausdrücklichen Regelung bedürfen, kann sich die Problematik in Bezug auf den Einzelnen stellen, wie sehr er dann noch seine individuellen Interessen in solchen Vertragspunkten wiederfindet. Selbstverständlich können sich die Wünsche des einzelnen Vertragspartners mit den dispositiven Regelungen decken,81 oder es fehlt ohnehin an einem Bedürfnis, jedwede mögliche Einzelheit des Vertrags ausdrücklich zu bestimmen82. Nichtsdestotrotz ist es aber letztlich erst das Wissen um den Inhalt der dispositiven Bestimmungen, welches einen Abgleich von individuellen Begehrungen und normativen Lösungen ermöglicht. Mag man diesem Aspekt im alltäglichen Massengeschäft bestimmter typisierter Verträge auch vielfach keine Aufmerksamkeit schenken (müssen), so kann bzw. wird das Bedürfnis mit der Zunahme der Komplexität vertraglicher Vereinbarungen steigen. Die damit im Zusammenhang stehenden Fragen stellen sich nicht nur den eigentlichen Vertragsparteien. Vielmehr ergeben sich damit korrespondierend besondere Herausforderungen an den die jeweilige Vertragspartei unterstützenden anwaltlichen Vertragsgestalter, denn von ihm wird nicht nur die Kenntnis des dispositiven Rechts erwartet. Vielmehr kann sich für ihn die Schwierigkeit stellen, inwieweit er den Mandanten über jedwede mögliche „Lückenfüllung“ durch das Gesetz aufklären muss, um z. B. zu gewährleisten, dass dieser seine individuellen Wünsche damit abgleichen kann. 77
Das gilt für Typen des dispositiven wie des zwingenden Rechts. Auf diesem Weg, etwa über §§ 612, 632 BGB, kann auch ggf. ein Dissens vermieden werden. 79 Dazu, dass die Beteiligten nicht alle potentiell möglichen künftigen Entwicklungen vorhersehen und nicht für all diese Vorsorge treffen können, Möslein, Dispositives Recht, S. 33 m. w. N. 80 Siehe unten (Teil 1 C. II. 2., S. 118 ff.) die Ausführungen zu Durkheim. 81 Beispielsweise wünscht man gerade eine sofortige Fälligkeit, wie § 271 Abs. 1 BGB sie vorsieht. 82 Ein Grund dafür kann, neben der bereits erwähnten Vereinfachungsfunktion, das Vertrauen darauf sein, dass das Recht für nicht ausdrücklich geregelte Punkte angemessene Regelungen bereithält. 78
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Diesbezüglich können sich die Funktionen von Lückenfüllung und effektiver Vertragsabwicklung aus einem ganz anderen Blickwinkel stellen, gerade weil ein Berater Interessen eines Individuums zu berücksichtigen hat. Das gilt für den anwaltlichen Interessenberater noch aus einem weiteren Grund. Auch wenn das dispositive Recht abdingbar ist und grundsätzlich einer freien Gestaltung eines Vertrags nicht im Wege steht, hat es gleichwohl eine Orientierungsfunktion.83 Dabei geht es nicht um die oben aufgezeigte Ausstrahlungswirkung z. B. in Bezug auf § 307 BGB oder die Generalklauseln, sondern um die im dispositiven Recht enthaltenen „Vorschläge“ des Gesetzes, wie etwas geregelt werden kann. Das gilt nicht nur für die lückenfüllenden Bereiche des dispositiven Rechts, sondern auch für die „Angebote“ von typisierten Verträgen, auf die, freilich durch entsprechende vertragliche Einigung der Parteien, zurückgegriffen werden kann. Die Orientierungsmöglichkeit am dispositiven Recht kann somit vor allem einen Berater dazu verleiten, nur eine Ausrichtung, u. a. innerhalb seiner Beratung, an den entsprechenden Normen des Gesetzes vorzunehmen. Mit Blick auf die Vertragspartei, deren Beratung der mandatierte Anwalt zu leisten hat, bedeutet das, dass gerade das dispositive Recht mit seinen breit gefächerten Möglichkeiten von Vereinfachung und Orientierung nicht dazu führen soll und darf, die gestalterischen Freiheiten des Individuums „Mandant“ nicht mehr zu nutzen.
V. Grundgesetzliche Gewährleistung von Privatautonomie und Vertragsfreiheit In den bisherigen Überlegungen bildeten die Interessen des Einzelnen den Ausgangspunkt. Bildung und Umsetzung von individuellen Interessen sind Ausdruck freier Selbstbestimmung und Lebensgestaltung. Ein wesentliches Mittel zur Umsetzung von Interessen ist die Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie84. Jedoch findet die Vertragsfreiheit weder im BGB selbst noch im Grundgesetz eine ausdrückliche Erwähnung.85 Gleichwohl wird die grundgesetzliche Verankerung der Privatautonomie wie auch der Vertragsfreiheit 83 Bachmann, Private Ordnung, S. 379, führt aus, als ermöglichende oder ermächtigende Normen ließen sich solche Gesetze bezeichnen, die privaten Akteuren, Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand gäben, um ihre sozialen Beziehungen in rechtlich verbindlicher Weise zu regeln. Dazu gehört aber auch das dispositive Recht, das dann insoweit eine Orientierungshilfe liefert. 84 MK-BGB/Busche, Vorbemerkung (Vor § 145), Rn. 2, bezeichnet die Privatautonomie als Konstituierung aus den vier Wirkbereichen der Vertragsfreiheit, der Eigentumsfreiheit, der Testierfreiheit sowie der Vereinigungsfreiheit. Über Art. 2 Abs. 1 GG ist die Privatautonomie als Institut zur „Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben“ verankert, so Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 18, unter Hinweis auf BVerfGE 89, 214, 231; dort spricht das BVerfG aber begrifflich nicht von „Institut“. In kritischer Auseinandersetzung mit der Privatautonomie aus jüngerer Zeit u. a. Riesenhuber, ZfPW 2018, 352 ff. 85 Darauf ausdrücklich hinweisend MK-BGB/Busche, Vorbemerkung (Vor § 145), Rn. 2.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
bejaht. Gewährleistet werden beide über Art. 2 Abs. 1 GG,86 sofern keine spezielleren Freiheitsrechte eingreifen87. Die Ankopplung an Art. 2 Abs. 1 GG ist konsequent und für die Tätigkeit des Gestalters augenscheinlich. Die Privatautonomie eröffnet die grundsätzliche Freiheit jedes Einzelnen, seine individuellen Verhältnisse mittels des Rechts selbst in freier Entscheidung regeln zu können.88 Die Vertragsfreiheit als ihr Teilbereich ermöglicht vor allem mit ihren Elementen der Abschluss- und Inhaltsfreiheit89 jedem die entsprechende Lebensgestaltung90. Bezüglich des Vertrags führt Schapp91 zu Recht aus, „(…) (d)er Vertrag als Austauschverhältnis (…) (sei) für den einzelnen kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zur Erreichung weiterer Zwecke, die gewissermaßen jenseits des Vertrages (…) (lägen). Jeder Vertragsschließende (…) (habe) seine eigenen Zwecke, für die er den Vertrag als Mittel einsetz(…)(e). Der Vertrag (…) (sei) also auch für beide Vertragsschließenden in einem unterschiedlichen Sinne Mittel, weil er Mittel für unterschiedliche Zwecke (…) (sei).“ Die denkbaren Zwecke folgten aus der „Gesamtheit der Lebenswelt“92.
Pointiert kommt damit gleichsam das „Programm“ der Vertragsgestaltung zum Ausdruck. Verfolgt werden Interessen, die unbegrenzt in der Lebenswirklichkeit fußen. Geschützt ist ihre Realisierung durch Art. 2 Abs. 1 GG, der, jedenfalls bei
86 Zur Zuweisung der Privatautonomie sowie der Vertragsfreiheit in der Regel zum Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (freie Entfaltung der Persönlichkeit), u. a. BVerfGE 8, 274, 328 (Vertragsfreiheit); 89, 214, 231 (Privatautonomie); 103, 197, 215 (Vertragsfreiheit); 114, 1, 34 (Privatautonomie); 115, 51, 52 f. (Privatautonomie); 128, 157, 176 (Vertragsfreiheit); von Mangoldt/Klein/Starck/Starck, GG, Art. 2, Rn. 145; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 101 (Vertragsfreiheit und Privatautonomie); Coester-Waltjen, JURA 2006, 436, 437; Petersen, JURA 2011, 184, 184. Möglich ist auch ein Tangieren des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), BVerfGE 72, 155, 170. Dort ging es um einschränkende Wirkungen (gesetzliche Vertretung Minderjähriger). 87 BVerfGE 8, 274, 328; Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 23 (für die Vertragsfreiheit), z. B. Art. 12 GG für Arbeitsverträge (BVerfGE 128, 157, 176); Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 102 f. Zur Vertragsfreiheit als Folge einzelner (weiterer) Grundrechtsgewährleistungen auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 373 ff. 88 Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 369, unter Hinweis (Fn. 31) auf Flume, AT des BGB, 2. Bd., § 1, 1. Zur Privatautonomie als Rechtsprinzip etwa Riesenhuber, ZfPW 2018, 352 ff.; siehe außerdem Schweitzer, AcP 220 (2020), 544, 549 ff. 89 Neuner, AT des BGB, § 10, Rn. 34 ff.; daneben umfasst die Vertragsfreiheit auch noch die grundsätzliche Formfreiheit, ebenda, Rn. 33, 39. Siehe auch Coester-Waltjen, JURA 2006, 436, 438 ff. 90 Siehe dazu Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 51. 91 Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 50. 92 Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 50.
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einem weiten Verständnis,93 dem Einzelnen grundsätzlich gewährt, in jeglichem menschlichen Handeln frei zu sein,94 das heißt „zu tun, was er möchte“95. Bezeichnenderweise ist ein Mittel, um diese Freiheit zu erreichen, nämlich die Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie, in demselben Artikel des Grundgesetzes angesiedelt. Freies Handeln ist zudem, das zeigt die grundgesetzliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit, in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ohne das Mittel des Vertrags nicht vorstellbar.96 Über ein verbindliches Regelungswerk („lex contractus“) kann der Einzelne grundsätzlich dezentral das für ihn jeweils Wesentliche bestimmen, Bindungen erzeugen, die der Staat akzeptieren und u. U. mittels seines Machtapparats durchsetzen muss. Die letztgenannten Aspekte verdeutlichen jedoch, dass eine solche Freiheit nicht unbegrenzt sein kann. Rein formal kann diesbezüglich auf die in Art. 2 Abs. 1 GG selbst normierte Schrankentrias verwiesen werden. Damit verbunden und u. a. in inhaltlicher Ausfüllung derselben stehen vor allem Fragen, wie gerade Freiheit verwirklicht werden kann, indem Pflichten begründende, bindende, ggf. durchsetzbare Verträge geschlossen werden97. Weiterhin darf die Freiheit nicht reduziert auf einen Vertragspartner betrachtet werden, sondern dies muss stets auch in Bezug auf den anderen Vertragsteil hin geschehen, ggf. zudem hinsichtlich Dritter. Folglich können Schutzaspekte zum Tragen kommen. Es sind gerade auch die bisher genannten drei Bereiche, Eröffnung eines Freiheitsraums durch selbst gestaltete Verträge, Freiheit durch oder trotz (zwingender) Bindung, Schutzmechanismen für Vertragspartner und Dritte, die im Weiteren für unseren Untersuchungsgegenstand in verschiedenen Kontexten u. a. bedeutsam sein werden, etwa mit Blick auf involvierte Drittinteressen oder die anwaltliche Methodik.
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Zum weiten Verständnis der Handlungsfreiheit u. a. BVerfGE 54, 143, 146; 74, 129, 151 f.; 80, 137, 152; Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 5; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 12. 94 Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 1; Sachs/Rixen, GG, Art. 2, Rn. 43. 95 Siehe Sachs/Rixen, GG, Art. 2, Rn. 43, der auf die Entstehungsgeschichte von Art. 2 Abs. 1 GG hinweist, wonach ursprünglich die Formulierung, jeder habe die „Freiheit zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt …“, im Raum gestanden habe. 96 Vgl. Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 369, zur Kennzeichnung einer freiheitlichen Ordnung von Staat und Gesellschaft durch die Privatautonomie. 97 Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 56 f.; dort, S. 57, spricht Schapp vom „Rätsel“, „wie es möglich ist, daß im Privatrecht Freiheit sich dadurch verwirklicht, daß man Bindungen durch Vertrag eingeht.“ Darauf verweisend Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 370. Damit steht insbesondere der Verpflichtungsvertrag im Vordergrund. Ebenso wohnt dem Verfügungsvertrag ein Bindungselement inne, dessen Wirkung ggf. festgestellt werden kann.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
1. Nutzen der gesetzlichen Infrastruktur Dass das Gesetz Normen vorhält, die bestimmen, wie es zum Vertragsschluss kommt und (auch) welche inhaltlichen Gestaltungen möglich bzw. zwingend sind, wurde bereits deutlich. Es ist ebenso selbstverständlich, dass der anwaltliche Vertragsgestalter die vorhandene Infrastruktur98 nutzt, um die Interessen seines Mandanten umzusetzen. Die in Bezug auf das Vorhandensein der bezeichneten Infrastruktur auftauchenden grundgesetzlichen Fragen, etwa, ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber das Institut des Vertrags zu gewährleisten hat, ob und in welcher Form er eine gesetzliche Ausgestaltung hinsichtlich der Vertragsnormen vornehmen muss, scheinen für den anwaltlichen „Rechtsverwender“99 unmittelbar nicht von Bedeutung. Er benutzt in erster Linie (schon) vorhandenes Recht. Allerdings können Fragen um die grundgesetzliche Ausgestaltung (Ausgestaltungspflicht?)100 gleichwohl im Anwendungskontext von Relevanz sein, so u. a. bei der rechtlichen Bewältigung von vertraglichen Lastwirkungen101. Zudem spielt die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Selbstbestimmung mittels Vertragsschlusses102 ebenfalls eine Rolle bei der Anwendung und Auslegung vorhandenen Rechts im Lichte des Grundgesetzes103. Mit diesem Aspekt, nämlich wie mit einer vorhandenen gesetzlichen Ausgestaltung umzugehen ist, ist ein weiterer Bereich grundgesetzlicher Bezüge in der Vertragsgestaltung eröffnet, dem der Eingriffsproblematik. 2. Eingriffsproblematik Die Eingriffsproblematik stellt sich, da das Verwenden(müssen) der vorhandenen Infrastruktur durch den Benutzer auch als Begrenzung seiner (vertraglichen) Selbstbestimmung begriffen werden kann.104 Das kann u. a. dann der Fall sein, wenn 98 Zum Begriff der „Infrastruktur“ in Bezug auf das Vertragsrecht Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 271. Sich mit der „Infrastruktur“ im Zusammenhang mit ermöglichenden Normen auseinandersetzend Bachmann, Private Ordnung, S. 379. 99 Siehe nochmals Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 42, wonach Vertragsgestaltung primär Rechtsverwendung und Rechtssetzung ist. 100 Dazu ausführlicher unter Teil 1 D. III. 2. b) bb) (1) (c), S. 320 ff. 101 Siehe Teil 1 D. III. 2. a), S. 302 ff. 102 Nochmals zur „Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“, die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, etwa BVerfGE 89, 214, 231. Siehe zur vertraglichen Selbstbindung als Ausdruck grundrechtlicher Vertragsfreiheit Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 74. 103 Zur verfassungskonformen Auslegung bzw. Interpretation u. a. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 116 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, Rn. 100 ff.; Sosnitza, JA 2000, 708, 710. 104 Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 59 f., spricht davon, dass mit Blick auf die Selbstbestimmung die Vertragsfreiheit sich im Spannungsfeld zwischen gebo-
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es über das zwingende Recht Einschränkungen dahingehend gibt, wann ein rechtlich bindender Vertrag vorliegt.105 Eingriffscharakter gewinnen Verträge für beide Vertragsparteien nicht zuletzt auch aufgrund des vielfach mit diesen intendierten Zwecks, Leistungen notfalls mit Hilfe des staatlichen Zwangsapparates durchsetzen zu können.106 Schließlich kann erneut die Schwierigkeit auftauchen, inwieweit sich eine Eingriffsproblematik durch einen inter partes geschlossenen Vertrag ggf. bei Dritten stellen kann. Dass Eingriffe in die über die Vertragsfreiheit transportierte Selbstbestimmung möglich sind, zeigt die Schrankentrias in Art. 2 Abs. 1 GG. Für ein Mittel auf dem Weg zur Selbstverwirklichung, also den Vertrag, kann das bedeuten, keine Gestaltung unbegrenzter Freiheiten rechtlich zu ermöglichen,107 andererseits gleichwohl den Weg zu staatlichem (Durchsetzungs-)Zwang eröffnen zu können. Die damit einhergehenden Fragen stellen sich vor allem im Zusammenhang mit den Lastwirkungen bzw. im Kontext der anwaltlichen Methodik. 3. Schutzcharakter der Grundrechte Insbesondere die Möglichkeit, den Vertragspartner in die Situation der Duldung staatlichen Zwangs zu bringen, zeigt einen weiteren Bereich grundgesetzlicher Relevanz in der Vertragsgestaltung, der sich teilweise mit der Eingriffsproblematik überschneidet. Es geht um die (mögliche) Folgerung von Schutzpflichten aus dem Grundgesetz.108 Im Kern betrifft dies das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung mit notwendiger Eigenverantwortung109 einerseits und dem Schutz vor Fremdbestimmung andererseits. Zugespitzt kann man auch fragen, ob jede vertener Zurückhaltung des Staats bzgl. möglicher Eingriffe und staatlichen Schutzpflichten bewege. Siehe zur Eingriffsqualität auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 75. 105 Dazu, dass zwingendes gesetzliches Vertragsrecht das Selbstbestimmungsrecht beider Parteien beschränkt und im Rahmen der jeweils einschlägigen grundrechtlichen Schrankenvorbehalte abwehrrechtlich gerechtfertigt werden muss (Verhältnismäßigkeit), Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 247. 106 Den Aspekt der Durchsetzbarkeit mittels staatlichen Zwangs im Kontext eines Eingriffscharakters der Vertragsbindung anführend Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 363. Siehe in diesem Zusammenhang auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 75. 107 Zum Grundrechtseingriff und der Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Rechtfertigung Stöhr, AcP 214 (2014), 425, 457 f. 108 Dazu in Bezug auf die Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG als grundrechtliche Schutzpflicht in Form des Schutzes vor Fremdbestimmung im Rahmen von Privatautonomie und Vertragsfreiheit Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. bzw. 40. Lieferung (Stand Juli 2001 bzw. Juli 2002), Art. 2, Rn. 107 ff. Siehe auch insbesondere BVerfGE 89, 214 ff. (Bürgschaft) und BVerfGE 103, 89 ff. = NJW 2001, 957 ff. (Ehevertrag). Siehe zudem Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 76 ff. 109 Siehe zur Problematik auch Singer, JZ 1995, 1133 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
tragliche Einigung110 notwendigerweise zur staatlichen Zwangsvollstreckung führen muss bzw. darf. Eine Auseinandersetzung hiermit ist z. B. erforderlich bei der Auslegung von Normen als zwingend oder dispositiv, ebenso beim Umgang mit Generalklauseln.111
B. Interessenverständnis in Bezug auf die potentiellen Vertragsparteien und den gestaltenden Anwalt I. Interessen des Mandanten Ausgehend von Art. 2 Abs. 1 GG kann man den juristischen Vertrag bisher als das zentrale rechtliche Mittel zur Gestaltung und Umsetzung individueller Interessen beschreiben. Letztere finden ebenfalls ihren Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG, dort sogar grundsätzlich in größtmöglicher Weise. Will man den Vertrag mit all seinen Möglichkeiten der Interessenverwirklichung optimal nutzen, müssen die jeweiligen Interessen im Einzelnen aufgeschlüsselt werden. Das gilt umso mehr, wenn zur Umsetzung ein Dritter wie der Anwalt als juristischer Fachmann eingeschaltet wird. So ist denn auch der Mandant, der den Anwalt aufsucht, selbst notwendiger Ausgangspunkt der Interessenbestimmung im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit. In der Person des Mandanten können eine Vielzahl von Umständen ausgemacht werden, zu deren Umsetzung der Weg der Vertragsgestaltung beschritten wird. 1. Subjektives Verständnis Die verfolgten Ziele und die Antriebe, die den Mandanten zum Vertragsabschluss und zu einer bestimmten inhaltlichen Gestaltung bewegen, sind zunächst grundsätzlich subjektiv.112 Denn es ist der Einzelne, der, aus welcher Motivation heraus auch immer, durch den Vertrag, den er abschließen möchte, eine Veränderung herbeiführen will113. Die beabsichtigte Veränderung kann Vertragsgegenstand oder zumindest seine Grundlage114 sein, die Umsetzung, die Realisierung des Vertrags 110
Sofern eine solche auf Leistung gerichtet ist. Siehe dazu insbesondere noch in Teil 5 D. III. 2., S. 934 ff. 112 Zur Unterscheidung zwischen subjektiven, faktischen und objektiven Interessen, allerdings mit Blick auf rechtlich relevante Interessen und nicht speziell denen in der Vertragsgestaltung, Kumpan, Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, S. 17. 113 Vgl. zum zweckorientierten Handeln auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 263. 114 Hierbei ist „Grundlage“ allerdings nicht im (engen) juristischen Sinn der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB zu verstehen. 111
B. Interessenverständnis
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gereicht dann dem Mandanten in irgendeiner Form zum Vorteil.115 Die Subjektivität liegt folglich auch darin, dass der Einzelne aus seiner eigenen Wahrnehmung116 heraus die Notwendigkeit verspürt, diese Veränderung herbeizuführen.117 Ausgehend von diesem subjektiven Verlangen, welches durch die Vertragsgestaltung realisiert werden soll, ist auch der Interessenbegriff bezogen auf den Mandanten zu verstehen. Dabei ist das Interesse grundsätzlich faktisch, es ist „(…) eine positive Bezogenheit, die ein bestimmtes Subjekt zu bestimmten Gegenständen tatsächlich hat.“118 Interesse ist dann in der Vertragsgestaltung das, was der Mandant, in welcher Form auch immer, (subjektiv) verlangt, durch den Vertrag umgesetzt zu sehen.119 Dabei sind die „Umsetzung“ und die „Veränderung“ weit zu verstehen. Es geht um die Veränderung des Status quo mit juristischen Mitteln, sei es gestalterisch, durch die Begründung von Leistungspflichten oder Rechten, bzw. durch die Verfügung über Rechte, ebenso wie auch möglicherweise durch die verbindliche Feststellung von rechtlichen Umständen. Möglich ist ferner durchaus die „Begründung“ juristisch nicht durchsetzbarer Pflichten. Damit sind nicht nur Fälle gemeint, in denen zwar eine Pflicht im Sinn des § 241 BGB entsteht, diese jedoch z. B. wegen § 888 Abs. 3 ZPO nicht im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbar ist. Denkbar ist ebenso die Aufnahme von „Pflichten“ in den (juristischen) Vertrag, die unmittelbar nicht justiziabel sind, weil ihnen etwa nur der Charakter einer präambelhaften Umschreibung zukommt.120 Im Weiteren kann sich durchaus die Frage ergeben, ob und in welchem Umfang u. U. Regelungen in den Vertrag aufgenommen werden (sollten), die sogar gesetzeswidrig sind.
115 In den Kontext passt auch die Definition von „Interesse“, die aus soziologischer Sicht bei Reinhold/Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon, Stichwort „Interesse“ (Punkt 2.) aufgeführt ist. Danach sind Interessen u. a. solche Intentionen, die Personen entwickeln, um aus deren Realisierung Vorteile zu ziehen. 116 Zum subjektiven Empfinden eines Gegenstands als wertvoll im Zusammenhang mit der Bestimmung des Interesses Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29, Rn. 3. 117 Zum subjektiven Interesse als vom Menschen selbst wahrgenommene Bedürfnisse siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 265. 118 So Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29, Rn. 4; Hervorhebung durch die Verfasserin. Gerade die Anknüpfung an das Tatsächliche wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch von Bedeutung sein, so etwa im Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt. 119 Es geht darum, das zu erreichen, was den tatsächlichen Interessen eines bestimmten Menschen möglichst optimal entspricht. Zu diesem Aspekt, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung, sondern im Kontext eines subjektiven Interessenbegriffs, Thiere, Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß, S. 27. 120 Ausführungen innerhalb einer Präambel können allerdings durchaus von juristischer Relevanz sein, z. B. für die Auslegung der (weiteren) vertraglichen Vereinbarungen, siehe etwa BGH NJW-RR 2004, 1236, 1236.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Eine Problematik innerhalb der Vertragsgestaltung ist daher, welche Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten beim Umgang mit dem Instrument des juristischen Vertrags bestehen, solche juristisch nicht durchsetzbaren Elemente in den Vertrag integrieren zu können oder gar zu müssen. Die in dem Kontext vor allem anzustellenden Überlegungen werden insbesondere an dem Punkt anzusetzen haben, ob der Vertrag als „Umsetzungsinstrument“ notwendigerweise auf rechtlich durchsetzbare Umstände beschränkt ist. Ein subjektives Verständnis öffnet damit eine große Bandbreite eines Interessenbegriffs.121 Es umfasst letztlich alles, was subjektiv gewünscht und gewollt werden kann.122 2. Formen von subjektiven Interessen Die subjektiven Interessen des Mandanten können in unterschiedlichen Formen auftreten und dementsprechend in ihrer (späteren) Umsetzung verschiedene Anforderungen stellen. a) Unterschiedliche Präzisionsformen aa) Weites Interessenverständnis unter Integration von Positionen Der Mandant kann zunächst einen konkret formulierten Wunsch haben, dessen Umsetzung er realisiert wissen will. Beispiel: Der Mandant äußert die konkret formulierte Bitte, Eigentum an einer bestimmten (beweglichen) Sache erwerben zu wollen.123 121
Damit hängt auch zusammen, dass „die Zukunft gedanklich grenzenlos, offen“ ist, so Kanzleiter, NJW 1995, 905, 905. Einer derartigen Offenheit begegnet dann eine Weite im Interessenverständnis. 122 So beschreibt etwa Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Interesse“ letzteres „(…) soziolog(isch)(…)-sozialpsycholog(isch)(…) (als) eine zielorientierte, längerfristig-zukunftsbezogene, in stärkerem Maße kognitiv ausgeformte und durch Eigenverantwortung gekennzeichnete motivationale Fixierung von Individuen (…)“. „Objektiv“ betrachtet, so Hillmann, könne das „subjektive“ Interesse durchaus „falsch“ sein, so etwa wenn der Betreffende nicht über ausreichende Informationen verfüge oder eine manipulative Einflussnahme stattgefunden habe. Nicht unproblematisch ist die Definition zum subjektiven Interesse, die sich bei Reinhold/ Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon, Stichwort „Interessen, subjektive“ findet. Danach sind jene Interessen erfasst, die einerseits von Subjekten geäußert werden, die aber andererseits vordergründig und oberflächlich sind und den objektiven Interessen zuwiderlaufen. Der in der Definition enthaltene „Vorwurf“ der Vordergründigkeit und Oberflächlichkeit kann jedoch, namentlich wenn solche Interessen durch einen Vertrag umgesetzt werden sollen, nicht so stehen gelassen werden. Es wird sich noch zeigen, wie dezidiert gerade in der Vertragsgestaltung subjektive Interessen ermittelt und umgesetzt werden sollten. 123 Es ist insoweit davon auszugehen, dass der juristische Begriff des Eigentums richtig besetzt worden ist.
B. Interessenverständnis
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In diesem Beispielsfall nimmt der Mandant einen klar abgrenzbaren „Wunschstandpunkt“ ein. Er ist mit seiner Trennschärfe vergleichbar der Formulierung eines Klageantrags nach § 253 Abs. 2 ZPO innerhalb einer Klageschrift nach § 253 ZPO. Nur wenn es mit Hilfe des zu entwerfenden Vertrags124 tatsächlich zum Erwerb des Eigentums kommen sollte, ist der Mandant zufrieden. In der mediativen Literatur wird die Einnahme einer solchen Haltung, gerade auch mit Blick auf die vergleichbare Formulierungsschärfe etwaiger (Klage-)Anträge, als Position bezeichnet.125 Im Rahmen der Mediation erfolgt dabei begrifflich nicht zuletzt eine Trennung zwischen „Position“ und „Interessen“.126 Interessen seien die Anliegen, die hinter den Positionen stünden, sie bildeten den Grund, das Motiv.127 Sie seien offen und erlaubten eine Befriedigung auf unterschiedlichen Wegen.128 Ein derartig (enges) Interessenverständnis ist im Rahmen der Vertragsgestaltung jedoch nicht angezeigt. Soll der Vertrag das Instrumentarium zur Gestaltung unter größtmöglicher Berücksichtigung sämtlicher Wünsche des Einzelnen sein, muss vielmehr ein weiter Interessenbegriff maßgeblich sein, das heißt, Interesse ist jedwede Form von Begehrung, die durch den Vertrag umgesetzt werden soll. Folglich müssen ebenso die „Positionen“ im zuvor genannten Sinn unter den Begriff des Mandanteninteresses innerhalb der Vertragsgestaltung fallen. Das folgt nicht zuletzt auch aus der besonderen Situation der Verknüpfung von Mandanteninteresse und anwaltlicher Interessenwahrnehmung.129 Der Mandant sucht den Anwalt als Fachmann auf, der den Wünschen seines Mandanten gemäß zu handeln hat. Das muss, sowohl von der (subjektiven) Erwartungshaltung des Mandanten als auch vom Pflichtenprogramm des Anwalts her der oberste Maßstab dessen sein, was der Mandant von seinem „Interessenvertreter“ zu erwarten hat/erwarten kann.130 Aus124 Der dingliche Vertrag ist Teil des Erwerbstatbestands nach § 929 BGB. Selbstverständlich muss noch eine Übergabe/ein Übergabesurrogat (§§ 929 ff. BGB) erfolgen. 125 Mähler/Mähler, Mediation – eine interessengerechte Konfliktregelung, S. 13, 18; zur Position als das, was in der Klageformel steht, auch Ponschab/Schweizer/Schweizer, Schlüsselqualifikationen, S. 31. 126 Siehe u. a. Dendorfer, Mediation, Rn. 14; von Schlieffen/Ponschab/Rüssel/Harms, Mediation und Streitbeilegung, Verhandlungstechnik und Rhetorik, S. 19. 127 Ponschab/Schweizer/Schweizer, Schlüsselqualifikationen, S. 32. 128 Zur Erschließung mehrerer Lösungsmöglichkeiten durch die Aufklärung und Kenntnisnahme von Interessen etwa von Schlieffen/Ponschab/Rüssel/Harms, Mediation und Streitbeilegung, Verhandlungstechnik und Rhetorik, S. 19. 129 Ponschab/Schweizer/Schweizer, Schlüsselqualifikationen, S. 31, führt demgegenüber aus, der Anwalt als „Interessenvertreter“ vertrete gerade nicht die Interessen seines Mandanten, sondern führe juristisch denkend nur Positionen aus. 130 Der Umstand, dass der anwaltliche „Interessenvertreter“ oftmals auf einem Positionsdenken verhaftet ist, so eben etwa Ponschab/Schweizer/Schweizer, Schlüsselqualifikationen, S. 31, ändert nichts daran, was von ihm aufgrund des Anwaltsvertrags erwartet und eingefordert werden kann. Hinzu kommt, dass die „Interessenumsetzung“ in ihrer ganzen Bandbreite im Rahmen der Vertragsgestaltung besondere Anforderungen an den Anwalt stellt, anders als z. B. in einer prozessualen „Kampfsituation“, in der viel eher ein Rückzug auf Positionen möglich ist als innerhalb der zukunftsorientierten Vertragsgestaltung.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
gehend davon fällt unter die Interessenverwirklichung des Mandanten (gerade) auch die Umsetzung einer Position im obigen Sinn. Namentlich bei der Einnahme einer bestimmten Position durch den Mandanten ist der Anwalt jedoch oftmals gefordert, Aufklärungsarbeit dahingehend zu leisten, ob der Mandant insbesondere die (rechtlichen131) Dimensionen seiner Position richtig erfasst. Im Rahmen dieser Aufklärungsarbeit können dann die Gründe zu Tage treten, warum der Mandant eine bestimmte Position einnimmt.132 Beispiel: Der Mandant möchte ein Auto erwerben, um seinen Beruf ausüben zu können. Oder: Der Mandant möchte einen Darlehensvertrag abschließen, um seinem Kind eine Ausbildung zu ermöglichen.
Die Beispiele verdeutlichen, dass es in vielen Fällen diese Gründe sind, die die eigentlichen Wünsche, die eigentlichen subjektiven Bestrebungen133 des Mandanten ausmachen. Als solche sind sie dann aber innerhalb der Vertragsgestaltung ebenfalls zu respektierende „Interessen“134. Im Rahmen der Vertragsgestaltung spielen diese „Interessen“ zum einen beim Hinterfragen eingenommener Positionen135 eine Rolle. Das gilt aber nicht nur unter dem Aspekt, dass gleichsam eine Kontrolle dahingehend erfolgt, ob der Mandant sein vorformuliertes Ziel im Sinne einer Position in seiner Gänze korrekt erfasst. Vielmehr bilden die Gründe, die hinter einer solchen Position stehen, letztlich aus Sicht
131 Zur Aufklärungsarbeit in Bezug auf wirtschaftliche Zusammenhänge siehe u. a. G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 321. 132 Dahinter steckt im Grunde auch eine Unterscheidung zwischen latenten und manifesten Interessen. Nach Reinhold/Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon, Stichwort „Interesse, antagonistische, Unterpunkte „Interessen, latente“ und „Interessen, manifeste“ sind latente Interessen solche, die beabsichtigt, aber noch nicht artikuliert oder in Handeln umgesetzt sind. Dies trifft oftmals auf die eigentlichen Motivationen des Mandanten für die Vertragsgestaltung zu. Demgegenüber sind nach Reinhold/Lamnek/Recker manifeste Interessen solche, die artikuliert sind und sich in konkreten Handlungen niedergeschlagen haben. Das trifft auf „Positionen“ zu, die gegenüber dem Anwalt ausgesprochen werden, verbunden mit dem Auftrag, sie (juristisch) umzusetzen. 133 Zum „Wunsch“ als Einnahme einer subjektiven Sichtweise vgl. auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 265. 134 Diese Gründe, die Fragen nach dem Warum, werden wiederum in der mediativen Literatur als die eigentlichen Interessen bezeichnet, siehe etwa Mähler/Mähler, Mediation – eine interessengerichtete Konfliktregelung, S. 13, 19; Ponschab/Schweizer/Schweizer, Schlüsselqualifikationen, S. 32. Zur Motivation als „Interesse“ siehe auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 17. Demgegenüber wird in der Methodik teilweise in anderer Weise begrifflich zwischen (sonstigen) Gründen (Faktoren) und Interessen unterschieden. Verwiesen werden kann wiederum auf Müller-Erzbach, mit seinen Gedanken zum kausalen Rechtsdenken (Müller-Erzbach, Die Rechtswissenschaft im Umbau, S. 67 ff.). 135 Die nach dem oben eingenommenen Blickwinkel aber auch Interessen im Sinne der Vertragsgestaltung sind.
B. Interessenverständnis
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des Mandanten die „Causa“136, warum er zu seinem Standpunkt gelangt ist. Die Offenlegung dieser Kausalgründe ist nicht unerheblich. Sollte z. B. eine bestimmte Position vertraglich nicht umsetzbar sein oder sich im Laufe der Vertragsverhandlungen nicht realisieren lassen, so sind es letztlich die Kausalgründe, die einen Weg zu alternativen Lösungsmöglichkeiten weisen können.137 Schlussendlich geht es also um die Befriedigung der „Causa“ selbst. Vertragsgestalterische Mechanismen in dem Zusammenhang sind z. B. Anpassungs- oder Kommunikationsklauseln138. bb) Vorstellungen als Interessen Problematisch sind die „Wünsche“ des Mandanten aber vor allem dann für seinen „Interessen“vertreter, wenn diese Wünsche noch gar nicht in eine fest eingenommene Vorstellung etwa in Form einer Position übergegangen sind. In vielen Fällen wird ein Mandant, der sich an einen Anwalt zum Zweck der Vertragsgestaltung wendet, lediglich seine „Wunschvorstellungen“ offenlegen, bzw. es ist an dem Anwalt, diese zu erfragen, damit sie in die vertraglich korrekte Form gegossen werden können. Auch diese „unfertigen“ Wünsche oder Begehrungen in ihrer ganzen möglichen Bandbreite sind von dem Anwalt zu berücksichtigen, sie sind ebenfalls „Interessen“ auf dem Gebiet der Vertragsgestaltung. Aber gerade weil von dem Mandanten an den Anwalt unterschiedlichste Wünsche herangetragen werden können, bedarf das mögliche Spektrum einer noch näheren Differenzierung als der bisher vorgenommenen. b) Wünsche als Ausdruck alles Denkbaren aa) Wertungsfreiheit von Seiten Dritter Da grundsätzlich im Wege der anwaltlichen Vertragsgestaltung Mandantenbegehren umgesetzt werden sollen, liegt dem Mandanteninteresse ein subjektives Verständnis zugrunde. Folglich kann sich hinter dem Interesse des Mandanten letztlich alles an denkbaren menschlichen Bedürfnissen, Begehrungen, Notwen-
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Diese „Causa“ darf freilich nicht mit der schuldrechtlichen (vertraglichen) Causa per se gleichgesetzt werden. 137 In der Verhandlungsliteratur wird vielfach auf die Verbreiterung der Basis der Wahlmöglichkeiten hingewiesen, siehe Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 107 ff., bzw. auf die Erweiterung des Verhandlungsgegenstands („Kuchenvergrößerung“), siehe Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 289. Grundlage dafür ist nicht zuletzt jeweils die Aufdeckung unterschiedlicher Interessen. 138 „Spiegelbildlich“ ist bei der Installierung von Kommunikationsklauseln auch immer an eine etwaige Installierung von Verschwiegenheitsklauseln zu denken; zu letzteren – allerdings bezogen auf Geschäftsgeheimnisse – Fuhlrott/Fischer, NZA 2022, 809 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
digkeiten oder Verlangen verbergen.139 Der Hintergrund hierfür liegt vor allem in der Einbettung des Vertrags in die sozialen Abläufe des menschlichen Miteinanders,140 an dem sich auch die gestalterische Tätigkeit auszurichten hat. Gerade wenn man das Individuum (den Mandanten) als solches berücksichtigt, ergeben sich soziale Zusammenhänge aus Beziehungen zwischen Individuen,141 vor allem zwischen den Vertragspartnern; hier soll der Vertrag ansetzen. Interessen sind deshalb zunächst die vom Mandanten individuell empfundenen Bedürfnisse etc.142 Indem alle möglichen Wünsche den Interessenbegriff ausfüllen können, ist am Beginn des Gestaltungsprozesses auch von einem Filterungsprozess seitens des Anwalts abzusehen, das heißt, die Frage, was als Interesse in Betracht kommt und auch als solches (von dritter Seite) wahrgenommen werden muss, ist im Ansatz völlig wertfrei zu stellen.143 Menschliche Begehrungen etc. können in jed-
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Zu einem weiten Interessenverständnis siehe etwa Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 173; Rothacker, Zur Genealogie des menschlichen Bewusstseins, S. 27. Ein weites Interessenverständnis, allerdings im Zusammenhang mit der Erörterung von Konflikten, vertritt etwa auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 15. Danach können Gegenstand des Interesses nicht nur ein Gut im Sinne eines marktvermittelten Austauschprozesses sein, sondern auch Wünsche etwa auf emotionaler Ebene. Auf S. 17 führt sie nochmals materielle oder immaterielle Gegenstände als Bezugspunkt des Interesses auf. Diese Beziehung, geistiger oder materieller Gegenstand als Bezugspunkt des Interesses eines Subjekts, benennt auch Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29, Rn. 3. Zur Interessenvielfalt in der Mediation Gläßer/Kirchhoff, ZKM 2005, 130, 132. Die Öffnung hin zu einem weiten Interessenverständnis, das materielle und ideale Interessen umschließt, findet sich u. a. schon bei Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 9, 33. Heck führt dort aus, wir gebrauchten das Wort Interessen für jede kulturelle Begehrungsdisposition, ohne Rücksicht auf die besondere Art des begehrten Objekts. Wir redeten heute nicht nur von materiellen, sondern ebenso von idealen, religiösen, nationalen, ethischen Interessen. von Jhering, Der Kampf um’s Recht, S. 53, beschreibt eine aufsteigende Erhebung von dem niederen Motiv des Interesses zu dem Gesichtspunkt der moralischen Selbsterhaltung der Person bis hin zu der Mitwirkung des Einzelnen an der Verwirklichung der Rechtsidee im Interesse des Gemeinwesens. Auf Heck und von Jhering jeweils hinweisend Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 17, Fn. 22. Eine philosophische Analyse zu Interessen in der Mediation vornehmend Fröhlich, ZKM 2016, 40 ff. 140 Zum privatautonomen Vertrag als rechtliche Regelung des Soziallebens Rittner, JZ 2011, 269 ff. 141 Zu sozialen Zusammenhängen aus Beziehungen Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 82, unter Hinweis auf Simmel, Weber und Mead. 142 Vgl. zum Begriff der subjektiven Interessen Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 265. Zur Gleichsetzung von Bedürfnissen und Interessen in der Mediation Zebisch, ZKM 2007, 39 ff. Demgegenüber zwischen Bedürfnissen und Interessen unterscheidend etwa die jeweiligen Definitionen bei Hillmann, Wörterbuch der Soziologie und Reinhold/Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon. 143 Eine davon zu trennende Frage ist, ob ein solcher Filterungsprozess nicht an späterer Stelle erfolgt/erfolgen muss, oder ob Wertungen nicht an anderer Stelle auch als Interesse zu bezeichnen sind. Dazu, dass der empirische Rechtsbegriff des Vertragsjuristen die Interessen des Mandanten in einem ersten Zugriff nicht bewerten will, Moes, Vertragsgestaltung, Rn. 4.
B. Interessenverständnis
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wede Richtung gehen. Sie können egoistisch oder altruistisch144 sein, sie können nachvollziehbar sein oder nicht, gefühlsbezogen oder nüchtern. Oftmals werden die Wünsche des Mandanten stark emotional145 geprägt sein. Das Interesse kann sich ferner auf einen gegenwärtigen oder zukünftigen Zustand beziehen, latent oder manifest sein.146 bb) Wertungsabstufung durch den Mandanten Unabhängig von der zuvor bezeichneten Wertungsfreiheit kann allerdings der Einzelne, also der Mandant, gleichwohl selbst im Rahmen der Äußerung seiner Wünsche diesen ein Rangverhältnis, somit eine Wertigkeit zuordnen. Diese Festsetzung einer Wertigkeit kann ebenfalls rein subjektiv erfolgen.147 Beispiel: Der Vater möchte durch eine Grundstücksübertragung seine Tochter finanziell absichern. Er will aber auch sichergestellt wissen, dass im Falle der Heirat der Tochter mit einem bestimmten Mann das Grundstück an ein anderes seiner Kinder fällt. Der (vorgegebene) Bewertungsmaßstab des Mandanten knüpft somit an das Verhalten des Kindes an, welches noch vor dessen „Absicherung“ durch den Erhalt des Grundstücks von Relevanz ist.
Die subjektive Wertigkeit kann weiterhin z. B. auch daran festmachen, wie elementar die Befriedigung bestimmter Wünsche vom Einzelnen empfunden wird. Beispiel: Der Mandant möchte einen Mietvertrag über eine Wohnung abschließen und will einen möglichst geringen Mietzins entrichten, weil er finanzielle Engpässe befürchtet. Er macht allerdings deutlich, dass er auf den Wohnraum dringend angewiesen ist.
Gerade wenn es um die Befriedigung elementarer Bedürfnisse geht, kann eine bestimmte Wertigkeit vom Mandanten gewollt sein, entsprechende elementare Bedürfnisse als vorrangig angesehen werden. Elementare Wünsche können sich, neben dem aufgezeigten Beispiel bezüglich des Wohnraums, etwa auf Arbeitsverhältnisse, Sicherung der Energiezufuhr oder Nahrung beziehen.148 Die Einhaltung
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Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 265. Vgl. zur emotionalen Dimension eines Konflikts im Sinne eines Interessenwiderspruchs Mayer, Die Dynamik der Konfliktlösung, S. 20 ff. 146 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 13. Zu latenten und manifesten Interessen nochmals der Verweis auf die Definitionen bei Reinhold/Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon. 147 Zur eigenen Beurteilung des Subjekts zur Wertigkeit siehe auch Wolff/Bachof/Stober/ Kluth/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29, Rn. 3. 148 Siehe zu den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen etwa Maslow, Motivation und Persönlichkeit, S. 74 ff. Als Ausgangspunkt sieht Maslow, S. 74 – 78, dabei die physiologischen Bedürfnisse. Ihnen folgen die Sicherheitsbedürfnisse (S. 79 ff.), die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Liebe (S. 85 ff.), die Bedürfnisse nach Achtung (S. 87 f.) und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (S. 88 f.) nach. Zum elementaren Aspekt der Bedürfnisse auch Bielecke, ZKM 2022, 139, 140. 145
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1. Teil: Vertrag und Interessen
bestimmter Wertigkeitsstufen ist dann selbst wiederum ein Interesse, nämlich eine Vorstellung, die durch den Vertrag umgesetzt werden soll.149 Neben diesen Wertigkeitsgesichtspunkten sind die bezeichneten Grundbedürfnisse selbstverständlich auch als solche vom Einzelnen wahrgenommene Wünsche und in dieser Eigenschaft wiederum Interessen im eingangs erläuterten Sinn.150 Während es dem Mandanten zum einen unbenommen ist, „eigene“ Wertungsmaßstäbe zu entwickeln, ist es weiterhin möglich und vorstellbar, dass der Einzelne Wertungsmaßstäbe „von außen“ als für sich relevant betrachtet, er sich aber gerade aus freien Stücken, folglich nicht gezwungenermaßen für diese entscheidet. Beispiele: Der Mandant ist Vermieter und wünscht einen „vermietergerechten“ Vertragsentwurf. Er will einen Entwurf, mit dem ein Großteil von Vermietern bisher gute Erfahrungen gemacht hat, da er sich davon auch eigene Vorteile verspricht. Das heißt, der Mandant sieht letztlich in dem, was andere als „gut“ erachten, auch für sich das Beste. Oder: Der Mandant möchte einen Vertrag, der im Einklang mit den Vorgaben einer bestimmten religiösen Gemeinschaft steht.151
Auch wenn es sich hier um bestimmte (fremde) Wertmaßstäbe/-kodices handelt, führt aber wiederum der subjektiv freie Entschluss des Mandanten, sie für sich als verbindlich zu betrachten, dazu, diese Maßstäbe als Bestandteil seines Interesses aufzufassen. Die Hinwendung zu einem (auch) von anderen geteilten Wertmaßstab ist jedoch zugleich ein Schritt hin zu einem Umgang mit objektivierten Interessen.
149 Weil der Mandant über seine an den Anwalt herangetragenen Wünsche, ggf. unter Zuhilfenahme anwaltlicher Beratung, reflektiert, liegt darin ebenfalls eine Begründung dafür, dass es sich um vom Anwalt zu berücksichtigende Interessen handelt. Mit dem Hinweis auf die Reflexion ist u. a. auch eine Schnittfläche zu dem Kantschen Verständnis von „Interesse“ begründet. Kant sieht das Maßgebliche, das das Interesse ausmacht, darin, dass in Bezug auf letzteres eben eine Abhängigkeit von den Prinzipien der Vernunft vorliegt; vgl. Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Rn. 413 a. E., Vermerk „Sternchen“. Kant trennt von den Interessen die bloßen Begehrungen und Bedürfnisse, die von bloßen Empfindungen determiniert sind; vgl. Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Rn. 413 a. E., Vermerk „Sternchen“. In einem ähnlichen Sinn wie Kant, auf den er auch Bezug nimmt, Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, S. 62 f. Kriele sieht ein „rechtes“ Nehmen oder Fordern dann als gegeben an, wenn es sich rational begründen lässt; es muss einem Interesse dienen. 150 Eine Trennung zwischen Bedürfnissen und Interessen erfolgt etwa in der soziologischen Literatur, dazu wiederum die jeweiligen Definitionen in Hillmann, Wörterbuch der Soziologie und Reinhold/Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon. 151 Das Beispiel verdeutlicht, dass die Interessen ethische oder religiöse Wertmaßstäbe beinhalten können. Das wird nicht als selbstverständlich angesehen. So wird etwa innerhalb der soziologischen Konflikttheorien durchaus auch zwischen Interessenkonflikten und Wertoder Glaubenskonflikten unterschieden; Interessenkonflikte resultieren danach aus einer Mangelsituation. So z. B. die Trennung bei Aubert, Interessenkonflikt und Wertkonflikt, S. 178, 180.
B. Interessenverständnis
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3. Umgang mit objektivierten Interessen a) Bezugnahme auf Dritte Dieser Schritt der subjektiven hin zur objektiven Sichtweise zeigt sich noch deutlicher in einem anderen Kontext. Der Einzelne kann, wiederum durchaus frei und subjektiv motiviert, den Wunsch äußern, sich „gruppenkonform“152 zu verhalten. Beispiel: Wiederum ist der Mandat Vermieter und wünscht einen „vermietergerechten“ Vertrag, weil er als Mitglied der Gruppe „Vermieter“ mit diesen „solidarisch“ auftreten und nicht von der Gruppenlinie abweichen will.153
Hier entscheidet sich der Einzelne bewusst, das heißt immer noch subjektiv, sich so zu verhalten, wie andere in einer gleich gelagerten Situation. Er hat den Wunsch, sich „angepasst“ zu verhalten. Je mehr Personen diesen Schritt jedoch machen, also ihre individuellen Wünsche zu einem gemeinsamen Interesse bündeln154, desto mehr findet letztlich eine Objektivierung155 statt. Auf diesem Weg entstehen nicht zuletzt (soziale) Normen. Noch stärker rückt ein (subjektiver) Umgang mit objektivierten „Mustern“ in den Fokus, wenn auf einen Wertmaßstab Dritter vom Mandanten zurückgegriffen wird, selbst wenn er dies eigentlich nicht will, sich aber gleichwohl dafür entscheidet. Beispiel: Einen Vertragsentwurf, den andere Vermieter als angemessene Lösung ansehen, kann der Mandant auch auswählen, wenn er ihn rein subjektiv eigentlich nicht will. Gleichwohl kann er sich für ihn entscheiden, weil es ihm „vernünftig“ erscheint,156 etwa weil 152 Reinhold/Lamnek/Recker, Soziologie-Lexikon, führen innerhalb der soziologischen Definition des Interesses neben den Intentionen von Personen auch solche auf, die von Gruppen entwickelt werden, um aus deren Realisierung Vorteile zu ziehen. 153 Das Zusammenspiel von konformem Verhalten und Druckausübung wird im Besonderen noch innerhalb der Auseinandersetzung mit der Rolle zu untersuchen sein. 154 Dazu Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 228. 155 Der Begriff der „Objektivierung“ ist zum einen gewählt, um zu zeigen, dass (hier) gleichsam ein Prozess hin zu dann vom Einzelnen losgelösten Voraussetzungen/Maßstäben (Form von Abstraktion) erfolgt. So bedeutet „objektivieren“, dass etwas in eine bestimmte, der objektiven Betrachtung zugängliche Form gebracht wird, es wird von subjektiven Einflüssen befreit; vgl. dazu bei Duden, Die deutsche Rechtschreibung zu „objektivieren“. Zwar könnte man das Produkt des Objektivierungsprozesses, z. B. objektivierte Merkmale, (dann) als „objektiv“ bezeichnen, da sie nunmehr unabhängig von einem Subjekt und seinem Bewusstsein festgestellt werden können. (Wobei objektive Merkmale selbstverständlich subjektsbezogen sein können, für ihre Bejahung ist aber ein entsprechendes Subjektsbewusstsein nicht erforderlich.) Es soll aber, gerade um Missverständnisse zu vermeiden, eine Abgrenzung zu dem vor allem im öffentlichen Recht (anders) besetzten Begriff der „objektiven“ Interessen erfolgen; siehe dazu sogleich unter b). Es wird daher im Nachfolgenden in der Regel im entsprechenden Kontext von „objektivierten“ Interessen die Rede sein. 156 Ein ähnlicher Gedankengang findet sich bei Thiere, Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß, S. 27 f. Innerhalb seiner Ausführung zur Unterscheidung von wahren (objektiven) und faktischen (subjektiven) Interessen legt er dar, das einzelne Subjekt könne
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1. Teil: Vertrag und Interessen er beim Rückgriff auf solch einen Vertrag weniger Probleme mit der Umsetzung erwartet (z. B. sicherer Vertrag, kein hohes Klagerisiko).
Die Entscheidung, sich „richtig“, z. B. normkonform zu verhalten, kann auch deshalb vorteilhaft sein, weil ein solches Vorgehen ggf. effizient und schnell ist. In die Überlegung kann hineinspielen, dass sich auch andere konform verhalten werden.157 Oder man berücksichtigt den Aspekt, den Durkheim mit der Diskussion der Arbeitsteilung im Zusammenhang mit dem Vertrag aufgeworfen hat. Erfolg durch Arbeitsteilung, deren Grundlage Verträge und Vertragsnormen sind, gelingt nur, wenn man diese einhält. Gleichwohl findet sich bei einer solchen Bezugnahme auf Dritte immer noch eine eigene Entscheidung des Mandanten. Die aufgezeigten Objektivierungstendenzen sind aus vertragsgestalterischer Sicht von enormer Bedeutung. Sie vereinfachen, wie sich im Verlauf der Untersuchung noch zeigen wird, die Arbeit des Anwalts ungemein. Gleichzeitig wird darin jedoch ein besonderes Problem deutlich: Es ist im Einzelfall eine schmale Gradwanderung, ob noch den subjektiven Interessen des Mandanten, wenn auch unter Nutzung objektivierter Vorgaben, gefolgt wird, oder ob letztere unter Ignorierung der ureigenen Mandanteninteressen angewendet werden. b) (Weitere) „Loslösung“ der Interessen vom Einzelnen Eine „Objektivierung“ von Interessen findet, neben den zuvor beispielhaft benannten Abläufen, nicht zuletzt und vor allem durch den Gesetzgeber, aber u. a. auch durch die Rechtsprechung158 statt. Gemeint ist damit in Weiterführung der bisherigen Überlegungen, dass, vielfach infolge eines prozeduralen Ablaufs (z. B. eines Gesetzgebungsverfahrens)159, Interessen grundsätzlich losgelöst vom Individuum/ Einzelfall definiert und oftmals auch gewichtet werden. Sie werden gleichsam auf eine abstrakte Ebene160 gehoben. Insoweit erfolgt eine „Loslösung“ vom Einzelnen.161 Der Einzelne kann aber wiederum, vor allem im Bereich des Vertragsrechts, möglicherweise die freie Wahl haben, ob er sich solch objektivierten Interessen zwischen seinen „tatsächlichen“ und seinen „wohlverstandenen“ Interessen durchaus unterscheiden, so dass nicht einmal ein Wertungsmaßstab Dritter maßgeblich sei. 157 Hier ist ein bestimmtes Ordnungsverständnis relevant, das es u. a. später innerhalb der Diskussion der „Rolle“ aufzugreifen gilt. 158 Z. B. durch die Schaffung von Fallgruppen(normen) bei Generalklauseln oder durch das Vorhandensein einer ständigen Rechtsprechung. 159 Dort müssen/werden für die Art der Objektivierung gerade objektive Wertmaßstäbe, z. B. aufgrund der Verfassung, berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Schaffung von objektivierten Interessen durch die Rechtsprechung. 160 Diese kann die Tatbestands- wie die Rechtsfolgenseite betreffen. Gemeint ist damit, dass die Interessenbestimmung(-gewichtung) für eine Vielzahl von Fällen möglich ist, bzw. vorgegeben ist, nämlich für die Fälle, die tatbestandlich erfasst sind. 161 Das gilt im Übrigen auch für soziale Normen, vgl. die Ausführungen unter a).
B. Interessenverständnis
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anschließt, sie sich zu eigen macht, z. B. durch die Wahl eines bestimmten (dispositiven) Vertragstyps. Das ist dann erneut der Ausdruck seines subjektiven Interesses. Sofern etwa durch das Gesetz bestimmte (objektivierte) Interessen(-gewichtungen) zwingend vorgegeben sind, stellt sich für den Einzelnen die Frage, ob er sich dem in Bezug auf seine individuellen Interessen beugen muss, oder dies nicht u. U. sogar will, weil es (auch) seinem Wunsch entspricht.162 Die hier verwendete Begrifflichkeit gerade der „Objektivierung von Interessen“ („objektivierte Interessen“) geschieht in bewusster Abgrenzung zu der teilweise erfolgten inhaltlichen Besetzung der „objektiven Interessen“163 in einem anderen Sinn. In der Literatur werden solche Interessen mitunter beschrieben als „objektiv bestimmbares, wahres Interesse eines Subjekts, das in seinem Bestand und in seiner Werthöhe unabhängig ist von der Existenz und der Stärke des subjektiven tatsächlichen Interesses. Es wird ermittelt, indem ein (geistiger oder materieller) Gegenstand auf bestimmte zugeordnete Bedürfnisse, Zwecke und Ziele bezogen und von da aus irrtumsfrei beurteilt wird.“164 Es geht also um die „wahren“ in Abgrenzung zu den „faktischen“ Interessen.165 Dabei darf auch hier das Interesse nicht als subjektslos verstanden werden; Interessen sind stets subjekts- und objektsbezogen.166 Versteht man „objektive Interessen“ in dem Sinn, dass diese gleichsam von den tatsächlichen („faktischen“) Interessen des Einzelnen gar nicht gebildet werden müssen, oder sogar, wenn auch aus wohlverstandenen übergeordneten Gründen, die tatsächlichen Interessen, soweit vorhanden, ggf. angesichts „objektiver“ Interessen außer Betracht zu bleiben haben,167 so ist eine derartige „Deklarierung“168 von objektiven als „wahren“ Interessen abzulehnen.169 Zu Recht weist Uerpmann170 auf die Vorstellung des „freiverantwortlichen, mündigen Individuum(s) (hin), (…) (das) das Grundgesetz in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG voraussetzt“. Letzteres wird unter
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Das kann beispielsweise gegeben sein, wenn die Anwendung zwingender Vertragsnormen ebenfalls dem tatsächlichen eigenen Interesse entspricht. Ausdruck des eigenen Interesses kann es aber etwa auch sein, von bestimmten Regelungen, die durch das zwingende Recht vorgegeben würden, Abstand zu nehmen. 163 Siehe etwa Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 174; vgl. auch Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 17. 164 So Wolff/Bachof/Stober/Kluth/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 29, Rn. 4, unter Bezugnahme auf Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 173 ff. Bei Wolff/Bachof/Stober/Kluth/ Kluth, a. a. O., findet sich nicht explizit die Bezeichnung als „objektives Interesse“, die zitierte Beschreibung wird jedoch als „objektiv bestimmbares, wahres Interesse“ gerade neben das „subjektiv (…), faktische (…) Interesse“ gestellt. 165 Dazu Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 11. 166 Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 173. 167 Vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 11. 168 Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 11. 169 So Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 11. 170 Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 11.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
dem Topos der Selbstbestimmung171 auch innerhalb der Auseinandersetzung um die Vertragsfreiheit noch prägend sein. Innerhalb der Vertragsgestaltung werden die objektivierten Interessen in verschiedener Weise von Relevanz sein. Das betrifft vor allem den Umgang mit dem objektiven Recht als Mittel zur Umsetzung der subjektiven Interessen, u. a. aus dem schon unter Punkt a) angesprochenen Gesichtspunkt der Vereinfachung, aber ebenso, wie sich noch zeigen wird, aufgrund von Überlegungen der Antizipierbarkeit. 4. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Interessen des Mandanten feststellen, dass grundsätzlich unter den Interessenbegriff innerhalb der (anwaltlichen) Vertragsgestaltung alle Mandantenwünsche, Begehrungen, Vorstellungen etc. zu verstehen sind. Es ist ein denkbar weites Verständnis zugrunde zu legen.172 Letztlich kann alles, worauf sich der menschliche Wille richten kann, „Interesse“ sein. Ausgangspunkt muss daher ein rein subjektives Interessenverständnis sein, wobei dieses intellektuell oder emotional beim Mandanten motiviert sein kann. Es ist wichtig, dass der Einstieg in den Umgang mit Mandanteninteressen nur gelingen kann, wenn er zunächst wertungsfrei und aus dem sozialen Kontext heraus erfolgt. Weiterhin kann auch die Entscheidung des jeweiligen Mandanten, „Rangverhältnisse“ bezüglich seiner Interessen zu berücksichtigen, selbst Interesse sein. Zudem können, müssen aber nicht, die Interessen als „Endvorstellungen“ oder „Schlussziele“ formuliert sein. Interessen können z. B. auch Kausalfaktoren sein. Bezieht sich der Einzelne auf (fremde) Wertmaßstäbe, objektive Standards oder gleichgelagerte Interessen Dritter, muss dies nicht gegen ein subjektives Interesse sprechen, wenn der Einzelne diesen Bezug gewollt hat. Die Weite des Interessenverständnisses bedeutet nicht, dass sich sämtliche Interessen im Wege der Vertragsgestaltung umsetzen lassen, sei es faktisch, sei es rechtlich. Gleichwohl müssen sie zunächst in ihrer Gänze erfasst und ernst genommen werden. Nur dann ist eine optimale Interessenumsetzung gewährleistet. Die Breite möglicher Mandanteninteressen verdeutlicht aber auch die Problematik, die sich innerhalb einer interessengeleiteten Vertragsgestaltung stellt: Für den anwaltlichen Vertragsgestalter ergibt sich die Schwierigkeit, diese Menge von Interessen (richtig) zu erfassen, vor allem auch im Hinblick auf etwaige (subjektive) Rang171 Zu trennen von den soeben angestellten Überlegungen zu den objektiven Interessen ist die selbstverständlich vorhandene Möglichkeit, dass die tatsächlichen Interessen von objektiven Wertmaßstäben, z. B. aus der Verfassung, flankiert werden, oder dass solche Maßstäbe bei der Abwägung unterschiedlicher tatsächlicher Interessen, z. B. innerhalb der Anwendung von Generalklauseln wie dem § 138 Abs. 1 BGB, von Relevanz sind. 172 Vgl. auch Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, der von „lebensweltlichen“ Wünschen spricht. Davon getrennt erörtert er aber auch die Feststellung der Interessenlage.
B. Interessenverständnis
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verhältnisse.173 Weiterhin stellt sich die Frage, ob und wie diese Interessen umgesetzt werden können. Im Zusammenhang mit der Umsetzung bedarf es dann aber vor allem der Klärung, ob nicht innerhalb des Prozesses der Vertragsgestaltung weitere Interessen maßgeblich sind, sowie im Weiteren, ob diese mit den Mandantenwünschen kompatibel gemacht werden können. Insoweit bedarf es einer Bestimmung anderer in den Prozess der Vertragsgestaltung eingebundener Interessen. Das sind im Besonderen die Interessen des potentiellen Vertragspartners, aber auch dritter Personen, die nicht unmittelbar Vertragspartner werden.
II. Interessen des potentiellen Vertragspartners Der (juristische) Vertrag kommt nur zustande durch übereinstimmende Willenserklärungen der jeweiligen Vertragsparteien. Benutzt somit die eine Seite den Vertrag als Mittel zur Umsetzung der von ihr verfolgten Interessen, so gilt das in gleicher Weise für die andere Seite, die des/der potentielle(n) Vertragspartner(s)174. Der Umgang mit Interessen innerhalb von Vertragsverhandlung175 und -gestaltung kann somit nicht einseitig mit Blick nur auf eine Vertragsseite erfolgen. Damit es überhaupt zu einer vertraglichen Zustimmung des anderen kommt, müssen seine Interessen folglich in Rechnung gestellt werden176.
173 Auch wenn grundsätzlich die Interessen in ihrer Gänze zu erfassen sind, kann sich ggf. eine Eingrenzung der anwaltlichen Pflichten diesbezüglich aus dem Anwaltsvertrag ergeben; zum anwaltlichen Pflichtenprogramm noch unter Teil 1 B. III. 2., S. 81 ff. 174 Während mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand eine Seite anwaltlich vertreten ist („Mandant“), ist dies hinsichtlich des anderen Partners nicht zwingend notwendig. Die andere Seite kann, muss aber nicht anwaltlich vertreten sein. 175 Wenn im Teil 1 von „Vertragsverhandlungen“ die Rede ist, geht es grundsätzlich um die kommunikativen mindestens zweiseitigen Abläufe im Vorfeld eines potentiellen Vertragsschlusses. Dabei werden vielfach die einen Vertragsschluss intendierenden Verhandlungen bedeutsam sein, die häufig zudem auf einer face-to-face-Situation aufbauen. Erfasst können aber (unverbindliche) Vorgespräche sein, die in einen Vertragsschluss münden können. Die vorgenannten Situationen sind ebenso innerhalb unseres Untersuchungsgegenstands („Interessenwahrnehmung in der anwaltlichen Vertragsgestaltung“) von besonderer Relevanz, da die Überlegungen zu den Vertragsverhandlungen auch im Kontext zur Vertragsgestaltung und damit einem abzuschließenden Vertrag stehen. Nicht prinzipiell ausgeschlossen werden sollen aber Situationen, in denen der kommunikative Austausch innerhalb von „unverbindliche(n) Gespräche(n), mit denen lediglich der Zweck verfolgt wird, etwaige gemeinsame (…) Interessen auszuloten, um ggf. nach Auffindung solcher Interessen in Gespräche über Vertragsabschlüsse einzutreten (…)“. (Zitat nach MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 46, dort innerhalb der Erörterung der Begriffsbestimmung der „Vertragsverhandlung“ in § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB.) Sofern dem Begriff der „Verhandlung“ eine andere (engere) Bedeutung in bestimmten Kontexten zukommt, wird dies dort entsprechend ausgeführt. 176 Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 2; Beck, Anwaltsstrategien bei der Vertragsgestaltung, Rn. 16; Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 50.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich beim potentiellen Vertragspartner dieselbe Weite eines möglichen Interessenspektrums ergeben kann wie sie in Bezug auf den Mandanten zuvor dargestellt worden ist. Diese mögliche Weite auf der anderen Seite erfordert eine vielfältige Berücksichtigung von Umständen und Abläufen innerhalb von Verhandlung und Gestaltung. Ganz maßgeblich wird der kommunikative Prozess zwischen den potentiellen Vertragspartnern sein. Eben weil unterschiedlichste Interessenausrichtungen aufeinandertreffen können, müssen diese gegenseitig artikuliert, erkannt und ggf. aufeinander abgestimmt177 werden. Der Weg zur Einigung im Sinne des juristischen Vertragsschlusses kann also durchaus einen umfangreichen Verhandlungsvorspann beinhalten. Weil die Interessen vor allem subjektiv ausgerichtet sind, sich aber auch objektivierte Interessen finden, wird bei der Einbeziehung der Interessen des Vertragspartners wiederum eine Öffnung hin zu juristischen ebenso wie zu anderen, insbesondere soziologischen, Kategorien erforderlich sein. Vor allem in Bezug auf das Erkennen (fremder) subjektiver Interessen und einen damit in Verbindung stehenden Prozess der „Interessenabstimmung“ kann der Rückgriff auf soziologische wie auch auf ökonomische oder kommunikationstheoretische Erkenntnisse vonnöten sein. Der Vorgang der tatsächlichen Einigung bildet auch die Schnittfläche178 zu notwendigerweise anzustellenden juristischen Überlegungen, gerade hinsichtlich der Einigung in Form übereinstimmender Willenserklärungen als Entstehungsvoraussetzung für den Vertrag. Hinzu kommt ein Weiteres: Beim potentiellen Vertragspartner können ebenfalls objektivierte Interessen zum Tragen kommen. Sollten diese in irgendeiner Form durch das Recht179 aufgegriffen worden sein, müssen sie innerhalb der späteren Interessenabstimmung und Vertragsgestaltung besondere Aufmerksamkeit finden.180 Insbesondere, wenn das zwingende Recht, z. B. Teile des 177 Es geht um das gegenseitige „Abschleifen der Interessen“, siehe Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 62; dort u. a. in Auseinandersetzung mit der Vertragstheorie Schmidt-Rimplers [AcP 147 (1941), S. 130 ff.]. Siehe in diesem Kontext auch die Überlegungen Webers, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 445, zu zweckrationalen Vereinbarungen: „Das Typischwerden bestimmter Einverständnisse und vor allem: zweckrationaler Vereinbarungen, welche das Handeln der Einzelnen zunehmend bewußt schafft, indem sie ihre Interessensphären gegeneinander, unter Mithilfe des geschulten „Anwalts“, abgrenzen, und die „Präjudizien“ der „Richter“ sind also primäre Quellen der Rechtsnormbildung.“ Dazu auch Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und juristische Methodenlehre, S. 43. 178 Vgl. auch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 93, der einen „Interessengleichklang“ bezüglich der vertraglichen Einigung darin sieht, dass beide Seiten vom Zustand der Einigung einen Vorteil im Vergleich zur Nichteinigung erwarten. 179 Objektivierte Interessen können aber auch im ausschließlich sozialen Kontext vorliegen, z. B. als soziale Normen. 180 Das gilt auch in die umgekehrte Richtung, wenn der Mandant seine eigenen Interessen umgesetzt sehen will. Er erfährt durch das Recht die oben beschriebenen Grenzziehungen
B. Interessenverständnis
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Verbraucherrechts181, betroffen ist, zeigt sich die nachhaltige Einflussnahme. Hier lassen sich (rechtswirksam) gegen die durch das Recht geschützten Interessen des Vertragspartners die eigenen Interessen nicht umsetzen. Ob und in welcher Form eine Flankierung der Interessen des Vertragspartners durch das Recht erfolgt oder möglich ist, wird vor allem unter einem besonderen Aspekt relevant sein. Die Abstimmung oftmals nicht (gänzlich) in Einklang befindlicher Interessen unterschiedlicher Personen hängt in zahlreichen Fällen auch von der Einschätzung von und dem Umgehen mit „Machtpositionen“ zusammen. Zwar sollte auf beiden Seiten der Partner grundsätzlich die Einsicht vorhanden sein, ein (bestimmter) Vertragsschluss sei für sie jeweils vorteilhafter als die Abstandnahme davon.182 Eine entsprechende Einsicht wird jedoch vielfach nur gebildet werden können, wenn zwischen den Vertragspartnern keine „Machtunterschiede“ bestehen183, sie sich auf „Augenhöhe“ begegnen. Eine solche Situation ist aber häufig nicht gegeben.184 Als Kriterium für die Bejahung von „Verhandlungsmacht“ wird (dispositives oder zwingendes Recht), wie im Übrigen auch sein Vertragspartner. Innerhalb der Annäherung beider Parteien im Verhandlungsbereich hat das Recht aber eine weitere Bedeutung im „Abschleifungsprozess“, indem es beispielsweise „Machtpositionen“ begründen kann, dazu Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 243 ff. 181 Vgl. etwa § 476 BGB, der beim Verbrauchsgüterkauf einzelne Vorschriften einer zum Nachteil des Verbrauchers abweichenden Vereinbarung in bestimmten Fällen entzieht. 182 Siehe Tietz, Der Vertrag aus volkswirtschaftlicher Sicht, S. 22, 23, dort auch dazu, dass etwaige Interessenkonflikte zu lösen sind. Zum Verhandlungsablauf und dazu, dass Lösungen wahrscheinlicher sind, wenn beide Seiten jeweils nach dem Nutzen des Vertragsschlusses auch für die andere Seite suchen, Heussen/Pischel/Heussen, Handbuch der Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, 4. Aufl., Teil 2, Rn. 560. Siehe ebenfalls Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 93. 183 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 203, spricht vom Basismodell zweier gleich mächtiger Partner. Zur Unterstellung der fehlenden Machtunterschiede bei der Anwendung des Prinzips der Vertragsfreiheit, Tietz, Der Vertrag aus volkswirtschaftlicher Sicht, S. 22, 23. Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 11, zur Stützung auf Machtpositionen, um Interessen durchzusetzen, sowie § 2, Rn. 39, dazu, dass Verhandlungsstrategien gegenüber einem übermächtigen Verhandlungspartner nicht zum Erfolg führen. Siehe auch aus dem Bereich der juristischen Vertragstheorie Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156, der ausführt, der Vertrag sei ein Mechanismus, um ohne hoheitliche Gestaltung in begrenztem Rahmen eine richtige Regelung auch gegen den unrichtigen Willen herbeizuführen, weil immer der durch die Unrichtigkeit Betroffene zustimmen müsse. Weiter hebt Schmidt-Rimpler (ebenda, S. 157) jedoch hervor, dass, soweit die Funktionsvoraussetzungen dieses Mechanismus typisch oder im Einzelfall fehlten oder der Mechanismus versage, der Vertrag überhaupt kein geeignetes Mittel zur Ordnung der Lebensverhältnisse sei, soweit man nicht, weil andere geeignete Möglichkeiten fehlten, wenigstens seltenere und weniger schwerwiegende Unrichtigkeiten in Kauf nehmen wolle oder müsse. Siehe ferner zur Problematik der Machtunterschiede u. a. Bydlinski, Privatautonomie und verpflichtendes Rechtsgeschäft, S. 62; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 104 ff.; zum Verhandeln in Machtbeziehungen auch Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 243 ff. 184 Als Ansatzpunkt finden sich in der Literatur Ausführungen, wonach das Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien die statistische Normalsituation sei, siehe Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 63; diesen auch anführend Däubler, Verhandeln und Gestalten,
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1. Teil: Vertrag und Interessen
etwa auf die Möglichkeit abgestellt, dem anderen bestimmte Entscheidungen aufzuzwingen.185 In dem Verhandlungsgeschehen inter partes heißt dies, eine Seite kann den Prozess im Sinne ihrer eigenen Interessen beeinflussen oder lenken. Faktoren für eine solche Macht können in den unterschiedlichsten Umständen begründet sein: das Innehaben bestimmter Güter oder Fertigkeiten, Kenntnis bestimmter Informationen oder jedenfalls die Möglichkeit, an solche zu gelangen, psychische Konstitutionen oder das Eingebunden sein in bestimmte soziale Verbände („Seilschaften“, geschäftliche oder familiäre Kontakte).186 Die beispielhafte Auflistung ist ein weiteres Indiz dafür, dass etwa in der Entstehungsphase des Vertrags und für die Einschätzung und Beurteilung der ihn beeinflussenden Faktoren im Verbund mit juristischen auch Kenntnisse anderer wissenschaftlicher Disziplinen, z. B. eben solche kommunikationstheoretischer oder soziologischer Art, notwendig sind. Das Ineinandergreifen der Disziplinen zeigt sich hier u. a. auch darin, dass das Recht ggf. einen Machtfaktor bilden kann,187 bzw. über das Recht bestimmte „Machtabläufe“ aufgegriffen und einer Bewertung unterworfen werden. So kann etwa das zwingende Recht, das für eine potentielle Vertragsseite und deren Interessen streitet, diese in einer bestimmten Verhandlungsposition stärken, bzw. sie davor schützen, in einem bestimmten Bereich über Gebühr unterdrückt zu werden, z. B. im Bereich des Wohnungsmietrechts durch verschiedene Mieterschutzvorschriften188. Namentlich die zwingenden Generalklauseln der §§ 138189, 242190 BGB bilden zudem ein rechtliches „Auffangbecken“, um vor allem auf sich wandelnde soziale Abläufe wie auch auf individuelle Gemengelagen, etwa in Bezug auf Machtpositionen und damit einhergehende Interessengewichtungen, juristisch reagieren zu können.191 Rn. 243 ff. Nach Haft, Verhandlung und Mediation, S. 203, kommt das Modell zweier gleich mächtiger Partner in der wirklichen Welt kaum vor. 185 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 203, dies anführend Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 243. Siehe auch Harsanyi, Messung der sozialen Macht, S. 190, 191. 186 Weitere Beispiele finden sich z. B. bei Haft, Verhandlung und Mediation, S. 203 f. Siehe auch zu den Elementen einer Machtbeziehung aus spieltheoretischer Sicht Harsanyi, Messung der sozialen Macht, S. 190, 191 ff. 187 Vgl. zur formalen Rechtsposition als „Machtquelle“ innerhalb der Vertragsverhandlungen, Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 246, allerdings unter der Überschrift „Mittel des Machtlosen“. 188 Beispielsweise §§ 573 Abs. 1 Satz 2; § 574 Abs. 4; 574a Abs. 3 BGB. 189 Dazu, dass die Sittenwidrigkeit grundsätzlich nicht zur Disposition der Parteien steht, MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 283. 190 Der eigentliche Grundsatz von Treu und Glauben selbst ist der Disposition der Parteien entzogen, so MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 125. 191 Beispielhaft sei an dieser Stelle die Rechtsprechung zu Bürgschaften von Nahbereichspersonen genannt (BVerfGE 89, 214 ff. = BVerfG NJW 1994, 36 ff.; NJW 1994, 2749 f.; BGHZ 146, 37 ff. = BGH NJW 2001, 815 ff.; BGH FamRZ 2017, 362 ff.) oder zur inhaltlichen Kontrolle von Eheverträgen (BVerfGE 103, 89 ff. = BVerfG NJW 2001, 957 ff.; NJW 2001, 2248; BGHZ 158, 81 ff. = BGH NJW 2004, 930 ff.). Gerade zu letzteren siehe auch noch die Ausführungen in Teil 5.
B. Interessenverständnis
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Zusammenfassend kann zunächst festgehalten werden, dass die Interessen des potentiellen Vertragspartners in ihrer Vielgestaltigkeit denen des anderen Vertragspartners entsprechen können. Damit sind wiederum Fragen juristischer sowie intra- wie interdisziplinärer Art verbunden. Das ist eine Herausforderung innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung. Die anwaltliche Sicht auf die Interessen des Vertragspartners sowie sein Verständnis von den Interessengemengelagen bedürfen daher der eigenständigen Betrachtung. Das gilt im Weiteren außerdem für die involvierten anwaltlichen Interessen.
III. Interessenbegriff des (vertragsgestaltenden) Anwalts 1. Einführung Der Anwalt192 ist der Interessenvertreter seines Mandanten.193 Er ist nach § 3 Abs. 1 BRAO der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten, es hat nach § 3 Abs. 3 BRAO jedermann innerhalb der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. Zudem bestimmt § 1 Abs. 3 BORA, der Rechtsanwalt habe als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern. Dem Anwalt ist insoweit innerhalb des Kräftespiels der Rechtsordnung und seiner Organe eine bestimmte Rolle zugewiesen: Er steht „im Lager“ seines Mandanten und hat diesen bestmöglich zu unterstützen. Seine eigene (Interessen-)Ausrichtung wird von der Wahrnehmung fremder Interessen wesentlich bestimmt. Die Möglichkeit des Mandanten, einen interessenorientierten Beistand zur Seite zu haben, ist Ausdruck einer freiheitlichen Grundordnung: Dem Einzelnen werden von der Rechtsordnung nicht nur bestimmte Freiheiten, wie etwa die Vertragsfreiheit eingeräumt. Der Einzelne kann bestimmte gewährte Freiheiten/Rechte auch gerichtlich durchsetzen194 und zu ihrer Verwirklichung195 einen Beistand wählen, der 192
Da der Untersuchungsgegenstand eingegrenzt ist, beziehen sich die Ausführungen nicht auf den Notar. Bei der notariellen Vertragsgestaltung muss ein anderes Interessenverständnis zugrunde gelegt werden. Anders als der Anwalt ist der Notar nach § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO nicht Vertreter einer Partei, sondern unabhängiger und unparteiischer Betreuer der Beteiligten. 193 Siehe Laufhütte, FS für Pfeiffer, 959, 961 f. 194 Zum Justizgewährungsanspruch siehe etwa BVerfGE 79, 80, 84. Dieser Anspruch beinhaltet zum einen, dass die Rechtspflege überhaupt tätig wird, zum anderen aber auch, dass sie effektiv ist, siehe u. a. BVerfG NJW 2005, 739. 195 Dies betrifft auch die außergerichtliche Verwirklichung.
80
1. Teil: Vertrag und Interessen
„auf seiner Seite steht“, wie u. a. der bereits erwähnte § 3 BRAO verdeutlicht. Im Verbund damit ist nicht zuletzt § 1 BRAO zu sehen, wonach der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist.196 Der Anwalt ist gerade nicht ein staatliches Organ.197 Er nimmt vielmehr eine für eine funktionierende Rechtspflege in einem demokratischen Rechtsstaat198 unentbehrliche Position ein, weil er in seinem Tätigkeitsbereich dazu beiträgt, Recht umzusetzen, es zu verwirklichen.199 Denn es ist nachgerade unerlässlich für die Verwirklichung des Rechts, dass der Einzelne dem Recht nicht nur in einer obrigkeitlich, duldenden Rolle begegnet. Der Rechtsuchende muss vor einem Rechts„verlust“ geschützt werden,200 wozu er sich des Beistands eines Anwalts bedienen kann.201 Dazu gehört nicht nur der Beistand vor Gericht.202 Es betrifft auch und vor allem die Bereiche, in denen der Einzelne die Möglichkeit hat, selbst Recht erst „zu (er-)finden“. Eröffnet die Rechtsordnung den Weg, selbst gestaltend „Recht“ zu schaffen, wie dies etwa durch Vertragsabschlüsse geschehen kann, so gehört auch das in besonderer Weise zur Rechtsverwirklichung, zur Freiheit im Rechtsstaat.203 Letzteres ist zudem ein Ansatzpunkt, an dem durch anwaltliche Tätigkeit eine Weiterentwicklung des Rechts erfolgen kann.204 All dies macht den anwaltlichen Interessenvertreter zu einem unentbehrlichen Element der rechtsstaatlichen Ordnung. Damit er diese Rolle wahrnehmen kann, ist ihm vom Gesetz u. a. die bereits zuvor angeführte Unabhängigkeit (§ 1 BRAO) eingeräumt worden, die ihm eine Staatsunabhängigkeit gewährt.205
196 Zum Anwalt als Organ der Rechtspflege auch Hassemer, AnwBl 2008, 413 ff.; Jaeger, NJW 2004, 1 ff. Kritisch zum „Organ der Rechtspflege“ in § 1 BRAO Eckertz-Höfer, NJW 2013, 1580 f., die letztlich (S. 1581) die Formulierung noch für brauchbar hält. Siehe im Anschluss daran auch Zuck, NJW 2013, 1582 f. 197 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 76. 198 Laufhütte, FS für Pfeiffer, 959, 959, zur Tätigkeit im Interesse des Rechtsstaatsgedankens; den Anwalt als Garant des Rechtsstaats darstellend Zuck, AnwBl 2000, 3, 7. Siehe auch Eckertz-Höfer, NJW 2013, 1580, 1581. 199 Busse, AnwBl 1998, 231, 232; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 77. 200 Siehe u. a. BVerfG NJW 1996, 3267, 3267. 201 Siehe auch Henssler/Prütting/Koch, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 1, Rn. 79, wonach es Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens über die Geltendmachung von Rechten sei, sich durch eine qualifizierte Vertrauensperson in Form eines Anwalts Gehör zu verschaffen. 202 Siehe etwa auch Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 3, zum Beitrag des Anwalts, u. a. den Mandanten vor Fehlentscheidungen des Gerichts zu bewahren. 203 Siehe auch Henssler/Prütting/Koch, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 1, Rn. 79, zur vertragsgestaltenden anwaltlichen Tätigkeit als Teil der Verschaffung rechtlichen Gehörs. 204 Zur außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit als Teil seiner Aufgaben als Organ der Rechtspflege u. a. Weyland/Brüggemann, BRAO, § 1, Rn. 6, dort zur beratenden Tätigkeit des Anwalts; Krämer, AnwBl 1995, 422, 423; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 77. 205 Henssler/Prütting/Busse, BRAO, § 1, Rn. 45; Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 10.
B. Interessenverständnis
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Mit dem Bild des Anwalts als Organ der Rechtspflege ist aber auch ggf. die Problematik verbunden, wie weit eine Interessenvertretung für den Mandanten gehen kann und darf. Letztlich verbirgt sich dahinter die Frage, ob das Interessenverständnis des Mandanten uneingeschränkt auch für den Anwalt gilt, oder ob nicht Grenzen vorhanden sind, die der Anwalt berücksichtigen muss. Diese Schwierigkeiten wurzeln darin, dass der Anwalt, eben weil er Interessenvertreter ist, sich in einer Doppelfunktion206 befindet. Er ist ein Organ der Rechtspflege und als solches dazu berufen, dem Einzelnen zu seinem Recht zu verhelfen. Er ist aber vor allem auch Vertragspartner seines Mandanten, dessen Interessen er gerade aufgrund des Mandatsvertrags wahrnehmen muss. Folglich muss letzterer zunächst der Anknüpfungspunkt für die Klärung des anwaltlichen Interessenverständnisses sein. 2. Anwaltsvertrag als Ausgangspunkt zur Bestimmung des für den Anwalt maßgeblichen Interessenbegriffs a) Vertragliches Verhältnis zwischen Anwalt und Mandanten aa) Vertragstypus Der Anwalt hat grundsätzlich ein eigenes Interesse, das „Interesse“ seines Vertragspartners richtig zu bestimmen und wahrzunehmen. Neben berufs- und strafrechtlichen Erwägungen (z. B. § 43a Abs. 4 BRAO: Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen; § 356 StGB: Parteiverrat), sind die Gründe vor allem im (vertraglichen) Haftungsrecht zu suchen.207 Bei einer Schlechterfüllung des Anwaltsvertrags kann sich der Anwalt nicht unerheblichen Regressansprüchen seines Mandanten, z. B. nach § 280 Abs. 1 BGB, gegenübersehen.208 Insoweit ist in der vertraglichen Beziehung209 zwischen Anwalt und Mandanten der maßgebliche Bezugspunkt für das Verständnis von „Interessen“ und das mit ihrer
206
Wortwahl nach Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 5. Zum Haftungsrecht als normative Vorgabe einer anwaltlichen Methodik innerhalb der Vertragsgestaltung siehe auch Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 178 ff. Zur Präventionsfunktion des Haftungsrechts Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 141. 208 Zu der Haftung aus dem Mandat statt vieler etwa Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, Kap. V. Neben vertraglichen Regressansprüchen kommen im Einzelfall selbstverständlich auch Ansprüche auf einer deliktischen Grundlage in Betracht, etwa aus § 826 BGB. 209 Eine Grenze ist u. a. in § 43a Abs. 1 BRAO angelegt, wonach der Rechtsanwalt keine Bindungen eingehen darf, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden. Das bedeutet grundsätzlich auch eine Unabhängigkeit vom eigenen Mandanten, Weyland/Träger, BRAO, § 43a, Rn. 4. Allerdings soll durch § 43a Abs. 1 BRAO nur eine Bindung verboten werden, die die berufliche Unabhängigkeit gefährdet, so Träger, a. a. O., Rn. 7. Die natürlicherweise aus 207
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(vertraglichen) Wahrnehmung zusammenhängende Pflichtenprogramm zu suchen. Bedeutsam ist dabei zunächst, welche Art von Vertragsverhältnis in der Regel zwischen Anwalt und Mandanten entsteht. Letzteres wird ganz überwiegend als Geschäftsbesorgungsvertrag i. S. d. § 675 Abs. 1 BGB qualifiziert.210 Gegenstand der vertraglichen Verpflichtung muss die Bitte um rechtlichen Beistand (§ 3 BRAO) sein,211 wobei davon im Zweifel beim Aufsuchen eines Anwalts als Fachmann ausgegangen werden kann. Zwar ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob aus dem Inhalt des geschlossenen Vertrags die Verpflichtung folgt, rechtlichen Beistand zu leisten; allerdings muss die Rechtsberatung dabei nicht den Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit bilden.212 Der Anwaltsvertrag kann als Geschäftsbesorgungsvertrag, der auf eine Dienstleistung oder eine Werkleistung gerichtet ist, abgeschlossen werden,213 § 675 Abs. 1 i. V. m. §§ 611 bzw. 631 BGB. Aufgrund der zwischen Anwalt und Mandanten vereinbarten Leistung der Vertragsgestaltung kann die Erstellung eines Werks (Vertragsentwurf an sich) geschuldet sein.214 Es ist jedoch jeweils genau zu klären, was (insgesamt) Gegenstand des Anwaltsvertrags sein soll. Im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung wird sich die anwaltliche Tätigkeit, die der Mandant wünscht, in der Regel nicht auf die (bloße) Erstellung des Vertragswerks beschränken. Vielmehr wird der Mandant zumeist auch eine Beratung, somit eine typische Dienstleistung, wünschen. Hinzu kommt, dass namentlich bei komplexeren Lebenssachverhalten der Anwalt oftmals in die Vertragsverhandlungen eingebunden ist. Sofern sich somit die vom Anwalt zu erbringende Leistung nicht nur in der Vertragsabfassung erschöpft, sondern von ihr auch Beratung und Beistand (mit-)umfasst sind, ist daher der anwaltliche Mandatsvertrag bezüglich einer Vertragsgestaltung als Geschäftsbesorgungsvertrag, der eine Dienstleistung zum Gegenstand hat, einzustufen.215
dem Anwaltsvertrag folgenden Bindungen, wie etwa die Weisungsgebundenheit, sind davon nicht erfasst, siehe Träger, a. a. O., Rn. 6. 210 MK-BGB/Heermann, § 675, Rn. 26 m. w. N.; Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 8, Rn. 2; siehe auch BGH MDR 1961, 578 f., hinsichtlich der Tätigkeit eines Anwalts bei einem Vergleichsabschluss. 211 MK-BGB/Heermann, § 675, Rn. 26. 212 BGH NJW 1998, 3486, 3486. 213 MK-BGB/Heermann, § 675, Rn. 26; Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 8, Rn. 2; siehe auch RG JW 1914, 642, 642 f. 214 Vgl. etwa RG JW 1914, 642, 642 f.; Bunte, NJW 1981, 2657, 2657. 215 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 11, Rn. 35.
B. Interessenverständnis
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bb) Vertragliche Fixierung der vom Anwalt zu erbringenden Dienstleistungen In welchem Umfang der Anwalt seine Dienstleistungen letztlich zu erbringen hat, hängt von dem individuellen Vertrag zwischen Anwalt und Mandanten ab.216 Dieser ist in seiner konkreten Ausgestaltung maßgeblich dafür, inwieweit die oben beschriebenen Mandanten„interessen“ vom Anwalt zu berücksichtigen sind und insbesondere ihre (nicht) richtige Beachtung Grundlage für Haftungsansprüche gegen den Anwalt sein kann. Dabei sind die mögliche Fülle von Mandanteninteressen und ihre subjektive Prägung durchaus problematisch im Hinblick auf die Frage, was zunächst (ausdrücklich) im Anwaltsvertrag als Regelungsgegenstand Niederschlag217 gefunden haben muss. Insoweit darf man sich nicht allein darauf zurückziehen, der Anwalt müsse ohnehin bei einer Beauftragung zur Vertragsgestaltung typischerweise den Willen seines Mandanten und dessen subjektive Interessen richtig und vollständig ermitteln und dann auch umsetzen218. Denn gerade aufgrund der Breite etwaiger Interessen wäre dazu nicht nur ein inquisitorisches Vorgehen vonnöten, das letztlich grenzenlos wäre. Soll oder muss der Anwalt z. B. sämtliche mögliche Wertvorstellungen seines Mandanten erfragen, nur weil diese ggf. innerhalb der Vertragsgestaltung als „Interessen“ einzustufen sind? Muss er sich als „Sozialarbeiter“ gerieren, um die soziale Rolle des Mandanten in der Gesellschaft auszuloten, damit der Mandant nicht u. U. soziale Konsequenzen (z. B. im familiären Bereich) als Folgen seines Vertragsabschlusses fürchten muss? Abgesehen davon, dass all dies faktisch nicht zu leisten ist, stellt sich für den Anwalt auch die Frage, wie er seinen (sachlichen) Tätigkeitsbereich um- und eingrenzen kann, damit er einer zu großen Haftungsgefahr entgehen und zudem den Rahmen hat, an den er für seine Entlohnung anknüpfen kann. Im Hinblick auf eine „punktgenaue“ vertragliche Fixierung der wahrzunehmenden Interessen stellt sich andererseits die Schwierigkeit, dass die Interessen des Mandanten in der Regel zum Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts noch nicht in strukturierter Form vorliegen, der Mandant vielmehr auch in weiten Bereichen der anwaltlichen (An-)Leitung bedarf, um bestimmte Interessen zu erkennen und (richtig) zu verorten.
216 Siehe etwa BGH NJW 2007, 2485, 2486: „Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falles (…).“ Aus § 242 BGB kann aber folgen, dass den Anwalt auch Warn- und Hinweispflichten treffen können, die außerhalb des eigentlichen Gegenstands des Anwaltsvertrags liegen, dazu BGH NJW 2018, 2476, Rn. 12. 217 Im Übrigen können die Interessen z. B. auch über vertragliche Nebenpflichten eine Rolle spielen. 218 So etwa Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 141.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Gerade der letzte Aspekt macht deutlich, dass das Problem auch kaum nach einer anwaltlichen Erstberatung zu lösen ist, in deren Anschluss die Interessen ebenfalls in den seltensten Fällen so bestimmt werden können, um sie (genau) in einen anschließenden Anwaltsvertrag einfließen zu lassen. Vielmehr wird zumeist, jedenfalls in komplexeren Situationen, die Aufdeckung und Gewichtung der Interessen Leistung aufgrund des anwaltlichen Vertrags an sich sein. Letztlich wird man bezüglich der Klärung der Frage, was in einen die Vertragsgestaltung betreffenden Anwaltsvertrag als Regelungsgegenstand einfließen muss, bzw. im Einzelfall auch nur kann, differenzieren müssen. Hierbei ist immer in Rechnung zu stellen, dass die Interessen des Mandanten grundsätzlich subjektiv und in vielen Fällen im außerjuristischen Bereich angesiedelt sind. Für den Anwalt ist zunächst von Bedeutung, ob es (nur) um die Erstellung eines Vertragsentwurfs219 oder vielmehr auch um weitere Tätigkeitsbereiche, wie etwa das Führen von Vertragsverhandlungen220 geht.221 Möglich und von Vorteil ist es aus anwaltlicher Sicht weiterhin, wenn bestimmte Interessen des Mandanten schon als konkrete Gegenstände des Anwaltsvertrags fixiert werden können. Denkbar ist das u. a., wenn der Mandant schon einzelne Interessen im Sinn von Positionen222 eingenommen hat, die er umgesetzt wissen will. Beispiel: Es geht um den Kauf eines bestimmten Gegenstands oder die Gewährung eines konkreten Darlehens.
In solchen Fällen ist das dann selbstverständlich in den Anwaltsvertrag aufzunehmen. Umgekehrt können ebenso bestimmte Bereiche von den anwaltlichen Tätigkeitspflichten ausgenommen werden, etwa der Bereich des Steuerrechts223. Dann ist der Anwalt von einer entsprechenden Interessenwahrnehmung seines Mandanten in dem Gebiet grundsätzlich befreit.224 Gerade wenn sich beim Mandanten noch keine Interessen im Sinne von Positionen herausgebildet haben,225 müssen und sollten von anwaltlicher Seite im Anwaltsvertrag die wesentlichen Eckpunkte, das heißt jedenfalls die Hauptregelungs219 Dann geht es um einen Geschäftsbesorgungsvertrag, der auf die Erstellung eines Werks ausgerichtet ist (§ 675 Abs. 1 i. V. m. § 631 BGB). 220 Dann geht es um einen Geschäftsbesorgungsvertrag, der auf eine Dienstleistung ausgerichtet ist (§ 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 BGB). 221 Zur möglichst genauen Beschreibung der anwaltlichen Tätigkeit, das heißt des Mandatsumfangs, Beck, Anwaltsstrategien bei der Vertragsgestaltung, Rn. 26; Jungk, AnwBl 2010, 436, 436. 222 Im Rahmen dieser Abhandlung werden Positionen als Unterfall der Interessen aufgefasst. 223 Beck, Anwaltsstrategien bei der Vertragsgestaltung, Rn. 26. 224 Allerdings wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Anwalt, so dieser Bereich durch die Tätigkeit berührt ist, nicht Hinweise bezüglich dieser „Berührung“ geben muss, damit der Mandant ggf. weitergehenden Rat von dritter Seite sucht. 225 Oder sogar noch keine tragende Interessenbildung stattgefunden hat.
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gegenstände des vom Mandanten angestrebten Vertrags bestimmt werden. Abgesehen davon, dass für den Anwaltsvertrag, wie für jeden anderen Vertrag, die essentialia negotii zu vereinbaren sind, ist dieser Aspekt unter dem Gesichtspunkt des sogleich näher zu erörternden anwaltlichen Pflichtenprogramms von besonderer Bedeutung. Solche zu fixierenden Eckpunkte können z. B. bestimmte Ziel- oder Regelungsbereiche durchaus im Sinn der zuvor beschriebenen „Wünsche“ des Mandanten sein. Beispiel: Es geht um die Beratung und vertragliche Fixierung, um die Pflege der Eltern sicherzustellen, wenn diese das Haus ihren Kindern „überlassen“.226
Denkbar ist es ferner, die anwaltliche Tätigkeit im Vertrag auf einen üblichen, in der Regel typischen227 Bereich zu beschränken, z. B. auf die Erstellung eines Ehevertrags. Hier bedürfen die zahlreichen möglichen Mandanteninteressen, die im Einzelnen eine Rolle spielen können, zwar noch der weiteren Aufklärung. Der vertragliche Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit mit all ihren Pflichten zu erstrecken hat, ist jedoch ausreichend abgesteckt. b) Anwaltliche Pflichten aufgrund des Anwaltsvertrags Steht der Gegenstand des anwaltlichen Mandats fest und ist es zu einem Vertragsschluss gekommen, ergibt sich daraus ein umfangreiches anwaltliches Pflichtenprogramm228. Seine Bedeutung soll im Nachfolgenden nur im Hinblick auf den Interessenbegriff untersucht werden. Besondere Berücksichtigung muss dabei finden, ob und inwieweit sich diese Pflichten speziell an der kautelarjuristischen Tätigkeit auszurichten haben.229 Diese Differenzierung ist nicht zuletzt vor dem Hin226
Hier handelt es sich, ausgehend von den angestellten Überlegungen, um Wünsche, ohne dass schon eine bestimmte unverrückbare Position eingenommen worden ist. Bei einer vertraglichen Fixierung im Anwaltsvertrag unter Nennung dieser Punkte ist es selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass andere Interessen, wie z. B. Wertvorstellungen, noch Berücksichtigung finden müssen. Gleichwohl kann aber deren Bezugspunkt damit schon bestimmt sein: Von Bedeutung sind nur Wertvorstellungen im Zusammenhang mit der Pflege und der Überlassung des Hauses. Vorstellungen, die dazu keinen Bezug haben, müssen vom Anwalt nicht berücksichtigt werden. 227 Das können Real- oder Normtypen sein. „Real- oder Normaltypen (…) (sind) die in der Realität zu beobachtenden Gestalten“. (So Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 99.) Der „normative“ Typusbegriff bezieht sich auf den in Normen verwendeten Typus, Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 544. 228 Siehe dazu nur statt vieler Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, Kapitel IV; Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 704 ff. 229 Zum Pflichtenkreis im Hinblick auf rechtsgestaltende Tätigkeit u. a. Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 54 ff.; G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 323 ff. Zum Problem, ob die vom Notar zu beachtenden Amtspflichten auch Grundlage oder Maßstab für den rechtsgestaltenden Interessenvertreter Anwalt sind/sein können, siehe etwa Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 14; Vollkommer/Greger/Heinemann/Hei-
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tergrund erforderlich, als vor allem die in der Literatur ausgearbeiteten Anwaltspflichten sich nicht oder nur wenig mit der besonderen Situation der Kautelarjurisprudenz beschäftigen.230 Der Pflichtenkatalog muss daher jeweils genau auf die Tätigkeit als Vertragsgestalter hin abgeklärt werden.231 aa) Sachverhaltsermittlung (1) Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts und relevanter Interessen In Bezug auf die Interessenwahrnehmung durch den Anwalt im Rahmen der Vertragsgestaltung steht, wie auch bei einer sonstigen anwaltlichen Beauftragung, am Beginn des Pflichtenprogramms die genaue und umfängliche Sachverhaltsvermittlung232. Zum Pflichtenkanon des Anwalts infolge des abgeschlossenen Anwaltsvertrags gehört es, den maßgeblichen Sachverhalt persönlich aufzuklären.233 Als „Sachverhalt“ wird zumeist das tatsächliche Geschehen verstanden.234 Dieses hat der Anwalt, im Rahmen des erteilten Mandats, zu erfragen.235 Der Mandant wiederum hat eine (vertragliche) (Informations-)Pflicht, das heißt, er muss die erfragten Informationen vollständig geben.236 Diese Informationsbeschaffung dient zunächst nemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 54; G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 323. 230 G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 323, verweist darauf, dass die Pflichten bei der Vertragsgestaltung auf die allgemeinen Pflichten bei außergerichtlicher Beratung zurückgehen. 231 Gleichwohl werden die einzelnen Pflichten oftmals Ausprägungen der allgemeinen anwaltlichen Pflichten sein, siehe etwa Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 55. 232 Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 55, der es als spezielle Ausprägung der allgemeinen Aufklärungspflicht bezeichnet. Siehe auch Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 185 ff., zur Informationsermittlung. 233 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 707. Während für den Notar die Sachverhaltsklärung bei Beurkundungen von Willenserklärungen ausdrücklich in § 17 Abs. 1 BeurkG normiert ist, ist für den gestaltenden Anwalt der Vertrag mit dem Mandanten der maßgebliche Anknüpfungspunkt. 234 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B. Rn. 707. 235 BGH NJW 2019, 1151, Rn. 9. Hierbei besteht freilich keine Ermittlungspflicht im Sinne einer „Einbahnstraße“. Vielmehr ist, namentlich im Rahmen der Vertragsgestaltung, die Sachverhaltsermittlung in Form eines „Wechselspiels“ zu verstehen. Zum Wechselspiel zwischen rechtlicher Prüfung und Sachverhaltsermittlung, allerdings für die Aufklärung des Sachverhalts durch den erstinstanzlichen Anwalt, Gaier/Wolf/Göcken/Schultz, Anwaltliches Berufsrecht, Zivilrechtliche Anwaltshaftung, Rn. 175. 236 Zur grundsätzlichen Mitwirkungspflicht des Mandanten Jungk, AnwBl 2010, 436, 438; der Mandant müsse den Anwalt wahrheitsgemäß und vollständig über den Sachverhalt unterrichten und einschlägige Unterlagen zur Verfügung stellen. Es bleibt aber grundsätzlich die Aufgabe des Anwalts, sich die relevanten Informationen von seinem Mandanten zu beschaffen. Sollte sich der Mandant für den Anwalt in erkennbarer Weise unvollständig äußern, so muss der Anwalt selbstverständlich nachfragen und ggf. auf drohende Nachteile hinweisen; so, allerdings wiederum im Kontext mit der Aufklärung des
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dazu, die Tatsachengrundlage zu schaffen, die überhaupt eine Beurteilung ermöglicht, ob und ggf. wie das angestrebte Ziel rechtlich erreichbar ist. Eine solche Beurteilung ist aber (abschließend237) nur dann möglich, wenn das angestrebte Mandantenziel schon hinreichend fixiert ist, das heißt, das Interesse, das das eigentliche Ziel ausmacht. Namentlich im Bereich der Vertragsgestaltung besteht jedoch mit Aufnahme der anwaltlichen Tätigkeit oftmals kein (geschlossenes) Interessenprofil des Mandanten, insbesondere angesichts der großen Breite möglicher Interessen. Es stellt sich daher die Frage, ob zur Sachverhaltsermittlung auch die Aufklärungspflicht bezüglich der Mandanteninteressen238 in ihrem ganzen möglichen Spektrum gehört, oder ob der Mandant seine Interessen eigenständig mitteilen muss.239 Diese Fragestellung bezieht sich nicht zuletzt auf Fälle, in denen der Vertrag gerade in seiner sozialen Ausrichtung, z. B. bezüglich seiner Folgewirkungen im sozialen Umfeld (etwa in der Familie),240 erfasst werden muss.241 Es wird zu differenzieren sein, wiederum unter Berücksichtigung dessen, dass sich die anwaltliche Tätigkeit gerade auf den Bereich der Vertragsgestaltung bezieht. Der Mandant bedarf, u. a. wenn atypische (juristische) Vertragsgestaltungen242 beabsichtigt werden, bei/nach der Erteilung des Mandats zumeist erst einer rechtlichen Beratung, um seine Ziele zu fixieren243. Dieser Beratungsvorgang ist dann Aufgabe des Anwalts und gehört selbstverständlich ebenfalls zu einem Teil seines Pflichtenprogramms. Gleichwohl liegt hierin auch eine vom Anwalt geforderte Sachverhaltsaufklärung. Denn insbesondere innerhalb der Vertragsgestaltung ist es als Teil Sachverhalts durch den erstinstanzlichen Anwalt, Gaier/Wolf/Göcken/Schultz, Anwaltliches Berufsrecht, Zivilrechtliche Anwaltshaftung, Rn. 174. Siehe gerade auch BGH NJW 2019, 1151, Rn. 9; dort auch dazu, dass der Anwalt sich nicht auf die rechtliche Beurteilung eines tatsächlichen Geschehens durch den Mandanten verlassen darf, sondern nur auf Tatsachen, wenn er deren Unwahrheit nicht kannte oder kennen musste. 237 Ob eine abschließende Beurteilung im Rahmen der Vertragsgestaltung überhaupt möglich ist, ist fraglich. Hier kommt das Element der Zukunftsorientiertheit zum Tragen. In dem Zusammenhang muss vertragsgestalterisch ggf. u. a. versucht werden, durch bestimmte Planungen (ungewisse) Zukunftsentwicklungen abzufedern. 238 Zur grundsätzlichen Pflicht, die Interessen des Mandanten zu ermitteln, Vorbrugg, AnwBl 1996, 251, 253. 239 Vorbrugg, AnwBl 1996, 251, 253, zählt zu den anwaltlichen Pflichten die Aufklärung des Sachverhalts und diese sei nicht auf die Verwertung der vom Mandanten gelieferten Informationen beschränkt. 240 Siehe auch noch ausführlich das Kapitel zum (rechts-)soziologischen Verständnis des Vertrags (Teil 1 C.). 241 Zum privatautonomen Vertrag als rechtliche Regelung des Soziallebens Rittner, JZ 2011, 269 ff. 242 Beispiel: Es geht um die Einstellung eines privaten Pflegers, der auch in der Privatwohnung seines Patienten ein Zimmer erhalten soll, wobei die Überlassung Teil der Entlohnung sein soll. 243 Siehe dazu auch die Ausführungen unter Punkt 2. a) bb), wonach im Anwaltsvertrag zunächst nur die (tatsächlichen) Eckpunkte festzuhalten sind.
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der Aufklärungsarbeit des Anwalts anzusehen, den Willen des Mandanten richtig und vollständig zu ermitteln.244 Mit der Willensermittlung ist dann jedoch auch die Ermittlung der Mandantenwünsche verbunden, die Interessen im Sinne von Positionen, Zielen, Begehrungen etc. Das betrifft zunächst die Interessen, die später durch die Vertragsgestaltung in der Lebenswirklichkeit unmittelbar „fassbar“ werden sollen. Vor allem sind das die Interessen, die darauf abzielen, „bestimmte Lebenssachverhalte durch rechtliche245 Gestaltung herbeizuführen, zu sichern, zu verändern oder zu verhindern.“246 Der Anwalt muss also die „zu beachtenden Interessen“ seines Mandanten ermitteln.247 Das muss dem Anwalt bewusst sein. Denn seine Aufklärungsarbeit soll auf Willensermittlung248 gerichtet sein, nicht auf eine, auch nicht unbewusste Willens-
244 Zur Willensermittlung und den damit verbundenen Problemen etwa Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 141 ff. Zur Erforschung des wahren Willens des Auftraggebers als Teil der allgemeinen anwaltlichen Aufklärungspflicht Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 55. Für den Notar kann wiederum § 17 Abs. 1 BeurkG von Relevanz sein. 245 Hervorhebung durch Verfasserin. 246 Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 17, der das Zitat im Zusammenhang mit der Willensermittlung durch den Kautelarjuristen bringt. 247 Für die Methodik der Vertragsgestaltung wird darauf verwiesen, zunächst müsse die Ermittlung der Sachziele des Mandanten erfolgen, so etwa Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 174. Der Begriff des Sachziels ist jedoch genauer zu untersuchen. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4, trifft im Anschluss an Macneil, Southern California Law Review 48 (1975), 627, 639 f. (Fn. 11 bei Rehbinder) eine Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung bei der Vertragsgestaltung. Die Erfüllungsplanung diene der Verwirklichung der Sachziele der Parteien, die Risikoplanung der Begrenzung des Risikos von Verlusten (Kosten) bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung. Kritisch zu dieser Differenzierung Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 262, die zudem auf eine mangelnde eindeutige Definition hinweisen. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 5, räumt selbst ein, wiederum unter Hinweis auf Macneil, Southern California Law Review 48 (1975), 627, 640 f., Fn. 12 bei Rehbinder, eine scharfe Trennung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung sei nicht möglich. Innerhalb des methodischen Vorgehens des Anwalts muss dieser sowohl bezüglich einer etwaigen Erfüllungs- wie auch bezüglich einer etwaigen Risikoplanung (zunächst) die Interessen des Mandanten ermitteln, siehe dazu Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 267. Auch Risikovermeidung kann ein Mandantenziel sein, Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4. Es ist daher vorteilhafter, in Bezug auf das anwaltliche Pflichtenprogramm und auf die Weite möglicher Mandantenwünsche von „zu beachtenden Interessen“ zu sprechen. Allgemein dazu, dass der Anwalt in der Vertragsgestaltung grundsätzlich die Ziele und Interessen des Mandanten zu beachten hat, Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 227, u. a. unter Verweis (Fn. 259) auf Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 11; Vorbrugg, AnwBl 1996, 251, 253. 248 Ggf. nach einer entsprechenden Aufklärung; diese ist dann ein Beitrag zur Willensbildung des Mandanten, dazu Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 144.
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lenkung249. Eine solche Willenslenkung kann ebenfalls darin bestehen, den Mandanten vorschnell in ein „vertyptes“ Vertragsmuster zu drängen und die (aufklärenden) Fragen einseitig danach auszurichten. In den aufgezeigten Situationen kann man die Pflicht des Anwalts auch als „Interessenermittlungspflicht“ bezeichnen. (2) Umgang mit verborgenen Interessen Problematischer gestaltet sich die Interessenermittlung, wenn diese „verborgen“ sind, z. B. wenn den Zielen bestimmte Kausalitäten oder bestimmte Wertvorstellungen (als Interessen) zugrunde liegen, die der Mandant ebenfalls berücksichtigt wissen will. Selbst wenn der Anwalt die Ziele (Interessen) ermittelt, die im Vertrag (unmittelbar) umgesetzt werden sollen, muss damit nicht immer zugleich die Aufdeckung solcher „verborgener“ Interessen verbunden sein. Beispiel: Der Mandant möchte seine Kinder in bestimmter Art und Weise im Falle seines Todes250 bedacht wissen. Der Sohn soll das Unternehmen erhalten, die Tochter bestimmten Grundbesitz. Hier sind die Wünsche (Interessen) bereits deutlich formuliert. Hinter diesen formulierten Wüschen können jedoch auch „verborgene“ Interessen etwa in Form von Kausalfaktoren stecken. So kann die „Causa“ für die geplante Verteilung sein, dass der Sohn über eine betriebswirtschaftliche Ausbildung verfügt, der Vater somit wünscht, das Unternehmen in fähige Hände zu übergeben.
Sollte der Mandant bereits über feste Vorstellungen verfügen, wird er ohnehin häufig die Gründe dafür mitteilen. Sollte er dies nicht tun, wird vom Anwalt in der Regel nicht zu erwarten sein nachzuforschen, warum der Mandant ein bestimmtes Ziel verfolgt. Er hat als Interessenvertreter den Willen des Mandanten zu ermitteln, muss den bereits formulierten aber grundsätzlich nicht hinterfragen. Etwas anderes gilt, wenn die „Causa“ für die Frage, was geregelt werden soll, unentbehrlich ist. Beispiel: Der Mandant wünscht, dass eines seiner Kinder nach seinem Tod nichts erhalten soll.
Hier lässt sich der Wunsch, das Ziel des Mandanten rechtlich nicht realisieren, wenn die Causa nicht aufgedeckt wird.251 Die Causa kann hier etwa darin bestehen, dass das betreffende Kind den Vater jahrelang in erheblichem Umfang betrogen hat. 249
Siehe auch Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 144, zum Einfluss des Vertragsjuristen, durch die Beratung auf die Willensbildung lenkend Einfluss nehmen zu können, und der damit einhergehenden Verantwortung. 250 Auch wenn es im Beispiel nicht um Vertragsgestaltung im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr um ggf. (einseitige) Rechtsgestaltung im Bereich des Erbrechts geht, verdeutlicht das Beispiel doch die aufzuzeigende Problematik. 251 Siehe nochmals zum Wechselspiel zwischen rechtlicher Prüfung und Sachverhaltsermittlung, allerdings für die Aufklärung des Sachverhalts durch den erstinstanzlichen Anwalt, Gaier/Wolf/Göcken/Schultz, Anwaltliches Berufsrecht, Zivilrechtliche Anwaltshaftung, Rn. 175.
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Die Offenlegung der Causa ist notwendig, weil nur so geklärt werden kann, ob z. B. eine Entziehung des Pflichtteils (§ 2333 BGB) möglich ist. Der Anwalt wird deshalb aufgrund seines anwaltlichen Pflichtenprogramms252 gefordert sein, ggf. die Causa zu erfragen. Im Beispielsfall kann daher die Erforschung der Gründe auch losgelöst vom Interessenbegriff, der sich ja auch auf eben diese erstreckt, als notwendige Sachverhaltsaufklärung für die rechtliche Beratung bezeichnet werden. Sollte der Mandant somit nicht ohnehin seine Beweggründe als zu berücksichtigende Interessen offenlegen, muss der Anwalt sie dann, aber auch nur dann, eigenständig ermitteln, wenn dies im Rahmen der rechtlichen Überprüfung (sonstiger) Interessen angezeigt ist. (3) Zugrundelegung typischer Umstände Die Problematik der vom Anwalt geforderten Aufklärungsarbeit und der Weite möglicher Mandanteninteressen zeigt sich noch in einer weiteren Situation. Der Mandant wünscht beispielsweise bestimmte vertragliche Regelungen, weil er konkrete für ihn verbindliche Glaubensgrundsätze umgesetzt wissen möchte. Diese sind für ihn die maßgeblichen Wertmaßstäbe. Letztere deckt der Mandant gegenüber dem Anwalt jedoch nicht auf. Als es später zur gerichtlichen Kontrolle des Vertrags kommt, scheitert seine Wirksamkeit daran, dass die Verfolgung der Wertmaßstäbe, die im Prozess aufgedeckt werden, zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB führt. Nicht zuletzt aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten ist relevant, ob der Anwalt die Wertmaßstäbe nicht hätte erfragen müssen, um seinen Mandanten interessengerecht zu beraten.253 In einem solchen Fall „verborgener Interessen“ wird dem Anwalt bei mangelnder Erfragung derselben kein Vorwurf zu machen sein. Der Anwalt muss die Interessen zwar grundsätzlich klären, er muss aber nicht inquisitorisch alles, was (theoretisch), gerade auf Wertungsebene oder in ethischer Hinsicht, denkbar ist, abklären. Sofern keine gegenteiligen Hinweise vorliegen, kann der Anwalt vielmehr davon ausgehen, dass insoweit die „typischen“, das heißt die gesellschaftlich und gesetzlich akzeptierten Vorstellungen zugrunde gelegt werden können. Die zuletzt angestellte Überlegung lässt sich ebenfalls auf andere „soziale“ Umstände übertragen. Sollten wiederum keine gegenteiligen Hinweise vorliegen, darf der Anwalt von den „üblichen“ Umständen und Gepflogenheiten ausgehen. Ohnehin ist für den rechtlichen Pflichtenkatalog des Anwalts zu berücksichtigen: Die Sachverhaltsermittlung des Anwalts erfolgt grundsätzlich unter Ausrichtung auf den zu erstellenden juristischen Vertrag. Hierbei können und müssen zwar auch
252
Die vertraglich geschuldete Umsetzung des Mandantenziels. Es hätte dann ggf. ein Hinweis erfolgen müssen, einen solchen Vertrag nicht (rechtswirksam) abschließen zu können oder nach anderen vertraglichen Regelungen zu suchen. 253
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soziale Umstände einfließen.254 Liegen die Ziele des Mandanten allerdings im rein außerjuristischen Bereich, das heißt der juristische Vertrag kann kein (sicheres) Mittel zu ihrer Umsetzung sein,255 muss der Anwalt sie nicht erfragen, bzw. nach ihnen forschen. Es ist dann ohnehin klärungsbedürftig, ob diese Ziele überhaupt zu seinem (anwaltsvertraglichen) Tätigkeitsfeld gehören. (4) Zusammenfassung Insgesamt lässt sich bezüglich der anwaltlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung und der Notwendigkeit zur Feststellung der (verschiedenen) Mandanteninteressen Folgendes festhalten: Sofern der Mandant nicht schon bestimmte Vorgaben, insbesondere in Form von Positionen, macht, müssen seine Wünsche grundsätzlich vom Anwalt (noch) ermittelt werden. Das folgt schon daraus, dass die Vertragsgestaltung die Willensermittlung in Bezug auf den Mandanten in besonderer Art und Weise beinhaltet und der Mandant zur Willensbildung oftmals der rechtlichen Information bedarf.256 Die Ermittlungspflicht betrifft daher vor allem die Wünsche, die im Vertrag als Regelungspunkte unmittelbaren Niederschlag finden sollen. Interessen in Form von Kausalerwägungen sind jedenfalls dann aufklärungspflichtig, wenn sie für die rechtliche Beurteilung eine notwendige Sachverhaltsermittlung bedeuten. Sofern Kausalerwägungen diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sondern „lediglich im Verborgenen“ die subjektive Motivationslage des Mandanten widerspiegeln, ist es nicht Aufgabe des Anwalts, die Gründe des Mandanten zu hinterfragen. Ebenso wenig muss der Anwalt nach anderen „verborgenen“ Interessen, wie z. B. (abweichenden) Wertvorstellungen oder ethischen Einstellungen suchen, wenn dafür keine Hinweise vorliegen. Sollten die vorgenannten Interessen aber vorliegen und geäußert werden, muss der Anwalt sie beachten. Dies gilt auch für andere „soziale“ Begleitumstände. Die Ermittlung des die Interessen flankierenden tatsächlichen Sachverhalts gehört selbstverständlich zur Pflicht des Anwalts.
254 Siehe hierzu noch das Kapitel zur (rechts-)soziologischen Umschreibung des Vertrags (Teil 1 C., S. 113 ff.). 255 Es wäre also ein „Vertrag“ anzustreben, der nur nach soziologischen Maßstäben als Vertrag, als Vereinbarung anzusehen wäre. 256 Eine Orientierungshilfe kann dem Anwalt der § 17 Abs. 1 und 2 BeurkG sein, der allerdings, darauf sei nochmals hingewiesen, sich tatbestandlich nur an den Notar richtet.
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bb) Beratungspflicht Zum zentralen Pflichtenkreis des Anwalts gehört ferner die umfassende Beratung des Mandanten,257 sie ist damit ebenso vom Pflichtenprogramm des rechtsgestaltenden Juristen umfasst.258 Der Mandant sucht gerade deshalb den Fachmann auf, weil er von dessen Kenntnis profitieren will. Zuvor wurde schon die Notwendigkeit der rechtlichen Beratung für die Willensbildung des Mandanten innerhalb der Vertragsgestaltung angesprochen.259 Oftmals kristallisieren sich die Interessen erst nach entsprechender rechtlicher Beratung heraus. Vor diesem Hintergrund ist auch im Rahmen der Vertragsgestaltung das Ziel der Rechtsberatung zu sehen, wonach der Mandant eigenverantwortliche Entscheidungen für sein Mandat soll treffen können.260 Das betrifft nicht nur die Frage, ob er einen Vertrag schließen möchte,261 sondern vor allem, welche inhaltliche Gestaltung dieser haben soll. Abgesehen von der Willensbildung hat sich die Beratung selbstverständlich ebenso auf die vom Mandanten vorgegebenen Interessen jedweder Art zu erstrecken und sich darauf zu beziehen, ob und ggf. wie sie rechtlich realisiert werden können. Problematisch gestaltet sich die Bestimmung der Pflicht zur Belehrung und zur Beratung, wenn sie sich nicht nur, oder nicht wenigstens auch, auf rechtliche Aspekte erstreckt. Hinweise auf in einem solchen Kontext auftretende Schwierigkeiten finden sich u. a. im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Belangen262. Zur Abgrenzung der Problematik sei nochmals betont, dass damit nicht der Fall erfasst ist, in dem das (außerjuristische) wirtschaftliche Ziel juristisch vertragsgestalterisch umgesetzt werden soll, etwa die Regelung einer gesellschaftsrechtlichen Gewinnbeteiligung. Eine solche Tätigkeit macht gerade den Kern kautelarjuristischer Arbeit aus. Gemeint sind vielmehr die Fälle, in denen der Mandant mit bestimmten Wünschen an
257 BGH NJW 2019, 1151, Rn. 9; Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 714. Allerdings, so Jungk, AnwBl 2010, 436, 437, müsse die anwaltliche Beratung nur so weit gehen, wie der Mandant belehrungsbedürftig sei. 258 G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 325, knüpft dies daran an, den Mandanten über die rechtliche Tragweite einzelner Klauseln aufzuklären. Vollkommer/ Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 55, macht die Pflicht über die rechtliche Tragweite des Geschäfts als Pflicht aus, sieht sie als Ausprägung der allgemeinen Beratungs- und Belehrungspflicht. Siehe ferner zur Pflicht Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 193. Im Gegensatz zur Situation des Anwalts enthält § 17 Abs. 1 BeurkG für den Notar eine ausdrückliche Regelung. 259 Zur Beratung als Form der Mitwirkung an der Willensbildung, während die Belehrung die Information über die rechtliche Tragweite einer bestimmten Gestaltung betreffe, Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 133; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 193. 260 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 716. Siehe auch BGH NJW 2007, 2485, 2486. 261 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 716. 262 Dies gilt aber selbstverständlich auch für andere außerjuristische Bereiche.
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den Anwalt herantritt und deren Realisierung (weitere) wirtschaftliche263 Gefahren mit sich bringt. Beispiel: Der Mandant wünscht, nach entsprechender rechtlicher Beratung, eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung seines Unternehmens. Es kann aber durchaus fraglich sein, ob aus unternehmerischer Sicht dieser Schritt gewinnfördernd ist.
Namentlich in der Rechtsprechung fanden sich Ansätze, dem Anwalt die Pflicht aufzuerlegen, den Mandanten auch über etwaige konkrete wirtschaftliche Gefahren der von ihm beabsichtigten Vorgehensweise und die erforderlichen Vorsichtsmaßregeln aufzuklären.264 In jüngerer Zeit wird aber – auch von der Rechtsprechung – betont, es sei nicht die Aufgabe eines Rechtsanwalts, dem Mandanten grundlegende Entscheidung in dessen wirtschaftlichen Angelegenheiten abzunehmen.265 Ein weites Verständnis würde dazu führen, dass die Belehrungspflicht letztlich auf außerjuristische Bereiche erstreckt wird, um deren Umsetzung der Anwalt in engeren Sinn gar nicht eingeschaltet worden ist. Dem Anwalt würde eine Pflicht auferlegt, „ausstrahlenden Gefahren“ des rechtlichen Tuns auf wirtschaftliche Belange vorzubeugen. Der Anwalt wäre kraft seines Anwaltsvertrags verpflichtet, die Interessen des Mandanten nach jeder Richtung umfassend wahrzunehmen.266 Interessenwahrnehmung würde somit in der Weise verstanden, dass nicht nur vor Gefahren im Rahmen der rechtlichen Umsetzung außerjuristischer Ziele gewarnt werden muss, sondern auch vor solchen, die darüber hinausgehen. Die Mandanteninteressen wären danach nur gewahrt, wenn in die Willensbildung des Mandanten nicht nur rechtliche Aspekte einfließen, sondern auch außerjuristische, hier somit wirtschaftliche Aspekte. Nun mag das Erkennen wirtschaftlicher Gefahren für den Anwalt oftmals möglich sein und dies ohnehin in seine Beratung eingehen. Gleichwohl ist eine so geschlagene Bresche in den außerjuristischen Bereich, der nicht im eigentlichen Sinne Bestandteil des Anwaltsvertrags ist, problematisch. Müsste der Anwalt dann nicht ggf. auch über 263
Oder andere „soziale“ Gefahren. So etwa BGH NJW 1998, 900, 901, allerdings nicht zu rechtsgestaltender Anwaltstätigkeit; BGH NJW 1996, 2648, 2650, im Kontext mit einer Vertragsgestaltung; zustimmend Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 55 (wirtschaftliche Tragweite), dort auch abgrenzend zur Notarstätigkeit; differenzierend Fahrendorf, NJW 2006, 1911, 1914. Wirtschaftliches Denken mit Blick auf Kosten und Praktikabilität spricht Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 57, an. Zurückhaltend mit Blick auf wirtschaftliches Denken etwa Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9; er führt, wohl eher in tatsächlicher Hinsicht, auf, bei der Gestaltung von Wirtschaftsverträgen beschränke sich die Tätigkeit der Juristen in der Regel darauf, die Rechtsbeständigkeit der Vereinbarung abzusichern. Juristen sicherten bei ihrer Ausgestaltung, in Umsetzung der Vorgaben des Managements, rechts-, das heißt gerichtsbeständige Verträge ab. Die Frage nach den Auswirkungen der vertraglichen Bestimmungen auf den Erfolg der Transaktion liege traditionell außerhalb ihres Blickfeldes. 265 BGH BRAK-Mitt 2012, 262 f., dort unter Festhalten an BGH WM 2008, 946, Rn. 6; siehe auch OLG Saarbrücken ZRI 2023, 212, 217, wonach der Anwalt kein Wirtschaftsberater sei. 266 BGH NJW 1998, 900, 901. 264
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andere „außerjuristische Gefahren“ im gleichen Maß aufklären? Müsste er etwa darauf hinweisen, dass eine bestimmte ehevertragliche Regelung beziehungsbelastend sein kann? Oder müsste er darauf hinweisen, dass eine bestimmte erbvertragliche Regelung nach dem Erbfall zu innerfamiliären Spannungen führen kann? Die Beispiele verdeutlichen bereits, dass eine solche ins Außerjuristische zielende Aufklärungspflicht nicht zu leisten ist.267 Sie ist ebenso wenig zu leisten wie die oben beschriebene Erforschung „verborgener“ Interessen. Der außerjuristische Bereich ist so umfassend, dass nicht jede mögliche Konsequenz, sei sie auch konkret, aufgezeigt werden könnte. Das kann und darf auch nicht Aufgabe des juristischen Fachmanns sein. Konsequenterweise sollte folglich etwa die Pflicht, vor wirtschaftlichen Gefahren warnen zu müssen, zurückhaltend gehandhabt werden.268 cc) Spezielle Pflichten innerhalb der kautelarjuristischen Tätigkeit Die kautelarjuristische Tätigkeit, deren Bestandteil (auch) die Erstellung eines Vertragswerks ist,269 bringt ferner eigene anwaltliche Pflichten mit sich, die für diesen Arbeitsbereich bezeichnend sind. Auch sie gilt es, unter dem besonderen Blickwinkel des Interessenverständnisses näher zu beleuchten. (1) Vollständige Wiedergabe des Mandantenwillens im Vertrag Macht die Willens- und damit die Interessenermittlung bereits einen wesentlichen Teil kautelarjuristischer Sachverhaltsfeststellung aus, so gehört es in einem nächsten Schritt zur anwaltlichen Pflicht, den Willen im (in der Regel schriftlichen) Vertrag vollständig und richtig zum Ausdruck zu bringen270. Bei der Weite des oben aus267
Überspitzt könnte man auch formulieren, der Anwalt „könne nicht der Sozialarbeiter seines Mandanten sein.“ Jenseits einer Aufklärungspflicht wirft Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11, gerade für Wirtschaftsverträge (Projektverträge) die Frage nach den Prämissen der Vertragsgestaltung und ihrer Herausforderungen auf. Interessanterweise stellt er gerade auch heraus (S. 9), Ökonomie und Rechtssoziologie sähen den Vertrag aus einer anderen Perspektive als eine (rein) juristische Herangehensweise. 268 In dem Sinn auch G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 321. Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, fasst unter die Ermittlung des Willens auch die Feststellung der Interessenlage und die Aufklärung des Mandanten darüber, das heißt auch die Belehrung und Beratung. Hierbei legt er ein weiteres Verständnis der Interessenlage zugrunde als ein solches „begrenzt“ auf die „lebensweltlichen“ Wünsche, ebenda. Nicht klar ist, ob Schmittat damit auch die Ermittlung und vor allem Belehrung im Hinblick auf jedwede außerjuristischen Strömungen meint. Jungk, AnwBl 2010, 436, 437, führt aus, es sei allein der Mandant, der die Entscheidung zu treffen habe. Die anwaltliche Tätigkeit diene nur dazu, diese Entscheidung mittels Erörterung der rechtlichen Probleme vorzubereiten. Zur Haftung käme es bei einem juristischen Bezug der rechtlichen Beratung mit der wirtschaftlichen Entscheidung des Mandanten kommen. 269 Es liegt dann ein Vertrag nach § 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 BGB bzw. § 631 BGB vor. 270 BGH VersR 1960, 546, 548; VersR 1960, 932, 933; G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 326; siehe auch Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 55 (klare und unzweideutige Widergabe). Orientierungshilfe
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geführten Interessenverständnisses in Bezug auf den Mandanten steht der Anwalt folglich vor der schwierigen Aufgabe, jeden willensgetragenen Wunsch, den der Mandant durch den Vertrag umgesetzt sehen möchte, korrekt (schriftlich) niederzulegen.271 Das betrifft somit sowohl die Wünsche, die sich auf die Veränderung der Lebenswirklichkeit beziehen, ebenso wie auf die Interessen, die mögliche Motive (Kausalbeziehungen) oder Wertvorstellungen betreffen. Gerade hinsichtlich der beiden zuletzt genannten Aspekte kann sich allerdings im Einzelfall die Schwierigkeit stellen, ob insoweit eine schriftliche Fixierung überhaupt notwendig oder gar möglich ist. Die schriftliche Wiedergabe betrifft (in erster Linie) die juristische Umsetzung der subjektiven Mandanteninteressen. Aus diesem Grund soll der Fachmann tätig werden. Die insoweit vom Vertragsgestalter geforderte „Übersetzungstätigkeit“ ist schwierig. Denn die Formulierungen sind so zu treffen, dass sie bei einer Kontrolle durch eine Drittinstanz, namentlich durch den Richter, im Ernstfall auch so verstanden werden, wie der Mandant seinen in juristische Form gegossene Willen umgesetzt sehen wollte. (a) Auswirkung auf das Rechtsverständnis des Anwalts Mit dieser Forderung wird letztlich der Blick schon auf einen Bereich gerichtet, dem immer wieder Aufmerksamkeit zukommen muss: dem Rechtsverständnis des Anwalts. Es hat sich maßgeblich danach auszurichten, wie die Kontrollinstanz durch den Richter (prognostisch) entscheiden wird.272 Der anwaltliche Blick richtet sich auf den Konflikt, der entsteht, wenn die vertraglichen Vereinbarungen nicht eingehalten, also enttäuscht werden. Der Konflikt wird dann ggf. vor der Drittinstanz „Richter“ ausgetragen. Ein von dieser möglichen Konfliktaustragung geleitetes Rechtsverständnis ist auch bei der Abfassung des (juristischen) Vertrags grundsätzlich maßgeblich. Wenn der Anwalt vor der Aufgabe steht, einen klaren Wortlaut zu wählen, um möglichst kann erneut § 17 Abs. 1 und 2 BeurkG leisten, der sich, das sei wiederum betont, tatbestandlich nur an den Notar richtet. 271 Eine ausdrückliche Aufnahme in den Vertragstext ist jedoch nicht immer zwingend erforderlich, so z. B., wenn die „entlastende Wirkung“ des dispositiven Rechts zum Tragen kommt. Allerdings muss im Einzelfall abgewogen werden, ob bestimmte gesetzliche Aussagen nicht deklaratorisch in den Vertrag aufgenommen werden sollten, bzw. dies zu unterlassen ist, um „keine schlafenden Hunde zu wecken“. 272 Dazu erneut das Zitat von O. W. Holmes „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“ [Harvard Law Review 10 (1897), 457, 461]. Siehe auch Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 202 ff. Eine deutliche Kritik einer (deutschen) Methodenlehre, die den Vertrag primär vor dem Hintergrund staatlicher Regelungsmacht sehe und durch die richterliche Perspektive geprägt sei, übt Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11. Man befasse sich nur mit rechtlich relevanten Problemen. Eine darüberhinausgehende Effizienz des Vertrages finde nur vereinzelt, unsystematisch und am Rande Beachtung, insbesondere die koordinatorische Funktion des Vertrages werde allenfalls von Rehbinder aufgegriffen.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
jedes Auslegungsrisiko zu vermeiden,273 so ist dies letztlich nichts anderes als (auch) die Maßgabe, der Kontrollinstanz bei der Beurteilung des abgefassten Vertragstextes keinen Auslegungsspielraum zu lassen, was mit dem Vertrag beabsichtigt war. Auf diese Weise soll die Kontrollinstanz „gezwungen“ werden, möglichst den Wortlaut in seiner „Klarheit“ als maßgeblich für die Rechtsbeurteilung zugrunde zu legen, ohne den Weg über §§ 133, 157 BGB in anderer Weise als der gewollten beschreiten zu können. Denn auch wenn etwa § 133 BGB auf den Willen des Vertragsschließenden abstellt, eröffnet er dem Richter doch ggf. einen Spielraum; zumindest ist die Einschätzung, ob der Richter im Wege der Auslegung wirklich den tatsächlichen Willen des Mandanten ermittelt, mit Unsicherheiten behaftet.274 Anders kann der Fall liegen, wenn der zu beurteilende Vertrag entsprechend eindeutig formuliert ist. Der Anwalt darf allerdings seinen Überlegungen die Prämisse zugrunde legen, der später möglicherweise den Vertrag kontrollierende Richter werde sich an Recht und Gesetz halten.275 Deshalb ist der zuvor mit Hinweis auf §§ 133, 157 BGB dem Richter eingeräumte Spielraum ein eingeschränkter. Auslegungsergebnisse muss der Richter anhand gesetzlicher und rechtlicher Regeln276 finden und begründen277. Methodologisch bedeutet das, bezogen auf die eindeutig zu wählenden Formulierungen, dass der Anwalt oftmals eine begrifflich geprägte Vertragsabfassung wählen wird, sofern auf diese Art und Weise der Mandantenwille entsprechenden Ausdruck finden kann. Die Auslegung des Richters hat gerade beim Wortlaut der Erklärung278 anzusetzen, vergleichbar der grammatikalischen Gesetzesauslegung. 273 BGH NJW 2002, 1048, 1049; BGH NJW 1996, 2648, 2650; siehe auch BVerfG NJW 2002, 2937, 2938; G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 326, dort auch dazu, dass dies der Gang des sichersten Weges ist. Zur unklaren Vertragsgestaltung als Pflichtverletzung siehe BGH BeckRS 2018, 30860, Rn. 6. 274 Siehe zu § 133 BGB und die zu vermeidenden Unsicherheiten BGH NJW 1996, 2648, 2650. 275 Dazu, dass Gerechtigkeit Ziel richterlicher Entscheidung ist, Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung, S. 12. Zwar gibt es keine verbindliche bzw. einheitliche Antwort darauf, was „Gerechtigkeit“ ist, Raisch, ebenda, unter Hinweis auf unterschiedliche Gerechtigkeitstheorien. Es ist aber jedenfalls die Aufgabe des Gerichts, „die Berechenbarkeit des Rechts und der Verfahrensergebnisse in einem mit dem Rechtsbegriff verträglichen und mit professionellen Methoden praktisch erreichbaren Maße zu gewährleisten“, so Brandner, DRiZ, 1987, 359, 360; dort auch zur Berechenbarkeit als Bestandteil der Rechtssicherheit. 276 Zur Pflicht des Richters, seine Entscheidung auf eine rationale Argumentation zu stützen BVerfG NJW 1973, 1221, 1225. 277 Zur Pflicht zur Entscheidungsbegründung nach § 313 ZPO sowie zur verfassungsrechtlichen Begründungspflicht Gottwald, ZZP 98 (1985), 113, 114 f. Zur Transparenz der Rechtsfindung in Form einer begründeten Entscheidung auch Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung, S. 19. 278 Zum Ansatz beim Wortlaut der Erklärung trotz des in § 133 BGB festgehaltenen Verbots der Buchstabeninterpretation Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 133, Rn. 14, unter Hinweis u. a. auf BGHZ 121, 13, 16; BGH NJW 2001, 144; 2535; BGH NJW-RR 2007, 976; BGH WM 2010, 986, Tz. 33. Ebenfalls dazu, dass das grammatische Element am Anfang der Auslegung
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Der Anwalt muss jedoch methodologisch ebenso jenseits einer begrifflich engen Formulierung versuchen, den Richter zum „gewünschten“ Ergebnis zu „zwingen“. Es ist illusorisch, Verträge stets begrifflich so abfassen zu können, dass weitere Auslegungsverfahren279 nicht zur Anwendung gelangen. Auch bezüglich der anderen Auslegungsarten muss der Anwalt somit bewusst steuernd tätig werden. Solche Regeln können vor allem systematischer und teleologischer Art sein, denkbar sind ebenfalls historische. So sind die einzelnen Vertragsklauseln nicht nur für sich allein zu lesen und ggf. auszulegen, sondern immer auch im Zusammenhang des Gesamtvertrags (systematische Auslegung).280 Der Anwalt kann/muss beispielsweise durch die Gestaltung des Vertrags, so mittels der inhaltlichen Fassung einzelner Klauseln wie auch deren Anordnung im Gesamtvertrag, eine Systematik schaffen, die bei der Auslegung zu berücksichtigen ist.281 Das Gesamtgefüge muss stimmig bezüglich des umzusetzenden Willens des Mandanten sein. Aus dem Grund hat auch in jedem Fall nach der Abfassung des Gesamtvertrags seitens des Anwalts eine abschließende Kontrolle gerade auf Stimmigkeit und Widerspruchsfreiheit zu erfolgen. Umstände, die gleichsam im Wege einer „historischen Auslegung“, einer Auslegung aufgrund der Entstehungsgeschichte282 Berücksichtigung finden können, müssen ebenfalls in die anwaltlichen Überlegungen Einlass finden. Um zu erreichen, dass der Richter bestimmte Entstehungsgründe als maßgeblich ansieht, ist entsprechende gestalterische Vorsorge zu treffen. Hier bietet sich im Besonderen die Aufnahme einer Präambel283 in den Vertrag an, aus der die für den konkreten Vertrag maßgeblichen Gründe hervorgehen.284 Die Präambel ist ebenfalls das Gestaltungsmittel, um in Bezug auf eine weitere Auslegungsmethode steuernd tätig werden zu können. In der Präambel können außerdem die (wesentlichen) Interessen der Vertragsparteien festgehalten werden, um so den mit dem Vertrag verfolgten Zweck steht, Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, § 16, Rn. 2, wobei bei Verträgen, gerade wenn keine Dritten involviert sind, auch ein abweichender Sprachgebrauch bedeutsam ist (Rn. 9). 279 Hier kommt u. a. das zuvor genannte Argument zum Tragen, dass gerade in Verträgen ein abweichender Sprachgebrauch vorkommt. 280 Siehe Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 133, Rn. 14, unter Hinweis auf BGH NJW 1957, 873. Ellenberger, a. a. O., weist darauf hin, als Hilfsmittel könnten die Argumentationsformen herangezogen werden, die bei der Gesetzesauslegung verwendet werden, wie Analogie, Umkehrschluss und teleologische Reduktion. 281 Dazu Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, § 18, Rn. 7. 282 Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 133, Rn. 16; Anhaltpunkte können danach u. a. die Abwicklung früherer Geschäfte oder die Vorverhandlungen der Beteiligten sein; siehe auch Sosnitza, JA 2000, 708, 715. 283 Zur Bedeutung der Präambel im Zusammenhang mit der Auslegung Pilger, BB 2000, 368, 368 f.; dort, S. 369, u. a. zur Aufdeckung von Zweck und Motiven in der Präambel und ihrer Nutzbarmachung innerhalb der Auslegung. 284 Möglich sind innerhalb der historischen Auslegung des Vertrags z. B. auch Personalbeweise, Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, § 17, Rn. 7.
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aufzudecken.285 Auf diese Art und Weise kann lenkend in den Prozess der „teleologischen“ Auslegung bzw. einer Auslegung nach der Interessenlage286 eingegriffen werden. Die Abfassung eines Vertrags unter Vermeidung eines für den Mandanten nachteiligen Auslegungsrisikos stellt den Anwalt somit vor besondere Herausforderungen. Abgesehen davon, dass unterschiedliche Auslegungsmethoden287 eingreifen können, kann sich auch die Ausgestaltung des Vertrags diesbezüglich im Einzelfall288 schwierig werden. Der Anwalt bleibt aber verpflichtet, einen Vertrag zu entwerfen, der trotz, oder gerade aufgrund, etwaig vorzunehmender Auslegungsarbeit durch das Gericht den Willen seines Mandanten korrekt wiedergibt; Auslegungsrisiken sind zu minimieren. Dies kann durch den oben aufgezeigten „Zwang“ des Richters „in die Methode“ gelingen. Der Anwalt muss nach der Fertigstellung des Vertrags anhand der einschlägigen Auslegungsmethoden überprüfen, ob der Richter rechtsfehlerfrei (möglichst)289 zum gewünschten Ergebnis kommen kann. Sollte der Richter aufgrund dessen zu demselben Ergebnis gelangen, hat der Anwalt seine Aufgabe aus dem Anwaltsvertrag erfüllt. Sollte der Richter eine (nicht gewünschte) Auslegung vornehmen, kann ggf. eine Überprüfung dahingehend erfolgen, ob die entsprechende Auslegungsarbeit fehlerfrei war, das heißt, ob der Richter einerseits geltende Regeln beachtet, andererseits sie auch korrekt angewendet hat. (b) Schaffung eines wirksamen Vertrags Müssen der Wille des Mandanten und damit seine Interessen bereits eindeutig wiedergegeben werden, muss der Wille aber erst recht in der Weise abgefasst werden, dass er juristisch wirksam ist290. Zum Aufgabenfeld des Anwalts gehört ganz zentral 285
Siehe dazu Pilger, BB 2000, 368, 369. Vgl. auch die Ausführungen bei Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 167 f. 286 Dazu mit zahlreichen Hinweisen Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 133, Rn. 18. 287 Die zuvor aufgelisteten Auslegungsmethoden sind nicht als abschließend zu begreifen. Auch andere Methoden müssen, jedenfalls wenn auch die Rechtsprechung auf sie zugreift, entsprechende Berücksichtigung in den anwaltlichen Überlegungen finden. Sollten bei einer bestimmten Vertragsgestaltung ggf. gesetzliche Auslegungsregeln, z. B. § 328 Abs. 2 BGB, greifen, so muss der Anwalt prüfen, ob diese zur Anwendung kommen sollen, oder bewusst durch vertragliche Regelungen ein anderes Ergebnis herbeigeführt werden soll. 288 Auch insoweit sind die vorherigen Ausführungen nur als Beispiele zu begreifen. 289 Eine 100 %ige Prognose wird kaum möglich sein. 290 Zur Pflicht, einen wirksamen Entwurf zu fertigen bzw. auf Bedenken bezüglich der Wirksamkeit hinzuweisen, BGH VersR 1956, 451; zur Hinweispflicht bezüglich der Nichtigkeit eines Vertrags; zu Wirksamkeitsaspekten auch Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 12, Rn. 56; siehe ferner G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 327. Siehe auch BGH NJW-RR 1993, 243, 245, zur mangelnden Aufklärung hinsichtlich der Widerrufbarkeit eines Vertrags. Für den Notar folgt die Pflicht wiederum aus § 17 Abs. 2 BeurkG. Gleichwohl kann sich der Anwalt vor dem Problem sehen, auf einen Mandantenwunsch hin auch einen juristisch nicht wirksamen Vertrag entwerfen zu sollen.
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die Rechtsprüfung.291 Floss dieser Aspekt bereits bei der Beratung des Mandanten auf dem Weg zur Willensbildung ein, so manifestiert er sich innerhalb der Vertragsgestaltung im Weiteren bei dem Entwurf des Vertrags(textes). Letzterer muss den vom Mandanten erstrebten Erfolg gewährleisten, seine Interessen umsetzen. Das bedeutet in den meisten Fällen, dass die Rechtsprüfung des Anwalts sich darauf erstreckt, wie der Wille des Mandanten so weit als möglich rechtlich einwandfrei in einem Vertrag umgesetzt werden kann. So erfolgt u. a. eine Orientierung an der Rechtsanwendung durch die Rechtsprechung.292 (c) Fehlende juristische Umsetzung/Umsetzbarkeit Vorstellbar ist es allerdings, dass eine rechtliche Umsetzung der Mandanteninteressen (juristisch) nicht erreichbar ist. Das betrifft u. a. Fälle, in denen eine rechtwirksame Vereinbarung grundsätzlich, z. B. wegen (gewünschter!) Nichteinhaltung der gesetzlichen Formvorschriften, nicht möglich ist, etwa im Fall der Nichtbeachtung des Formerfordernisses für ein Schenkungsversprechen (§ 518 BGB: notarielle Beurkundung des Versprechens) mit der Nichtigkeitsfolge des § 125 BGB.293 Dann kann es gleichwohl im Einzelfall durchaus interessengerecht sein, einen Rat, ggf. einen Vertragsentwurf vorzuschlagen, der nicht rechtswirksam ist, eine entsprechende Aufklärung vorausgesetzt. Die Aufklärung ist im Besonderen angezeigt, weil schon (sicher) prognostisch vorweggenommen werden kann, dass ein solcher Vertrag einer richterlichen Kontrolle nicht standhalten wird. Denkbar sind weiterhin Regelungen, die den (rein) außerjuristischen Bereich betreffen, das heißt keiner juristischen Umsetzbarkeit unterliegen, weil sie nur den sozialen Bereich in der Art tangieren, dass sie juristischer Bestimmung nicht zugänglich sind. Beispiel: In den Schenkungsvertrag, den eine Mutter mit ihren Kindern abschließt, wird eine Präambel aufgenommen, wonach die Kinder stets respektvoll miteinander umzugehen haben.294
291
Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 710 ff. Kritisch wiederum in Bezug auf die (deutsche) Methodenlehre, die den Vertrag primär vor dem Hintergrund staatlicher Regelungsmacht sehe und durch die richterliche Perspektive geprägt sei, Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11. Ein Abrücken von einer solchen Sichtweise ist für den Anwalt allerdings aus Haftungsgesichtspunkten kaum möglich, außer der Mandant „entlässt“ ihn aus seiner Pflicht, einen rechtswirksamen Vertrag zu erstellen. 293 Dahinter kann der Wunsch des Mandanten stehen, dem Schenker kein Misstrauen entgegenbringen zu wollen, etwa im familiären Bereich. 294 Im Einzelfall wird jedoch zu überlegen sein, ob bestimmte Regelungen, gerade solche in einer Präambel, nicht als Auslegungshilfe des juristischen Vertrags fungieren oder auch Indizien für das Vorliegen bestimmter gesetzlicher Tatbestandsmerkmale liefern können. So kann, bezogen auf den Beispielsfall, die Frage des respektvollen Umgangs ggf. ein Indiz für groben Undank nach § 530 BGB sein. Zur Präambel und ihrer Bedeutung innerhalb einer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB Pilger, BB 2000, 368, 369. Vgl. auch die Ausführungen bei Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 167 f. 292
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Hier müssen jedenfalls der Hinweis und die Aufklärung erfolgen, dass mangels einer juristischen Kontrollierbarkeit auch keine Durchsetzbarkeit mit Hilfe des staatlichen Machtapparats möglich ist, die dazu führt, „respektvollen Umgang“ umzusetzen. Es ist im Übrigen auch vorstellbar, dass eine fehlende rechtliche Erzwingbarkeit für den Mandanten aus wirtschaftlichen Gründen eine untergeordnete Bedeutung hat, so etwa bei bestimmten Projektverträgen.295 Im Fokus kann dann u. a. ein stärkeres Bedürfnis nach der Eignung des Vertrags zur Steuerung der Transaktion stehen.296 Bezogen auf den obigen Topos der fehlenden juristischen Umsetzbarkeit ist allerdings mehreres zu beachten: Es ist ohne Zweifel möglich, dass der Mandant andere, z. B. ökonomische Aspekte, als vorrangig einstuft. Das folgt nicht zuletzt aus der Weite des zuvor entwickelten Interessenbegriffs und dem Wirkungsort des Rechts297. Einem solchen Ansinnen darf der Anwalt sich grundsätzlich auch nicht verschließen. Davon zu trennen sind jedoch seine Umsetzungspflichten und -möglichkeiten. Mitunter, schon aufgrund seiner (teilweise darauf beschränkten) Kompetenzen,298 wird der Anwalt299 nur bestimmte Rahmenbedingungen für das Projekt (z. B. Organisationsfragen) vertraglich regeln. Dann ist aber gleichwohl ein Bereich eröffnet, in dem juristische Umsetzbarkeit verlangt wird.300 Insofern ist die Situation hier anders gelagert als bei den eingangs genannten Beispielsfällen. Zudem kann der Anwalt, wenn Wege jenseits der juristischen (staatlichen) Erzwingbarkeit gesucht werden, u. U. vertragliche Gestaltungen aufzeigen/entwickeln müssen, die dazu einen Beitrag im Verfahrensweg leisten, ggf. Mediationsvereinbarungen301. Gerade wenn aber in diesem Bereich, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, von Mandantenseite ein untergeordnetes Interesse auf die juristische (staatliche) Erzwingbarkeit gelegt wird, ist der Anwalt besonders innerhalb der Aufklärung gefordert. Diese bezieht sich zum einen auf die Bereiche, die tatsächlich (nur) einer juristischen Regelung zugeführt werden sollen, zum anderen darauf, was der Anwalt gerade nicht regeln soll/kann. Damit geht auch zumeist die mangelnde Fähigkeit zur Prognose einher, ob der Vertrag die gewünschten (wirtschaftlichen) Ergebnisse
295 So Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9, allerdings ohne Bezugnahme auf das Verhältnis Anwalt – Mandant an der Stelle. 296 Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9. 297 Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9, betont u. a. die Stellung von Ökonomie und Rechtssoziologie. 298 Aus dem Grund werden bei Großprojekten neben Juristen Fachleute anderer Professionen hinzugezogen. 299 Zu beachten ist wiederum selbstverständlich der Anwaltsvertrag im Einzelfall. 300 Obwohl Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, für Projektverträge die juristischen Dimensionen in der Praxis als gering einschätzt, führt er aber u. a. das Bedürfnis des Managements nach interner Absicherung an. Das gilt auch, wenn mehr juristisch geregelt wird, also bloße Rahmenbedingungen. 301 Zu Mediationsklauseln in der Vertragsgestaltung Unberath, NJW 2011, 1320 ff.
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produzieren kann.302 Eine andere Problematik ist es, inwieweit hier bereits deutlich werdende Aspekte, wie der Einfluss von Beziehungen auf Verträge, ggf. doch juristisch aufgegriffen werden könnten. Diese Fragen sollen innerhalb der Diskussion um den „relational contract“ aufgegriffen werden.303 Sollte aber tatsächlich, wie eingangs dargestellt, ein „rechtsunwirksamer Vertrag“ vom Mandanten gewünscht werden, so ist problematisch, wie eine entsprechende Interessenumsetzung dann haftungsrechtlich für den Anwalt bei „Schlechtleistung“ zu bewerten ist, das heißt für den Fall, in dem der gewünschte Erfolg durch den rechtsunwirksamen Vertrag nicht eintritt. Grundsätzlich ist der Anwalt aufgrund des Anwaltsvertrags gehalten, die Wünsche des Mandanten zu realisieren, ggf. auch durch rechtsunwirksame Klauseln. Sofern eine hinreichende Aufklärung über die mangelnde Rechtswirksamkeit durch den Anwalt erfolgt ist, wird man diesen dann aber bei einem Nichteintritt eines bestimmten Erfolgs, insbesondere im rein sozialen Bereich, haftungsrechtlich nicht belangen können. Soll z. B. im Rahmen eines Schenkungsvertrags zwischen Großvater und Enkel das Schenkungsversprechen nicht notariell beurkundet werden, da der Enkel fürchtet, der Großvater könne das als Misstrauen auslegen, kann der Enkel den von ihm mandatierten Anwalt bei mangelndem „Vollzug“ der Schenkung durch den Großvater nicht belangen. Es ist hier vielmehr vom Mandanten bewusst ein Weg gewählt worden, der sich staatlicher Durchsetzbarkeit entzieht. Nur für einen Weg, der mit juristischen Mitteln beschritten werden soll, muss der Anwalt aber das notwendige Fachwissen und die notwendige Prognosefähigkeit haben. (2) Zweckmäßiger Vertrag Sofern beim Pflichtenkanon aus dem Anwaltsvertrag bezüglich der rechtsgestaltenden Tätigkeit auch auf die Notwendigkeit der Erstellung eines zweckmäßigen Vertrags verwiesen wird,304 dürfte diesem Aspekt innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung allerdings keine eigenständige Bedeutung zukommen. Denn dem „Zweck gemäß“ ist ein Vertragsentwurf nur dann, wenn er die Interessen des Mandanten (wirksam) umsetzt. Das ist aber ohnehin die Aufgabe des Interessen vertretenden Anwalts infolge seines Anwaltsvertrags.
302 Eine solche Prognose ist aufgrund eines „normalen“ Anwaltsvertrags auch nicht geschuldet. 303 Dazu ausführlich unter Teil 1 C. II. 6., S. 161 ff. Mit den relationalen Verträgen setzt sich auch Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10 ff. auseinander. 304 G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 327, unter Bezugnahme (Fn. 1265) auf BGH NJW 1993, 729, 730, zur Notarhaftung.
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dd) Wahl des sichersten Wegs und Weisungsgebundenheit Weitere anwaltliche Pflichten aufgrund des Vertrags mit dem Mandanten sind die Pflicht zur Wahl des sichersten Wegs305 und die Weisungsgebundenheit306. Diese Pflichten gelten im Bereich der kautelarjuristischen Tätigkeit ebenso wie innerhalb sonstiger anwaltlicher Aufgabenfelder, wobei sich auch hier wiederum Besonderheiten ergeben. (1) Wahl des sichersten Wegs Die Wahl des sichersten Wegs307 stellt grundsätzlich die Anforderung an den Anwalt,308 unter mehreren möglichen Alternativen, die zum vom Mandanten gewünschten Erfolg führen können, diejenige auszuwählen, die am sichersten ist.309 Nach Scharpf ist es für die Parteien grundsätzlich entscheidend, dass der Vertrag rechtsbeständig ist und dazu beiträgt, Streitigkeiten zu vermeiden, der Vertrag also „sicher“ ist.310 Vor allem das Postulat der Rechtsbeständigkeit kann innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung von besonderer Bedeutung sein. Besonderheiten folgen hier nicht zuletzt aus der Zukunftsorientierung.311 Wie bereits mehrfach angeführt, ist ein wesentliches Kennzeichen kautelarjuristischer Tätigkeit die damit verbundene prognostische Denkweise, die sich insbesondere auch danach ausrichtet, ob der Vertrag bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung Bestand haben wird.312 Die damit verbundenen Risiken,313 wie die der Prognose der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung oder sogar grundsätzlich der Rechtslage,314 machen das Beschreiten des „sichersten“ Wegs insoweit schwierig und erfordern besondere Auf305 BGH NJW 2013, 2965, Rn. Rn. 8; OLG Hamm NJW-RR 2017, 1267, Rn. 55; Kilian/ Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 719 m. w. N. (dort im Verbund mit der Pflicht zur Schadensverhütung); Vorbrugg, AnwBl 1996, 251, 256. 306 Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 704 ff. m. w. N. 307 Ausführlich dazu Schröder, Der sichere Weg bei der Vertragsgestaltung, 1990. 308 Dazu, dass im Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit der gestaltende Jurist eher dazu neige, der Rechtssicherheit Vorrang zu geben, weil auch die Beteiligten von ihm das „sichere“ Ergebnis erwarteten, Kanzleiter, NJW 1995, 905, 909 (Hervorhebung im Original). 309 Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, Rn. 73 ff., unterscheidet. Es müssten tatsächlich gleichwertige Alternativen sein. Oftmals seien aber „sicherere“ Wege mit Nachteilen, wie z. B. Kosten, verbunden. Diese Aspekte seien gegeneinander abzuwägen. Siehe auch Scharpf, JuS 2002, 878, 880 ff. 310 Scharpf, JuS 2002, 878, 880, Hervorhebung im Original. 311 So zu Recht u. a. Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 149. Zur Zukunftsorientierung auch Kanzleiter, NJW 1995, 905 ff.; Zawar, JuS 1992, 134, 134. 312 Siehe auch Ritterhaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 197 f. Diese Ausrichtung auf das „Prinzip des sichersten Weges“ innerhalb der deutschen Methodenlehre bei der Vertragsgestaltung wiederum kritisierend Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11. 313 Vgl. Ritterhaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 198 f. 314 Dazu Kanzleiter, NJW 1995, 905, 906, dort unter Hinweis u. a. auf BGHZ 96 129 und BGHZ 123, 281.
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klärungsarbeit. So muss in Abwägung gestellt werden, dass es im Recht oftmals nicht nur eine „richtige“ Beurteilung einer Frage gibt und demgemäß ebenfalls die Vorausschau auf das richterliche Handeln nicht eindeutig sein kann.315 Zur Erstellung eines rechtswirksamen Vertrags wird aus gestalterischer Sicht deshalb auch immer an die Aufnahme von salvatorischen Klauseln zu denken sein,316 die ein Anpassungsinstrumentarium gegen rechtliche Unsicherheit317 sind. Angesichts möglicher gerichtlicher Kontrolle eines Vertrags stellt das Postulat des sichersten Wegs mit Blick auf die Zukunft darüber hinaus weitere Anforderungen an die „Lenkung“ des Gerichts, die regelmäßig im Verbund mit einer (bestimmten) Rechtsanwendung stehen. So hat der Anwalt, auch das wurde schon zuvor deutlich, den Vertrag in einer solchen Art und Weise zu gestalten, dass Auslegungszweifel möglichst vermieden werden318 bzw. ein Auslegungsspielraum erst gar nicht eröffnet wird. Es geht nochmals um den „Zwang“ des Richters „in die Methode“ dergestalt, dass sein Ergebnis entweder dem gewollten entspricht, oder es aber ggf. wegen methodischer Fehler angreifbar ist. Allerdings dürfte, das sei an dieser Stelle zugegeben, eine sichere Prognose schwierig sein. Die Wahl eindeutiger vertraglicher Regelungen kann schließlich auch einen Beitrag zur Streitvermeidung zwischen den Parteien in der Form leisten, dass klare Verhaltensmaßstäbe geschaffen werden können. Ob dieses Ziel, jenseits der Forderung nach eindeutigen juristischen Vertragsklauseln, jedoch über das Postulat des sichersten Wegs zu den vertraglichen Anwaltspflichten gehört, ist fraglich. Denn das Ziel der Streitvermeidung zwischen den Parteien kann ggf. im Einzelfall besser über Regelungen mit geringerer Justiziabilität erreicht werden, etwa durch Kommunikationsklauseln. Hier ist aber die Erstellung einer Prognose der Erfolgstauglichkeit, gerade weil diese stärker von sozialen als von juristischen Abläufen abhängt, weitaus schwieriger und vom juristischen Fachmann aufgrund des Anwaltsvertrags auch nicht unter Hinweis auf den sichersten Weg zu verlangen. Vielmehr muss noch viel stärker eine Aufklärung des Mandanten in Bezug auf den Inhalt der Klausel und ihrer eingeschränkten rechtlichen Durchsetzbarkeit durch den Anwalt erfolgen. Dem Mandanten muss die letztendliche Wahl319 überlassen bleiben. Mit dem Hinweis auf den maßgeblichen Willen des Mandanten ist zudem für die Vertragsgestaltung schließlich der entscheidende Punkt auch im Zusammenhang mit dem Prinzip des 315 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 198; dort ebenfalls dazu, dass der Richter seine Rechtsauffassung aber methodisch korrekt begründen muss. 316 Siehe auch Scharpf, JuS 2002, 878, 880. 317 Ausführlich dazu Schröder, Der sicherere Weg bei der Vertragsgestaltung, S. 182 ff. Zum Anpassungsinstrumentarium gegen tatsächliche Unsicherheit Schröder, a. a. O., S. 265 ff. Insoweit wird auf die Leistungsbestimmung durch eine Partei oder einen Dritten sowie auf unterschiedliche Neuverhandlungsklauseln im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um Macneil (Teil 1 C. II. 6., S. 161 ff.) eingegangen werden. 318 Scharpf, JuS 2002, 878, 880. Eine unklare Vertragsgestaltung kann eine Verletzung der Pflichten des Anwaltsvertrags begründen, vgl. BGH BeckRS 2018, 30860, Rn. 6. 319 Dieses Recht hat der Mandant ohnehin, auch im juristischen Bereich.
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sichersten Wegs angesprochen. Die vom Mandanten verfolgten „Sachziele“ bzw. seine „zu realisierenden Interessen“320 bilden die oberste Richtschnur für das anwaltliche Handeln.321 Der für den Anwalt zu beschreitende Weg aufgrund seiner anwaltsvertraglichen Bindung wird durch die Wünsche des Mandanten bestimmt. Forderungen, wie etwa die Rechtssicherung, die gemeinhin innerhalb der Vertragsgestaltung zum sichersten Weg gehören, müssen ggf. dahinter zurückstehen.322 (2) Weisungsgebundenheit Ein weiterer Aspekt im Hinblick auf den sichersten Weg geht Hand in Hand mit einer anderen anwaltlichen Pflicht: seiner Weisungsgebundenheit in Bezug auf den Mandanten323. Gerade angesichts der Breite möglicher Interessen, die der Mandant durch den Vertrag umgesetzt sehen will, können sich hier Konfliktbereiche auftun. Grundsätzlich ergibt sich schon aus dem Anwaltsvertrag an sich, ob und welche Wünsche der Anwalt umsetzen soll und muss. Das wird durch das Weisungsrecht des Mandanten aber nochmals verstärkt. Dieser kann, das folgt bereits aus §§ 675 Abs. 1, 665 BGB, dem Anwalt bestimmte Weisungen im Hinblick auf die Mandatsbearbeitung erteilen.324 Ist eine solche Weisung nicht schon in der Bestimmung des Vertragsgegenstands enthalten, so kann der Mandant jedenfalls kraft seines Weisungsrechts z. B. die Umsetzung bestimmter Interessen fordern, auch wenn eine solche Umsetzung im Wege der Vertragsgestaltung unsicher sein kann. Ebenso kann der Mandant etwa eine Rangordnung seiner Interessen festlegen. Die Schwierigkeit, die sich dann mit Blick auf das Postulat des sichersten Wegs ergibt, ist, ob der Anwalt, um eine „sichere“ Vertragsgestaltung zu gewährleisten, möglicherweise die Interessen „umschichten“ darf. Das kann u. a. dergestalt geschehen, dass eine andere Interessengewichtung vorgenommen wird. Der Vertrag wird dann so gestaltet, dass das Interesse, welches sich „sicher“ umsetzen lässt, vor ein anderes gesetzt wird, auch wenn dieser Vorgang dem ursprünglichen Mandantenwunsch nicht (mehr) entspricht. 320
Zur Begrifflichkeit des Sachziels wiederum u. a. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4 ff.; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 223 ff. Die zuvor bereits angesprochene Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung kann für den Anwalt bezüglich der vom Mandanten gewünschten Gewichtung seiner Interessen von Bedeutung sein, so dahingehend, ob der Mandant die Erfüllung bestimmter Ziele auch unter Inkaufnahme etwaiger Risiken will. 321 So Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 179 ff., dort unter Hinweis auf BGH NJW 1991, 2079 f. 322 Dazu Scharpf, JuS 2002, 878, 880. 323 Ausführlich dazu etwa Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 22. 324 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 8, Rn. 2 und 4; § 22, Rn. 143; Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 704 m. w. N. Eine Grenze wird erreicht, wenn „Unerlaubtes, Unredliches oder rechtlich Unzulässiges, Aussichtloses verlangt wird (…) oder nach § 665 BGB ein Recht zur Abweichung gegeben ist (…).“ So Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 22, Rn. 143.
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Die Lösung dieses Problems muss allerdings eindeutig dahin gehen, ein solches Vorgehen abzulehnen. Es ist letztlich allein die Sache des Mandanten zu entscheiden, welche Gewichtung er seinen Interessen gibt, selbstverständlich nach entsprechender Aufklärung um die rechtlichen Möglichkeiten und der damit einhergehenden Fragen der Durchsetzbarkeit sowie der Risiken.325 Das muss auch gerade vor dem Hintergrund gelten, dass er mit einem bestimmten Wunsch ggf. Gefahr laufen kann, bei einer gerichtlichen Überprüfung damit nicht durchzudringen. Insofern kann insbesondere im Bereich der Vertragsgestaltung der sicherste Weg zurücktreten müssen.326 Rittershaus/Teichmann327 weisen zu Recht darauf hin, auch unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung328 sei das „Sachziel“ des Mandanten vorrangig. Der Mandant, der nach umfänglicher Aufklärung und unter Hinweis auf Gefahren ein bestimmtes Ziel, einen bestimmten Wunsch präferiert, ist zu respektieren.329 Die mit der Abweichung vom sichersten Weg verbundenen Haftungsfragen machen es natürlich aus anwaltlicher Sicht tunlich, den dem Mandanten erteilten Rat, die Gefahr und den Wunsch des Mandanten nach einem bestimmten Weg schriftlich festzuhalten.330
3. Eigene Interessen des Anwalts innerhalb der Vertragsgestaltung a) Zufriedenstellung des Mandanten als Ziel in bestimmten Grenzen Während bisher die Fokussierung auf den Mandanteninteressen und der Frage lag, wie der Anwalt ihnen innerhalb seines vertraglichen Pflichtenprogramms Rechnung tragen kann und muss, bedarf es aber zudem der Klärung, ob und welche „eigenen“ Interessen der Anwalt innerhalb der Mandatsbearbeitung berücksichtigen muss. Auch hierbei darf „Interesse“ durchaus so verstanden werden, welche Wünsche und Vorstellungen der Anwalt selbst umgesetzt sehen möchte oder gar umgesetzt sehen muss. Ein naheliegendes und verständliches Interesse des Anwalts ist wirtschaftlicher Art. Mit seiner Mandatierung ist eine Verdienstmöglichkeit eröffnet.331 Folglich 325
Vgl. auch Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 11. Siehe Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 200. Sie heben zudem hervor, der sicherste Weg sei oftmals teuer und nicht praktikabel. Ebenso sei der Wunsch, größtmögliche Sicherheit für wenig Geld zu erlangen, in der Regel nicht umsetzbar. 327 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 200. 328 BGH NJW 1991, 2079, 2080. 329 Siehe auch Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 11. 330 Dazu Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 11; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 201; Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, Rn. 82. 331 Gerade die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt verdienen (zu müssen), wirft aber auch eigene Probleme auf, die mit der Veränderung der Situation der Anwaltschaft zusammenhängen; siehe dazu etwa Hellwig, AnwBl 2004, 213 ff. 326
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richtet sich sein Bestreben auf die ordnungs- und pflichtgemäße Erfüllung des Anwaltsvertrags. Die Mandatsbearbeitung geschieht daher auch aus rein egoistischen Gründen. Allerdings birgt die damit oftmals einhergehende Intention, den Mandanten zufrieden zu stellen,332 die Gefahr, in Verfolgung von Mandanteninteressen an bestimmte Grenzen zu stoßen. Die Berücksichtigung dieser Grenzen kann ggf. zu Konflikten mit dem Mandanten führen. So wurde oben bereits die Rolle des Anwalts (auch) als Organ der Rechtspflege angesprochen. Der Anwalt wird von der BRAO nicht ausschließlich als schuldrechtlicher Vertragspartner seines Mandanten betrachtet. Ihn treffen (öffentlichrechtliche) berufsrechtliche Pflichten, so etwa aus § 43a Abs. 3 BRAO (Sachlichkeitsgebot), denen er sich grundsätzlich beugen muss. Durch diese berufsrechtlichen Vorgaben sind der Interessenwahrnehmung für den Mandanten entsprechende Grenzen gesetzt.333 Der Anwalt kann (und soll) das Mandant innerhalb dieser Grenzen ordnungsgemäß bearbeiten, kann aber möglicherweise den Mandanten nicht (subjektiv) zufrieden stellen, etwa weil er es unterlässt, die andere Seite in einer bestimmten Weise verbal (negativ) anzugehen.334 b) Rechtliche Bewertung von Mandanteninteressen aa) Ausgangsproblematik: Erstellung rechtsunwirksamer Verträge Während das Berufsrecht mehr oder weniger deutliche (externe) Grenzen vorgibt, wann der Anwalt Mandanteninteressen nicht nachgeben darf, stellt sich dieses Problem noch aus einem weiteren Blickwinkel, wenn es darum geht, ob der Anwalt die vom Mandanten verfolgten Ziele einer Bewertung unterziehen sollte oder müsste. Deutlich wird diese Problematik zum einen, wenn der Mandant Wünsche hat, die sich rechtlich nicht umsetzen lassen.335 Beispiele: Der Mandant begehrt die Abfassung seines Schenkungsversprechens, will aber die notarielle Form (Formerfordernis nach § 518 BGB) nicht einhalten. Oder: Der Vermieter wünscht die vertragliche Fixierung einer völlig überzogenen Miete, weil er um die Not seines Mieters (drohende Obdachlosigkeit) weiß (Verstoß gegen § 138 Abs. 2 BGB).
332 Auf diese Art und Weise soll es zudem zur Mandantenbindung bzw. zur Akquise weiterer Mandanten kommen. 333 Die Einhaltung dieser Grenzen kann durchaus dem Mandantenbegehren widersprechen. Gleichwohl wird der Anwalt sie im Eigeninteresse in der Regel berücksichtigen, um nachteiligen berufsrechtlichen Sanktionen (§§ 113 ff. BRAO) zu entgehen. 334 Dabei muss freilich im Kontext unseres Untersuchungsgegenstands ohnehin die Überlegung angestellt werden, ob das beispielhaft genannte Vorgehen zielführend ist, wenn ein Vertragsschluss erreicht werden soll. 335 Zur Bindung des Juristen durch das positive Recht und dem teilweisen Unverständnis des Nichtjuristen demgegenüber, Wengler, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 236, 237.
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Abgesehen davon, dass der Anwalt, schon um seine Haftung gegenüber dem Mandanten auszuschließen,336 diesen selbstverständlich über die mangelnde Wirksamkeit seines etwaigen Vertrags aufklären muss, hat er daneben jeweils im eigenen Interesse zu prüfen, ob er durch sein Handeln nicht an einem Rechtsverstoß mitwirkt337. So darf der Anwalt durch sein Tun strafbare Handlungen nicht unterstützen.338 Außerdem bedarf es der Klärung, ob es dem Anwalt nicht grundsätzlich verwehrt ist, an der Gestaltung rechtsunwirksamer oder sogar rechtswidriger339 Verträge mitzuwirken. Die Mitwirkung an einem rechtswidrigen Vertrag, wie durchaus auch an bestimmten rechtmäßigen Verträgen, kann den Anwalt vor die Frage stellen, ob er mit seinem Handeln noch „der Gerechtigkeit“ dient.340 Diese Frage muss sich stellen, wenn man in der Verwirklichung der Gerechtigkeit den Zweck des Rechts erblickt341 336
Zudem kann der Anwalt sich auch in bestimmten Fällen unmittelbaren Schadensersatzansprüchen des Dritten (Vertragspartner des Mandanten), z. B. aus § 826 BGB, ausgesetzt sehen. 337 Siehe dazu auch Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, Rn. 86 ff. Der Anwalt, so u. a. Laufhütte, FS für Pfeiffer, 959, 968, ist an Recht und Gesetz gebunden. Er dürfe, so Laufhütte, der staatlichen Rechtsordnung schon deshalb nicht entgegentreten, weil ein solches Verhalten Zweifel an seiner Integrität erwecke mit der Folge, dass er seine Aufgaben als ein von staatlichen Organen und Gerichten unabhängiger Vertreter der Interessen seiner Mandanten nicht mehr mit Aussicht auf Akzeptanz wahrnehmen könne. Dazu, dass der Anwalt wegen § 43a Abs. 1 BRAO keine Bindungen eingehen dürfe, die gegen Recht und Gesetz verstoßen, Jaskolla, Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung, S. 87. 338 Laufhütte, FS für Pfeiffer, 959, 968; Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, Rn. 92 ff. 339 Begrifflich soll zwischen nicht rechtswirksamen und rechtswidrigen Verträgen unterschieden werden. Rechtswidrige Verträge, z. B. solche wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 2 BGB, sind nicht wirksam. Ihnen wohnt aber zudem ein Unwerturteil inne, sie sind (auch) insoweit „wider dem Recht“. Lediglich rechtsunwirksame Verträge dürfen abgeschlossen werden, können jedoch nicht mit den Mitteln des Rechts durchgesetzt werden. Etwas anderes kann gelten, wenn die Erstellung des rechtsunwirksamen Vertrags zur Beeinträchtigung/ Schädigung des Vertragspartners geschieht, z. B. wenn über die rechtlich einzuhaltende Form getäuscht werden soll. Grundsätzlich dazu, dass der Anwalt sich nicht an rechtswidrigen Handlungen beteiligen darf, Henssler/Prütting/Henssler, BRAO, § 43a, Rn. 33. 340 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 133, legt dar, eine wissenschaftliche Lehre der Vertragsgestaltung könne nicht zum Ziel haben, Handlungsanleitungen nur für eine Vertragspartei oder gar Strategien zur Übervorteilung der anderen Seite zu entwickeln. Zuck, AnwBl 2000, 3, 7, führt aus, der Anwalt sei Bestandteil des Systems. Er müsse deshalb eine formal systemkonforme Rolle spielen, das heißt seinen Beitrag zur Rechtsordnung leisten. 341 So etwa Raiser, FS für von Gierke, 181, 189; Schmidt-Salzer, NJW 1971, 5, 8 (Gewährleistung einer gerechten Ordnung); Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 47. In dem Fall, in dem der Anwalt bewusst an der Gestaltung eines rechtswidrigen Vertrags mitwirkt, ist der Ausgangspunkt für die begriffliche Bestimmung der „Gerechtigkeit“ zunächst (nur) die Übereinstimmung mit dem geltenden Recht, dem das Handeln des Anwalts zuwiderläuft. Das eigentliche Spannungsverhältnis von Recht und Gerechtigkeit, dazu etwa
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und sich zudem wiederum die Rolle des Anwalts (auch) als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) vergegenwärtigt. Sieht man die Tätigkeit des Anwalts nicht nur im Zusammenhang mit dem privatrechtlichen Vertrag mit seinem Mandanten, sondern auch als Beitrag zur Aufrechterhaltung der staatlichen Rechtsordnung,342 werden die Schwierigkeiten deutlich. Setzt z. B. der Anwalt bewusst, wenn auch mit dem Willen des Mandanten, einen rechtswidrigen Vertrag auf, beschreitet er gewollt seinen Weg neben der geltenden Rechtsordnung. So stellt er seine Rolle als Organ der Rechtspflege in Frage.343 Zudem ergibt sich der Konflikt, ob eine solche Vertragsgestaltung jenseits des Rechts „gerecht“ sein kann. bb) Auflösung des Spannungsverhältnisses innerhalb der anwaltlichen Tätigkeit Eine Klärung dieser Problematik wird letztendlich nur unter Auflösung des Spannungsverhältnisses zu finden sein, in dem der Anwalt sich durch seine Tätigkeit befindet. (1) Anwaltsvertragliche Bindung Der Anwalt ist eben nicht nur in seiner Rolle als Organ der Rechtspflege verhaftet. Diese steht zudem nicht separat neben der des Interessenvertreters. Der Anwalt ist auch und vor allem durch seinen Anwaltsvertrag gebunden. Aus diesem ist er dem Mandanten zur Wahrnehmung seiner Interessen verpflichtet. Diesen kann, wie etwa auch das „Schenkungsbeispiel“344 verdeutlicht, gerade durch einen nicht rechtswirksamen Vertrag gedient werden. Hinzu kommt, dass die Motivation im „Schenkungsfall“ keineswegs eine solche war, das Recht zu missbrauchen. Dies gilt im Übrigen in vielen Fällen, in denen Vereinbarungen getroffen werden, die „rein“ im sozialen Bereich spielen. Insoweit spricht dies dafür, aus der Sicht des Interessenvertreters auch die Mitwirkung an bestimmten nicht rechtswirksamen Verträgen zuzulassen. Letztlich konnte in dem Beispiel nur so dem Mandanten „zum Recht“ verholfen werden, wobei „Recht“ in der Situation oftmals die im sozialen Umfeld akzeptierten Regeln waren.345 Ist der vom Mandanten gewünschte Vertrag jedoch „rechtswidrig“ in dem Sinn, dass mit ihm auch ein Unwerturteil einhergeht, so muss bzw. darf der Anwaltsvertrag keine Richtschnur anwaltlichen Handelns sein.
Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 343 ff., tut sich für die oben aufgezeigte Problematik noch gar nicht auf. Der insoweit viel weiterreichende Fragenkreis, wie Gerechtigkeit als Zweck des Rechts zu erreichen ist, wenn man Recht und Gerechtigkeit begrifflich trennt, muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden. 342 Weyland/Brüggemann, BRAO, § 1, Rn. 7. 343 Vgl. dazu auch Laufhütte, FS für Pfeiffer, 959, 968. 344 Vgl. B. III. 2. b) cc) (1) (c), S. 99. 345 Siehe auch noch das Kapitel zum (rechts-)soziologischen Verständnis des Vertrags.
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So „(…) (besteht stets) (…) (d)as Recht und zugleich die Pflicht, die Befolgung von Weisungen abzulehnen, (…), wenn sie auf unerlaubte, unredliche oder rechtlich unzulässige (…) Ziele gerichtet sind.“346
Ein Grund für eine solche Handlungspflicht könnte im anwaltlichen Berufsrecht liegen.347 (2) Berufsrechtliche Grenzen Rechtliche Grenzen aufgrund der Stellung (auch) als Organ der Rechtspflege kann also wiederum das Berufsrecht setzen. Die Frage, die sich insoweit stellt, ist, ob dem Anwalt (berufs-)rechtliche Konsequenzen beim Verfassen eines rechtsunwirksamen oder rechtswidrigen Vertrags drohen. Anknüpfungspunkt könnte insoweit der § 43 BRAO sein, wonach der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben hat (Satz 1). Der Anwalt hat sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welches die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen (Satz 2). Hinzu kommt, dass § 43 BRAO das allgemeine Vertrauen u. a. in die Integrität der Anwaltschaft schützen möchte.348 Jedoch gewährt die Generalklausel des § 43 BRAO allein nicht die Möglichkeit, berufsrechtliche Maßnahmen i. S. d. § 113 BRAO gegen den Anwalt zu erlassen. § 43 BRAO wird gleichsam als „Überleitungs- oder Transformationsnorm“349 angesehen, aufgrund derer Verletzungen von gesetzlichen Regelungen außerhalb von BRAO und BORA anwaltsgerichtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Dabei hat nicht jeder Rechtsverstoß berufsrechtliche Folgen; welche Verstöße im Einzelfall relevant sind, folgt aus Sinn und Zweck des § 43 BRAO.350
346
Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 22, Rn. 148. Für die notarielle Tätigkeit finden sich entsprechende Wertungen in § 14 Abs. 2 BNotO und § 4 BeurkG. Beachtenswert ist, dass Jungk, a. a. O., auch die rechtlich unzulässige Gestaltung ausnimmt, die nach unseren Überlegungen nicht zur Zurückweisung führen muss, lediglich zur entsprechenden Aufklärung. Sollten allerdings rechtsunwirksame Verträge zur Beeinträchtigung/Schädigung des Vertragspartners erstellt werden, hat eine Ablehnung an der Mitwirkung zu erfolgen. 347 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 22, Rn. 148, verweist auf §§ 43, 43a BRAO. Zum Umgang mit illegalen Weisungen siehe zudem Heussen, NJW 2014, 1786, 1789. 348 Vgl. dazu Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, § 43, Rn. 18; die Vorschrift diene nicht dem Schutz von Individualinteressen, sondern dem der Anwaltschaft und zugleich dem Rechtsstaat. 349 Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, § 43, Rn. 20 f., zur Transformationsnorm; Weyland/ Träger, BRAO, § 43, Rn. 13 ff., zur Überleitungsnorm. 350 Siehe Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, § 43, Rn. 21, wonach unter Hinweis auf die Abschichtungsfunktion des § 43 BRAO „(…) (n)ur diejenigen Normen, die nach den berufsrechtlichen Regelungen der BRAO und der BORA sowie dem System der §§ 43, 113 BRAO hierfür geeignet sind, (…) zu anwaltsgerichtlichen Maßnahmen führen (können).“; dort (Fn. 22) auch unter Verweis auf Jähnke, NJW 1988, 1888, 1889.
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Bezogen auf das Problem der Erstellung eines rechtsunwirksamen oder rechtswidrigen Vertrags durch den Anwalt muss angesichts dessen differenziert werden: Grundsätzlich soll die Frage, ob der Anwalt gute oder schlechte juristische Arbeit geleistet hat, nicht über § 43 BRAO einer berufsrechtlichen Klärung zugeführt werden. Diskutiert wird das Problem in der Regel im Zusammenhang mit einer Schlechterfüllung der (zivilrechtlichen) Pflichten des Anwalts gegenüber seinem Mandanten.351 Die Schlechterfüllung beeinträchtige die Funktion der Rechtspflege nicht, der Mandant könne den Weg zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche beschreiten.352 In Bezug auf den Mandanten wird unter besonderen Umständen grob vertragswidriges Verhalten des Anwalts als nach §§ 43, 113 Abs. 1 BRAO i. V. m. §§ 611 ff., 675 BGB pönalisierbar angesehen.353 Als solche besonderen Umstände, die die Integrität der Anwaltschaft bemakeln, werden etwa sittenwidrige oder wucherische Geschäfte (§ 138 BGB) oder die Schädigung des Mandanten nach § 826 BGB genannt.354 In den oben aufgezeigten Beispielen erstellt der Anwalt den Vertrag aber gerade mit Willen seines Mandanten, handelt in der Form sogar gemäß seines anwaltlichen Auftrags, indem er die Mandantenwünsche umsetzt. Eine berufsrechtliche Grenze wird in der Situation nur dann zu ziehen sein, wenn auch in Bezug auf den Dritten, das heißt den potentiellen Vertragspartner des rechtsunwirksamen bzw. rechtswidrigen Vertrags, ein Gesetzesverstoß vorliegt, der über § 43 BRAO „transformiert“ werden kann. Nun wird in der Regel der Vertrag zwischen Anwalt und Mandant nicht ein solcher mit Schutzwirkung in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner sein.355 Gerade in den Fällen besonders „makelbehafteten“ Anwaltsverhaltens ist jedoch in Bezug auf das Verhältnis Anwalt – potentieller Vertragspartner die Erfüllung der Voraussetzungen des § 826 BGB vorstellbar.356 Das gilt namentlich dann, wenn der Anwalt in seiner Funktion als Fachmann bewusst an der Schädigung eines Dritten durch den Vertrag mitwirkt. Allerdings muss ein Verhalten vorliegen, das z. B. die Integrität der Anwaltschaft schädigt.357 Dann kann eine berufsrechtliche Konsequenz etwa nach §§ 43, 113 Abs. 1 BRAO i. V. m. § 826 BGB drohen.
351
Weyland/Träger, BRAO, § 43, Rn. 22 f.; Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, § 43, Rn. 29; Jähnke, NJW 1988, 1888, 1891. 352 Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, § 43, Rn. 29. 353 Weyland/Träger, BRAO, § 43, Rn. 24. 354 Weyland/Träger, BRAO, § 43, Rn. 24; siehe auch Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, § 43, Rn. 29. Hier findet sich zudem auch das bereits oben angesprochene „Unwerturteil“. Man handelt wider dem Recht. 355 Ausführlich zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und der anwaltlichen Tätigkeit u. a. G. Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 10, Rn. 1 ff. 356 Sofern nicht sogar auch strafrechtliche Tatbestände erfüllt sind. 357 Das kann etwa bei Verträgen, die die Tatbestände des § 138 Abs. 1 BGB bzw. des § 138 Abs. 2 BGB gerade in Bezug auf den Dritten erfüllen, gegeben sein.
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(3) Schlussfolgerung Hinsichtlich der Erstellung von Verträgen wird somit Unterschiedliches deutlich: Die Gestaltung eines rechtswidrigen bzw. eines rechtlich nicht wirksamen Vertrags kann durchaus im Interesse des Mandanten liegen. Im eigenen Interesse wird der Anwalt bei diesem Schritt vom (rechtlich) „sichersten Weg“ jedoch Verschiedenes zu beachten haben. Zur Vermeidung einer eigenen Haftung sollte er den Wunsch des Mandanten und den Hinweis auf die Gefahren schriftlich fixieren. Er sollte zudem in jedem Einzelfall prüfen, ob er sich nicht strafrechtlichen oder schadensrechtlichen Folgen aussetzt. In seiner Rolle als Organ der Rechtspflege drohen ihm berufsrechtliche Folgen nur bei einem besonders „makelbehafteten“ Vorgehen. Es ist zudem letztlich auch die ethische Entscheidung des Anwalts, ob er sich an einer solchen Vertragsgestaltung beteiligen will. Es aber nochmals betont, dass nicht jeder rechtsunwirksame Vertrag „rechtsmissbräuchlich“ ist. c) Anwaltsinteressen im weiteren sozialen Kontext Die bisher diskutierten Interessen des Anwalts, deren Berücksichtigung zu Konflikten mit den Interessen seines Mandanten führen kann, wurden vor allem auf ihre juristischen Ansätze hin „durchleuchtet“. Sie zeitigen ihre Wirkungen allerdings noch in eine andere, nur bedingt juristische Richtung. Anwalt und Mandant agieren nicht in einer reinen „Zweierbeziehung“.358 Einfluss nehmen auch weitere Personen, etwa Richter oder Anwaltskollegen.359 Hinsichtlich der Richterschaft betrifft das an dieser Stelle weniger z. B. die Ausrichtung anwaltlichen Handelns an der Rechtsprechung, die ja in den meisten Fällen durchaus im Interesse des Mandanten erfolgt. Der Anwalt, und insoweit geht es um seine Interessen, steht in einem eigenen „Netzwerk von Beziehungen“360. Es ist ihm aus unterschiedlichen Gründen in der Regel nicht egal, wie Richter- und Anwaltskollegen sein Auftreten beurteilen.361 Naheliegende Gründe dafür können vor allem sein, dass der Anwalt mit seinen Kollegen auch über den einzelnen Fall hinaus weiterhin im beruflichen Kontakt steht/ stehen muss.362 Denkbar ist deshalb, dass der Anwalt es vermeiden will, durch 358
Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 274, führt aus, die Beziehung entwickle sich nicht im luftleeren Raum. 359 Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 274. 360 Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 274, unter Bezugnahme auf Blumberg. Diesen Gedanken unter Bezug auf Blumberg ebenfalls aufgreifend Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 62, dort unter dem Aspekt der Aufarbeitung von Interessenkollisionen zwischen Mandanten und Anwalt. 361 Siehe dazu auch die Topoi bei Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 62: Der Anwalt möchte weiterhin ernst genommen werden. Seine persönliche Integrität darf nicht in Frage gestellt werden. Ein querulatorisches Erscheinungsbild ist zu vermeiden. 362 Laufhütte, FS für Pfeiffer, 959, 967, führt aus, das Verhältnis zu Kollegen müsse von Sachlichkeit geprägt sein; das führe zur Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
„unvernünftige“ oder „grenzwertige“ rechtliche Handlungen negativ innerhalb seiner eigenen beruflichen Gruppe aufzufallen.363 Schumann macht darin einen strukturell angelegten Interessenkonflikt zwischen Anwalt und Mandanten aus.364 Die Nachvollziehbarkeit solcher anwaltlichen Interessen ist aber von der Frage zu trennen, ob der Anwalt diese Interessen gegenüber seinem Mandanten „durchsetzen“ darf. Es ist sicherlich tatsächlich möglich, das in der Form zu tun, den anwaltlichen Rat und das anschließende Vorgehen daran auszurichten, die oben beschriebenen „Kollisionen“ mit der eigenen Statusgruppe zu vermeiden. Ein solches Vorgehen stößt jedoch oftmals an Grenzen, das heißt der Anwalt läuft Gefahr, sich gegenüber dem Mandanten aufgrund des Anwaltsvertrags regresspflichtig zu machen, wenn er dessen Interessen zurückstellt,365 obwohl ihre Verfolgung geboten ist. So ist der Anwalt grundsätzlich verpflichtet, auch „unsinnige“ Anliegen zu verfolgen.366 Ein eigener „Interessenschutz“ für den Anwalt ist freilich in den gesetzlichen Bahnen, die auch oben beschrieben worden sind, möglich. So kann der Mandant eben nicht von ihm einen Verstoß gegen berufs- oder strafrechtliche Vorschriften verlangen.367 Schließlich kann der Mandant von seinem Anwalt aufgrund des Anwaltsvertrags z. B. auch kein unbotmäßiges Verhalten etwa vor Gericht einfordern. Abgesehen davon steht es jedem Anwalt frei, ein Mandat nicht anzunehmen, es besteht grundsätzlich kein Kontrahierungszwang.368 Ein solcher folgt auch nicht aus § 44 BRAO.369 Dieser legt dem Anwalt lediglich die (Schadensersatz bewährte) Pflicht auf, die Ablehnung eines Auftrags unverzüglich zu erklären (Satz 1).370 Eine gesetzliche Übernahmepflicht besteht allerdings in den Fällen des § 48 BRAO (Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung, u. a. im Fall der Beiordnung aufgrund von § 121 ZPO, § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO), des 49 BRAO (Pflichtverteidigung, Beistandsleistung) und § 49a BRAO (Pflicht zur Übernahme der Beratungshilfe). Ggf. kommt auch die Kündigung des Mandats nach § 627 BGB in Betracht.371
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Siehe Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 274. Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 274. 365 Umgekehrt darf der Anwalt selbstverständlich auch nicht die Interessen des Mandanten unsachgemäß verfolgen, weil dies seinen eigenen Interessen besser entspricht. 366 Eine Regresspflicht kann dann freilich im Einzelfall z. B. daran scheitern, dass dem Mandanten kein Schaden entstanden ist, weil die Sache aussichtslos war. 367 Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 64, bezeichnen die Ausrichtung u. a. an den gesetzlichen Vorschriften als Form von Filterungsbetrachtung des Anwalts in Bezug auf die Mandanteninteressen. 368 Weyland/Nöker, BRAO, § 44, Rn. 1; Kleine-Cosack, BRAO, § 44, Rn. 1. 369 BGH NJW 1967, 1567, 1568; VGH Kassel NJW 1965, 603, 604. 370 Zur Notwendigkeit der Ablehnungserklärung u. a. BGH NJW 1971, 1801, 1803. 371 Zum Kündigungsrecht des Anwalts nach § 627 BGB u. a. Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 783 ff.; Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 6, Rn. 6 ff. 364
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags I. Einführung Die bisherigen Ergebnisse zu den involvierten Interessen legen es nahe, die Fragen nach dem relevanten Vertragsverständnis in der Vertragsgestaltung nochmals aufzugreifen. Der juristische Vertrag ist zwar das maßgebliche Instrument der Interessenumsetzung durch den Anwalt. Er ist als Umsetzungsmittel der Maßstab für das anwaltliche Pflichtenprogramm. Bereits mehrfach wurde jedoch deutlich, dass die Wirkungsrichtung des Vertrags das soziale Leben ist. Die Interessen der Vertragsparteien ergeben sich aus sozialen372 Kontexten. Hinzu kommt, dass mit (wirksamen) juristischen Vertragsregelungen mitunter die Interessen des Mandanten durch den Anwalt nicht umzusetzen sind. All dies sind Gründe, den Vertrag notwendigerweise auch aus einem anderen, das heißt nicht (nur) einem rein juristischen Blickwinkel betrachten zu müssen. Damit soll der juristische Vertrag als relevantes Gestaltungsmittel nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr sollen unter Ausnutzung von Erkenntnissen weiterer wissenschaftlicher Disziplinen zusätzliche Möglichkeiten erarbeitet werden, wie das Mittel des juristischen Vertrags in optimaler Weise eingesetzt und ausgeformt werden kann, welche Herangehensweisen und Fertigkeiten (auch) aus anderen Disziplinen ggf. notwendig sind, um den Vertrag zu einem „Interessenumsetzungswerk“ werden zu lassen. Die Wirkungsweisen und -orte von Verträgen, die Leistungsfähigkeit von Recht, die Möglichkeiten sonstiger Vereinbarungen sind namentlich Untersuchungsgegenstände der (Rechts-)Soziologie. Die dort gewonnenen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Vertrag sollen für unseren Untersuchungsgegenstand nutzbar gemacht werden.373 Der Ansatz einer Erfassung des Vertrags aus (rechts-)soziologischer Sicht ist zugleich mit einer Schwierigkeit verbunden. Auch innerhalb der (Rechts-)Soziologie gibt es nicht den Begriff des Vertrags.374 Ausgehend von den bisherigen Überlegungen, das heißt insbesondere zum besseren Verständnis eines (juristischen) Vertrags als Gestaltungsmittel zur Interessenwahrnehmung innerhalb sozialer Abläufe,
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Dazu gehören auch wirtschaftliche Zusammenhänge. Es geht u. a. darum, dem entgegenzuwirken, was Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 9, als Rückgang der Rolle des Juristen bei der Gestaltung sozialer Vorgänge beschreibt. Als Stichwort führt er diesbezüglich u. a. das Vordringen der Sozialwissenschaften an. 374 Wie sich im Nachfolgenden zeigen wird, wird der „Vertrag“ außerdem oftmals nicht einer mehr oder weniger scharfen begrifflichen Bestimmung zugeführt. Vielmehr beschäftigen sich einzelne Ansätze mit der Umschreibung des Vertrags etwa im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion oder mit der Wechselbeziehung von Vertrag und Gesellschaft. 373
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sollen deshalb einige375 unterschiedliche Ansätze aufgeführt werden, die dazu einen Beitrag leisten können.
II. (Rechts-)Soziologische Ansätze zum Vertragsverständnis 1. Trennung von Schuld und Haftung – Eugen Ehrlich376 a) Bedeutung von Schuld und Haftung für den Vertrag Einen wesentlichen Beitrag, den Vertrag in einem sozialen Kontext zu begreifen, leistete bereits Eugen Ehrlich. Ehrlich unterscheidet die bloße Tatsache der Vereinbarung vom Vertrag.377 Das, was eine Vereinbarung zur „Tatsache des Rechts“378 und damit zum Vertrag macht, ist der Umstand, mit dem der Schuldner ein „Sollen“ auf sich nimmt, die „Schuld“ ist insoweit das prägende Element.379 Kein zwingendes Element eines Vertrags im Sinne Ehrlichs ist demgegenüber die Haftung, das heißt ein Zugriffsrecht des Gläubigers, um Befriedigung zu erlangen, gerade wenn jene gegen den Willen des Schuldners gesucht wird.380 Der Ansatz, wonach das Sollen als der entscheidende Umstand angesehen wird, der die Vereinbarung zum Vertrag macht, wird vor dem Hintergrund verständlich, dass Ehrlich den Vertrag nicht isoliert auf ein in der Regel zwischen zwei Personen bestehendes Verhältnis reduziert betrachtet.381 Ehrlich macht vielmehr die Rolle des Vertrags in der Gesellschaft und den Einfluss der Gesellschaft auf den Vertrag deutlich. Das Maßgebliche, weshalb auf das Sollen abzustellen sei, sei zunächst, dass nach den das Leben bestimmenden Regeln des Handelnden mit der Erfüllung des Vertrags gerechnet werden könne.382 Es ist daher folgerichtig, wenn Ehrlich darauf hinweist, dass Verträge dadurch klagbar, das heißt mit einem Haftungselement versehen worden sind, weil sie im Leben in der Regel gehalten werden.383 Die 375 Soweit erforderlich, wird im Laufe der Untersuchung noch auf weitere Ansätze aus (rechts-)soziologischer Sicht hingewiesen werden. 376 1862 – 1922. 377 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 98. 378 Nach Ehrlich sind Recht und Rechtsverhältnisse ein „gedankliches Ding, das nicht in der greifbaren, sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit, sondern in den Köpfen der Menschen lebt.“ Die Vorstellung der Menschen vom Recht würde aber „aus einem Stoffe geformt, den (sie) der greifbaren, sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit entnehmen.“ Es lägen somit den Vorstellungen Tatsachen zugrunde, die die Menschen beobachtet hätten. Zum Vorstehenden Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 82. 379 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 98; siehe aber auch S. 102. 380 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 98; siehe aber auch S. 102. 381 Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 30. 382 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 102. 383 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 102.
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zeitliche Abfolge der Entstehung von Schuld und Haftung und ihre Verknüpfung mit gesellschaftlicher Umsetzung sind deshalb ganz bezeichnend. So gibt es nach Ehrlich konsequenterweise ganz selbstverständlich Verträge, die (nur) eine Schuld, wie auch Verträge, die (darüber hinaus) eine Haftung begründen,384 die dem Gläubiger den Weg zur Klagbarkeit seiner Ansprüche eröffnen. Im Zusammenhang mit dem „haftungsbegründenden Vertrag“, dem klagbaren Vertrag, sieht Ehrlich auch den Maßstab für die (staatlichen) Behörden. Für diese sei der klagbare Vertrag relevant, nicht ein solcher, der (lediglich) als Regel im zwischenmenschlichen Bereich begriffen werden kann.385 b) Gesellschaftliche Relevanz schuld- oder haftungsbegründender Verträge Aber auch die zuvor aufgeführten Umstände, insbesondere die Klagbarkeit, führen nach Ehrlich keinesfalls dazu, den haftungsbegründenden Vertrag für die Gesellschaft und die Wirtschaft als vorrangig einzustufen. Entscheidend für die Rolle des Vertrags sei auch dort der Aspekt, inwieweit ein Vertrag zur Regel des Handelnden geworden sei.386 Ehrlich macht in dem Kontext aus, der Vertrag, der lediglich eine Schuld begründe, könne im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben sogar eine tragende Bedeutung haben.387 Die Beispiele, die Ehrlich dafür anführt, erklären sich aus der Entstehungszeit seiner Ausführungen (1913) und sind heute so nicht mehr repräsentativ, wie etwa die Rolle der Kinderarbeit388. Nichtsdestotrotz gibt es auch heute Beispiele nicht (juristisch erfolgreich) klagbarer Verträge, die im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben eine nicht zu unterschätzende Relevanz haben und in der Regel dort eingehalten werden. Denkbar 384 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 102; in haftungsbegründenden Verträgen wird nach Ehrlich dem Gläubiger für die Schuld der Zugriff an in seinem Besitz befindlichen Personen und Sachen des Schuldners gestattet. Auch im heutigen Schuldrecht wird eine Trennung zwischen Schuld und Haftung vorgenommen. Als „Schuld“ wird das „Leistensollen des Schuldners“, sein „Verpflichtetsein“ bezeichnet, so Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 2, Rn. 19. Beim Umgang mit dem Begriff der Haftung ist problematisch, dass dieser nicht einheitlich verwendet wird, darauf u. a. hinweisend Brox/Walker, a. a. O.; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, § 2 IV (S. 22). So wird damit teilweise die Verantwortlichkeit einer Person für Schädigungen gemeint, siehe Larenz, a. a. O. Zumeist, gerade wenn es um die Vermögenshaftung geht, wird jedoch mit der Haftung „das Unterworfensein des Schuldners unter den zwangsweisen Zugriff des Gläubigers“ bezeichnet, so Brox/Walker, a. a. O.; so auch mit Betonung der Vermögenshaftung, Larenz, a. a. O. 385 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 103. 386 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 103. Vgl. ebenfalls Ehrlich, Ein Institut für lebendes Recht, S. 28, 36, wonach lebendes Recht vom Urkundeninhalt nicht das sei, was etwa die Gerichte bei der Entscheidung eines Rechtsstreits als verbindlich anerkennen würden, sondern nur das, woran sich die Parteien im Leben hielten. Dieses Zitat auch anführend Kininger, Die Realität der Rechtsnorm, S. 52. 387 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 102. 388 Dies betrifft jedenfalls den deutschen Rechtsraum.
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sind etwa wieder formunwirksame (Nichtbeachtung des § 518 Abs. 1 BGB) Schenkungsversprechen im familiären Nahbereich. Ein Beispiel389 aus dem wirtschaftlichen Leben waren die Anstellungsverträge junger Rechtsanwälte. Dumpinglöhne sind in diesem Lebensbereich nicht selten, so z. B. eine Vergütung i. H. v. 650 E390 für eine 35-Stunden-Woche391 oder ein Grundgehalt von 1.000 E brutto als Einstiegsgehalt für einen anwaltlichen Berufsanfänger392. Derartig bemessene Entgelte waren nicht angemessen i. S. d. § 26 Abs. 1 BORA und sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB.393 Der Arbeitgeber konnte von dem angestellten Anwalt die Erbringung der Arbeitsleistung nicht vor einem staatlichen Gericht einklagen. Gleichwohl wurden solche Verträge394, namentlich von Junganwälten, oftmals hingenommen, weil es für sie letztlich überhaupt ein Weg war, um in ihrem erlernten Beruf arbeiten zu können. Dem Umstand, dass es auch heute Fälle gibt, in denen nicht (staatlich) klagbare Verträge eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle spielen, muss damit weiterhin Rechnung getragen werden. c) Nutzbarmachung der Erkenntnisse innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung Der Ansatz solch eines rechtssoziologischen Vertragsverständnisses nach Ehrlich ist aus mehreren Aspekten interessant: Der Vertrag entfaltet eine regelnde, normierende395 Kraft. Diese resultiert aber nicht aus dem Haftungselement im Sinn der klagweisen (staatlichen) Durchsetzbarkeit, sondern in erster Linie auf den Umständen, dass mit der Einhaltung der Regelungen im Leben gerechnet werden kann,396 dass eine Vereinbarung vorliegt, nach der die Menschen ihr Leben aus-
389 Ein anderes Beispiel einer nicht rechtsverbindlichen Fixierung von Verhandlungspositionen ist der „letter of intent“, so Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf v § 145, Rn. 18. 390 Im tatsächlichen Fall lag die Vergütung bei 1.300,– DM; die Umrechnung erfolgte durch die Verfasserin. 391 Fall nach LAG Hessen NJW 2000, 3372 f. 392 Ein solcher Sachverhalt lag dem Beschluss des AnwGH Nordrhein-Westfalen NJW 2008, 668 f. zugrunde; der Folgebeschluss ist BGH NJW 2010, 1972 ff. 393 LAG Hessen NJW 2000, 3372 f.; AnwGH Nordrhein-Westfalen NJW 2008, 668 f. Ebenso der in Folge des zuletzt genannten Beschlusses des AnwGH Nordrhein-Westfalens ergangene Beschluss des BGH NJW 2010, 1972, 1973 f. Zur Problematik eines Verstoßes gegen § 26 Abs. 1 BORA siehe auch Sagel, Die Beschäftigung des Rechtsanwalts zu angemessenen Bedingungen, Hamburg 2007. Mittlerweile ist das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG – vom 11. 8. 2014, BGBl. I, S. 1348; zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 28. Juni 2023, BGBl. 2023 I Nr. 172, geändert) ebenfalls zu beachten. 394 Kleine-Cosack, BRAO, Anh. I 1, § 26 BORA, Rn. 1, spricht von einer großen Dunkelziffer, weil die Benachteiligten oftmals das Geschehen nicht zur Anzeige bringen. 395 Zu diesem Fazit auch Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 31. 396 Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 102.
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richten397. Der Vertrag ist danach in einen sozialen Kontext eingebettet und wird nicht auf ein Zweipersonenverhältnis reduziert. Die Rechtsgeschichte zeige, so Ehrlich, „daß in allen Fällen, wo der Vertrag zur Tatsache des Rechts wird, damit nicht etwa die Selbstherrlichkeit des menschlichen Willens durch das Recht anerkannt, sondern der Rolle Rechnung getragen wird, die der Vertrag tatsächlich im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben spielt.“398 Ehrlichs Überlegungen enthalten für einen anwaltlichen Vertragsgestalter somit mehrere Ansätze, die auch heute für eine Mandatsbearbeitung bedeutsam werden können: Für einen Juristen wird sich der Blick aufgrund seiner Profession natürlich mit besonderer Schärfe auf das Element der (staatlich) klagbaren Durchsetzbarkeit, also auf das Haftungselement nach Ehrlich richten, was nach letzterem ja gerade für einen Vertrag nicht begriffsnotwendig ist. Der Anwalt berücksichtigt demgegenüber wegen der Ausrichtung (auch) auf die Haftung im Besonderen die Kontrollinstanz (Richter). Offen sollte bzw. muss der Anwalt jedoch nicht zuletzt für die Erkenntnis sein, dass der Vertrag in einen sozialen Kontext eingebettet ist und aus diesem heraus die Notwendigkeit und die Akzeptanz für eine Vereinbarung resultiert. Für den Juristen kann sich daher z. B. die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, einem Mandanten zum Abschluss eines juristisch (wirksamen) Vertrags zu raten, der im sozialen Umfeld nicht akzeptiert wird. Weiterhin kann sich auch das Problem ergeben, ob gesellschaftliche Akzeptanz nicht eine Rückwirkung auf die juristische Wirksamkeit eines Vertrags haben kann, z. B. über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB. Von besonderer Bedeutung kann aber der schon oben angesprochene Umstand sein, wonach das wirtschaftliche Leben mit Verträgen „arbeitet“, die gar nicht vor einem staatlichen Gericht Bestand haben können. In Hinblick darauf wird erneut die Problematik für den anwaltlichen Interessenvertreter deutlich, ob eine „angemessene“ Mandatsbearbeitung sich nur auf den juristisch wirksamen Vertrag beziehen darf, oder ob der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht in der Form Tribut gezollt werden muss, dass eine Mandatswahrnehmung „lege artis“ gerade in der Schaffung eines juristisch unwirksamen Vertrags bestehen kann.399 Ehrlichs Forschungsergebnisse zeigen damit zusätzliche und weitergehende Erkenntnisse auf, warum in der anwaltlichen Vertragsgestaltung der Vertrag zwar (auch) in seiner (Haftungs-)Dimension begriffen werden muss, somit der juristische Vertrag maßgebliche Bedeutung hat. Gleichzeitig allerdings verdeutlicht Ehrlich aber verschiedene außervertragliche Elemente, so die Schuld- ohne Haftungsbegründung oder die tatsächlichen Wirkungsweisen von rechtsunwirksamen Verträgen. Sie müssen Einlass wiederum in die anwaltlichen Überlegungen finden. 397
Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 103. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 103. 399 Hierbei ist die Grenze zum rechtswidrigen Vertrag allerdings gerade im wirtschaftlichen Bereich schnell überschritten. Dann drohen dem Anwalt wieder eigene Nachteile (berufsrechtliche Konsequenzen, Schadensersatzansprüche Dritter). 398
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1. Teil: Vertrag und Interessen
„Außervertragliche“ Elemente, jedoch aus einem weiteren Blickwinkel, finden sich ebenso bei Emile Durkheim. „Außervertraglich“ kann danach im Weiteren das (Vertrags-)Recht selbst sein, das von der Gesellschaft gesetzt ist. 2. Außervertraglichkeit des Vertragsrechts – Emile Durkheim400 Durkheim setzt sich vor allem in seinem Werk „De la division du travail social“401 mit der Solidarität in der Gesellschaft und der Vertragssolidarität auseinander.402 a) Mechanische und organische Solidarität Durkheim unterscheidet zwischen mechanischer und organischer Solidarität403 in der Gesellschaft. Diese Unterscheidung wirkt sich auch auf die Unterscheidung ihres Rechts aus. Die Solidarität, die die Gesellschaft zusammenhält,404 kann zum einen in der „mechanischen Solidarität405“ bestehen: Diese Form von Solidarität beinhaltet, dass eine Ähnlichkeit zwischen den Individuen besteht, die zu der Gesellschaft gehören,406 „(…) die individuelle Persönlichkeit (geht) in der kollektiven Persönlichkeit (auf) (…)“.407 Stark kann diese Form von Solidarität nur sein, wenn die eigene Persönlichkeit des Individuums, seine eigenen Ideen und Bestrebungen hinter den allen Mitgliedern der Gesellschaft gemeinsamen Ideen und Strebungen zurückstehen, das heißt letztere vom Umfang und der Intensität her überwiegen.408 Soziale Solidarität wird dadurch erzeugt, dass allen Gemeinschaftsmitgliedern „eine gewisse Anzahl von Bewußtseinszuständen (…) gemeinsam ist“409. Ihren wesentlichen Ausdruck auf der Ebene des Rechts findet diese Art von Solidarität im Strafrecht,410
400
1858 – 1917. Der vorliegenden Bearbeitung liegt die Ausgabe „Über soziale Arbeitsteilung“, 6. Auflage, Frankfurt am Main 2012, zugrunde. Für die bezeichnete Ausgabe wurde der 1977 unter dem Titel „Über die Teilung der sozialen Arbeit“ erschienene deutsche Text von Ludwig Schmidts von Michael Schmid durchgesehen. 402 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 256 ff. 403 Siehe dazu beispielsweise Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 84 ff. 404 Vgl. Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 62, zu den Ausführungen Durkheims. 405 Siehe dazu u. a. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 182 f., 118 ff. 406 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 183. 407 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 183. 408 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 181. Siehe dazu auch etwa die Ausführungen bei Röhl, FS für Schelsky, 435, 437, der von der Kennzeichnung durch völlige Gleichheit der Bedürfnisse, der Gewohnheiten, des Glaubens und des Bewußtseins spricht. 409 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 160. 410 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 160. 401
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das heißt im repressiven Recht, das abweichendes, zu stark individuelles Verhalten unterbindet.411 Der Zusammenhalt der Gesellschaft kann nach Durkheim aber auch durch eine „organische Solidarität“412 erzeugt werden. Diese leitet sich im Wesentlichen aus der Arbeitsteilung ab.413 Hierbei ist kennzeichnend, dass die Individuen sich unterscheiden, sie nehmen ein eigenes Betätigungsfeld mit einer eigenen Persönlichkeit ein; der Einzelne ist in seinem Betätigungsfeld ein „Spezialist“, wobei allerdings nicht außer Betracht bleiben darf, dass er nicht zuletzt deshalb auf die anderen Mitglieder der Gesellschaft, die die anderen „Spezialbereiche“ abdecken, wiederum angewiesen ist.414 Auf rechtlicher Ebene ist hier nicht das repressive Recht prägend, sondern vor allem der Vertrag ist Ausdruck der Zusammenarbeit415 ; es wird nicht der Weg über repressives Recht beschritten, sondern der über Restitutivsanktionen416. Der Vertrag, der gerade eine Rechtsgrundlage für den gegenseitigen Austausch einer arbeitsteilig handelnden Gesellschaft ist, spielt hier eine besondere Rolle. Da es aber auch weiterhin um den Zusammenhalt der Gesellschaft, die Solidarität, geht, stellt sich das Problem, inwieweit ein Vertrag diesen Zusammenhalt sichern kann, oder ob es nicht flankierender Maßnahmen bedarf. Diese Frage ergibt sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund, wie Restitution erreicht werden kann. b) Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch den Vertrag Mit diesen Fragen setzt sich Durkheim im Besonderen im 7. Kapitel („Organische Solidarität und Vertragssolidarität“) des oben bezeichneten Werks zur Arbeitsteilung auseinander. Ausgehend von einer Kritik an Herbert Spencers417 utilitaristischer Wertung des Vertrags418 macht Durkheim dort vor allem auch Ausführungen zu außervertraglichen Grundlagen des Vertrags, die überhaupt erst die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit Verträge eingegangen werden können,419 und die den Rahmen dafür schaffen, dass Solidarität erreicht wird.
411
Dazu Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 62. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 183. 413 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, u. a. S. 110, 183. 414 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 183. Zur gegenseitigen Abhängigkeit auch Röhl, FS für Schelsky, S. 435, 437. 415 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 175. 416 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 179. 417 Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, Stuttgart 1889. 418 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 256 ff. Dazu u. a. auch Dallinger, Die Solidarität der modernen Gesellschaft, S. 59 ff. 419 Zu den außervertraglichen Grundlagen des Vertrags u. a. Röhl, Rechtssoziologie, S. 23 und Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 431 f. 412
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Spencer geht davon aus, die Grundlage einer sozialen Harmonie in einer industriellen Gesellschaft420 beruhe auf der Arbeitsteilung,421 das Regelverhältnis in dieser Gesellschaft422 sei das Vertragsverhältnis423. Die Arbeitsteilung wiederum erfordere eine Zusammenarbeit der Mitglieder, zu der es komme, weil jeder seine eigenen Interessen, seine Bedürfnisse verfolge.424 Dieses Eigeninteresse wirkt sich auch auf die Vertragsbeziehungen aus. So sieht Spencer, mit einer Betonung der Austauschbeziehungen, innerhalb einer industriellen Gesellschaft die Grundlage der Gewährleistung für die gegenseitige Einhaltung geschlossener Verträge gerade im jeweiligen Eigeninteresse der involvierten Vertragspartner.425 Denn ein „Zwang“ durch die Gesellschaft ist nach Spencer nicht notwendig.426 Jeder Einzelne könne sich durch seine Arbeit ernähren, mit seinen Erzeugnissen in Austauschbeziehungen zu anderen treten oder sich mit anderen zur Ausführung von Unternehmen zusammentun.427 Diesen Ansätzen tritt Durkheim ganz entschieden entgegen. Bezüglich seiner Vertragsauffassung ist der Ausgangspunkt die „Verständigung der Parteien“428, das heißt als „Vertrag“ ist grundsätzlich das zu verstehen, was die betroffenen Vertragsparteien miteinander vereinbart haben, nur eine gegenseitig zugestandene Verpflichtung ist maßgeblich429. Die Vereinbarung ist die Grundlage, aufgrund derer die Parteien ihre Interessen umgesetzt wissen wollen.
420
Siehe aber auch Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 297, wonach es keine reine gesellschaftliche Organisation gibt, sondern dass es zu Mischungen kommt. 421 Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 294 ff. 422 Gemeint ist die nicht kriegerische, nicht militärische Gesellschaft; an ihre Stelle tritt die Gesellschaft, die durch eine Zunahme des Industrialismus und einer Einschränkung der (staatlichen) Autorität geprägt ist, Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 719. 423 Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 719 f. Zur Auseinandersetzung damit, dass an dieser Stelle kein Gesellschaftsvertrag gemeint ist, Durkheim, Über die soziale Arbeitsteilung, S. 257 ff. Dort, S. 257, ebenfalls dazu, dass die normale Form des Austausches der Vertrag ist. 424 Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 294 ff.; siehe dazu auch Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 256. 425 Dazu Röhl, Rechtssoziologie, S. 23. 426 Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 714, wobei Spencer diese Gedanken vor dem Hintergrund entwickelte, dass der Gesellschaft von außen keine Gefahr drohe, die ihren Bestand in Frage stellen könnte. 427 Spencer, Die Principien der Sociologie, Band III, S. 714. 428 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 429 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 267. Durkheim führt dabei weiter aus, die Verpflichtungen müssten von den Individuen gewollt sein und keinen anderen Ursprung haben als diesen freien Willen. Der Ansatz, auf den freien Willen abzustellen, findet sich etwa auch bei Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, Tübingen 1970.
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Allerdings kann nach Durkheim eine, wenn auch von beiderseitigen (individuellen) Interessen getragene Vereinbarung nicht (allein) maßgeblich sein.430 Sie muss vielmehr in einem weiteren Schritt von dem Handeln der einzelnen Personen losgelöst in den Kontext der Gesellschaft gestellt werden.431 So sieht Durkheim es zwar durchaus wie Spencer als gegeben an, dass die Menschen einander benötigen, wenn sie als Folge der Arbeitsteilung miteinander durch einen Vertrag in Verbindung treten.432 Anders als Spencer geht Durkheim aber nicht davon aus, allein ein „frei“ abgeschlossener Vertrag könne infolgedessen eine soziale Gesellschaft zusammenhalten, indem den jeweilig involvierten Interessen Genüge getan werde. Für eine Harmonie der Zusammenarbeit genüge weder ein in Beziehung treten noch ein Fühlen der gegenseitigen Abhängigkeit.433 Arbeitsteilung, obwohl bestehend und auch notwendig, führe gerade nicht zwangsläufig zu einem harmonischen Miteinander, dessen Grundlage bloße Vereinbarungen seien. Das bringt Durkheim auf den Punkt, indem er betont, die Arbeitsteilung mache die Interessen zwar voneinander abhängig, mache sie demgegenüber aber nicht austauschbar; vielmehr blieben die Interessen unterscheidbar und gegensätzlich.434 So habe auch jede Partei („jeder Kontrahent“) das Bestreben, möglichst viele Rechte, aber möglichst wenig Verpflichtungen auf seine Person zu vereinen.435 Das steht einem kompromissgetragenen, harmonischen Verhalten der Parteien entgegen. Der Einzelne sucht doch seinen Vorteil. Hinzu kommt, dass dann eine Regulierung aufgrund eines arbeitsteiligen Marktes oft schon daran scheitert, weil Teile der Bevölkerung diesen nicht nutzen können, da sie nicht in der Position sind, ihre „Funktion“ aufzugeben,436 etwa indem sie sich anderen Vertragspartnern zuwenden. c) Notwendigkeit gesellschaftlicher Reglementierung Für Harmonie, Gleichgewicht und Solidarität in der Gesellschaft reicht der Vertrag, verstanden als bloße Vereinbarung zwischen den Parteien, somit nicht aus. Die Gesellschaft muss vielmehr zur Erreichung dieser Ziele aktiv werden. Es muss mit Blick auf den Vertrag ein Reglementierungsprozess einsetzen.437 Dass es deshalb nicht (allein) auf die individuellen Vereinbarungen der Vertragsparteien ankommt, zeigt auch der bezeichnende Ausspruch Durkheims, wonach „(…) nicht alles (…) vertraglich beim Vertrag (ist)“438. Vielmehr müssen nach ihm zunächst „nicht vertragliche“ Rahmenbedingungen vorhanden sein. Denn, so Durkheim, „(…) der 430
Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 267 f. 432 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 268. 433 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 268. 434 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 268. 435 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270. 436 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 273. 437 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 438 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 267.
431
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(Vertrag sei) überall dort, wo er existiert, einer Regelung unterworfen, die das Werk der Gesellschaft (…) (sei) und nicht das der Einzelperson, (…)“439. Der Vertrag setze eine Reglementierung voraus, seine Funktion bestehe nicht in der Schaffung neuer Regeln, sondern vielmehr in der Anwendung allgemeiner Regeln auf den Einzelfall.440 Ein solches „außervertragliches“ Reglementierungsinstrument der Gesellschaft sieht Durkheim vor allem in den gesetzlichen Vorgaben, dem Vertragsrecht.441 Aus dem Gesetz resultieren gerade auch Verpflichtungen, die, so Durkheim, die Parteien eigentlich in der Form gar nicht eingegangen sind,442 etwa bestimmte Regelungen für den Störungsfall443. Gesetzliche Reglementierung heißt vor allem aber ebenfalls, Vorgaben für die Ausgestaltung des Vertrags zu machen, wie etwa im Hinblick auf den Vertragsabschluss an sich,444 der dann nicht in jedweder Form von „Vereinbarung“ bestehen kann. Den Parteien wird somit die Möglichkeit genommen, eine Verbindlichkeit zu begründen, der das Gesetz die Gültigkeit versagt.445 Das betrifft vor allem auch inhaltliche Ausformungen des Vertrags. Durkheim betont, allein der Umstand, dass die Parteien sich geeinigt und ihre beteiligten Interessen zur Deckungsgleichheit gebracht hätten, könne „ (…) eine Klausel nicht gerecht machen, die es auch sich selber nicht ist, (…)“446. Gerechtigkeit wird damit mit Blick auf die Gesellschaft gesehen, und, ähnlich wie bei Ehrlich, wird der Vertrag aus seinem Dasein als bloße Zweierbeziehung herausgelöst. Das Gesetz als Werk der Gesellschaft macht den Rahmen aus, das Recht übt organisierten und bestimmten Druck aus447. Der Gesellschaft wird dabei eine bewusst aktive Rolle zugewiesen. Sie muss die Regeln festsetzen, nach denen sich bestimmt, was als rechtskräftig anerkannt wird.448 Diese aus der Gesellschaft kommende Reglementierung, diese Reglementierung sozialen Ursprungs,449 gibt dem Vertrag nach Durkheim letztlich auch sein soziales Gewand. Denn einem Vertrag, der keinen sozialen Wert hat, darf keine Autorität verliehen werden; er ist ungerecht und stört den Ablauf des gesellschaftlichen Zu439
Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 267 f. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 441 Siehe dazu u. a. die Ausführungen bei Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270 f. 442 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 268, 271. 443 Zum Leistungsstörungsrecht als außervertragliche Voraussetzung des Vertrags etwa Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 411. 444 Dies u. a. als außervertragliche Voraussetzung des Vertrags anführend Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 411. 445 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 268. 446 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 447 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 448 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 449 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 440
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sammenspiels.450 Was aber seinen sozialen Wert ausmacht, bestimmen letztlich die von der Gesellschaft entwickelten Regeln, die Gesetze. Der insofern vom Gesetz ausgeübte Druck soll aber auch, da es eben gilt, vorgegebene Regeln einzuhalten, Aggressionen und damit Konflikte verhindern.451 Ein Verstoß gegen diese Regeln führt jedoch nicht zu einer Sühne, sondern (lediglich) zu einer Reparationsmaßnahme452. d) Konfliktvermeidung und Vereinfachungen durch Schaffung von gesetzlichen Vorgaben Die angesprochene Konfliktvermeidung, die durch das Gesetz geleistet werden soll, wird zudem notwendig, da Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern für die Dauer der Beziehung festgelegt werden sollen453. Diese Vorgabe kann allein durch eine Vereinbarung zwischen den Parteien nicht (immer) geleistet werden. Die Notwendigkeit anderweitiger, das heißt gesetzlicher Vorgaben, resultiert vor allem daraus, dass ein Handeln, gerade auch durch Abschlüsse von Verträgen, oftmals schnell erfolgen muss.454 Dieses Erfordernis lässt keinen Spielraum für umfangreiches Aushandeln und Erringen gemeinsamer Ergebnisse. Allein aus diesen Gründen455 bedarf es, so Durkheim, schon des Vertragsrechts, um die Handlungsfähigkeit der Menschen und auch ihre Solidarität in dem Bereich zu erhalten.456 Insoweit kommt wiederum die Rolle der Gesellschaft, die in den vertraglichen Bereich hineinwirkt, zum Tragen. Denn für die bezeichneten Fälle gibt die Gesellschaft mit dem Vertragsrecht ein Werk an die Hand, das letztlich gerade nicht individuell ausgehandelt worden ist,457 sondern ein Ausfluss Gesetz gewordener „Erfahrungsmittel“ ist. Das Gesetz stellt einen Rahmen auf, der daraus resultiert, was unter normalen Bedingungen zum „Gleichgewicht“ führt.458 Es sind Erfahrungen, die sich aus dem Mittel der Fälle gebildet haben, gegründet auf zahlreichen und unterschiedlichen Erfahrungen.459 450
Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 274. 452 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 284. 453 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 269. 454 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270. 455 Zur Funktion des dispositiven Rechts, eine Reserveordnung bereit zu stellen, um unvollständige Rechtsgeschäfte zu ergänzen, Möslein, Dispositives Recht, S. 33. Siehe ebenfalls Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 339. 456 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270 f. 457 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 271; Durkheim spricht erneut davon, dass das Vertragsrecht eben keine bloße Ergänzung dessen, was vereinbart ist, ist, sondern vielmehr dessen Basis bildet. 458 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270 f. 459 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 271. 451
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e) Weiteres Druckpotential durch die „Sitten“ Neben unterschiedlichen „Druckpotentialen“, die das Gesetz ausüben kann, macht Durkheim außerdem noch ein Weiteres aus. Denn nicht allein in den von der Gesellschaft aufgestellten Rechtsregeln ist ein Druckpotential auf die Vertragsparteien gegeben. Neben diesem reglementierten Druck besteht auch ein „Druck der Sitten“460. Diesen „Sittlichkeitsvorschriften“461, die gerade nicht rechtlich sanktionierbar sind, misst Durkheim ebenfalls einen Einfluss zu und zwar sowohl im Hinblick auf den Vertragsschluss an sich wie auch auf seine Ausführung.462 Als Beispiel führt Durkheim moralische Verpflichtungen freier Berufe an.463 f) Konsequenzen für die anwaltliche Vertragsgestaltung Während Ehrlichs Ausführungen zum Vertrag u. a. den wesentlichen Hinweis enthielten, wonach auch ein „nicht rechtlicher“ Vertrag eine tragende gesellschaftliche Rolle einnehmen kann, sind die Überlegungen Durkheims aus ganz anderen Gründen464 heraus ergiebig. So sind sie u. a. mit Blick auf den anwaltlichen Vertragsgestalter immer noch interessant. aa) Bedeutung von zwingendem und dispositivem Recht Obwohl Durkheim für die organische Solidarität die Individualität des Einzelnen und dessen Interessen durchaus herausstellt, treten diese nach seinem Verständnis von gesellschaftlicher Harmonie und nicht zuletzt aufgrund der infolgedessen aufgestellten Rolle des Vertrags aber sehr schnell wieder in den Hintergrund. Denn Durkheim betont sehr den Aspekt, wonach für ein harmonisches Miteinander ein verpflichtender gesetzlicher Rahmen für den Vertrag vorhanden sein muss, von dem die einzelnen Personen, selbst wenn sie sich bezüglich ihrer Interessen einigen können, nicht abweichen dürfen.465 Die Vertragsfreiheit ist also eingeschränkt.466 Das betrifft zum einen die Regelungen, die man als zwingendes Recht bezeichnen kann. Durkheim führt insoweit etwa den Schutz des „Rechtsunfähigen“ an.467 Besondere Aufmerksamkeit verdient aber vor allem Durkheims Einstellung zum abdingbaren Recht. Die Möglichkeit, in bestimmten Fällen vom Gesetz abzuweichen, das heißt 460 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. Vgl. auch die Ausführungen auf S. 160 f., wonach es keinen Teil des Rechts gibt, der nicht durch die Sitten ergänzt wird. 461 Siehe dazu auch Dahrendorfs Soll-Erwartungen, Teil 3 C. III. 3., S. 504 ff. 462 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 463 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 464 Dazu u. a. auch vor allem die Ausführungen von Röhl, FS für Schelsky, 435, 441 ff. 465 Siehe dazu Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 272. 466 Dazu auch Röhl, FS für Schelsky, 435, 440. 467 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 268. Im BGB sind dies die Regelungen bezüglich der Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB), die zwingendes Recht darstellen.
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eigene individuelle vertragliche Regeln aufzustellen, sieht Durkheim in den meisten Fällen als eine bloß theoretische Möglichkeit an.468 Zur Begründung führt er u. a. an, die Rechte und Pflichten müssten über einen längeren Zeitraum definiert werden, um Konflikte zu vermeiden.469 Die Vertragsparteien seien aber nicht in der Lage, die möglicherweise auftauchenden Probleme bei Vertragsschluss vorherzusehen, außerdem hätten sie für ein entsprechendes zeitliches Aushandeln auch überhaupt keine Zeit.470 bb) Folgen für die individuell ausgerichtete Vertragsgestaltung Diese Auffassungen Durkheims von der Rolle des Vertrags und des Rechts in der Gesellschaft geben wie die Ausführungen Ehrlichs auch heute noch für den anwaltlich tätigen Vertragsgestalter, der in seiner Funktion die Interessen seines Mandanten realisieren soll, Denkanstöße. Gleichzeitig können sie auch dazu beitragen, anwaltliches Handeln kritisch zu reflektieren. Folgt man den Ansichten Durkheims471 konsequent, so muss sich der Vertragsgestalter fragen, ob eine individuelle Interessenwahrnehmung für seinen Mandanten überhaupt möglich ist, bzw. ob diese darin bestehen kann oder sogar muss, einen Entwurf in größtmöglichem Einklang mit dem Gesetz zu schaffen. Dabei ist es aus anwaltlicher Sicht sicherlich in der Regel interessengerecht, einen Vertragsentwurf zu fertigen, der im Einklang mit dem zwingenden Recht steht. Ausgehend von Durkheims Überlegungen müsste er aber auch im Einklang mit dem dispositiven Recht stehen. Dabei ist ein Vorgehen dergestalt, einen Vertrag nach dispositivem Recht, insbesondere nach typisiertem dispositiven Recht auszurichten, durchaus eine anwaltliche Handlungsalternative. Das kann gerade auch mit Blick auf die individuelle Interessenlage472 geschehen, nämlich angesichts der von Durkheim angesprochenen langfristigen Konfliktvorsorge. Es kann durchaus für den Einzelnen interessengerecht sein, auf ein „ausgearbeitetes“ und damit vorhersehbares „Leistungs- und Störfallprogramm“ zurückzugreifen.473 Für den Anwalt kann damit zudem der „si468
Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 269. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 269 f. 470 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270. Hier kommt auch wieder die Vereinfachungsfunktion des dispositiven Rechts zum Tragen. Zur Funktion der Reserveordnung über das dispositive Recht erneut u. a. Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 339; Möslein, Dispositives Recht, S. 33. 471 Die Ansichten Durkheims sind freilich im Zusammenhang mit seiner Gesellschaftstheorie zu sehen, so etwa Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 31. 472 An diesen Ausgangspunkt muss der Anwalt seine Überlegungen ausrichten; ein Verfolgen gesellschaftlicher Ziele darf sicherlich nicht sein Primärziel sein. 473 Zur Risikoplanung u. a. Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 4, Rn. 74 ff.; Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4 f.; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 261 ff. 469
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cherste Weg“ bei der Vertragsgestaltung eröffnet sein, weil er auf einen gesetzlich fixierten Rahmen zugreifen kann, zu dem es in der Regel außerdem schon ergangene Rechtsprechung gibt. Damit ist eine entsprechende Prognose- und damit Rechtssicherheit verbunden. Es ist auch zuzubilligen, dass ein Rückgriff auf dispositives Recht aus zeitökonomischen oder aus Kostengründen474 angezeigt sein kann, weil ein „fertiges“ Programm zur Verfügung steht. Es muss allerdings nochmals betont werden, dass die zuletzt gemachten Überlegungen daraus resultierten, dass es im Einzelfall den Wünschen des Individuums entsprach, die aufgezeigten Vorteile zu erzielen, und nicht aus dem Grund, „gesellschaftliche Harmonie“ zu verwirklichen. Es war vielmehr so, dass die „Harmonie“ und Konfliktvermeidungsstrategie des Einzelnen mit dem gesetzlichen Rahmen übereinstimmten. Deshalb muss der Anwalt im Vorfeld des Vertragsschlusses seinen Mandanten über die (wesentlichen) dispositiven Vertragsinhalte aufklären, damit sich dieser bewusst für ihr Eingreifen entschließen kann. Durkheims Überlegungen, wonach die Vertragsparteien nicht in der Lage seien, bestimmte Probleme bei Vertragsschluss vorherzusehen und sie für ein zeitliches Aushandeln u. U. keine Zeit hätten,475 sind bei Einschaltung eines Anwalts zu modifizieren. Die von Durkheim genannten Funktionen des dispositiven Rechts können den Anwalt nicht aus seinem vertraglichen Pflichtenprogramm gegenüber seinem Mandanten entlassen, weshalb es bei der Aufklärungspflicht über den Inhalt dispositiven Rechts, das im Fall der vertraglichen Umsetzung von Mandanteninteressen eingreift, bleibt. Zudem muss und wird bei einer Betrachtungsweise aus der Sicht des anwaltlichen Vertragsgestalters auch weiterhin zu hinterfragen sein, ob das Bild der Unfähigkeit zur individuellen Konfliktplanung für die Zukunft mittels Vertrags aufrechterhalten werden kann. Daran schließt sich zwangsläufig die Frage an, ob eine Konfliktvorsorge für die Zukunft „nur“ über die gesetzlichen Regelungsangebote möglich ist, oder ob es nicht vielmehr direkt zu einem Konflikt führt, wenn keine vom Gesetz abweichenden Regelungen im Vertrag getroffen werden. Die Antwort hängt u. a. davon ab, wo man den Konflikt festmacht. Durkheim hat ganz deutlich die gesellschaftliche „Harmonie“ im Blick, nicht primär einen möglichen Konflikt zwischen zwei Vertragspartnern. Nicht zuletzt verweist er auf die Regelungen, die sich für den Durchschnittsfall bewährt haben. Ein anwaltlicher Vertragsgestalter hat den „Konflikt“, oder allgemeiner gesprochen, die Wünsche seines Mandanten zu berücksichtigen. Aus diesem Blickwinkel heraus muss angesichts vorhandener gesetzlicher „Durchschnittsregelungen“ dann aber die Frage gestellt werden, ob es im Einzelfall, das heißt in der vertraglichen Situation zwischen 474 Ausführlich Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 339 ff., zur „Verkehrserleichterung und Transaktionskostenminimierung: Marktimitierendes dispositives Recht als staatliche Serviceleistung“; siehe ebenfalls den Verweis bei Cziupka, S. 339, Fn. 1, auf Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. Siehe ferner u. a. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 505 f. 475 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 270. Dazu auch Röhl, FS für Schelsky, 435, 440.
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den Vertragspartnern, nicht gerade konfliktfördernd sein kann, wenn auf die „Durchschnittslösung“ zurückgegriffen wird, ohne einen Weg für spezielle Wünsche und Probleme zu entwickeln. Es stellt sich mithin in Richtung auf Durkheims Ausführungen die Schwierigkeit, ob und inwieweit die Gesellschaft die Suche nach „individueller Harmonie“ zulässt, indem Verträge, die vom gesetzlichen Rahmen abweichen, entwickelt werden. Dass diese Problematik nichts an ihrer Aktualität verloren hat, zeigt allein schon die existierende Inhaltskontrolle von, gerade durch Abbedingung dispositiven Rechts, geschlossenen Verträgen anhand der Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB.476 Namentlich der § 138 Abs. 1 BGB mit der tatbestandlichen Verankerung der „guten Sitten“ ist zudem ein Beispiel dafür, dass die Einbettung eines Vertrags in seinen sozialen Kontext nicht unterschätzt werden darf. Das kann durchaus zu rechtlichen Konsequenzen führen.477 Nicht zuletzt „zeigt“ die Gesellschaft durch „ihr“ Werk, nämlich die gesetzlichen Regelungen,478 ihre „Macht“. Weiterhin muss aber vor allem auch heute noch der von Durkheim angesprochene „Druck der Sitten“ als ein neben dem Recht stehender Faktor bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt werden. Schnittflächen zu den Ansätzen Durkheims finden sich bei Weber und Carbonnier. Gerade Max Weber nimmt eine starke Hinwendung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Vertrag unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung desselben vor. 3. Entwicklung hin zum Zweckkontrakt mit der Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung – Max Weber479 Max Weber setzt sich mit dem Vertrag und insbesondere mit der Vertragsfreiheit und dem Vertragsrecht u. a. in dem Kapitel zu den Formen der Begründung subjektiver Rechte in seinem Werk zur Rechtssoziologie480 auseinander. Dabei zeigt schon die Einbindung der Erörterungen in das Kapitel über die subjektiven Rechte, 476 Vgl. u. a. BGH NJW 2009, 2124 ff.; BGHZ 178, 322 ff.; BGH FamRZ 2006, 1024 ff.; BGHZ 158, 81 ff. 477 Vgl. auch zum § 138 BGB als außervertraglicher Voraussetzung für den Vertrag, Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 411. Röhl nennt den § 138 BGB jedoch im Zusammenhang mit der „Sicherung der Privatautonomie gegen sich selbst“. 478 Zur gesetzlichen Regelung als Werk der Gesellschaft, Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 267 f. 479 1864 – 1920. 480 Weber, Rechtssoziologie, 2. Aufl. 1967, § 2, S. 127 ff. Besondere Aufmerksamkeit widmet Weber dort auch dem Recht der gesellschaftlichen Verbände, S. 177 ff. Auf eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik wird im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung verzichtet. Die Ausführungen zu den Formen der Begründung subjektiver Rechte finden sich ebenfalls in Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 398 ff.
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dass Weber seine Ausführungen zum Vertrag nicht losgelöst von rechtlichen Überlegungen macht, das heißt keinen Blick auf den Vertrag unter Aussparung der Rechtsordnung481 wirft.482 Grundlage für den Vertrag, den Kontrakt, ist allerdings auch nach Weber die freie Vereinbarung zwischen den Parteien.483 a) Zusammenspiel von Rechtssätzen und Zwangsgewalt Anknüpfend an rechtliche Überlegungen führt Weber aus, vom juristischen Standpunkt her bestehe das moderne Recht aus abstrakten Normen („Rechtssätzen“), wobei Weber auf die Unterscheidung in gebietende, verbietende sowie erlaubende Rechtssätze hinweist.484 Aus erlaubenden Rechtssätzen folgen die subjektiven Rechte des Einzelnen, die letztlich eine „Machtquelle“ für diesen Einzelnen darstellen.485 Deshalb geht mit ihnen auch eine bestimmte Erwartungshaltung einher, z. B. dass andere sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten.486 Unter Bezugnahme auf die ermächtigenden Rechtssätze macht Weber fest, dass jene es in das Belieben des Einzelnen stellten, durch Rechtsgeschäfte ihre Beziehungen zueinander innerhalb bestimmter Grenzen autonom zu regeln.487 So weit reiche das Prinzip der „Vertragsfreiheit“.488 Bemerkenswert ist weiterhin das Folgende: Wenn Weber vom „Maß der Vertragsfreiheit“ spricht, stellt er zum einen auf einen von der Rechtsordnung gesetzten Rahmen ab, er spricht aber auch des Weiteren von dem durch „Zwangsgewalt“ als „gültig“ garantierten Inhalt.489 Die „Zwangsgewalt“ ist im Zusammenhang mit dem Verständnis Webers zu Ordnung und Recht zu sehen. Eine Ordnung soll Recht heißen, wenn sie äußerlich garantiert ist durch die Chance der Einhaltung, sei es mittels des physischen, sei es mittels des psychischen Zwangs, „durch ein auf die Erzwingung der Innehaltung oder der Ahndung der Verletzung gerichteten Handelns eines eigens darauf eingestellten 481
Dabei hat der Vertrag freilich, wie sich noch zeigen wird, in der geschichtlichen Entwicklung eine unterschiedliche Rolle in den jeweiligen Rechtsordnungen eingenommen. 482 Vgl. auch Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 41, der ausführt, dass Weber auf eine rechtssoziologische Definition des Vertrags verzichtet. 483 Weber, Rechtssoziologie, S. 131 f. Diese Fundstelle führt gerade auch Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 41, Fn. 52 an. Schmid, S. 41, sieht Webers Vertragsverständnis in jeder freien Vereinbarung, also jeder Vereinbarung, die unbesehen ihres Inhalts oder ihrer juristischen Form von zwei oder mehreren autonomen Subjekten geschlossen wird. Der Gegenstand des Vertrags sei dabei letztlich egal. 484 Weber, Rechtssoziologie, S. 128. 485 Vgl. zur formalen Rechtsposition als „Machtquelle“ innerhalb der Vertragsverhandlungen, Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 246, bezeichnenderweise aber unter der Überschrift „Mittel des Machtlosen“. 486 Weber, Rechtssoziologie, S. 128. 487 Weber, Rechtssoziologie, S. 128 f. 488 Weber, Rechtssoziologie, S. 129. 489 Weber, Rechtssoziologie, S. 129.
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Stabes von Menschen“.490 Entscheidend ist nach Weber der „Erzwingungs-Stab“.491 Weber betont, ein solcher Stab müsse nicht notwendigerweise eine richterliche Instanz sein; denkbar sei etwa auch die Sippe als Erzwingungsstab.492 Für den juristischen Umgang mit dem Vertrag sind die Berücksichtigung staatlich gesetzten Rechts wie auch die Durchsetzung mittels des staatlichen Zwangsapparates selbstverständlich. Interessant sind deshalb auch Parallelen u. a. zu den Überlegungen Durkheims, der den Vertrag nicht losgelöst von seinem rechtlichen Rahmen erörtert, sondern jenen als letztlich maßgeblich ansieht. In ähnlicher Weise finden sich Ausführungen bei Weber. Bloße Vereinbarungen sind zwar möglich. Allerdings ziehen nur solche Vereinbarungen, die unter die „Vertragsfreiheit“ fallen, das heißt im Einklang mit den Grenzen der Rechtsordnung stehen, eine Zwangsgarantie nach sich.493 Problematisch ist jedoch, für welche Vertragsinhalte dies der Fall ist, da keine Rechtsordnung eine schrankenlose Vertragsfreiheit kennt.494 b) Unterscheidung von Status- und Zweckkontrakten Weber stellt im Weiteren die Verbindung zwischen dem Umfang der Vertragsfreiheit und der damit bezweckten Funktion her. Wem die Rechtsordnung eine „Zwangsgarantie“ zur Verfügung stellt, also welche Vereinbarung vor der Rechtsordnung495 durchsetzbar ist, hängt maßgeblich von den involvierten Interessen ab, namentlich vor dem jeweiligen wirtschaftlichen Hintergrund.496 Diese Interessen 490
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17; siehe auch S. 185. Zur insoweit vorhandenen Zwangsnatur des Rechts, der Geltung des Rechts als Zwangsregel („garantiertes Recht“) siehe ferner z. B. die Ausführung von Zippelius, Rechtsphilosophie, § 5, IV, 1 m. w. N. 491 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 18. Vgl. aber ebenso Zippelius, Rechtsphilosophie, § 5, IV, 1, der die Bedeutung eines Erzwingungsverfahrens herausstreicht. 492 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 18. Dieser Betrachtungsweise liegt eine soziologische Blickweise auf den Begriff der Rechtsordnung zugrunde; dazu Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 41. Von der Zwangsnatur des Rechts sind andere Zwänge, insbesondere gesellschaftliche, zu unterscheiden, Zippelius, Rechtsphilosophie, § 5, IV, 1. Die gesellschaftlichen Konsequenzen werden allerdings im weiteren Verlauf der Untersuchung als innerhalb der Vertragsgestaltung zu berücksichtigende Folgen noch von Bedeutung sein, namentlich in der Art und Weise, ob nicht im Einzelfall gesellschaftliche Konsequenzen für einen Vertragspartner sehr viel schwerer wiegen können als das Eingreifen eines (staatlichen) Zwangsapparates; auch dazu Zippelius, Rechtsphilosophie, § 5 IV, 1. Vgl. in dem Zusammenhang auch die Ausführungen u. a. bei Röhl, FS für Schelsky, 435, 451, der die Unterscheidung von „Recht“ im Vergleich zu vorrechtlichen Strukturen etwa daran festmacht, ob eine auf Drittintervention spezialisierte Rolle ausgebildet worden ist. 493 Weber, Rechtssoziologie, S. 129. 494 Weber, Rechtssoziologie, S. 129. 495 Das heißt vor dem Hintergrund der oben angestellten Überlegungen auch mit Hilfe eines (organisierten) Zwangsapparates. 496 Weber, Rechtssoziologie, S. 129.
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seien angesichts einer „Marktverbreiterung“ im Besonderen Marktinteressen.497 Das sei, so Weber, allerdings nicht immer der Fall gewesen, was sowohl die Weite der „Vertragsfreiheit“ als auch deren Gegenstand betreffe.498 Weber macht vielmehr eine über Jahrhunderte gewachsene Entwicklung des Vertrags aus.499 aa) Statuskontrakt Ein Kontrakt als freie Vereinbarung, der als Rechtsgrund zur Entstehung von Ansprüchen und Pflichten führt, war danach zwar auch in früheren Epochen weit verbreitet.500 Die Schwerpunktbereiche, in denen dies relevant war, benennt Weber mit dem öffentlichen Recht, dem Prozessrecht, dem Familien- und Erbrecht;501 gerade das Erb- und Familienrecht boten auch die wesentlichen Rechtsquellen für einen Rechtserwerb. Kennzeichnend für die Verträge aus diesen Bereichen war aber ihre „Urwüchsigkeit“502. Weber bezeichnet sie auch als „,Status‘-Kontrakte“.503 Kennzeichnend für diese Statuskontrakte war die Veränderung der rechtlichen „Gesamtqualität“ einer Person, die Änderung ihrer universellen Stellung und ihres sozialen Habitus.504 Der Einzelne wird „qualitativ“ etwas anderes. Weber macht in diesen Umwandlungen auch ursprünglich etwas „Magisches“ aus.505 Beispiele solcher Statuskontrakte sind die Adoption oder die Verbrüderung.506 497
Weber, Rechtssoziologie, S. 129. Weber, Rechtssoziologie, S. 129 f. 499 Dazu im Einzelnen Weber, Rechtssoziologie, S. 130 ff. Darauf hinweisend auch etwa Raiser, JZ 2008, 853, 855. 500 Weber, Rechtssoziologie, S. 133. 501 Weber, Rechtssoziologie, S. 133. Vgl. dazu auch Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 39. Weber, a. a. O., macht für die entsprechenden Bereiche einen deutlichen Rückgang der freien Vereinbarung aus. Ob dies für den heutigen anwaltlichen Vertragsgestalter noch bejaht werden kann, ist fraglich. So sind es nicht zuletzt Verträge aus dem Bereich des Familienrechts (Eheverträge), die in jüngerer Zeit die Gerichte mit den Fragen nach dem Umfang der Vertragsfreiheit konfrontieren, siehe beispielhaft BGH FamRZ 2018, 1415 ff.; BGH FamRZ 2017, 884 ff.; BGH NJW 2014, 1101 ff.; BGH NJW 2009, 2124 ff.; BGHZ 178, 322 ff. (Ehevertrag); BGHZ 158, 81 ff. 502 Weber, Rechtssoziologie, S. 134. 503 Weber, Rechtssoziologie, S. 134. Die These der Entwicklung „from status to contract“ wurde bereits 1861 von Henry Sumner Maine entwickelt; vgl. dazu die Übersetzung von Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 184 – 186. Die Entwicklung Maines bezog sich zunächst auf den Übergang von archaischen Rechtsformen zum klassischen römischen Recht, während Weber einen Bogen bis zum gesamten Privatrecht schlug; zum Vorstehenden Röhl, Rechtssoziologie, S. 13. Zur geschichtlichen Entwicklung bei Weber siehe seine Rechtssoziologie, S. 130 ff. 504 Weber, Rechtssoziologie, S. 134. 505 Weber, Rechtssoziologie, S. 134. 506 Weber, Rechtssoziologie, S. 134; Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 38. Interessant sind hier auch aktuelle Überlegungen gerade im Bereich des Familienrechts, 498
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Eine „Garantie“ dafür, dass diese Kontrakte eingehalten wurden, dass etwa die Verbrüderung gelang, sieht Weber gerade in dem Umwandlungsprozess selbst.507 In diesem Prozess ist ebenfalls das für die Statuskontrakte maßgebliche „Zwangsmittel“ zu sehen. Die „Umwandlung“ bedeutete den „Vollzug“ des Wechsels, man wurde Teil eines anderen „Standes“. Bezeichnend für die durch Statuskontrakte geprägte Gesellschaft508 ist daher die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten „Stand“. In diesen Personengruppen, denen der Einzelne kraft des Vorliegens bestimmter objektiver Merkmale (z. B. Geburt) oder eben durch den bezeichneten Statuswechsel angehörte, fand sich auch ein jeweils für diese Gruppe geltendes „Sonderrecht“,509 welches letztlich das Recht in dieser Gruppe abschließend regelte.510 bb) Zweckkontrakt Von diesem (Status-)Kontrakt, der gleichsam die gesamte Person „veränderte“, erfolgte eine Entwicklung hin zum so genannten Zweckkontrakt.511 Hier steht nicht die ganzheitliche Umwandlung im Fokus, sondern die Erreichung eines singulären Ziels. Es geht nunmehr darum, durch den Vertrag, die Vereinbarung, einen konkreten, in der Regel ökonomischen Erfolg zu erzielen, ohne dass es zu einer Statusveränderung kommt.512 Als „Archetypus“ benennt Weber den Tausch.513 Interessant ist die Entwicklung des Tauschs in Bezug auf den Zweckkontrakt, die Weber schildert. So war danach der Tausch zunächst eine (Massen-)Erscheinung zwischen Mitgliedern einer ökonomischen oder politischen Gemeinschaft auf nichtökonomischem Gebiet, der teilweise noch mit einer Verbrüderung einherging („Frauentausch“).514 Gerade das Bindeglied, das durch den (noch) damit verknüpften Statuswechsel hergestellt wurde, verdeutlicht, dass der Wechsel zum zielorientierten Zweckvertrag stufenweise ablief. der Elternschaft, siehe nur Biggel/Ditzen/Frech/Lober/Patzel-Mattern/Schulz/Weller, Elternschaft im Wandel: From status to contract?, AcP 221 (2021), 765 ff. 507 Weber, Rechtssoziologie, S. 134. Weber, S. 134 f., weist in diesem Zusammenhang auch nochmals auf das „magisch orientierte“ Denken hin. 508 Vgl. Rehbinder, KZfSS, Sonderheft 11/1967, S. 197, 199, dazu, dass es sich bei den Entwicklungsstadien „Statusrecht“ und Kontraktrecht“ nur um Idealtypen handelt, die keine historisch exakte Beschreibung darstellen, sondern die soziale Wirklichkeit auf das Wesentliche zurückführen, um eine bessere Analyse zu ermöglichen. 509 Weber, Rechtssoziologie, S. 163; dort dazu, dass gewillkürtes partikuläres Recht das gemeine Recht brach. 510 Siehe dazu ebenfalls die Ausführungen bei Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 39. 511 Weber, Rechtssoziologie, S. 135. 512 Weber, Rechtssoziologie, S. 135. 513 Weber, Rechtssoziologie, S. 135. 514 Weber, Rechtssoziologie, S. 135.
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Eine nächste Stufe ist der ökonomische Tausch. Dieser ist geprägt von einem Austausch mit „Nichtgenossen des eigenen Hauses“, er ist ein Tausch nach außen, ein Tausch mit Fremden.515 Eine Zuspitzung des Tauschs als Zweckkontrakt gerade auch aus juristischer Sicht erfolgte dann schließlich durch das Aufkommen einer Geldfunktion bestimmter Güter.516 Die Entwicklung zum Zweckkontrakt war somit gesellschaftlich begleitet von einem Heraustreten des Einzelnen aus der (Stände-)Gemeinschaft. Es kommt zur Abnahme der Gebundenheit,517 zur Verdrängung der Verbrüderungen518. Der Einzelne tritt mit Personen, die eben nicht Mitglieder seiner Gruppe („Nichtgenossen“) sind, in einen zielgerichteten Geschäftskontakt519. In dem Zusammenhang ist auch die Rechtsschöpfung nicht primär die Sache der einzelnen Gruppe; Recht ist jetzt das Produkt der Vereinheitlichung und Rationalisierung in Verbindung mit der Monopolisierung der Rechtsschöpfung bei den anstaltsmäßig organisierten politischen Verbänden.520 Politisch trifft man auf eine erstarkende Staatsgewalt.521 Die monopolisierte Rechtsschöpfung ebnet dann auch den Weg, jedenfalls formal, eine Rechtsgleichheit zu schaffen,522 das heißt eine Gleichheit, die tatbestandlich nicht an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Statusgruppe anknüpft.523 Wirtschaftlich macht Weber den beschriebenen Wandlungsprozess hin zum Zweckvertrag524 vor allem an der Entwicklung zur Markgesellschaft fest; ökonomisch treten Markinteressen in den Vordergrund525. Weber sieht den Bedeutungszuwachs des Kontrakts insbesondere in den Bereichen des Gütererwerbs,526 aber auch in denen der Arbeits- und Dienstleistungen527. Die Bedeutung des Kontrakts für den wirtschaftlichen Güterverkehr sei, so Weber, das „Produkt der intensiven Steigerung der Markgesellschaft und der Geldverwendung“528. Weber spricht, auch vor dem Hintergrund der eingangs gemachten Ausführungen, unter dem rechtlichen 515
Weber, Rechtssoziologie, S. 136. Weber, Rechtssoziologie, S. 136. 517 Weber, Rechtssoziologie, S. 204. 518 Weber, Rechtssoziologie, S. 180. 519 Siehe dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 180. 520 Weber, Rechtssoziologie, S. 162. 521 Weber, Rechtssoziologie, S. 167. 522 Weber, Rechtssoziologie, S. 167. 523 Interessant ist, dass mittlerweile, z. B. im Verbraucherschutzrecht, an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe teilweise aus Schutzgesichtspunkten angeknüpft wird. Siehe nur §§ 312g; 13 BGB. 524 Erneut sei auf die Ausführungen Rehbinders, KZfSS, Sonderheft 11/1967, S. 197, 199, hingewiesen, wonach es sich bei den Entwicklungsstadien „Statusrecht“ und Kontraktrecht“ nur um Idealtypen handelt. 525 Weber, Rechtssoziologie, S. 167. 526 Weber, Rechtssoziologie, S. 133. 527 Weber, Rechtssoziologie, S. 205. 528 Weber, Rechtssoziologie, S. 133. 516
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Blickwinkel von einer „Kontraktgesellschaft“529. Der privatrechtliche Kontrakt stelle die „juristische Seite der Marktgemeinschaft“ dar.530 c) Auswirkung der Entwicklungen hin zum Zweckkontrakt Angesichts der Entwicklung und Expansion der „Marktgemeinschaft“ und ihrer juristischen Flankierung durch den (Zweck-)Kontrakt ist ein erneuter Blick auf die Vertragsfreiheit und die sie einräumende Rechtsordnung531, wie Weber sie beschreibt, zu werfen. Nicht zuletzt weist Weber darauf hin, der heutige Zustand532 der Vertragsfreiheit stünde am Ende einer (langen) Entwicklung.533 Vor dem Hintergrund der Markfreiheit ist es somit konsequent, eine weite Vertragsfreiheit einzuräumen, um so den individuellen (speziellen) Zielen eine rechtliche Grundlage zu ermöglichen. So führt Weber denn auch aus, innerhalb der Schranken der Vertragsfreiheit sei grundsätzlich jeder beliebige Vertragsinhalt möglich; auf diesem Weg könne zwischen den Parteien „Recht“ geschaffen werden.534 Eine Einschränkung dieses grundsätzlich weiten Freiheitsverständnisses, z. B. durch Formerfordernisse, ist aber möglich, wenn es aus Zweckmäßigkeitsgründen geboten ist, etwa aufgrund der Notwendigkeit der Beweisbarkeit oder der Rechtssicherheit535. Letztlich stehen hinter diesen Überlegungen Fragen der Praktikabilität eines reibungslosen Umgangs mit dem Recht, welcher für das Funktionieren einer Marktgemeinschaft ebenfalls erforderlich ist.536 Gründe der Praktikabilität sind es vor allem, die Weber in der Entstehung eines anderen Regelungsmechanismus ausmacht. Es geht insoweit um die Schaffung einzelner speziell geregelter Typen, die eingreifen, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben (dispositives Recht).537 Hier führt Weber zum einen Zweckmä529 Weber, Rechtssoziologie, S. 130. So auch noch aktuell Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 351. 530 Weber, Rechtssoziologie, S. 133 f. 531 Es geht insoweit um eine „monopolistisch“ vom Staat gesetzte Rechtsordnung. 532 Freilich im Sinne des Zeitpunkts der Abfassung. 533 Weber, Rechtssoziologie, S. 148. Dazu auch Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 100 f. 534 Weber, Rechtssoziologie, S. 148. Die Verbindung zur Rechtsquellenlehre aufzeigend etwa Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 99 f. 535 Weber, Rechtssoziologie, S. 148. 536 Es stellte sich durch den Zweckkontrakt mit „Nichtgenossen“ nach „außen“ auch die Frage nach der „Garantie“ (dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 136), das heißt die Frage nach der Durchsetzung vertragskonformen Verhaltens neu. Mit Weber liegt aber auch hier eine Rechtsordnung mit einem funktionierenden Zwangsapparat vor (s. o.). Für sein reibungsloses Funktionieren sind aber z. B. Fragen der Beweisbarkeit von besonderer Bedeutung. 537 Weber spricht an mehreren Stellen von einer „schematischen Ermächtigung“ oder „Rechtsschemata“, vgl. etwa Weber, Rechtssoziologie, S. 167, 204. Aus diesen Formulierungen wird man jedoch keinen, etwa auf schuldrechtlichem Gebiet, greifenden Typenzwang
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ßigkeitsgesichtspunkte an. Die Parteien denken nicht an alles, was möglicherweise geregelt werden (sollte).538 Rein praktisch kann auch heute noch als Beispiel auf den alltäglichen Kaufvertrag verwiesen werden. Beim morgendlichen Brötchenkauf „verschwendet“ in der Regel keine Vertragspartei etwa einen Gedanken daran, was zu geschehen hat, wenn die Ware mangelhaft („schlecht“) sein sollte. Dieses Beispiel verdeutlicht ebenfalls einen anderen Aspekt, den Weber aufführt, um Gründe für ein dispositives Recht auszumachen. Es geht um die Bequemlichkeit der Vertragsparteien.539 In dem „Brötchenfall“ haben die Parteien in den allermeisten Situationen „keine Lust“, irgendwelche Überlegungen um den vertraglichen Ablauf anzustellen, wenn sie sich überhaupt der rechtlichen Bedeutung ihrer Handlung bewusst sind. Es ist hier einfacher, auf ein vorhandenes „Schema“ zurückzugreifen. Beide Ansätze zeigen aber noch ein Weiteres: Gerade eine Marktgesellschaft, eine ökonomisch ausgerichtete Gesellschaft ist kaum möglich, wenn für bestimmte typische Fälle kein Regelungsprogramm vom Gesetz angeboten wird.540 So wäre etwa kein Massenaustausch an Waren, wie er tagtäglich stattfindet, möglich, wenn jeweils individuell Verträge zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt werden müssten.541 d) Rechtliche Ermächtigung zwischen Freiheitsgewährung, Eingriffsgrundlage und Begrenzung Angesichts eines weiten Verständnisses der Vertragsfreiheit wäre es schließlich vermeintlich folgerichtig, die zuvor angesprochenen Normen einer (juristischen) Rechtsordnung, die die Vertragsfreiheit ermöglichen, einseitig als die Normierung von Freiheitssphären aufzufassen. Zu Recht geht aber auch in diesem Bereich der Blick Webers darüber hinaus. „Freiheitssphären“ können nur für die „freiwillig“ an einem Vertrag Beteiligten abgesteckt werden. In einer komplexeren Gesellschaft ist aber in der Regel die Situation gegeben, in der von dem entsprechenden Rechtsgeschäft auch Dritte betroffen werden. Lassen die Normen aber ein bestimmtes Rechtsgeschäft zu, ist, so Weber, in der Regel ebenso die Ermächtigung vorhanden, ebenfalls Dritte, die selbst nicht unmittelbar an dem entsprechenden (Vertrags-)Akt beteiligt waren, zu binden.542 Hierbei muss freilich differenziert werden, in welcher entnehmen können. So spricht Weber an anderer Stelle, S. 205, gerade von individuellen Gestaltungsmöglichkeiten. 538 Weber, Rechtssoziologie, S. 149. Dazu auch schon Durkheim, C. II. 2., S. 118 ff. Auf das dispositive Recht und den Vereinfachungszweck kann wieder an dieser Stelle hingewiesen werden; dazu erneut die Ausführungen bei Möslein, Dispositives Recht, S. 33 f. m. w. N. 539 Weber, Rechtssoziologie, S. 149. 540 Siehe dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 149. 541 Es handelt sich insoweit um Überlegungen, die sich auch schon bei Durkheim finden (C. II. 2.). 542 Weber, Rechtssoziologie, S. 149.
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Art und Weise diese „Drittbindung“ erfolgt. So ist grundsätzlich die Begründung und Bindung einer vertraglichen Verpflichtung auf die Personen der Vertragsparteien beschränkt.543 Auswirkungen auf Dritte können vor allem auf mittelbarer Ebene erfolgen. So führt etwa ein Vertragsabschluss zu einer Vermehrung von Gläubigerpositionen auf der Schuldnerseite, d. h. seine (bisherigen) Gläubiger sind insoweit (mittelbar) betroffen, als die etwaige Befriedigungsmasse des Schuldners schrumpfen kann.544 Solche mittelbaren Auswirkungen, gleichsam mit dem Vertragsschluss einhergehende „Reflexwirkungen“, lässt das Recht allerdings, wenn es zu einem (bestimmten) Vertragsschluss ermächtigt, zu.545 Qualitativ anders zu beurteilen sind „Ermächtigungen“ in Form von „Sonderrechten“546, die in ihrer Bindungswirkung in Bezug auf Dritte von den Reflexwirkungen zu unterscheiden sind.547 Gemeint sind insoweit etwa Regelungen, die Auswirkungen auf ansonsten generell greifende Bestimmungen bezüglich des Rechtsverkehrs haben.548 Weber bringt dafür Beispiele u. a. mit dem Verkauf in die Sklaverei oder mit dem Fideikommiß.549 Ein aktuelleres Beispiel, welches den Ansatz von Weber verdeutlicht, ist der § 1365 BGB. Ein Mann oder eine Frau, deren einziger Vermögensgegenstand jeweils ein Grundstück ist, können grundsätzlich im Wege der Vertragsfreiheit über diesen Gegenstand einen wirksamen Verpflichtungsund Verfügungsvertrag mit einem Dritten schließen. Sollte der betreffende Mann oder die betreffende Frau jedoch ohne Änderung des gesetzlichen Güterstands eine Ehe eingehen, so sind diese Rechtsgeschäfte mit einem Dritten nur dann wirksam, wenn der jeweilige Ehepartner seine Einwilligung erteilt (§ 1365 BGB). § 1365 BGB ist damit ein „Sonderrecht“550 im Sinne Webers. Er geht den allgemeinen Regelungen zur Wirksamkeit von Rechtsgeschäften vor, enthält speziellere Bestimmungen und führt in dieser Eigenschaft auch zu Auswirkungen im Verhältnis zu Dritten551, denn es besteht u.a nicht mehr die Möglichkeit, einen bestimmten wirksamen Vertrag mit ihnen zu schließen. 543
Siehe dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 149. Dazu später auch noch die Auseinandersetzung um den Vertrag zu Lasten Dritter [D. III. 1. a) bb) (2), S. 267 ff.]. 544 Vgl. zum Beispiel Weber, Rechtssoziologie, S. 150. 545 Weber, Rechtssoziologie, S. 150, dort auch dazu, dass das Recht keineswegs solche Reflexwirkungen grundsätzlich ignoriert. 546 Hiermit ist nicht das Sonderrecht gemeint, das in früheren ständischen Gemeinschaften die primär maßgebliche Rechtsordnung ausmachte. 547 Weber, Rechtssoziologie, S. 150. 548 Weber, Rechtssoziologie, S. 150. 549 Weber, Rechtssoziologie, S. 150. 550 Erfüllt der jeweilige Ehegatte die eingegangene Verpflichtung ohne die notwendige Einwilligung seines Ehegatten, ist die entsprechende Verfügung unwirksam; es greift ein absolutes Verfügungsverbot, Grüneberg/Siede, BGB, § 1365, Rn. 1, unter Hinweis auf BGH NJW 1964, 347. 551 Siehe auch Weber, Rechtssoziologie, S. 152, der entsprechende Eingrenzungen qualitativ als ein Mehr im Verhältnis zur bloßen Begrenzung der Freiheitsrechte der Vertragsschließenden bezeichnet.
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e) Ausfluss „gebündelter“ Interessen Die Rolle „Dritter“ hinsichtlich der vertraglichen Freiheit wird bei Weber noch in anderen Zusammenhängen deutlich, wobei die Bezugspersonen allerdings allgemeiner formuliert sind und es namentlich um Begrenzungen geht. So macht Weber Gründe für bestimmte Schranken der Vertragsfreiheit in sozialen und ökonomischen Interessen maßgebender, gerade „bürgerlicher“ Schichten aus.552 Hier wirkt die Berücksichtigung fremder Interessen gleichsam in die andere Richtung im Vergleich zu den zuvor genannten möglichen Auswirkungen. Letztlich geht es um gebündelte Interessen bestimmter (dritter) Gruppen, die sich in der Form durchsetzen, dass die Freiheit anderer, individuelle Verträge zu gestalten, beschränkt wird. Diese Dritten müssen daher keine Auswirkungen durch die Verträge „fürchten“, sondern ihre Interessen führen selbst zur Schrankensetzung. So ordnet etwa § 400 BGB das Verbot der Abtretung unpfändbarer Forderungen an. Dahinter steht das „gebündelte“ Interesse der Öffentlichkeit, u. a. der Steuerzahler, dass dem Gläubiger der unpfändbaren Forderung seine Lebensgrundlage nicht entzogen wird553 und dieser dann auf öffentliche Hilfe angewiesen ist. Weber benennt weitere Ansätze554 für die Begrenzung der Vertragsfreiheit, die in diesem Kontext bedeutsam sind. So könne das Recht auch dann Vereinbarungen ihre rechtliche Gültigkeit versagen, wenn, jedenfalls direkt, gar keine Interessen Dritter, die sich an dem Vertrag nicht beteiligt haben, durch diese Vereinbarung berührt schienen.555 Ein solcher Fall könne etwa bei Nichtigkeit von Verträgen vorliegen, die gegen die guten Sitten verstießen.556 Ein insoweit neueres Beispiel wäre etwa ein Vertrag, den ein Discothekenbetreiber mit einem kleinwüchsigen Menschen abschließt, in dem dieser sich verpflichtet, gegen ein hoch bemessenes Entgelt sich für einen so genannten „Zwergenweitwurf“ durch die Discothekenbesucher zur Verfügung zu stellen.557 Geht man davon aus, dass der kleinwüchsige Mensch „Spaß“ an einer solchen Veranstaltung hat und er auch an der entsprechenden Bezahlung ein hohes Interesse hat, so ist der Vertrag gleichwohl wegen § 138 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen, obwohl zunächst scheinbar weder die Interessen der Vertragsparteien noch Interessen Dritter in einer Art und Weise berührt werden, die nicht gewollt ist. Allerdings könnte man gerade in den „guten Sitten“, die auch heute durch die Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB innerhalb des Vertragsrechts eine nicht zu 552
So Weber, Rechtssoziologie, S. 161. Vgl. dazu RGZ 146, 398, 401 f. 554 Die Gründe für die unterschiedlichen Begrenzungsmechanismen sind vielfältig, vgl. dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 153 ff.; auf sie soll hier im Einzelnen nicht näher eingegangen werden. Weber nennt u. a. rechtstechnische Gründe. Aufgrund des Untersuchungsgegenstands liegt der besondere Fokus auf den interessenbezogenen Begrenzungsmechanismen. 555 Weber, Rechtssoziologie, S. 152. Er führt weiter das mangelnde Eingreifen von Sonderregeln an bzw. den Umstand, dass der Dritte ggf. nur Vorteile habe. 556 Weber, Rechtssoziologie, S. 152 f. 557 Beispiel in Anlehnung an VG Neustadt NVwZ 1993, 98 ff. 553
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unterschätzende Rolle spielen, sehr wohl einen Bereich ausmachen, in dem die Interessen Dritter berührt werden. Weber selbst führt als Grund für bestimmte Schranken558 ethische und politische Interessen an.559 Diese Interessen, wobei im Zusammenhang mit § 138 Abs. 1 BGB insbesondere die ethischen Interessen von Bedeutung sind, stehen jedoch nicht im „luftleeren“ Raum. Sie werden vielmehr auch von gesellschaftlichen Gruppen gebildet oder jedenfalls getragen. Verstößt ein Vertrag gegen die guten Sitten, findet daher zumindest eine „Reflexwirkung“ auf die Gruppen der Dritten statt, die die besagten Werte stützen, denn sie werden in ihrem Vertrauen auf diese Werte enttäuscht. f) Bedeutung des Zweckvertrags für die individuelle Vertragsgestaltung Trotz bestehender Beschränkungen führt aber die Entwicklung vom Status- zum Zweckvertrag mit den flankierenden Rechtsvorschriften dazu, den jeweiligen Individuen im Rahmen der Vertragsfreiheit die Ermächtigung einzuräumen, privat gewillkürtes Recht auf einem bestimmten sachlichen Gebiet zu schaffen560. Es können individuelle Regelungen getroffen werden. Insoweit liegt es nahe, dies als Eröffnung individueller Freiheit des Einzelnen zu charakterisieren.561 Und jedenfalls in formeller Hinsicht wird man diese Eröffnung von Freiheitsräumen auch bejahen können. An diesem Punkt bleibt Weber jedoch nicht stehen, denn er weist am Ende des Kapitels darauf hin, allein die Einräumung formeller Möglichkeiten gewährleiste noch nicht, dass eben diese Möglichkeiten auch tatsächlich jedermann zugänglich seien.562 Von der Bejahung der formellen Freiheit ist die Frage zu trennen, ob damit auch in der Praxis der Einzelne individuell seine Lebensbedingungen mit Hilfe freier Vertragsgestaltung ordnen kann.563 Die Schwierigkeit, die sich auftut, besteht darin, ob nicht die Freiheit, sein Leben mittels der eingeräumten Möglichkeiten gestalten zu können, doch nur kleinen Gruppen tatsächlich offen steht.564 Weber verdeutlicht die Problematik an dem prägnanten Beispiel des Verhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es ist oftmals – freilich je nach Wirtschaftslage – der Arbeitgeber der auf dem Markt Mächtigere, zumal der Arbeitnehmer in den meisten Fällen ökonomisch viel stärker auf die Arbeit angewiesen ist. Allein die formale Möglichkeit des Arbeitnehmers, Vertragsbedingungen gestalten zu können, nutzt ihm daher tat558
Er nennt insoweit etwa die Ablehnung der vertragsmäßigen Ergebung in die Sklaverei, siehe Weber, Rechtssoziologie, S. 154 f. 559 Weber, Rechtssoziologie, S. 155. Auf den politischen Aspekt u. a. für die Bestimmungsgründe der Rechtsentwicklung bei Weber auch hinweisend Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 101. 560 Weber, Rechtssoziologie, S. 167, 204 f. 561 Dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 204. 562 Weber, Rechtssoziologie, S. 205. 563 Dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 205. 564 Dazu Weber, Rechtssoziologie, S. 206.
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sächlich gar nichts.565 Das Beispiel Webers hat an seiner Bedeutung nichts verloren, wie zahlreiche Publikationen zum Paritätsverhältnis im Bereich des Arbeitsrechts zeigen.566 Der „Mächtigere“, Weber stellt hierbei vor allem auf den (Güter-)Besitz ab, hat somit vornehmlich den Nutzen aus der Vertragsfreiheit, indem er seine Position einsetzen kann, „Macht“ über andere zu erlangen.567 Webers Ausführungen zum Vertrag, Vertragsrecht und zur Vertragsfreiheit haben nach wie vor nachhaltige Bedeutung, auch aus praktischer Sicht und dabei im Besonderen aus dem Blickwinkel des juristischen Vertragsgestalters. Anknüpfend an die zuletzt gemachten Ausführungen bezüglich der formalen und der tatsächlichen Freiheit liegt ihre Relevanz für den vertragsgestaltenden Anwalt unmittelbar auf der Hand und dieses in mehrfacher Hinsicht. So geht es für ihn zum einen darum, unterschiedliche Machtverhältnisse überhaupt auszumachen oder sie ggf. sogar erst zu schaffen. Zum anderen stellt sich im Besonderen für den Juristen die Frage, ob und inwieweit „Machtunterschiede“ nicht doch in der Form Einlass in das Recht finden, als zur Aufhebung derselben Grenzen installiert werden, die aus Gestaltersicht zu berücksichtigen sind.568 Weber selbst benennt an anderer Stelle in seiner Rechtssoziologie die Problematik, indem er von „materialer Gerechtigkeit“ spricht, nach der etwa die „Laien“ rufen.569Angesichts dessen ergibt sich für den Vertragsgestalter die weitere Frage, ob der Vertrag im Umfeld seines Mandanten überhaupt oder jedenfalls in Gänze als adäquates Mittel zur Interessenumsetzung eingesetzt werden kann oder sollte. Befindet sich der Mandant überhaupt noch mit seinen Interessen in einem gesellschaftlichen Kontext, den er im Sinne einer „Kontraktgesellschaft“ zielgerichtet „frei“ beeinflussen kann, oder befindet sich dort die „Kontraktgesellschaft“ auf dem Rückzug570 ? 565
Weber, Rechtssoziologie, S. 205. Siehe u. a. Reichold, FS für Adomeit, S. 583 ff.; Schneider, Richterliche Kontrolle von Betriebsvereinbarungen und Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen; Thies, Der Schutz des Arbeitnehmers bei Abschluss arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge; Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht. Zur Paritätsproblematik noch in Teil 5 [D. III. 2. a) ee) (2), S. 955 ff.], der Arbeit im Zusammenhang mit dem methodischen Umgang mit Generalklauseln als zwingendem Recht. 567 Weber, Rechtssoziologie, S. 205 f. 568 Auch dazu noch in Teil 5 D. III., S. 931 ff. 569 Weber, Rechtssoziologie, S. 344, 346. 570 Zum Rückzug der „Herrschaft des Kontraktrechts“ siehe etwa Rehbinder, KZfSS, Sonderheft 11/1967, 197, 205 ff. Eine Bewegung „From Contract to Status“ für Europa und die USA untersuchend Bruns, JZ 2007, 385 ff. Kritisch ebenfalls in Bezug auf die Vertragsfreiheit statt vieler u. a. Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens. Eine Übersicht mit Exempeln, die für eine Entwicklung „From Contract to Status“ sprechen können, gibt Reimann, From Contract to Status – Vertragsfreiheit und Vertragstreue vor neuen Grenzen?, S. 67 ff. Als Beispiel für eine solche Entwicklung führt Reimann u. a. den Verbrauerschutz an, der am Begriff des Verbrauchers (§ 13 BGB) und des Unternehmers (§ 14 BGB) festmacht (S. 73 ff.). Zum Verbraucher als typisierten Schutzadressaten Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 320 ff. 566
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Die Verzahnung von „Kontraktgesellschaft“ und materiellen Einschränkungen ist zudem im Rahmen der Vertragsgestaltung aus einem weiteren Gesichtspunkt bedeutsam. Trotz möglicher Einschränkungen muss sich ein interessenorientiert arbeitender Vertragsjurist darüber im Klaren sein, dass der (juristische) Vertrag nach wie vor das rechtliche Mittel ist, Wünsche seines Mandanten in rechtlich durchsetzbarer Weise umzusetzen. Zu diesen Wünschen können auch ganz elementare Bedürfnisse, z. B. bezüglich einer Wohnung oder Arbeit, gehören. Die Bedürfnisbefriedigung mittels Vertrags ist nicht zuletzt die Konsequenz aus der Entwicklung der Gesellschaft, die Weber mit der Auflösung der Stände beschreibt oder Durkheim mit der Arbeitsteilung. Der Einzelne lebt in der Regel nicht mehr in einem so engen sozialen Verbund, dass dieser sich um sämtliche (Elementar-)Bedürfnisse kümmern könnte. Zur Abdeckung dieser Bedürfnisse muss der Schritt „nach außen“ mittels des Vertrags gemacht werden. Je nachdem welche (elementaren) Wünsche der Mandant umgesetzt wissen möchte, kann es dann aber wiederum bedeutend sein, ob nicht für den Mandanten materielle Kriterien streiten, oder ob er sich allein auf dem Feld der formalen Freiheit bewähren kann und muss. Schließlich sollen an dieser Stelle noch zwei weitere Ansatzpunkte der Weberschen Ausführungen kurz aufgegriffen werden. Weber erläutert, wie dargelegt, u. a. die „Reflexwirkungen“, die ein zwischen zwei Parteien geschlossener Vertrag für Dritte haben kann. Namentlich solche „Reflexwirkungen“ (Wie reagiert ein Nachbar auf ein Bauprojekt? Wie wirkt es sich auf das Mitarbeiterklima aus, wenn mit einem bestimmten Zulieferer ein Vertrag geschlossen wird?), können für eine interessenausgerichtete Mandantenbetreuung von besonderer Relevanz sein,571 insbesondere da bei der Weite des Interessenbegriffs zu den Mandanteninteressen auch seine Beziehungen zu Dritten gehören können. Dann darf der Blick des Vertragsanwalts sich aber nicht auf das Zweipersonenverhältnis der Vertragsparteien reduzieren, vielmehr muss der Rechtsgestalter den Vertragsvorgang immer in seinen (ggf. weiten) sozialen Kontext stellen. Ein weiterer Aspekt ist die von Weber angerissene Bedeutung des dispositiven Rechts. Weber spricht die Punkte der „Zweckmäßigkeit“, aber auch der „Bequemlichkeit“ an. Beide stellen sich für einen im Auftrag eines Mandanten handelnden Anwalt aus einem anderen Blickwinkel. Der Anwalt darf sich nicht ohne weiteres auf den zweckmäßigen Weg zurückziehen, das zeigte sich bereits innerhalb der Auseinandersetzung um das Postulat des sichersten Wegs in der Vertragsgestaltung.572
Rittner, JZ 2011, 269, 269, führt zur Diskussion die These „Verfrühter Grabgesang oder „Death of Contract“?“ als Zwischenüberschrift an. Rittner zitiert in demselben Beitrag (S. 270) jedoch auch Weller, Die Vertragstreue, S. 560 ff., der „Die königliche Stellung des Vertrages“ herausarbeitete. Rittner selbst (S. 274) betont in seiner Zusammenfassung die beherrschende Rolle des Vertrags in der Praxis. 571 Zu den Drittinteressen und ihrer Bedeutung noch ausführlich unter D., dort auch unter Vertiefung der Reflexwirkungen. 572 Oben Teil 1 B. III. 2. b) dd), S. 102 ff.
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Die angesprochene „Bequemlichkeit“ ist letztlich ein „Privileg“ für den juristischen Laien. Einen Punkt, den Weber angesprochen hat, wird der Anwalt innerhalb seiner Überlegungen aber stets zu berücksichtigen haben: das Wissen um die mögliche Aktivierung eines staatlichen Sanktionenapparates, der bei einem (rechts-)wirksamen Vertrag möglich ist. Das ist letztlich ein maßgeblicher Grund, warum auf den vom Staat anerkannten Vertrag als Regelungsinstrument inter partes zurückgegriffen wird. Interessant wird im weiteren Verlauf der Untersuchung aber noch sein, inwieweit andere Sanktionsabläufe (gezielt) nutzbar und einsetzbar sind.573 4. Nutzbarmachung einer auf den Vertragsschluss und den Vertragsfortgang angewandten Soziologie – Jean Carbonnier574 Der französische Rechtssoziologe Jean Carbonnier setzte sich mit dem Vertrag u. a. in seinem Werk zur Rechtssoziologie575 auseinander. So wie Weber Schnittflächen zu Durkheim bietet, ist dies auch bei Carbonnier der Fall. Wie bei Durkheim576 finden außervertragliche Geschehensabläufe in den (rechts-)soziologischen Betrachtungen Carbonniers ihren Niederschlag, durchaus unter Rückkopplung auf juristische Regelungen und Wirkungen. So zeigt Carbonnier u. a. auf, wie sich die Kenntnis um bestimmte juristische Regelungen auf (außerrechtliche) Entscheidungsabläufe auswirkt oder wie eine Verbindung zwischen der Beobachtung außervertraglicher Abläufe und ihrer Einflussnahme auf juristische Überlegungen, insbesondere auf den Vertragsschluss an sich, aussehen kann. Hervorzuheben ist, dass seine Ausführungen gerade im Kapitel zur praktischen Funktion der Rechtssoziologie577 angesiedelt sind. Carbonnier streicht bereits zu Beginn des Kapitels heraus, die Rechtssoziologie wolle eine praktische Funktion übernehmen und eine angewandte Wissenschaft werden.578 Seine Begründung besteht u. a. darin, es bestünde ein „notwendiger Verkehr“ der Rechtssoziologie mit den Juristen. Die Wissenschaft der Juristen sei aber ganz auf die Praxis ausgerichtet. Inwieweit gerade die juristische Wissenschaft sich der Praxis verbunden oder verpflichtet fühlt bzw. wie sich Wissenschaft und Praxis „vertragen“, ist freilich dis-
573 Weber selbst sieht einen „Erzwingungs-Stab“ als notwendig an, wobei dieser nicht unbedingt in der Person des Richters gegeben sein muss, sondern auch z. B. durch die Sippe gegeben sein kann, Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17 f. 574 1908 – 2003. 575 Carbonnier, Rechtssoziologie, Berlin 1974. Dieses Werk soll den schwerpunktmäßigen Bezugspunkt bilden. 576 Und auch bei Ehrlich. 577 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 252 ff. 578 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 252.
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kussionsfähig und -bedürftig.579 Bei der Ausrichtung auf den anwaltlichen Vertragsgestalter ist der Praxisbezug allerdings vorgegeben. a) Vertragsverständnis bei Carbonnier Carbonnier streicht für die Anwendung der Rechtssoziologie zunächst die Bereiche heraus, auf die sich seiner Meinung nach die „herkömmlichen Künste des dogmatischen Rechts“ im Besonderen beziehen; dies seien die Rechtsprechung und die Gesetzgebung.580 Er führt weiterhin die „Kunst des Vertragsschlusses“ an, allerdings sei diese als juristische „Kunst“ weniger auffallend.581 Für die auf den Vertrag anzuwendende Soziologie stellt Carbonnier seinen Erläuterungen eine Definition des Vertrags voran. Er betont, es werde ein im Vergleich zum juristischen Verständnis weiterer Begriff gewählt, und definiert, allerdings unter Hinweis auf die Vagheit der Formulierung, den Vertrag „(…) als beliebige private Einrichtung von interindividuellen Rechtsbeziehungen, die man durch Anwendung soziologischer Gegebenheiten beeinflussen kann.“582 Als Beispiele nennt Carbonnier die Ehe oder das Nachbarschaftsverhältnis als „Quasi-Vertrag“. Carbonnier sieht also die Möglichkeit als gegeben an, dass Abläufe, die (allein) im sozialen Leben stattfinden, die Rechtsbeziehung „Vertrag“ inhaltlich, wenn nicht sogar im Entstehen selbst, (mit-) gestalten können. Trotz der Weite des Begriffs könnte dann allerdings fraglich sein, ob unter dieses Verständnis der „engere“ juristische Vertragsbegriff fällt, da nach strengen juristischen Maßstäben dort die „Rechtsbeziehung“ nicht ohne weiteres583 durch sozio579
Exemplarisch sei an dieser Stelle nur der Hinweis auf die Diskussionen, inwieweit ein wissenschaftlich ausgerichtetes Jurastudium auch praxisausgerichtet sein kann; siehe etwa Gusy, Anwaltsorientierte Ausbildung als Auftrag der Universitäten; Huber, Die inhaltliche Neuausrichtung des rechtswissenschaftlichen Studiums aus der Sicht des Deutschen JuristenFakultätentages. 580 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 252. 581 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 252. Insoweit ist auch bezeichnend, dass in den „klassischen“ Methodenlehren auf die Vertragsgestaltung kaum/nicht eingegangen wird. 582 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 254. Carbonnier selbst, Rechtssoziologie, S. 254, Fn. 1, weist darauf hin, dass die Merkmale „privat“ und „interindividuell“ zu Eingrenzungen führen, die etwa Verträge auf öffentlich-rechtlicher Ebene ausschließen. 583 Bereits die inhaltliche „Beeinflussung“ durch soziale Abläufe ist nicht unproblematisch. Möglich ist sie jedoch, wie etwa § 313 BGB oder § 242 BGB (Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit) zeigen. Die (juristische) Vertragsbegründung (allein) aufgrund tatsächlicher/sozialer Abläufe ist noch problematischer. Die im Zusammenhang mit dem Massenverkehr bzw. der Daseinsvorsorge entwickelte Lehre vom faktischen Vertrag wurde aufgegeben, dazu Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf v § 145, Rn. 25, PWW/Brinkmann, BGB, Vor §§ 145 ff., Rn. 46, unter Hinweis auf BGHZ 95, 339; ferner Erman/Armbrüster, BGB, Vor § 145, Rn. 42 m. w. N. Verhalten im sozialen Kontext wird vielmehr als juristische Willenserklärung ausgelegt (vgl. Grüneberg/Ellenberger, BGB, ebenda; dort u. a. auch zum sozialtypischen Verhalten als Annahme). Bekannt sind allerdings z. B. faktische Arbeitsverhältnisse, das heißt auch ohne einen
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logische Gegebenheiten (rechtlich relevant) beeinflusst werden kann. Carbonnier selbst scheint auch den juristischen Vertrag als erfasst anzusehen.584 Letztlich ist diese Problematik im Kontext der vorliegenden Untersuchung aber nicht von entscheidender Bedeutung. Denn zum einen zeigt auch das Carbonniersche Vertragsverständnis, dass es im sozialen Leben relevante „Rechts“beziehungen gibt, die nicht mit dem juristischen Vertragsverständnis übereinstimmen. Auf die Bedeutung dieser Aussage für den Vertragsgestalter ist bereits im Zusammenhang mit den Ausführungen zu Eugen Ehrlich eingegangen worden.585 Zum anderen sind die Überlegungen Carbonniers zur auf den Vertrag angewandten Soziologie ohne Schwierigkeiten auch für ein juristisches Vertragsverständnis nutzbar zu machen. b) Auf den Vertrag angewandte Soziologie Interessant ist, dass Carbonnier zwischen der auf den Vertragsschluss und der auf das Funktionieren des Vertrags angewandten Soziologie unterscheidet. Insoweit werden Überlegungen angestellt, die die Tätigkeit eines Vertragsgestalters in besonderer Weise unterstützen. Der Vertragsgestalter arbeitet zukunftsorientiert.586 Wenn er den Vertrag587 dann aber angemessen in den sozialen Kontext588 der Vertragsparteien einordnen und daran nicht zuletzt auch seine (juristischen) rechtlichen Überlegungen anschließen will, darf er nicht beim Zeitpunkt des Vertragsschlusses stehen bleiben, sondern muss ebenfalls berücksichtigen, ob und wie der Vertrag in Zukunft funktionieren soll und wird. aa) Auf den Vertragsschluss angewandte Soziologie (1) Motivation zum Vertragsschluss Innerhalb der auf den Vertragsschluss angewandten Soziologie589 geht es um die Frage, ob es zum Vertragsschluss kommen soll oder wird. Carbonnier führt dazu die Soziologie des Verbraucherverhaltens als Soziologie des Kaufvertrags exemplarisch wirksamen Vertrag führt die tatsächliche Erbringung von Arbeit ggf. dazu, dass das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten wie ein fehlerfreies behandelt wird (so Grüneberg/ Weidenkaff, BGB, § 611, Rn. 23 m. w. N., außerdem Einf v § 611, Rn. 29). 584 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 254. 585 Siehe C. II. 1., S. 114 ff. 586 Siehe statt vieler wiederum Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 1 m. w. N. 587 Und das gilt gerade auch für einen juristischen Vertrag. 588 Die zukunftsorientierten Überlegungen gelten selbstverständlich auch für eine juristische Zukunftsentwicklung. 589 Interessant ist in dem Zusammenhang auch die empirische Untersuchung Dietz’ zur „Rechtssicherheit“ in Bezug auf die Anbahnung relationaler Verträge. Dietz, ZfRS 30 (2009), 163, 174 ff., macht insoweit u. a. Ausführungen zur Überprüfung der Kompetenz sowie vor allem zu der Verlässlichkeit in Bezug auf einen potentiellen Transaktionspartner.
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an, wobei eine Verbindung zur Sozialpsychologie hergestellt wird.590 So zeigt Carbonnier die Rolle von Marktforschungsstudien auf, deren Zweck es sei, die Bereitschaft zum Vertragsabschluss zu erhöhen.591 Auf diesem Weg würden u. a. tatsächliche Wünsche und Interessen berücksichtigt. Die Öffnung des Blicks auf eine stärker rechtliche Dimension592 gelingt Carbonnier, indem er darauf eingeht, wie gesetzliche Regelungen auf das Handeln des Vertragspartners (psychologisch) einwirken können.593 Denkbar sind etwa bestimmte Verbraucherschutzvorschriften. So kann es durchaus erwägenswert sein, ob nicht die Existenz von § 477 BGB (Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf) das Käuferverhalten positiv beeinflussen kann, da sie dem Käufer ein Sicherheitsgefühl vermitteln könnte.594 Noch gravierender ist es, wenn Carbonnier ausführt, gerade bei länger andauernden Verpflichtungen595 sollten die Einwirkungen verschiedener rechtlicher Vorkehrungen auf die Kundschaft getestet werden.596 Sein immer noch praxisrelevantes Beispiel besteht darin, ob etwa ein höherer Umsatz erzielt werden könne, wenn ein Fabrikant für verborgene Mängel die Garantiefrist verlängere oder die Gewährleistung weiter als erforderlich ausdehne.597 Hier ist besonders der Aspekt interessant, welche (Wechsel-)Wirkung die juristische Bewältigung von möglichen (künftigen) Störfällen auf den Entschluss des etwaigen Vertragspartners haben kann, es überhaupt zum Vertragsschluss kommen zu lassen. Nun beschäftigten sich, wie Carbonnier auch klarstellt, die herkömmlichen Marktforschungsstudien nicht mit den soeben aufgezeigten Zusammenhängen, so dass insoweit kein empirisches Material vorlag. Spezifische, gerade hierauf bezogene Untersuchungen gab es nicht. Gleichwohl können die von Carbonnier angestellten Überlegungen für einen vertragsgestaltenden Juristen nutzbar gemacht werden. Denn die (sozialpsychologisch) mögliche Verbindung zwischen (juristischem) Störfallprogramm (z. B. §§ 434 ff. BGB) und dem Entschluss zum Eingang 590
Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 254 f. Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255. 592 Diese kommt nach Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255, bei den von ihm angeführten Marktforschungen zu kurz. 593 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255. Das ist ein Aspekt, der auch im Zusammenhang mit der Frage, welche „Machtpositionen“ innerhalb der Vertragsverhandlungen eine Rolle spielen können, von Relevanz ist. 594 Eine weitergehende Frage ist dann freilich, wer dem Käufer zunächst den entsprechenden Kenntnisstand vermittelt. Das Beispiel, das Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255, Fn. 1, bringt, beleuchtet noch einen anderen Aspekt. Carbonnier wirft, anknüpfend an die Überlegung, ein bestimmtes Verhalten als Betrug zu pönalisieren, die Frage auf, ob nicht ggf. der Absatz eines Markenartikels dadurch gefördert würde, dass die Bestrafung eben von betrügerischen Verhaltensweisen in der jeweils betroffenen Branche veröffentlicht würde. Damit spricht er aber letztendlich wieder Mechanismen an, die auf ein bestimmtes Verhalten des (potentiellen) Vertragspartners unter Einbindung Dritter und deren Reaktionen abzielen. 595 Carbonnier meint damit in erster Linie den Kaufvertrag. 596 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255. 597 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255, Fn. 2. 591
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eines Vertrags kann in unterschiedlicher Art und Weise relevant sein und ist so zumindest in die anwaltlichen Überlegungen einzustellen. So kann sich etwa für den Vertragsgestalter die Frage stellen, ob (dispositives) Recht, das nicht abbedungen werden soll, in eine (schriftliche) Vertragsurkunde aufgenommen werden sollte. Diese Frage stellt sich zum einen dann, wenn das dort vorgesehene Störfallprogramm für die eigene Partei vorteilhaft ist. In der Situation kann ggf. einem potentiellen Vertragspartner, der von diesen Regelungen bisher überhaupt keine Kenntnis hatte, durch Aufnahme in den Vertrag das entsprechende Wissen verschafft werden („Bild des Aufweckens von schlafenden Hunden“). Die Folge davon könnte sein, dass der etwaige Vertragspartner eine Abänderung verlangt oder von einem Vertragsabschluss Abstand nimmt. Andererseits kann u. U. die Kenntnisverschaffung von einer für den Vertragspartner günstigen gesetzlichen Ausgangslage den „schwankenden“ Vertragsteil zum Abschluss motivieren. Auch das kann ggf. durch die Wiederholung des Gesetzestextes in der Vertragsurkunde geschehen. Selbstverständlich muss, um an das oben genannte Beispiel598 von Carbonnier anzuschließen, ein Vertragsgestalter stets überlegen, ob er die andere Seite nicht im Einzelfall vom Vertragsschluss überzeugen kann, indem das (dispositive) Recht modifiziert wird. Betont werden muss, dass solch eine „Wechselwirkung“ zwischen Recht und dem Willen, einen Vertrag abschließen, nicht nur zwischen materiellem Recht und Entschluss besteht. Eine solche Beziehung kann sich gerade auch zwischen prozessualem Recht und Entschluss ergeben. So ist daran zu denken, ob nicht die Aussicht, in einem Konfliktfall den (zivil-)prozessual vorgezeichneten Weg beschreiten zu müssen, abschreckend wirken kann.599 Vorstellbar ist etwa folgende Situation: Ein größeres Bauunternehmen überlegt, ob es, anstatt eine eigene Planungsabteilung einzurichten, die entsprechenden Aufgaben an ein externes Planungsbüro abgibt; eine Verbindung zwischen diesen Parteien soll durch einen (längerfristigen) Vertrag hergestellt werden. Die (erfolgreiche) Arbeit des Bauunternehmens hängt aber davon ab, dass beständig eine Planungseinheit verfügbar ist. Gegen eine langfristige Bindung an ein externes Büro könnten dann in der Form „Ängste“ bestehen, dass in einem möglichen Konfliktfall erst ein (langwieriger) prozessualer Weg beschritten werden muss, der einer effektiven Weiterarbeit im Wege steht. Auch hier kann und muss aus vertragsgestalterischer Sicht überlegt werden, wie mit solchen „Ängsten“, die einem Vertragsabschluss entgegenstehen können, am besten umgegangen wird. Denkbar könnte z. B. die Vereinbarung eines (schnelleren) außergerichtlichen Konfliktlösungswegs, wie etwa eine Schiedsvereinbarung sein.
598
Etwa durch die Verlängerung der Gewährleistungsfristen. Ausführlich dazu die Untersuchung von Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, S. 77 ff. 599
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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(2) Wahl des Vertragspartners Neben der Motivation, überhaupt (jemanden) zum Vertragsabschluss zu bewegen, spricht Carbonnier im Hinblick auf die auf den Vertragsschluss angewandte Soziologie einen weiteren zu beachtenden Umstand an. Als für die soziologische Betrachtung geeignetes Problem stellt er außerdem auf die Wahl des Vertragspartners an sich ab.600 Carbonnier macht seine Überlegungen u. a. im Zusammenhang mit der Ehe, einer Gesellschaft oder in Bezug auf das Stadtplanungsrecht.601 Letztlich geht es darum, anhand sozialpsychologischer Faktoren herauszufinden, mit welchem „Partner“ eine größtmögliche „Harmonie“ erzielt werden, das heißt also ein Scheitern der (rechtlichen) Beziehung verhindert werden kann. Das verdeutlicht ein weiteres Beispiel Carbonniers, dessen Relevanz sich vor allem in der Vertragsgestaltung zeigt. Es geht um die richtige „Ausfilterung“ möglicher künftiger Parteien eines Mietvertrags. Carbonnier erläutert den Vorteil, etwaigen Prozessen vorzubeugen, indem Personen mit einer gewissen Prozessneigung nicht zusammengebracht werden.602 Letztlich geht es dabei (wiederum) um ein Vorgehen, bereits in der Phase des Vertragsschlusses spätere Störungen (möglichst) auszuschließen, indem jeweils außerjuristische Problemfaktoren (Prozessneigung) erkannt und vermieden werden, indem es gar nicht mit der betreffenden Person zu einem Vertragsschluss kommt. Sofern also ein Vertragsgestalter Kenntnis von bestimmten (außerrechtlichen) (Stör-)Faktoren603 hat, die er zunächst überhaupt als solche erkennen muss,604 kann er ggf. entgegensteuern, indem er dazu rät, von einem Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Dieser „vermeintliche Weg zur Harmonie“ ist jedoch nicht unproblematisch und macht in anderer Weise die besondere Verknüpfung von sozialen Faktoren und juristischen Regelungen deutlich. Ist jemand z. B. ein Vermieter von Wohnungen in einer Wohnanlage, so kann die Schaffung sozialer Harmonie und damit die Vermeidung (auch) rechtlicher Konflikte gerade darin bestehen, nur Menschen einer bestimmten Hautfarbe oder einer bestimmten Religion als Mietpartei auszuwählen. Jedoch kann hier das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG zu beachten sein. Dabei ist nach § 19 Abs. 3 AGG allerdings bei der Vermietung von Wohnraum eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die 600
Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255. Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 255 f. 602 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 256. Carbonnier stellt seine Überlegungen in den Zusammenhang mit der Technik der Soziogramme Morenos. Jacob Levy Moreno (1892 – 1974) war Psychiater und Soziologe. Auf die „bahnbrechenden Wirkungen“ Morenos auf dem Gebiet des Rollenspiels, des Psychodramas und des Soziodramas hinweisend Petzold, Die sozialpsychiatrische Rollentheorie J. L. Morenos und seiner Schule, 13, 56. 603 Hier ist allerdings wieder ein Bereich eröffnet, in dem es darum geht, inwieweit der Anwalt „außerrechtliche“ Beratung dem Mandanten aufgrund des Anwaltsvertrags schuldet. 604 Das ist wiederum im Einzelfall nicht unproblematisch, da es in der Regel keine (wissenschaftlich) abgesicherten Erfahrungswerte gibt. Hier wird man auf Alltagswissen oder persönliche Erfahrungen abstellen müssen. 601
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig. Zudem trifft § 19 Abs. 5 AGG weitere Regelungen, die auf das besondere Nähe- und Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen eingehen. Außerdem trägt er dem Umstand Rechnung, wie viele Wohnungen der Vermieter vermietet. Bei Nichtbeachtung des Benachteiligungsverbots können sich dann aber Ansprüche des Benachteiligten aus § 21 AGG ergeben. In diesem Beispiel reagiert das Recht also in Form des § 21 AGG605 sanktionierend606 auf ein „bestimmtes“ Suchen nach „Harmonie“. Die Konsequenz besteht dann darin, die sozialen Faktoren, anhand derer man möglicherweise einen Vertragspartner auswählt, wiederum in Verbindung mit bestimmten rechtlichen Regelungen sehen zu müssen. Die Tauglichkeit sozialpsychologischer „Ausfilterungen“ verdeutlicht Carbonnier auch in Bezug auf stärker wirtschaftlich ausgerichtete Verträge, wie solche aus dem Bereich der Kreditgewährung. Bei diesen Verträgen sei die Zahlungsfähigkeit von besonderer Wichtigkeit, eine Kontrolle erfolge auch regelmäßig.607 Zu berücksichtigen sei allerdings, dass die Zahlungsbereitschaft ebenfalls, wenn nicht sogar vorrangig, eine Rolle spiele,608 ein Umstand, der letztlich an sozialpsychologische Kriterien anknüpfe. Carbonnier räumt hierbei aber ein, Techniken zur objektiven Bestimmung der Zahlungsbereitschaft oder zur Feststellung der Vertragstreue seien fraglich bzw. noch zu entwickeln.609 Vorsichtige Prognosen seien im Hinblick darauf möglich, ob ein Vertragsschließender oder die Gruppe, der er angehöre, bisher eine Neigung entwickelt habe zu prozessieren. Hier ließe sich eine Verbindung zu der Bereitschaft, einen Vertrag zu erfüllen, herstellen. Letztlich erläutert Carbonnier anhand der Zahlungsbereitschaft einen weiteren Fall, in dem durch die Einschätzung der subjektiven Einstellungen des Vertragspartners, u. a. zur Vertragstreue, ein „Störfall“ ggf. umgangen werden kann, indem mit der betreffenden Person überhaupt kein Vertrag geschlossen wird. Zu betonen ist hierbei aber die von Carbonnier aufgezeigte Schwierigkeit, (messbare) Kriterien für die angesprochene Einschätzung aufstellen zu können. 605 Dazu in Bezug auf das Mietrecht u. a. Beuermann, Grundeigentum 2010, 444; Derleder, NZM 2009, 310 ff. 606 Grundsätzlich zu den Schranken der Vertragsfreiheit durch die Antidiskriminierungsrichtlinie und ihre Umsetzung in Deutschland Schwab, Schranken der Vertragsfreiheit durch die Antidiskriminierungsrichtlinie und ihre Umsetzung in Deutschland, S. 33 ff. 607 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 256. 608 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 256. 609 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 256. Carbonniers Herangehensweise gerade in Bezug auf die Vertragstreue kann man ein Treueverständnis dergestalt zugrunde legen, wonach einerseits der Grundsatz der Naturalerfüllung, aber auch der Leistungstreue im Sinne der gemeinsamen Mitwirkung bei der Vertragszweckrealisierung (mit-)bestimmend sind. Zu diesen Elementen der Vertragstreue siehe Weller, Die Vertragstreue, S. 8; Weller nennt im Übrigen als drittes Element der Vertragstreue die Vertragsbindung.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Trotz dieser Schwierigkeit muss ein anwaltlich tätiger Vertragsgestalter gleichwohl in diesem Bereich jedenfalls Problembewusstsein entwickeln, um eine angemessene Beratung seines Mandanten vornehmen zu können. Dass ihm ggf. im Einzelfall die notwendigen Fakten fehlen, um eine taugliche Prognose in den angesprochenen Bereichen abgeben zu können, entbindet den Anwalt nicht davon,610 überhaupt Problembewusstsein zu entwickeln. Je nach dem Erfahrungsschatz, aber auch u. U. unter Heranziehung von Alltagswissen, kann in bestimmten Fallgestaltungen auf entsprechende Abläufe hinzuweisen sein.611 bb) Auf das Funktionieren des Vertrags angewandte Soziologie Jenseits der bisherigen Ausführungen zur auf den Vertragsschluss angewandten Soziologie setzt sich Carbonnier auch mit der auf das Funktionieren des Vertrags angewandten Soziologie auseinander,612 das heißt sein Blick richtet sich bewusst auf die Phase nach dem „eigentlichen“ Vertragsschluss. So spricht Carbonnier denn nicht zuletzt von der „Anpassung vertraglicher Beziehungen“613. (1) Beziehungsentwicklung von Begeisterung bis hin zur Abkühlung Erneut unter Betonung des psychologischen Aspekts führt Carbonnier in Bezug auf den Juristen aus, diesem sei bewusst, welche Schwierigkeiten sich ergeben, einen Dauervertrag aufrecht zu erhalten.614 Carbonnier stellt diesbezüglich einen Ablauf dar, der mit „Begeisterung“ in Form von Anerkennung für den Vertragspartner beginne. An diesen schlösse sich der Moment des „Bereuens“ an, der schließlich in eine
610
Vgl. nochmals dazu, ob der Anwalt verpflichtet ist, den Mandanten auf wirtschaftliche Gefahren hinzuweisen, G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 321. Siehe aber auch noch die nachfolgende Fußnote. 611 Allerdings wird sich der Anwalt, gerade wenn keine gesicherte Erkenntnisgrundlage besteht, in der Regel bei einem fehlerhaften Rat keiner Haftung gegenübersehen. Zum einen kann bereits problematisch sein, ob ein entsprechender Rat zum haftungsbewährten anwaltlichen Pflichtenprogramm gehört. Zum anderen entfällt eine Haftung jedenfalls dann, wenn der Anwalt auf fehlende gesicherte Erkenntnisgrundlagen hinweist bzw. seine Erkenntnisquellen offenlegt und dem Mandanten die letztendliche Entscheidung überlässt. 612 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257 f. Nicht ganz deutlich wird, ob Carbonnier seine Überlegungen nur in Bezug auf Massen- bzw. Adhäsionsverträge machen möchte. Unbeschadet dessen sind seine Gedankenführungen jedoch auch auf andere Verträge durchaus übertragbar. 613 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257; Carbonnier stellt diese Überlegung in Anlehnung an die „public relations“ an. So betont er, in privaten Unternehmen müsse gerade auf der Grundlage einer sozialpsychologischen Kenntnis des Vertrags versucht werden, eine rationale Kunst der „public relations“ zu konstituieren. Carbonnier setzt sich am Ende seines Kapitels dann kritisch mit den Befürwortern und den Gegnern der „public relations“ auseinander, vgl. Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 258. 614 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257.
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Phase von „Abkühlung“, „Überdruss“ oder „Hass“ münde. Am Ende stände dann die vertragliche Nichterfüllung oder gar der Prozess.615 Der Ablauf, den Carbonnier beschreibt, ist nach wie vor im Bereich der vertraglichen Beziehungen unmittelbar nachvollziehbar. Als Beispiel dienen kann die Verbindung zweier junger Juristen zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen (Gründung und Betreiben einer Sozietät). Am Anfang steht oftmals gegenseitige „Begeisterung“ oder jedenfalls das Bewusstsein, gemeinsam mehr erreichen zu können, als allein, so dass zumindest ein gewisses Maß an gegenseitigem Respekt zu erwarten ist. Aus unterschiedlichen Gründen kann dann auf einer (oder beiden) Seiten das Bereuen auftreten, so wenn der Eindruck auf einer Seite entsteht, der andere verfolge das gemeinsame Ziel nicht mit demselben Engagement und Arbeitseinsatz. Aufgrund dessen kann es dann tatsächlich in der Folgezeit zu einem angespannten Arbeitsklima („Abkühlung“) kommen, an dessen Ende die Suche nach dem „Ausbruch“ aus dem Vertragsverhältnis, ggf. verbunden mit einem Prozess, stehen kann. Die Überlegungen Carbonniers, die er in Bezug auf einen „Dauervertrag“ aufführt, lassen sich nicht nur auf die klassischen Fälle, wie die GbR, Miet- oder Arbeitsverträge übertragen. Letztlich sind dies Abläufe, die bei jedem Vertrag vorstellbar sind, der nicht gleichsam mit seinem Abschluss (vollständig) abgewickelt ist. Ein weiteres Beispiel ist deshalb u. a. das Ratengeschäft. Das Problembewusstsein, das Carbonnier mit seiner auf das Funktionieren des Vertrages angewandten Soziologie schafft, weist letztlich auf eine besondere Art von „Störfallvorsorge“ hin. So wie etwa die „richtige“ Auswahl des Vertragspartners spätere Schwierigkeiten in der vertraglichen Abwicklung minimieren kann, kann dies auch durch die Berücksichtigung der zuvor genannten Abläufe geschehen. Aus diesem Grund wird man die Ansätze Carbonniers (Soziologie des Vertragsschlusses einerseits und Soziologie des Funktionierens andererseits) auch nicht getrennt, sondern in Verbindung miteinander betrachten müssen. (2) Umsetzungsmöglichkeiten in der Vertragsgestaltung Fraglich ist jedoch, wie mit der Kenntnis bzw. dem Bewusstsein um die bezeichneten Abläufe umzugehen ist, nicht zuletzt in der Rolle als Vertragsgestalter. Hierbei geht es gerade darum, nicht erst die am Ende stehende Eskalation zu bewältigen (z. B. Durchführung des Prozesses), sondern vielmehr im Vorfeld derselben tätig zu werden. Als „neuralgischen“ Punkt kann man dabei den Zeitpunkt oder die Anbahnung des „Bedauerns“ ausmachen. Carbonnier spricht zum einen an, bestimmte Gesetzgeber hätten für den Fall des Bereuens Regelungen vorgesehen.616 Das deutsche Recht ist insoweit eher zurückhaltend. Fasst man das Bedauern insbesondere als psychologischen Vorgang auf, der sich auf der individuellen (Moti615 616
Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257. Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257.
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vations-)Ebene eines Vertragspartners abspielt,617 so wird darauf nur begrenzt Rücksicht genommen. Bedeutsam ist zwar das über § 355 BGB gewiesene Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen; dort genügt „reines“ Bedauern. Ansonsten überwiegt jedoch die benannte Zurückhaltung im deutschen Recht. Das zeigt u. a. der Umstand, dass Anfechtungen wegen eines Motivirrtums, abgesehen vom Fall des § 119 Abs. 2 BGB,618 ausgeschlossen sind. Auch der § 313 BGB hilft bei (rein) psychologisch bedingtem Bereuen nicht weiter, da es dann dem anderen Vertragsteil in der Regel nicht zuzumuten ist, darauf Rücksicht zu nehmen. Dass die Befindlichkeiten eines Vertragspartners vor allem für Dauerverträge619 nicht gänzlich unbeachtet bleiben dürfen, verdeutlicht beispielhaft die vom Gesetz vorgesehene erleichterte Kündigungsmöglichkeit des Vermieters von Wohnraummietverhältnissen nach § 573a BGB, der mögliche persönliche Spannungen durch ein enges Zusammenleben der Parteien (Mieter/Vermieter) auffängt.620 Wenn das Gesetz solche Möglichkeiten nicht eröffnet, kann sich für den Vertragsgestalter je nach Persönlichkeitsstruktur und Wünschen des Mandanten die Aufgabe stellen, rechtliche Vorsorge für die besagten „persönlichen Befindlichkeiten“ zu treffen, das heißt einen Weg zu eröffnen, dem eigenen Bedauern (sofort) nachkommen zu können. Das kann ggf. durch die Installierung eines vertraglichen Rücktrittsrechts geschehen.621 Abgesehen von solchen unmittelbar juristischen Reaktionsformen, ist jedoch nachhaltig von Interesse, ob die von Carbonnier aufgezeigten Abläufe nicht ggf. verhindert werden können. Auch das sind Überlegungen, die für einen langfristig denkenden Vertragsjuristen von Bedeutung sind. Carbonnier beschreibt, wie Sozialpsychologen nach Gründen für die bezeichnete „Erschlaffung“ der Vertragsbindung bzw. den kritischen Punkten der Spannung suchten, um darauf einwirken zu können.622 Die insoweit vorgeschlagenen Mittel schwankten in ihren Polen zwischen einer besseren Information der Betroffenen und
617 Es geht dann gerade nicht darum, dass das Bedauern mit typischen objektiven Umständen verknüpft ist, wie es etwa im Fall des § 119 Abs. 2 BGB gegeben ist (s. u.). In solchen Fällen reagiert das Gesetz auf bestimmte Fälle eines „Bedauern“, die aber vom Vorliegen vorgegebener Merkmale abhängen. 618 Zum § 119 Abs. 2 BGB als Fall des beachtlichen Motivirrtums u. a. Staudinger/Singer (2021), BGB, § 119, Rn. 79. Weitere Ausnahmen hinsichtlich der Beachtlichkeit finden sich etwa in §§ 2078 Abs. 2, 2079, 2308 BGB. 619 Ausführlich zur Kündigung als Instrument zur Beendigung von Dauerschuldverhältnissen Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, S. 248 ff. 620 Zu dem Gesetzeszweck Grüneberg/Weidenkaff, BGB, § 573a, Rn. 1. 621 Dabei ergibt sich natürlich im Einzelfall, etwa beim Abschluss eines Mietvertrags (dort als Kündigungsrecht), jeweils die Problematik, ob die gesetzlichen Rahmenbedingungen solche Vereinbarungen überhaupt zulassen. 622 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257.
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einer Unterwerfung unter ein Psychodrama623 nach den Techniken Morenos.624 Letztlich listet Carbonnier keine allgemeinen Gründe für den Eintritt einer „Vertragserschlaffung“ auf, verweist aber auf ein prägnantes Beispiel. Carbonnier zeigt ein Feld mangelnder „Vertragsdiplomatie“ im Bereich der Kauf- und Lieferverträge früherer Zeiten auf und zwar in Bezug auf den sozialpsychologischen Umgang mit dem Bezahlvorgang. So habe eine Vertragsseite625 ihre Rechnungen im Stil staatlicher Bescheide verfasst und ihrem Begehren so einen zwanghaften Charakter verliehen; die Folge sei eine entsprechende Missstimmung auf Seiten des Vertragspartners gewesen.626 Hinter dem Beispiel Carbonniers kann ein Grund ausgemacht werden, der für die soziale Harmonie längerer Vertragsbeziehungen gravierend sein kann. Es geht letztlich darum, wie aus dem Vertragsverhältnis resultierende Forderungen oder Ansprüche an die andere Seite herangetragen bzw. kommuniziert werden. Dass dieser Vorgang nicht nur zur „Vertragserschlaffung“ führen, sondern für die eigentlich berechtigte Seite sogar im besonderen Maß kontraproduktiv verlaufen kann, zeigt auch das nachfolgende Beispiel: Eine Ehefrau und ihr Mann haben sich getrennt. Der Grund dafür waren u. a. Spannungen aufgrund der derzeitigen schwierigen beruflichen Situation des Mannes. Die Frau ist verzweifelt. Sie ist wegen einer Krankheit auf die finanzielle Unterstützung des Mannes dringend angewiesen. Sie liebt zudem ihren Mann noch und hofft auf ein Ende der Trennung, welches sie sich sehr wünscht. Sie will ihren Mann auch nicht zu sehr bedrängen. Unter Schilderung dieser Umstände bittet die Ehefrau ihren Anwalt, einen Vertragsentwurf bezüglich der Zahlung von Trennungsunterhalt (§ 1361 BGB) zwischen ihr und ihrem Mann zu entwerfen. Das macht der Anwalt auch. Der Entwurf enthält eine für die Ehefrau günstige finanzielle Regelung, zudem eine Klausel, in der sich der Mann der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO; der Vertrag soll notariell beurkundet werden). Die Ehefrau fragt den Anwalt nach der Bedeutung der Unterwerfungsklausel; dieser erwidert, letztere sei Standard. Die Ehefrau, die sich gesundheitlich nicht gut fühlt, mandatiert den Anwalt ebenfalls damit, die Vertragsverhandlung mit ihrem Mann zu führen und ebenfalls die Vertragsdurchführung zu überwachen. Der Anwalt führt ein Gespräch mit dem Ehemann, der nicht anwaltlich vertreten ist. Der Ehemann fühlt sich durch die Unterhaltshöhe und die Vollstreckungsunterwerfung bedrängt. Er willigt aber schließlich in den vom Anwalt seiner Frau entworfenen Vertrag ein, wobei er äußert, er wolle wegen seiner derzeitigen Situation und um seiner Ehefrau willen einen Rechtsstreit vermeiden. Er sei aber 623 Das Psychodrama ist eine von Moreno „im Anschluss an die Tradition des Stegreiftheaters entwickelte Methode der Psychotherapie, bei der es im Wesentlichen darauf ankommt, dass der Patient Gelegenheit erhält, sich selbst in seinem verschiedenen Rollen zu erleben (…).“ (Fuchs-Heinritz u. a./Klima, Lexikon zu Soziologie, Stichwort „Psychodrama“.) 624 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257, insbesondere bezüglich des Arbeitsvertrags lägen praktische Erfahrungen mit entsprechenden therapeutischen Mitteln vor. 625 Carbonnier führt namentlich große private und staatliche Unternehmen auf, siehe Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257. 626 Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257 f. Der aufgezeigte Druck sei später aber u. a. aufgrund des bargeldlosen Bankverkehrs zurückgegangen.
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über den von seiner Frau ausgeübten Druck betroffen, da sie seine berufliche Situation kenne, und er habe auf mehr Verständnis gehofft. Als der Ehemann mit einer Zahlung säumig ist, betreibt der Anwalt sofort, ohne Rücksprache mit der Ehefrau zu nehmen, die Zwangsvollstreckung. Der Ehemann, der in weiteren beruflichen Problemen steckt und ansonsten stets pünktlich gezahlt hatte, meldet sich daraufhin bei seiner Frau und teilt dieser mit, ihre Rücksichtslosigkeit habe jegliches Vertrauensverhältnis zerstört. Ihre Ehe sei beendet, er wolle die Scheidung. Die Ehefrau ist entsetzt, zumal sie stets auf eine Versöhnung mit ihrem Mann gehofft hatte.
Im zuvor aufgezeigten Beispiel findet sich zunächst, über die Person des anwaltlichen Vertreters vermittelt, ausgehend von Carbonnier bereits eine schon bei Vertragsschluss angelegte soziale Störquelle. Indem (einseitig) die Interessen der Ehefrau in den Vordergrund treten, fühlt sich der andere Vertragspartner, das heißt der Ehemann, bereits beim Vertragsabschluss unwohl. Gleichwohl musste in der Situation das (dauerhafte) Vertragsverhältnis zwischen Ehemann und Ehefrau nicht zum Scheitern verurteilt sein, also „in Disharmonie“ (Scheidungsbegehren) enden und den Einsatz staatlicher Instanzen (Prozess) in Gang setzen. Ursache dafür war in besonderem Maß die Nichtbeachtung sozialer Abläufe während der Vertragsbeziehung. Die „Erschlaffung“ rührte daher, dass von einer Seite (der Ehefrau durch ihren Anwalt) während des Vertragsverlaufs juristisch eine vertraglich durchaus gegebene Position ohne Rücksicht, „Fingerspitzengefühl“ oder Kommunikation mit der anderen Seite durchgesetzt wurde. Es wurde nicht versucht, unter Inrechnungstellung dieser Aspekte die vertragliche Position zu realisieren, etwa indem nach Rücksprache mit der anderen Seite ein Zahlungsaufschub gewährt worden wäre. Die rechtliche Durchsetzung vertraglicher Ansprüche kann somit ein Vertragsgefüge zum Einsturz bringen, wenn der soziale Kontext des Vertragspartners gänzlich unberücksichtigt bleibt, insbesondere keine (taugliche) Kommunikation mit der anderen Seite627 erfolgt. Es stellt sich zudem die Frage, inwieweit von anwaltlicher Seite aus nicht sogar ggf. kontraproduktiv für die „durchsetzende“ Seite gehandelt wird. Im Beispielsfall wollte die Ehefrau nicht zuletzt um jeden Preis eine Scheidung von ihrem Mann vermeiden. Dahinter steht erneut die Problematik, wie weit und umfassend Interessen einer Vertragspartei gehen können. Gleichzeitig wird jedoch auch das Dilemma für den juristischen Vertragsgestalter deutlich: Der in seiner Eigenschaft als Jurist eingeschaltete Vertragsgestalter soll und muss in der Regel die (juristischen) Vorkehrungen treffen, damit seinem Mandanten keine (rechtliche) Position aus dem Vertrag verloren geht; er ist der Interessenvertreter. So wird er etwa gehalten sein, Fristen zu setzen oder Mahnungen auszusprechen. Damit können aber je nach Einzelfall die oben beschriebenen „Erschlaffungsprozesse“ einhergehen, die wiederum zu (weiteren) ungewollten Folgen im Zusammenhang mit der vertraglichen (Dauer-)Beziehung führen.
627 In eine ähnliche Richtung könnte man Carbonniers Überlegungen zur Verschaffung von Informationen interpretieren, vgl. Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257.
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Ein vergleichbares Dilemma kann sich auftun, wenn bewusst der „kommunikative Weg“ eingeschlagen wird. Hier kann sich z. B. die Schwierigkeit ergeben, inwieweit Offenheit zwar der Vertragsharmonie förderlich ist, andererseits dadurch aber bestimmte (rein) juristische Wege verbaut oder erschwert werden, z. B. indem Informationen offengelegt werden, die später in einem etwaigen Prozess von der anderen Seite verwendet werden könnten. Andererseits kann sich auch die Gefahr ergeben, dass eine Seite bewusst zweckwidrig den zuvor beschriebenen kommunikativen Weg einschlägt, um (einseitig) ihren Vorteil zu suchen, eben um etwa an Informationen der anderen Seite zu gelangen oder letztere bewusst vertragswidrig hinzuhalten.628 Gerade Carbonniers Blick auf den Vertrag mit persönlichen „Entwicklungsabläufen“ bis hin zum (sozialen) Störfall, birgt weitere Möglichkeiten, die für die Vertragsverhandlung/-gestaltung von besonderem Nutzen sind. Er zeigt wiederum die Notwendigkeit, den Vertrag als mitunter, wenn auch nicht in jedem Fall, „einzigartiges“ Regelungswerk zu begreifen. Das kann vor allem in den von Carbonnier angesprochenen Dauerbeziehungen notwendig sein. 5. Recht als „Versicherung“ bei gleichzeitiger Öffnung hin zu außervertraglichen Abläufen – Karl N. Llewellyn629 Sowohl Weber in Bezug auf den Zweckkontrakt als auch Carbonnier hinsichtlich der angewandten Soziologie ermöglichten bereits einen Blick auf vertragliche Abläufe hin zu ihrer Instrumentalisierung. Eine bewusst abwägende „Gebrauchssicht“ auf das Recht eröffnet sich über die Arbeit Llewellyns, der sich einerseits mit der Rolle des Vertrags innerhalb der sozialen Ordnung auseinandersetzt, andererseits über seinen „insurance“-Gedanken eine Grundlage dafür schafft, Maßstäbe zu setzen, wann kalkulierend auf das Recht zurückzugreifen ist, wenn es die sozialen Abläufe gebieten. Insoweit findet eine weitere mögliche und u. U. notwendige Verknüpfung von sozialen und rechtlichen Zusammenhängen statt. Der amerikanische Rechtssoziologe Karl N. Llewellyn gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des Legal Realism.630 Insbesondere wesentliche Aussagen Llewellyns aus seinem Beitrag „What Price Contract – An Essay in Perspective“631 können für das Vertragsverständnis nutzbar gemacht werden. Besonders lohnenswert ist für Llewellyn die Fragestellung, welche Rolle dem Vertrag in der sozialen Ordnung632 zukommt, die Rolle, die der Vertrag im Leben der 628 Aus diesen Gründen kann bei bestimmten Vertragspartnern auch durchaus ein Misstrauen gegen solche Methoden vorhanden sein. 629 1893 – 1962. 630 Siehe dazu etwa Röhl, Rechtssoziologie, S. 53 ff. 631 The Yale Law Journal 40 (1931), 704 – 751. 632 „Soziale Ordnung“ wird hier im Kontext der Ausführungen Llewellyns dargestellt. In anderen Zusammenhängen, z. B. innerhalb der Rollentheorie Parsons, kann der Begrifflichkeit ein anderes Verständnis zugeordnet werden.
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Menschen einnimmt.633 Er möchte klären, was diese rechtlich zulässige Institution „Vertrag“, wenn es denn eine solche sein sollte, auszeichnet. Sollte es keine rechtlich zulässige Institution sein, bleibt zu untersuchen, was in dem Fall die soziale Institution „Vertrag“ ausmacht, wie die Beziehungen dort beschaffen sind und wie seine Bedeutung für die Gesellschaft aussieht.634 An späterer Stelle wirft Llewellyn nochmals die Frage auf, welche Auswirkungen der Vertrag auf die Gesellschaft hat; das ist für Llewellyn stärker von Interesse als der umgekehrte Blickwinkel, nämlich welche Auswirkungen die Gesellschaft (einschließlich der Rechtsanwälte) auf den Vertrag hat635. a) Vertragsbegrifflichkeit Llewellyn zeigt unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs „Vertrag“ („contract“) auf, da der Vertrag selbst ein mehrdeutiger Begriff sei, insbesondere wenn es um mehr gehe als um den Blick rein von der rechtlichen Lehre aus.636 Schon die Bestimmung der Begrifflichkeit rückt damit von einer rein dogmatischen Erfassung des Vertrags ab und stellt den Vertrag in den Kontext, den Llewellyn untersuchen will: die Rolle des Vertrags in der Gesellschaft. Llewellyn bietet denn auch vier unterschiedliche Begriffsbestimmungen an: Zum einen wird der Begriff des Vertrags im Besonderen dafür benutzt, tatsächliche geschäftliche Vereinbarungen zu bezeichnen, völlig unabhängig davon, ob sie rechtliche Folgen nach sich ziehen.637 Eine solche Bestimmung sei auch im nicht geschäftlichen Bereich möglich.638 Als zweite mögliche Bedeutung führt Llewellyn den Vertrag als Begriff für tatsächliche Vereinbarungen an, die demgegenüber rechtliche Konsequenzen haben.639 Eine dritte Variante besteht darin, unter Vertrag („contract“) die, sofern vorhanden, rechtlichen Auswirkungen von tatsächlichen Versprechen („promise-in-fact“) aufzufassen.640 Die vierte Bestimmungsmöglichkeit macht Llewellyn darin aus, den Begriff „Vertrag“, wie dies auch häufig geschieht, so zu verstehen, dass darunter die schriftliche Verkörperung einer Vereinbarung aufgefasst wird; für diese wird in der Regel auch angenommen, dass sie rechtliche Konsequenzen nach sich zieht.641 633
Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 705. Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 705. 635 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 716. 636 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 707. 637 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 707 f. 638 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 708. 639 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 708. 640 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 708. 641 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 708.
634
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Unter Ablehnung gerade der vierten Bestimmungsmöglichkeit favorisiert Llewellyn die dritte Variante. Er macht damit, worauf Schmid642 zu Recht hinweist, den Weg frei, die Wechselwirkung von Vertragsrecht und Versprechen an sich näher untersuchen zu können. Diese Trennung zwischen dem, was „tatsächlich“ ist und dem, was eine mögliche rechtliche Konsequenz sein kann,643 ist für die Rolle des Vertrags in der Gesellschaft nachgerade von besonderer Bedeutung. So wird auch bei Llewellyn deutlich, dass (rein) tatsächliche Vereinbarungen im tagtäglichen Leben durchaus von Relevanz sind. Sie sind in Verbindung mit einem sich entwickelnden Handel ein Instrument für die Selbstverwirklichung des Einzelnen.644 Ebenso führt Llewellyn hier die Entwicklung „from status to contract“ an.645 Der Vertrag steht somit wieder in einem engen Kontext mit dem sich entwickelnden Handel und dessen Spezialisierungen. Der Handel ist die „social machinery“.646 b) Trennung von „legal“ und „non-legal obligations“ Welche Rolle spielt nun der Vertrag („contract“), das heißt die Vereinbarung, die rechtliche Folgen nach sich zieht? Ist er notwendig, wenn doch schon tatsächlichen Vereinbarungen eine gewichtige Rolle zukommen sollte? Zur Klärung dessen ist zunächst die Unterscheidung, die Llewellyn zwischen „legal“ und „non-legal obligations“ trifft, von Bedeutung. Als non-legal obligations bezeichnet Llewellyn Verpflichtungen, hinter denen ein außerrechtliches soziales Pflichtenkorsett steht; die Erfüllung wird als soziale Verpflichtung aufgefasst.647 Sie ist aber nicht rechtlich durchsetzbar. Vielmehr sind solche sozialen und moralischen Verpflichtungen sogar vom Gesetz nicht immer anerkannt,648 es liegt keine Deckungsgleichheit zwischen 642
Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 43. Vgl. dazu etwa auch die Ausführungen von Ehrlich, Ein Institut für lebendes Recht, S. 28, 36. Ehrlichs Arbeiten, u. a. Ehrlichs „Grundlegung der Soziologie des Rechts“, waren Llewellyn selbstverständlich bekannt, siehe Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 706. Auch an anderer Stelle, z. B. The Yale Law Journal 49 (1940), 1355, 1355, verweist Llewellyn auf Ehrlich. 644 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 716; Llewellyn nennt die Erkenntnis schon „abgedroschen“. 645 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 716. Llewellyn sieht aber ebenso eine „Rückentwicklung zum „status“ innerhalb eines „Vertragsregimes“, Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 717. Siehe etwa auch Rehbinder, KZfSS, Sonderheft 11/1967, 197, 205 ff.; ferner Reimann, From Contract to Status – Vertragsfreiheit und Vertragstreue vor neuen Grenzen?, mit einem aktuellen Überblick. 646 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 717. 647 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 712. Siehe dazu auch die Ausführungen zu „non-contractual practice“ bei Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), 55, 62 ff. 648 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 712; Llewellyn führt insoweit etwa das Beispiel der Wettschulden an. Zur Wette als unvollkommene Verbindlichkeit im deutschen Recht siehe § 762 BGB. 643
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außerrechtlichen und rechtlichen Verpflichtungen vor. Gleichwohl, so betont Llewellyn, sind Verpflichtungen, die im außerrechtlichen Bereich fußen, keinesfalls überflüssig oder gar im praktischen Leben obsolet geworden, trotz, oder gerade weil, eine wirtschaftliche Weiterentwicklung stattgefunden hat.649 Das ergibt nicht zuletzt auch die Gegenüberstellung mit den so genannten „legal obligations“, den rechtlich durchsetzbaren Verpflichtungen. Namentlich in Bezug auf den Vertrag führt Llewellyn aus, ein Großteil der Geschäfte werde völlig unberührt vom Recht abgewickelt; ansonsten würde auch ein System des Handels zusammenbrechen.650 Hinzu kommt, dass die von den Parteien tatsächlich akzeptierten Verpflichtungen, gerade auch vor dem Hintergrund des oben bezeichneten sozialen Pflichtenkorsetts, mit den Verpflichtungen, die das Recht vorsieht, nicht immer übereinstimmen.651 Das heißt mit anderen Worten für den alltäglichen „vertraglichen Ablauf“ zwischen den Parteien, dass das, was ein „rechtlicher“ Vertrag652 ist, und das, was tatsächlich als Maßstab für die Vertragsdurchführung zugrunde gelegt wird, oftmals auseinander läuft.653 Ein Grund dafür ist u. a., dass dem Gesetz, dem (staatlichen) Recht, eine gewisse „Starrheit“ zu eigen ist, die zudem oftmals auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt, ohne danach eine Weiterentwicklung durchzumachen.654 Demgegenüber erkennt Llewellyn in dem außerrechtlichen Maßstab der Verpflichtungen eine gewisse Flexibilität.655 Kennzeichnend dafür ist auch, dass dieser Maßstab sich eben weiterentwickelt und während des laufenden Vertrags eine unterschiedliche Gestalt annehmen kann. Wenn dann aber ein so „geschmeidiges“ Pflichtenprogramm für (rein) tatsächliche Vereinbarungen zur Verfügung steht, das sich sogar weiterentwickelt und vielfach ohnehin für die Parteien das maßgebliche ist und durchaus auch einen gewissen Sanktionscharakter haben kann, warum soll dann auf den „rechtlichen Vertrag“ mit all seinen Nachteilen zurückgegriffen werden? c) Recht als „Versicherung“ – Vor- und Nachteile Eine mögliche Antwort könnte im Gedanken der „Versicherung“ bestehen, den Llewellyn im Kontext mit seinen Ausführungen zu den „legal“ und „non-legal ob649
Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 712. Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 718. 651 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 712 f. 652 Flankiert durch das dazugehörige Vertragsrecht. 653 Dies auch betonend Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 105. 654 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713; Llewellyn betont aber auch, dass das Gesetz letztlich fixiert werden muss. Siehe ferner Llewellyn, S. 722, Fn. 45, (2), wo Llewellyn darauf eingeht, dass damit aus dem Gesetz auch ein genau umrissener Pflichtenkatalog entnommen werden kann, der auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt. 655 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 712 f., siehe ferner Llewellyn, S. 722, Fn. 45, (2). 650
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1. Teil: Vertrag und Interessen
ligations“ anführt.656 Eine Regelung, die rechtlich fixiert und ggf. auch rechtlich durchsetzbar ist,657 bringt eine Sicherheit mit sich, hinter der nicht zuletzt ein staatlicher Machtapparat steht.658 Denn bei allen Vorzügen von außerrechtlichen Sozialnormen, diese Sicherheit ist ihnen nicht zu eigen. Der Sanktionscharakter muss sich mit gesellschaftlichen und moralischen Folgen „begnügen“, mögen diese im Einzelfall auch durchaus schwerwiegender sein als eine staatliche Sanktion.659 Zudem ist zu berücksichtigen, dass in bestimmten Fällen außerrechtliche Sanktionen nicht greifen. Andererseits ist auch zu bedenken, dass die Vorteile der soeben bezeichneten „Versicherung“ wiederum nur beschränkt sind. Denn so, wie ihre Vorzüge aus der möglichen Schwäche der außerrechtlichen Sanktionen herrühren, folgen umgekehrt aus den Stärken des außerrechtlichen Systems die Schwächen einer solchen Versicherung. Letztere macht Llewellyn darin aus, dass bei Anrufung des Rechts660 durch eine Partei die Vereinbarung der Parteien einer Beurteilung durch einen Dritten, den Rechtskundigen, unterzogen wird. Dessen Beurteilung unterscheidet sich aber oftmals von dem, was der Nichtjurist anhand der Vereinbarung erwartet.661 Das Risiko für die um (staatliches) Recht ersuchende Partei besteht darin, dass sie letztlich nicht das erlangt, was sie eigentlich begehrt.662 Hintergrund dieses „Risikos“ ist der Weg, den der „Offizielle“, das heißt letztlich auch der Richter, zur Entscheidung wählt. Die 656
Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713; dazu auch Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 105. 657 Dietz, ZfRS 30 (2009), 165, 168 f., führt aus, in dem Zeitpunkt des drohenden Scheiterns einer Geschäftsbeziehung rücke der Vertrag wieder in den Mittelpunkt, u. a. wegen der Möglichkeit der Anrufung der Gerichte; die Geschäftsbeziehung fände in „the shadow of the law“ statt. 658 Zum Aspekt der „legal enforceability“ und der Chance, sich gegen Betrug zu schützen, siehe auch Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 725. In dem Zusammenhang macht Llewellyn jedoch ebenfalls deutlich, die Gelegenheit, mit Hilfe des Rechts einen Schuldner ggf. zur Leistung zu zwingen, sei zwar eine „Rettungsmöglichkeit“, wenn von dessen Seite nichts komme. Allerdings berge diese rechtliche Möglichkeit wiederum zugleich ein Risiko in sich. Angesichts des Hintergrundwissens um die rechtliche Durchsetzungsmöglichkeit erfolge die Auswahl des Vertragspartners nicht mit derselben Sorgfalt wie in dem Fall, in dem keine rechtliche Sanktion möglich wäre. 659 Zu diesem Aspekt etwa Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 44 f. Llewellyn weist aber an anderer Stelle darauf hin, die rechtliche Sicherheit einer Vereinbarung sei trotzdem nicht lückenlos. Hierbei geht es weniger um die rechtliche Durchschlagskraft, sondern um die Beobachtung, dass das Innehaben einer rechtlichen Position nicht gleichbedeutend mit dem tatsächlichen Erhalt der versprochenen Leistung bzw. Güter ist. Eine solche rechtliche Position schütze den Einzelnen z. B. nicht vor der Insolvenz seines Vertragspartners. Vgl. zum Vorstehenden Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 724. 660 Das betrifft gerade die Fälle, in denen eine Spezialisierung durch das Recht eingetreten ist, siehe Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713. 661 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713. 662 „(…) I shall get less, or be held to more, than the customary understanding calls for. (…)“, so Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713.
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Lösungsfindung wird, so Llewellyn, gerade nicht unmittelbar dem Leben entnommen, sondern es wird vielmehr häufig auf Erfahrungen, wie früher in vergleichbaren Fällen entschieden worden ist, zurückgegriffen,663 ohne neue Erfahrungen in die Entscheidungen einfließen zu lassen.664 Mit anderen Worten: Die Kontrolle anhand des Rechts durch einen Dritten kann zu wenig praxistauglichen und von der Partei nicht gewünschten Ergebnissen führen. Dazu trägt gerade das mitunter „starre“, in seinen Voraussetzungen verharrende Vertragsrecht bei.665 d) Unverzichtbarkeit eines Vertragsrechts Angesichts dieser Nachteile muss erneut die Frage aufgeworfen werden, ob man nicht die mitunter etwas geringere „Durchschlagskraft“ der außerrechtlichen Kontrollinstanzen in Kauf nimmt, dafür aber ein flexibleres Instrument zur Verfügung hat und somit letztlich doch auf das Recht, in diesem Kontext auf das Vertragsrecht, verzichten kann. Die Antwort Llewellyns ist eindeutig und sie betont die Unverzichtbarkeit eines rechtlichen Gerüsts, eines Vertragsrechts.666 Der Grund dafür liegt in der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Gesellschaft667 wird „mobil“, der Einzelne ist nicht mehr örtlich fest verwurzelt, sei es mit seinem Lebensmittelpunkt, sei es mit seiner beruflichen Tätigkeit.668 Der wirtschaftliche Markt breitet sich in räumlicher und in inhaltlicher Art und Weise aus.669 Die Beziehungen innerhalb des Handels verlieren ihren persönlichen Aspekt.670 Es ist letztlich die Entstehung einer anonymen Massengesellschaft. Angesichts dieser Entwicklung greifen die außerrechtlichen sozialen Kontrollmechanismen nicht ein. Notwendige Rahmenbedingungen für ihr Eingreifen sieht Llewellyn in dauerhaften Beziehungen mit langanhaltenden gegenseitigen Abhängigkeiten, oder in festen traditionellen Moralvorstellungen bezüglich des jeweiligen Bereichs, oder aber beim Handel innerhalb einer Gemeinschaft, in der man sich auf Augenhöhe begegnet („face-to-face“) und bei einem Abweichen von einem gegebenen Versprechen mit einem entsprechenden starken Gruppendruck zu rechnen hat.671 663
Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713 f. Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 714, Fn. 25. 665 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 714. 666 Siehe dazu den Abschnitt „Is the Law of Contract Necessary?“, Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 718 ff. 667 Hierbei müssen Llewellyns Ausführungen freilich vor allem in den Kontext der amerikanischen Gesellschaftsentwicklung gestellt werden. 668 Dazu Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 720. 669 Dazu Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 720. 670 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 721. 671 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 720. 664
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Die soeben genannten Rahmenbedingungen fehlen aber nach Llewellyn in der zuvor beschriebenen Gesellschaft, damit ist der Tauglichkeit eines außerrechtlichen, eines sozialen Kontrollsystems das notwendige Umfeld genommen.672 Die Notwendigkeit eines rechtlichen Gerüsts wird dann deutlich. Innerhalb eines Umfelds, welches auf Handel673 in einer sich spezialisierenden Gesellschaft beruht, in dem aber zugleich die sozialen Strukturen hinter anonymisierenden Erscheinungen zurücktreten sollten, wird der (rechtliche) Vertrag als „legal machinery“ benötigt.674 e) Anwaltliche Ausrichtung auf den Konfliktfall Sicherlich, und auch das macht Llewellyn deutlich, darf damit nicht das Verständnis einhergehen, der Vertrag dürfe nunmehr nur mit Blick auf dieses rechtliche Gerüst beurteilt werden. Denn in dem Großteil der Fälle, worauf auch schon zuvor hingewiesen wurde, bleiben die vertraglichen Abläufe im alltäglichen (Wirtschafts-) Leben völlig unberührt von irgendwelchen rechtlichen Interventionen.675 Scheinbar unbeeindruckt von diesen tatsächlichen Abläufen verbindet allerdings nach Llewellyn der Anwalt mit dem Vertrag das Vorstellungsbild, auf ihn müssten (rechtliche) Überlegungen dergestalt anwendet werden, dass notwendigerweise am Ende die Bewältigung einer Streitigkeit oder eines (sonstigen) Konflikts erfolgen könne.676 Diese Vorstellung treffe, so Llewellyn, die Wirklichkeit in den meisten Fällen weder in der Entstehung von Verträgen noch in ihren Auswirkungen.677 Zutreffend sei diese Vorstellung erst, wenn, worauf die Untersuchung Llewellyns jedoch gerade auch eingehen will, der Konfliktfall wirklich in die Überlegungen einzuschließen sei. Das könne dann der Fall sein, wenn sich die entsprechenden Überlegungen darauf ausrichten (müssen), was das Gericht im (möglichen) Konfliktfall entscheiden wird; insoweit kann es auch ein Aspekt sein, der bei der Abgabe eines Versprechens, im Rahmen der Leistung oder innerhalb der Regulierung in die Erwägungen einzustellen ist.678 Die Notwendigkeit der Einstellung des Konfliktfalls in die Abwägungen, gerade aus anwaltlicher Sicht, wird man aber angesichts der oben beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklung und der daraus resultierenden Notwendigkeit eines Vertragsrechts nicht von der Hand weisen dürfen. 672
Man kann einen solchen Befund hinsichtlich seiner Absolutheit durchaus in Frage stellen. Wie die anschließenden Ausführungen zeigen, war dies wohl in einer solchen Absolutheit von Llewellyn auch nicht gewollt. 673 Dies gilt im Besonderen für die Formen der Kreditwirtschaft, vgl. dazu Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 717. 674 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 717. 675 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 718. 676 Zu diesen Überlegungen vgl. Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 718. 677 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 718. 678 Dazu Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 718 f.
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f) Ausrichtung sowohl auf „legal“ wie auf „non-legal obligations“ Llewellyns Ausführungen legen schließlich die Schlussfolgerung nahe, ein angemessener, praxistauglicher Umgang mit dem Vertrag lasse sich aufgrund einer Gesamtschau nur mit einem Pendelblick zwischen „legal obligations“ und „nonlegal obligations“ erreichen. Dafür sprechen auch Llewellyns Überlegungen innerhalb des Abschnitts „Conclusions on the Place of Contract“679. In diesem Abschnitt macht Llewellyn nochmals die Nachteile, die ein „zwangbewehrtes“ Vertragsrecht mit sich bringt, deutlich, zeigt aber auch gleichzeitig seine, wenn auch in einem bestimmten Rahmen sich bewegende, Notwendigkeit auf. Dabei hat ein rechtlich durchsetzbarer Vertrag seine eigentliche Bedeutung nicht primär in seiner Funktion, auch tatsächlich vor Gericht durchgesetzt zu werden,680 das heißt das Ziel des Abschlusses eines (rechtswirksamen) Vertrags ist nicht die Austragung eines Rechtsstreits an sich. Vielmehr, so Llewellyn, bietet der (rechtliche) Vertrag ein Gerüst, mit dem nahezu jede Gruppe für nahezu jede Beziehung zwischen Einzelnem und Gruppen Regelungen treffen könne.681 Dieses Gerüst sei auch durchaus variabel,682 der Einzelne kann also683 ein „individuelles“ Mittel gestalten. Trotz dieser Variabilität bleibt es bei dem Problem, das oben schon im Zusammenhang mit den „legal“ und „non-legal obligations“ beschrieben worden ist: Zwischen etwaigen (rechtlichen) Regelungen (Vertrag) und den wirklichen Lebensabläufen besteht kein völliger Gleichklang.684 Das macht erneut deutlich, warum die „non-legal obligations“ nicht an Bedeutung verlieren. Gleichwohl betont Llewellyn nochmals die Vorteile des rechtlichen Rahmens. Hier findet sich zunächst eine ungefähre Vorgabe, entlang derer sich die Beziehungen bewegen sollen.685 Schließlich, für den Fall, in dem die Beziehungen tatsächlich nicht mehr funktionieren, kommt dem rechtlichen Gerüst, dem Vertrag, ein normativer Charakter mit einer ultimativen Appellfunktion zu.686 Der letztgenannte Aspekt verdeutlicht nun, dass auch der Konfliktfall, der ggf. mit dem staatlichen Machtapparat auszutragen ist, innerhalb der Gesamtschau ebenfalls seinen Platz hat.
679
Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 736 f. Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 736. 681 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 736 f. 682 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 737. 683 Trotz der oben beschriebenen systembedingten Starrheit bei der Verwendung des (Vertrags-)Rechts. 684 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 737. Insoweit kann man das „anpassungsfähige Gerüst“, das der rechtliche Vertrag bieten soll, auch nur im obigen Sinn verstehen. 685 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 737. 686 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 737. Llewellyn weist in diesem Zusammenhang aber auch auf die Gefahren der einseitig standardisierten Verträge und Vereinbarungen hin, bei denen das „Drohpotential“ einseitig verteilt ist. 680
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Allerdings, und so wird einmal mehr die Notwendigkeit eines pendelnden Blicks deutlich, weist Llewellyn trotzdem darauf hin, die unmittelbare rechtliche Sanktion sei nicht der entscheidende Maßstab.687 Denn die Wirkung einer „Drohkulisse“ sei unsicher. Vielmehr könnten „indirekte“ Sanktionen oder Konsequenzen mehr bewirken.688 g) Schlussfolgerungen Den Ausführungen Llewellyns sind insgesamt, insbesondere für eine anwaltliche Sichtweise, mehrere Erkenntnisse zu entnehmen. So ist danach sehr wohl die Überlegung angezeigt, dass der (mögliche) Konflikt, der mit Hilfe des Rechts ausgetragen werden (muss), ein notwendiger Aspekt sein kann/muss, der in die anwaltliche Lösungsfindung einzufließen hat. Gleichwohl muss aber differenziert werden. So muss etwa im Anschluss an obigen Gedankengang auch der (mögliche) Umstand weitgehend reibungsloser vertraglicher Abläufe innerhalb der anwaltlichen Planung Berücksichtigung finden. Bezogen auf den im vertraglichen Bereich tätigen Anwalt könnte eine solche Differenzierung etwa daran festmachen, ob es (nur) um die Schaffung eines neuen Vertrags zur Bestimmung einzelner als regelungsbedürftig erkannter Punkte geht, oder aber um die Lösung von potentiellen Problemen, die sich während einer längeren Vertragsdauer ergeben können. So wird man bei der (Neu-)Gestaltung eines Vertrags z. B. im Hinblick auf die „Versicherungsfunktion“ des Vertrags jedenfalls die als regelungsbedürftig erkannten Punkte in der Art zu fixieren haben, dass sie einer gerichtlichen Kontrolle standhalten. Sollte während einer länger andauernden funktionierenden Vertragsbeziehung jedoch ggf. von den getroffenen Vereinbarungen abgewichen werden (können), sollte der Anwalt im Interesse des Mandanten demgegenüber in den meisten Fällen nicht auf den „Buchstaben des Vertrags“ bestehen. Es hat dann eine „Anpassung“ an die Notwendigkeiten des Vertragslebens durch die Parteien stattgefunden.689 Gerade auch unter dem Blickwinkel von länger andauernden (künftigen) Vertragsbeziehungen kann sich bereits in der Abschlussphase des Vertrags die Frage stellen, wie viel „gerichtsfest“ vertraglich geregelt werden sollte. Dies gilt nicht nur angesichts des von Llewellyn ausgemachten Umstands, dass die (alten) vertraglichen Regelungen oftmals nicht mehr für die sich weiter entwickelnden tatsächlichen Verhältnisse den Parteien angemessen erscheinen können. Ein anderer Grund, der gegen eine solche „krisenausgerichtete Überregulierung“ sprechen könnte, besteht darin, dass damit schon beim Vertragsschluss ein soziales Klima geschaffen werden
687
Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 738. Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 738. 689 Dazu, wie dies rechtlich bewältigt werden kann, noch im anschließenden Abschnitt zu Macneil. 688
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könnte, welches die auf eine gewisse Dauer angelegten vertraglichen Beziehungen bereits im Ansatz möglicherweise belastet. 6. Besondere Berücksichtigung sich entwickelnder Vertragsbeziehungen – Ian R. Macneil690 a) Einführung Die zunächst vorgestellten Forschungsansätze haben sowohl außerrechtliche als auch rechtliche Bedingungen für den Vertrag als relevant herausgearbeitet. Deutlich wurde vor allem, dass die außerrechtlichen Umstände, ebenso wie die Tatsache, dass sich Beziehungen weiterentwickeln, in der Vertragsplanung und -gestaltung Niederschlag finden müssen. Aus den Gründen sind die rechtlichen wie auch die (rechts-)soziologischen Ausführungen691 Macneils zum „relational contract“692 bedeutsam.693 Dass die Arbeiten Macneils (auch) rechtssoziologische Erkenntnisse enthalten, ist weithin anerkannt.694 Durchaus kritischer sind die Meinungen dazu, ob und was aus den Überlegungen und Beobachtungen Macneils an normativen Schlussfolgerungen
690
1929 – 2010. Daneben wird auch auf die Verbindung mit der ökonomischen Analyse des Rechts verwiesen, siehe etwa Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 68; Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 98 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 768 ff. Die Ausführungen Macneils haben starke ökonomische Bezüge. Auf diese Aspekte soll an gegebenen Stellen eingegangen werden, ohne eine spezifisch ökonomische Ausrichtung zu wählen. Der Schwerpunkt soll im Nachfolgenden auf der rechtssoziologischen Betrachtungsweise dergestalt liegen, dass interessant vor allem die Überlegungen Macneils sind, die sich auf eine Analyse von sozialen Kontexten der vertraglichen Interaktionen gründen; zum Vorstehenden Oechsler, Gerechtigkeit in modernen Austauschverträgen, S. 102. 692 Als Vorarbeiten und empirische Grundlagen für Macneils Arbeit wird oftmals auf die empirischen Vorstudien Stewart Macaulays hingewiesen, siehe u. a. Macaulay, Non-contractual Relations in Business, American Sociological Review 28 (1963), 55 ff. Dazu u. a. etwa Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 113 ff. Horz, Buchverlagsverträge, S. 132, hat etwa darauf hingewiesen, Macneils Arbeit betreffe das juristische Vertragswerk im Rahmen der Vertragsklauseln als Ergebnis einer bewussten Vertragsgestaltung, Macaulays Untersuchung behandele die praktische Vertragsdurchführung. Auf ersteren Punkt soll der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung gesetzt werden. Zum Nutzen der Theorie der Realkontrakte für kautelarjuristische Strategiefragen Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 88. 693 Ausführlich zur Theorie „relationaler“ Verträge Doralt, Langzeitverträge, S. 154 ff. 694 Siehe etwa Horz, Buchverlagsverträge, S. 24; Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 93; Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 272, der Macneils Vertragstheorie als geeignet dazu ansieht, sozialwissenschaftliche und juristische Vertragsforschung aufeinander abzustimmen und zu verbinden. Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S. 108 ff., ordnet Macneils Ausführungen in seine Erläuterungen zu den deskriptiven Aspekten des Vertrags ein. 691
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gezogen werden kann.695 Dieser Problematik ist jedoch erst an späterer Stelle Aufmerksamkeit zu widmen. Denn etwaige Erkenntnisse in Bezug auf das Vertragsrecht bzw. eine entsprechende normative Nutzbarmachung der Macneilschen Arbeiten sind gerade mit dem bewussten Blick auf die Verknüpfungen zu den rechtssoziologischen Betrachtungen zu ziehen. Macneils Theorie zum Vertrag beschäftigt sich im Besonderen mit Verträgen, die zu einer längerfristigen Bindung696 der Vertragspartner führen.697 Seine Ausführungen beziehen sich auf den US-amerikanischen Rechtsraum. Angesichts des letzten Umstands ist es keineswegs unumstritten, ob die Erkenntnisse Macneils sich ohne weiteres auf Deutschland übertragen lassen.698 Das ist letztlich ein Problem, welches sich auch schon bei anderen rechtssoziologischen Ansätzen stellte, die auf Erhebungen im Ausland beruhten. Wie für diese kann aber ebenso für die Macneilschen Ergebnisse trotz aller möglichen Schwierigkeiten einer Übertragung auf den deutschen Rechtsraum eine Nutzbarmachung, nicht zuletzt für den anwaltlichen Vertragsgestalter, erfolgen.699 Es geht wie zuvor um die Problemausrichtung, das heißt eine Bewusstseinsschärfung für mögliche soziale Zusammenhänge und um die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für die Vertragsgestaltung. Gerade wenn man auf Macneils behavioristische Ansätze abstellt, kann die darin liegende Verhaltensanalyse die soeben benannte Bewusstseinsschärfung im gestalterischen Bereich dahingehend fördern, die umfangreichen unterschiedlichen Mandanteninter695 Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Frage nach einem relationalen Vertragsrecht; dazu u. a. Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 622 ff., Rn. 78 ff., zu Ansätzen im deutschen Schrifttum; zur Kritik an der Relationalvertragstheorie, Rn. 82 ff.; Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 95, unter Bezugnahme auf Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691 ff. Dass Macneil mit normativen Überlegungen arbeitet, ist dagegen unproblematisch, siehe etwa Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 183 f. Zur Theorie des relationalen Vertrags, in kritischer Auseinandersetzung, ebenfalls Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 399. 696 Staudinger/Martinek/Omlor (2017), Vorbemerkungen zu §§ 662, Rn. 77, ordnen etwa Geschäftsbesorgungsverträge den Relationalkontrakten zu. Zum Arbeitsvertrag als relationalen Vertrag u. a. Hartmann, FS für Windbichler, 231, 233 f.; Windbichler, European Business Organization Law Review 2005, 507, 529. Zur Ehe als relationaler Vertrag u. a. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 397 ff. m. w. N. 697 Siehe dazu auch die Auseinandersetzung etwa bei Horz, Buchverlagsverträge, S. 24. Zu Ansätzen im deutschen Recht u. a. die Übersicht bei Staudinger/Martinek/Omlor (2017), Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 78, zu komplexen Langzeitverträgen; ebenfalls insbesondere zu den so genannten komplexen Langzeitverträgen Nicklisch (Hrsg.), Der komplexe Langzeitvertrag, 1987. 698 Dazu Horz, Buchverlagsverträge, S. 24, Fn. 17, dort mit Bezug gerade auf den Buchverlagsvertrag. Eher ablehnend Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 93. Kritisch auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, S. 185. Die Kritik wird vor allem in Hinblick auf die normativen Schlussfolgerungen geäußert. 699 Vgl. Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 88, zum Nutzen für kautelarjuristische Strategiefragen, dort allerdings bezogen auf die Theorie der Realkontrakte, weniger auf rechtssoziologische Fragestellungen.
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essen umfassend zu erforschen und nach ihrer Eruierung angemessen vertraglich umzusetzen. Letzteres ermöglicht im Besonderen einen vorzunehmenden Brückenschlag von (rechts-)soziologischer Herangehensweise und juristischer Umsetzung. Ein derartiger Interessenabgleich kann mit Hilfe der Macneilschen Arbeiten unterstützt werden. Wie dies möglich ist und welcher Nutzen daraus für eine interessenorientierte anwaltliche Vertragsgestaltung gezogen werden kann, werden die nachfolgenden Untersuchungen zeigen. Zudem, auch um die (partielle) Nutzbarmachung Macneils deutlich zu machen, soll ebenfalls auf (weitere) wesentliche Ansätze Macneils eingegangen werden, die Kritik erfahren haben und die sich im Übrigen in den deutschen Rechtsraum nur eingeschränkt übertragen lassen; das betrifft vornehmlich die Suche nach einem „relationalen Vertragsrecht“. b) Unterscheidung von „transactional“700 und „relational contract“ Macneils Ansatz und seine daran anknüpfende Kritik am herkömmlichen Vertragsdenken machen an dem Umstand fest, dass ein einmal geschlossener701 Vertrag702 in seinem weiteren Verlauf oftmals zu gänzlich anderem Vertragsverhalten führt als dieses, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, fixiert worden ist.703 Ein Verharren bezüglich der vertraglichen Verpflichtungen auf dem Moment des Vertragsschlusses704 und auf dem (rechtlichen) Vertrag als (alleiniger) Verpflichtungsgrundlage sei somit abzulehnen. Es entspreche keineswegs dem tatsächlichen sozialen Verhalten. aa) Wurzeln des Vertrags und ihre Auswirkung auf das Vertragsverständnis Verständlich wird das, wenn man zunächst Macneils Suche nach dem Ursprung des Vertrags nachvollzieht. Die eigentlichen Wurzeln des Vertrags macht er in vier
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Es findet sich insoweit auch die Bezeichnung als „discrete contract“. Siehe aber auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 103, der innerhalb seiner Untersuchung einen Sprachgebrauch herausstellt, wonach erst die Ergänzung, Korrektur und Kontrolle nach staatlichem Recht einen Vertrag entstehen lasse; im davor liegenden „vorrechtlichen“ Bereich vertraglicher Interaktion, den die Theorie des relational contract analysiere, läge regelmäßig nur eine „Vereinbarung“ vor. 702 Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, wonach Verträge auf eine gewisse Dauer angelegt sind. 703 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 694 ff. Dazu auch Horz, Buchverlagsverträge, S. 132; Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 93. Siehe ferner auch die Ausführungen bei Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69 ff. Diese Erkenntnis Macneils ist freilich nicht neu. In Amerika hat dies bereits Llewellyn herausgearbeitet. 704 Das entspricht grundsätzlich dem deutschen juristischen Vertragsbegriff, der an die Willensübereinstimmung anknüpft. 701
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Bereichen aus. Als fundamentale Wurzel bezeichnet Macneil die Gesellschaft.705 Er streicht u. a. die in der Gesellschaft fußenden allgemeinen Bedürfnisse706 als für den Vertrag notwendig heraus, ebenso wie die Sprache, die soziale Struktur und die Stabilität.707 Weiterhin sieht Macneil eine Wurzel in der Arbeitsspezialisierung sowie in dem Austausch, wobei letzterer deutlich weiter greift als „lediglich“ ein gegenseitiger („reciprocal“) Austausch.708 Als Drittes führt Macneil dann die Wahlmöglichkeit an, das heißt eine gewisse (Wahl-)Freiheit des Einzelnen in einem Bereich von (unterschiedlichen) Verhaltensmöglichkeiten.709 Schließlich benennt Macneil als vierte Wurzel des Vertrags das volle Bewusstsein bezüglich der Zukunft,710 aber auch der Vergangenheit und der Zukunft711. Angesichts dessen ist der vertragliche Austausch nach Macneil jedenfalls nicht (allein) mit der rechtsgeschäftlichen Einigung im juristischen Sinn zu begründen.712 Hinzu kommen diesbezüglich weitere Aspekte. So seien etwa Willenserklärungen, also die zum Vertragsschluss führenden Erklärungen, niemals „vollständig“.713 Das bedeutet, den Parteien ist es punktuell und gerade auch mit Blick auf die Zukunft gar nicht möglich, alle etwaigen Wendungen, die der Vertrag eventuell nehmen könnte, zu regeln.714 Zudem verkennt ein Ansatz, der maßgeblich auf den (einmalig) geschlossenen Vertrag als rechtliche Verpflichtungsgrundlage abstellt, nach Macneil die Einbettung des Vertrags und der Vertragsparteien in ein soziales Gefüge.715 Gerade das soziale Gefüge macht jedoch oftmals den entscheidenden Grund für das Bestehen und die Einhaltung von Pflichten aus.716 Macneil nennt hier u. a. die Verkehrssitten, Handelsbräuche, sozialen Status, verwandtschaftliche Beziehungen, religiöse Vorgaben,
705 Macneil, The new social contract, S. 1; siehe auch The Many Futures of Contract, S. 693, 710, wo Macneil von „social matrix“ spricht. 706 Mit den Bedürfnissen ist ein in Bezug auf die Interessen zentraler Bereich angesprochen. 707 Macneil, The new social contract, S. 1. 708 Macneil, The new social contract, S. 2 f. 709 Macneil, The new social contract, S. 3; Macneil, The Many Futures of Contract, S. 693, 701 ff. Zugrunde gelegt wird dem Konzept des Vertrags eine Freiheit des Willens – real, vorgestellt oder gefordert, Macneil, The new social contract, S. 3. 710 Macneil, The new social contract, S. 4. 711 Macneil, The Many Futures of Contract, S. 693, 706 ff. 712 Horz, Buchverlagsverträge, S. 153. 713 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 726. Siehe auch Horz, Buchverlagsverträge, S. 24, Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 94. 714 Horz, Buchverlagsverträge, S. 24. 715 Auch diese Erkenntnis ist aber nicht neu. Insoweit kann wiederum etwa auf Llewellyn, verwiesen werden. 716 Siehe wiederum Llewellyn. Siehe auch Macneil, The Many Futures of Contract, S. 693, 715 f.; 726 ff.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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auf kommunikativer Ebene gewachsenes Vertrauen717, Gewohnheiten oder gleichlaufende Interessen.718 Diese Sozialfaktoren fließen denn auch in das Verständnis Macneils vom „relational contract“ ein.719 Demgegenüber befasst sich der „transactional contract“ oder auch „discrete contract“720 mit dem Güteraustausch im Sinne des konventionellen Vertragsrechts.721 Es geht um einen einfachen Güteraustausch ohne weitere besondere Beziehungen zwischen den Vertragsparteien.722 bb) Bildung von „transactional“ und „relational axes“ Macneil nimmt nun keine kategorische Unterscheidung anhand bestimmter Merkmale in die soeben genannten Vertragsbeziehungen vor. Das wäre auch für sein Ansinnen der Berücksichtigung des sozialen Gefüges nachgerade kontraproduktiv. 717 Siehe etwa Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, der anführt, insbesondere die Theorie des relationalen Vertrages sehe in dem Vertrauensverhältnis der Vertragsparteien den Schlüssel für eine erfolgreiche Transaktion. Insgesamt steht Schuhmann dem relationalen Vertrag aber durchaus kritisch gegenüber. Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkung zu §§ 662 ff., Rn. 77, betonen, dass bei vielen Geschäftsbesorgungsverträgen sich eine vertrauensvolle und loyale Leistungsanstrengung, mit der der Erfolg des Vertragsverhältnisses stehe und falle, weder rechtlich vorschreiben noch gerichtlich erzwingen lasse. Sie sprechen in dem Kontext auch von relationalen Geschäftsbesorgungsverträgen. 718 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 712, 715. Siehe ferner dazu Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 94; vgl. auch Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 271. 719 Die Verwendung der Begrifflichkeit „relational“ im Deutschen ist keineswegs unproblematisch. Schmid, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrags, S. 109, Fn. 33, geht von einer schlechten Übertragbarkeit ins Deutsche aus. Er arbeitet mit Umschreibungen wie „Beziehungspol“, „Beziehungscharakter“ oder „Beziehungselemente“ des Vertrags, um in etwa wiederzugeben, was Macneil mit „relational exchange“ meint. Ähnlich Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 270, der von „Beziehungsverträgen“ spricht. Dietz, ZfRS 30 (2009), 165, 168, bezeichnet den relationalen Vertrag als eine dauerhafte bilaterale Vertragsbeziehung. Joerges, FS für Wassermann, 697, 706, begreift den Terminus „Relationierungsvertrag“ als einen Gegenbegriff zum einmaligen Austausch („discrete transaction“) (Hervorhebungen im Original). Dieses Begriffspaar, so Joerges, a. a. O., entspreche weitgehend dem bekannten Gegensatz zwischen gewöhnlichen und Dauerschuldverhältnissen. Staudinger/Martinek/ Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69 ff., sprechen von diskreten und relationalen Verträgen. Die vermeintliche Unübersetzbarkeit unter Bezugnahme auf Schmid aufgreifend als Problem von auftretenden Missverständnissen zu dem, was Macneil meint, Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 103. 720 Zum Auftauchen dieser doppelten Begrifflichkeit Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 270. 721 Dazu Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 94. Siehe auch Horz, Buchverlagsverträge, S. 135, der auf eine Beschränkung auf den einfachen Güteraustausch abstellt, ohne dass weitere nennenswerte Beziehungen zwischen den Vertragsparteien bestehen. Staudinger/Martinek/ Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69, nennen als Beispiel das einmalige Tanken des Reisenden an einer Tankstelle. 722 Horz, Buchverlagsverträge, S. 134.
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Um das Vertragsverhalten zu erfassen, bildet Macneil vielmehr so genannte „transactional and relational axes“723, an deren Enden jeweils ein (extremer) Pol bezüglich eines „transactionalen/discreten“ oder eines „relationalen“ Vertragsverhaltens724 steht. Je nachdem wie ausgeprägt einzelne Merkmale sind, ist ein Vertrag danach (eher) transaktional oder relational. Mit anderen Worten enthalten danach die meisten Verträge sowohl transaktionale als auch relationale Elemente, sie bilden Kombinationen.725 Macneil listet einen Katalog mit einzelnen Punkten auf, anhand derer die Zuordnung zum jeweiligen (Extrem-)Pol erfolgen kann. Sie sind es auch, die innerhalb dieser Untersuchung die Ansatzpunkte für die in der Vertragsgestaltung anzustellenden Überlegungen bilden sollen. (1) Vorrangigkeit der Beziehung Kennzeichnend für ein relationales Vertragsverhalten ist zunächst die Vorrangigkeit der Beziehung, die Vertragsperson wird als Ganzes einbezogen; die Einbeziehung ist unbegrenzt, einzigartig und nicht übertragbar.726 Das personenbezogene Element ist somit extrem ausgeprägt. Die Interessenausrichtung ist hier gerade nicht nur rein wirtschaftlich, sondern sie beinhaltet vor allem auch eine komplexe nicht wirtschaftliche Befriedigung.727 Es geht nicht zuletzt um einen sozialen Aus-
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Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738 ff. 724 Hier ist bewusst (auch) von „Vertragsverhalten“ die Rede. Macneil benutzt den Begriff „contract“ z. B. in seinem Beitrag „The Many Futures of Contract“ nicht einheitlich. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass er stets im engen Sinn etwa von übereinstimmenden Willenserklärungen bezüglich des Geltungsgrunds auszulegen ist. Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich gerade vor dem Hintergrund, dass Macneil mit seinen „Achsen“ das Verhalten zwischen relational und transaktional/diskret analysiert und beschreibt. Siehe dazu auch Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 94, der von der Analyse des tatsächlichen sozialen Vertragsverhaltens spricht oder Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 174, der es als Verhalten bezüglich des Austauschs bezeichnet. 725 Siehe diesbezüglich etwa Waßer, Franchising zwischen Arbeitsrecht und Handelsrecht, S. 54. Schanze, Verträge ohne Zivilprozeß, S. 463, 465, führt in Bezug auf Macneils Arbeiten im Kontext mit Langzeitverträgen aus, diese beinhalteten keine Abgrenzung zur Einheitskategorie des „Langzeitvertrags“. Vielmehr gebiete die Vielzahl der relationalen Transaktionen eine Differenzierung. 726 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738. 727 Dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 175. Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11, betont einerseits die Effizienz des Vertrags als Prämisse, andererseits aber auch die stärkere Herausstellung der Kooperationsbeziehung. Siehe auch Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70, wonach langfristige geschäftliche Dauerverbindungen in ein umfassendes und vielschichtiges soziales und wirtschaftliches Beziehungssystem eingebettet sind.
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tausch.728 Ein Beispiel für eine starke Einbindung der „gesamten“ Person können (Dauer-)Verträge zwischen Ehegatten sein, innerhalb derer (neben) wirtschaftlichen Belangen (vor allem) auch persönliche Regelungen getroffen werden sollen. Das kann etwa die wirtschaftliche Beteiligung einer Ehefrau am Unternehmen des Ehemannes sein,729 durch die soziale Belange (mit) abgedeckt werden sollen, etwa Sicherheiten im Krankheitsfall, Versorgung der Kinder. Demgegenüber ist das transaktionale Verhalten letztlich unpersönlich, die persönliche Einbeziehung ist nur teilweise vorhanden. Sie ist begrenzt. Die Beziehung ist nicht von „Einzigartigkeit“ geprägt, sondern vielmehr „übertragbar“, das heißt, es ist egal, wer die Leistung erbringt. Im Fokus des Interesses steht (allein) der wirtschaftliche Leistungsaustausch.730 Bezogen auf den Leistungsaustausch steht dann auch beim transaktionalen Vertrag (allein) eine Leistung in Geld einer solchen, die in Geld berechenbar ist (Marktwert), gegenüber;731 nicht geldwerte Aspekte spielen keine Rolle. Die auszutauschenden Objekte sind entsprechend spezifiziert. „Klassische“ Beispiele sind insoweit punktuelle, sofort abzuwickelnde Verträge, „Ware gegen Geld“.732 Beim (extrem) relationalen Vertrag andererseits sind sowohl die auszutauschenden Leistungen als auch andere Faktoren relativ schwer in Geld oder überhaupt schwer zu bestimmen; dies wird von den Parteien aber auch gar nicht getan.733 Ein „extrem“ relationaler Vertrag, der eine Leistungsbemessung in Geld erschwert, könnte ein gegenseitiges Versprechen zum regelmäßigen Besuch in Alter und Krankheit sein.734
728 Das Wohlergehen der einen Partei ist wichtig für das Wohlergehen der anderen Partei, so Kern, JuS 1992, 13, 13. 729 Vorstellbar kann die Gestaltung als GbR (§§ 705 ff. BGB) sein. Ohnehin werden Gesellschaftsverträge, gerade solche über eine GbR, häufig mit einem sozialen Austausch verbunden sein. So kann ein weiteres Beispiel eine entsprechende anwaltliche Zusammenarbeit in einer Sozietät sein. 730 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738 ff. Siehe auch Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69. 731 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738; derselbe, The New Social Contract, S. 14. 732 Vgl. Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69. 733 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738; derselbe, The New Social Contract, S. 22 f. 734 Beispiele, die eine Bemessung der Leistung in Geld unmöglich machen, sind schwierig zu finden. Denn mittlerweile sind zahlreiche mögliche Leistungen in irgendeiner Form kommerzialisiert, wie etwa die Erbringung von Pflege. Auch in dem obigen Beispiel der Beteiligung der Ehefrau am Unternehmen des Ehemanns finden sich in Geld zu bemessene Leistungen, wie etwa hinsichtlich der Versorgung der Kinder.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(2) Anfang und Ende des Vertragsverhältnisses Ein von Macneil außerdem ausgemachter Unterschied innerhalb des Leistungsaustauschs findet sich in Bezug auf Anfang und Ende des Vertragsverhältnisses. So zeichnet sich der (extrem) transaktionale/diskrete Vertrag durch Eindeutigkeit bezüglich beider Pole aus.735 Das findet sich oftmals bei (einfachen) punktuellen Austauschverträgen. Eine relationale Beziehung ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass der Beginn und das Ende736 sich graduell entwickeln.737 So ist denn auch die Dauer nach Macneil bei der relationalen Beziehung eine langanhaltende, die keinen exakten Anfang oder ein Ende aufweist, weder hinsichtlich der Beziehung noch der Leistung.738 (Rein) transaktionale Verhältnisse sind dagegen durch Kürze geprägt;739 das betrifft die Einigungsphase, den Zeitraum zwischen Einigung und Erfüllung sowie die Erfüllung selbst. Beispielhaft zu nennen ist hier der morgendliche Brötchenkauf als einmaliger Austauschvertrag. (3) Planung Die Dauer der Beziehung lässt sich mit einem anderen von Macneil genannten Topos in Verbindung setzen, dem der „Planung“. Die Planung ist nach Macneil bei dem transaktionalen Austausch, für den zuvor Trennschärfe und kurze Dauer festgemacht worden sind, durch die vorrangige Fokussierung auf den Leistungsaustausch gekennzeichnet.740 Die Planungsphase ist oftmals kurz. Die Planung selbst erfolgt in der Regel vollständig und präzise und ist bindend.741 Eine Planung nach
735 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738; derselbe, The New Social Contract, S. 15, „(…) sharp in, sharp out (…)“. Der Beginn ist durch eine klare Vereinbarung fixiert, das Ende des Vertrags tritt durch klare Erfüllung ein. 736 Soweit ein solches überhaupt vorhanden ist. 737 Als Beispiel, allerdings bezogen auf eine vertragliche Dauerbeziehung, führt Kern, JuS 1992, 13, 13, ein Unternehmen an, das „eine nach außen bestehende Einheit, nach innen jedoch (ein) aus vielfältigen vertraglichen Dauerbeziehungen bestehendes Gebäude darstellt.“ Kern verweist diesbezüglich u. a. auf Macneil, Southern California Law Review (SCLR) 47 (1974), 691 ff. (735); ders., Northwestern University Law Review (NVLR) 72, (1978), 854 ff. (865). Joerges, FS für Wassermann, 697, 706, stellt unter Bezugnahme auf die HerstellerVertragshändler-Beziehung fest, ihre vertragsrechtliche Beurteilung müsse auf Abänderungsbedürfnisse, aber auch auf Asymmetrien in ihren Beziehungen Rücksicht nehmen. 738 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738. Zur mangelnden genauen Bestimmbarkeit von Anfang und Ende des Beziehungssystems Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70. 739 Macneil, The New Social contract, S. 15. 740 Die Vor- und Nachteile werden jeweils genau zugewiesen. 741 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 739; derselbe, The New Social Contract, S. 16. Siehe auch Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Vertragsabschluss wird nicht als notwendig angesehen, ebenso wenig eine sonstige zukünftige Zusammenarbeit in Bezug auf die Planung.742 Ganz anders liegen konsequenterweise die Rahmenbedingungen743 beim relationalen Verhältnis.744 Hier findet, so Macneil, in der Einführungsphase durchaus eine Planung des wesentlichen Austauschs statt. Einbezogen werden hier vor allem auch Strukturen und Prozesse der Beziehungen,745 wobei diese Planung ggf. sehr konkret sein kann. Namentlich hinsichtlich der eigentlichen vertraglichen Substanz ist die Planungsmöglichkeit aber begrenzt.746 Bezogen auf das obige Beispiel der Ehefrau, die sich zur Absicherung verschiedener sozialer Belange in das Unternehmen ihres Mannes einbringt, können durchaus umfangreiche Planungen (Überlegungen) angezeigt sein, welche Teile der sozialen Beziehung Einfluss in den Vertrag gewinnen sollen. Welche diese schlussendlich sind (z. B. die Bedürfnisse der Kinder), kann dann aber konkret gefasst werden. Die eigentliche gesellschaftsrechtliche Gestaltung kann jedoch mit fortschreitender Zeit immer wieder der Anpassung bedürfen.747 Vertragsbedingungen stellen sich nun zwar in der Regel als Ergebnis von Verhandlungen dar. Die Beziehung zwischen den Parteien entwickelt sich jedoch fort.748 Auch nach Beginn der Beziehung kann es je nachdem zu gemeinsamen Planungen kommen, zumal solche nicht notwendig bindend sein müssen. Für den Erfolg der Beziehung ist zudem eine weitere Zusammenarbeit bezüglich der Durchführung des 742
Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 739; derselbe, The New Social Contract, S. 16. 743 Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70, weisen darauf hin, dass die Wirklichkeit der modernen Vertragspraxis von langfristigen geschäftlichen Dauerverbindungen gekennzeichnet sei. 744 Durch einen Vertrag kann ggf. nur noch der Rahmen für die Organisation der Parteibeziehung vorgegeben werden, Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, für Projektverträge. Siehe auch Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70. 745 Siehe wiederum Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70. 746 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738; derselbe, The New Social Contract, S. 24. 747 Nach Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70, geht es darum, sich während des Vertragsverhältnisses strategischen Verhandlungsspielraum zu bewahren; deshalb ließen die Parteien bewusst Lücken in den Vereinbarungen, die auch nicht durch das gesetzliche Vertragsrecht geschlossen werden sollten. Solche Verträge würden als relational contracts bezeichnet. 748 Kern, JuS 1992, 13, 15, geht für Langzeitverträge davon aus, dass diese in der Realität immer unvollständig sind. Er begründet dies jedoch ökonomisch, indem er ausführt, die Unvollständigkeit folge schon daraus, dass die Parteien zur Vermeidung hoher Transaktionskosten Fragen, die sie in der Prognose für unwichtig hielten, offenlassen würden. Zur Unvollständigkeit als Wesensmerkmal von Arbeits- als Langzeitverträgen Hartmann, FS für Windbichler, 231, 233; Windbichler, European Business Organization Law Review 2005, 507, 529. Zu Kategorien der Unvollständigkeit bei Langzeitverträgen im Einzelnen Doralt, Langzeitverträge, S. 165 ff.
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Vertrags sowie bezüglich der weiteren Planung unabdingbar.749 Ein solch relationales Element zeigt sich häufig in längerfristigen Beziehungen zwischen Unternehmen, die beide in einem gewissen Maß existenziell aufeinander angewiesen sind.750 Anders als in (rein) transaktionalen Verbindungen werden hier zudem weiterhin die Vor- und Nachteile von den Parteien, jedenfalls zum Teil, gemeinsam getragen.751 (4) Übernommene Pflichten Die zuvor dargestellte Unterscheidung zwischen Konkretheit und Flexibilität findet sich ferner in Macneils Topos zu den übernommenen Pflichten: Transaktionale Verträge bestehen danach zwischen zwei Personen;752 zwischen ihnen gibt es genau festgelegte spezifische Regelungen und Rechte, die aus den (gegenseitigen) Versprechen herrühren. Zudem sind sie eben in Geld bestimmbar und grundsätzlich gänzlich übertragbar.753 Demgegenüber sind die Verpflichtungen und Sanktionen in relationalen Beziehungen nicht spezifizierbar oder messbar.754 Ihre Grundlage kann aus der Beziehung selbst755 oder auf einer externen Basis beruhen.756 Die Verpflichtungen sind beziehungserhaltend.757 Die Übertragung der Verpflichtungen ist in der Regel unwirt749 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 739. 750 Siehe dazu Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9, der es als Funktion eines (Projekt-)Vertrags ausmacht, die Zusammenarbeit der Vertragspartner zu optimieren. Dem relationalen Vertrag steht Schuhmann allerdings kritisch gegenüber. Gehle/Wronna, BauR 2007, 2 ff., stellen den Allianzvertrag gerade als kooperatives Vertragsmodell, vor allem bei Großbauprojekten, vor. Sie (S. 11) betonen u. a. die Erhöhung des Vertrauens, der Kooperation und des Team-Geists als Vorteile. 751 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 739; derselbe, The New Social Contract, S. 27. Das Tragen der Vor- und Nachteile bzw. eine Nutzenverteilung wird innerhalb der Diskussion um die relationalen Verträge aber gerade auch als Anknüpfungspunkt für ein Ausnutzen von „Verhandlungspositionen einer jeden Partei in der Vollzugskrise des Vertrags“ gesehen, siehe Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 71. 752 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740; derselbe, The New Social Contract, S. 13. 753 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740; Ausnahme: die letztendliche Verantwortlichkeit des Schuldners für die Nichterfüllung. 754 Das gilt bei der Einnahme einer extremen Sichtweise. Gerade bei langfristigen Verträgen gibt es auch spezifizierbare Pflichten. 755 Das ist nicht im vertraglichen Sinn gemeint, vielmehr kommen über die Beziehung etwa Gebräuche oder Prinzipien zum Tragen. 756 Im obigen Beispiel der sich an dem Unternehmen des Ehemannes beteiligenden Ehefrau können die Sanktionen nicht nur aus dem (Vertrags-)Recht, sondern ggf. auch aus dem sozialen Umfeld (Familie) resultieren. 757 Erst beim Bruch der Beziehung kann es zur Transaktionalität kommen.
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schaftlich und schwierig, wenn nicht unmöglich. An dem Vertragsverhältnis sind zudem zumeist mehr als zwei Personen beteiligt.758 Ausweislich Macneils Aufschlüsselung ist das Zeitgefühl bei transaktionalen Verträgen auf eine Vergegenwärtigung der Zukunft gerichtet.759 Man geht also davon aus, alles sogleich in der Art und Weise regeln zu können, dass es (endgültig) „richtig“ ist.760 Die Zukunft bedarf danach keiner späteren (erneuten) Betrachtung. In relationalen Verträgen ist ein Umgang mit der Zeit ein anderer. Hier werden Gegenwart und Zukunft getrennt. Die Gegenwart wird dazu genutzt, die noch ausstehende Zukunft zu planen und vorzubereiten.761 (5) Umgang mit Schwierigkeiten Schließlich geht Macneil innerhalb seiner relationalen und transaktionalen Achsen auch auf den Punkt ein, welche Schwierigkeiten bei der Erfüllung selbst auftreten oder aber zwischen den Teilnehmern möglich sein können. In transaktionalen Verträgen werden solche nicht erwartet oder man hat sie bereits eingeplant. Sollten sich doch Schwierigkeiten ergeben, so wird erwartet, dass diese durch spezifische Rechte geregelt werden.762 In relationalen Vertragsverhältnissen wird andererseits das etwaige Auftreten von Schwierigkeiten als normaler Teil der Beziehung angesehen. Ihnen soll mit Hilfe von Kooperation oder anderen erhaltenden Techniken begegnet werden.763 c) „Common contract norms“ und weitere „normative“ Ansätze bei Macneil Auf dem Weg zu einem „neuen Vertragsrecht“ bei Macneil, das letztlich Einfluss auf das staatliche, richterlich kontrollierbare Recht haben soll,764 ist, gerade auch aus 758 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740. 759 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740. 760 Vgl. auch Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69. 761 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740; derselbe, The New Social Contract, S. 31. Auch das kann das Beispiel der Ehefrau verdeutlichen, die die Beteiligung ggf. nutzt, um künftige Ereignisse wie Bedürftigkeit, Zukunft der Kinder, auffangen zu wollen. 762 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740. 763 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 740. Das kann beispielsweise durch Kommunikations- und Schiedsklauseln geschehen. 764 Ob und inwieweit Macneils Gedanken für deutsches Vertragsrecht nutzbar gemacht werden können, wird noch vertiefter zu untersuchen sein. Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 88, messen der Theorie der Relationalverträge „ungeachtet ihrer derzeit noch juristisch unfruchtbaren Esoterik durchaus eine mittel- bis
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(rechts-)soziologischer Sicht, zunächst ein weiterer Gedankengang Macneils von Interesse. Macneil listet eine Reihe von „Vertragsnormen“ („common contract norms“) auf.765 Diesbezüglich sei darauf hingewiesen, dass „Norm“ an dieser Stelle nicht gleichgesetzt werden darf mit einem juristischen Normbegriff im Sinne staatlichen Rechts (Gesetz), das mit einem entsprechenden Zwangsapparat durchgesetzt werden kann. Im vorliegenden Kontext ist mit Macneil Norm als „principle of right action binding upon the members of a group and serving to guide, control, or regulate proper an acceptable behaviour“766 zu verstehen. Macneil betont dabei, hierin nicht nur die Art einzuschließen, wie Menschen sich verhalten, sondern auch die Art, wie sich verhalten sollten.767 Sein Normverständnis, welches sogleich für die „common contract norms“ aufgezeigt wird, erstreckt sich sowohl auf das Vertragsverhalten des „discrete contract“ als auch auf das des „relational contract“.768 aa) „Common contract norms“ Die „common contract norms“ entwickelt Macneil aus den „Mustern grundlegenden vertraglichen Verhaltens“.769 Erneut tritt damit der behavioristische Ansatz bei Macneil hervor. Er stellt somit seine behavioristischen Überlegungen (auch) hier in einen juristischen Kontext. Als derartige „common contract norms“ macht Macneil neun „Normen“ aus. Die Herangehensweise beschreibt er wie folgt: „I shall develop the norms both by relating them to the particular contractual behavior to which they are most pertinent, and to a lesser extent by giving illustrations of legal principles and rules implementing them.“770 Zu den „Normen“ gehört zunächst die Rollenintegrität („role integrity“).771 „Rollenspiel“ ist nach Macneil immer präsent im vertraglichen Verhalten,772 es ist in langfristige Bedeutung für das deutsche Recht im fortschreitenden Prozess der normativen Bewältigung neuartiger Geschäftsbesorgungsverträge“ zu. Interessant werden die Erkenntnisse sein, die man bereits jetzt für die Vertragsgestaltung ziehen kann. 765 Macneil, The New Social Contract, S. 39 ff.; dazu auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 176 ff.; Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 33 ff. 766 Macneil, The New Social Contract, S. 38; darauf hinweisend Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. 767 Macneil, The New Social Contract, S. 38; auch darauf hinweisend Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. 768 Macneil, The New Social Contract, S. 39; siehe auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 176. 769 Macneil, The New Social Contract, S. 39, führt aus „The common contract norms emerge from the patterns of basic contractual behaviour (…)“. 770 Macneil, The New Social Contract, S. 40. 771 Macneil, The New Social Contract, S. 40. Siehe auch Macneils Definition unter Verweis auf Caplow, wonach eine Rolle ein Verhaltensmuster ist, das von einer Person erwartet wird, die eine bestimmte soziale Position besetzt. Vgl. später noch Teil 3 dieser Untersuchung.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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spezifischer Form die direkte Folge der Arbeitsspezialisierung. Die Natur der Rolle verlangt innere Konsistenz und innere Harmonie,773 das heißt Rollenanforderungen774 sind auch einzuhalten. Mit der Rolle verbunden sind jedoch ferner innere Konflikte, z. B. die Harmonisierung des eigenen Interesses gegenüber der Solidarität zum anderen Teil.775 Schließlich kann mit der Rolle eine hohe Komplexität einhergehen.776 Ein komplexes Rollenverhalten kann man besonders bei Parteien in auf längere Dauer angelegten typisierten Verträgen ausmachen, z. B. in einem Arbeitsvertrag. Rollenverständnis und Vertrag können damit in der Vertragsgestaltung in einer starken Wechselbeziehung zu sehen sein. Eine weitere „common norm“, so Macneil, ist die Gegenseitigkeit („mutuality“). Ein Austausch erfolgt nur, wenn jeweils ein Plus möglich ist, wobei Gegenseitigkeit nicht Gleichheit bedeutet, sondern Ausgeglichenheit.777 Es geht also darum, alle Beteiligten zufrieden zu stellen. Dies ist u. a. ein Gesichtspunkt, der innerhalb von Verhandlungen zum Tragen kommen kann, etwa indem win-win-Situationen geschaffen werden. Als dritte Norm benennt Macneil die Ausführung der Planung („implementation of planning“). Umfasst ist davon mehr als der Austauschgegenstand, nämlich vielmehr wie die Dinge zu handhaben sind und welche Struktur zu wählen ist.778 Anknüpfend daran kann sich etwa die Überlegung anschließen, wie (gemeinsam) die Vertragsausführung zu bewältigen ist, damit der Vertrag gelingt. Macneil bezeichnet diesen Aspekt als in weiten Teilen dominierend innerhalb moderner Verträge wie dem Franchising.779 Weiter führt Macneil das Bewirken einer Einigung („effectuation of consent“) an, wobei das ein dominierender Aspekt im klassischen Vertragsrecht ist.780 Flexibilität („flexibility“) als fünfte Norm findet ihren Grund zum einen in der begrenzten Rationalität, den Grenzen des menschlichen Geistes, zugängliche Informationen zu erfassen, zum anderen in der begrenzten Verfügbarkeit von Informationen und weiterhin in der beständigen Veränderung der sozioökonomischen
772
Macneil, The New Social Contract, S. 40. Macneil, The New Social Contract, S. 41. 774 Dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 176; Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 34. 775 Macneil, The New Social Contract, S. 42. 776 Macneil, The New Social Contract, S. 43. 777 Macneil, The New Social Contract, S. 44. 778 Macneil, The New Social Contract, S. 47; siehe dort auch dazu, dass die Planung „keynorm“ ist, aber auch zu Konflikten mit anderen Normen führen kann. 779 Macneil, The New Social Contract, S. 47. 780 Macneil, The New Social Contract, S. 47. Damit nimmt Macneil Bezug auf den USamerikanischen Raum. In Deutschland könnte man hier das strenge vertragliche Konsensprinzip beim Vertrag anführen. 773
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Welt.781 Das bedeutet, entweder hat ein Vertrag eine Wandlungsfähigkeit oder er „zerbricht“ unter dem Wandlungsdruck.782 Norm sechs bezeichnet die vertragliche Solidarität („contractual solidarity“); sie hält den Austausch aufrecht.783 Hier kann es nicht zuletzt gerade um die Aufrechterhaltung der Beziehung der Vertragsparteien gehen.784 Macneil macht ferner die verbindenden Normen aus („The linking norms: restitution, reliance and expection interests“), das heißt die Interessen auf Wiederherstellung, auf Vertrauen785 und in Bezug auf Erwartungen.786 Ein relevantes Problem, das insoweit im Hintergrund steht, ist, dass gemachte Versprechen gebrochen werden (können).787 Weiterhin zählt Macneil die Schaffung und Beschränkung von Macht („creation und restraint of power“) auf. Macht kann dabei rechtlich, wirtschaftlich, sozial oder politisch sein.788 Als „Schlussnorm“ führt er schließlich die Harmonisierung mit der sozialen Matrix an („harmonization with the social matrix“). Es geht um den Einklang mit sozialen Normen.789 Letzteres ist ein Anliegen, das gerade in der Vertragsgestaltung zentral werden kann, damit der juristische Vertrag im sozialen Kontext Bestand hat, dort „gelebt“ wird. Die (vorgestellten) common contract norms können in unterschiedlicher Ausprägung für die „discrete norms“ und die „relational norms“ bedeutsam sein. bb) „Discrete norms“ So setzt sich im Anschluss an die „common contract norms“ Macneil mit den „discrete norms“ auseinander. Macneil hebt insoweit nochmals hervor, welchen Inhalt er dem Begriff „Norm“ grundsätzlich zumisst, nämlich „(…) (n)orm here connotes both how people do behave and how they ought to behave, with the two 781
Macneil, The New Social Contract, S. 50. Macneil, The New Social Contract, S. 50. Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177, spricht von erforderlichen Vertragsanpassungen. 783 Macneil, The New Social Contract, S. 52. 784 Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177 und Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 34, führen die Aufrechterhaltung der Beziehung an. 785 Zum Vertrauen als Element des relationalen Vertrags auch Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10. 786 Macneil, The New Social Contract, S. 52 ff. 787 Macneil, The New Social Contract, S. 53. 788 Macneil, The New Social Contract, S. 56. 789 Dazu etwa Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 34. 782
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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typically going hand in hand.“790 Beide Elemente fallen also zwar typischerweise zusammen, „stehen und fallen“ aber nicht zwingend miteinander. Anders verhält es sich bei „discrete norms“. Hier stellt Macneil einen Unterschied heraus. „Thus, whenever discrete transactional behavior occurs, the discrete norm describes how people behave and prescribes how they should behave. If they behave otherwise discreteness will be destroyed; to the extent that discreteness is valued, such behaviour violates a prescriptive norm.“791 Die Einhaltung der Normen ist also für das Bestehen(bleiben) der diskreten Beziehung erforderlich. Solche „discrete norms“ sind das Produkt der großen Bedeutung von zwei „common norms“: der Planung und der Einigung.792 In einer diskreten Transaktion sind beide zu 100 % zu erfüllen, um die Elemente, die dort von Bedeutung sind, zu gewährleisten: „discretness“ and „presentation“.793 „Enhancing discretness“ bedeutet, dass die Identität der Parteien einer Transaktion keine Rolle spielt,794 das heißt sie sind im Grunde austauschbar. Was die Parteien ansonsten ausmacht, ihre Beziehungsebene ist nicht relevant.795 „Presentation“ bedeutet, die Zukunft in die Gegenwart zu bringen.796 Die Zurückdrängung gerade der Beziehungsebene ist auch ansonsten von Bedeutung. So ist nachvollziehbar, dass in diesem Kontext die „common norms“, die zuvor für „grundlegendes“ vertragliches Verhalten vorgestellt wurden, vielfach/ teilweise zurücktreten. Innerhalb der diskreten Transaktion ist etwa die Rolle „eindimensional“, betroffen ist „nur“ die Rolle des konkreten Austauschs (z. B. als Käufer). Rollenkonflikte, weil ein (weiterer) Rollenkomplex beim Austausch betroffen ist (z. B. als Freund und Käufer),797 werden ausgeblendet. Flexibilität ist angesichts der 100 %igen Planung nicht vonnöten.798
790
Macneil, The New Social Contract, S. 59. Macneil, The New Social Contract, S. 59; Hervorhebung bei Macneil. 792 Macneil, The New Social Contract, S. 59 f. Zur Bedeutung eines hohen Maßes an Vollständigkeit in der Vertragsabfassung sowie einer weitgehenden Antizipation der zukünftigen vollzugsrelevanten Entwicklungen beim „diskreten“ Vertrag Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69. 793 Macneil, The New Social Contract, S. 59 ff. 794 Macneil, The New Social Contract, S. 61. 795 Nach Macneil, The New Social Contract, S. 60, ist „nichts anderes“ zwischen den Parteien. Siehe auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177, wonach andere Faktoren keine Rolle spielen. 796 Macneil, The New Social Contract, S. 60. 797 Vgl. auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177. 798 Auch dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177, wonach Flexibilität im Rahmen isolierter Austauschbeziehungen außerhalb der Transaktion stattfände; Vertragsanpassungen fänden beispielsweise durch Vertragsauflösung statt. A. a. O. auch zu weiteren „common norms“, die nicht oder kaum zum Tragen kommen. Ebenso zur Problematik Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. 791
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Auch wenn Macneil hier eine „Spezialisierung“ als „discrete norm“ in Bezug auf die „common norms“ vornimmt, wobei ja letztere gerade nicht mit dem klassischen Vertragsrecht799 gleichzusetzen sind, ist der Einfluss eines solchen (Vertrags-)Rechts hinsichtlich der beschriebenen „discrete norms“ sowie sonstiger dort noch relevanter „common norms“ unverkennbar. Das gilt nicht nur für das Vertragsrecht, sondern auch für sonstige gesetzliche Vorgaben. Das betrifft beispielsweise die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen („Solidarität“), indem das Rechtssystem mit seinen Möglichkeiten von außen (Durchsetzbarkeit) zur Stützung/Erfüllung selbiger beiträgt.800 Die Gegenseitigkeit wird in dem Abschluss des Geschäfts auszumachen sein;801 auch das ist gerade bei „klassischen“ vertraglichen Vereinbarungen gegeben.802 Das Recht und seine Möglichkeiten fungieren als externe Solidaritätsfaktoren.803 Das rechtlich Zulässige bestimmt bestehende Rechte und Rechtsverhältnisse.804 Knüpft man an das Versprechen an,805 so wirkt sich das staatliche Recht auch auf die „linking norms“ aus. Folglich bereitet die „Stimmigkeit“, jedenfalls bei streng transaktionalen Austauschverhältnissen, zwischen Macneils „discrete norms“ und dem klassischen Vertragsrecht weniger Probleme. Zu beachten ist freilich, dass keine Deckungsgleichheit vorliegt; nicht zuletzt liegen im Macneilschen Sinn ja in der Regel keine „reinen“ transaktionalen Verhältnisse vor. Es wird jedoch (bereits) deutlich, dass der Blick auf und der Umgang mit „klassischem“ Vertragsrecht ggf. ein anderer sein muss, wenn andere Faktoren, wie 799
Im Rahmen von Macneils Ausführungen geht es um das us-amerikanische Recht. Grundgedanken können aber auch auf den deutschen Rechtsraum übertragen werden. 800 Siehe auch Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 361. Siehe ferner Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 180; dort auch zur „zentralen Stabilisierungsfunktion“. Ferner weist Sosa, ebenda, daneben auf bestehende Machtverhältnisse hin. Siehe dort außerdem zum ökonomischen Nutzen als Grund für vertragliche Solidarität. 801 Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177. 802 Vgl. auch Macneil, The New Social Contract, S. 62, der selbst die Möglichkeit, alles in einem Moment des Einigseins zu regeln, als schwer möglich einschätzt und ausführt: „For that reason, a reservoir of clear, precise content is needed to fill the gaps. In theory, this is provided by sovereign positive law, the purified law of classical contract.“ 803 Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 177. 804 Dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 178; Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 361, spricht von „The free use of the full force of positive law in the event of backsliding clearly falls within this norm where discreteness prevails.“ 805 Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 178.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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die stärkere Betonung der Beziehung, in den Fokus rücken. Vor diesem Hintergrund sind auch „relational norms“ interessant. cc) „Relational norms“ Neben den „discrete norms“ benennt Macneil weiterhin „relational norms“. Er führt dazu aus, „(…) consider the behavior that does occur in relations, must occur if relations are to continue, and hence ought to occur so long as their continuance is valued.“806 Zunächst werden bei den „relational norms“ wie bei den „discrete norms“ u. a. bestimmte „common norms“ betont, die hier hervorgehoben bzw. vertieft werden. Macneil führt diesbezüglich einmal die Rollenintegrität an.807 Sie wird im relationalen Bereich als sehr komplex beschrieben, u. a. in Bezug auf Gebräuche, Prinzipien sowie Abhängigkeit.808 Weiterhin manifestiert sich hier die Vertragssolidarität.809 Eine Intensivierung und Erweiterung810 ist diesbezüglich gerade der Erhalt der Beziehung, sei es auf privater, sei es auf unternehmerischer Ebene. Damit wiederum ist (als eigener „Wert“) die Harmonisierung relationaler Konflikte verbunden.811 Hier geht es u. a. darum, die „ganze Person“ zu berücksichtigen.812 Dies betrifft etwa Konflikte innerhalb (Geschäfts-)Beziehungen, die auf längere Zeit angelegt sind und innerhalb derer ein Austausch der Partner nicht ohne weiteres möglich/gewollt ist. Schließlich zeigt Macneil im Zusammenhang mit der Intensivierung der „common norms“ u. a. noch die Flexibilität auf, die jetzt gleichsam als „innere Norm“ wirkt,813 so dass etwa Anpassungen innerhalb der existierenden Beziehung möglich sind.814 Große Bedeutung haben auch die Gegenseitigkeit sowie der veränderte Umgang mit der Macht,815 die möglicherweise freiwillig beschränkt wird816. 806
Macneil, The New Social Contract, S. 64. Macneil, The New Social Contract, S. 65; derselbe, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 362. 808 Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 362; dort auch weitere Ausführungen. 809 Macneil, The New Social Contract, S. 65. 810 Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 362. 811 Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 362. In „The New Social Contract“, S. 65, spricht Macneil von „harmonization with the social matrix“. 812 Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 362; dazu auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 178. 813 Macneil, The New Social Contract, S. 65. 814 Dazu Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. Siehe auch Macneil, The New Social Contract, S. 65, unter Hinweis auf (inneres) Konfliktpotential zur Planung und Einigung. 815 Macneil, The New Social Contract, S. 65; dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 178 f. 816 Siehe Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. 807
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Von den vorgenannten Betonungen streicht Macneil allerdings gerade als „relational norms“817 dann die Rollenintegrität, den Erhalt der Beziehung, die Harmonisierung relationaler Konflikte sowie übervertragliche Normen heraus,818 was etwa die „Richtigkeit“ der zu wählenden Mittel umfasst819. Es sind diese Maßstäbe, die durchaus vielgestaltig sind, die Macneil aufstellt, damit ein relationaler Austausch funktioniert und weiter bestehen kann.820 Sie zeichnen sich durch eine besondere Flexibilität aus, berücksichtigen gerade auch Faktoren, die jenseits einer „klassischen Normierung“, sei es durch Gesetz, sei es durch Vertrag liegen.821 Beispielhaft sei hier nur die Rollenausfüllung genannt, die in komplexen Beziehungen822 mehrere Bereiche umfasst, wie geschäftlicher Austausch, persönliche Beziehungen auf unterschiedlichsten Ebenen. Besondere Aufmerksamkeit verdient ferner für die vertraglichen Beziehungen, gerade mit Bezug zu Flexibilität und Konfliktlösung, die einvernehmliche Streitschlichtung (unter Einbeziehung eines Dritten).823 Zu denken ist etwa an die Mediation.824 Dass alle diese Umstände im Zusammenhang mit vertraglichem Verhalten von Bedeutung sind, durchaus auch in dem Sinn, dass die Beteiligten ihr Verhalten da-
817 Unter Hinweis auf Macneil u. a. hervorhebend, dass nicht formal durchsetzbare Verträge die Grundlage für einen Tausch bilden, sondern relationale Normen und Vertrauen, das zwischen den Transaktionspartnern entwickelt wurde, Dietz, ZfRS 30 (2009), 165, 168. Dietz, a. a. O., bezeichnet relationale Normen als Regeln, auf die sich die Vertragsparteien ausdrücklich oder stillschweigend geeinigt haben, mit denen sie zukünftige Probleme der Interaktion lösen wollen. Mit Hilfe des Mechanismus der wiederholten Interaktion komme es zur Durchsetzung vertraglicher Ansprüche, vergangene, gegenwärtige und zukünftige Beziehungen seien von großer Bedeutung. 818 So Macneil, The New Social Contract, S. 65. 819 Macneil, Northwestern University law review 78 (1983), 340, 362 f.; Macneil, The New Social Contract, S. 70, betont, diese Normen seien nicht speziell vertraglich. Siehe auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 180, der von Angemessenheit der Mittel spricht. 820 Vgl. insofern auch die „Definition“ der „relational norm“ durch Macneil. 821 Dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 180. 822 Werner, Relationales Beschaffungsverhalten, S. 35. 823 Dazu Macneil, Contracts, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 892; dazu Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 108, der herausstreicht, es handele sich dabei nicht um eine Aufgabe der Rechtsfindung. Aus ökonomischer Sicht siehe etwa Kern, JuS 1992, 13, 16, der betont, eine Austragung des Konflikts auf einer möglichst tiefen Ebene sei vorteilhaft, denn je höher der Konflikt hinaufsteige, desto größer würden auch die Transaktionskosten. 824 Im deutschen Rechtsraum ist insoweit das seit 2012 geltende MediationsG (BGBl. I S. 1577 vom 21. 7. 2012) zu beachten. In einen Vertrag kann eine Mediationsklausel aufgenommen werden, in der u. a. für den Konfliktfall bestimmt wird, dass beide Seiten an der einvernehmlichen Streitbeilegung durch eine Mediation mitzuwirken haben. Zu Mediationsklauseln in der Vertragsgestaltung Unberath, NJW 2011, 1320 ff.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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nach ausrichten können und oft tun, ist nachvollziehbar.825 Gerade aus Gestaltersicht geht dabei u. a. darum, die „contract norms“ im Verbund mit ihrem Entstehungszusammenhang, das heißt vor allem den Macneilschen „Achsen“, als Anstoß zu begreifen, wie Interessen der Vertragsparteien aufzudecken und mit dem Mittel des Vertrags umzusetzen sind. Es geht nicht um die Anwendung eines „eigenen“ Vertragsrechts. dd) Zwischenergebnis Der „Vorwurf“, der Macneil allerdings bezüglich seiner „relational norms“ u. a. gemacht wird, besteht darin, es werde nicht deutlich, welche Voraussetzungen bestehen müssen, damit es zu einer Ausrichtung der Beteiligten an Macneils Normen kommt.826 Zwar zeigt Macneil durchaus mit dem grundsätzlichen Einfluss der „common norms“ auf, welche Aspekte durch die „relational norms“ betont oder intensiviert werden.827 Wie das Zusammenspiel letztlich aber genau funktioniert, wird als nicht hinreichend nachvollziehbar kritisiert.828 Allein angesichts des „schwierigen Normverständnisses“ Macneils bezüglich der letztgenannten Ausführungen ist eine „1:1-Übertragung“ auf die anwaltliche Vertragsgestaltung, zumal im deutschen Rechtskreis, kaum möglich. Unbenommen ist eine etwaige Nutzbarmachung von, auch in den Macneilschen Normen steckenden, behavioristischen Ansätzen,829 etwa zur Aufdeckung von Interessen. Davon zu trennen ist allerdings noch ein weiterer Aspekt, nämlich der Macneilsche Weg, relationales Verhalten bzw. relationale Normen in das staatliche Rechtssystem zu „integrieren“.830 Das Problem besteht u. a. in der gerichtlichen Durchsetzbarkeit relationaler Normen. Auf diesen Aspekt ist, nicht zuletzt angesichts „relationaler Elemente“ im deutschen Recht, gesondert einzugehen. 825 Siehe auch den Hinweis von Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 180, auf empirische Untersuchungen etwa von Macaulay oder Beale. 826 So Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 180. 827 Siehe auch die Ausführungen bei Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 180 f. 828 So Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181. 829 Siehe auch den zuvor angesprochenen Aspekt des Interessenabgleichs. Auf diese Art und Weise kann auch z. B. der Kritik Oechslers, RabelsZ 1996, 91, 103, begegnet werden, wonach die Aufmerksamkeit deutscher Autoren tendenziell weniger dem Entstehungskontext des relational contract law gelte als vielmehr seinen abstrakten Ergebnissen, die unmittelbar auf die deutsche Rechtslage übertragen würden. 830 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 693; dazu u. a. Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181, der von „Stabilisierung relationaler Normen durch das staatliche Rechtssystem“ spricht.
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d) Nutzbarmachung der Macneilschen Ansätze in der Vertragsgestaltung aa) Behavioristischer Ansatz831 Für die Nutzbarmachung der Beobachtungen Macneils innerhalb der Vertragsgestaltung ist in erster Linie auf den behavioristischen Ansatz832 seiner Ausführungen einzugehen, das heißt auf die von ihm gesammelten Erkenntnisse, welche beobachteten vertraglichen Sozialverhaltensweisen833 die von ihm näher beschriebenen „Verträge“ prägen. Es sind diese Erkenntnisse, die auch für den (deutschen) Vertragsgestalter Ansatzpunkte bieten, die in seine Gestaltertätigkeit einfließen können oder müssen, wenn er interessengerecht im Sinne seines Mandanten operieren will. Es geht vor allem um die Bewusstmachung sozialer834 Abläufe, die das Verhältnis zum Vertrag835 prägen können, aber auch dazu führen müssen zu hinterfragen, welche Erwartungshaltungen an den Vertrag herangetragen werden können und ob und wie ein Vertrag diesen gerecht werden kann. Beispielhaft soll hier nochmals auf die „Weiterentwicklung“ des erwarteten gegenseitigen Vertragsverhaltens (Erwartung, was der Vertrag leisten soll), die Einbettung des Vertrags in ein soziales Gefüge, die Gewichtung der dem Vertrag zugrunde liegenden Beziehung oder die Berücksichtigung von Kommunikationsschwierigkeiten hingewiesen werden. Es sind solche Abläufe, die in der Regel im tatsächlichen Erfahrungsschatz eines vertragsgestaltenden Anwalts vorhanden sind, bzw. von ihm in selbigen aufgenommen werden sollten. Das gilt grundsätzlich in Bezug auf die anwaltliche Herangehensweise etwa im Rahmen der Kommunikation mit dem Mandanten sowie der Ermittlung des relevanten (Lebens-)Sachverhalts. Es gilt gerade jedoch weiterhin im Zusammenhang mit der vertraglichen Normanwendung bezüglich des Gesetzes und der eigentlichen vertraglichen „Normierungsleistung“. Insoweit ist die Verknüpfung behavioraler und normativer (gesetzlicher) Überlegungen näher zu untersuchen.
831 Es sei nochmals betont, dass unter Anlehnung an Macneil und die Sekundärliteratur diese Begrifflichkeit gewählt wurde. Sie ist nicht deckungsgleich mit der soziologischen Forschungsrichtung. 832 Siehe u. a. Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 735, selbst, der von „Behavioral conceptualization of contracts: Transactional und relational axes“ spricht. Zum behavioristischen Ansatz bei Macneil etwa Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101; siehe ferner Martinek, Moderne Vertragstypen, S. 366, der den Ansatzpunkt im mikro-ökonomischen Gebiet, den größeren Bereich jedoch innerhalb der Verhaltenstheorie und -analyse ausmacht. Dies wieder aufgreifend in Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 82. Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S. 254, spricht von einer „Synthese ökonomischer und behavioristischer Zugangsweisen“. 833 Begriffswahl nach Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101. 834 Damit hängen auch oftmals ökonomische Abläufe zusammen. Staudinger/Martinek/ Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 70, sprechen von „vielschichtige(…)(m) soziale(…)(m) und wirtschaftliche(…)(m) Beziehungssystem. 835 Das betrifft für unsere Überlegungen in erster Linie den Vertrag im juristischen Sinn.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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bb) Normativer Ansatz Überlegungen bezüglich der Nutzbarmachung der Macneilschen Ausführungen müssen deshalb auch die normative Ebene miteinschließen. Das betrifft hier unmittelbar nicht die oben aufgeführten „norms“ im Sinne Macneils (common norms, discrete norms, relational norms). Diese dienten zunächst der Verständlichmachung dessen, was Verträge „prägen“ kann, worauf gerade als Gestalter bei längerfristigen Verträgen in (sozialer) Sicht zu achten ist. Nachfolgend geht es jetzt darum, die Problematik der Verbindung von Macneilschen Überlegungen und staatlichem Recht anzugehen. (1) Relationales836 Vertragsrecht837 Macneil selbst bleibt nicht bei (rein) behavioristischen Ansätzen stehen. Er sucht nach einem Weg, das reale Verhalten beim Abschluss des Vertrags und später bei der eigentlichen Vertragsdurchführung mit einem juristischen Vertragskonzept in Einklang zu bringen.838 Das Vertragsrecht soll somit der Relationalität des Vertrags
836
Schon die Übertragung der Begrifflichkeit vom englischen „relational“ ins deutsche „relational“ begegnet deutlichen Angriffen, so etwa von Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 103, unter Verweis auf Macneil selbst, Barriers to the Idea of Relational Contract, S. 31, 31, Fn. 2. Oftmals findet sich jedoch diese Übertragung, so u. a. bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 128; Waßer, Franchising zwischen Arbeitsrecht und Handelsrecht, S. 54 ff. 837 Die „Suche“ nach einem transaktionalen Vertragsrecht soll/muss nicht vertieft werden, wenn man dessen Bezugspunkt schwerpunktmäßig im klassischen Austauschvertrag ausmacht, der auch das deutsche Vertragsrecht prägt. Siehe auch oben zu den „discrete norms“ bei Macneil. Dazu, dass das klassische Vertragsrecht ein Recht der „diskreten“ Verträge ist, Staudinger/Martinek/Omlor (2017), Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 69. 838 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 693. Macneil unterschied später für das Recht der so genannten „long-term economic relations“ einmal das „classical contract law“, das durch den auf den Punkt konzentrierten Austauschvertrag geprägt ist und den individuellen sozialen Kontext ausklammert; siehe dazu u. a. Macneil, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 862 ff. Davon zu trennen war nach ihm das „neoclassical contract law“, das an das „classical contract law“ anknüpft, aber bei länger andauernden Verträgen berücksichtigt, dass letztere Planungen gerade in Bezug auf Strukturen u. ä. benötigen, um auf sich ändernde Umstände reagieren zu können. Maßgebend ist zwar weiterhin das Geschäft selbst, allerdings wird die Vereinbarung im Kontext des wirtschaftlichen Zusammenhangs ausgelegt; es können etwa auch geschäftliche Gepflogenheiten Einfluss nehmen, so Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 174. Trotz allem bleibt dabei in Rechnung zu stellen, dass die Planung nicht umfassend sein kann; siehe dazu Macneil, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 865, 885. Schließlich soll es das „relational contract law“ geben. Die Lösung von Problemen vertragsrechtlicher Art bestimmt sich hier grundsätzlich nach der zwischen den Parteien bestehenden Sozialbeziehung; hierzu Macneil Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 886 ff. Es findet sich auch die Idee der so genannten „mini society“, Macneil, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 889 ff.
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folgen.839 Ein solches Vertragsrecht kennt (noch) den rechtsgeschäftlichen Einstieg in den Vertrag, im Anschluss daran erfolgt jedoch ein „Eigenleben“ der Beziehung.840 Die sich im weiteren Verlauf der (vertraglichen) Beziehung stellenden Fragen werden dann nicht anhand des ursprünglich Vereinbarten unter Zuhilfenahme des Vertragsrechts beantwortet.841 Maßgeblich sind, so etwa Köndgen, vielmehr die „gewachsene(n) Geschäftsnuancen individualvertraglicher oder kollektiver (Handelsbräuche) Provenienz (…) und vertragsmodifizierende (…) oder sogar -derogierende (…) Verhaltensweisen der Kontrahenten“842. Als „relational“ wird somit das Vertragsrecht verstanden, welches auf die geänderten Verhaltensweisen der Vertragsparteien Rücksicht nimmt, das heißt „behaviorale“ Abläufe berücksichtigt. Das „soziale und wirtschaftliche Beziehungssystem“843 nimmt Einfluss.844 Ein „reines“ relationales Vertragsrecht sieht diese Abläufe dann schlussendlich als maßgeblich für die Fragen an, die sich im Lauf der Vertragsbeziehung stellen.845 (a) Relationales Vertragsrecht in Deutschland Ein (juristisches) Vertragsrecht, welches auf „gelebte Verhaltensweisen“, wie etwa Macneil oder Köndgen es beschreiben, in Gänze reagiert, also „relational“ ist, und Abstand nimmt von der „kodifikatorischen Geltung des rechtsgeschäftlichen Konsenses“846, ist dem deutschen Recht fremd.847 Stoffels weist richtigerweise darauf hin, ein solcher Ansatz versehe außerrechtliche Abläufe mit normativer Verbindlichkeit; den Anspruch auf normative Verbindlichkeit könne jedoch nur das Recht selbst erheben.848 Für die Verbindlichkeit auf rechtsgeschäftlicher Ebene habe das Auf eine Unterscheidung in klassische, neoklassische und relationale Verträge durch die neue Institutionenökonomik hinweisend Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9. Innerhalb der vorliegenden Untersuchung erfolgt die Beschränkung auf den Hinweis unterschiedlicher Rezeptionen im deutschen Recht. Von Interesse für den Vertragsgestalter ist aber weiterhin vor allem der behaviorale Gedankengang. 839 Dazu etwa Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 128 f.; Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181 ff.; darauf hinweisend Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 30. Deutlich ablehnend etwa Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S. 254 f. 840 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 128. 841 Dazu mit deutlicher Kritik Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 255. 842 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 128. Namentlich Köndgen dürfte sich damit sehr stark dem Verständnis Macneils vom „relational contract law“ annähern. 843 So Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 368. 844 Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 368, erwähnt zudem die bewussten Lücken in den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien, die nicht durch das Vertragsrecht geschlossen werden sollen. 845 Macneil, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 886 ff.; darauf hinweisend Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 254. 846 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 128. 847 Vgl. in dem Zusammenhang auch Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 30. 848 Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 256.
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Gesetz das Konsensprinzip vorgesehen.849 Das bedeutet nichts anderes als das Erfordernis eines Vertrags im juristischen Sinn. Der Vertrag muss „die Filter der Rechtsgeschäftslehre und des Schuldvertragsrechts passier(…)(en)“850. Sofern er diesen „Filter“ passieren (kann), können dann aber auch selbstverständlich relationale Umstände normative Geltung gewinnen.851 Es ist dieser letztgenannte Ansatz, der die Tür (auch) zur Normgeltung (bestimmter) relationaler Abläufe im geltenden deutschen Recht öffnet. Insoweit bestehen ebenfalls keine Bedenken in Bezug auf die Nutzbarmachung der Überlegungen Macneils, trotz aller gebotenen Vorsicht zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Rechtsraum.852 (b) Beispiele relationaler Einflüsse im deutschen Recht Beispiele für solche „relationalen Ansätze“ im deutschen Recht853 finden sich an unterschiedlichen Stellen, von denen einige hier aufgezeigt werden sollen854. (aa) Treu und Glauben, § 242 BGB Versteht man „relational“ als die mögliche Berücksichtigung des sozialen und wirtschaftlichen Beziehungssystems,855 ist dafür der § 242 BGB856 ein mögliches 849 Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 256. Deutlich auch Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 382, wonach das Axiom des geltenden Vertragsrechts „Stat pro ratione voluntas“ nicht zur Disposition stünde. 850 So Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 382; dieses Zitat aufgreifend Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Vertragstypen, S. 256. 851 Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Vertragstypen, S. 256, streicht dies für Sozialbeziehungen oder die ökonomische Rationalität des Vertragshandelns heraus; Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 382, führt den ökonomischen Aspekt auf. 852 Siehe auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 184 f. Joerges, FS für Wassermann, 697, 707, entnimmt den Erkenntnissen Macneils in Bezug auf die Vertragshändler-Verträge zwar keine unmittelbar normativen verbindlichen Leitlinien, auch keine solchen für die Zielsetzungen des Kartellrechts. Er führt aber aus, die Einsichten in die Binnenstrukturen der Relationierungsverträge erlaubten es doch, die für das Kartell- und Vertragsrecht verfügbaren rechtlichen Optionen schärfer zu konturieren und zu begrenzen. 853 Auf ein Regelungsdefizit bei Langzeitverträgen im deutschen Recht hinweisend Kern, JuS 1992, 13, 14 m. w. N. 854 Die anschließenden Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vgl. in dem Zusammenhang etwa Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 184 f., der auf mögliche dogmatische Einbettungen, insbesondere in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse verweist. Zu Ansätzen im deutschen Schrifttum u. a. auch die Übersicht bei Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 78 ff. 855 Siehe Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 368. Vgl. auch die Ausführungen im Zusammenhang mit einem relationalen Vertragsrecht. 856 Zur Möglichkeit der Berücksichtigung relationaler Elemente bei der Pflichtenbegründung über § 242 BGB Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 102. Eine andere Ge-
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„Auffangbecken“. Als Generalklausel mit offenem Tatbestand verpflichtet sie über „Treu und Glauben“ zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die jeweiligen schutzwürdigen Interessen des anderen Teils,857 außerdem zu einem redlichen und loyalen Verhalten.858 Anknüpfend daran ist ein „relationaler Einfluss“ z. B. über die Interessen859 möglich, die sich im Laufe einer (vertraglichen) Beziehung verändern. Vor allem weil die Interessen einen subjektiven Ausgangspunkt haben, ist ihre Weiterentwicklung in der individuellen Personenbindung grundsätzlich angelegt. Diese Weiterentwicklung gilt zudem etwa auch für Vertrauen, welches aufgrund einer gelebten Vertragsbeziehung aufgebaut wird. Neben der Rücksichtnahme spielt u. a. der Vertrauensschutz innerhalb von § 242 BGB eine tragende Rolle.860 Nicht ohne Grund kann man die „Einwirkungsmöglichkeiten“ des § 242 BGB gerade bei längeren Vertragsbeziehungen nachvollziehen. Bei letzteren kann sich am deutlichsten ein „sozial gelebtes Verhältnis“ zeigen. Allerdings befinden sich Treu und Glauben mit der Beachtung schutzwürdiger Interessen nicht im rechtsfreien Raum. Greifen keine Sonderregelungen, so bestimmt sich die inhaltliche Konkretisierung von Treu und Glauben neben der in der Norm genannten Verkehrssitte insbesondere nach den in der Rechtsgemeinschaft anerkannten objektiven Werten.861 Konsequenz solch „relationaler Einflüsse“ über § 242 BGB kann z. B. das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung862 sein. Als Folge daraus kann etwa einer Partei versagt werden, sich auf eine bestimmte vertragliche Vereinbarung, die einmal vom vertraglichen Konsensprinzip getragen war, zu berufen. Beispielhaft sei hier auf widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) in Form der plötzlichen Geltendmachung von Vertragsklauseln hingewiesen, die innerhalb der jahreneralklausel, über die relationale Elemente Berücksichtigung finden können, ist § 138 BGB, siehe Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 185. 857 Siehe auch Joerges, FS für Wassermann, 697, 709, der von einem quid pro quo von „Interessenwahrung“ gegen „Treue“ spricht (Hervorhebung im Original). Allerdings macht Joerges diese Ausführungen nicht im Zusammenhang gerade mit § 242 BGB. 858 So Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 6; siehe außerdem MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 10. 859 Zur Notwendigkeit einer umfassenden Interessenabwägung innerhalb von § 242 BGB etwa BGHZ 13, 341, 350; 135, 333, 347; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 7, gerade auch in Bezug auf subjektive Elemente. 860 MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 10; siehe auch u. a. Erman/Böttcher, BGB, § 242, Rn. 3; Jauernig/Mansel, BGB, § 242, Rn. 3. Vertrauen ist ebenfalls ein maßgebliches Element im Sinne des Austausches bei Macneil. 861 So Jauernig/Mansel, BGB, § 242, Rn. 3; siehe auch beispielsweise PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 13 ff. MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 10 m. w. N., führt zu Treu und Glauben aus, der inhaltliche Maßstab ergebe sich aus außer- bzw. überrechtlichen sozialen Geboten und ethischen Prinzipien, die der gesamten Rechtsordnung zugrunde lägen, auch wenn sie im Recht nicht oder nur partiell positiviert seien. 862 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 38, spricht von der „Relativität des R(echts)(…)(i)nhalts“.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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langen Praxis nicht eingehalten worden sind.863 In der Situation kann das Vertrauen des anderen Teils, das durch ein bestimmtes Verhalten begründet worden ist, schutzwürdig sein.864 Sollte jemand eine bestimmte rechtliche Regelung über einen längeren Zeitraum in einem bestimmten Sinn ausgelegt haben, ist er daran gebunden, wenn sich der andere Teil darauf eingestellt hat.865 Sollte etwa ein Vertragspartner eine bestimmte vertragliche Verhaltensklausel längere Zeit in bestimmter Weise verstehen, so darf der andere Teil darauf vertrauen. Berücksichtigung finden muss jedoch, dass, soweit möglich, vorrangig auf eine Vertragsauslegung oder eine konkludente Vertragsänderung866 abzustellen ist. Dann werden relationale Abläufe aber wieder unter das Konsensprinzip gestellt. (bb) Rücksichtspflichten, § 241 Abs. 2 BGB Ähnlich „offen“ für „relationale Elemente“ ist § 241 Abs. 2 BGB, wonach das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten kann. „Relationaler Ansatzpunkt“ ist hier beispielsweise die durch das Schuldverhältnis eröffnete Sonderverbindung867. Deutlich wird dabei wiederum die Einflussnahme des Grundsatzes von Treu und Glauben,868 So können aus der Sonderverbindung, die ihre besondere Bedeutung erneut vor allem in länger andauernden Beziehungen hat, etwa Aufklärungspflichten869 resultieren. Diese bestimmen sich von ihrem Umfang her nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses. Gerade wenn ein Schuldverhältnis aber auf eine längerfristige, u. U. vertrauensvolle Verbindung ausgerichtet ist, z. B. ein Pflegeoder Betreuungsvertrag, können dann die sozial gelebten Verhaltensweisen Einfluss gewinnen. (cc) Auslegung „Relationale Einflüsse“ finden sich in gewissem Umfang im Bereich der Vertragsauslegung. § 133 BGB bestimmt für die Auslegung von Willenserklärungen die notwendige Erforschung des wirklichen Willens gegenüber der (Ver-)Haftung am 863
Vgl. BeckOK-BGB/Sutschet, § 242, Rn. 111, 121. Zum vertrauensbegründenden Verhalten sowie der Schutzwürdigkeit Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 56. 865 BGH LM WZG § 1 Nr. 5. 866 BeckOK-BGB/Sutschet, § 242, Rn. 112, dort allerdings mit Fokus auf einen möglichen Verzicht. 867 Zur Sonderverbindung Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 241, Rn. 6. Heftige Kritik übend Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 120, der diese darauf stützt, dass Pflichten hier auf dem Gesetz begründet werden, so dass es zu einer Spaltung der Wurzeln der Ansprüche (Vertrag und Gesetz) kommt. Nach ihm, S. 122, kann die Beschäftigung mit der Lehre vom relational contract das deutsche Vertragsrecht um die Komponente des Vertrauensschutzes als Verpflichtungsgrund bereichern. 868 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 241, Rn. 6. 869 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 241, Rn. 7. 864
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buchstäblichen Sinn des Ausdrucks. Für Verträge legt § 157 BGB870 ihre Auslegung so fest, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Entgegen ihrem jeweiligen Wortlaut sind §§ 133, 157 BGB sowohl für Willenserklärungen als auch für Verträge nebeneinander anzuwenden.871 Ohne die Auslegung hier in ihrer Gänze aufgreifen zu wollen, können beispielhaft Situationen aufgezeigt werden, die ebenfalls „relationale Elemente“ aufweisen. Interessant sind vor allem Auslegungsfragen, die den Inhalt des Rechtsgeschäfts,872 in unserem Fall des Vertrags, betreffen. „Relationale“ Fragen stellen sich mitunter schon in Bezug auf die natürliche Auslegung, die nach dem wirklich Gewollten forscht873. So kann nachträgliches Parteiverhalten, also die „gelebte Beziehung“, einen Rückschluss auf das wirklich Gewollte zulassen.874 Relational „gefärbt“ können die erläuternde und die ergänzende Auslegung sein. Beides sind zwar normative Auslegungen.875 Gleichwohl kommt Relationalität dort in dem Sinn zum Tragen, dass Umstände, die der „Beziehung“ entspringen, Einfluss nehmen können. Das sind u. a. die (erkennbaren) schutzwürdigen Interessen der Beteiligten876 oder die Verkehrssitten877 und Gebräuche. Auch bei der Vertragsauslegung ist ein solcher Rückgriff möglich, sofern nicht schon das dispositive Recht die Lücke schließt. (dd) Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB Als „Paradebeispiel“ relationalen Einflusses im geltenden Recht wird mitunter auf den § 313 BGB verwiesen.878 § 313 BGB, wiederum ein Ausfluss von § 242 BGB,879 zeichnet sich vor allem dadurch aus, die vertragliche Beziehung in erster Linie erhalten zu wollen. Ziel soll eine Vertragsanpassung sein (§ 313 Abs. 1 BGB).880 Erst wenn dies nicht möglich oder unzumutbar ist, soll es zu einer Been870 Zur Möglichkeit der Berücksichtigung relationaler Elemente bei der Pflichtenbegründung über § 157 BGB Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 102. 871 Dazu HK-BGB/Dörner, § 157, Rn. 1. 872 Dazu Bork, AT des BGB, Rn. 507 ff. 873 Bork, AT des BGB, Rn. 512. 874 Dazu Bork, AT des BGB, Rn. 549. Problematisch ist freilich mit Blick auf Macneils Kritik am Konsensprinzip, dass mit dieser Auslegung letztlich auf den Zeitpunkt des Konsensschlusses zurückgeblickt wird. 875 BGHZ 96, 313, 320 f.; Staudinger/Roth (2020), BGB, § 157, Rn. 31 (zur ergänzenden Auslegung); Bork, AT des BGB, Rn. 511. Kritisch Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 123 m. w. N. 876 BeckOK-BGB/Wendtland, § 157, Rn. 11, dort als Ausfluss von Treu und Glauben; siehe auch BGH NJW 2006, 286, 287; BGH NJW-RR 2005, 32, 34. 877 BeckOK-BGB/Wendtland, § 157, Rn. 16 ff. 878 Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 272, Fn. 16; siehe auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 185. 879 BeckOK-BGB/Lorenz, § 313, Rn. 1. 880 Dazu, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB in erster Linie zu einem Anspruch auf Vertragsanpassung führt etwa BGHZ 191, 139, 146.
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digung des Vertrags kommen (§ 313 Abs. 3 BGB). Somit steht mit dem § 313 BGB zwar grundsätzlich ein flexibles Reaktionsinstrumentarium zur Verfügung. Wirklich zielführend in Bezug auf die involvierten Interessen der Vertragsparteien wäre jedoch (nur) eine vertragliche Anpassung, die von ihnen autonom getroffen worden wäre. Zwar hat der BGH bezüglich des Anspruchs der durch eine Störung der Geschäftsgrundlage benachteiligten Partei auf Vertragsanpassung die Verpflichtung der anderen Partei ausgesprochen, an der Anpassung mitzuwirken.881 Abgesehen davon, wie zielführend für eine (tatsächlich einvernehmliche) Anpassung die Installierung einer damit einhergehenden Rechtspflicht zur Verhandlung882 über § 313 Abs. 1 BGB ist,883 bleibt darüber hinaus die vor allem aus Gestaltersicht zu berücksichtigende Schwierigkeit der Einschätzung, ob und wann es zu einem Eingreifen des § 313 BGB mit entsprechenden Pflichten kommt; letzteres ist eine Entscheidung, die schlussendlich das Gericht treffen wird.884 „Relationale Elemente“ finden sich gleichwohl in unterschiedlicher Weise in § 313 Abs. 1 BGB. Indem auf eine Änderung der Umstände nach Vertragsschluss abgestellt wird, wird einer Weiterentwicklung in der Lebenswirklichkeit Rechnung getragen. Langzeitverträge bilden damit ein Hauptanwendungsfeld der Norm.885 Mit der tatbestandlichen Voraussetzung des § 313 Abs. 1 BGB, wonach die Parteien, hätten sie die Veränderung vorausgesehen, den Vertrag nicht oder mit 881 BGHZ 191, 139 ff. (als obiter dictum). Zu der Entscheidung und der darin ausgesprochenen Mitwirkungspflicht u. a. Kähler, JR 2012, 458 ff.; Looschelder, JA 2012, 704 f.; Teichmann, JZ 2012, 421 ff. Insgesamt zu der Problematik Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266 ff. Siehe auch in kritischer Auseinandersetzung mit dem BGH Bielefeld, Anpassung von Verträgen, S. 35 ff. 882 Der BGH selbst (BGHZ 191, 139, 146 f.; 149), spricht von „Anspruch (…) auf Verhandlungen“ bzw. „Verhandlungspflichten“. Der BGH (Z 191, 139, 149) führt u. a. aus, mit dem Anspruch der benachteiligten Partei auf Vertragsanpassung korrespondiere die Verpflichtung der begünstigten Partei, an dieser Anpassung mitzuwirken. Verhandlungspflichten ebenfalls aus dem Urteil folgernd etwa Lüttinghaus, AcP 213 (2013), 266, 273 ff., der, S. 286, auch deutlich zwischen Verhandlungspflicht und Anpassungsanspruch unterscheidet; Verhandlungspflichten auch annehmend Teichmann, JZ 2012, 421, 422, der allerdings kritisch hinterfragt, ob der Gesetzgeber mit der bewussten Entscheidung für einen Anspruch auf Anpassung auch eine Neuverhandlungspflicht einführen wollte. Demgegenüber führt Kähler, JR 2012, 458, 460, aus, die konstatierte Mitwirkungspflicht sei nicht notwendiger Weise eine Verhandlungspflicht, da sie sich in der Zustimmung zur Vertragsänderung erschöpfen könne. Eine Neuverhandlungspflicht über § 313 BGB ablehnend u. a. HK-BGB/Fries/Schulze, § 313, Rn. 26; MK-BGB/Finkenauer, § 313, Rn. 122. 883 Sofern eine Verhandlungspflicht privatautonom vereinbart wird, ist ggf. für die Notwendigkeit einer Verhandlung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine entsprechende Einsicht vorhanden. Allerdings bleibt auch dann das Problem, wie förderlich eine solche Pflicht ist, wenn sie ggf. später im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden muss. 884 Berücksichtigen muss der Gestalter allerdings in Bezug auf § 313 BGB, dass bei einer verweigerten Mitwirkung die benachteiligte Partei auf Zustimmung zu der als angemessenen erachteten Anpassung oder unmittelbar auf die Leistung klagen kann, die sich aus dieser Anpassung ergibt, siehe BGHZ 191, 139, 149. 885 MK-BGB/Roth, § 313, 5. Aufl. 2007, Rn. 21.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
anderem Inhalt geschlossen hätten, wird angesichts einer relationalen Betrachtungsweise jedoch zweierlei deutlich: Zum einen könnte man darin die auch von Macneil886 auf seiner relationalen Achse festgehaltene Erkenntnis ausmachen, wonach es schlechterdings nicht möglich ist, alles im Vertrag zu regeln. Zum anderen lässt sich jedoch erkennen, dass das BGB eben kein (reines) relationales Vertragsrecht ist, welches (nur) auf die außervertraglichen Abläufe schaut. Der Einstieg über § 313 Abs. 1 BGB ist lediglich möglich, wenn keine abweichende vertragliche Vereinbarung vorliegt. Vorrangig sind also die beim Vertragsabschluss getroffenen Regelungen.887 Diese können z. B. auch die einseitige Zuweisung aller sich möglicherweise ergebenden Risiken an eine Vertragsseite enthalten.888 Abgesehen davon finden sich Elemente des Konsensprinzips, wenn auch nicht im Sinn einer vertraglichen Einigung, bei der Klärung der Frage, ob die sich verändernden Umstände überhaupt Geschäftsgrundlage geworden sind. § 313 Abs. 1 BGB umfasst die objektive wie subjektive Geschäftsgrundlage.889 Als subjektive Geschäftsgrundlage bezeichnet man solche Vorstellungen einer Partei, die bei Vertragsschluss zutage getreten, dem anderen Teil erkennbar geworden und von ihm nicht beanstandet worden sind; ebenso erfasst sind gemeinsame Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern auf diesen der Geschäftswille der Parteien aufbaut.890 Auch wenn es zu § 313 Abs. 1 BGB gehört, dass gerade kein vertraglicher Konsens vorliegt, gibt es damit doch in der mangelnden Beanstandung erkennbar gemachter Umstände bzw. in einem gemeinsamen Geschäftswillen die bezeichneten „konsensualen Elemente“. Die objektive Geschäftsgrundlage umfasst andererseits auch solche Umstände und allgemeinen Verhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich sind, damit der Vertrag nach dem Sinn der Intentionen beider Vertragsparteien noch als eine sinnvolle Regelung (weiter) bestehen kann.891 „Spuren des Konsenses“ tauchen hier auf, wenn man berücksichtigt, dass die Klärung, was eine 886 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738. 887 OLG Saarbrücken NJW-RR 2001, 752, 754. Ausdrücklich Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 603. 888 BGH LM § 242 (Bb) Nr. 162; MK-BGB/Finkenauer, § 313, Rn. 59, 61. 889 Dazu Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 313, Rn. 2; siehe auch Erman/Böttcher, BGB, § 313, Rn. 7. Auf die Vornahme einer Unterscheidung im Zusammenhang mit § 313 BGB hinweisend (Abs. 1 als Beschreibung der objektiven, Abs. 2 als Beschreibung der subjektiven Geschäftsgrundlage) u. a. MK-BGB/Finkenauer, § 313, Rn. 12, der, m. w. N., jedoch dafür plädiert, die Unterscheidung aufzugeben (Rn. 13). Gegen eine Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage u. a. auch Bielefeld, Anpassung von Verträgen, S. 22 f. m. w. N. 890 So Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 313, Rn. 3, unter Hinweis u. a. auf BGH NJW-RR 2021, 84; BAG NJW 2018, 3601; BGH NJW 2016, 3100. Demgegenüber sieht Jauernig/ Stadler, BGB, § 313, Rn. 4, den Verlust der Bedeutung der subjektiven Formel durch § 313 BGB als gegeben an. 891 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 313, Rn. 4.
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sinnvolle Regelung im Verständnis der Parteien darstellt, oftmals den Bereich der subjektiven Geschäftsgrundlage erreicht892. Im Übrigen ist schließlich die in § 313 BGB angelegte „Filterfunktion“893 zu beachten. Diese betrifft z. B. nicht nur die (ausdrückliche) vertragliche Risikoverteilung; das Risiko kann auch vom Gesetz selbst in einer bestimmten Art und Weise zugewiesen werden, z. B. in den Regelungen zur Bürgschaft nach §§ 765 ff. BGB. (ee) Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund, § 314 BGB Erneut in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse bietet das BGB „relationale Ansätze“, allerdings in diesem Fall „nur“ für eine (endgültige) Beendigung der Beziehung. Das Gesetz ermöglicht beispielsweise894 in § 314 BGB eine Kündigung aus wichtigem Grund; der Einzelne soll in dem Schuldverhältnis nicht verhaftet bleiben müssen. Ein wichtiger Grund für eine Kündigung kann auch aus sich verschlechternden sozialen Beziehungen resultieren. Grund dafür kann eine „Abkühlungstendenz“ sein, wie sie etwa Carbonnier895 beschrieben hat. So kann die Vernichtung der für den jeweiligen Vertrag erforderlichen Vertrauensgrundlage den Grund für eine Kündigung aus wichtigem Grund bilden.896 Allerdings muss erneut zunächst die jeweilige individual-vertragliche Vereinbarung berücksichtigt werden. So ist anhand der individuellen Regelungen und des Vertragszwecks zu bestimmen, wie stark „soziale Einflüsse“ vertragsbeendigend wirken können, z. B. in welchem Umfang besonderes Vertrauen für die Erreichung des Vertragsziels vonnöten ist. Auch hier gilt also zunächst die konsensual getroffene Vereinbarung. (ff) Konkludente Vertragsänderung „Gelebtes Vertragsverhalten“ kann zudem zu konkludenten Vertragsänderungen führen. In dem Fall wird „relationales Geschehen“ dann jedoch wieder, wie im Zusammenhang mit § 242 BGB bereits erwähnt, dem Konsensprinzip zugeführt.
892 Siehe etwa BGHZ 131, 209, 215, wo Umstände, die „nur“ als selbstverständlich von beiden Seiten angesehen worden sind, ausreichend sind. Siehe auch erneut MK-BGB/Finkenauer, § 313, Rn. 12 f., der, m. w. N., eben dafür plädiert, die Unterscheidung von objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage aufzugeben (Rn. 13). 893 Zur Filterfunktion des Schuldvertragsrechts wiederum Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 382. 894 Kern, JuS 1992, 13, 14, listet, allerdings (lediglich) unter Ausrichtung auf den Langzeitcharakter eines Vertrags, §§ 643, 649 BGB, § 2 KSchG i. V. mit § 622 BGB, § 355 HGB, § 89b HGB und §§ 315, 316 BGB auf. Hierbei handelt sich jedoch nicht allesamt um Normen, die im Zusammenhang mit der Beendigung eines Schuldverhältnisses stehen. 895 Siehe Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 257. 896 BeckOK-BGB/Lorenz, § 314, Rn. 14, für das Dauerschuldverhältnis, das eine intensive vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordert.
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(gg) Sonstige Beispiele Abgesehen von den bisherigen Beispielen für „relationale Einfalltore“ im geltenden Recht, kann man relationale Ansätze auch in speziellen Regelungen entdecken. Gerade wenn man „relational“ mit Blick auf ein bestimmtes Rollenverständnis der Parteien sieht,897 so hat die Gesetzgebung in dieser Beziehung etwa durch die Schaffung von (Schutz-)Gesetzen, die auf ein solch bestimmtes Rollenverständnis eingehen, reagiert,898 u. a. durch Normen im Bereich des Verbraucherschutzes, z. B. in §§ 312 ff. BGB. (hh) Zusammenfassung All diese Beispiele verdeutlichen allerdings, dass durch das geltende (staatliche) Recht in Deutschland keinesfalls uneingeschränkt relationales Gedankengut in dem Sinn transportiert wird, die Beziehungsabläufe allein als maßgeblich anzusehen. Vielmehr wird stets eine Wertung899 dahingehend erforderlich sein, ob mehr transaktionale oder mehr relationale Elemente entscheidend sind und wie infolgedessen die Rechtsfolgen zu bestimmen sind.900 Wertungsmaßstab ist aber der oben genannte „Filter“901, das heißt das (staatliche) Recht, nicht (allein) außervertragliche Geschehnisse. Insofern finden sich im geltenden Recht zwar sehr wohl „relationale Einflüsse“, von einem relationalen Vertragsrecht kann allerdings nicht gesprochen werden.902 Eine Verknüpfung von (deutschem) Vertragsrechts und relationalen Überlegungen kann und muss jedoch ggf. über die „kautelarjuristische Strategiefragen“903 erfolgen. (c) Kontrollinstanz und Normverständnis Die zuvor beschriebene Verknüpfung von „relationalen Elementen“ mit dem „Passieren“ des rechtlichen „Filters“ muss für den Vertragsgestalter unter einem weiteren Aspekt Eingang in seine Überlegungen finden. Es geht abermals um das
897
Zum Rollenkontrakt etwa Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 127. Siehe dazu auch Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 30. 899 Das kann etwa bei der Anwendung oder Auslegung eines Gesetzes oder bei der Ausfüllung einer Generalklausel der Fall sein. 900 So zu Recht Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 30. 901 Zur Filterfunktion des Schuldvertragsrechts abermals Martinek, Moderne Vertragstypen, Band III, S. 382. 902 Siehe ein weiteres Mal Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 88. 903 Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkung zu §§ 662 ff., Rn. 88, führen aus, für kautelarjuristische Strategiefragen könne die Theorie der Realkontrakte zumindest einen theoretischen Referenzrahmen zur rationalen ökonomischen Fundierung des einzusetzenden juristischen Instrumentariums bieten. 898
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maßgebliche „Normverständnis“, welches er zugrunde legen muss, um später interessengerecht handeln zu können. Selbst wenn es bisher vielfach um gelebte soziale Abläufe ging, der Fokus also eigentlich auf interpersonales Verhalten gerichtet war, muss bei der Würdigung desselben durch den Vertragsgestalter der Blick gleichwohl wieder auf die Kontrollinstanz des „Filters“, den Richter,904 gehen. Das Normverständnis des Gestalters ist dann erneut ein solches, welches sich am staatlichen Richter (mit) orientiert.905 Es reicht also dann nicht aus festzuhalten, dass die Rechtsordnung, ggf. sogar durchaus flexibel906 soziale Abläufe berücksichtigt. Vielmehr muss der Umgang des Vertragsgestalters sich hier danach ausrichten, wie ein Dritter die entsprechenden Abläufe beurteilt.907 Die Konsequenz besteht darin, dass die Wahrnehmung bzw. Bewertung durch einen Dritten u. U. zwar mit den im tatsächlichen Verhältnis gelebten und als von den Parteien als maßgeblich empfundenen Fortentwicklungen übereinstimmen kann, aber eben nicht muss. Insofern tritt eine „Starrheit“ im Sinne von individueller Nichtbeeinflussbarkeit durch die Vertragsparteien zu Tage. Die „relationalen Abläufe“ stoßen somit an die Grenzen des „Korsetts“ der staatlichen Rechtsordnung, „vertreten“ durch die Kontrollinstanz des Richters. Hieran muss sich die später noch zu untersuchende Frage anschließen, ob angesichts dessen eine Steuerung der Kontrollabläufe durch den Anwalt möglich ist.908 Ein ganz anderer Aspekt bei dem Rückgriff auf die staatliche Rechtsordnung und auf deren Verhältnis zu sozialen Abläufen ergibt sich, wenn die Frage aufgeworfen wird, was ein solcher Rückgriff, was das staatliche Recht in dem Kontext überhaupt leisten kann. Es geht insoweit nicht mehr (nur) um die prognostische Bewertung durch den Vertragsgestalter, wie die Kontrollinstanz Recht anwendet, sondern um das Problem, wie später mit dem Konflikt, der aus den sozialen Geschehnissen resultiert, umgegangen wird.909 So lässt die Einschaltung der Kontrollinstanz, trotz aller gütlichen oder schlichtenden Mechanismen,910 oftmals den Konflikt eskalieren. 904 Erneut kritisch zur Ausrichtung deutscher Vertragsgestalter an der staatlichen Regelungsmacht, Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11. 905 Möglich ist auch eine vertragliche Gestaltung, die die Kontrolle durch den staatlichen Richter ausschließt, z. B. indem eine Schiedsvereinbarung getroffen worden ist (§§ 1026, 1029, 1031 f. ZPO; zum Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit, § 1030 ZPO). 906 Siehe beispielhaft nur die Einflussmöglichkeiten über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB. 907 Dies als Argument gegen ein relationales Vertragsrecht anführend Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 182 f. 908 Es geht dann wieder um den „Zwang“ des Richters „in die Methode“. 909 Interessant ist eine Untersuchung von Arrighetti/Bachmann/Deakin, CJE 1997, 171 ff., auf die Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, verweist. Die entsprechende Untersuchung wurde in der Bergbauausrüstungs- und der Küchenmöbelindustrie in Deutschland, Großbritannien und Italien durchgeführt. Danach maßen die deutschen Unternehmen dem formalen Vertrag die größte Bedeutung bei, aber nur 5 % von ihnen hielten einen Prozess gegen einen Kunden oder Lieferanten für wahrscheinlich, dagegen 41 % für unwahrscheinlich und 54 % für sehr unwahrscheinlich. Angesichts dessen, dass diese Untersuchung sehr spezielle Verträge betraf,
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Eine solche „Eskalation“ muss allerdings keineswegs bis zur möglichen Einschaltung der Kontrollinstanz „warten“. Eine Ausartung des Konflikts kann schon in dem bloßen Rückgriff auf die staatlichen (Anspruchs-)Normen des geltenden Rechts ihren Anfang nehmen, wenn eine Seite auf die Einhaltung ihrer formalen Rechte beharrt bzw. sich nur auf sie beruft. Das wäre im Übrigen im Einzelfall auch bei Zugrundelegung eines „relationalen Vertragsrechts“ nicht anders; die jeweiligen Positionen werden nur mit einem anderen Inhalt gefüllt. Einen durchsetzbaren Anspruch „auf die Rettung der Beziehung“ in dem Sinn, sie unter Bereinigung eines etwaigen Konflikts fortsetzen zu können, gibt es nicht.911 Zwar mag die Beziehung aufgrund einer „Anspruchsposition“ weitergeführt werden, sie bleibt dann aber gleichwohl konfliktbehaftet.912 (d) Schaffung neuer Vertragstypen Der Konflikt zwischen sozialen Abläufen einerseits und dem Umgang mit normativen, im Sinne von ggf. durchsetzbaren Rechtspositionen andererseits zeigt sich ferner in Bezug auf Überlegungen, die Schaffung eines neuen Vertragstypus913 unter Ausrichtung auf ein bestimmtes vertragliches Sozialverhalten914 zu versuchen. Solche Ansätze wird man vor allem angesichts des so genannten „komplexen Langzeitvertrags“915 ausmachen können. Man kann hier den Versuch beobachten, zudem für die deutsche Wirtschaft die Relevanz des Vertrags kaum empirisch erforscht ist, so Schuhmann, a. a. O., lassen sich die Ergebnisse nicht verallgemeinern. Insbesondere für Einzelpersonen kann der Wunsch nach der „Prozessfestigkeit“ eines Vertrags mit anderen Einzelpersonen ein anderer sein. 910 Genannt werden sollen an dieser Stelle nur § 15a EGZPO i. V. m. §§ 44 ff. JustG NRW, § 278 Abs. 1 ZPO, § 278 Abs. 2 ZPO, § 278a ZPO. Streitschlichtende Abläufe nehmen bei Macneil gerade im Kontext mit dem „relational contract law“ eine besondere Stellung ein, siehe etwa Macneil, Contracts, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 892. Man wird allerdings zwischen außergerichtlichen und gerichtlichen Mechanismen in Bezug etwa auf die (besondere) Tauglichkeit zur Erhaltung der Beziehung unterscheiden müssen. 911 Siehe zur Problematik auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181. 912 Das gilt auch vor dem Hintergrund einer aus § 313 Abs. 1 BGB folgenden Verhandlungs-/Mitwirkungspflicht, wie sie der BGH befürwortet (BGHZ 191, 139 ff.). Sie ist vom BGH gerade als Rechtspflicht formuliert worden. 913 Dazu mit kritischer Auseinandersetzung Oechsler, RabelsZ 1996, 101 ff. 914 Oechsler, RabelsZ 1996, 101, 101, der dies als „Normstrukturtypus“ bezeichnet. 915 Zum komplexen Langzeitvertrag u. a. Nicklisch, Vorteile einer Dogmatik für komplexe Langzeitverträge. Neben bzw. in Kombination zum komplexen Langzeitvertrag gibt es weitere Ansätze und Modifikationen zur Umsetzung des „relational contracts“. Zur ökonomischen Theorie bzw. institutionen-ökonomischen Grundlage des langfristigen Vertrags etwa Kern, JuS 1992, 13 ff.; siehe auch Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 71 f., zur Transaktionskostenersparnis als möglichem Entstehungsgrund langfristiger Verträge. Zu so genannten symbiotischen Verträgen und Vertragsnetzwerken Schanze, Symbiotic Contracts, S. 67 ff.; Teubner, ZHR 154 (1990), 295 ff. Zusammenfassend zu den Ansätzen etwa Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 79 f.
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aus einem bestimmten vertraglichen Sozialverhalten auf einen Vertragstypus zu schließen, der normative Folgen nach sich zieht.916 Die dabei auftretenden Schwierigkeiten sind schon im Ursprung begründet, nämlich bei der Frage, was, dem soeben angesprochenen Beispiel folgend, ein „komplexer Langzeitvertrag“ ist. Denn auch wenn ein Typus keine begriffliche Definition erfordert,917 so muss doch eine Eingrenzung erfolgen, sollen sich an ihn normative Konsequenzen anschließen. Welches ist aber eine solche Eingrenzung, wenn von einem beobachteten Verhalten auf eine normative Fassung geschlossen werden soll?918 Selbst Nicklisch, der die Idee des komplexen Langzeitvertrags durchaus bekannt gemacht hat,919 sieht in ihm denn auch keinen abgegrenzten Vertragstypus,920 sondern zählt vielmehr lediglich typische Strukturelemente auf,921 wie die Planung und Durchführung von Projekten922 über einen längeren Zeitraum, das Auftreten von Ungewissheiten, die Notwendigkeit von Koordination und Kommunikation für den Vertragserfolg sowie das Vorhandensein einer Störanfälligkeit. Die Aufzählung Nicklischs ist letztlich eine Zusammenfassung von Beobachtungsergebnissen. Das ist ein Vorgehen, welches in der Vertragsgestaltung bei der Schaffung neuer gestalterischer Vertragstypen durchaus üblich ist. Nichtsdestotrotz muss, bezogen etwa auf das Beispiel des komplexen Langzeitvertrags, Versuchen kritisch begegnet werden, bestimmten Beobachtungen, die geschlossenen Verträgen zugrunde liegen, konkrete Rechtspflichten für eine Vertragspartei zu entnehmen.923 Solche Rechtspflichten werden z. B. im Hinblick auf den Langzeitvertrag teilweise in einer Verpflichtung fortdauernder Planung ausgemacht.924 Es ist hier erst mit Recht925 die Frage aufzuwerfen, ob allein aus dem Umstand bestimmter gelebter Verhaltensweisen auf eine solche „Rechtspflicht“ im 916
So Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101. Dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 218. 918 Zum Problem der Rezeption einer rechtssoziologischen Verhaltensanalyse zur normativen Typentheorie und den folgenden normativen Konkretisierungsproblemen ausdrücklich Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101. 919 U. a. Nicklisch, Vorteile einer Dogmatik für komplexe Langzeitverträge, S. 17 ff. 920 Nicklisch, Vorteile einer Dogmatik für komplexe Langzeitverträge, S. 17, 18. Demgegenüber nennt Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101, Fn. 48, Nicklisch wegen dessen Anführung von typischen Strukturelementen als Vertreter für die Schaffung eines Normstrukturtypus. 921 Nicklisch, JZ 1984, 767, 762 ff.; derselbe, Vorteile einer Dogmatik für komplexe Langzeitverträge, S. 17, 19 ff.; Hervorhebung durch die Verfasserin. 922 Nicklisch bezieht sich dabei auf wissenschaftlich-technische Projekte. Zum Projektvertrag, der technische, betriebswirtschaftliche, organisatorische und rechtliche Fragen regelt, Schuhmann, ZfBR 2012, 9 ff. Zum Allianzvertrag, gerade bei Bauprojekten, Gehle/Wronna, BauR 2007, 2 ff. 923 Mit deutlicher Kritik Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101 f. 924 Zur Problematik Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101 m. w. N. 925 So vor allem Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101 f. 917
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Sinne einer von staatlicher Seite zu achtenden relevanten Pflicht926 geschlossen werden kann, ganz zu schweigen von dem Problem, wie diese mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden soll.927 Das Beispiel des komplexen Langzeitvertrags verdeutlicht nochmals die Schwierigkeit, relationale Abläufe mit normativer, im Sinne staatlich anerkannter „Kraft“ zu versehen. Selbstverständlich kann dem beobachteten Typus normative Geltung verliehen werden, wenn die Rechtsordnung dies ermöglicht. Hinzuweisen ist nochmals auf die oben erörterten relationalen Elemente im geltenden Recht, aus denen z. B. bestimmte, auch durchsetzbare, Pflichten wie etwa die Aufklärungspflichten oder Vertrauensansprüche resultieren können. Die Möglichkeit der rechtlichen Anerkennung bietet jedoch nicht zuletzt die vertragliche Vereinbarung selbst, die entsprechende (konkrete) Pflichten beinhalten kann. Dann wird auch eine hinreichende Bestimmtheit vielfach nicht zu verneinen sein. (2) Vertrag selbst als „normative Umsetzung“ relationaler und transaktionaler Elemente Die Vertragsgestaltung und der aus ihr resultierende Vertrag wurden schon mehrfach als mögliche Umsetzung vor allem relationaler Elemente angeführt.928 Hierbei geht es aber eben nicht um den Rückgriff auf ein (Gesamt-)Vertragsrecht, das, (insgesamt) relational geprägt ist. Es geht vielmehr um die „Normsetzung“ durch den Vertrag selbst (lex contractus). Die Festsetzung entsprechender Regelungen, die das Verhältnis zwischen den Parteien primär bestimmen sollen, erfolgt im „Normtext Vertrag“. Die Überlegungen richten sich auf die Frage, ob und ggf. wie bei der Schaffung des „Normbefehls Vertrag“ die Ansätze Macneils gerade in behavioristischer Hinsicht929 aus Gestaltersicht Berücksichtigung finden sollen oder sogar müssen. Wie können diese Ansätze im „Normgefüge Vertrag“ umgesetzt bzw. auf dem gestalterischen Weg beachtet werden? Soll das überhaupt geschehen? Wie kann das mit Blick auf die mögliche Kontrollinstanz „Gericht“ erfolgen, das heißt, können 926
Davon zu trennen ist die Frage nach einer sozialen Pflicht mit einer entsprechenden sozialen Kontrolle. 927 Eindringlich Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 101. 928 Zum Einsatz der Kautelarjurisprudenz bei komplexen Langzeitverträgen etwa Nicklisch, Vorteile einer Dogmatik für komplexe Langzeitverträge, S. 17, 21 ff.; kritisch wiederum Oechsler, RabelsZ 1996, 91, 102. Siehe auch erneut Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB, Vorbemerkung zu §§ 662 ff., Rn. 88, die eben ausführen, für kautelarjuristische Strategiefragen könne die Theorie der Realkontrakte zumindest einen theoretischen Referenzrahmen zur rationalen ökonomischen Fundierung des einzusetzenden juristischen Instrumentariums bieten. 929 Hierin liegt im Nachfolgenden der Schwerpunkt. Ökonomische Ansätze finden ebenfalls insofern Berücksichtigung, als sich in ihnen gerade ein bestimmtes Interesse widerspiegelt, das aus Mandantensicht von Bedeutung sein kann. Zudem sind soziale und ökonomische Gesichtspunkte häufig nicht zu trennen.
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etwa relationale Überlegungen dergestalt in den Vertrag einfließen, dass auch das kontrollierende Gericht daran gebunden ist?930 Ist das im Einzelfall tatsächlich gewollt? Kann ein Vertrag, der relationale Elemente, die doch von der „Starrheit“ des reinen Austauschvertrags abrücken sollen, mit staatlichem Zwang flankiert, u. U. sogar mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden? Je nach Einzelfall will man jedoch ggf. eine vertragliche Regelung treffen, die die sozialen Abläufe (zunächst) bewusst der staatlichen Kontrollinstanz entzieht, um so den relationalen Zusammenhängen, wie Macneil sie beschreibt, besser gerecht werden zu können.931 Der Transport dieser Überlegungen insbesondere auf die Ebene des juristischen Vertrags ist zu klären. Dabei haben wesentliche deskriptive Ansätze, die sich bei Macneil finden, Anlass dafür zu sein, welche Überlegungen eines Vertragsgestalters sich daran anschließen könnten oder sollten.932 Das betrifft Einflussnahmen auf den Vertrag selbst, notwendigerweise aber auch Fragen, die sich innerhalb der anwaltlichen Tätigkeit jenseits der eigentlichen Abfassung des Vertrags stellen, etwa in Bezug auf die Vertragsverhandlung. (a) Vorrangigkeit der Beziehung Bereits zu Beginn seiner einzelnen „Achspunkte“ weist Macneil auf die Bedeutung der Vorrangigkeit der Beziehung in einem relationalen Verhältnis hin;933 nicht allein der wirtschaftliche Austausch ist maßgeblich, sondern es geht um einen sozialen Austausch, die Befriedigung nicht ökonomischer, vielmehr persönlicher Interessen.934 Es besteht ein „Beziehungsgeflecht“, welches stark außerrechtlich geprägt ist.935 Das Verhältnis erschöpft sich gerade nicht in einem einmalig punktgenauen Leistungsaustausch. Für den Vertragsgestalter ist dieses „relationale Element“ zunächst ein Grund, den Blick für eigene Beobachtungen im Vorfeld der eigentlichen Vertragsgestaltung zu schärfen. Das betrifft bereits die Phase der Erstkommunikation und der anschlie930 Hier geht es um die Bindungswirkung, die als Ausfluss aus der Privatautonomie durch den von den Parteien geschlossenen Vertrag selbst hervorgerufen wird. Es geht wieder um den „Zwang in die Methode“. 931 Allerdings wohnt dem Vertrag mit dem konsensualen Festlegen bestimmter Regelungen grundsätzlich ein nicht relationales Element inne; dies gilt es mit dem vom Vertrag transportierten relationalen Elementen stimmig zu machen. 932 Es wird bewusst auf die behavioristische Sichtweise abgestellt. 933 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738. 934 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738. In dieses Bild fügt es sich dann ein, wenn die auszutauschenden Leistungen einer (extrem) relationalen Beziehung als kaum oder schwerlich in Geld messbar bezeichnet werden; Macneil, ebenda. 935 Dazu Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, S. 254. Zur Vertragsbeziehung und der Bildung außerrechtlicher Normen Doralt, Langzeitverträge, S. 156 ff.
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ßenden Sachverhaltsermittlung mit seinem Mandanten sowie später die Vertragsgestaltung selbst. Vor allem wenn ein zu entwerfender Vertrag nicht auf einen einmaligen, zeitlich eng begrenzten Leistungsaustausch gerichtet ist, muss in Rechnung gestellt und ggf. geklärt werden, worauf die vertragliche „Beziehung“ zusteuern soll und ob dies u. U. Einfluss auf die Vertragsgestaltung haben kann oder sogar muss.936 Zuvor wurde bereits auf mögliche „relationale Aspekte“ im Kontext der geltenden Rechtsordnung hingewiesen. Sie sind selbstverständlich von dem „Normsetzer“ Anwalt aufzugreifen, der auf den vorgegebenen rechtlichen Rahmen schaut, um dann in Kenntnis möglicher Beziehungsverläufe (abweichende) interessengerechte Regelungen zu treffen.937 Die Beziehungsgestaltungen, die der Anwalt bewältigen muss, können zudem stark variieren, was nachfolgend an drei möglichen Abläufen verdeutlich werden soll. Zunächst muss keineswegs mit der Länge eines Vertrags stets die von Macneil beschriebene besondere nicht wirtschaftliche Verbindung bestehen. Vorstellbar ist nämlich grundsätzlich eine streng wirtschaftliche, wenn auch länger andauernde,938 Beziehung. Beispielhaft kann das oftmals bei einem verzinslichen Darlehen (§ 488 BGB), welches eine mehrjährige Laufzeit hat, der Fall sein. Insoweit bewegt sich der Vertrag, ausgehend von Macneils Achsenmodell, stärker in die transaktionale Richtung. Dann können oder müssen sich ggf. Überlegungen anschließen, dass der Fokus auf die wirtschaftliche Position des Mandanten zu richten ist, die optimale Berücksichtigung finden soll. Es sind etwa vertragliche Mechanismen zu suchen, die der wirtschaftlichen Position Stärke verleihen, ihr z. B. ein bestimmtes Durchsetzungspotential verschaffen. Bezogen auf das Beispiel der Darlehensgewährung können das Kreditsicherheiten für den Kreditgeber sein, wie eine Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB). Oftmals stellt sich dann die Problematik des Umgangs mit der „Macht“ im Vertragsverhältnis.939 Eng damit verknüpft ist die Notwendigkeit der Klärung der
936 Beispiele können Eheverträge oder bestimmte Gesellschaftsverträge, wie die GbR (§§ 705 ff. BGB) zwischen (künftigen) Sozien eine Anwaltskanzlei sein. 937 Denkbar sind etwa Risikozuweisungen, um eine Anwendung von § 313 BGB zu verhindern, oder die Aufnahme des persönlichen Vertragszwecks in eine Präambel, um die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu steuern. 938 Gemeint ist damit die Dauer des einzelnen Vertrags. Siehe dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, S. 182. 939 Der Umgang mit „Macht“ ist durchaus auch in stark beziehungsgeprägten Verhältnissen relevant. Beispiele finden sich beim Abschluss von Eheverträgen, etwa wenn die Partnerin hochschwanger ist und sie das Kind nicht außerehelich zur Welt bringen möchte. So wertete der BGH eine Schwangerschaft bei Abschluss eines Ehevertrags als Indiz für Disparität, siehe BGH NJW 2008, 3426, 3429; BGH NJW 2005, 2386, 2389. Siehe außerdem etwa KG NJWRR 2010, 730, 731; AG Osnabrück BeckRS 2017, 129939, Rn. 3.
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Abhängigkeiten, insbesondere tatsächlicher Art (Dauer des Vertrags, drohender Schaden, mangelnde Ausweichmöglichkeit).940 Für den Topos „Vorrangigkeit der Beziehung“ bedeuten stark einseitig auf den wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtete Interessen allerdings oftmals ein Zurücktreten, wenn nicht gar nahezu die Bedeutungslosigkeit für ein über das Wirtschaftliche hinausgehende Beziehungselement.941 Das ist ein Umstand, der eng mit der bereits angesprochenen „Machtfrage“ verbunden ist, denn ein (begehrter) Erhalt der Beziehung kann nicht als „Gegenmacht“ funktionalisiert werden.942 Dementsprechend muss der anwaltliche Vertragsgestalter reagieren. Das kann sich etwa in den Bereichen der Kommunikation oder konkreten Gestaltung des Vertrags, also auf den „Normtext“, auswirken. So kann beispielsweise bewusst eine appellative Herangehens- und vertragliche Formulierungsweise gewählt werden. Gleichwohl treten ebenso bei diesen als „rein“ wirtschaftlich beschriebenen Beziehungen relationale Elemente, die über den wirtschaftlichen Austausch hinausgehen, nicht gänzlich zurück. Zum einen finden sie ggf. auch hier Anwendung durch relational geprägte Normen, wie z. B. durch eine Kündigung aus wichtigem Grund oder u. U. durch eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 und 2 BGB bei Verträgen mit Versorgungscharakter, wenn eine Geldentwertung vorliegt943. Zum anderen ergibt sich eine „soziale“ Komponente häufig bereits dann, wenn es nicht bei einem (einmaligen) Leistungsaustausch bleiben soll. Denn die Schwelle zu einer stärker sozial ausgerichteten Beziehung ist, wenn letztere auch immer noch stark wirtschaftlich geprägt ist, schon dann überschritten, wenn der Mandant einen Vertrag beispielsweise mit einem Partner abschließen möchte, mit dem ihm eine über den einzelnen Vertrag hinausgehende längere Geschäftsbeziehung verbindet/verbinden soll. Hier sind von anwaltlicher Seite die aus einer solchen Geschäftsbeziehung resultierenden Verhaltensweisen (z. B. geschäftliche Erwartungshaltungen, Sorgfaltsmaßstäbe, aufgebautes Vertrauen), die „soziale Besonderheiten“ darstellen können, zu berücksichtigen.944 Das betrifft sowohl die Anwendung des geltenden Rechts wie auch die eigentliche gestalterische Tätigkeit. Gestalterisch kann u. a. an die Vereinbarung eines Verschuldensmaßstabs (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB), an be-
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Alle diese Faktoren können z. B. Einfluss bei einer Vertragskontrolle nach § 138 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB haben. 941 Auch in diesem Kontext kann aber die (wirtschaftliche) Beziehung in der Form erhalten werden, dass Gestaltungen vermieden werden, die Anreize für ein opportunistisches Verhalten bieten; es ist also auf eine angemessene Risikoverteilung zu achten; zum Vorstehenden Doralt, Langzeitverträge, S. 161. 942 Siehe aber noch sogleich zum Topos der längerfristigen Geschäftsbeziehungen. 943 Dazu Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 313, Rn. 28 m. w. N. 944 Die zuvor gemachten Überlegungen gelten freilich auch für den stärker transaktionalen Vertrag. Die aufgrund einer längeren Geschäftsbeziehung entwickelten „Besonderheiten“ treten jedoch in einem auf eine längere Dauer angelegten Vertrag wesentlich deutlicher hervor und bedürfen dort der noch stärkeren Berücksichtigung.
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stimmte Auskunfts- und Informationspflichten945 oder den Einbau einer Mediationsklausel946 zu denken sein. Die zuvor gemachten Überlegungen gelten in noch stärkerem Maß, wenn die soziale Ausrichtung den geschäftlichen Bereich verlässt. Das kann bei einem Vertrag zwischen Geschäftspartnern der Fall sein, die zudem ein persönliches Verhältnis verbindet, etwa eine Studienfreundschaft. Ein solches Band tritt jedoch noch viel deutlicher hervor, wenn der Vertrag nicht oder nicht nur im geschäftlichen Bereich947 angelegt ist, etwa wenn (längerfristige) Verpflichtungen zwischen Familienangehörigen begründet werden sollen, beispielsweise ein Wohn- und Pflegevertrag zwischen Eltern und Kindern, durchaus aber auch der Ehevertrag. Zusammenfassend bedeutet der „relationale Umstand“ der Vorrangigkeit der Beziehung für den vertragsgestaltenden Anwalt Folgendes: Schon zu Beginn des Mandatsverhältnisses muss er klären, ob und ggf. in welchem Umfang relationale Beziehungen zwischen den potentiellen Vertragsparteien bestehen, die je nach Ausprägung Einfluss auf das individuelle Gestaltungsinteresse nehmen können. So kann die Beziehung selbst, etwa ihr Erhalt, ein Interesse sein. Der Anwalt muss sich vor allem aber dafür sensibilisieren, dass, insbesondere bei länger andauernden Verträgen, sich Beziehungen (weiter-)entwickeln können. Das deckt sich mit den Ergebnissen Carbonniers. Gerade dann stellt sich das Problem, wie „leistungs-/interessenintensiv“ das gesetzliche Normangebot sein kann, oder ob nicht spezielle vertragliche Vereinbarungen notwendig sind. Die sich daran anschließenden für die Vertragsgestaltung relevanten Fragen stellen sich vornehmlich im Kontext mit dem nachfolgenden Punkt, der Länge und der Entwicklung der Vertragsbeziehung. (b) Graduelle Entwicklung der Vertragsbeziehung Eine relationale Beziehung ist, so Macneil, von der graduellen Entwicklung des Verhältnisses geprägt. In extrem relationalen Verhältnissen ist weder ein exakter Anfang noch ein exaktes Ende948 auszumachen.949 Eng verknüpft ist damit die von Macneil festgemachte Notwendigkeit fortwährender Planung, weil aufgrund der
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Siehe dazu noch unten. Nach Kern, JuS 1992, 13, 15, ist ein entsprechender Umgang mit Informationen ein Teil vorbeugender Vertragsgestaltung. 946 Zum Verständnis der Mediationsklausel u. a. Eidenmüller/Wagner/Hacke, Mediationsrecht, Kapitel 3, Rn. 23 ff. 947 Das ist ein Bereich, der z. B. von dem so genannten „komplexen Langzeitvertrag“ gar nicht umfasst ist, folgt man etwa der Umschreibung, die Nicklisch aufstellt. Dort geht es um wirtschaftliche Projekte. Es sind jedoch gerade Verträge aus dem sozialen Nahfeld, die den Topos auf Macneils Achse besonders in den Fokus rücken, weil hier die soziale Beziehung durchschlägt und besondere Berücksichtigung erfordert. 948 Wenn es überhaupt zu einem Ende kommt. 949 Das gilt nach Macneil sowohl für die Leistung wie für die Beziehung, siehe Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 736, 738.
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Weiterentwicklung eine einmalige punktuelle (vertragliche) Fixierung aller relevanten Aspekte nicht möglich ist.950 Hier fließt im Besonderen die nicht nur von Macneil angestellte951 Beobachtung ein, wonach ein (länger andauernder) Vertrag einen anderen Verlauf nimmt, als ihn die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses angenommen haben. Diese „Weiterentwicklung in der Lebenswirklichkeit“952 muss der Vertragsgestalter in jedem Fall in seine Beratungen und Planungen aufnehmen. Anknüpfungspunkte für notwendige Überlegungen angesichts solcher tatsächlichen Abläufe können bezogen auf den Vertrag von unterschiedlicher Art und Weise sein. So können beispielsweise langfristige geschäftliche Beziehungen dazu Anlass geben, die Weiterentwicklung einzukalkulieren, aber auch stark ausgeprägte Sozialverhältnisse. Letzteres ist etwa der Fall, wenn vertragliche Regelungen gefunden werden sollen, die den familiären Bereich tangieren, so wie zuvor bereits bezüglich der Regelung eines Wohnrechts und der Pflege von Elternteilen im Haushalt eines Kindes angeführt. Die Sensibilisierung eines vertragsgestaltenden Anwalts für die möglichen abweichenden Entwicklungen in solchen Beziehungen erfordert mehr als eine klassische „Risikoplanung“, die, verkürzt ausgedrückt, die Fälle betrifft, in denen (einzelne) vertragliche Pflichten durch einen Vertragspartner nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt werden;953 dabei geht es insbesondere um die typischen Leistungsstörungen wie etwa Verzug (§ 286 BGB) oder Unmöglichkeit (§ 275 BGB). Die Probleme, die jedoch hier angesprochen werden, betreffen vielmehr darüber hinausgehende Entwicklungen, die in ihren (genauen) Einzelheiten nicht vorausgesehen und einkalkuliert werden können. Das kann wirtschaftliche, aber auch soziale Abläufe betreffen, wie etwa erhebliche Kostensteigerungen bei Materialanschaffungen, auftauchende technische Schwierigkeiten oder soziale Spannungen zwischen den
950 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738 f. 951 Siehe gerade auch die Ausführungen bei Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 713. 952 Auch dürfte die Übertragbarkeit der im US-amerikanischen Raum gemachten Beobachtungen auf Deutschland problemlos möglich sein. 953 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4. Gleichwohl spricht Rehbinder im Zusammenhang mit den Maßstäben der Risikoplanung auch von Konfliktvermeidung, S. 32 f., allerdings mit deutlichem Bezug zu der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4, trifft im Anschluss gerade an Macneil, Southern California Law Review 48 (1975), 627, 639 f. (Fn. 11 bei Rehbinder) eine Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung bei der Vertragsgestaltung. Die Erfüllungsplanung diene der Verwirklichung der Sachziele der Parteien, die Risikoplanung der Begrenzung des Risikos von Verlusten (Kosten) bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 5, räumt aber selbst ein, wiederum unter Hinweis auf Macneil, Southern California Law Review 48 (1975), 627, 640 f., Fn. 12 bei Rehbinder, eine scharfe Trennung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung sei nicht möglich.
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Mitarbeitern oder Familienangehörigen.954 Eben weil aufgrund der Lebensvielfalt solche Geschehnisse nicht genau prognostizierbar sind, sind sie auch nicht exakt planbar. Mit dieser Ungewissheit, die bestimmten Vertragstypen jedoch immanent ist,955 muss der Anwalt folglich planerisch umgehen können, diese Prognose wird man von ihm erwarten können. Abgesehen von dieser Prognosetätigkeit ergibt sich für den Anwalt aber ein u. U. wesentlich größeres Problem. Von ihm wird die Erstellung eines Vertrags, also eines Regelungswerks erwartet. Die einzelnen Vertragspunkte als „Normbefehle“ sind oftmals präzise gefasst, ihnen ist die jeweilige Verpflichtung genau zu entnehmen. Das ist aber, um im Duktus von Macneil zu bleiben, kennzeichnend für einen transaktionalen/diskreten Vertrag.956 Angesichts der beschriebenen Unsicherheiten kann mit solch einer „Normschärfe“ den zuvor aufgezeigten relationalen Umständen zumeist nicht begegnet werden. Hinzu kommt, dass sich für den Vertragsgestalter ganz anders als für den staatlichen Gesetzgeber957 die Aufgabe stellen kann, die sich entwickelnde Beziehung der Vertragsparteien zu erhalten.958 Hierfür kann aus unterschiedlichen Gründen ein nachhaltiges Interesse des Mandanten bestehen, sei es aus geschäftlichen, sei es aus persönlichen Gründen. Der Anwalt als Vertragsgestalter muss konsequenterweise andere Techniken entwickeln, die jeweils dann wiederum ein anderes Licht auf den Vertrag als „Normwerk“ werfen. Es stellt sich erneut die Frage nach dem hier zugrunde zu legenden „Normverständnis“, welches sich zunächst auf den Vertrag selbst richtet und in einem weiteren Schritt auf die etwaigen „Kontrollinstanzen“. (c) Vertrag als „Normwerk“ Von seiner Grundausrichtung her enthält der Vertrag Regelungen, die als Instrument dazu dienen sollen, sich zu „vertragen“959. Folglich richten sich die Bestimmungen des Vertrags in erster Linie an die jeweiligen Parteien,960 das heißt, die 954 Zweifelsohne gibt es Überschneidungen mit der hier als „klassisch“ bezeichneten Risikoplanung. Das gilt etwa für den Fall, in dem Kostensteigerungen für Material dazu führen, dass eine Seite ihre Vertragspflichten nicht mehr erfüllen kann. Zur Zuweisung von Risikosphären in Verträgen siehe Lettl, JuS 2001, 347, 352. 955 Z. B. innerhalb der GbR oder bei länger andauernden Werkverträgen. 956 Es geht also um die Problematik, transaktionales Denken zu nutzen, um relationale Elemente zu verwirklichen. 957 Das Gesetz kennt aber sehr wohl unterschiedliche Fälle gesetzlicher Anpassungsmechanismen, ausführlich dazu Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 245 ff. 958 Zwar formuliert der BGH (Z 191, 139 ff.) in Bezug auf § 313 BGB eine Verhandlungspflicht (S. 149). Gestalterisch kann jedoch die Notwendigkeit auftauchen, etwa die Voraussetzungen zu solchen Verhandlungen bzw. ihren Zeitpunkt in anderer (vorrangiger) Weise für die Parteien (verbindlich) zu regeln. 959 Bork, AT des BGB, Rn. 656. 960 Zur Einbeziehung Dritter insbesondere in rechtlicher Sicht siehe die Ausführungen zu den Drittinteressen unter D. III., S. 261 ff.
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Regelungen sollen das Verhalten inter partes steuern. Insofern soll der Vertrag auch insbesondere zwischen den Parteien „Normqualität“ entfalten. Es war deshalb bereits von der „lex contractus“ die Rede.961 Untereinander erwarten die am Vertrag Beteiligten, dass die gegenseitigen Verhaltensvorgaben beachtet und respektiert werden. Für den Gestalter ist daher zunächst zentral, welches Verständnis dem Vertrag als „Normwerk“ zugrunde gelegt werden sollte. Da das Regelungswerk „Vertrag“ zu einem bestimmten Zeitpunkt hin (ab-)geschlossen worden ist,962 muss die Tauglichkeit eines inter partes wirkenden Normwerks sich ebenso wie das staatliche Recht963 an der Frage messen lassen, wie flexibel es auf sich entwickelnde Veränderungen reagiert. Mehrfach wurde schon ausgeführt, dass die Vertragsparteien ihr Verhältnis häufig abseits von den vertraglich fixierten Bestimmungen leben.964 Sie reagieren damit auf die Entwicklungen, die sich in ihrer Beziehung ergeben, auch und oftmals gerade in wirtschaftlicher Hinsicht. Ein solches Verhalten ist vor dem Hintergrund eines Normwerks, das das „sich Vertragen“ gerade zwischen den dann „abweichend“ Handelnden bestimmen soll, grundsätzlich unproblematisch. Den Normadressaten ist es unbenommen, (gemeinsam) neue Verhaltensmuster durch Vertragsänderung965 oder ebenso jenseits des Vertrags zu finden sowie sonstige außervertragliche Alternativen in Erwägung zu ziehen. Ein solches Vorgehen kann aus ihrer Sicht nicht zuletzt vernünftig sein und dem entsprechen, was den involvierten Interessen und der Beziehungsentwicklung am nächsten kommt. Angesichts derart möglicher Verhaltensweisen stellt sich dann aber die Frage nach der Notwendigkeit eines Vertrags als „Normwerk“ neu. Die Antwort darauf muss nicht zuletzt unter Ausrichtung auf das Thema der Untersuchung, der anwaltlichen Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung, erfolgen: Der bloße Umstand, dass die Vertragsparteien sich unabhängig von den Vereinbarungen im Vertrag vernünftig, beiderseits interessenkonform und friedlich verhalten können, bedeutet nicht, dass sie es (stets) tun.966 Bezogen auf den Begriff des „sich Vertragens“ kann man auch sagen, „sich Vertragen“ heißt, Vorsorge zu treffen, dass ein Konflikt nicht
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Bork, AT des BGB, Rn. 659; Flume, AT des BGB, 2. Bd., § 33, 2. Siehe bei Bork auch zur Ergänzung durch staatliche Vertragsnormen. 962 Unabhängig von dem teilweise gescholtenen rechtlichen Konsensprinzip ist das auch eine rein tatsächliche Feststellung. 963 Siehe Bork, AT des BGB, Rn. 659, zur Flankierung. 964 Siehe dazu auch Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), 55, 62 ff.; ferner Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, mit einer Auseinandersetzung zu empirischen Erhebungen. 965 Zur Vertragsänderungsfreiheit Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 49 ff.; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 267. 966 Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 333, weist darauf hin, sich nicht von der Kooperationsbereitschaft des Vertragspartners abhängig zu machen.
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entsteht oder nicht eskaliert.967 Beides, Konfliktentstehung wie -eskalation, kann aber ohne das Bestehen von Regeln eintreten.968 Diese Entwicklungen sind es zudem, die der Anwalt zu berücksichtigen hat. Er darf sich nicht darauf verlassen, dass die Parteien stets im Wege eines Konsenses zu einer Lösung gelangen.969 Mit dieser Ausrichtung muss ein Normwerk, also der Vertrag, erstellt werden. Gleichwohl soll dieses Normwerk darauf hinauslaufen, potentielle Missstimmungen auszuräumen,970 es muss daher u. a. die sich entwickelnde Beziehung angemessen in seine Normstruktur aufnehmen.971 Gesucht wird somit ein Vertrag und mit ihm ein Normverständnis, welches die „Schwächen“ der staatlichen Normordnung (u. a. Starrheit, Drittbestimmung) so weit als möglich ausräumt, das heißt „relational“ in dem Sinne ist, flexibel auf Veränderungen zu reagieren972. Hierbei muss eine Fokussierung auf die unmittelbar Beteiligten erfolgen, das Hauptaugenmerk soll idealiter nicht auf eine Drittinstanz gerichtet sein. Es soll ein Rahmen geschaffen werden, in dem die Beteiligten eigenverantwortlich und selbstbestimmt973 eine „Anpassung“974 an soziale und (auch) wirtschaftliche Abläufe vornehmen können. Die Drittinstanz soll so weit als möglich zurückgedrängt werden. Die soeben aufgeführten „Hauptpfeiler“, die Notwendigkeit bestimmter Normbefehle einerseits, die größtmögliche Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität sowie Distanz von einer Drittinstanz andererseits, machen jedoch die besonderen Schwierigkeiten für den Anwalt deutlich, die schon im Ansatz der Gestaltung an967 In dieser Entwicklung kommt auch der Zielkonflikt zum Ausdruck, den etwa Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse, S. 249, beschreibt. In Bezug auf die typische Interessenstruktur bei langfristigen Vertragsbeziehungen führt er das Spannungsverhältnis zwischen Flexibilität und Stabilität auf. Gerade zu viel Flexibilität, so Stoffels, kann aber eben destabilisierend wirken. Siehe auch Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 333, wonach für einen Anpassungsvertrag geeignete Vorsorge zu treffen ist. Grundsätzlich zum Vorsorgeprinzip in der Vertragsgestaltung und zur Streitvermeidung Schmittat, RNotZ 2012, 85, 88. 968 Eine davon zu trennende und in einem nächsten Schritt zu erörternde Frage ist, ob oder wie ein Beharren auf vertraglichen Regelungen zur Eskalation führen kann. 969 Siehe dazu abermals Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 333. 970 Dazu, dass ein guter Vertrag nicht „öffentlich“ (durch die Presse oder einen Prozess) wird, Weber, JuS 1989, 818, 823. 971 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die begriffliche Unterscheidung, die Kornexl, Vertragsgestaltung 1.0, Rn. 38, in Bezug auf die Aufnahme bestimmter Eigenschaften in einen Vertrag vornimmt. Er trennt zwischen diskreten/invariablen und variablen Eigenschaften. Diskrete Eigenschaften seien solche, die entweder vorhanden sind oder nicht, z. B. das Vorliegen einer Schwangerschaft. Bei variablen Eigenschaften gebe es zwischen zwei gedachten Grenzwerten eine Vielzahl möglicher Zustände. 972 Zur Forderung an den Vertrag, durch Flexibilisierungsklauseln die Anpassung der Parteivereinbarung an veränderte Umstände zu lenken, Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10. 973 Siehe Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 267, zum Zusammenhang von Art. 2 Abs. 1 GG und der Vertragsanpassungsfreiheit. 974 „Anpassung“ ist hier zunächst untechnisch, ohne eine Festlegung auf einen bestimmten juristischen Gehalt, zu verstehen.
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gelegt sind. Die Formulierung bestimmter Normbefehle, etwa in Form von fixen Vertragspflichten, geht in der Regel mit der vielfach abgelehnten „Starrheit“ einher. Das gilt im gleichen Maße für einen Rückgriff auf die Gesetzesordnung, der derselbe Vorwurf gemacht wird, trotz möglicher relationaler Elemente. Ohnehin scheinen Regelungen, die einen fest umrissenen Inhalt verkörpern, problematisch, vor allem, wenn sie inhaltlich bestimmte Anspruchspositionen begründen. Eine Lösung könnte in einer stärkeren Hinwendung zu einem Verfahren liegen,975 welches die Kommunikation zwischen den Parteien sucht und fördert. Dafür muss zunächst eine (inhaltliche) Grundlage für eine (gemeinsam) zu entwickelnde Lösung vorhanden sein, also eine gemeinsame Tatsachenbasis. Weiterhin muss dann überhaupt ein kommunikativer Austausch stattfinden, der zum Konsens führen soll. Regelmäßig müssen also Information und Kommunikation Hand in Hand gehen. Das daran anknüpfende „Normverständnis“ muss deshalb verfahrens- und kommunikationsorientiert sein. Ein Vertrag, der solches als Normwerk umsetzt, soll im Wesentlichen nur ein Rahmen für unterschiedliche soziale und (auch) wirtschaftliche Abläufe sein. Auf diese Art und Weise wird von einem starren „pacta sunt servanda“,976 welches in weiten Bereichen anpassungsfeindlich ist, Abstand genommen. Regelungsbeispiele dafür können sein: der Vertrag als Grundlage zur regelmäßigen gegenseitigen Information,977 zur regelmäßigen Konsultation der Vertragspartner (Beobachtung der Beziehung, Vorbeugung von Konflikten), zur „Pflicht“978 zu Neuverhandlungen zum Zweck der Vertragsanpassung,979 Vorgabe eines bestimmten zu beachtenden Verfahrens, Sperrung des Wegs zur Drittinstanz, solange nicht zumindest Teile der zuvor bezeichneten Möglichkeiten versucht worden sind.
975 Umfänglich zu Anpassungsverfahrensklauseln, allerdings vor allem unter spezialgesetzlichen und AGB-rechtlichen Problematiken, Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 380 ff. 976 Zum Abschied vom „alten Mythos des pacta sunt servanda“ durch Richterrecht und vertragliche Rechtsschöpfung, welche eine angemessene, durch die Parteien ausgehandelte Anpassung ermöglicht, van Dunné, Adaptation by Renegotiation, S. 413, 440. Zur Einschränkung des pacta sunt servanda durch § 313 BGB Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 267. Vgl. auch Weller, Die Vertragstreue, S. 297 ff. 977 Zum Informationsmangel als Grund von Konflikten (in Langzeitverträgen) etwa Scott, Risk Distribution and Adjustment in Long-Term Contracts, S. 51, 101. 978 Zur Neuverhandlung als einer durchsetzbaren Pflicht siehe noch den folgenden Abschnitt. 979 Van Dunné, Adaptation by Renegotiation, S. 413, 439, nennt neue Verhandlungen als Mittel zur Vertragsanpassung bei Langzeitverträgen. Als Veranlassung dazu führt er den Entschluss der Parteien selbst, das Eingreifen von so genannten „Härteklauseln“ (dazu noch sogleich) und die Anordnung durch eine Drittinstanz auf. Im Anschluss daran muss man nunmehr auch die Rechtsprechung zu § 313 BGB (BGHZ 191, 139 ff.) mit dem Ausspruch einer Verhandlungspflicht auf dem Weg zur Vertragsanpassung sehen.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(d) Rückbesinnung auf ein kontrollorientiertes Normverständnis Bei aller vorstellbaren vertraglichen Rahmengestaltung möglicher Kommunikations- und Verfahrensabläufe, die die Flexibilität fördern und die eigenverantwortliche Selbstbestimmung der Parteien in den Vordergrund stellen, muss nichtsdestotrotz die Frage aufgeworfen werden, ob ein solches vertragliches „Normverständnis“ realistisch und praktikabel ist, oder ob nicht doch notwendigerweise ein stärker (auch) auf die Drittinstanz ausgerichtetes Bild vonnöten ist. Zuvor wurde bereits lediglich von einer möglichst großen Zurückdrängung staatlicher Kontrollinstanzen gesprochen. Denn trotz etwaiger Hinwendungen zur kommunikativen Ebene taucht erneut das zuvor aufgeworfene und im Zusammenhang mit den materiell-rechtlichen Normen aufgegriffene Problem auf. Sämtliche in einem Vertrag aufgeführten Regelungen zur gegenseitigen Konsultation, Kommunikation, Neuverhandlung und Einigung sind unter Ausblendung jedweder Kontrollmechanismen letztlich bloße „Hinweise“ an die beteiligten Vertragspartner, unverbindliche Wegweiser, die schlussendlich an die Vernunft appellieren, sich bei Veränderungen konsensual auf einen neuen interessengerechten Weg zu begeben. Abgesehen davon spielt die Verteilung von „Machtfaktoren“, verstanden als die Möglichkeit, tatsächlich auf die Anpassung Einfluss zu nehmen, zwischen den Parteien zu dem Zeitpunkt, in dem eine Anpassung an die neuen Verhältnisse erfolgen soll, eine entscheidende Rolle. Will man sich nicht damit begnügen, auf eine vernunftsgetragene eigene Entscheidung der Parteien zu setzen, muss eine Kontrolle und das mit ihr verbundene Druckpotential980 wieder stärker in den Fokus der Überlegungen treten.981 Namentlich in Bezug auf das Druckpotential könnte dabei zunächst ein nicht rechtlicher Druck in Rechnung gestellt werden, also gerade in diesem Zusammenhang eine „relationale Sanktion“982. Denkbar sind z. B. Missstimmungen in der Belegschaft, Verlust der Anerkennung Dritter, vor allem aber der Abbruch alter oder die Verhinderung neuer (Geschäfts-)Beziehungen.983 Die letztgenannten Beispiele stehen u. a. in Verbindung mit dem self-executing contract bzw. self-enforcing contract.984 980 Die Überlegungen müssen z. B. auch bezüglich etwaiger Vereinbarungen, die die Kommunikation betreffen, angestellt werden. 981 Diese Denkrichtung ist dem anwaltlichen Handeln ohnehin immanent; in jedem Fall müsste der Anwalt über eine fehlende Möglichkeit zur zwangsbewehrten (staatlichen) Durchsetzung aufklären. 982 Siehe dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181, der, u. a. für Macneil ausführt, dieser setze auch die Stabilisierung relationaler Normen durch relationale Sanktionen voraus. 983 Siehe dazu etwa Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), 55, 63; ferner Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 189 f. 984 Siehe etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 711. Zu selbstdurchsetzenden Verträgen (self-enforcing agreements) auch Staudinger/Martinek/ Omlor (2017), BGB, Vorbemerkungen zu §§ 662 ff., Rn. 76. Zur Theorie sich selbst durchsetzender Verträge ebenfalls Doralt, Langzeitverträge, S. 151 f.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Wenn es um den Umgang mit Kontrolle und Druck geht, muss jedoch vor allem erneut die berufliche Rolle des Anwalts als Interessenvertreter berücksichtigt werden. Wenn dieser auch die zuvor genannten „Sanktionen“ in seine Überlegungen einstellen muss, so erfolgt doch ausgehend von seiner Position als Anwalt (Interessenvertreter) eine Hinwendung vor allem (zunächst) zur staatlichen Kontrollinstanz. Das geschieht insbesondere aus zweierlei Gründen. Den ersten kann man als rollenspezifisch bezeichnen. Unabhängig von etwaigen konkreten vertraglichen Pflichten des Anwalts gegenüber seinem Mandanten, ist das Bild, das der Anwalt aufgrund seiner beruflichen Stellung einnimmt, in der Regel seitens seines Mandanten in einer bestimmten Art und Weise geprägt. Verkürzt könnte man es als „das ist mein Anwalt“ bezeichnen. Letztlich erwartet der Mandant die Durchsetzung seiner Wünsche, seiner Interessen. Allein schon angesichts dieser Erwartungshaltung wird der Anwalt stets auch das (staatliche) Druckpotential, um dieses Ziel zu erreichen, berücksichtigen. Untrennbar damit verbunden ist aber der Blick auf die staatliche Kontrollinstanz. Es geht um das Bild der „Versicherung“, das Llewellyn entwarf. Der zweite Gesichtspunkt ist die rechtliche (gesetzliche) Flankierung des soeben beschriebenen Erwartungshorizonts des Mandanten. Durch den Vertrag zwischen Mandanten und Anwalt ist letzterer haftungsrechtlichen Vorgaben ausgesetzt. Zu diesen gehört u. a. das Gebot, den sichersten Weg zu beschreiten.985 Das Gebot des sichersten Wegs beinhaltet auch die Pflicht, einen Vertrag zu entwerfen, der rechtsbeständig ist.986 Das aus haftungsrechtlicher Sicht zunächst maßgebliche Kriterium der Rechtsbeständigkeit ist die „Bestandskraft“ vor der staatlichen Kontrollinstanz. Vor diesen Rahmenbedingungen würde der anwaltliche Vertragsgestalter durchaus Mut beweisen, wenn er einen Entwurf erstellen sollte, der in letzter Konsequenz nicht die Überprüfung durch das Gericht einbezieht.987 985 Zum Gebot des sichersten (und gefahrlosesten) Wegs siehe erneut die Ausführungen bei G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 114 ff. 986 Zur Pflicht, einen rechtswirksamen Vertrag zu entwerfen, G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 327 ff. 987 Insoweit sei auch nochmals auf die Untersuchung von Arrighetti/Bachmann/Deaking, CJE 1997, 171 ff., die Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, anführt, verwiesen. Selbst eine tatsächliche Beobachtung, dass in bestimmten wirtschaftlichen Bereichen Verträge in den meisten Fällen keiner gerichtlichen Entscheidung unterzogen werden, ändert nichts an der grundsätzlich notwendigen anwaltlichen Ausrichtung. Losgelöst von der angeführten Untersuchung können die Gründe, warum es nicht zu einem gerichtlichen Streit kommt, unterschiedlich sein, etwa das gegenseitige Geheimhaltungsinteresse, die Dauer der gerichtlichen Verfahren, die Notwendigkeit, schneller eine Lösung zu finden. All dies sind zwar Aspekte, die in der Planung des Vertrags und in Bezug auf die Gestaltung unter Zurückdrängung der staatlichen Kontrollinstanz eine ernst zu nehmende Rolle spielen. Sie werden den Anwalt gleichwohl nicht davon entbinden, auch angesichts solcher Umstände den äußersten Konfliktfall einzukalkulieren, das heißt das Scheitern sämtlicher außergerichtlicher Versuche. Sollte er dies nicht tun, kann er sich dem Regress aussetzen. Um dem vorzubeugen, müsste ihn, nach entsprechender Aufklärung, der Mandant aus der Pflicht entlassen, dass der Vertrag gerichtsfest sein muss.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Die besondere Inrechnungstellung einer sich entwickelnden Sozialbeziehung verlangt vom Anwalt als Rechtsgestalter letztlich fast die „Quadratur des Kreises“, wenn er Relationalität und (staatliche) Kontrollinstanzausrichtung bewältigen soll. Der Anwalt soll eine Form von vertraglich fixierter988 Konfliktbereinigung finden, um die Beziehung zu erhalten; gleichzeitig soll er aber „Recht“ schaffen, das bei einer möglichen Konfliktaustragung vor einer Drittinstanz dazu führt, die Wünsche seines Mandanten möglichst optimal umzusetzen. Gleichwohl muss er sich einer solchen Herausforderung stellen und ausgehend davon auch die Funktion bestimmen, die er dem durch den Vertrag transportierten Recht geben will bzw. muss. Die Hauptfunktion liegt in der Bewältigung möglicher Konflikte989 innerhalb der vertraglichen Beziehung unter besonderer Hervorhebung derjenigen Konflikte, die sich aus der Weiterentwicklung der Beziehung zwischen den Parteien ergeben. Der gestalterische Weg zu diesem Ziel kann vereinfacht in mehreren möglichen Schritten ausgemacht werden. In einem ersten Schritt soll ein Rahmen für eine Konfliktbereinigung auf konsensualem Weg geschaffen werden. Die Parteien sollen einen möglichst großen Handlungsspielraum behalten. Idealerweise kann so eine bestmögliche Reaktion auf die Konflikte gefunden werden. Ein von den Parteien selbst990 gefundenes Ergebnis Bezeichnend ist deshalb in diesem Kontext auch, was Gehle/Wronna, BauR 2007, 2, 7, in Bezug auf so genannte „Allianzverträge“ ausführen. Sollten diese eine „No claim, no disputeKlausel“ enthalten, so sei es den Parteien untersagt, Ansprüche gerichtlich oder auf andere Weise geltend zu machen. Damit ginge ein Verzicht auf rechtliches Gehör und noch weitergehend ein umfänglicher materieller Rechtsverzicht einher. Das umfasse die Verpflichtung, die gegenseitigen Ansprüche bis zur Beendigung der Allianz nur in dem Umfang geltend zu machen, in dem sie einvernehmlich bestünden, weil ein Rechtsstreit das Gesamtergebnis belasten würde. Seiner Rechtsnatur nach läge ein pactum de non petendo vor. Sofern nichts anderes vereinbart sei, sei der Rechtsverzicht vollumfänglich. Sinn und Zweck des Streitverbotes sei es, die Vertragspartner dazu anzuhalten, bewusst Risiken bei der Realisierung des Bauvorhabens einzugehen. Gehle/Wronna, BauR 2007, 2, 8, stellen heraus, die Streitverbotsklausel sei für den deutschen Rechtsraum neu. Allianzverträge mit einer entsprechenden „No claim, no dispute-Klausel“ erforderten eine hohe Bereitschaft zum Umdenken. Die Parteien müssten bewusst Risiken eingehen und den für sie aus vertraglicher Sicht sicheren Bereich (comfort zone) verlassen. Für den Juristen sei das Neuland. In der Praxis stünde zu befürchten, dass juristische Berater ohne entsprechende Erfahrung beim Abschluss von Allianzverträgen ungeachtet der unternehmerischen Chancen allein auf die vertragliche Begrenzung potenzieller Risiken bedacht seien. Im deutschen Rechtsraum durchaus verbreitet, in ihren Folgen jedoch nicht so weitgehend, sind die Schieds- oder Mediationsvereinbarungen. Zum in der Mediationsklausel enthaltenen dilatorischen Klageverzicht, Eidenmüller/Wagner/Wagner, Mediationsrecht, Kap. 2, Rn. 5 ff.; Hilbig-Lugani, ZZP 2013, 463, 470 ff., Tochtermann, Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, S. 128. Gegen einen konkludenten Klageverzicht aufgrund einer Mediationsklausel Loos/Brewitz, SchiedsVZ 2012, 305, 307. 988 Bereits hierin liegt ein diskretes Element. 989 Grundsätzlich zur Konfliktbewältigung als Funktion des Rechts u. a. Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 96. 990 Jedenfalls ohne gravierende Machtgefälle.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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ist akzeptiert und wirkt sich im besten Fall tatsächlich „befriedigend“ und „befriedend“ aus.991 Der Vertrag kann die Grundlage dafür schaffen, „Recht“ nicht als von dritter Seite übergestülpte Maßnahme zu empfinden, sondern die Möglichkeit zu eröffnen, „Sein und Sollen“ in Einklang zu bringen. Die gelebte Beziehung kann mit dem rechtlichen Sollen (Vertrag) so harmonisiert werden. Abgesehen davon, dass der Vertrag dann überhaupt die Gelegenheit zu einer (erneuten) Konsensfindung vorhalten kann und sollte,992 kann er in einem weiteren Schritt etwaige Hilfestellungen in Bezug auf diese Konsensfindung beinhalten. Diese können namentlich in Form von verfahrensrechtlichen Regelungen993 bestehen, aber auch in materiell-rechtlichen Bestimmungen994. Ein nächster Schritt kann in der Installierung eines bestimmten Druckpotentials bestehen, um eine Einigung herbeizuführen,995 bzw. die „Drohung“ mit einer Entscheidung durch eine Drittinstanz996. (e) Schwierigkeiten einer vertraglichen Einkleidung997 (aa) Einführung Sucht man nach Möglichkeiten, die soeben beschriebenen Ansätze vertraglich einzukleiden,998 so muss zunächst eine Rückbesinnung auf den für diese Überle991
Siehe auch Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 267, zu § 313 BGB. Das kann beispielsweise in der Aufnahme einer Klausel bestehen, die die „Pflicht“ zu Neuverhandlungen bestimmt. Vertragsgestalterisch kann in dem Bereich auf die individuelle Beziehung eingegangen werden. Das betrifft gerade Fragen des Ob, Wann und Wie. 993 Diese können in der Ausarbeitung eigener verfahrensrechtlicher Regelungen bezüglich der Konfliktbereinigung bestehen oder in dem Verweis auf externe Verfahrensordnungen; hierher gehören aber auch Verfahrensklauseln, die den Gang zum (staatlichen) Gericht sperren, so lange nicht eine außergerichtliche Einigung versucht worden ist. 994 So kann der Vertrag Maßstäbe enthalten, an denen sich die zu treffende neue Entscheidung auszurichten hat. 995 Das ist allerdings eine massive Zurückdrängung der Freiwilligkeit. „Druck“ kann etwa durch bestimmte Anpassungsklauseln erzeugt werden, die zum Zuge kommen sollen, wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden wird. Der Druck kann dann z. B. darin bestehen, die Anpassung nach bestimmten, vorher fixierten Kriterien oder durch Dritte vornehmen zu lassen, sofern das für die Parteien letztlich ungünstiger ist als einen konsensualen Weg zu beschreiten. Eine solche Zurückdrängung der „Freiwilligkeit“ innerhalb eines relationalen Verständnisses wird man auch in der Entscheidung des BGH zu § 313 BGB (BGHZ 191, 139 ff.) auszumachen haben. 996 Das muss nicht notwendigerweise die staatliche Gerichtsbarkeit sein, sondern kann z. B. auch in der von den Parteien gewählten Schiedsgerichtsbarkeit bestehen, wenn die §§ 1025 ff. ZPO zum Zuge kommen. 997 Es sei darauf hingewiesen, dass es im Nachfolgenden um individualvertragliche Lösungen gerade auch unter Bezugnahme auf die Macneilschen Erkenntnisse geht. Ausgenommen von den Überlegungen sind gesetzliche Anpassungsmechanismen; zu letzteren etwa Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 245 ff. Ausgenommen sind ebenfalls Klauseln, die sich einer Kontrolle des ABG-Recht „stellen“ müssten; auch dazu Hau, S. 333 ff.; außerdem Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 95 ff. Aus vertragsgestalterischer 992
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1. Teil: Vertrag und Interessen
gungen maßgeblichen gedanklichen Ausgangspunkt erfolgen: Die Hauptfunktionen des Vertrags liegen u. a. in der Bewältigung möglicher Konflikte, insbesondere mit Blick auf die sich entwickelnde Beziehung, die in der Regel erhalten werden soll, in sozialer wie häufig in wirtschaftlicher Hinsicht.999 Für den vertraglich an den Mandanten gebundenen Anwalt muss insofern aber eine Eingrenzung dessen erfolgen, was hier unter „Konflikt“ zu verstehen ist. Trotz aller vorstellbaren Dimensionen, die sich hinter dem Begriff des Konflikts verbergen können,1000 muss für den Gestalter der Vertrag zwischen den Parteien selbst Anknüpfungspunkt für Überlegungen hinsichtlich eines etwaigen Konflikts sein. Versteht man unter einem Konflikt die Unvereinbarkeit von Bedürfnissen, Interessen, Wünschen oder Werten der einen Person mit denjenigen einer anderen Person,1001 so erklärt das jedenfalls ein Konfliktpotential, das vor allem zunächst im Vorfeld eines Vertrags ausgemacht werden kann. Idealiter sollen aber die Interessen im Vertrag in Gleichklang gebracht werden. Auch im weiteren Vertragsablauf ist es durchaus vorstellbar, dass keine Widersprüche auftauchen. Die „Harmonie“ der involvierten Interessen ist beim Vertrag allerdings mit einer bestimmten Erwartungshaltung verknüpft. Diese besteht vielfach in der Erwartung, der jeweils andere Vertragspartner werde sich an die vertraglich normierten Versprechungen halten bzw. das vertraglich vereinbarte oder zugrunde gelegte Ziel fördern1002. Eine Abweichung wird dann im zuvor beschriebenen Duktus als Unvereinbarkeit ausgemacht, als solche empfunden1003 und schließlich in Form von Vertragsstreitigkeiten auch zum Ausdruck gebracht1004. Enttäuschte Erwartungen mit Vertragsbezug können daneben hinsichtlich sozialer Entwicklungen entstehen, die sich schließlich auf die vertraglichen Abläufe Sicht ist nicht zuletzt vor allem mit Blick auf § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB darauf zu achten, ggf. zu vermeiden, Klauseln zu entwerfen, die einer AGB-Kontrolle unterfallen (sofern dies nicht gewünscht ist). 998 Es ist u. a. den Parteien selbst überlassen zu bestimmen, wann überhaupt eine „Anpassungssituation“ vorliegt. Zum Vorrang der Individualvereinbarung im Verhältnis zu § 313 BGB Säcker, GS für Sonnenschein, 596, 604 ff. 999 Siehe insofern auch nochmals Macneils Ausführungen zur den „relational norms“ bezüglich „prevention of the relation, harmonization of relational conflict“, aber auch zur „role integrity“; Macneil, The New Social Contract, S. 65. 1000 Auf das Fehlen einer allgemeingültigen Konflikttheorie hinweisend Mielke/Sievers, Das Phänomen „Konflikt“, S. 1, 1. 1001 So Mayer, Die Dynamik der Konfliktlösung, S. 20. 1002 Letzteres ist bezeichnend für eine relationale Betrachtung, da sich die Entwicklung ja dann gerade auch jenseits von „starren“ Vertragspflichten bewegen kann. 1003 Nach Mayer, Die Dynamik der Konfliktlösung, S. 20, ist die Empfindung der Enttäuschung die emotionale Dimension des Konflikts. Auf die Wahrnehmung eines objektiv vorhandenen Interessengegensatzes aus Sicht der subjektiven Konflikttheorien hinweisend Mielke/Sievers, Das Phänomen „Konflikt“, S. 1, 3. Ebenfalls auf den Aspekt der Bewusstwerdung hinweisend Boulding, Conflict and Defense, S. 5. 1004 Das ist dann nach Mayer, Die Dynamik der Konfliktlösung, S. 21, die verhaltensbezogene Dimension des Konflikts. Mielke/Sievers, Das Phänomen „Konflikt“, S. 1, 3, verweisen auf ein sich Einrichten auf den wahrgenommenen Interessengegensatz.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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auswirken können. Auch darin liegt Konfliktstoff begründet. Ein Beispiel dafür sind wachsende persönliche Disharmonien1005 zwischen den eigentlichen Vertragspartnern oder zwischen Mitarbeitern der Vertragspartner, die letztlich auf das Erreichen der vertraglichen Leistungsziele Einfluss haben können.1006 Gerade wenn eine auf längere Zeit angelegte Beziehung gegeben ist, spielen ferner die sozialen Strukturen, in die der Vertrag eingebettet ist, eine besondere Rolle. Sie fungieren durchaus als soziale Kontrollinstanzen.1007 Druck kann z. B. von sozialen Gruppen dahingehend ausgeübt werden, dass sie auf die Einhaltung von Verträgen „achten“. Die Sozialstrukturen können allerdings umgekehrt auch für einen Konflikt auslösend sein. Das ist u. a. dann der Fall, wenn Schichtunterschiede oder unterschiedliche Verständnisse sozialer Normen zum Tragen kommen.1008 Eine andere Form von Konfliktursache kann wiederum in der möglichen Nichtverwirklichung des Vertragsziels im weitesten Sinne liegen. Hier fallen das „Sein“ in dem Sinn, was erwartet wird,1009 und das vertragliche „Sollen“ als das, was (vertraglich) nur zu leisten ist, auseinander. Zudem können die unterschiedlichen Konfliktherde hinsichtlich der involvierten Personen variieren. Sie können, namentlich in Dauerbeziehungen, z. B. aufgrund eines Mietvertrags, interpersonell angesiedelt sein,1010 das heißt zwischen Personen auftreten, die (trotz) des Konflikts (zunächst) in der Beziehung, die durch den Vertrag zumindest mitgeprägt wird, verhaftet bleiben. In Vertragsbeziehungen, die nach Macneil „relational contracts“ sind, sind zudem in der Regel Dritte involviert.1011 Diese Einbeziehung muss nicht in der Rolle als Vertragspartei im Sinn des juristischen Vertrags bestehen. Sie kann vielmehr dergestalt vorliegen, dass Probleme an einer Stelle, insbesondere zwischen den formalen Vertragsparteien, zu Auswirkungen an einer anderen Stelle, etwa bei nicht unmittelbar vertraglich gebundenen Personen, führen. Insoweit liegt dann ein polyzentrischer Konflikt1012 vor. So kann 1005
Vgl. auch bei Carbonnier zu den „Abkühlungstendenzen“ im Vertrag. Nach Mielke/Sievers, Das Phänomen „Konflikt“, S. 1, 2, liegt dann etwa bezüglich der Disharmonie der Vertragspartner ein individueller Konflikt vor. Ein solcher kann sich selbstverständlich auch auf der Mitarbeiterebene ergeben. 1007 Siehe dazu Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), 55, 62 ff. 1008 Es liegt dann ein sozialer Konflikt vor, so Mielke/Sievers, Das Phänomen „Konflikt“, S. 1, 2. Zur Prägung der Konflikte durch die Umwelt, in der sie stattfinden, Falke/Gessner, Konfliktnähe als Maßstab, S. 289, 299. 1009 Z. B. die Herstellung einer Sache mit einer Gewinnspanne. 1010 Hager, Konflikt und Konsens, S. 52. Siehe auch Mielke/Sievers, Das Phänomen „Konflikt“, S. 1, 2. 1011 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738. 1012 Dazu Hager, Konflikt und Konsens, S. 53, gerade auch in Bezug auf relational contracts. Zu einer Unterscheidung zwischen intra-, interpersonellen und kollektiven Konflikten, Wagner, Konflikt zwischen sozialen Systemen, S. 21; kollektive Konflikte sind danach solche, die sich zwischen jeweils einer Mehrzahl von Individuen abspielen. 1006
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1. Teil: Vertrag und Interessen
etwa ein Konflikt zwischen den eigentlichen Vertragspartnern auch Auswirkungen auf die jeweiligen Mitarbeiter haben.1013 Die zuvor aufgezeigten Konfliktkonstellationen können zu einem mitunter schwer fassbaren Konglomerat führen. Dieses sowie die mehrfach angesprochene Flexibilität müssen nun mögliche zu entwickelnde vertragliche, das heißt normative Lösungsansätze er- und umfassen. Als Anknüpfungspunkt kommt (zunächst) eine mögliche Nutzbarmachung kommunikativer Abläufe als „Vorstufe“ zu einer etwaigen Einigung in Betracht. Ihre Einbindung in Form exakter vertraglicher Erfassung sowie u. U. die Ausstattung mit Druckpotential sind allerdings in Bezug auf das Ob und das Wie differenziert zu erarbeiten. (bb) Vertragliche Erfassung von Kommunikationspflichten Sieht man maßgebliche Konfliktursachen in enttäuschten Erwartungen, kann im Wege der Kommunikation eine Lösungssuche und -findung nur erfolgversprechend sein, wenn eine ausreichende Grundlage für die Bildung der Einschätzung vorliegt, ob und in welchem Umfang eine „Enttäuschung“ vorliegt oder gar erst droht. Letzteres ist vor allem relevant, wenn es bereits darum geht, Deeskalation in ihrem Vorfeld zu betreiben.1014 Hier spielt auch hinein, dass nach Macneil es das jeweilige Beziehungsgeflecht ist, welches für die weitere Planung relevant ist.1015 Eine spätere Planung kann danach umfangreich sein und auch in ausdrücklicher Form erfolgen.1016 (aaa) Pflicht zur Auskunft und Information Für eine Meinungsbildungsgrundlage und weitere Planung sind zum einen (objektive) Umstände, die den Vertragsablauf betreffen, in besonderer Weise maßgeblich. (Rechtzeitige) Information und Auskunft können Mittel zur Konfliktvorbeugung oder -bewältigung sein,1017 damit zur Beziehungserhaltung beitragen. Der Einbau einer Informationsweitergabe innerhalb eines (juristischen) Vertrags als
1013 Insoweit können die Übergänge von interpersonellen und polyzentrischen Konflikten durchaus fließend sein. 1014 Vgl. auch Macneil, The New Social Contract, S. 65, nach dem die Beziehung aufrechtzuerhalten ist. 1015 Siehe zudem Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11, wonach die Kooperationsbeziehung eine Prämisse der Vertragsgestaltung ausmacht. Für Allianzverträge weisen Gehle/Wronna, BauR 2007, 2, 8, auf ein Einstimmigkeitsgebot hin, wenn (weitere) Entscheidungen getroffen werden sollen. 1016 Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 739. 1017 Siehe dazu auch Kern, JuS 1992, 13, 15. An anderer Stelle wird freilich noch zu erörtern sein, in welchem Verhältnis der Umgang mit Informationen mit der Durchsetzung eigener Interessen steht.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Leistungspflicht1018 ist durchaus vorstellbar und möglich. Informations- und Auskunftspflichten, soweit sie sich auf das objektive Vertragsgeschehen beziehen, sind zudem in der Regel exakt fassbar bzw. bestimmbar. Beispiel: „Der A ist verpflichtet, dem B die Protokolle der vorgenommenen Bautätigkeiten an dem Vertragsobjekt vierteljährlich, jeweils zum Ende des Quartals, vorzulegen.“ Oder: „Der A ist verpflichtet, dem B über die von ihm veranlassten Baumaßnahmen am Projekt (…) Auskunft zu erteilen, jeweils am Ende eines Kalenderquartals. Vorzulegen sind folgende Unterlagen: (…).“
Die Möglichkeit, die Pflichten derart genau zu fassen, hat mehrere Vorteile: Mit ihrer Aufnahme in den (juristischen) Vertrag können sie so als tauglicher Leitfaden dafür dienen, wie sich der Einzelne diesbezüglich zu verhalten hat. Insoweit ist der Vertrag wiederum „Verhaltensanleitung“. Die Exaktheit der vertraglichen Bestimmung macht die darin verankerte Pflicht jedoch u. U. auch zum durchsetzbaren Recht1019 mit Hilfe der staatlichen Gewalt. Dementsprechend kann ein darauf bezogenes Druckpotential aufgebaut werden. Es können entsprechende Pflichten ggf. eingeklagt und die Zwangsvollstreckung betrieben werden. So ist die Pflicht etwa zur Vorlage von Urkunden zum Zweck der Auskunft nach § 883 ZPO (Herausgabe bestimmter beweglicher Sachen) vollstreckbar,1020 soweit es nur um die Vorlage der Urkunden geht. Die Pflicht zur Auskunft (mit einer Vorlagepflicht der Urkunden als Nebenpflicht) ist nach § 888 ZPO (nicht vertretbare Handlungen) zu vollstrecken.1021 Vorstellbar ist zudem die Begründung von Schadensersatzansprüchen bei Verletzung der Verpflichtung, z. B. aus Verzug, §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB.1022 Eine von der Existenz (juristischen) Druckpotentials zu trennende Frage ist, ob von dieser Möglichkeit, vor allem mit Blick auf die Vorbereitung der Kommunikation, die weitere Planung sowie den Erhalt der Beziehung (Relationalität) Gebrauch gemacht wird. Der Einsatz insbesondere der Zwangsvollstreckung dürfte diesen Prozessen vielmehr ein Ende setzen. Gleichwohl sind vom vertragsgestaltenden Anwalt beide zuvor aufgezeigten Vorteile angemessen zu berücksichtigen.1023 Zwar können die bestimmten Aufklärungs- und Informationspflichten außergerichtlicher Leitfaden sein, allerdings soll und muss der Anwalt den möglichen juristischen Druck trotzdem als Option in seine Planungen einstellen. Das muss allein schon aus dem Grund geschehen, da eine Eskalation des Konflikts in der Gestalt vorstellbar sein kann, dass es ggf. doch zur Einschaltung der staatlichen Gerichte 1018 Eine solche Pflicht kann sich im Übrigen auch schon aus dem gesetzlichen Pflichtenprogramm ergeben, z. B. aus § 242 BGB. 1019 Das gilt gerade bei dem Vorliegen von Primärleistungspflichten. 1020 OLG Köln NJW-RR 1988, 1210, 1211 m. w. N. zur Rechtsprechung; Thomas/Putzo/ Seiler, ZPO, § 883, Rn. 3 m. w. N.; Zöller/Seibel, ZPO, § 883, Rn. 2. 1021 Zöller/Seibel, ZPO, § 888, Rn. 3.6; Reischl, JR 1997, 404, 407. 1022 Selbstverständlich sind auch andere „Druckmittel“ möglich, z. B. Vertragsstrafen. 1023 Sie sind dem Mandanten zudem zu erläutern und zu erklären, so dass letztendlich der Mandant die Entscheidung treffen kann. Es zeigt sich ein weiteres Mal, dass die Umsetzung relationaler Elemente nur so weit gehen kann, wie dies vom Mandanten gewünscht ist.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
kommen kann. Dann können z. B. die zuvor erwähnten Schadensersatzansprüche zum Tragen kommen. Im Kontext mit einer Austragung des Konflikts vor Gericht sind die Informations- und Auskunftspflichten zudem noch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Solange ihnen nachgekommen wird, erhält der jeweils Berechtigte wertvolle Informationen, die gerade im Streitfall dann einseitig nutzbringend1024 eingesetzt werden können.1025 Auch das ist ein Aspekt, der die Ambivalenz der vertraglichen Erfassung von beziehungserhaltenden Pflichten aufzeigt. Eine Nutzbringung für außergerichtliche Lösungen ist ohne Einbeziehung der „Druckinstanz“ Gericht1026 oftmals schwer möglich. Zugleich wird das Spannungsverhältnis deutlich, in welchem sich der Interessenvertreter Anwalt befindet. Er soll in vielen Fällen ein Regelungswerk entwerfen, welches beziehungserhaltend, aber letztlich auch (einseitig) interessenschützend im Fall der Eskalation wirkt, die vor Gericht ausgetragen wird.
1024 Hier ergibt sich ein Bild, das beispielsweise die Principal-Agent-Theorie entwirft. Sie geht etwa davon aus, dass Wirtschaftsakteure grundsätzlich opportunistisch eingestellt seien und einen Informationsvorsprung gegen den Vertragspartner nutzen würden, um sich auf dessen Kosten zu optimieren, so Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11. 1025 Sofern es sich um eine echte vertragliche Leistungspflicht handelt, ist das auch kein missbräuchlicher Vorteil; eine Nutzung im Prozess ist erst dann „gewinnbringend“, wenn der andere Vertragspartner seinen Pflichten (später) nicht nachkommt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Problematik der Schaffung von „Verwertungshindernissen“ in einem etwaigen Prozess nicht. Die Überlegung, Vertraulichkeitsvereinbarungen (dazu etwa Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, S. 27 f.) oder so genannte Geständnisverträge zu schließen, ist hier kaum vonnöten. Geständnisverträge betreffen u. a. die Vereinbarung über den Nichtvortrag bestimmter Tatsachen im Prozess (Wagner, NJW 2001, 1398, 1399). Solche Verträge sind mit prozessualer Wirkung möglich (Wagner, NJW 2001, 1398, 1399, unter Bezugnahme auf BGHZ 38, 254, 258; Wagner, Prozeßverträge, S. 640 ff.). Der BGH erlaubt Verträge, durch die sich eine Partei zu einem bestimmten prozessualen Verhalten verpflichtet (BGH NJW-RR 2006, 632, 634; BGHZ 38, 254, 258; jeweils m. w. N.), sofern dieses möglich ist und kein Gesetzesverstoß oder ein solcher gegen die guten Sitten vorliegt. Der Vertrag kann dann wie eine Einrede im Prozess geltend gemacht werden (Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, Einl III, Rn. 8). Ist jedoch z. B. eine Auskunft vertragliche Pflicht, die u. U. eingeklagt werden soll und kann, würde eine im selben Vertrag enthaltene Geständnisvereinbarung in der Regel nicht aufgenommen werden und würde im Übrigen ansonsten u. U. zur Perplexität des Vertrags führen. Zur Bedeutung gelangen solche Vertraulichkeitsvereinbarungen aber u. a. in mediativen Informationsabläufen. Eine entsprechende Sicherung der Vertraulichkeit erfolgt dann z. B. in der Mediationsvereinbarung. § 4 MediationsG, der die Normierung einer Verschwiegenheitspflicht beinhaltet, betrifft nur den Mediator. Zum Vertraulichkeitsschutz, wenn die Parteien einer Mediation sich wechselseitig zur Verschwiegenheit in nachfolgenden Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren verpflichtet haben, etwa Eidenmüller/Wagner/Wagner, Mediationsrecht, Kapitel 2, Rn. 79; dort sowohl zu den schadensersatzrechtlichen wie den prozessualen Sanktionen. Siehe insofern auch Wagner, ebenda, Kapitel 7, Rn. 43 ff. 1026 Zur Stabilisierung relationaler Strukturen auch durch Sanktionen Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181 f.
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(bbb) Umgang mit subjektiven Umständen Die vorherigen Ansätze bezogen sich auf Auskunfts-/Informationspflichten, die eine objektive Grundlage haben. Nicht erfasst sind davon nicht objektiv fassbare Umstände, das heißt stark subjektive Bereiche. Diese betreffen insbesondere (rein) zwischenmenschliche Abläufe oder Empfindungen, wie Sympathien, Teamfähigkeit o. ä. Wegen der häufig objektiv mangelnden Messbarkeit1027 wird hier die Formulierung exakter „Auskunftspflichten“ über solche Abläufe kaum möglich sein. Abgesehen davon stellt sich die Frage, wie tauglich eine „Pflicht“ zur Offenlegung subjektiver, häufig persönlicher Empfindungen ist. (ccc) „Pflicht“ zur andauernden Kommunikation Knüpfen die Pflichten zur Offenlegung und Information im Vorfeld einer Kommunikation an einen oftmals wechselseitigen Austausch der Informationen durch die Parteien an, so geht es in einem nächsten Schritt darum, ob und ggf. wie eine „Pflichtenverankerung“ zu einer (nachfolgenden) Form von Kommunikation in den Vertrag sinnvoll und möglich ist.1028 An dieser Stelle soll „Kommunikation“ verstanden werden als gegenseitiger Austausch, der die Basis bildet, Konflikte (frühzeitig) aufzudecken, die Beziehung zu erhalten, eine weitergehende Planung voranzutreiben und ggf. zu einer Einigung zu motivieren.1029 Sieht man darin das Ziel, so ist die Schwierigkeit zur Schaffung einer vertraglichen Pflicht im juristischen Sinn zur wechselseitigen Kommunikation schon im Ausgangspunkt begründet. Als vertragliche Pflicht stößt die Abfassung einer entsprechenden Klausel zunächst auf das Problem, dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit zu genügen, das heißt der Fixierung dessen, was vom jeweiligen Vertragspartner erwartet werden kann/darf. Vorstellbar sind durchaus Pflichten zu regelmäßigen Treffen an bestimmten Daten1030. Beispiel: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, sich jeweils am 6.6. und am 6.12. eines jeden Jahres zu einem gemeinsamen Treffen in (…) einzufinden.“
Die exakte Fassung des eigentlichen Zwecks solcher Treffen, nämlich die wechselseitige Kommunikation, lässt sich dagegen schwer fassen. Nicht bestimmt 1027 Vgl. Sosas Kritik an Macneil, wie Richter dies feststellen sollen; dazu Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 182. 1028 Siehe auch Dietz, ZfRS 30 (2009), 165, 168, wonach Geschäftsbeziehungen vor allem auf wiederholter Interaktion, Reputation und relationalen Normen beruhen. Damit sind nicht „Sprechklauseln“ gemeint, wie Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 380, sie anführt. Letztere führt er als „zahnlose Form der Neuverhandlungsklausel“ an; bezüglich des Sprachgebrauchs verweist Hau, Fn. 1, u. a. auf Roth, FS für Krejci, S. 1251. 1029 Auch hier finden sich die Kernaussagen der Macneilschen „relational norms“ wieder. Auf dieser Stufe soll noch keine „Pflicht“ zur Einigung selbst thematisiert werden, sondern lediglich die Grundlage dafür. 1030 Siehe zu einer solchen inhaltlichen Pflichtenbegründung, allerdings im Rahmen von Neuverhandlungspflichten, Lettl, JuS 2001, 456, 457.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
genug sind Formulierungen wie „Über den Ablauf des Projekts haben die Parteien sich auszutauschen. Über auftretende Probleme ist zu sprechen.“ Hinreichend präzise können lediglich Pflichten sein, die sich auf einen konkretisierten Gesprächspunkt beziehen, z. B. „Über die Bilanz des jeweils abgelaufenen Jahres hat jede Partei eine Stellungnahme abzugeben.“1031 Es bleibt allerdings die Schwierigkeit, gerade eine offene Kommunikation, die einer sich entwickelnden Beziehung Rechnung trägt, als Vertragspflicht zu normieren. Abgesehen davon ergibt sich angesichts des Ziels, Konflikte erst gar nicht zur Entstehung kommen zu lassen bzw. ihre Eskalation zu vermeiden, ein Anschlussproblem. Grund dafür, eine juristische Pflicht zu installieren, ist letztlich die Schaffung eines bestimmten Druckpotentials, die justiziable Durchsetzbarkeit. Zwingt man folglich die Kommunikationspflichten in ein Korsett, das dazu tauglich ist, ergibt sich das Problem, ob das nicht angesichts des auf dieser Ebene verfolgten Ziels nachgerade kontraproduktiv ist. Als Beispiel soll nur auf die etwaige Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO (nicht vertretbare Handlungen) hingewiesen werden; sollte auf diesem Weg versucht werden, Kommunikation zu erzwingen, dürfte kein einvernehmliches Miteinander mehr möglich sein.1032 Nimmt man infolgedessen vom juristischen Druck Abstand, können zwar „weichere“ Klauseln formuliert werden, wie etwa: „Zur Begleitung der Vertragsabläufe und der Erreichung des Vertragserfolgs treffen sich die Beteiligten in regelmäßigen Abständen, jedenfalls einmal im Jahr oder auf Wunsch eines Vertragspartners häufiger. Während der Treffen soll ein Austausch über den Vertragsfortgang und die Abläufe durch die am Vertrag beteiligten Personen erfolgen. Fragen des Betriebsklimas sollen angesprochen werden.“
Eine solche Formulierung ist weit bezüglich des Ob und bezüglich des Inhalts der Gesprächsrunden. Die Intention einer solchen Klausel ist dann auch nicht vorrangig in ihrem streng juristischen Nutzen zu suchen. Sofern keine juristische Exaktheit gewählt wird, hat die Vereinbarung die „Stärke“ eines (rein) soziologischen Vertrags1033 oder aber eines rein psychologischen Effekts1034. Es ist die vertragliche Aufnahme eines Appells „sich zu vertragen“. Hierin kommt nicht zuletzt ein bestimmtes Verhältnis zur Beziehung und zum Konflikt selbst zum Ausdruck. Es liegt ein Angebot vor, Beziehungsabläufe und Konflikte (rechtzeitig) wahrzunehmen oder sie innerhalb eines Gesprächs ggf. (erst) zu erkennen und zum Ausdruck zu bringen. So sollen außerrechtliche Lösungen gefunden und Planungen vorangetrieben wer1031
Über deren qualitative Beschaffenheit ist damit freilich noch nichts ausgesagt. Es ist jedoch fraglich, ob eine Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO überhaupt durchgreifen könnte. Dem könnte ein mangelndes Rechtsschutzbedürfnis entgegenstehen, wenn direkt eine Anpassung verlangt werden kann. 1033 Gemeint ist damit grundsätzlich jede Form von „Vereinbarung“ zwischen Personen, an die sich bestimmte Erwartungshaltungen anknüpfen können. Es müssen gerade nicht die Vorgaben eines juristischen Vertrags eingehalten werden. 1034 Lettl, JuS 2001, 456, 457. 1032
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den, die schließlich in Recht, nämlich in einen juristischen Vertrag oder in einer Vertragsänderung münden können. Aus den vorgenannten Gründen kann sich somit je nach Interessenlage die Aufnahme von juristisch nicht hinreichend bestimmten und nicht durchsetzbaren „Kommunikationsklauseln“ auch in ein (ansonsten) juristisches Vertragswerk empfehlen.1035 Dabei kann die Einbindung in ein juristisches Pflichtenprogramm sogar ein bestimmtes Druckpotential bezüglich der beabsichtigten Kommunikation entwickeln. Wenn nämlich die anderen juristisch durchsetzbaren Pflichten derart miteinander verwoben sind, dass ihre einseitige oder gegenseitige Nicht- oder Schlechterfüllung für beide Seiten von spürbarem Nachteil ist, wird der in der Kommunikationsklausel angesprochene Appell wesentlich bewusster wahrgenommen und umgesetzt. Es greifen dann die Mechanismen des sich selbst durchsetzenden Vertrags.1036 Zusammenfassend bleibt bezüglich der Installierung einer Kommunikationsklausel in einem juristischen Vertrag festzuhalten: Als Regelung ist sie im Grundsatz weit von einem durch staatlichen Druck bewährten „Normverständnis“ entfernt. Sie ist relational, aber kein relationales Recht. (cc) Anpassungsklauseln, insbesondere Neuverhandlungsklauseln – „Bindeglied“ zwischen „freien Abläufen“ und „normativem Zwang“ (aaa) Einführung und Abgrenzungen Setzte die bisherige in den (juristischen) Vertrag zu integrierende Konfliktlösungsstrategie bei der Gewährung großer Freiheit an, der „Pflicht“ zum Kommunizieren an sich, bzw. ihrer Vorbereitung, so kann sich als Steigerungsstufe im Sinne rechtlicher Flankierung die Aufnahme von vertraglichen Anpassungsklauseln anbieten.1037 Das Ziel soll zunächst sein, die Tauglichkeit dieses juristischen Wegs für die von Macneil u. a. aufgezeigten Ansätze und Abläufe zu untersuchen. Es gilt zu verdeutlichen, wie soziale oder damit verbundene wirtschaftliche Abläufe juristisch mittels solcher Klauseln aufgegriffen werden können. Möglicherweise eignen sich gerade Anpassungsklauseln dazu, den Übergang von stärker (rechts-)soziologischen Beobachtungen hin zu mehr juristisch geprägten Überlegungen zu schaffen, gleichsam als Bindeglied zwischen (rechts-)soziologischem und juristischem Ver-
1035 Erneut geht es um den Aspekt, möglicherweise nicht rechtswirksame Vereinbarungen als Anwalt in den Vertrag zu integrieren. 1036 Siehe zum sich selbst durchsetzenden Vertrag etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 711. 1037 Auf Lösungsmöglichkeiten im Wege eines ad hoc-Änderungsvertrags soll hier nicht eingegangen werden; dazu ausführlich Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 9 ff. Es geht vielmehr um die bereits in der ursprünglichen Vertragsgestaltung angelegte Schaffung von Vorkehrungen eines für möglich gehaltenen Anpassungsbedarfs (siehe dazu Hau, S. 333).
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1. Teil: Vertrag und Interessen
tragsverständnis zu fungieren.1038 Anknüpfungspunkte auf der relationalen Achse bei Macneil1039, die es später juristisch umzusetzen gilt, können vor allem (wiederum) sein: Dauer und Vielschichtigkeit der Beziehung; Einflussnahme ökonomischer wie auch sozialer Elemente; „Erfolg“ ist vom Bestand der Beziehung abhängig; Einwirkung der jeweiligen persönlichen Betroffenheit; graduelle Entwicklung von Beziehungen; notwendige Planung auch nach „Beziehungsbeginn“; Lösungen aus der Beziehung heraus.1040 Damit eng verbunden sind Aspekte, die Macneil gerade innerhalb seines Verständnisses von „relational norms“ ausmacht, etwa Rollenintegrität (z. B. Abstimmung sozialer und wirtschaftlicher Rollen); Harmonisierung von Konflikten und erneut der Erhalt der Beziehung.1041 Die Anpassungsklauseln als Mechanismus sind in den juristischen Vertrag selbst integriert, über sie soll es zu einer Veränderung des ursprünglichen Regelungswerks kommen, wenn sich die tatsächlichen Umstände wandeln.1042 Weil es vielfach um Probleme des Erhalts der Beziehung geht, auf das sich das Interesse richtet, soll hier die Schwierigkeit, ob und welche durchaus relevanten Wege der Vertragsbeendigung es bei einer Veränderung der Umstände gibt, nicht vertieft werden.1043 Beispiele, wie das rechtlich geschehen kann, sind die Beendigung ipso iure (z. B. §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB), durch Gestaltungsurteil, aufgrund übereinstimmender Willenserklärungen (z. B. durch Aufhebungsvertrag) oder durch die Ausübung eines (gesetzlichen oder vereinbarten) Gestaltungsrechts wie Kündigung1044 oder Rücktritt.1045
1038 Siehe auch Pikalo, GS für Tammelo, 155, 167, wonach ein Vorzug der kautelarjuristischen Gerechtigkeit gegenüber der abstrakten Gerechtigkeit in der Gesetzgebung und der oft stark generalisierenden und strengeren Gerechtigkeit in der Rechtsprechung die besondere Fähigkeit sowohl zur fallgerechten Konkretisierung als auch zur Festlegung ausgewogener Anpassungsmöglichkeiten bei langfristigen Verträgen für die Zukunft sei. 1039 Das betrifft ebenso den Einfluss, den Macneils Ausführungen zu den unterschiedlichen „contract norms“ nehmen können. „Diskret“ bleibt aber ggf. die Festlegung der maßgeblichen Kriterien bei Vertragsschluss. 1040 Zum Vorstehenden Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738 ff. 1041 Zu den Aspekten Macneil, The New Social Contract, S. 65. 1042 Davon zu trennen ist die Bewältigung rechtlicher Unsicherheiten, wie sie innerhalb von Verträgen vor allem durch salvatorische Klauseln erfolgen kann; dazu u. a. Beyer, Salvatorische Klauseln, S. 4 ff.; Schmittat, Vertragsgestaltung, Rn. 180. Denkbar ist hier auch eine Verbindung mit Neuverhandlungsklauseln. 1043 Lettl, JuS 2001, 144, 144, spricht insofern bezüglich der Beendigung von einem Grenzfall der Anpassung. Eckelt, Vertragsanpassungsrecht, S. 26, bezeichnet die Änderung als übergeordnete Kategorie, die Anpassung als Unterfall. 1044 Zur Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung als Rechtsfolge einer Vertragsanpassungsklausel etwa Baur, ZIP 1985, 905, 907, 908 f. 1045 Zu „Bestimmungsrechtsklauseln“, die dem Verwender die Wahl lassen, ob es zu einer Fortsetzung der Kooperation zu modifizierten Bedingungen oder zu einer Auflösung des gesamten Schuldverhältnisses kommen soll, Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 341.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Es bedarf gerade deshalb einer genaueren Eingrenzung, was hier unter einer „Vertragsanpassung“ zu verstehen ist. In Anlehnung an die eingangs gemachten Ausführungen geht es um eine Korrektur im Sinne einer Modifikation des ursprünglich (im Vertrag) festgelegten Regelungswerks der Parteien.1046 Es wird nach Wegen gesucht, aufgrund gewandelter Umstände den Vertrag flexibel zu halten.1047 Anknüpfend daran ist Anpassung in einem weiten Sinn zu verstehen. Es geht um die Änderung des Vertrags, wobei die Änderung insbesondere zwei Hauptmechanismen folgen kann: Zum einen können die Parteien bereits beim (ersten) Vertragsschluss entsprechende Punkte dahingehend aufnehmen, dass ein (bestimmter) Änderungsbedarf gesehen und eine Anpassung zugelassen wird.1048 Zum anderen gibt es Klauseln, wonach eine offen gelassene Vertragsbedingung nach dem (ursprünglichen) Vertragsschluss erstmalig geregelt wird.1049 Hierunter fallen innerhalb der nachfolgenden Erörterungen gerade auch die Situationen, in denen der „Bereich“, in dem eine Abwandlung erfolgen soll, selbst noch nicht feststeht. Da es um eine aktive Lösungsfindung durch die Parteien in vertragsgestalterischer Hinsicht geht, finden weiterhin gesetzliche Anpassungsmechanismen (z. B. § 313 BGB) keine Berücksichtigung, außer auf bestimmte (gesetzliche) Regelungen wird gerade vertraglich zugegriffen.1050 Kein Schwerpunkt wird außerdem auf das erstgenannte Anpassungsverständnis gelegt, wonach von vornherein mit einer notwendigen Angleichung bezüglich eines bestimmten Punkts gerechnet wird. Es soll vielmehr um die Fälle gehen, in denen eine „weitergelebte“ Beziehung nicht „genau“ vorhersehbare Änderungen notwendig macht. Das ist qualitativ noch etwas anderes als die Variante, in der die Parteien von Anfang an mit einem (bestimmten) Handlungsbedarf rechnen. Dann werden bereits am Beginn der (Vertrags-)Beziehung im konsensualen Weg Maßstäbe vereinbart, anhand derer eine Anpassung erfolgen soll, wobei die Maßstäbe durchaus flexibel sein können. Ein klassischer Fall eines solchen Vertragsmechanismus sind die Anpassungsklauseln mit automatischer Anpassungsfolge.1051 Charakteristisch ist hier die Festlegung einer bestimmten tatbestandlichen Voraussetzung,1052 z. B. die bestimmte Erhöhung eines Einkaufpreises oder der Eintritt eines Fristablaufs.1053 Die 1046
Siehe hierzu Lettl, JuS 2001, 144, 144. Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 11. 1048 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 11. 1049 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 11. 1050 Ausführlich zu gesetzesgestützter Vertragsanpassung, Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 245 ff. 1051 Dazu u. a. Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen, Rn. 43 ff. Zu beachten sind in dem Zusammenhang u. a. die Verwendung so genannter „Korrekturklauseln“, die (automatischen) Preisänderungsklauseln u. U. nachgeschaltet sind; dazu Baur, ZIP 1985, 905, 906. 1052 Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen, Rn. 45. 1053 Aus anwaltlicher Sicht ist möglichst auf eine bestimmte, nicht auslegungsbedürftige Fassung, soweit machbar und interessengerecht, zu achten, um (weitere) Streitigkeiten um die 1047
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Rechtsfolgenseite kann dann für den Voraussetzungseintritt die (automatische) Änderung der vertraglichen (Gegen-)Leistung beinhalten.1054 Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich um einen Änderungsvertrag nach § 311 BGB schon im Zeitpunkt des Klauselabschlusses.1055 Ein Beispiel für solche Klauseln ist die so genannte Spannungsklausel1056, wonach eine Geldschuld nicht „durch den Preis anderer Güter oder Leistungen, sondern durch den Preis im wesentlich gleichartigen Leistungen bestimmt“ wird1057. Ein Exempel nach OLG München1058 ist: „Der Erbbauzins beträgt jährlich (…) E und ist (…) im Voraus zahlbar, beginnend mit (…). Ändern sich die Wohnungsmieten der im Erbbaurecht errichteten Gebäude um mehr als 20 % gegenüber den im zugrundeliegenden Finanzierungsplan eingesetzten Mieten, so soll der Erbbauzins im gleichen Verhältnis angepasst werden. (…)“1059
Weitere Beispiele sind Beteiligungs- und Umsatzklauseln, wonach die Anspruchshöhe des anderen Teils vom Gewinn oder Umsatz abhängt,1060 oder Kostenelementeklauseln1061. Letztere sind Vereinbarungen, nach denen bei einer Än-
Frage, ob die Tatbestandvoraussetzungen vorliegen, zu vermeiden. Vgl. zu einer solch weiten Fassung etwa BGH NJW 1992, 2088 f. 1054 Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen, Rn. 45. 1055 Siehe Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen, Rn. 44, noch zu § 305 BGB a. F. Im Macneilschen Duktus wäre dies ein „discrete contract“ mit den Mitteln des klassischen Vertragsrechts. 1056 Sofern Geldschulden angepasst werden, ist das Preisklauselgesetz vom 7. 9. 2007 (BGBl. I 2007, S. 2246 f., zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. 7. 2009, BGBl. I, S. 2355) zu beachten. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Preisklauselgesetz gilt das Verbot nach § 1 Abs. 1 Preisklauselgesetz nicht für Klauseln, bei denen die in ein Verhältnis zueinander gesetzten Güter oder Leistungen im Wesentlichen gleichartig oder zumindest vergleichbar sind (Spannungsklauseln). 1057 So BGH NJW-RR 1986, 877, 877; siehe auch Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 53; Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 19; Wurm/Wagner/ Zartmann/Römermann, Das Rechtsformularbuch, 15. Aufl., Kap. 10, Rn. 3 f. 1058 OLG München NJW-RR 1994, 469. 1059 § 1 Abs. 1 Preisklauselgesetz verbietet nicht, wie hier geschehen, die automatische Kopplung des Preises an den Preis vergleichbarer Güter, was für den Erbbauzins zum Ertragswert der im Erbbaurecht errichteten Gebäude zutrifft. Siehe insoweit auch ausdrücklich § 1 Abs. 2 Nr. 2 Preisklauselgesetz. 1060 Dazu Wurm/Wagner/Zartmann/Römermann, Das Rechtsformularbuch, 15. Aufl., Kap. 10, Rn. 5. 1061 Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Preisklauselgesetz gilt das Verbot nach § 1 Abs. 1 Preisklauselgesetz nicht für Klauseln, nach denen der geschuldete Betrag insoweit von der Entwicklung der Preise oder Werte für Güter oder Leistungen abhängig gemacht wird, als diese die Selbstkosten des Gläubigers bei der Erbringung der Gegenleistung unmittelbar beeinflussen (Kostenelementeklauseln).
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derung eines Kostenelements (z. B. Rohstoffe) der Gesamtpreis proportional anzugleichen ist.1062 In eine ähnliche Richtung, allerdings unter Abrücken von durchgehenden Konsensentscheidungen, geht die Lösung, die bei Vorliegen eines bestimmten1063 Anpassungstatbestands die Entscheidung einer Partei oder einem Dritten überlässt.1064 Zu beachten sind hierbei vor allem die §§ 315, 317 BGB. (bbb) Tatbestandliche Erfassung veränderlicher Umstände Interessant unter Bezugnahme auf Macneil und auf Überlegungen hinsichtlich einer Verbindung seiner „common“ und „relational norms“ mit juristisch „festen“ Verträgen sind aber vor allem die Anpassungsklauseln, die schon vom Tatbestand her „offene“ Geschehensabläufe1065 erfassen sollen. Tatbestandlich geht es also wiederum darum, dass sich die Umstände, die der Vertrag regeln soll, bzw. die dazugehörenden Rahmenbedingungen (sozial/wirtschaftlich) ändern können. Die nicht tatbestandlich genau fixierbare „Entwicklung“ ist dann im Grunde Ausdruck dessen, was auf der relationalen Achse Macneils eingeordnet werden könnte, weil im Vorfeld keine exakte Planung möglich/gewollt war.1066 Die Entwicklungen, die ansonsten tatbestandlich im (juristischen) Vertrag angegeben werden müssten, sind aufgrund der Lebensvielfalt hier nicht einmal ansatzweise aufführbar. Beispiele sind: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen wandeln sich; die (private) Situation eines Vertragspartners ändert sich; der Vertragsgegenstand oder die -abwicklung nimmt eine andere als die ursprünglich erwartete Richtung.
Will man jedoch in einem (juristischen) Vertrag, in einem Regelungswerk, letztlich einen „Plan“ entwickeln, u. U. flankiert vom staatlichen Recht, wie zu verfahren ist, muss nichtsdestotrotz ein tatbestandlicher Anknüpfungspunkt geschaffen werden.1067 Woran soll/kann jedoch eine Änderung/Weiterentwicklung, auf die ggf. reagiert werden soll, schon bei Vertragsschluss festgemacht werden? Zum einen ist die beschriebene Bandbreite „des Lebens“ zu beachten, zum anderen stellt sich aus Sicht des die Interessen seines Mandanten vertretenen Anwalts die Frage, ob jede Veränderung einer Entwicklung zum Anlass einer (vertraglichen) Reaktion genommen werden soll. So weist auch etwa Köhler darauf hin, die Interessen der Vertragsparteien hinsichtlich des Ob (ebenso wie die hinsichtlich des Wie und 1062 Wurm/Wagner/Zartmann/Römermann, Das Rechtsformularbuch, 15. Aufl., Kap. 10, Rn. 7. Siehe ferner Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 18, m. w. N. 1063 Siehe noch zu flexibleren Tatbeständen unten. 1064 Dazu Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 54. 1065 Möglich sind selbstverständlich auch „feste“ Tatbestände mit eindeutigen Voraussetzungen oder solche, die im Zusammenhang mit den automatischen Anpassungsklauseln geschildert wurden. In den Fällen ist dann lediglich die Rechtsfolge „relational. 1066 Dazu Macneil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 738 f. 1067 „Diskrete“ Elemente lassen sich also nicht vermeiden.
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Wann1068) einer Vertragsanpassung ließen sich nicht abstrakt definieren.1069 Es kommt somit auf die individuellen Interessen an, die es gestalterisch zu erfassen gilt. (a) Enge Tatbestandsfassung Im Wesentlichen kann man dann für die Tatbestandsseite drei „Säulen“ ausmachen, an denen eine Orientierung, ausgehend vom Mandanteninteresse, sinnvoll ist: Zunächst kann der Tatbestand doch eng gefasst werden. Ein Grund dafür kann z. B. das Interesse des Mandanten sein, lediglich auf bestimmte Änderungen reagieren zu wollen, etwa weil er eine gewisse Risikozuweisung wünscht,1070 die seinen wirtschaftlichen Erwägungen zugrunde liegt. Bezüglich möglicher Enge im Tatbestand kann exemplarisch auf die Formulierung der obigen Spannungsklausel1071 verwiesen werden. Vorteile eines solchen Wegs sind Aspekte, die bei Macneil im Zusammenhang mit transaktionalen Elementen auftauchen: Den Parteien ist deutlicher bewusst, wann wer einen Anpassungsanspruch hat, eine etwaige Drittinstanz hat ebenfalls einen klareren Maßstab. Es ist erneut ein Punkt, der für den auf Rechtssicherheit achtenden Anwalt von Relevanz ist. Solche Rechtssicherheit geht jedoch wieder mit einer Starrheit bzw. mangelnder Flexibilität einher.1072 (b) Weite Tatbestandsfassung mit Inhaltsvorgaben Eine andere Variante kann die Formulierung eines weiten (ausfüllungsbedürftigen) Tatbestands sein, der jedoch z. B. durch die Auflistung von Regelbeispielen im Sinne der Parteien „ausgefüllt“ werden kann.1073 Beispiel (sog. Wirtschaftsklausel1074)1075: „Falls sich die bei Vertragsschluss für die einzelnen Bestimmungen dieses Vertrages maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse so 1068 Zur Problematik des „Wann“, insbesondere hinsichtlich einer etwaig vereinbarten rückwirkenden Vertragsanpassung u. a. Köhler, FS für Steindorff, 611, 632 ff. 1069 Köhler, FS für Steindorff, 611, 612. 1070 Hier zeigt sich, dass ggf. gestalterisch auf § 313 BGB zu reagieren ist. Zur Verdrängung des § 313 BGB durch entsprechende Anpassungsklauseln Säcker, GS für Sonnenschein, S. 597, 603. 1071 Siehe unter 6. d) bb) (2) (e) (cc) (aaa), S. 215. 1072 Lettl, JuS 2001, 347, 348. 1073 Dazu Lettl, JuS 2001, 347, 348. Siehe hierzu auch mit Praxishinweisen Feißel/Gorn, BB 2009, 1138, 1142. 1074 Bei Wirtschaftsklauseln oder Loyalitätsklauseln beschränkt sich der Anwendungs- und Wirkungsbereich nicht auf den Preis oder auf die Vertragsmengen; durch sie kann jede einzelne Vertragsbestimmung, u. U. sogar der ganze Vertrag in all seinen Einzelheiten den veränderten Lagen und Bedingungen angepasst werden. So Baur, ZIP 1985, 905, 906, der dafür aber den Begriff der „Vertragsanpassungsklausel“ als angemessene Bezeichnung betrachtet. Weiterhin zur Begrifflichkeit der Wirtschaftsklausel und deren Inhalt u. a. Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 21 m. w. N. 1075 Beispiel nach Lettl, JuS 2001, 347, 348. Weitere Beispiele etwa bei Baur, ZIP 1985, 905, 906, Fn. 7; Köhler, FS für Steindorff, 611, 633, Fn. 64; dort auch ein Hinweis auf BGH BB 1979, 1214 und Harms, DB 1983, 322, 323.
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grundlegend verändern, dass einer der Vertragsparteien das Festhalten an den Bestimmungen schlechthin nicht mehr zugemutet werden kann, sind die betreffenden Vertragsbestimmungen den geänderten Verhältnissen im Rahmen des Zumutbaren anzupassen.“ Eine Auflistung von Regelbeispielen könnte sich wie folgt anschließen: „Die Voraussetzungen sollen insbesondere vorliegen, wenn (…).“
Ein solches Vorgehen kann auf der tatbestandlichen Seite einen Kompromiss zwischen Starrheit und Flexibilität in Bezug auf ein Reagieren auf tatsächliche Veränderungen darstellen. Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Regelbeispiele sich an den individuellen Verhältnissen der Vertragsparteien ausrichten und nicht zu Typenbeispielen „verkommen“, die letztlich von der eigentlichen Beziehung abstrahiert sind.1076 Mit dem beschriebenen Vorgehen gehen Vor- und Nachteile einher. So ist die nach wie vor gegebene Weite zwar ein durchaus flexibles Instrument, das den Parteien zur Seite steht, wenn diese den Wunsch haben, insbesondere auf außergerichtlichem Weg Lösungen zu entwickeln, die ihre Beziehung bestehen lassen. Hier können die Regelbeispiele als Leitfaden hilfreich sein. Probleme können auftauchen, wenn aufgrund der juristischen Qualität der Einigung der „insurance“-Gedanke nach Llewellyn aktiviert werden soll/muss, das heißt, auf juristischem Weg durch eine Drittinstanz der Anpassungsanspruch einer Seite zur Klärung gelangen soll. Trotz der Installierung von Regelbeispielen bleibt gerade wegen der weiten tatbestandlichen Fassung eine Unsicherheit, wie eine dritte Instanz die vertraglichen Voraussetzungen begreift.1077 Freilich kann eine solche Unsicherheit auch ein Motivationsfaktor sein, sich doch außergerichtlich zu einigen. Es zeigt sich somit an dieser Stelle abermals eine Verquickung der Elemente eigenverantwortlicher Lösungssuche unter dem „Druck“ der von außen kommenden Drittinstanz. (c) Große Ausfüllungsmöglichkeit Eine dritte Säule tatbestandlicher Formulierung kann die Fassung mit großer Ausfüllungsmöglichkeit sein. Ein solcher Fall wäre die oben aufgeführte Wirtschaftsklausel ohne eingrenzende Regelbeispiele. Der Vorteil einer solchen Klausel liegt sicherlich in ihrer Weite, die zahlreiche Veränderungen auffangen kann. Die Probleme, die auftreten können, sind die zuvor genannten, allerdings in einer verschärften Form. So ist fraglich, inwiefern eine derartige Klausel noch ein Leitfaden für außergerichtliches Verhalten sein kann, auch kann ihre Weite diesbezüglich u. U. sogar zusätzliches Konfliktpotential bergen. Insbesondere wenn der Weg zur Drittinstanz „Gericht“ beschritten werden sollte, verstärkt sich noch die zuvor bezeichnete Unsicherheit. So kann ggf. bei mangelnder Bestimmtheit schon auf der
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Anders liegt es, wenn die Parteien ihre Interessen gerade in bestimmten Typisierungen (wieder-)entdecken. 1077 Hinzu kommt ggf. die Unsicherheit, ob überhaupt hinreichend bestimmte vertragliche Bestimmungen vorliegen.
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tatbestandlichen Seite die Unwirksamkeit der Klausel drohen.1078 Nun greifen bei bestimmten Klauseln in Bezug auf die tatbestandlichen Voraussetzungen zwar möglicherweise noch „rettende“ Mechanismen. Neben der denkbaren Vertragsauslegung gibt es vor allem im Bereich der Wirtschaftsklauseln, die beispielsweise mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Verhältnisse“, „grundlegende oder wesentliche Änderung“, „Unzumutbarkeit“, „höherer Gewalt“ oder „unbillige Härte“ aufwarten können,1079 durchaus umfangreiche Literatur, vor allem auch Rechtsprechung, die jeweils als Orientierung dienen können.1080 Trotz möglicher Ausrichtungshilfen bei Vorliegen einer weiten tatbestandlichen Fassung bleiben gleichwohl die zuvor aufgeführten Gefahren der Unsicherheit, zumal die Rechtsprechung oftmals sehr unterschiedlich ausfallen kann. Hinzu kommt, dass bei einer Entscheidung durch ein (staatliches) Gericht ein unbefriedigender Umstand eintreten kann, den etwa Llewellyn herausgestrichen hat: Es kann zu Ergebnissen kommen, die sich mit den Wünschen keiner beteiligten Seite decken. Das wäre ein Ergebnis, das der Beziehungserhaltung konträr zuwiderliefe. Problematisch ist im Übrigen auch ein selbstverständlicher Rückgriff auf die „relationale Norm“ des § 313 BGB. So hat sich die Auffassung, allgemeine Wirtschaftsklauseln seien etwa kodifizierte Ausformungen des Geschäftsgrundlagenprinzips,1081 nicht durchgesetzt.1082 Zwei Argumente seien hier angeführt: Oftmals wollen die Parteien gerade andere (geringere) Voraussetzungen zur Anpassung schaffen.1083 Zudem ist es zumindest zweifelhaft, ob Anwälte mit mitunter komplizierten Klauseln „nur“ das Gesetz zur Anwendung bringen wollen.1084 1078
915. 1079
Dazu Salje, NZG 1998, 361, 362. Siehe zur Problematik auch Baur, ZIP 1985, 905,
Siehe dazu Lettl, JuS 2001, 347, 348 ff.; Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 607; Salje, NZG 1998, 361, 361; auf die Verwendung normativer, ziemlich wenig präziser Begriffe hinweisend Baur, ZIP 1985, 905, 906. 1080 Dazu mit Hinweis auf die Rechtsprechung u. a. Lettl, JuS 2001, 347, 348 ff.; Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 24 f.; siehe auch Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 39 ff.; aus der Literatur u. a. noch Baur, ZIP 1985, 905 ff. Aus der Rechtsprechung u. a. BGH NJW 1995, 1360 f., zur „Erheblichkeit“ bzw. „Wesentlichkeit“; siehe auch BGH NJW 1992, 2088, 2089; zur Unzumutbarkeit des Festhaltens am bisherigen Vertrag ebenfalls BGH NJW 1992, 2088, 2089. 1081 So Dally, BB 1977, 736, 737. In dem Sinn wohl auch Köhler, FS für Steindorff, 611, 637, in Bezug auf den Anpassungszeitpunkt. 1082 Ablehnend u. a. BGH WM 1979, 1097, 1099; Baur, ZIP 1985, 905, 907; Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 41 f.; Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 24. Zur Betrachtung von Anpassungsklauseln losgelöst von § 313 BGB und seinen Vorgaben Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 604 ff. 1083 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 42; Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 605; Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 24. Siehe auch MK-BGB/Roth, 4. Aufl. 2001, § 313, Rn. 662. 1084 Dazu Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 24.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Sollte einer Anpassungsklausel jedoch die Unwirksamkeit, etwa aufgrund mangelnder Bestimmtheit (auf tatbestandlicher Seite) drohen, muss allerdings ggf. im Auslegungsweg ermittelt werden, ob die Klausel nicht jedenfalls beim Eingreifen der Voraussetzungen des § 313 BGB zum Zuge kommen soll. Das ist vor allem bedeutsam, wenn die Parteien in Bezug auf die Anpassungsrechtsfolge hinreichend konkrete Regelungen1085 getroffen haben. Denn mit der Installierung einer Anpassungsklausel haben die Parteien immerhin zum Ausdruck gebracht, dass sie einen Anpassungsbedarf gesehen haben.1086 (d) Umgang mit stark subjektiven Umständen Innerhalb der aufgezeigten Staffelung ist noch etwas anderes auffallend. Die bisherigen Beispiele bezogen sich allesamt auf wirtschaftliche und damit zumeist objektiv „leichter“ fassbare oder doch zumindest besser eingrenzbare Umstände. Das gilt sogar bei einem weiten tatbestandlichen Vorgehen, welches häufig zumindest mit einer gewissen Typisierung einhergeht. Was allerdings in Literatur und Rechtsprechung kaum Berücksichtigung findet, ist die Anpassung von Verträgen wegen (sonstiger) sozialer Änderungen, z. B. Mitarbeiterdissonanzen oder persönlicher Animositäten. Das mag seinen Grund darin haben, dass den Fällen häufig weniger Beachtung geschenkt, u. U. eher der Vertragsausstieg in extremen Fällen gewählt oder aber der mangelnden vertraglichen Praktikabilität Tribut gezollt wird. Das Problem zeigte sich schon innerhalb der Diskussion um die „Kommunikationsklauseln“. Das dort bereits Aufgeführte kann im Grunde hier nur wiederholt werden: Eine exakte tatbestandliche Fassung sozialer Änderungen wird schwer möglich sein. Eine weite Fassung, u. U. mit Regelbeispielen, ist denkbar, jedoch als Grundlage für eine Anpassung im Sinne einer Pflichtengrundlage kaum hinreichend bestimmbar. So sind Formulierungen wie „Sollte das persönliche Verhältnis zwischen den Parteien sich so fortentwickeln, dass das Festhalten am Vertrag einer Vertragspartei in gegebener Form nicht zumutbar ist, (…).“ zwar denkbar. Sie können aber letztlich eher wieder als psychologischer Faktor eingesetzt werden, möglicherweise auch eine (juristisch) unverbindliche Kommunikations- und Verhandlungs„verpflichtung“ begründen. Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass der Versuch, „lebende Beziehungen“ juristisch in einer „beweglichen“ Art und Weise zu erfassen, auch im Rahmen der individuellen Vertragsgestaltung deutlichen Schwierigkeiten begegnet. Das gilt bereits für die Formulierung eines entsprechenden Tatbestands. Das gilt umso mehr, wenn soziale Abläufe, die nicht (rein) wirtschaftlich sind, eingeschlossen werden sollen. Gleichwohl sind es gerade letztere, die vielfach Aufmerksamkeit verdienen, zumal von ihnen auch wirtschaftliche Zusammenhänge beeinflusst werden. 1085
Gerade auch Rechtsfolgen, die von denen des § 313 BGB abweichen. Siehe auch MK-BGB/Finkenauer, § 313, Rn. 63, wonach für den Fall, dass eine Vertragsregelung unwirksam sei, immerhin zum Ausdruck komme, dass der Regelungsplan der Parteien vervollständigungsbedürftig sei. 1086
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Angesichts dessen bedarf es der näheren Untersuchung (auch) der Rechtsfolgenseite, um im Anschluss klären zu können, was Recht als Mittel der Interessenumsetzung im Vertrag in einem juristisch kontrollierbaren Sinn innerhalb lebender Abläufe leisten kann. (ccc) Reaktionsformen auf der Rechtsfolgenseite als Konsequenz veränderlicher Umstände (a) Gestalterische Orientierung1087 auf der Rechtsfolgenseite Zentrale relationale Elemente, die auf der Rechtsfolgenseite auftauchen könnten/ sollten, sind die Harmonisierung von Konflikten, der Erhalt der Beziehung, Flexibilität, gerade im Zusammenhang mit neuen oder weiteren Planungen, die durchaus auch bindend sein können. Im Grunde müssen auf der Rechtsfolgenseite Bestandteile aus Kommunikation, gemeinsamer (zielgerichteter) Verhandlung (Planung) und auch die Suche nach einem neuen Konsens1088 auftauchen. Da Kommunikation in diesem Stadium an sich nicht losgelöst von der Planung gesehen werden kann, kann man als „Marschroute“ vereinfacht auch Verhandlung/Planung und neuen Konsens1089 ausgeben. Sehr nahe ist dies an einer in juristischen Verträgen durchaus häufiger anzutreffenden Verbindung von Verhandlung und Anpassung, der Neuverhandlungspflicht resultierend aus Neuverhandlungsklauseln.1090 Der Begriff der Neuverhandlungsklausel ist gerade bezüglich ihres Inhalts nicht unstreitig.1091 Die Streitigkeiten drehen sich u. a. darum, ob Neuverhandlungsklauseln überhaupt Pflichten enthalten, sei es zur Verhandlung, sei es zur Anpassung1092, ob lediglich über die Anpassung zu verhandeln ist, oder ob neben einer Verhandlungspflicht ggf. auch eine Anpassungs- oder Zustimmungspflicht (mit) umfasst ist.1093 Abgesehen davon, dass in erster Linie die konkrete Vertragsgestaltung maßgeblich ist,1094 soll zunächst von Folgendem ausgegangen werden: Da es um die 1087
Es geht an dieser Stelle zunächst um „relationale Elemente“, die der Vertragsgestalter in eine juristische Form umsetzen will. 1088 Hier taucht letztlich das soeben bezeichnete bindende Element auf. 1089 Möglichst unter Einfluss weiterer relationaler Aspekte. 1090 Siehe zu relationalen Verträgen und Anpassungsklauseln auch Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 108, unter Hinweis u. a. auf Macneil, Northwestern University Law Review 72 (1977/78), 854, 886 ff. 1091 Dazu etwa Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 31 f.; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 65 ff. Zur besonderen Problematik der Neuverhandlungsklauseln zur Preisänderung Kamanabrou, S. 37 ff. 1092 Dabei ist der Begriff der Anpassung bereits nicht unproblematisch, da Neuverhandlungsklauseln auch eingesetzt werden, um eine erstmalige Festsetzung bestimmter Vertragsbedingungen vorzunehmen, siehe etwa Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 32. 1093 Den Streit in der Kürze anreißend Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 31 f. m. w. N. 1094 Vgl. Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 605.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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juristische Stabilisierung der eingangs aufgezeigten Schritte insbesondere in Bezug auf Flexibilisierung, Beziehungserhalt, Planung, aber auch um die Schaffung eines Konsenses geht, ist von vertraglichen Neuverhandlungsklauseln als Anpassungsklauseln1095 auszugehen. Damit soll, gerade unter Hinweis auf die Flexibilität, keine Vorwegnahme in Bezug auf irgendwelche Inhalte und Pflichten gemacht werden.1096 Festgehalten wird zunächst „nur“, dass der Klausel jedenfalls die Elemente von Verhandlung und Anpassung innewohnen. Fragen zum Inhalt der Pflichten, die Pflichtentrennung, ihre Maßgeblichkeit bedürfen (noch) gesonderter Untersuchung. Ein Beispiel für eine solche Neuverhandlungsklausel könnte wie folgt lauten:1097 „Falls sich die bei Vertragsschluss maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse so grundlegend verändern, dass einer der Vertragsparteien das Festhalten an den Bestimmungen schlechthin nicht mehr zugemutet werden kann, sind die betreffenden Vertragsbestimmungen der anderen Seite zu benennen, ist über sie zu verhandeln und sind sie schließlich den geänderten Verhältnissen im Rahmen des Zumutbaren unter Wahrung der beiderseitigen Interessen anzupassen.“1098
Die Klausel zeichnet sich zum einen durch eine Weite des Tatbestands mit den dazugehörigen Vor- und Nachteilen aus. Auf ihrer Rechtsfolgenseite berücksichtigt sie gerade die Verhandlung/Planung sowie die Anpassung, eröffnet also ein Eingehen auf die individuelle Beziehung und Entwicklung. Da sie keine Regelung für den Fall mangelnder Einigung trifft, gehört sie zu der Gruppe so genannter einfacher Neuverhandlungsklauseln1099. Idealiter ist die Folge einer solchen Regelung, dass die Parteien sich ihrer (beiderseitigen) Interessen bewusst sind, bzw. werden, sie ihre Beziehung im Gleichklang erhalten, aufgrund eines verantwortungsbewussten Umgangs mit ihren Positionen eine gemeinsame Lösung finden wollen.1100 Sollten sich Parteien so verhalten, kann man die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Regelung dann aber ohnehin in 1095 Wortwahl nach Martinek, AcP 198 (1998), 329, 344. Es geht hier somit nicht primär um die durch BGHZ 191, 139, 146 f., 149 aufgeworfene Problematik um die Verhandlungspflicht nach § 313 BGB. 1096 Zur Offenheit siehe auch Martinek, AcP 198 (1998), 329, 345, Fn. 63. 1097 Beispiel in Anlehnung an Lettl, JuS 2001, 347, 348. 1098 Siehe auch Salje, NZG 1998, 361, 363, der für den Fall, in dem ein Gesellschaftsvertrag eine unmittelbare „Anpassung im Sinne eines vernünftigen und billigen Interessenausgleichs“ vorsieht, eine primäre Anpassungs- und nicht nur eine Verhandlungspflicht annimmt. In der Situation könnten auch die Regeln über Vorverträge auf Wirtschaftsklauseln angewendet werden. Bezeichnend ist hier die Ähnlichkeit zu den Überlegungen des BGH zu § 313 BGB (BGHZ 191, 139, 146 f.), der bezüglich der praktischen Durchsetzbarkeit eines Anspruchs auf Verhandlungen auf die Entscheidung des BGH (NJW 2006, 2843, 2845) zum Vorvertrag Bezug nimmt. 1099 Zur Bestimmung der Begrifflichkeit u. a. Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 32. Vgl. auch wieder die Ausführungen bei Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 380, zur „Sprechklausel“ als „zahnlose Form der Neuverhandlungsklausel“; erneut ist der Verweis (Fn. 1) u. a. auf Roth, FS für Krejci, S. 1251, 1256, zu beachten. 1100 Vgl. dazu auch Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11.
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Frage stellen, mit anderen Worten dürfte dies in vielen Fällen1101 eher realitätsfern sein.1102 Es geht somit wieder und vor allem auf der Rechtsfolgenseite um die Suche nach einer Stabilisierung, insbesondere mit Hilfe des staatlichen Rechtssystems und seinen Möglichkeiten.1103 (b) Verhandlung und Anpassung sowie eine mögliche juristische Absicherung Vereinfacht ausgedrückt kann man die Frage stellen, ob, ggf. wann Rechtspflichten bezüglich einer Verhandlung und/oder der Anpassung überhaupt möglich sind.1104 Es geht auch dort nicht zuletzt um eine sanktionelle Ausrichtung mit den Mitteln des staatlichen Rechts, das heißt vor allem der Zwangsvollstreckung, aber etwa ebenso um die Begründung von Schadensersatzpflichten. Davon zu trennen ist die Einschätzung, wie zielführend ein solches Vorgehen sein kann. (aa) Verhandlungspflicht (aaa) Einführung Im ersten Schritt geht es um die Verhandlung, die idealiter in eine Anpassung mündet. Die Problematik, ob/wie eine Verhandlungspflicht als juristische Vertragspflicht1105 begründbar ist,1106 ist vielschichtig.1107 Das betrifft zunächst über1101 In eine andere Richtung könnte die Darstellung einzelner empirischer Erhebungen bei Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, deuten. Diese betreffen jedoch sehr spezielle wirtschaftliche Bereiche, z. B. die Bergausrüstungs- und Küchenmöbelindustrie. Zudem räumt Schuhmann selbst ein, die tatsächliche Bedeutung des Vertrages für die Wirtschaftspraxis sei nicht abschließend geklärt. 1102 Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 9, stellt einerseits heraus, bei Projektverträgen spiele die rechtliche Erzwingbarkeit eine untergeordnete Rolle, wesentlich bedeutsamer sei ihre Eignung zur Steuerung der Transaktion. An anderer Stelle (S. 10) führt er aber aus, die deutsche Projektpraxis sei von Misstrauen geprägt. Das Relational Contracting habe sich nicht durchsetzen können. Die Vertragsgestaltung sei insgesamt u. a. davon gekennzeichnet, dass eine misstrauische Einstellung vorherrsche und (S. 11) ein „wasserdichter Vertrag“ nach klassischem Vorbild angestrebt und eine Absicherung auch nach Innen bezweckt werde. Nur bei sehr bedeutsamen und außergewöhnlichen Projekten würden von traditionellen Vorstellungen abweichende Vertragsmodelle eingesetzt. 1103 Zu dem Stichwort siehe wiederum Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 181. 1104 Interessant ist insoweit wieder die Entscheidung des BGH (Z 191, 139 ff.), allerdings in Bezug auf § 313 Abs. 1 und 2 BGB. Jedoch gilt es hinsichtlich einer der Anwendung des § 313 BGB vorgehenden vertraglichen Regelung den dort angelegten Besonderheiten (vorrangig) Aufmerksamkeit für eine etwaige Pflichtenbegründung zu schenken. 1105 Gerade Martinek, AcP 198 (1998), 329, 335 ff., trennt zwischen Pflicht und Obliegenheit. Siehe dazu auch Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 9; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11. Der BGH (Z 191, 139, 146 f., 149) sieht, allerdings im Zusammenhang mit § 313 BGB, in der Verweigerung der Verhandlung eine Verletzung der Mitwirkungs-/Verhandlungspflichten. Indem der BGH die Eröffnung einer Verzugsbegründung durch die Verletzung dieser Pflichten als möglich ansieht, ist die „Verhandlungspflicht“ dort mehr als eine Obliegenheit. Angesichts dessen, dass der BGH bezüglich der Verhandlungs-/Mitwirkungspflicht bei § 313 BGB keine
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haupt die Benennung der Pflicht1108 als solche. Im obigen Beispiel der Neuverhandlungsklausel wurde ausdrücklich die „Verhandlung“ als Teil der Rechtsfolgenseite bezeichnet. Allerdings werden Neuverhandlungsklauseln mit dem entsprechenden Verhandlungselement auch dann bejaht, wenn die „Neuverhandlungen“ nicht expressis verbis genannt werden, sofern aber aus dem Kontext deutlich wird, dass die Anpassung auf einem gemeinsamen Prozess beider Parteien beruht.1109 Es kommt also der Gedanke des Zusammenwirkens der Parteien zum Tragen,1110 damit auch die Vorstellung, zwei Personen seien von einer solchen Pflicht betroffen,1111 wenn auch durchaus vorstellbar ist, dass eine Neuverhandlungspflicht als einseitige bestehen soll, etwa indem eine Seite ein angetragenes Angebot nur anzunehmen oder abzulehnen braucht, ohne in eine weitere Verhandlung zu treten.1112 Da es in unserem Kontext unter Anlehnung an die relationale Achse Macneils um eine beziehungsgetragene Weiterentwicklung gehen soll, ist die Neuverhandlung und damit eine etwaige Pflicht der Parteien als zweiseitige Verhandlungspflicht zu verstehen,1113 wobei dann im Zweifel auf eine entsprechende Formulierung im Vertrag zu achten ist (z. B. „jeweilige“ Verhandlungspflicht).
separate Möglichkeit zur gerichtlichen Durchsetzung annimmt, die gerichtliche Geltendmachung vielmehr durch die Geltendmachung des Anspruchs auf Anpassung zu erfolgen hat (BGHZ 191, 139, 149; dazu PWW/Stürner, BGB, § 313, Rn. 22; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 286, spricht von „eine(r) ausnahmsweise nicht isoliert einklagbare(n) Nebenleistungspflicht)“, stellt sich die Frage, ob dies nicht gegen die Bejahung eines Verzugs sprechen könnte. So wird die Möglichkeit des Verzugs bei Unklagbarkeit abgelehnt (Erman/ Hager, BGB, § 286, Rn. 19, dies gerade auch als separaten Topos neben den Naturalobligationen anführend). Indem der BGH (S. 149) jedoch den Anspruch auf Anpassung und die Verpflichtung zur Mitwirkung als zwei Seiten desselben Rechts sieht und daran anknüpfend eine Durchsetzung (auch) der Verhandlung/Mitwirkung möglich ist, stellt sich, so man dem BGH folgt, die Problematik nicht. In Auseinandersetzung mit den Ausführungen des BGH präferieren gleichwohl verschiedene Stimmen in der Literatur weiterhin, die Neuverhandlung im Kontext mit § 313 BGB als Obliegenheit einzustufen, siehe etwa Looschelders, JA 2012, 704, 705; Teichmann, JZ 2012, 421, 423. 1106 Die anschließenden Überlegungen gelten im Wesentlichen auch für die zuvor bereits angesprochene Kommunikationsklausel. 1107 Der Umstand, dass die Rechtsprechung über § 313 BGB eine Verhandlungspflicht als „echte“ Pflicht ausmacht, ändert nichts daran, dass der Gestalter bei dem vertraglichen Vorgehen darauf achten muss, ggf. gerade vertragliche Pflichten zu begründen. 1108 Als Anknüpfungspunkt für einen entsprechenden Verpflichtungswillen. 1109 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 67, unter Bezugnahme auf eine Klausel aus BGH WM 1973, 464. Siehe auch Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 27. 1110 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 67. 1111 Den Gedanken aufgreifend Martinek, AcP 198 (1998), 329, 337. 1112 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 337. Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11, unterscheidet nach dem jeweiligen Adressaten der Pflicht. 1113 Zur zweiseitigen Pflicht u. a. Martinek, AcP 198 (1998), 329, 337 f.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Kann auch eine Verhandlungspflicht als solche benannt werden,1114 bleibt aber die Schwierigkeit, sie mit einem entsprechenden Inhalt zu füllen und zu klären, ob dieser dann zur (durchsetzbaren) juristischen Pflicht erhoben werden soll/kann, an die sich möglicherweise „Sanktionen“ (z. B. die Vollstreckung) anschließen. Die notwendigen Betrachtungen sind zunächst auf eine mögliche Verhandlungspflicht zu begrenzen, die insoweit von einer Anpassungspflicht zu trennen ist,1115 auch wenn sich die Elemente „Verhandlung“ und „Anpassung“ in einer Neuverhandlungsklausel vereinen. (bbb) Inhalt einer Verhandlungspflicht ohne ausdrückliche inhaltliche Regelung Bezüglich des Inhalts einer Verhandlungspflicht wäre es aus anwaltlicher Sicht das „Einfachste“ diesen im Vertrag zu fixieren.1116 Wie und in welchem Umfang das geschehen kann/sollte, ergibt sich allerdings am ehesten, wenn man sich die „Inhaltssuche“ bezüglich einer etwaigen Verhandlungspflicht vergegenwärtigt, die erfolgt, wenn diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung erfolgt ist. Was ist in dem Fall eine (Neu-)Verhandlung? Nelle1117 greift weit, indem er eine Neuverhandlung als „jede Kommunikation zwischen den Parteien eines bestehenden Vertrags, die auf eine einvernehmliche Anpassung, Ergänzung oder Abänderung des Vertrages abzielt“ bezeichnet. Anknüpfend an den oben geäußerten Gedanken des Zusammenwirkens der Parteien könnte man dies auch als ein Kernelement der Verhandlung im diesem Zusammenhang bezeichnen. Weitere Ansätze, was nun Pflicht sein soll/kann, finden sich mit unterschiedlichen Akzenten. Als etwaiger Inhalt einer Verhandlungspflicht werden u. a. genannt: die Pflicht, sich überhaupt auf die Verhandlungen einzulassen;1118 die Verhandlungen aufgrund des Gebots des fairen Verhaltens
1114 Notwendig ist damit zunächst in jedem Fall, dass sich der vertraglichen Vereinbarung der Parteien überhaupt ein Verpflichtungswille zu einer Verhandlung entnehmen lässt. 1115 Deutlich zur Trennung Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11; siehe auch Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 33. Horn, AcP 181 (1981), 255, 283, trennt innerhalb der Neuverhandlungspflicht die Elemente der Abgabe einer Willenserklärung zur Vertragsanpassung und die Teilnahme an einem vorangehenden Verhandlungsprozess (Neuverhandlungspflicht im engeren Sinn). Er spricht insofern auch von einer vorbereitenden Verhandlungspflicht. Der BGH (Z 191, 139, 149) sieht, allerdings bei § 313 BGB, die Pflicht zur Verhandlung/Mitwirkung an der Vertragsanpassung als korrespondierend mit der auf Vertragsanpassung an. Dazu auch Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 273. Vor allem gestalterisch kann und sollte demgegenüber eine Trennung sehr wohl angezeigt sein. 1116 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 33, weist darauf hin, Klauseln mit konkreten Verhandlungspflichten seinen zwar denkbar, aber in der Praxis nicht gebräuchlich und würden auch in der Literatur nicht behandelt. 1117 Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11. 1118 Horn, AcP 181 (1981), 255, 284; ferner Baur, Vertragliche Anpassungsregelungen, S. 119 f.; Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 137.
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(§§ 157, 242 BGB) fair und damit ernsthaft zu führen;1119 notwendige Informationen zu geben, eigene Angebote zu machen, solche der Gegenseite ernsthaft zu prüfen;1120 die Verhandlungen nicht treuwidrig zu verzögern oder zum Scheitern zu bringen; u. U. sogar die Pflicht, einen Schiedsgutachter heranzuziehen.1121 Es geht wohlgemerkt bisher nur darum, was Inhalt einer Verhandlungspflicht sein kann, eine ausdrückliche Regelung durch die Parteien jedoch nicht stattgefunden hat. Martinek1122 spricht in Bezug auf letzteres von einer „unbestimmten“ einfachen Neuverhandlungspflicht. Sollen aus dieser irgendwelche juristischen (Leistungs-) Pflichten folgen, so muss eine hinreichende Bestimmtheit1123 vorliegen. Da diese jedoch eben nicht in einer entsprechenden (ausdrücklichen) vertraglichen Bestimmung selbst liegt, müsste der Weg der Auslegung beschritten werden.1124 Ein solcher Weg ist, vorsichtig ausgedrückt, problematisch, vor allem wenn es um eine anwaltliche Einschätzung im Vorfeld geht, von der Tauglichkeit des Vertrags als Verhaltensleitfaden ganz zu schweigen. Was ist etwa unter einer ernsthaften Verhandlung zu verstehen?1125 Welche Informationspflichten bestehen genau? Hier kann u. a. durchaus eine gegenläufige Interessenlage der Parteien bestehen, die hinsichtlich des Umfangs an Informationsweitergabe auch innerhalb der Verhandlungen zu berücksichtigen ist. Oder es stellt sich das Problem, von welcher Inhaltsqualität die jeweiligen Angebote sein sollen. Auch wenn es mittels der aufgezeigten Vorschläge nicht ausgeschlossen ist, im Wege der (Vertrags-)Auslegung Lösungen zu finden, was Inhalt der (Neu-)Verhandlungspflicht ist, so ist dies im Einzelfall doch vielfach schwierig. So gibt es zahlreiche Stimmen, die Klauseln, die nur allgemein Neuverhandlungen vorsehen, 1119 Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 27; ferner Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 137; Horn, AcP 181 (1981), 255, 284. 1120 Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 283, gerade aber mit Blick auf § 313 BGB. 1121 Zum Vorstehenden Horn, AcP 181 (1981), 255, 284; siehe auch Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 137, die u. a. auch noch die Heranziehung eines Schlichters anführt. Siehe zudem Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 283, wiederum aber mit Blick auf den § 313 BGB. 1122 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 353. 1123 Dazu etwa Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 33; Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 31; auf die Problematik zumindest ebenfalls hinweisend Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 138. Vgl. ferner Horn, AcP 181 (1981), 255, 283. Auf die Problematik, allerdings in Bezug auf § 313 BGB und einer dort verankerten Verhandlungspflicht, ebenfalls eingehend, Teichmann, JZ 2012, 421, 424. 1124 Siehe auch Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 26. 1125 Darauf hinweisend, unabhängig von der Auslegungsproblematik, Bartels, Revisionsund hardship-Klauseln in internationalen Verträgen über Rohstofferschließung, S. 118. Bartels führt als Beispiel an, dass problematisch ist, ob etwa die Entsendung eines Bevollmächtigten ausreicht.
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mangels hinreichender Bestimmtheit die Fähigkeit zur Begründung von Primär- oder Sekundäransprüchen absprechen.1126 Allerdings ergibt sich, gerade aus anwaltlicher Sicht, die Problematik, ob angesichts der jüngeren Rechtsprechung zu § 313 BGB1127 nicht eine besondere Weiterung der Sichtweise geboten ist. Beim Eingreifen der Voraussetzungen von § 313 Abs. 1 bzw. 2 BGB hat der BGH eine Mitwirkungs-/Verhandlungspflicht der Vertragsparteien als Pflicht angenommen,1128 bei deren Verletzung ein Sekundäranspruch nach §§ 280, 286 BGB sich anschließen konnte1129. Eine solche Pflicht wird bejaht, obwohl (inhaltlich) die Verhandlungspflicht auch innerhalb des § 313 BGB präzisionsbedürftig ist.1130 Bezüglich des Umgangs mit Neuverhandlungsklauseln durch einen Vertragsgestalter ist jedoch ein differenzierender Umgang mit dieser Rechtsprechung angezeigt. Zunächst entbindet eine aus der gesetzlichen Regelung des § 313 BGB folgende Verhandlungspflicht die Parteien eines Vertrags grundsätzlich nicht davon, ihre vertraglichen Pflichten selbst hinreichend bestimmt zu vereinbaren; das gilt auch für die (etwaig gewünschte) vertragliche Verhandlungspflicht, die eine solche aus § 313 BGB gerade verdrängt. Will man im Weiteren, weil etwa eine explizite inhaltliche Ausformung hinsichtlich der Verhandlungspflichten im Vertrag selbst durch die Parteien nicht erfolgt ist, zur inhaltlichen Bestimmung eben von vertraglichen Verhandlungspflichten auf einen etwaigen zu § 313 BGB entwickelten Pflichtenkanon zugreifen, so erfordert dies Verschiedenes:
1126 Siehe dazu die Ausführungen bei Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 33; Martinek, AcP 1998 (198), 329, 353, lehnt den Weg über eine Vollstreckung nach § 888 ZPO ab, bejaht allenfalls die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen, nennt solche Klauseln aber wenig praktikabel und justiziabel. Horn, AcP 181 (1981), 255, 284, weist darauf hin, Konkretisierungen seien nur kasuistisch zu gewinnen. Fecht, Neuverhandlungspflichten zu Vertragsänderung, S. 138, sieht die Problematik, stuft sie offenbar aber nicht als so schwerwiegend ein. 1127 BGHZ 191, 139 ff. 1128 BGHZ 191, 139, 146 f., 149; siehe auch Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 286 (Nebenleistungspflicht); Teichmann, JZ 2012, 421, 424, argumentiert, innerhalb seiner Analyse der Entscheidung mit der Annahme einer leistungsbegleitenden Nebenpflicht. 1129 BGHZ 191, 193, 148 f.; siehe auch Lüttringhaus zum Vorliegen einer Nebenleistungspflicht. 1130 Im vom BGH entschiedenen Fall hatte der Beklagte gar nichts getan, vgl. BGHZ 191, 139, 140. Vgl. dazu, dass jedenfalls ostentatives Verweigern einer Verhandlung den Weg zu § 286 BGB bereiten kann, Teichmann, JZ 2012, 421, 424. Teichmann, a. a. O., weist aber auch auf die grundsätzliche Präzisionsproblematik hin. Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 282 f., entwickelt demgegenüber in Bezug auf § 313 BGB einen Mindestumfang der Mitwirkungs-/ Verhandlungspflicht.
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Zunächst muss der vertraglichen Vereinbarung, ggf. im Auslegungsweg,1131 zu entnehmen sein, dass ein Rückgriff auf solch einen Pflichtenkanon eröffnet sein soll. Dies kann u. a. maßgeblich davon abhängen, ob die danach zu erbringenden Anstrengungen innerhalb einer Verhandlung hoch oder niedrig anzusetzen sind. Sofern die Parteien vertraglich eine Verhandlungspflicht begründen und zum Ausdruck bringen möchten, einen Beitrag leisten zu wollen, den Vertrag (unter veränderten Bedingungen) erhalten zu wollen, wird im Zweifel der Umfang für die Verhandlungsanstrengungen hoch sein. Sollte sich also sich in Bezug auf eine aus § 313 BGB folgende Verhandlungspflicht ein konkretisierter/konkretisierbarer Pflichtenkatalog finden, kann dessen Übernahme als Vertragspflicht mittels einer Vertragsauslegung1132 daher durchaus zum Tragen kommen. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Voraussetzungen, wann es überhaupt zu einer Verhandlungspflicht nach § 313 BGB kommen kann, sehr hoch sind. Wenn also bei der Überschreitung dieser Schwelle bestimmte Verhandlungspflichten angenommen werden, spricht vieles dafür, dass die Parteien (zumindest) entsprechende Bemühungen auch gegenseitig erwarten, wenn sie sich vertraglich1133 zu einer Verhandlungspflicht entscheiden.1134 Eine solche Form von Einbeziehung etwaiger zu § 313 BGB entwickelter (inhaltlicher) Verhandlungspflichten ist aber nur vorstellbar, wenn die entsprechenden Pflichten, insbesondere im Wege der Kasuistik, zumindest jedoch durch gesicherte Literaturauffassungen, konkretisiert sind.1135 Sofern sich aber zu § 313 BGB selbst keine bestimmten Verhandlungspflichten herausgebildet haben,1136 kommt ein Rückgriff auf die Erkenntnisse zum § 313 BGB im (Vertrags-)Auslegungsweg zur inhaltlichen Konkretisierung der vertraglichen (Neu-)Verhandlungspflichten nicht in Betracht. Die nichtsdestotrotz gleichwohl grundsätzlich noch notwendigen Einzelfallbetrachtungen müssen/können dann wiederum unmittelbar im Vertragsauslegungsweg 1131 Zur Schaffung von hinreichender Bestimmtheit einer vertraglichen Regelung im Auslegungsweg BGH NJW-RR 2009, 637, 638. 1132 Denkbar ist hier jedenfalls eine ergänzende Vertragsauslegung zur Schaffung hinreichender Bestimmtheit der Verhandlungspflichten. Abgestellt werden kann dabei darauf, ob sich aus den Umständen hinreichend eindeutig ergibt, welche Verhandlungspflichten die Parteien unter Berücksichtigung des Gebots von Treu und Glauben vereinbart hätten. Zur ergänzenden Vertragsauslegung gerade bei weit gefassten Klauseln unter Bezugnahme auf die soeben genannten Aspekte BGH NJW-RR 2009, 637, 638. 1133 Also vielfach unter wesentlichen geringen Voraussetzungen als beim Eingreifen von § 313 BGB. 1134 Es ist allerdings, ggf. im Auslegungsweg, jeweils zu ermitteln, ob tatsächlich die Begründung einer rechtlichen Pflicht gewollt war. 1135 Wenig hilfreich Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 282 f., der einen Pflichtenmindestumfang anhand verschiedener Literaturauffassungen vornimmt. 1136 Siehe auch nochmals Teichmann, JZ 2012, 421, 424, zur Präzisionsproblematik bei § 313 BGB; außerdem Bielefeld, Anpassung von Verträgen, S. 36 („diffuse Mitwirkungspflicht“).
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(§§ 133, 157 BGB) bewältigt werden, mit allen dort auftretenden Schwierigkeiten.1137 Keinesfalls aber darf aufgrund der Rechtsprechung des BGH zu § 313 BGB das Bestimmtheitserfordernis bezüglich des Inhalts der vertraglichen Verhandlungspflichten aufgegeben werden. Allerdings sollte nicht zuletzt die Rechtsprechung des BGH zu § 313 BGB den Anwalt unter dem Gesichtspunkt des Erfordernisses des sichersten Wegs dazu veranlassen, präziser bezüglich des vertraglichen Inhalts der Verhandlungserfordernisse vorzugehen.1138 Das gilt gerade und vor allem im Kontext mit einer Auseinandersetzung um die relationale Bedeutung des Vertrags. So muss sich aus gestalterischer Sicht die Frage stellen, ob und von welchem Vorteil es hinsichtlich der bereits verschiedentlich angesprochenen Stabilisierung und Planungssicherheit ist, gerade eine ausdrückliche Aufnahme entsprechender (Verhandlungs-)Pflichten in den Vertrag aufzunehmen1139 bzw. einen Pflichtenstatus ausdrücklich auszunehmen. Bestimmte Leistungen können auch grundsätzlich in Pflichten begründender Weise1140 in den Vertrag aufgenommen werden. Der Bestimmtheit muss dann aber auch weiterhin besondere Aufmerksamkeit zukommen. Denn es geht gerade um die Schaffung bestimmter Pflichten, die im Besonderen solche (Verhandlungs-)Leistungspflichten auslösen können, die dann ggf. im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzt werden können. Denn sieht man die juristische Stabilisierung der „relationalen Elemente“ im Kontext mit der Verhandlung jedenfalls auch unter Berücksichtigung einer möglichen Sanktion, so muss der Blick sich zwangsläufig ebenfalls wieder auf die staatlichen „Gewaltangebote“ richten. (ccc) Schaffung eines titeltauglichen Inhalts Geht es nun auf der Rechtsfolgenseite um die Verhandlungspflichten, so sollten diese, wenn gewollt, als solche im Vertrag bezeichnet werden. Im Weiteren muss dann Berücksichtigung finden, wie präzise sie zu fassen sind. Bezüglich der Präzision geht es zum einen darum, die notwendige Bestimmtheit hinsichtlich der schuldrechtlichen Pflichten zu schaffen. Mit der (inhaltlichen) Präzision eng verbunden ist wiederum die etwaige Titeltauglichkeit der Vertragspflicht. Nur hinreichend bestimmte Pflichten können im Wege der Leistungsklage eingeklagt und im
1137
Vgl. etwa Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 26 ff. 1138 Unabhängig davon können Neuverhandlungsklauseln, selbst bei inhaltlicher Unbestimmtheit, nach wie vor einen psychologischen Effekt haben, siehe Martinek, AcP 198 (1998), 329, 353. 1139 Das als für die Praxis nicht gebräuchlich ansehend Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 33. 1140 Auf die Möglichkeit echter Leistungspflichten u. a. schon hinweisend Lettl, JuS 2001, 456, 457; Martinek, AcP 198 (1998), 329, 341.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Anschluss ggf. vollstreckt werden.1141 Ein davon zu trennender Problemkreis ist, ob nicht möglicherweise aus anderen Gründen gleichwohl eine Vollstreckung einer solchen Pflicht ausgeschlossen ist. Zur „Titeltauglichkeit“ reicht es z. B. nicht aus, im Vertrag anzuführen, dass die Parteien an der Anpassung mitzuwirken oder über die Gegenstände des Vertrags zu verhandeln oder in einen wechselseitigen Austausch zu treten haben. Hier zeigt sich die Schwierigkeit um die (mangelnde) Bestimmtheit der vertraglichen Einigung zur Begründung von (Leistungs-)Pflichten. Das kann gerade vollstreckungsrechtlich noch untermauert werden. Die im Vertrag aufgenommenen Pflichten müssen fassbarer gemacht werden, damit sie inhaltlich hinreichend präzise sind und der Zwangsvollstreckung letztlich zugänglich sein können. Gestalterisch durchaus umsetzbar ist das Vorgehen von Martinek, der einfache1142 (Neu-)Verhandlungspflichten in formale und materielle unterteilt.1143 Formale Neuverhandlungspflichten umfassen etwa das Einhalten von Zeitplänen, das Erscheinen an bestimmten Verhandlungsorten, u. U. die Benennung eines Dritten als Moderator oder die Beachtung bestimmter Verfahrensregeln.1144 Materielle Verhandlungspflichten umfassen z. B. die Erteilung von Auskünften, die Formulierung von (verbindlichen) Anpassungsvorschlägen, ggf. eine entsprechende Stellungnahme zu konkreten Vorschlägen.1145 Prinzipiell sollten solche formalen und materiellen Verhandlungspflichten getrennt und selbständig betrachtet werden. Das gilt in Bezug auf den Inhalt, die Frage der Durchsetzungsmöglichkeit sowie der Frage ihrer Nutzbarmachung in der Vertragsgestaltung. (ddd) Formale Neuverhandlungspflicht Inhaltlich kann die formale Neuverhandlungspflicht durchaus präzise in den Vertrag aufgenommen werden (z. B. genaue Treffpunkte, Uhrzeiten, aber auch bestimmte Verfahrensvorgaben). (Allein) die formale Verhandlungspflicht kommt 1141 Davon zu trennen ist die Frage, ob bei mangelnder Kooperation zur Verhandlung nicht ohnehin ggf. direkt die Anpassung verlangt werden kann. Grundsätzlich zu Ansprüchen auf Vertragsanpassung Loyal, AcP 214 (2014), 746 ff. Der BGH (Z 191, 139, 149) trat im Zusammenhang mit dem Bestehen einer Verhandlungspflicht aus § 313 BGB dem Einwand von Teilen der Literatur, eine Verhandlungspflicht könne nicht vollstreckt werden und sei deshalb abzulehnen, entgegen. Durchgesetzt werden könne die Mitwirkungspflicht durch die Geltendmachung des Anpassungsanspruchs. Gerade in Bezug auf vertraglich vereinbarte Klauseln bleibt aber zunächst die Frage nach der Bedeutung eines etwaigen eigenständigen (durchsetzbaren) Anspruchs auf Verhandlung. 1142 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 340, meint damit ausdrücklich solche ohne Einigungsoder Zustimmungspflicht, so dass seine Überlegungen für den Bereich, der sich allein auf die Verhandlungspflichten konzentriert, nutzbar gemacht werden können. 1143 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 340. 1144 Beispiele in Anlehnung an Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 262. 1145 Beispiele in Anlehnung an Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 263; siehe auch S. 264 und seine Ausführungen zu einem Aufbau als bewegliches System.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
zudem noch den oben beschriebenen relationalen Elementen weiterhin sehr nahe. Der durch sie abgesteckte Verfahrensrahmen kann nach wie vor viel Freiheit lassen, Flexibilität bleibt möglich, ebenso wie individuelle Lösungen. Sieht man die formale Verhandlungspflicht als selbständigen Pflichteninhalt, ist sie weiterhin grundsätzlich losgelöst von einer (bestimmten) Einigung, also auch insofern „frei“. Gleichwohl kann sie als „echte“ präzisierte Vertragspflicht bei ihrer Verletzung ggf. Schadensersatzansprüche (u. a. aus § 280 Abs. 1 BGB) begründen. Denkbar ist außerdem, eine Verletzung dieser Pflicht als Voraussetzung für ein weiteres Vorgehen zu installieren, etwa als Voraussetzung für die Erhebung einer Klage.1146 Neben möglichen Schadensersatzansprüchen rückt allerdings erneut die Problematik in den Vordergrund, die bei der Frage nach der Stabilisierung durch Recht immer wieder aufgeworfen werden muss, die Frage nach der Zwangsvollstreckung bezüglich eines Erfüllungsanspruchs auf Verhandlung. Dabei muss ein weiteres Mal unterschieden werden zwischen der rechtlichen Machbarkeit einerseits und der Sinnhaftigkeit andererseits. Hinsichtlich des letzten Aspekts ist es sicherlich äußerst fraglich, wie zielführend es ist, jemanden z. B. zum Gespräch an sich unter Einsatz der Mittel der Zwangsvollstreckung zu zwingen.1147 Im Grunde zeigt sich, dass an einem solchen Punkt ein Konflikt besteht zwischen angestrebter gemeinsamer Planung und der Hoffnung nach einer staatlichen Flankierung dieses Prozesses. Mitunter muss man akzeptieren, dass staatliche Mittel und eigene Interessen u. U. auf diese Art und Weise nicht zur Deckung gebracht werden können. Die angesprochene Sinnlosigkeit ist es auch, die möglicherweise einen Grund dafür bildet, die Möglichkeit der Herbeiführung staatlichen Zwangs als solchen zu verneinen. Hier ergibt sich zwar zunächst kein Problem der Bestimmtheit, die (auch) für eine etwaige spätere Zwangsvollstreckung notwendig ist („titeltauglicher Inhalt“). Sind insbesondere konkrete (formale) Verhandlungspflichten vereinbart, könnte Leistungsklage erhoben werden, etwa mit dem Antrag „(…) den Beklagten zu verurteilen, an Neuverhandlungen teilzunehmen in Form von (genaue Bezeichnung, z. B. bezüglich des Einfindens an einem bestimmten Ort) (…)“. Hier spräche an sich auch nichts gegen eine anschließende Vollstreckung nach § 888 ZPO. Die Klageerhebung bzw. die nachfolgende Vollstreckung konkreter (formaler) Verhandlungspflichten darf jedoch nicht losgelöst von den mit diesen Pflichten verfolgten Zielen gesehen werden. Ist Sinn und Zweck der (formalen) Verhandlungspflichten, eine Einigung1148 herbeizuführen, wobei einklagbar und ggf. voll1146 Siehe zu dem Topos, allerdings im Zusammenhang mit Mediationsvereinbarungen, Eidenmülller/Wagner/Wagner, Mediationsrecht, Kap. 2, Rn. 82. 1147 Siehe dazu etwa Lettl, JuS 2001, 456, 457; Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 31. 1148 Das gilt zunächst für die hier beschriebene Situation, in der eine etwaige Zustimmung/ Anpassung gar nicht als Pflicht statuiert ist; selbst materiale Verhandlungspflichten werden hier zunächst nicht angenommen.
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streckbar (druckbewährt) nur die formalen Ansprüche wären, so ergibt sich die Schwierigkeit, ob für eine Klage bzw. die nachfolgende Zwangsvollstreckung überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.1149 Zuvor wurde bereits die mangelnde Sinnhaftigkeit einer irgendwie gearteten Verhandlung unter Zwang aufgezeigt. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns, so dass der Verfahrensaufwand, sowohl im Erkenntnis- wie im Zwangsvollstreckungsverfahren in der Regel nicht gerechtfertigt ist.1150 Aus dem Grund dürfte in den meisten Fällen schon für eine entsprechende Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.1151 Eigene Bedeutung für das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses in der Zwangsvollstreckung kann dann von Relevanz sein, wenn der Titel außergerichtlich geschaffen worden ist, z. B. nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (notarielle Schuldurkunde). (eee) Materielle Neuverhandlungspflicht Möglicherweise kann sich eine andere Beurteilung, gerade mit Blick auf die Zwangsvollstreckung, ergeben, wenn zu den formalen Verhandlungspflichten materielle Verhandlungspflichten1152 hinzukommen, z. B. zur Abgabe konkreter Angebote oder die Verpflichtung zur Abgabe einer Stellungnahme zu einem Angebot.1153 Allerdings können solche Pflichten im Verhandlungsstadium inhaltlich nicht bestimmt sein, das heißt letztlich kann nur eine Verpflichtung dahingehend eingegangen werden, überhaupt eine entsprechende Erklärung mit irgendeinem Inhalt 1149 Ausdrücklich dazu Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 309 f.; darauf verweisend etwa Martinek, AcP 198 (1998), 329, 342, die zudem den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anführen. 1150 Vgl. aber auch die Ausführungen bei Eidenmüller/Wagner/Wagner, Mediationsrecht, Kap. 2, Rn. 96 ff., allerdings zu Verhandlungspflichten im Zusammenhang mit Mediationsvereinbarungen. Wagner, Rn. 97, stellt die Möglichkeit zur Durchsetzung von Mediationsvereinbarungen mit Hilfe von Erfüllungsansprüchen als durchaus streitig dar, sieht aber ein potentielles Anwendungsfeld im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes. Allerdings, Rn. 98, bedarf es nach Wagner für ein wirksames Instrument zur Durchsetzung von Mediationsvereinbarungen nicht einer auf Erfüllung gerichteten Klage oder des einstweiligen Rechtsschutzes. Ausreichend dafür seien vielfach prozessuale Folgen, wie etwa, dass bei Verstoß gegen Verhandlungspflichten eine gerichtliche Klage (derzeit) unzulässig sei. 1151 Bejaht man unter dem Gesichtspunkt der „beziehungszerstörenden Wirkung“ bereits ein Rechtsschutzbedürfnis für eine (Leistungs-)Klage, stellt sich dann allerdings die Problematik, ob bei einer Verletzung von (hinreichend) bestimmten Verhandlungspflichten die Geltendmachung eines Verzögerungsschadens nach §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB möglich ist. In der Zeit vor der Schuldrechtsreform 2002 wurde beim Verstoß gegen die Neuverhandlungspflicht vielfach auf einen Anspruch aus pVV abgestellt; siehe etwa Horn, AcP 181 (1981), 255, 281; Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 328. 1152 Möglich ist es auch, nur materielle Verhandlungspflichten, ohne die Bestimmung (vorgeschalteter) formaler, in den Vertrag aufzunehmen. Allerdings dürfte das in den wenigsten Fällen sinnvoll sein. Die Überlegungen richten sich hier zunächst „nur“ an den materiellen Verhandlungspflichten aus, ohne Berücksichtigung von Zustimmungs-/Anpassungspflichten. 1153 Zu unterschiedlichen Intensitäten von Pflichten in dem Zusammenhang, allerdings bis zur Steigerung hin zu einer Zustimmungspflicht, die an dieser Stelle noch ausgeklammert werden soll, siehe Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 263.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
abzugeben.1154 Solche Vorschläge, zumal noch ggf. unter Zwang herbeigeführt, sind ebenfalls in der Regel wenig förderlich, so dass aus denselben Gründen wie bezüglich der formalen Verhandlungspflichten für eine Leistungsklage bzw. eine vorzunehmende Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, bzw. das Vorgehen unverhältnismäßig ist. Folglich können solche materiellen Verhandlungspflichten auch kein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis für die formalen Verhandlungspflichten (mit-)begründen. Anders könnte die Beurteilung einer materiellen Verhandlungspflicht in Form eines (bestimmten) Auskunftsanspruchs sein. Die auf dem Weg erlangten Informationen können für die „Gegenseite“ durchaus von Bedeutung sein, und dort könnte ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse bestehen. Allerdings dürfte auch in einem solchen Fall, in dem diese Pflichten zwangsweise durchgesetzt werden müssten, eine Beförderung und damit eine Rechtsschutzwürdigkeit sonstiger materieller oder gar formaler Verhandlungspflichten abzulehnen sein. Auch dann überwiegt die durch den Zwang determinierte Sinnlosigkeit. Um der Durchsetzung begehrter Auskunftsansprüche nicht selbst das Rechtsschutzbedürfnis zu nehmen, weil sie an „sinnlose“ Verhandlungen gekoppelt werden, empfiehlt es sich daher aus gestalterischer Sicht, sie als eigenständige Pflichten vertraglich zu konzipieren. (fff) Zwischenfazit Letztlich ist festzuhalten, dass der Versuch eines Rückgriffs auf einen etwaigen staatlichen Zwangs in einem Bereich, der auf gegenseitige Verhandlung/Planung und Beziehungserhaltung abstellt, also durchaus in einem „beweglichen System“1155 stattfindet, nur eingeschränkt tauglich, wenn nicht gar gänzlich untauglich ist.1156 Andererseits muss der Gestalter stets berücksichtigen, dass ohne eigene vertragliche Regelungen möglicherweise § 313 BGB mit den dort „verankerten“ (folgenbewährten) Verhandlungspflichten zur Anwendung gelangen kann.1157 (bb) Anpassungspflicht (aaa) Einführung Das Zusammenspiel von staatlichem Zwang, von den Möglichkeiten und dem Machbaren des staatlichen Rechts, von sozialen Abläufen, die das Recht begleiten soll, aber auch die damit verbundenen „Kollisionsfälle“ zeigen sich noch deutlicher in Bezug auf die Anpassungspflicht. Betrafen die Verhandlungspflichten den Weg zu 1154
Zur Problematik auch Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 310. Zur Begrifflichkeit in dem Kontext Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 264. 1156 Vgl. auch Gehle/Wronna, BauR 2007, 2 ff.; Schuhmann, ZfBR 2012, 9 ff. 1157 Die sich an die Verletzung der Verhandlungspflichten möglicherweise anschließenden Schadensersatzansprüche sieht Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 277 ff., durchaus als „Anreizsystem“ an. Schon wenn man dem entgehen will, ist jedenfalls an eigene vertragliche Regelungen zu denken. 1155
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etwaigen Änderungen, so geht es nunmehr um das „Planungsprogramm“ in seinem Kern, das heißt die inhaltliche (verbindliche) Änderung hinsichtlich der Beziehung der Betroffenen. Terminologisch finden sich unterschiedliche Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit der „Anpassungspflicht“. Teilweise wird etwa von Zustimmungspflichten gesprochen,1158 von Einigungspflicht1159 oder von qualifizierten Neuverhandlungspflichten, „die sich durch die Pflicht zur Abgabe einer auf Vertragsanpassung gerichteten Willenserklärung (Einigungs- oder Zustimmungspflicht) auszeichnen“1160. Vor allem bei der qualifizierten Neuverhandlungspflicht wird also betont, dass die Partei ggf. die „Pflicht zur Abgabe der für die Vertragsanpassung notwendigen Willenserklärung hat“1161. Gerade in Bezug auf die letztgenannte Bezeichnung ist darauf hinzuweisen, dass die Pflicht im soeben bezeichneten Sinn vor allem als Bestandteil von den so genannten Neuverhandlungsklauseln untersucht wird,1162 als deren Elemente die Verhandlung und die Anpassung ausgemacht wurden. (bbb) Fehlende ausdrückliche inhaltliche Vertragsvorgaben Da es um die verschiedenen Schritte hinsichtlich einer möglichen Lösungsfindung durch die Parteien selbst geht, sind die Überlegungen zunächst auf die so genannten einfachen Neuverhandlungsklauseln zu richten, die keine ausdrückliche Regelung der Parteien enthalten, was im Fall einer mangelnden Parteieneinigung geschehen soll.1163 Als „ideale Lösung“ könnte man nun wiederum die (freie) einvernehmliche Einigung zur Erhaltung und Förderung der weiteren Beziehung bezeichnen, die in einer konstruktiven Änderung oder Ergänzung des gemeinsamen Planungsprogramms (Vertrag) besteht. Es kann allerdings nicht grundsätzlich auf die Vernunft der Parteien gesetzt werden. Weil es zudem, vor allem aus anwaltlicher Sicht, um die juristische Stabilisierung gelebter Veränderung geht, das Planungsprogramm Pflichten beinhalten kann und soll, die juristisch durchsetzbar sein sollen, ist erneut besonderes Problembewusstsein beim Gestalter gefordert. Allerdings stellt sich die Schwierigkeit eines Umgangs mit und einer Bejahung von juristischen Pflichten im Hinblick auf die Anpassung in einer ganz anderen Qualität dar als zuvor bezüglich der Verhandlungspflichten. Die letzteren waren „Koordinationspflichten“, ein im Wesentlichen prozedurales Reagieren auf verän-
1158
Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11. Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 8; kritisch dazu Nelle, Neuverhandlungspflichten, S. 11, Fn. 55. 1160 So Martinek, AcP 198 (1998), 329, 342. 1161 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 348. 1162 Siehe dazu Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 33. 1163 Zur Begrifflichkeit Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 32. 1159
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1. Teil: Vertrag und Interessen
derte Umstände.1164 Mit einer Anpassungspflicht ist demgegenüber ein massiverer Eingriff verbunden. In dem Fall werden die (verbindlichen) inhaltlichen Vorgaben für die weitere Beziehung verändert. Das kann belastend sein. Ob der Wunsch und das Interesse bestehen, sich nach jeder (ungewöhnlichen) Veränderung einer neuen juristischen Pflicht (hinsichtlich einer Anpassung) ausgesetzt zu sehen, ist zumindest fraglich. Beispielhaft seien nur Erwägungen hinsichtlich etwaiger einmal vorgenommener Risikozuweisungen genannt. Eine Ausrichtung am Einzelfall wird unumgänglich sein. (ccc) Inhaltliche Vertragsvorgaben bezüglich des Ob Wenn man sich also der Problematik des Bestehens, oder gestalterisch genauer, der Schaffung von etwaigen Anpassungspflichten stellt, ist die erste und grundlegende Frage, ob die Parteien das überhaupt wollen.1165 Die Notwendigkeit einer entsprechenden Auseinandersetzung mit der Frage ist durchaus erforderlich1166 und bei der Fassung unterschiedlicher Klauseln zu beachten. Klärungsbedarf besteht bezüglich des Ob sowohl hinsichtlich des Willens der Parteien selbst als auch hinsichtlich des rechtlich Machbaren,1167 im Anschluss aber ebenso noch bezüglich des Wies. Bei einer gestalterischen Herangehensweise heißt das, es muss bereits im Vorfeld des (ersten) juristischen Vertrags Klarheit geschaffen werden, ob der (eigene) Mandant sich im juristischen Sinn einer vertraglichen Anpassungspflicht unterwerfen will und/oder eine solche beanspruchen möchte. Mit Blick auf die relationale/ transaktionale Achse bei Macneil bedeutet dies, schon beim (ersten) Vertragsschluss1168 muss diese Pflicht in der Regel juristisch fixiert werden.1169 In den Worten Macneils könnte man sagen, ein transaktionales Element (anfänglicher Konsens) soll die Relationalität in Form der Anpassung begründen.
1164
Siehe auch Horn, AcP 181 (1981), 255, 259, der zwischen einer prozess- oder verfahrensbezogenen Neuverhandlungspflicht und einer ergebnisbezogenen Einigungspflicht der Parteien unterscheidet. Erstere sei nur die notwendige Vorstufe und Vorbereitung der Einigungspflicht. Letztere bezeichnet Horn als Neuverhandlungspflicht im weiteren Sinn. 1165 Erneut ist darauf zu verweisen, dass der Interessen vertretende Anwalt das primär mit seiner Mandantschaft abklären muss und ggf. entsprechende Sorge zu tragen hat, Pflichten zu begründen, bzw. ihre Entstehung für den Mandanten zu verhindern. 1166 Vgl. Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 35. 1167 Vgl. etwa zur Problematik des ad hoc-Änderungsvertrags Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, S. 121 ff. 1168 Zur Vertragsanpassung trotz Vertragsbindung siehe Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 46; dort, S. 47, auch zum Konsensprinzip. Selbst wenn Dritte eine inhaltliche Änderung bestimmen, besteht jedenfalls unter den Parteien der Konsens, wenn sie sich über das Bestimmungsrecht geeinigt haben. Zudem besteht zunächst grundsätzlich ein Konsens, dass eine Änderung möglich sein soll. 1169 Anders etwa die „relationalen Wege“ über § 313 BGB.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Muss aber dem transaktionalen Element des (bestimmten) Konsenses gefolgt werden, so ergeben sich daraus die unmittelbar anzustellenden Überlegungen hinsichtlich der juristischen Umsetzung. Und diese betrifft zunächst die Klarheit und Eindeutigkeit dahingehend, ob überhaupt eine Pflicht zur Anpassung eintreten soll. So könnte überlegt werden, von einer (juristischen) Anpassungspflicht auch dann auszugehen, wenn die Parteien sich „nur“ darauf geeinigt haben, bei Vorliegen des Änderungstatbestands neu zu verhandeln.1170 Die unterschiedlichen Wege zur Vertragsanpassung variieren zwar vor allem bezüglich des Wie derselben. Solche Wege stellen aber, wie etwa Kamanabrou herausstellt, damit zunächst auf eine Anpassungspflicht ab.1171 Teilweise wird insoweit auch ein Interesse der Parteien gerade an einer vorvertraglichen Bindung ins Feld geführt.1172 Zur Ausräumung möglicher Zweifel in die eine wie in die andere Richtung kann zunächst auf gestalterischem Weg die Eindeutigkeit bezüglich des Ob unterstützt werden. Sollte also für das relationale Element der Anpassung an sich ändernde Umstände Stabilität in Form juristischer Sicherheit gesucht werden, so muss schlussendlich transaktional ein eindeutiger Konsens auf der Ebene übereinstimmender Parteiwillen (Willenserklärungen) geschaffen werden.1173 Das heißt zu1170 Zwar ist es mit Blick auf die §§ 133, 157 BGB nicht notwendig, dass das Wort „anpassen“ in der vertraglichen Einigung auftaucht. Wenn man vom Wortlaut ausgeht, ist es zumindest umgekehrt aber auch nicht „selbstverständlich“ von einer Vereinbarung der Neuverhandlung auf eine Anpassungspflicht rückzuschließen. Vgl. auch Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 32, zur Auslegung zugunsten weitergehender Anpassungspflichten, weil die praktische Brauchbarkeit eines Anspruchs auf Mitwirkung gegen Null tendiere. 1171 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 35. 1172 Steindorff, BB 1983, 1127, 1128 f., der die Legitimation in der Judikatur zur Geschäftsgrundlage sah; die Gedanken ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen annehmend mit einer daraus folgenden Anpassungspflicht Salje, NZG 1998, 361, 363. Kritisch u. a. Salzmann, Die Neuverhandlungsklauseln als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 61 ff., insbesondere S. 89. 1173 Es geht also, wie bereits im Kontext um die Diskussion einer Verhandlungspflicht, darum, einen vom Willen der Vertragsparteien getragenen, hinreichend bestimmten (vertraglichen) Tatbestand zu schaffen, wann/ob eine Anpassungspflicht bestehen soll. Problematisch ist wiederum, ob, wenn die Parteien selbst nicht für hinreichende ausdrückliche vertragliche Bestimmtheit gesorgt haben, dann z. B. eine Anpassungspflicht (dies betrifft zunächst nur die Frage des „Ob“) anzunehmen ist, wenn jedenfalls die Voraussetzungen des § 313 BGB vorliegen; vgl. dazu etwa Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36, mit deutlich kritischer Haltung. Vorgebracht wird in diesem Zusammenhang vor allem das Argument, die Parteien hätten durch die Installierung vertraglicher Anpassungsklauseln im Zweifel beabsichtigt, ein früheres Eingreifen einer Anpassung als in den Fällen des § 313 BGB regeln zu wollen, eine deklaratorische Bestätigung der Rechtslage sei überflüssig. Zu Vorstehendem siehe etwa MK-BGB/Roth, 4. Aufl. 2001, Rn. 662; Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36; Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 606. Allerdings muss im Einzelfall gleichwohl wiederum geklärt werden, ob nicht ggf. im Wege der Vertragsauslegung doch ein Rückgriff auf die Heranziehung der inhaltlichen Kriterien der Geschäftsgrundlage bezüglich
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1. Teil: Vertrag und Interessen
nächst, bei einer entsprechenden Einigung ist letztere in dem Punkt möglichst unmissverständlich in der etwaigen Vertragsurkunde deutlich zu machen. In einem ersten Schritt muss also der Parteiwillen so niedergelegt werden, dass nicht auf eine mögliche Auslegung, die die unterschiedlichsten Schwierigkeiten mit sich bringen kann, zurückzugreifen ist. Da ggf. schon der Wortwahl „neu verhandeln“ eine Anpassungspflicht entnommen werden könnte, andererseits „anpassen“ nicht selbstverständlich als (gewollter) Ausdruck einer solchen Pflicht verstanden werden muss, sind, soweit gewünscht, Verhandlung und Anpassung eindeutig sprachlich zu trennen und ggf. jeweils zu erläutern. Beispiel: „(…)1174 es ist dann neu zu verhandeln, das heißt [z. B. formale Verhandlungskriterien (s. o.)] (…)“. „(…) Sofern diese Verhandlungen scheitern,1175 ist der Vertrag anzupassen, d. h. eine Änderung ist herbeizuführen, indem1176 (…)“.
Ein derartiges Vorgehen mag wenig praktikabel erscheinen, macht in seiner Stringenz jedoch deutlich, wie sorgfältig die Stimmigkeit von relationalen Elementen und juristischer Stabilität zu suchen ist.
eines Ob der Anpassung (und auf dem Wege auf die Schaffung hinreichender vertraglicher Bestimmtheit) möglich ist; vgl. erneut zur Schaffung hinreichender Bestimmtheit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung BGH NJW-RR 2009, 637, 638. Auch sieht Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 605, zu Recht bei Revisions- (Wirtschaftsklauseln) die Heranziehung von einzelnen Elementen der Geschäftsgrundlagenlehre für die Auslegung als nicht von vornherein ausgeschlossen an. Allerdings setzen Säckers Überlegungen (erst) für die Phase ein, in der nach einer im Auslegungsweg zu ermittelnden niedrigeren („Eingriff“-)Schwelle als bei § 313 BGB bezüglich des weiteren Inhalts der Revisionsklauseln noch Auslegungsbedarf besteht. Es spricht vieles dafür, dass die Parteien, selbst wenn sie eine niedrigere Schwelle für ein Eingreifen einer Anpassungspflicht gewollt haben, jedenfalls (auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben) einer höheren Schwelle, nämlich einer solchen nach den Maßstäben des § 313 BGB, zugestimmt hätten. Eine „Rettung“ der vertraglichen Anpassungspflicht (Schaffung hinreichender Bestimmtheit) ist vor allem dann interessant, wenn der vertraglich vereinbarte Inhalt der Anpassungspflicht, der Weg zur konkreten Anpassung, sich von dem unterscheidet, was nach § 313 BGB folgen würde. Der letzte Gedanke erfordert allerdings, dass jedenfalls diesbezüglich der Inhalt des (Erst-)Vertrags hinreichend konkrete Aussagen trifft. 1174 Im Grunde muss bereits hier hinreichend bestimmt aufgenommen werden, wann es zu den nachfolgenden Pflichten kommen soll, z. B. welche Verhältnisse sich (konkret) geändert haben müssen. 1175 Bezogen auf das Beispiel sollte dann wiederum hinreichend bestimmt in den Vertrag aufgenommen werden, wann ein Scheitern vorliegt. Das gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass dies maßgeblich für die Anpassungspflicht ist. 1176 Siehe dazu unten noch die Ausführungen zu den erweiterten Neuverhandlungsklauseln [6. d) bb) (2) (e) (cc) (ddd) (d), S. 251 ff.]. Dabei wird sich im Grunde zeigen, dass in der Regel eine erweiterte Neuverhandlungsklausel notwendig ist, um schon sprachlich eine Anpassungspflicht eindeutig zum Ausdruck zu bringen.
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(ddd) Vertragsvorgaben bezüglich des Wie Das zeigt sich noch prägnanter im Weiteren. In einem ersten Schritt richten sich die Überlegungen nur danach aus, den Vertragswillen der Parteien nach Anpassung an sich („Ob“) eindeutig zu gestalten. Damit darf die Suche nach juristischer Stabilität jedoch nicht enden. Stabilität heißt fernerhin, das Wie einer Anpassungspflicht inhaltlich1177 juristisch fixieren zu können/müssen. Eine Klausel, die, wieder unter Bezugnahme auf die relationalen Achsen Macneils, der sich entwickelnden (Vertrags-)Beziehung am nachhaltigsten Rechnung tragen würde, wäre eine solche, die auf der Tatbestands- wie auf der Rechtsfolgenseite möglichst Weite walten lassen würde. Dabei betrifft die Rechtsfolgenseite gerade das Wie der Anpassung, während die Tatbestandsseite das Ob derselben erfasst. Beispiel:1178 „Sollten sich die dem Vertrag zugrunde liegenden technischen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich ändern, so dass die Durchführung des Vertrages unter den bisherigen Bedingungen für einen der Vertragspartner eine unbillige Härte bedeuten würde, so werden die Partner eine Anpassung des Vertrages im Sinne eines vernünftigen und billigen Interessenausgleiches herbeiführen.“
„Weite“ gibt eine solche Klausel, weil keine speziellen einengenden Vorgaben1179 gemacht werden, gerade bezüglich des Inhalts (der Anpassung) als auch hinsichtlich der Findung desselben. Nur juristische Stabilität, die ggf. (auch) gesucht wird, kann dann gleich aus mehreren Gründen scheitern. Zunächst muss eines nochmals verdeutlicht werden: Es geht um die gestalterische Bewältigung der Phase, in der eine einvernehmliche Lösung der Parteien gescheitert ist. Eine etwaige „psychologische“ Wirkung, die eine solche Formel durchaus (auch) beabsichtigt haben könnte, ist nicht zum Tragen gekommen. Weite in der Klauselformulierung, die für eine gemeinsame Lösung sinnvoll ist, muss sich jetzt an anderen Faktoren messen lassen, denn im gewissen Sinn ist die Beziehung nunmehr „belastet“, „abgekühlt“. Mit dem „Abkühlungsprozess“ kann einhergehen, dass namentlich die Vertragsparteien durchaus ihre eigenen Interessen stärker in den Vordergrund rücken wollen, statt sie mit dem Vertragspartner stimmig zu machen. Das ist ein Prozess, der so, wie schon bei Carbonnier dargestellt, innerhalb der anwaltlichen Überlegungen Berücksichtigung finden muss. Andererseits besteht oftmals weiterhin der Wunsch der Parteien, die Beziehung möglichst harmonisch zu
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Zum Anpassungsmaßstab und der Anpassungsbefugnis etwa Lettl, JuS 2001, 144, 144. Beispiel nach Salje, NZG 1998, 161, 161; angeführt auch von Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36. Salje, NZG 1998, 361, 363, würde im Übrigen aufgrund der Formulierung „Anpassung (…) im Sinne eines vernünftigen und billigen Interessenausgleichs“ hier die Regeln über den Vorvertrag zur Anwendung kommen lassen. 1179 Auf tatbestandlicher Seite findet sich in dem Beispiel freilich die Anknüpfung an technische und rechtliche Verhältnisse. 1178
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1. Teil: Vertrag und Interessen
erhalten. Verkürzt kann man diese Situation beschreiben als „Harmonisierung unter möglichst optimaler eigener Interessenwahrung“. Knüpft man nun an den letzten Aspekt an, offenbaren sich besondere Schwierigkeiten nicht nur beim Vorliegen eines weiten Tatbestands ohne nähere Spezifizierungen wie z. B. durch Regelbeispiele, sondern im Anschluss daran vor allem bei der weit gefassten vertraglichen Rechtsfolgenfestsetzung („Anpassung“ an sich). Ob sich dann die eigenen Interessen bei der jedenfalls möglichen Eskalation der Beziehung in der Form wiederfinden, dass bereits eine Anpassungssituation überhaupt besteht („Ob“), die man selbst wünscht, ist oftmals schon schwierig festzumachen. Das Gleiche gilt bei dem spiegelbildlichen Interesse, einer Anpassung nicht ausgesetzt zu sein. Die Probleme spitzen sich aber weiter zu, wenn es um die Fragen nach dem (konkreten) Inhalt der (Anpassungs-)Pflicht geht („Wie“), wer wie den Inhalt ggf. festsetzen soll und wie er umzusetzen ist. Die Schwierigkeit ergibt sich wiederum vor allem bei den so genannten einfachen Neuverhandlungsklauseln. Hintergrund der Suche nach juristischer Stabilität durch eine Anpassungspflicht ist es schlussendlich, dass die anpassungswillige Partei im Fall einer Nichteinigung die von ihr begehrte Erklärung der anderen Vertragspartei „erhält“, den angepassten Vertragsinhalt auf sowohl materiell-rechtliche wie prozessual zumutbare Weise herbeiführen kann.1180 Der Inhalt/die Bestimmung der (Anpassungs-)Pflicht sollte sich somit grundsätzlich aus dem (ursprünglichen) Vertrag ergeben.1181 Daran schließen sich die Möglichkeiten prozessualer Umsetzung an. Liegt allerdings eine einfache Neuverhandlungsklausel vor, so sind bereits das Anpassungsziel bzw. die möglichen Anpassungsgegenstände kaum fassbar. Es kann im Grunde der gesamte Vertrag geändert werden.1182 Das gilt umso mehr, wenn sich im Vertrag, wie oftmals, kein Anpassungsmaßstab durch die Parteien findet.1183 Eine Lösung könnte zwar erneut im Weg der (Vertrags-)Auslegung gesucht werden.1184 Doch selbst wenn sich im Wege der Auslegung Anpassungsziel und -maßstab konkretisieren lassen, ändert dies nichts an der Breite möglicher inhaltlicher Gestaltungen mittel der Anpassung.1185 Insofern spricht vieles für Kamanabrous1186 1180 Lettl, JuS 2001, 456, 461. Vgl. auch Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 285 ff., zu Fragen gerichtlicher Durchsetzung, allerdings im Kontext mit § 313 BGB. 1181 Auf den Achsen Macneils wären dies Planungspunkte, die am Beginn der Beziehung festzulegen sind. 1182 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36. 1183 Dazu Salje, NZG 1998, 361, 363. 1184 Dazu Lettl, JuS 2001, 456, 461, zum Anpassungsziel unter Hinweis auf BGHZ 62, 314, 316 f.; siehe auch BGH WM 1975, 772, 773, wonach besonderer Wert auf den Wortlaut zu legen sei, je nachdem, ob „Anpassung“, „Festsetzung“ oder „Neufestsetzung“ vereinbart worden sei. 1185 Im Wege der Auslegung kommt es dann also nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, wovon wohl der BGH in WM 1971, 352, 353, ausgeht; dort waren im Übrigen die Parteien
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Vorgehen, wonach in dem Fall mangels Bestimmtheit/Überschaubarkeit keine rechtlich verbindliche, das heißt keine wirksame Anpassungspflicht begründet werden kann.1187 Eine kritische Haltung wird insoweit gestützt, wenn man sich vergegenwärtigt, wie eine zivilprozessuale/zwangsvollstreckungsrechtliche Umsetzung aussehen sollte. Ansätze, die im Fall der Anpassungspflicht den Weg über die Leistungsklage und dann über § 894 ZPO (Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung durch rechtskräftiges Urteil) weisen, machen das Erfordernis des bestimmten Klageantrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) deutlich.1188 Wie soll aber der Antrag auf Abgabe einer Willenserklärung, der als Urteilstenor dann über § 894 ZPO vollstreckbar ist, lauten, wenn zahlreiche Gestaltungen des Vertrags möglich sind? Welche bestimmbare Pflicht des Anpassungspflichtigen soll im (ursprünglichen) Vertrag niedergelegt – so dies denn doch überhaupt erfolgt – sein, die auf dem Weg eingeklagt werden kann? Eine „Lösung“ der vorbezeichneten Probleme könnte zunächst darin liegen, die Bestimmtheitsanforderungen für die Anpassung nicht zu „überspannen“.1189 Das lässt sich durchaus mit einem etwaigen Wunsch der Vertragsparteien begründen, vor allem wenn grundsätzlich ein Bestandsinteresse am Vertrag besteht. Allerdings, und hier sind erneut die berechtigten Kritikpunkte Kamanabrous aufzugreifen, Bestimmtheit zu konstruieren, wo keinerlei inhaltlichen Hinweise im Vertrag bezüglich der Anpassung enthalten sind,1190 ist abzulehnen.1191 Es wird letztlich, ggf. genachträglich übereingekommen, das Gericht über die Bedeutung der Vertragsbestimmung entscheiden zu lassen. 1186 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36; dort auch der Hinweis auf Salje, NZG 1998, 361, 363. 1187 Eine „Rettung“ kann ggf. (wieder) darin gesucht werden, im Auslegungsweg zu ermitteln, ob die Parteien dann nicht zumindest auf der Rechtsfolgenseite eine Anpassung entsprechend dem § 313 Abs. 1 BGB eröffnen wollten, also einen entsprechenden Anpassungsanspruch. Je nachdem, ob auch schon im Auslegungsweg auf der tatbestandlichen Seite der Klausel ein „Rückgriff“ auf § 313 BGB erfolgt, könnte dann das „Ergebnis“ der Auslegung sein, dass inhaltlich ein deklaratorischer Verweis auf § 313 BGB erfolgt ist. Dazu, dass bei Neuverhandlungsklauseln, die keinerlei Aussagen und Maßstäbe zur Anpassung enthalten und weitgehend ergebnisoffen sind, ein Weg vergleichbar den Vorgaben beim Wegfall der Geschäftsgrundlage seitens der Gerichte vorstellbar ist, Martinek, AcP 198 (1998), 329, 358. Kritisch Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36. Gerade dazu, dass in der Regel mehr gewollt ist als eine deklaratorische Klausel, Säcker, GS für Sonnenschein, 597, 605. 1188 Martinek, AcP 198 (1998), 329, 342. Vergleichbare Probleme (Erfordernis des bestimmten Klageantrags) werden im Kontext mit § 313 BGB diskutiert, siehe u. a. PWW/ Stürner, BGB, § 313, Rn. 27; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 287 ff. 1189 Horn, AcP 181 (1981), 255, 283; Horn, NJW 1985, 1118, 1123 f.; Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 283, Fn. 144; Lettl, JuS 2001, 559, 560. Ein strengerer Maßstab wird von den Vertretern verfolgt, die auf die für den Vorvertrag geltenden Vorgaben abstellen, u. a. Steindorff, BB 1983, 1127, 1128; zur Problematik auch Baur, Vertragliche Anpassungsregelungen, S. 64 f. Ablehnend diesbezüglich u. a. Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 283; Martinek, AcP 198 (1998), 329, 353. 1190 Dazu Martinek, AcP 198 (1998), 329, 353.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
richtlich überprüfbar zu klären sein, ob hinreichende Maßstäbe/bestimmte Anpassungsgegenstände dem Vertrag zu entnehmen sind. Führt dieser, u. U. im Weg der Auslegung zu beschreitende Gang, dann zwar dazu, dass – zumindest bestimmbare – Maßstäbe für die Anpassung vorliegen, diese jedoch nicht zu einem eindeutigen Inhalt der vorzunehmenden Anpassung führen, bleibt dann die Frage nach der Anpassungskompetenz. Diese Frage wird gerade virulent, wenn die Kompetenz nicht vertraglich (ausdrücklich oder mittels Auslegung) eine Regelung erfahren hat. Überwiegend wird die Lösung darin gesucht, diese Kompetenz einem Vertragspartner oder aber dem Gericht zuzuweisen.1192 Ein Weg könnte darin bestehen, die Bestimmungskompetenz1193 der Vertragspartei zuzuweisen, die als Anpassungsberechtigter auftritt.1194 Auch der BGH neigte früher1195 diesem Weg zu, verwies auf eine Analogie zu § 316 BGB. Bedenken ergeben sich hiergegen in mehrfacher Hinsicht. Zum einen „passen“ die §§ 315 f. BGB nicht uneingeschränkt,1196 zumal sie nur die Leistungsbestimmung betreffen, nicht ein u. U. weiter greifendes Ändern des Vertrags. Vor allem aber dürfte diese „Lösung“ im Zweifel von (beiden) Parteien nicht gewollt sein.1197 Ermittelt man etwa den Willen der Vertragsparteien im Wege der Auslegung, so können z. B. die Beobachtungen von der relationalen Achse her durchaus dafür Argumente liefern. Die Interessen können u. a. im Erhalt des Vertrags unter Wahrung beiderseitiger Sphären bestehen, es geht aber auch um die Rückstellung einseitiger Wünsche oder mangelnde einseitige Machtbetonung. Hinzu kommt der Umstand, dass im Fall mangelnder Einigung, die ja der „relationalste Weg“ gewesen wäre, eben auch eine schon oben aufgezeigte „Erkaltungstendenz“ eingesetzt hat, der es möglichst gegenzusteuern gilt. Wenn man sich jedoch noch nicht vertrauensvoll einigen konnte, ist es für die Beziehungserhaltung und einen ausgewogenen „Interessenhaushalt“ eher belastend, wenn ein einseitiges Bestimmungsrecht angenommen wird.1198 1191 Siehe aber Lettl, JuS 2001, 456, 461, unter Verweis auf BGH WM 1981, 899, 902; BGH WM 1978, 578, 579; BGH WM 1979, 1332, 1334. 1192 Siehe aber auch Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 120 ff., der in bestimmten Fällen über eine ergänzende Vertragsauslegung zur Einsetzung eines Schiedsgutachters gelangt. 1193 Die sich freilich an den Anpassungsvorgaben messen lassen muss. 1194 Siehe etwa Baur, ZIP 1985, 905, 915; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, S. 280, wendet die §§ 315 ff. BGB analog an, wenn die Änderung durch Partei oder Drittbestimmung erfolgen soll. 1195 BGH WM 1964, 561, 562; BGH WM 1967, 1201 f. 1196 Dazu Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 282, u. a. unter Hinweis auf Gernhuber, Das Schuldverhältnis, S. 280. 1197 Bilda, DB 1969, 427, 428; Dally, BB 1977, 726, 726; Steindorff, BB 1983, 1127, 1128; siehe auch BGH WM 1978, 228, 229; vgl. außerdem die Ausführungen bei Lettl, JuS 2001, 456, 461, unter Hinweis auf BGH WM 1978, 794, 796 (Fn. 25). 1198 Siehe auch BGH WM 1978, 794, 796; diese Rechtsprechung auch anführend Lettl, JuS 2001, 456, 461. Siehe aber ferner z. B. Salzmann, Die Neuverhandlungsklausel als ein Problem ergänzender Vertragsauslegung, S. 158 ff., der im Wege ergänzender Vertragsauslegung
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Lehnt man zu Recht die Anpassungskompetenz eines Vertragspartners ab, bleibt die Frage nach der richterlichen Entscheidungsbefugnis. Eine solche wird durchaus in Literatur und Rechtsprechung bejaht.1199 Wiederum im Weg der Auslegung kann es zu dem Ergebnis kommen, dass nach der Lebenserfahrung die Vertragspartner im Fall der Anpassungsklausel ohne vereinbarte Anpassungszuständigkeit dem Berechtigten bei mangelnder Einigung anheimstellen, den Weg der gerichtlichen Geltendmachung zu beschreiten.1200 Das Gericht hat die gegenläufigen Interessen zu berücksichtigen.1201 Es sei aber nochmals auf die obige Problematik um die hinreichende Bestimmtheit der Anpassungsvereinbarung verwiesen. Dabei geht es weniger darum, dass ggf. ein Gericht entscheiden soll, sondern vielmehr darum, was es (inhaltlich) entscheiden soll.1202 Im Anschluss an die zuvor gemachten Überlegungen bezüglich eines „geringeren“ Bestimmtheitsbegriffs ist nochmals zu fordern, dass zumindest die Anpassungsmaßstäbe/Anpassungsgegenstände dem Vertrag, ggf. über eine Auslegung, entnommen werden können.1203 Die weitere prozessuale Umsetzung, die dann zu beschreiten wäre, ginge vielfach auf Erhebung einer Gestaltungsklage1204 auf Anpassung des Vertrags;1205 §§ 315 in bestimmten Fällen zur einseitigen Anpassungskompetenz des anpassungsinteressierten Teils gelangt, wobei der andere Teil ein Vertragsauflösungsrecht hat. Dadurch wird jedoch u. a. die Lösung in einer Beendigung des Verhältnisses gesucht. Interessanter ist Jickeli, Der langfristige Vertrag, S. 283 f., der im Rahmen einer ökonomischen Analyse langfristiger Verträge bestimmte typische Zuordnungen der Anpassungszuständigkeit entwickelt hat. Diese soll bei dem Teil liegen, der überwiegend beziehungsspezifisch investiert oder ein überragendes Vereinheitlichungsinteresse hat; dann könne auch der Rechtsgedanke des § 316 BGB herangezogen werden. 1199 U. a. Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 148 ff.; Martinek, AcP 198 (1998), 329, 342; siehe auch BGH WM 1978, 794, 796. Siehe zudem BGH NJW 2002, 1421, 1423, dort gerade auch der Hinweis auf eine vorzunehmende ergänzende Vertragsauslegung. Ablehnend Baur, ZIP 1985, 905, 914 f. 1200 BGH WM 1978, 228, 228; BGH NJW 1978, 1371, 1373. 1201 BGH WM 1978, 228, 228. 1202 Konsequent diesbezüglich Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 36. 1203 Vgl. auch Salje, NZG 1998, 361, 363; siehe auch Baur, ZIP 1985, 905, 915; Feißel/ Gorn, BB 2009, 1138, 1142. Großzügiger ist der BGH, NJW 1981, 2241, 2243 m. w. N., in der Entscheidung zur „Roggenklausel“; zu den dortigen Argumenten auch Lettl, JuS 2001, 456, 461. 1204 Zur Möglichkeit und Zulässigkeit solcher Gestaltungsklagen u. a. Grunewald, ZZP 101 (1988), 152 ff. Grunewald lehnt eine Erweiterung von gerichtlichen Gestaltungskompetenzen durch eine privatautonome Vereinbarung der Parteien ab (S. 152 f.). Auf die folgende Problematik bei der Durchsetzung von Anpassungsklauseln weist etwa Salje, NZG 1998, 361, 365, hin. 1205 Für eine derartige Klage (nur) auf Anpassung wird gerade bei längerfristigen Verträgen vielfach ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen; vgl. zu dem Topos, allerdings in Bezug auf § 313 BGB, etwa PWW/Stürner, BGB, § 313, Rn. 22; Lüttringhaus, AcP 213 (2013), 266, 293 f.; vgl. ebenfalls die Ausführung bei Heinrichs, FS für Heldrich, 183, 199. Sofern letztlich eine Leistung begehrt wird, spricht jedoch und gerade aufgrund bestimmter Parallelen in den Rechtsfolgen zwischen vertraglichem Anpassungsanspruch und einem solchem solchen aus
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Abs. 3 Satz 2, 319 Abs. 1 Satz 2 BGB kämen analog zur Anwendung.1206 Kritisch angemerkt wird hierbei zum einen jedoch wiederum die teils die sehr „großzügige“ Umgangsweise mit dem Bestimmtheitserfordernis; zudem findet sich auch deutliche Kritik am Gang über § 315 BGB.1207 Für den Vertragsgestalter tritt vor allem eine weitere Erkenntnis hinzu: Mag der Lösungsvorschlag, der die gerichtliche Anpassungskompetenz eröffnet, auch ein solcher sein, der die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigt, es ist letztlich die, jedenfalls nicht ausdrücklich, gewählte Drittinstanz, die dann „spricht“. Mag dann die Vertragsanpassung auch relationale Elemente aufweisen, es ist doch nur ein Behelf. In Verbindung zu den Erkenntnissen Llewellyns kann beim Weg über die Rechtsprechung ein Ergebnis „produziert“ werden, das keine Seite „befriedigt“, der gelebten Beziehung nicht Rechnung trägt. Die gestalterische Konsequenz kann dann darin liegen, zur Vermeidung von Unbestimmtheit, aber auch zur Schaffung von (vorhersehbaren) Maßstäben/Anpassungsgegenständen, auf Flexibilität, jedenfalls in gewissen Umfang, zu verzichten und sowohl Anpassungsmaßstäbe, -gegenstände wie auch -kompetenzen hinreichend konkret zu regeln.1208 Ein anderer, so gewollter, Weg könnte von vornherein die bewusste (deklaratorische) Aufnahme von § 313 BGB in den Vertrag sein, ggf. unter gewissen Modifizierungen. (eee) Zusammenfassung Verbleibt es innerhalb der Aufnahme einer vertraglichen Anpassungspflicht bei (einfachen) Neuverhandlungsklauseln, zeigen letztere im Grunde das gesamte Dilemma, das besteht, wenn tatsächliches Leben (Weite der zu regelnden Situationen) mit juristischer Stabilität (bestimmten juristischen Pflichten) versehen werden soll. Die einfachen Neuverhandlungsklauseln sollen an sich den Umstand aufgreifen, dass die Parteien sich (zunächst) tatsächlich nicht neu geeinigt haben, dies aber in einem juristischen Pflichtenkorsett mit möglichst großen Freiheiten dann doch tun sollen. Mit diesen Freiheiten ist jedoch verbunden, dass z. B. die Antizipation dessen, wenn es nicht zu einer Einigung der Parteien kommt, eingeschränkt ist. Möglicherweise kommt es dann auch zu Folgen, die für keine Vertragsseite mehr interessengerecht sind.
§ 313 BGB nichts dagegen, auch beim vertraglichen Anpassungsanspruch unmittelbar eine Klage auf Leistung erheben zu können. 1206 So BGH WM 1978, 228, 229; Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, S. 148 ff.; Martinek, AcP 198 (1998), 329, 342, der aber auch weiterhin (daneben) den Weg über § 894 ZPO eröffnet. 1207 Siehe u. a. Salje, NZG 1998, 361, 364; siehe auch Grunewald, ZZP 101 (1988), 152 ff. 1208 Siehe dazu auch noch die Ausführungen zu den erweiterten Neuverhandlungsklauseln [6. d) bb) (2) (e) (cc) (ddd) (d), S. 251 ff.].
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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Das Bewusstsein solcher Unzulänglichkeiten ist erforderlich, um die Leistungsfähigkeit des Vertrags, der Anpassungspflichten vorsieht, richtig einschätzen zu können. Es besteht allerdings kein Grund, namentlich die relationalen Beobachtungen Macneils zu vernachlässigen, im Gegenteil. Es gilt vielmehr die Erkenntnis umzusetzen, dass die beste Weise, soziale (wirtschaftliche) Abläufe zu erfassen, nicht mit größtmöglicher (machbarer) juristischer Gestaltungsweite einhergehen muss/kann. U. U. schafft eine gewisse Begrenzung eine größere Umsetzung der Interessen der Vertragspartner. Das heißt, auch im Bereich der etwaigen Vertragsanpassung sollte ggf. an eingrenzende (kontrollierbare) Regularien gedacht werden. Daran knüpften bereits die Überlegungen an, Verhandlungs- und/oder Anpassungsklauseln stärker inhaltlich zu bestimmen, also von der einfachen Neuverhandlungsklausel abzurücken. Solche Regularien können bestimmte/konkrete vertragliche Tatbestände oder bestimmte vertragliche Anpassungsfolgen sein, Mechanismen, wie sie zu den erweiterten Neuverhandlungsklauseln entwickelt worden sind.1209 Gerade mit Blick auf die Parteien sollte die gestalterische Lösung auch Faktoren nicht unberücksichtigt lassen, die dazu beitragen können, dass die Vertragsbeziehung „stabil“ bleibt. Solche Faktoren können etwa die Förderung der Kommunikation und die Einbindung des jeweiligen sozialen (wirtschaftlichen) Umfelds sein. (ddd) Berücksichtigung weiterer Stabilisierungsformen Der Versuch, staatliches Recht bei sich verändernden Umständen der Vertragsbeziehung in der Weise einzusetzen, dass bei Vorliegen eines Tatbestands „A“ die Rechtsfolge „B“ durchgesetzt werden kann, ist also in Bezug auf die so genannten einfachen Neuverhandlungsklauseln (mit gleichwohl intendierter Anpassungspflicht) nur sehr eingeschränkt tauglich. Größere Bedeutung erlangt das staatliche Recht, wenn mittels stärkerer inhaltlicher Vorgaben von der einfachen Neuverhandlungsklausel abgerückt wird. Dann kann das Recht auch wieder mehr „Druck“ aufbauen. Zudem kann, vor allem in Verbindung mit den zuvor angesprochenen Punkten der Kommunikation und der Umfeldeinbeziehung, im Zusammenhang mit relationalen Abläufen eine Stabilisierung der Beziehung mit „Druck“ auch/noch in anderer/zusätzlicher Weise erfolgen. (a) Self-enforcing contract Denkbar ist ein Weg, der die „Einmischung“ externer Instanzen sehr weit zurückdrängt und den Parteien im Gestaltungs- und Beziehungsweg den Druckaufbau überlässt.1210 Im ersten Schritt kann man hierbei durchaus an der Installierung von 1209
Siehe noch die Ausführungen zu den erweiterten Neuverhandlungsklauseln sogleich [6. d) bb) (2) (e) (cc) (ddd) (d), S. 251 ff.]. 1210 Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass es an dieser Stelle nicht um die Verdrängung des Vertrags und ggf. des staatlichen Rechts geht, wie es bestimmte Vertreter des „relational
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1. Teil: Vertrag und Interessen
„psychologischen“ Verhandlungs- und Anpassungsklauseln festhalten. Der Druck, den in den Klauseln aufgezeigten Weg bei veränderten Umständen durch Verhandlung und ggf. Änderung zu beschreiten, resultiert dann im Wesentlichen aus der „Kernbeziehung“ der Parteien. Es können die oben im Kontext mit den Kommunikationsklauseln bereits angesprochenen Überlegungen zum „self-enforcing contract“ zur Anwendung kommen. Dieser Mechanismus, der vor allem innerhalb ökonomischer Beziehungen von Relevanz ist,1211 stellt darauf ab, dass es für die Parteien nachteiliger ist, nicht zu verhandeln und eine einvernehmliche Lösung zu suchen (und zu finden).1212 Beispiel: A und B sind durch einen längerfristigen Vertrag an einem großen Bauprojekt beteiligt. Bestimmte (Werk-)Leistungen sind genau vertraglich fixiert. Sollte eine Seite ihre Werkleistung schlecht/nicht erfüllen, drohen ihr nicht nur Schadensersatzansprüche aufgrund der Vertragsverletzung. Diese Schadensersatzansprüche mag die jeweilige Seite ggf. in Kauf nehmen. Allerdings droht ihr im Fall des „self-enforcing contracts“ jedoch u. U. die Konsequenz, dass der Partner für weitere Bauprojekte wegfällt, folglich ein durchaus schwerwiegender Nachteil entsteht. Die Partei wird deshalb vertragstreu oder aber bei sich verändernden Umständen eher bereit sein, dem Verhandlungs- und Anpassungsappell zu folgen.
Gangbar ist diese Lösung vor allem bei komplexeren wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Parteien. Hier finden sich die zuvor mehrfach erwähnten Mechanismen der außervertraglichen Verpflichtungselemente sowie deren Kontrolle, auf die etwa Llewellyn1213, vor allem aber auch Macaulay1214 hinwiesen. Der Verlust der Wirtschaftsverbindung ist häufig die wesentlich stärkere (nicht rechtliche) Sanktion.1215 Allerdings müssen die drohenden Nachteile für beide Seiten ggf. spürbar sein. Das ist im Grunde eine Form von Machtfrage. (b) Stärkere Installierung von Auskunfts- und Informationspflichten Durchaus im Zusammenhang mit dem self-enforcing contract zu sehen ist eine andere Handlungsalternative, die ebenfalls zuvor bereits thematisiert wurde. Denkbar ist, im stärkeren Maß vertraglich bestimmte Informations- und Auscontract law“ versuchen; dazu etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 102. Es geht hier vielmehr um flankierende Maßnahmen bzw. Überlegungen. 1211 Siehe etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 711. Zur Theorie sich selbst durchsetzender Verträge gerade auch unter dem Aspekt, die formellen Durchsetzungsmechanismen durch anfängliche Gestaltung zu reduzieren, Doralt, Langzeitverträge, S. 151 f.; dort, S. 152, auch dazu, dass aufgrund der Interessenlage vertragskonforme Erfüllung zu erwarten sei, formelle Durchsetzungsmechanismen weniger wichtig seien. 1212 Vgl. zur Problematik auch Gehle/Wronna, BauR 2007, 2 ff., zum Allianzvertrag. Vgl. Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11, zur Effizienz als Prämisse der Vertragsgestaltung. 1213 Llewellyn, The Yale Law Journal 40 (1931), 704, 712 f. 1214 Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), 55, 62 ff. 1215 Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), 55, 63. Zu außerrechtlichen Sanktionen z. B. auch Sosa, Vertrag und Geschäftsbeziehung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 189 f.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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kunftsansprüche zu fixieren.1216 Durch die so möglicherweise erlangbaren Informationen kann eine weitere „Machtoption“ entstehen. Beziehungserhaltung kann sich daran u. a. deshalb anschließen, weil man auf diese Weise die Vertragsentwicklung beobachten, kontrollieren1217 und ggf. so auch regulierend eingreifen kann; zudem hat man (gegenseitige) Kenntnisse, die möglicherweise die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen eröffnen. Für diese können dann ggf. gezielt die staatlichen Instanzen eingesetzt werden. Ein solcher Weg verlangt natürlich, beim (ersten) Vertragsschluss in der Lage zu sein, solche Auskunfts-/Informationspflichten vertraglich überhaupt verankern zu können. (c) Verhandlungen als Voraussetzung für den Gang zum staatlichen Gericht Druckpotential kann auch dergestalt aufgebaut werden, den Eintritt in (ernsthafte) Verhandlungen, z. B. unter Beachtung und Einhaltung bestimmter Verfahrensabläufe oder Hinzuziehung eines Dritten, als Voraussetzung für einen angestrebten Gang vor die staatlichen Gerichte zu vereinbaren.1218 Beispiel: „(…) (Formulierung der Verhandlungspflicht mit entsprechendem konkreten Inhalt, z. B. Festlegung von Zeitrahmen, Ort, ggf. Verhandlungsführer, Einreichung jeweiliger Anpassungsvorschläge). Die Beschreitung des Rechtswegs zur Erlangung einer Entscheidung wegen Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit einem Verhandlungs-/und (oder) Anpassungsverlangen einer Seite ist für die die Verhandlung und Anpassung begehrende Seite erst dann zulässig, wenn - die andere Seite den Verhandlungstermin verstreichen lässt und ebenfalls einen von der die Verhandlung/Anpassung wünschenden Seite angebotenen neuen Termin nicht wahrnimmt. Der neue Termin muss innerhalb von einem Monat nach dem ursprünglich vereinbarten angeboten werden. Er muss auf einem Werktag in einem Zeitfenster zwischen 9 und 18 Uhr angesetzt sein. Sollte die andere Seite anzeigen, aus sachlichen Gründen verhindert zu sein, so ist der zweite Termin genau einen Monat nach dem ursprünglichen Termin am eingangs vertraglich bestimmten Ort festzusetzen. - Zulässig ist die Beschreitung des Rechtswegs auch dann, wenn in der Verhandlung eine Partei dieselbe für gescheitert erklärt. Die Beschreitung des Rechtswegs wegen Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem (ursprünglichen) Vertrag1219 ist durch die Partei, gegen die sich das Verhandlungs-/ Anpassungsverlagen richtete, nur dann zulässig, wenn
1216 Es geht gerade um ausdrückliche Ansprüche, nicht um solche, die z. B. über § 242 BGB aktiviert werden müssen. 1217 Zur Überwachung relationaler Verträge u. a. durch Beobachtung und Kontrolle siehe die Ausführungen zur empirischen Untersuchung von Dietz, ZfRS 30 (2009), 163, 177. 1218 Gehle/Wronna, BauR 2007, 2, 7, wollen im Allianzvertrag sogar ein Streitverbot vereinbaren. 1219 Hier ist der Bezugsbereich der „Sphäre“ bewusst weiter gefasst, um die kalkulatorische Überlegung zu unterbinden, dass derjenige, gegen den sich das Anpassungsbegehren richtet,
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1. Teil: Vertrag und Interessen
- die Verhandlungen in einem Verhandlungstermin durch eine Partei für gescheitert erklärt worden sind; oder - die Partei unter voller Zuweisung der Beweislast nachweisen kann, beide Termine weder vorsätzlich noch grob fährlässig versäumt zu haben.“1220
Zumindest der Versuch einer Verhandlung, das heißt jedenfalls ein Erscheinen am Verhandlungsort, wird damit für beide Seiten zur Klagevoraussetzung. Es läge insoweit mit der Klausel für die Seite, die die Verhandlung/Anpassung begehrt, hinsichtlich einer weiteren gerichtlichen Geltendmachung ein dilatorischer Klageverzicht in Form eines Prozessvertrags vor.1221 Schwieriger ist die Einstufung der Folgen für die Seite, gegen die sich das entsprechende Verlangen richtet. Vorwerfbares Nichterscheinen am Verhandlungsort kann nach dem obigen Vorschlag für diese Seite die Folge haben, dauerhaft auf (gerichtlichen) Rechtsschutz bezüglich seiner Ansprüche aufgrund des (ursprünglichen) Vertrags verzichten zu müssen. Das wäre dann in seiner Wirkung ein peremptorischer Klageverzicht. Ein vertraglich vereinbarter dauerhafter Ausschluss der Möglichkeit, die staatlichen Gerichte anzugehen, kann nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein, jedenfalls dann, wenn ein dauerhafter Ausschluss der Möglichkeit gemeint ist, die staatlichen Gerichte anzurufen und es nicht lediglich um eine konkrete Ausgestaltung bzw. einen konkreten Anspruch geht.1222 Von solch einer Situation kann in Bezug auf die obige Beispielsklausel allerdings nicht gesprochen werden, und zwar schon deshalb nicht, weil demjenigen, gegen den sich das Anpassungsbegehren richtet, sich der volle Rechtsweg eröffnet. Ein Verlust gerade vielfach keine Anpassung wünscht und durchsetzen will. Der „Druck“ muss daher anders aufgebaut werden. 1220 Entsprechende Regelungen finden sich häufig in Mediationsvereinbarungen. Siehe beispielhaft § 9.3 der DIS-Mediationsordnung 10 (MedO) (DIS = Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V.), aufgerufen am 25. 9. 2020 (http://www.disarb.org/de/16/regeln/ dies-mediationsordnung-10-medo-id19). Sollte Parteien die Geltung dieser Meditationsordnung vereinbaren, kommt der entsprechende Paragraf zum Tragen. 1221 Siehe dazu, allerdings in Bezug auf eine Mediationsvereinbarung, Eidenmüller/Wagner/Wagner, Mediationsrecht, Kap. 2, Rn. 7. 1222 Hierzu BGHZ 106, 336, 339; BayObLGZ 1952, 357, 359 f.; OLG Celle OLGZ 1969, 1, 2; LG Bonn NJW 1965, 2201, 22012 f. Umfassend dazu, unter Hinweis u. a. auf die zuvor genannten Belegstellen, Wagner, Prozeßverträge, S. 450, der die Möglichkeit allerdings grundsätzlich bejaht (S. 452). Der BGH, a. a. O., stellte dabei u. a. darauf ab, wegen der wesentlichen Bedeutung für den Bestand der Rechtsordnung könne der Rechtsschutz durch Parteivereinbarung allenfalls in konkreten Ausgestaltungen, nicht aber in seiner Substanz im Voraus abbedungen werden; darauf u. a. auch verweisend Wagner, S. 450, Fn. 313. Zur grundsätzlichen Möglichkeit jedoch, sich zu einem bestimmten prozessualen Verhalten verpflichten zu können, etwa BGH NJW-RR 2006, 632, 634; siehe ebenfalls MK-ZPO/BeckerEberhard, Vorbemerkung zu § 253, Rn. 10, zum Ausschluss der Klagbarkeit bei disponiblen Ansprüchen. Demgegenüber sieht Rosenberg/Schwab/Gottwald/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 90, Rn. 25, zwar die Möglichkeit als eröffnet an, über einen materiell-rechtlichen Anspruch zu disponieren, nicht jedoch die Möglichkeit, ersatzlos auf die Justizgewährung zu verzichten.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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dieser Möglichkeit droht ihm nur bei eigenem schuldhaftem vertragswidrigem Verhalten. Auch steht § 138 Abs. 1 BGB der Klausel nicht unter dem Blickwinkel entgegen, dass es sich um einen nur eine Vertragsseite treffenden Ausschluss handelt, so dass eine Übervorteilung greifen könnte.1223 Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Neuverhandlungs-/Anpassungsklausel so gefasst ist, dass grundsätzlich jede Vertragsseite in die Position von Anpassungsberechtigtem bzw. -verpflichteten gelangen kann. Beachtung finden muss aber, dass es bei diesem Beispiel für eine „Druckentwicklung“ nicht um das Ziel geht, den Gang zum staatlichen Gericht zu ebnen, damit dieses eine Anpassung vornehmen soll. Es geht vielmehr um die „Motivation“ zum Gespräch, weil man ansonsten z. B. Schadensersatzansprüche1224 nicht durchsetzen kann. Als Mechanismus zur Beziehungserhaltung ist diese Alternative allerdings ebenfalls nicht nur tauglich. Das zeigt allein schon der massive Griff zur Androhung bezüglich der Beschneidung rechtlicher Positionen. Weiterhin können von einer Seite selbstverständlich weiterhin die Verhandlungen „gesprengt“ werden, indem sie, in Anlehnung an die obige Klausel, ein Scheitern erklärt. (d) Erweiterte Neuverhandlungsklauseln Die, gerade bei einem kritischen Blick auf die einfache Neuverhandlungsklausel, oftmals erforderliche Notwendigkeit, ggf. Verhandlungs- und Anpassungsklauseln (inhaltlich) präziser zu fassen, wurde schon verschiedentlich deutlich. Die Notwendigkeit betrifft sowohl das Ob als auch das Wie. Dieser Aspekt der Präzision verdient als Stabilisator nochmalige Aufmerksamkeit. So können die gestalterischen Varianten, beziehungserhaltende Vorkehrungen zu treffen und dabei individuelle Lösungen für den Fall eines Veränderungsbedarfs einzubauen, eben die so genannten erweiterten Neuverhandlungsklauseln1225 sein. Gemeint sind damit Klauseln, die beim Eingreifen eines bestimmten Tatbestands zunächst festlegen, dass die Parteien verhandeln und in erster Linie selbst eine Anpassungsregelung treffen sollen.1226 Sollten die Parteien nicht zu einer einvernehmlichen Einigung kommen, so ist in der Klausel selbst bestimmt, was dann geschehen soll.1227 Das kann z. B. eine Bestimmungsbefugnis durch eine Partei selbst 1223
Dazu Wagner, Prozeßverträge, S. 452 f. Das kann gerade auch in Bezug auf den Anpassungsgegner gelten, der z. B. Schadensersatzansprüche aus Nichterfüllung gegen den anderen Teil geltend machen will. 1225 Zur Begrifflichkeit Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 34. 1226 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 34, weist darauf hin, im Fall erweiterter Neuverhandlungsklauseln, die einen Ersatzmechanismus für eine mangelnde Einigung vorsehen, könne nicht von einer vertraglichen Einigungspflicht der Parteien ausgegangen werden. Ansonsten würden die Regelungen bezüglich eben dieses Mechanismus leerlaufen. 1227 Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 34. 1224
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1. Teil: Vertrag und Interessen
sein,1228 durch das Gericht oder durch eine sonstige Instanz, etwa ein vertraglich eingesetztes Schiedsgericht (§§ 1034 ff. ZPO).1229 Selbstverständlich muss die auf diese Art und Weise vorgesehene Rechtsfolge nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich machbar sein.1230 Je nach Ausgestaltung des vertraglichen Verhandlungs- bzw. Anpassungstatbestands und des sich anschließenden Mechanismus, den die Parteien für die Situation mangelnder Einigung vorsehen, kann die dann eintretende Anpassung des Vertrags durchaus umfangreich sein. Hier stellt sich damit wieder das Problem, ob die Parteien bei Abschluss des (ersten) Vertrags einen hinreichend bestimmten Abschlusswillen haben.1231 Kein Problem dürfte das dann sein, wenn sich der Ersatzmechanismus nur auf ganz bestimmte Vertragsgegenstände bezieht, das Risiko also insoweit ein überschaubares ist.1232 Man wird allerdings auch umfangreichere vertragliche Anpassungen als vom vertraglichen Willen der Parteien noch abgedeckt ansehen können. So ist zum einen darauf abzustellen, dass die Parteien sich bei einer entsprechenden (ausdrücklichen) Installierung einer erweiterten Neuverhandlungsklausel bewusst für eine auf anderem Weg herbeigeführte zwingende Anpassung
1228 Dazu und zu den damit zusammenhängenden Gefahren sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Sicht etwa Lettl, JuS 2001, 456, 460 f.; siehe auch Baur, ZIP 1985, 905, 907. An dieser Stelle kann allerdings zu überlegen sein, ob ein solcher „Bestimmungsfall“ durch eine Partei nicht auch so aussehen kann, dass diese ein bestimmtes Angebot macht, dem die andere Seite dann zustimmen muss. Darin könnte, in der Wortwahl von Martinek, AcP 198 (1998), 329, 342, eine qualifizierte Neuverhandlungspflicht liegen. Letztere besteht in der Pflicht zur Abgabe einer Willenserklärung auf Vertragsanpassung. Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 34, schließt jedoch von der Begrifflichkeit der erweiterten Neuverhandlungsklauseln her gerade die Einigungspflicht der Parteien aus. Versteht man allerdings Anpassungsklauseln, die ein „Mehr“ zu einfachen Neuverhandlungsklauseln sind, in dem Sinn, dass dort ein tauglicher Mechanismus geregelt ist, der für den Fall einer fehlenden einvernehmlichen Einigung greift, wo kann man darunter sehr wohl auch die von Martinek bezeichnete qualifizierte Neuverhandlungspflicht fassen. Abgesehen von der von Martinek, AcP 198 (1998), 329, 348, angeführten Verbreitung solcher Klauseln in der Praxis, spricht auch nichts dagegen, einer Vertragsseite unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung aufzuerlegen. Keinesfalls darf eine unterschiedliche Begrifflichkeit (erweiterte Neuverhandlungsklausel oder qualifizierte Neuverhandlungspflicht) den Blick auf Gemeinsamkeiten zur Lösung der Anpassungsproblematik versperren. 1229 Auch dazu wiederum mit entsprechenden tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen etwa Lettl, JuS 2001, 456, 461; siehe ebenso Baur, ZIP 1985, 905, 907. 1230 Kritisch etwa Grunewald, ZZP 101 (1988), 152, 152 f., bezüglich einer gerichtlichen Gestaltungskompetenz durch eine privatautonome Vereinbarung der Parteien, die Grunewald, sofern die Vereinbarung erweiternd wirkt, ablehnt. Auf die folgende Problematik bei der Durchsetzung von Anpassungsklauseln weist etwa Salje, NZG 1998, 361, 365, hin. 1231 Auf das Problem hinweisend Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 35. 1232 So Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 35, die zudem anführt, in der Praxis würden erweiterte Anpassungsklauseln nur zur Anpassung des Preises oder der Leistung als solche ausgestaltet.
C. (Rechts-)Soziologische Umschreibungen des Vertrags
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entschieden haben als durch eine solche durch eigene Einigung.1233 Hinsichtlich der Bestimmtheit sollte dann vielmehr nochmals darauf geachtet werden, den Anpassungstatbestand entsprechend zu formulieren sowie im Vertrag selbst taugliche Anpassungsmaßstäbe1234 zu schaffen. Gerade die Einschaltung einer sonstigen (Entscheidungs-)Instanz1235 auf diesem Weg kann sich für die Befriedigung und die Beziehungserhaltung als durchaus vorteilhaft erweisen, z. B. indem bei wirtschaftlichen Streitigkeiten ein mit entsprechenden Fachleuten besetztes Schiedsgericht entscheidet. Beispiel: „a) [Formulierung des Tatbestands, wann Verhandlung und Anpassung erfolgen soll; Aufnahme entsprechender Maßstäbe]. b) Sollten die Vertragsparteien innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten, beginnend mit dem Zeitpunkt, zu dem eine Seite ein Anpassungsbegehren an die andere Seite herangetragen hat,1236 nicht zu einer einvernehmlichen Vertragsänderung kommen, so hat die die Anpassung begehrende Seite das Schiedsgericht anrufen. c) Das Schiedsgericht entscheidet umfassend, ob der Anpassungstatbestand erfüllt ist und wie ggf. eine Anpassung zu erfolgen hat. [Aufnahme von Anpassungsmaßnahmen.] d) [Regelungen bezüglich der Bildung des Schiedsgerichts, seiner Zuständigkeit, der Durchführung des schiedsrichterlichen Verfahrens, zum Schiedsspruch und der Beendigung des Verfahrens, zum Verfahren vor staatlichen Gerichten sowie ggf. zu allgemeinen Bestimmungen.]“1237
Vorteilhaft ist bei einer erweiterten Neuverhandlungsklausel grundsätzlich, dass die Beziehung nicht weiter belastet wird, indem „ungewollte“ Lösungswege einer Seite beschritten werden, sondern es gerade parteiintern bestimmt worden ist, was zur Erlangung einer Anpassung zu tun ist. Die Einschaltung beispielsweise eines Schiedsgerichts kann darüber hinaus weitere spezielle Vorteile haben. Das können Zeit- und Kostenersparnisse sein, vor allem eine Sachnähe der „Richter“, die stärkere Akzeptanz einer Entscheidung hervorrufen kann. Es kann außerdem noch ein anderer Aspekt hinzukommen. Das Bewusstsein, die Streitigkeit vor einem Gremium auszutragen, das mit (Fach-) Kollegen aus entsprechenden (Fach-)Kreisen besetzt ist, kann dazu führen, sich 1233 So die Argumentation von Kamanabrou, Vertragliche Anpassungsklauseln, S. 35, die dies allerdings neben den zuvor angeführten Argumentationsstrang stellt, der auf eine Einschränkung des Anpassungsgegenstands abstellt. 1234 Siehe zu der Problematik, allerdings im Zusammenhang mit einem (einseitigen) Bestimmungsrecht, das schlussendlich durch Gerichte ausfüllbar sein soll, Salje, NZG 1998, 361, 363. 1235 Vgl. auch die Ausführungen bei Bachmann, Private Ordnung, S. 396 f., wonach z. B. die Anpassungskompetenz bei bestimmten Verträgen einem sachverständigen Dritten übertragen werden sollte. 1236 Hier kann z. B. auf den Zugang des Ansinnens abgestellt werden. 1237 Vgl. zur Strukturierung einer Schiedsvereinbarung grundsätzlich Walz/Bandel, Formularbuch Außergerichtliche Streitbeilegung, § 22, Muster 22.1; siehe dort auch zu Formulierungsvorschlägen.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Gedanken, um den eigenen „Ruf“ in den entsprechenden Kreisen zu machen.1238 So kann obstruierendes Verhalten z. B. schneller bei potentiellen Vertragspartnern bekannt werden und dazu führen, an künftigen Projekten nicht mehr beteiligt zu werden. Es ist ein vergleichbarer Mechanismus wie beim „self enforcing contract“. e) Resümee zu den Macneilschen Ansätzen Macneils Forschungen haben sich zwar nicht in einem relationalen Vertragsrecht durchgesetzt, seine Erkenntnisse können aber gleichwohl in vielfacher Hinsicht für einen gestalterisch tätigen Juristen nutzbar gemacht werden. Sie können für den Anwalt u. a. Anstoß sein, sich von einem (nur) auf Sicherung und Durchsetzbarkeit geprägten Rechtsdenken zumindest in der Form zu lösen, andere Kooperationsstrukturen in sein Handlungstableau aufzunehmen.1239 Dabei darf der Anwalt gleichwohl, das gebieten schon seine Pflichten aus dem Anwaltsvertrag und die dahinter stehende mögliche Haftung, die Berücksichtigung von rechtlicher Wirksamkeit und Gerichtsfestigkeit des Vertrags nicht außer Acht lassen. Das ist kein Mangel einer deutschrechtlichen Methodenlehre1240, sondern notwendige anwaltliche Sorgfalt und berechtigter Selbstschutz. Selbstverständlich steht es dem Mandanten frei, nach einer entsprechenden Aufklärung auf die Sicherungsmechanismen des staatlichen Rechts zu verzichten. Das, was der Anwalt auch ohne einen solchen Verzicht leisten kann, ist eine (vertragliche) Kombination von (kontrollierbarer) Sicherheit und Flexibilität, die sich u. a. in der Integration von den genannten Kooperationselementen, etwa von Anpassungsklauseln, zeigen kann. Hinzu kommt, dass der Anwalt insgesamt in seine Überlegungen, von der Sachverhaltsermittlung bis hin zur konkreten Vertragsgestaltung, relationales Gedankengut beachten sollte. Das betrifft vor allem den Umstand der sich entwickelnden Beziehung, das Bewusstsein, dass nicht alle Aspekte (sinnvoll) beim (ersten) Vertragsabschluss regelbar sind, oder wiederum die Erkenntnis, wonach ein befriedigender und befriedender Vertrag oftmals nicht unter Aussparung der sozialen Abläufe erstellbar ist. Eines wird an dieser Stelle allerdings deutlich: Die Abfassung eines Vertrags, der rechtliche Durchsetzbarkeit und Flexibilität kumulativ gewährleisten soll, kommt mitunter der bereits angeführten „Quadratur des Kreises“ gleich. Sie stellt höchste juristische Anforderungen an den einzelnen Anwalt. 1238 Zur Vollstreckung schiedsgerichtlicher Urteile, allerdings im transnationalen Bereich, mit Hilfe von Reputation durch die Gemeinschaft der Marktteilnehmer, siehe Dietz, ZfRS 30 (2009), 165, 167. 1239 Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 10, ist diesbezüglich pessimistisch. Bei der Verhandlung von Projektverträgen stünden regelmäßig Haftungsrisiken im Mittelpunkt, Kooperationsregelungen würden als reine „boilerplates“ unreflektiert mit dem Standardvertrag übernommen. Das Relational Contracting habe sich nicht durchsetzen können. 1240 Dazu Schuhmann, ZfBR 2012, 9, 11.
D. Drittinteressen
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III. Notwendigkeit der Kombination einer juristischen und einer (rechts-)soziologischen Sichtweise auf den Vertrag Die Auseinandersetzung um ein (rechts-)soziologisches Verständnis des Vertrags(-rechts) zeigte unterschiedliche Facetten, welche verschiedenen Formen der Berücksichtigung von sozialen Abläufen und Kontexten innerhalb der Vertragsgestaltung von Bedeutung sein können und ggf. müssen. Eine rechtssoziologische Sichtweise sollte und war dabei vielfach nicht mit einer Verdrängungstendenz in Bezug auf die Gestaltungsmittel des Rechts verbunden, im Gegenteil. Eine (auch) rechtssoziologische Sichtweise zieht zwar einerseits die Erkenntnis nach sich, dass das Recht möglicherweise als Mittel zur Interessenumsetzung nicht notwendig oder sogar ungeeignet ist. Vielfach geht es aber darum, die Interessenumsetzung durch den juristischen Vertrag besser zu verwirklichen, weil man die Schwächen, aber auch die Stärken des juristischen Vertrags genauer beurteilen und daher letzteren optimal einsetzen kann. Die bisherigen Untersuchungen zum rechtssoziologischen wie auch zum juristischen Vertragsverständnis bezogen sich, gerade aufgrund des zuletzt genannten Aspekts der Optimierung, in erster Linie auf die Interessen der potentiellen Vertragspartner. Eine eigene/weitere Sichtweise ist vonnöten, wenn es um den Umgang mit Drittinteressen in der Vertragsgestaltung geht. Hierbei stellen sich andere Fragen angesichts der Einstellung solcher Interessen in den Gestaltungsvorgang. Das betrifft zunächst und vor allem juristische Probleme, wenngleich selbstverständlich auch in Bezug auf Dritte soziale Abläufe von Relevanz sind. Die Drittinteressen bedürfen innerhalb des Interessenkonglomerats einer eigenständigen Betrachtung.
D. Drittinteressen Das Zusammenspiel von Interessenumsetzung mit Hilfe des Vertrags stellt sich in eigener Weise beim Umgang mit Drittinteressen dar. Drittintereressen sind/können zum einen wiederum Objekt von Mandanteninteressen sein, sie sind aber darüber hinaus möglicherweise besondere „Grenzen“ der eigenen Interessenumsetzung, sowohl in rechtlicher wie in sozialer Weise. Begrifflich muss der „Dritte“ näher bestimmt werden.1241
1241 Zu einem grundlegenden Blick auf Eigen-, Dritt- und Allgemeininteressen – gerade auch aus freiheitlicher Sicht – Neuner, ZfPW 2022, 257 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
I. Begriff und Erscheinungsformen des Dritten und seiner Interessen 1. Formale Bestimmung des Dritten Die Bestimmung, wer „Dritter“ ist, hat innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung aus dem Blickwinkel der wahrzunehmenden Interessen zu erfolgen. Der Anwalt hat zuvörderst die Interessen seines Mandanten umzusetzen. Der Mandant soll Partei eines (juristischen) Vertrags werden und so seine Interessen verwirklicht sehen. Man könnte daher als Dritten jeden ansehen, der nicht Mandant ist. Dann wäre z. B. auch der potentielle Vertragspartner „Dritter“. Der Vertragspartner ist jedoch bewusst aus dem Kreis der hier zu erörternden Dritten auszunehmen. Zum einen kann ein Mandant, der im Wege eines Vertragsschlusses seine Wünsche realisiert sehen will, dies nicht ohne einen Vertragspartner erreichen. Zum anderen sind die im Zusammenhang mit dem Vertragspartner auftretenden Fragen und Probleme vielfach von anderer Qualität als in Bezug auf sonstige Personen. Besonders hervorzuheben ist der Umstand des (notwendigen) kommunikativen Kontakts zwischen den Vertragspartnern, damit es zum Vertragsschluss kommt. Das gilt ggf. auch für die Zeit nach dem eigentlichen Vertragsschluss, wie sich z. B. anhand der Macneilschen Überlegungen zeigte. Andere Personen sind oftmals, wenn auch nicht notwendigerweise, gar nicht in diesen Prozess einbezogen. Relevant kann dieser Aspekt etwa im Prozess der Aufdeckung und Einbringung von Interessen sein. Ein damit (möglicherweise) einhergehendes „Abschleifen“ der Interessen,1242 auch und gerade in Bezug auf einen Dritten, findet mangels Einbeziehung desselben häufig gar nicht statt.1243 Dritter ist somit derjenige, der nicht (potentielle) Vertragspartei des (juristischen) Vertrags ist,1244 das heißt, wer sich nicht durch eine entsprechende (Willens-)Erklärung unmittelbar der rechtlichen Bindung eines bestimmten juristischen Vertrags unterwirft.1245 Insofern unterscheidet sich der hier verwendete Begriff des Dritten 1242 Zum „gegenseitigen Abschleifen entgegenstehender Interessen im Verfahren der Vertragsbildung“ Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 62, unter Hinweis (Fn. 105) auf Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 149 ff.; insbesondere 155 f. 1243 Siehe auch Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 151 f., zur mangelnden Beachtung der Belange der Gesellschaft, gerade wenn diese sich nicht mit den eigenen decken; siehe ferner Schmidt-Salzer, NJW 1971, 173, 175. Zur Richtigkeitsgewähr und der Polarität von Interessen vor allem auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, etwa S. 66 f. Habersack, S. 68, betont zudem, dass die Richtigkeitsgewähr des Vertrags über die Fälle intersubjektiv fehlender Interessenpolarität hinaus auch insoweit begrenzt sei, als es an einem Gleichlauf zwischen Vertragspartner- und Drittinteressen fehle. 1244 Grundmann/Renner, JZ 2013, 379, 380, sprechen von „vertragsfremden Dritten“. 1245 Das muss nicht bedeuten, dass der Dritte überhaupt keine Willenserklärung, die in einem Zusammenhang mit einem bestimmten Vertrag steht, abgegeben hat. Zu denken ist etwa an einen Sicherungsgeber bezüglich eines Darlehensrückzahlungsanspruchs (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB), der mit dem Darlehensgeber einen Vertrag über eine zu bestellende Sicherheit schließt sowie einen solchen über die Hingabe der Sicherheit selbst. Geht nun der
D. Drittinteressen
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etwa von dem in § 123 Abs. 2 BGB; Stellvertreter oder Verhandlungsgehilfen sind innerhalb der Vertragsgestaltung als Dritte anzusehen.1246 Diese im Grunde formale Bestimmung betrifft zum einen Dritte als individuelle Personen. Der Kreis der Dritten ist jedoch nicht auf Einzelpersonen beschränkt. Dritter kann auch eine Gruppe sein, bei der die Gruppenzugehörigkeit an bestimmten, in der Regel typisierten Merkmalen festzumachen ist, z. B. Vermieter, Sicherungsnehmer, Besucher einer Veranstaltung. Ferner ist vorstellbar, dass die Mitglieder einer Gruppe (Dritte) daneben in einem „natürlichen Verbund“ von Individuen stehen, etwa in Bezug auf die bekannten Mitglieder einer Familie.1247 Schließlich kann mit dem Dritten auch im weitesten Sinn die „Allgemeinheit“ gemeint sein.1248 2. Arten von Drittinteressen So, wie der Dritte in verschiedenen „Formen“ auftreten kann, ist auch das Interesse, das er hat/haben kann, von unterschiedlicher Gestalt. Insbesondere bei Dritten als Einzelpersonen können die Interessen letztlich in der großen Bandbreite auftreten, wie sie auch bei den potentiellen Vertragsparteien möglich ist. Diese Interessen können also (rein) tatsächliche Wünsche und Begehrungen ausmachen, etwa den Wunsch nach einer ruhigen (konfliktfreien) Nachbarschaft. Häufig werden die Interessen der Dritten sich auch an (rechtlichen) Positionen festmachen, so an der Einhaltung bestimmter Lärmschutzvorgaben, z. B. nach § 9 LImSchG NRW1249, oder an der Erlangung eines bestimmten vertraglichen Anspruchs1250. Selbstverständlich können den Positionen wiederum „kausale“ Interessen zugrunde liegen. Schwieriger kann sich das Festmachen der Interessen bei einem Dritten als Gruppe ausnehmen. Zunächst können sich auch hier ggf. tatsächliche Wünsche Darlehensgeber mit einem anderen Sicherungsgeber außerdem einen weiteren (anderen) Sicherungsvertrag ein, so ist der Dritte an diesem formal nicht beteiligt. Gleichwohl steht seine Willenserklärung im Zusammenhang mit dem (zweiten) Sicherungsgeschäft, was sich etwa innerhalb der Behandlung mit dem Übergang von Sicherheiten bei der Leistung durch einen Sicherungsgeber zeigen kann. Zu Sicherungsgeschäften und Drittinteressen vgl. z. B. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 78 ff. 1246 Siehe in Abgrenzung dazu die Darstellung der Begrifflichkeit des Dritten innerhalb des § 123 Abs. 2 BGB etwa bei MK-BGB/Armbrüster, § 123, Rn. 72 ff. Zum möglichen Streit um die Bestimmung des „Dritten“ im Zusammenhang mit der Einflussnahme auf die Rechtsstellung Dritter, Westermann, AcP 208 (2008), 141, 142. 1247 Auch hier findet man typisierte Merkmale, der Unterschied zu den Beispielen zuvor besteht darin, dass die „Mitgliedschaft“ in der Regel ohne eigenes Zutun „erworben“ wird. 1248 Vgl. auch Westermann, AcP 208 (2008), 141, 150 f., der die auf das Private einwirkenden Dritt- und Allgemeininteressen anführt. 1249 Nach § 9 Abs. 1 LImSchG NRW sind von 22 bis 6 Uhr Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind. 1250 Ausführlich noch zum Vertrag zugunsten Dritter unten D. III. 1. a) bb) (1), S. 265 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
feststellen lassen, vor allem, wenn die Gruppenmitglieder untereinander kommunizieren und sich dann auch nach außen hin artikulieren. Beispiel: Eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter und zwei erwachsenen Kindern, ist gegen ein Bauvorhaben in der Nachbarschaft. Sie haben sich intern über ihre tatsächlichen Wünsche (z. B. Abwendung von Lärm und Sichtbeeinträchtigungen) geeinigt und äußern diese im Anschluss nach außen gegenüber den Nachbarn.
Können der Gruppe als solcher (rechtliche) Stellungen zugewiesen werden, z. B. den Gesellschaftern einer GmbH,1251 so ist wiederum der Rückgriff auf diese Gruppe für die Interessenbestimmung (Position) möglich, etwa wenn eine GmbH einen bestimmten Gegenstand käuflich erwerben möchte. Gerade in Bezug auf Gruppen, vor allem wenn sich die „Mitgliedseigenschaft“ nach typischen Merkmalen bestimmt, z. B. „Vermieter“ oder „Sicherungsnehmer“,1252 kann das Gruppeninteresse außerdem in ebenfalls typisierter Form auftreten, das heißt anhand von (mehrheitlichem) Vorliegen bestimmter Interesseninhalte. Klärungsbedürftig ist, wer diese Form von Interessen herausbildet.1253 Das kann in der Gruppe selbst geschehen, u. a. durch eine gemeinsame Satzung eines entsprechenden Interessenverbands (z. B. „Haus und Grund“1254).1255 Denkbar und oftmals anzutreffen ist jedoch auch die „externe“ Definition von Gruppeninteressen durch andere, so durch den Gesetzgeber.1256 Ein Beispiel ist die
1251 Bei der Zuweisung rechtlicher Stellungen an eine Gruppe wird letztere in der Regel eine juristische Person (z. B. die GmbH nach § 13 GmbHG) oder jedenfalls ein rechtsfähiger Zusammenschluss wie etwa die GbR sein; zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR BGHZ 146, 341, 343 ff.; BGHZ 172, 169, 172. Dann kann auch die Überlegung angestellt werden, sie wie eine „Einzelperson“, zu behandeln, die durch ihre Organe handelt. Davon zu trennen sind die Interessen der handelnden Organe selbst. 1252 Hier spielen bei der Bestimmung der Gruppenzugehörigkeit oftmals rechtliche Kriterien hinein. 1253 Im Grunde stellt sich diese Problematik der „Definitionsmacht“ bereits hinsichtlich der Bestimmung der einschlägigen Typisierungsmerkmale hinsichtlich der Gruppen selbst. 1254 Es gibt 867 Haus & Grund-Vereine, 22 Landesverbänden sowie Haus und Grund Deutschland, so https://www.hausundgrund.de/ueber-uns/verband/verband, aufgerufen am 27. 9. 2020. Satzungen, die u. a. die Aufgaben und Mitgliedschaften regeln, finden sich für die verschiedenen Vereine. 1255 Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Interessenverband in der Regel nur um einen Ausschnitt der jeweiligen „typisierten Gruppenmitglieder“ handelt, nämlich um diejenigen, die in dem entsprechenden Verband organisiert sind. 1256 Das gilt grundsätzlich in gleicher Weise für die Interessen der potentiellen Vertragspartner, die von den Merkmalen der gesetzlichen Normen erfasst werden, so etwa Mieter und Vermieter in § 535 BGB. Auch sie finden ihre (individuellen) Interessen oftmals im Gesetz abgebildet oder begrenzt. In diesem Kontext kann auf die klassische Aussage Hecks zur Interessenjurisprudenz verwiesen werden, wonach die Gesetze als „Resultanten der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen materieller, nationaler, religiöser und ethischer Richtung“ interpretiert werden; Heck, AcP 112 (1914), 1, 17.
D. Drittinteressen
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Präambel des § 1 InsO, der unterschiedliche Gläubiger- und Schuldnerinteressen bestimmt. Die Schwierigkeit der Bestimmung von Interessen der größten „Gruppe“, der „Allgemeinheit“, ergibt sich in vergleichbarer Weise. Auch hier geht es darum festzulegen, wer oder was die „Allgemeinheit“ ist und wie die entsprechende Interessenbildung aussieht. „Allgemeinheit“ kann man in unterschiedlichem Sinn verstehen. Von besonderer Bedeutung ist bei einer anwaltlichen Gestaltungstätigkeit, lässt man einmal altruistische Bestrebungen des Mandanten ad omnes außer Betracht, die juristische Rolle von Allgemeinheit und Allgemeininteressen. Die Bestimmung letzterer geschieht dann mit Blick auf alle, die sich in einem bestimmten Gemeinwesen „aufhalten“. Letzten Endes wird das bei jeder Gesetzesanwendung oder einer Begrenzung von Handeln durch Gesetze virulent. Die aus dem (staatlichen) Gesetzgebungsverfahren resultierenden Gesetze sind Elemente der Ausübung staatlicher Gewalt, indem von der Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht wird.1257 Handeln in Form von staatlicher Gewalt hat in der Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichtenden Auftrags zu erfolgen.1258 Folglich kann man Gesetzgebung als „normative Gemeinwohlbestimmung und Gemeinwohlverwirklichung“1259 bezeichnen. Nun ist die Verwendung des Begriffs des Gemeinwohls durchaus nicht unumstritten.1260 Gleichwohl ist er Bestandteil auch der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung1261 und muss insoweit in den Überlegungen aus anwaltlicher Sicht Berücksichtigung finden. Als „Gemeinwohlgrundwerte“ macht von Arnim unter Bezugnahme auf die Menschenwürde die Werte Freiheit, Gerechtigkeit, (Rechts-)Sicherheit, Frieden und Wohlstand aus.1262 Eine Ableitung nimmt er für diese aus den Grundrechten, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Sozialstaatsprinzip, der Demokratie sowie „der Verpflichtung der öffentlichen Hand auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“ vor.1263 Folge eines solchen Allgemeinwohlbezugs innerhalb der Gesetzgebung kann es selbstverständlich auch sein, dass bestimmte Teilinteressenbereiche1264, z. B. 1257
Zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenz siehe Art. 70 GG. BVerfGE 128, 226, 244. 1259 So Kloepfer, NJW 2011, 131, 132. 1260 Dazu von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 5 ff. 1261 BVerfG, Urteil v. 22. 02. 2011, 1 BvR 699/06, Rn. 47, weiterhin z. B. ebenfalls BVerfG NVwZ 2011, 94, 101. 1262 von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Leitsatz 7. (S. 410) unter Bezugnahme auf § 5 (S. 22 ff.). 1263 von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Leitsatz 8. (S. 410) unter Bezugnahme auf § 7 (S. 35 ff.). Zu den Grundrechten als Gemeinwohlkonkretisierungen auch Kloepfer, Verfassungsrecht, Band II, § 49, Rn. 75. 1264 Problematisch und in der aktuellen Diskussion präsent wird/ist es, wenn ein „Gesetzgebungsoutsourcing“ vor allem an Anwälte erfolgt. Letztere stehen als „Teilwohlvertreter“ im Grunde antithetisch zu „Gemeinwohlvertretern“; das herausstellend Kloepfer, NJW 2011, 1258
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1. Teil: Vertrag und Interessen
solche von Eigentümern, geregelt werden. Gerade hinsichtlich solcher „Teilinteressen“ darf allerdings keine Verklärung dahingehend eintreten, dass innerhalb der Gesetzgebung trotz Gemeinwohlverpflichtung kein Lobbyismus1265 stattfindet. Nichtsdestotrotz ist das eng mit den Allgemeininteressen in Verbindung stehende „Produkt“ (Gesetz) letztlich für den Anwalt als Rechtsanwender und vor allem -verwender, im Besonderen angesichts der Kontrollinstanz „Gericht“, relevant. Demzufolge können Allgemeininteressen Individualinteressen gerade durch Gesetze Grenzen setzen, außerdem z. B. innerhalb der Auslegung, das heißt bei der konkreten Rechtsanwendung, von Bedeutung sein oder aber über die Generalklauseln, insbesondere über den § 138 Abs. 1 BGB.
II. Blick auf Drittinteressen im Rahmen der Vertragsgestaltung Angesichts der unterschiedlichsten Formen, in denen „Dritte“ und damit die jeweiligen vielschichtigen Interessen auftreten können, ist ein eigener systematischer Umgang dieser Erscheinungen in der Vertragsgestaltung vonöten. Das betrifft zum einen den „Aktiv- bzw. Passivradius“1266 des Dritten. Da der Dritte nicht Vertragspartei ist und oftmals, sofern überhaupt möglich, nicht in den kommunikativen Prozess hin zum Vertragsschluss einbezogen ist,1267 kommt ihm in vielen Fällen ein zunächst „passiver Part“ zu. Das heißt, der Dritte sieht sich dann mit seinen Interessen der aktiven Handlung (Vertragsschluss) anderer „ausgesetzt“. Seine eigene (anschließende) Handlung besteht somit häufig im Reagieren, dem Hinnehmen, Akzeptieren, Ablehnen oder Abwehren1268 eines Vertrags bzw. seiner Auswirkungen. Der Dritte wird dann „aktiv“.1269 131, 132; siehe auch Kloepfer, Verfassungsrecht, Band I, § 18, Rn. 237. Hier ist der Hinweis auf bestimmtes Fachwissen allein nicht ausreichend. Gleichwohl, so auch Kloepfer, NJW 2011, 131, 132 f., können auch Anwälte im gewissen Sinn „Motor“ des Gemeinwohls sein. 1265 Eine Auseinandersetzung von Lobbyismus und Gesetzgebung erfolgt vor allem auch auf der Ebene der EU, siehe dazu etwa Arnaud, Die Mitwirkung privater Interessengruppen an der europäischen Gesetzgebung, 2009; Klüver, PVS 2012, 211 ff., zu einer empirischen Analyse von Lobbyingerfolg in der Europäischen Union. Ferner zum Transparenz-Register des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission Sefcovic, Recht und Politik 2011, 198 ff.; zur Frage, ob ein Lobbyistenregister auch in Deutschland sinnvoll ist, Lange, Recht und Politik 2011, 196 sowie Kaster, Recht und Politik 2011, 197, zur Pro- bzw. ContraSicht. 1266 Vgl. auch die Einteilung von Grundmann/Renner, JZ 2013, 379, 380, zwischen Dritt(ein)wirkung von Verträgen und auf Verträge. Diese Trennung ist jedoch begrifflich nicht mit der von uns vorgenommenen identisch. 1267 Das betrifft ohnehin nur „Dritte“, die einen kommunizierbaren Willen bilden können. 1268 Das kann ggf. darin bestehen, den Vertrag in seiner Umsetzung zu verhindern, z. B. durch ein Unterlassungsbegehren. Denkbar ist etwa aber auch die Forderung nach Schadensersatz. 1269 Aus vertragsgestalterischer Sicht muss das potentielle Verhalten des Dritten ggf. in die beratende (Risiko-)Prognose aufgenommen werden.
D. Drittinteressen
261
Der anfängliche aktive Part kommt folglich, sofern der Dritte nicht doch in die Vertragsverhandlungen einbezogen werden sollte, den eigentlichen Vertragsparteien zu. Dieser Part „obliegt“ ihnen in jedem Fall in Bezug auf den Vertragsschluss. Von ihnen geht die Initiative aus. Sie müssen bei ihren Überlegungen jedoch auch die möglichen Reaktionen Dritter berücksichtigen. Damit ist wiederum der Bereich eröffnet, der der maßgebliche innerhalb der Vertragsgestaltung ist: die Interessen der Vertragsparteien. Für die anwaltliche Vertragsgestaltung ist deshalb erneut der Ausgangspunkt aller Formen der Berücksichtigung und Einbeziehung von Drittinteressen das Mandanteninteresse, das es umzusetzen gilt. Die Drittinteressen werden vor allem nicht um ihrer selbst willen einbezogen, sondern nur und weil es die Mandanteninteressen vom Anwalt optimal zu verwirklichen gilt.1270 Drittinteressen sind dementsprechend für den Anwalt schon im Ansatz nicht „wertfrei“ zu stellen wie etwa die Interessen seines Mandanten. Vielmehr sind sie von Anfang an einer Wertung zu unterziehen, nämlich der des Maßstabs in Form der umzusetzenden Mandantenwünsche. Diese grundsätzlich klare Vorgabe wirft für den Anwalt in ihrer Umsetzung aber unterschiedliche Schwierigkeiten auf. Sie betreffen vor allem Fragen der Machbarkeit. Zur Systematisierung der Verknüpfung von Mandantenund Drittinteressen sind unterschiedliche Stufen und damit einhergehende typische Verflechtungen der jeweiligen Interessen von Bedeutung.
III. Verknüpfungen zwischen Mandanten- und Drittinteressen 1. Intendierte Einwirkung auf Interessen individualisierbarer Dritter Mandanteninteressen umfassen grundsätzlich alles, was eine Person sich wünschen kann. Demgemäß kann der Mandant sich wünschen, gezielt in die Sphäre eines Dritten einzuwirken, das heißt, dessen Interessen zu beeinflussen. Die deutlichste Verknüpfung von Mandanten- und Drittinteressen stellt eine „Mandantenpositionierung“ dar; der Mandant will eine bestimmte Einwirkung. Nur wenn es dazu kommt, ist das Mandanteninteresse abgedeckt. Selbstverständlich kann eine solche Positionierung wiederum, was auch häufig der Fall sein wird, das Ergebnis unterschiedlicher kausaler Interessenströme sein. Trägt nun der Mandant entsprechende Wünsche an seinen Interessenvertreter „Anwalt“ heran, so ergibt sich für diesen die Notwendigkeit der Klärung des Machbaren in der Form, ob die Interessenverknüpfung Mandant – Dritter auf rechtlicher oder auf sozialer Ebene erfolgen soll.1271 Diesbezüglich zeigen sich wiederum unterschiedliche Formen des Umgangs mit Interessen und des Umgangs mit dem Vertrag. Im Fokus soll zunächst eine beabsichtigte rechtliche Einwirkung auf einen individualisierbaren Dritten stehen. 1270
Eine Grenze kann sich für den Anwalt auch hier aufgrund des Berufsrechts ergeben. Das ist grundsätzlich keine andere Herangehensweise als im Verhältnis Mandant – Vertragspartner. Allerdings sind die rechtlichen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen im Verhältnis zum Dritten andere. 1271
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Möglich ist zwar auch die (gezielte) Einflussnahme auf die Allgemeinheit, etwa im Sinne altruistischer Ausrichtungen, z. B. durch die Errichtung einer rechtsfähigen Stiftung nach §§ 80 ff. BGB zur dauernden Förderung eines bestimmten altruistischen Zwecks.1272 Auf eine Vertiefung diesbezüglich wird jedoch verzichtet.1273 Als individualisierbare Dritte können allerdings durchaus größere Personenkreise in Betracht kommen, etwa die potentiellen Adressaten von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.1274 a) Unmittelbare (rechts-)gestalterische Einwirkungen auf die (Rechts-)Sphäre des Dritten Wünscht der Mandant eine gezielte Einwirkung, kann die Verknüpfung zwischen Mandanten- und Drittinteressen1275 darin bestehen, dass der Mandant willentlich gestaltend die Interessensphäre des Dritten durch einen Vertrag mit seinem (des Mandanten) Vertragspartner verändern möchte. Die zu berücksichtigende Interessensphäre des Dritten soll dabei zunächst dahingehend begrenzt werden, dass die Rechtslage des Dritten notwendig mit einzubeziehen ist. Grundsätzlich vorstellbar sind Ziele des Mandanten, die sich darauf richten, eine Einwirkung im positiven oder negativen Sinn herbeizuführen sowie im Ergebnis auf einen verpflichtenden und/oder verfügenden Charakter hinauslaufen. Die „Gestaltung“ der „Rechtslage“ des Dritten wird somit in Richtung auf eine „Positionsveränderung“ beim Dritten verstanden, indem bei ihm entweder rechtliche Pflichten begründet oder ihm wirksam Ansprüche genommen bzw. Rechte vereitelt oder be-/ verhindert werden.1276 Oder die Überlegung richtet sich in die „positive“ Richtung, das heißt, begehrt wird die Begründung von Ansprüchen oder Schaffung von Rechten beim Dritten. Es geht also jeweils um eine „aktive“ Gestaltung der Rechtslage des 1272 Davon zu trennen sind Einwirkungen auf konkrete Dritte aus einer altruistischen Motivation heraus, z. B. durch eine Schenkung nach § 516 BGB, von der auch ein Dritter, der nicht Vertragspartei geworden ist, profitiert. Lässt etwa ein Vater seiner frisch verheirateten Tochter eine bestimmte Summe Geld aufgrund einer Schenkung zukommen, kann er damit beabsichtigen, nicht nur ihr, sondern ebenso ihrem Ehemann den Ehestart zu erleichtern. Gedacht werden kann insoweit auch z. B. an eine Schenkung unter Auflage (§ 525 Abs. 1 BGB). 1273 Zu unterscheiden ist jedoch die Problematik, inwiefern allgemeine Interessen, z. B. allgemeine Verkehrsinteressen, durch einen Vertrag beeinträchtigt werden können; dazu m. w. N. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 77 f. Eine solche Beeinträchtigung kann zur Begrenzung individueller Vertragsgestaltung führen. 1274 Eine Vertiefung der AGB-Problematik und der Drittinteressen erfolgt im Rahmen dieser Untersuchung nicht; dazu etwa Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 101 ff.; siehe auch Westermann, AcP 208 (2008) 141, 170 ff. 1275 Der Mandant muss dabei selbstverständlich zur Erreichung dessen mit seinem unmittelbaren Vertragspartner eine Einigung erlangen. Insoweit spielen auch die Interessen des Vertragspartners hinein. 1276 Zur Vereitelung eines Rechts als Unterpunkt von Lastwirkungen Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56 f.
D. Drittinteressen
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Dritten. Fernerhin soll gerade die Einwirkung auf den Interessenkreis des Dritten mit rechtlichen Mitteln erreicht werden, also eine solche im Einklang1277 mit dem Recht. aa) Verfügungen Sofern der Mandant möchte, auf die Interessensphäre des Dritten durch eine Verfügung einzuwirken, herbeigeführt (u. a.) durch einen Vertrag zwischen ihm und seinem Vertragspartner ohne Beteiligung des Dritten, kann sein anwaltlicher Gestalter dem Wunsch in der Regel aufgrund seiner fachlichen Beratung klare Grenzen setzen. So sind dingliche Verfügungen1278 nach überwiegender Meinung, insbesondere auch nach der Rechtsprechung, mit Wirkung für einen unbeteiligten Dritten nicht möglich; § 328 BGB ist nicht anwendbar.1279 Zur Begründung wird u. a. auf den Typenzwang des Sachenrechts abgestellt.1280 Orientiert sich der Anwalt an der für ihn in der Regel maßgeblichen Rechtsprechung, so ist der Weg insofern im Sinne des Mandanteninteresses nicht gangbar, als der Mandant eine rechtswirksame Verfügung wünscht. Beachtung finden muss allerdings, dass dingliche Verfügungen gerade „zu Lasten Dritter“ dem BGB nicht unbekannt sind, wie die Regelungen der §§ 932 ff., 892 BGB zeigen. Die Überlegungen könnten folglich dahin gehen, solche Bestimmungen „gezielt“ als gestalterisches Instrument einzusetzen. Die Grenzen, die hinsichtlich der Mandanteninteressen dann relevant sind, sind diejenigen drohender Schadensersatzansprüche gegen den Mandanten seitens des Dritten, ebenso wie bereicherungsrechtliche Ansprüche, u. U. auch drohende strafrechtliche Konsequenzen 1277 Auf die Kennzeichnung der Rechtsvereitelung durch die Vornahme einer an sich rechtmäßigen Handlung des Verursachers hinweisend, Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 57, Fn. 11, dort unter Verweisen auf Jhering, JherJB 10 (1866), 317 f. und Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte, S. 258 ff. 1278 Die vertragliche Einigung knüpft an §§ 873, 929 bzw. § 1205 BGB an. 1279 U. a. BGHZ 41, 95, 95 f.; BGH NJW 1993, 2617, 2617; BayObLG NJW 2003, 1402, 1403; letzteres zur mangelnden Anwendbarkeit der §§ 328 ff. BGB. Aus der Literatur u. a. Grüneberg/Grüneberg, BGB, Einf v § 328, Rn. 9; Soergel/Hadding, BGB, § 328, Rn. 115 ff. Die Literatur ist in ihren Auffassungen freilich stark auseinandergehend. So wird u. a. § 328 BGB teilweise für anwendbar erklärt, siehe etwa Erman/Bayer, BGB, § 328, Rn. 12 (Analogie bzgl. dinglicher Leistungs- und Nutzungsrechte); Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, § 17 IV (S. 232), wobei etwaige Vollzugsakte dann vom Dritten vorgenommen werden müssen; ihm bleibt zudem das Recht aus § 333 BGB. Eine Einigung zugunsten Dritter bezüglich der Übertragung von Grundstückseigentum lehnt Larenz aufgrund der damit verbundenen Unsicherheit über die Rechtslage ab. Differenzierend u. a. MK-BGB/ Gottwald, § 328, Rn. 282, der eine Bejahung aber in dem Bereich der Nutzungs- und Verwertungsrechte annimmt (dort m. w. N., auch zu weiteren Gestaltungsmöglichkeiten); ferner Rahbari, ZGS 2010, 172, 175, der keine rechtsdogmatischen Bedenken gegen die analoge Anwendung der §§ 328 ff. BGB auf dingliche Verfügungen erhebt, allerdings erhebliche rechtspraktische Einwände ausmacht. 1280 RGRK/Ballhaus, BGB, § 328, Rn. 6. Die Berufung auf den Typenzwang des Sachenrechts ablehnend Rahbari, ZGS 2010, 172, 175.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(Betrug nach § 263 StGB). Aus der eigenen Interessensicht des Anwalts ergeben sich neben etwaigen eigenen Schadensersatzpflichten (§ 826 BGB) gegenüber dem Dritten vor allem wieder Grenzen berufsrechtlicher und ethischer Art. Vergleichbare Situationen finden sich in Bezug auf schuldrechtliche Verfügungsgeschäfte.1281 Auch hier lehnt eine starke Meinung unter Einschluss der Rechtsprechung die Verfügung zugunsten Dritter, sei es über § 328 BGB direkt oder analog, mit unmittelbarer Wirkung ab.1282 Für den anwaltlichen Interessenumgang gilt somit grundsätzlich nichts anderes als hinsichtlich der dinglichen Verfügungsgeschäfte. Zusammenfassend kann man ausmachen, dass im Bereich der Verfügungsgeschäfte vor allem nach der Rechtsprechung der individuellen Interessenumsetzung über das Instrument des Vertrags im Rahmen der Privatautonomie strenge Grenzen gesetzt sind. Die Grenzziehung erfolgt nicht in Abwägung zu den konkret betroffenen Drittinteressen, sondern zwingend durch äußere, objektivierte Vorgaben, in denen sich letztlich allgemeine Interessen widerspiegeln. So kommt etwa in der angesprochenen Strenge des Sachenrechts das Bestreben zum Ausdruck, Sicherheit bezüglich der dinglichen Rechtslage zu gewährleisten. Das dahinterstehende Ziel weist einen starken Bezug zu allgemeinen Interessen auf. Das ist wiederum ein deutlicher Ausdruck dessen, dass privatautonomer Gestaltung, die andere Interessenbereiche berührt, von außen („extern“) Grenzen gesetzt werden können und ggf. auch müssen.
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Bei der Abtretung ist, abgesehen von § 405 BGB, kein Gutglaubensschutz vorgesehen. Vgl. BGHZ 68, 225, 231 (Ablehnung der Verfügung zugunsten Dritter); BGH NJW 2010, 64, 65; BGH NJW 1994, 2483, 2484 (jeweils Ablehnung eines Erlassvertrags zugunsten Dritter); ebenso BGH NJW 2010, 64, 65; OLG Frankfurt VersR 1984, 755; Grüneberg/Grüneberg, BGB, Einf v § 328, Rn. 8 (weder direkte noch analoge Anwendung der §§ 328 ff. BGB), dort zur Ausnahme für eine befreiende Schuldübernahme; siehe ferner Staudinger/ Klumpp (2020) BGB, Vorbemerkung zu §§ 328 ff., Rn. 37 ff., insbesondere 43. A. A. bezüglich der Bestellung dinglicher Leistungs- und Nutzungsrechte etwa Erman/ Bayer, BGB, § 328, Rn. 12; a. A. auch bzgl. Verfügungsgeschäfte Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, § 17 IV (S. 233); es genügt, so Larenz, wie beim § 398 BGB ein einfacher Vertrag; die Mitwirkung des Dritten ist nicht erforderlich, dieser hat aber das Recht aus § 333 BGB. Zustimmend weiterhin u. a. Staudinger/Jagmann (2009), BGB, Vorbemerkung zu §§ 328 ff., Rn. 62; Looschelders, Schuldrecht AT, § 51, Rn. 33 f. (allerdings, Rn. 35, muss der Schuldner mitwirken); Schlechtriem/Schmidt-Kessel, Schuldrecht AT, Rn. 738. Zum Erlass als umzudeutender pactum de non petendo u. a. Staudinger/Jagmann (2009), Vorbemerkung zu §§ 328 ff., Rn. 56 m. w. N.; Staudinger/Klumpp (2020), BGB, Vorbemerkung zu §§ 328 ff., Rn. 50 m. w. N. Siehe auch MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 276. 1282
D. Drittinteressen
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bb) Verpflichtungsgeschäfte (1) Vertrag zugunsten Dritter Verpflichtende Verträge bieten, anders als die Verträge mit verfügendem Charakter, im vertragsgestalterischen Bereich deutlich größere Möglichkeiten, innerhalb derer einem Mandantenbegehren, Drittinteressen rechtlich zu involvieren,1283 Rechnung getragen werden kann. Das betrifft zunächst die Situation, in der der Mandant wünscht, einem bestimmten Dritten eine schuldrechtliche Anspruchsposition auf Leistung gegenüber seinem (des Mandanten) Vertragspartner zukommen zu lassen, das heißt die Begründung eines Vertrags zugunsten Dritter nach § 328 BGB. Beispiel: Der Mandant möchte dem Dritten einen eigenen Anspruch gegenüber seinem Vertragspartner, einem Winzer, auf Lieferung von 100 l Wein aus der noch anstehenden Ernte verschaffen.
Das Mandanteninteresse besteht darin, dem Dritten eine eigene vertragliche Anspruchsposition einzuräumen. Bezüglich der hier betroffenen Drittinteressen muss trotz der dort grundsätzlich gleichfalls möglichen Weite wie hinsichtlich der Mandanteninteressen unterschieden werden. Das betrifft vor allem die Wahrnehmung durch den Mandantenanwalt. Ein bestimmter Dritter kann zwar einen aktuell vorhandenen Wunsch dahingehend haben, dass seine Rechtslage sich in bestimmter Art und Weise verändern soll (oder auch nicht). Es geht dann ggf. durchaus um ein vom Dritten selbst artikuliertes Interesse. Für den Anwalt ist jedoch (nur) relevant, dass sein Mandant ein Drittinteresse umgesetzt wissen will und dies dem Anwalt in der Regel entsprechend mitteilt. Beispiel: Die Ehefrau wünscht beim Tod ihres Mannes durch eine Versicherung in bestimmtem Rahmen selbst abgesichert zu sein. Sie bespricht dies mit ihrem Mann. Ihr Ehemann gibt diese Wünsche, die er teilt, in einem anwaltlichen Beratungsgespräch an seinen Anwalt weiter.1284
Oftmals wird der Dritte in solchen Fällen in die Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt, ggf. auch gegenüber dem potentiellen Vertragspartner, einbezogen.1285 Sofern es dazu kommt, wird der Dritte gleichsam aus seiner anfänglichen „passiven Rolle“ herausgeholt. Das Vorhandensein und die Mitteilung der Drittinteressen können allerdings auch anders gelagert sein. Da der Dritte nach unserer Definition gerade nicht als Partei am abzuschließenden Vertrag beteiligt ist, ist es in Bezug auf den jeweiligen Dritten 1283
In dem Sinn, dass die Rechtslage im oben beschriebenen Sinn verändert wird. Entsprechende Regelungen zur Lebensversicherung finden sich in §§ 150 ff., 159 VVG. Zur Lebensversicherung als Vertrag zugunsten Dritter (auf den Todesfall) MK-VVG/ Heiss, § 159, Rn. 8 ff. 1285 Notwendig ist das allerdings nicht, da der Dritte im hier verstandenen Sinn nicht Vertragspartner sein soll. Der Dritte ist zudem über § 333 BGB „geschützt“. 1284
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1. Teil: Vertrag und Interessen
nicht zwingend erforderlich, dass „seine“ Interessen in seiner Person aktuell, noch nicht einmal latent vorhanden sind. Relevant ist für den anwaltlichen Vertragsgestalter zunächst wiederum die Wahrnehmung/Einschätzung der Drittinteressen, die ihm über den Mandanten vermittelt werden. Dieser teilt dem Anwalt z. B. die auf seine (persönliche) Erfahrung gestützte Einschätzung mit, ob und was dem Drittinteresse entspricht bzw. nicht entspricht. Der Mandant „vermittelt“ insoweit fremde Interessen. Vorstellbar ist es jedoch ebenso, dass der Mandant zwar gezielt auf die Interessenlage eines bestimmten Dritten mittels eines Vertrags einwirken möchte, die Drittinteressen von ihm bzw. mit Hilfe des Anwalts dann jedoch in typisierter Form bestimmt werden. Beispielsweise kann bei einem Vertrag über eine Lebensversicherung, der mit einer Versicherungsgesellschaft geschlossen wird, überlegt werden, welche Gestaltung in der Regel dem Interesse des hinterbliebenen Ehegatten, der keine Kinder zu versorgen hat, entspricht. An dieser Stelle wird somit in Bezug auf den Dritten mit „objektivierten“ Interessen gearbeitet, das heißt mit solchen, die vom konkreten Einzelnen im Grunde losgelöst sind. Für den Anwalt, der die Wünsche seines Mandanten umzusetzen hat, stellen die Drittinteressen somit unterschiedliche Herausforderungen dar. Will der Mandant gezielt durch den Vertrag die Rechtslage des Dritten (positiv) verändern, muss der Anwalt die entsprechenden Drittinteressen richtig erfassen, um letztlich den Mandanteninteressen gerecht zu werden. Wie diese Erfassung geschehen kann, wurde soeben aufgezeigt.1286 Sodann ist der Anwalt als Fachmann und Interessenvertreter wiederum in der Pflicht, eine umfangreiche Prüfung dahingehend vorzunehmen, ob und wie die beabsichtigte Einwirkung über den Weg der Privatautonomie (Vertrag) überhaupt möglich ist. Beim Vertrag zugunsten Dritter betrifft das etwa die Klärung der Frage, ob durch einen solchen Vertrag dem Dritten neben dem zugedachten Anspruch ggf. auch zugleich eine mit (rechtlichen) Nachteilen versehene Rechtsstellung zugewiesen wird/werden kann.1287 Eng damit verbunden ist u. a. eine (weitere) notwendige Aufklärung des Mandanten, ob solche „Nebenwirkungen“ gewünscht sind. Die Beratung des Anwalts muss sich darüber hinaus in der Regel 1286
Da der Anwalt vertraglich nur mit seinem Mandanten verbunden ist, ist dieser Vertrag auch hier für die Sachverhaltsermittlung maßgeblich. Der Anwalt darf sich also grundsätzlich auf die Informationen seines Mandanten bezüglich der Drittinteressen verlassen. Obwohl der Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt selbst und dem Mandanten geschlossen wird, kann dieser allerdings ein solcher mit Schutzwirkung für Dritte sein, so dass der Dritte ggf. bei einer Pflichtverletzung des Anwalts eigene Ansprüche gegen diesen haben könnte. 1287 Siehe dazu Westermann, AcP 208 (2008), 141, 152, dort auch weitere Beispiele; ablehnend etwa Martens, AcP 177 (1977), 113, 143 f. Die Möglichkeit der Entstehung von Nebenpflichten aus dem Vertrag zugunsten Dritter bejaht etwa MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 271; bejahend für Obliegenheiten, namentlich aus dem VVG, MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 272; Schirmer, FS für Reimer Schmidt, 821, 826 ff.; wohl auch Westermann, AcP 208 (2008), 141, 152. Ebenso für beide Fälle (Nebenleistungspflichten und Obliegenheiten) Soergel/Hadding, BGB, § 328, Rn. 121. Hier zeigt sich zudem ein enger Zusammenhang zu den sogleich noch zu erörternden Reflexwirkungen.
D. Drittinteressen
267
auch auf § 333 BGB und § 334 BGB erstrecken. Denn will der Mandant gezielt die Position des Dritten verbessern, muss er wissen, dass ein (Deckungs-)Verhältnis zum (eigenen) Vertragspartner wegen § 334 BGB ebenfalls1288 für etwaige Einwendungen (mit) entscheidend ist. Zudem muss deutlich werden, einem Dritten gegen dessen Willen auch keinen Anspruch, zumeist also etwas „Gutes“, „aufdrängen“ zu können. Dem steht § 333 BGB entgegen. Zusammenfassend ist bezüglich des Vertrags zugunsten Dritter festzuhalten, dass die hier vom Mandanten gewünschte gezielte (positive) Einflussnahme auf die Rechtslage eines bestimmten Dritten zwar für den Anwalt als Interessenvertreter „eigene“ Schwierigkeiten schafft, z. B. in Bezug auf die Sachverhaltsermittlung. Gleichwohl bereitet die Einbindung der Drittinteressen vom juristischen Umgang her kaum Probleme. Das BGB hat nicht zuletzt mit § 328 BGB das als vertragsgestalterische Variante ausdrücklich vorgesehen. Zu achten ist allerdings auf Klarheit in der Abfassung. Ist das Mandanteninteresse, worauf hier auch der Fokus lag, auf einen echten Vertrag zugunsten Dritter gerichtet, so muss entsprechende sprachliche Eindeutigkeit geschaffen werden. Auslegungsfragen, auch unter Zuhilfenahme von § 328 Abs. 2 BGB, sind zu vermeiden. (2) Vertrag zu Lasten Dritter Gänzlich anders stellt sich die Situation dar, wenn der Mandant einen Vertrag wünscht, durch den gezielt die (schuldrechtliche) Verpflichtung eines Dritten herbeigeführt werden soll. Hier ergibt sich die Problematik des Vertrags zu Lasten Dritter. Begrifflich ist er, vor allem in der Literatur, vom Vertrag mit Lastwirkungen für Dritte1289 zu trennen. Als Verträge zu Lasten Dritter werden ganz überwiegend solche bezeichnet, durch die unmittelbar eine Rechtspflicht eines am Vertragsschluss nicht beteiligten Dritten ohne dessen „Autorisierung“ entstehen soll.1290 Es geht vor allem um die Belastung eines Dritten mit einklagbaren und schadensersatzbewehrten echten Rechtspflichten.1291 Wird ohne eine Beteiligung/Autorisierung für seine 1288
Neben der Begründung des Anspruchs an sich. Unterscheidung u. a. bei Wiedemann, SAE 1969, 265, 268; später auch Schirmer, FS für Reimer Schmidt, 821, 831 f.; Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 120. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29, spricht von Reflexwirkungen; siehe auch Roth, FS für Hadding, 253, 254. 1290 So Soergel/Hadding, BGB, § 328, Rn. 118; ferner BGH NJW 2004, 3326, 3327; BGH NJW-RR 2003, 577, 578, bezüglich der Begründung von Verpflichtungen; siehe auch MKBGB/Gottwald, § 328, Rn. 263; Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 120, der für die Terminologie „zu Pflichten Dritter“ eintritt. 1291 So Schirmer, FS für Reimer Schmidt, 821, 831. Siehe auch Soergel/Hadding, BGB, § 328, Rn. 121, wonach Nebenleistungspflichten und Obliegenheiten, die sich für den Dritten über seine Stellung als Gläubiger im Rahmen des § 328 Abs. 1 BGB ergeben, keine zulässige Wirkung haben. Siehe aber MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 271 f., dort (Rn. 271) dazu, dass aus einem Vertrag zugunsten Dritter zulässigerweise Nebenpflichten zu seinen Lasten entstehen können, bzw. Obliegenheiten (Rn. 272); ebenda (Rn. 271) auch nochmals unter Hin1289
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Person eine Rechtspflicht begründet, so ist ein entsprechender Vertrag unwirksam, vom Gesetz nicht anerkannt. Ein derartiger Vertrag verstieße gegen das Selbstbestimmungsrecht des Dritten bezüglich seiner Freiheit, Rechtsgeschäfte abzuschließen. Der Vertrag würde der Privatautonomie als Recht des Dritten zuwiderlaufen (§ 311 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG).1292 Neben dem aufgezeigten Verständnis des Vertrags zu Lasten Dritter erfährt dieses teilweise Weiterungen. Martens1293 fasst unter einen entsprechenden Vertrag zum einen solche, die unmittelbar und belastend in die Rechtsstellung des Dritten eingreifen. Entweder würden dem Dritten durch die Vertragsregelungen unmittelbar Pflichten auferlegt oder angestammte Rechte entzogen. Während die Auferlegung von Pflichten sich mit unseren vorhergehenden Ausführungen deckt, ist die Umschreibung des Entzugs angestammter Rechte wenig griffig1294. Sofern darunter (auch) der Entzug dinglicher Rechtspositionen fallen sollte, wurde diese Problematik im zuvor dargestellten Sinn im separaten Kontext mit den Verfügungen abgehandelt. Mangelnde Griffigkeit ist Martens1295 auch hinsichtlich eines Begriffs des Vertrags zu Lasten Dritter vorzuwerfen, der sich zum anderen durch eine allgemeine Beeinträchtigung der Rechtspositionen Dritter, somit der Relativierung ihrer Rechte und Interessen auszeichnen soll. Mit dieser Begrifflichkeit verschwimmen die Grenzen zu den noch darzustellenden Last- bzw. Reflexwirkungen.1296 Martens’ Ansatz hat namentlich für den anwaltlichen Gestalter die nachteilige Konsequenz, keine eindeutigen vorhersehbaren Abgrenzungskriterien zu liefern.1297 Das gilt auch unter Hinzuziehung seines weiteren Abgrenzungsmerkmals für die Verträge zu Lasten Dritter, nämlich das Betreffen des „absolut geschützten Rechtsgutsbereichs“1298. Zu Recht weist Habersack1299 darauf hin, danach sei beim Vertrag zu Lasten Dritter gerade gefragt. weis auf die Möglichkeit des Dritten aus § 333 BGB; außerdem Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 20 IV 4b (S. 497) zu den Obliegenheiten. 1292 So mit entsprechender Argumentation u. a. Staudinger/Jagmann (2009), BGB, Vorbemerkung zu §§ 328 ff., Rn. 44; siehe ferner Grüneberg/Grüneberg, BGB, Einf v § 328, Rn. 10 m. w. N.; Soergel/Hadding, BGB, § 328, Rn. 118; Roth, FS für Hadding, 253, 253. Den Vertrag zu Lasten Dritter aus der Rechtsprechung ebenfalls ablehnend u. a. BGH NJW 2022, 1886, Rn. 26; BGH NJW-RR 2016, 1391, Rn. 27; NJW 2004, 3326, 3327; NJW-RR 2003, 577, 578; NJW 1981, 275, 276. Nicht ausreichend für eine Bejahung der Wirksamkeit ist eine reine Vermeidungsmöglichkeit der Belastung durch den Dritten über die analoge Anwendung des § 333 BGB, Schirmer, FS für Reimer Schmidt, 821, 830 f. 1293 Martens, AcP 177 (1977), 113, 135. 1294 Siehe auch Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 118. 1295 Martens, AcP 177 (1977), 113, 135. 1296 Die entsprechende Trennung nimmt Martens freilich vor, siehe u. a. AcP 177 (1977), 113, 164 ff. Die hier geübte Kritik betrifft vor allem die unterschiedliche Begrifflichkeit. 1297 Zum Kritikpunkt der Abgrenzungskriterien Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 28. 1298 Martens, AcP 177 (1977), 113, 136.
D. Drittinteressen
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Für den anwaltlichen Interessenvertreter folgen aus dem Umgang mit dem Vertrag zu Lasten Dritter unterschiedliche Konsequenzen: Die überwiegende, u. a. von der Rechtsprechung getragene, Meinung legt dem Vertrag zu Lasten Dritter das zuvor aufgezeigte formale1300 Verständnis zugrunde; es geht um die Begründung von Rechtspflichten eines Dritten ohne dessen Mitwirkung (Autorisierung), das heißt ohne Stellung als (Vertrags-)Partei. Begehrt der eigene Mandant nun von seiner Wunschausrichtung her eine entsprechende Belastung des Dritten, hat der Anwalt sehr klare Vorgaben für seine rechtliche Auskunft bezüglich des Möglichen, nämlich, dass ein Vertrag zu Lasten Dritter grundsätzlich nicht (rechtlich) machbar ist. Da die „Belastung“ aber durchaus nicht negativ vom Mandanten intendiert sein muss, z. B. bei Verträgen, die dem Dritten vor allem Vor-, aber eben auch Nachteile bringen können,1301 ist dort dann auf die (korrekte) Einbeziehung des Dritten zu achten. Das streng formale Verständnis des Vertrags zu Lasten Dritter mit seinen Konsequenzen u. a. für die Wahl des sichersten Wegs in der Vertragsgestaltung weist dann die Notwendigkeit auf, den Dritten als Partei1302 in den Vertrag einzubinden. Eine bloße Anwesenheit bei den Vertragsverhandlungen reicht nicht aus. Man muss vielmehr dem Dritten die juristische Eigenschaft des Dritten nehmen. Für den Anwalt kann das aber auch bedeuten, in eine Verhandlungssituation mit mehreren Personen treten zu müssen, mit allen daraus sich ergebenden Folgen, wie z. B. Interessenvermittlung und -übermittlung oder Haftungsfragen, auch in Bezug auf eine etwaige „Beratung“ Dritter. Bezüglich letzterer müsste vor allem geklärt werden, ob nicht die Vertretung widerstreitender Interessen (Mandant einerseits, Dritter andererseits) nach § 43a Abs. 4 BRAO bzw. § 3 Abs. 1 BORA vorliegt. Gleichwohl hat der echte Vertrag zu Lasten Dritter für den Anwalt einen entscheidenden Vorteil. Das formale Terrain ist nahezu nur juristisch geprägt. Etwaige soziale Interessen, sei es des Mandanten, sei es des Dritten „definieren“ sich hier nur über das juristisch Machbare. (3) Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (Verpflichtende) Verträge zwischen dem Mandanten und seinem Vertragspartner traten bisher in Form des Vertrags zugunsten bzw. zu Lasten Dritter im Hinblick auf die Drittinteressen gleichsam als Pole zweier Extreme auf. Die Einbettung der Mandanten- und daran anschließend der Drittinteressen lief jeweils, in vielen Fällen typisch für die Vertragsgestaltung, auf die präzise juristische Fixierung insbesondere einer Position hinaus. Das Interesse des Mandanten bestand im Ergebnis in erster Linie darin, dem Dritten einen bestimmten vertraglichen (Erfüllungs-)Anspruch zu 1299
Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 28. Dazu auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 27. 1301 Ein Beispiel nach Westermann, AcP 208 (2008), 141, 152, ist die Verschaffung einer Mitgliedschaft an einer OHG. 1302 Wenn dies der Mandant nach entsprechender Beratung wünscht und selbstverständlich auch der Dritte einverstanden ist. 1300
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1. Teil: Vertrag und Interessen
verschaffen oder zu versuchen, ihm (gezielt) eine (belastende) Rechtspflicht aufzuerlegen. Selbstverständlich konnten diesem Mandanteninteresse kausal wieder unterschiedliche (andere) Interessen zugrunde liegen, z. B. der Wunsch nach Absicherung eines Ehegatten. Schuldrechtliche Verpflichtungsverträge bieten im Weiteren die Grundlage1303 einer anderen „gesicherten“1304 Einbindung Dritter und zwar in Form des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte1305. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bietet nach wie vor reichhaltig Diskussionsstoff, u. a. in den Bereichen seiner Rechtsgrundlage, seiner einzelnen Voraussetzungen oder seinen jeweiligen Anwendungsbereichen. Aufmerksamkeit innerhalb der interessengeleiteten Vertragsgestaltung verdient vor allem die Verknüpfung von Mandanten-, Dritt- und Anwaltsinteressen, insbesondere beim bewussten Einsatz des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte innerhalb der Vertragsgestaltung. Dabei geht es auch darum, ob hier nicht ein anderer gestalterischer Umgang mit den Drittinteressen angezeigt ist als im Kontext des Vertrags zugunsten oder zu Lasten Dritter, der vornehmlich positionsbezogen war. Vor allem wird sich jedoch am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nachgerade exemplarisch zeigen, wie sich die „Willensabhängigkeit“ von Rechtsfolgen hin zu einem „Reflex“ entwickeln kann, außerdem wie wiederum rechtliche und (auch) soziale Einwirkungen sich bedingen. (a) Gründe für die Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Zum Verständnis eines gezielten gestalterischen Einsatzes des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte sind die wesentlichen Gründe für seine Entwicklung relevant. Ist ein Dritter keine Vertragspartei, hat er grundsätzlich keine primären Leistungsansprüche,1306 er kommt auch grundsätzlich ebenso wenig in den Genuss der aus dem Vertragsschluss folgenden Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Bei einer Verletzung der Rechte bzw. Rechtsgüter des Dritten bot sich diesem in der Regel „nur“ der Rückgriff auf das Deliktsrecht, z. B. über § 823 Abs. 1 BGB. Die „Notwendigkeit“ des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte rührte nun daher, dass ein Konsens1307 bestand, ein Dritter, der nicht Vertragspartei sei, gleichwohl aber mit
1303
Dazu, dass Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter sich aus schuldrechtlichen Verpflichtungsverträgen jedweder Art ergeben können, Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 328, Rn. 15. 1304 Siehe Westermann, AcP 208 (2008), 141, 153 ff. 1305 Dabei bleibt die Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte keineswegs auf die Verbindung zu einem schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag beschränkt. Überwiegend anerkannt ist auch, dass z. B. das vorvertragliche Stadium, etwa die Vertragsverhandlungsphase, die Grundlage dazu bilden kann, siehe auch Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 23. Da es hier um den „gezielten“ Einsatz der Figur innerhalb der Vertragsgestaltung geht, liegt zunächst der Hauptfokus auf den tatsächlich zu schließenden Verträgen. 1306 Siehe Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 328, Rn. 13. 1307 Zu durchaus kritischen Überlegungen, ob ein vertraglicher Schutz durchaus besser als ein deliktischer ist, etwa Peters, AcP 180 (1980), 329, 334, Fn. 10.
D. Drittinteressen
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der Vertragsleistung/dem -erfolg in Berührung komme,1308 sei durch das Deliktsrecht nicht ausreichend geschützt. „Die Unzulänglichkeiten der Deliktshaftung und die Vorteile der Vertragshaftung“1309 werden an der Verschuldenszurechnung des Schuldners für den Gehilfen über § 278 BGB ohne Exkulpationsmöglichkeit des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB, an der insbesondere in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB liegenden verbesserten Beweislastverteilung für den Geschädigten sowie an der Umfassung reiner Vermögensschäden festgemacht.1310 Es geht somit um eine angemessene Abstimmung von vertraglicher und deliktischer Haftung,1311 um die Begründung eigener, zumindest vertragsähnlicher1312 Schadensersatzansprüche des Dritten. Der intendierte Ausgleich der Schwachpunkte einer deliktischen Haftung im Vergleich zu einer vertraglichen bietet die ersten Ansatzpunkte im Zusammenhang mit einem gezielten gestalterischen Umgang mit der Problematik. Ein Kerngedanke, der hier bereits zu Tage tritt, ist einmal, dass der Dritte durch einen Vertrag anderer „in seiner Sphäre“ betroffen werden, wirklichen Schaden erleiden kann. Das nimmt nach einer auch soziologischen Einordnung des Vertrags nicht Wunder, wurde doch bereits verschiedentlich aufgezeigt, in welchen sozialen Kontexten sich das Vertragsgeschehen bewegt, will es doch gerade gestalterisch in der Realität wirken. Es ist dieser soziale Bezug, der nicht zuletzt auch in der Diskussion um den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Platz greift.1313 Die Frage nach dem Umgang mit den „Sozialwirkungen“1314 vor allem vertraglicher Schuldverhältnisse wird hier virulent. 1308 Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 84; dort aber noch unter Herausstellung des besonderen Gläubigerinteresses am Schutz des Dritten. 1309 So ein Teil der Überschrift bei Karampatzos, Vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zur deliktischen berufsbezogenen Vertrauenshaftung, S. 38. 1310 Dazu mit m. w. N. Karampatzos, Vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zur deliktischen berufsbezogenen Vertrauenshaftung, S. 38 ff.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 328, Rn. 13; Soergel/Hadding, BGB, Anh. § 328, Rn. 1; Staudinger/Jagmann (2009) BGB, § 328, Rn. 83; siehe auch Staudinger/Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 93 ff. Zur mangelnden Exkulpationsmöglichkeit wegen des Eingreifens von § 278 BGB auch OLG Koblenz NJW-RR 2000, 544, 545. Die „Vorteile“ einer längeren Verjährungsfrist eines vertraglichen Anspruchs sind durch die Schuldrechtsreform von 2002 und die inhaltliche (Neu-)Schaffung des seitdem geltenden § 195 BGB entfallen. 1311 Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 84. 1312 Zur Charakterisierung des Anspruchs des Dritten aufgrund des Eingreifens der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als gesetzlichen vertragsähnlichen Anspruch u. a. MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 170, m. w. N. 1313 Beachtenswert ist insoweit die Kritik Hattenhauers, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, S. 106, der davon spricht, unter Berufung auf fürsorglich-soziale Motive sei nicht nur der Wille der Vertragsparteien dem gesellschaftlichen Zweck geopfert worden, sondern zugleich die Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, vertraglichem und gesetzlichem Schuldverhältnis niedergerissen worden. Die soziale Funktion des Vertrages zugunsten Dritter im nordamerikanischen Recht untersuchend, Kessler, FS für Wahl, 81 ff. 1314 Siehe Karampatzos, Vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zur deliktischen berufsbezogenen Vertrauenshaftung, S. 36; dort (Fn. 39) auch die Bezugnahmen u. a. auf Gernhuber, FS für Nickisch, 249 ff. und Papst, Fortentwicklung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 145, 167 f.
272
1. Teil: Vertrag und Interessen
Dritte mit ihren Interessen, z. B. nach Sicherheit oder Gesundheit, werden vielfach von fremden Verträgen tangiert. Ein Beispiel ist der (Wohnungs-)Mietvertrag, von dem ein Dritter „betroffen“ ist, etwa die Kinder des Mieters, die ebenfalls in der Wohnung leben. Für einen Vertragsgestalter, der den Vertrag schon innerhalb der Gestaltungsphase in seiner sozialen Dimension richtig erfasst, muss das dann die erste Stufe der Bewusstseinsschärfung bilden, mit dem Interessenkonglomerat innerhalb des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte optimal umzugehen. Erste Anstöße können in aller Kürze zunächst folgende Überlegungen bilden: Aufgrund der sozialen Ausstrahlung eines Vertrags spielen die Interessen des Dritten eine besondere Rolle. Da es um die „Abfederung“ von „Mängeln“ des Deliktsrechts geht, weil der Dritte nicht Vertragspartei ist, wird es sich oftmals um Situationen handeln, in denen der Dritte seine Interessen gar nicht (im Vorfeld) artikuliert hat. Es wird sich also noch viel stärker als etwa im Zusammenhang mit dem Vertrag zugunsten Dritter die Frage stellen, wie innerhalb der gestalterischen Planung die Interessen des Dritten zu bestimmen sind (subjektiv1315 oder objektiviert/typisiert oder abgeleitet, wenn ja, von wem?). Die Planung mit den Drittinteressen und ihre etwaige Ableitung von jemand anderem führen dann zur weiteren Herausforderung, die Drittinteressen und die Interessen der Vertragsparteien möglichst gut in den Gestaltungsplan zu integrieren. Aus (Vertrags-)Gläubigersicht stellt sich das Problem, ob und ggf. welcher Beitrag zur Einbeziehung des Dritten zu leisten ist, bzw. ob es verhindert werden kann. Letzterer Aspekt ist bei Einnahme der (Vertrags-)Schuldnersichtweise häufig der vordergründige. All diese Stränge werden aufzugreifen sein, zumal wenn es um eine intendierte Einwirkung geht. (b) Rechtsgrundlage des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Der gestalterische Umgang hängt nicht zuletzt mit der hinter dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte stehenden Rechtsgrundlage zusammen.1316 In Bezug auf diese besteht keinesfalls Einigkeit, weshalb die anwaltliche Orientierung innerhalb der gestalterischen Tätigkeit gerade hinsichtlich der Interessenumsetzung für den 1315
Subjektiv ist dabei grundsätzlich wie bisher in einem „tatsächlichen“ Sinn zu verstehen. Denkbar ist aber auch ein Vorgehen, welches zwar auf das Individuum „Dritter“ schaut, aber seine Interessen nach objektiven Maßstäben bestimmt. 1316 Mitunter wird darauf hingewiesen, dass sich für die Rechtsanwendung aus dem Streit um die Rechtsgrundlage nur in Ausnahmefällen Unterschiede ergeben, so etwa Weiler, Schuldrecht AT, § 38, Rn. 5. Die Rechtsprechung, die überwiegend im Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner die maßgebliche Rechtsgrundlage erblickt, dazu noch sogleich, hat selbst teilweise die Beantwortung nach der Rechtsgrundlage offengelassen, siehe etwa BGH NJW 1971, 1931, 1932; BGH NJW 1975, 867, 868 f. (ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB); BGH NJW 1977, 2073, 2074 (ebenfalls ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB); dort (S. 2076) hat der BGH die Frage letztlich sogar als „gleichgültig“ bezeichnet. In neueren Entscheidungen wird auch angegeben, die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags sei anerkannt, ohne dass weitere Ausführungen zu der Rechtsgrundlage erfolgen, so etwa BGH NJW-RR 2011, 462, 463; NJW 2010, 3152, 3153.
D. Drittinteressen
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Mandanten sich wiederum am Postulat des sichersten Weges sowie an den Anforderungen an eine adäquate Aufklärung und Beratung zu orientieren hat. (aa) Rechtsgrundlage im Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner Die weithin in der Rechtsprechung, aber auch in Teilen der Literatur, favorisierte Rechtsgrundlage wird in dem von den (eigentlichen) Vertragsparteien geschlossenen Vertrag gesehen.1317 Für einen Fall stößt das grundsätzlich auf keinen Widerspruch, nämlich dann, wenn beide Vertragsparteien ausdrücklich den Schutz eines Dritten in die Vertragsvereinbarung aufgenommen haben.1318 Ein Interesse kann dafür aus Gläubigersicht gerade dann bestehen, wenn ansonsten eine Einbeziehung des Dritten nicht in Betracht käme oder in jedem Fall Rechtsklarheit geschaffen werden soll. Es handelt sich bei einem solchen Vorgehen dann mangels Begründung (primärer) Leistungsansprüche des Dritten um keinen Vertrag zugunsten Dritter im Sinn des § 328 BGB.1319 Innerhalb der Vertragsfreiheit gibt es aber keinen Grund, eine entsprechende ausdrückliche Schutzvereinbarung nicht zuzulassen. Der Rückgriff auf den Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner als Rechtsgrundlage begegnet erst dann einer größeren „Herausforderung“, wenn die Parteien eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung nicht getroffen haben. Die Rechtsprechung, soweit sie sich auf den Vertrag als Rechtsgrundlage für den Drittschutz stützt, nimmt die Einbeziehung des Dritten vor allem im Wege der (ergänzenden) Auslegung des Vertrags vor.1320 Diese Vorgehensweise findet wiederum in Teilen der Literatur durchaus Zustimmung.1321 Der gestalterische Umgang mit diesem Ansatz aus der Sicht eines Interessenvertreters ist diskussionsbedürftig. Ein solcher Umgang 1317
Siehe nur beispielhaft BGH NJW 2017, 3777, Rn. 44; BGH NJW 2014, 2345, Rn. 9; BGH NJW 2004, 3035, 3035, 3037; NJW-RR 2004, 1464, 1465; NJW 1996, 2927, 2928; NJW-RR 1986, 1307; NJW 1984, 355, 356. Umfangreiche Nachweise zur Rechtsprechung finden sich bei Papadimitropoulos, Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 64 f., Fn. 242 und 243. Aus der Literatur etwa Staudinger/Jagmann (2009) BGB, § 328, Rn. 94; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 328, Rn. 14, der aber nur auf den (hypothetischen) Parteiwillen abstellt (insoweit auch etwa BGH NJW 2017, 3777, Rn. 44); Sutschet, Der Schutzanspruch zu Gunsten Dritter, S. 64 f., Fn. 242 und 243. 1318 Siehe etwa Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 94 (Begründung von Schutzwirkungen zugunsten Dritter von Parteien privatautonom begründbar); zur Aufnahme in den Schutzbereich im Wege der Vertragsfreiheit Soergel/Hadding, BGB, Anh § 328, Rn. 4. 1319 Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 15 (zum Erwerb eines primären Leistungsanspruchs). Siehe auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, § 17 II, (S. 226); Papadimitropoulos, Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 63 1320 Siehe z. B. BGH NJW 2017, 3777, Rn. 44; BGH NJW 2016, 3432, Rn. 17 („maßgeblich durch das Prinzip von Treu und Glauben geprägten ergänzenden Auslegung“); BGH NJW 2014, 2345, Rn. 9; BGH NJW 2004, 3035, 3035, 3037; NJW-RR 2004, 1464, 1465; NJW 1996, 2927, 2928; NJW-RR 1986, 1307; NJW 1984, 355, 356; OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 85; 91. Umfangreiche Nachweise finden sich bei Papadimitropoulos, Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 64 f., Fn. 243. 1321 Siehe z. B. Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 328, Rn. 14; Staudinger/Jagmann (2009), BGB, Rn. 93 ff.; Zugehör, NJW 2008, 1105, 1105.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
ist maßgeblich davon (mit-)beeinflusst, welche Kritik an dem Vertrag als Rechtsgrundlage geübt wird. Diese entzündet sich nicht zuletzt daran, im Falle mangelnder ausdrücklicher Vereinbarung eines Drittschutzes zwischen den Vertragsparteien fehle es oftmals an einem entsprechenden Parteiwillen. Beim Operieren mit der Auslegung würde dann unbotmäßig mit einem fiktiven Parteiwillen gearbeitet.1322 Diese Kritik gilt es später, u. a. unter Berücksichtigung des sichersten Wegs für den Mandanten, der die Einbeziehung des Dritten will, wieder aufzugreifen. (bb) Richterliche Rechtsfortbildung Es fehlt in der Literatur, aber auch in der Rechtsprechung, nicht an Erklärungen, die die Grundlage für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter objektiv begründen wollen. Ein Grund dafür ist neben der soeben angesprochenen Kritik am „fiktiven Parteiwillen“ u. a. das Bestreben, die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte auch im vorvertraglichen Bereich zur Anwendung kommen zu lassen, also zu einem Zeitpunkt, in dem der Vertrag als Grundlage ausscheidet1323. Zahlreiche Stimmen sehen nun die maßgebliche Rechtsgrundlage in einer richterlichen Rechtsfortbildung, vornehmlich unter Heranziehung von § 242 BGB.1324 Aufgrund einer jahrzehntelangen Rechtsprechung sei es zu einer Anerkennung des Instituts des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gekommen, ebenso zur Definition der Voraussetzungen.1325 Mit der Stützung auf eine institutionelle Grundlage würden sich für den Vertragsgestalter andere Rahmenbedingungen ergeben. Die Folgen des Vertrags mit 1322 Siehe etwa Erman/Bayer, BGB, § 328, Rn. 66; Honsell, JZ 1985, 952, 952; Martiny, JZ 1996, 19, 21; Schinkels, JZ 2008, 272, 275. 1323 Die Problematik vor allem unter Bezugnahme auf BGHZ 66, 51 ff. sowie m. w. N. darstellend Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 67 ff. Dort wird die Problematik aber im weiteren Kontext der Suche nach einer gesetzlichen Grundlage aufgezeigt. 1324 U. a. Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 21; Staudinger/Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 106; Fikentscher/Heinemann, Rn. 305, die allerdings auf die Gefahr hinweisen, eine solche Rechtsfortbildung führe zur Undifferenziertheit; Brors, ZGS 2005, 142, 148 f. Die richterliche Rechtsfortbildung führt vereinzelt auch der BGH an (etwa NJW 1996, 2927, 2928). Zur Berufung auf § 242 BGB, ohne ihn allerdings in den Kontext einer Rechtsfortbildung zu stellen u. a. BGH NJW 1977, 2073, 2074; NJW 1975, 867, 868 und 869 (dort jeweils als möglicher Weg neben einer ergänzenden Vertragsauslegung). Darauf hinweisend mit weiteren Nachweisen Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 70, dort vor allem Fn. 266. Objektiv-rechtliche Anordnungen in Bezug auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter finden sich z. B. auch in BGH NJW 1979, 307, 308; BGHZ 61 227, 233 f.; 70, 327, 329 ff. (jeweils unter Hinweis auf die „Gerechtigkeit“). Diese Entscheidungen sowie weitere gerade unter Hinweis auf eine objektivrechtliche Anordnung wie „Gerechtigkeit“, „Billigkeit“ und „Treu und Glauben“ anführend Papdimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 64, Fn. 242. 1325 So die Argumentation für den Ansatz bei Zenner, NJW 2009, 1030, 1030. Allerdings werden z. B. die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in der Rechtsprechung keineswegs einheitlich gehandhabt.
D. Drittinteressen
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Schutzwirkung für Dritte wären dann gleichsam als „Normalstatut“1326 zunächst einmal „hinzunehmen“. Anschlussüberlegungen würden sich vor allem im Bereich der Modifizierung der „tatbestandlichen“ Voraussetzungen und der Installierung von Haftungsausschlüssen stellen.1327 (cc) Weitere Ansätze Unter Ablehnung des vertraglichen Ansatzes gibt es unterschiedliche weitere Überlegungen zur Begründung einer Rechtsgrundlage für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, von denen noch einzelne1328 kurz Erwähnung finden sollen. (aaa) Gewohnheitsrecht Ein Teil der Literatur sieht die Rechtsgrundlage im Gewohnheitsrecht.1329 Jedenfalls in Teilbereichen sei der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte hinreichend verfestigt.1330 Dagegen wird vorgebracht, Voraussetzungen und Anwendungsbereich seien immer noch umstritten, von einer allgemeinen Übung könne nicht gesprochen werden.1331 Von dem Vorliegen eines Gewohnheitsrechts könne somit nicht die Rede sein. (bbb) Objektive gesetzliche Erweiterung des Schuldverhältnisses Gerade auch unter Hinweis auf die „Sozialwirkungen“ des Schuldverhältnisses sieht etwa Gottwald den Ansatz für die Rechtsgrundlage in einer objektiven gesetzlichen (richterrechtlichen) Erweiterung des Schuldverhältnisses.1332 Zwar wird 1326 Zur Begrifflichkeit des Normalstatuts („gesetzliches Normalstatut“ sowie „Vertragsnormalstatut“) Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 594. 1327 Solche Denkschritte können sich auch im Zusammenhang mit der Verankerung der Rechtsgrundlage des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte im (Haupt-)Vertrag ergeben, gerade dann, wenn mit der Vertragsauslegung operiert wird. Ist der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte allerdings gleichsam institutionalisiert, stellen sich u. a. die Fragen nach zwingenden oder dispositiven Vorgaben. 1328 Hinweise auf unterschiedliche Strömungen finden sich u. a. bei Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 91 ff.; Staudinger/Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 99 ff. 1329 PWW/Stürner, BGB, vor §§ 328 bis 335 BGB, Rn. 2, dort unter Hinweis auf die Darstellung in BGHZ 133, 168, 170 ff. Allerdings (S. 172) spricht der BGH selbst dort von „letztlich richterliche(…)(r) Rechtsfortbildung“. Ebenfalls für eine gewohnheitsrechtliche Grundlage etwa Lorenz, JZ 1966, 143, 143; Grunewald, Bürgerliches Recht, § 18, Rn. 9; Joussen, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, Rn. 1201, der (Rn. 1205) aber auch die konkrete vertragliche Verknüpfung betont. 1330 Argumentation bei Gernhuber, FS für Nikisch, 249, 269. Später, siehe Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 21 II 6 (S. 529), geht Gernhuber aber von einer richterlichen Rechtsfortbildung aus. 1331 Dazu Soergel/Hadding, BGB, Anh § 328, Rn. 8; Staudinger/Klump (2020), BGB, § 328, Rn. 107; Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 91, der allerdings eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung für den Ersatz von Personenschäden wegen schuldhafter Verletzung von sekundären Verhaltens- oder Sorgfaltspflichten akzeptiert. 1332 MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 173 m. w. N.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
zum einen auf die objektiv-normative ergänzende „Auslegung“ der tatsächlich vereinbarten rechtsgeschäftlichen Regelung verwiesen.1333 Die Schutzerweiterung müsse aber schlussendlich willensunabhängig sein; relevant seien typische soziale Interessen, ausgehend vom jeweiligen Hauptschuldverhältnis, seinem Sinn und Zweck, den jeweils legitimierten Erwartungen des Dritten sowie den Grundsätzen von Billigkeit und Nützlichkeit.1334 Hier werden subjektiven Interessen objektivierte entgegengesetzt, die Verbindung zum Vertrag (Auslegungsanknüpfung, Sinn und Zweck) gleichwohl nicht gekappt, wiewohl der Drittschutz wiederum unabhängig vom Vertragswillen sein soll. Insofern tauchen Probleme der Stimmigkeit auf.1335 Diese zeigen sich beim bewussten Ausschluss des Dritten vom Schutz. (ccc) Vertrauenshaftung Gottwald1336 stellt fernerhin einen Zusammenhang mit der generellen Anerkennung und Verschärfung der vertragsähnlichen Vertrauenshaftung her. Die Vertrauenshaftung, allerdings gleichsam als „gesetzliches Schuldverhältnis“, ist denn auch ein weiterer Ansatz. Schutzpflichten beruhen danach auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis ohne eine primäre Leistungspflicht; gerechtfertigt wird es durch die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen und zwar im Hinblick auf das Schuldverhältnis zwischen den eigentlichen Hauptvertragsparteien. Als positivrechtliche Grundlage fungiert § 242 BGB.1337 Abgesehen von der Frage, ob seit der Schuldrechtsreform 2002 dieser Gedanke über § 311 Abs. 3 BGB aufzugreifen ist,1338 bestehen bezüglich des Abstellens auf Vertrauen mit Blick auf den Hauptvertrag weitere Bedenken. Rekurriert man die (Schutz-)Pflichten inhaltlich (auch) aus dem Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner, so ist der darin verankerte Parteiwillen doch wesentlich und vom „rein“ gesetzlichen Schuldverhältnis zu trennen.1339 In eine ähnliche Richtung geht eine Kritik, die für den Vertrauensschutz darauf abstellt, dass (auch) der Dritte am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilnehmen müsse;1340 mangels eines eigenen rechtsgeschäftlichen Kontakts bestehe keine direkte, vertrauensrechtlich relevante Beziehung zwischen Schuldner und Drittem. 1333
So MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 172 (Hervorhebung bei Gottwald) m. w. N. So MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 172 m. w. N. 1335 Vgl. dazu u. a. Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 94., wonach gerade das Vertragskonzept dem Rechtsanwender verdeutlicht, dass nicht objektive Konzepte, sondern der Wille der Vertragsparteien und deren Interessen maßgeblich seien. 1336 MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 173. 1337 So zum Vorstehenden Canaris, JZ 1965, 475, 478. Kritisch dazu etwa Staudinger/ Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 104. 1338 Schwab, JuS 2002, 872, 875; siehe auch Canaris, JZ 2001, 499, 520. Zu § 311 Abs. 3 BGB noch sogleich. 1339 Vgl. auch die Ausführungen bei Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 94. Siehe ferner den Brückenschlag zum Schuldverhältnis zwischen den „Hauptparteien“ bei Canaris, JZ 1965, 475, 478. Vgl. zudem noch unten zum Weg über § 311 Abs. 3 BGB und der dort beschriebenen Einbindung des Vertrags. 1340 Neuner, JZ 1999, 126, 128. 1334
D. Drittinteressen
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Das Argument ist zwar namentlich im Zusammenhang mit den Expertenfällen1341 nicht unproblematisch, zeigt jedoch gleichwohl einen Schwachpunkt auf, wenn man sich „generell“ für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auf die Vertrauenshaftung zurückzieht. Hinzu kommt, dass das Vertrauen des Dritten oftmals gar nicht in Richtung des Schuldners, sondern (nur) in die des Vertragsgläubigers geht.1342 Auch hierin zeigt sich eine Schwierigkeit, die schon verschiedentlich deutlich wurde. Das Vertragsgeschehen spielt in der sozialen Realität, es lebt einerseits von und implementiert andererseits eben solche weiterführenden sozialen Kontakte.1343 Der Umgang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist ein besonderes Beispiel, wie schwierig die Synchronisation von sozialen Abläufen und rechtlichen Flankierungen ist, vor allem, wenn die rechtliche Bewertung (auch) an einem sozialen Geschehen anknüpft, das völlig unterschiedlich ablaufen kann. Das zeigt ebenfalls die Kritik, die darauf abstellt, wem eigentlich Vertrauen geschenkt wurde und wird. Aus anwaltlicher Gestaltungssicht sollte daher planerisch der Vertrauensansatz in Bezug auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte vernachlässigt werden, wenn es darum geht, gezielt Mandanteninteressen umzusetzen. Das gilt allerdings keineswegs für die Gestaltungsabläufe unter Einbeziehung des Planungsstadiums in ihrer Gänze. Denn das Vertrauensprinzip kann u. U. sehr wohl dazu führen, dem Dritten „unvermittelt“, das heißt ohne Einschaltung des Gläubigers, eine eigene selbständige Gläubigerposition zu verschaffen.1344 (ddd) Weg über § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB Eine andere, durchaus starke Richtung sieht seit der Schuldrechtsreform von 2002 vor allem in § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Rechtsgrundlage des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.1345 Argumen1341
Vgl. noch Teil 4 der Arbeit bezüglich der Dritthaftung des Anwalts. Dazu Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 21 II 6 (S. 528 f.). 1343 Von der Lehre des „sozialen Kontakts“ [vgl. Dölle, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103 (1943), 67 ff.] bzw. dem Genügenlassen eines „sozialen Kontakts“ grenzt sich aber auch die Meinung ab, die den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte mit der Vertrauenshaftung begründen will; so etwa Canaris, JZ 1965, 475, 478, dort insbesondere Fn. 26. 1344 Zum Vorstehenden Neuner, JZ 1999, 126, 127. 1345 So etwa Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 33 Rn. 6: § 311 Abs. 3 BGB als mögliche zusätzliche Grundlage für das (vor-)vertragliche Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte; Eckebrecht, MDR 2002, 425, 427 f.; Huber/Faust/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Kap. 3, Rn. 12, der darunter die Fälle fasst, in denen aus dem Schuldverhältnis eben ein Dritter berechtigt sein soll, das heißt auch der Fall des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Dieser Ausdruck, so Faust, sei allerdings unglücklich, da der direkte Haftungsgrund nicht der Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern ein eigenes Schuldverhältnis zwischen Drittem und einer Vertragspartei sei; es sei besser von „Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte“ die Rede. Faust, a. a. O., Fn. 19, verweist zudem auf den Regierungsentwurf (BT-Drs. 14/6040, S. 163), wonach vor allem Fälle gemeint seien, in denen ein Dritter haftet. Ferner zur Subsumtion unter § 311 Abs. 3 BGB u. a. Kilian, NZV 2004, 489, 494; Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 6 m. w. N.: Ausprägung der Grundregel des § 311 Abs. 3 1342
278
1. Teil: Vertrag und Interessen
tativ kann man diesbezüglich etwa darauf abstellen, § 311 Abs. 3 BGB sei letztlich eine Zusammenfassung von Dritthaftungen.1346 Auch der Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB, der dritthaftungsbezogen sei, stehe dem nicht entgegen, da er („insbesondere“) nicht abschließend sei.1347 Die Anbindung an § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB erfährt jedoch auch deutliche Ablehnung. Gerade Bezug nehmend auf das zuletzt genannte Argument wird etwa vorgebracht, aus § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB folge, Satz 1 betreffe nur die Fälle, in denen es um die übliche Dritthaftung aus culpa in contrahendo gehe, das heißt diejenigen Fälle, in denen der Dritte gerade im Interesse einer Partei zum Vertragsschluss hinwirke.1348 Unzweifelhaft ist jedoch, dass aus § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB keine tatbestandlichen Voraussetzungen dafür folgen, wann ein Dritter in den Schutzbereich einbezogen wird.1349 Nun ist es vermeintlich einfach, dann doch auf die vor der Installierung des § 311 Abs. 3 BGB entwickelten Kriterien zurückzugreifen.1350 Denn die Kernfrage etwa für einen anwaltlichen Interessenvertreter ist dann nach wie vor, ob und wie er gestaltend agieren kann oder ggf. sogar muss. Die „Gretchenfrage“, die sich diesbezüglich vor allem stellt, ist, ob die Andockung an die Norm des § 311 Abs. 3 BGB bedeutet, dass vertragliche Interessengestaltung letztlich unerheblich ist, weil davon unabhängige (normative) Vorgaben für die Einbeziehung eines Dritten maßgeblich sind. Das wäre schlussendlich ein Weg, der dem oben beschriebenen institutionellen Verständnis1351 gleicht, sofern man diesem Satz 1 BGB; differenzierend u. a. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 23 ff., 322 ff. Wenig Verbreitung hat die Auffassung gefunden, wonach der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte unter § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu fassen ist, so etwa Canaris, JZ 2001, 499, 520 (für die Erfassung von Schutzwirkungen zugunsten Dritter im Rahmen der culpa in contrahendo). Kersting, a. a. O., S. 323, lehnt dies etwa mit dem Hinweis darauf ab, die Nr. 3 sei nur auf Zweipersonenverhältnisse zugeschnitten. 1346 Brors, ZGS 2005, 142, 148; Brors bezeichnet das Argument allerdings selbst als schwachen Grund. 1347 Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 6 m. w. N. 1348 Soergel/Hadding, BGB, Anh § 328, Rn. 5; Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 92. Siehe ebenfalls Staudinger/Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 101 ff. Angeführt wird dafür u. a. die Gesetzesbegründung, so etwa von Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 92 und Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 21, zur Begründung aus BT-Drs. 14/6040, S. 162 f. Befürworter einer Andockung an § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB folgern aus den Gesetzesmaterialien einen solchen Schluss gerade nicht, siehe etwa die Auseinandersetzung bei Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 322 ff.; dort auch zu einer weiteren kritischen Erörterung anderer Gegenargumente. 1349 Gerade auch von Befürwortern des Ansatzes etwa Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 7; Kilian, NZV 2004, 489, 494. Siehe ferner Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 324, der sich diesbezüglich mit Stimmen auseinandersetzt, die deshalb eine Anknüpfung an § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB ablehnen. 1350 Siehe etwa Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 7, der für die praktische Rechtsanwendung dem Streit um die dogmatische Einordnung keine Bedeutung zumisst. Außerdem, so Looschelders, bestehe über die konkreten Kriterien großer Konsens. 1351 Zu dem Denkansatz auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326.
D. Drittinteressen
279
im Übrigen einen, zumindest in Teilbereichen zwingenden Charakter beimisst. Ein solches Vorgehen ist bei der Anknüpfung an § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB allerdings keineswegs unausweichlich. So nimmt Kersting1352, jedenfalls für die Situation des Interessengleichlaufs der eigentlichen Vertragsparteien,1353 eine Verortung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zwar eben in § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB vor. Er betont aber die Beziehung des § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB zu § 311 Abs. 1 und 2 BGB.1354 Das ermögliche einerseits das Heranziehen einer gesetzlichen Grundlage, ohne auf einen fiktiven Parteikonsens1355 abstellen zu müssen. Die Verbindung zu § 311 Abs. 1 und 2 BGB stelle weiterhin ein Bindeglied der aufgrund § 311 Abs. 3 BGB entstehenden Sonderverbindung zum Bezugsvertrag her,1356 also zum Vertrag von Gläubiger und Schuldner. Hierüber baut Kersting dann die Brücke, um den vertraglichen Ansatz der Rechtsprechung weiterhin zu nutzen, der auf die Einbeziehung der Parteiinteressen abstellte.1357 Der Weg ist dann offen, neben der Interesseneinbeziehung auch die damit einhergehenden Möglichkeiten des Rückgriffs auf vertragliche Verteidigungsmöglichkeiten zu eröffnen,1358 das heißt einer Loslösung von rein zwingenden Mechanismen. Die Anwendung des § 311 Abs. 3 BGB bietet somit durchaus Parallelen zu den zuvor dargestellten Ansätzen, eröffnet aber auch neue Probleme. Sie sind jeweils innerhalb der Überlegungen zum anwaltlichen Umgang mit den unterschiedlichen Ansätzen aufzugreifen. Beachtung verdient im Übrigen noch ein Weiteres: Im Bereich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nimmt nicht zuletzt die Problematik um die Berater- und Expertenhaftung einen besonderen Platz ein. Vor allem daran anknüpfend werden einige der zuvor genannten Streitpunkte erörtert, aber auch spezielle bzw. abweichende Lösungen entwickelt. Solche Situationen können selbstverständlich auch dergestalt auftreten, dass der Anwalt, der „Experte“ in dem Sinn ist, seinen Mandanten ob der gestalterischen Möglichkeiten beraten zu müssen. Diese Bereiche sind in einem anderen Kontext zu thematisieren: der Haftung des Interessenvertreters „Anwalt“ selbst, der in die Vertragsverhandlung und -gestaltung involviert ist, dort allerdings als Haftungsproblematik in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner.1359
1352
Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326 f. Ansonsten greift nach Kersting, a. a. O., S. 327, der § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ein. 1354 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326 f. 1355 Damit ist nicht zuletzt der vorvertragliche Bereich und die Situation des nichtigen Vertrags als Anknüpfungsgrundlage umfasst; dazu etwa Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 23. 1356 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. 1357 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. 1358 Siehe Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. 1359 Siehe Teil 4 der Arbeit. 1353
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(dd) Tatbestandliche Voraussetzungen für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Ein etwaiger gezielter interessengeleiteter Umgang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte durch den Anwalt bedarf zunächst der genaueren Bestimmung, ob und ggf. mit welchen tatbestandlichen Voraussetzungen sich ein Anwalt konfrontiert sehen kann. Ganz überwiegend werden grundsätzlich vier Voraussetzungen ausgemacht: die Leistungsnähe des Dritten, das berechtigte Interesse des Gläubigers am Schutz des Dritten, Erkennbarkeit der Leistungsnähe und des Interesses für den Schuldner sowie die Zumutbarkeit der Einbeziehung, die Schutzbedürftigkeit des Dritten.1360 Der Umgang mit diesen „Voraussetzungen“, die im Einzelnen keineswegs unstreitig sind,1361 ist auch und gerade in Bezug auf die soeben dargestellten möglichen Rechtsgrundlagen für einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu sehen. Das soll kurz hinsichtlich der Strömungen bezüglich der Grundlage auf vertraglicher Basis, auf der Begründung einer richterlichen Rechtsfortbildung sowie des Wegs über § 311 Abs. 3 BGB als neuerer Richtung verdeutlicht werden. Sieht man die Rechtsgrundlage in einer Rechtsfortbildung, so gibt es Stimmen, die die genannten Voraussetzungen als notwendig/konstitutiv begreifen.1362 Dafür spricht, dass dieser Weg den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gleichsam auf eine objektiv-rechtliche Grundlage stellt, die einen bestimmten Rahmen vorgeben muss. Eine Anschlussproblematik ist dann die Frage, inwieweit man einzelne Merkmale als dispositiv oder zwingend ansieht. Das Vorliegen (sämtlicher) Voraussetzungen ist jedoch beim Rückgriff auf eine Rechtsfortbildung keine Selbstverständlichkeit; relevant kann das werden, wenn man z. B. die Gutachterhaftung mit der richterlichen Rechtsfortbildung begründet.1363
1360 Siehe etwa HK-BGB/Fries/Schulze, § 328, Rn. 15 ff.; Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 24 ff., dort bezüglich der Frage der Einbeziehung des Dritten; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 33, Rn. 7 ff.; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 23, der in den Kriterien für den BGH allerdings nur Auslegungsmaßstäbe für den Fall sieht, dass die Parteien keine ausdrückliche Abrede getroffen haben; Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 8 ff. Ferner Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 98 ff.; dort, Rn. 101 ff., auch zu Fällen, in denen Jagmann eine Eingrenzung unter dem Aspekt des Gläubigerinteresses nicht für erforderlich erachtet, vor allem dann, wenn die Leistung nach dem Vertragszweck „allein oder zumindest auch gegenüber dem Dritten erbracht werden soll“ (Rn. 101); Staudinger/Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 112 ff. Gerade zum Aspekt der Zumutbarkeit der Einbeziehung für den Gläubiger u. a. BGH MDR 2017, 73, Rn. 15; Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 26; Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 13. 1361 Zu den mangelnden Konturen der Voraussetzungen sowie des fehlenden konsequenten Umgangs der Rechtsprechung mit ihnen Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 440, unter Hinweis auf sein 2. Kapitel, B. II. 1362 Siehe die Ausführungen bei Zenner, NJW 2009, 1030, 1031 f. m. w. N. 1363 Siehe etwa Brors, ZGS 2005, 142, 148; Brors führt dort aus, begreife man die Gutachterhaftung als richterliche Rechtsfortbildung, komme es auf das Einbeziehungsinteresse des Gläubigers bzw. dessen Erkennbarkeit für den Schuldner nicht an.
D. Drittinteressen
281
Auch Vertreter, die die relevante Rechtsgrundlage in § 311 Abs. 3 BGB erblicken, greifen, wie bereits erwähnt, auf die benannten Voraussetzungen zurück,1364 wobei damit keine Abkopplung vom vertraglichen Bezugsrahmen verbunden sein muss und somit ggf. der entsprechende Gestaltungsweg offen ist. Ein gestalterischer Umgang eröffnet sich am deutlichsten, wenn man der wohl vorherrschenden Strömung in der Rechtsprechung folgt, wonach die Grundlage des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte im Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner zu sehen ist. Dann sind die oben bezeichneten „Voraussetzungen“ bloße Auslegungskriterien.1365 Für den anwaltlichen Interessenvertreter, der im Vertragswege fremde Interessen umsetzen muss, gibt es somit unterschiedliche Grade von „Freiheiten“, je nachdem welchem Verständnis von Rechtsgrundlage und damit einhergehend welchen daran anknüpfenden Voraussetzungen er folgt/folgen muss. Eine Bewältigung der sich in dem Zusammenhang stellenden Probleme ist für den angemessenen Umgang mit involvierten (rein) subjektiven und objektivierten Interessen1366 maßgeblich. Diesbezüglich kann der Umgang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wiederum gleichsam exemplarisch für das Ineinandergreifen verschiedener Interessenverständnisse stehen. (ee) Konsequenz für den Umgang mit den unterschiedlichen Ansätzen durch den Anwalt (aaa) Vertragsfreiheit und Interessen Für den Anwalt steht am Beginn aller Überlegungen das Folgende: Maßgeblich ist das (subjektive) Mandanteninteresse, das der Anwalt in rechtlich möglichst „sicheren“ Bahnen umsetzen muss. Das Mandanteninteresse kann auch, je nachdem, ob die Schuldner- oder die Gläubigerseite betroffen ist, vor allem darin bestehen, Dritte zum Kreis der vertraglich Schutzberechtigten hinzuzuziehen oder sie davon auszuschließen. Demzufolge ist für den Anwalt das originäre (Eigen-)Interesse eines Dritten an einer Schutzteilhabe nicht maßgebend; er muss es vielmehr von einem entsprechenden Mandantenwunsch, in der Regel dem des Gläubigers, sofern er ihn vertritt, ableiten.1367 Beispiele für „Mandantenwünsche“: Die Mieterin einer Wohnung, in der sie auch einen Kosmetiksalon betreibt, will ihre Kunden geschützt wissen. Oder umgekehrt: 1364 Etwa Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 33, Rn. 6, 7 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 8 ff. 1365 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 23. 1366 Relevant bei Drittinteressen kann, wenn keine Objektivierung erfolgt ist, (selbstverständlich) auch sein, dass ansonsten bestimmte objektive Wertmaßstäbe für sie streiten. 1367 Zum Aspekt des Drittschutzes im Interesse des Gläubigers und dem des Dritten selbst, allerdings nicht aus anwaltlicher Sicht, Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 439.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Der Vermieter überlässt einem (einzelnen) Gewerbetreibenden eine Werkshalle günstig, weil das Gebäude instandsetzungsbedürftig ist; der Vermieter möchte, um das Risiko für ihn überschaubar zu halten, im Ernstfall nur für Verletzungen des Mieters selbst einstehen müssen.
Vor allem der potentiell haftende Schuldner kann ein deutliches Interesse daran haben, seine Risikosphäre näher zu bestimmen und u. U. einzugrenzen. Insoweit verwundert es etwas, in Bezug auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in einschlägigen Formularbüchern keine oder kaum entsprechende Hinweise zu finden. Das gilt umso mehr, falls über alle zuvor dargestellten Ansätze hinweg dazu die Möglichkeit besteht. Denn die Vertrags- in Form der Gestaltungsfreiheit besteht auch bezüglich der Vereinbarung von Schutzpflichten.1368 Ausgehend von der Vertragsfreiheit ist es möglich, den Schutzbereich nicht nur ausdrücklich auf bestimmte Personen zu erstrecken, sondern auch festzulegen, bestimmte Personen explizit vom Schutzbereich auszunehmen1369. Ein solches Verständnis „verträgt“ sich zudem nahezu mit allen obigen Rechtsgrundlagen.1370 Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn man für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine objektivrechtliche Grundlage mit „zwingendem“ Charakter bejahen würde.1371 Argumentativ könnte das in Anknüpfung an den häufig in die Begründung der Rechtsfortbildung einfließenden § 242 BGB herleitbar sein, etwa wenn der Ausschluss des Drittschutzes einen Treuebruch beinhalten würde.1372 Innerhalb der anwaltlichen Gestaltung zeigt sich dann im Grunde, wie schwer hier im Einzelnen die Interessenumsetzung in einem nicht klar gesetzlich umrissenen Bereich sein kann, gerade wenn es um einen etwaig zwingenden Charakter oder eine 1368
Siehe u. a. BGH NJW-RR 1986, 484, 485 f.; NJW 1984, 355, 356; MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 186; Soergel/Hadding, BGB, Anh § 328, Rn. 4; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. Siehe auch Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 120. 1369 Diesbezüglich eindeutig etwa BGH NJW 2012, 3165, 3167; BGH NJW-RR 1986, 484, 486, wonach selbst der Ausschluss solcher Personen möglich ist, die zu einem Vertragspartner in einer „Wohl und Wehe“-Beziehung stehen. 1370 Bei einem „reinen“ vertraglichen Verständnis bezüglich der Rechtsgrundlage ist das unmittelbar nachvollziehbar. Sieht man die Rechtsgrundlage institutionell in Folge einer richterlichen Rechtsfortbildung, ist der Weg jedenfalls dann unproblematisch, wenn man Disponibilität annimmt, so wohl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, § 17 II (S. 227), der von der Ergänzung dispositiven Gesetzesrechts durch richterliche Rechtsfortbildung spricht. Auch bei einem Abstellen auf § 311 Abs. 3 BGB wird man jedenfalls einer tatsächlichen Vereinbarung den Vorrang einräumen müssen, so etwa Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. 1371 Vorstellbar wäre das, jenseits der folgenden Argumentation, auch, wenn der Anspruch des Dritten mit einer Vertrauenshaftung begründet wird. 1372 Siehe die Argumentation bei Zenner, NJW 2009, 1030, 1033, der bei der institutionellen Begründung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte das Vorhandensein eines personenrechtlichen Sonderverhältnisses als zwingend ansieht und daraus eine Abbedingung des Drittschutzes als Treuebruch ansieht. Es wäre, so Zenner, dann widersinnig, ein Institut erst aus Treu und Glauben herzuleiten, dann aber später den Treuebruch gesetzlich zuzulassen.
D. Drittinteressen
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„Privilegierung“ des Dritten geht. So greift beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auch die Rechtsprechung, die weithin den vertraglichen Ansatz präferiert, teilweise auf § 242 BGB zurück, um Dritte einzubeziehen.1373 Trotz der insoweit sich ergebenden Schwierigkeiten muss dann aber jedenfalls in dem Bereich, in dem ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen machbar sind, das heißt in der Phase mit Vertragsschluss, der Vertragsfreiheit1374 Vorrang eingeräumt und darf ein Handeln in dem Rahmen nicht als Treuebruch deklariert werden. Würde man dort ausdrückliche Vereinbarungen der Vertragsparteien bezüglich des Umfangs des Schutzbereichs nicht zulassen, so würde tatsächlich die im Zusammenhang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte oft beschworene Grenze zwischen Vertrags- und Deliktshaftung1375 in nicht mehr vertretbarer Weise überschritten; die Relativität des Schuldverhältnisses1376 zwischen Schuldner und Gläubiger wäre nicht nur durchbrochen, sondern in Bezug auf den Dritten nicht mehr gegeben. Die insofern bereits hier vorzunehmende Interessenabwägung darf nicht dazu führen, einen Vertrag, mag er auch durchaus Wirkungen in seinem sozialen Umfeld hervorrufen, zuvörderst auf den Dritten auszurichten. Der Dritte ist in seiner sozialen Welt nicht schutzlos, dafür gibt es nicht zuletzt das Deliktsrecht, das einen Rechtsgüterkernbestand schützt. Selbst in Fällen enger Beziehungen zwischen Gläubiger und Dritten, den so genannten „Wohl und Wehe“-Beziehungen, besteht kein Grund, den Dritten mit seinen Interessen über die der Vertragspartner zu stellen. Der Vertragsschuldner wird oftmals ohnehin kein Interesse an dem Dritten haben. Der Vertragsgläubiger mag ggf. demgegenüber sogar den Wunsch haben, aus dem (Nähe-)Verhältnis zum Dritten ausbrechen zu wollen. Die damit vielfach einhergehende „Enttäuschung“ des Dritten muss letzterer häufig „sozial“ bewältigen. Rechtlich auffangen kann er sie mitunter, wenn er eigene Ansprüche gegen den Vertragsgläubiger hat, z. B. aufgrund eines Arbeitsvertrags. Zusammenfassend lässt sich damit festzuhalten, dass Drittinteressen im Zusammenhang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte kein Vorrang zukommt. „Soziale Betroffenheit“, selbst bei einer Auswirkung auf Drittrechtsgüter, führt nicht automatisch zu einer „Privilegierung“ in Form vertraglicher Ansprüche.1377 Der 1373 Siehe wiederum etwa BGH NJW 1971, 1931, 1932; BGH NJW 1975, 867, 868 f. (ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB), BGH NJW 1977, 2073, 2074 (ebenfalls ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB); dort (S. 2076) hat der BGH die Frage letztlich sogar als „gleichgültig“ bezeichnet. 1374 Dort sind freilich auch Eingrenzungen, z. B. über § 138 Abs. 1 BGB, im Einzelfall möglich. 1375 Zu diesem Aspekt im Zusammenhang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte u. a. MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 183. 1376 Hierzu beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte u. a. Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 8; Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 443. 1377 Vgl. auch Brors, ZGS 2005, 142, 144, die, allerdings im Zusammenhang einer Erörterung der Haftungsbegründung für Wertgutachten auf der Grundlage des Vertrags oder auf der Grundlage von Vertrauen ausführt, Vertrauen sei in komplexeren Gesellschaften nicht
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Dritte muss sich grundsätzlich mit dem „begnügen“, was die Rechtsordnung ihm für solche Fälle bietet, das heißt im Zweifel mit einem bloß deliktisch begründeten Anspruch. Interessengerecht ist bei einer ausdrücklichen Vereinbarung bezüglich des Drittschutzes zunächst die getroffene vertragliche Regelung. Nicht zuletzt ist auch darauf zu verweisen, dass insgesamt im Kontext des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte die Betonung der Ableitung der Haftung vom (Haupt-)Vertrag interessengerecht ist.1378 (bbb) Abwägungen hinsichtlich der involvierten Interessen bei fehlender ausdrücklicher Regelung im Vertrag (a) Einführung Wenn aber im Wege der Vertragsfreiheit die Vertragsparteien ausdrücklich bestimmen können, wem die Schutzwirkungen des Vertrags zugutekommen sollen und wem nicht, stellt sich dann die Frage, warum, zumindest aus anwaltlicher Sicht, überhaupt Gedanken auf die Rechtsgrundlage und daran anschließende Folgeprobleme verwendet werden sollten. Rein tatsächlich findet sich die häufige Feststellung, die Parteien regelten gerade bezüglich des Drittschutzes nichts.1379 Man mache sich um den etwaigen Drittschutz vielfach gar keine Gedanken.1380 Warum aber greift namentlich der anwaltliche Gestalter die obigen Gedanken nicht auf? In vielen Fällen kann man wohl mangelndes Problembewusstsein in dem Bereich vermuten. Dieses ist allerdings, nimmt man die Interessenwahrnehmung gerade in komplexeren Gestaltungen ernst, sehr wohl angezeigt. Freilich reicht nicht die Überlegung, alles bezüglich etwaiger Schutzwirkungen regeln zu wollen. Das ist oftmals nicht möglich oder zumindest unpraktikabel. Der etwaige Regelungsumgang erfordert aber vor allem ein Verständnis für die Umsetzung subjektiver mit Hilfe von objektivierten Interessen bzw. objektiven Wertmaßstäben. Es sei nochmals betont, dass der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte insoweit durchaus exemplarisch für das Zusammenspiel entsprechender Interessenbereiche fungieren kann. (b) Fehlende ausdrückliche Regelung im Vertrag der Hauptparteien Verdeutlicht werden soll die Problematik an der Situation, in der die Parteien mit Blick auf eine etwaige Schutzwirkung für Dritte nichts Ausdrückliches regeln. Dabei können für das beratende und gestaltende Szenario im Vorfeld grundsätzlich zwei gleich Recht. Brors verweist insoweit auf Luhmann, Vertrauen, S. 42, der das aus soziologischer Sicht feststelle. 1378 Brors, ZGS 2005, 142, 146, für die Fälle des Wertgutachtens; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326, für die Anwendung des § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. 1379 MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 184; Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 96; siehe auch Staudinger/Klumpp (2020), BGB, § 328, Rn. 103. Auffallend ist auch, dass sich in einschlägigen Formularbüchern keinerlei gestalterische Hinweise finden. 1380 Hier greift wiederum die Argumentation um den fiktiven Parteiwillen, vgl. Honsell, JZ 1985, 952, 952; Martiny, JZ 1996, 19, 21; Schinkels, JZ 2008, 272, 275.
D. Drittinteressen
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Varianten unterschieden werden: Zum einen kann der Anwalt die Problematik gar nicht berücksichtigen und dementsprechend auch keine Aufklärungsarbeit leisten. Das kann, vor allem bei der Vertretung der Schuldnerseite, eine fehlerhafte anwaltliche Leistung sein. Sollte der Anwalt die Problematik aber in seine Beratung/ Hilfe zur Entscheidungsfindung einschließen, so ist eine gestalterische Nichtberücksichtigung nur vertragsgemäß in Bezug auf den Anwaltsvertrag, wenn dies interessengerecht ist. Es muss also hinreichend berücksichtigt werden, was ohne vertragliche Regelung im relevanten Interessengeflecht passieren kann. Dann wird die Auseinandersetzung um die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen durchaus relevant. (aa) Lösung unter Anknüpfung an den (Haupt-)Vertrag – Nutzung objektivierter Interessen Der Blick des Anwalts wird sich wieder zuvörderst auf die maßgebliche Drittinstanz richten, also den Umgang der Rechtsprechung mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Schon dann zeigen sich unterschiedliche Probleme. Zwar gibt es in der Rechtsprechung eine eindeutige Präferenz, indem sie an den (Haupt-) Vertrag, ggf. unter Zuhilfenahme der (ergänzenden) Vertragsauslegung anknüpft. Da sie jedoch auch andere Ansätze mitunter aufgegriffen hat, bzw. die Frage offenließ,1381 bleibt ein prognostisches Unsicherheitsmoment erhalten. Diese mögliche „Mehrspurigkeit der Argumentation“ selbst innerhalb der Rechsprechung wird noch bei der Wahl des sichersten Wegs aufzugreifen sein. Auch sofern man sich zunächst „allein“ auf die überwiegende Rechtsprechung konzentriert, bleiben Schwierigkeiten für einen Anwalt, der individuelle Interessen umsetzen soll, nicht aus. Diese Rechtsprechung nimmt grundsätzlich eine vertragliche Rechtsgrundlage an und sucht die Lösung für den Fall fehlender ausdrücklicher Regelungen in der ergänzenden Vertragsauslegung. Diese ermöglicht zwar eine Ausrichtung an der jeweiligen Interessenlage und dem jeweiligen Vertragszweck,1382 ist daher vom Ansatz her durchaus flexibel. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit keineswegs die Umsetzung des jeweiligen individuellen Mandantenwunsches verbunden sein muss. Denn es erfolgt bei einer fehlenden ausdrücklichen Vereinbarung eine ergänzende Vertragsauslegung über § 157 BGB, die bei Vorliegen einer vertraglichen Regelungslücke und mangelndem Eingreifen dispositiven Vertragsrechts den hypothetischen Parteiwillen zur Grundlage hat.1383 Richtschnur ist, was redliche und verständige Parteien in Kenntnis der planwidrigen Regelungslücke unter angemessener Abwägung ihrer jeweiligen Interessen sowie 1381 Siehe abermals etwa BGH NJW 1971, 1931, 1932; BGH NJW 1975, 867, 868 f. (ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB), BGH NJW 1977, 2073, 2074 (ebenfalls ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB); dort (S. 2076) hat der BGH die Frage letztlich als „gleichgültig“ bezeichnet. 1382 Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 94. 1383 Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 157, Rn. 7. Siehe auch wiederum z. B. BGH NJW 2017, 3777, Rn. 44.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
nach dem Vertragszweck unter Zuhilfenahme von Treu und Glauben redlicherweise gewollt und akzeptiert hätten.1384 Erster Anknüpfungspunkt ist insoweit der Vertrag.1385 Vor allem mit „Treu und Glauben“ sind jedoch auch objektive Maßstäbe1386 involviert. So kann durchaus eine Loslösung der Parteiwillen von dem tatsächlich Gewollten im Wege der Interessenabwägung „drohen“.1387 Es greift dann u. U. ein Mechanismus, den Honsell1388 einmal damit beschrieben hat „(…) was die Parteien wollten, bestimmt wiederum der BGH. (…)“ Je nachdem, wie viel der Vertrag, nicht zuletzt durch die gestalterische Leistung des Anwalts, als „Richtschnur“ bietet, kann dem Mandanten folglich durchaus ein „normatives Votum“1389 der Kontrollinstanz „Gericht“ drohen. Im Wege der Objektivierung können sich beispielsweise Fallgruppen gebildet haben, die in bestimmten Konstellationen für einen interessengerechten Ausgleich stehen, etwa hinsichtlich des Einbezugs von Familienangehörigen in den Schutzbereich eines Mietvertrags1390. Jenseits dessen muss immer in Rechnung gestellt werden, dass, gleichsam als Risiko, der Weg über Treu und Glauben durchaus Billigkeitsentscheidungen des Gerichts „zulassen“ kann. Das Vorgenannte muss nun allerdings keineswegs nur als Wiederaufgreifen des Kritikpunkts „fiktiver“ Wille verstanden werden, das heißt als Interpretation von etwas, was gar nicht gewollt, woran nicht einmal gedacht worden ist. Dem könnte der Anwalt im Übrigen durch ausdrückliche Regelungen leicht entgegentreten. Die Fiktion kann außerdem auch aus einem anderen Grund „fortgenommen“ werden. Es ist an dem Anwalt, an die beschriebenen Abläufe zu denken, diese u. a. in der Beratung zu berücksichtigen. Infolgedessen können z. B. objektivierte Interessen, die über eine Auslegung zum Tragen kommen können, bewusst in die Planung einbezogen werden. Das muss nicht in ihrer ausdrücklichen Aufnahme in den Vertrag bestehen. Vielmehr kann ein Fall vorliegen, in dem eine (spätere) Auslegung, die (auch) objektive Maßstäbe und objektivierte Interessen beinhaltet, genau dem entspricht, was der (individuelle) Mandant subjektiv will. 1384 Dazu Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 157, Rn. 7 m. w. N.; Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 94. Siehe aus der Rechtsprechung u. a. BGH NJW-RR 2008, 562, 563; NJW 2006, 54, 55, jeweils m. w. N. 1385 Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 157, Rn. 7. 1386 Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 157, Rn. 7 m. w. N. 1387 Siehe Assmann, JuS 1986, 885, 887, unter Hinweis auf Lorenz, JZ 1960, 109; von Caemmerer, FS für Wieacker (1978), zitiert nach von Caemmerer, Gesammelte Schriften III (1983), 195. 1388 Honsell, JZ 1985, 952, 953. 1389 Normativ, weil es im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung um den normativen Willen geht; Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 398, Rn. 94. 1390 Siehe nur BGHZ 49, 350, 353; 61, 227, 233; 77, 116, 124, BGH VersR 1983, 441, 442; BGH NJW 2010, 3152, 3153 (zum Mietvertrag, dort allerdings über Büroräume).
D. Drittinteressen
287
Beispiel: Ein (künftiger) Wohnraummieter möchte in Bezug auf den Mietvertrag erreichen, dass auch seine dort wohnenden Familienmitglieder „optimal“ vor Gefahren der Mietsache geschützt sind.
In der Beispielssituation muss der Mandant sich keine Sorgen hinsichtlich seines Wunsches machen, selbst wenn der Vertrag keine ausdrückliche Regelung enthält. Denn insbesondere in der Rechtsprechung werden Familienangehörige in den Schutzbereich von Wohnraummietverträgen grundsätzlich eingeschlossen.1391 Insoweit hat sich gleichsam eine objektivierte Fallgruppe herausgebildet; man kann von einer typisierten Interessengemengelage ausgehen. Der subjektive Wunsch des Mandanten geht dann gleichsam in objektivierten Interessengewichtungen auf, die sich schon hin zu einem „Normalstatut“1392 entwickelt haben. Selbst wenn der Anwalt „schlampig“ arbeiten, den Mandanten vor allem nicht hinreichend aufklären und beraten würde, wäre dessen Wunsch erfüllt. Denn sein tatsächlicher Wille entspricht dem hypothetischen. Idealerweise leistet der Anwalt aber Aufklärungsarbeit. Dass dies angezeigt ist, wird vor allem in den Fällen deutlich, in denen es nicht um die Beratung des „geschützten Mandanten“, sondern um die des Schuldners, des potentiellen Schädigers bzw. zurechenbar Verantwortlichen geht. Damit dieser z. B. eine angemessene Risikoplanung betreiben kann, etwa in Form von Versicherungsabschlüssen, kann dort eine unterbliebene Aufklärung durchaus zu Haftungskonsequenzen für den Anwalt nach § 280 Abs. 1 BGB aufgrund der Schlechtleistung des Anwaltsvertrags führen. Der „fiktive“ Wille, um die Wortwahl der Kritiker am Vertragsmodell nochmals aufzugreifen, muss eben nicht dem tatsächlichen entsprechen. Es ist folglich Bewusstseinsschärfung beim Mandanten zu betreiben, damit die Haftung im Weg der Vertragsgestaltung ggf. reduziert werden kann. Festgehalten werden kann zunächst, dass auch ohne ausdrückliche Gestaltungsarbeit einem durchaus subjektiven Mandantenwillen innerhalb eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Geltung verschafft werden kann, ohne sich als Anwalt dem Vorwurf mangelnder Sorgfalt oder des Arbeitens mit Fiktionen aussetzen lassen zu müssen. Das ist jedenfalls dann möglich, wenn objektivierte Muster, auch über den Weg der (ergänzenden) Vertragsauslegung vorhanden sind, in denen sich der Mandantenwunsch wiederfindet. Es erfolgt somit die schon zuvor beschriebene Vernetzung von subjektiven und objektivierten Interessen. (bb) Objektivierte Interessen innerhalb anderer Rechtsgrundlagen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte In derlei „vernetzten“ Situationen besteht im Übrigen auch kein großer Unterschied zwischen den Rechtsgrundlagen Vertrag, Rechtsfortbildung und § 311 Abs. 3 BGB in Bezug auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Das, was für den 1391
442.
Siehe abermals BGHZ 49, 350, 353; 61, 227, 233; 77, 116, 124, BGH VersR 1983, 441,
1392 Zur Begrifflichkeit des Normalstatuts wiederum Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 594.
288
1. Teil: Vertrag und Interessen
Vertrag (im Wege der Auslegung) darstellt wurde, gilt in vergleichbarer Weise zunächst für den § 311 Abs. 3 BGB, jedenfalls sofern man die Verbindung von § 311 Abs. 3 BGB zum Bezugsvertrag herausstellt1393. Aber auch die Rechtsfortbildung, vor allem unter Betonung des § 242 BGB, lässt die Objektivierung von Interessen, auf die der Einzelne sich bewusst beziehen kann, zu. Insofern bietet sich, wenn eine solche Objektivierung stattgefunden hat,1394 für den Anwalt wieder ein relativ sicherer Weg an. Hier zeigt sich, dass die verschiedenen Anspruchsgrundlagen durchaus zu keinem sachlichen Unterschied führen müssen. Der Anwalt muss allerdings idealiter ein entsprechendes Bewusstsein beim Mandanten schaffen bzw. entsprechende Aufklärungsarbeit leisten. (cc) Fehlen „gesicherter“ objektivierter Interessen Die Fälle, von vor allem in der Rechtsprechung, „gesicherten“ objektivierten Interessen, die dem Drittschutz unterliegen, mit denen der Mandant also individuell seinen Wunsch nach Drittschutz abgleichen kann, werden am ehesten in typisierten (standardisierten) Verträgen, wie z. B. dem Mietvertrag, zu finden sein. Jedoch darf man sich weder dort und erst recht nicht innerhalb gemischter oder atypischer Verträge zu vorschnell und ohne hinlängliche Berücksichtigung des Einzelfalls auf die beschriebenen Mechanismen verlassen. Zum einen können innerhalb des subjektiven Mandantenwillens bereits feine, vom Standard abweichende Nuancen die Deckungsgleichheit von subjektiven und objektivierten Interessen aufheben. Zum anderen werden mitunter die beschriebenen objektivierten Interessen etwa in der Rechtsprechung noch nicht vorhanden sein. Dann stellen sich die Fragen nach dem anwaltlichen Umgang mit den verschiedenen Rechtsgrundlagen, vor allem aber die Frage, ob nicht „offensive“ Gestaltungsarbeit Not tut, anders. Gilt es aus anwaltlicher Sicht, Drittschutz sicherzustellen oder auszuschließen, so hat sich der Gestalter jetzt die „Gefahren“ in anderer Weise bewusst zu machen. Fehlt es an besonderen gestalterischen Vorkehrungen, so „droht“ u. U. eine gerichtliche Auslegung des Vertrags, die den tatsächlichen Mandantenwünschen nicht entspricht, nämlich der negativ beschworene „fiktive“ Wille. Vergleichbare Probleme finden sich hinsichtlich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte beim Weg über § 311 Abs. 3 BGB, wenn die Einbindung des Bezugsvertrags nicht vom wirklichen Mandantenwillen getragen ist. Erst recht kann die mangelnde Berücksichtigung eines individuellen Mandantenwillens bei einer Begründung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte über die Rechtsfortbildung in Verbindung mit § 242 BGB relevant sein. Die im Abschnitt zuvor beschriebene Sicherheit durch die Objektivierung der Interessen, in denen sich der Mandant individuell wiederfindet, ist nun fort. Jetzt muss den Mandanteninteressen aktiv Vorschub geleistet werden. Innerhalb der anwaltlichen Vorgehensweise heißt das zunächst, eine Ausrichtung an der (überwie1393 Zu der Verbindung Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. 1394 Insbesondere durch die Rechtsprechung.
D. Drittinteressen
289
genden) Rechtsprechung vorzunehmen, somit die Rekurrierung auf die vertragliche Rechtsgrundlage für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und der mit ihr möglichen weiten Gestaltungsfreiheit. Vorstellbar ist danach grundsätzlich die explizite Bestimmung der Personen, die in den vertraglichen Schutzbereich einbezogen werden sollen; denkbar ist ebenso die Ausnahme von bestimmten Personen. Gegen ein solches Vorgehen könnte allerdings zum einen wieder die fehlende Praktikabilität sprechen, etwa, wenn damit die Auflistung ganzer Namenslisten verbunden ist. Zum anderen könnte die Bezugnahme (nur) auf einzelne Personen nicht notwendigerweise in jedem Fall interessengerecht sein. Das gilt vor allem dann, wenn dem Mandanten daran gelegen ist, Personen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, in den Schutzbereich einzubeziehen oder auszuschließen. Es geht dann darum, generell bestimmte Personengruppen zu erfassen, nicht individuelle Personen. Beispiel: „In den Schutzbereich des Mietvertrags über das Objekt (…)1395 sollen nur Personen einbezogen werden, die mit dem Vertragspartner zu 1) in einer geschäftlichen Beziehung oder in einer solchen i. S. d. § 311 Abs. 2 BGB stehen.“
Eine gleichsam tatbestandliche Formulierung1396 ermöglicht so eine gewisse Flexibilität des einzubeziehenden Personenkreises, gewährleistet jedoch gleichzeitig seine Überschaubarkeit. Jedoch ist eine tatbestandliche Fassung nicht immer einfach. Vermieden werden sollten an dieser Stelle wiederum Formulierungen, die ggf. auslegungsbedürftig sind. Das kann allerdings im Einzelfall schwierig sein. Geht es beispielsweise darum, bei einem Mietvertrag über Wohnraum, (nur) Familienangehörige und Nahbereichspersonen in den Schutzbereich aufzunehmen, können hinsichtlich einer nicht auslegungsbedürftigen Formulierung bereits Probleme auftreten. Ist es etwa praktikabel und interessengerecht, Familienangehörige mit einem Verwandtschaftsgrad nach dem BGB zu bestimmen? Wie will man die Gruppe der Nahbereichspersonen entsprechend bestimmen? Soll z. B. ein einmaliger vorheriger sozialer Kontakt genügen? Das Beispiel verdeutlicht, dass der vertragsgestalterischen Machbarkeit Grenzen gesetzt sein können. Neben oder unabhängig von der Aufnahme einer Regelung hinsichtlich der (nicht) zu schützenden Personen sollte in jedem Fall an eine Fixierung der dem Vertrag zugrundeliegenden Parteiinteressen gedacht werden. Eine solche kann z. B. innerhalb einer Präambel vorgenommen werden.1397 Auf diesem Weg kann ggf., 1395
Der Mietvertrag ist zwar grundsätzlich ein Vertragstyp, der in seinem Bereich eine Objektivierung der in den Schutzbereich einbezogen Personen zulässt. Gleichwohl kann aus Klarstellungsgründen oder zu dem Zweck, „nur“ bestimmte Personen einzubeziehen, die Aufnahme einer entsprechenden Klausel angezeigt sein. 1396 Es findet im Grunde, allerdings explizit beschränkt auf die vertraglich zu erfassenden Fälle, eine Form von Objektivierung statt. 1397 Auf diese Weise kann verstärkt der Interessenzweck der Parteien Einlass in die vertragliche Auslegung finden; zur Problematik um die Nichtbeachtung des Interessenzwecks der Parteien vgl. u. a. die Ausführungen bei Wüstendörfer, Zur Methode soziologischer Rechtsfindung, S. 37 f.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
wenn eine tatbestandliche Fassung der (nicht) geschützten Personen schwierig ist, zumindest für eine spätere vom Gericht vorzunehmende Auslegung ein zu beachtendes inhaltliches Kriterium geschaffen werden.1398 Es wird vor allem mit der Präambel erneut ein Gedanke aufgegriffen, der sich u. a. im Zusammenhang mit den Darstellungen der Macneilschen und Llewellynschen Ansätze herausstellte. Recht, hier in Form vertraglicher Gestaltungen, soll sich insbesondere bei längeren Vertragsbeziehungen möglichst von einer punktuellen Starrheit lösen. Eine Formulierung von Parteiinteressen und Vertragszwecken steckt wiederum zum einen einen zu beachtenden rechtlichen Rahmen ab, kann also als „Versicherung“, wie sie Llewellyn anspricht, fungieren. Sie weist zum anderen jedoch eine Flexibilität auf, da nicht notwendig1399 eine (enge) Bestimmung der zu schützenden Personen erfolgt, sondern ihr Kreis variieren kann. Anknüpfungspunkte bleiben „lediglich“ die Parteiinteressen. (dd) Betonung subjektiver Interessen Die ausdrückliche vertragliche Fixierung der Parteiinteressen ist außerdem etwa für das Zusammenspiel von subjektiven und objektivierten Interessen von Bedeutung. Die Benennung der Parteiinteressen ist hier ihre originäre vertragliche Bestimmung; es geht allein um den Willen der Parteien, es handelt sich insoweit um die Aufnahme „rein“ subjektiver Interessen. Entsprechende Klauseln entfalten für sich selbst zwar keine unmittelbare rechtliche Wirkung. Sie sind aber in ihren Folgen beachtlich. So können sie eine Verständnis- und Auslegungsgrundlage für andere, Rechtsfolgen zeitigende Klauseln sein, die ebenfalls Ausdruck subjektiver Wünsche sind, z. B. die Regelungen bezüglich des Schutzbereichs. Vor allem aber können „festgestellte“ Parteiinteressen der Verdrängung subjektiver z. B. durch objektivierte Interessen entgegenwirken. Auch dafür kann der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte exemplarisch stehen. Die Rechtsprechung, die die Rechtsgrundlage für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte im (Haupt-)Vertrag sieht und ggf. die ergänzende Vertragsauslegung heranzieht, stößt dann als Drittinstanz an Grenzen, wenn sie, um nochmals Honsell aufzugreifen,1400 bestimmen will, was die Parteien wollten. Denn sie muss sich dann argumentativ jedenfalls damit auseinandersetzen, was die Parteien selbst bestimmt haben.1401 Die Abwägung der Interessen innerhalb des § 157 BGB darf sich darüber nicht hinweg setzen. Die Parteien sind zudem durch die vertragliche Festsetzung ihrer Interessen „sicherer“, als wenn diese wiederum von der Rechtsprechung selbst im Wege der Vertragsauslegung hergeleitet werden.
1398 Zur Bedeutung der Präambel im Zusammenhang mit der Auslegung u. a. Pilger, BB 2000, 368, 368 f. 1399 Jedenfalls dann, wenn nur Parteiinteressen und Vertragszwecke fixiert werden. 1400 Honsell, JZ 1985, 952, 953. 1401 Das muss nicht bedeuten, dass die Rechtsprechung nicht im Einzelfall, z. B. mit Hilfe des § 138 Abs. 1 BGB, eine andere Interessengewichtung vornehmen kann. Sie muss aber einen entsprechenden methodologischen Mehraufwand betreiben.
D. Drittinteressen
291
Ein entsprechender „Schutz“ würde im Übrigen auch greifen, wenn man in § 311 Abs. 3 BGB die Rechtsgrundlage für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte sähe, jedenfalls sofern man den Rekurs auf den Bezugsvertrag für die einzubeziehenden Parteiinteressen herstellt.1402 Letztlich stößt selbst der Ansatz, der in einer Rechtsfortbildung in Verbindung mit § 242 BGB die relevante Grundlage sieht, bei einer ausdrücklichen Interessenbestimmung an bestimmte Grenzen. Das gilt zum einen unproblematisch für die Fälle, in denen man der Rechtsfortbildung (nur) die Qualität dispositiven Rechts zubilligt.1403 Selbst, wenn man aber den aus der Rechtsfortbildung sich ergebenden Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte einen zwingenden Charakter zumessen würde, hätte die Interessenbestimmung Auswirkungen. Denn jede Beurteilung anhand der Grundsätze von Treu und Glauben muss die involvierten Interessen der Vertragsparteien berücksichtigen. Welches diese sind, steht, bei entsprechender vertraglicher Aufnahme, dann aber nicht im Ermessen des (kontrollierenden) Anwenders der jeweiligen Rechtsgrundlage. Er sieht sich somit erneut einem gewissen methodologischen Argumentationszwang ausgesetzt. Will man als Gestalter bewusst die subjektiven Mandanteninteressen forcieren, so muss man den kontrollierenden Anwender zumindest in eine methodische Auseinandersetzung mit selbigen „zwingen“, es geht letztlich wieder um einen „Zwang in die Methode“. Insoweit sind die vertragsgestalterischen Möglichkeiten für die Interessenumsetzung unbedingt zu nutzen. (c) Resümee/Zusammenfassung Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist ein Beispiel des Zusammenwirkens unterschiedlichster Interessenstränge in der Vertragsgestaltung und der Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten, diese stimmig zu machen. Am Ausgangspunkt stehen die Parteiinteressen der eigentlichen Vertragsschließenden, Schuldner und Gläubiger. An sie muss die grundsätzliche Anbindung hinsichtlich der anwaltlichen Überlegungen als Interessenvertreter erfolgen, gerade auch dann, wenn es um die Einwirkung in die Interessensphäre von Dritten geht. Denn die Berücksichtigung Dritter darf für den Anwalt nicht um ihrer selbst willen geschehen, sondern deshalb, weil der Mandant es (gezielt) wünscht oder damit ihm keine „Gefahren“ aus der Richtung des Dritten erwachsen sollen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Einwirkung beim Dritten (auch) rechtliche Qualität entfalten soll/entfaltet. Ein entsprechendes Bewusstsein beim Mandanten muss der Anwalt ggf. schaffen. Die aufgezeigte Verbindung von Mandanten- und Drittinteressen ist aus anwaltlicher Sicht vor 1402
Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 326. In dem Fall gilt Entsprechendes zu dem, was bezüglich der vertraglichen Rechtsgrundlage ausgeführt wurde: Eine Abbedingung ist möglich, die reine Interessenaufnahme in den Vertrag kann dann z. B. als Auslegungshilfe fungieren. Für Disponibilität spricht der Ansatz, der im Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine das dispositive Recht ergänzende Rechtsfortbildung ausmacht, dazu etwa Staudinger/Jagmann (2009), BGB, § 328, Rn. 91, mit Hinweis u. a. auf Erman/Westermann, BGB, § 328, Rn. 12; Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 21 sowie weiteren Nachweisen. 1403
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1. Teil: Vertrag und Interessen
allem auch zur Vermeidung eigener haftungsrechtlicher Folgen aus § 280 Abs. 1 BGB wichtig, so etwa bei der Wahl des sichersten Weges. Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Suche nach dem relevanten rechtlichen Anknüpfungspunkt wider. Beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zeigt sich das exemplarisch beim Umgang mit der „richtigen“ Rechtsgrundlage. So liegt zwar beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nach der für die anwaltliche Sichtweise entscheidenden Rechtsprechung der Schwerpunkt auf einer vertraglichen Begründung. Andere Tendenzen, sowohl mitunter in der Rechtsprechung selbst, vor allem jedoch in der Literatur, sind jedoch vorhanden. Berücksichtigt man als Anwalt eine gewisse argumentative „Flexibilität“ der Rechtsprechung, aber auch die Möglichkeit einer von der Literatur angestoßenen „Weiterentwicklung“1404 derselben, so ist idealerweise nach einem Weg zu suchen, der, wenn auch unter Schwerpunktsetzung auf der überwiegenden Rechtsprechung, gleichwohl andere Ansätze mit abdecken kann. Ein Weg, damit umzugehen, kann in einer offensiven gestalterischen Einbindung der Interessen der Vertragsparteien und der von ihnen verfolgten Vertragszwecke liegen, das heißt u. a. in ihrer ausdrücklichen schriftlichen Fixierung, z. B. in einer Präambel. Das bietet sich vor allem in komplexeren, nicht einschlägig typisierten Vertragsgestaltungen an. Es geht darum, die etwaige Kontrollinstanz in die methodologischen Überlegungen zu „zwingen“, die ihre Wurzeln in den (subjektiven) Mandanteninteressen haben. Nur auf diese Weise ist es im Übrigen möglich, individuelle soziale Bedürfnisse der Vertragsparteien im Zusammenhang mit Dritten und deren Interessen zu betonen. So hat auch Bedeutung, dass das Konstrukt des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht zuletzt aus der Erkenntnis herrührt, dass ein Vertrag soziale Wirkungen zeitigt, denen das Recht begegnen möchte.1405 Während der Gesetzgeber hier Regelungen nicht vorgegeben hat, überlässt die Rechtsprechung grundsätzlich1406 dieses Gebiet der sozialen Wirklichkeit den Bedürfnissen der Vertragsparteien, so man von der Vertragsfreiheit ihrerseits Gebrauch macht. Es ist ein Bereich der insoweit anerkannten zielgerichteten „Eingriffsmöglichkeiten“ in die Interessensphäre Dritter eröffnet. Eine solche besteht allerdings auch dann, wenn die Vertragsparteien keine 1404 „Der Anwalt darf sich auf (…) (die) Fortdauer (einer höchstrichterlichen Rechtsprechung) nicht blind verlassen. (…) Auch hat er Hinweise eines obersten Gerichts auf die Möglichkeit einer künftigen Änderung seiner Rechtsprechung zu berücksichtigen. Ferner hat er nach Möglichkeit neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, (…) zu verfolgen und im Rahmen des ihm Zumutbaren deren mögliche Auswirkungen auf eine ältere Rechtsprechung im Bereich der jeweiligen Problemfelder zu bedenken.“ So BGH NJW 1993, 3323, 3324 f. Zur Prognose von Rechtsprechungsänderungen auch Keil, Die Systematik privatrechtlicher Rechtsprechungsänderung, S. 264 ff. 1405 Zur Sozialwirkung von vertraglichen Schuldverhältnissen Karampatzos, Vom Vertrag für Dritte zur deliktischen berufsbezogenen Vertrauenshaftung, S. 36 m. w. N. 1406 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass insbesondere der ausdrückliche vertragliche Ausschluss Dritter von den Schutzwirkungen eines Vertrags in der Literatur auch kritisch gesehen wird, vgl. Zenner, NJW 2009, 1030, 1033. Die dargestellten Ansichten der Rechtsprechung schließen es ebenfalls nicht gänzlich aus, dass im Einzelfall den Drittinteressen trotz alledem Vorrang eingeräumt werden könnte. Denkbare Ansatzpunkte wären hier § 138 Abs. 1 BGB, aber auch § 242 BGB.
D. Drittinteressen
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ausdrückliche Regelung treffen. Tun sie dies nämlich nicht, weil ihre individuellen Wünsche sich mit dem decken, was dann im Wege der Auslegung1407, ggf. unter Zuhilfenahme objektivierter Drittinteressen, zu erwarten ist, so kann man gleichwohl von einer gewollten und zielgerichteten Einflussnahme in den Interessenbereich Dritter sprechen. Man „gebraucht“ gleichsam das Normalstatut. Unterbleibt ein solcher Reflexionsvorgang seitens der Parteien, so kann man allerdings nicht von gewollter und gezielter Einflussnahme sprechen. Dann können die Drittinteressen, die sich im Wege des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte „durchsetzen“, eine für eine Vertragspartei „gleichgültige“ Folge sein.1408 Das wird zumeist beim Gläubiger der Fall sein, den keine Nachteile treffen. Negative Folgen bringt es allerdings z. B. für die Schuldnerseite mit sich, wenn diese an einer Abwendung der Dritteinbeziehung interessiert gewesen wäre. Die insgesamt beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in besonderer Weise virulent gewordenen Verflechtungen unterschiedlicher Interessenebenen in der Vertragsgestaltung und die damit verbundenen Vorgehensweisen, um positive oder negative rechtliche Auswirkungen auf Drittinteressen zu setzen, werden ebenso in weiteren Kontexten bedeutsam und verdienen dementsprechend Aufmerksamkeit. Es geht insoweit um andere Möglichkeiten des „Aus- und Benutzens“ objektivierter Interessenverteilungen. b) Gestalterisches „Aus- oder Benutzen“ von Gesetzen als objektivierte Interessengewichtungen des Rechts zum Zweck der Dritteinwirkung aa) Einführung Gerade wenn der Mandant die Einwirkung (auch) auf die Rechtslage des Dritten wünscht, ist die Verknüpfung von Mandanten- und Drittinteressen bedeutsam.1409 Gesucht wird nach einer „gestaltenden“ Einwirkung, die unmittelbar Folgen beim Dritten herbeiführt. Im Anschluss an die obigen Überlegungen ist mit der Veränderung der „Rechtslage“ eine „Positionsveränderung“ gemeint. Das heißt, nicht von Bedeutung sind damit in diesem Kontext zunächst Vorgänge, durch die eine bestehende „Rechtsposition“ des Dritten an sich gar nicht verändert wird.
1407
Bzw. unter Berücksichtigung anderer Anspruchsgrundlagen. Das gilt daneben auch für die Situation, in der der Vertragspartei die Folge zwar bewusst, aber ebenfalls gleichgültig ist. 1409 Vgl. auch Martens, AcP 177 (1977), 113, 115 f., zur Möglichkeit von von den Parteien geplanten Außenwirkungen ihres Vertrags, die sich etwa auf Reflexwirkungen bezüglich der Rechts- und Interessenlage Dritter beziehen. Der Vertrag werde, S. 116, dann „instrumentalisiert“. 1408
294
1. Teil: Vertrag und Interessen
Beispiele: Das Eigentum eines Dritten wird verletzt. In dem Fall kann dem Dritten ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB zustehen; seine Eigentümerposition als solche wird aber nicht angetastet. Oder1410: Ein Schenkungsvertrag nach §§ 516, 518 BGB und sein Vollzug führen zu einer Vermögensverschiebung, durch die ein dritter Gläubiger des Schenkers (wirtschaftlich) benachteiligt wird. Hier wird die rechtliche Gläubigerposition des Dritten nicht verändert. Seine u. U. gegebenen Reaktionsmöglichkeiten nach dem AnfG1411 dienen lediglich der Kompensation.1412
Die beschriebenen oder vergleichbaren Auswirkungen auf die Interessensphäre des Dritten sind vielfach (auch) tatsächlicher Natur, tangiert werden dabei oftmals das Affektions- bzw. das Vermögensinteresse1413 des Dritten. In solchen Fällen werden die Drittinteressen zudem durchaus häufig dem Schutz der Rechtsordnung unterstellt.1414 In der Regel kann der Dritte z. B. Restitution, Kompensation, Beseitigung oder Unterlassung verlangen.1415 All dies ist jedoch an dieser Stelle in Bezug auf die beim Dritten zu „gestaltende Rechtslage“ nicht gemeint. Es geht insoweit, wiederum den eingangs gemachten Ausführungen folgend, um die unmittelbar beim Dritten eintretende Begründung rechtlicher Pflichten bzw. um das Erlöschen von Ansprüchen des Dritten oder die Vereitelung und Be-/Verhinderung seiner Rechte.1416 Die Vorgehensweise kann selbstverständlich auch in die „positive Richtung“ gehen. Da der Vertrag zu Lasten Dritter, der Vertrag zugunsten Dritter und, jedenfalls nach weiten Teilen der Rechtsprechung, auch der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte dadurch gekennzeichnet waren, dass die jeweilige Veränderung der Rechtslage des Dritten vom Willen der Vertragsschließenden abhing/abhängen sollte, waren 1410
Nachfolgendes Beispiel nach Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56 f. Ein Anfechtungsgrund könnte sich aus § 4 AnfG ergeben. 1412 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56. Vgl. auch Weber, Rechtssoziologie, S. 150, wonach ein Vertragsschluss zu einer Vermehrung von Gläubigerpositionen auf der Schuldnerseite führt, die bisherigen Gläubiger insoweit betroffen sind, als die mögliche Befriedigungsmasse schrumpfen kann. Solche mittelbaren Auswirkungen („Reflexwirkungen“) lasse das Recht zu, wenn es zu einem bestimmten Vertragsschluss ermächtige. 1413 Eine solche Differenzierung innerhalb der Bestimmung von Reflexwirkungen vornehmend Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56, dort auch unter Hinweis auf von Thur, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, § 43 II, S. 12, § 50 V, S. 168; zum Begriff der Reflexwirkungen noch sogleich. 1414 Darauf ebenfalls hinweisend Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56. 1415 Vgl. auch BGH FamRZ 2011, 472, 474, wonach mittelbare nachteilige Wirkungen für einen Dritten durch ein Rechtsgeschäft, so auch beim Reflex, nur im Fall vorliegender gesetzlicher Regelungen beseitigt oder ausgeglichen werden. Als Beispiele werden insoweit Schadensersatz-, Bereicherungs- oder Wertausgleichsansprüche angeführt, ebenso die Möglichkeiten einer Anfechtung, der Wegfall oder die Beschränkung von Ansprüchen gegen Dritte. 1416 Zur Vereitelung eines Rechts als Unterpunkt von Lastwirkungen Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 57 f. 1411
D. Drittinteressen
295
die Möglichkeiten der rechtlich akzeptierten Einwirkungen „überschaubar“. Der Vertrag zu Lasten Dritter ist grundsätzlich nicht rechtlich machbar; am weitesten sind die positiven Einwirkungsmöglichkeiten über den Vertrag zugunsten Dritter, wobei der Dritte allerdings das Zurückweisungsrecht aus § 333 BGB hat. Mit anderen Worten kann man sagen, die Wege, individuell zu entscheiden, wie sich die Rechtslage Dritter gezielt ändern soll und darf, sind begrenzt.1417 bb) Gezielter Einsatz objektivierter Interessen Vorstellbar sind aber u. U. weitere Alternativen, um einen Mandantenwunsch auf bestimmte Gestaltung der Rechtslage des Dritten umzusetzen. Die Mittel, um den begehrten Erfolg zu erreichen, sollen nunmehr im gezielten „Einsatz“ objektivierter Interessen gesucht werden, wobei selbige durch Dritte „akzeptiert“ werden sollen. Diese Akzeptanz soll, wenn möglich, beim unmittelbar betroffenen Dritten selbst liegen, vor allem jedoch bei der kontrollierenden (Dritt-)Instanz. Gesucht wird insoweit eine Deckung von subjektiven Interessen, jedenfalls der des Mandanten, und objektivierten Interessen, auf die namentlich die Drittinstanz rekurriert. Es geht dabei um das Aufgreifen eines Phänomens, das u. a. schon innerhalb der Diskussion um den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auftauchte. Aus anwaltlicher Sicht sucht man nach einem Rahmen, in dem (abstrakte) Interessen gleichsam schon gegeneinander abgewogen worden sind und das Ergebnis ein objektives ist.1418 Beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte fand man etwas Vergleichbares im Zusammenhang mit der u. a. von der Rechtsprechung angenommenen ergänzenden Vertragsauslegung. Hierbei erfolgte letztlich eine Bezugnahme auf einen normativen und damit objektiven Willen der Vertragsparteien.1419 Allerdings wurde dieser dann wieder auf den (eigentlichen) Parteiwillen zurückgeführt, was ein Grund zur Kritik an diesem Weg war („fiktiver Parteiwillen“). Gleichwohl, und das war nicht zuletzt aus anwaltlicher Sicht bedeutsam, konnte die Überlegung angestellt werden, ob man überhaupt etwas (ausdrücklich) zum Drittschutz regeln müsste, da bei bloßem Vertragsschluss ein bestimmter „Rahmen“, nämlich der im Zweifel von der Rechtsprechung im Wege der normativen Vertragsauslegung ermittelte, greift. Mit den Überlegungen des bewussten Ausnutzens der normativen Auslegung für die Umsetzung der Mandanteninteressen zeigte sich, trotz aller Gefahren, ein gewolltes Zusammenspiel subjektiver und objektivierter Interessen. Bei Deckungsgleichheit
1417 Es zeigt sich insoweit der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Dritten aus Art. 2 Abs. 1 GG. 1418 Damit wird eine Denkweise eingenommen, die für die Interessenjurisprudenz typisch ist; vgl. etwa Heck, AcP 112 (1914), 1, 179, wonach „(…) (d)as Ideal der Rechtsprechung (…) die einheitliche Durchführung der legislativen Werturteile, die gleichmäßige Entscheidung aller nach diesen Wertideen gleichliegenden Interessenkonflikte (fordert).“ 1419 Siehe dazu MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 172 m. w. N.; Papadimitropoulos, Schuldverhältnisse mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, S. 118 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
kann es aus subjektiver Sicht ausreichen, die objektivierten Interessen zu „aktivieren“, sie also zu gebrauchen. „Objektivierte Interessen“ sind hier1420, darauf sei nochmals hingewiesen, von „außen“, in der Regel abstrakt, festgelegte Interessen einschließlich ihrer Gewichtung; sie können entsprechend kontrolliert werden. Als „vorgegebene“ Interessen werden sie von den Betroffenen akzeptiert oder sind jedenfalls ggf. „hinzunehmen“. Die Vertragsparteien können demzufolge auf sie zugreifen, sie gebrauchen, müssen sich aber umgekehrt u. U. ihnen auch „beugen“. Vorstellbar ist zwar grundsätzlich eine Einflussnahme auf objektivierte Interessen durch die Parteien aufgrund Modifizierung, das heißt durch Implementierung primär (nur) subjektiver Interessen. Inwieweit bei einem Drittbezug die subjektiven auf die objektivierten Interessen jedoch Einfluss nehmen können, wird noch aufzugreifen sein. Das beschriebene Zusammenspiel zeigt sich nicht zuletzt im gesetzlichen Kontext.1421 So enthalten Gesetze häufig objektivierte Interessenabwägungen.1422 Hier hat der dem Gemeinwohl verpflichtete Gesetzgeber1423 bestimmte Interessen(teil-) bereiche aufgegriffen, gewichtet und gewertet. Diesen Umstand gilt es wiederum aus anwaltlicher Sicht zu nutzen. Wie dies geschehen kann, wird deutlich, wenn man die Problematik noch aus einem weiteren Blickwinkel betrachtet. So ergab sich die Verbindung von „Vertragsfreiheit und Drittinteressen“1424 innerhalb der bisherigen Ausführungen bereits mehrfach. Die Bedeutung der objektivierten Interessen stellt jedoch vor allem ein Bindeglied auch zu Begrifflichkeiten wie „Reflexwirkung“ oder „Lastwirkung“ her. Beide Begriffe sind sogleich im Kontext der vorliegenden Untersuchung näher zu erläutern. Die Ausrichtung liegt dabei allerdings nicht auf der Entwicklung eines bestimmten Begriffsinhalts, sondern auf der Frage, ob und inwieweit die Erkenntnisse im Zusammenhang mit Last- und Reflexwirkungen für eine zielorientierte (finale) Umsetzung von subjektiven Mandanteninteressen nutzbar gemacht werden können. Das soll vor allem unter Orientierung an den erwähnten Topoi der Nutzbarmachung objektivierter Interessen zur „Positionsveränderung“ bei einem Dritten geschehen, sei dies in negativer, sei dies in positiver Hinsicht. Diese Differenzierung ist umso mehr notwendig als gerade begrifflich keineswegs hinsichtlich der Unterscheidung von Reflex- und Lastwirkungen Einigkeit herrscht, ebenso wenig bezüglich ihres jeweils umfassten Bereichs.
1420
Vgl. auch nochmals die Ausführungen unter B. I. 3., S. 71 ff., insbesondere zu objektivierten Interessen, die mittels Gesetzen oder der Rechtsprechung transportiert werden. 1421 Siehe wiederum unter B. I. 3., S. 71 ff. 1422 Beispielhaft sei der § 932 BGB genannt, der zwischen dem Interesse des (gutgläubigen) Erwerbers und dem des eigentlichen Eigentümers eine (Interessen-)Abwägung trifft. 1423 Siehe BVerfGE 128, 226, 244. 1424 So der Titel der Dissertation von Habersack, Berlin 1992.
D. Drittinteressen
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cc) Umgang mit Reflexwirkungen zur positiven Umsetzung der Interessen des Mandanten (1) Weites Verständnis von Reflexwirkungen – von Jhering von Jhering1425 setzte sich mit den Reflexwirkungen im Privatrecht in seinem Beitrag „Die Reflexwirkungen oder die Rückwirkung rechtlicher Thatsachen auf dritte Personen“ auseinander. Grob unterteilt geht von Jhering dahingehend vor, welche relevanten Fälle es gibt, dem folgen eine deskriptive Begriffsbestimmung der Reflexwirkungen sowie die Ausarbeitung einer Theorie der juristischen Reflexwirkungen.1426 Interessant ist im Rahmen unserer Untersuchung zunächst die einleitende Definition der Reflexwirkung bei von Jhering,1427 wonach er diese als die Rückwirkung bezeichnet, „welche eine rechtliche oder ökonomische Thatsache über ihre eigentliche, durch das Gesetz oder die Absicht des Handelnden oder Berechtigten gesetzte Wirkungssphäre hinaus für dritte Personen äußert, (…)“.1428 Im Rahmen der deskriptiven Begriffsbestimmung bezeichnet von Jhering die Reflexwirkung dann als „(…) eine durch besondere Verhältnisse bedingte und ausschließlich durch sie herbeigeführte ökonomisch vortheilhafte oder nachtheilige Folge einer in Person des Einen eingetretenen Thatsache für eine dritte Person.“1429 Die schließlich entwickelte Theorie der juristischen Reflexwirkungen betrifft, trotz Anerkennung „nachtheiliger“ Reflexwirkungen, nur die „vortheilhaften“; letztere beziehen sich auf den Erwerb durch Reflexwirkung.1430 Beispiele sind nach von Jhering der Schatzfund1431 oder der Wegfall des vorstehenden Pfandgläubigers.1432 Sieht man von Jherings Ausführungen als Einstieg, aus dem ein Nutzen für die oben vorangestellte Ausrichtung (Ausnutzung objektivierter Interessen) zu ziehen ist, so ergibt sich bereits hier ein differenzierendes Bild. von Jhering fasst zum einen unter die Reflexwirkungen auch solche Wirkungen, die nicht die Rechtslage im oben beschriebenen Sinn betreffen,1433 sondern auch die, die die tatsächliche Lage des Dritten tangieren1434. Sucht man aus anwaltlicher Sicht den objektivierten und gerade deshalb ggf. rechtlich akzeptierten Drittbezug, ist eine solche Ausgangsüberlegung zu weit. Wiewohl solche (tatsächlichen) Auswirkungen auch vom Anwalt in Rechnung zu stellen sind, betrifft die anwaltliche Tätigkeit zunächst (nur) solche 1425
von Jhering, JherJb, Bd. 10 (1871), 245 ff. So Wagner, AcP 193 (1993), 319, 331. 1427 von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 248. 1428 Siehe auch von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 249, zur Differenzierung zwischen der Quelle der Reflexwirkung, der Reflexwirkung selbst sowie dem Grund der Reflexwirkung. 1429 von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 284 f. 1430 von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 293. 1431 Im BGB findet sich die entsprechende Regelung in § 894 BGB. 1432 von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 296 f. 1433 Vgl. zum weiten Begriff bei von Jhering auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56, Fn. 5; dort auch unter Hinweis auf von Jhering, JherJb 10 (1866), 285 ff. 1434 Siehe auch von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 265. 1426
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1. Teil: Vertrag und Interessen
„Eingriffe“ in die Interessensphäre des Dritten, die vom Berufsträger prognostisch erfasst und beeinflusst werden können. Das Instrumentarium ist insoweit das „Recht“. Beides trifft auf rein tatsächliche Auswirkungen nicht zu. Vielmehr stellt sich dort schon jeweils im Einzelfall die Frage, ob hier noch der (anwalts-)vertraglich abgedeckte Handlungsbereich eröffnet ist. Weiterhin geht es aus anwaltlicher Sicht um die Umsetzung eines jedweden Mandantenwunsches, das heißt um die finale Umsetzung des Mandantenwillens. Insofern ist es, zunächst vorsichtig ausgedrückt, „misslich“, wenn von Jhering die Reflexwirkung als nicht in der Absicht des Handelnden stehend ansieht1435 oder die Reflexwirkung als willensunabhängig darstellt1436. Die „Misslichkeit“ erklärt sich allerdings vor allem anhand der vom Anwalt eingenommenen Sicht auf das Recht. Er „verwendet“ das Recht,1437 um Mandanteninteressen zu realisieren. Finalität ist demzufolge „zwingend“. Gleichwohl können Elemente der Willensunabhängigkeit vorhanden sein.1438 Die Auflösung der Schwierigkeiten kann sich in einer weiteren Auseinandersetzung mit den Reflexwirkungen ergeben, vor allem aber auch unter Hinzuziehung des Bildes der objektivierten und damit ggf. akzeptierten Interessen. (2) Enges Verständnis von Reflexwirkungen – Habersack Eine intensivere Beschäftigung mit „Reflexwirkungen“ erfolgt u. a. durch von Tuhr1439 und vor allem durch Habersack1440, die in ihrer begrifflichen Ausrichtung grundsätzlich von einem engeren Verständnis der Reflexwirkungen ausgehen. Habersack1441 bezeichnet im Anschluss an von Tuhr die Reflexwirkung als „(…) die durch ein Rechtsgeschäft vermittelte, nicht unmittelbar auf dem Willen der handelnden Personen beruhende Änderung der Rechtslage1442 unbeteiligter Dritter (…)“. Die Notwendigkeit einer Änderung der Rechtslage, die Habersack1443 vor allem vom reinen Betreff bloßer Vermögens- und Affektionsinteressen des Dritten abgrenzt, wurde oben ebenfalls im Rahmen unserer Herangehensweise betont. Dort geschah das freilich mit der Intention der Umsetzung dementsprechender Mandantenwün1435
von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 288. von Jhering, JherJB, Bd. 10 (1871), 245, 295, 299. 1437 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 42, betont, Vertragsgestaltung sei primär Rechtsverwendung und Rechtssetzung. Er, S. 1, hebt die instrumentale Sicht des Rechts hervor. 1438 Siehe etwa Schirmer, FS für Reimer Schmidt, 821, 832, Fn. 38; Schirmer lehnt den Begriff „Reflexwirkungen zu Lasten Dritter“ im Vergleich zu „Verträgen mit Lastwirkung“ ab, da der Begriff „Reflexwirkung“ assoziieren könne, die belastende Wirkung zum Nachteil des Dritten sei nicht final bezweckt. 1439 von Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Berlin 1957, Bd. 2, 1, § 43 II, S. 12 und § 50 V, S. 167 f. 1440 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, Berlin 1992, S. 55 ff. 1441 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 55 f., unter Hinweis (S. 55, Fn. 3) auf von Tuhr, AT II 1, § 43 II, S. 12, § 50 V, S. 167 f. 1442 Hervorhebung bei Habersack. 1443 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56. 1436
D. Drittinteressen
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sche. Es ist auch weiterhin der Aspekt der Mandantenausrichtung, der bei der Bestimmung der Reflexwirkungen weiterzuverfolgen ist. Das betrifft zunächst und vor allem das Merkmal der mangelnden Willensabhängigkeit, welches bereits im Zusammenhang mit von Jhering zur Aufmerksamkeit zwang. Gemeint ist damit, dass eine bestimmte Veränderung der Rechtslage des Dritten unabhängig davon eintritt, ob die rechtsgeschäftlich handelnden Personen diese in ihren Willen aufgenommen haben oder nicht. Beispiel 1:1444 Der Erblasser hat in seinem Testament den X zum Vorerben, den Y zum Nacherben eingesetzt. Außerdem soll V ein Vermächtnis zukommen, so der X Erbe werden sollte. Der Erblasser verstirbt. X schlägt die Erbschaft aus (§ 1942 Abs. 1 BGB). Nach § 1953 Abs. 1 BGB gilt der Erbfall an X als nicht erfolgt, vielmehr ist der Y, so er annimmt, vom Erbfall an Erbe (§ 1953 Abs. 2 BGB). Das Vermächtnis an V ist über § 2161 BGB unwirksam.
Der „Verlust“ des Vermächtnisses ist im Beispiel unabhängig davon, ob der X dies in seinen rechtsgeschäftlichen Willen aufgenommen hat oder nicht;1445 er tritt hier qua Gesetzes ein. Gleichwohl zeigt das Beispiel, dass etwa ein vom Mandanten geäußerter Wille, also sein umzusetzender Wunsch keineswegs irrelevant sein muss. Beispielsfortsetzung: Der X hatte persönliche Gründe dahingehend, dass V auf keinen Fall das Vermächtnis erlangen sollte. Gleichzeitig hält er das Erbe aber auch für nicht besonders attraktiv, da er keine Zeit mit der Aufarbeitung und Begleichung diverser Verbindlichkeiten des Erblassers verbringen möchte, wiewohl ihm voraussichtlich ein nicht unerheblicher Vermögensüberschuss verbleiben würde. Unter Schilderung dieses Sachverhalts, vor allem jedoch unter Hinweis auf seinen Wunsch, V nichts zukommen lassen zu müssen, tritt X an seinen Anwalt heran. Letzterer weist X dann nach entsprechender umfänglicher Aufklärung gezielt auf den Weg über § 2161 BGB hin, woraufhin X die Erbschaft ausschlägt (§ 1942 Abs. 1 BGB).
Der Mandant hat auf anwaltlichen Rat hin bewusst und final eine Kausalkette in Gang gesetzt, die seinen Wunsch, jemandem das Vermächtnis nicht zukommen zu lassen, rechtlich umsetzt. Die oben beschriebene Reflexartigkeit steht also einer solchen finalen Herbeiführung nicht entgegen.1446 Das Gesetz „bot“ eine bestimmte objektivierte Verkettung von Interessen „an“; hierin konnte sich der Mandant mit seinen subjektiven Interessen wiederfinden und diese „Kettenreaktion aktivieren“. Weil er „nur“ auf die von seinem rechtsgeschäftlichen Willen unabhängigen gesetzlichen Abläufe zurückgriff, konnte er aktiv die Rechtslage des Dritten gestal-
1444 Beispiel in Anlehnung an Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29. Das Beispiel ist im engeren Sinn nicht vertragsgestalterisch. 1445 Zur mangelnden Ursächlichkeit des Parteiwillens etwa für die Drittbelastung auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29, dort (Fn. 17), u. a. der Hinweis auf von Jhering, JherJb 10 (1866), 245 ff., 293 ff. und auf von Tuhr, AT II 1, § 43 II, S. 12 und § 50 V, S. 167. 1446 Vgl. auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
ten.1447 Und weil er das gesetzliche Tableau einsetzte, ist das ein jedenfalls vor der (Dritt-)Instanz „Gericht“ akzeptiertes Verhalten.1448 Der aufgezeigte Mechanismus lässt sich ebenso in eine „positive Richtung“ aktivieren. Beispiel 2: Vater und Sohn sind beide Mieter einer Wohnung, beide haben den Mietvertrag unterschrieben. Da der Sohn arbeitslos ist, möchte der Vater allein die Miete entrichten, aber sichergestellt wissen, dass sein Sohn nicht auch noch in Anspruch genommen werden kann. Da Vater und Sohn als Gesamtschuldner haften (§ 421 BGB), greift § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB ein. Die vom Vater geleistete Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB wirkt auch gegenüber dem Sohn. Diese Folge würde ebenfalls unabhängig von einem entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willen des Vaters eintreten. Er kann jedoch nichtsdestotrotz durch eine finale Handlung (Zahlung der Miete) seinen Wunsch umsetzen.
Ein gezielter „Gebrauch“ objektivierter Interessen kann und muss Teil anwaltlichen Handelns sein und ist als solcher in seinen Abläufen jedenfalls teilweise deckungsgleich mit den oben bezeichneten Reflexwirkungen. Weil es für unsere Zwecke um eine rechtlich akzeptierte Dritteinwirkung auf die Rechtslage Dritter geht, rückt dabei der Gebrauch von Gesetzen1449 in den Vordergrund. In den Fällen ist eine weitere von von Tuhr1450 und ihm folgend Habersack1451 aufstellte Voraussetzung für eine Reflexwirkung „selbstverständlich“ gegeben. Die 1447 Siehe auch Weber, Rechtssoziologie, S. 149. Lässt danach, so Weber, die Ermächtigungsnorm ein bestimmtes Rechtsgeschäft zu, sei in der Regel auch die Ermächtigung vorhanden, ebenfalls Dritte, die selbst nicht unmittelbar an dem entsprechenden (Vertrags-)Akt beteiligt waren, zu binden. Der Gedanke gilt entsprechend für einseitige Rechtsgeschäfte, die Auswirkungen auf den Rechtskreis des Dritten haben. 1448 Die rechtliche Akzeptanz stand allerdings im Beispielsfall unter der Einschränkung des Schikaneverbots nach § 226 BGB. Die Ausschlagung der Erbschaft (§ 1942 Abs. 1 BGB) bringt für den Mandanten jedoch, neben der „Vereitelung“ des Vermächtnisanspruchs des Y, weitere, durchaus „objektive“ Vorteile mit sich. Als Erbe würde er Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers (§ 1922 Abs. 1 BGB). Als solchen träfe ihn u. a. die Erbenhaftung aus § 1967 BGB. Selbst wenn ihm aufgrund der Höhe der Erbmasse keine wirtschaftlichen Nachteile drohen würden, bliebe sein Eintritt in neue Schuldnerpositionen für ihn insofern rechtlich nachteilig, dass nicht verlangt werden kann, sich den damit einhergehenden Verpflichtungen aussetzen zu müssen. Da letzteres für die Entscheidungsfindung (mit) kausal war, objektiv mit der Ausschlagung der Vorteil mangelnder Erbenhaftung einhergeht, kommt § 226 BGB nicht zum Zuge. Dazu, dass § 226 BGB verlangt, dass nach Lage der gesamten Umstände ein anderer Zweck als die Schadenszufügung beim Dritten objektiv ausgeschlossen sein muss, Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 226, Rn. 2, unter Verweis u. a. auf OLG Frankfurt/Main NJW 1979, 1613. 1449 Es kann auch eine andere akzeptierte Einwirkung vorliegen, z. B. über Institute, die im Wege der Rechtsfortentwicklung entstanden sind. Relevant ist insoweit, dass dann ebenfalls eine Akzeptanz durch die Drittinstanz vorliegt. Damit ist wiederum eine „willensunabhängige“ Aktivierung möglich. 1450 von Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd.2, 1, § 50 V, S. 167 f. 1451 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56.
D. Drittinteressen
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danach notwendige rechtliche Beziehung zwischen einer (Vertrags-)Partei und dem betroffenen Dritten wird insoweit über das Gesetz vermittelt. (3) Probleme bei fehlenden tatbestandlich (genau) fixierten Vorgaben zur Dritteinwirkung Schwieriger gestaltet sich der Umgang mit den Reflexwirkungen für unsere Zwecke, wenn es nicht mehr wie innerhalb der zuvor beschriebenen Abläufe1452 aufgrund des Zugriffs auf (genau) tatbestandlich fixierte Vorgaben/Rechtsfolgen um entsprechend bestimmte/bestimmbare Drittwirkungen geht. Mit solchen war zudem in der Regel jeweils Unmittelbarkeit verbunden. Eindeutige gesetzliche Regelungen1453 zur aktiven rechtlichen „Gestaltung“ im Sinne einer „Veränderung“ der Rechtslage Dritter sind zwar vorhanden, aber keineswegs flächendeckend oder alle möglichen „Kollisionen“1454 aufgreifend. Das ist auch schwerlich möglich, da der Drittbezug von rechtsgeschäftlichem Handeln nahezu ubiquitär ist. Es ist damit, vornehmlich aus anwaltlicher Beratungssicht, im Grunde der Bereich verlassen, in dem Mandantenwünsche bezüglich einer intendierten Einwirkung auf die Rechtslage Dritter „sicher“1455 in rechtlichen Bahnen umgesetzt werden können. Es muss dann aber im Weiteren darüber hinaus, und hier ist nicht zuletzt auch der Umgang mit den „Reflexwirkungen“ betroffen, gleichsam eine Verschiebung des Blickwinkels bezüglich der involvierten Interessen erfolgen. Es kann dabei zwar immer noch, möglicherweise sogar gewünscht, darum gehen, den Dritten zu belasten. Jedoch muss eine Drittbelastung vom Mandanten keineswegs gewollt oder auch nur in Erwägung gezogen worden sein. Jetzt muss, vor allem in der Beratung, die Ausrichtung allerdings vielmehr dahingehen, wie weit die Mandanteninteressen (noch) in den Vordergrund rücken dürfen. Es geht schlussendlich um die Schwierigkeit, wann die ubiquitär vorhandenen Drittinteressen sich in solche wandeln, die unter rechtlichem Schutz stehen.1456 Drittinteressen begegnen uns nunmehr vor allem als „Grenzen“ der Freiheit der Vertragsgestaltung. Für den Anwalt wird hier die Beratungs- und Gestaltungssituation keineswegs einfacher. Denn auch die Bezeichnung von Grenzen ist nur verhältnismäßig sicher prognostizierbar, wenn Objektivierungen/Typisierungen vorhanden sind.
1452 Die gerade in dem Zugriff auf gesetzliche oder vergleichbare (z. B. solche im Wege der Rechtsfortbildung) Abläufe bestanden. 1453 Auf den Aspekt der Eindeutigkeit gesetzlicher Regelungsabsichten im Kontext der Kollision von Rechtsgeschäft und Drittinteressen hinweisend Martens, AcP 177 (1977), 113, 125. 1454 Siehe dazu auch Martens, AcP 177 (1977), 113, 125. 1455 Soweit dies im juristischen und vor allem im anwaltlichen Beratungsbereich überhaupt möglich ist. 1456 Siehe dazu auch Martens, AcP 177 (1977), 113, 136.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
2. Drittwirkungen als Grenzen a) Mögliche Drittwirkungen aa) Einführung Bei der Suche nach den durch Drittinteressen gesetzten Grenzen zeigt sich erneut, dass die unserem Untersuchungsgegenstand geschuldete Betrachtungsweise einen eigenen Umgang mit den vorhandenen Begrifflichkeiten wie den Reflex- oder den Lastwirkungen bzw. sonstigen Auswirkungen fordert. So werden mitunter Lastwirkungen als anderer Ausdruck für belastende Reflexwirkungen verstanden.1457 Darauf weist namentlich Habersack in Bezug auf die mögliche Unterteilung in begünstigende und belastende Reflexwirkungen hin, je nachdem, welche Auswirkungen beim Dritten eintreten.1458 Belastende Drittwirkungen (Reflexwirkungen) seien in Anlehnung an Wiedemann begrifflich dann als Lastwirkungen erfasst.1459 Daneben werden von Habersack sonstige Formen der Beeinträchtigung von Drittinteressen ausgemacht,1460 die ggf. „begrenzend“ wirken können. Die begrifflichen Differenzierungen sollen jedoch im Nachfolgenden nur bedingt weiterverfolgt werden. Denn anders als beim Umgang mit Reflexwirkungen, die ein Operieren mit objektivierten Interessen eröffnen, finden sich solche Möglichkeiten bei der Grenzziehung durch Drittinteressen nur eingeschränkt. Aus gestalterischer Sicht können die unterschiedlichen Begrifflichkeiten gleichwohl für bestimmte Situationen zur Bewusstseinsschärfung beitragen. Für die eigentlichen juristisch relevanten Grenzen, die vor allem auch von der „Drittinstanz“ Gericht angewendet werden, sind aber Ansätze, die ggf. „begriffsübergreifend“ sind, von besonderer Bedeutung. bb) Lastwirkungen – Umgang mit der Begrenzung von Inhalts- und Abschlusschancen (1) Orientierung an der Wiedemannschen Begrifflichkeit Habersack, der belastende Reflexwirkungen mit dem Begriff der Lastwirkungen belegt,1461 systematisiert die durch einen Vertrag verursachten Lastwirkungen in die Gruppen der Vereitelung eines Rechts, der Begründung einer Verbindlichkeit sowie 1457
So etwa Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29, dort durchaus in Anlehnung an Wiedemann (SAE 1969, 268). Ob dieser Gleichsetzung so zu folgen ist, wird sich noch zeigen. 1458 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29. 1459 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29, unter Verweis (Fn. 16) auf Wiedemann, SAE 1969, 268 sowie auf die Zustimmung u. a. bei Martens, AcP 177 (1977), 136 ff.; Schirmer, FS R. Schmidt, S. 832 und Schmalzbauer, Drittwirkung, S. 116 ff. hinweisend. 1460 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 77 ff. 1461 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 29.
D. Drittinteressen
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der Einschränkung von Abschluss- und Inhaltschancen beim Dritten.1462 Letztere verdienen, vor allem hinsichtlich des Wiedemannschen Verständnisses der Lastwirkungen, zur Schärfung des gestalterischen Problembewusstseins zunächst besondere Aufmerksamkeit. Wiedemann fasst unter den Vertrag „mit Lastwirkungen für Dritte“ als Pendant zum Larenzschen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „alle Rechtsgeschäfte, die die unendliche Anzahl von einer Rechtsperson zur Verfügung stehenden Vertragsinhalte oder Abschlußmöglichkeiten um eine begrenzte Zahl einschränken: also Kartelle, Preisbindungen zweiter Hand, Fusionen so gut wie arbeitsrechtliche Kollektivvereinbarungen oder betriebliche Gleichstellungsabreden.“1463 Unter Bezugnahme auf Biedenkopf1464 stellt Wiedemann1465 ferner heraus, es ginge darum, jedermann, auch dem Arbeitnehmer, bei Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen die jeweilige Chance zu erhalten, Verträge mit bestimmtem Inhalt abzuschließen. Betont werden insoweit vor allem wettbewerbsrechtliche und arbeitsrechtliche Sachverhalte. In eine solche Richtung geht auch das Fallmaterial bei Habersack bezüglich der Lastwirkungen durch die Einschränkung von Abschluss- und Inhaltschancen.1466 Er listet insoweit gerade wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Sinn des GWB, u. a. Kartelle, auf, außerdem sonstige Wettbewerbsverbote wie Mandantenschutzklauseln, ferner tarifvertragliche Differenzierungsklauseln und Beispiele aus dem Gesellschaftsrecht, so die Stimmbindungsverträge.1467 Dabei sei allerdings nochmals darauf verwiesen, dass Habersack innerhalb seiner Systematisierung der Lastwirkungen neben dieser Gruppe der Einschränkung von Inhalts- und Abschlusschancen außerdem die weiteren Gruppen der Vereitelung eines Rechts sowie der Begründung einer Verbindlichkeit aufführt.1468 Nun ist für die weitere Untersuchung besonders begrifflich zu differenzieren. Habersacks Vorgehen ist angesichts des bei ihm vorangestellten Reflexverständ-
1462 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 57 ff. Habersack, S. 57, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; er, S. 57, Fn. 9, weist auch auf Lastwirkungen aufgrund eines einseitigen Rechtsgeschäfts hin. 1463 Wiedemann, SAE 1969, 265, 268. 1464 Biedenkopf, Verhandlungen des 46. Juristentages (1966), Gutachten, S. 133. 1465 Wiedemann, SAE 1969, 265, 268. 1466 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 58 ff. 1467 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 59 ff. Siehe bezüglich unterschiedlicher Beispiele auch Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 130, der hinsichtlich der Lastwirkungen gegenüber Dritten vornehmlich auf arbeits-, wettbewerbs-, handels- und gesellschaftsrechtliche Sachverhalte verweist und dabei exemplarisch Mandantenschutz- und Konkurrenzklauseln, tarifrechtliche Differenzierungsklauseln, kartellrechtliche Regelungen und Ausschließlichkeitsbindungen, Preisbindungs- und Vertriebsbindungsvereinbarungen, Lizenzverträge, Sperrabreden nach §§ 75 f. HGB und Stimmbindungsverträge nennt. 1468 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 57 f.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
nisses konsequent,1469 und er zieht daraus nicht zuletzt Schlüsse bezüglich anzuwendender Kontrollmechanismen Die Herangehensweise soll sich aber zunächst an der Bestimmung der Lastwirkungen nach Wiedemann ausrichten. Dabei soll dies bewusst nicht als (Unter-)Fall der Reflexe im oben behandelten Sinn geschehen, die als Nutzung objektivierter Interessen begriffen wurden, sondern als Behandlung eines eigenständigen Komplexes. Beim Umgang mit den Lastwirkungen ist allerdings auf Folgendes hinzuweisen: Die Wiedemannsche Formel bezüglich Verträge mit Lastwirkungen für Dritte ist eingangs sehr weit, indem sie solche Verträge umfasst, „die die unendliche Anzahl von einer Rechtsperson zur Verfügung stehenden Vertragsinhalten oder Abschlußmöglichkeiten um eine begrenzte Zahl einschränken (…)“1470. Diese Weite der Begrifflichkeit wird im Grunde von Wiedemann eingeschränkt, wenn anschließend auf bestimmte arbeitsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Sachverhalte verwiesen wird.1471 Auch wenn solche Sachverhalte einen besonderen Anwendungsbereich bilden, soll gleichwohl der Anstoß für die weiteren Überlegungen in 1469 Denn bezogen auf die Einschränkung von Inhalts- und Abschlusschancen in Anlehnung an die Wiedemannsche Bestimmung zeigt Habersack konsequent auf, weshalb das in dem von ihm herausgearbeiteten Sinn „Reflexe“ sind; vgl. nochmals die Bestimmung der Reflexe bei Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 55 f. Die danach erforderliche rechtliche Beziehung zwischen einem der Vertragspartner und dem Dritten kann, so Habersack, auch durch ungeschriebene Vorgaben der Rechtsordnung begründet werden, ebenda, S. 61. Solche seien etwa durch die Interdependenz zwischen Vertragsfreiheit und Wettbewerb vor dem Hintergrund der Entscheidung der Rechtsordnung für ein markwirtschaftliches System begründet, ebenda, S. 62. Erfasst ist damit vor allem der wettbewerbsrechtliche Aspekt der Drittwirkungen; siehe aber auch Habersack, ebenda, S. 62, wonach etwa im gesellschaftsrechtlichen Bereich bereits durch Rechtsgeschäfte die erforderlichen Beziehungen hergestellt werden. Die Betroffenheit der Rechtslage des Dritten macht Habersack im Gebiet der vom GWB erfassten Wettbewerbsbeschränkungen darin aus, dass vom Schutzzweck des GWB der Wettbewerb als Institution erfasst, er aber ebenso im Interesse von Waffen- und Auswahlfreiheit für den einzelnen Teilnehmer aufrechtzuerhalten sei; Habersack, ebenda, S. 63 m. w. N. Daraus folge dann die relevante Störung der Rechtslage des Dritten durch Wettbewerbsbeschränkungen. Bei dieser Herangehensweise Habersacks kann man ferner die für die Reflexivität erforderliche Willensunabhängigkeit annehmen. Sollten Regelungen getroffen werden, die zu einer Verengung von Inhalts- und Abschlusschancen Dritter führen, so ist es für diesen Mechanismus unerheblich, ob das gerade in den rechtsgeschäftlichen Willen der Vertragsparteien aufgenommen worden ist oder nicht. Das zuvor Genannte sind nur einzelne Aspekte, die Habersack aufzeigt. Auf eine weitere Vertiefung soll hier verzichtet werden, wird doch aus dem Bisherigen für unsere Untersuchung Maßgebliches deutlich: Habersack stellt die Einschränkungen der Abschluss- und Inhaltschancen in den Kontext der systematischen Erfassung von Lastwirkungen, die negative Reflexwirkungen ausmachen. Das geschieht, um letztlich zu einem Kontrollinstrumentarium zu gelangen, das Vertragsfreiheit und Drittinteressen austariert; siehe u. a. Habersack Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 76. 1470 Wiedemann, SAE 1969, 265, 268. 1471 Siehe Wiedemann, SAE 1969, 265, 268. Darauf hinweisend, dass Wiedemann sich mit einem arbeitsrechtlichen Sonderproblem beschäftigt, Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 116.
D. Drittinteressen
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dem ersten, weiten Teil der Formel gesucht werden. Denn hierzu passt der Umstand, dass letztlich jedes Schuldverhältnis, jedenfalls wenn es einen Güteraustausch betrifft, eine zumindest mittelbare Betroffenheit für Dritte schafft; jenen stehen die Güter ggf. nicht mehr zur Verfügung.1472 Nicht zuletzt wird gerade im Zusammenhang mit dem Vertrag mit Lastwirkungen für Dritte darauf verwiesen, es ginge dabei um (lediglich) mittelbare Auswirkungen auf den Dritten.1473 (2) Konsequenzen eines weiten Verständnisses von Drittwirkungen Ein weites Verständnis von Drittwirkungen zeigt zum einen erneut die grundsätzliche Einbettung eines jeden Vertrags in die soziale Wirklichkeit. Damit wird zum anderen aber ebenso der schon oben erwähnte Aspekt angesprochen, der vor allem im Zusammenhang mit den „Lastwirkungen“, gerade auch solchen im Wiedemannschen Sinn, von Bedeutung ist. Steht ein Vertrag so in der sozialen Wirklichkeit, dass die (mittelbare) Berührung der Interessensphäre Dritter die Regel und nicht die Ausnahme ist, dann muss sich die Frage aufdrängen, ob und ggf. wann das von einer rechtlichen Relevanz sein kann bzw. muss. Es kann und darf hier „nur“ um die Frage gehen, ob und wann eine „Grenzziehung“ durch betroffene Drittinteressen erfolgen kann bzw. muss, das heißt, wann man den Vertrag hinsichtlich Dritter nicht mehr nur in seinen soziologischen Auswirkungen begreifen darf, sondern wann man beginnen muss, rechtliche Kategorien anzulegen. Stichworte, die hier gerade im Kontext mit dem Vertrag mit Lastwirkungen für Dritte fallen, sind etwa die Eröffnung des Grenzbereichs zwischen einer rechtlichen Relevanz und einer lediglich soziologisch-faktischen Erscheinung1474 oder das Problem, ob und wann es zu einer Vermischung von soziologischen und rechtsdogmatischen Kategorien kommt1475. Diese Diskussion erfolgt allerdings oftmals wiederum primär unter Bezugnahme auf wettbewerbsbeschränkende Verträge.1476 In diesem Aufeinanderprallen der Kategorien steckt jedoch noch viel mehr. Denn angesichts des „Konfliktpotentials“ von soziologischen und rechtlichen Kategorien ist hier ein eigener Umgang in der Vertragsgestaltung mit dort involvierten Interessen vonnöten. Der Ansatzpunkt dafür ist, nochmals, ausgehend von der Frage zu suchen, wann Drittinteressen begrenzend wirken können.
1472 So die Überlegung, allerdings eingeleitet über eine volkswirtschaftliche Betrachtungsweise, von Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 332. 1473 Schmalzbauer, Die Drittwirkungen verpflichtender Verträge, S. 120. Misslich ist die Formulierung bei Martens, AcP 177 (1977), 113, 136, wonach kein absolut geschützter Rechtsbereich des Dritten betroffen sei. Zur mittelbaren Betroffenheit auch Weber, Rechtssoziologie, S. 149. 1474 So Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 128. 1475 Siehe Raiser, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, 101, 112. 1476 Siehe etwa Raiser, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, 101, 111 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Die für die juristische Vertragsgestaltung relevanten Grenzen sind zunächst1477 solche rechtlicher Art. Ausgehend von dem aufgezeigten Regel-Ausnahme-Verhältnis kann eine Konsequenz jedoch schon jetzt bezeichnet werden: Ein Vertrag mit Lastwirkungen, jedenfalls bei weitem Verständnis gerade bezüglich der Auswirkungen auf die Inhalts- und Abschlussfreiheit von Dritten, kann/darf nicht grundsätzlich zur juristischen Unwirksamkeit des Vertrags führen.1478 (3) Rechtsvereitelung bei einem Dritten Jenseits der Einschränkung der Abschluss- und Inhaltschancen werden innerhalb der Systematisierung von Lastwirkungen als belastende Reflexwirkungen auch die Fälle angeführt, die die Vereitelung eines Rechts betreffen. Kennzeichnend für die Rechtsvereitelung sei der Umstand, wonach aufgrund einer an sich rechtmäßigen Handlung des Verursachers der Erwerb eines künftigen Rechts oder die rechtliche Durchsetzbarkeit eines bestehenden Rechts verhindert werden.1479 Dieser zuletzt bezeichnete Mechanismus steht wiederum im Kontext mit den oben erläuterten Reflexwirkungen. Durch eine rechtmäßige Handlung „passiert“ die Rechtsvereitelung, gewollt oder ungewollt. Ein Beispiel ist der Abschluss und die Erfüllung eines (Kauf-)Vertrags, der mit einem anderen (Kauf-)Vertrag über denselben Gegenstand kollidiert.1480 Diskutabel ist vor allem im Bereich der Vertragsgestaltung auch eine vertragliche Haftungsfreistellung bzw. -begrenzung, die im Vorfeld eines (potentiellen) Gesamtschuldnerverhältnisses einem von mehreren Gesamtschuldnern gewährt wird.1481 Die rechtliche Bewältigung einer solchen Situation ist im Einzelnen umstritten.1482 Ganz überwiegend wird aber jedenfalls einer im Vorfeld abgeschlossenen Haftungsfreistellung eine Wirkung „zu Lasten“ der nicht unter die Freistellung fallenden Gesamtschuldner grundsätzlich nicht zugesprochen.1483 Teilweise wird darauf abgestellt, es handele sich um einen Vertrag zu
1477 Selbstverständlich können und müssen ggf. soziale Grenzen innerhalb der Vertragsgestaltung Berücksichtigung finden. 1478 Siehe auch Martens, AcP 177 (1977), 133, 137. Siehe ebenso Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 170 f., der ausführt, die Anerkennung der Vertragsfreiheit dürfe nicht dadurch konterkariert werden, dass jede Einwirkung auf Dritte als Anlass für staatliche Eingriffe genommen werde. 1479 So Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 57, Fn. 11, unter Hinweis auf von Jhrering, JherJb 10 (1866), 317 f.; Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte, S. 258 ff. 1480 Beispiel nach Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 58. 1481 Dies gehört zum Problembereich der „gestörten Gesamtschuld“. 1482 Siehe zum Meinungsstand, jeweils m. w. N., u. a. MK-BGB/Heinemeyer, § 426, Rn. 59 ff.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 426, Rn. 20 f.; Staudinger/Looschelders (2022), BGB, § 426, Rn. 175 ff. 1483 Etwa BGH NJW-RR 2004, 1243, 1245, mit Hinweis u. a. auf BGHZ 12, 213, 218; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 426, Rn. 20 m. w. N.; Staudinger/Looschelders (2022), BGB, § 426, Rn. 176.
D. Drittinteressen
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Lasten Dritter.1484 Namentlich Habersack sieht darin „nur“ eine Lastwirkung, die nicht zur grundsätzlichen Unwirksamkeit des Vertrags führe, sondern dazu, dass das Ergebnis über eine Abwägung der betroffenen Interessen zu ermitteln sei.1485 Das Beispiel in Bezug auf die Haftungsfreizeichnungen und ihre streitige Behandlung verdeutlicht erneut, dass ein Umgang mit, allgemein gesprochen, „Drittauswirkungen“ nicht nur innerhalb eines genau tatbestandlich erfassten und damit (sicherer) prognostizierbaren Bereichs erfolgt. Jenseits davon ist, mangels (objektiver) tatbestandlicher Vorgaben, ebenfalls nach einem Maßstab hinsichtlich der etwaig zu erfolgenden Abwägung der involvierten Interessen zu suchen, was wiederum nicht zuletzt unter Ausrichtung auf die Drittinstanz „Gericht“ zu geschehen hat. (4) Begründung von Verbindlichkeiten bei Dritten Eine weitere „Untergruppe“ möglicher Lastwirkungen wird in der Begründung einer Verbindlichkeit ausgemacht.1486 Der Dritte sieht sich dann, ohne durch sein rechtsgeschäftliches oder sonstiges Verhalten daran mitzuwirken, der Entstehung einer Schuldnerposition in seiner Person gegenüber. An dieser Stelle ergibt sich zunächst die Notwendigkeit einer Abgrenzung zum Vertrag zu Lasten Dritter, der ohne weiteres die Unwirksamkeit der Vereinbarung nach sich zieht.1487 Jenseits des Vertrags zu Lasten Dritter bleibt die Begründung von Verbindlichkeiten bei Dritten vorstellbar. So sind auch hier wiederum Gestaltungen möglich, bei denen durch Gesetze oder (anerkannte) Rechtsfortbildungen tatbestandlich vorgegeben ist, wann jemand Drittes mit einer Verbindlichkeit belastet werden kann; es ist somit ein weiteres Mal ein Arbeiten mit objektivierten Interessen möglich, die zu eigenen subjektiven Zwecken aktiviert werden können. Wenn also auch eine unmittelbare vertragliche Vereinbarung zwischen zwei Personen, durch die einem Dritten eine (rechtliche) Verpflichtung auferlegt wird, wegen des Verbots des Vertrags zu Lasten Dritter scheitert, ist es jedoch ggf. möglich, durch einen Vertrag inter partes bzw. seine Umsetzung, seinen Vollzug, Umstände zu schaffen, die einen weiteren, in der Regel gesetzlichen Tatbestand erfüllen, an den 1484 So etwa BGH NJW-RR 2004, 1243, 1245; Staudinger/Looschelders (2022), BGB, § 426, Rn. 176. 1485 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 30 f., der (S. 31) für diese Sicht der Dinge auch die Rechtsprechung des BGH heranzieht. So halte der BGH die Haftungsfreizeichnung nicht per se für unwirksam, wie Entscheidungen zu der Fallkonstellation, in der der Geschädigte einen Anspruch gegen einen Versicherer habe, zeigten. Habersack führt insoweit (S. 31, Fn. 27) BGHZ 33, 216, 221 = NJW 1961, 212 und BGH WM 1989, 855, 857 an. 1486 So innerhalb der Systematisierung bei Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 58. 1487 Die Problematik wird deutlich innerhalb der Ausführungen bei Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 31 f., zu den rechtsgeschäftlichen Nachfolgeklauseln im Gesellschaftsrecht.
308
1. Teil: Vertrag und Interessen
sich für einen Dritten eine rechtliche Verbindlichkeit anknüpft. Ein Beispiel1488 dafür ist die Vereinbarung eines Verzichts auf nachehelichen Unterhalt in einem Ehevertrag.1489 Der Verzicht selbst wirkt zunächst nur inter partes; er selbst begründet keine unmittelbare Verpflichtung eines Dritten. Allerdings werden durch den (rechtlichen) Verzicht auf Unterhalt die Lebensumstände des ansonsten Unterhaltsberechtigten ggf. verändert, nämlich dann, wenn er selbst nicht mehr in der Lage sein sollte, seinen Unterhalt zu sichern. Auf diesem Weg können u. U. die Voraussetzungen für das Eingreifen eines Anspruchs gegen den Staat bzw. seine Untergliederungen oder Einrichtungen (mit) begründet werden. So knüpft beispielsweise das SGB II, das die Grundsicherung für Arbeitssuchende regelt, die Leistungsberechtigung u. a. an die Hilfsbedürftigkeit an (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II). Hilfsbedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Indem durch einen Unterhaltsverzicht die „Zuflussseite“ beschnitten wird, kann also möglicherweise1490 das Tatbestandsmerkmal der Hilfsbedürftigkeit geschaffen werden, welches (mit) begründend für einen Anspruch auf der Grundlage des SGB II ist. Insofern könnte jedenfalls ein (vertraglicher) Beitrag dafür vorliegen, dass es zu einer Entstehung einer Verbindlichkeit bei einem Dritten kommt. In derartigen Konstellationen stellt sich die Notwendigkeit einer Abklärung etwaiger Grenzen und Kontrollmechanismen unmittelbar. (5) Andere Beeinträchtigungen von Drittinteressen Ist die Möglichkeit, durch die Veränderung von Faktoren („Hilfsbedürftigkeit“) eine Verpflichtung eines Dritten herbeizuführen, ein weiteres Beispiel dafür, wie vielgestaltig die Berührung eines Vertrags zwischen den eigentlichen Vertragsparteien und (unbeteiligten) Dritten sein kann, so zeigt sich das erst recht, wenn man berücksichtigt, dass solche Berührungen auch jenseits der von den Begrifflichkeiten der Reflex- bzw. Lastwirkungen abgedeckten Situationen durchaus gegeben sein können. Aufgrund der Ubiquität der Berührung von Vertragspartei- und Drittinteressen sind, soweit nicht insbesondere schon oder auch der Bereich der Begrenzung der Abschluss- und Inhaltschancen tangiert ist, zahlreiche Fälle vorstellbar, in denen Drittinteressen durch einen zwischen anderen geschlossenen Vertrag beeinträchtigt werden. Nicht zuletzt findet sich die Anknüpfung an ein Verhalten gegenüber der
1488
Den Unterhaltsverzicht als Beispiel für eine Lastwirkung durch Begründung einer Verbindlichkeit anführend Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 58. 1489 Vereinbarungen über den nachehelichen Unterhalt sind grundsätzlich zulässig, § 1585c BGB, siehe Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 47. 1490 Siehe noch unten zu den Schranken.
D. Drittinteressen
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Allgemeinheit oder einem Dritten als eigene Gruppe von Fällen, die innerhalb der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB erörtert werden.1491 Ein Beispiel für eine anderweitige Beeinträchtigung eines Dritten besteht in der Konstellation der Kollision von Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt.1492 Der Kreditnehmer hat dabei zur Sicherung einer Forderung auf Rückzahlung eines Geldkredits (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) dem Kreditgeber, in der Regel einer Bank, alle (gegenwärtigen wie künftigen) Forderungen, die ihm im Rahmen seines Geschäftsbetriebs zustehen, abgetreten (Globalzession). Später erwirbt der Kreditnehmer Waren unter verlängertem Eigentumsvorbehalt (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB) von einem Warenkreditgeber. Die im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehalts vereinbarte Abtretung (§ 398 BGB) der Forderungen aus der Weiterveräußerung der Waren zu Sicherungszwecken würde bei Wirksamkeit der Globalzession ins Leere laufen. Der Warenkreditgeber ist somit durch den verfügenden Vertrag der Abtretung zwischen Kreditnehmer und Bank in seinen Interessen (negativ) betroffen. Seine Sicherheit, das heißt letztlich seine Vermögensinteressen,1493 werden von dem Vertrag zwischen Kreditnehmer und Bank tangiert. Es zeigt sich wiederum, wie vielschichtig der Drittbezug eines Vertrags sein kann. Auf eine solche Vielschichtigkeit muss bei der etwaigen „Grenzziehung“ mit möglicher Flexibilität reagiert werden. b) Grenz- bzw. Schrankenbildungen aufgrund von Drittinteressen aa) Einführung Der mehrfach angeführte Umstand der Ubiquität von Drittinteressen und ihrer Betroffenheit durch Verträge anderer Personen muss somit Auswirkungen im Zusammenhang mit der Bestimmung und Ausfüllung möglicher (rechtlicher) Grenzen bzw. Schranken aufgrund des Drittbezugs haben. Denn die Vielgestaltigkeit etwaiger Drittbeziehungen insbesondere in Inhalt und Intensität stellt unterschiedliche An1491
Siehe u. a. MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 165 ff. (Abwehr der Schädigung Dritter); Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 40 ff. (sittenwidriges Verhalten gegenüber der Allgemeinheit oder Dritten); Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 470 ff. (Sittenwidrigkeit gegenüber Dritten und der Allgemeinheit). Auf den Umstand, dass die Gefährdung und Schädigung Dritter in den gängigen Kommentaren und Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des BGB durchweg eine von mehreren Fallgruppen zur Systematisierung der Generalklausel des § 138 BGB ist, weist Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 77, so ausdrücklich hin. 1492 Dieses Beispiel wird auch angeführt von Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 80. Als weiteres Beispiel nennt Habersack, S. 81 ff., gesellschaftsvertragliche Abfindungsvereinbarungen. 1493 Auf die Beeinträchtigung schlichter Vermögensinteressen in dem Fall hinweisend Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 80. Habersack, a. a. O., führt aus, dass keine Lastwirkung vorläge, da im Zeitpunkt der Vereinbarung der Globalzession eine vertragliche Beziehung des Vorbehaltsverkäufers zum Käufer nicht bestanden habe.
310
1. Teil: Vertrag und Interessen
forderungen hinsichtlich der Frage nach dem Ob und dem Wie einer Begrenzung der Privatautonomie (Vertragsfreiheit) der handelnden Parteien. So muss etwa Berücksichtigung finden, dass vor allem die Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie in ihrer Weite nicht zuletzt ein Weg ist, den potentiellen Vertragsparteien zu ermöglichen, ihre individuellen Interessen zu artikulieren, zu kommunizieren, auszuhandeln, zu gewichten und dann in einem gemeinsamen Vertrag umsetzen zu können.1494 Der damit einhergehende Prozess ist in der Regel von einer „Polarität der Interessen“1495 der Parteien gekennzeichnet, welche einen natürlichen Schutzmechanismus bildet, nur solche Verträge abzuschließen, die zu einer Beschränkung eigener Interessen lediglich im gewollten Umfang führen.1496 Ein solcher Schutzmechanismus greift beim Dritten nicht.1497 Vor allem dieser Umstand im Verbund mit der oben bezeichneten Omnipräsenz des Tangierens von Drittinteressen durch Verträge kann einen Ansatzpunkt dafür bilden, wann und in welcher Art rechtliche und soziale Geschehnisse als eine Grenze in Form von rechtlichen Kategorien den Regelungen der eigenen Interessen mittels eines Vertrags anzulegen sind. Dabei müssen sich die „Grenzen“ nicht zuletzt aufgrund der dargestellten Umstände durch eine gewisse Flexibilität auszeichnen. bb) Immanente und/oder externe Grenzbildungen1498 Flexibilität bei der Umsetzung von Eigeninteressen mittels Vertrags (auch) bei Berührung von Drittinteressen ist vorstellbar, wenn die Privatautonomie, und dort die Vertragsfreiheit unter Hervorhebung der Abschluss- und Gestaltungsfreiheit, zumindest jenseits eines bestimmten Kernbereichs variabel im gewährleisteten Umfang sein könnte und/oder Kontrollinstrumentarien bzw. Vorgaben bestehen, die eine solch variable Austarierung von Eigen- und Drittinteressen aufgreifen. 1494
Das ist zunächst eine „ideale“ Darstellung der ermöglichten Mechanismen. Zur Begrifflichkeit Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 66, unter Hinweis, Fn. 72, auf Schmidt-Rimpler, FS für Raiser, S. 5; Martens, AcP 177 (1977), 165. 1496 Ob dieser Schutzmechanismus bei den Vertragsparteien greift, ist dort ebenfalls nicht selbstverständlich. Siehe auch noch die Ausführungen zur Parität unter Teil 5 D. III. 2. a) ee) (2), S. 955 ff. 1497 Zum fehlenden Gleichlauf zwischen Vertragspartner- und Drittinteressen (bezogen auf die Lastwirkungen) Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 67 f. 1498 Auch hier ist bezüglich der Begrifflichkeit sauber zu trennen. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 20, unterscheidet zwischen Außen- und Innenschranken. Außenschranken der Privatautonomie gelten danach für jeden beteiligten Vertragspartner, unabhängig von der Situation des Vertragsschlusses. Innenschranken demgegenüber träfen nur den Vertragspartner, der seine Marktmacht oder die durch die Umstände des Vertragsschlusses vermittelte Überlegenheit ausnutze. Beide Schranken könnten durch Gesetze oder ungeschriebene, der Rechtsordnung immanente Grenzen begründet sein, Habersack, ebenda. Die hier anschließende Auseinandersetzung um immanente und externe Grenzen differenziert allerdings danach, wo (schon) bzw. erst eine grundsätzliche Gewährung der Vertragsfreiheit ansetzt und wo (erst) später eine (notwendige) Grenzziehung bzw. Ausgestaltung erfolgt. 1495
D. Drittinteressen
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(1) Immanente Grenzen (a) Ausgangsproblematik Eine Auseinandersetzung um einen solchen Ansatz muss zunächst hinsichtlich der gewährten Freiheit an sich erfolgen, das heißt vornehmlich in Bezug auf die Vertragsfreiheit als solche. Möglicherweise finden sich in der Privatautonomie (Vertragsfreiheit) selbst bereits „immanente“ Grenzen/Beschränkungen, die zu berücksichtigen sind. So wird u. a. im Zusammenhang mit den Lastwirkungen, aber nicht nur dort, eine Begrenzung der Vertragsfreiheit teilweise (schon) von innen heraus vorgenommen.1499 Eine solche Begrenzung „von innen heraus“ kann vor allem an zwei Aspekten ansetzen. Derartig begrenzend kann zum einen das Verständnis des Instituts Privatautonomie1500 (Vertragsfreiheit) an sich wirken. So steht das Institut „Privatautonomie“1501 nicht isoliert innerhalb der Ordnungsstrukturen der Gesellschaft, in der es wirkt, wirken soll. Vielmehr greifen und wirken dort auch andere, durchaus ebenfalls grundgesetzlich abgesicherte Institute, wie z. B. die Wettbewerbsfreiheit1502. Solche
1499 Vgl. etwa Martens, AcP 177 (1977), 113, 171 ff., u. a. 174. Vgl. auch die Ausführungen bei Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 216 ff., der sich mit einer Inhaltskontrolle von Verträgen auseinandersetzt und „(…) (d)ie Grenzen rechtswirksamen privaten Handelns (…) nicht nur nach den allgemeinen Geboten der Gesetzes- und Sittenordnung, sondern auch nach dem normativen Sinn des jeweils in Anspruch genommenen Rechtsinstituts im Rahmen der geltenden Gesamtverfassung (…)“ anführt (S. 217 ff.). Zu immanenten Grenzen bei § 242 BGB siehe auch BVerfGE 89, 214 ff. Diese stellen sich dort im Kontext um Fragen der Fremdbestimmung einer Vertragspartei durch die andere Partei. 1500 Siehe u. a. die Zwischenüberschrift bei Martens, AcP 177 (1977), 113, 171, die „Die institutionellen Schranken der Privatautonomie“ lautet. Siehe ferner Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 218 m. w. N. 1501 Zugrunde gelegt wird hier ein juristischer Umgang mit dem Institutsbegriff, der sowohl den privatrechtlichen wie den öffentlich-rechtlichen Bereich betrifft; gegen eine Beschränkung des Denkens in Institutionen auf das öffentliche Recht, Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 218, Fn. 42 m. w. N. Auf den soziologischen Begriff wird in Abgrenzung dazu noch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das (soziologische) Rollenverständnis eingegangen. Letzteres umfasst (auch) außerrechtliche Elemente (vgl. u. a. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 38). Allerdings wird noch zu klären sein, inwieweit außer- bzw. vorrechtliche Elemente möglicherweise einem grundgesetzlichen Schutz nach Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der „Vertragsfreiheit“ unterliegen. Auch hier kommt ein institutioneller Charakter zum Tragen. Außerrechtliche Elemente umfasst darüber hinaus der metaphysische Institutsbegriff (Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 38), der hier jedoch nicht vertieft werden soll. 1502 Zur Interdependenz von Rechts- und Wirtschaftsordnung Mestmäcker, JZ 1964, 441, 443, unter Anführung von Eucken; siehe auch den Hinweis bei Mestmäcker, S. 443, Fn. 23, auf Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 14 ff., 304 ff.
312
1. Teil: Vertrag und Interessen
Institute müssen in ihrem „institutionelle(n) Zusammenhang“1503 gesehen werden. Zudem zeichnet sich die durch die Privatautonomie eröffnete Möglichkeit zur individuellen Lebensgestaltung Einzelner mittels Rechtsverhältnisse1504 vor allem dadurch aus, dass ihr eine Akzeptanz durch die Rechtsordnung eingeräumt wird. Die Rechtsordnung kann jedoch nicht nur das „Vehikel“ für eine subjektive Interessenverwirklichung sein, sondern dient nicht zuletzt der Umsetzung objektiver Gerechtigkeitsintentionen1505. Insoweit weist Martens1506 zu Recht auf Mestmäcker hin. Mestmäcker bezeichnet es als „(…) eine Lebensfrage der Privatrechtsordnung, ob es gelingt, die rechtsgeschäftliche Privatautonomie als Mittel individueller Gestaltung zu bewahren und zugleich ihre Funktion und Grenzen innerhalb der Rechtsordnung zu bestimmen. Das aber ist die Frage nach dem Verhältnis von individueller Gestaltungsfreiheit und gesellschaftlichen Funktionen der Institution. Gewiß kann die Funktionalisierung der Privatautonomie den Rechtswert der Selbstbestimmung gefährden. Aber man tastet die Selbstbestimmung nicht an, wenn man nach den unvermeidlich eintretenden Wirkungen der Vertragsfreiheit fragt, um den Rechtsgehalt der Institution zu ermitteln.“1507
Die Institution Privatautonomie (Vertragsfreiheit) kann danach nicht losgelöst von ihrem „Wirkungsort“, der Gesellschaft, dem Zusammenleben in der Gemeinschaft gesehen werden. Eine Interdependenz von Recht und Gesellschaft wird wiederum deutlich. Mit diesem Kontext untrennbar verbunden ist auch ein weiterer Ansatz, der mit der immanenten Begrenzung angesprochen wird. Danach, so Martens, könne das
1503
Mestmäcker, JZ 1964, 441, 443. Das klassische Zitat von Flume, AT des BGB, 2. Bd., § 1 1., S. 1, lautet: „Privatautonomie nennt man das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen. Die Privatautonomie ist ein Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen.“ Auf das Zitat u. a. ebenfalls hinweisend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 1. In BVerfGE 72, 155, 170, heißt es, „(…) (d)as Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen wird durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährleistet.“ Auf die Fundstelle weist auch Lorenz, a. a. O., hin. In BVerfGE 114, 1, 34, wird ausgeführt, Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben; ebenso in BVerfGE 115, 51, 52. Siehe ferner u. a. BVerfGE 89, 214 ff. 1505 Dazu Martens, AcP 177 (1977) 113, 172. Siehe auch Wiedemann, JZ 1994, 411, 412, wonach „(…) (e)s (…) der in den Grundrechten und in der Sozialstaatsklausel niedergelegten Wertordnung und durchaus auch der europäischen Rechtstradition (entspricht), daß die Privatautonomie allgemein und das Vertragsrecht im Besonderen nicht nur Ordnungs-, sondern auch Schutzaufgaben erfüllen muß.“ Wiedemann anführend und in eine kritische Auseinandersetzung einbeziehend Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 5 ff. 1506 Martens, AcP 177 (1977), 113, 172, Fn. 140. 1507 Mestmäcker, JZ 1964, 441, 443. 1504
D. Drittinteressen
313
Prinzip der Selbstbestimmung nur so weit reichen, wie das Recht auf Selbstbestimmung aller Rechtssubjekte allseits und optimal respektiert werde.1508 Die Konsequenz einer in der Art beschriebenen immanenten Grenzziehung soll vor allem darin bestehen, dass ein Rechtsgeschäft nicht nur im Nachhinein durch von außen angelegte Grenzen in Bezug auf die Drittinteressen kontrolliert werde.1509 Vielmehr erfolge eine „Schlichtung“ der kollidierenden Eigen- und Drittinteressen bereits im Vorfeld von von außen angelegten Grenznormen und zwar aufgrund einer der Privatautonomie immanenten Schrankenziehung; notwendig sei dann jeweils eine Einzelfallbeurteilung.1510 Vornehmlich unter Anwendung einer „Einzelfallbetrachtung“ kann es zu der oben angesprochenen (notwendigen) Flexibilität kommen. Es muss aber die Frage gestellt werden, ob ein Austarieren involvierter Interessen in der Form bereits bei der Bestimmung der Freiheiten an sich zu erfolgen hat/erfolgen sollte, das heißt bei der tatbestandlichen Erfassung der Freiheit selbst. (b) Lösung anhand der grundgesetzlichen Verankerung der Privatautonomie (Vertragsfreiheit) Die Lösung hat bei den Wurzeln der Privatautonomie, insbesondere in der Ausformung der Vertragsfreiheit, anzusetzen, also ihrer Gewährleistung durch das Grundgesetz über Art. 2 Abs. 1 GG,1511 sofern kein spezielleres Grundrecht einschlägig ist1512. Die Rekurrierung auf das Grundgesetz ist dabei auch an dieser Stelle im Umgang mit dem Privatrecht angezeigt. Zwar ist es durchaus nicht unumstritten, ob bzw. in welcher Form der Gesetzgeber bei der Normsetzung des Privatrechts grundrechtlichen Bindungen unterliegt.1513 Gleichwohl muss aber, wenn staatliches Handeln in 1508
So Martens, AcP 177 (1977), 113, 174. Martens, AcP 177 (1977), 113, 174. 1510 Martens, AcP 177 (1977), 113, 174. Eine Einzelfallbetrachtung soll nach Martens, a. a. O., jedenfalls dann notwendig sein, wenn sich die Drittinteressen noch nicht zu konkreten Rechten verfestigt haben. 1511 Zur Zuweisung der Privatautonomie sowie der Vertragsfreiheit in der Regel zum Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (freie Entfaltung der Persönlichkeit), u. a. BVerfGE 8, 274, 328; 89, 214, 231; 103, 197, 215; 114, 1, 34; 115, 51, 52 f.; 128, 157, 176; Jarass/ Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 22 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck/Starck, GG, Art. 2, Rn. 145; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 101. Möglich ist auch ein Tangieren des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), BVerfGE 72, 155, 170. 1512 BVerfGE 8, 274, 328; Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 23, z. B. Art. 12 GG für Arbeitsverträge (siehe etwa BVerfGE 128, 157, 176); Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 102 f. Zur Vertragsfreiheit als Folge einzelner (weiterer) Grundrechtsgewährleistungen auch Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 373 ff. 1513 Kritisch etwa Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 7, dort (Fn. 26) mit weiteren Nachweisen unterschiedlicher Auffassungen. Siehe dazu auch noch unten. 1509
314
1. Teil: Vertrag und Interessen
Bezug auf private Personen im Raum steht, grundsätzlich eine Öffnung hin zur grundrechtlichen Problematik erfolgen. Ein wesentlicher zu verfolgender Ansatz liegt im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings nicht beim Gesetzgeber. Das Grundgesetz muss vielmehr (auch) aus einem anderen, bereits mehrfach betonten Umstand notwendig in die Überlegungen einbezogen werden. Eine Bewährung eines auf der Grundlage der Vertragsfreiheit geschlossenen juristischen Vertrags bemisst sich nicht zuletzt daran, ob er von Seiten des Staates und seiner Kontrollorgane anerkannt und ggf. mit deren Zwangsmechanismen durchgesetzt werden kann.1514 Es ist wiederum vor allem der Blick auf die Kontrollinstanz (Gericht) notwendig, der in die Überlegungen einzubeziehen ist. Gerichtliches und damit staatliches Handeln an sich kann aber nicht losgelöst von Vorgaben und Wertungen des Grundgesetzes gesehen werden. Es geht nicht zuletzt darum, wie und worauf sich der „eingreifende“ Richter stützen darf, das heißt vor allem um Fragen der Anwendung und Auslegung von (Vertrags-)Recht1515. Ist auch anerkannt, dass die Privatautonomie (Vertragsfreiheit) vor allem in Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist, ist gleichwohl doch die dogmatische Einordnung der „Gewährleistung“ u. a. in Bezug auf eine Abwehr- oder eine Ausgestaltungs-/ Leistungsfunktion problematisch. Auswirkungen zeigt die vorzunehmende Auseinandersetzung nicht zuletzt im Bereich der Lastwirkungen. (aa) Vertragsfreiheit im außer- bzw. vorrechtlichen Bereich Die Verbindung von Vertragsfreiheit und grundgesetzlicher Gewährleistung ergibt sich in verschiedener Weise im Kontext mit dem juristischen Vertrag. Jedoch stellt sich zunächst eine andere, im Zusammenhang mit der dogmatischen Einordnung der Vertragsfreiheit in den Verfassungskontext diskutierte Frage.1516 Es geht um die Problematik, ob ein „außer- oder vorrechtliches Schutzgut“1517 besteht. Bezogen etwa auf unsere Überlegungen zum rechtssoziologischen Verständnis des Vertrags könnte ein solches außer- oder vorrechtliches Schutzgut beispielsweise in einem Versprechen auf (rein) gesellschaftlicher Basis gegeben sein.
1514 Den Aspekt der Durchsetzbarkeit mittels staatlichen Zwangs im Kontext eines Eingriffscharakters der Vertragsbindung anführend Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 363; siehe auch Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 163 f.; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 76. 1515 Die richterliche Anwendung und Auslegung des Vertragsrechts als Frage des Grundrechtseingriffs anführend Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 366. 1516 In dem Zusammenhang steht auch die Frage, ob gesetzliches Vertragsrecht stets als „Eingriff“ zu begreifen ist. Siehe dazu etwa Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 20, wonach die Arbeit mit dem abwehrrechtlichen Schutzmodell die Konstruktion eines außerund vorrechtlichen Schutzgutes voraussetzt. 1517 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 18, dort in Bezug darauf, ob ein solches Schutzgut die grundrechtsausgestaltende Staatsgewalt einer umfassenden abwehrrechtlichen Rechtsfertigungspflicht unterwirft.
D. Drittinteressen
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(aaa) Tatsächliche Abläufe Verhaltensweisen, an die insoweit als grundgesetzlich geschützter Bereich angeknüpft werden könnte, sind letztlich Versprechen jedweder Art. Gedacht werden kann an eine „natürliche Freiheit“,1518 das heißt eine Freiheit, „beliebige Versprechen auszutauschen“,1519 in deren Nachfolge dann ihre Erfüllung steht1520. Eine Urform solch natürlichen Verhaltens ist das Tauschversprechen und seine anschließende Umsetzung. Hierin kann man ohne Schwierigkeiten Akte natürlicher Handlungsfreiheit sehen, die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sind. Solche „natürlichen Abläufe“ sind, wie etwa das Beispiel um das Schenkungsversprechen zwischen Enkel und Großvater gezeigt hat,1521 durchaus auch innerhalb der anwaltlichen Beratung von Bedeutung. Zudem ist ein Bezug zu Drittpersonen vorstellbar. Anknüpfend an das obige Beispiel um den Tausch stehen in einem solchen Fall die tatsächlich ausgetauschten Waren dann einem Dritten nicht mehr zur Verfügung. Das ist allerdings keine Problematik einer immanenten Begrenzung der über Art. 2 Abs. 1 GG aufgezeigten Freiheit. Versteht man die Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG grundsätzlich weit,1522 so wohnt selbiger keine tatbestandliche immanente Begrenzung1523 deshalb inne, weil Dritte tangiert sind/werden könnten. Will der Staat in einem solchen Fall
1518
Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22 (Hervorhebung bei Höfling). Siehe auch Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 36, zur Idee der „Vorstaatlichkeit“ der „Privatrechtsgesellschaft“ (Hervorhebung durch Kramer) bei Franz Böhm unter Hinweis auf die Inspiration durch Locke und Kant. Grundlegend auch Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, Ordo, 17. Band (1966), der (S. 75) herausstellt, der Begriff der Privatrechtsgesellschaft sei in der Wissenschaft nicht gebräuchlich, weder die Rechtswissenschaft noch die Wirtschaftswissenschaft, noch die Soziologie bedienten sich seiner. Bachmann, Private Ordnung, S. 42, sieht aus zivilistischer Perspektive zwei Möglichkeiten der Annäherung an private Regelsetzung als gegeben an. Neben der staatlichen Sicht, die sich u. a. privaten Sachverstand nutzbar machen könne, stelle sich aus Sicht des Individuums die Frage, wie private Akteure aus eigenem Antrieb und zu eigenen Zwecken eine normative Ordnung schaffen könnten und unter welchen Voraussetzungen andere Private daran gebunden seien. 1519 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22. 1520 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22, schließt demgegenüber die Überlegung zur Selbsthilfe an. 1521 Dort scheiterte die juristische Wirksamkeit des Versprechens zwischen Großvater und Enkel an der mangelnden Einhaltung der gesetzlichen Form nach § 518 BGB. 1522 Zum weiten Verständnis der Handlungsfreiheit u. a. BVerfGE 6, 32, 36; 54, 143, 146; 74, 129, 151 f.; 80, 137, 152; Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 1; Dürig/Herzog/Scholz/ Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 12; Sachs/Rixen, GG, Art. 2, Rn. 42 ff. 1523 Zu berücksichtigen ist selbstverständlich die in Art. 2 Abs. 1 GG normierte Schrankentrias. Auch diese ist letztlich „grundrechtsimmanent“. Es geht aber hier darum zu klären, ob beim Tangieren von Dritten bereits das Eingreifen des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG abzulehnen ist.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
für Dritte regelnd tätig werden, geschieht das von außen als „Eingriff“, was Art. 2 Abs. 1 GG durch die dortige Schrankentrias auch ermöglicht. Diesbezüglich lassen sich also für etwaige Lastwirkungen keine Argumente für innere (tatbestandliche) Grenzen folgern. (bbb) Fortentwicklung aus einer Bindungslosigkeit hin zur Bindung Eine andere Sichtweise auf die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheiten und damit ggf. einhergehenden immanenten tatbestandlichen Beschränkungen lässt sich jedoch möglicherweise aus weiteren Erwartungen, die sich an die (tatsächlichen) Versprechen anschließen, folgern. Bisher ging es lediglich um gegenseitige Versprechen, deren Erfüllung auch erfolgte. Die mit letzterer verbundene Einhaltung der Versprechen hat ihre Grundlage zwar in der Vereinbarung, die die Parteien auch durchaus zwischen sich als rechtsverbindlich betrachten können.1524 Dass es zu einer Umsetzung kommt, kann jede Seite allerdings nur „hoffen“. Die Erwartung der späteren Erfüllung beruht also zunächst nur auf Vertrauen, ggf. persönlichen Erfahrungen. Es besteht insoweit eine Form von einem Status der Bindungslosigkeit1525, das heißt eine (effektive) Durchsetzungsmöglichkeit besteht nicht. Ein Weg könnte in der Durchsetzung mittels Selbsthilfe ergeben,1526 somit letztlich im „Recht“ des Stärkeren. Es stellt sich dann unmittelbar die Frage, ob diese Art von „Vollzug“ durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, oder ob diesbezüglich schon tatbestandlich eine Grenzziehung erfolgt. Stellt man aber wiederum auf ein weites umfassendes Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit ab, so muss man den „Schutz“ bejahen, der jedoch einschränkbar ist.1527 Das staatliche Gewaltmonopol darf also ebenfalls „nur“ begrenzend verstanden werden. 1524
Höfling, Vertragsfreiheit, S. 23, Fn. 138, führt Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, 1925, S. 39, an. Dort, S. 39, bildet Husserl ein Beispiel bezüglich eines Tauschvertrags (Wassermelone gegen gedörrtes Fleisch) zweier Menschen in einer Wüste fernab einer menschlichen Siedlung. Erfolgt der Tausch, nimmt aber einer dem anderen gleichwohl später einen Teil der hingegebenen Ware wieder weg, so sei das rechtswidrig, weil er sich gegen den Vertrag auflehne, gegen die individuelle Vertragsgemeinschaft. Es habe eine Subordination unter die lex contractus stattgefunden. „Der Vertragsschluß“, so Husserl, „hat die Individuen (…), die bis dahin kein willentlich vergemeinschaftender Kreis umschloß, zu einer individuellen Vertragsrechtsgemeinschaft mit bindender Kraft zusammengefügt. Über ihnen steht als Rechtsordnung die Individualnorm des Tauschvertrages. Eine Subordination der beiden Rechtssubjekte hat stattgefunden, nicht unter „ein Ganzes“, aber unter den vertraglichen Gesamtwillen, die lex contractus.“ 1525 Zum Aspekt der Bindungslosigkeit Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 22. 1526 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22. 1527 Überwiegend werden selbst Handlungen, die strafrechtlichen Verboten begegnen, als lediglich durch den Gesetzgeber (rechtfertigend) eingeschränkt verstanden, Jarass/Pieroth/ Jarass, GG, Art. 2, Rn. 5 m. w. N.; Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 16; Sachs/Rixen, GG, Art. 2, Rn. 53, der auf die Wertneutralität des Schutzbereichs hinweist, dazu auch Jarass, DÖV 1995, 674, 675. A. A. von Mangoldt/Klein/
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Hinsichtlich der Lastwirkungen lassen sich damit wiederum keine von den unter (a) angestellten Überlegungen abweichende Erkenntnisse erzielen. Schlussfolgerungen auf immanente Grenzen sind nicht zu ziehen, hinzukommt, dass die Probleme um die „Durchsetzbarkeit“ im Wege der Selbsthilfe primär nur die jeweiligen Vertragspartner, nicht aber Dritte betreffen. (ccc) Schritt zur Institutionalisierung Ein Bezug zu Dritten ist aber vorstellbar angesichts einer anderen Form der Herstellung von Bindungswirkungen. Jenseits der Selbsthilfe besteht das Bedürfnis nach zu befolgenden Regeln, an denen man seine Erwartungshaltung ausrichten kann.1528 Gesucht wird somit nach Regeln, die Vorgaben unabhängig von konkreten Personen oder individuellem Vertrauen liefern.1529 An einer solchen Verlässlichkeit besteht durchaus ein Eigeninteresse.1530 Es geht diesbezüglich um die Schaffung von Strukturen, einer Ordnung, letztlich einer Institution1531 in dem Sinn, dass eine „geltungsstarke soziale Einrichtung (…), Leitinstanz (…) (besteht), die auf Dauer bestimm(…)(t), was getan werden muss.“1532. Die Institution in dem Sinn „schränk(…)(t) die Willkür, Beliebigkeit, Verfallsbereitschaft sozialen Handelns ein; sie (…) (gibt) dem Dasein Halt und Gestalt, ordne(…)(t) und steiger(…)(t) es und üb(…)(t) anhaltende kulturschöpferische Wirkung aus.“1533 Jenseits einer staatlichen (juristischen) Institution der Privatautonomie/Vertragsfreiheit ist danach eine Institution des „Vertrags“ vorstellbar, die durch von Bürgern selbst geschaffene Regeln,1534 welche eine Bestätigung durch die Praxis erfahren haben,1535 entstanden sind. Eine derartige Institutionalisierung kann sehr wohl ordnende, eine der Willkür entgegenstehende Wirkung haben. Starck/Starck, GG, Art. 2, Rn. 13, wonach „(…) (v)on Art. 2 Abs. 1 (…) solche Handlungen nicht erfasst (werden), denen unter keinem im Rahmen unserer Verfassungsordnung rechtlich denkbaren Gesichtspunkte eine grundrechtlich geschützte Vorrangstellung gegenüber Rechten anderer (…) zukommt.“ 1528 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 23, thematisiert den aus dem Eigeninteresse folgenden Nutzen an verlässlichen Kooperations- und Koordinationsbeziehungen. 1529 Siehe Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 30, dort im Kontext mit dem Privaten Recht zum Topos der „Stabilisierung der Verhaltenserwartungen“. 1530 Siehe Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 23 ff. 1531 Gemeint ist hier nicht die Institution „Privatautonomie/Vertragsfreiheit“ im juristischen Sinn. Zum Gedankengang der Transformation der individuellen Selbstbindung in eine institutionell stabilisierte Normativität, Bumke, ebenda, S. 31, dort im Zusammenhang mit dem Privaten Recht. 1532 Definition nach Endruweit/Trommsdorff/Lipp, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Institution“. 1533 Endruweit/Trommsdorff/Lipp, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Institution“. 1534 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 28. 1535 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 30.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Beispiel: In einer bestimmten Wohnsiedlung kommt es zu einer „Vereinbarung“1536, dass Mieter Reparaturen an der Wohnung stets selbst vornehmen müssen. Eine entsprechende Praxis wird gelebt. In sie wird aber auch jeder „einbezogen“, der neu in eine Wohnung einzieht. „Lebt“ er die entsprechende „Vorgabe“ nicht, so drohen ihm soziale Konsequenzen wie ein gesellschaftliches „Schneiden“.
Das, was in solchen Situationen stattgefunden hat, ist eine institutionalisierte stabilisierte Normativität1537, letztlich ein privat geschaffenes Recht1538. Ob eine derartige, ggf. parallel1539 zum staatlichen Recht geschaffene „Rechtsordnung“ von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, ist problematisch.1540 Das folgt nicht zuletzt auch daraus, dass ein solch privat geschaffenes Recht ebenfalls durchaus mit Durchsetzungsmechanismen flankiert ist/sein muss. Jenseits der Selbsthilfe bestehen letztere in unserem Beispielsfall vor allem darin, Personen, die sich nicht an die „Regeln“ halten, künftig „zu schneiden“. Ein Sanktionsmechanismus wäre also insbesondere auf sozialem Gebiet gegeben. Denkbar wären in anderen Fällen auch wirtschaftliche Sanktionen. Das verfassungsrechtliche Dilemma, das sich an die Erfassung eines derartig ausgestalteten Privaten Rechts durch Art. 2 Abs. 1 GG anschließen würde, liegt in der Schwierigkeit, inwieweit die Gesellschaft rechtliche Ordnungen durch den Staat selbst wie auch, letztlich losgelöst von staatlichen Rahmenbedingungen,1541 durch Private erfahren soll und darf. (bb) Privates Recht als geschütztes Gut Nach dem zuvor Ausgeführten ist ein reales System und ein Umsetzen einer privaten Ordnung nicht nur vorstellbar, sondern auch mitunter ein Weg, um jeweils auftretenden Bedürfnissen nach Normierung, nach Ordnung gerecht zu werden. Es muss nicht auf staatliche Reaktionen gewartet oder gar gehofft werden, vielmehr kann (schneller) eine Rechtsstruktur installiert werden. Ließe man die Schaffung solcher Ordnungen als durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt zu, wäre eine Konsequenz, neben der staatlichen Rechtsordnung grundsätzlich auch privat geschaffene akzeptieren zu müssen.1542 Damit würde gleichsam eine Kon1536
Nicht im juristischen Sinn. Zur Begrifflichkeit Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 31. 1538 Siehe Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 31, sowie insgesamt S. 28 ff. 1539 Zur Parallelität Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 31 ff., dort als „Doppelung der Ordnungen“. Gelebte Abläufe werden im Rahmen des Rechts z. B. durch die Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB aufgegriffen. 1540 Ausführlich Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 31 ff. 1541 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 31, nennt ein Kapitel in dem Kontext „Verfassungstheoretisches Dilemma“, zur angesprochenen Problematik, ebenda, S. 33. 1542 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 31 f., spricht, wie schon ausgeführt, von der Doppelung der Ordnungen; argumentativ, so auf S. 32, sei die Doppelung der (Rechts-) Ordnungen ein solides und leistungsfähiges Fundament für das abwehrrechtliche Schutzmodell. 1537
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kurrenz (verbindlicher) (Rechts-)Ordnungen geschaffen, deren Rangverhältnis problematisch wäre. Neben der Frage, inwieweit dies einer (gesamt-)gesellschaftlichen Stabilität zuträglich wäre, stellt sich die Schwierigkeit nach der jeweiligen Richtigkeit1543 und auch Gerechtigkeit der einzelnen Ordnungen. Während das vom Staat gesetzte Recht sich stets an der Verfassung messen lassen muss,1544 wäre bei einem Privaten Recht zu differenzieren. Denkbar wäre es, privat gesetztes Recht zwar dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen, allerdings immer unter dem Vorbehalt der Schrankentrias, insbesondere der verfassungsmäßigen Ordnung.1545 Das wäre dann allerdings eine Freiheitsgewährung, die sich in Bezug auf eine private Rechtsetzung im Besonderen innerhalb der Möglichkeiten bewegt, die die (staatliche) Rechtsordnung als Rahmen vorgibt. Damit wären auch die oben angesprochenen Fragen um die Rangverhältnisse (problemlos) geklärt. Alles wäre letztendlich auf die Verfassung rückführbar. Ein derartiges Verständnis ist aber letztlich keines, welches klassischerweise unter einer Schutzbereichs- und Schrankendiskussion im grundrechtlichen Bereich anzutreffen ist. Denn Freiheitsgewährung einerseits und Beschränkung andererseits gingen hier „fließend“ ineinander über. Private Rechtsetzung wäre insofern (nur) gesetzlich/verfassungsrechtlich determiniert möglich, der gesetzliche Rahmen gebe die entscheidenden Vorgaben.1546 Damit wird die vielfach diskutierte Problematik, wonach in Bezug auf die Vertragsfreiheit das abwehrrechtliche Schutzmodell1547 kaum anwendbar sein soll, in vergleichbarer Weise angesprochen. Es bedürfte die Freiheit, Privates Recht zu setzen, der (normativen) Ausgestaltung, um eine Freiheitssphäre zu eröffnen. Eine davon abweichende Überlegung wäre es, (allein) von Bürgern gesetzte Regeln an sich als Privates Recht zu schützen1548. Hier wäre allerdings vor allem eine Anbindung an Art. 2 Abs. 1 GG schwierig. Denn Art. 2 Abs. 1 GG kann nicht ohne die Schrankentrias gelesen werden, und unter Anbindung an eben jene Schrankentrias käme es aber unausweichlich zu dem oben beschriebenen „Ausgestaltungsszenario“.1549 1543
Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33, zur inhaltlichen Richtigkeit. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33; siehe auch Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 106, zur Bindung der Privatrechtsgesetzgebung an die Grundrechte. Diese folgt schon aus Art. 1 Abs. 3 GG, dazu etwa Jarass/ Pieroth/Jarass, GG, Art. 1, Rn. 32, 52. 1545 Vgl. auch die Argumentation bei Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33. 1546 Siehe auch noch unten zur Ausgestaltungsproblematik. 1547 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33. Siehe aber auch noch später, dass abwehrrechtliche Funktionen in Bezug auf die Vertragsfreiheit sehr wohl zum Tragen kommen können. 1548 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 28. 1549 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33, wonach eine Argumentation innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung stets ein Verfangen im staatlichen verfassten Recht bedeutet. 1544
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Sollte man das Private Recht gleichsam aufgrund einer Gesamtschau als schützenswertes Gut der Verfassung an sich entnehmen wollen,1550 würde sich eine vergleichbare Problematik stellen. Jedwedes Stützen auf die Verfassung, das heißt auf staatlich verfasstes Recht,1551 muss sich dann auch in das Gesamtgefüge der Verfassung einpassen. Dazu gehört u. a. die Begrenzung durch die Verfassung, z. B. über den Gedanken der praktischen Konkordanz.1552 Das bietet allerdings wieder einen Anknüpfungspunkt für eine (notwendige) Ausgestaltung der Freiheit. Denkbar wäre es schließlich, ein (geschütztes) Privates Recht, welches außerhalb der staatlichen Rechtsordnung angesiedelt ist,1553 anzudenken. Das würde jedoch die Konsequenz mit sich bringen, eine parallele Rechtsordnung zum staatlichen, auf die Verfassung rückführbaren Recht zu akzeptieren.1554 Eine solche Akzeptanz wäre für eine demokratische, auf einer Verfassung fußenden Gesellschaft ein (zu) hoher Preis.1555 Nicht zuletzt ergebe sich zudem die Schwierigkeit, wie, mit welchen anerkannten (Rechts-)Ordnungen der Zusammenhalt der Gesellschaft funktionieren soll. Lehnt man daher konsequenterweise Privates Recht in oben beschriebener Weise und einen darin wurzelnden „Vertrag“ als jeweils von der Verfassung geschützt ab,1556 so ergeben sich, auch unter Bezugnahme der im Übrigen angestellten Überlegungen, für die Erkenntnisse der zu gewährenden Vertragsfreiheit und ihrer Bedeutung für die Lastwirkungen andere Ansätze. Zu erörtern sind u. a. die Fragen, ob „Vertragsfreiheit“ überhaupt ohne gesetzliche Vorgaben vorstellbar ist, wo dann ggf. ein geschützter Bereich besteht, ob die Ausgestaltung (auch) zum Eingriff führen kann/einen solchen bedeutet, und ob dies u. U. auch beim Dritten geschehen kann. (c) Notwendigkeit einer (gesetzlichen) Ausgestaltung der Vertragsfreiheit (aa) Vertragsfreiheit als gesetzlich konstituierte Freiheit Angesichts der Schwierigkeiten, gerade die Vertragsfreiheit ohne eine gesetzgeberische „Vorleistung“ zu erfassen, wird eine Notwendigkeit erkennbar, dieser Freiheit (erst) mit Hilfe der staatlichen1557 Rechtsordnung Geltung zu verschaffen1558. 1550
So wohl der Gedankengang bei Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33. Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33. 1552 Zum Gedanken der praktischen Konkordanz siehe etwa BVerfGE 89, 214, 232. 1553 So Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 28 m. w. N.; zur Ablehnung eines Rechts vor der staatlich verfassten Rechtsordnung, ebenda, S. 33. 1554 Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33. 1555 Siehe auch Bumke, Ausgestaltung von Grundrechten, S. 33. 1556 Davon zu trennen ist die Frage, ob und wie Privates Recht tatsächlich wirkt. 1557 Das heißt, einer auf die Verfassung rückführbaren Rechtsordnung. 1558 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 18, bezüglich der Privatautonomie; ausführlich Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 ff. Zur Pflicht des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung etwa BVerfGE 89, 214, 232. Demgegenüber davon aus1551
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Es handelt sich in Abgrenzung zu den oben dargestellten rein „gesellschaftlichen“ Versprechen1559 darum, Äußerungen eine Verbindlichkeit1560 dergestalt einzuräumen, dass sie mit Hilfe staatlicher Macht durchgesetzt,1561 also dazugehörige Erwartungen (berechtigt) erzeugt werden können. Ziel ist somit die eigentliche Deutung eines Versprechens als verbindlich.1562 Die Freiheitsabläufe, die wir zuvor bei den „realen Vereinbarungen“ ausgemacht haben, werden durch normative1563 Bestimmungen flankiert und ausgekleidet, in letzteren liegt die staatliche Garantie der Durchsetzung1564. Es ist nunmehr der staatliche Richter, der zum Schutz angerufen werden kann.1565 Nimmt man vor allem diese Dimensionen in die Überlegungen auf, so wird deutlich, dass Vertragsfreiheit in der Form nur als „normativ konstituierte Freiheit“1566 möglich ist. Das ist nicht zuletzt eine Erweiterung der Freiheiten des Einzelnen,1567 da er nunmehr eine bestimmte Machtmaschinerie in Gang setzen kann. Allerdings wird sogleich noch zu klären sein, ob damit nicht notwendigerweise Eingriffe in geschützte Bereiche verbunden sind. Die neuen Chancen, die mit einer normativ konstituierten Vertragsfreiheit einhergehen, sind es auch, die die Einbindung einer solchen Freiheit in das Grundgesetz, dort vor allem in Art. 2 Abs. 1 GG, in ein anderes Licht stellen, als es die zuvor aufgezeigten Erwägungen getan haben. gehend, die Vertragsbindung sei apriorisch vorgegeben, es handele sich um eine Ausprägung des Naturrechts, Stöhr, AcP 214 (2014), 425, 457 f. 1559 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 215, stellt für das Verhalten, das als Vertrag gedeutet wird, die Regeln als Voraussetzung dar, gerade um natürliche oder soziale Handlungen zu Rechtshandlungen zu machen. 1560 Siehe Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22. 1561 Zur staatlichen Durchsetzbarkeit der Forderung aufgrund der vertraglichen Bindung, Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362; zur staatlichen Garantie der Durchsetzung von Vertragsinhalten Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22. Siehe außerdem Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsrechte, S. 81; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 76. 1562 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 23, Höfling, Fn. 134, verweist auf Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 215. Alexy, a. a. O., betont die Notwendigkeit konstitutiver Regeln, um eine Äußerung als Versprechen zu deuten. 1563 Normen im Sinne staatlich gesetzten Rechts. 1564 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22, spricht von der Verbindung jener natürlichen „Versprechens-Freiheit“ mit der staatlichen Garantie der Durchsetzung der jeweiligen Vertragsinhalte. (Hervorhebung bei Höfling.) 1565 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 24. Zur Möglichkeit, den Richter nur dann zum Schutz von Handlungen wirksam anrufen zu können, wenn die Rechtsordnung ein rechtliches Können einräumt, Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47. 1566 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22; ferner dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 215 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 23, 329 ff.; Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsrechte, S. 81; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 46. Dürig/Herzog/ Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 106, führt die nähere normative Ausgestaltung der Privatrechtsordnung an; siehe aber später noch auch DiFabio zum Eingriffscharakter. Siehe zudem Isensee, Vertragsfreiheit und Verfassung, S. 9, 20, wonach Vertragsfreiheit nicht eine „natürliche“ Freiheit sei. 1567 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Dort ging es u. a. um die Selbstbestimmung/Selbstverwirklichung durch gleichsam rein „natürliche“ Abläufe. Nunmehr wird der Selbstbestimmung eine andere Qualität verliehen. Ihr wird durch die gesetzliche Ausgestaltung des (Vertrags-) Rechts die Qualität gegeben, verbindliche Forderungen rechtlich zu begründen, staatliche Durchsetzbarkeit zu erlangen und damit als Gläubiger in der Selbstbestimmung1568 eine ganz andere „Macht“, Erwartungssicherheit und Planbarkeit zu erreichen. Der Gesetzgeber macht also mit dem (Vertrags-)Recht ein „Angebot“, in entsprechender Weise durch selbst gesetzte Rechtsakte sein Leben in verbindlichen Formen zu gestalten.1569 Dieses „Angebot“ ist jedoch auch gleichsam eine Pflicht des Staates. Denn die Privatautonomie wie auch die in ihr enthaltene Vertragsfreiheit sind Teile der allgemeinen Handlungsfreiheit.1570 Über Art. 2 Abs. 1 GG ist die Privatautonomie als Institut zur „Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben“1571 verankert. Im Besonderen die Vertragsfreiheit ist ebenfalls durch eine Institutsgarantie geschützt.1572 Hinsichtlich der dadurch gewährleisteten Möglichkeiten, aber auch der Grenzen, des Eingriffspotentials sowie schließlich der Bedeutung für die 1568 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362. Siehe auch Dürig/Herzog/Scholz/ Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 105, zur Selbstbestimmung als Leitidee zivilrechtlichen Denkens und des grundgesetzlichen Menschenbildes. Das BVerfG (E 89, 214, 231) führt unter Hinweis auf Erichsen (in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, S. 1210 Rdnr. 58) aus, Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste die Privatautonomie als „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“. (Hervorhebung ebenda.) Erichsen, a. a. O., verweist (Fn. 197) bezüglich des Zitats auf Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd. (1979), S. 17 f.; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 55. Auch an anderer Stelle (E 114, 1, 34) hebt das BVerfG hervor, Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben. Die eigenbestimmte Gestaltung der Rechtsverhältnisse sei ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit, die ihre Grenzen allerdings in der Entfaltungsfreiheit anderer finde. Die Privatautonomie bedürfe deshalb der Ausgestaltung in der Rechtsordnung, insbesondere im Vertragsrecht. 1569 Siehe auch Canaris, JZ 1987, 993, 995, der für das Institut der Privatautonomie (Vertragsfreiheit) eine grundsätzlich wechselseitige Verschränkung und Ergänzung zwischen einer der staatlichen Rechtsordnung vorausliegenden, „apriorischen“ Möglichkeit und Einrichtung menschlichen Zusammenlebens einerseits und der Ausstattung mit staatlichen Rechtssanktionen andererseits wie bei den übrigen Institutsgarantien ausmacht. (Hervorhebung bei Canaris.) 1570 Etwa BVerfGE 89, 214, 231, unter Hinweis auf BVerfGE 8, 274, 328 und 72, 155, 170, zur Privatautonomie. Siehe u. a. auch die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. Lieferung (Stand Juli 2001), Art. 2, Rn. 101, Fn. 4. Ferner etwa Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Art. 2, Rn. 22; von Mangoldt/Klein/Starck/Starck, GG, Art. 2, Rn. 145. 1571 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 18, unter Hinweis auf BVerfGE 89, 214, 231; begrifflich spricht das BVerfG dort allerdings nicht von „Institut“. Mager, Einrichtungsgarantien, S. 231, betont, das BVerfG spreche weder in Bezug auf die Privatautonomie noch in Bezug auf den Vertrag von einem Rechtsinstitut. Allerdings bestünden mit anderen Garantien in der grundrechtsdogmatischen Struktur insoweit Parallelen als es um das Angewiesensein auf rechtliche Normierung und bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung um ein Problem praktischer Konkordanz gehe. 1572 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 20.
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Lastwirkungen bedarf die Institutsgarantie hier ihrer begrifflichen Bestimmung, nicht zuletzt in Abgrenzung zu einem soziologischen Verständnis. (bb) Garantie des Instituts der Vertragsfreiheit In Bezug auf mögliche inhaltliche Bestimmungen einer „Institutsgarantie“1573 soll auf den Grundrechtsbezug abgestellt werden1574, das heißt, unter einer Institutsgarantie wird eine den Grundrechten zugeordnete Einrichtungsgarantie verstanden1575. So wird, wie im Fall des (juristischen) Vertrags, dieser zwar (erst) durch das (staatliche) Recht konstituiert und geformt.1576 Dem Gesetzgeber sind aber gleichwohl Vorgaben bzw. Grenzen auferlegt. Begreift man die Vertragsfreiheit vor allem als Ausfluss der in Art. 2 Abs. 1 GG angelegten allgemeinen Handlungsfreiheit und des darauf aufbauenden allgemeinen Selbstbestimmungsrechts, so ist der Vertrag gerade auch notwendig, um das eigene Leben durch selbstbestimmte durchsetzungsfähige Regelungen gestalten zu können. Es ist dann, und dies ist der Ausdruck der Institutsgarantie, dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen, das Rechtsinstitut des Vertrags gänzlich zu beseitigen oder grundlegend zu verändern.1577 Dergestalt entzogen ist dem Gesetzgeber jedenfalls der Kern des jeweiligen Instituts.1578 Diesen Kernbereich muss der Gesetzgeber vielmehr im Wege der Ausgestaltung sicherstellen. Daneben ist die Verwurzelung der Vertragsfreiheit im Grundgesetz auch bei der Auslegung privatrechtlicher Vorschriften sowie ggf. unter dem Topos relevant, ob der Gesetzgeber zur Gewährleistung der Vertragsfreiheit u. U. Schutzpflichten hat.1579 Weil die Ausgestaltung der Sicherstellung der Selbstbestimmung
1573
Dazu etwa m. w. N. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 ff. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 m. w. N. 1575 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 f. Durchaus kritisch Mager, Einrichtungsgarantien, S. 225. Allerdings weist Mager, a. a. O., darauf hin, dass in der Literatur die Charakterisierung als Institutsgarantie Verwendung finde. Gemeint sei damit die verfassungsrechtliche Gewährleistung der rechtlichen Mindestvoraussetzungen für die Existenz der Vertragsfreiheit (S. 226). Isensee, FS für Großfeld, 485, 496, auf den Mager, S. 226, Fn. 8, ebenfalls hinweist, führt aus, die Institutsgarantie sichere den überindividuellen Lebensraum der Vertragsfreiheit. 1576 Zur Bezugnahme auf eine vom Recht geformte Figur, Höfling, Vertragsfreiheit, S. 26 m. w. N. Darauf hinweisend, dass auch die Vertragsfreiheit für ihre Inanspruchnahme auf gesetzliche Regelungen angewiesen ist, Mager, Einrichtungsgarantien, S. 225 m. w. N. (Fn. 6). Das Charakteristikum einer normativ konstituierten Freiheit bestehe darin, dass sie zu ihrer Ausübung auf Rechtsetzung angewiesen sei. Gerade diese Angewiesenheit erlaube den Schluss auf die grundrechtsuntypische Garantie eines unterfassungsrechtlichen Normkomplexes, so Mager, S. 432 m. w. N. 1577 So zur Institutsgarantie Höfling, Vertragsfreiheit, S. 26, unter Hinweis auf Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 221 und 442. Siehe auch Mager, Einrichtungsgarantien, S. 428 m. w. N., die auf die Problematik hinweist, den Kernbereich zu bestimmen (S. 428 ff.). 1578 Siehe erneut Mager, Einrichtungsgarantien, S. 428 m. w. N. 1579 Zum Vertragsrecht und der Schutzpflicht des Staates u. a. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 144 ff. m. w. N. Siehe auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 76 ff. 1574
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1. Teil: Vertrag und Interessen
durch den Vertrag dienen soll, kann mit einzelnen Normen des (Vertrags-)Rechts u. U. aber auch Eingriffsqualität verbunden sein. Vor diesem Hintergrund ergeben sich weitere klärungsbedürftige Punkte: Welche zusätzlichen „Freiheiten“ eröffnet die gesetzliche Ausgestaltung? Welche Bedeutung hat das für ein Schrankenverständnis hinsichtlich der Vertragsfreiheit; sind diese Schranken immanent oder extern? Welche Konsequenzen folgen daraus gerade für den Umgang mit Lastwirkungen in Bezug auf Dritte? (cc) Ausgestaltung als Chancenerweiterung und Eingriffspotential Da die Vertragsfreiheit über die Institutsgarantie geschützt ist, mit dieser Garantie eine normativ konstituierte Freiheit einhergeht,1580 die in dem beschriebenen Sinn ein „Mehr“ an Macht für den Einzelnen bedeutet, folgt daraus eine Chancenerweiterung. Denn dem Einzelnen wird durch die Ausgestaltung, durch die gesetzlichen Normen des (Vertrags-)Rechts, die Fähigkeit zu einem Können verliehen, welches ihm ansonsten nicht zustehen würde.1581 Es ist jetzt möglich, verbindliche, staatlich anerkannte und durchsetzbare Rechtspositionen zu schaffen.1582 Die Begründung entsprechender Rechtsverhältnisse schafft hinreichend bestimmte Erwartungshaltungen auf allen Seiten. Die bedeutendere Freiheitserweiterung wird jedoch vor allem für die Person des Gläubigers virulent.1583 Denn es ist der Gläubiger, dem der Staat die Voraussetzungen dafür schafft, in rechtmäßiger Art und Weise auf einen Dritten Zwang zur Durchsetzung eigener Forderungen auszuüben.1584 Letztlich können die gesetzlich abgesicherten und durchsetzbaren Verpflichtungen Eingriffscharakter gegenüber dem Schuldner haben.1585 Durch die gesetzliche Ausgestaltung ist der Bereich rein privaten Handelns verlassen.1586 Dieses Nebeneinander von Freiheitserweiterung und Eingriffspotential liefert weiterhin einen maßgeblichen Beitrag zum 1580 Siehe auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 26; Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsrechte, S. 135. 1581 Siehe Höfling, Vertragsfreiheit, S. 26, der betont, dass die von der grundrechtlichen Institutsgarantie umfassten privatrechtlichen Normenkomplexe ganz wesentlich aus Kompetenznormen bestünden. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47, auf den Höfling, S. 26 f., ausdrücklich hinweist, hebt hervor, das rechtliche Können füge der Handlungsfähigkeit des Individuums etwas hinzu, was er von Natur aus nicht besitze. Siehe außerdem Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 28. 1582 Siehe Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 216; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362, spricht von einer Erweiterung der natürlichen Selbstbestimmung des Gläubigers durch den Gesetzgeber in einem leistenden Sinn. 1583 Siehe Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362. 1584 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 362, macht in der Schaffung durchsetzbarer Forderungen einen Schutz zugunsten der natürlichen Selbstbestimmung des Gläubigers aus; der Schutz, so Bäuerle, S. 363, liege in der Bereitstellung der Voraussetzungen für rechtmäßige Übergriffe auf einen Dritten. 1585 Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsrechte, S. 163 ff. 1586 Siehe Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 367.
D. Drittinteressen
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„Schrankenverständnis“, u. a. in der Beziehung, ob „immanente“ Schranken in Bezug auf die Vertragsfreiheit greifen können. (dd) Ausgestaltung und Eingriff als konnexe Gegebenheiten? Weil die Vertragsfreiheit der konstituierenden Ausgestaltung bedarf und so (auch) eine Freiheitserweiterung zumindest für den Gläubiger darstellt, sind die die Vertragsgestaltung ermöglichenden Gesetze zunächst unter diesem und nicht unter einem beschränkenden Aspekt zu sehen. Das heißt, dass vor allem § 311 Abs. 1 BGB mit der dort normierten Ermächtigung, durch einen Vertrag ein Schuldverhältnis mit Rechten und Pflichten begründen zu können, die Basis dafür bildet, mittels eines Vertrags in selbstbestimmter Weise sein Leben (mit) gestalten zu können. Dem dadurch eröffneten Freiraum wohnt anfänglich keine immanente „Begrenzung“ inne.1587 Er umfasst den vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Freiraum, verbindliche Pflichten zu fixieren. Selbstverständlich besteht zwischen der Möglichkeit des Gläubigers, durchsetzbare Ansprüche zu erlangen, und der Verpflichtung des Schuldners ein konnexes Verhältnis1588. Insoweit könnte man an (immanente) Grenzen in der Form denken, dass der Vertragspartner durch die Verpflichtung nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird. Denn wenn der Staat ein rechtliches Instrumentarium bereithält, um selbstbestimmt Regelungen zu treffen, die mittels des staatlichen Machtapparats durchgesetzt werden können, könnte, u. a. dem Gedanken der praktischen Konkordanz1589 folgend, darin zugleich eine Begrenzung immanent sein. Die ausgestaltende Ermächtigung ginge dann nur so weit, wie es die vom Staat zu achtende Freiheitssphäre auch des anderen Vertragsteils erlauben würde. Das hieße, den entsprechenden Normen, insbesondere dem § 311 Abs. 1 BGB, sogleich (nur) einen Inhalt zuzumessen, der einen eingreifenden Charakter möglichst ausschließt. Diesbezüglich ist allerdings eine unterscheidende Betrachtungsweise angezeigt. Zum einen kann, jedenfalls für die einzelnen Vertragspartner, durchaus fraglich sein, ob in ihrer jeweiligen Person überhaupt ein Eingriff im Sinne des Grundgesetzes bei Vertragsabschlüssen auszumachen ist. Topoi, unter denen das Entfallen eines Eingriffs diskutiert wird, sind etwa die freiwillige Aufgabe eines Teilbereichs der Selbstbestimmung durch den Schuldner1590 oder ein Grundrechtsverzicht1591. Würde 1587
Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 201, spricht sich dafür aus, den grundrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit selbstbestimmten Zwecken und Inhalten offenzuhalten und ihn nicht unter Orientierung an heteronom gesetzten Ordnungszielen des Vertrags als immanent beschränkt anzusehen. 1588 Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsrechte, S. 167. 1589 Zum Gedanken der praktischen Konkordanz bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Privatrechts etwa BVerfGE 89, 214, 232 (Bürgschaftsentscheidung); Mager, Einrichtungsgarantien, S. 231. 1590 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 364. 1591 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 364.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
man dem folgen, müsste man erst recht keine immanenten Grenzen in entsprechende Normen des Vertragsrechts hineinlesen. Es spricht jedoch einiges dafür, vertraglichen Pflichten, denen der Gesetzgeber durch sein konstituierendes Handeln durch Normierungen des (Vertrags-)Rechts entsprechendes Druckpotential hat zukommen lassen, einen Eingriffscharakter zuzumessen.1592 (ee) Weites Freiheitsverständnis auch bei zu konstituierender Freiheit Allerdings muss das nicht mit der Anlage von immanenten „Grenzen“, namentlich in § 311 Abs. 1 BGB, einhergehen. Sieht man etwa § 311 Abs. 1 BGB1593 als eine (notwendige) normative Vorgabe an, überhaupt verbindlich durch Verträge selbstbestimmt am Leben teilnehmen zu können („Rechtsangewiesenheit der Vertragsfreiheit“1594), so kann man diese Vorgabe gleichwohl auch in einen Kontext zur oben beschriebenen natürlichen Freiheit setzen.1595 Die dort u. a. dargestellten „rein gesellschaftlichen Vereinbarungen“ kann man auch als „dialogische Selbstbestimmung“1596 bezeichnen, deren juristische Fortführung der Vertrag ist. Zwar bedarf das, was überhaupt einen juristischen Vertrag ausmacht, der gesetzlichen Ausgestaltung. Allerdings sollte gleichwohl eine, vor allem inhaltliche, Offenheit grundsätzlich den Ausgangspunkt bilden. Zu Recht formuliert insoweit Cornils1597: „Geht man – (…) – davon aus, daß Vertragsfreiheit im Sinne der Verfassungsgewährleistung ein durch das Moment des Dialogischen, Gemeinschaftlichen qualifizierter Teilausschnitt der Privatautonomie ist, so spricht mehr dafür, den grundrechtlichen Schutz selbstbestimmten Zwecken und Inhalten offenzuhalten und ihn nicht – orientiert an heteronom gesetzten Ordnungszielen des Vertrags – als immanent beschränkt anzusehen.“
Die Konsequenzen sind vielgestaltig. Nicht zuletzt folgt daraus ein im Kern inhaltlich neutrales, ein insoweit „formelles“ Verständnis der Vertragsfreiheit.1598 Das bedeutet nicht, dass nicht die konstituierenden Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber bezüglich der Voraussetzungen des Zustandekommens eines juristischen Vertrags zu regeln sind. Bereits dort muss sich der Gesetzgeber aber ebenso an dem grundsätzlichen Bekenntnis des Grundgesetzes zur Vertragsfreiheit messen lassen.
1592
lassen. 1593
Dementsprechend muss der Gesetzgeber seine Handlungen am Grundgesetz messen
Wie auch sonstige Normen des Vertragsrechts. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 202. 1595 Ablehnend diesbezüglich etwa Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 28. 1596 Begrifflichkeit bei Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 201. 1597 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 201. 1598 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 202, dort auch die entsprechende Hervorhebung. 1594
D. Drittinteressen
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Vor allem wirkt sich die oben getroffene Aussage auf die inhaltlichen Regelungen durch das (Vertrags-)Recht aus. Nimmt man eine größtmögliche Freiheit zur Selbstbestimmung an, so ist diese im Grunde dann gegeben, wenn keinerlei inhaltliche Vorgaben bestehen. Zur besseren Umsetzung der Vertragsfreiheit kann bzw. muss der Gesetzgeber zwar Regelungsangebote machen, was letztlich in den Normen des dispositiven Rechts geschehen ist. Zwingendes, inhaltlich wirkendes Recht demgegenüber ist vor einem weiten Freiheitsverständnis problematisch.1599 Selbst wenn man jenseits des durch die Institutsgarantie geschützten Kernbereichs weite Ausgestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers als gegeben ansieht, so muss dieser entsprechende Bestimmungen gleichwohl rechtfertigen,1600 hat dabei aber auch einen weiten Beurteilungsspielraum1601. Letzterer kann aber ggf. eingeschränkt sein, wenn man bestimmte Schutzpflichten des Gesetzgebers1602 für einzelne Vertragspartner in bestimmten Situationen ausmachen sollte. Trotzdem folgt daraus keine immanente Beschränkung. Denn versteht man die Vertragsfreiheit als erst noch zu konstituierende Freiheit, so gibt der Gesetzgeber gleich mit der Ausgestaltung den Freiheitsraum vor.1603 „Immanent“ sind zwar in diese Ausgestaltung einfließende, insbesondere verfassungsrechtliche Gesichtspunkte. Sie fließen aber jeweils über die gesetzlichen (Ausgestaltungs-)Bahnen1604 ein, man könnte sie also insofern als „externe“ Schranken bezeichnen, indem der grundsätzlich weiten Freiheit von außen (zu rechtfertigende) Konturen verliehen werden.
1599
Siehe dazu Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 247, wonach zwingendes gesetzliches Vertragsrecht das Selbstbestimmungsrecht beider Parteien beschränke und im Rahmen der jeweils einschlägigen grundrechtlichen Schrankenvorbehalte abwehrrechtlich gerechtfertigt werden müsse. 1600 So jedenfalls neuere Ausgestaltungskonzeptionen wie Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 328 ff., der die Grundrechtsbindung des ausgestaltenden Gesetzgebers über den von der Institutsgarantie erfassten Kernbereich zu erfassen sucht. Darauf wie auch auf die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Ausgestaltungslehren hinweisend Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 187 f. 1601 Zum weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zur Konkretisierung und Aktualisierung der Vertragsfreiheit Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 290, u. a. unter Verweis (Fn. 10) auf BVerfGE 81, 242, 255. 1602 Grundsätzlich zur Bedeutung der Privatautonomie als Gegenstand einer grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 39. bzw. 40. Lieferung (Stand Juli 2001 bzw. Juli 2002), Art. 2, Rn. 107 ff. Siehe auch Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 239 ff., zu Einsatzfeldern der Schutzpflichtlehre; ferner Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 76 ff. 1603 Siehe Heinrich, Formelle Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 92, zu Regelungen, die die geschützte Freiheit konstituieren. 1604 Dazu gehören auch die Generalklauseln oder Regelungen, die im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden sind.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Eine derartig externe Sichtweise wird noch evidenter, wenn man namentlich zwingendes Vertragsrecht vom Eingriffscharakter für beide Seite aus betrachtet.1605 Gerade dort zeigt sich, dass die Ausgestaltungstätigkeit durch den Gesetzgeber den Eingriffscharakter von regelnden Normen nicht ausschließen muss.1606 So weisen zwingende Normen nicht nur Gestaltungsmöglichkeiten auf. Aufgrund ihres unabdingbaren Charakters wird durch sie auch die über einen Vertrag transportierte Selbstbestimmung der Parteien (extern) beschnitten. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass für vertragliche Regelungen zwischen den eigentlichen Vertragsparteien kein Raum für eine immanente Beschränkung ist.1607 (ff) Konsequenzen für die Drittberührungen eines Vertrags inter partes Lässt sich auch in Bezug auf die eigentlichen Vertragsparteien keine „immanente“ Beschränkung der Vertragsfreiheit ausmachen, so muss gleichwohl die Frage gestellt werden, ob eine solche nicht für Verträge mit Drittberührung gegeben ist. Die Berührung kann einmal in der Begründung von rechtlichen Positionen bei Dritten liegen, zum anderen auch „nur“ in sozialen Auswirkungen. Für eine Begründung einer rechtlichen Position bei einem Dritten ist vor allem wiederum der Vertrag zu Lasten Dritter anzuführen, ansonsten im Besonderen die hier näher untersuchten Lastwirkungen. (aaa) Vertrag zu Lasten Dritter Wiewohl gerade die Lastwirkungen einer Lösung hinsichtlich vorzunehmender Grenzen zugeführt werden sollen, ist zunächst nochmals ein Ansetzen bei den Drittbezügen gerade hinsichtlich des Vertrags zu Lasten Dritter als intendierte rechtliche Fremdbestimmung angezeigt. Ein wirksamer Vertrag zu Lasten Dritter wird einhellig abgelehnt. Betrachtet man die Vertragsfreiheit vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des auszugestaltenden Grundrechts, steht für einen Vertrag zu Lasten Dritter zunächst kein entsprechendes Instrumentarium zur Verfügung.1608 Eine Be1605
Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 247. Dispositives Recht kann zumindest für die Schuldnerseite Eingriffscharakter entwickeln. 1606 Sofern man, auch jenseits vom zwingenden Recht, einen (Eingriffs-)Charakter des (Vertrags-)Rechts neben seinen ausgestaltenden Modalitäten deshalb ausmacht, weil der Schuldner sich ggf. staatlichem Zwang ausgesetzt sehen kann, sieht man sich wiederum einer Konnexität von Ausgestaltung einerseits und Eingriffssituation andererseits gegenüber. Beides führt aber mit obiger Argumentation jeweils nicht dazu, immanente Beschränkungen der Vertragsfreiheit zu bejahen. 1607 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass vor allem aus der Verfassung (dort „immanent“) unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte folgen können, die in die Gesetzgebung oder Gesetzesanwendung einfließen können. Sie werden aber durch die entsprechenden Normen ausgestaltend oder eingreifend transportiert. 1608 Zuvor wurde innerhalb der Darstellung um den Vertrag zu Lasten Dritter ausgeführt, ein solcher würde durch die Vertragsfreiheit nicht abgedeckt. Hier zeigt sich die „Konse-
D. Drittinteressen
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gründung eines Schuldverhältnisses im rechtsgeschäftlichen Weg mittels Vertrags sieht § 311 Abs. 1 BGB nur für die Beteiligten vor.1609 Hinzu kommt, dass weitere „ausgestaltende“ Normen, wie z. B. der § 138 Abs. 1 BGB, den Weg der rechtlichen Drittbelastung als gestalterische Option nicht vorsehen, ihn vielmehr versperren können. Diese „Sperrwirkung“ ist es erneut, welche die oftmals kaum aufzulösende Verbundenheit zwischen dem ausgestaltenden und dem eingreifenden Charakter im (Vertrags-)Recht verdeutlicht. So kann man vor dem Hintergrund eines weiten Verständnisses bezüglich der Vertragsfreiheit (Selbstbestimmung) die Fremdbestimmung eines Dritten über eine vertragliche Vereinbarung als durchaus vorstellbar ansehen.1610 Allerdings wären, eben etwa über § 138 Abs. 1 BGB, „Eingriffe“ in die Vertragsfreiheit zum Schutz Dritter denkbar und würden im Fall des Vertrags zu Lasten Dritter auch erfolgen. Eine Suche nach immanenten Beschränkungen der Freiheit selbst erübrigt sich somit in solch einem Zusammenhang. (bbb) Lastwirkungen (a) Problemaufriss Während letzteres bei rechtlich intendierten Fremdwirkungen in Form eines Vertrags zu Lasten Dritter damit unproblematisch ist, ist, gerade bei dem aufgeworfenen grundgesetzlichen Kontext, die Lösungsfindung bei Lastwirkungen für Dritte durchaus differenzierter. Die Lastwirkungen resultieren daraus, dass sie unabhängig vom Willen der Vertragsparteien eintreten; relevant war in dem Zusammenhang nicht zuletzt, dass der Vertrag in der sozialen Wirklichkeit wurzelt, dorthin also mit seinen Konsequenzen „ausstrahlt“. Begreift man die Vertragsfreiheit wiederum vornehmlich als vom Gesetzgeber auszugestaltendes Freiheitsrecht, so hält das Privatrecht für derartige Situationen erneut kein die Sachfrage unmittelbar regelndes1611 Instrumentarium vor. Allerdings könnte man nunmehr daran denken, mit einer an eine Immanenz anknüpfenden Argumentation zu arbeiten. Hinsichtlich des Vertrags zu Lasten Dritter konnte unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 311 Abs. 1 BGB angeführt werden, ausgestaltet durch den Gesetzgeber sei nur das Schuldverhältnis zwischen den Vertragspartnern. Da im Fall der quenz“ dergestalt, dass der Gesetzgeber (deshalb) auch keine tauglichen Umsetzungsregeln geschaffen hat. 1609 Siehe demgegenüber § 328 BGB, der ausdrücklich das Instrumentarium für eine rechtliche Drittbegünstigung vorsieht. 1610 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 207, Fn. 191. 1611 Zu einzelnen speziellen Regelungen sowie den Umgang mit den Generalklauseln noch im weiteren Verlauf der Untersuchung. In methodischer Hinsicht wird das bezüglich der Generalklauseln in Teil 5 [D. III. 2. b), S. 970 ff.] Gegenstand der Untersuchung sein.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Lastwirkungen kein Schuldverhältnis zu einem Dritten begründet wird/werden soll, könnte überlegt werden, ob die vor allem in § 311 Abs. 1 BGB wurzelnden Gestaltungsmöglichkeiten für die Vertragsparteien nur so weit reichen, als es nicht zum Tangieren eines Dritten kommt. Das wäre in der Tat eine immanente Einschränkung. Hier könnte zwar erneut angeführt werden, u. a. über Normen wie den § 138 Abs. 1 BGB finde eine (weitere) Ausgestaltung statt, die im Bereich der Lastwirkungen nicht mehr „Spielraum“ zur Verfügung stelle und damit die Freiheit der Gestaltenden einschränke.1612 Der zuletzt genannte Argumentationsstrang hilft jedoch bei der Beantwortung von Fragen um das Vorliegen immanenter Grenzen nicht weiter. Denn unabhängig davon, an welchen normativen Ansatz, sei es über die §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, sonstige Normen oder eine Rechtsfortbildung, man anknüpft, um die Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien hinsichtlich etwaiger Lastwirkungen grundsätzlich zu begrenzen, muss Folgendes Beachtung finden: Lastwirkungen sind ubiquitär. Eine „Ausformung“ der Vertragsfreiheit durch den Gesetzgeber durch einzelne Normen, die letztlich nur bestimmte Gestaltungen ausnehmen,1613 kann keine Grundaussage darüber geben, ob überhaupt das Herbeiführen von Lastwirkungen möglich sein kann oder nicht. Hier stellt sich die Frage nach der immanenten Begrenzung, wie sie auch oben im Kontext mit § 311 Abs. 1 BGB aufgeworfen worden ist, unmittelbar. Diese Frage muss über das auch schon zuvor dargestellte Verständnis zur Vertragsfreiheit einer Klärung zugeführt werden. (b) Lösungsfindung über das Verständnis der Vertragsfreiheit als weite Freiheit Die Vertragsfreiheit ist eine „Spezialform individueller Handlungsfreiheit“1614. Sie bedarf zwar der Konstituierung durch den Gesetzgeber, die Freiheitswahrung als Grundgedanke muss jedoch lenkend bleiben. Das folgt vor allem aus der mehrfach angeführten Überschneidung von Ausgestaltungs- und Eingriffsproblematik mit Blick auf den Gesetzgeber. Vor einem freiheitlichen Verständnis der Vertragsfreiheit, und das erlaubt beispielsweise auch der § 311 Abs. 1 BGB, ist zunächst jeder Inhalt eines Vertrags grundsätzlich vorstellbar. Ansonsten würde, das wird gerade im Kontext mit der Weite des Begriffs der Lastwirkungen deutlich, die Vertragsfreiheit de facto leerlaufen. Normen wie etwa § 138 Abs. 1 BGB mögen ausgestaltend (mit-) wirken. Sie sind insoweit, und auch das wurde mehrfach betont, dann in ihrem Charakter begrenzend, damit also (auch) eingreifend. Eine solche Einschätzung, die von der Weite der Freiheit ausgeht, hat für die Vertragsgestaltung eine nicht unerhebliche Konsequenz: Es ist, auch und vor allem in Bezug auf die Lastwirkungen, am Gesetzgeber bzw. am rechtsanwendenden (ggf.
1612
Abermals wird die Konnexität von Schaffung von Freiraum und Eingriffssituation deutlich. 1613 Das gilt auch für die Anwendung der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB oder das Anführen eines Institutsmissbrauchs über den Weg der Rechtsfortbildung. 1614 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 201.
D. Drittinteressen
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rechtsetzenden1615) staatlichen Organ des Richters zu rechtfertigen, warum den Vertragspartnern keine größere inhaltliche Freiheit zugebilligt, letztere also beschnitten wird. Die inhaltliche Freiheit ist eben nicht von vornherein immanent verkürzt. Zwar muss sich der Vertragsgestalter nach wie vor in besonderer Weise auf die Sichtweise des Richters einstellen. Er kann dies jedoch hinsichtlich der Lastwirkungen aus der Position der Freiheitsgewährung heraus tun und anknüpfend daran zusätzlich bestimmte vom Richter zu beachtende Vorkehrungen treffen. Eine immanente Begrenzung der Vertragsfreiheit angesichts etwaiger Lastwirkungen ist somit grundsätzlich abzulehnen. (2) Lösung über „von außen“ (extern) angelegte Begrenzungen (a) Einführung Liegen (auch) keine immanenten Begrenzungen der Vertragsfreiheit in Bezug auf Lastwirkungen vor, so muss ihre rechtliche Behandlung über die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG1616 gesucht werden. Das beinhaltet eine „von außen“1617 angelegte Begrenzung1618 der weit zu verstehenden Vertragsfreiheit. Sie muss ggf. erfolgen, wenn der Gesetzgeber1619 bestimmte Lastwirkungen1620 unterbinden will. Diese Begrenzung bedeutet einen zu rechtfertigenden Eingriff vor allem in die inhaltliche Vertragsfreiheit. Zugleich liegt darin auch eine Ausgestaltung der Vertragsfreiheit,1621 die in der Form sich aber ebenfalls vor allem an den Vorgaben des Grundgesetzes messen lassen muss1622. Ob und inwieweit der Gesetzgeber in der Weise Regelungen mit Ausrichtung auf Drittinteressen getroffen hat, ist grundsätzlich zunächst anhand spezieller Vor1615
Im Wege der Rechtsfortbildung. Ggf. über spezielle Grundrechte. 1617 Grundrechtsimmanent ist zwar, dass das Grundgesetz selbst die Beschränkung vorsieht. Die eigentlichen (inhaltlichen) Schranken werden jedoch nicht unmittelbar dem Schutzbereich des Grundgesetztes entnommen, das heißt sie folgen nicht aus der Verkürzung des Schutzbereichs. 1618 Begrifflich kann man auch von externer Privatautonomiekontrolle sprechen; zur Begrifflichkeit Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 133, der dazu allerdings nicht das Grundgesetz heranzieht und lediglich Ausführungen zu §§ 134, 138 und 242 BGB macht. 1619 Oder ggf. der Richter im Wege der Rechtsfortbildung. 1620 Oder sonstige Auswirkungen auf Dritte, die nicht im obigen Sinn als Lastwirkungen zu verstehen sind. 1621 Nochmals zur konnexen Gegenläufigkeit der beschränkenden und der konstituierenden Funktion privatrechtlicher Normen Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 167. 1622 Vgl. wiederum Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande, S. 328 ff., zu grundrechtlichen Anforderungen in der dem Kernbereich vorgelagerten Zone. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 92, unterwirft allerdings Regelungen, die die geschützte Freiheit konstituieren, nicht der Schrankendogmatik. 1616
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1. Teil: Vertrag und Interessen
schriften aufzuzeigen bzw. an bestimmten Schutzvorschriften im Verbund mit § 134 BGB. Gleichwohl ist im Anschluss an die Diskussion um die Weite vor allem der inhaltlichen Vertragsfreiheit sowie um ihre Eingrenzung unmittelbar eine Auseinandersetzung mit anderen Schranken angezeigt. Die Problematik innerhalb der Klärung, ob immanente Begrenzungen vorliegen können, lag u. a. darin, wie Freiheiten Dritter, die durch die Vertragsgestaltung der Vertragsparteien tangiert werden, zu respektieren sind. Grundgesetzlich stellte sich die Frage der praktischen Konkordanz.1623 Ließen wir aus dem Grund auch keine immanenten Begrenzungen zu, so muss dieser Aspekt nun jedoch über die Schranken an Geltung gewinnen. Die Schwierigkeiten, die sich insoweit auftun, liegen in der mehrfach bereits betonten Ubiquität der Berührung von Drittsphären und Drittinteressen, weil der Vertrag in der sozialen Wirklichkeit verwurzelt ist. Ebenso wenig wie ubiquitäre Drittberührungen zu (weitreichenden) immanenten Beschränkungen der Vertragsfreiheit führen durften, dürfen sie allerdings auch nicht die Vertragsfreiheit über umfassende (externe) Schranken leerlaufen lassen. Da die über die Vertragsfreiheit umzusetzenden Interessen der Vertragsparteien vielgestaltig sind, ebenso aber die Interessen Dritter, hat ein Austarieren zu erfolgen. Deshalb ist besondere Aufmerksamkeit nicht (nur) den speziellen Regelungen zu widmen, sondern vor allem den potentiellen Schranken, die ein solches Austarieren ermöglichen, eine Flexibilität1624 eröffnen.1625 Diesbezüglich bieten sich vornehmlich die Generalklauseln des § 138 Abs. 1 BGB und des § 242 BGB an.1626 (b) Sittenwidrigkeitskontrolle über § 138 Abs. 1 BGB (aa) Normzweck des § 138 Abs. 1 BGB Bereits bei der Bestimmung des Normzwecks des § 138 Abs. 1 BGB lassen sich die Interessen, die auch mit Blick auf die Vertragsparteien und den Dritten miteinander um Geltung „ringen“, wieder ausmachen. So muss bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB ebenfalls der Ausgangspunkt der Überlegungen sein, die Vertragsfreiheit mit ihrer herausgehobenen, grundgesetzlich abgesicherten Stellung zu 1623
Zur praktischen Konkordanz bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung, allerdings nicht ausdrücklich bezogen auf die Freiheiten Dritter, die nicht Vertragspartei geworden sind, etwa BVerfGE 89, 214, 232. 1624 Zur Flexibilität als Aufgabe der Generalklauseln Ohly, AcP 201 (2001), 1, 7; Weber, AcP 192 (1992), 516, 521. Ausführlich zu den Aufgaben der Generalklauseln aus methodischer Sicht noch in Teil 5 [D. III. 2. a) aa), S. 934 ff.] der Untersuchung. 1625 Martens, AcP 177 (1977), 113, 174, spricht von erforderlicher Einzelfallbetrachtung. Konflikte (S. 179) seien in einem offenen und sehr variablen Bewertungsrahmen zu entscheiden. 1626 § 138 Abs. 1 und § 242 BGB werden hier als Generalklauseln in Abgrenzung zu unbestimmten Rechtsbegriffen in der Art und Weise verstanden, dass sie vollständige Rechtssätze sind, unbestimmte Rechtsbegriffe sind dagegen Tatbestandsmerkmale; so die Differenzierung bei Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 664. Dort (Fn. 10) findet sich auch der Verweis auf Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 53 f.
D. Drittinteressen
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achten.1627 Das ist der Bereich, in dem die Interessen der eigentlichen Vertragsparteien ihre Verwirklichung erfahren können. Sie können sich idealerweise „im freien Spiel der Kräfte“1628 finden und gemeinsame Geltung durch den Vertrag erlangen.1629 Das „freie“ Spiel der Kräfte findet aber in der Regel nicht unter Einbindung (später betroffener) Dritter1630 statt, zudem steht der Vertrag, wie immer wieder betont, in einem sozialen, einem gesellschaftlichen Kontext. Letztere sind zwei Aspekte, warum eine unbeschränkte Vertragsfreiheit eine Begrenzung erfahren soll, wenn Drittinteressen tangiert werden.1631 Es geht dabei sowohl um den Schutz der Interessen Dritter1632 als auch um die Wahrung grundlegender ethischer1633 und sozialer1634 Werte. Maßgebliche Wertungselemente folgen dabei aus dem Grundgesetz, vor allem aus den Grundrechten.1635 Der Einfluss der beschriebenen Wertvorstellungen findet sich in einzelnen Gesetzen, die tatbestandlich begrenzend sein können, bedarf aufgrund der zahlreichen möglichen Kollisionen von Eigeninteressen (der Vertragsparteien) und Drittinteressen bzw. sonst zu schützender Werte jedoch auch der Weite und der Flexibilität einer Generalklausel wie der des § 138 Abs. 1 BGB.1636 Die Notwendigkeit der Weite ist allerdings zugleich eine zentrale Problematik, der be1627
Siehe Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 1 ff. Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 1, dort auch die Hervorhebung. 1629 Zu § 138 Abs. 1 BGB, gerade wenn die Kräfte der eigentlichen Vertragsparteien imparitär verteilt sind, ebenfalls noch in Teil 5 [D. III. 2. a) ee), S. 946 ff.] der Ausführungen. 1630 Mitunter ist das ohnehin nicht möglich, so wenn der „Dritte“ die Allgemeinheit ist, oder wenn ansonsten keine Individualisierung stattfinden kann. 1631 Hinzu kommen weitere Zwecke des § 138 BGB, dazu u. a. Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 1 ff. Weitere Zwecke sind etwa der Abschreckungszweck des § 138 BGB oder die Rezeptionsfunktion, MK-BGB/Armbrüster, BGB, § 138, Rn. 2 f. Siehe zur Rezeptionsfunktion u. a. auch Ohly, AcP 201 (2001), 1, 11 ff.; außerdem Bydlinski, Juristische Methode und Rechtsbegriff, S. 583; kritisch etwa Auer, Flexibilisierung, Materialisierung, Richterfreiheit, S. 149. 1632 Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 1. 1633 MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 1; zu rechtsethischen Prinzipien Neuner, AT des BGB, § 46, Rn. 13. 1634 PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 1. 1635 U. a. BVerfGE 89, 214, 229; BGH NJW 1999, 566, 568; 1986, 2944, 2944; 1973, 1176, 1177, jeweils mit weiteren Nachweisen. Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 150, betont, gerade die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen führe zur Funktion der Generalklauseln als spezifisch rechtliche Grenze der Privatautonomie. 1636 Dazu, dass der Werteordnung des Grundgesetzes vor allem bei der Ausfüllung der Generalklauseln wesentliche Bedeutung zukommt, wiederum Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 150. Zu den Generalklauseln als „Einfallstore“ (zur Begrifflichkeit u. a. Battis/Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 409) der Grundrechte bzw. ihrer Ausfüllungsfunktion in Bezug auf die Generalklauseln siehe auch BVerfGE 7, 198, 206 („Lüth“); BVerfGE 81, 242, 256; BVerfGE 89, 214, 229; BGHZ 106, 336, 338; BGHZ 142, 304, 307; siehe ferner Dürig, FS für Nawiasky, 157, 176 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 43 ff. Die so genannte mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, siehe etwa Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 136 ff., die über die Generalklauseln greift, war und ist teilweise bis heute nicht unumstritten, vgl. dazu die Darstellung bei Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 52 ff. 1628
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1. Teil: Vertrag und Interessen
reits bei der Zweckbestimmung Rechnung zu tragen ist. Es kann und darf über die Weite des Tatbestands der Generalklausel nicht zu einer Aushöhlung der Vertragsfreiheit kommen. Auch unter Zugrundelegung elementarer Wertvorstellungen ist der Zweck des § 138 Abs. 1 BGB nicht darin zu sehen, ein Optimum zu schaffen.1637 Es geht vielmehr darum, „die Durchsetzung von Rechtsgeschäften, die gegen die ganz überwiegend anerkannten Werte verstoßen, mit den Mitteln des Rechts (zu) verhinder(…)(n) (…)“.1638 Diese Zwecksetzung ist nicht zuletzt, wenn es um die Abwägung der Eigen- und Drittinteressen geht, zu berücksichtigen. (bb) Rigorosität der Rechtsfolge des § 138 Abs. 1 BGB Die Diskussion1639 um die Tauglichkeit, die Problematik eines Drittbezugs von Verträgen anhand von § 138 Abs. 1 BGB zu bewältigen und so ggf. auch im Vorfeld regulierend wirken zu können1640, entzündet sich u. a. an der normierten Rechtsfolge. Diese besteht für ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, in der Nichtigkeit ex tunc1641. Zwar ist bei einem teilbaren Rechtsgeschäft die Beschränkung der Nichtigkeit auf den abgrenzbaren nichtigen Bereich nach § 139 BGB möglich.1642 Eine solche Teilbarkeit kann etwa aus der Unwirksamkeit einer Vertragsklausel oder einer vertraglichen Nebenabrede folgen.1643 Mit dieser „Reduzierung“ der Nichtigkeitsfolgen ist jedoch der Kritik an § 138 Abs. 1 BGB als Kontrollkriterium kaum zu begegnen. Denn nach wie vor bleibt § 138 Abs. 1 BGB in seiner Rechtsfolgenanordnung rigoros und damit starr. Aus vertragsgestalterischer Sicht kommt hinzu, dass man zwar für den Fall der Teilnichtigkeit eine gewisse Vorsorge durch salvatorische Klauseln treffen kann, damit allerdings keine (optimale) Umsetzung der Mandanteninteressen verbunden sein kann/muss. So wird in der Regel der an § 138 Abs. 1 BGB gemessene Vertragsteil gerade um die Verwirklichung der Mandanteninteressen willen aufgenommen worden sein, das heißt, es ist für die Realisierung der Interessen nicht gleichgültig, ob die eigentliche Vertragsklausel oder die salvatorische Klausel1644 zum Zug kommt. Zwar könnte aus anwaltlicher Sicht, bei entsprechender vorheriger Aufklärung des Mandanten, daran gedacht werden, die Grenzen des § 138 Abs. 1 BGB „auszureizen“ und sich „not1637
Vgl. Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 4. PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 2 m. w. N. 1639 Siehe u. a. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 75 f.; Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 133 ff. 1640 Vgl. bei Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 5, zu einer von Anfang an steuernden Wirkung, Fischinger spricht von Abschreckungs- bzw. Präventionsfunktion. MKBGB/Armbrüster, § 138, Rn. 2, stellt den Abschreckungszweck hervor. 1641 Ex-nunc-Nichtigkeit kommt im Bereich von Arbeits- und Gesellschaftsverträgen in Betracht, NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 132. 1642 NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 133; vgl. auch BGHZ 52, 17, 25. 1643 BGH NJW 1993, 1588 f. 1644 Aufgenommen wird die Klausel z. B. aus dem Grund, zumindest die anderen durch den Vertrag umgesetzten Interessen „zu retten“. 1638
D. Drittinteressen
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falls“ auf die salvatorische Klausel zu berufen. Abgesehen von der dann sich wieder stellenden Schwierigkeit, als Anwalt ggf. bewusst an einem rechtswidrigen Vertrag mitzuwirken, besteht, wenn der Grund der Sittenwidrigkeit aus dem Dritt- oder Allgemeinbezug herrührt, zudem die Gefahr, dass die Sittenwidrigkeit sich nicht auf die einzelne Vertragsklausel beschränkt, sondern zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrags führt. Will der Anwalt somit verhindern, bei Berührung von Dritt- oder Allgemeininteressen die Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB herbeizuführen, muss er entsprechende gestalterische Vorsicht walten lassen. Zwar gibt es durchaus Stimmen, die in Bezug auf § 138 Abs. 1 BGB eine teleologische Reduktion durch einen immanenten Normzweckvorbehalt1645 bzw. eine geltungserhaltende Reduktion1646 für möglich halten. Diese Wege begegnen aber deutlicher Kritik. So wird angeführt, man dürfe keinen Anreiz zu einer sittenwidrigen Gestaltung schaffen,1647 oder die Notwendigkeit benannt, sittenwidrigem Verhalten nicht das Risiko der Nichtigkeit zu nehmen1648. Für den Vertragsgestalter ist vor dem Hintergrund seiner anwaltsvertraglichen Pflicht zur Schaffung eines rechtswirksamen Vertrags vor allem maßgeblich, dass die Rechtsprechung keine derartigen Eingrenzungen bezüglich der Nichtigkeitsfolge vornimmt1649. Er muss also bei der Kollision mit Dritt- oder Allgemeininteressen § 138 Abs. 1 BGB mit seiner „harten“ Konsequenz sorgfältig berücksichtigen. Da jedoch die Berührung mit Dritten und ihren Interessen in der gestalterischen Realität die Regel und nicht die Ausnahme ist, die Rechtsfolge des § 138 Abs. 1 BGB aber „starr“ und rigoros, muss die Bewältigung der Problematik einen „Ausgleich“ zu schaffen, auf der tatbestandlichen Ebene der Norm erfolgen. (cc) Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB (aaa) Gute Sitten Tatbestandlich knüpft § 138 Abs. 1 BGB an einen Verstoß gegen die guten Sitten an. Der Gesetzgeber hat mit den „guten Sitten“ eine Generalklausel mit offenem Tatbestand geschaffen. Für den Begriff der guten Sitten wird auf das „Durchschnittsempfinden“1650, „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“1651 abgestellt. Damit ist zunächst eine Ausrichtung dahingehend verbunden, dass es nicht auf individuelle Befindlichkeiten ankommt, ebenso wenig auf die subjektive 1645
Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 158 ff. Dazu für bestimmte Fälle etwa Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 159; 176 ff.; zur geltungserhaltenden Reduktion im Fall des Wuchers auch Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 709. 1647 NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 133. 1648 PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 44 m. w. N., bezüglich der geltungserhaltenden Reduktion. Siehe auch BGH NJW 2001, 815, 817 m. w. N. 1649 BGH NJW 2001, 815, 817; BGHZ 107, 351, 357. 1650 Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 6. 1651 RGZ 48, 114, 124; BGHZ 10, 228, 232; 141, 357, 361; 179, 213, 218. 1646
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Einstellung des Richters.1652 Letzteres bedeutet jedoch nicht, dass der Richter über § 138 Abs. 1 BGB keine Rechtsfortbildung betreiben darf.1653 Im Rahmen dessen muss er aber das, was die guten Sitten ausfüllt, beachten und nachvollziehbar begründen. Inhaltliche Ausfüllung findet der Begriff der guten Sitten in erster Linie durch die Grundwerte der geltenden Rechtsordnung.1654 Eine zentrale Rolle spielt die objektive Werteordnung des Grundgesetzes, insbesondere über die Vermittlung durch die Grundrechte,1655 die so genannte Drittwirkung der Grundrechte. Daneben können auch die EMRK1656, die europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten,1657 einfachgesetzliche Wertungen1658 oder, unter Beachtung des Vorrangs rechtlicher Grundentscheidungen, ergänzend außerrechtliche Maßstäbe1659 zum Tragen kommen. Einfluss auf die guten Sitten können somit bei der Kollision von Eigen- und Drittbzw. Allgemeininteressen vor allem über die grundgesetzliche Werteordnung mehrere Positionen nehmen. Zum einen ist das die in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Vertragsfreiheit als ein zentrales Mittel zur Selbstbestimmung der Parteien. Zum anderen ist aber ebenso die Selbstbestimmung (individualisierbarer) Dritter zu berücksichtigen, außerdem bestimmte Allgemeininteressen.1660 Die einzelnen Elemente, die hier relevant sein können, sind in Abwägung zu stellen. Die guten Sitten sind kein statischer Begriff, vielmehr nehmen unterschiedliche Faktoren in unterschiedlicher Weise Einfluss.1661 Das, was für die Be1652
Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 6. Zur Ermächtigung des Richters zur Rechtsfortbildung durch die Sittenwidrigkeitsklauseln aufgrund der zugewiesenen Aufgabe, sich im konkreten Einzelfall um eine billige und gerechte Entscheidung zu bemühen, Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 60. Siehe auch Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 95 ff., zur Rolle der Generalklauseln im Zusammenhang der Bewältigung des Wertungskonflikts zwischen Richterbindung und Richterfreiheit. Die grundsätzliche Problematik um die Rechtsfortbildung über die Generalklauseln, auch unter dem Aspekt der Wahrung der Gewaltenteilung, erörternd Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 678 ff. 1654 Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 6. Siehe auch Neuer, AT des BGB, § 46, Rn. 13. 1655 BVerfG NJW-RR 2004, 1710; BVerfGE 81, 242, 256; BGHZ 142, 304, 307; 140, 118, 128; 106, 336, 338; BGH NJW 1999, 566, 568. 1656 PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 18. 1657 BGHZ 142, 304, 314; Neuer, AT des BGB, § 46, Rn. 13. 1658 Soweit es sich um wesentliche Grundsätze und grundlegende Maßstäbe der Rechtsordnung handelt, so PWW/Ahrens, § 138, Rn. 19, unter Hinweis auf BGHZ 80, 158; 106, 338. Siehe ebenfalls Neuer, AT des BGB, § 46, Rn. 13. 1659 PWW/Ahrens, § 138, Rn. 21; zu sozialethischen Prinzipien; Neuner, AT des BGB, § 46, Rn. 14. 1660 Die hier aufgezeigten Wertungselemente sind nicht abschließend. Von Bedeutung wird u. a. auch noch die grundgesetzlich abgesicherte freie Wirtschaftsordnung sein. 1661 Zum § 138 BGB als klassischen Anwendungsfall eines beweglichen Systems im Sinne Wilburgs Staudinger/Fischinger (2021) BGB, § 138, Rn. 117 ff., insbesondere Rn. 120. Siehe 1653
D. Drittinteressen
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wältigung der Drittproblematik dann besondere Aufmerksamkeit verdient, ist nicht allein der Begriff der guten Sitten, sondern unter Abwägung unterschiedlicher Elemente die Klärung der Frage, wann Sittenwidrigkeit gegeben ist. (bbb) Vorliegen von Sittenwidrigkeit (a) Sittenwidrigkeitsbestimmung über eine Grenzwertfestlegung Auch wenn die zur Ausfüllung der guten Sitten relevanten Wertungsmaßstäbe bekannt sind, ist die sich an diesen ausrichtende Bestimmung, wann Sittenwidrigkeit vorliegt, keinesfalls problemlos. Zum einen begegnen sich über die Anwendung der Maßstäbe unterschiedliche gravierende (Schutz-)Objekte wie die bereits angeführte (inhaltliche) Vertragsfreiheit der Parteien einerseits oder zu beachtende Dritt- bzw. Allgemeininteressen andererseits. Nicht zuletzt wegen der Notwendigkeit des Umgangs mit völlig verschiedenen Interessengemengelagen wird für den Vertragsgestalter die Prognosetätigkeit nicht einfacher in Bezug darauf, wann Sittenwidrigkeit vorliegt. So muss er (wieder) die Anwendung der Norm durch den Richter voraussehen.1662 Die Kalkulierbarkeit dessen, wo die Sittenwidrigkeit des konkreten Vertrags beginnt, ist damit oftmals schwierig. Für den Vertragsgestalter ist deshalb vor allem die Kenntnis um die Abläufe der richterlichen Ausfüllung der Norm bedeutsam, nicht nur um eine Prognose anzustellen, sondern auch, um darauf ggf. gestalterischen Einfluss nehmen zu können. Nur wenn diese Einflusselemente vorhanden sind, kann im Übrigen auch einem Vorwurf etwaiger richterlicher Willkür1663 begegnet werden. Ein vor allem unter Prognosegesichtpunkten taugliches Kriterium zur Vorausschau ist der Rückgriff auf Fallgruppen.1664 Zwar gibt es durchaus Typisierungen
aber bereits hier Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 82 f. Canaris führt aus, für Generalklauseln sei es charakteristisch, dass sie wertausfüllungsbedürftig seien, sie würden die zu ihrer Konkretisierung erforderlichen Kriterien nicht angeben und diese ließen sich grundsätzlich nur im Hinblick auf den jeweiligen konkreten Fall festlegen; Wilburgs Bestreben sei demgegenüber darauf gerichtet gewesen, die maßgeblichen „Elemente“ nach Inhalt und Zahl generell zu bestimmen und nur ihr „Mischungsverhältnis“ variabel zu gestalten und von den Umständen des Falles abhängen zu lassen. 1662 Auch hier passt der Hinweis von Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 95, zum Wertungskonflikt zwischen Richterbindung und Richterfreiheit. 1663 Siehe zur „Legitimation durch Begründung“ beim Richter, allerdings für Situationen, in denen Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit von Sittenwidrigkeitsklauseln fehlen, Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 111 ff., insbesondere Rn. 115. Zur Gefahr der Willkür auch Rn. 82. 1664 Noch „spezieller“ sind so genannte „Fallgruppennormen“, die nahezu tatbestandlich „formuliert“ sind. Siehe Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40, zu „Fallgruppennormen“, wenn sich in der Rechtsprechung mit der Fallgruppe eine entsprechende Norm herausgebildet hat. Zur Interessenabwägung und der Orientierung an Fallgruppen Bork, AT des BGB, Rn. 1184.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext mit Drittinteressen,1665 allerdings fehlen sie oftmals in hinreichender Schärfe1666 oder sie sind aufgrund sich verändernder Gestaltungen nicht abschließend möglich. Ein etwaiger Ansatzpunkt, um die Prüfungs- bzw. Ausfüllungskompetenz des Richters zu konkretisieren, besteht zunächst in der Bestimmung einer „Erheblichkeitsschwelle“ dahingehend, wann eine Sittenwidrigkeit vorliegen soll. Der Bogen möglicher „Grenzwerte“ spannt sich von der Beschränkung des § 138 Abs. 1 BGB auf Extremfälle, über das Vorliegen evidenter Verstöße hin zu einer gewissen Erheblichkeit.1667 Auch wenn diese Abstufungen selbst wiederum nicht eindeutig zu präzisieren sind, so kann aus anwaltlicher Sicht gleichwohl eine unterschiedliche Form von Kalkulierbarkeit mit ihnen einhergehen. Reduziert sich nämlich der Anwendungsbereich des § 138 Abs. 1 BGB auf Extremfälle, sind die von der Norm erfassten Situationen zwar nicht notwendigerweise immer problemlos abgrenzbar. Sie sind aber begrenzter und aus dem Grund überschaubarer. Zudem lässt sich ein Extremfall „leichter“ prognostisch ausschließen als z. B. ein evidenter Verstoß. Für eine Begrenzung des § 138 Abs. 1 BGB auf Extremfälle spricht die zuvor bereits angesprochene rigorose Rechtsfolge der Norm.1668 Lässt man innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB keine teleologische oder geltungserhaltende Reduktion auf der Rechtsfolgenseite zu, so ist über den Tatbestand eine Einschränkung zu suchen. Anderenfalls droht § 138 Abs. 1 BGB eine zu starke Einschränkung zu werden, die vor allem die Vertragsfreiheit zu sehr begrenzen kann. Argumentativ lässt sich für eine enge Sichtweise ebenso anführen, mit einem Verstoß gegen die guten Sitten gehe eine gewisse Makelbehaftetheit einher.1669 Dies kann qualitativ etwas anderes als z. B. „bloß“ fehlende Gesetzmäßigkeit sein.1670 Zwar kann sich möglicherweise bei mangelnder Rechtmäßigkeit eine Sittenwidrigkeit ergeben. Gleichwohl folgt daraus nicht notwendig die Sittenwidrigkeit. Dann wäre u. a. die Existenz des § 134 BGB nicht zu erklären. 1665
Z. B. den Unterhaltsverzicht zu Lasten des Sozialhilfeträgers, dazu Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 47. Siehe dazu auch Kanzleiter, Schranken der Vertragsfreiheit im Familienrecht – Fälle aus der Praxis, S. 65, 73. Zum Vertrag zu Lasten Dritter in diesem Zusammenhang u. a. BGH NJW 2009, 1346 ff. 1666 Vgl. Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 12. 1667 Siehe m. w. N. die Übersicht bei Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 83 ff. 1668 Beater, AcP 197 (1997), 505, 519, hält die „schroffen Kategorien des Alles-oderNichts“ zwar für gerechtfertigt, weist jedoch darauf hin, dadurch würden gerechte Lösungen auf Zwischenstufen abgeschnitten. 1669 Siehe u. a. Zimmermann, JR 1985, 48, 51. Den Begriff des Makels im Kontext mit § 138 Abs. 1 BGB u. a. aufgreifend BGH NJW 2008, 140, 141; NJW 1990, 567, 568; NJW 1983, 1851, 1853. 1670 A. A. etwa Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 85, wonach der Vorwurf, gegen die guten Sitten verstoßen zu haben, weder begrifflich noch wertungsmäßig schwerer wiege als gesetzeswidrig gehandelt zu haben. So reiche für die Sittenwidrigkeit u. U. schon der Verstoß gegen eine bloße Sittennorm.
D. Drittinteressen
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Lässt man somit die Makelbehaftetheit auch als zusätzliches Argument für ein extremes Verständnis eines Sittenverstoßes grundsätzlich genügen, muss dennoch ggf. eine Einschränkung dahingehend gemacht werden, dass die Bestimmung des Makels wiederum einen Wertungsprozess beinhaltet. Damit geht jedoch für den Vertragsgestalter nach wie vor die eingangs aufgeworfene Schwierigkeit einher, taugliche Prognosen anstellen zu können. So lassen sich zwar Argumente für eine enge Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB anführen. Indem damit jedoch keine „Befreiung“ von einer Wertungstätigkeit verbunden ist, bleibt die zuvor beschriebene „Unsicherheit“ erhalten. Die Begrenzung auf extreme Fälle bedeutet somit, zwar einen strengen Maßstab anlegen zu können, wobei aufgrund der vorzunehmenden Wertungstätigkeit die jeweilige Grenze im Einzelfall jedoch unterschiedlich „schnell“ überschritten sein kann. Es geht also weiterhin darum, ein mögliches Zusammenspiel der Wertungselemente und die Formen einer Einflussnahme aufzuzeigen. (b) Zusammenspiel der Wertungsfaktoren in Bezug auf Drittinteressen Maßgeblich sind für die Ausfüllung des Tatbestands („gute Sitten“) des § 138 Abs. 1 BGB und damit für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit zunächst die mehrfach angeführten Maßstäbe, insbesondere aus der Verfassung und den Gesetzen, aber ggf. auch aus außergesetzlichen Vorgaben.1671 Beim Zusammentreffen dieser Kriterien hat ggf. eine kombinatorische Abwägung zu erfolgen.1672 Die entsprechenden Maßstäbe muss der Richter bei seiner Überprüfung im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB berücksichtigen. Das gilt im Besonderen für die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die entsprechende Abwägung muss der Richter aufdecken. Das Zusammenspiel der Bewertungselemente1673 bedeutet Flexibilität.1674 Denn je nachdem, welche Interessen involviert sind, können die Kriterien in unterschiedlicher Form und Stärke an Bedeutung gewinnen. So können etwa, angelehnt an die 1671 Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 3 ff.; PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 17 ff.; Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 95. Zur Verdrängung außerrechtlicher Anschauungen durch die im Recht verkörperte Werteordnung, Grüneberg/Ellenberger, § 138, Rn. 6. 1672 Soergel/Hefermehl, BGB, § 138, Rn. 5, 7 f., 10; Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 95. 1673 Zu kollidierenden Grundrechtspositionen und ihrer Wechselwirkung Boemke, JuS 2001, 444, 446. 1674 Zum beweglichen System grundlegend Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht. Siehe aber auch wieder die Ausführungen bei Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 82 f. Zur Gesamtwürdigung innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB als einem beweglichen System MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 44 ff. (bewegliche Elemente); NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 100; PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 27 (Zusammenwirken mehrerer Umstände); Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 117 ff. Der BGH (WM 2012, 458, 460) greift mittlerweile das Bild vom „Zusammenspiel beweglicher Elemente“ auf. Siehe auch MayerMaly, Bewegliches System und Konkretisierung der guten Sitten, S. 117 ff.
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mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, die zu respektierenden Freiheits- oder Schutzgedanken in Bezug auf die jeweiligen Interessen der Vertragsparteien bzw. der Dritten in verschiedener Art und Weise zum Tragen kommen. Das kann für den Vertragsgestalter die Möglichkeit der Einflussnahme mit sich bringen, da die Anwendung der Wertungsmaßstäbe sich durch die jeweiligen relevanten Interessen bzw. ihre Berücksichtigung „steuern“ lässt. Die Anwendung der Maßstäbe richtet sich also nach der vom Richter vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung aus.1675 Zu einer solchen ist der Richter innerhalb der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB verpflichtet.1676 Er hat „alle Interessen zu berücksichtigen, die unmittelbar oder mittelbar, aktuell oder potenziell durch das zu bewertende Rechtsgeschäft berührt werden. Auch die rechtlichen und tatsächlichen Folgen von Entscheidungen sind in die Interessenabwägung einzubeziehen (…).“1677 In diese Gesamtwürdigung aller Umstände1678 und Interessen kann der Anwalt als Vertragsgestalter in verschiedener Art „eingreifen“. Er kann mit objektivierten Interessen arbeiten, an die sich grundsätzlich bestimmte Wertungen anschließen; Beispiele können unterschiedliche herausgebildete Fallgruppen und die Orientierung an ihnen sein. Vorstellbar ist auch die bewusste Aufdeckung von (eigenen) Interessen, u. a. in Präambeln, oder die gezielte Berücksichtigung von Drittinteressen, z. B. durch Einbindung von Dritten in Verträge. All diese genannten Formen von gestalterischem Handeln sind zudem erneut ein Vorgehen, um den Richter in ein methodisches Vorgehen, hier durch entsprechend begründete Abwägungsarbeit, zu „zwingen“. Solche Ansätze gilt es im Nachfolgenden hinsichtlich der Drittinteressen aufzudecken.1679 Dabei können die Drittinteressen über Lastwirkungen oder sonstige Einwirkungen tangiert werden. Eine Differenzierung sollte gerade mit Blick auf § 138 Abs. 1 BGB aus gestalterischer Sicht nicht gemacht werden.1680 (c) Hinwendung zu einem „flexiblen System“1681 (aa) Vertragsinhalt als Ausgangspunkt Die Gesamtwürdigung einfließender Interessen und ihre Bewertung anhand der maßgeblichen Kriterien durch den Richter sowie die Gestaltungsmöglichkeiten des 1675 Siehe zu einer Abwägung auch unter Bezugnahme von Interessen Dritter Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 250; dort allerdings im Zusammenhang mit § 242 BGB. 1676 Bork, AT des BGB, Rn. 1183 f. 1677 So Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 95. 1678 Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 95. 1679 Die grundsätzliche methodische Aufbereitung erfolgt wiederum in Teil 5 [D. III. 2. b), S. 970 ff.] der Untersuchung. 1680 Eine Differenzierung sollte zur Lösungsfindung gerade nicht mehr vorgenommen werden. 1681 Aufgrund der von Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 82 f., geführten Auseinandersetzung um die Anwendung des „beweglichen Sys-
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Anwalts bestimmen sich zunächst danach, welchen Ausdruck die Interessen unmittelbar im Vertragsinhalt selbst gefunden haben. Denn der Vertragsinhalt gibt vor, welche Regelungen ggf. der rechtlichen Akzeptanz und damit auch der Durchsetzung mit staatlichen Mitteln zugeführt werden. Die Rechtsordnung kann Verträge, die allein von ihrem inhaltlichen Regelungsgehalt her schon gegen die guten Sitten verstoßen, nicht hinnehmen. So wird bei einem Widerspruch (allein) des objektiven Inhalts eines Rechtsgeschäfts gegen grundlegende Wertvorstellungen die Sittenwidrigkeit ohne weiteres bejaht.1682 Insbesondere ist das Votum der Sittenwidrigkeit unabhängig von etwaigen Vorstellungen der Parteien.1683 Die Frage, inwieweit Kenntnisse der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände notwendig sind, stellt sich hier nicht. Die Sittenwidrigkeit folgt aus dem Geschäftsinhalt und dieser ist den Parteien notwendig bekannt1684 bzw. zurechenbar „bekannt“, etwa über § 166 BGB. Da dem umzusetzenden Inhalt bereits die Anerkennung versagt werden soll, bedarf es etwa keines Handelns der Parteien im Bewusstsein der Sittenwidrigkeit.1685 Ein Beispiel für diese Art der Sittenwidrigkeit ist die Vereinbarung einer entgeltlichen Tötung eines Menschen. Bezogen auf einen Dritten und seine Interessen kann ein Fall einer solchen Form von Sittenwidrigkeit vorliegen, wenn nach dem Inhalt des Vertrags ein Dritter an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert werden soll.1686 Der Vertragsinhalt kann also als maßgeblicher Umstand die Sittenwidrigkeit begründen. Man kann insoweit vom Inhalt als dem alleinigen, entscheidenden Faktor sprechen, wobei allerdings das Urteil der Sittenwidrigkeit u. a. aus dem Zusammenspiel und damit der Bewertung der Vertragsregelungen folgen kann, folglich aus einer Gesamtwürdigung des Vertragsinhalts. Für den Vertragsgestalter ist der Umgang mit der Sittenwidrigkeit, die auf den Vertragsinhalt abstellt, zwar mit Prognoserisiken verbunden, gleichwohl aber auch diesbezüglich eingrenzbar. Die Eingrenzbarkeit begründet sich damit, dass hier (zunächst) nur der objektive Inhalt des Vertrags relevant ist. Insoweit ist der Gegenstand, der auf Sittenwidrigkeit hin zu untersuchen ist, überschaubar und vor allem vom Anwalt selbst in der Regel zu entwerfen. Zwar bleibt ein Risiko, ob man als Gestalter die in § 138 Abs. 1 BGB einfließenden Wertmaßstäbe in gleicher Weise versteht und gewichtet wie ein später kontrollierender Richter. Vielfach wird in Bezug auf den objektiven Inhalt jedoch eine Orientierung an Fallgruppen möglich tems“ Wilburgs in Bezug auf die Generalklauseln erfolgt die Begriffswahl des „flexiblen Systems“. 1682 BGH WM 2012, 458, 460; NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 91; PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 25 m. w. N.; Bork, AT des BGB, Rn. 1185; Neuner, AT des BGB, § 46, Rn. 19. 1683 BGH WM 2012, 458, 460. 1684 So Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 10. 1685 BGH NJW 1999, 1587, 1588; 1988, 1373, 1374. 1686 BGH WM 2012, 458, 460.
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sein. Zudem lässt sich wieder auf die hohe Schwelle verweisen, die für die Bejahung einer Sittenwidrigkeit zu überwinden ist. Diese Schwelle ist es jedoch u. a. auch, die, vor allem bei der Berücksichtigung von Allgemein- und Drittinteressen, den Weg zu einer Denkweise unter Zugrundelegung eines flexiblen Systems weist. (bb) Elemente eines flexiblen Systems bei § 138 Abs. 1 BGB (aaa) Vorliegen eines flexiblen Systems Auch wenn man für die Bejahung der Sittenwidrigkeit grundsätzlich das Überschreiten einer hohen Schwelle fordert, wird diese allerdings, wenn es um die Berührung von Dritt- oder Allgemeininteressen geht, mitunter niedriger anzulegen sein.1687 Gründe dafür können in Bezug auf die Allgemeininteressen in deren besonderer Wertigkeit liegen, in Bezug auf (individualisierte) Drittinteressen zudem darin, dass Dritte mangels Einbindung in den Vertragsgestaltungsprozess1688 des besonderen Schutzes1689 bedürfen. Die notwendige Berücksichtigung von Drittinteressen wirkt sich also bei der Auslegung, Gewichtung und Würdigung der die guten Sitten ausfüllenden Wertungsmaßstäbe aus, so dass schon insoweit eine „Gesamtwürdigung“ stattfindet.1690 Eine solche Gesamtwürdigung ist aber im Besonderen bei Verträgen mit Dritt- oder Lastwirkungen notwendig und angezeigt, weil dort nicht nur die jeweiligen Wertmaßstäbe in ihrer Gewichtung variieren können, sondern vor allem die Umstände, an die diese anknüpfen. Zwar sind Verträge zwischen Parteien möglich, die hinsichtlich etwaiger Drittinteressen allein wegen ihres Inhalts sittenwidrig sind. Die besondere Problematik der Drittwirkung1691 folgt jedoch vor allem aus der Einbettung des Vertrags in einen sozialen Kontext. Die Beurteilung, ob Sittenwidrigkeit vorliegt, wird daher vielfach neben dem Vertragsinhalt weitere Umstände berücksichtigen müssen. Das können Motiv, Zweck und äußere Umstände des Vertrags sein,1692 nicht zuletzt aber auch Folgenerwägungen1693. Diese Summe von Faktoren muss, sofern nicht ein einzelnes Element bereits aufgrund seiner Ausprägung die Sittenwidrigkeit begründet,1694 für eine Beurteilung nach § 138 Abs. 1 BGB somit in Gänze gewürdigt und bewertet werden. Oftmals 1687
Siehe Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 91. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 66, es fehlt an der Polarität der Interessen. 1689 Ein solcher kann im Übrigen auch für die Allgemeininteressen notwendig sein. 1690 Das gilt wiederum aber auch für Beziehungen, die nicht auf Dritte „ausstrahlen“. 1691 Und dort u. a. der Lastwirkungen. 1692 BGH NJW 2019, 676, Rn. 11; BGH WM 2012, 458, 460; BGH NJW 2011, 630, 632; BGHZ 146, 298, 301; Neuner, AT des BGB, § 46, Rn. 21. 1693 Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 95, führt die Folgenerwägung im Kontext mit der Interessenabwägung auf; dort auch die weiteren Hinweise auf Haberstumpf, Die Formel vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden in der Rechtsprechung, S. 115 ff.; Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, S. 53 ff., 90 ff., 108 ff. 1694 MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 45. 1688
D. Drittinteressen
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wird erst das Zusammenspiel der jeweiligen Einzelumstände zur Sittenwidrigkeit führen.1695 Dieses Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren, in unterschiedlicher Ausprägung ist ein Umgehen mit beweglichen Elementen.1696 Hier ist ein Operieren im Sinne eines flexiblen Systems angezeigt und erforderlich.1697 (bbb) Einflüsse eines subjektiven Tatbestands Die Prognose für den gestaltenden Anwalt ist innerhalb eines flexiblen Systems des § 138 Abs. 1 BGB nicht einfach, auch wenn er ggf. „steuernd“ eingreifen kann. Zum einen müssen die Faktoren, die überhaupt in das System im Einzelfall hineinspielen, (richtig) erkannt werden. Zum anderen ist die Prognose auf ihre Gewichtung hin trotz allem mitunter schwierig. Hinzu kommt die notwendige Berücksichtigung eines (etwaigen) subjektiven Tatbestands des § 138 Abs. 1 BGB. Zwar ist keine Schädigungsabsicht oder das Bewusstsein einer sittenwidrigen Handlung erforderlich.1698 Liegt allerdings ein Vertrag vor, der dem Urteil der Sittenwidrigkeit erst nach einer Gesamtwürdigung unterfällt, wird die Kenntnis um die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände gefordert.1699 Beim relevanten Sittenverstoß gegen Dritte oder die Allgemeinheit muss dies zudem bei jedem Beteiligten, also bei beiden Vertragspartnern der Fall sein.1700 Der Anwalt kann auf dem Weg zum Vertragsschluss1701 bei sorgfältiger Interessenaufarbeitung in Bezug auf seinen Mandanten zwar vielfach dessen Kenntnisse um relevante Umstände beurteilen. Ob der potentielle Vertragspartner entsprechende Kenntnisse insbesondere um die Zwecke und Motive des Mandanten hat, wird sich jedoch nicht immer klären lassen. Eine Aufdeckung der Mandanteninteressen ist mitunter von diesem nicht gewünscht.
1695
PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 27. BGH WM 2012, 458, 460. 1697 Auf ein „bewegliches“ System zurückgreifend, allerdings im Kontext mit der Betrachtung eines erheblichen strukturellen Ungleichgewichts, Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 99. Siehe auch NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 100. Nach Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 210 (unter Bezugnahme auf Wilburg), meint ein flexibles System ein flexibles wiewohl eingegrenztes System. Vorhanden sei eine begrenzte Zahl von (Wertungs-)Elementen, die eine Kontrolle „elastisch und gleichzeitig berechenbar macht“. Über ein solch flexibles System solle möglich gemacht werden, aktuelle Entwicklungen aufzufangen; die vom System erzeugten Ergebnisse müssten rational überprüfbar sein. 1698 BGHZ 146, 298, 301; BGH NJW 1993, 1587, 1588. 1699 Bzw. ein bewusstes Verschließen der Kenntnis. Siehe u. a. BAG NJW 2011, 630, 632; BGH NJW 2005, 1490, 1491; dazu u. a. auch MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 255; PWW/ Ahrens, BGB, § 138, Rn. 34. 1700 BGH NJW 2005, 1490, 1491; NJW 1990, 567, 568; Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 152 m. w. N. (alle am Rechtsgeschäft Beteiligte). 1701 Zur Vornahme des Rechtsgeschäfts als maßgeblichen Zeitpunkt BAG NJW 2011, 630, 632; BGH NJW 2002, 429, 431. 1696
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Da es um eine etwaige Motivation geht, die zur Sittenwidrigkeit mit beiträgt, kann die Intention des Anwalts zwar darin bestehen, diese „geheim“ zu halten, um die Rechtswirksamkeit des Vertrags herbeizuführen. Damit ist aber nicht gewährleistet, dass die andere Vertragspartei nicht doch um die Motive weiß. Die Prognose bleibt dann, auch angesichts möglicher richterlicher Kontrolle, unsicher.1702 Für den Anwalt tritt zudem wieder ein anderer Aspekt in den Vordergrund. Kennt er die Motive seines Mandanten, die innerhalb eines flexiblen Systems dazu beitragen, den Vertrag mit einem Sittenwidrigkeitsurteil zu belegen, stellt sich für den Anwalt, nach entsprechender Aufklärung des Mandanten, erneut die grundlegende Frage, ob er, so der Mandant es wünscht, noch weiter an der Vertragsgestaltung mitwirken soll. Zwar kann u. U. „verhindert“ werden, dass der Vertrag mangels beiderseitigen Erfüllens des subjektiven Tatbestands nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Der Anwalt als (gleichzeitiges) Organ der Rechtspflege muss dann aber für sich die Entscheidung treffen, ob er gleichwohl unterstützend tätig wird. Denn das Erfordernis des auf beiden Seiten vorliegenden subjektiven Tatbestands ist letztlich ein Schutzmechanismus zugunsten der Vertragspartei, die nicht um die negativ zu berücksichtigenden Motive der anderen Seite weiß. Im Gesamtgefüge bleibt der Vertrag aber, jedenfalls in Bezug auf die Partei mit entsprechender Motivationslage, ein Instrument, um das Institut des Vertrags zu missbrauchen. Die Entscheidung, ob er daran mitwirkt, muss der Anwalt vor seinem Berufsethos verantworten. Angesichts dessen, wie aber auch zur Gestaltung gerade eines wirksamen Vertrags, muss die Aufgabe des Anwalts bezüglich der Berücksichtigung von Motivation und Zweck innerhalb eines flexiblen Systems bei § 138 Abs. 1 BGB vielmehr darin gesehen werden, positiv darzutun und aufzudecken, dass die entsprechenden Elemente nicht zur Sittenwidrigkeit beitragen.1703 Das kann wiederum durch die Formulierung einer entsprechenden Präambel geschehen. Für die relevanten Überlegungen muss der Anwalt notwendigerweise in gleichsam abstufender Weise berücksichtigen, wie viel Spielraum ihm das flexible System lässt, bzw. wann es als solches überhaupt erst zum Tragen kommt. (dd) Abstufungen gestalterischer Möglichkeiten zur Vermeidung des Eingreifens von § 138 Abs. 1 BGB bei Berührung von Dritt- oder Allgemeininteressen (aaa) Sittenwidrigkeit aufgrund des Inhalts des Rechtsgeschäfts Geringe bzw. keine gestalterischen Möglichkeiten, das Eingreifen des § 138 Abs. 1 BGB abzuwenden, hat der Anwalt, wenn die Sittenwidrigkeit bereits (allein) aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts folgt. Bedarf es zur Umsetzung des Mandanteninteresses eines bestimmten Vertragsinhalts, der Dritt- bzw. Allgemeininteressen 1702 Weiß der Mandant um die unlautere Motivation des anderen Vertragspartners und legt diese dem Anwalt offen, muss die Auskunft, wenn damit insgesamt die Voraussetzungen für § 138 Abs. 1 BGB gegeben sein sollten, ohnehin dahingehen, dass ein wirksamer Vertragsabschluss nicht möglich ist. 1703 Selbstverständlich nur, wenn Motivation und Zweck dies zulassen.
D. Drittinteressen
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tangiert, so ist dann nur zu einer Abstandnahme vom Vertrag zu raten, wenn sich schon aufgrund dieses Drittbezugs die Sittenwidrigkeit ergibt. Prognostisch ist eine solche Situation für den Anwalt „sicherer“ einschätzbar, wenn bereits Fallgruppen1704 entwickelt worden sind. Diese finden sich bei der Verletzung von Dritt- oder Allgemeininteressen in unterschiedlicher Form. Beispiele sind die Belastung Dritter mit Verbindlichkeiten etwa in Folge eines Unterhaltsverzichts1705 oder die Verleitung zum Vertragsbruch1706. Weitere Beispiele, wobei problematisch ist, ob bereits Fallgruppen oder „nur“ sonstige Präjudizien vorliegen, sind die Vereinbarung eines Bietungsabkommens1707 oder Schmiergeldversprechen, um eine künftige Bevorzugung gegenüber einem Konkurrenten zu erreichen1708. Liegen keine Fallgruppen vor, muss der Anwalt anhand der zuvor aufgezeigten Kriterien eine Prognose anstellen. Zur Orientierung müssen dann u. a. die Maßstäbe für die Sittenwidrigkeit dienen. Diese sind grundsätzlich hoch anzusetzen. Zwar kann die Schwelle bei der Betroffenheit von Dritt- oder Allgemeininteressen niedriger liegen.1709 Die Vertragsfreiheit und mit ihr die Inhaltsfreiheit als überragendes Gut1710 rechtfertigen auch nicht jedwede Beeinträchtigung von Drittinteressen. Allerdings kann und darf nicht jede Berührung selbiger § 138 Abs. 1 BGB als mögliche Konsequenz nach sich ziehen. Das gilt insbesondere bei den so genannten Lastwirkungen durch Einschränkung der Abschluss- und Inhaltschancen beim Dritten. Erneut ist auf die Ubiquität von Drittwirkungen zu verweisen, die auf der sozialen Verortung der Verträge und nicht zuletzt auf der freien Wirtschaftsordnung beruht. Die (notwendige) Erheblichkeit wird mittels verschiedener Beispiele deutlich. Diese sind vielfach gekennzeichnet durch eine besondere (faktische) „Folgenqualität“, die dem Vertrag zu Lasten Dritter gleicht (Unterhaltsverzicht), oder durch das Vorliegen fast „kollusiver Elemente“1711 (Bietabkommen, Schmiergeldvereinbarung).1712 Bei den entsprechenden Indikatoren kann also eine Prognose mit einem überschaubaren Risiko möglich sein. 1704 Dazu wiederum grundsätzlich aus methodischer Sicht in Teil 5 [D. III. 2. cc), S. 938 ff.] der Arbeit. 1705 BGH NJW 2007, 904 ff. 1706 BGH NJW 2005, 1192, 1193 f.; Paulus, JuS 1995, 185, 190 f.; dazu auch etwa Vieweg/ Lorz, Sachenrecht, § 11, Rn. 19 m. w. N. 1707 OLG Koblenz NJW-RR 2002, 1504 f.; OLG Köln NJW 1978, 47 f. 1708 BGH NJW 1989, 26, 26. 1709 Siehe erneut Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 91 (bzgl. der Allgemeininteressen). 1710 Siehe /Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 92 f., der (mit Blick auf Allgemeininteressen) die Überschreitung einer gewissen Erheblichkeitsschwelle fordert. 1711 Zur Einschlägigkeit des § 138 Abs. 1 BGB bei Rechtsgeschäften, die auf eine Schädigung Dritter abzielen HK-BGB/Dörner, § 138, Rn. 13. 1712 Diese Beispiele sind keinesfalls abschließend, geben aber einen gewissen Aufschluss über die Qualität eines Sittenverstoßes.
346
1. Teil: Vertrag und Interessen
Schwieriger, und die Diskussion um den § 138 Abs. 1 BGB als Mittel zur Lösung der Drittproblematik weiter vertiefend, wird es, wenn zwar ein Sittenverstoß letztlich bejaht wird, die zugrundeliegende Situation im eigentlichen Sinn aber „nur“ eine Klärung von Risikoverteilungen beinhaltet. Dies kann etwa bei Beurteilungen von Gläubigergefährdungen innerhalb der Kreditsicherung der Fall sein.1713 (bbb) Umsetzung der Interessen partiell möglich Auch wenn aus der Umsetzung der Mandanteninteressen eine, ggf. typisierte, Sittenwidrigkeit aufgrund des Inhalts des Vertrags folgt, muss damit nicht notwendigerweise die Aufgabe der Interessen in ihrer Gänze verbunden sein. Mitunter kann durch eine Zurückstellung der Interessen des Mandanten in bestimmten Bereichen die Sittenwidrigkeit vermieden werden. Ein Beispiel dafür resultiert aus dem Bereich der Täuschung Dritter beim Zusammentreffen von Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt. Dort lässt sich ein Geschäftstreibender als Darlehensnehmer von seiner Bank einen Kredit/Kredite geben, zu deren Sicherheit er seiner Bank gegenüber eine Globalzession erklärt, das heißt, er tritt der Bank alle Forderungen, die ihm im Rahmen seines Geschäftsbetriebs zustehen (werden), ab (§ 398 BGB). Im Anschluss erwirbt der Geschäftstreibende Waren unter (verlängertem) Eigentumsvorbehalt von einem Warenkreditgeber. Der Eigentumsvorbehalt enthält gerade auch die Vereinbarung, dass der Geschäftstreibende dem Warenkreditgeber die Forderungen gegen seine Abnehmer im Voraus zur Sicherheit abtritt. Obwohl die Globalzession nach dem Prioritätsprinzip wirksam sein könnte, wird ihr eine solche Wirksamkeit nach § 138 Abs. 1 BGB versagt. Grund für die Sittenwidrigkeit ist die Gläubigertäuschung bzw. -gefährdung.1714 Die Bank „verleitet“ den Geschäftstreibenden gleichsam zum Vertragsbruch. Es besteht die Gefahr, dass der Geschäftstreibende als Vorbehaltskäufer den Vorbehaltsverkäufer (Warenkreditgeber) über die Wirksamkeit der Abtretung täuscht. Der Geschäftstreibende, der in seiner Branche Waren nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt erwerben kann, wird zum Vertragsbruch im Hinblick auf künftige Warenlieferanten „gezwungen“.1715 Der Geldkreditgeber (Bank) weiß oder hätte wissen müssen, dass sein Kreditnehmer Waren nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt erhält.1716 Um der Globalzession das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu nehmen, muss die Bank einer dinglichen Teilverzichtsklausel zustimmen, das heißt, eine Vereinbarung 1713
Dazu NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 113 ff. Zur Vertragsbruchtheorie siehe u. a. BGH NJW 2005, 1192, 1193 f. unter Verweis auf BGHZ 55, 34, 36; BGHZ 98, 303, 315; Paulus, JuS 1995, 185, 190 f.; Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 11, Rn. 19 m. w. N. 1715 BGHZ 98, 303, 314 f. 1716 Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherungsrecht, Rn. 953; die Kenntnis der Parteien wird bei Branchenüblichkeit einer Lieferung unter Eigentumsvorbehalt vermutet, siehe BGHZ 98, 303, 315; HK-BGB/Schulte-Nölke, § 929, Rn. 43. Dazu, dass eine Globalzession ohne dingliche Teilverzichtsklausel nicht sittenwidrig ist, wenn ein verlängerter Eigentumsvorbehalt in der betreffenden Wirtschaftsbranche unüblich ist, BGH NJW 1999, 940, 940 m. w. N. 1714
D. Drittinteressen
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treffen, nach der sich die Globalzession nur auf die Forderungen erstreckt, die nicht schon Gegenstand eines verlängerten Eigentumsvorbehalts sind.1717 Sofern die Interessen der Bank wahrgenommen werden, können diese, falls sie sich darauf beziehen, in jedem Fall vom Darlehensnehmer dessen sämtliche Forderungen aus dem Geschäftsbetrieb im Wege der Globalzession zu erhalten, wegen § 138 Abs. 1 BGB nicht umgesetzt werden. Die Interessen können jedoch so weit realisiert werden, als es darum geht, über eine Zession eine größtmögliche, rechtlich wirksame Sicherheit zu erlangen.1718 Gestalterisch kann also in bestimmten Konstellationen, in denen die Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB drohen kann, gezielt reagiert werden. Letztlich hat hier eine Interessenabwägung zwischen den eigenen (Sicherungs-)Interessen und den Interessen des Warenkreditgebers stattgefunden. Was die gestalterische Planung und Prognose im Beispielsfall „einfacher“ macht, ist zum einen das Vorhandensein einer, auch in der Rechtsprechung, typisierten Fallgruppe.1719 Zum anderen kann innerhalb dieser Fallgruppe mit einer präzisen Vertragsklausel, nämlich der dinglichen Teilverzichtsklausel, gearbeitet werden, um die Sittenwidrigkeit zu vermeiden. (ccc) Sonstige gestalterische Einbindung von Drittinteressen Die vorstehenden wie auch die sonstigen Ausführungen innerhalb dieses Abschnitts haben in unterschiedlicher Weise verdeutlicht, wie schwierig eine Prognose und gestalterische Vorsorge sein können, wenn man der potentiellen Gefahr des § 138 Abs. 1 BGB, die aus der Berührung von Drittinteressen herrühren kann, begegnen will. Letztlich ist eine sichere Prognose nicht möglich, insbesondere wenn (allein) der Inhalt des Vertrags keine Sittenwidrigkeit nahelegt, sondern es zu einem Abwägungsvorgang kommen muss. Es bleibt dann nur der Weg, durch bestimmte Faktoren auf die ggf. vom Richter vorzunehmende Beurteilung, ob § 138 Abs. 1 BGB eingreift, Einfluss zu nehmen. Eine solche Einflussnahme ist nicht in Bezug auf die relevanten Beurteilungsmaßstäbe, wie z. B. die grundgesetzlichen Wertungen, möglich. Sie kann (nur) über 1717
Zur Beseitigung der Sittenwidrigkeit aufgrund einer dinglichen Teilverzichtsklausel u. a. BGH NJW 1999, 940, 940; Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 11, Rn. 20 m. w. N. Eine schuldrechtliche Teilverzichtsklausel, nach der die Bank sich nur schuldrechtlich verpflichtet, dem Vorbehaltsverkäufer (Warenlieferanten) gegenüber auf die Globalzession zu verzichten oder ihm den Erlös herauszugeben, wenn ihr nachgewiesen wird, dass die globalzedierte Forderung dem Vorbehaltsverkäufer aufgrund eines verlängerten Eigentumsvorbehalts zusteht (so zum Klauselinhalt Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, Rn. 954), reicht nicht aus, um die Sittenwidrigkeit auszuräumen, Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 11, Rn. 20 m. w. N. 1718 Dabei muss im Einzelfall natürlich abgewogen, wie wirtschaftlich werthaltig die verbleibende Sicherheit (noch) ist. 1719 Diese Reaktion war aufgrund der Fallgruppenqualität für dieses Beispiel möglich. Wäre das nicht gegeben, wäre das gestalterische Umgehen mit der Situation im Sinne eines Interessenerhalts wesentlich schwieriger. Das läge nicht zuletzt daran, dass gerade die Begründung der Sittenwidrigkeit auf einer Risikoabwägung beruht (siehe dazu nochmals NKBGB/Looschelders, § 138, Rn. 115) und vielfach nicht auf „verwerflichen“ Umständen.
348
1. Teil: Vertrag und Interessen
die Schaffung bestimmter faktischer oder rechtlicher Elemente geschehen, die der Richter in dem bei § 138 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägungsprozess einstellen muss, will er nicht schon aufgrund einer Unterlassung dieser Einstellung rechtsfehlerhaft handeln. Geht es um Konstellationen, in denen nicht schon der Inhalt des Vertrags zur Sittenwidrigkeit führt, kann die Einflussnahme auf den Abwägungsprozess, der sich auf Inhalt, Zweck und Motiv des Vertrags bezieht, zum einen durch die Aufdeckung der entsprechenden Zwecke und Motive der Vertragsparteien, z. B. in einer Präambel, geschehen. Auf die Art und Weise kann zwar nicht ein Drittbezug eliminiert werden, jedoch das Verhältnis von Drittbezug und Vertrag verdeutlicht werden. Gerade weil nicht jede Drittberührung eines Vertrags für eine Inhaltskontrolle und erst recht nicht für eine Sittenwidrigkeit ausreichen kann,1720 kann die Offenlegung insbesondere von Zweck und Motivation ein Indiz innerhalb der Abwägung dafür bilden, dass der Vertrag der Parteien sich nur (oder noch) in dem Bereich bewegt, in dem ein Drittbezug unvermeidbar ist.1721 Beispiel: V vertreibt bestimmte Maschinen und schließt mit K einen über fünf Jahre laufenden Vertrag, nach dem K jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Maschinen zu einem Festpreis erhält. K kann und will die Maschinen selbst weiterveräußern. Außerdem wird in dem Vertrag vereinbart, dass K während der Laufzeit des Vertrags die Maschinen nicht an Abnehmer in einem bestimmten räumlichen Umfeld veräußern darf. Als Zweck wird im Vertrag offengelegt, dass V auf weitere Kunden aus dem Umfeld angewiesen ist und nur so sichergestellt werden kann, dass K die Maschinen zu dem fixierten Festpreis erhalten kann.1722 Die Vereinbarung zwischen K und V führt dazu, Dritte von Verträgen mit K auszuschließen, um V eine Konkurrenz zu ersparen, ein Verhalten, das sich grundsätzlich auch an § 138 Abs. 1 BGB1723 messen lassen muss.1724 Jedoch ist in den Abwägungsprozess der Zweck einzustellen, dass V ohne diese Vereinbarung K nicht zu bestimmten Preisen beliefern 1720
Vgl. Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 171. Bei bestimmten Verträgen wird für diese Schlussfolgerung allerdings schon vom Regelungsgegenstand her eine Vermutung sprechen, auch wenn Motive und Vertragszweck nicht ausdrücklich offengelegt worden sind. Das gilt z. B. für Austauschverträge des täglichen Lebens. Die Waren stehen Dritten dann zwar nicht mehr zur Verfügung. Das ist jedoch die übliche Auswirkung jeden Austauschvertrags, dessen Existenz die Wirtschaftsordnung voraussetzt. 1722 Vgl. auch zu Konkurrentenklauseln OLG München NJW-RR 1995, 1191 ff., Renner, DB 2002, 1143 ff. 1723 Siehe etwa OLG München NJW-RR 1995, 1191, 1191 f. 1724 Ein Verstoß gegen § 1 GWB mit der Rechtsfolge aus § 134 BGB liegt nicht vor. Eine wettbewerbsbeschränkende Nebenabrede in einem an sich kartellrechtsneutralen Austauschvertrag unterfällt dann nicht dem genannten Kartellverbot, wenn sie zur Umsetzung des Vertrages objektiv erforderlich ist und zu ihr in einem angemessenen Verhältnis steht, so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. November 2013 – VI-Kart 5/09 (V) –, juris, Rn. 70, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 11. 7. 1996 i. d. Rs. T-528/93, T-542/93, T-543/93 und T-546/93 – Metropole télèvision SA und Reti Televise Italiane SpA und Gestevisíon Telecinco SA und Antena 3 de Televisíon/Kommission, Slg. 1996 II – 649 Rdnr. 107 ff. 1721
D. Drittinteressen
349
könnte. Abgesehen von seiner etwaigen existenziellen Gefährdung stünden dem Dritten Waren seitens des K auch nicht zur Verfügung, wenn V aufgrund der Unwirksamkeit des Vertrags K nicht beliefern würde. Die Drittinteressen werden somit nicht in sittenwidriger Art und Weise beeinträchtigt.1725
Eine andere Möglichkeit, Drittinteressen zu begegnen, ist die aktive Einbindung des Dritten in das Vertragsgeschehen, ohne ihn allerdings zum Vertragspartner zu machen und damit die Eigenschaft eines „Dritten“ zu nehmen. Denn ein Kritikpunkt1726 entzündete sich daran, dass mangels Polarität der Interessen diejenigen des Dritten nicht in angemessener Weise im Vertragsgeschehen Berücksichtigung finden. Nun kann bereits fraglich sein, ob durch das bloße Einbinden des Dritten in das Vertragsgeschehen, z. B. durch Teilnahme an den Vertragsverhandlungen, diese fehlende Polarität aufgehoben wird, vor allem wenn der Dritte gar nicht Vertragspartner werden soll. Wesentlich bedeutsamer ist jedoch der Umstand, dass die Vertragsparteien oftmals kein Interesse haben, den Dritten in der beschriebenen Weise einzubinden. Denn damit ist die Weitergabe bestimmter Informationen verbunden, die u. U. gerade vermieden werden soll. Im Beispiel des Zusammentreffens von Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt hat der Vorbehaltskäufer kein Interesse, seine finanzielle Situation offenzulegen. Dieser Weg ist praktisch also nur sehr eingeschränkt gangbar. Der Kontakt zu Dritten wird in der Regel dann gesucht werden, wenn die Parteien aus eigenem Interesse wünschen, von den Interessen gerade des Dritten Kenntnis zu erlangen, z. B. um ein gedeihliches Zusammenleben innerhalb einer Nachbarschaft sicher zu stellen. (ee) Zwischenfazit § 138 Abs. 1 BGB ist als externe Schranke bezüglich der zu berücksichtigen Drittinteressen vorhanden und als solche in die anwaltlichen Überlegungen einzustellen. Die Schwelle, wann Sittenwidrigkeit zu bejahen ist, ist hoch anzusetzen, allerdings beim Tangieren von Dritt- oder Allgemeininteressen mitunter niedriger als in sonstigen Fällen. Gestalterisch kann mit § 138 Abs. 1 BGB jenseits von Fallgruppen prognostisch nur mit einem verbleibenden Restrisiko bezüglich der möglichen Beurteilung durch den Richter umgegangen werden. Vorsorge kann in erster Linie dadurch getroffen werden, Faktoren in den Vertrag zu installieren, die der Richter innerhalb des vorzunehmenden Abwägungsprozesses zu berücksichtigen hat.
1725 Ebenso wenig liegt im Verhältnis von K und V eine Sittenwidrigkeit vor, da für die Begrenzung des Absatzmarktes ebenfalls ein berechtigtes Interesse des V besteht, zudem der Zeitraum der Begrenzung angemessen ist; vgl. dazu OLG München NJW-RR 1995, 1191, 1192. 1726 Vgl. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 66 m. w. N.
350
1. Teil: Vertrag und Interessen
(c) Inhaltliche Kontrolle aufgrund von § 242 BGB wegen eines Drittbezugs1727 (aa) Notwendigkeit eines Rückgriffs auf § 242 BGB? Den „Mängeln“, die sich in Bezug auf die Bewältigung der Problematik um den Drittbezug von Verträgen mit Hilfe des § 138 Abs. 1 BGB zeigten, insbesondere das „Alles oder nichts“-Prinzip hinsichtlich der Rechtsfolge sowie die mitunter als unbefriedigend empfundene (hohe) Schwelle für die Bejahung der Sittenwidrigkeit, sucht man teilweise durch eine Anwendung des § 242 BGB zu begegnen, wenn es um den Schutz Dritter vor nachteiligen Auswirkungen von Verträgen zwischen den Vertragsparteien geht. Anders als § 138 Abs. 1 BGB umfasst § 242 BGB „(…) die gesamte Palette der im Privatrecht bekannten Rechtsfolgen (…), zumal die Norm die Rechtsentwicklung an sich nicht in einer bestimmten Weise einschränkt.“1728 Typische Rechtsfolgen können die Begründung und Konkretisierung von Pflichten, die Beschränkung oder Gewährung von Rechten sowie materielle Schranken der Privatautonomie sein.1729 Damit ist eine entsprechende Flexibilität verbunden, der der § 138 Abs. 1 BGB grundsätzlich auf der Rechtsfolgenseite nicht zugänglich war. Auf der tatbestandlichen Seite zeigt sich der Unterschied zu § 138 Abs. 1 BGB u. a. in der Zugrundelegung eines anderen Standards.1730 „Während der Standard der guten Sitten nur die Einhaltung eines ,sozialethischen Minimums‘ (…) gebietet, umschreiben die Gebote von Treu und Glauben aber ,gesteigerte sozialethische Anforderungen‘.“1731 Mit diesen gesteigerten sozialethischen Anforderungen geht dann notwendigerweise einher, die Schwelle, wann ein Verstoß zu bejahen ist, niedriger anzusiedeln als im Fall des § 138 Abs. 1 BGB. Dieser Umstand im Verbund mit den flexiblen Rechtsfolgen, die eben nicht notwendigerweise eine Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts beinhalten müssen, kann möglicherweise dazu führen, eine Kontrolle im Vorfeld des Verbots sittenwidriger Verträge1732 vornehmen zu können. Ob allerdings ein Eingreifen des § 242 BGB von seinen Voraussetzungen her überhaupt gegeben sein kann und ob damit die Bewältigung der Problematik um den Umgang mit vertraglichen Regelungen, die Drittinteressen berühren, verbunden sein muss, wird sich noch zeigen. 1727 Ausgenommen von unserem Untersuchungsgegenstand ist die Problematik, wenn es zu einer Belastung durch allgemeine Geschäftsbedingungen kommt. 1728 MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 162. 1729 So MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 163 ff. Ausführlich zu materiellen Schranken der Privatautonomie über die Generalklauseln unter dem Gesichtspunkt der Paritätsproblematik wiederum in Teil 5 [D. III. 2. a) ee), S. 946 ff.]. 1730 NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 17. 1731 NK-BGB/Looschelders, § 138, Rn. 17 m. w. N.; Hervorhebung im Original. 1732 Diesen Aspekt für die Kontrolle von Lastwirkungen anführend, allerdings nicht in einer Auseinandersetzung mit § 242 BGB, Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 75.
D. Drittinteressen
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(bb) Rechtsfortbildung innerhalb des § 242 BGB Trotz der „Vorzüge“, die aus den unter Punkt (aa), dargestellten Argumenten folgen können, bedarf es auch bezüglich des § 242 BGB zunächst der Bestimmung der dogmatischen Anknüpfung für die Lösung des Konflikts zwischen der Gewährung der Gestaltungsfreiheit der Parteien einerseits und Wahrung der Drittinteressen andererseits. Erforderlich ist insoweit wieder eine Rechtfertigung einer (richterlichen) Inhaltskontrolle für Individualverträge. Grundlage für eine Kontrolle kann der § 242 BGB selbst sein, der eine normative Ausprägung des Rechtsprinzips von Treu und Glauben darstellt.1733 Denkbar ist auch eine Begründung auf dem allgemeinen Rechtsprinzip von Treu und Glauben.1734 Am Maßstab des § 242 BGB wird mitunter eine so genannte „erweiterte Inhaltskontrolle“ auch an Individualverträgen vorgenommen.1735 Diese wird im Besonderen in Fällen erwogen, in denen zwischen den Parteien ein strukturelles Ungleichgewicht in der Verhandlungsstärke besteht, das zum Versagen der Richtigkeitsgewähr des Vertrags führt.1736 Denkbare Vertragsbereiche sind u. a. das Familien-1737 und Gesellschaftsrecht sowie Betriebsvereinbarungen,1738 aber grundsätzlich ebenso andere Individualverträge. Weiterhin eröffnet § 242 BGB die Überprüfung auch dahingehend, ob eine missbilligte1739 oder jedenfalls eine unzulässige Rechtsausübung1740 vorliegt. Die 1733 Hohagen, FS für Schricker, 353, 363, zur Kontrolle auf der Grundlage von § 242 BGB. Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 250, worauf u. a. Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 175, Fn. 55, verweist, lässt die Frage, ob § 242 BGB selbst oder das allgemeine, in § 242 BGB zum Ausdruck kommende Prinzip von Treu und Glauben Grundlage einer Inhaltskontrolle sei, offen. Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 66, unterscheidet ausdrücklich zwischen § 242 BGB als Rechtsnorm und dem in § 242 BGB verkörperten Prinzip von Treu und Glauben. Treu und Glauben als Rechtsprinzip seien denkbar weit und keineswegs auf die systematische Stellung und Funktion des § 242 BGB beschränkt, so Fastrich, S. 67. Fastrich, S. 70 ff., lehnt eine Inhaltskontrolle gestützt auf § 242 BGB ab, befürwortet eine solche aber aufgrund des Prinzips von Treu und Glauben, siehe dazu ebenso noch die nachfolgende Fußnote. Zur Möglichkeit einer Inhaltskontrolle über § 242 BGB u. a. BGHZ 158, 81, 93 (Inhaltskontrolle bei Eheverträgen), der letztlich auf § 242 BGB eine Ausübungskontrolle stützt, S. 100 f.; 106 f., mit der aber auch eine inhaltliche Kontrolle verbunden ist. Auswirkungen wird die Wahl des dogmatischen Ansatzes sogleich im Kontext mit der Forderung nach dem Bestehen eines Schuldverhältnisses bzw. einer Sonderverbindung haben. 1734 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 175 (zur Inhaltskontrolle); ebenso, worauf Stütze, Fn. 55, auch verweist, Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 16. 1735 Zur erweiterten Inhaltskontrolle etwa Staudinger/Looschelders/Olzen (2019), § 242, Rn. 463, unter Hinweis u. a. auf Becker, Der unfaire Vertrag, S. 11; siehe auch Hohagen, FS für Schricker, 353, 363. 1736 So MK-BGB/Schubert, 8. Aufl., § 242, Rn. 534. 1737 Siehe wiederum u. a. BGHZ 158, 81 ff. 1738 Siehe MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 643 ff. 1739 Dazu u. a. MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 262 ff.; PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 31 ff.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
missbilligte oder unzulässige Rechtsausübung hat u. a. als Ausübungskontrolle Auswirkungen auf die mit ihr einhergehenden Rechtsfolgen bei einer Anwendung von § 242 BGB.1741 Abgesehen davon, dass dieser entsprechenden (konkreten) Rechtsfolgenbestimmung oftmals notwendigerweise (auch) eine inhaltliche Überprüfung des Vertrags vorgelagert ist, kann insbesondere die Klärung, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, eine inhaltliche Vertragskontrolle fordern. Verbindet man mit dem Rechtsmissbrauch den Gedanken, die treuwidrige Ausübung individueller Rechte1742 zu verhindern, bezieht sich dies zunächst auf subjektive Rechte.1743 Erfasst ist jedoch auch der institutionelle Rechtsmissbrauch.1744 Bezogen auf letzteren gilt es zu verhindern, dass die sich etwa aus einem Rechtsinstitut (scheinbar) ergebenden Rechtsfolgen zu einem mit Treu und Glauben unvereinbaren und einem nicht mehr hinzunehmenden Ergebnis führen würden.1745 Das Rechtsinstitut des „Vertrags“1746 als Mittel zur Selbstbestimmung, das vor allem durch die Vertragsfreiheit eröffnet wird, kann dann missbräuchlich sein, wenn es nicht mehr (nur) der Verwirklichung dieser Selbstbestimmung dient, sondern (auch) der Beeinträchtigung von Drittinteressen, also letztlich der Beschränkung Freiheitsräume Dritter zur (eigenen) Selbstverwirklichung.1747 In solchen Fällen kann ein objektiver Fehlgebrauch der Vertragsfreiheit vorliegen, der die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle eröffnen kann,1748 und zwar in Bezug auf jedwede Drittbeeinträchtigung, sei es eine Lastwirkung, sei es eine solche sonstiger Art1749. 1740 Dazu u. a. MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 220 ff.; PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 31 ff. 1741 Auch dazu etwa u. a. BGHZ 158, 81 ff. 1742 BeckOK-BGB/Sutchet, § 242, Rn. 51. Siehe auch MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 225; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 40. 1743 BeckOK-BGB/Sutchet, § 242, Rn. 51. 1744 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 40. Siehe auch BeckOK-BGB/Sutchet, § 242, Rn. 51; MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 226 ff. 1745 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 40; ebenfalls BeckOK-BGB/Sutchet, § 242, Rn. 51, unter Heranziehung von BGHZ 29, 6, 10; 48, 396, 398. Siehe zudem BAG NZA 2018, 358, Rn. 45. 1746 Zum Vertrag als Institut siehe u. a. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 ff. 1747 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 172, befürwortet eine der Sittenwidrigkeitskontrolle vorgelagerte Inhaltskontrolle, wenn es zu einem intensiven Hinübergreifen in die Autonomiesphäre von Dritten kommt. Das stehe im Widerspruch zum Gedanken der Selbstbestimmung. Dann würde der Systemgedanke der Vertragsfreiheit in einem abgrenzbaren Bereich versagen. 1748 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 172. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 86 f., auf den Stütze, a. a. O., Fn. 40, sich auch bezieht, führt die Lehre vom Institutsmissbrauch als Grundlage drittbeeinträchtigender Verträge an. Den Weg über § 242 BGB neben dem über §§ 134 und 138 BGB als eröffnet ansehend Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 136 ff. 1749 So Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 87. Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 171, sieht korrigierende Eingriffe eher bei echten Reflexwirkungen als gegeben an als bei sonstigen nachteiligen Einwirkungen auf Dritte.
D. Drittinteressen
353
(cc) Maßstab einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB Lässt man eine inhaltliche Vertragskontrolle auf der Grundlage von § 242 BGB zu, so bedarf es eines Maßstabs, anhand dessen diese Kontrolle vorgenommen werden kann bzw. nur darf. Trotz der flexibleren Reaktionsmöglichkeiten ist jedoch eine billige oder gar im Ergebnis willkürliche Inhaltskontrolle seitens des Richters nicht erlaubt.1750 Erneut ist auf die relevanten Abläufe zu verweisen. Während für die eigentlichen Vertragspartner der Vertragsmechanismus eingreift, der eine gegenseitige Interessenartikulation sowie (idealerweise) eine Einigung unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen ermöglichen kann, ist die Situation in Bezug auf Dritte eine andere. Der Dritte ist in der Regel weder in den Vertragsverhandlungsprozess noch in den Vertrag als solchen1751 einbezogen. Eine „Polarität der Interessen“1752 gibt es nicht, es liegt ein „(…) (f)ehlender Gleichauf zwischen Vertragspartner- und Drittinteressen“1753 vor. Andererseits, und auch das wurde mehrfach betont, ist die Berührung von Drittinteressen durch einen Vertrag nahezu die unausweichliche Konsequenz davon, dass der Vertrag zumeist Wirkungen nicht nur hinsichtlich der Vertragsparteien zeigt, sondern auch im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gesamtgefüge. „Die Gefahr von Drittbelastungen ist der Preis für die Anerkennung der Vertragsfreiheit und grundsätzlich als systemimmanent hinzunehmen.“1754 „Die Anerkennung der Vertragsfreiheit darf nicht dadurch konterkariert werden, dass jede Einwirkung auf Dritte als Anlass für staatliche Eingriffe genommen wird.“1755 Gerade in Bezug auf eine Kontrolle anhand von § 242 BGB ist dies zu berücksichtigen. Über die Lehre von der unzulässigen Rechtsausübung öffnet § 242 BGB den Weg, grundsätzlich jede atypische Interessenlage aufzugreifen.1756 Abgesehen davon, dass eine Drittberührung durch Verträge eher typisch als atypisch ist, muss für den Maßstab einer inhaltlichen Kontrolle vor allem die zuvor genannte Gefahr einer Aushöhlung der Vertragsfreiheit ernst genommen werden. Maßstab darf daher nicht eine unzulässige, sondern muss eine rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung sein. Der insoweit in Frage kommende Anknüpfungspunkt ist der oben bereits angeführte institutionelle Rechtsmissbrauch, der einen wesentlich engeren Anwendungsbereich als die „nur“ unzulässige Rechtsausübung aufweist.1757 Für die Frage, wann der Gebrauch des Instituts des Vertrags, die Ausübung der Vertragsfreiheit miss1750
Zu den Grenzen einer ausufernden Billigkeitsjustiz etwa MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 223. 1751 Dann wäre er im hier zugrunde gelegten Sinn auch kein Dritter mehr. 1752 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 66, mit Verweis, Fn. 72, auf Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 5 und Martens, AcP 177 (1977), 165. 1753 So eine Zwischenüberschrift bei Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 67. 1754 So Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 171. 1755 So Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 170 f. 1756 So MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 223. 1757 Zum engeren Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchs etwa MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 223.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
bräuchlich ist, muss, ebenso wie bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB, nicht zuletzt auf die durch das Grundgesetz vermittelten Maßstäbe zurückgegriffen werden. Denn wie bei § 138 Abs. 1 BGB muss auch innerhalb der Prüfung des § 242 BGB das Verhältnis von grundgesetzlich geschützter Selbstbestimmung der Vertragsparteien (Art. 2 Abs. 1 GG), die zu diesem Zweck sich der gewährleisteten Vertragsfreiheit bedienen, zu der ebenfalls grundgesetzlich geschützten Selbstbestimmung des Dritten und seiner Interessen gesehen werden. Wenn es zu einer (richterlichen) Inhaltskontrolle kommt, die nicht zuletzt im Verhältnis zu den Vertragsparteien einen Eingriffscharakter hat, müssen also erneut über eine Generalklausel die Grundrechte mittelbar zur Geltung gelangen.1758 Der Richter steht dann wiederum vor der Herausforderung, ein Problem praktischer Konkordanz hinsichtlich der involvierten grundgesetzlichen geschützten Interessensphären lösen zu müssen.1759 Ein Weg, dies zu leisten, kann in der Anlegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes1760 innerhalb einer vorzunehmenden Abwägung zwischen den Interessen der Vertragspartnern an der Regelung ihres Verhältnisses einerseits und dem Interesse des Dritten andererseits, seine Rechtslage nicht negativ von einem fremden Vertrag beeinflusst zu sehen,
1758
Zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (auch) über § 242 BGB u. a. Bork, AT des BGB, Rn. 1107; siehe zudem Neuner, AT des BGB, § 5, Rn. 13 f. Siehe ferner BVerfGE 89, 214, 229 (Bürgschaftsentscheidung), wo zum einen auf die Möglichkeit zur vertraglichen Inhaltskontrolle über § 242 BGB, zum anderen auf die Konkretisierung der Generalklausel am Maßstab der grundgesetzlichen Wertentscheidungen hingewiesen wird. Aus der Rechtsprechung siehe beispielhaft außerdem BGH NJW 2000, 1028, 1028. Kritisch zur Drittwirkung etwa BAGE 28, 176 ff. (Tz. 24). Relevant ist in Bezug auf Dritte gerade der Schutzpflichtcharakter, der Einfluss nehmen kann, Neuner, AT des BGB, § 5, Rn. 15; siehe auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 76 ff. Insoweit kann die Drittwirkung im Bereich des Vertragsrechts auch nicht mit dem Hinweis auf Verzichtbarkeit abgelehnt werden; zu diesem Argument Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 384. 1759 Das Problem praktischer Konkordanz stellt das BVerfG (E 89, 214, 232) für die Pflicht des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung heraus. Am Zivilrechtsverkehr nähmen gleichrangige Grundrechtsträger teil, die unterschiedliche Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgten. Da alle Beteiligten des Zivilrechtsverkehrs den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genössen und sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung ihrer Privatautonomie berufen könnten, dürfe nicht nur das Recht des Stärkeren gelten. Die kollidierenden Grundrechtspositionen seien in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam würden. Die Überlegungen lassen sich auch auf die Berührung von Drittinteressen durch einen Vertrag übertragen. Auch hier treffen unterschiedliche Interessenbereiche, die über das Recht zur Selbstbestimmung geschützt sind, aufeinander. Der Richter, der über eine Generalklausel tätig wird, muss wie der Gesetzgeber diesen Umstand berücksichtigen. Darauf hinweisend, dass es bei der Bewältigung der Problematik des Schutzes vor Verträgen, an denen Dritte nicht beteiligt sind, um eine Grundrechtskollision geht, Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 171, Fn. 35, der diese Überlegung aber nicht ausdrücklich in den Kontext mit § 242 BGB stellt. 1760 Seine Ableitung erfolgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, BVerfGE 76, 256, 359; 108, 129, 136; 111, 54, 82.
D. Drittinteressen
355
bestehen.1761 Eine Überprüfung hat dann die Gebote von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn einzustellen.1762 Vor allem die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn1763 hinsichtlich der zuvor genannten Interessensphären ist zwar einerseits flexibel in der Form, unterschiedlichste Interessen, auf diese bezogene Einflüsse und auch Folgenbetrachtungen anstellen zu können. Andererseits jedoch darf die Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinn nicht dazu führen, jedwede Verschiebung von Interessenlagen zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit zu nutzen. Letztlich muss es daher auch innerhalb dieser Abwägung zu einer Überschreitung einer bestimmten Schwelle kommen. Wo diese Schwelle anzusiedeln ist, muss nicht zuletzt (auch) daraus gefolgert werden, dass es um einen Institutsmissbrauch gehen muss. Damit zusammenhängend oder der Beantwortung der Frage gleichsam vorgelagert, ist allerdings die Auseinandersetzung um ein anderes Merkmal des § 242 BGB, der der Verbindung von Schuldner und Gläubiger, auf die § 242 BGB abstellt. (dd) Erfordernis einer Sonderbeziehung § 242 BGB verpflichtet den Schuldner, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Vom Wortlaut der Norm1764 ist es daher naheliegend, ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zu verlangen, aus dem Pflichten folgen, deren Inhalt durch § 242 BGB (mit) bestimmt wird.1765 Hinzu tritt die systematische Stellung der Norm innerhalb des zweiten Buchs des BGB.1766 Allerdings wird überwiegend der Anwendungsbereich des § 242 BGB nicht auf vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse1767 beschränkt. Erforderlich, aber 1761 Für diesen Weg Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 70 f. Habersack stellt diese Ausführungen jedoch nicht innerhalb einer Erörterung des § 242 BGB dar, sondern stützt sich letztlich auf die Lehre vom Institutsmissbrauch, S. 86 f. 1762 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 71. Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 171, Fn. 35, folgt Habersack zwar grundsätzlich, lehnt dessen Ausführungen jedoch insoweit ab, als dieser den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Inbegriff von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität versteht. Da es um eine Grundrechtskollision ginge, könne nur eine Abwägung im Sinne der Proportionalität in Betracht kommen, die nicht an eine Zweck-Mittel-Relation gebunden sei. Stütze verweist hierbei auf Jhering, JherJb 10 (1871), 245, 316. 1763 Auf die sich eben etwa Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 171, Fn. 35, ohnehin beschränken will. 1764 Dazu PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 8. 1765 Zur Konkretisierungsfunktion des § 242 BGB in Bezug auf die Haupt- und Nebenleistungspflichten des Schuldners etwa Looschelders, Schuldrecht AT, § 4, Rn. 16 f. 1766 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 5 (systematische Stellung); PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 9 (Wortlaut und systematische Stellung); siehe auch BGHZ 95, 274, 279 (Sonderverbindung); BFH NJW 1990, 1251, 1251 (Erfordernis eines Rechtsverhältnisses); offen demgegenüber BGHZ 102, 95, 102; kritisch gegenüber der „Sonderbeziehung“ etwa Erman/Böttcher, BGB, § 242, Rn. 15 m. w. N. 1767 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 5.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
auch ausreichend, soll eine rechtliche Sonderverbindung sein,1768 wobei ein weites Verständnis1769 zugrunde gelegt wird.1770 So sollen beispielsweise jeder qualifizierte soziale Kontakt1771 oder die durch einen Wettbewerbsverstoß entstandene Rechtsbeziehung1772 ausreichen. Bezogen auf eine inhaltliche Kontrolle von Verträgen vor dem Hintergrund, dass durch sie Drittinteressen berührt werden, muss die Sonderbeziehung zwischen dem Dritten und (mindestens) einem Vertragspartner bestehen.1773 Das wird sich anhand der zuletzt aufgeführten Beispiele vielfach leicht „konstruieren“ lassen. Weil ein Vertrag im sozialen Kontext wirkt, lässt daran anschließend oftmals ein sozialer Kontakt mit Einwirkungsmöglichkeiten begründen. Lediglich mit der Forderung nach einer „Qualifikation“ der Sonderbeziehung ließe sich eine Eingrenzung vornehmen. Da jedoch auch aus Wettbewerbsverstößen die Sonderbeziehung resultieren kann, der dahinterstehende Gedanke aber nicht auf Verstöße z. B. gegen das GWB beschränkt sein muss, sondern ebenfalls für eine unbotmäßige Begrenzung von Abschluss- und Inhaltsmöglichkeiten des Dritten nutzbar gemacht werden kann, ist ebenfalls damit argumentativ eine Brücke zur „Sonderverbindung“ gerade bei vertraglichen Drittwirkungen geschlagen. Selbst wenn man diese Ansätze nicht für eine Sonderbeziehung genügen ließe, gibt es weitere Argumentationsstränge, die den Weg zur Anwendung von § 242 BGB oder jedenfalls zum Rechtsgedanken von Treu und Glauben öffnen sollen. Solche Gedankengänge betreffen insoweit die Berufung auf das Rechtsprinzip von Treu und 1768 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 5 m. w. N.; PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 9 m. w. N.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 67; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 199. Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 34, fordert für eine Sonderverbindung eine besondere Verhaltensordnung, die aus der gesteigerten Verantwortlichkeit bei Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr erwächst. Rein deliktische Verhältnisse sind damit ausgenommen, so Sandmann, Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, S. 159. A. A. bezüglich gesetzlicher Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung etwa BGHZ 95, 274, 279. 1769 RGZ 160, 349, 357, spricht von „irgendwelchen Rechtsbeziehungen“; siehe auch BFH NJW 1990, 1251, 1251 (Erfordernis eines Rechtsverhältnisses). 1770 Ausreichend soll jede Verbindung sein, die auf Leistung oder Unterlassung gerichtet ist bzw. besondere Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter eröffnet, so die Darstellung des Ansatzes bei Staudinger/Looschelders/Olzen (2019), BGB, § 242, Rn. 127. Siehe auch wiederum Erman/Böttcher, BGB, § 242, Rn. 15 m. w. N., wonach es genüge, dass eine Anspruchs- oder Rechtsbeziehung, unerheblich auf welcher Grundlage, zur Entstehung komme und zur Heranziehung von § 242 BGB Anlass gebe. Böttcher lehnt es jedoch ab, hier von „Sonderbeziehung“ zu sprechen. 1771 MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 122. Darauf auch verweisend Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 5. 1772 BGH NJW 1990, 1905, 1905 f. 1773 Eine rechtliche Beziehung zwischen dem Dritten und einer Vertragspartei verlangt auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 56, beim Bejahen einer etwaigen Lastwirkung. Nicht zuletzt sucht Habersack, S. 36 ff., eine Problembewältigung über die Kontrolle des Institutsmissbrauchs, ohne allerdings auf § 242 BGB abzustellen.
D. Drittinteressen
357
Glauben, dessen normative Ausprägung insbesondere der § 242 BGB ist,1774 oder allgemein den Verweis auf eine Kontrolle nach den Maßstäben des Institutsmissbrauchs1775. Auf den ersten Blick scheinen auch beim Ausgehen von den zuletzt genannten Ansätzen keine anderen Kriterien zur Anwendung zu gelangen als bei dem zuvor erörterten Weg unmittelbar über § 242 BGB. Einen wesentlichen Aspekt gilt es jedoch insoweit noch zu berücksichtigen: Der Rechtsmissbrauch, sei es innerhalb des § 242 BGB, sei es innerhalb der (alleinigen) Anführung des institutionellen Rechtsmissbrauchs, bedarf der inhaltlichen Ausfüllung.1776 Eine Einbettung in den § 242 BGB, die nicht nur eine Sonderverbindung, sondern grundsätzlich sogar ein Schuldverhältnis verlangt,1777 hat hinsichtlich der inhaltlichen Ausfüllung den Vorteil, einen Pflichtenkatalog gerade unter Ausrichtung auf ein konkretes Schuldverhältnis (mit) zu bestimmen. Eine bloße Sonderverbindung, die weit angelegt ist, verliert gegenüber solchen Schuldverhältnissen an kontureller Schärfe und erschwert die Fixierung der aus § 242 BGB bzw. aus einem (Rechts-)Institut zu folgernden Pflichten. Das gilt erst recht, wenn noch nicht einmal eine Sonderverbindung gefordert wird. Diese Schwierigkeiten und die damit verbundenen Probleme für den anwaltlichen Gestalter verdienen weitere Aufmerksamkeit. Die Notwendigkeit, sich mit der inhaltlichen Fassbarkeit der Kriterien eines institutionellen Missbrauchs auseinanderzusetzen, zeigt sich zudem neben den bisher aufgeführten Aspekten noch aus einem anderen Grund. (ee) Variable Rechtsfolgen Die Kritik, die Bewältigung der Problematik um die Berührung von Drittinteressen durch Verträge (allein) anhand von § 138 Abs. 1 BGB vorzunehmen, entzündete sich u. a. an dessen rigoroser Rechtsfolgenanordnung. Bezüglich etwaiger
1774
Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 175. Ebenso Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 16, die § 242 BGB unter anderem als einen Ausdruck des Rechtsprinzips von Treu und Glauben sieht. Siehe aber auch Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 67 ff., zur Inhaltskontrolle rechtsfortbildend aus dem Prinzip von Treu und Glauben, nicht aber anhand der Norm des § 242 BGB. Heinrichs, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 403, auf den etwa Stütze, S. 175, Fn. 53, hinweist, nennt § 242 BGB als normativen Aufhänger, führt jedoch als entscheidenden Maßstab den institutionellen Rechtsmissbrauch an. 1775 Habersack, Drittinteressen und Vertragsfreiheit, S. 36 ff. 1776 Siehe Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 67 m. w. N., der ausführt, das Prinzip von Treu und Glauben sei wie jedes Rechtsprinzip keiner unmittelbaren Subsumtion fähig. Es bedürfe der rechtsfortbildenden Umsetzung in der Ebene der Dogmatik. 1777 Siehe etwa Looschelders, Schuldrecht AT, § 4, Rn. 6, der bei Fehlen eines Schuldverhältnisses zwar die Anwendung von § 242 BGB nicht kategorisch ablehnt, wohl aber eine Anwendung ohne weiteres. Siehe zudem Staudinger/Looschelders/Olzen (2019), BGB, § 242, Rn. 128, 130.
358
1. Teil: Vertrag und Interessen
Rechtsfolgen werden die Möglichkeiten bei der Anwendung des § 242 BGB1778 im Vorfeld des § 138 Abs. 1 BGB1779 deutlich weiter angesetzt. Optionen, die dort u. a. ausgemacht werden, sind die (bloße) Teilnichtigkeit,1780 Teilhabe- oder Anschlussrechte.1781 Mit dieser Variabilität kann der Nichtigkeit des Vertrags als Rechtsfolge zwar begegnet werden. Mit ihr ist jedoch auch, gerade aus Sicht des prognostisch denkenden Vertragsgestalters, ein weiterer Unsicherheitsfaktor geschaffen. Denn weil die Schwelle zur Bejahung eines Rechtsmissbrauchs niedriger liegen müsste als die zur Bejahung der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB,1782 liegt ein Teil der Prognosetätigkeit darin einzuschätzen, wann ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ein anderer Teil darin abzusehen, welche (variable) Rechtsfolge sich anschließen könnte. Aus Sicht des Anwalts besteht also ein doppeltes Prognoserisiko. Nicht aus diesem Grund, sondern vielmehr aufgrund der zuvor bereits aufgeworfenen Punkte, die den Weg über § 242 BGB1783 zumindest als nicht unproblematisch gekennzeichnet haben, bleibt abzuwägen, ob eine derartige Lösungssuche tatsächlich vorteilhaft(er) ist als die (alleinige) konsequente Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB. (ff) Kritische Auseinandersetzung mit einem Weg über § 242 BGB Für eine Lösung der Drittinteressenproblematik über § 242 BGB oder unter Zugrundelegung des allgemeinen Rechtssatzes von Treu und Glauben wird neben der Variabilität auf der Rechtsfolgenseite, die schon im Vorfeld eines Eingreifens von § 138 Abs. 1 BGB zur Anwendung gelangt,1784 auf eine größere dogmatische Schlüssigkeit bei der Zugrundelegung von Angemessenheitsprüfungen verwiesen.1785 Das letzte Argument lässt sich jedoch angesichts eines „flexiblen Systems“ innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB nicht ohne weiteres halten. Auch die Vorteile, die im rechtlichen Reagieren bereits im Vorfeld von § 138 Abs. 1 BGB ausgemacht werden, bestehen nicht notwendigerweise und bringen zudem (auch) deutliche Nachteile mit sich. So ist für eine Inhaltskontrolle, die sich auf § 242 BGB stützt, zwar nicht so eine 1778 Bzw. allein des Grundsatzes von Treu und Glauben oder aufgrund der Anwendung der Maßstäbe des Institutsmissbrauchs. 1779 Dazu ausdrücklich Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 75, für die Kontrolle von Lastwirkungen. 1780 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 40, wobei Habersack sich auf den Institutsmissbrauch beruft. 1781 Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 144 ff. 1782 Wäre die Schwelle überschritten, müsste der (zwingende) § 138 Abs. 1 BGB angenommen werden. 1783 Bzw. den allein über den Grundsatz von Treu und Glauben oder aufgrund der Anwendung der Maßstäbe des Institutsmissbrauchs. 1784 Diesen Aspekt für die Kontrolle von Lastwirkungen anführend, allerdings nicht in einer Auseinandersetzung mit § 242 BGB, Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 75. 1785 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 172.
D. Drittinteressen
359
hohe Schwelle wie bei § 138 Abs. 1 BGB zu verlangen, jedoch durchaus eine bestimmte, nicht unerhebliche Schwelle. Gerade eine Schwelle besteht bei der Anlegung des Maßstabs des § 138 Abs. 1 BGB grundsätzlich ohnehin, lässt sich dort schon aufgrund des Wortlauts der Norm und der drohenden Rechtsfolge allerdings besser begründen. Zwar findet innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB, das hat das Beispiel um die Bewältigung der Kollision zwischen verlängertem Eigentumsvorbehalt und Globalzession gezeigt, mitunter eine „Verwässerung“ dieses Erheblichkeitsmaßstabs statt, indem letztlich eine Risikoabwägung, nicht jedoch eine Kontrolle auf einen besonderen Verstoß gegen die guten Sitten hin erfolgt. Allerdings „trägt“ die Sittenwidrigkeit die Notwendigkeit des Überschreitens einer gewissen Schwelle in sich, was bei § 242 BGB nicht der Fall ist. Besonders relevant ist jedoch die mangelnde Kalkulierbarkeit und eine damit verbundene Rechtsunsicherheit, die bei der Eröffnung der Inhaltskontrolle über § 242 BGB folgen würde, wenn damit die Kontrolle bei einem Drittbezug begründet wird. Trotz aller „Verwässerung“ bei § 138 Abs. 1 BGB besteht bei § 242 BGB viel eher die Gefahr, in „billiger“ Art und Weise auf die Kollision mit (ubiquitären!) Drittinteressen zu reagieren, gerade weil die Rechtsfolge nicht eine solche wie in § 138 Abs. 1 BGB ist. Die Variabilität der Rechtsfolgen bei der Anwendung des § 242 BGB ist zudem in gleicher Weise ein Problem, weil die Einschätzung der Rechtfolgen prognostisch kaum zu leisten ist. Eine derartige Rechtsunsicherheit darf jedoch mit dem Mittel des Vertrags, der von der Rechtsordnung zur Lebensgestaltung vorgesehen ist, nicht einhergehen, einem Gestaltungsmittel, das in seiner Umsetzung nahezu immer einen Drittbezug aufweisen wird. Das Risiko der mangelnden Kalkulierbarkeit wird nicht zuletzt durch die „Aufgabe“ des Erfordernisses eines (bestehenden) Schuldverhältnisses für die Anwendung des § 242 BGB verstärkt. Beim Drittbezug besteht in der Regel kein Schuldverhältnis zum Dritten, das in irgendeiner Weise eine Orientierung liefern könnte, wie die Abgrenzung der Interessenbereiche zu erfolgen hat. Trotz aller Unzulänglichkeiten innerhalb der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB ist daher an ihm als Kontrollmaßstab für die Behandlung von Lastwirkungen und sonstigen Drittwirkungen festzuhalten und, jedenfalls wegen eines Drittbezugs, nicht auf eine Inhaltskontrolle nach § 242 BGB überzugehen. (d) Schrankenbildung über § 134 BGB (aa) Einführung Externe Schranken, die der rechtswirksamen Begründung eines Vertrags mit Lastwirkungen für Dritte entgegenstehen, lassen sich den gesetzlichen Kodifizierungen auch in (speziellen)1786 Regelungen entnehmen.
1786
Diese sind mitunter aber selbst Generalklauseln, z. B. § 1 GWB; dazu sofort.
360
1. Teil: Vertrag und Interessen
Das Hauptaugenmerk soll dabei auf solchen Regelungen liegen, die individualisierbare Dritte schützen, das heißt nicht „nur“1787 die Allgemeinheit in ihrer Abstraktheit1788. Beispiele für solche externen Schranken finden sich vor allem im Kartellrecht.1789 So sind Lizenzverträge oder Preisbindungen vornehmlich kartellund wettbewerbsrechtlich zu kontrollieren,1790 z. B. über § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB. Vielfach werden Normen, wie das soeben genannte Beispiel zeigt, mittels des § 134 BGB als Verbotsgesetze die beschriebene Grenzfunktion einnehmen. Gerade dieser „Kombination“ soll Aufmerksamkeit für eine Kontrolle von Lastwirkungen zukommen. So können sich beim „Zugriff“ auf Verbotsnormen ganz eigene Probleme für den Gestalter ergeben. (bb) § 134 BGB und die Bewältigung von Lastwirkungen und sonstigen Drittwirkungen (aaa) Einführung Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Bewältigung von Lastwirkungen im oben genannten Sinn ist unter Hinzuziehung von gesetzlichen Regelungen, die Dritte schützen, § 134 BGB zu thematisieren.1791 Die über die Norm des § 134 BGB vermittelte Brücke zum Einbezug gerade drittschützender (Verbots-)Normen hat in unterschiedlichen Konstellationen Bedeutung. Es gibt verschiedene Beispiele,1792 wobei die Darstellung anhand eines solchen erfolgen soll, welches die Verquickung von Anwalt, Mandant, Drittem und der unterschiedlichen Interessenausrichtungen sowie des Interessenschutzes in besonderer Weise verdeutlicht. Es sollen damit nicht nur die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung des § 134 BGB aufgegriffen, sondern darüber hinaus ein Exempel dafür gebracht werden, das für unterschiedliche Einflussfaktoren im Interessenkonglomerat der beteiligten Personen steht.
1787
Möglich ist freilich ein „auch“. Siehe auch Martens, AcP 177 (1977), 113, 138, der auf die Möglichkeit von Außenwirkung ohne konkreten Personenbezug hinweist. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 24, legte seiner Untersuchung „Drittinteressen“ zugrunde, unter denen er solche verstand, die Allgemeininteressen sind, denen ein Individualinteresse entspricht. 1789 Dazu auch MK-BGB/Kramer, 4. Aufl., Einleitung § 241, Rn. 29. 1790 MK-BGB/Kramer, 4. Aufl., Einleitung § 241, Rn. 29. 1791 Vgl. etwa bei Schmalzbauer, Die Drittwirkung verpflichtender Verträge, S. 135, dort allerdings nur kurz. 1792 Siehe nochmals das Beispiel unter Bezugnahme auf § 1 GWB. 1788
D. Drittinteressen
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(bbb) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot (Mandantenschutzklausel) als Beispiel (a) Problemaufriss Die Problematik kann anhand der Installierung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots in einem anwaltlichen Sozietätsvertrag in Form der Vereinbarung einer Mandantenschutzklausel aufgezeigt werden. Die angesprochene Verbindung zu § 134 BGB ergibt sich dabei nur, wenn nicht speziellere Regelungen greifen. Insbesondere nachvertragliche Wettbewerbsverbote in Form von „allgemeinen Mandantenschutzklauseln“1793 mit angestellten Rechtsanwälten werden von §§ 74 ff. HGB (analog) abgedeckt.1794 Allerdings finden sich dort keine Regelungen, die gerade die Berücksichtigung der Interessensphäre des Dritten betreffen. Schwierigkeiten ergeben sich zudem namentlich beim Ausscheiden von Sozien, insbesondere innerhalb einer Verbindung im Wege einer GbR (§§ 705 ff. BGB). Hier kommen die §§ 74 ff. HGB nicht zur Anwendung.1795 Liegt dort dann eine „allgemeine Mandantenschutzklausel“ (Verbot, dass dem ausscheidenden Sozius vertraglich untersagt, weiterhin Mandanten der Sozietät zu beraten und zu vertreten1796) vor,1797 könnte eine Unwirksamkeit einer solchen Klausel aus § 134 BGB i. V. m. § 3 Abs. 3 BRAO herrühren.1798 Nach § 3 Abs. 3 BRAO1799 hat jedermann im Rahmen 1793
Regelungsgegenstand ist dabei das Verbot, aktiv an Mandanten des vorherigen Arbeitgebers heranzutreten bzw. tätig zu werden, wenn der Mandant von sich aus den ausgeschiedenen Anwalt mandatieren will, so Lingemann/Winkel, NJW 2009, 966, 966. Siehe auch MK-HGB/Thüsing, § 74, Rn. 11 sowie die Ausführungen sogleich. Ein gezieltes Abwerben (Verbot durch beschränkte Mandantenschutzklauseln) untersagt § 43b BRAO, darauf hinweisend Lingemann/Winkel, NJW 2009, 966, 967. 1794 MK-HGB/Thüsing, § 74, Rn. 11; Henssler, FS für Geiß, 271, 272; Lingemann/Winkel, NJW 2009, 966, 967. Zur Bejahung des Eingreifens der §§ 74 ff. HGB für alle nachvertraglichen Wettbewerbsverbote zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Henssler/Holthausen, BRAK-Mitt. 2001, 132, 133, unter Hinweis (Fn. 28) auf BAG v. 16. 5. 1969, AP Nr. 23 zu § 133 GewO; BAG v. 16. 7. 1971, AP Nr. 25 zu § 611 BGB; BAG v. 13. 9. 1969, AP Nr. 24 zu § 611 BGB. 1795 Henssler/Streck/Michalski/Römermann, Handbuch Sozietätsrecht, B. Rn. 251, dort auch zur mangelnden Anwendbarkeit des § 1 GWB; Bruckner, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote zwischen Rechtsanwälten, S. 31 ff.; Henssler, FS für Geiß, 271, 272, wonach weder die Anwendung von §§ 74 ff., 90a HGB direkt noch analog in Betracht kommt. 1796 Henssler/Streck/Michalski/Römermann, Handbuch Sozietätsrecht, B. Rn. 250. 1797 Mangels spezieller Regelungen, die den Drittschutz betreffen, dürfte sich die nachfolgende Problematik auch bei Angestelltenverträgen stellen. So diskutieren etwa Lingemann/ Winkel, NJW 2009, 966, 967, ob die freie Anwaltswahl des Bürgers nach § 3 Abs. 3 BRAO einer allgemeinen Mandantenschutzklausel im Angestelltenvertrag des Rechtsanwalts entgegensteht. In Eingrenzung der Untersuchung sollen sich die anschließenden Ausführungen auf den Sozietätsvertrag beschränken. Exemplarisch kann dort die Drittlastproblematik verdeutlicht werden. 1798 Zur Diskussion von Art. 12 GG bzw. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB als Verbotsgesetze siehe Storf, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote bei den freien Berufen, S. 41 ff., 53 f. Zu Art. 12
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1. Teil: Vertrag und Interessen
der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl1800 beraten und vertreten zu lassen. Um die Bedeutung dieser Norm als Teil einer möglichen Begrenzung einer allgemeinen Mandantenschutzklausel zu erfassen, sind die jeweils dahinterstehenden Interessen und ihre rechtliche Flankierung zu bestimmen. Die Mandantenschutzklausel verfolgt aus Sicht des Vertragspartners „verbleibende Sozietätsmitglieder“ vor allem die Umsetzung der (subjektiven) Interessen, den (wirtschaftlichen) Wert der Kanzlei zu festigen, indem der akquirierte Mandantenstamm gehalten wird.1801 Ein solches Interesse ist grundsätzlich anerkennensund auch schützenswert,1802 wobei es aber nicht durch § 3 BRAO Schutz erfährt1803. Dem Interesse der verbleibenden Sozien steht u. a. ein ebenso anerkennens- und schützenswertes Interesse des (ausscheidenden) Sozius gegenüber, in seiner beruflichen und wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht über Gebühr beeinträchtigt zu werden.1804 Auch dieses zuletzt genannte Interesse gibt jedoch1805 (zunächst) nicht den ausschlagenden Impuls innerhalb der Auseinandersetzung um § 3 Abs. 3 BRAO.1806 Dieser liegt vielmehr beim Dritten, dem Mandanten begründet. Bei ihm zeigen sich die „Lastwirkungen“. Denn bei Wirksamkeit der MandantenschutzGG ferner Bruckner, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote zwischen Rechtsanwälten, S. 46 ff., dort, S. 49, i. E. ablehnend. 1799 Zu § 1 BRAO als Schutzgesetz, was aber abgelehnt wird, Bruckner, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote zwischen Rechtsanwälten, S. 49. 1800 Hervorhebung durch die Verfasserin. 1801 Vgl. Henssler, FS für Geiß, 271, 279; siehe auch Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 92. Selbstverständlich ist es daher auch, dass „beschränkte Mandantenschutzklauseln“, wonach ein (aktives) Abwerbungsverbot besteht, möglich sind; siehe Henssler/Streck/Michalski/ Römermann, Handbuch Sozietätsrecht, B. Rn. 250. 1802 Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 92. 1803 Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 93, führt aus, die BRAO enthalte überhaupt keine Regelungen bezüglich des Schutzes der wirtschaftlichen Interessen des Anwalts. 1804 Siehe Römermann, NJW 2002, 1399, 1399. 1805 Unabhängig von den Mandanteninteressen könnte dieses Interesse des ausscheidenden Anwalts u. U. über Art. 12 GG i. V. m. § 134 BGB Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Mandantenschutzklausel haben; Art. 12 GG wird jedoch nicht als Verbotsgesetz berücksichtigt. Ausführlich dazu Bruckner, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote zwischen Rechtsanwälten, S. 46 ff. m. w. N. 1806 Ebenso wenig liegt er in der anwaltlichen Funktion als Organ der Rechtspflege als unabhängiger Berater (§§ 1, 3 BRAO). Hierin liegt der Ausdruck eines staatlichen Rechtspflegeinteresses; Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 113. Dieses Interesse ist durch eine Mandantenschutzklausel, der ein individueller Anwalt unterworfen ist, nicht beeinträchtigt; Becker, ebenda, S. 113 ff., mit ausführlicher Begründung. Dort, S. 115 ff., auch dazu, ob das staatliche Rechtspflegeinteresse aufgrund der Mandantenschutzklausel durch einen Verlust der anwaltlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt wird.
D. Drittinteressen
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klausel läge in Richtung auf einen potentiellen Mandanten ein Hinderungsgrund vor, mit dem Anwalt seiner Wahl zu kontrahieren, selbst wenn der Mandant es wünscht. Der (ausgeschiedene) Anwalt würde, wenn er dies gleichwohl täte, vertragsbrüchig (gegenüber den ehemaligen Sozien), und es könnte ggf. zur Unterlassungsklage1807 seitens der ursprünglichen (Mit-)Sozien kommen. Aufgrund der Klausel werden die Abschlusschancen des Mandanten beeinträchtigt.1808 Die Interessen des Mandanten werden (scheinbar)1809 im Interessengeflecht der Vereinbarung der Mandantenschutzklauseln nicht in den Vordergrund gerückt, sondern erscheinen dort jeweils nur als Aspekt eigener wirtschaftlicher Interessen der Sozien.1810 (b) § 3 Abs. 3 BRAO als Verbotsgesetz mit Drittschutz § 3 Abs. 3 BRAO als etwaiges Verbotsgesetz könnte die Drittinteressen des Mandanten in die Vertragsüberlegungen zwischen den Sozien „hineinzwingen“ und damit als Grenze fungieren, die letztlich auf die Lastwirkungen zurückzuführen ist. Klärungsbedürftig ist dafür zunächst, ob § 3 Abs. 3 BRAO tatsächlich eine (dritt-) schützende Verbotsnorm im Sinne des § 134 BGB ist und welche schützenswerten Mandanteninteressen sich ggf. dahinter verbergen. Unproblematisch handelt es sich bei § 3 Abs. 3 BRAO um ein Gesetz nach § 2 EGBGB1811. Schwieriger ist, ob § 3 BRAO nicht lediglich ein Abwehrrecht gegenüber einem staatlichen Eingreifen ist, sondern er, etwa über § 134 BGB, in den zivilrechtlichen Bereich „hineinreicht“ und fernerhin hier dem Mandanten einen entsprechenden Drittschutz vermittelt.1812 Neben den ablehnenden Stimmen diesbezüglich1813 gibt es andere, die, ggf. differenzierend, die grundrechtlich flankierte Bedeutung des § 3 Abs. 3 BRAO gerade in Bezug auf den Mandanten und die Installierung von Mandantenschutzklauseln 1807
Ggf. kommt es auch zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Nach Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 59, wären dies auch Reflexwirkungen. 1809 Siehe aber noch später zu modifizierten Klauseln. 1810 Siehe auch Gaier/Wolf/Göcken/Wolf, Anwaltliches Berufsrecht, § 3 BRAO, Rn. 67, wonach Wettbewerbsverbote oder Mandantenschutzklauseln von der Rechtsprechung und Literatur in der Regel nur die Perspektive der Berufsträger und der in Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit durchdacht würden. Vgl. u. a. etwa, worauf Wolf, Rn. 68, Fn. 5, hinweist, BGH NJW 1955, 337 f. Demgegenüber, so Wolf, Rn. 68, habe das Reichsgericht noch sehr klar gesehen, dass vertragliche Wettbewerbsbeschränkungen nicht nur zu Lasten der Vertragsparteien gingen, sondern auch zu Lasten der Allgemeinheit. Vgl. dazu entsprechend dem Nachweis bei Wolf, Rn. 67, Fn. 4, RGZ 90, 35, 36 f.; RGZ 66, 143, 150. 1811 Zur Deckung des Begriffs des Gesetzes i. S. d. § 134 BGB mit dem des Art. 2 EGBGB Grüneberg/Ellenberger, § 134, Rn. 2. 1812 Zum Problem der zivilrechtlichen Drittwirkung etwa Henssler, FS für Geiß, 271, 277; Henssler/Prütting/Koch, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 3 Rn. 32 m. w. N. 1813 Grundsätzlich ablehnend dazu, dass § 3 Abs. 3 BRAO einem Wettbewerbsverbot unter Anwälten entgegensteht, Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 363. 1808
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1. Teil: Vertrag und Interessen
(privatrechtlicher Bereich) herausstellen.1814 Zwar, und das wird immer wieder unter Hinweis auf die Feststellung des BVerfG1815 betont, gewähre § 3 Abs. 3 BRAO kein allgemeines Recht auf einen Rechtsbeistand/Rechtsanwalt.1816 Maßgeblich sei das Recht, sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften anwaltlich vertreten zu lassen,1817 eine freie Anwaltswahl zu treffen1818. Allerdings sei, so etwa Henssler1819, § 3 Abs. 3 BRAO bei verfassungskonformer Interpretation so zu verstehen, dass die getroffene Wahl des jeweils Rechtsuchenden und die entsprechende Beauftragung des Vertrauensanwalts zu respektieren sei.1820 Die verfassungsrechtlichen Wurzeln für diese Sichtweise liegen nicht zuletzt in dem von Art. 2 Abs. 1 GG sowie vom Rechtsstaatsprinzip gestützten Recht auf freie Anwaltswahl.1821 Die Drittausstrahlung der Grundrechte bzw. des damit in Verbindung gesetzten Rechtsstaatsprinzips erfolgt somit einmal in Bezug auf die Auslegung des § 3 Abs. 3 BRAO. Da die Bedeutung der freien Anwaltswahl bezogen auf den dort gewonnenen Vertrauensaspekt jedoch nicht ausreichend im Sinne der grundrechtlichen Ausstrahlungswirkung geschützt wäre, wenn sie auf den öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch reduziert würde, muss die in § 3 Abs. 3 BRAO angelegte Drittwirkung weiter gehen. Die Drittwirkung besteht somit auch im privaten Bereich.1822 Es kann insoweit gerade zu einer Vermittlung über zivilrechtliche Normen kommen, so auch über § 134
1814
Dazu, dass § 3 Abs. 3 BRAO Wettbewerbsverboten unter Rechtsanwälten entgegenstehen kann, u. a. LAG Baden-Württemberg AnwBl 1987, 142, 145; Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 122. 1815 BVerfG NJW 1975, 103, 104. 1816 Henssler, FS für Geiß, 271, 278; Henssler/Prütting/Koch, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 3, Rn. 32, stellt hier bereits das mangelnde Recht auf einen bestimmten Beistand durch einen Rechtsanwalt heraus. 1817 Henssler, FS für Geiß, 271, 278. 1818 Kleine-Cosack, BRAO, § 3, Rn. 5. 1819 Henssler, FS für Geiß, 271, 278. 1820 Siehe auch Henssler/Prütting/Koch, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl. 2010, § 3, Rn. 32; vgl. die wechselseitige Bezugnahme aufeinander von Henssler und Koch. Später das Recht des Mandanten auf eine freie Anwaltswahl nach § 3 Abs. 3 i. V. m. § 1 BRAO nochmals betonend Henssler/Michel, NZG 2012, 401, 412. Gaier/Wolf/Göcken/Wolf, Anwaltliches Berufsrecht, § 3 BRAO, Rn. 68, führt bezüglich der Mandanteninteressen zudem aus, insbesondere bei auf Stundenbasis abgerechneten Dauermandaten sei in der Person des betreuenden Rechtsanwalts ein Wissen aggregiert worden, welches durch die Mandatierung einer neuen Kanzlei erst wieder mit erheblichen Kosten erarbeitet werden müsse. 1821 Henssler, FS für Geiß, 271, 278, unter Hinweis auf das BVerfG. Letzteres zur freien Anwaltswahl aufgrund von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip u. a. in BVerfGE 34, 293, 302; 38, 105, 111 ff.; BVerfG NJW 1975, 1013, 1014 und 1015, 1016 (letztere jeweils im Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren im Strafprozess). Eine Stützung der freien Anwaltswahl auf Art. 103 ablehnend Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren, S. 140, unter Hinweis (Fn. 12) u. a. auf BVerfGE 9, 124, 132; 31, 306, 308. 1822 Henssler/Prütting/Koch, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl. 2010, § 3, Rn. 32.
D. Drittinteressen
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BGB,1823 wenn man § 3 Abs. 3 BRAO als drittschützendes Gesetz mit Auswirkungen in den privaten Bereich begreift. (c) Einschränkende Auslegung Leitet man den Drittschutz des § 3 Abs. 3 BRAO (auch) aus dem Grundgesetz ab, so unterliegt er nichtsdestotrotz Grenzen.1824 Im Fall der Einflussnahme der Grundrechte über die (Gesetzes-)Auslegung muss zudem wiederum auf etwaige andere grundrechtlich geschützte Werte, die zum Tragen kommen können, Rücksicht genommen werden (Frage der praktischen Konkordanz). So kann etwa die freie Anwaltswahl nie ohne Einbeziehung des „erwählten Anwalts“ gesehen werden, auf dessen Seite u. a. Werte aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 12 GG, aber auch aus Art. 14 GG streiten. Letztlich geht es damit beim zu bestimmenden Drittschutzbereich des § 3 Abs. 3 BRAO in Bezug auf den Mandanten also vor allem um die Auslotung und Gewichtung der relevanten schützenswerten Interessen.1825 Als solche kommen, wie bereits erwähnt, einmal die wirtschaftlichen Interessen der verbleibenden Sozien in Betracht. Diese Interessen können und dürfen aber zunächst nicht unmittelbar in eine einschränkende Beziehung zu den Mandanteninteressen an einer freien Anwaltswahl eines Vertrauensanwalts nach § 3 Abs. 3 BRAO gesetzt werden. Zu berücksichtigen ist vielmehr im Weiteren, dass unmittelbare Vertragspartner des Vertrags, der die Mandantenschutzklausel enthält, die alten Sozien und der ausscheidende Anwalt sind. Zudem geht es den verbleibenden Sozien gerade darum, durch das Verhalten des Ausscheidenden die wirtschaftlichen Sozietätsinteressen nicht beeinträchtigt zu sehen. Dem kann der ausscheidende Anwalt seine eigenen beruflichen und wirtschaftlichen Interessen durchaus entgegenhalten.1826 Das eigentliche Bindeglied zum Mandanten innerhalb der Interessenabwägung stellt dann aber der ausscheidende Anwalt her; über ihn fließen ggf. ebenfalls die Interessen der sonstigen Sozien ein. Der Grund für die Fokussierung auf den ausscheidenden Anwalt ist, dass er es ist, auf den sich das Vertrauen des Mandanten projiziert. Dieses
1823
Zum Eingreifen von § 134 bzw. § 138 BGB, Henssler/Michel, NZG 2012, 401, 412, m. w. N. 1824 Henssler, FS für Geiß, 271, 278. 1825 Demgegenüber macht Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 128, in § 3 Abs. 3 BRAO eine Norm aus, die ausschließlich dem Schutz des Rechts auf freie Anwaltswahl durch das rechtssuchende Publikum dienen, und damit ein Rechtsgut eines außerhalb des Vertragsverhältnisses befindlichen Personenkreises betreffe. 1826 Siehe ferner Henssler, FS für Geiß, 271, 279, wonach es bei Mandantenschutzklauseln nicht darum gehen dürfe, die Entfaltungsmöglichkeiten des ausscheidenden Sozius aus Konkurrenzgründen einzuengen.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Vertrauen mag soziale und/oder wirtschaftliche Gründe haben. Es ist jedoch personenbezogen.1827 Schützenswert, vor allem über § 3 Abs. 3 BRAO, kann folglich jedoch nur ein ebenfalls vom Anwalt „gewolltes Vertrauen“ sein. Das ergibt sich nicht zuletzt aus § 44 BRAO, wonach den Anwalt kein Kontrahierungszwang trifft.1828 Damit sind u. a. dem (grundrechtlich flankieren) Recht auf freie Anwaltswahl gesetzliche Grenzen gesetzt, was bei der Auslegung zu berücksichtigen ist. Dieser Ansatz ist allerdings argumentativ nicht gleichzusetzen mit der Auffassung, da der Anwalt keinem Kontrahierungszwang unterliege, könne auch ohne weiteres eine wirksame allgemeine Mandantenschutzklausel vereinbart werden.1829 Will man den Mandantenschutz nicht leerlaufen lassen, so muss die Klauselvereinbarung eine bewusste Entscheidung des Anwalts in der Form sein, dass er sich gegen die Inanspruchnahme von Vertrauen durch frühere Mandanten entscheidet. Nun könnte man dies zunächst im Unterzeichnen jedweder Mandantenschutzklausel sehen. Tatsächlich ist das jedoch nur der Fall, wenn der jeweilige Anwalt Vertrauen gewährende Wege, die ihm offenstanden, nicht gewählt hat. Ein solcher die Mandanteninteressen weniger belastende Weg führt z. B. über die Installierung einer Gewinnabführungsklausel1830. Es ergeben sich dann allerdings verschiedene Folgeproblematiken. Zunächst könnte man davon ausgehen, zulässig sei stets nur eine Klausel, wie etwa die Gewinnabführungsklausel, die notwendigerweise die freie Anwaltswahl des Mandanten offenlasse.1831 Damit würde jedoch der Aspekt, dass nur (auch) anwaltlich „gewolltes“ Vertrauen über § 3 Abs. 3 BRAO geschützt sein kann, außer Acht gelassen. Andererseits lässt sich beim bloßen Vorliegen einer unbeschränkten Mandantenschutzklausel nicht ohne weiteres klären, ob dem (ausscheidenden) Anwalt ein anderer Weg offenstand, das heißt, ob er z. B. stattdessen eine Gewinnabführungsklausel hätte wählen können. Das (nachträglich) zu klären, kann schwierig sein und dann letztlich in Beweisproblemen münden. Geht man diesbezüglich aber davon aus, dass die freie Anwaltswahl besonderen Schutz genießt und in der Vereinbarung 1827 Dazu Bunk, Vermögenszuordnung, Auseinandersetzung und Ausscheiden in Sozietät und Gemeinschaftspraxis, S. 171, in Auseinandersetzung mit OLG Stuttgart (NJW 2002, 1431 ff.). Vgl. ebenfalls die Ausführungen bei Gaier/Wolf/Göcken/Wolf, Anwaltliches Berufsrecht, § 3 BRAO, Rn. 68. 1828 Vgl. dazu die Ausführungen bei Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 363. 1829 Siehe etwa Römermann/Michalski, ZIP 1994, 433, 442; Storf, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote bei den freien Berufen, S. 52, in Zustimmung mit Lingenberg/Hummel/Zuck/ Eich/Eich, Standesrecht, § 81, Rn. 228. 1830 Dazu auch Henssler, FS für Geiß, 271, 279. Dem Weg Hensslers zustimmend Gaier/ Wolf/Göcken/Wolf, Anwaltliches Berufsrecht, § 3 BRAO, Rn. 68. 1831 Keine Rechtfertigung für eine unbeschränkte Mandantenschutzklausel annehmend, wenn die Interessen der Sozietät durch eine beschränkte Mandantenschutzklausel in Verbindung mit einer Gewinnabführungsvereinbarung oder einem beschränkten Abführungsanspruch hinreichend gewahrt werden können, Henssler/Michel, NZG 2012, 401, 412 f.
D. Drittinteressen
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einer reinen beschränkten Mandantenschutzklausel grundsätzlich eine relevante Beeinträchtigung einer solchen freien Anwaltswahl liegen kann, so wäre es an demjenigen, der sich auf die Wirksamkeit der Klausel beruft, die diese begründenden Umstände zu beweisen. Die Beweislast läge damit in der Regel bei den verbleibenden Sozien.1832 Es wäre folglich in ihrem ureigensten Interesse, über andere Klauseln zu verhandeln, sie anzubieten und ggf. zu fixieren, dass diese vom anderen Sozius abgelehnt wurden.1833 (d) Zwischenresümee Für den Umgang mit § 3 Abs. 3 BRAO als (drittschützende) Verbotsnorm im Sinne des § 134 BGB ergibt sich somit: Grundsätzlich kann dem § 3 Abs. 3 BRAO der Charakter einer (drittschützenden) Verbotsnorm zukommen. Ob der Drittschutzbereich der Norm tangiert ist, hängt jedoch maßgeblich davon ab, wie die Mandantenschutzklausel im Einzelfall zustande gekommen und inhaltlich ausgebildet worden ist. Das sind allerdings Umstände, die, wenn man um den (potentiellen) Drittschutzcharakter einer Norm weiß, gestalterisch bewältigt werden können und auch bewältigt werden müssen, gerade wenn die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz berücksichtigt werden.1834 (cc) Konsequenz für den Umgang mit Lastwirkungen und sonstigen Drittwirkungen Die Darstellung des exponierten Beispiels zur Lösung der Lastwirkungsproblematik1835 über § 134 BGB hat Erkenntnisse geliefert, die sich teilweise mit den bereits gewonnenen decken, mitunter darüber hinausgehen. Wird über die Norm des § 134 BGB die (Dritt-)Lastwirkung oder sonstige Drittwirkung von Verträgen mittels eines Verbotsgesetzes ggf. begrenzt, so können einerseits Mechanismen auftauchen, die bereits zuvor erörtert worden sind. Ist das 1832 Sollten diese z. B. eine Unterlassungsklage gegen den ausgeschiedenen Anwalt erheben, wenn dieser einen früheren Mandanten (weiter) betreut, wäre es an ihnen, die die Wirksamkeit der Mandantenschutzklausel begründenden Umstände darzulegen und zu beweisen. Dass der Verbotscharakter des § 3 Abs. 3 BRAO gerade aus dem Drittschutz für den Mandanten hergeleitet wird, ändert im Übrigen nichts daran, dass gerade der ausgeschiedene Anwalt sich im Unterlassungsprozess auf ihn als Unwirksamkeitsgrund berufen darf. Dürfte er dies nicht, würde der Drittschutz unterlaufen. 1833 Faktisch wäre es damit in der Regel einfacher, gleich eine entsprechende Klausel zu vereinbaren. Das führt zu dem von Henssler präferierten Ergebnis. Ungelöst bleibt allerdings das Problem, ob der später ausgeschiedene Sozius wirklich „freiwillig“ eine beschränkte Mandantenschutzklausel vereinbart hatte, oder ob nicht z. B. § 138 Abs. 1 BGB greift. Das Problem wird sich in jedoch in letzter Konsequenz nicht auflösen lassen. 1834 Selbst wenn der Gestalter Zweifel haben sollte, ob § 3 Abs. 3 BRAO tatsächlich den Charakter einer drittschützenden Verbotsnorm haben sollte, könnte er bei Prognoseunsicherheit durch die Formulierung einer Gewinnabführungsklausel ggf., so er etwa aus Sicht der Sozien vorgeht, dem Postulat des sichersten Weges genügen. 1835 Oder sonstigen Drittwirkungen.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Verbotsgesetz bezüglich des vermittelten Drittschutzes und der tatbestandlichen Voraussetzungen hinreichend bestimmt, so kann damit in prognostizierbarer Weise gearbeitet werden. Das gilt in eingeschränkter Form auch, wenn der Drittschutzcharakter des Verbotsgesetzes unproblematisch, die einzelnen Tatbestandsmerkmale aber auslegungsbedürftig sind. Problematischer wird die Situation, wenn der Drittschutzcharakter der Norm fraglich ist und damit zusammenhängend überhaupt zu klären ist, ob eine Verbotsnorm vorliegt. Dementsprechend schwieriger ist dann auch die anwaltliche Prognosearbeit und gestalterische Bewältigung.1836 Die Problematik zeigt sich in aller Schärfe mit Blick auf die Rechtsfolgenseite. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich aus dem Gesetz nicht ein anderes ergibt. Sofern dann nicht der seltene Fall vorliegen sollte, in dem der Wortlaut der Verbotsnorm schon die Nichtigkeit vorgibt, greift etwa die Rechtsprechung zur Beantwortung der Frage, ob die Nichtigkeitsfolge eintritt, darauf zurück, ob es nach Sinn und Zweck des verletzten Verbots vereinbar bzw. unvereinbar wäre, an der durch das Rechtsgeschäft getroffenen Regelung festzuhalten.1837 Die (richtige) Prognose, ob ein Verbotsgesetz und dann ggf. ein (drittschützendes)1838 Verbotsgesetz vorliegt, ist also elementar für die (weitere) Prognose, ob und wann eine Nichtigkeitsfolge eintreten kann. So wird man etwa in Bezug auf § 3 Abs. 3 BRAO, wenn in einer bestimmten Konstellation der (Dritt-)Schutz des Mandanten auf freie Anwaltswahl als tangiert angesehen wird, nach Sinn und Zweck der Norm eine Nichtigkeitsfolge in Bezug auf die entsprechende Klausel annehmen müssen.1839 Soweit der Gestalter nicht auf Rechtsprechung oder (zumindest) Literatur zur Orientierung zurückgreifen kann, bleibt ihm letztlich wiederum nur die „Lösung“, dem Postulat des sichersten Weges zu gehorchen. Das wird nur gelingen, wenn der Anwalt in den einzelnen Gestaltungssituationen sich (auch) der Gefahren um etwaige Lastwirkungen bewusst ist. (e) Fazit Insgesamt zeigt sich bei der „Lösung“ der Drittproblematik über § 134 BGB zwar ein weiterer, oftmals jedoch wiederum für die anwaltlichen Planungen schwieriger 1836 In unserem Beispiel der Mandantenschutzklausel eröffnete sich mit der Gewinnabführungsklausel jedenfalls die Option eines sicheren Wegs, wenn man den Drittschutzcharakter des § 3 Abs. 3 BRAO in Bezug auf eine Mandantenschutzklausel in Frage stellte. 1837 BGHZ 143, 283, 286 m. w. N. 1838 Die Frage des Drittschutzes stellt sich innerhalb unserer Auseinandersetzungen um die Lastwirkungen. Aus gestalterischer Sicht muss natürlich jedwedes Verbotsgesetz, das eine Nichtigkeitsfolge nach sich ziehen könnte, Berücksichtigung finden. 1839 Zur Nichtigkeit von Konkurrenzklauseln nach § 134 BGB i. V. m. § 3 Abs. 3 BRAO Becker, Zulässigkeit und Wirksamkeit von Konkurrenzklauseln zwischen Rechtsanwälten, S. 128.
D. Drittinteressen
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Weg. Zwar gibt ein mögliches Verbotsgesetz ggf. eine tatbestandlich genauere Orientierung als § 138 Abs. 1 BGB oder § 242 BGB. Die Fragen, ob allerdings ein Verbotsgesetz überhaupt vorliegt, und ob dann auch die Rechtsfolge des § 134 BGB greift, sind prognostisch u. U. nicht ohne weiteres als risikolos einzustufen, sofern nicht schon z. B. entsprechende Rechtsprechung oder Literatur vorliegt. Die externe Schrankenbildung gestaltet sich also über sämtliche zuvor diskutierten Normen (§§ 134, 138 Abs. 1, 242 BGB) nicht einfach, ein Umstand, der nicht zuletzt auch dem stets mit einem Abwägungsprozess verbundenen Umgang mit Drittwirkungen von Verträgen geschuldet ist. Der Grund liegt in der vielfach erwähnten Ubiquität der Drittberührungen. Eine Lösung der Problematik aus anwaltlicher Gestaltungssicht ist, sofern keine ausreichende spezialgesetzliche Schranke vorhanden ist, aufgrund der aufgezeigten Mechanismen nur mit einem gewissen Restrisiko zu bewältigen. Gleichwohl gebietet es aber gerade die Häufigkeit des Drittbezugs die entsprechenden Überlegungen stets einzustellen, insbesondere bei komplexeren Gestaltungen.
IV. Schlussfolgerungen bezüglich der Bedeutung der Drittinteressen Die Untersuchung der Bedeutung der Drittinteressen in der anwaltlichen Vertragsgestaltung stützt die eingangs aufgestellt These, wonach die Relevanz von Drittinteressen vor allem für die Bewältigung von juristischen Fragen im Gestaltungskontext gegeben ist. Das betrifft zum einen den etwaigen Wunsch des Mandanten nach zielgerichteter Veränderung fremder (dritter) (Rechts-)Positionen. Es betrifft zum anderen die (juristischen) Grenzen, die aus dem Tangieren von Drittinteressen folgen können. Während der planerische Umgang mit einer intendierten rechtlichen Beeinflussung von Drittinteressen durch einen inter partes geschlossenen Vertrag in weiten Bereichen bezüglich seiner juristischen Machbarkeit antizipierbar ist, ist dies hinsichtlich der (reinen) Grenzfunktion, die sich aus berührten Drittinteressen ergeben kann, nicht der Fall. Zwar können u. a. konkrete Gesetze1840, die den Schutz (auch) von Drittinteressen dienen, ebenfalls eine Antizipierbarkeit befördern. Vor allem die Beschäftigung mit den Lastwirkungen und ihrer rechtlichen Bewältigung mittels der Anwendung der Generalklauseln machte aber deutlich, dass eine solche Antizipierbarkeit keineswegs selbstverständlich ist. Maßgebliche Faktoren, die dafür „verantwortlich“ sind, sind die Ubiquität der Drittinteressen wie auch die besonderen Herausforderungen, die sich im methodischen Umgang mit Generalklauseln stellen. Die Ubiquität von Drittinteressen verdeutlichte nochmals die Einbettung des Vertrags in soziale Kontexte und die Notwendigkeit ihrer Berücksichtigung. 1840 Ggf. auch zu „Fallgruppennormen“ konkretisierte Generalklauseln oder sich bei letzteren herausgebildete Fallgruppen; zur Existenz von Fallgruppennormen siehe Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40.
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1. Teil: Vertrag und Interessen
Das muss der anwaltliche Vertragsgestalter auch grundsätzlich berücksichtigen. Gerade wegen der Ubiquität wird und muss der Anwalt jedoch potentielle Drittinteressen nicht umfassend investigativ erfragen. Er darf sich insoweit viel stärker als etwa bei der Ermittlung der Mandanteninteressen, die es für die Zukunft vertraglich zu gestalten gilt, an juristischen „Mustern“ (Gesetzen, Fallgruppen) orientieren,1841 die als rechtliche Grenzen aufgrund von Drittinteressen fungieren. Die Abklärung der „sozialen Komptabilität“ eines Vertrags gegenüber Dritten darf der Anwalt als juristischer Fachmann in der Regel seinem Mandanten überlassen. So ist es zum einen ohnehin nicht möglich, alle sozialen Eventualitäten im Verhältnis zu Dritten zu erfragen. Zum anderen gehört die Bewältigung von (sozialen) Drittbeziehungen zumeist nicht zum anwaltsvertraglichen Pflichtenkatalog; eine Pflicht zur Erfragung (Berücksichtigung) bestimmter Drittbeziehungen kann allerdings ggf. dann bestehen,1842 wenn der Anwalt in Kenntnis von bestimmten Gestaltungsmustern (insbesondere typisierten Verträgen) um deren (wiederum typischen) sozialen Problematiken weiß, die möglicherweise der Interessenumsetzung des Mandanten entgegenstehen könnten.1843
1841
Selbstverständlich darf der Anwalt sich nicht vom Mandanten aufgedeckten oder sich „aufdrängenden“ Drittinteressen verschließen. 1842 Abgesehen davon, wenn der Mandant es ausdrücklich wünscht. 1843 Es sei an dieser Stelle zudem nochmals darauf verwiesen, dass die zuvor erarbeiteten (rechts-)soziologischen Erkenntnisse zum Vertrag vor allem dafür verwendet wurden, um die optimale Nutzung des Mittels des juristischen Vertrags zu ermöglichen. Dass der Anwalt als Fachmann den Wirkungsort (soziale Realität) der vertraglichen Regelung berücksichtigen muss, um Überlegungen anzustellen, ob die Interessen seines Mandanten sich überhaupt mittels des juristischen Vertrags umsetzen lassen, gehört zur Optimierung des Mittels des juristischen Vertrags.
2. Teil
Interessenwahrnehmung und Kommunikation A. Einleitung Die große Vielfalt der in der Vertragsgestaltung involvierten Interessen wurde bereits deutlich, ebenso ihre unterschiedlichen Verbindungen zum juristischen wie zum (rechts-)soziologischen Vertragsverständnis. Sowohl die Erfassung wie die Umsetzung verschiedener Interessen erfordert Kommunikation. Ohne sie ist die Wahrnehmung und Realisierung von Interessen, vor allem auch im juristischen Bereich, nicht möglich. Das ist zunächst in Bezug auf den Mandanten der Fall, der sich des Mittels des Vertrags zu seiner Interessenumsetzung bedient. Will der Mandant seine Interessen auf diesem Weg realisieren, „braucht“ er allerdings andere Personen. Das sind zum einen selbstverständlich die potentiellen Vertragspartner, zum anderen aber auch der (eigene) Anwalt, der Unterstützung leisten soll. In beiden Fällen müssen Interessen zwischen Personen „transportiert“, das heißt kommuniziert werden.1 Die Kommunikation zeigt innerhalb der Vertragsverhandlung und -gestaltung bzw. in Mandantengesprächen jedoch eigene „Strukturen“, die es aufzudecken und zu verstehen gilt. Nur dann kann etwa der Anwalt als Vertragsgestalter in möglichst optimaler Weise die Interessen seines Mandanten umsetzen oder die andere Vertragspartei dazu bewegen, die Realisierung dieser Interessen durch den Abschluss eines bestimmten Vertrags zu „unterstützen“.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt I. Kommunikationsverständnis auf der Grundlage des anwaltlichen Vertrags – Die Frage nach dem Ob der Kommunikation Die Frage nach der Wahrnehmung von Interessen mit Hilfe von Kommunikation in der Vertragsgestaltung stellt sich grundlegend zunächst im Verhältnis von Man1 Ob ein „klassisches“ Aushandeln von Verträgen und eine damit einhergehende Kommunikation noch erfolgen wird/kann, wenn es zum verstärkten Einsatz künstlicher Intelligenz kommt, wird ein größer werdendes Problemfeld der Zukunft sein, dazu u. a. Grapentin, NJW 2019, 181 ff.; Kainer/Förster, ZfPW 2020, 275 ff.
372
2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
danten und Anwalt. Das folgt schon daraus, dass der Mandant und sein anwaltlicher Vertreter mit der Mandatsaufnahme in eine „dialogische“ Beziehung2 eintreten. Um die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant sowie ihre Bedeutung und Auswirkungen erfassen zu können, ist eine genauere Bestimmung vonnöten, welches Verständnis von Kommunikation zwischen ihnen im Kontext dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden soll.3 Nicht ausreichend ist es, sich auf eine allgemein für die Kommunikation greifende Grundaussage zu beschränken, wonach in zwischenmenschlichen Situationen jedes Verhalten Mitteilungscharakter habe und es letztlich unmöglich sei, in solchen Situationen nicht zu kommunizieren.4 Tauglich ist demgegenüber als Grundlage der weiteren Überlegungen eine ebenfalls einfache, gleichwohl schon griffigere Definition. Kommunikation ist danach „die Übermittlung von Informationen von einem Sender zu einem Empfänger“.5 Sender und Empfänger sind durch einen „Kanal“ verbunden, mittels dessen die Informationen übertragen werden.6 Über den Kanal werden Signale geschickt, die die physischen Träger von Informationen sind, z. B. Schallwellen oder Buchstaben. Auf diese Art und Weise treten letztlich Zeichen in Erscheinung, die auf ideelle Gehalte und außersprachliche Objekte verweisen.7 An dieses Grundmodell anknüpfend sind für die Bestimmung des Kommunikationsverständnisses innerhalb der anwaltlichen Vertragsverhandlung/-gestaltung Besonderheiten in Bezug auf den juristischen Tätigkeitsbereich zu ergänzen. Diese betreffen zunächst das Verhältnis von Anwalt und Mandanten. So ist etwa bedeutend, dass beide gezielt eine vor allem „normative“8 Beziehung eingegangen sind. Deren 2 Zum Dialog siehe u. a. Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 47 (in Bezug auf den Notar); Jerschke, DNotZ-Sonderheft 1989, 21, 25 (ebenfalls zum Notar). 3 Darauf hinweisend, dass es nicht „den“ Kommunikationsbegriff gibt, Meggle, Grundbegriffe der Kommunikation, S. 5. 4 Zu diesem Kommunikationsverständnis Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 50 f. 5 So Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, S. 141 m. w. N.; ferner Beck, Mediation und Vertraulichkeit, S. 49, unter Hinweis auf Shannon und Weaver. Zur Kommunikationskette nach Shannon auch Breuer, Einführung in die pragmatische Texttheorie, S. 45, dort (Fn. 4) auch der Verweis auf Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communication, S. 34. Siehe ferner Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 116. Das Bild vom Sender und Empfänger ebenfalls verwendend Ewer, AnwBl 2010, 297, 301. 6 Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, S. 141; Beck, Mediation und Vertraulichkeit, S. 49. Sich mit Kommunikationskanälen befassend, allerdings aus Gründen der Effizienz, Otto, AnwBl 2010, 303, 305. Siehe auch Groß/Herrmann, AnwBl 2003, 32 ff., zum Einsatz elektronischer Medien. 7 Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, S. 141. Vgl. dazu später auch im Zusammenhang mit der Rolle beispielsweise die Ausführungen Meads zur Sprache als signifikantes Symbol; dazu Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 85. 8 Das zu Recht vielfach betonte Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, siehe u. a. Ewer, AnwBl 2010, 297, 302; Jungk, AnwBl 2012, 376, 376, ist nicht von dieser „normativen“ Beziehung, die maßgeblich auf dem Anwaltsvertrag (mit) fußt, zu trennen.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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Grundlage ist im Besonderen der Anwaltsvertrag und die aus ihm im Einzelnen resultierenden Pflichten. Konsequenz dessen muss es daher sein, den Kommunikationsbegriff mit Blick auf diesen Ausgangspunkt (mit) zu bestimmen.9 Kontakt und Umgang von Anwalt und Mandant erfolgen deshalb, weil der Mandant den Anwalt aufsucht, um seine Interessen in vertraglicher Form umgesetzt zu sehen. Die Form von Kommunikation zwischen beiden ist folglich zunächst einmal als Verhalten in einer zwischen Personen (Mandant/Anwalt) bestehenden Situation10 anzusehen, wobei das Verhalten gerade gezielt gegenüber der anderen Person erfolgt. In seiner Grundkonstellation liegt zwischen Anwalt und Mandant eine zweiseitige Kommunikation11 vor. Es besteht insofern eine spezifische Form sozialer Interaktion12, die ihre besondere Gestalt vor allem aus dem durch den Anwaltsvertrag bestimmten Umfang bezieht. Diese Interaktion als wechselseitiger Austausch von Informationen/Mitteilungen13 ist aufgrund des normativen Rahmens stark von einem inhaltlichen und geschäftsmäßigen Aspekt geprägt; hinter diesen Aspekt tritt in der Regel eine persönliche Komponente14 innerhalb des Austauschs von Mandanten und Anwalt zurück.15 Gleichwohl ist letztere vorhanden. Sie betrifft etwa den notwendigen Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Mandanten
9 Vgl. aber auch Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 47, wonach dem Anwaltsvertrag zunächst eine auf der Beziehungsebene angesiedelte Vorphase vorausgeht. Dort findet ebenfalls ein Austausch von Signalen, also Kommunikation, statt, die insbesondere der Rollenbestimmung (Berater/Ratsuchender) dient. Zur Festlegung der Rollen von Anwalt und Mandant vor der eigentlichen Mandatsbearbeitung Jungk, AnwBl 2012, 376, 378 f. Vertieft zum Rollenverständnis zwischen beiden siehe Teil 3 der Arbeit. 10 Aus dem Anwaltsvertrag resultieren für beide auch persönliche Pflichten. 11 Siehe Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 116. Zur zweiseitigen Kommunikation, allerdings bezogen auf die Situation Mitarbeiter – Vorgesetzter, Neuberger, Das Mitarbeitergespräch, S. 11. Als zwingend notwendig wird die Zweiseitigkeit für ein Kommunikationsverhältnis nicht angesehen, so Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, S. 141. 12 Zur sozialen Interaktion Bernsdorf, Wörterbuch der Soziologie, S. 577. 13 Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 50 f.; demgegenüber ist die einzelne Kommunikation eine Mitteilung, S. 50. 14 Hiermit sind nicht solche persönlichen Komponenten gemeint, die untrennbar mit dem inhaltlichen Aspekt verbunden sind, etwa die persönliche berufliche Qualifikation oder ein besonderes (berufliches) Vertrauensverhältnis. Letzteres u. a. betonend Jungk, AnwBl 2012, 376, 378 f. Als zurücktretende persönliche Komponente wird hier die (rein) zwischenmenschliche Beziehung begriffen, deren Basis nicht auf eine rechtliche Grundlage rückführbar ist. Beispielhaft kann die persönliche Zuneigung, ein „Mögen“ der anderen Person genannt werden. Solche rein zwischenmenschlichen Beziehungsebenen können für eine sachgerechte Mandatsbearbeitung oftmals störend sein, wobei diese Störungen von beiden Seiten (Mandant und/oder Anwalt) kommen können. So kann der Mandant den Anwalt etwa für sein persönliches Schicksal vereinnahmen wollen, wenn er in ihm mehr sieht als einen „reinen“ Geschäftspartner. 15 Zu den unterschiedlichen Aspekten Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 53 ff.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
und Anwalt.16 Sie kann aber auch hervortreten, wenn Interessenkonflikte zwischen Mandant und Anwalt bestehen, z. B. bei unterschiedlichen Wertvorstellungen oder Erschütterungen im Vertrauensverhältnis.17 Es ist aber vor allem der normative Rahmen des Anwaltsvertrags, der in der Verbindung Anwalt – Mandant die zugrunde zu legenden (berechtigten) Erwartungshaltungen18 beider Seiten in Bezug darauf prägt, was jeweils in der Interaktion geleistet werden soll. Der Mandant erwartet die Umsetzung seiner Interessen, vor allem durch rechtliche Beratung und Gestaltung. Der Anwalt wiederum erwartet die Mitwirkung des Mandanten sowie die Begrenzung seiner beruflichen Tätigkeit auf den Bereich des juristischen Felds.19 Die Fokussierung auf diesen inhaltlichen Rahmen beruht nicht zuletzt auf dem Umstand, dass der Anwalt vom Mandanten als Fachmann aufgesucht wird. Das bestärkt nochmals die (notwendige) Zurückdrängung (rein) persönlicher Komponenten. Als anwaltlicher Interessenvertreter muss die Beziehung des Anwalts zum Mandanten eine überwiegend geschäftliche sein und bleiben.
16
Dazu Jungk, AnwBl 2012, 376, 378 f. Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 69. Davon zu trennen ist noch, ob der Einzelne (Mandant oder Anwalt) in seiner jeweiligen Person eine (starke) emotionale Involviertheit ausmacht. Dies nimmt Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 273, etwa in Bezug auf den Mandanten für Ehestreitigkeiten an, während der Anwalt diesen mit Routinen begegnet. Jeweilige Geschäftsmäßigkeit sei, so Schumann, gegeben, wenn auch für den Mandanten die Rechtsangelegenheiten zum Alltag gehörten, z. B. bei Geschäftsleuten. 18 Damit soll und kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall die Erwartungshaltung, nicht zuletzt diejenige des Mandanten, eine andere ist, als die, die in der Situation typisch ist. Hierin kann dann wiederum eine Quelle für Missverständnisse bestehen. Das kann u. a. dann der Fall sein, wenn der Mandant ein Maß an persönlichem Verständnis vom Anwalt erwartet, dass dieser nicht leisten will/kann/darf. Dazu, aus kommunikationstheoretischer Sicht, Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 56 f. Zu den Erwartungshaltungen der Vertragsparteien Anwalt und Mandant auch Jungk, AnwBl 2012, 376, 376 f. 19 Zum Anspruch an die anwaltliche Rolle, die eben keine Sozialarbeiterdienste umfasst, Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 57. Vgl. auch S. 64 zur „Filterungsbetrachtung“ bezüglich der jeweiligen Interessen (Mandant/Anwalt). Jungk, AnwBl 2012, 376, 376, macht die primäre Aufgabe des Anwalts darin aus, den Mandanten in seinen rechtlichen Belangen zu beraten und ggf. nach außen zu vertreten. Jungk betont somit einerseits den rechtlichen Aspekt. Sie hebt dabei hervor, der Anwalt müsse die Rechtsfragen im persönlichen Kontext des Mandanten betrachten. Andererseits, so Jungk, a. a. O., hänge die Zufriedenheit des Mandanten nicht nur von der erfolgreichen Durchsetzung seiner Interessen ab, er müsse sich vielmehr auch verstanden fühlen. Der Anwalt müsse sich auch in die persönliche Situation des Mandanten hineinversetzen, ohne jedoch dabei den klaren Blick zu verlieren. Damit eröffnet Jungk eine problematische Abkehr vom Verständnis einer primären Geschäftsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant, zumal sie, a. a. O., zudem davon spricht, dass „die reine Sachebene (auch) einmal zu verlassen“ sei. Jungk selbst, ebenda, ist sich der Schwierigkeiten allerdings bewusst, indem sie anführt, „(…) (d)ie Balance zu halten zwischen sachlichem Rechtsrat und persönlicher Anteilsnahme (…) (sei) somit die Kunst und eine der großen Herausforderungen im Anwaltsmandat.“ 17
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
375
II. Auswirkungen auf die zwischen Anwalt und Mandant zu setzenden Signale/Zeichen – Die Frage nach dem Wie der Kommunikation Das aufgezeigte Kommunikationsverständnis muss konsequenterweise Einfluss auf den Einsatz und den Umgang der innerhalb der Interaktion übermittelten Signale und Zeichen und deren Verständnis haben.20 Anwalt und Mandant gehen mit dem oben dargestellten Vorverständnis (Umsetzung der Interessen durch den Anwalt bzw. Erbringung der entsprechenden Dienstleistung innerhalb des Anwaltsvertrags gegenüber dem Mandanten) in die wechselseitige Kommunikation. Jeder von ihnen hat bestimmte Vorstellungen oder Gedanken.21 Diese senden beide in „verschlüsselten“ Zeichen an den jeweils anderen, der dann vor der Aufgabe steht, sie nicht nur zu empfangen, sondern auch zu „entschlüsseln“ und dann entsprechend zu interpretieren.22 Aufgrund dieses Vorgangs kann eine Fehlerhaftigkeit mit Blick auf die eingesetzten Zeichen, die als Transportmittel für die Nachrichten fungieren, z. B. dann daran ansetzen, dass Sender und Empfänger nicht über denselben Zeichenvorrat verfügen und in der Beurteilung nicht übereinstimmen.23 Beispiele: Der Mandant benutzt juristisches Vokabular, misst diesem allerdings eine andere als die tatsächliche fachliche Bedeutung bei.24 Oder: Der Mandant benutzt unpräzise Ausdrücke oder verwendet (z. B. als jüngerer Mensch) Szenevokabular.25
Beide Seiten stehen folglich vor der Aufgabe, den anderen überhaupt „richtig zu verstehen“, das heißt, die jeweiligen Nachrichten richtig zu erfassen, damit sie richtig interpretiert und richtig beantwortet werden können. Dieses zunächst abstrakt anmutende Modell gewinnt in der Beziehung Anwalt – Mandant sehr schnell an Bedeutung, sobald deutlich wird, dass dort der Anwalt für den richtigen „Verständniscode“ in einer besonderen „Bring- bzw. Holschuld“ steht,
20 Zu unterschiedlichen paralinguistischen Phänomenen siehe etwa Watzlawick/Beavin/ Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 51. 21 Siehe dazu allgemein das Kommunikationsmodell bei Neuberger, Das Mitarbeitergespräch, S. 13. Dies u. a. auch aufgreifend Bender/Röder, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band II, Vernehmungslehre, Rn. 632. 22 Auch dazu das Kommunikationsmodell bei Neuberger, Das Mitarbeitergespräch, S. 13. 23 Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, S. 145 f. m. w. N. 24 Hier besteht freilich eine Nachfrage- und Aufklärungspflicht des Anwalts aufgrund des Anwaltsvertrags. Zur Problematik der Verwendung von rechtlichen Begriffen auch Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 18. 25 Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 17, formuliert so: „Die Praxis lehrt, dass Anliegen und zugehöriger Sachverhalt in höchst unterschiedlicher sprachlicher Einkleidung, Dichte, Präzision und Typizität an den Berater herangetragen werden. Das hat seinen Grund u. a. in der jeweiligen Herkunft, Bildung und dem Sprachverhalten des Mandanten.“
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
was die „Verschlüsselung“ und „Entschlüsselung“ betrifft, damit es nicht zu Missverständnissen kommt.26 1. Sprache und die in ihr enthaltenen Botschaften Bei allen denkbar mannigfaltigen sendbaren Signalen und Zeichen innerhalb menschlicher Kommunikation ist diejenige zwischen Anwalt und Mandant durch zwei Arten von Symbolen im Besonderen bestimmt: die Sprache („Schallwellen“) und die Schrift („Buchstaben“). Unter diesen beiden kommt wiederum der Sprache27 in der wechselseitigen Kommunikation beider Parteien eine wichtige Rolle zu. Daneben gibt es selbstverständlich noch andere Arten von Signalen und Zeichen, wie etwa die nonverbale Kommunikation durch Gestik oder Mimik. Namentlich in Bezug auf die Sprache muss beachtet werden, dass die gesendeten Nachrichten unterschiedliche Botschaften enthalten,28 die für Sendung und Entschlüsselung zu berücksichtigen sind. Unterschieden wird vor allem zwischen vier Botschaften. Zunächst umfasst die Nachricht eine Sachinformation, das heißt, es werden Inhalte, die die „Sache“ selbst betreffen, mitgeteilt.29 Weiterhin gibt eine gesendete Nachricht Informationen über die Person des Senders als solchen weiter; bezeichnet wird dies als „Selbstoffenbarung“.30 Ein anderes Element ist die Beziehungsebene der Nachricht. Der Nachricht lässt sich dabei entnehmen, wie der Sender zum Empfänger steht, wie er ihn sieht.31 Enthalten ist darin aber auch die Einschätzung des Senders über seine Beziehung zum Empfänger.32 Schließlich enthalten viele Nachrichten auch einen Appell. Mit diesem Element wird versucht, auf den Empfänger Einfluss zu nehmen.33 Insoweit enthalten auch diese Ebenen „Informationen“.
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Sollte der Anwalt diesen Anforderungen nicht genügen, kann er ggf. eine Pflichtverletzung aus dem Anwaltsvertrag begehen. 27 Anders als im später zu verfassenden Vertrag. 28 Zum Umfassen mehrerer Botschaften innerhalb einer Nachricht u. a. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 26; darauf verweisend auch Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 118. 29 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 28. 30 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 29. 31 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 30 f. 32 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 31. 33 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 32.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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2. Anforderungen an den Anwalt bezüglich des Sprachverständnisses Innerhalb der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant muss in der Regel die Sachebene in den Vordergrund treten.34 Für die Sachebene steht der Anwalt aufgrund der durch den Anwaltsvertrag gesetzten (berechtigten) Erwartungshaltung des Mandanten vor der Herausforderung, z. B. hinsichtlich der Sprache solche Zeichen zu gebrauchen, die der Mandant (problemlos) entschlüsseln kann. Weiterhin hat er aber auch besondere Anstrengungen zu unternehmen, die Ausführungen des Mandanten selbst richtig zu verstehen. Bezüglich der vom Anwalt zu benutzenden Sprache ist, wie bereits mehrfach betont, zu berücksichtigen, dass der Mandant den Anwalt als (juristischen) Fachmann aufsucht. Der Mandant kann daher aufgrund des Anwaltsvertrags von ihm erwarten, solche sprachlichen Zeichen zu senden, die er als Laie in Bezug auf einen juristischen Sachverhalt versteht. Nicht zuletzt soll der Anwalt den Mandanten in die Lage versetzen, aufgrund der „verstandenen“ juristischen Zusammenhänge seinen Willen zu bilden35 und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Zwar darf und muss der Anwalt den jeweiligen Empfängerhorizont36 seines Gegenübers in Rechnung stellen; da dieser in den meisten Fällen allerdings derjenige eines juristischen Laien ist, bleibt die besondere sprachliche Herausforderung für den Anwalt bestehen.37 Der Anwalt darf sich vor allem nicht (nur) auf die juristische (Fach-)Begrifflichkeit38 zurückziehen. Die Fachsprache ist, wie die Gesetzessprache selbst, in der Regel eine sprachliche Barriere in Bezug auf den Bürger.39 Dies mag bedauerlich 34 Das bedeutet, was auch die weitere Erörterung zeigen wird, keinesfalls die Bedeutungslosigkeit der anderen Ebenen. So enthält etwa die Aussage des Anwalts gegenüber seinem Mandanten, die Klage werde kaum Aussicht auf Erfolg haben, zum einen die Sachinformation, wie der Anwalt die rechtliche Lage beurteilt. Sie enthält aber z. B. auch den Appell, von einer Klageerhebung möglichst abzusehen. 35 Dazu u. a. Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 144. 36 Zum Empfängerhorizont Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 161. 37 Ewer, AnwBl 2010, 297, 301, spricht zu Recht davon, „Anwältin und Anwalt zu sein, heiß(…)(e) (…), auch einen Kommunikationsberuf auszuüben.“ 38 Zum Umgang mit dem Begrifflichen Hatz, Rechtssprache und juristischer Begriff, S. 44. Zu Begriffen als ein Problemkreis in der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt Pick, AnwBl 2013, 201, 203. 39 Siehe dazu Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 27. Das ebenfalls aufgreifend Ewer, AnwBl 2010, 297, 297 ff.; Ewer, ebenda, S. 298, verweist u. a. auf Towfight. Towfight, Der Staat 48 (2009), 29 ff., macht seine Ausführungen zur Komplexität und Normenklarheit, Gesetze seien für Juristen gemacht. Siehe in grundsätzlicher Hinsicht auch Nussbaumer, Gesetzestext und Wissenstransfer? – Welche Funktionen Gesetzestexte erfüllen müssen und wie man sie optimieren kann. Die Notwendigkeit, einen Juristen als „Dolmetscher“ zu benötigen, steht damit antithetisch zu dem, was Recht in der Demokratie eigentlich leisten soll, jedenfalls dann, wenn man den Titel eines Beitrags von Klein zugrunde legt: „Ein Gemeinwesen, in dem das Volk herrscht, darf nicht von Gesetzen beherrscht werden, die das Volk nicht versteht.“
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
sein,40 muss im Verhältnis zwischen Mandanten und Anwalt aber als bestehendes Faktum hingenommen werden.41 Es ist dann an dem Anwalt, gleichsam als „Übersetzer“ oder „Dolmetscher“42 tätig zu werden. Der Anwalt muss folglich die juristische Fachsprache in der Regel in eine Gemein- oder Umgangssprache43 überführen, um so Zeichen zu setzen, die sein Empfänger „entschlüsseln“ kann. Er ist gehalten, auf Verständlichkeit (einfache, klar strukturierte Sätze,44 Aussparung von Fachausdrücken) zu achten. In seiner Bedeutung ist dieser Vorgang nicht nur ein aufgrund des Anwaltsvertrags geschuldeter Kommunikationsprozess.45 Die beschriebene „Übersetzertätigkeit“ ermöglicht es dem Anwalt, seinem Mandanten zu dessen Recht zu verhelfen,46 indem er ihn in die Lage versetzt zu verstehen, ob und wie er eigenverantwortlich sein Leben durch einen Vertrag gestalten kann. Hier manifestiert sich in besonderer Weise die Rolle, die dem Anwalt als Organ der Rechtspflege im Sinne des § 1 BRAO sowie aufgrund des § 3 BRAO und des § 1 BORA zukommt. § 3 Abs. 1 BRAO bestimmt den Rechtsanwalt als berufenen unabhängigen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. § 1 Abs. 3 BORA führt dies noch aus, indem danach der Anwalt in dieser Eigenschaft u. a. seinen Mandanten rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten hat. Es wird durch das vom Anwalt vermittelte Verstehen des Rechts erst die Teilhabe des Einzelnen am Recht ermöglicht. So spricht auch § 1 Abs. 2 BORA davon, dass die Freiheitsrechte des Rechtsanwalts die Teilhabe des Bürgers am Recht gewährleisten. Die zuvor beschriebene Übersetzungstätigkeit des Anwalts kann man sprachlich auch als seine spezielle „Bringschuld“ bezüglich der Vermittlung der Zeichen in Richtung auf den Mandanten benennen. 40 Zur Leistung der Fachsprache als Kommunikationsmittel auf einer anderen Ebene, nämlich zwischen Fachleuten selbst sowie zur Rolle der Fachsprache auch Duve, DNotZSonderheft 1981, 26, 30. 41 Eine andere Frage ist es, ob das zu erstellende Normregelungswerk (Vertrag) ebenfalls unter einer entsprechenden „Unverständlichkeit“ leiden muss. Es ist dann aus anderem Blickwinkel zu bestimmen, in welcher „Sprache“ durch den Vertrag kommuniziert werden soll und muss. 42 Ewer, AnwBl. 2010, 297, 301 (zum Anwalt); Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 48 f. (zum Notar); Jerschke, DNotZ-Sonderheft 1969, 26 (zum Notar); Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 162, dort zutreffend für die mündliche Beratung; Pick, AnwBl 2013, 201, 205, zur Erläuterung von Begriffen im Verhältnis Anwalt – Mandant. 43 Zum Umgang mit Fach- und Gemeinsprache siehe u. a. Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 29; zur Umgangssprache etwa Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 160, dort allerdings im Kontext mit der Verhandlungssprache. 44 Zur Einfachheit der Sprache etwa Bender/Röder, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band II, Vernehmungslehre, Rn. 633. 45 Dieser Aspekt kommt innerhalb der Diskussion um die Kommunikationsfähigkeit von Anwälten zu kurz. Pick, AnwBl 2013, 201, 205, formuliert den Appell, Anwältinnen und Anwälte sollten Gesprächsführung als eigenständige Aufgabe wahrnehmen. 46 So lautete etwa das Motto des 61. Deutschen Anwaltstags „Kommunikation im Kampf ums Recht“.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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Der Anwalt ist aber auch noch in einer besonderen „Holschuld“ im Hinblick auf die Sprache des Mandanten. Er muss berücksichtigen, dass der Mandant sich sprachlich in der Regel nicht so ausdrücken kann wie er selbst. Er muss sich somit wie bei seinen eigenen Äußerungen so weit als möglich und der Verständlichkeit zuträglich auch auf der „Empfängerebene“ dem sprachlichen Niveau des Mandanten anpassen. Das gilt nicht zuletzt in Bezug auf die Erfassung außerrechtlicher Wirklichkeiten,47 die durch den Vertrag gestaltet werden sollen.48 All dies kann im Einzelfall auch an Grenzen stoßen. Dessen muss sich der Anwalt jedoch bewusst sein. Es ist dann grundsätzlich an ihm, Verständigungsprobleme durch Nachfragen aufzuklären.
III. Ziel der Kommunikation – Die Frage nach dem Warum der Kommunikation 1. Informationsbeschaffung und Interessenfindung Die eingangs erläuterte stark normativ beeinflusste Ausrichtung der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten betrifft nicht nur das „Ob“ und das „Wie“ derselben. Sie bezieht sich auch und vor allem auf das „Warum“, auf das Ziel der Kommunikation.49 Denn der Mandant, der einen Anwalt aufsucht und ihn beauftragt, möchte Hilfe bei der Lösung seines Ansinnens; dieses ist Gegenstand der Kommunikation.50 Eine Begrenzung des Mandats erfolgt gerade durch den Anwaltsvertrag. Gleichzeitig beeinflusst letzterer jedoch auch die Zweckverfolgung. Zum einen braucht der Anwalt notwendige Informationen, um überhaupt die nach dem Anwaltsvertrag geschuldete Interessenvertretung vornehmen zu können; er benötigt den relevanten Sachverhalt. Damit ist im besonderen Maß die Inhalts-/Sachebene betroffen.51 Bezogen auf die Interessenvertretung wird es zum anderen in vielen Fällen erforderlich sein, dass der Anwalt dem Mandanten zunächst bei der Interessen-/Willenserforschung und -bildung behilflich ist.52
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Siehe dazu noch den nachfolgenden Gliederungspunkt. Zur Anknüpfung des Juristen an allgemeinsprachliche Ausdrücke, um außerrechtliche Wirklichkeiten, die das Recht beeinflussen soll, erfassen zu können, Wassermann, Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien im Bereich des Rechtswesens, S. 114, 118. Dort, S. 117, auch zur Notwendigkeit, sich Sprachbarrieren bewusst zu machen. 49 Das betrifft den Zeitraum nach Abschluss des Anwaltsvertrags. Die diesem vorgelagerte Phase ist stark von der Beziehungsebene geprägt, so Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 47. 50 Dazu Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 56. Vgl. auch Pick, KammerMitt RAK Düsseldorf 2009, 299, 301. 51 Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 56. 52 Zur Willensermittlung und -bildung etwa Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 141 ff. 48
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Der Anwalt muss somit die Interessen seines Mandanten in ihrer oft vielschichtigen Breite in Erfahrung bringen, die er dann umzusetzen hat.53 Es muss also ein Prozess der Interessenfindung und auch Interessengewichtung stattfinden. Insofern hat ein Filterungsprozess zu erfolgen. Es ist das ureigene Recht des Mandanten, seine Interessen zu benennen und zu präferieren. Dazu muss dann der Anwalt im Rahmen seiner juristischen Profession Unterstützung leisten. Das ist ein Bereich, in dem innerhalb der Vertragsgestaltung keinesfalls ein „Machtgefälle“ zugunsten des Anwalts gegenüber seinem Mandanten dergestalt eintreten darf,54 dass der Anwalt aufgrund seines Status bzw. seiner Positionierung die Richtung vorgibt. In Bezug auf die Interessen und die Interessengewichtung muss die „Definitionsmacht“55 nicht beim Fachmann, sondern beim Mandanten liegen. Hierfür ist es ganz wesentlich, das Verstehen auf Seiten des Mandanten zu fördern.56 Es ist aber auch notwendig, sich als Anwalt zur Aufnahme unterschiedlicher Interessen hin zu öffnen.57 Eingebettet ist dieser Vorgang u. a. in den Prozess der Informationsbeschaffung und des Informationsaustauschs. Es findet eine Wechselbeziehung zwischen Interessenfindung und Informationsbeschaffung statt. Es handelt sich insoweit um die notwendige Sachverhaltsermittlung, die sich durch diese besondere Wechselwirkung auszeichnet. Nachhaltigen Einfluss darauf nehmen vor allem soziale Abläufe. Solche Abläufe sind nicht zuletzt, wie sich nachfolgend noch zeigen wird, eng an und eng mit den Individualinteressen ge- bzw. verkoppelt.58 Denn Interessen wurzeln maßgeblich im sozialen Leben, werden außerdem durch dieses beeinflusst. Sachverhalts- und Interessenermittlung lassen sich nicht trennen. Das zeigt sich schon beim Umgang mit der Begrifflichkeit der Information.
53 Siehe zur Erfassung dessen, was der Mandant erreichen will, Ahlers, FS für Sigle, 453, 458; zur Ermittlung von Zielen und Interessen des Mandanten Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 15; Schmittat, Vertragsgestaltung, Rn. 17, zur Ermittlung des Willens. von Daniels, AnwBl 2010, 99, formuliert, es sei Aufgabe des Anwalts, möglich früh das Handlungsziel des Mandanten aus dem Gespräch herauszudestillieren und das Anliegen des Mandanten in den juristischen Kontext zu übertragen 54 Zur Qualität der anwaltlichen Beratung auch unter Bezugnahme auf die Egalität der Verhandlungsmacht zwischen Mandanten und Anwalt, Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 277 f., dort vor allem unter Hinweis auf Rosenthal. 55 Zum Begriff Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 282. 56 Auch hier darf, wie Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 282, es beschreibt, keine Definitionsmacht beim Anwalt liegen, sondern es ist eine Symmetrie zwischen Anwalt und Mandant herzustellen. Dazu ist der Anwalt verpflichtet. Für die Beziehungsebene zwischen beiden spielt dies ebenfalls eine Rolle. Vgl. auch Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 58. Siehe dort, S. 71 ff., zu den Problemen des Mandanten bezüglich der Partizipation am Entscheidungsprozess, etwa aus zeitlicher Sicht. 57 Dieser Prozess ist ein dauerhafter und begleitet die gesamte Phase der Vertragsgestaltung. 58 Ein besonderes Beispiel in dem Zusammenhang ist das Verhältnis der Mandanteninteressen zu denen des potentiellen Vertragspartners oder denen eines Dritten.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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So wird die anwaltliche Informationsbeschaffung an sich an der Eruierung gegenwärtiger und zukünftiger tatsächlicher Umstände festgemacht.59 Mit Blick auf die Interessenfindung, die ob der Weite des Interessenbegriffs z. B. auch (persönliche) Wertvorstellungen umfassen kann, darf das Ziel der Kommunikation allerdings nicht bei tatsächlichen Umständen stehen bleiben, sondern muss dementsprechend weitergehen. Folglich muss auch ein weites Verständnis dessen, was im Verhältnis Anwalt – Mandant unter „Informationen“ zu verstehen ist, zugrunde gelegt werden. Dieser weite Umfang ist es aber auch, der die zielführende Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten, vor allem aus Sicht des Anwalts, so schwierig machen kann. Die Interessen des Mandanten wurzeln, wie ausgeführt, im Wesentlichen im sozialen Leben, in der sozialen Wirklichkeit.60 Es geht bei der Vertragsgestaltung gerade um die Gestaltung des sozialen Lebens mit den Mitteln des Rechts, durch die „Normen“ des Vertrags. Wenn diese Leistung erfolgen soll, muss mit der sozialen Situation des Mandanten und seiner Umwelt eine Auseinandersetzung erfolgen. Aus dem Grund sind nicht nur die Sachinformationen relevant, sondern etwa auch die Selbstoffenbarungsbotschaften.61 Es ist ferner die soziale Wirklichkeit, die letztlich bestimmt, welche Vertragsgestaltung nützlich oder notwendig ist.62 Es ist die soziale Wirklichkeit, die schlussendlich auch „entscheidet“, ob der Vertrag als Rechtsgeschäft in der Form Bestand hat, dass er seine intendierten Wirkungen entfalten kann.63 Vor diesem Hintergrund ist die Rolle des Vertragsgestalters, der Recht „verwendet“64 erst verständlich und auch nachvollziehbar. Die Ermittlung von Sachverhalt und Mandantenanliegen, nicht allein wegen ihrer Ausrichtung auf die Zukunft, erweist sich für den Anwalt jedoch oftmals als problematisch.65 Der Mandant begibt sich in der Regel mit den Vorstellungen aus seinem Wirklichkeitskosmos zum Anwalt. Es hat dann dem Anwalt, nicht zuletzt angesichts der Erwartungshaltung des Mandanten und der von diesem gesetzten „Zeichen“66, 59
Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 15. Zum Erfordernis, die Vertragsgestaltung von der sozialen Wirklichkeit aus zu sehen, Schollen, DNotZ 1976, 197, 197 und 200. Zur sprachlichen Anknüpfung bezüglich der Erfassung rechtlich zu regelnden außerrechtlichen Wirklichkeiten, Wassermann, Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien im Bereich des Rechtswesens, S. 114, 118. 61 In diesem Kontext macht es Sinn, wenn Jungk, AnwBl 2012, 376, 376, davon spricht, der Anwalt müsse sich in die persönliche Situation des Mandanten hineinversetzen, ohne allerdings dabei den klaren Blick zu verlieren. 62 Dazu Schollen, DNotZ 1976, 197, 204. 63 Zur Gefährdung des Bestands eines Rechtsgeschäfts, wenn es der sozialen Wirklichkeit zuwiderläuft, Schollen, DNotZ 1976, 197, 200. Vgl. dazu auch u. a. schon die Ausführungen von Llewellyn und Macneil. 64 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 42. 65 Siehe dazu auch, aus Sicht des Notars, Jerschke, DNotZ-Sonderheft 1989, 21, 25. 66 Auch bei der Schilderung der zu gestaltenden Lebenswirklichkeit ist es zunächst an dem Anwalt, sich auf die von den Mandaten verwendeten Zeichen einzustellen und diese richtig zu „entschlüsseln“. 60
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
bewusst zu sein, die soziale Wirklichkeit, die normativ gestaltet werden soll, grundsätzlich in ihrer ganzen Weite erfassen zu müssen. Dies kunstgerecht vorzunehmen, setzt somit ganz wesentlich bei der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant an, da sich die zu erfassende soziale Wirklichkeit im Besonderen (erst) im Gespräch (mit-)erschließen lässt. Mit anderen Worten: Erneut ist es unerlässlich, den Vertrag von seiner sozialen Dimension her zu begreifen, das heißt, die soziale Lebenswirklichkeit herauszufinden, die durch den Vertrag eine normative Regelung erfahren soll. a) Problem der Erfassung sozialer Realitäten Zur kunstgerechten Erfassung der für die vertragliche Regelung relevanten Lebenswirklichkeit muss sich der Blick des Anwalts zwei Richtungen zuwenden: Es geht zum einen darum, bestimmte soziale Realitäten67 als solche überhaupt wahrzunehmen. Dieses Erfordernis stellt sich deshalb, weil es gerade diese Umstände sind, die das zu schaffende „Recht“, den Vertrag, entscheidend prägen. Aus der sozialen Realität resultieren die Interessen des Mandanten, die er im Vertrag wiederfinden will; nur dann wird er ihn in der Regel auch akzeptieren.68 Dementsprechend muss zunächst überhaupt das Bewusstsein vorhanden sein, dass das Recht (der Vertrag selbst, aber auch das Vertragsrecht) auf die „Realität der Welt“69 anzuwenden ist und dort wirken soll. Denn es muss letztlich das Ziel der Vertragsgestaltung sein, dass das „Recht“ des Vertrags eine Chance hat, in der Wirklichkeit gelebt zu werden.70 Der Anwalt muss also die Wünsche seines Mandanten erfassen, sie verstehen.71 „Verstehen“ aber bedeutet, etwas in seinem Zusammenhang, in seiner Bedeutung und in seinem Sinngehalt zu erkennen.72 Für dieses Verständnis ist ein Erfassen und Begreifen der sozialen Bezüge, innerhalb derer sich die Wünsche bewegen, unerlässlich.73 67
Das können beispielsweise bestimmte private Konstellationen sein. Zur Rolle des Rechts als Ordnungsprinzip mit Blick auf die Interessenjurisprudenz siehe etwa Schelsky, JZ 1974, 410, 411. 69 Schelsky, JZ 1974, 410, 411. 70 Wird der Vertrag „gut“ in der Wirklichkeit angelegt, so ist er ein Grund, dass es nicht zu Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien kommt und z. B. keine gerichtliche Kontrolle erfolgt. Siehe dazu auch Weber, JuS 1989, 818, 823: „Meist gelangen nur mißglückte Rechtsgestaltungen durch die anschließenden Prozesse und die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen in die juristische Öffentlichkeit oder sogar in die allgemeine Presse. Der gute Kautelarjurist arbeitet außerhalb des Blickfeldes der Öffentlichkeit. Er hat indessen die Befriedigung, seine Auftraggeber vor Streit bewahrt und einerseits Gerechtigkeit, andererseits Rechtsfrieden geschaffen zu haben.“ All dies ändert jedoch nichts daran, dass zu einer angemessenen Vertragsgestaltung auch der Blick auf den Störfall gehört, und das ist der Blick auf die Kontrollinstanz. 71 Zu Recht bezeichnet Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, es als die Aufgabe des Vertragsjuristen, sich in die Interessenlage der Beteiligten hineinzudenken. 72 Hatz, Rechtssprache und juristischer Begriff, S. 44. 73 Siehe dazu auch Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 47. 68
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Um vor diesem Hintergrund die relevanten Wünsche des Mandanten, den relevanten Sachverhalt ermitteln zu können, ist beim Anwalt ein entsprechendes Wirklichkeitsbewusstsein erforderlich. Aufgrund der Zukunftsorientiertheit der Vertragsgestaltung ist es hier wichtiger denn je, das Ansinnen des Mandanten in seiner gesamten Komplexität zu erfassen und es nicht von einem bestimmten Lösungsansatz her zu betrachten.74 Weil zudem der Mandant gerade aus seiner Lebenswirklichkeit heraus (anwaltlichen) Rat erwartet, sich der Bedeutung vieler Umstände aber nicht bewusst ist oder sie auf „eigene“ Weise wahrnimmt, ist die Erforschung durch den Anwalt bedeutsam, um einen angemessenen Rat erteilen zu können. Allerdings wird der Jurist mit der notwendigen Wirklichkeitserforschung oftmals vor besondere Schwierigkeiten gestellt. So sind zahlreiche Fälle vorstellbar, in denen die Mandanteninteressen in Bereichen liegen, die der Jurist aus eigener unmittelbar gelebter Erfahrung nie erfasst hat. Beispiele dafür können bestimmte familiäre Situationen oder Befindlichkeiten sein. Abgesehen von der eigenen „gelebten“ Erfahrung ist der Jurist von seiner Ausbildung her zumeist nur auf „genormte Realitäten“ vorbereitet. Er denkt in gesetzlichen (Anspruchs-)Grundlagen. Der unter Rechtsbegriffe subsumierende Jurist entwickelt eine berufsbedingte selektive Wahrnehmung.75 Die von der Bevölkerung tatsächlich gelebte Realität ist nicht Teil seiner Ausbildung, wird von ihm häufig dann auch gar nicht begriffen.76 Gleichwohl soll er auf diese Realität nicht nur das Recht anwenden, sondern sie gar mit den Mitteln des Rechts mandantengerecht gestalten, sie sozialadäquat verändern. Bereits am Anfang des Dialogs zwischen Anwalt und Mandant, der die Problemerfassung und den wesentlichen Einstieg in die Ermittlung der notwendigen Sachinformationen umfasst, stellt sich folglich die Frage, wie der Anwalt mit dieser Herausforderung umzugehen hat. Bei all den sich ergebenden Schwierigkeiten muss allerdings zunächst eines festgestellt werden: Der Anwaltsvertrag verpflichtet den Anwalt nicht, gleichsam als „Detektiv“ das gesamte persönliche Leben des Mandanten nach all seinen sozialen Bezügen zu durchforschen.77 Er ist eben nicht der Sozialarbeiter seines Mandanten. Deshalb ist in der dialogischen Situation zunächst der Mandant in der Rolle des Informationsbeschaffers, auch im Hinblick auf die sozialen Bezüge. Bedeutsam ist jedoch, dass das, was der Mandant für relevant 74 Zu beachten ist, dass „(…) (d)em Juristen (…) das Ausklammern von Elementen aus der Vielfalt der Realität, die Rekonstruktion auf das ,Rechtserhebliche‘ als Kennzeichen der rechtlichen Subsumtion schon vom Studium her zur Selbstverständlichkeit geworden (ist)“, so Blankenburg/Reifner, Rechtshilfe als Teil eines Beratungssystems, S. 21, 22. Diese Selektivität der Wahrnehmung gilt es vor allem beim Einstieg in die Vertragsgestaltung aufzubrechen. 75 Blankenburg/Reifner, Rechtshilfe als Teil eines Beratungssystems, S. 21, 22. 76 So schon Schelsky, JZ 1974, 410, 411. 77 Das Bild des „Detektivs“, allerdings in Bezug auf den Notar, verneinend, Jerschke, DNotZ-Sonderheft 1989, 21, 25.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
erachtet, nicht immer die tragenden Informationen sind. Weil es aber nichtsdestotrotz an dem Anwalt ist, Wünsche des Mandanten, soziale Realitäten und das Recht im Vertrag aufeinander abzustimmen,78 von ihm aufgrund des Anwaltsvertrags diese Leistung auch verlangt werden kann, muss schließlich doch der Anwalt im Dialog die sozialen Begebenheiten, die in diesen Prozess hineinzufließen haben, wesentlich erfragen. Aus dem aufgezeigten Wechselspiel zwischen Realität und Recht79 lassen sich dann aber auch Erkenntnisse schöpfen, wie der Anwalt den oben aufgezeigten Schwierigkeiten begegnen kann, was von ihm erwartet werden kann und mit welcher Zielrichtung und Einstellung er die Kommunikation mit dem Mandanten betreiben muss. b) Anstoß durch die Mandantenschilderung Da die (Eingangs-)Schilderung80 des Mandanten der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die weitere Erforschung von Willen, Interessen und Lebenssachverhalt ist,81 müssen sich die nachfolgenden Vorgehensweisen auch an dieses sichtbar82 gewordene Element anschließen. Dass bezüglich der Schilderung des Mandanten, wie auch im weiteren Verlauf des Dialogs, ein aufmerksames Zuhören,83 78 Siehe dazu auch bei Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 48: „Gesetz, Rechtsgefühl und soziale Verhaltensnormen müssen durch die juristische Kunst aufeinander abgestimmt werden, damit sie ein Zusammenspiel ergeben.“ Duve führt insoweit als Urheber des Ausspruchs in Fn. 88 Juan Vallet de Goytisolo, Präsident der Internationalen Union des Lateinischen Notariats, auf dem XV. Kongreß in Paris 1979 an. 79 Siehe dazu, allerdings im Kontext der Tätigkeit eines Notars, ein Zitat von Schollen, DNotZ, Sonderheft Deutscher Notartag 1977, 28, 35: „Der Blick wandert hin und her. Wille, Lebensverhältnisse und Normen stehen in Wechselbeziehungen.“ Das Zitat wird unter Hinweis auf Schollen auch von Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 48, angeführt. Das Bild des Hin- und Herwanderns des Blicks findet sich aber bereits bei Engisch. Engisch führte, jedoch nicht bezogen gerade auf die rechtsgestaltende Situation, in seinen Logischen Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14 f., aus: „Für den Obersatz ist wesentlich, was auf den konkreten Fall Bezug hat, am konkreten Fall ist wesentlich, was auf den Obersatz Bezug hat. Sieht man aber näher zu, so handelt es sich nur um eine ständige Wechselwirkung, ein Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt, (…)“. Das Bild von Engisch wird u. a. auch von Möllers, ZfPW 2019, 94, 100 f., angeführt. 80 Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 19, spricht davon, den Auftraggeber zum Sprechen zu bringen, um so etwas über die Ausgangslage, die Überlegungen, Wünsche und Zielvorstellungen der Beteiligten zu erfahren. Pick, AnwBl 2017, 266, 267, formuliert, dass zum einen dem Mandanten deutlich zu machen ist, was kommunikativ erwartet wird, andererseits aber die Aufforderung an den Mandanten offen, nicht einengend sein soll. 81 Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 48, sprechen bezüglich der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt vom Beginn der Kommunikation auf der Sachebene. Vgl. auch Pick, AnwBl 2013, 201, 205. 82 Zur Anknüpfung an das Sichtbare im Bereich der Willensbildung Jerschke, DNotZSonderheft 1989, 21, 24 f. 83 Dies betonend etwa Henke, JZ 1974, 729, 729; vgl. auch Pick, AnwBl 2013, 201, 205.
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eine innere Bereitschaft zum Verstehen wollen vorhanden sein muss, ist zwar als selbstverständlich vorauszusetzen. Gleichwohl ist die dafür notwendige Technik des aktiven Zuhörens, bestehend aus Gehör schenken, Paraphrasieren und Verbalisieren bei Anwälten häufig keine „Selbstverständlichkeit“.84 Die Notwendigkeit, auf den Mandanten „zu hören“, betrifft dabei nicht nur die Phase des Beginns der Vertragsgestaltung, sondern durchzieht den gesamten Prozess. c) Einfluss eigener gelebter Erfahrungen Eine solche Offenheit betrifft auch weitergehende Fragen durch den Anwalt.85 Die Offenheit muss sich zudem auf alle Botschaften, die in den Mitteilungen des Mandanten enthalten sind, erstrecken. Das heißt, nicht nur die Sachinformationen sind wahrzunehmen, sondern z. B. auch die Aspekte der Selbstoffenbarung des Mandanten. Zudem spielt nicht zuletzt die Mandantenreaktion im Gespräch eine besondere Rolle,86 etwa wenn anwaltliche Fragen nach einem persönlichen Verhältnis körperliche Reaktionen hervorrufen. Einfluss nimmt somit ebenfalls die nonverbale Kommunikation.87 Ausgehend von dieser Offenheit und aufgrund des Umstands, dass in den meisten Fällen der „Anstoß“ durch den Mandanten nicht sachumfänglich ist, steht der Anwalt vor der Notwendigkeit, schließlich selbst zur eigentlichen Erfragung der sozialen Realität ansetzen.88 Jetzt stellt sich die Frage nach dem Umgang mit den zuvor aufgezeigten „Realitätsdefiziten“ des Anwalts unmittelbar. Bevor eine Lösung über die Nutzbarmachung einer „wissenschaftlichen“ Herangehensweise gesucht wird, sollte an erster Stelle der Rückgriff auf vorhandene tatsächliche Lebenserfahrungen gewählt werden.89 Auch wenn der Anwalt viele Lebensbereiche seiner Mandanten in eigener Anschauung nie erfahren hat, so können solche Erfahrungen rein tatsächlich jedoch in bestimmten Gebieten vorhanden sein, z. B. in Bezug auf die Leitung eines Unternehmens. Dann kann und soll sich der Anwalt sehr wohl von diesen Erkenntnissen bei seinen Fragestellungen leiten lassen. Das betrifft ebenfalls den Bereich seiner allgemeinen Lebenserfahrung90 und seiner Menschenkenntnis91, das heißt die eigenen „menschlichen“ Erfahrungen des Juristen.92 84 Zum aktiven Zuhören etwa Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 132 ff., Rn. 135, ausdrücklich für das erste Mandantengespräch. 85 Zur „Quelle“ für Fragen an den Mandanten u. a. auf die „Landschaft des Mandanten“ abstellend Ponschab/Schweizer/Lochmann, Schlüsselqualifikationen, S. 127. 86 Ponschab/Schweizer/Lochmann, Schlüsselqualifikationen, S. 128. 87 Zur kommunikativen Kompetenz des Anwalts Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 288 f. 88 Das ist letztlich die Folge davon, dass Mandant und Anwalt eine unterschiedliche Relevanzstruktur aufweisen; dazu Bähring/Roschmann/Schäffner, Anwalt und Mandant, S. 49. 89 Vgl. auch Pick, AnwBl 2013, 201, 205, wonach sich Nachfragen auf die Alltagserfahrungen des Mandanten beziehen sollten. 90 Dazu auch Henke, JZ 1974, 729, 729.
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d) Rückgriff auf Alltagstheorien Allgemeine „Erfahrungen“ weiterer Art können ebenfalls einen Ansatzpunkt für die Sachverhaltsermittlung bilden. Vorstellbar ist ein Rückgriff auf so genannte „Alltagstheorien“. Diskutiert wird ein solcher Rückgriff auf Alltagstheorien namentlich in Bezug auf die Sachverhaltsermittlung durch die Rechtsprechung.93 Dort wird bei der Frage, ob bestimmte tatsächliche Voraussetzungen einer Norm erfüllt sind, auf „Erfahrungstatsachen“ oder „Erfahrungssätze des Lebens“94 zurückgegriffen. Bydlinski definiert die Alltagstheorie als „eine Hypothese über tatsächliche Zusammenhänge, die bereits auf Grund informell gewonnener, jedermann oder doch jedem Sachnahen zugänglicher Erfahrung aufgestellt wird“.95 Anknüpfungspunkt für diese „Theorien“ sind oftmals typisierende Betrachtungsweisen.96 Kritiker führen gegen die Verwendung von Alltagstheorien deren mangelnde wissenschaftliche Absicherung bzw. ihre mangelnde Verifikation ins Feld.97 Ansatz für eine Angreifbarkeit kann etwa sein, dass nicht deutlich wird, auf wen diese „Erfahrung“ zurückgeht („nur“ auf den Richter oder mehrere Personen, wenn ja, welche und wie viele98). Es wird mit diesen „Erfahrungen“ die Schwelle zu soziologischen Betrachtungsweisen überschritten, ohne auf die entsprechenden (wissenschaftlichen) Methoden zurückzugreifen. In anderer Weise jedoch stellt sich die Frage nach einer möglichen Nutzbarmachung von „Alltagstheorien“ für den den Sachverhalt aufklärenden Anwalt, gerade wenn man auf die Definition Bydlinskis rekurriert. 91
Dazu, bezogen auf die Person des Notars, Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 48. Ponschab/Schweizer/Lochmann, Schlüsselqualifikationen, S. 128, führt u. a. als Quelle für Fragen an den Mandanten die eigene anwaltliche Reaktion auf. 93 Siehe dazu u. a. Ausführungen bei Jost, Soziologische Feststellungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, passim; außerdem etwa Heldrich, AcP 186 (1986), 74, 81 ff. 94 Hierzu Jost, Soziologische Feststellungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, S. 32; siehe auch Opp, Soziologie im Recht, S. 52. 95 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 98. 96 Heldrich, AcP 186 (1986), 74, 80. 97 Siehe etwa Bürkle, Richterliche Alltagstheorien im Bereich des Zivilrechts, S. 11 f. Bürkle benennt Begriffe wie „Alltags- oder „alltäglich“. Sie seien Fachausdrücke einer bestimmten Denkhaltung und Einstellung einer Person gegenüber ihrem eigenen Wissen. Sie seien gekennzeichnet durch „relativ unkritisches, durch keine wissenschaftliche Reflexion getrübtes Vertrauen in eigene Kenntnisse“. Siehe ferner zur Kritik Jost, Soziologische Feststellungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, S. 32. Die Vorteile der Verwendung von Alltagstheorien und die Möglichkeit ihrer Kontrolle hervorhebend etwa Bydlinski, Juristische Methoden und Rechtsbegriff, S. 98 f. Eine stärkere Verifikation ließe sich ggf. durch den stärkeren Einsatz einer empirischen Herangehensweise im Zivilrecht erreichen. Die empirische Herangehensweise im Zivilrecht u. a. darstellend – jedoch nicht mit Blick auf Alltagstheorien – etwa Hamann/Hoeft, AcP 217 (2017), 311 ff. 98 Dazu u. a. Opp, Soziologie im Recht, S. 52. 92
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Beispiel: Eine Frau sucht einen Anwalt auf, um sich bezüglich einer anstehenden Eheschließung über den Inhalt eines möglichen Ehevertrags beraten zu lassen. Sie erwähnt im Gespräch auch, dass ein gemeinsamer Kinderwunsch besteht.
Der Anwalt geht ohne Kenntnis um eine wissenschaftliche Verifizierung von der Alltagstheorie aus, die Frau werde nach der Geburt der Kinder ihren Beruf aufgeben und sich schwerpunktmäßig um die Kinder kümmern. Diese vom Anwalt angewandte Alltagstheorie kann dann für ihn etwa die Veranlassung bilden, die Mandantin zu fragen, ob sie berufstätig sei, wer sich um die Kinder kümmern soll, ob sie ggf. dem Beruf nicht mehr nachgehen möchte. Der Anwalt kann und sollte somit (seine) Alltagstheorie im konkreten Fall durch Nachfrage verifizieren oder falsifizieren. Dann erfüllen Alltagstheorien einen Zweck, der, anders als ihr Einsatz innerhalb der Rechtsprechung, durchaus zu begrüßen ist.99 Alltagstheorien stellen eine „Brücke“ zur sozialen Wirklichkeit her. Sie können z. B. darauf beruhen, Teil der selbst wahrgenommenen sozialen Realität zu sein.100 Sie können auch über Erfahrung und (Fach-)Literatur vermittelt werden. Indem sie aber in der sozialen Realität wurzeln und für den Anwalt (bloßer) „Denkanstoß“ bezüglich dieser Wirklichkeit sein sollen, leisten sie einen Beitrag zur (notwendigen) Sachverhaltsermittlung. Sie geben Anlass zu Fragen; indem damit der Sachverhalt im Einzelfall aufgeklärt werden kann, wird, wie ausgeführt, auch der Vorwurf mangelnder Verifizierung entkräftet. Der Anwalt ermittelt gerade das jeweils für die Vertragsgestaltung relevante Geschehen.101 Vorzugswürdige Unterstützung entfalten die Theorien jedoch nur dann, wenn der Anwalt sich ihres (eingeschränkten) Nutzens bewusst ist. Das heißt, der Anwalt darf sie nicht ungeprüft als relevanten Sachverhalt auf seinen Mandanten übertragen, er darf sie nur als Anstoß zur Fragestellung begreifen und muss sich unbedingt seine Offenheit in Bezug auf die Ermittlung des (weiteren) relevanten Sachverhalts bewahren.
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Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 288 f., nennt u. a. die Alltagstheorie als eine Überzeugung des Anwalts, aus der heraus sich die Interaktion des Beratungsgesprächs (mit-)entwickelt. 100 Siehe zum menschlichen Zugang zur sozialen Realität, die bei jedem Menschen vorhanden ist, Bydlinski, Juristische Methoden und Rechtsbegriff, S. 100; Henke, JZ 1974, 729, 734. 101 Der Umgang mit Alltagstheorien kann und sollte zudem den Blick auf die spätere Kontrollinstanz schärfen. Eben weil dort möglicherweise mit Alltagstheorien operiert wird, die auf die individuelle Situation des jeweiligen Mandanten nicht zutreffen, muss dann ggf. gestalterische Vorsorge getroffen werden, so dass kein Raum für die etwaige Anwendung solcher Theorien durch die Kontrollinstanz bleibt.
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e) Berufliche Erfahrung – Denken entlang von Sachverhaltstypen Ein weiterer Ansatz für die Ermittlung des sozial relevanten Sachverhalts findet sich in der Tätigkeit des vertragsgestaltenden Anwalts selbst, insbesondere wenn er über eine gewisse berufliche Erfahrung verfügt.102 Gemeint ist damit ein Erfahrungsschatz, der sich aus dem schon beschriebenen Wechselspiel zwischen Wünschen, Interessen, Realitäten und Recht ergibt.103 Gerade der seit längerer Zeit104 im Bereich der Vertragsgestaltung tätige Jurist hat Erkenntnisse gesammelt, in welchen sozialen Zusammenhängen bestimmte vom Mandanten gemachte Schilderungen stehen können, und kann daran Fragen anschließen, die auf seiner (beruflichen) Erfahrung fußen.105 Der Anwalt hat innerhalb seiner Tätigkeit dann bereits in unterschiedlichen Fällen bestimmte Realitäten als Vertragsgestalter aufgearbeitet und sich auch mit den entsprechenden Sachverhalten auseinandergesetzt.106 Es erfolgt somit wieder eine Sachverhaltserfassung im Grunde aus soziologischer Sicht; die einfließenden Erfahrungen, die Anlass zur Fragestellung geben, beruhen auf Empirie. Hierbei geht es allerdings nicht darum, jeden einzelnen, einmal entworfenen Vertrag als Anlass zur Fragestellung zu nehmen. Vielmehr geht es um die Nutzbarmachung von Realsituationen, die des Öfteren Anlass zur vertraglichen Regelung gegeben haben und in denen sich der (neue) Mandant ebenfalls befindet. Dabei muss keine 1:1-Übereinstimmung der jeweiligen Lebenssituationen vorliegen; das wäre auch völlig lebensfremd. Es geht um eine Sachverhaltsannäherung in der Denkform des Typus. Das „Typische“ bezieht sich hierbei auf die tatsächliche Lebenssituation.107 Der Anwalt erkennt eine Lebenssituation, die er schon in anderen vergleichbaren Fällen vertraglich geregelt hat.
102 Zum Rückgriff auf die berufliche Erfahrung, allerdings im Zusammenhang mit der Methode der Sammlung regelungsbedürftiger Punkte, Weber, JuS 1989, 636, 641. 103 Siehe dazu wiederum Schollen, DNotZ, Sonderheft Deutscher Notartag 1977, 28, 35. Erneut sei darauf hingewiesen, dass das Bild des Hin- und Herwanderns des Blicks sich bereits bei Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14 f., findet, dort allerdings gerade nicht auf die rechtsgestaltende Situation bezogen. 104 Für den Berufsanfänger kommt die „Teilhabe“ am Erfahrungsschatz älterer Kollegen in Betracht. Wenn ein solcher nicht unmittelbar kommuniziert werden kann, ist an eine Vermittlung über die entsprechende Literatur (Formularbücher) zu denken. Letztere beschreiben jedoch nur in den seltensten Fällen die sozialen Sachverhalte, die zur Aufstellung der jeweiligen Muster geführt haben. In Formularbüchern fixierte Vertragsvorschläge nehmen dann eher die Funktion ein, die auch sonstigem normierten Recht bei der Sachverhaltsermittlung zukommt. Sie dienen als „Checkliste“. 105 Zur Bildung von Fallgruppen im Sinne von häufig vorkommenden, durch gemeinsame Interessenkonstellationen geprägte Sachverhalte etwa Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 52. 106 Siehe zu diesem Denkansatz Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 72. 107 Zur Lebenserfahrung des Juristen und seiner aus Erfahrung gewonnenen Erkenntnis typischer Positionen und Konflikte im menschlichen Leben, Henke, JZ 1974, 729, 729.
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Der Ausdruck des Typus, namentlich in Bezug auf die hier in Frage stehende Sachverhaltsermittlung, bedarf jedoch einer näheren Bestimmung.108 Für den Gebrauch im Zusammenhang mit der Sachverhaltsermittlung ist zunächst der oben erwähnte empirische Ansatz109 festzuhalten. Der Anwalt hat in seiner beruflichen Tätigkeit bestimmte Lebenssituationen seiner Mandanten empirisch erfahren und erfasst. Dabei haben sich Gruppen von Situationen herausgebildet, die eine mehr oder minder große Zahl von Eigenschaften, Begebenheiten und Zusammenhängen aufweisen.110 Der Anwalt hat in der Wirklichkeit ein bestimmtes „Muster“ ausgemacht.111 Dieses „Muster“, seine Merkmale geben der Lebenssituation ihr Gepräge, wobei sie nicht stets zur Gänze vorliegen müssen.112 Es wird ein bestimmtes Bild im Hinblick auf einen Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit erzeugt. Beispiel: Es liegt eine Ehe vor, in der nur ein Verdiener vorhanden ist. Es besteht (noch) Kinderlosigkeit; Kinder sind jedoch geplant.
Der Anwalt erkennt dann bei einer gewissen Häufigkeit „soziale Lebensabläufe“, die in der Regel einer bestimmten vertraglichen Gestaltung zugeführt werden. Durch die Häufigkeit113 erfahren sie auch eine Bestätigung. Insoweit kann man von einem „empirischen Gestalttypus“114 oder „Sachverhaltstypus“115 sprechen. Es liegen „Realtypen“ als „die in der Realität zu beobachtenden Gestalten“116 vor. Die so gebildeten Typen sind zunächst allein ein Produkt der sozialen Wirklichkeit. Sie gaben den Anlass, als Rechtsgestalter, als „Normsetzer“ für ein Individuum tätig zu werden. Gerade weil der Anwalt als Interessenvertreter in die Rolle des letzteren schlüpft, sind die von ihm beobachteten Abläufe allerdings nur „Muster“ im Sinne von Strukturen, die Anstoß zur Regelung gegeben haben. Sie entwickeln als solche jedoch keinen „Vorbildcharakter“, das heißt, innerhalb der 108 Zum Problem des Begriffsgebrauchs des „Typus“ u. a. Wolff, Studium Generale 1952, 195, 195 ff. 109 Zur Bedeutung der empirischen Gesetze in der Typologie Hempel/Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik, S. 102 ff. 110 Zu einer solchen Annäherung an den Typus, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Sachverhaltsermittlung, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 291. 111 Zur Anknüpfung des Typus an ein „Muster“ u. a. Koller, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, S. 13; Wolff, Studium Generale 1952, 195, 201, allerdings jeweils nicht bezogen auf eine Sachverhaltsermittlung. Zum Muster in der Vertragsgestaltung auch Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 52. Zur Wirklichkeit als Muster gerade in der Vertragsgestaltung Jerschke, DNotZ-Sonderheft 1989, 21, 23. 112 Auch dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 291. 113 Hinzukommen muss später zumeist die Zufriedenheit der Mandanten bezüglich der weiteren Durchführung der vertraglichen Gestaltung bzw. eine fehlende Kritik durch die Kontrollinstanz. 114 Zu den Begrifflichkeiten auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 291 ff. 115 Zu dieser Terminologie Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 72. 116 So zu solch einem Begriff des Realtypus Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 99.
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Sachverhaltsermittlung darf kein Prozess der „Anpassung“ der Lebensverhältnisse des Mandanten an ein solches „Muster“ erfolgen. Für den Anwalt bedeutet das, dass er an den bekannten Abläufen seine Fragestellungen ausrichten kann,117 es damit jedoch nicht bewenden lassen darf118. Ansonsten würden die genannten Muster zur vorweggenommenen selektiven Wahrnehmung führen119 bzw. zu einem vorweggenommenen Filter bezüglich der Kommunikation. Falls der Anwalt nur typisierte Fragen stellen sollte, würde er in unangemessener Weise die erheblichen Tatsachen bestimmen.120 Anders als der Gesetzgeber121 darf der interessenorientierte Rechtsgestalter „Anwalt“ tatsächliche Lebensverhältnisse nicht „nur“ abstrakt ordnen, Gattungen bilden, um anknüpfend daran seine rechtlichen Regelungen zu entwickeln.122 Es ist seine Rolle als Interessenvertreter, die ihn zwingt, das Individuum, den Mandanten nie aus den Augen zu verlieren. Anders als der Gesetzgeber darf sich der Anwalt nie damit begnügen, typische Begehrungen,123 die in der sozialen Wirklichkeit fußen, zu erfragen. Allerdings ist eine „Reduzierung“ des Blicks allein auf die Sachverhaltsermittlung in der vorbeschriebenen Weise nicht einfach. Denn die soeben beschriebenen Muster, die bei der Sachverhaltserfassung helfen sollen, sind eng mit normativen Wertungen und Folgerungen verknüpft. Das liegt schon darin begründet, dass die typischen „Ausschnitte aus der Lebenswirklichkeit“, also die entsprechenden „Schemata“, zu bestimmten vertraglichen, das heißt „normativen“ Regelungen geführt haben. Damit geht aber immer auch ein Wertungsprozess einher.124 Dieser betrifft nicht zuletzt auch die von den Vertragsparteien involvierten Interessen. Im 117
Siehe auch Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 51 f. Danach ist die Orientierung am Vertragstypus ein wichtiges Element des Vorverständnisses für den Vertragsjuristen. Das Vorgehen dient der Strukturierung und Orientierung der Informationsgewinnung. Die Welt, so Rehbinder, müsse nicht neu erfunden werden. 118 Siehe ebenfalls Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 51, der darauf hinweist, Schematismen zu vermeiden. 119 Zur selektiven Sichtweise, die mit der Subsumtionstätigkeit des Juristen einhergeht, Blankenburg/Reifner, Rechtshilfe als Teil eines Beratungssystems, S. 21, 22. 120 Selbstverständlich dürfen, schon aus ökonomischer Sicht, Zeitfenster, die für die Fragen aufzuwenden sind, nicht unberücksichtigt bleiben. Gleichwohl darf dies nicht zu einer unangemessenen Verengung des Blickwinkels auf „Checklisten“ führen. 121 Zum Denken in Typen beim Gesetzgebungsverfahren etwa Wolff, Studium Generale 1952, 195, 200. 122 Bezüglich des Vorgehens des Gesetzgebers etwa Wolff, Studium Generale 1952, 195, 200. 123 Zu dem Aspekt in Bezug auf den Gesetzgeber Müller-Erzbach, AcP 154 (1955), 299, 309. 124 Zum Zusammenfallen von beobachtendem und wertendem Denkprozess bei der typologischen Betrachtungsweise Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 101. Zur mangelnden Trennung von empirischen Sachverhaltstypen und anschließender Vertragsgestaltung Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 72.
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Bereich der Sachverhaltsermittlung muss jedoch das Augenmerk des Anwalts zunächst allein darauf gerichtet sein, warum es (tatsächlich) einmal zur Bildung bestimmter kautelarjuristischer Gestaltungen gekommen ist. Die Aufmerksamkeit hat gleichsam an den Anfang zurückzugehen, somit zu den „reinen Sachverhaltstypen“, den reinen Typen der Realität, gepaart mit dem Blick, der sich der Welt jenseits dieser Muster öffnet. f) Sachverhaltsermittlung im Anschluss an normative Typen Sachverhaltsermittlung mit der Hilfe von „Typen“ kann auch erfolgen, wenn diese nicht als selbständig erarbeitete Sachverhaltstypen im zuvor beschriebenen Sinn erfasst worden sind. Unabhängig von der originär eigenen Erfahrung des Anwalts gibt es zahlreiche Vertragstypen, die als besondere Gebilde in der Form entstanden sind, dass sie Normstrukturen angenommen haben. Gemeint sind damit die Typen, die etwa Larenz als „rechtliche Strukturtypen“125 bezeichnet. Das sind Regelungen, die im Gesetz, aber auch außergesetzlich als Kautelarregelungswerke126, ihren Niederschlag gefunden haben.127 Verkürzt ausgedrückt enthält das Gesetz128 unterschiedliche Merkmale und Regelungen, die in ihrer Gesamtheit zur Bildung des Typus beitragen.129 Merkmale und Regelungen führen auch dazu, gleichsam ein „Gesamtbild“130 zu zeichnen, welches für den jeweiligen Typus kennzeichnend ist. Konsequenz daraus ist es u. a., dass für die Bejahung eines bestimmten Typus nicht alle Einzelmerkmale gegeben sein müssen, sofern jeweils noch ein Gebilde vorhanden ist, welches dem aus dem Gesetz abgeleiteten Gesamtbild „mehr oder minder“ stark131 entspricht. Solche gesetzlichen Typen haben oftmals ebenfalls ihre Wurzeln im sozialen Leben.132 Insofern besteht durchaus eine Übereinstimmung zu den Überlegungen, die im vorherigen Abschnitt angestellt wurden. Anders als dort ist hier aber der Anwalt nicht (mehr) der unmittelbar empirisch Wahrnehmende,133 seine Wahrnehmung führt 125
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 295 ff. Insofern werden diese hier als eigene „Normwerke“ behandelt, auch wenn sie keine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen können. 127 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 296. 128 Bzw. ein von der Kautelarpraxis entwickeltes Regelungswerk. 129 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 296. 130 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 297. 131 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 297. 132 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 295, führt aus, sie seien „gefunden“ worden. Hirsch, FS für Tiburtius, 383, 384, spricht von der Nachzeichnung des sozialen Lebens als empirischer Normaltyp. 133 Allerdings kann der Anwalt Lebenssituationen wahrnehmen oder wahrgenommen haben, die letztlich zu der normativen Regelung geführt haben. Dann liegt (auch) eine eigene Sachverhaltswahrnehmung im Sinne des Abschnitts e) vor. 126
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
nicht zu der hier beschriebenen Typenbildung. In der Regel sind ihm die (genauen) empirischen Abläufe, die den Normsetzer134 zu einer entsprechenden Regelung bewogen haben, noch nicht einmal bekannt.135 Hilfe zur Sachverhaltsermittlung sind die normierten Vertragstypen dann dergestalt, dass, wenn bestimmte Anzeichen für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen gegeben sind, nach dem Vorhandensein weiterer Merkmale136 gefragt werden kann und durchaus auch soll. Anders als unter Punkt e) muss dabei aber viel stärker der normative Hintergrund in Rechnung gestellt werden. Im Gesetz mit seinen Merkmalen und Umschreibungen findet sich in der Regel der „Sozialtypus“ nicht in Gänze wieder, der ggf. Anstoß zur gesetzlichen Regelung gegeben hat.137 Er hat stets einen gesetzgeberischen Filterungsprozess durchlaufen. Dieser wird in den meisten Fällen dazu führen, im Wege eines Wertungsprozesses den im sozialen Leben vorgefundenen Typus noch „anzupassen“, etwa indem die Merkmale verändert138 werden. Das kann ein Weg sein, um einen Typus zu schaffen, der den „Idealvorstellungen“ des Gesetzgebers entspricht.139 Die Konsequenz ist dann, dass die (gesetzlichen) Merkmale anhand derer der Sachverhalt erfragt wird, zunächst einmal gar nicht mit vielen sozialtypischen Realabläufen übereinstimmen, eben weil die Merkmale „idealisiert“ worden sind. Zudem decken sie ohnehin nur den „Durchschnittsfall“ ab.140 Hinzu kommt oftmals eine gewisse „zeitliche Sozialferne“. Die im tatsächlichen Leben zu beobachtenden typischen Konstellationen entwickeln sich weiter, sie können irgendwann den gesetzlich geregelten Typen nicht mehr entsprechen.141 Ein klassisches Beispiel diesbezüglich ist die Entwicklung des Sicherungseigentums an beweglichen Sachen. Der gesetzlich geregelte Typus des Faustpfandrechts (§§ 1204 ff. BGB) entsprach wegen des Erfordernisses an den Verpfänder, sich
134 Das kann neben dem Gesetzgeber gerade auch die Praxis sein, was sich dann z. B. in bestimmten Mustern in Formularbüchern niederschlägt. 135 Vorstellbar ist zwar ein Rückgriff etwa auf Gesetzgebungsmaterialien. Abgesehen von dem Problem, ob sich aus diesen überhaupt ermitteln lässt, anhand welcher empirischen Abläufe es zu der jeweiligen Normsetzung gekommen ist, wird in der Praxis, wenn überhaupt, eine Auseinandersetzung mit den entsprechenden Materialien allenfalls im Rahmen der Gesetzesauslegung erfolgen. 136 Zum so genannten gesetzlichen Tatbestand bei der Typisierung etwa Hirsch, FS für Tiburtius, 383, 384. 137 Siehe dazu auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 295. 138 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 295, nennt beispielsweise das Hinzufügen neuer oder das Abschneiden bestimmter Merkmale. 139 Zum so genannten normativen Idealtypus, mit dem der Gesetzgeber eine Forderung der Verwirklichung aufstellt, ohne dass eine solche in der Wirklichkeit (bereits) beobachtet worden sein muss, Hirsch, FS für Tiburtius, 383, 384. 140 Das trifft auch auf Muster aus der Kautelarpraxis zu. 141 Dazu Hirsch, FS für Tiburtius, 383, 384.
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des (alleinigen) Besitzes an der Pfandsache zu begeben,142 nicht mehr den Erfordernissen der Kreditwirtschaft. Entwickelt wurde, allerdings nicht vom Gesetzgeber, sondern von der Praxis, das Sicherungseigentum, bei dem in der Regel das dingliche Übertragungsgeschäft nach §§ 929, 930 BGB erfolgt. Eine ähnliche Beobachtung bezüglich der Sozialferne, bezogen auf den Vertragsablauf an sich, ist etwa von Llewellyn und Macneil gemacht worden. Dementsprechend muss der anwaltliche Vertragsgestalter für die Sachverhaltsermittlung die notwendigen Konsequenzen ziehen: Er kann und soll durchaus normierte Typen zum Anlass nehmen, das Vorliegen ihrer Merkmale zu erfragen. Noch weniger als im Zusammenhang mit der Zugrundelegung eigener empirischer Sachverhaltstypen darf er es jedoch dabei bewenden lassen.143 Er muss sich in noch viel stärkerem Maß der zuvor beschriebenen Gefahr der berufsbedingten Wahrnehmung bewusst sein und diese bannen. Die Rolle als Interessenvertreter eines Individuums zwingt ihn geradezu, die Abweichung von der Durchschnittsnorm in Rechnung zu stellen. Ein bloßes Erfragen tatbestandlicher Typenmerkmale ist daher als Verstoß gegen seine anwaltsvertraglichen Pflichten anzusehen und kann je nach Einzelfallgestaltung eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB begründen.144 Weiterhin kann durch ein „bloßen Abhaken“ typischer normativer Merkmale die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant auf der Beziehungsebene belastet werden. Der Mandant versteht ein solches Vorgehen mitunter nicht,145 zudem kann er sich bezüglich seiner ureigenen Wünsche ausgegrenzt fühlen. g) Nutzbarmachung (weiterer) wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Sachverhaltsermittlung Die bisher aufgezeigten Wege, wie der Anwalt die der Vertragsgestaltung zugrunde zu legende Lebenswirklichkeit erfragen/kommunizieren soll, beruhten entweder auf Erfahrungswerten oder normativen Regelungsmerkmalen. Auch wenn im Zusammenhang mit den Erfahrungswerten auf eine empirische Sichtweise abgestellt und im Kontext des Rückgriffs auf normative Typen methodologische Erkenntnisse zugrunde gelegt wurden, stellt sich gleichwohl die Frage, ob nicht (weitere) be-
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§§ 1205 f. BGB enthalten keine dem § 930 BGB vergleichbare Regelung, wonach die Begründung eines Besitzkonstituts ausreicht. 143 Der Anwalt muss immer den Mandanten als Individuum berücksichtigen. Normierte Typen sollen Regelungen für „Jedermann“ treffen. Es wird ein Segment aus dem Leben herausgegriffen und durch typisierte Merkmale dargestellt. Erfragt man nun als Anwalt lediglich diese Merkmale, so bewegt man sich auch nur in dem Segment, ggf. ohne die Interessen des Individuums richtig wahrzunehmen. Davon muss der Anwalt sich lösen. 144 Davon zu trennen ist die an späterer Stelle noch zu erörternde Fragestellung, ob dem Mandanten nicht der Rat gegeben werden sollte, die Vertragsgestaltung an einem gesetzlichen Typus auszurichten. 145 Zum Vorstehenden Ponschab/Schweizer/Lochmann, Schlüssselqualifikationen, S. 127.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
sondere wissenschaftliche Erkenntnisse und Fertigkeiten gerade in Bezug auf die Sachverhaltsermittlung einzusetzen sind. Es ergibt sich erneut die zuvor aufgeworfene Problematik, ob der Jurist in Bezug auf den Umgang mit sozialen Wirklichkeiten, um welche es in der Vertragsgestaltung im Besonderen geht, nicht vor allem sozialwissenschaftliche Ergebnisse nutzen sollte/müsste. Mit gleicher Berechtigung muss dann aber auch der Ruf nach anderen Wissenschaftsbereichen erfolgen, wie etwa der Psychologie. Hinsichtlich solcher (weiteren) Fertigkeiten muss jedoch dahingehend unterschieden werden, ob ein Mandant von seinem vertragsgestaltenden Anwalt solche Kenntnisse (berechtigterweise) erwarten darf, oder ob ihr Vorhandensein lediglich vorteilhaft und wünschenswert wäre. Letzteres ist uneingeschränkt zu bejahen. Namentlich Kenntnisse im (rechts-) soziologischen Bereich erleichtern und verbessern eine interessengeleitete Herangehensweise an die Vertragsgestaltung. Gleichwohl darf der Mandant grundsätzlich keine (speziellen) wissenschaftlichen Kenntnisse in den genannten Bereichen erwarten. Der Grund dafür ist wiederum im Anwaltsvertrag angelegt. Der Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB zwischen Mandanten und Anwalt, der in der Regel auf eine Dienstleistung (§ 611 BGB) gerichtet ist,146 beinhaltet, sofern nichts anderes vereinbart ist, (nur) die Pflicht zur Erbringung einer juristischen Dienstleistung. Spezielle soziologische oder psychologische Kenntnisse beispielsweise können somit nicht verlangt werden.147 Das bedeutet aber keineswegs, dass die zuvor gemachten Überlegungen zur Sachverhaltsermittlung, die etwa soziologische Bezüge aufwiesen, letztlich irrelevant sind. Denn die aufgezeigten Ansatzpunkte (eigene Lebenserfahrung, berufliche Erfahrung, Nutzbarmachung von Typen) waren allesamt eng verknüpft mit der vom Vertragsjuristen zu erbringenden juristischen Leistung. Der Mandant darf aufgrund des Anwaltsvertrags erwarten, dass sein Interessenvertreter bei der Sachverhaltsermittlung auf berufliche Erfahrungswerte, das heißt entsprechende Sachverhaltstypen, zurückgreift. Das gilt erst recht für die Berücksichtigung normierter Typen und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen. Der notwendige Bezug zur juristischen Tätigkeit ist es auch, der vom Vertragsjuristen jedenfalls dann eine Öffnung hin zu und ein Problembewusstsein bezüglich soziologischer/n oder anderer/n (wissenschaftlicher/n) Ausrichtungen fordert, wenn ansonsten seine juristische Arbeit nicht kunstgerecht durchgeführt werden kann, also „mangelhaft“ wäre. Bezüglich eines Geschäftsbesorgungsvertrags mit dienstver146
Oder auf eine Werkleistung (§ 631 BGB). Etwas anderes kann sich etwa in Bezug auf kommunikative Fähigkeiten ergeben, wenn eine Verhandlungsleistung geschuldet wird. Zudem kann/muss die Frage aufgeworfen werden, ob die Zivilrechtswissenschaft und ihre Methodik nicht einen stärkeren Grundlagenbezug aufweisen sollte, dazu Stürner, AcP 214 (2014), 7 ff. 147
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traglichen Bezügen greift zwar kein normiertes Gewährleistungsrecht. Eine Schlechtleistung könnte jedoch gleichwohl über § 280 BGB zur Schadensersatzverpflichtung führen. Beispiel: Ein Geschäftsmann wünscht einen Vertragsentwurf bezüglich der Zusammenarbeit mit einem anderen Geschäftsmann. Durch den zu entwerfenden Vertrag sollen einzelne Pflichten fixiert werden. Der Mandant steht zu dem potentiellen Vertragspartner zudem in einem persönlichen Näheverhältnis. Letzteres legt er dem Anwalt offen und macht auch deutlich, dass ihm am Erhalt dieser Beziehung sehr gelegen ist.
Damit der Anwalt einen Vertragsentwurf fertigen kann, der den Wünschen des Mandanten entspricht,148 muss er sich z. B. der Tauglichkeit einzelner rechtlicher Lösungen zur Bewältigung von Konflikten bewusst sein. Ein „starrer“ Vertrag, der „lediglich“ einen Pflichtenkatalog enthält,149 der ggf. vor Gericht durchgesetzt werden könnte, wird dem Mandantenansinnen nicht optimal, wenn nicht sogar kaum entsprechen. Denn im Falle eines Streits soll ein Gericht entscheiden, dessen Urteilsspruch die persönliche Beziehung der Vertragspartner belasten kann. Das soll nach dem Wunsch des Mandanten aber möglichst vermieden werden.150 Rechtlich alternative Gestaltungsmöglichkeiten können, je nach Einzelfall, beispielsweise Neuverhandlungs- oder Anpassungsklauseln oder die Verpflichtung zum Versuch einer außergerichtlichen Einigung (z. B. Mediationsklauseln) sein, die als dilatorischer Klageverzicht151 konzipiert ist. Hiermit wird einem zukünftigen Konflikt der Vertragspartner in ganz anderer Weise begegnet. Der Umgang mit Konflikten, auch und gerade mit den Mitteln des Rechts, ist aber letztlich nichts anderes als eine ebenfalls (rechts-)soziologische Herangehensweise an die Problematik. Es geht u. a. darum, was Recht im Konfliktfall „leisten“ kann, ob es überhaupt ein (interessen-)taugliches Instrumentarium ist. Solche Überlegungen dürfen dann nicht erst innerhalb der rechtlichen Beratung einsetzen, sondern müssen bereits im Rahmen der Sachverhaltsvermittlung erfolgen. Äußert etwa im obigen Beispiel der Mandant lediglich, dass der potentielle Vertragspartner ein langjähriger Freund sei, kann dies Anlass zu weiteren Fragen geben, u. a. dergestalt, wie Konfliktfälle behandelt werden sollen. Eine „gezielte“ Einbeziehung weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse schon im Bereich der Sachverhaltsaufklärung kann, erneut aufgrund der Verpflichtungen aus dem Anwaltsvertrag, noch aus einem anderen Aspekt notwendig sein. Gerade wenn 148
Darauf hat der Mandant ausweislich des Anwaltsvertrags einen Anspruch. Die beispielsweise von Llewellyn kritisierte Starrheit des Vertragsrechts kann sich auch aus einem vereinbarten starren vertraglichen Pflichtenkatalog ergeben. 150 Die sich ändernden Verhältnisse, auf die Llewellyn oder Macneil verweisen, waren schon im umzusetzenden Ansinnen des Mandanten, der auf die Beziehung verwies, angelegt. 151 Zur Mediationsklausel als dilatorischer Klageverzicht Eidenmüller/Wagner/Wagner, Mediationsrecht, Kap. 2, Rn. 5 ff.; Hilbig-Lugani, ZZP 2013, 463, 470 ff. Gegen einen konkludenten Klageverzicht aufgrund einer Mediationsklausel Loos/Brewitz, SchiedsVZ 2012, 305, 307. 149
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der Anwalt seine Fragestellungen an den Tatbestandsmerkmalen von Normen ausrichtet, kann deren tatsächliches Vorliegen fraglich sein. Beispiel: Schildert etwa der Mandant seinem Anwalt, dass er mit der Erstellung eines Hauses durch den Unternehmer nicht zufrieden ist, wird der Anwalt mit Blick auf §§ 633 f. BGB Fragen nach dem baulichen Zustand des Gebäudes stellen.152 Für die „richtigen“ Fragen bzw. für die im Verlauf des Mandats notwendigen weiteren Rückfragen muss der Anwalt sich anderer, nicht juristischer Erkenntnisse bedienen, z. B. bestimmter Regeln der Technik153. Zudem wird er ggf. noch auf einen Sachverständigen der entsprechenden Profession zurückgreifen müssen.
Der Anwalt kann in solchen Fällen innerhalb der unmittelbaren Kommunikation mit seinen Mandaten keine adäquate Sachverhaltsaufklärung betreiben,154 obwohl die entsprechenden Informationen für eine sachgerechte Mandatsbearbeitung notwendig sind. In solchen Situationen muss zur Sachverhaltsermittlung auf „fremdes Fachwissen“ zugegriffen werden, gleichsam eine Art „Beweisaufnahme“ erfolgen. Dieses Fachwissen wird nicht vom Anwalt selbst verlangt, er muss aber darauf hinwirken,155 ggf. Sachverständige aus anderen Wissenschaften zu Rate zu ziehen. Ein derartiges Vorgehen ist in Bezug auf die Naturwissenschaften verbreitet. Es kann aber ebenso hinsichtlich der Geisteswissenschaften, wie der Soziologie und der Psychologie, angezeigt sein. h) Topische Herangehensweise – Offenheit des Denkens Der Anwalt muss bei der Ermittlung des relevanten Sachverhalts, insbesondere in Bezug auf die zu regelnden Mandanteninteressen, sich seine Offenheit bewahren; gleichzeitig braucht er jedoch Orientierungspunkte, nicht zuletzt um sich später nicht ggf. einem (Haftungs-)Vorwurf gegenüberzusehen, er habe nicht alles Notwendige erfragt. Letztlich wird eine Herangehensweise gesucht, die ein „strukturiertes Brainstorming“ beinhaltet. Die Suche nach „lebenssituationsrelevanten Daten“ zur Regelung eines individuellen Lebensbereichs erfordert das „Einkreisen“ und Herausbilden entsprechender Informationen. Ein solches Vorgehen ist in der Methodik durchaus bekannt. Es handelt sich um die Topik.
152 Bei dem Beispiel handelt sich (zunächst) nicht um ein solches aus der Vertragsgestaltung. Die vertragsgestalterische Situation lässt sich daran aber ggf. anschließen, wenn etwa die Überlegungen dazu führen, möglicherweise einen Vergleich abschließen zu wollen. 153 Zu der Berücksichtigung von anerkannten Regeln der Technik in Bezug auf unterschiedliche Werkleistungen siehe etwa Grüneberg/Retzlaff, BGB, § 633, Rn. 5 m. w. N. 154 Es ist auch keine Situation gegeben, in der er auf die Sachverhaltsangaben seines Mandanten „vertrauen“ darf. Es ist vielfach evident, dass der Mandant die entsprechenden Angaben von sich aus nicht machen kann. 155 Nach entsprechender Aufklärung etwa bezüglich des Nutzens und der entstehenden Kosten.
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Eine strukturierte Sachverhaltsermittlung unter Zuhilfenahme eines Topoi-Katalogs innerhalb der vertragsgestalterischen Tätigkeit wird durchaus empfohlen.156 Gleichwohl bedarf es einer näheren Aufschlüsselung, was eine topische Herangehensweise gerade hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung bedeutet, nicht zuletzt mit Blick auf die zuvor dargestellten Anknüpfungspunkte. aa) Topik als methodischer Ansatz zur Rechtsfindung Die Auseinandersetzung mit der Topik innerhalb der Jurisprudenz erfolgt in der Regel im Rahmen der juristischen Methodik, die der Rechtsfindung dient. Ausgangspunkt ist dabei im Besonderen die Unterscheidung zwischen „Problemdenken“ und „Systemdenken“.157 Als topische Jurisprudenz wird die methodische Richtung verstanden, die vorhandenen oder zu errichtenden normativen Systemen die Möglichkeit abspricht, die Wirklichkeit in ihrer Gänze einfangen zu können.158 Ein „Angebot“ will sie etwa dann machen, wenn es darum geht, Lösungen für (rechtliche) Probleme zu finden, für die das Gesetz keine entsprechende ausreichende Lösung bereithält.159 Obwohl die Topik eine sehr alte Denkweise160 ist, erfolgt im Nachfolgenden vor allem eine Auseinandersetzung mit ihrer Rezeption durch Viehweg. Viehweg verschaffte mit seinem Werk „Topik und Jurisprudenz“161 dem Gegenstand der Topik vor über 60 Jahren größere Aufmerksamkeit.162 Die von ihm (weiter-)entwickelten Gedanken können auch für unseren Untersuchungsgegenstand nachhaltig fruchtbar gemacht werden. So führt Viehweg u. a. an, die Topik gehe die Lösungsfindung problemorientiert an.163 Er definiert die Topik im Anschluss an Aristoteles164 wie 156
Siehe etwa Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 32. Dazu u. a. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 142, dort auch zum Verständnis des Systems als ein solches „aus den verbindlichen Normen des geltenden Rechtes“. Zum Konflikt zwischen topischem und systematischem Denken u. a. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 135 ff.; Diederichsen, NJW 1966, 697 ff.; Horn, NJW 1967, 601 ff.; Viehweg, Topik und Jurisprudenz, dort u. a. S. 91. 158 So Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, Rn. 132. 159 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 319 (fehlende Stütze im Gesetz). Die Topik als „Notbehelf“ bei Fehlen hinreichender gesetzlicher Wertungen wird sogar von einem scharfen Kritiker wie Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1. Aufl., S. 150, gesehen. Problematisch wird es, wenn der Jurisprudenz insgesamt eine topische Struktur zugeschrieben wird. 160 Bei der Topik handelt es sich um das fünfte Buch des Organon, den logischen Schriften des Aristoteles als Hilfsmittel zur Erkenntnis der Wahrheit. 161 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, München 1954; inzwischen 5. Aufl. 1974, woraus im Nachfolgenden zitiert wird. 162 Darauf hinweisend Otte, Die historische Topik und ihre Rezeption durch Theodor Viehweg, 427, 427. 163 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 31. Dazu, dass problemorientiertes Denken nicht innerhalb der Topik monopolisiert ist, sondern alles wissenschaftliche Denken prägt, etwa 157
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folgt: „Der wichtigste Punkt bei der Betrachtung der Topik ist die Feststellung, dass es sich hier um diejenige denkerische Techne handelt, die sich am Problem orientiert.“165 Als Techne des Problemdenkens soll sie „Winke geben, wie man sich in (…) (solcher Ausweglosigkeit) verhält, um nicht rettungslos steckenzubleiben.“166 Viehweg bezeichnet die Topik weiter als die „Kunst des Findens“.167 Es sei „die Kunst, sich in jeder Lebenslage die Gründe zu vergegenwärtigen, die einen Schritt empfehlen oder widerraten (…)“.168 Dieser Findungsprozess erfolgt unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Topoi, das heißt unterschiedlicher plausibler Problemlösungsgesichtspunkte169. Hierzu dienen insbesondere diverse Repertoires von Gesichtspunkten, die Topoikataloge.170 bb) Topische Herangehensweise zur kautelarjuristischen Sachverhaltsermittlung (1) Einführung Sieht sich die Topik als methodischer Ansatz zur Findung rechtlicher Lösungen auch deutlicher Kritik ausgesetzt, geht es an dieser Stelle jedoch um die Nutzbarmachung einer topischen Herangehensweise in der kautelarjuristen Sachverhaltsermittlung, also im Wesentlichen um die Untersuchung, ob entsprechende Ansätze dort die Notwendigkeit einer offenen, aber strukturierten Herangehensweise stützen: Problemorientiertheit, Fokussierung auf das „Finden“171, Lösungsentwicklung unter Zuhilfenahme von Topoi/Topoi-Katalogen.172
Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1. Aufl., S. 136; Zippelius, NJW 1967, 2229, 2229; so im Übrigen schon Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, § 13, 4., worauf auch Zippelius, a. a. O., hinweist. 164 Siehe dazu auch Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 319. 165 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 31. Den Punkt ebenfalls u. a. aufgreifend Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 319. Den Bezug auf das Problemdenken durch Viehweg u. a. angreifend Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 159. 166 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 31. Viehweg, a. a. O., setzt dabei an, mit Hilfe der Topik Verhaltensformen in einer aporetischen Situation zu finden. Darauf hinweisend Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 319, der dort auch die Brücke zum rechtlichen Zusammenhang schlägt, nämlich beim Fehlen der Stütze des Gesetzes. Unsere Überlegungen werden im Nachfolgenden allerdings einen anderen Blickwinkel, den der notwendigen Sachverhaltsermittlung, einnehmen. 167 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 32. 168 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 32. 169 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 319 f. 170 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 35. Zum Topoikatalog u. a. auch Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 143a f. 171 Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 145, schreibt der Topik eine erfinderische (innovative) Potenz zu. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 321, sieht die Leistung der Topik im „Entdeckungszusammenhang“ („context of discovery“) (Hervorhebung durch Kramer).
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Es muss aber eines deutlich sein und bleiben: Anders als bei einer methodologischen Nutzbarmachung zur Rechtsfindung, also zur Auffindung einer rechtlichen Entscheidung, geht es hier um das Vorfeld173 der Rechtsanwendung bzw. der Rechtsfindung. Die Sachverhaltsermittlung ist die notwendige Vorstufe für die „Entscheidung“ innerhalb der Vertragsgestaltung, ob und ggf. wie Recht verwendet werden soll. Die Schaffung des eigentlichen Normwerks „Vertrag“ unter Heranziehung der rechtlichen Möglichkeiten erfolgt erst im Anschluss.174 Es soll deshalb im Anschluss auch bewusst von einer topischen Herangehensweise gesprochen werden. Die Problemorientiertheit der Sachverhaltsermittlung innerhalb der Vertragsgestaltung besteht letztlich darin, das „Problem“ als solches überhaupt erst auszumachen.175 Das betrifft zum einen den Ausgangspunkt aller vertragsgestalterischen Tätigkeit, die Feststellung der (Mandanten-)Interessen und ihre (subjektive) Gewichtung, zum anderen daran anschließend aber auch die Erforschung der weiteren Sachverhaltselemente, vor allem der sozialen Wirklichkeit. Letztere steht ja ohnehin in einer Wechselwirkung zu den Interessen176. Welches diese einzelnen Elemente sind, ist jedenfalls innerhalb einer nicht gänzlich einfachen Vertragsgestaltung nicht ohne weiteres klar. Es geht folglich um das „Einfangen der Wirklichkeit“177. Die beschriebene Problemorientiertheit und die Ausrichtung auf das Auffinden der in der sozialen Wirklichkeit wurzelnden Interessen erfordert eine Annäherung an
172 Diese Auflistung geschieht in Anlehnung an Viehwegs Ausführungen zur Topik. Damit einhergehen soll nicht die Wertung, nur in der Topik fänden sich entsprechende Ansätze wie etwa die Ausrichtung am Problem. 173 Die Sachverhaltsermittlung hat, wie mehrfach ausgeführt, so weit als nur möglich von normativen Einflüssen frei zu bleiben. Zur Sortierung von Material nach äußeren Gesichtspunkten Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 143. 174 Interessant ist, dass, wenn auch nicht im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung, etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 145, von der Topik als Disziplin des „Gesetzgebers“ spricht. Er macht im Anschluss Ausführungen in Bezug auf die Topik als Lehre vom richtigen (menschlichen) Handeln. Die Ausrichtung, die er dabei einnimmt, bezieht sich auf die Schaffung von Vorschriften, die Verbindlichkeiten für Dritte begründen (S. 146). Dies ist ein anderer Ansatz als das Auffinden von „richtigem“ Handeln, welches sich auf individuelle Interessen ausrichtet. Gleichwohl wird sich zeigen, dass der entsprechende Denkansatz in der „Gesetzgebung Vertragsgestaltung“ nutzbar gemacht werden kann. 175 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 32, bezeichnet das Problem als „(…) eine jede Frage, die anscheinend mehr als eine Antwort zulässt, (…).“ Das lässt sich auf die Sachverhaltsermittlung insoweit übertragen, dass auf die Frage, welches die Interessen und der zugrundeliegende Sozialkontext sind, keine eng umgrenzte Antwort möglich ist. 176 Es ist nochmals darauf hervorgehoben, dass u. a. schon Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, § 13, 4., auf die Problemorientierung hingewiesen hat. 177 Darauf als Ausrichtung der Topik als topische Jurisprudenz hinweisend Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, Rn. 132.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
den Sachverhalt von verschiedenen Seiten.178 Sieht man dies als die maßgebliche „Auffindungstätigkeit“ an, um die genannten Schwierigkeiten zu lösen, so kann hier durchaus ein Rückgriff auf Topoi oder Topoi-Kataloge dazu beitragen, Lösungsgesichtspunkte zusammenzutragen179. Die einzelnen Topoi sind dann nicht Vorschläge im Sinne einer rechtlich (endgültigen) Lösung, sondern „plausible Ermittlungsansätze“, wiederum aber ausgerichtet auf die Bewältigung eines Problems. Vor diesem Hintergrund können sich dann auch die zunächst vorgestellten „Sachermittlungsansätze“ in eine Nutzbarmachung gerade einer topischen Herangehensweise einfügen. (2) Topik erster Stufe innerhalb der anwaltlichen Sachverhaltsermittlung Viehweg führt in seiner Abhandlung Topik und Jurisprudenz die Topik erster und zweiter Stufe an.180 Als Topik erster Stufe bezeichnet er das beim Auftreten eines Problems versuchsweise Aufgreifen mehr oder weniger zufälliger Gesichtspunkte in beliebiger Auswahl; das Ziel ist die Suche von tauglichen Prämissen, um entsprechende Folgerungen zu ziehen.181 Eine solche Herangehensweise mutet auf den ersten Blick als ein Vorgehen an, das im gewissen Sinn zufällig und zusammenhangslos („mehr oder weniger zufällige Gesichtspunkte“) erscheint. Es könnte so der Eindruck entstehen, die Topik weise keine systematische Herleitung einer Lösung auf, zeige keine oder kaum eine deduktive Denkweise. Dem ist nicht so, wie sich auch an Viehwegs weiteren Ausführungen zeigt. So macht Viehweg das Verfahren der Topik erster Stufe im täglichen Leben aus, allerdings würde sich dort bereits zeigen, dass bestimmte „leitende Gesichtspunkte“ vorhanden seien, die der Orientierung dienten.182 Dass ein Vorgehen im Sinne der Topik erster Stufe sehr wohl Strukturen aufweist, zeigt die Übertragung dieser Herangehensweise für unsere Zwecke auf die Sachverhaltsermittlung durch den Anwalt. Die Ermittlung ist zum einen sehr offen,183 z. B. indem man den Mandanten zunächst zu Wort kommen lässt184. Daran anknüpfend sind die Fragestellungen des Anwalts an den Mandanten davon (mit-)geprägt, an 178 Siehe zu dem Aspekt, allerdings im Zusammenhang mit der Rechtsfindung, Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 20. Zur Wirklichkeitsnähe der Topik in der Jurisprudenz etwa Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, Rn. 139. 179 Zu diesem Aspekt, allerdings im Zusammenhang mit der Rechtsfindung, Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 320. 180 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 35. 181 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 35. 182 Viehweg, Topik und Jurisprudenz. S. 35. 183 Bzw. sie sollte jedenfalls offen sein. 184 Von Seiten des Anwalts ist dabei innerhalb der Gesprächsorganisation darauf zu achten, dass dem Mandanten bewusstgemacht wird, zunächst offen den Sachverhalt zu schildern, weil dieser aufgeklärt werden muss; zur Gesprächsorganisation als Problemkreis und der Notwendigkeit zu verhindern, dass sich Anwalt und Mandant in verschiedenen Gesprächsphasen befinden, Pick, AnwBl 2013, 201, 203.
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dessen individuelle Schilderung seiner individuellen Probleme anzuschließen, so dass sie mitunter als „zufällig“ erscheinen. Dazu können auch noch Fragen durch den Anwalt zählen, die dieser aufgrund seiner eigenen unmittelbaren Lebenserfahrung gesammelt hat. Gleichwohl finden sich bei aller Offenheit und Problemorientiertheit innerhalb eines (guten) Gesprächs zwischen Anwalt und Mandanten mit fortlaufender Dauer immer deutlichere Strukturen, die in das Bild der von Viehweg beschriebenen Topik passen. Erste leitende, der Orientierung dienende Gesichtspunkte, die zu Viehwegs topischem Vorgehen „erster Stufe“ passen würden, finden sich im Grunde schon in den soeben angeführten eigenen Lebenserfahrungen des Anwalts. Vor allem wenn diese im beruflichen Umfeld gesammelt worden sind, weisen sie eine Struktur dergestalt auf, dass man mit ihnen bestimmte Kenntnisse verbindet, was in bestimmten Lebenssituationen „passiert“ sein kann bzw. „passieren“ soll. Der Anwalt entwickelt erste Fragenkataloge, also „Muster“185, die er benutzt. Beispielhaft kann man hier die durch den Anwalt zu stellenden Fragen nennen, wenn der Mandant erklärt, heiraten zu wollen. Mit einer Heirat verbindet der Anwalt die (berufliche) Erfahrung, dass Fragen nach der Berufstätigkeit des Mandanten, gemeinsamen Kinder oder der Vermögenszuordnung zu stellen sind. Das Beispiel macht weiterhin deutlich, dass in bedingtem Umfang die vorherigen Überlegungen auch für einen Rückgriff auf Alltagstheorien durch den Anwalt gelten. Denn aus den den Alltagstheorien zu entnehmenden Fragen folgt etwa die Klärung (Verifizierung), ob die These, wonach sich nach der Eheschließung die Frau um etwaige gemeinsame Kinder kümmert, beim Mandanten zutrifft. (3) Topik zweiter Stufe innerhalb der anwaltlichen Sachverhaltsermittlung Die Strukturen, die man bei der Topik erster Stufe ausmachen kann, weisen mit immer stärkerer Konturierung dann sehr schnell den Weg zur Topik zweiter Stufe.186 So führt Viehweg die Stütze, die in einem stets bereiten Repertoire von Gesichtspunkten zu finden ist, an. Auf diese Weise entstünden Topoi-Kataloge. Das Verfahren, welches solche Kataloge benutzt, bezeichnet Viehweg als Topik zweiter Stufe.187 Es ist interessant, dass Viehweg selbst ausführt, die Topik erster Stufe sei mit Unsicherheit behaftet und man suche nach einer Stütze, die sich gerade in einem bestimmten vorhandenen Repertoire von Gesichtspunkten finde.188 Die Suche des 185
Zur Begrifflichkeit der „Checkliste“ im Kontext der Topik Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 320. 186 Ohnehin, das werden auch die nachfolgenden Ausführungen zeigen, sind gerade bei der Nutzbarmachung der Topik für die Sachverhaltsermittlung die Übergänge zwischen einer Herangehensweise nach der Topik erster Stufe und der nach der Topik zweiter Stufe eher fließend. Das wird auch an dem Beispiel deutlich, in dem der Mandant schildert, heiraten zu wollen. Die Fragen werden sich dort (auch) nach den aus den gesetzlichen Vorgaben resultierenden Topoi-Katalogen ausrichten (siehe noch unten). 187 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 35. 188 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 35, unter Hinweis (Fn. 11) auf André Lalande, Vocabulaire technique et critique de la philosophie, 1947. Stichwort: Topique.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Anwalts (bereits) innerhalb der Sachverhaltsermittlung nach „Checklisten“189 ist danach ein nur allzu verständlicher Vorgang. So wendet denn auch der Anwalt folglich eine solche „Topik zweiter Stufe“ an, wenn er auf entsprechende „Muster“ zugreift. Das gilt im Besonderen bei solchen, die er aus der (eigenen190) Kautelartätigkeit191 entwickelt hat, und bei der Orientierung an tatbestandlichen Normmerkmalen. Es gilt jedoch ebenfalls im eingeschränkten Maß für die Anwendung von Alltagstheorien sowie für Muster aus der (beruflichen) Lebenserfahrung.192 Der Rückgriff auf „Checklisten“ zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts bedeutet, den jeweiligen Einzelfall als (Teil-)Anwendungsfall schon vorhandener Einsichten zu erkennen.193 Er dient der notwendigen Vorbereitung des Anwalts auf die Kommunikation mit dem Mandanten. Das Vorgehen des Anwalts darf sich dabei allerdings nicht auf ein bloßes Abgleichen194 beschränken. Grundsätzlich darf und muss der Anwalt sich auf Topoi-Kataloge einlassen. Beispiele: Der Anwalt richtet seine Fragen zum Sachverhalt u. a. an den Tatbestandsmerkmalen von im Gesetz typisierten Verträgen aus, die möglicherweise auf die Situation des Mandanten passen (Orientierung am Repertoire von gesetzlichen Gesichtspunkten; Topoi-Katalog aufgrund gesetzlicher „Vorschläge“195). Oder: Aufgrund der eigenen sowie der gängigen Kautelarpraxis sehen die Muster für einen Darlehensvertrag vor, dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber eine Sicherheit in (möglichen unterschiedlichen) Varianten stellt. Zur Sachverhaltsermittlung wird aufgrund dessen der Anwalt den Mandanten (Darlehensgeber) fragen, ob er sich absichern will und wie sein Sicherungsbedürfnis ausgestaltet ist (Orientierung am Repertoire von in der Praxis wiederholt eingesetzten Überlegungen; Topoi-Katalog aufgrund wiederholter praktischer Erfahrungen).
Besonders die Orientierung an Topoi-Katalogen, die ihre Wurzeln im Gesetz oder in der praktischen anwaltlichen Kautelartätigkeit haben,196 zeigt, dass sich ohne einen Rückgriff auf diese bereits die Haftungsfrage dergestalt ergeben kann, ob dann der Anwalt mangels Aufgreifens solch anerkannter Kataloge seiner nach dem An189
Siehe erneut Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 320. Aber auch aus der fremden Sachverhaltsermittlung, vgl. etwa den Einsatz von Mustern aus Vertragsgestaltungsbüchern. 191 Zum Erstellen von „Stoffsammlungen“ als topisches Vorgehen, Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 143. 192 Siehe dazu die Ausführungen zur Topik erster Stufe. 193 Zu diesem Denkansatz, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Sachverhaltsermittlung, Zippelius, NJW 1967, 2229, 2232. 194 Zippelius, NJW 1967, 2229, 2232, sieht schon einen produktiven Gebrauch der Topik als gegeben an, wenn allgemeine Einsichten auf ein konkretes Problem angewendet werden; dies sei mehr als bloßes Reproduzieren. 195 Ein „Vorschlag“ liegt deshalb vor, weil es dem Mandaten aufgrund der Vertragsfreiheit grundsätzlich frei steht, einen entsprechenden Vertragstypus abzuschließen. 196 Daneben gibt es selbstverständlich weitere Kataloge, z. B. solche aufgrund von Alltagstheorien. 190
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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waltsvertrag geschuldeten Sachverhaltsermittlungspflicht nicht nachgekommen ist. So muss der Anwalt sich auf Topoi einlassen,197 darf es aber nicht dabei bewenden lassen. Zum einen muss der Anwalt, wenn dies angezeigt und möglich ist, mehrere TopoiKataloge seinen Fragestellungen zugrunde legen. In dieser breiten Anlegung einer topischen Herangehensweise liegt bereits ein Beitrag zu der mit ihr einhergehenden Offenheit.198 Zum anderen sollen bei der Nutzbarmachung von Topoi-Katalogen diese zwar durchaus richtungsweisend, jedoch in ihrer Eigenschaft ebenfalls in der Form inspirierend sein,199 weitere Fragen etwa in die entsprechende Richtung zu stellen. Dies begründet nicht zuletzt wieder die erforderliche „Offenheit“.200 Die Topoi-Kataloge dürfen nicht zu einem geschlossenen System in der Form „verkommen“, die Fragen nur noch aus ihnen zu entnehmen. So muss man sich auch stets vergegenwärtigen, dass es für die Vielfalt sozialer Abläufe im täglichen Leben schlechterdings keine Muster gibt, die das Leben im Allgemeinen und das des Mandanten im Besonderen in seiner ganzen Breite umfassen könnten. Es ist nicht zuletzt dieser Hintergrund, der nochmals die Bedeutung von Selbstbestimmung, Privatautonomie und Vertragsgestaltung in aller Deutlichkeit hervorhebt. Ein „Hineindrängen“ des Mandanten in ein „geschlossenes Fragensystem“ kann nun in der Praxis dergestalt geschehen, ihn nur zu Beginn der Besprechung zu „Wort kommen zu lassen“, im Anschluss daran ihm nach der „Entdeckung“ des vermeintlich zu regelnden Vertragsgegenstands dann aber das Wort abzuschneiden; im Anschluss erfolgt nur noch eine „Abwicklung“ der „Checklisten“, das heißt der Topoi-Kataloge, sei es in Form von Vertragsmustern oder (norm-)tatbestandlichen Typenmerkmalen.201
197 Der Anwalt muss sich auch bewusst sein, dass es auf einzelne zu erfragende Topoi möglicherweise nicht ankommt; ob das der Fall ist, ergibt letztlich die Rückfrage bei seinem Mandanten. 198 Darin besteht etwa auch ein Unterschied zu einer eindimensionalen Abfrage anhand eines einzelnen Tatbestands, unter den subsumiert werden soll. Eine Berücksichtigung verschiedener Gesichtspunkte im Kontext von Topik und Vertragsgestaltung, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Sachverhaltsermittlung, führt Schollen, DNotZ, Sonderheft Deutscher Notartag 1977, 28, 35, an: „(…) hier gibt die Topik den Hinweis, daß eine ausgewogene Vertragsgestaltung unter verschiedenen Gesichtspunkten zu erfolgen hat, etwa der menschlichen, der wirtschaftlichen oder der steuerlichen Tragweite, dem Gesichtspunkt des sichersten Weges oder der Praktikabilität.“ 199 Zum Anreiz, neue Erkenntnisse zu finden, Zippelius, NJW 1967, 2229, 2232. 200 Es ist Problemdenken gepaart mit der Offenheit, welches nicht zuletzt auch einen Teil des wissenschaftlichen Handelns des Anwalts ausmacht. 201 Angesichts dessen sind die Erläuterungen Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 32, zumindest missverständlich. Innerhalb seiner Ausführungen zur Sachverhaltsermittlung durch Strukturdenken führt er aus, der Notar bringe Struktur in die Verhandlung, indem er seinen bewährten Topoi-Katalog, seine Checkliste, abwickle.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
So sehr ein strukturiertes Vorgehen innerhalb der Kommunikation mit dem Mandanten auch notwendig und angezeigt ist, es darf nicht die Offenheit des Gesprächs nehmen und die Kommunikation „einseitig“ gestalten, indem die Fragestellungen nur noch in eine bestimmte Richtung gehen. (4) Konsequenzen für die Nutzbarmachung der Topik Die zuvor beschriebenen Topoi dienen, wie bereits angeführt, als Vorschlag zur Ermittlung eines Ausschnitts aus der sozialen Lebenswirklichkeit. Sie sind nicht, wie dies bei der topischen Denkweise im Zusammenhang mit der Rechtsfindung der Fall ist, bereits ein Entscheidungsvorschlag202. Das hat einen entscheidenden Vorteil in Bezug auf die Nutzbarmachung der topischen Herangehensweise zur Sachverhaltsermittlung. Sie sieht sich keiner bedeutenden Kritik ausgesetzt wie die Topik als Methodik zur Rechtsfindung. Dort entspinnt sich Kritik u. a. daran, warum einzelne Entscheidungsvorschläge (überhaupt) Verbindlichkeit entfalten sollen.203 Innerhalb der Sachverhaltsermittlung bezüglich des zu erstellenden Vertrags kann diese Verbindlichkeit durch einfache Nachfrage beim Mandanten204 erfolgen. Insoweit greifen die Überlegungen, die bereits im Kontext mit den Alltagstheorien erarbeitet wurden; eine Verifizierung ist möglich. Mag ein solches Abstellen auf die „Zustimmung“ innerhalb der Entscheidungsfindung205 auch als indiskutabel angesehen werden,206 in der Vertragsgestaltung und nachgerade dort in der Sachverhaltsermittlung weist sie in die entscheidende Richtung. Denn auf diese Art und Weise leistet die topische Herangehensweise einen Beitrag zur Ermittlung des individuell „Gerechten“, indem der Mandant im Fokus der „Wahrheits“findung steht.207 Gegenüber dem Mandanten stellt sich zuAuch wenn der Notar kein Interessenvertreter ist, ist die aufgezeigte Herangehensweise jedenfalls dergestalt problematisch, dass sie ein Abschneiden der Äußerungen durch den Ansuchenden nahelegen könnte. 202 Zum Topos als Entscheidungsvorschlag im Kontext mit der Rechtsfindung mit kritischer Stellungnahme, Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 144, Fn. 43 m. w. N. 203 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 144 m. w. N. 204 Damit wird freilich auch nur die „Verbindlichkeit“ in Bezug auf den Mandanten abgesichert. Kritische Überlegungen wie sie Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 144, bezüglich der Rechtsfindung anstellt, greifen demzufolge hier nicht. Die Kritik betraf etwa den Rückgriff auf einen „common sense“ innerhalb der Topoi. 205 Gemeint ist letztlich eine „richterliche“ Entscheidungsfindung. 206 So in Bezug auf den „rhetorischen“ Zweig der Topik und hinsichtlich der Legitimation von Prämissen durch die Annahme des Gesprächspartners, Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 141 f. 207 Es löst sich damit auch ein weiteres Spannungsverhältnis auf, das der Topik im Rahmen der Rechtsfindung begegnet. Dort wird ihr u. a. vorgeworfen, außer Acht zu lassen, dass allein das Gesetz die verbindliche Richtschnur sei, egal welche sonstigen Lösungsvorschläge es gebe; siehe Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 144.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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nächst und in erster Linie die Frage des richtigen Handelns für den Anwalt. Erneut wirkt sich die Rolle, die der Anwalt gegenüber dem Mandanten einnimmt, aus. Der Anwalt soll einen Vertrag, ein Regelungsgefüge entwerfen, in dem sich die Interessen des Mandanten wiederfinden. Er wird als „Normsetzer“, als „Gesetzgeber“ tätig. Es ist nicht zuletzt diese besondere Sichtweise, die für ein topisches Herangehen kennzeichnend ist.208 Aufgrund des Gesprächs zwischen Anwalt und Mandanten besteht schließlich durchaus auch ein Zusammenhang zwischen topischer Vorgehensweise und Rhetorik. Letztere wirkt sich an dieser Stelle weniger als „Sprachkunst“209 aus. Es geht vielmehr, wie bereits bei der Nutzbarmachung von „Mustern“ angesprochen, um eine Rhetorik verstanden als Strukturdenken, die die Sachverhaltsermittlung fördert.210 Ein solch strukturiertes Vorgehen steht in enger Verbindung mit der zuvor beschriebenen topischen Herangehensweise.211 2. Interessenbildung a) Einführung Als Ziel bzw. Zweck der Kommunikation wurde und vor allem die Sachverhaltsermittlung ausgemacht, das heißt die Bestimmung der (Mandanten-)Interessen und der sie bedingenden und umgebenden (sozialen) Umstände. Die Vielschichtigkeit der (möglichen) Herangehensweisen bei der Ermittlung hat deutlich gemacht, dass gerade die Wechselwirkung von Interessen und sozialen Gegebenheiten vom Anwalt einen besonderen Verständigungsprozess erfordert. Eine solche Leistung vor allem auf kommunikativer Ebene ist in einem weiteren Kontext, einer weiteren Zielausrichtung der Kommunikation notwendig. Bereits innerhalb der Interessenbestimmung wurde sichtbar, dass es oftmals nicht ausreicht bzw. gar nicht möglich ist, die Interessen seines Mandanten „nur“ zu erfragen. Häufig müssen Interessen, die Innerhalb der Vertragsgestaltung ist die topische Herangehensweise „gerecht“ im Sinne von mit dem Recht in Einklang stehend, weil ihr Vorgehen vom Anwaltsvertrag in der Form gefordert wird, als die relevanten Interessen und Lebenssachverhalte zu ermitteln sind. 208 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 145, zur Topik als Disziplin des Gesetzgebers. 209 Dazu u. a. Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 30. Als „Sprachkunst“ ist sie jedoch innerhalb des „Wie“ der Kommunikation von besonderer Bedeutung, indem es darum geht, die angemessenen Sprachzeichen von Seiten des Anwalts zu setzen. 210 So Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 31. 211 Erneut greifen die namentlich von Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 141 f., gemachten Vorwürfe gegen die Topik als Methode der Rechtsfindung nicht auf die oben beschriebene topische Herangehensweise über. Die Rhetorik wird hier nicht benutzt, um objektives Recht im Sinne von allen gegenüber geltendem Recht zu schaffen. Es geht um die Bildung von Recht („Vertrag“) mit einem Empfängerkosmos, der im Grundsatz auf zwei Personen beschränkt ist und für den der Anwalt zunächst nur für einen eintreten muss.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
verfolgt werden sollen, erst bei den Mandaten herausgebildet werden. Das gilt im Besonderen für die Interessen, die maßgeblich in den eigentlichen Willen einfließen, der zum juristischen Vertragsschluss führt.212 Die Prozesse der Interessenermittlung und der Interessenbildung sind keine separaten Abläufe,213 die nebeneinanderstehen. Sie sind fließend, gehen vielfach ineinander über und finden sich innerhalb eines in der Regel einheitlichen Gesprächsablaufs. Gleichwohl sollte innerhalb des Bewusstseins des Anwalts, was mit Hilfe der Kommunikation zu leisten ist, die „Ermittlungstätigkeit“ in Bezug auf die Interessen und des sie umgebenden Lebenssachverhalts grundsätzlich am Anfang stehen. Nur so kann der Gefahr begegnet werden, als anwaltlicher Vertragsgestalter in unzulässiger Weise die Interessen und den darauf aufbauenden Willen des Mandanten zu steuern.214 Zunächst gilt es, den Status quo der Interessen, soweit vorhanden, beim Mandanten auszumachen. U. a. aus dem Grund sowie wegen des Umstands, dass Interessenermittlung und -bildung ineinander übergehen können, bedürfen die zuvor gemachten Überlegungen zur Kommunikation und zur Sachverhaltsermittlung einer weiteren differenzierten Betrachtung für die ggf. zu unterstützende Interessenbildung. Es geht darum, wie die Interessenbildung an die Interessenermittlung zu koppeln ist, wo Unterschiede in den Prozessen bestehen und wie sich diese möglicherweise in der Kommunikation auswirken. b) Auswirkungen auf das Ob und Wie der Kommunikation Hinsichtlich des „Ob“ der Kommunikation gibt es angesichts eines anwaltlichen Beitrags zur Interessenbildung keine Besonderheiten. In Bezug auf das „Wie“ der Kommunikation ist bei der Interessenbildung eine über die Feststellung des Sach212
Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 144, spricht „Von der Willensermittlung zur Willensbildung“; Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 17, misst der Ermittlung des Gestaltungswillens einen zentralen Stellenwert zu. Damit (schon) begrifflich keine Verengung des Blickwinkels auf die (spätere) Willenserklärung erfolgt und die Bedeutung der Interessen für den Vertragsgestalter weiterhin betont wird, soll konsequent auf die Interessenbildung abgestellt werden. Selbstverständlich sind Interessen für die juristische Willensbildung bzw. -erklärung relevant; sie gehen auch vielfach ineinander über. Die Begrifflichkeiten sind gleichwohl voneinander zu trennen. So spricht Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, etwa davon, die Ermittlung des Willens heiße auch Feststellung der Interessenlage und Aufklärung des Mandanten hierüber. Insofern scheint Schmittat den Begriff des Willens weiter zu fassen als den des Interesses. Innerhalb unserer Untersuchung soll jedoch das Interesse den maßgeblichen Ausgangspunkt bilden, auf dem ggf. der (juristische) Wille sich aufbaut. 213 Vgl. auch Pick, KammerMitt RAK Düsseldorf 2009, 299, 301, wonach die juristischen Laien kaum eine Vorstellung hätten, welche Möglichkeiten und Wege bestünden, ihre Interessen durchzusetzen, sie wüssten in der Regel nicht einmal, welche Interessen juristisch möglich und welche Ziele juristisch realistisch seien. Das führe zu dem Dilemma, dass Mandanten nicht in der Lage seien, ihr Anliegen zu formulieren. Sie beauftragten einen Anwalt, damit dieser das für sie übernehme. 214 Siehe dazu auch Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 156 f.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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verhalts hinausgehende Sensibilisierung erforderlich, die nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Botschaften, die eine gesendete Nachricht enthält, zusammenhängt. Zum einen muss sich der Anwalt vergegenwärtigen, dass die ihm vom Mandanten gelieferte Sachinformation hier gerade beinhalten kann, dass eine „Lücke“ betreffend seiner Interessen vorhanden ist, die zu füllen ist. Diese Information kann vom Mandanten zwar ausdrücklich transportiert werden, etwa, wenn er formuliert, er habe sich noch keine Meinung über einen Erbvertrag mit seinem Ehepartner gebildet, weil er sich über die damit einhergehenden Konsequenzen noch keine Vorstellung habe machen können. Hier hat der Mandant noch nicht alle Interessen (aus-)gebildet, die erforderlich sind, um ein etwaiges Rechtsgeschäft in seiner Gänze überblicken zu können, und artikuliert dies auch. Mitunter wird die entsprechende Sachinformation über die „Lücke“ innerhalb der Mandanteninteressen jedoch in den gesendeten Nachrichten „versteckt“ sein. Der Hintergrund dafür liegt häufig darin, dass die Mandanten sich einer solchen Lücke gar nicht oder nicht im vollen Umfang/in ihren Einzelheiten bewusst sind. Beispiel 1215: Der Mandant sucht seinen Anwalt auf und erklärt, er lebe mit einer Partnerin zusammen, ohne mit ihr verheiratet zu sein. Er wolle sich jetzt absichern. Hier ist (noch) nicht deutlich, was der Mandant mit einer „Absicherung“ verfolgen will, ob das bestehende Vermögensgegenstände, späteren „Unterhalt“ oder etwa auch den Fall eines (Vor-)Versterbens des anderen Partners betrifft. Beispiel 2: Der Mandant sucht um Unterstützung bei dem Entwurf eines Kaufvertrags über ein (gebrauchtes) Kfz an. Er bringt lediglich zum Ausdruck, es günstig erwerben und zuverlässig damit zur Arbeitsstelle gelangen zu wollen. Gedanken um eine „Störfallvorsorge“ hat der Mandant sich augenscheinlich noch nicht gemacht.216
Die Sachinformation über die mangelnde Ausprägung aller (notwendigen) Interessen gilt es im Rahmen einer (weiteren) Interessenbildung aufzugreifen. Es ist dort am Anwalt, „(…) den Blick des Mandanten auf Zusammenhänge, Probleme und Fragestellungen (zu lenken), die dieser noch nicht als relevant erkannt hat“217. Es ist eine Konsequenz der „Aufgabe des Vertragsjuristen (…), sich in die Interessenlage der Beteiligten hineinzudenken“218. Zugleich zeigt sich hier eine Schnittstelle zu einer weiteren kommunikativen Zielebene, der rechtlichen Beratung219.
215 Beispiel nach den Ausführungen bei Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 21. 216 Dieses Beispiel einer Risikoplanung verdeutlicht, dass auch eine Absicherung gegen Störfälle zu den Interessen des Mandanten kann. 217 Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, die Ausführung steht dort allerdings im Kontext der sachgerechten Ermittlung der Regelungsziele. 218 Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, wiederum im Kontext der sachgerechten Ermittlung der Regelungsziele. 219 Siehe dazu erneut das Zitat von Schollen, DNotZ, Sonderheft Deutscher Notartag 1977, 28, 35: „Der Blick wandert hin und her. Wille, Lebensverhältnisse und Normen stehen in Wechselbeziehungen.“ Das Bild des Hin- und Herwanderns des Blicks findet sich, auch darauf
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Sensibilität ist auch hinsichtlich der „Selbstoffenbarung“ einer gesendeten Nachricht bei der Interessenbildung notwendig. Der Mandant kann als Person über sich offenbaren, innerhalb eines bestimmten Interessengeflechts zu stehen. In Kenntnis um die soeben beschriebene „Lücke“ ist vom Anwalt die Selbstoffenbarung gleichsam als Aufforderung aufzufassen, den Mandanten zu „seinen“ Interessen hinzuführen, ohne ihn im Sinn einer Fremdbestimmung zu lenken. Insofern kann man den Mandantenauskünften auch durchaus den Appell entnehmen, ihn zu unterstützen, seine eigenen Wünsche zu erkennen. Eine solche „Selbstoffenbarung“ besteht etwa in dem soeben angeführten Beispiel des Mandanten, der sich in seiner Situation der nichtehelichen Lebensgemeinschaft beraten lassen will.220 c) Konsequenzen für das Setzen sprachlicher Zeichen sowie für die Gesprächsführung Die besonderen Herausforderungen setzen sich für den Anwalt beim Umgang mit sprachlichen Zeichen fort. Müssen beim Mandanten erst Interessen herausgebildet werden, so ist es u. a. in der Regel erforderlich, ihm in besonderer Weise die rechtlichen Rahmenbedingungen aufzuzeigen, innerhalb derer er sich bewegt.221 Das Aufzeigen dieser Bedingungen ist zudem eine primäre Pflicht des Anwalts aufgrund des Anwaltsvertrags. Wenn der Anwalt den Mandanten in die Lage versetzen soll, aufgrund von juristischen Zusammenhängen seine Interessen und seinen Willen zu bilden, müssen die entsprechenden Kontexte verständlich gemacht werden. Es ist also an dem Anwalt, sie sprachlich so herüberzubringen, dass der Mandant sie mit seinem individuellen Empfängerhorizont verstehen kann. Die „Dolmetschertätigkeit“222 ist somit hier besonders ernst zu nehmen. Abgesehen von der aufgezeigten sprachlichen Sensibilität muss der Anwalt darüber hinaus mit Blick auf die Interessenbildung auch seine Gesprächsführung anpassen. Diesbezüglich sei zunächst noch einmal betont, dass die Interessenbildung mit der Informationsermittlung verbunden ist, von dieser nicht getrennt werden kann. Ohne eine Informationsermittlung im oben beschriebenen Sinn kann von Seiten des Anwalts kein Beitrag zur Interessenbildung beim Mandanten geleistet werden. Gerade wenn es um die Verbindung von Interessenbildung und Informationsermittlung geht, ist der Anwalt allerdings noch mehr gehalten, nicht in unzulässiger
wurde bereits mehrfach hingewiesen, schon bei Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 14 f. Zu Recht spricht Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 21, vom „typische(n) Ineinander von Willensermittlung, Belehrung und Beratung“. 220 Es wird damit gleichzeitig noch einmal deutlich, dass eine gesendete Nachricht mehrere Botschaften beinhalten kann. 221 Siehe dazu auch noch unten die Ausführungen zur rechtlichen Beratung. 222 Siehe Ewer, AnwBl. 2010, 297, 301 (zum Anwalt); Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 48 f. (zum Notar); Jerschke, DNotZ-Sonderheft 1969, 26 (zum Notar).
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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Weise dem Mandanten seine „Meinung“, nämlich seine „Definitionsmacht“223 aufzudrängen. Ebenso wie bei der Aufnahme von bereits vorhandenen Interessen beim Mandanten, ist der Anwalt bei einer noch anstehenden Interessenbildung gefordert, sich als „Lenker“ zurückzunehmen.224 Davon zu trennen, wenn dies im Einzelfall auch schwierig sein mag, sind die Frage und die Notwendigkeit, als Anwalt gerade im fachlichen Bereich Anleitung zu geben/geben zu müssen. Das gilt vor allem für die soeben angesprochene vom Anwalt zu leistende rechtliche Beratung. Für den Beitrag des Anwalts zur Interessenbildung beim Mandanten müssen daher die verschiedenen Techniken zur Informationsauffindung bzw. -umsetzung, die zuvor bei der Sachverhaltsermittlung aufgezeigt worden sind, nochmals kritisch aufgegriffen werden. Dabei ist im Hinblick auf den Umgang mit den Techniken und ihres Einsatzes, wenn auch nur gedanklich, zwischen dem Erfordernis, eine Lücke im Interessengebäude des Mandanten festzustellen und im Weiteren zur Bildung/Erkenntnis (weiterer) Interessen beizutragen, zu trennen. Trotz dieses Erfordernisses besteht aber auch hier wiederum eine Wechselbeziehung zwischen Feststellung von Lücken einerseits und einem Beitrag zu ihrer Schließung andererseits. Ausgehend davon ist erneut die Mandantenschilderung der maßgebliche Anstoß auch im Kontext der Interessenbildung. Nur so können z. B. auf der Sachebene Lücken im Interessenspektrum des Mandanten erkennbar werden. Für diesen Prozess wird jedoch in den meisten Fällen lediglich die Sachverhaltsschilderung des Mandanten nicht ausreichen. Wie bei der Sachverhaltsermittlung in Bezug auf bestehende Interessen und deren soziales Umfeld wird es ebenso hinsichtlich der Klärung der Frage, ob beim Mandanten noch (weitere) Interessen herausgebildet werden müssen, zumeist notwendig sein, innerhalb der Kommunikation mit dem Mandanten einen Abgleich mit unterschiedlichen Mustern und Realitäten vorzunehmen.225 So kann in dem Beispiel des Mandanten, der um Absicherung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bemüht ist, etwa ein Abgleich an den Mustern erfolgen, die Alltagstheorien226, Kautelarpraxis227 oder das Gesetz228 bieten. 223
Zum Begriff Schumann, ZfRSoz 1982, 272, 282. Siehe auch Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 157, wonach sich der Vertragsgestalter den Beteiligten in keinem Fall aufzwingen darf. 225 Etwas anderes gilt dann, wenn der Mandant ausdrücklich äußert, in einem bestimmten Bereich Unterstützung zu benötigen, weil er selbst erkannt hat, dass sein „Willensgebäude“ noch nicht vollständig ist. 226 Z. B. kann die Alltagstheorie verifiziert werden, ob tatsächlich keinerlei (eigene) Verpflichtungen gegenüber dem Lebenspartner eingegangen werden wollen. 227 Z. B. anhand von Musterverträgen für Regelungen im Krankheitsfall oder von (Muster-) Vorschlägen, wie bei größeren Anschaffungen zu verfahren ist. 228 Z. B. anhand der gesetzlichen Regelungen, welche Rechte und Pflichten bestehen, wenn ein gemeinsames Kind aus der Beziehung hervorgeht. Das betrifft etwa Unterhaltsansprüche aus Anlass der Geburt nach § 1615l BGB, wobei nach § 1615 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 1614 224
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Die Sachverhaltsermittlung in all ihren Varianten trägt somit zur Lückenfeststellung bezüglich der Mandanteninteressen bei, ist von ihr wiederum aber nicht zu trennen. d) Besonderheiten aufgrund der Zielausrichtung auf die Interessenbildung – Einsatz von „Mustern“ Gleichwohl muss der Anwalt sich der unterschiedlichen Zielausrichtungen der Kommunikation bewusst sein, die hinsichtlich der „reinen“ Sachverhaltsermittlung einerseits und dem Beitrag zur Interessenbildung andererseits bestehen. Denn trotz aller Schnittflächen in der kommunikativen Herangehensweise muss der Anwalt sich das vergegenwärtigen, will er eine unbotmäßige Einflussnahme auf den Willen des Mandanten vermeiden. Es ist ein Unterschied, ob bestimmte Muster, z. B. solche aufgrund vorhandener gesetzlicher oder kautelarpraktischer Typen, lediglich als „Checklisten“ zur Sachverhaltsermittlung oder zum Zweck der Interessenbildung eingesetzt werden. Im letzten Fall geht es vor allem darum, dem Mandanten ggf. verschiedene „Realitäten“ als Modelle einer Lebensgestaltung bzw. eines Ausschnitts aus dem Leben vorzustellen. Damit ist u. a. oftmals verbunden, dem Mandanten auch das Telos der betreffenden Modelle aufzuzeigen. Das zu vermittelnde Informationsspektrum, das an den Mandanten weiterzugeben ist, kann also durchaus ein umfangreicheres sein. Vor allem muss aber deutlich werden, dass die jeweiligen Modelle, anhand derer der Mandant eigene Interessen ausmachen oder gewichten kann, „fremde“ Modelle sind. Sie dürfen daher nicht als Vorgabe dargestellt werden, denen der Mandant zustimmen soll. Sie dürfen nur ein „Angebot“ sein.229 Diese Sensibilität war schon innerhalb der eigentlichen Sachverhaltsermittlung erforderlich, stellt sich allerdings innerhalb der Interessenbildung noch viel drängender. Gerade wenn man diesen Angebotscharakter berücksichtigt, wird ebenfalls deutlicher, wie der Anwalt an den Mandanten Modelle herantragen könnte. So geht es etwa bei der Unterstützung zur Interessenbildung unter Rückgriff auf eigene gelebte (berufliche) Erfahrung durch den Anwalt darum, vor allem sprachlich hinreichend deutlich zu machen, dass es sich um fremde Erfahrungen handelt. Hinter diesen fremden Erfahrungen stehen bestimmte Interessengefüge und Motivationslagen, die dem Mandanten als ein Konzept möglichst unter Heranziehung der entsprechenden Kausalzusammenhänge dargestellt werden können. Wichtig ist es, den Mandanten schon über den Weg der Darstellung die Entscheidungsfreiheit zu lassen. Abs. 1 BGB für die Zukunft auf den Unterhalt nicht verzichtet werden kann. Die entsprechenden „gesetzlichen Muster“ sind insoweit also zwingende. 229 Soweit allerdings der Bereich zwingenden Rechts eröffnet ist, siehe oben zum Beispiel des § 1615l und dabei § 1615l Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 1614 Abs. 1 BGB, sind die „gesetzlichen Muster“ für den entsprechenden Lebensbereich, soweit er schon eröffnet ist (Kind ist bereits geboren), maßgeblich. Vorschlagscharakter haben sie aber nach wie vor, falls man in Kenntnis der Regelungen von einer solchen (künftigen) Lebensgestaltung, soweit noch möglich, absieht.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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Das gilt im Bereich der (eigenen!) Interessenbildung durch den Mandanten im Besonderen. Idealiter soll der Mandant einen Abgleichungsprozess vornehmen und selbst die Entscheidung treffen, ob innerhalb seines Interessengefüges (noch) eine Ergänzung vorzunehmen ist. Die gleichen Überlegungen müssen greifen, wenn unter Rückgriff auf Alltagstheorien ein Beitrag zur Interessenbildung geleistet werden soll. Dabei ist allerdings einschränkend zu berücksichtigen, dass Alltagstheorien ihren Anwendungsbereich gerade bei uns in Bezug auf die Sachverhaltsermittlung haben. Sie eignen sich daher nur bedingt als Muster zur initiativen Interessenbildung. Dafür ist es erneut notwendig, (auch) die Interessenströme, das heißt die Kausal- und Motivationszusammenhänge, die hinter den Alltagstheorien stehen, zu eruieren und offenzulegen. Solange dies nicht auch im Kontext mit der Verwendung von Alltagstheorien geschieht,230 sind letztere zwar eine Hilfe bei der Sachverhaltsermittlung, kaum jedoch eine geeignete231 Unterstützung zur Interessenbildung beim Mandanten. Im Übrigen ist wiederum darauf zu achten, dass Alltagstheorien in jedem Anwendungsfall der konkreten Verifizierung durch entsprechende Nachfragen und Aufklärungsarbeit zugeführt werden müssen. Eigene Herausforderungen im Zusammenhang mit der Interessenbildung begründet ebenfalls der Rückgriff auf unterschiedliche Typen. Wie bei den Alltagstheorien sind hierbei zunächst die „reinen“ Sachverhaltstypen, die sich aus der Praxis heraus entwickelt haben (z. B. die Typen der Ein- oder Zweiverdienerehe), möglichst nur unter Hinzuziehung der sie (mit-)bedingenden Hintergründe für die Interessenbildung einsetzbar. Im Bereich der Sachverhaltsermittlung wurde herausgestellt, dass sich dort der Blick auf die Typenmerkmale der Realität ausrichten muss. Die Sachverhaltserfassung anhand dieser Typen hatte nicht zuletzt einen empirischen Hintergrund. Allerdings wurde bereits in Bezug auf die Sachverhaltsermittlung deutlich, wie sehr das Denken entlang von Sachverhaltstypen von einem Erfahrungsschatz geprägt war, in dem sich das Wechselspiel zwischen Wünschen, Interessen, Realitäten und Recht widerspiegelt.232 Die Kenntnis des Anwalts um die aus der Praxis heraus begründeten Sachverhaltstypen ging zudem nicht zuletzt mit einer Einordnung in bestimmte soziale Zusammenhänge einher. Die entsprechenden Typen sind, wie beschrieben, ein Produkt der sozialen Realität. Hinzu kam, dass die Aufstellung von daran anknüpfenden Kautelartypen (z. B. ein Ehevertrag für eine Einverdienerehe) einen Wertungsprozess beinhaltete. All dies, Wechselspiele, sie bedingende soziale Zusammenhänge und Wertungsprozesse, liefert innerhalb einer zu leistenden Unterstützung bei der Interessenbildung die entscheidenden Anhaltspunkte, die dort dem Mandanten ebenfalls aufgedeckt werden sollten, damit er 230 Im Einzelfall kann es durchaus problematisch sein, ob es überhaupt möglich ist, in Bezug auf Alltagstheorien die Hintergründe aufzufinden und aufzuzeigen. 231 Es besteht dann die Gefahr, im Mandanten ein Gedankenmuster aufzurufen, dass bestimmte Abläufe „eben so sind“. 232 Zum Hin- und Herwandern des Blicks, zum Wechselspiel von Willen, Lebensverhältnis und Normen, Schollen, zitiert bei Duve, DNotZ-Sonderheft 1981, 26, 48.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
seinen Willen ausbilden kann. Erneut geht es darum zu vermeiden, die Interessen des Mandanten fremd zu bestimmen. Vielmehr sind deshalb auch hier, fremde Interessenmodelle aufzuzeigen, anhand derer der Mandant einen selbständigen Abgleichungsprozess bzw. einen eigenen Interessenbildungsprozess vornehmen kann. Die Vorgehensweise ist ähnlich, wenn zur Unterstützung der Interessenbildung ein Rückgriff auf normative Typen (z. B. Abschluss eines Darlehensvertrags i. S. d. BGB) erfolgt. Der Mandant kann hier ebenfalls nur in angemessener Weise unterstützt werden, wenn die maßgeblichen Hintergründe, soweit eruierbar, (z. B. Motive und soziale Zusammenhänge für die normativen Regelungen) erläutert und dem Mandanten zur Verfügung gestellt werden. e) Konsequenzen der Besonderheiten der Interessenbildung Die bisherigen Ansätze, wie ein angemessener Beitrag seitens des Anwalts zur Interessenbildung erfolgen kann, standen in Verbindung mit den innerhalb der Sachverhaltsermittlung aufgezeigten Mechanismen, die auf bestimmte „Muster“ zurückgriffen. Um solche Muster tauglich für einen selbstbestimmten Findungsprozess beim Mandanten einzusetzen, sind aber erhebliche Anstrengungen notwendig. Zwar mögen bei einfachen Vertragssituationen solche Mühen oftmals nicht erforderlich sein. Das hat seinen Grund jedoch vielfach darin, dass dann (kaum) ein Prozess zur Formung der Interessen beim Mandanten zu unterstützen ist.233 Je komplexer die Situation aber wird, desto mehr muss der Anwalt auf die entsprechenden Abläufe achten. Gerade, wenn für die Interessen- und Willensbildung auch die Kenntnis normativer Typen vonnöten ist, ist der Anwalt gefordert und kann sich als Fachmann diesem Prozess nicht entziehen, weil hier ein Bezug zu seinen juristischen Fachkenntnissen besteht. Gleichzeitig bedingt jedoch eine Hilfe zur Interessenbildung mittels bestimmter, insbesondere normativer Muster, eine möglicherweise verengte Sichtweise. Vor allem im Findungsprozess als höchstpersönlichem Vorgang ist das Postulat der Offenheit aber wiederum zu beachten. Folglich gewinnen hier erneut andere (wissenschaftliche) Disziplinen und eine topische Herangehensweise an Bedeutung. So kann zunächst die Nutzbarmachung weiterer wissenschaftlicher Disziplinen, wie beispielsweise der Psychologie, innerhalb der Interessenentwicklung besonders (mit-)geeignet sein. Betroffen ist mit der Ausformung der Interessen nicht zuletzt ein eigener Entscheidungsfindungs- und Gewichtungsprozess. Es handelt sich dabei vor allem um einen inneren Prozess mit psychologischen Abläufen, z. B. hinsichtlich der
233 Zur mangelnden Notwendigkeit bei verkehrstypischen Massengeschäften, einen „wahren Willen“ beim Mandanten aufzudecken, Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 18.
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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Bewusstwerdung, in welcher Beziehung man als Mandant zu einer anderen Person steht, um dann daran anknüpfend seine Interessen zu fixieren.234 Allerdings wird in diesem Zusammenhang noch deutlicher als innerhalb der Sachverhaltsermittlung, dass mit einer etwaigen Forderung nach solchen Fähigkeiten beim Vertragsgestalter ein Bereich erreicht ist, den der Anwalt im Sinne einer anwaltsvertraglichen Pflicht nicht schuldet, auch nicht schulden muss. Relevant kann wiederum für den Anwalt nur die Kenntnis um solche Fertigkeiten sein, die er zu leisten hat, um seine (juristische) Arbeit kunstgerecht durchführen zu können. Es liegt somit ein weiteres Beispiel dafür vor, wie die Sachverhaltsermittlung einerseits und ein Beitrag zur Interessenbildung andererseits fließend ineinander übergehen. So war innerhalb der Sachverhaltsermittlung aufgezeigt worden, wie etwa die Kenntnis um den Umgang mit Konflikten235, also eine auch (rechts-)soziologische Herangehensweise,236 notwendig sein kann, um erforderliche Informationen zu erfragen. Das Aufzeigen von unterschiedlichen Wegen, Konflikte zu bewältigen, ist gleichzeitig auch ein Mittel dazu, den Mandanten anzuregen, sich mit seinem Konfliktverständnis und damit mit seinem Verhältnis zu bestimmten Personen auseinanderzusetzen.237 So wird erneut ein Beitrag zur ggf. erforderlichen Interessenbildung geleistet. f) Topische Herangehensweise als Weg zur Interessenbildung Die bisher aufgeführten Vor- und Nachteile einer Nutzung von Modellen der Sachverhaltsermittlung für die Interessenbildung lenken jetzt den Blick auf eine topische Herangehensweise. Auch hier zeigt sich eine Verschmelzung von Sachverhaltsermittlung und Interessenerforschung. Hinzu kommt dort jedoch der besondere Vorteil, der in der mit der Topik verbundenen offeneren Denkweise liegt. Gerade wenn der Mandant seine Interessen, seinen Willen erst noch bilden, das heißt finden muss, scheint die Topik von ihrer grundsätzlichen gedanklichen Ausrichtung her vornehmlich geeignet, hierzu Unterstützung zu leisten. Viehweg nannte die Topik nicht zuletzt die „Kunst des Findens“238, bezeichnete sie als „die Kunst, sich in jeder Lebenslage die Gründe 234 An dieser Stelle kann wiederum auf das Beispiel verwiesen werden, in dem der Mandant um Rat ersucht, weil er sich in seiner nichtehelichen Beziehung „absichern“ will. 235 Z. B. konfrontativ vor Gericht oder eher konsensual im außergerichtlichen Weg. In diesem Kontext steht auch die Äußerung Unberaths, Chancen und Grenzen der Alternativen Konfliktlösung, 1, 1, wonach Recht, mithin Zwang, und Konsens zwei sich gegenseitig ausschließende Arten der Konfliktlösung seien. 236 Es ging darum, Kenntnisse zu vermitteln, was unterschiedliche Formen von „Recht“ in der Konfliktbewältigung leisten oder nicht leisten können. Das hat nicht zuletzt entscheidenden Einfluss auf soziale Gefüge, innerhalb derer die Konflikte ausgetragen werden, z. B. einer länger andauernden Geschäftsbeziehung. 237 Will der Mandant etwa den Streitentscheid über den Erhalt der Beziehung stellen oder ist der Erhalt der Beziehung für ihn vorrangig. 238 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 32.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
zu vergegenwärtigen, die einen Schritt empfehlen oder widerraten (…)“239. Ein solches Erforschen von Gründen, das hat die bisherige Auseinandersetzung gezeigt, ist ein maßgeblicher Baustein innerhalb der Interessenbildung. Auch in diesem Zusammenhang muss man sich nicht der Kritik um die Topik als Methode zur Entwicklung rechtlicher Lösungen stellen, geht es doch vielmehr ein weiteres Mal darum, die mit der Methode einhergehenden Strukturelemente, die topische Herangehensweise aufzugreifen, vor allem das soeben genannte Auffinden von Lösungen. Innerhalb der Interessenbildung kann eine problemorientierte Herangehensweise etwa zunächst darin bestehen, überhaupt ein Bewusstsein beim Mandanten zu schaffen, ob sein Interessengebäude vollständig ist oder Lücken aufweist.240 Hierbei kann man, ebenfalls sich methodisch mit der Sachverhaltsermittlung überschneidend, in Anlehnung an Viehweg ein topisches Vorgehen „erster Stufe“ und eine „Topik zweiter Stufe“ anwenden, letztere vor allem unter Benutzung von Topoi-Katalogen.241 Bei der Sachverhaltsermittlung flossen auf diesem Weg z. B. die eigene Lebenserfahrung, die Alltagstheorien sowie, gerade über die Topoi-Kataloge, die von der Kautelartätigkeit geprägten oder von Normen vorgegeben Muster ein. So ist denn auch bei der Interessenbildung eine „rein“ offene Denkweise nicht vorstellbar242 und vor allem nicht ausreichend.243 Ein dort durchaus stattfindendes „Brainstorming“ bedarf gleichfalls der „Unterstützung“ etwa in Form der Einspeisung von „Modellen“, die eine Struktur mit sich bringen244. Solche Modelle sind hier aber bewusst nur eine Unterstützung, also eine Möglichkeit, durch diese Herangehensweise einer verengenden Sichtweise entgegenzuwirken. Dazu muss beispielsweise der Mandant das „Angebot“ des Gesetzgebers durch dessen Normen und das, was der Gesetzgeber damit bezwecken will, kennen und bewerten können.245 Hierdurch, und das gilt innerhalb des Prozesses der Interessenbildung viel stärker als bei der Sachverhaltsermittlung, muss die Form von „Offenheit“ gewahrt werden. Die Leistung des Anwalts liegt diesbezüglich weiterhin
239
Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 32. Auch hier besteht eine Schnittfläche zur Sachverhaltsermittlung; dort sollten gerade die in der sozialen Wirklichkeit wurzelnden Interessen eruiert werden. 241 Siehe dazu die Ausführungen bei Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 35. 242 Gemeint ist damit ein, von der Topik so auch nicht vertretenes, Vorgehen, ohne jedwede Strukturen, rein zufällig irgendwelche Anstöße zu liefern, die vielleicht zur Interessenbildung beitragen können. 243 Pick, AnwBl 2013, 201, 205, fordert grundsätzlich für die Gesprächsorganisation, dass der Anwalt den Mandanten orientieren und gleichzeitig dessen Orientierungsangebote wahrnehmen und ernst nehmen solle. 244 Vgl. auch Pick, AnwBl 2013, 201, 205, wonach der Anwalt dem Gespräch eine Struktur geben und dieses Wissen mit dem Mandanten teilen sollte. 245 Es ist u. a. am Anwalt, Bewertungsdivergenzen, die sich zwischen einer lebensweltlichen und einer rechtlichen Sichtweise ergeben, dem Mandanten aufzuzeigen, dazu Pick, AnwBl 2013, 201, 204. 240
B. Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt
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in einer entsprechenden Gesprächsführung.246 Wie bei der Sachverhaltsermittlung dargestellt, gilt es, den Mandanten zu Wort kommen zu lassen. Innerhalb der Interessenbildung kann es jedoch, auch mit Blick auf die Offenheit, angezeigt sein, den Mandanten stärker in der Gesprächsführung zu begleiten, womit keine starre Lenkung gemeint ist. Vielmehr sollte der Mandant, wenn man etwa seine Unentschlossenheit bezüglich seiner Interessen erkennt, z. B. unter Nennung von Motivlagen unterschiedlicher Muster bewusst motiviert und angesprochen werden, seine individuelle Lage damit abzugleichen und auch Widersprüche oder Besonderheiten in seiner (inneren) Interessenwelt anzusprechen.247 In dem Fall kann die der topischen Herangehensweise eigene Verbindung von Offenheit unter Nutzung von Topoi-Katalogen in einem solchen Findungsprozess gelingen. Das ist, das sei nochmals eingeräumt, ein anspruchsvoller und häufig zeitintensiver Vorgang. Er wird in einfacheren Vertragssituationen vielfach nicht erforderlich sein, durchaus jedoch in komplexeren. Dort sollte ein Vertragsgestalter, will er ein „Interessen“vertreter sein, sich jedoch nicht davor scheuen, den Weg zu beschreiten. Die Topik kann so einen besonderen Beitrag zur individuellen Gerechtigkeitsfindung über die Vertragsgestaltung leisten. Zusammenfassend kann für den Prozess der Interessenbildung festgehalten werden, dass sich dort zahlreiche Schnittflächen mit der Sachverhaltsermittlung ergeben. Das entspricht aber einerseits dem tatsächlichen Ablauf in Bezug auf eine einheitliche Gesprächsführung zwischen Anwalt und Mandanten. Andererseits wird damit nochmals das Wechselspiel zwischen Sachverhaltsermittlung, Interessenfindung und der sogleich noch zu benennenden rechtlichen Beratung betont. Gleichwohl, und dessen muss sich der Anwalt bewusst sein, hat sein Betrag zur Interessenbildung beim Mandanten trotz aller Übergänge einen eigenen, ernst zu nehmenden Stellenwert. Dieser äußert sich z. B. in der Notwendigkeit, sich als Anwalt zurückzunehmen, das heißt, den Mandanten nicht in eine Richtung zu drängen, und vor allem in der oftmals gegebenen Erforderlichkeit, Kausal- und Motivlagen von „Mustern“ für den Mandaten in verständlicher Art und Weise offenzulegen. Hier kann eine topische Herangehensweise im Besonderen angezeigt sein. 3. Rechtliche Beratung Eine weitere Säule innerhalb der Ziel- und Zweckausrichtung der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant bildet die rechtliche Beratung. Die rechtliche Beratung gehört zu den Primärpflichten des Anwalts aufgrund des Anwaltsvertrags, sie muss vollständig und richtig sein.248 Die Frage, was der Anwalt inhaltlich fachlich 246 Vgl. wiederum Pick, AnwBl 2013, 201, 205, wonach der Anwalt den Mandanten orientieren, gleichzeitig aber auch dessen Orientierungsangebote annehmen solle. 247 Vgl. auch Pick, AnwBl 2013, 201, 205, wonach der Anwalt präzisieren können sollte, wo im Gesprächsverlauf er und der Mandant sich befänden, worauf der Anwalt zusteuern wolle und vor allem, was er dazu vom Mandanten erwarte. 248 BGH NJW-RR 2003, 1212, 1212.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
zu leisten hat, durchzieht unsere gesamte Untersuchung. Für die kommunikativen Abläufe wurde die Bedeutung, die die rechtliche Beratung dort einnimmt, schon innerhalb der Darstellung der Sachverhaltsermittlung sowie der Interessenfindung mehrfach betont. Hervorgehoben werden soll nochmals, dass gerade seitens des Anwalts in besonderem Maß darauf zu achten ist, die rechtlichen Auskünfte so zu kommunizieren, dass die Verständlichkeit, bezogen auf den Empfängerhorizont des individuellen Mandanten, gewährleistet ist.249 Was inhaltlich (rechtlich) dem Mandanten zu vermitteln ist, ist nicht zuletzt abhängig von seinen geäußerten Interessen. Ebenso bildet, auch das wurde bereits deutlich, die rechtliche Beratung ein wesentliches Element für die Interessenfindung, vor allem, wenn diese in die eigentliche juristische Willensbildung einmünden soll. Insofern kann nochmals auf das obige Beispiel verwiesen werden, in dem der Anwalt einen Beitrag zur Interessenbildung beim Mandanten bezüglich der „Störfallvorsorge“ beim Kauf eines (gebrauchten) Kfz zu leisten hat. Ohne (verständliche) Darstellung u. a. der Stärken und Schwächen der gesetzlichen Gewährleistungsbestimmungen nach §§ 434 ff. BGB ist das nicht möglich. Ein weiteres Mal ist somit auf das Wechselspiel von Sachverhaltsermittlung, Interessenbildung und rechtlicher Belehrung und Beratung hinzuweisen.250 Trotzdem, und nicht zuletzt deshalb, durchziehen Fragen und Probleme der korrekten rechtlichen Beratung die gesamte Untersuchung, wird der Anwalt in haftungsrechtlicher Hinsicht vor allem an seinem Tun in Bezug auf seine rechtlichen Auskünfte gemessen.251 Weil die rechtliche Beratung vielfach nicht von der Sachverhaltsermittlung und der Interessenfindung zu trennen ist, ergibt sich für den Anwalt oftmals ein zusätzlicher Bereich, aufgrund fehlerhaften Handelns sich einer Regressgefahr auszusetzen.252 249 Siehe nochmals Pick, AnwBl 2013, 201, 205, zum Umgang mit Begrifflichkeiten im Gespräch zwischen Anwalt und Mandanten. 250 Keim, Das notarielle Beurkundungsverfahren, Teil G, Rn. 84, führt, allerdings für den Notar, aus, die Belehrung könne zunächst von der Sachverhaltserforschung nicht getrennt werden. Nach Keim, ebenda, ist die Konkretisierung des rechtsgeschäftlichen Willens der Beteiligten ohne eine entsprechende, diese Klärung begleitende Belehrung nicht möglich. Keim bezeichnet dies als „gestaltende Belehrung“. Daneben, Keim, Rn. 87, gibt es die „erklärende Belehrung“, die den Inhalt von Begriffen und den „juristischen Teil“ eines Geschäfts betrifft. Keim, Rn. 88 ff., liefert darüber hinaus eine umfangreiche weitere Auflistung möglicher Arten von Belehrungen, u. a. die warnende und die hinweisende. Seine Ausführungen sind aber vor allem der notariellen Tätigkeit gewidmet. Sich Keims Ausführungen anschließend, Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 153. Nach Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, Rn. 20, sind „Belehrung und Beratung (…) untrennbar in den Prozess der Willensermittlung“ einbezogen. 251 Die besondere Bedeutung der Belehrung und Beratung als zentralen Bereich der Möglichkeiten und Aufgaben des Vertragsgestalters herausstellend Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 154. 252 Selbstverständlich können auch Fehler bei der Sachverhaltsermittlung oder bei der Unterstützung zur Interessenfindung eine Regresspflicht begründen. Auch darin kann eine Pflichtverletzung des Anwaltsvertrags liegen, die zum Eingreifen des § 280 Abs. 1 BGB führt.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n) I. Einführung Während die Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt gleichsam das „Innenverhältnis“ betrifft, geht es bei der Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n) um das „Außenverhältnis“, das Verhältnis, in dem der eigentliche Vertrag zustande kommen soll. Kommunikation mit, zwischen oder unter Einbeziehung der potentiellen Vertragspartner ist vielgestaltig. In Begrenzung des Untersuchungsstoffes sollen zum einen die Unterschiede aufgezeigt werden, die sich in Abweichung zur Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten ergeben.253 Es sollen ferner auch und vor allem Ansätze erarbeitet werden, die unerlässlich sind, um den Zusammenhang zum Umgang mit Recht und Gerechtigkeit deutlich zu machen. Allerdings muss es hier ebenfalls bei einer Beschränkung auf die wesentlichen Grundlagen bleiben. Besondere Probleme stellen sich später u. a. innerhalb der Diskussion um die zivilrechtlichen Konsequenzen der Verhandlung für den Anwalt (Dritthaftung) sowie innerhalb der Überlegungen zur Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung.
II. Veränderte Ausrichtungen der Kommunikation – Vorliegen von Kommunikation mit veränderten Rahmenbedingungen Dass es im Vorfeld des (juristischen) Vertragsschlusses zu einer Kommunikation kommt, ist offensichtlich und im Grunde unproblematisch. Dies liegt schon im juristischen Vertragsschlussmechanismus begründet. Die übereinstimmenden Willenserklärungen, die zum Vertragsschluss führen, setzen eine dialogische, zumindest zweiseitige254, Beziehung, eine insoweit zweckgerichtete Kontaktaufnahme und einen, juristisch betrachtet, sich auf die essentialia negotii beziehenden Austausch von Erklärungen voraus. Das Ob der Kommunikation ist somit schon allein aufgrund dieses Umstands zu bejahen. Das gilt bereits für den einfachen Austauschvertrag.255 Eine einschränkende Ausrichtung auf den eigentlichen Abschluss eines (bestimmten) juristischen Vertrags, auch wenn darauf die anwaltliche Vertragsgestaltung letztlich hinausläuft, würde jedoch für die Rolle und durchaus auch für die 253 Insoweit ist aber erneut zu berücksichtigen, dass in die Kommunikation mit dem potentiellen Vertragspartner auf einer oder auf beiden Seiten selbstverständlich ein Anwalt eingebunden sein kann. 254 Bork, AT des BGB, Rn. 655. 255 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 61; dort ist allerdings der Anwalt in der Regel nicht eingebunden.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
rechtliche Bedeutung der Kommunikation der potentiellen Vertragspartner innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung zu kurz greifen. Zunächst und vor allem muss das „Vorfeld“ des eigentlichen Vertragsschlusses in den Fokus der Betrachtung rücken. In zahlreichen Fällen256 gehen diesem nicht nur (kurze) Gespräche, sondern Vertragsverhandlungen257 voraus.258 Zu Recht bezeichnet Sievers259 „Verhandlung (…) – abstrakt gesehen – (als) im Grunde nichts anderes als ein(en) Kommunikationsvorgang.“260 Dabei ist allerdings schon die Bestimmung des Begriffs der „Vertragsverhandlung“ nicht unproblematisch.261 Er soll hier zunächst verkürzt als kommunikatives Ablaufgeschehen im vertraglichen Vorfeld262 bezeichnet werden, in das Argumente und Abwägungen einfließen.263 Ausgehend von solch einem Verhandlungsverständnis zeigt sich besonders deutlich, dass die Kommunikation zwischen den potentiellen Vertragspartnern nicht allein auf die Blickrichtung des Abschlusses des juristischen Vertrags reduziert werden darf. Erneut müssen die sozialen Komponenten des Vertrags Einlass in die Überlegungen finden.264 Letztlich ist der juristische Vertrag nur die „Hülle der ei256 Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 1, in Bezug auf wirtschaftlich bedeutsame Geschäfte; auch ohne Verhandlungen im engeren Sinn kann die Kommunikation ebenfalls bei „einfachen“ Austauschverträgen durchaus komplex sein. 257 Zu Grundsätzen und Formen des Verhandelns etwa Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 186 ff. 258 Die Vertragsverhandlung kann geschuldete Leistung des Anwalts nach § 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 BGB sein. 259 Sievers, Verhandlungen aus kommunikationstheoretischer Sicht, 21, 21. 260 Zum Funktionieren der Verhandlungen durch Kommunikation auch Kamanabrou/ Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 32; Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, Rn. 183. 261 Eine eigene Aufbereitung der „Theorie juristischer Verhandlungen“ erfolgt durch Stelmach/Brozek. 262 Dieses „Vorfeld“ ist zeitlich betrachtet grundsätzlich weit zu verstehen. Erfasst werden können davon Gespräche, die zum intendierten Vertragsschluss führen sollen, bloße Vorgespräche zum beabsichtigten Vertragsschluss, aber, wenngleich in unserem Untersuchungskontext darauf kein Schwerpunkt liegt, ebenso unverbindliche Gespräche, um potentielle gemeinsame Interessen herauszufinden, um ggf. dann zu entscheiden, ob in Gespräche über Vertragsabschlüsse eingetreten wird. In allen Fällen liegt aber mindestens eine zweiseitige Beteiligung vor. Dabei werden vielfach die einen Vertragsschluss intendierenden Verhandlungen bzw. die Vorgespräche zu einem beabsichtigten Vertragsschluss bedeutsam sein, die in der Regel zudem auf einer face-to-face-Situation aufbauen. In diesem Kontext sind die rationalen Verhandlungen von besonderem Interesse. 263 Heussen/Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, 3. Aufl., Teil 1, Rn. 61, fasst den Begriff des Verhandelns zunächst weiter; danach umfasst er nicht nur den Kern rechtlich relevanter Verträge, sondern jede Art kommunikativer Strategie, die zu einem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis führen soll. 264 Innerhalb von Austauschverträgen, denen keine Vertragsverhandlungen im eigentlichen Sinn vorausgehen, wird es häufig zu keiner aktuellen Bewusstwerdung sozialer Abläufe
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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gentlichen Interessen“. Dann müssen innerhalb der dem Vertrag vorgelagerten Kommunikationsabläufe die insoweit involvierten Interessen in der Regel gegenseitig artikuliert, ggf. erst herausgearbeitet werden.265 Hierin liegen auch ein großer Problembereich und ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zur Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt begründet. Dort gab der Anwaltsvertrag einen klaren normativen Rahmen vor; die Interessenermittlung hatte umfassend zu erfolgen,266 die entsprechende Interessenwahrnehmung (von Seiten des Anwalts) war grundsätzlich einseitig. Innerhalb der Kommunikation unter Beteiligung der potentiellen Vertragspartner stellen sich die Variablen neu dar. Einen dem Anwaltsvertrag entsprechenden normativen Rahmen gibt es hier nicht. Vielmehr weil der Anwaltsvertrag „nur“ das Verhältnis Anwalt – Mandant betrifft und aus ihm die Pflicht zur einseitigen Interessenwahrnehmung folgt, ergeben sich veränderte Frageausrichtungen. So ist untersuchungsbedürftig, ob tatsächlich und ggf. in welchem Umfang einzelne Interessen überhaupt offengelegt oder verfolgt werden sollten. Das gilt bereits für die Offenlegung der für die Interessenverfolgung maßgeblichen Informationen. Hinzu kommt, dass die zumeist in der sozialen Realität wurzelnden Interessen eben auch mit Blick auf ein juristisches Regelungswerk vorgebracht werden sollen oder müssen. Die insoweit zu leistende Kompatibilitätsarbeit zwischen der sozialen Realität und dem juristischen Normumgang stellt schon die kommunikativen Abläufe vor besondere Herausforderungen.267 Unmittelbar daran anknüpfend ergibt sich dann aber ein weiteres Problem. Während die beteiligten Personen innerhalb der Gesprächsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant eindeutig bestimmt sind, sind sie es hinsichtlich der dem Vertragsschluss vorangehenden Kommunikation keinesfalls.
kommen; gleichwohl liegen diese auch solchen Verträgen zugrunde, z. B. in Bezug auf die Abdeckung elementarer Bedürfnisse. Siehe nochmals zur Maslowschen Bedürfnispyramide Maslow, Motivation und Persönlichkeit, S. 74 ff. 265 Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 250, führen die Herausarbeitung der jeweiligen Interessen für die so genannte Klärungsphase in der Verhandlung an, bezogen jedoch auf kooperatives Verhandeln. Es kann sich allerdings auch die Frage stellen, ob möglicherweise (eigene) Interessen nicht offengelegt werden. Das kann ebenfalls durchaus im (Eigen-)Interesse liegen, etwa um den Vertragspartner zu manipulieren oder Machtpositionen zu errichten. 266 Dazu Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 148. 267 Dies wird sich u. a. beim Umgang mit dem Faktor „Macht“ innerhalb der Vertragsverhandlungen zeigen. Die Aufdeckung von Interessen und Informationen beinhaltet einen ernst zu nehmenden Machtfaktor. Dieser kann letztlich (mit) eine Rolle für die Suche nach einem „gerechten“ Vertrag spielen.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Denkbar ist, dass „nur“ die eigentlichen Vertragsparteien involviert sind. Dem Anwalt kommt dann lediglich die Aufgabe zu, die von ihnen gefundenen Ergebnisse in einem juristischen Vertrag zusammenzufassen.268 Bezüglich der beteiligten Vertragsparteien muss mit Blick auf die Kommunikation weiterhin unterschieden werden, ob der potentielle Partner eine natürliche Person ist, die „für sich selbst“ reden kann, oder bereits die Vertragspartei grundsätzlich „durch einen anderen sprechen muss“. Letzteres ist etwa der Fall, wenn juristische Personen269 als Partei beteiligt sind,270 oder ein Geschäftsunfähiger (§ 104 BGB) oder ein beschränkt Geschäftsfähiger (§ 106 BGB) vertraglich gebunden werden soll271. Ebenso möglich ist es, dass auf einer oder auf beiden Seiten für die Vertragspartei nur der anwaltliche Vertreter zu Verhandlungszwecken auftritt.272 Schließlich sind auch Kombinationen vorstellbar, das heißt, sowohl eine oder beide Parteien273 treten mit einem oder mehreren anwaltlichen Vertretern auf. Letztere sind dann gleichsam als Beistand/Begleiter in die Kommunikation einbezogen.274 Abgesehen von Gesprächspartnern, die auf einer Vertragsseite stehen, können weiterhin Dritte eingebunden werden. Dies können etwa Personen sein, die auf Wunsch einer oder beider Vertragsparteien hinzugezogen werden, wie Experten zu Fachfragen oder durchaus auch neutrale Verhandlungsleiter. Ein Dritter kann ferner eingebunden werden, weil seine Interessen von dem Vertragsschluss tangiert werden können, ohne dass er selbst Vertragspartei ist. Beispielhaft sollen nur der Nachbar genannt werden, der von einem Bauvorhaben betroffen ist, oder die Mitarbeiter275 von Unternehmen, die in Vertragsverhandlungen 268 Siehe auch Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 76. Für den Anwalt ergeben sich dann entsprechende Übersetzungsprobleme, das heißt, er steht vor der Aufgabe, das tatsächlich Gewollte richtig in die juristische Sprache zu übersetzen. Insofern können Kommunikationsprobleme auf einer ganz anderen Ebene entstehen, etwa wieder auf der Ebene Anwalt – Mandant. Hinzu kommt, dass der Vertrag als Regelungswerk, jedenfalls bei längeren Vertragsbeziehungen, letztlich auch Kommunikationsgrundlage für das Verhalten der Vertragsparteien untereinander sein soll. Auch dieser Aspekt stellt eine besondere Herausforderung an die Formulierungskünste des jeweiligen Juristen dar. 269 Dazu u. a. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 70 ff., für Unternehmen. 270 Ein Beispiel ist die GmbH als juristische Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG), die durch ihre Geschäftsführer vertreten wird (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). 271 Beim Geschäftsunfähigen kommt die Vertretung durch den gesetzlichen Vertreter in Betracht. Das können beispielsweise die Eltern (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB) sein. Das gilt in gleicher Weise für den beschränkt Geschäftsfähigen. Zu beachten sind insoweit aber u. a. die §§ 1629 Abs. 2, 1824 BGB. 272 Auch dazu Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 76. 273 Bei Verträgen, die zwischen mehr als zwei Personen geschlossen werden, sind es dann entsprechend mehr Personen. 274 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 76 f. 275 Ohne allerdings vertretungsberechtigte Organe zu sein.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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einbezogen werden. Insoweit ist hier vor allem ein Bereich eröffnet, der Personen betrifft, deren „Drittinteressen“ bereits276 diskutiert worden sind. Schon die völlig unterschiedlichen Zusammensetzungsmöglichkeiten an der zum Vertragsschluss führenden Kommunikation verdeutlichen die Schwierigkeit festzumachen, welche Erwartungshaltungen wie zu berücksichtigen sind, wie insbesondere mit dem Medium Sprache umzugehen ist und auf welchem Weg man die jeweils verfolgten Ziele erreichen kann. Die Problematik verdichtet sich, wenn erneut Berücksichtigung finden muss, dass soziale Abläufe277 und juristische Möglichkeiten erkannt, ausgelotet und kompatibel gemacht werden müssen, so dass sie in einem tauglichen Vertragswerk münden. Verkürzt ausgedrückt lässt es sich wie folgt formulieren: Man muss eine Kommunikation eingehen, da es ohne eine solche gar nicht zum Abschluss eines juristischen Vertrags kommen kann. Die Gradwanderung besteht darin, welche und wie viel Kommunikation notwendig, sinnvoll oder ggf. auch (nur noch) vertretbar ist, um die jeweiligen Interessen durchzusetzen, das heißt, sie in dem juristischen Vertrag wiederzufinden. All dies sind völlig veränderte Ausrichtungen im Vergleich zur Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt. Gleichwohl gibt es durchaus Überschneidungen.
III. Auswirkungen auf das Wie und auf das Ziel der Kommunikation Die in Kürze aufgezeigten veränderten Rahmenbedingungen für die Kommunikation zwischen den potentiellen Vertragspartnern, gerade auch der Umstand, dass völlig unterschiedliche Personen in die Abläufe, die zum Vertragsschluss führen oder ihn selbst bewirken, eingebunden sind, müssen zwangsläufig Auswirkungen auf das Wie der Kommunikation sowie auf das Ziel der Kommunikation haben. Konsequenzen kann die veränderte Kommunikation nicht zuletzt vor dem Hintergrund haben, wie auf diese Weise entscheidende Weichenstellungen in Bezug auf den juristischen Vertrag und seine Wirksamkeit gestellt werden können. Konsequenzen können ebenfalls im Bereich der anwaltlichen Haftung eintreten. Veränderungen zeigen sich zunächst in der Zielausrichtung. Sie sind in diesem Kontext in ganz anderer Weise für die letztlich einzusetzenden Zeichen prägend als in der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt. 276
Siehe Teil 1 D., S. 255 ff. Diese Abläufe betreffen nicht nur das Feld des eigentlichen vertraglichen Regelungsgegenstands (es geht ggf. um die Regelung gelebter Beziehungen), sondern bereits die vorgeschalteten Vertragsverhandlungen. Stichwortartig soll hier auf die Trennung von Sach- und Beziehungsebene hingewiesen werden. Zur Trennung von Sach- und Beziehungsebene u. a. Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 45 ff., 222 ff.; Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 28 ff. Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 53 ff., sprechen von Inhalts- und Beziehungsaspekten der Kommunikation. 277
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
1. Auswirkungen auf das Ziel der Kommunikation Das Ziel der Kommunikation zwischen den potentiellen Vertragsparteien bildet grundsätzlich der juristische Vertrag, in dem sich, aus Sicht der jeweiligen Vertragspartei, ihre eigenen Interessen (möglichst) optimal wiederfinden sollen. Anders als innerhalb der Kommunikationsabläufe zwischen Anwalt und Mandanten muss auf dem Weg dorthin nunmehr die Zustimmung der „Gegenseite“ erreicht werden. Angesichts dessen muss daher eine Kenntnisnahme von Interessen, insbesondere in Bezug auf die andere Seite, und eine etwaige Offenlegung von eigenen Interessen erfolgen. Das gilt auch für die Aufdeckung und Weitergabe von damit zusammenhängenden Informationen. Denn nur, wenn diese „Leistungen“ in angemessenem Umfang erbracht werden, kann das Ergebnis ein seinen Zielvorgaben genügender Vertrag sein. Das betrifft zum einen den Vertrag in seiner Funktion als Regelungswerk, welches bestimmte Handlungsanweisungen entwickeln soll. Gemeint ist damit vor allem seine Steuerungsfähigkeit für den sozialen Lebensraum der Parteien. Eine solche kann der Vertrag nur erbringen, wenn die jeweiligen Interessen entsprechend offengelegt und in das Vertragswerk eingebunden sind.278 Abgesehen davon hängt die Sicherung der Interessen mittels des rechtlichen Bestands und damit der staatlichen Durchsetzbarkeit des (juristischen) Vertrags, somit in der Regel das letztlich verfolgte Ziel anwaltlicher Vertragsgestaltung, ebenfalls maßgeblich von dem beschriebenen Austausch der Interessen und Informationen ab. Nur wenn die vom Mandanten verfolgten Interessen Vertragsgegenstand oder jedenfalls Vertragsgrundlage im Sinne einer Geschäftsgrundlage279 geworden sind, besteht die Möglichkeit ihrer rechtlichen Berücksichtigung. Der Austausch von Interessen und Informationen ist zudem aus weiteren rechtlichen Gesichtspunkten relevant. Beispiele sind die Vermeidung eines Dissenses (§§ 154 f. BGB) oder die Verhinderung von Irrtümern nach §§ 119 ff. BGB. 278
Wie und in welchem Umfang dies gewollt und auch möglich ist, hängt sehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Relevant ist u. a., ob ein „harmonisches“ Regelungswerk gewünscht und machbar ist. Dafür sind die Einzelinteressen, aber und vor allem auch die Machtverhältnisse von Bedeutung. 279 Eine Berücksichtigung als Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB ist möglich bei „bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (…).“ (BGH NJW-RR 2006, 1037, 1038 m. w. N.) Diese so genannte subjektive Geschäftsgrundlage (Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 313, Rn. 3 m. w. N.) fordert grundsätzlich begriffsnotwendig die Artikulation der jeweiligen Interessen. Zwar wird es auch als ausreichend angesehen, wenn die Vertragsparteien bestimmte Voraussetzungen als selbstverständlich ansehen, ohne sich diese bewusst zu machen, um eine Geschäftsgrundlage anzunehmen (so etwa BGHZ 131, 209, 215 m. w. N., noch zum Wegfall der Geschäftsgrundlage über § 242 BGB). Allerdings wird ein solch „unsicherer“ Weg, das heißt unter Aussparung einer ausdrücklichen Äußerung, kaum vom Anwalt, der der gezielten Interessenumsetzung für seinen Mandanten verpflichtet ist, beschritten werden. Ohnehin wird es aus anwaltlicher Sicht in der Regel zur Interessenwahrnehmung seines Mandanten nicht genügen, dessen Wünsche „nur“ zur Vertragsgrundlage zu erheben.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Die notwendigen (teils vorgelagerten) Mitteilungen finden entweder durch ein Vertragsgespräch/ggf. den Vertragsabschluss im Sinne eines bloßen Austauschs ohne vertiefende Abwägungen oder Diskussionen oder durch Vertragsverhandlungen statt. Dabei kann der Umfang in weitem Maße variieren. Er kann denkbar kurz sein, so beim oft zitierten Beispiel des morgendlichen Brötchenkaufs. Möglich ist eine solche Kürze vor allem bei unkomplizierten Lebenssachverhalten, die unter Zuhilfenahme eines gesetzlichen Vertragstyps bewältigt werden können. Je komplexer die zu regelnden Umstände jedoch werden, desto umfangreicher wird ein kommunikativer Austausch gerade im Vorfeld des eigentlichen Vertragsschlusses werden. Namentlich für solche Situationen280 stellt sich, nicht zuletzt bei der (begleitenden) Beratung durch den Anwalt oder die Einbindung des letzteren in diese Verhandlungen, dann die Frage, in welchem Umfang mit Interessen und Informationen aus der Sphäre des Mandanten nach außen hin gearbeitet werden soll und muss, aber auch, in welchem Umfang Interessen und Informationen der anderen Seite zur (eigenen) Kenntnis gelangen müssen, damit im Sinne des Mandanten gehandelt werden kann. Denn anders als im Verhältnis Anwalt – Mandant kann innerhalb der Kommunikation zwischen den potentiellen Vertragspartnern nicht die umfassende Erkenntnisgewinnung und Offenlegung von Interessen den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden. Denn nunmehr richtet sich der Fokus zunächst auf die optimale (einseitige) Interessenwahrnehmung,281 die je nachdem einen dosierten Umgang mit Informationen intendieren kann oder sogar muss. 2. Kommunizierte Nachrichten und ihr Einfluss auf die Notwendigkeit und den Umfang von Interessen- und Informationsweitergaben a) Einführung Wie innerhalb der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt kommt es innerhalb von Vertragsgesprächen/-verhandlungen in der Regel zu einer verbalen, aber auch nonverbalen Kommunikation282, wobei wiederum „codierte“ Nachrichten283 (gegenseitig) ausgesandt und empfangen werden. Damit ist auch hier grundsätzlich wie bei jeder Kommunikation eine entsprechende „Entschlüsselung“ der jeweiligen Nachricht notwendig. Während zwischen Mandanten und Anwalt letzterer dabei eine besondere „Holschuld“ hat, ist dies zwischen den potentiellen 280
Dies gilt aber auch in Grundzügen für einfache Vertragsgespräche. Möglich ist es selbstverständlich auch, bewusst eine Lösung zu suchen, die beide Seiten weitestgehend befriedigt. Aber auch am Beginn dieser Überlegungen steht ein entsprechender eigener Wunsch des Mandanten. Eine „verfahrensmäßige“ Unterstützung einer „befriedenden“ Ausrichtung kann eine rationale oder mediative Vertragsverhandlung sein. 282 Zur nonverbalen Kommunikation u. a. Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, S. 51; 63; siehe auch Hohmann, FPR 2013, 457, 457 f. 283 Zu den codierten Nachrichten u. a. Sievers, Verhandlungen aus kommunikationstheoretischer Sicht, 21, 21. 281
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Vertragspartnern anders. Hier muss schlussendlich jeder dafür Sorge tragen, dass seine Nachrichten „richtig“ entschlüsselt werden,284 damit es zu einer Übereinstimmung im Sinne eines Vertragsschlusses kommt. Das heißt, es muss zumindest eine Übereinstimmung in Bezug auf die essentialia negotii des abzuschließenden (juristischen) Vertrags erzielt werden. Dass hierbei der eigenen Sorgfalt des „richtigen Entschlüsselns“ eine besondere Rolle zukommt, hat seinen Grund vor allem in den juristischen Mechanismen. Insbesondere muss aber darauf geachtet werden, wer das „Entschlüsselungsrisiko“ trägt. Dies ist trotz des § 133 BGB im Wesentlichen der Sender einer Nachricht. Denn abgestellt wird bezüglich der (juristischen) Auslegung der Nachricht, die eine (empfangsbedürftige) Willenserklärung beinhalten soll, im Zweifel auf den objektiven Empfängerhorizont.285 Hinzu kommt, dass es in der Regel (auch) im Interesse des Senders liegt, einen Dissens zu vermeiden.286 Was die Sendung von Nachrichten, ihre Bedeutung und Entschlüsselung betrifft, ist gerade unter dem zuletzt genannten Aspekt erneut eine nähere Untersuchung der unterschiedlichen Ebenen einer Nachricht angezeigt. Das gilt auch und vor allem dann, wenn ein Anwalt als Interessenvertreter in den Prozess eingeschaltet wird, sei es als Begleiter der Naturalpartei, sei es als (alleiniger) Verhandlungsführer. b) Sachebene und sachliche Botschaft als Plattform von Interessenund Informationsweitergaben So kommt auch innerhalb der Kommunikation zwischen den potentiellen Vertragspartnern der Sachebene oder der sachlichen Botschaft einer Nachricht287 eine besondere Bedeutung zu. Es geht dabei um die transportierte Nachricht an sich.288 Auf dieser Ebene werden am nachhaltigsten Informationen übertragen.289 Es ist denn auch dieser Umstand, der später u. a. in der rechtlichen Beurteilung der Vertragsverhandlungen von enormer Relevanz ist.290 Aufgrund dessen muss der Begriff der 284
Davon zu trennen ist die Problematik, inwieweit eine andere Partei über bestimmte Umstände aufzuklären ist; dazu u. a. Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, Tübingen 2001; Klinck, (Vor-)vertragliche Aufklärungspflichten in der aktuellen Rechtsprechung des BGH. 285 BGH NJW 1992, 1446, 1447; Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 133, Rn. 9; Bork, AT des BGB, Rn. 527. 286 Zur Problematik von zusätzlichen Informationspflichten, wenn es gemeinsame Interessen der Parteien gibt, insbesondere bezüglich der Beseitigung von Wirksamkeits- und Durchführungshindernissen, Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 330 ff. 287 Zur Sachebene u. a. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44. 288 Zu diesem Verständnis der Sachebene Sievers, Verhandlungen aus kommunikationstheoretischer Sicht, 21, 21. 289 Informationen werden aber auch auf den anderen Ebenen wie der Selbstoffenbarungsoder der Beziehungsebene weitergegeben. 290 Zu nennen sind etwa Stichworte wie Informationspflicht und -last; vertragliche Aufklärungspflichten; Haftung aufgrund mangelnder oder falscher Weitergabe von Informationen; Vertragsgerechtigkeit und Informationsmacht.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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„Information“ näher präzisiert werden. Bereits mit Blick auf die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten wurde deutlich, dass eine Umschreibung, wonach Informationen tatsächliche Umstände gegenwärtiger und zukünftiger Art umfassen,291 angesichts des weiten Interessenbegriffs zu kurzgreift. Das gilt auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen den potentiellen Vertragspartnern. Letztlich muss man als Information all das ansehen, was zur Kenntnis eines anderen gelangen soll/kann oder sogar muss.292 Es geht um die Vermittlung von „Einsichten“,293 indem „Material“ weitergegeben wird, das jemand anderes verarbeiten kann/soll/muss294. Informationen lösen somit einen „Aha-Effekt“ aus.295 Solche Materialien oder Einsichten können von unterschiedlicher Gestalt sein. Sie können tatsächlicher Art sein, aber z. B. auch moralischer (Vorstellungen), rechtlicher (Gesetzes- oder Rechtsprechungskenntnisse) oder höchstpersönlicher Art (Emotionen, Gefühle).296 Die Breite möglicher Informationen und ihre verschiedenen Berührungspunkte verdeutlichen schon hier, dass ihnen eine besondere Bedeutung innerhalb der Vertragsverhandlung zwischen den Parteien zukommt. Bereits anhand der kurzen Umschreibung wird allerdings ebenfalls klar, dass mit den Informationen, bzw. der Kenntnis um sie, ein ungeheures Einflusspotential einhergeht. Je mehr jemand weiß,297 desto mehr Determinanten für sein Handeln stehen zur Verfügung. Dies gilt aber ebenso in Bezug auf den anderen Vertragspartner. aa) Sachebene und unerlässliche Botschaften Ausgehend auch von diesem Informationsverständnis betrifft die Sachebene zunächst vor allem die Botschaften, die unerlässlich für einen Vertragsschluss sind, das heißt, hier sind die Informationen bezüglich der essentialia negotii des abzuschließenden Vertrags anzusiedeln, z. B. der Kaufgegenstand oder der Kaufpreis. Damit geht nicht zuletzt die zuvor angesprochene Entschlüsselungsschwierigkeit vor dem Hintergrund der Berücksichtigung eines objektiven Empfängerhorizonts einher. Vor allem hinsichtlich der Sachebene findet sich folglich ein Bereich zwischen dem, was tatsächlich kommuniziert wird, und dem, was das Recht als Ergebnis dieses Vorgangs ansieht. „Übereinstimmende Willenserklärungen“ bezüglich bestimmter 291
Siehe Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 15. Insoweit sind die vier Ebenen der kommunizierten Nachrichten in Bezug auf Informationen eben nicht hermetisch abgeschlossen. Vielmehr existieren bezüglich der Informationsweitergabe Schnittflächen. 293 Vgl. Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 24. 294 Zur Informationsverarbeitung innerhalb von Verhandlungen, Haft, Verhandlung und Mediation, S. 34. 295 So Baecker, Form und Formen der Kommunikation, S. 19. 296 Dazu, dass auch Beziehungsfragen Gegenstand einer (getrennten) Verhandlung sein können/sollen, Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 224. 297 Zum Wert von Information („Wissen ist Macht.“), Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 27. Häufig ist von Informationsgefällen, so etwa Rehm, S. 220, oder Informationsasymetrieen die Rede. 292
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Vertragspunkte müssen ja keineswegs von den Vertragsparteien, die die zugrundeliegenden „Nachrichten“ ausgetauscht haben, tatsächlich übereinstimmend so verstanden worden sein. Im Hinblick darauf ist der von (einer) Seite eingeschaltete Anwalt als Interessenvertreter dann in mehrfacher Weise gefordert. Ist er in die Entwicklung des Vertrags selbst eingebunden, sei es als Begleiter, vor allem aber ggf. als Vertreter, wird von ihm seitens seines Mandanten aufgrund des Anwaltsvertrags zu Recht erwartet, dafür Sorge zu tragen, die gesendeten und empfangenen Nachrichten auf ihre tatsächliche und juristische Übereinstimmung (Umfang und Inhalt) hin zu überprüfen. Auslegungsprobleme sollen gerade vermieden werden. Sofern notwendig ist für entsprechende Klarheit zu sorgen. Auf diese Art und Weise gilt es u. a., die Rechtswirksamkeit des Vertrags zu gewährleisten, nämlich indem etwa Dissense vermieden werden. Es betrifft ferner z. B. auch die Vermeidung einer Anfechtbarkeit nach § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB in Form eines Inhaltsirrtums,298 nicht zuletzt in Bezug auf die andere Vertragsseite. Die aufgeworfenen Probleme stellen sich auf einer anderen Ebene für den Anwalt, wenn er das Ergebnis einer mündlichen Verhandlung in einen (schriftlichen) Vertrag zu übertragen hat. Schwierigkeiten können sich dort im Besonderen dann ergeben, wenn er selbst nicht, nicht einmal in einer beobachtenden Rolle, am Aushandlungsprozess beteiligt war. Der Anwalt muss dann oftmals das ihm vom Mandanten Berichtete in Schriftform fassen. Letztlich ohne Kontrollmöglichkeit299 für ihn werden u. U. „Missverständnisse“ der Parteien in schriftliche Form gefasst. Es ist fraglich, ob etwaige Missverständnisse der Parteien bei der Kontrolle des Schriftvertrags durch den Mandanten im Einzelfall auffallen werden. Für den Anwalt wird sich daraus zumeist keine Haftungsproblematik ergeben. Sofern keine gegenteiligen Hinweise vorliegen, darf er auf die (Sach-)Schilderung des Mandanten vertrauen300 und muss diese „nur“ lege artis in einen juristischen Vertragstext fassen.
298 Eine Kontrolle hat auch in Bezug auf das Vermeiden anderer Irrtümer zu erfolgen, etwa hinsichtlich Erklärungsirrtümern nach § 119 Abs. 1 2. Alt. BGB. Täuschungen und Drohungen im Sinne des § 123 BGB können demgegenüber vom Anwalt nur bedingt überprüft werden. Er hat seinen Mandanten, sofern er in dessen Person ein entsprechendes Verhalten ausmacht, auf die Konsequenzen hinzuweisen und möglichst davon abzuhalten. Sollten von der Gegenseite für den Anwalt erkennbar Drohungen oder Täuschungen in Richtung auf den Mandanten erfolgen, wird die erste anzustellende Überlegung sein, ob die Verhandlungen überhaupt noch fortzusetzen sind. 299 Abgesehen davon kann es u. U. auch noch zu Verständigungsschwierigkeiten zwischen Mandanten und Anwalt kommen. 300 BGH NJW-RR 2006, 923, 925; NJW 1998, 2048, 2049; 1996, 2929, 2931.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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bb) Öffnung des Informationsflusses auf der Sachebene hin zur Entwicklung des eigentlich Gewollten Spielt die richtige Erfassung der essentiali negotii301 damit auch eine wichtige und unabdingbare Rolle, so können sich doch selten die Kommunikation und die Sachebene als Teil der artikulierten Nachrichten darauf beschränken. Denn in vielen Fällen, sofern nicht ein Geschäft des täglichen Lebens oder ein einfacher typisierter Vertrag vorliegen,302 müssen zwischen den Parteien oder den für sie Handelnden zunächst (Sach-)Informationen303 ausgetauscht werden, um überhaupt zu ermitteln, was jeweils gewollt ist, wie man sich einigen kann und welches letztlich überhaupt dann die essentialia negotii oder die sonstigen Vertragsinhalte sind. Das macht zu einem wesentlichen Teil die eigentlichen Vertragsgespräche und -verhandlungen aus. Auf der Sachebene müssen daher, je nach angestrebter vertraglicher Regelung, auch Mitteilungen insbesondere zu den involvierten Interessen erfolgen. Dies beinhaltet ein Offenlegen eigener Interessen, aber auch das Erfragen304 der Interessen des anderen.305 Damit gehen zunächst eigene Entschlüsselungsschwierigkeiten einher. Denn nunmehr kann namentlich für den Anwalt kein „Rückzug“ auf eine rein juristische Ebene wie in Bezug auf den objektiven Empfängerhorizont erfolgen. Jetzt wird ebenfalls innerhalb der Kommunikation zwischen den potentiellen Vertragspartnern die Verwurzelung des vertraglichen Geschehens in einer sozialen Wirklichkeit deutlich, die nicht zuletzt auch wirtschaftliche und unternehmerische Abläufe betrifft. Deshalb muss, vor allem wenn ein Anwalt die Vertragsgespräche/ -verhandlungen führt, letzterer ggf. die entsprechenden Informationen erfragen; er muss sie darüber hinaus auch verstehen und mit ihnen umgehen können! Es sind somit wiederum nicht nur juristische Fertigkeiten gefragt. Es muss erneut z. B. ein Rückgriff auf „Muster“ erfolgen, wie sie bereits im Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten erläutert worden sind. Dies betrifft etwa die Nutzbarmachung von Vertragstypen, Alltagstheorien, vor allem aber von beruflicher und menschlicher Lebenserfahrung, soziologischen und sonstigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Außerdem ist der Mandant einzubeziehen und wiederum ist in Bezug auf diesen wie auch hinsichtlich des anderen Vertragsteils eine bewusste Offenheit des Anwalts erforderlich. 301
Wie auch der sonstigen Vertragsbestandteile. In beiden Fällen wird ohnehin in der Regel kein Anwalt in die Vertragsgestaltung einbezogen. 303 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 34 ff., bezeichnet Verhandeln auch als „Informationsverarbeitung“. 304 Zum Herstellen des Interessenbezugs bei kooperativem Verhandeln, was in Bezug auf die Interessen der Gegenseite etwa ein aktives Zuhören sowie offene Fragen beinhaltet, Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 263 ff. 305 Aus dem Grund kann ein rationales Verhandlungsmodell, das auch die Interessenklärung enthält, von Vorteil sein. Zur Interessenklärung im Rahmen der Mediation Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 438; siehe auch Rn. 253, zur Klärungsphase u. a. bezüglich der Interessen bei strukturiertem Verhandeln. 302
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Trotz all dieser Öffnungen ist gleichwohl der Anwalt, der ohne seinen Mandanten die Verhandlung bestreitet, wegen der Weite der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen als Verhandelnder nur begrenzt tauglich. Eine solche Einschränkung folgt vor allem aus seiner juristischen Interessenbindung. Viele Gesprächsabläufe wird der Anwalt ohne Rücksprache mit seinem Mandanten, selbst bei sorgfältiger Vorbereitung durch den Anwalt, nicht auf die „Interessengerechtigkeit“ hin überprüfen können. Aus eigenem Haftungsvermeidungsinteresse wird der Anwalt darauf reagieren müssen, z. B. durch Aussetzen der Verhandlungen306 oder durch Installieren von Rücktritts- bzw. Widerrufsklauseln in einem entworfenen Vertrag. Ein weiterer, gerade aus Haftungsgesichtspunkten relevanter Aspekt ist der Umgang mit Informationen. Während des Vertragsgesprächs kommt es nicht nur zur Erfragung und Erörterung der Interessen der Gegenseite, sondern zwangsläufig auch zur Offenlegung der eigenen (Mandanten-)Interessen307 und damit gerade sozialer, wirtschaftlicher und persönlicher Umstände. Damit stellt sich, im Besonderen für den ggf. als Interessenvertreter (und u. U. allein) verhandelnden Anwalt, wiederum das Problem, in welchem Umfang in diesem Bereich Mitteilungen erfolgen müssen oder nur sollen. Die Frage muss zwingend in Bezug auf die von dem Mandanten verfolgten Ziele beantwortet werden, also danach, was der Vertrag als Regelung leisten soll. Anknüpfungspunkte können z. B. die Umstände sein, ob eine „gedeihliche“ längerfristige Beziehung angestrebt wird, oder eben nur ein punktueller Austausch. Damit ist ein Bereich angesprochen, der bereits im Zusammenhang mit dem relationalen Vertragsverhältnis virulent wurde. Auswirkungen kann dieses Verständnis somit schon auf die Gesprächsführung haben. c) Auswirkungen der Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebenen auf den Informationsfluss Zu berücksichtigen ist aber weiterhin, dass eine (breite) Offenlegung von Informationen, nicht zuletzt im persönlichen und sozialen Bereich, der anderen Seite ein nicht unerhebliches „Machtinstrument“ in die Hand gibt. Letzteres wird noch deutlicher, wenn man beachtet, dass gesendete Nachrichten, die (Sach-)Informationen zu den Interessen im Wege der Kommunikation transportieren/transportieren sollen, sehr stark auch mit anderen Botschaften zusammenhängen, die in der Regel Bestandteile einer Nachricht sind. Dies betrifft, viel stärker als innerhalb der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt, die Selbstoffenbarungs- und die Beziehungsebenen.308 Wenn für kommunikative Abläufe darauf verwiesen wird, jede 306 Letzteres kann allerdings kontraproduktiv sein, indem u. U. Misstrauen geweckt wird, oder spätere Vertragsverhandlungen nicht mehr „in Fluss“ kommen. 307 Die Mandanteninteressen können zum einen auf der Sach-, zum anderen aber ebenso auf der Selbstoffenbarungs- und der Beziehungsebene angesiedelt sein. 308 Zu diesen Ebenen Sievers, Verhandlungen aus kommunikationstheoretischer Sicht, 21, 21.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Nachricht enthalte auch einen Teil Selbstoffenbarung309 über den Sender,310 so ist dieser Aspekt in den Vertragsgesprächen von ernst zu nehmender Relevanz. Namentlich wenn der „Sender“ Informationen über vertragliche Motivationen weitergibt (z. B. den Wunsch, eine Wohnung zu bekommen, weil sie besonders günstig ist), findet sich darin zwar zum einen eine Information an sich (Mietbegehren). Enthalten ist aber auch ein „Selbstoffenbarungsanteil“ (bezogen auf das Beispiel etwa, dass dem Sender wohl nur eingeschränkt geldliche Mittel zur Verfügung stehen). Diesem Selbstoffenbarungsanteil kann innerhalb der Vertragsgespräche ein besonderes Potential zukommen. Erneut liegt in dem Ob und in dem Umfang solcher Selbstoffenbarungen ein weiterer Ansatz, wie auf die Vertragsverhandlungen in Form von „Machtausübung“ durch Wissen maßgeblich Einfluss genommen werden kann. Denn nicht zuletzt durch die Selbstoffenbarung treten bestimmte Abhängigkeiten zu Tage. Das gilt noch mehr, wenn in den gesendeten Nachrichten (in stärkerem Maß) die Beziehungsebene311 zum Tragen kommt. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Empfänger für solche Botschaften besonders empfänglich ein kann,312 ist hier ein weiterer Aspekt vorhanden, der in Gesprächen und Verhandlungen ebenfalls tragend ist. Dieser kann zum einen erneut im Kontext mit der Ausübung von „Macht“ gesehen werden. So sind Menschen, die stark in dieser Wahrnehmungsart verhaftet sind, oftmals unsicher.313 Am stärksten treten die besagten Botschaften daher bei Nachrichten hervor, die eine natürliche Person als Vertragspartner sendet bzw. empfängt.314 Ferner können gerade die entsprechenden Ebenen von besonderer Bedeutung sein, wenn ausgelotet wird, was der (spätere) Vertrag innerhalb der „Beziehung“ leisten soll und ggf. kann. Eine Zurückdrängung oder Veränderung der Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene315 kann/muss dann einsetzen, wenn auf einer (oder beiden) Seite(n) innerhalb der Vertragsgespräche/-verhandlungen ein anwaltlicher Interessenvertreter involviert ist. So ist etwa vorstellbar, dass innerhalb einer Verhandlung durch Anwälte (sowohl auf Seiten des Senders wie auch des Empfängers) schon aufgrund 309 Selbstoffenbarung betrifft die Informationen über die Person des Senders, Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 29. 310 Sievers, Verhandlungen aus kommunikationstheoretischer Sicht, 21, 21. 311 Darauf hinweisend, dass es sich hier streng genommen um einen speziellen Teil der Selbstoffenbarung handelt, Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 30. 312 Schrader, Psychologie, Stichwort „Vier-Ohren-Modell“, führt zum „Beziehungsohr“ aus, S. 365, Menschen, die sich auf die Wahrnehmungsform konzentrierten, suchten auch in Nachrichten, die keinen Beziehungsaspekt enthielten, nach einer solchen Botschaft. 313 Schrader, Psychologie, Stichwort „Vier-Ohren-Modell“, S. 365. 314 Bei Vertragspartnern, die nur durch ihre Organe handeln, wie z. B. die GmbH oder die AG, sind die entsprechenden Ebenen hinsichtlich der eigentlichen Vertragsparteien (z. B. die GmbH) zurückgedrängt. Gleichwohl können sie bei dem jeweiligen Organ von Bedeutung sein, z. B. um gerade dieses zum Vertragsschluss für den Vertretenen zu bewegen. 315 Gänzlich beseitigen wird man sie nicht können.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
ihrer beruflichen Ausrichtung der Sachebene wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als etwa der Beziehungsebene. Denn obwohl der Empfänger grundsätzlich sämtliche zuvor genannten Botschaften einer Nachricht gleichzeitig wahrnimmt,316 hat er die freie Auswahl, worauf er reagieren will.317 „Spricht und hört“ die eigentliche Vertragspartei somit durch ihren anwaltlichen Vertreter, kann eine Konzentration auf die Sachebene eintreten.318 Abgesehen davon, dass der anwaltliche „Sender“ bewusst Sachinformationen in den Vordergrund stellen kann, kann beim Auftreten eines fachlichen Vertreters als Empfänger auch eine Fokussierung auf die Sachebene stattfinden.319 Denn der Anwalt wird, mangels persönlicher Betroffenheit, viele Signale auf der Beziehungsebene nicht wahrnehmen,320 oder aber sie wesentlich leichter als eine natürliche Vertragspartei ausblenden.321 Es muss dann jedoch geprüft werden, ob dies, ggf. in all seiner Rigorosität, auch vom Mandanten so gewollt ist. So ist etwa für ein länger andauerndes (Vertrags-)Verhältnis die Beziehungsebene oftmals durchaus von Belang.322 Es sei an dieser Stelle nochmals auf die relationalen Elemente in länger andauernden Verträgen verwiesen.323 Daneben können unter Berücksichtigung der Botschaften auf der Beziehungsebene eventuell bestimmte (künftige) Erkaltungsprozesse in dem Verhältnis
316 Sievers, Verhandlungen aus kommunikationstheoretischer Sicht, 21, 22. Hinzu kann noch der Appell treten. 317 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 49. 318 Zur Trennung von Sach- und Beziehungsebene innerhalb der Vertragsverhandlungen siehe etwa Püttjer/Schmierda, Die heimlichen Spielregeln der Verhandlung, S. 123, wonach Informationen immer auf zwei Ebenen vermittelt werden: auf der Sachebene und auf der Beziehungsebene. Beide Ebenen seien nicht voneinander zu trennen. Zur Trennung von Sachund Beziehungsebene siehe u. a. auch Hohmann/Morawe, Praxis der Familienmediation, S. 164 (zur Mediation), unter Hinweis (Fn. 31) auf Mähler/Mähler/Duss-von Werdt, Mediation: Die andere Scheidung, S. 244. Grundlegend dazu Fisher/Ury/Patton, Das Harvard- Konzept, S. 45 ff., 222 ff. 319 Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 158, weisen, allerdings für den Erstkontakt mit der Gegenseite (nicht für Vertragsverhandlungen) darauf hin, der Anwalt erscheine für die andere Seite als Repräsentant des Mandanten. Die Kommunikation sei dadurch erschwert, der Empfänger würde vor allem auf der Beziehungs-, der Appell- und der Selbstoffenbarungsebene der Nachricht erreicht. Der sachliche Inhalt komme durch diese nur verzerrt an. Greger/von Münchhausen, Rn. 159, führen aber auch an, dass der Anwalt, dem dieser Effekt bewusst sei, ihn nicht ausschalten, aber minimieren könne. 320 Zumal ja auch auf der Gegenseite ein Anwalt stehen kann. In der Verhandlung, in der „nur“ Anwälte auftreten, könnte aber deren Beziehungsebene in den Vordergrund treten. 321 Gerade in Bezug auf den aufgrund seiner beruflichen Profession verhandelnden Anwalt trifft die Aussage Goffmans, Interaktionsrituale, S. 59, zu, wonach, „(…) (w)enn wir jemandes Teilnahme an sozialen Handlungen betrachten, (…) wir verstehen (müssen), daß er in gewisser Hinsicht an ihnen nicht als ganze Person teilnimmt, sondern eher in bezug auf spezielle Eigenschaften oder einen bestimmten Status (…)“. 322 Vgl. dazu auch Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 223, zur Arbeitsbeziehung. 323 Vgl. Teil 1 C. II. 6. a), S. 161 ff.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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der Vertragsparteien324 erkannt und beachtet werden. Deshalb können und müssen die Beziehungsebene bzw. die entsprechenden Botschaften ins Bewusstsein rücken, auch um den Preis, dadurch ggf. Missverständnisse325 zu provozieren. Dann ist es aber umso dringlicher, sie im Vorfeld geplanter länger andauernder Verträge anzugehen, soll das Vertragsverhältnis erfolgreich sein. Zudem lassen sich (Sach-)Botschaften oftmals nur bei Einblendung der Botschaft auf der Beziehungsebene richtig verstehen und einordnen.326 Die Konsequenz daraus ist, dass, je nach abzuschließendem Vertrag, der Anwalt als alleiniger Verhandelnder nur eingeschränkt geeignet ist. Es ist dann daran zu denken, die Partei in die Verhandlungen bewusst einzubeziehen. Damit gehen dann freilich die Probleme einher, dass Anwalt und Mandant unterschiedlich auf die verschiedenen Aspekte der von der anderen Seite gesendeten Nachrichten reagieren. Insofern ist weiteres Potential vorhanden, um Missverständnisse zu erzeugen. Letztere können ohnehin entstehen, wenn ein Empfänger (unvorhersehbar) auf die verschiedenen Nachrichten reagiert.327 Sie werden durch zwei „Hörer“ (Anwalt und Mandant) jedoch ggf. verdoppelt. Hinzu kommt noch die dann erforderliche interne Abstimmung zwischen Mandanten und Anwalt.
IV. Anwaltlicher Umgang mit und Nutzbarmachung von kommunizierten Botschaften als prägender Teil der Vertragsverhandlungen 1. Einführung a) Begriffsbestimmung der Vertragsverhandlung Vertragsverhandlungen sind ein komplexer Prozess. Die unterschiedlichen Fertigkeiten, die für eine erfolgreiche Verhandlung notwendig bzw. zu beachten sind, können und sollen nicht in ihrer Gänze aufgezeigt und vertieft werden.328 Es geht im Nachfolgenden um den wesentlichen Kernbestand der Vertragsverhandlungen, der bereits zuvor herausgestellt worden ist: Verhandlungen brauchen und funktionieren im Besonderen mit und durch Kommunikation.329 Es sind nicht zuletzt die kommunizierten Nachrichten mit ihren unterschiedlichen Botschaften, die für die (anwaltliche) Interessenwahrnehmung elementar sind. Hinzu kommt, dass an die Botschaften oftmals andere „Verhandlungselemente“ wie etwa Manipulationstech324
Vgl. dazu wiederum Carbonnier, Teil 1 C. II. 4., S. 140 ff. Vgl. dazu Püttjer/Schmierda, Die heimlichen Spielregeln der Verhandlung, S. 123. 326 Vgl. dazu Püttjer/Schmierda, Die heimlichen Spielregeln der Verhandlung, S. 123. 327 Dazu Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 46. 328 Vgl. dazu etwa Heussen/Pischel/Heussen/Pischel, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, Teil 2.3, Rn. 204 ff. Siehe aber unten noch zur Struktur. 329 So etwa Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 32; Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, Rn. 183. 325
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
niken anknüpfen. Eine starke Verbindung besteht zudem zwischen Kommunikation und anwaltlichem Rollenverständnis in der Verhandlung, was ebenfalls anhand der gesendeten und empfangenen Botschaften zu vertiefen sein wird. Schließlich sind es auch in maßgeblicher Weise diese Botschaften, die für eine rechtliche Beurteilung des Vertragsgeschehens wie auch für etwaige Haftungsfragen in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit wesentlich sind. Bevor jedoch eine solche Untersuchung im Einzelnen erfolgen kann, ist der Begriff der „(Vertrags-)Verhandlung“ noch weitergehend zu erörtern. Bisher wurde er mit dem (kommunikativen) Geschehen vor dem eigentlichen juristischen Vertragsschluss, in das Argumente und Abwägung einfließen, bestimmt.330 Bei einer vertiefenden begrifflichen Erfassung der Vertragsverhandlung finden sich oftmals Umschreibungen, die an eine Ausgewogenheit der verhandelnden Parteien oder dem Vorhandensein einer Struktur des Geschehens festmachen. So bezeichnet Heussen331 als Verhandlungsbegriff denjenigen, der neben dem Kern rechtlich relevanter Verträge jede Form kommunikativer Strategie umfasst, die zu einem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis führen soll. Sieht man in der „Akzeptanz“ mehr als ein bloßes „Hinnehmen“, so wohnt dieser Umschreibung eine inhaltliche Vorgabe inne. Erwartet wird ein Vorgang, der zu einer Überzeugung beider Seiten von dem Ergebnis führt. Mit dem Begriff der „Strategie“ kommt zudem noch ein Strukturelement hinzu. Ponschab332 führt aus, von Verhandlungen könne man nur sprechen, wenn ausgewogene Machtverhältnisse beider Vertragsseiten vorlägen. Auch hiermit ist letztlich eine inhaltliche Vorgabe verbunden, die stark mit der Frage nach der Möglichkeit einer Akzeptanz des gefundenen Verhandlungsergebnisses zusammenhängt. Ohne hier zu erörtern, ob „Verhandlungsmacht“ mit eher prozeduralem oder eher materialem Inhalt zu füllen und ob dies überhaupt möglich ist, kann für die Verhandlung und ihre Bestimmung eines jedoch festgestellt werden: Macht man ihre Erfassung an den aufgeführten oder anderen333 (inhaltlichen) Vorgaben fest, so wird
330 Vgl. aber auch Heussen/Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Verhandlungsmanagement, 3. Aufl., Teil 1, Rn. 61, der gerade den Kern rechtlich relevanter Verträge vom Begriff (mit-)umfasst sieht. 331 Heussen/Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Verhandlungsmanagement, 3. Aufl., Teil 1, Rn. 61. 332 Ponschab/Schweizer/Ponschab, Schlüsselqualifikationen, 5. Teil, 1.2. (S. 148). 333 Insoweit sollen die Ausführungen Heussens und Ponschabs lediglich exemplarisch sein; ihre Auflistung ist nicht als abschließend zu begreifen. Zu strukturiertem Vorgehen in der Vertragsverhandlung, allerdings schon als empfohlene Vorgehensweise, Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 247 ff.; Haft, Verhandlung und Mediation, Teil F, S. 123 ff. Prütting/Prütting, Außergerichtliche Streitschlichtung, Rn. 3, fasst unter „Verhandlung“ „alle bilateralen und multilateralen Gesprächsrunden wie der Runde Tisch und ähnliche For-
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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eine überwiegend deskriptive Annäherung an das Geschehen verlassen. Gerade wenn es jedoch um die Abläufe geht, die letztlich zum Vertrag führen, ist zunächst eine möglichst offene Herangehensweise angezeigt. Denn sie ermöglicht den Weg für weitergehende Überlegungen, wo etwa (korrigierender) juristischer Handlungsbedarf besteht. b) Kritische Auseinandersetzung mit einer begrifflichen Erfassung und Schlussfolgerung Es muss allerdings eingeräumt werden, dass eine gänzlich inhaltlich „unvorbelastete“ Beschreibung dessen, was Vertragsverhandlungen grundsätzlich sind, kaum möglich ist. Das ergibt sich bereits aus dem Versuch einer begrifflichen Annäherung. Auch eine Beschreibung anhand kommunikativer Abläufe ist, erneut etwa aufgrund des Rückzugs auf die damit einhergehenden Begrifflichkeiten, nicht von inhaltlichen Vorgaben frei. Vermieden werden soll im Nachfolgenden jedoch eine zu starke inhaltliche „Vorbelastung“ des Verhandlungsbegriffs dergestalt, wie er z. B. mit dem schwer fassbaren Postulat des Machtgleichgewichts verbunden ist. Damit sind nicht zuletzt Bereiche angesprochen, die später für die gerichtliche Kontrolle des endgültigen Vertragswerks von Relevanz sind.334 Zwar muss im Besonderen der Anwalt die Kontrollinstanz schon bei einer Tätigkeit im Verhandlungsstadium berücksichtigen. Deren Anknüpfungspunkte können aber nur richtig erfasst werden, wenn zunächst der Verhandlungsvorgang möglichst beschreibend betrachtet wird, insbesondere in Bezug auf die verschiedenen kommunikativen Ebenen. Im Anschluss daran können dann wertende Überlegungen angeschlossen werden, die nicht zuletzt juristische Rückschlüsse zulassen. Letztere sind wiederum für den Anwalt bedeutsame Erkenntnisse. Zielt man deshalb für den Verhandlungsbegriff auf eine im Ansatz weitestgehend wertungsfreie Umschreibung ab, so soll für die anstehenden Ausführungen folgende Eingrenzung maßgeblich sein: Vertragsverhandlungen sind ein mehr oder weniger langer prozeduraler Vorgang, der im Besonderen im Vorfeld335 des juristischen Vertragsabschlusses stattfindet. Gemeint ist mit dem Procedere gleichsam ein „Ablauf auf einer Zeitleiste“. Kennzeichnend für diesen Ablauf ist ein starkes kommunikatives Element. Innerhalb der Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil der Austausch von Informationen auf unterschiedlichen Ebenen und von unterschiedlichem Bedeutungsgehalt. Innerhalb der Verhandlungen kann es zu völlig differenten Einflussfaktoren, Einwirkungen und Einflussmöglichkeiten kommen, das heißt, ganz unterschiedliche Variable können letztlich für den Prozess von Bemen der Beratung, Verhandlung und Erörterung ohne festes Verfahren und ohne neutrale Person“. 334 Vgl. die Ausführungen in Teil 5. 335 Auch nach Vertragsschluss sind Verhandlungen möglich, etwa aufgrund von Neuverhandlungssituationen. Zu trennen ist die Verhandlung von Kommunikation an sich, die in der Regel immer auch nach Vertragsschluss von Bedeutung ist.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
deutung sein.336 Die Variablen können ihren Ursprung im Tatsächlichen, z. B. der Eloquenz, wie im Rechtlichen, etwa dem Innehalten bestimmter (Anspruchs-)Positionen, haben.337 Ansatzpunkt für entsprechende Überlegungen und Betrachtungen dürfen aber nicht „ideale“ Bedingungen sein,338 es soll nicht davon ausgegangen werden, jede Seite habe etwa die gleichen Einflusschancen oder sei auf eine einvernehmliche Verständigung im Sinne einer rationalen, von außen unbeeinflussten Zustimmung339 ausgerichtet. Variieren kann schließlich auch das mit den Verhandlungen verfolgte Ziel. Dieses ist zwar, nicht zuletzt mit Blick auf das Thema der Untersuchung, schlussendlich ein (juristischer) Vertrag. Die intendierten Ziele können aber, wie im Besonderen die rechtssoziologischen Ausführungen gezeigt haben, sehr vielschichtig sein, mitunter sogar (vorrangig) nicht juristischer Art. Die Ziele können zudem, gerade in der Vertragsgestaltung, auch durchaus einseitig interessenorientiert sein.340
336 Vgl. Crott/Kutscher/Lamm, Verhandlungen I, S. 20, zur Unterscheidung zwischen Aufgaben-, Situations- und persönlichen Variablen bei Vinacke; außerdem Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 68. 337 Anders differenzierend das Verständnis der Variablen von Vinacke, das, Crott/Kutschker/Lamm, Verhandlungen, Band 1, S. 20, aufzeigen. Vinacke subsumiert danach unter die Aufgaben- bzw. strukturellen Variablen, die Merkmale der Auszahlungsmatrix, wie z. B. die Art und Höhe der Gewinne oder die Zahl der Parteien, ebenso wie die Droh- und Bestrafungsmöglichkeiten. Die situativen Variablen erfassen die Umstände, so Vinacke, unter denen die Verhandlung stattfindet, wie die Informations- und Kommunikationsbedingungen. Die persönlichen Variablen schließlich umfassen nach Vinacke die Einflussgrößen wie Geschlecht, Alter, Erziehung, Einstellungen, Persönlichkeitseigenschaften. 338 Heussen/Pischel/Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Verhandlungsmanagement, 4. Aufl., Teil 1, Rn. 65, spricht von einem Idealbild des gut informierten, emotional beherrschten und ergebnisorientierten Verhandlungsteilnehmers. Das Bild, nicht zuletzt unter Anführung von Habermas, kritisiert Heussen, a. a. O. 339 Zu diesem Element der Verständnisorientierung als Teil kommunikativen Handelns innerhalb seiner Handlungstypen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, S. 386 f. Habermas, a. a. O., S. 385, führt zudem aus, kommunikative Handlungen seinen nicht über egozentrische Erfolgskalküle der Akteure koordiniert. 340 In Bezug auf die Bedingungen und die Zielsetzung besteht somit etwa ein Unterschied zum kommunikativen Handeln, wie es Habermas innerhalb einer Theorie des kommunikativen Handelns beschreibt. Nach Habermas ist kommunikatives Handeln von der Handlungsorientierung her ein verständigungsorientiertes Handeln. Es ist eben vom strategischen Handeln, das sich durch eine Erfolgsorientierung und ein damit einhergehendes Interessenhandeln hervorhebt, zu trennen; siehe zum Vorstehenden Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, S. 384 ff. Schließlich seien die Sprechsituationen ideal, in denen die Kommunikation nicht nur nicht durch äußere allgemeine Einwirkungen, sondern auch nicht durch solche Zwänge behindert wird, die sich aus der Struktur der Kommunikation selbst ergeben; so Habermas, FS für Schulz, 210, 255. Solche Ansätze werden zu Recht als realitätsfern beschrieben, siehe etwa Heussen/Pischel/ Heussen, Handbuch Vertragsverhandlung und Verhandlungsmanagement, 4. Aufl., Teil 1, Rn. 65; Volkmann, JuS 1997, 976, 977. Letzterer führt aber auch aus, es ginge insoweit nicht um eine Realitätsbeschreibung, sondern um eine kontrafaktische Unterstellung.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Schließlich werden innerhalb der Vertragsverhandlungen häufig Strukturen anzutreffen sein.341 Zwingend notwendig sind sie allerdings nicht.342 Mit der vorstehenden Beschreibung einer Vertragsverhandlung soll keine Verhandlungstheorie aufgestellt werden, weder im juristischen noch im soziologischen oder ökonomischen Sinn noch aufgrund eines sonstigen wissenschaftlichen Ansatzes343. Unsere Beschreibung soll vielmehr gleich einer Arbeitshypothese den nunmehr anstehenden Überlegungen vorangestellt werden. Als solche soll sie Ausgangspunkte dafür liefern, in welchen Bereichen der Verhandelnde sich bewähren muss. Weitergehend sollen dann durchaus Fragen und Probleme aufgeworfen werden, die etwa innerhalb der Beurteilung von Verhandlungstypen oder des Umgangs mit Machtstrukturen diskutiert werden. Für solche unterschiedlichen Überlegungen bildet nicht zuletzt der kommunikative Ablauf innerhalb der Vertragsverhandlung einen, wenn nicht sogar den maßgeblichen Anknüpfungspunkt. Über ihn können und sollen ferner verschiedene wissenschaftliche und praktische (Er-)Kenntnisse nutzbar gemacht werden. Das gilt im Besonderen auch für juristische Voraussetzungen und Folgerungen. Vor diesem Hintergrund ist deshalb nochmals in den Kommunikationsprozess zwischen den potentiellen Vertragspartnern einzusteigen. Dabei soll allerdings das Augenmerk auf den anwaltlichen Interessenvertreter gerichtet sein, der beratend oder als Vertreter an der Seite oder an der Stelle seines Mandanten handelt. 2. Einsatz, Nutzbarmachung und „Gefahren“ der Sachebene a) Verständliche Überbringung von Informationen Jede kommunizierte Nachricht enthält eine Sachinformation.344 Dass innerhalb einer Vertragsverhandlung Informationen ausgetauscht werden, ist unproblematisch.345 An diesen tatsächlichen Vorgang müssen sich jedoch im Hinblick auf den involvierten Juristen sofort Überlegungen anschließen, die hinterfragen, ob und ggf. 341
Zum Strukturdenken als Weg zur rationalen Bewältigung von Komplexität in Verhandlungen Haft, Verhandlung und Mediation, S. 69 ff. 342 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass unsere Überlegungen in Teil 2 ein weites zeitliches „Vorfeld“ zum etwaigen Vertragsschluss umfassen können, so auch potentielle unverbindliche Gespräche, mittels derer nur der Zweck verfolgt wird, etwaige gemeinsame Interessen herauszufinden, um dann ggf., so diese eruiert werden, in Gespräche über Vertragsabschlüsse einzutreten. Allerdings, werden, auch das sei erneut betont, vielfach Vorgespräche zu einem Vertragsschluss und vor allem die einen Vertragsschluss intendierenden Verhandlungen bedeutsam sein, die oftmals Strukturen aufweisen (können) und in der Regel zudem auf einer face-to-face-Situation aufbauen. Das betrifft gerade die rationalen Verhandlungen. 343 Zu diesen Ansätzen u. a. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 65 ff. Zudem kann ohnehin in Frage gestellt werden, ob es überhaupt die Verhandlungstheorie gibt. 344 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 28. 345 Walz/Walz, Verhandlungstechnik für Notare, S. 45, führt aus, Verhandlungen basierten wesentlich auf Informationsaustausch.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
welche Steuerungs- und Kanalisierungsprozesse der Anwalt ob dieses Umstands entwickelt/entwickeln muss. Das Transportieren, Empfangen und Verwerten von Informationen ist ein Terrain, das dem Juristen in besonderer Weise zugewiesen wird. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Sie fußen zum einen in der Einnahme der Rolle als Fachmann, gepaart mit einer entsprechenden Erwartungshaltung346. Darüber hinaus haben sie jedoch wiederum eine besondere Grundlage und Verbindung im und zum Recht mit seinen daraus resultierenden Konsequenzen. Der Anwalt, wenn er denn in den Verhandlungsprozess eingebunden wird,347 darf nicht „einfach so“ mit Informationen umgehen. Den Anknüpfungspunkt für die anwaltlichen Überlegungen bildet vielmehr erneut der Anwaltsvertrag und daran anschließend die rechtliche Haftungsproblematik. Das bedeutet eine Sensibilisierung in Bezug auf kommunizierte (Sach-)Informationen: Grundsätzlich verpflichtet ist Anwalt nach dem Vertrag mit seinem Mandanten, im Verhältnis zum potentiellen Vertragspartner die Informationen richtig zu senden und zu empfangen,348 die nach dem Wunsch seines Mandanten Vertragsbestandteile des von letzterem gewollten Vertrags werden sollen (essentialia negotii und accidentalia). Insofern muss der Anwalt, wie innerhalb der Kommunikation zwischen ihm und seinem Mandanten, letztlich einer „Bringschuld“ genügen.349 Fehler auf dieser Ebene, die sich im später geschlossenen Vertrag auswirken, können eine Regresspflicht des Anwalts begründen.
346
Das gilt vor allem in Bezug auf den Mandanten. Das gilt auch, wenn er seinen Mandanten lediglich beratend begleitet. Dem Anwalt kommen dann ggf. entsprechende Beobachtungs- und Kontrollpflichten zu. 348 Eine Differenzierung wird man dann machen müssen, wenn auf der anderen Seite keine „natürliche Vertragspartei“ verhandelt, sondern diese durch einen anwaltlichen Vertreter spricht. Dann kann z. B. ohne Furcht vor einem Regress davon ausgegangen werden, eine juristische Terminologie werde im fachlichen Sinn auch ohne nähere Aufklärung richtig verstanden. Maßgeblich ist insoweit der Empfängerhorizont des verhandelnden Anwalts der anderen Seite. Sollte der Anwalt Vertreter seines Mandanten sein, ist wegen § 166 BGB ohnehin auf seine Verständnismöglichkeit einer ggf. auch auszulegenden Erklärung abzustellen; siehe MKBGB/Schubert, § 166, Rn. 31, zur Auslegung nach den Verständnismöglichkeiten des Vertreters; Schubert weist darauf hin, dass der objektive Empfängerhorizont maßgeblich ist. Sofern der Anwalt kein Vertreter ist, kann er jedenfalls Wissensvertreter sein, das heißt, dem Mandanten sind dann Kenntnis und Kennenmüssen des Anwalts zuzurechnen. Grundsätzlich zur Zurechnung des Wissens aufgrund des Rechtsgedankens des § 166 BGB unabhängig vom Vertretungsverhältnis etwa BGHZ 83, 293, 296 m. w. N.; 117, 104, 106 m. w. N. Problematisch ist, auf welchen Horizont abzustellen ist, wenn sowohl die Naturalpartei als auch der diese beratende Anwalt anwesend sind. Auch dann wird man allerdings auf den Verständnishorizont des Anwalts abstellen dürfen, wenn dieser erkennbar als Interessenvertreter seiner Mandantschaft auftritt. Siehe auch zu Kommunikationsregeln im Zivilrecht Struck/Stopper, JA 2000, 340 ff. 349 Hier wirkt sich die interne Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten auf die externe Kommunikation zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner deutlich aus. Der Anwalt muss intern die notwendigen Informationen beschaffen, ggf. laufend Rücksprache mit seinem Mandanten nehmen. 347
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Beispiele: Der Vertrag ist aufgrund eines Dissenses nichtig; oder im Vertragspartner ist eine falsche Vorstellung über den Inhalt der vertraglichen Regelung erzeugt worden und dessen Willenserklärung ist folglich nach § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB anfechtbar.
Fehler, die dem Anwalt insoweit unterlaufen, bedeuten eine Schlechterfüllung seines anwaltlichen Vertrags. Er haftet also ggf. im Innenverhältnis zu seinem Mandanten nach § 280 BGB.350 In den aufgezeigten Beispielsfällen könnte ein Schaden des Mandanten etwa darin bestehen, dass aufgrund der Nichtigkeit des Vertrags dieser nicht mehr oder nur verspätet zu den vom Mandanten gewünschten Bedingungen zustande kommt. Aufgrund dessen können dem Mandanten vor allem finanzielle Nachteile entstanden sein. Freilich muss im Falle der Geltendmachung eines Regressanspruchs dem Mandanten der Nachweis gelingen, der Vertrag mit der anderen Partei wäre bei korrekter Informationsweitergabe durch den Anwalt zu den von ihm gewünschten Konditionen zustande gekommen. b) Korrekte und vollständige Überbringung von Informationen Auf gleicher Stufe hinsichtlich des Umfangs und der Regressgefahr für den Anwalt stehen Informationen, deren falsche bzw. mangelnde Weitergabe für den Mandanten351 sonstige unmittelbare352 rechtliche Konsequenzen haben kann.353 Dies betrifft in erster Linie ein Versagen im Zusammenhang mit juristischen Aufklärungspflichten, die bereits die vorvertragliche Phase betreffen. Die Begründung von Aufklärungspflichten und ihr Umfang können unterschiedlichen Ursprungs sein.354 Auf besondere Aspekte, die sich gerade aus der Gestaltung von Vertragsverhandlungsabläufen unter Einbeziehung eines Anwalts ergeben, wird noch einzugehen sein. Welche Brisanz für den Anwalt, der in die Vertragsverhandlungen involviert ist,355 hier verborgen ist, zeigt allerdings schon die auf § 242 BGB gestützte weite Begründung von Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung des BGH. Danach „(besteht) (…) (a)uch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung (…) bei jedem Vertragsverhältnis eine allgemeine Aufklärungspflicht hinsichtlich sämtlicher Umstände, die 350 Davon zu trennen ist die später noch zu vertiefende Frage, ob die andere Partei nicht einen eigenen Haftungsanspruch gegen den Anwalt hat (dazu in Teil 4). 351 Über § 166 BGB erfolgt, wenn der Anwalt als Vertreter oder Wissensvertreter handelt, wiederum eine Zurechnung der Kenntnisse von Umständen, an die sich Aufklärungspflichten anknüpfen, siehe dazu grundsätzlich etwa BGH NJW 1996, 1339, 1340; Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 166, Rn. 4; 6. 352 Davon zu trennen sind mittelbare rechtliche Folgen dergestalt, dass es etwa zum Abschluss eines für den Mandanten ungünstigen Vertrags kommt. 353 Ein anderes Problem liegt darin, inwieweit strategisch unrichtig oder falsch informiert wird, dazu etwa Walz/Walz, Verhandlungstechnik für Notare, S. 45 ff. 354 Vgl. etwa die Arbeiten von Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten. 355 Sei es als Verhandelnder, sei es als begleitender Berater.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
für den Vertragsschluss der anderen Partei erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Verkehrsauffassung erwartet werden kann (…). Dies schließt erst recht die Verpflichtung ein, unrichtige Angaben gegenüber dem Vertragspartner zu unterlassen.“356
An anderer Stelle357 heißt es, dass „(…) eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage dann (besteht), wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (…). Davon wird insbesondere bei solchen Tatsachen ausgegangen, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können (…). Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Die Aufklärung über eine solche Tatsache kann der Vertragspartner redlicherweise aber nur verlangen, wenn er im Rahmen seiner Eigenverantwortung nicht gehalten ist, sich selbst über diese Tatsache zu informieren (…).“
Zwingende Voraussetzung ist danach eine insbesondere von der Literatur als Informationsgefälle bezeichnete Situation.358 Vor diesem Hintergrund kann sich der Anwalt, der als Interessenvertreter für seinen Mandanten in die Verhandlung einbezogen wird, vor die Notwendigkeit gestellt sehen, beurteilen zu müssen, ob eine (bestimmte) Informationspflicht der anderen Seite gegenüber besteht. Das heißt, es gilt zu entscheiden, ob ein Informationsgefälle vorliegt, dieses erkennbar ist, Entscheidungserheblichkeit vorliegt und Schutzwürdigkeit gegeben ist.359 Die rechtliche Beurteilung, ob ein Informationsgefälle gegeben ist, knüpft u. a. an die Sachkunde360, die aus der Zugehörigkeit zu einer sozial schwächeren Schicht folgenden Unerfahrenheit des anderen Teils361, seine Rechts- oder Sprachunkenntnis362, möglicherweise an eine strukturelle Unterlegenheit363 an.364 Für die Bestim-
356 BGH NVwZ-RR 2008, 509, 509 m. w. N. Ferner u. a. BGH NJW 2003, 1811, 1812; BGH NJW 1979, 2243, 2243. Siehe aber auch in der Literatur etwa Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 447 ff. (mit umfangreichen Nachweisen zur weiteren Rechtsprechung); dort, Rn. 447 ff. m. w. N., zu einer detaillierten Auseinandersetzung um die Formel der Rechtsprechung; ferner etwa MK-BGB/Bachmann, § 241, Rn. 202. 357 BGH NJW 2010, 3362, 3362 m. w. N. 358 MK-BGB/Bachmann/Roth, 6. Aufl., § 241, Rn. 140 ff.; siehe nunmehr MK-BGB/ Bachmann, § 241, insbesondere Rn. 201 f. („Unbilligkeit der Informationsasymmetrie“); Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 448 m. w. N. 359 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 447 ff. 360 Dazu Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 448. 361 BGH NJW 1974, 849, 851; vgl. auch PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 72 m. w. N. 362 BGH NJW 1992, 300, 302; OLG Stuttgart NJW 1982, 2608, 2609. 363 Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn 448.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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mung der „Erkennbarkeit“ bzw. „Offensichtlichkeit“ der Bedeutung für die andere Vertragspartei kommt es nicht zuletzt auch auf den kommunikativen Verhandlungsprozess an. Versteht man die Erkennbarkeit des Informationsgefälles darin, dass die wissende Partei jedenfalls damit rechnen muss, dass die andere Partei weder über die jeweiligen Informationen verfügt und auch nicht darüber verfügen kann,365 besteht das Problem für den Anwalt vor allem darin, dass sich hier rechtliche Fragen an kommunizierte Abläufe anknüpfen. Denn ob sich dem Pflichtigen als verständigem Partner das Informationsbedürfnis des anderen Teils aufdrängen muss,366 hängt nicht zuletzt vom Gang der Verhandlung ab. Das betrifft etwa die Fragen, ob rechtliche Ausdrücke oder deren Erklärung erfasst werden oder der Verhandlung insgesamt gefolgt werden kann. Allerdings kann nicht zuletzt der Gang der Verhandlung erheblich variieren. Der BGH bürdet dem Anwalt somit mit obigen Formeln ein erhebliches Risiko auf, wie mit der Aufklärungspflicht zu verfahren ist.367 Dieses Risiko verschärft sich noch durch die vom Anwalt zu treffende Abwägung, ob eine Informationsweitergabe (für den Mandanten) zumutbar368 ist. Die Zumutbarkeit der Informationsweitergabe beinhaltet eine Interessenabwägung.369 In eine solche Abwägung fließen u. a.370 die jeweilige Eigenverantwortung zur Informationsbeschaffung371, die jeweils eigene Entscheidung einer Partei über die Vorteilhaftigkeit eines Vertrags372 oder auch das berechtigte Interesse an einem Wissensvorsprung373 ein. Von der Last der Entscheidung über die Informationsweitergabe wird der Anwalt auch nicht dadurch befreit, dass er als Interessenvertreter auftritt oder die andere Seite ebenfalls anwaltlich vertreten ist. Der BGH nimmt die obige „allgemeine“ Aufklärungspflicht bei Vertragsverhandlungen auch dann an, wenn die Parteien 364 Ausführlich auch MK-BGB/Bachmann, § 241, Rn. 203 ff., zu Einzeltopoi zur Begründung einer Aufklärungspflicht. 365 So Staudinger/Olzen (2019) BGB, § 241, Rn. 450 m. w. N., u. a. unter Hinweis auf zahlreiche Rechtsprechung (etwa BGHZ 71, 386, 396; 72, 92, 101). 366 Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 451 m. w. N. 367 MK-BGB/Bachmann, § 241, Rn. 202, spricht unter Bezugnahme u. a. auf ein Zitat aus BGH NJW 2010, 3362, Rn. 22, davon, dass die weitgefasste Formel des BGH gleich an mehreren Stellen Wertentscheidungen offenstehe und daher dem Rechtanwender nur begrenzt helfe. MK-BGB/Bachmann, a. a. O., verweist des Weiteren auf Breidenbach. Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 61 ff., benennt „(…) (e)in bewegliches System zur Bestimmung vertragsschlußbezogener Informationspflichten und seiner wichtigsten ,Elemente‘“. Letztere sind danach der Informationsbedarf (S. 62 ff.), die Möglichkeit der Information (S. 70 ff.) sowie der Funktionskreis (S. 73 ff.). Zum Bezug des grundsätzlichen Vorschlags eines beweglichen Systems bei Wilburg, siehe Breidenbach, S. 62. 368 Zur Zumutbarkeit Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 454 m. w. N. 369 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 7. 370 Ausführlich Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 454 ff. 371 Vgl. Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 454. 372 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 7. 373 Vgl. BGH NJW-RR 1997, 144, 145.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
entgegengesetzte Interessen verfolgen.374 Auch soll die anwaltliche Vertretung des anderen Teils nicht zum Entfallen der Pflicht führen.375 Jedoch darf die Pflicht nicht so weit gehen, jedweden Interessenwiderspruch bei der Vertragsentwicklung zu eliminieren. Insoweit ist aufgrund des Interessenwiderstreits eben eine uneingeschränkte Aufklärungspflicht zwar abzulehnen.376 Das Einschätzungsrisiko des Anwalts aber bleibt. Letztlich muss also ein Anwalt vor allem ein Verhandlungsgeschehen richtig „lesen“ können, um die Pflichten zur Aufklärung des potentiellen Vertragspartners, die er in der Regel aufgrund seines Anwaltsvertrags gerade seinem Mandanten gegenüber schuldet,377 wahrnehmen zu können. Andererseits muss er aber ebenso, weil er die ggf. egoistischen Interessen seines Mandanten vertritt, u. U. so weit als möglich an eine Zurückhaltung der Information denken. Lediglich wenn er zu dem Ergebnis kommt, eine Aufdeckung sei für die eigenen, das heißt die Mandanteninteressen, von größerem Vorteil, wird eine Offenlegung erfolgen. Der „Vorteil“ könnte seinen Grund eben in den besagten Aufklärungspflichten haben. c) Variable Informationsweitergabe zur Erreichung des Regelungsziels War bisher der Umfang mit kommunizierten Informationen für den Anwalt schon mitunter problematisch, so hatte er gleichwohl doch gewisse Orientierungspunkte, die ihm im Besonderen das Recht zur Verfügung stellt (essentialia negotii; rechtliche Aufklärungspflichten). Schwieriger gestaltet sich das Vorgehen, wenn sich der Umgang mit Informationen nicht anhand solcher „Richtlinien“ nachvollziehen
374
BGH NJW 2003, 1811, 1812; BGH NJW 1979, 2243, 2243. Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 37; siehe BGH NJW 2006, 2635, 2635, zur Sekundärhinweispflicht eines Steuerberaters. 376 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 7, unter Hinweis (Fn. 6) auf BGH NJW 1970, 653, 655 und BGH NJW 1983, 2493 f., zur Ablehnung einer „allgemeinen“ Aufklärungspflicht. 377 Gemeint ist damit die Pflicht aufgrund des Anwaltsvertrags, einen wirksamen Vertrag zu schaffen, zudem den Mandanten vor weiteren Schäden zu bewahren. So führte etwa in einem vom BGH entschiedenen Fall (NJW 2010, 3362 f.) die Verletzung der Aufklärungspflicht zur Anfechtbarkeit des Vertrags nach § 123 Abs. 1 BGB. Gleichwohl kann im Einzelfall ein vorschneller offensiver Umfang mit Informationen, selbst wenn sie durch eine Aufklärungspflicht zu rechtfertigen wären, nachteilig sein. Je nachdem, welche Interessen der Mandant verfolgt, kann ihm daran gelegen sein, bestimmte Informationen nicht weiterzugeben und stattdessen von den Vertragsverhandlungen Abstand zu nehmen. Dies sind weitere Überlegungen, die dem Anwalt abverlangt werden. Er muss also ggf. zunächst mit seinem Mandanten Rücksprache nehmen, bevor er der anderen Partei gegenüber „Aufklärungsarbeit“ leistet. Wiederum ein anderes Problem ist es, ob sich an das jeweilige Verhalten des Anwalts eigene Ansprüche der anderen Vertragspartei gegen den Anwalt anschließen können. Siehe dazu Teil 4. 375
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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lässt.378 Vornehmlich bei komplexeren Lebenssachverhalten, die vertraglich geregelt werden sollen, bedarf es zunächst einer Verständigung darüber, was überhaupt genauer Regelungsgehalt des Vertrags sein soll.379 Solange dies nicht klar ist, können etwa keine essentialia negotii „abgearbeitet“ werden.380 Notwendig sind somit die Weitergabe und der Austausch von entsprechenden Informationen, um zu einem Regelungsergebnis zu kommen. Das nimmt auch einen besonderen Teil der Vertragsverhandlungen ein.381 Hier stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Informationen völlig neu und offenbart zudem die mit dem Wert von Informationen einhergehenden Sensibilitäten. Das beginnt „schon“ bei der Frage, wie weit das Interesse am begehrten Verhandlungsgegenstand offenbart werden soll, z. B. über einen im Raum stehenden Verhandlungsrahmen. Denn bereits damit lassen sich ggf. Rückschlüsse auf Begehrlichkeiten ziehen.382 Eine Umgehung des Problems durch die Einschaltung eines verhandelnden Anwalts ist hier kaum möglich. Mag dieser auch versachlichte Gespräche führen, so öffnen die entsprechenden Informationen doch Erkenntnisse über seinen Mandanten. Dessen muss sich der Anwalt auch bewusst sein. So ist er nicht nur gehalten, mit dem Mandanten genauestens den Verhandlungsrahmen abzuklären, sondern sich auch über das Ob und Wie der Offenbarung im Vorfeld der Verhandlungen klar zu werden. So muss er etwa den Mandanten auf „Gefahren“ der Informationspreisgabe hinweisen. Noch stärker ergibt sich die Problematik aber deshalb, weil in der Verhandlungskommunikation eben nicht nur Informationen relevant sind, die als Regelungen ausdrücklich in den Vertrag einfließen sollen, wie u. a. die essentialia negotii. Vielmehr sind jetzt auch Informationen betroffen, die sich „jenseits“ davon bewegen, gleichwohl aber sehr wichtig sind/sein können, wie z. B. Motivationen, Wertvorstellungen, persönliche Umstände383. Hier muss sich der verhandelnde Anwalt noch viel stärker bewusst sein, welche (Macht-)Relevanz diese Daten haben können. Speziell bezüglich dieser sensiblen Informationen muss er sich fragen, wie viel er der anderen Seiten aufdecken muss oder nur darf. Anhaltspunkt dafür muss wiederum in erster Linie der Anwaltsvertrag mit dem Mandanten sein. Dieser wird jedoch häufig keine klaren Regelungen diesbezüglich enthalten. Dann ist der Anwalt allerdings 378 Siehe nochmals die Überlegungen zu den Aufklärungspflichten, die nach Maßgabe der Rechtsprechung ebenfalls nur eine eingeschränkt taugliche Richtschnur bilden. Hier sei erneut auf Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 61 ff., zu den Bestimmungen eines beweglichen Systems verwiesen. 379 Vgl. auch die Themenbestimmung innerhalb einer strukturierten Verhandlung, dazu Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 249. 380 Anders kann es sich im Einzelfall mit den Aufklärungspflichten verhalten. 381 Hervorgehoben wird ein notwendiger Informationsaustausch gerade für kooperative Verhandlungen, so u. a. bei Walz/Walz, Verhandlungstechnik für Notare, S. 47. 382 Dazu, dass einseitiges Offenlegen von Informationen Nachteile für die offenbarende Partei mit sich bringen kann, Walz/Walz, Verhandlungstechnik für Notare, S. 45 f. 383 Das sind Elemente, die vielfach für die Beziehungsebene von Bedeutung sind. Allerdings können sie, soweit sie für die Ermittlung der Interessen maßgeblich sind, ebenso für die Sachebene relevant sein.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
gehalten, im Vorfeld mit seinem Mandanten die Verhandlung in Bezug auf die weiterzugebenden Informationen durchzusprechen und ggf. während der Verhandlung mit ihm Rücksprache zu nehmen. Sofern eine Verhandlung einen offensiveren Einsatz z. B. von persönlichen Informationen erfordert, zeigt sich damit allerdings auch die eingeschränkte Tauglichkeit des Anwalts als (allein) verhandelnder Person. Es ist dann ohnehin im Vorfeld zu überlegen, ob der Mandant nicht zumindest begleitend auftreten sollte. d) Auswirkungen des Umgangs mit Informationen auf den Auftritt des Anwalts als Interessenvertreter Auswirkungen zeugt der schwierige Umgang mit Informationen nicht nur im Hinblick auf die Frage, ob der Anwalt in Begleitung seines Mandanten verhandeln sollte, sondern auch bezüglich seines Auftretens. Denn das Auftreten des Anwalts als Vertreter seines Mandanten384 sieht sich aufgrund der anwaltsvertraglichen Bindung an den Mandanten den damit verbundenen Einflussfaktoren ausgesetzt.385 Der Anwalt wird und muss immer seine Überlegungen danach ausrichten, dass sein Mandant der weisungsbefugte Auftraggeber ist. Dessen Vorgaben können durchaus eng und „hart“ sein. Folglich wird er bei entsprechenden Vorgaben des Mandanten bzw. bei dessen begleitender „Kontrolle“ der Verhandlungen386 sich eher restriktiv in dem Sinn verhalten, „hart“ an den Vorgaben des Mandanten entlang zu verhandeln. Vorgaben können sich explizit auf die Informationsweitergabe beziehen, aber auch aus den Zielvorgaben resultieren, die dann wiederum Rückschlüsse auf die Informationspolitik zulassen. Ein entsprechendes „hartes Auftreten“ hat dann weiterhin Auswirkungen auf das „Typverhalten“ des Anwalts in Bezug auf die Verhandlung selbst. Hat der Anwalt strikte Vorgaben oder eine strenge Kontrolle, wird er vor allem darauf bedacht sein, das Verhandlungsergebnis, das sein Mandant wünscht, in den Vordergrund zu stellen. In der Literatur wird ein Verhandlungstyp, der vornehmlich am eigenen Erfolg in384
Das gilt auch im Fall einer „Begleitung“ des Mandanten, wenn der Anwalt gleichwohl als Verhandelnder in das Geschehen involviert ist. 385 Crott/Kutschker/Lamm, Verhandlungen, Band 1, führen für Intergruppen-Verhandlungen in Abgrenzung zu interindividuellen Verhandlungen (S. 89 ff.) u. a. und vor allem Situationen an, in denen die Verhandlungsführung in der Hand von Gruppenvertretern liegt (S. 90). Dort hätten Verhandelnde, die für Dritte sprächen, eine doppelte „Grenzrolle“ (Hervorhebung im Original) (boundary role) zu erfüllen: Sie sollten sowohl einer Intragruppen-Verpflichtung gerecht werden (die Interessen ihrer Gruppe vertreten) als auch eine Intergruppen-Rolle versehen (mit dem Verhandlungspartner so weit kooperieren, dass eine Einigung möglich werde) (S. 90). Auch wenn in der Vertragsverhandlung nicht notwendig eine Intergruppen-Situation vorliegen muss, ist gleichwohl die problematische Lage des verhandelnden Anwalts mit dem Ansatz bei Crott/Kutschker/Lamm gut beschrieben: Der Anwalt soll aufgrund des Anwaltsvertrags die Interessen seines Mandanten vertreten, muss aber auch erreichen, dass es überhaupt zu einer Einigung mit der anderen Seite kommt. 386 Dazu Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 69.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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teressiert ist, unabhängig davon, wie der der Gegenseite aussieht, auch als individualistischer Typ bezeichnet.387 Das „eigene Verhandlungsergebnis“ ist hier das Ergebnis, das der Anwalt seinem Mandanten nach dem Anwaltsvertrag „schuldet“.388 Sein „typisches“ Verhandlungsverhalten richtet sich dann weniger nach dem aus, wie er sich als individuelle Person verhalten möchte, oder danach, wie er die Präferenzen als Fachmann setzt/setzen muss. In dieser Rolle kann er seinen Mandanten lediglich vor den möglichen Folgen einer „harten Gangart“ warnen, z. B. einem drohenden Verhandlungsabbruch. Noch stärker kommt dies alles zum Tragen, wenn der Mandant einen Erfolg um jeden Preis, also auch und gerade zu Lasten389 des anderen wünscht. Vorstellbar sind solche Situationen etwa innerhalb von verhärteten familiären Fronten oder zwischen konkurrierenden Geschäftsleuten. Ein Verhandelnder, der sein Verhandlungsergebnis auf Kosten der anderen Seite zu maximieren sucht, wird dann als kompetitiver Typ bezeichnet.390 Von diesen Einstellungen ist konsequenterweise ebenfalls der Umgang mit Informationen als einem wesentlichen Element der Kommunikation bestimmt. Eine individualistische Herangehensweise kann etwa geprägt sein von einem bewussten selektiven Streuen von Informationen. Zwar zeichnet sich jede Kommunikation durch einen Selektionsprozess aus.391 Bei Voranstellung des eigenen Verhandlungsergebnisses ist diese Selektion allerdings auf Seiten des Senders392 zweckge387
Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 10. Dabei ist das zu erzielende Ergebnis nicht als solches im Sinne eines Werks (§§ 675 Abs. 1, 631 BGB) anzusehen, sondern als Ziel, auf das im Rahmen einer Dienstleistung (§§ 675 Abs. 1, 611 BGB) hinzuarbeiten ist. Maßgeblich ist die rechtliche Vorgabe durch den Anwaltsvertrag. 389 Damit ist kein Vertrag mit Lastwirkungen gemeint, der sich ohnehin nur auf Dritte bezieht. 390 Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 10. Siehe auch zum kompetitiven Verhandeln als Denkweise der Sieger/Verlierer-Strategie, Ponschab/Schweizer, Kooperation statt Konfrontation, S. 86. Die Grundeinstellung ist danach, dass man nur so viel gewinnen kann, wie der andere verliert. Einer der Beteiligten geht als „Sieger“ vom Platz, der andere als „Verlierer“; zum Vorstehenden Ponschab/Schweizer, a. a. O. Siehe auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 81, dazu, dass solch ein Verhandeln auf die Maximierung des eigenen Freiheitsraums ausgerichtet ist sowie auf die Begrenzung der materiellen Vertragsfreiheit des anderen Teils. 391 Luhmann, Soziale Systeme, S. 194, bezeichnet Kommunikation als Prozessieren von Selektion. Dabei müsse, so Luhmann, Kommunikation jedoch nicht als zweistelliger, sondern als dreistelliger Selektionsprozess gesehen werden. Es gehe nicht nur um Absendung und Empfang mit jeweils selektiver Aufmerksamkeit; vielmehr sei die Selektivität der Information selbst ein Moment des Kommunikationsprozesses (S. 194 f.). 392 Die Selektion ist hier also das Herausgreifen von Informationen beim Sender aus dessen „Fundus“. Eine solche Selektion ist nach Luhmann, Soziale Systeme, S. 194, allerdings nicht unter einer solchen im Rahmen der Kommunikation gemeint; das würde nach Luhmann zu sehr zur Substanztheorie und zur Übertragungsmetaphorik zurückführen, was er ablehnt. Die Selektion, so Luhmann, die in der Kommunikation aktualisiert werde, konstituiere ihren eigenen Horizont; sie konstituiere das, was sie wähle, schon als Selektion, nämlich als Infor388
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
richtet. Informationen werden nur in dem Umfang weitergegeben, als sie dem eigenen Verhandlungsziel dienen. So werden etwa Informationen, die Hintergründe oder Motivationen für den Vertragsschluss betreffen, in der Regel nur offengelegt, wenn das zum Nutzen des Mandanten ist. Dies können etwa Mitteilungen sein, die alternative Gestaltungsmöglichkeiten des Vertrags393 betreffen. Beispiel: Ein Hauseigentümer hat ein ebenfalls ihm gehörendes Nachbargebäude vermietet. Das Nachbargebäude wird als Lokal gewerblich genutzt, womit eine bestimmte Immissionsbildung verbunden ist. Der Mieter möchte seine Öffnungszeiten verlängern. Der Vermieter könnte der damit einhergehenden Lärmbelästigung entgehen, wenn er sein Schlafzimmer verlegt. Diese Information wird er, individualistisch betrachtet, nur offenlegen, wenn ihm dies innerhalb der Verhandlung dient, etwa, weil sein Mieter ansonsten mit einer (möglichen) Kündigung droht. Ansonsten wird der Vermieter, bzw. der für ihn Handelnde, sich zurückhalten, die betreffende Information weiterzugeben, um sein Ziel, z. B. eine höhere Miete zu verlangen, besser verfolgen zu können.
e) Manipulativer Umgang mit Informationen aus dem außerrechtlichen Bereich Individualistisch gedacht können Informationen auch (bewusst) manipulativ eingesetzt werden. Dabei geht es weniger um ein Verhalten, an das sich unmittelbar rechtliche Konsequenzen, z. B. nach §§ 123 Abs. 1 oder 138 Abs. 1 BGB anschließen können. Es geht vielmehr um die Installierung so genannter „Verhandlungsfallen“394. Kamanabrou/Wietfeld395 bringen in Bezug auf die „Fuß-in-der-Tür“-Technik ein Beispiel, in dem der Verkäufer eines Hauses vom Käufer den Kaufpreis möglichst schnell haben möchte, gleichzeitig aber bis zum Bezug seines neuen Hauses in einer anderen Stadt in seinem alten wohnen bleiben möchte, wobei das neue Haus erst später bezugsfertig wird. Der Verkäufer will für die verbleibende Zeit im alten Haus aber lediglich die Nebenkosten tragen, nicht jedoch eine Miete entrichten. Diese Wünsche jedoch werden aber als Information nicht offengelegt. Vielmehr bittet der Verkäufer den Käufer zunächst unter Hinweis auf seine schulpflichtigen Kinder, bis zum nahen Schuljahresende im alten Haus wohnen bleiben zu dürfen. Nach Akzeptanz des Käufers fragt der Verkäufer dann später an, ob er länger im Haus bleiben könne, weil er erst, wie sich jetzt herausgestellt habe, verspätet in das neue Haus einziehen könne. Ziel des Verkäufers war es, den einmal einer Bitte nachkommenden Käufer dazu zu bringen, dies auch ein zweites Mal zu tun.
mation. Das, was sie mitteile, werde nicht nur ausgewählt, es sei selbst schon Auswahl und werde deshalb mitgeteilt. 393 An sich ist das gerade ein Bereich, der dem kooperativen Verhandeln (win-win-Situation) zu eigen ist. Gleichwohl kann er jedoch auch „egoistisch“ eingesetzt werden. 394 Zu diesen u. a. Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 11 ff. 395 Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 14; zu der Technik auch Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 151.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Innerhalb dieser „Verhandlungsfalle“ werden also Informationen teils verfälscht („erst verspätet frei“), teils unterdrückt (eigentliches Ziel, der andere Hausbezug, stellt sich nicht erst nachfolgend als Problem dar, es geht vielmehr um die Kosten) oder nur zum manipulativen Zweck (Vorschub der schulpflichtigen Kinder) eingesetzt. Ein Rückgriff auf solche Strategien kann ebenso bei einer kompetitiven Herangehensweise erfolgen. Letztlich wird hier „strategisch“396 mit Informationen im sozialen/außerrechtlichen Bereich umgegangen. Es geht weniger darum, rechtliche Vorgaben einzuhalten oder negative rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Vielmehr soll auf das Vorstellungsbild der anderen Seite Einfluss genommen werden, indem z. B. die Umweltfaktoren in ihrer sozialen Relevanz anders dargestellt werden. f) Zusammenhang von anwaltlichem Selbstverständnis und Informationsweitergabe Der zuvor gezeigte (manipulative) Umgang mit Informationen und die Wechselwirkung zu einem individualistischen oder kompetitiven Verhandlungstypus geschahen vor dem Hintergrund eines (egoistischen) Mandanteninteresses. Die Einnahme eines entsprechenden Typs durch den für seinen Mandanten verhandelnden Anwalt ist zwar ggf. durch den Anwaltsvertrag „geschuldet“, insbesondere je nach etwaigen Weisungen des Mandanten. Sie kann den Anwalt allerdings vor Rollenprobleme stellen.397 So stellt sich etwa die Frage nach der Zulässigkeit eines manipulativen Umgangs mit Informationen angesichts des auch für den anwaltlichen Interessenvertreter geltenden Bildes des Organs der Rechtspflege nach § 1 BRAO.398 Die hinter der Fragestellung stehende Problematik verschärft sich, wenn man berücksichtigt, dass die weitergegebenen Informationen keineswegs auf den tatsächlichen Bereich beschränkt sind. So werden vielmehr gerade dann, wenn ein Anwalt die Verhandlungen führt oder seinen Mandanten dabei begleitet, häufig auch 396
Auch das ist ein Machtfaktor. Zur Rolle ausführlich in Teil 3. 398 Zu beachten ist ferner etwa § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO, der unsachliches Verhalten durch die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten durch den Anwalt verbietet. Dies betrifft in erster Linie Tatsachen, nicht Wertungen wie „unrichtige Rechtsauffassungen“, Kleine-Cosack, BRAO, § 43a, Rn. 100. Verboten ist jedoch das bewusst falsche Zitieren von Urteilen und Gesetzen. § 43 BRAO als Generalklausel sieht in Satz 2 vor, der Rechtsanwalt habe sich innerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen. Auch das kann ein Anknüpfungspunkt sein, wenn (stark) manipulatives Vorgehen gegeben ist. Dies wird man jedenfalls dann annehmen können, wenn man § 43 BRAO den Charakter eines Auffangtatbestands zubilligt; so ausdrücklich Kleine-Cosack, BRAO, § 43, Rn. 11, der u. a. auf AGH NJW-RR 2013, 624 und BVerfG Beschluss vom 12. 7. 2001 – 1 BvR 2272/00 verweist. Als ein Beispiel eines (alleinigen) Anwendungsfalls des § 43 BRAO führt Kleine-Cosack, Rn. 16, einen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht an, soweit nicht § 43a Abs. 3 BRAO einschlägig ist. 397
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
rechtliche Informationen transportiert. Beispiele dafür sind Angaben zur steuerlichen Situation, Auslegung von Gesetzen bzw. Erläuterung ihrer Bedeutung, Ausführungen zu rechtlichen Folgen bestimmter Handlungen. Sofern der Anwalt in Bezug auf diese Art von Informationen als individualistischer oder kompetitiver Typ auftritt und sogar manipulativ tätig wird, ist dies nicht nur angesichts seines Rollenverständnisses brisant.399 Neben dem Berufsbild kann und wird in vielen Fällen ein ethisches Selbstverständnis400 des Anwalts hinzutreten, das seinen Umgang mit Informationen wie auch sein Verhandlungsverhalten prägen kann. Mit der ethischen Herangehensweise, die übrigens nicht nur auf rechtliche Informationen, sondern auch auf sachliche gemünzt ist, müssen von Seiten des Anwalts keineswegs (nur) altruistische Motivationen verbunden sein. Vielmehr können hier handfeste ökonomische Überlegungen zum Tragen kommen. Auch jenseits eines normierten Berufsrechts, z. B. § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO, können sich in seiner Berufsgruppe durchaus weitere (gelebte) ethische Standards herausbilden. Ein Verstoß gegen diese, etwa durch einen manipulativen Umgang mit Informationen, kann von der Berufsgruppe bei Bekanntwerden sanktioniert401 werden.402 So können Kollegen die Zusammenarbeit, wenn möglich, vermeiden. Die Kenntnis von den Verhaltensweisen kann zudem von der Berufsgruppe der Anwälte in die Mandantschaft403 getragen werden. Die Folge können dann ggf. ökonomische Verluste des jeweiligen Anwalts sein. Neben solchen Überlegungen rücken für den Anwalt vor allem haftungsrechtliche Gesichtspunkte in den Vordergrund. Die Haftungsfrage stellt sich jedoch nicht zuvörderst im Verhältnis zu seinem Mandanten, sondern vielmehr in Richtung auf den potentiellen Vertragspartner.404 399
Bezüglich des Umgangs mit Informationen, insbesondere auch rechtlichen, wird aber zu differenzieren sein. Der Anwalt als Interessenvertreter (vgl. u. a. § 3 Abs. 3 BRAO sowie die anwaltsvertragliche Bindung) darf etwa die Normen (einseitig) im Sinne des Mandanten „verwenden“. Gerade ein kompetitiver Auftritt kann dem anderen Vertragspartner noch verdeutlichen, in welchem „Lager“ der Anwalt steht. Handelt der Anwalt aber nicht nur kompetitiv, sondern dabei auch manipulativ, stellen sich noch ganz andere Konsequenzen dar. Haftungsansprüche des Dritten gegen den Anwalt können sich dann u. a. aus § 826 BGB ergeben. 400 Zum Einfluss der Ethik jenseits von normierten Verhaltenspflichten etwa Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 203 ff., in Bezug auf außerrechtliche Haftungsgründe. 401 Zur Überwindung von Informationsdefiziten durch gesellschaftliche Institutionen etwa über die Berufsethik siehe Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 608 ff. 402 Soweit das anwaltliche Berufsrecht zum Tragen kommt, etwa §§ 43 f. BRAO, kommt bei Verstößen eine Rüge nach §§ 73 Abs. 2 Nr. 4, 74 Abs. 1 BRAO oder ein anwaltsgerichtliches Verfahren nach §§ 113, 114 ff. BRAO in Betracht. 403 Zur Rolle der Reputation innerhalb der Überwindung von Informationsdefiziten siehe ebenfalls Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 611 f. Danach, S. 546, vermittelt Reputation Ersatzinformationen über das Verhalten eines einzelnen Anbieters. 404 Ausführlich in Teil 4.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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g) Hinwendung zu einer kooperativen Verhandlungsweise Der Umgang mit Informationen auf der Sachebene405 muss jedoch keineswegs individualistisch oder kompetitiv geprägt, sondern kann auch ganz anders motiviert sein. Die hinter den individualistischen und kompetitiven Bestrebungen stehenden Egoismen des Mandanten406 müssen nicht notwendigerweise ein solches Vorgehen determinieren. Vielmehr kann auch ein „gesunder Egoismus“, das haben die Ausführungen zum rechtssoziologischen Verständnis des Vertrags gezeigt,407 zu einem anderen Verhalten anhalten. So sind denn etwa auf Dauer angelegte Vertragsbeziehungen häufig nur von (Eigen-)Nutzen, wenn sie aufgrund gedeihlicher Vertrauenszusammenarbeit408 auch auf Fremdnutzen ausgerichtet sind.409 Abgesehen davon kann es gerade ein Ziel des Mandanten sein, eine bestimmte positive Zusammenarbeit zu erreichen. Der Mandant kann in dem Sinn dem Anwalt Vorgaben machen. In vielen Fällen wird zudem eine Verwirklichung des mit dem Vertrag angestrebten Zwecks nur über eine Befriedigung beiderseitiger Interessen möglich sein. All dies sind Aspekte, auf die nicht zuletzt ein Anwalt, der rechtliche und soziologische Elemente zu verknüpfen weiß, den Mandanten hinweist und über sie aufklärt. Zumal können, und dies ist wiederum ein nicht zu unterschätzender Umstand, rechtliche Rahmenbedingungen, wie die schon mehrfach angeführten Aufklärungspflichten, z. B. aufgrund von § 242 BGB, zu dem beschriebenen „Entgegenkommen“ zwingen. Gefragt ist in solchen Situationen dann ein eher kooperativer Typ, das heißt jemand, der bemüht ist, das Verhandlungsergebnis beider Seiten zu maximieren.410 Ein solch verändertes Verhalten muss dann jedoch wiederum Auswirkungen auf den Umgang mit Informationen haben. Beispiel: A will in seinem Unternehmen einen neuen Geschäftszweig eröffnen. Für diesen braucht er einen speziellen Rohstoff regelmäßig in größeren (bestimmten) Mengen unter Zugrundelegung einer bestimmten Preisvorstellung. A wendet sich an B, einen Lieferanten, mit diesem Ansinnen. Gleichzeitig erklärt A gegenüber B, er (A) wolle aus dem Vertrag jederzeit, ggf. auch kurzfristig aussteigen können. 405
Das gilt ebenso für die anderen Ebenen, auf denen ebenfalls Informationen transportiert werden. 406 Es sei nochmals betont, dass der Egoismus des Mandanten sehr wohl am Ausgangspunkt der anwaltlichen Überlegungen stehen muss. 407 Teil 1 C. 408 Siehe etwa Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 205, der zwar Personenvertrauen im Vertragsrecht eine untergeordnete Relevanz zuschreibt. Personenvertrauen könne aber in längerfristigen Geschäftsbeziehungen den Primat übernehmen. 409 Den ökonomischen Nutzen von Vertrauensbeziehungen führen Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 614 ff., etwa in Bezug auf die Lösung von Informationsproblemen und die Einsparung von Informationskosten an. Dort weisen sie allerdings auch auf die Gefahr des Vertrauensmissbrauchs durch opportunistisches Verhalten hin. 410 Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 10. Das kooperative Verhandeln unter dem Gesichtspunkt des Reziprozitätsprinzips der regula aurea als Kern des Vertragsmechanismus untersuchend Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 244 ff.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Mit den vorgenannten Informationen hat A auf der Sachebene wesentliche Punkte deutlich gemacht, die (unmittelbar) Regelungsgegenstand des juristischen Vertrags werden sollen. Essentialia negotii und accidentalia sind offengelegt. Das würde von Seiten des A als Information bezüglich des juristischen Vertrags grundsätzlich ausreichen. Ob der Vertragsschluss mit B zustande kommt, ist jedoch fraglich. So ist vorstellbar, dass B den Vertrag, durchaus auch in Bezug auf Menge und Preis, grundsätzlich will; er lehnt aber die kurzfristige Ausstiegsmöglichkeit für A ab. Damit es zum Vertrag kommt, sind somit Informationen nötig, die für den juristischen Vertrag an sich irrelevant sind.411 A könnte nun offenlegen, der entsprechende Geschäftszweig solle von einem seiner Kinder geführt werden, welches neu in das Unternehmen integriert werden soll. Im Unternehmen würde bereits ein anderes Kind von ihm (A) arbeiten. Es sei aber nicht auszuschließen, dass die geschwisterliche Harmonie im Arbeitsleben nicht funktioniere. Dann müsse man überlegen, den neuen Geschäftszweig zu schließen oder auszugliedern. Dem könnte allerdings ein langfristiger Vertrag ohne Ausstiegsmöglichkeit entgegenstehen. Gleichzeitig wolle man jedoch eben durch die Langfristigkeit Stabilität erzeugen, damit es mit der „unternehmerischen Harmonie“ funktioniere. B wiederum deckt jetzt auf, er sei grundsätzlich an einer längeren Bindung auch zu bestimmten Preisen interessiert. Er brauche aber eine gewisse Planungssicherheit. Zudem habe das ursprüngliche „Angebot“, welches gleich einen Ausstieg miteinschloss, in ihm ein Misstrauen erzeugt, ob der andere (A) ihn (B) nicht für vertrauenswürdig erachte. B zeigt allerdings prinzipiell Verständnis für die Sorgen des A. Das Beispiel verdeutlicht, dass hier ein Vertragsschluss nur zustande kommen kann, wenn „anders“ mit Informationen umgegangen wird. Eine weitere Öffnung der Parteien ist erforderlich. Denn nur, wenn weitere Informationen ausgetauscht werden, können grundsätzliche Hindernisse für den Vertragsschluss (z. B. Misstrauensverdacht bei B) ausgeräumt werden. Außerdem ermöglicht nur das Wissen um die jeweiligen hinter dem Vertragsschluss stehenden Beweggründe („Interessen“)412 die Möglichkeit, nach beiderseitig akzeptierten Ergebnissen zu suchen und sie ggf. auch zu finden. Juristisch geht es hier vielfach um die Geschäftsgrundlagen, die aufgedeckt werden.413 411
Hier ist jedoch im Einzelfall zu differenzieren. Macht man z. B. eine Informationspflicht aus, die die Willensbildung der anderen Seite betrifft, so kann dies jedenfalls (mittelbar) gleichwohl für den juristischen Vertrag relevant sein. Dies gilt auch, wenn keine essentialia negotii betroffen sind. Vgl. ebenfalls u. a. Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 195 ff., zu (…) (v)orvertraglichen Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Vertragsinhalt“. 412 Hier bilden die Motive eine Form von Interessen. 413 Zur Geschäftsgrundlage als zweiten Ebene der Willenseinigung Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 236 ff. Wertungsgrundlage sind nach Schwarze, S. 9, im Anschluss an Schmidt-Rimpler alle anderen Willensmomente, die den Rechtsfolgewillen tra-
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Die Gründe für ein solches Vorgehen liegen u. a. in den eingangs des Beispiels genannten Aspekten. So sind von Relevanz: Langfristigkeit der Beziehung, das Vertrauen, Abhängigkeit und eine besondere „Anfälligkeit“ für persönliche Einflussfaktoren (Familie). Somit greifen Überlegungen, die etwa innerhalb der Relationalität von Vertragsverhältnissen schon Geltung beansprucht haben. Eigen- und Fremdnutzen können hier nicht strikt voneinander getrennt werden, sondern sind miteinander verwoben. Gefragt ist daher ein Verhandlungsergebnis, in dem beide Seiten sich „positiv“ („als Sieger“) wiederfinden. Gleichzeitig macht das Beispiel aber auch anschaulich, dass die beschriebene Informationsweitergabe nicht mehr streng auf die Sachebene begrenzt ist, sondern z. B. auch die Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene mit umfasst. Das gilt es wiederum aus anwaltlicher Sicht zu berücksichtigen. Mit dieser Öffnung in die Breite wird weiterhin ein besonderer „strategischer Umgang“ verbunden sein. Bezogen auf einen kooperativen Verhandlungstypus ist der Umgang mit Informationen durch ein Geben und Nehmen im größeren Umfang geprägt. Notwendig ist ein Austausch, der beiden Seiten zumindest ein deutliches Wiederfinden ihrer Ziele im Verhandlungsergebnis eröffnet. Die damit einhergehende breite Streuung von Informationen darf allerdings auch mit Blick auf einen kooperativen Verhandlungsstil und möglicher Maximierung auf beiden Seiten keineswegs idealisiert werden. Aus anwaltlicher Sicht muss die interessenorientierte Ausrichtung bleiben. Aus dieser können, das haben die bisherigen Überlegungen gezeigt, durchaus gute Gründe für eine Kooperation sprechen, z. B., dass es überhaupt zu einem Vertrag kommt. Es ist aber nichtsdestotrotz nach wie vor ein (vorheriger) kritischer Umgang mit den Informationen notwendig, eben, weil die Interessenausrichtung des Anwalts bleibt. Es darf nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, der Vorgang sei (allein), insbesondere von beiden Vertragsseiten, vernunftsgetragen, motiviert von der Einsicht, so zum besten Ergebnis zu gelangen. Insoweit ist etwa einem diskurstheoretischen Vorgehen eine Absage zu erteilen. Zwar können und werden in einer Situation wie der oben geschilderten durchaus Vernunftsaspekte eine bedeutende Rolle spielen. Diese befinden sich allerdings in einer Wechselwirkung zur egoistischen Interessenwahrnehmung durch/für den Mandanten. So lädt etwa die Kenntnis um gegenseitige Abhängigkeiten auch zu opportunistischen Erwägungen ein414. Zum wiederholten Mal rückt damit die „Macht durch Information“ in den Fokus. Möglicherweise bringt eine Seite die erweiterten Kenntnisse um die internen Abläufe an anderen Stellen jedoch auch (ungewollt)
gen, „(…), d. h. Vorstellungen oder fehlende Vorstellungen vom Sein oder Nichtsein und Eintritt oder Nichteintritt einer wirtschaftlichen, rechtlichen oder sonstigen Tatsache, die entweder positiv der Herbeiführung des rechtlichen Erfolgs zugrunde liegt oder negativ ihr entgegengewirkt haben würde, hätte die Partei an ihrer Richtigkeit gezweifelt.“ Schwarze, Fn. 39, verweist insoweit auf Rhode, AcP 124 (1925), 257, 258. 414 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 614 ff., im Zusammenhang mit asymmetrischen Informationen.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
selbst in Zugzwang. Der Fall kann das z. B. sein, wenn bestimmte Kenntnisse die mehrfach schon gesprochenen Auskunftspflichten auslösen. Sowohl Machtausübung als auch Auskunftspflichten stellen damit wiederum eine Schnittstelle zwischen tatsächlichem Umgang mit „Hintergrundinformationen“ und rechtlichen Konsequenzen dar. h) Vermeidung von Störungen im Kommunikationsvorgang Bisher ging es, stark beeinflusst von dem informationstheoretischen Verständnis, gerade in Bezug auf die Sachebene hauptsächlich um das Setzen von Signalen und Zeichen an sich. Verschiedentlich wurde allerdings schon darauf verwiesen, dass vor allem bei Einschaltung eines Anwalts dieser seinem Mandanten gegenüber Sorge zu tragen hat, dass die Zeichen „richtig ankommen“415. Es geht also um das Vermeiden von „Störungen“ im Kommunikationsvorgang. Hauptstörungsquellen können zum einen im Prozess der Verschlüsselung durch den Absender vorliegen, zum anderen bei der Entschlüsselung durch den Empfänger. Beispiel416 : Der Anwalt begleitet seinen Mandanten zu Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrags über den Erwerb von Baustoffen zwischen der S-GmbH, deren Geschäftsführer der Mandant ist, und dem G. G steht in ständiger Geschäftsbeziehung zu der S-GmbH. S ist verpflichtet, 100 % der Forderungen des G gegen S durch eine Bürgschaft abzudecken. Bisher sind Verbindlichkeiten i. H. v. 80.250,– E aufgelaufen. Während der Vertragsverhandlung, in der diese Umstände auch zur Sprache kommen, erklärt der Mandant, er übernehme jeden Betrag bis zu 80.250,– E und macht eine Handbewegung mit der rechten Hand quer entlang seines Kehlkopfes („Kopf ab“). Der G nickt. Seinem Anwalt gegenüber hatte der Mandant zuvor erklärt, nur für die aufgelaufenen Altverbindlichkeiten haften zu wollen. Der Anwalt, der nunmehr die Bürgschaftserklärung für seinen Mandanten aufsetzt, gibt ihr u. a. folgenden Inhalt: „Die S und der G schließen Baustoff-Lieferungsverträge für die jeweils genannten Bauvorhaben ab. Als Sicherheit für die vertragsgemäße Erfüllung der Zahlungspflicht ist dem G eine Bürgschaft i. H. v. 100 % der Auftragsabrechnungssumme (einschließlich Mehrwertsteuer) zu stellen. Dies vorausgeschickt übernehme ich (Name des Mandanten) hiermit für S die unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft und verpflichte mich, jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 80.250,– E an G zu zahlen.“417 Der Mandant unterzeichnet die Urkunde und übergibt sie G. Dieser liefert in den folgenden Monaten weiterhin Baustoffe an S. Es laufen weitere offene Verbindlichkeiten der S i. H. v. 70.000,– E auf. Wegen dieser 70.000,– E hält G sich schließlich an den Bürgen, der der Ansicht ist, dafür nicht gebürgt zu haben. Er wendet sich an seinen Anwalt, den er im oben genannten Sinn mandatiert hatte.
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Das gilt im Übrigen auch für den richtigen Empfang. In Anlehnung an BGH NJW-RR 1998, 259 f.; aufgegriffen auch von Bork, AT des BGB, Rn. 554. 417 Vgl. BGH NJW-RR 1998, 259, 259. 416
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Der Anwalt war im Beispiel davon ausgegangen, mit der von ihm entworfenen Bürgschaftserklärung „Zeichen“ im Sinne des Mandanten an den G „gesendet“ zu haben. Er musste aber weiterhin überlegen, ob er sich darauf „verlassen“ kann, die andere Seite interpretiere diese genauso wie er. So gilt es nicht zuletzt wieder, Auslegungsprobleme zu vermeiden.418 Für den Anwalt heißt das dann im „Umkehrschluss“, dass er den Willen seines Mandanten hinreichend zu artikulieren, zu senden hat. Zwar darf auch bei einer Bürgschaft (§ 765 BGB) im Rahmen der Auslegung zunächst § 133 BGB Berücksichtigung finden.419 Hierbei können z. B. auch non-verbale Elemente („Kopf ab“) von Bedeutung sein. Der Anwalt darf sich jedoch nicht darauf verlassen, über § 133 BGB werde es zur Umsetzung der Mandanteninteressen kommen. Denn sieht die andere Vertragspartei keine Übereinstimmung mit dem wirklichen Willen des Mandanten als gegeben an,420 dürfte der entsprechende Nachweis für den Mandanten im Einzelfall schwer zu führen sein. In Kenntnis solcher möglichen Abläufe heißt das für den Anwalt, er muss als Sender, sollte der Wille seiner Mandantschaft vom „buchstäblichen“ Sinn abweichen, dies auch hinreichend artikulieren, senden. Denn gerade mit Blick auf die Decodierungsleistung421 der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass jene mangels Erkennbarkeit422 des wirklichen Willens auf den objektiven Inhalt vertrauen darf423. Der „sendende Anwalt“ muss somit mehrere Überlegungen anstellen, wenn es um die Informationen bezüglich einer seinem Mandanten zuzurechnenden Willenserklärung geht: In Kenntnis des wirklichen Willens seines Mandanten muss er prüfen, ob die von ihm gesendeten Signale und Zeichen (in der Regel Worte) bei Anlegung eines objektiven Maßstabs (objektiven Dritten) den wirklichen Willen wiedergeben. Maßstab sind Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte424. Es ist darauf abzustellen, wie ein objektiver Dritter bei einer vernünftigen Beurteilung ihm bekannter oder erkennbarer Umstände die vom erklärenden Sender gewählten Signale und Zeichen hätte verstehen können oder müssen.425 Bei der Sendung muss der 418 Dazu, in Bezug auf die Wortwahl im Vertrag, BGH NJW 2002, 1048, 1049; NJW 1996, 2648, 2650; G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 326. 419 MK-BGB/Habersack, § 766, Rn. 6; im Anschluss ist dann zu klären, ob der Wille einen zureichenden Anhaltspunkt in der Bürgschaftsurkunde gefunden hat, ebenda m. w. N. 420 Er führt dann an, der wirkliche Wille des Mandanten sei nicht zu erkennen gewesen. 421 Zur Begrifflichkeit von „Codierstelle“ („Sender“) und „Decodierstelle“ („Empfänger“) siehe auch Breuer, Einführung in die pragmatische Texttheorie, S. 34, unter Bezugnahme auf die Kommunikationskette nach Shannon (Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communikation, S. 34). 422 Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 207, führt zur Theorie des objektiven Erklärungssinns aus, sie bezeichne die „Normal-Null-Linie“ der Kommunikation. (Hervorhebung im Original.) 423 Dazu BeckOK-BGB/Wendtland, BGB, § 133, Rn. 19. 424 BGH GRUR 2021, 721, Rn. 21; BGH NJW 1992, 1446, 1447; NJW 1990, 3206, 3206, jeweils m. w. N.; BeckOK-BGB/Wendtland, BGB, § 133, Rn. 27. 425 Siehe dazu BeckOK-BGB/Wendtland, BGB, § 133, Rn. 27; siehe ferner BGH NJW 2006, 286, 287.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Anwalt also in jedem Fall kontrollieren, wie nach diesen Vorgaben das Auslegungsergebnis zu bestimmen ist. Leistet seine Sendung dies, so kann er sich im Zweifel darauf zurückziehen, es bei dieser im normativen Sinn codierten und decodierbaren Sendung zu belassen.426 Es ist dann, solange Abweichendes nicht erkennbar ist, der „objektive“ Sinngehalt als gewollt anzusehen427. Allerdings muss der Anwalt Sorge tragen, alles Wesentliche gestalterisch zu regeln. Diese Leistung hat der Anwalt im obigen Bürgschaftsfall nicht erbracht. Zum einen war die Bürgschaftserklärung auslegungsbedürftig, der Wortlaut nicht eindeutig.428 Für eine Bürgschaft (nur) bezüglich der aufgelaufenen Verbindlichkeiten spricht etwa die konkrete Summenbezeichnung in entsprechender Höhe sowie das Fehlen der Bezeichnung als Höchstbetragsbürgschaft. Für das Erfassen späterer Verbindlichkeiten sprechen dagegen die „vorausgeschickten“ Ausführungen und die Formulierung, „jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 80.250,– E“ zahlen zu wollen.429 Die Auslegungsbedürftigkeit mangels eindeutig zu verstehender Wortsymbole war schon ein fehlerhaftes anwaltliches Tun. Indem dadurch jedoch einer Auslegung mittels nachträglichen Verhaltens (weiterer Warenaustausch) der Boden bereitet wurde,430 die nicht notwendigerweise das Mandantenbegehren abdeckt, hat der Anwalt es zudem im Vorfeld unterlassen, durch gestalterisches Tun diesen Weg abzuschneiden. Im Einzelfall muss der Anwalt also klären, ob nicht das Gebot des sichersten Wegs, dem er aufgrund seiner anwaltsvertraglichen Bindung unterliegt, von ihm ein „Mehr“ verlangt. Das „Mehr“ kann bedeuten, den Parteiwillen ggf. (noch) deutlicher zu machen. Dies gilt vor allem, wenn der „sendende“ Anwalt feststellen sollte, dass der wirkliche Wille seines Mandanten auf dem normativen Weg u. U. nicht sicher transportiert werden kann. Dann ist es nachgerade seine Pflicht als anwaltlicher Interessenvertreter, dafür Sorge zu tragen, dass es „richtig“ gelingt. Die normative Auslegungsmöglichkeit bietet grundsätzlich die „Sicherheit“, lege artis gearbeitet zu haben. So ist dann etwa in dem Fall, in dem die andere Seite (unerkannt) die Erklärung „anders“ versteht, also insofern im Entschlüsselungsakt 426 Zu berücksichtigen sind freilich andere „Störungsquellen“, wie z. B. Schwerhörigkeit auf der anderen Seite. Das betrifft dann aber vielfach schon die Problematik des Zugangs der Willenserklärung. Zum Zugang unter Anwesenden und der Frage, ob/wann Störungen in der (richtigen) Vernehmung der Erklärung dabei von Relevanz sind, etwa Neuner, AT des BGB, § 33, Rn. 28 ff. 427 So Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 207; Hervorhebung im Original. Dort, Fn. 66, auch der Hinweis auf Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 289. 428 Vgl. BGH NJW-RR 1998, 259, 259. 429 Vgl. BGH NJW-RR 1998, 259, 259. 430 BGH NJW-RR 1998, 259, 259; zwar, so der BGH, a. a. O. m. w. N., könne das nachträgliche Verhalten von Vertragsparteien den bei Vertragsschluss zum Ausdruck gebrachten objektiven Gehalt der wechselseitigen Vertragserklärungen nicht mehr beeinflussen. Er könne aber für die Auslegung bedeutsam sein, weil es Anhaltspunkte für den tatsächlichen Vertragswillen enthalten könne.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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eine Störung auftritt, (juristisch) zunächst unschädlich. Selbstverständlich können sich andere juristische Folgen anschließen, wie ggf. eine Anfechtbarkeit nach § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB und eine Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB. i) Codierungs- und Decodierungsproblematik bei „weiteren“ Interessen Die Codierungs- und Decodierungsproblematik stellt sich grundsätzlich allerdings in Bezug auf gesendete (Sach-)Informationen auf einer ganz anderen Ebene, wenn es um die zuvor schon beschriebenen offen gelegten „weiteren Interessen“ des Mandanten geht, also um solche, die nicht unmittelbar Gegenstand der Willenserklärung sind. Hier ist für den Anwalt ein „Rückzug“ auf einen rein juristischen Maßstab in Bezug auf die Entschlüsselungsfrage nicht in der soeben beschriebenen Weise möglich. Denn nunmehr ist eine andere Leistung gefordert, der mit normierten Maßstäben nicht begegnet werden kann. Die Sendung von Informationen bezüglich der (sonstigen) Interessen des Mandanten ist der eigentlichen Sendung der (juristischen) Willenserklärung oftmals vorgelagert. Ihr kommt keine „Wertigkeit“ im Sinne einer Willenserklärung zu,431 sondern sie dient ja letztendlich überhaupt erst der Bildung selbiger. Hinzu kommt, dass diese Interessen ihren Bezugspunkt besonders stark in der sozialen Wirklichkeit haben,432 die es juristisch (mit) zu gestalten gilt. Hier steht der soziale Kontext wesentlich mehr im Vordergrund. Ihn mit einem objektiven Maßstab im Sinne eines Empfängerhorizonts „an den Empfänger“ zu bringen, ist untauglich und Zweck verfehlend. Denn die Offenlegung der Interessen dient ja im Wesentlichen dazu, den jeweiligen Regelungsbereich überhaupt erst zu erschließen.433 Will der Mandant, gerade auch in Bezug auf die soziale Leistungsfähigkeit des Vertrags (z. B. Befriedung, stabile länger andauernde Beziehungen), seine Interessen der anderen Seite zur Kenntnis bringen, muss folglich darauf auch bei der Entschlüsselungsproblematik434 geachtet werden. Nunmehr muss namentlich der verhandelnde Anwalt berücksichtigen, die die Interessen betreffenden Sachinformationen so zu senden, dass sie der Empfänger im „lebenswirklichen“ Sinn versteht, das heißt so, wie sie die Interessenwelt des Mandanten prägen. Das kann von unterschiedlicher Schwierigkeit sein. Beispiel: Es soll auf Wunsch des Mandanten zu einem Mietvertrag kommen, der ausdrücklich vorsieht, dass er seinen Hund dort halten darf; die Vermieterseite lehnt dies ab.
431
Vgl. aber die Ausführungen bei Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 245, wonach die Elemente der Geschäftsgrundlagen, zu denen auch solche Informationen gehören können, willenserklärungsähnlichen Abläufen unterworfen werden. 432 Dies gilt für die Willenserklärung zwar auch, was z. B. für die über § 133 BGB zu leistende Auslegungsarbeit von Bedeutung ist. 433 Der Regelung dieses Bereichs dient schlussendlich auch der juristische Vertrag. Dass bei diesem (auch) objektive Maßstäbe (stärker) zum Tragen kommen, liegt u. a. an rechtsstaatlichen Forderungen, wie z. B. der Rechtssicherheit. 434 Ebenso bei der „Entschlüsselung“ für den Mandanten.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Nunmehr wird aufgedeckt, der Mandant habe eine starke Sehbehinderung, die einen Blindenhund als Begleitung erfordere.435
Die Sendung und Decodierung der Informationen „Sehbehinderung“ und „Blindenhund“ sind relativ einfach möglich, nahezu anhand von objektiven Kriterien.436 Anders liegt es etwa in einem anderen Beispiel, wenn bei der geplanten Zusammenarbeit an einem Projekt eine Seite die Arbeit an bestimmten Tagen ablehnt. Werden als dahinterstehende Interessen religiöse Gründe genannt, wird das oftmals nicht ausreichen, einwandfreies (inhaltliches) Verstehen auf der anderen Seite zu gewährleisten. Denn „religiös“, selbst unter Nennung des entsprechenden Glaubens, ist nicht für jeden Empfänger mit (gleichem) Inhalt zu füllen wie beim Sender.437 Es liegt keine wie im Beispiel zuvor vergleichbare Objektivierbarkeit der Begriffe vor. Nunmehr sind vielmehr z. B. die religiösen Regeln darzulegen und zu erläutern, u. U. mit bewusster Suche nach der Rücksprache mit dem Empfänger. Das heißt, man hat ggf. offensiv mit dem möglichen Decodierungsproblem umzugehen (Probleme sind anzusprechen!).438 Es stellt sich somit viel stärker als ansonsten die Notwendigkeit, den Empfänger z. B. in seiner sprachlichen oder kulturellen Welt „abzuholen“. Unweigerlich damit verbunden ist allerdings die Schwierigkeit, diese „Welten“ zu erkennen, sich auf sie einzustellen und mit ihnen sprachlich und inhaltlich „fertig zu werden“. Vom Anwalt ist erneut mehr gefordert als bloße juristische Fertigkeiten.439 Der den Anwalt möglicherweise begleitende Mandant ist in solchen Fällen nur eine eingeschränkte Hilfe; ob er in der Lage ist, entsprechendes Verständnis zu fördern, 435 Die sprachlich richtige Entschlüsselung ist, wie dieses Beispiel zeigt, oftmals nicht nur für die Interessenumsetzung einer Seite von Bedeutung. Auch für den Vermieter in dem Beispiel kann die Kenntnis, dass der Hund ein „Blindenhund“ ist, bedeutsam sein. So sind Formularklauseln in Wohnraummietverträgen wegen unangemessener Benachteiligung i. S. v. § 307 BGB unwirksam, wenn sie grundsätzlich die Haltung von Hunden oder Katzen untersagen (BGH NJW 2013, 1526, 1526 f.). Eröffnet bleiben muss eine Möglichkeit der Berücksichtigung der berechtigten Belange der Parteien. Wird eine entsprechende, unangemessene Benachteiligungen vermeidende Klausel geschaffen, kann u. a. bei ihrer Anwendung auf den Einzelfall das Wissen um die Eigenschaft des Tieres als „Blindenhund“ von Relevanz sein. 436 Letztlich zeigt sich hier der Vorteil eines Umgangs mit Begriffen, die, um mit Heck zu sprechen, von ihrem Bedeutungskern her in den Kontext gestellt werden können. Zum Bedeutungskern und Bedeutungshof bei Begriffen Heck, AcP 112 (1914), 1, 173; ferner, S. 46, zum Vorstellungskern und Vorstellungshof. Zum Begriffskern und Begriffshof unter Bezugnahme auf Heck auch u. a. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 118 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 193 f. Siehe außerdem zur Begrifflichkeit von Begriffskern und -hof Jesch, AöR 82 (1957), 163, 176 f. 437 Das entspricht der Situation eines unbestimmten Rechtsbegriffs; siehe dazu Jesch, AöR 82 (1957), 163, 177. 438 Das betrifft auch eine entsprechende Entschlüsselungsschwierigkeit auf Seiten des Mandanten. 439 Auch die Beiziehung eines Fachmanns, z. B. als inhaltlicher „Dolmetscher“, ist nur eine eingeschränkt taugliche Lösung. Sie kann z. B. in technischen Fragen angezeigt sein. Wesentliche Fertigkeiten sind vom Juristen selbst gefragt.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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kann nicht vorausgesetzt werden. Die entsprechende „Leistung“ darf der Mandant zudem aufgrund des Anwaltsvertrags von seinem (verhandelnden) Anwalt verlangen. Nach dem dienstvertraglichen Element des Anwaltsvertrags, bezogen auf die Vertragsverhandlungsleistung (§ 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 BGB), muss der Anwalt dort die Interessen seines Mandanten zur Geltung bringen. Das heißt, er muss sie zunächst einmal für die andere Seite verständlich artikulieren. Das Eingehen auf die andere Vertragsseite ist daher keine „sozialtherapeutische“, sondern eine vertragliche Leistung des Anwalts. j) Anwaltliche Begleitung/Vertretung (auch) der anderen Vertragspartei Die bisherigen Überlegungen knüpften im Wesentlichen daran an, dass der Anwalt mit der (anderen) Naturalpartei in kommunikativen Kontakt zwecks Abschlusses eines Vertrags tritt. Oftmals jedoch liegt die bereits in der Einführung geschilderte Situation vor, in der auf der anderen Seite (auch) ein Anwalt steht, sei es dort den Mandanten begleitend, sei es allein als dessen Vertreter auftretend. Fraglich ist, welche Auswirkungen dieser Umstand auf die Anforderungen an den „sendenden“ Interessenvertreter Anwalt hat, Störungen zu vermeiden. Soweit es um die Sendung von Elementen einer Willenserklärung geht, deren Auslegungsmaßstab im Zweifel der objektive Empfängerhorizont ist, gilt nichts anderes als das bereits zuvor Ausgeführte, im Gegenteil: Sofern sich der Empfänger in anwaltlicher Begleitung befindet, besteht die Möglichkeit, allerdings nicht einmal die Notwendigkeit, wonach der anwaltliche (Empfänger-)Beistand noch (juristische) Aufklärungsarbeit leistet. Sollte lediglich der anwaltliche Vertreter (ohne Mandanten) auf der Empfängerseite stehen, stellt sich die Sendungsproblematik grundsätzlich bezüglich der Co- und Decodierung von Willenserklärungen ebenfalls nicht anders dar. Nach § 164 Abs. 3 BGB ist zwar auf den Empfang der Willenserklärung durch den Vertreter abzustellen. Inhaltlicher Maßstab ist aber auch im Fall der Empfangsvertretung durch einen Anwalt im Zweifel der objektive Empfängerhorizont. Klärungsbedürftig ist erneut, welche Konsequenzen aus der anwaltlichen Einschaltung auf der Empfängerseite folgen, wenn „andere“ Sachinformationen gesendet werden, das heißt solche, die nicht im Zweifel normativ zu entschlüsseln sind. Eine vermeintliche „Hilfe“ könnte der § 166 Abs. 1 BGB sein. Er bestimmt das Abstellen auf die Person des Vertreters, sofern es um die Kenntnis oder das Kennen Müssen gewisser Umstände geht. Allerdings, und deshalb scheitert ein Lösungsansatz über den Rückgriff auf diese Norm auch, fordert der § 166 Abs. 1 BGB für den Fall der Wissenszurechnung ebenfalls eine „rechtliche Verbindung“. Wissenszurechnung ist danach relevant, wenn durch sie die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung beeinflusst werden. Geht es jedoch um die Vermittlung von Informationen, die „sonstige Interessen“440 betreffen, z. B. solche, die gerade die Rela440 Anders kann die Einschätzung wiederum aussehen, wenn man wie Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 245, die Mitteilung von Wertungsgrundlagen als geschäftsähnliche Handlung begreift.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
tionalität der künftigen Vertragsbeziehung begründen,441 so kommt ein Rückgriff auf § 166 BGB nicht in Betracht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Informationsweitergabe dem Austarieren der gegenseitigen Interessen, vor allem der Bestimmung des (künftigen) sozialen Gefüges der Vertragsparteien dient. Anders kann der Einzelfall ggf. zu beurteilen sein, wenn doch über diese Informationen Auswirkungen rechtlicher Art „drohen“, z. B. durch Begründung eines Irrtums nach § 123 BGB. Dann greift § 166 Abs. 1 BGB sehr wohl sein. Findet sich somit in Bezug auf die Entschlüsselungsproblematik sonstiger Informationen kein normativer Ansatz, wie hinsichtlich eines auf der Empfängerseite verhandelnden Anwalts zu verfahren ist,442 so kann im Grunde nichts anderes gelten als in der Situation, in der „nur“ die Naturalpartei als Empfänger auftritt. Letztlich muss also auch dann, wenn auf der Empfängerseite (nur) ein Anwalt (ohne Mandanten) handelt, bezüglich der „sonstigen Interesseninformationen“ der Sender dafür sorgen, dass sie richtig verstanden werden. Er trägt hier ebenso das Risiko falschen Verstehens auf der anderen Seite und muss dies entsprechend versuchen zu unterbinden. Denn unabhängig davon, ob auf der Empfängerseite die Naturalpartei oder ihr anwaltlicher Vertreter agiert, gilt für den interessenorientierten Sender: Ist das von seiner Mandantschaft letztlich begehrte Ziel ein Vertrag, der in seiner Funktionalität ein weites, vor allem im sozialen Raum spielendes Interessenspektrum abdecken soll, so müssen die dafür notwendigen Informationen richtig zum Verständnis der anderen Seite gebracht werden. Erneut dient dieses Vorgehen in erster Linie den eigenen Mandantenwünschen. Aufgrund dessen darf man nicht auf eine erweiterte Sozialkompetenz des anderen Anwalts vertrauen, sondern muss auch dann sich des richtigen Verstehens vergewissern. Es gilt sogar eigentlich noch ein Mehr an Leistung und notwendiger Berücksichtigung. Es muss zudem ggf. damit gerechnet werden, dass der andere Anwalt vor allem in Bezug auf „relationale Informationen“ nochmals mit seinem Mandanten in Kontakt tritt. Dann ist jedoch eine zweite „Störungsebene“ eröffnet, indem die Gefahr droht, der Empfängeranwalt könnte seinem Mandanten die Informationen „falsch“ übermitteln. Gemeint ist dabei in erster Linie nicht das Setzen anderer Signale und Zeichen, sondern das Problem, ob die andere (Natural-)Vertragspartei die Zeichen wiederum so versteht wie ihr Anwalt. In Kenntnis dieser Gefahr sollte oder gar muss der Anwalt der sendenden Vertragspartei dann u. U. darauf dringen, dass die Naturalpartei443 an den Verhandlungen in Person teilnimmt. Es ist dann dafür Sorge zu tragen, dass diese Naturalpartei in erster Linie die relationalen Informationen richtig erfasst.
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Hier werden häufig auch andere Ebenen wie die Selbstoffenbarungs- und nicht zuletzt die Beziehungsebene tangiert sein. 442 Das gilt spiegelbildlich für den Empfang der von der Gegenseite gesendeten Nachrichten. 443 Dies gilt im Übrigen, s. o., auch für seine eigene Mandantschaft.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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3. Selbstoffenbarungsebene Da jede gesendete Nachricht auch Informationen über den Sender als solchen weitergibt,444 setzt sich die Problematik, wie mit Informationen umzugehen ist, wie sie zu senden und wer die Entschlüsselungslast trägt, auf dieser Ebene nahtlos fort. Die besondere Schwierigkeit ergibt sich dabei u. a. aus dem Umstand, wonach hier viel stärker zum Tragen kommt, dass die entsprechenden Informationen nicht (nur) oder sogar kaum durch die (ausdrückliche) verbale Sprache transportiert werden. Hier gewinnen z. B. die Körpersprache445, die Tonart, aber auch die Wortwahl mehr an Bedeutung. Die natürliche Person lässt also nicht allein durch die sprachlichen Botschaften Rückschlüsse auf sich zu, sie macht dies im Besonderen auch durch die „anderen“ Sprachen. Beispiel: Eine Unsicherheit in der Stimme (Zittern) bei der Frage, ob nicht über Widerrufsklauseln gesprochen werden könne, kann die Angst ausdrücken, ob der Vertrag sinnvoll ist.
Mit der Selbstoffenbarung ist nicht nur die Weitergabe von Informationen verbunden, sondern erneut und in nicht unerheblichem Maß eine Form von Machtausübung und -abgabe durch Vermittlung oder Preisgabe von Wissen über sich selbst. Eine völlige Unterbindung dieses Informationsflusses ist nicht möglich. Denn jede gesendete Nachricht enthält die oben näher erläuterten Ebenen, jeder Sachinformation liegt etwa immer zumindest ein „Körnchen“ Selbstoffenbarung inne. Gleichwohl können und müssen Überlegungen zum Steuerungsprozess angestellt werden. Verhandelt der Anwalt (allein) für seinen Mandanten, muss er sich etwa bewusst sein, dass seine Verbaläußerungen ggf. (auch) Rückschlüsse auf seinen Mandanten in Person zulassen.446 Die Selbstoffenbarung wird insoweit gleichsam über den Vertreter transportiert. Das muss der Anwalt z. B., wenn er Sachinformationen weitergibt, abwägen. U. U. wird er/muss er deshalb bestimmte Äußerungen unterlassen oder anders fassen. In diesem Zusammenhang können zudem vor allem nonverbale Elemente an Bedeutung gewinnen. Nonverbal, und damit gerade für die Selbstoffenbarung bedeutsam, sind Gestik, Mimik oder Tonfall. Die diesbezügliche „Sprache“ ist beim allein auftretenden Anwalt zwar grundsätzlich nur seine persönliche, die des Anwalts als Interessenvertreter und professionell Handelnden. An sich lässt sie kaum (weitere) Rückschlüsse auf den vertretenen Mandanten zu. Möglicherweise jedoch – in Fortführung der obigen Überlegungen – kommt es doch zu solchen Rückschlüssen. 444
Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 29. Stolze, Körpersprache, S. 176. 446 Vgl. auch Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 158, die, allerdings für den Erstkontakt, ausführen, der Anwalt erscheine aus der Perspektive der anderen Konfliktpartei als Repräsentant der Person, mit der ihn ein – oftmals extrem – gespanntes Verhältnis verbinde. 445
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Mit der (teilweisen) Ausschaltung der (unmittelbaren) Selbstoffenbarungsebene bezüglich des Mandanten als Person gewinnt die andere „Selbstoffenbarung“ an Bedeutung. Denn auch wenn der Anwalt als Vertreter mit der anderen Vertragspartei kommuniziert, lässt sein Verhalten in seiner sprachlichen Gesamtheit Rückschlüsse zwar zunächst auf ihn als Person zu. Bei jeder Kommunikation mit dem Anwalt erhält die andere Seite damit Erkenntnisse über ihn.447 Nimmt aber die Naturalpartei selbst nicht an den Verhandlungen teil, hat die Selbstoffenbarung bezüglich des Anwalts ggf. größeren Einfluss innerhalb des Kommunikationsablaufs. Ein Problem kann dann u. U. darin bestehen, dass die andere Seite die Erkenntnisse über die Person des sendenden Anwalts, die sie über die Selbstoffenbarungsebene gewonnen hat, möglicherweise auf die Person des vertretenen Mandanten wiederum überträgt. Beispiel: Im Verhandlungsstil des Anwalts kommt auch in Bezug auf seine Person eine starke Kompromisslosigkeit zum Vorschein. Diese Kompromisslosigkeit kann oder wird ggf. die andere Partei als Wahrnehmung über den Anwalt auf die von ihm vertretene Partei übertragen.
Eine solche Übertragungsleistung muss nicht notwendigerweise ein Problem sein. So kann, Bezug nehmend auf das Beispiel, ein kompromissloses anwaltliches Auftreten gerade im Interesse des Mandanten gewollt und von diesem möglicherweise sogar ausdrücklich gewünscht sein. Dann liegt, überspitzt formuliert, auch in der Selbstoffenbarung des Anwalts eine Form von Vertretung vor. Auf diese Weise kann zudem in das „Machtgefüge“ innerhalb von Vertragsverhandlungen eingegriffen werden. Es wird jedoch selten der Fall vorliegen, in dem jede Selbstoffenbarung bezüglich des Anwalts sich so auf den Mandanten übertragen lässt. Dann kann hier sehr wohl eine Quelle von Missverständnissen gegeben sein oder ein Grund dafür liegen, der für eine auf längere Zeit angelegte vertragliche Beziehung belastend sein kann. 4. Beziehungs- und Appellebenen Mehrfach wurde im Zusammenhang mit dem Umgang der Mitteilungen auf der Sach- und der Selbstoffenbarungsebene deutlich, dass bei dem Transport von Informationen nicht zuletzt auch die Beziehungs- und Appellebenen Berücksichtigung finden müssen. Das liegt schon darin begründet, dass die jeweiligen Ebenen nie ganz voneinander zu trennen sind. Wenn es darum geht, die einzelnen Ebenen zum Zweck der Umsetzung der Mandanteninteressen zielführend in die Vertragsverhandlung zu integrieren, ist vor allem in Bezug auf die Beziehungsebene eine besondere Herangehensweise angezeigt.
447 Hier gilt im Grunde der Mechanismus, der innerhalb der Beschreibung der Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt erläutert wurde.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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a) Unterschiedliche Fokussierungen auf der Beziehungsebene Die Beziehungsebene der Nachricht beinhaltet die Informationen, wie der Sender zum Empfänger steht, wie er ihn sieht.448 Enthalten ist darin auch die Einschätzung des Senders über seine Beziehung zum Empfänger.449 Wenn solche „Beziehungsfragen“ somit im Kontext jedweder Informationsweitergabe „unvermeidlich“ angesprochen werden, gilt es, sie in unterschiedlicher Weise in den Fokus zu nehmen. So sind zum einen bestimmte Fragen, die die Beziehung zwischen den potentiellen Vertragspartnern betreffen, als Sachverhaltsinformationen unabdingbar. Deutlich wird das vor allem, wenn der Vertrag unter relationalen Gesichtspunkten entwickelt und entworfen wird. Geht das Interesse des Mandanten (auch) dahin, bestimmte Beziehungen (z. B. Freundschaft, langjährige persönliche Geschäftsverbindungen) zu erhalten, sind entsprechende Aspekte offen anzusprechen, um die Informationen für die zu entwickelnden Klauseln (z. B. Kommunikationsklauseln) zu erhalten. Die entsprechenden Informationen sind dann nicht nur von ihrem sachlichen/inhaltlichen Gehalt her zu begreifen, sondern gerade auch in ihrer Bedeutung für die Beziehungsebene. Auch ansonsten kann – etwa innerhalb von Vertragsverhandlungen – der Umstand, dass den Empfänger die Nachricht u. U. stark auf der Beziehungsebene erreicht, bedeutsam sein. Aufgrund eines Abstellens auf die Beziehungsebene450 kann es zu einer verzerrenden Wahrnehmung kommen. Das gilt nicht zuletzt sogar oder gerade dann, wenn ein Anwalt als Verhandlungspartner für eine Seite auftritt.451 Der Anwalt muss sich bewusst sein, in seiner beruflichen Rolle auf der anderen Seite bestimmte Assoziationen hervorrufen zu können, die, nicht zuletzt auch in Bezug auf seinen Mandanten, u. a. auf der Beziehungsebene „verstanden“ werden. Die andere Seite kann etwa Überlegungen dahingehend anstellen, dass der Mandant seine eigene Person über die des Vertragspartners stellt, weil er seine Interessen in jedem Fall „durchdrücken“ will und dies durch die Einschaltung eines Anwalts demonstrieren möchte. Vor allem wenn es dem Mandanten darum gar nicht geht, er vielmehr ein Interesse daran hat, eine für beide Seiten befriedigende Lösung zu finden, oder nur eine für beide Seiten tragbare Lösung letztlich zur eigenen Interessenumsetzung führen kann, muss der Anwalt, um sein Mandat gut erfüllen zu können, sich entsprechenden Erkenntnissen öffnen und dies bei der Verhandlungsführung und der Entwicklung 448
Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 30. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 31. 450 Das gilt im Übrigen auch für die Appellebene. 451 Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 158, weisen, allerdings für den Erstkontakt mit der Gegenseite, darauf hin, von den vier Nachrichten, die der Anwalt sende, würden den Empfänger vor allem der Beziehungs-, der Appell- und der Selbstoffenbarungsaspekt erreichen. Er würde, bezogen auf das Anwaltsschreiben, dieses als verletzend, fordernd und Stärke demonstrierend empfinden; der sachliche Inhalt komme nur verzerrt durch diese Wahrnehmungs- und Kommunikationsfilter bei ihm an. 449
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
von Lösungsoptionen berücksichtigen. In diesen Kontext gehört die Notwendigkeit, insbesondere dann darauf zu achten, Sach- von Beziehungsfragen zu trennen.452 b) Appellebene als Belastungs- und Manipulationsfaktor Wie die Beziehungsebene muss auch die Appellebene, insbesondere um „Störungen“ im Verhandlungsablauf zu vermeiden, angemessene Berücksichtigung finden. Viele Nachrichten enthalten Appelle und damit möglicherweise den Versuch, auf den Empfänger Einfluss zu nehmen.453 Gerade wenn der Anwalt für seinen Mandanten verhandelt, können seine Äußerungen, obwohl ggf. nur zur Erfassung des Sachverhalts intendiert, auf der anderen Seite appellativ aufgefasst werden. Ein Beispiel kann das offensive Abhandeln von Checklisten sein. Die andere Seite kann das in der Weise verstehen, dass die Fragestellung lautet „Ist es nicht so, dass …“. Das kann als Aufforderung verstanden werden, den jeweiligen Fragen möglichst zuzustimmen.454 Wird ein solches Vorgehen (bewusst) suggestiv eingesetzt, ist auch nachvollziehbar, worin der manipulative Umgang mit der Appellebene liegen kann. Wie bei der Beziehungsebene muss also auch mit Blick auf die Appellebene eine Berücksichtigung entsprechender Abläufe beim Umgang mit der anderen Seite innerhalb der Vertragsverhandlung erfolgen, will man das Ziel der optimalen Umsetzung der Mandanteninteressen erreichen.
V. Wahl eines strukturierten Verfahrens als Beitrag zur Interessenumsetzung 1. Einführung Die Aufschlüsselung der verschiedenen Ebenen einer Nachricht verdeutlichte, wie wichtig die Kenntnis um diese für die interessengeleitete Vertragsverhandlung ist. Selbst wenn der einzelne Empfänger letztlich frei darin ist, worauf er reagieren will,455 und sich die Ebenen nie gänzlich voneinander trennen lassen, besteht gleichwohl die Möglichkeit, die jeweiligen Ebenen ggf. zielgerichtet zu nutzen. Ein entsprechendes Handeln wurde auch schon verschiedentlich deutlich, so vor allem, wenn eine kooperative einer kompetitiven Vorgehensweise gegenübergestellt wurde.
452 Vgl. Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 45 ff., 222 ff.; zur Trennung von Sach- und Beziehungsebene, allerdings in Bezug auf die Konfliktbearbeitung in der Mediation Haft/von Schlieffen/Kessen/Troja, Handbuch Mediation, § 14, Rn. 35 ff. 453 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 32. 454 Eine entsprechende Problematik findet sich auch im Verhältnis Anwalt – Mandant, wenn der Anwalt insbesondere bei der Erforschung des relevanten Sachverhalts Checklisten „abarbeitet“, ohne dem Mandanten die Chance zur individuellen Schilderung zu lassen. 455 Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 49.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Der kompetitive Verhandler, dessen Gewinn im Rahmen der Verhandlung mit dem Verlust der anderen Seite einhergeht,456 derjenige, der einseitig seinen Vorteil in den Vordergrund stellt,457 richtet seine Verhandlungs„methode“ auch danach aus. So ist der kompetitive Verhandler grundsätzlich identisch mit dem intuitiven Verhandler,458 einem Verhandler, der sich auf Positionen beschränkt, Sieg bzw. Niederlage im Auge hat und demzufolge u. a. auch bereit ist, z. B. Manipulationen oder Drohungen einzusetzen.459 Entsprechend unseren bisherigen Überlegungen kann er deshalb etwa bewusst460 auf die Appell-, aber auch auf die Beziehungsebene seiner gesendeten Botschaften abzielen, um so zu versuchen, rationale Entscheidungen der anderen Seite zu minimieren. Er kann also versuchen, die sachliche Ebene zurückzunehmen. Der kooperative Verhandler demgegenüber stellt andere Aspekte in den Vordergrund, wie Fairness in Bezug auf die Verteilung, die Fähigkeit, auch der anderen Seite einen angemessenen Anteil zukommen zu lassen,461 Vertrauen gegenüber der anderen Seite oder die Orientierung an Lösungen.462 Damit verbunden ist regelmäßig eine Verhandlungsmethode, die die Rationalität betont,463 und somit auch eine bestimmte Struktur aufweist. Es soll nun an dieser Stelle keineswegs die Überlegung angestellt werden, um die Interessen des Mandanten umzusetzen, sei stets eine Methode die optimale. Der Anwalt, der sich auf die Interessen seines Mandanten einzustellen hat, wird im Einzelfall abwägen müssen, wie er vorzugehen hat, auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Ansprüchen des Dritten gegenüber ihm selbst aufgrund seines 456
Ponschab, ZKM 2014, 4, 6. Ponschab, ZKM 2014, 4, 6, weist darauf hin, für den kompetitiven Verhandler sei die Welt ein Ort des Mangels, dass beide Seiten Gewinner sein könnten, passe nicht in sein Gedankenbild. 458 Ponschab, ZKM 2014, 4, 7. 459 Ponschab, ZKM 2014, 4, 7, ein solcher Verhandler wird auch als Basar-Verhandler bezeichnet. Zum positionsorientierten Verhandeln auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 80 f., der intuitives i. S. positionsorientierten Verhandelns als unökonomisch ausmacht sowie Schädigungen im außerrechtlichen Bereich sieht. Intuitive Methoden müssen jedoch nicht stets mit einer positionalen Herangehensweise verhaftet sein. So kann das Brainstorming (dazu, dass dies eine intuitive Methode ist, Haft/ von Schlieffen/Kessen/Troja, Handbuch Mediation, § 14, Rn. 50) etwa dem Auffinden für eine beide Seite befriedigende Lösungen dienen. 460 In dem Sinne liegt dann eigentlich sogar kein intuitives Verhalten vor, sondern ein kalkulatorisches manipulatives Vorgehen, welches aber gleichwohl im Kontrast zu einem rationalen Verhalten steht. 461 Letztlich ist das auch ein Beitrag zur Wahrung der materiellen Vertragsfreiheit der anderen Seite, vgl. Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 81. Dort, S. 81 f., auch zum interessenorientierten Verhandeln und der Beziehungserhaltung. 462 Ponschab, ZKM 2014, 4, 6. 463 Ponschab, ZKM 2014, 4, 7, spricht davon, dass das rationale Verhandeln das Spiegelbild des kooperativen Verhandelns sei. 457
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Verhandlungsverhaltens.464 Allerdings spricht vieles dafür, ein besonderes Augenmerk auf ein rationales Verhandeln zu richten. Indem dort eine Ausrichtung an Interessen, nicht an Positionen erfolgt,465 bietet es schon vom Ansatz her die größere Möglichkeit, innerhalb der Vertragsverhandlung und -gestaltung, die von vielfältigen Interessen geprägt sein können, eine Lösung zu entwickeln, die den jeweiligen Mandanteninteressen am besten entspricht. Mit Hilfe der Orientierung an einer Struktur lässt sich auch ein anderer Umgang mit den unterschiedlichen Ebenen einer Nachricht eröffnen. 2. Phasen einer rationalen Verhandlung mit Struktur Für eine rationale Verhandlung, die eine bestimmte Struktur aufweist, lassen sich verschiedene Phasen ausmachen.466 Solche Phasen sind nicht nur die Grundlage für die bezeichnete Struktur, sie bieten auch die jeweiligen Anknüpfungspunkte dafür, was zu tun ist, um die Interessen des Mandanten umzusetzen, welche Nachrichten einer Botschaft ggf. zu betonen sind. Anknüpfungspunkt sind die Phasen aber ebenso dafür, was ggf. zu unternehmen ist, um die (eigene) anwaltliche Haftung in Bezug auf den Mandanten wie auch in Bezug auf den Dritten zu minimieren.467 a) Eröffnungsphase Kennzeichnend für die Eröffnungsphase ist, dass neben der Begrüßung und Vorstellung vornehmlich die Beziehung im Vordergrund steht.468 Während über das „Geschäft“469, in Bezug auf die Vertragsverhandlung also die im Vertrag zu regelnden Punkte, noch nicht gesprochen werden soll, kann und soll die Beziehung sehr wohl im Fokus stehen. Auf die Art und Weise kann nicht nur die Beziehung ggf. erneuert und ein Sympathiepolster aufgebaut werden,470 sondern es können auch etwaige Beziehungsstörungen im Vorfeld der eigentlichen Verhandlung angesprochen und 464
Siehe dazu auch noch in Teil 4. Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 75 ff. 466 Nicht einheitlich beurteilt wird, wie viele Phasen zu unterscheiden sind. Haft, Verhandlung und Mediation, Teil F, S. 123 ff., nennt sieben Phasen; Ponschab/Schweizer/Ponschab, Schlüsselqualifikationen, S. 210 ff., nimmt acht Phasen beim Verhandeln in Gegenüberstellung zur Mediation an; Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 253, bestimmen vier Verhandlungsphasen, die allerdings in sich nochmals untergliedert sind. Im Nachfolgenden sollen sich die Erörterungen im Wesentlichen an der Unterteilung von Haft orientieren. 467 Im Anschluss sollen die einzelnen Phasen nur kurz dargestellt werden. Ein Auf- und Zurückgreifen auf sie soll dann im jeweils zu problematisierenden Kontext erfolgen, u. a. innerhalb der Diskussion um die anwaltliche Rolle. 468 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 127. 469 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 127. 470 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 127. 465
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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angegangen werden471. Diese Vorgehensweise beruht nicht zuletzt darauf, möglichst die Sach- von der Beziehungsebene zu trennen.472 Wenn möglich können Beziehungsstörungen bereits geklärt werden,473 ansonsten muss ihnen ggf. die entsprechende Aufmerksamkeit sowohl inhaltlich wie auch im Wege der Verfahrensgestaltung zukommen. Letztes kann/muss dann möglicherweise in der Art geschehen, dass über die Beziehung getrennt verhandelt wird.474 Sofern es gelingt, die Sach- von der Beziehungsebene zu trennen, kann auch ein stärkerer Fokus auf die Sachebene innerhalb der gesendeten und empfangenen Nachrichten erfolgen. Sollten allerdings bestimmte Beziehungsfragen „notwendige“ Elemente auch der sachlichen Verhandlung sein, wie dies z. B. innerhalb der Entwicklung von relationalen Verträgen der Fall sein kann, müssen sie als solche auch in den weiteren Verlauf der Verhandlung einfließen. Das betrifft u. a. Interessen, die im Erhalt bestimmter Beziehungen bestehen. Der Anwalt muss sich schließlich ebenfalls bewusst sein, dass er nicht nur die Beziehungsebene zwischen den eigentlichen Parteien zu berücksichtigen hat. Sein eigenes Verhalten gegenüber der anderen Seite kann gleichfalls von Bedeutung sein, etwa indem die Beziehung zwischen ihm und dem Dritten belastet und damit das Verhandlungsklima zuungunsten seines Mandanten beeinflusst wird. Zudem kann sein Verhalten als Repräsentant wiederum auf die Beziehung zwischen den jeweiligen Parteien zurückfallen.475 b) Rahmenphase Die Rahmenphase beinhaltet die Festlegung des äußeren Rahmens der Verhandlung, wozu zunächst die Bestimmung von Ort, Zeit und Ablauf der Verhandlung gehören.476 Innerhalb der Ablaufsbestimmung werden nicht zuletzt die einzelnen Phasen der Verhandlung näher festgelegt, außerdem weitere „Verhandlungsregeln“, 471
Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 227. 472 Zur Trennung von Sach- und Beziehungsebene Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 45 ff., 222 ff. 473 Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 227, schlagen für den Anwalt verschiedene mögliche Reaktionsformen vor: relativierend, Verständnis äußernd, Bedauern oder Entschuldigung ausdrückend, Vorschlag, die eingetretenen Belastungen des persönlichen Verhältnisses im Interesse einer zukunftsgerichteten Lösung auf sich beruhen zu lassen. Greger/von Münchhausen, a. a. O., weisen aber auch darauf hin, dass tiefgründige Verletzungen sich, wenn überhaupt, nur im Wege der Mediation oder des Coachings lösen ließen. 474 Siehe Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 224. 475 Vgl. dazu auch Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 227. 476 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 129; Greger/von Münchhausen, Verhandlungsund Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 248.
464
2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
wie z. B. die Vorgabe, den jeweils anderen Teil zu Wort kommen zu lassen und nicht zu unterbrechen. Aus anwaltlicher Sicht besonders wichtig ist die innerhalb dieser Phase stattfindende Festlegung von Kompetenzen der Verhandler.477 Denn hier findet eine maßgebliche Einflussnahme darauf statt, was seine Rolle innerhalb der Verhandlung ausmacht.478 Je nachdem welche Kompetenzen ihm zugewiesen werden, kann er „mehr“ sein als der bloße Interessenvertreter seines Mandanten. Sollte man übereinkommen, dass der Anwalt z. B. auch auf fachliche Fragen der anderen Partei479 zur besseren Verständigung antworten soll, kann das gravierende Auswirkungen auf das mit seinem Auftritt einhergehende Rollenverständnis haben.480 Möglicherweise wird er von der anderen Seite dann mit Erwartungen konfrontiert, in bestimmten Bereichen gleichsam als neutraler Fachmann fungieren zu müssen.481 c) Themenphase In der Phase wird, ggf. nach entsprechender Vorbereitung, festgelegt, was Gegenstand der Verhandlung sein soll.482 Die präzise Bestimmung der Themen ist wesentliche Grundlage für einen Verhandlungserfolg. Sie ist maßgeblich für die anschließende Informationssammlung und die eigentliche Verhandlung mit der vorzunehmenden Argumentation.483 Durch Bestimmung der Themen kann auch eine Unterstützung dahingehend erfolgen, was auf der Sachebene aus den Nachrichten herausgehört wird/herausgehört werden soll, da eine Konzentration auf bestimmte (Themen-)Bereiche möglich ist. Themen dürfen dabei nicht mit Positionen und auch nicht mit einzelnen Interessen verwechselt werden. Letztere sind gerade in Bezug auf das jeweilige Thema aufzudecken. Innerhalb der Vertragsverhandlung sollten also in der Themenphase die (Haupt-)Gegenstände (die späteren essentialia negotii) bestimmt werden, die durch den Vertrag einer Regelung zugeführt werden sollen.
477
Haft, Verhandlung und Mediation, S. 129. Zur Rollenverteilung innerhalb der Eröffnungsphase Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 248. 479 Sofern diese nicht selbst anwaltlich vertreten ist. 480 Abgesehen davon können damit auch Fragen verbunden sein, inwieweit das jeweilige Rollenverständnis mit den Verpflichtungen gegenüber seinem Mandanten aus dem Anwaltsvertrag sowie mit seinen berufsrechtlichen Pflichten kompatibel ist. 481 Ausführlich zur Rollenproblematik sowie zu der Dritthaftung in Teil 3 bzw. 4. 482 Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 249. 483 Haft, Verhandlung und Mediation, S. 131. 478
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
465
d) Informationsphase Die Informationsphase bildet die Grundlage für die später anstehende Argumentations- sowie die folgende Entscheidungsphase.484 Der Sachverhalt, der durch den Vertrag eine Regelung erfahren soll, ist zu klären.485 So haben beide Seiten ihre Sicht auf die Fakten vorzutragen, damit Übereinstimmungen und Klärungsbedarf festgestellt werden können.486 Eine besondere Bedeutung kommt hier wiederum dem Umgang mit den Interessen zu. Der Interessenklärung wird vielfach eine eigene „Phase“ innerhalb eines strukturierten Vorgehens zugewiesen.487 Namentlich innerhalb der Vertragsverhandlung wird die Interessenklärung oftmals jedoch kaum von dem (tatsächlichen) Sachverhalt, den es zu regeln gilt, bezüglich der jeweiligen Offenlegung zu trennen sein. Ein Beispiel dafür bilden erneut die relationalen Elemente wie der Erhalt langjähriger Beziehungen. Aus dem Grund soll hier die Interessenaufdeckung einen Teil der Informationsphase ausmachen.488 Gleichwohl muss man sich stets bewusst sein, dass die Klärung „reiner“ Tatsachen und der Umgang mit Interessen vor allem für den Anwalt ein unterschiedliches Vorgehen erfordern kann. Denn vor allem das Aufdecken von Interessen bedeutet eine nicht unerhebliche Preisgabe an Informationen, die der anderen Seite auch gewisse Machtoptionen eröffnen kann.489 Es ist nicht zuletzt dieser Aspekt, der bereits mehrfach aus der Perspektive des anwaltlichen Beraters heraus aufgegriffen worden ist. Der Spannungsbogen, in dem der anwaltliche Berater sich befinden kann, erstreckt sich von Handlungen nahe an der Manipulation über den Zwang zur Aufdeckung aufgrund von Aufklärungspflichten bis hin zur Offenlegung, weil dies der Umsetzung der Mandanteninteressen am nächsten kommt. Bereits innerhalb der Diskussion um die Kommunikation wurde deutlich, dass die 484
Haft, Verhandlung und Mediation, S. 134. Vgl., allerdings nicht bezogen auf die Vertragsverhandlung, Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 250. 486 Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 250. 487 Siehe etwa Ponschab/Schweizer/Ponschab, Schlüsselqualifikationen, S. 211, für das kooperative Verhandeln; Haft/von Schliefen/Kessen/Troja, Handbuch Mediation, § 14, Rn. 25, für die Mediation. 488 Die Aufdeckung von Interessen, gerade wenn es um beiderseitige Interessen geht, die für die Lösungsfindung relevant sind, kann jedoch auch (erst) in der Argumentationsphase erfolgen. 489 Vgl. etwa Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 228, die in Bezug auf ein kooperatives Verhandeln in Anlehnung an das HarvardKonzept ausführen, ein zu direktes und frühzeitiges Offenlegen der Interessenlage könne sich negativ auswirken. Günstiger sei es, wenn zunächst die andere Seite dazu gebracht würde, ihr Interesse zu äußern. Dies böte die Chance, den Blick auf gemeinsame Interessen der Parteien zu lenken. Schwierig ist bei einer solchen Vorgehensweise, wie die Verhandlung fortschreiten soll, wenn beide Seiten von entsprechenden Gedanken gelenkt werden. 485
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
Mandanteninteressen ein völlig unterschiedliches Vorgehen seitens des Anwalts erfordern können. Ein solches Vorgehen muss dabei nicht notwendigerweise einen Umgang mit Informationen beinhalten, wie es ein rationales Verhandlungsmodell vorsieht. Will der Anwalt eine rationale Verhandlung nicht karikieren, etwa indem er manipulative Elemente u. a. auf der Informationsebene einfließen lässt, so muss er, bevor er in eine solche Verhandlungsmethode eintritt, entsprechende Aufklärungsarbeit in Bezug auf seinen Mandanten leisten. Sollte der Mandant mit dieser Methode in ihrer Gänze490, also auch hinsichtlich der zu leistenden Informationsphase, nicht einverstanden sein, muss man, so man die rationale Verhandlungsweise nicht „missbrauchen“ will, nach anderen Wegen suchen. Begibt sich der Anwalt mit Wissen und Wollen seines Mandanten in eine rationale Verhandlung, ist dies für ihn aus einem weiteren Grund bedeutsam: Zwar handelt er seinem Mandanten gegenüberüber auf der Grundlage dessen, was er ihm als Interessenvertreter nach dem Anwaltsvertrag „schuldet“. Erneut kann sich, wie bereits bei der Festlegung der Rollen innerhalb der Verhandlung, jedoch die Problematik auftun, dass damit möglicherweise Erwartungshaltungen des Dritten, das heißt des anderen Verhandlungspartners, geweckt werden, in Folge derer der Anwalt sich u. U. (Schadensersatz-)Ansprüchen dieses Dritten gegenübersieht, wenn er innerhalb der Verhandlung z. B. Informationen nicht oder nicht richtig weitergibt.491 e) Argumentationsphase Innerhalb der Argumentationsphase findet das eigentliche Verhandeln, die Suche nach dem Verhandlungsergebnis statt.492 In der Vertragsverhandlung betrifft dies vor allem die Suche nach einem Konsens in Bezug auf die Hauptregelungspunkte des angestrebten Vertrags. Sieht man das rationale Modell als von kooperativem Verhandeln geprägt an, ergeben sich dafür unterschiedliche Prinzipien, deren wichtigste in Anlehnung an das Harvard-Konzept die folgenden sind: die bereits angesprochene Trennung von Sach- und Beziehungsebene,493 die Konzentration auf Interessen statt auf Positionen,494 die Entwicklung von Entscheidungsmöglichkeiten (Optionen) zum beiderseitigen Vorteil495 sowie das Heranziehen von neutralen Bewertungskriterien496.497 490 Das betrifft die zuvor dargestellten Schritte wie auch noch die nachfolgenden. Zudem muss der Mandant einem kooperativen Vorgehen gegenüber offen sein. 491 Siehe auch noch das Kapitel zur Dritthaftung des Anwalts (Teil 4). 492 So Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 251. 493 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 45 ff., 222 ff. 494 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 75 ff. 495 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 95 ff. Siehe auch Ponschab/Schweizer/ Ponschab, Schlüsselqualifikationen, S. 183 ff.
C. Kommunikation mit dem (den) potentiellen Vertragspartner(n)
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Die Konzentration auf Interessen498 statt auf Positionen ist in der Vertragsverhandlung für den Anwalt „leichter“, wenn er die Interessen seines Mandanten und deren Gewichtung bereits zuvor im Rahmen der (anwaltsvertraglichen) Sachverhaltsermittlung bezüglich des Mandantenbegehrens hinreichend in Erfahrung gebracht hat.499 Zu berücksichtigen bleibt allerdings ferner, dass nach unserem Verständnis auch Positionen zum zu realisierenden Interessenkreis des Mandanten gehören. Sollte der Mandant wollen, dass bestimmte unverrückbare Wünsche realisiert werden, muss der Anwalt das in seiner Umsetzung respektieren. Ansonsten eröffnet ihm ein weites Tableau an aufgedeckten Interessen einen größeren Spielraum, für den Mandanten befriedigende Ergebnisse zu erzielen. In Kenntnis der Interessen ist nicht zuletzt eine wertschöpfende Erweiterung des Verhandlungsgegenstands möglich, das heißt, es eröffnen sich neue Optionen für ein gemeinsames Ergebnis.500 Aus anwaltlicher Sicht ist es günstig, entsprechende Optionen, die für beide Seiten von Vorteil sind,501 bereits im Vorfeld mit dem Mandanten zu erarbeiten. Schließlich ist auch an den Einsatz neutraler Bewertungskriterien zu denken. Diese können aus dem Gesetz502, objektiven Maßstäben wie Statistiken oder dem Einsatz eines externen „Bewerters“ folgen.503 Die vorgenannten Elemente ermöglichen es zudem, in der Weise vorzugehen, einzelne zu regelnde Punkte nacheinander abzuarbeiten und so Zwischenergebnisse zu erzielen, die bereits fixiert werden können. Die hier aufgezeigten Elemente einer Argumentationsphase innerhalb eines rationalen Verhandlungsmodells sind, wie auch die sonstigen Schritte, auf eine Konsenserzielung ausgelegt, die beide Seiten befriedigt. Es sei nochmals betont, dass der Anwalt dieses Vorgehen mit seinem Mandanten im Vorfeld abklären muss. Tauglich ist eine solche Herangehensweise vor allem dann, wenn das Interesse des Mandanten 496 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 126 ff. Siehe auch Ponschab/Schweizer/ Ponschab, Schlüsselqualifikationen, S. 185 f. 497 Das Harvard-Modell aus dogmatischer Perspektive als Instrument der materiellen Vertragsfreiheit ansehend Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 83. 498 Diese ist bereits nach dem hier vorgestellten Vorgehen für die Informationsphase von Bedeutung. 499 Zur Aufdeckung von Interessen grundsätzlich auch Fisher/Ury/Patton, Das HarvardKonzept, S. 80 ff. 500 Siehe Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 230. 501 Siehe wiederum Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 230. 502 Unter Berücksichtigung vor allem der höchstrichterlichen Rechtsprechung. 503 Zum Vorstehenden Greger/von Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, Rn. 231. Ponschab/Schweizer/Ponschab, Schlüsselqualifikationen, S. 185, führt beispielhaft Handelsbräuche, neutrale Wertfeststellungen (z. B. Schwacke-Liste), Sachverständigengutachten, Geschäftsgepflogenheiten an.
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2. Teil: Interessenwahrnehmung und Kommunikation
auf eine relationale Vertragsbeziehung ausgerichtet ist. Für den Anwalt als einseitigen Interessenvertreter ist bei einer derartigen Herangehensweise insgesamt, wie schon innerhalb der Informationsphase deutlich wurde, das Potential für einen Rollenkonflikt angelegt. Das kann bedeuten, dass die Wahl einer Verhandlungsform, die auf befriedigenden Konsens angelegt ist, für den Anwalt aus Haftungsgesichtspunkten letztlich die gefährlichste sein kann.504 f) Entscheidungsphase Bei einem rationalen Verhandlungsmodell ergeben sich Entscheidungen zu einzelnen Regelungsgegenständen oftmals schon innerhalb der Argumentationsphase, wo sie entsprechend als Teilergebnis bereits festgehalten werden.505 Das Endergebnis, bei der Vertragsverhandlung die Erfassung einzelner (geregelter) Vertragspunkte, folgt damit aus der Zusammenstellung der in der Argumentationsphase gefundenen Einzelergebnisse. g) Fixierung der Ergebnisse Die Fixierung der gesamten Ergebnisse, das heißt des gesamten Vertragswerks, erfordert seitens des Anwalts, den durch die Verhandlung gefundenen Konsens der Parteien juristisch so abzufassen, dass er sich in der Form wiederfindet, durch die das von den Parteien Gewollte auch bei einer gerichtlichen Kontrolle mittels der Drittinstanz Geltung erlangt. Gelingt dem Anwalt dies nicht, begeht er im Verhältnis zu seinem Mandanten, dem er die Abfassung eines entsprechenden Vertrags schuldet, eine Pflichtverletzung in Bezug auf den zwischen ihnen bestehenden Anwaltsvertrags.
D. Fazit zur Interessenwahrnehmung und Kommunikation Für die Bedeutung der Kommunikation im Kontext der Interessenwahrnehmung kann thesenartig Verschiedenes festgehalten werden: Interessenumsetzung ist ohne gelungene Kommunikation nicht möglich. Diese Kommunikation ist auf unterschiedlichen Ebenen zu leisten, vor allem in den Verhältnissen Anwalt – Mandant sowie Mandant (Anwalt) – potentieller Vertragspartner.506 504
Siehe dazu ausführlich Teil 4. Dazu Haft, Verhandlung und Mediation, S. 152. 506 Selbstverständlich ist auch (gelungene) Kommunikation auf weiteren Ebenen zu erbringen, so ggf. auf der im Verhältnis zu Dritten (Person, die nicht Vertragspartei ist/werden soll). 505
D. Fazit zur Interessenwahrnehmung und Kommunikation
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Gelungene Kommunikation erfordert unterschiedliche Fertigkeiten, so nicht zuletzt die Kenntnisse und die Reflexionsleistung um die Bestandteile kommunizierter Nachrichten/Botschaften. Letzteres erfordert vielfach ein Wissen um soziologische Abläufe, wie beispielsweise das Wissen um und die Bedeutung von Alltagstheorien. Kommunikation steht aber auch in mehrfacher Hinsicht in einem normativen Kontext: So kann z. B. der Mandant von seinem Anwalt aufgrund des zwischen ihnen bestehenden Anwaltsvertrags verlangen, dass über die Kommunikation bestimmte „Erfolge“507 erzielt werden, wie die notwendige Aufklärung des relevanten Sachverhalts oder der (verständliche) Transport von rechtlichen Informationen. Es geht damit also eine (normgeprägte) Erwartungshaltung an den Anwalt einher, was Kommunikation zu leisten hat. Die Erwartungshaltung des Mandanten kann sich mit Blick auf die Vertragsverhandlungen fortsetzen, nämlich wenn es darauf ankommt, an welchem (zu entwickelnden) Vertragsinhalt der Anwalt ggf. mitwirken soll. Der abzuschließende Vertrag bestimmt nicht zuletzt, welchen (rechtlich relevanten) Pflichten sich der Mandant später gegenübersieht. Dieser Pflichteninhalt kann aber ganz maßgeblich vom Verhandlungsgeschick (also der Kommunikationsleistung) des Anwalts abhängen.508 Die Vertragsverhandlungen sind nicht nur ein Beispiel dafür, was Kommunikation möglicherweise zu leisten hat, sondern auch dafür, wohin sie führen kann. Die in der Verhandlung geleistete Kommunikation kann zum Vertragsschluss und damit zur Entstehung der soeben benannten (Vertrags-)Pflichten führen, folglich die (Neu-)Begründung von Erwartungen509 mit sich bringen. Es findet also ein Zusammenspiel der Elemente Kommunikation, Erwartungen, Normen sowie Bedeutung des Berufsstands statt. Dieses Zusammenspiel verdient (weitere) besondere Aufmerksamkeit. Es ist u. a. Teil der Problematik um die Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertragsgestaltung.
507
Gemeint ist damit nicht notwendigerweise ein Erfolg i. S. d. § 631 BGB. Auch wenn selbstverständlich der Mandant selbst den Vertrag schlussendlich abschließen muss. 509 Das betrifft dann die Ebene der jeweiligen Vertragsparteien. 508
3. Teil
Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertragsgestaltung A. Einführung Der Anwalt sieht sich unterschiedlichen Anforderungen als Interessenvertreter gegenüber. Mit der Ausrichtung auf die Mandanteninteressen war die Herangehensweise grundsätzlich klar vorgegeben. Weil der Anwalt mit der Vertragsverhandlung und -gestaltung notwendigerweise andere Interessensphären tangiert, müssen jedoch weitere Fragen gestellt werden. Zum einen wirkt der Anwalt an der Schaffung von Erwartungshaltungen mit, die der Mandant aufgrund des Vertrags an den anderen Vertragspartner richten kann/darf, andererseits wirkt er aber auch an Erwartungen mit, denen sich der Mandant selbst ausgesetzt sieht. Gerade für den Anwalt als Interessenvertreter kann sich dann das Problem stellen, wie solche Erwartungshaltungen (im Verhältnis Mandant – Vertragspartner) erzeugt werden/ werden sollten. Damit zusammen hängt noch eine weitere Problematik: Es geht darum, ob der Anwalt selbst in „unlösbare Situationen – Dilemmata“ gelangen kann, wenn er für seinen Mandanten innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung interessenorientiert agiert. Bezogen auf die Vertragsverhandlungen1 beispielsweise könnte ein solches Dilemma in Bezug auf die Erwartungen2, die vom Anwalt im Verhandlungspartner „geweckt“ werden, vorliegen. Darf ein Verhandlungspartner ggf. doch etwas erwarten, was möglicherweise gar nicht zum Aufgabenbereich eines Interessenvertreters gehört, muss z. B. der Anwalt nicht auch den Dritten auf bestimmte Gefahren hinweisen? 1 Es geht um die kommunikativen Abläufe im Vorfeld des eigentlichen Vertragsschlusses zwischen den Vertragsparteien; dabei sind (vor allem) die einen Vertragsabschluss intendierenden Verhandlungen bedeutsam, bzw. Vorgespräche, die zu einem beabsichtigten Vertragsabschluss führen sollen. Nicht ausgeschlossen von den Überlegungen sind auch solche unverbindlichen Gespräche, mit denen nur der Zweck verbunden ist, etwaige gemeinsame Interessen auszuloten, um erst ggf. nach deren Auffindung in Gespräche über Vertragsabschlüsse zu treten. In allen vorgenannten Situationen liegen mindestens zweiseitige (Gesprächs-)Beziehungen vor. 2 Der Begriff der „Erwartung“ soll zunächst untechnisch verwendet werden. Auf seine Bedeutung u. a. im soziologischen Kontext wird noch einzugehen sein.
A. Einführung
471
Abgesehen davon wurden bisher durchaus sonstige Reibungsflächen für den Anwalt schon deutlich, „wenn er es denn allen recht machen möchte“. Denn weitere Beziehungen3 des Anwalts, die bestehen und Anforderungen an den Anwalt stellen, sind etwa solche zwischen Anwalt und Kollegenschaft oder Anwalt und Richterschaft.4 Ganz abgesehen davon können auch eigene Bedürfnisse des Anwalts selbst vorhanden sein, die er u. U. nur unter Schwierigkeiten mit seiner Tätigkeit zusammenführen kann. Ein Beispiel dafür sind die existenziellen ökonomischen Zwänge, die sich im Kontext mit der Mandatsdurchführung stellen können bezüglich der Frage, ob man es sich „leisten“ kann, ein Mandat abzulehnen.
I. Öffnung zum Rollenverständnis in Bezug auf den Anwalt selbst Nun sind alle diese zuletzt genannten Situationen für einen Anwalt kein unbekanntes Neuland. Im Gegenteil, Gegenstand oder Diskussionsgrundlage sind sie gerade in der Materie, die für den Anwalt einen Kernbereich seiner Tätigkeit ausmacht: dem staatlichen Recht. Schlagwortartig sei nur auf zwei Bereiche verwiesen, die zuvor bereits aufgegriffen wurden, das anwaltliche Haftungsrecht5 sowie das anwaltliche Berufsrecht. Beide bilden für die anwaltliche Tätigkeit wesentliche Größen und Maßstäbe; beide sollen auch weiterhin bedeutende Leitfäden sein. Gleichwohl ist der Blick weiter auszurichten, um ein umfassendes Problembewusstsein und -verständnis zu schaffen. Das muss mit Fokussierung gerade auf die anwaltliche Vertragsgestaltungstätigkeit, unter Einbindung der Verhandlungsführung, geschehen. Wie kann diese Weitung des Sichtfeldes aussehen? Rekurriert man nochmals auf die soeben genannten Beispiele, so finden sich Konturen eines Bildes, das die Problematik eines möglichen anwaltlichen Dilemmas anklingen lässt. Es geht um die Schwierigkeit, unterschiedlichen „Ansprüchen“6, insbesondere denen Dritter, gerecht zu werden. Das Bild, das insoweit durchscheint, ist das der „unterschiedlichen Herren“. „Niemand kann zweien Herren dienen.“7 Berufsrechtlich gibt es u. a. das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO), flankiert von der Strafandrohung für Parteiverrat (§ 356 StGB). All dem vorgeschaltet ist außerdem die grundsätzlichere Frage, warum man überhaupt „Ansprüchen“, die an einen herangetragen werden, gerecht werden möchte, wie diese also das eigene Verhalten beeinflussen. Die hiermit angerissenen Bereiche sind, losgelöst von der Person des Anwalts, auf einer allgemeinen 3
Auch „Beziehungen“ sind hier ebenfalls zunächst untechnisch zu verstehen. Vgl. auch die Ausführungen bei Struck, Rechtssoziologie, S. 122 f. 5 Ausführlich dazu auch noch Teil 4. 6 Diese sind nicht notwendig solche im juristischen Sinn. 7 Matthäus 6, 24; das Zitat bildet u. a. gleichsam ein Vorwort in Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht. 4
472
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Grundlage länger schon Forschungsgegenstand, vor allem innerhalb der Soziologie. Es handelt sich um das große Feld der (sozialen) Rollen und Rollentheorien8. In einer weiten und wohl auch (noch) größtenteils konsensfähigen Umschreibung kann man die (soziale) Rolle als ein Bündel (normativer) (Verhaltens-)Erwartungen bezeichnen, die sich an das Verhalten von Trägern von Positionen richten.9 Die Weite der „Definition“ mag konsensfördernd sein, sie ist aufgrund dessen allerdings nur bedingt förderlich und führt sogleich zu weiteren Fragen und Problemen. Das gilt zum einen, wenn es darum geht, diese weite Umschreibung mit genauem Inhalt zu füllen. Zum anderen ist bereits jetzt darauf hinzuweisen, dass die einzelnen in der Literatur zur sozialen Rolle verwendeten Definitionen sich deutlich darin unterscheiden, welche Aspekte zu betonen oder überhaupt aufzuführen sind.10 Das wird noch verschärft durch den Umstand, dass die „Rolle“ nicht nur in der Soziologie, sondern in unterschiedlichsten Professionen Forschungsgegenstand ist, so etwa in der Anthropologie11 oder der Psychologie, aber auch in der Rechtssoziologie. Konsensfördernd ist auch dies nicht, es wirft vielmehr die Frage auf, ob ein Rückgriff auf die „Rolle“ und den mit ihr zusammenhängenden Bereichen überhaupt im Rahmen der vorliegenden Untersuchung und zur Bearbeitung der angerissenen Problematiken gleichwohl angezeigt sein kann.12 Das lässt sich aus mehreren Gründen bejahen. Zunächst besteht bei einem Rückgriff auf einen wissenschaftlichen Ansatz stets die Gefahr der Kritik an eben diesem.13 Gerade in Bezug auf die soziale Rolle und den letztlich weit auseinandergehenden Meinungen muss deshalb hinsichtlich ihrer Nutzbarmachung, der Definition und der Ausfüllung Folgendes beachtet werden: Welcher Weg beschritten wird, hängt maßgeblich vom jeweiligen Forschungsinteresse des Wissenschaftlers
8 Zu einem kurzen Überblick über die Geschichte der Rollentheorie Haug, Kritik der Rollentheorie und ihrer Anwendung in der bürgerlichen deutschen Soziologie, S. 17 ff. 9 Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 146; siehe auch Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35; ferner Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, S. 21; darauf verweisend Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 193; siehe auch Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“. Eine Entwicklungsübersicht darstellend etwa Kopp/Steinbach/Schulz-Schaeffer, Grundbegriffe der Soziologie, Stichwort „Rolle, soziale“. Abgesehen von dem genannten weiten Begriff werden durchaus auch andere Rollenbegriffe vertreten, siehe dazu etwa die Ausführungen bei Claessens, Rolle und Macht, S. 12 ff. 10 So Fuchs-Heinritz u. a./Buchhofer, Lexikon der Soziologie, Stichwort „Rolle, soziale“. Auf die Uneinheitlichkeit sowohl in Bezug auf den Rollenbegriff als auch in Bezug auf die Rollentheorie ebenfalls hinweisend etwa Endruweit/Tromsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Uneinheitlichkeit des Rollenbegriffs“). 11 Siehe nur beispielhaft das Werk des Anthropologen Ralph Linton, Mensch, Kultur, Gesellschaft, Stuttgart 1979. 12 Auf die Gefahr in Bezug auf die Nutzbarmachung soziologischer Kategorien im Kontext mit juristischer Problemlösung hinweisend Lammel, AcP 179 (1979), 337, 360, Fn. 137. 13 Zu diesem Argument in Bezug auf die Verwendung soziologischer Kategorien Lammel, AcP 179 (1979), 337, 360, Fn. 137.
A. Einführung
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ab.14 Innerhalb der sich nun anschließenden Überlegungen orientiert sich daher der Umgang mit der „Rolle“ zum einen an dem Forschungsobjekt15 des vertragsgestaltenden Anwalts. Dabei muss und soll freilich eine Offenheit bewahrt werden, die die beschriebene Nutzbarmachung kritisch begleitet und auf Mängel und Unzulänglichkeiten hinweist. Setzt man die „Rolle“ (gerade) im Forschungsgebiet der anwaltlichen Interessenwahrnehmung ein, geht damit die Erfassung lediglich eines Ausschnitts des menschlichen Lebens einher, nämlich vor allem ein solcher aus dem beruflichen Bereich16. Auf dieses Forschungsfeld bezogen geht es u. a. darum, eine Analyse zu versuchen, warum der Anwalt selbst bestimmten Erwartungen nachkommt, bzw. sich ihnen ausgesetzt sieht, und warum ihn das vor Probleme stellen kann. Es geht insoweit nicht um die Rolle als Universalkategorie von Gesellschaft. Erneut besteht insoweit natürlich die Gefahr einer eingeengten Sichtweise17. Es muss damit, wie beim Umgang mit dem Rollenverständnis an sich, bewusst umgegangen, gleichwohl jedoch eine konzentrierte Bearbeitung des genauer abzusteckenden Forschungsgegenstands beibehalten werden. Bezogen auf die „anwaltliche Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung/-verhandlung“ sind aus zu analysierender Sicht u. a.18 diese Punkte von Bedeutung: Sind, im Besonderen vor dem Hintergrund des anwaltlichen Berufs- und Haftungsrechts, mögliche „Handlungsanweisungsstränge“ auszumachen? Gibt es Gründe für Handlungshierarchien? („Welchem Herrn diene ich warum?“) Gibt es (weitere) Erklärungsansätze, warum ein Anwalt bestimmten Abläufen gehorcht? Bleibt dem Anwalt, der bestimmten (Handlungs-)Abläufen folgt, ein kreativer Raum? Ist ein solcher überhaupt notwendig? Innerhalb dieses (grob) umrissenen Bereichs soll zur Klärung der Nutzbarmachung der „Rolle“ näher in Bezug auf den Anwalt selbst angesetzt werden. Bieten sich unterschiedliche Ansätze für ein Rollenverständnis an und soll der Ausgangspunkt auf das Forschungsprojekt bezogen sein, stellt sich die Schwierigkeit, wo der zu wählende Ansatzpunkt auszumachen ist. Diesbezüglich wird hier zunächst ein solcher im Anschluss an Dahrendorfs Homo Sociologicus19 gewählt. Dahrendorf machte mit dieser Schrift die Rollentheorie in Deutschland geläufig.20 So wurde der 14 So Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 10, der auch auf die jeweils zugrundeliegende „Weltdeutung“ des Wissenschaftlers hinweist. 15 Das betrifft auch das Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit, den zu entwerfenden Vertrag mit den dort angelegten Rollen für die Vertragsparteien; siehe dazu noch sogleich. 16 Zum Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit wiederum sogleich. 17 Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“, dort („Gegenwärtiger Stand und Zukunft der Rollendiskussion“), spricht Griese allgemein im Rahmen der Rollendiskussion von der Gefahr der Ideologieträchtigkeit und Ideologieverdächtigkeit. 18 Es handelt sich im Nachfolgenden lediglich um Topoi, resultierend aus den bisherigen Ausführungen. 19 Ralf Dahrendorf, Homo Sociologicus, 17. Aufl., Wiesbaden 2010. 20 Siehe dazu etwa Röhl, Rechtssoziologie, S. 310.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Homo Sociologicus, trotz aller Kritik, zudem als geeignete Einführung21 und einflussreiche rollentheoretische Schrift22 bezeichnet. Maßgeblich für den hier erfolgenden Rückgriff auf sie sind jedoch andere Gründe, die mit der Trias Strukturen, Normen, Sanktionen zusammenhängen. Verkürzt ausgedrückt entwirft Dahrendorf im Homo Sociologicus einen „Menschen“, der sich bezüglich der an ihn herangetragenen Erwartungen an den möglichen Sanktionen orientiert, die ihm bei (Nicht-) Befolgung „drohen“.23 Er zeigt mit dem Homo Sociologicus ein entsprechendes methodisches Postulat.24 Es ist gerade dieser Aspekt, der Dahrendorf für unsere Forschungszwecke so interessant macht und auch die Rollentheorie als nach wie vor forschungsrelevant herausstellt. Der Anwalt,25 das haben die vorherigen Kapitel gezeigt, ist in seinem Tun durchaus sanktionsorientiert. Neben dem mehrfach genannten Stichwort des anwaltlichen Haftungsrechts, des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO) können beispielsweise die Schlagworte des sichersten Weges oder aber auch der Umstand genannt werden, dass der Anwalt eine Berufshaftpflichtversicherung (§§ 51; 12 Abs. 2 Nr. 2 BRAO) abschließen muss, damit er seinen Beruf überhaupt ausüben darf. Letzteres ist im Grunde nichts anderes als eine Absicherung der Sanktionsdurchsetzung in Form von Schadensersatz. Sanktionsorientierung macht also ein prägendes Element in diesem Beruf aus.26 Dass Dahrendorfs Ansatz sich unterschiedlichster Kritik ausgesetzt sieht, wird noch aufzuzeigen sein. Er soll auch nicht in einer absoluten Ausrichtung begriffen werden, sondern vielmehr der erste Anknüpfungspunkt sein. Die Öffnung zu anderen Theorien und Modifikationen wird unvermeidlich sein.
II. Anwalt und die für den Mandanten zu entwerfenden Rollen Dass der Anwalt innerhalb seiner Tätigkeit an der Schaffung von Erwartungshaltungen27 mitwirkt, ist ein anderer zu berücksichtigender Aspekt. Es geht um die Erwartungen, denen sich, nicht zuletzt unter der Mitwirkung des Anwalts, später der Mandant28 ausgesetzt sieht. Das betrifft bereits den Prozess der Vertragsverhand21
Röhl, Rechtssoziologie, S. 315. Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 17. 23 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41, Fn. 28, in tabellarischer Übersicht. 24 Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 17. 25 Vgl. im Übrigen auch Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 31, der Dahrendorf mit seinen Ausführungen gerade in den Bereich der Berufsrollen verortet. 26 Das gilt sicherlich auch für viele andere Berufe. Namentlich aber die Kopplung der Berufsausübungsmöglichkeit an eine Berufshaftpflichtversicherung macht hier aber die Stärke der Verbindung sichtbar. 27 Zur „Sonderproblematik“ der Schaffung von Erwartungshaltungen im Verhältnis Anwalt – potentieller Vertragspartner des Mandanten siehe gerade die Untersuchung in Teil 4 im Kontext mit der Dritthaftung. Dort wird vor allem ein „anderes/weiteres“ Rollenverständnis relevant sein, das des „role-makings“. 28 Aber auch der Vertragspartner aufgrund des Vertrags mit dem Mandanten. 22
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
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lungen, vor allem aber das Produkt der anwaltlichen Tätigkeit, den Vertrag als solchen. Auch und besonders in Bezug auf die zu schaffenden Erwartungshaltungen ist die Nutzbarmachung unterschiedlicher Rollenverständnisse zu untersuchen. Es geht hier ebenfalls darum, (weitere) Erklärungsansätze dafür zu erarbeiten, wie und in welcher Form der (juristische) Vertrag in möglichst optimaler Form eingesetzt werden kann. Entsprechende Überlegungen stehen einerseits eigenständig zu den Gedanken, die die Rolle des Anwalts als solchen betreffen. Andererseits sind sie jedoch nicht von der Tätigkeit, die der Anwalt erfüllen muss, zu trennen, eben, weil es um das Produkt derselben (Vertragserstellung) geht. Auch für die vom Anwalt zu entwerfenden Rollen kann das Dahrendorfsche Verständnis von Bedeutung sein, u. a. unter dem Gesichtspunkt, wie sehr der Mandant Wert darauflegt, seine (eigenen) künftigen Erwartungen gegenüber dem Dritten sanktionsbewehrt zu sehen.
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung Ausgehend von dem oben beschriebenen (eingeschränkten) Forschungsgegenständen29 und der aufgezeigten Zielsetzung wird daher zunächst die Annäherung an Dahrendorfs Homo Sociologicus erfolgen. Hierbei richtet sich das Augenmerk zum einen auf Dahrendorfs strukturell-funktionale Ausführungen, für unsere Zwecke insbesondere auf die Frage des Erzielens verhaltenskonformen Verhaltens durch Sanktionen. Damit zusammenhängend und grundsätzlich nicht davon zu trennen ist allerdings auch das von Dahrendorf entworfene „Menschenbild“. Es sei nochmals betont, dass Dahrendorfs Überlegungen aus den gegebenen Gründen (lediglich) den Ausgangspunkt bilden. Deshalb wird, gerade wegen der Ausrichtung auf die bestimmten Forschungsgegenstände, (auch) auf andere rollen(-theoretische) Ansätze einzugehen sein.
I. Vornahme einer Trennung von Position und Rolle Eine im Gesamtkontext wesentliche Unterscheidung, die von Dahrendorf,30 aber auch von anderen Autoren, gemacht wird, ist die Trennung der Begrifflichkeiten in
29 Die Tätigkeit des Anwalts als solchen einerseits, der Inhalt des Vertrags (zu entwerfende Erwartungen) andererseits. 30 Dahrendorf, Homo Sociologicus, u. a. S. 34 f.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Position und Rolle31. Unter einer (sozialen) Position macht Dahrendorf einen Punkt im Koordinatensystem sozialer Beziehungen aus.32 Durch die Position wie auch durch die Rolle, die Dahrendorf als wichtigeren Begriff bezeichnet,33 werden, so Dahrendorf, die „beiden Tatsachen des Einzelnen und der Gesellschaft vermittelt“34. Während die (soziale) Position den „Ort“ im (gesellschaftlichen) Koordinatensystem bestimmt, formuliert die Rolle demgegenüber die jeweiligen Ansprüche der Gesellschaft an den Träger der betreffenden Position.35 Die Position, dieser Punkt im Koordinatensystem, ist im Prinzip vom Einzelnen unabhängig.36 Beispiele für dieses Verständnis37 sind die Positionen von Vater, Lehrer oder Vereinsfunktionär. Sie verdeutlichen allerdings auch, dass im gesellschaftlichen Leben der Einzelne stets mehrere Positionen besetzen muss.38 Außerdem kann der einzelne Koordinationspunkt sehr wohl komplex sein. Dahrendorf macht insoweit eine Menge von Positionssegmenten aus,39 z. B. beim Studienrat das von der Position Studienrat zu den Schülern, zu den Eltern, zu den Kollegen oder den Vorgesetzten. Maßgeblich ist jeweils eine andere ausgesonderte Beziehungsrichtung.40
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Die Trennung von Position und Rolle wird u. a. auch gemacht von Gross/Mason/McEachern, Explorations in Role Analysis, S. 48/60; auf dieses Werk hinweisend Dahrendorf, Homo Sociologicus, Fn. 24 in Bezug auf die Begrifflichkeit. Ebenfalls trennend z. B. Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Position“; Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, S. 10 ff.; Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 18. Linton, Mensch, Kultur, Gesellschaft, S. 97, trennte früh zwischen Status/Stellung und Rolle. Mittlerweile geht in der Literatur mit dem Begriff des Status ein Werturteil einher, und der Begriff der Position ist geläufig geworden. 32 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32. Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 12, spricht von „festen Knoten“. 33 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35. 34 So Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35; das Begriffspaar bezeichnet nach Dahrendorf den Homo Sociologicus. 35 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35. 36 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33. Diese Unabhängigkeit u. a. ebenfalls annehmend Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Position“; Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Position, soziale“; Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 18. Siehe auch Geller, Position, Rolle, Situation, S. 71, wonach die Position unabhängig von ihrem Träger definiert wird. 37 Zur Weite Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32, mit Beispielen. 38 Siehe Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33. 39 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33. Siehe dazu auch Gross/Mason/McEachern, Explorations in Role Analysis, S. 50 ff., auf dieses Werk wiederum bezüglich der Begrifflichkeit verweisend Dahrendorf, Homo Sociologicus, Fn. 24. 40 Vgl. unten auch noch die Ausführungen zu den Bezugsgruppen sowie die Problematik im Zusammenhang mit der Rolle.
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
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II. Präzisierung des Positionsbegriffs Eine Präzisierung des Positionsbegriffs ist für die weitere Untersuchung gleichwohl noch erforderlich.41 Für eine solche Präzisierung finden sich bei Dahrendorf insbesondere zwei Ansätze, die nutzbar gemacht werden sollen. Das ist zum einen der Umstand, wonach zu jeder Stelle (sozialen Position) gewisse Verhaltensweisen gehören, die von diesem Positionsträger erwartet werden; damit ist das gemeint, was Dahrendorf als soziale Rolle ausmacht.42 Der andere Ansatz, notwendige Schärfe zu schaffen, besteht in klassifikatorischem Vorgehen, das heißt in der Aussonderung von Gruppen sozialer Positionen.43 Bei einer solchen Annäherung, namentlich über die „Verhaltenserwartungen“, wird jedoch bereits an dieser Stelle deutlich, wie eng „Position“ und „Rolle“ im Grunde schon im definitorischen Bereich verwoben sind. Es muss daher nochmals die Frage der Abgrenzung von Position und Rolle aufgeworfen werden, bzw. viel grundsätzlicher gefragt werden, ob eine Trennung überhaupt machbar, respektive sinnvoll ist. Auch wenn diese Trennung häufig erfolgt,44 müssen die Gründe, die dafür sprechen, deutlicher werden. Dafür reicht Dahrendorfs Hinweis, Positionen seien nur Orte im Bezugsfeld, die Rolle gebe dagegen die Art der Beziehung zwischen Positionen desselben Bezugsfeldes an,45 nicht aus. Auch der nachgerade klassische Verweis auf Linton, wonach die Rolle der dynamische Aspekt einer Stellung sei,46 ist wenig hilfreich47. Ist aufgrund der begrifflichen Nähe dann eine Unterscheidung in Position und Rolle überhaupt erforderlich? So gibt doch die Beschreibung einer Rolle und der entsprechenden Verhaltenserwartungen notwendig 41
Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 72, sucht nach einer operationalen Schärfe in Bezug auf die Rolle, stellt dort aber auch die Brücke zur Position her. 42 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 34 f. Auf das Merkmal der Position als Umfassung von Verhaltenserwartungen, die für Positionsinhaber verbindlich sind, u. a. ebenfalls hinweisend Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Position, soziale“. Nach Dreitzel, Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft, S. 66, knüpfen sich Verhaltenserwartungen an die jeweiligen Positionen an. Siehe ferner dazu auch Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, S. 12. Esser, Soziologie, Band 5, S. 141, bezeichnet soziale Rollen als an soziale Positionen geknüpfte sanktionierbare Erwartungen. Sie seien damit ein Spezialfall der Institutionen und der sozialen Normen. 43 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 71. Zu einer Typenbildung, allerdings in Bezug auf Rollen, vgl. vor allem auch Claessens, Rolle und Macht, S. 35 ff. 44 Siehe Belege unter Fn. 31. Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Position“; Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Position, soziale“, bezeichnet die Trennung als schwer möglich. Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 18, Fn. 4, führt für eine ablehnende Haltung Nadel, The Theory of Social Structure, S. 35, an. 45 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35. 46 Linton, Mensch, Kultur, Gesellschaft, S. 97; Stellung wird dort mit „Status“ gleichgesetzt, wobei dies in der heutigen Begrifflichkeit wiederum die „Position“ ausmacht. 47 Zu diesem Aspekt Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Position“
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
auch einen Bestand, eine Richtung und einen Partner einer sozialen Beziehung vor, also eine Position.48 In eine vergleichbare Richtung geht zudem im Grunde die eingangs aufgestellte Überlegung, mit Hilfe der Rolle die notwendige Schärfe der Position zu entwickeln. Eine enge Verbundenheit und Determiniertheit beider Größen sind nicht zu leugnen, und das soll auch nicht geschehen. Gleichwohl gibt es auch im Bewusstsein dieser Verbundenheit Gründe für eine inhaltliche und begriffliche Trennung. Die „Position“ ist ein „fester Ort“ im Beziehungsfeld, während die Rolle die Vorstellung auf einzelne Beziehungen verengt.49 So kann man sich den Anwalt „fest“ in seinem Beruf, an dem entsprechenden festen Platz im sozialen Gefüge vorstellen.50 Konfrontiert wird der Anwalt mit den Erwartungen seiner Mandanten, z. B. aus dem Anwaltsvertrag, mit den Erwartungen seiner Kollegen, etwa bezüglich der Einhaltung der Wettbewerbsregeln, oder der Richterschaft bezüglich der Einhaltung der Ordnung im Sitzungssaal. Alle diese Beziehungen gehören zur Rolle des Anwalts, stellen gleichzeitig aber jeweils einen anderen Blickwinkel dar, der aber immer auf den Fixpunkt „Anwalt (im Beruf)“ hinausläuft. Mit Ullrich51 kann man sagen, Position und Rolle meinen den gleichen Sachverhalt aus verschiedenen Blickrichtungen. Die Rollenerwartungen sind gleichsam „spezialisierte Normen“52, das erwartete Verhalten knüpft nicht an einen bestimmten Menschen an, sondern vielmehr an die jeweilige Position, die jemand (egal wer) einnimmt,53 z. B. als Lehrer, als Anwalt. Man kann die Position auch als „Ankerplatz“ oder (juristisch gesprochen) als das maßgebliche Tatbestandsmerkmal bezeichnen, auf das hin sich die Erwartungen jeweils richten. Zusammenfassend kann man sagen, es gibt eine enge Verbundenheit von Position und Rolle. Die Position zeichnet sich allerdings durch ihren „Fixcharakter“ („Punkt“, „Knoten“) aus. Die Schlussfolgerung für die Suche nach der Bestimmung zu operationaler Schärfe des Positionsbegriffs lautet dann, dass zu diesem Zweck durchaus die Rolle (Erwartungen) hinzuzuziehen ist; es geht gerade darum, die „Stoßrichtung“ auf einen bestimmten Punkt (die Position) zu ermitteln. Hinzukommen soll ferner das, was im anwaltlichen Beispiel bereits anklang und mit klassifikatorischen Elementen bezeichnet wurde. Dahrendorf bildet „Klassen“ von Positionen, zu denen er etwa die Berufsposition zählt.54 In eine vergleichbare Richtung geht Ullrich55, der 48
So Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 18, unter Verweis auf Nadel, The Theory of Social Structure, S. 35. 49 Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 18. 50 Ob eine Positionierung „nur“ als Anwalt erfolgt, wird noch zu untersuchen sein. 51 Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 12. 52 Dreitzel, Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft, S. 66. 53 Dreitzel, Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft, S. 66, der auch auf eine Analogie von Positions- und Amtsbegriff verweist. 54 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 71. 55 Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 11, unter Bezugnahme auf Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie.
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Erwartungen in bestimmten zeitlichen/örtlichen Situationen ausmacht, z. B. hinsichtlich des Arbeitsplatzes.
III. Positionierungen des Anwalts 1. Grundlagen Ausgehend von den aufgeführten Elementen zur präzisen Bestimmung einer Position soll dies zunächst in Bezug auf den „Anwalt“ als solchen geschehen. Dahrendorf macht in seinem Homo Sociologicus für die Strukturierung der Rollenerwartungen Muss-/Soll- und Kann-Erwartungen aus.56 Für die Muss-Erwartungen stehen vor allem die (staatlichen) Gesetze.57 Ohne der Diskussion der Rolle an dieser Stelle bereits vorzugreifen, kann man aus der „Rollenerwartungsformulierung“ doch bereits die Erkenntnis gewinnen, dass das staatliche Gesetz schon für die Positionsbestimmung relevant ist.58 Hinzu kommt, dass gesetzliche Rollendefinitionen durchaus als Vorgabe akzeptiert werden.59 Es spricht dann nichts dagegen, auch für die Position, das heißt, für den „Ankerplatz“ der verschiedenen Erwartungen auf das Gesetz zurückzugreifen. Dabei soll allerdings betont werden, dass die Bestimmung mit Hilfe des Gesetzes nicht das ausschließliche Kriterium sein muss.60 Zieht man schließlich noch das klassifikatorische Kriterium und den vorliegenden Forschungsgegenstand (anwaltliche Tätigkeit) hinzu, ist ein Weg zur Positionsbestimmung vorgegeben. Die Bestimmung bewegt sich in einem beruflichen Tätigkeitsfeld des Menschen, dem des „Anwalts“. In dem Bereich besteht ein dichtes Netz von (staatlichen) Normen, wie denen des Berufsrechts (insbesondere die der BRAO und die der BORA), des StGB oder des BGB. Dort gilt es anzusetzen, das heißt zu klären, ob dort „Definitionen“ enthalten sind, die (verbindlich) bestimmen, unter welchen Voraussetzungen ein bestimmter beruflicher Punkt besetzt wird, der ein bestimmtes Tun verlangt, unabhängig von einer konkreten Person.61 Im Ausgang (und eingrenzend) wird also nach einer gesetzlichen „Definition“ einer anwaltlichen Position gesucht, was bei einem staatlich reglementierten Beruf gerechtfertigt ist. Es geht um die Suche nach einer gesetzlichen Rahmensetzung etwa im Sinne der Auflistung von „Tatbestandsmerkmalen“, bei deren Vorliegen ein bestimmter Punkt im Koordinatensystem fixiert ist. Im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer „Definition“ (Eingrenzung) soll jedoch ferner eine Klärung dahingehend erfolgen, wie ein et56
Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 39 ff. Dazu Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41. 58 Vgl. dazu auch das obige Argument der „Stoßrichtung“. 59 Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 40 ff. 60 Zu weitergehenden rechtssoziologischen Überlegungen siehe noch die Ausführungen im Kontext mit der Rollendiskussion. 61 Vgl. zur Definition von Positionen auch Geller, Position, Rolle, Situation, S. 71. 57
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waiger Ansatz zu weiteren Kennzeichen passt, die ebenfalls mit der Position in Verbindung gebracht werden, z. B. denen der Verfestigung, sozialen Differenzierung62 oder Arbeitsteilung63. Für eine (staatlich) normative Eingrenzung bieten sich nun insbesondere die oben erwähnte BRAO, die BORA, das StGB und das BGB an. Dabei sei bereits an dieser Stelle wieder darauf hingewiesen, dass hinter diesen Normwerken durchaus unterschiedliche „Kräfte“ stehen können, die sie erlassen. So sind etwa die BRAO, das StGB oder das BGB parlamentarische Bundesgesetze, die BORA beruht auf der Satzungskompetenz, die in § 59a BRAO geregelt ist. Damit ist sie parlamentarisch legitimiert, gleichwohl erlässt hierbei die Satzungsversammlung bei der BRAK die entsprechende Satzung (§ 191a Abs. 1 und 2 BRAO), somit ein Fachgremium. Was hier in Kürze deutlich wird: Selbst bei einer normativen64 Bestimmung stehen hinter den Regelungen unterschiedliche „Gruppen“65. Dieser Umstand wird unter dem Topos der „Bezugsgruppe“, namentlich auch bei Dahrendorf, im Kontext mit der Auseinandersetzung um die Rolle von besonderer Bedeutung sein. Für eine normative Bestimmung der Position ist zunächst innerhalb der BRAO anzusetzen. Die BRAO gibt die primären Hinweise auf die grundsätzliche Verortung des Anwalts im Rechts- und damit im Gesellschaftssystem und leistet auch die grundsätzliche Pflichtenbestimmung, die sich daran anschließt.66 Die BORA, die sich durch die BRAO legitimiert, regelt zwar „das Nähere zu den beruflichen Rechten und Pflichten“ (§ 59a Abs. 1 BRAO), kann damit allerdings nur ergänzend sein, worauf jedoch zurückzukommen sein wird. Andere Bundesgesetze, wie das StGB oder das BGB, setzen den „Anwalt“ letztlich als Tatbestandsmerkmal voraus, so etwa § 356 StGB67 bezüglich des Parteiverrats. Auch diesen Gesetzen kann freilich nach einem „Einstieg“ über die BRAO eine „definitorische Bedeutung“ zukommen.
62 Siehe zur Verfestigung und sozialen Differenzierung Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, u. a. S. 10, 16. 63 Dazu Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Position“. 64 Normativ wird hier im Sinne einer staatlichen oder staatlich legitimierten Norm verstanden. 65 „Gruppe“ kann hier verstanden bzw. gleichgesetzt werden als eine „Menge, Masse, soziale Schicht oder Klasse, ein Interessenverband oder Bevölkerungsteil“; zu einer solchen Gleichsetzung des Gruppenbegriffs und in Abgrenzung dazu etwa den soziologischen Gruppenbegriff anführend Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Gruppe“. 66 Dabei muss die BRAO selbstverständlich im Zusammenhang etwa mit der Verfassung und den europarechtlichen Vorgaben gesehen werden. 67 Auch das BGB, das für den Anwaltsvertrag besonders relevant ist, setzt den „Anwalt“ letztlich als solchen voraus.
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2. Ausgangspunkt einer Positionierung durch die BRAO: Rechtsberatung und -vertretung Für die „Kernpositionierung“ ist somit die BRAO der zu wählende Ansatz, hierbei im Besonderen zunächst der erste Teil (§§ 1 – 3 BRAO), der prägnanterweise mit dem Begriff „Der Rechtsanwalt“ überschrieben ist. § 1 BRAO, der den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege bestimmt,68 nimmt dabei bereits eine gewisse Verortung im gesellschaftlichen System vor. Mit der „Rechtspflege“ ist die rechtsstaatliche Ordnung betroffen. Hier wird dem Anwalt ein Platz zugewiesen, der noch weiterer Bestimmung bedarf. Dem Anwalt kommt in der „Weite“ des § 1 BRAO eine „Doppelfunktion“69 bezüglich der Rechtspflege zu. Zum einen ist dies eine objektivrechtsstaatliche Funktion,70 zum anderen eine subjektive Aufgabe dahingehend, als Vertreter des Mandanten im Rahmen der Rechtspflege tätig zu sein71. Die Doppelfunktion bedeutet allerdings nicht, dass schon (an dieser Stelle) eine Weiche dahingehend gestellt würde, für den Anwalt unterschiedliche (normierte) Positionen auszumachen. Denn sieht man die objektiv-rechtsstaatliche Komponente als Beitrag für den Bestand und die Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung, vergleichbar den Gerichten, Staatsanwaltschaften, Verwaltungsbehörden,72 an, so lassen sich die Funktionen nicht „positionell trennen“. § 1 BRAO ist nämlich vor allem im Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 BRAO zu sehen, der den Rechtsanwalt als unabhängigen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten bestimmt. Kleine-Cosack73 ist zuzustimmen, wonach § 1 BRAO zusammen mit § 3 Abs. 1 BRAO die Kernfunktion des Rechtsanwalts im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung umschreibt. Bezüglich der Bestimmung einer Position wird damit die Verortung, die „Andockstelle“ präzisiert. Im (noch) weiten Feld der Rechtspflege rückt die Beratung/Vertretung in den Vordergrund. Es lässt sich zudem eine „Verfestigung“74 in dem Sinn ausmachen, dass in einer rechtsstaatlichen Ordnung auf diese Funktionen nicht verzichtet werden kann; sie müssen durch entsprechende Personen ausgeübt, der dazugehörige Ort also „besetzt“75 werden. Diesbezüglich trifft die BRAO weiterhin „Vorsorge“, den Posten 68 Baer, Rechtssoziologie, § 5, Rn. 31 ff., macht kurze Ausführungen zur Anwaltschaft. Dabei macht sie aus, Rn. 34, „der Stand“ wandele sich mit Blick auf die Leitbilder – vom Organ der Rechtspflege zum Dienstleistungsunternehmen. Zur Bedeutung des Anwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) im Kontext eines eigenen role-makings im Verhältnis zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten siehe noch in Teil 4 als besondere Problematik im Haftungskontext. 69 Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 5. 70 Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 6. 71 Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 6. 72 Zum Vorstehenden Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 6. 73 Kleine-Cosack, BRAO, § 1, Rn. 2. 74 Siehe zur Verfestigung Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, u. a. S. 10, 16. 75 Siehe Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, S. 10, dazu, dass die soziale Differenzierung daran anknüpft, dass „bestimmte Bündel von
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nicht von jedermann besetzen zu lassen, was ebenfalls Ausdruck der Bedeutung ist. Namentlich aus § 4 BRAO (Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts)76 und § 7 BRAO (Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft) folgen Kriterien, die, jedenfalls hinsichtlich des § 4 BRAO, (mit) „erarbeitet“ werden können (Erwerb von fachlicher Befähigung). Insoweit ist eine über die Anwaltstätigkeit erreichte Position eine „erworbene Position“77, sie wird in dem Sinn nicht „zugewiesen“78. Mit den §§ 1 und 3 BRAO bringt der Gesetzgeber ferner zum Ausdruck, dass qualifizierte79 Rechtsberatung in der demokratischen Rechtspflege unerlässlich ist. 3. Anwalt als Rechtsberater/-vertreter im Sinne eines einseitigen (Mandanten-)Interessenvertreters Ist demzufolge die Rechtsberatung/-vertretung die maßgebliche (schlussendliche) „Andockstelle“? Trotz aller Ansätze reicht es zur abschließenden80 Positionsfestsetzung nicht aus. Vielmehr bildet das Verständnis des Anwalts als Rechtsberater/-vertreter81 gleichsam einen „Hof“, an den sich bereits bestimmte Erwartungshaltungen/Pflichten anknüpfen,82 der jedoch noch eine weitere Differenzierung erforderlich macht. Denn die Tätigkeit der Beratung/Vertretung kann unterschiedliche Ausrichtungen haben und durchaus auch eine jeweils andere funktionale Rolle Verhaltenserwartungen fixiert (werden), die auf die Individuen warten, deren Merkmale und Eigenschaften für die Zuordnung dieser Verhaltensbündel geeignet erscheinen.“ 76 Nach § 4 Satz 1 BRAO kann zur Rechtsanwaltschaft nur zugelassen werden, wer die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt hat oder die Eingliederungsvoraussetzungen nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9. März 2000 (BGBl. I S. 182) erfüllt oder die Eignungsprüfung nach diesem Gesetz bestanden hat. Das Deutsche Richtergesetz sieht in § 5 Abs. 1 vor, dass die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt. 77 Zur Begrifflichkeit des „achieved status“ Linton, The study of man, S. 115: „The achieved statuses are, as a minimum, those requiring special qualities, although they are not necessarily limited to these. They are not assigned to individuals from birth but are left open to be filled through competition and individual effort.“ 78 Zur Begrifflichkeit des „ascribed status“ Linton, The study of man, S. 115: „Ascribed statuses are those which are assigned to individuals without reference to their innate differences or abilities.“ 79 Der Mandant kann aufgrund der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ eine entsprechende juristische Ausbildung, bestandene Prüfungen und haftungsrechtliche Absicherung erwarten. 80 Eine solche wird man, wenn man später ein role-making im Verhältnis Anwalt – potentieller Vertragspartner des Mandanten als möglich erachtet [vgl. dazu die Ausführungen u. a. in Teil 4 D. VII. 2. a) aa) (2) (a) (bb) (bbb), S. 854 ff.], kaum vornehmen können. 81 Abgesehen davon besteht, auch unter der Geltung z. B. der BRAO, die Möglichkeit, „als Rechtsanwalt“ eine berufliche Tätigkeit auszuüben, die nicht im eigentlichen Sinn rechtsberatend oder -vertretend ist. Das kann selbstverständlich eine (eigene) Positionierung bedingen, worauf im Kontext mit dem Anwaltsmediator noch einzugehen sein wird. 82 Das gilt für einen nicht unerheblichen Teil der Normen der BRAO oder der BORA.
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
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im Bereich der Rechtspflege besetzen. Diesbezüglich soll nicht jede mögliche Funktion aufgezeigt werden. Es gilt zunächst darzutun, dass eine Differenzierung machbar und notwendig ist, indem mögliche unterschiedliche Positionierungen, die im Bereich anwaltlicher Vertragsverhandlung/-gestaltung eine Bedeutung haben können, aufgezeigt werden. Zu einer Differenzierung geben die BRAO sowie die sie ausfüllende BORA selbst Hinweise. Dabei tritt vor allem ein Bild deutlich hervor. Es handelt sich um den Anwalt als Rechtsberater/-vertreter im Sinne eines einseitigen (Mandanten-)Interessenvertreters. Dieses Bild ist zum einen normativ, auch bezüglich des Erwartungshorizonts, verfestigt. Das ergibt sich im Besonderen aus § 43a Abs. 4 BRAO (§ 3 BORA), dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, und aus § 356 StGB (Parteiverrat). Hier erschließt sich zudem die „Notwendigkeit“ einer Besetzung83 gerade in Bezug auf diesen ausdifferenzierten Punkt. Dem Einzelnen84 (siehe auch § 3 Abs. 3 BORA) soll die Möglichkeit gegeben werden, nicht ohne qualifizierten Beistand dem Rechtssystem „ausgesetzt“ zu sein. Die Schaffung einer entsprechenden ihn unterstützenden Position ist damit Ausdruck des demokratischen Rechtsstaats. Einseitigkeit und individuelle Ausrichtung sind ferner verfestigt, indem in der Regel85 der Anwalt durch die vertragliche Verbindung (Anwaltsvertrag) seitens seines Mandanten in/zu seiner Tätigkeit bestimmt wird. Auch wenn das nicht ausdrücklich in der BRAO geregelt ist, so liegt dieser Mechanismus ihr gleichwohl zugrunde, wie sich wiederum aus § 43a Abs. 4 BRAO ergibt. Der Umstand, wonach es zunächst überhaupt zu vertraglichen Bindungen kommen muss, folgt im Umkehrschluss aus § 44 BRAO, der in Satz 1 die Pflicht des Rechtsanwalts bestimmt, wonach dieser, wenn er in seinem Beruf in Anspruch genommen wird und den Auftrag nicht annehmen will, die Ablehnung unverzüglich zu erklären habe. In diesem Kontext ist allerdings Folgendes zu betonen: Es geht hier nicht um einen konkreten Anwaltsvertrag, sondern um die allgemeine Möglichkeit der Bestimmung anwaltlicher Tätigkeit durch ihn und damit mittelbar um die Positionierung der anwaltlichen Tätigkeit an sich. Die „Brücke“ zwischen Anwaltsvertrag und BRAO ist herauszustellen. Letztlich geht es um die Bestimmung der Position des Interessenvertreters durch mehrere Elemente. Außerdem gilt es, vornehmlich später im Zusammenhang mit der Rolle, zu beachten, dass z. B. aus dem (Vertrags-)Recht des BGB ganz eigene Regelungen folgen, etwa im Bereich der Haftung. So bleibt an dieser Stelle zunächst festzuhalten, im Anwaltsvertrag ein Element im Rahmen einer Positionierung des Anwalts als einseitigen Interessenvertreter zu sehen. 83 Vgl. Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, S. 10. 84 Es steht hier der Mandant als Individualperson im Vordergrund. 85 Anders z. B. im Fall der Pflichtverteidigung nach § 49 BRAO; die darunterfallende Bestellung zum Pflichtverteidiger stellt eine besondere Form der Indienstnahme Privater dar, so Kleine-Cosack, BRAO, § 49, Rn. 1. In solchen Fällen entfällt das nachfolgende „Zusatzargument“.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Auf den (notwendig) einseitigen anwaltlichen Interessenvertreter richten sich als Bezugspunkt denn auch bestimmte Erwartungen, z. B. seitens seiner Mandantschaft. Das gilt aber ebenso für andere Gruppen86 wie etwa die anwaltlichen Kollegen oder die Richterschaft.87 Erneut wird darin die verfestigte Stellung des einseitigen anwaltlichen Interessenvertreters deutlich. Es ist somit diese Positionierung, die in einem ganz maßgeblichen Sinn auch dieser Untersuchung für die anwaltliche Tätigkeit zugrunde gelegt wird. 4. Positionierung über § 18 BORA Das Zusammenspiel der Komponenten von normativen Ansätzen im Gesetz (insbesondere BRAO und BORA), der (vertraglichen) Verbindung von Anwalt und Mandanten und der Besetzung notwendiger Funktionen in der Rechtspflege führt zu einer weiteren möglichen Positionierung. § 18 BORA listet die Tätigkeit als Vermittler, Schlichter und Mediator auf. Sämtliche dieser Tätigkeiten können (in einem gewissen Rahmen) auch durch einen „Nicht-Anwalt“88, sogar durch einen „NichtJuristen“89 ausgeübt werden. Letzteres ergibt sich beispielsweise aus § 2 Abs. 3 Nr. 2 und 4 RDG.90 Rechtsberatung durch einen Nicht-Juristen ist nun im Rahmen des RDG zwar ebenfalls möglich, gleichwohl wurde dieser Umstand bei der Positionierung des Interessen vertretenden Anwalts nicht so deutlich in den Vordergrund gerückt. Dort stand stärker im Blickfeld, dass die „Besetzung“ der „Beraterstelle“ mit qualifizierten, an Regeln gebundenen, unabhängigen Organen unerlässlich ist, will man das 86
Zur Bezugsgruppe siehe noch unten. Es geht z. B. oftmals um ein Zusammenwirken, um sachgerechte Entscheidungen finden zu können. 88 Siehe beispielsweise zur Richtermediation Röttger, AnwBl 2008, 617 ff. Mittlerweile ist vor allem auch § 278 Abs. 5 ZPO zu beachten. 89 Als Beispiel soll hier die Mediation durch Psychologen oder Soziologen genannt werden. 90 In Bezug auf die Nr. 2 ist als Beispiel die Tätigkeit als Ombudsmann für Versicherungen zu nennen, siehe Kleine-Cosack, Rechtsdienstleistungsgesetz, § 2, Rn. 144. Unter Nr. 4 fällt die Mediation und jede vergleichbare Form der gespächsgeleitenden Streitbeilegung, wozu auch die Vermittlung gehören kann, siehe dazu Prütting/Prütting, Außergerichtliche Streitschlichtung, Rn. 4. Auch wenn beispielsweise innerhalb des § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG der Passus enthalten ist „(…), sofern die Tätigkeit nicht durch rechtliche Regelungsvorschläge in die Gespräche der Beteiligten eingreift, (…)“, so ist der Weg zur Rechtsberatung durch einen Nicht-Juristen oftmals über § 5 RDG eröffnet; so Kleine-Cosack, Rechtsdienstleistungsgesetz, § 2, Rn. 153. Dies gelte etwa bezüglich bestimmter Abschlussvereinbarungen trotz der mangelnden Aufnahme der Abschlussvereinbarung in den Gesetzestext, so Kleine-Cosack, ebenda. Anders wohl Finzel, Kommentar zum Rechtsdienstleistungsgesetz, § 2, Rn. 22 f. Kritisch bezüglich einer generellen Herausnahme der Mediation aus den erlaubnispflichtigen Rechtsdienstleistungen Kunert, BRAK-Mitt. 2008, 53, 55. Zu den Regelungen des RDG, durch die es nicht-anwaltlichen Mediatoren erleichtert wird, tätig zu werden, Henssler, ZKM 2006, 132 ff. 87
B. Positionierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
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Gleichgewicht der Kräfte auf dem Weg zur Rechtsfindung, -wahrung und -gestaltung erhalten. Nur dann ist dem Rechtsstaat, der u. a. auch mit Zwang operieren kann, Genüge kann. Mit solch einer nahezu kategorischen Sichtweise ist an die Tätigkeiten, die § 18 BORA auflistet, nicht heranzugehen. Aus dem Grund ist auch nochmals auf den Umstand zu verweisen, wonach Nicht-Anwälte in diesen Bereichen ebenfalls handeln, freilich ohne an BRAO und BORA gebunden zu sein.91 Bezüglich einer möglichen Positionierung ist klarstellend deutlich zu machen, dass die (Tätigkeits-) Trias des § 18 BORA92 hier verstanden wird als das „Aufeinanderzuführen verschiedener Positionen in einem Konflikt mit dem Ziel einer Einigung, ohne gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.“93 Ist nun eine „Andockstelle“ für eine solche Tätigkeit vorhanden, bzw. separat ausmachbar? Mit anderen Worten heißt das, würde im Bereich der Rechtspflege etwas „fehlen“, wenn es diesen außergerichtlichen Konfliktbereinigungsbereich nicht geben würde, er nicht mit geeigneten Personen besetzt sein sollte? Das wird man bejahen können,94 indem man hier einen besonderen Bereich der Konfliktbewältigung, einen besonderen Bereich vor allem der vorsorgenden Rechtspflege95 ausmacht. Eine konsensuale Befriedung ist als eigener zu besetzender Posten auszumachen. Normativ zeigt sich das in der Existenz unterschiedlicher Regelungen, so u. a. in § 15a EGZPO (obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung). Ganz abgesehen davon besteht mittlerweile eine gestiegene gesellschaftliche Bedeutung, die dieser Form von Konfliktbewältigung zukommt.96
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Von Bedeutung ist im Rahmen der Mediation, unabhängig davon, ob der Einzelne ein Anwalt ist oder nicht, nunmehr das Mediationsgesetz vom 21. 07. 2012 (BGBl. I, S. 1577). Für den Anwaltsmediator gelten dort allerdings auch die Regeln des anwaltlichen Berufsrechts, so Hartung/Scharmer/Jacklofsky, BORA/FAO, § 18 BORA, Rn. 26. 92 Es geht hier gerade um die Tätigkeit an sich. 93 So Hartung/Scharmer/Jacklofsky, BORA/FAO, § 18 BORA, Rn. 20. Vgl. auch zu anderen Unterteilungsmodellen etwa Prütting/Prütting, Außergerichtliche Streitschlichtung, Rn. 3 ff. 94 Siehe beispielsweise erneut das Mediationsgesetz vom 21. 07. 2012 (BGBl. I, S. 1577); dort insbesondere § 1. 95 Die Begrifflichkeit zur „vorsorgenden Rechtspflege“ ist nicht ganz unproblematisch. Sie wird hier ausdrücklich nicht als Synonym für notarielle Tätigkeit verstanden; zu dem Problem Reithmann, Vorsorgende Rechtspflege durch Notare und Gerichte, S. 3; für so eine Gleichsetzung wohl Schöttler, Verbraucherschutz durch Verfahren, S. 99 ff. Ausführlich zur Begrifflichkeit der vorsorgenden Rechtspflege in Bezug auf die Zuständigkeitszuweisung in § 1 BNotO Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger, S. 77 ff. m. w. N. Im Nachfolgenden soll gerade die außergerichtliche Streitbelegung, nicht nur durch den Notar, sondern gerade auch durch Anwälte, ein möglicher Bereich der vorsorgenden Rechtspflege sein. 96 Siehe nicht zuletzt wieder die Schaffung des Mediationsgesetzes vom 21. 07. 2012 (BGBl. I, S. 1577).
486
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
„Geeignetes Personal“ kann zur Erfüllung dieser notwendigen Aufgabe aus unterschiedlichen Bereichen kommen, in Betracht kommen Anwälte, Notare97, Richter98 oder eben auch Nicht-Juristen. Prägend ist für ihre jeweilige Verbindung zur außergerichtlichen Konfliktlösung, sei es als Schlichter, Vermittler oder Mediator, das Erfordernis unbedingter Neutralität,99 das heißt mangelnde Einseitigkeit. Es liegt also eine gänzlich andere Ausrichtung als beim (einseitigen) Interessenvertreter vor. Insoweit kristallisiert sich hier insgesamt mit der außergerichtlichen Konfliktbewältigung eine eigene Positionierung heraus. Speziell für den Anwalt und die Einnahme unterschiedlicher Positionen im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit heißt das: Wird er als Anwalt in den Bereichen des § 18 BORA tätig, unterfällt er dem anwaltlichen Berufsrecht.100 Hier findet sich mit dem § 18 BORA gerade für den Anwalt eine weitere normative „Andockstelle“ in Bezug auf die außergerichtliche Konfliktlösung. Obwohl es sich für den Anwalt hierbei in den meisten Fällen (z. B. durch Formulierung von Abschlussvereinbarungen) auch um eine rechtsberatende Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 BRAO handeln wird, ist der Bezugspunkt bezüglich einer Position gleichwohl ein gänzlich anderer als beim anwaltlichen Interessenvertreter.101 Der maßgebliche Unterschied besteht in der Erwartungshaltung. Die Erwartungshaltung richtet sich hier auf die „Neutralität“102, die diametral zur einseitigen Interessenwahrnehmung steht. „Wie“ der Anwalt schlussendlich positioniert wird, entscheidet in letzter Konsequenz der Vertrag, das heißt „als was“ der Anwalt beauftragt wird.103 In diesem Aspekt liegt 97
Beim Notar wird teilweise die Übernahme eines Mediationsauftrags, der auch kommunikative und gleichseitige rechtliche Betreuung der Beteiligten umfasst, als Teil der vorsorgenden Rechtspflege nach § 24 BNotO gesehen; so Walz/Bülow, Formularbuch Außergerichtliche Streitbeilegung, Kap. 3, § 6, Rn. 101. Streitverhütung klar als Bereich der rechtlichen Betreuung auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege ausmachend BeckOK-BNotO/ Sander, § 24, Rn. 59. Ausdrücklich die Mediation vom Aufgabenbereich der §§ 20 – 24 BNotO ausnehmend Arndt/Lerch/Sandkühler/Lerch, BNotO (2008), § 1, Rn. 14. 98 Zur (früheren) Richtermediation etwa Röttger, AnwBl 2008, 617 ff. Mittlerweile ist insoweit § 278 Abs. 5 ZPO, in dem die Position des Güterichters normiert ist, zu beachten. Hier ist allerdings der Bereich der „vorsorgenden“ Rechtspflege verlassen, es bleibt aber der Bereich der konsensualen Streitbeilegung. 99 Für den Mediator siehe insoweit § 1 Abs. 2 MediationsG. 100 Dies als selbstverständlich ansehend Kleine-Cosack, BRAO, Anhang I 1, § 18 BORA, Rn. 1; gerade für den Anwaltsmediator auch unter Geltung des Mediationsgesetzes die Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts als geltend ansehend Hartung/Scharmer/Jacklofsky, BORA/FAO, § 18 BORA, Rn. 26. 101 Keineswegs darf hier eine Verwechslung mit dem anwaltlichen Interessenvertreter geschehen, der als solcher für den Mandanten z. B. das Verhandlungs- und Vermittlungsgeschehen betreibt. Er ist dabei nicht neutral, sondern nimmt ggf. eine vermittelnde Haltung ein, weil sie (einseitig) interessengerecht ist. 102 Für den Anwalt ergibt sich das Erfordernis der Neutralität normimmanent aus der Begrifflichkeit des § 18 BORA. Vgl. zum Neutralitätserfordernis des anwaltlichen Mediators auch OLG Hamm JurBüro 1999, 584 mit Anmerkung Enders, 584 f. Mittlerweile ist gerade § 1 Abs. 2 MediationsG von Bedeutung. 103 So kann der Anwalt von den Parteien auch als Mediator beauftragt werden.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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zudem ein Kernargument für die unterschiedlichen Positionierungen innerhalb der anwaltlichen Tätigkeit. Dieselbe Bezugsgruppe, nämlich der Vertragspartner des Anwalts, richtet an den Anwalt, je nachdem, „als was“ dieser beauftragt ist, völlig unterschiedliche Erwartungen. 5. Fazit Innerhalb der beruflichen Stellung des Anwalts ergeben sich unterschiedliche Positionierungsmöglichkeiten.104 Dass ein Mensch mehrere Positionen einnehmen kann, ist nicht ungewöhnlich, sondern die Regel. Verschiedene Positionen innerhalb einer beruflichen Tätigkeit sind jedoch beachtenswert. Denn wenn sich die Rolle an der Position ausrichtet, können, je nachdem als „was“ der Anwalt tätig wird, unterschiedliche Erwartungen an ihn herangetragen werden. Auch das ist grundsätzlich nicht problematisch, kann aber ggf. zu Schwierigkeiten führen, wenn vom Anwalt selbst bzw. seinen Bezugsgruppen nicht hinreichend zwischen den Positionen unterschieden wird, oder letztere vermischt werden. Diese Situationen werden bei der Rollendiskussion aufzugreifen sein.
IV. Zu schaffende (neue) Positionierung des Mandanten Unabhängig von der Position des Anwalts selbst ist weiterhin beachtenswert: Der Anwalt wirkt über die Vertragsverhandlung und -gestaltung in der Regel an einer neuen Positionierung jedenfalls seines Mandanten mit. Durch den Abschluss des Vertrags kann dem Mandanten eine (neue) Stellung im gesellschaftlichen Koordinatensystem zugewiesen werden, z. B. als Mieter. Diese Position ist von der, die der Anwalt selbst bekleidet, zu unterscheiden. Wie die Neupositionierung des Mandanten erfolgt, vor allem mit Blick auf die Rolle, die der Mandant dann „leben“ soll, ist im Kontext mit der Auseinandersetzung um die Rolle diskussionsbedürftig.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung I. Einführung in das Rollenverständnis Kann man den Einzelnen, z. B. als Interessen vertretenden Anwalt, auf unterschiedliche Weise „positionieren“, muss sich das Augenmerk dann im Weiteren darauf richten, welche „Rollen“ damit einhergehen können. Ausgangspunkt dafür soll zunächst wiederum Dahrendorfs Homo Sociologicus sein. Dahrendorf105 sieht 104 Unsere bisherigen Ausführungen sind dabei nicht in einem abschließenden Sinn zu verstehen; weitere Positionierungen sind vorstellbar. 105 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 23.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
den Homo Sociologicus, den Menschen als Träger sozial vorgeformter Rollen am „Schnittpunkt des Einzelnen und der Gesellschaft“.106 Die Rolle ist also u. a. bedeutend dafür, wie der Einzelne sich in der Gesellschaft bewegt/bewegen soll/muss. Es sei vorweg auch schon darauf hingewiesen, dass Dahrendorf die Rolle als „ärgerliche Tatsache der Gesellschaft“107 herausstellt; deutlich wird damit ein konflikt-theoretisches Verständnis108. Was versteht nun Dahrendorf unter der Rolle, die er getrennt von der Position ausmacht, jedoch gleichwohl Position und Rolle als jeweilige Bezugsgrößen annimmt? Nach Dahrendorf definiert sich die soziale Rolle als Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen.109 Dabei ist die Rolle wie die Position, unabhängig vom Einzelnen denkbar.110 Es geht, so Dahrendorf, um die Ansprüche der Gesellschaft an die Träger von Positionen und zwar bezüglich des Verhaltens (Rollenverhalten) sowie des Aussehens (z. B. Tragen einer Robe als Richter) und des Charakters (Rollenattribute).111 Dahrendorf betont den Bezug der sozialen Rolle lediglich auf erwartetes 106 Zur Rolle als Schnittpunkt des Einzelnen und der Gesellschaft auch Rehbinder, Status – Kontrakt – Rolle, S. 141, 163. 107 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 23. 108 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 124; Endruweit/Trommsdorff/Burzan/ Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ (Historische Entwicklung des Rollenbegriffs bzw. -theorems); dazu, dass in Dahrendorfs Rollentheorie seine allgemeine Konflikttheorie der Gesellschaft deutlich zu erkennen sei, auch Münch, Soziologische Theorie, Band 3, S. 362. Grundsätzlich zu Dahrendorfs Konflikttheorie etwa Niedenzu, Konflikttheorie, S. 223 ff. 109 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35. Die Rolle ebenfalls als Erwartungsbündel bezogen auf einen bestimmten Positionsträger auffassend etwa Rehbinder, Status – Kontrakt – Rolle, S. 141, 163; auf Dahrendorf verweisend Kopp/Steinbach/Schulz-Schaeffer, Grundbegriffe der Soziologie, Stichwort „Rolle, soziale“. Den personenbezogenen Aspekt der Rolle als einen an den Positionsinhaber gerichteten Erwartungskomplex anführend Endruweit/ Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Die Uneinheitlichkeit des Rollenbegriffs“). Demgegenüber die Rolle nicht nur als Bündel fremder äußerer Erwartungshaltungen sehend Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle, soziale“. „Klassisch“ ist Lintons Bezeichnung der Rolle als dynamischer Aspekt einer Stellung, so etwa Linton, Mensch, Kultur, Gesellschaft, S. 97, wobei „Stellung“ hier als „Position“ zu verstehen ist. Sobald das Individuum, so Linton, die eine Stellung ausmachenden Rechte und Pflichten wirksam werden lasse, übernehme es eine Rolle. Die Bindung der Rolle an die Position wird von Teilen der symbolischen Interaktionisten verneint, siehe dazu die Darstellung bei Etzrodt, Sozialwissenschaftliche Handlungstheorien, S. 294. 110 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35. So ebenfalls etwa Endruweit/Trommsdorff/ Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Begriff und Stellenwert in der Soziologie“); Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 11. 111 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35. Zum Begriffspaar auch Kopp/Schäfers/Peuckert, Grundbegriffe der Soziologie, 10. Aufl., Stichwort „Rolle, soziale“. Bezüglich der Begrifflichkeit der Rollenattribute und des Rollenverhaltens herrscht keine Einheitlichkeit. Rehbinder, Status – Kontrakt – Rolle, S. 141, 143, fasst etwa unter Rollenattribute die Eigenschaften, die jemand haben muss, um eine bestimmte Rolle spielen zu können. Das wurde
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Verhalten, es geht nicht um tatsächliches oder regelmäßiges Verhalten.112 Nur in vorgeprägter Form vermittle das Handeln den Einzelnen und die Gesellschaft.113 Es geht darum, was der Einzelne dort tun soll. Das Rollenverständnis Dahrendorfs ist somit stark normativ.114 Konsequenterweise macht Dahrendorf denn auch drei Merkmale für die Kategorie der sozialen Rolle als Element der sozialen Analyse aus. Sie bestehen aus quasi objektiven Komplexen von Verhaltensvorschriften, der Bestimmung/Veränderung durch die Gesellschaft und einer gewissen Verbindlichkeit, das heißt, ein Entzug ist ohne Schaden nicht möglich.115 Normativ ist danach nicht nur die Bestimmung der Position, sondern auch die der Rolle. Für den Anwalt als solchen etwa kann, ohne Vorwegnahme der Detailanalyse, bereits hier festgestellt werden, dass nicht nur für seine Position, sondern auch für seine „Rolle“ u. a. das staatliche Recht normativ verbindliche Definitionen anbietet.116 Einleitende Beispiele sollen die Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO als Verhaltenspflicht und das Tragen einer Robe nach § 20 BORA als Rollenattribut sein.117 im Abschnitt zuvor als Tatbestand zur Besetzung der Position erfasst. Im Nachfolgenden soll der Dahrendorfschen Bestimmung von Rollenattributen und -verhalten gefolgt werden. 112 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 36. 113 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 36. 114 Kritisch dazu in Bezug auf Dahrendorf u. a. Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 21. Eine normative Erwartung in Bezug auf die Rolle findet sich z. B. auch bei Parsons. Siehe ferner zur normativen Herangehensweise etwa Endruweit/ Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Begriff und Stellenwert in der Soziologie“); Kopp/Schäfer/Peuckert, Grundbegriffe der Soziologie, 10. Aufl., Stichwort „Rolle, soziale“. Zu normativen Erwartungen ebenfalls Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle, soziale“, der aber auch den Bogen zur Rechtfertigung durch soziokulturelle Werte schlägt. Zur Rolle als normatives Subsystem Rehbinder, Status – Kontrakt – Rolle, 141, 169. Zu normativ erwartetem Verhalten in bestimmten Situationen ebenfalls Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 11. Auf die normative Befestigung der Rolle verzichtet der symbolisch-interaktionistische Ansatz der Rollentheorie, dazu Reinhold/Lamnek/Recke/Prigge, Soziologie-Lexikon, Stichwort „Rollentheorie“. 115 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 37. 116 Zur verbindlichen Rollendefinition durch Recht u. a. Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 40 ff. Siehe auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 210, wonach Berufsrollen im Durchschnitt konkreter normiert seien als die meisten anderen sozialen Rollen. 117 Zur Berufskleidung als äußeres Rollenmerkmal Eisermann, Rolle und Maske, S. 130 ff. Eisermann, S. 130, führt u. a. aus, „(…) daß Rollenmerkmale soziologisch ein Kommunikationsmittel darstellen, das die soziale Beziehung signalisiert, innerhalb deren jemand in Interaktion zu treten bereit ist. Äußere Rollenmerkmale dienen derart nicht nur zur Definition der Situation, sondern erleichtern auch in verschiedener Hinsicht das menschliche Zusammenleben.“ Rollenmerkmale, so Eisermann, S. 131, dienten aber auch zur sozialen Kontrolle, indem sie jedes mit der betreffenden sozialen Rolle inkongruente Verhalten deutlicher hervortreten ließen.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Schließlich sei noch auf eine besondere Ausrichtung verwiesen, auf die die nachfolgenden Ausführungen abzielen. Bei aller Nutzbarmachung soziologischer Erkenntnisse für die Tätigkeit des Anwalts selbst wie auch in Bezug auf seine Gestaltung der vom Mandanten aufgrund des Vertrags einzunehmenden Rollen (z. B. als Mieter): Es gilt gerade (auch) damit im Zusammenhang stehende rechtswissenschaftliche Fragen aufzugreifen und Antworten zu finden. Exemplarisch seien hier nur die nachstehenden Bereiche genannt: Normenverständnis und seine Auswirkungen auf die rechtsanwendenden Personen, anwaltliches Profil und Rechtspflege, Auswirkungen der anwaltlichen Rolle auf die gesellschaftliche Funktion des Rechts, namentlich hinsichtlich der Vertragsgestaltung. Bezugnehmend auf letzteres ist mit der Frage nach der Beeinflussung des Soziallebens durch das Recht118 ein zentraler Bereich der Rechtssoziologie angesprochen. Das gilt im Besonderen für die zu schaffenden Positionen und Rollen für den Mandanten selbst. Abschließend zeigen diese Überlegungen, dass die Nutzbarmachung der Rollendiskussion auch aktuell noch von Bedeutung ist. Mag der Höhepunkt der (soziologischen) Rollendiskussion zwar überschritten sein,119 so geht es hier keinesfalls um eine „künstliche Wiederbelebung“. Vielmehr kann der Rollenbegriff gewinnbringend zur Deskription, Reflexion und Kritik120 anwaltlichen Handelns121 und seiner Bedeutung eingesetzt werden. Darüber hinaus können die gewonnenen Erkenntnisse ggf. nutzbringend in den Gestaltungsvorgang selbst einfließen.
II. Begrenzung der Rollenuntersuchung Die Auseinandersetzung mit dem Rollenbegriff beschränkt sich auf den Anwalt in der Berufsrolle sowie auf die Kreation von vom Mandanten zu erfüllenden Rollenerwartungen aufgrund des zu gestaltenden Vertrags. 1. Anwalt in der Berufsrolle Ein Fokus ist folglich auf die Tätigkeit als Anwalt, die diesen treffenden Rollenerwartungen zu richten.122 Dieser bereits mehrfach hervorgehobene Aspekt ver118
Dazu Hirsch, Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 28. Dazu Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Historische Entwicklung des Rollenbegriffs bzw. -theorems“), der den Höhepunkt um 1970 datiert. 120 Zu diesen Ansätzen Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Die Uneinheitlichkeit des Rollenbegriffs“). 121 Vgl. auch die Ausführungen bei Nichterlein, Rollenverhalten des Richters, S. 201 ff., der darstellt, allerdings eben in Bezug auf den Richter, wie Rollenspiele in die Ausbildung integriert werden. 122 Es wird sich zeigen, dass gerade der Anwalt in seinem Tätigkeitsfeld sich als Forschungsobjekt in Bezug auf die Rollentheorien eignet. Interessant ist insoweit, dass Rott119
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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dient im Zusammenhang mit der Diskussion der „Rolle“ eine besondere Beachtung. Zuvor zeigte sich hinsichtlich des Rollenverständnisses bereits die Notwendigkeit, sich mit normativen Erwartungen auseinandersetzen zu müssen. Normativ, vor allem im Sinne des staatlichen Rechts, waren auch die Ansätze bezüglich der Positionierung des Anwalts. Das anwaltliche Berufsrecht, wie etwa die BRAO, aber ebenso z. B. das BGB (Anwaltsvertrag) oder das StGB (§ 356, Parteiverrat), erfassen den Anwalt eben „als Anwalt“, das heißt, sie nehmen einen bestimmten Teilaspekt heraus, eine „bestimmte soziale Rolle“123. Der „Anwalt“ erfährt von der „Gesellschaft“ damit vor allem durch das staatliche Recht eine „normative Spezialisierung“124. Der einzelne Anwalt wird „normativ verallgemeinert“125. Die Stoßrichtung der damit einhergehenden Erwartungen betrifft allerdings nur eine zeitlich/örtlich bestimmte Situation, in unserem Fall den „Arbeitsplatz Anwalt“.126 Greift man diese Umstände auf, so ergibt sich eine Eingrenzung der Rolle anhand bestimmter Merkmale, man nimmt insoweit eine Typisierung vor. Es geht hier um den Typus „Berufsrolle“. Eine Unterteilung in Rollentypen findet sich u. a. bei Claessens.127 Der Beruf, die Berufsrolle wäre nach Claessens eine „soziale“ Rolle. Erst mit dem Erreichen der „Berufsreife“ gelange danach der soziale Rollenbegriff zu voller Schärfe.128 Für den weiteren Verlauf der Untersuchung soll an dieser Stelle zunächst festgehalten werden: Die anstehenden Ausführungen bezüglich des Anwalts als solchen betreffen nur einen „Ausschnitt“ des „Lebens“, den des (anwaltlichen) Berufs.129 Das betrifft im Grunde schon die Positionierung als Bezugspunkt der Rollenerwartungen.130 Die „Typisierung“ an dieser Stelle im Sinne einer „Gruppierung“131 darf nicht leuthner, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, S. 161, die Richter als die eigentlichen Objekte der traditionellen Rollentheorie bezeichnet. Der homo sociologicus sei, so Rottleuthner, im Grunde der homo juridicus. 123 Zu dem Argument Rehbinder, Status – Kontrakt – Rolle, 141, 162; ob dies tatsächlich eine „Rolle“ ist, sogleich. 124 Zu dem Begriff Rehbinder, Status – Kontrakt – Rolle, 141, 163. 125 Rehbinder, ebenda. 126 Zu dem Aspekt der Begrenzung auf den Arbeitsplatz Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 11; siehe auch S. 35, wonach der Kern der sozialen Rolle die Berufsrolle ist. 127 Claessens, Rolle und Macht, S. 37, der u. a. darauf verweist, dass Dahrendorf in seinem Homo Sociologicus verschiedene Rollentypen durcheinanderbringt. 128 Claessens, Rolle und Macht, S. 39 f. 129 Allerdings entbindet dieser „Ausschnitt“ nicht von der Notwendigkeit der Berücksichtigung weiterer Rollen sowie weiterer gesellschaftlicher Bezüge. 130 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 71, nimmt denn auch eine Aussonderung von Gruppen sozialer Positionen vor, in denen der Einzelne typischerweise eine Position innehat, wie etwa den Beruf. Vgl. auch Wiswede, Rollentheorie, S. 17, zur grundsätzlichen Frage, ob Rollen stets im Zusammenhang mit sozialen Positionen zu sehen, oder sie vielmehr als Typisierungsschemata für soziale Kategorien zu betrachten sind. 131 So Claessens, Rolle und Macht, S. 39 f., der auch auf die Problematik einer Einteilung hinweist.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
verwechselt werden mit den Ansätzen, die in der „Typisierung“ eine rollentheoretische Konzeption sehen.132 2. Kreation der durch den Mandanten aufgrund des Vertrags zu erfüllenden Rollenerwartungen Wie bezüglich der Positionierung muss berücksichtigt werden, dass der Anwalt durch seine Tätigkeit (Vertragsverhandlung/-gestaltung) daran mitwirkt, dass der Mandant mittels des Vertrags selbst bestimmten Rollen(-erwartungen) ausgesetzt sein wird, z. B. als Gesellschafter. Diese Rollen müssen keine Berufsrollen, sondern können gesellschaftlich vielschichtig sein. Die Rolle des Anwalts ist von der von ihm für den Mandanten zu entwerfenden Rolle zu unterscheiden. Allerdings kann es gerade eine an den Anwalt als solchen gerichtete (Rollen-)Erwartung sein, eine (vertragliche) Rolle für den Mandanten zu entwerfen.
III. Rolle – Suche nach Inhalt und Schärfe bei Dahrendorf 1. Einführung Stellt sich die Rolle als die Summe der Erwartungen an den Inhaber einer bestimmten Position dar, so schließen sich daran mehrere Folgefragen an, im Besonderen welchen Inhalt die Erwartungen haben, wer diesen Inhalt überhaupt bestimmt und wie man diese Erwartungen „sortieren“ kann. Die Möglichkeit der Schaffung von inhaltlicher Schärfe kann sich über das Dahrendorfsche Rollenverständnis eröffnen. Dahrendorf führt aus, die „Gesellschaft“ habe bezüglich der Erwartungen, die die soziale Rolle betreffen, Sanktionsmöglichkeiten.133 Möglich sind danach positive und negative Sanktionen, wobei er die negativen Sanktionen und ihren Druck betont.134 Eine solche Sanktionsorientierung ist vor allem aufgrund des Normbezugs
132 Dazu etwa Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 45 ff. Joas, S. 45, führt aus, zu unterscheiden sei zum einen der Ansatz, der an Alfred Schütz’ Analyse der Typisierung in der menschlichen Wahrnehmung und ihrer Bedeutung für die Interaktion anknüpfe, zum anderen der im Rahmen der Systemtheorie entwickelte Ansatz Luhmanns, drei Dimensionen der Generalisierung von Verhaltenserwartungen zu unterscheiden. 133 Vgl. Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 38. 134 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 38. Negative Sanktion wird auch verstanden als Bestrafung, positive Sanktion demgegenüber als Belohnung, so etwa Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Sanktion“.
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der Rolle bei Dahrendorf verständlich.135 Letztlich muss man sich also auf die Suche nach sanktionsbewährten Normen, die sich auf die Position inhaltlich beziehen, begeben. Dahrendorf sieht nämlich vor allem auch in den Sanktionen den tauglichen Ansatz für eine Klassifizierung von Rollen, genauer gesagt in dem jeweiligen Grad der Verbindlichkeit.136 2. Muss-Erwartungen und Rolle a) Begrifflichkeit der Muss-Erwartungen Auf der obersten Stufe macht Dahrendorf die so genannten Muss-Erwartungen aus. Sie, so Dahrendorf, bilden den „harte(n) Kern“ jeder sozialen Rolle.137 Ihnen kommt Verbindlichkeit138 zu, indem hier die Macht des Gesetzes/der Rechtsinstitution wacht. Bei einer Verletzung droht die gerichtliche Verfolgung; auf Sanktionsebene bestehen daher ausschließlich negative Sanktionen.139 Deutlich wird hier die Betonung Dahrendorfs von externen Sanktionen, da Dritte, nicht die eigene Person, die Sanktionierung herbeiführen.140 Zudem meint Dahrendorf formelle Sanktionen, weil er auf einen legitimierten Sanktionsapparat verweist.141 Mit dem Hinweis auf gerichtliche Verfolgung wird zudem die Hervorhebung des staatlichen Rechts durch Dahrendorf hinsichtlich der Muss-Erwartungen betont. Gerade hier dienen „Gerichte“ als maßgebliche institutionelle „Absicherung“. Bemerkenswert ist zudem, dass Dahrendorf den Bezug zur Rechtssoziologie herausstellt bei der Klassifizierung und Definition der Sanktionen zur Sicherung der Konformität sozialen Rollenverhaltens.142 Muss-Erwartungen und Gesetze bezögen sich danach auf identische Gegenstände.143 So problematisch Dahrendorfs Gleichsetzungen mit rechtssoziologischen Begrifflichkeiten auch sind, an dieser Stelle eignen sie sich für eine Fokussierung auf das staatlich gesetzte Recht. Rechtssoziologisch erklären sich Gesetze zum einen als
135 Zur Sanktion als Bestandteil der Rollentheorie, wenn dort ein normativer Bezug enthalten ist, Etzrodt, Sozialwissenschaftliche Handlungstheorien, S. 291. 136 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 42. 137 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 39. 138 Es besteht also die Notwendigkeit, dass man so handelt, wie es die Rolle verlangt; der Rollensinn wird von anderen her konstruiert; dazu, auch in Bezug auf Dahrendorf und die soziale Rolle, jedoch nicht in Auseinandersetzung mit Muss-Erwartungen, Philipps, Zur Ontologie der sozialen Rolle, S. 27. 139 Zum Vorstehenden Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 39, 41. 140 Zur externen Sanktion Etzrodt, Sozialwissenschaftliche Handlungstheorien, S. 291. 141 Zum Begriff der formellen Sanktion etwa Endruweit/Trommsdorff/Lamnek, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Sanktion“. 142 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41. 143 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
„gemachtes“ Recht,144 wobei namentlich das Recht erfasst ist, welches Folge staatlicher Gesetzgebung145 ist. Auf die staatlichen Gesetze sollen sich daher im Folgenden die Überlegungen zu den Muss-Erwartungen im Wesentlichen ausrichten. Bereits an dieser Stelle ist jedoch auch, gerade wegen des Bezugs zur Rechtssoziologie, auf weitere Aspekte hinzuweisen. „Gesetze“, vor allem bei der Eingrenzung auf staatliche Gesetze, sind nicht gleichbedeutend mit „Recht“.146 Recht kann z. B. auch auf „Gewohnheit“ fußen und als solches ggf. gerichtlich durchgesetzt werden.147 „Gerichte“ müssen auch nicht notwendig staatliche Gerichte sein.148 Zurückkommend auf Dahrensdorfs Ausführungen zu den Muss-Erwartungen bestehen diese darin, dass die Gesellschaft mit ihnen die Einhaltung sozialer Rollenerwartungen garantiert.149 Klärung bedarf aber, was nach Dahrendorf die „Gesellschaft“ ist und damit auch, wem die Definitionsmacht bezüglich des Inhalts sozialer Rollen und die „Macht“ zur Überwachung ihrer Einhaltung zukommt.150 Eine unkritische Gleichsetzung von Gesellschaft mit Parlament/Regierung als Stellvertretung für die Gesellschaft lehnt Dahrendorf zwar als zu eng ab, wobei die Einschränkung als zu eng jedoch vor allem mit der Existenz von Soll- und KannErwartungen151 begründet wird.152 Dahrendorf führt weiterhin über die Suche nach der „Gesellschaft“ den Begriff der „Bezugsgruppe“ ein.153 „Gesellschaft“ wird in den Gruppen ausgemacht, die das Beziehungsfeld bilden. Die jeweilige Bezugsgruppe sieht Dahrendorf in solchen Gruppen, zu denen die Position notwendig eine Beziehung herstellt, wobei dies nicht unbedingt Fremdgruppen sein müssen, das heißt, der Einzelne kann auch durchaus Mitglied dieser Gruppe sein.154
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Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 16. Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 21. 146 Auch dazu etwa Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 24. 147 So bezeichnet Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 90, Recht als „eine Gesamtheit von sozialen Regeln, die äußeres Verhalten vorschreiben und als gerichtsfähig angesehen werden“. (Zitat zugleich eine Hervorhebung bei Kantorowicz.) 148 Röhl, Rechtssoziologie, S. 236, bezeichnet als Gerichte, gerade unter Bezugnahme auf Kantorowicz’ Gerichtstheorie, „jede irgendwie besonders geordnete Sanktionierungstätigkeit einer sozialen Gruppe.“ Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 111, nimmt die Bestimmung des Gerichts danach vor, ob es eine Einrichtung ist, die allgemeine Aufgaben eines Gerichts wahrnimmt. Danach sei das Gericht „der am Streite Unbeteiligte oder eine Versammlung von Unbeteiligten, die durch die Meinung, die sie über den Gegenstand des Streites aussprechen, Frieden stiften sollen.“ 149 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 39. 150 Dazu auch Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 44. 151 Zu diesen noch ausführlicher im Anschluss. 152 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 45; siehe auch S. 51 f. 153 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 46 f., Fn. 32, unter Hinweis auf die Entwicklung der Theorie der Bezugsgruppe durch Merton. 154 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 46, dort unter Abgrenzung zu Merton, der nur Fremdgruppen als Bezugsgruppen ausmachen würde. 145
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b) Tätigkeit des Anwalts (in seinem Berufsfeld) aa) Bezugsgruppen des Anwalts Geht man von diesem Dahrendorfschen Ansatz für die Bestimmung der Bezugsgruppen des Anwalts (in seinem Berufsfeld) aus, so kommen als Gruppen, zu denen die Position „Anwalt“155 eine Beziehung herstellt, z. B. in Betracht: Anwalt – Mandanten; Anwalt – Justiz (Richterschaft); Anwalt – Kollegen; Anwalt – „Gesamtgesellschaft“; durchaus auch Anwalt – Dritte (potentieller Vertragspartner des Mandanten). Das zeigt die Komplexität der anwaltlichen Position. Dahrendorf etwa nennt eine solche Aussonderung unterschiedlicher Beziehungsrichtungen in Bezug auf die Position „Menge von Positionssegmenten“156. Für die Rolle wird diesbezüglich der Begriff der „Rollensegmente“ eingeführt.157 Diese sind es etwa, die die beispielhaft für den Anwalt aufgeführten Konstellationen umfassen.158 „Bezugsgruppen“ könnten daher beim Anwalt z. B. die Mandantschaft, die Kollegen etc. sein. Ob letztere hinsichtlich der Muss-Erwartungen so tauglich sind, ist diskussionsbedürftig. Denn bezüglich der Muss-Erwartungen macht Dahrendorf159 als organisierte Bezugsgruppe die gesamte Gesellschaft und ihr Rechtssystem aus.160 Bezugsgruppen sind gerade die Gruppen, die ohne Meinungsbefragung eine Verbindung zur Rolle herstellen können.161 Das trifft nun für die Gesellschaft, die über ihr Rechtssystem handelt, zu.162 Hinzu kommt, dass Dahrendorf als relevante Erwartung die fixierten Normen ausmacht.163 Erneut gilt das im Besonderen für das staatliche Recht. Diese Herangehensweise Dahrendorfs kann den Ansatz der Untersuchung anwaltlicher Tätigkeit bilden, bedarf jedoch der weiteren Analyse. 155
Namentlich der Anwalt als Interessenvertreter. Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33. 157 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35, Fn. 24, verweist u. a. für die Termini der Position, des Positionssegments, der Rolle und des Rollensegments auf Gross/Mason/McEachern, Explorations in Role Analysis; siehe dort u. a. S. 62, 52. Ebenfalls verweist Dahrendorf auf Merton. 158 Exemplarisch zur Rolle von Rechtsanwälten, auch in Bezug auf Rollensegmente, Struck, Rechtssoziologie, S. 120 ff. Struck nimmt jedoch, abweichend von unseren Überlegungen, Rollensegmente in Bezug auf den Anwalt als Rechtsexperten, als Interessenvertreter und als Freiberufler vor, S. 120 f. 159 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49. 160 Siehe auch Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 48, wonach Gesetze und Gerichte im besonderen Maß Aufschluss über die Kategorie der sozialen Rolle geben. 161 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49 f. 162 Muss-Erwartungen, so Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49, fänden sich nur in dem Bereich, in dem die ganze Gesellschaft und ihr Rechtssystem zur Bezugsgruppe des Einzelnen würden. 163 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 51; dort auch zur Trennung von Geltung und Legitimität und der Frage der Veränderung von Normen. 156
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
bb) Muss-Erwartungen an den Anwalt Geht man nun von der Position „Interessen vertretender Anwalt“164 aus, so stellt sich das Bild der Muss-Erwartungen im Dahrendorfschen Sinn (bereits) durchaus differenziert dar. Muss-Erwartungen als solche, die gerichtlich sanktionierbar/ durchsetzbar sind, muten bei Dahrendorf (lediglich) als im Strafverfahren verfolgbare Strafrechtsnormen an.165 Führt man aber Dahrendorfs durchaus nachvollziehbaren Ansatz fort, so greift eine derart einengende Sichtweise zu kurz. Denn (staatliche) Normen, die mit dem staatlichen Rechtsapparat durchgesetzt werden können, sind z. B. auch solche des BGB oder öffentlich-rechtliche Normen, die nicht solche des StGB sind. Dafür spricht nicht zuletzt auch Dahrendorfs ausdrückliche „Analogie“166 zwischen Gesetz und Muss-Erwartungen. Lediglich wenn man die drohende Sanktion beim Verstoß gegen eine Muss-Erwartung in einem engen Sinn als „Bestrafung“ auffasst,167 ergeben sich Probleme. Allerdings besteht gerade aus (rechts-)soziologischer Sicht kein Grund für eine solche Beschränkung. (Rechts-) Soziologisch kann „Sanktion“ vielmehr als Reaktion auf abweichendes Verhalten bezeichnet werden, das die mangelnde Hinnahme dieser Abweichung zeigt168. Eine negative Sanktion als „Bestrafung“ ist dann aber etwa auch ein im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetztes zivilrechtliches Urteil. Es ist nichts anderes als eine Reaktion auf abweichendes Verhalten, z. B. wenn (titulierte) Käuferpflichten nicht erfüllt werden. Daran kann sich dann sogar ein staatlicher Zwangsmechanismus anschließen. Was heißt das nun in Bezug auf Muss-Erwartungen an den Anwalt, ihre Sanktionierbarkeit und dahinterstehende Bezugsgruppen? „Unproblematisch“ wird man wiederum gerichtliche Durchsetzbarkeit, Sanktionierbarkeit und eine dahinterstehende gesamtgesellschaftliche Bezugsgruppe bei den Strafrechtsnormen (insbesondere Parteiverrat nach § 356 StGB) ausmachen können.169 Wie sehen aber die gerichtliche Durchsetzbarkeit und der staatliche Sanktionenapparat im Besonderen 164
Zur Position als maßgeblichen Anknüpfungspunkt von Erwartungen auch Röhl, Rechtssoziologie, S. 312, der sie als gemeinsamen Tatbestand sozialer Normen ausmacht, die den Normadressaten treffen. 165 Siehe auch Röhl, Rechtssoziologie, S. 315; Dahrendorf identifiziere Muss-Erwartungen mit Recht. Das sei für einige grundlegende Strafbestimmungen zutreffend, für die Masse der Rechtsnormen sei der Grad der Verbindlichkeit aber problematisch. 166 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41. 167 „Strafe“ im Sinn einer strafrechtlichen Bestrafung; insoweit zumindest missverständlich Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41, Fn. 28, der die negative Sanktion in Bezug auf Muss-Erwartungen mit „gerichtlicher Bestrafung“ bezeichnet. 168 Spittler, Norm und Sanktion, S. 27; Spittler folgend etwa Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, S. 29. Siehe auch Schäfer/Kopp/Peuckert, 10. Aufl., Grundbegriffe der Soziologie, Stichwort „Sanktion“. Zur Sanktion als Klasse sozialer Reaktionen, die mit Belohnungen und/oder Bestrafungen zu tun haben, Wiswede, Rollentheorie, S. 59. 169 Röhl, Rechtssoziologie, S. 315, für grundlegende Strafrechtsnormen.
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im Hinblick auf Normen der BRAO (BORA) und des anwaltsrelevanten Vertragsrechts (BGB) aus? Deren Bedeutung soll im Nachfolgenden exemplarisch dargestellt werden. (1) Muss-Erwartungen aufgrund der BRAO § 113 BRAO sieht die Ahndung einer berufsrechtlichen Pflichtverletzung durch anwaltsgerichtliche Maßnahmen vor; eingebunden ist insoweit die Staatsanwaltschaft (§ 120 BRAO). Die Anwaltsgerichte sind staatliche Gerichte in Sinn des Art. 92 i. V. m. Art. 20 GG,170 vor denen das Anklageprinzip greift (§ 116 Satz 2 BRAO i. V. m. § 151 StPO). Mitglieder der Anwaltsgerichte selbst können nur Rechtsanwälte sein (§ 94 Abs. 1 BRAO); nach § 94 Abs. 2 Satz 1 BRAO werden sie aber von der Landesjustizverwaltung ernannt. Die Bildung beruht somit auf staatlichem Gesetz, erfüllt staatliche Aufgaben, der Staat wirkt bei der Besetzung mit.171 Ferner haben die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen nach § 114 BRAO sogar durchaus pönalen Charakter. Man kann somit unter Bezugnahme auf Dahrendorf feststellen, dass bei den berufsrechtlichen Pflichten „Muss-Erwartungen“ vorliegen. Sind dann demzufolge die relevante Bezugsgruppe doch „alle“, das heißt die Gesamtgesellschaft, „vermittelt“ über Parlament und Regierung? Hier zeigt sich jedoch bereits, dass Dahrendorfs Kategorisierung nach der „Härte“ der Sanktion zwar durchaus ein tauglicher Ansatz sein kann, hinsichtlich der Bezugsgruppe demgegenüber aber weiter getrennt werden muss. Denn hinter „staatlichem“ Recht stets (nur) die „Gesellschaft“ zu sehen, ist in der Tat zu eng. Beachtenswert ist vielmehr ebenfalls, ob und ggf. welche bestimmten Gruppen das staatliche Recht „besonders aktivieren“ können. So bedarf es auch der Berücksichtigung, ob, wie beim „klassischen“ Straf- und Strafprozessrecht, vornehmlich der Staat mit seinen Organen auf die Normeinhaltung achtet, oder ob und inwieweit andere diesbezüglich eingebunden sind. Es stellt sich also die Frage der Überwachung der Einhaltung, eine Frage, die Dahrendorf selbst aufwirft. Eng verbunden ist damit der rechtssoziologisch interessante Bereich, wie effektiv Recht überhaupt sein kann.172 In Bezug auf die berufsrechtlichen Anwaltsregelungen im System der §§ 92 ff. BRAO ist nun zunächst die oben schon erwähnte Einbindung des Staatsanwalts bezeichnend, den man durchaus als Repräsentant der „Gesamtgesellschaft“ bezeichnen könnte. Für die Frage der „Verfolgungshoheit“ ist allerdings auch § 122 BRAO zu berücksichtigen. So hat denn der Vorstand der Rechtsanwaltskammer, also ein Organ der Anwaltschaft, ein Antragsrecht (§ 122 Abs. 1 BRAO). Zudem räumt
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Siehe Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 92, Rn. 2. Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 92, Rn. 2. 172 Die Frage der Verbindlichkeit von Recht im Kontext mit Dahrendorfs Homo Sociologicus benennt etwa Röhl, Rechtssoziologie, S. 315. 171
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
etwa § 122 Abs. 2 BRAO dem Vorstand ein Anschuldigungserzwingungsrecht ein.173 Einfluss auf die Durchsetzbarkeit des Berufsrechts wird damit der organisierten Anwaltschaft eingeräumt. Zwar geschieht dies wiederum auf staatlicher Normebene, gleichwohl tritt hier der Umstand hervor, dass nicht Repräsentanten der Gesamtgesellschaft, sondern die eines bestimmten Berufsstands tätig werden und als solche Einfluss auf die (Berufs-)Rechtsdurchsetzung gewinnen. Diese Fokussierung auf solch eine (andere) Gruppe tritt noch deutlicher hervor, wenn man etwa § 57 BRAO (Zwangsgeld bei Verletzung der besonderen Pflichten) und § 74 BRAO (Rügerecht des Vorstandes) mitberücksichtigt. Diese Paragrafen räumen der Anwaltschaft174 sogar ein eigenes unmittelbares Sanktionsrecht ein. Für die berufsrechtliche Ebene lassen sich folglich Dahrendorfs Überlegungen zu den Muss-Erwartungen in einem ersten Schritt bezüglich der Sanktionsbewährung nachvollziehen.175 Die Bezugsgruppe sollte allerdings unterschiedlich betrachtet werden. Maßgeblich darf nicht (nur) sein, wer „hinter“ der Schaffung des relevanten Normwerks steht, sondern (auch), wem „normbefestigt“ die Zuführungsmacht zu (gerichtlichen) Sanktionen offensteht. Dementsprechend wird man im Hinblick auf die berufsrechtlichen Erwartungen (auch) die organisierte Anwaltschaft als Bezugsgruppe auffassen müssen.176 Mit diesem veränderten Herangehen an die Bezugsgruppe ist u. a. auch die Kritik aufgegriffen, die Röhl an Dahrendorf geäußert hat. Röhl177 kritisiert die Gleichsetzung des Rechts durch Dahrendorf fast ausschließlich mit dem Strafrecht.178 Zudem weist er auf die mangelnde Trennung zwischen normativem Anspruch des Rechts
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Dieses Recht ist qualitativ anders einzustufen als das Klageerzwingungsrecht aus § 171 StPO. Letzterer räumt unter bestimmten Voraussetzungen dem Verletzten ein Recht ein. § 122 Abs. 2 BRAO steht demgegenüber außerhalb des Vorliegens einer Verletzteneigenschaft. 174 Wiederum auf bundesgesetzlicher Ebene. 175 Siehe aber noch unten dazu, diesen Ansatz nicht zu verabsolutieren. 176 Interessant ist in diesem Zusammenhang das Antragsrecht des Anwalts aus § 123 Abs. 1 BRAO. Es ermöglicht den (eigenen) Antrag an die Staatsanwaltschaft, das Anwaltsgerichtsverfahren gegen ihn als Anwalt einzuleiten, um sich vom Verdacht einer Pflichtverletzung reinigen zu können. Hier geht es nicht um eine negative Sanktion, sondern letztlich um eine positive. Das, was der Anwalt begehrt, ist eine Klarstellung vor allem gegenüber der Mandantschaft und der Kollegenschaft. Letztlich geht es darum zu zeigen, dass die (berufsrechtliche) Rolle durch den Anwalt erfüllt worden ist. Demzufolge kann man auch hier grundsätzlich davon sprechen, in der Mandantschaft oder in der Kollegenschaft die Bezugsgruppen zu sehen. Denn es ist u. a. die Vermeidung drohender negativer Sanktionen durch diese Gruppen, der der Anwalt zuvorkommen/begegnen will/kann. Insofern üben sie zumindest mittelbaren Druck aus. Allerdings muss dieser Druck nicht „gesetzlich“ im Dahrendorfschen Sinn, sondern kann z. B. anders begründet sein, etwa durch Ansehensverlust. Schließlich ist damit eine Schnittstelle zu Soll- und Kann-Erwartungen eröffnet (siehe dazu noch unten). 177 Röhl, Rechtssoziologie, S. 315. 178 Siehe auch oben bereits zur Kritik bezüglich einer einseitigen Ausrichtung der MussErwartungen auf das Strafrecht.
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und der Rechtswirklichkeit hin.179 Problematisch sei auch das Recht als Rollenerwartung mit der Gesamtgesellschaft als Bezugsgruppe aufzufassen.180 Alle diese Kritikpunkte tauchen ebenso in unseren vorstehenden Überlegungen auf.181 So zeigt etwa die Notwendigkeit, die Bezugsgruppe (auch) danach zu bestimmen, wer die Erwartungen durchsetzen kann, dass dies „kleinere“ Gruppen sein können,182 wenn ihre Durchsetzungskraft „staatlich normativ fundiert“ ist. Mit der Frage, ob und wie es zur Durchsetzung des Rechts kommen kann, ist ferner der Bereich, den Röhl mit „Rechtswirklichkeit“ bezeichnet, angeschnitten. Freilich macht der Umstand, wie und ob etwas zur rechtlichen Kontrolle gebracht wird/werden kann, nur einen Teilaspekt dessen aus, ob Recht „gelebt“ wird.183 Dem vorgeschaltet sind das „tatsächliche Leben“ und die Frage, ob dort die Normaussage umgesetzt wird.184 Allerdings kann man für die noch anstehenden Überlegungen zum anwaltlichen Verhalten und dem Umgang mit Muss-Erwartungen185 zunächst festhalten: Solange das tatsächliche Leben keine Auswirkungen darauf hat, dass (anders lautende) Normaussagen ggf. gerichtlich durchgesetzt werden können, müssen diese Normen bei einer Verhaltensausrichtung, die (staatlich) normorientiert ist, zumindest in Rechnung gestellt werden.186 Das gilt auch und im Besonderen für die Normen der BRAO. 179
Röhl, Rechtssoziologie, S. 315. Röhl, Rechtssoziologie, S. 315. 181 Eine weitere Kritik Röhls, Rechtssoziologie, S. 316, richtet sich auf die Gleichsetzung rechtlicher Sanktionierbarkeit von Rollenerwartungen mit dem Grad der gesellschaftlichen Bedeutung. Grundsätzlich ist Röhl zuzustimmen, eine kritische Haltung dahingehend beizubehalten. Gleichwohl können, wie beim Anwalt, eine rechtliche Normierung der Ausbildung, der Sanktionierbarkeit und der Haftung Indizien für eine gesellschaftliche Bedeutung sein. 182 Möglich ist etwa auch, dass ein Dritter, z. B. der potentielle Vertragspartner des Mandanten, „Bezugsgruppe“ sein kann. So kann der Dritte ggf. wegen der Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) die Erwartung haben, dass der Anwalt sein Fachwissen nicht missbräuchlich einsetzt. Die „Durchsetzungsgewalt“ des Dritten kann dann aus der Möglichkeit gefolgert werden, dass u. U. ein Anspruch aus § 826 BGB gegen den Anwalt besteht. Zur Problematik des Eingreifens von § 826 BGB wegen Pflichtverletzungen aus der dem Anwalt zugewiesenen „Organstellung“ siehe Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 10. 183 Siehe Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 43, zur Feststellung von Verhaltensmustern, nach denen der Rechtsstab in bestimmten sozialen Situationen reagiert. 184 Siehe Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 43, zum Rechtsbewusstsein sowie zum rechtsrelevanten Sozialleben. 185 Das betrifft vor allem auch die später vom Anwalt für den Mandanten mit gestalteten Rollen. 186 Siehe auch Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 50 f., zur Frage der Änderung von Normen. Beispiel: Eine Strafrechtsnorm, die von Großteilen der Bevölkerung abgelehnt wird, wird gleichwohl von der Staatsanwaltschaft weiterhin verfolgt. Konsequenterweise sollte sie dann auch weiterhin, zumindest als (Verhaltens-)Möglichkeit, dem eigenen Verhaltensschema zugrunde gelegt werden. Allerdings muss dann ebenso berücksichtigt werden, dass tatsächlich gelebte Veränderungen, nicht zuletzt innerhalb der Wertvorstellungen, auch bei unveränderten Normtexten Einlass ins Recht gewinnen können. Ein besonderes „Einfallstor“ sind, allerdings jenseits des 180
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(2) Muss-Erwartungen durch das BGB (Anwaltsvertrag) Was sich aufgrund der bisherigen Ausführungen zum Berufsrecht bereits herauskristallisierte, insbesondere die Einbindung der Verfolgungs- als Bezugsgruppe, zeigt seine Bedeutung noch stärker, wenn das BGB als mögliche „sanktionierte Erwartungsstruktur“ untersucht wird. Die Relevanz der BGB-Normen soll anhand der Bedeutung des Vertragsrechts (Anwaltsvertrag) als einer Kernmaterie aufgezeigt werden. Hierbei ist nochmals hervorzuheben, dass nicht ein einzelner individueller Vertrag im Fokus steht, sondern es um den Anwaltsvertrag an sich geht. Das Vertragsrecht mit seinen typisierten187 Verträgen188 bietet ebenfalls ein (staatlich) normiertes Erwartungsbild an, also
Berufsrechts, insoweit vor allem die zivilrechtlichen Generalklauseln, denen dieser Umstand als „Konzept“ zugrunde liegt. Das zeigt sich exemplarisch am Tatbestandsmerkmal der „guten Sitten“ in § 138 Abs. 1 BGB. Siehe dazu etwa Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 12 f., der u. a. auf die Probleme der Feststellung außerrechtlicher Wertvorstellungen sowie auf die Frage hinweist, wer eigentlich Träger der zu ermittelnden Wertvorstellungen sei. Als Katalysator der Umsetzung gelebter Veränderung in bestehende Normtexte dient ganz maßgeblich die Rechtsprechung, also die für die Muss-Erwartung (mit) relevante Kontrollinstanz. Vgl. auch Mertens, AcP 178 (1978), 227, 257, der dem Richter in bestimmtem Rahmen die Möglichkeit zubilligt, verbindliche Rollenerwartungen festzulegen. Der Kontext, in dem Mertens dies aufführt, ist die wirtschaftspolitische Funktion der Rechtsprechung im Deliktsrecht. Die Festlegung von Rollenerwartungen unter Bezugnahme auf die Belegstelle bei Mertens wohl in einen größeren Zusammenhang stellend Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 192. So gewinnt also mit der Ausfüllung von Allgemeinbegriffen oder der „Neuauslegung“ gleichbleibender Normtexte reales Rollenverhalten über die Kontrollinstanz Einfluss auf den Inhalt von Muss-Erwartungen. Siehe dazu Drath, FS für Leibholz, 35, 71; darauf unter Bezugnahme auf Drath ebenfalls hinweisend Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 40. 187 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 196, weist darauf hin, dass es keineswegs selbstverständlich sei, dass soziale oder eben juristische Typisierungen eine soziale Rolle begründen. Daraus folgt im Umkehrschluss jedenfalls die Möglichkeit der Begründung einer sozialen Rolle. Köndgen zeigt weiterhin die Zuordnung der Rolle als Verhaltensmuster an eine soziale Position oder Funktion auf. So seien etwa normierte, wenn auch typisierte Verhaltenserwartungen, die sich an Jedermann richteten, also „Allwirkung“ hätten, mangels Positionsanbindung keine Rollenerwartungen (S. 197). Beispielhaft nennt Köndgen die Pflicht des Radfahrers, bei Dunkelheit mit Licht zu fahren. Demgegenüber kennt etwa Gerhardt, Rollenanalyse als kritische Soziologie, S. 190 ff., worauf Köndgen (S. 197, Fn. 41) auch hinweist, Rollen, die keiner Position entsprechen (Gerhardt, S. 194). Auch bei situationsspezifischen Verhaltensmustern, so Gerhardt, S. 194, werde jene Abstraktion (Hervorhebung im Original) vollzogen, die ein wesentliches Merkmal sozialer Rollen sei. Gerhardt (S. 195) spricht von „Situations-Rollen“. In Bezug auf Verträge wird man jedoch das Vorhandensein eines eigenen Beziehungsfelds mit einer entsprechenden sozialen Positionierung annehmen dürfen, so Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 31. 188 Auch an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Typisierung im Vertragsrecht nicht mit der Typisierung als einer Richtung der Rollentheorie gleichgesetzt werden darf.
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Rollen,189 in die der Einzelne schlüpfen kann. Die Erwartungshaltung des „pacta sunt servanda“, die grundsätzlich für jeden rechtswirksamen Vertrag gilt, wird durch die vertragstypischen Pflichten zu einer bestimmten Rolle ausgeformt. Da es sich beim Anwaltsvertrag in der Regel um einen Vertrag nach § 675 Abs. 1 i. V. m. §§ 611 ff. BGB handelt, folgen daraus z. B. die typischen Pflichten aus §§ 665 ff. BGB. Gerade beim Anwaltsvertrag haben jedoch viele „typische“ Vertragspflichten keine ausdrückliche gesetzliche Normierung gefunden.190 Hier kommt der Rechtsprechung in zweifacher Hinsicht Bedeutung zu. Zum einen betrifft dies die bereits angesprochene Ausfüllung vorhandener geschriebener Normen.191 Darüber hinaus sind vor allem beim Anwaltsvertrag und seinem Pflichtenkatalog das „Richterrecht“, das heißt die durch die Rechtsprechung entwickelten Pflichten,192 von Bedeutung. Auf diese Art und Weise kann reales Rollenverhalten Einfluss auf gesprochenes Recht finden. Mit Blick auf Dahrendorfs Muss-Erwartungen muss jedoch geklärt werden, ob solches „Richterrecht“ dort überhaupt „Einlass“ bekommen kann. Denn die Kontrollinstanz, der Rechtsstab, der für die Durchsetzbarkeit erforderlich ist, wird hier (gleichzeitig) rechtsetzend tätig. Gleichwohl können auch richterrechtlich herausgebildete Normen die Qualität von Muss-Erwartungen haben. Durch ihre Formulierung durch die Rechtsprechung und ihre wiederholte Anwendung werden sie „fest“, sind „fixiert“. Sie können bei Enttäuschung auch mit Hilfe des staatlichen Rechtsstabs durchgesetzt werden.193 Schwieriger ist hier eher die Frage nach der Bezugsgruppe im Hinblick darauf, wer die „Normen“ setzt. Ohne weiteres kann mangels Gesetzgebungsverfahrens nicht über Parlament und Regierung auf die „Gesellschaft“ verwiesen werden. Sieht man allerdings in den Gerichten und der von ihnen betriebenen Rechtsfortbildung ein Tun, das sich im Rahmen von Verfassung und staatlichem Gesetz hält, so kann doch erneut eine Brücke zur „Gesamtgesellschaft“ geschlagen werden. Allerdings zeigt dieses Bemühen wiederum die Schwierigkeit der Umsetzung des Dahrendorfschen Ansatzes auf ein konkretes Bezugsfeld und seine Verknüpfung zum Begriff des „Gesetzes“. Abgesehen von den so (vor-)geformten (typischen) Vertragspflichten, die zu „Rollen“ werden können, gilt, gleichsam als „Basis“, die zuvor schon genannte
189 Vgl. auch Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 31, der etwa, allerdings bezogen auf eine soziale Position, den „Schuldner einer Kaufpreisschuld“ als Beispiel nennt. Siehe ferner Maihofer, Recht und Sein, S. 120, der auf einer Ebene der Zuordnung von Sozialgestalten als wechselseitig sich entsprechendes „Alsseins“ Käufer und Verkäufer, Mieter und Vermieter, aber auch Anwalt und Klient exemplifiziert. Allgemein auf die „hohe (…) Konjunktur“ des Rollenbegriffs im Vertragsrecht hinweisend Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 192. 190 Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 9, Rn. 3. 191 Dazu wiederum Drath, FS für Leibholz, 35, 71. 192 Dazu Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 9, Rn. 3 m. w. N. 193 Drath, FS für Leibholz, 35, 72, weist zu Recht darauf hin, dass über die Rechtsfortbildung regelmäßig das künftige Zusammenleben befestigt, konkretisiert und modifiziert wird.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Erwartung des „pacta sunt servanda“. Sie ist eine (Grund-)Erwartung, die bestehen bleibt, auch wenn es zu individualvertraglicher Pflichtenausgestaltung kommt. Den (Anwalts-)Vertragspflichten kommt schließlich die notwendige Sanktionsbewährung zu, die nach Dahrendorf eine Muss-Erwartung mitprägt. Diesbezüglich kann auf das bereits erläuterte Sanktionenverständnis verwiesen werden, nämlich die zivilgerichtliche Klärungsmöglichkeit und die daran ggf. anknüpfende vollstreckungsrechtliche Durchsetzbarkeit. Wie innerhalb der Erörterung der BRAO-Vorschriften als Muss-Erwartungen verdient die Bestimmung der Bezugsgruppen ebenfalls hinsichtlich der Vertragspflichten abschließend nochmals Aufmerksamkeit. Auch wenn Mandant und Anwalt einen inter partes wirkenden Vertrag abschließen, greifen sie gleichwohl auf staatliches Recht (BGB) zurück, das ihnen den Weg zur staatlich sanktionsbewährten Durchsetzbarkeit ebnet. So können denn die (Vertrags-)Normen des BGB grundsätzlich, wie zuvor gezeigt, gesamtgesellschaftliche Geltung als Verhaltensmuster insbesondere auch hinsichtlich des dahinterstehenden Rechtsstabs in Anspruch nehmen.194 Gleichwohl wird hier etwas noch deutlicher als im Zusammenhang mit dem anwaltlichen Berufsrecht: Das Vertragsrecht und seine „Erwartungsformulierungen“ werden nur auf Betreiben der Vertragsparteien dem kontrollierenden Rechtsstab zugeführt. Die flankierende prozessrechtliche Aussage lautet „Wo kein Kläger, da kein Richter“ (vgl. dazu u. a. §§ 253, 308 ZPO als Ausfluss der Dispositionsmaxime im Zivilprozess). Anknüpfend an unsere obigen Überlegungen ist also allgemein195 die Mandantschaft als Vertragspartner Bezugsgruppe. cc) Zwischenfazit: Muss-Erwartungen als Faktor anwaltlichen Handelns Legt man die Dahrendorfschen Muss-Erwartungen im „erweiterten Sinn“, das heißt mit den zuvor erläuterten Weiterungen insbesondere bezüglich der Bezugsgruppen zugrunde, so kann konstatiert werden, dass der Anwalt sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit umfangreichen Muss-Erwartungen gegenübersieht. Vor allem wenn man den vertraglichen Pflichtenkanon aus dem Anwaltsvertrag hinzunimmt, erscheint der Anwalt fast als „Gefangener“ diverser Muss-Erwartungen. Zugespitzt könnte man sagen, die Tätigkeit des Anwalts sei „durchnormiert“, er darf 194
Siehe auch Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, S. 11, 30, der kennzeichnend für das Recht die von Rechts wegen formalisierte und organisierte Reaktion der Gesellschaft (durch Gericht oder Verwaltung) ausmacht. 195 Es sei nochmals betont, dass es an dieser Stelle nicht um das konkrete Handeln eines bestimmten Mandanten geht. Dahrendorf hebt den Zusammenhang zwischen Muss-Erwartungen und grundsätzlich mangelnder Abhängigkeit von Meinungsbildungen in der Bezugsgruppe hervor. Gegen diese Aussage wird hier nicht „verstoßen“. Denn bedeutsam ist die rechtliche, von Meinungsbildern unabhängige Möglichkeit, als Mandant den Vertrag richterlicher Kontrolle zuführen zu können.
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„nichts falsch machen“.196 Eines wird man in Bezug auf die „Strenge“ der Erwartungen einräumen müssen: Der Anwalt muss hinsichtlich der unterschiedlichen Rollenerwartungen in Form von Muss-Erwartungen jedenfalls damit rechnen, dass bei einer „Enttäuschung“ durch ihn Sanktionen folgen können. Das gilt vor allem für die vertraglich begründeten Erwartungen. Insofern darf nicht davon ausgegangen werden, die andere Seite (Mandant) werde ihre Erwartungen anpassen, sondern der Anwalt muss einkalkulieren, auf der anderen Seite ein Beharren auf enttäuschungsfesten Annahmen zu finden, also normatives Denken197 („Die Vertragspflicht muss erfüllt werden.“).198 Dementsprechend sehen eine mögliche „Gefahrenabwehr“ des Anwalts und eine abwägende Haltung seinerseits aus. Beispiele sind dafür erneut die anwaltliche Haftpflichtversicherungspflicht (§ 51 BRAO), das Arbeiten mit „Checklisten“, die Orientierung an der Haftungsrechtsprechung. Die Verbindungslinie vom Homo Sociologicus zum Homo Oeconomicus, der die Minimierung von negativen Sanktionen zum Handlungsziel erhebt,199 ist für den Anwaltsberuf jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Bei all dem Nutzen etwaiger Muss-Erwartungen für die Analyse und Erläuterung anwaltlichen Handelns müssen aber kritische Fragen aufgeworfen werden; die wichtigsten sollen hier bereits aufgezeigt werden: Ist der Anwalt durch Normen so determiniert, dass keine Freiräume bleiben? Ist es aber nicht vielmehr der Anwalt, der vor allem in der Vertragsgestaltung als kreativer Handelnder gefragt und gefordert ist? „Verkommt“ der Anwalt bei einer reinen Orientierung an (staatlichen) Normen nicht in gefährlicher Weise zum „Subsumtionsautomaten“200 ? Wie sollte der Umgang des Anwalts mit dem Recht aussehen? Muss dieser Umgang nicht viel mehr sein als die Angst vor externer Sanktion? Welche Einstellung zum Recht könnte/sollte der Anwalt als Rechtspflegeorgan einnehmen? Wie viel Distanz soll/muss der Anwalt vom fixierten Recht und vom Rechtsstab haben? Braucht der Anwalt nicht zwingend eine kritische Distanz, um ein „guter Anwalt“ zu sein und wie können sich entsprechende Überzeugungen bilden? Wie prägen sein Rollenverständnis die Empfehlungen in der Vertragsgestaltung, wenn dem Mandanten selbst zur „Rolleneinnahme“ („Vertragsrolle“) geraten wird, die z. B. auch Muss-Erwartungen beinhaltet? Wie wird dann Recht gesellschaftlich eingesetzt?
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Letzteres gilt freilich auch für viele andere Berufe. Zu normativen Erwartungen Luhmann, Soziale Systeme, S. 454. 198 Eine in die Richtung zielende allgemeine Kritik an Dahrendorf äußert Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 21. 199 So die Kritik von Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 21. 200 Die Begrifflichkeit des Subsumtionsautomaten ist entlehnt an Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat? 197
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
c) Muss-Erwartungen und vom Mandanten zu übernehmende Position/Rolle Gerade im Anschluss an die letzten Überlegungen ist die Argumentation mit Muss-Erwartungen auch für die Position/die Rolle von Bedeutung, die der Mandant aufgrund des zu schließenden Vertrags einnehmen soll. Denn namentlich die Überlegungen zu den Muss-Erwartungen durch das BGB können auch das Verhältnis des Mandanten zu seinem Vertragspartner prägen. Auf diesen Problemkomplex wird unter Punkt 5. gesondert eingegangen werden. 3. Öffnung zur Berücksichtigung anderer Sanktionsformen – Übergang zu Soll- und Kann-Erwartungen a) Soll-Erwartungen aa) Begrifflichkeit Innerhalb seiner Kategorisierung von Rollen-Erwartungen anhand der Sanktionsbewährung stellt Dahrendorf die Soll-Erwartungen an zweite Stelle. Bei den SollErwartungen handelt es sich nach Dahrendorf ebenfalls um fixierte erzwingbare Verbindlichkeiten, die kaum geringer als die der Muss-Erwartungen anzusiedeln sind.201 Die Sanktionen sind überwiegend negative,202 wobei allerdings auch positive in Form von Sympathie möglich sind203. Die rechtssoziologische „Parallele“ zieht Dahrendorf hier zur „Sitte“.204 Die Bezugsgruppen sieht Dahrendorf wie bei den Muss-Erwartungen vor allem in organisierten Gruppen.205 Er macht insoweit etwa öffentliche Organisationen, Institutionen, Standesorganisationen, Betriebe, Parteien und Klubs aus.206 Die Betonung liegt auf Organisationen mit quasi-rechtlichen Institutionen, die über die Einhaltung von Verhaltensregeln wachen.207 Dahrendorf weist also auf die verfahrensmäßige Möglichkeit zur Durchsetzung der Sanktionen hin. Schließlich zeigt er auf, wie „gravierend“ die Sanktionen sein können, etwa in Form eines Parteiausschlusses,208 der ähnlich hart sein könne wie eine Gefängnisstrafe. Dahrendorfs Herangehensweise ist auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar, erzeugt jedoch wiederum Problembereiche: Diese sollen hier an der Abgrenzung zu den Muss-Erwartungen und Dahrendorfs Parallele zum rechtssoziologischen 201
Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 40. Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 40. 203 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41, Fn. 28. 204 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41. 205 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49. 206 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49. 207 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 40. 208 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 40. 202
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Bereich der „Sitte“ aufgezeigt werden. Gerade das rechtssoziologische Verständnis bedarf hier zunächst einer näheren Ausfüllung. Unter Sitte, unter Aussparung der Sittlichkeit, die mit einem Werturteil einhergeht,209 fallen soziale Normen/Regeln, die durchaus eine gewisse Verbindlichkeit entfalten.210 Das zeigt sich darin, dass die Umwelt solche Regeln sehr wohl als Pflicht begreift,211 bei einem Verstoß eine Sanktion folgen kann212. Mit diesem Element der „Sitte“ stimmen Dahrendorfs Überlegungen zu den Soll-Erwartungen durchaus überein.213 Das, was die „Sitte“ vom Recht und damit insbesondere von staatlichen Gesetzen trennt, ist der dahinterstehende Stab. Dabei kann man auch Normen der Sitte nicht grundsätzlich einen „Erzwingungsstab“214 absprechen. Ist es Sitte, an bestimmten Tagen keine laute Musik im Freien zu spielen, und verstößt jemand dagegen, kann etwa die unmittelbare Nachbarschaft als „Erzwingungsstab“ fungieren und den Verstoßenden schneiden.215 bb) Schwierigkeiten der inhaltlichen Erfassung/Abgrenzung bezüglich der Rolle des Anwalts als solchen Die gleichwohl gegebene Schwierigkeit der inhaltlichen Erfassung der Soll-Erwartungen kann in Bezug auf die Rolle des Anwalts als solchen aufgezeigt werden. Das Recht, namentlich das staatliche Recht in Form von Gesetzen, ist mit einem qualifizierten, einem spezialisierten Erzwingungsstab ausgestattet.216 Es ist nicht 209
Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 45; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 303 f. Nicht einheitlich ist der Gebrauch des Begriffs der „Sitte“. So fasst etwa Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 15, unter „Sitte“ eine äußerlich nicht garantierte Regel, die der Einzelne freiwillig einhält, sei es gedankenlos oder aus Bequemlichkeit. Der hier entwickelte Sittenbegriff ist bei Weber die „Konvention“. 211 Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 45. 212 Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 45, weist insoweit auch auf positive Sanktionen hin; er betont das Herangehen nicht über eine Zwangs-, sondern über eine Reaktionstheorie. Siehe außerdem Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 204, 303 f. 213 Problematisch wird dieser „Gleichlauf“, wenn man, wie etwa Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 304, als Quelle der Sitte die „Gesellschaft“ aufführt, die sie durchaus vom „Staat“ trennen. Dahrendorf demgegenüber nennt, zwar nicht als „Quelle“, aber als „Bezugsgruppen“, nur bestimmte Gruppierungen. Allerdings könnte man insoweit anführen, dass diese bezüglich der Soll-Erwartungen aus der Gesellschaft herauskommen, ohne den Staat als solchen zu repräsentieren. 214 Zur Terminologie Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 18. 215 Zum Erzwingungsstab ohne richterliche Instanz Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 18. Bei Dahrendorf würde dies etwa zu seinem Beispiel der „festen Gewohnheiten“, Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49, passen. Wenn Dahrendorf nun bezüglich der SollErwartungen auf Bewachung der Einhaltung der Verhaltensregeln durch Organisationen hinweist (S. 40), passt dieses aber ebenfalls zur Sitte. 216 Vgl. dazu Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17 f. Demgegenüber lehnt etwa Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, S. 11, 30, unter Bezugnahme auf Weber die organisierte Sanktion durch einen Erzwingungsstab als Merkmal für das Recht (im Vergleich 210
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
zuletzt dieser spezielle (Gerichts-)Bezug, der auch für Dahrendorfs Muss-Erwartungen prägend war. Er ist es allerdings im Weiteren ebenso, der Dahrendorfs Ausführungen zu den Soll-Erwartungen als problematisch erscheinen lässt. Das gilt, wie schon betont, keineswegs für die Unterteilung in Soll-Erwartungen an sich, noch, wie die soeben angestellten Überlegungen gezeigt haben, grundsätzlich für die Parallelbildung zur rechtssoziologischen Sitte. Es sind vielmehr die Beispiele, die Dahrendorf betonend herausstellt. Sie machen eine Einordnung als Soll-Erwartung bzw. eine Abgrenzung zur Muss-Erwartung mitunter schwierig und verdeutlichen, dass der Schwenk von der (Rechts-)Soziologie in die juristische Rechtsmaterie vorsichtig vorzunehmen ist. So nennt Dahrendorf u. a. im Hinblick auf die Bezugsgruppen Institutionen, Klubs etc., die „zumeist Satzungen, feste Gewohnheiten und Präzedenzfälle (kennen), an denen sich ihre Normen und Funktionen ablesen lassen“217, als Beispiele. Nun mag man überlegen, ob Dahrendorf damit den entsprechend juristisch belegten Inhalt gemeint hat. Unabhängig davon bleibt es bei der angerissenen Problematik der Einordnung, was anhand der bereits diskutierten BORA veranschaulicht werden kann. Die BORA ist eine juristische Satzung; sie ist auf eine besondere staatliche Legitimation (eigene Durchsetzungsinstrumentarien) rückführbar, letztlich auch u. a. auf die „Gesellschaft“ als Bezugsgruppe. Alles das würde (und wurde von unserer Seite auch) für eine Muss-Erwartung sprechen. Ähnliche Schwierigkeiten können ferner beispielhaft in einem anderen Kontext aufgezeigt werden. Vereine oder Klubs verfügen ebenfalls oftmals über Satzungen. Treten Sie als eingetragene Vereine im Sinne des § 21 BGB auf, so ist diese Satzung ihre „Verfassung“ im Sinne des § 25 BGB. Als solche kann sie vor allem Regelungen und Sanktionsbestimmungen enthalten. Mit dem Schritt in die §§ 21 ff. BGB (Einbettung in das Zivilrecht) ist jedoch die Öffnung hin zur staatlichen Gerichtsfähigkeit der Normen geöffnet, also der Bereich von „Sitte“, die Dahrendorf mit Soll-Erwartungen gleichsetzt, verlassen. So können z. B. alle Vereinsmaßnahmen, insbesondere Vereinsstrafen, grundsätzlich gerichtlich nachgeprüft werden.218 So hat etwa der BGH219 in Bezug auf den Ausschluss aus einer Gewerkschaft ausgeführt, der Ausschluss aus Verbänden mit überragender Machtstellung im sozialen und wirtschaftlichen Bereich sei nur in engen Ermessensgrenzen möglich. Zwar wird in diesem Beispiel keine eigene staatliche Sanktion geschaffen, die es typischerweise bei den Muss-Erwartungen gibt. Vielmehr wird einer nicht staatlichen Sanktion (z. B. dem Ausschluss) die „Spitze“ genommen.220 zur Sitte) ab. Maßgeblich sei eine von Rechts wegen formalisierte und organisierte Reaktion der Gesellschaft durch Gerichts- oder Verwaltungsstab. Allerdings kann man darin gerade auch eine Sanktion ausmachen (Sanktion durch Verfahren). Zur Sanktion durch Verfahren, allerdings für den Strafprozess, Naucke, FS für Lackner, 695, 711. 217 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 49 f. 218 BGH NJW 1984, 1884 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1271, 1272. 219 BGH NJW 1991, 485, 485. 220 Andere Formen von „Sanktionen“ bleiben allerdings möglich. So kann etwa der nicht rechtswirksame Ausschluss gleichwohl die Folge sozialer Ächtung haben oder schon das
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Nichtsdestotrotz zeigt sich auch hier die Schwierigkeit, die Abgrenzung von Dahrendorf zwischen Muss- und Soll-Erwartungen vorzunehmen. Letztlich ist erneut das offensichtliche Kaprizieren Dahrendorfs auf das Strafrecht als „Gesetz“ im Sinne der Muss-Erwartungen ein Grund dafür. Es ist aber auch das Zivilrecht, das bei den Muss-Erwartungen aus den bereits erläuterten Gründen eine tragende Rolle spielt/spielen muss. Daran sollen sich nicht zuletzt die weiteren Ausführungen anschließen. Bei aller Kritik soll Dahrendorfs Kategorisierung der Soll-Erwartung jedoch nicht grundsätzlich abgelehnt werden. Vielmehr ist festzuhalten: Für die Rollenuntersuchung des Anwalts ist, wie schon herausgestellt, der Bereich der Muss-Erwartung wesentlich weiter zu fassen als bei Dahrendorf. Der Soll-Erwartung soll der Inhalt zukommen, der letztlich der „Sitte“ entspricht, das heißt, relevant ist vor allem eine sanktionsbewehrte Normqualität, aber auch ein tauglicher Erzwingungsstab. Das macht den Anwendungsbereich keineswegs obsolet. Nicht zuletzt wenn man die von Dahrendorf genannten festen Gewohnheiten berücksichtigt, tun sich hier Bereiche auf, die für das Rollenverständnis des Anwalts bedeutsam sein können. Beispielhaft seien nur bestimmte (ortsgebundene) anwaltliche Gepflogenheiten genannt, bei deren Nichtbeachtung (soziale) Nachteile drohen wie fehlendes kollegiales Entgegenkommen. cc) Soll-Erwartungen in Bezug auf die zu schaffende Mandantenrolle Schließlich wird auch in Bezug auf die Soll-Erwartungen zu klären sein, wie diese, soweit ihnen der Mandant „unterfällt“, in die Vertragsplanung zu integrieren sind. Die Bedeutung von Soll-Erwartungen im Kontext mit der für den Mandanten zu entwerfenden Rolle mittels Vertrags bedarf gesonderter Betrachtung.221 b) Kann-Erwartungen222 aa) Begrifflichkeit und inhaltliche Erfassung Gleichsam als „letzte Stufe“ nennt Dahrendorf die Kann-Erwartungen. Anders als bei Muss- und Soll-Erwartungen steht hier primär eine positive Sanktion als KonDurchlaufen der Feststellungsklage (§ 256 ZPO) als Sanktion begriffen werden; zum Verfahren als Sanktion u. a. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 221. Siehe zu letzterem wiederum Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, S. 11, 30, der kennzeichnend für das Recht die von Rechts wegen formalisierte und organisierte Reaktion der Gesellschaft (durch Gericht oder Verwaltung) ausmacht. 221 Vgl. Punkt 5. 222 Bezüglich der Kann-Erwartungen wird hier zunächst auf eine nähere Auseinandersetzung mit der Rolle des Anwalts selbst verzichtet. Auf die Bedeutung für die für den Mandanten zu entwerfende Rolle noch unten, Punkt 5.
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sequenz der Befolgung im Vordergrund.223 Man erhofft sich ein Fortkommen, wenn man Kann-Erwartungen erfüllt.224 Die „Querverbindung“ zur Rechtssoziologie besteht nach Dahrendorf in der inhaltlichen Gleichsetzung mit der „Gewohnheit“.225 Erneut muss eine Verbindung zur Rechtssoziologie kritisch hinterfragt werden. Damit im Zusammenhang stellt sich wiederum die Frage, was Dahrendorf genau unter Kann-Erwartungen versteht, und schließlich, wie sie für den vorliegenden Forschungsgegenstand verstanden und nutzbar gemacht werden können. Rechtssoziologisch ist der Begriff der „Gewohnheit“ genauso wenig scharf wie zuvor der der „Sitte“.226 Als kennzeichnend wird man zunächst (auch) für die Gewohnheiten das Vorhandensein von Verhaltensmustern festmachen können,227 das heißt, innerhalb einer näher definierten Menge von Menschen kann man in bestimmten typischen Situationen ein gleichartiges Verhalten beobachten.228 Es bestehen Handlungs- aber auch Erwartungsmuster.229 Ohne an dieser Stelle auf einer abschließenden Bestimmung zu bestehen, soll weiterhin die Gewohnheit gerade in Abgrenzung zur zuvor erläuterten Sitte darin gesehen werden, dass die Befolgung letztlich „freisteht“230. Ein Verstoß gegen die Sitte hat demgegenüber negative Reaktionen zur Folge, die in der Regel schon negative Sanktionsqualität haben.231 Die Probleme, Dahrendorfs Kann-Erwartungen mit solch einem „Gewohnheitsverständnis“ stimmig zu machen, beginnen bereits bei der Ermittlung „seiner“ KannErwartungen. Dahrendorf, immer auch mit Blick auf die Verknüpfung von Erwartung und Rolle, sieht die Schwierigkeit, Kann-Erwartungen präzise zu formulieren.232 Grund dafür sei u. a. die mangelnde Fixierung, wobei Dahrendorf allerdings 223
Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 40; Dahrendorf verweist im Übrigen (S. 41, Fn. 28) bezüglich der Klassifikation auf eine ähnliche Einteilung bei Gross/Mason/McEachern, Explorations in Role Analysis; siehe dort S. 58 ff., diese weisen dort aber zutreffend, siehe a. a. O., S. 60, auf die fehlende Verbindung zu gesetzlichen Sanktionen hin. 224 Röhl, Rechtssoziologie, S. 314, stellt heraus, die Erfüllung von Kann-Erwartungen sei weniger Verpflichtung als vielmehr Bedingung für ein Fortkommen. 225 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 41. 226 Auf das Fehlen klarer Trennungslinien bei zahlreichen Erscheinungen, so u. a. bei den „Gewohnheiten“, hinweisend Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 200. 227 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 200. 228 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 200. 229 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 200; dort erfolgt auch ein Verweis auf Geiger. Siehe u. a. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 92 ff. Zur Entwicklung von individueller Gewöhnung zur sozialen Gewohnheit auch Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 11 f. 230 Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 12, sieht die soziale Gewohnheit als Oberbegriff zu Brauch und Sitte, wobei bei ersterem es eben freisteht mitzumachen. 231 Vgl. Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 12; siehe auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 204. 232 Dazu, dass Kann-Erwartungen viel verschwommener sind, als andere, Röhl, Rechtssoziologie, S. 314.
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ebenfalls in Bezug auf Kann-Erwartungen die Feststellung anhand bestehender Normen, Gewohnheiten und Präzedenzfälle für möglich hält233. Letzteres zeigt jedoch eine beginnende Vermischung der Bereiche von Soll- und Kann-Erwartungen, zumal hier die Gewohnheit „nur“ noch in der Auflistung möglicher Gründe für KannErwartungen auftaucht. bb) Inhaltliche Kriterien für Kann-Erwartungen Nicht einfach ist es somit, das zeigt Dahrendorfs Hinweis auf eine mangelnde Fixierung, die Kann-Erwartungen wie zuvor die oben beschriebenen Gewohnheiten234 fassbar zu machen, ohne sich dem Vorwurf der Willkür auszusetzen. Sieht man bei der Gewohnheit nicht zuletzt die normative Kraft des Faktischen235 als gegeben an, so muss man sich der Empirie als Feststellungsmethode öffnen. Diesbezüglich ist Dahrensdorfs Haltung, jedenfalls soweit es um Befragungen geht, eine grundsätzlich ablehnende. Dahrendorf will die Erwartung möglichst nicht an Befragungen festmachen.236 Allerdings verschließt er sich diesem Weg auch nicht. Dahrendorf hält hinsichtlich der Kann-Erwartungen die Befragung beliebiger Gruppen in Bezug auf Verhalten und Aussehen der Träger von Positionen für möglich; so würden jedenfalls Anhaltspunkte für jene Kann-Erwartungen gegeben, die nicht in Gesetz oder Status niedergelegt seien und doch einen großen Ausschnitt des Verhaltens des Homo Sociologicus prägen würden.237 Relevant kann dieses Vorgehen vor allem dann sein, wenn Rollen nicht auf einem institutionalisierten Weg festgelegt worden sind.238 Mangelnde Festlegung auf institutionalisiertem Weg liegt jedoch vor allem auch bei den oben beschriebenen (rechtssoziologischen) Gewohnheiten vor. Nur eingeschränkt praktikabel ist ebenfalls Dahrendorfs Hinweis239, wonach Kann-Erwartungen in wenig formalisierten Gruppen oft erst im Fall einer Heraus-
233
Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 50. Hier soll bewusst keine Gleichsetzung mit Dahrendorfs Kann-Erwartungen erfolgen. 235 Zum Begriff der „normativen Kraft des Faktischen“, Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 337 ff. 236 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 50; dort führt Dahrendorf aus: „Wenn wir den Begriff der Rolle nicht an die Willkür individueller Meinungen ausliefern, sondern im Schnittpunkt des Einzelnen und der Gesellschaft halten wollen, dann ist es besser, auf die präzise Formulierung vieler Kann-Erwartungen vorerst zu verzichten, als sich mit der Scheinpräzision einer Meinungsbefragung der Möglichkeit zu begeben, die Kategorie der Rolle in ihrer ganzen Fruchtbarkeit zu verwenden.“ 237 So Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 73. 238 Siehe dazu auch Dahrendorfs, Homo Sociologicus, S. 50 f., grundsätzliche Ausführungen, wonach eine Norm, die nicht von einer Mehrheit der Gruppenmitglieder gestützt oder zumindest toleriert wird, auf schwachen Füßen stehe. 239 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 50, Fn. 37. 234
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
forderung als spontane Meinungsbildung in der Krise entstehen und dann über die Schaffung eines Präzedenzfalls als Norm fortbestehen. Schließlich ist Dahrendorfs Eingrenzung der Sanktionen auf positive, soweit es um Kann-Erwartungen geht, kritisch zu betrachten. So können z. B. auch Gewohnheiten durchaus negativen sozialen Druck auslösen,240 ohne bereits sanktionsbewährt zu sein. So muss etwa ein Anwalt, der seine Kollegen nie grüßt, damit rechnen, nur notwendigste Informationen zu bekommen, aber kein weiteres Entgegenkommen zu erhalten. Das Beispiel zeigt aber letztendlich, dass die Übergänge von Gewohnheit und Sitte (mit negativen Sanktionen) als fließend zu betrachten sind. cc) Fazit Trotz der problematischen begrifflichen Fassbarkeit der Kann-Erwartungen können erste Erkenntnisse ihrer Nutzung innerhalb der Vertragsgestaltung gezogen werden. Der Ansatzpunkt ist insoweit ihre Sanktionierbarkeit. Mag es dort auch Überschneidungen zwischen positiven und negativen Sanktionen geben, so ist gleichwohl eine besondere Berücksichtigung der, wie Dahrendorf es ausführt, positiven Sanktionen möglich. Die Berücksichtigung von positiven Sanktionen bzw. die Erfüllung von Erwartungen, die einem zur Erfüllung freistehen, kann ggf. gerade in Bezug auf die vom Mandanten (noch) auszufüllende Rolle (infolge seines Vertragsschlusses mit einem Dritten) von Bedeutung sein. So ist es beispielsweise vorstellbar, dass der Mandant (auch) seine Kann-Erwartungen erfüllt sehen will, er etwa von seinem Vertragspartner „Dankbarkeit“ erfahren möchte.241 4. Zwischenergebnis bezüglich der verschiedenen Erwartungen im Dahrendorfschen Sinn Die von Dahrendorf entwickelten Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen in den von ihm vorgenommenen „Definitionen“ sind nicht als abschließend zu betrachten. Vielmehr, und das hat nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit den Kann-Erwartungen gezeigt, muss Offenheit gewahrt werden. Notwendig ist ein Bewusstsein, wonach es etwa nicht möglich sein wird, abschließende Ansätze mittels solcher Erwartungskategorien zur Erklärung jedweden Handelns zu finden, vor allem nicht abschließende Handlungshinweise aufgrund konkret fixierter Muster. Allerdings bilden die Erwartungskategorien im Dahrendorfschen Sinn notwendige Variable innerhalb des Rollenverständnisses innerhalb des Untersuchungskontextes. Das gilt zunächst für das Rollenverständnis in Bezug auf den Anwalt 240
Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 200. Die Prognose wird für den Anwalt allerdings in dem Bereich vielfach problematisch sein, z. B. dahingehend, ob eine Schenkung tatsächlich zum Dank führt. Erst recht wird der Anwalt einen entsprechenden „Erfolg“ nicht herbeiführen können; einen solchen schuldet er aufgrund des Anwaltsvertrags seinem Mandanten auch nicht. 241
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selbst. So ist nicht zuletzt das Berufsrecht als Ausformung potentieller Muss-Erwartungen für das anwaltliche Handeln ob der möglichen Sanktionen (mit) prägend. Eine besondere, verschiedentlich schon angesprochene, Bedeutung gewinnen schließlich Formen unterschiedlich starker „Erwartungen“ und ihr Druckpotential vor allem auch in der Verhandlung und Entwicklung eines konkreten Vertrags für den Mandanten, das heißt für die für den Mandanten zu entwerfende Rolle seitens des Anwalts. Nur ein Bewusstsein für die den Mandanten betreffenden unterschiedlichen Erwartungen242 (Muss-/Soll-/Kann-Erwartungen) kann zu einer interessengerechten Bearbeitung des Mandats führen. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten bedürfen aber aus rollentheoretischer Sicht eines erneuten Aufgreifens und der Vertiefung der bisherigen Erkenntnisse. 5. Dahrendorfs Rollenverständnis und die anwaltlich umzusetzenden Mandanteninteressen243 im Besonderen a) Einführung Die Auseinandersetzung mit Dahrendorfs Muss-/Soll- und Kann-Erwartungen gibt Anlass, anwaltliches (Rollen-)Handeln weiter zu untersuchen. Eine zentrale Position des Anwalts selbst wurde in der des Interessenvertreters ausgemacht. Die Rollenerwartungen (an den Anwalt) waren dabei, im Dahrendorfschen Duktus, stark als Muss-Erwartungen geprägt. Der Grund dafür war vor allem auch im Anwaltsvertrag begründet. Ausweislich des Anwaltsvertrags muss der Anwalt daran mitwirken, die Interessen des Mandanten mittels eines Vertrags umzusetzen. Seine Aufgabe ist also eine Positions- und Rollengestaltung für den Mandanten. Es geht um die Position/Rolle, die der Mandant aufgrund des abzuschließenden Vertrags erlangt. Die Gestaltung der Mandantenrolle gehört zu den Rollenerwartungen, die sich wiederum an den Anwalt richten.244 Wenn aber für den Mandanten eine Rolle mit Erwartungen zu entwerfen ist, ist auch bezüglich dieser die Relevanz von Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen herauszuarbeiten. Dieser Relevanz muss sich der Gestalter (Anwalt) bewusst sein. Dem vorgeschaltet muss aber zunächst wieder ein Rekurrieren auf die Interessen des Mandanten stehen.
242
Sowohl als Erwartender als auch als Objekt der Erwartung des Vertragspartners. Kreation der Mandantenrolle mittels Vertrags. 244 Die entsprechenden Rollenebenen (Anwalt – Mandant; Anwalt – Vertragspartner) sind also zu trennen. 243
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
b) Interessen des Mandanten und ihre Einbettung in die Funktionen des Rechts als Ausgangspunkt Die (Mandanten-)Interessen wurden in Teil 1 B. I. aufgezeigt. Als notwendiges Element für das Verständnis der (zu entwickelnden) Rolle für den Mandanten sollen zunächst einige Kernaussagen wieder aufgegriffen werden. Interessen können grundsätzlich alles umfassen, was sich ein Mensch wünschen kann. Das gilt insbesondere auch losgelöst von Werten oder Objekten. Interessen können unterschiedlichster Couleur sein. Sie können elementare Bedürfnisse umfassen, deren (notwendige) Befriedigung (z. B. Wohnung, Nahrung) erstrebt wird mit dem Wunsch nach entsprechender Sicherheit.245 Ihre Zielrichtung kann konkret sein im Sinne einer „Position“ als unverrückbarer Standpunkt.246 Interessen können jedoch ebenso gut „weiter“ sein, etwa, wenn sie sich um die Schaffung oder den Erhalt von sozialen Beziehungen drehen. Ohnehin sind Interessen oftmals ineinander verwoben. Zudem machen Interessen häufig eine Entwicklung durch, sie verändern sich oder sind flexibel. So können sich Bedürfnisse ändern oder Beziehungen sich weiterentwickeln. Da es um die Interessenwahrnehmung für den Mandanten durch den (Rechts-) Gestalter Anwalt geht, ist an dieser Stelle ebenfalls bereits kurz auf die Verbindung von Interessen und Funktionen des Rechts hinzuweisen. So wird es innerhalb der Rollendiskussion auch darum gehen, wie tauglich eine Empfehlung bzw. der Umgang mit bestimmten Rollen(-verständnissen) durch den/seitens des Anwalt/s für den Mandanten sein kann; oftmals wird relevant sein, ob/was der Anwalt überhaupt leisten kann oder auch nur muss. Der Mandant als in der Gesellschaft lebender Mensch erfährt das Recht durchaus u. a. als Herrschaftsinstrument247. Beim Vertragsschluss, vor allem aber bei dessen Vorbereitung, wird das Recht bewusst aktiviert, es ist dann Gestaltungsmittel, ohne dadurch seine „Herrschafts“- oder sonstigen „Qualitäten“ (gänzlich) zu verlieren. In diesen Bereichen, Herrschaftsmittel einerseits, Gestaltungsmittel andererseits, finden sich zahlreiche Verbindungen zu den Mandanteninteressen. Das gilt ebenso für weitere damit zusammenhängende Funktionen des Rechts. Schlagwortartig seien hier nur folgende Beispiele genannt: Recht als Mittel zur Verhaltenssteuerung248 und/oder Mittel zum Ausgleich widerstreitender Interessen. Wie sieht der (gezielte) Einsatz zur gewollten „Steuerung“ der 245 Siehe zu den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen wiederum etwa Maslow, Motivation und Persönlichkeit, S. 74 ff. 246 Nicht gemeint ist an dieser Stelle die „Position“ als fester Bezugspunkt der Rolle. 247 Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 288, bezeichnet Recht als „die Regelung der in einer Gesellschaft bestehenden Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse unter dem Gesichtspunkt ihrer Legitimität.“ Siehe auch Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 201, zur Begrifflichkeit des Gesetzes als „legitimierendes wie limitierendes Herrschaftsinstrument“. 248 Dazu etwa Röhl, Rechtssoziologie, S. 536, allerdings bezogen auf das politische System.
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eigenen, aber auch der fremden Interessen im Kontext der Rollenerwartungen aus? Welche Wechselwirkungen gibt es? Oder aber, wenn es um die Funktion des Rechts als Mittel zur Konfliktbewältigung249 bzw. bereits zur -vorbeugung geht: Was heißt hier Einsatz dieser Funktion des Rechts als Spiegel eines eigenen Interesses an einer Konfliktbewältigung? Schließlich geht es um die Auseinandersetzung mit dem Recht als Mittel, in Freiheit sein Leben selbst zu gestalten. Ohne diesen Aspekt wäre eine individuelle Interessenumsetzung gar nicht vorstellbar. Wie dies alles mittels „Rollen“, allerdings u. U. ebenso in Spannung zu Rollenerwartungen geschehen kann, ist ebenfalls untersuchungsbedürftig. Für die vom Mandanten nach Vertragsschluss zu bekleidende Rolle ist dies in einem ersten Schritt anhand der Dahrendorfschen Erwartungsdifferenzierungen aufzuzeigen. c) Umsetzung der (Mandanten-)Interessen durch das Dahrendorfsche Verständnis von Muss-/Soll- und Kann-Erwartungen aa) Position Die Umsetzung der Mandanteninteressen unter Zuhilfenahme des Dahrendorfschen Rollenverständnisses setzt notwendig zunächst wieder bei der Positionierung an, das heißt im Kontext mit dem „festen Punkt im Beziehungsgeflecht“250, auf den hin sich die unterschiedlichen Erwartungen ausrichten. Namentlich im Zusammenhang mit der Interessenumsetzung für den Mandanten ist begriffliche Vorsicht geboten. Die „Position“ als Bezugspunkt der Rolle darf nicht verwechselt werden mit der „Position“, die innerhalb der Interessenbestimmung beim Mandanten einen unverrückbaren Standpunkt markiert. Hinsichtlich der Position (als Bezugspunkt der Rolle) sind innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung für den Mandanten grundsätzlich zwei Situationen zu unterscheiden: Vorstellbar ist zum einen, dass der Mandant bereits eine bestimmte Position einnimmt, die er ohne jedwede vertraglichen Regelungen (bereits) innehat. Diese Position soll durch die Vertragsgestaltung verändert oder um eine (zusätzliche) Rollenausrichtung erweitert werden. Die (ursprüngliche) Position besteht dann (zumeist) als eine „ascribed position“251, auf die gestalterisch eingewirkt wird. Beispielhaft sind hier Verträge mit familienrechtlichem Bezug zu nennen, etwa wenn der Vater mit seinem Kind erbrechtliche Vereinbarungen (Erbvertrag, §§ 2274 ff. BGB) trifft. Die Position „Vater“ hat der Betreffende schon vor (und unabhängig von) der Vertragsgestaltung inne. Ein solcher Fall von bereits vorhandener Positionierung 249
Dazu Röhl, Rechtsoziologie, S. 536. Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 18. 251 Zur „ascribed position“ Linton, The study of man, S. 115. Diese Position ist „zugewiesen“, man hat sie nicht erworben. 250
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wird, um mit Claessens Rollen-Typisierung vorzugehen,252 häufig vorliegen, wenn etwa bio-soziale Rollen („Vater“) oder sozio-kulturelle Rollen ergänzt bzw. angepasst werden. Wesentlich häufiger ist allerdings die Situation, in der eine Position (als Bezugspunkt der Rolle) vom Mandanten erst im Weg der Vertragsgestaltung eingenommen werden soll (achieved position)253. Beispiele können sein: die Position als Arbeitnehmer, Gesellschafter eines Unternehmens, als Eigentümer einer Sache, aber auch solche etwa als Vermieter, Käufer oder noch allgemeiner als Gläubiger/ Schuldner eines Vertrags254. In Claessens Typologie der Rollen wären dies soziale Rollen.255 Über den Vertrag können vor allem auch dem Vertragspartner Positionen zukommen; es muss dann ebenfalls eine entsprechende Einnahme (z. B. als Mieter) derselben durch ihn erfolgen. Bezogen auf die Mandanteninteressen wird damit deutlich, dass ihre Umsetzung oftmals nur durch die Begründung von (entsprechenden) Positionen (mit) umsetzbar ist, etwa Interessen hinsichtlich einer beruflichen Zusammenarbeit in bestimmter Form.256 Daran wirkt der Anwalt im Wege der Vertragsgestaltung mit. Bereits mit Blick auf die Position (des Mandanten) zeigt sich zudem ihre Bedeutung für die Entwicklung von Lebensbedingungen in Form und mit Hilfe rechtlicher Gestaltungen.257 Mit der (zu gestaltenden) Positionseinnahme sind bestimmte Rollenerwartungen, die den Mandanten dann treffen (werden), verknüpft. Bei der anwaltlichen Interessenumsetzung für den Mandanten dürfen Positionen und Rollen, die der Mandant bzw. sein Vertragspartner aufgrund des Vertrags einnehmen werden, niemals ge252
Claessens, Rolle und Macht, S. 37 ff. Linton, The study of man, S. 115, man „erwirbt“ die Rolle erst (noch). Hierher gehört auch der Fall, in dem eine durch Vertrag erworbene Position (z. B. hinsichtlich des Berufs als soziale Rolle) verändert oder angepasst wird. 254 Vgl. zur Positionierung insoweit etwa Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 31, dort wird u. a. das Schuldverhältnis als Beziehungsfeld genannt. Hirsch betont insoweit die Verbindung von sozialer Eigenschaft und sozialer Position. Demgegenüber ist Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 194, bezüglich der Frage, ob „Schuldner“ bereits eine Rolle sei, kritisch. Köndgen knüpft seine Kritik an der Rollendefinition an, wonach eine Rolle ein „Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen“, ist. (S. 193 unter Hinweis auf Dahrendorf, Homo Sociologicus, 15. Aufl. 1977, S. 33). Eine solche „Minimaldefinition“ (S. 193) treffe weder Aussagen über den notwendigen Grad der Spezialität noch besage sie etwas über die Intensität des normativen Anspruchs der Erwartungen oder über die Genesis bzw. die Institutionalisierung von Rollennormen (S. 194). 255 Claessens, Rolle und Macht, S. 39 ff. 256 Davon zu trennen sind die Überlegungen, ob die Interessenumsetzung ggf. nicht auch ohne „Recht“ geschehen kann. 257 Zur entsprechenden gesellschaftlichen Funktion des Rechts vgl. etwa Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 189 f. Mit diesem gestalterischen Aspekt ist das Dahrendorfsche Bild der Rolle als Zwang nur schwer in Einklang zu bringen. 253
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trennt gesehen werden. Denn es erfolgt in der Regel die Gestaltung einer bestimmten Position für den Mandanten, weil damit auch eine Position seines Vertragspartners verbunden ist. An beide Positionen schließen sich bestimmte Erwartungen an, die die Mandanteninteressen betreffen und ihrer Befriedigung jedenfalls auch oder vor allem dienen. Das gilt ebenso und nicht zuletzt in Bezug auf die Rollenerwartungen des Vertragspartners. Beispiel: Wird ein Mietvertrag gestaltet, durch den der Mandant zum Mieter, der Vertragspartner zum Vermieter wird, so werden für beide entsprechende Positionen begründet. Der Mandant als Mieter sieht sich Rollenerwartungen (insbesondere Zahlung der Miete, § 535 Abs. 2 BGB) gegenüber, kann aber auch in Bezug auf den Vermieter entsprechende Rollenerwartungen (Überlassung der Mietsache, § 535 Abs. 1 BGB) äußern.
Erfolgt nun eine solche Positionierung gerade unter Zuhilfenahme des Gesetzes258, so kann unmittelbar eine Auseinandersetzung dahingehend erfolgen, inwieweit Mandanteninteressen vor allem durch etwaige Muss-Erwartungen gedient ist. bb) Muss-Erwartungen und Mandanteninteressen (1) Grundsätzliche Eignung von Muss-Erwartungen zur Interessenumsetzung Mandanteninteressen spiegeln sich vielfach in Erwartungen wider, z. B. Eigentum an einer Sache zu bekommen, Zahlung eines bestimmten Unterhaltsbetrags zu erhalten, Einräumung einer Wohnmöglichkeit zu erlangen. Soll die Umsetzung im Wege der Vertragsgestaltung erfolgen, hängen die Erwartungen dann mit dem jeweiligen Vertrag zusammen. Dieser kann ein individuell gestaltetes „Einzelstück“ sein. Um den Nutzen, die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren und Probleme von Muss-Erwartungen für den Mandanten aufgrund eines Vertrags aufzuzeigen, bietet sich allerdings der Einstieg über die gesetzlich normierten Vertragstypen an, deren grundsätzliche Bedeutung in der Vertragsgestaltung mehrfach deutlich wurde. Kommt es zu einem Vertragsschluss des Mandanten mit typisiertem Inhalt, so besetzen die Vertragsparteien entsprechende „Positionen“, an die sich jeweils Rechte und Pflichten anknüpfen, ihre „Rollen“. Die Positionen können etwa solche von Käufer/Verkäufer (§§ 433 ff. BGB), Mieter/Vermieter (§§ 535 ff. BGB) oder Gesellschafter sein.259 Kennzeichnend ist hier das Vorhandensein typischer Erwartungen durch das Gesetz260 (Rollenerwartungen). Dies gilt es aus Beratersicht261 in 258
Oder sonstigen gerichtlich durchsetzbaren Rechts. Vgl. zur Position eines Schuldners einer Kaufpreisschuld Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 31; siehe auch Maihofer, Recht und Sein, S. 120. 260 An dieser Stelle ist es zunächst unerheblich, ob diese gesetzlichen Erwartungen zwingenden oder dispositiven Charakter haben. Vielmehr bietet sich hier sogar eine erste Begründung an, warum dispositives Recht „nützlich“ ist; siehe dazu auch Bachmann, JZ 2008, 11, 14, der dispositive Normen als Muster bezeichnet, die den Einzelnen nicht in seiner Gestaltungsfreiheit beschneiden. Siehe insoweit auch Möslein, Dispositives Recht, S. 34, wonach dispositive Regeln private Akteure ermächtigen, diese Regeln durch abweichende Vereinbarungen abzubedingen. 259
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Rechnung zu stellen, zumal die entsprechenden Erwartungen in der Regel MussErwartungen im Dahrendorfschen Sinn für den Mandanten sind. Sie sind gerichtlich durchsetzbar und sanktionierbar. Der bloße Umstand, dass die (Vertrags-)Parteien sich den (typisierten) Erwartungen, die durch das Zivilrecht formuliert werden, erst durch den Vertragsschluss aussetzen und sie jedenfalls das dispositive Recht abbedingen können, macht die sich aus dem Vertrag ergebenden Folgen nicht zu KannErwartungen.262 Zwar steht es dem Einzelnen frei, z. B. in die Position „Verkäufer“ zu rücken. Hat er dies jedoch getan („achieved position“), so sieht er sich Erwartungen des Vertragspartners mit entsprechendem Druckpotential ausgesetzt.263 (a) Gesetz als Verhaltensangebot und Leitlinie Was sind nun die Vorteile beim Rückgriff auf dispositives (ggf. auch zwingendes) Recht und daraus folgenden Muss-Erwartungen aufgrund eines Vertragsschlusses für die jeweiligen Mandanteninteressen?264 Vorteilhafte Gründe ergeben sich zum einen aus der Fassung als Gesetz, wobei hier die Sanktionsmöglichkeit zunächst unberücksichtigt bleiben kann/soll. Gesetzlich normierte Vertragstypen bieten ein „Verhaltensangebot“, das mit den jeweiligen (Mandanten-)Interessen abgeglichen werden kann.265 Das betrifft Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. Das Gesetz mit seinen „Rollen“ (Erwartungsbündeln) ist insoweit ein Rahmen, als solcher aber nicht zuletzt auch ein Halt und Orientierung. Es liegt ein Vorschlag vor, der sich „bereits bewährt“ hat.266 Das Gesetz „denkt“ insofern an vieles, gerade auch im Krisenfall, wodurch eine Entlastungswirkung eintritt.267 Mit dem schablonenhaften Vorgehen ist im Weiteren eine Informationsweitergabe bzw. Anregung zur Erfragung selbiger Umstände verbunden.268 Das Vorgehen des Anwalts, der sich an den Vertragstypen z. B. im Mandantengespräch orientiert, hat hier u. a. seine rollenspezifischen Wurzeln und „Rechtfertigung“. 261 Der Anwalt, der den Mandanten im Vorfeld des Vertragsschlusses berät, und/oder den Vertrag einwirft. 262 Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, 11, 24 f., nimmt allerdings an, das Zivilrecht begründe weithin überhaupt nur Kann-Erwartungen. Er weist diesbezüglich, S. 25, gerade auf den Parteiwillen hin und darauf, die Rechtsnormen der §§ 433 ff. BGB griffen nur, wenn nichts anderes vereinbart werde. 263 Insoweit war zwar Dahrendorfs Sichtweise auf das Strafrecht zu eng, die Gedanken lassen sich jedoch gleichwohl auf das Rollenverständnis im Zivilrecht übertragen. 264 Und wie kann zudem die ggf. dahinterstehende (gesellschaftliche) Funktion des Rechts nutzbar gemacht werden? 265 Siehe zum Vertragsnormalstatut als Gesamtheit aller zwingenden und dispositiven gesetzlichen Bestimmungen, die das Gesetz für einen konkreten Vertrag als Grundregelung vorsieht, Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 594. 266 Das kann selbstverständlich auch für andere Formen des Rechts gelten. 267 Zur Entlastungs- wie zur Lückenfüllungsfunktion des dispositiven Rechts siehe Fleischer, ZHR 168 (2004) 673, 692; siehe ebenfalls Möslein, Dispositives Recht, S. 33 ff. 268 Vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 692, zur Informationsfunktion des dispositiven Rechts. Das gilt jedoch in gleicher Weise für das zwingende Recht.
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Das Gesetz verschafft also in nicht unerheblichem Maß auch die Informationen, die zur Rollenausfüllung unerlässlich sind.269 Das ist zum einen in der Beratung gewünscht, zum anderen ist das ein entscheidender Sicherheitsfaktor. Dem Mandanten wird bezüglich seiner Erwartungen, aber auch bezüglich derjenigen, die (später) an ihn gerichtet werden, in nicht unerheblichem Umfang eine Orientierungsgewissheit270 verschafft. Sicherheit kann jedoch nicht nur der Mandant auf diese Weise erlangen, sondern auch der Anwalt271. Ihm wird so vor allem bezüglich der Informationsweitergabe vorgegeben, was er dem Mandanten zu vermitteln hat. Es erfolgt (zunächst) eine Vermittlung entlang von Gesetzesvorschriften. Der Anwalt muss dem Mandanten die entsprechenden Informationen zugänglich, aber ebenfalls verständlich machen. Nur so kann das Recht effektiv seine Wirkungen entfalten. Sicherheit bedeutet daher auch einen rational kalkulierbaren Interaktionsprozess.272 Eine solch kalkulierbare Interaktion kann ferner, je nach Situation, ebenso gegenüber dem potentiellen Vertragspartner erfolgen. (b) Bedeutung von Sanktionen „Sicherheit“, die der Mandant wünscht, geht allerdings noch weiter, sucht er doch einen juristischen Fachmann auf. Nunmehr rückt die Sanktionierbarkeit, die die Muss-Erwartungen nach Dahrendorf prägt, schon näher in den Fokus. Es ist ein Sicherheitsaspekt, seine Rechte und Pflichten zu kennen und zu verstehen, es ist eine andere Frage, warum man sich darauf verlassen soll/kann. Letzteres treibt den Mandanten jedoch zumeist um.273 Von Dahrendorf und seinem Rollenverständnis herkommend kann man eine Begründung, wann man sich auf etwas verlässt, darin sehen, dass ein entsprechender (durchsetzbarer) „Befehl“ existiert274. Man orientiert
269 Vgl. zur Rechtskenntnis als Information zur Ausfüllung gesellschaftlicher Rollen Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 117; siehe ferner Borucka-Arctowa, Die gesellschaftliche Wirkung des Rechts, S. 85 ff., zur Kenntnis des Rechts als grundlegender Bedingung für einen wirksamen Einfluss der Rechtsnorm. 270 Zur Orientierungsgewissheit Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 102; zur Einordnung in die Verhaltenssteuerung als gesellschaftliche Funktion des Rechts, Rehbinder, Rechtssoziologie Rn. 100 ff. 271 Der Anwalt ist selbst aufgrund des Anwaltsvertrags verpflichtet, eine Position/Rolle für den Mandanten zu gestalten. 272 Maihofer, Die gesellschaftlichen Funktionen des Rechts, S. 11, 28. 273 Interessant ist die Bedeutung von Erwartungszusammenhängen und Personen. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 199, führt aus, auf Versprechen baue man vernünftigerweise nur, wenn die Vertrauensbasis durch externe Faktoren verbreitert sei, oder wenn sich der Promissor schon vorher als persönlich zuverlässig erwiesen habe. 274 Siehe zum Befehlsmodell des Rechts, Röhl, Rechtssoziologie, S. 209; zum Recht als Zwang mit entsprechendem Stab (Zwangs- und Rechtsstabstheorien), Röhl, S. 213 f., 216 f. Zur Normbefolgung aufgrund Sanktionsorientierung Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 115; allerdings führen nach Rehbinder Zwangsmittel in der Regel nur zur Normdurchsetzung, nicht zur Normbefolgung.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
sich (auch) an der Sanktion, wägt ggf. ab, was ein Verstoß „kostet“275 und ob eine Reaktion überhaupt erfolgt. In die Überlegungen der Sicherheit muss dann wiederum die Kontrollinstanz einfließen. Hierher „passen“ die Gerichte, die innerhalb der Dahrendorfschen Muss-Erwartungen ein nachhaltiges Element bilden. Es ist gerade das Gesetz im Verbund mit dem Gericht (Durchsetzungsmöglichkeit), welche die an gesetzliche Vertragstypen geknüpften Erwartungen zu normativen machen. Das, was der Mandant wünscht, ist oftmals276, nicht von seinen Erwartungen abrücken zu müssen. Umgekehrt kann selbstverständlich auch der Vertragspartner solche normativen Erwartungen haben. Bei einem derartigen Vorgehen wird also auf die Steuerungswirkung des Gesetzes277 gesetzt und letztlich (auch) das Interesse verfolgt, dass es zu keinem Konflikt kommen wird, der seine Wurzeln im Recht hat,278 sofern sich die Vertragspartner an die „Steuerungsvorgaben“ des Rechts halten. Geht man nun von Dahrendorfs Vorstellungen zu den Muss-Erwartungen aus, so liegt ein bedeutender Umstand, weshalb man auf die „Abläufe vertraut“, in der Sanktionierbarkeit als Mittel zur Rollensicherheit. Man geht Verpflichtungen ein, weil man dann auch die korrespondierenden eigenen Rechte (gerichtlich) durchsetzen kann. Im Übrigen kann sogar ein explizites Interesse des Mandanten an Sanktionen bestehen.279 (c) Zwischenfazit Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass normative Erwartungen, wie sie gerade durch Muss-Erwartungen im Dahrendorfschen Sinn transportiert werden, grundsätzlich durchaus interessengerecht sein können. Das gilt zunächst einmal, wenn die Erwartungen über typisierte gesetzliche „Angebote“ erfasst werden, die in den vom Mandanten geschlossenen Vertrag einfließen (Abschluss eines typisierten Vertrags). Die gleichen Überlegungen gelten im Wesentlichen für individuell ausgearbeitete (atypische) Verträge. Diese können ebenfalls taugliche, gerichtsfeste Muss-Erwartungen enthalten und entsprechende Verhaltenserwartungen280 begründen. Die individuell herausgearbeiteten vertraglichen Erwartungen betreffen dann (allgemein) den „Gläubiger“ bzw. „Schuldner“ des Vertrags.
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Zur ökonomischen Analyse u. a. vom Vertragsbruch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 547 ff. 276 Siehe u. a. die Überlegungen Llwellyns zur Funktion des rechtlichen Vertrags als „Versicherung“. 277 Siehe hierzu etwa Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 29, der von der „faktischen Kraft des Normativen“ spricht. 278 Es gibt selbstverständlich auch Konflikte, die andere Wurzeln haben als Abweichungen vom Recht. In einem solchen Fall ist Dahrendorfs Modell kaum tauglich. 279 Teilweise werden sogar ausdrückliche Vertragsstrafen vereinbart. 280 Vgl. Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 187 f., zur Regulierung und Koordination des Verhaltens und der Erwartungen der Menschen durch das Recht.
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(2) Muss-Erwartungen als (problematischer?) Faktor bezüglich der Umsetzung von Mandanteninteressen Muss-Erwartungen, die für den Mandanten in der soeben dargestellten Form aufgrund eines Vertragsschlusses durchaus vorteilhaft sein können, sind allerdings in einem nächsten Schritt kritisch zu hinterfragen. Muss-Erwartungen (Vertragspflichten bzw. -rechte) als oftmals starres, aber mutmaßlich sicheres Gerüst, „leben“ in nicht unerheblicher Weise von ihrer Ankopplung an die die Sanktionen aussprechende Kontrollinstanz Gericht. In diesem u. U. Sicherheit vermittelnden Faktor liegt gleichzeitig auch die Unsicherheit begründet, die für ein Rollenverständnis, welches über Recht, im Besonderen über das Gesetz, vermittelt wird, nachgerade relevant ist. (a) Unsicherheitsfaktor Rechtsprechung Ein Unsicherheitsfaktor liegt bereits im Ausspruch der Erwartungen selbst, im Normbefehl, begründet. Die (vermeintlich) rational kalkulierbare Interaktion, die sich über gesetzliche Normerwartungen ergibt (Aufnahme bzw. Bezugnahme insbesondere von dispositivem, aber auch von zwingendem, Recht in den Vertrag), hängt mit der Rechtsprechung eng zusammen. Vertraut man auf den Inhalt der Erwartungen, weil sie u. a. gerichtlich sanktionierbar sind, so muss dem Umstand, dass es letztlich die Gerichte sind, die Gesetze anwenden und auslegen,281 weiteres Gewicht bekommen. Die Rechtsprechung kann bezüglich des Inhalts der Erwartungen (Rechte bzw. Pflichten) daher Sicherheit, aber auch Unsicherheit vermitteln, je nachdem, ob die Rechtsprechung gefestigt, im Fluss ist oder Änderungen möglich sind. Hinzu kommt, dass „Recht“ als Muss-Erwartung rechtsfortbildend von der Rechtsprechung entwickelt werden kann. Eng mit dem Problem verbunden, was den Inhalt einer (vertraglich begründeten) Rolle ausmacht, ist die weitere Schwierigkeit, wie der Einzelne die „Befehle“ bezüglich seiner Rolle verstehen soll, wenn sie (auch) von der Rechtsprechung abhängen. Verhaltenssicherheit, Steuerung, Konfliktvermeidung werden so mitunter in ihr Gegenteil verkehrt, weil dem Einzelnen die (sich entwickelnde) Rechtsprechung nicht eindeutig, unbekannt oder unverständlich ist. Es ist dann wieder an dem Anwalt, die Verhaltensregeln282 unter Einbeziehung der Rechtsprechung zu kommunizieren. Auf den Anwalt projiziert sich dann die beschriebene Unsicherheit, er muss sie ggf. an den Mandanten weitergeben, dessen (erwartetes) Rollenverhalten im Grunde „verunsichern“ und somit den Vorteil, den Muss-Erwartungen haben können, häufig einschränken. Der Gang über den „sichersten Weg“ ist dann in Bezug auf die Rolle letztlich die Möglichkeit, weitestgehend Sicherheit im (künftigen) Verhalten des Mandanten zu schaffen. 281 Vgl. Holmes, Harvard Law Review 10 (1897), 457, 461: „The prophecies of what the court will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“ 282 Ausgehend von dem vom Mandanten künftig zu schließenden Vertrag.
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Es sei nochmals betont: Die zuvor beschriebene Unsicherheit rührt nicht unerheblich daher, dass fremde Erwartungen, die den Mandanten treffen können, kommuniziert werden. Das mag ein Grundproblem der (auch) durch das Gesetz geformten (Vertrags-)Rolle sein, die (Fremd-)Erwartungen ausdrückt. Es wird jedoch noch zu klären sein, ob diese Unsicherheit nicht durch ein anderes Rollen- und damit Interaktionsverständnis gemildert werden kann, etwa indem Rollen losgelöst von gesetzlichen Vorgaben gestaltet werden. (b) Umgang mit Präventionsüberlegungen Aufmerksamkeit bezüglich der Umsetzung der Mandanteninteressen ist weiterhin einer anderen Ebene zu widmen. Die „Sicherheit“ der vertraglichen Muss-Erwartungen beruht u. a. auf der Sanktionierbarkeit; ein „Abweichen“ (von Vertragspflichten) wird „bestraft“. Sicherheit erhält man also (auch) wegen der Möglichkeit, Erwartungen durchzusetzen, sind die Erwartungen doch normativ283. Mit Geiger284 kann man diesbezüglich von Realisierungssicherheit oder Ordnungszuversicht sprechen. Es ist dieser Aspekt, der umgekehrt in den Erwägungen, ob man „vom Weg abweichen will“, durchaus zum Tragen kommen kann. So stellt sich u. a. die Frage, ob man mit einem (ernst zu nehmenden) Konflikt rechnet, wenn man dies tut, so z. B. als Vertragspartner seine Pflichten nicht erfüllt. Insofern hängt die Problematik der Durchsetzungsmöglichkeit eng zusammen mit der Überlegung, ob und inwieweit den Muss-Erwartungen innerhalb der Vertragsgestaltung, im Besonderen innerhalb des schuldrechtlichen Vertragsrechts285, eine präventive Wirkung zukommt. Im Kontext mit den Dahrendorfschen Muss-Erwartungen ist dies vornehmlich die negative (General-)Prävention.286 283 Nach Luhmann, Soziale Systeme, S. 454, werden bei normativen Erwartungen die Enttäuschten ermutigt zu zeigen, dass sie an ihren Erwartungen festhalten, Konflikte zu provozieren und sich nach Möglichkeit durchzusetzen. 284 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 103. 285 Das gilt selbstverständlich auch für andere Bereiche des Privatrechts. 286 Die negative Generalprävention ist grundsätzlich eine Richtung der Strafzwecke im Strafrecht. Gleichwohl können die Gedanken auch hier nutzbar gemacht werden. Das liegt zum einen an der Dahrendorfschen Ausrichtung der Muss-Erwartungen am Strafrecht. Zum anderen können Präventionsgedanken als Überlegungen bezüglich des eigenen wie bezüglich des fremden Handelns ohnehin in der Vertragsverhandlung und -gestaltung Raum greifen. Auch dort geht es um Überlegungen zu einer Form von Sozialkontrolle. Ablehnend dazu, zivilrechtlichen Sanktionsinstrumenten Vergeltungszwecke im Sinn absoluter Straftheorien unterschieben zu wollen, Wagner, AcP 206 (2006), 352, 362. Streng, ZStW 101 (1989), 273, 286, führt zur negativen Generalprävention (im Strafrecht) aus, diese sei auf Abschreckung ausgerichtet und es gehe bei ihr um eine von außen aufgezwungene Kosten-Nutzen-Analyse, somit um eine Fremdsteuerung. Gerade eine solche Kosten-Nutzen-Analyse kann/wird auch der einzelne Vertragspartner anstellen, wenn er die Überlegung macht, ob sich ein Vertragsbruch „lohnt“. Das insofern relevante Bild ist wiederum das des Homo Oeconomicus; zum Bild des Homo Oeconomicus in Bezug zur negativen Generalprävention (im Strafrecht) Baurmann, GA 1994, 368, 371. Zur ökonomischen
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In Bezug auf die Prävention tauchen dann jedoch grundsätzlich zwei Schwierigkeiten auf, die auch in der anwaltlichen Interessenwahrnehmung/Beratung des Mandanten nachhaltige Wirkung zeigen. Zunächst einmal ist das Arbeiten mit der Prävention ein Arbeiten mit einer teilweise unbekannten Größe. Es ist jeweils eine nicht abschließend geklärte Frage, ob und in welchem Umfang eine AndrohungsGeneralprävention287 oder auf der nächsten Stufe eine Verhängungs-Generalprävention288 Wirkungen zeitigen. Diese Problematik, die sehr stark das Strafrecht beschäftigt,289 ist vom Gedanken her ebenso auf das Privatrecht übertragbar290, obwohl sich dort noch zum anderen eine ganz andere grundlegende Frage stellt. Ist im Bereich des Privatrechts der Präventionsgedanke, jedenfalls als relevante Größe, überhaupt zulässig?291 Das weit verbreitete Missbehagen bezüglich der Prävention durch Privatrecht beruht nicht nur/nicht primär auf den soeben angesprochenen Feststellungsschwierigkeiten der „Erfolge“ einer präventiven Ausrichtung. Im Privatrecht, namentlich im Vertrags- in Abgrenzung zum Deliktsrecht, besteht vielmehr überhaupt eine (noch) kritische Haltung einer Ausrichtung des Rechts als präventiv/steuernd; dies betrifft gerade pönale Elemente.292 Der GrundAnalyse des Vertragsbruchs etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 547 ff. Zur Überwindung des Homo Oeconomicus als Verhaltensmodell Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 248 ff. Interessant wird im Rahmen der Rollenbetrachtung jedoch noch sein, ob es nicht zielführender ist zu versuchen, die Vertragsregelungen zu internalisieren (vgl. dazu auch noch die Ausführungen zu Parsons). Auf die Norminternalisierung im Kontext mit der positiven Generalprävention (dort unter Bezugnahme auf den Homo Sociologicus) abstellend Baurmann, GA 1994, 368, 372. Demgegenüber sei die Normkonformität auf der Grundlage der negativen Generalprävention nur eine situative Normbefolgung, Baurmann, GA 1994, 368, 371. 287 Begrifflichkeit von Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, S. 11, 29, dort allerdings bezogen auf das Strafrecht. 288 Begrifflichkeit wiederum nach Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, S. 11, 29, dort erneut bezogen auf das Strafrecht. 289 Siehe dazu nur beispielhaft wiederum Baurmann, GA 1994, 368 ff.; Streng, ZStW 101 (1989), 273 ff. Zur negativen Generalprävention und Empirie (im Strafrecht) u. a. Mushoff, Strafe – Maßregel – Sicherungsverwahren, S. 120 ff., mit zahlreichen Nachweisen. 290 Empirische Erhebungen über die Wirkung zivilrechtlicher Folgen als steuernd liegen, soweit ersichtlich, nicht vor. 291 Dazu u. a. Koch, JZ 1999, 922 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 358 f. 292 Dazu, dass pönale Zwecke auch der Prävention dienen, BGHZ 160, 298, 302 f. Zu pönalen Elementen im deutschen Privatrecht etwa Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht; dort, S. 248 ff., führt Ebert aus, die Ausgangsposition des Gesetzgebers des BGB sei ein Grundkonzept eines entpönalisierten Privatrechts gewesen. Im Einzelnen arbeitet Ebert pönale Elemente der Privatrechtsordnung unter dem BGB heraus (S. 252 ff.), wozu u. a. die „Strafen“ des Privatrechts, § 890 ZPO, § 611a BGB und der Schutz vor Diskriminierung und Bereiche des Deliktsrechts nach ihren Ausführungen gehören. Keine Gruppe bildet danach gerade das Vertragsrecht. Siehe auch Dreier, Kompensation und Prävention, der, S. 609, den Zweck der Rechtsfolgen unerlaubter Handlungen neben der Kompensation in der Prävention von Verletzungsfolgen sieht. Zivilrechtliche Vorschriften aufzeigend, die pönale Elemente enthalten, Brugger, JR 2021, 239 ff., auch mit Blick auf das Haftungsrecht.
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gedanke der §§ 249 ff. BGB wird vielfach primär weiterhin in der Ausgleichsfunktion ausgemacht.293 Vor allem in Bezug auf die (vertraglichen) Muss-Erwartungen als Rollenerwartungen hat sich jedoch herausgestellt, dass auch gerichtliche Reaktionen wie der (vollstreckbare) Ausspruch von Schadensersatz aufgrund einer Vertragsverletzung oder ein Erfüllungsanspruch „Sanktionscharakter“ haben, gerade wenn man die Sanktion nicht im engen Sinne strafrechtlich begreift.294 Im Mittelpunkt steht bei der Sanktion im hier verstandenen Sinn vielmehr die (negative) Reaktion295 auf eine Erwartungsenttäuschung. Gleichwohl zeigt sich schon bei der Frage, ob man etwa auch den schadensrechtlichen Ausgleich bei Vertragsverletzungen ebenfalls als „Sanktion“ begreifen kann, wie schwierig sich der Umgang mit dieser Terminologie in dem Bereich des Zivilrechts gestaltet. Das gilt konsequenterweise ebenso, wenn auf die Prävention im Sinne einer (vorbeugenden) Steuerung geschaut wird.296 Ohne die Diskussion zur Gänze aufgreifen zu können, soll nochmals an die zwei zuvor genannten Ansätze, den Einfluss pönaler Elemente sowie (s)eine mögliche präventive Wirkung als Funktion des Privatrechts, angeknüpft werden. Mit einer zu einseitigen Fokussierung auf eine etwaige „Strafe“ in diesem Kontext wird oftmals verdeckt, was das Zivilrecht, gerade das Vertragsrecht, in anderer Form präventiv zu leisten vermag, ggf. auch soll. Hier kann das Rollenbild der (vertraglichen) MussErwartungen durchaus taugliche Dienste leisten. Zwar kann das Privatrecht generell keine Vergeltungsfunktion wahrnehmen, schon gar nicht im Vertragsrecht. Das heißt allerdings gerade nicht, ihm steuernde/präventive Wirkung abzusprechen. Es ist ein Zum Bedeutungsgewinn präventiver und pönaler Elemente im Haftungsrecht u. a. Körner, NJW 2000, 241 ff., etwa in Bezug auf Persönlichkeitsverletzungen; zur Prävention und deutschem Haftungsrecht ebenfalls Rosengarten, NJW 1996, 1935 ff. Nur Prävention durch Strafe als interessant bezeichnend Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 399; in Bezug auf das Schadensrecht sei die Verpflichtung zum Schadensersatz selbstverständlich als solche präventiv. Zur notwendigen Differenzierung von Straf- und Schadensrecht, welche sich etwa an unterschiedlichen Bestimmtheitserfordernissen festmacht, Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 344. 293 Siehe etwa BGH NJW 2004, 3324, 3325; MK-BGB/Oetker, § 249, Rn. 8 f. (Ausgleichsfunktion, regelmäßig nicht Prävention); Grüneberg/Grüneberg, Vorb v § 249, Rn. 2, der den pönalen Charakter ablehnt und den Gedanken der Prävention und Schadensverhütung bei der Schadensbemessung nur ausnahmsweise Bedeutung zumisst. Den Gedanken der Prävention und Sanktion des Täters auch bei §§ 249 ff. BGB anführend u. a. Jauernig/Teichmann, BGB, Vorbemerkungen zu den §§ 249 – 253, Rn. 2; zur Aufweichung des reinen Kompensationskonzepts der §§ 249 ff. BGB durch die Erweiterung des Schadensbegriffs Körner, NJW 2000, 241, 246. Zum Vermögensschaden und pönalem Prinzip Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 416 ff. 294 In diesen Kontext gehört auch die Überlegung, im Durchlaufen eines Verfahrens, z. B. eines gerichtlichen Verfahrens, selbst eine Sanktion auszumachen. Zur Sanktion durch Verfahren, allerdings im strafprozessualen Bereich, Naucke, FS für Lackner, 695, 711. 295 Diese wird im Übrigen auch durchaus als Übel empfunden. 296 Für Schmidt, KritV 1986, 83, 103, ist eine Prävention als Zielbestimmung im Zivilrecht, die lediglich auf „Vorbeugung“ oder „Verhütung“ irgendwelcher „Schäden“ (Hervorhebungen bei Schmidt) abstellt, dagegen zu wenig. Eine taugliche weitergehende Theorie der Prävention sei jedoch nicht vorhanden.
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„Anreizsystem“, das Wagner297 namentlich für das Vertragsrecht298 (Vertragshaftung) benennt, dem als Steuerungsaspekt hier unsere Hauptaufmerksamkeit gilt. (Vertragliche) Schadensersatzansprüche, durchsetzbare Erfüllungsansprüche, sonstige Nachteile (z. B. Abstandnahme von der Gegenleistung, Anfechtbarkeit)299 ermöglichen einen vom Gesetz vorgeschlagenen Interessenausgleich300 im „Krisenfall“, das heißt bei „Erwartungsenttäuschung“. Gleichwohl oder gerade deshalb können sie verhaltenssteuernd sein.301 Denn es ist nicht zuletzt diese Verhaltenssteuerung durch das Gesetz, die der Anwalt im Rahmen der Vertragsgestaltung für den Mandanten in seine Beratung und Ausführung in ganz erheblichem Maß einfließen lässt. Die Risikoplanung302 innerhalb der Vertragsgestaltung macht das nachhaltig deutlich. Was geschieht, wenn der Mandant (oder die andere Seite) von den vertraglichen Erwartungen abweicht? Es geht, um mit der „Rolle“ zu argumentieren, darum, welches Rollenversagen den Einzelnen wie hart trifft. Das sind aber gerade in der vertraglichen Risikoplanung die, oftmals wirtschaftlichen, Überlegungen, was die Folge der Erwartungsenttäuschung, das heißt hier der Vertragsverletzung, wäre. Vielfach sind damit Kosten verbunden oder sonstige materielle Nachteile.303 Hiervor muss der Anwalt den Mandanten warnen. Diese Gedanken sind (auch) steuernd und zwar, weil entsprechende normative Vorgaben vorhanden sind. Das Gesetz und seine Mechanismen werden zudem innerhalb der Vertragsverhandlungen durchaus als einzukalkulierender Machtfaktor begriffen.304 Es ist ferner etwa Wagner305 auch darin zuzustimmen, dass Gerichte mit entsprechenden Entscheidungen, die z. B. Schadensersatz aussprechen, durchaus „Signale“ setzen. Es gibt so gesehen keinen Grund, dem Zivilrecht und vor allem dem Vertragsrecht eine steuernde Wirkung nicht zukommen zu lassen. Es wäre zudem befremdlich, dem ubiquitär greifenden Zivilrecht eine wesentliche gesellschaftliche Funktion abzuschneiden. Unter Bezugnahme auf die Funktionen des Rechts wird dies auch noch aus einem anderen Blickwinkel deutlich: Das Gesetz macht insbesondere im 297
Wagner, AcP 206 (2006), 352, 426. Auf dem Vertragsrecht liegt hier eindeutig der Fokus. Zwar sind in der Vertragsgestaltung auch Überlegungen zum Deliktsrecht anzustellen. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf dem Vertragsrecht, da es in der Vertragsgestaltung darum geht, nach Wegen zu suchen, sich interessengerecht (freiwillig) dem Recht zu unterstellen. 299 Koch, JZ 1999, 922, 926; Wagner, AcP 206 (2006) 352, 426. 300 Siehe Wagner, AcP 206 (2006) 352, 426. 301 Zur Steuerungswirkung Wagner, AcP 206 (2006), 352, 426. Zur Verhaltenssteuerung als Funktion des Rechts wie auch einer solchen in Form von Konfliktbereinigung Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 187 f. 302 Dazu etwa Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 30 ff. 303 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 547 ff. 304 Zur Berufung auf das Gesetz als Mittel des Machtlosen Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 246. 305 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 426. 298
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Vertragsrecht auch Vorschläge/Vorgaben306, wie Interessen zu gewichten und auszugleichen sind. Sollte man sich nun diesem Vorschlag willentlich „unterstellen“, z. B. einen entsprechenden Vertragstypus wählen und abschließen, so wirkt das Vertragsrecht insoweit steuernd, als es für den Fall einseitiger Interessenverschiebung307 eine (anschließende) Reaktion vorsieht. Die Interessen werden wieder (gesetzlich) „geradegerückt“. Dem kommt aber vielfach Signalwirkung für andere, die vergleichbare Interessen haben, zu. Solche Überlegungen dürfen und sind durchaus für den Gesetzgeber (mit-)leitend.308 (c) Berücksichtigung von Verfahrensbedingungen Kann man somit dem Vertragsrecht eine Steuerungsfunktion zuweisen, so ist bezüglich der Realisierungssicherheit auf einer nächsten und eigentlichen Stufe ein weiteres Problem auszumachen. (Rechts-)Sicherheit durch Realisierungssicherheit309 erfordert weiterhin, was bereits mehrfach anklang: Notwendig ist ein flankierendes Verfahren, welches das Bindeglied zur Kontrollinstanz herstellt. Es ist nicht zuletzt diese Überlegung, die auch für präventive Gedanken mitentscheidend ist. Materielles Recht bedarf entsprechender Verfahrensbedingungen.310 Diese Bedingungen stellt der Gesetzgeber grundsätzlich vor allem mit der Zivilprozessordnung durchaus zur Verfügung. Bedenkenswert und aus anwaltlicher Beratersicht zu überlegen, ist jedoch die Frage, wie effektiv dieser Weg im „Ernstfall“ wäre. Vertragliche Muss-Erwartungen des Mandanten, die davon „leben“, gerichtlich durchgesetzt zu werden, sind, so der Weg zum Gericht versperrt ist, als Rollenerklärung für Mandantenverhalten nicht mehr tauglich. 306
Sieht man das Zivilrecht nicht als „Vorschlag“ einer Interessengewichtung, sondern (nur) als Vorgabe, könnte sich daran der Vorwurf der Steuerung durch staatliche Politik anknüpfen, was gerade auch eine Beeinträchtigung der Privatautonomie bedeutet. Vgl. in diesem Kontext etwa Kloepfer, NuR 1990, 337, 339, der im Zusammenhang von Umweltschutz durch Zivilrecht die Gefahr einer Entprivatisierung des Privatrechts anspricht. Eine Beeinträchtigung der Privatautonomie muss allerdings, das haben die Erörterungen um die Vertragsfreiheit im Kontext mit den Drittinteressen gezeigt, nicht der Fall sein. Zum einen bedarf die Vertragsfreiheit (auch) der Ausgestaltung, die sich jeweils an den grundgesetzlichen Vorgaben messen lassen muss. Das gilt vor allem in Bezug auf zwingendes Recht, aber auch für das dispositive Recht. Beim dispositiven Recht wird der Vorschlagscharakter besonders deutlich. Verhaltenssteuerung kann man dann auch dergestalt verstehen, dass die Vertragspartner gerade die lenkende Wirkung des Gesetzes aktivieren wollen, indem sie das dispositive Recht nicht abbedingen. 307 Als Überlegung greift dies freilich schon im Vorfeld der Vertragsgestaltung ein. 308 Weitergehende Gedanken anstellend, inwieweit der Gesetzgeber Verhaltenssteuerung in seine Überlegungen einbeziehen darf und inwieweit Gerichte Auswirkungen eines Urteils auf andere Schuldner berücksichtigen dürfen, Wagner, AcP 206 (2006), 352, 426. 309 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 103. 310 Dazu Koch, JZ 1999, 922, 929. Siehe auch zum Zweck des Zivilprozesses als „ein gesetzliches, auf bestimmten Grundsätzen beruhendes Verfahren, das die Durchsetzung privater Rechte durch gerichtliche Entscheidung gewährleistet“, Jacoby, Zivilprozessrecht, 1. Kapitel, Rn. 13.
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Auf die gesamte Bandbreite möglicher Hindernisse kann nicht eingegangen werden. Zur Verdeutlichung, auch in Ergänzung bisheriger Ausführungen, sollen einige prägnante Aspekte dienen. Eine „Barriere“, die im Grunde schon zuvor innerhalb der Rechtssicherheit anklang, besteht darin, wie viel Vertrauen darin, dass Recht auch gesprochen werden wird, aufgebracht wird und dem Mandanten seitens des Anwalts vermittelt werden kann. Neben der häufig ohnehin vorhandenen Unsicherheit in Bezug auf den (künftigen) Inhalt der Rechtsprechung können abschreckende Gründe etwa in komplizierten Sachverhalten oder Rechtsfragen bestehen311. Hier mag zwar eine gelungene Vertragsgestaltung seitens des Anwalts Abhilfe in einem gewissen Umfang schaffen, indem er sowohl in Sach- wie in Rechtsfragen klare und bestimmte Regelungen trifft. Ein „Restrisiko“ verbleibt gerade bei komplexen Verträgen. Zudem muss sich der Mandant, nach entsprechender Aufklärung, immer gewahr sein, dass es an ihm selbst ist, die Rechtsverfolgung im Ernstfall aufzunehmen. Er steht dann „allein“ da.312 Diese Notwendigkeit, selbst kämpfen zu müssen, steht im Zusammenhang mit Zugangsbarrieren in Form von Zeit und Kosten. Eine etwaige (lange) Verfahrensdauer erzeugt Kosten. Das betrifft nicht nur die unmittelbaren Kosten aufgrund des Prozesses313, sondern auch solche, die beispielsweise dadurch entstehen, die zu erstreitende Sache nicht zur Verfügung zu haben314. Kosten entstehen weiterhin als psychische und soziale Kosten315, u. a. durch die Kappung sozialer Beziehungen, möglicherweise von Geschäftsverbindungen. Ein etwaiges anderes Element, das in der Kostenplanung Bedeutung gewinnen kann, ist die „Art“ des Vertragspartners/späteren Gegners. Sind dies Unternehmen, spielen auf deren Seite Zeit und Kosten oftmals eine andere Rolle als bei einer Privatperson, der es eher an Zeit und Geld fehlt, um den Prozess „auszusitzen“. Geht man also mit einem von Muss-Erwartungen geprägten Verständnis, das eine mögliche gerichtliche Aktivierung einschließt, in die Vertragsüberlegungen, so ist im Vorfeld eine Kosten-Nutzen-Analyse als Teil der Risikoplanung für den Mandanten unabdingbar. Das gilt dann ebenso für die anwaltliche Beratung. Es geht darum, ob ein etwaiger Prozess überhaupt wirtschaftlich durchzuhalten ist. Zugangsbarrieren können sich weiterhin aus dem Umgang mit staatlichem Recht ergeben. Bereits bei den Kosten wurde dies deutlich. Der Mandant, der seine und vor allem die Rolle des Vertragspartners (juristisch) normativ verstanden wissen will, muss bereit sein, Abweichungen, das heißt entsprechende Konflikte, unter Rechtsgesichtspunkten zu thematisieren316. Das bedingt einen rechtlichen Umgang mit dem 311
Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, S. 142. Goebel, Zivilprozeßrechtsdogmatik und Verfahrenssoziologie, S. 142 ff. 313 Das sind insbesondere Gerichts- und Anwaltskosten, Röhl, Rechtssoziologie, S. 493. 314 Röhl, Rechtssoziologie, S. 494, spricht von der Einschränkung der Dispositionsfreiheit. 315 So Röhl, Rechtssoziologie, S. 494. 316 Zur Problematik Röhl, Rechtssoziologie, S. 491. 312
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Konflikt mit allen Konsequenzen, z. B. Öffentlichkeit (§ 169 GVG), Notwendigkeit eines adäquaten Rechtsbeistands. Vor allem muss ebenso eine Bewusstseinsöffnung dahingehend erfolgen, selbst dem ausgesetzt sein zu können. Die andere Vertragsseite kann ebenso Muss-Erwartungen aktivieren und hat diesbezüglich u. U. erheblich weniger Bedenken. All dies sind Aspekte, die innerhalb der anwaltlichen Beratung durchaus von Belang sind. Im Fokus der Thematisierung des Konflikts durch Recht stehen somit vor allem eigene Befindlichkeiten. Will sich der Mandant dem aussetzen? Will er damit, und das ist eine häufige Frage, soziale Beziehungen u. U. nachhaltig zerstören? Letzteres ist nicht nur, wie schon angesprochen, eine wirtschaftliche Variable, sondern vor allem, je nach Streit, eine zwischenmenschliche. Nüchtern kann man dazu feststellen: Wenn man eine vertragliche Rolle317 gerade mit Blick auf eine Sanktion wählt, also Dahrendorfs Muss-Erwartungen (auch) wünscht, dann muss dem Einzelnen (Mandanten) der Weg zur Sanktionierung mit allen seinen Konsequenzen als Handlungsoption bewusst sein. Vielfach wird ein solcher Weg, zumindest als ultima ratio, in Kauf genommen. Andererseits offenbaren sich hier weitere Notwendigkeiten, ggf. nach alternativen Wegen, das heißt ebenso nach alternativen Rollenverständnissen, zu suchen. cc) Soll- und Kann-Erwartungen sowie Mandanteninteressen Es sind nicht zuletzt auch diese „Probleme“, die sich in Bezug auf den Zugang bzw. das Durchstehen eines gerichtlichen Prozesses ergeben, die, gerade mit Dahrendorf und seinem Blick auf Sanktionen, die Betrachtungen von den Mussstärker auf die Soll-Erwartungen richten lassen, wenn es um die Umsetzung von Mandanteninteressen geht. Sind es nicht u. U. solche Erwartungen, die dem Mandanteninteresse besser nützen? Muss sich dann die anwaltliche Beratertätigkeit stärker auf diese fokussieren? Diesbezüglich ist zunächst nochmals auf das hinzuweisen, was schon zuvor ausgeführt worden ist. Zahlreiche sanktionsbewehrte Normen werden bereits als Muss-Erwartungen einzustufen sein, z. B. Satzungen.318 Sieht man in Soll-Erwartungen dann in Abgrenzung dazu die „Sitten“319, zu denen insbesondere die festen Gewohnheiten gehören, so ergibt sich für die Nutzbarmachung dieser zur Umsetzung der Mandanteninteressen ein durchaus von den MussErwartungen abweichendes Bild. Beispielhaft kann hier auf das zurückgegriffen werden, was bereits innerhalb der Erörterungen zum relational contract erörtert 317
Als Mandant bzw. als Anwalt für den Mandanten. Gleichwohl können unterschiedliche Muss-Erwartungen vom Mandanten etwa als unterschiedlich belastend angesehen werden. 319 Also das Vorhandensein einer sanktionsbewehrten Normqualität und eines tauglichen, wenn auch nicht staatlichen Erzwingungsstabs. 318
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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wurde und nunmehr im Kontext der Rollendiskussion argumentativ verstärkt werden kann. Die Interessen des Mandanten gehen z. B. oftmals dahin, Geschäftsbeziehungen zu erhalten, gleichwohl Sanktionen bezüglich abweichenden Verhaltens zu erlangen. Vornehmlich hierauf bezogen finden sich Ansätze, die darauf verweisen, auch ohne Vertragsrecht, somit ohne die Chance auf gerichtliche Durchsetzbarkeit, würden vielfach Verträge geschlossen und auch eingehalten.320 Gründe dafür können z. B. Soll-Erwartungen in Form fester Gewohnheiten sein. So kann man einen bestimmten Verhaltenskodex (ehrbarer) Kaufleute321 als Norm sehen, der „Erzwingungsstab“ bestünde dann in den Kaufleuten aus dem entsprechenden Geschäftskreis. Ihre Sanktionierung wäre die Verweigerung künftiger Verträge, was etwa beim vom Kodex Abweichenden zu Geldeinbußen oder gar zur Verdrängung vom Markt322 führen kann. Mit Blick auf die Interessen des Mandanten wäre es für ihn „vorteilhafter“, dass die Sanktionierung ohne hohe Prozesskosten323 für ihn erfolgt. Auch können die Barrieren in Bezug auf diesen Weg, weil die „anderen“324 die Sanktion herbeiführen, niedriger sein; man muss den Sanktionsapparat nicht in vergleichbarer Weise aktivieren wie etwa einen Zivilprozess. Hinsichtlich der Interessen auf sozialer (Beziehungs-)Ebene ist für den Mandanten zu differenzieren: Auch hier ist ein (einzukalkulierender) „Bruch“ durchaus möglich, ggf. hat er aber eine andere Qualität, weil kein formalisiertes staatliches Verfahren beschritten wird. Die Vorteile bergen allerdings gleichsam janusartig auch die Nachteile. Nach wie vor ist eben ein Bruch in den persönlichen Verhältnissen möglich. Eine eigene Aktivierung der Soll-Erwartungen durch den Mandanten ist zudem nur begrenzt möglich, z. B. durch Publikmachen des vertragswidrigen Verhaltens seines Partners. Bezüglich des Ob und des Wie der Sanktionen ist eine Voraussicht kaum möglich. Damit geht ebenfalls eine entsprechende Sicherheit verloren.325 Gleichwohl sind die Sanktionen der Soll-Erwartungen eine ernst zu nehmende „Drohkulisse“. Mandanteninteressen können sich somit in Soll-Erwartungen wiederfinden.326 Dieses Wiederfinden kann gewisse „Schwächen“ der vertraglichen Muss-Erwartungen beseitigen, begründet allerdings gleichzeitig neue. Zudem ist das Rollenverständnis nach wie vor ein sanktionsgeprägtes. Vornehmlich wenn es um den
320
Darauf hinweisend Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 476 ff. 321 Dazu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 476. 322 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 476. 323 Die materiellen Nachteile (z. B. Nichterfüllung) können freilich bleiben. 324 Im Beispiel die anderen Kaufleute. 325 Es ist gleichsam der Verlust der „Versicherung“ des Rechts, die Llewellyn beschrieben hat. 326 Auch hier ist natürlich zu berücksichtigen, dass die Erwartungen wechselseitig sind, das heißt, dass der Vertragspartner solche ebenfalls aufstellen kann.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
(dauerhaften) Erhalt von sozialen Beziehungen geht, kann die „Lösung“ nicht nur darin bestehen, „andere“ Sanktionen zu suchen, d. h. solche der Soll-Erwartungen. Der beratende Anwalt sollte in seine Erwägungen bei der Interessenberatung daher die Soll-Erwartungen kumulativ zu den Muss-Erwartungen aufgrund des Vertragsrechts einstellen. Letztere muss er schon aufgrund seiner Rolle (Muss-Erwartungen des Mandanten nach dem Anwaltsvertrag)327 berücksichtigen, weil sie aufgrund seiner anwaltlichen Position als Interessenvertreter in die (rechtlichen) Beratungen einzufließen haben. Eine andere Frage ist, ob das ebenso für die SollErwartungen gilt, das heißt, sieht sich der Anwalt ob der Muss-Erwartungen (Anwaltsvertrag) gegenüber ihm selbst hinsichtlich des Mandanten in der Pflicht, diesen über die Soll-Erwartungen, die den Mandanten betreffen, zu beraten. Die Frage wird man in der Regel verneinen müssen. So schuldet der Anwalt z. B. grundsätzlich keine wirtschaftliche Beratung,328 worunter etwa auch mögliche im wirtschaftlichen Bereich anzusiedelnde Soll-Erwartungen fallen. Sollte der Anwalt zur Nutzung von Soll-Erwartungen raten, muss er vielmehr auf die Schwächen der mangelnden (gerichtlichen) Durchsetzbarkeit für den Mandanten hinweisen, eine anwaltliche Verpflichtung, die wiederum aus dem Anwaltsvertrag folgt. Die Erörterung von SollErwartungen durch den Anwalt kann allerdings als Beispiel dafür fungieren, dass ein „guter“ Anwalt nicht gleichzusetzen ist mit einem Anwalt, der nur seinen MussErwartungen (aus dem Anwaltsvertrag) folgt. Das kann im Einzelfall die interessengerechte Lösung für den Mandanten verbauen, die ggf. den Blick auf Soll-Erwartungen erfordert. In eine ähnliche Richtung wie die Ausführungen zu den Soll-Erwartungen können die Überlegungen im Hinblick auf etwaige Kann-Erwartungen in Bezug auf den Mandanten gehen. Hier ist allerdings zusätzlich in Rechnung zu stellen, um wie viel schwächer die Kann-Erwartungen in ihrer Ausstrahlung sind sowie ihre schwer fassbare inhaltliche Bestimmtheit. 6. Fazit Die Arbeit mit Dahrendorfs Rollenverständnis eröffnet durchaus Ansätze, um Abläufe in der Vertragsverhandlung/-gestaltung zu erklären und daraus weiterführende Erkenntnisse zu gewinnen a) Mandant Diese Erkenntnisse betreffen zum einen den Mandanten und der von ihm im späteren Vertrag zu bekleidenden Rolle. 327 Es ist nochmals zu beachten, dass es um die Interessenwahrnehmung des Mandanten durch den Anwalt geht. 328 G. Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 321.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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So können hinreichend bestimmte vertragliche Muss-Erwartungen aufgrund des vom Mandanten geschlossenen Vertrags durchaus ein gewisses Maß an Erwartungssicherheit setzen. Das betrifft die Erwartungen, die man an seinen Vertragspartner richten kann, als auch diejenigen, die den Mandanten selbst treffen. Die damit einhergehende Schablonenhaftigkeit, gerade beim Rückgriff auf typisierte Verträge, ermöglicht eine gute Abgleichmöglichkeit mit den involvierten Interessen und trägt so zur Planungssicherheit bei. Insbesondere die bei Dahrendorf stark präsente Sanktion kann, durchaus vom Mandanten gewollt,329 ebenfalls als Kalkulationsgröße eingestellt werden. Es ist dieses Operieren mit der Sanktion aus Sicht des Homo Oeconomicus, das potentielle rechtliche Muss-Erwartungen als etwaige Machtfaktoren, z. B. innerhalb der Vertragsverhandlung, verständlicher macht.330 Die angerissenen „Vorteile“ leiten jedoch unmittelbar dazu über, warum Dahrendorfs Rollenverständnis als monokausaler Erklärungsansatz nicht ausreicht, vor allem im Bereich der Vertragsverhandlung/-gestaltung. So gründet eine etwaige Erwartungssicherheit auf einer normativen Rolle, eng damit hängt ja auch die Sanktion zusammen. Abgesehen von den zuvor beschriebenen tatsächlichen Schwächen einer rein normativen Herangehensweise (z. B. Kosten oder sonstige Barrieren), ist Dahrendorfs Rollenbild kein tauglicher Erklärungsansatz für zahlreiche Abläufe innerhalb der Vertragsgestaltung. Dahrendorf begreift die Rolle als „ärgerliche Tatsache der Gesellschaft“. Sucht allerdings der Mandant die „Schablone“ der gesetzlichen Muss-Erwartungen als Mittel der Interessenumsetzung, um Lösungen für seine Bedürfnisbefriedigung zu finden, so zeigt sich ein Umstand, der schon im Kontext mit der Präventionswirkung des Privatrechts erläutert wurde. Der Mandant „aktiviert“ zur Befriedigung seiner Interessen den „Muss-Mechanismus“. Es werden also „nicht einfach so“ Erwartungen an ihn und an andere herangetragen, sondern er wirkt zielführend daran mit. Das sieht Dahrendorfs Rollenverständnis so eigentlich nicht vor, verdeutlicht vielmehr die Problematik, dass Dahrendorfs Ausführungen stark „strafrechtlich belastet“ sind. Wenn der Mandant aber (auch) als Aktivator fungiert, dann bedeutet das vielfach die „freie Wahl“ der Rolle. So kann er etwa grundsätzlich wählen, ob er z. B. Käufer oder Mieter sein möchte.331 Eine solche Möglichkeit wird beim Rollentyp der sozialen Rollen vielfach eröffnet sein.332 329
wollt. 330
Das gilt allerdings auch umgekehrt, das heißt, von der Seite des Vertragspartners ge-
Zum Gesetz als Machtfaktor vgl. wieder Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 246. Zu der Frage, wie frei man tatsächlich aus Paritätsgesichtspunkten bei der Entscheidung ist (allerdings nicht in Bezug auf den Mietvertrag), siehe noch die Ausführungen in Teil 5 D. III. 2. a) ee) (2), S. 955 ff. 332 Vgl. hierzu Claessens, Rolle und Macht, S. 40 f., der gerade einen Wechsel der sozialen Rolle für möglich erachtet; dort, S. 40, aber auch dazu, dass soziale Voraussetzungen oftmals nicht genügen, um eine soziale Position zu besetzen. 331
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Anknüpfend daran („freie“ Wahl des Typus der sozialen Rolle, insbesondere der Berufsrolle)333 kann man auch versuchen, die kritischen Auseinandersetzungen um Dahrendorfs Rollenverständnis, jedenfalls soweit es für das vorliegende Untersuchungsgebiet nutzbar gemacht worden ist, aufzulösen.334 Ausgangspunkt der Kritik ist vereinfacht ausgedrückt die Frage, ob dem „reinen“ Menschen die Gesellschaft, die ihm Rollen „aufzwingt“, gegenübersteht,335 der Mensch also jenseits der Rolle vorstellbar ist.336 Dem hält etwa Tenbruck337 entgegen, der rollenlose Mensch existiere überhaupt nicht und könne auch nicht existieren. Die „Auflösung“ dieser Problematik338 wird u. a. dahingehend versucht, die unterschiedlichen Rollentypen herauszustellen. Dahrendorf sei im Wesentlichen von Berufsrollen ausgegangen,339 Tenbruck von anderen Rollentypen, in die der Mensch hineinwachse,340 ohne die er nicht Mensch sein könne. Ohne eine weitere Vertiefung hier leisten zu können, ist dem Umstand zuzustimmen, wonach es ergreifbare und wieder abwerfbare Rollen gibt341. Ein Beispiel dafür ist der Beruf. Abgesehen davon gibt es viele Fälle, in denen es zur Positions- und Rollenübernahme durch einen (juristischen) Vertrag kommt. Ein solcher Vertrag kann eine Rolle auf Zeit vermitteln,342 z. B. als Mieter. Mit dem Vertrag erfolgt dann weiterhin eine zeitweise Unterwerfung auch unter eine (gerichtliche) Kontrolle. Dieses Bild einer Rolle auf Zeit geht zudem Hand in Hand mit dem obigen Verständnis des Aktivierens einer Rolle durch den Mandanten zur Deckung der eigenen Interessen. Außerdem passt hier ebenfalls das Verständnis der Bewegung „from status to contract“343 jedenfalls in weiten Bereichen. Kritisch zu beleuchten ist der „Vorteil“ der Erwartungssicherheit (für den Mandanten), der mit Dahrendorfs Rollenverständnis einhergeht. Letzteres leistet sicherlich einen Erklärungsansatz für die angesprochene Sicherheit, u. a. wegen des 333
So u. a. Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 31. Die Weite der Diskussion um Dahrendorfs Homo Sociologicus kann hier nicht aufgegriffen werden, insbesondere nicht in Bezug auf das von Dahrendorf entworfene Menschenbild. 335 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 57. 336 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 57, führt aus, der rollenlose Mensch sei für Gesellschaft und Soziologie ein nicht existierendes Wesen. 337 Tenbruck, KZfS 1961, 1, 31. 338 Claessens, Rolle und Macht, S. 40 f.; unter Bezugnahme darauf Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S.31 f. 339 Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 31. 340 Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 31 f. 341 Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S.31. Siehe auch Claessens, Rolle und Macht, S. 40. 342 Zur Rolle auf Zeit, allerdings nicht für den BGB-Vertrag, Claessens, Rolle und Macht, S. 153. 343 Siehe auch Claessens, Rolle und Macht, S. 153. Vgl. zudem Röhl, Rechtssoziologie, S. 325. 334
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Blicks auf die Kontrollinstanz. Abgesehen von den zuvor genannten Schwächen einer streng normativen Sichtweise, ist bezeichnend, dass von Dahrendorf herkommend der sanktionsorientierte Blickwinkel auch ein entsprechendes Konfliktverständnis bedingt. Es geht hier um Konfliktvermeidung wegen (drohender) Sanktionen. Das liefert aber keinen Erklärungsansatz etwa in Bezug auf die Konfliktvermeidung dahingehend, ob es nicht andere Gründe gibt, den Erwartungen zu folgen oder sich „spontan344 richtig“ zu verhalten. Bezogen etwa auf die Gesetze kann man weiter fragen, ob diese nicht z. B. „vernünftige“ Vorschläge sein können, denen man (nicht) nur aufgrund drohender externer Sanktionen folgt. Möglicherweise kann der (juristische) Vertragsschluss durch den Mandanten auch ein Ausdruck von Freiheit dergestalt sein, dass die Regeln „gut“ sind und man sie zum Zweck der persönlichen Selbstverwirklichung und Sicherung einsetzt.345 Eine reine Sanktionsorientierung greift ebenfalls für die Vermittlung von Norminhalten zwischen Anwalt und Mandanten zu kurz. Norminhalte sind so in diesem Verhältnis nur eindimensional erklärbar. Es geht dann nur um die Verständlichmachung im Sinne von Gehorchen/Verlangen, ausgeblendet ist z. B. die in der Vertragsgestaltung elementare Zweckorientiertheit346. Auch wenn man den Dritten, den potentiellen Vertragspartner des Mandanten, mitberücksichtigt, ist ein Abstellen allein auf die Sanktionsausrichtung defizitär. Wie kann danach etwa ein rationales Verhandeln erklärt werden, im Rahmen dessen ebenso dem Dritten eine (Vertrags-)Rolle nahezubringen ist? Konsensförderung lässt sich mit Dahrendorf kaum begründen. Die Erwartungssicherheit machte sich außerdem vor allem an gesetzlich vorgeformten, respektive von der Rechtsprechung „abgesicherten“, Vertragstypen fest. Insbesondere in der Vertragsgestaltung ist eine Lösungssuche (nur) anhand von vorgegebenen Vertragstypen aber ebenfalls eindimensional in dem Sinn, dass nur auf das Standardisierte geschaut wird. Allein damit lassen sich mögliche Besonderheiten in der Vertragsgestaltung schwer erklären. Letztlich fordert die gute Vertragsgestaltung u. U. einen „Maßanzug“ für den Mandanten. Das Individuum und seine Besonderheiten müssen Einfluss nehmen. Damit dem Genüge getan wird, muss in der dem Vertragsschluss vorgelagerten Phase gleichsam hinsichtlich typisierter Vertragsmodelle eine antizipierte Distanz zu den von ihnen vermittelten Rollen eingenommen werden.347 Nur so lässt sich ermitteln, ob man sich in ihnen wohl 344 Dazu, dass zur sozialen Rolle auch notwendig ein Element der Spontaneität gehört, Tenbruck, KZfS 1961, 1, 14. 345 Siehe zum Einsatz sozialer Rollen für die persönliche Selbstverwirklichung und zur Sicherung der eigenen Rechte Münch, Soziale Theorie, Band 3, S. 362 f., gerade in kritischer Auseinandersetzung mit Dahrendorfs Rollentheorie. 346 Auch hierfür kann die Gedankenführung Münchs, a. a. O., nutzbar gemacht werden. 347 Rollendistanz wird hier verstanden als eine Strategie, dass ihr (potentieller) Träger in ihr nicht vollkommen aufgeht oder sich ihr gegenüber kritisch verhält; zu dem Verständnis Röhl, Rechtssoziologie, S. 317. Es geht um die Kompetenz, souverän mit einer Rolle umzugehen, Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 356.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
fühlen kann oder ob man sie als Zwang empfindet. Auf dem Weg können weiterhin angemessene Kombinationen gelingen, indem man vorgegebene (Vertrags-)Rollen und individuelle Besonderheiten nebeneinander berücksichtigt. Ein individuell ausgehandelter Vertrag beruht also (auch) auf Rollendistanz. Die aus einem solchen Vertrag resultierenden Erwartungen sind in ihrer Genese mit Dahrendorf nicht erklärbar.348 Abschließend ist mit Blick auf den Mandanten und seiner späteren (Vertrags-) Rolle festzuhalten, dass Dahrendorfs Rollenverständnis durchaus wertvolle Erklärungsansätze liefert. Es ist jedoch bei Weitem nicht genug, um die Vertragsverhandlung und -gestaltung zu erfassen. Diesbezüglich sind andere/weitere Ansätze erforderlich. b) Anwalt Die Vorteile, aber ebenso die lediglich eingeschränkte Tauglichkeit, mit Hilfe der Dahrendorfschen Überlegungen Erkenntnisse bezüglich der anwaltlichen Tätigkeit als solcher, gerade innerhalb der Vertragsgestaltung, zu gewinnen, wurden schon angesprochen. Daran soll nochmals angeknüpft werden, nunmehr in Bezug auf die Person des Anwalts selbst. Die vorherigen Untersuchungen ergaben bereits, dass der Anwalt selbst349 sich aufgrund des (typisierten) Anwaltsvertrags Muss-Erwartungen ausgesetzt sieht, so u. a. denen, als Fachmann dem Mandanten Rechtsrat zu leisten. Letzteres kann jetzt noch zusätzlich untermauert und vertieft werden. So muss der Anwalt für seinen Mandanten und mit Blick auf dessen künftige Rolle etwa von der gerichtlichen Sanktion her denken, das heißt, wie dort Rolle und Sanktion miteinander verknüpft sind.350 Zum einen wünscht u. U. der Mandant eine solche Sanktion für seinen potentiellen Vertragspartner im Fall abweichenden Verhaltens. Zum anderen kann sich aber auch ein entsprechendes drohendes Szenario für den Mandanten selbst ergeben. Die Informationen, die vom Anwalt dem Mandanten zu geben sind, sind also u. a. solche, wie das Recht anhand gesetzlicher (rechtlich durchsetzbarer) Rollen funktioniert, bzw. wie das Recht insoweit den Mandanten trifft/treffen kann. In dem Bereich ist dann ebenso die Rolle des Anwalts nach Dahrendorf klar definiert hinsichtlich dessen, was er zu leisten hat. Das heißt weiterhin: Gibt es eine hohe (rechtliche) Sicherheit, welche Erwartungen den Mandanten in bestimmten (Vertrags-)Rollen treffen, bzw. welche er hegen darf, so hat der Anwalt ebenso eine hohe Sicherheit in Bezug darauf, seine Rolle (Muss-Erwartungen bezüglich der zu vermittelnden Informationen) gut ausfüllen zu können. Das gilt vor allem in den 348 Es finden sich im Dahrendorfschen Sinn natürlich auch hier Muss-Erwartungen, etwa der für den juristischen Vertrag greifende Grundsatz „pacta sunt servanda“. Für diesen Grundsatz greift auch die rollentypische Austauschbarkeit. 349 Es geht nicht um die Rolle des Mandanten. Allerdings wirkt der Anwalt an der Rollengestaltung für den Mandanten mit; das gehört zu der Erwartung, die den Anwalt aufgrund seiner (des Anwalts) Rollenverpflichtung gegenüber dem Mandanten trifft. 350 Hier findet sich also durchaus ein starker Bezug zu Dahrendorf.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Fällen, in denen die Interessen des Mandanten bestimmten (gesetzlichen) Vertragstypen „angeglichen“ werden können. Jetzt wird das Bild der „Checklisten“ als Beispiel einer Haftungsvermeidungstechnik des Anwalts, auch bezüglich der Anleitung zur Kommunikation, noch deutlicher. Das Gesetz als „Checkliste“ macht danach im Grunde ebenfalls ein „Angebot“ für eine (eigene) Rolle, welche den Anwalt, den Berater „schützt“. Trotz dieser Vorteile verbergen sich hier weitere Gefahren. Denn ein Anwalt, der den Mandanten einseitig zu vorgefertigten Vertragsrollen351 hinleitet, verkennt dessen Freiheit und Individualität352. So mag zwar die Wahl des Mandanten für eine bestimmte typisierte (Vertrags-)Rolle oftmals „frei“ sein. „Freiheit“ wird an dieser Stelle dahingehend verstanden, dass die durch den Vertrag eingenommene Position/ Rolle des Mandanten nicht von vornherein ihm unausweichlich zugewiesen war. Diesbezüglich unterstützt der Anwalt den Mandanten bei seiner „Selbstverwirklichung“. Verharrt der Anwalt allerdings innerhalb seines (eigenen) Rollenverständnisses (insbesondere aufgrund des Anwaltsvertrags) bei der Abarbeitung von Checklisten, so kann er leicht zu einer Haltung eines „Subsumtionsautomatens“353 verkommen. Infolgedessen kann es dann ferner zu einem „Überstülpen“ eines typisierten Vertrags in Bezug auf den Mandanten kommen. Auf die Art und Weise kann der Mandant zudem schnell zum bloßen Objekt geraten354. Das sind zusätzliche Aspekte, um den Anwalt in seiner Rolle weiter zu hinterfragen. Erneut zeigt sich, dass bei Dahrendorfs Rollenverständnis, so tauglich es für unseren Forschungsgegenstand in vielerlei Hinsicht ist, nicht verharrt werden darf. Das gilt erst recht für den, allerdings häufig einem Idealbild von Anwalt nahekommenden Berater, der von kritischer Rationalität355 geprägt ist. Ein solcher Anwalt äußert (dem Mandanten) gegenüber nicht nur selbst Kritik am vorgegebenen Recht, sondern er unterstützt den Mandanten bei der Umsetzung von dessen Interessen mittels der gemeinsamen Suche nach neuen Wegen. Das kann etwa die Abweichung von vorgegebenen hin zu erst noch zu gestaltenden/sich entwickelnden Rollen beinhalten. Eine solche Vorstellung ist mit Dahrendorf kaum zu bedienen. Schließlich gibt es hier außerdem weitere Anzeichen für ein anwaltliches Dilemma. Der gegen ihn als Anwalt gerichteten Muss-Erwartung der Interessenumsetzung (aufgrund des Anwaltsvertrags) muss der Anwalt genügen. Will er dies tun, indem er für den Mandanten nicht (nur) den starren Blick auf die Kontrollinstanz wirft, sondern „antiideologisch“ nach alternativen Lösungen sucht, muss das 351
Dies meint die vom Mandanten zu ergreifende Vertragsrolle, zu der der Anwalt rät. Siehe erneut zu diesen Aspekten im Kontext einer Kritik an Dahrendorfs Rollentheorie Münch, Soziologische Theorie, Band 3, S. 362. 353 Zur Begrifflichkeit des Subsumtionsautomaten wiederum Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat? 354 Zur Problematik Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, S. 11, 31. 355 Dazu Maihofer, Ideologie und Recht, S. 35. 352
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
(Haftung!) mit seinen Muss-Pflichten kompatibel gemacht werden Eine Lösung kann über den Anwaltsvertrag in der Anpassung der anwaltlichen Pflichten bestehen, etwa indem, nach entsprechender Aufklärung, auch eine Lösung jenseits des sichersten Wegs als vom Mandanten gewünscht vereinbart wird. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt kann in einer Verweigerungshaltung des Anwalts bestehen, bestimmte Wünsche des Mandanten zu erfüllen. Gründe dafür können in einem selbständigen anwaltlichen Hinterfragen seiner Rolle bestehen, u. a. dahingehend, nicht alles rechtlich Machbare für den Mandanten umzusetzen. Es handelt sich dabei um Überlegungen der Rollendistanz, ggf. auch um solche des Rollenkonflikts356. Es sei allerdings bereits an dieser Stelle festgehalten, dass in diesem Zusammenhang die Frage, ob man sich als Anwalt ein solches Umgehen mit seiner eigenen Rolle wirtschaftlich „leisten“ kann, von besonderer Bedeutung ist. All diese Überlegungen machen Dahrendorfs Erklärungen keineswegs obsolet, es wird vielmehr nochmals deutlich, dass ein Zurückgreifen auf andere/weitere Rollenansätze erforderlich ist.
IV. Notwendige Einbettung der Rolle in einen größeren Kontext – Hinwendung zu Parsons 1. Einführung Ein Rollenverständnis, das stark sanktionsorientiert ist, ist für die anwaltliche Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung notwendig und wichtig, allerdings nicht ausreichend. Notwendig ist es, weil nur so die Rolle des Anwalts selbst (er-)fassbar wird. Auch bestimmte Wünsche des Mandanten lassen sich über den Vertrag nur „richtig“ umsetzen, wenn sie z. B. als Muss-Erwartung verstanden werden. Erforderlich ist gleichwohl die Einbettung des Rollenverständnisses, gerade in Bezug auf die Nutzung in der Vertragsgestaltung, in einen größeren Kontext. So bleibt bei Dahrendorf etwa unbeantwortet, ob der Mandant (u. U. vermittelt durch den Anwalt) nicht grundsätzlich eine positive Haltung gegenüber der Rolle, die er (später) aufgrund des Vertrags bekleiden soll, entwickeln kann, z. B., weil er sie „gut“ findet. Ein solcher „größerer“ Kontext kann mit Hilfe einer systemtheoretischen Annäherung an die Rolle möglicherweise erfolgen. Schwerpunktmäßig soll dies hier
356
Es kann ein Intrarollenkonflikt hinsichtlich der Rolle des Anwalts vorliegen. Intrarollenkonflikt wird in dem Sinn verstanden, dass von verschiedenen Seiten an den Inhaber einer Rolle einander widersprechende Erwartungen gerichtet werden; so Röhl, Rechtssoziologie, S. 319. Hier kann es sich um die Erwartungen des Mandanten einerseits und z. B. um die Erwartungen der Bezugsgruppe der anwaltlichen Kollegen andererseits handeln.
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unter Bezugnahme auf die Arbeiten Talcott Parsons’357 geschehen, dessen Forschungen nicht zuletzt auch einen besonderen Bezug zur juristischen Tätigkeit (Vertrag) aufweisen. Obwohl Parsons’ Arbeiten Dahrendorfs Homo Sociologicus zeitlich oftmals vorgelagert sind,358 ist eine Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen erst im Anschluss an Dahrendorf angezeigt. Die Gründe dafür liegen u. a. darin, dass Dahrendorf die Rolle stärker in den Mittelpunkt stellt als Parsons,359 außerdem gebietet es der vorliegende Forschungsgegenstand, mit Dahrendorf und seiner stärkeren Fokussierung auf die Sanktionen aus den zuvor dargelegten Gründen zu beginnen. Die Rolle steht bei Parsons in einem anderen, vorliegend auch bewusst gesuchten, weiteren Kontext. Während Dahrendorf sie als Elementarkategorie360 sah,361 stellt Parsons sie vor allem im Zusammenhang mit seinen sozialen Handlungssystemen dar.362 Das bedeutet Unterschiedliches: Zum einen ist die Rolle bei Parsons in einem größeren Zusammenhang darzustellen.363 Die insoweit über die Rolle hinaus gewonnenen Erkenntnisse gilt es ebenfalls für die Untersuchung der anwaltlichen Vertragsverhandlung/-gestaltung nutzbar zu machen. Beispielhaft sei an dieser Stelle die Aufschlüsselung weiterer Strukturen innerhalb der Vertragsverhandlung genannt. Folglich „beschränken“ sich die anschließenden Erörterungen nicht auf die Bedeutung der „Rolle“ im engeren Sinn, sondern greifen weitere Gedanken Parsons’ auf. Möglicherweise können durch die Weiterung der Sichtweise „rund“ um die Rolle dann auch Antworten auf die zuvor aufgeworfenen Fragen gefunden werden, deren Beantwortung bei Dahrendorf nicht befriedigend erfolgt ist, u. a. ob das Gesetz nicht nur unter Sanktionsgesichtspunkten, sondern auch als „sinnvolle“ Lösung zu vermitteln ist.
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1902 – 1979. Siehe nur das Werk von Parsons „The Structure of Social Action“ von 1937. 359 Siehe die Ausführungen bei Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 29. Zu Parsons’ Handlungstheorie siehe noch sogleich. 360 Gemeint ist eine „soziologische (…) Elementarkategorie im Sinne eines unverzichtbaren Bestandteils soziologischer Theoriebildung“; so in Bezug auf Dahrendorf und dessen Verständnis von der Rolle Mans, Adorno und Dahrendorf oder die vergebliche Suche nach dem Elementarteilchen der Gesellschaft, S. 133, 133. Für unseren Untersuchungsgegenstand bedeutet diese Einschätzung bei Dahrendorf u. a. die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns unmittelbar aus dem Rollenverständnis. 361 Dazu u. a. Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 27; Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 29. 362 Dies u. a. anführend Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 29. 363 Dazu auch Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 27. 358
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
2. Handlung Die Rolle dient bei Parsons u. a. als Erklärung von Handlungen des Einzelnen, vor allem aber als Einheit im so genannten sozialen System.364 Die Annäherung an Parsons soll zunächst über die „Handlung“ erfolgen. Seinen Handlungsbegriff kann man verkürzt als Tun bezeichnen, das zielorientiert ist, sich in einer konkreten Situation abspielt, von bestimmten Normen geleitet ist und aus einer bestimmten Motivation heraus erfolgt.365 Schließlich muss in der weiteren Entwicklung der Parsonschen Theorie der Zusammenhang von Handlung und Ordnung beachtet werden.366 Ohne bereits an dieser Stelle vertieft auf dieses Verständnis Parsons’ einzugehen, finden sich hier doch bereits Überlegungen, die Parallelen zur Herangehensweise in der Vertragsgestaltung aufweisen, mittels derer die Zukunft des Einzelnen (Mandanten) verändert werden soll.367 So will der Einzelne (der Mandant) etwas erreichen („Sachziel“368); sein Ziel liegt in der Regel in einer erstrebten Veränderung, z. B. dem Erwerb einer Sache. Den Mandanten treiben bestimmte Interessen an, sie dienen als Ziel, aber auch als Motivation. Schließlich spielt für die Vertragsgestaltung der Umgang mit Normen eine tragende Rolle,369 wodurch „Ordnung“ zumindest in 364 Dazu u. a. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 190; siehe auch die Ausführungen bei Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 59 m. w. N. Siehe ferner: „Das System des Handelns, d. h. den strukturierten Zusammenhang der Handlungen aller Beteiligten an einer Situation, nennt Parsons soziales System.“; so Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 107. 365 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action. S. 45, 53; siehe auch Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 52 f. Die genannten Aspekte unter Bezugnahme auf Parsons und Shils auflistend Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 200. 366 Korte, Einführung in die Geschichte der Soziologie, S. 197, macht die Handlung nach Parsons aufgrund von drei Eckwerten aus: 1. Beschaffenheit der Situation; 2. Bedürfnisse des Handelnden; 3. Bewertung der Situation durch den Handelnden, der immer versuchen müsse, einen Ausgleich zwischen seinen individuellen Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Anforderungen zu finden. 367 Siehe dazu auch noch die Darstellung der Einordnung von der Rolle der Vertragspartei und des Vertrags selbst in das AGIL-Schema (IV. 4. e), S. 592 ff.). 368 Das Sachziel ist der Oberbegriff aller möglichen vom Mandanten verfolgten nichtjuristischen Ziele; Rittershaus/Teichmann, Vertragsgestaltung, Rn. 224, unter Verweis (Fn. 257) auf Zankl, Die anwaltliche Praxis in Vertragssachen, S. 1 (Rn. 3). Dazu, dass die Feststellung des Sachziels am Beginn der anwaltlichen Tätigkeit steht, Ritterhaus/Teichmann, Vertragsgestaltung, Rn. 169, u. a. (Fn. 151) unter Hinweis auf Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 18. Siehe auch Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 4, Rn. 12 ff. 369 Die Bezugnahme auf den Mandanten zeigt eine Ausrichtung auf den individuell Agierenden. Dieser tritt bei Parsons, wie die anschließenden Erörterungen zeigen werden, oftmals zurück, obwohl individuelle Orientierungen möglich sind. Insgesamt kann für das vorliegende Untersuchungsthema eine Nutzbarmachung für die (individuelle) Vertragsgestaltung anhand der Ansätze von Parsons gleichwohl erfolgen, so unter dem Gesichtspunkt der Nutzbarmachung typisierter, für eine Vielzahl von Fällen geltender Regelungen (gemeint sind hier Vertragstypen) zu individuellen Zwecken.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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einem sozialen Nahbereich geschaffen werden soll, Regelungen für das Zusammenleben/-arbeiten funktionieren sollen. Eine Nutzbarmachung entsprechender Parsonscher Gedanken macht es erforderlich, eine Auseinandersetzung mit verschiedenen seiner grundsätzlichen Aussagen vorzunehmen. Das betrifft vor allem die (Teil-)Systeme370, die bei Parsons primäre Bestandteile eines allgemeinen Handlungssystems371 sind.372 Es handelt sich um das Persönlichkeitssystem, das soziale System, das kulturelle System sowie den Verhaltensorganismus.373 Nicht zuletzt eine Reflexion über diese Systeme kann in Bezug auf die Vertragsgestaltung hinsichtlich der oben angesprochenen Verbreiterung unserer analytischen Sichtweise vor allem in Abgrenzung zu Dahrendorf nützlich und notwendig sein. Mit der Entwicklung hin zur Unterscheidung in die genannten (Teil-)Systeme, namentlich des kulturellen, des sozialen Systems und des Persönlichkeitssystems, ist eng Parsons Theorie der Ordnung, die die soziale Ordnung betrifft, verbunden;374 sie wird u. a. im Zusammenhang mit dem Rollenverständnis noch von Bedeutung sein. Durch die Beschäftigung mit der Frage, wie soziale Ordnung u. a. durch Normen ermöglicht werden kann, erfolgt eine stärkere Ausrichtung bei Parsons auf die bezeichneten Systeme375 fort von der Betrachtung „nur“ des individuell Handelnden.376 370
Zu den vier Subsystemen menschlichen Handelns auch Korte, Einführung in die Geschichte der Soziologie, S. 201. 371 Handlungssysteme sind Konstellationen von Handlungen, so Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 197, unter Bezugnahme auf Parsons und Shils. Bezüglich der Handlung, so Abels, S. 197 f., könne man „Bedingungen“ mit „Handlung“ gleichsetzen. Wir sähen Dinge, die passierten, etwas bewirkten und selbst bewirkt würden. Handlungen sind somit z. B. Äußerungen des Anwalts, auf die der Mandant reagiert, oder Angebote an die andere Vertragsseite. 372 Parsons, System moderner Gesellschaften, S. 12; darauf hinweisend, dass die Entwicklung, vor allem bezüglich der Kultur und des Verhaltensorganismus als Systeme, schrittweise unter verschiedenen Wandlungen erfolgte, Damm, Systemtheorie und Recht, S. 95. 373 Parsons, System moderner Gesellschaften, S. 12. Den allgemeinen analytischen Bezugsrahmen der Handlungen bildet der so genannte „action frame of reference“; dazu u. a. Parsons, The Structure of Social Action, S. 731 ff.; Parsons, The Social System, S. 3 ff.; dazu auch etwa Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 110 ff. Später wird bei Parsons der „Verhaltensorganismus“ als „Verhaltenssystem“ bezeichnet, dazu Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 265, unter Hinweis auf Parsons, Zur Theorie sozialer Systeme, S. 293. 374 Dazu u. a. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 100; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 111. 375 Es geht nicht mehr „nur“ um den Einzelnen und seine Handlungen, sondern vielmehr darum, wie sich das wechselseitige Verhältnis mit anderen gestaltet; vgl. dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 110. 376 Darauf hinweisend Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 110; siehe auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 61, für die soziale Rolle. Dort der Hinweis auf Parsons, Beiträge zur soziologischen Theorie, S. 54, der für soziale Systeme eine
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass dies eine Schnittfläche (soziale Ordnung – individuelles Handeln) ist, die für die Vertragsgestaltung prägend ist.377 Die Unterscheidung zwischen den vier (Teil-)Systemen (Persönlichkeitssystem, soziales System, kulturelles System sowie Verhaltensorganismus) ist nach Parsons jedoch rein funktionaler Natur, ausgerichtet nach den vier Hauptfunktionen, die allen Handlungssystemen zugewiesen werden: Normenerhaltung, Integration, Zielverwirklichung, Anpassung.378 3. Einzelne (Teil-)Systeme Die einzelnen (Teil-)Systeme,379 die nach Parsons primäre Bestandteile des allgemeinen Handlungssystems380 sind, bedürfen noch der näheren Unterscheidung, um analytisch nutzbar gemacht werden zu können. a) Verhaltensorganismus Im Verhaltensorganismus (Verhaltenssystem)381 sind die primären menschlichen Fähigkeiten verortet, die den anderen Systemen zugrunde liegen.382 Hierher gehören die „Gesamtheit der erlernten kulturellen Techniken wie Sprachkompetenz, logisches Denken, emotionale Bindungsfähigkeit, Fähigkeit zur Rollenübernahme sowie technische Grundfertigkeiten. Gemeint sind hier nicht die konkreten Ausprägungen der Tätigkeiten wie die Normen und Wissensbestandteile von Berufsrollen, sondern die im Verlauf des Sozialisationsprozesses entwickelte Kapazität des Individuums, Rollen auszuüben, soziale Bindungen einzugehen, technische Probleme zu lösen oder sich durch Gesten und Sprache auszudrücken. Im Verhaltenssystem sind die
bloße Ableitung aus einem Bezugsrahmen zwischen Handelndem und Situation nicht mehr als gegeben ansieht. 377 Die in den Vertrag mündende Willensentscheidung ist eine individuelle Handlung, die über den Vertrag dann „ordnende“ (regelnde) Konsequenzen hat, die das Zusammenleben prägen können. 378 So Parsons, Das System moderner Gesellschaften, S. 12; zum AGIL-Schema ausführlicher, gerade auch in Bezug auf den Vertrag, noch unten. 379 Nach Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 99, ist ein System der „Zusammenhang von sozialen Tatsachen, Ereignissen und Prozessen, die wechselseitig aufeinander wirken.“ 380 Parsons, Das System moderner Gesellschaften, S. 12. Handlungssysteme sind Konstellationen von Handlungen, so Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 197, unter Bezugnahme auf Parsons und Shils. 381 Zur späteren Bezeichnung als Verhaltenssystem etwa Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 265. 382 So Parsons, Das System moderner Gesellschaften, S. 13.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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grundlegenden Handlungskapazitäten organisiert (…) (.)“383 Verortet werden dort auch Triebe und Bedürfnisse384, denen sich das Handeln anpassen muss. In Bezug auf die Vertragsgestaltung verdient das Verhaltenssystem unter verschiedenen Gesichtspunkten Aufmerksamkeit. So hat die Fähigkeit zur Rollenübernahme Einfluss darauf, ob ein Vertrag tatsächlich umsetzbar ist (Beispiel: Fähigkeit, übernommene Dienste zu verrichten), also im sozialen Umfeld gelingen kann. b) Kulturelles System aa) Einführung Vereinfacht ausgedrückt wird das kulturelle System durch generalisierte Symbole und Wertorientierungen als konstitutive Elemente gebildet.385 Von Bedeutung ist es vor allem dafür, wie soziale Ordnung zustande kommt.386 Es enthält die „Summe der verbindlichen Orientierungen“;387 durch dieses System werden die Werte und Normen einer Gesellschaft repräsentiert. Vorstellbar könnte es sein, das Rechtssystem als Teil des kulturellen Systems zu betrachten, verkörpert durch die Verfassung. Das kulturelle System übt die Kontrolle über die anderen Systeme aus, es ist gleichsam „überwölbend“.388 Erhalten wird dieses System, indem die Individuen durch den Prozess der Sozialisation zu (seiner) Zustimmung gebracht werden. Ist das kulturelle System auch der Repräsentant von Normen und Werten, so muss doch genauer zwischen diesen unterschieden werden.389 Werte, und hier wird das kulturelle System besonders „tragend“, sind im Sinne von „Mustergültigem“ zu verstehen, als entscheidendes Verbindungselement zwischen Kultur- und Sozialsystem390.391 Werte gelten als der allgemeine Rahmen für ein mögliches Handeln, 383
So Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 265. So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 198. 385 Siehe etwa Parsons/Shiels, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 55; siehe auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 111. 386 Dazu die Darstellung in Bezug auf Parsons bei Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 97 ff. 387 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 127. 388 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 100. Dubiel, Identität und Institution, S. 27, beschreibt die Bildung des kulturellen Systems als ein solches „aus dem Gefüge der kulturell verbürgten, aufeinander abgestimmten Werte, Normen und Symbole, die für das soziale System das Legitimationspotential darstellen“. Ein Beispiel kann darin bestehen, den Vertrag als soziales System zu betrachten und das Rechtssystem, an dem es sich messen lassen muss („überwölbend“), eben als kulturelles System. 389 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 121, 140. 390 „Das System des Handelns, d. h. den strukturierten Zusammenhang der Handlungen aller Beteiligten an einer Situation, nennt Parsons soziales System“, so, wie bereits erwähnt, Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 107. Ein Beispiel eines sozialen Systems sind wiederum Verhandlungen. 384
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
wohingegen Normen spezifischer sind. Normen sind Verhaltensregeln, die konkret sind, Regeln, an die sich Sanktionen anschließen können.392 Letzteres könnte am „Zusammenspiel“ von Verfassung und den auf sie rückführbaren (legitimierbaren) Rechtsnormen beispielhaft benannt werden. Dabei wird hier „selbstverständlich“ die Verfassung als „Werteansammlung“ zugrunde gelegt. Wie werden aber die Werte deutlich, wie werden sie artikuliert? Parsons entzieht sie empirischem Wissen.393 Werte legitimieren Normen,394 aber was legitimiert Werte? Das „Recht“, insbesondere das staatlich gesetzte, müsste, obwohl von uns schon „beispielhaft genannt“, als „Wert“ eigentlich „versagen“. Es ist empirisch fassbar und bedarf nachgerade nachvollziehbarer Legitimation. Denkbar wären für die Werte religiöse Bezüge395. Abgesehen davon, dass eine religiöse Rückführung mittlerweile in der heutigen (deutschen) Gesellschaft oftmals schwierig ist, stellt sich im Kontext um die Vertragsgestaltung vordringlich eine andere Frage: Für den Juristen ist der Hort an Werten gerade die Verfassung, das Grundgesetz. Ist die Verfassung als juristischer Komplex tatsächlich „untauglich“ für das kulturelle System im Sinne Parsons? bb) Bedeutung der Verfassung im kulturellen System Parsons selbst scheint diesen Schluss nahezulegen. Unter expliziter Bezugnahme auf die juristische Tätigkeit trennt er etwa zwischen gesetzlicher Autorität (Verfassung) und moralischer Legitimation der Verfassung.396 Auch, so Parsons, seien Recht sowie Politik und Religion zu trennen.397 Ist also die Verfassung, die ja z. B. Abwehrrechte gibt, „nur“ als Normenkomplex für das soziale System relevant? Bemerkenswerterweise sieht aber wiederum Parsons selbst398 die Träger juristischer Berufe in einen Teil der kulturellen Tradition integriert.399 Allgemeiner könnte man auch sagen, ein Rechtssystem sei Teil der Kultur. Gleichwohl bliebe dann auch 391 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 121, 140. Ein Beispiel dafür sind die durch die Grundrechte getragenen Werte, die über die Generalklauseln (§§ 138 Abs. 1, 242 BGB) als „Einfallstore“ auch im einfachen Recht nach „Geltung“ verlangen. 392 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 30 f. m. w. N. 393 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 55; siehe auch Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 31, unter Hinweis auf Parsons, Authority, legitimation, and political action, S. 174, wonach sie „existential beliefs about the world“ sind. 394 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 31, unter Bezugnahme auf Parsons. 395 Vgl. Kött, Systemtheorie und Religion, S. 223. Zur Einbettung der Religion in das kulturelle System bei Parsons, Pickel, Religionssoziologie, S. 121; dort, S. 118, zur Legitimation des kulturellen Systems der Gesellschaft durch die Religion. 396 Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 125. 397 Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 135. 398 Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 129. 399 Allerdings führt Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 129, wenig später an, der Anwalt sei zwischen zwei Aspekten der sozialen Struktur angesiedelt.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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beim Hinweis auf ein Rechtssystem die Frage nach der letzten Legitimation,400 die ja schlussendlich in den Werten im kulturellen System liegt. Die Verfassung, das Grundgesetz, ist von Menschen gesetzt, empirischem Wissen zugänglich. Daran ändert z. B. auch grundsätzlich der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes nichts. Berücksichtigt man allerdings das, was nach Parsons das kulturelle System „leisten“ soll, und berücksichtigt man weiterhin, dass eine Gesellschaft in ihrer Weiterentwicklung u. U. auch neue/andere Werte, z. B. jenseits der Religion, als Rahmen erhält, so kann das Grundgesetz sehr wohl als tragfähiger Teil eines kulturellen Systems begriffen werden, in dem sich die („überwölbenden“) „Werte“ finden. Namentlich die Art. 1 – 20 GG enthalten (verbindliche) Orientierungen für das gesellschaftliche Leben. So müssen sich alle (staatlichen) Normen als Regelungen sozialer Systeme u. a. daran messen lassen. Zudem sind gerade die Art. 1 – 20 GG mit einer „Ewigkeitsgarantie“401 (Art. 79 GG) versehen.402 Insofern „eignet“ sich das Grundgesetz, vornehmlich der Grundrechtekatalog, durchaus als Teil des kulturellen Systems, vor allem als besondere Schnittstelle zwischen kulturellem und sozialem System. cc) Anwalt als Interessenvertreter und Organ der Rechtspflege Mit dieser besonderen Wertigkeit der Verfassung, die sich mit Parsons über das kulturelle System, dort unter Ordnungsgesichtspunkten, einführen lässt, lässt sich ein Gedankenstrang wiederaufnehmen, der auch schon im Zusammenhang mit Dahrendorf, in dem dortigen Zusammenhang aber unter anderen „Einstiegsvoraussetzungen“, aufgegriffen wurde. Es geht um die Bedeutung der Position des Anwalts als Organ der Rechtspflege und Interessenvertreter.403 In Auseinandersetzung mit 400
Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 126. Zum Erfordernis der Beständigkeit als Kennzeichen des kulturellen Systems, Parsons/ Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 55. 402 In der jeweiligen Anwendung u. a. der Grundrechte findet freilich etwa durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Weiterentwicklung statt. So gesehen erleben die Werte in ihrem Aussagegehalt eine Weiterentwicklung mit der Gesellschaft, bleiben in ihrer (durch Symbole verkörperten) Grundaussage aber bestehen. 403 Parsons selbst, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 126 f., führt in Bezug auf den praktizierenden Anwalt aus: „Der Beruf des praktizierenden Anwalts besitzt zwei auffällige Charakteristika. Einerseits ist der Anwalt Organ der Rechtspflege und trägt in dieser Eigenschaft eine gewisse öffentliche Verantwortung; andererseits ist er aber gleichzeitig privater Berater seines Klienten und von diesem hinsichtlich des Honorars abhängig; außerdem unterhält er eine privilegierte Vertrauensbeziehung zu ihm. (…) Sie ist jedoch auf tatsächliche oder potentielle soziale Konfliktsituationen und deren Entscheidung und Ausgleichung gerichtet; also nicht primär an der Person orientiert, wie z. B. die individuelle ärztliche Behandlung, sondern vielmehr an den sozialen Beziehungen.“ An anderer Stelle (S. 129) erläutert Parsons weiter: „Der Angehörige einer „Profession“ sieht sich vor allem zwischen zwei Hauptaspekte unserer sozialen Struktur gestellt. Der Jurist steht zwischen öffentlicher Gewalt mit ihren Normen und privater Person oder Gruppe, deren Verhalten oder Absichten sich mit dem Recht im Einklang befinden können oder auch nicht; (…).“ (Hervorhebungen im Original.) 401
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Dahrendorf wurde unter Bezugnahme auf das Gesetz die Bedeutung gerade des Organs der Rechtspflege diesbezüglich herausgestellt. Unter Hinwendung auf Parsons stellen sich die obigen Überlegungen unter einem anderen/weiteren Blickwinkel dar. Die Überlegungen sind zunächst grundlegende. Besondere Werte, wie sie nach Parsons das kulturelle System (durch gemeinsame Symbole404) umfasst, zeigen ihre Wirkung nur bei einer entsprechenden „Aufnahme“, das heißt, sie bedürfen der Sozialisation405. Im Prozess der Sozialisation werden nach Parsons vom Individuum bestimmte Wertemuster internalisiert, es geht im Ergebnis um das Interagieren in bestimmten Rollen.406 Das betrifft auch den Bereich der Vertragsgestaltung. Dass etwa eine Form von Sozialisation beim Mandanten in Form von Aufnahme von (kulturellen) Werten/Normen durch ihn stattgefunden hat/haben kann, zeigt sich im Grunde schon daran, dass die betreffende Person als Mandant einen Anwalt aufsucht. Es spricht für das Bewusstsein, dass (rechtliche) Regeln gelten, man aber auch Rechte hat, rechtsstaatliche Abläufe vorhanden sind. Darüber hinaus kann es zu einer weiteren Wertevermittlung (Normvermittlung407) an den Mandanten kommen. Hierfür kann u. a. der Anwalt, der auch Organ der Rechtspflege ist, von Bedeutung sein. Parsons408 selbst führt den juristischen Beruf und seinen Beitrag als „Mechanismus sozialer Kontrolle“ an. Bezogen auf die anwaltliche Tätigkeit kann mit der Erläuterung der Regeln des Rechts gegenüber dem Mandanten u. U. ein „Vorbeugen“ hinsichtlich (seines etwaigen) abweichenden Verhaltens erfolgen, eine bessere „Anpassung“ des Mandanten, letztlich mitunter aber auch seine „Besänftigung“ in Bezug auf die Regeln durch deren Verständlichmachung erfolgen.409 Dieser „Mechanismus sozialer Kontrolle“ greift im Grunde schon in Bezug auf die grundsätzliche Wertevermittlung durch den Anwalt ein, 404 Allgemein umfasst der Begriff des Symbols Gegenstände, (Kenn-)Zeichen, die auf prägnante Weise einen Bedeutungsinhalt versinnbildlichen, so Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Bender, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Symbol“. 405 Was Sozialisation ist, ist Gegenstand weit gestreuter Meinungen. Hier erfolgt aus dem Kontext herrührend eine „Beschränkung“ auf Parsons. 406 Parsons, The Social System, S. 208 f.; dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 91 f., Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 76. 407 Normen, die letztlich aus den Werten entwickelt wurden. 408 Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 129 f., dort allerdings auf der Ebene sozialer Kontrolle; die Überlegungen gelten aber im Grunde schon für die Sozialisierung in Bezug auf das kulturelle System. Parsons (S. 129) führt aus, der juristische Beruf bewirke die Sozialisation des (jungen) Menschen, bringe sie dazu, sich in Einklang mit den Erwartungen, die an ein Vollmitglied der Gesellschaft gestellt würden, zu verhalten, oder führe sie wieder zurück, wenn sie gesellschaftliche Außenseiter geworden seien. Zudem übe der juristische Beruf noch zwei weitere Funktionen aus: Erstens beuge er der Abweichung vor, indem er den Klienten so berate, dass dieser sich besser anpasse, und indem er ihn außerdem „besänftige“; zweitens führe er im Ernstfall das Verfahren durch, in dem eine von der Gesellschaft sanktionierte Entscheidung über den Klienten getroffen werde (S. 129 f., Hervorhebung im Original). 409 Siehe eben Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 129 f.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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nämlich dahingehend, dass die Schaffung eines Verständnisses des Mandanten für (Rechts-)Normen (nur) vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Werte geschehen kann. Abgesehen davon kann eine Wertevermittlung über das Organ der Rechtspflege durch die Art des Auftretens in dieser Funktion geschehen. Dies betrifft etwa Fragen der Integrität und des eigenen Umgangs mit dem Rechtssystem oder anderen Werten. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, wie z. B. der Anwalt selbst sozialisiert wird, um solche Vermittlungsarbeiten gegenüber dem Mandanten leisten zu können. Im Besonderen410 ist dafür die Phase der „Schulzeit“ bzw. des Studiums und des Berufs411 von Bedeutung, wobei zu letzterem gerade die Berufsanfangsphase für die Sozialisation prägend ist. Für den „Werte vermittelnden“ Juristen muss aber zunächst dem Studium besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dazu zählt nicht allein das Normstudium, sondern vielmehr das Grundlagenstudium, um die Normaussagen in ihrer gesellschaftlichen Wertigkeit erfassen und ggf. weitergeben zu können. Die vorstehenden Überlegungen können einen weiteren Erklärungsansatz leisten, wie die bereits zuvor geschilderte „doppelte“ Anwaltsrolle (Organ der Rechtspflege als Interessenvertreter) stimmig werden kann. Hiermit lässt sich noch deutlicher machen, dass ein Handeln als Interessenvertreter aufgrund der Weitergabe „kultureller“ Werte mit dem eines Organs der Rechtspflege im Einklang steht. Es soll jedoch nicht verhehlt werden, dass diese Überlegungen oftmals ein „Idealbild“ begründen. Das betrifft sowohl die Sozialisation des Mandanten (durch den Anwalt) wie auch die Sozialisation des Anwalts selbst. Gleichwohl bietet sich mit Parsons zumindest ein (weiterer) Erklärungsansatz, der im Gesamtbild berücksichtigt werden kann. c) Soziales System Nach Parsons ereignet sich Handeln im Sozialsystem,412 letzteres wird allerdings außerdem bestimmt durch den Verhaltensorganismus (Verhaltenssystem), das kulturelle System und das Persönlichkeitssystem.413 Gleichwohl soll bezüglich des anwaltlichen Handelns das soziale System besonders im Fokus stehen. Soziale
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Zu einzelnen Phasen der Sozialisation bei Parsons siehe Abels/König, Sozialisation, S. 73 ff. 411 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 76. 412 Siehe Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 100: „Soziale Systeme sind Systeme, in denen Individuen konkret oder symbolisch handeln und sich aneinander orientieren.“ 413 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 124. Dazu, dass sich Persönlichkeitssystem und Verhaltensorganismus nur analytisch trennen lassen, Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 107.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Systeme, so Parsons, werden von Zuständen und Prozessen sozialer Interaktion zwischen handelnden Einheiten gebildet.414 Zur Analyse sozialer Systeme führt Parsons Werte, Normen, soziale Gemeinsamkeiten und Rollen an.415 Zu den Werten, etwa über die Verfassung, wurden bereits Ausführungen gemacht. Die sozialen Gemeinsamkeiten, gekennzeichnet durch eine klare Definition des Mitgliederstatus und einer Differenzierung von Stellungen und Funktionen,416 z. B. die Familie, sollen an dieser Stelle nicht intensiver untersucht werden. Auf die Rolle wird noch gesondert einzugehen sein. Zum Verständnis des sozialen Systems, vor allem aber zur Nutzbarmachung der Ansätze Parsons im Rahmen der anwaltlichen Vertragsgestaltung sind zunächst insbesondere zwei Bereiche relevant: zum einen die Normen sowie im Anschluss die (Theorie der) Interaktion. aa) Bedeutung von Normen „Normen“ sind nach Parsons primär sozial;417 sie haben regulative Bedeutung für soziale Prozesse und Beziehungen, enthalten jedoch, anders als „Werte“, keine Prinzipien. Normen sorgen für soziale Organisation.418 In höher entwickelten Gesellschaften bildet das Rechtssystem den strukturellen Kern der Normen.419 Ein Rechtssystem, in dem sich etwa durch die Verfassung legitimierte Normen finden, bildet daher u. a. eine Schnittstelle zwischen kulturellem und sozialem System. Für die Vertragsgestaltung gewinnt gerade unter Bezugnahme auf Parsons’ Umschreibung an Bedeutung, dass vor allem Gesetze, Verordnungen, aber auch z. B. Richterrecht regulative Auswirkungen auf soziale Prozesse haben, beispielsweise auf Kauf- oder Mietverhältnisse.420 Allerdings darf, da auch nach Parsons Rechts414 Parsons, Das System moderner Gesellschaften, S. 15; siehe auch Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 124. Parsons definiert damit nicht Personen, „sondern Interaktionen von Rollenpartnern als Elemente sozialer Systeme“. (Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 246, unter Hinweis auf Parsons, Theorie sozialer Systeme, S. 278.) Der einzelne Akteur (z. B. Spieler einer Mannschaft) ist nicht Element, sondern „nur“ Mitglied des Sozialsystems, Miebach, S. 246. Prägend für das System sind also die charakteristischen Interaktionsprozesse (Miebach, S. 246) der jeweiligen Rollenpartner (zur Rolle noch sogleich), z. B. zwischen Spielern auf unterschiedlichen Positionen einer Mannschaft. Gleichwohl ist aber zu beachten, dass die Mitglieder (Akteure, z. B. der jeweilige Spieler) im System handeln (Miebach, S. 246). 415 Parsons, Das System moderner Gesellschaften, S. 15. 416 Parsons, Das System moderner Gesellschaften, S. 15. 417 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 140. 418 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 140. 419 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 140. 420 Kauf- und Mietverhältnisse sind Systeme, in denen Rollenpartner (Mieter/Vermieter; Käufer/Verkäufer) interagieren; sie sind soziale Systeme. Der jeweilige Mieter/Vermieter bzw. Käufer/Verkäufer ist „Träger“ des Rollenhandelns, er ist „Mitglied“ des sozialen Systems, in dem er handelt.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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normen nur den „Kern“ darstellen, das Regularium nicht auf sie beschränkt werden. Normen, die Regelungen treffen, können also einen anderen Ursprung haben und nicht gesetzlich normierte Bereiche betreffen. Vorstellbar sind etwa einzuhaltende (erprobte) Verfahrensabläufe innerhalb von Vertragsverhandlungen, die sich nicht an gesetzlichen „Checklisten“ ausrichten. Gleichwohl, und dies zeigen u. a. eben solche Checklisten, ist vor allem die gesetzliche Normativität für die Vertragsgestaltung bedeutend. Denn die Orientierung etwa an solchen „Listen“ ist ein mögliches Beispiel für den Einfluss von Normen auf die Interaktion von Partnern, die das soziale System prägt.421 Sie ist zudem ein wesentliches Element zum Verständnis der engen Verknüpfung von Rolle und Handeln im sozialen System. bb) Soziales System als Interaktionssystem Einer näheren Aufschlüsselung bedarf das soziale System als „Interaktionssystem“.422 Geht man von Parsons (im Anschluss an Mead) aus, so ist das soziale System, wie ausgeführt, auch der „Ort“, an dem die konkreten Individuen handeln. Die Elemente von Aktion, einer Erzeugung durch Handlung, wie die wechselseitige Bewirkung der jeweiligen Handlungen, sind wesentlich für ein Verständnis als Interaktionssystem.423 (1) Situation Relevant ist zunächst die „Situation“. Letztere wird definiert durch die physischen424, kulturellen oder sozialen Objekte der Orientierung des Handelnden.425 Bedeutend für sind vor allem die kulturellen und sozialen Objekte. Kulturelle Objekte sind symbolische Elemente der kulturellen Tradition, Ideen oder Überzeugungen, Ausdruckssymbole oder Wertmuster, soweit sie von „Ego“ (einem Akteur) als Objekte der Situation behandelt werden.426 Diese kulturellen Objekte bestimmen die Ziele, die man anstreben darf, die Mittel, die man dabei anwenden darf; es sind letztlich Normen, die das „richtige“ Verhalten kennzeichnen.427 Begreift 421 Beispielsweise das Kauf- oder Mietverhältnis, also das soziale System, in dem (später) der Mandant und sein Vertragspartner als Mitglieder handeln sollen. Siehe auch noch zu weitergehenden Ansätzen beim symbolischen Interaktionismus. 422 Parsons, Social Interaction, S. 432. 423 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 198 f. 424 Ein physisches Objekt ist z. B. ein Raum, den man betritt. Das kann etwa der Raum sein, in dem die Vertragsverhandlungen stattfinden. Das physische Objekt selbst interagiert nicht, siehe Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 199, hat aber Einfluss auf das Verhalten der Handelnden. So können bestimmte Räume auf den Einzelnen in der Verhandlung einschüchternd wirken. 425 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 199. 426 Parsons, The Social System, S. 4 ff. 427 Zum Vorstehenden Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 199.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
man Rechtsnormen, die im Einklang mit der Verfassung stehen, als Teil der kulturellen Objekte, so geben sie etwa vor, dass die Mittel der Tötung zur Zielerreichung grundsätzlich ausgeschlossen sind (§ 212 StGB). Die sozialen Objekte, die die Situation mit definieren, sind die Handelnden, die von Parsons in „Ego“ und „Alter“ unterschieden werden.428 In Bezug auf die Interaktion haben dabei wiederum ihre jeweiligen Positionierungen und die von ihnen zu „spielenden“ Rollen eine Bedeutung,429 das heißt, es geht erneut um die Interaktion von Rollenpartnern430. An der Interaktion nimmt danach beispielsweise jemand als Dozent oder als Student teil. Daran sollen sich, wie noch zu zeigen sein wird, auch die Erwartungen ausrichten. (2) „Vorboten“ möglicher Probleme in Bezug auf Vertragsverhandlung und -gestaltung Die Situationsklärung nach Parsons in Bezug auf das Sozialsystem als Interaktionssystem wie auch die grundlegende Definition zum sozialen System „deuten“ bereits „Probleme“ an, die innerhalb von Vertragsverhandlung/-gestaltung von Relevanz sein werden. Sowohl innerhalb der allgemeinen Definition des sozialen Systems wie auch hinsichtlich der sozialen Objekte innerhalb der Situation wurde die Verbindung zum Interagieren aufgrund von Rollen und durch Rollenträger deutlich. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Rollenbegriff bei Parsons wird noch vorzunehmen sein. Das, was aber bereits jetzt auffällt, ist, dass der Einzelne mit all seinen Wünschen und Begehrungen, also unser Subjekt innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung, mit so einem Verständnis „kollidieren“ könnte. Denn begreifen wir z. B. die Vertragsverhandlung und den Vertrag selbst als soziale Systeme, müsste dann geklärt werden, ob bei einem Vorgehen im Parsonschen Sinn die Individualität, z. B. die des Mandanten, sich optimal im Vertrag wiederfinden kann. Zwar wird auch bei Parsons betont, der Handelnde sei es, der motiviert sei, das heißt Wünsche, Ziele, internalisierte Wertorientierungen, Affekte und Gefühle habe.431 Genau darum geht es u. a. in der Vertragsverhandlung und -gestaltung. Ob Gerade beim Vertrag wird, im Interesse Dritter, auch auf sozial vorgeschriebene und bestätigte Regeln abgestellt. Innerhalb derer wird aber eine Vereinbarung, mit der die Parteien eigene Ziele und Interessen verfolgen, als weitere Komponente angesehen; zum Vorstehenden Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 104 f. 428 Parsons, The Social System, S. 4. Zur Bedeutung von Position und Rolle beim Handelnden in dem Zusammenhang noch unten. 429 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 199. 430 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 246. 431 Parsons, Der Stellenwert des Identitätsbegriffs in der allgemeinen Handlungslehre, S. 68, 73; darauf u. a. verweisend Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 199 f.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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deshalb aber z. B. der Mandant sich in „seiner Gänze“, das heißt mit allen, wenn auch ggf. abstrusen, ihn ausmachenden „Besonderheiten“, etwa in einem sozialen System „Vertrag“ platzieren soll/kann, wird jedoch in Bezug auf Parsons zu untersuchen sein. Nach den bisherigen Überlegungen läuft es eher darauf hinaus, dass dies jedenfalls mit Parsons schwierig zu begründen sein wird. So wird betont, in jeder sozialen Beziehung werde nur ein Teil der Möglichkeiten aktualisiert, über die ein Individuum verfüge.432 Das hat gerade mit rollengeprägten, also vorgegebenen (eingeschränkten) Erwartungen zu tun.433 Im Weiteren wird daher interessant sein, ob es hinsichtlich sozialer Systeme (z. B. des Vertrags) „nur“ darum geht, Wünsche des Einzelnen dadurch zu „befriedigen“, dass er „Träger vorgefertigter Erwartungen“ ist/wird, oder sich auch die Umsetzung „purer Individualität“ begründen lässt. (3) Bedeutung eines symbolischen Systems Schon benannt wurde die Notwendigkeit, in der jeweiligen Situation nach den dort beteiligten sozialen Objekten (z. B. Mandant – Anwalt; Anwalt – Dritter)434 zu unterscheiden. Wie wichtig die Unterscheidung ist, wird auch in Bezug auf einen anderen Aspekt des sozialen Systems deutlich. Begreift man das soziale System als Interaktionssystem, so hängt damit wiederum eng ein symbolisches System zusammen.435 Zeichen und Symbole erhalten allgemeine Bedeutungen und dienen als Medium für die Kommunikation zwischen den Akteuren.436 Wichtig ist angesichts der Kommunikation, dass es um ein „geteiltes“ („shared“) symbolisches System geht.437 Wenn, so Parsons, das symbolische System, das Kommunikation vermitteln kann, entstanden ist, kann man vom Beginn einer „Kultur“ sprechen, die Teil des
432
Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 117. Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 117. So interagieren wir etwa gegenüber dem Arbeitgeber anders als gegenüber dem Freund. Schneider, a. a. O., führt aus, deshalb lieferten Personen zwar notwendige Handlungsbeiträge zum Betreiben der Interaktion, würden aber nicht vollständig in die soziale Beziehung eingehen können. Es sei deshalb konsequent, Personen als Komplettsysteme der Umwelt von Sozialsystemen zuzurechnen. Das entspricht der Definition bei Miebach, Soziale Handlungstheorie, S. 246, der die Person nicht als Element, sondern nur als Mitglied des sozialen Systems sieht. Demgegenüber sieht Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 199, die Individuen als zweites Element des sozialen Systems an. 434 Auf das Kollektiv als mögliches soziales Objekt, z. B. die Anwaltschaft, soll hier nicht eingegangen werden. 435 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 16; siehe auch Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 200 f. 436 Parsons, The Social System, S. 5. 437 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 16; dort auch u. a. zum normativen Bezug und der Orientierung. 433
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
relevanten Handlungssystems wird.438 Auch hier erfolgt eine Prägung durch Werte und Normen der Gesellschaft.439 Nach Parsons enthält Sprache einen Code, der aus generalisierten Normen besteht, die definieren, wie korrekt gesprochen oder geschrieben wird; das ist die Basis für den Symbolgebrauch, um Botschaften zu überbringen.440 Parsons441 bezeichnet die Sprache weiter als generalisiertes Medium, sie ist die fundamentale Matrix.442 Es gibt allerdings auch „spezialisierte Medien“, „spezialisierte Sprachen“, wie Geld, Macht oder Einfluss, die verhaltenssteuernd in den Prozess der Interaktion eingreifen können. Auch ihnen kommt eine symbolische Bedeutung zu.443 Die aufgezeigte Bedeutung von Symbolen in der Interaktion ist für die anwaltliche Vertragsverhandlung/-gestaltung nachgerade frappant. Sie bietet einen Erklärungsansatz, der oben schon innerhalb der Untersuchung von Kommunikation aus einem anderen Blickwinkel erarbeitet wurde. Dies betrifft u. a. die dort gemachten Ausführungen zur Deckung der gesendeten und empfangenen Signale. Das ist nichts anderes als die kommunikationstheoretische Umschreibung der gemeinsamen Sprache eines geteilten symbolischen Systems bei Parsons. Die zuvor gemachten Überlegungen gewinnen durch Parsons’ Ansatz jedoch noch eine weitere Richtung. Parsons beschreibt, dass alle Sprecher einer Sprache die Normen der Codierung beachten bei der „Strafe“, ansonsten nicht verstanden zu werden.444 Geht es also etwa um die „Sprache des Gesetzes“, so muss idealerweise ihre Bedeutung von allen, die sich daran orientieren, ihre Handlungen daran ausrichten, in gleichem Sinn erfasst werden. Ansonsten drohen Abweichung und damit „Sanktion“. Das gilt vor allem, und dies wird noch zu vertiefen sein, wenn Gesetze Rollen definieren. Es ist jedoch, und darauf zielt u. a. eine Kritik Habermas’ hinsichtlich des „klassischen“ Rollenverständnisses ab,445 eine oftmals verfehlte Vorstellung, von deckungsgleichem 438
Parsons, The Social System, S. 5. Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 200. 440 Parsons, Social Interaction, 429, 437; darauf hinweisend Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 200. 441 Parsons, Social Interaction, 429, 440; wiederum darauf hinweisend Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 201. 442 Parsons, Social Interaction, 429, 440. 443 Parsons, Social Interaction, 429, 440; wiederum darauf hinweisend Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 201. So greift beispielsweise jemand, der auf jemand anderen einschlägt, um an dessen Geld zu gelangen, mittels körperlicher Macht in den Interaktionsprozess ein. 444 Parsons, Social Interaction, 429, 437. 445 Habermas, Kultur und Kritik, S. 124 f., wirft dem üblichen Rollenkonzept vor, drei Dimensionen unberücksichtigt zu lassen, in denen das Verhältnis des handelnden Subjekts zu seinen Rollen gefasst werden könne. Seine Kritik setzt insoweit u. a. daran an, dass die Rollentheorie davon ausginge, in stabil eingespielten Interaktionen bestehe auf beiden Seiten eine Kongruenz zwischen Rollendefinitionen und Rolleninterpretationen (S. 125. f.). Diesem Identitätstheorem hält Habermas das Diskrepanztheorem entgegen. Danach sei eine vollständige Definition der Rolle, die die deckungsgleiche Interpretation aller Beteiligten präju439
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Symbolverständnis auszugehen. Das gilt erst recht für juristische Texte. Die Konsequenz für den die Interessen vertretenden Anwalt liegt darin, für ein Handeln in bestimmten sozialen Systemen erst diese gemeinsame Sprache herzustellen, z. B. im sozialen System „Mandatsverhältnis“ erst eine Voraussetzung für das Interaktionssystem zu schaffen. Das widerspricht an sich Parsons’ Grundverständnis von sozialem System. Die beschriebene Problematik wiederholt sich auf einer anderen Ebene innerhalb der Vertragsverhandlungen, wenn man diese ebenfalls als eigenes soziales System betrachtet.446 Soweit etwa der Anwalt für seinen Mandanten dort tätig wird, stellt sich erneut und vor allem beim Einfluss von staatlichen Gesetzen die Frage des gleichen Verständnisses bezüglich der verwendeten Sprachsymbole. Namentlich innerhalb der Vertragsverhandlungen taucht noch ein weiterer von Parsons aufgeworfener Aspekt auf, der der „spezialisierten“ Sprache, wie etwa der Macht. Gerade dort lässt sich der Einsatz von Macht als Symbol nachvollziehen. d) Persönlichkeitssystem Der Einsatz von Symbolen, die sich daraus ergebende Problematik des Verstehens haben schon einen engen Kontext zu damit zusammenhängenden Erwartungshaltungen aufgezeigt. Somit hat sich nunmehr die Aufmerksamkeit auf ein schon mehrfach angeführtes Element des sozialen Systems zu richten: die soziale Rolle. Die Rolle ist auch bei Parsons ein zentraler Begriff, vorwiegend innerhalb des Sozialsystems.447 Verkürzt kann man bei Parsons die Rolle als die normative Erwartung an ein Handeln bezeichnen. Die Rolle bildet auch eine Grenzstruktur zwischen den Systemen, namentlich dem sozialen System und dem Persönlichkeitssystem.448 Das Persönlichkeitssystem ist ein weiteres Subsystem des allgemeinen Handlungssystems, das letztlich noch unterhalb der sozialen Systeme liegt.449 Die Persönlichkeit wird als strukturiertes Ganzes erfasst,450 wobei eine Einflussnahme zum einen durch den absolvierten Sozialisationsprozess erfolgt.451 Das heißt, hier finden sich verinnerlichte Werte, an die sich das Handeln anschließen kann.452 Der Einzelne hat dort aufgrund der jeweiligen Sozialisation ein bestimmtes Orientierungsmusdiziere, allein in verdinglichten, nämlich Selbstrepräsentation ausschließenden Beziehungen zu realisieren (S. 126). 446 Siehe auch unten noch zum AGIL-Schema. 447 Dazu Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 19. 448 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 140. 449 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 28. 450 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 107. 451 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 123; es handelt sich um ein Verhaltenssystem, das auf Lernprozessen begründet ist. Zum Sozialisationsprozess siehe auch Dubiel, Identität und Intention, S. 27. 452 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 131.
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ter.453 Parsons, so Miebach454, interessiere primär die Persönlichkeit als ein integriertes System von Werthaltungen, normativen Orientierungen und Rollen, die ein Individuum im Prozess seiner Sozialisation erlernt habe. 4. Rolle bei Parsons a) Grundsätzliches Rollenverständnis Die Rolle bei Parsons hat einen besonderen Stellenwert innerhalb des sozialen Systems455 sowie für die Handlung/Interaktion. Besonders herausgestellt wurde die Rolle schon als Teil des sozialen Systems. Die Rolle bildet aber auch, wie schon dargetan, ein Bindeglied/einen Kontaktpunkt zwischen Sozial- und Persönlichkeitssystem.456 Der Einzelne (als „Träger“) handelt in Rollen, und diese stellen sich dann in Bezug auf andere ebenso als Rollen dar.457 Es erfolgt z. B. ein Handeln als Vermieter; der „Rollenpartner“ Mieter kann es solches erkennen und als Mieter reagieren. Dieses Zusammenspiel klang zuvor schon bei der Handlung im Interaktionensystem an. Der Einzelne setzt sich zudem (auch) aus unterschiedlichen Rollenerwartungen zusammen,458 so als Vermieter, als Nachbar, als Arbeitgeber. Gerade im Bereich der Vertragsgestaltung besonders interessant ist Folgendes: Zum einen sind soziale Systeme, das heißt die Systeme, in „denen das Leben spielt“, ohne Rollen nicht vorstellbar.459 Außerdem hat die Rolle offensichtlich für den Einzelnen eine große Bedeutung. Für den Einzelnen ist die Rolle somit um seiner selbst willen von Relevanz, aber auch als Ausdruck von Wechselseitigkeit. Der Einzelne kann eben als Rollenträger „Mitglied“460 in einem sozialen System, z. B. als Mieter, werden.
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Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 131. Miebach, Soziale Handlungstheorie, S. 256, zitiert insoweit Parsons, Zur Theorie sozialer Systeme, S. 277: „,Persönlichkeit‘ ist folglich der Aspekt des lebenden Individuums (,Aktor‘), der von dem kulturellen und sozialen Inhalt der erlernten Muster seines Verhaltenssystems her begriffen werden muß.“ 454 Miebach, Soziale Handlungstheorie, S. 256. 455 Zum sozialen System bei Parsons als System des Handelns, d. h. dem strukturierten Zusammenhang der Handlungen aller Beteiligten nochmals Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 107. 456 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 140; siehe auch Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 190, ferner den Hinweis gerade auf diese Stelle bei Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 19. 457 So Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 19, unter Bezugnahme auf Parsons. 458 So Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 19, unter Bezugnahme auf Parsons. 459 Wir „denken“ z. B. im Mietverhältnis vielfach nur in Bezug auf „Mieter“ oder „Vermieter“. 460 Siehe wiederum Miebach, Soziale Handlungstheorie, S. 246.
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Was macht nach Parsons eine Rolle nun aus? Verkürzt kann man hier ebenfalls die Rolle als die (soziale) Erwartung an ein Handeln beschreiben.461 Zu ihrem weiteren Verständnis ist differenzierend vorzugehen. Der Anknüpfungspunkt für die Rolle ist grundsätzlich dort zu suchen, „worin“ das Handeln erfolgt. Zentral ist, das wurde schon mehrfach angesprochen, das soziale System.462 Weil es sich bei dem sozialen System um ein Interaktionensystem handelt,463 ist der Bezug der Rolle zudem gerade in einer Einbindung in ein solches Interaktionensystem zu suchen. Parsons definiert Interaktionen von Rollenpartnern als Elemente sozialer Systeme.464 aa) Status Mit Blick darauf ist auch die bei Parsons vorgenommene Unterscheidung von „Status“ und „Rolle“ von Bedeutung.465 „Status“ meint dabei den positionalen Aspekt („positional aspect“), die Klärung dessen, wo der Handelnde466 in Bezug auf andere Handelnde im sozialen System angesiedelt („located“) ist. Es geht um den Platz im System.467 Das entspricht letztlich der oben dargestellten „Position“, da keine „Wertung“ wie im heutigen Sprachgebrauch („Status“) damit verbunden ist.468 bb) Rolle Mit der Rolle ist die soziale Erwartung an ein Handeln gemeint.469 Bezeichnend ist auch, dass Parsons470 die Verbindung der Rolle zur Interaktion herstellt. Der Rollenpartner wird zum einen als Objekt/Gegenstand der Orientierung für sich und andere Rollenpartner gesehen, z. B. was tut der Partner als Vermieter. Dieser Objektbezug macht die Bedeutung des oben bezeichneten Status aus. Es sei nochmals 461
Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S.108. Die Rolle ist auch in Bezug auf andere Systeme von Relevanz, im Besonderen aber im sozialen System. Ohnehin muss stets berücksichtigt werden, dass die einzelnen Systeme lediglich analytisch voneinander getrennt sind. 463 Siehe Parsons, The Social System, S. 25: „(…) social system is a system of processes of interaction between actors (…).“ 464 So Miebach, Soziale Handlungstheorie, S. 246, unter Verweis auf Parsons, Zur Theorie sozialer Systeme, S. 278. 465 Parsons, The Social System, S. 25; Parsons spricht von „two principal aspects“. 466 Der einzelne Akteur wird als Träger des Rollenhandelns angesehen, also als Mitglied, nicht als Element des sozialen Systems, Miebach, Soziale Handlungstheorie, S. 246, unter Verweis auf Parsons, Zur Theorie sozialer Systeme, S. 278. Die Mitglieder, also z. B. der einzelne Mieter, handeln im System (Mietverhältnis). 467 Parsons, The Social System, S. 25. 468 Vgl. auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 60 f., zum einen zum Wechsel des Verständnisses von Parsons hinsichtlich des „Status“, der früher auf ein ideales Verhaltensmuster angesiedelt war; letzteres machte dann später die „Rolle“ aus. 469 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 108. 470 Parsons, The Social System, S. 25. 462
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
betont, dass dem „Status“ damit keine „Wertigkeit“ zukommt, er gleicht also der im Zusammenhang mit Dahrendorf beschriebenen Position.471 Zum anderen orientiert sich der Rollenpartner472 jedoch ebenso an anderen. Unter diesem Blickwinkel betrachtet wird eine Rolle gespielt. Das Handeln in einem „Status“ ist ein Handeln in einer Rolle.473 Die Betonung des interaktionistischen Austauschs nennt Parsons auch „reciprocal perspectives“.474 Es geht also bei der Rolle darum, was jemand in einer bestimmten Funktion zu tun hat.475 Da die Rolle nach Parsons normorientiert ist,476 erfolgt die Orientierung idealiter mittels eines „normatives Rollenspiels“. Ausgeblendet wird insoweit, und dies wird Parsons auch vorgeworfen, das Verhältnis von tatsächlichem Verhalten zur Rolle.477 „Normatives“ Denken in Bezug auf die Rolle fand sich durchaus z. B. ebenso bei Dahrendorf, das zeigten dort allein schon die Überlegungen zur Ausrichtung am anwaltlichen Haftungsrecht. Hinter Dahrendorf stand jedoch eine konflikttheoretische478 Annäherung an die Rolle, bei Parsons ist es eine motivationale. Das stellt die normative Sicht auf die Rolle, wie sich später noch zeigen wird, vor neue Herausforderungen. cc) Konsequenzen einer normgeprägten Rolle bei Parsons Den Gedanken der „normativ geprägten Rolle“ bei Parsons aufgreifend, stellt sich dann erneut die Frage, was das Rollenverständnis leisten und dem Einzelnen, vornehmlich im Kontext von interessengeleiteter Vertragsverhandlung/-gestaltung an Vorzügen bringen kann. Indem Parsons die Rollenerwartung als prägendes Element der Rolle bezeichnet,479 findet sich zunächst ein Umstand, der mit seinen Vor- und Nachteilen bereits im Kontext der Nutzbarmachung Dahrendorfscher Überlegungen erörtert wurde. Auch wenn Parsons seine Rollenausführungen in den Zusammenhang seiner System- und Ordnungstheorie stellt, finden sich durchaus Gemeinsamkeiten zu den bei Dahrendorf gefundenen Erkenntnissen. 471 Dazu Sheldon, The General Theory of Action – some Observations on Theory in the Social Sciences, S. 40. 472 Damit auch wieder der einzelne Akteur als Träger des Rollenhandelns, der eben im sozialen System handelt. 473 Sheldon, The General Theory of Action – some Observations on Theory in the Social Sciences, S. 40. 474 Parsons, The Social System, S. 25. 475 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 29. 476 Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 141, dort auch zur Festlegung auf bestimmte Wertmuster. 477 Siehe dazu Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 61. 478 Siehe Münch, Soziologische Theorie, Band 3, S. 362. 479 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 190.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Schon bei Dahrendorf ging unsere Gedankenführung dahin, wie sich anwaltliches Handeln einerseits und vertragliches (Mandanten-)Handeln andererseits an (Rollen-) Erwartungen ausrichtet.480 Das wird bei Parsons, der die Rolle zentral im sozialen System, wo gehandelt wird, ansiedelt, noch prägnanter. Es sind die jeweiligen Rollenerwartungen, die das bezeichnen, was Alter von Ego481, ebenso wie Ego von Alter in der jeweiligen Situation erwarten kann.482 Umgekehrt gehen damit auch entsprechende Erwartungen von Ego an Alter einher, es ist ein reziprokes System.483 Reziprok sind auch „Sanktionserwartungen“, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. „Positiv“ sind sie in dem Sinn, sich überhaupt „richtig“ zu verstehen, bzw. „negativ“, sich nicht zu verstehen. Positiv ist auch, die erwartete Reaktion zu erhalten, bzw. negativ, sie nicht zu erhalten.484 Normprägung, (gegenseitige) Erwartungshaltung und Sanktionierung sollen beispielhaft an einem alltäglichen Geschäft verdeutlicht werden. Auf dem Wochenmarkt findet ein „einfacher Kauf“ statt. Alter und Ego sind „Käufer“ und „Verkäufer“. Alter erklärt Ego, zwei Pfund Kartoffeln zum angegebenen Preis kaufen zu wollen, Ego erklärt sich damit einverstanden. Das (künftige) soziale System ist hier der Kaufvertrag;485 die Normen, die bestimmen, wie man sich verhalten soll [u. a. (mangelfreie) Ware gegen Geld], sind dem (staatlichen) Recht, das heißt den §§ 433 ff. BGB zu entnehmen. Sie ergeben sich in der beschriebenen Situation aber auch aus entsprechenden sozialen Normen, z. B. aufgrund der Gepflogenheiten (Verkehrssitten) auf Wochenmärkten. Die jeweiligen Normen prägen die Rollen von Käufer und Verkäufer. Die Interaktion zwischen beiden funktioniert, weil/wenn beide die „Regeln“ kennen und gleich verstehen, die positive Reaktion ist das Verstehen. Die jeweiligen Erwartungshaltungen, das heißt „ich erhalte Ware gegen Geld bzw. bekomme Geld gegen Ware“, sind ebenfalls entsprechend geprägt. Enttäuschung tritt ein, wenn dies nicht erfolgt. Erwartet wird, dass man das Normgemäße bekommt, wenn man sich normgemäß (rollengemäß) verhält. Das kleine alltägliche Beispiel macht mehreres deutlich, weist allerdings auch den Weg zu neuen Problemen. Die positiven Abläufe funktionieren nicht wegen der Interaktion, sondern Interaktion gelingt nur bei gleicher Orientierung. Diese muss geschaffen werden. Damit sind jedoch sogleich diverse Schwierigkeiten angerissen,
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Wie in der Auseinandersetzung mit Dahrendorf muss auch hier unterschieden werden, ob es um das Verhältnis Mandant – Anwalt geht (dort ist anwaltliches Rollenhandeln vor allem bedeutsam). Ein anderer Schwerpunkt lag auf dem (künftigen) Verhältnis, das durch den zu schließenden Vertrag des Mandanten mit seinem Vertragspartner begründet wird. 481 Mit „Alter“ und „Ego“ sind die jeweiligen Rollenpartner, z. B. innerhalb einer Vertragsverhandlung, gemeint. 482 So Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 20. 483 Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 20. 484 Positiv ist im Mietverhältnis z. B. die erfüllte Erwartung, dass der Mieter den Mietzins entrichtet hat. 485 Zum Vertrag als sozialem System siehe noch unten.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
u. a. die Vermittlung, die Akzeptanz von Rollennormen.486 Zudem zeigt bereits das kleine Beispiel ein mögliches Problem: Welches sind denn die relevanten Rollennormen? In unserem Beispiel waren sie zwischen den Rollenpartnern „deckungsgleich“, das ist aber nicht selbstverständlich. So denkt z. B. ein für den Mandanten verhandelnder Anwalt in der Regel in „juristischen Rollennormen“ (etwa §§ 433 ff. BGB), eine Naturalpartei häufig in sozialen, nicht notwendig staatlich verrechtlichten Normen („Das haben wir immer so gemacht.“). Diese Normen können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Konflikte entstehen u. a. auch bei der Interpretation von Rollennormen487, so bei der Frage der diesbezüglichen Übereinstimmung zwischen den Partnern.488 Wie kommt es also dazu, dass in sozialen Systemen Rollenpartner interagieren, sich (gleich) verstehen können? Im Bereich der Vertragsgestaltung kommt noch ein weiterer Umstand hinzu. Im obigen Beispiel fanden keine Vertragsverhandlungen statt. Soweit dies allerdings geschieht, stellt sich die Frage, ob dann nicht zwei soziale Systeme vorliegen (Vertragsverhandlungen und geschlossener Vertrag), die jeweils eigene Rollennormen haben.489 Für die Verhandlungen können das etwa bestimmte Verfahrensnormen gerade für die Vertragsverhandlungen sein, wie sie z. B. in Bezug auf das rationale Verhandlungsmodell entwickelt worden sind. dd) Vermittlung von Erwartungsmustern Wendet man sich den Problemen im Einzelnen zu, so ist zunächst von zentraler Bedeutung, wie Parsons die „Vermittlung“ der (Erwartungs-)Muster bewältigt. Diese sind eben keine Ableitung (Folgerung) des Interaktionsprozesses.490 Bedeutsam sind hier vielmehr vor allem zwei Vorgänge, die Institutionalisierung und die Internalisierung;491 beide Begriffe beschreiben Prozesse. Davon zu trennen ist die Bedeutung der Institution. Institutionen enthalten bestimmte, differenzierte Regelungen, die Ausschnitte der gesellschaftlichen Struktur betreffen.492 Es finden sich Normkomplexe, wie zu handeln ist.493 Institutionen sind 486 Siehe Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationskonzepte, 307, 309 f. 487 Siehe wiederum Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationskonzepte, 307, 309 f. 488 Das ist auch schon ein Problem bei der Rollenvermittlung. 489 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 199, führt als Beispiel für ein Sozialsystem auch das Verkaufsgespräch an. Siehe auch noch die Ausführungen zum AGIL-Schema. 490 Siehe auch Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 28. 491 Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 28. 492 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 137, unter Hinweis auf Parsons, Authority, legitimation and political action. 493 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 135.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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von gewisser Abstraktheit und bezeichnen Rollen- und Normenkomplexe von besonderer Bedeutung für die sozialen Systeme.494 Das (staatliche) Recht (ohne eine konkrete Anwendung) ist so eine Institution.495 Sie findet ihre Legitimation durch die Rückführbarkeit auf die Verfassung und somit auf das Wertesystem, das kulturelle System. Es finden sich im Recht u. a. Festsetzungen, welche Rolle wie zu spielen ist, z. B. die des Mieters oder die des Vermieters (§§ 535 ff. BGB); die Rolle selbst appliziert dann die Normen496. Von der Institution sind die Vorgänge von Institutionalisierung und Internalisierung zu unterscheiden. So wird als Institutionalisierung der Vermittlungsprozess der Systeme bezeichnet.497 Diese betrifft zunächst die Integration des kulturellen in das soziale System;498 letzteres konstituiert sich durch die Bezugnahme auf die kulturellen Werte.499 Beispielhaft sei nochmals auf die Bedeutung der Normen des Rechts für die sozialen Systeme (z. B. das Mietverhältnis) und die Rückführung der Normen auf die Verfassung verwiesen. Gerade in Bezug auf die Rollen im sozialen System spricht Parsons ebenfalls von Institutionalisierung.500 Er meint damit die Integration von komplementären Rollenerwartungen und Sanktionsmustern in ein von den Beteiligten geteiltes generelles Wertesystem.501 In einem weiteren Schritt geht es um die Einbindung in das Persönlichkeitssystem,502 das heißt darum, Bedürfnisse des Handelnden dahingehend zu „formen“,503 dass sie mit gesellschaftlichen Werten im Gleichklang stehen.504 Geleistet wird das durch die Sozialisation. Verhaltensmaßstäbe und Ideale der Gruppe werden aufgenommen.505 Im Weg der Sozialisation findet ein Prozess der Institutionalisierung einer bestimmten Handlungsbereitschaft statt.506 Bei entsprechender Verinnerlichung (Internalisierung) ist dies dann gelungen. 494
Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 85. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 137. 496 Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 85. 497 Dubiel, Identität und Institution, S. 27, der in Bezug auf Parsons allerdings nur drei Systeme nennt, das personale, das soziale und das kulturelle System. 498 Dubiel, Identität und Institution, S. 27; Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 28. 499 Dubiel, Identität und Institution, S. 27. 500 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 191. 501 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 191; siehe auch Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 20. 502 Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 28. 503 Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 29. 504 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 134, unter Bezugnahme auf Parsons, The Social System, S. 205. Siehe auch Dubiel, Identität und Institution, S. 27, zum Eingehen in die Bedürfnisstruktur. 505 Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 55; zum Erlernen der Rolle im Weg der Sozialisation auch Parsons, The Social System, S. 205. 506 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 134. 495
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Als Zwischenfazit kann zunächst festgehalten werden: Das (staatliche) Recht ist eine Institution; es findet durch Institutionalisierung u. a. Eingang in soziale Systeme, zu denen auch der Vertrag gehören kann. Innerhalb sozialer Systeme ist die Rolle, deren prägendes Element die Erwartung ist, zentral. Handeln nun Personen507, z. B. über einen Vertrag, so geschieht dies über Rollenerwartungen, die normativ bestimmt sind. Erfolgreich handeln kann die Person nur, wenn sie die Rollenerwartungen ebenso wie die Werteorientierungen internalisiert hat;508 die Partner können sich zudem über geteilte Zeichen, vor allem Sprachzeichen, verständigen. Bezüglich der „Durchdringung“ des Persönlichkeitssystems spielen die dort platzierten Bedürfnisdispositionen („need-dispositions“)509 eine besondere Rolle. Anknüpfend an diese ist das Augenmerk auf einen weiteren Aspekt des Umgangs Parsons’ mit der Rolle, ihrer Vermittlung und der Bedeutung für die interessengeleitete Vertragsgestaltung zu richten: die Motivation. b) „Rollen und Wollen“ Hans Abels510 führt an, Parsons wolle mit seiner Theorie der Rolle erklären, wie Individuen dazu kommen, „sich so verhalten zu wollen, wie sie sich verhalten sollen“.511 Mit der Berücksichtigung des Wollens ebenso wie der regelmäßigen Wechselbezüglichkeit menschlichen Handelns512 bietet Parsons Erklärungen, die wir bei Dahrendorf vermissten. Dort war die Hauptausrichtung die Sanktionsvermeidung, ebenso die entsprechende „Antriebsfeder“. Dabei hatte freilich auch Dahrendorf etwa mit den Kann-Erwartungen ebenfalls „positive“ Sanktionen als mögliche Folgen im Blick. Die „negative“ Sichtweise überwog jedoch. Zudem handelte bei Dahrendorf der Akteur, der die Rolle als „ärgerliche Tatsache“ begriff, (nur) kalkulierend, ein „Wiederfinden“ in der Rolle war so kaum zu begründen. Möglicherweise ergibt sich insoweit bei Parsons eine Lösung, ohne dass dies allerdings bedeuten muss, in „Kombination“ dazu nicht gleichfalls Parallelen zum Dahrendorfschen Sanktionsverständnis ausmachen zu können. aa) Bedeutung der need-dispositions In einem ersten Schritt ist zunächst ein Rückgriff auf die angesprochenen „Bedürfnisse“ („need-dispositions“) erforderlich. Mit dem Begriff der „need-dispositions“ kommen Bestrebungen und Begehrungen zum Ausdruck.513 Hier lässt sich 507
Als Mitglied des Systems als dortige Rollenträger. Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 111. 509 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 114 ff. 510 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 107. 511 Hervorhebungen bei Abels. 512 Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 31. 513 Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 111. 508
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eine Verbindung zu der Diskussion der „Interessen“ herstellen. Allerdings ist auch Vorsicht geboten. Zuvor wurden die „Interessen“ denkbar weit gefasst. Die Bedürfnisdispositionen bei Parsons „gehorchen“ im Wesentlichen seiner normativen Ausrichtung und sind im Zusammenhang mit der Handlung zu sehen.514 So sind hiervon nicht etwaige Triebe erfasst, das heißt die organische Energie, die die Motivation (mit-)ausmacht.515 Es geht insoweit um angeborene Orientierungs- und Handlungstendenzen.516 Parsons’ Hauptaugenmerk517 liegt jedoch auf den Bedürfnisdispositionen518. Damit sind Tendenzen gemeint, sich zu orientieren und mit Bezug zu Objekten in einer bestimmten Weise zu handeln und von diesen Handlungen bestimmte Konsequenzen zu erwarten.519 Auf diese Weise können etwa Erfordernisse des Organismus erfüllt werden,520 indem etwas gemacht wird, z. B. die Beschaffung von Nahrung. Das geschieht aber nicht triebhaft, sondern durch eine durch Normen organisierte Motivation des jeweiligen Handelnden.521Als Bezugspunkte für Bedürfnisdispositionen hebt Parsons drei Objektklassen heraus: soziale Objekte, internalisierte soziale Werte und Rollenerwartungen.522 Letztere, so Parsons, beinhalteten Komponenten der beiden anderen Bezugspunkte. Das zeigt sich u. a. daran, dass sich Rollenerwartungen auf einen Partner, also ein soziales Objekt ausrichten (z. B. das Verhältnis Käufer – Verkäufer). Was aber leistet nun dieser Ansatz namentlich für die Rolle und den Umgang mit ihr? Es geht, Bezug nehmend auf das anfangs genannte Zitat von Abels, um die Verknüpfung der, grundsätzlich personenunabhängigen, Rollen und den Bedürfnisdispositionen, die motivationale Kraft entfalten. bb) Internalisierung und Sanktion Beachtenswert ist zum einen, dass die Rollen einen Teil der Persönlichkeit des Handelnden bilden.523 Weiterhin kommt Parsons’ Verständnis von gesellschaftlicher 514
Damm, Systemtheorie und Recht, S. 98. Parsons/Shils a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action, S. 5, Fn. 6. 516 Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 35, Fn. 77; siehe auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 111, der von angeborenen Verhaltenstendenzen spricht, die sich auf spezifische Ziele richten, z. B. Nahrung. 517 Parsons/Shils, Values, Motives, and System of Action, S. 45, 112. 518 Siehe auch Damm, Systemtheorie und Recht, S. 98. 519 Parsons/Shils, Values, Motives, and System of Action, S. 45, 114 f. 520 Parsons/Shils, Values, Motives, and System of Action, S. 45, 115. 521 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 98; Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 35 f., Fn. 77, spricht von einer durch den Prozess des Handelns selbst erworbene Tendenz und streicht zudem die Zukunftsorientiertheit heraus. 522 Parsons/Shils, Values, Motives, and System of Action, S. 45, 115; dazu Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 112; Damm, Systemtheorie und Recht, S. 99. 523 Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 55. 515
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Ordnung und der funktionellen Gestaltung der Gesellschaft zum Tragen. Die Rolle gibt dem Handelnden (normativ) vor, was er zu tun und zu unterlassen hat, eben Erwartungen.524 Aufgrund einer (erfolgreichen) Sozialisation werden die Rolle, vielmehr die dazugehörenden Verhaltensmaßstäbe und Erwartungen, vom Einzelnen „in sich“ aufgenommen. Diese „Aufnahme“ (Internalisierung) in sich selbst hat nach Parsons eine Konsequenz, der wir bei Dahrendorf so nicht begegneten. Die Aufnahme bewirkt weiterhin eine „eigene“ Motivation, das heißt, die entsprechenden Verhaltensmaßstäbe „wirken“ unabhängig von äußeren Sanktionen.525 Eine Nichtbefolgung von Normen durch die eigene Handlung führt vielmehr (auch) zur inneren Sanktion526, weil internalisierte Rollenerwartungen und Werte nicht befolgt werden. Eine Missachtung kann daher „Schuld“ auslösen.527 Zerstört etwa ein Mieter in einem Mietverhältnis die Wohnung, empfindet er das, unabhängig von etwaigen Schadensersatzforderungen, als „falsch“. Dieser Ansatz, die mögliche „innere Sanktion“, die in Rechnung zu stellen ist, ist in Verbindung zu Überlegungen zu setzen, die oben bereits angeführt wurden. Wie erfolgt eine Internalisierung über Sozialisation etwa in Bezug auf vertragliche Normen oder Verfahrensabläufe in der Vertragsverhandlung? Hier kann und ggf. muss der Anwalt, der Berater und Organ der Rechtspflege ist, als „Sozialisator“ u. a. beim Mandanten in Bezug auf künftige, durch den Vertrag begründete Rollen, auftreten,528 ein Umstand, der sogleich im Kontext um die Motivation zur „Rollenausfüllung“ noch aufzugreifen sein wird. Es sei an dieser Stelle (nochmals) darauf hingewiesen, dass der Prozess der Sozialisation keinesfalls nur (staatliche) (Rechts-)Normen umfasst. Dementsprechend kann der Anwalt auch nicht Sozialisator „für alles“ sein. cc) Funktionale Bedeutung der Rolle Der Rolle kommt nach Parsons ferner vom funktionalen Standpunkt her Bedeutung zu. Institutionalisierte Rollen sind danach Mechanismen, mit deren Hilfe die „menschliche Natur“ mit ihren vielfältigen Möglichkeiten in ein einziges integriertes System eingefügt werden kann;529 alle Situationserfordernisse, denen die Gesellschaft und ihre Mitglieder gegenüberstehen können, sollen mittels dieses Systems 524
Dazu Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 55. Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 55. 526 Dazu Etzrodt, Sozialwissenschaftliche Handlungstheorien, S. 291; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 115 f. 527 Parsons/Shils, Values, Motives, And Systems of Action, S. 45, 106; dort auch zur Kopplung der Internalisierung an die „need-dispositions“. Zum Zusammenhang mit den Erwartungen Alters siehe dort und sogleich. 528 Siehe wiederum die Ausführungen bei Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 126 f., 129 f. 529 So Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 56 (Hervorhebung bei Parsons). 525
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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bewältigt werden530. Diesbezüglich kommen der Rolle zwei Hauptfunktionen zu. Zunächst ist das eine solche selektiver Art.531 Es geht insoweit darum, hinsichtlich der jeweiligen Bedürfnisse und Toleranzen des einzelnen Strukturmusters „passende“ Verhaltensmöglichkeiten herauszubringen und die nicht passenden nicht zum Zuge kommen zu lassen oder zu verdrängen.532 Es sind also ausreichend geeignete Rollen zur Verfügung zu stellen bzw. im Weiteren taugliche Kriterien festzulegen, wer wann die Rollen besetzen darf. Es muss ein entsprechendes Rollenangebot vorhanden sein, um Bedürfnissen zu begegnen, „falsche“ Wege der Bedürfnisbefriedigung damit zu verschließen. Überlässt man es etwa dem Einzelnen, seine Bedürfnisse durch die grundsätzlich eigenverantwortliche Beschaffung der notwendigen Mittel (z. B. Nahrung, Wohnung, Strom) unter Zuhilfenahme von (juristischen) Verträgen abzudecken, so muss der entsprechende (juristische) Rollenrahmen vorgesehen werden. Nur so kann hier auch eine (gewollte) Bewegung etwa im Sinn des „from status to contract“ abgesichert werden. Parsons formuliert nicht zuletzt als entscheidend, dass die mit „Gewissen“ und „Idealen“ verbundenen, uneigennützigen Motive und die eigennützigen Motive in gleiche Verhaltensrichtungen wirken.533 Begehren und Möglichkeiten („man will, was man soll“) sollen wieder gleichlaufen. Eine weitere Hauptfunktion der Rolle sieht Parsons darin, „mit Hilfe bestimmter Interaktionsmedien die maximale motivationsmäßige Stütze für das den Rollenerwartungen entsprechende Handeln sicherzustellen“.534 So wie soziale Systeme aus der Interaktion von Individuen als Einheiten erwachsen, muss etwa auch ein soziales System sicherstellen, dass die Individuen effektiv handeln können.535 Dazu muss das umfassende System seine Ziele erreichen können, was vor allem durch die Rollen gewährleistet werden soll.536 dd) Rolle und Motivation Greift man das, was die Rolle nach Parsons leisten soll, nochmals unter dem bereits zuvor angesprochenen motivationalen Gesichtspunkt auf, so ergeben sich weitere interessante Ansätze. Eine solche Motivation geschieht hier auf unterschiedlichen Ebenen. 530
Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 56. So Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 56. 532 So Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 56. 533 So Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 56 (Hervorhebung bei Parsons). 534 Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 56. 535 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 29, unter Bezugnahme auf Parsons. 536 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 29, erneut unter Bezugnahme auf Parsons. 531
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
(1) Sozialisation und Voluntarismus Erwähnt wurde die Sozialisation als Motivationskraft für eigenes Verhalten,537 die ggf. in einer inneren Sanktion „münden“ kann. Zudem sollen eben „passende“ Rollen für die jeweiligen Bedürfnisse vorgehalten werden, anhand derer dann die Sozialisation erfolgen kann. Erreicht werden muss somit, die Bedürfnisdispositionen den (gesellschaftlich) vorgegebenen/akzeptierten Rollen anzupassen.538 Es geht also maßgeblich um den Ordnungserhalt. Der Erhalt einer normativen Ordnung soll folglich539 wesentlich dadurch stabilisiert werden, dass Akzeptanz vorliegt.540 Die bereits mehrfach genannte Sozialisation dient damit einer entsprechenden Anpassung.541 Gleichwohl sieht Parsons darin kein „Problem“, kein Tangieren der Freiheit des Einzelnen.542 Durch die Sozialisation wird dem Einzelnen die Vernünftigkeit der jeweiligen normativen Ordnung zur Einsicht gebracht.543 Er will zudem so handeln, wie immer gehandelt wurde,544 möchte ferner Gratifikationen erlangen.545 Diese Gründe beziehen sich auf den voluntaristischen Aspekt der Parsonschen Handlungstheorie.546 Der Einzelne entscheidet sich letztlich willentlich, auf bestimmte Mittel unter gegebenen normativen Bedingungen zuzugreifen.547 Auch dieser, hier nur kurz dargestellte Ansatz Parsons’ zeugt von einem im Grunde idealistischen Rollenverständnis.548 Gleichwohl lassen sich auch diesen 537
Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 55. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 95; siehe auch Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 22 f. 539 Neben der schon angesprochenen Sanktionierung. 540 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 175; siehe auch Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 98, unter Hinweis auf Parsons, The Social System, S. 42. 541 Die Funktion der Rolle im sozialen System ist adaptiv, siehe Parsons, Der Begriff der Gesellschaft, S. 140 f. 542 Gegen eine unkritische Verbindung von Voluntarismus und Willensfreiheit siehe etwa Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 47, Fn. 14. 543 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 102. 544 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 91. 545 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 91. 546 Siehe zum Voluntarismus Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie, S. 31, 55, dort als normativ-voluntaristischer Aspekt der Struktur des Handelns. Siehe ferner zu den Gründen Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 102; Band 2, S. 75. 547 Münch, Theorie des Handelns, S. 38, führt in Bezug auf Parsons’ voluntaristische Lösung aus, der Terminus „voluntaristisch“ zeige an, dass soziale Ordnung keine vollkommen kausal determinierte faktische Ordnung sein müsse. Sobald weder die spontane Interessenverfolgung durch Zufall noch eine zentralisierte Sanktionsgewalt durch äußeren Zwang faktische Ordnungen entstehen ließen, sei soziale Ordnung nur noch möglich, soweit die Akteure freiwillig in einem normativen Bezugsrahmen übereinstimmten und sich selbst an diesen bänden. (Hervorhebung bei Münch.) 548 Kritik gerade an dem von Parsons entwickelten Integrationstheorem übt u. a. wieder Habermas, Kultur und Kritik, S. 125. Empirisch bestünde, so Habermas, eher Anlass zu der Annahme, dass in allen bisher bekannten Gesellschaften ein fundamentales Missverständnis 538
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Überlegungen nutzbare Anstöße für das Verhältnis Anwalt – Mandant549 in der Vertragsgestaltung entnehmen. Der Anwalt, der dem Mandanten eine künftige „Vertragsrolle“550 näher bringt, die etwa im Gesetz (oder durch die Rechtsprechung) typisiert ist,551 kann/ggf. muss im Rahmen der Beratertätigkeit durchaus dartun, warum diese Rolle „vernünftig“ ist. Gerade wenn man methodologisch die Interessenjurisprudenz (mit) einbindet, kann möglicherweise die Ausgewogenheit einer solchen Rolle (z. B. als Mieter) vermittelt werden. Zudem sind nicht unerheblich viele Fälle vorstellbar, in denen, von diesem Leitbild ausgehend, es durchaus funktioniert, wenn man sich „wie alle“ verhält. Bei einem solchen Vorgehen ist der Anwalt Interessenvertreter, nicht primär (nur) gesellschaftlicher Sozialisator;552 das beschriebene Vorgehen kann oftmals interessengerecht sein. Parsons berücksichtigt grundsätzlich anders als Dahrendorf die Bedürfnisse des Einzelnen, dessen „Interessen“. Gerade wenn die vom Gesetz oder der Praxis zur Verfügung gestellten (Vertrags-)Rollen die „need-dispositions“ des Mandanten abdecken, kann eine solche Rolle Zufriedenheit vermitteln. Eine Internalisierung der Rolle, die zum „Wollen“ der Rolle führt, kann also für den Mandanten durchaus befriedigend sein.553 Die Vermittlung der gesetzlichen/in der Praxis typisierten (Vertrags-)Rolle gegenüber dem Mandanten als vernünftig ist somit aus diesen Gründen eine zu berücksichtigende Option anwaltlichen Handelns. Andererseits geht es Parsons nicht primär um den Einzelnen und dessen Interesse, sondern um den Erhalt der Ordnung. Dieser Umstand lässt sich zwar nicht unmittelbar auf das Verhältnis Anwalt – Mandant übertragen. Allerdings liefert das in der Weise (mit-)begründete Rollenverständnis Parsons’ aus anderen Aspekten, die mit der „Anpassung“ zusammenhängen, Gründe, die zuvor beschriebenen „Vorzüge“ der „Rollenerläuterung“554 durch den Anwalt gegenüber dem Mandanten doch wieder kritisch zu hinterfragen. Die Vermittlung („Schmackhaft machen“) von Rollen, die (mutmaßlich) vernünftig sind, kann sehr leicht zum „Überstülpen“ von Rollen führen. Der Anwalt zeigt dann „nur“ auf, welche (vorgefertigten) Vertragsrollen im
zwischen der Masse der interpretierten Bedürfnisse und gesellschaftlich lizenzierten, als Rollen institutionalisierten Wertorientierungen bestanden habe. Es gelte das Repressionstheorem. 549 Es ist das soziale System des Mandatsverhältnisses. 550 Diese soll der Mandant künftig bekleiden, also Träger des Rollenhandelns werden. 551 Zu Typen und Rollen siehe u. a. die Ausführungen von Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 76 ff. 552 Parsons selbst, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 129, sieht auch den juristisch professionalisierten Beruf als „Mechanismus sozialer Kontrolle“ (Hervorhebung bei Parsons), über den an der Sozialisation der Menschen mitgewirkt wird. 553 Es geht hier um die (künftige) vom Mandanten einzunehmende (Vertrags-)Rolle; er wird Träger des künftigen Rollenhandelns. 554 Bezüglich einer aus einem Vertragsschluss des Mandanten resultierenden Rolle.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
„Angebot“ sind.555 Damit werden leicht die individuellen Interessen des Einzelnen, um die es aber in der Vertragsgestaltung geht, ausgeblendet. Allerdings liefert Parsons (bisher!?) auch keinen Ansatz, warum der Einzelne seine (künftigen) Erwartungen individuell gestalten können sollte. (2) Gratifikation als Motivation556 Schließlich mag der Mandant sich noch so sehr der „Vernunft“ des Gesetzes öffnen, dies alles nützt ihm nichts, wenn in die Überlegungen nicht der potentielle Vertragspartner557 eingebunden wird. Daran anknüpfend muss die Rolle und ihre Befolgung unter einem weiteren motivationalen Gesichtspunkt erörtert werden. Zufrieden ist der Mandant letztlich, wenn er das bekommt, was er will. Dafür braucht er in der Regel beim Vertrag den anderen Partner. Das sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Ego (Besteller) hat ein Bedürfnis nach einer ordentlichen Wohnung, in der jedes Zimmer neu gestrichen wird. Das soll der Maler (Werkunternehmer; Alter) tun. Der will es allerdings auch nur machen, wenn Ego seinen Pflichten (Zahlung einer Summe nach Fertigstellung eines jeden Zimmers) nachkommen sollte. Vor einer spiegelbildlichen Situation steht der Maler (Alter); sein Bedürfnis nach Geld hängt von der ordentlichen Durchführung der Malerarbeiten ab. Er will es nur tun, wenn regelmäßig durch Ego gezahlt wird. Ego will zahlen, wenn der Maler jeweils gut arbeitet. Egos Begehren sowie die Entscheidung des Malers sind somit jeweils voneinander abhängig. Zudem können weder Ego noch der Maler (Alter) grundsätzlich wirklich sicher sein, dass der andere sich erwartungsgemäß verhält. Man hat nur die Möglichkeit dazu.
Das Beispiel schildert eine Situation, die Parsons mit doppelter Kontingenz558 bezeichnet. Gemeint ist die wechselseitige Abhängigkeit des Handelns des einen von den möglichen Erwartungen und dem möglichen Handeln des anderen.559 Wie kann nun eine möglichst hohe Sicherheit, zunächst wieder optimalerweise, erlangt werden, wie sich damit Egos eigene wie auch die Motivation des Gegenübers (Alters) begründen? Idealerweise560 kann hier die zuvor dargetane (normative) Rolle mit ihren komplementären Rollenerwartungen „helfen“. Im idealen Fall richten sich
555
Die Problematik wurde auch im Kontext mit dem „Abarbeiten“ von Checklisten erörtert. Hier findet sich nun u. a. eine Auseinandersetzung darum, welches „Ordnungsverständnis“ einem solchen Vorgehen zugrunde liegen kann. 556 Siehe Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 22. 557 Es geht um den Rollenpartner, der ebenfalls Träger von Rollenhandlungen ist und gleichfalls im sozialen System agiert. 558 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 16; dazu u. a. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 112; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 113. 559 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 112. 560 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 112 f.
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z. B. beide Vertragspartner561 (Rollenpartner) gemeinsam an den Vertragsnormen (etwa denen des Werkvertrags, §§ 631 ff. BGB) aus. Dann gelingt zunächst einmal die Interaktion dergestalt, dass jeder versteht, was der eine vom anderen möchte. Jeder weiß, was er vom anderen erwarten kann, z. B. Werkerstellung gegen Geld (§ 631 Abs. 1 BGB). Glücken die auszutauschenden Handlungen, ist ferner jeder in seinen Bedürfnissen befriedigt; im Beispiel sind das eine gestrichene Wohnung bei Ego und das Geld bei Alter.562 Dieser geglückte Ablauf führt also zu wechselseitiger Gratifikation, weil jeder seine Rolle „richtig“, das heißt den Erwartungen des anderen gemäß, also den Normen folgend, „gespielt“ hat. Gemeinsames Handeln erfordert somit, nach gleichen Normen und Werten zu handeln und dies auch gegenseitig voneinander anzunehmen.563 Eine daran anschließende Gratifikation wirkt für beide Seiten motivierend. Genügt eine Seite den Rollenerwartungen nicht, erhält man keine Gratifikation; im Beispiel führt die mangelnde Zahlung von Ego dazu, dass der Maler (Alter) keine weiteren Arbeiten vornimmt. Bezüglich der Bedürfnisse Egos tritt dann Frustration (negative Sanktion)564 ein; das will Ego vermeiden. Auch das Vermeiden von Frustration wirkt somit motivierend.565 Das Handeln nach gemeinsamen Werten und Normen ist damit nicht „nur“ vernünftig, sondern (auch) der Weg zur „Gratifikation“. Jeder der Handelnden566 muss in gleicher Weise motiviert sein, sich vom Befolgen der Normen einen solchen Erfolg zu versprechen. Erneut ist damit die Notwendigkeit von (gleicher) Sozialisation und Internalisierung zu betonen, damit das erreicht werden kann.567 Haben beide jeweils die gleichen (normativen) Verhaltensmuster „aufgenommen“, so wird eine den normativen Erwartungen entsprechende Reaktion des anderen als befriedigend erlebt568. Das gilt zumal aufgrund der bereits geschilderten Anpassung von „need-dispositions“ und (normativ) akzeptierten Verhaltensweisen.569 Selbstverständlich setzt dieser Ablauf auch voraus, dass Ego sich normkonform verhalten hat. Parsons570 zieht u. a. die Schlussfolgerung, dass die Komplementarität von Erwar561
chen. 562
Eine andere Situation ist grundsätzlich innerhalb der Vertragsverhandlung auszuma-
Siehe zum Austausch z. B. Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 22. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 113, in Bezug auf die Motivation dazu. 564 Das gilt im Übrigen auch in Bezug auf Alter. 565 Zur Motivation durch Gratifikation bzw. Vermeidung von Frustration etwa Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 22. 566 Der Mitglieder im sozialen System. 567 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 113. 568 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 115. 569 Siehe dazu ebenfalls Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 115. 570 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 106; diese Stelle auch anführend Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 115. 563
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
tungen die reziproke Verstärkung von Egos und Alters Motivation zur Konformität mit den normativen Mustern, die ihre Erwartungen definieren, mit sich bringt. ee) Sanktion und formale Organisation Die Reaktion des anderen auf normkonformes Verhalten des Handelnden wurde als Sanktion571 bezeichnet, je nachdem, ob Normkonformität vorliegt, als positive oder negative572. Die Sanktion des anderen Handelnden ist eine externe, eine soziale Sanktion. Eine externe Sanktion ist unerlässlich für institutionalisierte normative Muster.573 Hinsichtlich der Handlungskontrolle in Form äußerer Kontrolle durch externe Sanktionen kommt bezüglich der juristischen Vertragsgestaltung noch eine weitere Ebene hinzu. Die normativen Muster,574 die innerhalb der Vertragsgestaltung zwar nicht nur, aber vor allem Berücksichtigung finden, entspringen dem (staatlich gesetzten) Recht. Vom Staat gesetztes Recht gehört nach Parsons575 zu dem Bereich, in dem zur Erklärung konformen oder abweichenden Verhaltens die Ebene der formalen Organisation hinzukommt.576 Hierbei werden, so Parsons, normative Muster zur speziellen Angelegenheit einer funktional differenzierten Gruppierung, die die Leistungsautorität hat.577 Ihre funktionale Aufgabe besteht darin, normative Muster zu verkünden, zu interpretieren und zu vollstrecken; kommt es zur Befolgungsverweigerung, setzen sie die Normen durch Sanktionen durch, wozu sie autorisiert sind.578 Die Amtsausübung ist zur mit Sanktionsmacht ausgestatteten Herrschaftsautorität geworden; es ist der Begriff „Recht“ auf die das Handeln leitenden Muster anzuwenden.579 Indem hinter dem staatlichen Recht, verkürzt ausgedrückt, die Gruppe der Rechtsorgane mit entsprechenden Befugnissen steht, kommt hier die formale Organisation zum Tragen. Namentlich der Richterschaft kommt die Interpretation der normativen Muster zu und die Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen. Obwohl dem Gläubiger der Anstoß zur (anschließenden) Zwangsvollstreckung obliegt, ist in der Regel die Schaffung der Voraussetzungen (z. B. Titelausspruch, § 300 ZPO) und die Durchführung der Zwangsvollstreckung (§§ 704 ff. ZPO) der entsprechenden (formalen) Gruppierung (Vollstreckungsorgane) zuzuordnen. 571
Dazu etwa Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 106. Siehe Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 115. 573 Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232. 574 Das betrifft vor allem die „Muster“, die die späteren (Vertrags-)Rollen der (Vertrags-) Parteien prägen. 575 Das betrifft nicht nur staatlich gesetztes Recht, siehe Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 234. 576 Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232. 577 Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232. 578 So Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232. 579 Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232, unter Hinweis auf Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. I, § 101. 572
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Mit dieser formalen Organisation treten somit äußere Sanktionen von einer ganz anderen Qualität noch zur Sicherung der Befolgung von (rechtlichen) Normerwartungen hinzu. Das ist interessant für Ego oder Alter (z. B. die jeweiligen Vertragspartner), soweit deren Erwartungen durch normwidriges Verhalten des anderen enttäuscht worden sind. Die von einer Seite selbst ggf. erfolgte Sanktion, z. B. die (eigene) nachfolgende Nichterfüllung des Vertrags, mag ihm oftmals „wenig“ über die erlittene Enttäuschung hinweghelfen. Mit der Absicherung durch die formale Organisation kann diese Enttäuschung u. U. beseitigt werden. Letzteres hat etwa der Gläubiger durch die Initiierung des Zivilverfahrens häufig sogar selbst in der Hand. Gerade wenn man zunächst an die soeben dargestellte externe Sanktion im Wege formaler Organisation anknüpft, finden sich zwischen Parsons und Dahrendorf durchaus Verbindungen, was die Kontrolle vom Ausfüllen von Normerwartungen betrifft. Externe „Strafe“ durch einen entsprechenden Apparat kann ebenfalls durchaus „motivierend“ sein. Dass es so etwas gibt, wird bei Parsons gar nicht umgangen.580 Indem er jedoch mit den internen Sanktionen sowie grundsätzlich der Möglichkeit zur Zustimmung zu einer Rolle einen wesentlich weiteren Umfang dessen eröffnet, warum Rollen erfüllt werden, finden sich Erklärungsansätze, die auch und vor allem mit Blick auf die anwaltliche Vertragsgestaltung Anstöße geben können. c) Kritisches Zwischenresümee Parsons’ handlungstheoretischen Ausführungen, die gleichsam eine „Etappe“ seines Schaffens ausmachen, boten unterschiedlichste Ansätze einer Nutzbarmachung innerhalb der anwaltlichen Vertragsverhandlung/-gestaltung. Bevor auf weitere Bereiche der Parsonschen Arbeit einzugehen sein wird, ist allerdings eine kritische Hinterfragung mit Blick auf die Anwendung gerade im Bereich Vertragsverhandlung/-gestaltung angezeigt. aa) Einschränkung des Einzelnen in seiner Freiheit Eine „Schwäche“ der Parsonschen Sichtweise, die bereits angesprochen wurde, kann gerade darin bestehen, den Einzelnen dahin zu führen, dass er „will, wie er soll“. Damit besteht die Gefahr eines „Überstülpens“ einer Rolle. Hinsichtlich des anwaltlichen Handelns kann das zur Folge haben, beim Mandanten die Überzeugungsbildung hin zu einem bestimmten Vertragstyp zu betreiben unter Ausblendung dessen, was der Mandant tatsächlich möchte. Diese Gefahr der „Manipulation“ des Mandanten kann im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Kritik an der Theorie 580
Die Berücksichtigung der äußeren Sanktion, sei es durch eine organisierte Gruppierung, sei es auf sozialer Ebene, soll hier nicht vertieft werden. Die Bedeutung für die anwaltlichen Überlegungen wurde bereits im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Dahrendorf (Muss- und Soll-Erwartungen) deutlich, wenn auch vor einem anderen theoretischen Hintergrund.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Parsons’ gesehen werden. Es geht um die Frage, wie viel Freiheit dem Einzelnen jenseits von vorgegebenen Rollen noch verbleibt.581 Nicht zuletzt ist Parsons’ Theorie eine normative. Zudem geht es um die Anpassung von Bedürfnissen und Normen. Indem mit Parsons zu fordern wäre, dass für die Bedürfnisse ein ausreichendes Repertoire an Rollen bereit zu halten ist, bedeutet das aber auch grundsätzlich, mit diesen gleichsam von außen herangetragenen Handlungsmustern könnten die Einzelinteressen abgedeckt werden, persönliche Bedürfnisse könnten sich (stets) in vorgesehenen, allgemein akzeptierten Mustern wiederfinden. Letztlich liegt damit jedoch eine Fremdbestimmung im Sinne eines von außen geleiteten Handelns vielfach nahe.582 Bezogen auf die Vertragsgestaltung heißt das, dass zwar vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit ein sehr weiter Rahmen vorliegt, der (allgemein) akzeptiert ist und nicht zuletzt damit ein Freiraum eröffnet ist.583 Mit dem Vorhandensein von typisierten Verträgen werden allerdings von außen Muster herangetragen, die aufgrund ihrer rechtlichen Anerkennung ein Zurückziehen auf selbige vielfach nahelegen.584 So bergen individuell gestaltete Verträge doch oftmals, vor allem bei komplexeren Gestaltungen, eher die Gefahr mangelnder rechtlicher Akzeptanz durch eine Kontrollinstanz, etwa aufgrund einer Überprüfung nach §§ 138, 242 BGB.585 Erneut kann sich hier das Bild des möglichen Überstülpens einer vorgegebenen typisierten (Vertrags-)Rolle seitens des Anwalts in Bezug auf seinen Mandanten aufdrängen, um dieser Gefahr zu begegnen. Auch das kann dann eine Form von „Fremdbestimmung“ des Mandanten sein, wenn der Rückgriff auf dis581 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 59, stellt die Frage nach dem Spielraum für den Einzelnen, den ihm das „Ärgernis der Gesellschaft“ lässt. Rollen bezeichnet Dahrendorf, S. 23, ihrerseits als „ärgerliche Tatsache der Gesellschaft“. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 114, macht in Bezug auf Parsons’ Rollenverständnis auch Dahrendorf als Kritiker u. a. mit dem Argument aus, diese Rollentheorie führe zum Verlust der individuellen Autonomie. 582 Vgl. dazu, dass Parsons die These begründe, soziales Handeln sei vornehmlich von außen geleitetes Handeln, Korte, Einführung in die Geschichte Soziologie, S. 197. 583 Vgl. zu freien Bereichen, die jede Rolle ihrem Spieler lässt, Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 59. 584 Gerade in Bezug auf das dispositive Recht kann dies angesichts einer möglichen Steuerungsfunktion desselben festgemacht werden. Diesbezüglich führt Möslein, Dispositives Recht, S. 39, aus, Steuerungsfähigkeit sei auch ohne strikten Zwang denkbar. Leitbilder und Anreize könnten private Akteure in eine bestimmte Richtung steuern, ohne sie allerdings auf ein einziges Ergebnis festzulegen. Zur Steuerungsfunktion des dispositiven Rechts siehe auch die zahlreichen Nachweise bei Möslein, Dispositives Recht, S. 39 (§ 1 III 3.), Fn. 149. Diese Steuerungsfunktion des dispositiven Rechts kommt dem, was im Parsonschen Sinn ein „Wollen wie Sollen“ ausmacht, am nächsten. Davon zu trennen ist das, was im Zusammenhang mit dem dispositiven Recht als Ordnungsfunktion ausgemacht wird. Sieht man darin einen Ordnungsrahmen für privatautonomes Handeln, so etwa Möslein, S. 34 m. w. N. (Fn. 128), kann darauf vielmehr eine Argumentation aufgebaut werden, warum das (dispositive) Recht einen Beitrag zum role-making leistet. 585 Mit den §§ 138, 242 BGB ist wiederum der Aspekt vor allem der (etwaigen) Inhaltskontrolle angesprochen. Eine Kontrollfunktion kann allerdings u. a. auch das dispositive Recht haben, indem es eine Leitbildfunktion einnimmt. Zur Kontrollfunktion wiederum Möslein, Dispositives Recht, S. 35 ff. m. w. N. (S. 35, Fn. 135).
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positives Recht nicht in bewusster Entscheidung und in Kenntnis586 individueller Gestaltungsmöglichkeiten erfolgt.587 Zu berücksichtigen ist auch eine andere „Gefahr“, die in einer gewissen Starrheit bestehen kann, wenn eine Ausrichtung z. B. auf bestimmte Vertragsrechtsnormen hin erfolgt. Das Phänomen wurde u. a. bei Llewellyn eindrucksvoll beschrieben. Llewellyn, aber z. B. auch Macneil, zeigen auf, wie die Parteien tatsächlich oder gewollt nach Flexibilität streben. Flexibilität muss zwar nicht notwendigerweise mit dem Parsonschen Ansatz unvereinbar sein. So können durchaus (Rollen-)Normen vorhanden sein, die dem Handelnden einen Spielraum einräumen. Ihre Befolgung kann dann auch wieder „vernünftig“ sein. Vielfach reagieren die Parteien zudem losgelöst von normativen Vorgaben flexibel, das heißt, anders als nach den Normen „gesollt“. Erneut sei auf Llewellyn verwiesen. Damit kann zum einen eine „Neugestaltung“ der Rolle588 einhergehen. Eine eigene Gestaltung der Rolle ist jedoch nicht die unmittelbare Folge des Rollenverständnisses bei Parsons, sondern ein anderweitiger Ansatz.589 Ebenso wenig erfasst Parsons’ Theorie einen anderen „flexiblen“ Ablauf. Ein Abweichen von den Normen kann seinen Grund ebenso in einem „Nachäffungseffekt“590 haben, das heißt, man handelt so, wie wir es mit Blick auf andere für richtig halten. Damit kann allerdings sehr eng eine Machtproblematik verbunden sein. Möglicherweise duldet ein Vertragspartner eine schlechte Vertragserfüllung der anderen Seite nur, weil er ansonsten den endgültigen Verlust des Geschäftspartners befürchtet. Noch deutlicher zeigt sich die Schwierigkeit des Umgangs mit einem Machtgefälle innerhalb der Vertragsverhandlungen. Zuvor war ein Gedanke, das Gesetz innerhalb der Vertragsverhandlungen als Machtfaktor zu begreifen.591 Unter Aufgreifen der Parsonsschen Erkenntnisse kann man sagen, letzteres gilt nur, wenn
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Gerade die soll der Anwalt seinem Mandanten verschaffen. Keine Fremdbestimmung, sondern ein möglicher Beitrag zum role-making durch dispositives Recht, liegt dagegen vor, wenn man dispositive Normen (auch) als Ermächtigung des privaten Akteurs begreift, entsprechende Regelungen durch abweichende Vereinbarungen abzubedingen; zu letzterem, allerdings ohne den Bezug auf das role-making, wiederum Möslein, Dispositives Recht, S. 34 m. w. N. (Fn. 129). 588 So bedeutet role-making, Rollen zu modifizieren und zu kreieren, siehe Turner, Rollenübernahme: Prozeß versus Konformität, S. 115, 117. Es geht um eine kreative Eigenleistung, Schimank, Handeln und Strukturen, S. 67. 589 Siehe noch die Ausführungen zum symbolischen Interaktionismus. 590 Unter Bezugnahme auf Riesman erläutert Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 114, dessen These zur Außenleitung des Menschen dahingehend, dass es bei der Befolgung von Rollen darum ginge, dass wir so handeln, wie die, die für uns wichtig seien. Wir äfften sie nach. Zur außengeleiteten Lebensweise Riesman u. a., Die einsame Masse, S. 137 ff. 591 Siehe Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 246. 587
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
beide Seiten die Normen in gleicher Weise internalisiert haben; das ist in vielen Fällen fraglich.592 bb) „Sozialisation“ des Mandanten Daran anknüpfend ergibt sich ein weiteres Problem des Umgangs mit der Rolle, dem Rollenverständnis bei Parsons sowie der Nutzbarmachung innerhalb der anwaltlichen Tätigkeit. U. a. im Kontext mit dem kulturellen System wurde der Anwalt als möglicher Sozialisator/Integrator vorgestellt. Er ist jedoch zuerst und zuvörderst als Interessenvertreter anzusehen. Bietet nun im besten Fall z. B. das Gesetz eine (Vertrags-)Rolle an, die den Bedürfnissen des Mandanten entspricht (etwa mittels des Werkvertrags nach §§ 631 ff. BGB), so ist eine entsprechende Hinführung des Mandanten an diesen Vertragstyp durch den Anwalt sinnvoll. Namentlich, wenn der Mandant ein gedeihliches vertragliches Verhältnis mit der anderen Vertragsseite wünscht, genügt es dann aber innerhalb der anwaltlichen Beratung nicht, die entsprechende Rolle (nur) der Akzeptanz des Mandanten zuzuführen.593 Erfasst muss von der Beratung des Anwalts gegenüber seinem Mandanten weiterhin zum einen der Punkt sein, warum eine bestimmte Rolle eine vernünftige Regelung bieten kann. Zur Beratung gehört vor allem ferner die Erläuterung der Komplementarität der Rollenerwartungen594, die Vermittlung von „Ich tue dies, weil Du das tust“595. Das muss die Sichtweise auf den potentiellen Vertragspartner in die Beratung miteinschließen. All dies ist im Grunde ein Plädoyer für die rationale Verhandlungsweise, die in einen interessenausgewogenen Vertrag mündet. Diese Vorstellung ist eine ideale, die vom Mandanten aber durchaus gewünscht sein kann. Für den anwaltlichen Berater, vor allem wenn er die Verhandlungen für seinen Mandanten führt, ist sie jedoch nicht ungefährlich. Denn, und das muss er dem Mandanten unmissverständlich verdeutlichen, ein derartig vernunftgetragener Weg erfordert eine gemeinsame, gleichgerichtete Sozialisation in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner. Das heißt, die andere Seite muss ein entsprechendes Normverständnis wie der Mandant tragen. Das 592 Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationsprozesse, S. 307, 310, sieht erfolgreiches Rollenhandeln dann als wahrscheinlich an, wenn die Rollenpartner in ihren gegenseitigen Erwartungen übereinstimmen. Unterschiedliche Interpretationen würden als erstes Anzeichen eines Rollenkonflikts gedeutet. Krappmann verweist insoweit auf Parsons, The Social System, S. 280. 593 Der Mandant und der künftige Vertragspartner sollen die Rollenpartner in Bezug auf den abzuschließenden Vertrag sein. 594 Mit Komplementarität wird hier, gerade in Bezug auf den juristischen Vertrag, verstanden, dass dem Recht des einen die entsprechende Verpflichtung des anderen gegenübersteht. Zu diesem Verständnis von Komplementarität (allerdings nicht bezogen auf den juristischen Vertrag) in Abgrenzung und in Kritik zu Parsons’ Rollenmodell Gouldner, American Sociological Review 1960, 161, 169. 595 Diese, im juristischen Sinn anspruchsorientierte Verknüpfung, ist oftmals eine synallagmatische, jedenfalls dann, wenn nicht nur der Fall der einseitigen Anspruchssituation besteht, sondern, um mit Gouldner zu sprechen, Rechte und Pflichten „vice versa“ bestehen.
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ist keinesfalls selbstverständlich. Sollte der Anwalt, um ein solch gleichgerichtetes Normverständnis im Mandanteninteresse zu erreichen, etwa innerhalb der Vertragsverhandlungen versuchen, die bezeichnete Komplementarität herzustellen, kann er Gefahr laufen, haftungsrechtliche Folgen für sich selbst zu verursachen. Denkbar ist das etwa, wenn er die andere Seite falsch über die (normativen) Rolleninhalte aufklärt. Losgelöst von dieser „Ideallinie“ sind darüber hinaus möglicherweise die Bedürfnisse des Mandanten jedoch anders gelagert als das, was das Gesetz vorsieht bzw. als typisch ansieht. Dann wäre auch eine „Sozialisation“ des Mandanten durch den Anwalt „hin“ zum Gesetz an sich nicht „interessengerecht“. Abgesehen davon, dass, wie bereits erwähnt, eine „freie“ Gestaltung der künftigen Mandantenrolle (mittels des zu schließenden Vertrags) sich kaum mit Parsons begründen lässt, wird der Anwalt dann vor allem seinen Mandanten z. B. mit zwingendem Recht als zu beachtender Grenze vertraut machen müssen. Es liegt dann nahe, dass der Mandant das Gesetz zudem als das begreift, was es auch ist: eine Grenze. Eine Seite, die sich diesen „Bedingungen“ beugen muss, tut das aber oftmals somit nicht aus Einsicht, sondern aus „Zwang“. Hier kommt das zum Tragen, was Habermas als „Repressionstheorem“ anspricht. Komplementarität ist danach ggf. nur unter Zwang möglich.596 cc) Problematik gleichlaufender Interpretationen Eine bereits angesprochene „Schwäche“, so man Parsons’ Rollenverständnis zugrunde legt, besteht ferner darin, dass zu ihrem „Gelingen“ die jeweiligen Rollenerwartungen gleich verstanden, das heißt, auch gleich interpretiert werden.597 Soeben wurde dieser Aspekt schon unter dem Blickwinkel der Schaffung eines gemeinsamen Komplementaritätsverständnisses durch den Anwalt der einen Vertragsseite aufgegriffen. Die mit dem Erfordernis der gleichen Interpretation einhergehenden Schwierigkeiten sind allerdings noch vielgestaltiger. Sie tauchen grundlegend schon bei Parsons selbst auf, so in der Formulierung der Notwendigkeit gleicher Symbole, da ansonsten die „Sanktion“ mangelnder Verständigung drohe. Wie sehr diese „Hürde“ als Problem ernst zu nehmen ist, zeigt sich in einem weiteren Bereich anwaltlicher Interessenwahrnehmung innerhalb der Vertragsgestaltung. Denn selbst wenn man sich auf gesetzliche (Vertrags-)Rollen beschränkt,598 596
Habermas, Kultur und Kritik, S. 125. Dazu, dass erfolgreiches Rollenhandeln wahrscheinlicher ist, je weitergehender die Rollenpartner im Hinblick auf ihre gegenseitigen Erwartungen übereinstimmen, Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationsprozesse, 307, 310. Kein Lösungsansatz ist damit eröffnet, wenn es um ein role-making geht, wenn gerade erst Erwartungen (neu) konzipiert werden. Das ist jedoch in der Vertragsverhandlung und Vertragsgestaltung vor allem in komplexeren Situationen von Bedeutung. 598 Stets zu beachten sind aber z. B. auch die sozial ausgeformten Rollen. Das kommt etwa bei Dahrendorf in Gestalt der Soll-Erwartungen zum Tragen. 597
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
ergeben sich Schwierigkeiten. Rechtsnormen sind in der Regel interpretierbar und interpretationsbedürftig. Nicht ohne Grund gibt es dafür eine eigene „Gruppierung“, zu deren Funktionsbereich die „Interpretation“ gehört;599 dies ist im Besonderen die Richterschaft. Abgesehen davon, dass auch „offizielle“ Interpretationen variieren bzw. sich ändern können, besteht möglicherweise eine solche nicht. Gleichwohl ist in der Vertragsgestaltung mit solchen gesetzlichen, damit ggf. auslegungsbedürftigen, Rollennormen zu arbeiten. Ein Gelingen des gegenseitigen (ggf. künftigen) Rollenspiels tritt jedoch nur ein, wenn jede Seite die Rollen gleich versteht. Das betrifft innerhalb von Vertragsverhandlung/-gestaltung etwa die Ebenen Anwalt – Mandant und Mandant – Dritter (Vertragspartner), aber auch Anwalt – Dritter. In den Verständnisbereichen besteht jeweils eine hohe Fehleranfälligkeit. Gründe sind die soeben angesprochene wechselnde/variierende offizielle Interpretation von Vertragsrechtsnormen, unterschiedliche Auslegungen gerade zwischen den Parteien, ferner Missverständnisse im Übermittlungsweg u. a. zwischen Mandanten und Anwalt. Treten „Fehler“ auf, so ist erfolgreiches Rollenhandeln gefährdet;600 solche Fehler können, wenn sie nicht rechtzeitig beseitigt werden, dann entsprechend zu Rollenkonflikten führen601. Das betrifft gerade die (künftigen) Vertragspartner hinsichtlich der von ihnen dann auszufüllenden (Vertrags-)Rollen. Hinzu kommt Folgendes: Eben weil die Vertragsparteien ihre Interessen über den Vertrag realisiert wissen wollen, werden sie (ggf. über ihren Anwalt) eine für sie günstige Interpretation suchen.602 Deckungsgleiche Interpretationen von (Vertrags-)Normen sind also nicht selbstverständlich.603 dd) Schwierigkeit der Rollenkombination Namentlich komplexere (Vertrags-)Verhandlungen finden statt, wenn unterschiedliche Interessen der Parteien abgestimmt werden. Das bedeutet aber häufig auch, für solche Gegebenheiten keine „vorgefertigten“ Rollen604 vorzufinden, zu 599
Vgl. Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 233. Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationsprozesse, 307, 310. 601 Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationsprozesse, 307, 310, unter Hinweis auf Parsons, The Social System, S. 280, in Bezug auf den Rollenkonflikt. 602 Das betrifft wiederum die künftigen „Rollenpartner“ Mandant – Vertragspartner. 603 Siehe auch Habermas, Kultur und Kritik, S. 126, der von der Notwendigkeit eines Spielraums gebrochener Intersubjektivität der Verständigung über gemeinsame Normen spricht; dieser, so Habermas, sei nötig, damit sich die handelnden Subjekte, indem sie eine soziale Rolle übernehmen, zugleich als unvertretbare Individuen darstellen können. 604 Dasselbe gilt für Lebenssituationen, in denen es, sei es sozial, sei es im Recht, noch gar keine institutionalisierten Rollen gibt. Zwar kann man innerhalb der Vertragsgestaltung anführen, zumindest die Rollen als Vertragsschuldner/-gläubiger mit ihren Grundpflichten (z. B. aus § 241 BGB) seien vorhanden. Diese lassen jedoch ein weites Erwartungsspektrum zu, das 600
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denen hin eine Sozialisation hätte erfolgen können. Es gilt vielfach, unterschiedliche Rollen (z. B. als Kind, Vermieter, Erziehender) kompatibel zu machen. Der zu entwerfende Vertrag soll ggf. Kombinationsarbeit leisten, dem einzelnen Vertragspartner helfen, wie er mit den u. U. widersprüchlichen Rollen fertig werden soll. Ansonsten ist die Orientierung an den unterschiedlichen Rollen ein Grund für Diskrepanzen605. Dahrendorf löste das „Problem“ durch die Ausrichtung an der geringsten Sanktion, die bei der Abweichung von einer der in Frage stehenden Rollen drohte. Kommt man mit Parsons über den „Weg“ der dort beschriebenen Sozialisation, so muss die Lösung eine andere sein. Der zuvor entworfene Gedanke der Kombination von Rollen (und ihres Verhältnisses) in einem Vertrag ist aber in Abweichung zu Parsons der Weg der „Rollenneugestaltung bzw. -modifikation“. Die entsprechenden „Normen“ im Vertrag (Vertragsregelungen) sind dann das Ergebnis einer Interaktion,606 in der Regel von Vertragsverhandlungen. ee) Problem der sich entwickelnden Beziehung Es ist schließlich noch ein weiteres, dem kritische Aufmerksamkeit zu widmen ist. Parsons setzte auf von Ego und Alter geteilte Normen, die, jeweils flankiert/geschützt durch innere und äußere Sanktionen, die gegenseitigen Erwartungen begründeten. Die Aufnahme dieser Überlegungen in den Bereich der Vertragsgestaltung ist unerlässlich; dies zeigt nicht zuletzt die mehrfach angeführte „insurance“-Funktion des Rechts. Aber unter Hinweis auf Llewellyn wie auch etwa auf Macneil muss gleichwohl eine kritische Erweiterung erfolgen. Namentlich längere, sich entwickelnde Beziehungen werfen die Frage auf, ob es immer sinnvoll ist, an einer einmal eingenommenen Rolle607 mit den an sie gekoppelten Erwartungen unkritisch festzuhalten. „Erfolg“ versprach, vor allem wenn man die Erkenntnisse Llewellyns und Macneils nutzbar macht, zum einen zwar, die (rechtlichen) Pflichten anzunehmen und ernst zu nehmen, mit anderen Worten, der entsprechenden „Rolle“608 gerecht zu werden. Gleichzeitig sollte man jedoch in der Form „offen“ sein, sich „gelebten Veränderungen“ durchaus mittels neuer Erwartungen „anzupassen“. Diese Notwendigkeiten lassen sich mit Parsons’ Rollenbild nicht adäquat erklären und lösen.
gerade spezifiziert werden soll. Es soll eben keine Rolle vorhanden sein, die in ihrer Ausfüllung gänzlich „frei“ ist. 605 Dazu Krappmann, Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationsprozesse, 307, 309 f. 606 Siehe dazu Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 34. 607 Die Rolleneinnahme erfolgt durch den Vertrag(sschluss), z. B. als Werkunternehmer, §§ 631 ff. BGB. 608 Eben etwa als Werkunternehmer.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
ff) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann man gleichsam festhalten, dass Parsons’ Ausführungen zum „Wollen wie Sollen“ für die die anwaltliche, von Interessen geleitete Vertragsverhandlung und -gestaltung trotz unterschiedlicher Kritikpunkte von nachhaltigem Nutzen sein können. Das betrifft nicht nur die Aspekte, deren Vorteile sich „unmittelbar“ ergeben, z. B. die der Bewusstseinsschaffung, dass das Gesetz „vernünftige“ Vorschläge enthalten kann. Die Kritik an Parsons’ Theorien ist ebenso weiterführend, zeigt sich doch, wie notwendig ein wesentlich komplexerer Umgang mit der Rolle ist und welche Herausforderungen sich in der anwaltlichen Vertragsgestaltung ergeben. Das gilt es zunächst weiterzuverfolgen, allerdings auch an späterer Stelle in der Form aufzugreifen, dass die ausgemachten „Schwächen“ einen Blick auf (noch) weitere Rollentheorien erforderlich machen. Zunächst öffnen aber die reichhaltigen theoretischen Ansätze Parsons’ auf dem Feld der Erklärung der Handlungsmotivation sowie der Hilfe zur orientierenden Ausrichtung den Blick auf einen Bereich, der noch gesonderter Aufmerksamkeit bedarf. Es handelt sich um die so genannten „pattern variables“. d) Pattern variables aa) Einführung – Die Modi des Handelns Schon innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Rollenverständnis bei Parsons war die „Motivation“ von besonderer Bedeutung. Das galt etwa im Kontext der Bedürfnisbefriedigung, aber auch im Zusammenhang mit den internen und externen Sanktionen. Relevant sind ebenfalls das Handeln innerhalb eines sozialen Systems609 als Interaktionssystem und die Bezugnahme des Handelns auf eine Situation, in der es stattfindet. Von Interesse sind nun in einem weiteren Schritt die „Beziehungsmuster der Interaktionen zwischen den Akteuren“610 und die Frage nach der Orientierung des Akteurs in einer gegebenen Situation611.612 Parsons entwickelte Orientierungsalternativen, die so genannten pattern variables. Auch wenn die pattern variables im weiteren Verlauf des Schaffens Parsons’ wieder an eigenständiger Bedeutung verloren, verdienen sie gleichwohl nach wie vor 609 Siehe vor allem wieder Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 246; der Einzelne ist zwar nicht Element des sozialen Systems, er ist aber Mitglied im System, Träger des Rollenhandelns, der Einzelne handelt im sozialen System. So handelt beispielsweise der einzelne Mandant im sozialen System der Vertragsverhandlungen. Zum kategorialen und vollständigen System von Handlungselementen siehe Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 76. 610 Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 76, Hervorhebung bei Brandenburg. 611 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 119. 612 Der Blickwinkel wird auf den handelnden Akteur verschoben, Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 119.
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Aufmerksamkeit. Auch hier erlaubt die Vielgestaltigkeit der Arbeiten Parsons’, sie in ihrem Gehalt weiterhin zur Erklärung unterschiedlicher Abläufe zu nutzen. Das gilt nach wie vor für die pattern variables u. a. innerhalb der Untersuchung anwaltlicher Tätigkeit in der Vertragsgestaltung. (1) Objekte der Orientierung Zum Verständnis der pattern variables sind zunächst die Objekte der Orientierung der Akteure613 in zwei Klassen zu trennen. Zum einen gibt es nicht soziale Objekte, das heißt physische oder kulturelle Ressourcen, beispielsweise Räumlichkeiten614 oder anerkannte Verhaltensmuster615. Zum anderen gibt es soziale Objekte, das sind individuell Handelnde oder Kollektive, etwa die Kollegenschaft.616 Die Handlungsorientierung in Bezug auf Objekte beinhaltet in der Regel eine (Aus-)Wahl. Es ist zwischen drei unterschiedlichen Typen von Orientierungsleistungen für ein Handeln in einer gegebenen Situation zu unterscheiden617 („motivational orientation“618). Die Orientierung erfolgt einmal anhand einer kognitiven Unterscheidung, also der Standortbestimmung und Charakterisierung von Objekten.619 Man nimmt z. B. einen Verhandlungsraum als Objekt mit seiner Ausstattung wahr. Die wahrgenommenen Objekte werden zudem gleichzeitig oder nacheinander so erfahren, dass sie einen positiven oder negativen Wert für den Handelnden haben620 und zwar im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Bedürfnisbefriedigung621.622 Parsons bezeichnet es als kathektischen Modus der Orientierung.623 613
Z. B. der Teilnehmer an einer Vertragsverhandlung. Das können eben solche für eine Vertragsverhandlung sein. 615 Z. B. bestimmte rationale Verhandlungsregeln. 616 Grundsätzlich zum Vorstehenden Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5. 617 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 119. 618 Parsons, The Social System, S. 7. 619 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5. Es erfolgt eine Definition der relationalen Aspekte der Situation in Bezug auf die „Interessen“ des Handelnden; siehe dazu Parsons, The Social System, S. 7. 620 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5. 621 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5. Dazu auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 119; Damm, Systemtheorie und Recht, S. 57. 622 Beispielsweise wird ein bestimmter Verhandlungsleiter als vorteilhaft für das Erreichen des (eigenen) Verhandlungsziels eingestuft. 614
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Schließlich muss es zu einer Auswahl kommen zwischen alternativen Objekten und Befriedigungen;624 notwendig ist eine Reihenfolge der Auswahl,625 eine Bewertung626. Es erfolgt eine evaluative Orientierung.627 (2) Parsons’ Modi des Handelns und die Notwendigkeit der Integration des Mandanten in den Vertragsverhandlungsprozess Bevor im Besonderen auf die evaluativen Aspekte einzugehen sein wird, soll Bezug nehmend auf die bisherigen Modi exemplarisch gezeigt werden, wie daraus ein Nutzen für die Vertragsverhandlungen gezogen werden kann. Es geht um ein zuvor bereits aufgezeigtes Problem, nämlich, ob der Anwalt in die Vertragsverhandlung einbezogen werden sollte. Dabei ist vorwegzuschicken, dass die jeweiligen Orientierungsmodi unterschiedliche Analyseaspekte der Orientierung sind, die jedoch allesamt miteinander verschränkt sind.628 Das Problem, das hier aufgezeigt werden soll, ergibt sich in der Vertragsverhandlung selbst, an der der Anwalt für (oder neben) seinem Mandanten teilnimmt. Unterschiedliche dort auftauchende Schwierigkeiten wurden in anderen Kontexten bereits angeführt, z. B. innerhalb der Erfragung und des Umgangs mit persönlichen Informationen. So war es jeweils nicht einfach, individuelle Interessen (der Partner) im Gespräch nur durch den Anwalt zu verhandeln. Hierfür lassen sich unter Rückgriff auf Parsons’ Modi weitere Gründe anführen. Macht man die Motivorientierung u. a. an der Ausrichtung des Handelnden auf die Dimension der Befriedigung bzw. Versagung von Bedürfnissen, Wünschen, das heißt an seinen „Interessen“ fest,629 so liegt hierin schon ein Schwerpunkt des Problems. Eine solche Orientierung kann im Grunde der Anwalt allein in der Verhandlung für seinen Mandanten nicht leisten, selbst nach Vorgesprächen mit dem Mandanten. Dafür sind die potentiellen Interessen den Mandaten zu vielgestaltig. 623
Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5. 624 Das kann etwa die Auswahl eines Verhandlungsleiters betreffen. 625 Parsons a. o., The General Theory of Action – Some Fundamental Categories of the Theory of Action: A General Statement, S. 3, 5. 626 Parsons, The Social System, S. 7. 627 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 120 f., zeigt daran anknüpfend Entsprechungsbeziehungen zwischen den aufgezeigten Modi der motivationalen Orientierung sowie den Komponenten des „action frame of reference“ auf, die zuvor bereits in unsere Überlegungen eingeflossen sind. Danach kann man die kognitive Orientierung den Situationselementen (Bedingungen, Mittel), die kathektische Orientierung den Zielen und der Antriebsenergie und schließlich die evaluative Orientierung den normativen Standards zuordnen. 628 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 120. 629 So Damm, Systemtheorie und Recht, S. 57.
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Noch deutlicher wird das, wenn man die angesprochene Verschränkung der Modi hinzunimmt. Was als erstrebenswertes Ziel angesehen wird, hängt von der kognitiven Erfassung der Objekte und einer Abklärung anhand der Bedürfnisse ab, somit einer kathektischen Orientierung. Im Hinblick auf diesen wechselseitigen Prozess sind Mandant und Anwalt nicht ohne weiteres austauschbar. So kann der Mandant u. U. eine Information, die im Rahmen der Verhandlung gegeben wird, als solche erkennen, die ihn zur Befriedigung führen kann, der Anwalt (allein) dies jedoch nicht. Zudem fließen in die evaluative Orientierung normative Standards ein,630 die bei der Auswahl der Handlung (insbesondere bezüglich der Ziele und Mittel) helfen sollen. Schon allein der Umstand, dass eine Auswahl zu treffen ist, also unterschiedliche Wege möglich sein können, erschwert die „Ersetzung“ des Mandanten durch den Anwalt. Letzterer wird zumeist auf rechtliche Kriterien im Rahmen der evaluativen Orientierung zurückgreifen, was nicht notwendig der Bedürfnisausrichtung des Mandanten entspricht. (3) Evaluativer Orientierungsmodus Der zuletzt angesprochene Punkt, der evaluative Orientierungsmodus, bei dem hier die Bezugnahme zum „Recht“ erfolgt,631 bedarf darüber hinaus noch der weiteren Betrachtung. Bezeichnend war für diesen Modus, dass Bewertungen im Hinblick auf unterschiedliche Abläufe vorzunehmen sind, die in einer Auswahl von Alternativen münden, die dem Handelnden offenstehen.632 Parsons633 betont den „act of choosing“ als wesentlichen Orientierungsaspekt, der verbunden ist mit dem Begriff des Evaluationsmodus. Die Maßstäbe, anhand derer die Auswahl getroffen wird, sind die Aspekte der Orientierung, impliziert von dem Begriff der Wertorientierung („value-orientations“).634 Insoweit ist auf Folgendes hinzuweisen: Es sind motivationale evaluative Orientierung und Wertorientierung zu trennen.635 Der Evaluationsmodus betrifft den kognitiven Akt im Hinblick auf verschiedene alternative Verläufe hin zum Ausgleich eines Bedürfnismangels mit Blick auf eine langfristige Bedürfnisbefriedigung,636 das heißt die Erfassung unterschiedlicher Abläufe bezüglich ihrer maximalen Bedürfnisbefriedigung. In der Vertragsgestaltung können sich solche unterschiedlichen Abläufe auf das Aufzeigen unterschiedlicher vertraglicher Gestaltungsvarianten zur Bedürfnisbefriedigung beziehen.
630
Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 121 f. Siehe zum Recht und zur Handlungsorientierung Damm, Systemtheorie und Recht, S. 61; siehe auch Parsons, KZfSS 1967, Sonderheft 11, 121, 123. 632 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. 633 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. 634 U. a. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71 f. 635 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. 636 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. 631
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Auch hier kommt es zu einer Auswahl und einer Bewertung.637 Dabei fungieren die Wertstandards nach Parsons als „Rezepte“ oder „Regeln“, die der Handelnde in diesen Prozess einfließen lässt.638 Diese „Regeln“ helfen dem Handelnden bei seiner Wahl, indem der Kreis akzeptabler Alternativen beschränkt wird, oder helfen ihm dahingehend, langfristige Konsequenzen unterschiedlicher Alternativen vorherzusehen.639 So kann in der Vertragsgestaltung das Recht, z. B. in Form des zwingenden Rechts, „helfen“, ungeeignete Gestaltungsvarianten auszunehmen; Orientierungshilfe wird so geboten. (4) Unterscheidung in drei Modi der Wertorientierung Parsons unterscheidet nun drei Modi der Wertorientierung, parallel zur motivationalen Orientierung: kognitive, appreziative und moralische Standards.640 Diese beinhalten „normative Aspekte“641 und beeinflussen grundsätzlich jeden Modus der Motivorientierung642, da aufgrund der Verflechtungen der Modi überall Wertorientierungen relevant sind643. Gleichwohl ist das Hervortreten der Wertorientierungen im evaluativen Modus, wenn es um die Bewertung und die Auswahl geht, besonders relevant. (a) Kognitiver Modus Der kognitive Modus der Wertorientierung umfasst die verschiedenen Standards, nach denen die Aussagekraft von kognitiven Beurteilungen bewertet wird.644 Solche Standards umfassen einmal solche Maßstäbe, die die Bedeutung/Beurteilung von Fakten betreffen, sowie diejenigen Maßstäbe, die die Tragweite verschiedener 637
Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. An anderer Stelle (S. 59) sprechen Parsons/Shils bezüglich der Wertorientierung als eine solche, die die Aspekte der Handlungsorientierung betrifft, die den Handelnden auf die Befolgung bestimmter Normen, Standards, Auswahlkriterien festlegen, sobald er in einer Auswahlsituation ist. Dabei (S. 59, Fn. 6) setzen Parsons/Shils die Wertorientierung nicht mit dem System der kulturellen Orientierung gleich. 639 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 71. Siehe nochmals Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 122, wonach auch Kognition und Kathektis evaluative Momente enthalten, so dass dort ebenfalls die Wertorientierungen Einfluss nehmen. 640 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60; Parsons, The Social System, S. 13. 641 Parsons, The Social System, S. 13, darauf hinweisend Damm, Systemtheorie und Recht, S. 58. 642 Siehe Damm, Systemtheorie und Recht, S. 58; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 122; a. A. Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 39; Schlottmann, Primäre und sekundäre Individualität, S. 23, die es auf den evaluativen Modus beziehen. 643 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 122. 644 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60. 638
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Probleme zum Gegenstand haben.645 Das betrifft ebenso die Kategorien, nach denen Beobachtungen und Probleme als zutreffend eingeschätzt werden.646 Gemeint sind damit sachbestimmte Normen.647 Hierunter fallen logische Standards und Maßstäbe für die Richtigkeit der Beobachtung.648 Auch wenn diese kulturell umfassend sind, kommen hier aber doch unterschiedliche Wissenschafts- und Denktraditionen zum Ausdruck.649 Diese Standards erbringen die Leistung, innerhalb der Entscheidung zu bestimmen/bestimmen zu helfen, ob gewisse inhaltliche Kategorien zur Wahrnehmungsinterpretation und Erwartungsbildung gerechtfertigt sind.650 Beispiele des Entscheidungsrückgriffs auf die Logik finden sich etwa innerhalb der Anwendung von § 286 ZPO, wenn für die freie Beweiswürdigung u. a. die Denkgesetze maßgeblich sind651. Auch Gutachterurteile, die anhand des Stands der Technik oder mit anerkannten empirischen Grundlagen arbeiten, können exemplarisch genannt werden. Der Vorteil dieser Wertorientierung könnte in der „Übertragbarkeit“ liegen. Handelt etwa der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten, richtet der Anwalt grundsätzlich sein Handeln entsprechend den unterschiedlichen Modi aus; er ist Handelnder. Berücksichtigt man aber, dass in unterschiedlichen sozialen Systemen652 unterschiedliche Wertemuster gelten können,653 kann sich ein Problem ergeben. Der Anwalt richtet sich für sein Verhalten, etwa in der Vertragsverhandlung, nach Wertorientierungen, die in Bezug auf sein Verhältnis zum Mandanten zu sehen sind. Gleichwohl „vertritt“ er den Mandanten oftmals und möchte, damit er etwa den Mandantenerwartungen (ihm als Anwalt gegenüber) genügt, auch die Wertorientierung des Mandanten in dessen Verhältnis zum Dritten in der Verhandlung einfließen lassen. Letzteres ist beim Eingreifen kognitiver Standards am ehesten möglich, z. B. bei Zugrundelegung logischer Denkgesetze, die für Anwalt und Mandant (sowie Dritten) in gleicher Weise greifen. So können etwa innerhalb der Verhandlung über ein Bauvorhaben bestimmte DIN-Vorschriften zugrunde gelegt werden.
645
Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60; Parsons, The Social System, S. 13. 647 Schlottmann, Primäre und sekundäre Individualität, S. 23. 648 Vgl. Parsons, The Social System, S. 13. 649 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 58, unter Bezugnahme auf Parsons, The Social System, S. 13. 650 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 123. 651 Zur Notwendigkeit u. a. des Rückgriffs auf die Denkgesetze (der Logik) innerhalb von § 286 ZPO BGH NJW 2011, 1217, 1219; HK-ZPO/Saenger, § 286, Rn. 6; Musielak/Voit/ Foerste, ZPO, § 286, Rn. 10a. 652 Z. B. soziales System Anwalt – Mandant im Mandatsverhältnis oder das der Vertragsverhandlung zwischen Mandanten und Drittem. 653 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 127. 646
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
(b) Appreziativer Modus Der appreziative Modus654 umfasst den unterschiedlichen Einsatz von Maßstäben, nach denen die Aneignung/Zuteilung oder die Übereinstimmung der Kathexis eines Objekts oder einer Klasse von Objekten beurteilt werden.655 Diesen Maßstäben liegt ein Muster für eine bestimmte Art von Befriedigung zugrunde, z. B. bezüglich der Standards des Musikgeschmacks.656 Gemeint ist damit, dass die kathektische Besetzung von Objekten der Bewertung anhand bestimmter Standards von Angemessenheit oder Konsistenz unterliegt.657 Danach erfolgt eine Beurteilung, wann etwas als gelungen oder misslungen eingestuft wird.658 Dies sind beispielsweise Geschmacksstandards, die in die Beurteilung von Mode, Malerei oder Musik als schön/ hässlich oder gelungen/misslungen einfließen.659 Hier können sich entsprechende Orientierungen verfestigen hin zu Bedürfnisdispositionen, etwa bezüglich persönlicher Geschmacksrichtungen.660 Diese Standards sind es, die uns Regeln vorgegeben, um beurteilen zu können, ob gegebene Objekte, Sequenzen oder Muster zur sofortigen Befriedigung führen.661 Ein normativer Aspekt ist hier schwieriger auszumachen.662 Bei der gefühlsbestimmten Ausrichtung stellt sich das oben angerissene Problem des Anwalts in der Vertragsgestaltung neu. Obwohl der Anwalt (auch) selbst handelt, kommt es auf seine (des Anwalts) „Gefühlsbestimmung“ nicht an. Als Interessenvertreter sind für ihn die, grundsätzlich subjektiv ausgerichteten, Interessen des Mandanten, für den er handelt, also die Gefühlsbestimmung bezogen auf diesen hin, relevant. Diese muss er berücksichtigen und auf sie etwaige appreziative Standards anwenden, sie bilden den relevanten Bezugspunkt. Dieser Aspekt hängt eng mit der 654 Schlottmann, Primäre und sekundäre Individualität, S. 23, übersetzt dies mit „gefühlsbestimmt“. 655 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60. 656 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 123. 657 So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 123. 658 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 123. Staubmann, Handlungstheoretische Systemtheorie, S. 197, 205, spricht davon, dass der appreziativ-ästhetische Modus jene kulturellen Wertmaßstäbe umfasse, die festlegten, welche Objekte auf welche Weise gefühlsmäßige Bedeutung erlangen sollten und dürften. Es ginge um jene kulturellen evaluativen Standards, die der Orientierung des Handelnden bei der Einstellung zu und der Wahl von Objekten mit kultureller Bedeutung dienten. Das Spektrum reiche von Normen über die „richtige“ Partnerwahl bis hin zu Normen über „guten Geschmack“ bei Musikpräferenzen oder Bekleidungsvorschriften. 659 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 123. 660 Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 40. 661 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60. 662 Parsons, The Social System, S. 13, betont allerdings, dass Befriedigung als Teil eines Handlungssystems stattfindet, in dem Handelnde im Allgemeinen normativ orientiert sind. Parsons nimmt diesen Aspekt aber von der Relevanz normativer Standards der Wertausrichtung aus.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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„Neutralität“ des Anwalts im Sinn des persönlichen Zurücknehmens zusammen, ein Umstand, der noch gesondert innerhalb der pattern variables aufzugreifen sein wird. (c) Moralischer Modus Der moralische663 Orientierungsmodus bezieht sich auf die Standards, die die Verantwortlichkeit des Handelnden für die Konsequenzen definieren. Im Besonderen lenken sie die Wahl des Handelnden mit Blick darauf, wie die Auswirkungen der Wahl/Entscheidung (a) die Integration seines eigenen Persönlichkeitssystems und (b) die Integration des sozialen Systems, an dem er teilnimmt, beeinflussen.664 Über die moralischen Modi wird also das Urteil gebildet, ob eine Handlung sich in den Gesamtkontext der Bedürfnisdispositionen wie auch der Handlungsorientierungen des jeweiligen Akteurs einfügt sowie auch in den Gesamtkontext der „sozial geltenden Erwartungen innerhalb einer Gruppe“.665 Es geht darum, eine Rangfolge bezüglich aller in der Orientierung eines Handelnden bedeutsamen Faktoren schaffen zu können; es geht darum, eine Entscheidung zu treffen, welchen Bedürfnisimpulsen der Handelnde nachgehen will, welche Ziele und Mittel er anwenden soll.666 Es handelt sich insoweit um die Orientierung aufgrund internalisierter Wertmuster.667 Dieser Orientierungsmodus wird als wichtigster und entscheidender angesehen.668 Hier besteht wiederum die normative Ausrichtung, geht es doch darum, subjektiv mit Werten und Normen als Grundlagen zu handeln.669 Damit wird auch die normativ geprägte Rolle wieder relevant.670 Allerdings zeitigen Normen nur Relevanz, wenn sie Handlungsgrundlage sind und sein können.671 Das verdeutlicht wiederum die Tragweite des Umgangs mit staatlichem Recht als möglichen handlungsleitenden Normen. Für die Vertragsgestaltung/-verhandlung heißt das etwa: Beispiel 1: Nur, wenn die (vereinbarten) vertraglichen Regeln hinreichend klar sind und sie auch die Handlungsgrundlage als internalisierte Wertmuster bilden, sind sie (später) für das Handeln der Vertragsparteien maßgeblich. Das gilt im Übrigen ebenso für das Vertragsrecht. Ist dies nicht der Fall, so können Entwicklungen eintreten, wie sie bei Llewellyn oder
663 „Moralisch“ ist hier nicht im üblichen Sinn aufzufassen, sondern wesentlich weiter, so Damm, Systemtheorie und Recht, S. 58. Man kann etwa von „einfach üblichen“ oder „gesetzten“ Standards sprechen, so Schlottmann, Primäre und sekundäre Individualität, S. 23, Fn. 21. 664 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 60. 665 So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 122. 666 So Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 41. 667 Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 41. 668 Parsons, The Social System, S. 13 f.; Damm, Systemtheorie und Recht, S. 59; Philipps, Interaktionsmodell und Normentstehung, S. 41. 669 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 59. 670 Siehe auch Parsons, The Social System, S. 38 f. 671 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 60.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Macneil erläutert wurden.672 In Konsequenz darauf treten dann andere Normen, z. B. soziale, als Handlungsmuster bezüglich der Orientierung in den Vordergrund. Beispiel 2: Hinsichtlich des für den Mandanten verhandelnden/gestaltenden Anwalts, der seiner Handlung ebenfalls Wertorientierungen zugrunde legt, kann sich bezüglich dieses Modus schließlich eine weitere Erklärung finden, warum der Anwalt selbst „entlang der Haftungsrechtsprechung“ arbeitet. Die dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden Normen, u. a. bezogen auf den Anwaltsvertrag oder das Berufsrecht, geben für ihn in seinem Handeln das entscheidende Wert- und damit Handlungsmuster ab, ist der Anwalt doch bei einer „Abweichung“ davon verantwortlich, indem z. B. ein Regress droht. Innerhalb dieses Rahmens (Haftungsrechtsprechung/Berufsrecht) kann er jedoch alle Wünsche des Mandanten einfließen lassen. Betrachtet man daher die Verhandlungssituation zwischen Anwalt und Drittem als eigenes Sozialsystem mit dort geltenden Wertmustern, so ist der Anwalt nicht gehindert, sondern vielmehr motiviert, dort die Interessen des Mandanten einfließen zu lassen.
(d) Unterschiedliche Handlungstypen Die zuvor gemachten Unterscheidungen Parsons’ hinsichtlich der motivationalen Orientierung und der jeweiligen Wertorientierung setzt Parsons schließlich in Bezug auf die Unterscheidung von Handlungstypen fort. Bei Überwiegen von kognitiven Interessen und kognitiven Wertestandards handelt es sich um intellektuelle Tätigkeit.673 Bei stärkeren kathektischen Interessen und appreziativen Standards liegt expressives Handeln vor, bei hohem evaluativen Interesse und moralischen Standards verantwortliches oder moralisches Handeln.674 Gemessen an dieser Unterteilung handelt der Interessen vertretende Anwalt vor allem moralisch, aber auch kognitiv. Der Mandant selbst kann, etwa bei Einbindung in die Vertragsverhandlungen, auch stärker expressiv, das heißt gefühlsmäßig handeln. bb) Pattern variables Es bleibt somit zunächst festzuhalten: Handeln gründet sich nach Parsons675 auf die aufgezeigten drei Modi der motivationalen Orientierung. Welche von ihnen bzw. in welcher Reihenfolge sie zum Tragen kommen, ist die Entscheidung des einzelnen Handelnden. Mit den jeweiligen motivationalen Orientierungen korrespondieren die erläuterten Wertorientierungen.676
672
Der Vertrag bildet dann keinen „Verhaltensmodus“ für die Parteien. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 75; dazu gehört auch instrumentelles Handeln, siehe Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 123. 674 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 124. 675 Jedenfalls innerhalb der Phase der Entwicklung seiner unterschiedlichen Theorien. 676 Zum Vorstehenden Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 128. 673
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Bezugnehmend darauf entwickelte Parsons fünf Orientierungsalternativen, die Variablen der Wertorientierung (pattern variables). Nachfolgend soll eine Eingrenzung der Untersuchung in unterschiedlicher Hinsicht erfolgen. Untersucht werden soll das Handeln des die Interessen vertretenden Anwalts in der Vertragsverhandlung/-gestaltung als solches sowie gerade in Abgrenzung zu dem Handeln des Mandanten. Der Fokus richtet sich dabei nicht zuletzt auf die Bedeutung der Rolle. Die Verbindung zwischen den pattern variables und Rollen gründet darin, dass die pattern variables ebenso wie die unterschiedlichen Modi der Orientierung (motivational und wertbezogen) Elemente der unterschiedlichen Systeme sind, so u. a. des sozialen und des personalen Systems.677 Innerhalb des sozialen Systems (z. B. Mandatsverhältnis Anwalt – Mandant) sind die pattern variables konstitutive Elemente der Rollenerwartungen,678 bezieht sich die Orientierung dort doch notwendig auf andere Handelnde, da im sozialen System interagiert wird. Im sozialen System sind die Rollen(-erwartungen) zentral, sie stecken Handlungsrahmen ab, innerhalb derer das jeweilige Individuum679 aus bestimmten Motiven heraus und in Bezug auf bestimmte Ziele handelt680 bzw. handeln sollte.681 Weil aber die Rollen bzw. die Erwartungen durch Normen bestimmt sind, sind die pattern variables auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie bilden definitorische Elemente von Rollenbeziehungen und Rollentypen,682 sie bilden die Pole in Bezug auf soziale Handlungsverpflichtungen und soziale Bewertungen683. Ein weiteres Augenmerk soll neben dem sozialen System auf das personale System gerichtet werden, zu dem die Rollen die Schnittstelle zum sozialen System darstellen.684 Vor diesem Hintergrund sind die pattern variables differenziert für die Vertragsverhandlung und -gestaltung zu betrachten. Zu unterscheiden sind, wie ausgeführt, fünf verschiedene Orientierungsmuster. (1) Affektivität – affektive Neutralität Dieses Muster betrifft das Problem, ob es zu einer Evaluation in einer bestimmten Situation kommt.685 Bezogen auf die Rolle kann damit die Frage verbunden werden, 677
Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 130. So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 130, allerdings nicht bezogen auf das Beispiel Anwalt – Mandant. 679 Der einzelne Akteur handelt als Mitglied im sozialen System, dort als Träger des Rollenhandelns, Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 246. 680 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 150. 681 Abweichungen sind selbstverständlich möglich. 682 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 130. 683 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 154. 684 Selbstverständlich erfolgen ebenso ggf. Ausführungen zum kulturellen System. 685 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 77 f. 678
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
ob diese das Ausleben affektiver Impulse erlaubt oder aber das Rollenhandeln affektiv neutral zu sein hat.686 So bedeutet unter dem Aspekt des sozialen Systems Affektivität die Rollenerwartung, dass der Inhaber einer Rolle frei bestimmte affektive Reaktionen bezüglich Objekten in der Situation ausdrücken kann und sie nicht aus Gründen der Disziplin zu kontrollieren braucht.687 Rollen, die so etwas ermöglichen, z. B. spontanes Mitleid, sind vor allem im familiären oder freundschaftlichen Bereich angesiedelt. Dem entspricht im personalen System die Bedürfnisdisposition auf Seiten des Handelnden sich zu erlauben, in einer bestimmten Situation eben seinen Bedürfnissen sofort nachzukommen und diese nicht aus abwägenden Gründen zurückzustellen.688 Eine Mutter darf also z. B. einem spontanen Trostbedürfnis gegenüber dem gestürzten Kind nachgeben und kann Ermahnungen hintanstellen. Die Mutter lässt die wahrgenommene Verletzung des Kindes (kognitiver Modus), welche für sie affektiv besetzt ist (kathektischer Modus) für ihre unmittelbare Bedürfnisbefriedigung relevant werden.689 Demgegenüber beinhaltet die affektive Neutralität die Rollenerwartung, dass der Rolleninhaber jedweden Impuls zu bestimmten affektiven Ausbrüchen unterdrücken und letztere der Disziplin unterordnen sollte.690 Im personalen System hat der Handelnde die Bedürfnisdisposition, in einer bestimmten Situation von evaluativen Betrachtungen geleitet zu werden, die eine Vorteilsnahme aus einer sich ergebenden Gelegenheit zum Zweck der sofortigen Befriedigung verbieten.691 Hier findet sich „klassischerweise“ der Jurist und auch der Anwalt wieder. Er soll sich eine gefühlsmäßige Involvierung in die Mandantenbelange versagen und keinesfalls zeigen.692 In der Regel richtet sich darauf auch die (Rollen-)Erwartung des Mandanten gegenüber dem Anwalt. Allerdings kann diese mitunter durchaus anders aussehen, etwa, wenn im Scheidungsverfahren Anteilnahme verlangt wird. Der Anwalt sollte aber, trotz oder gerade weil er Interessenvertreter ist, von „Anteilsbekundungen“ Abstand nehmen. Er handelt dann gerade rollenkonform und entspricht damit zumeist auch seinen eigenen Bedürfnissen. Nur wenn er affektiv neutral handelt, kann er z. B. die Erwartungshaltung des Mandanten auf dem anwaltsvertraglich vorgezeichneten Weg belassen. Dem Anwalt geht es letztlich um eine langfristige „Befriedigung“ durch eine Mandatsbearbeitung lege artis. Der Anwalt bewertet die Möglichkeit (seiner) Bedürfnisbefriedigung somit hinsichtlich weiterer Konsequenzen (evaluativer Modus). Das Aufeinanderprallen von Affektivität oder Neutralität kann besonders anschaulich in Vertragsverhandlungen auftreten. Der Anwalt sollte auch dort tunlichst 686
So Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 85. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 80. 688 Siehe Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 80. 689 Die Rolle geht mit dem Bedürfnis idealerweise konform. 690 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 80. 691 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 80. 692 Röhl, Rechtssoziologie, S. 189.
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C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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in der Neutralität verbleiben. Nur so kann er z. B. im rationalen Verhandlungsmodell dem Gebot der Trennung von Sach- und Beziehungsebene Genüge tun. Selbst wenn er kompetitiv verhandeln soll, weicht er im Grunde von der Neutralität nicht ab, weil er (evaluativ) u. U. den Wünschen des Mandanten folgt, damit den Vorgaben des Anwaltsvertrags. Sollte der Anwalt affektiv gegenüber dem Dritten werden (z. B. Mitleid zeigen), gefährdet er langfristig seine (des Anwalts) eigenen „Bedürfnisse“ aufgrund des Anwaltsvertrags.693 Zudem kann er ungewollte Erwartungen im Dritten wecken, der den Anwalt plötzlich in „seinem Lager“ wähnt. Anders als der Anwalt kann der Mandant häufiger etwa in den Verhandlungen zur Affektivität gegenüber dem Verhandlungspartner neigen, was durchaus auch „rollenkonform“ ist, z. B. bei Verhandlungen in sozialen Nahbereichsbeziehungen, wozu ebenso länger andauernde Geschäftsbeziehungen gehören. Das kann wiederum die oben angesprochene Trennung von Sach- und Beziehungsebene im rationalen Verhandlungsmodell gefährden. Es liegt deshalb in den Rollen anderer (ggf. Anwalt, u. U. Mediator), dies zu unterbinden. (2) Selbstorientierung – Kollektivitätsorientierung Dieses Muster beschäftigt sich mit dem Problem des Vorrangs moralischer Standards in einem evaluativen Procedere,694 oder mit der Frage, ob eine Rolle dem Handelnden die Ausrichtung an Belangen der jeweiligen Kollektivität abfordert, oder aber er vorrangig sein Eigeninteresse verfolgen kann695. Es geht um das Dilemma zwischen privater Nachgiebigkeit und kollektiver Verpflichtung.696 Innerhalb des sozialen Systems richtet sich die Rollenerwartung an den einzelnen Handelnden hinsichtlich der Selbstorientierung darauf, dass es für den jeweiligen Rolleninhaber erlaubt ist, in der gegebenen Situation seinen privaten Interessen Priorität einzuräumen, u. U. unabhängig von Interessen anderer Handelnder.697 Beispielhaft ist der Sportler einer Einzelsportart zu nennen.698 Auch im personalen System liegt dann eine entsprechende Bedürfnisdisposition vor, unabhängig davon, ob der Standpunkt des Handelnden nur kognitiv-kathektische oder evaluative Betrachtungen beinhaltet.699 Der Handelnde stellt die Konsequenzen seines Handelns in Beziehung zu seinem Persönlichkeitssystem und rückt die für ihn bedeutsamen moralischen Bewertungsstandards in den Vordergrund.700 693
U. U. kommt es auch zur Haftung gegenüber dem Mandanten. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 77 f. 695 So Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 85. 696 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 80. 697 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 81. 698 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 153. 699 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 81. 700 So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 129; Hervorhebung durch die Verfasserin. 694
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Innerhalb der Vertragsverhandlung/-gestaltung wird so oftmals der Mandant seine Ausrichtung treffen. Beispiele sind der seinen Vorteil suchende Geschäftsmann oder der Vermieter; Ausdrucksformen sind u. a. ein kompetitives Verhandeln (lassen). Das Suchen des Vorteils kann durchaus rollenkonform sein, z. B. innerhalb der Verhandlung rivalisierender Geschäftsleute. Eine Grenzziehung, etwa durch Kollektivorientierung, die Rollenhandeln einschränkt, kommt ggf. durch die Vertragsgerechtigkeit bzw. die sie stützenden Rechtsnormen [u. a. Schutznormen des Mietrechts wie § 573 BGB (Abs. 4)] in Betracht. Bei der Kollektivorientierung besteht die Rollenerwartung darin, dass der Handelnde verpflichtet ist, als Rolleninhaber direkt die Werte und Interessen des Kollektivs, zu dem er in seiner Rolle gehört, in Betracht zu ziehen. Bei einem Konflikt mit privaten Interessen muss er den Kollektivinteressen Vorrang einräumen.701 In seinem personalen System muss wieder eine Entsprechung vorliegen, der Handelnde muss eine Verantwortung akzeptieren.702 Der Handelnde beurteilt bei der Kollektivorientierung eine etwaige Bedürfnisbefriedigung in erster Linie an den Wertestandards der Gemeinschaft, des Kollektivs bzw. des sozialen Systems, in dem seine Handlung angesiedelt ist.703 Das kann im Übrigen beispielsweise durchaus auch für den soeben angesprochenen Mandanten gelten. Möglicherweise ist er altruistisch, oder er verspricht sich so längerfristige Vorteile (z. B. Erhalt der Geschäftsbeziehung), oder aber er ist entsprechend „sozialisiert“. Wesentlich frappanter stellt sich die Dichotomie von Selbstorientierung und Kollektivorientierung beim Anwalt selbst dar. Seine Rolle als Anwalt, die ihn treffenden Rollenerwartungen verlangen normativ etwa für das Sozialsystem (also das Kollektiv) Anwalt – Mandant eine möglichst optimale rechtliche, an Interessen ausgerichtete Beratung und Vertretung durch ihn.704 Ein etwaiges Eigeninteresse (Selbstorientierung) des Anwalts, z. B. möglichst wenig Zeit mit dem Mandanten zu verbringen, damit die Gebührensätze noch Gewinn versprechen, soll dahinter zurücktreten. Allerdings nötigt die Rolle des Anwalts auch nicht ungebremsten Altruismus ab. An dieser Stelle zeigt sich weiterhin ein Aspekt, der zuvor innerhalb der Erörterung bei Dahrendorf schon aufgegriffen wurde. Die (normativen) Rollenerwartungen an den Anwalt kommen nicht nur über den Anwaltsvertrag, sondern auch über das anwaltliche Berufsrecht zum Tragen. Namentlich die §§ 1 – 3 BRAO705 sind hier zu nennen. Über das soziale System Anwalt – Mandant (§ 3 BRAO) trägt etwa § 1 BRAO auch eine (gesamt-)gesellschaftliche Erwartung an den Anwalt heran. Daraus 701
Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 81. Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 81. 703 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 129. 704 Siehe dazu auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 135. 705 Siehe zu §§ 1 und 2 BRAO auch Röhl, Rechtssoziologie, S. 189. 702
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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folgt neben adäquater Mandatsbetreuung auch die Erwartung, dem Rechtsstaat zu dienen, z. B. nicht rücksichtslos Mandanteninteressen „durchzudrücken“.706 Die angegebenen Erwartungen sind stark normativ verankert und sanktionsbewehrt. Eine Reaktion bei Abweichung ist damit eine realistische Möglichkeit und fließt in der Regel in die Bewertung des Anwalts ein. Gleichwohl soll nicht idealisiert werden,707 dass der Anwalt Egoismen (Selbstorientierung), insbesondere ein Gewinnstreben, tatsächlich zurückstellt. Das sind oftmals auch existentielle Fragen. Ein augenscheinliches Zutage treten solchen Gewinnstrebens wird aber nichtsdestotrotz als abweichendes Verhalten wahrgenommen.708 Eine Verhaltensstrategie des Anwalts kann dann dahin gehen, öffentlich offensiv für ein anderes (äußeres) Bild einzutreten, etwa für ein besonderes Eintreten für den Mandanten als Menschen. Eine solche (vorgeblich) kollektive Orientierung in der Rolle kann dann zusätzlich als „Werbeargument“ eingesetzt werden. (3) Universalismus – Partikularismus709 Bei diesem Begriffspaar geht es um die relative Priorität von kognitiven und kathektischen Standards.710 Es geht um die Entscheidung des Handelnden, ob er den appreziativen oder aber den kognitiven Wertestandards in ihrem Verhältnis zueinander Vorrang einräumt, unabhängig von einem etwaigen Vorzug des evaluativen Orientierungsmodus.711 Daran kann sich etwa die Frage anschließen, ob die Rolle den Handelnden zur Berücksichtigung partikularistischer Standards der Situationsbeurteilung verpflichtet, oder er aber universalistische Standards zu beachten hat.712 Erfasst ist das „Dilemma“ des Handelnden in der jeweiligen Situation, ob er die „Objekte“ entsprechend den generellen Normen behandelt, die alle Objekte in der Gruppe betreffen, oder ob er sie so behandelt, wie sich das aus einer bestimmten Beziehung zu ihm oder seiner Kollektivität ergibt.713 So hat etwa der Zivilrichter die Parteien eines Mietstreits grundsätzlich ohne Ansehen der Person als Mieter oder Vermieter zu beurteilen, während z. B. ein Ehegatte, unabhängig von der Rolle, die der andere Ehegatte in einer bestimmten Situation einnimmt, diesen primär als „seinen Ehegatten“ sehen wird.714 Der eigene Ehegatte wird in Abhängigkeit zur Beziehung gesehen. 706
Dazu Röhl, Rechtssoziologie, S. 189. Dazu Röhl, Rechtssoziologie, S. 189. 708 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 135. 709 Dieses Begriffspaar fällt später bei Parsons, namentlich bei der Kombination der Orientierungsalternativen mit dem AGIL-Schema weg; dazu Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 65. 710 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 77 f. 711 So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 129. 712 Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 78. 713 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 81. 714 Selbstverständlich ist auch „Ehegatte“ eine Rolle. 707
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Entsprechend sind auch die Bezüge zum sozialen System. Beim Universalismus besteht die Rollenerwartung darin, dass hinsichtlich der Qualifikationen für die Zugehörigkeit715 und Entscheidungen für unterschiedliches Verhalten716 die Priorität auf Standards gelegt wird, die in gänzlich generalisierter Weise bestehen, unabhängig von der Beziehung.717 Demgegenüber liegt die Rollenerwartung beim Partikularismus hinsichtlich der Priorität bei Standards, die den Vorrang von Werten bezogen auf die Objekte in ihrer besonderen Beziehung zum Handelnden herausstellen.718 Dementsprechend sind auch die Bedürfnisdispositionen im personalen System ausgerichtet.719 Gemessen an diesen Orientierungsmustern besteht für den Anwalt und den Mandanten in ihren Handlungen weiterer Untersuchungsbedarf. „Der Jurist“ soll in seiner Berufsrolle ohne Rücksicht auf andere enge Beziehungen Fälle nach allgemeinen (Rechts-)Normen lösen, ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des bestimmen Falls.720 Diese Aussage muss differenziert betrachtet und kann so nicht stehen gelassen werden. Die Rollen des „Juristen“ unterscheiden sich danach, welche Funktion er bekleidet. Der Richter wird dem Universalismus nahezu uneingeschränkt genügen müssen.721 Der Interessen vertretende Anwalt hat, dies folgt u. a. aus §§ 1 und 3 BRAO, grundsätzlich, eben weil er (auch) Organ der Rechtspflege ist, die Interessen seines Mandanten unabhängig von dessen Person nach allen Seiten hin zu vertreten. Den Rahmen setzt freilich die rechtsstaatliche Ordnung. Gleichwohl ist beim Anwalt eine Form von Partikularismus möglich, ohne dass damit ein Konflikt heraufbeschworen werden muss. So wird etwa ein Dauermandant von „seinem“ Anwalt oftmals erwarten, nicht nur den Anforderungen der anwaltlichen Rolle gemäß behandelt zu werden, sondern als individuelle im Sinne einer besonderen Person. Dem kann ein Anwalt auch durchaus nachgehen, z. B. durch Herausgabe seiner Handynummer oder den Aufbau einer bestimmten, durchaus persönlicheren Beziehung. Die berufsrechtlichen Vorschriften sind insoweit für partikularistische Strömungen „offen“722, soweit der grundsätzliche Rahmen, Einhaltung der Berufsvorschriften, gewahrt wird. Die Rolle des Anwalts erlaubt also solche bestimmten Öffnungen, verlangt sie jedoch nicht.
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Zugehörigkeit dürfte hier im Sinne der Rollenbesetzung zu verstehen sein. Gemeint dürfte das Rollenverhalten sein. 717 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 82. 718 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 82. 719 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 82. 720 So Röhl, Rechtssoziologie, S. 189. 721 Die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls etwa bei der Strafzumessung im Strafverfahren folgen nicht aus dem Partikularismus, sondern aus generellen Normen, z. B. aus § 46 Abs. 1 und 2 StGB. 722 Zu dem Gedankengang auch Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 81 f. 716
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Universalismus und Partikularismus zeigen sich auch innerhalb der Vertragsverhandlung/-gestaltung. Beachtet man etwa innerhalb eines rationalen Verhandlungsmodells bestimmte (erprobte) Verfahrensregeln, so kann man darin durchaus Rollenvorgaben für die Verhandelnden sehen, die in jeder rationalen Verhandlung gelten sollen, egal wer verhandelt. Gleichwohl erlaubt, ja erfordert diese insoweit zunächst universalistische Herangehensweise die Berücksichtigung besonderer Situationen für die Verhandelnden. Indem letztere723 ihre höchst eigenen Interessen einbringen und auch die jeweilige Beziehungsebene, wenn auch unter Trennung von der Sachebene, einfließen lassen können, erwartet man nachgerade (auch) das Einfließen lassen gegenseitiger Egoismen.724 Sollte an einer Verhandlung eine neutrale dritte Person teilnehmen, möglicherweise ein Mediator, ist diese Person jedoch von der Rolle her wieder dem Universalismus verpflichtet. Münden die Verhandlungen in einen juristischen Vertrag, kann damit, sofern etwa ein gesetzlicher typisierter Vertrag gewählt wird, dann der Übergang stärker zum Universalismus für die Vertragsparteien beschritten sein. Diese müssen sich in nachfolgenden Situationen grundsätzlich nach den allgemeinen Vorgaben der (vertraglichen) Rollen verhalten, z. B. der des (typischen) Vermieters. Besonderheiten, das heißt Partikularismus, bleibt aber möglich, z. B. durch individuelle vertragliche Regelungen oder einer tatsächlich anders gelebten Vertragsrealität, die neues Vertrauen in „atypische“ Abläufe begründet. (4) Zuschreibung – Leistung/Eigenschaft – Leistung Bei dieser Differenzierung geht es darum, ob bestimmte (soziale) Objekte als Qualitätskomplexe oder als Leistungskomplexe gesehen werden.725 Parsons726 verwendete dafür zunächst das Begriffspaar „ascription – achievement“. Im sozialen System geht die Rollenerwartung bei der Zuschreibung („ascription“) dahin, dass der Rolleninhaber, wenn er sich an anderen sozialen Objekten in der jeweiligen Situation orientiert, seine Priorität auf die dem Objekt gegebenen Attribute setzt. Es ist egal, ob diese universell oder partikularistisch definiert sind. Er setzt dies über die aktuelle oder potentielle Leistung des anderen.727 Orientierung sind die Eigenschaften, die mit dem Tun nicht direkt zusammenhängen.728 Im Fall des „achievement“ geht die entsprechende Erwartung dahin, bei der Orientierung an sozialen Objekten in der relevanten Situation die Priorität auf die 723
Das heißt der Mandant bzw. der Dritte, ggf. auch über einen Vertreter. Es geht nunmehr um die inhaltliche Ebene, nicht mehr um die reine Verfahrensebene. 725 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 77 f. Zur Übernahme der Begriffe von Linton siehe u. a. Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 64. 726 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 77 f. 727 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 83. 728 Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 64. 724
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
aktuelle oder erwartete Leistung des Objekts zu setzen; Attribute sind irrelevant im Zusammenhang mit dieser Leistung.729 Der Umgang mit diesen Mustern ist nicht ganz einfach.730 Die „Rollenerwartung“, die hier zunächst formuliert ist, richtet sich auf denjenigen, der sich orientiert und zwar eben an der Zuschreibung oder Leistung des anderen. Röhl731 gibt hier als Beispiel den autoritätsgläubigen oder den demokratischen Akteur. Im Grunde liegt aber der Hauptfokus auf der Erwartung an den anderen Handelnden und dessen Rolle. So formuliert denn auch Schimank732 die relevante Frage gehe dahin, ob die Rolle des Handelnden733 die Erfüllung bestimmter Leistungskriterien verlangt, oder ob sie ihm aufgrund leistungsunabhängiger Attribute, wie etwa sozialer Herkunft, zugeschrieben ist. Das Variablenpaar erfuhr später eine neue Bezeichnung: „quality – performance“.734 Parsons fasste das erste Begriffspaar als zu speziell auf.735 Damit kommt namentlich in Bezug auf die „performance“ noch stärker zum Ausdruck, dass es um die Beurteilung des Handelns durch andere geht.736 Allgemein kann man auch sagen, dass die Orientierungsalternative darin besteht, ob ein Partner danach beurteilt wird, was er ist, oder nach dem, was er tut.737 Der Anwalt, der vom Mandanten als anderer Handelnder gesehen wird, wird oftmals durch sein fachliches Können bzw. seine Erfolge beurteilt.738 Dieser Vorgang ist aber keineswegs selbstverständlich. Ein Bereich, in dem es zu Verwischungen kommen kann, ist etwa dort gegeben, wo auf Fachbezeichnungen oder akademische Titel abgestellt wird (z. B. Fachanwalt oder Doktor). Zwar sind diese Bezeichnungen in der Regel durch Leistung erworben, sind also auch zumindest für die (gute) zu erwartende Leistung ein Indiz. Teilweise ziehen sie jedoch das Phänomen nach sich, dass ihnen nach einmaligem Erwerb die Qualität einer Zuschreibung zukommt, ohne (noch) auf (weitere/anschließende) Leistungen abzustellen. Beispielhaft sei auf eine Stellenanzeige aus der NJW739 hingewiesen:
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Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 83. Wiederum finden sich hier entsprechende Bedürfnisdispositionen in den jeweiligen personalen Systemen, Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 83. 730 Zum Begriffswechsel sogleich. 731 Röhl, Rechtssoziologie, S. 187. 732 Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 78. 733 Das heißt also des anderen. 734 Dazu Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 35. 735 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 35; siehe dazu auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 64. 736 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 154. 737 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 94. 738 Zur Problematik Röhl, Rechtssoziologie, S. 189. 739 NJW-aktuell 41/2010, S. 35.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
589
„Professor/-in als Namenspartner gesucht für RA-Partnerschaftsgesellschaft. RA-Zulassung erforderlich. Keine wesentliche Mitarbeit, Haftungsfreistellung, Pauschalhonorar. Zuschriften erbeten unter (…).“
Offensichtlich wird darauf spekuliert, dass künftige Mandanten Qualität annehmen, obwohl eine tatsächliche Leistung des Betreffenden gar nicht erfolgen wird. Wie wichtig die Orientierung an tatsächlicher Leistung ist, zeigt sich wiederum in der Vertragsverhandlung. Die Berufsbezeichnung „Anwalt“ lässt z. B. keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, ob die in der Verhandlung erforderlichen Fähigkeiten vorliegen, u. a. Verhandlungskenntnisse, Gesprächsführung, sprachliche Fertigkeiten. Der Umstand, dass dies formal zur juristischen Ausbildung gehört740 bzw. zu den erwartbaren Fertigkeiten eines Anwalts, lässt die Orientierung an tatsächlicher Leistung (leider) nicht entbehrlich werden. (5) Spezifität – Diffusität Dieses Musterpaar betrifft das Maß der Bedeutung des Objekts.741 Gegenüber einem Objekt muss ein Handelnder zwischen verschiedenen möglichen Handlungsradien, innerhalb derer er auf das Objekt reagieren will, wählen. Das Dilemma besteht darin, ob er auf viele Aspekte in Bezug auf das Objekt reagieren sollte oder auf einen beschränkten Radius.742 Er muss also im Besonderen entscheiden, inwiefern gerade ein anderes soziales Objekt zum Gegenstand kathektischer Besetzung wird oder nicht.743 Diese Besetzung kann sich auf den anderen in seiner Gänze beziehen, allerdings ebenso auf einen bestimmten Bereich von Interessen beschränkt werden.744 Diese Überlegung stellt sich auch in umgekehrter Richtung, das heißt bezüglich der Ansprüche, die der andere Handelnde an einen selbst richtet.745 So zeigt sich etwa in einem sozialen System die Spezifität darin, dass die Rollenerwartung dahingehend besteht, dass der Rolleninhaber sich an spezifischen Erwartungen (gerade spezifischen Rollenerwartungen) anderer ausrichtet. Allgemein kann man fragen, ob die Rolle auf funktional spezifische Erwartungen hin angelegt ist746 bzw. ob das (andere) soziale Objekt den Akteur gegenüber auf eng 740
Siehe u. a. § 5a Abs. 3 Satz 1 DRiG bzw. § 5d Abs. 1 Satz 1 1. HS DRiG. Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 77 f. 742 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 83. 743 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 128. Gerstenmaier/ Hamburger, Erziehungssoziologie, S. 71, bezeichnen Diffusität dahingehend, dass die Bedeutung eines sozialen Objekts für das Handeln nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt sei. Spezifität meine, die Bedeutung eines sozialen Objekts ergebe sich aus kathektischen oder instrumentellen Erwägungen und sei auf einen bestimmten Bereich beschränkt. 744 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 128. 745 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 128. 746 Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 78. 741
590
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
definierte Ansprüche hin beschränkt ist747. Beispielhaft wird dies sogleich für die anwaltliche Rolle erläutert.748 Im Fall der Diffusität749 richtet sich die Rollenerwartung dahin, dass der Rolleninhaber an der Stelle seiner entscheidenden Wahl(ausübung) (bezüglich des Handelns) jede potentielle Bedeutung eines (anderen) sozialen Objekts, einschließlich einer Verpflichtung gegenüber diesem, die mit seinen anderen Interessen und Verpflichtungen kompatibel ist, akzeptieren wird750; der Rolleninhaber wird dieser Erwartung gegenüber jeder Disposition, seine Rollenausrichtung (nur) auf einen beschränkten Bereich bezüglich des Objekts einzuschränken, Priorität einräumen.751 So wird die Mutter in der Regel in ihrer „Mutterrolle“ ihr Handeln diesbezüglich an den gesamten Lebensbereichen, die ihr Kind erfassen, ausrichten. Sie begrenzt es nicht auf einen Bereich, z. B. auf den des Kindes als Schüler. Allgemein kann man sagen, der Handelnde sieht sich (jeweils) diffusen Erwartungen gegenüber,752 er muss im jeweiligen Handlungszusammenhang viele (Neben-)Bedingungen berücksichtigen.753 Die Spezifität hat u. a. beim Anwalt eine besondere Bedeutung. Der Interessen vertretende Anwalt definiert (idealerweise) seine Rolle entlang den Regeln des Berufsrechts und des sonstigen staatlichen Rechts,754 wobei sich daran jeweils wieder der Anwaltsvertrag anschließt. Besonders das Haftungsrecht kommt dabei erneut zum Tragen. Die Definition seiner Rolle erfolgt daher vor allem über rechtliche Beratung und Interessenwahrnehmung unter Zuhilfenahme des Rechts. Nur in dem Umfang wird der Anwalt sich für die Belange des Mandanten interessieren wollen, ggf. auch nur dürfen (Organ der Rechtspflege).
747
Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 128. Hingewiesen sei noch darauf, dass die Bedürfnisdisposition des Handelnden darin besteht, auf ein gegebenes Objekt in einer begrenzten Weise oder in einem begrenzten Kontext zu antworten, auch hinsichtlich etwaiger Verpflichtungen ihm gegenüber; Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 83. Eine entsprechende Disposition wird man in der Regel etwa bei einem Anwalt ausmachen können, der dem Mandanten nur als Mandanten begegnen möchte und nur bezüglich der Verpflichtungen, die aus dem Anwaltsvertrag resultieren. 749 Es besteht auch die Bedürfnisdisposition, einem Objekt in jedweder Weise zu antworten, die die Natur des Handelnden und die Natur des Objekts erfordert; Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 83. 750 Dem (anderen) sozialen Objekt wird also eingeräumt, jedweden erfüllbaren Anspruch dem Akteur gegenüber geltend zu machen, so Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 128. 751 Parson/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 84. 752 Dazu Schimank, Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, S. 78. 753 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 152. 754 Zum kulturellen Aspekt, wonach im Fall der Spezifizität Normen vorschreiben, sich nur mit einer bestimmen Sphäre in Bezug auf das Objekt zu beschäftigen, Parson/Shils, Values, Motives, and System of Action, S. 45, 83. 748
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
591
Eine daran anknüpfende Erwartungshaltung ist in der Regel gegenseitig, erwartet dies doch der Mandant auch von seinem Anwalt. Darüberhinausgehende Erwartungen755 wird der Anwalt dem Mandanten zumeist nicht zubilligen/zubilligen müssen; soweit erforderlich wird er idealerweise überbordende Erwartungen bei entsprechenden Hinweisen im Wege der Aufklärung beseitigen („kein Sozialarbeiter“). Diese Spezifität ist grundsätzlich auch bei der Besetzung der anwaltlichen Rolle in der Vertragsverhandlung der Orientierungspunkt. Der Umgang damit kann sich jedoch schwierig gestalten. Denn der Anwalt muss berücksichtigen, dass die Naturalparteien756 selbst sich untereinander mit Spezifität wie mit Diffusität begegnen können. Steuern die Verhandlungen von Beginn an mehr oder weniger auf einen bestimmten Vertragstyp zu, z. B. Miete oder Dienstvertrag, so werden sich die Parteien selbst auch schon im Vorfeld des eigentlichen Vertrags vor allem aufgrund der künftigen Vertragsrollen (gegenseitig) definieren und anderes oftmals ausblenden. Sobald die Verhandlungen aber komplexere Bereiche abzudecken beginnen, hier sei nochmals auf die Bedeutung der Berücksichtigung unterschiedlichster Interessen innerhalb des rationalen Verhandlungsmodells verwiesen, setzt eine Bewegung hin zur Diffusität bezüglich der Parteien ein. Sollen beispielsweise vertragliche Regelungen gefunden werden, die ein (entgeltliches) Wohnrecht eines möglicherweise einmal pflegebedürftig werdenden Familienangehörigen betreffen, so sehen sich die Parteien unter unterschiedlichsten Bedingungen: als Familienangehörige, Geldgeber, Mitbewohner, Schutzbedürftiger/-befohlener. Die Rollen, auf die man sich ausrichtet, sind dann diffus. Im Grunde ist das rationale Verhandlungsmodell, in das unterschiedlichste Interessen einfließen sollen, insoweit auf Diffusität hin angelegt. Der Anwalt, aus der Spezifität seiner Berufsrolle herauskommend, muss in seine Überlegungen eine solche Diffusität der (potentiellen) Parteirollen miteinschließen, will er den an ihn gerichteten funktional spezifischen Erwartungen seines Mandanten gerecht werden. So muss der Anwalt etwa Überlegungen dahingehend anstellen, inwieweit ein juristischer757 Vertrag tauglich ist, mit diffusen Erwartungen der (späteren) Vertragsparteien umzugehen. Können die Rollen der Parteien, die in der Verhandlung diffus sind, durch den Vertrag (die Rolle der „Vertragspartei“) tatsächlich durch bestimmte Vertragspflichten letztlich spezifiziert werden? Oder wird nicht weiterhin Diffusität vorhanden bleiben, etwa, weil die Parteien miteinander verwandt sind? Muss der Anwalt dem nicht vertragsgestalterisch Rechnung tragen, z. B. durch den Einbau von Kommunikationsklauseln oder besonderen Kündigungsrechten? Alle diese Überlegungen gehören zu des Anwalts spezifischer Rolle.
755
In die Richtung von Diffusität. Jedenfalls soweit dies natürliche Personen und sie außerdem in der Verhandlung selbst anwesend sind. 757 Hier ist der offensichtliche Bezug zur spezifischen Anwaltstätigkeit. 756
592
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Schließlich, und das ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt, muss sich der Anwalt immer vergegenwärtigen, ob seine Rolle nicht von der Spezifität hin zur Diffusität „mutieren“ kann. Das kann etwa in einem bestimmten Umfang der Fall sein, wenn der Anwalt sich im Rahmen der Vertragsverhandlungen als „Mediator geriert“. cc) Zwischenresümee Die pattern variabeles sind nach wie vor ein (taugliches) Analyseinstrument, um anwaltliches Handeln zu „verstehen“ und damit (weitere) Reflexionsmöglichkeiten zu eröffnen. Innerhalb eines wissenschaftlichen Umgangs mit der anwaltlichen Tätigkeit innerhalb der Vertragsgestaltung finden sich hier Ansätze, gerade auch unter Nutzung des Rollenverständnisses, die Abläufe erklärbar und damit im gewissen Umfang auch steuerbar machen. Das gilt für diese Zwecke selbst vor dem Hintergrund, dass die pattern variables später bei Parsons mit der Entwicklung des AGIL-Schemas an (eigenständiger) Bedeutung verlieren. e) AGIL-Schema Im weiteren Verlauf der Theorieentwicklung bei Parsons treten die pattern variables bei ihm als analytisches Instrumentarium zurück;758 sie tauchen allerdings in Kombination mit dem Vier-Felder-Schema (AGIL-Schema) bei Parsons weiterhin auf759. Diesem AGIL-Schema hat ebenfalls aus der Vielfalt Parsonscher Theorien hier Aufmerksamkeit zuzukommen. Denn es ist namentlich dieser Bereich, in dem Parsons Ausführungen zum Vertrag macht. Zudem kann hier eine Brücke zu den im Zusammenhang mit Durkheim gemachten Überlegungen bezüglich der nichtvertraglichen Elemente des Vertrags geschlagen werden. Mit dem AGIL-Schema werden Aufgaben ausgearbeitet, vor deren Lösung jedes System steht. Es geht um die Lösung der Aufgaben, um als System bestehen bleiben zu können. Parsons nennt sie u. a. „four fundamental sets of exigencies or functional problems“760. Bestimmt werden sollen die funktionalen Bezugspunkte der Strukturen und Prozesse eines Systems, die Systemgleichgewichte.761 Das System regelt seinen 758
Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 176, unter Hinweis auf den endgültigen Übergang zur Theorie der Handlungssysteme bei Parsons. 759 Dazu Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 65. 760 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, S. 612, 631. 761 Siehe Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 29; siehe auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 248 f. Zur Begrifflichkeit vgl. auch Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 99, der sie bei Parsons bilanzierend wie folgt definiert:
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
593
Bestand über funktionale Leistungen, die im System selbst angelegt sind.762 Die Aufrechterhaltung des Systems geht allerdings nicht ohne Öffnung zur Umwelt.763 Die Frage ist etwa, was geschehen muss, damit aufeinander bezogene Handlungen sich in Bezug auf die Umwelt als eigenständiges System abgrenzen und reproduzieren können.764 Es geht folglich um eine Öffnung nach außen, aber auch um die Schaffung innerer Stabilität.765 Betrachtet man etwa den Vertrag als (eigenes) System, so geht es darum, wie diesem innere Stabilität verschafft werden kann, er zwischen den Beteiligten funktionieren kann, nicht zuletzt in der sozialen Umgebung, in der er angelegt ist. Die funktionalen Leistungen, die jedes System erbringen muss, sind: Anpassung („adaption“), Zielverwirklichung („goal-attainment“), Integration („integration“) und latente Spannungsregulierung und Musterhaltung („tension management und latent pattern maintenance“).766 In der Regel wird unter Bezugnahme darauf eben die Abkürzung AGIL(-Schema) verwendet. Die darin liegende Reihenfolge ist gleichwohl nicht zwingend. Die nachfolgende Übersicht hinsichtlich des Inhalts der Funktionen orientiert sich an der Reihenfolge, die Parsons767 mit Blick auf den Vertrag vornimmt. aa) Einzelne Funktionen (1) G-Funktion („goal-attainment“) Goal-attainment betrifft, wie auch die A-Funktion, die Beziehung des Systems zu seiner Umwelt,768 des Systems zu seiner Situation769. Es geht dabei um die HinSystem: Zusammenhang sozialer Tatsachen, Ereignisse und Prozesse, die wechselseitig aufeinander wirken, die wechselseitige Einwirkung tendiert zum Erhalt des Systems. Struktur: Ordnung der Beziehungen zwischen Einheiten; die Ordnung tendiert zum harmonischen Gleichgewicht zwischen den Einheiten. Funktion: Aufgabe oder Zweck des Systems (oder eines seiner Teile) sowie Beitrag zur Erhaltung der Struktur; je mehr die einzelnen funktionalen Leistungen aufeinander abgestimmt sind, umso stabiler ist das System, störende Leistungen sind dysfunktional. 762 Siehe Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 205. 763 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 144; dort auch der Hinweis, dass Parsons schon früher von „System“ sprach, es jetzt aber darum geht, es als umweltoffen zu zeigen. Zur Öffnung auch Damm, Systemtheorie und Recht, S. 88; Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 159. Siehe bei Parsons/Bales, The Dimensions of Action-Space, S. 63, 92, zum „interchange“. 764 So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 144. 765 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 204; Schwanenberg, Soziales Handeln, S.163; siehe auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 147. 766 U. a. Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 631; Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 19. 767 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 107 ff. 768 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89.
594
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
wendung des Systems zu einer möglichst optimalen Beziehung zu seiner Umwelt/in der jeweiligen Situation.770 Es erfolgt somit eine Ausrichtung auf einen Zielzustand.771 Gemeint ist also die Fähigkeit eines Systems, Ziele zu setzen und auch zu verfolgen, dazu Realisierungsbedingungen bereitzuhalten.772 Welches letztlich der Zustand der Zielbefriedigung ist („goal-gratification“) bestimmt jeweils das gesamte System.773 Der Prozess des goal-attainments ist ein sich bewegender, was u. a. daraus resultiert, dass sich die Beziehung zur Umwelt verändern kann. (2) A-Funktion („adaption“) Voraussetzung für die Zielerreichung ist die „Anpassung“.774 So müssen sich Systeme etwa an ihre äußere Situation anpassen, sich auf sie einstellen.775 „Adaption“ betrifft, im Anschluss an die vorherigen Überlegungen, wie „goal-attainment“ ebenfalls die Beziehung zwischen System und Umwelt.776 Bedeutsam ist dabei allerdings, dass es auch darum geht, die Systemumwelt zu „manipulieren“777, das System muss ebenfalls in der Lage sein, die Umwelt aktiv in seinem Sinn zu verändern778. „Adaption“ ist, nochmals, die Voraussetzung für das „goal-attainment“.779 769
632. 770
Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612
Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 632; dazu auch Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89; Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 29. 771 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89. 772 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 130, verdeutlicht die Funktionen des AGIL-Schemas anhand des sozialen Systems eines Kirchenchores. Bezüglich der G-Funktion führt er aus, der Kirchenchor sage, welche Lieder gesungen werden sollten und was er damit erreichen wolle, etwa Erbauung. Natürlich müsse der Chor auch geeignete Mittel finden (u. a. geübte Stimmen), um diese Ziele zu verwirklichen. 773 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89; auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 29. Im Beispiel Abels mit dem Kirchenchor bestimmt etwa der gesamte Chor, dass die Zielbefriedigung in der Erbauung anderer (höherer Kirchenbesuch) zu sehen ist. 774 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 214; siehe ferner Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 204. Siehe aber auch Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89, wonach es inkonsequent ist, die adaptive Funktion nur in ihrer Bedeutung für die GFunktion zu untersuchen. 775 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 204; nach Abels, ebenda, S. 100., ist davon eine äußere, aber auch eine innere Anpassung umfasst. 776 Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89. 777 Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 29. 778 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 100. 779 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 130, führt dazu in Bezug auf sein Beispiel eines Kirchenchores als soziales System Folgendes beispielhaft auf: Der Kirchenchor sei im Normalfall bereit und in der Lage, Kirchenlieder zu singen. Das erwarte die Kirche von ihm, und dieses Interesse hätten zunächst einmal auch die Chormitglieder. Das soziale System Kirchenchor und seine kulturelle Umwelt Kirche seien im Einklang. Aller-
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Wie bei der G-Funktion geht es auch bei der A-Funktion darum, Kapazitäten aufzubauen, um auf die Umwelterfordernisse adäquat zu reagieren.780 Die AFunktion ist insoweit allgemein darauf angelegt, möglichst zahlreiche Ressourcen und Fähigkeiten bereit zu halten, um auf etwaige Veränderungen reagieren zu können.781 (3) I-Funktion („integration“) Anders als goal-attainment und adaption, die auf die Öffnung des Systems zur Außenwelt (mit) abzielen, steht die Integration (wie auch die Latenz) dafür, das System in seiner inneren Stabilität zu erhalten.782 Integration betrifft innere Systemstrukturen783 und dabei das Problem der Beziehungen zwischen den Einheiten des Systems784. Diese Funktion befasst sich damit, dass die jeweiligen Systemeinheiten auch Objekte zueinander sind und zwar in einem überwiegend kathektischen Sinn. Systemintegration meint dann u. a. die gegenseitige kathektische Einstellung dieser Einheiten zueinander hinsichtlich der inneren Harmonie oder, namentlich in Bezug auf soziale Systeme, die Solidarität oder den Zusammenhalt des Systems.785 Allgemein kann man formulieren, es geht darum, alle Systemelemente so zu integrieren, dass sie zur Zielerreichung beitragen.786 dings könnten sich die Bedingungen einer anderen Umwelt ändern, so wenn frommer Nachwuchs ausbliebe. Dann würde das soziale System Kirchenchor versuchen, herauszubekommen, woran das liege und z. B. feststellen, dass der Nachwuchs andere Vorstellungen von der politischen Verantwortung der Kirche hätte. Also werde sich der Chor um ein neues Liederbuch kümmern, passe sich also den veränderten Bedingungen an. Allerdings müsse er auch die Kirchenoberen zu einem neuen Denken bewegen, verändere also letztlich seine äußeren Bedingungen. 780 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 249. Die A-Funktion besteht nicht in einem direkten Gewinn von Befriedigungsobjekten, Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89; siehe auch Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 633, „(…), without reference to any one particular goal interest. (…)“. 781 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 249. Beispiele sind die Ansammlung von Geld, Macht und Prestige, Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 29. Zur „generalization of facilities“ siehe Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 633. Bezogen auf das von Abels entwickelte Beispiel mit dem Kirchenchor würde das in Fortführung durch die Verfasserin etwa bedeuten, dass der Chor grundsätzlich Ressourcen wie Geld bereithalten sollte, um z. B. neue Gesangsbücher anschaffen zu können. Letztere sind spezifische Mittel, um die Ziele in der (veränderten) Umwelt umzusetzen. 782 Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 163. 783 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 633. 784 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 50. 785 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 623, 636; dort auch dazu, wenn das System intrapersonal ist und es um die Vermeidung innerer Konflikte geht. 786 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 100.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Das System soll sein Gleichgewicht nach innen wahren, die Systemeinheiten haben sich wechselseitig so anzupassen, dass ein fließendes Gleichgewicht besteht.787 Das kann vor allem bedeuten, dass die Beziehungen zwischen den Mitgliedern des Systems in Einklang zu bringen sind.788 Notwendig ist die I-Funktion u. a. vor dem Hintergrund, dass wegen des zuvor beschriebenen Wandels im Verhältnis System – Situation/Umwelt die Beziehungsmuster der Einheiten immer wieder zur Solidarität geführt werden müssen.789 Es sind folglich die Probleme zu lösen, die durch die Prozesse interner Differenzierung entstehen, welche Reaktionen auf veränderte Umweltanforderungen sind.790 Potentielle Konflikte gilt es abzuschwächen, die Systemelemente sind zu verstärken. Zusammenfassend kann man sagen, die I-Funktion ist der Schauplatz der Spannung zwischen Normativität und Konditionalität; sie behandelt das Problem der Ordnung.791 (4) L-Funktion („latent pattern maintenance and tension management“) Auch die so genannte L-Funktion betrifft die Regelung von inneren Systemproblemen; es geht um die Regelung von Zuständen/Prozessen innerhalb der Systemeinheiten.792 Zielausrichtung ist die Sicherung der dauerhaften Identität des Systems.793 Gerade weil die Funktion auf das Systeminnere ausgerichtet ist, so sorgt sie doch (auch) dafür, dass das System beim Umgang mit seiner Umwelt sich seine eigene innere Stabilität und Ordnung erhält.794 So kommt es hier etwa ebenfalls zur Kontrolle bezüglich des Austauschs des Systems mit der Umwelt, das heißt, ob der Input zum System selbst passt.795 Angesichts dessen sowie unter Bezugnahme auf die Identitätswahrung wird die Funktion dahingehend umschrieben, dass das System sich trotz etwaiger Anpassungen und Konsumtionen seine Identität in Form der
787
Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 204. Röhl, Rechtssoziologie, S. 390. In dem Beispiel mit dem Kirchenchor heißt das etwa in Fortführung durch die Verfasserin, dass Regelungen bestehen, wer welchen Part singen soll, oder dass die vorhandenen Mittel funktionsgemäß zugewiesen werden, z. B. wie viele Sänger sich ein Gesangbuch teilen müssen. 789 Siehe Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30. 790 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 249. 791 So Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89. 792 Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30. Siehe bei Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 50, die Differenzierung zwischen „intermit relationship“ und „intramit states and processes“. Erstere ist eben der I-Funktion zuzuweisen. 793 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 205; siehe auch Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 163. 794 Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 163; zur Störung von außen Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 634. 795 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 205. 788
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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motivationalen und kulturellen Strukturmuster erhalten müsse.796 Röhl797 spricht davon, die Motivation und Wertvorstellungen der Mitglieder müssten ständig gepflegt und erneuert werden, so dass ihre Aktivitäten nicht erlahmten.798 Im Einzelnen wird innerhalb der Funktion zwischen zwei (Teil-)Aufgaben unterschieden.799 Zum einen stellt Parsons auf die so genannten „pattern maintenance“ ab.800 Damit wird die Sorge dafür umschrieben, diejenigen Verhaltensmuster beizubehalten, die der Wert- und Normenordnung des Systems entsprechen.801 Es wird so der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Systemeinheiten bewegen sollen.802 Für die latente Strukturerhaltung werden gemeinsame Orientierungsmuster erlernt und im Bewusstsein verankert;803 es sind diese latenten Muster, die die Beziehungen der Mitglieder innerhalb des Systems regeln.804 Eine weitere und besondere („primary“) Aufgabe liegt im so genannten „tension management“.805 Beschrieben wird diese Aufgabe als Kontrolle in den Systemeinheiten bezüglich der dort nötigen motivationalen Bereitschaft, das heißt hinsichtlich eines Engagements bezogen auf die Erhaltung der allgemeinen und obersten Werte und Normen des Systems;806 es geht um die Kontrolle disruptiver, zur Verhaltensabweichung drängender Spannungen. Verkürzt kann man es dahingehend formulieren, dass die Motivation der Systemeinheiten so zu stützen ist, dass diese an dem 796
Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 135, unter Hinweis auf Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 197. 797 Röhl, Rechtssoziologie, S. 390. 798 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 130, führt diesbezüglich zu seinem Beispiel mit dem Kirchenchor aus, die L-Funktion bedeute, dass sich der Kirchenchor regelmäßig treffe, dass man sich über Sinn und Zweck der Übung verständige, dass alle regelmäßig den Kirchenboten läsen usw. Jedenfalls entwickle das soziale System ein Gruppenbewusstsein, das auch dann bestehen bliebe, wenn man einmal drei Wochen nicht geübt habe. 799 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 634 f.; siehe auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30; darauf auch verweisend Damm, Systemtheorie und Recht, S. 89 f. 800 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 634. 801 So Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30. 802 Siehe auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 249, der von einem Grundmuster, aufgefasst als definierende und kontrollierende Handlungskomponente spricht, die für Kontinuität auf Zeit sorgt. 803 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 205. 804 Es sei nochmals auf Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 130, und sein dortiges Beispiel mit dem Kirchenchor verwiesen. Indem der Chor sich etwa regelmäßig trifft und sich über Sinn und Zweck der Übung verständigt, sind solche Muster vorhanden. Der Chor besteht in seiner Struktur weiter, auch wenn man sich einmal nicht trifft. 805 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 634 f. 806 So Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30; darauf verweisend u. a. Damm, Systemtheorie und Recht, S. 90.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Fortgang des Systems mitwirken.807 Hier kommt den oben beschriebenen Mustern wieder eine besondere Bedeutung zu. Bezeichnend für die L-Funktion ist schließlich die Latenz („latency“).808 In einer Umschreibung heißt es bei Parsons809 „(…) phase of no observable interaction between the units as members of the system which is the point of reference. (…)“. Im jeweils übergeordneten Interaktionensystem ist also selbst kein Vorgang beobachtbar.810 Die Verbindung zu den bereits beschriebenen Bereichen der Funktion erschließt sich dadurch, dass während der Unterbrechung der Interaktion die Aufgabe besteht, die motivationalen und kulturellen Muster beizubehalten gerade mit Blick auf die Wiederaufnahme des Systems.811 Die motivationalen und kulturellen Muster812 wirken also weiter. Ihnen kommt in der latenten Phase zudem die Bedeutung zu, als Grenzen für Verpflichtungen zu anderen Handlungssystemen zu fungieren, die ansonsten möglicherweise die Wiederaufnahme des Systems be- oder verhindern.813 Abschließend sei bereits hier auf eine Problematik verwiesen, die sogleich im Kontext mit der Anwendung des AGIL-Schemas auf den Vertrag noch relevant wird. Nach dem zuletzt Ausgeführten liegt die Aufgabe der motivationalen Konformität eigentlich innerhalb der L-Funktion. Andererseits siedelte Parsons selbst814 die Kathexis durchaus in der I-Funktion an. Es spricht somit einiges dafür, dass es auch oder nur dort um die Austragung der Spannung zwischen Normativität und Motivation geht,815 ein Bereich, der für die interessengeleitete Vertragsverhandlung/gestaltung besondere Beachtung verdient.
807
Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 205. Parsons/Bales/Shils, Phase Movement in Relation to Motivation, Symbol Formation, and Role Structure, 163, 185. 809 Parsons/Bales/Shils, Phase Movement in Relation to Motivation, Symbol Formation, and Role Structure, 163, 186. 810 Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 133. Bezogen auf das von Abels entwickelte Beispiel mit dem Kirchenchor heißt das etwa, dass die Gruppe sich nach der Probe aufgelöst hat. 811 Parsons/Bales/Shils, Phase Movement in Relation to Motivation, Symbol Formation, and Role Structure, 163, 185. Im Chorbeispiel hieße das also, die Motivation zu stützen, am Fortgang der Choraktivitäten weiter mitzuwirken. 812 Im Chorbeispiel etwa die gemeinsame Verständigung (Regeln) über Treffen oder Informationsmails. 813 Parsons/Bales/Shils, Phase Movement in Relation to Motivation, Symbol Formation, and Role Structure, 163, 185. Im Chorbeispiel bestehen etwa geregelte Zeiten für die Proben; zu diesen Zeiten sind dann keine anderen Verpflichtungen einzugehen. 814 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 636. 815 Zum Vorstehenden Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 164. 808
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
599
bb) Anwendung/Umsetzung des AGIL-Schemas Das AGIL-Schema findet Anwendung in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Interessant sind u. a. die Funktionen der Subsysteme des allgemeinen Handlungssystems, nämlich kulturelles System (L), soziales System (I), Persönlichkeitssystem (G) und Verhaltenssystem (A).816 Die Subsysteme des Gesellschaftssystems unterteilen sich in kulturelles Treuhandsystem (L), Gesellschaftliche Gemeinschaft (I), Politisches System (G) und Ökonomisches System (A).817 Die pattern variables818 werden wie folgt zugeordnet: Spezifizität/Universalismus (A), Leistung/Affektivität (G), Neutralität/Eigenschaft (L), Diffusität/Partikularismus (I).819 Von besonderer Bedeutung ist auch die Anwendung des AGIL-Schemas auf die Vertragsparteien, die Vertragsverhandlungen und den Vertrag selbst. Hieran sollen wiederum unterschiedliche Weiterungen bezüglich möglicher Reflexionen hinsichtlich des Vertrags und der Vertragsverhandlungen aufgezeigt werden. cc) AGIL-Schema und Vertragsverhandlungen sowie Vertrag (1) Einführung Parsons/Smelser820 betonen, dass der Vertrag zwei Handlungssysteme verbindet. Sie greifen auf das AGIL-Schema, jedoch in einer leicht veränderten Weise, zurück, um die sozialen Beziehungen, die in einem Vertrag bestehen, zu analysieren. Eine Partei in einer vertraglichen Beziehung handelt, so Parsons/Smelser821, in einer Rolle im gewöhnlichen soziologischen Sinn. Diese Rolle sei ein Subsystem eines sozialen Systems, an dem die Partei zurzeit partizipiere.822 Als ein Handlungssystem folge die Rolle dann dem AGIL-Schema.
816
Siehe dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 149. Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nach Parsons jedes (Sub-)System oder (Sub-Sub-)System wieder dem AGIL-Schema „gehorchen“ muss. 817 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 155; siehe auch Münch, Soziologische Theorie, Band 3, S. 78. 818 Unter „Wegfall“ des Paares Selbstorientierung – Kollektivorientierung. 819 Parsons/Bales/Shils, Phase Movement in Relation to Motivation, Symbol Formation, and Role Structure, 163, 180 ff.; siehe auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 67. Dort auch jeweils dazu, dass jede Variable (sekundär) auch zu einer anderen Funktion gehört; Einzelheiten, ebenda. 820 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 107. 821 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 107. 822 Röhl, FS für Schelsky, 435, 465, sieht die Rolle als Subsystem des Handlungssystems „Vertragspartei“. Letztlich zeigt sich hier bereits die Bedeutung der Rolle als Schnittstelle zwischen verschiedenen Systemen.
600
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Im Vorfeld der Untersuchung der einzelnen Funktionen, die Parsons/Smelser diesbezüglich darstellen, bedürfen die Ausführungen zur Verbindung zweier Handlungssysteme und der Rolle als Subsystem zunächst näherer Erläuterung. Ausgehend von der anwaltlichen Tätigkeit in der Vertragsgestaltung interessieren im Hinblick auf den Vertrag vor allem die jeweiligen Rollen der Parteien, aber auch die Vertragsverhandlung als solche sowie dann der Vertrag selbst, in den diese mündet. Der (geschlossene) Vertrag, so wird bei Parsons/Smelser deutlich, macht ein unabhängiges soziales System aus.823 Auf die Vertragsverhandlung als (eigenes) soziales System gehen Parsons/Smelser nicht ein; gleichwohl wird man ein solches in Betracht ziehen müssen.824 Aufmerksamkeit verdienen weiterhin die oben gemachten Darlegungen, wonach durch den Vertrag zwei Handlungssysteme verbunden werden und die Rolle (als Handlungssystem) ein Subsystem zu dem sozialen System ist, an dem die jeweilige Vertragspartei zurzeit partizipiert. Begreift man als soziales System ein solches, welches durch die Interaktion zweier oder mehrerer Handelnder konstituiert wird,825 so kommen hier die Vertragsverhandlung oder der (geschlossene) Vertrag in Betracht. Das scheinen Parsons/Smelser an dieser Stelle mit dem „sozialen System“, an dem zurzeit partizipiert wird, jedoch nicht zu meinen. Denn wenig später wird die goal-Funktion in Bezug auf jedes teilnehmende System bestimmt,826 welches letztlich an den Vertragsparteien festgemacht wird („system A; system B“)827. Als Handlungssystem, dessen Subsystem die Rolle ist, steht also hier die „Vertragspartei“ an sich.828 Ohne Vertragsverhandlungsbezug bzw. Bezug auf den Vertrag selbst ist ein von Interaktion geprägtes soziales System allerdings kaum auszumachen. Warum jedoch ein Bezug dazu in engem Sinn vorliegt, erschließt sich dann, wenn man untersucht, warum „Vertragspartei A“ und „Vertragspartei B“ Handlungssysteme sind und die Rolle ebenfalls als Handlungssystem bezeichnet wird. „Vertragspartei“ ist dabei zunächst genau genommen so zu verstehen, dass es um die Partei geht, die Vertragspartei werden soll.
823 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 107 f.; siehe auch Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 824 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 199, nennt das Verkaufsgespräch als Beispiel eines Sozialsystems. 825 U. a. Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 614. Dazu, dass Parsons nicht Personen, sondern Interaktionen von Rollenpartnern als Elemente sozialer Systeme definiere, Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 246. Der Akteur als Träger des Rollenhandelns, so Miebach unter Verweis auf Parsons, Zur Theorie sozialer Systeme, S. 278, werde dann nicht als Element, sondern als Mitglied des Sozialsystems betrachtet. 826 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108; siehe auch noch unten. 827 Siehe zum entsprechenden Verständnis Röhl, FS für Schelsky, 435, 465. 828 Ebenso Röhl, FS für Schelsky, 435, 465.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
601
Als eigenes Handlungssystem sieht Parsons u. a. das „personality system“829, das gerade Ego (den Handelnden) selbst als Handlungssystem beschreibt830. Handelnder und Situation zusammen [z. B. (nur) der Käufer in der Kaufsituation] können daher ein System bilden.831 Der „Einzelne“ will seine „need-dispositions“ durch sein Tun befriedigen, weshalb sein Handeln sich zunächst in Bezug auf das personale System erklären lässt. Die Rolle, die wir bisher vor allem hinsichtlich der Begründung von Erwartungen kennengelernt haben, beschreibt Parsons aber auch als Sektor832/Teil des gesamten Handlungssystems des jeweiligen Handelnden.833 Die Rolle umfasst demnach Handlungen des Individuums, die sich dann wiederum in Beziehung zu anderen als Rolle darstellen.834 Gleichwohl umfasst die Rolle eben auch Handlungen des Einzelnen. Zudem, und dies macht den Umgang mit Parsons nicht einfacher, sind die Trennungen zwischen den Systemen analytische.835 Handlungen, die das System des „individuell“ Handelnden ausmachen, sind solche, die sich auch im sozialen System finden.836 Nicht zuletzt ist die Rolle der Schnittpunkt vor allem zwischen dem personalen und dem sozialen System. Somit bleibt als Grundlage der anschließenden Überlegungen festzuhalten: Handlungen in Bezug auf das Persönlichkeitssystem sind dieselben, die sich im sozialen System, z. B. den Vertragsverhandlungen oder dem Vertrag selbst, finden; die Rolle, ebenfalls Handlungen umfassend, bildet die Schnittstelle837. Das Handeln einer Vertragspartei kann/muss sowohl in Bezug auf das persönliche wie auf das soziale System (Vertragsverhandlung/Vertrag) gesehen werden. 829
Zum Persönlichkeitssystem als eigenem Handlungssystem Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 32. 830 Dazu Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 20; siehe auch Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 190. Hierauf ist dann auch grundsätzlich das AGIL-Schema anwendbar. 831 Dazu Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 614. 832 Man kann insoweit ein Subsystem ausmachen, das sich wiederum dem AGIL-Schema öffnen kann. 833 Parsons/Shils, Values, Motives, and Systems of Action, S. 45, 190; dort auch zum Zusammenhang von Persönlichkeitssystem und Rolle. Siehe auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 117, wonach die Rolle nur einen Ausschnitt einer Person des Akteurs betrifft. So ginge der Akteur niemals als „Ganzes“ in eine soziale Beziehung ein. 834 So Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 19; dort auch dazu, dass das Individuum selbst sich aus Rollenhandlungen zusammensetzt. Das Individuum ist aber vom Persönlichkeitssystem zu trennen. 835 Siehe auch Parsons/Shils, Values, Motives, and System of Action, S. 45, 190. 836 Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 20. Siehe auch Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 33, wonach nahezu jede Form menschlichen Handelns Prozesse auf allen vier Systemebenen einschließt. Eine Analyse eines Handlungssystems behandelt die anderen dann als „Umgebung“. 837 Weißhaupt, Rolle und Identität, S. 20.
602
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Ergänzend zu Parsons soll im Weiteren nicht nur der Blick auf die Rolle und auf das (spätere) soziale System (geschlossener) Vertrag838 gerichtet werden, sondern auch auf die Verhandlungen. Schließlich gilt es, die dadurch gewonnenen Erkenntnisse gerade für die anwaltliche Tätigkeit nutzbar zu machen. (2) G-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag Es wurde bereits deutlich, dass bei der Anwendung des AGIL-Schemas im Zusammenhang mit dem „Vertrag“ zwischen einzelnen Systemen zu unterscheiden ist. Das sind die Vertragsparteien (in ihren Rollen) als selbstständige Systeme, die dann im Folgenden aber auch Elemente „neuer“ sozialer Systeme sind.839 Hinsichtlich der letzteren soll, das sei nochmals betont, zwischen den sozialen Systemen „Vertragsverhandlung“ und „(geschlossener) Vertrag“ unterschieden werden. Die G-Funktion, die den Umweltbezug des Systems, die möglichst optimale Beziehung zur selbigen Umwelt und eine Lenkung hin zur größtmöglichen Befriedigung umfasst, bietet nun den Ansatz für unterschiedliche Erkenntnisse im Bereich der Vertragsentwicklung. Zunächst stellt die einzelne Partei ein eigenes (Handlungs-)System dar; insbesondere die Vertragsverhandlungssituation als ein (eigenes) soziales System kann man dann als „Umwelt“ der jeweiligen Partei auffassen840. Für die Behandlung des goal-attainments hat das nun unterschiedliche Folgen: Die jeweilige (einzelne) Vertragspartei hat eigene Zielinteressen bezüglich dessen, was sie erreichen will.841 Beim gegenseitigen Austausch richtet sich das Ziel jedes teilnehmenden Systems darauf, eine erwünschte oder benötigte Beziehung zwischen dem Erwerb von „Input“ und dem entsprechenden „Output“ zu begründen. Interaktionistisch heißt das, der „Output“ von „System A“ ist seine grundsätzliche Leistung, während „System Bs“ „Input“ die korrespondierende „Sanktion“ ist.842 Das gilt vice versa.843 Als Beispiel nennen Parson/Smelser die Produktion und den Verkauf von Gütern, um das erwünschte und benötigte Geld im Gegenzug zu erhalten. Jeder Teil verfolgt somit zunächst das Ziel, sich für seine Leistung eine Gegenleistung zu ertauschen.844 Bei 838 Es ist schlussendlich nicht gänzlich erklärlich, warum Parsons im Grunde „die Vertragspartei“ als soziales System bezeichnet; die Partei steht aber eben nur analytisch getrennt von anderen sozialen Systemen da. 839 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 246, führt aus, Elemente bezüglich des sozialen Systems seien die Interaktionen von Rollenpartnern; der Akteur als Träger des Rollenhandelns ist Mitglied des Systems. 840 Jede Form menschlichen Handelns schließt Prozesse auf allen Systemebenen ein. Sofern man sich auf ein bestimmtes System bezieht, sind die anderen „Umgebung“; so Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 33. 841 Siehe dazu Wielsch, FS für Teubner, 395, 398, unter Hinweis auf Parsons/Smelser. 842 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108. 843 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108, Fn. 1. 844 Röhl, FS für Schelsky, 435, 466.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
603
der Fokussierung auf die einzelne (Vertrags-)Partei (als System) geht es dann bezüglich des Ziels weiterhin darum, (vertragliche) Bedingungen festzusetzen, die aus der jeweiligen Parteisicht positiv sind.845 Hervorgehoben wird insoweit der Fall, in dem Ego, z. B. der A, in repräsentativer Rolle für ein Kollektiv, etwa eine Firma oder einen Haushalt, agiert.846 Innerhalb der G-Funktion stehen folglich grundsätzlich das Selbstinteresse und die Vorteilserzielung im Vordergrund.847 Weil aber die einzelne (Vertrags-)Partei in ihrer „Umwelt“ steht, nämlich zunächst einmal zu der anderen potentiellen (Vertrags-)Partei innerhalb der Vertragsverhandlung, geht ihre Zielausrichtung „nur“ auf die größtmögliche Befriedigung der eigenen Interessen. Mit dem Einschluss der anderen Partei als „Umwelt“848 in die Überlegungen ist jedoch nicht ausschließlich das Zielinteresse bezüglich des Systems des einzelnen Handelnden betroffen. Nunmehr, gerade wenn man die Vertragsverhandlung als (anderes) eigenes soziales System ansieht, muss ebenso die Stabilität dieses anderen Systems an Bedeutung gewinnen. Das gilt auch dann, wenn in einem nächsten Schritt der geschlossene Vertrag noch als weiteres (eigenes) System hinzukommt. Denn sowohl bezogen auf die Verhandlungen als auch bezogen auf den eigentlichen Vertrag besteht dann jeweils ein Systeminteresse, das goal-attainment, u. a. auf den Erhalt der dortigen Beziehungen.849 Das ist jedoch ein anderes Ziel als jenes, welches nur auf die einzelne Partei850 bezogen war. Gleichwohl fließt in das Zielinteresse der Vertragsverhandlungen/des Vertrags das jeweils eigene Interesse jeder einzelnen Partei ein, weil letzteres nicht ohne ersteres befriedigt werden kann.851 Weiterhin ist es nur konsequent, als erste Voraussetzung für die (spätere) Stabilität einer Vertragsbeziehung (als eigenes System) dann das vorherige Aushandeln eines für beide Seiten vorteilhaften Abschlusses auszumachen.852 Schon der Verhandlungsaspekt ist zu beachten. Dies ergibt sich u. a. aus dem Gesichtspunkt, dass auch Bei Verträgen, die keinen Austauschcharakter haben, geht es letztlich zumindest um das Ziel, die Zustimmung der anderen Seite zu erlangen und ggf. andere, nicht in einer Austauschbeziehung stehende Leistungen. 845 Dazu Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 112, unter Bezugnahme der vertraglichen Beziehung, appliziert auf empirische Fälle. 846 Hierher gehört im Grunde auch der für den Mandanten auftretende Anwalt. Er tritt in einer repräsentativen Rolle für den Mandanten auf, sein Fokus ist auf das Mandanteninteresse gerichtet; der Anwalt als Interessenvertreter hat eben nicht primär eine gemeinsame Zielausrichtung zu suchen. 847 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 111. 848 Bzw. der Vertragsverhandlungen als „Umwelt“. 849 Das sind die Beziehungen der Teilnehmer an den Verhandlungen bzw. der jeweiligen Parteien des späteren Vertrags. 850 Als System. 851 So kann etwa das Interesse der Partei an einer Werkerstellung nicht befriedigt werden, wenn die Verhandlungen scheitern. 852 Röhl, FS für Schelsky, 435, 466.
604
3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
für die Stabilität in einer vertraglichen Beziehung die erste Bedingung eine bestimmte Balance unter Beachtung der reziproken goal-attainments der Vertragsparteien ist.853 Zu Recht führt Röhl854 bezüglich der Funktion des goal-attainments in Bezug auf den Vertrag an, hier käme utiliataristisch das Reziprozitätsprinzip zum Tragen. Für die anwaltliche Vertragsverhandlung/-gestaltung lassen aufgrund der GFunktion somit verschiedene Erkenntnisse ableiten, die zudem bisherige Ergebnisse (weiter) stützen: Die Interessen des Einzelnen (des Mandanten) innerhalb der Vertragsverhandlung und des Vertrags können und dürfen niemals losgelöst von denen des anderen (Vertrags-)Partners gesehen werden. Das wurde u. a. innerhalb des rationalen Verhandlungsmodells schon herausgearbeitet, folgt aber grundsätzlich schon aus dem Konsensprinzip des Vertragsschlusses. Mit Hilfe des Ansatzes von Parsons lassen sich dafür weitere Gründe anführen. So sind die Interessen der einzelnen Vertragspartner in ihrer Umwelt855 zu erfassen und zu begreifen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung zeigt sich vor allem in der vertraglichen Einbettung. Dort fließen beide Interessenströme (der Parteien) ein, der Vertrag, das Gefüge (System), muss aber stabil gehalten werden. Der Vertrag ist ein Gebilde in der sozialen Wirklichkeit und ist als solches ernst zu nehmen.856 Hierfür öffnen die Funktionen Parsons’ einen weiteren Verständnishorizont. Das Stabilitätserfordernis des in der Wirklichkeit stehenden Gebildes/Systems „Vertrag“ lässt sich oftmals nicht allein mit juristischen Kategorien begründen. Das wird hier mit Blick auf die Interessen nochmals deutlich. Die juristischen Kategorien sollen nicht verdrängt werden. Sie können aber zu ihrer (besseren) Erfassung und adäquateren Nutzbarmachung „Unterstützung“ durch eine soziologische Flankierung erfahren. Im Zusammenhang mit der Stabilität war nun gerade auch von einem Ausbalancieren der Ziele (der Parteien) die Rede. Idealerweise spricht dies für eine angemessene Einflussnahme der involvierten Interessen. Realitätsbezogen, und auch das wurde in den bisherigen Ausführungen deutlich, ist das in der Regel nicht uneingeschränkt der Fall. Vielmehr ist zumeist ein Machtgefälle auszumachen. Parsons problematisiert das bei der Diskussion der Anwendung des AGIL-Schemas im vertraglichen Bereich nicht. Gleichwohl kann es, möglicherweise schon mit Blick auf die nächste Funktion, Berücksichtigung finden. (3) A-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag „Adaption“ als Fähigkeit des Systems, auf sich verändernde äußere Bedingungen zu reagieren, wurde eingangs u. a. als Voraussetzung für das goal-attainment aus853 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108, die aber kein eigenes goal-attainment für das soziale System „Vertrag“ anführen. 854 Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 855 U. a. das System „andere Vertragspartei“ sowie das System „Verhandlung“. 856 Wielsch, FS für Teubner, 395, 398.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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gemacht. Bezogen auf die Zielsetzung der Parteien ist das etwa das Vorhalten von Waren oder Diensten bzw. Geld, welche eine (einzelne) Partei einsetzen kann, um an ihr Ziel zu gelangen. Auch beim Vertrag als sozialem System kann ein Ziel bestimmt werden, nämlich das Gelangen zu einer Einigung857 und z. B. das Erreichen eines gelungenen Austauschs. Für diese Ziele, das besagt die A-Funktion, bedarf es der Anpassung des Systems u. a. an die äußere Situation/an die Umweltbeziehung (gerade andere Systeme). Hierher gehören aber ebenso möglicherweise die Veränderung der Umwelt durch das System und das soeben aufgezeigte Bereitstellen von Mitteln, die die Veränderung herbeiführen können. (a) Vertragsabschließende Partei Parsons/Smelser858 rücken nun wiederum die vertragsabschließende Partei in den Fokus. Diese handele in einer Situation, die ihr bestimmte Beschränkungen auferlege. Hervorgehoben wird dabei ein Aspekt in der Situation: Es geht um die Struktur des Kollektivs, das Ego (etwa Kaufmann A) als Mitglied repräsentiert, wenn er in den Austauschprozess eingebunden wird, z. B. eine Firma oder einen Haushalt. Diesen Ansatz gilt es differenziert zu betrachten und notwendige Unterscheidungen vorzunehmen. Parsons/Smelser859 beziehen sich einmal auf das Handlungssystem, das die Regelung der Vertragsbedingungen als Ziel seines Subsystems hat. Zuvor haben wir (auch) die einzelne Vertragspartei als (eigenes) Handlungssystem ausgemacht. Dort ist die Verfolgung des Vertragsziels aber nur Ziel eines Subsystems, je nachdem welche Rolle die Vertragspartei gerade ausfüllt, z. B. als Prokurist einer Firma. Hier tut sich die Bedeutung der Rolle als Subsystem auf.860 Parsons/Smelser861 zeigen nun den Rest des Systems als „Umwelt“ für die Verfolgung des Ziels auf. Damit wird eines deutlich: Der Einzelne in seinem Persönlichkeits- als Handlungssystem vereinigt dort eben mehrere Subsysteme, wie sich gerade an den unterschiedlichen Rollen862, die er ausfüllt/ausfüllen muss, zeigt. Letzteres führt zudem dazu, dass der einzelne Handelnde in weitere unterschiedliche Systeme eingebunden ist,863 z. B. als Prokurist in die Firma, als Politiker in die Partei, als Vater in die Familie. Das ist ebenfalls „Umwelt“.864
857
Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 112. Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108. 859 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108. 860 Das Subsystem „Vater“ ist z. B. nicht betroffen, wenn um die Verfolgung rein geschäftlicher Ziele geht. 861 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108. 862 Etwa Prokurist, Vater, Umweltaktivist. 863 Zur Angehörigkeit zu einem umfassenden System auch Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 858
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Es hat also eine Anpassung des Einzelnen innerhalb der Handlungen und damit auch in Bezug auf die Vertragsverhandlung und -gestaltung in unterschiedlichster Form zu erfolgen. Die Beschränkung kann etwa in begrenzenden Umständen wie der Art der Waren oder Geldmittel liegen und damit oftmals aus dem (Sub-)System selbst heraus resultieren, das vertraglich unmittelbar betroffen ist. So kann beispielsweise die Vertragspartei als Kaufmann nur bestimmte Geldmittel zur Verfügung haben. Die Beschränkung kann aber ebenso aus der sonstigen Umwelt, so etwa den anderen Rollen865, denen man gehorchen muss/will, folgen. Ein starker Aspekt, der hier zum Tragen kommt, sind in der Regel bezogen auf jedes (Sub-)System, die Interessen dritter Parteien,866 z. B. die Familienangehörigen des (Sub-)Systems der Rolle des „Vaters“867. Wenn man sich die Umwelt der Vertragspartei so vergegenwärtigt, stellt sich der Umgang mit (Mandanten-)Interessen unter einem weiteren Blickwinkel dar. Zuvor wurde etwa auf die Interessen Dritter, die in der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen sind, hingewiesen. Der Ansatz über Parsons macht allerdings nochmals deutlich, dass ihre Erfassung und Einkalkulierung keinesfalls nur unter dem Gesichtspunkt optimaler Umsetzung der Mandanteninteressen gesehen werden darf. Vielmehr macht die A-Funktion besonders greifbar, wie Dritte eine Größe innerhalb der Überlegung des Machbaren bilden. So tritt z. B. nochmals mit besonderer Schärfe hervor, den Mandanten niemals losgelöst von seinem sozialen Umfeld zu sehen, soll der Vertrag gelingen. Die Berücksichtigung ist notwendig, damit das System „Vertrag“ funktioniert. (b) Schaffung von Ressourcen Bezüglich der A-Funktion streichen Parson/Smelser vorwiegend die Begrenzung durch die Umwelt heraus. Die Schaffung von Ressourcen868, grundsätzlich bei der AFunktion ebenso angesiedelt, wird in dem Zusammenhang nicht erwähnt. Allerdings bietet gerade die Einbindung des Einzelnen in unterschiedliche Systeme (z. B. Familie; Berufsfeld) hierfür einen Anknüpfungspunkt, der sich in der Vertragsverhandlung (eigenes System) fortsetzt. Die innerhalb des rationalen Verhandlungsmodells angesprochene „Vergrößerung des Kuchens“869 bietet die Möglichkeit, unterschiedlichsten Begrenzungen, die gerade aus der Einbindung in verschiedene 864
Zudem zeigt sich, dass die jeweiligen dort auszufüllenden Rollen als Subsysteme des jeweiligen Handelnden (Vater, Prokurist etc.) zueinander ebenfalls „Umwelt“ sind. Auch dort hat ein Anpassungs- bzw. „Manipulations“prozess zu erfolgen. 865 Rollen als Subsysteme des Handlungssystems der Vertragspartei. 866 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 108 f. 867 Beispielhaft kann angeführt werden, dass den eigenen Kindern ein Schulwechsel nicht zugemutet werden soll, aus dem Grund aber ggf. dem Vater aufgrund von Pendelwegen die Wahrnehmung seiner Arbeitnehmerpflichten erschwert wird. 868 Siehe aber zuvor unsere Überlegungen zu den Geldmitteln einer Vertragspartei. 869 Zum Bild der Kuchenvergrößerung, um win-win-Lösungen herbeizuführen, Hofmann/ Rothfischer/Trossen, Mediation, V-112.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Systeme resultieren, optimal zu begegnen. So kann bei der Verhandlung eines Mietund Pflegevertrags (künftiges System) zwischen Familienangehörigen unterschiedlichen Rollenbegrenzungen u. U. Genüge getan werden, z. B. durch die Diskussion von Pflegezeiten, Härteklauseln, Vertragsanpassungen etc. Die Vergrößerung des Kuchens ist die Schaffung von Ressourcen mit Blick auf die jeweiligen Subsysteme (Familie, Beruf etc.). Vergleichbare Überlegungen greifen auch für den Vertrag selbst als eigenes soziales System. Die bisherigen Ausführungen betrafen vornehmlich die einzelne Partei (als System), später übergehend in die Vertragsverhandlung (als System). Der (geschlossene) Vertrag muss sich jedoch ebenso als eigenes System adaptiv zeigen. So sind bei einem Vertrag über ein größeres Bauprojekt z. B. sich verändernde Rohstoffpreise Umweltbedingungen, auf die der Vertrag, das System, reagieren muss, soll er tatsächlich Bestand haben. Hier kann ebenfalls Vorsorge durch die Schaffung von Ressourcen getroffen werden. Beispielhaft seien hier die diversen Anpassungsklauseln genannt. Die im Kontext mit Macneil beschriebenen Bestrebungen, die vertraglichen Beziehungen zu erhalten, kann man mit Parsons etwa als notwendig bezeichnen, um das System Vertrag an seine Umwelt anzupassen. (c) Vertragsrecht als Rahmenbedingung Problematisch ist, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen, namentlich das Vertragsrecht zur A-Funktion gehören.870 Ausdrücklich Stellung beziehen Parsons/ Smelser insoweit nicht. Röhl871 setzt sich kritisch mit Parsons/Smelser auseinander. Er nimmt dabei vor allem Bezug auf die folgende Stelle bei den Autoren872, wonach „(…) the socially prescribed rules to which such bargaining process are subject, such as the guaranties of interest of third parties, restriction on fraud an coercion and the like. (…)“ Dort873 folgt im Übrigen der Hinweis, Durkheim bezeichne diese als „nicht vertragliche“ Elemente des Vertrags. Röhl interpretiert dies nun dahingehend, bei Parsons/Smelser sei das Vertragsrecht als „Umwelt“ des Vertragssystems zu sehen, auf das die Vertragsparteien durch „adaption“ reagieren müssten. Parsons/ Smelser selbst führen später nur/gerade das Drittinteresse im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung von Vertrag und A-Funktion auf. Hinweise für eine Einordnung des Vertragsrechts bei Parsons unter die AFunktion finden sich an anderen Stellen, die jedoch ebenso Anlass geben, diesen Punkt in Bezug auf den Vertrag differenziert zu sehen. So legt Parsons874 zum Vertrag dar, Verträge machten die Freiheit von Individuen und Kollektiven möglich, Güter und Geld auszutauschen, in Verpflichtungen einzutreten. Freiheiten könnten aber nicht in einem stabilen System von sozialen Beziehungen institutionalisiert werden 870
Röhl, FS für Schelsky, 435, 466, spricht sie diesbezüglich an. Röhl, FS für Schelsky, 435, 466 f. 872 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 105. 873 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 105, Fn. 1. 874 Parsons, The Structure of the Institutional System, S. 142, 146.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
ohne adäquate allgemeine Regeln, die u. a. die erlaubten Beziehungen enthielten und die Grenzen. Man kann auch sagen, eine akzeptable Einigung über Umstände kann durch den Vertrag erreicht werden, akzeptabel nicht nur für private Individuen und Kollektive, sondern auch für die „Moralgemeinschaft“, wie sie durch das restitutive Gesetz repräsentiert wird.875 (aa) Bedeutung des Vertragsrechts Anknüpfend daran kann man bezüglich der Bedeutung des Vertragsrechts wie des Rechts allgemein in der A-Funktion durchaus unterscheiden. Zum einen gibt es die Einrichtung der Privatautonomie; das Rechtssystem gewährt damit dem Einzelnen (eigenes Handlungssystem) die für die Zielverfolgung erforderliche Erwartungssicherheit.876 Hier ergibt sich eine Verbindung zum Einzelnen und seinem goal-attainment. Damit ergibt sich aber ebenso die Voraussetzung dafür, die Schaffung von Ressourcen zu ermöglichen, indem über die Privatautonomie unterschiedlichste Interessen (gestalterisch) eingebaut werden können877. Das ist eine Form von Umweltbezug und A-Funktion über das Recht. (bb) Zwingendes Recht Von den den Konsens betonenden Ansätzen sind nochmals die „nicht-konsensualen“ Elemente878 zu unterscheiden. Das sind zunächst die Bestimmungen des zwingenden Rechts. Hier kann man (auch) im Anschluss an Durkheim von den rechtlichen Rahmenbedingungen sprechen, an die sich die einzelnen Parteien anpassen müssen, wollen sie ihr Ziel, einen (rechtlich) anerkannten Vertrag, erreichen.879 Die Begrenzung wirkt sich dann im Weiteren letztlich vor allem in dem sozialen System/den sozialen Systemen Vertragsverhandlung bzw. geschlossener Vertrag aus, die auf die Herbeiführung eines rechtswirksamen Vertrags bzw. seine Aufrechterhaltung ausgerichtet sind. Über das zwingende Recht (z. B. Verbraucherschutzvorschriften nach §§ 312 ff. BGB880) kann ggf. auch dem oben angesprochenen Machtgefälle über die A-Funktion begegnet werden.
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Treviño, Talcott Parsons on the Law and the Legal System, S. 9. Wielsch, FS für Teubner, 395, 400. 877 Siehe auch Wielsch, FS für Teubner, 395, 400, der von der Mobilisierung sozialer Funktionsanschlüsse spricht. 878 Wielsch, FS für Teubner, 395, 401, führt insoweit die Generalklauseln, z. B. § 242 BGB, an. 879 Es geht letztlich um die Anerkennung innerhalb der Gesellschaft als größere soziale Gemeinschaft. Anders sieht es aus, wenn das Ziel gar nicht auf rechtliche Anerkennung ausgerichtet ist. 880 Dabei handelt es sich um halbzwingendes Recht, § 312m BGB. 876
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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(cc) Dispositives Recht Rahmenbedingungen bilden, allerdings in qualitativ anderer Weise, wiederum im Anschluss an Durkheim auch die Bestimmungen des dispositiven Rechts, die eingreifen, selbst wenn sie nicht ausdrücklich vereinbart werden. Es ist eine Umwelt, derer man sich in Bezug darauf bewusst sein muss, in welcher Form der Vertrag (auch) außerhalb des sozialen Systems, in dem er primär wirken soll, z. B. dem Mietverhältnis als vertraglichem System, inhaltlich akzeptiert wird. Dieser Umwelt muss man sich ebenfalls anpassen, allerdings in der Form, ggf. diese Umwelt als Partei aktiv verändern zu können/zu müssen, sofern man etwas anderes will (Abbedingung der gesetzlichen Regeln). Hier eröffnen sich somit wieder Ressourcen für die Parteien in Bezug auf den abzuschließenden Vertrag. Die Begründung, warum bei „nicht-konsensualen“ Bestimmungen des (Vertrags-) Rechts die A-Funktion zum Tragen kommt, darf jedoch nicht kategorisch in dem Sinn verstanden werden, dass das Recht nicht auch für die anderen Funktionen nutzbar gemacht werden könnte. Das gilt nachgerade für die Integration (I-Funktion). (4) I-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag (a) Einführung Die I-Funktion („integration“) betraf die inneren Systemstrukturen; das System soll seine innere Stabilität behalten. Es geht insbesondere um die Beziehungen zwischen den Einheiten881, beispielsweise zwischen den Vertragsparteien innerhalb des Vertrags selbst (als soziales System). Eben deshalb konnte die Funktion intrapersonal882 zur Vermeidung innerer Konflikte wirken. Parsons selbst nahm hier außerdem eine kathektische Besetzung an. Ausgerichtet ist die Funktion auf „innere Harmonie“, Solidarität und Zusammenhalt des Systems,883 was wichtig vor dem Hintergrund ist, dass sich die äußeren Verhältnisse des Systems verändern. Diese Funktion soll nicht zuletzt konfliktabschwächend im System selbst wirken. Bei der Annäherung an die I-Funktion in Bezug auf den Vertrag selbst weisen Parsons/Smelser884 zunächst u. a. darauf hin, Zielinteressen und adaptive Verhältnisse seien für die jeweiligen Vertragsparteien unterschiedlich. Betroffen sind also wieder zunächst die Parteien als Handlungssysteme.885
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Bzw. den Mitgliedern eines Systems, vgl. Röhl, Rechtssoziologie, S. 390. Siehe Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 636. 883 Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 636. 884 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109. 885 Vgl. Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 882
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Die unterschiedliche Adaption ergibt sich auch in Bezug auf das Vertragsrecht, das „Umwelt“ sein kann.886 Zwar sind die Rechtsregeln grundsätzlich für jeden gleich, sie erzeugen jedoch mitunter unterschiedliche Anpassungsmechanismen. Der Grund dafür liegt u. a. darin, dass mit den einzelnen Vertragsparteien unterschiedliche Systeme betroffen sind, die wiederum in den Vertrag „eingehen“. Die jeweiligen Systeme (Vertragspartei A bzw. B) sehen sich mit den Regeln in anderer Weise konfrontiert, wollen z. B. ggf. dispositives Recht in unterschiedlichem Umfang abändern, (künftig) in ihren Vertragsrollen (Schuldner/Gläubiger) unterschiedlich reagieren. Angesichts dessen verlangt vor allem die Frage, wie dann etwa der (künftige) Vertrag887 als neues Handlungssystem stabil sein kann, mit Blick auf die I-Funktion besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt hinsichtlich der Bedeutung des Rechts888, aber möglicherweise (auch) hinsichtlich anderer Faktoren. (b) Weg zur Integration Vor allem der Aspekt um die Schaffung von (innerer) Stabilität verdient somit Beachtung, wenn es um ein „neues Handlungssystem“ geht. Ego (Vertragspartei A) und Alter (Vertragspartei B) machen einen Teil eines einzelnen sozialen Systems aus,889 eben des Vertrags (als System) und in der Regel zuvor schon der Vertragsverhandlung890. Es muss eine Form von Integration in das jeweilige System erfolgen. Hierbei findet sich bei Parsons/Smelser ein Rückgriff auf Faktoren „jenseits“ des Vertragsrechts. Parson/Smelser891 machen die Grundlage der Integration ins Vertragssystem in einer Art von sekundärem Leistungs-Sanktions-Austausch aus. Relativ zum primären Austausch (z. B. unmittelbarer Austausch von Waren und Geld), der die Zielorientierung der den Vertrag schließenden Parteien begründe, umfasse der integrative Austausch ein höheres Level der symbolischen Verallgemeinerung. Es definiere die „Bedeutung“ der primären Zielobjekte. Der sekundäre Austausch könne oder könne nicht konkret unterscheidbar in jeder gegebenen Transaktion vorhanden sein. Als Beispiel gehen Parsons/Smelser892 auf den Warentransfer ein. Erträge durch Verkäufe seien nötig, um im Geschäft zu bleiben; das ist gleichsam die „primäre Sanktion“. Erträge seien aber auch ein Symbol für erfolgreiche Firmengeschäfte. Beide Ebenen seien in der Regel gleichlaufend, könnten jedoch ebenso gut, etwa im Fall einer Rezession, auseinanderfallen.
886 Auf dieses Verständnis bei Parsons/Smelser hinweisend, es zugleich kritisierend Röhl, FS für Schelsky, 435, 476. 887 Im Grunde zuvor schon die Vertragsverhandlungen als eigenes System. 888 Vgl. Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 889 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109. 890 Als anderes eigenes System. 891 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109. 892 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109.
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An der Symbolik (im Beispiel der „Erfolg“ der Firma) machen Parsons/Smelser893 das (primäre) integrative Element in vertraglichen Beziehungen fest. Ein stabiles vertragliches System tendiere dahin, eine Art von ausgeglichener Balance auf diesem Level ebenso wie auf dem Level der primären Regelung von Bedingungen894 zu haben. Ein Ungleichgewicht auf einer Ebene könne aber auf der anderen Ebene kompensiert werden.895 Die von Parsons/Smelser so bezeichnete sekundäre Ebene beinhaltet wieder eine Abwägung von Vor- und Nachteilen, z. B. dahingehend, ob ein Geschäft dem eigenen Renommee förderlich ist, bzw. für die andere Seite, ob sie durch den Kauf der Ware etwa daran teilhaben kann (Kauf eines „Markenprodukts“). Die „Balance“ spricht dafür, auf dieser Ebene eine „win-win-Situation“ zu suchen. Letzteres kann zweifelsohne den Zusammenhalt des Systems „Vertrag“ stärken, der Gedanke greift im Grunde auch schon für die Vertragsverhandlungen (als eigenem System). Allerdings „schimmert“ bei dem angesprochenen Abwägungsprozess ebenso etwas anderes durch: der (mögliche) Griff nach dem eigenen Vorteil („Ich will mein Ansehen steigern.“). Vor diesem Hintergrund wird etwa Röhls896 Kritik verständlich, der dem „sekundären Austausch“ die Integrationsfunktion abspricht.897 Röhl sieht den sekundären Austausch als utiliataristisch an, als Zielerreichungsfunktion. Dass dies jedenfalls (auch) der Fall ist, dafür sprechen gute Gründe; es sei nur noch einmal auf den sich steigernden Wert einer „Marke“ hingewiesen. Parsons/Smelsers Ansatz überzeugt so in seiner „Integrationsbestimmung“ nicht. Die I-Funktion ist daher (noch) woanders zu suchen. Röhl898 verweist insoweit auf die allgemeinen Ausführungen zum Integrationsmechanismus bei Parsons/Smelser, die allerdings den Bezug zur Gesellschaft betreffen. Danach seien integrative Mechanismen vor allem Erscheinungen, die von anderen Soziologen als Einrichtungen der sozialen Kontrolle behandelt würden.899 Parsons/Smelser900 beziehen sich hier auch auf Durkheim und dessen Verständnis von „Solidarität“. Zu Recht gibt Röhl einer Erwartungshaltung Ausdruck, zur I-Funktion hätten, gerade nach der Erläuterung von Parson/Smelser zu den „non-contractual ele-
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Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109. Damit dürften diejenigen Bedingungen gemeint sein, die den Gütertausch betreffen. 895 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109 f. 896 Röhl, FS für Schelsky, 435, 467. 897 Nach unseren obigen Ausführungen trifft das nur als Teilaspekt zu. 898 Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 899 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 49. Vgl. auch Parsons, The Law and Social Control, S. 56, 67 f., zu Funktionen des „legal process“ bzw. „legal procedure“. Zum „legal system“ als integratvies Subsystem der Gesellschaft u. a. auch Treviño, Talcott Parsons on law and the legal system, S. 145. 900 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 49. 894
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ments“901, eigentlich Ausführungen bezüglich letzterer und des Handlungssystems „Vertrag“ gehört.902 Röhl903 spricht vor allem den Komplex des Vertragsrechts, soweit er sich in den Rollen der Kontrahenten widerspiegelt, an. (c) Bedeutung des Vertragsrechts Namentlich das Vertragsrecht, u. a. aufgrund der möglichen typisierten Rollenausformungen904, kann in maßgeblicher Weise integrativ sein. Das gilt vor allem dann, wenn man sich diesen „Regeln“ durch Vertragsschluss einmal unterstellt hat.905 Das Vertragsrecht ist somit nicht nur als adaptiv, sondern ebenso als integrativ anzusehen. Bezüglich der integrativen Funktion sollte auch in Bezug auf das Vertragsrecht unterschieden werden zwischen dem Handlungssystem, das „nur“ den Einzelnen (Vertragspartei) betrifft und dem (sozialen) System (geschlossener) Vertrag. Für den Einzelnen, der als Vertragspartei mit der Rolle als Subsystem (z. B. als Käufer) ein (eigenes) Handlungssystem bildet, bedeutet die I-Funktion u. a., intrapersonal keinem Konflikt ausgesetzt zu sein,906 bzw. selbigen lösen zu können. Das kann u. a. dadurch befördert werden, dass er in seiner Rolle zufrieden ist, das heißt, den Vertrag als so ausgewogen empfindet, dass er an ihm festhalten möchte.907 Hier kann das Vertragsrecht „wirken“. So kann man die Notwendigkeit von „general rules“ ausmachen, also von Definitionen von erlaubter und verbotener „Zufriedenheit“ vertraglicher Vereinbarungen908. Ganz maßgeblich ist hier freilich, die entsprechenden Normen erläutert zu bekommen und als „vernünftig“ begreifen zu können.909 Weiterhin kann in diesem Zusammenhang durchaus der von Parsons/ Smelser so bezeichnete sekundäre Austausch integrativ sein, indem man Zufriedenheit (ebenso) auf der Ebene erlangt. Bezüglich des geschlossenen Vertrags (als sozialem System) ist das Vertragsrecht als I-Funktion gleichfalls relevant. So kann man dort etwa Mechanismen ausmachen, 901 Siehe oben die Ausführungen zur Kritik Röhls im Kontext mit der Verbindung der „noncontractual elements“ zur adaptiven Funktion. 902 Röhl, FS für Schelsky, 435, 466. 903 Röhl, FS für Schelsky, 435, 467. 904 Z. B. „als Käufer“ oder „als Verkäufer“, § 433 BGB. 905 Vgl. auch die Überlegungen zum Vertragsrecht und den Muss-Erwartungen bei Dahrendorf. 906 Vgl. dazu grundsätzlich Parsons, An Approach to Psychological Theory in Terms of the Theory of Action, 612, 636. 907 Als intrapersonaler Konflikt wird ein Konflikt innerhalb einer Person bezeichnet; so Schulz von Thun/Zach/Zoller, Miteinander reden von A bis Z: Lexikon der Kommunikationspsycholoige, Stichwort „Intrapersonaler Konflikt“. 908 Treviño, Talcott Parsons on law and the legal system, S. 75. 909 Vgl. auch die Ausführungen zum Erlernen der Rolle. Hier kommt ebenso die Karthexis zum Tragen, etwa, wenn man die Normen für „gerecht“ hält. Wiederum ist dann die Vermittlung derselben von besonderer Bedeutung.
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die dazu beitragen, den Zusammenhalt als System zu sichern, auch dann, wenn sich die Verhältnisse ändern.910 Man kann das (Vertrags-)Recht dahin verstehen, die Sozialstruktur, wie sie durch den (geschlossenen) Vertrag entstanden ist, gegen jedwede (einseitige) Beeinträchtigung zu schützen.911 Den Parteien werden insbesondere durch das Vertragsrecht durchaus Pflichten zur Stabilisation der sozialen Relation auferlegt.912 Hierher gehört ebenso die „Flankierung“ etwa durch § 242 BGB. Aus ihm folgt u. a. die Leistungstreuepflicht, das heißt die Pflicht des jeweiligen Schuldners, alles zu tun, um den Leistungserfolg vorzubereiten, herbeizuführen und zu sichern.913 So wird die durch den Vertrag geschaffene soziale Verbundenheit stabilisiert; das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass bei „längeren“ sozialen Beziehungen (Dauerschuldverhältnisse) eine stärkere Leistungstreuepflicht besteht914. Jede Vertragspartei ist verpflichtet, an den Zielen, die auf dem sozialen System „Vertrag“ fußen, also den vertraglichen (Leistungs-)Erfolgen, in der Form mitzuwirken, dass z. B. auch Hindernisse beseitigt werden915. Das trägt maßgeblich zum Erhalt des Systems „Vertrag“ bei. Der I-Funktion zugehörig ist gerade der Erhalt der (inneren) Stabilität, selbst wenn die äußeren Umstände sich verändern. Hier kann das (Vertrags-)Recht auch in weiterer Weise ansetzen. Ein Beispiel dafür ist die Schaffung von Definitionen für Situationen, die Risiko und Unsicherheit betreffen, sowie das Anführen von normativen Konsequenzen bezüglich unvorhergesehener Änderungen der Umstände.916 Das kommt im BGB u. a. in § 313 BGB zum Ausdruck. Aus ihm folgt, dass eben nicht jedes Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung917 für das soziale System „Vertrag“ von Relevanz sein soll. Dabei geht es nicht zuletzt um die „Regeln“ für die interne Stabilität bei sich verändernden äußeren Umständen. § 313 BGB ist ein Ausdruck des Umgangs mit Risikosphären. Nur wenn solche Probleme bewältigt werden, kann ein Vertrag Bestand haben. Greift man schließlich nochmals die bereits zuvor angeführte Überlegung auf, wonach das (Vertrags-)Recht Definitionen von erlaubter und verbotener Zufriedenheit vertraglicher Vereinbarungen enthält,918 so ergibt sich ein Weiteres. Durchaus in Vergleichbarkeit zu den Dahrendorfschen Muss-Erwartungen kommt hier für die I-Funktion der Kontrollaspekt des (Vertrags-) Rechts in dem Sinn zum Tragen, wonach ein „Ausbruch“ aus dem Vertrag nicht ohne 910
Nochmals zum legal system als integratives Subsystem der Gesellschaft, Treviño, Talcott Parsons on the law and legal system, S. 145. 911 Zum Vorstehenden Wielsch, FS für Teubner, 395, 399. 912 Dazu Wielsch, FS für Teubner, 395, 399. 913 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 27. 914 BGH NJW 1978, 260, 260. 915 BGH 2007, 3777, 3779. 916 Siehe dazu Treviño, Talcott Parsons on the law and the legal system, S. 75. 917 Zur Äquivalenzstörung als möglicher Fall des Wegfalls der (objektiven) Geschäftsgrundlage etwa Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 313, Rn. 25. Zur Einordnung als Fallgruppe der Störung der Geschäftsgrundlage auch Looschelders, Schuldrecht AT, § 37, Rn. 21. 918 Dazu Treviño, Talcott Parsons on law and the legal system, S. 75.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
weiteres möglich ist. Das (Vertrags-)Recht enthält Regeln für Konflikte zwischen den Einheiten innerhalb des sozialen Systems „Vertrag“. Nach ihnen kann/soll man sich richten, man erhält Vorgaben (Rollen!), wie man sich verhalten soll. Idealerweise werden die Regeln so vermittelt, dass es erst gar nicht zum (internen) Konflikt kommt, bzw. ein solcher jedenfalls nicht eskaliert. Das gewährleistet den Bestand des Systems „Vertrag“ am besten.919 Das staatliche (Vertrags-)Recht öffnet aber ebenso den Weg zur formalen Organisation920 und damit ggf. zur externen Sanktionierung921 von „Vertragsausbrüchen“. Eben weil es diese Kontrolle gibt, werden, wenn u. U. auch nicht aus „Vernunftsgründen“, die internen Regeln befolgt, die „Harmonie“ im Systeminneren schaffen, weil sie Vorgaben liefern, wie mit Konflikten umzugehen ist. Das gilt gerade auch in Bezug auf sich verändernde äußere Umstände. (d) Situation der Vertragsverhandlungen Die vorstehend für das soziale System „Vertrag“ angestellten Überlegungen greifen in vergleichbarer Weise schon im sozialen System „Vertragsverhandlungen“. Dort kommen ganz besonders die für Verhandlungen geltenden „Verfahrensregeln“ zum Tragen. Die insoweit relevanten „Regeln“ entstammen jedoch oftmals nicht dem staatlichen Recht, sondern sonstigen Normen. Das können, je nach Einzelfall, z. B. die Verfahrensregeln für ein rationales oder mediatives Verhandeln sein. Das staatliche (Vertrags-)Recht ist mittelbar von Bedeutung, etwa aus anwaltlicher Sicht dahingehend, rechtswirksame Verträge herbeizuführen. (5) L-Funktion innerhalb von Vertragsverhandlung und Vertrag (a) Einführung Die L-Funktion betraf wie die I-Funktion die Regelung interner Strukturprobleme, die Regelung von Prozessen innerhalb der Systemeinheiten/-mitgliedern.922 Es ging hier um die Identitätswahrung des Systems; die motivationale und kulturelle Struktur musste erhalten bleiben.923 Differenziert wurde zwischen den „pattern maintenace“ und dem „tension management“. Ersteres betraf die Sorge, diejenigen Verhaltensmuster beizubehalten, die der Wert- und Normenordnung des Systems entsprachen,924 dem Rahmen, in dem sich die Systemeinheiten bewegen sollen. Das 919 Integrativ können selbstverständlich auch andere Normen sein, z. B. im Vertrag enthaltene Kommunikationsklauseln. 920 Siehe Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232. 921 Siehe Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232. 922 Dadurch werden allerdings Fragen, die den Kontakt zur Umwelt betreffen, nicht ausgeschlossen. 923 Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 135, unter Hinweis auf Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 197. 924 So Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30.
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„tension management“ beinhaltete die Kontrolle in den Systemeinheiten bezüglich der motivationalen Bereitschaft zum Erhalt allgemeiner und oberster Werte und Normen des Systems.925 Es geht also u. a. um die Motivation der Systemeinheiten/ -mitglieder926 (also etwa der Vertragsparteien) am Fortgang des Systems,927 das heißt, am Fortgang des Vertrags mitzuwirken. Die besagten motivationalen und kulturellen Muster waren auch während der Unterbrechung der Interaktion beizubehalten, eine Aufgabe, die sich vor dem Hintergrund stellte, dass das System wieder aufgenommen werden soll.928 Diesen Aspekt betraf die Latenz. (b) Allgemeine Wertemuster Parsons/Smelser929 nähern sich der L-Funktion im Zusammenhang mit dem Vertrag wie bei der I-Funktion mit dem „interest of stability“. Neben die Integration tritt insoweit auch das Teilen von allgemeinen Wertemustern. Bestimmte allgemeine Wertemuster, so Parsons/Smelser930, begründen zwischen den den Vertrag schließenden Parteien das letzte Element des vertraglichen Komplexes. Das ist dann ausgehend vom AGIL-Schema die L-Funktion. Beispielhaft führen Parsons/Smelser931 den Arbeitsvertrag sowie den Verbraucherbereich an. Dem Arbeitsvertrag läge eine Art von allgemeiner Wertschätzung der Produktion in der Gesellschaft zugrunde. Der Arbeitgeber schätze die Effizienz und Rentabilität der Arbeiter; diese wiederum schätzten die wertvolle Arbeitsstelle, wobei dies nicht nur Lohngesichtspunkte beträfe. Im Verbraucherbereich habe man als Muster die Wertschätzung des Wertes oder Nutzens von spezifischen Gütern. Allgemeinen Wertemustern kommt nun nach Parsons/Smelser932 eine doppelte Bedeutung zu. Sie sind einmal der Hintergrund, um das Austauschsystem selbst zu integrieren und zwar durch Minimierung oder Eliminierung der Effekte der dort inhärenten Interessenkonflikte. Solche Konflikte fängt der übergeordnete Gesichtspunkt der Solidarität auf, der beide Vertragsparteien umfasst.933 Außerdem führen allgemeine Wertemuster dazu, einzelne vertragliche Verpflichtungen mit den respektiven Systemen, denen Alter (Vertragspartei A) und Ego (Vertragspartei B)
925 So Brandenburg, Systemzwang und Autonomie, S. 30; darauf verweisend u. a. Damm, Systemtheorie und Recht, S. 90. 926 Eine Erstreckung der Motivation ist auch auf die Systemmitglieder erforderlich. 927 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 205. 928 Parsons/Bales/Shils, Phase Movement in Relation to Motivation, Symbol Formation, and Role Structure, S. 163, 185. 929 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 109. 930 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 110. 931 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 110. 932 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 110. 933 So Röhl, FS für Schelsky, 435, 468.
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angehören, zu integrieren,934 z. B. die Vertragspflichten in Einklang mit dem System „Haushalt“, dem der Käufer angehört, zu bringen. So gibt es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung etwa das Bewusstsein, durch die Erfüllung der Käuferpflichten nicht nur der Wirtschaftsordnung zu genügen, sondern auch seinen Haushalt am Laufen zu halten. Es geht also nicht zuletzt darum, dem System „Vertrag“ als solchem auf diesem Weg zur „Einheit“ zu verhelfen. (c) Außervertragliche Grundlagen des Vertrags Aufzugreifen ist auch erneut die Verbindung aus dem AGIL-Schema heraus zu Durkheim935. Die A- und die L-Komponenten begründeten, so Parsons/Smelser936, die Bedingungen des Austauschs. Sie seien also vom Gesichtspunkt einer bestimmten vertraglichen Beziehung her „gegeben“. Das umfasse, was Durkheim als die „nicht-vertraglichen Elemente“ des Vertrags bezeichne. Sie seien die Institution des Vertrags.937 Nach Röhl938 lassen sich unter Berufung auf Parsons die außervertraglichen Grundlagen des Vertrags in zwei große Gruppen einteilen. Das seien zum einen die die Vertragsinstitution konstituierenden Normen.939 Folgt man dieser ersten Differenzierung Röhls, wird man darunter vor allem die (Vertrags-)Rechtsnormen940 zu fassen haben. Parsons’ Umgang mit diesen innerhalb der A-Funktion als nicht vertragliche Elemente des Vertrags wurde diskutiert. Nach unserer Auffassung lag der maßgebliche Anknüpfungspunkt eher in der I-Funktion, ein Umstand, der noch im Zusammenhang mit dem Vertrag, der L-Funktion und dem „tension management“ wieder aufzugreifen sein wird. Die zweite Gruppe, die Röhl ausmacht, sind die „common value pattern“. Das, so Röhl, sei ein Basiskonsens, auf dem die Vertragsinstitution gegründet sei, z. B. die
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Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 110. Siehe oben die Ausführungen zur I-Funktion. 936 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 111. 937 Wenn sie sich änderten, so Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 111, beinhalte der Prozess eine Änderung der Struktur des relevanten Vertragssystems. Nach unseren Ausführungen finden sie sich aber auch und vor allem in der I-Funktion. Die Platzierung innerhalb unterschiedlicher Funktionen ist nach Parsons/Smelser, wie die Ausführungen auf S. 111 zeigen, wohl kein Problem. 938 Röhl, FS für Schelsky, 435, 468. 939 Röhl, FS für Schelsky, 435, 468. 940 Es sei nochmals darauf verwiesen, dass nach Parsons, Aktor, Situation und normative Muster, S. 232, normative Muster nur institutionalisiert sind, wenn jedenfalls ein subjektiver Motivationskomplex erfasst ist (interne Sanktion) und zumindest „spontane“ Reaktionen anderer auf die Handlung erfolgen (Missbilligung oder das positive Gegenstück, das heißt eine externe Sanktion). Hiervon können selbstverständlich auch andere Normen als Rechtsnormen erfasst sein. 935
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marktwirtschaftliche Ordnung, ein Handeln Gleicher unter Gleichen.941 Das marktwirtschaftliche Beispiel wurde nicht zuletzt von Parsons/Smelser selbst angesprochen. Mit Blick darauf ist auch interessant, wie Parsons/Smelser sich zur Institution des Vertrags im Kontext mit den AGIL-Funktionen und ihrer Anwendung auf den Vertrag anhand von verschiedenen Musterbeispielen942 äußern. Im Anschluss daran führen die Autoren aus, die Institution des Vertrags betreffe dort weder die spezifischen Bedingungen des Austauschs noch die spezifischen adaptiven Anforderungen, die sie bedingen, sondern die allgemeinen Werte und die integrative Basis der Solidarität (gegenseitiges Vertrauen), die über den unmittelbaren Interessenkonflikt der Parteien hinausgingen.943 Hier treten die „latent pattern maintenance“ der L-Funktion hervor. Sie gilt es hinsichtlich des Vertrags noch mit weiterem Inhalt zu füllen. So kann der „Institution Vertrag“ eine grundsätzliche Bedeutung als allgemeines Wertemuster und integrative Basis zukommen. Damit eng verbunden ist die Existenz der aus Art. 2 Abs. 1 GG resultierenden Vertragsfreiheit. Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt u. a., dass es die Institution Vertrag geben muss. Eine daran anknüpfende integrative Basis für einen Vertrag ist etwa das geteilte Bewusstsein der Vertragsparteien, selbst ihr Leben gestalten und dafür Verantwortlichkeiten und Pflichten begründen zu können. Es ist das latente Bewusstsein, eigene Beobachtungen von Abläufen für beliebige Arten von Transaktions- und Kooperationsprojekten nutzen zu können, gleichzeitig aber ebenso Erwartungssicherheit über den Vertrag für die Verfolgung selbstgesetzter Zwecke zu bekommen944. Ein „Vertragsbewusstsein“ als Basiskonsens kann also darin bestehen, sich der Möglichkeit einer eigenen Verständigung über Sinn und Zweck eines Tuns, über ein gemeinsames Ziel bewusst zu sein. Dazu gehört in der Regel auch das Bewusstsein, nur gemeinsam ein Ziel erreichen zu können. Ein solches Bewusstsein kann sich etwa in der Vertragstreue945 ausdrücken, die zugleich ein Beispiel für Latenz ist. Das Vorstehende wird man vielfach als in weiten Teilen in der Praxis als zu idealistisch einstufen können/müssen. Gleichwohl gibt es für ihre Bedeutung dort durchaus Ansätze. Die Erkenntnis und das Bewusstsein, selbst einen gemeinsamen Rahmen ausfüllen und gestalten zu können, zeigten etwa die Arbeiten von Macneil und Llewellyn. Funktionierende gelebte Vertragspraxis beruht vielfach auf dem angesprochenen Basiskonsens, u. a. begründet durch Vertrauen und ein freiheitliches Vertragsverständnis. Anknüpfend an letzteres sind beispielsweise die frei ausgehandelten vertraglichen Regeln der Weg, dem individuellen vertraglichen System 941
Röhl, FS für Schelsky, 435, 468. Es geht dabei um unterschiedliche Musterbeispiele vertraglicher Beziehungen auf unterschiedlichen Leveln. 943 Parsons/Smelser, Economy and Society, S. 112. 944 Dazu im Zusammenhang mit der Institutionalisierung der Vertragsfreiheit, Wielsch, FS für Teubner, 395, 400. 945 Die Vertragstreue hat hier eine andere Ausrichtung als unter der I-Funktion. Dort schwang das Element der Ordnung mit. Hier steht stärker der geteilte Wertekodex im Vordergrund. 942
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Bestand zu verleihen; dazu gehören etwa auch Kommunikationsklauseln. Alles das macht nach Parsons auch die L-Funktion aus. (d) Tension management Während die vorstehenden Ausführungen zur L-Funktion sich überwiegend mit dem Unterpunkt der „pattern maintenance“ beschäftigten, ist abschließend dem weiteren Bereich, dem des „tension management“ Aufmerksamkeit zu widmen. Dieser betraf nicht zuletzt die Motivation der Systemeinheiten, am Fortgang des Systems mitzuwirken. Diesbezüglich kann zunächst auf das verwiesen werden, was bereits innerhalb der I-Funktion deutlich wurde. Die Motivation der Systemeinheit „Vertragspartei“, am Fortgang des Systems „Vertrag“ mitzuwirken, hängt nicht zuletzt mit der Sozialisation des Einzelnen zusammen, z. B. dahingehend, die einschlägigen Vertragsnormen946 als vernünftig zu akzeptieren. Es geht, nochmals, um die die Austragung der Spannung zwischen Normativität und Motivation,947 ein Umstand, der im Grunde zur I-Funktion und nicht zur L-Funktion gehört948. Zudem machte Parsons selbst innerhalb der I-Funktion eine kathektische Besetzung insoweit aus. Jenseits vom „motivierenden Vertragsrecht“ gibt es freilich durchaus Beispiele für ein „tension management“ innerhalb der L-Funktion. Dazu kann man eine gelebte, von (gegenseitigem) Vertrauen949 getragene Motivation zählen oder das gemeinsame Bewusstsein, nur zusammen ein Ziel erreichen zu können. Hier überschneiden sich „pattern maintenance“ und „tension management“. dd) Resümee Auch das AGIL-Schema ist nach wie vor ein taugliches Analyseinstrument im Kontext von Vertragsverhandlung und -gestaltung. Mittels des AGIL-Schemas lassen sich zusätzliche Anstöße für eine erfolgsversprechende interessenorientierte anwaltliche Vertragsgestaltung gewinnen. Ein wesentlicher Grund dafür, dass über das AGIL-Schema derartige Folgerungen gezogen werden können, liegt darin, dass es beim AGIL-Schema um die Benennung der Funktionen geht, die bedient werden müssen, damit das System „funktioniert“. Auch wenn das AGIL-Schema nach Parsons auf jedes System grundsätzlich Anwendung findet, zeigt sich doch im Besonderen bei der Analyse des sozialen Systems „Vertrag“ der soeben angeführte Nutzen.
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Das gilt in entsprechender Weise für Verfahrensregeln in Bezug auf das soziale System „Vertragsverhandlungen“. Diese Normen werden, auch darauf wurde schon hingewiesen, häufig nicht dem staatlichen Recht entstammen. 947 Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 164. 948 Schwanenberg, Soziales Handeln, S. 164. 949 Das gilt ebenso für die Vertragsverhandlungen.
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Dass ein Vertrag „funktioniert“, liegt im Interesse des Mandanten. Jedenfalls soll das Funktionieren so lange andauern, wie dies zur Umsetzung des mit dem Vertrag verfolgten Ziels notwendig ist. Gerade wenn die Zielumsetzung an ein vertragliches (Dauer-)Schuldverhältnis gekoppelt ist, ist für das Funktionieren des Systems „Vertrag“ ein Verhindern seines (vorzeitigen) Scheiterns relevant. Anhand des AGIL-Schemas zeigt sich einerseits, dass dem (Vertrags-)Recht nicht zuletzt mittels der adaptiven wie der integrativen Funktion zentrale Bedeutung zukommt, damit ein (juristischer) Vertrag nicht nur zustande kommt, sondern eben auch nicht scheitert. Diese Wirkungen des Rechts wurden bereits früher in anderen Kontexten ebenfalls herausgearbeitet, es sei nur nochmals beispielhaft auf Durkheim verwiesen, der nicht ohne Grund auch in den Parsonschen Forschungen aufgegriffen wurde. Das, was das AGIL-Schema zudem nachhaltig interessant macht, ist, dass auch Umstände jenseits des Rechts für das Funktionieren des Vertrags Beachtung finden müssen. Die (rechts-)soziologischen Ausführungen zum Vertragsverständnis zeigen dies gleichfalls in unterschiedlicher Art und Weise. Es ist schließlich die Kombination von rechtlichen und nicht rechtlichen Faktoren innerhalb ein und desselben Vierfelderschemas (das bezüglich des Vertrags), welcher Aufmerksamkeit zu schenken ist. Auch wenn eine solche Kombination für ein tatsächliches Gelingen des Vertrags ebenfalls in den vorangegangenen Überlegungen eine zu ziehende Konsequenz war, u. a. auch schon gestalterische Folgerungen gezogen wurden,950 liegt im Parsonschen AGIL-Schema (noch) ein Mehr. Weil nach Parsons alle vier „Felder“ bedient werden müssen, damit das System funktioniert, diese vier Felder nach unserer Analyse aber rechtliche und tatsächliche Faktoren beim System „Vertrag“ gleichzeitig erfordern, folgt daraus am deutlichsten, dass das Erstellen eines gelungenen Vertrags grundsätzliche keine separatistische Sicht auf die entsprechenden Umstände erlaubt. Für das Gelingen des Vertrags darf danach in der Regel nicht nur auf juristische Kategorien abgestellt werden. Vielmehr sind nach Parsons beide „Säulen“ (Recht und außerrechtliche Faktoren) untrennbar im AGIL-Schema verwoben. Trotz gegenseitiger Ansprüche nach § 433 BGB „gelingt“ ein Kaufvertrag etwa nur, wenn der Verkäufer die Waren vorhält/vorhalten kann und der Käufer die entsprechenden Geldressourcen hat (A-Funktion).951 Dieses einfache Beispiel fordert sicher keine besonderen anwaltlichen Überlegungen in der Vertragsgestaltung heraus. Anders kann es aber in komplexeren Gestaltungssituationen liegen. Hier ist eine Bewusstseinsschaffung für das Ineinandergreifen von rechtlichen und nicht rechtlichen Faktoren, damit der Vertrag „gelingen“ kann, durchaus angezeigt. Beispielsweise sind ggf. „Ressourcen“ wie Geld, soziale Verbindungen oder Zeitkontingente zu 950 Vgl. nur die Verhandlungs- und Anpassungsklauseln im Zusammenhang mit den Ausführungen zu Macneil. 951 Zwar hält das Recht Mechanismen vor, wie ein „Scheitern“ u. a. auf Sekundärebene bewältigt werden kann. In der Regel besteht aber das Interesse, dass der Vertrag auf Primärebene gelingt.
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erfragen, oder auch „Umwelten“ wie andere Rollen und die damit einhergehen (juristischen vor allem aber auch sozialen) Verpflichtungen.952 Neben der möglichen Notwendigkeit einer entsprechenden Sachverhaltsermittlung kann damit die Erkenntnis einhergehen, dass bei der (potentiellen) Auswahl von Gestaltungs-/Handlungsalternativen durch den Mandanten auch Aspekte des tatsächlichen Funktionierens des Vertrags einzukalkulieren sind. Für solche Überlegungen kann das Wissen um eine Analyse mittels des AGIL-Schemas eine wertvolle Unterstützung sein.953 5. Parsons’ Rollenverständnis – Schwächen als Begründungsansatz einer gestaltenden Tätigkeit Parsons’ Erkenntnisse, nicht zuletzt in Bezug auf das AGIL-Schema, aber ebenso in Bezug auf die pattern variabels, bieten als Analyseinstrumente nach wie vor einen Nutzen im vertragsgestalterischen Kontext. Nutzbar zu machen waren gerade auch die unterschiedlichen Überlegungen zur Rolle. Parsons’ Rollenverständnis gilt es jedoch gleichwohl nochmals abschließend einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Parsons’ Rollenverständnis bietet durchaus verschiedene Erklärungsmodelle, die sich etwa nach Dahrendorf nicht ergaben. Vor allem indem die Rolle (nicht) primär im Kontext mit der (externen) Sanktionsbewährung gesehen werden muss, war damit („man will, was man soll“) ein anderer Zugang zur Rolle und ihrer Ausfüllung eröffnet. Akzeptanz für eine Rolle und die damit zusammenhängenden Erwartungen – und das betraf in erster Linie die künftigen Rollen der Partner aufgrund des Vertrags – bietet das Potential, in der Rolle Zufriedenheit zu finden. Für die Vermittlung der Rollen954 an die Vertragsparteien (ggf. durch den Anwalt) ergibt sich dadurch eine Orientierungshilfe, die eng mit der Ordnungsfunktion der Rolle bei Parsons zusammenhängt. Diese Orientierung ist allerdings auch ein maßgeblicher Ansatz zur Kritik, gerade wenn die Rolle als Erklärungsmodell innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung benutzt wird. Eine zu enge Aus952 Gleichzeitig kann die Kompatibilität etwaiger vertraglicher Bindungen mit anderen Rollen eine Ressource darstellen. 953 Es ist im Einzelfall jedoch zu berücksichtigen, dass es ggf. der Wunsch des Mandanten ist, der Berücksichtigung außerrechtlicher Umstände nicht zu viel Gewicht einräumen zu wollen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn er im Fall des Scheiterns (Vorliegen von Störungen) im juristischen Vertragsverhältnis mit juristischen Sekundäransprüchen „zufrieden“ ist. Entsprechende Gedankengänge müssen nicht fernliegend sein. Das zeigen u. a. Überlegungen im Kontext mit der bei Llewellyn aufgezeigten Insurance-Funktion des Rechts, die auch auf die Sekundärebene „ausstrahlen“ kann. Nicht zuletzt hat sich in der Literatur zur Methodik der Vertragsgestaltung auch die Begrifflichkeit der Risikoplanung gebildet; siehe dazu u. a. Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 4, Rn. 74 ff.; Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4 f.; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 261 ff. Umso wichtiger ist dann aber wiederum eine adäquate und umfängliche Aufklärung des Mandanten. 954 Künftige, in der Regel typisierte Rollen.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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richtung an (vorhandenen) potentiellen Vertragsrollen kann den Blick auf die eigentlichen Interessen, insbesondere des Mandanten, verstellen.955 Da Interessen vielgestaltig sind, ist es aber illusorisch, für deren Befriedigung ausreichend „vorbereitete“ Verhaltensmuster (Vertragstypen) vorzuhalten oder anzunehmen,956 die Wünsche des Einzelnen könnten jeweils an vorhandene Muster „angepasst“ werden.957 Die Notwendigkeit, die Individualität (des Mandanten) in den Vordergrund zu rücken, bzw. ihr Priorität einzuräumen, erfordert – neben den bisher gewonnenen Erkenntnissen – ein weiteres, auf „Gestaltung“ ausgerichtetes Rollenverständnis. Der Weg dahin ist nicht zuletzt durch die juristischen Rahmenbedingungen (mit) bereitet. Der einzelne potentielle Vertragspartner, der seine individuellen Wünsche umgesetzt sehen will, bedient sich mit dem (juristischen) Vertrag eines von der Werteordnung (Verfassung) und den gesetzlichen Normen (Vertragsrecht) eröffneten Wegs (Vertragsfreiheit). Dieser Weg bietet neben (typisierten)958 Verträgen („Rollenangeboten“) einen kreativen Raum, dessen Ausfüllung Parsons’ Rollenverständnis wiederum kaum bedient. Das bedeutet zwar nicht, dass die Vertragsfreiheit innerhalb der Ergebnisse Parsons’ ein Fremdkörper sein muss. Indem jedoch ein 955 Der Anwalt, nochmals, fungiert hier als derjenige, der aufgrund seiner anwaltsvertraglichen Verpflichtung daran mitwirkt, Interessen durch eine Rolleneinnahme des Mandanten umzusetzen. 956 Vgl. zudem auch die Ausführungen, allerdings in Bezug auf den Richter, bei Limbach, Der verständige Rechtsgenosse, S. 71 [unter Verweis, Fn. 138, auf Steinert (Hrsg.), Symbolische Interaktion, S. 27], wonach die Einsicht zu beherzigen sei, dass bei vielen Rollen so gut wie nichts definiert sei, sobald man von der konkreten Situation absehe. 957 Habermas, Kultur und Kritik, S. 125, kritisiert gerade in Bezug auf Parsons das Integrationstheorem. Dieses gehe davon aus, in stabil eingespielten Interaktionen bestehe auf beiden Seiten eine Kongruenz zwischen Wertorientierungen und Bedürfnisdispositionen: Der institutionell hergestellten Komplementarität der Erwartungen und des Verhaltens entspreche eine Reziprozität der Bedürfnisbefriedigung (Gratifikation). Empirisch, so Habermas, a. a. O., bestünde eher Anlass zu der Annahme, dass in allen bisher bekannten Gesellschaften ein fundamentales Missverhältnis zwischen der Masse der interpretierten Bedürfnisse und den gesellschaftlich lizensierten, als Rollen institutionalisierten Wertorientierungen bestanden habe. Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 56, führt aus, die Gesellschaft könne reibungslos funktionieren, wenn Rollen, Normen und Werte stabil und in sich konsistent und miteinander nahtlos und widerspruchsfrei verbunden wären. Dies sei aber in der Realität selten der Fall. Übertragen auf die Vertragsebene heißt das aber nicht anderes, dass für die Interessenumsetzung mittels Vertrags das Gesetz keine ausreichenden Typen vorhält. Allerdings, und dies wird noch Gegenstand weiterer Überlegungen sein müssen, eröffnet das Recht mit der Vertragsfreiheit eine Form von „Lizensierung“, mit der der mangelnden Typenvielfalt zu begegnen ist. Zur grundsätzlichen Problematik, dass der Homo Sociologicus Rollenerwartungen nur erfüllen kann, wenn sie mit seinen persönlichen Bedürfnissen und Zielen vereinbar sind, Schimank, Handeln und Strukturen, S. 67. 958 Sieht man von der grundsätzlichen Rolle als Gläubiger bzw. Schuldner ab.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Abweichen von Vorgaben nicht als kreative Chance in den Vordergrund rückt, werden die Möglichkeiten innerhalb des Rechts als Ordnungsrahmen durch das Parsonssche Rollenbild nicht aufgenommen. So ist das dispositive Recht nicht etwa nur ein Muster, das den Einzelnen durch Akzeptanz (z. B. für einen bestimmten Vertragstyp) zur Zufriedenheit führen kann. Indem das Recht vielfach dispositiv ist, ermächtigt es den Einzelnen vielmehr zu abweichenden Regelungen959. Abweichende Regelungen sind akzeptiert, wenn nicht gar gewollt.960 Luhmann961 führt aus, man stelle sich Recht oft als Einschränkung der Verhaltensmöglichkeiten vor. Ebenso gut könne das Recht aber auch die Funktion der Befähigung zu einem Verhalten übernehmen, das ohne Recht überhaupt nicht möglich wäre. Das ist, wie sich u. a. in Bezug auf die Vertragsfreiheit und ihrer Ausgestaltung gezeigt hat, u. a. im Vertragsrecht der Fall. Ist der Einzelne jedoch grundsätzlich frei, seine individuellen Wünsche mittels eines Vertrags umzusetzen, ist es ihm möglich, Vertragstypen zu ergreifen (oder auch nicht) bzw. solche zu modifizieren, muss das Verständnis der Rolle und der daraus (notwendig) folgenden Erkenntnisse bezüglich des Umgangs mit ihr einem anderen/ weiteren Verständnis gerade im Bereich der Vertragsgestaltung geöffnet werden. Ein entscheidender Schritt, wie die aktive Rollengestaltung insofern gelingen kann, kann möglicherweise über das Verständnis des symbolischen Interaktionismus erfolgen.
V. Schöpferische Individualität in Vertragsverhandlung und -gestaltung – Öffnung zum symbolischen Interaktionismus Insbesondere für den Gestalter, der aktiv an der (künftigen) Rolle seines Mandanten, an ihrem Inhalt, mitwirken will/muss962, bieten sich über den symbolischen Interaktionismus963 weitere/andere Erklärungsansätze bezüglich des Verständnisses 959 Möslein, Dispositives Recht, S. 34, u. a. (Fn. 129) unter Verweis auf Bülow, AcP 64 (1881), 1, 71 – 93. 960 Dispositives Recht kann damit auch für ein bestimmtes Rollenverständnis stehen, indem es Modifikationen und damit Freiheiten eröffnet. Vester, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Vertrag und dem Vertragsrecht, sieht in jeder Rolle auch Freiheitsgrade als enthalten an. Damit eine Rolle gut ausgefüllt werde, sei es oft erforderlich, dass diese Freiheitsgrade von den Rollenspielern auch in Anspruch genommen würden. So zum Vorstehenden Verster, Kompendium der Soziologie I, S. 58. 961 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 136; darauf hinweisend Möslein, Dispositives Recht, S. 35, Fn. 134. 962 Das betrifft den Anwalt als Interessenvertreter, der dieser Verpflichtung nicht zuletzt aufgrund einer Muss-Erwartung infolge seines Anwaltsvertrags ausgesetzt sein kann. 963 Kurze Darstellung der Entstehungsgeschichte des symbolischen Interaktionismus bei Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 139 ff.
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der zu entwickelnden Rolle. Verkürzt ausgedrückt geht es beim symbolischen Interaktionismus um „(…) eine Spielart der interpretativen Theoriemodelle in der Soziologie, die von der Grundidee ausgeht, dass die soziale Wirklichkeit durch interaktiv aufeinander bezogene Handlungsabläufe und den Austausch von Symbolen hergestellt wird. (…)“964
Aus Gründen der Schwerpunktsetzung sowie des Umstands, dass es keine „einheitliche“ Theorie des symbolischen Interaktionismus gibt,965 soll hier nachfolgend eine zugespitzte Beschäftigung erfolgen. 1. Grundausrichtung an George Herbert Mead966 Die Grundausrichtung soll aufbauen auf den Arbeiten George Herbert Meads. Das Werk Meads wird zwar keineswegs selbstverständlich als solches angesehen, welches den symbolischen Interaktionismus begründete.967 Vielmehr finde sich bei Mead der symbolische Interaktionismus nur fragmentarisch wieder.968 Andere Vertreter969 sehen dies durchaus gegenteilig. Man kann jedoch einen breiten Konsens dahingehend ausmachen, Meads Werk als dasjenige zu sehen, auf das der symbolische Interaktionismus zurückgeht.970 Aus dem Grund sollen die Ausführungen mit 964
So Endruweit/Trommsdorff/Lenz, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., „Interaktionismus, Symbolischer“. Zurück geht der Begriff „Symbolischer Interaktionismus“ auf Herbert Blumer, nachdem dieser nach dem Tod George Herbert Meads dessen Vorlesung in Chicago übernommen hatte; siehe Abels, Soziale Interaktion, S. 101 ff., gerade auch S. 103; Reiger, Symbolischer Interaktionismus, 137, 140. Blumer, ein Schüler Meads, wird zu den Hauptvertretern des Symbolischen Interaktionismus gezählt, dazu Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Blumer“. Siehe u. a. auch Blumer, Symbolischer Interaktionismus. 965 Dazu u. a. Endruweit/Trommsdorff/Lenz, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., „Interaktionismus, Symbolischer, 1. Interaktionistische Richtungen“; Etzrodt, Sozialwissenschaftliche Handlungstheorien, S. 294; einen anderen Eindruck u. a. erweckend Rose, Systematische Zusammenfassung der Theorie des symbolischen Interaktionismus, S. 266 ff. 966 1863 – 1931. Zur Biographie, Stellung, Werk und Wirkungsgeschichte Meads, Joas, George Herbert Mead, S. 7 ff. 967 Siehe u. a. Endruweit/Trommsdorff/Lenz, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., „Interaktionismus, Symbolischer; 1. Interaktionistische Richtungen“ unter Hinweis auf Joas, Praktische Intersubjektivität, S. 12. 968 Joas, Praktische Intersubjektivität, S. 12. 969 Siehe u. a. Rose, Systematische Zusammenfassung der Theorie des symbolischen Interaktionismus, S. 266, 266, 279, der Meads posthum veröffentlichtes Werk „Mind, Self and Society“ als weitaus vollständige und befriedigende Darstellung der Theorie ansah; außerdem Preglau, Symbolischer Interaktionismus, S. 57, 57. Mead als philosophischen Begründer des symbolischen Interaktionismus bezeichnend Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 140. Siehe außerdem Joas, George Herbert Mead, S. 7, der die Wirkungsgeschichte Meads vor allem in der Vaterschaft am „Symbolischen Interaktionismus“ ausmacht. 970 Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 15; Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, „Symbolischer Interaktionismus“; Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 36.
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den theoretischen Ansätzen Meads anfangen. Letzterer sah in seiner Theorie im Übrigen einen Teil des Sozialbehaviorismus.971 a) Annäherung an die Rolle über das Symbol Mead972 führt zu den Begriffen der Rolle sowie der Rollenübernahme hin über die anthropologische Theorie spezifisch menschlicher Kommunikation. Das Rollenverständnis bei Mead erschließt sich damit nur, wenn man sich neben dem Begriff der Rolle auch mit dem des Symbols bei ihm auseinandersetzt.973 Grundsätzlich erfolgt eine Unterscheidung in Zeichen, Gesten und Symbole.974 (Natürliche) Zeichen sind Sinnesreize,975 z. B. das Zucken bei einem lauten Geräusch.976 Als solche sind sie in ihrer Reflexartigkeit für unsere Zwecke zu vernachlässigen. aa) Gesten Anders sieht es bereits mit der nächsten Stufe aus, den Zeichen in Form von Verhalten.977 Diese nächste Stufe bezeichnet Mead als „Geste“.978 Allgemein sind Gesten körperabhängige Reize, die ihre Funktion darin haben, Reaktionen der anderen hervorzurufen, die selbst wiederum Reize für eine neuerliche Anpassung werden, bis es dann schließlich zur endgültigen gesellschaftlichen Handlung kommt.979 Gesten als interaktionssteuernde Auslösereize findet man zunächst in der tierischen Kommunikation („Zähnefletschen“).980 Dort obwaltet jedoch der Instinkt. Das kann beim Menschen durchaus ebenfalls der Fall sein. Beim Menschen kommt 971 Das herausstellend Abels, Soziale Interaktion, S. 71, unter Hinweis auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 44. Siehe auch Jäger/Coffin, Die Moral der Organisation, S. 104. 972 Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 138. Siehe u. a. bei Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 299 ff. 973 Siehe auch Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 36. Die Begrifflichkeit des Symbols findet sich keineswegs nur bei Mead. 974 Dazu unter Hinweis auf Mead u. a. Abels, Soziale Interaktion, S. 73; Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 36. 975 Abels, Soziale Interaktion, S. 73; Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 36. 976 Siehe zu Reizen und tatsächlichen Reflexen auch bei Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 45 ff. 977 Siehe auch Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 52, Fn. 9; diese gibt es grundsätzlich auch beim Tier, worauf hier jedoch nicht vertieft eingegangen werden soll. 978 Siehe Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 81 f., zur Übernahme des Begriffs von Wundt; der Abschnitt ist übersetzt mit „Wundt und der Begriff der Geste“. 979 So Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 83; darauf u. a. verweisend Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 83. 980 Siehe etwa Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 188; Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 36.
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es jedoch darüber hinaus zum bewussten Einsetzen eines Verhaltens als einer Ankündigung einer nachfolgenden Aktion.981 Ein Schulbeispiel ist die erhobene Hand zum Faustschlag. Die mit der Geste einhergehenden Reiz-Reaktions-Ketten982 führen zu elementarem sozialem Verhalten.983 Gesten in Form von instinktiv hervorgerufenen Reizen findet man auch in der Vertragsverhandlung. Das betrifft vor allem die „unbewusste“ Befreiung von Emotionen,984 die sich in bestimmten Gesichtsausdrücken oder Körperhaltungen zeigt. Als solche können sie durchaus Einfluss auf die Verhandlung nehmen, auch weil sie insoweit nicht bewusst gesetzt sind, allerdings nachhaltige „Informationen“ liefern.985 Das ist vor allem bei den Naturalparteien der Fall, wird vom Anwalt aufgrund seiner Profession doch eine „Unterdrückung“ instinktiver Gesten erwartet. Reiz-Reaktions-Ketten dürften demgegenüber in der Vertragsverhandlung seltener sein, jedenfalls, wenn man (noch) nicht darauf abstellt, dass die involvierten Akteure mit dem in Frage stehenden Reiz einen bestimmten Sinn verbinden, worauf sogleich noch einzugehen sein wird. Denn in Abgrenzung zum Tier verfügt der Mensch etwa über die Fähigkeit, seine Reaktionen zu verzögern, das heißt sich zu fragen, was eine Geste in einer konkreten Situation bedeuten könnte,986 sie zu interpretieren. Das gilt nicht nur für den Auslöser der Geste; der andere fragt sich nicht zuletzt, welche Idee dahintersteckt,987 auch er interpretiert988. Der Mensch verfügt über reflexive Intelligenz.989 Diese „Fähigkeiten“ sind notwendig vor dem Hintergrund, dass der Mensch anders als das Tier zum einen Gesten subjektiv bewusst setzen,990 ihnen außerdem einen Sinn geben kann. Der Sinn der Gesten liegt in der jeweils angepassten Reaktion des anderen „Organismus“,991 in der Vertragsverhandlung etwa des anderen Verhandlungspartners.992 Der Sinn ist dadurch bestimmt, welches Folgeverhalten oder Anschlussverhalten der Beteiligten durch den Gebrauch der Geste 981
Dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 188. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 83. Zur Reiz-Reaktionskette siehe auch das Beispiel aus der nachfolgenden Fußnote. Der Reiz (Schrei des Kindes) löst die Reaktion (Laut der Eltern) aus, der Laut der Eltern (wiederum ein Reiz) dann die Reaktion des Kindes (Ruhe). 983 Siehe auch das Beispiel bei Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 83, in dem das Kind schreit, die Eltern einen antwortenden Laut geben und sich daraufhin der Schrei des Kindes verändert. 984 Siehe dazu Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 36. 985 So kann ein erschrockener oder ablehnender Gesichtsausdruck etwas über die Beziehungsebene aussagen, oder wie man (tatsächlich) zu einem Verhandlungsangebot steht. 986 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 95. 987 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 84. 988 Dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 188. 989 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 158 f. 990 Siehe auch Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 121. 991 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 120. 992 Beispiel: Die erhobene, nach außen gekehrte Handfläche soll etwa bewirken, dass der andere schweigen soll. 982
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ermöglicht, gefordert oder blockiert wird.993 Gesten verweisen zudem auf etwas, das vor oder nach der konkreten Situation liegt.994 Sie sind außerdem nach der jeweiligen Situation interpretierbar.995 Kommt es zu einem subjektiv bewussten Setzen einer Geste und zu einer Verbindung mit einem Sinn, der ein gemeinsamer ist, so führt das zur Signifikanz. Gesten werden zu signifikanten bzw. zu einem signifikanten Symbol(en), „(…) wenn sie in Gesten setzenden Wesen die gleichen Reaktionen impliziert auslösen, die sie explizit bei anderen Individuen auslösen oder auslösen sollen – bei jenen Wesen, an die sie gerichtet sind. (…)“996
Signifikante Gesten finden sich bereits im undifferenzierten Bereich von praktischem Handeln und Interaktion.997 So kann die erhobene Faust einen entsprechenden tätlichen Angriff einleiten; sie kann zugleich, in entsprechendem Kontext (z. B. Gerangel auf der Straße), als Ankündigung eines solchen von beiden Seiten zu verstehen sein (Interpretation). Eine derartige Verquickung von Praxis und Interaktion ist etwa innerhalb der Vertragsverhandlungen ein zu vernachlässigendes Problem. Was dort jedoch als Schwierigkeit virulent werden kann, ist, ob einer Geste tatsächlich von beiden Seiten derselbe Sinn zugewiesen wird, oder aufgrund unterschiedlicher Interpretation nicht eine Quelle von Missverständnismöglichkeiten gegeben ist.998 Das wird noch dadurch verstärkt, dass vor allem nonverbale Gesten sich oftmals nur im jeweiligen Kontext erschließen. So kann ein Trommeln mit den Fingern vor der Verhandlung Unruhe ausdrücken, in der Verhandlung Ungeduld.999 Ein Anwalt sollte daher selbst solche potentiellen „Quellen“ von Missverständnissen in eigener Person unterlassen und möglichst auch darauf achten, dass sein Mandant dies ebenfalls tut.
993 So Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 187; siehe auch Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S.52, Fn. 9, wonach Gesten Bewegungen des ersten Organismus sind, die als spezifische Reize auf den zweiten Organismus wirken und die (gesellschaftlich) angemessene Reaktion auslösen. 994 Abels, Soziale Interaktion, S. 75, unter Hinweis auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 120 und 121, Anm. 15. 995 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 69. 996 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 86. Unter Bezugnahme auf Mead bezeichnen Abels/König, Sozialisation, S. 47, signifikante Symbole als solche, denen Menschen die gleiche Bedeutung beimessen und die bei ihnen die gleichen Reaktionen auslösen. 997 Siehe dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 188 f., unter Hinweis auf Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band II, S. 46. 998 Zum Risiko widersprüchlicher Interpretationen, Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 20. 999 Letztlich geht es um das Problem, ob tatsächlich Signifikanz vorliegt, die ja einen gemeinsamen Sinn erschließen soll.
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bb) Symbole Missverständnisse können auch bei anderen Zeichen auftreten, u. U. bei einem höheren „Abstraktionsgrad“ jedoch geringer sein. Zuvor wurde bereits der Begriff „Symbol“ verwendet. Als Symbole werden besonders differenzierte Gesten bezeichnet, deren Kennzeichen es ist, Erfahrungskomplexe zu bündeln und über eine konkrete Situation hinaus auf einen weiteren Sinnzusammenhang zu verweisen; sie haben einen allgemeinen Sinn.1000 Durch Symbole wird auf den Sinn einer Sache verwiesen.1001 Drücken Symbole eine dahinter stehende Idee aus und wird diese Idee dann auch im anderen Menschen ausgelöst, so liegt wiederum Signifikanz vor.1002 Sender und Empfänger müssen damit eben dieselbe Bedeutung verbinden.1003 Zwar können nun Gesten zu signifikanten Symbolen werden.1004 Gleichwohl kann man unterschiedliche „Stufen“ ausmachen. Es geht dabei um unterschiedliche Grade der „Ablösbarkeit“ des Zeichens von dem, für das es steht.1005 Die größte „Ablösung“, so Miebach1006, weisen vokale Gesten, folglich Wörter und Sätze auf. Vokale Gesten sind der Ursprung der Sprache,1007 Sprache ist ein signifikantes Symbol1008. Sie nimmt eine Sonderstellung ein. Vokale Gesten innerhalb einer Sprache führen dazu, dass die jeweiligen Mitglieder einer Gesellschaft damit dieselbe Bedeutung verbinden.1009 Damit sind freilich nicht per se Missverständnisse und Missinterpretationen ausgeschlossen.
1000
Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, 4. Aufl., S. 119; Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 20; dort unter Hinweis auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 162 f., Fn. 29. Siehe ferner Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 189. 1001 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 162 f., Fn. 29. 1002 Vgl. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 85, zur Sprache. 1003 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 84. 1004 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 86. 1005 So Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 84; dort, Fn. 12, der Hinweis darauf, dass der Ausdruck „Ablösbarkeit“ von Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 1982, S. 39, übernommen wird. Eine hohe Ablösbarkeit zeichnet sich nach Miebach, S. 84, u. a. dadurch aus, dass das Zeichen losgelöst von einer bestimmten Situation verstanden werden kann, es zudem eine bestimmte Vorstellung auslöst, ohne dass sich diese unmittelbar realisieren muss. Das Wort „Auto“ steht für ein technisches Gebilde, es löst entsprechende Vorstellungen aus, ohne dass sich ein Auto mit dem Ausspruch selbst „realisiert“. 1006 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 84. 1007 Dazu Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 21; siehe bei Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 85, dazu, wann die Geste/das Symbol zur Sprache wird. 1008 Dazu Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 85. Zur Sprache als signifikantes Symbol bei Mead Jäger/Coffin, Die Moral der Organisation, S. 108. 1009 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 84, unter Hinweis auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 94, 191.
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Sprachliche Symbole eröffnen ferner die Möglichkeit, ihren Sinn ins Denken aufzunehmen1010 und einen entsprechenden Reflexionsprozess auszulösen. Sprache ermöglicht spezifische kommunikative Handlungen.1011 Wir können den anderen verstehen und damit öffnet sich der Weg zu dem, was Mead im Kontext mit der „Rolle“ so interessant macht: die Begründung der Fähigkeit zur Rollenübernahme („taking the role of the other“).1012 b) Rollenübernahme Meads Umgang mit der Rolle ist in mehreren „Etappen“ zu betrachten. Anzuknüpfen ist zunächst an die von Mead geprägte – soeben schon benannte – Begrifflichkeit der Rollenübernahme,1013 das „taking the role of the other“1014. aa) Rolle und Interaktion Das, was die „Rollenübernahme“ grundsätzlich ausmacht, erschließt sich in einem ersten Schritt über den Gebrauch der zuvor dargestellten Gesten und jeweiligen Symbole, vor allem der signifikanten Symbole und dabei im Besonderen über die Sprache. Geht man davon aus, dass die Menschen in der Praxis die Symbole durch Interaktion1015 mit anderen lernen1016, kann man insoweit von „geteilten“ Symbolen sprechen, sie sind eben signifikant.1017 Aufgrund des Umstands, dass es gemeinsame Symbole gibt, denen eine gemeinsame Bedeutung zugewiesen wird, kann nun im Wege der menschlichen Kommunikation das passieren, was Mead als „taking the role of the other“1018 beschreibt. 1010 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 84 f., unter Hinweis auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 87. 1011 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 189. 1012 Die Fähigkeit zur Rollenübernahme hängt eng mit dem Umgang mit Erwartungen zusammen. „Erwartungen“ sind auch bei Dahrendorf oder innerhalb der Systemtheorie von Bedeutung. Siehe nur zu Parsons, der unter Rollen normative soziale Erwartungen versteht, an denen sich die Individuen in ihrem Handeln orientieren, Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 101. 1013 U. a. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 108. 1014 Begrifflichkeit im Original u. a. bei Mead, Mind, Self, and Society, S. 161. 1015 Auch bezüglich der Interaktion sind selbstverständlich nicht nur Meads Forschungen innerhalb der Rollentheorie relevant; siehe dazu nur die Ausführungen zu Parsons’ Interaktionssystem. 1016 Symbole wie „Stuhl“ oder „Haus“ lernen wir durch Interaktion beim Aufwachsen. Juristische Symbole „lernt“ der Mandant vielfach erst durch die Interaktion mit dem Anwalt. Sie weisen zwar schon vorher Signifikanz auf (andere teilen sie bereits), mussten vom Mandanten gleichwohl noch „erlernt“ werden. 1017 Zum Vorstehenden Rose, Systematische Zusammenfassung der Theorie der symbolischen Interaktion, S. 266, 268. 1018 Dazu, dass role-taking möglich ist, weil/wenn von den Beteiligten gleiche Symbole verwendet werden, Abels, Identität, S. 206.
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So ist es in der Regel durch Symbole in Form von vokalen Gesten möglich, im Individuum selbst die gleiche Reaktion wie in dem anderen auszulösen.1019 Dieses Auslösen derjenigen Reaktion im Individuum selbst, die sie auch im anderen Individuum hervorruft, führt dazu, dass man an dem Prozess teilnimmt, der in der anderen Person abläuft.1020 Das heißt, Ego (z. B. Verhandlungspartner 1) kann sich vorstellen, wie Alter (z. B. Verhandlungspartner 2) wahrscheinlich reagieren wird, das Verhalten des anderen wird antizipierbar.1021 Diese „Leistung“ zeichnet den Menschen im Gegensatz zum Tier aus. Der Mensch kann die vorhandenen signifikanten Symbole nutzen, er kann, indem er die voraussichtliche Reaktion des anderen antizipiert, dies auch zur eigenen Verhaltenssteuerung nutzen. Der Mensch kann also reflektiert „denken“.1022 Diese Möglichkeit zur Auslösung der gleichen Reaktion beim Individuum wie beim anderen, die Möglichkeit zur Antizipation des Verhaltens des anderen, ist somit das, was Mead1023 unter „Rollenübernahme“ erfasst. Es geht also nicht darum, eine bestimmte („vorgefertigte“) Rolle zu „ergreifen“,1024 z. B. einen bestimmten Beruf aufzunehmen. Für das „Rollenverständnis“1025 folgt daraus zunächst, dass die „Rolle“ das Muster von Verhaltenserwartungen an den Interaktionspartner ist.1026 Es resultiert aus der Antizipation des situationsspezifischen Verhaltens des anderen,1027 bildet sich in der Interaktion heraus und beruht auf dem Einverständnis des anderen1028. 1019
Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 113. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 113; Hervorhebung durch die Verfasserin. 1021 Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 22; Joas, Der gegenwärtige Stand der soziologischen Rollentheorie, S. 37. Siehe bei Joas auch zu dem Hinweis auf die Begründung der Antizipierbarkeit bei Mead aufgrund einer zeitlichen Verschiebung bestimmter Eigenschaften über das menschliche zentrale Nervensystem. 1022 Siehe Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 112 f.; siehe auch Joas, Der gegenwärtige Stand der soziologischen Rollentheorie, S. 37. 1023 Siehe etwa Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 113. 1024 Joas, Der gegenwärtige Stand der soziologischen Rollentheorie, S. 37. 1025 Im Nachfolgenden dreht sich die Auseinandersetzung maßgeblich um die „Rolle“. Positionsdenken, vergleichbar bei Dahrendorf, aber auch bei Parsons, der sich ja u. a. auf Linton bezieht, findet man in der Form bei Mead nicht. Allerdings ist auch innerhalb des symbolischen Interaktionismus, so man Mead hierunter fasst, die Bindung der Rolle an eine Position weit verbreitet; dazu u. a. m. w. N. Etzrodt, Sozialwissenschaftliche Handlungstheorie, S. 294 f. Rose, Systematische Zusammenfassung der Theorie des symbolischen Interaktionismus, S. 266, 272, der in seinem Beitrag gerade auch die Auseinandersetzung mit Mead sucht, sieht die Rolle etwa als Bestimmung und Leistung des Verhaltens des Einzelnen in einem gegebenen sozialen Rahmen. Mead selbst liefert u. a. mit der Orientierung am generalisierten Anderen, dazu sogleich, eine Ausrichtung, die ein Anknüpfen der Rolle an eine Position erlaubt. 1026 So Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 138. 1027 So Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 138; siehe auch Rose, Systematische Zusammenfassung der Theorie des symbolischen Interaktio1020
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Das spräche für eine Rolle/ein Rollenhandeln, das sich aus bloßer Interaktion ableitet. Das wäre in Bezug auf Mead jedoch bei Weitem zu kurz gegriffen. Vielmehr finden auch bei ihm Einflussnahmen etwa durch „Regeln“ statt. Wie solche und andere Einflüsse aussehen, die die Rolle (mit-)prägen, bedarf weiterer Differenzierung. Relevant ist u. a., wie der Einzelne auf das in diesem Abschnitt beschriebene „role-taking“ „vorbereitet“ wird.1029 bb) Sozialisation (1) „Play“ und „Game“ Zum „Rollenverständnis“ bedarf es einer Auseinandersetzung mit der „Sozialisation“ bei Mead, gerade wegen der menschlichen Fähigkeit zum „taking the role of the other“. Mead selbst hat den Begriff „Sozialisation“ nicht verwandt;1030 er spricht allerdings von einem „organisierten gesellschaftlichen Erfahrungs- und Verhaltensprozess“.1031 Für den „Prozess des Hineinwachsens in die Erwachsenengesellnismus, S. 266, 270, zur Übernahme der Rolle eines spezifischen Rollenpartners innerhalb der Kommunikation. 1028 So Joas, Der gegenwärtige Stand der soziologischen Rollentheorie, S. 38. 1029 Siehe dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 70 ff. Cook, George Herbert Mead, S. 78 f., führt aus, Mead selbst weise auf begriffliche Misslichkeiten hin. So kommentiere Mead die Phrase „taking the role of the other“ an einer Stelle in Mind, Self and Society in der Weise: „is a little unfortunate because it suggests an actor’s attitute which is actually more sophisticated than that which is involved in our own experience. To this degree it does not correctly describe that what I have in mind.“ (Mead, Mind, Self, and Society, S. 161.) Cook, S. 79, macht im Anschluss deutlich, dass „taking the role of the other“ in Meads Werk in verschiedener Weise besetzt ist. So heißt es bei Cook: „Suppose, for instance, that we think of a role as ,a socially prescribed way of behaving in particular situations for any person occupying a given social position or status.‘ Then we will be led to expect them when Mead speaks of an individual „taking the role of the other“, he means that an individual engages in a rather complex pattern of behavior ordinarily appropriate for a person occupying the other’s social position or status. This interpretation, however, would be overly narrow. Certainly one can find passages in Mead’s work where he does use the phrase ,taking the role of the other‘ in this way, but there are also passages where this phrase or an equivalent is applied to cases in which an individual’s conduct exhibits selected enough to qualify as a role in this restricted sense.“ Zur Vermeidung der irreführenden Konotation schlägt Cook vor, anstatt „taking the role of the other“ alternativ „taking the attitude of the other“ zu verwenden, eine Phrase, auf die Mead selbst häufig zugreife. Zur Verwendung dieser Begrifflichkeit bei Mead selbst siehe etwa Mead, Mind, Self, and Society, u. a. S. 179, 193. Im Nachfolgenden wird, der überwiegenden Sekundärliteratur folgend, allerdings weiterhin der Ausdruck des „taking the role of the other“ (role-taking) benutzt. 1030 Vgl. aber etwa Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79 und 81 f., der bei Mead u. a. ein Sozialisationsmodell ausmacht. 1031 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 301. Darauf sowie auf die mangelnde Begriffsverwendung der „Sozialisation“ bei Mead hinweisend Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 67.
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schaft“1032 macht Mead zwei wesentliche Phasen in der kindlichen Entwicklung aus: „play“ und „game“.1033 In der Phase des „play“/„role-playing“ tritt das Kind in ein nachahmendes Spiel.1034 Das Kind übernimmt Haltungen einer Bezugsperson,1035 es schlüpft in die Rolle eines signifikanten Anderen, es wird dieser Andere im Moment des Spiels1036. „Rolle“ ist dabei als Komplex von Verhaltensmustern zu verstehen, die typisch für diese bestimmte Person sind.1037 Auch hier sind die Orientierungsgrundlagen des Handelns antizipierte Handlungen.1038 Das Kind interagiert mit einem imaginären Partner, es nimmt dabei aber beide Teile ein; hierbei wird das Verhalten des anderen, z. B. der Mutter, durch Imitation repräsentiert und durch das eigene Komplementärverhalten ergänzt.1039 Ein solches „role-playing“ ist u. a. auch in bestimmten Vorbereitungssituationen auf eine Vertragsverhandlung vorstellbar. Das gilt vor allem, wenn man sich möglicherweise beim kompetitiven Verhandeln taktisch auf den anderen einstellen will. Die Phase des „play“ kann damit auch noch im Erwachsenenalter genutzt werden. Während es im „play“ nur um die Antizipation bezüglich der jeweils anschließenden Reaktion eines Einzelnen geht,1040 geht die nächste Stufe weiter. Hier dreht es sich um das Zusammenspiel mehrerer Rollen, wobei „Rollen“ die Komplexe von Verhaltensmustern sind, die typisch für bestimmte Personengruppen sind.1041 Mead verdeutlicht das am Wettkampf („game“), der im Leben des Kindes den Übergang von der spielerischen Übernahme der Rolle anderer zur organisierten Rolle hin repräsentiert.1042 So muss man beispielsweise in einer Mannschaftssportart wie Fußball oder Handball, in der mehrere Handelnde gleichzeitig agieren, Unterschiedliches bewältigen. Verlangt wird hier das Hineinversetzen in mehrere Rollen1043 im Wege 1032
So Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79. Beide Phasen werden in der Regel im Zusammenhang mit der Entwicklung der Identität des Individuums dargestellt, siehe u. a. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 78 ff.; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213 ff. Gleichwohl lassen sich zunächst „nur“ die „Sozialisationselemente“ abstrahieren; vgl. auch das Vorgehen bei Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 71 f. 1034 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 192. 1035 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79. 1036 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 71; siehe auch Abels/König, Sozialisation, S. 49. 1037 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213; Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 82, bezeichnet beim nachahmenden Spiel die Rollennormen als Organisation der Haltungen. 1038 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 220. 1039 Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 139; siehe auch Schneider Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213. 1040 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213. 1041 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213. 1042 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 194. 1043 Dazu Abels, Soziale Interaktion, S. 82 f. 1033
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
der Rollenübernahme (z. B. Verteidiger, Angreifer, Mittelstürmer). Es geht nicht um das isolierte Betrachten einer einzelnen Rolle, sondern um das Zusammenwirken mehrerer Rollen, um ein „Beziehungsgeflecht“.1044 Nur so können auch die involvierten Rollen „funktionieren“; es geht darum, in Anlehnung an das Bild der Mannschaftssportart, „richtig“ zu spielen.1045 Dahinter steht das Erreichen eines gemeinsamen Ziels,1046 mit dem es sich beim „game“ zu identifizieren gilt1047.1048 Die Rollen bilden daraufhin eine Einheit.1049 (2) Generalisierter Anderer Damit ein solches „Beziehungsgeflecht“ vom Einzelnen erfasst werden kann,1050 gibt es „Spielregeln“ oder eben „Regeln“.1051 In diesem Kontext kann man mit Mead dann von „generalisierten Anderen“ („generalized other“1052) sprechen.1053 Das bedeutet, der Handelnde muss sich, wie ausgeführt, an dem für alle Handelnden gültigen Ziel orientieren1054 (z. B. dem Sieg im Spiel)1055, es geht um die Summe aller Haltungen in einer bestimmten Gemeinschaft oder Gruppe,1056 eben dem „generalisierten anderen“. Die Verhaltenserwartung des generalisierten Anderen drückt aus, 1044
Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 84. 1046 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79. 1047 Abels, Soziale Interaktion, S. 82. 1048 Innerhalb der Vertragsverhandlung kann z. B. das rationale Verhandlungsmodell als Beziehungsgeflecht für die Rollen der einzelnen Teilnehmer gesehen werden. Nur wenn die Rollen dort zusammenwirken, kann das gemeinsame Ziel (befriedigende Lösung für beide) erreicht werden. Allerdings muss dafür eine Vermittlung und Identifikation des Einzelnen mit dem Ziel der Verhandlung erfolgen; dazu sogleich. 1049 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79; dort (S. 80) auch der Verweis auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 196, wonach sich die von den Teilnehmern angenommenen Haltungen der Mitspieler zu einer gewissen Einheit organisieren. Hier zeigt sich auch das Erfahren und Anwenden von Handlungen, siehe dazu Abels, Soziale Interaktion, S. 82 f. 1050 Siehe dazu Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79. 1051 Siehe Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 194, wonach sich Kinder sehr für Spielregeln interessieren; die Ausführungen bei Mead stehen wiederum im Zusammenhang mit der Identitätsbildung. 1052 Begrifflichkeit im Original u. a. bei Mead, Mind, Self, and Society, S. 154. 1053 Siehe Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 196; dort erneut im Zusammenhang mit der Identität. Auch bei Parsons finden sich Ausführungen, die in entsprechende Richtungen gehen, so hinsichtlich eines sprachlichen Codes aus generalisierten Normen, Parsons, Social Interaction, 429, 437. Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 203, weist auf die Nähe von Parsons und Mead in Bezug darauf hin, wie Kommunikation zwischen Individuen möglich ist. Er stellt aber wiederum heraus, Parsons betone stärker die normativen Vorgaben. 1054 Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 139. 1055 Innerhalb der rationalen Verhandlung geht es z. B. darum, eine Lösung zu erarbeiten, in der beide Seiten ihre Interessen wiederfinden. 1056 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 71 unter Verweis auf Mead. 1045
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was „man“ in einer konkreten Situation von allen Handelnden erwartet; es ist das „Bild“, das von einer Rolle hier besteht.1057 Verhaltenserwartungen sind im Gruppenspiel die angesprochenen „Spielregeln“.1058 Diese Regeln haben in der jeweiligen Gruppe ihren „Träger“.1059 Zudem muss sich das Individuum der Regeln auch bewusst sein.1060 Es geht also darum, dass z. B. das Kind in diese größeren symbolischen Werte „hineinwächst“ und die Regeln lernt.1061 Das Lernen von „Regeln“1062 endet nicht im kindlichen Spiel, beschränkt sich auch nicht auf solche einzelner Gruppen. Vielmehr können sich die Verhaltensregeln des verallgemeinerten Anderen auf größere Gemeinschaften beziehen, können Normen und Werte der (Gesamt-)Gesellschaft beinhalten.1063 Es geht um eine organisierte Haltung aller Mitglieder der Gemeinschaft,1064 die bei allen vorhanden ist.1065 Auch in die verallgemeinerten Verhaltenserwartungen gilt es „hineinzuwachsen“.1066 1057
Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 86. Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 139. Das bedeutet innerhalb der Vertragsverhandlung etwa die Regel, den anderen zu Wort kommen zu lassen. 1059 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 80, entwickelt drei Komponenten des verallgemeinerten Anderen, wozu u. a. der Träger der Regeln und die Regeln selbst gehören. 1060 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 80, als dritte Komponente. 1061 Als Mechanismus der Vermittlung nennt etwa Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 82, den Wettkampf. Siehe aber noch unten innerhalb der Ausführungen zur Identität, dass es bei Mead letztlich nicht darum geht, blinden Regelgehorsam oder mangelnde Kritikfähigkeit zu schaffen. 1062 Dieses „Lernen“ der Regeln gilt etwa auch für unser Beispiel der rationalen Verhandlung. Allerdings wird dort der Mechanismus der Vermittlung nicht im Wettkampf zu sehen sein; siehe auch dazu noch sogleich. 1063 Siehe dazu Joas, Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung, S. 137, 139; Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 220. Ferner Abels, Soziale Interaktion, S. 88 f., der im Einnehmen u. a. von Gesetzen eine Entwicklungsstufe ausmacht; Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 82, 80, führt bezüglich der Trägereigenschaft auch die gesamte Gesellschaft an. 1064 Siehe Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 204, allerdings dort in Bezug auf Normen und Werte. 1065 Zum im verallgemeinerten Anderen festgelegten Regeln bezüglich der Gemeinschaft und der Institution siehe auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 80 f.; ferner Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 87, zur Bezeichnung gemeinsamer, überindividueller Reaktionen als organisierte Handlungen oder Institutionen bei Mead. Vgl. bei Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 308, „(…) sind die Institutionen der Gesellschaft organisierte Formen der Tätigkeit der Gruppe oder der Gemeinschaft – und zwar so organisiert, daß das einzelne Mitglied der Gesellschaft adäquat und gruppenkonform handeln kann, indem es die Haltung anderer zu dieser Tätigkeit einnimmt. (…)“. Eine Institution ist z. B. das Eigentum oder das Gesetz; bezüglich des letzteren siehe etwa Abels, Soziale Interaktion, S. 88. 1066 Siehe Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 87, der den Erwerb im Wege der Sozialisation anspricht. 1058
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Eine weitere Stufe des generalisierten anderen, die hier allerdings nicht vertieft werden soll, liegt in der universalen menschlichen Gesellschaft als Träger, die Regeln des anderen sind dann Prinzipien.1067 Es geht insoweit um die Möglichkeit des Einzelnen, im Wege des Dialogs die Gesellschaft zu verändern. (3) Soziale Kontrolle Die Phasen des „play“ und des „game“ als „Sozialisation“ beinhalten nicht zuletzt die Erfahrung mit sozialer Kontrolle.1068 Es sind vor allem die Normen im Sinne von verallgemeinerten Erwartungen (der Gesellschaft), die einen (allgemeinen) Vergleichsmaßstab eröffnen, anhand derer eine Beurteilung als „richtig“ oder „falsch“ möglich ist, gerade auch vom Standpunkt eines Dritten. Daran anknüpfende Sanktionen1069 bei Verstoß erscheinen dann als „gerecht“.1070 Nimmt man diesen zuletzt genannten Aspekt, verbunden mit dem, was u. a. zur Ausrichtung am generalisierten Anderen sowie im Übrigen zur „Sozialisation“ ausgeführt wurde, so tauchen durchaus Parallelen zu den Ansätzen bei Parsons oder Dahrendorf auf. Vor allem bei Parsons war das Bild des „Lernens von Regeln“ zur Verhaltensausrichtung vertraut. Trotzdem, und das werden die nachfolgenden Ausführungen sowie die Übertragung der Meadschen Erkenntnisse auf die Vertragsgestaltung zeigen, gibt es deutliche Unterschiede. Zunächst soll jedoch in einem ersten weiteren Schritt aufgezeigt werden, welche Auswirkungen namentlich der generalisierte Andere für die Einnahme der Sichtweise eines anderen in einer bestimmten Situation hat, um dann darzulegen, wie doch der Einzelne stärker in den Vordergrund tritt und wo sich etwa in Bezug auf Parsons Unterschiede ergeben, die es für unsere Zwecke nutzbar zu machen gilt. cc) Generalisierter Anderer als „Interpretationshilfe“ Oben wurde bereits deutlich, dass „role-taking“ bei Mead nur möglich ist, weil die Teilnehmer über gemeinsame Symbole verfügen. Gesten/Symbole spielen ebenso in der „Sozialisation“1071 oder im „organisierte(…)(n) Verhalten“1072 eine Rolle. In der 1067
Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 82. Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 32, unter Hinweis auf Mead, Die Genesis des sozialen Selbst und die soziale Kontrolle, S. 90. 1069 Nicht unproblematisch ist die Frage nach der sozialen Kontrolle in unserem Beispiel der rationalen Verhandlung im Kontext von „play“ und „game“. Sollte sich jemand nicht an die Regeln der rationalen Verhandlung halten (z. B. grundloser Abbruch, wobei aber gerade keine Einigungspflicht besteht), so kann die Sanktion möglicherweise darin bestehen, dass er in Geschäftskreisen nicht mehr als vertrauenswürdig angesehen wird. 1070 Zum Vorstehenden Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 216. 1071 Sich damit auseinandersetzend, ob Mead eine rekursive Argumentation aufstellt, Jäger/Coffin, Die Moral der Organisation, S. 106. In der Sozialisation würden Symbole erworben, die dann, im Rahmen der Interaktion, entweder bestätigt oder verändert würden. Die 1068
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„Vorbereitung“ auf das „role-taking“ ging es nicht nur darum, einen bestimmten Inhalt für Gesten/Symbole zu erlernen. Darüber hinaus war ferner das Hineinwachsen in bestimmte Interpretationen, die typisch für bestimmte soziale Gruppen/ Gemeinschaften sind, bedeutsam,1073 das heißt, es ging um das Erfassen des generalisierten Anderen.1074 Man kann also den generalisierten Anderen durchaus als „Interpretationshilfe“ ausmachen. Denn das Lernen der Regeln/Normen des verallgemeinerten Anderen beeinflusst die Interaktion1075 und damit die Rollenübernahme in einer bestimmten Situation, weil man durchaus von der Möglichkeit ausgehen kann, der andere werde sich so, wie es die „Spielregeln“ vorgeben, verhalten.1076 Diese Erwartung ist ein Sinn der Interaktion.1077 Folglich prägt es demnach den Vorgang des Hineinversetzens in den anderen in der konkreten Situation. Der generalisierte Andere hat also Einfluss auf die Antizipierbarkeit des anderen, er macht in vielen Fällen das Verschränken der gegenseitigen Perspektiven einfacher.1078 So können sich mittels des generalisierten Anderen etwa Mieter und Vermieter innerhalb eines Mietverhältnisses ineinander hineinversetzen, so sie jedenfalls erwarten, jeder werde sich an die „Spielregeln“ (Mietrechtsnormen, Vertragsrecht) halten.1079 Mit der Ausrichtung vor allem am generalisierten Anderen „scheint“ der zuvor dargestellte Rollenbegriff in seiner „freien“ Entwicklung hinfällig. Vielmehr drängen sich nachgerade Verbindungen etwa zu Parsons auf.1080 Einer zu großen AnSozialisation stelle Symbole zur Interaktionsverfügung auf, während die Interaktion Symbole zur Sozialisationsverfügung schaffe. 1072 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 1, S. 97. 1073 Dazu Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 70. 1074 Meads Rollenübernahme damit erklärend, dass man sich am generalisierten Anderen orientiert und damit in der Lage ist, sich in die Rolle des anderen zu versetzen, Abels/König, Sozialisation, S. 48. 1075 Jäger/Coffin, Die Moral der Organisation, S. 104, machen den generalisierten Anderen zum „Dreh- und Angelpunkt, wenn es um Kommunikation und Achtung geht.“ 1076 Abels/König, Sozialisation, S. 47, bezeichnen den „generalisierten Anderen“ als den gedachten Horizont der Vorstellungen, was „man“ in einer bestimmten Situation gewöhnlich so tue und was man deshalb auch von allen Beteiligten mit Fug und Recht erwarten könne. (Hervorhebung im Original.) Zur Gleichsetzung des „verallgemeinerten Anderen“ mit dem „Kollektivbewusstsein“ bei Durkheim Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band II, S. 73. 1077 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 86. 1078 In dem Fall erfolgt wiederum über die Kommunikation eine Integration in den organisierten Verhaltensprozess; vgl. zur Problematik Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 70. Zum Verschränken der Perspektiven auch Abels/König, Sozialisation, S. 51. 1079 Das Erlernen gerade der hier relevanten gesetzlichen „Spielregeln“ erfolgt vielfach durch den Anwalt. 1080 Zu Parallelen zwischen Mead und Parsons u. a. Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 2, S. 231, wo auch auf ein Berufen Parsons’ auf Mead hingewiesen wird. Dazu, dass Mead „Grundbausteine für eine Systemtheorie“ lieferte, Jäger/Coffin, Die Moral der Organisation, S. 109.
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näherung an Parsons ist jedoch sogleich wieder entgegenzutreten. Denn der generalisierte Andere, der hier gleichsam „abstrakt“ dargestellt wurde, darf, um Meads Ausführungen in ihrer Gänze zu erfassen, in den bisherigen Darstellungen nur als „Zwischenschritt“ aufgefasst werden. So steht bei Mead nicht die Rolle im Vordergrund, außerdem wird ein Abweichen von Rollenerwartungen nicht grundsätzlich als Gefahr für die Ordnung1081 begriffen. Bei Mead rückt innerhalb der Auseinandersetzung mit der Rolle stärker der Einzelne1082, bzw. seine „Identität“1083 in den Vordergrund.1084 Um somit das Rollenverständnis bei Mead letztlich erfassen zu können, die Bedeutung in der Interaktion diesbezüglich sowie den bereits angesprochenen Prozess des organisierten Verhaltens, gilt es die „Identität“, das „Self“ im Verständnis Meads zu analysieren. c) „Self“ Bei der Auseinandersetzung mit Mead findet sich in der Sekundärliteratur häufig die Begrifflichkeit der „Identität“1085 oder auch des „Selbstbewusstseins“1086. Diese Begrifflichkeit bezieht sich auf den Ausdruck des „Self“ u. a. in Meads Werk „Mind, Self, and Society“. Um eine möglichst große Einheitlichkeit der Darstellung zu erreichen, wird im Nachfolgenden nicht auf die unterschiedlichen Übersetzungen eingegangen, sondern jeweils der Begriff aus dem Original, also das „Self“, gewählt.
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So die Grundausrichtung bei Parsons. Zur stärkeren Fokussierung auf das Individuum bei Mead etwa Beer, Erkenntniskritische Sozialisationstheorie, S. 32. 1083 Dazu, dass bei Parsons das Thema der Identität nur am Rande eine Rolle spiele, Junge, Die Persönlichkeitstheorie von Talcott Parsons, 103, 109. 1084 Dazu, dass Parsons die Normativität im Gegensatz etwa zu Mead betont, Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 198. Siehe auch Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 37, wonach Parsons die Soziologie der Ordnung vertrete. Dort auch dazu, dass Parsons eine Differenz zwischen Individuum und gesellschaftlichen Erwartungen als Defizit interpretiert sowie Ausführungen, wonach Parsons die Rolle in das Zentrum stellt, Mead die Identität. 1085 Dazu u. a. Jörissen, George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Perspektive des Sozialbehaviorismus, 87, 91 ff.; Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 328 ff.; Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 74 ff. Siehe auch die deutsche Übersetzung von Meads „Mind, Self and Society“ (Geist, Identität und Gesellschaft), 3. Aufl., Frankfurt/Main 1978. 1086 Siehe dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 206; dort auch der Hinweis, dass damit nicht der gemeine Gebrauch des Begriffs „Selbstbewusstsein“ gemeint ist; Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, S. 12, bezeichnet „Selbstbewußtsein“ im philosophischen Sinn als Bewusstsein von sich selbst. (Hervorhebung im Original.) 1082
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aa) Möglichkeit zur Selbstbezüglichkeit Die Annäherung an das Verständnis des „Self“ soll gerade anknüpfend an die Ausführungen zur „Sozialisation“ erfolgen. Nach Mead ist das „Self“ zunächst begründet durch die Möglichkeit der Selbstbezüglichkeit beim Menschen, das heißt, der Einzelne wird für sich selbst zum Objekt1087. Die Gewinnung des (eigenen) „Self“ erfolgt also, indem ich mich (der Einzelne) nun mit den Augen der Anderen sehe,1088 indem ich mich in die Rolle des Anderen versetze.1089 Die Vorgänge des „play“ und des „game“ bekommen somit für die Identitätsbildung Bedeutung;1090 dies gilt aber in erster Linie bezogen auf den Einsatz des Mediums „Sprache“. Es ist namentlich die Sprache als Verhalten, über die der Einzelne zum Objekt für sich selbst werden kann.1091 Nach Mead ist der Einzelne fernerhin auch so lange keine „Self“ im reflektierten Sinn, als er nicht sich selbst Objekt ist.1092 Mit der Bezugnahme auf Rollen und Sprache für das „Self“ wird somit Weiteres in Hinblick auf den Meadschen Ansatz deutlich. Kommunikation vermittelt über Sprache richtet sich nicht nur an andere, sondern auch an den Einzelnen selbst.1093 Es findet, gerade weil man auf die innerlich übernommene Rolle des Anderen reagiert, ein innerer Dialog statt.1094 Verbunden mit der Übernahme der Rollen anderer ist weiterhin, dass das „Self“ keine einsame Entwicklung durchmacht, nicht durch reine Selbstreflexion entsteht, sondern maßgeblich durch die Prozesse sozialer Interaktion (mit-)geprägt wird.1095 Das wirkt sich auf das Handeln aus, denn indem wir uns mit einer bestimmten Rolle aus der Sicht der Anderen identifizieren, deren Reaktion antizipieren, können wir uns zu uns selbst als Person in der entsprechenden Rolle verhalten.1096 Folgt man Mead mit der Bildung des „Self“ u. a. über die unter1087
Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 180, 182, 185. Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 25. 1089 So kann etwa der Mieter sich in seinen Vermieter hineinversetzen und dessen Sicht auf einen selbst (Mieter) einnehmen. 1090 Dazu u. a. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 78 ff. 1091 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 184. 1092 Siehe auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 79, unter Bezugnahme auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 180, wonach Mead voraussetze, dass Individuen ihre Identität (Self) nicht direkt erfahren können. Dreitzel, Die gesellschaftlichen Leiden und die Leiden der Gesellschaft, S. 52, führt, in Abgrenzung zum Tier, aus, der Mensch lebe in einem Bruch mit sich selbst, in einer „exzentrischen Positionalität“, die ihn dazu zwinge, sich seine Mitte erst zu suchen und damit die ihm eigene „Weltoffenheit“ in einem wiewohl überschreitbaren Horizont einzugrenzen, innerhalb dessen er sich als dieser oder jener verstehe. (Hervorhebungen im Original; bezüglich der „exzentrischen Positionalität“ führt Dreitzel als Beleg an, der Begriff sei ein Kernstück der Anthropologie von H. Plessner unter Anführung von H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, 2. Aufl., Düsseldorf 1964.) 1093 Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 26. 1094 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 207. 1095 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 207. 1096 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 208. 1088
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schiedlichsten Rolleneinnahmen des Einzelnen, so steht das im krassen Gegensatz etwa zu Dahrendorf, der den Einzelnen nur jenseits der Rolle als frei ansah.1097 Es werden nicht zuletzt diese Erkenntnisse sein, die innerhalb der Untersuchung von Vertragsverhandlung und -gestaltung von besonderem Nutzen sein werden. bb) Phasen des „I“ und des „Me“ Trotz aller „Rollenaufnahmen“ ist der Einzelne jedoch jeweils etwas Besonderes,1098 er ist mehr als eine „Ansammlung“ von Rollen. So zeigte sich schon zuvor, dass Meads Rollenverständnis sich etwa von dem Parsons’ unterscheidet. Das wird deutlich vor dem Hintergrund, dass es bei Mead bezüglich des „Self“ nicht nur die zuvor aufgezeigte Ausrichtung auf sich selbst als Objekt gibt. Mead trennt zwei Phasen1099 des „Self“, er unterscheidet zwischen dem „Me“ und dem „I“.1100 Er führt u. a. aus, das „Self“ sei im Wesentlichen ein gesellschaftlicher Prozess, der aus den beiden unterschiedlichen Phasen des „I“ und des „Me“ bestünde. Diese beiden Phasen führten zu bewusster Verantwortung und neuen Erfahrungen.1101 Das „I“ wird mitunter1102 als „impulsives Ich“ bezeichnet, das nicht zuletzt bedeutsam für die Einzigartigkeit des jeweiligen Handelnden ist. Demgegenüber wird das „Me“ dann „reflektiertes Ich“ genannt.1103 So ist es zunächst einmal das „I“, von dem überhaupt ein Anstoß im Sinne einer Überlegung ausgeht, etwas zu tun.1104 Das kann z. B. der Entschluss der Partei sein, überhaupt einen Vorschlag in die Vertragsverhandlungen einzubringen.
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Das herausstellend u. a. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 82. Siehe u. a. Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 33; Vgl. auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 85. 1099 Dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 209. 1100 U. a. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 216 ff. Die deutsche Übersetzung von „Mind, Self, and Society“ nennt das „I“ „Ich“ und das „Me“ „ICH“, da beide Ausdrücke substantivisch „Ich“ bedeuten würden; so in „Geist, Identität und Gesellschaft“, Frankfurt/Main 1968 in der Übersetzung von Ulf Pacher, S. 442. Hier werden zur besseren Verständlichkeit im Nachfolgenden die englischen Originalausdrücke verwendet. 1101 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221. 1102 Siehe etwa Abels, Soziale Interaktion, S. 94; Popp, Schule als interaktiver Sozialraum, 109, 112; Petzold, Multilokalität als Handlungssituation, S. 62, dort auch, dass das impulsive „I“ niemals sozialisierbar sei und daher dem Freundschen „Es“ durchaus vergleichbar erscheine. (Hervorhebungen im Original.) Dazu auch Reiger, Symbolischer Interaktionismus, 137, 149, wonach das „I“ spontan und impulsiv, praktisch nicht völlig sozialisier- und damit kontrollierbar sei. 1103 Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 33 f.; später, Abels, Soziale Interaktion, S. 94, spricht Abels auch vom reaktiven, sozialen Ich. Siehe ferner Petzold, Multilokalität als Handlungssituation, S. 62. 1104 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 209, 211. 1098
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Der (jeweilige) Gedanke eines Einzelnen, etwas zu tun, weist durchaus „Einzigartigkeit“ auf,1105 bleibt als solcher innerhalb der Meadschen Überlegungen aber nicht isoliert stehen, sondern durchläuft im Anschluss dann das „Me“. Mit dem „Me“ tauchen erneut die Elemente auf, die im Abschnitt zur „Sozialisation“ sowie zuvor im Rahmen der Bildung des „Self“ (der Einzelne betrachtet sich selbst als Objekt) aufgezeigt wurden. Das betrifft vor allem die Haltungen von Bezugspersonen1106 wie auch die von verallgemeinerten Anderen1107, die gerade vom „Me“ umfasst/„gespeichert“ sind,1108 das heißt also die unterschiedlichen Rollen, die der Einzelne (kennen-)gelernt hat. Nach Mead1109 wird das „Me“ vom „I“ aufgerufen. Hat der Einzelne nun einen Gedanken im „I“ hervorgebracht (z. B. „Ich will die konkrete Sache haben.“), so durchläuft dieser Gedanke im Anschluss das „Me“. Dort erfolgt eine Antizipation dahingehend, wie andere darauf reagieren werden, etwa wie der potentielle Verkäufer sich verhalten wird1110. Es kommt beim Einzelnen zu einem Abgleich mit dem Bild, das andere von dem jeweils Handelnden haben.1111 Wie dieser Abgleich, das heißt anhand welcher Bilder er abläuft, hängt von den jeweils internalisierten Vorstellungen, der zugewiesenen Identität ab,1112 somit von den gespeicherten „Rollenbildern“1113. Man kann mit anderen Worten auch sagen, es erfolgt eine Auslotung/Festlegung von Handlungsmöglichkeiten durch Rollenübernahme.1114 Unterschiedliche Möglichkeiten folgen zunächst einmal daraus, dass sich mehrere „Me’s“ herausbilden können,1115 z. B. bedingt durch das Eingreifen der Rollen als Familienangehöriger, Vertragspartner und Träger eines bestimmten Berufs.1116 Aus dem Durchlaufen1117 des „Me“ bzw. dem Vorliegen mehrerer „Me’s“ kann ein Rollenkonflikt folgen, nämlich dann, wenn unterschiedliche Bezugsgruppen/-personen widersprüchliche Erwartungen aussenden oder unterschiedliche 1105
Der Einzelne will gerade eine konkrete Sache, er hat individuelle Bedürfnisse. Das Wissen z. B. um die Haltung des langjährigen Vertragspartners. 1107 Z. B. die allgemeinen (gesetzlichen) Normen des Mietvertragsrechts. 1108 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 85. Dabei ist es möglich, dass sich mehrere „Me’s“ ausbilden, S. 86. 1109 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221. 1110 U. a. auch aufgrund bestimmter kaufrechtlicher Regeln. 1111 Siehe dazu Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 34 ff. Bezüglich des Abgleichs, der Antizipation findet sich insoweit ein Äquivalent zur Gestenkommunikation, dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210. 1112 Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 34. 1113 Z. B. die Rolle (allgemein) des Käufers, aber auch die Rolle des Geschäftspartners oder des Konkurrenten. 1114 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86. 1115 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86. 1116 Es liegen etwa unterschiedliche gespeicherte Haltungen von Bezugspersonen als auch der verallgemeinerte Andere vor, die vom „Me“ umfasst werden, Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 85. Es sind damit mehrere „Muster“ gegeben bzw. mehrere „Me’s“. 1117 „Abgleich“ des „I“ mit dem „Me“ beim Einzelnen. 1106
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Erwartungen in Bezug auf unterschiedliche Rollen nicht gleichzeitig bedient werden können.1118 „Gemildert“ werden kann das Konfliktpotential durch die ebenfalls im „Me“ gespeicherten in der Vergangenheit erfahrenen Reaktionsmuster.1119 Denn damit hat man einen weiteren Erfahrungsschatz, u. U. gerade in Bezug auf Konfliktsituationen, auf den bei der Entscheidung zurückgegriffen werden kann.1120 Es ist nun vor allem der Abgleich der im „Me“ enthaltenen Vorstellungen, die andere vom Einzelnen haben, der das „Me“ zu einer „Zensurinstanz“ macht.1121 Damit ist eine soziale Kontrolle installiert, kann der Einzelne doch antizipieren, wann er sich „richtig“, das heißt u. a. rollenkonform verhält. Zudem kann er aufgrund der im „Me“ gespeicherten bereits erfahrenen Reaktionen z. B. ebenso ein Sanktionenszenario vorhersehen. Mit der Installierung sozialer Kontrolle im „Me“ stellt sich dann aber die Frage, ob das tatsächlich zur Selbstkontrolle des Einzelnen führen muss.1122 Das ist nach Meads Vorstellungen keineswegs notwendigerweise der Fall. Denn die Phasen des „Self“, des „I“ und des „Me“, befinden sich gleichsam in einem inneren Dialog.1123 Der Einzelne „antwortet“ also im Weiteren auf die Haltungen, die die anderen ihm gegenüber einnehmen,1124 das „I“ antwortet somit auf das „Me“.1125 Das „I“ reagiert auf das „Me“1126 auf der Grundlage dessen, dass man sich nach dem Durchlaufen des „Me“ seiner selbst und der Situation bewusst ist.1127 Im „I“ erfolgt 1118
S. 212.
Zum Rollenkonflikt auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1,
1119 Beispielsweise kann gespeichert sein, welche Gruppe „Rollenversagen“ eher „verzeiht“ (Frage letztlich, welche Erwartungen als zwingend angesehen werden). Das ist eine Annäherung an ein Handeln in Sanktionsabstufungen, wie es bei Dahrendorf dargestellt wurde. Zu dem Speicherungsmechanismus auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 212. Schneider bezieht sich allerdings auf Reaktionsmuster, die das Individuum selbst praktiziert hat. Das steht jedoch nicht losgelöst von den vorher getätigten Überlegungen da. 1120 Im Weiteren führt die Abspeicherung von Erfahrungen dazu, dass das Repertoire des „Me“ sich beständig vergrößert, vgl. Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 212. 1121 Dazu auch Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210. Zur Begrifflichkeit der Zensurinstanz unter Hinweis darauf, dass das „Me“ der durch Rollenübernahme erworbenen Zensurinstanz von Freuds „Über-Ich“ ähnele, Petzold, Multilokalität als Handlungssituation, S. 62. (Hervorhebungen im Original.) Siehe auch Bauer, Sozialisation und Ungleichheit, S. 46. 1122 Zum Wechselspiel von Selbstkontrolle und sozialer Kontrolle durch den generalisierten Anderen Strauss, Introduction of George Herbert Mead, On Social Psychology, S. XXIII. 1123 Vgl. dazu etwa das Schaubild bei Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 211; zum inneren Dialog von „I“ und „Me“ in Bezug auf Sozialität und Identität Mikl-Horke, Soziologie, S. 197 ff. 1124 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221. 1125 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 87, spricht von Nachreflektieren. 1126 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 217. 1127 Siehe dazu Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221.
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nunmehr, nach der Beurteilung durch die sozial geltenden Normen im „Me“, die Stellungnahme,1128 das heißt es ist eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung kann dahin gehen, sich an Normen zu orientieren,1129 dies in modifizierter Form1130 zu tun oder gar dagegen1131 zu sein.1132 Es ist also u. a. durchaus möglich, den (generalisierten) Anderen1133 als „Zumutung“ zu empfinden.1134 Das „I“ liefert das Gefühl der Freiheit, der Initiative.1135 Nicht zuletzt hierin zeigt sich ein deutlicher Unterschied etwa im Vergleich zu Parsons.1136 Gerade ein Abweichen vom generalisierten Anderen, damit auch von vorgegebenen Rollen, wird bei Mead nicht als grundsätzliches „Problem“ gesehen. So unterscheidet Mead etwa zwischen einer Person mit konventionellem Wesen, die kaum mehr als ein „Me“ ist; eine solche Person passt sich eigentlich „nur“ an und verändert damit nichts oder kaum etwas.1137 Bewusst stellt Mead dem die Person mit ausgeprägter Persönlichkeit entgegen, bei der das „I“ betont ist.1138 Sie reagiert auf organisierte Einstellungen in der Weise, die einen bedeutenden Unterschied macht. Eine solche Person ist nicht (nur) angepasst, sondern sie ist (auch) abweichend in ihrem Verhalten und kann so die Gemeinschaft ändern.1139 Verkürzt kann man sagen, „Abweichung“ vom generalisierten Anderen, verkörpert z. B. durch Normen, ist nicht nur vorstellbar, sondern sogar grundsätzlich positiv behaftet. Das erschließt sich ferner aus folgendem Aspekt: Das „I“ fungiert gegenwartsbezogen,1140 man kann zudem sagen, darüber hinaus zukunftsbezogen. Denn es ermöglicht nicht zuletzt die Freiheit des Einzelnen, nicht nur aus vergangenen Mustern, die im „Me“ gespeichert sind, zu selektieren, sondern auch innovativ Hat das „I“ etwa die „Idee“, Umbauarbeiten in der Mietwohnung vorzunehmen, gleicht es dies zunächst mit der im „Me“ gespeicherten Erwartung des Vermieters an ihn, dies nicht ohne seine Zustimmung zu tun, ab. 1128 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210; siehe auch Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221, zur Reaktion des „I“. 1129 In unserem Beispiel der Umbauarbeiten in der Mietwohnung also die Zustimmung des Vermieters einzuholen. 1130 Als Mieter die Zustimmung des Vermieters jedenfalls nach Beginn der Umbauarbeiten einzuholen. 1131 Als Mieter den Vermieter gar nicht um die Erlaubnis zur Vornahme der Umbauarbeiten zu bitten. 1132 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210. 1133 Z. B. das Mietrecht. 1134 Abels, Interaktion, Identität, Präsentation, S. 33. 1135 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221. 1136 Siehe auch Preglau, Symbolischer Interaktionismus: George Herbert Mead, 57, 71, wonach bei Parsons, trotz dortigen Eingangs zentraler Elemente der Sozialtheorie Meads, das Individuum nicht primär als Produzent der Gesellschaft erscheine. Das Individuum erscheine bei Parsons als Produkt der Gesellschaft. 1137 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 244. 1138 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 244. 1139 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 243. Vgl. wiederum auch Preglau, Symbolischer Interaktionismus: George Herbert Mead, 57, 71. 1140 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213.
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zu sein.1141 Man kann im „I“ auch den Umstand erblicken, dass der Einzelne nie vollständig sozialisiert ist, was jedoch dazu führt, immer etwas Neues und Schöpferisches in die Situation zu bringen.1142 All dies sind Aspekte, die in der Vertragsverhandlung/-gestaltung von Nutzen sind. Je nachdem wie schließlich die „Stellungnahme“ im „I“ ausfällt, beginnt der Einzelne dann ggf. mit der Durchführung der Handlung.1143 Mit der Vornahme der Handlung selbst kann der Einzelne seine Handlung sowie die Reaktion des anderen beobachten und sich fernerhin die Reaktion des „I“ auf die durch das „Me“ bestimmte situationsspezifische Identität bewusst machen.1144 Bedeutsam ist einmal, dass so dem „Me“ eine neue Erfahrung hinzugefügt wird,1145 die sich im Nachfolgenden auswirken kann, z. B. die Reaktionsform des anderen, auf die dann abwägend in der Zukunft zurückgegriffen werden kann. Zum anderen ist der Mensch in der Lage, aufgrund der wahrgenommenen Reaktion (kurzfristig) neu zu reagieren. Das „Me“ ist erweitert und kann so wiederum das „I“ beeinflussen.1146 d) Dialogischer Prozess Der beschriebene Austausch zwischen „Me“ und „I“ wird auch als „innerer Dialog“ im Sinne einer Denkbewegung bezeichnet.1147 Es sei allerdings nochmals betont, dass dieser Dialog kein losgelöster Prozess ist, sondern beide Phasen („Me“ und „I“) das „Self“ nach Mead ausmachen.1148 Weiterhin darf man sich den Dialog bei aller Fähigkeit des Menschen zum zeitverzögerten Reagieren nicht grundsätzlich als zeitintensive Phase vorstellen. Zumeist wird es zu einem raschen Durchlaufen kommen,1149 oftmals selbst dann, 1141
Dazu Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 213. Dazu Strauss, Introduction of George Herbert Mead, On Social Psychology, S. XXIV. Es heißt dort „Hence it is the „I“ which introduces novelty and creativeness into the situation.“ 1143 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210; auf S. 211 spricht Schneider von der Stellungnahme und Entscheidung des Individuums im „I“, welches die gedankliche Entsprechung zum Anschlussverhalten und der daraus resultierenden Gesamthandlung ist. Siehe auch Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86, unter Bezugnahme auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221, wonach Handeln von anderer Qualität sei als die vorangegangene Reflexion, da in ihr stets etwas Unvorhersehbares stecke, was ihr „Freiheit“ und „Initiative“ verleihe. 1144 So Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86. 1145 Vgl. auch Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221. 1146 Vgl. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86 f. 1147 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 211. Der „Dialog“ kann sich dabei durch ein mehrfaches Hin und Her zwischen „Me“ und „I“ auszeichnen. Zum dialogischen Prozess wiederum Mikl-Horke, Soziologie, S. 197 ff. Zum permanenten Prozess des ständigen Hin und Her zwischen „Me“ und „I“ auch Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 149. 1148 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 324. 1149 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210. 1142
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wenn der Findungsprozess im „I“ durch einen mehrfachen „Rückgriff“ auf das „Me“ gekennzeichnet ist. Gründe für solch einen mehrfachen Rückgriff können ein „längerer Dialog“ sein oder der Umstand, dass das „Me“ für die Situation nicht nur ein, sondern mehrere Muster1150 bereit hält,1151 die untereinander zudem widersprüchlich sein können.1152 Die geschilderten Abläufe sowie die oben beschriebene Vergrößerung des „Me“1153 fügt Miebach1154 in Bezug auf Mead in ein „Interaktionsmodell“ ein. Identität, das heißt hierbei das „Self“, ist danach eben nicht auf die im Rahmen des Sozialisationsprozesses übernommenen Haltungen beschränkt, sondern reorganisiert sich ferner im Erwachsenenalter fortlaufend durch Interaktion.1155 Mead, so Miebach,1156 definiere den interaktionistischen Identitätsbegriff als Ergebnis des „Self“-„Me“-„I“-„Self“-Kreislaufs.1157 Es sind zusammengefasst der „innere Dia- bzw. Polylog“ sowie die beständige Erweiterung des „Self“ durch Teilnahme an interaktionistisch geprägtem Leben, die hier als Zwischenquintessenz festgehalten und den Übergang zum (erweiterten) Meadschen Rollenverständnis bilden sollen. e) (Erweitertes) Rollenverständnis bei Mead und die Auswirkung auf den „unabhängigen Einzelnen“ Das Meadsche Rollenverständnis wurde zuvor bereits an unterschiedlichen Stellen benannt. Anschließend soll neben einer Zusammenfassung bisher entwickelter Erkenntnisse die Darstellung einer Weiterung des Verständnisses sowie ihrer Bedeutung für die Unabhängigkeit des Einzelnen erfolgen. Die Rolle bei Mead stellte sich zunächst als Muster von Verhaltenserwartungen dar, welches sich in der jeweiligen Interaktion allmählich bildet und auf einem
1150
Z. B. das Verhalten als Mieter, als Geschäftspartner, als Vater. Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86, spricht davon, dass in einer bestimmten Situation mehrere „Me’s“ sich herausbilden und in Widerspruch geraten. 1152 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 212, führt aus, der Dialog würde dann zum Polylog. 1153 Neue Erfahrungen werden z. B. „abgespeichert“. 1154 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, u. a. S. 87. 1155 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 87. 1156 Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 87, unter Bezugnahme auf Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 324. 1157 Vgl. bei Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 87, eine weitere Ausführung hinsichtlich der Schwierigkeiten in der Begrifflichkeit. So bezeichnet Miebach, S. 87 f. m. w. N., es als naheliegend, die während der Sozialisation übernommenen Haltungen anderer als „Identität“ und das Ergebnis des „Self“-„Me“-„I“-„Self“-Prozesses als „Ich-Identität“ zu bezeichnen. Eine Auseinandersetzung damit erfolgt u. a. noch sogleich im Zusammenhang mit der „Rolle“. 1151
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Einverständnis der Partner beruht.1158 Ebenfalls zuvor wurde bereits angesprochen, dass Mead nicht bei einem solchen Rollenverständnis stehen bleibt. Das zeigte sich u. a. mit der Hinzuziehung des „Me“, welches durchaus Parallelen etwa zu Dahrendorf oder Parsons erschließen lässt.1159 So ermöglicht es bei Mead das „Me“, insbesondere in Form des „generalized other“1160, dem Einzelnen, sich aus der Perspektive der Anderen1161 zu sehen, das „role-taking“.1162 Wie uns der Andere sieht, hängt aber nicht zuletzt von der gesellschaftlichen Ordnung und der Position, respektive Rolle, ab, die wir dort bekleiden.1163 Die darin angelegte „Zensurinstanz“ (Rolle im „Me“) lässt durchaus Ähnlichkeiten zu Dahrendorfs Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen erschließen. Ebenso zeigen sich Parallelen etwa zu Parsons, wenn man das dort erläuterte Wechselspiel zwischen Alter und Ego (z. B. die wechselseitig Verhandelnden) berücksichtigt, welches sich über das „role-taking“ bei Mead findet. Noch frappanter wird der Vergleich zu Parsons,1164 wenn man bei Mead die Haltung entdeckt, wonach das „Me“ für eine bestimmte Organisation der Gesellschaft steht, die in unseren Haltungen präsent ist. Nach Mead besteht zwar keine mechanische, wohl aber eine moralische Notwendigkeit, eine bestimmte Haltung zu setzen.1165 Die oben ausgemachte „Freiheit“ bei Mead, gerade in Abgrenzung zu Parsons, muss daher durchaus differenzierter gesehen werden. Zwar besteht bei Mead kein zu Parsons vergleichbares Ordnungsproblem, wenn man z. B. 1158
Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 38. Es sei darauf verwiesen, dass natürlich das Werk Meads „Mind, Self, and Society“ zeitlich vor Dahrendorfs Homo Sociologicus oder vor zahlreichen Werken Parsons liegt. Die hier gewählte Abfolge der Rollenverständnisse erfolgte, wie bereits ausgeführt, dem Untersuchungsgegenstand geschuldet, der sich von einer starken Sanktionsausrichtung über die Schaffung von Verständnis für die Rolle hin zur größeren Freiheit bewegt. 1160 Zur Begrifflichkeit im Original u. a. Mead, Mind, Self, and Society, S. 154. 1161 Es sei betont, dass das role-taking nicht beinhaltet, den „Standpunkt“ des anderen zu übernehmen. Turner, The American Journal of Sociology 61 (1955/56), 316, 316, hat das herausgestellt, indem er ausführt, „Role-taking may or may not include adoption of the standpoint of the other as one’s own and may or may not be reflexive, these distinctions being related to its functions in the acquisition or implementation of values and to the element of self-consciousness in behavior.“ 1162 Siehe auch Turner, The American Journal of Sociology 61 (1955/56), 316, 316: „Roletaking in its most general form is a process of looking at or anticipation another’s behavior by viewing it in the context of a role imputed to that other. It is thus always more than simply a reaction to another’s behavior in terms of an arbitrarily understood symbol or gesture.“ 1163 „Rollenübernahme“ im Sinne von role-taking ist somit begrifflich von der funktionalistischen Bedeutung zu trennen. Während letztere die Einnahme einer Position mit den dazugehörigen Rollenerwartungen bezeichnet (zum Vorstehenden Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 37), geht es beim role-taking im Meadschen Sinn im Grunde um einen vorweggenommenen Perspektivenwechsel. Dieses role-taking bezeichnet die Vorstellung des Einzelnen vor der Vornahme seiner Handlung davon, wie der andere auf das eigene Verhalten reagieren wird, so Abels, Identität, S. 206. 1164 Siehe nochmals zum Einfluss Meads auf die Handlungstheorie von Parsons Preglau, Symbolischer Interaktionismus: George Herbert Mead, 57, 71. 1165 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 221. 1159
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Rollenvorgaben nicht folgt. Auch wenn Mead nun keine gesetzmäßige Verbindung zwischen „Me“ und „I“ ausmacht, so ist gleichwohl andererseits eine Ausrichtung an gesellschaftlichen Vorgaben keineswegs negativ. So wird denn durchaus, trotz der beschriebenen „Rollenfreiheiten“ bei Mead eine „deutliche „Schlagseite“ zur Gesellschaft“1166 ausgemacht. Insoweit kann man auch Mead zur Begründung dessen heranziehen, was bei den anderen Ansätzen deutlich wurde: Die Rolle, bei Mead u. a. zur „Kanalisierung“ eingesetzt, bietet Konformität und folglich Sicherheit; sie liefert damit einhergehend ebenso ein deutliches Maß an Vorhersehbarkeit. Schließlich prägt die Rolle auch das „I“. Letzteres ist zwar grundsätzlich „unzivilisiert“. Indem die soziale Rolle jedoch z. B. Auswirkungen dahin zeitigt, ob der Einzelne eher impulsiv, gestalterisch oder eher vorgabenorientiert handelt,1167 erfolgt gleichwohl eine Einflussnahme. Was ist dann aber vor dem Hintergrund dessen das Entwicklerische, das Kreative der Rolle bei Mead? Auch dies zeigte sich im Laufe der Darstellung an unterschiedlichen Stellen. So greift Mead das beständige, u. U. sehr schnelle Vergrößern des „Me“ auf, begründet etwa durch das Erfahren neuer Reaktionen. Damit einher geht dann ein „Feintuning“ der Rollenansammlung im „Self“.1168 Es erfolgt gleichsam eine Rollenmodifizierung, eine „Aktualisierung“ vorgegebener Rollen.1169 Hier lässt sich also durchaus eine Entwicklung über die Interaktion ausmachen. Ein Beispiel mit Bezug darauf kann etwa die im Wege der Interaktion erfolgte Abbedingung typisierter (Vertrags-)Normen sein.1170 Ein weiterer Aspekt bei Mead ist das Element der Auswahl zwischen verschiedenen internalisierten Rollen.1171 Bei Mead selbst erfolgt noch keine „Ausschöpfung“ des darin liegenden kreativen Potentials. Man kann darin jedoch einen „Vorboten“ auf kommende modernere Ansätze sehen, die die Rollen als Reservoir1172 begreifen. Was allerdings Mead, wie schon ausgeführt, herausstellt, ist das „I“ als widerständlerische Phase. Das heißt, der Einzelne kann, muss jedoch nicht, auf vorgegebene Rollen zurückgreifen. Zwar findet sich bei Mead die zuvor angeführte „moralische“ Notwendigkeit. Gleichwohl betont er mit dem „I“ sowie dem interaktionistischen Kreislauf eine andere Dimension als etwa Parsons. Der Rollenabweichung kommt z. B. keine die Ordnung (zer-)störende Qualität zu. 1166
Miebach, Soziologische Handlungstheorie, 4. Aufl., S. 63. Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 212. 1168 So Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 90. 1169 Vgl. Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41. 1170 Hier finden sich zudem spezifische Eigenschaften des Menschen wieder. Dieser „hat die Fähigkeit, sein Verhalten mit seinen Mitmenschen abzustimmen. Dies kann durch explizite Verträge, implizite Vereinbarungen, Gespräche, Gestik und Mimik geschehen.“ So Weise, Zeitschrift für Soziologie 1989, 148, 154. 1171 Vgl. Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41. 1172 Vgl. Baker/Faulkner, The American Journal of Sociology 97 (1991), 279 ff.; Callero, Social Psychology Quaterly 57 (1994), 228 ff. 1167
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Aufgrund dessen, so kann die Quintessenz zunächst lauten, begründet Mead einen ersten Schritt zur stärkeren Rollenkreativität. „Zuständig“ dafür ist das „I“, mit dem Spontanität und Kreativität verbunden werden können1173. Es ist eben das „I“, das aus Rollen auswählen, aus ihnen ausbrechen, außerdem das „Me“ beeinflussen kann.1174 Wie über die Kreativität ein Erkenntnisgewinn in Bezug auf die Vertragsverhandlung und -gestaltung gezogen werden kann, zeigt sich zunächst in der Phase der Vertragsverhandlung. f) Nutzbarmachung der Meadschen Erkenntnisse für die interessengeleitete Vertragsverhandlung/-gestaltung Meads Erkenntnisse bieten ebenso wie die von Dahrendorf1175 oder Parsons eine Erweiterung an Reflexionsmöglichkeiten und „Entscheidungshilfen“ bezüglich des Spektrums des Handelns in der interessengeleiteten Vertragsverhandlung und -gestaltung. Das gilt im Besonderen für die Phase der Vertragsverhandlung. Auf diese, insbesondere unter exemplarischer Fokussierung auf bestimmte Elemente im rationalen Verhandlungsmodell, soll sich das Hauptaugenmerk richten.1176 Daran anknüpfend sollen auch Verbindungen zu bisherigen Erkenntnissen hergestellt werden. Von Bedeutung ist dabei vor allem das Zusammenspiel von „Me“ und „I“, die Platzierung von Interessen, die Bedeutung der Rolle und bezeichnende Unterschiede diesbezüglich zwischen Anwalt und Mandanten1177. Gerade in Bezug auf letztere können und sollen die Meadschen Überlegungen u. a. (weitere) Erklärungsansätze dafür liefern, warum etwa in einer interessengeleiteten Vertragsverhandlung oftmals Anwalt und Mandant anwesend sein sollten.1178 So wird sich beispielsweise aus einer weiteren Perspektive zeigen, dass die Einbindung von (Mandanten-)Interessen auch „innerlich“ bei den Beteiligten in unterschiedlicher Art und Weise geschieht und anwaltliches sowie Mandantenvorgehen „synchronisiert“ werden müssen. All dies 1173 Beer, Erkenntniskritische Sozialisationstheorie, S. 30; Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 90. 1174 Vgl. Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 149. 1175 Meads Herangehensweise steht keineswegs konträr zu den verwendeten Ergebnissen von Dahrendorf. So fließen die Muster im „Me“ über den Dialog mit dem „I“ in die Entscheidungsfindung des Einzelnen ein, dadurch gewinnen auch Sanktionsüberlegungen an Einfluss. Abwägungen drohender Sanktionen greifen damit wie bei Dahrendorf Platz. 1176 Zur Verdeutlichung des Nutzens Meadscher Gedanken ist ein Durchspielen jeder Phase des rationalen Verhandlungsmodells nicht vonnöten. 1177 Das bezieht sich u. a. auf den Anwalt, der in seiner (Berufs-)Rolle handelt sowie den Mandanten in seiner von ihm bereits bekleideten Rolle (z. B. Geschäftsmann) wie auch in der Rolle, die er später wegen des Vertrags ausfüllen muss, etwa als Auftragnehmer. 1178 Entsprechende Überlegungen sind nicht zuletzt deshalb angezeigt, weil es sich bei Vertragsverhandlungen um eine „zentrierte Interaktion“ handeln kann. Eine solche liegt nach Goffman, Verhalten in sozialen Situationen, S. 84, vor, wenn „Gruppen von Personen (…) (gegeben sind), die einander eine besondere Lizenz für Kommunikation erteilen und einen besonderen Typus von wechselseitiger Aktivität unterhalten, der andere in der Situation Anwendende ausschließen kann.“
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ist in besonderer Weise relevant für die Umsetzung der Mandanteninteressen. Exemplarisch soll das an Elementen der so genannten Argumentations- bzw. der Entscheidungsphase im rationalen Verhandlungsmodell verdeutlicht werden. aa) Anwalt innerhalb der Vertragsverhandlung (und -gestaltung) – „Positionierung“ von Kreativität Die Nutzbarmachung Meadscher Ergebnisse für einen kreativen Gestaltungsvorgang erfordert bei der insoweit angezeigten Differenzierung zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten nochmals eine Fokussierung auf die Position des Anwalts an dieser Stelle. Bisher erfolgte verschiedentlich eine Auseinandersetzung mit der Position des Anwalts als Interessenvertreter (und Organ der Rechtspflege). Die Bestimmung bedarf für den vorliegenden Kontext jedoch nochmals der besonderen Klarstellung: Die Gestaltung und/oder Veränderung einer Rolle beinhalten u. a. reflexive und verschiedene, nach Mead im „I“ angelegte, Entscheidungsprozesse. Schlüssig und relevant ist das im Besonderen, wenn es um die eigene (künftige) Rolle geht. Das Hauptaugenmerk gilt nunmehr der Situation, dass die (künftige) Rolle des Mandanten durch Verhandlung (und anschließende vertragliche Fixierung) kreiert wird. Daran soll/muss der Anwalt als Interessenvertreter1179 mitwirken. Es geht nicht darum, über den symbolischen Interaktionismus die Rolle des Anwalts selbst neu zu definieren. Wenn es aber letztlich um die Gestaltung einer „fremden“ Rolle (die des Mandanten) durch den Anwalt geht, muss dies innerhalb (s)eines kreativen Prozesses, der u. a. die dazu erforderlichen Reflexionen beinhaltet, berücksichtigt werden. Veranschaulicht werden kann/soll dies gerade an (einzelnen) Abläufen des rationalen Verhandlungsmodells, der Phase der Argumentation. bb) Kreativität am Beispiel der Optionensammlung Teil der so genannten Argumentationsphase innerhalb der rationalen Verhandlung ist die Entwicklung kreativer Lösungen.1180 Dazu gehört u. a. die Suche nach neuen Optionen, also eine kreative Herangehensweise.1181 Solches Vorgehen beinhaltet z. B. das Brainstorming und den Perspektivenwechsel. Beim Brainstorming sind grundsätzlich alle Ideen „erlaubt“. Letzteres ist gerade ein „Baustein“, individuelle Interessen in den Vertrag zu integrieren.
1179
Auch als Organ der Rechtspflege. Däubler, Verhandeln und Gestalten, Rn. 181 ff. 1181 Siehe dazu mit zahlreichen Beispielen Greiter, Kreativität bei Verhandlungen im Alltag. 1180
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
(1) Bedeutung von „Me“/„I“ für den handelnden Anwalt Welche „Probleme“ können sich daran anknüpfend etwa beim (mit-)verhandelnden Anwalt1182 ergeben? An sich geht es beim Brainstorming, zieht man Meads Überlegungen hinzu, darum, reflektiertes Denken zurückzudrängen, das heißt, möglichst wenig Dia- bzw. Polylog zwischen „Me“ und „I“ zuzulassen.1183 Die Kreativität soll nicht durch einen zwischengeschalteten „Zensor“1184 beschränkt werden. Das würde u. a. bei einem starken Abgleich der Ideen mit den im „Me“ gespeicherten Mustern geschehen. Das „I“ könnte/sollte „zügellos“ handeln, spontane Ideen entwickeln. Einen solchen Beitrag kann nun selbstverständlich ein involvierter Anwalt leisten, im Grunde kann jeder, auch ein Fremder, etwas „beisteuern“. Die Problematik liegt im „Me“ des Interessenvertreters Anwalt, der für/ neben seinem Mandanten in der Argumentationsphase auftritt, bzw. in dem Umstand begründet, dass er die Kontrolle über das „Me“1185 nicht ausschalten kann/will/soll. Es können in einer Situation durchaus beim Einzelnen seine „Me’s“ zum Tragen kommen. Ein über das „Me“ des Interessenvertreters „Anwalt“ sprechender „Anderer“ ist u. a. sein Mandant mit seinen Interessen. Begründet wird dies vor allem durch die anwaltsvertragliche Bindung. Die Mandanteninteressen fungieren als „Zensor“, alles anwaltliche Tun muss sich (auch) an ihnen messen.1186 Eine solche „Me-Fixierung“ ist insbesondere der anwaltlichen Berufsrolle immanent.1187 Die Schwierigkeit, die sich dann für den kreativ geforderten Anwalt stellt, ist, ob er sein „Me“ so weit zurückdrängen kann/will/soll, um Vorschläge im Sinne von Optionen machen zu können. Das Problem lässt sich an dieser Stelle allerdings dadurch auflösen, indem in Bezug auf das „Me“, das die Mandanteninteressen beherbergt, letzterem „Me“ die Forderung zu entnehmen ist, alles für die Mandanteninteressen zu tun.1188 Daraus kann, gerade hinsichtlich eines vom Mandanten (gewünschten!) rationalen Verhandlungsmodells auch folgen, das anwaltliche „I“ im Übrigen kreativ obwalten zu lassen, das heißt, möglichst vielfältige (ungefilterte) Optionen zu entwickeln. Allerdings ist das „I“ gleichwohl „gebändigt“, indem die in die Verhandlung eingebrachten Optionen sich in der Regel doch an den Mandanteninteressen messen lassen müssen. Für den Anwalt ergibt sich somit die Herausforderung, durch Kenntnis und Training bezüglich des rationalen Verhandlungsmodells sich letzterem mit allen 1182 Dem Anwalt, der als Interessenvertreter (mit) verhandelt, um eine Rolle seines Mandanten (neu) zu gestalten. 1183 Zum reflexhaften statt reflektierten Reagieren vgl. Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 210. 1184 Zur Begrifflichkeit des Zensors in Bezug auf das „Me“ etwa Bauer, Sozialisation und Ungleichheit, S. 46. 1185 Abgleich mit dort gespeicherten „Mustern“. 1186 Daneben tritt beispielsweise das „Me“ in Form von Gesetzen (generalisierter Anderer). 1187 Hier wirken sich, im Dahrendorfschen Verständnis als Muss-Erwartungen, die Pflichten aus dem Anwaltsvertrag und aus dem Berufsrecht aus. 1188 Das ist die Rolle als Interessenvertreter.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Anforderungen zu öffnen, immer vorausgesetzt, der Mandant wünscht den Einsatz solcher Fertigkeiten. Dass das Zusammenspiel von anwaltlichem „Me“ und Kreativität nicht notwendigerweise Schwierigkeiten bereitet, kann an einem weiteren Beispiel verdeutlicht werden. Eine andere Methode zur Sammlung von Optionen kann darin bestehen, die Frage zu stellen, wie eine dritte Person das Problem lösen würde. Eine solche Fragestellung ist unter Zuhilfenahme der Ansätze Meads durchaus vertraut. Es geht um die Muster, die im „Me“ des Einzelnen liegen. Das Besondere am Einsatz innerhalb der Optionensammlung besteht darin, bewusst ein einzelnes („gespeichertes“) Muster herauszusuchen und es zunächst als solches in den Raum zu stellen, z. B. gesetzliche Vorgaben. Vermieden werden soll an dieser Stelle der Prozess, dieses einzelne „Me“ in Einklang mit anderen „Me’s“ zu bringen, bzw. schon eine Entscheidung zu treffen. Namentlich unter Bezugnahme darauf kann man sagen, das „I“ sorgt hier lediglich dafür, die Suche nach einem bestimmten „Me“ anzustoßen und dann noch für den Entschluss, nur dieses „Me“ zu artikulieren. Ein derartiges Suchen nach (schon vorhandenen) Mustern1189 ist häufig eine Fertigkeit, die ein Anwalt beherrscht, da ihm strukturiertes Arbeiten vertraut ist. (2) Einflussnahme von „I“ und „Me“ des Mandanten Neben dem handelnden Anwalt ist wiederum ein Sichtwechsel hin zum Mandanten notwendig. Dabei geht es an dieser Stelle zunächst nicht darum, wie die (künftige) Mandantenrolle durch ein anwaltliches Tun beeinflusst werden kann, sondern darum, wie der Mandant selbst1190 auf die (Verhandlungs-)Abläufe einwirken kann. Es geht um Auswirkungen auf Faktoren, die seine künftige Rolle betreffen können.1191 Sollte der Mandant selbst in die Optionensammlung einbezogen werden, worin könnten dann (zu berücksichtigende) Unterschiede im Vergleich zum handelnden Anwalt bestehen? Die Einbindung des Mandanten etwa in das Brainstorming ist zunächst vergleichbar mit der seines Anwalts. Der Mandant wird in der Regel andere Ideen zur Lösungsfindung entwickeln, was für die Optionensammlung gut ist. Die Probleme, die dort in der Person des Mandanten auftauchen können, unterscheiden sich allerdings von denen des Anwalts. So kann beim Mandanten ein überbordendes „I“ dem Zweck der Optionensammlung hinderlich sein. Dieses überbordende (ungezügelte) „I“ könnte (einseitig) eigene Interessen so in den Vordergrund rücken, ohne 1189 Gerade wenn es sich bei solchen Mustern um Gesetze handelt, muss der Anwalt sich jedoch gewahr sein, dass er zwar im Verhandlungsprozess mit der anderen Seite ggf. aufgrund gleicher Symbole sich durchaus austauschen kann. Allerdings muss er berücksichtigen, dass es u. U. das andere (sprachliche) Sozialisationsniveau seines Gegenübers erforderlich macht, erst gemeinsame Symbole zu schaffen, Vorschläge also (inhaltlich) verständlich zu machen. Das ist die verschiedentlich bereits angezeigte „Übersetzungsarbeit“ des Anwalts. 1190 Der Mandant, der eben derzeit noch keine (Vertrags-)Rolle bekleidet. 1191 Das ist im Grunde ein Beitrag zum role-making; dazu noch ausführlich sogleich.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
offen für (andere) Ideen zu sein bzw. solche zu benennen. Der Grund dafür liegt in dem Umstand, dass die Wünsche (= Interessen) beim Mandanten selbst einen eigenen, im „I“ wurzelnden Handlungsantrieb bilden können.1192 Die (Mandanten-) Interessen sind hier also (noch) anders gelagert als bei der Wahrnehmung durch seinen Anwalt (dort „lagern“ sie im „Me“ als zu berücksichtigendes Muster). Am Beispiel der Optionensammlung wird bereits deutlich, dass das „I“ als Hort der Kreativität bei fehlenden „Schranken“ durchaus kontraproduktiv sein kann. Das bedeutet keineswegs, die Ideen des Mandanten nicht zu berücksichtigen. Will der Mandant jedoch tatsächlich eine für beide Seiten befriedigende/befriedende Lösung, muss sein „I“ in der Regel aber „gebändigt“ werden. Das kann/soll innerhalb der Optionensammlung weniger durch das eigene „Me“ (des Mandanten), kann aber z. B. durch das bewusste Hinzuziehen eines (neutralen) Dritten, z. B. eines Verhandlungsleiters, erfolgen, der kanalisierend und ggf. erweiternd bezüglich der Optionen wirkt. Meads Erkenntnisse liefern damit eine (wissenschaftliche) Begründung für die Installierung von unterschiedlichen Schritten innerhalb und den Vergleich zwischen verschiedenen außergerichtlichen Verhandlungsmethoden. cc) Lösungsfindung In der Argumentationsphase geht es neben der Sammlung von Optionen ferner auch darum, Lösungsvorschläge zu beurteilen. (1) Durch den Anwalt Die Notwendigkeit der Beurteilung von Lösungsvorschlägen in der Vertragsverhandlung stellt sich einmal für den Anwalt selbst. Als Weg wird u. a. vorgeschlagen, das anhand möglichst neutraler Beurteilungskriterien vorzunehmen.1193 Solche neutralen Beurteilungskriterien können z. B. Gesetze sein. Hier werden folglich sehr oft im Meadschen Duktus die „generalisierten Anderen“ auftauchen. Konsequenterweise „lagern“ solche Beurteilungskriterien im „Me“ einer Person. Häufig werden sie, wie etwa im Fall der Gesetze, im „Me“ des Anwalts schon länger vorhanden sein. Möglich ist es jedoch ebenso, die Kriterien im Rahmen der Verhandlung (neu) zu erfahren und als solche im „Me“ aufzunehmen, z. B. durch den Hinweis Dritter.1194 Für die Analyse ist allerdings Folgendes zu beachten: Selbst oder gerade in Bezug auf das rationale Verhandeln darf nicht außer Acht bleiben, dass sich im anwaltlichen „Me“ weitere (gespeicherte) Verhaltensmuster finden. Das sind vor allem solche, die 1192 Dazu, dass nach Mead dem Individuum in Form des „I“ ein eigenständiger Handlungsantrieb zukommt, Müller, Empirische Identitätsforschung, S. 102. 1193 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 126 ff. 1194 Davon zu trennen sind völlig neu zu gestaltende Kriterien, die im „Me“ Einlass finden.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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sich auf den (eigenen) Mandanten beziehen. Vornehmlich sind es die Muster, die die Wünsche (= Interessen) des Mandanten betreffen. Das wurde bereits innerhalb der kreativen Ideenfindung deutlich. Verhaltenserwartungen, die vom anwaltlichen „Me“ diesbezüglich umfasst sind, resultieren etwa aus dem Anwaltsvertrag oder aber aus erlebten Reaktionsmustern in Bezug auf den Mandanten. Schließlich finden außerdem ebenso die Reaktionsmuster der anderen Partei als Erlebnis während der Vertragsverhandlungen Einlass in das anwaltlichen „Me“.1195 Letzteres „wächst“ mit zunehmender Erfahrung. In der Person des Anwalts sind somit unterschiedlichste „Zensoren“ am Werk, die, auch dies sei nochmals betont, andere als z. B. die des Mandanten sind. Die jeweiligen „Me’s“ sind in ihrer „Zusammenstellung“ individuell und u. a. abhängig davon, welche Position in der Gesellschaft bekleidet wird.1196 Das gilt auch und vor allem für den Anwalt innerhalb seiner beruflichen Tätigkeit. Kommt der Anwalt nun in die Situation, die Lösungsvorschläge innerhalb der Verhandlung beurteilen zu sollen/müssen, so tritt wiederum das, was Mead als „I“ bezeichnet, in den Fokus. Der Anwalt nimmt hierüber nicht nur die Lösungsmöglichkeiten wahr, sondern er muss, nach Abgleich mit seinem „Zensor“ („Me“)1197 über das „I“ reagieren, also eine Entscheidung treffen. Diese „Entscheidung“ wird oftmals allerdings nur eine entsprechende Empfehlung an den Mandanten sein. Was bedeutet diese Entscheidung über das „I“ nun gerade in Bezug auf den Anwalt? Zuvor wurde mehrfach dargetan, dass bei der über das „I“ laufenden Entscheidung durchaus Individuelles entstehen kann. Zu beachten ist freilich die soziale Rolle „Anwalt“, das heißt, diesbezüglich wird häufig ein dominierendes „Me“ vorliegen. Entscheidungen gehorchen seinem „Zensor“, z. B. den Vorgaben des Anwaltsvertrags. Sein „rebellisches I“ wird nicht ausgelebt und das wird auch nicht erwartet. Bezüglich der vom Anwalt zu treffenden Wahl kann man von einer Staffelung seiner verschiedenen im „Me“ gespeicherten Verhaltenserwartungen (Ausbildung mehrerer „Me’s“1198) sprechen. Dominant sind für ihn in der Regel diejenigen, die Vorgaben aus der anwaltsvertraglichen/berufsrechtlichen Bindung enthalten.1199 Ein Abgleich/Rückgriff auf andere „Muster“ (Verhaltenserwartungen) 1195 Nicht zuletzt diese vom „Me“ umfassten Haltungen des potentiellen Vertragspartners des Mandanten ermöglichen ein role-taking, das aufgrund von vorausschauender Berücksichtigung des Verhaltens des anderen intentionales eigenes Verhalten begünstigt. Zum reflexiven Denken und intentionalen Handeln Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 37. In diesen Kontext gehören auch Überlegungen von Abels, Identität, S. 269, der in Bezug auf Goffman ausführt, mit seiner These, dass soziales Handeln Schauspiel sei, entwickele Goffman Webers Annahme in die Richtung der Manipulation des zu meinenden Sinns weiter und führe Meads These von der Rollenübernahme in der Richtung der kalkulierten Wirkung fort. 1196 Schneider, Grundlagen der soziologischen Theorie, Band 1, S. 212. 1197 Zur Funktion des „Me’s“ als Zensor Bauer, Sozialisation und Ungleichheit, S. 46. 1198 Siehe wiederum Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86. 1199 Es sind die entsprechenden eigenen Rollenvorgaben.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
im „Me“ (z. B. solche aufgrund von Gesetzesvorschlägen) innerhalb der Lösungsfindung (Entscheidung) muss/wird immer unter Berücksichtigung dessen erfolgen. Die (künftige) Rolle des Mandanten (die dieser dann letztlich wiederum als „Muster“ in sein „Me“ integrieren muss) wird also seitens des Anwalts1200 durch Abgleich mit den im „Me“ des Anwalts gelagerten, dort dominierenden1201 Mandanteninteressen ausgewählt. In diesem Prozess liegt daher die geringere Kreativität. Kreativität ist seitens des Anwalts vor allem im Vorfeld eines solchen Abgleichs zu entwickeln. Hier stellt sich dann die noch zu erörternde Problematik seines role-makings in Bezug auf die Person des Mandanten. (2) Notwendige Einbindung des Mandanten Wenn der Anwalt Kreativarbeit vor allem in der Anbahnung einer für den Mandanten zu entwickelnden Rolle leistet, eine etwaige (potentielle) Einigung (mit der anderen Vertragspartei) dann letztlich an den in seinem anwaltlichen „Me“ gespeicherten Vorgaben (Anwaltsvertrag/Berufspflichten) abgleicht, wird erneut die Notwendigkeit sichtbar, den Mandanten selbst einzubinden. Es sollte/muss danach der Mandant sein, der über sein eigenes „I“ die letztendliche Entscheidung zu treffen hat.1202 Er muss sich für die künftig von ihm einzunehmende Rolle entscheiden. Natürlich findet ebenso beim Mandanten ein innerer Dia-/Polylog statt. Sein eigenes „Me“ enthält gleichfalls Bewertungsmuster (Verhaltensmuster), u. a. seit längerem erlernte (etwa verschiedene soziale Verhaltensregeln), ferner jedoch vor allem die durch den Anwalt vermittelten, z. B. Gesetze. Hinzu kommen solche aus der Verhandlung und nicht zuletzt der anwaltliche Rat selbst als „Muster“. Gerade im Hinblick auf die Reaktionen der anderen (Vertragspartner-)Seite kann es wiederum wichtig sein, dass der Mandant selbst an der Verhandlung teilnimmt1203 und sein „Me“ über die gezeigten Reaktionen der anderen Seite „erweitert“1204.1205 Denn die 1200
Der Anwalt, der die künftige (Vertrags-)Rolle des Mandanten mitgestaltet. Jedenfalls, wenn der Anwalt beruflich für seinen Mandanten tätig wird. 1202 Das ist eine konsequente Parallele zum anwaltlichen Haftungsrecht. Die schlussendliche Entscheidung trifft der Mandant nach entsprechender anwaltlicher Aufklärung. Beim eigentlichen Vertrag kommt noch hinzu, dass es der Mandant ist, der die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung abgeben muss. 1203 Von Bedeutung ist hier u. a. die „face-to-face-interaction“, die unmittelbare Interaktion im Sinne Goffmans, das heißt der „wechselseitige Einfluss von Individuen untereinander auf ihre Handlungen während ihrer unmittelbaren physischen Anwesenheit“; Goffman, Wir alle spielen Theater, S. 18. Ausführlich zur Soziologie Goffmans, Reiger, Face-to-face Interaktion. Je nachdem kann jedoch vom Mandanten auch die „face-to-face-interaction“ nur durch seinen Anwalt gewünscht sein, z. B., wenn man der anderen Seiten keinen „Einblick“ in die eigenen Reaktionsformen geben möchte. 1204 Grundsätzlich dazu, dass durch Reflexionen neue Rollenerfordernisse ins „Me“ aufgenommen und wieder abgeändert werden können, Rieger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 149. 1201
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Einstellung des eigenen Mandantenverhaltens mittels des role-takings in die Vertragsverhandlung darf nie losgelöst von dem zu entwickelnden Vertrag und den darin wurzelnden (künftigen) Erwartungen gesehen werden.1206 Diese betreffen aber den Mandanten in Person, so dass es für die vom Mandanten letztlich zu treffende Entscheidung bezüglich des Vertragsinhalts und -schlusses angezeigt sein kann, zur angemessenen Entscheidungsfindung die aufgezeigte „Erweiterung“ seines „Me’s“ vorzunehmen. Denn sprechen mehrere „Me’s“1207 des Mandanten „mit unterschiedlichen Stimmen“ (etwa eigene Verhaltensmuster einerseits; Muster aufgrund der gezeigten Reaktion der Gegenseite andererseits), muss er die Wahl zwischen ihnen treffen. Außerdem, und das sei nochmals betont, kann ebenso sein „rebellisches I“ durchbrechen, das heißt, er kann z. B. einen Weg bevorzugen, der von seinen gespeicherten Mustern abweicht (u. a. der Wunsch, sich nicht an Vertragstypen als Mustern zu orientieren). Sollte es dazu kommen, muss das jedoch keinesfalls notwendigerweise negativ sein. Eine positive Folge kann z. B. eine Rollenentwicklung1208 sein,1209 die der Anwalt allein im Grunde nicht für seinen Mandanten leisten kann. Insgesamt zeigt die Nutzbarmachung Meadscher Erkenntnisse, exemplifiziert an einer Phase des rationalen Verhandlungsmodells, dass beim Verhandeln ein Zusammenwirken von Kreativität und deren „Bändigung“ eine ganz eigene Bedeutung zukommt, die es zu beachten gilt. Dieses Zusammenspiel ist es auch bei der Fortführung der Meadschen Grundlagen zu berücksichtigen. 2. Fortführung der Meadschen Grundlagen Meads Arbeiten zum role-taking und die Begründung und Akzeptanz von Kreativität über das „I“ sind wesentliche Grundlagen, deren Nutzen, zunächst dargestellt an der Vertragsverhandlung, sich auch im Weiteren in unterschiedlicher Weise ergibt. Die Fortentwicklung der Meadschen Grundlagen, gerade u. a. zur Erläuterung der für den Mandanten zu entwickelnden (künftigen) (Vertrags-)Rollen, ist aufzugreifen, zumal Strömungen des symbolischen Interaktionismus hier weitere wertvolle Erkenntnisse liefern können. 1205
So muss u. a. auch berücksichtigt werden, dass der andere Verhandlungspartner, sofern es die Naturalpartei ist, ebenfalls auf „gespeicherte“ Muster zurückgreift. In Folge dessen kann er möglicherweise die Äußerungen eines verhandelnden Anwalts mit einer anderen Reaktion belegen, als wenn die Naturalpartei beteiligt ist. So kann die andere Partei die anwaltlichen Äußerungen u. U. primär als solche eines Fachmanns einstufen und entsprechend „anders“ antworten als bei einer Entgegnung der Naturalpartei. 1206 Zur Untrennbarkeit von role-taking und role-making siehe noch unten. 1207 Zur Herausbildung mehrerer „Me’s“ erneut Miebach, Soziologische Handlungstheorie, S. 86. 1208 Etwa mittels eines atypischen Vertrags. 1209 Auch für diese ist vielfach ein unmittelbares role-taking in Bezug auf den späteren Vertragspartner zunächst angezeigt.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
a) Rollendistanz aa) Bedeutung der Rollendistanz Das role-taking, verstanden als die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, eröffnet die Möglichkeit, Unzufriedenheit gegenüber den Erwartungen, die der andere an den Handelnden selbst richtet, zu entwickeln. Eine Begrifflichkeit, mittels derer dieser Vorgang (mit) erfasst werden kann, die zudem zugleich aber eine Fertigkeit bezeichnet, die als notwendig anzusehen ist, um sich selbst als Individuum zu behaupten, ist die „Rollendistanz“.1210 Goffman bezeichnet die Rollendistanz als „,effektiv‘ ausgedrückte, zugespitzte Trennung zwischen dem Individuum und seiner mutmaßlichen Rolle“.1211 Das Individuum, so Goffman, leugne tatsächlich nicht seine Rolle, sondern das faktische Selbst, das in der Rolle für alle Darsteller enthalten sei, die die Rolle akzeptieren.1212 Gemeint ist damit u. a. die Kompetenz des Einzelnen, mit einer Rolle souverän umzugehen.1213 Durch die Rollendistanz wird die Möglichkeit gegeben, einen „Spielraum von Freiheit und Manövrierfähigkeit“1214 zu erlangen. Man kann zeigen, dass man „anders“ oder „mehr“ ist als das, was die jeweilige Rolle ausmacht.1215 In Verbindung zu Mead liegt darin auch eine Kompetenz, dem „I“ Vorschub zu leisten und „Kreativität“ zu begründen. Der Zweck, der damit verfolgt wird, besteht nicht zuletzt darin, „soziale Zumutungen“, die den Einzelnen in seiner Identitätsdarstellung beeinträchtigen, zurückzuweisen.1216 Die
1210 Zur Begrifflichkeit der Rollendistanz vor allem Goffman, u. a. Interaktion, S. 118 ff. Siehe auch das begriffliche Aufgreifen etwa bei Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 133. Zur Frage, ob Goffman dem symbolischen Interaktionismus zuzurechnen ist, u. a. Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 49 (dem symbolischen Interaktionismus nahestehender Soziologe); Zwengel, Goffman und die Macht, 285, 285 (Frage, ob Goffman überhaupt zum symbolischen Interaktionismus zu zählen ist) m. w. N. Der Begriff der Rollendistanz („role-distance“) wird keineswegs einheitlich definiert, dazu Fuchs-Heinritz u. a./Buchhofer, Lexikon der Soziologie, Stichwort „Rollendistanz“. Während hier vor allem im Anschluss der von Goffman mitgeprägten Begrifflichkeit gefolgt wird, macht ein anderes Verständnis daran fest, dass Fälle erfasst seien, „in denen Akteure sich von einer Rolle abgrenzen, entweder, weil sie sich vor ihr lösen wollen, um eine andere zu übernehmen (…), oder weil sie keinen Anspruch auf sie haben.“ So die Erläuterung bei FuchsHeinritz u. a./Buchhofer, a. a. O. 1211 Goffman, Interaktion, S. 121. 1212 Goffman, Interaktion, S. 121. 1213 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, 4. Aufl., S. 356; ebenfalls Abels, Identität, S. 276. 1214 Goffman, Interaktion, S. 149; diese Möglichkeit als Folge der Rollendistanz darstellend Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 57. 1215 So Abels, Identität, S. 276. 1216 So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 336; ebenfalls Abels, Identität, S. 276.
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Fähigkeit zur Rollendistanz bedeutet also, mit dem, was der andere von mir erwartet, nicht zufrieden sein zu müssen.1217 Das wird keineswegs als negativ angesehen.1218 bb) Situation der Vertragsverhandlung Innerhalb der Vertragsverhandlungssituation sind allerdings die Fähigkeiten zur Distanz verschiedene. (1) Verhandelnder Anwalt Der für seinen Mandanten verhandelnde Anwalt blickt ohnehin mit „Distanz“ auf die Vorstellungen, die die andere Seite von seinem Mandanten hat bzw. entwickelt. Im eigentlichen Sinn findet auf dieser Ebene keine im oben beschriebene Rollendistanz statt. Vielmehr, und auch das wurde bereits deutlich, gleicht der Anwalt die Erwartungen der anderen Seite1219 mit denen, die sein Mandant umgesetzt sehen will, ab. Insoweit, um nochmals im Meadschen Duktus zu sprechen, hält der Anwalt die fremden Erwartungen solchen des Mandanten, die seinem (des Anwalts) „Me“ über den Anwaltsvertrag „gespeichert“ sind, entgegen.1220 (2) Leistung des Mandanten Die eigentliche Fertigkeit zur Rollendistanz muss im Grunde der Mandant leisten, vor allem, da es vielfach um künftige Erwartungen geht, die sich an ihn selbst durch den (späteren) Vertragspartner richten. Sollte der Mandant an den Verhandlungen teilnehmen, muss er vom Anwalt ggf. darauf vorbereitet werden, dass ihm die derzeitigen1221 oder künftigen Erwartungen1222 der anderen Seite nicht „gefallen“ müssen, dass ein solches Verhalten auch nicht notwendigerweise negativ sein muss. Das höchstpersönliche „I“ des Mandanten darf also unzufrieden sein.
1217
wird.
Es muss mir z. B. nicht gefallen, was von mir als „Vater“ oder als „Mieter“ erwartet
1218 Rollendistanz sei eine Divergenz zwischen Rollenvorschrift und tatsächlichem Rollenverhalten, die aber keineswegs die Rolle in Frage stelle, so Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 57. 1219 In die er sich jedoch ebenfalls, wenn auch nur mittelbar, für seinen Mandanten hineinversetzen muss. 1220 In dieser Situation kann natürlich auch der Anwalt selbst Rollendistanz zur anderen Partei aufbauen. Es geht insoweit darum, dass er sich z. B. von den Erwartungen, die andere an ihn als Organ der Rechtspflege richten, lösen will. 1221 Innerhalb der Verhandlungen z. B. Erwartungen aufgrund (schon) besetzter Rollen, etwa als Nachbar. 1222 Z. B. aufgrund angestrebter Vertragstypen.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
cc) Rollendistanz als Wegbereiter zur Kreativität Die Rollendistanz ist nach dem hier verfolgten Verständnis ein entscheidendes Glied, es nicht bei der „Unzufriedenheit“, weil man nicht in bestimmten Rollen „verharren“1223 will, zu belassen, sondern Änderungen und Kreativität Vorschub zu leisten. So wird, gerade auch unter Bezugnahme auf Goffman, die Rollendistanz als Möglichkeit gesehen, für sich neue Optionen der Interaktion zu öffnen.1224 Krappmann1225 bezeichnet die Rollendistanz1226 als „Fähigkeit, sich über die Anforderungen von Rollen zu erheben, um auswählen, negieren, modifizieren und interpretieren zu können.“1227 Eine solche Erhebung über eine (vorhandene oder bevorstehende) Rolle, eine Neudefinition der Situation kann in der Vertragsverhandlung für/durch den Mandanten in verschiedener Weise erfolgen. Denn zum einen kann eine Distanzierung von einer bereits innegehaltenen Rolle des Mandanten (z. B. als Nachbar) geschehen,1228 zum anderen eine „vorweggenommene“ Distanzierung bezüglich künftiger, durch den Vertrag „drohender“ (Mandanten-)Rollen, die man erst gar nicht zur Entstehung gelangen lassen möchte.1229 Ausdruck solcher Distanz und damit gleichzeitig Ausdruck des eigenen individuellen Selbst ist die Aufdeckung von Interessen. Mit der Aufdeckung von Interessen (durch die jeweils andere Seite) wird nicht nur ein Ablauf in Gang gesetzt, infolgedessen deutlich wird, was der andere will, sondern vor allem auch, was er derzeit (oder künftig) von „mir“ (dem Mandanten) erwartet. Eine solche Aufdeckung von
1223
Bzw. sie nicht künftig einnehmen will. So Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 336, dort auch der Hinweis darauf, dass Rollendistanz eine Fähigkeit ist, seine Identität zu definieren und diese Identität auch durch sinnvolles Handeln zu untermauern. 1225 Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 133. 1226 Zur bewussten Übernahme dieser Begrifflichkeit von Goffmann Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 133. 1227 Diese Fähigkeit wird nach Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 133, auch für eine erfolgreiche Interaktion benötigt. 1228 Goffman, Interaktion, S. 118, führt unterschiedliche Methoden, z. B. Erklärungen oder Entschuldigungen, an, mittels derer bestimmte Definitionen seiner Person beseitigt werden können. Jäger/Coffin, Die Moral der Organisation, S. 118, führen aus, u. a. Erklärungen im Rahmen der Rollendistanz könnten eine Form der aktiven Kontrollübernahme sein. 1229 Im Grunde geht es darum, das Bild, das andere von einem haben sollen, aktiv zu beeinflussen; so zu einem Aspekt der Rollendistanz, allerdings nicht im Kontext mit der Vertragsgestaltung, Abels, Identität, S. 277. Will man nachträgliche Korrekturen sozialer Erwartungen (dazu Abels, Identität, S. 277) innerhalb länger andauernder Verträge berücksichtigen, kommt erneut die Aufnahme von Anpassungsklauseln in Betracht. Hier zeigt sich wiederum eine Verbindung zu den Erkenntnissen insbesondere von Macneil. 1224
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Interessen führt dazu, sich selbst „sehen“, reflektierend betrachten und fragen zu können, ob man sich dem aussetzen will. Der Vorgang kann und sollte jedoch vice versa sein. Das heißt, die Aufdeckung der eigenen (Mandanten-)Interessen wiederum kann in den Vorgang (auch) beeinflussend in dem Sinn eingespeist werden, dass die andere Seite ggf. ihre Erwartungen revidiert. Das Vorstehende ist nicht zuletzt ein Beispiel dafür, wie Rollendistanz als Strategie wirkt, sich Optionen zu eröffnen1230. So ist die Offenlegung eigener Interessen oftmals eine Reaktion auf die Erkenntnis, wie wir gesehen werden und welchen Erwartungen wir ausgesetzt sind. Mit der Aufdeckung von Interessen erweitern sich aber die wechselseitigen Perspektiven und Beeinflussungsmöglichkeiten. Optionen werden dann auch gerade deshalb eröffnet, indem durch die Rollendistanz der Rückgriff auf andere1231 Rollen1232 oder auf die Rollen in ihrer jeweiligen personenbezogenen Zusammenstellung befördert wird1233. Der mögliche Rückzug auf andere Rollen (z. B. auf die Rolle des Konkurrenten als auf die eines einvernehmlichen Partners) ist durchaus ein Machtfaktor. Gleichzeitig kommt jedoch in der Entscheidung für eine Rolle, ggf. gerade auch eine künftige, wegen der Rollendistanz dann zum Ausdruck, dass man andere Rollenbeziehungen nicht abschneidet,1234 sondern mit der Entscheidung für eine Rolle eine andere (lediglich) bewusst zurücktreten lässt.1235 Das kann motivierend in Bezug auf die daran anknüpfenden Rollenerwartungen sein und damit für das Gelingen von Beziehungen, die in die Zukunft hinein wirken, bedeutsam sein. Ist Rollendistanz damit ein notwendiger Bestandteil der Begründung von Kreativität in der Entwicklung des zu schließenden Vertrags, so bedarf es gleichwohl einer weiteren Begründung für eine schöpferische Rollenentstehung. Ein solcher Akt ist vielfach mit der Begrifflichkeit des role-makings verbunden.
1230
Zu letztem Aspekt Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 336. Im Duktus von Mead solche, die im „Me“ gespeichert sind. 1232 Das können beispielsweise unterschiedliche „Vertragsmuster“, in denen sich aber die eigenen Interessen jeweils ausreichend wiederfinden, sein. 1233 Siehe Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 136. 1234 Zu dem Aspekt Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 137. 1235 Mit der Entscheidung, mit dem Vertragspartner im Wege einer GbR einen bestimmten Zweck zu verfolgen, lässt man etwa die Rolle als Freund, der denselben Zweck mit einem Dritten bisher verfolgt hat, zurücktreten. Gleichwohl besteht die freundschaftliche Beziehung als solche noch. 1231
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b) Role-making aa) Untrennbarkeit des role-makings von role-taking und Rollendistanz Role-taking und Rollendistanz als Fertigkeiten vor allem in der Vertragsverhandlung können insoweit als (notwendige) Kernkompetenzen ausgemacht werden. (Gelungene) Interessenumsetzung ohne role-taking und Rollendistanz ist nicht vorstellbar. Gerade wenn man als Ausgangspunkt aller Überlegungen der Vertragsgestaltung den Fokus auf die eigenen (des Mandanten) individuellen Interessen legt, ist ein reflektierender Abgleich, ob sich diese auch in den an einen selbst (den Mandanten) gerichteten Erwartungen der anderen Seite wiederfinden, unumgänglich.1236 Das gilt beim etwaigen Rückgriff auf typisierte Verträge1237, aber auch für eine sich im Wege der Interaktion erst entwickelnde Rolle. Mit role-taking und Rollendistanz wird ein ganz anderes Rollenverständnis begründet. „Unzufriedenheit“ mit (potentiellen) Rollen1238 wird im Grundsatz als „normal“ empfunden, „Zufriedenheit“ ist anders begründbar. Rollen können als Angebote, als Ressourcen begriffen werden, ein Zugriff auf sie als ein Akt der Selbstbestimmung. Reflektierende Betrachtung, Ausdrucksformen von Zufriedenheit oder Unzufriedenheit ziehen aber notwendigerweise den Drang nach Umsetzungsformen der reflektierten Erkenntnisse nach sich. Die Fortsetzung der Kreativität ist also ein aktives Tun, eine Nutzbarmachung der Rolle für sich selbst (für den Mandanten). Das role-making, das begrifflich vielfach mit dem Namen Ralph Hubert Turners1239 in Verbindung gebracht wird,1240 ist eine solche Fortsetzung. Role-making steht jedoch nicht separat, sondern muss mit role-taking und Rollendistanz „mitgedacht“ werden. So ist role-taking zugleich auch role-making,1241 denn es ist die nach außen tretende Reaktion auf role-taking und Rollendistanz. 1236 Ein solcher Abgleich geschieht vielfach (zunächst) für den Mandanten durch den Anwalt. Die letztendliche Entscheidung und damit den letztendlichen „Abgleich“ muss aber der Mandant selbst vornehmen. 1237 Vielfach wird auf sie gleichsam antizipierend als Verhandlungsgrundlage zurückgegriffen. 1238 Das betrifft in diesem Kontext die Rolle, die der Mandant künftig aufgrund des Vertrags einnehmen soll. 1239 1919 – 2014. 1240 Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 40 ff.; Endruweit/ Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ („Historische Entwicklung des Rollenbegriffs bzw. -theorems“); Schimank, Handeln und Strukturen, S. 67; Schröder, Religionspädagogik, S. 329. Zur Begrifflichkeit des role-makings bei Turner selbst u. a. Turner, Rollenübernahme: Prozeß versus Konformität, 115, 117. 1241 Dazu, dass role-taking nur in Form eines role-makings erfolgen kann, Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 146. Dass ein Prozess sowohl role-taking als auch rolemaking beinhalten kann, macht auch Turner, Rollenübernahme: Prozeß versus Konformität, 115, 117 aus. Wenn das Individuum, so Turner, von Zeit zu Zeit versuche, Aspekte der Rollen
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bb) Rahmenbedingungen und Fertigkeiten Role-making beinhaltet die Aktualisierung vorgegebener Rollen, eine Wahl zwischen diesen, ebenso wie eine „Neudefinition einer Beziehung durch eine Explizierung implizierter Erwartungen wie durch deren Aneinanderabarbeiten“.1242 Diese inhaltliche Beschreibung des role-makings beinhaltet mehrere Elemente, die mit seiner Ausübung verbunden sind: Reflexionstätigkeit innerer und äußerer Art, Artikulation derselben, Kreativität sowie Entscheidungsfreude und -bereitschaft. Allein die Reihung der Begriffe zeigt bereits, dass es ein fordernder und anspruchsvoller Vorgang ist. Daneben tritt die Notwendigkeit des Vorliegens bestimmter äußerer Rahmenbedingungen, die ein solches Vorgehen befördern. Ausgehend von der obigen Prämisse wird hier der Fokus auf das role-making bezüglich der (künftigen) Rolle des Mandanten im Verhältnis zu seinem potentiellen Vertragspartner gelegt. Hier müssen die aufgezeigten Elemente und Formen des rolemakings zum Tragen kommen, der den Mandanten beratende Anwalt allerdings auch die entsprechende Unterstützung leisten, bzw. die entsprechenden Handlungen für seinen Mandanten vornehmen. Unter Fokussierung auf den Mandanten hat auch die Bestimmung der notwendigen Rahmenbedingungen anzusetzen. (1) Äußere Rahmenbedingungen Die äußeren Rahmenbedingungen für ein role-making kann man im Anschluss an Krappmann1243 grundsätzlich in dem Vorliegen „flexible(r) Normensysteme, die Raum zu subjektiver Interpretation und individueller Ausgestaltung des Verhaltens, zu ,role making‘, offenlassen, sowie Abbau von gesellschaftlicher Repression, der verbürgt, daß diese Um- und Neuinterpretation von Normen und ihre Übersetzung nicht negativ sanktioniert werden (…)“1244,
explizit zu machen, dann sei das ebenso ein Erzeugen und Modifizieren wie ein Aktualisieren von Rollen („bringing them to light“). 1242 Auflistung nach Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41, der dies als Turners Begriff des role-makings darstellt. Turner, Rollenübernahme: Prozeß versus Konformität, 115, 116, benennt innerhalb des Prozesses der Rollengestaltung eine Tendenz dahingehend, Entwürfe von Ego- und Alter-Rollen als Orientierungsprozess in Interaktionen zu erzeugen und zu modifizieren. Zum Machen und Gestalten von Rollen auch Turner, Role Change, Annual Review of Sociology 16, 87 – 110. Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 54 f., spricht davon, die interaktionistische Rollentheorie betone, dass Rollen durch Handeln und Interaktion überhaupt erst geschaffen würden. Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 145, bezeichnet bereits das role-taking als einen „Prozeß, in dem antizipierte Erwartungen ständig getestet und aufgrund neuen Materials, das der fortschreitende Prozeß liefert, immer wieder revidiert werden, bis sich die Interpretationen einer bestimmten Situation und ihrer Erfordernisse unter den beteiligten Interaktionspartnern einander angenähert haben.“ 1243 Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 132. 1244 Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 133, macht die Voraussetzungen als Bedingungen gesellschaftlicher Art aus, die erforderlich sind, um das Individuum
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
ausmachen. Ein flexibles Normensystem hält die Rechtsordnung mit der Vertragsfreiheit und dem sie ausfüllenden Vertragsrecht durchaus bereit. Es lässt grundsätzlich die Aktivierung von (vorgezeichneten) Rollen in Form der Vertragstypen zu, ebenso die Aktualisierung in Form der Modifizierung1245, schließlich sogar im Rahmen der Vertragsfreiheit eine völlig freie Festlegung (künftiger) Vertragsrollen. Dieser (scheinbar?) „ideale“ Rahmen für ein role-making ermöglicht also von der Grundanlage her den Einfluss von subjektiven Ausgestaltungen. Die grundgesetzlich abgesicherte Vertragsfreiheit wird nicht zuletzt mit der freien Selbstbestimmung des Einzelnen begründet,1246 die Freiheit ist das rechtliche Fundament, auf dem sich die eigene Identität herausbilden kann. Indem jedwede staatliche Ausgestaltung des Vertragsrechts vor einem formalen Vertragsfreiheitsverständnis rechtfertigungsbedürftig ist, sieht sich Handeln im Rahmen der Vertragsfreiheit im Ansatz keiner Repression des (staatlichen) Rechts gegenüber, sondern vielmehr dessen Schutzes und Durchsetzungskraft. Angesichts dessen scheint im Bereich der Vertragsgestaltung das role-making und damit ein auf dem symbolischen Interaktionismus fußendes Rollenverständnis „selbstverständlich“ zu sein. Dieser Rückschluss aufgrund der in der Vertragsfreiheit angelegten Rahmenbedingungen darf jedoch nicht vorschnell gezogen werden. So bedarf es u.a noch einer Auseinandersetzung mit den persönlichen Fertigkeiten sowie einer Diskussion der Frage, ob die Freiheitsrealisierung des Einzelnen nicht doch den Rückgriff auf andere Rollenverständnisse (mit) erfordert. (2) Persönliche Fertigkeiten So wie man im gesellschaftlichen Kontext auf die Notwendigkeit bestimmter Rahmenbedingungen für ein role-making abstellen kann/muss,1247 fordert ein rolemaking andererseits auch vom Individuum selbst bestimmte Fertigkeiten. Krappmann, allerdings wiederum in Bezug auf identitätsfördernde Fähigkeiten, macht aus, vom Individuum werde verlangt, dass es sowohl aktive Fähigkeiten wie Antizipation von Erwartungen anderer, Interpretation von Normen1248 und Präsentation eigener in die Lage zu versetzen, hinreichend jene Ich-Identität zu entwickeln, die der erfolgreiche Fortgang des Interaktionsprozesses verlangt. 1245 Sofern es sich um dispositives Recht handelt; zu den Repressionsmöglichkeiten des Rechts noch sogleich. 1246 Siehe zum Zusammenspiel von Privatautonomie, Vertragsfreiheit und Selbstbestimmung u. a. BVerfG NJW 2014, 46, 47; siehe ferner etwa BVerfG NJW 2011, 1339, 1340. Grundlegend vor allem BVerfGE 89, 214 ff. (Bürgschaftsentscheidung). 1247 Nicht zuletzt wurde in Bezug auf die Vertragsfreiheit die Notwendigkeit der Ausgestaltung durch das Vertragsrecht gesehen, um Vertragsfreiheit überhaupt erst möglich zu machen. 1248 Siehe dazu auch Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 141, bezüglich der Möglichkeit zur subjektiven Interpretation von Normen im Rahmen des symbolischen Interaktionismus.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Erwartungen1249 als auch passive Fähigkeiten wie Toleranz für Erwartungsdiskrepanzen und für unvollständige Bedürfnisbefriedigung besitze.1250 Solche Fähigkeiten erschließen sich in ihrer Notwendigkeit insbesondere bei einem role-making, welches die tatsächliche Neudefinition einer Beziehung oder eine (umfassende) Modifikation einer solchen bzw. vorgegebener Rollen beinhaltet1251. Schlüssig sind sie vor allem, wenn man das rationale Verhandlungsmodell als den möglichen Weg zum role-making in Betracht zieht. So ist dort mit dem Aufdecken (gegenseitiger) Interessen die Präsentation eigener Erwartungen verbunden, aber auch die Grundlage zur wechselseitigen Antizipation gegeben. Innerhalb der Lösungsfindung kann eine Norminterpretation (etwa, wenn auf Rechtsnormen als Option zurückgegriffen wird) notwendig sowie im Wege der Kooperation die Ausübung von Toleranz angezeigt sein. Selbst ein role-making, das lediglich im Entschluss besteht, eine bestimmte Rolle zu ergreifen (z. B. im bloßen Rückgriff auf einen Vertragstypus),1252 erfordert Antizipation (role-taking, Rollendistanz) und Entschlusskraft. All dies verlangt vom einzelnen Rollengestalter1253 u. a. intellektuelle Fähigkeiten, Sprachkompetenzen1254 sowie kognitive Fertigkeiten1255. Angesichts solcher subjektiven Erfordernisse stellt sich die bereits zuvor aufgeworfene Frage erneut, ob eine Naturalpartei diese Leistungen insbesondere in komplexen Situationen erbringen kann, nicht zuletzt das dafür notwendige angemessene und selbstbewusste Handeln1256. Vielfach wird es dazu der Anleitung bzw. der Unterstützung z. B. durch einen Anwalt bedürfen, der u. a. Hilfe bei der Interpretation von Normen leisten soll.
1249 Zu Eigenleistungen des Individuums innerhalb des symbolischen Interaktionismus wie z. B. Gestaltung und Aushandeln von bestimmten Verhaltenserwartungen, denen man sich gegenübersieht, Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 145. 1250 Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 132. 1251 Zum Begriff des role-makings wiederum Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41, unter Bezugnahme auf Turner. 1252 Das role-making besteht dann in der Wahl (vorgegebener) Rollen. 1253 Das ist in erster Linie der Vertragspartner selbst, ggf. aber unterstützt durch den Anwalt oder sogar durch diesen „vermittelt“. 1254 Zur Sprachfähigkeit als Grundqualifikation des Rollenhandelns Tillmann, Sozialisationstheorien, S. 176. 1255 Zum role-taking und Empathie, wobei Empathie nicht als Einfühlungsvermögen verstanden wird, sondern als kognitiver Prozess, Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, S. 142 ff., dort, S. 142, gerade unter Bezugnahme auf Mead. 1256 Zu den letzten beiden Aspekten Tillmann, Sozialisationstheorien, S. 176 f.; zu den damit in Verbindung stehenden Grundqualifikationen von Frustrationstoleranz, Ambiguitätstoleranz sowie wiederum der Rollendistanz Tillmann, a. a. O., S. 177, unter Hinweis auf Habermas.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Persönliche Fähigkeiten haben somit nicht unerheblichen Einfluss auf den Prozess und somit auf das Ergebnis des role-makings und den daraus resultierenden Erwartungen. Persönliche Fähigkeiten bilden insoweit einen Machtfaktor. cc) Eigene Rollenentwicklung als notwendige Basis vertragsgestalterischer Überlegungen Mittels des role-makings können Antworten entwickelt werden, wie durch einen Vertrag die auf diesen fußenden Erwartungen begründet werden unter Auflösung bestimmter in den klassischen Rollentheorien angelegter Defizite. Der Umgang mit Rechtsnormen des Vertragsrechts, insbesondere der mit Vertragstypen1257, ist vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit aus vertragsgestalterischer Sicht im Hinblick auf (künftiges) Rollenhandeln (des Mandanten) mehr als ein bloßer Umgang aufgrund festgelegter Vorschriften1258. Das Recht bildet hier einen Rahmen mit durchaus großen Freiräumen. Aufgrund dieser Freiräume ist es schlüssig, (künftige) Rollen1259 in eine selbstentwickelte vertragliche Form zu gießen, in Rollen, die erst das Produkt einer Interaktion1260 (z. B. einer Vertragsverhandlung) sind. Mit einer solchen Rollenentwicklung, die in einen entsprechenden Vertrag mündet, findet im Grunde eine Fortsetzung einer Entwicklung des „from status to contract“ auf rollentheoretischer Ebene statt. Der Einzelne soll/muss sich Erwartungen nicht aufgrund einer (gegebenen) Position aussetzen, sondern weil er sie mit1261 entwickelt hat. Über das role-making stellen sich zudem Verbindungen zu den Vertragsverständnissen vor allem von Carbonnier und Macneil her. Beide Autoren rücken die Beziehungen innerhalb von Vertragsverhältnissen in den Fokus ihrer Betrachtungen. Beide setzen sich mit dem Entwicklungsaspekt innerhalb von Beziehungen auseinander. Gerade innerhalb des role-makings wird ebenfalls betont, Beziehungen seien nie endgültig stabilisierte, sondern immer offene, sie müssten als an stete gemeinsame Anerkennung gebundene vorgestellt werden.1262
1257
Soweit die entsprechenden Vorschriften disponibel sind. Zu letztem Aspekt in Bezug auf Turner, jedoch nicht im Kontext mit Verträgen, Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 42. 1259 Gemeint sind solche Rollen, die der Mandant infolge des Vertragsschlusses bekleiden soll. 1260 Siehe wiederum Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 42, allerdings erneut nicht in Bezug auf Verträge und Vertragsgestaltung. Zur Interaktion als stets tentativer Prozess Turner, Rollenübernahme: Prozeß versus Konformität, 115, 118. 1261 Dazu reicht auch ein Vertragsschluss ohne vorherige umfängliche Verhandlungen aus. 1262 So Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 42, unter Bezugnahme auf Turner. 1258
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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Hat der Einzelne es nun dergestalt in der Hand, u. a.1263 mittels des Vertrags bzw. seiner Entwicklung an den ihn (selbst) treffenden Erwartungen infolge des Vertrags mitzuwirken, hat er damit gleichsam ein Steuerungsinstrument, bestimmte „Mängel“ zu verhindern oder zu beseitigen, die mit anderweitig begründeten Rollenerwartungen einhergehen können. So kann er die ihn (künftig) aufgrund des Vertrags treffenden Rollenerwartungen hinreichend klar definieren1264. Zudem kann auf diese Weise versucht werden, einen möglichst großen „Gleichklang“ von Rollendefinition und Rolleninterpretation zu schaffen.1265 Gefordert ist diesbezüglich aber wiederum eine nicht unerhebliche Kreativität und auch „Anstrengung“, u. a. hinsichtlich der Reflexion über die jeweiligen (Mandanten-)Interessen.1266 Die eigenverantwortliche Rollenkreation macht es weiterhin möglich, die jeweilige Rolle (individuell) den persönlichen Interessen anzupassen1267. dd) Defizite bei einer Fokussierung auf das role-making innerhalb der Vertragsgestaltung Das role-making als ein notwendiger und unverzichtbarer Ansatz in der Vertragsgestaltung aus rollentheoretischer Sicht1268 ist nicht in Frage zu stellen. Aller1263 Die Vertragsentwicklung ist ein Beispiel für ein role-making. Letzteres ist aber nicht an das Konstrukt des Vertrags gebunden. Vielmehr kann auf dem Weg des role-makings auch ein Erwartungsaufbau jenseits eines juristischen Vertrags erfolgen. 1264 Zu dem Punkt als Voraussetzung, dass der Homo Sociologicus den an ihn gestellten Rollenerwartungen komplikationslos gerecht werden kann, Schimank, Handeln und Strukturen, S. 67. 1265 Die Ebenen von Rollendefinition und Rolleninterpretation ansprechend Habermas, Kultur und Kritik, S. 126. Empirische und sprachphilosophische Gesichtspunkte, so Habermas, sprächen für die Geltung eines Diskrepanztheorems. Eine vollständige Definition der Rollen, die die deckungsgleiche Interpretation aller Beteiligten präjudiziere, sei allein in verdinglichten, nämlich Selbstrepräsentation ausschließenden Beziehungen zu realisieren. Innerhalb seiner Kritik am Identitätstheorem bezieht sich Habermas u. a. auf Turner und dessen Dialektik von role-taking und role-making. 1266 Das muss durch den Mandanten in letzter Konsequenz selbst geschehen, vielfach allerdings unter „Anleitung“ seines Anwalts. Dieser ist zudem im Bereich der Kreativität, das heißt hier bezüglich der Formulierung der „klaren“ Erwartungen, gefordert. 1267 Vgl. ebenso dazu Schimank, Handeln und Strukturen, S. 67, bezüglich der Erfordernisse, Rollenerwartungen gerecht zu werden. Durch die bewusste Mitwirkung an der Entstehung der relevanten Erwartungen ist zudem jedenfalls im Vorfeld des Vertragsschlusses grundsätzlich ein Abgleich eröffnet, ob ausreichende Ressourcen vorhanden sind, um die Rolle ausfüllen zu können; auch zu diesem Aspekt, ohne Bezug jedoch zum Vertrag, wiederum, Schimank, Handeln und Strukturen, S. 67. Das gilt in gleicher Weise für die Überprüfung der Kompatibilität mit anderen den Einzelnen treffenden Rollenerwartungen; gleichfalls dazu Schimank, a. a. O. 1268 Diese Quintessenz ist für die für den Mandanten zu entwickelnde Rolle zu ziehen. Die Relevanz, die das role-making in Bezug auf den Anwalt selbst einnehmen kann, wird noch im Zusammenhang mit den Fragen der Dritthaftung von Bedeutung sein [u. a. in Teil 4 D. VII., S. 842 ff.].
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
dings bleibt das Problem, ob bei all den Vorzügen gleichwohl einem Rückgriff hierauf als monokausalen Ansatz nicht eine Absage erteilt werden muss. (1) Einführung Zunächst sind das role-making und der symbolische Interaktionismus nicht zu idealisieren. Eine Schwierigkeit, die auch aufzugreifen sein wird, ist der Umgang mit der Frage der Machtverteilung zwischen den beteiligten Personen. Zudem weist das role-making einen Weg der Rollenentwicklung gerade für die beteiligten Personen. Sind z. B. für die Rollendefinition und Rolleninterpretation (auch) Dritte von Bedeutung, ergibt sich das Problem, ob über das role-making gleichwohl immer noch die einzelne Rolle den jeweiligen individuellen Interessen der Beteiligten angepasst werden kann. Diese Frage stellt sich in Bezug auf die Vertragsgestaltung unmittelbar durch die (notwendige!?) Berücksichtigung der potentiellen Drittinstanz „Gericht“, die ggf. über Inhalt und Wirksamkeit des Vertrags entscheidet. Gerade die Möglichkeit, ggf. mittels der Anrufung einer Drittinstanz die vertraglich geregelten Pflichten feststellen und durchsetzen zu können, war ein gravierender Aspekt, der nicht zuletzt im Interessenspektrum des Mandanten von Bedeutung sein konnte. Wünscht sich der Einzelne (insbesondere der Mandant) jedoch, dass ein am role-making unbeteiligter Dritter schließlich über den Inhalt der/seiner eigenen Rolle entscheidet, dann muss, trotz der Gelegenheit innerhalb des rolemakings1269 für entsprechende Definitionsschärfe zu sorgen, geklärt werden, ob dieses Ziel nicht im Einzelfall über ein anderes Rollenverständnis1270 besser zu erreichen ist. U. U. ist man bereit, die Freiheit zur selbständigen Rollendefinition und -interpretation zugunsten einer im Vorhinein bestehenden Drittdefinition/-interpretation aufzugeben. (2) Repressionstheorem als notwendiges Element innerhalb der (juristischen) Vertragsgestaltung Dem zuletzt genannten Gedanken bereits innewohnend ist die Überlegung, dass im Wissen darum, dass ggf. ein Dritter beurteilt, wie die jeweiligen Erwartungen der Parteien aufgrund eines (juristischen) Vertrags zu verstehen sind (Auslegung von Vertragsrechtsnormen sowie Vertragsauslegung selbst), der von Habermas an der klassischen Rollentheorie kritisierte Repressionsgedanke1271 in der juristischen Vertragsgestaltung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden darf/soll. Schließen die Parteien den Vertrag mit einem bestimmten Inhalt gerade auch aus dem Grund, weil sie davon ausgehen, dass dieser Inhalt in der Gesellschaft (vor Gericht) als zu
1269 1270
wird. 1271
Das heißt innerhalb des Resultats des role-makings, dem Vertrag. Also nicht ausschließlich über ein solches, das im Wege des role-makings entwickelt Habermas, Kultur und Kritik, S. 125.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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akzeptierender durchgesetzt werden kann,1272 so liegt darin, trotz der ggf. vorliegenden Freiwilligkeit in Bezug auf den Vertragsschluss selbst1273, gleichwohl ein repressives Element vor. Unmittelbar nachvollziehbar ist das, wenn der Inhalt des Vertrags sich auf Bereiche erstreckt, die durch zwingende Normen reglementiert sind. So verbietet § 1614 Abs. 1 BGB einen Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft. Selbst wenn die Parteien ihre Bedürfnisbefriedigung in einem Unterhaltsverzicht jeweils wiederfinden würden und entsprechende gegenseitige Erwartungen entwickelt hätten, könnten sie dies, sofern eine Akzeptanz durch die Drittinstanz (mit) gewollt wäre, nicht aufgrund eines in einen (juristischen) Vertrag mündenden rolemakings umsetzen. Die „gesellschaftlich lizenzierte (…), als Rolle (…) institutionalisierte (…) Wertorientierung (…)“1274 wird durch § 1614 Abs. 1 BGB so reglementiert, dass durch ihn die akzeptable „Komplementarität der Erwartungen“1275 vorgegeben wird; ihr haben sich die Beteiligten anzupassen. Repressionscharakter kann sich aber ebenso mit dem dispositiven Recht einstellen, wenn der Blick gerade auch auf die etwaige Kontrollinstanz gerichtet wird. Einerseits dient die Existenz des dispositiven Rechts der Begründung, warum vor allem innerhalb der Vertragsgestaltung einem role-making Vorschub zu leisten ist. Dieser Vorschub resultiert aus der dem dispositiven Recht innewohnenden Möglichkeit zur Abweichung, der dort angelegten „Aufforderung“, Rollen zu modifi1272
Ein möglicher Grund für einen solchen Wunsch ist das Bedürfnis nach einer „Versicherung“, wie es Llewellyn herausgearbeitet hat. Dieser Versicherungsmechanismus lässt sich auf rollentheoretischer Ebene mit dem Hinweis auf das Repressionstheorem fortsetzen, wodurch unmittelbar auch eine Verbindung zu Parsons hergestellt ist. Dazu, dass innerhalb strukturfunktionalistischer Rollentheorien Rollenverhalten „als Teil eines relativ stabilen, normativ geregelten, strukturierten Gesellschaftsgefüges angesehen (…) und die Rolleninhaber (…) als Ausführende von Funktionen betrachtet (werden), die sich aus sozialen Positionen ergäben“, Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 57. Diese Sichtweise, so Vester a. a. O., verleihe dem Rollenbegriff eine gewisse Starrheit. „Starrheit“ war aber nicht zuletzt ein Punkt, mit dem sich Llewellyn im Zusammenhang mit dem Vertragsrecht auseinandersetzte. Dort ging es auch um das Schaffen einer „Versicherung“. Zum starren Handlungsmodell der funktionalistischen Rollentheorie auch Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S.137, 141. 1273 Dazu, dass auch der Vertragsschluss selbst (Abschlussfreiheit als Teil der Vertragsfreiheit) ein Bestandteil des role-makings ist, wurde schon hingewiesen. Sofern bereits ein Vertragsschluss an sich durch zwingendes Recht ausgeschlossen ist, z. B. aufgrund mangelnder Geschäftsfähigkeit, kommt ein role-making mittels eines juristischen Vertrags grundsätzlich nicht in Betracht. 1274 Habermas, Kultur und Kritik, S. 125. 1275 Habermas, Kultur und Kritik, S. 125. Habermas, a. a. O., führt allerdings in Bezug auf das Repressionstheorem aus, vollständige Komplementarität der Erwartungen können nur unter Zwang, auf der Basis fehlender Reziprozität hergestellt werden. In der hier geschilderten Situation liegt es jedoch so, dass die Beteiligten (potentielle Vertragsparteien) sehr wohl im Wege des role-makings Komplementarität herstellen. Die entwickelte Bedürfnisbefriedigung über eine juristische Rollenfixierung wird aber nicht zugelassen, die entwickelten Rollen werden insoweit unterdrückt.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
zieren oder sogar neu zu entwickeln. Wenn jedoch die Antizipation erwartbaren (Vertrags-)Verhaltens sich nicht mehr allein auf die (unmittelbaren) Interaktionspartner (Vertragspartner) richten soll/darf, sondern diese Antizipation einen am die jeweiligen Rollen begründenden Interaktionsprozess nicht beteiligten Dritten (Gericht) mitumfassen muss/soll, kann das dispositive Recht in einer repressiven Ausrichtung nutzbar gemacht werden. Darf/soll sich die Antizipation nicht auf die jeweiligen Interaktionspartner reduzieren, bietet sich vielfach ein Rückgriff auf Rollen und damit verbundene Erwartungen an, die vom Dritten (Gericht) als „wünschenswert“ in dem Sinn betrachtet werden, dass sie gesellschaftlich akzeptierte Muster beinhalten, auch und nicht zuletzt hinsichtlich der Rollendefinition und Rolleninterpretation. Das ist u. a. bei den durch das dispositive Recht verkörperten (Vertrags-)Rollen der Fall. Allerdings, und dies betrifft gerade die Definitionen und Interpretationen im Einzelnen, nimmt der Dritte (Gericht) dafür eine gewisse „Hoheit“ für sich an. Die Interaktionspartner (Vertragspartner) haben für sich aber den „Vorteil“, dass sie bei gesetzlich vorgegebenen Rollen in der Regel anhand vorhandener Rollendefinitionen/-interpretationen (insbesondere durch die Rechtsprechung) auch diesbezüglich antizipieren können. Hinter diesen Abläufen steht aus anwaltlich beratender Sicht1276 das Postulat des „sichersten Wegs“. Gehen die potentiellen Vertragsparteien diesen, dann müssen sie ggf. wieder ihre Bedürfnisse der „gesellschaftlich lizenzierten, als Rollen institutionalisierten Wertorientierung (…)“1277, diesmal in Form des dispositiven Rechts, anpassen. Die Wahl des sichersten Wegs in der aufgezeigten Art und Weise in der Vertragsgestaltung könnte daher die Beugung unter das Repressionstheorem bedeuten. (3) Repression und Freiheit Repressive Elemente, die als Einwand gegen die klassische Rollentheorie, wie sie etwa von Parsons erarbeitet worden ist, vorgebracht werden,1278 dürfen innerhalb der Vertragsgestaltung nicht in einer kategorisierenden Weise betrachtet werden. Denn das, was dem zwingenden, aber auch dem dispositiven Recht (jeweils im Verbund mit der Kontrollinstanz) als einengender „Zwang“ innewohnt, kann auf der anderen Seite der Freiheitsverwirklichung, die mittels Vertragsschlusses gesucht wird, dienen. Das
1276 Bezüglich der Vertragsgestaltung, das heißt der künftigen (Vertrags-)Rolle des Mandanten. 1277 Habermas, Kultur und Kritik, S. 125. 1278 Habermas, Kultur und Kritik, S. 125; aufgegriffen u. a. von Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 130 f.; Endruweit/Trommsdorff/Griese, Wörterbuch der Soziologie, 2. Aufl., Stichwort „Rolle“, I 6 (Gegenwärtiger Stand und Zukunft der Rollendiskussion; dort in dem Kontext, dass das Rollentheorem sowohl Prozesse der Anpassung als auch des Widerstands erfassen könne).
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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zwingende Recht,1279 das in vielen Fällen (auch) dem Schutz des Schwächeren dient1280, kann eben jenen Schwächeren in seinem Entschluss, den Vertrag überhaupt abzuschließen,1281 bestärken, weil er aus der Einsicht1282 heraus handeln kann, seine Interessen nicht ggf. gänzlich unterminiert zu sehen. Auf diese Art und Weise kann die Frustration darüber, sich in einer schlechteren Verhandlungsposition zu befinden, gemildert werden. „Frustrationstoleranz“1283 muss durch das zwingende Recht gerade auch der Stärkere aufbringen, der seine vertragliche Interessenumsetzung dem zwingenden Recht anpassen muss. Ihm verbleibt zwar ebenso ein mögliches role-making aufgrund der Entscheidung, den Vertrag überhaupt abzuschließen. Hier wirkt sich gleichwohl eine gesetzlich vorgegebene Rolle viel eher repressiv aus. Wesentlich deutlicher wird der Zusammenhang von Repression und Freiheit innerhalb der Vertragsgestaltung allerdings bei der Anwendung dispositiven Rechts. Die grundsätzlich im dispositiven Recht zum Ausdruck kommende Freiheitsgewährung erhielt einen repressiven Charakter durch die Ausrichtung auf die kontrollierende Drittinstanz und der damit einhergehenden Wahl des sichersten Wegs. Diese Wahl des sichersten Wegs bleibt jedoch prinzipiell eine freiwillige, sie eröffnet vielmehr die Option, hohe Antizipation (auch) hinsichtlich einer Drittinstanz herzustellen, um so eine ggf. gewünschte „Versicherung“ zu erlangen. Ein, auch von einer Drittinstanz „Gericht“ zu respektierendes, role-making der freien Gestaltung innerhalb der Vertragsfreiheit bleibt davon unbenommen. Rollendefinition und Rolleninterpretation können selbst vorgenommen werden, die Antizipation hinsichtlich der Entscheidung der Drittinstanz darüber ist nur eine schwierigere1284. Versteht man die Wahl des sichersten Wegs somit lediglich als zusätzliche Option, so ist daran anknüpfend gerade in Bezug auf das dispositive Recht eine vom Anwalt in der Beratung zu erbringende Leistung noch auf weitere Weise begründbar. Die Beratung des Anwalts, wie der Mandant seine Interessen durch einen Vertrag umsetzen kann, darf sich bei seinen Erläuterungen des dispositiven Rechts gerade nicht auf dessen im Postulat des sichersten Wegs fußenden „repressiven Charakter“ beschränken. Genau das kann jedoch geschehen, wenn bei der Befragung und Beratung des Mandanten durch den Anwalt „Checklisten“ unreflektiert „abgearbeitet“ werden. In der Verkennung der Abläufe, die das role-making ausmachen, nimmt der 1279
Z. B. in Form von zwingenden Mieterschutznormen, etwa § 573 BGB. Zum Zweck des Schutzes der schwächeren Vertragspartei u. a. Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 15. 1281 Das role-making besteht hier wieder (nur) in der Form, den Vertrag an sich einzugehen. 1282 Hier zeigt sich bereits die Notwendigkeit, unterschiedliche Rollentheorien miteinander zu kombinieren, um zu einem in der jeweiligen Situation umsetzbaren und befriedigenden Ergebnis zu gelangen. 1283 Frustrationstoleranz als Grundqualifikation des Rollenhandelns darstellend Tillmann, Sozialisationstheorien, S. 177. 1284 Vertragsgestalterisch ging es darum, die Verträge so abzufassen, dass sie nicht auslegungsbedürftig und auslegungsfähig sind. 1280
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Anwalt dann seinem Mandanten einen großen Teil von dessen Möglichkeiten, das Recht und die dort vorgehaltenen Rollen als Freiheitsangebote zu begreifen. Es ist vielmehr an dem Anwalt, seinem Mandanten die Kompetenz zu verschaffen, normierte (künftige) Rollen, z. B. aufgrund eines Werkvertrags, im Verständnis Meads ins „Me“1285 aufzunehmen, insoweit als Rollen zu internalisieren, zugleich aber auch sich von ihnen zu distanzieren;1286 letzteres bedeutet, (als Mandant) zu wissen, dass die Rolle für das Handeln (späterer Vertragsschluss) nur eine Option ist, der man nicht nachkommen muss.1287 Insbesondere Rollen des dispositiven Rechts dürfen nicht im Wege der anwaltlichen Beratung in der Art zur Internalisierung beim Mandanten führen, dass sie als „unausweichlich“ dargestellt werden.1288 („Für Sie kommt nur der Abschluss eines Werkvertrags in Betracht.“) Diese Kompetenz vermittelt der Anwalt dem Mandanten, indem er die Regelungen des Gesetzes mit dessen Rollen als „Angebote“ übermittelt, außerdem das Pro und Contra der jeweiligen Regelungen für die Interessen des Mandanten offenlegt. Darin besteht eine „reflexive (…) Anwendung flexibel verinnerlichter Normen“1289. Dies sind Leistungen, die eng mit der bereits zuvor innerhalb des role-makings1290 vorgestellten Rollendistanz1291 zusammenhängen.1292 Antizipierte Rollendistanz im Vorfeld des eigentlichen Vertragsschlusses kann somit dem Mandanten Rollenkompetenz1293 vermitteln. 1285
Des Mandanten. Autonomes Rollenspiel, so Habermas, Kultur und Kritik, S. 127, setzt die Internalisierung der Rolle ebenso wie eine nachträgliche Distanzierung von ihr voraus. Diesen Gedanken u. a. ebenfalls aufgreifend Beer, Erkenntniskritische Sozialisationstheorie, S. 34. 1287 Das betrifft zunächst Vertragsmuster bezüglich noch abzuschließender Verträge. Auch insoweit sollte es im Vorfeld zur Internalisierung ins „Me“ des Mandanten kommen, u. a. um abgleichen zu können, ob sich dort die eigenen Interessen wiederfinden. Sollte es jedoch zum Vertragsschluss kommen, ist eine Distanzierung durch den Mandanten ebenfalls vorstellbar. Sie kann aber zu Sanktionierungen führen. 1288 Freilich immer noch unter dem Vorbehalt, dass der Mandant sich letztendlich zum Vertragsschluss entscheidet. 1289 Habermas, Kultur und Kritik, S. 127. 1290 Grundsätzlich dazu, dass nach interaktionistischen Rollentheorien Flexibilität und Kreativität erfolgreiches Rollenspiel erst möglich machen, Vester, Kompendium der Soziologie I, S. 57. Nach Reiger, Symbolischer Interaktionismus, S. 137, 141, sieht der symbolische Interaktionismus Menschen nicht als „bloße Erfüller von Rollenerwartungen und normativen Vorgaben, sondern gesteht ihnen subjektive Interpretationen, Deutungen und Handlungsentwürfen einen deutlichen größeren Spielraum zu.“ 1291 Habermas, Kultur und Kritik, S. 124 ff., stellt die Rollendistanz dem Konformitätstheorem gegenüber, das Repressionstheorem dem Integrationstheorem. Innerhalb der Vertragsgestaltung wird deutlich, wie sehr die einzelnen Aspekte miteinander verbunden sind. 1292 Siehe dazu die Darstellung bei Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 132. 1293 Abels, Einführung in die Soziologie, Band 2, S. 132, zitiert Habermas, Kultur und Kritik, S. 126, wonach eben „(…) (a)utonomes Rollenspiel (…) beides voraus(setzt): die Internalisierung der Rolle ebenso wie eine nachträgliche Distanzierung von ihr.“ Diese Fähigkeit, so Abels, nenne Habermas Rollenkompetenz. Habermas selbst, Kultur und Kritik, S. 196, 1286
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(4) Problem der Machtfrage innerhalb des role-makings Der Gedanke der Repression ist in der Vertragsgestaltung ein notwendiger, ein die Freiheit der Parteien auch vielfach unterstützender. Dieser letzte Aspekt muss im Anschluss an den zuvor angesprochenen Schutz des Schwächeren hinsichtlich des role-makings innerhalb des symbolischen Interaktionismus nochmals aufgegriffen werden. Das gilt vor allem für die Bedeutung des zwingenden Rechts, gerade über die Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB. Nicht zuletzt (bestimmtes) repressives (zwingendes) Recht kann ein role-making innerhalb der Vertragsgestaltung im weiten Rahmen gewährleisten, weil es sich eines Problems annimmt, dessen Lösung der symbolische Interaktionismus vielfach schuldig bleibt: die Lösung der Machtfrage1294. Role-making kann im Grundsatz nur im Rahmen von Interaktionen von ungefähr Gleichen gelingen.1295 Das, was sich (allerdings) bei den subjektiven Fähigkeiten für ein role-making bereits abzeichnete, setzt sich auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene fort. Faktoren wie beispielsweise Geld oder soziale Abhängigkeiten lassen eine aufgrund gegenseitigen Aushandelns entstehende Rolle als problematisch erscheinen. So ist zweifelhaft, ob der Einzelne jeweils die freie Wahl hat, ggf. die Kommunikation abzubrechen, das heißt etwa, von einem (bestimmten) Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Zwingendes Recht, Wertungen des dispositiven Rechts und damit insgesamt zusammenhängende Fragen der Vertragsgerechtigkeit gehen diese Schwierigkeiten im Bereich des Vertragsrechts zumindest an. Das role-making als sozialer Vorgang erhält somit, wenn sich dieser soziale Vorgang der Mittel des Rechts bedient, eines Rahmens, der u. a. bestimmte Defizite des symbolischen Interaktionismus auffangen kann. Umgekehrt darf an den entsprechenden Stellen der Rechtsanwendung, vor allem bei einer Kontrolle über die Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, wiederum nicht außer Acht gelassen werden, dass die dortigen tatbestandlichen „Voraussetzungen“ („gute Sitten“; „Treu und Glauben“) darauf ausgerichtet sind, soziale Abläufe, zu denen auch und vor allem ein role-making gehört, für eine rechtliche Beurteilung „aufzufangen“.1296
führt aus, Rollenkompetenz nenne er die Fähigkeit, Interaktionsnormen überhaupt zu beherrschen. 1294 So Zwengel, Goffman und die Macht, 285, 285 f. mit zahlreichreichen Nachweisen. Demgegenüber ausführend, dass sich der symbolische Interaktionismus sehr wohl mit der Machtfrage auseinandersetzt u. a. Dennis/Martin, The British Journal of Sociology 2005, 191 ff. 1295 Abels, Identität, S. 276, führt in Bezug auf die Rollendistanz aus, letztere sei eine Strategie, soziale Erwartungen neu zu definieren. Dies gelinge grundsätzlich nur in Interaktionen von ungefähr Gleichen. Wo Macht die Situation dominiere, sei nur für eine Seite Rollendistanz möglich. 1296 Gerade über die Generalklauseln ist eine nachträgliche Korrektur sozialer Erwartungen möglich. Zur Möglichkeit nachträglicher Korrekturen sozialer Erwartungen, jedoch nicht im Kontext der Vertragskontrolle und von §§ 138, 242 BGB, Abels, Identität, S. 277.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Soziales Rollenverständnis und rechtliche Beurteilungen bedingen somit erneut einander und hängen voneinander ab. Das role-making ist folglich ein weiteres Beispiel dafür, dass eine isolierte Betrachtungsweise, die soziale und rechtliche Abläufe kategorisch trennen will, verfehlt ist. 3. Resümee Die Ergebnisse im Anschluss vor allem an die Forschungen Meads und Turners erschließen zunächst wiederum (weitere) Analysemöglichkeiten, die innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung nutzbar zu machen sind. Exemplarisch soll insoweit nur nochmals auf das Zusammenspiel von „Me“ und „I“ verwiesen werden, welches u. a. die Notwendigkeit der Hinzuziehung des Mandanten vor allem zu komplexeren Verhandlungen nachhaltig verdeutlicht. Der besondere „Gewinn“ des symbolischen Interaktionismus ist in der Öffnung zu einem „kreativen“ Rollenverständnis zu sehen, der Möglichkeit, (gegenseitige) Erwartungen eigenverantwortlich (neu) zu entwickeln. Hierin liegt eine Essenz der Vertragsgestaltung, deren Bewusstmachung die gesamte gestalterische Tätigkeit prägen sollte. Damit sollte nicht nur die Loslösung von einem zu stark strukturierten Denken1297 in der Vertragsgestaltung („Mustergläubigkeit“)1298 verbunden sein, sondern gleichfalls der „Mut“, grundsätzlich allen dankbaren Mandanteninteressen zur Umsetzung zu verhelfen, auf dem Weg die „maßgeschneiderte“ (Vertrags-)Rolle zu entwickeln. Das ist durchaus individualistisch gedacht, ebnet damit z. B. auch prinzipiell den Weg, eine Rolle zu schaffen, die vom Einzelnen nicht als „Repression“ begriffen wird, ein Aspekt, der als Kritikpunkt etwa an dem Rollenverständnis Parsons’ von Bedeutung war. Eine, nicht zuletzt aus der Kritik an Parsons „geborene“, Hinwendung zum symbolischen Interaktionismus muss allerdings selbst einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Gerade die Möglichkeit eines individualisierenden Vorgehens lässt die schon diskutierte Machtfrage wieder virulent werden. Zudem darf nicht außer Acht bleiben, dass die etwa im Wege des role-makings entwickelten (Vertrags-)Rollen zum einen dem juristischen Konsens zugeführt werden müssen, also der Zustimmung der anderen Seite bedürfen. Zum anderen muss immer auch berücksichtigt werden, dass ein Vertrag „funktionieren“ muss/soll. Zwar kann dies vor allem mittels eines „idealen“ role-makings gelingen, in welchem z. B. die jeweils involvierten Interessen austariert und ggf. auch „abgeschliffen“ werden. Wegen der benannten Machtfrage, durchaus auch wegen der Vorteile von „Mustern“ zur „Orientierung“1299 darf aber mit einer Ausrichtung auf einen funk1297
Wiewohl dies selbstverständlich auch erforderlich ist, es geht hier um ein überzogenes strukturiertes Denken. 1298 Das betrifft vor allem die Phase der Interessenermittlung, aber ebenso z. B. ein Denken, das mit dem Blick auf Grenzen ansetzt. 1299 Eine „Mustergläubigkeit“ ist, wie zuvor schon ausgeführt, jedoch gerade abzulehnen.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
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tionierenden Vertrag die Bedeutung des Rechts und dort „angebotener“, u. U. sogar zwingender Rollen oder Vorgaben gleichwohl nicht geringgeschätzt werden. Vielmehr zeigt sich eine Konsequenz, die sich bereits innerhalb der Auseinandersetzung mit Dahrendorf und Parsons zeigte: Ein (isolierter) Rückzug auf ein Rollenverständnis ist bei der Nutzbarmachung von „Rollen“ innerhalb von Vertragsverhandlung/-gestaltung auch nicht über den symbolischen Interaktionismus, selbst in der Fortentwicklung über das role-making, angezeigt. Zur Verfolgung des Primärziels der Vertragsgestaltung, der (optimalen) Interessenumsetzung, wird vielmehr ein Rückgriff auf und eine Kombination von mehreren Rollenverständnissen vonnöten sein.
VI. Die Rolle – Notwendige Denkkategorie innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung Die Nutzbarmachung der wissenschaftlichen, vor allem (rechts-)soziologischen Erkenntnisse um die Rolle könnte und sollte in unterschiedlicher Weise in der anwaltlichen interessengeleiteten Vertragsverhandlung und -gestaltung Einlass finden. Mit Blick darauf erfolgte eine Annäherung an das Rollenverständnis von unterschiedlichen theoretischen Ansätzen1300 her. Dabei stellte sich die Rolle nicht nur als taugliches Analyseinstrument heraus. Vielmehr zeigt sich, dass das Recht nachhaltig „Rollen“ prägt, dass aber auch das Recht kreativ eingesetzt werden kann, um Rollen zu schaffen. Wie der Umgang mit Rollen als Analysemittel eingesetzt werden kann, haben u. a. die Auseinandersetzungen mit Parsons’ AGIL-Schema gezeigt. Das war ein Beispiel eines Reflexionsansatzes, was ein Vertrag leisten kann, was aber auch notwendig ist, um sein (tatsächliches) Funktionieren zu gewährleisten. Zu einem entsprechenden Verständnis tragen aber ebenso die anderen aufgezeigten Ergebnisse bei. So waren gerade Dahrendorfs Ausarbeitungen zu den Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen sowie Parsons’ Rollenverständnis zum „Wollen wie Sollen“ nachhaltige Anknüpfungspunkte, um mit Ausrichtung auf die umzusetzenden Mandanteninteressen zu hinterfragen und zu klären, wie und ob dies mit den Mitteln des Rechts möglich ist. Damit war zugleich unmittelbar die Brücke dazu geschlagen, dass das Recht selbst Rollen bereithält,1301 z. B. typisierte Vertragsrollen, auf die im Rahmen des zu entwerfenden Vertrags zurückgegriffen werden kann. Die Sinnhaftigkeit solcher „vorgefertigten“ Rollen in Bezug auf die Umsetzung der Mandanteninteressen lässt sich u. a. durch die Erkenntnisse um die „Rolle“, bzw. aufgrund von verschiedenen Rollenverständnissen, besser abklären. 1300
Dabei konnte und sollte freilich die Rollendiskussion nicht in ihrer Gänze unter Anführung weiterer Ansätze untersucht werden. 1301 Siehe nochmals grundlegend die Arbeit von Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht.
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3. Teil: Rollenorientierung innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung
Es ist zudem das Wissen um die Vor-, aber auch um die Nachteile rechtlich vorgeprägter Rollen, das den Blick für einen „offensiven“ Umgang mit der Vertragsfreiheit öffnen kann. Role-making als kreativer Umgang hinsichtlich der Schaffung von Rollen auch und gerade mit den Mitteln des Rechts muss in einer interessengeleiteten Vertragsgestaltung von zentraler Bedeutung sein. Es ist denn auch dieses Wissen um Rollen und role-making, welches ggf.1302 vom Gesetz geprägtes Status-/Rollendenken aufbrechen und eine interessengerechte Einzelfalllösung schaffen kann.1303 Es ist aber ebenfalls dieses role-making, das nicht einseitig euphorisierend gesehen werden darf. Neben Fragen etwa um den Umgang mit der Macht muss z. B. immer auch Berücksichtigung finden, dass das role-making vielfach das Ergebnis eines dynamischen kommunikativen Prozesses ist. Diesen Prozess gilt es, wenn man etwa als Anwalt Mandanteninteressen umsetzen will, in „richtiger“ Weise zu steuern, also dahingehend, die Rolle (mit) zu entwickeln, die der Mandant tatsächlich bekleiden möchte. Um die Umsetzung der Mandanteninteressen mittels eines Vertrags zu erreichen, ist es vielfach zudem ohnehin erforderlich, letztlich eine Kombination verschiedener Rollenverständnisse in sein Denken einzustellen. So waren die bereits angesprochenen Rollenverständnisse von Dahrendorf und Parsons ebenfalls zur Realisierung bestimmter Mandanteninteressen nützlich und mitunter gerade notwendig. Die bisherigen resümierenden Ausführungen richteten sich vor allem an der Situation aus, in der es um den (vom Anwalt) zu gestaltenden Vertrag geht, also um die Umsetzung der Mandanteninteressen, auch und nicht zuletzt unter Nutzung der Erkenntnisse um die Rolle1304. Dass ebenso der Anwalt selbst sich Rollenerwartungen, im Besonderen rechtlich formalisierten, gegenübersieht, wurde vor allem im Zusammenhang mit der Darstellung des Rollenverständnisses bei Dahrendorf angeführt. Der Anwalt selbst kann jedoch gleichfalls in einen Prozess eingebunden sein, der als role-making ausgemacht worden ist. Das kann nachgerade seine Be1302 Deutliche Grenzen werden je nach Fallkonstellation durch das zwingende Recht gezogen; hier ist ein „Ausbruch“ nicht ohne weiteres möglich. 1303 Vgl. dazu auch Reimann, „From Status to Contract – Vertragsfreiheit und Vertragstreue vor neuen Grenzen?“, 67, 81: „Rollensoziologische Überlegungen, mit einem funktionalen Status für bestimmte Personen und Personengruppen, verhindern Einzelfallgerechtigkeit, wenn – ohne Rücksicht auf die Schutzbedürfnisse – in concreto die Unterlegenheit des einen und die Überlegenheit des anderen zwingend unterstellt wird. In Bezug auf die Einzelfallgerechtigkeit ist das Statusdenken der in der modernen Vertragsgestaltung üblichen typologischen Methode völlig konträr.“ Reimanns Überlegungen beziehen sich auf die Paritätsproblematik, auf die, auch unter Einbeziehung typischer Betrachtungen, noch einzugehen sein wird [Teil 5 D. III., S. 955 ff.]. Auch ansonsten können seine Äußerungen sehr wohl als Anstoß einer kritischen Haltung in Bezug auf das Verhältnis von rollensoziologischen Überlegungen und einer Einzelfallgerechtigkeit gewertet werden. Dass eine solche Verbindung, gerade für eine interessengerechte Einzelfalllösung, möglich ist, haben unsere Untersuchungen jedoch gezeigt. 1304 Die Rolle, die für den Mandanten gestaltet werden soll.
C. Rollenverständnisse in der Vertragsgestaltung
673
ziehung zum potentiellen Vertragspartner seines Mandanten betreffen. Entsprechende Prozesse werden im Kontext mit Fragen der etwaigen Haftung des Anwalts gegenüber diesem Dritten vor allem aufgrund von Auskünften innerhalb von Vertragsverhandlungen näher zu untersuchen sein.
4. Teil
Dritthaftungsproblematik beim Umgang des Interessenvertreters mit Informationen – Haftung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten A. Einführung Einen zentralen Aspekt innerhalb der Tätigkeit des die Interessen vertretenden Anwalts nimmt innerhalb von Vertragsverhandlung und -gestaltung der Umgang mit Informationen ein. Während im Verhältnis Anwalt – Mandant vor allem aufgrund des Anwaltsvertrags für den Anwalt klare Vorgaben vorhanden waren, welche Informationen er vom Mandanten erfragen bzw. diesem geben muss, stellt sich die Situation demgegenüber hinsichtlich der Informationsweitergabe1 an den potentiellen Vertragspartner wesentlich schwieriger dar. Zum einen kann im Einzelfall problematisch sein, welcher Umfang an Informationsweitergabe an den Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten)2 (noch) im Interesse des eigenen Mandanten liegt, also vom vertraglichen Verhältnis mit dem Mandanten gedeckt ist. Selbst wenn jedoch bestimmte Informationsweitergaben im Verhältnis zum Mandanten auch für den Anwalt vertragskonform sein sollten, bleibt für ihn eine davon zu trennende Risikosphäre. Der Anwalt steht in der potentiellen Gefahr, sich unmittelbar gegenüber dem Dritten haftbar zu machen, wenn ihm im Informationsfluss diesem gegenüber Fehler unterlaufen sollten. Auf die letztgenannte Schwierigkeit muss das Hauptaugenmerk gerade in Bezug auf „informationslastige“ Vertragsverhandlungen3 gelegt werden, die deshalb im Fokus der Untersuchungen stehen.4 1 Unproblematisch ist, dass der Anwalt vom potentiellen Vertragspartner im Interesse seines Mandanten bestimmte Informationen erfragen muss. 2 Die Begrifflichkeit des „Dritten“ bezieht sich hier grundsätzlich auch und gerade auf den potentiellen Vertragspartner des Mandanten. Insofern liegt ein anderer Umgang mit dem Begriff als in Teil 1 D. I. 1., S. 256, vor, wo der Dritte außerhalb der Parteieigenschaft stand. Dies ist insbesondere der in diesem Problemkontext einschlägigen Begrifflichkeit in der Literatur geschuldet. 3 Der Begriff der „Vertragsverhandlung“ ist im Zusammenhang einer möglichen Dritthaftung des Anwalts wegen falscher Auskünfte etc. – wie auch zuvor in (Teile 1 bis 3) – grundsätzlich weit zu verstehen. Erfasst sind davon nicht nur strukturierte, insbesondere rationale Verhandlungen. Unter „Verhandlungen“ fallen daher Gespräche hin zum intendierten Vertragsschluss, ebenso Vorgespräche zu einem beabsichtigten Vertragsschluss, aber auch un-
A. Einführung
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Der „klassische“ Problembereich, der sich auftut, betrifft den der Haftung für Rat, Empfehlung und Auskunft.5 Abgesehen von der praktischen Bedeutung zeigt sich dort, wie eng tatsächliche und rechtliche Abläufe verwoben sind und möglicherweise (mit-)geprägt sind von unterschiedlichen Rollenverständnissen. Gerade hinsichtlich des Rückgriffs auf Rollenerkenntnisse geht es jedoch nicht um eine Begründung einer eigenständigen Haftungsgrundlage wegen eines (falschen) Rats etc., beruhend auf einem (bestimmten) Rollenverständnis. Es soll vielmehr darum gehen, bestehende (Haftungs-)Lösungsansätze auf die Situation vor allem der Vertragsverhandlung anzuwenden, ein etwaig dahinterstehendes Rollenverständnis aufzuzeigen und notwendige dogmatische und (praktische) Konsequenzen für die anwaltliche Tätigkeit zu ziehen. Dabei wird sich freilich zeigen, dass unterschiedliche Ansätze6, wie etwa der von Köndgen7 oder Hopt8, bereits maßgeblich auf der Berücksichtigung von bzw. der Auseinandersetzung mit Rollen beruhen. Auch diese gilt es kritisch zu hinterfragen. Breidenbach9 bezeichnet gar die berufliche Rolle als „Schlüsselbegriff in der Berufshaftungsdiskussion“. Dabei weist er allerdings darauf hin, dass weder über den Hintergrund des Rollenbegriffs noch über das Verständnis Einigkeit herrsche.10
verbindliche Gespräche, mit denen zunächst nur der Zweck verbunden ist, etwaige Interessen auszutarieren Ein mindestens zweiseitiger komunikativer Vorgang wird aber jeweils vorausgesetzt. 4 In Bezug auf die Erteilung von Auskunft, Rat und Empfehlung innerhalb der Vertragsverhandlung gegenüber einem Dritten durch den Interessenvertreter „Anwalt“, worauf das Hauptaugenmerk sich richten soll, zeigt sich am nachhaltigsten, welche Konsequenzen u. a. der (kommunikative) Kontakt zwischen Anwalt und (potentiellem) Vertragspartner des Mandanten zeitigt. Es geht um einen mitunter intensiven Informationsfluss, in den der Anwalt selbst als Person eingebunden ist. Das Vertragswerk (entworfener Vertrag) als solches stellt in der Regel eine der Hauptleistungspflichten aus dem Vertrag des Anwalts mit seinem eigenen Mandanten dar (Entwurf eines rechtswirksamen, die Interessen umsetzenden Vertrags). Die Frage, ob der Anwalt, der der Interessenvertreter seines Mandanten ist, der anderen Seite den Entwurf eines auch deren Interessen umsetzenden Vertrags schuldet (schulden kann), bzw. sich schadensersatzpflichtig macht, wenn sich die Interessen der anderen Seite in dem entworfenen Vertrag nicht hinreichend wiederfinden, soll hier nicht weiterverfolgt werden. 5 Ein eng damit verbundener Bereich ist der der Frage nach dem Umfang von Informationspflichten, siehe Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 34, insbesondere Fn. 9. Dieser Bereich soll hier für das Verhältnis Anwalt – Dritter nicht vertieft werden. 6 Neben den hier erörterten vgl. u. a. auch Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff. 7 U. a. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 352 ff. 8 U. a. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645 ff. 9 Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 36. 10 Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 36.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
B. Rat, Empfehlung und Auskunft im Kontext von Vertragsverhandlungen I. Einführung Die Schwierigkeiten, die sich für den Anwalt hinsichtlich einer möglichen späteren Haftung gegenüber dem Dritten, dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten, ergeben können, entzünden sich vor allem an einer etwaigen Erteilung eines Rats, einer Empfehlung oder einer Auskunft. Die Haftung in dem Bereich, nicht nur durch den Anwalt, ist Gegenstand zahlreicher Abhandlungen.11 Teilweise12 wird dabei als Ausgang der Überlegungen auf eine Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten verzichtet, da die Konsequenzen vielfach dieselben seien. Um die möglichen, auch praktischen, Probleme für den Anwalt verdeutlichen zu können, ist eine Trennung jedoch grundsätzlich angezeigt, ebenso eine begriffliche Eingrenzung. Sie soll jeweils beispielhaft mit Situationen insbesondere innerhalb von Vertragsverhandlungen belegt werden. Die Begriffstrennung erfolgt in Anlehnung an § 675 Abs. 2 BGB (§ 676 BGB a. F.). Nach § 675 Abs. 2 BGB trifft denjenigen, der einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, keine Verpflichtung zum Ersatz des aus der Befolgung des Rats oder der Empfehlung entstehenden Schadens. Unbeschadet davon besteht die Pflicht zum Ersatz, wenn sich die Grundlage aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergibt. Das Vorstehende gilt ebenso für die Erteilung einer Auskunft,13 die zwar ein „Minus“14 im Vergleich zum Rat oder zur Empfehlung ist, gleichwohl aber mit beiden eng zusammenhängt. Auch wenn es im Einzelnen häufig zwischen Rat, Empfehlung und Auskunft Überschneidungen gibt, kann man sie gleichwohl grundsätzlich unterscheiden. 11 Siehe nur als kurze beispielhafte Aufzählung Canaris, VersR 1965, 114 ff.; Honsell, JuS 1976, 621 ff.; Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff.; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht; Koch, AcP 204 (2004), 59 ff.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, insbesondere S. 352 ff.; Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff.; Zugehör, NJW 2000, 1601 ff. Siehe insbesondere auch noch die Abhandlung unter D. mit den dort aufgeführten Belegstellen. 12 Siehe z. B. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 46, in Bezug auf den Haftungsgrund; später nimmt Jost, a. a. O., S. 272 ff., aber im Hinblick auf Sorgfaltsanforderungen eine Unterteilung zwischen Auskunft, Beratung und Interessenwahrnehmung vor. 13 Dazu, dass die „Auskunft“ von § 675 Abs. 2 BGB (§ 676 BGB a. F.) erfasst ist, etwa RGZ 126, 50, 51; 148, 286, 293; Honsell, JuS 1976, 621, 621, Fn. 2; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 68 m. w. N., wonach der Wortlaut des § 676 BGB zwar nur Rat und Empfehlung umfasse. Erfasst sollten aber auch Mitteilungen ohne Aufforderungscharakter sein, wenn sie als Entscheidungsgrundlage für den Empfänger dienen. Ebenfalls die Auskunft als erfasst ansehend u. a. Musielak, Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten, S. 6, unter Hinweis auf die Motive zum BGB II, S. 554; von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts, S. 104. 14 Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 11, Rn. 1.
B. Rat, Empfehlung und Auskunft im Kontext von Vertragsverhandlungen
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II. Auskunft 1. Begriff Die Auskunft, als Form des Informationsflusses gleichsam auf unterster Stufe stehend, umfasst jedenfalls die Mitteilung von Tatsachen15. Der Begriff der Tatsache betrifft vor allem innerliche und äußerliche Umstände, wie beispielsweise Absichten (innerliche Tatsachen) oder die Beschaffenheit von Gegenständen (äußerliche Tatsachen). Erfasst werden allerdings ebenso „Rechtstatsachen“16. Insgesamt kann man Tatsachen (inklusive der Rechtstatsachen) in Anlehnung an das zivilprozessuale (Beweis-)Verfahren als solche Umstände und Geschehnisse bezeichnen, die der Kontrolle, ob sie wahr oder falsch sind, in objektiver Art und Weise zugänglich sind.17 Jenseits der Mitteilung bloßer Tatsachen können sich Auskünfte, insbesondere wenn ein Anwalt involviert ist, aber auch auf Umstände beziehen, die vielfach einer Beweisbarkeit im Sinne der §§ 284 ff. ZPO entzogen sind. Das betrifft die Erläuterung von Rechtsfragen als solche.18 So wird man als „Auskunft“ ebenfalls die Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen zu verstehen haben, zumindest bzw. jedenfalls dann, wenn keine Beziehung zu einem konkreten Fall besteht.19 Auch hier 15 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 273; „Auskunft“ als eine Mitteilung tatsächlichen Inhalts begreifend Laband, DJZ 1903, 259, 262. 16 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 273, spricht von Mitteilungen von Rechtsverhältnissen. 17 Im Zusammenhang mit der Beweisführung im Zivilprozess wird in Bezug darauf, was Gegenstand eines Beweises (§§ 284 ff. ZPO) sein kann, unter den Begriff der Tatsache Verschiedenes gefasst. Tatsachen sind danach „(…) nicht nur reale Ereignisse der Außenwelt (sog. äußere Tatsachen), (sondern) auch Vorgänge des menschlichen Gefühls- und Seelenlebens (sog. innere Tatsachen) angenommene zukünftige Ereignisse (Prognosen), hypothetische Schlussfolgerungen über die Vergangenheit (hypothetische Tatsachen), die Zusammenfassung von Einzeltatsachen zu Geschehenskomplexen (auch Tatsachenzusammenfassungen genannt), schließlich sogar Tatsachenurteile darüber, dass etwas nicht vorliegt (sog. negative Tatsachen) oder dass etwas unmöglich ist (unmögliche Tatsachen) (…)“. (So MK-ZPO/Prütting, § 284, Rn. 41.) Bezüglich der „Rechtstatsachen“ ist zu unterscheiden. Auch hier wird man für das Vorliegen einer Tatsache die Möglichkeit der Beweisbarkeit grundsätzlich fordern müssen. Zu Fällen möglicher Beweisbarkeit von juristischen Tatsachen siehe wiederum MK-ZPO/Prütting, § 284, Rn. 41. Solche juristischen Tatsachen können z. B. „juristisch eingekleidete Tatsachen“ (Musielak/Voit/Huber, ZPO, § 288, Rn. 4 m. w. N.) wie das Eigentum sein. 18 Allerdings kann ausländisches Recht, Gewohnheitsrecht und statuarisches Recht einem Beweisverfahren unterzogen werden, wie sich aus § 293 ZPO ergibt. 19 So auch das Verständnis von „Auskunft“, welches § 34 RVG zugrunde liegt. Danach ist eine Auskunft „die Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen ohne Beziehung zu einem konkreten Fall“. (So Bischof u. a./Bischof, RVG, § 34, Rn. 21.) Wohl weitergehend noch von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts, S. 104, der unter einer Auskunft jede mündliche oder schriftliche Äußerung versteht, die eine beurteilende Stellungnahme enthält. Das bewertende Element ist jedoch vor allem kennzeichnend für Rat und Empfehlung. Ebenfalls Rechtsauskünfte als Auskünfte ansehend Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575, 582; auch bei
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
werden Informationen, allerdings noch in abstrakter Form weitergegeben. Beispiele für solche Informationen können Erläuterungen sein, was etwa verschiedene Kreditsicherungsmittel bedeuten und was sie unterscheidet. Sofern im Zusammenhang mit Rechtsfragen ein individueller Fallbezug hergestellt wird, vor allem, wenn es zu einer Subsumtion eines Lebenssachverhalts kommt, tritt deutlich ein wertendes Element20 in den Vordergrund21. Sofern dies der Fall ist, wird noch abzugrenzen sein, ob dann nicht ein Rat oder eine Empfehlung anzunehmen ist. 2. Omnipräsenz von Auskünften Der Umgang mit bzw. die Mitteilung von Auskünften ist für den in die Vertragsverhandlungen involvierten Anwalt omnipräsent. Er folgt allein schon aus dem Umstand, dass der Anwalt neben oder im Namen des Mandanten (mit-)verhandelt. Aufgrund dessen kommt es selbstverständlich zum Austausch von Fakten, die innerliche Abläufe oder Äußerlichkeiten betreffen. Ohne die Weitergabe solcher Tatsachen sind gerade die eigentlichen Verhandlungen gar nicht vorstellbar. Daneben tritt jedoch vor allem für den Anwalt typischerweise der Umgang mit Auskünften bezüglich der Rechtslage (auch) gegenüber dem Dritten, vor allem, wenn letzterer nicht anwaltlich vertreten ist. Dabei sind unterschiedliche Szenarien vorstellbar. Innerhalb eines kompetitiven Verhandelns kann etwa ein aggressiver Hinweis auf die Rechtslage, z. B. dass bestimmte Ansprüche schnell verjähren können,22 Druck auf die andere Partei ausüben; je nach Art des Hinweises kann auch eine Lenkungswirkung intendiert sein. Beim kooperativen Verhandeln, u. a. bei einer bewusst rationalen Herangehensweise, kann die „Gefahr“, in eine Rechtsauskunft zu „verfallen“, u. U. noch viel größer sein. Das kann einmal daran liegen, dass der Anwalt hier im Interesse seines Mandanten die jeweils von beiden Seiten involvierten Interessen in Einklang zu bringen sucht. Gerade wenn die andere Seite nicht anwaltlich vertreten ist, kann das dann dazu führen, zum besseren Verständnis Rechtsfragen (mit) zu erläutern. Eine mögliche Stufe innerhalb der Verhandlungen, wo das „passieren“ kann, kann z. B. das Aufzeigen von Optionen sein. Lorenz ist bereits bei der Auskunft ein Fallbezug anzunehmen, weil er Gutachten als Beispiel anführt. 20 Bei der Beantwortung allgemeiner rechtlicher Fragen sind bewertende Elemente nicht ausgeschlossen. Auch die Auslegung von Rechtsnormen ohne konkreten Fallbezug enthält solche Elemente. 21 Geht es darum, „Tatsachen unter Rechtsbegriffe ein(zuordnen) od(er) (…) Schlussfolgerungen auf Grund besonderen Fachwissens (zu ziehen)“, handelt es sich um Werturteile, die nicht Gegenstand eines Beweises sein können, so Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 284 Vorb, Rn. 14. 22 Es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass bei Rechtsauskünften schnell der Bereich der Raterteilung erreicht werden kann, indem ein Fallbezug hergestellt wird.
B. Rat, Empfehlung und Auskunft im Kontext von Vertragsverhandlungen
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Die Bewältigung solcher Situationen ist für den Anwalt somit bedeutsam, wird er sich ihnen doch häufig nicht entziehen können. Notwendig wird es von seiner Seite sein, rechtzeitig über den Kontext zu reflektieren, innerhalb dessen er die Auskünfte macht. Hilfreich kann dabei ggf. ein Rückgriff auf die zuvor gewonnenen Erkenntnisse über verschiedene Rollenverständnisse sein. Beispielhaft sei hier nur genannt, dass durch die Weitergabe bestimmter Tatsachen über den Mandanten am role-making in Bezug auf dessen künftige Rolle mitgewirkt werden kann,23 vor allem aber auch, dass der Anwalt möglicherweise durch Rechtsauskünfte gegenüber dem potentiellen Vertragspartner ein eigenes24 role-making betreibt. 3. Situative Anlage der Auskunftserteilung Ist die „Verbreitung“ von Auskünften gerade innerhalb der eigentlichen Vertragsverhandlung25 nahezu unausweichlich, ist damit ebenso die Beschäftigung mit der Auskunftshaftung eine notwendige. Um den Kreis haftungsrelevanter Auskünfte von vornherein zu reduzieren, wird mitunter das Auskunftsverständnis dahingehend eingeschränkt, dass der Anfragende die Mitteilung erbeten, um sie ersucht haben muss.26 Dann wäre der Anwalt, der „offensiv“, das heißt ungefragt, mit seinen Auskünften umgeht, vieler potentieller Haftungssorgen ledig. Man wird jedoch diesbezüglich differenzieren müssen. Ob man von einer Auskunft mit entsprechenden Haftungskonsequenzen sprechen kann, wenn Anwalt und Dritter (potentieller Vertragspartner des Mandanten) keinen direkten Kontakt hatten, ist streitig.27 Das soll nachfolgend nicht vertieft werden,28 da der situative Schwerpunkt auf die 23 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wolf, Vertragsrecht und Sozialwissenschaften, S. 4, 18, der überlegt, mit Hilfe des Rollenbegriffs ließe sich der vertragliche Verhandlungsprozess in Verbindung mit den Erkenntnissen aus den Verhandlungstheorien näher erfassen und beschreiben und zwar in der Weise, dass sich für Personen in bestimmten Verhandlungssituationen Verhaltensmuster herausgebildet hätten, die im Allgemeinen die Verhandlungsstärke zum Ausdruck brächten. Es könne aber mittlerweile eine Zurückhaltung in der Rollendiskussion beobachtet werden. Das Vorgehen Wolfs als anfechtbar angreifend Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 137 f. 24 Im Kapitel zuvor lag der Fokus auf dem role-making, das die künftige Rolle des Mandanten betrifft. An diesem Prozess soll/muss der Anwalt mitwirken. Nunmehr kann darum gehen, dass es zur (neuen) Definition der Rolle des Anwalts im Verhältnis zum Dritten (potentiellen Vertragspartner) geht. 25 Das betrifft vor allem die Verhandlungen, die zum Vertragsschluss führen sollen, wird aber ebenso in sonstigen Vorgesprächen, vor allem, wenn Interessenlagen sondiert werden sollen, bedeutend sein. 26 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32; Hadding, FS für Schimansky, 67, 74, allerdings spricht Hadding u. a. auch davon, eine Auskunft sei eine in der Regel vom Auskunftssuchenden erbetene Mitteilung. 27 Dazu u. a. von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts, S. 147. 28 Das gilt ebenso in Bezug auf eine weitere Richtung, nämlich dahingehend, ob Dritte, die von dem vom Mandanten abgeschlossenen Vertrag profitieren (sollen), hier Haftungsansprüche gegen den Anwalt geltend machen können, wenn Auskünfte an sie weitergegeben werden.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Vertragsverhandlungen unter Einschluss des Dritten gelegt werden soll. Sicherlich nicht ausreichend ist es, wenn der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) die Informationen lediglich zufällig „aufgeschnappt“ hat,29 um sich dann in haftungsrechtlicher Sicht auf sie zu berufen. Hier fehlt jeder besondere situative Bezug zum Auskunftsgeber. Anders ist es aber, wenn zwar keine direkte Anfrage des Dritten erfolgt, gleichwohl die Informationen in einem Kontext fließen, der sich (auch) bewusst an den Dritten richtet. Dazu gehören u. a. Vertragsverhandlungen.30 Insofern ist es für die Einstufung als Auskunft unerheblich, ob der Dritte eine bestimmte Tatsache (ausdrücklich) erfragt hat.31
III. Rat und Beratung 1. Begriff Anders als die Mitteilung von Auskünften sind der Rat oder die Beratung durch den Anwalt innerhalb der Verhandlungen mit dem Dritten diesem gegenüber nicht so allumfassend vorhanden. Gleichwohl sind sie weithin anzutreffen, zumal die Grenzen zwischen Auskunftserteilung und Beratung oftmals fließend sind.32 Gleichwohl ist bezüglich der Begrifflichkeit eine saubere Trennung grundsätzlich angezeigt. Die Erteilung eines Rats beinhaltet zum einen wiederum die Mitteilung einer Auskunft, also die Weitergabe von Tatsachen33 bzw. die Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen. Es geht also erneut um das Informieren des Dritten.34 Insofern ist die
29 Auf die Gefahr hinweisend, dass eine Rechtsprechung, die mit Vertragsfiktionen arbeite, sich der Versuchung aussetze, den Lösungsweg auch zu beschreiten, wenn jemand auf eine unrichtige Auskunft vertraut habe, die ihm ungefragt unmittelbar bzw. nur mittelbar zuteilgeworden sei, Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575, 592. 30 Vgl. Zugehör, NJW 2000, 1601, 1606, wonach die Gefahr der Auskunftshaftung von Rechtberatern besteht, wenn sie in Wahrnehmung der Interessen des Mandanten mit Dritten, z. B. dem Vertragsgegner, in Verbindung treten. Zur Auskunftshaftung Dritter bei Vertragsverhandlungen Breinersdorfer, Haftung der Banken für Kreditauskünfte, S. 85 ff. Vielfach entspricht die Situation dem, was Lammel, AcP 179 (1979), 337, 338, als „Einmalkontakt“ bezeichnet. Danach erschöpft sich das Verhältnis von Anwalt und Drittem nach beider Intentionen in der Erteilung der erwünschten Auskunft. 31 Siehe Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259, unter Hinweis auf BGH NJW 1979, 1595, 1596 f. Vgl. auch Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 87, wonach es weder für noch gegen einen Vertragsschluss über die Auskunft spreche, ob die Initiative zur Auskunft von deren Empfänger oder Geber ausginge. 32 Siehe nochmals von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts, S. 104, nach dem die „Auskunft“ eine Äußerung mit beurteilender Stellungnahme sein soll. Hier werden die Elemente somit miteinander verbunden. 33 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32; Hadding, FS für Schimansky, 67, 74. 34 Dazu für das Verhältnis Steuerberater/Anwalt – Mandant BGH NJW-RR 2006, 195.
B. Rat, Empfehlung und Auskunft im Kontext von Vertragsverhandlungen
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Auskunft notwendiges Element der Raterteilung und der Grund, aus dem im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Auskunft und Rat folgen können.35 Das, was den Rat von der Auskunft abhebt, ist eine andere Form der möglichen individuellen Nutzbarmachung der Informationen für denjenigen, der den Rat empfängt. Nutzbarmachung von Informationen bedeutet hier, sie als Grundlage für unterschiedliche Handlungsalternativen aufzufassen. Zu dem darstellenden Element der Tatsachen36 oder Rechtsfragen kommt damit ein Wertungselement37 hinzu, welches in der Regel (höchst) individuell ausgerichtet ist. Derjenige, der den Rat erteilt, zeigt dem Dritten Entscheidungsalternativen auf38 und erläutert die für diese jeweils maßgeblichen Faktoren39. Das Wertungselement wird aber noch weiter vorangetrieben. Die Erteilung eines Rats beinhaltet zudem eine Bewertung40 dergestalt, dass ein Vorschlag dahingehend erfolgt, wann der Dritte sich für bestimmte Alternativen entscheiden sollte.41 Die letzte Entscheidung liegt dann jedoch beim Dritten.42 Wie bei der Auskunft stellt sich das Problem, ob man von einem Rat nur dann sprechen kann, wenn der Dritte um selbigen bittet, also den Anstoß liefert.43 Das wird häufig der Fall sein. Notwendig ist das angesichts des aufgezeigten Verständnisses eines Rats jedoch nicht zwangsläufig. Wie bei der Auskunft kann man zwar nicht von der Erteilung eines Rats sprechen, wenn dieser gleichsam „aufgezwungen“ wird. Treten aber zwei Personen gewollt in eine kommunikative Situation ein, aus der heraus sich ergibt, dass eine für die Erteilung eines Rats offen und an diesem interessiert ist, so gibt es wie bei der Auskunft keinen Grund, hier nicht von einem „Rat“ zu sprechen.44 Gerade wenn man die kommunikative Situation mitberücksichtigt, kann sich allerdings eine weitere Abgrenzungsproblematik stellen. Das trifft jedenfalls dann zu, wenn man (noch) eine weitere begriffliche Trennung von Rat und 35
Soweit später Haftungsgrund und -folgen einer falschen Auskunft bzw. eines Rats jedoch identisch sein sollten, kann eine Abgrenzung dann aber dahinstehen. 36 Deren Beantwortung kann wahr oder falsch sein. 37 Siehe dazu auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 273. Es sei nochmals darauf verwiesen, dass die allgemeine Beantwortung von Rechtsfragen Wertungen beinhalten kann, die jedoch innerhalb der Auskunft nicht einzelfallbezogen sind. 38 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32. 39 Hadding, FS für Schimansky, 67, 74. 40 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32. Nach von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts, S. 104, gehört das auch bereits zur Auskunft. 41 Hadding, FS für Schimansky, 67, 74. 42 Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 43 So sind auch wohl die Ausführungen bei Hadding, FS für Schimansky, 67, 74, zu verstehen. 44 Siehe unten (D. II., S. 701 ff.) auch noch zu vergleichbaren Elementen bei der Frage, wann nach der Rechtsprechung ein stillschweigender Auskunftsvertrag zustande kommt. Die Beantwortung des letzten Problems ist von der Frage, ob überhaupt ein Rat vorliegt, zu trennen.
682
4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Beratung vornimmt.45 Hadding sieht in der Beratung die Erteilung eines Rats zu den jeweiligen Verhaltensmöglichkeiten des Einzelnen, die sich nach einer Erörterung ergeben.46 Wesensnotwendig dafür sei eine gemeinsame Beratung.47 Es tritt also ein diskursives Element hinzu. 2. Bedeutung innerhalb von Vertragsverhandlungen Es ist dieses diskursive Element, welches verdeutlicht, wo und wie eine „Beratung“, u. U. aber auch „nur“ ein Rat, innerhalb der Vertragsverhandlungen48, in die ein Anwalt involviert ist, Einlass finden. Ein Bereich, in dem das im Besonderen der Fall sein kann, ist erneut das rationale Verhandlungsmodell. Indem dort u. a. unterschiedliche Lösungsoptionen erarbeitet werden, kommt es oftmals zu einem Austausch von auf bestimmten Tatsachen bzw. Rechtsauskünften beruhenden Handlungsalternativen. In diesen Prozess können auch der für seinen Mandanten handelnde Anwalt und die andere Vertragspartei in Form eines gegenseitigen kommunikativen Ablaufs eingebunden sein. Beispiel: Im Rahmen eines Vertragsprojekts geht es auch darum, ob eine Seite bestimmte Finanzmittel einspeisen soll. Innerhalb der unterschiedlichen Lösungsoptionen werden entsprechende kreditorische Sicherungsmöglichkeiten diskutiert. Um die Lösungsfindung voranzutreiben, erläutert der Anwalt der einen der anderen (Natural-)Seite, welche Kreditsicherheiten es hinsichtlich des angestrebten Projekts gibt und welche Alternativen sie jeweils darstellen. Auswählen, ob und ggf. welche davon zum Tragen kommen soll, kann die andere Seite selbst; sie entscheidet.
Im Beispiel nimmt der Anwalt eine Tätigkeit vor, die nach den vorherigen Ausführungen als die Erteilung eines Rats an den Dritten einzustufen ist. Es zeigt sich hier erneut, dass es in der Verhandlungssituation nicht entscheidend darauf ankommen kann, ob der Dritte (gezielt) den Anwalt nach den Alternativen gefragt hat. Beide haben sich gewollt in die Verhandlung zur Erreichung eines bestimmten Ziels (in der Regel ein Vertragsschluss49) begeben. Die Eröffnung von Alternativen vom Anwalt gegenüber dem Dritten erfolgt nicht „zufällig“, sondern in Ausrichtung auf das gemeinsame Ziel. Die Erteilung eines Rats kann allerdings u. U. bewusst offensiv in die Verhandlungen eingeführt werden, gerade beim kompetitiven Verhandeln. So kann wiederum 45
Eine solche Trennung findet sich etwa bei Hadding, FS für Schimansky, 67, 74 f.; eine derartige Trennung wohl nicht vornehmend Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272 f. 46 Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 47 Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 48 Das betrifft gerade Verhandlungen, die auch zu einem Vertragsschluss führen sollen. 49 Bedeutend, darauf sei noch hingewiesen, sind gerade Verhandlungen, die auf einen Vertragsschluss hinauslaufen sollen. Zwar sind auch sonstige Vorgespräche zu beachten; innerhalb dieser findet jedoch zumeist keine Raterteilung oder Beratung des Anwalts in Bezug auf den Dritten statt.
C. Auskunft, Rat, Empfehlung und Interessenverbindungen
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Druck ausgeübt werden, etwa, wenn dem anderen, der in solchen Situationen in der Regel keinen Anwalt hat, unterschiedliche Alternativen mit ihren Folgen aufgezeigt werden, um diesem eine entsprechende „Ausweglosigkeit“ zu suggerieren. Ein aggressives Vorgehen bietet ebenfalls ein Beispiel dafür, wo ggf. eine weitere Informationsstufe Platz greifen kann. Es geht dabei um die Empfehlung.
IV. Empfehlung Hadding bezeichnet die Empfehlung als einen „intensivierten Rat“.50 Eine Empfehlung sei ein Anraten, sie beinhalte einen Vorschlag desjenigen, der sie ausspreche, für eine ganz bestimmte Entscheidung, für die er in der Situation des Beratenen plädiere.51 Eine solche Entscheidung werde dann dem Dritten mit ihren positiven Konsequenzen vorgeschlagen.52 Knüpft man an das soeben genannte positive Element an, so kann man auch sagen, eine Empfehlung ist ein konkreter Rat, der im Sinn des Dritten getroffen worden ist und von diesem nur noch aufgegriffen werden muss.53 Allerdings, und hier soll wieder die soeben angesprochene aggressive Raterteilung in Bezug genommen werden, kann eine Empfehlung auch zur Druckerzeugung eingesetzt werden. Dass sich hierbei Haftungsproblematiken für den den Rat Erteilenden auftun können, versteht sich von selbst. Auch jenseits eines aggressiven und/oder kompetitiven Vorgehens ist der Ausspruch einer Empfehlung gegenüber Dritten (potentiellen Vertragspartner) innerhalb der Vertragsverhandlungen54 vorstellbar. Sie dürfte jedoch einen deutlich geringeren Platz als die Erteilung einer Auskunft oder eines Rats einnehmen.
C. Auskunft, Rat, Empfehlung und Interessenverbindungen Die Erteilung von Auskünften, einem Rat oder einer Empfehlung als Form der Informationsweitergabe nimmt vor allem in der Vertragsverhandlung somit einen durchaus breiten Raum ein. Entsprechende Handlungen erfolgen vor allem durch einen Anwalt, der von einer Vertragsseite hierin eingebunden wird. Die „Gefahren“ von etwaigen Haftungskonsequenzen, die letzteren treffen können, wurden bereits angesprochen. Das Verständnis des Umgangs mit Informationen gerade im Zu50
Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 52 Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 53 Der Dritte muss also noch aktiv werden, das Entscheidende wird aber vom Empfehlenden vorbereitet. Letzterer wird so nachhaltig im Interessenbereich des Dritten tätig. 54 Auch hier sind gerade wieder die Situationen besonders relevant, die zu einem Vertragsschluss führen sollen. 51
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
sammenhang mit Haftungsfragen erfordert dabei zunächst eine „Rückbesinnung“ auf die jeweils involvierten Interessen.
I. Weitergabe, Empfang und Suche von/nach Informationen Beim Mandanten können die Interessen das gesamte Programm des Begehrens bzw. seiner Wünsche ausmachen. Dem Erreichen dieser Ziele dienen die Vertragsverhandlungen, die (auch) in den (juristischen) Vertrag münden. Dieser Zielsetzung dient ebenfalls ein etwaiger Informations(zu)fluss. Hinsichtlich des Austauschs von Tatsacheninformationen heißt das z. B., jedenfalls so viele von ihnen weitergeben zu müssen, um die für den Vertrag notwendigen essentialia negotii abzudecken. Hintergrund dafür, verbunden mit einem entsprechenden Rechtsbindungswillen55, ist zum einen, dass der die Mandanteninteressen (mit-)umspannende Wille, der im Vertrag zum Ausdruck kommen soll, einem formalen Konsens im Sinn des juristischen Vertragsschlusses zugeführt werden muss. Nur über die Einhaltung dieses Konsenses kann der Mandant (auch) über den juristischen Vertrag die entsprechende Umsetzung seines materiellen Willens56 erreichen. Abgesehen davon ist der Informationsfluss für den Mandanten aus weiteren Gründen notwendig. Der der formalen juristischen Einigung vorgelagerte Kommunikationsprozess ist in der Regel kein rein finaler Einigungsablauf. Er kann, und auch das wurde schon verschiedentlich deutlich, der (eigenen) Interessenfindung bzw. -gewichtung dienen, ebenso wie der Lösungsfindung und -optimierung. Dabei müssen vor allem letztere nicht nur in konsensualen Bahnen ablaufen, sondern können ebenso in einen Interessenverdrängungsprozess eingebunden sein, zumindest in einen „Interessenabrieb“. Es sind zudem diese Ströme von Informationen, die fernerhin ganz wesentlich für die Bedeutung eines sozialen Vertragsverständnisses sind. Hier finden sich u. a. Wege, den „richtigen“ Vertragspartner im Carbonnierschen Verständnis zu ermitteln, oder Lösungen jenseits eines juristischen Vertrags mitzuberücksichtigen. Während bisher der Informationsfluss nur als aktives Geben dargestellt wurde, darf gleichwohl nicht vergessen werden, wie wichtig auch der Empfang und die Suche nach Informationen sind. Ebenso wenig darf Folgendes unberücksichtigt bleiben: Die Grundausrichtung der Informationsweitergabe, der Informationssuche 55
Dieser kann beim Mandanten selbst vorliegen oder bei seinem Anwalt als Vertreter (§§ 164, 167 BGB). Das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens ist beim Austausch der essentialia negotii selbstverständlich Voraussetzung. Seine „Ignorierung“ ergibt sich aber in Teilen der Rechtsprechung später im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Auskunftshaftung (D. II., S. 701 ff.). Zum grundsätzlichen Erfordernis eines Rechtsbindungswillens etwa PWW/Brinkmann, BGB, § 145, Rn. 5; dort auch der Hinweis, dass sich sein Vorliegen nach dem objektiven Empfängerhorizont bestimmt (BGH NJW 2005, 2620 f.). 56 Zur Verwirklichung des materiellen Willens Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 21.
C. Auskunft, Rat, Empfehlung und Interessenverbindungen
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und des Informationsempfangs ist oftmals eine egoistische. Das kann selbst für den bewusst und gewollt gesuchten breiten Konsens gelten. Es kommt beim Umgang mit Informationen also in nicht unerheblichem Maße zum Tragen, dass der Einzelne seine Interessen in der Regel gezielt verfolgt. Hier kann durchaus das Bild des „Homo Oeconomicus“57 prägend sein. Kennzeichnend für solch einen Homo Oeconomicus, der allerdings ein nicht real existierendes Individuum beschreibt,58 ist eine rationale Interessenverfolgung anhand seines Präferenzensystems59 und ein „instrumentell bzw. technologisch vernünftiges Vorgehen“, das heißt „die Aufnahme und korrekte Verarbeitung aller relevanten Informationen und die Wahl derjenigen Handlungsalternative, die bei einer Zweck/Mittel-Relation – gegeben die eigenen Präferenzen – am vorteilhaftesten ist“60. Schließlich wird beim Homo Oeconomicus Egoismus ausgemacht.61 Dabei kann sich die eigennützige Ausrichtung durchaus auch auf altruistisches Verhalten beziehen.62 Alle diese Punkte finden sich beim Umgang mit Informationen aus Mandantensicht innerhalb der Vertragsverhandlung und -gestaltung grundsätzlich wieder. Eigene Interessen werden in den Vordergrund gestellt, ein eigenes Wertesystem existiert in der Regel, es geht um die optimale Umsetzung von Egoismen. Ein entsprechender Umgang mit Informationen kann also ein durchaus kalkulierter sein. Es findet dann ein notwendiger und gewollter Informationsaustausch statt, ohne den die Interessenerreichung über den juristischen Vertrag nicht möglich ist. Es gibt aber ebenso z. B. einen weiteren Austausch an Information, um darüber hinaus etwa nicht juristisch verklausulierte Interessen umgesetzt zu sehen, so, wenn dies (nur) auf sozialer Ebene erfolgen soll.
II. Umgang mit Informationen durch den Anwalt 1. Ausrichtung an Mandanteninteressen Das soeben gezeichnete Bild, angelehnt am Homo Oeconomicus, passt (zunächst) zum vom Mandanteninteresse getragenen Umgang mit Informationen durch seinen Anwalt. Für letzteren ist grundsätzlich der Anwaltsvertrag maßgeblich. Das betrifft 57 Dazu, dass das Handlungskriterium des Homo Oeconomicus seine eigene Nutzenfunktion ist, Weise, ZfS 1989, 148, 151. Zum am Homo Oeconomicus orientierten Menschenbild, wonach dieser u. a. seine Lebensumstände nach eigenen Zweck-Mittel-Relationen gestaltet, Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 52 f. 58 So bei Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217. Zum Homo Oeconomicus als Modell-Ebenbild theoretischer Sozialwissenschaften Weise, ZfS 1989, 148, 148. 59 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217; Engländer, JuS 2002, 535, 536 f. 60 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217. Siehe insoweit auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 52 f. 61 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217. Siehe in dem Zusammenhang wiederum auch Weise, ZfS 1989, 148, 151. 62 So etwa Engländer, JuS 2002, 535, 537.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
nicht nur die Handhabung der Informationen im Innenverhältnis zum Mandanten, wie etwa dessen Willenserforschung. Es findet sich in vergleichbarer Weise im Außenverhältnis, nämlich im Informationsaustausch mit dem Dritten, dem potentiellen Vertragspartner. Da man den Anwaltsvertrag sehr wohl als Formulierung von „Muss-Erwartungen“ im Sinne Dahrendorfs begreifen kann,63 kann das als Folge für den Anwalt z. B. grundsätzlich einen „gestaffelten Umgang“ mit Informationen beinhalten, so u. a. unter dem Gesichtspunkt, ob auf Kooperation oder auf Verdrängungsmechanismen abgestellt wird. Der Anwalt ist insoweit ein interessengeleiteter „Informationsweitergeber“. Letzteres betrifft vor allem die Weitergabe äußerer und innerer Tatsachen. Daneben ist der Anwalt, freilich immer noch unter dem Topos des Interessenvertreters, eine Informationsquelle, die originär ist, das heißt eine solche, die nicht nur etwas weitergibt. Das kann etwa Informationen betreffen, die als Rat oder Empfehlung einzustufen sind, möglich ist es aber nicht zuletzt bei einer Auskunft an sich, etwa bei der Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen. Es sei dabei aber nochmals betont, dass auch solche Informationen sich zunächst an der Muss-Erwartung aus dem Anwaltsvertrag messen lassen müssen: dem Nutzen für die Mandanteninteressen. Der anwaltliche Umgang mit Informationen darf bei den bisherigen Betrachtungen jedoch nicht stehen bleiben. Anknüpfungspunkt der Überlegungen muss ebenso sein, ob die Vertretung eines „überbordenden Egoismus“ des Mandanten zulässig bzw. gewollt ist. Hierzu ist zum einen anzuführen, dass der der Ökonomik entlehnte Homo Oeconomicus64 keinesfalls der allein bedeutsame Maßstab ist.65 Denkbar ist durchaus ein vom Mandanten gewünschtes rein altruistisches Verhalten, was sich etwa in Verträgen zwischen Eltern und Kindern zeigen kann.66 Gleichwohl ist hier immer noch Interessenumsetzung gegeben.67 63
Vgl. die Erörterungen dazu unter Bezugnahme auf Dahrendorf in Teil 3 C. III. 2. b) bb) (2), S. 500 ff. Interessant ist in diesem Kontext, dass z. B. Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 21 f., in seiner Kritik an Dahrendorf eben auf die Parallelen zum Homo Oeconomicus hinweist. 64 Engländer, JuS 202, 535, 536. 65 Siehe etwa Weise, ZfS 1989, 148, 148 ff., zum Homo Oeconomicus, Homo Sociologicus, Homo Sociooeconomicus (S. 153 ff.). 66 Zur Kritik am universellen Egoismus unter Hinweise auf altruistisches Verhalten im menschlichen Nahbereich Engländer, JuS 2002, 535, 537. Engländer sieht diesen Ansatz allerdings in Auseinandersetzung mit der Kritik am universellen Egoismus nur im menschlichen Nahbereich als gegeben an. Engländer, JuS 2002, 535, 537, Fn. 12, weist u. a. auch auf den soziologischen Einwand hin, auf der Basis eines universellen Egoismus sei es prinzipiell nicht möglich, eine stabile soziale Ordnung zu etablieren. Als Beleg führt er u. a. Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, 1988, S. 256 ff. und Parsons, The Structure of Social Action, 3. Aufl. (1968), S. 87 ff., an. Greift man den Gedankengang im Kontext mit der Interessenvertretung auf, so findet sich z. B. in Bezug auf Parsons ein Weg, der schon oben diskutiert worden ist. Es geht darum, den Mandanten dazu zu bringen, das zu wollen, was er soll. Auf dem Weg kann Gemeinnützigkeit und Egoismus in bestimmter Weise in Einklang gebracht werden, lässt allerdings in der Tat einen „überbordenden Egoismus“ nicht zu.
C. Auskunft, Rat, Empfehlung und Interessenverbindungen
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2. Einfluss der (Mit-)Bestimmung der anwaltlichen Position durch die Stellung als Organ der Rechtspflege auf die Informationsweitergabe Problematisch für den Anwalt wird es, wenn es darum geht, ob/wie die Interessen des Mandanten ggf. zurücktreten müssen.68 Denn der Anwalt sieht sich beim Informationsumgang nicht nur den anwaltsvertraglichen Muss-Erwartungen gegenüber. Sein im „eigenen Anwaltsinteresse“ erfolgender Informationsgebrauch muss sich ebenfalls an den Forderungen an ihn als „Organ der Rechtspflege“ messen lassen. Auch diese (Mit-)Positionierung69, die z. B. Muss-Erwartungen nach der BRAO nach sich ziehen kann, muss der Anwalt im eigenen Interesse berücksichtigen. Das kann einen eigenen Informationsumgang beinhalten. So kann er u. a. das „Scharnier“ im anwaltlichen Verhältnis zum Dritten (potentiellen Vertragspartner), zu dessen Interessen und deren Einbindung in den Informationsfluss bilden. a) Problem der Informationslast Der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) vereinigt allerdings in sich grundsätzlich dieselbe Breite an möglichen Interessen wie der Mandant. Dementsprechend äußert und sucht auch der Dritte nach Informationen zur eigenen Interessenrealisierung, bzw. er sollte danach suchen. Das Problem, dem der Anwalt sich dann gegenübersieht, liegt darin, inwieweit er vom Dritten in die Informationssuche eingebunden werden kann, so dass dem Anwalt beim „Versagen“ ggf. (rechtliche) Konsequenzen drohen. Der Ausgangspunkt der Überlegungen muss zunächst darin bestehen, wer eigentlich die „Informationslast“70 trägt,71 das heißt, wer ist dafür verantwortlich, sich bestimmte Informationen verschaffen zu müssen, um sie den vertraglichen Überlegungen zu Grunde legen und ggf. einbringen zu können. Diesbezüglich arbeitet Schwarze mit Blick auf die gesetzliche Verteilung eine klare Grundaussage heraus. Danach bestimmt sich die Verteilung der Informationslast zum einen durch „den realen Interessenantagonismus der Parteien im Vorfeld des Vertrages“ und zum anderen durch „die formale Regelung der (informationellen) Selbstbestimmungs67 Siehe auch bereits zuvor, dass sich die eigennützige Ausrichtung auch auf altruistisches Verhalten beziehen kann, Engländer, JuS 2002, 535, 537. 68 Hier kann man durchaus wieder einen Beitrag zur Sicherung der sozialen Ordnung erblicken. 69 Der Anwalt als Interessenvertreter ist zugleich auch Organ der Rechtspflege (§§ 1, 3 BRAO). 70 Zur Begrifflichkeit Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 21. 71 Die Frage stellt sich selbstverständlich ebenso für den Mandanten. Die Haftungsproblematik, die hier aufgezeigt werden soll, macht allerdings beim Dritten fest. Wird in Bezug auf den Mandanten die Informationslast falsch eingeschätzt, sieht der Anwalt sich in der Regel einer Haftung aufgrund des Anwaltsvertrags ausgesetzt (§ 280 Abs. 1 BGB).
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
fähigkeit (§§ 104 ff. BGB)“.72 Die Konsequenz ist in den Worten Schwarzes rigoros, es ist „(…) (j)ede geschäftsfähige Partei (…) für die Verwirklichung ihres materiellen Willens selbst verantwortlich. Sie hat (…) alle informationellen Anstrengungen zu unternehmen, die ihre Interessen erfordern, und sie hat den Nachteil – nämlich die Bindung an einen interessenwidrigen Vertrag – zu tragen, wenn sie sich nicht informiert hat (informationelles Eigen- oder Selbstverantwortungsprinzip).“73
Von diesem Grundsatz kann es durchaus Abweichungen oder Änderungen geben, so etwa bei gleich ausgerichteten Interessen der Parteien oder bei arglistigem Vorgehen einer Partei.74 Zu überlegen sein wird weiterhin, ob es nicht Situationen gibt, in denen ein „Informationsgefälle“ herrscht, das es auszugleichen oder jedenfalls zu berücksichtigen gilt.75 b) Zwischenfazit Auf diese oder andere mögliche „Umverteilungen“ soll zunächst nicht eingegangen werden. Vielmehr weist die Grundaussage den entscheidenden Weg zu den nun anstehenden Überlegungen. Die einzelne Partei, damit auch der Dritte, ist in der Verantwortung, er muss aktiv werden. Nur so kann er seine individuellen Interessen umgesetzt sehen. Es ist dieses aktive Streben nach Informationen im „wohlverstandenen Eigeninteresse“, welches als Überlegung u. a. dafür interessant ist, mit welchen Ansinnen und vor allem Erwartungen der Dritte als potentieller Vertrags72
Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 21. Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 21. 74 Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 22. Siehe auch S. 28, wo Schwarze ausführt, theoretisch bestünden zwei Möglichkeiten, die Informationslastverteilung zu modifizieren. Zum einen könne sich der Interessenantagonismus (partiell) als unzutreffende Beschreibung erweisen. Zum anderen könnten andere Informationsverantwortlichkeiten bestehen. 75 Vgl. dazu etwa die Gedankenführung bei Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255, der die Überlegung anführt, es sei zu berücksichtigen, wenn der Auskunftgeber dem Empfänger entweder von der Sachkunde für die Beschaffung oder Aufbereitung von Informationen oder von der Verfügungsmöglichkeit hierüber überlegen sei. Die Argumentation mit einem „Informationsgefälle“ ist im materiellen Recht in unterschiedlicher Weise anzutreffen. Pflichten aus dem Schuldverhältnis im Sinn des § 241 BGB können auch Aufklärungspflichten sein. Allerdings wird selbst beim Vorliegen eines Informationsgefälles eine allgemeine Aufklärungspflicht abgelehnt, so etwa MK-BGB/Bachmann/ Roth, 6. Aufl., § 241, Rn. 142. Die Rechtsprechung stellt darauf ab, ob „der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind“, so BGH NJW 2010, 3362, 3362, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. Auf die Rechtsprechungsformel u. a. hinweisend MK-BGB/Bachmann/Roth, 6. Aufl., § 241, Rn. 142; MK-BGB/Bachmann, § 241, Rn. 202; Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 447. Zum Argument der Informationsasymmetrie innerhalb der rechtspolitischen Rechtfertigung von Aufklärungspflichten gegenüber Verbrauchern etwa Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 159 ff. 73
D. Juristische Haftungsansätze
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partner an den Anwalt des anderen potentiellen Vertragspartners heran- und gegenübertritt. Hier kann, um es zunächst vorsichtig zu formulieren, rollenspezifisches Denken bei der Problemanalyse und Lösungsfindung von Vorteil sein. Dabei sei nochmals betont, dass es nicht darum geht, einen Rollenansatz zu finden, der hier als Richtschnur dienen soll. Es gilt, Rollenansätze als eine (weitere) Möglichkeit zu sehen bzw. zu untersuchen, ob/wie sie sich in anderen, vor allem rechtlichen, Ansätzen wiederfinden. Zudem sollen die Problemaufbereitung und Lösungsfindung offen für unterschiedliche Rollenansätze zu sein.
D. Juristische Haftungsansätze bezüglich Auskunft, Rat und Empfehlung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten76 innerhalb von Vertragsverhandlungen Die Frage, inwieweit ein Anwalt einem Dritten77 gegenüber für Auskünfte, Rat und Empfehlungen haftet, nimmt einen großen Raum in Rechtsprechung78 und Literatur79 ein.80 Nachfolgend sollen relevante Ansätze auf ihre Positionierung im Interessenkonglomerat gerade innerhalb der Vertragsverhandlung hin untersucht, Zusammenhänge auch zu spezifischen Rollenansätzen aufgedeckt und aufgrund dogmatischer Erkenntnisse praktische Konsequenzen daraus gezogen werden. 76
Diese Begrenzung ist wiederum dem Untersuchungsgegenstand geschuldet. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass, abweichend von der Terminologie in Teil 1 D. I. 1., S. 256, hier unter dem „Dritten“ gerade auch der potentielle Vertragspartner des Mandanten verstanden wird. 78 Siehe u. a. die Ausführungen zur Rechtsprechung in der Übersicht bei Zugehör, NJW 2000, 1601 ff. Umfangreiche Rechtsprechungsnachweise, allerdings nicht eingeschränkt auf die anwaltliche Haftung, bei Müller, Auskunftshaftung, S. 44 ff. (bezogen auf den stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag); Truli, Dienstleistungshaftung, S. 226 ff. (ebenfalls bezogen auf den stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag). 79 U. a. (jedoch nicht nur bezogen auf die anwaltliche Haftung) Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten; Büttner, Umfang und Grenzen der Dritthaftung von Experten; Canaris, VersR 1965, 114 ff.; von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts; Hirte, Berufshaftung, Honsell, JuS 1976, 621 ff.; Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff.; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht; Koch, AcP 204 (2004), 59 ff.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, insbesondere S. 352 ff.; Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff.; Müller, Auskunftshaftung nach deutschem und englischem Recht; Stahl, Zur Dritthaftung von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen; Truli, Probleme und Entwicklungen der Dienstleistungshaftung im griechischen, deutschen und Gemeinschaftsrecht; Wiegand, Die „Sachwalterhaftung“ als richterliche Rechtsfortbildung; Zugehör, NJW 2000, 1601 ff. 80 Breinersdorfer, Haftung der Banken für Kreditauskünfte, S. 85, weist allerdings darauf hin, dass es bezüglich der Auskunftshaftung gegenüber Dritten bei Vertragsverhandlungen wenig Rechtsprechung gibt. Breinersdorfer beschäftigte sich in dem Kontext speziell mit Kreditauskünften, die bei Vertragsverhandlungen erteilt werden. 77
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
I. Hintergrund für die Suche nach Haftungsansätzen 1. Omnipräsenz des Informationsaustauschs Im Vorfeld des Vertragsschlusses, vor allem mit dem Eintritt in die eigentlichen Vertragsverhandlungen, die zu einem Vertragsschluss führen sollen, kann es zu einem umfänglichen Kontakt und Informationsaustausch zwischen den Beteiligten kommen. Die jeweiligen Abläufe haben dann zumeist maßgeblichen Einfluss auf den Abschluss und den Inhalt des juristischen Vertrags.81 Sie sind zudem relevant für den Vertrag in seinen (rechts-)soziologischen Dimensionen. Sowohl die Überlegungen zur Kommunikation als auch die Diskussion um die Rollenverständnisse zeigten das bereits. Deutlich wurde das z. B. beim echten „role-making“ der Vertragsparteien. Hier werden Rollen (erst) entwickelt, die dann in den juristischen Vertrag einfließen.82 Ist auf einer Seite der Parteien ein Anwalt in die (Verhandlungs-)Prozesse83 eingebunden, kann er starken Einfluss auf das (Vertrags-)Geschehen nehmen. Betroffen sind davon dann nicht nur die Interessen seines eigenen Mandanten, sondern zumeist auch die des Vertragspartners. Sieht letzterer später seine Interessen als benachteiligt an, liegt die Suche nach einem (haftungsrechtlich) Verantwortlichen nahe. 2. Mögliche Defizite des Deliktsrechts Eine vertragliche Haftungsschiene gestaltet sich grundsätzlich schwierig, weil zwischen dem Anwalt und dem Dritten in kaum einem Fall ein ausdrücklicher84 81
Vgl. insoweit schon bereits an dieser Stelle den Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 194, hebt einmal hervor, ein interaktionistischer Rollenbegriff knüpfe weniger an soziale Positionen an. Wenig später, S. 195, greift er auch das Element des Aushandelns auf. Köndgen, S. 195, Fn. 27, unter Bezugnahme auf Wiswede, Rollentheorie, S. 18, schränkt aber den Anwendungsbereich eines solchen Rollenbegriffs auf eher unstrukturierte Situationen bzw. affektiv-emotional angelegte Beziehungen von längerer Dauer ein. Ein solcher Bereich sei z. B. das Familienrecht, weniger das Schuldrecht. Bei Wiswede selbst, Rollentheorie, S. 18, heißt es: „(…) wenn soziale Situationen in hohem Maße institutionalisiert und formalisiert sind, so dürfte für die Entfaltung der interpretativen Komponente des Rollenhandelns wenig Raum bestehen, während in relativ unstrukturierten Situationen, die nicht nach dem Muster der Über- und Unterordnung zu beschreiben und zudem mit stark affektiv-emotionalen Elementen angereichert sind, interpretative Ansätze zur Erklärung des Rollenverhaltens fruchtbarer sein könnten. (…)“ Das ist jedoch eine starke Verengung der Möglichkeiten des „role-makings“ (s. o.). 83 Dies betrifft vor allem die Prozesse, die zum Vertragsschluss führen (sollen), kann aber auch für die reine Anbahnungsphase relevant sein. 84 Siehe unten (D. II., S. 701 ff.) noch zum stillschweigend geschlossenen Vertrag, den die Rechtsprechung mitunter annimmt. Auf die Möglichkeit eines ausdrücklich geschlossenen Vertrags hinweisend etwa Honsell, JuS 1976, 621, 621; Lorenz, 1. FS Larenz (1973), 575, 581, dort als Untergruppe im Rahmen einer Typenbildung; Lammel, AcP 179 (1979), 337, 338. 82
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Vertrag geschlossen worden ist. Im Deliktsrecht wird vielfach nur ein eingeschränkter (Vermögens-)Schutz ausgemacht.85 So schützten § 823 Abs. 1 und 2 BGB nur bestimmte Rechte und Rechtsgüter, die ggf. über Schutzgesetze „transportiert“ werden. Den Vermögensschutz umfasst § 823 Abs. 1 BGB nicht; § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263, 266 StGB erfordern Vorsatz.86 § 826 BGB setzt auf der subjektiven Ebene ebenfalls Vorsatz voraus, § 831 BGB eröffnet eine Exkulpationsmöglichkeit.87 a) Eingreifen des § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Garantenpflicht des Anwalts Obwohl § 823 Abs. 1 BGB den Vermögensschutz nicht umfasst und es sich bei den Schäden Dritter aufgrund einer falschen anwaltlichen Auskunft zumeist um Vermögensschäden handelt,88 gab es Versuche, gerade auch in Bezug auf die Auskunftshaftung, einen Ersatz von Vermögensschäden über § 823 Abs. 1 BGB zu ermöglichen.89 In jüngerer Zeit kam dabei einer Entscheidung des BGH viel Beachtung zu, die einen solchen Weg in bestimmten Fällen eröffnete. Hintergrund war eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung, die sich auf eine fahrlässig unzutreffende Rechtsberatung des Schutzrechtsinhabers durch den Anwalt gründete.90 Dabei sah der BGH das Vermögen als solches nicht als Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB an, letzteres war vielmehr der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb91. Besondere Aufmerksamkeit verdiente vielmehr die weitere Begründung, nämlich, dass der 85 Zu beiden Aspekten, allerdings im Zusammenhang mit der Erläuterung der gesetzlichen Regelung in § 675 Abs. 2 BGB, Koch, AcP 204 (2004), 59, 60. Zum unzulänglichen deliktischen Vermögensschutz auch Zugehör, NJW 2000, 1601, 1602. 86 Das anführend Zugehör, NJW 2000, 1601, 1602. 87 Siehe ebenso Zugehör, NJW 2000, 1601, 1602. 88 Siehe Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 9. 89 Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 291 (Rn. 456), führt aus, „daß bestimmten Berufsgruppen, denen speziell die Wahrung fremder Vermögensinteressen obliegt, im Interesse sozialer Schadensprävention bestimmte Verkehrspflichten auferlegt werden, deren Verletzung nach § 823 I schadensersatzpflichtig macht.“ Der üblichen Einordnung von Verkehrspflichten folgend (siehe aber auch noch sogleich unter Punkt b)) kommt es also zum deliktischen Schutz über § 823 Abs. 1 BGB und darüber zum Schutz von Vermögensinteressen; dazu auch Müller, Auskunftshaftung, S. 150. Dem hält Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 185, unter Hinweis (Fn. 447) auf Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 30 ff., entgegen, die Frage der Steuerung bestimmter Situationen und Verhaltensweisen, welche schon für sich schadensrechtlich sanktioniert werden sollten, gehörten nach der Systematik zu § 823 Abs. 2 BGB und zu § 826 BGB. Allein mit dem Hinweis auf die Vertragsfiktion und Aufweichungstendenzen zu § 826 BGB ließe sich ein Systembruch nicht rechtfertigen. Ablehnend zur Lösung Brüggemeiers auch Müller, S. 150 f. Zu einem Weg über § 823 Abs. 1 BGB bei der Auskunftshaftung unter dem Topos des Rechts auf ungestörte wirtschaftliche Betätigung, Breinersdorfer, Haftung der Banken für Kreditauskünfte, S. 166 ff. 90 BGH NJW 2016, 2110 ff. 91 Zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB etwa Grüneberg/Sprau, BGB, § 823, Rn. 137 m. w. N.
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Anwalt zwar vertraglich nur gegenüber seinem Mandanten verpflichtet sei, diesen zutreffend und umfassend über die Schutzrechtslage zu beraten.92 Allerdings habe der Anwalt, der den Schutzrechtsinhaber hinsichtlich der Schutzrechtsverwarnung rechtlich berate, aufgrund seines Mandats erhebliche Möglichkeiten der Abwehr und Steuerung im Hinblick auf die Vermeidung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Dritten durch eine unberechtigte Verwarnung. Den Anwalt treffe eine Garantenpflicht gegenüber dem von einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung betroffenen Dritten, den Schutzrechtsinhaber rechtlich zutreffend und umfassend über die Berechtigung der Schutzrechtsverwarnung zu beraten.93 Wiewohl der BGH – wie bereits ausgeführt – nicht die Schutzgüter des § 823 Abs. 1 BGB an sich erweiterte, ist die mögliche Begründung einer Garantenpflicht des Anwalts, die letztlich darauf fußt, dass es infolge der anwaltlichen Beratung zu einem Eingriff in ein geschütztes Recht/Rechtsgut des Dritten kommt, die Eröffnung einer deliktischen Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten. Innerhalb von Vertragsverhandlungen müsste sich der Anwalt bei jeder Beratung gegenüber seinem Mandanten und einer Verhandlung für diesen, selbst bei erkennbarem Handeln und Auftreten als Interessenvertreter, fragen, ob damit nicht ggf. ein Eingriff in ein deliktisch geschütztes Recht/Rechtsgut des Dritten (möglicher Vertragspartner des Mandanten) verbunden ist, er als Anwalt damit potentieller Garant ist. Eine derartige Begründung einer anwaltlichen Garantenpflicht „(verschiebt) die Grenzen des allgemein akzeptierten Rollenverständnisses des Rechtsanwalts“ und ist insofern „(…) (k)aum haltbar“.94 Hinzu kommt, dass sich zudem nachhaltig die Problematik stellt, ob der Anwalt, der, seiner Garantenpflicht gehorchend, nunmehr auch die Interessen des potentiellen Vertragspartners seines Mandanten berücksichtigen muss, dann nicht gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43 Abs. 4 BRAO verstößt.95 Fraglich ist aber, ob eine Garantenstellung nicht möglicherweise dann in Betracht kommt, wenn der Anwalt in den Vertragsverhandlungen gleichsam „aus der Rolle des Interessenvertreters heraustritt“, etwa, indem er sich als neutraler Fachmann geriert, der der anderen Seite eine rechtliche Information zukommen lässt. Ein solches Auftreten kann auch ggf. gerade im Interesse des eigenen Mandanten erfolgen. Selbst dann ist jedoch die Begründung einer Garantenstellung des Anwalts gegenüber der anderen Seite nicht ohne weiteres angezeigt. Denn es obliegt grundsätzlich weiterhin immer noch der anderen Seite (potentieller Vertragspartner des Mandanten), sich um die eigenen Interessen zu kümmern.96 Der Anwalt ist somit 92
BGH NJW 2016, 2110, 2112. So zum Vorstehenden BGH NJW 2016, 2110, 2112. 94 So Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 761. 95 Zu dem Argument Grams, BRAK-Mitt. 2016, 173, 174. 96 Vgl. auch die Ausführung bei Grams, BRAK-Mitt. 2016, 173, 174, unter Zitation des BGH NJW 2009, 3297, Rdnr. 42, dass sich die Gegenseite eines eigenen rechtlichen Beraters 93
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nicht vorschnell zum Garanten zu machen, sondern es ist vielmehr zu klären, ob durch das anwaltliche Verhalten die andere Seite tatsächlich aus der eigenen Interessenwahrnehmung „entlassen“ worden ist. Entsprechende Ansätze lassen sich im Besonderen im Zusammenhang mit weiteren Haftungsansätzen, insbesondere einem solchen über §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 Satz 2 BGB, aufzeigen. Dort stellt sich zudem nicht – wie bei § 823 Abs. 1 BGB – die Frage, ob ein bestimmtes Recht/ Rechtsgut betroffen ist, sondern erfasst sind dann auch reine Vermögensschäden. Es wird in dem Kontext nochmals aufzugreifen sein, ob u. U. – so ein geschütztes Recht/ Rechtsgut betroffen ist – ein konkurrierender deliktischer Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen kann. b) (Verkehrs-)Pflichten zum Schutz fremden Vermögens Der zuvor erwähnten Problematik, wonach über das Deliktsrecht nur ein eingeschränkter Vermögensschutz ausgemacht wird, begegnen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Haftung für falsche Auskünfte, ferner bestimmte deliktsrechtliche Modelle, die mit Hilfe der Entwicklung von (Verkehrs-)Pflichten zum Schutz fremden Vermögens eine Lösung suchen. Mertens97 zeigt sich zum einen offen für eine Erweiterung der von § 823 Abs. 2 BGB zu erfassenden Schutzgesetze um solche, die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelt worden sind.98 Es dürften, so Mertens, gegen die Einbeziehung von Richterrecht in § 823 Abs. 2 BGB jedenfalls keine grundsätzlichen Bedenken bestehen, wenn dieses Richterrecht in „fertigen“ von Einzelsachverhalten gelösten Normen ausgeprägt sei.99 Darüber hinaus führt Mertens aus, zwar sei es dem Richter nicht generell gestattet, im Einzelfall zu § 823 Abs. 2 BGB erst die Bezugsnorm zu entwickeln, dies könne ihm aber auch nicht prinzipiell untersagt werden.100 Eröffnet ist damit grundsätzlich ein Weg, Vermögensschutzpflichten, die über § 823 Abs. 2 BGB Beachtung finden sollen, im weiten Maß zu schaffen.101
bedienen könne. Die zitierte Entscheidung betraf Ausführungen zum Anwaltsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. 97 Mertens, AcP 178 (1978), 227 ff. 98 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 228 ff. 99 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 230. Auf das Zitat auch hinweisend und eingehend Lang, AcP 201 (2001), 451, 479. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 186 f., sieht in Bezug auf Art. 2 EGBGB rechtsquellentheoretisch auch die Erfassung von Normen, die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt worden sind, als möglich an. Kritisch steht er gleichwohl der Erfassung von richterrechtlich geschaffenen Sorgfaltsanforderungen als Schutzgesetzen im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB gegenüber. 100 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 231; ebenfalls wieder darauf hinweisend Lang, AcP 201 (2001), 451, 479. 101 Siehe dazu auch Hirte, Berufshaftung, S. 407; Lang, AcP 201 (2001), 451, 478 f.
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Mertens geht aber noch einen Schritt weiter. Er sieht das Deliktsrecht auf einem Weg zum beweglichen System.102 Nach einer Auseinandersetzung um die Bedeutung und Verallgemeinerungsfähigkeit sonderprivatrechtlicher Haftungselemente (Machtstellung, Angewiesenheitssituation, Erklärungsverhalten, Gruppensituation, sozialer Kontakt, qualifizierte Vermögenspositionen auf Seiten des Betroffenen, Differenzierung der Sanktionen)103 kommt er innerhalb der Konsequenzen für die Rechtsanwendung zu der Folgerung, für einen zwischen § 823 und § 826 BGB liegenden Haftungsbereich der Verletzung von Vermögensinteressen ließen sich verschiedene Gesichtspunkte entwickeln.104 So sollten die §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 826 BGB insoweit für eine Ergänzung der deliktischen Haftung – über die deliktische Komponente von positiver Vertragsverletzung und culpa in contrahendo hinaus – vor allem für drei Fallgruppen offen sein:105 dem funktionswidrigen Machtgebrauch, der sozialwidrigen Risikoabwälzung sowie der Übernahme einer fremdvermögensbezogenen sozialen Rolle.106 Die letzte Fallgruppe107 beinhaltet die Situation, in der jemand „faktisch eine gesteigerte Verantwortung für fremdes Vermögen ein(geht), sei es kraft verlautbarter Sachkunde oder Professionalisierung, sei es kraft der Schutzbedürftigkeit der auf ihn Angewiesenen.“108 Gerade hieran könnte man Überlegungen zu einer Berufshaftung109, bzw. im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, Überlegungen zu Haftungskonsequenzen von Auskünften, die ein Anwalt im Rahmen von Vertragsverhandlungen abgibt, anschließen. Der Weiterverfolgung des Gedankens stehen jedoch grundsätzliche dogmatische Bedenken entgegen. Denn die Gedankengänge Mertens’ führen, wie er auch selbst angibt, dazu, dass „im Hinblick darauf, daß im modernen Verständnis § 823 I und II eine Einheit bilden, wobei man in § 823 II sogar den eigentlichen deliktischen Grundtatbestand sehen kann, (man) den (…) vorgeschlagenen gesteigerten Vermögensschutz zusammen mit dem durch das 102
Mertens, AcP 178 (1978), 227, 234 ff. Mertens, AcP 178 (1978), 227, 242 ff. 104 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 251. 105 So Mertens, AcP 178 (1978), 227, 251. 106 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 252. 107 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 252, nimmt in den von ihm benannten Fallgruppen grundsätzlich an, zur Haftung reiche objektive Fahrlässigkeit aus; in Einzelfällen könne eine Quasi-Gefährdungshaftung angebracht sein. Innerhalb der Diskussion um eine Herausbildung von Schutzpflichten im Kontext der Beratungshaftung weist etwa Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 186, darauf hin, diese seien von der Rechtsprechung rollenbzw. berufsspezifisch festgemacht worden. 108 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 252. 109 Siehe Hirte, Berufshaftung, S. 407. Vgl. im Übrigen auch bei Mertens, AcP 178 (1978), 227, 240 f., die Ausführungen, wonach für Berufe, denen eine öffentliche Verantwortung für bestimmte in § 823 BGB genannte Güter zufalle, strikte Verkehrspflichten gelten würden. Mertens stellt daraufhin die Überlegung an, ob es nicht eine entsprechende Verkehrspflicht kraft Professionalisierung auch für Berufe geben müsse, denen eine öffentliche Verantwortung für fremdes Vermögen zufalle, etwa Banken und Wirtschaftsprüfer. 103
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Stichwort Recht am Unternehmen (…) gekennzeichneten Schutz des gewerblichen Vermögens als beschränkte deliktsrechtliche Generalklausel in Fortentwicklung des § 823 insgesamt, nicht allein eines seiner beiden Absätze, verstehen (sollte).“110
Dem ist jedoch mit Canaris111 entgegenzuhalten, dass das geltende Deliktsrecht allgemeine Vermögensinteressen nur „im Rahmen und unter den – insbesondere auch subjektiven – Voraussetzungen der §§ 823 II, 826, 831 f. BGB (schützt).“ Durch das BGB sei eine Absage an eine „große“ deliktsrechtliche Generalklausel und an einen umfassenden Vermögensschutz“ erfolgt.112 Hinzu kommt im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen ein Weiteres: Gerade innerhalb von Vertragsverhandlungen kommt der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) mit dem den Mandanten begleitenden/vertretenden Anwalt gewollt in einen kommunikativen Kontakt. Dadurch wird der Dritte nicht deliktsrechtlich „schutzlos“ gestellt, so etwa wenn es zu körperlichen Verletzungen kommt, oder etwa der § 826 BGB einschlägig sein sollte. Innerhalb des Bereichs des Informationsaustausches findet gleichwohl keine „ungewollte“ Berührung, sondern vielfach eine „gewollte“ Interaktion statt. Dann lässt sich durchaus anführen, dass der Vermögensschutz in solchen Fällen nicht typischerweise im Deliktsrecht113, sondern anderweit zu verorten ist.114 Näherliegend ist es dann, wenn man von einer von einer deliktischen Generalklausel unabhängigen Berufshaftung absieht,115 nach Lösungsansätzen zu suchen, die vertragliche oder jedenfalls kommunikative Strukturen116 stärker betonen. Die vorgenannten Überlegungen greifen ebenso bei anderen deliktsrechtlichen Lösungsmodellen. Huber sucht ebenfalls einen Vermögensschutz, indem richterrechtlich zu entwickelnde Verkehrspflichten zu einem entsprechenden Schutz geschaffen werden, die als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen 110 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 252. An anderer Stelle, S. 231 ff., geht Mertens auch auf den Topos des „ungeschriebenen § 823 III“ ein. 111 Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 83; dort zudem auf S. 48. Ebenfalls in dem Sinn Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 187. Siehe aber u. a. auch HK-BGB/ Staudinger, § 826, Rn. 1, der § 823 Abs. 2 BGB („Schutzgesetz“) neben § 826 BGB und § 823 Abs. 1 BGB („sonstiges Recht“) als „kleine Generalklausel“ im Deliktsrecht darstellt. 112 Kritisch zu einer Lösung über die deliktsrechtliche Schiene u. a. auch Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 297 f.; Herrmann, JZ 1983, 422, 426 f.; Hirte, Berufshaftung, S. 414; Müller, Auskunftshaftung, S. 155 ff.; Strauch, JuS 1992, 897, 901; in Teilen kritisch auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 365 f. Siehe auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 94, der die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz erfolgte Einordnung der Informationshaftung in den schuldrechtlichen Regelungszusammenhang des § 311 BGB betont und deshalb nur noch kurz auf die deliktsrechtlichen Ansätze eingeht. 113 Wiewohl dies auch bei „gesuchtem“ Kontakt möglich ist, etwa im Fall des Eingreifens von § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB. 114 Vgl. dazu Frost, Schutzpflichten, S. 52, 55; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 187 ff.; auf die Auffassung von Frost und Wiegand hinweisend Lang, AcP 201 (2001), 459, 484. 115 Dazu noch sogleich insbesondere in Bezug auf Hopt (unten III.). 116 Nicht verwechselt werden darf dies mit dem, was Mertens, AcP 178 (1978), 227, 245, mit der „Beherrschung von Kommunikationsmitteln“ meint. Diese Ausführungen stehen im Kontext mit der „Macht der Medien“.
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sind.117 Gerade bei diesen vermögensschützenden Verkehrspflichten118 ordnet Huber auch die Berufspflichten ein.119 Das ist jedoch, im Anschluss an die Überlegungen zu Mertens, wiederum ein Vorgehen, das in der Sache zu einer (nicht vorgesehenen) „großen“ Generalklausel im Deliktsrecht führt.120 Selbst wenn es im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zur Entwicklung gewisser „verfestigter“ Verkehrspflichten kommt, wird dadurch der generalklauselartige Charakter nicht aufgelöst. Denn die Rechtsprechung wird diese Pflichten121 vielfach nach sich (verändernden) sozialen Gegebenheiten schaffen.122 Ein solches Reagieren123 auf sich verändernde Verhältnisse durch die Rechtsprechung ist typisch beim Umgang mit „großen/umfassenden“ Generalklauseln, z. B. denen aus §§ 138 Abs.1 oder 242 BGB, denen von vornherein eine sehr ausgeprägte Flexibilitätsfunktion zukommen kann/soll124. Die Kritik greift auch in Bezug auf die Haftung von Inhabern beruflicher Positionen für Vermögensschäden, selbst wenn sich dort ggf. berufsrechtliche Regelungen finden. Ob das etwaige Berufsrecht überhaupt Schutzgesetzcharakter im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB hat, ist bereits zweifelhaft.125 Richterliche Rechtsfortbildung im Zusammenhang mit der Herausbildung von Berufspflichten als innerhalb von § 823 Abs. 2 BGB zu beachtende Verkehrspflichten wird jedenfalls dann weiterhin stattfinden, wenn die zu lösende Problematik sich nur des Berufsrechts in Form von 117 Huber, FS für von Caemmerer, 359, 377 ff.; siehe dort, S. 382, auch dazu, dass Richterrecht „Gesetz“ im Sinne des Art. 2 EGBGB sei. 118 Zu Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens auch die Ausführungen von Bars, Deliktsrecht, S. 1681, 1720 ff. 119 Huber, FS für von Caemmerer, 359, 388. 120 Dazu nochmals die bereits oben angeführte Kritik gerade bei Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 30, 83. 121 Zur Kritik gerade an einer Schutzgesetzeigenschaft richterrechtlich geschaffener Verkehrspflichten Herrmann, JZ 1983, 422, 426; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 186 f. 122 Vgl. in diesem Kontext auch die Kritik Pickers, AcP 183 (1983), 369, 495; Picker spricht von Rechtänderung in Abgrenzung zur Rechtsanwendung durch den Richter. 123 Picker, AcP 183, (1983), 369, 495, spricht von „ständige(…)(r) Komplettierung und Nuancierung solcher (Verkehrs)(…)(p)flichten“. 124 Zur Flexibilitätsfunktion von Generalklauseln Ohly, AcP 201 (2001), 1, 7; Weber, AcP 192 (1992), 516, 521. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 187, weist zwar auf den Blankettcharakter des § 823 Abs. 2 BGB hin. Er macht in Bezug auf die Ausfüllung aber deutliche Vorgaben durch den Verweis auf legislative Akte aus. Die Aufgabenstellung des Deliktsrechts, so Jost a. a. O., liege u. a. in der Schadensverhütung. Erforderlich seien Regelungen ex ante, die bei Planungen zu berücksichtigen seien; dem dienten in erster Linie normative Festsetzungen (S. 187 f.). MK-BGB/Wagner, § 823, Rn. 532, führt aus, § 823 Abs. 2 BGB sei Ausdruck des Kompromisses zwischen Generalklausel und Enumerationsprinzip. In § 823 Abs. 2 BGB habe der Gesetzgeber sich die Kompetenz zur Entscheidung über den Schutzbereich des Deliktsrechts gewissermaßen selbst vorbehalten. Zur Bezeichnung des § 823 Abs. 2 BGB als „kleine Generalklausel“ wiederum HK-BGB/ Staudinger, § 826, Rn. 1. 125 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 187; vgl. auch Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 83.
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allgemeinen Grundsätzen126 oder dort angelegter generalklauselartiger Aussagen (z. B. § 43 BRAO zur allgemeinen Berufspflicht) bedient. Gerade in dem Kontext der Vertragsverhandlung des Anwalts mit dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten wird sich diese Schwierigkeit stellen, da sich der Anwalt dort als Interessenvertreter seines Mandanten gegenüber dem Dritten vor allem mit der allgemeinen Aussage des § 1 BRAO (Organ der Rechtspflege) „konfrontiert“ sieht. Ob und ggf. welche „Verpflichtungen“ den Anwalt in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner seines Mandanten treffen, ob und ggf. auf welcher Grundlage der Anwalt dann Schadensersatz zu leisten hat, ist, darauf sei ein weiteres Mal verwiesen, wenn nicht über eine (spezielle) Berufshaftung, dann vor allem127 über solche Ansätze zu suchen, die vertragliche oder jedenfalls kommunikative Abläufe stärker herausstellen. Die umfangreiche Auseinandersetzung von Bars128 mit der Thematik129 ändert daran ebenfalls nichts. Auch bei von Bar findet sich eine „Deutung der Verkehrspflichten als partielle Generalklausel der Haftung für mittelbare Verletzungen“130. Eine Zuweisung in Bezug auf die richterliche Rechtsfortbildung zu § 823 Abs. 2 BGB findet statt,131 nicht zuletzt insoweit erfolgt ein Anschluss an Huber.132 Die aufgezeigten Bedenken, gerade hinsichtlich der Schaffung eines Wegs von vom BGB nicht vorgesehener (großer) deliktischer Generalklauseln, greifen auch hier. c) § 826 BGB als Lösung? Jedenfalls von ihrem Zweck her hält das BGB aber mit § 826 BGB eine „deliktsrechtliche Generalklausel“ vor.133 Es ist nicht zuletzt namentlich die Recht126 Siehe zu der Problematik, allerdings mit einer Offenheit in Bezug auf die Anwendung allgemeiner berufsrechtlicher Grundsätze als Schutzgesetze, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag. S. 368. Ablehnend demgegenüber Huber, FS für von Caemmerer, 359, 366 f. 127 Offen bleibt aber auch z. B. der Weg über § 826 BGB als (beschränkter) Generalklausel. 128 Siehe vor allem von Bar, Verkehrspflichten. Ferner von Bar, Deliktsrecht, S. 1681 ff. 129 Siehe gerade auch zu den Berufspflichten etwa von Bar, Verkehrspflichten, S. 52. 130 von Bar, Verkehrspflichten, S. 157. 131 von Bar, Verkehrspflichten, S. 168. 132 Siehe zur Zustimmung von Bars zu Huber u. a. auch die Ausführungen bei von Bar, Verkehrspflichten, S. 234. Auf die Beipflichtung von Bars zu Huber unter Erweiterung und Vertiefung des Ansatzes hinweisend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 94. 133 So Grüneberg/Sprau, BGB, § 826, Rn. 1. Zur Einstufung des § 826 BGB als Generalklausel bzw. der Annahme einer generalklauselartigen Weise auch MK-BGB/Wagner, § 826, Rn. 4; Staudinger/Oechsler (2021), BGB, § 826, Rn. 17 ff., dort (Rn. 17 m. w. N.) auch dazu, dass vor allem der Begriff der guten Sitten nach verbreiteter Auffassung als „Auftrag an den Richter zur Rechtsfortbildung, dh zur Entwicklung neuer Verhaltenspflichten, verstanden (wird)“; außerdem Deutsch, JZ 1963, 385, 389. HK-BGB/Staudinger, § 826, Rn. 1, unter Verweis auf Medicus/Lorenz, SchR II § 79 Rn. 1 ff.; § 71 Rn. 13, sieht § 826 BGB als „dritte kleine Generalklausel“ auf einer Stufe mit § 823 Abs. 1 („sonstiges Recht“) und § 823 Abs. 2
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sprechung, die für die Fälle der Expertenhaftung gegenüber Dritten mitunter eine Problemlösung mittels des Deliktsrechts durch einen Rückgriff auf § 826 BGB sucht.134 aa) Gefahr sittenwidrigen Verhaltens seitens des Anwalts in der Vertragsverhandlung Voraussetzung ist die Sittenwidrigkeit, die grundsätzlich wie in § 138 Abs. 1 BGB zu bestimmen ist, allerdings unter besonderem Abstellen auf das Schädigerverhalten.135 Gerade für den Fall, in dem der potentielle Schädiger aber aufgrund seiner Berufsstellung Vertrauen in seine berufliche Integrität und fachliche Autorität beansprucht/beanspruchen kann,136 kann ihm nach der Rechtsprechung bei fehlerhafter Auskunft der Vorwurf der Sittenwidrigkeit „drohen“. Der Sittenverstoß, so der BGH, setze ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftgebers voraus. Als sittenwidrig sei dabei zu beurteilen, dass der Auskunfterteilende auf Grund des Expertenstatus ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehme, selbst aber nicht im Mindesten den an einen Experten zu richtenden Maßstäben genüge.137 Angesichts dessen können sich für den Anwalt dann vor allem in der Vertragsverhandlung Gefahren einer entsprechenden Haftung ergeben. Sofern entscheidungsrelevante138 Sachinformationen durch den Anwalt in die Verhandlung einfließen, stellt sich etwa die Frage, ob der Anwalt, der ja grundsätzlich die entspreBGB („Schutzgesetz“). Vor dem Hintergrund der gerade auch von Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 83, angeführten Absage des BGB an eine „große“ deliktsrechtliche Generalklausel und einen umfassenden deliktsrechtlichen Vermögensschutz, kann man § 826 BGB jedenfalls insofern als „beschränkte“ Generalklausel bezeichnen, als dort ein Vorsatzerfordernis normiert ist, fahrlässige Verletzungen also nicht ausreichen. Auf den Umstand der subjektiven Voraussetzungen u. a. in § 826 BGB gerade auch hinweisend Canaris, a. a. O. 134 Siehe etwa BGH NJW 2014, 383 ff.; BGH NJW 1992, 2080, 2083 f. (im dortigen Fall abgelehnt); BGH NJW 1991, 3282, 3283 f. (im Fall abgelehnt); BGH NJW 1986, 180 ff. (im dortigen Fall abgelehnt); BGH VersR 1979, 283 f. (im Fall ebenfalls ablehnend). Die Haftungsbegründung aus § 826 BGB in Bezug auf die Rechtsprechung als selten ansehend Müller, Auskunftshaftung, S. 52. Die Bedeutung des § 826 für die juristische Bewältigung der Auskunftshaftung als marginal ansehend MK-BGB/Wagner, § 826, Rn. 85. 135 Grüneberg/Sprau, BGB, § 826, Rn. 4 m. w. N. 136 BGH NJW 2014, 383, 384; Staudinger/Oechsler (2021), BGB, § 826, Rn. 355 (zum Wertgutachten), auf den der BGH, a. a. O. verweist, sieht „(…)(d)en Kern des Sittenwidrigkeitsverdiktes (…) (im) enttäuschte(n) Vertrauen des Dritten (…)“. Siehe dazu auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 481. 137 So BGH NJW 2014, 383, 384. Der BGH führte a. a. O. weiter aus, es genüge nicht ein bloßer Fehler des Gutachters, sondern es ginge darum, dass sich der Gutachter durch nachlässige Erledigung, zum Beispiel durch nachlässige Ermittlungen oder gar durch Angaben ins Blaue hinein, der Gutachtenaufgabe entledigt und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag lege, die angesichts der Bedeutung des Gutachtens für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheine. Siehe insofern ebenfalls beispielsweise BGH NJW 1986, 180, 181. 138 Diese können (später) das Ob und das Wie des Vertragsschlusses bzw. -inhalts betreffen. Solche Informationen können auch schon in Vorgesprächen fließen.
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chenden Informationen seines Mandanten nicht überprüfen muss,139 dem Gesprächspartner offenzulegen hat, dass er die Angaben nur (ungeprüft) „weitergibt“.140 Abgesehen davon, dass dann insbesondere die eigentlichen Verhandlungen schnell ins Stocken geraten können, ist problematisch, ob ein entsprechendes Verhalten des Anwalts bereits leichtfertig ist. Auch im Prozess dürfte er die Mandanteninformationen, wenn keine gegenteiligen Hinweise vorliegen, ohne eigene Verifizierung vortragen. Zudem stellt sich gerade bei der Sachverhaltsweitergabe die Schwierigkeit, wo der spezifische Vertrauensbezug zur beruflichen Stellung ist. Gleichwohl öffnet eine solche Rechtsprechung ggf. auch einen Sittenwidrigkeitsvorwurf bei der Einbringung ungeprüfter (falscher) Sachinformationen durch den Anwalt in die Verhandlung. Noch prekärer ist die Situation, wenn der Anwalt in der Verhandlung fachliche Auskünfte gibt, die sich als falsch herausstellen. Hier ist eine (falsche) Auskunft141 aufgrund der beruflichen Stellung des Anwalts oftmals als „leichtfertiges“142 Verhalten begründbar, wird von ihm doch prinzipiell erwartet, über ausreichende rechtliche Kenntnisse zu verfügen. Die „Vertrauensstellung“ zwischen Anwalt (als potentiellem Schädiger) und Drittem (potentieller Vertragspartner des Mandanten), anhand derer der Sittenverstoß nicht zuletzt mitbegründet wird, muss ebenfalls an der beruflichen Stellung festgemacht werden. Wesentlicher Anknüpfungspunkt ist dann wiederum die Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO).143 Insbesondere in Bezug darauf zeigt sich dann aber, dass aus der Stellung/Rolle (auch) als Organ der Rechtspflege im Grunde Muss-Erwartungen folgen können (falsche Beratung Dritter kommt in der Regel dann einer Sittenwidrigkeit gleich), die (einseitig) eine Ordnungsfunktion des Anwalts im Rechtsgefüge betonen. Die notwendige Abwägung mit der (gleichzeitigen) Position/Rolle des Anwalts als Interessenvertreter in der Vertragsverhandlung ist zwar innerhalb der Generalklausel des § 826 BGB möglich. Indem der BGH aber eine „nachlässige Erledigung“ genügen lässt,144 wird im Zweifel eine starke Betonung der Organstellung möglich sein. Nicht zuletzt scheint
139 Zum Grundsatz, dass der Anwalt auf die Richtigkeit der ihm vom Mandanten erteilten Informationen vertrauen darf, Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 18, Rn. 25. 140 Es geht an dieser Stelle nicht darum, bewusst falsche Angaben zu lancieren. 141 Dies gilt erst recht für den Rat oder die Empfehlung, die darüber hinaus noch bewertende Elemente enthalten. 142 Als Voraussetzung für den Sittenverstoß stellt der BGH auf ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftsgebers ab, so etwa BGH NJW 2014, 383, 384; NJW 1992, 2080, 2083. Ausreichend ist aber, so der BGH in Bezug auf ein Gutachten, dass eine nachlässige Erledigung erfolgt ist oder eine Behauptung ins Blaue vorliegt, so BGH NJW 2014, 383, 384. Dazu auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 482. 143 Vgl. dazu BGH NJW 1972, 678, 681. Auch dazu Lang, AcP 201 (2001), 451, 481. 144 BGH NJW 2014, 383, 384.
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die Rechtsprechung mitunter nach einer Einstandspflicht des Rat Gebenden geradezu zu suchen,145 wenn die Notwendigkeit einer Einstandspflicht ausgemacht wird. bb) Vorsatzerfordernis Eine Korrektur kann über das Erfordernis des Vorsatzes in § 826 BGB erfolgen, der sich darauf richten muss, durch die Handlung einem anderen Schaden zuzufügen146. Mag der Anwalt also innerhalb von Vertragsverhandlungen auch unrichtige Auskünfte (Raterteilungen/Empfehlungen) gegeben haben, so müsste ihm gleichwohl zusätzlich der Verschuldensvorwurf treffen. Er müsste Vorsatz dahingehend gehabt haben, eine schädigende Handlung vornehmen zu wollen. Ein solcher Vorsatz wird vielfach nicht gegeben sein. Allerdings kann die Gefahr bestehen, dass aus dem Vorliegen eines leichtfertigen Auskunftsverhaltens auf die billigende Inkaufnahme einer schädigenden Handlung rückgeschlossen wird.147 Eine Verschmelzung der Ebenen von Sittenwidrigkeit und Vorsatz hat jedoch zu unterbleiben,148 zumal ansonsten die durch das Vorsatzerfordernis gezogenen Grenzen überschritten würden. d) Verbleiben von Defiziten Weicht man § 826 BGB nicht in seinen Voraussetzungen, insbesondere nicht in seinem Vorsatzerfordernis, auf, so bleibt es bei den eingangs dargestellten „Defiziten“ des Deliktsrechts in Bezug auf die Behandlung einer Haftung für eine falsch erteilte Auskunft (Rat, Empfehlung). Es sind folglich zahlreiche Fälle denkbar, insbesondere beim Umgang mit Informationen, in denen der Dritte dem Anwalt einen „Vorwurf“ macht, der Dritte aber nicht mit einer deliktischen Haftungsgrundlage versehen werden kann.149 Für die angesprochene Problematik, die immer 145 Siehe Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 9, unter Hinweis, Fn. 51, auf BGH WM 1978, 576; NJW 1986, 180, 181; OLG Frankfurt NJW 2015, 3584. Kritisch zur Erweiterung der Haftung über § 826 BGB durch die Rechtsprechung Borgmann/ Jungk/Schwaiger/Jungk, § 32, Rn. 12, unter Hinweis, Fn. 67, u. a. auf Henssler, JZ 1994, 178, 184. 146 Grüneberg/Sprau, BGB, § 826, Rn. 10. 147 Darauf hinweisend, dass die Rechtsprechung schon aus der Art der Mängel auf ein grob leichtfertiges Verhalten und hieraus auf den bedingten Vorsatz geschlossen habe, weil dann eine Schädigung billigend in Kauf genommen worden sei, Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 11, unter Hinweis, Fn. 61, auf BGH WM 1986, 904, 906. Siehe insoweit auch BGH NZG 2019, 437, Rn. 19, wonach hinsichtlich der Beweisführung im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, sich die Schlussfolgerung ergeben könne, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt habe. Siehe zudem die Ausführungen bei Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 127 ff. 148 Siehe Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 11. 149 Zugehör, NJW 2000, 1601, 1602, stellt auch auf das Gerechtigkeitsempfinden ab. Eine Lösung gleichsam zwischen Delikts- und einer, sogleich noch anzusprechenden, vertraglichen Lösung stellt der Weg Pickers dar. Picker übt ebenfalls Kritik an einem Weg
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wieder im Zusammenhang mit einer „Informationshaftung“ des Anwalts gegenüber Dritten diskutiert wird, werden deshalb weitere unterschiedliche Lösungsansätze angeboten.150
II. Begründung eines (stillschweigenden) Auskunftsvertrags zwischen Anwalt und Drittem Prägend innerhalb der Auseinandersetzung, nicht zuletzt wiederum mit Blick auf die Rechtsprechung, war bzw. ist die Konstruktion eines stillschweigenden Auskunftsvertrags151 zwischen Anwalt und dem Dritten. Dabei sollen sich die über das Deliktsrecht. Primäre Vermögensschäden, etwa für falsche Auskünfte, werden danach nur in engem Rahmen erfasst [Picker, AcP 183 (1983), 369, 433 ff.; 489 f.]. Auch einem vertraglichen Ansatz erteilt er letztlich eine Absage. Als materialer Rechtsgrund decke der Vertrag allein die vom Schuldner versprochene Leistung; Geltungsgrund des Vertrags sei die in Selbstbestimmung getroffenen Bindung (S. 394). Die Verpflichtung zum Schadensersatz entstehe nicht aus einem schöpferischen privatautonomen Akt des Verpflichteten (so Picker, S. 395). Besonders betont Picker das Gebot des neminem laedere (S. 369, 462). Er entwickelt eine Dogmatik der Sonderhaftung bei Sonderverbindung (S. 460 ff.), auch in Bezug auf Vermögensschäden. Wann eine solche Sonderverbindung vorliegt, wird von Picker jedoch im Einzelnen nicht ausgeführt (so Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 94). Die künftigen Lösungsversuche müssten, so Picker, in erster Linie bei der weiteren Aufdeckung und Präzisierung solcher Sonderverbindungen ansetzen [AcP 183 (1983), 369, 490]. Sonderverbindungen bestünden auch jenseits von Vertrag und Vertragsverhandlungen (S. 489). Voraussetzungen für eine Sonderverbindung macht Picker in der Erfüllung bestimmter haftungsrechtlicher Funktionen aus: der Konzentration auf von vornherein individualisierte und zahlenmäßig begrenzte Partner sowie die sozialtypische Offenkundigkeit ihrer Vermögensinteressen für den anderen Teil (S. 491 f.). Bezeichend sei die darin wohnende Bewältigung einer Haftungsbegrenzung (S. 490). Nicht zuletzt geht es Picker darum, den Gedanken zu verfolgen, es ginge im Haftungsrecht nicht darum, die Einstandspflicht zu begründen, sondern darum, „die Gesichtspunkte aufzudecken, die ihre Beschränkung legitimieren.“ [S. 466; darauf ebenfalls hinweisend Lang, AcP 201 (2001), 451, 487.] Auf diese Weise begründet Picker auch die grundsätzliche Nichtbeachtung von Vermögensschäden im Deliktsrecht; es gehe um die drohende Gefahr einer uferlosen Haftung [Picker, AcP 183 (1983), 369, 472]. Im Zusammenhang mit der Informationsweitergabe ist interessant, dass Picker eine Sonderverbindung bejaht, wenn es sich um eine bewusste und gezielte Adressierung an den anderen Partner handelt. In ihr müsse die ernstgemeinte Aufforderung liegen, die angebotene Leistung dem eigenen Vermögen zu inkorporieren und sie etwa zur Grundlage der eigenen Dispositionen zu machen. Schließlich dürfe sich die einseitige, im weitesten Sinne verstandene Leistung nicht schlechthin an jedermann richten (S. 493). 150 Auch das weitere Meinungsbild bezüglich einer Auskunftshaftung von Experten ist, über die bisher dargestellten Lösungsansätze hinaus, vielgestaltig. Eine besondere Aufmerksamkeit soll im Nachfolgenden dabei solchen Ansätzen gelten, die, unseren schon gewonnenen Ergebnissen folgend, eine Gedankenführung über den Beruf, die Kommunikation, die Rolle hin zu einer „Rollenkreation“ (role-making) erlauben. 151 Die Auseinandersetzung um den insbesondere früher in der Rechtsprechung präferierten Lösungsansatz über die Annahme eines Auskunftsvertrags verdient innerhalb des Kon-
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Überlegungen primär auf die „Auskunft“ im oben beschriebenen Verständnis richten.152 1. RGZ 52, 365 ff. – Wegweisung zum stillschweigenden Auskunftsvertrag Eine „intensive“ Auseinandersetzung ist zunächst mit der „klassischen“ Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 52, 365 ff.153 angezeigt. Trotz späterer Fortentwicklungen in der Rechtsprechung wird gerade die Auseinandersetzung um die Kritikpunkte an der Entscheidung wesentliche Hinweise für eine Bewältigung der Dritthaftungsproblematik liefern können. a) Inhalt der Entscheidung RGZ 52, 365 ff. Die Klägerin (Dritte) sollte dem Kreditnehmer H. (Mandant des Anwalts) ein Darlehen gewähren. Als Sicherheit kam ein Grundstück des H. in Betracht. Vor der Bewilligung des Darlehens wandte sich die Klägerin an H. und verlangte von diesem die „Beibringung einer Bescheinigung der Belastungsverhältnisse des Grundstücks von seiten eines Notars“154. Daraufhin wandte sich H. an seinen Anwalt, den Beklagten, der gleichzeitig Notar war. Infolgedessen setzte der Beklagte einen Brief mit folgendem Inhalt auf: „Auf Veranlassung des Herrn H. in Br. teile ich Ihnen ergebenst mit, daß auf seinem Grundstücke Nr. 31 Br. im ganzen 18660 M Hypotheken eingetragen sind“155. Daraufhin gewährte die Klägerin dem H. das Darlehen. Weil jedoch die hypothekarische Belastung des Grundstücks deutlich höher war, fiel die Klägerin in der Folge im Rahmen der Zwangsversteigerung aus.156 Sie verlangte nunmehr vom Beklagten Schadensersatz. Das RG nahm für den zugrunde liegenden Sachverhalt einen (stillschweigend) zwischen dem Dritten und dem Anwalt/Notar geschlossenen Vertrag an.157 Gerade
textes von Interessenvertreter Anwalt, Vertragsverhandlung, kommunikativer Kontakt, Rollenbedeutung/-entwicklung nach wie vor besondere Beachtung. 152 Zur Begrifflichkeit des Auskunftsvertrags etwa Lang, AcP 201 (2001), 451, 459, wobei Lang darauf hinweist (Fn. 36), dass terminologisch nicht immer eindeutig zwischen Auskunft, Aufklärung und Beratung differenziert wurde. 153 Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 87, spricht von einer „noch heute bedeutsame(n) Leitentscheidung“; dazu auch Damm, JZ 1991, 373, 375. Siehe ebenfalls Borgmann/Jungk/ Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 2 ff. Ausführlich zur Auseinandersetzung mit der Entscheidung Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 44 ff. 154 RGZ 52, 365, 366. 155 RGZ 52, 365, 365. 156 RGZ 52, 365, 365 f. 157 RGZ 52, 365, 366. Umfangreiche Rechtsprechungsnachweise für das Vorliegen (und die Voraussetzungen) eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrags bei Müller,
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die Begründung einer vertraglichen Verpflichtung, die über die Aussage des § 675 Abs. 2 BGB (§ 676 a. F. BGB) hinweghilft, einen Vermögensschutz beim Dritten eröffnen und auch den Fahrlässigkeitsvorwurf als ausreichende Verschuldensform genügen lässt, ist in Fällen wie dem aufgezeigten nicht unproblematisch. Gleichwohl nahm das RG einen (stillschweigend) geschlossenen Vertrag zwischen dem Anwalt/ Notar mit dem die Auskunft Begehrenden an.158 Es betonte dabei, der Beklagte sei, worauf es auch nicht ankomme, nicht wie gewünscht als Notar tätig geworden. Vielmehr sei er nur als Rechtsanwalt tätig geworden, da es zur Berufstätigkeit der Rechtsanwälte gehöre, gerade die Beratung anderer in dergleichen Angelegenheiten zu übernehmen.159 Das RG stellte hiermit sehr wesentlich auf ein objektiviertes160 Kriterium ab.161 Daneben hob das RG darauf ab, dass der Beratende erfahren habe, ein anderer bedürfe in einer solchen Angelegenheit einer zuverlässigen Auskunft.162 In einer solchen Konstellation, so das RG, schließe dann der die Auskunft Erteilende mit dem eine solche Auskunft Begehrenden einen Vertrag ab, wenn es zur Auskunft komme.163 Keine Hinderungsgründe für die Annahme eines Vertrags waren für das RG die mangelnde Entgeltlichkeit164 in Bezug auf die Auskunftserteilung
Auskunftshaftung, S. 44, Fn. 7; Truli, Dienstleistungshaftung, S. 226, Fn. 52. Siehe ferner Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 76 ff.; Hirte, Berufshaftung, S. 18 f. (zum Rechtsanwalt). 158 RGZ 52, 365, 366 f. 159 RGZ 52, 365, 367. 160 „Objektivieren“ bedeutet, etwas in eine bestimmte, der objektiven Betrachtung zugängliche Form zu bringen. Ist etwas „objektiviert“, so kann man auch davon sprechen, dass es dann „objektiv“, das heißt unabhängig von einem Subjekt und seinem Bewusstsein existierend (tatsächlich) (vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung) bestimmt werden kann, man das Ergebnis eines Objektivierungsprozesses aber z. B. ebenfalls als objektives Merkmal bezeichnen kann. Selbstverständlich können auch objektive Merkmale subjektsbezogen sein, z. B. das Alter einer Person. Bezüglich der Begrifflichkeit der „Objektivierung“ an dieser Stelle (und im Anschluss) erfolgt nicht zuletzt eine Bezugnahme auf Jost (siehe die nachfolgende Fußnote), der gerade von „Objektivierung“ spricht. 161 Siehe Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 45. 162 RGZ 52, 365, 366. 163 RGZ 52, 365, 366 f.; in der reichsgerichtlichen Entscheidung wurde auf das die Auskunft enthaltende Schreiben abgestellt. Zu den Aspekten der Berufstätigkeit und das Bedürfnis nach zuverlässiger Auskunft vgl. ebenfalls u. a. RGZ 101, 297, 301; 129, 109, 111 f. 164 Auf die Indizwirkung einer Vergütung für einen Vertrag u. a. hinweisend Lammel, AcP 179 (1979), 337, 339. Siehe auch Truli, Dienstleistungshaftung, S. 228, unter Hinweis (Fn. 62) u. a. auf BGH WM 1988, 1828, 1829; BGH WM 1985, 1531, 1532; BGH WM 1969, 36, 37. Mansel, GS für Lüderitz, 487, 506 f., stellt demgegenüber etwa für die Frage, ob ein stillschweigender Auskunftsvertrag geschlossen wurde, folgende Zweifelsregel auf: „Eine Haftungsübernahme ohne Erhalt einer Haftungsprämie (Informationsentgelt) liegt in einer marktwirtschaftlichen Austauschgesellschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht, im Zweifel außerhalb des Willens jedenfalls des Informationsgebers.“
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gegenüber der Klägerin ebenso wenig wie eine mangelnde Typenzuordnung165 des angenommenen Vertrags.166 b) Haftungsansatz und Zusammenhang zur Interessen- und Rollensicht Die Entscheidung hat vielfache Kritik erfahren.167 Interessant ist sie jedoch nach wie vor als wichtiger Ausgangspunkt von Überlegungen, wie sich dort Interessengewichtungen, aber auch Rollenverständnisse im Zusammenhang mit Informationen wiederfinden und auswirken. In dieser Diskussion werden sich dann unterschiedliche Kritikpunkte herauskristallisieren. Der „Nutzen“ des aufgezeigten reichsgerichtlichen Ansatzes für die Interessenwahrung des potentiellen Vertragspartners als Dritten ist deutlich. Wird er, durchaus seiner Informationslast gehorchend, seinem eigenen Bedürfnis nach Informationssuche gerecht, so kann er die Verfolgung seiner eigenen Interessen forcieren, indem er den Anwalt des anderen in haftungsrechtlich verbindlicher Weise einbindet. Dabei lag es im reichsgerichtlichen Fall so, dass der Dritte sich an seinen potentiellen Vertragspartner wandte und erst letzterer sich an den mit ihm bereits vertraglich verbundenen Anwalt. Das hinderte das RG jedoch nicht, einen Vertrag zwischen Drittem und Anwalt anzunehmen. So haftet nach dem obigen Ansatz der Anwalt ggf. vertraglich, somit u. U. auch für (leichte) Fahrlässigkeit.168 Es bedarf allerdings einer weiteren Auseinandersetzung, wann eine anwaltliche Haftung gerade und im Besonderen im Rahmen der Vertragsverhandlungen in Betracht kommt. Damit eröffnen sich ebenso Verbindungen zu verschiedenen Rollenverständnissen und unumgänglichen Kritiken an dem reichsgerichtlichen Ansatz. aa) Haftungselemente und Informationslast des Dritten Die Gründe für die anwaltliche Haftung wurden an zwei wesentlichen Elementen festgemacht: die spezifische Berufstätigkeit einerseits und das erkannte Bedürfnis
165 Auf die praktische Bedeutung der Qualifikation eines Vertragstyps hinweisend Honsell, JuS 1976, 621, 622. 166 RGZ 52, 365, 367. 167 Siehe beispielhaft nur in Bezug auf die Entscheidung bzw. grundsätzlich zum Auskunftsvertrag Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 63 ff.; Borgmann/Jungk/Schwaiger/ Jungk Anwaltshaftung, § 32, Rn. 2 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 539; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 617 ff.; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 46 ff.; Laband, DJZ 1903, 259, 262 f.; Lammel, AcP 179 (1979), 337, 339 ff.; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 56 ff., 66, 93. Siehe auch Hirte, Berufshaftung, S. 19, zum stillschweigend geschlossenen selbständigen Auskunftsvertrag. 168 Anspruchsgrundlage nach geltendem Recht wäre § 280 Abs. 1 BGB; die Weite des Verschuldens folgt aus § 276 BGB.
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des Ersuchenden nach verlässlicher Auskunft andererseits.169 Geht man von der „Auskunft“170 im Sinne der obigen Definition, d. h. der Verschaffung von Tatsachen und allgemeinen Rechtsauskünften, aus, so stellt sich die Frage, wann der Dritte ein Bedürfnis nach verlässlicher Auskunft, insbesondere im Hinblick auf eine solche nach inneren und äußeren Tatsachen, hat. Das RG machte in der betreffenden Entscheidung dazu keine Ausführungen.171 Berücksichtigt man die grundsätzliche Verteilung der Informationslast, so besteht das Bedürfnis nach Auskunft im Grunde für alle die Informationen172, die den Dritten betreffen und in den Bereich der ihm obliegenden „Last“ fallen.173 Denn dann tangieren sie zumindest seinen „egoistischen Interessenbereich“ in Bezug auf den möglichen Vertrag. Das ist ein weites Verständnis, vor allem dann, wenn man nach den vorherigen Überlegungen zur Auskunft vom Dritten in dem Zusammenhang noch nicht einmal eine direkte Anfrage an den Anwalt fordert, sondern aus der kommunikativen Verhandlung (Anbahnung) selbst auf das Bedürfnis schließen sollte. Ein solches Vorgehen würde jedoch eine Sprengung des oben beschriebenen Interessenantagonismus über die Haftungsschiene darstellen. Der Anwalt des Mandanten würde ggf. so für jede In169 So die Aufgliederung von Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 5, auch unter weiterer Bezugnahme auf RGZ 129, 109, 112 und RGZ 101, 297, 301. Bei Heinemann, a. a. O., wird allerdings nicht auf das „Erkennen“, sondern auf die „Erkennbarkeit“ abgestellt. Das ist nach dem Wortlaut des Urteils RGZ 52, 365 ff. nicht ohne weiteres nachvollziehbar. 170 Vgl. zur Trennung von Auskunft und Rat bzw. Empfehlung auch im Zusammenhang mit der aufgezeigten Entscheidung des RG Laband, DJZ 1903, 259, 262, der davon spricht, dass „hier weder ein Rat noch eine Empfehlung vorliegt, sondern lediglich eine „Auskunft“, eine Mitteilung tatsächlichen Inhalts“; siehe auch die Ausführungen bei Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 46; ferner Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 68 f. m. w. N., die unter Hinweis auf § 676 BGB die Trennung von Rat, Empfehlung und schlichter Auskunft i. e. S. vornimmt und sie alle als „Auskünfte i. w. S.“ bezeichnet. 171 Als ein Kriterium, bei dessen Vorliegen die (BGH-)Rechtsprechung einen stillschweigend abgeschlossenen Auskunftsvertrag annimmt, arbeitete Müller, Auskunftshaftung, S. 44, heraus, dass die Auskunft für den Empfänger von erheblicher Bedeutung und Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen sein wird. Müller, S. 44, Fn. 7, wertete diesbezüglich umfangreich BGH-Urteile bis 1992 aus; siehe die entsprechenden Nachweise ebenda, u. a. BGH NJW 1992, 2080, 2082; BGH NJW 1990, 513, 513; BGH NJW 1989, 2882, 2884; BGH WM 1985, 381, 381. Auf das Kriterium der Bedeutung ebenfalls im Zusammenhang mit der Rechtsprechung abstellend Truli, Dienstleistungshaftung, S. 228, ebenfalls unter Anführung (Fn. 61) von BGH-Rechtsprechung bis 1992. 172 Das betrifft vor allem den Fall der Erteilung einer Auskunft, aber ebenso den „informatorischen Teil“ der Raterteilung oder der Empfehlung. 173 Siehe auch die Ausführungen bei Lang, AcP 201 (2001), 451, 461, der im Zusammenhang mit der Frage, wann eine Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung gewesen sei und dieser sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen gemacht habe, ausführt, das sei kein geeignetes Kriterium für die Annahme eines Auskunftsvertrags, da dies für fast alle Informationsleistungen gelte. Zum Topos, dass die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung sein muss und dieser sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse gemacht haben muss, vgl. außerdem etwa bei Hirte, Berufshaftung, S. 387, Fn. 6.
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formation haften, die den Dritten im Zusammenhang mit dem Vertrag betrifft und in die Verhandlung einfließt. Der Dritte könnte nahezu, haftungsrechtlich abgesichert, jede vom Anwalt für ihn relevante Information als richtig annehmen, es bräuchte noch nicht einmal vorsätzliches Handeln auf anwaltlicher Seite. Noch stärker ist der Druck auf den Anwalt, wenn er sich einer direkten Anfrage gegenübersieht.174 Eine solche, zugegebenermaßen zugespitzte Verständnisweise,175 würde letztlich zu einer Umkehr der Informationslast führen, solange der Dritte nur gegenüber dem Anwalt des anderen aktiv wird und dieser reagiert. Ein solcher Vorgang kann weder gegenüber der gesetzlichen Wertung noch gegenüber dem Prinzip, dass jeder sich um die Wahrnehmung seiner Interessen kümmern muss, gerechtfertigt sein. Dem Bedürfnis nach verlässlicher Auskunft176 muss somit ein engeres Verständnis zugrunde gelegt werden. Auf eines sei jedoch schon an dieser Stelle hingewiesen: Ein weit gesteckter Rahmen des anerkennenswerten Bedürfnisses kann allerdings u. U. für solche Informationen angenommen werden, auf die der Dritte „gar nicht käme“ und deren mangelnde Erforschung ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.177 Werden sie dann bewusst an den Dritten herangetragen, um ihn in der Verhandlung z. B. zu „lenken“,178 ist der Dritte schutzwürdig. Das gilt auch jenseits des Bereichs, in dem der Dritte etwa den Schutz vor arglistiger Täuschung genießt. Es handelt sich dabei vor allem um Informationen, die der (intimen) Interessensphäre der anderen Seite entspringen, vor allem, wenn sie nicht den eigentlichen Vertragsgegenstand betreffen, sondern das ihn umgebende Interessenfeld. Erfasst sind vor allem innere Tatsachen, für die der Dritte keinen Anlass hätte, sie zu erfragen. Beispielhaft können hier Informationen, innere wie äußere Tatsachen, im Zusammenhang mit dem rationalen Verhandlungsmodell genannt werden. „Vergrößert“ etwa eine Seite im Rahmen der Vertragsverhandlungen „den Kuchen“, indem sie weitere persönliche Interessen aufdeckt, um so die andere Seite zu einem Vertragsschluss zu bringen, so darf diese andere Seite grundsätzlich auf die Richtigkeit vertrauen. Hier findet gleichsam eine Umkehrung der Informationslast statt.179 174
Auf die Gefahr einer unüberschaubaren Haftung hinweisend, wenn jede Raterteilung als Vertrag qualifiziert wird, Honsell, JuS 1976, 621, 621. 175 Diese findet in der Form in der Rechtsprechung auch keinen Niederschlag. 176 Siehe erneut zu einem Kriterium der Rechtsprechung für einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag (Auskunft ist für den Empfänger von erheblicher Bedeutung und bildet die Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen): Müller, Auskunftshaftung, S. 44 (mit Rechtsprechungsnachweisen); Truli, Dienstleistungshaftung, S. 228 (mit Rechtsprechungsnachweisen). 177 Nicht gemeint sind an dieser Stelle solche Informationen, hinsichtlich derer ohnehin eine Aufklärungspflicht besteht. 178 Relevant sind hier vor allem Verhandlungen, die gerade zu einem Vertragsschluss führen sollen. 179 Diese lässt sich hier auch mit einer besonderen Angewiesenheit auf Informationen rechtfertigen, die der Dritte nicht/kaum überprüfen kann. Zu dieser Argumentationsschiene, allerdings im Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Haftung des Auskunftgebers aufgrund zunehmender Spezialisierung, Koch, AcP 204 (2004), 59, 60 (Fn. 5).
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bb) Abstellen auf die Berufstätigkeit des Anwalts (1) Einführung Während zum einen der Interessenantagonismus gerade in den Vertragsverhandlungen durch den reichsgerichtlichen Ansatz zumindest verdeckt zu werden droht, kommt über den Topos der spezifischen Berufstätigkeit eine Problematik ins Spiel, die sich nicht zuletzt unter Zuhilfenahme von Rollenverständnissen zusätzlich kritisch analysieren lässt. Darüber hinaus können sich daraus noch Erkenntnisse für den heutigen Umgang zwischen Anwalt und Dritten ergeben. Das RG hob, das hat u. a. Jost180 herausgestellt, mit der anwaltlichen Tätigkeit auf ein objektives Kriterium ab. Greift man in dem Zusammenhang auf den Begriff der mit der Rolle in Bezug stehenden „Position“181 und die sich auf sie beziehenden Erwartungen zurück, so kann man vereinfacht ausdrückt Folgendes sagen: Man darf bezüglich dieser spezifischen Positionierung bestimmte Erwartungen an die damit einhergehende Tätigkeit stellen. Dazu gehört es im reichsgerichtlichen Kontext, dass man auch als Dritter auf den Erhalt richtiger Informationen vertrauen darf. In der Entscheidung kann man also durchaus ein Zusammenspiel von Position und Rolle ausmachen. Diese Erkenntnis darf allerdings nicht vorschnell als „richtig“ angenommen werden. Vielmehr zeigt sich hier, und insoweit ist z. B. der Kritik Köndgens182 am Umgang mit der Rolle im rechtlichen Kontext zuzustimmen, dass es notwendig ist, differenziert mit den Begrifflichkeiten von Position und Rolle umzugehen und die gewählte Bedeutung im jeweiligen Zusammenhang genau herauszustellen. Dann kann sich daran jedoch durchaus ein (weitergehender) Erkenntnisgewinn anschließen. Diese Möglichkeiten ergeben sich auch hinsichtlich der reichsgerichtlichen Entscheidung, wobei zunächst ausgespart werden soll, ob/wann die Weitergabe von Informationen überhaupt zur Berufstätigkeit des Anwalts gehört. (2) Ausgangspunkt in der Positionierung des Anwalts Zunächst ist eine Auseinandersetzung mit der „Position Anwalt“ angesichts des Urteils gar nicht so selbstverständlich. Denn der Kläger (der Dritte) wollte eigentlich eine notarielle Auskunft. Zwischen der Position des Anwalts und der des Notars ist sehr wohl zu unterscheiden, auch wenn eine Person beide Positionen bekleiden kann.183 Eine Unterscheidung zwischen beiden Bereichen machte auch das RG. Allerdings hat das Gericht wie selbstverständlich von dem Wunsch des Klägers (Dritten) ausgehend die Zielrichtung auf die Position gesucht, wo sich dieser Wunsch 180
Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 45. Gemeint ist damit, so etwa nach Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32, der Ort im Feld sozialer Beziehungen. Auf ihn richtet sich u. a. die Rolle aus. 182 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 193 ff. 183 Siehe § 3 Abs. 2 BNotO. 181
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(vermeintlich) realisieren lässt. Hieran muss sich schon die Frage anschließen, an wem es eigentlich ist, die jeweils relevante Position zu „aktivieren“. Selbst wenn man aber davon ausginge, die Position „Anwalt“ sei als maßgeblicher Bezugspunkt zu wählen, ist es nichtsdestotrotz nicht so einfach, hierauf ausgerichtet solch bestimmte Erwartungsrichtungen auszumachen, wie es das RG getan hat. Klare Strukturen bezüglich etwaiger Erwartungen finden sich vor allem nach dem Dahrendorfschen Konzept, geprägt vom Berufsrecht, aber nicht zuletzt auch vom Anwaltsvertrag. Letzterer begründet Muss-Erwartungen. Eine Berufung auf solche billigte das RG im Grunde auch dem Dritten zu. Jedoch ist beim RG die logische Reihenfolge dahingehend gerichtet, dass die Erwartungen des Dritten einen Baustein dazu liefern, dass ein Vertragsschluss mit dem Anwalt angenommen wird. Die Reihenfolge ist also genau umgekehrt zu dem, was zuvor bei der Anwendung des Dahrendorfschen Konzepts ausgeführt wurde. Dieses lief darauf hinaus, durch die Mandatierung den Anwalt als Interessenvertreter in seiner Position zu fixieren. Im Grunde sieht der reichsgerichtliche Ansatz die anwaltliche Tätigkeit bezüglich der Auskunft als für „jeden offen“ an, weil der Betreffende eben Anwalt ist. Das ist wiederum eine Ausrichtung, die auf ein Verständnis des Anwalts als „Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO)184 hinausläuft, welches ggf. jedem, jedenfalls unter bestimmten Umständen, „im Recht helfend“ zur Seite steht. Nun ist die Position des Anwalts, auch das hat die Auseinandersetzung mit seiner Stellung gezeigt, durchaus darauf ausgelegt und oftmals auch ohne Intrarollenkonflikt185 umsetzbar, beide Erwartungsstränge (Interessenvertreter und gleichzeitig Organhandelnder) aufzufangen. Beispielhaft sei hier nur noch einmal die Begrenzung anwaltlichen Handelns beim Umsetzen von Mandantenwünschen auf der Grundlage der gesetzlichen Rahmenbedingungen (z. B. 43a BRAO) genannt. (3) Weg in den notwendigen Konflikt für den anwaltlich Handelnden Auch das RG hatte keine „Probleme“, die dort auftauchenden Rollenerwartungen an den Anwalt/Interessenvertreter eines speziellen Mandanten sowie andererseits im Hinblick auf ein helfendes Organ der Rechtspflege stimmig zu machen. Freilich wird die Rollenproblematik dort auch nicht diskutiert. Es ist aber gerade der Blick auf die angesprochenen Rollenverständnisse, die einen (weiteren) Verständigungshintergrund für die schon vielfach an dem Urteil geübte Kritik liefern. Somit können Rollen hier als verstärkende Argumente dienen, die dann jedoch darüber hinaus Möglich-
184 Siehe dazu auch Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 4. 185 Ein Intrarollenkonflikt besteht, wenn unterschiedliche Erwartungen an eine Rolle bestehen, Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ (S. 414). An die Rolle des „Anwalts“ bestehen einmal Erwartungen an ihn als Interessenvertreter (durch den Mandanten), zum anderen aber ggf. (andere) Erwartungen durch den Dritten an das Organ der Rechtspflege.
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keiten für weitere Erkenntnisse für das anwaltliche Handeln nicht zuletzt in praktischer Hinsicht öffnen können. So wird und wurde immer wieder betont, der Weg des RG stehe im Widerspruch zum Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO bzw. § 31 Nr. 2 RAO).186 Sieht man jedoch in dem Verbot einen Ausfluss der Stellung (auch) als Organ der Rechtspflege,187 so wird hier wiederum deutlich, wie eben diese Funktion als Grenze für eine anwaltliche Tätigkeit wirkt. Aus dieser Grenzfunktion heraus könnte man in Bezug auf die unterschiedlichen Rollenerwartungen an den Anwalt allerdings durchaus auch eine Präferenz in Bezug auf die Erwartungen ziehen, die aus der einseitigen Interessenwahrnehmung für den Mandanten folgen. Allerdings lässt sich eine solche Aussage nicht mit Allgemeingeltung aufrechterhalten. So fungiert die Stellung als Organ der Rechtspflege zwar u. a. als Grenze, gleichwohl werden daran ebenso (positive) Erwartungen festgemacht. Diese betreffen z. B. die mit der „Organstellung“ einhergehende besondere „Vertrauensstellung“ in der Öffentlichkeit.188 Es ist also durchaus vorstellbar, dass sich daran weitere (berechtigte) Erwartungen anknüpfen, ggf. eben von Dritten189. Fälle wie der vom RG entschiedene zeigen damit, dass die zuvor angesprochene Kompatibilität der Rollenerwartungen an den Anwalt bzw. die Vermeidung von Intrarollenkonflikten keineswegs immer unproblematisch ist. Solche Konflikte gilt es dann zu verhindern bzw. aufzulösen. Die „Lösungsstrategie“ des RG, einen Vertrag zwischen Anwalt und Drittem anzunehmen, kann jenseits der oben genannten berufsrechtlichen Erwägungen auch aus weiteren Gründen aus rollenspezifischer Sicht nicht die Lösung sein. Denn sie 186
Dazu Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 6. In Betracht kommt weiterhin ein Parteiverrat nach § 356 StGB und eine Nichtigkeit des Vertrags demzufolge nach § 134 BGB. Darauf in Bezug auf eine Entscheidung des RG (JW 1928, 1134) hinweisend Huber, FS für von Caemmerer, 359, 369. Den Aspekt des Parteiverrats bei Annahme eines Auskunftsvertrags zwischen Rechtsanwalt und Prozess- oder Geschäftsgegner des Auftraggebers ebenfalls betonend BGH NJW 1972, 678, 680. 187 Dafür sprechen die Funktionen des § 43a Abs. 4 BRAO. Diese bezeichnet Kleine-Cosack, BRAO, § 43a, Rn. 158, unter Bezugnahme u. a. auf die BT-Drs. 12/4993, S. 27, damit, dass dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten, der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und der im Interesse der Rechtspflege gebotenen Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung gedient werden solle. 188 Diesen Vertrauensaspekt etwa anführend Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 4. Siehe zudem Kleine-Cosack, BRAO, § 43a, Rn. 158, der für die Schutzfunktion des § 43a Abs. 4 BRAO „vor allem das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltschaft“ anführt. Das Zitat findet sich, siehe auch Kleine-Cosack, a. a. O., in BVerfG NJW 2001, 3180, 3181, unter Verweis auf Schönke/Schröder/Cramer, StGB, § 356, Rn. 1. Das Operieren mit dem Vertrauensbegriff ist allerdings wiederum, auch und vor allem im Zusammenhang mit einer Haftung aufgrund der beruflichen Stellung, nicht unproblematisch. 189 Das ist in Voraussetzungen und Konsequenzen jedoch noch klärungsbedürftig, da § 43a Abs. 4 BRAO subjektiv dem Mandanten dient, die rechtsstaatliche Funktion dagegen eine objektive ist, Kleine-Cosack, BRAO, § 43a, Rn. 158.
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transportiert nachgerade die etwaige Erwartungshaltung des Dritten auf eine Ebene, auf der sie notwendigerweise Rollenkonflikte provoziert. Indem ein Vertrag zwischen Anwalt und Drittem angenommen wird, auch wenn dieser Vertrag bei Verletzung „nur“ Sekundäransprüche zeitigt,190 kommt der Anwalt in die Situation „doppelter Muss-Erwartungen“191 im Sinne von Interessenwahrnehmungen. Das ist für den Anwalt ein Rollenkonflikt. Die konsequente Beachtung des § 43a Abs. 4 BRAO verhindert z. B. diesen vertraglich bedingten Rollenkonflikt.192 Zwar ist der Anwalt faktisch grundsätzlich nicht gehindert, zwei Verträge zu schließen und zu „erfüllen“. § 43a Abs. 4 BRAO warnt ihn jedoch und soll an sich dafür sorgen, nicht in einen solchen Konflikt gezwungen zu werden. Der Konflikt ist auch bezüglich des Umgangs mit Informationen ein durchaus existierender. Vor allem innerhalb von komplexeren Vertragsverhandlungen sind Informationen letztendlich Machtfaktoren. Ihre Kenntnis dient im erheblichen Maß der Umsetzung der (Mandanten-)Interessen. Ein Einspeisen bzw. Weglassen von Informationen ist also nachhaltig interessenbezogen und eröffnet so den Weg zur Problematik der „widerstreitenden“ Interessenwahrnehmung. Hinzu kommt noch ein weiterer Umstand, der im Rahmen des Interessenkonflikts zu berücksichtigen ist. Stünde der Anwalt gegenüber dem Dritten in einer derart vertraglichen Informationspflicht193, so könnte er sich z. B. nicht darauf zurückziehen, einfach das ihm vom Mandanten mitgeteilte Wissen weiterzugeben. Er müsste vielmehr „die Wahrheit“ erforschen,194 also mehr tun, als er aufgrund des Anwaltsvertrags gegenüber seinem 190
Hier findet sich der Kritikpunkt wieder, wonach, indem der Vertrag zwischen Anwalt und Drittem in der Regel im Moment der Auskunftserteilung selbst erst zustande kommt, Vertragsschluss und Erfüllung zusammenfallen. Es geht hier gar nicht um die Begründung einer Leistungsverpflichtung des Anwalts, sondern um die Konstruktion einer Haftung. Zum Vorstehenden Laband, DJZ 1903, 259, 262; die Kritik so und weiter ausführend Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 47, gerade unter Bezugnahme auf Laband. Darauf hinweisend, dass der Weg über den Abschluss eines Vertrags letztlich dem Zweck dient, eine (vertragliche) Haftung, nicht aber primär Leistungspflichten zu begründen Lammel, AcP 179 (1979), 337, 341. 191 Im Fall des „stillschweigenden“ Auskunftsvertrags muss die Auskunft richtig sein, sonst drohen vertragliche Konsequenzen auf der Sekundärebene. 192 In einer anderen Entscheidung, RG JW 1928, 1134, 1134, stellte das RG dann heraus, ein Interessenwiderstreit stehe einer beiderseitigen vertraglichen Bindung des Anwalts entgegen, nahm aber im dort gelagerten Fall der Raterteilung einen solchen nicht an; so die Analyse von Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 49, der, Fn. 26, darauf verweist, der Sachverhalt werde erst, soweit er überhaupt von den Vorinstanzen hinreichend aufgeklärt worden sei, in der Anmerkung von Friedlaender (JW 1928, 1134, 1134) deutlich. Ein anderer Ansatz zur „Auflösung“ des Interessenwiderstreits lag in der Argumentation, der Mandant habe seinen Anwalt mit seiner Zustimmung zu seiner Auskunftsperson gemacht; zu der Argumentation BGH NJW 1972, 678, 680; siehe außerdem etwa schon RGZ 129, 109, 113. 193 Das gilt auch, wenn er „lediglich“ vertragliche Sekundäransprüche vermeiden will. 194 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 274, weist zu Recht darauf hin, dass im Fall der isolierten Informationsweitergabe dem Auskunftsgeber kein Vorwurf gemacht werden kann, wenn er jede Tätigkeit vollständig unterlässt. Es fehle, so Jost, dann schon an
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eigenen Mandanten tun muss. Dessen Wort darf er in Abwicklung des Anwaltsvertrags grundsätzlich „glauben“. Würde der Anwalt zudem, um der vermeintlichen vertraglichen Pflicht gegenüber dem Dritten zu genügen, dieser gerecht, indem er investigativ die Wahrheit erforschen würde, könnte er damit wiederum die Interessen des mit ihm anwaltvertraglich verbundenen Mandanten gefährden, weil er so mehr oder andere Informationen an den Dritten liefert als vom Mandanten überhaupt gewollt.195 (4) Weg in die Fiktion von Willenserklärungen Es ist nun im Weiteren zwar unbenommen, dass der Anwalt auch gegenüber dem Dritten mit für diesen wichtigen Informationen operiert und nach der Konsequenz für Fehlinformationen gesucht werden muss. Die Lösung jedoch in einem per se unauflöslichen Rollenkonflikt anzulegen, ist gleichwohl verfehlt. Letztlich findet sich hier eine rollentheoretische Flankierung einer dogmatischen Kritik an dem reichsgerichtlichen Ansatz. Die dogmatische Kritik fußt u. a. darin, es werde mit fingierten Willenserklärungen gearbeitet.196 Es mangele geradezu an einem Vertragsschluss im einer Auskunftsbeziehung. Habe er sich dagegen auf eine Tätigkeit für den Informationsbedürftigen eingelassen, so müsse er dann darauf achten, dass seine Mitteilungen so vollständig seien, dass sie dem Empfänger eine sachgerechte Entscheidung ermöglichten. Demgegenüber ist Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 6, der Auffassung, die gegnerische Partei könne nicht erwarten, dass der für sie gegnerische Anwalt eigene Ermittlungen über den Sachverhalt anstelle. Der BGH stellte einmal im Kontext mit Betrug bzw. der sittenwidrigen Schädigung darauf ab, eine nicht der Wahrheit entsprechende Darstellung, die zwar den Interessen des Auftraggebers diene, jedoch zu einem Irrtum bei dem Dritten führe, werde nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Anwalt grundsätzlich zur bestmöglichen Wahrnehmung der Belange seines Auftraggebers verpflichtet sei; so BGH NJW 1972, 678, 680. Zudem führte der BGH aus, die Haftung eines Auskunftsgebers gegenüber Dritten reiche regelmäßig nicht weiter, als er nach dem Wortlaut seiner Auskunft die Verantwortung für deren Richtigkeit übernommen habe (BGH NJW 1991, 32, 32). Auch bei einem Abstellen auf den Wortlaut muss dieser Aspekt aber einer aus den Vertragsverhandlungen herrührenden Haftung nicht entgegenstehen, da dort eine aus dem Wortlaut folgende Begrenzung nicht notwendigerweise gegeben ist. Hinzuweisen ist darauf, dass an anderer Stelle der BGH (NJW 1992, 2080, 2082) das Versprechen eigener Nachprüfung der Angaben des Geschäftspartners des Auskunftsempfängers „nur“ als zu berücksichtigen Umstand wertet. Daraus könnte man wiederum folgern, eine Pflicht zur Wahrheitserforschung bei „Übernahme“, das heißt Ausspruch der Auskunftserteilung, bestehe grundsätzlich nicht. 195 Vgl. in dem Zusammenhang auch die Ausführungen bei Jost, Vertragslose Auskunftsund Beratungshaftung, S. 107. Jost gibt an, dem Interesse des Auskunftsgebers würde die den vertraglichen Sorgfaltsanforderungen entsprechende Suche nach einer sicheren Information und ihre Weitergabe gerade zuwiderlaufen, weil sie die ihm günstige Entscheidung des Empfängers verhindern würde. 196 Einen Vertrag aufgrund fehlenden Rechtsbindungs- bzw. mangelnden Haftungswillens in Bezug auf die Richtigkeit der Informationen ablehnend und auf die Fiktion hinweisend u. a. Altenburger, WM 1994, 1597, 1604; Laband, DJZ 1903, 259 262, spricht von „willkürliche(r) Fiktion“ und „ein(em) schlechte(…)(n) Notbehelf der juristischen Konstruktion“; Canaris,
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Sinne der §§ 145 ff. BGB.197 Vor allem der Rechtsanwalt, bei dem die Kenntnis um das Verbot der widerstreitenden Interessen angenommen wird, wolle keine auf einen Vertragsschluss mit dem Dritten gerichtete Willenserklärung abgeben.198 Diese Kritik ist durchaus berechtigt. Man kann mit anderen Worten auch anfügen, dass der Anwalt sich in der Regel der oben beschriebenen Situation, in einen unauflöslichen Konflikt zu geraten, bewusst ist und diesen vermeiden will. Da nach dem reichsgerichtlichen Ansatz der rechtsgeschäftliche Wille bezüglich des Vertragsschlusses im Grunde egal ist, kann sich der Anwalt aber zunächst einem vertraglich! begründeten Konflikt gar nicht entziehen.199 Das widerspricht jeder vertraglich begründeten Rollenerwartung. Dieser Sichtweise entspricht zudem, dass § 675 Abs. 2 BGB (§ 676 BGB a. F.) nach vielfacher Auffassung die Informationshaftung in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis stellt,200 was beim Weg, den das Reichsgericht wählte, Vertrauenshaftung, S. 539; Canaris, FS für Schimansky, 43, 48, betont, dass im Falle der Auskunft regelmäßig eine bloße Wissenserklärung vorliege, die die Voraussetzungen für eine Willenserklärung nicht erfüllt; Huber, FS für von Caemmerer, 359, 368, der auch darauf hinweist, für die Annahme eines Vertragsschlusses käme es auf die individuelle Willensrichtung, nicht auf die objektive Zuordnung des Geschäfts zu einem bestimmten Pflichtenkreis an; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 75; Lammel, AcP 179 (1979), 337, 341; Haller, JURA 1997, 234, 239; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 617; siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 119 (Plädoyer für Methodenehrlichkeit, wonach die Haftungsfolgen u. a. nicht unmittelbar auf vertraglichen Geltungsanordnungen beruhen). 197 Stahl, Dritthaftung, S. 48. 198 So etwa Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 6. Die dort ebenfalls angeführte Überlegung, auch der Dritte wisse in der Regel, dass es dem Anwalt verboten sei, in derselben Sache gleichzeitig zwei Parteien anwaltliche Dienste zu leisten, und deshalb wolle der Dritte dem Anwalt gar kein Vertragsangebot machen, ist jedoch fraglich. Zwar können Dritte ggf. durchaus in der „Laiensphäre“ das Bewusstsein haben, dass der Anwalt der Vertreter „des anderen“ ist. Ob daraus aber auch die (berufsrechtliche) Schlussfolgerung gezogen wird, dieser dürfe überhaupt nicht dem Dritten gegenüber Leistungen erbringen, ist zumindest problematisch. Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 11, Rn. 34, spricht davon, das Kontrahierungsverbot des § 43a Abs. 4 BRAO sei allseits bekannt. Der BGH, der später bezüglich der Frage, ob ein stillschweigender Auskunftsvertrag zustande gekommen ist, auf eine Gesamtschau maßgeblicher Gesichtspunkte abstellte, wertete dabei u. a., ob der Sachkundige erkennbar vor allem Interessen zu vertreten habe, die denen des Auskunftsempfängers entgegengesetzt sind; siehe für den Fall der Auskunftserteilung durch einen Steuerberater BGH NJW 1992, 2080, 2082. 199 Das RG (JW 1928, 1134, 1134; Sachverhalt ergibt sich aus der Schilderung in der Anmerkung von Friedlaender, ebenda) sah allerdings in einem anderen Fall, in dem bei einem Kaufvertrag vom Anwalt der Käufer einerseits und der Verkäufer andererseits beraten worden war, keinen Interessenwiderstreit gegeben. Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme zwischen dem Anwalt und dem nicht mandatierten Käufer habe noch gar kein Interessengegensatz bestanden. Auf das Urteil und die Argumentation hinweisend Huber, FS für von Caemmerer, 359, 369. 200 Honsell, JuS 1976, 621, 621; Lorenz, 1. FS für Larenz, (1973), 575, 575; Schulze, JuS 1983, 81, 82, führt etwa an, der Gesetzgeber habe in § 676 BGB unterstrichen, dass die Verantwortlichkeit aus Vertrag oder Delikt nur als Ausnahme gegenüber dem Regelfall der Haftungsfreiheit aufzufassen sei. Auf diese Strömung u. a. hinweisend Altenburger, WM 1994,
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letztlich unterlaufen würde. In diesen Kontext passt auch der häufig zitiert Ausspruch: „Der Befragte haftet nicht wo er will, sondern wo er soll.“201 Ein weiterer Aspekt, der gerade bei längeren und komplexeren Verhandlungen einer Klärung bedarf, wenn man einer vertraglichen Lösung folgen würde, ist, ob der Anwalt ggf. einen oder mehrere Verträge mit dem Dritten abschließt, sofern entsprechende „Auskunftssituationen“ eintreten. Ausgehend von den Voraussetzungen, die das RG für die Annahme eines Vertrags festgestellt hat, sowie der Interessenlage des Anwalts wird man jeweils einen neuen Vertrag annehmen müssen, wenn relevante Informationen gegeben werden. Denn der Anwalt hat insbesondere keinerlei Interesse, für den gesamten Informationsaustausch zu haften.202 Das war zudem vom Herangehen des RG auch nicht beabsichtigt, außerdem würde sich dann ein Interessenwiderspruch in Bezug auf den Mandanten noch weniger leugnen lassen. Die Notwendigkeit jedoch, u. U. innerhalb derselben Verhandlung mehrere Verträge mit dem Dritten konstruieren zu müssen, zeigt nur noch deutlicher, wie untauglich der Ansatz war. Ein Anwalt, der sich eines solchen „vertraglichen Haftungswegs“ erwehren wollte, stünde vor, nicht zuletzt praktischen, Schwierigkeiten. Eine, jedoch völlig unpraktikable, Vorgehensweise hätte nun für den Anwalt infolgedessen darin bestehen können, ausdrücklich einfließen zu lassen, dass alle Informationen unter dem Vorbehalt einseitiger Interessenwahrnehmung stünden und jedweder Vertragsschluss mit dem Dritten abgelehnt würde. Das wäre eine denkbare, aber jede fruchtbare Vertragsverhandlung zerstörende Handhabung.203 Zu solch einem Vorgehen würde der Anwalt aber im Grunde gezwungen, um der Übernahme des Haftungsrisikos durch Vertrag auszuweichen. Er müsste also seinen fehlenden Rechtsbindungswillen hervorheben, ein Verhalten konträr zu dem aus dem Vertragsrecht bekannten Vorgehen.204 1597, 1604. Siehe auch Haller, JURA 1997, 234, 235, wonach die Rechtsprechung die Ausnahme des § 676 BGB zum Regelfall hat werden lassen. Lammel, AcP 179 (1979), 337, 341, folgert aus § 676 BGB, dass die Auskunft jeglicher rechtlichen Verbindlichkeit entbehren kann. Demgegenüber führt etwa Czech, BB 1975, 723, 724, an, Auskünfte eines Rechtsanwalts seien nicht als generell unverbindlich im Sinne des § 676 BGB anzusehen, da sie zu ihren Berufsgeschäften gehörten, wenn auch derartige Auskünfte keine Garantiezusage an Dritte enthielten. 201 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 371; Hervorhebungen im Original. 202 Vgl. dazu BGH BeckRS 2017, 131188, Rn. 3. 203 Selbstverständlich kann der Anwalt auch „umgekehrt“ ausdrücklich einen Auskunftsvertrag mit dem Dritten abschließen, dazu etwa Lang, AcP 201 (2001), 451, 460; siehe auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 63, zum Informationsvertrag. In dem Fall wäre es freilich erst recht an dem Anwalt, einen solchen Vertragsschluss auf etwaige berufsrechtliche Verstöße, wie den gegen § 43 Abs. 4 BRAO, zu überprüfen. 204 Siehe auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 460 m. w. N., wonach ein Rechtsbindungs- und Haftungswille für die Richtigkeit der Information einstehen zu wollen, eben gerade nicht
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cc) Frage nach der Berufsbezogenheit der Informationen Das RG hatte im Hinblick auf die Informationen weiterhin darauf abgestellt, ob „(…) jemand, zu dessen Berufsgeschäften es gehört, anderen in Geschäften der fraglichen Art beratend zur Seite zu stehen (…)“205, betroffen ist. Es geht also um die Berufsbezogenheit der gegebenen Informationen. Das „objektivierte Kriterium“206 wird vom RG in der Entscheidung jedoch nicht weiter mit besonderem Inhalt gefüllt. Interessant war dort allerdings, dass die begehrte Auskunft, obwohl vom Kläger eigentlich gewünscht, nicht dem notariellen Tätigkeitsbereich zugeschlagen wurde, sondern vielmehr dem anwaltlichen. Jetzt ist die Einschätzung dessen, was zum jeweiligen Berufskreis gehört, nicht unerheblich, bietet sie doch u. a. dem Anwalt bei entsprechenden Anfragen bzw. bei von ihm ausgehenden Äußerungen die Möglichkeit einer Antizipierbarkeit von drohenden Haftungsgefahren. Eine solche Antizipierbarkeit sowie der Topos des „objektivierten Kriteriums“ können wiederum den Blick auf die Nutzbarmachung von Positionen und Rollen lenken. Denn die Kriterien des Berufskreises bilden zum einen Abgrenzungsmöglichkeiten zu anderen Berufen und bestimmen damit ganz wesentlich die Position in der Gesellschaft mit. Zum anderen prägen sie auch die Rollenerwartungen derjenigen, die sich auf die Position beziehen. In Kenntnis solcher Umstände könnte der Anwalt ggf. Haftungsvermeidungsstrategien gegenüber Dritten entwickeln. Erforderlich wäre dann allerdings, dass der Berufskreis des Anwalts in starkem Maß formalisiert wäre, um weite Interpretationsräume abzuschneiden.207 Einen formalisierten Rahmen findet man in jedem Fall in der BRAO und der BORA. Es verwundert bei der Profession Anwalt208 nicht weiter, dass dort Regelungen vor allem in gesetzlicher Form bestehen. Der Nutzen für den haftungsbewährten Berufskreis ist gleichwohl nur ein eingeschränkter. Denn der Berufskreis209, der etwa in der BRAO beschrieben wird, ist vorhanden sei. Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 95, betont die hohen Anforderungen an einen Rechtsbindungswillen, da dem Auskunftshaftungsvertrag Ausnahmecharakter zukomme. Vgl. zum mangelnden Willen, für Erklärungen während Vertragsverhandlungen gegenüber dem Vertragsgegner einstehen zu wollen, auch BGH BeckRS 2017, 131188, Rn. 3; diesbezüglich weiter differenziert OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35. 205 RGZ 52, 365, 366. Die Sachkunde als ein Indiz innerhalb zu würdigender Gesamtumstände für die Klärung anführend, ob ein stillschweigender Auskunftsvertrag vorliegt, OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35. 206 So Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 45. 207 Vgl. zu dem Gedankengang Wiswede, Rollentheorie, S. 18. 208 Ein Kennzeichen einer Profession wird in dem Umstand gesehen, dass der „Berufsverband (…) spezifische Verhaltensregeln in Form einer Berufsethik auf(stellt), an die die Professionellen in ihrer Praxis gebunden sind“; so Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Kurtz, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Professionalisierung“ (S. 368 f.). Zur Einordnung des Anwalts als Profession u. a. auch Kühl, Wirtschaftspsychologie aktuell 2008, 17, 20. 209 Interessant ist es auch, dass sowohl § 31 Nr. 2 RAO ebenso wie § 32 Abs. 1 Nr. 2 RAO, die Vorgängernormen zu § 43a Abs. 4 BRAO, beim Vorliegen eines Interessenkonflikts vorgaben, dem Anwalt die „Berufstätigkeit“ zu versagen. Diesen Zusammenhang so aufzeigend Knöfel, NJW 2005, 6, 7. Hier wurde also schon vom Wortlaut her auf ein Tätigkeitsfeld abgestellt.
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sowohl von den in Bezug genommenen Personen, die mit der anwaltlichen Tätigkeit in Kontakt kommen, wie auch von den Inhalten her ein weiter. Er lässt eine generelle Begrenzung nicht zu, sondern weist diese dem Einzelfall zu. Damit sind unsere Probleme jedoch nicht gelöst. Das kann hinsichtlich der Vertragsverhandlung verdeutlicht werden. In personeller Hinsicht ist die BRAO zwar sehr stark auf das Mandantenverhältnis bezogen, wie sich z. B. aus § 3 Abs. 1 BRAO ergibt. Allein, dass der Anwalt aber ebenso unabhängiges Organ der Rechtspflege ist (§ 1 BRAO), eröffnet, das haben schon die vorherigen Überlegungen gezeigt, weiterhin die Öffnung seines Berufskreises hin zu Dritten, die ihn nicht mandatiert haben. So wird denn auch im Zusammenhang mit Verhandlungen hervorgehoben, z. B. Auskünfte, die dort vom Anwalt erteilt würden, würden gerade deshalb befolgt, weil dem Anwalt regelmäßig besonderes Vertrauen210 aufgrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege entgegengebracht werde.211 Eine gleiche Auskunft, die demgegenüber der Mandant direkt erteilt hätte, würde wohl kaum eine solche Reaktion der anderen Seite hervorrufen.212 Inhaltlich ist zum einen zu berücksichtigen, dass sich in der BRAO und BORA oft auslegungsfähige (und -bedürftigte) Normelemente finden. Auch hier kann wieder beispielhaft § 3 Abs. 1 BRAO genannt werden, wonach der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist. Auslegungsfähig sind etwa die Begriffe der Unabhängigkeit und der der Rechtsangelegenheiten. Man mag allerdings aus dem Wortlaut der Rechtsangelegenheit schließen, der Umgang mit Tatsachen, die keine allgemeinen Rechtsauskünfte sind, sei hier inhaltlich nicht erfasst. Dann wäre ein großer Teil dessen, was eine „Auskunft“ ausmacht, schon vom Berufsfeld ausgeschlossen. Es kann überlegenswert sein, dass nicht nachvollziehbar ist, weshalb etwa die Auskunft über die Bonität und Kreditwürdigkeit des Mandanten zur Berufspflicht des Anwalts gehört; das könnte eher dem Kreis der Kreditinstitute zuzuordnen sein.213 Auch ansonsten gibt es 210
Ebenfalls betonend, dass der Anwalt nicht nur einseitiger Interessenvertreter einer Partei sein könne, sondern als Fachmann und Organ der Rechtspflege besonderes Vertrauen (Hervorhebung im Original) in der Öffentlichkeit genieße, Poll, Die Haftung der freien Berufe am Beispiel des Rechtsanwalts, S. 109. 211 So Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 4. 212 So Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 4, unter Hinweis auch auf Adolff, Third Party Legal Opinion, S. 28 ff. 213 Siehe beispielsweise ebenfalls schon RG Recht, 1912 Nr. 2228, 2229 und 2241, wo das Reichsgericht eine Haftung des Anwalts ablehnte, der eine positive Auskunft für die Vermögensverhältnisse eines Käufers abgegeben hatte, letzterer später aber zahlungsunfähig wurde. Das Reichsgericht stellte sich auf den Standpunkt, als Referenz wäre jedermann in Betracht gekommen. Das Urteil unter Nennung der entsprechenden Fundstelle im Kontext mit Berufsgruppen, denen speziell die Wahrung fremder Vermögensinteressen obliegt, anführend Huber, FS für von Caemmerer, 359, 363. Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 84, bringt ein entsprechendes Beispiel, allerdings bezogen auf die Auskunft eines Architekten gegenüber den Handwerkern über die Vermögenslage des Bauherrn.
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Stimmen, die gerade den besonderen Sachverstand des Experten, wie z. B. des Rechtsanwalts in Bezug nehmen.214 So kann es zumindest problematisch sein, wann eine reine Tatsachenweitergabe von besonderer Sachkunde gedeckt ist. Die Kritik bzw. der Ansatz lassen sich aber nicht verallgemeinern. Abgesehen davon, dass z. B. bei der Raterteilung eine Verquickung von Tatsachen und dem Umgang mit Recht erfolgt, kann auch ansonsten, das heißt die reine Tatsachenweitergabe, Teil des anwaltlichen Berufsfelds sein. Das zeigen eindrucksvoll die Vertragsverhandlungen215. Verhandlungen können Teil der anwaltlichen Tätigkeit sein. Innerhalb dieser kommt es notwendigerweise zur (intendierten), also vom Berufsträger gewollten Weitergabe lediglich „reiner“ Tatsachen. Mag der Anwalt auch von seinem Mandanten für solche Verhandlungen beauftragt worden sein, so ist damit doch, wie im Übrigen ebenso bei jeder Rechtsberatung, das Berufsfeld, das der Anwalt besetzt „angeschoben“ worden. Man kann außerdem erneut beispielhaft auf das rationale Verhandlungsmodell verweisen, in dem zur kreativen Lösungsfindung mitunter mit der Weitergabe von Tatsachen „gewuchert“ wird. Hier ergeben sich zudem notwendige Berührungspunkte mit dem Dritten. Dem Berufsfeld „Anwalt“ wird man somit das Element der Tatsachenweitergabe nicht absprechen können. Sie kann durchaus Teil von entsprechenden Rollenerwartungen sein, nicht zuletzt bei einem Dritten. Damit ergibt sich allerdings innerhalb umfangreicher Vertragsverhandlungen ein besonderes Problem. Eben, weil dort im großen Umfang Informationen transportiert werden, stellt sich die Frage, ob jede Information als dem Berufsfeld des Anwalts zugehörend, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen also haftungsbegründend sein kann. Insofern gewinnt der zuvor genannte Aspekt der „Sachkunde“ neue Bedeutung. Man könnte sich einerseits auf den Standpunkt stellen, ein Anwalt sei für das Gros der reinen Tatsachenmitteilungen216 von seiner beruflichen Ausbildung her nicht prädestiniert. Er gebe sie lediglich weiter. Bei Einnahme dieser Sichtweise bliebe aber unberücksichtigt, dass der Anwalt, will man nicht das problematische „Vertrauen“ bemühen, doch Informationen mit einer gewissen Autorität versehen kann. Zudem kann er, und das ist durchaus berufsbezogen, aufgrund seiner Ausbildung Informationen in bestimmter Art und Weise platzieren. Das betrifft etwa die Nennung der Information an sich, aber auch das Umgehen mit ihr z. B. innerhalb des rationalen Verhandlungsmodells. So kann sich der Anwalt überlegen, ob er mit neuen Informationen „den Kuchen vergrößert“. Letztlich wird man mit Blick auf die Berufsbezogenheit jedenfalls solche Tatsachen von der Haftungsbegründung ausschließen dürfen, die lediglich im Rahmen 214
Siehe etwa Damm, JZ 1991, 373, 375. Das gilt vor allem für die Verhandlungen, die zu einem Vertragsschluss führen sollen, kann aber durchaus auch innerhalb von Vorgesprächen, die z. B. dem Positionsaustausch dienen, der Fall sein. 216 Etwas anderes gilt für die Mitteilung von Rechtstatsachen bzw. bei allgemeinen Rechtsauskünften. 215
D. Juristische Haftungsansätze
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einer reinen Weitergabe von Wissen fremden Ursprungs transportiert werden. Eine solche theoretisch mögliche Eingrenzung begegnet jedoch in der Praxis (z. B. Beweisbarkeit) erheblichen Schwierigkeiten. Darüber hinaus bedarf es also nach dem Vorgesagten in vielen Fällen weiterer „Filter“ zur (Haftungs-)Eingrenzung. Ein solcher kann zum einen u. U. doch mitunter in den Normen des Berufsrechts zu suchen sein, denkbar ist jedoch darüber hinaus, im Dritten selbst den „Filter“ auszumachen. So kann das vom RG postulierte Bedürfnis des Dritten nach einer verlässlichen Auskunft, von dem der Anwalt erfahren hat, ein solcher sein. Anknüpfend daran können erneut weitere Erkenntnisse aus dem Bereich der Rolle zusätzliche Ansätze liefern, die im praktischen Umgang des Anwalts mit der Situation von Nutzen sein können. dd) Vorliegen eines Bedürfnisses des Dritten nach einer verlässlichen Auskunft Das RG legte schließlich als weitere Voraussetzung für einen (stillschweigenden) Vertragsschluss fest, derjenige, der berät, müsse „erfahren (…) (haben), daß ein anderer in einer solchen Angelegenheit einer zuverlässigen Auskunft (…) (bedürfe), (…)“217. Es geht somit einerseits um das Bedürfnis des Dritten an einer Information, die zum Berufskreis des Anwalts gehört und andererseits um die subjektive Erkenntnis des Anwalts diesbezüglich. Dabei sprach die reichsgerichtliche Formulierung dafür, dass der die Auskunft Erteilende sich der Bedeutung bewusst gewesen sein muss, das heißt, ein bloßes Erkennen können ist dann nicht ausreichend. Das ist, wie die folgende Entwicklung der Rechtsprechung wie auch der Literatur zeigt, keineswegs unproblematisch. Im Weiteren findet sich zwar oftmals ein Abstellen auf die bloße Erkennbarkeit.218 Teilweise gibt es gerade auch das Bewusstsein,219 es sei nicht eindeutig, ob Erkenntnis oder Erkennbarkeit maßgeblich sei. Die Trennung ist praktisch nicht unerheblich. Zudem wird sich auch nicht zuletzt an dieser Differierung später u. a. festmachen lassen, wie dogmatisch angreifbar eine Argumentation über einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag ist. Denn die Kenntnis und ihre etwaigen Bezugspunkte bilden relevante Ansatzpunkte in der weiteren Diskussion dafür, welche „Chancen“ der Dritte hat, ggf. Ansprüche gegen den Anwalt wegen einer fehlerhaften Auskunft durchsetzen zu können. 217
RGZ 52, 365, 366. Vgl. dazu noch die Ausführungen unter 2. b) cc), S. 726 ff. 219 Wiegand, Sachwalterhaftung, stellt u. a. die „Würdigung von Parteiverhalten als Auskunftsvertrag durch den BGH“ dar (S. 73 ff.). Sie (S. 81 ff.) nimmt dabei auch eine Würdigung der von ihr dargestellten Kriterien vor. Bezüglich dieser Würdigung der BGH-Rechtsprechung sieht sie es als ein Kriterium für einen Vertragsschluss (Feststellung eines Bindungswillens) an, der Auskunftsgeber habe Kenntnis von der Bedeutung der Information für den Auskunftsempfänger gehabt (S. 82). Wiegand, a. a. O., macht aber Unklarheiten in den Einzelheiten aus; es bestünden eben Probleme, ob es auf die Kenntnis oder die Erkennbarkeit der Bedeutung der Erklärung des Informanten ankommen solle. 218
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
ee) Beweislast als Anknüpfungspunkt der Probleme des Dritten Da es in den uns interessierenden Fällen an ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Anwalt und dem Dritten fehlen wird, stellt sich in kritischen Situationen, das heißt der (späteren) prozessualen Ausfechtung des Streits um die Haftung aufgrund einer falschen Auskunft, u. a. das Problem der Beweislast. Da der Wortlaut der reichsgerichtlichen Entscheidung für eine positive Kenntnis des Anwalts von der Bedeutung der Auskunft für den Dritten spricht, soll daran zunächst die Beweisbarkeitsproblematik aufgegriffen werden. Die Grundregel der Beweislastverteilung gibt jeder Partei die Beweislast für solche Tatsachen auf, die den Tatbestand der für sie günstigen Rechtsnorm betreffen.220 Da es um die Begründung von Ersatzansprüchen geht, die der Dritte ggf. gegen den Anwalt wegen einer falschen Auskunft geltend macht, obliegt es danach grundsätzlich ihm, Bedürfnis221 und Kenntnis des Anwalts davon darzulegen und zu beweisen. Denn es sind jeweils u. a. diese Elemente, aus denen das RG das Zustandekommen des Vertrags, somit den haftungsbegründenden Tatbestand, folgerte.222 Wenn es um die Kenntnis von Bedürfnissen nach verlässlichen Auskünften geht, geht es um innere Abläufe des Anwalts. Für den Dritten ist der Beweis solch innerer Abläufe schwierig, wenn sie nicht nach außen getreten sind, z. B. durch entsprechende Äußerungen, oder aber der Rückschluss über Indizien möglich ist. Geht man von diesem Ansatz aus, müsste dann aber gerade auch der Rückschluss auf die Kenntnis des Anwalts dadurch eröffnet werden. ff) Antizipierbarkeit als Problem auf Seiten des Anwalts Während sich der Dritte nach dem reichsgerichtlichen Ansatz u. a. der bezeichneten Beweislastproblematik gegenübersieht, ist der Anwalt mit Problemen aus einem anderen Blickwinkel konfrontiert. Rückt man wiederum die „Kenntnis“ in den Fokus, die ja maßgeblichen Einfluss auf die Haftung haben soll, so kann/muss man in Bezug auf den Anwalt damit zunächst zwei Aspekte verbinden: eine Reflexionstätigkeit und letztlich untrennbar damit verbunden eine Antizipationsleistung. Soll das Verhalten des Anwalts zu einem seine Haftung begründenden stillschweigenden Auskunftsvertrag führen, muss ihm jedenfalls die Antizipation solcher Konsequenzen zunächst möglich sein. Es geht dann aber nicht zuletzt auch um die Erwartungen, die der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) an ihn (Anwalt) richtet, nämlich solche einer ver220
So etwa Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 284 Vorb, Rn. 23. Das betrifft im Grunde ebenso den Bezug der begehrten Information zum anwaltlichen Tätigkeitsfeld. 222 Siehe auch Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 82, die ausführt, in der Regel trage der Geschädigte als Kläger im Streitfall die Beweislast für den Vertragsschluss. 221
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bindlichen, ggf. haftungsbewerten Auskunft. Die Abläufe, die diesbezüglich relevant sein können, wurden nicht zuletzt im Ansatz Meads erläutert, beim „taking the role of the other“. Dort ging es um die Antizipation des Verhaltens des anderen, um das eigene Verhalten darauf einrichten zu können. Antizipation erfordert aber stets auch Reflexion, etwa in Bezug auf erworbene eigene Erfahrungen, z. B. hinsichtlich früheren Verhaltens des Dritten, oder in Bezug auf existierende Normen.223 Danach richtet sich das weitere Handeln, die Reaktion (des Anwalts). Für den Anwalt kann sich der Antizipations- und Reflexionsprozess in unterschiedlicher Weise darstellen. (1) Aktive (gewollte) Erwartungsentwicklung Vorstellbar ist, dass der Anwalt aktiv am Erwartungsaufbau beim Dritten (bezüglich einer verlässlichen Auskunft224) mitwirkt und dies auch will, z. B. durch Versprechungen, Angaben des (eigenen) Mandanten zu überprüfen oder überprüft zu haben225. Das heißt, er möchte entsprechende Erwartungen im Dritten erzeugen, etwa um diesen zum Vertragsschluss zu bewegen. Dann reflektiert der Anwalt auch in angezeigter Weise darüber, das heißt, dementsprechend ist eine „Kenntnis“ zu bejahen. Am deutlichsten tritt dies beim, hier allerdings nicht zu vertiefenden, ausdrücklichen Auskunftsvertrag mit dem Dritten zu Tage. Es geschieht dann weiterhin sogar ex voluntate, gestützt auf den beschriebenen reflexiven Prozess, der gerade auch die Antizipation um die Folgen des gewollten Erwartungsaufbaus betrifft: ein (vertragliches) sich Festhalten lassen. Mit dem Vertragsschluss gehen die entsprechenden Erwartungen des Dritten an den Anwalt einher, die die haftungsrechtlichen Konsequenzen begründen können.226 Eine solche Eindeutigkeit in Bezug auf einen (gewollten) Erwartungsaufbau, entsprechende Reflexion und nach außen tretende Reaktion (Vertragsschluss) werden jedoch, wie eingangs betont, selten sein.
223
Erworbene Erfahrungen oder Normen können, um wieder Mead zu folgen, im „Me“ gespeichert werden, oder dort schon vorhanden sein. Der Reflexionsprozess besteht dann im Zugriff auf sie einerseits und der Entscheidung andererseits, wie man sich ihnen gegenüber „verhalten“ will. Das ist der zuvor analysierte Dialog zwischen „I“ und „Me“ bei Mead. 224 Das gilt ebenso für die Erteilung eines Rats oder einer Empfehlung. 225 Vgl. dazu im Kontext eines von der Rechtsprechung als Anhaltspunkt für einen Vertragsschluss gewerteten Aspekts BGH WM 1965, 287, 288; dort wurde u. a. darauf abgestellt, der Fachmann, ein Buchprüfer, hätte jedenfalls eindeutig im Prüfungsvermerk klarstellen müssen, dass er keine Prüfungen vorgenommen habe und deshalb für die Richtigkeit der Ziffern keinerlei Gewähr übernehmen könne. 226 Die Bedeutung des „ex voluntate“ begründenden Verpflichtungswillens steht schlüssig zu den Anforderungen der Rechtsgeschäftslehre, nämlich dem Vorliegen einer Willenserklärung. Ob die Rechtsprechung sich dazu beim stillschweigenden Auskunftsvertrag widerspruchsfrei verhält, wird noch aufzugreifen sein.
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(2) Fokussierung auf objektivierte Merkmale In der Entscheidung RGZ 52, 365 ff. hob das RG das Tätigkeitsfeld des Anwalts227 sowie der Bedeutung der Auskunft für den Dritten228 hervor, bei deren Vorliegen, sofern anwaltliche Kenntnis hinzutritt, ein (stillschweigender) Auskunftsvertrag die Konsequenz war. Grundsätzlich bedeutet das aber, dass bereits das Vorliegen der objektivierten Merkmale die „Gefahr“ in sich birgt, zu der Konsequenz in Form eines (haftungsbewehrten) Vertragsschlusses zu führen. Voraussetzungen (Berufstätigkeit, damit zusammenhängende Auskunft, Relevanz für den Dritten) und damit verknüpfte Erwartungen (korrekte, ggf. aufgrund Vertragsschlusses haftungsbewehrte Auskunft) können als für viele Fälle geltendes Verhaltensmuster beim Anwalt „gespeichert“229 und zum Zweck der Antizipation vorgehalten werden. Reflektiert der Anwalt über das entsprechende „Paket“, liegt also „Kenntnis“ vor, so weiß er um die ihn treffenden Folgen; die Voraussetzungen für den Vertragsschluss im Sinne des RG sind geschaffen, wenn der Anwalt die Auskunft erteilt. Vor dem Hintergrund der „klassischen“ RG-Entscheidung wären die vom Anwalt zu wählenden Reaktionsformen problematisch. Selbstverständlich könnte der Anwalt, wie unter (1) erläutert, „offensiv“ einen Vertragsschluss eingehen, nicht mehr stillschweigend, sondern ausdrücklich. Abgesehen davon, dass dies sein eigener Mandant in der Regel nicht gutheißen würde,230 könnte der Anwalt dies auch möglicherweise nur deshalb tun, weil er erkennt, dass ihm ohnehin bei Vorliegen bestimmter objektivierter Voraussetzungen der Vertragsschluss „droht“, sobald er die Auskunft erteilt. Eigentlich will er aber den Vertragsschluss zumeist nicht. Dann könnte die anwaltliche Reaktion an sich nur darin bestehen, den potentiellen Vertragsschluss zu verhindern, indem er z. B. die Auskunft verweigert, oder diese offensiv unter den Vorbehalt möglicher Unrichtigkeit stellt. Auch ein solches Vorgehen ist wiederum vielfach nicht im Interesse des eigenen Mandanten, weil dadurch z. B. die Vertragsverhandlungen belastet werden können. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass der Anwalt, der für seinen Mandanten in Vertragsverhandlungen eintritt, latent als Fachmann (objektiver Umstand) der Erwartung ausgesetzt sein kann, bezüglich für den Dritten relevanter Umstände etwaige Auskünfte (haftungsbewehrt) richtig erteilen zu müssen. Er wird also seine reflexive Erkenntnis eher nutzen müssen, um die Erwartungen (aktiv) zu zerstören. 227
Es wurde auch der Bezug der Auskunft hierauf angeführt. Die Auseinandersetzung um dieses Merkmal wird aber nicht immer im Zusammenhang mit der Entscheidung RGZ 52, 365 ff. vertieft, siehe etwa Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 45, der das objektivierte Kriterium der Zugehörigkeit der erteilten Auskunft zu seinem Berufskreis betont. 229 Im Duktus von Mead werden sie also im „Me“ vorgehalten. 230 Hier zeigen sich auch wiederum die Auswirkungen des (heutigen) § 43a Abs. 4 BRAO, der das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen formuliert. 228
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Sollte der Anwalt keine „zerstörende“ Handlung vornehmen, müsste man bei der beschriebenen latenten Erwartungshaltung die erteilte Auskunft als Ausdruck eines vertraglichen Bindungswillens auffassen. Dann ergibt sich aber weiterhin das Problem, wie Situationen zu bewältigen sind, in denen der Anwalt gar keinen Reflexionsprozess vorgenommen hat, das heißt, gar nicht aufgrund der Umstände antizipiert hat, dass er bestimmten (haftungsbewehrten) Erwartungen mit seiner Auskunft genügt. Sein Verhalten (Auskunft) als Fachmann gegenüber einem auf Auskunft angewiesenen Dritten bleibt aber äußerlich gleich. gg) Zwischenresümee Nimmt man im Anschluss an RGZ 52, 365 ff. die Kenntnis des Anwalts insbesondere um die Bedeutung der Auskunft für den Dritten als Voraussetzung „ernst“, zeigen sich somit weitere Schwierigkeiten um den dort gewählten Ansatz des stillschweigenden Auskunftsvertrags. Aus Sicht des Dritten bleibt die Suche primär nach objektivierten Maßstäben (Merkmalen, aber auch an objektivierte Umstände anknüpfende Indizien), um der Beweislast zu „gehorchen“. Der Anwalt selbst kann objektivierte Maßstäbe als Orientierung zur Antizipation nutzen. Die Antizipation müsste ihn jedoch vielfach zu der Reaktion führen, etwa eine, gerade u. U. in der Verhandlungssituation im Interesse seines (eigenen) Mandanten angezeigte, Auskunft zu unterlassen, oder unter den Vorbehalt der etwaigen Unrichtigkeit zu stellen. Ein positiv gestaltendes Handlungselement eröffnet ihm die Antizipation (Kenntnis) somit kaum. Sind aber letztlich die objektivierten Vorgaben wesentlich, muss die Frage bleiben, ob die Kenntnis als Voraussetzung im Kontext eines stillschweigenden Abschlusses eines Auskunftsvertrags tatsächlich noch von Relevanz sein kann. Dann muss aber ebenfalls, nicht zuletzt aufgrund einer Form von „Rollenehrlichkeit“ (warum bestehen bestimmte Erwartungen), die Problematik um die Schlüssigkeit einer anwaltlichen Haftung aufgrund Vertrags weiter diskutiert, bzw. die mannigfachen Gedanken/Kritikpunkte bezüglich der RG-Entscheidung in den Kontext weiterer/anderer Haftungskonzepte gestellt werden. 2. Willenselement im Kontext von Antizipation und Reaktion – Fortentwicklung der Rechtsprechung So wie sich die Frage nach der Notwendigkeit der „Kenntnis“ (nochmals) stellen wird, muss auch die Notwendigkeit nach dem Vorliegen eines anderen Elements wieder aufgegriffen werden, nämlich der nach dem Vorliegen (welchen) Willenselements auf Seiten des Anwalts.
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Die bisherigen Überlegungen (ausgehend von der Entscheidung RGZ 58, 365 ff.) zu Reaktionsmöglichkeiten des Anwalts in Folge einer Antizipationsleistung (oder einer fehlenden) liefen darauf hinaus, dass der Fokus des Anwalts im Grunde auf eine zum (etwaigen) (Auskunfts-)Vertragsschluss „zerstörende“ Handlung gerichtet sein müsste, er dies aber ggf. aus Rücksichtnahme auf seinen Mandanten unterlässt. Eine gleichwohl getätigte Auskunft wird nach den Ausgangsausführungen in RGZ 52, 365 ff. als zum Vertragsschluss führend angesehen. Das RG beschäftigte sich nicht mit (positiven) Willensbetätigungen des Anwalts, insbesondere setzte es sich nicht explizit damit auseinander, ob denn überhaupt eine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung desselben vorlag. Gleichwohl wird das Urteil als Bemühen des RG gesehen, einen Vertragsschluss jedenfalls noch zu begründen.231 Eine Untersuchung, ob man anhand der Vorgaben des RG (Z 52, 365 ff.) insbesondere auf anwaltlicher Seite die Bestandteile einer Willenserklärung (bezüglich eines Angebots oder einer Annahme) ausmachen kann, könnte nochmals das anwaltliche Dilemma, das sich bereits im Kontext um die oben beschriebene Antizipation zeigte, weiter verdeutlichen. So könnte man zwar noch in der Erteilung einer Auskunft (Rats, Empfehlung) selbst grundsätzlich den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung ausmachen232. Problematisch ist allerdings, ob auch der innere Tatbestand für eine Willenserklärung jeweils beim Anwalt vorliegt. Begreift man den inneren Tatbestand einer Willenserklärung als bestehend aus Handlungs-, Erklärungs- und Geschäftswillen,233 so kann man daran anschließend wiederum die oben angerissene Diskussion um eine „Rollenehrlichkeit“ als Argument anführen. Es ging insoweit darum, ob und warum sich ein Einzelner (hier der Auskunft erteilende Anwalt) bestimmten Erwartungen (haftungsbewehrte Auskunftserteilung) aussetzt/aussetzen muss. Hätte er etwa im Fall der Auskunft einen Erklärungswillen234, das heißt, ist ihm bewusst, etwas rechtlich Relevantes zu tun, kann das ggf. maßgeblichen Aufschluss darüber geben, dass er sich bestimmten Erwartungen aussetzen will. Jedoch soll eine nähere Auseinandersetzung darum, ob (bereits) die ursprünglichen (insbesondere die in RGZ 52, 365 ff.) reichsgerichtlichen Erwägungen argumentativ den Weg zur Annahme einer Willenserklärung bereiten konnten, gleichwohl an dieser Stelle unterbleiben. Dies soll nicht primär angesichts der in RGZ 52, 365 ff. selbst angelegten „Zurückhaltung“ hinsichtlich der Frage, ob eine Willenserklärung vorliegt, geschehen.
231
Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftung, § 5, Rn. 5. Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 47. 233 Dazu u. a. Bork, AT des BGB, Rn. 578 ff.; Brox/Walker, AT des BGB, § 4, Rn. 16 ff. 234 Erst recht, wenn ein entsprechender Geschäftswille vorläge. 232
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a) Irrelevanz des tatsächlichen Willens Vielmehr lässt die Fortentwicklung der Rechtsprechung235 einen anderen Argumentationsbogen (zunächst) angezeigt sein. Die Rechtsprechung baute im weiteren Verlauf die bereits in RGZ 52, 365 ff. ausgemachten Tendenzen aus, indem sie objektivierte Umstände in den Vordergrund stellte, das Wissenselement und vor allem das Willenselement zurückdrängte. Das RG hatte im weiteren Verlauf es als ausreichend angesehen, dass Aufkunftsgeber und Auskunftsnehmer miteinander in Verbindung getreten waren und diese Verbindung nach der bürgerlichen Rechtsordnung als vertraglich anzusehen war.236 Diese Formulierung ermöglicht eine Beurteilung (allein) nach objektivierten Maßstäben, indem man Elemente (z. B. die Anwaltseigenschaft, die Relevanz der Auskunft) bestimmt, die für die Anwendung von Vertragsrecht entscheidend sein sollten. Damit einher geht dann auch die Irrelevanz einer (positiven) Kenntnis, da es auf eine externe Sichtweise (nach bürgerlichem Recht anzusehen) ankommt. Maßgeblich kann dann allenfalls noch eine Erkennbarkeit der Umstände sein. Konsequenterweise wird diese Strömung bezüglich des Willens richtigerweise dahingehend ausgemacht, dass der tatsächliche Wille bedeutungslos ist.237 Man kann daher von dem Boden der Rechtsgeschäftslehre kommend die heftige Kritik [„formelhafte (…) Begründung“]238 nachvollziehen. Das Vorliegen einer Willenserklärung ist hier letztlich nicht mehr von Interesse. Gleichwohl, und das wird sogleich auch nochmals aufzugreifen sein, „verdient“ diese vergangene Rechtsprechung durchaus besondere Beachtung. Denn sie lenkt den Blick auf klare Strukturen für die Begründung von Erwartungen, denen sich der Anwalt in bestimmten Situationen ausgesetzt sehen kann: Gibt er als Anwalt einem Dritten eine für diesen relevante Auskunft, so droht die (vertragliche) Haftung. Kenntnis und Wille zur Haftung sind irrelevant; die abstrakte Möglichkeit einer Kenntnis um die Umstände genügt, sie begründet allerdings grundsätzlich auch eine Antizipation. Die vorgehende Beschreibung ist typisch für ein Wechselspiel von Position und Rollenerwartung, welches nicht ex voluntate begründet worden ist, sondern z. B. auf
235
Die einzelnen Entwicklungsstufen der Rechtsprechung können und sollen hier nicht im Detail dargestellt werden. Eine Konzentration auf wesentliche Entwicklungsstufen unter besonderer Berücksichtigung der „Ausgangsentscheidung“ ist hier ausreichend. Sich genauer mit den einzelnen Entwicklungen in der Rechtsprechung auseinandersetzend u. a. Jost, Die vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 41 ff. 236 Siehe etwa RG JW 1928, 1134, 1135; RG JW 1933, 510, 510; RG JW 1933, 2701 f. Diese Tendenz findet sich auch noch in der älteren BGH-Rechtsprechung, so in BGHZ 7, 371, 375. 237 Siehe dazu Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 3; Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 5. 238 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 4.
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der (bloßen) Besetzung einer Position (Stellung in der Gesellschaft) beruht, an die (willensunabhängig) bestimmte Erwartungen geknüpft werden. b) „Rückbesinnung“ auf die Rechtsgeschäftlichkeit aa) Veränderte Ausrichtung der Rechtsprechung Im späteren Verlauf findet sich eine Rechtsprechungsentwicklung, die auch als die Rückbesinnung auf die Rechtsgeschäftlichkeit ausgemacht werden kann.239 So soll nach der BGH-Rechtsprechung (mittlerweile)240 ein „stillschweigende(r) Abschluss eines Auskunftsvertrags zwischen Geber und Empfänger der Auskunft und damit eine vertragliche Haftung des Auskunftgebers für die Richtigkeit seiner Auskunft regelmäßig dann anzunehmen (sein), wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will; dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Auskunftgeber für die Erteilung der Auskunft besonders sachkundig oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse bei ihm im Spiel ist (…). (…) (D)ieser Rechtsprechung (sei) allerdings nicht zu entnehmen, dass für das Zustandekommen eines Auskunftsvertrags ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des jeweiligen Falls allein schon die Sachkunde des Auskunftgebers und die Bedeutung der Auskunft für den Empfänger ausreichen. Diese Umstände stell(t)en vielmehr lediglich Indizien dar, die, wenn auch mit erheblichem Gewicht, in die Würdigung der gesamten Gegebenheiten des konkreten Falls einzubeziehen s(…)(eien). Für den stillschweigenden Abschluss eines Auskunftsvertrags (…) (sei) entscheidend darauf abzustellen, ob die Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses den Rückschluss zul(…)(ießen), dass beide Teile nach dem objektiven Inhalt ihrer Erklärungen die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht h(…)(ätten) (…).“241 239
Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn 7, spricht davon, dass der BGH mit seiner Entscheidung vom 24. 1. 1978 (WM 1978, 576, 577) wieder auf den Boden der Rechtsgeschäftslehre zurückgekehrt sei. Dazu, dass der BGH mittlerweile die Auskunftshaftung auf den übereinstimmenden Vertragswillen der Beteiligten stütze, auch Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 11, Rn. 7. Die Betonung der Rechtsprechung nun in Bezug auf den erkennbar beiderseitigen rechtsgeschäftlichen Willen herausstellend Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 5. Zum Festhalten der BGH-Rechtsprechung an der Rechtsgeschäftslehre auch Truli, Dienstleistungshaftung, S. 227. 240 Auf die Darstellung der einzelnen Entwicklungsstufen, die die Rechtsprechung in Abkehr von den reichsgerichtlichen Urteilen, insbesondere jenen, die den tatsächlichen Willen obsolet werden ließen, genommen hat, soll hier verzichtet werden. Siehe dazu u. a. Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 56 ff.; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 41 ff.; Müller, Auskunftshaftung, S. 44 ff.; Truli, Dienstleistungshaftung, S. 226 ff. 241 So BGH NJW 2009, 1141, 1142, mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen (die Entscheidung bezog sich auf die telefonische Auskunft eines Steuerberaters). Zu den Aspekten auch OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35; OLG Hamm ZIP 2021, 2279, 2280. Siehe auch die Auswertung der Rechtsprechung durch Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 11, Rn. 10, unter Anführung (Fn. 17) u. a. von BGH NJW 1972, 678, 680; NJW 1973, 321, 323; NJW 1986, 180; NJW-RR 1986, 1307 f.; BGH WM 1988, 1828, 1829;
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In der Tat scheint damit ein Weg gefunden worden zu sein, den (stillschweigenden) Auskunftsvertrag nicht unter Widerspruch zur Rechtsgeschäftslehre zu begründen. Argumentativ „scheint“ das Vorliegen entsprechender, sich gegenseitig deckender Willenserklärungen von Auskunftsgeber und -nehmer, die zu einem Vertragsschluss führen, bewältigt zu sein. Eine Willenserklärung als „Manifestation des Rechtsfolgewillens“242 erfordert grundsätzlich einen äußeren Tatbestand sowie einen inneren Tatbestand.243 Nicht zuletzt im Umgang mit etwaigen subjektiven Elementen der Willenserklärung liegt die „Lösung“ der Rechtsprechung begründet. Mittels der Beurteilung dieser subjektiven Elemente wird jedoch andererseits erneut deutlich werden, dass die Begründung eines stillschweigenden Auskunftsvertrags letztlich keine befriedigende Lösung ist, jedenfalls nicht im Kontext mit der Erteilung von Auskunft, Rat, Empfehlung vor allem innerhalb von Vertragsverhandlungen244 durch den von einer Seite mandatierten Anwalt. bb) Objektive Elemente der Willenserklärung Der äußere Tatbestand für eine Willenserklärung kann ausdrücklich, aber auch konkludent erfolgen; ausreichend ist es also, wenn irgendein Verhalten auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen ließen lässt.245 Ein äußeres Verhalten, an das insoweit angeknüpft werden kann, liegt jedenfalls in dem, bezogen auf die Vertragsverhandlungen, in der Regel mündlich erfolgenden Ausspruch der Auskunft (Rat, Empfehlung) vor.246 Ob bezogen auf dieses äußere Verhalten tatsächlich von einer Willenserklärung gerade des Anwalts247 ausgegangen werden kann, hängt maßgeblich davon ab, ob und welche Rückschlüsse dieses Verhalten auf die subjektiven Elemente der Willenserklärung zulässt. BGH NJW 1992, 2080, 2082; NJW 1993, 3073, 3075; BGH WM 1995, 941, 943; WM 1998, 1771, 1772; BGH ZIP 1999, 275; BGH WM 2000, 426, 427; BGH ZIP 2003, 1928, 1929; BGH WM 2009, 369, 370, Tz. 10 ff. Siehe ebenfalls BGH vom 20. 12. 2011 – IX ZR 148/09; hierzu auch die Darstellung von Fischer, VersR 2013, 525, 525. 242 Bork, AT des BGB, Rn. 566; Hervorhebung bei Bork. 243 Bork, AT des BGB, Rn. 566. 244 Aufgrund der Fokussierung auf diese Situation soll ein Aufgreifen der Problematik um den Auskunftsvertrag „mit dem, den es angeht“ unterbleiben. Dazu u. a. Truli, Dienstleistungshaftung, S. 229 f., unter Hinweis (Fn. 72) auf BGHZ 12, 105, 109; BGH WM 1966, 1148; BGH NJW 1970, 1737. 245 Bork, AT des BGB, Rn. 566. 246 Siehe dazu auch Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 47. Die Hinzuziehung des Auskunfsempfängers zu Vertragsverhandlungen auf sein Verlangen hin als ein Indiz innerhalb zu würdigender Gesamtumstände für die Klärung anführend, ob ein stillschweigender Auskunftsvertrag vorliegt, OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35. 247 Der BGH, u. a. in NJW 2009, 1141, 1142, betont, dass „beide Teile nach dem objektiven Inhalt ihrer Erklärungen die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht haben“. Demnach muss selbstverständlich auch in Person des Auskunftsempfängers eine Willenserklärung in Bezug auf den Vertragsschluss ausgemacht werden. Dieser Aspekt soll jedoch unter Konzentration auf das anwaltliche Verhalten vernachlässigt werden.
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cc) Subjektive Elemente der Willenserklärung und ihre Erforderlichkeit Da der Einzelne mit der Willenserklärung bestimmte Rechtsfolgen herbeiführen will, also ein Rechtsfolgewillen vorhanden sein muss, wird für den subjektiven Tatbestand einer (fehlerfreien) Willenserklärung grundsätzlich das Vorliegen der Trias von Handlungs-, Erklärungs- und Geschäftswillen gefordert.248 Während der Handlungswille als Bewusstsein zu handeln249 bei der Auskunftserteilung keine Schwierigkeit bereitet, ergibt sich diese mit Nachhaltigkeit in Bezug auf den Erklärungswillen. Gemeint ist damit das Bewusstsein als Erklärender, sich mit seiner Erklärung rechtserheblich zu verhalten.250 Das würde hinsichtlich eines eine Auskunft erteilenden Anwalts grundsätzlich bedeuten, dass dieser sich bewusst sein muss, mit der Auskunft eine (zum Vertragsschluss) führende Willenserklärung abzugeben. Einen entsprechenden Willen hat der Anwalt jedoch vielfach nicht. Er will mit der Äußerung gerade aus den schon aufgezeigten Gründen (z. B. dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO251) gegenüber dem Dritten keine Willenserklärung abgeben. Ein solcher tatsächlicher Wille ist jedoch auch innerhalb der Rechtsgeschäftslehre ggf. irrelevant.252 Es ist für die Beurteilung, ob eine Willenserklärung gegeben ist, ausreichend, wenn beim Erklärenden ein so genanntes potentielles Erklärungsbewusstsein vorliegt.253 Es genügt, „wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung auf-
248
So Bork, AT des BGB, Rn. 578. Bork stellt somit den Bezug zu der genannten Trias her. Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 47, verortet den Rechtsbindungswillen beim Geschäftswillen; so auch Truli, Dienstleistungshaftung, S. 227. Begreift man den Erklärungswillen (das Erklärungsbewusstsein) als maßgeblich dafür, eine Erklärung rechtlich relevant werden zu lassen, dazu in kritischer Auseinandersetzung Jauernig/Mansel, BGB, Vorbemerkungen § 116, Rn. 5, so stellen sich die Fragen, ob man sich rechtlich binden will, aber im Besonderen dort. Siehe auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. 9. 2014, L 11 KA 88/13 B, Rz. 24, wo der Rechtsbindungswille und das Erklärungsbewusstsein gleichgesetzt werden. 249 Brox/Walker, AT, § 4, Rn. 16. 250 So Bork, AT des BGB, Rn. 593; siehe auch u. a. Brox/Walker, AT des BGB, § 4, Rn. 17. 251 Einen schweren Interessenkonflikt für Berufsgruppen, die in enger Vertrauensbeziehung zu ihrem Vertragspartner stehen, anführend, Büttner, Dritthaftung von Experten, S. 6. 252 Zu der damit zusammenhängenden Diskussion um den Geltungsgrund für eine Willenserklärung siehe noch die Diskussion innerhalb der Kritik an dem neueren Rechtsprechungsansatz. 253 So ist herrschende Meinung u. a. OLG Hamm, Urteil vom 28. 06. 2011, I-7 U 54/10, 7 U 54/10, Rz. 38; Bork, AT des BGB, Rn. 596; siehe auch etwa BGH NJW 2007, 368, 369; BGH NJW-RR 2001, 1130, 1131 (allerdings jeweils ohne die Begrifflichkeit des potentiellen Erklärungsbewusstseins). Außerdem u. a. (ebenfalls ohne die entsprechende Begrifflichkeit) Grüneberg/Ellenberger, BGB, Einf. v. § 116, Rn. 17.
D. Juristische Haftungsansätze
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gefasst werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (…)“254. Ausgehend davon scheint auch die (letzte) Rechtsprechungsentwicklung255 bezüglich des Vorliegens eines Auskunftsvertrags stimmig zu sein. Entscheidend für den zu einer Willenserklärung führenden (potentiellen) Erklärungswillen des Anwalts sind danach die nach dem „objektiven Inhalt“ seiner Erklärung unter „Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses“ zu beurteilenden „Gesamtumstände“.256 Das heißt für den jeweiligen Anwalt mehreres: Sein wirklicher Wille spielt, wie auch schon zuvor betont, keine entscheidende Rolle.257 Auch eine positive Kenntnis im Sinne einer Reflexion, dass die andere Seite sein Verhalten als Willenserklärung auffasst, ist nicht vonnöten. Maßgeblich ist die Erkennbarkeit258. Hierfür relevant sind äußere Faktoren. Gleichsam als deren „Sockel“259 macht die Rechtsprechung die „Sachkunde des Auskunftgebers“ und die „Bedeutung seiner Auskunft für den Empfänger“ aus.260 Zwar betont der BGH, dass diese Umstände nicht allein ausreichen, um einen Auskunftsvertrag anzunehmen.261 Zu berücksichtigen seien im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall auch weitere Umstände, z. B. ein „persönliches Engagement in Form von Zusicherungen nach Art einer Garantieübernahme“262, die „Hinzuziehung des Auskunftgebers zu Vertragsverhandlungen auf Verlangen des Auskunftsempfängers“263 oder die „Einbeziehung in solche Verhandlungen als unabhängige neutrale Person“264.265 254 So BGH NJW 2007, 368, 369, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. Kritik an der Rechtsprechung darstellend etwa Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 69 ff. 255 Siehe zuvor unter b) aa). 256 Zu den hervorgehobenen Stellen BGH NJW 2009, 1141, 1142, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 257 Büttner, Dritthaftung von Experten, S. 7, betont, dass die Haftung der Experten in Ermangelung besonderer Umstände weniger ex voluntate als vielmehr einem Verkehrsbedürfnis entspringe. 258 BGH NJW 2009, 1141, 1142. 259 Hervorhebung durch die Verfasserin. Dazu, dass dann nach der Rechtsprechung (Auswertung bis 1992) mehr für das Vorliegen eines Auskunftsvertrags spricht, Müller, Auskunftshaftung, S. 49. 260 BGH NJW 2009, 1141, 1142. Zu allgemeinen Indizien für das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens in der Rechtsprechung bezüglich des Abschlusses eines Auskunftsvertrags Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 51 f. Müller, Auskunftshaftung, S. 45, führt, unter Auswertung der Rechtsprechung bis 1992, aus, das Verhältnis zwischen der Erkennbarkeit der Wesentlichkeit der Auskunft für den Empfänger und u. a. der Sachkunde werde nicht deutlich gemacht. 261 BGH NJW 2009, 1141, 1142. 262 BGH NJW 2009, 1141, 1142, unter Verweis auf BGHZ 7, 371, 377 und BGHZ 36, 379. Siehe auch OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35. 263 BGH NJW 2009, 1141, 1142, unter Verweis auf BGH WM 1966, 1283, 1284; OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35. 264 BGH NJW 2009, 1141, 1142, unter Verweis auf BGH NJW 1972, 678; OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Alles das ändert aber nichts daran, dass für die Antizipierbarkeit (Erkennbarkeit) von Haftungsgefahren durch einen Auskunftsvertrag für den Anwalt ganz entscheidend die Faktoren der eigenen Sachkunde sowie Bedeutung der Auskunft für den Empfänger sind.266 Auch wenn der BGH letzteren „nur“ den Status von „Indizien“267 einräumt, weist er ihnen als solchen aber „erhebliche(…)(s) Gewicht“ zu.268 Das heißt für den Anwalt aber dann Folgendes: Sobald diese objektivierten Umstände vorliegen, muss er mit der Gefahr rechnen, dass es zu einer Bewertung, wenn auch unter Hinzuziehung weiterer Umstände, seiner Auskunft als einer Erklärung mit (potentiellem) Erklärungswillen kommt.269 Eine solche kann dann eben270 zum „Abschluss“ eines Auskunftsvertrags mit den damit einhergehenden Haftungsfolgen führen. Bewegt sich die Rechtsprechung mit ihrer Argumentation, die im Übrigen ebenso für die Bejahung eines Geschäftswillens (Wille, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen271) bezüglich des Abschlusses gerade eines Auskunftsvertrags „trägt“,272 auch auf dem Boden der Rechtsgeschäftslehre,273 muss die Kritik einer damit begründeten Annahme des Vorliegens eines (stillschweigend) geschlossenen Vertrags gleichwohl bestehen bleiben. Den entscheidenden Ansatz dafür liefert die zuletzt getroffene Feststellung, dass, sobald bestimmte Faktoren (Sachkunde, Bedeutung für die andere Seite) vorliegen, „Gefahrenbewusstsein“ beim Anwalt vorhanden sein muss, will er eine (vertragliche) Haftung vermeiden.274
265 Zum Vorliegen weiterer Indizien für das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens beim Auskunftsvertrag Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 56 ff. Eine umfangreiche Zusammenstellung von Kriterien aus der Rechtsprechung findet sich bei Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 76 ff. 266 So nahm der BGH (NJW 2004, 3630, 3632) zwischen einem Anwalt und einem Dritten, der beim Anwalt bzgl. der Risiken einer Kautionsbereitstellung direkt nachfragte und eine Anwort erhielt, einen Auskunftsvertrag an. 267 Dazu auch Müller, Auskunftshaftung, S. 45. 268 BGH NJW 2009, 1141, 1142. 269 Die im Kontext um die reichsgerichtliche Ausgangsentscheidung ausgemachte Problematik darum, was der Anwalt antizipieren muss, findet hier ihre Fortführung. 270 Sofern ein entsprechendes Annahmeverhalten beim Auskunftsempfänger vorliegt. 271 Brox/Walker, AT des BGB, § 4, Rn. 18. 272 Die Rechtsprechung bezüglich der Erteilung der Auskunft gerade auch auf den Geschäftswillen beziehend Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 63, 49. 273 Das gilt mit entsprechenden Argumenten im Grunde bereits für die ursprüngliche reichsgerichtliche Rechtsprechung in RGZ 52, 365 ff. 274 Auch hier zeigt sich wiederum die grundlegende Bedeutung der an der ursprünglichen reichsgerichtlichen Entscheidung geübten Kritik.
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3. Bleibende Kritik275 am Ansatz des stillschweigenden Auskunftsvertrags Der als Interessenvertreter mandatierte Anwalt hat, das wurde bereits verschiedentlich sehr deutlich, in der Regel nicht den Wunsch, mit dem Dritten einen (Auskunfts-)Vertrag abzuschießen. Gründe dafür sind das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO oder auch der fehlende Wille, gegenüber dem Dritten eine vertragliche haftungsbewährte Verpflichtung einzugehen276. Sein eigenes Interesse geht somit dahin, entsprechende vertragliche Rechtsfolgen nicht eintreten zu lassen. Nun ist grundsätzlich die Willenserklärung das „Transportmittel“ dafür, dass (nur) solche Rechtsfolgen eintreten, die auch gewollt sind. Der Anwalt müsste sich also, käme es (allein) auf seinen wirklichen Willen an, keine „Sorgen“ machen, dass ihm eine vertragliche Haftung droht. U. a. aufgrund des Rückzugs auf ein potentielles Erklärungsbewusstsein namentlich durch die Rechtsprechung bietet sich auf dem Weg aber keine Lösung für den Anwalt an. Denn er muss gerade damit rechnen, dass, sobald bestimmte äußere Umstände (Sachkunde277; Bedeutung der Auskunft für die andere Seite) vorliegen, die zuvor beschriebene „Gefahr“ besteht, dass seine (erteilte) Auskunft als Willenserklärung für einen Auskunftsvertrag aufgefasst werden kann. Zwar sind diese Umstände nach der Rechtsprechung nicht allein ausreichend, es müssen vielmehr die Gesamtumstände berücksichtigt werden. Deshalb wird ein antizipierend vorgehender Anwalt in eigener Interessenwahrnehmung bei „tatbestandlicher Feststellung“ eigener Sachkunde sowie einer Bedeutung für den Dritten seine (etwaige) Willensbetätigung dazu nutzen, das Auftreten weiterer „Gesamtumstände“ zu vermeiden, bzw. dem potentiell entstehenden Eindruck einer Willenserklärung ausdrücklich entgegenzutreten278. Es tritt wiederum der „Vernichtungsmechanismus“ zutage, der schon im Zusammenhang mit dem reichsgerichtlichen Ansatz beschrieben wurde. Der Grund für ein solches Vorgehen liegt darin, dass der Anwalt darauf achten muss, einen durch die äußere Erklärung zu rechtfertigenden „Vertrauensschutz“ nicht eingreifen zu lassen. Anschließend an den letzten Gedanken ist zu beachten, dass der Willenserklärung durchaus eine „Doppelfunktion“279 zugewiesen wird: rechtsgestaltender Akt einer275 Die Kritik an der BGH-Rechtsprechung ist ebenfalls vielfältig, dazu u. a. Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 63 ff. Die nachfolgende Kritik soll sich hier auf einen maßgeblichen Aspekt beschränken, der für die weitere Untersuchung relevant ist. 276 Dazu, dass der Anwalt kaum in dem Bewusstsein und dem Willen handele, eine Verdopplung seiner Haftungsrisiken hinzunehmen Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 65; Lammel, AcP 179 (1979), 337, 343; kritisch zu dem Argument Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 64 ff. 277 Siehe auch Müller, Auskunftshaftung, S. 47, wonach die besondere Sachkunde nach dem objektiven Empfängerhorizont ein Anzeichen dafür ist, das die Auskunft vertragliche Haftungsfolgen auslöst. 278 Zum Entgehen der vertraglichen Haftung durch die Verweigerung der Auskunft Müller, Auskunftshaftung, S. 47. 279 Bork, AT des BGB, Rn. 585.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
seits, Vertrauen erfordernde Äußerung gegenüber dem Empfänger andererseits.280 Hintergrund dafür ist u. a., dass die hinter den Funktionen stehenden Interessen (Interesse des Erklärenden, Interesse des Erklärungsempfängers) des Ausgleichs bedürfen.281 Bork282 lehnt insoweit eine „schematisch-deduktive Lösung (…)“ ab und fordert einen „normativen Interessenausgleich“. Die benannte Doppelfunktion und durchaus ein erfolgender Ausgleich der Interessen kommen nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass man über die Willenserklärung, vor allem einfließend in einen Vertrag, das Recht ausgehend von seinen individuellen Interessen selbstbestimmt gestalten kann.283 Dem Willen kommt also vor allem „gestaltende Kraft“284 zu, den die Rechtsordnung auch zu respektieren hat. Andererseits, und dafür streitet u. a. das oben formulierte potentielle Erklärungsbewusstsein, muss Berücksichtigung finden, dass die Willenserklärung ein „Akt zwischenmenschlicher, sozialer Kommunikation“ ist, „als Äußerung auch dazu bestimmt (ist), von anderen zur Kenntnis genommen zu werden.“285 Der „Aussagegehalt der Erklärung (gewinnt) neben dem Willen zusätzliche Bedeutung als Grundlage für den Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers.“286 Hier findet sich somit eine Fokussierung auf die Interessen des Erklärungsempfängers.287 Bezeichnend ist aber, dass der (wirkliche) Wille zwar ggf. aus dem Gedanken des „Vertrauensschutzes“ keine Beachtung findet, dass er aber nicht grundsätzlich seiner (positiv) gestaltenden Wirkung beraubt werden soll und darf. Wenn allerdings in bestimmten Situationen der (wirkliche) Wille nahezu ausschließlich vom Einzelnen 280
Rn. 7. 281
So Bork, AT des BGB, Rn. 585. Siehe auch Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 30,
Dazu, dass die Geltungstheorie versucht, einen solchen Ausgleich herbeizuführen, Bork, AT des BGB, Rn. 585. 282 Bork, AT des BGB, Rn. 585. Siehe a. a. O., Rn. 586, auch zur Sichtweise des Gesetzgebers. Das Gesetz regele die Materie „nach praktischen Gesichtspunkten, die den verschiedenen in Betracht kommenden Interessen thunlichst gerecht werden“; so Bork unter Verweis (Fn. 25) auf Denkschrift, 20 = Mugdan I, 832; vgl. auch Prot. I, 197 = Mugdan I, 710. 283 Zur Geltung des Rechtsgeschäfts aufgrund des Rechts einerseits sowie dem Willen des Einzelnen andererseits, indem „die Rechtsordnung die rechtliche Gestaltung aus Selbstbestimmung in den von der Rechtsordnung anerkannten Akten gelten läßt.“, Flume, AT des BGB, 2. Bd., § 4, 7 (S. 58). Flume (§ 4, 8; S. 60) bezeichnet es auch für das Wesen der Willenserklärung als entscheidend, dass sie „Rechtsgestaltung in Selbstbestimmung“ sei. 284 Innerhalb der „Geltungstheorie“ wird einerseits betont, die Willenserklärung sei Geltungserklärung, sie sei ein bestimmender Akt; siehe dazu Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 30, Rn. 6; siehe ferner auch Bork, AT des BGB, Rn. 585. Kritik an der Geltungstheorie u. a. übend Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 3 f. 285 Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 30, Rn. 7. 286 Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 30, Rn. 7. Zu Rechtfertigungsgründen bezüglich des Vertrauens des Erklärungsempfängers auf den Inhalt der Erklärung, Neuner, a. a. O., Rn. 8 ff. 287 Allerdings eröffnet das Gesetz z. B. im Rahmen der §§ 119 ff. BGB Möglichkeiten, dem wirklichen Willen wiederum Geltung zu verschaffen.
D. Juristische Haftungsansätze
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dazu eingesetzt werden wird, eine (gestaltende) Rechtsfolge zu verhindern, also zerstörerisch zu wirken,288 dann liegt kein für eine Willenserklärung charakteristischer Vorgang vor. Der Einzelne hat dann keinen auf Rechtsgestaltung angelegten Willen. Genau so sind im Grundsatz die Situationen beschaffen, in denen mittels eines stillschweigenden Auskunftsvertrags dem innerhalb einer Vertragsverhandlung Auskunft erteilenden Anwalt ggf. ein Vertragsschluss „zugewiesen“ wird. Er wird, wie mehrfach betont, bei Vorliegen eigener Sachkunde und Bedeutung der Auskunft für den Dritten, sein Augenmerk auf die „Zerstörung“ des Eingreifens weiterer auf eine Willenserklärung äußerlich hindeutender Umstände legen. Es geht dann (nur) um die Vernichtung des „Vertrauensschutzes“, der einzig verbleibenden Funktion für die Willenserklärung289. Sollte dies dem Anwalt nicht gelingen und ihm deshalb eine vertragliche Haftung drohen, kann man in der Tat weiterhin davon sprechen, dass es um die Fiktion einer Willenserklärung geht.290 Geht es aber nur um „Vertrauensschutz“291 und hat die andere Funktion der Willenserklärung letztlich keine Bedeutung, dann sollte man die entsprechenden Situationen auch so behandeln: nicht als Frage einer Willenserklärung,292 sondern als Problem (allein) veranlassten „Vertrauens“. Bedeutsam dafür ist nicht zuletzt ein von der Rechtsprechung für das Vorliegen einer Willenserklärung benanntes Indiz, die Sachkunde. 4. „Ausweg“ über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte? Eine Lösung der Problematik um die Auskunftshaftung des Anwalts auf „vertraglicher“ Ebene kann auch über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte erwogen werden. Vertraglich293 ist eine Lösung über diesen Ansatz vor allem, wenn man, wie vielfach etwa die Rechtsprechung, die Rechtsgrundlage für den Vertrag mit 288
Vgl. auch die Ausführungen zum ursprünglichen reichsgerichtlichen Ansatz. Das würde letztlich den Geltungsgrund der Willenserklärung wieder auf den Stand der Erklärungstheorie reduzieren. Zur Erklärungstheorie Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 27 ff. Zur Ablehnung durch den Gesetzgeber u. a. aufgrund der Existenz des § 118 BGB Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 30, Rn. 5. 290 Das Argument der Fiktion einer Willenserklärung als Kritikpunkt am BGH anführend u. a. von Bar, Verkehrspflichten, S. 231 („klassische Vertragsfiktion“); Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 295 f.; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 617 ff.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 353; Lammel, AcP 179 (1979), 337, 341. 291 Ob tatsächlich im Nachfolgenden mit dem Topos des „Vertrauens“ weitergearbeitet werden sollte, wird noch innerhalb der weiteren Ansätze zu untersuchen sein. 292 Demgegenüber Müller, Auskunftshaftung, S. 49 ff., dazu, dass der BGH bei den Auskunftsfällen im Rechtssystem verbleibt und ein Auskunftsvertrag mit der Erteilung der Auskunft zustande kommen kann. 293 Das Rechtsinstitut als vertraglich ausmachend, allerdings mit objektiv-rechtlichen Voraussetzungen, Leyens, JuS 2018, 217, 220. 289
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Schutzwirkung für Dritte in dem zwischen Gläubiger und Schuldner geschlossenen Vertrag sieht; die Einbeziehung des Dritten erfolgt dann, wenn nicht ausdrücklich vereinbart, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung.294 Die für den Vertrag mit Schutzwirkung ausgemachten Voraussetzungen (Leistungsnähe des Dritten, das berechtigte Interesse des Gläubigers am Schutz des Dritten, Erkennbarkeit der Leistungsnähe und des Interesses für den Schuldner, Schutzbedürftigkeit des Dritten)295 dienen bei der Annahme des Vertrags zwischen Gläubiger und Schuldner als Rechtsgrundlage für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (lediglich) als Auslegungskriterien.296 Bezogen auf den Vertrag zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten, aufgrund dessen u. a. die Pflicht des Anwalts folgt, die Interessen des Mandanten in der Vertragsverhandlung wahrzunehmen, ist problematisch, ob der Dritte (potentielle Vertragspartner) in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags einbezogen werden soll. Eine ausdrückliche entsprechende Regelung297 wird in der Regel fehlen. Anhand der oben genannten Auslegungskriterien298 könnte gerade die Berücksichtigung des berechtigten Interesses des Gläubigers (Mandant) am Schutz des Dritten schwierig sein. Zwar wird in Bezug auf die Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte angeführt, dass etwa gegenläufige Interessen von Gläubiger und Dritten keine Rolle spielen müssen.299 Bezogen auf den Mandanten und den potentiellen Vertragspartner dürfte also deren grundsätzlicher Interessengegensatz „nicht stören“.300 Sofern der Vertrag, aus dem die Schutzwirkung „folgt“, jedoch ein Anwaltsvertrag ist, werden demgegenüber deutlich restriktivere Tendenzen gezeigt.301 Ein 294
Siehe z. B. BGH ZIP 2020, 1720, 1721; NJW 2004, 3035, 3035, 3037; NJW-RR 2004, 1464, 1465; NJW 1996, 2927, 2928; NJW-RR 1986, 1307; NJW 1984, 355, 356; OLG Köln ZIP 2022, 169, 173; OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 85; 91. 295 Siehe dazu erneut u. a. HK-BGB/Fries/Schulze, § 328, Rn. 15 ff.; Jauernig/Stadler, BGB, § 328, Rn. 24 ff., dort bezüglich der Frage der Einbeziehung des Dritten; MK-BGB/ Gottwald, § 328, Rn. 184 ff.; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 33, Rn. 7 ff.; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 23. Die Kriterien gerade auch für den Anwaltsvertrag anführend BGH ZIP 2020, 1720, 1721; OLG Köln ZIP 2022, 169, 173; OLG Hamm ZIP 2021, 2279, 2281; OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 85. 296 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 23. 297 Die Möglichkeit zugrunde legend etwa OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 91. 298 Zum Erfordernis der Vertragsauslegung gerade auch in Bezug auf den Anwaltsvertrag Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 10, Rn. 69; siehe ferner u. a. OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 85; 91. 299 Siehe etwa BGH NJW 1998, 1059 1060; NJW 1995, 392, 392; NJW 1987, 1758, 1759. 300 Der Interessengegensatz ist grundsätzlich anzunehmen. Das zeigt sich schon daran, dass ein Mechanismus hinsichtlich des Vertragsschlusses im gegenseitigen „Abschleifen“ der Interessen gesehen wird. 301 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 33, Rn. 26; Fischer, DB 2012, 1489, 1492; Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 10, Rn. 70 f.; Kilian/ Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 524.
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solcher Vertrag diene grundsätzlich nicht dem Schutz des Vertragspartners des Mandanten.302 Das zeigt sich in Bezug auf einen Anwaltsvertrag, der auch die Vertragsverhandlung zum Gegenstand hat, u. a. darin, dass der Mandant in der Regel wünscht, dass sowohl Tatsachen als auch rechtliche Informationen so dargestellt und platziert werden, dass es für ihn günstig ist;303 das gilt selbst beim konsensualen Verhandeln. Ein etwaiger Wunsch, dass der Anwalt keine falschen, insbesondere rechtlichen Auskünfte gibt, wird vielfach davon getragen sein, dass der Dritte sich z. B. nicht vom Vertrag (etwa durch Anfechtung nach § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB) lösen kann. Ein Gläubigerinteresse (des Mandanten) am Schutz des potentiellen Vertragspartners wird somit in der Regel nicht vorliegen. Betont wird zudem, dass das besondere Vertrauensverhältnis des Anwaltsvertrags ein rein persönliches Verhältnis begründe, was gegen die Einbeziehung des Dritten spreche.304 Die Fälle, in denen die Rechtsprechung einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, soweit es nicht um einen Sachverständigen oder Wirtschaftsprüfer ging,305 gerade bei einem Anwalt annahm, betrafen oftmals die Situationen, in denen gewollte Vermögenszuwendungen an einen Dritten fehlerhaft waren bzw. gerade Schutzwirkungen für Angehörige des Mandanten entfaltet werden sollten.306 302
BGH BeckRS 2018, 30860, Rn. 6; BeckRS 2017, 131188, Rn. 2; BGH NJW 2009, 3297, 3301; NJW 1991, 32, 33; NJW 1977, 2073, 2074 (Dritter nur ausnahmsweise einbezogen). Argumente sind in diesem Kontext die Gegenläufigkeit der Interessen und die notwendige Berücksichtigung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO); dazu in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung Fischer, DB 2012, 1489, 1492. Weiter scheint OLG Saarbrücken ZRI 2023, 212, 216, zu sein, das für das Näheverhältnis darauf abstellte, ob nach dem objektiven Empfängerhorizont Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln ist. Das Gericht führte aber weiter aus, dies sei gerade dann der Fall, wenn ein Dritter die Beratungsleistung als Grundlage für Dispositionen über sein eigenes Vermögen verwenden oder ihm auf ihrer Grundlage ein Vermögensvorteil zugewendet werden soll. Es liegt also eine bewusste Ausrichtung auf den Dritten vor. 303 Dazu bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 376; Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 10, Rn. 70, führt aus, es sei allgemein bekannt, dass ein Rechtsanwalt in derselben Rechtssache mehrere Personen mit widerstreitenden Interessen nicht beraten und vertreten dürfe (u. a. § 356 StGB; § 43a Abs. 4 BRAO); deswegen dürfe ein Dritter regelmäßig nicht erwarten, ein fremder Anwaltsvertrag schütze auch seine Belange. Siehe auch Fischer, DB 2012, 1489, 1492. 304 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 33, Rn. 26; Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 10, Rn. 69 m. w. N. Das Tätigwerden gerade umfassend und ausschließlich im eigenen Mandanteninteresse betonend Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 524. 305 Auf diesen Umstand hinweisend Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 33, Rn. 26, Fn. 164, unter Hinweis u. a. auf BGH NJW-RR 1986, 484 und BGH WM 1986, 711. Siehe auch BGH NJW 2012, 3165 ff., zur Einbeziehung in den Schutzbereich eines Steuerberatervertrags. 306 Siehe etwa BGH NJW 1965, 1555 ff. (Vorbereitung eines Testaments); BGH NJW 1977, 2073, 2074 (Scheidungsvereinbarung); BGH NJW 1988, 200, 201 f.; BGH NJW 1995, 51, 52 (Beratungspflichten eines Anwalts, der hinsichtlich eines etwaigen alsbaldigen Todes des Mandanten für den Erbausschluß einer bestimmten Person sorgen soll); BGH NJW 2010, 1360, 1361 (Wahrnehmung von Vermögensinteressen eines Dritten). Dazu und zu weiteren
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Innerhalb anwaltlichen Handelns aufgrund eines Anwaltsvertrags in der Vertragsverhandlung bietet der Vertrag mit Schutzwirkung somit ebenfalls keine „Lösung“ an.
III. Konzentration auf die Profession – Weg in die Berufshaftung (Hopt) 1. Einführung Die Kritik an einem Ansatz, der auf einen (stillschweigenden) Vertragsschluss mit dem Auskunftsbegehrenden (potentieller Vertragspartner des Mandanten) abstellte, rührte u. a. daher, dass der Anwalt sich nicht primär ex voluntate entsprechenden Erwartungen stellte. Den Ausgangspunkt, gerade auch bei der Beurteilung, ob nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Willenserklärung vorliegt, bildete vielmehr seine berufliche Stellung. Überlegenswert, auch aus rollentheoretischer Sicht, ist es daher, die Lösung der Haftungsproblematik an den Umstand anzuschließen, der im Ausgang nicht ex voluntate ist, also den der bereits bekleideten Stellung als Anwalt. Ein Ansatz, der dies „bedienen“ könnte, ist die so genannte Berufshaftung307, wie sie u. a. von Hopt erarbeitet wurde.
Beispielen, etwa zu Schadensersatzansprüchen von Gesellschaftern, wenn das anwaltliche Mandat mit der Gesellschaft selbst bestand (BGH NJW 2000, 725 ff.), Chab, AnwBl 2006, 487, 487. Fallgruppen bildend, wann ein Vertrag mit Schutzwirkung bei Anwaltsverträgen angenommen werden könnte, Fischer, DB 2012, 1489, 1491 f. (Schutzwirkung für Angehörige des Mandanten; Schutzwirkung für andere Personen, z. B. solche, die mit Mandanten in einer engen gesellschaftsrechtlichen Beziehung stehen; weitere Fallgruppen, z. B. Beratungsvertrag bezogen auf Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen oder marken- und wettbewerbsrechtlicher Beratungsvertrag einer beauftragten Werbeagentur). Siehe ferner die Auflistung bei Kilian/Koch, Anwaltliches Berufsrecht, B., Rn. 525. 307 Die Unterteilung, wer zu den Vertretern der „Berufshaftung“ zu zählen ist, ist in der Literatur nicht einheitlich. Unter diese fasst etwa Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 218 (Fn. 33) Lammel, AcP 179 (1979), 345 ff.; Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff.; Hirte, Berufshaftung, S. 412 ff. Müller, Auskunftshaftung, S. 142 ff., macht unter einem engen Ansatz der Berufshaftung solche Konzepte aus, die bei soziologischen Berufsrollen ansetzen; er verweist insoweit im Besonderen auf Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. und Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff. Hirte, Berufshaftung, wiederum zählt zur Berufshaftung Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575 ff., Hirte, S. 397 f. („ein der culpa in contrahendo ähnliches gesetzliches Schuldverhältnis, das an gewährtes und in Anspruch genommenes Vertrauen anknüpft“); außerdem, Hirte, S. 402 ff., Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. [„(…) (e)iner der umfangreichsten Vorschläge zur Erfassung der mit beruflicher Tätigkeit verbundenen Rechtsfragen“]; schließlich auch, so Hirte, S. 404 f., Zeuner, Karlsruher Forum 1988, S. 3 ff. [„vertragsähnliche Haftung (ließe sich) trotz § 676 BGB rechtfertigen, wenn Rat oder Auskunft im Rahmen der beruflichen Tätigkeit erteilt würden“].
D. Juristische Haftungsansätze
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Hopt entwickelte eine Begründung (auch)308 der Auskunftshaftung309 kraft Berufsrechts und Berufshaftung.310 Ausführungen zu einer „Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung“311 finden sich vor allem in einem Beitrag von 1983.312 Es geht um eine Berufshaftung mit damit korrespondierenden Berufspflichten.313 Gerade den dort entwickelten Ansatz gilt es darzustellen, auf rollenspezifische Querverbindungen314 hin zu untersuchen und den Nutzen für einen vertragsgestaltenden Anwalt herauszuarbeiten. Hopt315 stellt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen die geschäftsbezogene Tätigkeit am Markt, das berufliche Auftreten am Markt,316 wofür eine Erfassung allein über privatautonome Regelungen nicht ausreiche;317 eröffnet sei vielmehr der Bereich nicht vertraglicher Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsrecht318. Das Berufsrecht und die Berufshaftung stützt Hopt dabei auf unterschiedliche Wertungsgrundlagen und Strukturen319 unter Heranziehung von drei Komplexen von Erscheinungsformen und Begründungsansätzen nichtvertraglicher Haf-
308 Hopt legt seine Entwicklung einer Dogmatik wesentlich weiter an als „nur“ bezüglich der Auskunftshaftung. 309 Seine Ausführungen beschränken sich nicht auf die Auskunftshaftung, sollen hier jedoch nur in Bezug darauf untersucht werden. 310 Zu Hopt als Vertreter der Lehre von der Berufshaftung u. a. Hirte, Berufshaftung, S. 402 ff.; Stahl, Dritthaftung, S. 61. 311 So der Untertitel bei Hopt, AcP 183, (1983), 608, 608. Zu Hopt siehe u. a. auch Damm, JZ 1991, 373, 384. 312 Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. Dieser grundlegende Beitrag soll die Basis der anschließenden Überlegungen bilden. Siehe ferner u. a. Hopt, FS für Fischer, 237 ff.; Hopt, FS für Pleyer, 341 ff.; Hopt, FS für Gernhuber, 169 ff. In späteren Arbeiten, z. B. dem Betrag in der FS für Gernhuber, finden sich auch Änderungen, Ergänzungen und Vertiefungen der Ausführungen, die Hopt in dem Beitrag AcP 183 (1983), 608 ff. gemacht hat. 313 So Lang, AcP 201 (2001), 451, 455, unter Hinweise auf Hopt, AcP 183 (1983), 608, 638 f. Lang, a. a. O., betont weiterhin, die Berufspflichten in ihrer Gesamtheit bildeten das Berufsrecht. 314 Hopt selbst schenkt der Auseinandersetzung mit dem Rollenbegriff große Aufmerksamkeit, siehe etwa AcP 183 (1983), 608, 645 ff. Siehe auch Müller, Auskunftshaftung, S. 142. 315 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 715. 316 U. a. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 634 f. Das als haftungskonstituierendes Merkmal bei Hopt anführend Büttner, Dritthaftung von Experten, S. 177. 317 Siehe auch Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575, 591, der, nicht zuletzt unter Anführung der Stellung des Auskunftsgebenden für die Auskunft bei Einmalkontakten anführt, die Haftung beruhe „auf der mit bestimmter Öffentlichkeits- und Vertrauensstellung ausgestalteten Berufsstellung des die Auskunft Erteilenden (…) und nicht mit einem unabhängig davon feststellbaren rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen“. Das Zitat ebenfalls anführend Hirte, Berufshaftung, S. 397 f. 318 So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 610, ausformuliert vor allem auf S. 718 (Einleitung der Leitsätze). 319 So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 719.
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tung320. Diese macht er in Vertragsfolgen ohne privatautonomen Vertragsschluss mittels Fiktion, außerdem in der Rechtsscheinshaftung, der Verwirkung bzw. Erwirkung, der Selbstbindung ohne Vertrag sowie in Einstands-, Schutz- und Verkehrspflichten aus.321 Bei allen Komplexen sei ein entscheidender Topos der Haftungsannahme die jeweilige Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf.322 Eine solche Zugehörigkeit ebenso wie das Auftreten am Markt hätten zur Entwicklung von besonderen Rechtsregeln geführt, sei dies bewusst oder unbewusst geschehen.323 Die Rechtsordnung muss bestimmte am Markt erweckte Erwartungen schützen.324 Es kommt, so Hopt, im Weiteren vor allem darauf an, die jeweiligen Berufspflichten richtig zu bestimmen und ihnen verschiedene Rechtsfolgen zuzuordnen, was sich im Einzelnen jedoch als schwierig erweisen könne.325 Die Berufspflichten sieht Hopt wohl als Teil des Berufsrechts326 an. Mit seiner besonderen Fokussierung auf die Berufspflichten wird allerdings deutlich, dass Hopt zum einen zwischen Berufshaftung und -pflichten trennt,327 zum anderen, dass er seine Aufmerksamkeit vornehmlich den Pflichten, nicht aber den Haftungsgründen zuwendet328. Für eine drohende Haftung des Anwalts vor allem innerhalb der Vertragsverhandlungen aufgrund falscher Auskünfte etc. ist eine nicht in erster Linie auf die Haftungsgrundlage gerichtete Diskussion um eine „Berufshaftung“ zwar einerseits misslich. Andererseits kann eine solche pflichtenorientierte Diskussion jedenfalls Erkenntnisse liefern, die, wenn auch möglicherweise in Verbindung mit anderweitig aufzuzeigenden Haftungsgrundlagen, wichtig sind. Die hinreichende Bestimmung solcher Pflichten ist somit jedenfalls ein Anspruch, dem sich Hopt stellen muss. Denn er wirft u. a. der Vertrauens- bzw. der 320
So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 718 (Leitsatz I 2.). So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 718 (Leitsatz I 2.). 322 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 635, 644, 719 (Leitsatz II A 3.). 323 So Hirte, Berufshaftung, S. 402, unter Hinweis auf Hopt, AcP 183 (1983), 608, 634 ff., v. a. 635 (Hirte, S. 402, Fn. 132); ebenso Lang, AcP 201 (2001), 451, 487, unter Hinweis auf Hopt, ebenda. 324 Stahl, Dritthaftung, S. 61 f., zum Ausgangspunkt der Hoptschen Lehre. 325 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 639. 326 Vgl. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654 f.; vgl. auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 491. 327 Dies, bezüglich der Berufspflichten, auch konstatierend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88, wonach bei Hopt eben keine Bestimmung der Pflicht von der Haftung her erfolgt; siehe jeweils bei Kersting unter Hinweis (Fn. 504) auf Hopt, FS für Fischer, 237, 251; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 638 f. Später formuliert Hopt allerdings dahingehend, dass dogmatisch Verhaltenspflichten im Verkehr heute vielfach als Berufshaftung verstanden würden (FS für Gernhuber, 169, 176). Damit erfolgt eine Vermischung. 328 So die Schlussfolgerung von Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88, unter Hinweis (Fn. 503) auf Hopt, AcP 183 (1983), 608, 707. An späterer Stelle führt Hopt (FS für Gernhuber, 169, 176) aus, so unentbehrlich die Klärung der Haftungsgrundlage sei, so deutlich sei es jedoch, dass die Haftungsgründe heute zugunsten der Haftungsstandards an Bedeutung verloren hätten. 321
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Rechtsscheinhaftung vor, sie greife zu kurz.329 So könne etwa beim Abstellen auf das Vertrauen keine verlässliche Auskunft darüber erfolgen, wann Vertrauen gerade rechtlich zu „honorieren“ sei.330 Das, was Hopt dann sucht, ist im Grunde eine „Sicherheit“, vergleichbar der „insurance“, die u. a. Llewellyn herausgearbeitet hat. 2. Wertungselemente331 und Rollenverständnisse Hopt stellt für das Berufsrecht unterschiedliche Wertungselemente, die Teil seiner Wertungsgrundlagen332 sind, heraus.333 Innerhalb dieser ergibt sich dann durchaus ein Umgang mit (verschiedenen) Rollenverständnissen, die für unsere Zwecke (und letztlich auch der Herausbildung von Pflichten) relevant sein können. a) Berufliche Spezialisierung bzw. Auftreten am Markt als Ausgangspunkt Ausgangspunkt solcher Wertungselemente ist die berufliche Spezialisierung.334 So betont Hopt u. a. in Bezug auf die Erteilung eines Rats, der Nichtfachmann vertraue diesem entweder, weil er von einem Fachmann, z. B. einem Anwalt, erfolge, oder, selbst wenn Kompetenzzweifel bestünden, bleibe der Nichtfachmann jedenfalls mangels eigener Kompetenz auf einen fachlichen Rat angewiesen.335 aa) Feststellung einer Spezialisierung oder eines Marktauftritts Hopt macht damit einerseits das mitunter tatsächliche „Dilemma“ des Ratsuchenden deutlich, schließt daran aber im Weiteren eine Rollenauseinandersetzung an, die gerade die „Angewiesenheitsrelation“336 aufgreift. Denn der Einzelne begegnet dem beschriebenen Dilemma mit einer bestimmten grundsätzlichen Erwar-
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Hopt, AcP 183 (1983), 608, 719 (Leitsatz II A 4.). Hopt, AcP 183 (1983), 608, 641. 331 Diese Wertungselemente sind bei Hopt ein „Unterpunkt“ der Wertungsgrundlagen bezüglich des Berufsrechts und der Berufshaftung, vgl. die Gliederungsübersicht bei Hopt, AcP 183 (1983), 608, 608. 332 Als Wertungsgrundlagen von Berufsrecht und Berufshaftung benennt Hopt das berufliche Auftreten am Markt als Topos bei nichtvertraglicher Haftung; die Krise des „Vertrauens“ sowie die Wertungselemente des Berufsrechts (Spezialisierung, Waffengleichheit und Optimierung am Markt), vgl. die Gliederungsübersicht bei Hopt, AcP 183 (1983), 608, 608. 333 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645 ff. 334 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645 ff. 335 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 336 Begrifflichkeit von Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. Siehe auch Hopt, FS für Gernhuber, 169, 186, wo er für das Verhältnis von Kunden und Kreditinstituten ausführt, Aufklärungsbedürftigkeit bzw. Informationsbedarf sei ein relationales Kriterium. Siehe auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 492. 330
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tungshaltung. Er braucht den fachlichen Rat337 und sucht den entsprechenden Vertreter am Markt auf, den Angehörigen des zum Rat „gehörenden“ Berufs.338 Er geht dabei eben marktfokussiert vor, das heißt der Fachmann, bzw. wer sich so darstellt,339 dass er dem Beruf zugehörig ist, muss mit den an ihn herangetragenen Erwartungen rechnen. Hopt geht damit zunächst schwerpunktmäßig von dem aus, was im „klassischen Sinn“ die Rolle umfasst, also das jeweilige „Erwartungsbündel“. Wer am Markt etwa als Anwalt auftritt, sieht sich z. B. der Erwartung gegenüber, fachlich kompetenten Rat (Auskunft, Empfehlung) in juristischen Fragen erteilen zu können. Die Erwartung, der er sich gegenübersehen kann, ist, so Hopt, unabhängig davon, ob der Einzelne ihr tatsächlich gerecht werden kann, es kommt nicht einmal darauf an, ob er dem jeweiligen Berufsstand zugehörig ist.340 Das ist konsequent, wenn man sich Hopts Betonung des Umstands vergegenwärtig, dass ein Auftreten am Markt relevant ist. Es wirft jedoch eigene Fragen dahingehend auf, ob, ggf. wie dann eine von der Rolle zu unterscheidende Positionierung341 existiert. Bezüglich dieser Begrifflichkeiten wird bei Hopt nicht in dem strengen Sinn differenziert.342 Zwar führt Hopt aus, Berufsrollen als soziale Rollen innerhalb der alten Professionen, wie etwa der der Anwälte, seien statusbezogen.343 Andererseits spricht er vom Erwerb der Rolle bzw. von einem Hineinschlüpfen in die Rolle.344 Es geht ihm vor allem um die damit verbundenen Erwartungen, die unabhängig vom einzelnen Berufsinhaber sind.345 Diese mitunter nicht ganz deutliche Abgrenzung von Position und Rolle wird u. U. verständlicher, wenn man wiederum den Aspekt des Auftretens am Markt berücksichtigt. Da bei Hopt sogar ein „Pfuscher oder ein Laie“346 in die Berufsrolle schlüpfen kann, handelt es sich nicht um eine „ascribed position“347, strenggenommen aber auch nicht um eine „achieved position“348. Es kommt eben nur auf das tatsächliche Auftreten an. Bezugspunkt der Überlegungen bei Hopt ist dann gleichwohl aber (auch) ein positionales Denken. Denn indem der Einzelne tatsächlich auftritt, nimmt er, be-
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Das gilt auch für bestimmte Auskünfte, ebenfalls für Empfehlungen. Davon zu trennen und noch zu untersuchen sein wird, wie es zu beurteilen ist, wenn etwa ein Dritter nicht gezielt den Fachmann aufsucht, aber den am Markt Auftretenden für seine Zwecke „ausnutzt“. 339 Dazu Lang, AcP 201 (2001), 4451, 492. 340 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 341 Als Positionierung wird die Einnahme einer bestimmten Stellung innerhalb der Gesellschaft bezeichnet, auf die sich die Erwartungen ausrichten. 342 Mit dem Begriff der Position setzt sich Hopt nicht näher auseinander. 343 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 344 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 345 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 346 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 347 Gemeint ist die Position, die zugewiesen, nicht erworben ist. 348 Gemeint ist die erworbene Position. 338
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rechtigt oder nicht, einen Punkt im sozialen Koordinatensystem349, letztlich eine Position ein. Nur auf diese Weise kann er schließlich die entsprechenden Erwartungen aktivieren. Gerade indem Hopt so einen anderen Weg dahin eröffnet, wie man Positionsinhaber wird, erweitert er das Spektrum möglicher Rollenträger und reichert damit nicht unmaßgeblich die Haftungsdiskussion an. Sofern es dabei wirklich nur darum geht, „Laien und Pfuscher“ anhand von (Rollen-)Erwartungen zu belangen, kann dieser Aspekt zwar im Zusammenhang mit der hier diskutierten Dritthaftung weitgehend vernachlässigt werden. Denn es sollen die Fälle bewältigt werden, in denen ein Anwalt als Anwalt innerhalb von Vertragsverhandlung aufgetreten ist. bb) Flexibilität in Bezug auf Erwartungshaltungen Das Auftreten am Markt, die damit einhergehende „Positionierung“ und damit die Rollenaktivierung sind jedoch noch aus anderen Gründen interessant. Hopt nennt die alten Professionen (z. B. den Anwalt) mit ihren Berufsrollen statusbezogen und als solche eher statisch.350 Hopt stellt nun diesen eher statischen Berufsrollen solche gegenüber, die einem „Anpassungs- und Umstellungsdruck“ unterliegen, was vor allem dann erforderlich ist, wenn der Markt Flexibilität und schnelle Anpassung erfordert.351 Hinzu kommt der Zwang funktionaler ökonomischer Arbeitsteilung.352 Anpassung und Flexibilität bezüglich des Rollenhandelns und der damit verbundenen Erwartungen Dritter scheinen nun der von Hopt als solche bezeichneten statusausgerichteten Profession des Anwalts entgegenzustehen. Die bei Hopt ausgebreiteten Gedankengänge sind jedoch in gewisser Weise schon an anderer Stelle in einem anderen Kontext virulent geworden. So wurden beim Anwalt unterschiedliche mögliche Positionierungen festgestellt, die letztlich Bestandteile eines großen Berufsbilds des Anwalts ausmachen können. Das betraf vor allem die Positionierung als (einseitiger) Interessenvertreter oder die als (neutraler) Verhandlungsführers bzw. Mediators.353 Innerhalb des anwaltlichen Berufs können also unterschiedliche Positionierungen und damit Rollenerwartungen (Erwartungen, die sich auf den entsprechenden Positionsinhaber richten) auftauchen. Die berufliche Spezialisierung (Anwalt) ermöglicht somit gleichwohl unterschiedliche Positionierungen. Enges starres Denken ist also gerade hier nicht angezeigt, vielmehr findet sich durchaus Flexibilität. Letztere betrifft aber nicht nur die Herausbildung neuer Po349
Vgl. zur Begrifflichkeit Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 351 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645 f., jedenfalls dann, wenn es sich um selbständige Arbeit handelt; Hervorhebung bei Hopt. 352 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 646. 353 Die „Aktivierung“ der einzelnen Positionen erfolgte jeweils durch die entsprechende Mandatierung bzw. Beauftragung. 350
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sitionierungen, sondern außerdem u. a. den Umgang des Anwalts mit den einzelnen möglichen Positionierungen. Er kann sich z. B. am Markt als (einseitiger) Interessenvertreter und/oder als Mediator anbieten. Er kann sich auch (nur) in einzelnen Situationen als einseitiger Interessenvertreter gerieren oder als neutraler Mediator. Folglich können dann unterschiedliche Rollen aktualisiert und entsprechende unterschiedliche Rollenerwartungen beim Anderen aufgebaut werden.354 Zu beachten bleibt freilich, dass die jeweilige Situation eine solche ist, in der noch ein beruflicher Rahmen gegeben ist,355 das heißt, kein Rückzug aus dem beruflichen Bereich an sich erfolgt ist. cc) Stabilisierung von Erwartungen Mit der möglichen Aktualisierung unterschiedlicher Rollen(-erwartungen) innerhalb des (anwaltlichen) Berufs findet sich dann ein Erklärungsansatz, warum „Vertrauen“356 eines Dritten in unterschiedlichen Bahnen laufen kann, die aber jeweils im Hoptschen Verständnis ihren Anknüpfungspunkt in der beruflichen Spezialisierung haben. Es bleibt beim Auftreten als Anwalt. Davon zu trennen ist allerdings, worauf Hopt auch ausdrücklich hinweist,357 die Frage, welche (weiteren) rechtlichen Folgerungen sich an die jeweiligen Rollenerwartungen anschließen (können). Rollenerwartungen müssen nicht notwendigerweise rechtliche Konsequenzen für den Positionsinhaber358 bei Enttäuschung nach sich ziehen.359 Hopt360 spricht davon, „die Rechtsordnung stabilisier(…)(e) oder desavouier(…)(e) (…) Erwartungen oder begründe (…) darüber hinaus zusätzliche Erwartungen aufgrund eigener rechtlicher Entscheidung und in Verfolgung eigener rechtlicher Zwecke, die sie allerdings zweckmäßigerweise an der sozialen und wirtschaftlichen Realität messen (…) (werde).“
Darüber hinaus sieht Hopt jedoch in dem evidenten Phänomen der beruflichen Spezialisierung und dem damit verbundenen „Vertrauen“ eine Notwendigkeit dahingehend, dass die Rechtsordnung hierauf ebenfalls reagieren müsse.361 Hier bietet sich die Verbindung zu der soeben genannten Erwartungsbegründung durch die Rechtsordnung an sich an. Denn einen durch diese zu verfolgenden Zweck macht 354
Siehe auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 646, der die Rolle als relationalen Begriff bezeichnet. 355 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 646, betont nochmals die Aktualisierung am Markt; andere Bezugsebenen, wie etwa die Familie, hätten außer Betracht zu bleiben. 356 Die Benutzung des Begriffs „Vertrauen“ soll hier noch nicht mit einer bestimmten (rechtlichen) Wertung verbunden sein. 357 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 648. 358 Also denjenigen, auf den sich die Erwartungen richten. 359 Vgl. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 648. 360 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 648. 361 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 647.
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Hopt im Schutz des Nichtfachmanns im Umgang mit Berufsangehörigen aus; die laienhafte Unterlegenheit362 könne dort nicht durch eigenes rechtsgeschäftliches Handeln ausgeglichen werden. Beispielhaft seien dabei die Auskunftsfälle zu nennen.363 Weitere Zwecke seien der Schutz der Verkehrssicherheit im Umgang mit Berufsangehörigen sowie die Förderung des Berufsstands selbst durch das Eingreifen der Rechtsordnung.364 Hier könnten durch Berufsnormen die Berufsrollen verfestigt werden und so „schwarze Schafe“ ausgeschieden und Berufsstandards berechenbar gemacht werden.365 Hopt konstatiert schließlich, dass Angehörige von Berufen Rechtspflichten treffen könnten, die vertragsunabhängig und berufsspezifisch seien.366 dd) Zwischenresümee Zusammenfassend kann zunächst festgehalten werden, dass Hopts Ausgangspunkt der beruflichen Spezialisierung und seine damit einhergehende Auseinandersetzung mit den Berufsrollen verschiedene Aspekte aufgreifen, die bereits innerhalb der allgemeinen Diskussion um Position und Rolle des Anwalts deutlich wurden. Das Operieren mit dem Rollenbegriff ist weiterhin für das Verständnis des Haftungsansatzes bei Hopt notwendig. Die Abläufe, die möglicherweise zu einer Reaktion in Form einer Haftung des Anwalts führen können, werden hier im Ausgangspunkt zwar verständlich herausgearbeitet, ohne dass sich bisher aber eine bestimmte notwendige dogmatische Konsequenz anschließen muss, wenngleich die berufsspezifischen Rechtspflichten als Folge von (Berufs-)Rollen, damit einhergehenden Erwartungen und (rechtlichen) Zwecken (schon) ausgemacht sind. b) Schutz des Unterlegenen als Zwecksetzung Mit der angesprochenen Zwecksetzung, die im Schutz des unterlegenen Laien besteht, eröffnet Hopt allerdings einen weiteren Bereich innerhalb der von ihm dargelegten Wertungselemente367. Er stellt mit Blick auf die rechtliche Inpflichtnahme des Fachmanns am Markt eine Entwicklung fest, die bezüglich des Schutzes des Schwächeren und seiner Interessen mehr bedeutet, als vertragliche oder quasi362 Vgl. Lang, AcP 201 (2001), 451, 493 ff., dazu, dass bezüglich des Zwecks eines Berufsrechts der Ausgangspunkt in der Konstellation von Privatautonomie und struktureller Unterlegenheit zu sehen ist. 363 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 648. Siehe auch S. 650, wonach die bezeichnete Inpflichtnahme durchaus auch im Sinne des Spezialisten ist, der sich die Unterlegenheit gerade geschäftlich zunutze macht. 364 So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 649. Auch dazu Lang, AcP 201 (2001), 451, 499 ff. 365 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 649. 366 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 649. 367 Als Teil der Wertungsgrundlagen.
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vertragliche Beziehungen zum Berufsinhaber ausmachen können.368 Hopt spricht vielmehr von einer Annäherung an eine „Sozialschutzlast“;369 der Sozialschutz sei Teil des geltenden Rechts.370 Dieser Ansatz ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, der dahinter stehende Gedanke wurde auch schon innerhalb der bisherigen Untersuchung bereits in verschiedener Weise deutlich. So ist beim Anwalt die „soziale Ausrichtung“ seines Berufs u. a. im Rollenbild des Organs der Rechtspflege (§ 1 BRAO) angelegt. Ein prägnantes Beispiel für eine ausdrücklich im Gesetz verankerte „Sozialschutzlast“ sind etwa die Regelungen zur Beratungs- und zur Prozesskostenhilfe (§§ 1 ff. BerHG bzw. §§ 114 ff. ZPO). U. a. muss nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO der Rechtsanwalt in gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei übernehmen, wenn er der Partei aufgrund des § 121 ZPO zur vorläufigen unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet ist. Nach § 3 Abs. 1 BerHG wird Beratungshilfe u. a. durch Rechtsanwälte gewährt. Letztere sind schließlich nach § 16 Abs. 1 BORA verpflichtet, bei begründetem Anlass auf die Möglichkeiten von Beratungs- und Prozesskostenhilfe hinzuweisen. Hopt nimmt die Auferlegung von Sozialschutzlasten ebenfalls371 durch die Rechtsordnung für bestimmte Berufe an und nennt als Beispiel u. a. berufliche Aufklärungspflichten.372 Er macht für bestimmte Berufe aufgrund ihrer fachlichen und finanziellen Möglichkeiten einen Pflichtenkanon aus, der sich aus den jeweiligen Vertragsbeziehungen nicht herleiten lasse.373 Für den Beruf des Anwalts ist dies in Bezug auf das Verhältnis zum Mandanten nicht eine so große Problematik wie im Verhältnis von anderen Berufsangehörigen zu ihren Vertragspartnern. Hintergrund dafür ist, dass, neben den ausdrücklich gesetzlich normierten Pflichten, vor allem die Rechtsprechung mittlerweile die auf den Anwaltsvertrag rückführbaren Pflichten sehr stark ausgeweitet hat.374 Interessant wird die soziale Ausrichtung aber u. U. eben in den Fällen, in denen ein Dritter involviert ist, z. B. diesem Auskunft und Rat durch den Anwalt erteilt wird. Hier ist nicht zuletzt die von Hopt in Verbindung mit dem Sozialschutz gemachte Ausführung bedeutsam, wonach „(…) es bei der Statuierung von Aufklärungs- und Interessenwahrungslasten über den Ausgleich individuell gestörter Vertragsparität hinaus um den Ausgleich kollektiver Informationsungleichgewichte und damit letztlich um die Herstellung tendenziell gleicher Chancen am Markt (geht). Sozialschutz dient damit der zumindest potentiellen Waffen-
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Hopt, AcP 183 (1983), 608, 650. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 650. Dazu wiederum Lang, AcP 201 (2001), 451, 501. 370 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 651. 371 Das ist dann in den Fällen von Bedeutung, wenn keine ausdrücklich normierten „Sozialpflichten“ vorhanden sind. 372 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 650. Siehe wiederum Lang, AcP 201 (2001), 451, 501. 373 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 650. 374 Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 9, Rn. 3. 369
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gleichheit am Markt und ist so verstanden nicht nur kompatibel mit einem System der Marktwirtschaft, sondern geradezu ein für ihr Funktionieren notwendiger Teil.“375
Bezogen auf den Anwalt und sein Verhältnis zu Dritten liegt in diesem Hoptschen Gedanken allerdings ein Kernproblem der dort zu bewältigenden Schwierigkeiten. „Interessenwahrungslasten“, „Informationsungleichgewichte“ oder die Realisierung von „Waffengleichheit“ sind mit der anwaltlichen Berufswahrnehmung, die gerade für einen Mandanten erfolgt, nicht ohne weiteres als Ausrichtung auf einen Dritten anzunehmen. Hopt selbst hebt die Eigenverantwortung des Marktteilnehmers für selbst gewählte Risiken heraus.376 Viel grundsätzlicher muss jedoch gefragt werden, ob der Schutz, den Hopt für „Marktteilnehmer“ ausmacht, überhaupt für den Dritten, u. a. in der Vertragsverhandlung, so anwendbar ist, ob der Dritte im Fall der anwaltlichen Drittauskunft tatsächlich ein solcher ist, der hier zu schützen ist. So ist wieder die grundsätzliche Verteilung von Informations- und damit auch von Interessenwahrungslasten zu beachten, die ebenfalls durchaus gesetzlich fundiert ist.377 Auf Informationsungleichgewichte im Sinne von rechtlichen/fachlichen Auskünften oder die damit einhergehende Waffengleichheit kann der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) mit der Mandatierung eines eigenen Anwalts reagieren.378 Der Markt bietet also vielfach Mechanismen an, die der Dritte jedenfalls in bestimmten Bereichen ergreifen kann.379 Solche kann etwa ein potentieller Vertragspartner gerade mit der Beauftragung seines Anwalts ergriffen. Der Markt würde auch nicht funktionieren, wenn jeder Mechanismus, den dort jemand ergreift, gleichzeitig auch für den greifen müsste, der nicht aktiv wird. Letztlich liefe das wiederum bei einer konsequenten Weiterfolgung in den Fällen der anwaltlichen Beratung innerhalb von Vertragsverhandlungen auf einen unauflösbaren Rollenkonflikt für den Anwalt hinaus, weil er sich jeweils in die unterschiedlichen Interessensphären hineinversetzen und die dort auftretenden Informationsdefizite bedienen müsste. 375 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 652 f.; Hervorhebung bei Hopt. Zur Argumentation mit einem Informationsvorsprung beim Fachmann und einem damit einhergehenden Machtvorsprung auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 456. 376 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 652, dort auch dazu, dass die Frage der Zurechnung von Eigenverantwortung eine praktisch-dogmatische Frage sei. An anderer Stelle (FS für Gernhuber, 169, 186) betont Hopt, im Geschäftsverkehr müsse sich grundsätzlich jeder selbst vergewissern, ob ein Vertrag für ihn von Vorteil sei. Siehe dazu auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 493, unter Hinweis (Fn. 268) u. a. auf BGH NJW 1989, 763, 764. 377 Vgl. auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 493, dass jede Partei aufgrund des natürlichen Interessenwiderstreits berechtigt sei, den eigenen Wissensvorsprung zu wahren. 378 Damit könnte einem Aspekt begegnet werden, den Hopt in der FS für Gernhuber, 169, 186, erwähnt. Danach bestehe für eine Aufklärungsbedürftigkeit als Voraussetzung ein – typischerweise auf beruflicher Sachkunde beruhendes – Informationsgefälle zwischen Aufklärungspflichtigem und dem Aufzuklärenden. 379 Bezüglich rein tatsächlicher Auskünfte ist dem Dritten aber ggf. der Weg, sich selbst die entsprechenden Informationen zu beschaffen, nicht eröffnet. Dann stellt sich jedoch die weitergehende Schwierigkeit, ob solche Auskünfte überhaupt zum beruflichen Tätigkeitsfeld des Anwalts gehören.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Das Argument der Waffengleichheit am Markt ist somit gerade nicht ohne Einschränkungen in der besonderen Situation der Vertragsverhandlung und -gestaltung anwendbar. Eine zu starke Ausrichtung etwa an den Topoi der „Interessenwahrungslast“ oder der „Waffengleichheit“ ist abzulehnen. Gleichwohl darf der Gedanke auch nicht in seiner Gänze zurückgewiesen werden. Der Umgang mit Informationen, das haben z. B. die Überlegungen mit der Umkehr der Informationslast innerhalb des rationalen Verhandlungsmodells gezeigt, kann hier z. B. einen entsprechenden Schutzmechanismus aktivieren. c) Optimierung am Markt Schließlich führt Hopt als weiteres (funktionales)380 Wertungselement den Umstand an, dass Berufsrecht als marktbezogenes Recht solle dazu beitragen, eine Optimierung am Markt herbeizuführen.381 So verursache wirtschaftlich gesehen die Fehleinschätzung beruflicher Leistungen für den Einzelnen wie für die Allgemeinheit Kosten.382 Hopt sieht einen ökonomisch richtigen Weg darin, durch das Berufsrecht den Schaden vom Geschädigten dem Fachmann zuzuweisen.383 Es geht ihm um eine verbesserte Schadensprävention, wozu u. U. auch eine Information Dritter gehören kann.384 In Bezug auf letzteren ergibt sich dann jedoch wieder die Schwierigkeit, die schon zuvor angesprochen worden ist, nämlich inwieweit der Dritte in Verbindung mit dem Interessenvertreter Anwalt als ein Markteilnehmer anzusehen ist, dessen Schädigung verhindert werden soll. Das gilt auch für den von Hopt zudem angeführten Aspekt der Schadensverteilung.385 Es geht dabei um die Verteilung der Schadenstragung auf viele, u. a. über eine Berufsversicherung.386 Das Abstellen auf den Umstand, dass der Anwalt versichert ist,387 darf allerdings nicht davon entbinden zu klären, ob überhaupt in begründbarer Weise ihm eine Haftung zugewiesen werden kann. Es geht wiederum um die angemessene Berücksichtigung der anwaltlichen Rolle als Interessenvertreter. Für die Konstellation der Drittauskunft innerhalb von anwaltlicher Vertragsverhandlung und -gestaltung ist das Wertungselement von Schadensprävention und Schadensverteilung insgesamt differenziert zu betrachten. Hier muss erneut der oben ausgeführte Gedanke zum Tragen kommen, wonach die eigenverantwortliche Beauftragung des Anwalts durch seinen Mandanten nicht ohne weiteres damit ein380
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 653. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 652. 382 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 652. 383 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 653. 384 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654, 719. 385 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654. 386 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654. 387 Die Pflicht des Anwalts zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung folgt aus § 51 BRAO. 381
D. Juristische Haftungsansätze
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hergehen kann, dem Dritten einen Haftenden zu verschaffen, (auch) weil er (der Dritte) sich ggf. nicht um einen eigenen Anwalt gekümmert hat. Interessenvertretung ist als Statuierung von Eigenverantwortung aufzufassen.388 Allerdings, und dies wird vor allem der Ansatz von Jost noch zeigen, ist es z. B. vorstellbar, dass die Beauftragung eines eigenen Anwalts in bestimmten Situationen „unvernünftig“, zeitaufwendig oder eben auch (für beide Seiten) unökonomisch sein kann. Dann kann dieses Wertungselement, das Hopt anspricht (Optimierung am Markt), durchaus zum Tragen kommen. Es ist schließlich beachtenswert, wenn Hopt im Kontext mit einem ökonomisch richtigen Weg davon spricht, „(…) es (bleibe) Sache des Normsetzers, Gerichte oder Gesetzgeber, Inhalte und Reichweite des Berufsrechts zu bestimmen, (…).“389.
An dem Maßstab werden die sich Ergebnisse Hopts selbst messen lassen müssen. 3. Berufsrecht als Teil eines privaten Marktrechts a) Einführung Innerhalb einer Systematisierung und Einordnung des Berufsrechts macht Hopt dieses u. a. außerdem als Teil eines privaten Marktrechts aus.390 In diesem Kontext stellt er auch die Verbindung391 zur Berufshaftung dar. Berufshaftung, so macht Hopt nach Untersuchung verschiedener Wertungsgrundlagen392 weiter aus, betreffe nicht nur die Sanktionierung beruflicher Fehlleistungen, sondern vor allem auch eine ökonomisch sinnvolle Reaktion der Zivilrechtsordnung auf berufsbedingte Abhängigkeiten und Ungleichgewichte am Markt.393 Hopt betont in diesem Zusammenhang
388 Eine Schädigung des Dritten infolge eines nach Vertragsverhandlungen geschlossenen Vertrags kann schnell erreicht sein. So kann die Wahl einer risikobehafteten Vertragsgestaltung zu finanziellen Nachteilen führen. Der eigene Mandant ist u. a. durch die anwaltliche Pflicht zur Wahl des sichersten Wegs geschützt. Darauf kann sich der Dritte nicht berufen. Dies darf nicht unterlaufen werden, indem der Dritte als „Marktteilnehmer“ zu schützen ist. Der Dritte kann also nicht vom Anwalt verlangen, wenn dieser ihm eine rechtliche Gestaltung erläutert, Hinweise bezüglich eines eigenen sichersten Wegs zu erhalten. Das könnte zudem wiederum der anwaltlichen Wahrnehmung der eigenen Mandanteninteressen zuwiderlaufen. 389 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654; Hervorhebung bei Hopt. 390 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 655, 719. 391 Vgl. auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 490 ff. 392 „Wertungsgrundlagen“ sind dabei die schon zuvor genannten Aspekte: zum einen die schon erörterten Wertungselemente, darüber hinaus auch das berufliche Auftreten am Markt als Topos bei nicht vertraglicher Haftung sowie die Krise des „Vertrauens“ und die damit einhergehenden Probleme der culpa in contrahendo und der Vertrauenshaftung, Hopt, AcP 183, (1983), 608, 634 ff. 393 So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 655; siehe auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 490.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
wiederum die Bedeutung der Berufspflichten, die es zu bestimmen gilt.394 Die Pflichten selbst wird man als Teil des Inhalts und der Reichweite des Berufsrechts auszumachen haben.395 Wenn Hopt davon spricht, es könne auch angebracht sein, ohne Berufspflichten zu statuieren396, Berufsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen Vertragsfolgen ohne privatautonomen Vertragsschluss aufzuerlegen,397 so beinhaltet dies nicht eine Haftung ohne Verletzung bestimmter Pflichten.398 Es dürfte darin vielmehr der Ausdruck dessen liegen, dass Berufsrecht und eine Berufshaftung jenseits von einer Kodifizierung in flexibler Gestalt möglich sind. So führt Hopt aus, die praktisch größte Bedeutung komme den beruflichen Schutzpflichten zu. Sie seien selten kodifiziert, äußerst vielfältig und flexibel. Ihre Verletzung führe zur eigentlichen Berufshaftung.399 Deutlich wird an dieser Stelle jedoch erneut, dass Hopt zwischen Berufspflichten und Berufshaftung trennt.400 Zurückkommend auf den eingangs genannten Topos des Berufsrechts als Teil des privaten Marktrechts entwickelt Hopt verschiedene weiterführende Erkenntnisse. So fußt die entsprechende Ausbildung eines Berufsrechts als Teil des privaten Marktrechts, auch das wurde schon verschiedentlich deutlich, u. a. in dem Umstand, dass sich die selbständige berufliche Tätigkeit am Markt vollzieht.401 Zwar organisiere das öffentlich-rechtliche Marktrecht die berufliche Tätigkeit, diese solle sich aber privatautonom entfalten.402 Dort gelte es allerdings, Defizienzbereiche auszumachen, die u. a. darin liegen könnten, dass ungleiche Verhandlungssituationen403 bestehen und Markmechanismen unzureichend sind.404 Ein solcher Bereich könne der Umgang des Spezialisten mit dem Nichtfachmann sein; die „professionelle (…) Überlegenheit oder Angewiesenheit“405 komme zum Tragen und bilde das Haupt des Berufsrechts, um dessen Entwicklung sich Hopt bemüht.406 394
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 655. Siehe Hopt, AcP 183 (1983), 608, 654 f.; vgl. auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 491. 396 Hervorhebung durch die Verfasserin. 397 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 655. 398 Vgl. auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 491. 399 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 658; darauf auch hinweisend etwa Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 87. 400 Siehe auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88, der dies u. a. auf Hopts Ausführung, dass die „eigentliche Arbeit (…) bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang der Berufspflichten“ einsetze [Hopt, AcP 183 (1983), 608, 707], zurückführt. Es ginge nicht um die Bestimmung der Pflicht von der Haftung her, Kersting, a. a. O., unter Hinweis auf Hopt, FS Fischer, 237, 251; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 638 f. 401 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 655; zum Kriterium des selbständigen beruflichen Auftretens am Markt später auch z. B. Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176. 402 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 655. 403 Das betrifft gerade die Situationen, die zu einem Vertragsschluss hinführen sollen. 404 So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 656. 405 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 656; Hervorhebung bei Hopt. 395
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b) Vier Schichten des Berufsrechts nach Hopt Hopt benennt vier Schichten des Berufsrechts als privates Marktrecht: das Berufsrecht als Teil des Vertragsrechts, also als Vertragsinhalt; das Berufsrecht als Anordnung von Vertragsfolgen ohne privatautonomen Vertrag; das Berufsrecht als Begründung von beruflichen Einstandspflichten von Gesetzes wegen sowie die beruflichen Schutzpflichten.407 Es sind die Schutzpflichten, deren Bedeutung im Haftungskontext soeben bereits angedeutet wurde, denen die Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit den Drittauskünften hier gelten soll. Das betrifft gerade die Auskünfte, die nicht auf einem ausdrücklich geschlossenen Vertrag mit dem Anwalt beruhen. Das ist die klassische Situation in der Vertragsverhandlung, vor allem in der Form, dass (allgemeine) Rechtsauskünfte kolportiert werden. Hopt selbst macht bereits für die Einordnung der Schutzpflichten dahingehend Schwierigkeiten aus, ob sie als quasivertraglich oder deliktisch anzusehen sind.408 Er hält zwar de lege ferenda eine Zuordnung zum Deliktsrecht für möglich, de lege lata sei aber der Rechtsgüter- und Vermögensschutz bei Verletzung von Berufspflichten zu wahren.409 Es ginge um eine Haftung aus dem Gesetz, die von deliktsrechtlichen Schwächen befreit worden sei.410 Hopt zeigt auch hier wiederum, dass den Ausgangpunkt seines Haftungsverständnisses die Einordnung und Bestimmung der Pflichten bilden.411 Eine entsprechende Herausarbeitung der Pflichten kann, zunächst auch losgelöst von der Bestimmung konkreter Haftungsgründe, ggf. eine Orientierung im beruflichen Rollenhandeln liefern.
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Hopt, AcP 183 (1983), 608, 656. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 658, 719. Gegen eine derartige Begründung von solchen gesetzlichen Pflichten u. a. Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 83. Die Wahrnehmung von beruflichen Funktionen, so Canaris, möge zwar den Inhalt von Rechtspflichten beeinflussen, stelle aber de lege lata keinen eigenständigen Grund für eine Haftung dar. 408 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 660. 409 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 660 f., 719. 410 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 662, 719. Später (FS für Gernhuber, 169, 176) nähert sich Hopt bezüglich der dogmatischen Einordnung zwar bestehenden Figuren an. So führt er a. a. O. aus, dogmatisch brauche Berufshaftung – unter den besonderen Gegebenheiten des deutschen Rechts – kein Gegensatz zur culpa in contrahendo sein, sondern könne als Konkretisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses verstanden werden. Die Annahme einer solchen Berufshaftung erleichtere unter anderem die sachgerechte Einbeziehung der geschädigten Dritten. Allerdings, so Hopt, lehre die Rechtsvergleichung, dass in manchen anderen Rechtsordnungen die Berufshaftung durchaus als eigene Haftungsgrundlage gelte. Lang, AcP 201 (2001), 451, 491, stellt auf vorvertragliche wie vertragsbegleitende Schutzpflichten einerseits und auf ein gesetzliches Schuldverhältnis in Form einer Vertrauenshaftung andererseits ab. 411 Siehe auch Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176 f., wonach die Verhaltenspflichten das Kernstück des Haftungstatbestandes seien; darauf ebenfalls hinweisend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88. 407
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
c) Konkretisierung Orientierungsleistung können daran anschließend auch weitere Erkenntnisse Hopts bieten. Besonders relevant sind insoweit Hopts Ausführungen zum Berufsrecht und der Konkretisierung, die marktspezifisch, berufsspezifisch oder privatautonom erfolgen könne.412 Die Rechtsordnung müsse damit der Spezialisierung entsprechend den unterschiedlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten Rechnung tragen.413 Das wirkt sich auch auf die im Berufsrecht wurzelnden Pflichten aus. Es sind diese Konkretisierungen, die wiederum unterschiedliche Rollenverständnisse und Rollenkonflikte diskussionswürdig machen. aa) Marktspezifisches Berufsrecht Wenn Hopt marktspezifisches Berufsrecht, beispielsweise durch Börsen- oder Kapitalmarktrecht,414 dort ausmacht, wo es dem Gesetzgeber darum geht, kollektive Informationsungleichgewichte auszugleichen und eine Herstellung von Waffengleichheit am Markt herbeizuführen,415 und Ziel die Bewältigung von Interessenkonflikten ist, die (auch) institutionell angelegt sind,416 so bricht hier ein möglicher anwaltlicher Rollenkonflikt insbesondere innerhalb der anwaltlichen Vertragsverhandlung von der gesetzlichen Anlage her zunächst nicht durch. Institutionell ist jedenfalls in einem Teil des ausdrücklich417 normierten (statusbezogenen) anwaltlichen Berufsrechts (z. B. § 43a Abs. 4 BRAO; Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen) an sich kein Rollenkonflikt angelegt. Dort ist die Zuordnung des Interessenvertreters zu seinem Mandanten festgelegt. Die Interessenvertretung gehört ebenfalls zur Tätigkeit als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Hier soll (und darf) an sich dann aber aus der beruflichen Tätigkeit des Anwalts heraus grundsätzlich keine Anlage zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten gesehen werden. Dass die Schaffung von einer entsprechenden Gleichgewichtung (jedenfalls für eine rechtliche Beratung) im Hinblick auf die Hinzuziehung von Anwälten dem Normgeber nicht fremd ist, zeigt beispielsweise der Anwaltszwang nach § 78 ZPO418. Ein solcher Zwang existiert für die Vertragsverhandlung und -gestaltung 412
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 663 ff. So Hopt, AcP 183 (1983), 608, 663. 414 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 663. 415 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 664. 416 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 665. 417 Nach Hopt gibt es auch Berufsrecht, welches nicht ausdrücklich normiert ist. 418 Vollkommer, Die Stellung des Anwalts im Zivilprozeß, S. 17, unterteilt zwei Gruppen von Zwecken des Anwaltszwangs: die verfahrensbezogenen und die parteibezogenen. Parteibezogen ist der Schutz der Interessen der rechtssuchenden Partei vor einer Gefahr von Rechtsverlusten bei Selbsthandeln, so Vollkommer, S. 16 f. Verfahrensbezogen ist der Zweck, ein geordnetes und sachgemäßes Verfahren zu gewährleisten, Vollkommer, S. 16. 413
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nicht. Es ist dem Einzelnen aber unbenommen, Waffengleichheit zu schaffen, indem jeder einen Anwalt mandatiert. Tut er dies nicht, ist die Schaffung von „Waffengleichheit“ über das (sonstige) Berufsrecht, nämlich über etwaige (flexible) Schutzpflichten, nicht angezeigt.419 Trotzdem, und das macht den anwaltlichen Umgang mit der Materie schwierig, ist, auch und vor allem unter Hinweis auf das von Hopt benannte Auftreten am Markt, erneut mitzuberücksichtigen, dass der Interessenvertreter „Anwalt“ nur einen Teilbereich des anwaltlichen Berufs bildet. Mit anderen Worten kann die Konkretisierung von Pflichten u. a. in Form des Ausgleichs von Informationsungleichgewichten im Einzelfall doch zum Tragen kommen. Es geht dann um die Fälle oder Situationen, in denen der Anwalt sich nicht als Interessenvertreter am Markt präsentiert, sondern allgemein als fachkundiger Berater auftritt, was ebenfalls dem anwaltlichen Berufsbild entspricht. Tragend ist also, als was aus seinem anwaltlichen Rollenrepertoire der Anwalt sich am Markt geriert. bb) Berufsbezogenes Berufsrecht Schon innerhalb des marktspezifischen Berufsrechts spielte gerade für den Bereich von Vertragsverhandlung/-gestaltung das kodifizierte „Standesrecht“, z. B. in Gestalt der BRAO, dort hinein. Dem vorhandenen Berufsrecht der „alten Professionen“ räumt Hopt durchaus einen besonderen Stellenwert ein, welches auch bei der Erteilung einer Auskunft eine Rolle spielt.420 „Alte Professionen“421 könnten ein von Traditionen geprägtes und verfestigtes Berufsbild aufweisen sowie eine von der Rechtsordnung anerkannte Standesrechtsordnung und Standesorganisation.422 Wenn Hopt im Weiteren auch das berufsbezogene Berufsrecht keinesfalls nur als ein Recht der alten Professionen ansieht,423 so ist es hier doch für unsere Zwecke durchaus bedeutsam. Das gilt nicht zuletzt, weil Hopt nunmehr selbst ausdrücklich die Problematik von Interessenkonflikten und soziologischen Rollenkonflikten anspricht,
419
Nicht eindeutig ist, ob Hopt als marktspezifisches Berufsrecht nur ein solches sieht, wo der Normgeber regulierend tätig geworden ist; in dem Sinne auslegbar Hopt, AcP 183 (1983), 608, 664. 420 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 666. 421 Die Professionalisierung gerade auch unter Bezugnahme berufsrechtlicher Rahmenbedingungen rückt etwa auch Herrmann, JZ 1983, 422 ff., allerdings im Kontext einer Sachwalterhaftung, in den Fokus. Anküpfungspunkte einer primären Haftung für Vermögensschäden sind die mit einer Profession verbundenen typischen Missbrauchsgefahren, die von einer Inanspruchnahme berufsspezifischen Vertrauens ausgehen (S. 426); zur Präzisierung der Professionalisierungsmerkmale der Sachwalterstellung, ebenfalls Herrmann, S. 426. Zu Versuchen in der Literatur, die Sachwalter- zur Berufshaftung umzubauen, Breinersdorfer, Haftung der Banken für Kreditauskünfte, S. 88 f., gerade auch im Kontext von Vertragsverhandlungen. 422 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 666. 423 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 666.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
die das berufsspezifische Berufsrecht zu bewältigen hat.424 Er nennt u. a. den Rechtsanwalt in der Konfliktsituation zwischen unabhängigem Organ der Rechtspflege und einseitigem Interessenvertreter seines Mandanten.425 Eine Bewältigung dieser Problematik lässt sich durchaus dem kodifizierten Berufsrecht der Anwälte entnehmen und zwar dem Berufsrecht, wie es von BRAO und BORA geprägt ist. Demnach wird man, u. a. unter Bezug auf § 43a Abs. 4 BRAO, der Interessenvertretung durch den mandatierten Anwalt den Vorrang einräumen müssen, in der (gleichzeitigen) Organstellung jedoch eine Grenzziehung ausmachen können.426 Letztere macht dann aber wieder nachvollziehbar, warum ein Dritter ggf. Erwartungen an den Anwalt richten darf und warum er ggf. einen unmittelbaren Anspruch gegen den Anwalt haben kann. Man kann somit durchaus weitere Erkenntnisse für das Verhältnis von Anwalt und Drittem gewinnen. Es ist Hopt zudem zuzubilligen, dass es sich in solchen Situationen, das zeigt vor allem die eigentliche Vertragsverhandlung, häufig um Personen-, nicht um Gruppenkonflikte geht.427 Schwieriger nachzuvollziehen ist Hopts Folgerung, wonach beim berufsspezifischen Berufsrecht die Konkretisierung eher auf bürgerlich-rechtlichen Kategorien428 erfolge als beim marktspezifischen Berufsrecht.429 Eine Konkretisierung berufsspezifischen Berufsrechts erfolge häufig durch den Richter.430 Das mag einen Grund darin haben, dass Hopt seine Überlegungen viel weiter zieht als sie von den „alten Professionen“ vorgegeben werden, zumal die Gruppe der Rechtsanwälte davon wieder nur einen Teil bildet. Führt man sich jedoch gerade die Notwendigkeit der Bewältigung von Rollenkonflikten und des damit verbundenen Orientierungsbedürfnisses vor Augen, so muss, jedenfalls für die Rechtsanwälte, dem öffentlich424
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 667. An anderer Stelle (FS für Fischer, 237, 246) greift Hopt die Erfassung von Interessenkonflikten zwischen verschiedenen Kunden von Anlageberatern durch Berufsregeln auf. Siehe wiederum Müller, Auskunftshaftung, S. 142 ff., der unter einem engen Ansatz der Berufshaftung solche Konzepte ausmacht, die bei soziologischen Berufsrollen ansetzen; er verweist insoweit im Besonderen eben auf Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. und Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff. 425 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 667. Hopt differenziert durchaus zwischen unterschiedlichen Berufen. So führt er (FS für Pleyer, 341, 358) für den Wirtschaftsprüfer bzw. den Sachverständigen aus, diese seien ohne Rücksicht auf Interessengegensätze zur Erstellung eines richtigen, unparteiischen Gutachtens verpflichtet. 426 Es ist dabei nochmals zu beachten, dass der Anwalt auch und gerade als Interessenvertreter Organ der Rechtspflege ist. Diese „Organstellung“ „fordert“ die (einseitige) Interessenvertretung, entwickelt aber auch eine Grenzfunktion dahingehend, die Einseitigkeit nicht ausufern zu lassen. 427 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 668. 428 Beachtenswert ist auch, dass Hopt an anderer Stelle [AcP 183 (1983), 608, 672] davon spricht, das Berufsrecht könne die Funktion haben, eine selbständige Rechtsebene zwischen bürgerlichem und Handelsrecht einzuziehen. Darauf u. a. hinweisend Hirte, Berufshaftung, S. 404. 429 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 668, dort zudem dazu, dass damit auch auf die Vertrauenshaftung zurückgegriffen werden könne. 430 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 668.
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rechtlichen Berufsrecht eine bedeutende Rolle zukommen, auch innerhalb eines berufsspezifischen Berufsrechts. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass dieses Auswirkungen auf ein bürgerlich-rechtlich fundiertes berufsspezifisches Berufsrecht und einen entsprechenden Pflichtenkatalog hat. Das zeigen die von der Rechtsprechung ausgeformten Pflichten, die aus dem anwaltlichen Vertrag folgen. Das kann außerdem auch im Auskunftsbereich gegenüber Dritten der Fall sein. Es zeigt sich vielmehr, wie schwierig es ist, ein geschlossenes System zu entwickeln, das die Haftungsproblematiken im beruflichen Bereich zur Gänze abdeckt. cc) Privatautonom konkretisiertes Berufsrecht Eine weitere Säule bildet bei Hopt schließlich das privatautonom konkretisierte Berufsrecht, welches bedeutsam ist für eine konkrete rechtliche Beziehung zwischen einem Berufsangehörigen und seinem Klienten bzw. einer sonstigen Person, die innerhalb eines geschäftlichen Kontakts mit dem Berufsangehörigen mit diesem zusammenkommt.431 Wenn man den Blick auf die von Hopt bezeichneten beruflichen Schutzpflichten beschränkt und dabei noch die Ausrichtung auf den Dritten, das heißt denjenigen, der nicht mit dem Anwalt in einem vertraglichen Kontakt steht, lenkt, so kann man die Problemfelder, in denen ein privatautonom konkretisiertes Berufsrecht zum Tragen kommt, begrenzen. Sieht man mit Hopt die Schutzpflichten als aus dem Gesetz folgend an,432 so kann zwar gleichwohl eine eigenständige vertragliche Fixierung erfolgen.433 Gerade das wird aus anwaltlicher Sicht in den Fällen der Vertragsverhandlung (und späteren -gestaltung) gegenüber einem Dritten kaum geschehen.434 Interessant aus anwaltlicher Sicht ist vielmehr, ob aus dem vertraglichen Kontakt mit seinem Mandanten u. U. eine Beeinflussung des Pflichtenumfangs gegenüber dem Dritten erfolgen kann.435 4. Voraussetzung für das Berufsrecht Gleichsam entsprechend einem roten Faden durchzog bei Hopt immer das berufliche Auftreten am Markt die Argumentation und die Gedankenführung. Für das Eingreifen eines Berufsrechts macht Hopt als Voraussetzung dieses gerade aus.436 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bisher aufgezeigten Probleme, u. a. der prä431
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 668. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 668. 433 So auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 668. Siehe ferner, worauf Hopt, a. a. O., Fn. 236, auch hinweist, Huber, FS für Caemmerer, 359, 386, 388. 434 Fragen des Vertrags zugunsten Dritter oder eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte werden bei Hopt nicht thematisiert. 435 Vgl. auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 669. 436 Nochmals Hopt, AcP 183 (1983), 608, 719; siehe später z. B. auch Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176. 432
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
zisen Pflichtenbestimmung als maßgeblichen Aspekt einer Haftung, ist eine differenzierte Analyse angezeigt. a) Beruf Ein Beruf im Sinne des Berufsrechts liegt nach Hopt vor, wenn eine „selbständige, nicht rein private und außerhalb des Erwerbslebens liegende Tätigkeit einer Person am Markt“437 gegeben ist, die sich auf Waren oder Dienste bezieht. Hierunter fallen, so Hopt, u. a., wenn auch keinesfalls ausschließlich, die „alten Professionen“ und freien Berufe,438 somit jedenfalls der Anwalt.439 b) Selbständigkeit Interessant ist, wann man beim Anwalt von einer „selbständigen“ Tätigkeit im Sinne des Berufsrechts, wie Hopt es versteht, sprechen kann. Bedeutsam ist dieser Punkt u. a., wenn ein angestellter Anwalt z. B. für einen Mandanten in die eigentlichen Vertragsverhandlungen involviert ist. Selbständigkeit im Sinne des Berufsrechts erfordert nach Hopt weder wirtschaftliche Unabhängigkeit noch Weisungsfreiheit, notwendig ist, „(…) daß der Berufstätige entweder allgemein am Markt oder konkret gegenüber einem anderen in einer Weise auftritt, daß nicht nur sein Arbeit- oder Auftraggeber, sondern er selbst am Markt, d. h. dem anderen Marktteilnehmer bzw. dem Verkehr, für ein bestimmtes berufliches Verhalten und Fehlverhalten geradestehen muß.“440
437
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 670, 719. Eine Rolle spielt es nach Hopt (a. a. O.) nicht, ob die Ausübung des Berufs mit Gewinnerzielungsabsicht oder gemeinnützig erfolgt, ob für die Tätigkeit eine größere äußere Organisation mit sachlichen oder persönlichen Mitteln erforderlich ist. Ebenso wenig erforderlich ist, dass eine natürliche Person tätig wird. Letzteres kann interessant werden, wenn z. B. eine Anwalts-GmbH (§§ 59b ff. BRAO) tätig wird. Schließlich ist es nicht von Bedeutung, ob die berufliche Tätigkeit zulässigerweise ausgeübt wird, ob sie gesetzes-, sitten- oder standeswidrig ist. 438 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 670. 439 Eine weitere Auseinandersetzung mit der Weite des Begriffs, der soziale Berufsrollen wie ökonomische Rollen umfasst [Hopt, AcP 183 (1983), 608, 670], muss hier insoweit nicht erfolgen. Das gilt auch für die von Hopt vorgenommene Abgrenzung zum Kaufmannsbegriff. Siehe ebenfalls die Definition, die Lang, AcP 201 (2001), 451, 514, im Kontext mit den Quellen des Berufsrechts bringt. Danach werde berufsmäßiges Handeln – mit geringfügigen Abweichungen – definiert als jede erlaubte, sinnvolle, auf Dauer berechnete Tätigkeit, welche der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage diene (allerdings oftmals mit Ausnahme derjenigen freien Berufe, bei denen die Leistungserbringung höchstpersönlichen Charakter habe). Hierbei werde grundsätzlich impliziert, dass der beruflich Tätige über hinreichende berufliche Kenntnisse und Erfahrungen verfüge. Ausschließlich privat getätigte Transaktionen könnten daher ein berufsmäßiges Handeln nicht begründen, da diese nicht mit berufsmäßigen Erwartungen verbunden seien. 440 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 678.
D. Juristische Haftungsansätze
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Namentlich für die uns interessierenden beruflichen Schutzpflichten folgert Hopt daraus, dass diese nur den selbständigen, nicht den als Arbeitnehmer abhängigen Berufstätigen treffen.441 Das erhebliche Risiko sei nur dem zuzumuten, der auch die Gewinne beanspruchen könne.442 Hinzukommen muss jeweils grundsätzlich ein entsprechendes selbständiges Auftreten. Diese Eingrenzungen bedürfen ebenfalls im anwaltlichen Bereich der differenzierten Betrachtung. Unproblematisch ist der Umgang mit (einzelnen) Anwälten, die im steuerrechtlichen (§ 18 EStG) und sozialversicherungsrechtlichen (§ 7 SGB IV443) Sinn Selbständige sind. Sie sind jedenfalls (auch) im Hoptschen Sinn selbständig, da sie das wirtschaftliche Risiko, aber auch den Gewinn ihrer Tätigkeit tragen. Das gilt ebenfalls, wenn Anwälte als Sozien444 innerhalb einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts miteinander verbunden sind (§§ 705 ff. BGB).445 Auch bei einer Verbindung der einzelnen Anwälte in einer Partnerschaft nach dem PartGG greifen diese Überlegungen. Zwar ist die Partnerschaft nach § 7 Abs. 2 PartGG i. V. m. § 124 HGB einer OHG angenähert. Allerdings haften die Partner nach § 8 Abs. 1 PartGG nach außen persönlich als Gesamtschuldner. Damit ist wiederum grundsätzlich ein „eigenes Geradestehen am Markt“446 gegeben. Sollte demgegenüber eine Anwalts-GmbH (§§ 59b ff. BRAO) involviert sein, so ist der „Berufstätige“ die jeweilige GmbH, da bei Hopt gerade auch eine juristische Person ein solcher sein kann447. Es tritt dann in der Regel diese juristische Person am Markt auf.448 Ebenso wäre danach der angestellte Anwalt kein „Selbständiger“.449
441
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 679. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 679. 443 § 7 SGB IV enthält allerdings lediglich Ausführungen zur Beschäftigung als „nichtselbständige Arbeit“ (Abs. 1 Satz 1); eine Definition zur Selbständigkeit findet sich nicht. 444 Siehe allerdings dazu, dass sich die Stellung eines Partners (Sozius) einer allgemein anerkannten Definition entzieht und im Einzelfall eine Gesamtbewertung durchzuführen ist, Henssler/Streck/Michalski/Römermann, Handbuch Sozietätsrecht, B, Rn. 193. In die Gesamtbewertung habe u. a. die Beteiligung an Gewinn und Verlust einzufließen, ebenda. 445 Auch wenn es in Bezug auf die beruflichen Schutzpflichten als gesetzliche Pflichten grundsätzlich unerheblich sein muss, ob zwischen den Beteiligten ein Vertrag besteht, ist doch für das Verhältnis Anwalt – Mandant darauf hinzuweisen, dass im Zweifel eine Vertragsbeziehung zur gesamten Sozietät bestehen wird, Henssler/Streck/Michalski/Römermann, Handbuch Sozietätsrecht, B, Rn. 395. Ein Einzelmandat wird nur in Ausnahmefällen vorliegen, a. a. O., Rn. 396. 446 Formulierung nach Hopt, AcP 183 (1983), 608, 678. 447 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 670. 448 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 679, nimmt selbst leitende Angestellte von den beruflichen Schutzpflichten aus. Das muss dann ebenso für etwaige Gesellschafter gelten. 449 Der Anwaltsvertrag kommt ausschließlich zwischen dem Mandanten und der Rechtsanwaltsgesellschaft mbH zustande, Henssler/Streck/Henssler, Handbuch Sozietätsrecht, D, Rn. 156. Das Handeln des angestellten Anwalts wird der Rechtsanwaltsgesellschaft über § 278 BGB zugerechnet, a. a. O., Rn. 158. 442
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Hopt verweist beispielsweise für einen angestellten Arzt auf eine Haftung „nur“ nach §§ 823 ff. BGB.450 Es ist in der Regel nachvollziehbar, dass im Verhältnis Anwalt – Mandant auch bezüglich der von Hopt bezeichneten Schutzpflichten solche nur den „Selbständigen“ treffen sollen, vor allem, wenn der Mandant weiß oder erkennen kann, wie der Anwalt zu einem etwaigen Arbeitgeber steht. In dem Fall kommt etwa der von Hopt für das Eingreifen des Berufsrechts entwickelte Zweck der Schadensverteilung in der Person des Angestellten nicht zum Tragen. Anknüpfend an diesen Zweck ist der Nichtfachmann auch für seinen Vermögensschutz bezüglich der Person des Angestellten nicht unbedingt schutzbedürftig. Ihm verbleibt diesbezüglich immer noch sein unmittelbarer Vertragspartner. Ein entsprechender eigener Überblick/entsprechender Schutzmechanismus ist jedoch einem Dritten zumeist verwehrt. In den Fällen der Auskunft gegenüber Dritten sieht sich letzterer in der Regel „lediglich“ einem Fachmann gegenüber, der z. B. die eigentlichen Vertragsverhandlungen „mitgestaltet“, insoweit als Fachmann durchaus in das Marktgeschehen eingreift.451 Diesen dann mangels Selbständigkeit ggf. komplett aus ihn treffenden beruflichen Schutzpflichten und einer daran anschließenden Haftung zu entlassen, erscheint angesichts von dessen Präsenz und der Einflussmöglichkeiten als Fachmann in die Abläufe befremdlich. Hopt selbst benennt denn auch Schwierigkeiten/Ausnahmen in Bezug auf den Topos der Selbständigkeit. Dazu gehört u. a. der Fall, in dem der beruflich Unselbständige einem anderen gegenüber selbständig auftritt.452 Beispielhaft für die damit einhergehenden Unsicherheiten führt Hopt die Sachwalterhaftung453 an. Fasst man darunter Fälle der möglichen Haftung von Vertretern oder anderen Verhandlungsgehilfen, die z. B. persönlich besonderes Vertrauen in Anspruch genommen haben,454 so muss das „eigene Geradestehen am Markt“455 nicht unbedingt ein zwingendes Kriterium sein, um eigene Pflichten und eine Haftung zu begründen. Auch in seiner allgemeineren Definition hat Hopt u. a. auf das konkrete Auftreten am Markt abgestellt.456 Demzufolge ist es durchaus möglich, dass der Anwalt im 450
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 679. Marktgeschehen wird hier als ein Auftreten in dem Kontext verstanden, der zum beruflichen Umfeld gehört. Es geht um ein Handeln in der Berufsrolle, vgl. auch Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176. 452 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 679. 453 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 680. Lang, AcP 201 (2001), 451, 515, verweist ebenfalls ausdrücklich auf die Sachwalterhaftung als Lösung entsprechender problematischer Fälle. 454 Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 64; siehe auch Hopt, AcP 183 (1983), 608, 680, der für den Fall der Sachwalterhaftung anführt, die Rechtsprechung habe dort mit dem Kriterium des besonderen oder persönlichen Vertrauens das Element der Selbständigkeit des Auftretens des angestellten oder beigezogenen Sachwalters oder Vertreters erfassen wollen. 455 Formulierung nach Hopt, AcP 183 (1983), 608, 678. 456 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 678. 451
D. Juristische Haftungsansätze
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konkreten Fall einem Dritten gegenüber als selbständig auftritt, dies aber gegenüber seinem Mandanten nicht der Fall ist. Für eine etwaige Haftung des Anwalts gegenüber einem Dritten wegen falscher Auskünfte dürfte daher die Frage, ob er tatsächlich „selbständig“ ist, in der Regel nicht ausschlaggebend sein. c) Berufseinschlägiges Auftreten am Markt Bedeutsam ist ein weiteres Kriterium, das Hopt mit dem „berufseinschlägigen Auftreten am Markt“ benennt.457 Dabei ist in Bezug etwa auf Vertragsverhandlungen weniger die Ausgrenzung von privaten Tätigkeiten schwierig458. Auch die Berufseinschlägigkeit der Tätigkeit459, wonach der beruflich Tätige gerade als Angehöriger seines Berufs auftritt, ist auch hinsichtlich der Verhandlungstätigkeit460 beim Vertrag gegeben; das gilt ebenso dann, wenn der Anwalt sich mediativ geriert (vgl. § 7a BORA – Mediator). Aufmerksamkeit verdient vor allem die bei dem Merkmal von Hopt angesiedelte Ausgrenzung von Drittschäden.461 Anders als bei den zuvor von ihm entwickelten Kriterien bleibt er dort allerdings die Herausarbeitung eines greifbaren Instrumentariums schuldig. Seine Problemanalyse ist zunächst durchaus zutreffend: Bei der berufsrechtlichen Erfassung geht es darum, ob und wann etwaige Berufspflichten (auch) weiteren Dritten geschuldet werden und das gerade in einem Bereich, der nicht ihre absolut geschützten Rechtsgüter betrifft, sondern vor allem das Vermögen.462 Es geht um die Schaffung risikoeingrenzender Kriterien, damit der Berufsangehörige Schäden einkalkulieren und sich ggf. absichern kann.463 Der Antizipations- und Orientierungsaspekt, auf den, nicht zuletzt unter Rekurrierung des Rollenbildes, immer wieder großer Wert gelegt wurde, kommt hier erneut zum Tragen. Hopt führt das Problem jedoch an dieser Stelle keiner Lösung zu. Er macht vielmehr für die beruflichen Schutz- und Verkehrspflichten erhebliche dogmatische 457
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 680 ff. An anderer Stelle spricht Hopt (FS für Gernhuber, 169, 176) davon, das selbständige berufliche Auftreten am Markt bedeute ein Handeln in der betreffenden Berufsrolle. 458 Dazu Hopt, AcP 183 (1983), 608, 680 f.; siehe ebenfalls Lang, AcP 201 (2001), 451, 515. Vgl. in dem Zusammenhang ferner Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 84, der mit Blick auf die Auseinandersetzung mit der Berufshaftung ein Handeln im rechtsgeschäftlichen Bereich ablehnt, wenn ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis vorliegt. Canaris zieht daraus aber die Schlussfolgerung, es ginge in Wahrheit nicht um die Verletzung spezifischer Berufspflichten, sondern um die Abgabe unrichtiger Erklärungen. 459 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 681 f. Auch dazu Lang, AcP 201 (2001), 451, 515 f. 460 Das gilt im Besonderen für Verhandlungen, die zu einem Vertragsschluss führen sollen, trifft aber durchaus auch für sonstige Vorgespräche von Verträgen zu. 461 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682 f. 462 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682. 463 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 683.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
und rechtspolitische Schwierigkeiten aus,464 bezeichnet die Problematik der fahrlässig verursachten primären Vermögensschäden Dritter als bisher nicht bewältigt und als „hier“ nicht lösbar465 und lässt es bei einem Hinweis bewenden, wonach eine befriedigende Lösung weder mit einer Vertragsfiktion noch mit der Berufung auf Vertrauen zu finden sei466. Für Drittschäden aus Auskunft führt er zwar im Anschluss an die Rechtsprechung den Topos der beruflichen Gewährübernahme467 an, räumt aber gleichzeitig ein, damit sei eine entscheidende Konkretisierung nur angedeutet.468 Dabei bietet Hopt innerhalb seiner Überlegungen verschiedene Argumente, deren Vertiefung sich in diesem Zusammenhang gelohnt hätte. So hängt er u. a. die Problematik daran auf, dass es um Dritte gehe, die außerhalb der beruflichen Rollenbeziehung stünden. Als solche würden sie von Berufsrecht und -haftung zwar reflexartig mitgeschützt, es stünden ihnen aber keine direkten Ansprüche zu.469 Für unsere Zwecke kann man, nicht zuletzt unter Aufgreifen verschiedener Rollenverständnisse, hier u. U. wohl eine weitere Konkretisierung vornehmen. Das betrifft bereits den von Hopt aufgeworfenen Umstand des Dritten, der außerhalb der beruflichen Rollenbeziehung steht. Beim Handeln eines Anwalts, u. a. innerhalb von Vertragsverhandlungen, ist es aber keineswegs selbstverständlich, dass der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) außerhalb einer Rollenbeziehung steht. Es fragt sich nur außerhalb oder innerhalb von welcher Rollenbeziehung. Denn schon des Öfteren wurde auf den Umstand hingewiesen, dass der Anwalt die Interessen seines Mandanten (gerade) auch als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) wahrnimmt. Den Dritten zumindest in Bezug auf letzteres hinsichtlich jedweder Rollenerwartung außen vor zu lassen, wäre grundsätzlich zu weit gegriffen.470
464
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682 f. Stahl, Dritthaftung, S. 62, konstatiert diesbezüglich, dass die Lehre Hopts somit in dem Bereich, in dem die Rechtsordnung gemäß dem Satz „casum sentit dominus“ dem Dritten die ersatzlose Tragung von Vermögensschäden zuweise, keinen Beitrag leiste. Dies konzediere Hopt auch selbst, wenn er [AcP 183 (1983), 608, 682 f.; derselbe, Aktuelle Rechtsfragen der Haftung für Vermögensberatung einschließlich der Prospekthaftung, S. 17 ff.] davon spreche, dass „die Abgrenzungsprobleme bei fahrlässig verursachten Vermögensschäden Dritter bisher noch nicht bewältigt“ sei. 466 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 683. 467 Auch später zu dem Topos der beruflichen Gewährübernahme bei Drittschäden Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176. 468 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 683.; dem auch positiv gegenüberstehend Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 225. Kritisch zur „beruflichen Gewährübernahme“ als nicht näher erläutertes risikoeingrenzendes Kriterium Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88. 469 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682; dazu auch Lang, AcP 201 (2001), 451, 517. 470 Es besteht, da der Anwalt zugleich Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ist, bereits eine Rollenbeziehung zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten. Letzterer darf vom Anwalt etwa erwarten, dass dieser sein Fachwissen nicht missbräuchlich einsetzt. 465
D. Juristische Haftungsansätze
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Hinzu kommt noch ein Weiteres: Insbesondere mit den Erkenntnissen von Hopt, der das Auftreten am Markt in den Vordergrund rückt, kann der Dritte je nach Situation u. U. in eine (besondere) eigene Rollenbeziehung zum Anwalt hineintreten. Es sei an dieser Stelle nochmals das Beispiel genannt, in dem der Anwalt, obwohl als Interessenvertreter mandatiert, sich als Mediator geriert. Gleichwohl, und hier muss man in eine ähnliche Richtung gehen wie Hopt, schaffen diese weitergehenden Überlegungen zwar zusätzliche Erkenntnisse, die der Anwalt durchaus nutzen kann. Eine inhaltliche Konkretisierung etwaiger Pflichten471 gerade gegenüber dem Dritten ist damit immer noch nicht in Schärfe vorgenommen. Das liegt für die Auskunft des Anwalts gegenüber Dritten u. a. aber daran, dass, vor allem wenn man die Situationen (auch) aus einer Rollenperspektive betrachtet, für einen Dritten u. U. je nach Einzelfall zu entscheiden ist, welche jeweiligen situativen Elemente zu welcher Beziehung des Dritten zum Anwalt führen. So wirkt sich ein offensives Betonen der Mandanteninteressen anders auf mögliche Pflichten gegenüber dem Dritten aus als ein eher ausgleichendes Auftreten. 5. Bestimmung des Inhalts des Berufsrechts Hinsichtlich des Inhalts des Berufsrechts zeigt Hopt lediglich Beispiele und Probleme auf.472 Trotz oder gerade weil die vorherigen Ausführungen zur Konkretisierung so offen waren, beschränkt sich unsere Auseinandersetzung auf die Überlegungen zu den beruflichen Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens und dort auf die Erteilung eines Rats.473 U. a. für die Erteilung eines Rats474 führt Hopt nochmals aus, dass damit besondere Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens einhergehen können.475 Dass diese Pflichten Inhalt eines besonderen Vertragsverhältnisses sein können,476 ist, wenn man den Fokus auf den Dritten richtet, zwar zutreffend, dort aber nur selten anzutreffen. Dort besteht vielmehr die „Gefahr“ fiktiver Verträge.477 Gerade dann kann sich aber nach Hopt eine Pflicht ex lege ergeben.478 Als Voraussetzung wird nochmals die jeweilige Berufstätigkeit betont.479 Zudem hebt Hopt erneut besondere 471
Bezüglich des Ob wie auch bezüglich des Inhalts. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 683 ff. 473 Dazu Hopt, AcP 183 (1983), 608, 705 ff. Zur Auskunft siehe noch die Ausführungen innerhalb des Resümees. 474 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 705; daneben führt Hopt Aufklärung, Testat und Prospekt an. 475 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 705. 476 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 706. 477 Darauf auch hinweisend Hopt, AcP 183 (1983), 608, 706. 478 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 706; Hervorhebung bei Hopt. 479 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 706; anderen Kriterien, auf die die Rechtsprechung abstellt, wie vermögensrechtliche Relevanz der Auskunft für den Empfänger oder das eigene wirt472
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Problembereiche hervor, die zuvor schon erörtert wurden: die Bestimmung von Inhalt und Umfang der jeweiligen Berufspflichten unter adäquater Berücksichtigung u. a. von Interessenkonflikten und die Frage, wem gegenüber Berufspflichten bestehen sollen.480 Schließlich benennt Hopt auch die Rechtsfolge, die bei der Verletzung der Berufspflichten zum Schutz fremden Vermögens drohen. Zu ersetzen ist danach in der Regel (lediglich) das negative Interesse.481 6. Kritik und Folgerungen Hopts Ausarbeitungen zu Berufsrecht, -pflichten und -haftung sind im Kontext von Vertragsverhandlung/-gestaltung zweigeteilt zu sehen. Setzt man sich mit Hopts Ansatz im Zusammenhang mit der Suche nach einer dogmatischen Grundlage für eine Haftung auseinander, die eine entsprechende Anspruchsgrundlage bilden könnte, so ist der Kritik, die sich jedenfalls auf die ursprünglichen Überlegungen Hopts bezieht, zu folgen. Danach geht es Hopt weniger um die Haftungsgründe als vielmehr um die Bestimmung der Berufspflichten.482 Hopt macht ohnehin zur Begründung der Haftung weniger Ausführungen als zu den eigentlichen Pflichten.483 Warum gerade der Beruf „an sich“ eine (gesetzliche) Haftungsgrundlage bilden könnte, wird nicht hinreichend deutlich.484 Von einer solchen Sichtweise ist Hopt später in gewisser Weise abgerückt, indem er dartut, dogmatisch brauche Berufshaftung – unter den besonderen Gegebenheiten des deutschen Rechts – kein Gegensatz zur culpa in contrahendo sein, sondern könne als Konkretisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses verstanden werden.485 Jedoch, so Hopt, lehre die Rechtsvergleichung, dass in mancher anderen Rechtsordnung die Berufshaftung schaftliche Interesse des Auskunftsgebers lässt Hopt (S. 707) gegenüber dem Merkmal der Berufstätigkeit zurücktreten. Auf die grundsätzliche Kontroverse in Bezug auf die Ansätze bezüglich der Haftung von Berufsträgern in diesem Kontext hinweisend Lang, AcP 201 (2001), 451, 517, u. a. unter Verweis (Fn. 399) auf Hirte, Berufshaftung, S. 386 ff.; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 44 ff.; 56 ff. 480 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 707. Siehe auch später wiederum FS für Gernhuber, 169, 177, wo Hopt ausführt, Inhalt und Umfang der Haftung bestimmten sich heute weitgehend unabhängig davon, welche Haftungsgrundlage gewählt würde. Maßgeblicher Grund für Annahme und Reichweite der Pflicht, im Beitrag eine solche auf Aufklärung durch Kreditinstitute, sei die besondere berufliche Sachkunde. 481 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 707 f. 482 Siehe nochmals Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88. 483 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88. Zur besonderen Bedeutung der Pflichten auch erneut Hopt, FS für Gernhuber, 169, 177. 484 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk, Anwaltshaftung, § 32, Rn. 14, bezeichnet die Theorie eines eigenständigen Berufrechts als Haftungsgrundlage als wenig überzeugend; ablehnend auch u. a. Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 83. 485 So Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176.
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durchaus als eigene gesetzliche Haftungsgrundlage gelte.486 Hopt nähert sich damit anderen (gegebenen) Haftungsgrundlagen an, wobei er allerdings der Klärung der Haftungsgrundlage keine starke Bedeutung zumisst, diese vielmehr in den Haftungsstandards sieht.487 Gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb lohnt es sich, Hopts ursprüngliche grundsätzliche Ausführungen488 aufzugreifen, trotz der geäußerten Kritik und der späteren (teilweisen) Revidierung durch Hopt. Seine Auseinandersetzung mit den Pflichten489 und den damit einhergehenden Problemen kann man als durchaus weiterführend für die Behandlung von Interessen in der anwaltlichen Vertragsverhandlung und -gestaltung bezeichnen. Das gilt hier zunächst weniger für die Einbettung in (andere) gesetzliche Schuldverhältnisse.490 Es geht vielmehr um den rollenspezifischen Nutzen, die Durchdringung der Haftungsproblematik aus einem unterschiedlichen Rollenhandeln heraus. Nur so werden Handlungsstrategien für den Anwalt, aber auch andere Haftungsansätze verständlicher. Das gilt nicht zuletzt aufgrund Hopts Herausarbeitung der Bedeutung des beruflichen Auftretens am Markt. Es ist dieser zuletzt genannte Topos, an den angeknüpft werden soll. Für den am Markt beruflich tätigen Anwalt ist der Umgang mit Informationen sowie mit Dritten stets präsent, vor allem innerhalb von Vertragsverhandlungen. Man kann auch sagen, dieses „Marktsegment“ ist auf den Umgang mit unterschiedlichen Informationen angelegt. Zuvor wurde bereits die Problematik aufgeworfen, ob/wann der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) Schutz verdient, nicht zuletzt angesichts des Umstands, dass er einen eigenen Interessenvertreter mandatieren kann. Wann ist der Dritte „Marktteilnehmer“, wovor ist ihm am Markt Schutz zu gewähren? Diesbezüglich sind zunächst Aspekte aufzugreifen, die Hopt innerhalb des berufseinschlägigen Auftretens am Markt und dort im Zusammenhang mit der Ausgrenzung von Drittschäden bringt: der Topos der „beruflichen Gewährübernahme“491 bei 486
Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176. Hopt, FS für Gernhuber, 169, 176. 488 Insbesondere und vor allem Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. 489 Dass der Beruf Einfluss auf rechtliche Pflichten nehmen kann, ist im Grunde selbstverständlich. Auch wenn Hopt bezüglich des Inhalts und des Umfangs der Pflichten eine Konkretisierung namentlich für die Schutzpflichten nur andeutet, so ist seine grundlegende methodische Aufbereitung von großer Bedeutung für die Verständnisdurchdringung. 490 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88 f., bezeichnet Hopts Ausführungen, wonach die Zuordnung der Auskunftshaftung zur Berufshaftung kein Gegensatz zur c.i.c. sei, sondern eine Konkretisierung des Inhalts des gesetzlichen Schuldverhältnisses gemäß § 241 Abs. 2 BGB, als hellsichtige Erkenntnis, die für die spätere Neukonzeption eine wichtige Rolle spiele. 491 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682 f., Hopt, FS für Pleyer, 341, 359. Grunewald, AcP 187 (1987), 285; 296 ff., stellt, allerdings bezogen auf die Erstellung von Gutachten, auf eine Haftung des Experten aus Garantieerklärung ab. Darauf jeweils verweisend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88, Fn. 502. Siehe außerdem etwa Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 225. 487
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Drittschäden und die Schaffung von risikoeinschränkenden Kriterien gerade für den Fachmann. Hopt entwickelt hierfür kein unmittelbar greifendes Instrumentarium. Beide Aspekte können aber angereichert werden, wenn man auf einen weiteren von Hopt angeführten Gesichtspunkt abstellt. Es geht um die Rollenbeziehung. So sieht Hopt den Dritten (lediglich) außerhalb der beruflichen Rollenbeziehung des Anwalts, sein Schutz sei ggf. nur ein Reflex.492 Vor allem für Vertragsverhandlungen, die zu einem Vertragsschluss führen sollen, ist hierbei aber eine genaue Betrachtung angezeigt. Das betrifft insbesondere die ebenfalls schon angesprochenen Fälle, in denen sich der Anwalt in der Verhandlung als „Vermittler“ oder „Quasi-Mediator“ geriert. Das sind Situationen, in denen der Anwalt die Interessen des Dritten aktiv einbezieht. Er öffnet sich dem Dritten in einer Weise, die eine aktive Rollenbeziehung zum Dritten erschließen kann.493 Dies geschieht zwar nicht über einen Vertrag mit entsprechenden Muss-, Soll- und KannErwartungen.494 Losgelöst zunächst von irgendwelchen Haftungsüberlegungen, allein mit Blick auf das Rollenverhalten geschieht dies hier durch das anwaltliche Auftreten als Fachmann in einem bestimmten beruflichen Segment. Dieses Segment, aus dem heraus der Anwalt dem Dritten gegenübertritt, ist eben das des Vermittlers oder des „Mediators“.495 Indem der Dritte in solchen Situationen zudem jenseits eines privaten Raumes einem anderen bewusst einen „Einfluss“ in seine (Vermögens-)496Entscheidungen zubilligt, weil dieser ein Fachmann ist, kann man durchaus von einem marktbezogenen Auftreten des Anwalts sprechen. Eine solche „Einflussnahme“ bezweckt der Anwalt auch. Mag er im Innenverhältnis für sein Handeln den Grund im Anwaltsvertrag mit dem Mandanten ausmachen, so geriert er sich in der Situation für den Dritten jedoch anders. Darauf kommt es entscheidend an. Problematisch könnte allerdings sein, dass der Dritte zumeist von der Bindung des Anwalts an seinen Gegenüber (anderer Vertragspartner) weiß. Es taucht somit dieselbe Schwierigkeit auf, die z. B. innerhalb der Diskussion um den reichsgerichtlichen Ansatz im Zusammenhang mit der „Vertretung widerstreitender Interessen“ angesprochen worden ist. Eine Lösung findet sich hier jedoch unter Hinzuziehung weiterer/anderer Aspekte. Selbst wenn der Dritte weiß bzw. wissen kann, dass der Anwalt grundsätzlich der Interessenvertreter der anderen Partei ist, führt das nicht dazu, dass damit eine (eigene) berufliche Rollenbeziehung zum Dritten nicht bestehen kann. Das ist ein 492
Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass es bei Hopt nur darauf ankommt, wie der Einzelne auftritt. 494 Dass ein Anwaltsvertrag zugleich Haftungsgrundlage ist, der in Bezug auf den Dritten gerade fehlt, ist hier nicht hinderlich. Rollenverhalten und Haftungsgrundlage können zusammenhängen, sind jedoch grundsätzlich zu trennen. 495 Dass er damit gleichzeitig im Innenverhältnis auch Interessenvertreter zum Mandanten ist, muss dem nicht entgegenstehen. 496 Dies wird jedenfalls in den meisten Fällen so sein. 493
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qualitativer Unterschied dazu, ob man durch die Kontaktaufnahme etwa mitunter, wie die Rechtsprechung, die Schlussfolgerung hin zu einer vertraglichen Bindung mit einem entsprechenden Pflichtenzusammenhang zieht. Im Anschluss an Hopt geht es zunächst darum zu erläutern, wie die Aufnahme in eine (eigene) Rollenbeziehung geschieht. Dafür sind Hopts Ausführungen verdienstvoll. Zwar lässt sich aus ihnen, wie die sonstige Kritik zeigt, nicht überzeugend eine dogmatische Haftungsgrundlage folgern, auch eine (konkrete) Auffüllung der Pflichten ist teilweise problematisch.497 Es erschließt sich aber ein besonderer Zusammenhang: Der Anwalt kann vor allem in der eigentlichen Vertragsverhandlung (konsensuales Modell) ein Verhalten „am Markt“ zeigen, das im Grunde kompatible Rollenbeziehungen zum Mandanten und zum Dritten aufbaut. Indem der Anwalt, vom Mandanten gewollt, z. B. als Vermittler oder „Quasi-Mediator“ auftritt, genügt er dessen Rollenerwartungen als Interessenvertreter. Gewollt kann ein solches Verhalten vom Mandanten sein, weil der bewusst einen Konsens mit dem Dritten sucht, möglicherweise aber auch aus Kosten- oder Zeitgründen498. Das umfasst oftmals auch den Wunsch, dass der Anwalt, um eine zügige, einvernehmliche Lösung herbeizuführen, dem Dritten Auskünfte oder Ratschläge erteilen soll oder jedenfalls darf. Der entsprechende Auftritt des Anwalts genügt dann aber ebenso den Erwartungen des Dritten, der in ihm den Vermittler mit Fachkunde sieht und nach Hopt auch sehen darf. Dementsprechend dürfen sich die Erwartungen des Dritten auf korrekte Auskünfte, Rat- und Empfehlungserteilungen richten, soweit sie berufsbezogen sind und vom Anwalt erfolgen.499 Die Frage der Haftung ist allerdings von der geschilderten Kompatibilität zu trennen. Rechtlich stützt sich die Erwartung des Mandanten, auch haftungsrechtlich abgesichert, auf den Anwaltsvertrag. Der Dritte kommt in den „Genuss“ des „konsensualen Auftretens“ des Anwalts500, weil es der Interessenvertreter für seinen Mandanten für sinnvoll hält und letzterer es auch im Rahmen des Mandats trägt. Insoweit kann man von einer Form von „Reflex“501 sprechen. Letztlich „treibt“ der 497 Sieht man einmal von den ohnehin durch das normierte anwaltliche Berufsrecht bzw. den bereits von der Rechtsprechung entwickelten Pflichten ab. 498 Vgl. hierzu auch noch einmal die Ausführungen Hopts zum Zweck der Optimierung am Markt, Hopt, AcP 183 (1983), 608, 652. 499 Keine Begründung findet sich im Vorgenannten, aus dem der Schluss gezogen werden könnte, dass der Dritte einen Anspruch auf die entsprechende Erteilung hat. 500 Soweit er sich nicht eigenmächtig so geriert, das heißt, die Rolle des Interessenvertreters eigenmächtig verlässt. 501 Insoweit ist Hopt, AcP 183 (1983), 608, 682, zuzustimmen, wenn er ausführt, der Dritte sei von der Berufshaftung reflexartig mitgeschützt, ohne dass ihm eigene Ansprüche zustünden. Nicht zustimmen kann man Hopt, a. a. O., aber in seiner Gedankenführung, wonach der Dritte außerhalb einer beruflichen Rollenbeziehung zum Anwalt steht. Das ist nicht notwendigerweise der Fall, muss jedoch eben nicht unbedingt einen eigenen Haftungsanspruch nach sich ziehen.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Mandant ggf. sogar seinen Anwalt in unterschiedliche Rollen. Es kann sich daher die Frage stellen, ob nicht zunächst bei Fehlern des Anwalts in solchen Fällen der Dritte versuchen muss, aufgrund seiner als Haftungsgrundlage tauglichen Vertragsbeziehung bzw. einer vorvertraglichen Beziehung zum Mandanten letzteren in die Haftung zu nehmen. Eine Zurechnung des anwaltlichen Handelns kommt über § 278 BGB in Betracht. U. U. stehen dem Dritten ferner Möglichkeiten offen, sich vom Vertrag mit dem Vertragspartner zu lösen, z. B. über § 123 BGB. Der Vertragspartner (Mandant) könnte im Anschluss ggf. seinen Anwalt dann in Regress nehmen. Damit ist freilich kein Fortschritt auf dem Weg zur Begründung einer eigenen Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten gewonnen. Dafür müssen weitere dogmatische Ansätze untersucht werden. Hopts Ergebnisse eröffnen jedoch besondere Einblicke in die Haftungsmechanismen. Waren die bisherigen Überlegungen davon gekennzeichnet, dass der Dritte in eine berufliche Rollenbeziehung zum Anwalt tritt, weil dieser (nicht nur) als (einseitiger) Interessenvertreter auftritt, so muss man daraus ebenso den entsprechenden Umkehrschluss ziehen. Erfolgen Auskunft, Rat oder Empfehlung erkennbar aus der einseitigen Interessenvertretung des Anwalts heraus, stünde der Dritte in Hopts Worten außerhalb der beruflichen Rollenbeziehung zum Anwalt. Dann bieten sich mittels Hopts Gedanken keine Erklärungsmöglichkeiten, mit denen sich eine Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten erläutern ließe. Schwierig wird zudem die Haftungsbegründung, wenn eine Situation gegeben ist, in der der Anwalt weder eindeutig als einseitiger Interessenvertreter noch als Vermittler auftritt.502 Insgesamt bleiben somit Raum, aber auch Notwendigkeit für weitere Erklärungsansätze zur anwaltlichen Haftung gegenüber dem Dritten.
IV. Fachmannseigenschaft und Kommunikation (Jost) 1. Einführung Ebenso wie Hopt schenkt auch Jost einem objektiven Merkmal, nämlich der Fachmannseigenschaft, besondere Aufmerksamkeit. Abgesehen davon, dass Jost weitergehende Erkenntnisse zum Grund einer Haftung liefert, ist sein Ansatz deshalb von besonderem Interesse, weil bei Jost Kommunikationsabläufe von Bedeutung sind. Dieser Umstand ist für eine Haftungsgefahr, die sich für den Anwalt maßgeblich aus der Vertragsverhandlung ergeben kann, von Relevanz.
502 Hierunter können mitunter auch Fälle gehören, in denen der Anwalt offensiv mit Rechtsauskünften die andere Seite unter Druck setzt, um die Interessen eines Mandanten voranzutreiben.
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Auf der Suche nach einer Platzierung der Auskunftshaftung zwischen Vertragsund Deliktsrecht nimmt Jost eine (Auskunfts-)Haftung aufgrund einer Sonderverbindung und eine solche quasi als vertragliche an.503 Unter Ablehnung der Anwendung von Deliktstatbeständen führt Jost die Gesichtspunkte an, aus denen man, wenn kein Vertrag vorliegt, gleichwohl eine vertraglich zu beurteilende Sonderbeziehung zwischen den Parteien folgern könne: die Erklärung, die Sonderbeziehung und den Vermögensschutz.504 Situationsbezogen hebt Jost im Weiteren eine Auskunft heraus: die isolierte Auskunft bei einem einmaligen Kontakt zwischen den Parteien505. Das ist gerade das maßgebliche Geschehen innerhalb von Vertragsverhandlungen. Selbst wenn innerhalb ein und desselben Verhandlungstermins vom Anwalt dem Dritten mehrere Auskünfte oder Ratschläge/Empfehlungen506 gegeben werden, liegt letztlich eine zu beurteilende Gesamtsituation vor. Hier von einem mehrfachen Kontakt zu sprechen, wäre unangemessen. Es ist ein einmaliger Verhandlungskontakt.507 Das gilt grundsätzlich auch, wenn sich die Verhandlung über mehrere Termine erstreckt.508 Ein mehrmaliger Kontakt kann vorliegen, wenn sich die Parteien, von denen eine anwaltlich vertreten wird, (bereits) zu Verhandlungen bezüglich verschiedener Verträge getroffen haben und der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) und der Anwalt sich dabei mehrfach begegnet sind. Auch dann kommt selbstverständlich eine Auskunftshaftung in Betracht. Eine solche kommt jedoch gerade und schon bei einem Einmalkontakt zum Tragen, wenn dort unsorgfältig hinsichtlich der Informationsweitergabe gehandelt wird. Auf dem Weg zu einer Haftung aufgrund einer Sonderverbindung, die sich quasi als vertragliche darstellt, rückt Jost vor allem die Fachmannseigenschaft desjenigen, der die Auskunft erteilt, in den Vordergrund. So führt er aus, dass „(…) (i)m Mittelpunkt der hier versuchten Haftungsbegründung (…) demnach die Fachmannseigenschaft, die berufliche Stellung des Auskunftsgebers zum einzusetzenden Wissenspotential und damit zu der dem Erklärungsempfänger aus eventuellen Falschangaben erwachsenden Gefahr (steht).“509 Betont wird somit zusätzlich noch der Aspekt des Wissenstransfers. Berufliche Stellung, Wissenstransfer sowie weitere 503
Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 253. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 505 Zu dieser Situation, in der die Frage der Grundlage nach der Auskunftshaftung am „radikalsten“ sei, Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 253. 506 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass auch Ratschläge und Empfehlungen gleichsam als „Sockel“ ein Auskunftselement enthalten. 507 Es ist allerdings einzuräumen, dass sich der „Einmalkontakt“, gerade innerhalb von Vertragsverhandlungen, die zum Vertragsschluss führen sollen, von ansonsten diskutierten „klassischen“ Einmalkontakten unterscheidet. Letztere betreffen etwa die (einmalige) Auskunft der Bank oder des Gutachters als Fachkräften. 508 Davon zu trennen ist die Frage, ob mehrere falsche Auskünfte innerhalb eines Kontakts mehrere selbständige Schadensersatzansprüche begründen können. 509 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 257. 504
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Umstände werden zu untersuchen sein. Zunächst gilt es jedoch, sich dem grundsätzlichen Verständnis bei Jost anzunähern. 2. Auskunftshaftung als „Erklärungshaftung“ Jost bezeichnet die Auskunftshaftung als „Erklärungshaftung“.510 Er grenzt sich aber bewusst von einer Vertrauenshaftung ab, die er hier ablehnt.511 So sei „Vertrauen“ insbesondere nicht geeignet, zwischen rechtlich schützenswerten und nicht schützenswerten Vorstellungen zu unterscheiden.512 Es findet sich damit eine deutliche Parallele etwa zu Hopt.513 In der Erklärung macht Jost nicht zuletzt einen wichtigen Grund aus, warum eine nach vertraglichen Grundsätzen zu beurteilende Haftung zu bejahen ist.514 Josts Ansatz über die Erklärungshaftung stellt darauf ab, nicht ein verbotswidriger Eingriff in eine fremde Rechtssphäre sei tragend, sondern vielmehr eine „Sinnübertragung mittels einer an einen Empfänger gerichteten Aussage“.515 Die Folgen seien zum einen das Hervorrufen bestimmter Vorstellungen über gegebene Umstände bzw. über zukünftige Entwicklungen, zum anderen das Einrichten des Empfängers mit seinem Verhalten hierauf.516 Das, was Jost beschreibt, gibt im Grunde pointiert eine Ablaufvariante wieder, die innerhalb der Vertragsverhandlungen517 stattfinden kann. Gerade wenn dort nur auf einer Seite ein Anwalt involviert ist, ist nachvollziehbar, wie dieser durch seine Äußerungen bestimmte Vorstellungen in der anderen (Natural-)Partei wecken kann. So bedeutet „Verhandeln“ u. a. auch, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und zu überzeugen518, es wird eine zielgerichtete Kommunikation vorgenommen. Zudem gewinnt das Bild vom Sender und Empfänger, das innerhalb des Kapitels zur Kommunikation (Teil 2) aufgezeigt wurde, hier wieder an Bedeutung. Der „sendende“ Anwalt muss sich ggf. zurechnen lassen, was beim Empfänger ankommt und
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Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. Zur Auskunfts- als Erklärungshaftung im Zusammenhang mit einer Vertrauenshaftung siehe nur Canaris, Vertrauenshaftung, S. 533. 512 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 513 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254, Fn. 174, verweist selbst auf Hopt, AcP 183 (1983), 643. 514 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 515 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 516 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 517 Das betrifft gerade Verhandlungen, die zum Vertragsschluss führen sollen. 518 „Überzeugung“ kann bereits innerhalb der „bloßen“ Vertragsgespräche, ohne komplexere Verhandlungen, geleistet werden. 511
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dort vermögensbezogene Folgen zeitigt.519 Aus kommunikationstheoretischer Betrachtung findet also ein Mechanismus von Senden und Aufnehmen statt. Jost greift zwar später den Umstand der Kommunikation auf, allerdings erfasst er diese zunächst nicht kommunikationstheoretisch, sondern zeigt auf, dass der gleiche Mechanismus ablaufe wie beim Abschluss eines rechtlich anerkannten Vertrags.520 Beim juristischen Vertrag schließt sich an das Leistungsversprechen beim Vertragspartner eine Reaktion an, das heißt, seine weiteren Entschlüsse fußen darauf.521 Flankiert wird dies durch eine „Bewährungsgarantie“ der Rechtsordnung in Form von Sanktionen bei Verletzung des gegebenen Versprechens.522 Interessant ist, dass Jost in dem Zusammenhang Abläufe benennt, die aus dem Kontext des rechtssoziologischen Verständnisses des Vertrags bekannt sind. So führt er an, eine Abstimmung sozialen Verhaltens, längerfristiges Planen und Wirtschaften sei aufgrund von Versprechen möglich, weil Sanktionen an Versprechen anknüpfende Entschlüsse schützten. Der arbeitsteilige Prozess mit gegenseitiger Angewiesenheit mache das erforderlich.523 Die arbeitsteiligen Abläufe wurden u. a. bei Durkheim524 herausgestellt. In dem Hinweis auf die Sanktionen liegt grundsätzlich ein „Versicherungsgedanke“, wie ihn Llewellyn525 herausgearbeitet hat. Die Bedeutung von Sanktionen in Verbindung mit Verträgen weist aber auch unweigerlich wieder den Weg zum Rollenverständnis, das in Bezug auf Dahrendorf526 deutlich geworden ist. Letztlich stützt Josts Argumentation nochmals die Annahme von Muss-Erwartungen bei unterschiedlichen Vertragspflichten. Das betrifft von den Überlegungen Josts ausgehend zunächst den juristischen Vertrag. Im Folgenden überträgt Jost die einzelnen „Elemente“ auf die Situation der Auskunftshaftung. Dort sei zwar kein Leistungsversprechen vorhanden,527 allerdings gebe es die Auskunft „als Leistung selbst“ und auf diese richte sich wiederum eine Erwartungsbildung aus.528 Ein solcher Vorgang ist nicht zuletzt beim Hin und Her innerhalb von Vertragsverhandlungen, gerade wenn diese auf einen Vertragsschluss hinauslaufen (sollen), nachvollziehbar.
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Zum Vermögensschutz als Begründungsansatz einer vertraglich zu beurteilenden Haftung Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254, 256 ff. 520 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 521 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 522 Vgl. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255; Hervorhebung bei Jost. 523 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 524 Zu Durkheim siehe Teil 1 C. II. 2., S. 118 ff. 525 Zu Llewellyn siehe Teil 1 C. II. 5., S. 152 ff. 526 Vgl. Teil 3 C. III., S. 492 ff. 527 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 258, spricht auch von einer freiwillig erbrachten Leistung. 528 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255; Hervorhebung bei Jost.
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Das Zusammenspiel von einer „Hingabe“ durch eine Seite und einem kausalen529 Erwartungsaufbau ist durchaus ein zum juristischen Vertragsschluss vergleichbarer Mechanismus. Jost macht freilich deutlich, dass die „Wissenserklärung“530 des Fachmanns keine Willenserklärung mit einem inhaltlichen Haftungsversprechen sei; das wäre ansonsten eine Fiktion.531 Allerdings stecke in der Erklärung der Anspruch, dass die Erklärung richtig sei, eine „Geltungserklärung“, eine Richtigkeitsbehauptung.532 Das sei dann ein „Mehr“ im Vergleich zu einer „nur“ sprachlichen Äußerung, jedoch bedürfe es, weil eben keine Haftungserklärung im juristischen Sinn vorläge, für eine transportierte Auskunft eines entsprechenden rechtlichen Geltungsgrunds.533 Das insoweit tragende Element bei Jost wurde bereits benannt: die Fachmannseigenschaft.534 Diese steht jedoch nicht isoliert da. Hinzu kommt ein Kommunikationsprozess. a) Fachmannseigenschaft Als Pendant zu einer auf Leistung ausgerichteten Willenserklärung sieht Jost die besondere Stellung des Auskunftsgebers im Rechtsverkehr.535 Es ist dessen Fachmannseigenschaft, die mit einem bestimmten Wissenspotential einhergeht, welches bei (falschem) Einsatz eine Gefahr für den Empfänger darstellt.536 Für Verbindlichkeit sorgt die Berufsträgerschaft, auf die es im arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess in dem Sinn ankommt, dass der jeweils Zuständige handelt.537 Indem Jost sich ausdrücklich dagegen ausspricht, dass es in dem Zusammenhang auf Vertrauen ankommt, sondern allein darauf, sich unabhängig von entgegengebrachtem Zutrauen auf den Fachmann verlassen zu können,538 rückt er das Verständnis einer vorge-
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Dem entspricht die an späterer Stelle bei Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260, erfolgende Feststellung, eine Haftung könne nur in Frage kommen, wenn das Handeln des Erklärungsempfängers tatsächlich beeinflusst worden ist. 530 Sich deutlich gegen das Konstrukt der Wissenserklärung im Zusammenhang mit der Auskunftshaftung stellend etwa Canaris, FS für Schimansky, 43, 48. 531 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 532 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255; Hervorhebung bei Jost. Vgl. in dem Zusammenhang auch die Ausführungen bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, zum Wahrheitsanspruch für empirische Aussagen. 533 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 534 Das als notwendige Haftungsvoraussetzung bei Jost ebenfalls anführend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 88; ebenso die Bedeutung der beruflichen Stellung bei Jost betonend Hirte, Berufshaftung, S. 406. Das Vorgehen Josts als „Statushaftung“ bezeichnend Lang, AcP 201 (2001), 451, 488. 535 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 536 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 257. 537 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 257. 538 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 257.
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prägten Berufsposition539 und mit ihr einhergehenden Rollenerwartungen in den Vordergrund. Besonders geeignet dafür sind Positionen und Rollen, die nur einen geringen (freien) Ausfüllungsspielraum zulassen und/oder starke normative (Vor-) Prägungen haben. Dafür „eignen“ sich wiederum, um an die Wortwahl Hopts anzuschließen, oftmals die „alten Professionen“540, so auch die Anwaltschaft. Die berufliche Autorisierung ist schließlich auch die Basis für eine Sonderbeziehung zwischen den Parteien, die über die Auskunft zum Ausdruck kommt.541 Wenn Josts Herangehensweise zunächst angetan ist, Fälle, in denen keine Berufszugehörigkeit besteht, auszunehmen, lässt Jost sie gleichwohl zu. Die Fälle vorgeblicher Berufszugehörigkeit lässt er genügen, um vergleichbar einer Rechtscheinshaftung diesen „Randbereich“ zu erfassen.542 Bei der Betonung der Fachmannseigenschaft darf man allerdings innerhalb der Haftungsbegründung nicht stehen bleiben. Das gilt zum einen hinsichtlich der Bedeutung und Ausgestaltung des Merkmals an sich. Das gilt zum anderen aber ebenso für die Klärung, ob nicht weitere Elemente für eine Haftungsbegründung bei Jost auszumachen sind. Jost bezeichnet den beruflichen Bezug des Auskunftsgebers zu benötigtem und dargebotenem Wissen als Indikator für die Haftung.543 Er schließt daran jedoch die Notwendigkeit an, wonach seitens des Fachmanns ein kommunikatives Handeln aus dessen beruflicher Stellung heraus erfolgen müsse; eine bloß abstrakte Verfügungsmöglichkeit über erforderliches Wissen reiche allein nicht aus.544 Es ist allerdings interessant, dass Jost die Kommunikation als (eigenständige) Haftungsvoraussetzung jedenfalls nicht unter dem entsprechenden Topos vertieft. Die Kommunikation ist aber sicherlich mehr als ein bloßer Annex zur Stellung als Fachmann. Eine (anderweitige) Platzierung bei Jost erfolgt dann, jedoch gerade nicht unter dem Stichwort der Kommunikation, innerhalb der Eingrenzung des Kreises der Haftungsbegünstigten durch die Gerichtetheit der Auskunft545. Diese will Jost daran festmachen, an welche Personen der Fachmann seinen Wissenstransfer richtet.546 Damit sind aber unweigerlich Fragen der Kommunikation verbunden. Diesen ist im Anschluss zuvörderst als solchen nachzugehen.
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Die Position wird wieder als Stellung verstanden, an die sich (bestimmte) Erwartungen knüpfen. 540 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 541 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256. 542 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 257. Vgl. auch die Ausführungen bei Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645, für die Fälle, in denen ein Laie am Markt auftritt. 543 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255 f. 544 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256. 545 So die Zwischenüberschrift bei Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 258. 546 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259.
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b) Bedeutung der Kommunikation Für die Kommunikation ist nicht auf ein Handeln abzustellen, das in einer vorvertraglichen oder vertraglichen Beziehung zwischen Anwalt und Drittem547 selbst eingebettet ist. Was ist dann aber für eine Kommunikation des Fachmanns aus seiner Stellung heraus in Bezug auf den Dritten (potentiellen Vertragspartner des Mandanten) „prägend“? aa) Kommunikation als Zubewegen auf den Dritten und Erwartungsaufbau In der Vertragsverhandlung des Anwalts für seinen Mandanten liegt (auch) ein kommunikatives Zubewegen auf den Dritten; nicht von Bedeutung ist dabei, ob dieses auf Anfrage des Dritten geschieht oder unmittelbar vom Anwalt aus erfolgt548. Dieses Zubewegen auf den Dritten bedarf der näheren Ausfüllung. Jost selbst vertieft die kommunikativen Abläufe nicht weiter. Er spricht aber, wie ausgeführt, im Rahmen der Haftungsbegrenzung549 davon, dass es darauf ankomme, an welche Person der Fachmann seinen Wissenstransfer richte.550 Dieses sei, so Jost, unproblematisch, sofern zwischen Erteilendem und Drittem ein direkter Kontakt bestehe, dem Dritten gegenüber die Auskunft erfolge.551 Obwohl sich mit Blick auf die Vertragsverhandlungen die Überlegungen auf solche in Bezug auf einen direkten Kontakt beschränken sollen, lohnt sich gleichwohl eine intensivere Betrachtung der kommunikativen Abläufe. Die kommunikative Bewegung des Anwalts zum Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) hin erfolgt, soll es zu seiner Haftung kommen, aus der anwaltlichen Stellung, aus der beruflichen Rolle heraus. Dann muss der Anwalt folglich mehr sein als ein „Sprachrohr“ seines Mandanten. Das bedeutet weiterhin und wiederum, dass eine Hinwendung zum Dritten ein Hineinziehen des Dritten in eine (bestimmte) Rollenbeziehung zum Anwalt bedeuten kann, eine Form von role-making.552 In der
547 Demgegenüber besteht eine vorvertragliche oder vertragliche Beziehung zwischen Drittem und Mandanten als (potentiellen) Vertragspartnern. 548 Siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. 549 Die Frage der Haftungsbegrenzung, so Jost, sei notwendig, damit von einer Sonderbeziehung gesprochen werden könne, Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 258. 550 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. 551 Siehe Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. Entsprechendes muss aber auch dann gelten, wenn der Anwalt einen weiterführenden Rat oder eine Empfehlung erteilt. 552 Die Position „Interessenvertreter Anwalt/Organ der Rechtspflege“ beinhaltet bereits ein Positionssegment „Anwalt – Dritter“, durch das der Dritte zur „Bezugsgruppe“ gehört. Mit der entsprechenden Bezugsgruppe sind bestimmte Rollenerwartungen an das dazugehörige Rollensegment verbunden. Zu den Termini des „Positionssegments“ (positional sector) und „Rollensegment“ (role sector) siehe bei Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33 ff., insbeson-
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Kommunikation präsentiert sich der Anwalt ggf. dem Dritten gerade in seiner beruflichen Stellung und baut möglicherweise durch die Kommunikation beim Dritten aktuell Erwartungen auf. Diese können etwa in dem Aufrufen typischer Erwartungen553 an seinen Berufsstand bestehen, aber auch in situationsbezogenen speziellen Erwartungen,554 die allerdings ebenfalls einen Berufsbezug aufweisen müssen. Solche Erwartungen können fernerhin je nach Gesprächsverlauf vom Dritten (zu Recht) so interpretiert werden, dass er, der Dritte, von einem eigenen Informationsaufwand entbunden worden ist. bb) Aufbau einer (verpflichtenden) Beziehung Mit einem solchen Ablauf geht dann gleichzeitig die Begründung von Verhaltenspflichten für den Anwalt gegenüber dem Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) einher. Sieht man in der Entbindung des Dritten von einem eigenen Informationsaufwand einen besonderen Anknüpfungspunkt, so liegt darin gleichzeitig eine Begrenzung des Pflichtenumfangs des Anwalts555, aber ebenso die dere auch S. 35, Fn. 24. Dort (Fn. 24) auch dazu, dass sich die Termini bei Gross/Mason/ McEachern, Explorations in Role Analysis, Kap. IV, finden. Es besteht nun, da der Anwalt zugleich Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ist, bereits eine Rollenbeziehung zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten. Letzterer darf vom Anwalt etwa erwarten, dass dieser sein Fachwissen nicht missbräuchlich einsetzt. Zum einen ist insoweit zu berücksichtigen, dass „(…) (o)hne die Einhaltung ethischer Grundsätze (…) kein Anwalt ,Organ der Rechtspflege‘ sein (kann).“ (Jaeger, NJW 2004, 1, 5.) In dem Zusammenhang ist u. a. auch § 43a Abs. 3 BRAO (Sachlichkeitsgebot) zu beachten; die daraus resultierende Berufspflicht dient u. a. der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege (dazu Weyland/Träger, BRAO, § 43a, Rn. 31). Aus § 43a Abs. 3 BRAO folgt etwa das Verbot der Lüge, Weyland/Träger, BRAO, § 43a, Rn. 38 ff.; siehe auch Kleine-Cosack, BRAO, § 43a, Rn. 98 f., jeweils mit ausführlichen und kritischen Ausführungen. Verstößt der Anwalt im Verhältnis zum Dritten (hier also im Verhältnis zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten) dagegen, kann dieser ggf. z. B. einen Anspruch nach § 826 BGB gegen den Anwalt haben, Henssler/Prütting/Henssler, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 43a, Rn. 158. Es geht innerhalb der hier nunmehr anstehenden Überlegungen jedoch im Weiteren darum, dass Rollenerwartungen neu begründet bzw. modifiziert werden. Es geht um einen Erwartungsaufbau, der in der (ursprünglichen) Rollenbeziehung nicht angelegt ist. Siehe nochmals die von Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41, in Bezug auf Turner ausgemachte Bestimmung des role-makings, wonach dieses die Aktualisierung vorgegebener Rollen oder eine Wahl zwischen diesen meint, vor allem aber eine tatsächliche Neudefinition einer Beziehung durch eine Explizierung impliziter Erwartungen. 553 Siehe Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254, der den Begriff des „typisierten Vertrauens“ in seiner Auseinandersetzung gebraucht. Entwickelt wurde das typisierte Vertrauen im Zusammenhang mit der Prospekthaftung, dazu etwa BGHZ 123, 106 ff. 554 Vgl. auch die Ausführungen von Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 179, 215, zum „situational trust“. 555 Dieser ist etwa nicht so umfangreich wie die Pflichten, die den Anwalt aus dem Anwaltsvertrag gegenüber seinem Mandanten treffen.
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Aufstellung eines bestimmten Sorgfaltsmaßstabs in Verbindung mit der einschlägigen (anwaltlichen) Berufstätigkeit.556 Alle diese Elemente tauchen bei Jost ebenfalls auf, dort im Kontext der Sorgfaltsanforderungen,557 worauf noch einzugehen sein wird. Allerdings weist Jost auf die enge Verbindung hin, die zwischen dem Maß der jeweils anzuwendenden Sorgfalt und dem Schuldgrund, das heißt hier der Übernahme der fachmännischen Informationsbeschaffung, besteht.558 Zu Recht stellt Jost dabei heraus, es gehe um die Frage, ob überhaupt eine zur Sorgfalt gegenüber fremden Vermögensinteressen559 verpflichtende Beziehung zwischen den Beteiligten vorläge, bzw. ob es um die Sicherstellung von einem Wissenstransfer gehe.560 Anknüpfend an diese Fragestellung hat die Überlegung mit Blick auf die kommunikativen Abläufe zunächst dahin zu gehen, dass wesentliche Aspekte, die später (auch noch) innerhalb der Sorgfaltsanforderungen, also im „klassischen“ Aufbau bei der Pflichtwidrigkeit und der Schuld561 zu erörtern sind, bereits klärungsbedürftig sind, wenn es darum geht, ob überhaupt eine Sonderbeziehung im Jostschen Sinn zustande gekommen ist. Bedeutsam ist gerade die Übernahme von Pflichten durch den Anwalt und die Feststellung, ob der Dritte schutzbedürftiger wird als jemand, dem gegenüber der Anwalt „nur“ den allgemeinen Rechtspflichten unterliegt.562 Nach den bisherigen Überlegungen muss man konstatieren, dass (nur) innerhalb und mit Hilfe der Kommunikation es zum Aufbau einer Sonderbeziehung kommen kann. Es wird eine Beziehung aufgebaut, die „mehr“ ist als eine solche mit lediglich allgemeinen Rechtspflichten. Betont man das kommunikative Element, das Aufbauen einer (bestimmten) Beziehung zum Dritten, kann das durchaus – wie schon benannt – eine „Form“ von „role-making“563 sein. Es geht um ein „Modifizieren“ von an den anwaltlichen 556 Siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 258, wonach die Wahrnehmung einer nach beruflichen Standards erforderlichen Sorgfalt bei einer freiwilligen Leistung in das vertragsrechtliche Spektrum einzuordnen sei. 557 Siehe Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271, wonach eine Eingrenzung der Beraterhaftung anhand von Verhaltenspflichten notwendig sei. Eine Verantwortlichkeit bestehe nur, wenn Sorgfaltsmaßstäbe der Berufstätigkeit nicht beachtet worden seien. 558 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272. 559 Der Vermögensschutz bildet eine weitere Säule zur Begründung des Eingreifens von Vertragsrecht, Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254, 256 f. 560 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272. 561 Siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271. 562 Siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271, dort allerdings im Kontext mit Sorgfaltsmaßstäben. 563 Da Anwalt und Dritter eben nicht durch einen Vertrag miteinander verbunden sind, muss sich bei ihnen eine bestimmte gegenseitige Erwartungshaltung aufbauen. Gleichwohl ist es kein role-making im Sinne gänzlicher Neubegründung, da durch die berufliche Stellung des Anwalts bestimmte „Vorprägungen“ gegeben sind.
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Berufsstand grundsätzlich gerichteten Erwartungen (z. B. Seriosität, kein Missbrauch von Fachwissen). Folgt man dem, so kann es je nach Einzelfall auch konsequent sein, im (weiteren) Beziehungsaufbau nur einen solchen mit Schutzcharakter zu sehen. So stellt Jost denn auch fest, die durch beruflich autorisierte Auskunft geschaffene Sonderbeziehung umfasse keine Leistungspflicht im Sinne des tätig werden Müssens, sondern nur Schutzpflichten für das Vermögen des Empfängers, soweit man nicht geschuldete Informationen gibt.564 cc) Informationsbeziehung des Anwalts zum Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) Wird damit die Bedeutung der Kommunikation für eine Haftungsbegründung565 klarer, so muss im Weiteren den einzelnen Informationsbeziehungen, nicht zuletzt angesichts der Fachmannseigenschaft des Anwalts, Aufmerksamkeit zukommen. Jost führt u. a. bezüglich der Stellung als Fachmann aus, sie zeichne sich durch zwei in Relation zueinanderstehenden Informationsbeziehungen aus. Auf der einen Seite sei der Auskunftsgeber. Dieser sei dem Empfänger der entsprechenden Sachinformationen in Bezug auf die Beschaffung und die Aufbereitung der Informationen überlegen oder seine Überlegenheit bestehe in der Verfügungsmöglichkeit.566 Auf der anderen Seite sei der Empfänger. Er sei auf die Erklärung des Auskunftsgebers an sich angewiesen oder es wäre ihm nur möglich, mit einem „ungleich höhere(…)(n) Aufwand die gleiche Informationssicherheit (zu) erreichen (…)“.567 Auch wenn Jost diese (letzte) Relation im Anschluss als im Einzelfall schwer feststellbar und als Merkmal für einen Haftungstatbestand ungeeignet bezeichnet,568 gibt sie doch (weitere) Aufschlüsse, die es zu verfolgen lohnt, um sie für die Bedeutung der Kommunikation nutzbar zu machen. Dabei gilt es zunächst, die einzelnen Relationsbestandteile aufzuschlüsseln. Das Verpflichtungsmerkmal der besonderen Stellung des Auskunftsgebers im Rechtsverkehr baut Jost eben im Wesentlichen auf zwei in Beziehung zueinanderstehenden Komplexen auf. Auf der einen Seite steht der Auskunftsgeber, der dem Dritten an Sachkunde und/oder Verfügungsmöglichkeit über die Informationen überlegen ist. Auf der anderen Seite
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Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass Jost die Kommunikation einerseits im Zusammenhang mit der Stellung als Fachmann, also im haftungsbegründenden Zusammenhang, anführt, andererseits aber Elemente wie die Gerichtetheit im Kontext der Haftungsbegrenzung nennt. Man kann allerdings auch die Haftungsbegrenzung noch zum Komplex der Begründung fassen. 566 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 567 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 568 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 565
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
steht der Auskunftsempfänger, der darauf angewiesen ist oder das Defizit nur unter Mühen kompensieren kann.569 (1) Überlegenheit des anwaltlichen Auskunftsgebers Der erste Beziehungsblock, das heißt die „Überlegenheit“ des Auskunftsgebers, kann sich innerhalb der Vertragsverhandlung in unterschiedlicher Weise zeigen. Sie kann vor allem relevant werden, wenn es um die Auskünfte in Bezug auf rechtliche Informationen geht, erst Recht, wenn die Erteilung eines Rats oder einer Empfehlung involviert ist. Letztere beinhalten nicht zuletzt auch eine besondere fachliche Aufbereitung von Informationen. Bezüglich des Vorgenannten ergibt sich die Überlegenheit unproblematisch aus der beruflichen Stellung des Anwalts/des juristischen Fachmanns,570 jedenfalls wenn der Dritte keinen eigenen rechtlichen Beistand an seiner Seite hat. Sofern es sich um „reine“ (nichtjuristische) Tatsachen handelt, kann der Anwalt ebenfalls eine Überlegenheit auf seiner Seite haben, so etwa, wenn es um die inhaltliche Erfassung dieser Tatsachen geht, beispielsweise beim Lesen und Analysieren von Bilanzen. Allerdings kann der Anwalt gerade bei der Weitergabe nichtjuristischer Tatsachen ebenso als bloßes „Sprachrohr“ des Mandanten fungieren, dann werden die Tatsachen, die der Anwalt von seinem Mandanten erfahren hat, lediglich weitergegeben. Es besteht inhaltlich kein Unterschied im Vergleich dazu, ob sie vom Mandaten selbst eingeführt worden wären. Hier kann man einerseits darauf abstellen, es sei schon nicht ein Wissenstransfer aus der beruflichen Stellung heraus erfolgt.571 Stellt man außerdem auf die Betrachtung aus einer kommunikationstheoretischen Sicht (Senden und Empfangen von Zeichen) ab, so wird deutlich, dass im Fall des „Sprachrohrs“ ebenfalls ein Unterschied zu den zuvor genannten Fällen besteht. Jost geht für die haftungsrelevanten Fälle davon aus, der Inhalt der Auskunft sei mehr als eine Mitteilung auf objekt-sprachlicher Ebene.572 Erfolgt aber lediglich eine reine 569
Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. Im Hinblick auf die mit der „Überlegenheit“ einhergehenden Sorgfaltspflichten und damit letztlich bezüglich der Frage, ob eine Überlegenheit besteht, ist jedoch nicht unterschiedslos auf den Status „Anwalt“ abzustellen. So kann der Anwalt seine berufliche „Überlegenheit“ und damit auch die Begründung einer Sonderbeziehung zum Dritten verhindern, wenn er auf mangelnde Kenntnisse in einer bestimmten Materie hinweist; siehe auch, allerdings in einem anderen Kontext Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272. 571 Vgl. auch die Argumentation im Zusammenhang mit dem reichsgerichtlichen Ansatz; nach Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 4, ruft eine gleiche Auskunft direkt vom Mandanten aber keine entsprechende Reaktion hervor. Hierbei sind im Einzelfall die Grenzen fließend. So erfolgt die Informationseinspeisung gerade in die Vertragsverhandlung, die auch zu einem Vertrag führen soll, u. a., um den mehrfach beschriebenen Prozess der Abreibung der gegenseitigen Interessen voranzutreiben. Damit dies gelingt, ist allerdings häufig eine Kopplung von rein tatsächlichen Umständen mit rechtlichen Informationen erforderlich. Letztere bedingen dann zumeist wieder die besondere Sachkompetenz des Anwalts. 572 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 570
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Weitergabe, so muss der Anwalt dann letztlich nur darauf achten, die richtigen Sprachzeichen in dem Sinn zu setzen, genau das weiterzugeben, was ihm sein Mandant zuvor mitgeteilt hat. Es sind (lediglich) solche Zeichen zu setzen, die den jeweiligen Inhalt objektiv wiedergeben. Sucht der Anwalt nach Zeichen für ein besseres Verständnis beim Dritten, so muss er dies (nur) tun, wenn damit die bessere Umsetzung der Mandanteninteressen verbunden ist. Hier liegt gegenüber dem Dritten (noch) keine Verpflichtung zur verständlichen Beschaffung von Informationen vor, wie sie etwa gegenüber dem Mandanten aus dem Anwaltsvertrag resultieren kann. Kommt es demgegenüber zum Wissenstransfer, mit dem ein Geltungsanspruch, eine Richtigkeitsbehauptung verbunden ist, so wirkt sich das ebenfalls auf die Anforderungen an die Kommunikation aus. Dann geht es um mehr als um ein bloßes Austauschen von Zeichen. Nunmehr muss der Anwalt die Wissenserweiterung beim Dritten durch die Kommunikation entsprechend sicherstellen. Sein Verpflichtungsund Sorgfaltsradius hat sich erweitert. Das betrifft auch die Beschaffung und Weitergabe von Informationen.573 So müssen z. B. vermittelte rechtliche Umstände so dargetan werden, dass sie verstanden werden können.574 „Leistet“575 der Anwalt also einen Wissenstransfer, muss er letztlich einer ähnlichen „Bringschuld“ bezüglich der Verständlichkeit nachkommen, wie er sie im Innenverhältnis zu seinem Mandanten erbringen muss, ohne allerdings gegenüber dem Dritten dem vollen entsprechenden Pflichtenkatalog unterworfen zu sein.576 Die von Jost beschriebene Seite der Relation, die den „Sender“, also den Auskunftsgeber betrifft, hat somit deutliche Auswirkungen und Verbindungen in Bezug auf die kommunikativen Abläufe. Außerdem wird erkennbar, dass der von Jost apostrophierte Wissenstransfer ohne bestimmte kommunikative Abläufe nicht vorstellbar ist.
573 Siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271, dort im Kontext mit den Sorgfaltsanforderungen. 574 Jedenfalls, wenn die andere Seite nicht anwaltlich vertreten ist. 575 Damit ist nicht die Begründung einer Leistungspflicht im schuldrechtlichen Sinn gemeint. 576 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass es nicht zur ursprünglichen Rollenbeziehung des Anwalts zum Nichtmandanten gehört, sein Fachwissen gerade (positiv) für diesen einzusetzen. Vor allem diesbezüglich kann allerdings zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten das erwähnte role-making in Form einer Modifikation erfolgen, der Aufbau einer erweiterten Rollenbeziehung. Der dann relevante „Pflichtenkatalog“ zum Dritten ergibt sich im Einzelfall vor allem aufgrund der Kommunikation zwischen Anwalt und Drittem. Auch insoweit kann man von „role-making“ sprechen. Aktiviert werden dabei freilich vor allem „klassische“ Pflichten aus dem anwaltlichen Berufsfeld, die u. a. maßgeblich davon abhängig sind, welche „Ausschnitte“ von Tätigkeiten aktiviert wird, nämlich (nur) Auskunft oder auch Rat bzw. Empfehlung. Es geht vor allem darum, Fachwissen als Fachmann in gewissem Umfang (auch) für den Dritten einzusetzen.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
(2) Angewiesenheit des Dritten Differenzierter ist die andere von Jost genannte Relationssäule zum Dritten gerade auch hinsichtlich damit verbundener kommunikativer Abläufe zu sehen. Die dort von Jost ausgemachte „Angewiesenheit“ bzw. der Aufwand des Empfängers, also des Dritten, bedürfen ebenfalls einer weiteren Betrachtung, gerade in Verbindung mit den zu erbringenden kommunikativen Leistungen. Die Angewiesenheit des Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) auf Informationen ist in einem rein begrifflichen Verständnis im Grunde sehr weit. Sie betrifft (rein) tatsächliche Informationen, ohne die es überhaupt nicht zum Vertragsschluss577 kommen kann, wie auch rechtliche Informationen, die im Wege der Auskunft erteilt werden. Erfasst sind ebenso darüber hinaus solche Informationen, die im Zusammenhang mit Rat und Empfehlung stehen. Da es um die Haftung des Auskunftsgebers geht, ist die Angewiesenheit jedoch zunächst dahingehend zu verstehen, dass der Dritte ohne den Auskunftsgeber ohne diese Information bleiben müsste. Hierbei muss, um der Haftung aufgrund der Stellung als Fachmann gerecht zu werden, die Möglichkeit zur Auskunft eben stellungsbezogen sein. Dann fallen die oben beschriebenen Situationen, in denen der Anwalt bezüglich rein tatsächlicher Umstände als bloßes „Sprachrohr“ seines Mandanten fungiert, heraus. Dort lässt sich zumeist kein beruflicher Stellungsbezug konstruieren,578 zudem könnte der Mandant grundsätzlich die entsprechenden Informationen auch selbst dem Dritten liefern. Im Grunde muss man die Angewiesenheit aber ebenso für rechtliche Auskünfte, Rat oder Empfehlung verneinen. Selbst wenn der potentielle Vertragspartner des Mandanten nicht anwaltlich vertreten ist, ist es ihm doch, das wurde schon mehrfach betont, unbenommen, sich einen eigenen Interessenvertreter zu nehmen. Der jeweilige Informationsfluss muss in den meisten Fällen nicht durch einen bestimmten Anwalt erfolgen, schon gar nicht durch den des „Interessengegners“. Im Bereich der anwaltlichen Dritthaftung kommt somit der Angewiesenheit in diesem Verständnis zunächst nur eine untergeordnete Rolle zu. Sie kann andererseits aber wieder an Bedeutung gewinnen, wenn man den zweiten Aspekt, den Jost auf der Empfängerseite ausmacht, neben sie stellt bzw. mit ihr kombiniert. Jost stellt in seinem Relationsgeflecht alternativ noch darauf ab, der Empfänger könne ggf. nur mit ungleich höherem Aufwand die gleiche Informationssicherheit erreichen.579 Vor allem dann, wenn der potentielle Vertragspartner des Mandanten nicht anwaltlich vertreten ist, wäre solcher Aufwand zu bejahen, wenn er für die Informationen, die mit einer besonderen Sachkunde zusammenhängen, zunächst einen eigenen Anwalt mandatieren müsste. Daran muss sich die Frage anschließen, ob ein solcher Aspekt der „Bequemlichkeit“ letztlich auf den Anwalt der 577
Zwischen Mandanten und Drittem. Siehe allerdings wiederum Vollkommer/Greger/Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 4, wonach eine gleiche Auskunft direkt vom Mandanten keine entsprechende Reaktion hervorruft. 579 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 578
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anderen Seite in der Form „abgewälzt“ werden darf,580 dass dieser sich einer erweiterten Haftung gegenübersieht, nämlich der gegenüber dem Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten). „Akzeptabel“ kann es sein, wenn die „haftungsbewährte Hinzuziehung“ des Anwalts zum Dritten sich auch mit einer Wahrnehmung der Interessen des eigenen Mandanten begründen lässt.581 So liegt ggf. der „ungleich höhere Aufwand“ des Dritten in einem Zeitfaktor, wenn er die Vertragsverhandlungen zunächst verlässt, um die Informationen von einem selbst gewählten Fachmann zu erlangen. Dieser Zeitaufwand berührt in vielen Fällen jedoch auch die Interessensphäre seines Gegenübers, des Mandanten des Anwalts. So kann der Mandant ein Interesse an einem zügigen Vertragsabschluss haben, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Ihm ist also oftmals daran gelegen, den Vertragsabschluss (zeitlich) zu forcieren. Dementsprechend ist es vorstellbar, dass der Anwalt dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten gegenüber vermittelt, er könne ihm, dem Dritten, Informationssicherheit verschaffen unter Reduzierung des dafür erforderlichen Aufwands.582 Mit einer solchen Herangehensweise sind mehrere Folgerungen verbunden: Eine solche Betrachtungsweise erfordert wiederum die Einbeziehung kommunikativer Abläufe. Mit ihnen kann das von Jost bezeichnete Haftungsbegrenzungskriterium der Gerichtetheit kombiniert werden. Indem dies geschieht, kann letztlich dem Einwand Josts begegnet werden, die beschriebene Relation zwischen Auskunftsgeber und Empfänger sei schwer feststellbar und deshalb als Merkmal eines Haftungstatbestands nicht geeignet583.584 Es geht also mit anderen Worten darum, dass der Anwalt durch sein Auftreten den Dritten von seiner Informationslast entbindet, weil er ihm Sicherheit kraft einer Auskunft aus seiner Stellung heraus vermittelt. Dies geschieht maßgeblich durch einen kommunikativen Vorgang, der nicht losgelöst von der Fachmannseigenschaft gesehen werden darf. Dieser kommunikative Vorgang wird in vielen Fällen585 durch die Wahrnehmung der Mandanteninteressen veranlasst sein. Es ist dann letztlich wieder der Mandant, der seinen Anwalt in die Dritthaftung „treiben“ kann.
580 Hier können im Grunde unterschiedliche Argumente angeführt werden, die auch schon bisher in der Diskussion auftauchten, so etwa das Argument, dass der Anwalt von der anderen Seite bezahlt wird oder die Überlegung, dass es jedem freisteht, sich einen eigenen Anwalt zu wählen. 581 Dann kann der Anwalt sich aufgrund des Innenverhältnisses verpflichtet fühlen bzw. sein. 582 Das kann das zuvor beschriebene role-making zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten sein. 583 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. Jost will deshalb als Indikator den beruflichen Bezug des Auskunftsgebers zu dem benötigten und dargebotenen Wissen ausreichen lassen. 584 Inwieweit sich nicht doch noch vor allem praktische Probleme, auch im Zusammenhang mit der Feststellbarkeit, ergeben, wird sich noch zeigen. 585 Denkbar ist aber auch, dass der Anwalt es „unabsichtlich“ tut.
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(3) Gerichtetheit Die angeführte Gerichtetheit586 und die mit ihr verbundenen kommunikativen Abläufe bedürfen daher ebenfalls der weiteren Aufschlüsselung. Bezieht man dabei die Überlegung mit ein, dass es um die Vermittlung von Informationssicherheit an den Dritten geht, so ist eine Klärung erforderlich, inwieweit Josts Merkmal der Gerichtetheit das abdeckt. Jost sieht das entscheidende Abgrenzungskriterium im Handeln des Auskunftsgebers. Dieser setze sich einer Inanspruchnahme aus und müsse die auf ihn zukommenden Gefahren steuern können.587 Als Konsequenz daraus seien Benefiziare der Auskunftsbeziehung nur solche Personen, an welche der Erteilende seinen Wissenstransfer richte.588 Für die direkte Auskunftserteilung, auf die sich die Betrachtungen mit Blick auf die Vertragsverhandlung reduzieren sollen,589 sieht Jost daran anknüpfend die Möglichkeit gegeben, den Transfervorgang gleichsam wie bei der Abgabe einer Willenserklärung zu zerlegen.590 Das ist interessant, da Jost etwas später für die Erklärung wiederum betont, sie sei kommunikatives Handeln.591 Josts Aufschlüsselung der direkten Auskunftserteilung kann anhand der vorgenannten Elemente (Vergleichbarkeit zur Abgabe einer Willenserklärung und Kommunikation) den obigen Topos der dem Dritten signalisierten Vermittlung von Informationssicherheit stützen. (a) „Entlassen“ der Auskunft in den Verkehr und steuerndes Willenselement So betont Jost zunächst, die Auskunft müsse mit Willen des Auskunftsgebers592 aus seinem Geschäftsbereich herausgelangt sein. Das Willenselement ist insoweit grundsätzlich für die Gerichtetheit erforderlich, es ist die Steuerung.593 Gerade wenn man, bei aller Vorsicht,594 die Parallele zur Abgabe einer Willenserklärung zieht, zeigt sich, wie schwierig damit im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen
586 Das Kriterium der „Gerichtetheit“ findet sich nicht nur bei Jost, sondern auch in anderen Zusammenhängen. Exemplarisch und im Besonderen sei auf die „Gerichtetheit“ innerhalb der Dritthaftung aufgrund der c.i.c. hingewiesen, siehe etwa Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 95; derselbe, Vertrauenshaftung, S. 132 f. 587 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. 588 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259; Hervorhebung durch die Verfasserin. 589 Denkbar sind selbstverständlich auch Konstellationen, in denen sich der Anwalt der einen Seite ohne direkten Kontakt an die andere Seite wendet. 590 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. 591 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260 f. 592 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259, spricht zwar vom Willen des Auskunftsempfängers. Aufgrund des Kontextes ist jedoch davon auszugehen, dass es sich um eine Verwechslung handelt und der Auskunftsgeber gemeint ist. 593 Vgl. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260. 594 Vgl. auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260.
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umzugehen ist, bei denen eine unmittelbare gleichzeitige körperliche Anwesenheit von Anwalt und Drittem (potentieller Vertragspartner des Mandanten) besteht. Während es bei der Abgabe einer mündlichen Willenserklärung unter Anwesenden ausreichend ist, dass diese in akustisch verständlicher Weise zielgerichtet in Richtung auf den bestimmungsmäßigen Empfänger entäußert worden ist,595 kann dies nicht ohne weiteres auf die Auskunftserteilung, vor allem einer solchen in einer Verhandlung, übertragen werden. Dass Unterschiede innerhalb der Abläufe von Auskunftserteilung und Willenserklärung bestehen, stellt auch Jost heraus. Er erörtert sie vor allem in Bezug auf den Zugang.596 Hinsichtlich der „Abgabe“ lässt er es u. a. mit Blick auf den Schaden, den eine falsche Auskunft anrichtet, genügen, wenn diese in (fahrlässig) vorwerfbarer Weise zum auskunftsbedürftigen Empfänger gelangt.597 Darin kann man, je nach Meinungsrichtung, einen Unterschied zur Abgabe einer juristischen Willenserklärung ausmachen. Dort wird zwar teilweise, jedenfalls sofern ein Zugang erfolgt, auch bei nicht willentlicher (Abgabe-)Handlung die Abgabe als wirksam betrachtet; in Frage komme dann eine Anfechtung nach § 119 BGB.598 Nach anderer Auffassung ist das abzulehnen, eine willentliche Handlung sei nicht entbehrlich.599 Knüpft man zunächst an Josts Verständnis der „Abgabe“ einer Auskunftserklärung sowie an die obige Definition der Abgabe einer (mündlichen) Willenserklärung unter Anwesenden an, erschließt sich das Problem der Gerichtetheit der Auskunftserteilung unter Anwesenden in der Vertragsverhandlung. Jede Auskunft, die der Anwalt dort ausspricht, z. B. bezüglich rechtlicher Umstände, wird in der Regel akustisch verständlich sein, und es ist jedenfalls in Rechnung zu stellen, ja sogar zumeist beabsichtigt, dass dies in Richtung (auch) auf den potentiellen Vertragspartner des Mandanten geschieht, der es verstehen soll. Es ist also durchaus ein Willenselement vorhanden.600 Daraus die Folgerung zu ziehen, jede als Auskunft zu verstehende Äußerung innerhalb von Vertragsverhandlungen sei haftungsrelevant, ist aber schwierig. So würde damit u. a. die Verteilung der Informationslast verändert. Auch Jost wollte mit der Gerichtetheit ja eine Einschränkung der Haftung erreichen.601
595
Bork, AT des BGB, Rn. 613, 616. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260. 597 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. 598 Zur Anfechtungsmöglichkeit ohne Nennung eines bestimmten Anfechtungsgrunds Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 130, Rn. 4. 599 Bork, AT des BGB, Rn. 615, der dem Empfänger dann nur Schadensersatz zubilligt. 600 Es handelt sich um ein anderes Willenselement als bei der Willenserklärung; es geht nicht um den Willen, einen Vertrag abzuschließen. 601 In den bei Jost genannten Fällen ging es jedoch um Kontakte, die nicht unter unmittelbar Anwesenden bestanden. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259, 42 f., bezieht sich einmal auf einen Fall, in dem eine schriftliche Auskunft erteilt worden ist, bzw. der Fall bestand in einer unterlassenen Aufklärung. 596
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Es ist auch problematisch, einem Fachmann (Anwalt), der als Interessenvertreter in ein Gespräch involviert ist, aufzugeben, sich jeder fachlichen Äußerung zu enthalten oder ansonsten dem Dritten zu haften. In der Vertragsverhandlung sollte der Gerichtetheit somit ein „Mehr“ zukommen, eben die oben genannte Vermittlung der Verschaffung von Informationssicherheit unter Entlassung aus eigenen Anstrengungen um die entsprechende Beschaffung. (b) Lösung im Kommunikationsweg Die Lösung muss in der Kommunikation gesucht werden. Am „einfachsten“ ist das, wenn es um die Erteilung eines Rats oder einer Empfehlung in der Vertragsverhandlung geht. Bei diesen muss begrifflich eine inhaltliche Ausrichtung auf den Empfänger erfolgen, da sie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der individuellen Situation des Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) erfordern. Dann kann und darf der Dritte sich bei der Vermittlung durch den Fachmann602 auf die entsprechende Sicherheit und einen Verzicht auf eigenes Bemühen verlassen.603 Das ist auch für den Fachmann in seinen Konsequenzen (willentlich) steuerbar. Schwieriger stellt sich die Beurteilung von Auskünften dar, u. a. die Weitergabe/ Erläuterung allgemeiner juristischer Informationen. Hier ergibt sich die Frage, ob/ wie aus der Kommunikation die Gerichtetheit folgen kann, neu. Sofern die Auskünfte nicht ausdrücklich an den Dritten gerichtet werden, z. B. durch Formulierungen wie – „Ich bin gerne bereitet, Ihnen dies zu erläutern.“ oder – „Nun kommen wir zu Ihren Bedenken.“
könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Äußerungen, die ein Anwalt, der eine Seite vertritt, grundsätzlich als Ausdruck einer Meinung, die in erster Linie aus diesem Interessenlager kommt, zu sehen ist. Die Äußerungen könnten dann jedenfalls nicht als Wissenstransfer aufzufassen sein, der den Dritten von einer eigenen Verifizierung entbindet. Das würde gegen eine Zusicherung von Informationssicherheit sprechen, entspräche der grundsätzlichen Verteilung der Informationslast und würde weiter dazu führen, nicht (nur) auf die Berufszugehörigkeit als Haftungsgrund abzustellen. Zudem bliebe dem Anwalt im anderen Fall wieder nur die Möglichkeit, der Haftung zu entgehen, indem er ausdrücklich die mangelnde Gerichtetheit an den Dritten kommuniziert. Dass dies nicht verhandlungsfördernd ist, wurde bereits erörtert. Man könnte mit anderen Worten sagen, sofern nicht bestimmte kommunikative Signale an den Dritten gesendet werden, die die Gerichtetheit ausdrücken, spricht eine Vermutung dafür, dass die Informationen „lagerbezogen“ sind. 602 Siehe auch die Überlegungen bei Hopt, dass der Rat nicht rein privat erfolgen darf, vgl. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 680 f.; dazu ebenfalls Lang, AcP 201 (2001), 451, 515. 603 Eine Differenzierung nach den Tätigkeiten des Fachmanns nimmt auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 277 ff., vor, dort jedoch hinsichtlich des Umfangs der Pflichten des Informanten.
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(c) Problem der angelegentlich in der Vertragsverhandlung getätigten Äußerungen Nimmt man allerdings Josts Argumente hinzu, wird es schwieriger, diesen Argumentationsstrang zu verfolgen. Denn Jost lässt es genügen, dass auch ungewollt an Dritte gelangte Informationen zur Haftung führen, wenn dem Auskunftsgeber ein Fahrlässigkeitsvorwurf bezüglich des Informationsflusses gemacht werden kann, sofern er an denjenigen gelangt, für den er bestimmt gewesen wäre, hätte sich der Fachmann zur Auskunft entschlossen.604 Damit ist die Beurteilung der Auskünfte innerhalb der Vertragsverhandlung ungleich schwerer. Denn anders als etwa in einer Prozesssituation, in der oftmals konfrontativ argumentiert wird und damit kein „Vorwurf“ laut werden kann, es sei vorherzusehen gewesen, dass es sich um eine für den Dritten bestimmte Information gehandelt habe, kann es vor allem in der auf einen Abschluss zielendenden Vertragsverhandlung häufig anders liegen. Dabei sei nochmals betont, dass es mit Blick auf eine Haftung des Auskunftsgebers für Vermögensschäden Dritter nicht darum gehen kann, als Dritter in irgendeiner Form an (Fach-)Informationen zu gelangen. Dazu gehört auch die Kenntniserlangung innerhalb eines diskursiven Streitgesprächs. Dort mögen Argumente zwar zur Überzeugungsbildung beitragen, sind oftmals dazu auch intendiert. Das geschieht jedoch jeweils (offensichtlich) aus der Interessensphäre des eigenen Mandanten heraus. Gerichtetheit innerhalb der Auskunftserteilung, die eine Haftung für falsche Angaben begründet, ist aber nur vertretbar, wenn sie an den Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) gerichtet sind, um dessen eigenes Informations- und Interessenbedürfnis605 zu befriedigen. Es muss ein entsprechender „Übernahmeakt“ des Anwalts deutlich werden. Nur so lässt sich die Beraterhaftung kanalisieren und bestimmen, für welche Weitergabe und Verschaffung von Informationen der Anwalt haftet. Um kenntlich zu machen, ob man „nur“ Informationen im Sinne des Mandanten transportiert, kann auch eine bestimmte Gesprächs- und Kommunikationskultur genügen. Eine zuvor benannte streitige Situation vor Gericht spricht eben etwa für eine mangelnde (haftungsrelevante) Gerichtetheit an den Dritten. Sobald aber ein kooperativer Weg in der Verhandlung beschritten wird, ist diese Indizwirkung nicht mehr tragend. Zwar kann der Konsensweg auch oder sogar nur im Interesse des eigenen Mandanten gesucht werden. Zumindest vom Auftreten des Anwalts her, und hier kommt der Jostsche Fahrlässigkeitsgedanke zum Tragen, kann dann durchaus eine Informationsanreicherung des Dritten um dessen Willen durch den Anwalt ggf. angenommen werden und damit eine entsprechende Gerichtetheit. Beispiele dafür sind „mediatives“Auftreten, die Grenzbereiche hin zur Erteilung von Rat und Empfehlung, u. U. sogar schon eine Gesprächsleitung durch den Anwalt, die bewusst die Konsenssuche in den Vordergrund stellt. In jedem Fall kann hier nicht
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Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259. Dieses kann wiederum schon dadurch abgedeckt, sein, dass der potentielle Vertragspartner des Mandanten selbst anwaltlich vertreten ist. 605
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mehr von einer Vermutung dahingehend gesprochen werden, das anwaltliche Auftreten spreche gegen eine Gerichtetheit an den Dritten. Dann bliebe die Schlussfolgerung, dass sich der Anwalt in jeder Vertragsverhandlung, die von Kooperation geprägt ist, einer permanenten (Dritt-)Haftung gegenübersieht.606 Ein Ausweg wäre wieder „nur“, die Gerichtetheit ausdrücklich zu zerstören. Das ist die Konsequenz der Nutzbarmachung der kommunikativen Abläufe, die u. a. auch die von Jost aufgeworfene Relation zwischen Sender (Auskunftsgeber) und Empfänger (Dritter) einschlossen. Allein für die Relation machte Jost eine schwierige Feststellbarkeit aus und lehnte damit die Tauglichkeit als Merkmal eines Haftungstatbestands ab.607 Durch die stärkere Einbindung der kommunikativen Abläufe wird die Feststellbarkeit zwar nicht unproblematisch, jedoch stellt sie sich einfacher dar. Können die Erteilung eines Rats oder einer Empfehlung festgemacht werden, z. B. aufgrund eines Gesprächsprotokolls oder aufgrund von Zeugenaussagen, lässt sich der oben beschriebene Haftungszusammenhang nachvollziehen und ggf. nachweisen. „Vereinfacht“ ist die Situation auch für den Dritten bezüglich einer anwaltlichen Auskunftserteilung innerhalb einer kooperativen Verhandlung608, da dort zumindest die Indizien für die Begründung einer Sonderbeziehung, so man Jost folgt, mit dem Anwalt sprechen, wenn dieser eine Auskunft erteilt hat. c) Zwischenfazit Als Zwischenfazit muss man feststellen, dass eine Haftungsgefahr – nach den bisherigen Voraussetzungen – für den Anwalt innerhalb von Vertragsverhandlungen nach dem Jostschen Ansatz konsequent ist, insbesondere dann, wenn der Dritte selbst nicht anwaltlich vertreten ist. Dem Anwalt sind solche Abläufe aufgrund seiner beruflichen Stellung grundsätzlich nicht unbekannt. Es ist ihm zudem ein steuerndes Eingreifen durchaus möglich, z. B. durch die Betonung der Interessenwahrnehmung für den Mandanten, wenn dies in einzelnen Fällen auch taktisch „ungeschickt“ ist. Daran anschließend muss man allerdings dann ebenso berücksichtigen, dass der „offensive“ Umfang mit Informationen gegenüber dem Dritten geschieht, um für den eigenen Mandanten etwas in der Eigenschaft als Fachmann zu erreichen. Dann ist es zumindest nicht unproblematisch, wenn sich, so Fachwissen eingesetzt wird, um den Dritten zu überzeugen, diese Überzeugungsarbeit aber als fachlich falsch erweist. Der Vorteil des Mandanten wäre dann in fachlich unqualifizierter Weise erfolgt. Der Dritte könnte aus diesem Umstand, würde man die Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten ablehnen, keine Konsequenzen gegenüber diesem ziehen, zumindest
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Jedenfalls sofern die andere Seite nicht selbst anwaltlich vertreten ist. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. 608 Ob eine solche vorgelegen hat, ist ebenfalls wieder mit Hilfe von Protokollen und Zeugenaussagen zu beurteilen. 607
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nicht solche auf (quasi-)vertraglicher Haftungsgrundlage. So gesehen zeigt der Jostsche Ansatz deutliche Vorteile. 3. Weitere Haftungsvoraussetzungen Neben der Fachmannseigenschaft und der an den Dritten als Empfänger kommunizierten Auskunft müssen weitere Voraussetzungen nach dem Jostschen Ansatz vorliegen, damit der Dritte einen quasi vertraglichen Anspruch gegen den die Auskunft erteilenden Anwalt geltend machen kann. Zu nennen sind insoweit das Vorliegen einer (Verhaltens-)Pflichtverletzung seitens des Auskunftsgebers, ein den Auskunftsgeber treffender Verschuldensvorwurf, die Kausalität zwischen der (falschen) Auskunft und dem vermögensrelevanten Handeln des Erklärungsempfängers sowie ein Schaden im Vermögen des Erklärungsempfängers. Ohne hier diese weiteren Haftungsvoraussetzungen in ihren Einzelheiten darstellen zu wollen609,610 ist auf einige Aspekte einzugehen. Jost führt die Verhaltenspflichten als Eingrenzungskriterium der Beraterhaftung an.611 „Haftbar (…) (sei) der Auskunftgeber nur, wenn er gegen solche bei der Beschaffung und Weitergabe der erforderlichen Informationen verstoßen (…) (habe).“612
Die entsprechenden Überlegungen wurden von uns auch schon im Zusammenhang mit dem zu erfolgenden Wissenstransfer im Rahmen der Kommunikation dargestellt. Der Umfang der Pflichten, und auch dies wurde in anderem Kontext schon innerhalb der Kommunikation diskutiert, bestimme sich maßgeblich nach den jeweils gegenüber dem Erklärungsempfänger übernommenen Tätigkeiten (z. B. Auskunft oder Raterteilung) und den damit geweckten Erwartungen.613 Der Auskunftsgeber übernimmt Verhaltenspflichten gegenüber dem Dritten, die gerade ihre Sonderbeziehung begründen.614 Folgt man der zuvor dargelegten Herangehensweise der engen Kopplung der Kommunikation an die Fachmannseigenschaft, so werden sich dort, vor allem in Verbindung mit der Übernahme einer bestimmten Tätigkeit, bereits zahlreiche Fragen in Bezug auf die Verhaltenspflichten und ihren Umfang stellen. Hinzu 609
Es sind die Bereiche der Fachmannseigenschaft und der Kommunikation, die für den Ansatz vor allem bestimmend sind und an denen die Auseinandersetzung mit Jost wesentlich gesucht werden soll. 610 Das gilt ebenso für weitere Bereiche, wie das Mitverschulden, die Haftungsbegrenzung, die Gehilfenhaftung, die Beweislastverteilung sowie die Verjährung. Auf sie soll nicht weiter eingegangen werden, siehe insoweit Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 276 ff. 611 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271. 612 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271. 613 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 273. 614 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271.
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kommt, dass gerade auch die Frage der „Sonderbeziehung“ nicht losgelöst von der Fachmannseigenschaft beantwortet werden kann.615 Eigenständige Bedeutung kommt dem Umgang mit der Verletzung von Verhaltenspflichten durch den Auskunftsgeber insbesondere hinsichtlich der Feststellung zu, ob tatsächlich eine solche Verletzung vorliegt. Es zeigen sich damit nochmals die enge Verbindungen bzw. die Überschneidungen zwischen Fachmannseigenschaft/Kommunikation und den sonstigen Voraussetzungen für eine Haftung.616 Folge dieser Verbindung („Fachmannseigenschaft“), aber u. U. ebenso eigenständiger Prüfungspunkt innerhalb der Verletzung von Verhaltenspflichten, kann schließlich ein Rückgriff auf bestimmte Berufspflichten des Anwalts sein, sofern sie durch die „angediente“617 Tätigkeit indiziert sind.618 Dies kann etwa die Frage betreffen, in welchem Umfang Informationen zu beschaffen sind, damit sie der Fachmannsqualität genügen. Eine ähnlich enge Verknüpfung von Fachmannseigenschaft/Kommunikation und weiterer Voraussetzung findet sich in Bezug auf das Verschulden.619 Das betrifft weniger die Problematik eines vorsätzlichen Handelns als vielmehr eines etwaigen Fahrlässigkeitsvorwurfs. So betont auch Jost für die innerhalb einer Fahrlässigkeitsprüfung relevanten Sorgfaltsanforderungen die enge Verbindung zum Schuldgrund.620 Bei der Klärung, wann eine Sorgfaltsverletzung vorliegt, wird von Jost auf die unterschiedlichen Tätigkeiten des Fachmanns verwiesen,621 ein Vorgehen, dessen wir uns bereits an unterschiedlichen Stellen bedient haben (z. B. Interessenvertreter oder „Quasi-Mediator“). Das gilt ebenso für den Einfluss der beruflichen Standards auf die erforderliche Sorgfalt.622 Der Kausalität zwischen der (falschen) Auskunft und dem vermögensrelevanten Handeln des Erklärungsempfängers623 kommt ebenfalls eine Bedeutung mit Blick 615 So ist die berufliche Autorisierung, wie bereits dargetan, die Basis für eine Sonderbeziehung zwischen den Parteien, die über die Auskunft zum Ausdruck kommt; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256. 616 Siehe dazu auch nochmals Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272, der hinsichtlich des Maßes der aufzuwendenden Sorgfalt und dem Schuldgrund eine Verbindung ausmacht. 617 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass Jost ausdrücklich das Zustandekommen eines (juristischen) Vertrags ablehnt. 618 Hier zeigt sich unter anderem, wie richtig Hopt in seiner Einschätzung lag, dass der Bestimmung der Berufspflichten besondere Bedeutung zukommt. 619 Zur Verschuldensproblematik Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 271 f. 620 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272. 621 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 272. 622 Dazu Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 258. 623 Die Ausführung, dass eine Haftung nur in Frage kommt, wenn die Falschangabe das Handeln des Erklärungsempfängers tatsächlich beeinflusst hat, findet sich bei Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260.
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auf die kommunikativen Abläufe zu, die allerdings bisher in der Form noch nicht herausgestellt worden ist. So ist mit der Ausrichtung des Verhaltens des Dritten nach der falschen Auskunft auch dargetan, dass die entsprechende Erklärung dem Dritten „zugegangen“ ist.624 Es ist ein weiterer Baustein innerhalb der Kommunikation, der die Vergleichbarkeit des dort ablaufenden Mechanismus zum juristischen Vertrag aufzeigt. Nicht zuletzt kann man das von der Einflussnahme gesteuerte Verhalten des Dritten auch als eine Art von „Annahme“ der Leistung des Anwalts durch ihn auffassen. Mit dem Erfordernis eines Eintritts eines Vermögensschadens beim Dritten625 wird schließlich nochmals betont, dass „(…) es um die Gewährleistung von Vermögensschutz geht (…)“626, „(…) (b)etroffen ist (…) die Wahrnehmung von Vermögensinteressen (…)“627. Mit diesem Interessenbezug wird abschließend noch einmal deutlich, in welch schwierige Situationen sich der für seinen Mandanten handelnde Interessenvertreter Anwalt bringen kann, wenn er dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten innerhalb der Vertragsverhandlung fachliche „Leistungen“ erbringt, sei es auch im eigentlichen Interesse seines Mandanten. 4. Abschließendes Resümee und Kritik Eine kritische Würdigung des Jostschen Ansatzes bedarf eines Rückgriffs auf eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Position und Rolle, die in den vorherigen Abschnitten bereits angesprochen wurde. Zudem muss eine angemessene Berücksichtigung der kommunikativen Abläufe erfolgen. Zur Verdeutlichung der Problematik sei nochmals Dahrensdorfs Bestimmung von Position und Rolle angeführt. Unter einer (sozialen) Position macht Dahrendorf einen Punkt im Koordinatensystem sozialer Beziehungen aus.628 Während die Position den „Ort“ im Koordinatensystem bestimmt, formuliert die Rolle demgegenüber die jeweiligen Ansprüche der Gesellschaft an den Träger der betreffenden Position.629 Gemeint ist damit das Erwartungsbündel, dem sich der Positionsinhaber gegenübersieht. Hinter einem solchen Verständnis stehen vielfach solche Positionen und Rollen, die sich auf fest gefügte (normative) Vorgaben gründen, das heißt u. a. 624 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass es sich bei der Erklärung bei Jost nicht um eine rechtliche Willenserklärung handelt. Dementsprechend stellt er auch einen Unterschied im Vergleich zum Zugang einer Willenserklärung dar. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme sei nicht ausreichend, erforderlich sei eben eine tatsächliche Beeinflussung, Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260. 625 Vgl. dazu Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256 f. 626 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256, dort auch nochmals, unter Hinweis auf Canaris, dazu, dass dieser systematisch zum Vertragsrecht gehört. 627 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 257. 628 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32. Ullrich, Soziale Rolle in der Industriegesellschaft, S. 12, spricht von „festen Knoten“. 629 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 35.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
solche „klassischer Professionen“ wie die der Anwaltschaft. Die Berufung auf die Fachmannseigenschaft, die mit einem (fachlichen) Wissensvorsprung einhergeht, „passt“ zunächst zu einer entsprechenden gesellschaftlichen Positionierung des Anwalts. Das Wissen wird ihm u. a. aufgrund seiner Ausbildung und seiner Abschlüsse zugewiesen. Entsprechend sind auch die auf diese Position ausgerichteten Erwartungen z. B. mit einer Überzeugung von besonderem Wissen verbunden. In dieses Bild passt es zunächst, wenn Jost „Vertrauen“ als eine maßgebliche Haftungskategorie ablehnt und vielmehr die Berufsträgerschaft betont. Vertrauen im Sinne von einem besonderen Zutrauen ist hier nicht erforderlich. Klassisches positionales und rollenbezogenes Denken zeigt sich auch, wenn gleichsam „ad hoc“ eine Auskunft, ein Rat oder eine Empfehlung durch den Anwalt erfolgt, z. B. eine ungefragte Auskunft gegenüber dem Dritten abgegeben wird. Will man den Anwalt als Fachmann aufgrund seines Wissensvorsprungs daran festhalten, so ist dies nicht zuletzt auch und vor allem die Folge der Aktivierung630 von Erwartungen des Dritten, gerade in Bezug auf überlegenes fachliches Wissen. Finden sich auch insoweit entsprechende Positions- und Rollenelemente, so muss weiterhin jedoch berücksichtigt werden, dass Jost den Schuldgrund quasi vertraglich bestimmt, Erklärungen (kommunikative Abläufe) bedeutsam sind und es um die Übernahme eines Wissensdefizits des Dritten durch den Fachmann geht. Allerdings lässt sich dies ebenfalls in ein entsprechendes Positions- und Rollengefüge einflechten. Erforderlich ist beim Sender ein Kommunizieren, wonach er den anderen aus seinem Wissensdefizit „entlassen“ will, sowie beim Empfänger ein entsprechendes „Ankommen“ der Botschaft. Vor allem bei den „spontanen“ Auskunfts-, Raterteilungen sowie Empfehlungen ist es neben einer entsprechenden ausdrücklichen Artikulation vorstellbar, notwendige Rückschlüsse in Bezug auf die jeweils erbrachten Äußerungen (z. B. den Ausspruch einer Empfehlung) zu ziehen. Dann bildet aber im Grunde gerade neben der Kommunikation wiederum der Beruf den eigentlichen Anknüpfungspunkt. Denn er bietet oftmals den entscheidenden Rückschluss, wie eine Äußerung zu verstehen ist, u. a. in Bezug auf eine Wissensübernahme. So sind u. a. für die Auslegung von Sprachsymbolen rollenspezifische Vorstellungen sehr bedeutsam, z. B., wenn man es gerade dem Fachmann zutraut, Fachausdrücke richtig zu erklären. Es mag allerdings im Einzelfall fraglich sein, ob der jeweilige Anwalt tatsächlich beim Dritten ein Wissensdefizit auflösen wollte. Da Jost jedoch die „fahrlässige“ Ausrichtung und Zusendung einer entsprechenden Erklärung an den Dritten genügen lässt,631 muss das auch dafür gelten, ob der Anwalt das Wissensdefizit beseitigen 630
Hier ist nochmals das Argument anzuführen, dass der Dritte gleichsam in eine Rollenbeziehung zum Anwalt „hineingezogen“ werden kann, auch wenn dieser der Interessenvertreter seines Mandanten ist. Bei Jost hat insoweit die „Gerichtetheit“ eine besondere Bedeutung. 631 Vgl. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 259: „Es kommt nur darauf an, daß die Erklärung von einem als Ratgeber Verantwortlichen stammt und denjenigen er-
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wollte. Hier zeigt sich die von Jost herausgestellte Ähnlichkeit zur geschäftsähnlichen Handlung.632 Der entscheidende Grund, der dann aber letztlich zur Haftung führte, wäre der Beruf. Das spräche für eine „Berufshaftung“ und ließe eine (quasi) vertragliche Haftung, die sich (auch) auf die Erklärung stützt, schwierig erscheinen. Möglicherweise lässt sich eine andere Sichtweise einnehmen, wenn man wieder die obigen Überlegungen einbezieht, innerhalb derer wir eine Form von „rolemaking“ ausgemacht haben. Dort wurde u. a. betont, der Kommunikationsprozess zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten führe zu einem Beziehungsaufbau, der auch dafür maßgeblich sei, welches anwaltliche Tätigkeitssegment aktiviert würde und die Rollenerwartungen erst aktuell werden lasse.633 Man kann also in der Tat von einem „role-making“ sprechen, ebenso wenig soll die Bedeutung der Kommunikation im Nachhinein verneint werden. Es muss jedoch der Bezugspunkt deutlicher werden. Das Hineinziehen in eine Beziehung erfolgt in Richtung auf eine berufliche Tätigkeit, kommuniziert werden Teile einer beruflichen Tätigkeit. Es erfolgt eine Aktivierung einer, zumindest beim Anwalt, in weiten Teilen vorgeformten Rolle. Da letzteres nicht durch einen Vertrag bei Jost geschehen soll, muss es in anderer Weise erfolgen. Die beschriebenen Abläufe sind ohne Kommunikation nicht vorstellbar. Insoweit ist der Ansatz von Jost auch in seiner Bedeutung hervorzuheben. Die Aktivierung von Positionen und Rollen durch Kommunikation ist ein Schlüssel zum Verständnis von Haftungsabläufen und ihrer Steuerung.634 Aufgrund dessen ist die teilweise getroffene Einschätzung, Jost knüpfe allein an die Berufstätigkeit an,635 auch nicht stichhaltig. Es stellt sich aber die Frage, ob Josts Erkenntnisse nicht auf einem anderen dogmatischen Fundament „sicherer“ wären. Das von Jost so geschmähte „Vertrauen“ hat mittlerweile „Einlass“ in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB gefunden. Über § 311 Abs. 3 BGB kann es zur Entstehung eines Schuldverhältnisses kommen, bei der Verletzung daraus resultierender Pflichten kann ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB begründet werden. Angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber den Weg über § 311 Abs. 3 BGB auch reicht, für welchen sie bestimmt gewesen wäre, wenn sich der Auskunftsgeber zur Erklärung entschlossen hätte.“ 632 Zur Ähnlichkeit mit der vertragsähnlichen Handlung, Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 260 f. Hinzuweisen ist noch darauf, dass Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 261, eine Anfechtung wegen Irrtums über die rechtlichen Folgen ausschließt, weil es auf den Willen, die Haftung für die Richtigkeit der Erklärung zu übernehmen, nicht ankomme. Davon zu trennen ist aber eben die Frage, ob eine Äußerung so zu verstehen ist, Wissenslücken ausgleichen zu wollen, eine Frage, die unmittelbar mit dem Topos der Gerichtetheit bei Jost verbunden ist. 633 Das kann gerade auch beinhalten, das fachliche Wissen für den Dritten einzusetzen. 634 Das wird sich auch innerhalb der Auseinandersetzung um die Lösungssuche über § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zeigen. 635 So die Schlussfolgerung bei Papadimitropoulos, Die Haftung aus Auskunftsverträgen gegenüber dritten Empfängern, S. 32.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
für die Fälle der Auskunftshaftung geöffnet sah,636 kann dieser der besagte „sichere“ dogmatische Grund sein. Das wäre vor allem dann zu präferieren, wenn sich dort Jostsche Erkenntnisse (Verbindung von Beruf und Kommunikation) nicht nur integrieren, sondern ggf. auch fortführen ließen. Entsprechende Überlegungen werden daher aufzugreifen sein. Allerdings ist, gerade im Anschluss an Jost und gleichsam zur „Vorbereitung“ der Ausführungen zu § 311 Abs. 3 BGB zunächst die Auseinandersetzung um weitere Ansätze angezeigt.
V. Haftung aufgrund Selbstbindung (Köndgen) 1. Einführung Eine Lösung der Haftungsproblematik637 mittels „Selbstbindung“ sucht vor allem Köndgen.638 Köndgens Schrift zur „Selbstbindung ohne Vertrag“639, in der er sich auch mit „Berufshaftungen – am Beispiel der Haftung für Auskunft, Raterteilung und Gutachten“640 beschäftigt, liegt zeitlich betrachtet vor der Arbeit Josts zur vertragslosen Auskunfts- und Beratungshaftung. Gleichwohl ist eine Auseinandersetzung mit dem Köndgenschen Ansatz für mit Blick auf die Vertragsverhandlung im Anschluss an die Überlegungen Josts angezeigt. Denn Abläufe, die bei Jost bereits diskutiert wurden, u. a. die Bedeutung der Kommunikation,641 finden sich zwar bereits bei Köndgen, können jedoch bei einer an Jost anschließenden Betrachtung in einer noch weiterführenden Art und Weise nutzbar gemacht werden. So ergeben sich bei Köndgen Aspekte, die namentlich für die Vertragsverhandlung unter anwaltlichem Einschluss andere Dimensionen eröffnen, die es weiterzuverfolgen gilt. Das sind etwa seine klare Herausstellung des anwaltlichen Rollenkonflikts wie auch insgesamt seine stärkere Hinwendung zu Rollenabläufen im Zusammenhang mit der
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Siehe dazu BT-Drs. 14/6040, S. 163. Zur Problematik um die Einordnung des Ansatzes von Köndgen (Berufshaftung, Erklärungshaftung, eigenständiger Weg) Besold, Aufklärungspfichten, S. 86 m. w. N. 638 Positiv zu Köndgen etwa Bydlinski, JBl. 1992, 341, 345; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 625 („höchst anregende (…) Lehre); siehe auch Picker, AcP 183 (1983), 369, 490 (Fn. 310). Kritisch u. a. Besold, Aufklärungspflichten, S. 88; Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 93 f. („widersprüchliche Kategorie“); Müller, Auskunftshaftung, S. 134 f.; Weller, Vertragstreue, S. 194 (im deutschen Recht gilt das Vertragsprinzip); kritisch ebenfalls Herrmann, JZ 1983, 423, 427. Differenzierend Lang, AcP 201 (2001), 451, 477 f. 639 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, Tübingen 1981. 640 So ein Zwischentitel bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 352. 641 Zur Selbstbindungslehre bei Köndgen als „Verstrickung durch eigenes („kommunikatives“) Verhalten“ Kegel, Vertrag und Delikt, S. 106, der jedoch daraus eine Bindung aus objektivem Recht wie bei Delikt folgert; auf Kegel hinweisend und ebenfalls kritisch in Bezug auf Köndgen (Modell zur Erklärung kommunikativ begründeter rechtlicher Verpflichtung fehlt) Schulze, Die Naturalobligation, S. 326. 637
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Berufshaftung.642 Dieses Bewusstsein zeigt sich in der Einbindung des Rollenverständnisses bereits in den Bereichen, die innerhalb der Berufshaftung gefestigt sind, das heißt in bestimmten Bereichen der vertraglichen und deliktischen Haftung. Das betrifft etwa die Berufshaftung aufgrund „normaler“ vertraglicher Leistungsbeziehungen in Bezug auf den Klienten.643 Hier stellt Köndgen u. a. die nicht explizit vereinbarten Qualitätsversprechen heraus,644 die sich einmal in den „nichtvertraglichen Voraussetzungen des Vertrages“ finden, daran angefügt aber auch die „nicht mehr vertraglich fundierten (…) Rollenerwartungen an den Berufspraktiker“.645 Soweit es um die nichtvertraglichen Voraussetzungen geht, zeigt sich erneut eine Querverbindung zu dem Ausspruch Durkheims, wonach nicht alles vertraglich beim Vertrag ist.646 Es ist wiederum die Möglichkeit der Einbindung vor allem gesetzlich geschaffener Pflichten im Hinblick auf einen bestimmten Vertragstypus gemeint.647 Hinsichtlich der weiteren Rollenerwartungen, die Köndgen anspricht, ist seine Berücksichtigung von sozialen Rollennormen von Bedeutung. So führt er u. a. an, wenn soziale Rollennormen als konkretes Verhaltensgebot formulierbar und sanktionierbar seien, dann würden sie tendenziell auch als Berufspflichten öffentlich- und privatrechtlich durchgesetzt, umso eher, je näher sie dem funktionalen Kernbereich der Rolle gelagert seien.648 Das ermöglicht eine Einbindung in einen (rein) vertraglichen Kontext, aber auch in einen deliktischen wie ebenso in einen (weiteren) außervertraglichen. Im deliktischen Bereich ist hier erwähnenswert, wie die Berufsrolle mit ihren Ausprägungen etwa in die Ausfüllung des Sorgfaltsmaßstabs zur Haftungsbegründung einfließt.649 So kann für die Frage des Vorliegens von Fahrlässigkeit als Verschuldensvoraussetzung u. a. maßgeblich sein, wie ein sorgfältig arbeitender Anwalt handeln würde, z. B. in Bezug auf die Kontrolle ergangener Rechtsprechung. Neben diesen Bereichen ist Köndgens Nutzbarmachung der Berufsrolle innerhalb der außervertraglichen Haftung von besonderem Interesse. Für die außervertragliche 642 Eine solche findet sich zwar auch bei anderen Autoren, u. a. bei Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. oder Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff. Allerdings zählt Köndgens Werk zu denen, die die Rollenbetrachtungen am intensivsten mit einbeziehen. Er selbst führt aus, die Leistungsfähigkeit des Rollenkonzepts im Zivilrecht werde einerseits grob überschätzt, sei zum anderen Teil aber auch noch längst nicht erschlossen, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 193. 643 Dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 353. 644 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 353. 645 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 353, Hervorhebung bei Köndgen. 646 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 267. Vgl. auch die Ausführungen bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, u. a. S. 201, 323. 647 Vgl. bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 201, zu den damit einhergehenden durchschnittlichen Erwartungen, nicht zuletzt mit Blick auf das dispositive Recht. 648 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 216 f. In Bezug auf das Kriterium der Funktionalität von Rollenverhalten verweist Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 217, Fn. 125, auf Claessens, Rolle und Macht, S. 45 ff. Köndgen, a. a. O., misst dem Kriterium jedoch nur eine beschränkte Brauchbarkeit zu. 649 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 353.
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Haftung für Auskünfte, Raterteilungen und Gutachten stellt Köndgen ebenfalls und im Besonderen den Zusammenhang von Auskunftshaftung und Berufsrolle heraus, zwar unter Hinweis auf bereits vorhandene Ansätze, aber mit dem Anspruch, eine „konsequent rollentheoretische Perspektive in die Diskussion einzubringen“.650 Bemerkenswert und nachfolgend zu vertiefen ist schließlich Köndgens Aussage, unter den quasi-vertraglichen Berufshaftungen gebühre der Auskunftshaftung eine Sonderstellung, begründet darauf, dass bereits die Auskunft selbst, ohne Rücksicht auf die Berufsrolle des Auskunftsgebers, ein Selbstbindungselement enthalte.651 Letzteres ist konsequent. Das folgt allein schon aus Köndgens grundlegendem definitorischem Verständnis der Selbstbindung als einem „Gattungsbegriff für die verschiedenen empirisch beobachtbaren Varianten von Verpflichtungsverhalten in sozialer Interaktion.“652 Auskünfte, Ratschläge und Empfehlungen sind sicherlich im Rahmen von Vertragsverhandlungen empirisch zu beobachtendes Verhalten. Ihren „Verpflichtungscharakter“653 gilt es aber noch ausführlicher zu erörtern. Einerseits die Betonung der rollentheoretischen Perspektive, andererseits die davon grundsätzlich unabhängige Selbstbindung, insbesondere aber die dort ausgemachten Abläufe, könnten für die Einbindung in den Kontext um Vertragsverhandlungen von besonderer Bedeutung sein. 2. Verpflichtungsgrund von Auskunfts- und Raterteilungen654 bei Köndgen Auch Köndgen begründet seinen Verpflichtungsgrund u. a. unter Abgrenzung zu anderen Lösungswegen. Den vor allem vom Reichsgericht begründeten Ansatz über den Abschluss eines Auskunftsvertrags lehnt er ebenfalls unter Hinweis auf den 650
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 354 Rollentheoretische Ansätze finden sich insoweit etwa auch bei Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. und Lammel, AcP 179 (1979), 337 ff. Müller, Auskunftshaftung, S. 142 ff., macht, wie bereits erwähnt, unter einem engen Ansatz der Berufshaftung solche Konzepte aus, die bei soziologischen Berufsrollen ansetzen; er verweist insoweit im Besonderen auf Hopt und Lammel. 651 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 354. Die Selbstbindung als ein Verpflichtungselement innerhalb der Lehre Köndgens, siehe insbesondere Selbstbindung ohne Vertrag, S. 280, wird sogleich noch aufzugreifen sein. 652 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 163. Siehe diesbezüglich jedoch die Kritik bei Breinersdorfer, Haftung der Banken für Kreditauskünfte, S. 184 f. Insoweit weist Lang, AcP 201 (2001), 451, 478, allerdings zu Recht darauf hin, dass sich die Rechtswissenschaft seit langem die auf empirischer Basis gewonnenen Erkenntnisse zunutze macht. Zum Anknüpfen Köndgens an die sozialwissenschaftliche Erforschung der sozialen Interaktion, Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 117; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 82. 653 Dabei versteht Köndgen Selbstbindung semantisch enger als die Verpflichtung, so Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 164, da er Fremdbindung hier nicht berücksichtigt. 654 So die Zwischenüberschrift bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 354.
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oftmals vorgebrachten Fiktionsvorwurf ab.655 Aus demselben Grund sei eine Konstruktion, die letztlich auf einem Haftungsversprechen basiere, abzulehnen.656 Köndgen wendet sich ebenso gegen das Verdikt der Auskunft als rein deklaratorische Wissenserklärung, welches eine Suche nach der notwendigen Haftungsgrundlage auf einer anderen Ebene erfordere.657 Namentlich eine Rekurrierung in dem Zusammenhang auf besonderes persönliches Vertrauen in den Auskunftsgeber lehnt Köndgen wegen mangelnder dogmatischer Operationalität ab.658 Jost659 stellte bei der Auskunft zwar eine Wissenserklärung des Fachmanns fest, er suchte jedoch die haftungsrechtliche Auflösung über die Erklärungshaftung unter Hinwendung auf die Fachmannseigenschaft, aber auch auf die kommunikativen Abläufe. Einen Zusammenhang von Auskunfts- und Raterteilung sowie Kommunikation machte bereits Köndgen deutlich,660 wobei eben die Selbstbindung661 hinzutritt. Hier ist mit Blick auf etwaige Vertragsverhandlungen wieder anzusetzen. a) Kommunikatives Handeln mit Geltungsanspruch aa) Geltungsanspruch Unter Berufung auf die Grundeinsichten der Argumentationstheorie wendet sich Köndgen gegen die Dichotomie von „deklaratorischer Wissenserklärung“ und „konstitutiver Willenserklärung“.662 Als ersten maßgeblichen Schritt zu dem von ihm ausgemachten Verpflichtungsgrund kann man seine Aussage auffassen, wonach 655
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 354 f. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356., unter Bezugnahme, S. 355, Fn. 16, etwa auf Hohloch, NJW 1979, 2372 f. Die Kritik umfasst bei Köndgen, S. 355, auch den Ansatz von Stoll, FS für Flume, S. 765 (Verweis bei Köndgen, S. 355, Fn. 14), mit ein. Stoll, so Köndgen, S. 355, gehe bei der Auskunft von einem einseitigen Leistungsversprechen aus. Die Auskunft sei jedoch bloße Leistungsbewirkung, zudem sei das Versprechen, sorgfältig zu Werke zu gehen, lediglich ein Haftungsversprechen. 657 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 658 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356, unter Hinweis (Fn. 23) auf Canaris, Bankvertragsrecht, S. 581. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), 369, 420, dazu, dass der bei Köndgen verwendete Begriff der „legitimierten Erwartung“ nichts anderes als eine soziologische Wendung des „schutzwürdigen Vertrauens“ sei. Siehe dazu auch Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 82. 659 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Arbeit von Jost zur „Vertragslosen Auskunfts- und Beratungshaftung“ zeitlich der Arbeit Köndgens zur „Selbstbindung ohne Vertrag“ nachfolgt. 660 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 661 Sowie der Reziprozitätsgedanken; dazu noch sogleich 662 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. Auf diese Relativierung des von Canaris betonten Gegensatzes bei Köndgen hinweisend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 91. 656
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„(…) (d)er Selbstbindungseffekt von Auskunfts- und Raterteilungen (…) darin (liegt), daß beide kommunikatives Handeln mit Geltungsanspruch sind.“663 Die „Selbstbindung“ als Verpflichtungselement wird hier also wesentlich von dem Geltungsanspruch hervorgerufen, wobei dieser ohne Kommunikation nicht umsetzbar ist. Es ist primär der Geltungsanspruch, so Köndgen, der beim Adressaten normatives Erwarten, ein „Vertrauen“ in die Auskunft oder den Ratschlag auslöse.664 Was ist mit diesem Geltungsanspruch und seiner Kommunikation im Einzelnen gemeint? Köndgen trennt zunächst zwischen der Auskunft einerseits und Ratschlägen, Empfehlungen sowie Warnungen665 andererseits. Die Auskunft beinhaltet nach Köndgen die Beschreibung eines empirischen Sachverhalts.666 Auf kommunikativer Ebene kann das dann nur bedeuten, die „richtigen“ Sprachzeichen in dem Sinn zu setzen, dass sie den entsprechenden Sachverhalt in sprachlich verständlicher Weise vermitteln. Innerhalb von Vertragsgesprächen kann das z. B. der Ausspruch „Die Wohnung umfasst eine Grundfläche von 90 m2.“ sein. Sprachlich (Reduzierung auf Sprachzeichen) macht es dabei keinen Unterschied aus, ob ein solcher Satz von der Naturalpartei oder ihrem Anwalt angebracht wird. Für einen Geltungsanspruch kann ein Anknüpfen allein daran allerdings nicht genügen. Der Geltungsanspruch muss also ein „Mehr“ beinhalten, die jeweilige empirische Beschreibung darf somit nicht auf eine sprachliche Leistung reduziert werden. Dieses „Mehr“ findet sich bei Köndgen, wenn er ausführt, die logische Struktur der Auskunft erschöpfe sich nicht in der Beschreibung des Sachverhalts.667 Unter Berufung auf Peirce668 stellt er dar, allein die empirische Aussage impliziere die Übernahme von Verantwortung. Jede Aussage schließe eine Anstrengung ein, den intendierten Interpreten das glauben zu machen, was ausgesagt werde.669 Beispiel: Mit der Aussage, der Vertragspartner könne mit der rechtzeitigen Entrichtung des Kaufpreises rechnen, will man den anderen Vertragspartner etwa glauben machen, dass dem auch so ist. Damit wird nicht zuletzt das Vorantreiben der Vertragsverhandlungen intendiert.
663 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356, Hervorhebung bei Köndgen. Zur Bedeutung der Kommunikation bei Köndgen auch Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 84; Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 117; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 106l. 664 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. Vgl. auch Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 84. 665 Die „Warnung“ kommt als eigenständiger Punkt in der eingangs erläuterten Trias von Auskunft, Rat und Empfehlung nicht vor und soll auch nicht weiter vertieft werden. 666 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 667 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 668 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, Fn. 25, verweist auf Charles S. Peirce, Schriften, hrsg. von K. O. Apel (1970), Bd. 2, 296 f. 669 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356 f. unter Zitierung von Peirce a. a. O.
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Dieser „Geltungsanspruch“ zieht aber, so Köndgen, dann eine entsprechende Verantwortung nach sich. Mit der Übernahme von Verantwortung macht Köndgen auch eine Schnittmenge mit den Ansichten aus, die auf Leistungs- oder Haftungsversprechen bei Auskünften abstellen. Allerdings gehe es, so führt er in Differenzierung dazu aus, nicht um ein Sekundärversprechen in Bezug auf die Haftung für eine (unrichtige) Auskunft, sondern um die implizierte Erhebung eines Wahrheitsanspruchs für die empirische Aussage.670 Köndgen hebt also die Verantwortungsübernahme auf eine Primärebene. Es ist daher auch konsequent, wenn er den Wahrheitsanspruch als Geltungsanspruch bezeichnet671. Weiterhin interessant sind die nachfolgenden Aussagen Köndgens, wonach der Geltungsanspruch einer Willenserklärung im Sinne der Geltungstheorie672 qualitativ nicht unähnlich sei, außerdem, im Anschluss nochmals an die Gedankenführung bei Peirce, dass der Geltungsanspruch normalerweise implizit sei. Allerdings, so Köndgen, könne dieser auf Befragen des Adressaten jederzeit argumentativ bekräftigt werden.673 Anknüpfend zunächst an die zuletzt genannte Implikation eines Geltungsanspruchs in dem Ausspruch einer Auskunft sollen nochmals Rückschlüsse für die Verhandlungssituation und ihre argumentative Struktur gezogen werden. Folgt man Köndgen, müssen die Sprecher bei jeder Aussage davon ausgehen, „beim Wort genommen“ zu werden. Selbst wenn sie die Geltung ihrer (empirischen) Aussage nicht explizit hervorheben, beinhaltet sie doch die logische Struktur des „Wissens“, das heißt, die Mitteilung eines Umstands ist gekoppelt an die Mitteilung um das eigene Wissen um denselben.674 Damit einher geht also eine bestimmte Verteilung einer Last, die man in diesem Kontext als „Verantwortungslast“ bezeichnen könnte. Zwar kann man eine solche explizit „übernehmen“.675 Viel wichtiger ist jedoch, dass man danach ausdrückliche Vorkehrungen treffen müsste, um sich ihr zu entziehen, oder sie jedenfalls abzumildern.676 Durch das Setzen bestimmter sprachlicher Si-
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Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357; Hervorhebung bei Köndgen. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357. 672 Zur Geltungstheorie vgl. wiederum die Ausführungen u. a. bei Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 30, Rn. 6; siehe ferner auch Bork, AT des BGB, Rn. 585. Kritik an der Geltungstheorie u. a. übend Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 3 f. 673 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357. 674 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, führt dazu aus, die logische Struktur empirischer Aussagen sei nicht lediglich „y ist x“, sondern: „Ich weiß, daß y x ist“. 675 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, trennt etwa empirische Aussagen von Bescheinigungen und Zeugnissen, die einen expliziten Geltungsanspruch enthielten. 676 Eine entsprechende Notwendigkeit wurde bereits innerhalb der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung ausgemacht; vgl. oben unter D. II. 1. b) bb) (4), S. 711 ff. 671
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gnale wie „vielleicht“, „unter Umständen“ oder „möglicherweise“677 kann dies im Einzelnen geschehen. Abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen innerhalb einer Vertragsverhandlung zu den mehrfach angesprochenen Nachteilen in Bezug auf das Gelingen des Vertragsabschlusses führen kann, wiegt ein anderes Element deutlich schwerer. Mit der angesprochenen Zuweisung einer „Verantwortungslast“ geht wiederum eine Verschiebung der Informationslast einher. Anders noch als bei den Überlegungen innerhalb der Auseinandersetzung mit Jost findet bei der „reinen“ (empirischen) Auskunft noch nicht einmal ein Prozess statt, den anderen aus seiner Informationslast zu „entlassen“, sondern der eine (empirische) Auskunft Erteilende muss selbst Vorsorge dafür treffen, dass er durch die bloße Weitergabe der Information nicht für diese, also deren Wahrheitsgehalt, ggf. einstehen muss. Das, was bei Jost als (Informations-)Entlassungsprozess ausgemacht wurde, der sich sprachlich etwa darin äußert, besonders zu betonen oder zu begründen, dass bzw. weshalb etwas so ist wie behauptet, ist nach der Herangehensweise Köndgens „nur“ eine argumentative Verstärkung oder Einlösung.678 bb) Geltungsanspruch gerade bei Rat und Empfehlung Bei Köndgen findet sich weiterhin hinsichtlich des Geltungsanspruchs von Ratschlägen, Empfehlungen und Warnungen679 eine ähnliche strukturelle Herangehensweise wie bei den (empirischen) Auskünften. Die eigentliche logische Struktur macht Köndgen dort allerdings in der einer „Norm“ aus.680 So beinhalte ein Ratschlag die Aussage, der andere solle richtiger- oder vernünftigerweise x oder y tun.681 Als Normaussage gehe es hier zudem nicht um die Erhebung eines Wahrheits-, sondern eines Richtigkeitsanspruchs.682 Die Behauptung, die nach Köndgen vom Ratgeber ausgeht, besteht in der Aussage „Ich halte es (aus wohlerwogenen Gründen) für richtig oder für vernünftig, daß du x oder y tust“683. Im Anschluss an die Gedankenführung Köndgens zur Auskunft ist jedoch wieder davon auszugehen, dass diese Aussage einer Raterteilung implizit ist, also nicht entsprechend ausdrücklich formuliert werden muss. Davon zu trennen ist erneut die Möglichkeit des den Rat Erteilenden, (ausdrücklich) den Geltungsanspruch argumentativ untermauern zu können,684 z.B durch sachliche Argumente, oder ihn aber entsprechend abzu677
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, spricht davon, den impliziten Geltungsanspruch abzuschwächen durch Deklarierung als „Vermutung“, oder eine Relativierung vorzunehmen durch Vokabeln wie „vielleicht“ oder „wahrscheinlich“. 678 Vgl. dazu die Ausführungen bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, zum Geltungsanspruch bei einer Empfehlung. 679 Unser Hauptaugenmerk soll auf den Ratschlägen und den Empfehlungen liegen. 680 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357; Hervorhebung bei Köndgen. 681 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357. 682 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357. 683 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357, Hervorhebung bei Köndgen. 684 Dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357.
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schwächen, z. B. durch Worte, die Zweifel ausdrücken („möglicherweise“). Das hieße dann aber, dem Geltungsanspruch letztlich seinen Richtigkeitsanspruch zu nehmen. Die jeweils damit einhergehenden Konsequenzen bezüglich der Informationslast sind die oben zur Auskunft beschriebenen. cc) Geltungsanspruch und Selbstdarstellung Die „kommunikative Herausforderung“ etwa innerhalb von Vertragsverhandlungen, die gerade zum Ziel des Vertragsschlusses führen sollen, besteht somit vor allem für den Anwalt darin, welche sprachlichen Äußerungen er ohne sprachliche Abschwächung setzen will.685 Die „Vorsorgenotwendigkeit“ beruht auf dem durch die Kommunikation artikulierten Geltungsanspruch. Zu dessen weiterem Verständnis und Bedeutung muss nunmehr auf das andere, oben bereits angesprochene Element eingegangen werden, wonach nach Köndgen dieser Geltungsanspruch einer Willenserklärung im Sinne der Geltungstheorie qualitativ nicht unähnlich ist. Köndgen betont im Besonderen die Selbstbindung. Im Geltungsanspruch von Auskunft- und Raterteilungen liege, das wurde bereits aufgezeigt, die Selbstbindung des jeweiligen, der sie erteile.686 Bezogen hierauf, vor allem auch mit Blick auf die Vertragsverhandlungssituation, ist dabei die Selbstdarstellung für das (anwaltliche) Handeln von Bedeutung. Jede Selbstbindung, so Köndgen, sei Konsequenz einer Selbstdarstellung.687 Letztere habe schlussendlich die Funktion, abgestimmtes Handeln zu ermöglichen, Komplementarität der Erwartungen zu schaffen.688 Relativ unproblematisch sind nach Köndgen Selbstdarstellungen mit verbalen Mitteln, also kommunikatives Handeln im engeren Sinn mit dem Primärzweck der Informationsvermittlung.689 Eine solche Selbstdarstellung sei fast immer intentional und werde strategisch eingesetzt.690 Hieran anschließend ist die Einstufung der Auskunftserteilung als kommunikatives Handeln mit Geltungsanspruch691 konsequent. Indem man sich, insbesondere verbal, als Wissender einer Information geriert, schafft man eine entsprechende Selbstdarstellung.
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Nach dem Ansatz von Köndgen müsste er im Übrigen auch seinen Mandanten in Bezug auf etwaige Gefahren aufgrund von dessen Äußerungen aufklären und ggf. korrigierend eingreifen. 686 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 357 f. 687 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 165; dort auch der Hinweis von Köndgen, dass der Begriff von Goffman eingeführt worden sei. 688 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 165 m. w. N. 689 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 166. 690 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 166 f. 691 Siehe Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356.
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An dieser Stelle ist es auch noch nicht zwingend notwendig, bereits die anwaltliche (Berufs-)Rolle zu betonen. Zwar können Selbstdarstellungsakte in Beziehung zu einer Rolle stehen und entsprechend wahrgenommen werden.692 Das betrifft nicht zuletzt die Berufsrollen.693 Die hier beschriebenen Abläufe könnten jedoch (zunächst) auch den Mandanten als Nichtberufsträger treffen. Da jede Selbstdarstellung grundsätzlich bindet, ist weiterhin der oben bereits aufgeführte Bindungseffekt konsequent. Dafür spricht innerhalb der Vertragsverhandlungen gerade auch die Intentionalität. Intentionale Selbstdarstellungen694 sind dadurch qualifiziert, dass sie von Ego (innerhalb der Verhandlungen also z. B. von dem Anwalt) bewusst als Träger von Informationen an Alter (potentieller Vertragspartner des Mandanten) eingesetzt werden.695 In der Form soll bei Alter ein bestimmtes Erwarten oder Handeln ausgelöst werden.696 Gerade das geschieht durch die Auskunftserteilung innerhalb von Vertragsverhandlungen durch den Anwalt an Dritte.697 Der Anwalt transportiert Informationen an den Dritten, um ihn etwa zu einem bestimmten Verhandlungsverhalten zu bewegen, sei es die Zustimmung zu einzelnen Vertragspunkten, sei es das bloße Vorantreiben der Verhandlungen an sich. Die Kommunikation (im engeren Sinn) wird hier bewusst gesetzt, sie erfolgt nicht zufällig, sie erfolgt vielmehr mit einem bestimmten Mitteilungswillen.698 Solch ein anwaltliches Verhalten verdeutlicht die Ausrichtung der intentionalen Selbstdarstellung, wie Köndgen sie beschreibt. Diese Selbstdarstellung ist es, so Köndgen weiter, die dem Akteur (bei uns also dem Anwalt) die Möglichkeit einräumt, den Ablauf der Erwartungsbildung bei Alter (dem potentiellen Vertragspartner) in seinem Sinn zu steuern, dort die erwünschte Reaktion hervorzurufen.699 Eben aufgrund solcher Abläufe wird nicht zuletzt der oben benannte Geltungsanspruch nachvollziehbar. dd) Begründung der Vertragsähnlichkeit Von der juristischen Betrachtung her ist nun der Geltungsanspruch von Auskünften und Empfehlungen nach Köndgen das Vertragsähnliche an einer Aus-
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Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 200. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 210 ff. 694 Ausführlich zu verschiedenen Formen von Selbstdarstellungsakten Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 164 ff. 695 So, allerdings nicht unter Exemplifizierung auf die Vertragsverhandlungen, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 174. 696 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 174. 697 Jedenfalls, wenn dieser nicht anwaltlich vertreten ist. 698 Zur Selbstdarstellung durch Kommunikation mit Mitteilungswillen, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 165. 699 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 174 (ohne Verhandlungsbezug). 693
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kunftshaftung.700 Weil die Selbstbindung701 des Auskunftsgebers aber nur auf die Auskunft selbst verweise, nur verbürge, dass sie auf soliden Grundlagen basiere, sei die Auskunftshaftung, so Köndgen weiter, auch bei Vertragsähnlichkeit nur eine culpa-Haftung für fehlerhaftes Handeln und eben nicht eine Haftung für den Bruch des gegebenen Worts.702 Erklärt Köndgen damit die Vertragsähnlichkeit zum einen über den Geltungsanspruch als solchen, so tritt in seiner Argumentation noch ein Weiteres daneben, nämlich die Abläufe hin zur Auskunft, beginnend mit dem Anstoß zur Auskunft. Es finden sich damit wiederum kommunikative Wechselspiele, die schon bei Jost aufgedeckt und erläutert wurden. Diese Wechselspiele sind zum einen die unterschiedlichen Kontakte, die gesucht bzw. aufgenommen werden. Ein Wechselspiel findet zunächst in der Regel durch das Auskunftsersuchen und ein entsprechendes Eingehen darauf statt, wobei es letztendlich egal ist, wer den jeweiligen Kontakt eröffnet.703 Hier macht Köndgen durchaus ein konsensuales Element aus,704 begründet eben durch ein Ersuchen und ein Eingehen darauf. Wesentlich ist dann die sich auf dem Weg eröffnende Beziehung zwischen den Beteiligten. Köndgen bezeichnet sie als „konsensuale Einräumung einer fiduziarisch gebundenen Machtposition an den Auskunftgeber“.705 Es ist mehr als ein „sozialer Kontakt“706, weil hier die wesentlichen Informationen fließen werden, die eine Haftung rechtfertigen können.707 So können diese Informationen aber auch „Steuerungselemente“ beinhalten und im Handlungsprozess etwa des Anwalts Beachtung finden. 700 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358, Hervorhebung bei Köndgen. Köndgen weist a. a. O. aber auch darauf hin, dieser Geltungsanspruch sei von schwächerer Intensität als die Selbstbindung durch Versprechen. Dazu auch Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 117. 701 Sieht man in der Selbstbindung infolge eines Interaktionsprozesses die mögliche Begründung normativer Erwartungen, siehe die Auswertung Köndgens bei Müller, Auskunftshaftung, S. 128, so haben „normative Erwartungen in sozialen Interaktionen eine Tendenz (…), pflichtbildend auch im (Quasi-)Vertragsrecht zu wirken.“ Zum Zitat Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 164 f.; darauf hinweisend Müller, S. 128. 702 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 703 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. Auch bei einer Initiative des Auskunftsgebers macht Köndgen ein „transaktionales“ Gepräge aus. 704 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 705 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. Siehe dazu auch wiederum bei Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 117. Köndgen, a. a. O., S. 362, führt später die konsensuale Beziehung als (eigenes) präzisiertes Element der Auskunftshaftung auf. Aufgrund der engen Verbindung zu den kommunikativen Abläufen sowie den daraus resultierenden Erkenntnissen zur Vertragsähnlichkeit bietet sich jedoch eine Einfügung innerhalb der Auseinandersetzung um das kommunikative Handeln mit Geltungsanspruch an. 706 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 707 Durch die fiduziarisch gebundene Einräumung einer Machtposition wird zudem einem weiteren Verpflichtungselement bei Köndgen Genüge getan. Neben der Selbstbindung stellt Köndgen auch auf die Reziprozität ab. Die Selbstbindung lasse Verpflichtungen entstehen, die
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Solche „steuernden Elemente“ sind die Zweckbestimmung der Auskunft durch das Auskunftsbegehren708 und die damit einhergehende Aufklärung über involvierte Schadensrisiken.709 Eingebracht werden diese Elemente zumeist durch den Anfragenden, der damit die „Situationsdefinition“710 vornimmt.711 So kann der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) in der Vertragsverhandlung nach dem Sinn und Zweck einer Bürgschaft fragen,712 weil er nicht das finanzielle Risiko des Geschäfts tragen will; nicht zuletzt davon kann er seine Zustimmung abhängig machen. Diese „Situationsdefinition“ kann der andere (etwa der Anwalt) akzeptieren oder nicht.713 „Akzeptiert“ z. B. der Anwalt die Situationsdefinition und erläutert den Sinn und Zweck einer Bürgschaft, nimmt er714 die oben beschriebene fiduziarische Position ein. Er muss bei der Auskunft dann die notwendige Sorgfalt walten lassen. Das Zusammenspiel einer Situationsbestimmung durch die eine Seite und der Akzeptanz durch die andere Seite gleicht vom Ablauf her durchaus dem eines Reziprozität erkläre ihren Bestand; zudem diene sie zur Kontrolle, ob die „Erzwingung der Selbstbindung (…) als Rechtspflicht“ legitim sei, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 280. „Macht“, wie sie hier eingeräumt wird, sieht Köndgen durchaus als Reziprozitätsproblem; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 267 ff. In Bezug auf, wie hier, konsensual eingeräumter Machtpositionen, sieht Köndgen dann die Notwendigkeit, sie durch gegenläufige Pflichten zu binden; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 269. Auch das ist Reziprozität. Zur „Reziprozität als Hintergrundserwartung“, wonach jede Leistung in irgendeiner Form honoriert wird, Köndgen, S. 233 ff. Siehe zudem Lang, AcP 201 (2001), 451, 477, der insoweit nicht nur auf die Stelle bei Köndgen hinweist, sondern ebenfalls (Fn. 16) u. a. auf Hirte, Berufshaftung, S. 420 f. („Interesse wirtschaftlicher Art, das sich nicht nur in unmittelbarer geldlicher Gegenleistung manifestiert“); von Bar, Verkehrspflichten, S. 125 ff. Außerdem zur Reziprozität bei Köndgen etwa Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 84; Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 117. Rolle und Systemreferenz (Handlungsumfeld, in dem die Selbstbindung stattfindet) sind bei Köndgen zwar keine Verpflichtungselemente. Beide Differenzierungsprinzipien, so Köndgen, S. 281, wirken aber sowohl auf das Verpflichtungselement „Selbstbindung“ als auch die „Reziprozität“ ein. Die soziale Rolle knüpfe dabei an die jeweilige soziale Position von Vertragsparteien an; die Systemreferenz differenziere ebenfalls funktional, aber nach größeren sozialen Handlungszusammenhängen, in welche Verträge eingebettet seien. Siehe dazu auch u. a. Boecken, S. 117. 708 Ergreift der Auskunftsgeber selbst die Initiative, so verbindet er damit ebenfalls eine bestimmte Zweckbestimmung beim Empfänger. Freilich besteht hier eher die Gefahr, auch bei einem anderen Gebrauch sich daran festhalten lassen zu müssen. 709 Dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 710 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 711 Das kann jedoch entsprechend ebenso für die Definition durch denjenigen gelten, der letztlich die Auskunft erteilt. 712 Das Beispiel bezieht sich wiederum vor allem auf die Situation, in der der potentielle Vertragspartner des Mandanten nicht selbst anwaltlich vertreten ist. Sollte dies der Fall sein, kann eine andere Situationsdefinition gegeben sein, etwa der bloße Austausch von Rechtsoder Sachargumenten. 713 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 714 Vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358, allerdings nicht fallbezogen.
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Vertragsschlusses, zumal mit der Eingabe wesentlicher Informationen, die etwa die Schadensrisiken betreffen, Elemente vorhanden sind, die denen der essentialia negotii bei Haftungsverträgen vergleichbar sind. Vor allem jedoch liefert die von Köndgen beschriebene konsensuale Einräumung einer fiduziarisch gebundenen Machtposition eine Erklärung, warum die Übertragung des Haftungsrisikos auf den Auskunftsgeber akzeptabel sein könnte. Die von Köndgen aus der Akzeptanz der Übernahme gefolgerte fiduziarische Position über das Vermögen des Anfragenden, die eine entsprechende Sorgfaltspflicht nach sich zieht,715 ist vergleichbar mit dem, was im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Ansatz von Jost bei ihm als Einräumung einer Einwirkungsmöglichkeit auf fremdes Vermögen ausgemacht wurde. ee) Zwischenresümee Bisher lässt Köndgens Ansatz die Bedeutung der (Berufs-)Rolle nicht zum Tragen kommen. Vielmehr ist Köndgen unter Bezugnahme auf die Herausarbeitung der Vertragsähnlichkeit der Auffassung, die Auskunftshaftung lasse sich eben nicht allein aus der beruflichen Position des jeweiligen Auskunftsgebers entwickeln.716 Die soziale Rolle sei ein Konzept der Pflichtendifferenzierung.717 Damit lässt Köndgen die Bedeutung der Rolle freilich keineswegs unberücksichtigt. Lediglich auf seinen ersten Stufen zu einer Auskunftshaftung muss sie wegen der vertragsähnlichen Abläufe, die mit der Begründung des Geltungsanspruchs einhergehen, weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die Selbstbindung, die Köndgen hier ausmacht, ist im Grundsatz unabhängig von Individuum, aber auch von der von ihm bekleideten Rolle.718 Ohnehin führt nach Köndgen grundsätzlich jede Selbstdarstellung719 zur (Selbst-)Bindung.720 Daraus folgt nicht zuletzt das oben ausgemachte Dilemma. Danach brachte jede Auskunftsäußerung oder Raterteilung als solche eine Verschiebung von der Verantwortungs- und damit von der Informationslast mit sich. Ob sich das in all seiner Rigorosität aufrechterhalten lässt, auch in Bezug auf eine etwaige Haftung, wird noch zu klären sein. Köndgen selbst nimmt in Bezug auf die Haftungsproblematik eine Abstufung vor, die er allgemein den Differenzierungsprinzipien des QuasiVertragsrechts entnimmt; das sind zum einen der Markt als Haftungssystem, zum anderen die bisher nicht zum Tragen gekommene soziale Rolle.721 715
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358 f. 717 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 358. 718 Vgl. dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359. 719 Unter Hinzuziehung des Reziprozitätsgedankens. 720 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 167. Unterschiede bestehen in der Möglichkeit, die Bindung einseitig zu lösen. Zu untersuchen bleibt, welche „verstärkende“ Bedeutung der Rolle zukommt. 721 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359. 716
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b) Marktbezogenheit der Auskunft722 Die Marktbezogenheit als Voraussetzungs- bzw. Eingrenzungskriterium wird u. a. auch von Hopt723 ebenso wie von anderen Autoren in die Begründung der Auskunftshaftung eingebracht.724 Für Köndgen ist es ein allererster „Einstieg“ in den haftungsrelevanten Bereich,725 der Fälle wie den Börsentipp auf der Cocktailparty726 ausschließt. Wirkt die Marktbezogenheit bei Köndgen damit einerseits nur als ein grobes Raster,727 so ist sie andererseits im kommunikativen Ablauf wie auch in der Bewertung anwaltlichen Handelns durchaus bedeutsam. Die Rolle der Kommunikation wird deutlich, wenn man wie Köndgen das Vorhandensein der Marktbezogenheit u. a. von der Situationsdefinition abhängig macht, die auch das Bewusstsein schafft, etwas Rechtserhebliches zu tun.728 Anknüpfend an die kommunikative Vermittlung, was unter der Situation zu verstehen ist, ist dann jedoch z. B. das soeben genannte Beispiel der „Cocktailparty“ u. U. anders zu bewerten. Gibt der Anfragende etwa zu verstehen, dass er den Börsentipp zur Rettung seines möglicherweise ansonsten insolventen Betriebs nutzen will, ist situativ eine andere Bedeutung geschaffen als bei der Anfrage im Rahmen eines bloßen Smalltalks. Entscheidend muss also sein, wie die Kommunikation in ihrer Gesamtheit, das heißt gebildet aus den gesprochenen Wortzeichen wie auch aus den nonverbalen Elementen, wie Gestik, Mimik, aber ebenso gebildet aus ihrer Platzierung in situative Umstände wie Ort und Zeit zu bewerten ist. Das ist nur die konsequente Umsetzung dessen, was Köndgen an anderer Stelle zur Selbstbindung ausführt. Er macht zwar den objektiven Tatbestand von einem Selbstbindungsverhalten als typischerweise weniger scharf aus als etwa den der Willenserklärung.729 Bei der quasi-vertraglichen Selbstbindung liege jedoch in realiter eine Mehrheit selbstdarstellender Verhaltensweisen vor, die als mehraktiges Gesamtbild dann konkrete normative Verhaltenserwartungen produziere.730 Auf „Enttäuschungen“ derselben kann dann ggf. reagiert werden. 722
Das muss entsprechend auch für die Erteilung eines Rats oder einer Empfehlung gelten. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 634 ff., 680 ff. 724 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359, verweist hinsichtlich der Thematisierung der Bezogenheit einer Auskunft auf das Marktgeschehen als Voraussetzung des „geschäftlichen Kontakts“ durch die h. L. u. a. (Fn. 37) auf Lorenz, Haftung, 619, Honsell, JuS 1976, 626, Hopt, Berufshaftung, 252. 725 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359 f. Zur Bedeutung des Merkmals der Marktbezogenheit bei Köndgen auch Müller, Auskunftshaftung, S. 132. 726 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 360. 727 Zur Systemreferenz (Handlungsumfeld) vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 281. 728 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359. 729 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 187. 730 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 187. 723
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Im Kontext mit der Marktbezogenheit lösen sich im Folgenden auch etwaige Schwierigkeiten der Platzierung eines subjektiven Tatbestands des Selbstbindungsverhaltens auf. Köndgen verweist bezüglich des Selbstbindungsverhaltens auf den fehlenden Geschäftswillen; die Handlungen dienten der Verbesserung bzw. der Strukturierung im Vorfeld von Verträgen.731 Für den hier interessierenden Komplex der Auskunftshaftung soll es jedoch zwischen Anwalt und Drittem (potentieller Vertragspartner des Mandanten) in der Regel zu keinem rechtsgeschäftlichen Kontakt kommen. Einer Aktualisierung durch zu einem solchen Kontakt im Vorfeld durch Selbstbindung begründeten Normen (Erwartungen)732 mit entsprechenden subjektiven Elementen bedarf es insoweit nicht.733 Ausreichend muss es daher dann sein, dass das Bewusstsein vorhanden ist, etwas Rechtserhebliches zu tun.734 Nach Köndgen präsumieren marktbezogene Auskünfte aber das Bewusstsein, etwas Rechtserhebliches zu tun.735 Die Marktbezogenheit verschafft dem Selbstbindungsverhalten somit die notwendige subjektive Bezugsgröße. Dies, aber vor allem die zuvor angesprochene Gesamtschau der kommunikativen Elemente, können somit gravierende Auswirkungen auf die Beurteilung anwaltlichen Handelns in der Vertragsverhandlung haben. Denn begreift man für die Haftung u. a. die Situation, (mit-)gebildet durch die gesamte Kommunikation, als (mit) bedeutsam736, so ergibt sich hier ein weiterer Ansatz dafür, z. B. das Gerieren im kooperativen Stil als Möglichkeit zu begreifen, sich als Anwalt gegenüber dem Dritten bei einer Falschauskunft haftbar machen zu können. Es geht dabei nicht darum, ob der Anwalt etwa innerhalb von Verhandlungen überhaupt marktbezogen handelt. Es geht vielmehr darum, ob marktbezogenes Handeln gegenüber dem Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) vorliegt.737 Das ist, auch das haben die bisherigen Ausführungen in unterschiedlichen Varianten gezeigt, bei einem als Interessenvertreter handelnden Anwalt nicht selbstverständlich. Schwierigkeiten eröffnen sich weiter, wenn man Köndgens Aussage hinzuzieht, marktbezogene Auskünfte präsumierten, der Auskunftsgeber habe ein wirtschaftliches Interesse an der Auskunftserteilung, welches nicht notwendig in einem förmlichen Entgelt zum Ausdruck kommen müsse.738 Das wirtschaftliche Interesse des (einseitig) mandatierten Anwalts innerhalb von Vertragsverhandlungen kann zwar auch ggf. in einer „Prä731
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 187. Vgl. dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 188. 733 Das gilt auch in Bezug auf eine Aktualisierung durch deliktischen Kontakt; zu letzterem vgl. grundsätzlich Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 188. 734 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359. 735 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359. 736 Dies wird man jedenfalls als Interpretationshilfe begreifen müssen, vgl. Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 117. 737 Siehe aber auch noch unten zum personellen Schutzbereich bei Köndgen. 738 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 359. 732
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sentation“ am Markt bestehen,739 das heißt darin, weitere Mandate über das Aufzeigen seiner fachlichen Kompetenz zu erlangen. Das ist für einen Interessenvertreter jedoch an sich problematisch. Allerdings gehört fachlich kompetentes Auftreten zur Interessenwahrnehmung und lässt nicht notwendigerweise die Schlussfolgerung auf ein auf Dritte gerichtetes wirtschaftliches Interesse zu. Vielmehr taucht hier wieder das mehrfach benannte Dilemma auf, zwischen Interessenwahrnehmung für den Mandanten und äußerer Präsentation die richtige Balance zu finden. Im Innenverhältnis (Anwaltsverhältnis zum Mandanten) verfolgt der Anwalt auch eigene wirtschaftliche Interessen, die er dadurch (mit) umsetzt, indem er die Interessen seines Mandanten nach außen hin möglichst gut verwirklicht. Das kann dann eigene Auskunftshandlungen gegenüber dem Dritten beinhalten. Diese wiederum eröffnen eben über die kommunikative Schiene durchaus eine Marktbezogenheit. Entscheidende Bedeutung kommt nunmehr dem zweiten Differenzierungsprinzip bei Köndgen zu, der Berufsrolle. c) Berufsrolle des Auskunftsgebers740 Die Maßgeblichkeit der Rolle hebt Köndgen eindeutig hervor. Nur rollenspezifische Auskünfte seien haftpflichtig, man brauche eine Rolle, zu deren erwartetem Handlungsrepertoire eine konsiliarische Tätigkeit zähle.741 Der Rechtsrat des Anwalts ist insoweit ein klassisches Beispiel. Geprägt wird das Handlungsrepertoire zum einen durch die beruflich erworbene Fachkunde, zum anderen aber auch durch die rollentypische Sachnähe des jeweiligen Auskunftsgebers.742 Köndgen weist der sozialen Rolle anschließend daran die Funktionen zu, haftungserhebliche Auskünfte einzugrenzen, ebenso wie den mit der Auskunft-/Raterteilung erhobenen Geltungsanspruch zu konkretisieren.743 Beidem ist grundsätzlich zuzustimmen. Beides gilt zudem umso mehr, wenn man berücksichtigt, welche Bedeutung normativen Ausformungen der Berufsrolle, z. B. durch gesetzliche berufsrechtliche Regelungen, zukommen kann. So zeigt sich hier prägnant die Verzahnung von Rolle und Selbstdarstellung. Köndgen744 sieht „Rollenübernahmen (…) einerseits häufig von (…) Selbstdarstellungs- und Selbstbindungsakten begleitet (…).“ Ein Beispiel kann das Führen einer Fachanwaltsbezeichnung sein.
739 Siehe die Darstellung bei Lang, AcP 201 (2001), 451, 477, dass irgendeine Honorierung ausreiche, es greife das Prinzip der Reziprozität. 740 Auch hier müssen die Überlegungen entsprechend für die Erteilung eines Rats oder einer Empfehlung gelten. 741 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 360. 742 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 361. 743 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 361. 744 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 200.
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U. a. durch das anwaltliche (normierte) Berufsrecht, z. B. die BRAO, hat der Gesetzgeber Rollenerwartungen an den Anwalt formuliert.745 Damit erhält die Berufsrolle eine normative Konkretisierung, die neben ihre ohnehin vorhandene soziale Prägnanz tritt.746 Der Vorteil des so erfolgten normativen Rahmens liegt etwa im Vorhandensein einer Rolle mit entsprechend festgemachten Erwartungskomplexen.747 Die Rolle kann somit mit dazugehörigen Erwartungen ad hoc aktiviert,748 sie muss nicht längerfristig aufgebaut werden749. Dieser grundsätzlich vorhandene Erwartungskomplex hat nicht nur entlastende Wirkung,750 sondern bietet darüber hinaus einen ganz eigenen Beitrag zu anwaltlichem Handeln, dem Selbstbindung zugewiesen werden kann und welches als eben solches von Dritten wahrgenommen wird. Denn Selbstbindung und (normativ) „vorgefertigte“ Rollenerwartungen stellen, wie benannt, sehr wohl eine Verbindung dar, mag erstere auch eher auf das Individuum als Bezugspunkt hinauslaufen, letztere dagegen prinzipiell vom Individuum losgelöst sein. So führt Köndgen zwar an, Rollen stünden den normbezogenen Erwartungen näher als diejenigen, die sich an einen Selbstbindungsakt knüpften.751 Zu Recht weist er jedoch an anderer Stelle darauf hin, Selbstbindungsakte würden in der Umwelt nicht ohne Ansehung der sozialen Rolle des Akteurs wahrgenommen und interpretiert.752 Das trifft die Situation des Anwalts sehr prägnant. Der Anwalt wird (auch) von Dritten anhand und mit Hilfe der gesetzlich normierten Rollenerwartungen gemessen, die ebenfalls in die Auslegung seiner konkreten (individuellen) Selbstbindungsakte einfließen. Eben, weil z. B. mit seiner Rolle, auch der des Interessenvertreters, bestimmte Redlichkeitserwartungen (er ist als Interessenvertreter ebenso u. a. Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO) einhergehen, geht der Dritte (potentieller Vertragspartner des Mandanten) in der Regel davon aus, dass Äußerungen, die u. a. als Akt der Selbstbindung (z. B. Auskunft) anzusehen sind, nicht (bewusst) falsch vom Anwalt gesetzt werden. Vielmehr geht der Dritte davon aus, diese Auskünfte seien von redlich eingesetztem Fachwissen getragen.753 Die so gerade auch gesetzlich normierten Rollenerwartungen verstärken also die Selbstbindungsakte des Anwalts in
745 Zum Recht als Initiative bei der Formulierung von Rollenerwartungen, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 216. 746 Zur sozialen Prägnanz und konkreten Normierung, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 210. 747 Dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 199. 748 Zur Rolle als abrufbarer Komplex Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 200. 749 Dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 199. 750 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 200. 751 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 201. 752 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 200. 753 Dabei ist der Dritte als Nichtjurist sich in der Regel der anwaltlichen Stellung als „Organ der Rechtspflege“ nicht (aktuell) bewusst. Er wird aber vielfach durchaus eine richtige Erwartung und Wertung aus der „Laiensphäre“ heraus treffen.
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seinem beruflichen Tätigkeitsfeld.754 Selbstbindungsakte behalten aber eine eigenständige Bedeutung, weil sie der jeweiligen Situation (z. B. durch Art und Umfang der Auskunft an Dritte755)756 angepasst werden können. Vor allem eröffnen sie dem Einzelnen die Möglichkeit, als Individuum eine Bindung (mit) zu erzeugen oder, und beim Anwalt vor allem, die durch die Rolle begründeten Erwartungen zu verstärken. Mit der Betonung der sozialen Rolle als Haftungsbegründungs-, gleichzeitig jedoch ebenso als Haftungsbegrenzungskriterium, wird im Weiteren eine Problematik gemildert, die wir oben aufgeworfen haben. Indem dort der Köndgensche Ansatz dazu führte, dass gleichsam jede Auskunft oder Raterteilung zur Zuweisung von Verantwortungslast führte, wird diese Konsequenz nunmehr in weiten Teilen zurückgenommen. Sieht man nämlich das Rollenspezifikum von Auskunft oder Raterteilung als ein notwendiges Differenzierungskriterium757, so trifft die Verantwortung nur den, der sich eine solche qua seiner (Berufs-)Rolle zuweisen lassen muss. Das gilt ebenso für die bei Köndgen aufgeführte Konsequenz, die Berufsrolle fächere den „allgemeinen“ Sorgfaltsmaßstab auf.758 Relevant kann das Anknüpfen gerade an die Berufsrolle wiederum für die Frage sein, ob etwa die Auskunft, die rein tatsächliche Abläufe betrifft, dann von einer Haftung erfasst ist. Gemeint sind damit vor allem Auskünfte, die in gleicher Weise der Mandant geben könnte. Die Selbstbindung durch den Ausspruch der Auskunft, des Rats oder der Empfehlung hat somit bei Köndgen zwar nicht automatisch juristische Haftungskonsequenzen innerhalb einer beruflichen Tätigkeit. Gleichwohl müsste, so man Köndgen folgt, die (trotzdem oder jedenfalls) im anwaltlichen Handeln (Auskunft etc.) liegende Selbstbindung in den anwaltlichen Überlegungen gerade Raum finden. Das ist die notwendige Folgerung daraus, dass Selbstbindungsabläufe und Rollenerwartungen gegenseitig Einfluss aufeinander nehmen und so der Weg zur Haftung bereitet sein kann.
754
So weist Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 200, auch darauf hin, dass Rollenübernahmen häufig von demonstrativen Selbstdarstellungs- und Selbstbindungsakten begleitet würden. Diese Selbstdarstellungen werden, vornehmlich von anwaltlicher Seite, in der Regel intentional sein. Bewusstes Handeln, so Köndgen, S. 175, bringe wiederum die Vermutung mit sich, dass es vernünftig begründet sei. Diese „vernünftige Begründung“ wird einen Dritten nun gerade, nicht zuletzt unter Heranziehung des anwaltlichen Rollenbildes, zu dem Schluss führen, der Anwalt handele als Fachmann vernünftig und redlich. 755 Zu denken ist wiederum an Abschwächungen, etwa mittels der Formulierung „vielleicht“. 756 In die Situationsbewertung, auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung, kann aber auch einfließen, ob der potentielle Vertragsparter des Mandanten selbst anwaltlich vertreten ist. Das kann die Bindungswirkung z. B. einer rechtlichen Äußerung des Anwalts der anderen Seite entfallen lassen. 757 Siehe Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 281. 758 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 361.
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Zudem kann etwa zu überlegen sein, ob bestimmte Selbstbindungen nicht soziale Sanktionen nach sich ziehen können, die es zu berücksichtigen gilt.759 d) Personeller Schutzbereich Indem Köndgen die kommunikative und konsensuale Beziehung zwischen Auskunftsgeber und Auskunftsempfänger als Verpflichtungselement760 hervorhebt, ist in seinem Verständnis der quasi-vertraglichen Auskunftshaftung als Teil der Berufshaftung der (anspruchsberechtigte) Personenkreis im Kern benannt. Jeder Auskunftsempfänger, der unmittelbar in diese Kommunikations- und Konsensbeziehung einbezogen worden ist, unterfällt potentiell dem geschützten und damit anspruchsberechtigten Personenkreis. Bei Köndgen finden sich neben der Argumentation mit der Vertragsähnlichkeit weitere dies stützende Gründe, die nicht zuletzt das Rollenverständnis einbeziehen. Köndgen spricht von der „Existenz einer (…) handlungsmäßig aktualisierten Rollenbeziehung“, wenn und sobald eine „Person professionelle Dienste im geschäftlichen Kontakt in Anspruch nimmt“ und „aus Sicht des Berufspraktikers (…) diese Person als Benefiziar der beruflichen Leistung ausersehen ist“.761 Diese handlungsmäßig aktualisierte Rollenbeziehung entspricht dem, was zuvor als der Vorgang beschrieben wurde, den Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) aktiv in eine (ggf. modifizierte) Rollenbeziehung zum Anwalt (der anderen Seite) einzubeziehen. Dafür bieten die Vertragsverhandlungen grundsätzlich einen geeigneten Anknüpfungspunkt. Die Stärke einer solchen Aktivierung zeigt sich bei Köndgen gerade wieder in der Begründung eines Treuhandverhältnisses. So ist denn bei ihm „die Identifizierung einer Rollenbeziehung in den nicht-vertraglichen Auskunftsverhältnissen (problemlos), wo Benefiziar des Rollenhandelns der Auskunftsersuchende und -erhaltende ist“762. Dieser räumt im Köndgenschen Sinn dem Auskunftsgebenden gerade Macht ein, indem der Ersuchende sein Handeln auf die Auskunft stützt. Das begründet eine „Treuhandbeziehung“763 und damit eine Rollenbeziehung.
759
Vgl. dazu, allerdings in kritischer Auseinandersetzung mit Köndgen, Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 87, der darauf hinweist, soziale Mechanismen, wie etwa der Entzug künftiger Kooperationschancen, bedürften keiner Ergänzung durch das Recht. 760 Selbstdarstellung und Reziprozität. 761 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 362. Kommt es zur Aktualisierung der Rollenbeziehung, so ist das unabhängig von einer Entgeltlichkeit der Leistung. Für den Sonderfall der „Professionen“ folgt das aus der von den letzteren reklamierten „Dienstgesinnung“. Jenseits der Professionen ergibt sich das aus der Reziprozitäts-„Vermutung“ bei marktbezogenem Handeln. So zum Vorstehenden Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 362 f. 762 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 363. 763 Eine solche wird man aber in Frage stellen müssen, wenn der Auskunftsersuchende selbst anwaltlich vertreten ist.
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Allerdings lässt auch Köndgen eine quasi-vertragliche Berufshaftung gegenüber Dritten zu, mit denen der Berufspraktiker nicht unmittelbar kommuniziert. Sofern zu dem jeweiligen Dritten (Bezugsobjekt) durch den Berufspraktiker eine Intention dahin besteht, ihn zum Benezifiar zu machen, reicht es danach aus, wenn das Rollenhandeln sich in seine Richtung bewegt und er auch so identifizierbar ist.764 Das genügt nach Köndgen für eine originäre sowie quasi-vertragliche Haftung gegenüber dem Dritten, ohne z. B. die Konstruktion über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bemühen zu müssen.765 Da vorliegend jedoch der Fokus auf den unmittelbaren Vertragsverhandlungen mit einem Dritten durch den Anwalt für den Mandanten liegt, soll hier eine Auseinandersetzung mit dieser besonderen Problematik unterbleiben. Für eben solche Vertragsverhandlungen gestaltet sich sehr schnell zwischen dem Anwalt und dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten (Dritten) eine aktualisierte Rollenbeziehung766. Von den Abläufen her ist das vergleichbar mit dem, was innerhalb der Diskussion um den Ansatz von Jost ausgeführt wurde. Dort wie hier ergibt sich aber die besondere Herausforderung um die Einbeziehung der Rolle in die Argumentation aus dem Umstand der Positionierung des Anwalts als (einseitigen) Interessenvertreter seines Mandanten. Diesbezüglich ist es besonders hervorzuheben, dass Köndgen sich der Schwierigkeiten der „Berufshaftung im Rollenkonflikt zwischen Klienten und Dritten“767 gesondert und ausdrücklich annimmt. Köndgen lässt die Installierung einer Rangfolge unterschiedlicher Rollenbeziehungen zu, die zu einem abgestuften Haftungsschutz führen kann.768 Man kann diese Herangehensweise durchaus als Schaffung eines Haftungsausschlussgrundes für die quasivertragliche Inanspruchnahme ansehen. Aus dem Grund ist eine eigenständige Erörterung innerhalb der Verpflichtungsmerkmale bei Köndgen angezeigt. e) Rollenkonflikt als Haftungsausschlussgrund aa) Eingrenzung der tatsächlichen Begebenheiten Bevor eine Auseinandersetzung zu der Frage erfolgt, ob ein etwaiger Rollenkonflikt haftungsausschließend sein kann, ist eine Eingrenzung der tatsächlichen Begebenheiten, die den in Bezug zu nehmenden Sachverhalt bilden, angezeigt. Damit einher geht, dass nicht vollumfänglich eine Antwort für das aufgeworfene Problem gefunden werden soll. Das ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings auch nicht notwendig. Ausreichend und insoweit zielführend ist die Klärung, ob bezüglich der Handlungen eines in die Vertragsverhandlungen eingebundenen Anwalts, der ausschließlich (anwalts-)vertraglich an eine Seite gebunden 764
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 363. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 365. 766 Auf deren möglichen Inhalt wird noch einzugehen sein. 767 So die Zwischenüberschrift bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 374. 768 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 379. 765
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ist, aufgrund eines Rollenkonflikts für eben diesen Anwalt ggf. ein Haftungsausschluss gegenüber dem Dritten, in der Regel dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten, besteht. Damit ist bereits die Ausgangssituation angesprochen, die gekennzeichnet ist von der vertraglichen Bindung des Anwalts als (einseitiger) Interessenvertreter einer Seite, seiner aktiven (kommunikativen) Einbindung vor allem in die Vertragsverhandlung und damit einhergehend eines notwendigen kommunikativen Austauschs mit dem Dritten (potentiellen Vertragspartner des Mandanten). Der Austausch kann dabei in Auskünften, Raterteilungen und Empfehlungen bestehen. bb) Bestehen von Rollenbeziehungen Angesichts dieser Ausgangssituation stellt sich die Frage, ob, bzw. in welcher Art, der Anwalt in mehreren Rollenbeziehungen steht, die dann zu einem Inter- oder einem Intrarollenkonflikt769 führen können. Köndgen spricht bei Anwaltsauskünften an einen Nichtmandanten die Vermutung für einen Rollenkonflikt aus.770 Eine solche Vermutung ist unter dem Gesichtspunkt der (einseitigen) Interesssenbezogenheit des anwaltlichen Handelns in Bezug auf den eigenen Mandanten771 grundsätzlich naheliegend. Aufgrund der Vielschichtigkeit anwaltlichen Handelns auch und gerade als Interessenvertreter,772 der der Anwalt als Fachmann ist, ebenso aber aufgrund der (gleichzeitigen) Stellung als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) darf man es hier bei der Vermutung allerdings nicht bewenden lassen. So, wie die Rolle beim Aufbau von Verpflichtungen in den jeweiligen konkreten sozialen Abläufen (mit dem Dritten) Berücksichtigung finden muss, so muss das ebenso für die Situation des Rollenkonflikts und der daran anknüpfenden Konsequenzen gelten. Dann ist es aber erforderlich, die Rollen(-beziehungen) und die sich möglicherweise daran anschließenden Konflikte gerade anhand der Handlungssituation „Vertragsverhandlungen“ auszumachen. Erst darauf aufbauend kann sich die Entwicklung einer Lösung unter Einbeziehung der Bedeutung der Rolle anschließen. „Unstreitig“ besteht innerhalb von Vertragsverhandlungen eine Rollenbeziehung, nämlich die zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten, dessen Interessen durch den Anwalt (Fachmann) vertreten werden sollen. Allgemeiner spricht Köndgen 769
Ein Intrarollenkonflikt besteht, wenn unterschiedliche Erwartungen an eine Rolle bestehen, Endruweit/Trommsdorff/Burzan/Griese, Wörterbuch der Soziologie, Stichwort „Rolle“ (S. 414). Ein Interrollenkonflikt kann daraus resultieren, dass eine Person sich in ihren verschiedenen Rollen unterschiedlichen Erwartungen ausgesetzt sehen kann, Röhl, Rechtssoziologie, S. 318. 770 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 377. 771 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 376, spricht vom Anwaltsberuf als „klientenzentrierte Professionsrolle“ bzw. (S. 377) von „klientenbezogenen Berufen“. 772 Beispiele dafür sind u. a. die unterschiedlichen Verhandlungsstile und Kommunikationsformen zur Umsetzung der Mandanteninteressen, die nicht zuletzt eine besondere Einbeziehung des Dritten erforderten.
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davon, in einfachen Grundfällen von Berufshaftung involviere der berufliche Kontakt eine Rollenbeziehung nur zwischen dem Träger der beruflichen Position und seinem Kunden (im weitesten Sinne).773 Für die Situation der Vertragsverhandlung spezifiziert sich diese Beziehung auf das Verhältnis Anwalt – Mandant, begründet durch den Anwaltsvertrag. Die daran anknüpfenden Rollenerwartungen, vornehmlich vom Mandanten gerichtet auf den Anwalt, finden sich u. a. im (gesetzlich) normierten Rollengepräge, insbesondere aufgrund des anwaltlichen Berufsrechts (z. B. § 43a Abs. 4 BRAO, Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen), in den Erwartungen aufgrund des jeweiligen (konkreten) Anwaltsvertrags774 sowie ferner (auch) im (nur) sozial normierten Erwartungskatalog. Zu beachten ist erneut, dass der Anwaltsvertrag u. a. die unterschiedliche Aktivierung bzw. Betonung einzelner Rollenerwartungen des Mandanten zulässt, z. B. ein eher vermittelndes oder ein eher konfrontatives Agieren des Anwalts. Davon zu trennen ist eine anders zu bewertende (mögliche) Rollenbeziehung des Anwalts zu einem Dritten (mit entsprechenden Erwartungen) oder gar erst die Begründung einer solchen Beziehung.775 Das muss dann jedoch wiederum Auswirkungen auf einen möglichen rollenbedingten Haftungsausschluss des Anwalts gegenüber dem Dritten haben. Die Frage insbesondere nach dem Wie einer Rollenbeziehung des Anwalts in der Vertragsverhandlung gegenüber dem Dritten (potentiellen Vertragspartner des Mandanten)776 lässt sich nicht ohne Differenzierungen beantworten. Köndgen geht zwar nicht auf die Situation von Vertragsverhandlungen ein, nennt aber beispielhaft den Anwalt, der dem Gläubiger seines Mandanten, meist sogar auf Wunsch des letzteren und oftmals in dessen Beisein, eine Auskunft über den Vermögensstatus des Mandanten gibt.777 Dieses Beispiel dient Köndgen zur Untermauerung seiner Aussage, die Haftungsfrage kompliziere sich ganz wesentlich, wenn das berufliche 773
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 374. Dabei bedeutet der Hinweis auf den individuell geschlossenen Anwaltsvertrag wiederum keineswegs eine Loslösung von einem Rollenverständnis, das positionsbezogen ist und dem Ansatz, wonach die Position letztlich von unterschiedlichen Personen besetzt werden könnte. Denn mit dem Abschluss des Anwaltsvertrags geht auch die grundsätzliche Positionsund Rollenverteilung „Gläubiger – Schuldner“ einher, das heißt aus Mandantensicht die Erwartung an den Anwalt, die vertraglichen Pflichten zu erfüllen. 775 Grundsätzlich beinhaltet die Position „Interessenvertreter Anwalt/Organ der Rechtspflege“ bereits ein Positionssegment „Anwalt – Dritter“, durch das der Dritte zur „Bezugsgruppe“ gehört. Mit der entsprechenden Bezugsgruppe sind bestimmte, allerdings zunächst geringe, Rollenerwartungen an das dazugehörige Rollensegment verbunden. 776 Eine Rollenbeziehung kann für den Anwalt auch zu einem etwaigen Anwalt des potentiellen Vertragspartners bestehen. Eine Auseinandersetzung unmittelbar mit dieser Rollenbeziehung soll hier im Rahmen der Haftung jedoch unterbleiben. Die Existenz eines weiteren Anwalts kann allerdings Auswirkungen auf die Rollenbeziehung (Erwartung des Dritten als Bezugsgruppe) zwischen dem Anwalt und dem Dritten haben, was zum „Haftungsausschluss“ in dieser Beziehung (Dritter gegenüber dem Anwalt) führen kann. 777 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 374. 774
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Handeln zugleich eine weitere Rollenbeziehung des Professionals zu einer anderen Person affiziere.778 Damit geht er in Situationen wie der beispielhaft genannten von einer Rollenbeziehung zum anderen aus. Unsere bisherigen Überlegungen haben allerdings gezeigt, dass zur Begründung solcher Aussagen und damit letztlich zur Beantwortung der Frage nach dem Ob, vor allem aber nach dem Wie einer Rollenbeziehung eine detaillierte Betrachtungsweise angezeigt sein muss. Gerade wenn man den Anwalt als einseitigen Interessenvertreter auftreten lässt, ist die genaue Bestimmung einer Rollenbeziehung zu dem Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten), an die sich bestimmte auf die Position „Beruf“ bezogene Erwartungen knüpfen können, nicht einfach machbar.779 Bedeutsam ist ein weiteres Mal, dass der „Anwalt“ bezüglich seiner beruflichen Position mehrere Bereiche vereinigt, die diese ausmachen. Zu berücksichtigen ist zum einen, dass der Dritte zum Anwalt (des anderen) und seiner professionellen Positionierung eine Rollenbeziehung hat, weil dafür entsprechende (gesetzliche) Normen streiten. Hier kann wiederum die Stellung des Anwalts (auch) als „Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) bemüht werden. So kann damit, wie zuvor bereits angesprochen, die Erwartung des Dritten einhergehen, der Anwalt werde die Wahrheit jedenfalls nicht bewusst entstellen, oder sein Fachwissen missbräuchlich einzusetzen. Weil der Anwalt, auch bei einer Interessenvertretung, als Anwalt nicht nur Organ der Rechtspflege, sondern selbstverständlich ebenfalls juristisch Gebildeter (Fachmann) ist, kann gleichfalls der Dritte, der ihn nicht mandatiert hat, damit durchaus Erwartungen verbinden, so z. B. juristisch korrekte und ggf. umfängliche Informationen zu erlangen. Die Frage, die allerdings gestellt werden muss, ist, ob die Erwartungen, die zwar rein tatsächlich bei einem Dritten vorhanden sein können, überhaupt als Erwartungsbündel (Rolle) von ihm an den Anwalt heranzutragen sind, das heißt, dessen Rolle780 (mit-)bestimmen. Begreift man den „Interessenvertreter Anwalt“ als eine maßgebliche Positionierung des Anwalts781, so ist in Bezug darauf eine entsprechende Erwartung jedenfalls nicht notwendig rechtlich für einen Dritten, der mit dem Anwalt nicht vertraglich verbunden ist, vorgegeben. Auch aufgrund einer (rein) sozialen Rollenausbildung wird dies nicht ohne weiteres begründbar sein, vor allem dann nicht, wenn der Anwalt ersichtlich für eine bestimmte Person auftritt.
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Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 374. Man kann dies vergleichen mit der Situation, in der ein Kind einen Schulfreund mit in sein Elternhaus bringt. Der Vater des Kindes ist für das Kind „Vater“, damit gehen entsprechende Rollenerwartungen einher. Auch wenn der Elternteil somit die Position „Vater“ besetzt, kann der Schulfreund in Bezug auf seine Person grundsätzlich keine Erwartungen an ihn richten, die ihren Ursprung in der Besetzung der Position „Vater“ haben. 780 Es geht um die Rollenerwartungen im Verhältnis Anwalt – Dritter (potentieller Vertragspartner des Mandanten); betroffen ist also das entsprechende Rollensegment. 781 Diese enthält allerdings immer auch gleichzeitig die des Organs der Rechtspflege, weil der Interessenvertreter Organ der Rechtspflege ist. 779
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Je nach Auftreten des Anwalts ist jedoch ggf. eine solche Beschränkung nicht angezeigt. Vielmehr kann der Anwalt sich gegenüber dem Dritten möglicherweise in einer Positionierung als Anwalt vor allem als (allgemein) objektiv juristisch Gebildeter, der er trotz oder gerade auch wegen der Möglichkeit der Interessenvertretung ist, vordergründig darstellen und entsprechende Erwartungen782 auf sich ziehen.783 Der zuletzt angesprochene Aspekt des Auftretens kann dann aber gerade zu einem Ablauf führen, der den Dritten gleichsam in ein (neu begründetes/modifiziertes) Erwartungsbündel „hineinzieht“.784 Folgt nämlich aus dem Auftreten des Anwalts gegenüber dem Dritten, dass der Anwalt seine juristischen Kenntnisse, die durch seine Profession ausgewiesen sind, (auch) in Richtung auf den/zum Nutzen des Dritten einsetzt, so kann der Dritte sich durchaus auf entsprechende Rollenerwartungen berufen, die mit der dazugehörenden Positionierung (Anwalt/Fachmann) einhergehen. Es findet dabei wohlgemerkt kein juristischer Vertragsschluss zwischen Anwalt und Drittem statt, ein solcher soll auch nicht fingiert werden. Es ist vielmehr ein Ablauf, der schon in anderen Kontexten beschrieben wurde: Es geht darum, dass der Anwalt durch sein kommunikatives Verhalten den Dritten gleichsam in eine (eigene/modifizierte785) Rollenbeziehung hinsichtlich seiner Profession „hineinzieht“. Demzufolge besteht also je nach kommunikativem Gebaren eine entsprechende786 Rollenbeziehung zwischen Anwalt, der zugleich Interessenvertreter des Mandanten ist, und Drittem. Diese Form von Rollenbeziehung ist jedoch keineswegs „selbstverständlich“, sondern muss vom Anwalt gleichsam „initiiert“ werden. Zudem ist je nach kommunikativem Geschehen sowie unter Berücksichtigung dessen, dass der Anwalt Interessenvertreter bleibt, grundsätzlich davon auszugehen, dass der Dritte (potentielle Vertragspartner des Mandanten) sich nicht im ver-
782 Solche Erwartungen können dann auf die Erteilung (richtiger) juristischer Auskünfte gerichtet sein. Je nach Auftreten des Anwalts können aber auch noch weitere Erwartungen aufgebaut werden, z. B. in Richtung auf eine abwägende Beratung. 783 Lammel, der von einer „Haftung kraft Berufsstellung“ aufgrund von „berufsbezogene(…)(n) Vertrauen(s) in die besondere Sachkunde“ ausgeht [AcP 179 (1979), 337, 365], betont die Bedeutung der „Rolle“. Sie ist danach so zu verstehen, dass der jeweilige Berufsträger in der Gesellschaft nicht als Individuum, sondern als „in die Gesellschaft eingebundener und von dieser in die Pflicht genommener Funktionsträger“ anzusehen sei. Man sieht sich also aufgrund der beruflichen Stellung allgemeinen Erwartungen ausgesetzt. Danach würde es aber keine Bedeutung haben, ob man diese Erwartungen „gerade auf sich zieht“. 784 Das ist der Ablauf eines role-makings. 785 Modifiziert, weil ja jedenfalls eine Rollenbeziehung zwischen Anwalt und Dritten (potentiellem Vertragspartner des Mandanten) besteht, da der Anwalt (auch) Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ist, das z. B. sein Wissen nicht missbräuchlich einsetzen darf. 786 Z. B. eine solche, aus der die Erwartung auf korrekte juristische Auskünfte vom „neutralen“ Fachmann folgt; ggf., je nach Gebaren des Anwalts, sogar darüberhinausgehende Erwartungen.
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gleichbaren Umfang auf Rollenerwartungen berufen kann wie etwa der Mandant, der das Bindeglied des Anwaltsvertrags zum Anwalt aufweisen kann.787 cc) Bestehen von Rollenkonflikten So, wie die Frage, in welcher Art von Rollenbeziehung der Anwalt, der als Interessenvertreter seines Mandanten in die Vertragsverhandlung eingebunden ist, zu dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten steht, von dem individuellen Auftreten und der individuellen Situation abhängt, so hängt davon im Grunde ebenso die Antwort auf die Frage ab, ob und wann ein Rollenkonflikt besteht. Es geht um das Problem, wann verschiedene rollenbestimmende Erwartungshaltungen unterschiedlicher Bezugsgruppen bestehen, die der Rolleninhaber nicht gleichzeitig jeweils zur Gänze erfüllen kann, so dass ein Partner, wenn nicht sogar beide, zurückstehen muss/müssen.788 Köndgen spricht sogar davon, dass die Erwartungen „diametral zuwiderlaufen“ können.789 Da die Erwartungen sich jeweils an die Profession „Anwalt“790 mit den daran anknüpfenden Rollenerwartungen anschließen, ist der daraus resultierende Konflikt ein Intrarollenkonflikt.791 (1) Konflikt nicht als notwendige Folge Ein solcher Konflikt muss jedoch nicht notwendigerweise in Vertragsverhandlungen für den Anwalt vorliegen. Insbesondere die immer wieder herangezogene Situation, in der der Anwalt durchaus mit Willen und im Interesse seines Mandanten einen kooperativen Verhandlungsstil pflegt und im Zuge dessen den Dritten z. B. mit (rechtlichen) Informationen „versorgt“, muss nicht zu einem Rollenkonflikt im beschriebenen Sinn führen. So kann die Weitergabe der Informationen sowohl dem Interesse und den Rollenerwartungen des Mandanten wie auch umgekehrt denen des Dritten gerecht werden.792 Ohnehin wird ein etwaiges Erfordernis, rechtliche Informationen „richtig“ weiterzugeben, vielfach ebenfalls nicht zu einem Konflikt
787 Sollte der Anwalt den Dritten in eine solche Rollenbeziehung hineinziehen, erwartet letzterer dann im Grunde, konsequent „rollenkonform“ behandelt zu werden. Der Aspekt des konsequenten Verhaltens ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Vertrauenshaftung von Bedeutung, dazu Singer, 2. FS für Canaris (2017), 425, 445 f. 788 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 375, unter Bezugnahme (Fn. 138) u. a. auf Dahrendorf, Homo Sociologicus, 15. Aufl. 1977, S. 76 f. 789 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 375. 790 Diese vereinigt die Interessenvertretung und damit einhergehend speziell sowie im Allgemeinen die Stellung als juristisch Gebildeter/Fachmann. 791 Siehe auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 375. 792 Vgl. auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 377, zur Einnahme einer Vermittlerrolle durch den Anwalt, die dieser im Einverständnis beider Parteien besetzt. Köndgen stellt dies jedoch im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu gleichrangigen Rollenbeziehungen dar, nicht bereits bei der Frage, ob überhaupt ein Rollenkonflikt vorliegt.
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führen. Der einzige „Leidtragende“ in der Situation ist der Anwalt, der sich ggf. bei Fehlern zwei Anspruchsberechtigten gegenübersehen kann. (2) Aktualisierung des Rollenkonflikts Allerdings wird vor allem in den „eigentlichen“ Verhandlungssituationen793 die Aktualisierung eines Rollenkonflikts für den Anwalt oftmals erreicht sein. Das kann schon dann der Fall sein, wenn das Interesse des eigenen Mandanten nicht auf Kooperation als oberstes Gebot ausgerichtet ist, das heißt, ein „gütliches“ Ergebnis zwar durchaus angestrebt wird, dabei jedoch die eigenen (Mandanten-)Interessen gleichwohl im Zweifel im Vordergrund stehen sollen. Bereits in einem solchen Stadium, erst recht jedoch, wenn bezüglich der Umsetzung der Mandanteninteressen möglichst keine Abstriche gemacht werden sollen, rückt das von Köndgen aufgeworfene „Dilemma“794 deutlich zutage. Bei einer Auskunft, die rein tatsächliche Umstände betrifft, kann der Anwalt vor der Notwendigkeit der Entscheidung stehen, wie „strategisch-selektiv“795 er tatsächliche Informationen setzt. Das gilt ebenso für rechtliche Informationen, nämlich dergestalt, ob die Weitergabe von rechtlichem Wissen, z. B. welche Wirkungen ein Nießbrauch hat, auch mit einer daran anknüpfenden Gefahrenanalyse für den Dritten einhergehen soll/muss, bzw. wie umfangreich die rechtlichen Erläuterungen sein müssen.796 Es bietet sich zudem eine Überschneidungsfläche hin zum Rat bzw. zur Empfehlung. Bei den beiden zuletzt genannten Handlungsformen des Anwalts besteht ohnehin in einem viel stärkeren Maß die Gefahr, die in der Regel primär zu verfolgenden Interessen des eigenen Mandanten zu „beeinträchtigen“. Dabei geht es nicht, das soll noch einmal betont werden, darum, dass der Anwalt (bewusst) falsche Auskünfte, Ratschläge oder Empfehlungen setzt, im Gegenteil. Es geht um den bereits benannten Selektierungsprozess bezüglich der Informationen innerhalb der Verhandlungen, der in vielen Fällen dazu führen kann, eine Rollenbezugsperson zu „enttäuschen“ und damit einen entsprechenden Konflikt im Anwalt hervorzurufen. (3) Bedeutung des Haftungsrechts Nun muss an dieser Stelle die Frage gestellt werden, ob ein Anwalt in einer vertraglichen Verhandlungssituation, in die er für/neben seinem Mandanten eintritt, 793
Das heißt solchen, die auf einen Vertragsschluss hinauslaufen sollen. Dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 375, unter Hinweis (Fn. 137) auf Hopt, Rechtspflichten der Kreditinstitute, S. 164. 795 Ausdruck nach Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 377, der ihn dort allerdings im Zusammenhang mit der Frage der Haftung des Anwalts nach § 826 BGB gebraucht, wenn es um die Gratwanderung zwischen Lüge und Wahrheit geht. 796 Ob solche Rollenerwartungen überhaupt bestehen (dürfen), hängt jedoch wiederum sehr stark davon ab, wie die Rollenbeziehung zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten durch das Gebaren des Anwalts in der Verhandlung ggf. ausgestaltet wird. 794
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überhaupt einen solchen Konflikt „empfindet“, ihn überhaupt als solchen wahrnimmt. Denn die Aufschlüsselung in unterschiedliche Rollenbeziehungen war keineswegs „einfach“ und wird in der Praxis, mag dies auch u. U. bedenklich sein, vom einzelnen Anwalt oftmals kaum oder gar nicht reflektiert. Der Grund dafür liegt vielfach in einer bewussten (oder unbewussten) Ausrichtung an dem Maßstab, der in diesem Zusammenhang auch bei Köndgen eine bedeutende Rolle spielt. Gemeint ist damit das Haftungsrecht. Das Haftungsrecht als Handlungsmaßstab ist bereits mehrfach virulent geworden. So ist es vor allem eine Handlungsmaxime für den Anwalt in seinem Verhältnis zum Mandanten. Dort ist dem Anwalt das Haftungsrecht als Maßstab auch am ehesten präsent und bildet den Grund dafür, die beschriebenen Konfliktsituationen innerhalb von Vertragsverhandlungen häufig gar nicht als solche aufzufassen. Die anwaltliche Direktive ist die Notwendigkeit, den eigenen Mandaten zufriedenzustellen und so einer dort (sicher) angesiedelten Haftungsgefahr zu entgehen. Köndgens Verständnis von der Aufgabe des Haftungsrechts scheint zu demselben Ergebnis zu kommen, wenn auch durch eine differenziertere Herangehensweise. Nach Köndgen „(besteht) (…) (d)ie Aufgabe des Haftungsrechts gegenüber Rollenkonfliktsituationen (…) nicht darin, dem Rollenträger aus seinen Konfliktängsten zu helfen. (…) Aufgabe des Rechts der Berufshaftung ist es, die Funktionsfähigkeit des Rollensystems zu erhalten, indem es eine Rangfolge der Bezugsgruppen herstellt und in dieser Rangfolge abgestuften Haftungsrechtsschutz gewährt. Anders formuliert: Zu verhindern ist ebenso sehr, daß der Rollenträger es beiden widerstreitenden Bezugspersonen gleich recht machen will und damit letztlich keiner einen Dienst erweist, wie daß er dem Recht des Stärkeren folgt und den anderen Rollenpartner vollkommen vernachlässigt.“797
Löst man diese Aussagen Köndgens in ihre jeweiligen Bestandteile auf, verdienen sie im Einzelnen Zustimmung wie auch Kritik. Der Überlegung, mit dem (Haftungs-) Recht ein Instrumentarium zu schaffen, welches verhindert, dem Recht des Stärkeren Folge zu leisten, ist grundsätzlich zuzustimmen. Sie ist trotzdem detailliert zu betrachten. Denn als Stärkeren bezeichnet Köndgen in Anlehnung an Dahrendorf798 denjenigen, der über die stärkeren Sanktionsmittel verfügt. Sanktionsmittel können freilich sehr unterschiedlich beschaffen sein. Sie sind, das hat u. a. die Auseinandersetzung um das soziologische Verständnis des Vertrags gezeigt, keineswegs nur juristischer Natur, sondern in vielen Fällen (auch/nur) sozialer Art. Solche Sanktionen, die für den Anwalt aufgrund von Vertragsverhandlungen von dritter Seite, also nicht der des Mandanten, „drohen“ können, sind etwa der Verlust des Ansehens im Kollegenkreis oder der Verlust weiterer Mandate, die ihm über den Dritten zukommen könnten. Diese Sanktionen eliminiert das Haftungsrecht mit einem abgestuften Haftungsschutz nicht, sie bestehen fort. Das (juristische) Haftungsrecht gibt allerdings unmissverständlich vor, dass (auch) juristische Sanktionen auf einer 797
Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 375 f.; Hervorhebung bei Köndgen. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 375, unter Bezugnahme (Fn. 140) auf Dahrendorf, Homo Sociologicus, 1977, S. 77. 798
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entsprechenden Haftungsstufe drohen (können), wenn diesen anderen Sanktionen799 gefolgt wird. Das vermeintliche Ausschalten eines Stärkeren, der als maßgebliche Bezugsperson nicht „gewollt“ ist, ist stimmig mit einem weiteren Aspekt, den Köndgen anspricht, dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Rollensystems durch die Herstellung einer Rangfolge der Bezugsgruppen mit einem abgestuften Haftungsschutz. Auch hier ist aber ein kritisches Hinterfragen angezeigt, vor allem im Hinblick darauf, welches Rollensystem funktionsfähig zu erhalten ist. Der Anwalt in seiner Profession steht, wie Köndgen zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls in einer Rollenbeziehung zu seinem Mandanten. Er ist dort für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten von tragender Bedeutung. Die Wichtigkeit des die Interessen vertretenden Anwalts im (größeren) rechtsstaatlichen System wurde ebenfalls dargestellt. Will man das rechtsstaatliche System nicht erheblich schwächen, ist der Erhalt des anwaltlichen Verständnisses, welches vor allem auf die Interessen des Mandanten ausgerichtet ist, dringend vonnöten Es finden sich dort auch nicht zuletzt maßgebliche Schnittflächen zur Bedeutung des Anwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Diese Funktion(en) könnte der Anwalt nicht im bestmöglichen Sinn ausfüllen, müsste er sich beständig darum sorgen, Dritten zu haften. Dieses Ziel kann durch ein abgestuftes Haftungssystem gefördert werden. Bei einer solchen Beantwortung hinsichtlich des erhaltenswerten Rollensystems kommt allerdings zu kurz, in welch vielgestaltiger Weise der Anwalt über seine unterschiedlichen Rollen(-beziehungen) z. B. zur Erhaltung des Rechtsstaats beträgt/ beitragen soll. Dabei soll an dieser Stelle nicht erneut die (weitere) Bedeutung als Organ der Rechtspflege über Gebühr strapaziert werden. Es geht vielmehr um die Tätigkeiten des Anwalts, die jenseits eines (rein) konfrontativen Auftretens liegen. Das können Vermittler- und Schlichtertätigkeiten, ein Auftreten als primär objektiver/neutraler Fachmann800 sein, also Tätigkeiten, die, und auch das sei nochmals betont, durchaus in die (einseitige) Interessenvertretung einfließen können. Handelt der Anwalt aber insoweit (rollen-)systemgerecht, z. B., wenn er vermittelt, schlichtet oder Auskünfte erteilt, gerät das System der von ihm wahrzunehmenden jeweiligen Rollen(-beziehungen) nicht per definitionem in eine Schieflage, wenn er genau das tut. Vielmehr fordert das (Rollen-)System801 es (mit) heraus. Tritt der Anwalt aber (auch) nach außen entsprechend auf, „lebt“ er seine Rollenbeziehungen aus, dann bestehen aus Gründen des „Rollensystemerhalts“ keine schwerwiegenden Argumente dagegen, ihn für dieses Auftreten haften zu lassen und zwar auch gegenüber dem Dritten (potentiellen Vertragspartner seines Mandanten). Dann besteht keine 799 Diese müssen keineswegs nur negativ, sondern können auch positiv sein. Vielfach wird der Reiz positiver Sanktionen (z. B. lukrative Mandate) sogar viel bedeutsamer sein. 800 Dann findet vielfach im Verhältnis des Anwalts zum potentiellen Vertragspartner seines Mandanten ein role-making statt. 801 Welches ja gerade auch unterschiedliche Positions- und Rollensegmente (Verhältnisse Anwalt – Mandant; Anwalt – Dritter) beinhaltet; vgl. zu Positions- und Rollensegmenten wiederum Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33 ff.
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zwingende Notwendigkeit einer abgestuften Haftung. Lässt das Rollensystem802 ein solches Handeln zu bzw. fordert es sogar heraus,803 dann darf der Dritte mit seinen Ansprüchen nicht zurückstehen. Das zu erhaltende Rollensystem beinhaltet eben auch den Anwalt in einer etwaigen Beziehung zu diesem Dritten. Wenn der Anwalt sich im Einzelfall „falsch“ verhält, kann dies nicht unter dem Deckmantel des Systemerhalts zu Lasten des Dritten gehen. (4) Aufgreifen von Konfliktängsten Wenn die Bedeutung des Haftungsrechts somit nicht (ausschließlich) auf den Systemerhalt konzentriert werden kann, so muss die von Köndgen abgelehnte Überlegung neu aufgeworfen werden, ob über das Haftungsrecht nicht doch „Konfliktängste“ bewältigt werden können. Dabei steht dieser Aspekt ohnehin nicht im grundsätzlichen Gegensatz zum Topos des Systemerhalts. Denn der Anwalt kann einen möglichst optimalen Beitrag auch und vor allem etwa als Interessenvertreter nur dann leisten, wenn er ausreichenden Halt im Sinn einer Orientierungshilfe hat. Ein von Ängsten geprägtes Verhalten schwächt ihn, schwächt mit seinem von angstgeleiteten Handeln dann aber alle Betroffenen.804 Konflikte, die daraus resultieren, nämlich unterschiedlichen Erwartungen nicht gerecht werden zu können, verbunden mit ggf. massiven Haftungsfolgen, können sich dann tendenziell sogar lähmend auswirken. Unterstützung in der Form, dem einzelnen Positions- und Rollenträger Orientierung in der Art von (verbindlichen) Rangfolgen bezüglich der Bedeutung der involvierten Bezugsgruppen zu liefern und damit, jedenfalls auf juristisch geregeltem Gebiet, einen Sanktionskontrollmechanismus zu geben, ist notwendig und insgesamt von Vorteil. Es ist Köndgen somit zuzustimmen, dass dem Haftungsrecht eine tragende Bedeutung zukommt und die Bestimmung von Rangfolgen der Bezugsgruppen eines Rollenträgers wichtig ist. Allerdings ist der Grund dafür anders zu gewichten, was möglicherweise im Folgenden Auswirkungen auf die Bestimmung der Rangfolgen haben kann. dd) Rangfolgen für die Berufsrolle(n) und Konsequenz des Haftungsausschlusses (1) Grundsätzliche Fokussierung auf das Verhältnis zum Mandanten Zu folgen ist Köndgen zunächst jedoch wiederum dahingehend, die Rangfolge für jede Berufsrolle805 individuell definieren zu müssen.806 Für den anwaltlichen Beruf trifft er eine klare Aussage. Danach ist 802
In dem der Anwalt sich bewegt. Gerade ein Handeln in den Segmenten Anwalt – Mandant und Anwalt – Dritter. 804 Solche Konsequenzen, allerdings nicht bezogen auf anwaltliches Handeln und im Weiteren bezogen auf betriebswirtschaftliche Abläufe, behandeln etwa Panse/Stegmann, Kostenfaktor Angst, u. a. S. 137 ff. 805 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 376, spricht nur von der „Berufsrolle“. 803
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„(…) (d)er Anwaltsberuf (…) vielleicht die am stärksten klientenzentrierte Professionsrolle, und letztere ist als solche berufs- und standesrechtlich fixiert und gewährleistet. Es wäre keine glückliche Rechtsfortbildung, den Anwalt nun auch gegenüber Nichtklienten mit Sonderpflichten zu belegen. Die ranghöhere Bezugsperson ist hier eindeutig der Mandant. Der Anwalt steht unter der Vertragspflicht gewordenen Rollenerwartung, sich für seinen Mandanten einzusetzen (…).“807
Mehrere Elemente dieser Aussage tauchten bereits an unterschiedlichen Stellen unserer Überlegungen auf und verdienen Zustimmung. So zeichnet sich die anwaltliche (Berufs-)Rolle u. a. aufgrund des (gesetzlichen) Berufsrechts durch eine hohe Normierungsdichte aus (BRAO, BORA), die verflochten und flankiert ist durch die Vertragspflichten aus dem Anwaltsvertrag. Letztere sind (mit-)bestimmend für die Rolle. Der jeweilige Anwaltsvertrag ist es auch, der für den Anwalt als Interessenvertreter die maßgebliche Richtschnur bildet; insoweit kann man in der Tat von „der Vertragspflicht gewordenen Rollenerwartung“808 sprechen. (2) Problem der Nachrangigkeit des Dritten Kritisch anzusetzen ist jedoch erneut daran, wie rigoros Köndgen den Dritten mit seinen etwaigen Rollenerwartungen ausschließt. Obwohl Köndgen selbst809 Rollenbeziehungen des Anwalts zu Dritten neben denen zum Mandanten grundsätzlich offen gegenübersteht,810 lehnt er unter Berufung auf die Rollenrangfolge Sonderpflichten gegenüber diesen Dritten ab. Er billigt letzteren zwar einen deliktischen Schutz zu, vor allem den über § 826 BGB.811 Man muss dann aber die „Sperrung“ von Sonderpflichten als Ablehnung einer quasi-vertraglichen Haftung des Anwalts, die aus seiner Rolle heraus resultiert, verstehen. Wenn Köndgen jedoch grundsätzlich eine quasi-vertragliche Haftung mit der Selbstbindung begründet, deren Inhalt (auch) von den rollenspezifischen Erwartungen geprägt ist, dann ist diese „Sperrung“, begründet mit einer Rangfolge von Bezugspersonen nichts anderes als das, was schon oben dazu ausgeführt wurde: ein Haftungsausschlussgrund. Da die Notwendigkeit und Begründung der Rangfolge letztlich von dem zugrundeliegenden Rollenkonflikt angestoßen werden, kann man diesen als den eigentlichen Grund des Ausschlusses bezeichnen. Dieser Ausschluss ist bei Köndgen letztlich sogar ein zwingender. Denn Köndgen misst der Einwilligung des Mandanten in die Auskunftserteilung an den Dritten durch seinen Anwalt nur die Folge zu, den Anwalt vom Vorwurf des Parteiverrats
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Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 376. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 376. 808 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 376. 809 Vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 374. 810 Vgl. aber auch die Kritik, wonach im Einzelfall überhaupt die Eröffnung einer Rollenbeziehung zum Dritten festzustellen ist, bzw. deren Umfang. 811 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 377, 379. 807
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(§ 356 StGB) freizusprechen.812 Eine solche Einwilligung ändere aber nichts an dem Rollenkonflikt des Anwalts. Sehe sich dieser also einer möglichen quasi-vertraglichen Schadensersatzhaftung ausgesetzt, würde er trotz Einwilligung des Mandanten zu einer selbstschützenden Zurückhaltung neigen und so letztlich die Mandanteninteressen vernachlässigen.813 Um den Anwalt aus diesem Dilemma zu erlösen, müsste dann bei einseitiger anwaltlicher Interessenwahrnehmung jeder (potentielle) Rollenkonflikt haftungsausschließend in Bezug auf quasi-vertragliche Haftungsansprüche des Dritten gegenüber dem Anwalt sein. (3) Möglichkeit der Berücksichtigung des Dritten Diese rigorose Herangehensweise wird dem Rollengefüge, in das der Anwalt aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit eingebunden ist, nicht gerecht. Man kann gegenüber (quasi-)vertraglichen Ansprüchen mittels Selbstbindung, die ein Dritter gegen den Anwalt als Interessenvertreter haben kann, durchaus kritisch sein.814 Führt man allerdings wie Köndgen Selbstbindung und Rolle so offensiv in die Haftungsbegründung gegenüber einem Dritten ein und sieht man zwischen Anwalt und Drittem grundsätzlich die Rollenbeziehung als gegeben an, so muss letztere in der ihr möglichen Vielfalt berücksichtigt und gewürdigt werden. Ein kategorischer Abschnitt der quasi-vertraglichen Haftung in Folge eines Rollenkonflikts wird den Möglichkeiten, damit freilich auch den Gefahren, die der anwaltliche Beruf und die mit ihm einhergehenden Rollen(-beziehungen) bieten, nicht gerecht. Der Variantenreichtum ergibt sich aus dem im Laufe der Jahre vielfältiger gewordenen Rollenbild des Anwalts. Dieses ist mittlerweile weit entfernt von einem solchen, das geprägt ist vom konfrontativ agierenden Prozessanwalt. Kooperative Handlungs- und Verhandlungsstrukturen sind immer weiter in der anwaltlichen Tätigkeit vorangeschritten. Die gesetzlich normierten Rahmenbedingungen befördern ein solches Vorgehen, gerade auch außerhalb von (Vertrags-)Verhandlungen. Beispielhaft seien hier nur § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf den Prozessvergleich und § 278 Abs. 1, 2 und 5 ZPO genannt. In die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) hat die Mediation als Tätigkeit Einlass gefunden (§§ 7a und 18 BORA). Seit 2012 gibt es darüber hinaus das Mediationsgesetz815.
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Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 377. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 377. 814 Zu einer grundsätzlichen Kritik an dem Ansatz der Selbstbindung bei Köndgen etwa Kegel, Vertrag und Delikt, S. 106 (ginge um vielmehr um eine Bindung aus objektivem Recht wie beim Delikt); Boecken, Die Haftung der Stiftung Warentest, S. 119 (Verantwortlichkeit für schädigendes Verhalten wird wertend an objektive Umstände geknüpft); Weller, Vertragstreue, S. 194 (Vertragsprinzip gilt im deutschen Recht). Siehe außerdem Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 85 ff. 815 Mediationsgesetz vom 21. 07. 2012 (BGBl. I S. 1577). 813
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Damit geht keinesfalls die Vernachlässigung der Interessen einher, die der Anwalt bei Mandatierung zu vertreten hat. Nimmt man beispielsweise wieder die Verhandlung, für die der Anwalt zwar nicht „als“ Mediator beauftragt worden ist, so eröffnen sich dort für ihn ggf. gleichwohl kooperative Strukturen, innerhalb derer er etwa aufgrund von mediativen Grundfertigkeiten ein erweitertes Interessenumsetzungspotential für den Mandanten „erschließen“ kann. Es ist dann vielmehr die (vertragliche) Pflicht des Anwalts, dieses auch im Interesse seines Mandanten u. U. einzusetzen. Mit diesen erweiterten Möglichkeiten können dann entsprechende „Gefahren“ einhergehen, die u. a. in einem (geänderten) Kontaktverhalten zum Dritten bestehen können. Besteht aber die erweiterte Möglichkeit zur Chancenwahrnehmung für den Mandanten, dessen Interessen man als Anwalt vertritt, darin, ein bestimmtes Rollenverhalten gegenüber dem Dritten zu entwickeln/zu modifizieren, so darf letzterer nicht auf eine rein deliktische Haftung verwiesen werden. Das wäre zum einen eine „Rollenwahrnehmung zu Lasten Dritter“. Zum anderen wäre es eine Verkennung dessen, dass der Anwalt mit unterschiedlichen Rollen(-beziehungen) dergestalt umgeht, eine Rollen(-beziehung) (gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten) auch zum Zweck der Umsetzung der anderen Rollen(-beziehung) (gegenüber dem Mandanten) einzusetzen. Folgert man daraus eine quasi-vertragliche Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten ohne den zuvor dargestellten „Haftungsabschnitt“, so steht der Anwalt keineswegs schutzlos dar. Der Anwalt muss ebenfalls nicht in seinen Entscheidungen zaudern, sondern sich vielmehr der Handlungsmaßstäbe wie auch der unterschiedlichen Rollenerwartungen bewusst sein sowie dann bereit sein, eine entsprechende Entscheidung für seine Handlungen zu treffen. Mit anderen Worten ist sein Handeln nicht von der damit einhergehenden Verantwortung zu trennen. Prinzipiell hat der Anwalt einen Maßstab für seine Handlungen. Die Grundlagen dafür liefern vor allem das anwaltliche Berufsrecht sowie das Haftungsrecht. Dazu würde, folgte man dem grundsätzlichen816 Ansatz Köndgens, auch die quasi-vertragliche Haftung gegenüber dem Dritten gehören. Die Folge der Eröffnung einer solchen weiteren Haftung neben der Deliktshaftung in Bezug auf den Dritten kann selbstverständlich zu misslichen Situationen für den Anwalt führen. Das wurde insbesondere anhand der Vertragsverhandlungen817 bereits in unterschiedlicher Form dargestellt, so etwa bezüglich des Problems, inwieweit der Anwalt durch den Einsatz eines abschwächenden Vokabulars („möglicherweise“, „vielleicht“) seine Haftung reduzieren oder eine Auskunft gar ganz verweigern sollte. Das ändert allerdings nichts daran, dass für solche Handlungssituationen Regeln in Form des Berufs- oder des Haftungsrechts vorhanden sind, die, juristisch betrachtet, den Anwalt aus einem etwaigen Rollenkonflikt in der Regel herauslösen können. Das Problem, ggf. auch das Dilemma, besteht für den Anwalt zum einen in der Konfliktverstärkung auf anderen Ebenen, z. B. der rein sozialen, etwa der wirtschaftlichen Bindung an den 816 817
Das heißt dem Ansatz, ohne den zuvor beschriebenen „Haftungsabschnitt“. Relevant ist gerade diejenigen, mittels derer es zu einem Vertragsschluss kommen soll.
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Mandanten mit den entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten dort. Zum anderen wird er sich aufgrund mangelnder Reflexion über das Zusammenspiel der Rollenerwartungen bestimmter Gefahren nicht bewusst und erst später mit den Folgen konfrontiert sein. All das ist in Rechnung zu stellen, darf aber nicht dazu führen, den Dritten, der wohlgemerkt in der Regel vom Anwalt in eine Rollenbeziehung „hineingezogen“818 wird, die Konsequenzen dergestalt tragen zu lassen, indem ihm die vertragliche Haftungsschiene abgeschnitten wird. Die Problemlösung muss dann vielmehr an einer anderen Stelle ansetzen. Die Frage, die gestellt werden muss, ist, ob nicht im Einzelfall, z. B. gerade in Vertragsverhandlungen, an deren Ende ein Vertragsschluss stehen soll, vom Anwalt aufgrund seiner Rolle(n) etwas schwer Leistbares verlangt wird und ob es nicht gilt, andere Wege zu suchen. Ein solcher Weg kann, je nach Verhandlungsgestaltung, der Vorschlag an den eigenen Mandanten sein, einen neutralen Dritten (Vermittler, Mediator) einzuschalten. Schwieriger ist, ob und ggf. wie man dem nicht anwaltlich vertretenen Dritten dazu raten soll, einen eigenen Anwalt zu mandatieren. Ein dahingehender Rat des Anwalts an den Dritten dürfte in Bezug auf die Interessenwahrnehmung seines eigenen Mandanten problematisch sein. Eine gesetzliche Anwaltspflicht existiert für Vertragsverhandlungen und -geschäfte nicht. Im richtig verstandenen eigenen Interesse sollte der Anwalt seinen eigenen Mandanten in jedem Fall über entsprechende Konfliktsituationen (Mandanteninteressen – Drittinteresen) und die für ihn in Betracht kommenden Handlungsalternativen im Vorfeld aufklären. Das betrifft auch das etwaige anwaltliche Vorgehen. Dabei kann im Einzelfall deutlich werden, wie die oben erwähnten Einflussnahmemöglichkeiten relevant werden können, so z. B., wenn der Mandant nach entsprechender Aufklärung auf einem kooperativen Verhandlungsstil mit einer gleichwohl gewissen Informationsselektion besteht. Es kann nicht verhehlt werden, dass hier durchaus vom Mandanten ein sozialer Druck aufgebaut werden kann. Dem könnte der Anwalt letztlich nur entgehen, wenn das Gesetz einen Anwaltszwang für den Dritten in Vertragsgeschäften installieren würde. Da dies nicht der Fall ist, muss der Anwalt das tun, was ebenfalls zu seinem Rollenrepertoire gehört: Als Anwalt und damit Organ der Rechtspflege wird von ihm ein verantwortungsvoller Umgang mit den Möglichkeiten verlangt, die sein Beruf ihm bietet, aber auch ein verantwortungsvoller Umgang mit den damit einhergehenden Gefahren. Das ist keine Entlassung aus einem Rollenkonflikt, sondern die Aufforderung zu einer Entscheidung im etwaigen Konflikt. Auch das gehört zum Berufsbild, auch wenn dies, vor allem auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene, mit Nachteilen verbunden sein kann. Gibt der Anwalt etwa Dritten rechtliche Auskünfte, muss er sich gewahr sein, dass bei deren mangelnder Richtigkeit eine Haftung drohen kann.
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Bzw. diese modifiziert wird.
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3. Resümee Köndgens Ausarbeitung der Selbstbindung ohne Vertrag „befriedigt“ im Kontext der Untersuchung der Haftung des Anwalts insbesondere aufgrund von Auskünften im Rahmen der Vertragsverhandlung aus den zuvor genannten Gründen nicht. Darüber hilft auch nicht hinweg, dass Köndgen grundsätzlich die deliktische Haftung zulässt, die für den falsch beratenden Anwalt bei ihm durchaus einschlägig sein kann.819 Hinzu kommt, dass Köndgen selbst im Rahmen einer systematischen Zusammenschau ein Theoriegebäude mit Selbstbindung und Reziprozität als Verpflichtungselementen sowie Konzepten der sozialen Rolle und des Marktes als Systemreferenz rechtsgeschäftlichen Handelns nicht als abgeschlossen betrachtet.820 Positiv hervorzuheben sind allerdings Köndgens offensive Einbindungen des Rollenverständnisses wie auch der Kommunikation. „Benötigt“ wird allerdings weiterhin ein dogmatisch tragfähiger Ansatz, in den diese Elemente einfließen, und, der obigen Kritik folgend, den Dritten (den potentiellen Vertragspartner des Mandanten) in die Lage versetzen, jenseits einer deliktischen Haftung ggf. Ansprüche gegen den verhandelnden Anwalt geltend machen zu können. Das betrifft gerade die Situationen, in denen der Anwalt, der sich zwar seiner beruflichen Stellung als Anwalt nicht entziehen kann, weil/wenn er für den Mandanten auftritt, gleichwohl aber zu dem Dritten in einer Rollenbeziehung steht. Letztere bedeutet dann, dass der Dritte aufgrund des Handelns des Anwalts Erwartungen aufgebaut hat, die in Bezug zu dessen beruflicher Stellung stehen, z. B. hinsichtlich korrekter fachlicher Auskünfte.
VI. „Vertrauen“ als notwendige (Vor-)Überlegung des Verhältnisses zwischen Anwalt und Drittem – Nutzbarmachung der Vertrauenshaftung nach Canaris 1. Einführung Namentlich die zuvor vorgestellten Ansätze aus der Literatur, aber auch die Rechtsprechung mit dem Hinweis auf das Indiz der „Sachkunde“ zur Begründung eines Verpflichtungswillens, bezogen sich stark auf die Fachmannseigenschaft des Auskunft Gebenden bzw. auf seine in dem Zusammenhang bekleidete Position und die damit verbundenen Rollen. Teilweise ausdrücklich821 wurde aber eine Haftung, 819
Vgl. aber auch die Kritik bei Müller, Auskunftshaftung, S. 134. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 280 f.; darauf hinweisend Müller, Auskunftshaftung, S. 131. 821 So etwa Hopt, AcP 183 (1983), 608, 643; Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 820
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die sich auf „Vertrauen“ stützt, abgelehnt. Jost822 nannte „Vertrauen“ als Rechtsbegriff ungeeignet. Die Haftung solle nicht auf den Bereich empirischen persönlichen Vertrauens des Auskunftsempfängers begrenzt sein; solle jedoch nur eine mehr oder weniger gefestigte Erwartung gemeint sein, sei „Vertrauen“ ein das ganze Sozialleben beherrschendes Phänomen.823 Auf die Ubiquität von Vertrauen als soziales Phänomen wies bereits Köndgen824 hin, der weiterhin einem Rückgriff auf besonderes persönliches Vertrauen in den Auskunftsgeber mangelnde dogmatische Operationalität825 bescheinigte.826 Bezüglich des rechtlichen Umgangs mit „Vertrauen“ ist in der Tat Vorsicht geboten, was zum einen bereits in der Begrifflichkeit begründet liegt, zum anderen in den dahinterstehenden sozialen Abläufen. Gerade wenn man beispielhaft auf „persönliches Vertrauen“ abstellt, kann sich die angesprochene Ubiquität sowie mangelnde Fassbarkeit ergeben. Das zeigt sich bereits in der Schwierigkeit, „persönliches Vertrauen“827 zu präzisieren. So kann man unter die „Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens“ als einer von einem persönlich ausgehenden Gewährübernahme828 für die Seriosität und Erfüllung des Geschäfts letztlich alles 822
Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 824 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 70. Siehe außerdem u. a. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 8 I 6 b (S. 178 f.) bezüglich des Vertrauensgedankens im Recht der c.i.c.; Picker, AcP 183 (1983), 369, 427. 825 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 826 In kritischer Auseinandersetzung mit Canaris auch vor dem Hintergrund fehlender Hilfestellung für die Entscheidung im Einzelfall Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 237 ff. Wiegand selbst sieht zwar „eine allgemeine Ableitung eines Haftungsgrundes aus dem Vertrauensprinzip (als) nicht möglich (an), weil sie nichtssagend bleibt.“ (S. 271.) Gleichwohl steht sie dem Vertrauensgrundsatz offen gegenüber. So könne, so Wiegand, S. 271, nur durch Auswertung typischer Konstellationen in mühsamer Kleinarbeit ein Tatbestand zusammengestellt werden, dessen einzelne Komponenten genau überlegt werden müssten. Dabei sei der mögliche Tatbestand eng zu fassen, damit er Anhaltspunkt für eine richterliche Rechtsfortbildung sein könne, die nicht konturenlos bleibe. Für einen Vertrauenstatbestand kraft beruflicher Sachkunde sei das beispielhaft versucht worden. 827 Dazu, dass der BGH etwa für die Eigenhaftung des Vertreters bereits früher darauf abstellte, dass der Vertreter in besonderem Maß persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe musste, siehe u. a. BGH NJW 1995, 1213, 1214; 1990, 1907, 1908; 1990, 389, 389 oder BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242. Auf die letzte Stelle verweist gerade auch BT-Drs. 14/ 6040, S. 163, innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens zu § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB. Es wird allerdings, siehe dazu noch den nächsten Abschnitt, mit Blick auf § 311 Abs. 2 Satz 2 BGB gerade unter Betonung des Unterschieds zur früheren Rechtsprechung über die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nunmehr herausgestellt, es sei jetzt klargestellt, dass der Dritte „für sich“ Vertrauen in Anspruch nehme; Canaris, JZ 2001, 499, 520 f.; Koch, AcP 204 (2004), 59, 72 f. (personale Qualität des Vertrauens sei nicht entscheidend). Gleichwohl wird besonderes persönliches Vertrauen auch weiterhin noch als Anknüpfungspunkt auch bei § 311 Abs. 3 BGB angegeben, siehe u. a. Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 64; MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 212 f. 828 BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242. 823
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fassen, was einen Einzelnen dazu bewegen soll,829 von einem anderen Individuum etwas zu erwarten. Bei einem solchen Verständnis ist Vertrauen im Grunde ein individueller Motivationsantrieb, der aus unterschiedlichsten, wiederum individuellen Faktoren gebildet und zusammengesetzt wird. Diese Faktoren können dabei durchaus objektive Bezugspunkte haben.830 Einfluss auf das Vertrauen in dem beschriebenen Sinn hat dann nicht zuletzt das Verhältnis des Vertrauen Schenkenden zum Vertrauensobjekt bzw. -subjekt.831 „Vertrauen“ ist also etwas, was sich ganz maßgeblich in einem bestimmten Verhältnis bilden und bewehren kann/muss. Das geschieht zwar allenthalben, ist also insoweit ubiquitär. Es handelt sich aber um schwerlich generalisierbare soziale oder auch psychologische Abläufe. Das Problem der Generalisierbarkeit, oder, in den Worten Köndgens, der Operationabilität, darf jedoch nicht zu einer kategorischen Ausschlusshaltung in Bezug auf die Nutzbarmachung von „Vertrauenselementen“ für die Auskunftshaftung führen. Vielmehr gibt es Schnittmengen.832 Greift man zunächst „nur“ auf das vorstehend angeführte Vertrauensverständnis zurück, so zeigten sich in den bisher diskutierten Ansätzen zur Auskunftshaftung durchaus Elemente, die (auch) in dem beschriebenen Vertrauenskontext ihren Platz fänden. Das wird z. B. innerhalb der Auseinandersetzung um die Ansätze von Jost und Köndgen deutlich. Aufgezeigt wurde u. a., welche Bedeutung der Kommunikation zukommt, wenn es gilt, als Anwalt den potentiellen Vertragspartner des Mandanten in eine (bestimmte) Rollenbeziehung „hineinzuziehen“.833 Daran zeigt sich eindrucksvoll, welchen Einfluss im Einzelfall ein (individuelles) Interpersonenverhältnis und kommunikative Abläufe haben, Elemente also, die man auch unter das obige Vertrauensverständnis834 fassen könnte. Damit muss also nicht notwendigerweise eine mangelnde, sondern ggf. „nur“ eine schwierigere Operationalität einhergehen. So sind Interpersonenverhältnisse rechtlich schwerer fassbar, wenn Beziehungen stärker (sozial) „gebildet“ werden, die nicht unmittelbar mit „fixierten Regelungs829 Es sollte ja gerade Einfluss auf die Entscheidung des anderen genommen werden, vgl. BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242. 830 Siehe wiederum Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254, der den Begriff des „typisierten Vertrauens“ in seiner Auseinandersetzung gebraucht. 831 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 225, steht der „persönlichen Gewähr“ durchaus positiv gegenüber. Er weist darauf hin, dass es in der Dritthaftung aus culpa in contrahendo einen anerkannten dogmatischen Ort hat. 832 Vgl. auch Besold, Aufklärungspflichten, S. 88 f., zu Gemeinsamkeiten von Vertrauenshaftung und Selbstbindung ohne Vertrag. 833 Das wurde hier als „modifizierendes role-making“ beschrieben. Siehe insoweit auch Canaris, JZ 2001, 499, 521, der mit Blick auf § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB beschreibt, dass der Dritte aus seiner Rolle, z. B. als Makler, heraustrete und insoweit eine eigenständige Funktion übernehme. 834 Dabei sei aber betont, dass dieses Vertrauensverständnis in Anlehnung an die, insbesondere frühere Rechtsprechung, zunächst nur exemplarisch stehen soll.
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werken“835 greifbar sind.836 Man darf somit für solche Beziehungen keine solche rechtliche Operationalität erwarten, die der einer rechtlichen „Durchreglementierung“ vergleichbar wäre. Entscheidend ist zunächst, dass, und auch das hat die Auseinandersetzung u. a. mit Jost und Köndgen gezeigt, operationable Elemente vorhanden sind. Solche Elemente bestehen nicht zuletzt in den Erwartungen, die an eine Rolle wie die des Anwalts anknüpfen. Daran schließen sich zunächst verschiedene Zwischenüberlegungen an: Die Auskunftshaftung zeigt sich in weiten Bereichen als ein Interpersonenverhältnis (Anwalt – Dritter), welches „lebt“. Es ist jedenfalls nicht durchgängig mit „harten Faktoren“, wie denen einer rechtlichen Durchnormierung, fassbar. Das verdeutlicht der Umgang mit der Rolle, die in Bezug auf den Anwalt zwar durchaus starke normierte Züge aufweist. Indem auf kommunikativem Weg allerdings eben eine Form von „role-making“ zwischen Anwalt und Drittem stattfindet, fließen die beschriebenen Elemente ein, die weniger „greifbar“ sind. Das kann man als Aufbau eines eigenen/weiteren „Vertrauensverhältnisses“ auffassen, oder aber, in einer anderen Begrifflichkeit, als Aufbau eigener/weiterer Erwartungen. Dass diese trotz ihrer „neuen“ Herausbildung, insbesondere durch das role-making, operationabel und ggf. auch rechtlich greifbar sein können, wurde u. a. mit Blick auf die kommunikativen Abläufe gezeigt. Wenn aber individuelle Verhältnisse und eine Form von „role-making“ fassbar gemacht werden konnten, muss die Offenheit ebenso hinsichtlich der vielfach gescholtenen Vertrauenshaftung gelten. Letztere muss gleichfalls auf ihre „Bewertung“ der der Auskunftshaftung zugrundeliegenden Geschehensabläufe hin untersucht werden. Auseinandersetzungen zur Vertrauenshaftung, die vor allem im Kontext um die Problematik der Auskunftshaftung erarbeitet worden sind, gibt es in unterschiedlicher Form, wobei sich durchaus wieder Überschneidungen zu anderen Ansätzen wie demjenigen finden, der sich auf die berufliche Stellung bezieht.837 835 Das können privatautonome Regelungen wie Verträge sein, aber auch gesetzlich normierte, wie bei bestimmten „deliktischen Beziehungen“. 836 Ein klassisches Beispiel für eine normierte Beziehung ist die Ehe, die unter den Voraussetzungen der §§ 1310 ff. BGB zustande kommt. 837 Siehe dazu beispielsweise Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575, 618 ff. Zu Canaris und Lorenz auch Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 298 f. Lammel, AcP 179 (1979), 337, 365, bejaht eine eigene „Haftung kraft Berufsstellung“ auf der Basis eines „berufsbezogene(…)(n) Vertrauen(s) in die besondere Sachkunde; siehe ferner Nirk, FS für Hauß, 267, 281 f.; außerdem Bohrer, Die Haftung des Dispositonsgaranten, S. 303 ff., zum „Problem der Schutzwürdigkeit individueller Vertrauensbeziehungen; insbesondere die Vertragsanbahnung und das Handeln im Kreis typischer Berufsgeschäfte“. Zu der Inanspruchnahme berufsspezifischen Vertrauens, allerdings im Kontext einer Sachwalterhaftung, Herrmann, JZ 1983, 422, 426. Erwähnung soll hier ebenfalls der Weg von Grunewald finden, der als modifizierte (vertragliche) Vertrauenshaftung teilweise auch den vertraglichen Ansätzen zugewiesen wird, so Hirte, Berufshaftung, S. 392 ff. Tatsächlich stellt Grunewald unter besonderer Behandlung von Sachverständigengutachten auf eine Haftung aus Garantieerklärung ab [AcP 187 (1987),
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Da hier das Augenmerk darauf gerichtet sein soll, eine Annäherung zwischen den Topoi des „role-makings“ und des Vertrauens zu versuchen, soll dies in Eingrenzung der vorzunehmenden Untersuchungen unter Bezugnahme auf die von Canaris entwickelte (grundlegende) Vertrauenshaftung geschehen. Inhaltlich soll wiederum die Fokussierung auf eine mögliche Vertrauenshaftung aufgrund der für den Mandanten geführten Vertragsverhandlung durch den Anwalt liegen. 2. Vertrauenshaftung als Folge von Vertragsverhandlungen durch den Anwalt Einen wesentlichen Anstoß zur Vertrauenshaftung lieferte bereits Ballerstedt838. Eine diese fortführende839 grundlegende und umfassende Konzeption zur Vertrauenshaftung legte schließlich Canaris durch und im Anschluss an seine Monographie zur „Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht“840 vor. Canaris’ Ausarbeitungen zur Vertrauenshaftung sind nicht nur als (weiterer) Ansatz zur Bewältigung der Haftungsproblematik für die Informationsweitergabe an Dritte von Bedeutung. Die insoweit erarbeiteten Grundlagen und Voraussetzungen sind nicht zuletzt an späterer Stelle für die Erfassung des § 311 Abs. 3 BGB von Relevanz.841 Die Auseinander285, 299 ff.]. Knüpfe man an eine mit dem Gutachten verbundene Garantieerklärung an, habe es der Experte, so Grunewald, weitgehend selbst in der Hand, den Haftungsumfang zu bestimmen (S. 305). An anderer Stelle (S. 304) führt sie, gerade in Bezug auf die Haftung Dritten gegenüber, an, letzteres könne der Fall sein, wenn Personen, die von dem Auftraggeber verschiedenen seien, aus ihrer Sichtweise heraus (Empfängerhorizont) diejenigen seien, die sich auf das Gutachten verlassen sollten (S. 304). Eine Argumentation mit dem Empfängerhorizont, allerdings im Kontext einer Haftung unter Heranziehung der Grundsätze eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte findet sich bei OLG Saarbrücken ZRI 2023, 212, 216. Eine starke Bezugnahme zu einer Vertrauenshaftung folgt gleichwohl daraus, dass Grunewald ihre Lösungssuche als Versuch beschreibt, die Überlegungen der Lehre von der Vertrauenshaftung zu konkretisieren und an die klassischen Argumentationsmuster anzunähern [AcP 187 (1987), 285, 299]. Bereits zuvor (JZ 1982, 627, 631) sprach Grunewald von einer verschuldensabhängigen Haftung von Fachleuten für ihre durch Sachkunde autorisierten Angaben. Das sei ein Sonderfall der Vertrauenshaftung. Wichtig sei, ob der Nachfrager auf Angaben von Spezialisten vertraue und vertrauen dürfe. Ausführlich zu Grunewalds Ansatz Müller, Auskunftshaftung, S. 119 ff.; siehe auch Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 270, der kritisch anmerkt, mit Grunewalds Weg entstehe der Eindruck einer Erfüllungshaftung. 838 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 501 ff. Auf die grundlegenden Ausführungen Ballerstedts zur culpa in contrahendo als Vertrauenshaftung weist auch Canaris hin, siehe etwa Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 92. 839 Darauf hinweisend u. a. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 77; siehe auch Besold, Aufklärungspflichten, S. 67, zur Fortentwicklung des Ansatzes von Ballerstedt durch Canaris. 840 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971. Auf die Bedeutung u. a. hinweisend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 77 ff. 841 Solch ein Vorgehen legt etwa Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 77 ff., seiner Herangehensweise zugrunde.
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setzung mit Canaris soll daher zunächst unter Konzentration auf seine Ergebnisse vor dem Inkrafttreten des § 311 Abs. 3 BGB ansetzen.842 Weiterhin bietet gerade die an Canaris geübte Kritik zahlreiche Anstöße zur zusätzlichen Erkenntnisgewinnung der anwaltlichen Auskunftshaftung infolge von Vertragsverhandlungen. a) Vorrang der Vertragshaftung Bevor eine Nutzbarmachung gerade der Vertrauenshaftung im Verständnis von Canaris im Kontext von Rolle und Haftung erfolgen soll/kann, ist, auch mit Blick auf die bisher diskutierten Ansätze, ein Aspekt vorwegzustellen. Die Vertrauenshaftung, so Canaris, trete ex lege ein843, die Vertragshaftung aufgrund entsprechender Parteierklärungen somit ex voluntate.844 Die Vertrauenshaftung sei gegenüber der Bindung durch Rechtsgeschäft subsidiär.845 In dem Kontext des Vorrangs der Vertragshaftung und der Notwendigkeit, sich ihrer bewusst zu machen, steckt ebenso die Auseinandersetzung um den stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag. Ein entsprechendes Vorgehen, das in der bisherigen Diskussion bereits mehrfach aufgegriffen und kritisiert wurde, findet auch bei Canaris deutliche Ablehnung846. Neben dem Erfassen verschiedener Einwände liefert die Thematisierung bei Canaris aber weitere Aspekte, die zusätzliche Erkenntnisse angesichts der speziellen Situation des dem Dritten Auskunft gebenden Anwalts, vor allem innerhalb von Vertragsverhandlungen, eröffnen. So streicht Canaris hinsichtlich der Überlegungen um den stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag in Bezug darauf, dass keine primäre Leistungspflicht, sondern nur ein Schadensersatzanspruch begründet werde, die Atypizität eines solchen Vertrags heraus.847 Für eine solche Atypizität müssten besondere Anhaltspunkte, folglich ein entsprechender Parteiwille vorliegen. Letzterer könne aber schwerlich auf einen stillschweigenden Abschluss zurückgeführt werden, sondern bedürfe in der Regel der ausdrücklichen Äußerung.848 Das, was Canaris insoweit ins 842 Siehe insoweit auch nochmals Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 77 ff. 843 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 428 ff. 844 Canaris, FS für Schimansky, 43, 46. Dazu auch Weller, Die Vertragstreue, S. 191. Zu dem Aspekt, ob die Expertenhaftung ex voluntate erfolge, ebenfalls Büttner, Dritthaftung von Experten, S. 7. Siehe ferner die Kritik bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 103, wonach die Vertrauenshaftung mit der Einordnung „ex lege“ als Gegenbild der privatautonom eingegangenen Verbindlichkeit aufgebaut werde und damit „an die alte, auf Savigny zurückgehende Antithetik von Freiheit und Zwang“ anknüpfe. 845 Canaris, FS für Schimansky, 43, 47, dort auch (Fn. 6) der Hinweis auf Canaris, Vertrauenshaftung, S. 412 ff., 440 ff. 846 U. a. Canaris, FS für Schimansky, 43, 47 f. 847 Canaris, FS für Schimansky, 43, 47. 848 Canaris, FS für Schimansky, 43, 47.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Feld führt, „passt“ zu der Überlegung, wonach ein Vertragsschluss ein originäres „role-making“ ist, welches vom Grundsatz her willensgetragen ist. Die Betonung des notwendigen Parteiwillens, der deutlich nach außen treten muss, steht außerdem in Verbindung mit der scharfen Trennung zwischen Wissensund Willenserklärung. Eine Auskunft, so Canaris, entspreche regelmäßig nicht den Anforderungen einer Willens-, sondern nur einer Wissenserklärung.849 Der Auskunft Gebende habe kein Interesse, eine Schadensersatzpflicht zu übernehmen, es fehle an einem entsprechenden Bindungswillen, was für den anderen Teil ohne weiteres erkennbar sei.850 Ob für den anderen Teil der diesbezüglich ggf. mangelnde Rechtsbindungswillen ohne weiteres erkennbar ist, ist, jedenfalls, wenn sich dort ein Laie ohne anwaltliche Unterstützung befindet, sicherlich diskussionsbedürftig. Gleichwohl sind, auch das hat die Auseinandersetzung mit dem Auskunftsvertrag gezeigt, begründete Zweifel angebracht, ob allein aus dem Verhalten (Auskunft) auf einen entsprechenden, den Grund für eine etwaige Schadensersatzpflicht bildenden Rechtsbindungswillen geschlossen werden kann. Hier liefert Canaris’ Hinweis auf die Atypizität des rein zu Haftungszwecken geschlossenen Auskunftsvertrags ein weiteres tragendes Argument zur Einnahme einer ablehnenden Haltung. Nichtsdestotrotz muss in dem Handeln (Auskunft oder Hinweis)851 eines Anwalts in Vertragsverhandlungen mehr gesehen werden als eine bloße Wissensweitergabe. Hier liegt häufig vor allem sogar ein situatives „Mehr“ vor als etwa bei einem Gutachten oder weitergeleiteten Auskünften von Fachleuten an Dritte.852 In den zuletzt genannten Fällen hat der Dritte oftmals ein längeres oder stärkeres Überlegungsmoment. Er kann zumeist die Auskunft kritischer prüfen, stärker überlegen, ob er sie verifizieren will oder nicht. Dieser Weg ist dem Dritten insbesondere in Vertragsverhandlungen grundsätzlich ebenfalls nicht abgeschnitten. Allerdings sieht er sich durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Anwalt, der kommunikativen Dynamik und eben dem mehrfach beschriebenen „Hineinziehen in eine (bestimmte) Rollenbeziehung“ ganz anderen Rahmenbedingungen, aber eben auch einer eigenen „Beziehung“ zum Anwalt gegenüber. Während Canaris die Berufshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut, über das eine Anspruchsgrundlage begründet werden könnte, ablehnt,853 bietet sich unter
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Canaris, FS für Schimansky, 43, 48. Siehe auch Lammel, AcP 179 (1979), 337, 341. Canaris, FS für Schimansky, 43, 48. 851 Erst recht bei einem Rat oder einer Empfehlung. 852 Sich insbesondere mit der Auskunftshaftung bei Vertragsverhandlungen als allgemeines Problem beschäftigend, Breinersdorfer, Haftung der Banken für Kreditauskünfte, S. 85 ff. 853 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 219; Canaris lehnt die deliktsrechtliche Qualifikation der Berufshaftung ebenso wie eine vertragsrechtliche ab. Für eine Berufshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut zwischen Delikt und Vertrag, also dritte oder vierte Spur, biete das geltende Recht keine hinreichenden Ansatzpunkte. 850
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Bezugnahme auf ihn mit der Vertrauenshaftung jedoch ein anderer, weitere Erkenntnisse erschließender Weg an.854 b) Zweispurigkeit der Vertrauenshaftung bei Canaris Canaris sieht in der Vertrauenshaftung ein eigenständiges Rechtsinstitut.855 Die Vertrauenshaftung bilde eine dritte Spur zwischen Vertrags- und Deliktshaftung.856 Ohne bereits an dieser Stelle auf Begründung, Voraussetzungen und Kritiken einzugehen, sei zunächst ein Aspekt voranzustellen. Canaris nimmt für die Tatbestände der Vertrauenshaftung eine grundsätzliche Unterteilung („Zweispurigkeit“) in Bezug auf ihre Rechtsfolgen vor857: Auf der einen Seite steht der „positive Vertrauensschutz“858. Derjenige, der Vertrauen geschenkt hat, wird dabei so gestellt, „wie es der von ihm angenommenen Lage entspricht“859, er erhält „einen Anspruch auf „Vertrauensentsprechung“860. Die Tatbestände des positiven Vertrauensschutzes bilden nicht zuletzt den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung innerhalb Canaris’ Abhandlung über die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht.861 Die zweite Spur der Vertrauenshaftung macht Canaris mit Blick auf die Rechtsfolgen daran fest, den Vertrauen Schenkenden so zu stellen, „als hätte er die wahre Lage gekannt und daher nicht vertraut“862. Es geht somit um die Gewährung eines Anspruchs auf Ersatz des „Vertrauensschadens“, um den „negativen Vertrauensschutz“.863 An diesen negativen Vertrauensschutz sollen sich hier die weiteren Überlegungen vor allem anschließen. So nimmt Canaris hinsichtlich der Tatbestände des negativen 854 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 219, hält die Kategorie der Berufshaftung dann für förderlich, wenn man diese mit der Vertrauenshaftung kombiniere und betone, dass sie „gegenüber der culpa in contrahendo keinen Gegensatz, sondern eine Konkretisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses darstellt“; Zitat bei Canaris unter Verweis (Fn. 39) auf Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 29. Aufl. 1995, § 347, Rn. 22. 855 Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 131; siehe auch Canaris, FS für Schimansky, 43, 49 ff., dort in Bezug auf die schadenersatzrechtliche Vertrauenshaftung im Gesetz. Zur Kritik an der dogmatischen Tragfähigkeit der Vertrauenshaftung etwa Müller, Auskunftshaftung, S. 112 ff. 856 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220; dort (Fn. 44) unter Hinweis auf Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 85 ff. In letzteren Beitrag betitelt Canaris (S. 84) die Zwischenüberschrift mit „Die Haftung für „Schutzpflichtverletzungen“ als „dritte Spur“ zwischen Delikts- und Vertragshaftung“. 857 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5. 858 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5. 859 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5; Hervorhebung bei Canaris. 860 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5; 521 ff.; Hervorhebung bei Canaris. 861 Canaris, Vertrauenshaftung, u. a. S. 6. 862 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5; Hervorhebung bei Canaris. 863 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5; Hervorhebungen bei Canaris.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Vertrauensschutzes eine weitere Präzisierung vor. Für die besonders einschlägigen Fälle führt er den Terminus der „Erklärungshaftung“ an.864 Unter Hinweis auf Tatbestände wie die des § 122 BGB, des § 179 Abs. 2 BGB oder auf einen Teil der Fälle der Lehre zur culpa in contrahendo macht Canaris den tragenden Grund der begründeten Einstandspflicht einmal darin aus, „daß jemand für die Folgen einer von ihm abgegebenen fehlerhaften Erklärung aufzukommen hat“865. Dabei kann es zum einen um den Gedanken der Haftung für das Setzen von Ungültigkeitsgründen einer Erklärung, die ausschließlich aus der Sphäre des Erklärenden stammen,866 gehen. Es kommt also ein Risikogedanke zum Tragen, wie er an §§ 122, 179 BGB beispielhaft deutlich wird.867 Es geht um eine Erklärungshaftung kraft Risikozurechnung.868 Sofern die Erklärungshaftung sich, beispielsweise über die culpa in contrahendo, mit dem Verschuldensprinzip verbindet,869 rückt ein anderer Gedanke in den Vordergrund. Hier kommen zugrunde liegende Schutzpflichten zum Tragen, die auf einem einheitlichen gesetzlichen „Schutzverhältnis“ beruhen.870 Der Rechtsgrund für dieses „Schutzverhältnis“ liegt in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen.871 Canaris platziert auch die Haftung für falsche Auskünfte innerhalb der Erklärungshaftung.872 In der Diskussion um die Haftung des Anwalts gegenüber Dritten innerhalb von Vertragsverhandlungen sind u. a. Stichworte wie Vertrauensinanspruchnahme eines Dritten von Relevanz. Letztere Aspekte werden von Canaris z. B. innerhalb der Grundzüge der Vertrauenshaftung wegen einer Schutzpflichtverletzung behandelt.873 Auch an anderer Stelle874 platziert er die Auskunftshaftung ausdrücklich in den Kontext der Schutzpflichten zum Schutze reiner Vermögensinteressen.
864 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532. Daneben weist Canaris für die culpa in contrahendo auf die „Anvertrauenshaftung“ hin, S. 539 ff. Dort geht es um die Aufgabe des Eingriffs- und Verletzungsschutzes, S. 540, für den exemplarisch der „Bananenschalenfall“ steht. 865 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532; Hervorhebung bei Canaris. 866 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 537. 867 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 534. 868 Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 171 f. 869 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 534. 870 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538; Hervorhebung bei Canaris. 871 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538; siehe auch Canaris, JZ 1965, 475, 478 ff. 872 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 533. 873 Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 173. 874 Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 90, 93.
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c) Vertrauenshaftung zwischen Vertrags- und Deliktshaftung Eingangs wurde bereits erwähnt, dass Canaris der Vertrauenshaftung die Stellung eines eigenen Rechtsinstituts zuweist, sie zudem, jedenfalls in Bezug auf die schadensersatzrechtliche Vertrauenshaftung, als „dritte Spur“ zwischen Vertragsund Deliktshaftung sieht.875 Dabei macht er namentlich in Bezug auf die schadensersatzrechtliche Vertrauenshaftung in ihr zwar grundsätzlich eine eigenständige Grundlage für Ansprüche auf Schadensersatz aus.876 Allerdings verwahrt er sich gegen Auffassungen, er trete für eine allgemeine Vertrauenshaftung ein.877 Vielmehr sieht Canaris für eine entsprechende Vertrauenshaftung unterschiedliche gesetzliche Anhaltspunkte, im Besonderen in den §§ 122, 179 Abs. 2 BGB sowie den §§ 307, 309, 663 BGB a. F.878 Letztere seien als Tatbestände der Vertrauenshaftung zu qualifizieren.879 So hat Canaris zwar in Ausarbeitung des Systems der Vertrauenshaftung allgemeine Merkmale der letzteren entwickelt.880 Diese allgemeinen Merkmale wurden jedoch als die charakteristischen sämtlicher Tatbestände der Vertrauenshaftung herausgearbeitet.881 Diese Tatbestände, die Canaris vor allem innerhalb seiner Monografie zur Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht zusammengestellt hat,882 fußen gerade auch in (vorhandenen) gesetzlichen Regelungen. Greift man die zuvor genannten Regelungen der §§ 122, 179 Abs. 2 BGB bzw. der §§ 307, 309, 663 BGB a. F. auf, so benennt Canaris sie zudem dafür, dass sich hier weder eine deliktsrechtliche Qualifikation anschließen könne noch eine Herleitung einer Schadensersatzpflicht aufgrund einer Vertragspflicht. Letztere scheitere schon daran, dass gerade kein wirksamer Vertrag vorliege.883 Eine Einordnung in die Vertrauenshaftung sei bei den genannten Vorschriften zwar nicht selbstverständlich, aber dogmatisch stimmig.884 In Bezug auf die §§ 122, 179 Abs. 2 BGB sowie § 307 BGB a. F. führt Canaris einmal den Wortlaut des Gesetzes an, der das Vertrauen selbst 875 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220, unter Hinweis auf (Fn. 44) 2. FS für Larenz (1983), 85 ff. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 43, spricht davon, die umfassende Systematisierung der Vertrauenshaftung als selbständige, von Vertrag und Delikt zu unterscheidender Form gesetzlicher Haftung durch Canaris sei unübertroffen. 876 Canaris, FS für Schimansky, 43, 49. 877 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220, unter Abwehr (Fn. 42) gegen Philippsen, Dritthaftung des privat beauftragten Gutachters, S. 220. 878 Canaris, FS für Schimansky, 43, 49. Kritik an der dogmatischen Tragfähigkeit der Vertrauenshaftung wiederum übend Müller, Auskunftshaftung, S. 112 ff.; u. a. erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Kritik, ob sich die negative Vertrauenshaftung aus dem Gesetz (u. a. §§ 122, 179 BGB) ableiten lasse (S. 113 f.). 879 Canaris, FS für Schimansky, 43, 51. 880 Siehe Canaris, Vertrauenshaftung, S. 491 ff. 881 So Canaris, Vertrauenshaftung, S. 490. 882 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 9 ff. 883 Canaris, FS für Schimansky, 43, 49. 884 Canaris, FS für Schimansky, 43, 50.
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tatbestandlich bezeichnet.885 Ein weiteres Argument ist mit Blick auf §§ 122 Abs. 2, 179 Abs. 3 BGB bzw. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. die dort verankerte Verknüpfung zum Prinzip des Gutglaubensschutzes.886 Nicht zuletzt, so Canaris, ordne das Gesetz den Ersatz des Vertrauensschadens an, was sich weder aus Delikt noch aus einem Vertragsbruch erklären lasse.887 Mit Blick auf die Nähe zu den §§ 122, 179 BGB und §§ 307, 309 BGB a. F.888 ist auch nochmals die bereits zuvor angeführte culpa in contrahendo und ihre Platzierung innerhalb der Vertrauenshaftung bei Canaris anzusprechen, wird sie doch als wegweisend hin zur Dritthaftung,889 nicht zuletzt bei der Auskunftshaftung, begriffen. d) Culpa in contrahendo und Vertrauenshaftung Canaris sieht die culpa in contrahendo890 der Vertrauenshaftung zugehörig. Die culpa in contrahendo selbst war gewohnheitsrechtlich anerkannt,891 ihre Platzierung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht sei, so Canaris, ebenfalls unbestreitbar892. Über den gesetzlich geregelten Anwendungsfall der culpa in contrahendo in §§ 307, 309 BGB a. F., der als Vertrauenshaftung zu qualifizieren sei,893 sei es ein kurzer Weg, Entsprechendes für das gesamte Institut der culpa in contrahendo anzunehmen894. Gerade wenn es um die culpa in contrahendo gehe, die eine Haftung für fehlerhafte Erklärungen begründe, sei eine Zuordnung zur Vertrauenshaftung überzeugend.895 Zum einen bestehe hier eine deutliche Nähe zu den §§ 122, 179 BGB, §§ 307, 309
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Canaris, FS für Schimansky, 43, 50. Canaris, FS für Schimansky, 43, 50 f., wobei Canaris diesem Prinzip nicht die Stellung einer notwendigen Voraussetzung für die Annahme einer Vertrauenshaftung einräumt, darin jedoch einen Anhaltspunkt ausmacht. Kritisch hinsichtlich dieses Arguments wiederum angesichts einer negativen Vertrauenshaftung Müller, Auskunftshaftung, S. 113. 887 Canaris, FS für Schimansky, 43, 51. 888 Canaris, FS für Schimansky, 43, 52. 889 Siehe etwa Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220 ff. 890 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die nachfolgenden Ausführungen sich, auch aufgrund der Quellenlage, auf die Zeit vor der Schuldrechtsreform von 2002 beziehen. Die Gedanken zur culpa in contrahendo werden später erneut innerhalb der Diskussion um § 311 Abs. 3 BGB (D. VII., S. 842 ff.) wieder aufgegriffen. 891 Darauf hinweisend Canaris, FS für Schimansky, 43, 51; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220. 892 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220. 893 Canaris, FS für Schimansky, 43, 51. 894 Canaris, FS für Schimansky, 43, 52. 895 Canaris, FS für Schimansky, 43, 52; problematischer, so Canaris, sei das, wenn es um die culpa-Haftung gehe, die aus der Verletzung von Schutz- und Einstandspflichten für Rechtsgüter wie Gesundheit und Eigentum herrühre (ebenda). 886
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BGB a. F., zum anderen stelle dort der Schutz des Vertrauens das primäre Gerechtigkeitsziel dar.896 Canaris’ Weg über die culpa in contrahendo als Teil der Vertrauenshaftung bietet den Vorteil des Rückgriffs auf ein anerkanntes Institut. Der Nutzen, nicht zuletzt bezüglich der „Anlehnung“ der Auskunftshaftung „an die Regeln der culpa in contrahendo“897, erschließt sich auch über die Auseinandersetzung mit der Kritik an diesem Vorgehen. Im Nachfolgenden sollen daher die wesentlichen Grundzüge des Vertrauensbegriffs bei Canaris und zentrale Angriffspunkte seiner Vertrauenshaftung aufgezeigt werden. Aus der kritischen Auseinandersetzung mit den einzelnen Komplexen sind dann Folgerungen hinsichtlich der Situation des Anwalts als Interessenvertreter insbesondere in der Vertragsverhandlung zu ziehen. e) Vertrauen aa) Problem der Fassbarkeit des „Vertrauens“ „Vertrauen“ ist eine zentrale Begrifflichkeit im Zusammenhang mit der Vertrauenshaftung, insgesamt wie auch bei dem Umgang einer Erklärungshaftung über das Institut der culpa in contrahendo. Sie ist aber ebenso ein zentraler Angriffspunkt, an dem Kritiker898 von Canaris sich festmachen. Köndgen, wie bereits angeführt, lehnte ein Rekurrieren auf Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens in den Auskunftsgeber mangels dogmatischer Operationalität ab.899 Jost grenzte sich ebenfalls bewusst von einer Vertrauenshaftung ab; „Vertrauen“ sei insbesondere nicht geeignet, zwischen rechtlich schützenswerten und nicht schützenswerten Vorstellungen zu unterscheiden.900 Canaris greift die Kritik am „Vertrauen“ auf.901 Er weist auf die notwendige Trennung zwischen dem Vertrauen als „realem, sozial-psychologisch faßbaren Phänomen einerseits und seiner rechtlichen Schutzwürdigkeit andererseits“902 hin,
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Canaris, FS für Schimansky, 43, 52. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 539; Hervorhebung bei Canaris. 898 Zur Entwicklung der Haftung auf das negative Interesse unter Hinweis auf die „Umwidmung“ der c.i.c. für die vorvertragliche Haftung Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 40 ff.; dort, S. 43, Rn. 106, auch der Hinweise auf eine Übersicht unterschiedlicher Meinungsstände bei Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 170 ff. 899 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356, unter Hinweis (Fn. 23) auf Canaris, Bankvertragsrecht, S. 581. 900 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254. 901 U. a. Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. 902 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. Siehe zu dieser Trennung auch bei Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 82. 897
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betont die Unterscheidung von faktischer und normativer Sichtweise903. Dabei versteht er unter der normativen Sichtweise904 die Frage, wann Vertrauen rechtlich schutzwürdig ist.905 Einem Vorgehen, welches versucht, „durch eine Analyse des Vertrauens als eines realen – psychologischen, sozialen oder ökonomischen – Phänomens zu rechtlich verwertbaren Einsichten zu gelangen“906, erteilt Canaris eine deutliche Absage.907 Maßgeblich könnten nur spezifisch juristische Wertungen sein, um die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auszumachen.908 Ein solch rechtlich schützenswertes Vertrauen, welches eine Vertrauenshaftung rechtfertigt, ist zwar ohne Vertrauen in tatsächlicher Sicht kaum vorstellbar.909 Canaris „verdichtet“ diese zuletzt genannte „Voraussetzung“, die er vor die eigentliche Bestimmung der Schutzwürdigkeit setzt, jedoch;910 er macht sie tatbestandlich fassbar. So es um den Bereich der Schadensersatzhaftung im Bereich der Vertrauenshaftung geht, muss der Geschützte, der Schadensersatz begehrt, zum einen einen Vertrauenstatbestand auf seiner Seite wissen und von diesem auch Kenntnis haben. Zum anderen muss der entsprechende Tatbestand kausal für das jeweilige Verhalten des Geschützten geworden sein.911 bb) Schaffung von Strukturen Die Bestimmung der jeweiligen (objektiven) Vertrauenstatbestände kann sich aus dem Gesetz ergeben, aber auch praeter legem im Wege der Rechtsfortbildung ge903 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. Kritisch in Bezug auf die Topoi von tatsächlich vorliegendem und „normativem“ Vertrauen Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 78 ff. 904 Zum so genannten normativen Vertrauen auch Sandmann, Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, S. 55. Kritisch zu einem typisierten bzw. normativen Vertrauensbegriff u. a. Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 79 f.; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 644, hinsichtlich einer Rechtsprechung, die auf typisches Vertrauen (Prospekthaftung) oder besonderes Vertrauen (Sachwalterhaftung) abstellt; damit sei Vertrauen zu einer Leerformel geworden. 905 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. Siehe auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 503 ff. 906 Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 195. 907 Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 195; dort (Fn. 310) hinweisend für die Annahme eines solches Phänomens auf Luhmann, Vertrauen – ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 3. Aufl. 1989; Ripperger, Ökonomik des Vertrauens, 1998. 908 Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 195. 909 Siehe Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. 910 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56 f. 911 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. In Auseinandersetzung mit Canaris dazu, dass mit „Vertrauen“ einerseits eine Kausalitätsbeschreibung der Abhängigkeit einer Disposition von der Mitteilung einer anderen Person gemeint ist, andererseits aber auch, dass der „Vertrauende“ mit der Auskunft bestimmte Vorstellungen verbindet, Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 80. Letzteres bezieht sich etwa darauf, dass Tatsachen richtig sind, oder Wertungen auf richtigen Tatsachen bzw. einem sorgfältigen Maßstab beruhen, Bohrer, ebenda.
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schehen.912 Ein solcher „Vertrauenstatbestand“ kann die „berufliche Stellung und die mit dieser verbundene(n) Autorität“ sein.913 Damit löst Canaris bereits hier, jedenfalls formal, das „Vertrauen“ aus einem psychologischen Kontext und führt es einer Verrechtlichung zu. Das Operieren (auch) mit rechtlichen Kategorien zeigt sich ebenso bei der von Canaris geforderten Kausalität zwischen Vertrauen und Verhalten des Geschützten (Disposition).914 Canaris fordert weiterhin nicht, dass Vertrauen als psychische Tatsache in jedem Fall positiv festzustellen ist.915 Im Fehlen von Misstrauen könne in vielen Fällen eine intensivere Form von Vertrauen liegen.916 Die innere Tatsache des Handelns aufgrund von Vertrauen bzw. aufgrund von Fehlen von Misstrauen macht er, da eine Erfassung schwierig sein kann, rechtlich handhabbarer, indem er bei dieser Voraussetzung für eine Beweislastumkehr oder eine Beweiserleichterung eintritt.917 Die schließlich in einem weiteren Schritt zu klärende Frage, ob das Vertrauen schutzwürdig ist, ist, das sei nochmals betont, für Canaris eine rein rechtliche, eine normative Frage.918 cc) Probleme der Umsetzung innerhalb von Vertragsverhandlungen etc. Canaris bietet so Strukturen, um Vertrauensabläufe (rechtlich) handhabbar zu machen. Wie schwierig gleichwohl auf diesem Weg die Verrechtlichung von „Vertrauen“ ist, zeigt sich jedoch bei der Anwendung dieser Strukturen auf die Vertragsverhandlungen, gerade wenn die bisher erarbeitete Rollenproblematik hinzugezogen wird. Denn innerhalb von Vertragsverhandlungen, aber auch innerhalb der späteren Vertragsdurchführung finden vielfach komplexe Abläufe statt, die sozial-psychologisch begründet sind. Auch wurzeln die Interessen, die mit Hilfe des 912
Canaris, FS für Schimansky, 43, 57. Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220. Zum „Berufsvertrauen“ als signifikantes Paradigma für eine Haftung aus c.i.c., Canaris, FS für Giger, 91, 107, Hervorhebung bei Canaris; siehe dort, S. 106, Fn. 47, auch den Verweis auf Ballerstedt, AcP 151 (1950), 519. Siehe ferner Lang, AcP 201 (2001), 451, 465, wonach man etwa auf das Rollenverhalten des aufklärungspflichtigen Berufsträgers abstellen und fragen könne, ob von diesem Vertrauen hervorgerufen werden könne, das heißt, ob ein so genannter Vertrauenstatbestand erzeugt werde. Zum berufsbezogenen Vertrauen im Kontext der Auskunftshaftung ebenfalls Lammel, AcP 179 (1979), 337, 365. 914 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 514 ff. 915 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. 916 Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. 917 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 507 ff.; 516; Canaris, FS für Schimansky, 43, 56. Zur Unterscheidung zwischen der subjektiven und der objektiven Theorie innerhalb der Vertrauenshaftung u. a. Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 72 ff. Den Unterschied zwischen der subjektiven Theorie (Vertrauen muss im konkreten Fall tatsächlich vorliegen) und der objektiven Theorie (typische Merkmale reichen aus) als groß ansehend Müller, Auskunftshaftung, S. 103 f. 918 Canaris, FS für Schimansky, 43, 57. 913
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Vertrags umgesetzt werden sollen, oftmals im sozial-psychologischen Bereich. Sie sollen einem rechtlichen Rahmen zugeführt werden. Der Mandant begegnet zudem dem eigenen Anwalt innerhalb eines eigenen „Vertrauensverhältnisses“, ist letzterer doch sein Interessenberater. Zwischen dem Anwalt und dem Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) wiederum entwickelt sich allein schon aufgrund der Kommunikation ein eigenes Verhältnis. Wie schwierig jedoch die Trennung des in den beschriebenen Situationen vorkommenden tatsächlichen Vertrauens im Canarisschen Sinn von dem von ihm als normativ bezeichneten Vertrauen ist, wird deutlich, wenn man die Ebenen Mandant – Anwalt und Dritter – Anwalt näher betrachtet. (1) Ebene Anwalt – Mandant In der Beziehung Mandant – Anwalt919 ist zunächst wiederum prägend, dass der Anwalt als Interessenvertreter handeln und agieren soll. Eben weil der Anwalt sich für die Mandanteninteressen, die häufig vielschichtig und motivational besetzt sind, einsetzen soll, sieht der Mandant in „seinem“ Anwalt in vielen Fällen eine Person, die gleichsam wie ein „Sozialarbeiter“ Ansprechpartner für alle Sorgen sein soll. Das hat nicht zuletzt die Diskussion um das Umgehen mit der Sach- und Beziehungsebene innerhalb der Kommunikation zwischen beiden gezeigt.920 Ein solches (Mandanten-)„Vertrauen“ wäre im Verständnis von Canaris rein tatsächlich und als solches grundsätzlich921 nicht von rechtlicher Bedeutung. Zugleich begründet die Interessenvertreterschaft allerdings, verlässt man die reine „Sozialarbeiterebene“, ein normatives Bindeglied zwischen Mandanten und Anwalt. Dieses besteht vor allem in dem Anwaltsvertrag (§§ 675 Abs. 1, 611 bzw. 631 BGB) zwischen beiden, wird zudem flankiert von berufsrechtlichen Regelungen (u. a. durch § 43a BRAO, Grundpflichten des Rechtsanwalts). Gerade diese normativen Elemente waren es auch, die für die Positionierung des Anwalts und den damit einhergehenden Rollenerwartungen, vor allem bei einer Herangehensweise nach Dahrendorf, bedeutend waren. Der Anwalt als Interessenvertreter nimmt einen festen Punkt im gesellschaftlichen Koordinatensystem922 ein. Anwaltsvertrag und Berufsrecht prägen die Rollenerwartungen der Bezugsgruppe „Mandant“.923 Allerdings steht der Mandant, eben wenn und weil er durch einen Vertrag mit seinem Anwalt verbunden ist, außerhalb der (normativen) Vertrauenskategorien von 919 Auch wenn es innerhalb des Abschnitts primär um die Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten (potentieller Vertragspartner des Mandanten) geht, ist für das Verständnis des Vertrauens zwischen Anwalt und Drittem ein Vorschalten der Ebene zwischen Anwalt und Mandant angezeigt. 920 Dazu etwa in Teil 2 B. II., S. 375 ff. 921 Sofern es nicht die Vorstufe zu einem normativen Vertrauen ist. 922 Siehe zum Koordinatensystem Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32. 923 Siehe auch Lammel, AcP 179 (1979), 337, 361 f., der bezüglich der gesellschaftsbezogenen Rolle des Anwalts u. a. auf die Regelungen der BRAO abstellt.
D. Juristische Haftungsansätze
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Canaris. Denn dazu gehören die Erwartungen, der Anwalt werde seine vertraglichen (haftungsbewährten) Pflichten erfüllen, nicht. Die Aussage von Picker, wonach der Grundsatz pacta sunt servanda „unzweifelhaft ein zur nicht mehr reflektierten Selbstverständlichkeit konsolidiertes Vertrauen schützt“,924 lehnt Canaris ab.925 Die Verbindlichkeit eines Vertrags, so Canaris, folge nach deutschem Recht grundsätzlich allein aus dem Prinzip der Privatautonomie und beruhe folglich darauf, dass die Parteien ihn in Geltung gesetzt hätten, nicht jedoch darauf, dass sie in irgendeiner Weise vertraut hätten.926 Das entspricht dem von Canaris eingeräumten Vorrang der vertraglichen Haftung vor der Vertrauenshaftung. Für eine Vertrauenshaftung bliebe zwischen Mandanten und Anwalt nur jenseits des vertraglich geregelten Bereichs Platz, z. B. im vor- oder ggf. nachvertaglichen Raum. Solche Überlegungen zeigen bereits, wie schwierig ein Operieren mit der Begrifflichkeit „Vertrauen“ sein kann. Denn man kann auch bei einer vertraglichen Bindung „Vertrauen“ in der Form entwickeln, dass es gerade nicht des Rückgriffs auf den juristischen Vertrag bedarf. Llewellyns Ausführungen haben u. a. verdeutlicht, dass für die Berücksichtigung entsprechender Abläufe auch ein Bedürfnis besteht. Man will den Vertrag „nur“ als „Versicherung“. Insofern erscheint es bereits an dieser Stelle zielführender, wieder davon zu sprechen, welche Erwartungen927 rechtlich schützenswert sind. Denn solche können, fährt man auf der Gedankenschiene Canaris’ fort, auch begründet sein, ohne ein vertragliches Bindeglied zwischen den Betroffenen auszumachen. (2) Ebene Anwalt – Dritter Diese Überlegungen setzen sich für die Beziehung zwischen Anwalt und Drittem (potentiellem Vertragspartner des Mandanten) fort. Faktisches Vertrauen kann auch dort aus unterschiedlichen Gründen vorhanden sein oder gebildet werden. Solche Gründe können darin liegen, dass der Dritte den Anwalt als Person kennt, das Vertrauen mit dessen Berufsstand verbindet,928 oder dieses aufgrund der Verhandlungsführung bildet.929 Damit ist nach Canaris zunächst wiederum nichts darüber ausgesagt, ob rechtlich schützenswertes Vertrauen begründet worden ist, allenfalls, dass tatsächliches als Vorstufe zu normativem Vertrauen geschaffen worden ist. 924
Picker, AcP 183 (1983), 369, 428. Canaris, FS für Schimansky, 43, 55; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 221, Fn. 50. 926 So Canaris, FS für Schimansky, 43, 55. Siehe ebenfalls Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 ff. 927 Zum Umgang mit der Begrifflichkeit der Erwartungen im Zusammenhang mit dem Vertrauensprinzip siehe auch bei Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 82 ff. 928 Lammel, AcP 179 (1979), 337, 362, spricht auch in Bezug auf den Anwalt von einem „offenen Berufsbild“, welches gesellschaftsbezogen sei im Sinne einer nicht ausschließlichen Bindung an den Vertragspartner. Später, S. 365, führt er das berufsbezogene Vertrauen in die besondere Sachkunde an. 929 Vgl. wieder Canaris, JZ 2001, 499, 521, zum Heraustreten aus der Rolle, z. B. der des Vertreters. 925
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Anders als im Verhältnis Mandant – Anwalt, wo der Anwaltsvertrag gleichsam „vertrauenssperrend“ wirkt, gibt es ein solches „Hindernis“ zwischen Drittem (potentiellem Vertragspartner des Mandanten) und Anwalt nicht. Insofern gilt es, will man dem Dritten einen Schadensersatzanspruch im Wege der Vertrauenshaftung gegenüber dem Anwalt etwa wegen falscher Auskünfte verschaffen,930 nach Vertrauenstatbeständen zu suchen, an die sich ein rechtlich schützenswertes Vertrauen anschließen kann. Hier wird wieder die berufliche Stellung bedeutsam, die nicht nur für ein tatsächliches Vertrauen relevant ist. Canaris sieht, das wurde auch schon zuvor herausgestellt, in der „berufliche(n) Stellung und die mit dieser verbundenen Autorität eine der wichtigsten Vertrauensgrundlagen, die es überhaupt gibt.“931 Gerade in diesem Zusammenhang sei die Kategorie der Berufshaftung förderlich.932 Ein Grund, warum diese Vertrauensgrundlage schützenswert ist, kann u. a. in § 1 BRAO,933 der Organstellung des Rechtsanwalts ausgemacht werden.934 Für die Ebene Anwalt – Dritter (potentieller Vertragspartner des Mandanten) und eine dort angelegte Auskunftshaftung ist noch ein Weiteres neben dem soeben aufgezeigten Vertrauenstatbestand zu beachten: Da es sich bei der Auskunftshaftung um eine Erklärungshaftung handelt, ist erforderlich, dass die jeweilige Auskunft an den Empfänger und damit potentiell Vertrauenden gerichtet ist.935 Dieses Erfordernis 930 Canaris, darauf sei nochmals hingewiesen, führt aus, die Auskunftshaftung sei grundsätzlich in die Vertrauenshaftung einzubeziehen und in Anlehnung an die c.i.c. zu lösen, dazu etwa Canaris, Vertrauenshaftung, S. 539; Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 93; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220. Die Haftung von Rechtsanwälten sei weitgehend ein Unterfall der Auskunftshaftung, so Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 94, dort auch dazu, mit einer Fortentwicklung der Vertrauenshaftung Dritter aus c.i.c. zu argumentierten. Notwendig seien aber eben die Voraussetzungen der Vertrauenshaftung in ihrer Ausprägung in Form der Erklärungshaftung (ebenda). Zur Kombination der Berufshaftung mit der Vertrauenshaftung Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 219 f., unter Verweis (Fn. 39) u. a. auf Heymann/Horn, HGB, 1990, § 347, Rn. 64; MKBGB/Kramer, 3. Aufl. (1994), Einleitung vor § 241, Rn. 34a und 77a. Zurückhaltender in Bezug auf die Auskunftshaftung Dritter für falsche Auskünfte Canaris, FS für Giger, 91, 117. 931 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220. 932 Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 219 f. Siehe auch die vorletzte Fußnote. 933 Vgl. Lammel, AcP 179 (1979), 337, 362. 934 Für die Fälle der Dritthaftung aus culpa in contrahendo entwickelte Canaris als Erfordernis der Gleichstellung Dritter zur eigentlichen Vertragspartei eine Prüfung anhand des Maßstabs von Täterschaft und Teilnahme; dazu etwa Canaris, FS für Giger, S. 91, 101 ff. An anderer Stelle [ZHR 163 (1999), 206, 225] weist Canaris darauf hin, dass das Merkmal der „persönlichen Gewähr“ ein dogmatisch überzeugungskräftiges als auch praktisch einigermaßen handhabbares Kriterium sei, um die haftenden „Täter“ von den haftungsfreien „Gehilfen“ abzugrenzen. 935 Dazu Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 95. Vgl. ebenso Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575, 619, zur Richtungsbedürftigkeit. Siehe auch Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 125 ff.; Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 294; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 255 ff. Vgl. ferner Stoll, FS für Flume, 741, 768, der der „Richtungsbedürftigkeit“ zustimmt, allerdings ausführt, dass die „Richtung“ der Auskunft sich allein aus dem damit verbundenden Einstandsversprechen ergebe und ergeben könne. Stoll macht seine Überlegungen gerade im
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stellt innerhalb von Vertragsverhandlungen mit unmittelbarem kommunikativem Kontakt zwischen Anwalt und Drittem in der Regel kein Problem dar, insbesondere wenn eine (direkte) Anfrage durch den Dritten erfolgt. f) Ubiquität Eng mit der Kritik, die sich an der Begrifflichkeit des „Vertrauens“ festmacht, verbunden ist ein weiterer immer wieder vorgebrachter Aspekt, der der bereits angesprochenen Ubiquität des Vertrauensgedankens936. Schon innerhalb der Auseinandersetzung um den Vertrauensbegriff wurde deutlich, dass ein sozialpsychologisch geprägtes oder soziologisch verstandenes Vertrauen grundsätzlich weit gefasst sein kann. Nach Canaris selbst ist ein tatsächliches Vertrauen dem normativen Vertrauen (stets) vorgelagert. Mit diesem tatsächlichen Vertrauen kann man „Weite“ und insoweit auch schon Ubiquität verbinden. Gerade die Feststellung, wann nicht mehr nur von tatsächlichem, sondern (schon) von normativem und weitergehend letztlich von schützenswertem Vertrauen gesprochen werden kann, war allerdings das angestrebte Ziel von Canaris. Innerhalb der Diskussion um die Begrifflichkeit des „Vertrauens“ zuvor wurde schließlich eine stärkere Fokussierung auf die „Erwartung“ befürwortet. Diese Überlegung kann nochmals verstärkt werden. aa) Vertrauen als Spezifikum in verschiedenen Haftungsformen Vor allem, weil „Vertrauen“ als weitreichendes sozialpsychologisches und soziologisches Phänomen begriffen werden kann, wurde937 der Gedanke der Ubiquität der Vertrauenshaftung als eigenständiger „dritter Spur“ zwischen Vertrags- und Deliktshaftung jedoch noch aus einem anderen Blickwinkel heraus entgegengehalten. Vertrauen sei ein Moment, welches sowohl bei der Vertrags-, der Delikts- wie auch der quasi-vertraglichen Haftung vorhanden sei.938 Folglich könne das entsprechende Element kein Spezifikum einer bestimmten Haftungsform sein, weshalb
Kontext eines Vertrauensschutzes bei einseitigen Leistungsversprechen. Letztere, so Stoll, S. 741, würden einen besonderen, nicht rechtsgeschäftlichen Haftungstatbestand schaffen, sofern durch solche Versprechen Vertrauen in Anspruch genommen werde. Kritisch zu Stoll und einer „Kategorie einer Vertrauenshaftung bei einseitigen Leistungsversprechen“ Canaris im Kontext mit der Auskunftshaftung. Auch bei dem Ansatz von Stoll würde ein Bindungswille unterstellt; es gehe aber um die Abgabe einer tatsächlichen Erklärung, Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 94, unter Bezugnahme (Fn. 218) auf Stoll, FS für Flume, S. 741 ff., 764 ff. 936 Siehe etwa Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 98; Philippsen, Dritthaftung des privat beauftragten Gutachters, S. 220 f.; Picker, JZ 1987, 1041, 1046. Sich mit der Kritik differenziert auseinandersetzend Singer, 2. FS für Canaris (2017), 425, 446 ff. 937 Vgl. aber die Ausführungen im nächsten Abschnitt dazu, dass, wie § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zeigt, nunmehr der Vertrauensgedanke anerkannt ist. 938 Picker, JZ 1987, 1041, 1046.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
das Problem, wann relevantes Vertrauen anzunehmen sei, weiterhin nicht gelöst sei.939 Canaris stellt sich der Kritik und begegnet ihr in mehrfacher Weise. Zunächst stellt er keineswegs in Frage, dass dem Prinzip des Vertrauensschutzes etwa auch innerhalb der Vertrags- und Deliktshaftung Bedeutung zukommen kann.940 Gleichwohl sieht er jedoch deutliche Unterschiede zwischen der Vertrauenshaftung einerseits und der Bedeutung des Vertrauens in sonstigen Haftungssträngen andererseits. In Bezug auf die vertrauensrechtliche Schadensersatzhaftung gebe das Gesetz mit den §§ 122, 179 Abs. 2 BGB, § 307 BGB a. F. modellartig vor, dass in terminologischer Sicht die (negative) Vertrauenshaftung nur Rechtsfiguren erfasse, die strukturell mit den genannten Regelungen vergleichbar seien.941 Zudem bilde die entsprechende positivrechtliche Grundlage die Basis für die Vertrauenshaftung ex lege sowie im Weiteren den Ausgangspunkt für die Fortbildung praeter legem.942 Canaris betont somit die Verankerung gerade einer Vertrauenshaftung eines bestimmten Modells im Gesetz, die einer strukturellen Beliebigkeit entgegensteht. Bereits das spreche gegen die Ubiquität. Das hier von Canaris angeführte dogmatische Argument stellt heraus, dass der Gesetzgeber eine Haftung kennt, die tatbestandlich an Vertrauen anknüpft,943 allerdings weder einen wirksamen Vertrag noch die Verwirklichung eines Delikts voraussetzt.944 bb) Vertrauensgedanke als konstituierendes Prinzip Trotz dieses dogmatischen Arguments zeigt sich die besondere Schwierigkeit des Umgangs mit dem Ubiquitätsvorwurf, gepaart erneut mit der spezifischen Begrifflichkeit des Vertrauens, vor allem in dem Zusammenhang, ob überhaupt von Ubiquität die Rede sein kann945. So tritt Canaris dem Vorliegen der Ubiquität des Vertrauensgedankens mit dem Argument entgegen, Vertrauenshaftung sei nur anzunehmen, wenn der Vertrauensgedanke konstituierendes Prinzip, die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen folglich eine notwendige Haftungsvoraussetzung sei.946 Hier ergibt sich zum einen wiederum die bereits angesprochene Problematik der begrifflichen Fassbarkeit von „Vertrauen“. Es bedarf der Auseinandersetzung damit, 939
Picker, JZ 1987, 1041, 1046. Canaris, FS Schimansky, 43, 53. 941 Canaris, FS Schimansky, 43, 54. Gerade die Kritik darstellend, dass die negative Vertrauenshaftung sich nicht aus dem Gesetz ableiten lasse, Müller, Auskunftshaftung, S. 113 ff. Siehe auch die Darstellung bei Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 43 ff. 942 Canaris, FS Schimansky, 43, 54. 943 Siehe auch noch später zu § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB (D. VII., dort S. 849 ff.). 944 Siehe gerade dazu auch noch die späteren Ausführungen zu § 311 Abs. 3 BGB. 945 Zu letzterem Ansatz Canaris, FS Schimansky, 43, 55. 946 Canaris, FS Schimansky, 43, 55. 940
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ob, wie Canaris ausführt, der Vertrauensgedanke nicht ubiquitär ist, weil er im Vertrags- und Deliktsrecht zwar durchaus anzutreffen sei, dort allerdings nur eine ergänzende, nicht jedoch eine konstituierende Rolle einnehme.947 Das wird hier unter Ausrichtung auf den Vertrag zu erläutern sein. cc) Vertrauensgedanke und Vertrag Für die vertragliche Haftung ist es zunächst zutreffend, dass es für eine entsprechende Haftung darauf ankommt, ob der Vertrag von den Parteien in Geltung gesetzt worden ist. Gerade der Vertrag, und dabei im Besonderen auch der Weg zum Vertragsschluss, zeigen aber auf der anderen Seite, dass die Ubiquität von Vertrauen vor allem im Kontext mit dem Auskunft erteilenden Anwalt innerhalb von Vertragsanbahnung/-verhandlung in besondere Weise von Bedeutung sein kann. Auf dem Weg kann dann ggf. einerseits Kritik an Canaris’ Vorgehen geübt werden, andererseits jedoch auch eine Bestärkung seiner Ergebnisse erfolgen, die im weiteren Verlauf nutzbar zu machen sind. Um dies zu verdeutlichen, ist zwischen dem von den Parteien zu schließenden Vertrag einerseits und der Bedeutung des Vertragsgestalters andererseits zu trennen. (1) Zu schließender Vertrag Die Vertragsgestaltung zeigt, dass im Vertragsrecht dem „Vertrauensgedanken“ oder besser den gegenseitigen Erwartungsströmen, durchaus eine Bedeutung zukommt. Diese liegt ggf. oftmals jenseits von im Einzelnen erfolgter, im engeren Sinn haftungsbegründender Erfassung. Primär sind zwar die vereinbarten Vertragspflichten relevant. Bei ihnen kann im Zweifel auf die rechtliche Durchsetzbarkeit gepocht werden; „Vertrauen“ bedarf es insoweit nicht.948 Bedeutung haben „Erwartungsströme“ darüber hinaus jedoch in einer Weise, die für das Verständnis des (Vertrags-)Rechts und seiner Anwendung von Wichtigkeit ist. Das gilt im Besonderen für die hier interessierende gestalterische Anwendung. „Vertrauen“, welches (auch) in weiten Teilen soziologisch begriffen werden kann,949 kann man durchaus als „sozialen Schmierstoff“ im täglichen Miteinander der Parteien ausmachen. Zu beachten ist ferner, dass, wie die Untersuchung um die (rechts-)soziologische Bedeutung des Vertrags gezeigt hat, es in vielen Fällen soziale Abläufe sind, die den Ausgangspunkt und den Grund für rechtliche (Vertrags-)Regelungen bilden. Dabei geht es keineswegs nur um das tatsächliche Vertrauen, das nach Canaris dem normativen vorgelagert ist. Es sollen/müssen bestehende gesetzliche Regelungen, etwa die des Vertragsrechts, in den notwendigen sozialen Kontext gestellt werden.
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gen. 949
Vgl. Canaris, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 129, 193. Hier kommt wiederum der von Llewellyn geprägte „Versicherungsgedanke“ zum TraSiehe Endress, Vertrauen, 2002; Luhmann, Vertrauen, 2000.
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Wie das geschieht und warum das notwendig ist, zeigt sich vor allem für die Phase der Vertragsverhandlung. Dort gilt es, insbesondere bei komplexeren Verträgen, über ausführlichere Vertragsverhandlungen, in der Regel „Vertrauensströme“, oder besser „Erwartungshaltungen“, der Parteien aufzunehmen, sie zu kanalisieren. Das geschieht mitunter durch ein „role-making“ zwischen den Parteien, durchaus im Sinne einer „Neukreation“ von Erwartungen. Diese werden aber flankiert oder u. U. sogar überwiegend geprägt durch bestimmte Rollenerwartungen, die vielfach „vorgefertigt“ sind. Hier kann erneut auf die Vertragstypen als Muster von Rollenerwartungen verwiesen werden. Letzteres gilt vor allem für „einfache“ Vertragsbeziehungen. Das Vertragsrecht formt nicht zuletzt Erwartungen und hat damit Einfluss auf das „Vertrauen“. Man kann also sagen, „Formung von Vertrauen“ (Erwartungen) ist durchaus bedeutend für das, was Vertragsrecht leistet, wofür es der Gestalter aber gerade auch einsetzen kann. Zwar könnte man immer noch anführen, das so mitgeprägte Vertrauen sei letztlich ein tatsächliches Vertrauen, es komme aber darauf an, dass der Vertrag in Geltung gesetzt werde, juristische Kategorien also zum Zuge kämen. Danach wäre nicht bedeutsam, auf was der einzelne Vertragspartner aufgrund eines bestimmten geschlossenen Vertragstypus „vertraut“. Entscheidend wäre sein Bewusstsein, dass die vertraglichen Pflichten, weil ein juristischer Vertrag in Geltung gesetzt worden ist, auch (mit Zwang) durchgesetzt werden könnten. Ein solcher Gedanke blendet jedoch aus, wie (Vertrags-)Recht auch auf anderer Ebene vertrauens- und damit erwartungsfördernd sein kann. Denn selbst wenn das Vertrauen (die Erwartung), dass jemand seinen Vertragspflichten nachkommt, im engeren Sinn nicht konstituierend für die Vertragshaftung ist, zeigen doch der Vertrag, seine Entwicklung, seine Gestaltung, dass Recht dort nicht aus den gesellschaftlichen und sozialen Abläufen herausgelöst werden kann/werden darf. Recht darf nicht isoliert von dem, was es leisten soll oder muss, gestellt werden, da dies schlussendlich ein Beitrag zu seiner Sinnentleerung wäre. Verständnis und Funktion des (juristischen) Vertrags erschließen sich nur unter Öffnung (auch) hin zu Vertrauensabläufen/Erwartungsströmen. Das zeigt sich im Besonderen an der Vertragsgestaltung. Dort geht es um die Umsetzung von Interessen. Die einzelne Vertragspartei erwartet („vertraut“) in der Regel, dass das durch den abzuschließenden Vertrag geschehen soll. Die meisten anwaltlichen Beratungen wären zum Scheitern verurteilt, wenn man dort den Mandanten darauf hinweisen würde, der Vertrag würde insbesondere von der anderen Seite ausschließlich eingehalten, weil die jeweiligen Pflichten im Klageweg durchgesetzt werden könnten. Kaum eine potentielle Vertragspartei würde vor dem Erwartungshorizont auf die Vertragsdurchführung „vertrauen“. Der Vertrag als Mittel der Arbeitsteilung, wie Durkheim ihn beschrieb, wäre nicht vorstellbar. Der Vertrag als Mittel des gesellschaftlichen Miteinanders wäre nicht existent. Die vorherrschende Haltung wäre dann ein ständiges Misstrauen. Selbstverständlich soll nicht geleugnet werden, dass die (juristische) Ingeltungsetzung des Vertrags notwendig ist. Notwendig ist deshalb grundsätzlich auch die Klagbarkeit der Vertragspflichten, die Einbindung des möglichen Einsatzes des staatlichen Zwangsapparats in die anwaltlichen Überlegungen. Diese Überlegungen
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stehen jedoch nicht in einem „Entweder-oder-Verhältnis“ zu den soeben gemachten Vertrauensausführungen. Vielmehr wird mit ihnen eine andere Vertrauens- oder besser Erwartungsebene eröffnet. Es geht nunmehr um das Vertragsrecht, die Vertragshaftung als eine Form der „Risikoplanung“950. Gernhuber macht zu Recht geltend, die gesamte Vertragshaftung könne auf enttäuschtes Vertrauen zurückgeführt werden.951 Auch Jost, der statt des Vertrauens eben den Begriff der Erwartungen verwendet, führt aus, „(…) (a)uf ein bestimmtes zukünftiges Verhalten seines Gegenübers bezogene Erwartungen, die rechtliche Absicherung verdienen, vermögen letztlich sogar die Grundlage für das insofern formalisierte Vertragsrecht abzugeben.“952 Schließlich zeigt zusätzlich zu den soeben gemachten Ausführungen im Weiteren die Denkweise des gestaltenden Juristen, in welcher notwendigen Wechselwirkung das Arbeiten mit (tatsächlichem) Vertrauen und dem (einklagbaren) Vertragsrecht steht. Es ist häufig der Wunsch des Mandanten, gelebtes, erarbeitetes oder beabsichtigtes (tatsächliches) „Vertrauen“ in einem Vertrag niederzulegen, vorzugsweise ohne zukünftige rechtliche Konflikte. Gleichwohl möchte er in aller Regel sein Vertrauen, seine Erwartungen „absichern“. Hier tritt wiederum das zu Tage, was Llewellyn als „insurance“ beschrieb. Das Vertragsrecht ist dann gleichsam das „Angebot“ des Rechts, solches Vertrauen vor Enttäuschung abzusichern. Das Vertragsrecht kann also auch als ein „Angebot“ in dem Sinn verstanden werden, wonach man „vertrauen“ darf,953 eben weil ein Vertragsrecht vorhanden ist. Man kann sogar sagen, dass hier das Vertrauen von einer besonderen Intensität ist.
950 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4, nimmt in Anschluss an Macneil, Southern Californian Law Review 48 (1975), 627, 639 f., eine bereits zuvor erwähnte Trennung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung vor. Erfüllungsplanung sei die Verwirklichung der Sachziele. Die Risikoplanung betreffe die Vertragsplanung gegen das Risiko von Verlusten (Kosten) bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung. 951 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 8 I 6, S. 179; dem folgend etwa Philippsen, Dritthaftung des privat beauftragten Gutachters, S. 221. 952 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 122. 953 Man muss freilich nicht vertrauen. Der einzelne Vertragspartner kann auch von vornherein die Haltung einnehmen, es werde bei der Vertragsdurchführung ohnehin zum (rechtlichen) Konflikt kommen. Es ist allerdings schwerlich vorstellbar, warum man sich bewusst dieser Situation aussetzen sollte. Der Umgang mit einem Vertrauendürfen findet sich gerade innerhalb des Zusammenhangs, ob für eine Vertrauenshaftung tatsächliches Vertrauen erforderlich ist, oder eben ein normatives Vertrauendürfen. Siehe dazu etwa Koch, AcP 204 (2004), 59, 75, unter Verweis auf BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242. Für ein Festmachen des Vertrauens an einem von äußeren Merkmalen abhängigen Vertrauenstatbestand unter Außerachtlassung eines subjektiv vorhandenen Vertrauens siehe außerdem u. a. Ballerstedt, AcP 151, 501, 506 ff. (zum vertrauen Dürfen). Siehe ferner Canaris, Vertrauenshaftung, S. 491 ff.; Flume, AcP 161 (1962), 52, 63, spricht von einer Rechtsfolge kraft rechtlicher Wertung eines Verhaltens; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 116; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 405; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 233, die aber ausführt, es sei keineswegs der Frage, ob subjektiv vertraut worden sei, jede Bedeutung genommen.
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Die Auseinandersetzung um die Abläufe in der Vertragsgestaltung sprechen einerseits, u. a. aufgrund der Platzierung des „Vertrauens“ im Vertragsrecht, dafür, die Vertrauenshaftung nicht zu einem (selbständigen) Rechtsinstitut zu erheben, der Kritik an Canaris insoweit also zu folgen. Allerdings, und auch das macht der gestalterische/planerische Umgang mit dem Vertragsrecht deutlich, kann sich ebenfalls die Frage ergeben, ob nicht gerade der Umgang mit „Vertrauensströmen“ im Kontext mit dem Vertragsrecht beispielhaft aufzeigt, was Canaris mit dem konstituierenden Prinzip der Vertrauenshaftung meint. Es geht darum, dass der maßgebliche Anknüpfungspunkt die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen ist. Das zeigt sich, wenn man den Fokus auf den Verhandelnden/den Gestalter richtet, der mit dem im Vertragsrecht angelegten „Vertrauen“ „arbeitet“. Das erfordert eine andere Herangehensweise, die wiederum die „Rechtfertigung“ einer Vertrauenshaftung (mit) erklären könnte. (2) Bedeutung des Vertragsgestalters (als Verhandelnder) Es sind gerade die soeben aufgezeigten Abläufe, die im Übrigen Auskünfte (Ratschläge, Empfehlungen) eines Anwalts gegenüber einem Dritten vor allem innerhalb von den eigentlichen Vertragsverhandlungen954 unter einem besonderen Aspekt als beachtenswert erscheinen lassen. Wie dem (eigenen) Mandanten wird es dem Dritten (potentiellen Vertragspartner des Mandanten) vielfach darum gehen, mittels des Vertrags (konfliktfreie) Lösungen für seine Interessenumsetzung zu erreichen, aber ggf. auch eine „Versicherung“ zu erlangen. Setzt er entsprechende Erwartungen in einen Vertrag (Vertragsrecht), sind vor allem rechtliche Informationen (z. B. allgemeine Rechtsauskünfte) von Relevanz. Der Auskunft gebende Anwalt kann also in besonderer Weise Einfluss darauf nehmen, in welcher Art vom Dritten der Vertrag als Lösung verstanden wird;955 er kann Erwartungen „kanalisieren“. Beispielhaft sei nur die Erläuterung von Rechtsbegriffen genannt, die (mit) entscheidend dafür sein können, welchen Inhalt der Dritte dem Vertrag zumisst. Die 954
Diese sollen ja zu einem Vertragsschluss führen. An dieser Stelle zeigt sich auch im Besonderen, dass der verhandelnde und im Rahmen dessen Auskunft gebende Anwalt im Canarisschen Sinn „Täter“ sein kann. Zur Eingrenzung einer Dritthaftung aufgrund von culpa in contrahendo forderte Canaris „Tatherrschaft“. Eine solche nimmt er in Bezug auf den „Vertreter“ an, wenn dieser im Rahmen eines rechtsgeschäftlichen Kontakts einen eigenen Vertrauenstatbestand gegen sich selbst setze, somit im Sinne von § 25 Abs. 1 StGB die Tat „selbst“ begehe; so Canaris, FS für Giger, 91, 101. Sachgerecht, so Canaris, FS für Giger, 91, 101 f., sei dieses Ergebnis deshalb, weil der Stellvertreter in solchen Fällen in einer Weise am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilnehme, die der Rolle einer Vertragspartei auf engste verwandt sei. Das werde besonders gut daran deutlich, dass die Grenze zu einem konkludent geschlossenen echten Auskunftsvertrag oft haarfein sei und die Lösung der Problematik mit Hilfe dieser Konstruktion keineswegs immer eine Fiktion darstelle. Entsprechende Überlegungen zur Täterschaft des Anwalts müssen aber auch greifen, wenn der Anwalt „nur“ für den Mandanten verhandelt; auch hier ist die Grenze zum Auskunftsvertrag „haarfein“, das hat sich u. a. in der Auseinandersetzung um den stillschweigenden Auskunftsvertrag gezeigt. 955
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Bedeutung des Vertrags(rechts) für Erwartungen („Vertrauen“) des Dritten in Bezug auf den Vertrag selbst hat damit ggf. auch Auswirkungen auf die Beurteilung von Erwartungen, die der Dritte an den Auskunft erteilenden Anwalt hat. Das wirft dann wieder die von Canaris formulierte Voraussetzung auf, ob hier nicht gerade der Bereich von Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen eröffnet ist. Das sind Fragen, die, will man nicht auf die Vertragsfiktion zurückgreifen, das Vertragsrecht nicht beantwortet. Sie stellen sich u. a. in der Vertragsverhandlung unmittelbar und lassen sich über eine Haftung, konstituierend auf einem Vertrauenstatbestand, als konsequent folgend darstellen. 3. Resümee und Folgerungen Mit Blick auf Vertragsverhandlung/-gestaltung folgen aus der bisherigen Auseinandersetzung um Canaris mehrere Erkenntnisse: Im Anschluss an die Überlegungen zur Ubiquität kann aufgrund der dortigen Ausführungen zum Vertrauensgedanken im Vertragsrecht zwar durchaus die Kritik an Canaris nachvollzogen werden, wonach eine Vertrauenshaftung als „dritte Spur“ abzulehnen ist. Das insoweit vorgebrachte Argument bestand u. a. darin, dass Vertrauen kein besonderes Kennzeichen gerade eines Rechtsbereichs ist.956 Demgegenüber ist aber auch das Abstellen auf Vertrauen als konstituierendes Prinzip schlüssig und nachvollziehbar. Zutreffend ist zudem, dass es seit langem eine Vertrauenshaftung jedenfalls in bestimmten gesetzlichen Normen (z. B. §§ 122, 179 BGB) gab und gibt. Ob für das hergebrachte Rechtsinstitut der culpa in contrahendo, wo Canaris u. a. die Auskunftshaftung anlehnt, der Vertrauensgedanke als von tragender Bedeutung anzuerkennen war,957 muss hier nicht entschieden werden. Für den Bereich der Dritthaftung „(hat) (…) (d)as Gesetz sich (…) (mit § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB) zum Konzept der Vertrauenshaftung bekannt. Es ist (…) nicht der Raum, die Diskussion über die Vertrauenshaftung (…) und deren Leistungsfähigkeit als überwölbendes dogmatisches Konzept zu diskutieren – de lege lata ist diese Frage für den hier interessierenden Bereich durch § 311 Abs. 3 S. 2 BGB entschieden.“958
Dem soll im Anschluss gefolgt werden. Daraus ergibt sich auch, wesentliche Erkenntnisse, die Canaris zur Vertrauenshaftung entwickelt hat, dort zu nutzen.
956 U. a. dazu Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 98; Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 80 ff.; Picker, JZ 1987, 1041, 1046. 957 Dazu Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 8 I 6 b) (S. 178 f.). 958 So Faust, AcP 210 (2010), 555, 562; Hervorhebung bei Faust. Bei Faust (Fn. 19) auch der Verweis auf Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 128, 168 f.; Koch, AcP 204 (2004), 59, 70.
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VII. § 311 Abs. 3 BGB – Gesetzlicher Lösungsansatz für die Auskunftshaftung oder Sammelbecken alter Probleme? 1. Einführung Wurde einem Rechtsinstitut der Vertrauenshaftung und einer dort angesiedelten Positionierung der Auskunftshaftung auch verschiedene Kritik entgegengebracht, bot die Vertrauenshaftung959 doch (weitere) unterschiedliche Erkenntnisse für das Problem der Haftung des Anwalts für Auskünfte, die es fortzuführen gilt. Das muss vor allem vor dem Hintergrund des durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2001960 geschaffenen § 311 Abs. 2 und 3 BGB geschehen. So sei nochmals betont, dass mit der Aufnahme des „Vertrauens“ in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zum Ausdruck kommt, dass der Gesetzgeber sich, jedenfalls in dem dort erfassten Bereich, „zum Konzept der Vertrauenshaftung bekannt“961 hat. a) Aufnahme der Dritthaftung in das BGB Gerade im § 311 Abs. 3 BGB wird insbesondere von Teilen der Literatur in Verbindung mit § 280 Abs. 1 BGB die Grundlage bzw. der Maßstab dafür gesehen, ob es zu einer Haftung für falsche Auskünfte gegenüber einem Dritten kommen kann.962 Das gilt nicht zuletzt für das Verhältnis von Anwalt und Drittem (Nichtmandanten).963 Ob der § 311 Abs. 3 BGB tatsächlich eine Lösung bietet oder aber letztlich „nur“ ein Sammelbecken alter Probleme im Bereich der Auskunftshaftung darstellt, bedarf der näheren Untersuchung von Regelungszweck und -bereich der Norm sowie ihrer Voraussetzungen. 959
Wie im Übrigen auch die anderen Ansätze. BGBl. I S. 3138. 961 So Faust, AcP 210 (2010), 555, 562; siehe auch Koch, AcP 204 (2004), 59, 70, zur Fixierung der Inanspruchnahme von Vertrauen als Haftungsgrundlage; siehe insoweit ebenfalls Canaris, JZ 2001, 499, 520; Lang, AcP 201 (2001), 451, 464, wonach unter Bezugnahme auf § 311 Abs. 3 BGB-RE deutlich werde, dass der Begriff des „Vertrauens“ beim Gesetzgeber hoch im Kurs stehe. 962 Dazu u. a. Faust, AcP 210, (2010), 555, 567 ff.; Koch, AcP 204 (2004), 59, 70 ff.; wohl auch Berger, ZBB 2001, 238, 246. Das ist keinesfalls unumstritten. Zurückhaltend z. B. BeckOK-BGB/Sutchet, BGB, § 311, Rn. 128, der für eine allgemeine Vertrauenshaftung über § 311 Abs. 3 BGB im Bereich der Berufshaftung keinen Anlass sieht. 963 Siehe Fahrendorf/Mennemeyer/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, Kap. 1, Rn. 396, 400 f.; vgl. auch Fischer u. a./D. Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, § 11, Rn. 8, unter Verweis (Fn. 13) auf Koch, AcP 204 (2004), 59 ff., 69 ff. Kritisch Vollkommer/Greger/ Heinemann/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 5, Rn. 36 f., der allerdings mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung sowie die gesetzliche Neufassung bestimmte Anwendungsgebiete für möglich ansieht, etwa im Bereich der Third Party Legal Opinion. Zurückhaltend bis kritisch zu einer aus c.i.c. abgeleiteten Haftung des Anwalts gegenüber einem Dritten Borgmann/ Jungk/Schwaiger/Jungk Anwaltshaftung, § 32, Rn. 18 ff. 960
D. Juristische Haftungsansätze
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§ 311 BGB normiert unterschiedliche Entstehungsgründe für Schuldverhältnisse, welche rechtsgeschäftlich oder rechtsgeschäftsähnlich sein können. § 311 Abs. 1 BGB betrifft die rechtsgeschäftliche Begründung. § 311 Abs. 2 BGB enthält die Gesetz gewordene Normierung der „klassischen“ Fälle der culpa in contrahendo.964 § 311 Abs. 3 BGB schließlich bestimmt die Möglichkeit der Begründung eines Schuldverhältnisses zwischen Personen, die nicht Vertragsparteien sind und auch nicht werden sollen. Ein solches Vorgehen war als Eröffnung einer Dritthaftung über das Institut der culpa in contrahendo sehr wohl bekannt.965 Ob mit § 311 Abs. 3 BGB allerdings gerade die (frühere) culpa in contrahendo für die Einbeziehung eines Dritten966 normiert,967 oder ob nicht vielmehr ein eigenständigerer Ansatz als Basis für eine Dritthaftung geschaffen werden sollte, ist nicht unumstritten. Namentlich Kersting968 betont u. a. unter Hinweis auf den Aufbau des § 311 BGB in drei zu unterscheidende Absätze die Normierung eines rechtsgeschäftsähnlichen Drittschuldverhältnisses in Abs. 3 zu einem eigenständigen Rechtsinstitut.969 Demgegenüber halten weite Teile der Literatur an der grundsätzlichen Einbindung des Drittschuldverhältnisses in Abs. 3 in die bisherige culpa in contrahendo fest, sehen also § 311 Abs. 2 und 3 BGB als gesetzliche Fixierung der früheren Lehre zur culpa in contrahendo.970 Dafür spricht die Gesetzgebungsgeschichte. So wies Emmerich971 964 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 123. Zur Normierung der früheren Lehre zur culpa in contrahendo in § 311 Abs. 2 BGB u. a. Erman/ Diekmann, BGB, § 311, Rn. 17; HK-BGB/Fries/Schulze, § 311, Rn. 1; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 11. 965 Siehe u. a. Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 93 ff.; Canaris, JZ 1998, 603, 605 f.; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220 ff. Zur historischen Entwicklung der Dritthaftung nach § 311 Abs. 3 BGB Faust, AcP 210 (2010), 555, 561 f. 966 Bisher wurde in Teil 4 – den Begrifflichkeiten innerhalb der Dritthaftung des Anwalts folgend – derjenige als Dritter bezeichnet, der nicht Mandant des Anwalts ist. Innerhalb der Vertragsverhandlungen ist das i. d. R. der potentielle Vertragspartner des Mandanten. In der Auseinandersetzung um § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB wird dort tatbetandlich der Anwalt selbst „Dritter“ i. S. d. Norm sein. Um die Verständlichkeit zu gewährleisten, wird, soweit angezeigt, jeweils angegeben, dass der Anwalt hier als „Dritter“ i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB verstanden wird. 967 So etwa explizit Mirtschink, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Dritten, S. 99 f., unter ausdrücklichem Hinweis (Fn. 476) auf BT-Drs. 14/6040, S. 163. 968 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 124 f. 969 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 124. 970 HK-BGB/Fries/Schulze, § 311, Rn. 1; siehe ferner Erman/Diekmann, BGB, § 311, Rn. 17; Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 34; vgl. ebenso MK-BGB/Emmerich, 7. Aufl. 2015, § 311, Rn. 173, zu Abs. 3; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 11; Koch, AcP 204 (2004), 59, 70, spricht von einer ausdrücklichen Anerkennung der Eigenhaftung Dritter als Unterfall der c.i.c.; siehe auch wiederum Mirtschink, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Dritten, S. 99 f.; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring/Lieb, Das neue Schuldrecht, § 3, Rn. 47, geht von einer weitgehend eigenständigen Untergruppe der c.i.c. aus. 971 MK-BGB/Emmerich, 5. Aufl. 2007, § 311, Rn. 231, unter Verweis (Fn. 1) auf den Vorschlag der Schuldrechtskommission, abgedruckt in JZ 2001, 526. Zum Aufgreifen der culpa in contrahendo durch § 311 Abs. 3 BGB auch BT-Drs. 14/6040, S. 163.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
darauf hin, § 311 Abs. 3 BGB gehe letztlich auf einen Vorschlag der zweiten Schuldrechtskommission von 2001 zurück, die damit den Zweck verfolgt habe, gleichermaßen die Aktiv- wie die Passivlegitimation Dritter aus c.i.c. zu regeln. Im Bereich der Dritthaftungsproblematik972 habe die Kommission mit ihrem Vorschlag zu § 311 Abs. 3 BGB im Wesentlichen den Stand der Rechtsprechung wiedergeben wollen.973 Der Regierungsentwurf habe schließlich den Kommissionsvorschlag unverändert übernommen.974 Trotz dieser Anlehnung an vorhandene Erkenntnisse des anerkannten Instituts der culpa in contrahendo ist mit § 311 Abs. 3 BGB allerdings auch eine „Weite“975 dahingehend verbunden, dass eine Weiterentwicklung der ursprünglichen culpa in contrahendo intendiert ist, da gerade im Bereich der Haftung Dritter die Anwendungsfälle der c.i.c. nicht als abgeschlossen angesehen werden können.976 So eröffnet sich u. a. für die Rechtsprechung mit dem § 311 BGB ein Weg dahin, Fälle, die bisher nicht über die c.i.c. einer Lösung zugeführt wurden, möglicherweise über den Abs. 3 zu bewältigen.977 Angesichts der grundsätzlichen Überlegungen des Gesetzgebers soll innerhalb der nachfolgenden Ausführungen der § 311 Abs. 3 BGB weiterhin als Normierung der culpa in contrahendo durch den Gesetzgeber angesehen werden,978 was vor allem bei der Berücksichtigung der schon vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz der culpa in contrahendo zugrunde gelegten Gedanken und Wertungen von Bedeutung
972 Probleme, wie die der Schutzwirkungen des Schuldverhältnisses aus c.i.c. zu Gunsten Dritter und ihre Einbindung in § 311 Abs. 3 BGB, dazu MK-BGB/Emmerich, 5. Aufl. 2007, § 311 Rn. 231, sollen hier nicht vertieft werden; siehe zu der Problematik z. B. auch Schumacher/Lada, ZGS 2002, 450, 454 f. Vorliegend stellt sich die Frage, wann sich zwischen dem Anwalt selbst und dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten ein Schuldverhältnis i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB begründet wird, nicht, ob noch eine weitere Person in dieses Schuldverhältnis über den Schutzwirkungsmechanismus einbezogen wird. Streitig ist, ob der „eigentliche“ Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte seine dogmatische Grundlage in § 311 Abs. 3 BGB findet, dazu auch schon in Teil 1 D. III. 1. a) bb) (3) (b) (cc) (ddd), S. 277 ff. 973 MK-BGB/Emmerich, § 311, 5. Aufl. 2007, Rn. 231, unter Hinweis (Fn. 2) auf Canaris JZ 2001, 499, 520 f. und Teichmann, BB 2001, 1485, 1492. Siehe auch Mirtschink, Die Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Dritten, S. 99 f. 974 MK-BGB/Emmerich, 5. Aufl. 2007 § 311, Rn. 232. 975 Auf die für das Zivilrecht ungewöhnliche Regelungstechnik einer weiten Generalklausel mit einem sich anschließenden Regelbeispiel hinweisend Schumacher/Lada, ZGS 2002, 450, 454. 976 Siehe dazu BT-Drs. 14/6040, S. 163. 977 Siehe dazu BT-Drs. 14/6040, S. 163, wo dies gerade in Bezug auf die Auskunftshaftung angesprochen wird. 978 Nicht ausgeschlossen werden soll damit, dass auch im Kontext mit der culpa-Haftung vertragsähnliche „Abläufe“ nutzbar gemacht werden. Das kann und wird vor allem beim Aufbau von „Vertrauen“ bedeutsam sein.
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sein kann.979 Es sei an dieser Stelle im Übrigen darauf hingewiesen, dass Kersting, der eine (Los-)Lösung der Dritthaftung von der c.i.c. befürwortet,980 gleichwohl etwa bei § 311 Abs. 3 (Satz 2) BGB für die Bildung abgegrenzter Fallgruppen eintritt, welche sich an die in der Rechtsprechung zum alten Recht entwickelten Fallgruppen annähern, oder sich aufgrund des Regelungs- und Sachzusammenhangs ebenso in Anlehnung an § 311 Abs. 2 BGB daran fortentwickeln können.981 Auch danach wäre die Notwendigkeit, Grundgedanken der bisherigen culpa-Haftung innerhalb der Anwendung und Auslegung des § 311 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen, gegeben. b) Keine grundsätzliche Auflösung „alter Probleme“ Besteht aber über § 311 Abs. 3 BGB für die Dritthaftung eine Brücke zur „früheren“ culpa in contrahendo und findet sich in § 311 Abs. 3 BGB darüber hinaus auch der Begriff des „Vertrauens“, spricht dies zunächst dafür, zahlreiche Gedanken, die z. B. Canaris zur „Vertrauenshaftung“982 entwickelt hat, (wieder) aufzugreifen, bzw. sich ihnen im Kontext des § 311 Abs. 3 BGB (erstmalig) nähern (zu müssen). Das wird zwar innerhalb der Erörterungen um die jeweiligen Voraussetzungen im Einzelnen notwendig sein, darf jedoch nicht voreilig zu der Schlussfolgerung verleiten, mit der gesetzlichen Installierung der culpa in contrahendo (auch) in § 311 Abs. 3 BGB seien alle zuvor diskutierten Probleme um die Auskunftshaftung obsolet geworden. Denn hinsichtlich der c.i.c. ist nach wie vor u. a. problematisch, welche(r) Grundgedanke(n), welche Wertungen letztlich dahinterstehen. Zudem besteht weiterhin die Situation, dass über § 311 Abs. 2 BGB bzw. den hier im Besonderen interessierenden § 311 Abs. 3 BGB eine Vielzahl von Fallgestaltungen abgedeckt werden, bzw. es wird versucht, sie abzudecken. So finden sich für die c.i.c. als maßgebliche Grundgedanken neben der Inanspruchnahme und Gewährung besonderen Vertrauens983 solche der Erklärungshaftung, der allgemeinen Berufshaftung, des allgemeinen Rechtsgüterschutzes, des Verbraucherschutzes oder des Schutzes wirtschaftlich Schwächerer.984 Die verschiedenen Topoi sind aufgrund der Auseinandersetzung um die anderen (Dritthaftungs-)Ansätze sehr wohl bekannt. 979 Zum Rückgriff auf Erkenntnisse zur c.i.c. aus der Zeit vor 2001 u. a. MK-BGB/Emmerich, 7. Aufl. 2015, § 311, Rn. 173. Siehe auch MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 207. Ob diese jeweils zu übernehmen sind, wird, auch angesichts der möglichen Weiterentwicklung des Instituts, noch zu klären sein. 980 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 125. 981 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 125. 982 Diese verortete Canaris für die Fälle der Auskunft an Dritte nicht zuletzt in der culpa in contrahendo; siehe u. a. zur „Anlehnung“ der Auskunftshaftung „an die Regeln der culpa in contrahendo“, Canaris, Vertrauenshaftung, S. 539. 983 So bereits für die Zeit vor der Schuldrechtsreform u. a. Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507, 520 (dort zum besonderen Verhandlungsvertrauen); siehe auch Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 267 ff.; umfangreich Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971. 984 Siehe die Übersicht m. w. N. bei MK-BGB/Emmerich, 6. Aufl., § 311, Rn. 41 f.
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Angesichts dessen kann zunächst festgehalten werden, dass auch nach der Schaffung des § 311 Abs. 3 BGB für die hier interessierende Problematik die bisherigen Überlegungen und Ansätze in weiten Teilen als Gedanken und zu berücksichtigende Aspekte nach wie vor aktuell sind und durch den Gesetzgeber keine „Entscheidung“ zu Gunsten einer (Wertungs-)Richtung stattgefunden hat. Angesichts des sogleich zu erörternden (unbestimmten) Tatbestands des § 311 Abs. 3 BGB werden somit diverse bisher angeführte Strömungen zur Dritthaftung wieder aufzugreifen sein. Das gilt auch für die notwendige kritische Auseinandersetzung vor dem bereits angesprochenen Hintergrund, dass im Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich der Dritthaftungsproblematik beabsichtigt war, über § 311 Abs. 3 BGB im Wesentlichen den Rechtsprechungsstand wiederzugeben, aber auch Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen985. Deshalb kommt hinzu: Gerade weil § 311 Abs. 3 BGB im weiten Maß Dritte erfassen kann, muss nicht zuletzt deshalb eine Öffnung hin zu mehreren (begründenden) Grundgedanken und Wertungssträngen bzw. ihrer Kombination erfolgen.986 Es werden somit innerhalb der Erörterung der Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 BGB vor allem in Bezug auf die Auskunft (Rat, Empfehlung) durch einen Anwalt (in der Vertragsverhandlung bzw. Vertragsanbahnung)987 gegenüber dem potentiellen 985
Siehe BT-Drs. 14/6040, S. 163. Siehe auch MK-BGB/Emmerich, 5. Aufl. 2007, § 311, Rn. 64. 987 Bisher haben wir unseren Untersuchungen ein „großzügiges“ Verständnis des Begriffs der Vertragsverhandlungen zugrunde gelegt. Innerhalb des § 311 BGB ist jedoch ein besonderer Umgang angezeigt. In § 311 BGB findet sich zum einen der Begriff der Vertragsverhandlung (in § 311 Abs. 2 Nr. 1 sowie in Nr. 3), zum anderen der der „Vertragsanbahnung“ (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die „Vertragsverhandlung“ i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB wird als tatsächlicher Vorgang, der noch nicht notwendig die Abgabe von Willenserklärungen enthalten muss, zwar durchaus weit verstanden, da er alle Formen (bereits) rechtsgeschäftlicher Kontakte einschließlich bloßer Vorgespräche zu einem beabsichtigten Vertragsabschluss umfasst, sofern ein zweiseitiger Vorgang vorliegt (so MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 45; Erman/ Diekmann, BGB, § 311, Rn. 20, unter Betonung des kommunikativen Aktes). Überwiegend nicht als Vertragsverhandlungen i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB angesehen werden „unverbindliche Gespräche, mit denen lediglich der Zweck verfolgt wird, etwaige gemeinsame wirtschaftliche Interessen auszuloten, um ggf. nach Auffindung solcher Interessen in Gespräche über Vertragsabschlüsse einzutreten (…)“. (So MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 46; ebenfalls ablehnend etwa auch BeckOK-BGB/Sutschet, § 311, Rn. 47; Erman/Diekmann, BGB, § 311, Rn. 20; Staudinger/Feldmann (2018), BGB, § 311, Rn. 108; nicht ganz eindeutig Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 22.) Innerhalb des § 311 Abs. 2 BGB spielt das jedoch in der Regel keine Rolle, weil entsprechende unverbindliche Gespräche zumeist von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB, der Vertragsanbahnung, erfasst werden. Der hier interessierende § 311 Abs. 3 (Satz 2) BGB führt nicht den Begriff der Vertragsanbahnung an, neben dem des Vertragsschlusses nur den der Vertragsverhandlung. Da keinerlei Hinweise dafür ersichtlich sind, dass der Gesetzgeber innerhalb ein und derselben Norm denselben Begriff mit unterschiedlichen Inhalten belegen wollte, ist schon aus Gründen der Normsystemeinheit „Vertragsverhandlung“ in § 311 Abs. 3 (Satz 2) BGB so zu verstehen wie in § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Allerdings, und dies wird später auch noch aufzugreifen sein, betreffen die Vertragsverhandlungen und der Vertragsschluss in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB „nur“ den „Ort“, an dem sich die Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Dritten auswir986
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Vertragspartner des Mandanten die (dort) relevanten Grundlagen aufzudecken sein, auch vor dem Hintergrund, ein interessengerechtes988 Ergebnis zu erzielen. 2. Haftungsvoraussetzungen § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB normiert ausdrücklich die Möglichkeit, ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu Personen entstehen zu lassen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Damit ist die Möglichkeit zur Begründung eines Schuldverhältnisses und einer entsprechenden Haftung989 zu diesem Dritten grundsätzlich eröffnet. § 311 Abs. 3 BGB selbst weist aber nur den Weg zum Schuldverhältnis, Anspruchsgrundlage für eine Haftung ist dann vor allem § 280 Abs. 1 BGB990 i. V. m. § 311 BGB. a) Schuldverhältnis In jedem Fall ist die Begründung des Schuldverhältnisses zwischen dem Anwalt (Dritter i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB) und der potentiellen Vertragspartei (des Mandanten) notwendige Voraussetzung für die Haftung. Wann ein solches aber entsteht, ist trotz der Schaffung des § 311 Abs. 3 BGB nicht bzw. nur unzureichend normiert. ken, den „Ort“, an dem eine erhebliche Beeinflussung vorliegen muss. Die interessierenden Handlungen des Anwalts, die eine Inanspruchnahme von Vertrauen bewirken können, sind davon zu trennen. Sie können, müssen aber nicht notwendig z. B. innerhalb der in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB bezeichneten Vertragsverhandlungen erfolgen, das gibt schon der Wortlaut der Norm nicht her. Das bedeutet aber auch, dass dann u. a. Handlungen des Anwalts in „unverbindlichen Gesprächen“ zu einer Inanspruchnahme von Vertrauen führen können, welches für ein Eingreifen des § 311 Abs. 3 BGB relevant ist (sofern eben auch sich daran die benannte Beeinflussung dann allerdings der Vertragsverhandlung i. o. S. bzw. des Vertragsschlusses anschließt). Folglich sind bezüglich der anwaltlichen Handlungen grundsätzlich dieselben kommunikativen Abläufe relevant wie innerhalb des „weiten“ Verhandlungsverständnisses, welches zuvor zugrunde gelegt worden ist. 988 Vgl. Brors, ZGS 2005, 142 ff., die, allerdings für die Haftung für Wertgutachten, diskutiert, ob der Ausgangspunkt der Haftungsbegründung im Vertrag oder im Vertrauen zu sehen ist, und ebenfalls Überlegungen zur Interessengerechtigkeit anführt. 989 Staudinger/Feldmann (2018), BGB, § 311, Rn. 183 ff. Feldmann, Rn. 184, spricht von einer Haftung nach Vertragsgrundsätzen. Die Einordnung einer Haftungsbegründung, die ein auf § 311 Abs. 3 BGB fußendes Schuldverhältnis voraussetzt, ist nach wie vor nicht unproblematisch. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 123 f., beispielsweise weist auf die Überschrift der Norm hin, wonach die Dritthaftung rechtsgeschäftsähnlich sei. Er folgert daraus, dass die „dritte Spur“ zwischen Vertrag und Delikt auf diese Weise Gesetz geworden sei (S. 124). Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, § 40, Rn. 3, demgegenüber sieht das Verschulden bei Vertragsverhandlungen als eine Kategorie des gesetzlichen Schuldverhältnisses. Zur Normierung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses auch Teichmann, BB 2001, 1485, 1492; Weiler, Schuldrecht AT, § 4, Rn. 1 f. 990 So etwa Erman/Diekmann, BGB, § 311, Rn. 28; HK-BGB/Fries/Schulze, § 311, Rn. 1; MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 219; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 441; Looschelders, Schuldrecht AT, § 8, Rn. 4.
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Abs. 3 Satz 2 gibt lediglich vor, ein Schuldverhältnis entstehe insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nehme und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusse. Schon vom Wortlaut her ist das nur als (Regel-)Beispiel991 zu begreifen. Vorgaben im engeren Sinn macht der Gesetzgeber nicht.992 Das passt allerdings dazu, dass keine abschließende Regelung durch ihn gewollt war. Der Gesetzgeber nahm ausgehend von § 311 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB zwar die Verankerung des c.i.c.-Gedankens, die Schaffung einer Möglichkeit einer Haftung von Dritten, vor. Es sollte jedoch, wie oben schon herausgestellt, eine Regelung getroffen werden, die eine Weiterentwicklung des betreffenden Rechtsinstituts sowohl durch die Praxis als auch durch die Wissenschaft erlaubt.993 Das Beispiel des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB sei nur die wichtigste Fallgruppe.994 Angesprochen sei damit auch die „Sachwalterhaftung“995, die zwar nicht ausschließlich den § 311 Abs. 3 BGB ausfüllt, aber einen wichtigen Bereich ausmacht.996 Eine mögliche Haftungseröffnung über § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB kann sich nun für Experten wie etwa Rechtsanwälte ergeben,997 somit in dem Bereich, der hier von Interesse ist. Für das weitere Vorgehen ergibt sich daraus Folgendes: Klärungsbedürftig ist, ob der Anwalt, vornehmlich durch sein Tun in der (vorgelagerten) Vertragsanbahnung/ 991
Zur exemplarischen Funktion des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB schon BT-Drs. 14/6040, S. 163. Zur Installierung einer Generalklausel mit Regelbeispiel in § 311 Abs. 3 BGB Schumacher/Lada, ZGS 2002, 450, 454; zur Einstufung des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB als Regelbeispiel auch PWW/Stürner, BGB, § 311, Rn. 69. 992 Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 49. 993 BT-Drs. 14/6040, S. 163. 994 BT-Drs. 14/6040, S. 163. 995 BT-Drs. 14/6040, S. 163, Hervorhebung durch die Verfasserin. Zur Sachwalterhaftung in der Rechtsprechung etwa BGH NJW-RR 2011, 462 ff., dort, S. 463, zur Verortung der Sachwalterhaftung in § 311 Abs. 3 BGB; siehe weiterhin beispielsweise BGH NJW 1997, 1233, 1233; NJW 1989, 293, 294. Prägnant führt der BGH den Begriff des „Sachwalters“ in einer Entscheidung zur Frage der Anwaltshaftung aus. Dort (NJW 1989, 293, 294) heißt es: „Als Sachwalter bezeichnet die Rechtsprechung des BGH denjenigen, der weder Vertragspartner noch dessen Vertreter ist, der aber dennoch für die schuldhafte Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten ausnahmsweise persönlich einzustehen hat, weil er auf der Seite des Vertragspartners an dem Zustandekommen des Vertragsschlusses beteiligt ist und dabei über das bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen immer vorauszusetzende normale Verhandlungsvertrauen in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nimmt und dadurch dem anderen Verhandlungspartner eine zusätzliche, gerade von ihm persönlich ausgehende Gewähr für Bestand und Erfüllung des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts bietet (…).“ 996 Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 19 m. w. N., sieht in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB im Wesentlichen eine Kodifizierung der „Sachwalterhaftung“, sie sei aber nicht abschließend. Rechtsprechung und Literatur könnten auf der Grundlage des § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB weitere Fallgruppen entwickeln. 997 Siehe bereits BT-Drs. 14/6040, S. 163; ferner etwa Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 23.
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-verhandlung, tatsächlich unter das Exempel des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB oder in sonstiger Weise unter § 311 Abs. 3 BGB fallen kann. Damit einher geht die Fragestellung, wie präzise die Vorgaben des Satzes 2 sind, oder ob, und ggf. in welchem Umfang, der Tatbestand klärungs- und ausfüllungsbedürftig ist. Das geschieht nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zuvor angesprochenen Möglichkeit der Weiterentwicklung des Rechtsinstituts sowie der etwaigen Notwendigkeit, andere Fallgruppen bzw. die dort angelegten Gedanken und Wertungen (mit) zu berücksichtigen. Mit diesem Prozess unweigerlich verbunden ist ein Aufgreifen der bisherigen Ansätze zur Auskunftshaftung und ihres Einflusses auf das Verständnis von § 311 Abs. 3 BGB. aa) Tatbestandsmerkmale aus § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB Tatbestandlich kann man in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB im Wesentlichen drei Blöcke ausmachen: die Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße durch den Dritten, das Vorliegen einer Vertragsverhandlung oder eines Vertragsschlusses sowie die Beeinflussung der letzteren durch ersteres, das heißt eine Kausalitätsbeziehung.998 (1) Vorliegen von Vertragsverhandlungen oder eines Vertragsschlusses Die in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB bezeichneten Vertragsverhandlungen bzw. der Vertragsschluss müssen gleichsam als „Auswirkungsplattform“999 der Handlungen des Anwalts (des „Dritten“ i. S. d. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB) vorliegen. Aus dem Grund werden sie später innerhalb der Frage der Beeinflussung (Kausalität) noch von Bedeutung sein. Vorweg ist ein Hinweis auf sie jedoch noch aus einem anderen Grund angezeigt. Es geht um die Frage, inwieweit der handelnde Dritte (Anwalt) unmittelbar in das Geschehen um die Vertragsverhandlungen bzw. den Vertragsschluss eingebunden sein muss, das heißt, ob er als Person unmittelbar dort „auftreten“ muss.
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Siehe auch Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 20. Anknüpfend an den Aspekt der „Auswirkungsplattform“ muss nun nochmals im Besonderen das Augenmerk auf die Begrifflichkeiten von „Vertragsverhandlung“ und „Vertragsanbahnung“ innerhalb von § 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB hingewiesen werden. Da es hier beim Vorliegen von Vertragsverhandlungen um die „Auswirkungsplattform“ des anwaltlichen Handelns (Inanspruchnahme von Vertrauen) geht, ist im Anschluss an unsere vorherigen Ausführungen ein Verständnis der „Vertragsverhandlungen wie in § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB zugrunde zu legen. Die „Vertragsverhandlung“ wird danach als tatsächlicher Vorgang, der noch nicht notwendig die Abgabe von Willenserklärungen enthalten muss, so verstanden, dass er alle Formen (bereits) rechtsgeschäftlicher Kontakte einschließlich bloßer Vorgespräche zu einem beabsichtigten Vertragsabschluss umfasst, sofern ein zweiseitiger Vorgang vorliegt (so MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 45; in dem Sinn ebenfalls etwa Erman/ Diekmann, BGB, § 311, Rn. 20, unter Betonung des wechselseitigen kommunikativen Aktes). 999
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Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss stehen ggf. in einer engen Beziehung zueinander, sind aber nichtsdestotrotz von ihren „Möglichkeiten“, wie der Anwalt als Dritter i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB dort „einwirken“ kann, zu unterscheiden. So ist es zum einen in Bezug auf den Vertragsschluss „offensichtlich“, dass der Dritte i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB, eben weil er „Dritter“ ist, daran nicht als Vertragspartei involviert ist.1000 Anders ist die Situation hinsichtlich der Vertragsverhandlungen. Hier kann und wird oftmals der Dritte (Anwalt) sogar „auftreten“ und einen aktiven Part einnehmen. Dementsprechend kann dort z. B. eine „Erwartungsentwicklung“ des potentiellen Vertragspartners des Mandanten gegenüber dem Anwalt (als Drittem i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB) stattfinden. Nicht zuletzt wird dort1001 auch das Hauptaugenmerk mit Blick auf die anwaltlichen Handlungen liegen. Zu berücksichtigen ist, gerade für die Frage, woran sich etwaige Erwartungshaltungen festmachen, jedoch, dass nach dem Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ein Auftreten des Dritten (Anwalts) innerhalb etwaig gegebener (eigentlicher) Vertragsverhandlungen nicht eine notwendige Voraussetzung ist, um ein entsprechendes Schuldverhältnis entstehen zu lassen.1002 Wie der Vertragsschluss können ebenso die (eigentlichen) Vertragsverhandlungen lediglich der „Erfolgsort“ sein, an dem die Handlungen des Anwalts (Dritter i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB) ihre Wirkungen zeitigen. Das das Schuldverhältnis begründende Handeln des Anwalts liegt dann außerhalb der eigentlichen einen Vertragsabschluss beabsichtigenden Verhandlungssituation, z. B. in einer Auskunft im Rahmen von unverbindlichen Vorgesprächen, durch die etwa nur Interessen eruiert werden sollen, um dann zu entscheiden, ob ggf. eigentliche Vertragsverhandlungen nachfolgen.1003 1000 Zwar kann der Dritte Vertreter (§§ 167, 164 BGB) sein, dadurch wird er selbstverständlich aber nicht Vertragspartei. Vgl. auch nochmals BGH NJW 1989, 293, 294, wo die Sachwaltereigenschaft u. a. daran festgemacht wird, dass der Dritte kein Vertreter ist. 1001 Bezogen auf die „Handlungsebene“ des Anwalts umfasst das aber gerade zusätzlich auch die Phase, die „nur“ der „Anbahnung“ dient. Diese kann dann Auswirkungen (auch) auf die eigentlichen Vertragsverhandlungen (Auswirkungsort) haben. Innerhalb letzterer kann der Anwalt aber ebenso selbst auftreten, das heißt, sein Handlungs- und Auswirkungsort sind dann identisch. 1002 U. a. Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 225 f., machte für die Zeit vor der Schuldrechtsmodernisierung innerhalb der Expertenhaftung über die c.i.c. deutlich, dass auch eine mittelbare Beziehung ausreicht. Dem folgend und ebenfalls u. a. keine unmittelbare Beteiligung des Dritten an den Verhandlungen fordernd etwa Papadimitropoulos, Die Haftung aus Auskunftsverträgen gegenüber dritten Empfängern, S. 122. Papadimitropoulos, a. a. O., forderte aber in Bezug auf die c.i.c. für die Bejahung der Beteiligung Dritter an den Verhandlungen auch einen geschäftlichen Kontakt. Ein solches Erfordernis ist dem jetzigen Wortlaut des § 311 Abs. 3 BGB so nicht zu entnehmen. Vielmehr wird der Aspekt innerhalb des Vertrauenserfordernisses noch aufzugreifen sein, siehe etwa Koch, AcP 204 (2004), 59, 77. 1003 Schon aus dem Grund ist das „Zeitfenster“ für das relevante anwaltliche Tun in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB als groß anzusehen. Ein anderes Beispiel bilden die so genannten Gutachterfälle mit der ihnen eigenen Problematik. Diesbezüglich ist nicht zuletzt fraglich, ob sie, unter Berücksichtigung aller Voraussetzungen, überhaupt unter § 311 Abs. 3 BGB fallen. Das als Möglichkeit bejahend u. a. Canaris, JZ 2001, 499, 520; Canaris, JZ 1995, 441, 444 f. (noch zur alten Rechtslage);
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Hier sind wiederum die äußeren Umstände, an die sich etwaige Erwartungen anknüpfen können, andere als bei einem Auftreten innerhalb der eigentlichen Vertragsverhandlungen selbst. Eine weitere Frage besteht schließlich darin, ob § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zum Tragen kommen kann, wenn zwar Vertragsverhandlungen vorlagen, nicht jedoch ein Vertragsschluss. Wiederum gibt der Wortlaut der Norm Gegenteiliges nicht her. Nach den bisherigen Ausführungen wurde zudem deutlich, dass beide Anknüpfungspunkte, Vertragsverhandlung wie Vertragsschluss, durchaus separat betrachtet werden können und ggf. auch müssen. Allerdings werden die Fälle häufig so liegen, dass den Verhandlungen ein Vertragsschluss nachfolgt.1004 Fälle, in denen „nur“ Vertragsverhandlungen vorliegen, können beispielsweise solche sein, in denen es letztlich nicht zu einem Vertragsschluss kommt.1005 Zusammenfassend kann also zunächst festgehalten werden, dass (eigentliche) Vertragsverhandlungen oder ein Vertragsschluss als Bezugspunkt für ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB vorliegen müssen. Sie können außerdem ein entscheidendes Forum für etwaige Erwartungen des potentiellen Vertragspartners des Mandanten bilden. (2) Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße für sich durch den Dritten Den zweiten großen Komplex innerhalb der Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB bildet die Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße für sich durch den Dritten (Anwalt). Innerhalb dieser Vorgabe des Gesetzes sind mehrere Bestandteile enthalten, die im Einzelnen der Erläuterung bzw. Ausfüllung1006 bedürfen.
Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 318 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, § 9, Rn. 23; ablehnend u. a. Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 60; Müller, Auskunftshaftung, S. 100 ff., 119; jedenfalls zurückhaltend MK-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 218. Bisher löste gerade die Rechtsprechung die Haftung eines Gutachters gegenüber einem Dritten über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, siehe u. a. BGH NJW-RR 2007, 1329, 1332; NJW 2004, 3035, 3036 ff.; NJW-RR 2004, 1464, 1465; NJW 2001, 3115, 3116. 1004 Dementsprechend werden etwa auch die Überlegungen später zur Kausalität nicht immer notwendigerweise zwischen Vertragsverhandlung und Vertragsschluss trennen müssen; das mit Blick auf die identischen Rechtsfolgen herausstellend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 268. 1005 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 268. 1006 An dieser Stelle zeigt sich, dass auch dem Regelbeispiel des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB selbst teilweise der Charakter einer Generalklausel zukommt.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
(a) Vertrauen (aa) Problem der Operationalität Eine grundlegende Frage, die auch mit der an dem Ansatz Canaris’ geäußerten Kritik1007 zusammenhängt, besteht darin zu bestimmen, was unter „Vertrauen“ i. S. d. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zu verstehen ist. Mit der Fixierung des Vertrauens in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB kann man zwar die Zweifel an der dogmatischen Anerkennung des Vertrauensbegriffs als ausgeräumt ansehen.1008 Nun lässt sich einerseits angesichts des Wortlauts des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht mehr bestreiten, dass das „Vertrauen“1009 ein Teil der Haftungsgrundlage geworden ist, indem darüber ein Schuldverhältnis begründet werden kann, das eine Haftung nach § 280 Abs. 1 eröffnen kann.1010 Keineswegs beseitigt sind andererseits jedoch die Schwierigkeiten, die beispielsweise Köndgen unter dem Stichwort der mangelnden Operationalität1011 festmachte, oder die im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um Canaris’ Ansatz an der problematischen Fassbarkeit u. a. der Begrifflichkeit aufgezeigt wurden. Vielmehr stellt sich angesichts der tatbestandlichen Installierung des Vertrauens umso dringender die Notwendigkeit, eine ausreichende Operationalität zu schaffen. Der Gesetzgeber selbst bietet weder innerhalb des Gesetzes noch über die Materialen eine Verständnishilfe an, belässt es in bewusster Offenheit damit, von einer Regelung zu sprechen, die eine Weiterentwicklung durch Praxis und Wissenschaft erlaube1012. Auch die Kommentarliteratur „begnügt“ sich vielfach mit Hinweisen auf „klassische“ Formulierungen in der Rechtsprechung, ohne Kriterien für ein Vertrauen zu schaffen.1013 Solche sind jedoch vor allem in Bezug auf eine anwaltliche Auskunftshaftung mit Blick auf § 311 Abs. 3 BGB angezeigt. 1007
Siehe wiederum nur exemplarisch Jost, Die vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 254; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356. 1008 Koch, AcP 204 (2004), 59, 70. Siehe auch erneut das klare Statement von Faust, AcP 210 (2010), 555, 562, wonach sich das Gesetz zur Vertrauenshaftung bekannt hat. 1009 Das Gesetz bedient sich gerade auch der Begrifflichkeit des Vertrauens. 1010 Auch dazu Koch, AcP 204 (2004), 59, 70, unter Hinweis (Fn. 57) u. a. auf Canaris, JZ 2001, 499, 520; Lang, AcP 201 (2001), 451, 464; Schwab, JuS 2002, 872, 876 mit Fn. 32 a. E. 1011 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 356, wo Köndgen den Ansatz über das besondere persönliche Vertrauen in den Auskunftsgeber wegen mangelnder dogmatischer Operationalität ablehnt. 1012 BT-Drs. 14/6040, S. 163. 1013 MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 212 (unter Hinweis auf die Rechtsprechung) spricht in Bezug auf die Sachwalterhaftung davon, es handle sich um Personen, die im Rahmen von Verhandlungen über wirtschaftlich bedeutsame Geschäfte auf der Seite einer der Parteien in besonderem Maß Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nehmen und dadurch den anderen Teil eine zusätzliche persönliche Gewähr für das Zustandekommen und die Erfüllung des Vertrags bieten. Nach Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 63 m. w. N., ist etwa Voraussetzung, dass der Verhandelnde durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende Gewähr für die Seriosität und Erfüllung des Vertrags übernommen habe. HK-BGB/Fries/Schulze, § 311, Rn. 19, exemplifizieren mit der Rechtsprechung u. a. Vertrauenssituationen, ohne das Vertrauen grundsätzlich zu bestimmten. Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 49, verweist lediglich im Besonderen auf die Fallgruppen des eigenen wirt-
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(bb) Bestimmung im normativen Kontext Für eine definitorische Bestimmung der Begrifflichkeit des Vertrauens weist Kersting1014 darauf hin, diese sei im normativen Kontext suchen. Eben weil die Begriffsbestimmung an die juristische Norm des § 311 Abs. 3 BGB anknüpfen müsse, lässt Kersting in Bezug auf außerjuristische Anleihen, wie solchen aus Soziologie oder Ökonomie, zumindest Vorsicht walten, da es nicht um die Schaffung einer allgemeinen Vertrauensdefinition gehe.1015 Gleichwohl sieht er etwa einen Rückgriff auf ein ökonomisches Verständnis der Vertrauensbeziehung, welches auf der Vertrauensbeziehung als implizitem Vertrag beruhe, als möglich an.1016 Auch im § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB sei ein zweiseitiger Tatbestand des Vertrauen-nehmens („in Anspruch nimmt“) und des Vertrauen-gebens („beeinflusst“) angelegt.1017 Es ist diese in der Norm des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB begründete Situation, an die hier ebenfalls angeknüpft werden soll. (aaa) Vertrauennehmen und -geben als aktiver Prozess Kersting zeigt ausgehend vom Normtext als Basis einen Mechanismus auf, den wir u. a. bei Jost innerhalb der Entwicklung der vertragslosen Auskunftshaftung bereits ausgemacht haben. Es handelt sich um Abläufe, die denen gleichen, die zu einem Vertragsschluss führen.1018 Auf die damit notwendigerweise einhergehende Betrachtung der kommunikativen Abläufe wird sogleich noch einzugehen sein. Bedeutsam ist zunächst Folgendes: Deutlich wird, dass mit § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB schaftlichen Interesses sowie der Sachwalterhaftung. Zu Formulierungen aus der Rechtsprechung selbst siehe nur beispielhaft BGH NJW-RR 2006, 993, 994 (zum eigenen wirtschaftlichen Interesse oder Inanspruchnahme von besonderem Vertrauen für die eigene Person bei Vertragsverhandlungen, indem eine zusätzliche, persönlich ausgehende Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäfts geboten wird), zu letzteren Aspekten auch OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 83; ferner BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242 m. w. N. (Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens in besonderem Maß). 1014 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210; dort (insbesondere in Fn. 1188) auch die Feststellung sowie der umfängliche Nachweis, dass sich in den Erläuterungen zu § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB keine Definitionsversuche zum Vertrauen finden; siehe insoweit auch die vorhergehende Fußnote. 1015 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210; zu soziologischen und ökonomischen Aspekten des Vertrauens siehe S. 171 ff. Einem Vertrauen, das sich letztlich in Jedermann-Beziehungen findet, ebenfalls entgegentretend, allerdings unter Anknüpfung an das Erfordernis des Vertrauens gerade in besonderem Maße, Faust, AcP 210 (2010), 555, 563. 1016 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210; er stellt dabei u. a. den Aspekt heraus, auch die Ökonomie könne sich mit Situationen von rechtlicher Relevanz beschäftigen. 1017 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210; Hervorhebungen im Original. Hinzu komme, dass aus dem Erfordernis der „Inanspruchnahme“ auch ein solches des Vertrauenserweises folgen könnte, Kersting, S. 227 ff. 1018 Auf die Nähe der Sonderverbindung in § 311 Abs. 3 BGB zum Vertrag hinweisend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 228.
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zu argumentieren ist. Daran anschließend wäre die Begründung des haftungsrelevanten Vertrauens allein mit statischen Merkmalen1019, wie etwa einer gesellschaftlichen Stellung, schwerer/kaum machbar. Konsequenter ist es, wenn eine aktive Hin- und Herbewegung zwischen dem Dritten i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB (Anwalt) und dem potentiellen Vertragspartner (des Mandanten) ausgemacht wird.1020 Anschließend daran steht einer normorientierten Lösung aber nicht entgegen, sich zu ihrer Unterstützung bzw. weiteren Illustrierung (auch) soziologischer Erkenntnisse zu bedienen. Gerade der von Kersting hervorgehobene zweiseitige Tatbestand des Vertrauennehmens und -gebens und die damit einhergehende Dynamik machen deutlich, dass u. a. die bloße Einnahme einer Position, wie z. B. die Mitgliedschaft in einer besonderen Berufsgruppe, nicht ausreichend sein kann.1021 Für den in der Vertragsanbahnung/-verhandlung auftretenden Anwalt, der von seinem Mandanten als Interessenvertreter beauftragt ist, heißt das folglich, Vertrauen im Sinne des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB kann nicht (allein) mit seiner beruflichen Stellung als Anwalt begründet werden1022. Sofern er als Interessenvertreter auftritt, wäre das zudem in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner des Mandanten ohnehin problematisch. (bbb) Role-making Die Positionierung als anwaltlicher Interessenvertreter1023 führt aber nicht dazu, auch das wurde schon verschiedentlich deutlich, dass der Anwalt sich nicht gleichsam aus der/den mit der Position verbundenen Rolle(n) (Handeln „nur“ im Interesse des Mandanten) herausbegeben bzw. sie modifizieren kann. U. U. bestehen ohnehin innerhalb seiner Rolle (als Interessenvertreter) diverse Handlungsmög1019 Das soll aber offenbar nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Die Rechtsprechung nimmt etwa einen Umstand, aus dem eine persönliche Gewähr für die Seriosität und die Vertragserfüllung übernommen wird (BGH NJW-RR 2006, 993, 944) auch bei einem Verwandten an (BGH NJW 1983, 1607, 1608 f.; allerdings stellte die Rechtsprechung zusätzlich in dem Fall auf ein starkes wirtschaftliches Eigeninteresse des Beklagten ab). Die Eigenschaft als Verwandter ist ein statischer Umstand. 1020 Die Beispiele, die sich in der Rechtsprechung finden, etwa, dass man sich „verbürge“ (OLG Hamm WM 1993, 241 ff., Rn. 7), sind teilweise durchaus „kommunikativ“ geprägt. Vgl. auch MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 212, der von Fallgestaltungen (beim Geschäftsführer) im „Vorfeld“ einer Garantiezusage spricht. Diese Beispiele weisen auch auf vertragsähnliche Ablaufstrukturen hin. 1021 Als nicht ausreichend in der Rechtsprechung für ein qualifiziertes Vertrauen angesehen wurde etwa die Eigenschaft als Fachmann, wenn darüber hinaus keine zusätzliche, von der Person persönlich ausgehende Gewähr für die Seriosität und die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäfts geboten worden sei (BGH NJW 1994, 197, 198). 1022 Siehe auch Faust, AcP 210 (2010), 555, 565 f., der damit aber die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens ablehnt. 1023 Als solcher ist er auch Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO, und selbstverständlich juristischer Fachmann.
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lichkeiten1024, die zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten ggf. eine „Vertrauensbeziehung“ eröffnen könnten. Hingewiesen werden soll abermals insbesondere auf den Anwalt, der, um die Interessen seines Mandanten wahrzunehmen,1025 ein konsensuales Verhandlungsmodell wählt, und sich im Rahmen dessen auch informatorisch1026 auf den anderen zubewegt. Hier kann sich wiederum das finden, was innerhalb der Darstellung um das Rollenverständnis als „role-making“1027 ausgemacht wurde. Mit dem Aktivwerden des Anwalts, einem Hineinziehen des anderen (potentiellen Vertragspartners) in eine besondere Rollenbeziehung,1028 kann die anwaltliche Rolle diesem gegenüber aus- oder umgestaltet, Erwartungen, die an den Anwalt gestellt werden können, verändert werden.1029 Der Anwalt nimmt oder schafft sich innerhalb der Kommunikation mit dem anderen Handlungsspielräume. Hiermit 1024 Als Interessenvertreter will/muss der Anwalt vor allem den Rollenerwartungen seines Mandanten genügen, die auch ein bestimmtes Umgehen mit dem potentiellen Vertragspartner beinhalten. Als Interessenvertreter steht er aber ebenso in einer Beziehung zum potentiellen Vertragspartner, nicht zuletzt deshalb, weil der Anwalt zugleich Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ist. So darf der andere etwa die Erwartung haben, der Anwalt werde sein Fachwissen nicht bewusst missbräuchlich einsetzen. Zur Argumentation mit den Begrifflichkeiten von Positions- und Rollensegment siehe erneut Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 33 ff. 1025 Also den Rollenerwartungen im Verhältnis Anwalt – Mandant genügen möchte. 1026 Das betrifft tatsächliche Informationen wie auch im Besonderen rechtliche Informationen, etwa allgemeine Rechtsauskünfte. Besonders stark wird das sich Zubewegen auf den anderen, wenn die Informationsweitergabe im Zusammenhang mit einem Rat oder einer Empfehlung erfolgt. 1027 Siehe nochmals die von Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41, in Bezug auf Turner ausgemachte Bestimmung des role-makings, wonach dieses die Aktualisierung vorgegebener Rollen oder eine Wahl zwischen diesen meint, vor allem aber eine tatsächliche Neudefinition einer Beziehung durch eine Explizierung impliziter Erwartungen. 1028 Ausgehend von unseren angestellten Überlegungen steht der Anwalt zwar (auch) als Interessenvertreter zu dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten in einer bestimmten (Rollen-)Beziehung. Nicht zur (ursprünglichen) Rollenbeziehung zum Nichtmandanten gehört jedoch, auch das sei nochmals betont, das Fachwissen gerade (positiv) für diesen einzusetzen. Diesbezüglich kann allerdings ggf. zum einzelnen Vertragspartner eine Modifikation erfolgen, eine besondere Rollenbeziehung mit daran anknüpfenden Erwartungen. Eine solche Modifizierung kann zudem (mit-)ursächlich für die Begründung einer Garantenstellung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten als Dritten sein. Eine solche Garantenstellung kann für eine etwaige Haftung des Anwalts nach § 823 Abs. 1 BGB von Bedeutung sein. Anders als bei dem vom BGH (NJW 2016, 2110 ff.) gewählten Weg, der maßgeblich darauf abstellte, ob mit der anwaltlichen Rechtsberatung ggf. ein Eingriff in ein deliktisch geschütztes Recht/Rechtsgut des Dritten verbunden ist, leistet u. a. das role-making einen Beitrag dazu, dass es zu einem Schuldverhältnis i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB zwischen Anwalt und Dritten kommen kann, welches wiederum die Grundlage (auch) für eine Garantenstellung sein kann. 1029 Das anwaltliche Verhalten in Vertragsverhandlungen auch als ein mögliches Indiz für rechtlich relevantes Handeln des Anwalts gegenüber dem Vertragspartner ausmachend, allerdings mit mit Blick auf einen etwaigen stillschweigenden Auskunftsvertrag, die Sachkunde als ein Indiz innerhalb zu würdigender Gesamtumstände für die Klärung anführend, ob ein stillschweigender Auskunftsvertrag vorliegt, OLG Frankfurt BeckRS 2016, 127605, Rn. 35.
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bietet sich aber unmittelbar die Verbindung zu Kerstings Erarbeitung eines Vertrauensbegriffs innerhalb des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB an. Kersting spricht nämlich nicht zuletzt das Verständnis einer Vertrauensbeziehung als impliziten Vertrag an, der beiden Beteiligten eine Handlungsmöglichkeit einräume.1030 Gleichzeitig wird damit die Überleitung zu einem Element des Vertrauensverständnisses geschaffen, welches bereits in der Auseinandersetzung um den Ansatz Canaris’1031 besonders betont wurde. (ccc) Betonung der Erwartung Kersting folgert aus der Anlehnung an die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion sowie an die soeben bezeichnete Vertrauensbeziehung, Vertrauen sei die Erwartung des Vertrauensgebers (bei uns der potentielle Vertragspartner), dass sich der Vertrauensnehmer (bei uns somit der für den Mandanten verhandelnde Anwalt) wie angekündigt verhalte.1032 Bedeutsam ist zum einen die Betonung wiederum der „Erwartung“. Wenn das Gesetz von „Vertrauen“ spricht, ist das Operieren mit der „Erwartung“ sowohl begrifflich wie inhaltlich möglich und angezeigt. Zum anderen wird aber noch etwas anderes deutlich. Die relevante Erwartung knüpft eben nicht an bestimmte statische Umstände an, sondern muss aufgebaut werden.1033 Das, was Kersting mit dem impliziten Vertrag bezeichnet, findet sich aus soziologischer Warte wiederum prägnant bei Turner und dem von ihm beschriebenen role-making. Lässt sich bisher das Vertrauen gut als ein bestimmter Erwartungsaufbau beschreiben und erfassen,1034 so muss trotzdem eine weitere Konkretisierung bzw. Einschränkung mit Blick gerade auf die Begriffsbestimmung innerhalb des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB erfolgen. § 311 Abs. 3 BGB ebnet, indem er ein Schuldverhältnis entstehen lässt, den Weg zu einer Haftung vor allem über § 280 Abs. 1 BGB. Damit werden die im „Vertrauen“ des § 311 Abs. 3 BGB angelegten Erwartungen grundsätzlich zu „Muss-Erwartungen“, da ihre Enttäuschung gerichtlich verfolgt werden kann. Diese Qualifizierung als „Muss-Erwartung“, die bei einer (Pflicht-)Verletzung eine Schadensersatzpflicht des Schuldners nach sich ziehen kann, ist allerdings nur 1030
Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 211, dort wiederum in Anlehnung an die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion. 1031 Das betraf ebenso die Ansätze von Jost und Köndgen (D. IV. und V.). 1032 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 211, selbstverständlich ohne Bezug auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand. 1033 Ein solcher Erwartungsaufbau kann ebenfalls (mit-)begründend für die Entstehung einer Garantenstellung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten sein. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass – anders als beim Vorgehen des BGH (NJW 2016, 2110 ff.) – maßgeblich ist, dass so begründet wird, dass es zu einem Schuldverhältnis i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB zwischen Anwalt und Dritten kommen kann, welches wiederum die Grundlage (auch) für eine Garantenstellung sein kann. 1034 Gerade die Begrifflichkeit der „Erwartung“ wurde auch bereits in der Auseinandersetzung um die Ansätze von Jost und Köndgen (oben D. IV. bzw. V., S. 762 ff. bzw. S. 786 ff.) herausgestellt. Kritisch in Bezug auf „Rollenerwartungen“ im Kontext mit „Vertrauen“ Picker, AcP 183 (1983), 369, 420 f.
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gerechtfertigt, wenn die enttäuschte Erwartung den Vertrauenden (potentieller Vertragspartner des Mandanten) im gewissen Sinn „schutzlos“ gestellt hat. Normativ ist das in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zum einen in dem später noch zu erörternden Kausalitätserfordernis angelegt.1035 Es ist jedoch eine Beachtung dessen bereits innerhalb der Bestimmung des Vertrauensbegriffs angezeigt. So fordert Kersting die Berücksichtigung der Gegensätzlichkeit von Vertrauen und Kontrolle.1036 Die Erwartung ankündigungsgemäßen Verhaltens könne dann nicht als Vertrauenserwartung bezeichnet werden, wenn durch Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen sichergestellt sei, dass sich der Vertrauensnehmer (Anwalt) wie angekündigt verhalte. Es fehle dann das Unsicherheitsmoment.1037 Dem ist zuzustimmen, vor allem wenn man wiederum einen dialogischen Prozess (zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner) mitberücksichtigt. An anderer Stelle wurde als eine vergleichbare Situation die Entlassung des Dritten aus seiner eigenverantwortlichen Informationsbeschaffung bezeichnet.1038 Das ist aber nichts anderes als das Unterlassen von Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen durch den Vertrauensgeber. Daran anknüpfend ist es auch konsequent, von § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB künftiges wie vergangenes Verhalten des Vertrauensnehmers (Anwalts) als erfasst anzusehen. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Kontrollmaßnahmen in Bezug auf künftiges Verhalten des Dritten (Anwalts) unterbleiben, oder die Überprüfung der Vergangenheit unterlassen wird.1039 Insgesamt kann daher grundsätzlich Kerstings Definition der Vertrauenserwartung zugestimmt werden. Danach „(erwartet) (…) (d)er Vertrauensgeber (…), daß die Angaben des Vertrauensnehmers sowohl im Hinblick auf dessen vergangenes Verhalten (Besitz und Einsatz der angegebenen Fähigkeiten und Kenntnisse) als auch dessen zukünftiges Verhalten (entsprechend der Ankündigung) zutreffend sind (und bleiben) und er daher insofern bei seinen Dispositionen auf eigene Maßnahmen zur Überprüfung der Richtigkeit einer Wissenserklärung oder zur Sicherstellung künftigen Verhaltens verzichten kann.“1040
1035 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 212, sieht die Beeinflussung der Vertragsverhandlungen oder des Vertragsschlusses allerdings erst bei der Frage als relevant an, ob der Vertrauensgeber aufgrund der Erwartung bereit war, ein Risiko einzugehen und eine Handlung vorzunehmen, mit der er sich gegenüber dem Vertrauensnehmer verwundbar macht. 1036 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 211. 1037 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 211, selbstverständlich nicht in Bezug auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand. 1038 Siehe etwa oben innerhalb der Auseinandersetzung um den Ansatz von Jost [D. IV. 2. b) cc) (2), S. 774 ff.]. 1039 Siehe Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 212, selbstverständlich wieder nicht in Bezug auf unser Beispiel des Anwalts. 1040 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 212 f.
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(b) Inanspruchnahme von Vertrauen Mit der tatbestandlichen Aufnahme der Inanspruchnahme von Vertrauen (sowie der „Beeinflussung“)1041 finden sich nunmehr auch im Gesetz Anknüpfungspunkte, um für die Entstehung eines Schuldverhältnisses zwischen dem Vertrauensnehmer (Anwalt) und dem Vertrauensgeber (potentieller Vertragspartner des Mandanten) einen dialogischen Prozess zu fordern. Dabei sind die Mechanismen, die auf solch einen Dialog hindeuten, keineswegs neu. So stellte bereits Ballerstedt für die culpa in contrahendo heraus, dass es auf die „Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens“1042 ankomme. Seine dazu erfolgende Erläuterung kann man durchaus als Aufzeigen eines dialogischen Prozesses ausmachen, denn Ballerstedt beschreibt es als zweiseitigen Tatbestand, bei dem „auf der Seite des einen Partners ein Verhalten, das nach den Grundsätzen der Redlichkeit und nach seiner sozialen Erscheinungsform geeignet ist, Vertrauen zu wecken und auf der Seite des anderen Partners die Gewährung von Vertrauen in eben dieses Verhalten (steht)“1043.1044 Allerdings spricht Ballerstedt kurz darauf davon, wem der Dritte sein „Verhandlungsvertrauen“ schenken dürfe,1045 was ein Hinweis auf ein Abstellen auf einen objektiven Vertrauenstatbestand ist. Gleichwohl kann man die Notwendigkeit eines dialogischen Prozesses, wie bereits angesprochen, aus der „Inanspruchnahme“ und damit auch am Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB selbst (mit) festmachen.1046 „Etwas in Anspruch nehmen“
1041 Siehe dazu, dass die Gewährung des Vertrauens teilweise in der Beeinflussung der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses aufgegangen ist, Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210. 1042 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507. Auf Ballerstedt ebenfalls verweisend etwa Koch, AcP 204 (2004), 59, 75; Koch verneint jedoch, u. a. mit Bezug auf Ballerstedt, auch hinsichtlich des Geltungsbereichs des § 311 Abs. 3 BGB, dass dort vorrangig darauf abgestellt würde, ob einer der Vertragspartner dem Dritten Vertrauen schenke. Für ihn ist das normative Vertrauendürfen (weiterhin) relevant, also ein objektiver Vertrauenstatbestand. 1043 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507, Fn. 17. 1044 Siehe außerdem beispielsweise Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 233, zu entsprechenden Abläufen. U. a. bei Wiegand, a. a. O. m. w. N., wird auf die Problematik, die bereits vor dem Inkrafttreten des § 311 Abs. 3 BGB bestand, hingewiesen, ob der Vertrauende wirklich im subjektiven Sinn vertraut haben müsse, oder ob ein an äußeren Kriterien festzumachender Vertrauenserweis ausreiche. Für ein subjektives Vertrauen etwa Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 78 ff., 86 ff. 1045 Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 508, siehe auch Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 123 f. Dazu, dass ein objektiver Vertrauenstatbestand entscheidend sein sollte, außerdem u. a. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 503 f.; Frost, Schutzpflichten, S. 99 ff. Siehe auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 405 („Frage, wann und auf was im Rechtsverkehr vertraut werden darf“); Thiele, JZ 1967, 649, 651 f.; vgl. ferner Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 169 f. Aus der Zeit nach der Schuldrechtsreform siehe etwa Koch, AcP 204 (2004), 59, 75. 1046 Auf den Wortlaut ausführlich eingehend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 213 ff.
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bedeutet „von etwas Gebrauch machen“1047. Versteht man Vertrauen nach den obigen Ausführungen als das Vorhandensein bestimmter Erwartungshaltungen beim Vertrauensgeber (potentieller Vertragspartei), folgt daraus, dass der Vertrauensnehmer (Anwalt) eben diese Erwartungshaltungen des anderen gebraucht,1048 sie nutzt.1049 Der dialogische Prozess ergibt sich im Weiteren daraus, dass die Inanspruchnahme, die Nutzung zum einen eine kommunikative Handlung1050 des Vertrauensnehmers (Anwalts) erfordert, allerdings zum anderen auch eine „Antwort“ desjenigen, der Vertrauen gibt (potentieller Vertragspartner), bzw. seine Erwartungshaltungen ausrichtet.1051 Bezogen auf den handelnden Anwalt in der Vertragsanbahnung bzw. -verhandlung geht damit zunächst einher, dass der Anwalt als „Vertrauensnehmer“, sei es nun initiativ oder als Reaktion auf eine Handlung des späteren Vertrauensgebers, einen Beitrag zu dem liefert, was solch eine Inanspruchnahme von Vertrauen schafft.1052
1047 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 213, verweist auf den allgemeinen Sprachgebrauch, wonach „in Anspruch nehmen“ dann verwendet wird, wenn eine angebotene Leistung oder ein Gut begehrt wird. Siehe ferner S. 214, wo Kersting ausführt, der Ausdruck werde auch gebraucht, wenn ein Mensch eine Eigenschaft für sich in Anspruch nimmt. Diese Verständnismöglichkeit lehnt er aber im Kontext des § 311 Abs. 3 BGB ab. 1048 So kann die Erwartungshaltung des potentiellen Vertragspartners darin bestehen, dass die (rechtliche) Auskunft vollständig und richtig ist; der Anwalt nutzt diese Erwartung z. B., um die (eigentlichen) Vertragsverhandlungen voranzutreiben. 1049 So schon Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 214, der auf die Bedeutungsvariante verweist, wonach der Dritte ein vorhandenes Vertrauen des anderen Teils für sich nutzt und auf diese Weise in Anspruch nimmt. 1050 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 214, führt aus, die eigentliche Handlung der Inanspruchnahme erfordere einen kommunikativen Kontakt. 1051 Das Erfordernis der „Antwort“ kann zum einen in der bereits angesprochenen Beeinflussung der Vertragsverhandlungen/des Vertragsschlusses ausgemacht werden, vgl. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210, 229. Zum anderen kann ohnehin zu überlegen sein, ob seitens des Vertrauensgebers nicht ein Vertrauenserweis zu erfolgen hat. Beides wird wieder aufzugreifen sein. Schließlich kann auch darauf abgestellt werden, dass nicht in Anspruch genommen werden kann, was nicht gewährt wird. So führt Kersting, S. 210, aus, es sei etwa unschädlich, dass beide Aspekte in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB aus der Sicht des Vertrauensnehmers formuliert seien; dessen Einflussnahme könne nur über den Willen des Vertrauensgebers vollzogen werden. Demgegenüber sieht Koch, AcP 204 (2004), 59, 75, gerade in der Formulierung der Perspektive durch das Gesetz (vorrangiges Abstellen, ob einer der Vertragspartner Vertrauen in Anspruch nimmt) ein Argument, dass es weiterhin um ein normative Vertrauendürfen geht; dort, Fn. 71, auch der Verweis auf BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242. 1052 Siehe auch Koch, AcP 204 (2004), 59, 75, der, jedoch im Zusammenhang mit der Befürwortung eines objektiven Vertrauenstatbestands, ausführt, der begriffliche Eigengehalt der Inanspruchnahme läge in ihrem besonderen Appellcharakter. Der Dritte genösse nicht nur Vertrauen, sondern zöge es bewusst auf sich, werbe dafür, indem er gezielt an den Empfänger appelliere, seiner Aussage Glauben zu schenken. Koch, a. a. O., verweist diesbezüglich auch auf das Kriterium der „Gerichtetheit“. Letzteres wurde bereits vor der Schaffung des § 311
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Die Begründung eines Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 BGB ist nur gerechtfertigt, wenn der Anwalt beim Vertrauensgeber Erwartungen begründet oder aktiviert.1053 Dahinter steht ein kommunikativer Prozess zwischen dem Vertrauensnehmer und dem Vertrauensgeber, der in unterschiedlicher Art und Weise ablaufen kann. Diese Unterschiede können sich vor allem daraus ergeben, wie der Vertrauensnehmer (Anwalt) Erwartungshaltungen des anderen begründet bzw. ausnutzt. Aus dem Grund ist zunächst der Anteil des Anwalts am kommunikativen Geschehen von Bedeutung. (aa) Nutzen situativer Erwartungen Das Nutzen von Erwartungshaltungen durch den Anwalt ist für ihn am einfachsten möglich, wenn er bereits beim anderen vorhandene (latente) Erwartungen aktiviert. Gleichsam auf unterster Stufe vorstellbar ist das Nutzen situativer Erwartungen. Damit sind Erwartungen gemeint, die mit dem Eintritt in eine bestimmte Situation verbunden sind. So kann z. B. ein Verkehrsteilnehmer mit dem sich Begeben in den Straßenverkehr die Erwartungen verbinden, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer an die Regelungen der StVO halten werden.1054 Für Köndgen begründeten solche situativen Erwartungen z. B. noch keine Rollen, da kein bestimmter Positionsinhaber1055 sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten habe, sondern vielmehr jedermann.1056 Im Zusammenhang mit Vertragsanbahnungen/-verhandlungen ist im situativen Kontext jedoch in erster Linie die Begegnung der Verhandelnden in der Verhandlung1057 relevant. Zwar könnte dort auf ein „Verhandlungsvertrauen“ abgestellt werden, das heißt auf die Erwartung, der jeweils andere werde sich in der Verhandlungssituation1058 in einer bestimmten Art und Weise verhalten. Bei einer solchen Annäherung setzen allerdings auch die Schwierigkeiten an. Welches sollen die an eine Verhandlung anknüpfenden Erwartungen sein?1059 Dass Abs. 3 BGB innerhalb der Dritthaftung aufgrund der c.i.c. gefordert, siehe u. a. Canaris, 2. FS für Larenz (1983), 27, 95; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 132 f. 1053 Vgl. auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 214, allerdings wiederum nicht bezogen auf den Anwalt. 1054 Vgl. dazu Faust, AcP 210 (2010), 555, 563. 1055 Gemeint ist damit wieder eine feste/bestimmte Stellung im gesellschaftlichen „Koordinatensystem“. 1056 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 197; a. A. etwa Gerhardt, Rollenanalyse, S. 194, die „Situations-Rollen“ zulässt, die nicht von einer bestimmten Position, sondern von einer Situation her definiert werden. Für Faust, AcP 210 (2010), 555, 563, ist ein in dem Kontext bestehendes Vertrauen ubiquitär; dem solle durch die Postulierung „besonderen“ Vertrauens in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB begegnet werden. Zu dem Topos des „besonderen Vertrauens“ noch unten. 1057 Dies betrifft auch die Anbahnung. 1058 Entsprechend für die Anbahnung. 1059 Dies gilt wiederum entsprechend für eine Anbahnungssituation. Zum Verhandlungsvertrauen gerade in Bezug auf den Rechtsanwalt beispielsweise BGH NJW 1989, 293, 294; NJW-RR 1990, 459, 461. Siehe auch unter der Geltung des § 311 Abs. 3 BGB etwa BGH
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der jeweils andere sich ehrlich und redlich verhält? Dass man gemeinsam eine Lösung sucht? Oder besteht nicht vornehmlich eine Erwartung dahingehend, dass jeder versucht, seine Interessen (u. a. der Anwalt für seinen Mandanten) in möglichst optimaler Weise umzusetzen? Es ist letzteres, was eine maßgebliche Triebfeder in der Vertragsverhandlung bildet. „Situativ“ kann etwas anderes von Bedeutung sein: Innerhalb der Vertragsanbahnungen/-verhandlungen kann es (auch) zu (Neu-)Begründungen/Modifizierungen von gegenseitigen Erwartungen kommen, also zu einem role-making. In ein solches kann der Anwalt eingebunden sein. In dieses situative Aufbauen von Erwartungen durch role-making kann dann etwas einfließen, was Kersting unter dem Stichwort „situational trust“1060 diskutiert. Ein solches beziehe sich auf die Einschätzung der äußeren Faktoren der Situation. Hierzu gehöre die Anreizstruktur für den Vertrauensnehmer sowie Aspekte wie Iteration, Erfahrung, Reputation etc.1061 Das, was dahinterstehen kann, ist zum einen ein Umgang mit (festen) Rollenbildern („Erfahrung“)1062. Begriffe wie „Anreizstruktur“ oder der Aspekt, wonach sich opportunistisches Verhalten für den Vertrauensnehmer nicht lohne,1063 zeigen aber Elemente, die „einmalig“ sind, das heißt aus der jeweiligen Situation heraus resultieren.1064 Das sind Abläufe, die für ein role-making typisch sind. Role-making als Erwartungsaufbau ist somit auch aus diesen Gründen geeignet, Inanspruchnahme von Vertrauen nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zu begründen, eben, weil der Erwartungsaufbau im Dialog abläuft und darüber hinaus im gewissen Sinn eine „einmalige“ Rollen(-beziehung) begründet werden (kann).
NJW-RR 2012, 937, 939; NZG 2008, 661, 662. So heißt es bei BGH NJW-RR 2012, 937, 939, wieder formelhaft, für die Annahme eines besonderen persönlichen Vertrauens sei erforderlich, dass der Anspruchsgegner eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität und ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags übernommen habe. 1060 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 179, 215. 1061 So Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 179. 1062 Erfahrung kann beispielsweise in Verbindung mit einem bestimmten beruflichen Rollenbild gesehen werden. 1063 So Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 215. 1064 Ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren zur Bestimmung der Quelle des Vertrauens innerhalb von § 311 Abs. 3 BGB macht auch etwa Koch, AcP 204 (2004), 59, 78, aus, wenn er auf eine Gesamtschau unterschiedlicher Kriterien verweist und sich des Instruments des „beweglichen Systems“ von Wilburg (siehe den Hinweis bei Koch in Fn. 87) bedient. Auf das „bewegliche System“ wurde, worauf Koch ebenfalls hinweist (Fn. 87), bereits zuvor zurückgegriffen. So führt es beispielsweise, Canaris, Vertrauenshaftung, S. 302, innerhalb der Erfüllungshaftung als Folge eines „beweglichen Zusammenspiels“ der einzelnen Merkmale an; Lang, AcP 201 (2001), 451, 510 ff., erörtert es bei der Feststellung von Schutzpflichten innerhalb der Kategorien des Berufsrechts.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
(bb) Rückgriff auf vorhandene Erwartungsbilder (Rollen) und der damit einhergehenden Typisierung Mögen schon vorhandene Rollenbilder und damit einhergehende Erwartungshaltungen in bestimmten Situationen auch nicht oder nur zum Teil zum Tragen kommen, so kann dies allerdings in anderer Art und Weise innerhalb der Anwendung des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB möglich sein. Hierbei können vor allem soziale Rollen1065 relevant sein. Ein Beispiel für Vertrauensinanspruchnahme nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB wird mitunter an einer Verwandtenstellung1066 (mit) festgemacht.1067 Aus der Innehabung einer solchen oftmals sozial1068 begründeten Position kann also zumindest ein Anzeichen1069 dafür folgen, dass der Positionsinhaber eine Gewähr für Seriosität und Erfolg des Vertrags übernommen hat1070. Die Verbindung von Verwandtschaft und Vertrauensinanspruchnahme, die auch bisher schon durch die Rechtsprechung vorgenommen worden ist,1071 bedeutet jedoch nichts anderes als das Operieren mit vorgeprägten Erwartungen, die sich aus der mit der Position verbundenen Rolle ergeben. Es ist gleichzeitig ein Arbeiten mit typisierten Erwartungen. Ein solcher Rückgriff auf typisierte Erwartungen wird noch deutlicher, wenn eine berufliche Tätigkeit als soziale Rolle betroffen ist, das heißt, wenn jemand in Verhandlungen (Anbahnung) integriert ist, der sich gerade aufgrund seiner beruflichen Positionierungen bestimmten Rollenerwartungen ausgesetzt sieht. Eine vergleichbare Situation fand und findet sich immer noch im Bereich der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung. Ursprünglich war für den Bereich des nicht organisierten Kapi1065
Zur Typisierung vgl. Claessens, Rolle und Macht, 37, 38 ff. Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 63 m. w. N. 1067 Es geht hier zunächst nur um die Inanspruchnahme von Vertrauen. Auf die Merkmale des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB „in besonderem Maß“ sowie „für sich“ wird noch gesondert einzugehen sein. 1068 Die Verwandtenstellung kann oftmals biologische Gründe haben, ist zudem rechtlich definiert. Sie wird daneben häufig aber ebenso von sozialen Faktoren mitgeprägt, wie das Zusammenleben und die Sozialisation innerhalb der Familie. Claessens, Rolle und Macht, S. 38, spricht z. B. von genau definierten sozialen Positionen. Rein „sozial“ begründet sind z. B. die Position und die Rolle, die sich auf einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft gründen. Auch daran kann sich ggf. die Inanspruchnahme von Vertrauen i. S. d. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB anschließen, Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 63. Vgl. auch BGH NJW-RR 1991, 289, 290, wo der BGH für das begründete Vertrauen auf ein intimes Verhältnis mit abstellte. 1069 Siehe aber auch die obigen Überlegungen, dass „statische“ Merkmale allein für eine Vertrauensbegründung nicht ausreichen. In seiner Entscheidung zur Garantenstellung des Anwalts gegenüber dem Nichtmandanten (NJW 2016, 2110 ff.) arbeitet der BGH letztlich auch mit einer statischen Sichtweise, die aber abzulehnen ist. 1070 Grüneberg/Grüneberg, § 311, Rn. 63 m. w. N., wobei Grüneberg keine Argumentation mit Hilfe von Position und Rolle führt. 1071 Siehe etwa BGH NJW 1983, 1607, 1608, wo der BGH mit dem Umstand der Verwandtschaft (Brüder) besonderes Vertrauen (mit) begründete. 1066
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talmarkts neben der durch Gesetz geregelten Prospekthaftung eine (im engeren Sinn)1072 bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung geschaffen worden, um eine haftungsrechtliche Absicherung beim Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit von Prospekten zu ermöglichen.1073 Die dogmatische Grundlage bildeten die Vertrauenshaftung sowie die Grundsätze der (damaligen) culpa in contrahendo.1074 Abgestellt wurde insoweit auf ein typisiertes Vertrauen. So knüpfte der BGH1075 zur Haftungsbegründung der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung nicht an ein persönliches, sondern eben an ein typisiertes Vertrauen an. Der Anleger kam in der Regel mit denjenigen, die für das Prospekt verantwortlich waren bzw. an ihm mitgewirkt hatten, gar nicht in Kontakt.1076 Zwar werden mittlerweile alle Anlagen, für die früher eine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung bejaht werden konnte, von verschiedenen speziellen Regelungen erfasst, u. a. EU-ProspektVO 2017/1129 i. V. m. WpPG, das KAGB oder das VermAnlG.1077 Infolgedessen kommen für die Prospekthaftung im engeren Sinn nur noch Altfälle und der Prospektvertrieb von Eigentumswohnungen in Betracht.1078 Nichtsdestotrotz bleibt das im Zusammenhang mit der ursprünglichen eigentlichen Prospekthaftung dort hervorgehobene typisierte Vertrauen für unsere Zwecke von Interesse. Ein solches Vertrauen, das nicht auf eine (konkrete) Person ausgerichtet ist, passt zu der Umschreibung einer Rolle, die grundsätzlich ebenfalls entpersonalisiert ist. Deshalb kann man im Kontext mit der Rolle auch von typisierten Erwartungen sprechen. Solche Erwartungen kann es nicht zuletzt in Bezug auf soziale Rollen in Form von Berufen geben. Dass das typisierte Vertrauen nur eine Ausgangsüberlegung1079 bilden kann, steht einer Nutzbarmachung im Rahmen der Inanspruchnahme von Vertrauen als Teil eines dialogischen Vorgangs zwischen Vertrauensnehmer (Anwalt) und Vertrauensgeber (potentieller Vertragspartei des Mandanten) nicht entgegen, im Gegenteil. Bedeutsam ist für das Merkmal der Inanspruchnahme vielmehr zunächst (nur) das Anstoßen von Erwartungshaltungen an sich. Von der obigen Definition herkommend geht es darum, Erwartungshaltungen hervorzurufen oder sich auf vorhandene zu
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Zum Begriffspaar der eigentlichen und uneigentlichen Prospekthaftung bzw. bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung im engeren und im weiteren Sinne siehe etwa MK-BGB/ Emmerich, 6. Aufl., § 311, Rn. 153. 1073 Dazu Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 67. 1074 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 67. 1075 BGHZ 123, 106 ff. 1076 Siehe dazu BGHZ 72 382, 387; BGHZ 79, 337, 341. 1077 Dazu Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 68. 1078 So Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 311, Rn. 68. 1079 Ein alleiniges Abstellen auf statische Momente wie die Berufsstellung wurde zuvor gerade abgelehnt.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
berufen.1080 Es reicht also nicht aus, dass solche ggf. schon beim anderen (latent) vorhanden sind. Ein Vertrauensnehmer (Anwalt) nimmt nicht schon deshalb Vertrauen i. S. d. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB in Anspruch, weil er z. B. „als Anwalt“ in eine Anbahnungs-/Verhandlungssituation eintritt und sich mit dem anwaltlichen Beruf1081 bestimmte Erwartungen verbinden. Vielmehr muss, damit § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zur Anwendung gelangen kann, eine Aktivierung auf kommunikativem Weg1082 erfolgen. Sofern also an Rollen angeknüpft wird, an die sich typischerweise (personenunabhängig) einzelne Erwartungen anschließen, kann eine solche Aktivierung durch den Vertrauensnehmer in der ausdrücklichen Berufung auf die Rolle bzw. die damit verbundenen Fähigkeiten geschehen.1083 Beispiel: Die Berufung auf die eigene (berufliche) Sachkunde kann etwa in dem Satz liegen „Ich als Fachmann kenne mich mit den Abständen im Baurecht aus“.1084
Allerdings wird solch eine ausdrückliche Berufung nicht immer vorliegen. Dann ergibt sich die Schwierigkeit, ob auch eine „konkludente Inanspruchnahme“ (als Kommunikation) möglich ist. Eine solche Inanspruchnahme ist vorstellbar, vor allem, wenn man wiederum typisierte Erwartungen, also Rollenerwartungen, mitberücksichtigt. Gerade wenn mit einer bestimmten Position/Rolle bestimmte Erwartungen einhergehen, werden entsprechende Erwartungen oftmals nicht mehr ausdrücklich artikuliert. Das ist nicht zuletzt ein Beitrag der Rollen, das menschliche Zusammenleben (Interagieren) zu ermöglichen, zumindest es zu vereinfachen. Begibt sich also jemand in eine Situation, in der er (auch) als ein bestimmter Rol-
1080 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 214, führt aus, mit der Inanspruchnahme von Vertrauen sei gemeint, dass der Vertrauensnehmer eine Vertrauenserwartung tatsächlich hervorrufe, oder sich auf eine vorhandene Vertrauenserwartung berufe sowie, dass er diese Vertrauenserwartung dem Vertrauensnehmer als Grundlage für eine Vertrauenshandlung anbiete. 1081 Und seiner gleichzeitigen Stellung als Organ der Rechtspflege/Fachmann. 1082 Zum Erfordernis des kommunikativen Kontakts bei der Handlung der Inanspruchnahme von Vertrauen Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 214. 1083 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 248, macht, allerdings innerhalb ihrer Ausführungen zur Entwicklung eines eigenen Vertrauenstatbestands (S. 247 ff.) u. a. die Anknüpfung an eine Ausbildung aus (S. 248 ff.). Dabei sieht sie es jedoch nicht als erforderlich an, dass der Dritte selbst auf seine Ausbildung hinweist (S. 248). Wiegand, a. a. O., S. 248, Fn. 56, verweist auf eine Entscheidung des BGH vom 12. 02. 1986 (ZIP 1986, 562, 563), wo in den Gründen vom Auftreten des Dritten unter Hinweis auf die Sachkunde die Rede gewesen sei. Die Einstufung als ein echtes Erfordernis lehnt Wiegand aufgrund von mangelnder Bestätigung durch weitere Urteile jedoch ab. An anderer Stelle (S. 252 ff.) setzt sich Wiegand aber damit auseinander, ob vertrauensheischende Aussagen für eine Vertrauenswerbung erforderlich seien. 1084 Ob das im Einzelfall aber ausreicht, um ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 BGB zu begründen, ist, wie bereits ausgeführt, an dieser Stelle noch nicht abschließend zu klären.
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lenträger wahrgenommen wird/werden kann,1085 kann das eine Inanspruchnahme von Erwartungen, von „Vertrauen“ beinhalten. So wird von einem Arzt, der einen Unfall beobachtet und hilft, erwartet, dass er dies nach den Regeln der ärztlichen Kunst tut, auch wenn er sich nicht ausdrücklich auf sein ärztliches Leistungsvermögen beruft. Allerdings lassen sich diese Mechanismen, die vor allem mit den Trägern von Berufsrollen verbunden sind, nicht auf jeden Berufsträger in jeder Situation problemlos übertragen. Das zeigt gerade das anwaltliche Handeln innerhalb von Vertragsanbahnung und -verhandlung. So ist zum einen zu berücksichtigen, dass (auch) das Aktivieren von Erwartungen u. U. ebenfalls „typisiert“ sein kann. So beruhen anwaltliche Ratschläge und Handlungen in der Regel darauf, dass zunächst ein entsprechender Anwaltsvertrag mit einer bestimmten Person abgeschlossen worden ist. Zwar wird man nicht die Aussage treffen können, der Anwalt bewege sich außerhalb des Geltungsbereichs eines Anwaltsvertrags in einem haftungsfreien Raum. Was es aber zu vermeiden gilt, ist, über das Merkmal der Inanspruchnahme von Vertrauen unter Zuhilfenahme von typisierten Rollen einen Mechanismus zu schaffen, der letztlich dem des fiktiven Vertrags gleicht. Dieses Konstrukt war abzulehnen und soll gerade nicht über den § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB in irgendeiner Form reaktiviert werden. Abgesehen davon muss zum anderen in Bezug auf das Handeln eines Anwalts in einer bestimmten Situation erneut Berücksichtigung finden, dass der Anwalt in seiner beruflichen Tätigkeit mehrere Positions-/Rollensegmente ausfüllt.1086 Er tritt grundsätzlich als Interessenvertreter in die Vertragsverhandlungen (Anbahnung) ein, woran sich andere Erwartungen im Verhältnis zum Mandanten anknüpfen als etwa im Verhältnis zum potentiellen Vertragspartner1087. Ausgehend von diesen Überlegungen kann es somit nicht ausreichend sein, eine Inanspruchnahme von Vertrauen innerhalb der Vertragsanbahnungen/-verhandlungen allein daran festzumachen, dass der Anwalt sich in eine solche Situation begeben hat.1088 Tut er dies als Interessenvertreter seines Mandanten, ist vielmehr grundsätzlich zunächst davon auszugehen, dass das entsprechende Positions-/Rollensegment (Verhältnis zum Mandanten) im Vordergrund stehen soll.1089 1085
Hier zeigt sich auch eine Verbindung etwa zur Berufsbezogenheit eines Handelns. Inwieweit diese ein Erfordernis innerhalb der Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB sein kann, wird noch aufzugreifen sein. Vgl. wiederum Lammel, AcP 179 (1979), 337, 365, der bei einer Haftung kraft Berufsstellung von berufsbezogenem Vertrauen in die besondere Sachkunde ausgeht. 1086 Etwa in Bezug auf sein Verhältnis zum Mandanten, aber auch zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten. 1087 In diesem Verhältnis darf der Vertragspartner etwa zunächst „nur“ erwarten, dass der Anwalt (auch als Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO) sein Fachwissen nicht missbräuchlich einsetzt. 1088 Das wäre auch wiederum ein statisches Moment. 1089 Vgl. auch BGH NJW 1989, 293, 294. Dort hatte der BGH die Sachwalterhaftung eines Anwalts abgelehnt. Der BGH führte zur Begründung in dem zu entscheidenden Fall u. a. aus: „Zieht eine Partei bei Vertragsverhandlungen zu ihrer Beratung einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens heran, so begründet dies ohne Hinzutreten besonderer Umstände, (…), auch dann
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Andererseits ist der Anwalt „Fachmann“, der sein Fachwissen auch „neutral“ einsetzen kann. Macht der Anwalt z. B. wiederkehrende (fachliche) Erläuterungen,1090 die zu einem „neutralen“ Fachmann „an sich“ „passen“, kann dies Konsequenzen vor allem in Bezug auf die Erwartungen des potentiellen Vertragspartners haben.1091 Es stellt sich dann (wieder) die Frage, ob nicht ein bestimmtes Gerieren in der jeweiligen Situation unter Anknüpfung/Ausnutzung bestimmter typisierter Rollenerwartungen1092 ein (konkludentes) Hervorrufen von Erwartungen sein kann, das heißt eine Inanspruchnahme von „Vertrauen“. Jedoch dürfte bei einem solchen Aktivieren einer Rolle, mit der typische Erwartungen einhergehen, schon ein fließender Übergang zum role-making stattgefunden haben, dem damit wiederum Aufmerksamkeit zu widmen ist.
keine persönliche Haftung des Rechtsanwalts für die bei dieser Gelegenheit abgegebenen Parteierklärungen, wenn er bei der abschließenden Fixierung des Verhandlungsergebnisses mitwirkt. Dies gilt zumal dann, wenn sich auch die Gegenseite anwaltlichen Beistandes versichert.“ Der BGH lässt einen anwaltlichen Interessenvertreter also nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände als Sachwalter haften. Dabei muss in Bezug auf das Urteil jedoch zweierlei berücksichtigt werden. Zum einen ging es gerade um die Haftung für die vertragliche Fixierung von Erklärungen der vertretenen Partei, zum anderen befand sich auf der anderen Seite ebenfalls ein anwaltlicher Kollege. Dazu, dass eine anwaltliche Vertretung auf der anderen Seite bei Vertragsverhandlungen der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens in besonderem Maße regelmäßig entgegensteht, auch BGH NJW 1991, 32, 33. 1090 Abzugrenzen ist dieser Gedanke von dem Standpunkt der Rechtsprechung, wonach der Hinweis auf die eigene Sachkunde für die übernommene Tätigkeit nicht für die Begründung besonderen Vertrauens ausreicht, siehe BGH NJW-RR 1990, 459, 461; ferner BGH NJW 1992, 2080, 2082 (bezüglich des Vorhandenseins von Sachkunde). Wird etwa der sich auf seine Sachkunde Berufende von jemandem eingesetzt, der gegenüber einem anderen eine z. B. sachkundige Auskunft/Beratung schuldet (ein Anwalt schuldet dem Mandanten eine Beratung, setzt dafür dann einen anderen Anwalt ein), so kann man das Berufen des letztlich tätig Werdenden auf die Sachkunde dahingehend verstehen, dass damit nur das erbracht werden soll, was etwa der Mandant aufgrund des Anwaltsvertrags in der Situation erwarten durfte. Siehe zu vorstehendem Gedankengang auch die Situation in BGH NJW-RR 1990, 459 ff.; siehe außerdem die Ausführungen bei Gaier/Wolf/Göcken/Schultz, Anwaltliches Berufsrecht, Zivilrechtliche Anwaltshaftung, Rn. 37. Liegt so eine Situation nicht vor, kann demgegenüber ein offensives Betonen der eigenen Sachkunde, gerade wenn es damit verbunden wird/werden soll, dass z. B. Sacherkundigungen eines anderen (kein Mandant) unterbleiben, ggf. sehr wohl eine rechtlich relevante Vertrauensbeziehung begründen. 1091 Relevant kann dies auch für die Begründung einer etwaigen Garantenstellung des Anwalts gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten sein. Ein weiteres Mal ist darauf hinzuweisen, dass – anders als beim Vorgehen des BGH (NJW 2016, 2110 ff.) – relevant ist, dass es um die Begründung eines Schuldverhältnisses i. S. d. § 311 Abs. 3 BGB zwischen Anwalt und Dritten geht, welches wiederum die Grundlage (auch) für eine Garantenstellung sein kann. 1092 Jetzt solche des „neutralen“ Fachmanns.
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(cc) Inanspruchnahme von Vertrauen durch role-making1093 Der Anwalt, der als Interessenvertreter seines Mandanten in die Vertragsanbahnungen/-verhandlungen geht, sieht sich zunächst vielfach durchaus der Erwartungshaltung des potentiellen anderen Vertragspartners seines Mandanten gegenüber, er (der Anwalt) stehe für die Einnahme einer rechtlichen Parteilichkeit. Der Anwalt wird also insoweit als „Parteivertreter“ wahrgenommen, nicht primär als (bloßer/neutraler) Fachmann. Die Erwartung, er kenne sich als Fachmann aus, kann somit in den Kontext der Interessenvertretung des Mandanten gestellt werden.1094 Allerdings zeigt sich wiederum, gerade in Vertragsverhandlungen1095, die nicht rein „konfrontativ“ ausgerichtet sind, wie schwierig bzw. kaum möglich es ist, sich in „reiner Form“ nur innerhalb der Erwartungen einer bestimmten Rolle bzw. eines bestimmten Rollensegments1096 zu bewegen. In vielen Fällen kann mit der/den jeweiligen Rolle(n), dem jeweiligen Rollensegment(en) die zu bewältigende Situation nicht zufriedenstellend abgedeckt werden. Tritt der Anwalt in der Vertragsverhandlung (Anbahnung) „nur“ als Interessenvertreter auf, geriert sich so und wird auch so vom (Gesprächs-)Partner wahrgenommen, kann der Anwalt u. U. den Rollenerwartungen seines Mandanten nicht gerecht werden, weil er z. B. den anderen (potentiellen Vertragspartner) nicht zum Konsens bewegen kann. Gründe dafür können fachliches Nichtwissen oder jedenfalls Unsicherheit auf der anderen Seite sein. Indem der Anwalt diese Situation bewältigen will, stellt er ggf. seine (objektive) Fachmannseigenschaft in den Vordergrund, was durchaus noch den (Rollen-)Erwartungen seines Mandanten entsprechen kann. Es erfolgt dann andererseits ein „Anpassungsprozess“, eben eine Form von rolemaking in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner des Mandanten.1097 Will der Anwalt, um die Ziele seines Mandanten umzusetzen, gerade innerhalb der eigentlichen Vertragsverhandlung ein für den Vertragsschluss förderliches
1093 Siehe nochmals zum Begriff des „role-makings“, den Joas, Die gegenwärtige Lage der soziologischen Rollentheorie, S. 41, unter Bezugnahme auf Turner bezeichnet, als „Aktualisierung vorgegebener Rollen oder eine Wahl zwischen diesen (…), vor allem aber eine tatsächliche Neudefinition einer Beziehung durch eine Explizierung impliziter Erwartungen wie durch deren Aneinanderabarbeiten“. 1094 So wird der Anwalt beispielsweise im Zweifel die Gesetze im Sinne seines Mandanten auslegen. 1095 Das betrifft gerade solche, die zu einem Vertragsschluss führen sollen. 1096 Gemeint sind damit Erwartungen, die aus unterschiedlichen Beziehungsrichtungen herrühren können, z. B. aus den Erwartungen Anwalt – Mandant; Anwalt – Kollegen; Anwalt – potentieller Vertragspartner des Mandanten. 1097 Zumindest kann eine Modifikation der Rolle zum potentiellen Vertragspartner erfolgen, indem nunmehr von diesem an den Anwalt nicht nur die Erwartung gerichtet wird, sein Fachwissen nicht missbräuchlich einzusetzen, sondern davon ggf. in einem objektiven Sinn gegenüber dem Nichtmandanten Gebrauch zu machen. So ist dann etwa von einseitig interessenorientierten Auslegungen Abstand zu nehmen.
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Klima1098 schaffen, so kann er beispielsweise im Wege der Kommunikation für eine angenehme Gesprächsatmosphäre sorgen, vor allem jedoch durch den betont (neutralen) Einsatz seines Fachwissens1099 die andere Seite dazu bringen, bestimmten Argumentationen zu folgen und auf eigene Klärung von Fachfragen zu verzichten.1100 In solchen Momenten agiert der Anwalt zwar nach wie vor seiner Rolle als Interessenvertreter gemäß. Nach außen hin aktiviert er jedoch durch die beschriebene Berufung auf sein Fachwissen eine Erwartungshaltung beim potentiellen Vertragspartner, die sich an den (typischen) Erwartungen an einen (neutralen) juristischen Fachmann ausrichtet, der unabhängig von irgendwelchen „Lagern“ die Rechtslage verständlich machen möchte. Durch ein solches Auftreten hat der Anwalt dann in dem anderen bestimmte Erwartungen aktiviert, also Vertrauen hervorgerufen.1101 Er hat nach außen hin die Rolle zum anderen (potentiellen Vertragspartner des Mandanten) modifiziert, indem er die (objektive) Fachmannseigenschaft (zumindest zeitweise) in den Vordergrund stellte. Zwar gehört auch zur Rolle des Interessenvertreters, dass der Anwalt ein „Fachmann“ ist. Die anders gelagerte Gewichtung gerade nach außen hin führt jedoch zu einer Verschiebung der potentiellen Erwartungshaltungen anderer Personen, die mit dem Handeln des Anwalts in Berührung kommen. Insofern kann man gerade von Modifizierung oder role-making sprechen. Problematisch ist, wann eine solche Verschiebung tatsächlich stattgefunden hat und vor allem wie eine solche Verschiebung der potentiellen Erwartungshaltungen 1098
Besonders „gefährlich“ sind rationale Verhandlungen, in denen der Anwalt gleichsam vermittelnd auftritt und die andere Seite selbst nicht anwaltlich vertreten ist. Hier spricht im Grunde schon der Anschein dafür, dass der Anwalt seine objektive Fachmannseigenschaft in den Vordergrund stellt. 1099 Das kann etwa durch den Anwalt selbst geschehen („Ich als Fachmann würde…“), aber u. a. auch vom potentiellen Vertragspartner des Mandanten „angestoßen“ werden („Was meinen Sie als Anwalt dazu?“). Letzteres ist dann bedeutsam, wenn der potentielle Vertragspartner selbst nicht anwaltlich vertreten ist. 1100 Treten solche weiteren Umstände hinzu, ist auch das Berufen auf die eigene Sachkunde ein „Mehr“. Es steht dann nicht im Kontext eines „normalen Verhandlungsvertrauens“ (vgl. BGH NJW-RR 1990, 459, 461), sondern bildet einen Faktor eines eigenständigen Erwartungsaufbaus zwischen dem Anwalt und der anderen Seite. Wird dadurch etwa bedingt/intendiert, dass der andere keine eigenen fachlichen Nachforschungen anstellt (Kontrolle, ob die eigenen Interessen rechtlich abgedeckt sind), so liegt in der Betonung der eigenen Sachkunde ein Vorgehen, dass im Duktus der Rechtsprechung mit einer „Gewährübernahme“ zu vergleichen ist. 1101 Vgl. auch nochmals die Definition Kerstings zur Vertrauenserwartung. Danach „(erwartet) (…) (d)er Vertrauensgeber (…), daß die Angaben des Vertrauensnehmers sowohl im Hinblick auf dessen vergangenes Verhalten (Besitz und Einsatz der angegebenen Fähigkeiten und Kenntnisse) als auch dessen zukünftiges Verhalten (entsprechend der Ankündigung) zutreffend sind (und bleiben) und er daher insofern bei seinen Dispositionen auf eigene Maßnahmen zur Überprüfung der Richtigkeit einer Wissenserklärung oder zur Sicherstellung künftigen Verhaltens verzichten kann.“ (Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 212 f.)
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ggf. nachgewiesen werden kann, wenn der Anwalt zunächst betont als Interessenvertreter seines Mandanten in die Verhandlungen1102 gegangen ist. Denn zu berücksichtigen ist zunächst Folgendes: Tritt ein Anwalt erkennbar als Interessenvertreter für einen bestimmten Mandanten in eine Vertragsverhandlungssituation ein, so besteht die berechtigte Annahme darin, dass er dann aus dem Rollenbild des Anwalts heraus agiert, der (einseitig) Interessen wahrnimmt.1103 An dieses Moment darf sich grundsätzlich zunächst keine „Inanspruchnahme von Vertrauen“ in Bezug auf den anderen (potentieller Vertragspartner des Mandanten) (allein) dergestalt anschließen, der Anwalt werde juristische Informationen als neutraler Fachmann darstellen. Eine Veränderung der (berechtigten) Erwartungen des potentiellen Vertragspartners des Mandanten an den Anwalt, die u. a. aus einem role-making resultieren können, ist zwar möglich, aber dann von dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten darzulegen und ggf. zu beweisen.1104 Das betrifft zunächst1105 das Eröffnen einer (veränderten) Rollenbeziehung, an die sich eben grundsätzlich bestimmte Erwartungen anschließen dürfen, geht es hier doch um eine Inanspruchnahme von Vertrauen durch ein role-making. Notwendig und sinnvoll wird es für den Vertragspartner daher in den meisten Fällen sein, zunächst die tatsächlichen Abläufe darlegen und möglicherweise beweisen zu können.1106 Dann kann ggf. unter Zuhilfenahme des Gedankens des Anscheinsbeweises1107 bei Darlegung bestimmter Abläufe innerhalb einer (insbesondere rationalen) Verhandlung eine notwendige Beweisführung gelingen. Ein solcher Mechanismus ist grundsätzlich vorstellbar. Die damit verbundenen Schwierigkeiten zeigen sich allerdings auch in Bezug auf (weitere) Voraussetzungen im Kontext mit § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB. (dd) „Annahmeproblematik“ So kann ein Rückschluss auf das Vorliegen einer bestimmten Erwartungshaltung beim Vertrauensgeber (potentiellen Vertragspartner des Mandanten) vor allem an seiner Reaktion festmachen. Im Hinblick auf den mehrfach angesprochenen kom1102
Das kann ebenso die Vertragsanbahnungsphase betreffen. Der andere darf also wiederum grundsätzlich „nur“ das Fehlen von Missbrauch in seiner Beziehung zum Anwalt erwarten, nicht zuletzt, weil letzterer (auch) Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ist. 1104 Es geht in der Regel um die Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB als anspruchsbegründende Faktoren innerhalb des § 280 Abs. 1 BGB. Die Grundregel der Beweislastverteilung lautet, dass jede Partei die Beweislast dafür trägt, dass der Tatbestand der ihr günstigen Rechtsnorm erfüllt ist, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 284 Vorb, Rn. 23. 1105 Siehe sogleich noch zur „Annahmeproblematik“. 1106 Aus denen dann ggf. die entsprechenden rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen werden müssten. 1107 Zu einem solchen Vorgehen innerhalb von § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 226 f. 1103
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munikativen Prozess, den die Inanspruchnahme von Vertrauen beinhaltet, kann man auch sagen, dass zunächst gleichsam die „Annahme“ des „Vertrauensangebots“ des Dritten (Anwalts) bzw. des (modifizierten) Rollenangebots des Dritten auszumachen ist.1108 Angesprochen werden damit wiederum Abläufe, wie sie etwa Jost beschrieben hat.1109 Der Mechanismus eines Antragens einer Rolle oder Modifizierens einer Rolle weist durchaus ein Wechselspiel („Hineinziehen in eine Rollenbeziehung“) auf, welches mit dem eines Vertragsschlusses zu vergleichen ist. Geht es aber um vertragsähnliche Abläufe, geht es bei der Inanspruchnahme von Vertrauen um einen kommunikativen Prozess, so ist zunächst festzuhalten, dass die Vertrauenserwartung des potentiellen Vertragspartners des Mandanten (gegenüber dem Anwalt), die durch seine annahmeähnliche Reaktion (heraus-)gebildet wird, eine subjektive ist. Der Einzelne soll eben in die (modifizierte) Rollenbeziehung (zum Anwalt) „hineingezogen“ werden. Der § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB lässt, so Kersting, ein ausschließliches Abstellen auf die bzw. die ausschließliche Nutzbarmachung von der Lehre vom objektiven Vertrauenstatbestand1110 nicht zu.1111 Das beschriebene role-making, wobei sich letzteres gerade individuell entwickeln kann/ soll, löst sich dann davon, was der Partner (potentielle Vertragspartner des Mandanten) (vom Anwalt) erwarten durfte1112 in dem Sinn, dass ein objektiver Vertrauenstatbestand zwar als Anknüpfungspunkt tatsächlichen Vertrauens möglich bleibt.1113 Maßgeblich ist aber, dass der (Vertrauens-)Tatbestand letztlich „gemeinsam erarbeitet“ worden ist.1114
1108 Es geht letztlich um die Frage/Problematik, ob/dass tatsächliches Vertrauen des Vertrauensgebers vorhanden ist und (sogar) ggf. nach außen gezeigt werden (muss). 1109 Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 255. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, betont den kommunikativen Kontakt (S. 214). Systematisch lasse sich für das Erfordernis eines tatsächlichen Vertrauens des Vertrauensgebers, so Kersting, anführen, dass dies zu einer Zweiseitigkeit des Entstehungstatbestandes der Sonderverbindung gemäß § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB führe (so S. 215). Das unterstreiche die Rechtsgeschäftsähnlichkeit dieser Sonderverbindung (S. 215). 1110 Für ein Festmachen des Vertrauens an einem von äußeren Merkmalen abhängigen Vertrauenstatbestand unter Außerachtlassung eines subjektiv vorhandenen Vertrauens u. a. Ballerstedt, AcP 151, 501, 506 ff. (zum Vertrauen dürfen); Canaris, Vertrauenshaftung, S. 491 ff.; Flume, AcP 161 (1962), 52, 63, spricht von einer Rechtsfolge kraft rechtlicher Wertung eines Verhaltens; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 116; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 405; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 233, die aber, worauf auch bereits hingewiesen wurde, der Frage, ob subjektiv vertraut worden ist, nicht eine Bedeutung abspricht. 1111 Das mit ausführlicher Begründung darlegend Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 231 ff. 1112 Dazu u. a. wiederum Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 123 f. 1113 Es geht etwa darum, sich z. B. auf eine typische Rollenbeziehung einzulassen. 1114 Dann löst sich im Übrigen auch die Problematik um das „blinde“ Vertrauen auf; zu dem Problemfeld etwa Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 234 ff.
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Dabei darf und durfte die Lehre vom objektiven Vertrauenstatbestand nicht so verstanden werden, aus ihr einen Verzicht auf die Kausalität von Vertrauen und schädigender Disposition des Vertrauensgebers zu folgern.1115 Vielmehr sollte die Beweisbarkeit des Vertrauenstatbestands erhöht werden, da ein innerer Vertrauenstatbestand kaum im Prozess nachzuweisen wäre.1116 Die zuvor angesprochene Argumentation mittels der Abläufe des role-makings liefert zudem weitere Gründe für ein Abstellen auf eine subjektive Vertrauenserwartung. Role-making ist begriffsnotwenig subjektiv. Das ist bei der Neuschaffung von Rollen bzw. der Modifizierung bestehender (typischer) Rollen offensichtlich. Es wird aber ebenso deutlich, wenn der Dritte (Anwalt) ein vorgefertigtes Rollenbild (z. B. das des neutralen Fachmanns) in Bezug auf den anderen aktivieren will. Die Inanspruchnahme von Vertrauen durch das Aktivieren bestehender Rollenbilder als Fall des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ist (nur) in den Situationen vorstellbar, in denen der andere (Vertrauensgeber, potentielle Vertragspartner des Mandanten) nicht schon vorher dem Dritten (Anwalt) gegenüber (berechtigterweise) die Erwartungen des entsprechenden Rollenbildes „besetzte“. Eine Person, die mit einem Anwalt anwaltsvertraglich verbunden ist, hat demgegenüber die (typischen) Rollenerwartungen1117 an ihn, weil entsprechende Leistungen vertraglich geschuldet sind. Für § 311 Abs. 3 BGB ist kein Platz. Das ergibt sich juristisch schon aus dem Vorrang der rechtsgeschäftlichen Verbindung (§ 311 Abs. 1 BGB). Unter Hinzuziehung des Rollenverständnisses folgt das auch daraus, dass eine Person, die ohnehin zu den Bezugsgruppen einer bestimmten Rollenbeziehung gehört,1118 nicht mehr dafür „geworben“ werden muss, zu einer Bezugsperson zu werden. Vielmehr geht es bei dem hier interessierenden § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB darum, Personen, die (noch) außerhalb der Bezugsgruppen/-personen stehen, in den Kreis1119 „hineinzuziehen“ oder ihre Rolle zu modifizieren1120. Dieser Prozess ist aber ein subjektiver. 1115
So ausdrücklich Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten. S. 102. Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten. S. 102, u. a. mit Hinweis (Fn. 20) auf Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 233. Diesem Problem muss sich auch der hier gewählte Lösungsweg stellen. Angesprochen wurde bereits die Nutzbarmachung der Figur des Anscheinsbeweises. Es gilt noch herauszuarbeiten, welches der typische Ablauf ist, an den sich eine bestimmte Vermutung anschließen kann. 1117 In der Regel eine einseitige (juristische) Interessenwahrnehmung bezogen auf das Verhältnis Anwalt – Mandant (entsprechendes Rollensegment). 1118 Als Bezugsgruppe sollen hier Personen aufgefasst werden, die berechtigterweise Erwartungen an den Rolleninhaber stellen. 1119 Der potentielle Vertragspartner des Mandanten soll dann eine Bezugsperson sein, die die Erwartungen an einem neutralen Fachmann ausrichtet. 1120 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass der potentielle Vertragspartner des Mandanten bereits mit Aufnahme der Vertragsverhandlungen, sogar mit der Vertragsanbahnung, in einer Rollenbeziehung zum Anwalt der anderen Seite steht. Dieser darf, weil er (auch) Organ der Rechtspflege ist (§ 1 BRAO) u. a. sein Fachwissen nicht missbräuchlich einsetzen. 1116
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Kann man bisher somit festhalten, dass ein kommunikativer/dialogischer Prozess mit einer „Annahme“ vorliegen muss und dass hier notwendige subjektive Elemente hineinspielen, so bedarf es aber der weiteren Klärung, wie die „Annahme“ aussehen kann bzw. muss, um ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 BGB möglicherweise begründen zu können. Vergleicht man die Abläufe von ihrem Mechanismus her wiederum mit dem rechtsgeschäftlichen Vertragsschluss, so muss die „Annahme“ „deckungsgleich“ sein. Sieht man das „Angebot“ des Dritten (Vertrauensnehmers/Anwalts)1121 darin, dass er bestimmte Erwartungen im Vertrauensgeber hervorruft bzw. aktiviert, so muss die „deckungsgleiche“ Reaktion des Vertrauensgebers darin bestehen, eine Handlung vorzunehmen, die „erwartungskonform“ ist. Die antwortende Reaktion besteht also darin, sich als Vertrauensgeber auf die in einem selbst aktivierten Erwartungen einzulassen, der Vertrauensgeber stellt folglich sein Verhalten darauf ein. Man könnte auch von einer deckungsgleichen „Vertrauensantwort“ sprechen. Darunter kann man zum einen eine nach außen tretende Reaktion auffassen, die losgelöst von späteren (Vertrauens-)Handlungen steht.1122 Vorstellbar ist etwa eine Reaktion (Äußerung) des Verhandlungspartners gegenüber dem Anwalt dahingehend, dass man nach Erhalt der Information weiterverhandeln könne, weil man sich nicht selbst informieren müsse. Derartige (ausdrückliche) Reaktionen werden jedoch selten sein. Angesichts dessen stellt sich die Frage, worin dann die „Antwort“ (Gewährung des Vertrauens) liegen kann. Gerade innerhalb der Vertragsverhandlungen1123 wird die „Antwort“, die Gewährung tatsächlichen Vertrauens, vielfach (zunächst) darin bestehen, die Auskünfte des Anwalts nicht weiter zu verifizieren, sie also „hinzunehmen“.1124 Dieses Vorgehen kann dann durch die (spätere) Vornahme der eigentlichen Vertrauenshandlung (z. B. entsprechender Vertragsabschluss) gleichsam
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Das „Angebot“ kann selbstverständlich auch vom Vertrauensgeber (potentieller Vertragspartner des Mandanten) ausgehen, etwa, indem er gezielt fragt, ob der Anwalt ihm nicht die bestimmte rechtliche Information geben könne. Darin liegt ein „Angebot“, eine bestimmte Art von Rollenbeziehung (potentieller Vertragspartner des Mandanten – Anwalt/Fachmann) zu eröffnen. Darin liegt auch ein Vertrauenserweis des potentiellen Vertragspartners, vgl. Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 88. Gibt der Anwalt die Information, lässt er sich auf die (modifizierte) Rollenbeziehung ein. 1122 Zum Erfordernis einer von einer späteren Vertrauenshandlung getrennten Rückmeldung etwa Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 99 f., 102, Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 260 ff. (Vertrauenserweis). 1123 Das kann gerade auch in Bezug auf sonstige Vorgespräche (Vertragsanbahnungen) der Fall sein. 1124 Relevant ist dies, wenn der andere Verhandlungspartner nicht selbst anwaltlich vertreten wird. Im Fall eigener anwaltlicher Vertretung sah der BGH (NJW 1989, 293, 294) u. a. darin einen Grund, eine Sachwalterhaftung eines Anwalts aufgrund seines Auftretens in einer Vertragsverhandlung abzulehnen.
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„bestätigt“ werden.1125 Damit wird man in der letztendlichen Vertrauenshandlung einen wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Beurteilung einer erfolgten „Annahme“ ausmachen können.1126 (ee) „Annahme“ in Bezug auf die Inanspruchnahme Verbleibt man in den Abläufen, die denen eines Vertragsschlusses ähneln, so lässt sich daran anknüpfend auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Inanspruchnahme von Vertrauen einerseits und „antwortender“ Reaktion andererseits (mit) bestimmen. Eine Annahme eines Vertragsangebots liegt dann vor, wenn sie in Bezug auf das Angebot abgegeben worden ist.1127 Vergleichbares muss auch hinsichtlich der Bejahung eines auf § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB gründenden Schuldverhältnisses gelten. Die Rechtfertigung der Entstehung eines Schuldverhältnisses zwischen Drittem (Anwalt) und Vertrauensgeber (potentieller Vertragspartner des Mandanten), welches nicht zuletzt Grundlage von Haftungsansprüchen sein kann, verlangt vom Dritten (Anwalt) eben mehr als das bloße Innehaben einer Position, auf die sich (ggf. typisierte) Erwartungen ausrichten. Das Schuldverhältnis entsteht nicht deshalb, weil er z. B. (nur) ein Anwalt ist.1128 Das Schuldverhältnis entsteht u. a.,1129 weil der Dritte (Anwalt) Erwartungen anstößt bzw. „aufnimmt“, falls sie an ihn herangetragen werden. Möglich wäre es nun, letzteres als (besonders) entscheidenden Faktor anzusehen, das heißt, das Schuldverhältnis auch dann entstehen zu lassen, wenn schlussendlich die korrespondierende „Vertrauenshandlung“ des anderen ihren Ursprung nicht in den angestoßenen/aufgebauten Erwartungshaltungen hat, sondern davon unabhängig ist. Beispielhaft wäre der Fall zu nennen, in dem der „Vertrauensgeber“ (potentieller Vertragspartner des Mandanten) gar nicht vertraut hat,1130 etwa weil der Erwartungsaufbau bei ihm nicht erfolgreich war oder weil er 1125 Zu einem entsprechenden Ablauf, unter Zuhilfenahme des Rechtsgedankens des § 151 BGB, Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 229. Kersting, a. a. O., entwickelt zur Problematik der fehlenden Zurückweisung des Vertrauens als genügenden Vertrauenserweis weitere Lösungsansätze, u. a. unter Bezug auf die Rechtsgedanken der §§ 333, 416 Abs. 1 Satz 2, 455, 516 Abs. 2, 1942 BGB; § 377 HGB. 1126 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 227, lehnt die Vornahme oder Nichtvornahme der Vertrauenshandlung als (erkennbaren) Vertrauenserweis ab unter Hinweis darauf, dass das Gesetz zwischen diesem Aspekt und der Inanspruchnahme von Vertrauen trenne. Den Rechtsgedanken über § 151 BGB lässt er demgegenüber zu. Außerdem sieht er die Gewährung von Vertrauen als durchaus teilweise in die Beeinflussung der Vertragsverhandlungen/des Vertragsschlusses aufgegangen an (S. 210). 1127 Brox/Walker, AT des BGB, § 8, Rn. 19. 1128 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 215; siehe auch dort Fn. 1216. 1129 Bzw. darin liegt eine (notwendige) Voraussetzung. 1130 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 215, benennt ausdrücklich die Möglichkeit, wonach es vorstellbar ist, dass die Vertrauenshandlung ohne ein tatsächlich vorliegendes Vertrauen allein aufgrund der Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Vertrauensnehmer vorgenommen wurde.
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seine Erwartungen aus anderen Quellen schöpft, z. B. eine eigene Informationsbeschaffung vorgenommen hat. Ließe man dann die Entstehung eines Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB zu, würde man durch § 311 Abs. 3 BGB u. a. einen Weg eröffnen, durch den der „Vertrauensgeber“1131 es sich offenhalten könnte, eine Art von Risikoplanung zu betreiben, die in der Form nicht Sinn und Zweck des § 311 Abs. 3 BGB entsprechen kann. Die „Risikoplanung“ könnte dann darin bestehen, die (bloße) Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Dritten (Anwalt) als zusätzliche Sicherheit mittels einer möglichen Haftungsbegründung1132 in die eigenen Überlegungen einzustellen, wenn es darum geht, die für den Vertrag und seine Durchführung maßgeblichen Tatsachengrundlagen, vor allem Rechtstatsachengrundlagen, zu schaffen. Beispiel: Innerhalb der Vertragsverhandlungen, in denen es u. a. darum geht, welcher Vertragstypus den jeweiligen Beteiligteninteressen am nächsten kommt, lässt der Anwalt der einen Seite sich zu Erläuterungen von Vor- und Nachteilen eines bestimmten Vertragstypus gerade auch in Bezug und unter Ansprache auf die potentielle Vertragspartei seines Mandanten ein.1133 Diese nimmt anhand der gegebenen Informationen einen Abgleich mit ihrer Interessenlage vor. Gleichwohl hat sie deutliche Zweifel an der fachlichen Wertigkeit der Ausführungen des Anwalts der anderen Seite, obwohl der Anwalt sich wiederholt auf seine besonderen Kenntnisse im Vertragsrecht berufen hat1134. Der potentielle Vertragspartner holt noch vor dem eigentlichen Vertragsschluss von weiterer Seite1135 rechtlichen Rat ein. Die dort erhaltenen Auskünfte decken sich in wesentlichen Teilen mit den Hinweisen, die der Anwalt der anderen Seite gegeben hat, lassen aber auch Spielraum für abweichende rechtliche Verständnismöglichkeiten.
Die Überlegungen des potentiellen Vertragspartners könnten nun dahingehen, einen Vertrag nach dem Vorschlag des Anwalts der anderen Seite abzuschließen. Sollten sich auf die Art und Weise seine Interessen (rechtlich) umsetzen lassen, so ist 1131
Derjenige, der im Beispiel also gar kein Vertrauen gibt. Über die Eröffnung eines Schuldverhältnisses, das ggf. im Verbund mit dem Vorliegen weiterer Merkmale zur Erfüllung der Voraussetzungen eines Haftungstatbestands führt. 1133 Es liegt dann keine bloße Auskunft, sondern vielmehr ein Rat oder eine Empfehlung vor. 1134 Zwar ließ der BGH die Berufung auf die eigene Sachkunde u. a. in BGH NJW-RR 1990, 459, 461, nicht genügen, um die Inanspruchnahme von besonderem persönlichem Vertrauen anzunehmen. Der BGH präzisierte seine Ausführungen allerdings dahingehend, dass „(…) (a)llein der Hinweis auf diejenige Sachkunde, die für die übernommene Tätigkeit ohnehin erforderlich ist, (…) kein besonderes Vertrauen in diesem Sinne (BGH, WM 1984, 127 (128) – unter 2) (erweckt).“ (Im vom BGH entschiedenen Fall handelte der Beklagte als Erfüllungsgehilfe i. S. d. § 278 BGB des Vertragspartners des Klägers.) In unserem Beispielsfall geht es nicht darum, dass er Anwalt auf eine Sachkunde verweist, auf die der potentielle Vertragspartner seines Mandanten ohnehin (schon) von Anfang an entsprechende Erwartungen richten darf. Vielmehr dient die Berufung auf die eigene Sachkunde hier gerade dazu, eine (eigene modifizierte) Rollenbeziehung zum Verhandlungspartner aufzubauen, die u. a. dazu führen (soll), dass dieser ihn als (neutralen) Fachmann begreift. 1135 Entsprechendes gilt erst recht, wenn der potentielle Vertragspartner anwaltlich vertreten ist. 1132
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sein eigentliches Ziel erreicht. Sollte es sich allerdings zeigen, dass der entsprechende (Vertrags-)Typus nicht zur eigenen Interessenumsetzung führt,1136 so könnte er sich als Option, gleichsam als „Risikoplanung“ für das Scheitern der Interessenrealisierung, einen Anspruch gegen den Anwalt der anderen Seite offenhalten. Der potentielle Vertragspartner „nutzt“ also den Akt des Anwalts der anderen Seite, der Erwartungshaltungen hervorrufen wollte, aus, obwohl solche weder hervorgerufen oder in sonstiger Weise aktiviert worden sind.1137 Er setzt vielmehr den Umstand, dass mit Erwartungshaltungen (einseitig) operiert worden ist, bewusst kalkulierend in sein eigenes Handlungsschema ein.1138 Für die Eröffnung eines solchen Wegs besteht kein Schutzbedürfnis des „Vertrauensgebers“ (potentieller Vertragspartner des Mandanten). Sinn und Zweck des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB entspricht es nicht, ein derartig kalkulatorisches Verhalten zu ermöglichen. Denn in einer Situation, die der beschriebenen gleicht, ist die letztendliche Handlung, insbesondere der Vertragsschluss, des „Vertrauensgebers“ motivational von dem geprägt, was ein Geschäftsfähiger im Vorfeld eines Vertragsschlusses eigentlich zu leisten hat: einer von Eigenverantwortung geprägten Bewältigung der Ordnung und Durchsetzung der eigenen Interessen. Das kann vor allem die eigenverantwortliche Informationsbeschaffung und -bewertung betreffen. Letzteres wird vom jeweiligen Interessenträger gerade dann erbracht, wenn ihm diese Prozesse nicht abgenommen werden. Ausgehend von der Verteilung der Informationslast obliegt es auch dem einzelnen Interessenträger, sich die maßgeblichen Informationen, die für seine Entscheidungen relevant sind, zu beschaffen. Ob dann die Gründe, die dazu führen, dass der Einzelne das macht, was zu seinem ureigenen Interessen- und auch Pflichtbereich gehört, darin liegen, dass man einem anderen „nicht vertraut“, oder aber sich ohnehin die notwendigen Erkenntnisse verschafft hat, ist unerheblich. Maßgeblich ist, dass man seinem eigenen Verantwortungsbereich grundsätzlich gemäß gehandelt hat. Schutz bedarf nur derjenige, der sich, prinzipiell ebenfalls seinen Verantwortungsbereich erkennend, in rechtlich anerkennenswerter Weise aus seiner Eigenverantwortung begibt. Das kann in den tatbestandlichen Situationen des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB der Fall sein, allerdings (zunächst)1139 nur dann, wenn er seine Reaktion in Bezug auf das Antragen einer Inanspruchnahme von Vertrauen ausrichtet, das heißt, wenn, von vergleichbaren 1136 Z. B., weil die rechtlichen Auskünfte doch falsch waren, bzw. von der späteren Drittinstanz anders ausgelegt werden. 1137 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 215 f., weist ausdrücklich auf einen möglichen Ablauf hin, wonach ein juristisch vorgebildeter Vertragspartner sich sagt, ihm reiche die Inanspruchnahme von Vertrauen. Zwar wisse er sicher, dass der Dritte sein Vertrauen enttäusche, aber seine Vertrauensinanspruchnahme allein könne ja letztendlich seine Haftung begründen, so dass er sich notfalls an ihn halten könne. 1138 Kersting, a. a. O., S. 216, sieht ausdrücklich die Möglichkeit der Beeinflussung eines Vertrags allein durch die Inanspruchnahme von Vertrauen und stellt den Weg auch in einen ökonomischen Kontext. Kersting spricht in dem Zusammenhang von „kalkulierende(…)(m), berechnende(…)(m) Vertrauen in Form einer Vertrauenshandlung ohne Vertrauenserwartung“. 1139 Zu weiteren Voraussetzungen sogleich.
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vertraglichen Mechanismen ausgehend, die „Annahme“ gerade des „Angebots“ erfolgt.1140 Es besteht somit kein anerkennenswertes Bedürfnis dafür, den „Vertrauensgeber“ (potentiellen Vertragspartner) durch die Option eines Regressanspruchs gegen den Dritten (Anwalt) mit Hilfe des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB aus seiner Eigenverantwortung zu entlassen.1141 (c) „Für sich“ Das reflexive Merkmal „für sich“ in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB „scheint“ auf den ersten Blick überflüssig zu sein, ist allerdings durchaus in seiner begrenzenden Funktion von Bedeutung. Es geht darum, „für sich“ als eigene Person Anspruch auf Vertrauen zu erheben.1142 Kersting1143 zeigt anhand der Situation des Vertreters nach § 164 BGB, dass dieser seine Rolle als Vertreter verlassen und einen Anspruch auf Vertrauen „für sich“ als eigene Person erheben muss. 1140 Sollte der seltene Fall vorliegen, in dem der Vertrauensgeber ausdrücklich die „Annahme“ formuliert, kommt der hier aufgezeigte Aspekt jedenfalls bei der noch vorzunehmenden Kausalitätsprüfung zum Tragen. 1141 Für die hier geforderte „Annahme“ bietet sich auf der Beweisebene, anschließend an die obigen Überlegungen unter (b), wiederum das Konstrukt des Anscheinsbeweises an. Auch für die bezugnehmende „Annahme“ wäre der potentielle Vertragspartner des Mandanten des auskunftgebenden Anwalts nach allgemeinen Beweislastregeln grundsätzlich beweispflichtig. Allerdings wird, da in der Regel keine ausdrückliche „Annahme“ erfolgt, der, gerade auch innere Tatsachen betreffende, positive Beweis, dass etwa mit dem Weiterverhandeln auch eine solche „Annahme“ gemeint war, kaum gelingen. Gedacht werden könnte, unter Bezugnahme auf die Argumentation im Zusammenhang mit dem Beeinflussungserfordernis nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB an eine Beweislastumkehr. Eine solche ist jedoch hinsichtlich des hier präferierten Wegs zu weitgehend. Das liegt u. a. in dem Erfordernis begründet, dass die „Annahme“ in Bezug auf die Inanspruchnahme zu erfolgen hat. Eine solche könnte etwa abzulehnen sein, wenn der potentielle Vertragspartner des Mandanten verifizierenden rechtlichen Rat einholt, z. B. seitens eines anderen Anwalts. Ein entsprechender Beweis hierüber durch den Dritten (auskunftgebender Anwalt) wird häufig kaum möglich sein. In Anbetracht etwa von § 43a Abs. 3 BRAO (Verschwiegenheitspflicht, Abs. 2), auf den der andere Anwalt verweisen kann, kann es dem auskunftsgebenden Anwalt ggf. unmöglich sein nachzuweisen, dass die andere Seite (weiteren) anwaltlichen Rat erhalten hat. Vorzugswürdig ist es daher, für die „Annahme“ einen, allerdings hoch anzusetzenden, Anschein sprechen zu lassen. Sollte im Anschluss an Handlungen, die für die Inanspruchnahme von Vertrauen seitens des Dritten (auskunftgebender Anwalt) sprechen, der andere (potentielle Vertragspartner des Mandanten) (weiter) verhandelt und/oder einen Vertrag geschlossen haben, kann daraus der Anschein der bezugnehmenden „Annahme“ folgen. 1142 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 259. Kersting, a. a. O., verweist auch auf das bereits vor Inkrafttreten des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB erhobene Postulat des „persönlichen“ Vertrauens. Zum Erfordernis des persönlichen Vertrauens u. a. Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 49; MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 212, zum Aspekt des „in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nehmen“ bei der Sachwalterhaftung; siehe auch HK-BGB/Fries/Schulze, § 311, Rn. 19. Aus der Rechtsprechung siehe nur beispielhaft BGH NJW-RR 2006, 993, 994 (persönlich ausgehende Gewähr); BGH NJW 1997, 1233, 1233 und 1989, 293, 294 (in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch genommen). 1143 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 259.
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Ausgehend von diesem Beispiel1144 kann auch eine Annäherung an den im Fokus stehenden Anwalt in der Vertragsanbahnung bzw. -verhandlung erfolgen. Ein Schuldverhältnis, das zur Haftung führen kann, kann über § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht begründet werden, wenn beim Vertrauensgeber (potentiellen Vertragspartner des Mandanten) in „irgendeiner Weise“ die Erwartung entsteht, der Anwalt der anderen Seite treffe Aussagen in seinem (des Vertrauensgebers) Interesse. Damit das Merkmal „für sich“ erfüllt ist, muss der Anwalt vielmehr selbst, seine Rolle als primär (reiner) Interessenvertreter gegenüber dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten modifizieren und die zuvor beschriebene Aktivierung/Eröffnung der Rolle als (reiner/neutraler) Fachmann gegenüber dem Vertrauensgeber vornehmen und in den Vordergrund stellen. Wenn ein und dieselbe Person handelt, kann das Merkmal „für sich“ also dafür bedeutend sein, welches „Erwartungsbündel“ bei ihm gegenüber anderen zum Tragen kommt. Indem der Anwalt gegenüber dem Vertrauensgeber (potentiellem Vertragspartner) eine Rollenbeziehung als „(objektiver/ neutraler) Fachmann – andere Person“ aktiviert/modifiziert, handelt er (Anwalt) dem Vertrauensgeber gegenüber nicht mehr in der Rollenbeziehung, die vom Fremdbezug (Interessenvertreter des Mandanten) geprägt ist. Aufgrund der Relevanz der Modifizierung der Rollenbeziehung zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten sind die bedeutsamen Fragen damit zwar schon im Kontext mit der Inanspruchnahme von Vertrauen thematisiert worden. Das Merkmal „für sich“ verdeutlich jedoch nochmals, dass der maßgebliche Bezugspunkt für die Begründung eines etwaigen Schuldverhältnisses zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner sorgfältig unter Anknüpfung daran zu erfolgen hat, „als was“ der Anwalt gegenüber dem Dritten auftritt. (d) In besonderem Maße § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB fordert weiterhin, dass der Dritte (Vertrauensnehmer/ Anwalt) „in besonderem Maße“1145 Vertrauen für sich in Anspruch nimmt. Be1144 Der Anwalt wird vielfach (auch) Vertreter seines Mandanten i. S. d. § 164 BGB sein. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, so ist die Situation dann der „Sachwalterproblematik“ angenähert, bei der ebenfalls das Merkmal „für sich“ Sinn macht. Es geht darum, für seine eigene Person Vertrauen in Anspruch zu nehmen. Zum Vorstehenden Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 262. 1145 Das Gesetz spricht nicht von „besonderem Vertrauen“ oder „besonderem persönlichen Vertrauen“; dies gerade herausstellend Faust, AcP 210 (2010), 555, 562. Der Passus „besonderes Vertrauen“ findet sich u. a. in den Gesetzesmaterialien (RegBegr, BT-Drs. 14/6040, S. 163). Während etwa Koch, AcP 204 (2004), 59, 76, betont, „besonderes Vertrauen“ beziehe sich auf die Qualität des Vertrauens, „in besonderem Maß“ demgegenüber auf die Inanspruchnahme, lehnt Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 262, die Annahme eines Unterschieds ab. Man kann Kerstings Ablehnung eines Unterschieds mit dem oben geschilderten dialogischen Prozess begründen. Kersting selbst, a. a. O., führt aus, eine gesteigerte Inanspruchnahme von Vertrauen erfordere umgekehrt auch das Hervorrufen einer entsprechenden Vertrauenserwartung. „Besonderes persönliches Vertrauen“ wird ebenfalls im Zusammenhang mit § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB angeführt, u. a. bei Jauernig/Stadler, BGB, § 311, Rn. 49; siehe auch z. B. BGH
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
zugspunkt für dieses „besondere Maß“ ist ausweislich des Gesetzeswortlauts die Inanspruchnahme des Vertrauens.1146 Wählt man die Inanspruchnahme von Vertrauen als maßgeblichen Bezugspunkt, kann darüber eine Einschränkung möglicher Fälle von Dritthaftung erfolgen. So ist es innerhalb der Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße nicht ausreichend, wenn bloßes Verhandlungsvertrauen vorliegt.1147 Nun ist der Begriff des Verhandlungsvertrauens nicht besonders aussagekräftig.1148 Zum Ausdruck kommt sicherlich, dass man der Ubiquität von Vertrauen begegnen möchte.1149 Versteht man die Inanspruchnahme in einem besonderen Maße als Ausdruck besonderer Intensität,1150 als Appell an den Vertrauensgeber,1151 so zeigen sich Umstände, die nicht mehr ubiquitär sind. Der Anwalt in der Vertragsverhandlung, der eine Rollenbeziehung zum potentiellen Vertragspartner des Mandanten dergestalt aufbaut, ihn in eine Rollenbeziehung zu ihm als (reinen/neutralen) „Fachmann“ hineinzuziehen,1152 betont gegenüber dem Dritten diese Eigenschaft (Fachmann). Mit dem Aufbau einer solchen Rollenbeziehung „appelliert“ er gleichsam an den potentiellen Vertragspartner seines Mandanten, sich bei ihm etwaige relevante Informationen (insbesondere rechtlicher Art) zu holen. Das ist, wiederum bezogen auf die berufliche Stellung des Anwalts, ein role-making, durch das auch Vertrauen in besonderem Maße in Anspruch genommen wird. Grundsätzlich wurden diese Abläufe schon bei der Bejahung der Inanspruchnahme von Vertrauen angenommen. Dort wurden die Elemente, die in das „besondere Maß“ einfließen, für das Vorliegen eines role-makings herangezogen. Im Fall NJW-RR 2012, 937, 939; OLG München BeckRS 2018, 30861, Rn. 83. Die Bedeutung des „persönlich“ ist jedoch, wenn damit die Abgrenzung etwa zum Eigenhandeln des Vertreters vorgenommen wurde, durch die Installierung des Merkmals „für sich“ in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB entfallen, siehe u. a. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 264; siehe auch ferner Faust, AcP 210 (2010), 555, 562. 1146 Darauf etwa ausdrücklich hinweisend Koch, AcP 204 (2004), 59, 76, siehe auch die vorhergehende Fußnote. 1147 Zum Verhandlungsvertrauen unter der Geltung des § 311 Abs. 3 BGB etwa BGH NJWRR 2012, 937, 939; NZG 2008, 661, 662. So heißt es bei BGH NJW-RR 2012, 937, 939, wieder, für die Annahme eines besonderen persönlichen Vertrauens sei erforderlich, dass der Anspruchsgegner eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität und ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags übernommen habe. Zum Verhandlungsvertrauen gerade in Bezug auf den Rechtsanwalt etwa BGH NJW 1989, 293, 294. 1148 Siehe auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 265. 1149 Dazu Faust, AcP 210 (2010), 555, 563. 1150 Koch, AcP 204 (2004), 59, 76, unter Hinweis (Fn. 80) auf Canaris, ZHR 163 (1999), 225, 232. 1151 Koch, AcP 204 (2004), 59, 77. 1152 Das kann auch schon innerhalb einer sonstigen Vertragsanbahnung (Vorgespräche) der Fall sein.
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des in der Vertragsverhandlung Auskunft erteilenden Anwalts (erst recht bei Rat und Empfehlung) kann/muss man also das Merkmal des „besonderen Maßes“ dort bereits integrieren. Das deckt sich mit der Erkenntnis Kerstings,1153 wonach Vertrauen in besonderem Maße in Anspruch genommen werde, wenn der Vertrauensnehmer offenlege, warum auf seine Aussagen eher Verlass sei als auf die Aussagen beliebiger anderer Personen. (e) Erhebliche Beeinflussung Nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB muss die Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Dritten die (eigentlichen) Vertragsverhandlungen1154 oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst haben. Dieses Erfordernis beinhaltet mehreres. Zunächst ist diese Kausalbeziehung relevant dafür, dass überhaupt ein Schuldverhältnis zwischen Vertrauensgeber und -nehmer zustande kommt,1155 hier somit zwischen Anwalt und dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten. Mit den (eigentlichen) Vertragsverhandlungen oder dem Vertragsschluss als „Wirkungsorte“ der Beeinflussung ist fernerhin herausgestellt, dass diese im rechtsgeschäftlichen Bereich zu verorten sind, eine Sonderverbindung also nicht entsteht, sofern z. B. (nur) rein gesellschaftliche Konsequenzen vorliegen.1156 Dieser Topos wird innerhalb der juristischen Vertragsverhandlung/-gestaltung jedoch kaum problematisch sein. Selbst wenn es nicht zu einem (juristischen) Vertragsschluss kommen sollte,1157 das „Ergebnis“ etwa „nur“ eine soziale Vereinbarung ist, bleiben immer noch die Vertragsverhandlungen als potentieller Bezugspunkt erhalten. Letztere müssen sich allerdings von ihrer Anlage her zumindest auch auf einen 1153 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 267, wobei Kersting das Merkmal „in besonderem Maß“ selbständig und nicht im Kontext eines rolemakings erörtert. 1154 Hier sei nochmals hervorgehoben, dass die Vertragsverhandlungen in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB wie in § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu verstehen sind, da es um den „Erfolgsort“ des anwaltlichen Handelns geht. Die Verhandlungen müssen sich also potentiell auf einen Vertragsschluss richten; nicht ausreichend als „Erfolgsort“ sind z. B. bloße unverbindliche Vorgespräche. 1155 Koch, AcP 204 (2004), 59, 79; siehe auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 267, wonach das Merkmal der Beeinflussung den Zeitpunkt des Entstehens der Sonderverbindung nach hinten verschiebe. Bezüglich des Beeinflussungserfordernisses zumindest missverständlich Faust, AcP 210 (2010), 555, 566, der ausführt, das Erfordernis der erheblichen Beeinflussung, das § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB aufstelle, wirke sich nur dann aus, wenn zwar die Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden kausal sei, das Vertrauen aber den Vertrag nicht erheblich beeinflusst habe. In der Kommentarliteratur wird das Kausalitätserfordernis vielfach kaum vertieft, siehe etwa PWW/Stürner, § 311, Rn. 72. 1156 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 269; ihm folgend etwa Faust, AcP 210 (2010), 555, 566. 1157 Aufgrund der Ausrichtung des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB auf das Rechtsgeschäft kann tatbestandlich nur der juristische Vertrag von Bedeutung sein.
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(etwaigen) Abschluss eines juristischen Vertrags (als anzustrebende Option)1158 richten. Die relevanten Vertrauenshandlungen müssen nach dem Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB im rechtsgeschäftlichen Bereich anzusiedeln sein.1159 Es ist also nicht notwendig, im Grundsatz noch nicht einmal erforderlich, dass der Vertrauensnehmer (der Anwalt) selbst (rechts-)geschäftlich oder beruflich am Markt handelt.1160 Dies wird er gleichwohl, aufgrund der Einbindung als anwaltlicher Interessenvertreter in die Vertragsverhandlungen für seinen Mandanten, aber regelmäßig tun.1161 Mit der Bezeichnung der „Wirkungsorte“ [(eigentliche) Vertragsverhandlungen bzw. Vertragsschluss] ist wiederum der wesentliche Bezugspunkt genannt, der zuvor schon im Kontext mit einer notwendigen kommunikativen/dialogischen Beziehung innerhalb von § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB von Bedeutung war. Wenn das Gesetz davon spricht, der Dritte müsse Vertrauen in Anspruch genommen haben und dadurch müsse es zu einer erheblichen Beeinflussung der Vertragsverhandlungen/des Vertragsschlusses gekommen sein, so ist es letztlich die Gewährung des in Anspruch genommenen Vertrauens, vor allem die (schlussendliche) Vertrauenshandlung des Vertrauenden selbst, die zur maßgeblichen Beeinflussung führt.1162 Gerade unter Bezugnahme auf den soeben angesprochenen kommunikativen/ dialogischen Prozess war die Gewährung von Vertrauen (auch) bereits im Zusammenhang mit dem role-making von Relevanz, dort u. a. bei der Frage der „Annahme“ einer angedienten (modifizierten) Rollenbeziehung.1163 Schon dort zeigte sich, dass 1158 Nicht ausreichend sind, wie mehrfach ausgeführt, unverbindliche Vorgespräche, mit denen nur der Zweck verfolgt, wird, mögliche gemeinsame Interessen auszuloten, um, sofern dann solche ausgemacht werden, in Gespräche über Vertragsschlüsse einzutreten; siehe zum Vorstehenden wiederum MK-BGB/Emmerich, § 311, Rn. 46. 1159 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 269. 1160 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 219 ff. Demgegenüber darauf abstellend, ob die Person des Vertrauensnehmers die Auskünfte etc. im (rechts-)geschäftlichen bzw. geschäftlichen Kontext abgegeben hat, u. a. Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 128; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 235; Kamrampatzos, Vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zur deliktischen berufsbezogenen Vertrauenshaftung, S. 216, der in dem Kontext die Verbindung von beruflichem Auftreten am Markt und Rollenvertrauen, einem typisierten Vertrauensstatus und -nimbus spricht; Lorenz, 1. FS für Larenz (1973), 575, 619. 1161 Zudem spielt dies hinsichtlich des role-makings eine zentrale Rolle. 1162 Ausdrücklich dies anführend Faust, AcP 210 (2010), 555, 566, der (Fn. 33) allerdings auch Fälle für möglich erachtet, in denen allein die Inanspruchnahme von Vertrauen den Vertrag beeinflussen kann. Siehe ferner zur Kausalität der Vertrauensinanspruchnahme für die von einer Vertrauenserwartung getragenen Vertrauenshandlung Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 267 f. In dem Sinne wohl auch Koch, AcP 204 (2004), 59, 79, der davon spricht, der Geschädigte müsse hinsichtlich des Vertrauenstatbestands gutgläubig sein und diese Gutgläubigkeit müsse sich im Verhandlungsergebnis niederschlagen. 1163 Eine solche „Annahme“ konnte „ausdrücklich“ erfolgen, z. B. durch einen Ausspruch, dass man vertraue, aber auch durch bloße Hinnahme der Informationen, eine „Annahme“ ging
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die Gewährung des Vertrauens teilweise in der Beeinflussung der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses aufgegangen ist.1164 Eine Erheblichkeit der Beeinflussung wird in jedem Fall dann gegeben sein, wenn die Vertrauensgewährung Einfluss darauf hatte, dass es überhaupt zu einem Vertragsschluss oder auch zu Vertragsverhandlungen an sich gekommen ist.1165 Im Übrigen kann man Kersting1166 zustimmen, dass Erheblichkeit jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn die wirtschaftliche Bewertung des Vertrags betroffen ist, oder der Vertrauensgeber mittels der Vertragsverhandlungen zu vom Vertragsschluss unabhängigen Dispositionen veranlasst wird, so zur Preisgabe relevanter Informationen. Neben der wirtschaftlichen Bewertung wird man auch die Einflussnahme auf die rechtliche Bewertung des Vertrags durch den Vertrauensgeber als erheblich bezeichnen müssen. Das kann im Besonderen die Beurteilung von essentialia negotii betreffen, ebenso aber auch die von accidentalia negotii.1167
dem Vertrauensnehmer dann nicht zu, trat aber dem Rechtsgedanken des § 151 BGB folgend später durch die eigentliche Vertrauenshandlung (Vertragsverhandlungen/Vertragsschluss) nach außen. 1164 Siehe dazu, dass die Gewährung des Vertrauens teilweise in der Beeinflussung der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses aufgegangen ist, Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 210. 1165 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 275. 1166 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 273 ff., insbesondere S. 275. 1167 Dazu wiederum Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 274. Fraglich ist, wie in Bezug auf die Kausalität (erhebliche Beeinflussung) mit der Frage der Beweislast zu verfahren ist. Gemeint ist an dieser Stelle der Beweis, dass ein Niederschlag der (angenommenen) Vertrauensinanspruchnahme in der Vertragsverhandlung/im Vertrag stattgefunden hat, vgl. dazu Koch, AcP 204 (2004), 55, 79. Zu trennen hiervon ist die Bedeutung der Fortführung der Verhandlungen/des Vertragsschlusses als Zeichen der „Annahme“ der Vertrauensinanspruchnahme. Hinsichtlich des Beweises der Kausalität im Sinne der erheblichen Beeinflussung der Vertragsverhandlung/des Vertragsschlusses könnte im Anschluss an die Zeit vor der Schuldrechtsreform eine Beweislastumkehr befürwortet werden, da dem späteren Geschädigten ansonsten ein Nachweis kaum gelingen könnte; siehe dazu wiederum Koch, AcP 204 (2004), 55, 79. Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 279, befürwortet, dass der Vertrauensgeber sich auf eine tatsächliche Vermutung stützen könne, der zufolge eine ihm bekannte Handlung der Vertrauensinanspruchnahme für seine Vertrauenshandlung kausal gewesen sei. Zur Beweislastumkehr aus der Zeit vor der Schuldrechtsreform etwa Canaris, Vertrauenshaftung, S. 516; Canaris, FS für Schimansky, 43, 56; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 381 f. Die Frage, ob eine solche Beweislastumkehr tatsächlich vorzunehmen ist, soll an dieser Stelle jedoch (noch) nicht abschließend gelöst werden. Es ergibt sich nämlich, wenn es um die Auskünfte etc. eines Anwalts geht, die Problematik, ob nicht mit Blick auf die Beweislastverteilung innerhalb der haftungsausfüllenden Kausalität die Notwendigkeit der Entwicklung einer widerspruchsfreien Lösung angezeigt ist.
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bb) Zwischenresümee § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB bietet mittlerweile für Fragen der (Auskunfts-)Haftung eines Anwalts gegenüber Dritten gerade bezüglich der Auskunftserteilung innerhalb von Vertragsanbahnung/-verhandlung den gesetzlichen Anknüpfungspunkt zur Begründung eines Schuldverhältnisses und damit für eine mögliche Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB. Dabei geht es nicht nur um die Installierung (auch) der Begrifflichkeit des „Vertrauens“ im Gesetz. Bedeutsam ist vor allem Folgendes: Das Telos des § 311 Abs. 3 BGB besteht nicht (allein) in der Fortführung „alter“ Erkenntnisse, sondern ebenso in der Eröffnung von Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Letzteres kann auch gleichsam durch eine „Renaissance“ früherer Ansätze zur Bewältigung der Auskunftshaftung geschehen, wie u. a. denen von Köndgen oder Jost. Mit der Anlage „kommunikativer Strukturen“ in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB können solche Ansätze in ganz anderer Form herangezogen werden. Sie dienen gleichsam der inhaltlichen Auffüllung des bestehenden Normtextes. Überlegungen zu Mechanismen, die denen eines Vertragsschlusses ähnlich sind, können hier integriert werden. Es bietet sich ein tragfähiges Arbeiten mit der (beruflichen) Rolle an, indem auf das role-making zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten mit entsprechenden Erkenntnissen zurückgegriffen werden kann. Gerade weil das role-making kommunikative Abläufe aufgreift, gerade weil dort der Umgang mit aufzubauenden Erwartungen (ggf. unter Rückgriff auf typisierte Erwartungen) begriffsnotwendig ist, ist eine schlüssige Integration in einen (auch) die Kommunikation aufnehmenden § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB gegeben. Damit kann unter Loslösung von statischen Merkmalen flexibel auf Situationen, u. a. zwischen Fachmann und Drittem, in operationaler Weise reagiert werden. Das zeigen nicht zuletzt die von uns untersuchten Vertragsverhandlungen. Die besondere Bedeutung des role-makings zeigt sich darüber hinaus auch in Bezug auf die weiteren Voraussetzungen innerhalb einer Haftungsbegründung nach § 280 Abs. 1 BGB. Das gilt vor allem hinsichtlich der Bestimmung der relevanten Pflichten, deren Verletzung für einen Anspruch gegen den Dritten (Anwalt) erfolgt sein muss. b) Vorliegen einer Pflichtverletzung aa) Einführung Bejaht man das Zustandekommen eines Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB, sind nach Satz 1 die daraus folgenden Pflichten solche nach § 241 Abs. 2 BGB. Danach kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur
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Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.1168 Allerdings ist die Bestimmung der „relevanten“ Pflichten für den Anwalt innerhalb von Vertragsanbahnung/-verhandlung trotz der Weite, die § 241 Abs. 2 BGB hinsichtlich des (potentiellen) Pflichteninhalts spannt, nicht so ohne weiteres möglich. Ein bloßes Abstellen darauf, dass, so ein vorvertragliches Schuldverhältnis gegeben ist, die gegebene (fachliche oder tatsächliche) Information richtig sein muss, und, wenn dies nicht der Fall sein sollte, ansonsten eine Pflichtverletzung vorliegt, ist zu kurz gegriffen.1169 Zur Präzisierung der Pflichten des Auskunft (Rat, Empfehlung) gebenden Anwalts gerade in der Vertragsverhandlung (Anbahnung) ist die Verbindung von § 311 Abs. 3 und § 241 Abs. 2 BGB näher aufzuschlüsseln. § 241 Abs. 2 BGB stellt auf den Inhalt des jeweiligen Schuldverhältnisses als entscheidenden Anknüpfungspunkt ab.1170 Das muss zwar grundsätzlich auch gelten, wenn das Schuldverhältnis ein solches aus § 311 Abs. 3 BGB ist. Bereits hier zeigen sich jedoch besondere Probleme, die in der Struktur des hier relevanten § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB begründet liegen. bb) Inhalt des Schuldverhältnisses Maßgeblicher Bezugspunkt für die Bestimmung des Pflichtenumfangs über § 241 Abs. 2 BGB ist der Inhalt des Schuldverhältnisses. Gerade wenn dieses ein solches nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ist und gerade wenn dieses – wie zuvor für die anwaltlich geführte Verhandlung (Anbahnung) dargetan – mittels eines role-makings mit vertragsähnlichen, mit kommunikativen/dialogischen Ablaufstrukturen begründet wird, scheint die Fixierung des Inhalts gut möglich. Schlagworte, die man 1168 Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 399, hebt hervor, aus dem Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB könne lediglich der Schluss gezogen werden, dass als Grundlage für Rücksichtspflichten ein Schuldverhältnis erforderlich sei. Ein solches könne nach § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB auch zu Personen bestehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollten (Rn. 400). 1169 Siehe auch Kersting, Die Haftung für Informationen nach Bürgerlichem Recht, S. 360, der die selbstverständliche Annahme einer „Wahrheitspflicht“ gerade in Fällen der Dritthaftung über c.i.c. kritisiert. Kersting, S. 19, führt aus, im Kontext mit der Dritthaftung werde vielfach die Wahrheitspflicht für positiv erteilte Informationen als gegeben unterstellt. Siehe dazu u. a., worauf Kersting, S. 19, Fn. 93, neben weiteren auch hinweist, BGH NJW-RR 1997, 144, 145; BGH NJW-RR 1986, 1478, 1479; Koch, Die Patronatserklärung, S. 406 f. (zur Patronatserklärung); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 412, 412; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 100 (Abstellen auf einen soziologischen Befund sowie auf eine korrespondierende ethische Forderung nach Wahrhaftigkeit, wenn Informationen erkennbar zur Dispositionsgrundlage werden). 1170 Siehe auch Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 392, der auf den Wortlaut der Norm verweist.
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insoweit bereits an dieser Stelle nennen kann, sind etwa die rollenbezogenen Pflichten vor allem in Bezug auf einen bestimmten Beruf. (1) Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses als Problem der Pflichtenbestimmung Eine Schwierigkeitkeit hinsichtlich der Pflichtenbestimmung nach § 241 Abs. 2 BGB unter Bezugnahme auf ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB liegt jedoch bereits in dem Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses begründet. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB verlangt dafür kumulativ nicht nur die Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Dritten für sich, sondern auch die dadurch erfolgte Beeinflussung von Vertragsschluss oder Vertragsverhandlung. Damit ist, wie bereits aufgezeigt, der Zeitpunkt des Entstehens des Schuldverhältnisses nach hinten verschoben. Wenn aber der maßgebliche Zeitpunkt für das Entstehen des Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB erst mit der Beeinflussung anzunehmen ist, können nicht ohne weiteres aus dem Schuldverhältnis selbst Rückschlüsse auf maßgebliche Pflichten, die verletzt sein könnten, gezogen werden. Denn gerade die interessierenden potentiellen Pflichten, wie etwa die vollständige und wahrheitsgemäße Informationsweitergabe, liegen notwendigerweise vor der Beeinflussung und somit vor dem dargestellten Zeitpunkt des Entstehens des Schuldverhältnisses. Die Lösung darin zu suchen, die Entstehung des Schuldverhältnisses auf einen früheren Zeitpunkt vorzuverlegen, ist angesichts des Wortlauts des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB kaum vorstellbar. Da aber der Gesetzgeber in § 311 Abs. 3 BGB selbst die Verbindung von Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB (§ 311 Abs. 3 Satz 1 BGB) und die Entstehung von Schuldverhältnissen im Sinn des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB anlegte, unter letztere allerdings durchaus auch Fälle der „Sachwalterhaftung“ und der Auskunftshaftung fallen sollten,1171 muss die Verknüpfung von Pflichtenbestimmung und Schuldverhältnis in anderer Weise erfolgen. Bezeichnend für § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB und schlüssig mit einer Bestimmung der relevanten Pflichten vom „Inhalt“ des Schuldverhältnisses her könnte eine Anknüpfung an den in Satz 2 angelegten kommunikativen Vorgang sein. Das zuvor ausgemachte role-making, vergleichbar in seinen Abläufen mit solchen, die zu einem Vertragsschluss führen,1172 war der wesentliche Baustein dafür, dass es zu einem Schuldverhältnis zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten (Vertrauensnehmer und -geber) kommt. 1171
Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 163. Siehe auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 384, der in Bezug auf Drittfälle auf den engen Zusammenhang zwischen dem Entstehungstatbestand der Pflichten (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB) und ihren Inhalt (§ 241 Abs. 2 BGB) verweist. 1172
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Das maßgebliche „Bild“ innerhalb des role-makings war, dass der potentielle Vertragspartner des Mandanten vom Anwalt, der eigentlich primär Interessenvertreter des letzteren ist, in eine (modifizierte) Rollenbeziehung1173 „hineingezogen“ wird. Diese Rollenbeziehung, bzw. letztlich die daraus resultierenden (berechtigten) Erwartungen, die sich an den Anwalt richten dürfen,1174 können dann auch der relevante Bezugspunkt dafür sein, wie die Pflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB zu bestimmen sind. Trotz des Umstands, dass bis zum Zeitpunkt der Kausalitätsbejahung (Beeinflussung von Vertragsschluss bzw. -verhandlungen) strenggenommen, (noch) überhaupt kein Schuldverhältnis besteht, ist die Bezugnahme auf die „entwickelte“ Rollenbeziehung gleichwohl konsequent. Auf die „Entstehung“ des Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB kann nicht für die inhaltliche Bestimmung der Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB abgestellt werden. Im Zeitpunkt der Beeinflussung hat das potentiell pflichtwidrige Verhalten bereits vorgelegen; die Bestimmung der Pflichten (und ihrer Verletzung) muss also an einen vorhergehenden Zeitpunkt anknüpfen. Der Gesetzgeber hat mit der Ausgestaltung von § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB gewollt, § 241 Abs. 2 BGB auch für die Fälle des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB relevant werden zu lassen. Die Bezugnahme auf den „Inhalt“ des Schuldverhältnisses in § 241 Abs. 2 BGB muss und darf deshalb nicht unterbleiben, sondern sie muss vielmehr systematisch und teleologisch dem Konstrukt des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB angepasst werden. Das Verhalten, das für eine potentielle Pflichtenbestimmung bezüglich Satz 2 des § 311 Abs. 3 BGB prägend sein kann, ist das, welches gerade als „role-making“ ausgemacht wurde. Es ist der dort angelegte kommunikative Ablauf, eben das beschriebene „Hineinziehen“ in eine bestimmte Rollenbeziehung. Für die Pflichtenbestimmung geht es zudem zunächst in der Regel um das vom Anwalt „am Markt“1175 gerierte („angebotene“) Rollenverhalten.1176 Die Reaktion („Annahme“) des anderen kann möglicherweise zeitlich wiederum erst in der Vertrauenshandlung angelegt sein.1177 Sie ist dafür
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Die Erwartungen des Dritten richten sich an den juristischen Fachmann, der sein Wissen nicht primär in die Interessensphäre seines Mandanten stellt. 1174 Hier finden sich durchaus Verbindungen zu den (bisherigen) Erkenntnissen bezüglich eines objektiven Vertrauenstatbestands und dem dort angelegten „Vertrauen Dürfen“. So kann bei der konkreten Pflichtenbestimmung, je nachdem wie die einzelne Rolle ausgestaltet worden ist, ein normatives Erwartendürfen von Bedeutung sein; vgl. auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 387. 1175 Zum Auftreten am Markt u. a. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 634 f. 1176 Der Umstand, dass es für § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht zwingend erforderlich ist, dass der Anwalt sich am Markt geriert, ändert nichts daran, dass er dies gleichwohl tun kann und auch häufig tun wird. So dies der Fall ist, kann darauf im Kontext des role-makings selbstverständlich auch im Rahmen der Pflichtenbestimmung zurückgegriffen werden. 1177 Fordert man – wie hier erfolgt – für das role-making innerhalb des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB auch eine der Annahme beim Vertrag vergleichbare Reaktion des anderen, so wird man vielfach den in § 151 BGB angelegten Gedanken hinzuziehen müssen. Die dann aber erfor-
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relevant, dass das „am Markt“ gezeigte Verhalten des Anwalts als Rollenverhalten tatsächlich aufgegriffen wurde. So dies der Fall ist, muss der Anwalt sich aber an den Maßstäben messen lassen, die er durch sein vorheriges, im role-making gezeigtes Verhalten1178 eben „an den Markt“ getragen hat. Dieser Zeitpunkt liegt vor der Beeinflussung von Vertragsverhandlung/Vertragsschluss, ist aber gleichwohl prägend für das Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB und damit tauglicher Anknüpfungspunkt für die Pflichtenbestimmung nach § 241 Abs. 2 BGB („Inhalt des Schuldverhältnisses“).1179 (2) Pflichteninhalt in Abhängigkeit von der anwaltlich gerierten Rolle Maßgeblich ist somit für die Pflichtenbestimmung das zuvor benannte Gerieren des Anwalts „am Markt“, das dafür (mit) bedeutsam ist, in welche Art von Rollenbeziehung der Vertragspartner des Mandanten „hineingezogen“ wird. Nicht nur die Wortwahl ist insoweit an Hopt1180 angelehnt. Vielmehr zeigt sich hier, dass seine grundlegenden Überlegungen im dogmatischen Kontext des § 311 Abs. 3 BGB aufgegriffen werden können (bzw. müssen). Während über § 311 Abs. 3 BGB die Entstehung der Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB begründet werden kann, sind u. a. Hopts Erkenntnisse gerade bei der inhaltlichen Konkretisierung der Pflichten von Nutzen. Mit dem role-making, mit dem „Hineinziehen“ in eine (modifizierte) Rollenbeziehung innerhalb von Vertragsverhandlungen1181, die ein Anwalt für seinen Mandanten wahrnimmt, ist in der Regel, wenn nicht sogar notwendigerweise, ein berufliches Auftreten des Anwalts am Markt verbunden. Man wird und kann den Anwalt dort nicht als Privatperson auffassen. Wenn der Anwalt dann den potentiellen Vertragspartner des Mandanten in eine eigene bzw. modifizierte Rollenbeziehung zu sich selbst „hineinzieht“, wird dies gerade eine solche sein, die den am Markt auftretenden Anwalt (auch) ausmacht. Das kann insbesondere eine Rolle, die von Erwartungen an einen objektiven (neutralen) Fachmann geprägt ist, sein.
derliche, nach außen tretende „Bestätigungshandlung“ wird wiederum oftmals in der Vertrauenshandlung liegen. 1178 An dem die andere Seite durchaus „mitwirken“ kann, indem z. B. ein Rollenbild des Anwalts „entwickelt“ wird. Vielfach wird jedoch auf ein typisches Rollenbild zurückgegriffen werden, etwa das des (objektiven) Fachmanns. Hier zeigt sich zudem wieder, dass ein Zusammenhang von role-making und späterem Pflichteninhalt besteht. 1179 Siehe bereits Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 279, wonach Pflichtenbegründungshandlungen, das heißt diejenigen Handlungen, mit denen Vertrauen in Anspruch genommen werden solle, den Pflichten aus der erst mit der erfolgten Beeinflussung entstehenden Sonderverbindung unterworfen würden. Nur so könnten die klassischen Fälle der Informationshaftung erfasst werden. 1180 Vgl. dazu bereits die Auseinandersetzung um den Ansatz von Jost (D. IV., S. 762 ff.). Zum Auftreten am Markt wiederum u. a. Hopt, AcP 183 (1983), 608, 634 f. 1181 Ggf. auch schon in der Anbahnungsphase.
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Ist aber das role-making für die Pflichtenbestimmung bedeutsam und muss dafür bereits auf die „am Markt“ gerierte Rolle abgestellt werden, so ist es konsequent, für den Pflichteninhalt insbesondere auf, soweit vorhanden, „rollentypische“ Pflichten zurückzugreifen. Es geht also darum, was der potentielle Vertragspartner des Mandanten z. B. von einem (objektiven) juristischen Fachmann, der ihm eine Auskunft (Rat, Empfehlung) gibt, erwarten darf, immer vorausgesetzt, dass er auch tatsächlich in eine entsprechende (modifizierte) Rollenbeziehung „hineingezogen“ wird.1182 (a) Anwalt als (juristischer) Fachmann Als eine wesentliche (modifizierte) Rollenbeziehung, in die der potentielle Vertragspartner des Mandanten zum Anwalt der „Gegenseite“ „hineingezogen“ werden kann, wurde die des objektiven/neutralen (juristischen) Fachmanns ausgemacht. Für eine derartige Rolle gibt es durchaus (objektive) Anknüpfungspunkte, was erwartet werden darf. So kann und darf beim Anwalt als juristischem Fachmann in der Regel auf das Bestehen der ersten Prüfung sowie der zweiten Staatsprüfung1183 Bezug genommen werden und damit an entsprechendes Wissen. Daneben tritt aber ein Weiteres. Zwar wird zwischen Anwalt und der anderen Seite (potentieller Vertragspartner des Mandanten) in der Regel kein einer anwaltlichen Interessenvertretung vergleichbares Rollenverhältnis aufgebaut.1184 Die Begründung/Modifizie1182 Insoweit finden sich wiederum Schnittflächen zu den Erkenntnissen des Vertrauendürfens der Lehre vom objektiven Vertrauenstatbestand. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 405, 415, will vorvertragliche Verhaltenspflichten nicht aus dem Vertrauen selbst, sondern normativ begründen. Nichts anderes geschieht jedoch beim Rückgriff gerade auf rollentypische Pflichten. Es ist primär die Aktivierung einer in bestimmter Art und Weise ausgestalteten Rolle, die individualistisch durch Vertrauensinanspruchnahme und -gewährung erfolgt; vgl. dazu auch Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 385, 387 (allerdings nicht in Bezug auf die Rollenproblematik). Die Aktivierung ist dann allerdings für das zu erwartende Verhalten zunächst maßgeblich. Mit der Bezugnahme auf die Rollenerwartungen, die grundsätzlich personenunabhängig sind, löst sich auch eine Problematik auf, die Kersting, S. 386 f., anspricht. Kersting wirft die Frage auf, wie der „Konsens“ nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB gesetzliche Pflichten, wie sie aus § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB folgen, begründen kann. Die Frage beantwortet Kersting dahingehend, dass der Vertrauensinanspruchnahme Pflichten nachfolgen, die personenunabhängig sind, das heißt danach zu bestimmen sind, wie objektive Dritte die Pflichten bestimmen würden. Die Personenunabhängigkeit, nochmals, zeichnet jedoch grundsätzlich die Rollenerwartung aus, an die hier angeknüpft wird. 1183 Nach § 4 BRAO kann nur zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, wer die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt hat (Nr. 1) oder die Eingliederungsvoraussetzungen nach Teil 3 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland erfüllt (Nr. 2) oder über eine Bescheinigung nach § 16a Abs. 5 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland verfügt (Nr. 3). Nach § 5 Abs. 1 DRiG erwirbt die Befähigung zum Richteramt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt. 1184 Das würde letztlich wieder in die Richtung eines konkludent geschlossenen Auskunftsvertrags gehen, der aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt wurde, u. a. aufgrund des
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rung des Rollenverhältnisses zwischen Anwalt („Fachmann“) und potentiellem Vertragspartner des Mandanten geschah aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass damit der Vertragspartner aus einsprechenden Eigenbemühungen zur Informationsbeschaffung „entlassen“ wurde. Diese „Lücke“ ist dann aufzufüllen. Das heißt, es dürfen Rollenerwartungen an den „Fachmann“ in die entsprechende Richtung formuliert werden. Der potentielle Vertragspartner des Mandanten hat sich dann in gewisser Weise dem Anwalt („Fachmann“) mit seinen Interessen1185 „ausgeliefert“. Bezogen auf den Pflichtenumfang des Anwalts heißt das, dass er zwar nicht zum „Interessenvertreter“ des anderen wird; letzteres würde u. a. zumeist eine umfassende Interessenwahrnehmung erfordern. Der Anwalt muss aber auf das Interesse der anderen Seite in Bezug auf den Informationsfluss Rücksicht nehmen. Hier zeigt sich wiederum die Verbindung des in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB anlegten role-makings zu § 241 Abs. 2 BGB. Ob und wie auf die Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen ist, hängt mit dem „Inhalt“ des Schuldverhältnisses, somit mit dem mehrfach beschriebenen role-making zusammen. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die „Interessen“ in § 241 Abs. 2 BGB weit zu verstehen sind.1186 Angesichts der vorstehenden Überlegungen lassen sich damit auch entsprechende Pflichten des Anwalts, der in einer Rollenbeziehung als „objektiver/neutraler Fachmann“ zu dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten steht, ausmachen. Diese sind nicht zuletzt allerdings abhängig davon, ob der Anwalt eine Auskunft, einen Rat oder eine Empfehlung gibt. (aa) Auskunft Die Auskunft des Anwalts kann sich zum einen auf (allgemeine) Rechtsinformationen beziehen, zum anderen auf tatsächliche Angaben. Hinsichtlich rechtlicher Auskünfte1187 kann bei der Eröffnung der Rollenbeziehung „objektiver/neutraler Fachmann“ der Pflichteninhalt dahingehend ausgemacht werden, dass die Auskunft „wahrheitsgemäß“ in dem Sinn zu sein hat, dass sie nach juristischen Maßstäben „vertretbar“ sein muss, wobei die „Vertretbarkeit“ auch einen Auswahlprozess dergestalt beinhalten kann/muss, dass die juristisch vertretbare Auskunft situationsangemessen ist. Die Notwendigkeit, dass die Auskunft überhaupt juristisch vertretbar sein muss, folgt schon daraus, dass der Anwalt sich hier an seiner juristischen Ausbildung (als Fachmann) messen lassen muss. Die „situative Vertretbarkeit“ bedeutet, dass bei mehreren juristisch vertretbaren Auskünften diejenige zu geben ist, die in der SiUmstands, dass der Anwalt nicht gegen § 43a Abs. 4 BRAO, dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, verstoßen möchte. 1185 Interessen des potentiellen Vertragspartners. 1186 Siehe hierzu Staudinger/Olzen (2019), BGB, § 241, Rn. 423, unter Interessen fallen u. a. Vermögensinteressen, aber auch andere Interessen wie etwa die Entscheidungsfreiheit. 1187 Diese sind jedoch (noch) „allgemein“, sind hier also nicht Teil eines Rats oder einer Empfehlung.
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tuation von dem Fachmann erwartet wird. Innerhalb einer Vertragsverhandlung, die auf einen Vertragsschluss hinauslaufen soll, der ggf. einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt, bringt das u. a. eine Orientierung an der Rechtsprechung mit sich. Diese Notwendigkeit folgt aus dem zuvor ausgemachten Erfordernis der Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Seite.1188 Dieses Interesse geht aber dahin, dass die Auskunft innerhalb der Vertragsverhandlung als vom Fachmann kommend brauchbar ist.1189 Hier zeigt sich zudem wieder der Umstand, dass der Anwalt im Wege des role-makings die andere Seite vielfach aus der eigenen Informationsbeschaffung „entlässt“. Aus dem Grund darf z. B. dann die Gesetzesanwendung bzw. -auslegung sich nicht einseitig an den Interessen der eigenen (Mandats-)Partei orientieren. Schwieriger gestaltet sich das Festmachen des Pflichtenumfangs des Anwalts, der sich auch gegenüber der anderen Seite in der Rolle des (objektiven) Fachmanns befindet, wenn es um die Weitergabe rein tatsächlicher Informationen geht. So wird man unter Bezugnahme auf die juristische Fachmannseigenschaft jedenfalls keine Pflicht ausmachen können, nach der die weitergegebene Information „wahr“ sein muss. Eine solche Pflicht lässt sich z. B. nicht auf den zuvor genannten Ausbildungsstatus zurückführen. Eine davon zu trennende Frage ist, ob den Anwalt als (objektiven/neutralen) Fachmann nicht ggf. die Pflicht treffen kann, tatsächliche Informationen vor ihrer Weitergabe zu überprüfen bzw., wenn dies nicht erfolgt sein sollte, auf diesen Umstand jedenfalls hinzuweisen. Streng genommen geht es wiederum nicht um den Transport von Fachwissen, auf das sich grundsätzlich entsprechende Erwartungshaltungen stützen dürfen. Vor allem beim Transport von tatsächlichen Informationen zeigt sich jedoch, wie sehr zum einen auf das stattgefundene role-making und die Art der Äußerung des Anwalts (Auskunft, Rat, Empfehlung) andererseits abzustellen ist. So kann sich der Anwalt u. U. nicht (nur) als Fachmann, sondern z. B. auch als „Vermittler“ gerieren. Damit kann eine andere Pflichteneröffnung bezüglich der Weitergabe tatsächlicher Informationen verbunden sein. Zudem könnte eine weitere Situation vorstellbar sein: Sollte der Anwalt, der in der Rollenbeziehung des (objektiven) Fachmanns zum anderen steht, eine Auskunft im Kontext von Rat oder Empfehlung erteilen, ist damit ein stärkerer auf den anderen (potentieller Vertragspartner des Mandanten) ausgerichteter Bezug hergestellt, der die Anforderungen an die Pflichten hinsichtlich der Weitergabe tatsächlicher Informationen verändern kann.
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Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass dies keine anwaltliche Interessenvertretung wie im Verhältnis Anwalt – Mandant bedeutet. 1189 Ein anderer Kontext wäre etwa der innerhalb eines wissenschaftlichen oder politischen Diskurses.
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(bb) Rat und Empfehlung Die Erteilung eines Rats beinhaltet einerseits die Mitteilung einer Auskunft, also die Weitergabe von Tatsachen1190 bzw. die Beantwortung von allgemeinen Rechtsfragen. Mit der Raterteilung geht das Aufzeigen von Entscheidungsalternativen einher,1191 die Erläuterung der maßgeblichen Faktoren sowie eine Bewertung,1192 wie jemand sich verhalten sollte.1193 Erfolgt dies durch einen Anwalt aus der mit der anderen Seite „aufgebauten“ Rolle des (objektiven/neutralen) Fachmanns heraus, dann ist letztere in der Form modifiziert worden,1194 dass sich die Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Seite (potentieller Vertragspartner des Mandanten) nicht auf die („richtige“) Wissensweitergabe beschränken dürfen. So ist etwa eine Bewertung, wie jemand sich zu verhalten hat, unter Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Seite nur möglich, wenn die zugrundeliegende Tatsachensituation feststeht, von dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten vorgegeben oder vom Anwalt zumindest überprüft worden ist. Es besteht dann u. U. eine entsprechende Pflicht, auf tatsächliche Unsicherheiten hinzuweisen. Nur dann kann die juristische Information, die innerhalb der Raterteilung vom Anwalt erfolgt, adäquat vorgenommen werden. Letztere müssen zudem wieder situativ angemessen sein, z. B. rechtsprechungsorientiert gerade auch hinsichtlich der Interessen des Verhandlungspartners des Mandanten. Die Überlegungen greifen erst recht, wenn es sich um eine Empfehlung handelt, die Hadding als intensivierten Rat bezeichnet,1195 wonach für eine ganz bestimmte Entscheidung plädiert wird1196. (b) Anwalt als Vermittler Sollte der Anwalt zur anderen Seite (potentieller Vertragspartner des Mandanten) nicht (nur) eine (modifizierte) Rollenbeziehung als (objektiver/neutraler) Fachmann, sondern z. B. auch als Vermittler1197 aufbauen, schließen sich daran unter Bezug1190
Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32; Hadding, FS für Schimansky, 67, 74. Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32. 1192 Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 675, Rn. 32. Nach von Gierke, Die Dritthaftung des Rechtsanwalts, S. 104, gehört das auch bereits zur Auskunft. 1193 Hadding, FS für Schimansky, 67, 74. 1194 Der Anwalt ist dann immer noch kein Interessenvertreter gegenüber der anderen Seite wie etwa in seinem Verhältnis zum eigenen Mandanten. Letzteres ist allein schon auf eine wesentlich breiter angelegte Interessenwahrnehmung angelegt, nicht (nur) auf eine oftmals singulär dastehende Raterteilung. 1195 Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 1196 Hadding, FS für Schimansky, 67, 75. 1197 Ein solcher Rollenaufbau kann z. B. innerhalb eines konsensualen Verhandlungsmodells geschehen. Zwar ist innerhalb einer Verhandlung grundsätzlich kein „Dritter“ als „Vermittler“ beteiligt. Der Anwalt als Interessenvertreter einer Seite kann sich aber gleichwohl als Vermittler gerieren und damit eine entsprechende Rollenbeziehung zum potentiellen Ver1191
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nahme auf das (typische) Rollenbild und die daraus folgenden Rücksichtnahmepflichten auf die Interessen des anderen Teils weitere Erkenntnisse an. Eine vermittelnde, im Sinne von befriedender Tätigkeit wird nur bei einer von beiden (späteren) Vertragspartnern getragenen Sachverhaltsdarstellung möglich sein. Der Anwalt darf dann nicht, wenn zwischen den potentiellen Vertragsparteien der Sachverhalt nicht „unstreitig“ ist, ungeprüft den von seinem Mandanten geschilderten Sachverhalt bei seinem Auftreten als „Vermittler“ zugrunde legen. Er muss ihn vielmehr überprüfen; ihn trifft jedoch keine darüberhinausgehende Wahrheitspflicht. Sofern es um den Transport von rechtlichen Informationen geht, wird vielfach (daneben) die zum anderen aufgebaute Rolle des (objektiven) Fachmanns treten, an der sich die Erwartungen des anderen sowie die potentiellen Pflichten des Anwalts auszurichten haben.1198 Insofern gelten die unter (a) angestellten Überlegungen. (c) Zwischenfazit Begründet man die Entstehung des Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB mit den Abläufen eines role-makings, hat dies notwendigerweise Auswirkungen auf den Inhalt und den Umfang der Pflichten im Sinn des § 241 Abs. 2 BGB. Diese können stark von typisierten Rollenerwartungen (mit) geprägt sein, was vor allem bei reglementierten Berufen wie dem des Anwalts der Fall sein kann. Dabei zeigt sich jedoch, wie entscheidend es ist, auf das jeweils individuell zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten herausgearbeitete Rollenprofil zu achten. So können gerade Erwartungen (Pflichten), die sich auf den Fachmann und/oder z. B. Vermittler richten, von Bedeutung sein. (d) Sonderproblematik: Begrenzung der Pflichten aus § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB in „zeitlicher“ Hinsicht Bisher galt die Aufmerksamkeit dem Umfang der Pflichten aus § 311 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB an sich. Eine andere/weitere Frage besteht darin, wie lange diese Pflichten in zeitlicher Hinsicht währen, ob sie sich also „nur“ auf eine singuläre Auskunft (Rat, Empfehlung) beziehen, oder aber für weitere Auskünfte etc. im Rahmen insbesondere der Vertragsverhandlungen greifen. Hier wird man wiederum differenzieren müssen:
tragspartner seines Mandanten aufbauen. Dann muss er sich ggf. auch an dem entsprechenden Rollenbild messen lassen. 1198 Der Aufbau einer Vermittlerbeziehung losgelöst von der Fachmannseigenschaft wird vielfach schwierig sein, vor allem, wenn der Anwalt sich nicht auf vermittelnde („mediative“) Handlungen beschränkt, sondern insbesondere auch rechtliche Auskünfte einfließen lässt. Ein Vermittler macht zudem streng genommen keine eigenen Lösungsvorschläge, so dass insbesondere ein (rechtlicher) Rat oder eine Empfehlung oftmals mit der zugleich vorliegenden Rollenbeziehung zu einem Fachmann zu begründen sind.
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Hat der Anwalt einmal eine bestimmte Art von Rollenbeziehung mit dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten eröffnet, insbesondere die des (objektiven/neutralen) Fachmanns, und ist der Dritte darauf eingegangen, so wird man nachfolgende Äußerungen des Anwalts (Auskünfte) dahingehend zu untersuchen haben, ob sie der jeweiligen Rollenbeziehung noch als zugehörig anzusehen sind.1199 Letztlich wird man – und hier zeigen sich erneut die Auswirkungen der kommunikativen Strukturen und ihrer Ähnlichkeit zum Vertragsschluss – darauf abstellen müssen, wie das Verhalten des Anwalts, seine Vertrauensinanspruchnahme, von der anderen Seite verstanden werden durfte; sie ist also „auszulegen“.1200 Immer unter dem Vorbehalt der Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls wird man dann allerdings zunächst davon ausgehen dürfen, dass, so der Anwalt einmal innerhalb der Verhandlungen1201 sich der anderen Seite als „objektiver/neutraler Fachmann“ oder „Vermittler“ angedient hat und eine entsprechende Rollenbeziehung entstanden ist, diese (so lange) fortbesteht, wie sie nicht „zerstört“ wird. Letzteres ist dann der Fall, wenn das „Vertrauen“ nicht mehr in Anspruch genommen wird und dies erkennbar ist. Das kann etwa durch Formulierungen des Anwalts geschehen, durch die er (wieder) auf die einseitige Interesseneinnahme für seinen Mandanten hinweist. Beispiel: „Für meinen Mandanten spricht das Gesetz, weil …“
cc) Verletzung der Pflichten In Bezug auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung gelten keine Besonderheiten im Vergleich zu Pflichtverletzungen aus anderen Schuldverhältnissen. Maßgeblich ist hier, ob der Anwalt hinter dem zuvor festgestellten Umfang der Pflichten (Pflichtenprogramm) zurückbleibt. c) Vertretenmüssen Liegt eine Pflichtverletzung vor, so wird das Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet.1202 Der Anwalt hat aber die Möglichkeit, auszuführen und ggf. zu beweisen, dass er seine Auskunft1203 weder vorsätzlich noch fahrlässig (§ 276
1199 Spätere (Vertrauens-)Handlungen des Dritten sind dann nicht mehr unter dem Topos der „Annahme“ relevant, sondern nur noch im Kontext mit der Kausalität zu untersuchen. 1200 Vgl. zur Anwendung von ähnlichen Regeln wie bei der Auslegung von Willenserklärungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Vertrauen Adolff, Third Party Legal Opinions, S. 124. Adolff legt dabei eine objektivierte, normative Betrachtung an. 1201 Das dürfe grundsätzlich auch für die Zeit der Anbahnungsphase gelten, die dann in die eigentlichen Vertragsverhandlungen übergeht. 1202 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 444, m. w. N. 1203 Oder seinen Rat oder seine Empfehlung.
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Abs. 1 BGB) falsch1204 gegeben hat. Bezüglich des innerhalb einer Fahrlässigkeitsprüfung anzulegenden Sorgfaltsmaßstabs (§ 276 Abs. 2 BGB) muss das fortgeführt werden, was zuvor bei der inhaltlichen Bestimmung der jeweiligen Pflicht erarbeitet wurde. Wird für den Inhalt der Pflichten auf ein bestimmtes typisiertes Rollenbild abgestellt (z. B. den Anwalt als juristischen Fachmann mit zwei Prüfungen), so sind diesem typisierten Rahmen auch die Vorgaben für den Sorgfaltsmaßstab zu entnehmen. Der Sorgfaltsmaßstab richtet sich also z. B. nach einem Fachmann auf anwaltlichem Niveau aus.1205 d) Schaden und Kausalität zur Pflichtverletzung Aufgrund der (schuldhaften) Pflichtverletzung des Dritten (Anwals) muss es beim Vertrauensgeber (potentiellen Vertragspartner des Mandanten) zu einem Schadenseintritt gekommen sein. Zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden muss eine Kausalbeziehung vorliegen.1206 1204 Bzw. nicht den Anforderungen eines objektiven/neutralen Fachmanns gehörig; das kann der Fall sein, wenn die Auskunft zwar nicht unvertretbar ist, aber z. B. eine Gesetzesauslegung einseitig unter Ausrichtung auf die Interessen des eigenen Mandanten hin erfolgt ist. 1205 Je nach Auftreten kann er sich auch nach dem Niveau eines Fachanwalts ausrichten. 1206 Zwischen der notwendigen haftungsausfüllenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden und derjenigen im Zusammenhang mit der erheblichen Beeinflussung nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB besteht eine enge Verbindung; siehe dazu gerade auch die Ausführungen bei Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, S. 448 ff. Wenn es bei der Kausalbeziehung nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB beispielsweise darum geht, ob der Vertrauensgeber die fragliche Disposition auch bei Kenntnis der wahren Lage vorgenommen hätte (vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 516, für die Zeit vor der Schuldrechtsreform), so ist dies eine Verknüpfung, die eben eng mit der innerhalb der haftungsausfüllenden Kausalität zusammenhängt. Dort geht es darum, wie der Ursachenverlauf zwischen der Pflichtverletzung einerseits und dem Schaden andererseits aussieht. Dafür ist aber nicht zuletzt maßgeblich, wie die Verbindung der Pflichtverletzung des Anwalts zum schädigenden Verhalten etwa des Auskunftsempfängers (schädigende Disposition) aussieht. Es ist daher letztlich konsequent, für die jeweiligen Beziehungen etwaige Beweiserleichterungen „gleichlaufend“ zu bestimmen; dazu wiederum in diesem Kontext Kersting, S. 450. So könnte aus der Bejahung einer Beweislastumkehr für die Beeinflussung gefolgert werden, eine solche müsste auch im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität greifen; die Stringenz der Gedankenführung verfolgt Kersting, S. 450 f., der allerdings eine tatsächliche Vermutung annimmt. Andererseits könnte es jedoch zur Vermeidung von widersprüchlichen Ergebnissen in Bezug auf die zwei genannten Kausalitätsstränge angezeigt sein, zunächst zu klären, ob nicht gerade im Bereich der anwaltlichen Auskunftshaftung (Rat, Empfehlung) besondere Erkenntnisse zur Beweisverteilung im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität vorhanden sind, die dann, gerade zur Vermeidung von Widersprüchen, auf die Ebene der erheblichen Beeinflussung zu übertragen wären. Solche Erkenntnisse bezüglich der Beweisfrage hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität bei falschen anwaltlichen Auskünften sind durchaus vorhanden, allerdings primär im Bereich des Verhältnisses von Mandanten und Anwalt. Allerdings ist kein Grund ersichtlich, warum im Bereich falscher anwaltlicher Auskünfte (Ratschläge, Empfehlungen) der
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3. Resümee Neben dem Vorliegen eines Schuldverhältnisses lassen sich auch die weiteren Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch des potentiellen Vertragspartners des Mandanten nach § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB gegenüber dem Anwalt der „anderen“ Seite begründen, wenn dieser falsche (insbesondere) rechtliche Auskünfte innerhalb von Vertragsverhandlungen1207 gibt. „Besonderheiten“ ergeben sich zwar vor allem in Bezug auf die Bestimmung der relevanten Pflichten des Anwalts, sowohl vom Zeitpunkt ihres Entstehens als auch vom Inhalt her. Auch diese Probleme lassen sich jedoch schlüssig durch das Zusammenspiel von § 311 Abs. 3 BGB, § 241 Abs. 2 BGB sowie durch die Nutzung der Erkenntnisse um die anwaltliche „Rolle“ lösen. Indem über § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB somit ein weiterer Lösungsansatz zur Bewältigung der Haftungsproblematik um fehlerhafte Auskünfte im Rahmen von Vertragsanbahnungen/-verhandlungen zur Verfügung steht, bedarf dieser nicht zuletzt unter Hinzuziehung bzw. Abgrenzung zu anderen LösungsanVertrauensgeber geschützter sein sollte als ein Mandant, der zu einem Anwalt in einer vertraglichen Beziehung steht. In beiden Fällen bestimmt sich ja nicht zuletzt das Maß der Pflicht und das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Anwalts danach, was von dem Anwalt in der jeweiligen (beruflichen) Rollenbeziehung (sei diese aufgrund eines Anwaltsvertrags oder aufgrund eines role-makings begründet) erwartet werden darf. Der Schaden muss sich auf dieser „beruflichen“ Pflichtverletzung gründen. Im Bereich der Anwaltshaftung (Verhältnis Anwalt – Mandant) lehnt aber z. B. der BGH für die haftungsausfüllende Kausalität eine grundsätzliche Beweislastumkehr ab; siehe dazu beispielsweise die Ausführung bei Schwab, NJW 2012, 3274, 3274 f., unter Verweis u. a. auf BGHZ 123, 311, 314 ff. = NJW 1993, 3259. Vielmehr findet sich für die Anwaltshaftung ein differenziertes Bild, ob, wann und in welcher Form es zu Beweiserleichterungen, etwa unter Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises, kommt; vgl. dazu u. a. die Darstellungen von Literatur und Rechtsprechung bei Borgmann/Jungk/Schwaiger/Schwaiger, Anwaltshaftung, § 44, Rn. 28 ff. Relevant dafür sind beispielsweise solche Umstände, ob „nur“ eine Auskunft oder ein weitergehender Rat erteilt wurde, ober ob es mehr als eine Möglichkeit gab, sich „aufklärungsrichtig zu verhalten“ (siehe Borgmann/Jungk/Schwaiger/Schwaiger, Anwaltshaftung, § 44, Rn. 30). So hat denn auch der BGH (NJW-RR 2019, 373, Rn. 26 m. w. N.) bzgl. der Tätigkeit eines Steuerberaters ausgeführt, Voraussetzung für das Eingreifen der Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises seien tatsächliche Feststellungen, die im Fall sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten. Um eine nicht angezeigte Differenzierung im Bereich der anwaltlichen Auskunftshaftung zwischen Mandanten als Geschädigten einerseits und sonstigen Vertrauensgebern als Geschädigten andererseits zu vermeiden, haben diese Überlegungen auch innerhalb einer Haftung des Anwalts nach § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB zu greifen. Das betrifft zunächst die Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität. Ergriffen werden muss dann aber, zur Vermeidung der eingangs bezeichneten „Widerspruchsgefahr“, innerhalb der § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB, auch die Ebene der „erheblichen Beeinflussung“ im § 311 Abs. 3 BGB. Dort gilt dann also keine generelle Beweislastumkehr, sondern es greifen dieselben etwaigen Beweiserleichterungen wie sie bei falschen Auskünften (Ratschlägen, Empfehlungen) im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität zugrunde gelegt werden. 1207 Sowie ggf. etwa in Vorgesprächen (Anbahnung).
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sätzen einer Bewertung, die als solche auch ein abschließendes Resümee der Auseinandersetzung um die Haftungsproblematik sein soll. Die vorgeschlagenen Lösungsansätze um eine Auskunftshaftung1208 sind nach wie vor vielgestaltig. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass es die unterschiedlichsten Situationen und Abläufe gibt, in denen es zur Weitergabe falscher Informationen durch einen Fachmann kommen kann. In Eingrenzung dessen war im Zusammenhang mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand die haftungsrechtliche Bewältigung von Situationen bedeutsam, die von folgenden Faktoren (mit) geprägt sind: Ein bestimmter Berufsträger (Anwalt), der in einer bestimmten Position (als Interessenvertreter einer bestimmten Partei) in einem bestimmten Kontext (Vertragsanbahnung/-verhandlung) mit dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten kommuniziert und dabei Auskünfte (Ratschläge, Empfehlungen) erteilt. Die Beurteilung derartiger Situationen der Auskunftserteilung unter Integration der Elemente Berufsrolle, Fachmannseigenschaft und Kommunikation war und ist ebenfalls aufgrund von verschiedenen Ansätzen in unterschiedlicher Ausprägung diskutabel. Gerade die Ansätze von Jost und Köndgen bieten für die Nutzbarmachung kommunikativer Abläufe unter Interpretation von Rollenbeziehungen wertvolle Erkenntnisse. Während in Bezug auf den Köndgenschen Ansatz unsere Kritik u. a. daran festmachte, dass kein Grund vorhanden ist, unter Hinweis auf Rangfolgen verschiedener Rollenbeziehungen den Anwalt aus einer Haftung gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten auf quasi-vertraglicher Grundlage1209 zu entlassen, richtete sich unser Augenmerk bei Jost auf die Suche nach einem (anderen) dogmatischen Fundament für seine Gedanken. Ein solches, in das die Jostschen Überlegungen (mit) einfließen können, kann gerade in § 311 Abs. 3 BGB ausgemacht werden. Es ist im Besonderen der Weg über § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB, der die Möglichkeit bietet, vor allem die Strömungen1210 von Köndgen und Jost nutzbar zu machen und fortzuentwickeln. Mit Hilfe von § 311 Abs. 3 BGB kann eine schlüssige, an das Gesetz selbst anschließende Lösung geschaffen werden. Die Entwicklung eines Vertrauensbegriffs1211, der an Kommunikation anknüpft und die dort machbare Inklusion von typischen Rollenerwartungen ebenso wie von role-making-Prozessen aufgreift, kann über § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB gelingen. Es ist insoweit ein flexibles, 1208
Bzw. eine Expertenhaftung. So der Gedankengang bei Köndgen. Letzterer lässt zwar die deliktische Haftung des Anwalts zu, gleichwohl wird dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten damit ein Teil seines haftungsrechtlichen „Schutzes“ genommen. 1210 Es geht um das Aufgreifen von Gedankenströmungen. Es soll und sollte keinesfalls ignoriert werden, dass sowohl Köndgen als auch Jost dem „Vertrauen“ sehr kritisch gegenüberstanden. 1211 Wiewohl ein solcher im Haftungskontext von Köndgen und Jost ablehnend betrachtet wird. Es geht hier aber gerade um die Nutzbarmachung der Überlegungen der Vorstehenden, nicht um deren kritiklose Übernahme. 1209
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aber operables Instrument vorhanden, das den, insbesondere innerhalb der Vertragsverhandlung1212 vielgestaltigen Prozessen und einer etwaig daran anknüpfenden Auskunftshaftung angemessen Rechnung trägt. Indem auf Erkenntnisse um das Rollenverständnis zurückgegriffen werden (kann), ist zudem eine taugliche inhaltliche Pflichtenbestimmung für den Anwalt nach § 311 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB möglich. Die haftungsrechtliche Bewältigung (falscher) anwaltlicher Auskünfte etc. innerhalb von Vertragsverhandlungen1213, an denen der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten teilnimmt, ist somit über § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB zu suchen. Nicht ausgeschlossen ist damit allerdings eine mögliche deliktische Haftung des Anwalts gegenüber dem Dritten. Letztere kann gerade in Anspruchskonkurrenz zu einem Anspruch nach § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB stehen. Neben den (seltenen) Fällen, in denen § 826 BGB eingreifen kann, ist im Einzelfall auch eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB vorstellbar. Denn der anwaltliche Interessenvertreter kann zum Garanten des potentiellen Vertragspartners seines Mandanten werden. Die Begründung, warum eine Garantenstellung vorliegen kann, hat jedoch in anderer Weise zu erfolgen als vom BGH1214 vorgenommen. Der BGH stellte maßgeblich darauf ab, ob mit der anwaltlichen Rechtsberatung ggf. ein Eingriff in ein deliktisch geschütztes Recht/Rechtsgut des Dritten verbunden ist. Ein Abstellen allein darauf würde jedoch zu einer unbotmäßigen Haftungsgefahr des Anwalts führen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass unter den Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 BGB – wie aufgezeigt – ein Schuldverhältnis zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten entstehen kann, aus dem Pflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB resultieren. Für dessen/deren Begründung bzw. Umfang sind die im Kontext der Darstellung um § 311 Abs. 3 BGB benannten Faktoren und Abläufe, u. a. das role-making, relevant. Der Begründung des Schuldverhältnisses lagen nicht zuletzt „vertragsähnliche“ Strukturen zugrunde, zudem spielten die Gewichtung von Interessen und Verantwortungsbereichen eine besondere Rolle. Anknüpfend an die zuletzt genannten Aspekte lässt sich dann begründen, dass das entsprechende Schuldverhältnis auch Grundlage einer Garantenstellung sein kann, die entsprechenden Pflichten dann (ebenfalls) solche i. S. e. Garantenpflicht (Schutzpflicht) sind. Aus einer solchen Garantenpflicht kann sich die Pflicht zur (richtigen) Auskunft gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten ergeben. Die Garantenpflichten laufen von der Entstehung und vom Inhalt her damit synchron zu den Pflichten, die für eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB maßgeblich sind, so dass keine unbotmäßige zusätzliche Haftung für den Anwalt droht.
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Das kann aber ebenso die Anbahnungsphase betreffen. Bzw. deren Anbahnung. 1214 BGH NJW 2016, 2110 ff. 1213
D. Juristische Haftungsansätze
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Kommt der Anwalt den entsprechenden Garantenpflichten nicht nach und wird dadurch ein absolut geschütztes Recht/Rechtsgut des Dritten verletzt (nicht lediglich das Vermögen!), so ist eine Haftung des Anwalts nach § 823 Abs. 1 BGB möglich. Für den Anwalt bestehen insgesamt – namentlich mit Blick auf § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB1215 – ggf. erhebliche Haftungsgefahren. Zwar drohen ihm (allein) infolge seines bloßen Status als anwaltlicher Fachmann, jedenfalls wenn er sich als Interessenvertreter in eine Vertragsverhandlung begibt, keine Schadensersatzansprüche der anderen Seite bei falschen (rechtlichen) Auskünften.1216 Das gilt selbst dann, wenn die andere Seite nicht anwaltlich vertreten ist. Gerade wenn der potentielle Vertragspartner des Mandanten aber nicht anwaltlich vertreten ist, kann der Anwalt, auch wenn er sich als Interessenvertreter in die Anbahnungs-/Verhandlungssituation begibt, ggf. in eine (modifizierte) Rollenbeziehung zu dieser anderen Seite eintreten. Die Modifizierung kann vielfach darin bestehen, eine Beziehung aufzubauen, die von Erwartungen seitens der anderen Partei an den Anwalt als objektiven bzw. neutralen Fachmann geprägt ist. Das kann vor allem dann „passieren“, wenn eine auf Kooperation ausgerichtete rationale Verhandlungssituation vorliegt und weitere, insbesondere sprachliche, Indikatoren hinzutreten. Letztere können beispielsweise in einem Hinweis darauf liegen, wie die andere Seite eine (bestimmte) rechtliche Frage beurteilen kann/sollte. Liegen solche Faktoren vor, so wird in der Regel eine Inanspruchnahme von Vertrauen seitens des Anwalts nach § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB vorliegen. Für die als notwendig zu erachtende „Annahme“ im Rahmen eines role-makings wird oftmals das Weiterverhandeln der anderen Seite nach dem Erhalt der Information sprechen.1217 Notwendig sind schließlich weiterhin die Beeinflussung der Vertragsverhandlungen bzw. des Vertrags sowie die sonstigen Voraussetzungen des anspruchsbegründenden Tatbestands. Für den Anwalt können Haftungskonsequenzen infolge getätigter Auskünfte etc. innerhalb von Vertragsverhandlungen1218 durchaus eine „realistische“ Gefahr sein. Denn ausgerechnet die Verhandlungsmethode, die vielfach präferiert wird, ein rationales, kooperatives Verhandeln, kann dann für den Anwalt ein solches zusätzliches Haftungsrisiko bergen. Das Ergebnis ist jedoch gerechtfertigt. Denn der Anwalt haftet nicht (allein), weil er Anwalt, auch nicht, weil er Fachmann ist. Er haftet, weil er zu dem potentiellen Vertragspartner seines Mandanten eine „Beziehung“ aufgebaut hat und dies, das darf bei allen (allgemeinen) Vorzügen insbesondere einer rationalen Verhandlung nicht außer Acht bleiben, nach wie vor im Interesse seines 1215 Sofern absolute Rechte/Rechtsgüter betroffen sind, bestehen diese Gefahren auch angesichts einer möglichen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB. 1216 Unbenommen ist selbstverständlich auch dann eine Haftung z. B. nach § 826 BGB, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. 1217 Zudem ist auch wieder an einen Rückgriff auf den Rechtsgedanken aus § 151 BGB zu denken. 1218 Ebenso in der Anbahnungsphase.
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4. Teil: Dritthaftungsproblematik beim Umgang mit Informationen
Mandanten erfolgt. Befördert der Anwalt aber die Wahrnehmung der Mandanteninteressen, indem er die andere Seite gleichsam in (neutraler) informatorischer Sicherheit wiegt, vor allem bezüglich Rechtstatsachen, darf diese Interessenwahrnehmung nicht zu Lasten des potentiellen Vertragspartners des Mandanten erfolgen. Die Haftungsgefahren machen umso deutlicher, wie sehr der Anwalt um die Bedeutung der Interessen innerhalb von Vertragsanbahnungen/-verhandlungen wissen muss. Der Topos um die Vermeidung von Haftungsgefahren nimmt auch innerhalb der eigentlichen Vertragsgestaltung einen zentralen Raum ein, wenn Haftungsansprüche dort auch nicht von Dritten, sondern in der Regel von dem eigenen Mandanten „drohen“. Mit Blick darauf gewinnt vor allem die im/zum Abschluss zu diskutierende Materie an besonderer Bedeutung: die anwaltliche Methodik der Vertragsgestaltung.
5. Teil
Konsequenzen der Bedeutung der Interessenwahrnehmung in der Vertragsgestaltung – Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik A. Einführung Die Dritthaftung des Anwalts ist ein weiteres Beispiel für die nicht einfache Stellung des Anwalts innerhalb des Prozesses der Vertragsentwicklung und -gestaltung für seinen Mandanten. Dass der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten sich in einem ständigen „Wechselspiel“ zwischen zu berücksichtigenden Mandanteninteressen, Interessen des potentiellen Vertragspartners, anderen Drittinteressen sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen befindet, zeigte sich bereits in unterschiedlichsten Varianten. Das machen ebenso die Notwendigkeit vielfach eigener Kommunikationsabläufe, der (beständige) Blick auf die Kontrollinstanz, aber auch die Berücksichtigung sozialer Kontexte um den Vertrag deutlich. Ein solches „Wechselspiel“ soll und muss einer abschließenden Gesamtbetrachtung zugeführt werden, indem als „Schlussfolgerung“ daraus eine Methodik der Vertragsgestaltung entwickelt/begründet wird. Diese Methodik muss den Bogen von der originären Interessenberücksichtigung über eine interessengeleitete Rechtsverwendung hin zu einem individuellen Gestaltungsergebnis spannen.
I. Positionaler Ausgangspunkt des Anwalts und daraus folgende maßgebliche Sichtweise Ausgangspunkt ist in Bezug auf die Vertragsgestaltung der Anwalt, der in seiner Position als Interessenvertreter aufgrund des mit seinem Mandanten geschlossenen Anwaltsvertrags (§§ 675 Abs. 1 i. V. m. 611 bzw. 631 BGB) „aktiviert“ worden ist. Er handelt als solcher (auch) als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Dem steht und stand eine (einseitige) Interessenwahrnehmung für den Mandanten nicht entgegen, im Gegenteil. § 3 Abs. 3 BRAO, wonach jedermann im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht hat, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten zu lassen, ist u. a. Ausdruck des demokratischen Rechtsstaats.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Wenn der Anwalt aber von einer solchen Position heraus agiert, einer vom Individuum „Mandant“ aktivierten Position, so ist seine Tätigkeit von dieser Funktion her bestimmt. Funktional1 ist dann sein Blick auf die Interessen des eigenen Mandanten, funktional in Bezug auf die Interessen des (potentiellen) Vertragspartners,2 funktional hinsichtlich der einzusetzenden Mittel, (insbesondere) hinsichtlich des (kontrollierbaren) Rechts3. Funktionalität4 muss dann auch die Wechselbeziehung zwischen den zuvor genannten einzelnen Elementen (Mandanteninteressen, Drittinteressen, Mitteleinsatz) prägen.5 Sämtliche dieser Ebenen sind unter dem Gesichtspunkt der Interessenumsetzung für den Mandanten zusammenfassend aufzugreifen, gleichsam als Erkenntnisgewinn aus den vorhergehenden Kapiteln, unter der Ausrichtung, so methodische Schritte in der anwaltlichen Vertragsgestaltung zu erläutern.
II. Blick auf das Recht Schon zuvor wurde die Zweck-Mittel-Relation, die das Handeln des Anwalts in der Vertragsgestaltung prägt, herausgestellt: Es geht darum, die Interessen des Mandanten mit den Mitteln des Rechts (zukunftsorientiert) umzusetzen.6 Mehrfach wurde diesbezüglich zudem betont, der Anwalt verwende das Recht, er gebrauche es.7 Das ist insoweit „selbstverständlich“, wenn man die Funktionalität seines Handelns anführt. Dies gilt auch für seinen Blick auf die Kontrollinstanz 1 „Funktional“ bedeutet „die Funktion betreffend, auf die Funktion bezogen, der Funktion entsprechend“, so Duden, Das Fremdwörterbuch. 2 „Funktional“ handelt im Grunde auch der Notar, allerdings mit einer anderen Ausrichtung. Der Notar ist nicht Vertreter einer Partei, sondern unabhängiger und unparteiischer Betreuer der Beteiligten (so § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO). 3 Das gilt aber auch in „außerrechtlichen Bereichen“, z. B. beim Ratschlag, Lösungen jenseits des Rechts, etwa im rein sozialen Kontext, zu suchen. 4 Funktionalität wird auch in einem anderen gestalterischen, Recht setzenden Kontext betont, dem der Gesetzgebung, siehe Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, S. 96 ff., dort unter dem Leitziel der Funktionsgerechtigkeit. 5 Wenn Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 142, einen angemessenen Ausgleich der gegenseitigen Interessen fordert, damit der Vertrag Instrument der Persönlichkeitsentfaltung und Grundlage der Daseinsvorsorge sein und einer Friedens- und Befriedungsfunktion nachkommen kann, ist dies ein Verständnis, das letztlich auf das Berufsbild der Notare zugeschnitten ist. 6 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 1 m. w. N., spricht von der „Gestaltung von Lebensverhältnissen für die Zukunft mit den Mitteln und in den Grenzen des Rechts.“ Den Ausgangspunkt bildet insoweit ein formales Vertragsfreiheitsverständnis verstanden als „rechtliche Befugnis des Einzelnen zur Verwirklichung seiner Interessen im Weg der rechtlichen Gestaltung seiner Lebensverhältnisse durch Vertrag“, so Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 96 m. w. N., allerdings nicht in Bezug auf die Vertragsgestaltung. 7 Die instrumentelle Sicht des Vertragsjuristen betonend Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 1.
A. Einführung
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„Gericht“. Die Rechtsprechung wird berücksichtigt, um den Mandanteninteressen zu dienen, indem ein (kontrollbeständiger) Vertrag entworfen wird.8 Für den Anwalt ist eine bedeutende Frage, inwieweit er durch sein Tun, sei es im vorvertraglichen Bereich, vor allem jedoch mittels der vertraglichen Gestaltung selbst, die gerichtliche Entscheidung „lenken“ kann. Es geht darum, welche „Spielräume“ er hat, wie weit er möglicherweise das Recht „ausreizen“9 (nicht missbrauchen!) kann, um die Interessen seines Mandanten zu fördern.10 Zentral ist der Umgang mit der Vertragsfreiheit für seinen Mandanten, also die Überlegung, welches rechtlich anerkannte Freiheitsverständnis der Anwalt dort zugrunde legen darf. Andererseits muss der Anwalt sich mit notwendigen (!?) Grenzen der Freiheit, die ebenfalls funktional zu betrachten sind, in bewusster Abwägung dazu auseinandersetzen.
III. Notwendigkeit einer zweckorientierten Methodik der Vertragsgestaltung An der Positionierung des Anwalts als Interessenvertreter (und gleichzeitig als Organ der Rechtspflege) muss sich auch eine anwaltliche Methodik11 der Vertrags8
Diese Sichtweise wird auch von Bedeutung sein, wenn innerhalb der Diskussion auf die Argumente verschiedener Vertragstheorien zurückzugreifen ist. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 171, spricht von einer „Interdependenz von Vertragsmodell und Vertragskontrolle“. Daran anknüpfende Überlegungen sollen in ihrer Bedeutung gerade auch innerhalb der methodischen Herangehensweise des Anwalts aufgegriffen werden. Es geht u. a. darum, ob durch eine bestimmte Sichtweise auf den Vertrag innerhalb der Gestaltung möglicherweise die Entscheidung der Kontrollinstanz „Gericht“ beeinflusst werden kann. 9 Vgl. wiederum Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 133, wonach die Kautelarjurisprudenz vor der Aufgabe stehe, die Spielräume der Vertragsfreiheit zugunsten der Vertragsbeteiligten zu nutzen, aber auch deren Grenzen sorgsam zu beachten. Eine wissenschaftliche Lehre der Vertragsgestaltung könne nicht zum Ziel haben, Handlungsanleitungen nur für eine Vertragspartei oder gar Strategien zur Übervorteilung der anderen Seite zu entwickeln. 10 Sieg, Internationale Anwaltshaftung, S. 111, betont, der Anwalt sei – im Gegensatz zum Richter – nicht verpflichtet, Recht objektiv anzuwenden, sondern habe sich an den Interessen seines Mandanten zu orientieren. Das ändere nichts daran, dass ein Rechtsanwalt Recht richtig, das heißt vertretbar, anwenden müsse. 11 Es gibt unterschiedliche Vorschläge zu einer Methodik der Vertragsgestaltung, u. a. Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 4; Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 593 ff.; Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 12 ff. (Denkschritte der Vertragsgestaltung); Kornexl, Vertragsgestaltung 1.0, Rn. 239 ff.; Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 60 ff.; Langenfeld, Vertragsgestaltung, insbesondere Kapitel 5; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 130 ff. Grundlegend bereits Rehbinder, Vertragsgestaltung. Gleichwohl ist auffallend, dass eine vertiefende methodologische Auseinandersetzung jenseits der „Spezialliteratur“ nicht anzutreffen ist. Innerhalb der „klassischen“ Literatur zur Methodenlehre erfolgt keine oder nur eine knappe Beschäftigung mit der Notwendigkeit und den Anforderungen einer auf Gestaltung ausgerichteten Methodik. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, beschäftigt sich mit der Materie nicht. Kramer, Juristische Methodenlehre, verweist zwar auf die Methode der Rechtsgeschäftsplanung, von der ein Teilbereich die
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
gestaltung ausrichten. Ihr Zweck soll/muss darin bestehen, das Arbeiten des Anwalts lege artis zu unterstützen, das heißt, dem Anwalt eine Vertragsgestaltung in einer von ihm zu erfüllenden Art und Weise zu ermöglichen.12 Für den Anwalt ist bedeutsam, dass es ihm gelingt, die dem Mandanten geschuldete Leistung „richtig“ zu erbringen, also nicht eine Schlechterfüllung des Anwaltsvertrags, vor allem mit den (Haftungs-) Konsequenzen des § 280 Abs. 1 BGB, „vorzunehmen“. Der Anwalt schuldet dem Mandanten den Entwurf eines in der Regel rechtswirksamen Vertrags,13 der die Mandanteninteressen umsetzt.14 Man kann es schlagwortartig wie folgt fassen: Der Anwalt muss den Interessen seines Mandanten mit dem Vertrag „gerecht“ werden.15 „Gerecht“ werden bedeutet angesichts der Funktionalität anwaltlichen Handelns, dass man bestimmten Ansprüchen16 genügt bzw. entspricht.17 Es geht nicht um die
Vertragsplanung sei. Letztere blendet er jedoch ausdrücklich von seinen Ausführungen aus, S. 61 f. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 609 ff., widmet den Methodenfragen der Kautelarjurisprudenz immerhin etwas mehr als acht Seiten. 12 Die Zwecke anwaltlicher Methodik werden u. a. darin gesehen, rational zu arbeiten, die Eröffnung einer Selbstkontrolle für den Vertragsgestalter zu schaffen, Nachvollziehbarkeit/ Kontrollierbarkeit der gestalterischen Arbeit durch Dritte zu ermöglichen; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 115; Ulrici, Fallsammlung zur Rechtsgestaltung, S. 9. 13 Fischer u. a./Vill, Handbuch der Anwaltshaftung, § 2, Rn. 327. 14 Die Bedürfnisse des Mandanten müssen bei der Gestaltung optimal wahrgenommen werden, so Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 2, unter Hinweis (Fn. 3) auf BGH NJW 1998, 900, 901. 15 Oberste Leitlinie für die Vertragsgestaltung, so Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 2, seien die Interessen des Mandanten und die gewünschte Zweckverwirklichung. Für einen instrumentellen Umgang mit der Frage der Vertragsgerechtigkeit auch Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 48 f. Siehe ferner Kornexl, Vertragsgestaltung 1.0, Rn. 315, wonach der Rechtsanwalt bei der Vertragsgestaltung nur seinem Auftraggeber verpflichtet ist. 16 Nicht notwendigerweise im juristischen Sinn. Es geht hier um Wünsche, die vom Anwalt ggf. in juristische (vertragliche) Anspruchspositionen umzusetzen sind. 17 Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass vom Ansatz her die anwaltliche Tätigkeit sich nicht mit einem irgendwie gearteten, gleichsam „überwölbenden“ Gerechtigkeitsverständnis „belasten“ darf. „Gerechtigkeitsverständnisse“, u. a. solche, die innerhalb des Topos der „Vertragsgerechtigkeit“ erarbeitet werden, sollen hier gleichsam argumentativ in die Diskussion um funktionale Überlegungen des Anwalts mit einfließen. Das gilt im Besonderen für die zu diskutierenden Grenzen anwaltlichen Handelns. Siehe auch die nachfolgende Fußnote. Als ein „überwölbendes Gerechtigkeitsverständnis“ könnte man die Ausführungen Pikalos, GS für Tammelo, 155, 156, sehen, der ausführt: „Die wesensverwandte Verbundenheit von Kautelarjurisprudenz und Gerechtigkeit folgt daraus, daß die Kautelarjurisprudenz einen bedeutsamen Zweig des Rechts – vor allem der Rechtspraxis im Bereich der rechtsgeschäftlichen Gestaltung – bildet und daß die Gerechtigkeit ein Leitwert des Rechts ist. Die Konkretisierung und Verwirklichung der Gerechtigkeit ist ein grundsätzliches Anliegen der Gesetzgebung und der Rechtsanwendung.“ Relativierend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Pikalo seine Ausführungen vor allem auf die Tätigkeit des Notars bezieht.
B. Subjektive Interessen des Mandanten als notwendiger Ausgangspunkt
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Schaffung eines „neutralen“ Vertrags.18 Der Anwalt ist kein Notar. Der Notar nimmt eine andere Position im gesellschaftlichen Gefüge ein. Er ist eine Amtsperson, die die Beteiligten unabhängig und unparteiisch betreut (§§ 1; 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO). Wie der Anwalt in Bezug auf seinen Mandanten methodisch einen interessengerechten Vertrag erreichen kann, soll, auch angesichts der oftmals gegebenen Komplexität der dem eigentlichen Vertragsschluss vorgelagerten Abläufe, unter Bezug vor allem auf die unter Punkt A. genannten Topoi (originäre Interessenberücksichtigung, interessengeleitete Rechtsverwendung, individuelles Gestaltungsergebnis) erläutert werden. Das gilt sowohl bezüglich der Frage, was Elemente anwaltlicher Gestaltungsmethodik sind, als auch bezüglich einer möglichen „Reihenfolge“ solcher Elemente.
B. Subjektive Interessen des Mandanten als notwendiger Ausgangspunkt I. Einführung Die Überlegungen zum „interessengerechten“ Handeln des Anwalts müssen bei seinem Mandanten ansetzen. Ihm ist der Anwalt aufgrund des Anwaltsvertrags (rechtlich) verpflichtet, seine subjektiven Interessen umzusetzen (§§ 675 Abs. 1 i. V. m. 611 bzw. 631 BGB). Das ist im Übrigen auch stimmig in Bezug auf das zur Interessenrealisierung einzusetzende Mittel, den juristischen Vertrag. Geht man im Ansatz von einem weiten Verständnis der Vertragsfreiheit aus,19 durch die der Einzelne sein Leben selbstbestimmt20 soll regeln können, so ist damit grundsätzlich ein Rahmen eröffnet, den es mit den Interessen des Mandanten „aufzufüllen“ gilt.21 18 Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 2; Hervorhebung durch die Verfasserin. Aderhold/Koch/Lenkaitis, a. a. O., lehnen auch die Schaffung eines gerechten Vertrags ab; damit dürfte ein Vertrag, der sich nicht primär an den Mandanteninteressen orientiert, gemeint sein. Zur instrumentellen Sich wiederum Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 48 f. Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 358, räumt zwar ein, dass, wenn der Kautelarjurist nicht als Notar handelt, er dazu unterstützend tätig werden dürfe, dass jede Partei einseitig ihre Interessen in den Vordergrund stelle. Fragen der Vertragsgerechtigkeit führt Langenfeld allerdings nicht nur als möglicherweise zu beachtenden Grenzen auf, sondern fordert vom Vertragsjuristen weiterhin, sich vor dem Erreichen der äußersten Grenzen der Vertragsgerechtigkeit als Aufgabe bewusst zu sein und seinen Mandanten von allzu einseitigen Gestaltungen abzuraten. Damit nähert sich Langenfeld aber wieder tendenziell einem notariellen Handeln an. 19 Zu einem im Kern inhaltlich neutralen, das heißt „formellen“ Verständnis der Vertragsfreiheit, etwa Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 201; dazu bereits zuvor in der Bearbeitung in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (1) (c) (ee), S. 326 ff. 20 Siehe wiederum BVerfGE 72, 155, 170, wo es heißt, „(…) (d)as Prinzip der eigenen Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen wird durch die
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Wählt man aber die subjektiven Interessen des Mandanten als Ausgangspunkt eines anwaltlichen funktionalen Verständnisses in der Vertragsgestaltung, so ist eine wesentliche Weichenstellung für den Umgang mit und der Verwirklichung von Interessen in diesem Kontext wiederum zunächst auf kommunizierter Ebene auszumachen. Das betrifft vor allem die Ebene Mandant – Anwalt, wo die maßgebliche „Anlage“ der Interessenumsetzung zu erfolgen hat. In Bezug auf die subjektiven Interessen ist also zuvörderst das von Bedeutung, was der Anwalt zur Verwirklichung derselben im Verhältnis zu seinem Mandanten leisten soll bzw. muss.
II. Umgang mit den Interessen des Mandanten 1. Erforschung der Interessen des Mandanten a) Mittel zur Selbstbestimmung Einen Teilbereich der anwaltlichen Pflichten aus dem Anwaltsvertrag bildet die Erforschung22 von Interessen. Die Aufdeckung der Mandanteninteressen ist für den allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährleistet.“ Die Fundstelle führt auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15, an, der (Fn. 1) zudem auf die dortige Übernahme der Formulierung von Flume, AT II § 1/1 hinweist. In BVerfGE 114, 1, 34, wird ausgeführt, Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben; ebenso in BVerfGE 115, 51, 52. Zur Öffnung hin zu einem materialen Verständnis von Vertragsfreiheit vor allem in BVerfGE 89, 214 ff. (Verhinderung von Fremdbestimmung; diesen Gedanken greift u. a. auch BVerfGE 114, 1 ff. auf) siehe noch im Kontext um eine Inhaltskontrolle mittels der Generalklauseln. Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 97, sieht gerade auch mit Blick auf eine effektive Selbstverwirklichung des Einzelnen ein formales, und damit weites Vertragsverständnis, kritisch. Zum Zusammenspiel von Eigenverantwortlichkeit und (gesetzlichem) Paternalismus Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 74 f. 21 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 10, macht einen materiellen Grundwiderspruch des Privatrechtsdenkens aus. Auf der einen Seite steht danach das „Individuum(, das) nur selbst über seine Bedürfnisse entscheiden kann, daher in deren Verwirklichung frei sein und sowohl Gewinn als auch Verlust seines selbstbestimmten Handelns völlig selbstverantwortlich tragen sollte.“ Diese Grundhaltung bezeichnet Auer als „Individualismus“. Andererseits, so Auer, sei es jedoch ethisch ebenso legitim, dem Einzelnen ein Gebot des Teilens und der Verantwortlichkeit für die Geschicke anderer aufzuerlegen, das ihm im Fall eigener Verluste einen Anspruch auf Hilfe und Solidarität der anderen eintrage. Diese dem Individualismus entgegengesetzte Grundrichtung materiellen Wertedenkens in sozialen Zusammenhängen bezeichnet Auer als Kollektivismus, S. 10 f. Diesen Gedankengang aufgreifend steht es anwaltlicher Gestaltung mittels des juristischen Vertrags (ebenfalls) nicht entgegen, (bewusst) individualistisch anzusetzen. Die damit einhergehenden Gedanken u. a. von Selbstbestimmung und freier Entscheidung gilt es sogleich nochmals aufzugreifen. Der von Auer so bezeichnete Kollektivismus wird nicht zuletzt bei den Grenzen anwaltlicher Vertragsgestaltung noch von Bedeutung sein. Auer (S. 11) führt aus, Kollektivismus impliziere Fremdbestimmung und Fremdverantwortung. 22 Und ggf. die Mithilfe an der Bildung.
B. Subjektive Interessen des Mandanten als notwendiger Ausgangspunkt
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Anwalt insoweit von Relevanz, als er dies leisten muss, um seinen (weiteren) anwaltsvertraglichen Pflichten nachzukommen/nachkommen zu können, das heißt vor allem, die Interessen mittels eines (rechtswirksamen) Vertrags umzusetzen. Der „Wertungshintergrund“ dafür liegt in der bereits mehrfach genannten, grundgesetzlich geschützten (Art. 2 Abs. 1 GG) „Selbstbestimmung“23 des Mandanten, die er über den Vertrag verwirklicht. Selbstbestimmung bedeutet, als Individuum selbst über seine Bedürfnisse entscheiden zu können, grundsätzlich in deren Verwirklichung frei zu sein, dann aber auch Gewinn und Verlust seines selbstbestimmten Handelns vollkommen selbstverantwortlich24 tragen zu müssen.25 Man kann sich also alles „wünschen“. Dann besteht ein erster (notwendiger) Schritt auf dem Weg zur Selbstbestimmung mittels eines Vertrags26 in der Interessenaufdeckung, ggf. -bildung, auch in Bezug auf die jeweiligen Kausalfaktoren sowie u. U. in dem Wissen um die Notwendigkeit, weitere Informationen erlangen zu müssen. Letzteres bezieht sich u. a. auf den sozialen Kontext, in dem es zur Selbstbestimmung bzw. zu ihrer Verwirklichung mittels
23 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 151, weist darauf hin, die Vertragsfreiheit sei wichtigster Teil der Privatautonomie und werde zunächst nicht gewährleistet, um bestimmte gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen. Sie diene vielmehr der Selbstbestimmung des Individuums und sei deshalb in gewisser Weise bereits ein Wert an sich. Siehe auch den Hinweis bei Stütze, Fn. 102, wonach die Vertragsfreiheit ihren rechtsethischen Wert nicht als solche erhalte, sondern durch ihre die Selbstbestimmung ermöglichende Funktion; Stütze verweist insoweit u. a. auf Flume, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, S. 135, 139 f.; Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 222 f. Zur Selbstbestimmung als zentrales Prinzip bürgerlichen Rechts und als Verfassungsgebot (Art. 2 GG) Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 63 ff. 24 Siehe grundsätzlich auch Martinek, Das Prinzip der Selbstverantwortung im Vertragsund Verbraucherrecht, S. 247 ff. 25 So, allerdings im Zusammenhang mit der Darstellung des Individualismus als Teil des materiellen Grundwiderspruchs innerhalb des Privatrechtsdenkens, Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 10. Siehe zudem Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 41, der in Erläuterung der Ansätze eines Vorrangs formaler Selbstbestimmungsfreiheit, ausführt, die Entscheidung, dass dem Einzelnen Wahrnehmung und Gestaltung seiner Interessen obliege, schließe es ferner ein, dass er auch selbst die Verantwortung für seine rechtsgeschäftliche Entscheidung trage. Unvernünftige, leichtsinnige oder gar selbstgefährdende Entschlüsse stellten deshalb die Vertragsgerechtigkeit nicht grundsätzlich in Frage. Singer, a. a. O., Fn. 219, gibt in Abgrenzung zu Wolf an, Tragweite und Grenzen der Selbstverantwortung beschreibe die geltende Rechtsordnung. Zur Selbstbestimmung und Verantwortung beim Rechtsgeschäft siehe ebenfalls die Ausführungen bei Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 75 ff. 26 Es wird hier zunächst, auch angesichts der grundgesetzlichen Wertung in Art. 2 Abs. 1 GG, davon ausgegangen, dass eine entsprechende Selbstbestimmung mittels Vertrags möglich ist. Wo dieser Selbstbestimmung im Wege der vertraglichen Realisierung Grenzen begegnen, wird noch zu erörtern sein. Ein Denken in Grenzen darf aber nicht am Beginn der Überlegungen stehen.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Vertrags kommen soll.27 Es zeigt sich wiederum die Einbettung des Vertrags in ein soziales Gefüge, das maßgeblich ebenfalls von den Interessen des potentiellen Vertragspartners28 mitbestimmt wird. Eng verbunden mit einem solchen Gefüge ist auch die Bewusstmachung von Umständen, die man „nicht ändern“ kann. Beispiele dafür können familiäre Bindungen sein, so zwischen Eltern und Kindern. Relevant können ebenso Umstände sein, die man zwar theoretisch, allerdings letztlich faktisch nicht ändern kann; Beispiele dafür sind soziale Abhängigkeiten, wie solche zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Der Interessenaufdeckung als Mittel zur Selbstbestimmung ist ein weites Verständnis zugrunde zu legen. Denn die Selbstbestimmung des Mandanten, die durch den Vertrag zur Entfaltung kommen soll, ist, jedenfalls in ihrem Ansatz, durchaus im Sinne eines als Willkür verstandenen Willens29 aufzufassen. Die anwaltliche Tätigkeit ist insoweit zunächst auf „Willkür“ ausgelegt. Autonomie heißt nicht eine Reduktion auf ein „Recht zum Richtigen“.30 Selbstbestimmung, zu der Hilfe geleistet werden soll, ist egoistisch31, das ist aber auch notwendig. Begreift man Selbstbestimmung nicht zuletzt als Selbstverantwortung, so wird vom Einzelnen verlangt, dass er selbst am besten weiß, was er braucht, was „gut“ für ihn ist. Das ist ein Hintergrund der Entwicklung „from status to contract“. Es ist der bewusste Gegenpol zu jeder Form von Paternalismus32. Dabei, und das sei nochmals betont, liegt in einer derartigen Ausrichtung auf ein egoistisches Verständnis „nur“ der Ansatz für die anwaltlichen Überlegungen. 27 Die Ausrichtung der „lex contractus“, die Veränderung sozialer Wirklichkeit (auch) mit den Mitteln des Rechts, ist somit wieder bedeutsam. Interessant ist insoweit u. a. die Parallele zur Methode der Gesetzgebung. So führt Noll, Gesetzgebungslehre, S. 63, an: „Die Gesetzgebungslehre geht von der Frage aus: Wie können mit gesetzlichen Normen soziale Zustände in einem erwünschten Sinn beeinflußt werden?“ 28 Abgesehen von dem Konsenserfordernis hinsichtlich des Vertragsschlusses zeigt sich daran ebenso erneut, dass ein Vertrag in seiner Umsetzung nur „funktionieren“ kann, wenn die anderen Interessen mitberücksichtigt werden. Vgl. dazu, dass ein Vertrag nur funktionieren kann, wenn beide Vertragsseiten ihre Ziele verwirklicht sehen können, Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 2; Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 17; Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 13. 29 Siehe dazu Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 151; derselbe, FS für Raiser, 3, 19, wo er darstellt, dass gerade im Anschluss an die Zeit des Nationalsozialismus man teilweise unterstrichen habe, im Vertrag herrsche Willkür; derselbe, FS für Nipperdey, 1, 5 [„(…) denn der Wille des einzelnen verbürgt keine Richtigkeit, sondern im Gegenteil ist damit zu rechnen, daß er sein Interesse auch da wahrt und durchzusetzen sucht, wo es mit der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren ist oder mindestens ohne Rücksicht auf sie. (…)“]. 30 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 147; Hervorhebung bei Stütze. 31 Siehe wiederum Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 10, zum Individualismus als Teil des Privatrechtsdenkens. 32 Ausführlich zum Paternalismus Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht. So sind nach Enderlein, S. 15, bestimmte zwingende Normen des Vertragsrechts paternalistisch, die bei einer Kooperation dessen, um dessen Wohl es geht, mit einer anderen Person sowohl in die Freiheit des Geschützten als auch in die Freiheit des Kooperationspartners eingreifen.
B. Subjektive Interessen des Mandanten als notwendiger Ausgangspunkt
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Daraus ergibt sich allerdings nicht die Folgerung, allein in einer willkürlichen Selbstbestimmung könne eine Rechtfertigung für den späteren Vertrag in der Form bestehen, dass das Gericht (Kontrollinstanz) ihn zu akzeptieren habe.33 Es geht hier zunächst um das Einbringen eines funktionalen Aspekts, dem der Anwalt gerecht werden muss. Begreift man den Vertrag zudem als Kompensationsinstrument ursprünglich egoistischer, auf Realisierung eigener Belange ausgerichteter Einzelwillen,34 muss nachgerade die weite, auf sich selbst bezogene Interessenforschung/-bildung am Anfang stehen. Denn optimale Interessenverwirklichung, die auch eine weitestgehende Interessenumsetzung beinhaltet, darf nicht zunächst von Grenzen aus denken, sondern muss, wiewohl in Kenntnis derselben, die Weite der Begehrungen an den Beginn setzen. Nur so werden im Übrigen z. B. später Alternativen im Rahmen des vertraglichen Einigungsprozesses eröffnet.35 Hinsichtlich einer anwaltlichen Methodik kann man insoweit zunächst festhalten, dass die Ermittlung der Interessen des Mandanten, aber auch die Erforschung ihres sozialen Kontextes, notwendig zu besetzende „Stellungen“ innerhalb der anwaltlichen Herangehensweise einnehmen müssen. Schlagworte, die insoweit benutzt werden, sind etwa die Sachverhaltsermittlung bzw. Informationssammlung36 sowie die Ermittlung des „Sachziels“37 des Mandanten. Ihre (vollständige) inhaltliche 33 Dazu in kritischer Auseinandersetzung mit Flumes Lehre von der fehlenden Rechtsqualität der Selbstbestimmungsakte, Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 8. Siehe auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 191, wonach Flumes Lehre, die auf der Maxime „stat pro ratione voluntas“ fuße, in Erklärungsnot bezüglich der Frage gerate, warum die Rechtsordnung Vertragsfreiheit gewähre, obwohl deren Ergebnisse nicht stets gerecht und folgerichtig korrekturbedürftig seien. 34 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 175, zu Schmidt-Rimplers Lehre von der Richtigkeitsgewähr. Siehe in diesem Kontext auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 61. 35 Zum Umgang mit der „besten Alternative“ in der Vertragsverhandlung, gerade aus Sicht einer schwächeren Partei, Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 39 ff. 36 Zur Informationsgewinnung Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 15 ff. Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 3, sprechen von der Pflicht des Anwalts zur Ermittlung des Ausgangssachverhalts und des Sachziels. Für den Notar enthält § 17 Abs. 1 BeurkG einen entsprechenden normativen Ansatz. 37 Zur Begrifflichkeit des „Sachziels“ Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 2, Rn. 20; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 169 f.; Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 18. Rittershaus/Teichmann, Rn. 236, unterscheiden allerdings zwischen „Sachzielen“ und „Interessen“ des Mandanten. Sachziel sei der Hauptzweck, Interessen die Nebenzwecke, die im Zusammenhang mit dem Hauptzweck verfolgt würden. Eine derartige Trennung wird hier, wo die Interessen gleichsam das Sachziel ausmachen, nicht zugrunde gelegt. Innerhalb der abschließenden Darstellung der methodischen Schritte wird auch von „Interessenzielen“ gesprochen. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 4, nimmt in Anschluss an Macneil, Southern Californian Law Review 48 (1975), 627, 639 f., eine bereits zuvor erwähnte Trennung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung vor. Erfüllungsplanung sei die Verwirklichung der Sachziele. Die Risikoplanung betreffe die Vertragsplanung gegen das Risiko von Verlusten (Kosten) bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung. Rehbinder selbst, S. 5, räumt jedoch
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Erfassung ist noch weiteren Überlegungen vorbehalten. Aus dem Vorstehenden ergab sich allerdings bereits, dass diese Topoi gleichsam den „Anfang“ der methodischen Gedankengänge des Anwalts bilden müssen.38 Inwieweit und aus welchen Gründen dies jedoch kein (einmaliger) anfänglich statischer Prozess bleiben wird/darf,39 wird sich zeigen. b) Interessenerforschung als eine Form von „Machtoption“ Nicht zuletzt mit der Möglichkeit, aufgrund der Kenntnis um die eigenen involvierten Interessen unterschiedliche Reaktionsformen und ggf. Handlungsalternativen für sich selbst ausmachen zu können, kann die Schaffung einer „Machtoption“40 in Bezug auf spätere Verhandlungen41 und damit in Bezug auf die Gestaltung des Vertrags zusammenhängen. Die Option besteht nicht nur in der etwaigen Eröffnung verschiedener Verhaltensweisen,42 vielmehr verschafft eine dezidierte Auseinandersetzung (zunächst) mit den eigenen Interessen ggf. auch einen Informationsvorsprung. Denn mit der entsprechenden Auseinandersetzung kann eine bessere Erfassung der Gesamtsituation durch den Mandanten43 in sozialer wie in wirtschaftlicher Hinsicht einhergehen.
ein, eine scharfe Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Risikoplanung sei nicht möglich. Zudem seien auch „Risikovermeidungsziele“ (S. 4) nichtsdestotrotz Ziele des Mandanten. Bei Zugrundelegung eines weiten Interessenbegriffs gehört damit auch eine solche Zielverfolgung dazu, das heißt zur Ermittlung der Interessen. 38 Siehe auch Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 18. 39 Dazu u. a. Aderhold/Koch/Lenkaitis, Vertragsgestaltung, § 3, Rn. 4 (in Bezug auf die Ermittlung von Informationen). 40 Auch wenn das Vorliegen bzw. vielmehr die Bestimmung von Paritätsfaktoren streitig ist, vgl. u. a. Schapp, Privatautonomie und Verfassungsrecht, 83, 94, können jedenfalls rein faktisch Umstände in der Vertragsverhandlung vorliegen, die der Anwalt machtoptional einsetzen kann. 41 Mit dem Begriff der „(Vertrags-)Verhandlungen“ sind hier die kommunikativen Abläufe im Vorfeld des eigentlichen Vertragsschlusses zwischen den Vertragsparteien (unter Einschluss des Anwalts) erfasst. 42 Das kann vor allem den Inhalt, die Bestimmung der relevanten essentialia negotii des Vertrags betreffen, z. B. welcher Gegenstand zum Gebrauch überlassen werden soll, ob das gegen Entgelt oder unentgeltlich geschehen soll. 43 Von der Frage, inwieweit der Anwalt auch wirtschaftliche oder soziale Beratung leisten soll/muss, ist aber die Möglichkeit des Mandanten zu trennen, selbst aufgrund einer entsprechenden Interessenaufarbeitung solche Überlegungen anzustellen und diese dem Anwalt auch mitzuteilen. Das ist im Grunde ein Beitrag, der etwa dem Vertragsmodell von Dauner-Lieb, welches liberal ausgelegt ist, „entsprechen“ würde. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, u. a. S. 105, bevorzugt ein Informationsmodell als Korrekturansatz für das Funktionieren von Privatautonomie und Markwirtschaft. Wenn Dauner-Liebs Überlegungen auch innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Verbraucherschutz erfolgten und nicht die Problematik um die Interessenaufarbeitung durch den Anwalt betreffen, finden sich hier doch gedankliche Parallelen.
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Damit kann wiederum der „Anreiz“ verbunden sein, einen eigenen zusätzlichen Informationserwerb zu betreiben, um eine bessere Beurteilung und Gewichtung der jeweiligen Interessen vornehmen zu können. Auf die Art und Weise kann ein weiterer Informationsvorsprung in Bezug auf die späteren Verhandlungen geschaffen werden, was letztlich wiederum Auswirkungen auf den zu gestaltenden Vertrag hat. Solche „Machtoptionen“ sind dabei keinesfalls „nur“ potentielle Instrumente, um einen späteren Vertragspartner zu „unterdrücken“. Vielmehr bilden sie gerade Elemente, um einen (eigenen!) Schutz vor Fremdbestimmung durch die andere Seite aufzubauen. Insofern ist ihr Vorhandensein relevant für die Schaffung und Gestaltung eines (interessen-)gerechten Vertrags. Denn sieht man etwa die Vertragsfreiheit als durch die Selbstbestimmung des Einzelnen gerechtfertigt, aber auch gefordert an,44 stellt sich die Frage, ob bzw. in welchem Umfang die „Macht“ zur Selbstbestimmung45 bestehen (muss). Ein „Baustein“ zu einer entsprechenden „Macht“ kann aus den oben ausgeführten Erwägungen in der Ermittlung der Interessenweite des Mandanten liegen. Für den Mandanten wird dann ein Beitrag geleistet, von einer im Wege der Vertragsfreiheit grundsätzlich „gewährleisteten Abschluß- und Inhaltsfreiheit auch tatsächlich Gebrauch“46 machen zu können. Konsequenzen für eine methodische Herangehensweise ergeben sich auch hieraus: So bilden die vorgenannten Aspekte einen weiteren Grund, warum die Ermittlung der Interessen des Mandanten (zumindest auch) am Anfang der gestalterischen Herangehensweise stehen muss. Zudem zeichnet sich hier bereits ab, dass eine entsprechende Interessenerforschung ggf. einen anderen (methodischen) Umgang mit den anzuwendenden/zu berücksichtigenden Gesetzen eröffnet. Schon jetzt ergibt sich ein Grund dafür, warum später innerhalb der Vertragsgestaltung der Blick des Anwalts zwischen den einzelnen methodischen Punkten hin- und herwandern wird/muss.
Der Mandant leistet in eigener Verantwortung seinen Beitrag, keinem Mangel an wirtschaftlichen und sozialen Kenntnissen zu unterliegen. Es geht darum, dass Privatautonomie aufgrund von „Wissen“ funktioniert. 44 Vgl. dazu in Auseinandersetzung mit der Selbstbestimmungsthese als Vertrags(kontroll)ansatz Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 176. Als monokausalen Ansatz lehnt Heinrich, S. 191 f., jedoch die Selbstbestimmungsthese als Vertrags(kontroll)modell ab. Siehe auch Flume, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, 135, 143. Kritik u. a. von Canaris, FS für Lerche, 873, 881. 45 Dazu etwa Flume, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, 135, 143. 46 Zu letzterem Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23, allerdings in Bezug auf die Beschreibung der Vertragsfreiheit in Abgrenzung zur Vertragsgerechtigkeit. Auer, a. a. O., Fn. 41, kritisiert auch u. a. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 207 ff., 223 ff., der nur zwischen „formalem Freiheitsdenken“ und „materialem Gerechtigkeitsdenken“ unterscheide (Hervorhebungen bei Auer). Zu unterscheiden sei vielmehr zweifach, zum einen auf der Ebene der Vertragsfreiheit als auch auf der der Vertragsgerechtigkeit jeweils zwischen einer formalen und einer materialen Betrachtungsweise.
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2. Bewertung der Mandanteninteressen a) Möglichkeit zur Interessenabstufung Auf dem Weg zum Vertrag, der den Mandanteninteressen gerecht wird, ist die (im Vorfeld) mit dem Mandanten vorzunehmende Bewertung seiner Interessen von weiterer Bedeutung. Dieser Aspekt hängt zum einen eng mit der soeben hinsichtlich der Interessenerforschung ausgemachten Entwicklung unterschiedlicher Optionen zusammen. Wenn durch die Interessenerforschung schon unterschiedliche Interessen des Mandanten zutage treten bzw. gebildet werden, dann ist (ihre) Bewertung im Sinne einer Einteilung in Wertigkeiten (Abstufung)47 naheliegend. Danach entscheidet sich u. a., ob und zu welchen unterschiedlichen Gestaltungen der Mandant bereit ist.48 b) Bewertung von Mandanteninteressen als Schritt hin zur rechtlichen Beurteilung Relevant ist die Bewertung und Gewichtung unterschiedlicher eigener (Mandanten-)Interessen aber noch unter einem anderen Gesichtspunkt, der zuvor schon verschiedentlich angesprochen wurde. Es geht um die Berücksichtigung gesetzlicher „Vorschläge“ bzw. „Vorgaben“, das heißt im Besonderen solche des dispositiven bzw. des zwingenden Rechts. Ergibt nämlich die rechtliche Beratung49 des Anwalts, dass die Interessen des Mandanten (oder jedenfalls eine Auswahl bestimmter Interessen) sich in einer tatbestandlich bereits „vorgeschlagenen“ gesetzlichen50 Regelung (insbesondere in gesetzlichen Vertragstypen) „wiederfinden“,51 dient die Kenntnis darum erneut nicht nur als mögliches Mittel eigener Interessenwahrnehmung, sondern (auch) u. U. als einzusetzende Taktik und damit letztlich als etwaige (Macht-)Option. Verbunden damit ist selbstverständlich, dass der Anwalt, ausgehend von den tatsächlichen In-
47 Die Vornahme einer solchen Wertigkeit als solche wurde auch als (eigenes) Interesse ausgemacht. 48 Nach Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23, sind dies wiederum genau die Aspekte, die die Vertragsfreiheit ausmachen. 49 Grundsätzlich zur Beratungsfunktion des Kautelarjuristen unter dem Aspekt der Berücksichtigung des Gerechtigkeitsgehalts Pikalo, GS für Tammelo, 155, 169 f.; Pikalo richtet aber wiederum den Hauptfokus auf den Notar. 50 Es können ebenso andere Regelungen mit rechtlicher Normqualität sein, z. B. solche, die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelt worden sind. 51 Siehe u. a. Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 171, dass für den Fall, in dem die Rechtslage ohne weiteres die Ziele des Mandanten „abdeckt“, der Anwalt nichts veranlassen muss, allerdings den Mandanten entsprechend zu beraten hat. Unser Hauptaugenmerk liegt jedoch auf bestimmten typischen Regelungen, die jedenfalls noch dem eigentlichen Vertragsschluss zugeführt werden müssen.
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teressen seines Mandanten, diesen in umfangreiche (angemessene) Kenntnis um die gesetzliche Ausgangslage versetzt. Ein Rückzug auf „gesetzliche Vorschläge“ bietet dann die zuvor schon angelegentlich erläuterten „Vorteile“, das heißt insbesondere die Eröffnung einer gewissen52 Antizipierbarkeit53 in Bezug auf eine ggf. erfolgende richterliche Kontrolle (im Sinne des Mandanten) mit dem Bewusstsein, bei der Wahl z. B. eines gesetzlichen Vertragstypus in der Regel, zumindest in Bezug auf bestimmte Vertragsbestandteile, (auch) einen in den Augen der Kontrollinstanz „gerechten“, im Sinne von einem zu akzeptierenden, Vertrag54 entworfen zu haben. c) Eröffnung weiterer Optionen aufgrund rechtlicher Kenntnisse Der Umgang mit einer vor allem (inhaltlich) vorgeschlagenen Regelung des Gesetzes kann, selbst wenn die Interessen des Mandanten sich nicht vollständig mit allen Vorgaben decken, gleichwohl angezeigt sein, gerade auch als Eröffnung einer „Machtoption“. Eine „Machtoption“ kann z. B. darin liegen, dass man die „Aussage“ des Gesetzes in vollem Umfang „begreift“. Das fängt bei der inhaltlich korrekten Erfassung allein der Begrifflichkeit des Gesetzes an.55 Daran schließt sich das (weitere) inhaltliche Erfassen an. Bedeutsam sind insoweit nicht nur die potentiellen essentialia negotii eines typisierten Vertrags, sondern auch die accidentalia, wie Leistungsort (§ 269 52 „Unsicherheitsfaktoren“ wurden bereits benannt, u. a. im Fall, in dem das Gesetz auslegungsfähig und -bedürftig ist. 53 Hier zeigt sich im Besonderen die mögliche Vorteilhaftigkeit eines Denkens in Parsonschen Ordnungskategorien, nämlich des „Wollens wie Sollens“. 54 Auch an dieser Stelle soll der Begriff der „Gerechtigkeit“ mit Vorsicht verwendet werden. Die Überlegungen knüpfen hier daran an, dass beim Rückgriff auf einen bestimmten gesetzlichen Vertragstypus vom Gericht vertragliche Regelungen, die diesen aufgreifen, insoweit als in der Regel „gerecht“ im Sinne von vom Gericht zu akzeptierenden Vertragsbestimmungen angesehen werden. Beispielhaft sei der Kauf einer beweglichen Sache (§ 433 BGB) genannt oder die Regelung einer Sicherheit in Form einer Bürgschaft (§ 765 BGB). Allein der Rückgriff auf einen bestimmten Vertragstypus führt jedoch zumeist nicht dazu, dass sämtliche vertragliche Regelungspunkte hinsichtlich einer prognostischen gerichtlichen Entscheidung „sicher“ sein müssen. Das lässt sich exemplarisch am Kaufvertrag verdeutlichen. So geben die gesetzlichen Regelungen der §§ 433 ff. BGB selbstverständlich nicht vor, in welchem Wertverhältnis Leistung und Gegenleistung stehen dürfen. Das wäre letztlich ein planwirtschaftliches Vorgehen, das in der geltenden Marktordnung grundsätzlich abzulehnen ist. Das Problem der inhaltlichen Gleichwertigkeit der aufgrund des (konkreten) Vertrags auszutauschenden Leistungen wird allerdings von materialen Gerechtigkeitstheorien aufgegriffen, dazu Canaris, AcP 200 (2000), 273, 282 f. Aus Sicht des Vertragsgestalters sollen aufgrund der funktionalen Ausrichtung der Untersuchung entsprechende Überlegungen später im Kontext mit der weiteren gerichtlichen (inhaltlichen) Vertragskontrolle angestellt werden. 55 Nicht ohne Grund war dies ein maßgeblicher Anknüpfungspunkt für eine mögliche Dritthaftung des Anwalts innerhalb der Vertragsverhandlungen, wenn er dem potentiellen Vertragspartner das Gesetz inhaltlich (falsch) erklärt.
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BGB) oder Leistungszeit (§ 271 BGB). Das betrifft aber in gleicher Weise die Kenntnis um „Unsicherheiten“ hinsichtlich einer künftigen Rechtsanwendung durch das Gericht, etwa aufgrund von unterschiedlicher oder noch offener Rechtsprechung. „Machtoptional“ sind solche Kenntnisse z. B., indem der Mandant (der Anwalt für den Mandanten) den „Kenntnisvorsprung“ strategisch einsetzt/einsetzen kann. Will man einen zögernden Vertragspartner überzeugen, kann man ihn auf ihm bisher unbekannte „Vorteile“ hinweisen, bzw. Bedenken ausräumen.56 Das ist u. a. ein Handeln, das innerhalb des rationalen Verhandlungsmodells eingesetzt werden kann. Andererseits kann man sein Gegenüber auch im (erkannten) Unklaren über Regelungen des Gesetzes lassen. Es kann dann das Prinzip gelten, „keine schlafenden Hunde“ zu wecken, sofern das Gesetz mit seinen Regelungen für die eigenen Interessen positiv ist. Konsequenzen können sein, diese Aspekte weder in Vertragsverhandlungen anzusprechen noch eine entsprechende (deklaratorische) Klausel in den abzuschließenden Vertrag aufzunehmen. Methodische Konsequenzen lassen sich wiederum auch aus den vorstehenden Ergebnissen ziehen: Der Anwalt darf es nicht allein bei der tatsächlichen Erfassung der Interessen seines Mandanten belassen. Er muss sie vielmehr mit Blick auf eine spätere „Nutzung“ des Gesetzes in „die Rechtssprache übersetzen“.57 Die grundsätzliche Denkrichtung soll/muss aber weiterhin vom Mandanten hin zum Gesetz sein. Danach sind nicht nur die tatsächlichen „Wünsche“ des Mandanten an den Anfang einer methodischen Herangehensweise zu setzen, sondern gleich anschließend ebenso ihre Übertragung in die Rechtssprache. Von dort aus hat dann ein Abgleich mit dem Gesetz und seinen Regelungen zu erfolgen.58 Selbstverständlich soll dadurch wiederum ein Prozess des Hin- und Herwanderns des Blicks zwischen den einzelnen Elementen innerhalb der anwaltlichen Methodik nicht ausgeschlossen werden,59 z. B. indem aufgrund der Kenntnis der gesetzlichen Lage die eigenen Interessen neu überdacht werden, vielfach sogar erst erfragt und gebildet werden.
III. Zwischenresümee Die Ausrichtung auf die subjektiven Interessen des Mandanten ist in der methodischen Herangehensweise anwaltlicher Vertragsgestaltung ein zentraler Aspekt. Er ist an den Beginn der methodischen Überlegungen zu stellen. So kann man das 56 Das ist wiederum ein Vorgehen, das zwar die Vertragsverhandlungen betrifft, allerdings auch Auswirkungen auf die Methodik der Vertragsgestaltung selbst hat. 57 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 170, wonach der Anwalt die Sachziele zwar kennen, sie jedoch für seine eigene Arbeit in „Rechtsziele“ übersetzen muss. 58 Eine andere Vorgehensweise wohl wählend Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 12 ff. 59 Dazu Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 235.
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Erfassen sämtlicher Wünsche, Begehrungen etc., also das Erfassen der Interessen des Mandanten, die mittels des Vertrags umgesetzt werden sollen, als Bestimmung des „Sachziels“60, besser jedoch als Bestimmung des „Interessenziels“61, bezeichnen. Dieser Bestimmung vorgelagert, teilweise sich mit ihr jedoch auch „überlappend“, ist die grundsätzliche Sachverhaltsermittlung bzw. Informationsgewinnung62. Allerdings ist die jeweilige „Bestimmung“ keine einmalige, keine isolierte, sondern sie ist geprägt von einem Hin- und Herbewegen des Blicks auch auf die weiteren methodischen Punkte. An die Bestimmung des Sachziels/Interessenziels schließt sich die „Übersetzung“ desselbigen in die Rechtssprache an, es erfolgt die Bestimmung des Rechtsziels.63 Die Herausarbeitung dieser methodischen Punkte geschah vor dem Hintergrund, dem Mandanten zu einer „egoistischen“ Wahrnehmung seiner eigenen Interessen im Wege der Vertragsgestaltung zu verhelfen.64 Allerdings muss damit kein grundsätzliches negatives Stigma verbunden sein. So zeigt die dezidierte Aufschlüsselung der eigenen (Mandanten-)Interessen, wie der Mandant mit Hilfe des Anwalts so einen Beitrag leisten kann, selbstbestimmt und mit Selbstverantwortung seine eigenen Angelegenheiten zu regeln. Der inhaltliche Reflexionsprozess um die eigenen Interessen ist eng mit den zuvor genannten Topoi der Selbstbestimmung wie auch der Selbstverantwortung verbunden.65 Der Mandant handelt damit sorgfältig in seinen eigenen Angelegenheiten. Zeigte sich damit das anwaltliche Vorgehen hinsichtlich des eigenen Mandanten unter unterschiedlichen funktionalen Aspekten, so muss dies in eigener Weise auch in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner gelten. Welche Bedeutung das mit entsprechenden Auswirkungen auf eine anwaltliche Methodik der Vertragsgestaltung hat, ergibt sich als Anschlussproblematik.
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Zur Begrifflichkeit des Sachziels u. a. Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 169 f. 61 Das würde begrifflich sowohl die Erfüllungs- wie auch die Risikoplanung umfassen. 62 Zur Informationsgewinnung Kamanabrou/Wietfeld, Vertragsgestaltung, § 1, Rn. 15 ff., die dazu wohl auch die Erfassung der Interessen des Mandanten zählen, allerdings nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen. 63 Siehe erneut Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 170. 64 Dazu bedarf es freilich noch weiterer Schritte, die es zu erörtern gilt. 65 Ob der Mandant schlussendlich immer „selbstbestimmt“ handeln kann, hängt noch von weiteren zu diskutierenden Faktoren ab, ebenso, ob das dann vertraglich gefundene Ergebnis einer gerichtlichen Kontrolle standhalten würde.
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C. Notwendigkeit der Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners I. Einführung Die Notwendigkeit, die Interessen der anderen Vertragspartei (mit) zu berücksichtigen, wurde aus verschiedenen Gründen schon zuvor deutlich. Hervorzuheben sind das Konsenserfordernis für einen (juristischen) Vertragsschluss, durchaus aber auch die Verfolgung des Ziels, eine befriedende Lösung inter partes zu finden66. Eine weitere Überlegung war u. a., dass ein Vertrag „stabiler“ sein kann, wenn beide Interessenströme (angemessene) Berücksichtigung finden.67 Das Zusammenspiel bestehender und sich entwickelnder (anpassender) gegenseitiger Interessen wurde beispielsweise innerhalb des Prozesses des soziologischen role-makings, aber auch innerhalb der Überlegungen um die Anpassungsklauseln deutlich. Anschließend an letzteres darf innerhalb der anwaltlichen Herangehensweise, und hier zeigt sich wiederum die funktionale Ausrichtung, jedoch nie außer Acht gelassen werden, dass die „Vorteilssuche“ des Mandanten den zu berücksichtigenden Ausgangspunkt der Gedankengänge bildet. Das gilt selbst, wenn eine befriedende Lösung angestrebt wird; das muss der Anwalt (nur) berücksichtigen, weil/wenn der Mandant es so wünscht.68 66
Den Vertrag als Mechanismus, ohne hoheitliche Vorgaben eine für beide Seiten „richtige“ Lösung herbeizuführen, hat vor allem Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149 ff., herausgestellt. Sich damit auseinandersetzend u. a. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 174 f., 190 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 9 ff. Später modifizierte Schmidt-Rimpler seine Theorie dahingehend, dass der Vertragsmechanismus nur zu einer Richtigkeitswahrscheinlichkeit führe, SchmidtRimpler, FS für Raiser, 3, 8. Schmidt-Rimpler selbst, FS für Raiser, 3, 13, lehnte auch den Vertrag als „richtiges Ordnungsmittel“ ab, wenn typische Machtunterschiede bestünden. Sich ausführlich und kritisch mit Schmidt-Rimpler auseinandersetzend Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 208 ff. Allerdings darf das Bild der „sich abschleifenden Interessen“ nicht einfach zur Seite geschoben werden; zur Begrifflichkeit des Abschleifens entgegenstehender Interessen siehe Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 62; dort u. a. in Auseinandersetzung mit der Vertragstheorie Schmidt-Rimplers, AcP 147 (1941), S. 130 ff. Zur Richtigkeitsgewähr und der Polarität von Interessen vor allem auch Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, etwa S. 66 f. Thüsing, RdA 2005, 257, 259, nimmt bei übereinstimmenden Willen der Parteien eine Vermutung der Angemessenheit des Vertrags an. Der Umgang mit den Interessen des Vertragspartners kann also durchaus ein Element der Befriedung sein. 67 Zum Vertrag als selbstgesteuerter Interessenausgleich Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 75. 68 Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 246, spricht davon, Richtigkeitsgewähr könne nicht bedeuten, dass die Vertragsparteien eine Regelung träfen, die den Gerechtigkeitsansprüchen des Gesetzgebers genügen müsse.
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Geht man somit in der Untersuchung der anwaltlichen Vorgehensweise funktional unter Ausrichtung auf die Umsetzung der Mandanteninteressen vor, so müssen diesbezüglich – gerade auch angesichts der Interessen des potentiellen Vertragspartners – nochmals Überlegungen hinsichtlich der Vertragsverhandlungen69 mit einbezogen werden, daran anknüpfend solche zum zu fixierenden Vertrag und damit einhergehende methodische Fragen. Das besondere Augenmerk ist zunächst auf die möglicherweise vorgeschalteten Vertragsverhandlungen zu legen, die in ihrem Ablauf maßgeblichen Einfluss auf den späteren Vertragsinhalt und dessen Kontrollierbarkeit70 haben können. So bergen erneut etwa Vorbereitung und Gestaltung der Verhandlung relevante Machtoptionen71 in sich. U. a. an die Kenntnis um diese Machtoptionen können sich ggf. später Fragen nach der Notwendigkeit von Grenzen und ihrer möglichen Kontrolle anschließen, die wiederum Auswirkungen auf ein methodisches Vorgehen in der Vertragsgestaltung insgesamt haben können. Gerade der Vertragsgestalter muss, wenn es darum geht, die fremden Interessen ggf. als potentiell kontrollierbare Grenzen berücksichtigen zu müssen, Anknüpfungspunkte haben, in welcher Form eine solche Interessenberücksichtigung geschehen kann. Eine grobe Unterteilung kann dergestalt vorgenommen werden, dass die Beachtung fremder Interessen in formeller wie in materieller Hinsicht erfolgen kann,72 wobei zwischen beiden Bereichen keine kategorischen Trennungsverhältnisse bestehen.
69 Die Erkenntnisse um die ggf. beeinflussbaren Abläufe innerhalb der Vertragsverhandlung können durchaus Einfluss auf die methodische Denkweise hinsichtlich des zu gestaltenden Vertrags haben. 70 Der Topos der Kontrollierbarkeit ist eine wesentliche Brücke, weshalb eine Methodik der Vertragsgestaltung in ihrer Entwicklung der Berücksichtigung auch der Abläufe um eine vorangegangene Vertragsverhandlung bedarf. 71 Es sei nochmals betont, dass es hier zunächst darum geht, dass faktisch machtoptional vorgegangen wird. Ob und wie das (später) rechtlich „messbar“ sein kann, wird noch zu untersuchen sein. 72 Eine Trennung zwischen formalen und materialen Gerechtigkeitskonzepten in Bezug auf den Vertrag bzw. in Bezug auf die Vertragsgerechtigkeit findet sich in vielfältiger Weise und ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, siehe dazu nur die zusammenfassenden Darstellungen etwa bei Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 171 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 8 ff. Entsprechende Denkansätze werden auch in unsere Überlegungen einfließen, allerdings wiederum von einem anderen Ausgangspunkt her: Es geht darum, das Vorgehen des funktional agierenden Anwalts unter formalen oder materialen Gesichtspunkten zu analysieren. Das soll/kann eine lenkende Wirkung auf die potentielle Kontrollinstanz haben. Das Hauptaugenmerk wird also darauf gerichtet sein, wo später hinsichtlich des zu „verwendenden“ Rechts formale/materiale Aspekte eine Bedeutung haben.
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II. Formale Willenseinigung als Ausgangspunkt eines (gegenseitigen) Interessenausgleichs in der Vertragsgestaltung Eine Vertragsfreiheit, die auf die formale Willenseinigung abstellt, kann den Blick auf die Herrschaftsverhältnisse verstellen.73 Was man im Einzelnen unter „Herrschaftsverhältnissen“ verstehen soll/darf, wird allerdings vielfach als einer abschließenden Bestimmung entzogen angesehen.74 Schlüssig ist es aber, dass z. B. soziale Abhängigkeiten oder unterschiedliche intellektuelle75 Möglichkeiten Einfluss darauf haben können, ob und ggf. mit welchem Inhalt jemand einen Vertrag abschließt.76 Diese „Option“ floss auch in die Überlegungen zum anwaltlichen Vorgehen ein. Konsequent ist deshalb auch der Gedanke, dass die Herrschaftsverhältnisse nicht außer Betracht bleiben dürfen.77 Es ist aber nicht zuletzt der Umgang u. a. mit Herrschaftsdispositionen innerhalb der Vertragsverhandlung und -gestaltung, der dazu zwingt, sich dem Interessenausgleich gleichwohl immer zunächst von einem formalen Verständnis der zu erzielenden Einigung zu nähern. Denn etwaig zu berücksichtigende Herrschaftsverhältnisse (wie aber ggf. auch andere Umstände) sollten gerade innerhalb der Vertragsgestaltung, schon aufgrund ihres unterschiedlichen „Auftretens“ je nach Situation,78 immer nur als potentielle Grenzen der 73 Zur Problematik, dass etwa nur bei annähernder Gleichwertigkeit der Vertragspartner ein hinreichender Interessenausgleich möglich ist, u. a. Raiser, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, 101, 118 („In Wahrheit ist der Interessenausgleich immer zugleich Machtausgleich, der nur gelingt, wenn ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte gewährleistet ist.“); Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 176. 74 Zur Problematik, woran das Gleichgewicht der Partner zu messen ist, sowie zum Fehlen eines brauchbaren Maßstabs u. a., Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 227 ff. Demgegenüber zum positivrechtlichen Gehalt der Begriffe „Parität“ und „Imparität“ Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 99. 75 Die Bedeutung gerade möglicher intellektueller Machtgefälle im Verhältnis Bank – Bürge im Anschluss an die Bürgschaftsentscheidungen herausstellend Grunsky, Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, S. 19. 76 Siehe auch zum Verständnis der Vertragsfreiheit, das sich bei Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23, findet. Danach liegt die Problematik der Vertragsfreiheit in der vom Vertragsinhalt unabhängigen Frage nach der Möglichkeit der Parteien, im Vertragsschlussverfahren von ihrer rechtlich gewährleisteten Abschluss- und Inhaltsfreiheit auch tatsächlich Gebrauch zu machen. In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 98 m. w. N., nach dem der Begriff der materiellen Vertragsfreiheit die tatsächliche Möglichkeit des Einzelnen bezeichnet, seine Interessen im Wege der rechtlichen Gestaltung seiner Lebensverhältnisse durch Vertrag zu verwirklichen. Fraglich ist jedoch, ob dies als Frage der Vertragsfreiheit selbst oder innerhalb der sie treffenden Schranken relevant ist. 77 Kritik wird etwa am Informationsmodell, das u. a. Dauner-Lieb vertritt, damit geübt, die wirtschaftliche Unterlegenheit bleibe als Problem ungelöst; so Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 28; sich dem anschließend Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 195. 78 Unterschiedliche Vertragspartner haben beispielsweise unterschiedliche intellektuelle Fähigkeiten oder unterschiedliche soziale Abhängigkeitsverhältnisse.
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grundgesetzlich eingeräumten Abschluss- und Inhaltsfreiheit begriffen werden.79 Ob dies aus gestalterischer Sicht angesichts der rechtlichen Rahmenbedingungen konsequent weiterverfolgt werden kann, wird zu untersuchen sein. Derartige Gedanken können und müssen u. a. Auswirkungen wiederum in der methodischen Herangehensweise sowohl in der Verhandlung wie auch in der konkreten Gestaltung haben. Ausgangspunkt muss aber innerhalb der Überlegungen zunächst die zu erstrebende formelle Willenseinigung sein. Es geht zunächst wieder darum, die Formulierung des „Sachziels“/„Interessenziels“ des Mandanten am Beginn80 in einer notwendigen Offenheit von jedwedem Denken in Grenzen freizustellen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht nur darauf an, dass einer Vertragsgesellschaft81 möglichst wenig Grenzen auferlegt werden sollten. Vielmehr muss vor allem erneut die durch die Vertragsfreiheit umzusetzende Selbstbestimmung in den Vordergrund treten. Selbstbestimmung äußert sich idealerweise in einem selbst gefundenen Interessenausgleich. Dabei soll keineswegs verhehlt werden, dass ein solcher Ausgleich grundsätzlich die Frage nach der Parität der Parteien aufwirft.82 79 Die Überlegungen setzen bei einem konsequenten Freiheitsdenken in Bezug auf die Vertragsfreiheit an. Ein solches steht im Gegensatz zu immanenten Schranken der Vertragsfreiheit und einer materialen Vertragsfreiheit, die zugleich materiale Gerechtigkeitsforderungen umsetzen will; zu letzterem Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 127 m. w. N. Eine „bloße“ Unterscheidung zwischen „formalem Freiheitsdenken“ einerseits und „materialem Gerechtigkeitsdenken“ andererseits lehnt etwa Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23, Fn. 41, in Abgrenzung gerade zu Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 207 ff., 223 ff. und passim sowie zu Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 18 ff., 39 ff., ab. Sie trennt, wie bereits erwähnt, zwischen einer formalen und materialen Betrachtungsweise sowohl auf der Ebene der Vertragsfreiheit als auch auf der der Vertragsgerechtigkeit. Da sie die Problematik der Vertragsfreiheit in der vom Vertragsinhalt unabhängigen Frage nach der Möglichkeit der Parteien sieht, im Vertragsschlussverfahren von ihrer rechtlich gewährleisteten Abschluss- und Inhaltsfreiheit auch tatsächlich Gebrauch zu machen (S. 23), spricht dies dafür, solche Möglichkeiten als von vornherein konstituierend für die Vertragsfreiheit anzusehen. Die Frage, ob der Einzelne von der Abschluss- und Inhaltsfreiheit tatsächlich Gebrauch machen konnte, ist aber letztlich wiederum (vor allem aus Sicht des Vertragsgestalters) eine von der Kontrollinstanz zu entscheidende Frage, da diese sich dafür „rechtfertigen“ muss, warum sie einen formalen Konsens nicht akzeptiert. Das ist ein Denken in Schranken, in Grenzen. Insofern ist es für die gestalterische Herangehensweise konsequent, in Anschluss an Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 171 ff., von der Interdependenz von Vertragsmodell und Vertragskontrolle auszugehen. 80 Nach bzw. neben der (anfänglichen) Aufbereitung des Sachverhalts bzw. der Informationssammlung. 81 Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 351. Preis, AcP 220 (2020), 766, 767, spricht allerdings davon, das BGB sei zu einem „Leitwerk für die Kompensation diverser Disparitäten geworden“. 82 Siehe nochmals Schmidt-Rimpler, FS für Raiser, 3, 13, der den Vertrag als „richtiges Ordnungsmittel“ ablehnt, wenn typische Machtunterschiede bestehen; Flume, Allgemeiner
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Nochmals abgesehen von der schwierigen Bestimmung eines paritätischen Verhältnisses und der Frage, wer das Vorliegen nach welchen Maßstäben beurteilen soll, darf aber nicht wieder vorschnell in ein Denken in Begrenzungs- und Kontrollkategorien verfallen werden. Denn bevor solche greifen, bzw. um diese überhaupt angemessen erfassen zu können, muss ein bereits mehrfach hervorgehobener Umstand erneut betont werden. Vertragsfreiheit und die durch sie mit transportierte Selbstbestimmung stehen immer in einem Wechselspiel mit der Selbstverantwortung. Selbstverantwortung heißt aber, dass von einer weit verstandenen Vertragsfreiheit ausgehend ein Vertragsgeschehen zu entwickeln und zu beurteilen ist. Erst wenn man sagen kann/muss, dass der Einzelne aus seiner Selbstverantwortung entlassen ist, kann die Frage nach dem Ob und dem Wie einer Kontrolle und Grenzziehung erfolgen.
III. Bedeutung der Selbstbestimmung 1. Einführung Grundlegend für die Umsetzung der eigenen Mandanteninteressen, aber durchaus auch für die Berücksichtigung der Interessen des potentiellen Vertragspartners des Mandanten, ist somit das Verständnis, das der Selbstbestimmung zugrunde gelegt wird. Im Kontext der Erörterung der Drittinteressen83 wurde mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG bereits herausgestellt, dass die Selbstbestimmung im Rahmen der Vertragsfreiheit letztlich bedeutet, über den Vertrag sein Leben so zu gestalten, wie man es möchte. Zu nichts anderem leistet im Übrigen die zuvor dargestellte „egoistische“ Interessenausrichtung ihren Beitrag. Damit dem Ansinnen nach Selbstbestimmung „Gerechtigkeit“ in dem Sinn widerfährt, eine Gestaltung nach eigenen Wünschen vornehmen zu können, müsste es dem Einzelnen grundsätzlich möglich sein, seine auf freier Beurteilung beruhende Entscheidung zu verwirklichen.84 Dabei steht zunächst der Einzelne selbst in der Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., § 33a, 6 a); derselbe, FS zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Band 1, 135, 143 ff. Siehe erneut die an Dauner-Lieb von Singer und Heinrich geübte Kritik (Fn. 77). Hierzu passt auch das Verständnis von Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23, das in Fn. 79 ausgeführt worden ist. Siehe aber auch nochmals die kritische Sichtweise von Preis, AcP 220 (2020), 766, 767. 83 Vgl. dazu die Ausführungen in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (1) (c), S. 320 ff. 84 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 111 ff., entwickelte die Theorie der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Wolf sieht die Entscheidungsfreiheit als (ungeschriebene) Wirksamkeitsvoraussetzung für eine gültige Willenserklärung (S. 123 ff., insbesondere S. 125). Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 194, führt an, die Theorie Wolfs sei nicht praktikabel, zudem finde die Theorie in Bezug auf die Unwirksamkeitsfolge de lege lata keine Stütze. Kritik an Wolfs Theorie auch bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 18 ff. Zu einem Wertungswiderspruch bei Wolf mit Blick auf §§ 123 Abs. 1, 138 Abs. 2 BGB Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 40.
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„Pflicht“, die dafür notwendigen „Voraussetzungen“ zu schaffen, z. B. durch eigene Aufklärungsarbeit. Davon zu trennen ist, ob die „tatsächliche“ Entscheidungsfreiheit nicht noch durch rechtliche Regelungen „flankiert“ wird/werden muss. Entscheidungsfreiheit darf allerdings nicht mit Wahlfreiheit oder einer grundsätzlichen Abwesenheit von Fremdbestimmung gleichgesetzt werden.85 Vielmehr liegt in ihr die Möglichkeit begründet, verschiedene Interessen vernünftig gegeneinander abzuwägen, zum Ausgleich zu bringen und grundsätzlich die Chance zu einem Interessenausgleich zu haben.86 Die eigenen Interessen zur Geltung zu bringen, schließt es zudem nicht aus, der anderen Seite Vorteile zu gewähren,87 solange diese das Ergebnis einer überlegten eigenen Entscheidung sind. Ein derartiges Verständnis von Entscheidungsfreiheit passt auch in das Bild einer im Ansatz formalen Betrachtungsweise von Vertragsfreiheit.88 Hierbei wird freilich zum einen dem Einzelnen vielfach die Fähigkeit zugewiesen, als Homo Oeconomicus89 zu handeln. Weitergehend wird man sogar sagen müssen, dem Einzelnen wird die Fähigkeit zugewiesen, als Homo Sociooeconomicus zu handeln; er kann also auch soziale Fragen rational berücksichtigen. Ob der Einzelne dies leisten kann, ist problematisch, wiewohl er eben in der „Pflicht“ ist, (auch) eigene Anstrengungen zu unternehmen. Allerdings werden in diesem Zusammenhang Schlagworte genannt wie die schon zuvor angesprochene Parität zwischen den Vertragspartnern bzw. die fehlende Imparität. Eine trennscharfe verbindliche Definition von Parität und Imparität ist, auch das wurde mehrfach deutlich, nicht möglich,90 fließen doch zu viele Faktoren hinein. Ohnehin wird man völlige Parität zwischen Vertragspartnern als gedankliche Idealvorstellung bezeichnen müssen. Sie kann letztlich eine Maßgabe sein, auf die im Wege einer wertenden Betrachtung Rücksicht zu nehmen sein kann.91 85
So Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 179, in Auswertung (Fn. 41) von Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 113 ff. 86 Erneut Heinrich, a. a. O., in Auswertung (Fn. 42) von Wolf, S. 119. 87 Wiederum Heinrich, a. a. O., in Auswertung (Fn. 43) von Wolf, S. 120. Wolf spricht von der „Freiheit zur Freigiebigkeit“. 88 Vgl. dazu wiederum Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23. 89 Zum am Homo Oeconomicus orientierten Menschenbild als Prämisse des liberalen Sozialmodells Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 52 f. Siehe zu Dauner-Lieb auch Limbach, KritV 1986, 165, 169 ff. 90 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 91; dort auch der Verweis u. a. auf Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 25. Inwiefern (auch) aufgrund des Vorliegens von Imparität eine Kontrolle anhand von Generalklauseln (§§ 138 Abs. 1, 242 BGB) erfolgen kann, wird noch zu klären sein. 91 Siehe in dem Zusammenhang auch Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 266 m. w. N., wonach fehlende Parität der Parteien für die Rechtfertigung zwingenden Rechts weder notwendig noch hinreichend sei.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Mit Blick auf die Parität kann der Gedanke nachhaltigen Einfluss gewinnen, wann die Selbstbestimmung des einen Teils zur Fremdbestimmung des anderen wird und wie darauf zu reagieren ist.92 Die mit dem Fragenkreis um die Selbstbestimmung verbundenen Probleme sind komplex, können und sollen auch hier nicht in ihrer gesamten Breite aufgegriffen werden. Es geht uns wiederum um eine funktionale Herangehensweise. Ob und wie der potentielle Vertragspartner des Mandanten seine Interessen, die Ausdruck seiner Selbstbestimmung sind, mittels des Vertrags realisieren kann, ist, bei streng funktionaler Herangehensweise, für den die Interessen des eigenen Mandanten vertretenen Anwalts wiederum „nur“ unter einem Gesichtspunkt relevant: Ob und ggf. wie eine mangelnde Berücksichtigung der Fremdinteressen der Umsetzung der eigenen Mandanteninteressen entgegensteht. Lässt man zunächst den Gesichtspunkt außer Acht, wonach der eigene Mandant ein Interesse daran haben kann, dass auch der andere Vertragspartner „zufrieden“ ist,93 so ist für die methodische Herangehensweise relevant, ob und wann ggf. das „Recht“ (regulierend) „für“ den potentiellen Vertragspartner des Mandanten eingreift. Angesprochen ist damit u. a. der noch aufzugreifende Komplex um den, ebenfalls grundsätzlich funktionalen, Umgang mit dem anzuwendenden Recht als Gestaltungs-, aber auch als „Begrenzungsmittel“. Das Zusammenspiel von Selbstbestimmung, Berücksichtigung von Interessen des Vertragspartners sowie des Umgangs mit rechtlichen Rahmenbedingungen wird u. a. noch im Kontext um den methodischen Umgang mit den Generalklauseln aufzugreifen sein. Zunächst ist auf einige Konstellationen hinzuweisen, um eine grundlegende Differenzierung zwischen steuerbaren und nicht steuerbaren Einflussfaktoren als Planungselemente deutlich zu machen. 2. Steuerbare Einflussfaktoren Gleichsam am prägnantesten ist die bewusste Einflussnahme auf das Vorstellungsbild des potentiellen Vertragspartners des Mandanten. Gemeint sind damit Handlungen, durch die die andere Seite in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird, ohne überhaupt die Chance zu haben, in einen unbeeinflussten Abwägungsprozess einzutreten. Erfasst davon sind insbesondere Situationen, die § 123 BGB abdeckt. Der Gesetzgeber hat durch die Existenz des § 123 BGB gleichsam „Druck“ erzeugt, auf die Gegenseite Rücksicht zu nehmen, ihre Selbstbestimmung zu re-
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Dazu in Auseinandersetzung u. a. mit BVerfGE 89, 214 ff. noch unten mit Kontext mit der „Lösung“ der Paritätsproblematik über die Generalklauseln [D. III. 2. a) ee) (2), S. 955 ff.]. 93 Methodisch kann das in der Form aufzugreifen sein, dass bei der Auswahl mehrerer Gestaltungsvarianten dies ein Auswahlfaktor des Mandanten ist.
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spektieren.94 Demjenigen, der aufgrund von arglistigen Täuschungen (§ 123 Abs. 1 1. Alt. BGB) oder widerrechtlichen Drohungen (§ 123 Abs. 1 2. Alt. BGB) Entscheidungen gefällt hat, kann kein „Vorwurf“ des Handelns wider die eigene Selbstverantwortung gemacht werden. Ein derartig zustande gekommener Vertrag kann nicht (beidseitig) interessengerecht sein.95 Die Folgen legt § 142 Abs. 1 BGB mit der Nichtigkeit der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung fest, sofern eine Anfechtung des Geschützten erfolgt. §§ 123, 142 BGB hat der Gestalter als Konsequenzen schon deshalb in sein Handlungstableau aufzunehmen, weil er grundsätzlich einen rechtswirksamen Vertrag zu entwerfen hat. Das Verhalten, insbesondere das Verhandeln96, hat demzufolge so zu erfolgen, dass tatbestandlich § 123 Abs. 1 BGB nicht erfasst ist. Ein bewusster Verstoß dagegen würde auch mit den Anforderungen an den Anwalt als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) „kollidieren“. Das gilt im Übrigen ebenso für zahlreiche andere Formen manipulativen Verhaltens. Selbst wenn kein Fall des § 123 BGB vorliegen sollte, kann es gleichwohl zu einer Nichtigkeit, vornehmlich nach § 138 Abs. 1 BGB, kommen. Verhalten, das folglich darauf abzielt, den „Abrieb“ der sich widerstreitenden Interessen in der Vertragsverhandlung/-gestaltung durch die intendierte Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des anderen zu beeinflussen, bildet somit einen „Pol“ innerhalb der anzustellenden Überlegungen, ob und wie auf die Selbstbestimmung des anderen Rücksicht zu nehmen ist. Allerdings ist die Form von Einflussnahme extrem, zudem als solche auch (allein) durch die jeweilige Vertragspartei (bzw. durch ihren Vertreter) steuer- und damit kalkulierbar. Ihre Berücksichtigung innerhalb einer funktionalistischen Sichtweise auf das Vertragsgeschehen ist problemlos möglich. Steuerbare Einflussfaktoren bestehen jedoch noch in einer ganz anderen Form. Hier zeigt sich gleichsam spiegelbildlich, welche Möglichkeiten aufgrund eines (selbstverantwortlichen) Umgangs mit den eigenen Interessen bestehen. Kenntnisse um Sachinformationen, die das Vertragsgeschehen betreffen, Kenntnisse um rechtliche Zusammenhänge bilden maßgebliche Einflussfaktoren, die auch in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner des Mandanten „eingesetzt“ werden können.
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Zur Begrenzung der Verantwortlichkeit in § 123 und § 138 BGB innerhalb von Selbstbestimmung und Verantwortung beim Rechtsgeschäft, Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 79. 95 § 123 BGB im Kontext mit dem positivrechtlichen Gehalt von Parität und Imparität mit diskutierend Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 100. 96 Der Anwalt, der für seinen Mandanten verhandelt, ist nicht Dritter i. S. d. § 123 Abs. 2 BGB. Selbst wenn er nicht als Vertreter nach §§ 164 ff. BGB fungiert, ist er jedenfalls in der Regel jemand, der „mit Wissen und Wollen des Anfechtungsgegners als dessen Vertrauensperson oder Repräsentant auftritt“. Eine solche Person (siehe zum Zitat BGH NJW 2011, 2874, 2875 m. w. N.) ist kein Dritter.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Indem (eigene) Interessen aufgedeckt werden, kann z. B. der andere seine Interessen dagegen in ganz anderer Art und Weise in Abwägung stellen. Indem u. U. ein strukturiertes (rationales) Verhandlungsverfahren durchgeführt wird, kann der andere sich in einem Verfahren zum gegenseitigen Interessenausgleich wiederfinden. Indem rechtliche Kenntnisse, die der anderen Seite fehlen, transportiert werden, kann ebenfalls der Prozess im Sinne einer bewusst abwägenden Entscheidung des Dritten beeinflusst werden. Die besondere Relevanz des letzten Aspekts zeigte sich u. a. nachhaltig im Zusammenhang mit den Fragen der anwaltlichen Dritthaftung, aber auch z. B. im Kontext um das Bestehen von Aufklärungspflichten gegenüber der anderen (Verhandlungs-)Partei. All diese Faktoren können in dem Prozess, aufgrund dessen die andere Vertragspartei selbstbestimmt sich vertraglich bindet, von Einfluss sein. Aus einer anwaltlich funktionalen Sichtweise heraus können diese Faktoren in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein: Zum einen können sie, wie mehrfach herausgestellt, einen Beitrag dazu leisten, dass im eigenen Interesse des Mandanten ein für beide Seiten „befriedender“ und „befriedigender“ Vertrag zustande kommt. Funktional ist aber vor allem die Überlegung, inwieweit solche Faktoren beim Umgang mit dem Recht als Mittel der Interessenumsetzung des eigenen Mandanten von Bedeutung sein können. 3. Unbeeinflussbare Faktoren „Extrem“ kann die Beeinflussung der anderen Seite (wie im Übrigen auch der eigenen Interessensphäre) ebenfalls aufgrund anderer Umstände sein, die allerdings in ihrem Kern nicht durch die einzelnen Vertragsparteien steuerbar sind. Gemeint sind damit insbesondere „Herrschaftsverhältnisse“97, die an bestimmte soziale oder wirtschaftliche „Tatbestände“ anknüpfen. Beispiele sind das Verhältnis von Mieter und Vermieter, Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder die Stellung als Ehegatte beim Eingehen einer Bürgschaft nach § 765 BGB.98 In diesen Situationen kann es dazu kommen, dass eine Seite aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten sich faktisch zur Zustimmung „gezwungen“ sieht, den Vertrag „zähneknirschend“ eingeht99. Die genannten Verhältnisse als solche können nicht zur Disposition gestellt werden. Man ist Ehegatte, man kommt bei der Wohnungssuche nur als Mieter in Betracht, man benötigt Arbeit, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Rollen etwa als Arbeitgeber/Vermieter bzw. Arbeitnehmer/Mieter sollen/ müssen bei den durch den jeweiligen Vertrag verfolgten Zweck somit beibehalten werden. Die Rolle als Ehegatte ist nicht ohne weiteres abzulegen. Mit ihrer Existenz 97 Auch hier soll zunächst keine rechtliche Bewertung/„Messung“ derselben erfolgen, sondern „nur“ die Feststellung, dass faktisch mit diesen Variablen zu operieren ist. 98 Vgl. dazu Singer, JZ 1995, 1333, 1338. 99 Flume, AT des BGB, 2. Bd., § 33a, 6 a).
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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können entsprechende Positionen und die damit verbundenen Rollen100 damit ggf. auch auf die Selbstbestimmung des anderen (Vertrags-)Teils „ausstrahlen“. Diese Ausstrahlungswirkung ist zu berücksichtigen und stellt an die Beantwortung der Frage, wie gestalterisch gerade mit „Recht“ (auch funktional) umzugehen ist, ganz andere Anforderungen sowohl im Vorfeld der Vertragsverhandlungen wie bei der inhaltlichen Abfassung des Vertrags.101 4. Zwischenresümee bezüglich methodischer Folgerungen Die Interessen des anderen Vertragsteils (als Teil seiner Selbstbestimmung) müssen in eine Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung in unterschiedlicher Form einfließen. Geht man von einem (eigenen) (Mandanten-)Interesse aus, (auch) den anderen Teil in seinen Interessen möglichst „zufrieden“ zu stellen, ist die Ermittlung der Interessen des anderen Teils bereits Bestandteil der anwaltlichen Sachverhaltsermittlung bzw. Informationssammlung. Das gilt im Übrigen jedoch ebenso, wenn ein solches Ziel nicht (nicht primär) intendiert ist. Auch das formale Konsensprinzip des Vertrags erfordert grundsätzlich die Ermittlung der Interessen der anderen Seite. Allerdings, und dies ist für das weitere methodische Vorgehen von Relevanz, kann die Ermittlung des „Sachziels“ bzw. des „Interessenziels“ des Mandanten ergeben, dass dessen Interessen die des anderen Teils „überlagern“, das heißt, im extremen Fall diese verdrängen sollen. Letzteres muss dann Konsequenzen auf den methodischen Stufen, die dem Sachziel/Interessenziel nachfolgen, bedingen. Das betrifft vornehmlich die Frage nach dem (funktionalen) Umgang mit dem Recht als Mittel der (eigenen) Interessenumsetzung. Diesem Aspekt muss daher auch in einem nächsten Schritt innerhalb des methodischen Vorgehens entsprechende Aufmerksamkeit zukommen.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht Da die Interessen des Mandanten mittels eines (juristischen) Vertrags umgesetzt werden sollen, schlägt sich auch der funktionale Umgang mit dem Recht innerhalb der methodischen Überlegungen nieder. Dass der Vertragsgestalter vielfach auf „Vorschläge“ des Gesetzes zurückgreift, wurde immer wieder deutlich. Die insoweit verwendete Begrifflichkeit des „Normalstatuts“ bedarf allerdings noch der weiteren Präzisierung. 100
Die Position meint soziologisch die Stellung im gesellschaftlichen Koordinatensystem, die Rolle betrifft die sich darauf ausrichtenden Erwartungen. 101 Siehe dazu nur Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. Zum Trend zur Entindividualisierung des Schuldrechts Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 198 ff.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
I. Begriff des Normalstatuts Unter dem Begriff des Normalstatuts wird die „Gesamtheit aller zwingenden und dispositiven gesetzlichen Bestimmungen, die das Gesetz für einen konkreten Vertrag als Grundregelung vorsieht“102, verstanden. Aufgrund der Nutzbarmachung für einen Vertragsentwurf wird auch statt von einem „gesetzlichen Normalstatut“ von einem „Vertragsnormalstatut“ gesprochen.103 Aus zwei Gründen soll bewusst der Begriff des „gesetzlichen Normalstatuts“ gewählt werden. Zum einen soll nicht der Eindruck erweckt werden, das „Normalstatut“ beziehe sich nur auf spezielle vertragsrechtliche Regelungen, insbesondere die der (gesetzlichen) Vertragstypen. Relevant ist vielmehr die gesamte gesetzliche Infrastruktur104. Letztere soll vom Begriff des „gesetzlichen Normalstatuts“ umfasst sein. Zum anderen gibt es auch von der Kautelarpraxis entwickelte Vertragstypen, die Statutqualität haben können, z. B. den Sicherungsvertrag105. Dabei handelt es sich dann nicht um ein „gesetzliches“ Statut im Sinne eines im Gesetz geregelten, gleichwohl aber um ein „Vertragsstatut“. 1. Funktionaler Einsatz a) Grundsätzliches Nutzen einer Infrastruktur Der funktionale Einsatz des gesetzlichen Normalstatuts seitens des Anwalts hat zunächst wiederum nicht bei einem Denken in Schranken anzusetzen, sondern bei dem mehrfach angeführten „Verwenden“ des Rechts. Um die Interessen seines Mandanten umzusetzen, nutzt der Anwalt die gesetzliche Infrastruktur. Der Gesetzgeber hat, um die Vertragsfreiheit überhaupt „nutzbar“ zu machen, unterschiedliche Ausgestaltungsarbeit geleistet, auf die der Rechtsverwender auch zugreifen soll. Das betrifft einerseits Regelungen allgemeiner Fragen, wie die nach der Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB),106 es betrifft aber vor allem Regelungen von Vertragstypen, z. B. §§ 433 ff. oder §§ 631 ff. BGB.107
102 So Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 594; dies ebenfalls aufgreifend Rittershaus/ Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 283. 103 Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 594; ebenfalls wiederum Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 283. 104 Zum Begriff der „Infrastruktur“ in Bezug auf das Vertragsrecht Windbichler, AcP 198 (1998), 261, 271. 105 Zum Sicherungsvertrag etwa Otten, Sicherungsvertrag, 721 ff. 106 Hierbei handelt es sich im Grunde um einschränkende Regelungen, die allerdings gleichwohl eine Infrastruktur begründen. Auch die Nutzung von zwingendem (einschränkendem) Recht kann unter funktionalen Gesichtspunkten der Interessenumsetzung geschehen und muss nicht vom Ansatz her ein Denken in Schranken sein.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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Findet sich etwa im Gesetz ein „Vorschlag“, der mit seinen Regelungen die Interessen des Mandanten „abdeckt“, liegt ein gestalterischer Zugriff darauf nahe. In dem Fall ist es aus Verwendersicht im Übrigen in der Regel auch unerheblich, ob es sich um zwingendes oder dispositives Recht handelt.108 b) Besondere Form der Funktionalität Abgesehen von Aspekten wie Zeitökonomie109 ist insbesondere die Verwendung geregelter Vertragstypen aus besonderen Gründen funktional: Der Anwalt soll in der Regel einen Vertrag entwerfen, der vor der Kontrollinstanz „Gericht“ Bestand hat. Die Gerichte haben grundsätzlich das geltende Recht anzuwenden.110 Ein Rückgriff auf typisiertes Vertragsrecht bietet daher die Möglichkeit einer gewissen111 Antizipierbarkeit, verbunden damit aber auch ein Wissen um „Akzeptanz“ durch die Drittinstanz. So ist im Anschluss daran ein Ausdruck dessen, dass der Anwalt Recht verwendet, dass er sich um die inhaltliche „Richtigkeit“112 einer an das Gesetz angelehnten vertraglichen Regelung (in Bezug auf die Kontrollinstanz) prinzipiell113 keine „Gedanken“ machen muss.114 Versteht man das 107 Die genannten Beispiele einer „Infrastruktur“ sind nicht abschließend. Genannt werden können u. a. auch die allgemeinen Regelungen des Schuldrechts in §§ 241 ff. BGB. 108 Soweit sich die Interessen in zwingendem Recht „wiederfinden“, kann das möglicherweise noch als Vorteil betrachtet werden, weil eine Abdingbarkeit grundsätzlich nicht eröffnet ist. Die sich dann stellende Frage ist allerdings, ob die andere Seite dem Vertrag auch zustimmen wird. 109 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 49, sieht die Vorteile einer typologischen Betrachtungsweise (typische Lebenssachverhalte und Interessenkonstellationen sollen danach durch Zugrundelegung des dispositiven Rechts des BGB und vor allem durch anerkannte kautelarjuristische Vertragstypen oder typische Klauseln erfasst werden) in folgenden Aspekten: Entlastung des Vertragsjuristen bei Belehrung, Beratung und Vertragskonzipierung, Reduktion von Transaktionskosten, erleichterte Abnahme des Gestaltungsvorschlags, Sperre gegenüber einer übertriebenen Interessendurchsetzung einer Partei. 110 Siehe zur Bindung des Richters an Recht und Gesetz Art. 20 Abs. 3 GG. 111 Bestimmte „Unwägbarkeiten“ lassen sich jedoch nicht ausschließen, das betrifft z. B. die Auslegung von einzelnen Tatbestandmerkmalen einer Norm, vor allem, wenn noch keine gesicherte Judikatur vorhanden ist. Dazu, dass Urteile nur zu einem gewissen Grad vorhersehbar sein können, Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, S. 56. 112 Es geht hier im Grunde nicht darum, ob über das Gesetz tatsächlich (materiale) Gerechtigkeit transportiert wird. Abgesehen davon, dass sich keine verbindliche positiv-rechtliche Definition dessen findet, was „Gerechtigkeit“ ist, werden ohnehin vielfach Gesetz und materiale Gerechtigkeit nicht als identisch anzusehen sein, vgl. in dem Zusammenhang etwa Canaris, FS für Lerche, 873, 884 („Selbst wenn wir aber wissen oder zu wissen glauben, was gerecht ist, folgt daraus mitnichten ohne weiteres die Legitimation, die Konsequenzen unserer Ansichten anderen Menschen unter Einsatz von staatlichem Zwang aufzuerlegen.“); SchmidtRimpler, FS für Raiser, 3, 11. 113 Das kann allerdings nur eine grundsätzliche Überlegung sein. Hat beispielsweise ein Gericht hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungsrelevanten Gesetzes Bedenken, ist der Weg der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG zu beschreiten.
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Privatrecht als einen Teil der Rechtsordnung, die „auf die Schaffung von Gerechtigkeit im Sinne einer im Großen und Ganzen inhaltlich richtigen Ordnung ausgerichtet (ist)“,115 so muss sich daran vor allem auch der Gesetzgeber, der die Vertragsfreiheit ausgestaltet, messen lassen.116 Der Verwender des gesetzten Rechts, der sich durch den rechtlichen Rahmen, den er benutzt, in seinen Interessen117 nicht tangiert sieht, sondern vielmehr seine Interessen dort wiederfindet, darf dann aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Kontrollinstanz keine anderen Maßstäbe bezüglich der „Richtigkeit“ anlegt. So darf die Vertragspartei, die als Käufer einen Kaufvertrag abschließt, darauf vertrauen, dass im Fall der Mangelhaftigkeit der Kaufsache die §§ 434 ff. BGB zur Anwendung kommen. c) Typen aus der Kautelarpraxis Vertragstypen, die von der Kautelarpraxis entwickelt worden sind (z. B. der Sicherungsvertrag), ermöglichen ein unter Punkt b) dargestelltes Vorgehen jedenfalls dann, wenn sie durch die Rechtsprechung anerkannt und damit gleichsam institutionalisiert und auf die Stufe einer gewissen Abstraktheit gehoben worden sind. 2. Methodische Konsequenzen Der beschriebene Abgleich der Mandanteninteressen durch den anwaltlichen Rechtsverwender mit dem gesetzlichen Normalstatut118 ist durchaus auch eine Fortsetzung von egoistischen Tendenzen, weshalb ein entsprechendes Vorgehen sich der Feststellung der „Uregoismen“ (Interessenzielen) anschließt. Die Antriebskraft des Mandanten liegt letztlich nicht im „Wollen, wie sollen“, sondern im „Wollen, wie man möchte und auch kann“. Man sieht im Normalstatut seine Vorteile. Das Parsonssche Ordnungsmodell der Rolle (eben das „Wollen wie Sollen“) wird dann nicht „nur“ zur Einsicht des Mandanten gebracht, sondern vielmehr in einen funktionalistischen Kontext gesetzt. Man akzeptiert die „Ordnung“, weil sie unmittelbare Vorteile bringt. Die eigentliche methodische Herausforderung stellt sich allerdings im Anschluss daran.
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Nicht entbunden ist der Anwalt ggf. von einer eigenen ethischen Entscheidung, ob bestimmte Regelungen anzuwenden sind. 115 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 151. 116 Er sieht sich damit vielfach der zuvor beschriebenen Problematik gegenüber, dass jede gesetzliche Ausgestaltung ein zu rechtfertigender Eingriff in die Vertragsfreiheit ist. 117 Bzw. bei anwaltlichem Handeln die Interessen seines Mandanten. 118 Das gilt grundsätzlich auch für die institutionalisierten Typen aus der Kautelarpraxis.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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Es geht um die Fälle, in denen das gesetzliche Normalstatut „versagt“, das heißt, kein „Angebot“ bereithält, das die Interessen des Mandanten wie gewünscht abdeckt. Hier ist dann etwa von der Feststellung des Regelungsbedarfs119 die Rede. In diesem Zusammenhang verdient zudem ein weiterer Punkt Aufmerksamkeit: Auch bei der Wahl eines bestimmten Normalstatuts bleibt es in der Regel bei einer Abstraktheit. So normiert § 433 Abs. 1 BGB die Pflicht des Verkäufers zur Übergabe und Übereignung der Kaufsache, § 433 Abs. 2 BGB die Pflicht des Käufers zur Entrichtung des Kaufpreises. Was die konkrete Kaufsache ist, bzw. wie hoch der konkrete Kaufpreis ist, ergibt sich aus dem Gesetz (selbstverständlich)120 nicht. Eng mit der konkreten Ausgestaltung verbunden ist die Frage, ob in Bezug auf die Zustimmung der anderen Vertragspartei zum Vertrag, auch wenn inhaltlich ein gesetzliches Normalstatut in Form eines Vertragstypus gewählt wird, nicht doch Bedenken der Kontrollinstanz bestehen können, etwa nach § 138 BGB. All dies sind Aspekte, die ein eigenes Wechselspiel der vom Anwalt funktional zu betrachtenden Elemente von Mandanten-, Fremdinteressen sowie dem Umgang mit dem Gesetz bedingen. Hier stellt sich das Problem hinsichtlich des „Verwendens“ der Möglichkeiten der Vertragsfreiheit und einer etwaigen Akzeptanz durch die Kontrollinstanz „Gericht“ in einer anderen Weise als beim oben beschriebenen Zugriff auf das gesetzliche Normalstatut in Bezug auf den Rückgriff auf typisierte Regelungen.
II. Umgang mit dem Gestaltungsbedarf – Freiheitliches Denken am Anfang der (weiteren) gestalterischen Überlegungen Sofern der Anwalt für die Umsetzung der Mandanteninteressen abweichend vom Normalstatut Gestaltungsbedarf sieht, ergibt sich sehr viel nachhaltiger die Frage nach seinem Umgang mit dem Recht sowie dem Umgang der Kontrollinstanz mit der Vertragsfreiheit.121 Findet der Anwalt innerhalb des Gesetzes keine Muster122, die den Interessen seines Mandanten „gerecht“ werden,123 hat sein methodisches Denken zunächst wieder bei der grundsätzlichen Bedeutung der Vertragsfreiheit als Mittel der
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Hommelhoff/Hillers, JURA 1983, 592, 594. Das wäre Planwirtschaft. 121 Auch ein Rückgriff auf das Normalstatut ist selbstverständlich Ausdruck der Vertragsfreiheit, sowohl in Bezug auf die Abschluss- als auch auf die Inhaltsfreiheit. 122 Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass er auf das Normalstatut „Infrastruktur“ jedenfalls zurückgreift, weil er u. a. die Regelungen zum Abschluss eines juristischen Vertrags nutzen wird. 123 Der Gedankengang gilt in gleicher Weise für (anerkannte) Muster, die von der Kautelarpraxis entwickelt worden sind. 120
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Selbstbestimmung seines Mandanten anzusetzen, das heißt bei dessen Wunsch, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die grundgesetzlich gewährte Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Freiheit, die auch durch die Gesamtheit des dispositiven Rechts zum Ausdruck kommt,124 muss in einem weiten Verständnis in den anwaltlichen Überlegungen zunächst Raum greifen, will man einen Vertrag entwerfen, der von den gesetzlichen „Mustern“ abweicht bzw. „völlig frei“ ist. Erst in dem Bewusstsein, was eine solche Freiheit für den Mandanten bedeutet, damit aber auch für den Anwalt als Gestalter, kann eine interessengerechte Annäherung an spätere potentielle Schranken erfolgen. Auch hier ist erneut eine funktionale Sichtweise des Anwalts auf die Vertragsfreiheit angezeigt. 1. Ausgangspunkt wiederum in den subjektiven Interessen Vor dem Hintergrund einer weit verstandenen Vertragsfreiheit muss die Überlegung des Anwalts bei mangelnden „tauglichen“ Vorschlägen des Gesetzes125 zunächst daran ansetzen, das zum Vertragsinhalt zu machen, was den Interessen seines Mandanten „gerecht“ wird. Das ist „egoistisch“, es ist funktional, als solches aber keineswegs grundsätzlich „störend“ im Rahmen der Vertragsfreiheit. Denn der Anwalt muss mit einem entsprechenden funktionalen Verständnis auf der Seite des potentiellen Vertragspartners des Mandanten rechnen. Ein solch funktionales Verständnis der anderen Seite muss zwar ebenso berücksichtigt werden, wenn im obigen Sinn auf ein gesetzliches Normalstatut im Sinne eines „Musters“ zurückgegriffen werden soll. Gerade wenn dies nicht der Fall ist, zeigt sich das Zusammenspiel unterschiedlicher funktionaler Sichtweisen allerdings in einer wesentlich deutlicheren Art. Beide Seiten wollen ihren Interessen „gerecht“ werden.126 Schließen sie einen Vertrag, fließen ihre subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen dort hinein, was im Idealfall dazu führt, dass beide Seiten „zufrieden“ sind.127 Methodisch heißt das für den gestaltenden Anwalt, dass er zwar in einem ersten Schritt die Mandanteninteressen (Sachziel/Interessenziel) mit „Mustern“ des Gesetzes und der Kautelarpraxis abgleichen sollte. Sofern er dort keine „Lösung“ findet, muss er aber nach einem solchen Abgleich wieder zum Ausgangspunkt der Me124 Vgl. Möslein, Dispositives Recht, S. 34 m. w. N., dazu, dass dispositive Regeln private Akteure ermächtigen, diese Regeln durch abweichende Vereinbarungen abzubedingen. 125 Oder der Kautelarpraxis. 126 Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 61, spricht davon, dass egoistisch bedingtes ungerechtes Wollen durch die notwendige Zustimmung des anderen Vertragspartners zu einer Art „Inhaltskontrolle“ werde. 127 Hier taucht wiederum das bereits mehrfach angesprochene Bild des „Abschleifens“ der gegenseitigen Interessen auf. Dazu erneut Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 62; dort eben in Auseinandersetzung mit der Vertragstheorie Schmidt-Rimplers, AcP 147 (1941), S. 130 ff.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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thodik, dem Sachziel/Interessenziel des Mandanten zurückkehren. Im Grunde wird mit der Feststellung eines Regelungsbedarfs an dieser Stelle „erst“ die Bedeutung der Vertragsfreiheit in ihrer ganzen Breite in die methodische Gedankenführung eingestellt. Denn bevor irgendwelche Gedanken wiederum bestimmten „Schranken“ gelten sollten, muss die Überlegung dahingehen, zunächst alles so zu regeln, „wie man es will“. Ein solcher Schritt ist hier ebenfalls mit Blick auf die Rechtsordnung keineswegs befremdlich, gerade weil auch die andere Vertragsseite am Vertrag „mitwirkt“. Der Ausgangspunkt im weiteren Vorgehen müsste dann sein, dass „eigentlich“ ebenso die Kontrollinstanz den Vertrag mit seinem Inhalt zu akzeptieren habe, man ihn also entsprechend abfassen könnte. Das, was hier zum Ausdruck kommt, ist, dass ein von beiden Seiten übereinstimmend gewollter Vertrag selbstverständlich nicht einer, wie auch immer zu bestimmenden,128 objektiven Gerechtigkeit widersprechen muss,129 sondern vielmehr zunächst ein Indiz dafür liefert, dass die Parteien einen angemessenen Vertrag geschlossen haben.130 Den müsste dann auch die Kontrollinstanz (das Gericht) akzeptieren. Ein solcher Gedankenschritt bezöge sich in letzter Konsequenz auf ein grundsätzliches Verbot einer externen Vertragskontrolle,131 die der Anwalt, das zeigte sich während der gesamten Untersuchung, allerdings nie aus seiner Herangehensweise ausschließt. Nicht ohne Grund setzten die methodischen Überlegungen bei den Mustern des Normalstatuts an. Neben den Vorteilen der Vereinfachung, die beim Rückgriff vor allem auf bestehende Vertragstypen vorhanden sind, war es die methodische Suche nach „Sicherheit“.132 Denn der Umgang mit der „Freiheit“ ist anstrengend und mit Risiken behaftet. Die Aufbereitung der Interessen des eigenen Mandanten ergab zudem unterschiedliche (faktische) „Machtoptionen“, die dieser ggf. einsetzen konnte. Bei128 Zur Unmöglichkeit, in einer offenen Gesellschaft, materiale Gerechtigkeit positiv zu definieren, Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 156. 129 Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 156. 130 Das prägnant darstellend Thüsing, RdA 2005, 257, 259. Siehe auch BVerfG NJW 2001, 957, 958: „Maßgebliches Instrument zur Verwirklichung freien und eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu anderen ist der Vertrag, mit dem die Vertragspartner selbst bestimmen, wie ihre individuellen Interessen zueinander in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Wechselseitige Bindung und Freiheitsausübung finden so ihre Konkretisierung. Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt deshalb in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 81, 242 [254] = NJW 1990, 1469).“ 131 Dazu, in Bezug auf eine externe Richtigkeitskontrolle, Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 163. 132 Kritisch zur Rechtssicherheit als Ziel des Urteils Rafi, Kriterien für ein gerechtes Urteil, S. 55 ff. Siehe auch Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 49, wonach der Rückgriff auf Typen „die Abnahme des Gestaltungsvorschlags (erleichtert) und (…) als Sperre gegen übertriebene Interessendurchsetzung einer Partei (wirkt).“
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
spielhaft seien nur nochmals die Kenntnis um die eigenen Interessen, Informationen, die den Vertragsgegenstand betreffen, aber auch das Bewusstsein um die eigene „Stellung“, sei es die im sozialen Leben (z. B. als Familienmitglied), sei es die im vertraglichen Kontext, genannt. Kurz ausgedrückt kann man auch sagen, es könnten maßgebliche Faktoren sein, die darüber entscheiden, ob man mittels des Vertrags das erreicht, was man möchte, also seine Interessen verwirklichen kann. Methodisch kann diese Erkenntnis zu zweierlei Überlegungen führen: Zum einen dazu, solche Optionen für den eigenen Mandanten zu nutzen, das heißt zu versuchen, seine Interessen ggf. auch einseitig „durchzudrücken“. Zum anderen kann selbstverständlich ebenso der Fall vorliegen, in dem dem eigenen Mandanten eine „Unterdrückung“ droht. Jedenfalls faktisch wird man das stets in seine Überlegungen einzustellen haben. Dann setzt die Suche des Anwalts nach „Schutzmechanismen“ ein, verstanden als Grenzen, die man der anderen Seite möglicherweise gerichtlich entgegenhalten kann. Solche Grenzen sind aber wiederum als „eigene Grenzen“ in die Überlegungen einzustellen, wenn der Mandant der „Mächtigere“ ist. 2. Entstehung von Grenzen Nicht nur aufgrund der soeben angesprochenen „Schutzmechanismen“ kann es zur Entstehung von „Grenzen“ in Form insbesondere zwingenden Vertragsrechts kommen; „Grenzen“ können z. B. auch aus Gründen des Vertrauensschutzes, des Übereilungsschutzes, der Beweissicherung, der Ordnung und Sicherheit des Rechtsverkehrs oder der öffentlichen Ordnung herrühren.133 Auf die den Gesetzgeber für das Setzen von Grenzen treffende Rechtfertigungspflicht soll hier nicht eingegangen werden. Für den Rechtsverwender stellt sich vielmehr134 methodisch nach der Feststellung des Gestaltungsbedarfs und den „freiheitlichen“ Überlegungen, was der Mandant gestalterisch möchte, die Aufgabe, Grenzen der Gestaltung (richtig) zu erfassen. Es geht also darum, unzulässige Gestaltungsalternativen auszuscheiden, weil man mit ihnen im „Ernstfall“ vor einer gerichtlichen Kontrolle nicht bestehen könnte.
133 Elemente aus der Auflistung bei Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14 f., bezüglich der Gründe zwingenden Vertragsrechts. 134 Auf die „Muster“ des zwingenden Vertragsrechts (Normalstatut) kann der Gestalter selbstverständlich auch zurückgreifen, um damit bei Deckungsgleichheit die Interessen seines Mandanten umzusetzen.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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III. Funktionaler Umgang mit Grenzen Geht somit ein Gestalter funktional mit etwaigen Grenzen der Gestaltungsfreiheit um,135 so ist für ihn primär maßgeblich, ob eine Grenze vorliegt. Die Gründe für selbige sind aber insofern relevant, als sie u. U. dafür (mit) entscheidend sind, ob überhaupt eine Grenze vorliegt (Auslegung)136 oder aber wie weit die Grenze reicht. Vor allem der letzte Aspekt ist für einen Rechtsgestalter, der im Interesse seines Mandanten möglicherweise Grenzen „ausreizen“ möchte, von besonderer Bedeutung.137 1. „Sichere“ Grenzen Die notwendige Berücksichtigung von Grenzen der Vertragsgestaltung setzt beim Gestalter in dem Bereich an, der für den Gesetzgeber grundsätzlich einer hohen Rechtfertigungsschwelle unterliegt: das die Vertragsfreiheit einschränkende zwingende Recht138, welches unmittelbare Vorgaben enthält, also bestimmte tatbestandlich fixierte Vorgaben bezüglich des Ob des Vertragsschlusses oder bezüglich des Inhalts des Vertrags selbst.139 a) Regelungen bezüglich der Abschlussfreiheit Tatbestandlich (eng) umfasste Regelungen, die die Frage betreffen, ob und mit wem (Kontrahierungszwang)140 ein Vertrag geschlossen werden muss, gibt es in 135 Vgl. in diesem Kontext auch Dauner-Lieb, Vertragsgestaltung, 51 ff., in dem es allerdings nicht um die Funktionalität anwaltlichen Handelns geht, sondern vielmehr grundsätzlich um Fragen des Ob und Wie der Privatautonomie und Vertragsfreiheit. 136 Zur Feststellung im Auslegungsweg, ob zwingendes Recht vorliegt, etwa Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 14. 137 Siehe aber wiederum Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 133, wonach es eine wissenschaftliche Lehre der Vertragsgestaltung nicht zum Ziel haben könne, Handlungsanleitungen nur für eine Vertragspartei oder gar Strategien zur Übervorteilung der anderen Seite zu entwickeln. Preis, S. 138, sieht aber auch die interessengebundene Funktion des Kautelarjuristen. 138 Hierin liegt ein Eingriff in die grundgesetzlich gewährte Vertragsfreiheit, der aufgrund der mangelnden Flexibilität in der Anwendung die Vertragsfreiheit in dem entsprechenden Bereich im Grunde beseitigt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass dem Gesetzgeber gleichwohl eine Einschätzungs- und Gestaltungsprärogative zukommt, dazu u. a. Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 169 f. Dazu, dass der Gesetzgeber bei der Einschätzung der Auswirkung einer neuen Regelung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einen nicht unerheblichen Spielraum haben kann, etwa BVerfGE 110, 177, 194, dort unter Hinweis auf BVerfGE 50, 290, 332 ff. 139 Ausführlich zu Strukturfragen der Beachtung zwingenden Rechts in der Vertragsgestaltung Moes, Vertragsgestaltung, Rn. 115 ff. 140 Ausführlich zum Kontrahierungszwang Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
unterschiedlichen Formen. Beispiele sind u. a. § 78a Abs. 2 BetrVG (Schutz Auszubildender in bestimmten Fällen) oder die Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung durch den Anwalt nach § 48 BRAO.141 Methodologisch wurde ein solcher Kontrahierungszwang hier als „Grenze“ dargestellt, was vor dem Hintergrund des Eingriffs in die Vertragsfreiheit jedenfalls einer Vertragsseite auch der zunächst maßgebliche Aspekt ist. Aus Sicht der „geschützten Partei“ ist es jedoch ein „Machtfaktor“, der durchaus beim unmittelbaren Abgleich des Sachziels/Interessenziels mit dem Normalstatut zum Tragen kommen kann. Als Grenzen wie aber ebenso als „Machtfaktor“ sind auch solche Vorgaben zu begreifen, die den Vertragsabschluss als solchen die Wirksamkeit verweigern142, bzw. über sie eine spätere Negation der Vertragswirksamkeit möglich ist.143 Grenzfunktion einerseits, „Machtoption“ andererseits haben im Besonderen Gesetze, die einer Vertragsseite ein Widerrufsrecht eröffnen, so z. B. §§ 312g, 355 BGB bezüglich möglicher Widerrufsrechte des Verbrauchers144. b) Zwingende inhaltliche Vorgaben Starke Auswirkungen kann zwingendes Recht ebenso bezüglich der Berücksichtigung von Grenzen hinsichtlich der inhaltlichen Vertragsgestaltung haben. Hierbei gibt das Gesetz für einen potentiellen Vertrag vor, welcher Inhalt ggf. von der Kontrollinstanz „akzeptiert“ wird. Beispiele finden sich u. a. im Wohnraummietrecht, so etwa in § 536 Abs. 4 BGB, der bei einem Mietverhältnis über Wohnraum eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung in Bezug auf die Bestimmung des § 536 BGB zur Mietminderung bei Sach- und Rechtsmängeln für unwirksam erklärt. „Akzeptiert“ wird nur, was inhaltlich nicht zum Nachteil des Mieters abweicht.
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Ein Abschlusszwang kann auch in mittelbarer Form vorliegen. Beispiele dafür bildeten u. a. §§ 5; 11; 68 SchwbG (Schwerbehindertengesetz), wonach die Nichteinstellung bestimmter Personen Sanktionen nach sich zieht; dieses Beispiel anführend Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 225. Die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber ist nunmehr in §§ 154 ff. SGB IX geregelt. Zum Kontrahierungszwang über § 826 BGB siehe Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 651 ff. Ausführlich zur mittelbaren positiven Abschlusskontrolle Heinrich, a. a. O., S. 225 ff. 142 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 238 ff., führt insoweit vor allem § 134 BGB i. V. m. dem SchwbG an. 143 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 238 ff., thematisiert in diesem Kontext eine negative Abschlusskontrolle. 144 In Bezug auf dieses Beispiel ist interessant, dass eindeutig wieder mit einer Rolle, nämlich der des Verbrauchers, gearbeitet wird. Für dieses Fixieren von Grenzen anhand einer Rolle ist es gerade vollkommen unerheblich, ob das Individuum des Schutzes der Position/ Rolle bedarf. Auch ein Rechtsanwalt, der als Verbraucher i. S. d. § 13 BGB gilt, darf das Widerrufsrecht nach §§ 312g, 355 BGB geltend machen.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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Wird die Inhaltsfreiheit stark begrenzt, liegt der Hauptfokus hinsichtlich der Vertragsfreiheit auf der Abschlussfreiheit.145 Darauf muss der Anwalt dann auch innerhalb einer beratenden Tätigkeit gegenüber dem Mandanten achten. Für diesen kann die relevante gestalterische Option dann darin bestehen, sich zu überlegen, ob er überhaupt einen Vertrag abschließen möchte. c) Sonstige Grenzen durch zwingendes Recht Als sonstige Grenzen durch zwingendes Recht sind vor allem Normen, durch die die Formfreiheit als Teil der Vertragsfreiheit eingeschränkt wird, von Bedeutung, so etwa § 311b Abs. 1 – 3 BGB. d) „Auflösung“ der Grenzfunktion Allerdings bleibt immer noch die Überlegung, das zwingende Recht zu „ignorieren“, das heißt, unter Inkaufnahme etwaiger fehlender gerichtlicher Durchsetzbarkeit die vertraglichen Regelungen „nur“ sozial als bindend zu begreifen.146 In die „umgekehrte“ Richtung gehen allerdings Überlegungen, die Bindung an zwingendes Recht in der Form zu relativieren, dass es aufgrund von der „Macht“ einer Seite ggf. nicht dazu kommen wird, dass die andere Seite vor Gericht geht und sich auf das zwingende Recht beruft.147 Solche Situationen sind in sozialen Abhängigkeitsverhältnissen vorstellbar, aber auch in Bezug auf die Ausnutzung von Barrieren, die den Zugang zu Gerichten erschweren, wie z. B. die Angst vor dem Kostenrisiko. „Gestalterisch“ unbenommen ist allerdings die Möglichkeit, durch Veränderung von Umweltfaktoren möglicherweise den Anwendungsbereich der zwingenden Norm „aufzulösen“.148 Dazu gehört das Schaffen neuer Fakten, z. B. die Verlegung von Geschäftssitzen.149
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Siehe dazu Stütze, Die Kontrolle der Entgelthöhe im Arbeitsrecht, S. 168. Dazu, dass selbst absolute (inhaltliche) Schranken ex ante wie ex post faktische Spielräume lassen können, Möslein, Dispositives Recht, S. 188. Dort, S. 188 ff., zu Spielräumen faktischer wie auch rechtlicher Art. Siehe auch grundsätzlich Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts. 147 Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 82. 148 Vgl. Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 80. 149 Dazu Rehbinder, Vertragsgestaltung, S. 81, in Bezug auf steuerrechtliche Probleme. 146
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
2. Zwingendes Recht als gestalterischer „Unsicherheitsfaktor“ a) Grundsätzliche Problematik um den gestalterischen/methodischen Umgang mit Generalklauseln – Zwischen Zwang und Gestaltungsoptionen aa) Einführung War der Umgang mit dem zuvor beschriebenen zwingenden Recht für den Anwalt möglicherweise auch hinsichtlich der Umsetzung der Mandanteninteressen in der Form „misslich“, als die daraus folgenden Grenzen ggf. „zu akzeptieren“ waren, so war die anzustellende Prognosearbeit gleichwohl erleichtert, da inhaltlich von bestimmten/bestimmbaren Tatbestandsmerkmalen ausgegangen werden konnte. Ganz andere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn dies im Grundsatz nicht der Fall ist. Methodisch können sich daran andere/weitere Überlegungen anknüpfen als unter Punkt 1. Es geht insoweit vor allem um den Umgang mit Generalklauseln, insbesondere den mit §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, der bereits im speziellen Kontext mit den Drittinteressen Aufmerksamkeit forderte.150 Gerade die zentralen Normen von §§ 138 Abs. 1, 242 BGB enthalten (auch) zwingendes Recht.151 Als Generalklauseln stellen sie jedoch innerhalb einer Methodenlehre152 und damit auch innerhalb einer Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung eigene Anforderungen. Denn die Generalklauseln, gerade §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, sind ein normativer Anknüpfungspunkt für eine notwendige „Gesamtbetrachtung“, die der Anwalt stets anstellen muss. Das ist ein maßgeblicher Grund, warum den Generalklauseln methodisch nochmals, jenseits der Drittinteressenproblematik, grundsätzliche Bedeutung zukommen muss. (1) Begriff der Generalklausel Bereits der Umgang mit der Begrifflichkeit, das heißt damit, was eigentlich unter einer „Generalklausel“ zu verstehen ist, ist nicht unproblematisch,153 wiewohl sie vielfach selbstverständlich verwendet wird. In Abgrenzung zu „unbestimmten Rechtsbegriffen“ soll hier154 zugrunde gelegt werden, dass die Generalklausel ein vollständiger Rechtssatz ist, der unbestimmte 150
Siehe dazu bereits oben Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) und (c). Der Charakter als zwingendes Recht folgt bei § 138 BGB aus dem Gesetzestext, der Nichtigkeit als Rechtsfolge normiert; siehe Bork, AT des BGB, Rn. 95. Bei § 242 BGB ist die Maßgeblichkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben als solcher der Parteidisposition entzogen, MK-BGB/Schubert, § 242, Rn. 125. Bei der davon zu trennenden Interessenbewertung, ebenda, ist ein maßgeblicher Topos, dass hier zwingendes Recht Gestaltungsmöglichkeiten offenlässt. 152 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 5, bezeichnet Generalklauseln als Grenzfälle der Methodenlehre. 153 Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 663, weist darauf hin, dass eine Definition der Generalklausel nur selten erfolge. 154 Wie auch bereits in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) und (c), S. 332 ff. bzw. S. 350 ff. 151
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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Rechtsbegriff demgegenüber ein Tatbestandsmerkmal.155 Innerhalb eines solchen Rechtssatzes findet/finden sich ein oder mehrere unbestimmte(r) Rechtsbegriff(e), der/die wertausfüllungsbedürftig ist/sind.156 Generalklauseln zeichnen sich deshalb vielfach durch einen hohen Abstraktionsgrad aus.157 Sie verfügen, in Anlehnung an die Begrifflichkeit von Jesch158, weder über einen fassbaren Begriffskern159 noch über einen Begriffshof160, soweit die ausfüllungsbedürftigen Bereiche betroffen sind. Eine Subsumtion im eigentlichen Sinn ist dort nicht möglich,161 vielmehr bedarf die Generalklausel als gesetzliche Anordnung der weiteren Präzisierung162. Anschaulich wird das an „Tatbestandsmerkmalen“ wie den „guten Sitten“ in § 138 Abs. 1 BGB oder „Treu und Glauben“ in § 242 BGB163. (2) Funktionen der Generalklauseln Eine solche mangelnde (unmittelbare) Subsumierbarkeit stellt den Rechtsverwender (Anwalt) vor ganz eigene Probleme,164 die auch eng mit den von den Generalklauseln zu erfüllenden methodischen Funktionen zusammenhängen. Ohly165 macht letztere in Abgrenzung zu konkreten Spezialnormen für das Zivilrecht 155
Diese Differenzierung darstellend und das Erfordernis eines Rechtssatzes auch bejahend Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 664, dort (Fn. 10) u. a. unter Verweis auf Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 53 f. 156 Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 665 f.; vgl. auch Ohly, AcP 201 (2001), 1, 5. Zur Problematik, ob eine nicht kasuistische Fassung ein Merkmal für eine Generalklausel ist, Kamanabrou, S. 667 f.; dort, S. 667, auch in Auseinandersetzung mit der Literatur, weiterhin zu Recht die Folgerung, dass Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite einer Generalklausel nicht nur aus unbestimmten Rechtsbegriffen bestehen müssen. 157 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 316. 158 Jesch, AöR 82 (1957), 163, 181 ff. 159 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 316; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 5. 160 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 316. 161 So gelangt man nicht mittels der üblichen Auslegungsmethoden zu subsumtionsfähigen Ergebnissen, so Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 663. Zu den Problemen um die Anwendung der Auslegungsarten etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 583. Zur fehlenden Subsumtionsmöglichkeit auch Ohly, AcP 201 (2001), 1, 5, Weber, AcP 192 (1992), 516, 530. 162 Weber, AcP 192 (1992), 516, 522. Auf die Streitigkeiten um das Verfahren der Konkretisierung hinweisend Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 663. 163 Allerdings wird „Treu und Glauben“ teilweise ein gewisser von vornherein zu berücksichtigender Inhalt zugewiesen, vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 6, zum Wortsinn von „Treue“ und „Glauben“. 164 Auf die Schwierigkeit der mangelnden Antizipierbarkeit des Rechtssuchenden in Bezug auf die gerichtliche Entscheidung gerade bei Generalklauseln hinweisend Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 80. 165 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 6 f.
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in drei Bereichen166 aus. Erfasst sei zum einen die Verweisungsfunktion, so dass außerrechtliche Wertungen und allgemeine Prinzipien der Rechtsordnung Einlass finden könnten.167 Weiterhin ermöglichten die Generalklauseln es, die Besonderheiten des Einzelfalls umfassend zu würdigen und das Recht neuen Entwicklungen anzupassen (Flexibilitätsfunktion).168 Schließlich seien die Generalklauseln ein Bereich, in dem richterliche Rechtsentwicklung möglich sei.169 Die Gerichte sollten das unvollständige Programm der gesetzlichen Norm eigenverantwortlich ergänzen (Delegationsfunktion).170 Werden die aufgezeigten methodischen Funktionen u. a. in Bezug darauf sehr kritisch gesehen, ob sie gerade (nur) für Generalklauseln auszumachen sind,171 so sind mit ihnen jedenfalls bei den Generalklauseln im Verbund mit der zuvor bezeichneten mangelnden Subsumierbarkeit weitere Argumente gegeben, dass der gestaltende Anwalt (eigene) methodischen Schwierigkeiten angesichts von Generalklauseln zu bewältigen hat.
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Ohly, AcP 201 (2001), 1, 1, 6, Fn. 21, weist darauf hin, dass die Dreiteilung auf der Untersuchung Teubners, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 60 f. und passim, aufbaue. MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 3, unterscheidet für § 138 BGB ebenfalls unter Bezugnahme auf Teubner zwischen Rezeptionsfunktion, Transformationsfunktion und Delegationsfunktion; zudem weist Armbrüster auf die Legitimationsfunktion hin. 167 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 11 ff.; zur Verweisungs- und Rezeptionsfunktion außerdem etwa Bydlinski, Juristische Methode und Rechtsbegriff, S. 583. Kritisch zur außerrechtlichen Verweisungsfunktion, gerade auch unter Bezugnahme auf Teubner, Auer, Flexibilisierung, Materialisierung, Richterfreiheit, S. 149, die auf den ständigen Vorbehalt normlogischer Relativierung hinweist, geführt mit dem Argument, eine außerrechtliche Norm entspreche etwa nicht der herrschenden Rechts- und Sozialmoral. 168 Ohly, AcP 201 (2011), 1, 7; Weber, AcP 192 (1992), 516, 521; dazu auch Beater, AcP 194 (1994), 82, 85 ff. Kritisch u. a. Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 31, die u. a. darauf hinweist, aufgrund ihrer Wertausfüllungsbedürftigkeit erfüllten auch normative Begriffe Flexibilitäts- und Delegationsfunktionen. 169 Ohly, AcP 201 (2011), 1, 7, unter Hinweis auf Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. Ausführlich dazu (m. w. N.), ob die Konkretisierung von Generalklauseln Auslegung oder Rechtsfortbildung ist, Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 678 ff. Zur Problematik der Gewaltenteilung u. a. dort, S. 681. 170 Ohly, AcP 201 (2011), 1, 7. Siehe auch Esser, Grundsatz und Norm, S. 150 f. m. w. N., wonach es um „Aufhänger für die konkrete richterliche Normbildung“ geht. Deutlich auch Beater, AcP 194 (1994), 82, 85, wonach die Fortbildungs- und Entwicklungsfunktion den Gerichten eine Kompetenz zuweise, die das Parlament gar nicht ausfüllen könne. Siehe außerdem etwa Eckert, AcP 199 (1999), 337, 349, zur „Rechtsschöpfung in der Hand des Richters“ bei § 138 Abs. 1 BGB, oder MK-BGB/Roth/Schubert, 6. Aufl., § 242, Rn. 23 ff., zur Rechtsfortbildung im Rahmen des § 242 BGB. Kritisch Schünemann, JZ 2005, 271, 274, der fordert, seitens des Gesetzgebers sollten zumindest Regelbeispiele installiert werden. Zur Problematik der Gewaltenteilung im Kontext mit der Frage, ob es sich bei der Konkretisierung von Generalklauseln um Auslegung oder Rechtsfortbildung handelt, wiederum Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 681. 171 Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 31.
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(3) „Folgeprobleme“ für den gestaltenden Anwalt Denn wenn eine unmittelbare Subsumtion in dem ausfüllungsbedürftigen Bereich der Generalklauseln nicht möglich, eine methodologische Sichtweise auf die Funktionen vielgestaltig und ggf. nicht „exklusiv“ auf die Generalklauseln ausgerichtet, außerdem bei der Anwendung auf den Einzelfall eine wertende Entscheidung172 unumgänglich ist, dann steht der Anwalt mit einer Prognose vor gravierenden Problemen.173 Es ist der Richter (Drittinstanz), der vor dem Hintergrund all dessen die zuletzt benannte „wertende“ Entscheidung vornimmt.174 Methodische Überlegungen beziehen sich vielfach gerade auf ihn als Rechtsanwender. Der anwaltliche Rechtsverwender muss sich darauf einstellen, indem er nach gestalterischen Wegen sucht, mittels derer er trotz alledem eine möglichst hohe Antizipierbarkeit erreichen, oder aber jedenfalls eine „Lenkungswirkung“ des gerichtlichen Handelns erzielen kann. Dem kann/muss ggf. eine eigene abwägende Beurteilung voranschreiten. Letztlich will der Anwalt Maßstäbe zur Hand haben, die auch dafür stehen (müssen), dass das gerichtliche Handeln kein willkürliches ist. Innerhalb einer Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung ist somit ein Vorgehen nach den Kriterien möglichst (hoher) Antizipierbarkeit hin zur (bloßen) Schaffung von Einflussfaktoren zu suchen.175 bb) Wertende Betrachtung als Ausgangspunkt Die vielfach gegebene Offenheit der Generalklauseln auf der Tatbestandsseite, die ggf. auch/oder auch „nur“ auf der Rechtsfolgenseite176 bestehen kann, und die unterschiedlichen Funktionen der Generalklauseln bringen die Notwendigkeit eines wertenden Umgangs mit sich, der in letzter Konsequenz durch den Richter177 zu erfolgen hat. An diesen Aspekt schließen sich unterschiedlichste Schwierigkeiten an, die hier in ihrer Gänze nicht diskutiert werden sollen, in ihrer Relevanz für eine anwaltliche Denkweise und Methodik in der Vertragsgestaltung aber in Kürze be172
Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 320 ff.; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 5. 173 Siehe auch bereits die Ausführungen in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) (dd), S. 344 ff., im Zusammenhang mit der Bewältigung der Problematik der Drittinteressen. 174 Vgl. dazu Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 80 ff. Siehe bezüglich der wertenden Entscheidung des Richters, bezogen auf die „guten Sitten“ in § 138 Abs. 1 BGB, Schad, Die Verleitung zum Vertragsbruch – eine unerlaubte Handlung?, S. 59 f. 175 Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 663, weist zu Recht auf die Problematik um das Verfahren der Konkretisierung bei Generalklauseln hin. Das Vorgehen des Anwalts ist insoweit anders geprägt, als es u. a. wieder die Ausrichtung auf die Drittinstanz in sich trägt. 176 Zu nennen ist insoweit vor allem der § 242 BGB. Zur Bedeutung von Tatbestands- wie von Rechtsfolgenseite hinsichtlich des Vorliegens von unbestimmten Rechtsbegriffen bei Generalklauseln Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 667. 177 Siehe wiederum bezüglich der wertenden Entscheidung des Richters, bezogen auf die „guten Sitten“ in § 138 Abs. 1 BGB, Schad, Die Verleitung zum Vertragsbruch – eine unerlaubte Handlung?, S. 59 f.
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nannt werden können: Maßgebliche Aspekte sind insoweit vor allem die Verhinderung von Billigkeitsentscheidungen/Willkür des Richters und die Schaffung von möglichst hoher Rechtssicherheit, mit der aus gestalterischer Sicht (Zukunftsorientierung) vor allem der schon benannte Topos der Antizipierbarkeit verbunden ist. Methodisch setzt der Anwalt in dem Bewusstsein der mit den Generalklauseln im Besonderen verbundenen wertenden Abläufe deshalb bei einer Suche nach objektiven Maßstäben an, die dort Platz greifen können. cc) Fallgruppenbildung Als Mittel zur Konkretisierung178 von Generalklauseln wird immer wieder auf die Entwicklung von Fallgruppen verwiesen.179 Begrifflichkeit und methodisches Vorgehen werden dabei keineswegs einheitlich dargestellt. Für den anwaltlichen Vertragsgestalter ist die Herangehensweise zudem wieder eine andere als etwa die des Richters. Methodisch muss der Anwalt erfassen, was an von ihm zu berücksichtigendem „Material“ bereits vorhanden ist180 und ob und ggf. wie er dies möglicherweise „beeinflussen“ kann. Das betrifft auch den Umgang mit Fallgruppen innerhalb der Konkretisierung von Generalklauseln. (1) Suche nach systematischer Ordnung Begreift man Fallgruppen zunächst als Form einer Systematisierung von Fällen, die „jedenfalls“ unter den Anwendungsbereich einer Generalklausel fallen,181 so kann dies vor allem im induktiven Weg durch eine Sortierung einer (bisherigen) Rechtsprechung zu den jeweiligen Generalklauseln geschehen.182 Präjudizien183 178
Zur „Konkretisierung“ als „Interpretation“ von Generalklauseln Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 672. Dort, S. 670 ff., auch nochmals dazu, dass übliche Auslegungsmittel versagen; zu letzterem siehe ferner Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 583. Zur Begrifflichkeit „Konkretisierung“ von Generalklauseln bei deren Ausfüllung ebenso Bydlinski, S. 582; Ohly, AcP 201 (2001), 1, 9 ff.; Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 22. 179 Siehe nur Beater, AcP 194 (1994), 82, 88 (Fallgruppen als Entscheidungshilfe des Richters); Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 80 (Fn. 114); Ohly, AcP 201 (2001), 1, 39 f. (Fallgruppen als Orientierungsmuster); außerdem Möllers, ZfPW 2019, 94, 106 f.; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 82. Siehe auch bereits die Überlegungen etwa in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) (cc) und (dd), S. 335 ff. bzw. S. 344 ff. 180 Für den Anwalt stellt sich nicht zuletzt die Frage, ob er sich bei Nichtbeachtung bestimmten „Materials“ regresspflichtig macht, vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1, 17. 181 Diesbezüglich ist Vorsicht geboten. Zu Recht lehnt Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 673, es ab, der Interpret dürfe sich zur Konkretisierung einer Generalklausel auf Fälle berufen, die unzweifelhaft oder unzweifelhaft nicht von der Generalklausel erfasst seien. Damit entzöge sich der Interpret seiner Begründungspflicht. Die Hinzuziehung von Fällen, für die bereits geklärt sei, ob sie dem wertungsauszufüllenden Begriff unterfallen, lässt Kamanabrou demgegenüber zu. 182 Heinrich, Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit, S. 323.
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werden somit genutzt, um eine Orientierungshilfe für spätere Entscheidungen zu schaffen. Flankiert werden kann dies durch entsprechende Erkenntnisse der Literatur, die die Judikatur „anleitet“ oder ihr jedenfalls zustimmt.184 Möglich ist es aber ebenso, dass die Literatur „allein“ Gruppen herausbildet, die in den jeweiligen Anwendungsbereich der Generalklausel fallen sollen. An der Fallgruppenbildung zur Konkretisierung von Generalklausel gibt es Kritik in unterschiedlichster Form.185 Eine Auseinandersetzung mit dieser Kritik soll hier jedoch zunächst nicht erfolgen. Denn bezogen auf methodisches Vorgehen des vertragsgestaltenden Anwalts muss die Herangehensweise eine andere sein: Wenn und soweit vor allem in der Rechtsprechung in diesem Kontext mit Fallgruppen186 gearbeitet wird, muss der Anwalt sie in seine Überlegungen einstellen.187 Stichworte, die hier wiederum zu nennen sind, sind die Antizipierbarkeit gerichtlichen Handelns, Empfehlung des sichersten Wegs in der Gestaltung gegenüber dem Mandanten und die Abwehr drohender Haftungsansprüche, wenn man Fallgruppen als anwaltlicher
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Ausführlich dazu Ohly, AcP 201 (2001), 1 ff. Siehe Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 80, Fn. 114. Zur Fallgruppenbildung innerhalb der Kommentarliteratur u. a. Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 12 ff., der bezüglich der Auflistung von Fallgruppen zu § 138 BGB in der Rechtsprechung darauf hinweist, eine scharfe Abgrenzung fehle; Jauernig/Mansel, BGB, § 242, Rn. 37 ff., zur missbräuchlichen Rechtsausübung; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 42 ff.; PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 32 ff. (unzulässige Rechtsausübung und Rechtsmissbrauch). 185 Siehe insbesondere Weber, AcP 192 (1992), 516, 535 ff. Mittlerweile wird die Fallgruppenbildung auch in der Kommentarliteratur durchaus ebenfalls kritisch gesehen, so u. a. MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 49. 186 Siehe u. a. dazu, dass der BGH innerhalb der Generalklauseln methodisch auch mit Fallgruppen arbeitet, BGH NJW 2005, 2291, 2294 (zu § 138 Abs. 1 BGB); NJW 2000, 1182, 1184 (zu § 138 Abs. 1 BGB); BGH NJW-RR 2006, 1415 (zu § 242 BGB); BGH NZM 2000, 815 (zu § 242 BGB); BGH NJW-RR 1990, 601, 602 (zu § 242 BGB). 187 Ein besonderer Problembereich ist insoweit die Bindungswirkung von Präjudizien bei der Konkretisierung von Generalklauseln, dazu wiederum ausführlich Ohly, AcP 201 (2001), 1 ff. Vor allem die Topoi von Rechtssicherheit und Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes könnten für eine gewisse Verbindlichkeit von Präjudizien streiten, siehe die Darstellung bei Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 674, unter Verweis (Fn. 54) u. a. auf Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 507. Die Fallgruppenbildung, allerdings nicht in Bezug auf Präjudizien, mit dem Argument der Rechtssicherheit betonend Beater, AcP 194 (1994), 82, 88. Eine gewisse Präjudizienbindung darf aber etwa einer Neubeurteilung einer Fallgruppe bei für den wertungsausfüllungsbedürftigen Begriff relevanten Umständen nicht entgegenstehen, so Kamanabrou, S. 675; siehe bereits Ohly, S. 44, auf den Kamanabrou, Fn. 57, auch verweist. Ausführlich gegen eine Präjudizienbindung Schad, Die Verleitung zum Vertragsbruch – eine unerlaubte Handlung?, S. 66. Trotz dieses Umstands sowie der Verpflichtung des Richters, seine Begründung offenzulegen und seine Entscheidung nachvollziehbar und begründbar zu machen, so Schad, S. 66, im Kontext mit § 138 Abs. 1 BGB, muss der Anwalt aber „realitätsnah“ denken. Gerade Fallgruppen werden den Richter vielfach veranlassen, von einer Begründung abzusehen, vgl. Beater, ZEuP 1996, 200, 218. Dagegen muss der Anwalt mit entsprechenden Klauseln „Vorsorge“ in der Form treffen, dass der Richter sich mit ihnen auseinandersetzen muss. 184
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Berater unberücksichtigt lässt.188 Allein aus dem Grund der Antizipierbarkeit ist es innerhalb der Methodik der anwaltlichen Vertragsgestaltung gleichsam von Vorteil, wenn Fallgruppen bestehen und diese möglicherweise schon einen recht hohen Präzisionsgrad erreicht haben. Eine davon zu trennende Frage ist, ob der Anwalt eine etwaige Fallgruppenbildung in Frage stellen (muss/kann), bzw. wie eine einzelfallbezogene Einflussnahme im Wege der Gestaltung selbst auf eine potentielle gerichtliche Überprüfung hin erfolgen kann. (2) Vorliegen von „Fallgruppennormen“ Muss der Anwalt methodisch in den soeben beschriebenen Schritten vorgehen, muss in erster Linie durch ihn eine Abklärung dahingehend erfolgen, ob eine Fallgruppenbildung für den für ihn relevanten Regelungsbereich vorliegt und in welchem Präzisionsgrad eine solche vorhanden ist. Es sind die unterschiedlichen Präzisionsgrade, die einerseits für die Antizipierbarkeit von besonderer Bedeutung sind, andererseits jedoch auch einen maßgeblichen Ansatzpunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit den Fallgruppen bilden. Gleichsam auf einer höheren Präzisionsstufe stehen Fallgruppen, die nahezu „Normqualität“ erreicht haben. Hier ist dann gleichsam ein deduktives Vorgehen möglich. Ohly spricht etwa von „Fallgruppennormen“,189 wenn sich in der Rechtsprechung mit der Fallgruppe eine entsprechende Norm herausgebildet habe.190 Beispielhaft nennt Ohly den Wegfall der Geschäftsgrundlage, der unter § 242 BGB fällt.191 Voraussetzungen für einen solchen Wegfall der Geschäftsgrundlage seien die wesentliche Änderung der Geschäftsgrundlage, keine einseitige Risikotragung durch eine Partei sowie die mangelnde Zumutbarkeit der Änderung für die betroffene Partei.192 Als weiteres Beispiel193 kann man die Rechtsprechung zu Angehörigenbürgschaften im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB anführen. So wird etwa in dem Fall, in dem ein Gläubiger sich von einem Dritten, der in einem besonderen Nähever-
188 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 17, führt im Kontext der Konkretisierung von Generalklauseln durch Präjudizien aus, einem Anwalt, der höchstrichterliche Präjudizien ignoriere, verliere vermeintlich den Prozess und ihm drohe die Anwaltshaftung. 189 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40. 190 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40. 191 Der Beitrag Ohlys rührt aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes her. Ohly selbst, S. 40, Fn. 160, verweist auf § 306 des Vorschlags der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts. Siehe auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 152, zu „Untergeneralklauseln“ am Beispiel der Arglisteinrede aus § 242 BGB. 192 Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40. 193 Siehe auch zur Beurteilung von Bürgschaftsfällen BVerfGE 115, 51, 68, wonach die Verfassungsrechtsprechung dazu geführt habe, dass von den Gerichten im Rahmen der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB rechtssatzmäßige typisierbare Fallgruppen gebildet worden seien. (Hervorhebung durch die Verfasserin.)
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hältnis194 zum Schuldner steht, § 138 Abs. 1 BGB mit der Folge der Nichtigkeit bejaht, wenn zwischen dem Verpflichtungsumfang des Bürgen und seiner Leistungsfähigkeit ein Fall krasser Überforderung195 vorliegt, der Bürge also voraussichtlich nicht einmal in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen der Hauptschuld aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und/oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls zu tragen.196 In beiden Beispielsfällen finden sich tatbestandliche Ausformungen von Voraussetzungen, an denen eine Orientierung möglich ist, es hat eine Ausformung in Art einer Norm stattgefunden.197 Allerdings ist die Konkretisierung mittels „Fallgruppennormen“ keine abschließende. Zunächst wird es sich bei diesen vielfach selbst (noch) um „Normen“ mit „generalklauselartigem Charakter“198 oder jedenfalls um „Normen“ mit ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen handeln. Zum anderen darf, gerade weil der Ausgangspunkt weiterhin die Anwendung der einzelnen Generalklausel, z. B. der nach § 138 Abs. 1 BGB, ist, nie unberücksichtigt bleiben, dass der jeweilige Einzelfall angemessen zu würdigen ist.199 Der wertende Vorgang in Bezug auf die Anwendung der Generalklausel darf nicht mit Blick auf den Einzelfall unterbleiben.
194 Die daraus resultierende emotionale Verbundenheit kann man auch als Fall der strukturellen Ungleichheit einstufen, so Teichmann, Vertragliches Schuldrecht, Rn. 524. Gerade die Rechtsprechung, u. a. BGH NJW 2009, 2671, 2672; NJW 2005, 971, 972, stellt im Fall einer krassen finanziellen Überforderung die widerlegliche Vermutung auf, dass die ruinöse Bürgschaft allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen worden ist. Es soll dann eben keine rationale Einschätzung der Interessenlage und der wirtschaftlichen Risiken erfolgt sein; dazu m. w. N. Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 38b. 195 BGH NJW 2005, 971, 972 m. w. N. 196 BGH NJW 2009, 2671, 2672; NJW 2005, 971, 972; BGHZ 156, 302, 306 = ZIP 2003, 2193, 2194; NJW 2002, 2635, 2635. Der Gläubiger muss auch die emotionale Verbundenheit zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt haben. Für diese subjektive Voraussetzung des § 138 Abs. 1 BGB spricht im Fall der krassen Überforderung des „emotional Verbundenen“ wiederum eine widerlegliche Vermutung, siehe BGH NJW 2009, 2671, 2672; 2005, 971, 972. 197 Hier soll bewusst nur von einer „Art“ von Norm gesprochen werden, da auf die Einzelfallproblematik und die damit u. a. einhergehende Begründungspflicht noch einzugehen sein wird. 198 So Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40, für die von ihm beispielhaft genannte Fallgruppennorm des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Rahmen des § 242 BGB. Ohly begründet dies mit der dortigen Verwendung von zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen, die der weiteren Konkretisierung bedürften. 199 Betonend, dass durch den Fallgruppenvergleich eine Bewertung des Falls nicht überflüssig wird, Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 673. Siehe außerdem etwa Beater, AcP 194 (1994), 82, 89. Das muss auch für die aus der Fallgruppe „speziell“ hervorgegangene Fallgruppennorm gelten.
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(3) Fallvergleich bzw. typisierender Fallvergleich Sollte eine „Fallgruppennorm“ vorliegen, bedarf diese also vielfach selbst noch der weiteren Konkretisierung. Möglich ist das ggf. wiederum mittels eines Fallvergleichs anhand einschlägiger Präzedenzfälle.200 Ein Fallvergleich bzw. ein typisierender Fallvergleich201 kommt aber auch und gerade dann in Betracht, wenn zwar Fallgruppen vorliegen, innerhalb dieser es allerdings noch nicht zur Bildung einer Fallgruppennorm gekommen ist. Vergleichsbasis202 sind die Fälle, die seitens der Rechtsprechung (und/oder der Literatur) bereits als der jeweiligen Generalklausel unterfallend eingestuft203 und mittels der Einteilung in Fallgruppen (vor-)sortiert worden sind. Der Anwalt kann/muss dann den von ihm zu regelnden Sachverhalt daraufhin abgleichen, ob er Merkmale der entsprechenden Fallgruppe(n) aufweist. Diesem vergleichenden Vorgang, insbesondere als prognostischer in Bezug auf einen anderen (künftigen) vergleichenden Vorgang, nämlich im Zweifel den des (später) entscheidenden Richters, wohnen notwendigerweise mehrere Unsicherheitselemente inne. Selbst wenn sich innerhalb einer Fallgruppe anhand der Präjudizien204 wiederum typische Merkmale herausgebildet haben, das heißt bestimmte Merkmale, die zwar nicht stets allesamt, wohl aber in überwiegender Form bei den „sicher“ zur Gruppe gehörenden Fällen ausgemacht werden können,205 ist eine an200
So Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40. Zur Begrifflichkeit des typisierenden Fallvergleichs etwa Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden im Europäischen Privatrecht, S. 167. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 324, spricht von „Typenvergleich“. Der Begriff des „Typus“ wird in unterschiedlichsten Zusammenhängen und Formen eingesetzt, siehe dazu nur beispielhaft die Darstellungen bei Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 543 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 216 ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 25 ff., zum Typus und Begriff im juristischen Denken. 202 Vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 59; 81, wonach Vergleichsbasis jene Falltypen seien, für die schon geklärt sei, dass sie in den Begriffsumfang einer Norm einzubeziehen seien. Die Ausführungen Zippelius beziehen sich allerdings auf die Auslegung von Normen. 203 Siehe Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 324, der allerdings grundsätzlicher mit der Terminologie „Typenvergleich“ den Vergleich „zwischen den Fällen, die zweifelsfrei von der entsprechenden Generalklausel erfaßt sind, und den zur Entscheidung gestellten“ bezeichnet. Kritisch bezüglich einer solchen Zweifelsfreiheit Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 673. Zur Konkretisierung siehe gerade auch Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 147: „Der geschichtliche Konkretisierungsprozeß einer Norm durchläuft also zwei Stufen: Zunächst werden unverbundene Lösungen für Einzelfälle verarbeitet (Spezifizierung). Dann bedarf es der Regelbildung, die von der Dogmatik unterstützt wird, um aus den Einzellösungen ein Gerüst herzustellen aus typischen Fallgruppen (Typisierung).“ 204 Oder ggf. Literaturbeispielen. 205 Diese Bestimmung lehnt sich dem von Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 462, beschriebenen empirischen Typus an, wonach „eine mehr oder minder große Zahl von Eigenschaften, charakteristischen Zügen, die ein derartiges Gebilde in ihrer Gesamtheit charakterisieren, ohne deshalb in jedem Fall notwendig sämtlich vorliegen zu müssen“. Die je201
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waltliche Prognose im zuvor beschriebenen Sinn oftmals schwierig. Denn der vergleichende Umgang mit derartig „typischen“ Merkmalen ist notwendigerweise wiederum ein wertender. In Abwägung zu stellen ist, welche und wie viele „Merkmale“ vorliegen, welche Ausprägung (Stärke) sie jeweils haben und ob durch sie das jeweilige „Gesamtbild“, das die einzelne Fallgruppe ausmacht, noch gewahrt ist.206 Die Notwendigkeit einer Wertung ist zudem wieder ohnehin stets damit verbunden, dass über die Generalklauseln den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden kann/muss. Eine vergleichende Tätigkeit ist im Übrigen nicht nur in Bezug auf eine einzelne Fallgruppe vorstellbar, sondern ebenfalls unter Hinwendung auf mehrere Fallgruppen und die dort auftauchenden Elemente. Denkbar ist das Arbeiten mit Typenreihen, bzw. in unserem Fall mit „Fallgruppenreihen“. Es ist insoweit die Überlegung anzustellen, dass/ob die einzelnen Fallgruppen aufgrund der Variabilität ihrer Merkmale Überschneidungsflächen bieten können, ineinander übergehen können, ferner Elemente der Typen zurücktreten oder andere neu hinzutreten.207 (4) Zwischenresümee Selbst wenn man zur Konkretisierung von Generalklauseln auf Fallgruppen oder einen typisierenden Fallvergleich zurückgreift, wird gleichwohl eines deutlich: Die Notwendigkeit eines besonderen wertenden Umgangs, der auch den Beginn der Überlegungen bildete, wird dadurch (zwar) unterstützt. Es bleibt aber das Erfordernis, weiterer wertender, vor allem den Einzelfall berücksichtigender Beurteilungsleistungen. Das zeigt sich auch und vor allem beim Umgang mit typischen Elementen. Allein die Auseinandersetzung damit, wie verschiedene vorliegende Elemente miteinander in Verhältnis zu setzen und zu gewichten sind, ist ein wertender Vorgang. Erst recht tritt der mit der Anwendung von Generalklauseln notwendige wertende Vorgang in den Fokus, wenn es für die im Vertrag zu regelnde Situation keine Fallgruppen/Typen gibt.208 Die Antizipationsmöglichkeiten des gestaltenden Anwalts sind gerade im letzteren Fall deutlich erschwert. Primär muss er dann, worauf weiligen „Eigenschaften“ sind hier die insbesondere in den Präjudizien auszumachenden Merkmale. 206 Vgl. Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 34, der den Typus als „elastisches Merkmalsgefüge“ beschreibt. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 242, hebt die „Variabilität und Graduierbarkeit der Merkmale“ hervor. Auf beide Zitate verweist Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 470, allerdings im Zusammenhang mit der Bedeutung rechtlicher Strukturtypen für die Systembildung (Typenreihen). 207 Angelehnt sind diese Überlegungen an die Ausführungen Larenz‘, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 470, zur Erweiterung der im Strukturtypus gelegten Systembildung durch die Bildung von Typenreihen. 208 Siehe auch Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 246, der vom „ersten“ Fall spricht (Hervorhebung bei Hennrichs).
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innerhalb der Untersuchung verschiedentlich hingewiesen wurde, sein Augenmerk darauf legen, den (künftigen) Richter „in die Methode zu zwingen“. Das heißt, er muss Regelungen in den Vertrag aufnehmen, mit denen sich der Richter innerhalb einer Kontrolle des Vertrags anhand bestimmter Generalklauseln auseinandersetzen muss, will er nicht fehlerhaft arbeiten. Sollen die vertraglichen Regelungen jedoch in der Art zur Umsetzung der Mandanteninteressen dienen, muss eine „Aufschlüsselung“ der Maßstäbe und Faktoren erfolgen, die innerhalb des Wertungsvorgangs Berücksichtigung finden (müssen). Anhand derer wird der Anwalt zunächst auch selbst eine Wertung vorzunehmen haben. dd) Maßstäbe, Wertungsfaktoren und Konkretisierungen Da beim Vorliegen einer Generalklausel die (unmittelbare) Subsumtion unter den gesetzlichen Tatbestand209 nicht/nur eingeschränkt möglich ist,210 muss nach relevanten Maßstäben und Faktoren anhand derer die (Wert-)Ausfüllung erfolgen muss, gesucht werden. Stichworte, die schon im Kontext mit der Entwicklung von Fallgruppen(-normen) oder Typisierungen gefallen sind, sind gleichwohl dann allerdings etwa mangelnde Antizipierbarkeit, Gefahr der Willkür oder von Billigkeitsentscheidungen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Problemen kann und soll an dieser Stelle nicht in Gänze erfolgen. Das ist wiederum u. a. der methodischen Herangehensweise als vertragsgestaltender Anwalt geschuldet. Denn für diesen ist es ein Faktum, dass ggf. später ein Richter den Vertrag (auch) mittels unterschiedlicher Generalklauseln kontrolliert. Das Hauptaugenmerk des Anwalts ist dann erneut darauf gerichtet, nach Elementen zu suchen, die er als Gestalter in den Vertrag platzieren kann und deren mangelnde oder falsche Berücksichtigung seitens des Richters einen „Vorwurf“ der Fehlerhaftigkeit der Entscheidung nach sich ziehen könnte. Gerade dafür ist die Kenntnis um die Wertungsfaktoren relevant.211 Anknüpfungspunkte können dabei die in Bezug auf die jeweilige Generalklausel relevanten normbezogenen Grundaussagen sein,212 für die auf die einzelne Vorschrift 209 Jedenfalls wenn sich der Charakter als Generalklausel aufgrund der wertungsausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffe des Tatbestands (Teilen des Tatbestands) ergibt. 210 Allerdings können aus dem Tatbestand bestimmte „Rahmenbedingungen“ bezüglich des Verständnisses folgen, so bei „Treu und Glauben“ innerhalb von § 242 BGB. Grüneberg/ Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 6, führt etwa aus, Treue bedeute nach dem Wortsinn eine auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruhende äußere und innere Haltung gegenüber einem anderen. Glauben bedeute das Vertrauen auf eine solche Haltung. Zu Recht weist Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 667, außerdem für das, auch hier präferierte, Verständnis der Generalklausel, wonach Tatbestand/Rechtsfolgenseite nicht nur aus unbestimmten Rechtsbegriffen bestehen müssen, darauf hin, u. a. der Begriff des „Rechtsgeschäfts“ in § 138 BGB sei nicht unbestimmt. Eine Subsumtion ist dort also möglich. 211 Abgesehen von einem eigenen vorzunehmenden Abwägungsprozess. 212 So Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 329, unter Hinweis (Fn. 71) auf Esser, Grundsatz und Norm, S. 6 ff.
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und dort vor allem auf deren Sinn und Zweck abzustellen ist.213 Grundsätzlich müssen zudem und gerade in der praktischen Anwendung Wertungen berücksichtigt werden, die für sämtliche oder viele Generalklauseln bedeutsam sind.214 Das können, ggf. im Verbund mit den Funktionen der Generalklauseln, wie verschiedentlich schon deutlich wurde, im Besonderen die Grundrechte215 sein, sonstige Aussagen der Verfassungsordnung, etwa das Sozialstaatsprinzip (Art. 28 Abs. 3 GG),216 europarechtliche Vorgaben,217 einfachgesetzliche Regelungen218 und ggf. auch außerrechtliche Maßstäbe219. Anhand solcher Maßstäbe sind einerseits die jedenfalls aus anwaltlicher Sicht zu berücksichtigenden Konkretisierungen mittels Fallgruppen (Fallgruppennormen) zu „bestärken“ oder zu „hinterfragen“.220 Von besonderer Relevanz ist ferner, dass die einzelnen Elemente, aufgrund derer eine mögliche Beurteilung zu erfolgen hat, in völlig unterschiedlicher Intensität auftreten können. Nicht ohne Grund wird deshalb im Zusammenhang mit den Ge-
213
Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 329. Siehe Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 329. 215 Zu den Generalklauseln als „Einfallstore“ (zur Begrifflichkeit u. a. Battis/Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 409) der Grundrechte und der Ausfüllung der Generalklauseln durch diese siehe wiederum BVerfGE 7, 198, 206 („Lüth“); BVerfGE 81, 242, 256; BVerfGE 89, 214, 229 (Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln mittels grundgesetzlicher Grundentscheidungen); BGHZ 106, 336, 338; BGHZ 142, 304, 307; siehe ferner Dürig, FS für Nawiasky, 157, 176 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 43 ff. Zur Drittwirkung der Grundrechte u. a. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 286 ff.; 354 ff.; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 136 ff. Vgl. auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 221 ff. Zum Rückgriff auf die Wertungen der Grundrechte auch u. a. HK-BGB/Schulze, BGB, § 242, Rn. 13; PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 17; PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 13. Siehe zudem Voßkuhle, JZ 2009, 917, 921, wonach Freiheitsschutz seit dem Lüth-Urteil nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch durch den Staat stattfinde. Zur Ausstrahlung von Grundrechten in das Zivilrecht auch BVerfG NJW 2018, 1667 ff. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte war und ist teilweise auch heute nicht unumstritten, ist aber aus der vom Anwalt zu berücksichtigenden Rechtsprechungssicht mittlerweile zugrunde zu legen. Vgl. die Übersicht zu Meinungen bezüglich der Drittwirkung Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 52 ff. 216 HK-BGB/Schulze, § 242, Rn. 13; MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 37. 217 Siehe etwa Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, § 138, Rn. 12a, bezüglich europarechtlicher Vorgaben; PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 19, zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben. 218 PWW/Kramme, BGB, § 242, Rn. 20. 219 Dazu Erman/Palm/Arnold, BGB, 13. Aufl., § 138, Rn. 33, wonach außerrechtliche Kriterien nur in den von der Gesamtrechtsordnung verbleibenden Wertungsfreiräumen zum Zuge kommen. 220 Bedeutung können sie erst recht erlangen, wenn bezüglich der Anwendung von Generalklauseln weder Fallgruppen noch Fallgruppennormen vorhanden sind. 214
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neralklauseln221 auch immer wieder hervorgehoben, es ginge um „Beweglichkeit“ oder „Flexibilität“.222 Wie der Umgang mit Generalklauseln aus gestalterischer Sicht methodisch erfolgen kann, soll, auch aufgrund der praktischen Bedeutung, exemplarisch in Bezug auf Fälle der möglichen inhaltlichen Kontrolle von Verträgen223 aufgrund der Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1 und 242 BGB geschehen. Daran sollen sich dann mögliche grundsätzliche Folgerungen hinsichtlich methodischer Denkschritte anschließen. ee) Exemplifikationen der Schritte anhand möglicher inhaltlicher Vertragskontrolle mittels Generalklauseln (§§ 138 Abs. 1, 242 BGB) Die einzelnen methodischen Denkschritte224 aus anwaltlicher Sicht lassen sich exemplarisch an der besonders relevanten Situation darstellen, inwiefern ein zu entwerfender Vertrag einer späteren (inhaltlichen) Kontrolle aufgrund von Generalklauseln standhalten kann. Die Generalklauseln, die insofern von besonderer Bedeutung sind, sind § 138 Abs. 1 sowie § 242 BGB. (1) „Fallgruppennormen“ Die am deutlichsten eine Antizipierbarkeit leistende Form der (erfolgten) Konkretisierung von Generalklauseln lag im Vorhandensein von „Fallgruppennor221
Siehe auch diesbezüglich bereits die Ausführungen im Kontext mit den Drittinteressen in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) (cc) (bbb) (c), S. 340 ff. 222 Ausführlich Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 315 ff. („flexibles System“); vgl. auch etwa Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S. 232 f. Siehe ferner zum Zusammenspiel beweglicher Elemente bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 27; MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 46 f.; dort auch der Verweis auf BGH NJOZ 2013, 260, Rn. 20. Grundsätzlich zum beweglichen System Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht. Siehe ferner Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 82 f. Canaris, S. 82, führt aber aus, für Generalklauseln sei es charakteristisch, dass sie wertausfüllungsbedürftig seien, sie würden die zu ihrer Konkretisierung erforderlichen Kriterien nicht angeben und diese ließen sich grundsätzlich nur im Hinblick auf den jeweiligen konkreten Fall festlegen; Wilburgs Bestreben sei demgegenüber darauf gerichtet gewesen, die maßgeblichen „Elemente“ nach Inhalt und Zahl generell zu bestimmen und nur ihr „Mischungsverhältnis“ variabel zu gestalten und von den Umständen des Falles abhängen zu lassen. Siehe außerdem Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 161. 223 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder von Klauseln, die sich am AGB-Recht messen lassen müssten, nicht Gegenstand der Untersuchung sein soll. Dazu ausführlich etwa Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 426 ff. 224 Die Ausführungen sollen/müssen sich auf Beispiele beschränken. Die inhaltliche Vertragskontrolle und die damit vielfach verbundenen Fragen der Vertragsgerechtigkeit können hier nicht in ihrer Gänze dargestellt werden.
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men“.225 Sofern solche vorhanden sind, muss der Anwalt entsprechend den vorherigen Überlegungen zunächst auf diese innerhalb seines methodischen Vorgehens zugreifen. Das gilt im Besonderen, wenn die drohende Rechtsfolge gravierend und zwingend ist. Insofern muss vor allem der § 138 Abs. 1 BGB, der die Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts zur Folge hat, im Fokus anwaltlicher Überlegungen stehen.226 (a) Angehörigenbürgschaft Ein Beispiel für eine „Fallgruppennorm“ innerhalb der in § 138 Abs. 1 BGB angesiedelten Fallgruppe „Ausnutzung wirtschaftlicher Übermacht“227 sind bestimmte „Angehörigenbürgschaften“228. Dabei handelt es sich um die Situation, in der ein Gläubiger sich vom Dritten, der in einem besonderen Näheverhältnis (Angehörigenverhältnis) zum Schuldner steht, eine Bürgschaft geben lässt, wobei zwischen dem Verpflichtungsumfang des Bürgen und seiner Leistungsfähigkeit ein Fall krasser Überforderung229 vorliegt, der Bürge also voraussichtlich nicht einmal in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen der Hauptschuld aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und/oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls
225 Siehe bei Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 258, „(…), daß die richterliche Konkretisierung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen nach und nach zu deren normativer Verfestigung führt.“ Das Zitat bereits anführend Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 161. Dazu, dass mit dem beweglichen System Kompromisse zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit gleichwohl verbunden sind, Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 83 f. Letzteres ändert an der für den Anwalt zunächst maßgeblichen Prämisse nichts, dass er auf die normative Verfestigung Rücksicht nehmen muss. 226 Siehe dazu bereits die Ausführungen in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) (bb), S. 334 f. 227 Zur „Ausnutzung wirtschaftlicher Übermacht“ als Fallgruppe innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB HK-BGB/Dörner, § 138, Rn. 11. Zur „Abwehr der Ausnutzung von Machtpositionen“ innerhalb des § 138 BGB auch MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 53; Armbrüster steht allerdings der Fallgruppenbildung, gerade im Rahmen des § 138 BGB, kritisch gegenüber (Rn. 49). Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 12, siedelt die Bürgschaftsproblematik unter der Fallgruppe der Knebelungsverträge an. Beispielhaft zeigt sich daran jedoch bereits, dass die Einteilung in verschiedene Fallgruppen keineswegs einheitlich erfolgt. Diesem Umstand ist aus anwaltlicher Sicht dergestalt Rechnung zu tragen, dass vornehmlich auf die Merkmale abgestellt wird, die sich in der Rechtsprechung für bestimmte Konstellationen herausgebildet haben. 228 Hier wird die „Angehörigenbürgschaft“ im Zusammenhang mit der Fallgruppe „Ausnutzung wirtschaftlicher Überlegenheit“ gesehen. Schapp, Konkretisierung von Generalklauseln, S. 131, 138, sieht die Angehörigenbürgschaft selbst als „Verbund von Fallgruppen“. Das muss der vorliegenden Einstufung bestimmter Angehörigenbürgschaften als zu einer Fallgruppennorm gehörend nicht entgegenstehen. Schapp ist aber beizupflichten, dass es unterschiedlichste Fälle von Angehörigenbürgschaften gibt; die hier vorgestellte „Norm“ ist insoweit nicht „abschließend“. 229 Siehe wiederum BGH NJW 2005, 971, 972 m. w. N.
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zu tragen.230 Bei Vorliegen dieser „Voraussetzungen“231 soll Sittenwidrigkeit mit der Folge der Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrags gegeben sein. Die Merkmale „besonderes Näheverhältnis zum Schuldner“ (Angehöriger) und „krasse Überforderung“ können „tatbestandlich“ ausgemacht werden.232 Zwar handelt es sich dabei selbst um (noch) ausfüllungsbedürftige Begriffe. Allein aufgrund der insoweit jedoch (bereits) wieder vorhandenen Präjudizien kann aber eine Orientierung erfolgen.233 Der Anwalt ist also in einem ersten Schritt gehalten, bei der Gestaltung einer Angehörigenbürgschaft die entsprechende „Fallgruppennorm“ zu berücksichtigen. Da ihr jedoch keine gesetzliche Normqualität zukommt, vielmehr, da es um die Konkretisierung einer Generalklausel (§ 138 Abs. 1 BGB) geht, stets der Einzelfall Berücksichtigung finden muss,234 müssen entsprechende anwaltliche Überlegungen diesen Einzelfall in Rechnung stellen. Das bedeutet, aus gestalterischer Sicht zu überlegen, ob nicht Umstände vorliegen, bzw. „geschaffen“ werden sollten, die es notwendig machen, den zu gestaltenden Fall anders zu beurteilen als von der Fallgruppennorm „vorgegeben“. Ein solches Vorgehen ist im Übrigen auch in der Rechtsprechung, aus der die bezeichnete Fallgruppennorm hervorgegangen ist, angelegt. So nimmt die Rechtsprechung an, „(…) (i)n den Fällen der krassen finanziellen Überforderung besteh(…)(e) eine tatsächliche (widerlegliche) Vermutung, dass sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und dass das Kreditinstitut235 die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.“236 230 Siehe erneut BGH FamRZ 2017, 362, 363; BGH NJW 2009, 2671, 2672; NJW 2005, 971, 972; BGHZ 156, 302, 306 = ZIP 2003, 2193, 2194; NJW 2002, 2635. 231 Zum subjektiven Element des anstößigen Ausnutzens siehe sogleich; es wird bei Vorliegen der „objektiven“ Voraussetzungen vermutet. 232 Hier findet sich der Dualismus von Lastverteilung einerseits und eines, sogleich noch zu erörternden „Verhandlungsungleichgewichts“ andererseits. 233 Bezüglich der nahen Angehörigen vgl. etwa BGH FamRZ 2017, 362 ff.; BGH NJW 2005, 971 ff. (Ehegatten); BGH NJW 1997, 3372, 3373 (Verlobte); BGH NJW 2009, 2671, 2672 (nicht eheliche Lebensgemeinschaft); BGH NJW 2001, 2466, 2467 (Eltern). Zur krassen finanziellen Überforderung BGH FamRZ 2017, 362, 363; BGH NJW 2009, 2671, 2672; 2005, 971, 972; BGHZ 156, 302, 306 = BGH ZIP 2003, 2193, 2194. 234 Das ist der Spagat zwischen Rechtssicherheit einerseits und Einzelfallgerechtigkeit andererseits, der, wie mehrfach betont, etwa durch das mit der Konkretisierung von Generalklauseln angeführte bewegliche System zutage treten kann. Zum „Kompromiß“ siehe erneut Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 83 f. Gleichwohl wird in der Praxis wiederum häufig ein „Zurückziehen“ auf die durch Konkretisierung entstandene „Norm“ zu beobachten sein. 235 Die Überlegungen sind allerdings nicht auf gewerbliche Kreditgeber beschränkt, siehe OLG Brandenburg ZIP 2007, 1596 ff. 236 BGH NJW 2001, 815, 815 (Leitsatz 3). Siehe auch BGH FamRZ 2017, 362, 363; BGH NJW 2001, 2466, 2467. Auf die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB im Einzelnen in
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Diese Ausführungen sind in unterschiedlicher Weise für den Umgang mit der Fallgruppennorm als Konkretisierung einer Generalklausel bedeutsam: Unter Hinweis darauf, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen von Angehörigeneigenschaft einerseits und krasser finanzieller Überforderung andererseits von einem Ausschluss interessengeleiteten Verhaltens auszugehen ist,237 wird nicht nur der Bezug zu der Fallgruppe, der die entsprechende Fallgruppennorm zugehörig ist, deutlich. Zudem wird damit238 ein entscheidender Wertungsmaßstab ebenfalls deutlich, der zur Konkretisierung der Generalklausel mit der entsprechenden Fallgruppe(nnorm) herangezogen wird. (aa) Wertungsfaktoren (aaa) Verfassungsgerichtliche „Vorgaben“ Es sind die hinter dieser „Norm“ stehenden unterschiedlichen Wertungsfaktoren, die der Anwalt, will er die Interessen seines Mandanten umsetzen, ermitteln muss. Sie spielen für die Konkretisierung eine wichtige Rolle. Insofern ist wiederum die Judikatur, und dabei im Besonderen die des Bundesverfassungsgerichts, von Bedeutung. So führte das Bundesverfassungsgericht in der Bürgschaftsentscheidung aus: „Im Vertragsrecht ergibt sich der sachgerechte Interessenausgleich aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner. Beide binden sich und nehmen damit zugleich ihre individuelle Handlungsfreiheit wahr. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung (…). Allerdings kann die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt ist. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muß die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen. Das folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). (…) Das geltende Vertragsrecht genügt diesen Anforderungen. Die Schöpfer des Bürgerlichen Gesetzbuchs gingen zwar, auch wenn sie verschiedene Schutznormen für den im Rechtsverkehr Schwächeren geschaffen haben, von einem Modell formal gleicher Teilnehmer am Privatrechtsverkehr aus, (…). Heute besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Bezug auf die subjektive Seite soll hier nicht eingegangen werden. Hier „genügt“, dass bei Vorliegen bestimmter objektiver Voraussetzungen auch das subjektive Element vermutet wird. Vgl. zum subjektiven Element in § 138 Abs. 1 BGB auch schon die Ausführungen in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) (cc) (bbb) (c) (bb) (bbb), S. 343 f. 237 Ebenso von einem „Ausnutzen“ seitens des Gläubigers. 238 Das betrifft auch die Begründung für die Bildung einer Fallgruppe an sich.
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Partner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs taugt und daß der Ausgleich gestörter Vertragsparität zu den Hauptaufgaben des geltenden Zivilrechts gehört (…). (…) In diesem Zusammenhang haben die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs zentrale Bedeutung. (…) Für die verfassungsrechtliche Würdigung genügt jedoch die Feststellung, daß das geltende Recht jedenfalls Instrumente bereit hält, die es möglich machen, auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren. Für die Zivilgerichte folgt daraus die Pflicht, bei der Auslegung und Anwendung der Generalklauseln darauf zu achten, daß Verträge nicht als Mittel der Fremdbestimmung dienen. Haben die Vertragspartner eine an sich zulässige Regelung vereinbart, so wird sich regelmäßig eine weitergehende Inhaltskontrolle erübrigen. Ist aber der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen, so dürfen sich die Gerichte nicht mit der Feststellung begnügen: „Vertrag ist Vertrag“. Sie müssen vielmehr klären, ob die Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist, und gegebenenfalls im Rahmen der Generalklauseln des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen. (…)“239
Ein anderes Beispiel sind Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach Art. 2 Abs. 1 GG „die Privatautonomie als Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben (gewährleistet). Die eigenbestimmte Gestaltung von Rechtsverhältnissen ist ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (…), die ihre Grenzen allerdings in der Entfaltungsfreiheit anderer findet. (…) Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind (…). Wenn die Schwäche eines Vertragspartners durch gesetzliche Regelungen bedingt ist, kann der verfassungsrechtliche Schutz der Privatautonomie durch Art. 2 I GG zu einer Pflicht des Gesetzgebers führen, für eine rechtliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses der davon betroffenen Vertragsparteien zu sorgen, die ihren Belangen hinreichend Rechnung trägt (…).“240
Das kann zum einen in Form (zwingenden) Vertragsrechts geschehen;241 insbesondere sofern dies nicht erfolgt ist, kommt den Generalklauseln besondere Bedeutung zu. „Wenn der Gesetzgeber davon absieht, zwingendes Vertragsrecht für bestimmte Lebensbereiche oder für spezielle Vertragsformen zu schaffen, bedeutet dies keineswegs, dass die Vertragspraxis dem freien Spiel der Kräfte und insbesondere dem Machteinsatz durch eine Seite unbegrenzt ausgesetzt wäre. Vielmehr greifen dann ergänzend (die) zivilrechtlichen Generalklauseln ein, vor allem die §§ 138, 242, 315 BGB. Gerade bei der Konkretisierung und Anwendung dieser Generalklauseln sind die Grundrechte zu beachten (…). Der entsprechende Schutzauftrag der Verfassung richtet sich hier an den Richter, der den objektiven
239 BVerfGE 89, 214, 232 ff. Sich ausführlich mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur staatlichen Schutzpflicht bei Fremdbestimmung aufgrund „struktureller Unterlegenheit“ auseinandersetzend Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 78 ff. 240 BVerfG NJW 2006, 1783, 1784, u. a. unter Verweis auf BVerfGE 81, 242, 254 f. sowie BVerfG NJW 2005, 2363, 2365 f. Siehe außerdem etwa BVerfG VersR 2006, 961 ff., insbesondere 962. 241 Siehe BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 1 BvR 240/98, Rn. 25.
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Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen hat (… ).“242
(bbb) Folgerungen Entscheidende Wertungsfaktoren sind somit zum einen die Wahrung der Selbstbestimmung des Einzelnen243 (Art. 2 Abs. 1 GG), aber auch ein damit zusammenhängender „Schutzauftrag“ an den Staat bzw. seine Organe. Ausgehend von diesen Wertungsfaktoren hat die Rechtsprechung mit dem oben beschriebenen Fall der „Angehörigenbürgschaft“ eine Aussage dahingehend getroffen, dass unter den dort bezeichneten „tatbestandlichen“ Voraussetzungen der „Schutzgesichtspunkt“ als Wertungsfaktor höher einzuschätzen ist als „die fundamentale Idee der Vertragsfreiheit“244, verstanden als unbeschränkte, staatlicherseits zu akzeptierende Vertragsfreiheit. Der Anwalt ist zunächst gehalten, von dieser Gewichtung innerhalb seiner Überlegungen bei entsprechenden Gestaltungssituationen mit Blick auf die Fallgruppennorm auszugehen, sie also in seine Überlegungen, die einen zu gestaltenden Einzelfall betreffen, aufzunehmen. Die angesprochenen Faktoren (Vertragsfreiheit zur Selbstbestimmung, Schutzgesichtspunkte) stehen allerdings in einem direkten Zusammenhang mit der Paritätsproblematik, die im Kontext mit dem „Fallvergleich“ noch von (weiterer) Bedeutung sein wird. (bb) Berücksichtigung des Einzelfalls Dass trotz Vorliegens einer „Fallgruppennorm“245 gleichwohl der Einzelfall Berücksichtigung finden kann und muss, zeigt sich im Zusammenhang mit dem Beispiel der Angehörigenbürgschaften nicht zuletzt schon daran, dass „nur“ eine tatsächliche (widerlegliche) Vermutung vorliegt, wonach der Ehegatte oder nahe Angehörige sich bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und der Gläubiger dies ausgenutzt hat. Es ist also für den Gläubiger möglich, Tatsachen jenseits der im „Tatbestand“ der Fallgruppennorm genannten vorzubringen, die stützen, dass ein der Fallgruppennorm zugrunde liegendes Wertungskriterium nicht erfüllt ist. Geht es wie hier um das Wertungskriterium „Schutzbedürftigkeit bezüglich des (eigenen) selbstbestimmten Handelns im rechtsgeschäftlichen Verkehr“, müssten also im Einzelfall Tatsachen vorliegen (vorgebracht werden), die dafür sprechen, dass der Bürge „trotz“ Angehörigenstatus sehr wohl seine Interessen in einem rationalen Sinn wahrnehmen konnte.
242
BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 1 BvR 240/98, Rn. 25. Mittels des Vertrags. 244 Zu der Begrifflichkeit Hirsch, Der Vertrag, Rn. 12. 245 Wobei in der Rechtsprechung selbst von „Fallgruppennorm“ nicht gesprochen wird. 243
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(b) Ehevertrag Ein weiteres Beispiel für ein mögliches gestalterisches Arbeiten mit und unter Ausnutzung von, allerdings nur partiellen Fallgruppennormelementen findet sich im Familienrecht in Bezug auf die Gestaltung von Eheverträgen. Eine Anknüpfung kann insoweit zunächst vielfach wiederum an die Fallgruppe, die sich auf ein „Machtungleichgewicht“ zwischen den Vertragspartnern bezieht,246 erfolgen. So kann auch im Anschluss an die Gestaltung von Eheverträgen (später) durch die Rechtsprechung eine (Inhalts-)Kontrolle mittels Generalklauseln erfolgen, namentlich anhand von § 138 Abs. 1 BGB von § 242 BGB.247 Über § 138 Abs. 1 BGB ist gleichsam auf erster Stufe eine Wirksamkeitskontrolle dahingehend vorzunehmen, ob die ehevertragliche Vereinbarung „schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – losgelöst von der zukünftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 I BGB).“248
Sollte es nicht über § 138 Abs. 1 BGB zu einer Versagung der Wirksamkeit kommen, ist es jedoch immer noch möglich, den Vertrag einer Ausübungskontrolle nach § 242 BGB zu unterziehen.249 Abgestellt wird dabei nicht nur auf die Verhältnisse bei Vertragsschluss, sondern vielmehr auch und nicht zuletzt auf die im Zeitpunkt „des Scheiterns der Lebensgemeinschaft“.250
246 Siehe dazu auch Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 495. Dabei ist dieses Beispiel der Fallgruppe in Verbindung mit einer (einseitigen) Lastenverteilung zu sehen. Der BGH (NJW 2013, 380, 382) betont für eine Kontrolle von Eheverträgen die Notwendigkeit einer ungleichen Verhandlungsposition im Verbund mit einem unausgewogenen Vertragsinhalt für die Bejahung des § 138 Abs. 1 BGB. 247 Dazu Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 148. Zur Vertragsgestaltung von Eheverträgen – gerade auch unter Berücksichtigung der Generalklauseln §§ 138, 242 BGB – Wellenhofer, NZFam 2020, 645 ff. 248 BGHZ 158, 81, 100. Siehe ebenfalls u. a. BGH NJW 2009, 2124, 2124; NJW 2013, 380, 381. 249 BGHZ 158, 81, 100; der Richter hat dann „diejenige Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Parteien in der nunmehr eingetretenen Situation in ausgewogener Weise Rechnung trägt.“ Ebenso BGH NJW 2013, 380, 383. Es muss die Situation einer evident einseitigen, nach Treu und Glauben unzumutbaren Lastenverteilung gegeben sein, BGH NJW 2013, 437, Rn. 34; NJW 2015, 52, Rn. 22; NJW 2018, 2871, Rn. 20. 250 BGHZ 158, 81, 100; BGH NJW 2013, 380, 383; NJW 2013, 457, Rn. 34; NJW 2015, 52, Rn. 22; NJW 2018, 2871, Rn. 20.
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Die Rechtsprechung hat für diese Kontrolle von Eheverträgen Grundsätze entwickelt, die vor allem den Fokus darauf richten, den Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen über die Gestaltung des Ehevertrags nicht zu unterlaufen.251 Die von der Rechtsprechung aufgestellte „Kernbereichslehre“252 zeigt Strukturen auf, die sich teilweise einer Fallgruppennorm annähern, ohne jedoch eine Form von „Durchdeklinieren“ zu ermöglichen, wie es bei dem obigen Beispiel der Angehörigenbürgschaft der Fall war. Anders als dort bietet hier die Kernbereichslehre nur einen „normartig“ gestalteten Aspekt, der in die Gesamtabwägung einzustellen ist. Tatbestandlichen Charakter hat die Kernbereichslehre in der Form, als innerhalb der sowohl bei § 138 Abs. 1 BGB („Sittenwidrigkeit“) als auch bei § 242 BGB („Treu und Glauben“, dort im Kontext der Missbräuchlichkeit) vorzunehmenden „Wertung“253 auf verschiedene Arten von Scheidungsfolgen, vor allem hinsichtlich der Unterhaltsfolgen, abgestellt wird. Disponibilität entsprechender Normen kann am ehesten im engsten Kernbereich zu versagen sein,254 der sich auf den Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes (§ 1570 BGB) bezieht.255 Die sich anschließenden Stufen, die eine immer größer werdende Disponibilität eröffnen können, sind zunächst der Alters- und Krankheitsunterhalt (§§ 1571, 1572 BGB) sowie der Versorgungsausgleich, dann der wegen Erwerbslosigkeit zu leistende Unterhalt (§ 1573 Abs. 1 BGB).256 Eine weitgehende Disponibilität hinsichtlich des Krankenvorsorgeund Altersvorsorgeunterhalts (§ 1578 Abs. 2 1. Var., Abs. 3 BGB) wird ebenfalls hinsichtlich des Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalts ausgemacht,257 im Be-
251 BGHZ 158, 81, 96; dort heißt es, die grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen dürfe indes nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden könne. Dies wieder anführend BGH NJW 2013, 380, 381. 252 Zur Begrifflichkeit des Kernbereichs u. a. BGH NJW 2013, 380, 381 (bezüglich des objektiven Vertragsinhalts); BGHZ 158, 81, 86. Zur Kernbereichslehre und Inhaltskontrolle u. a. Münch, FamRB 2013, 160 ff.; Reetz, FuS 2013, 11 ff.; Zensus, FamFR 2013, 310. Siehe auch beispielsweise Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 495 ff.; Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 21 ff. Siehe ferner die kritischen Ausführungen von Koch, Schranken der Vertragsfreiheit im Familienrecht, 79 ff., die u. a. von einem „methodischen und dogmatischen Irrweg“ spricht, den die Gerichte eingeschlagen haben (S. 88). 253 Hier zeigt sich eine Wertung gerade unter Bezugnahme auf das einfache Recht als Faktor wie auch unter Bezugnahme auf das Verfassungsrecht (u. a. Schutz vor Fremdbestimmung durch Art. 2 Abs. 1 GG, außerdem Rückgriff etwa auch auf Art. 6 GG). 254 Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 24, spricht davon, eine Vereinbarung sei umso rechtfertigungsbedürftiger, je unmittelbarer die ehevertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife. 255 Vgl. BGH NJW 2013, 380, 381; dazu u. a. Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 147. 256 Dazu Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 147; Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 26. 257 Dazu wiederum Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 147; Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 26.
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sonderen dann schlussendlich noch beim Zugewinnausgleich (§ 1378 Abs. 1 BGB)258. Diese einzelnen „Tatbestandsmerkmale“ sind allerdings, das sei nochmals betont, „nur“ Elemente innerhalb einer wiederum auf den Einzelfall bezogen Gesamtwürdigung259 ; das gilt vor allem in Bezug auf eine Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB,260 aber auch hinsichtlich des § 242 BGB261. Eine Gesamtwürdigung fand sich zwar auch im Kontext mit der Angehörigenbürgschaft, war dort jedoch „fallgruppennormintensiver“ vorgeprägt. Im Rahmen der Gesamtwürdigung ist/muss dann wieder auf Präjudizien262 zurückgegriffen werden, wobei in dem Bereich möglicherweise auch erneut eine vergleichende Methode anzuwenden ist. Methodologisch ergeben sich für den gestaltenden Anwalt263 daraus wieder verschiedene Konsequenzen: Fallgruppennormartige Elemente der Kernbereichslehre muss er beachten, will er sich nicht regresspflichtig machen. Sie sind also möglicherweise relevante Elemente, über deren etwaige Gestaltung Einfluss auf die (Gesamt-)Bewertung des Ehevertrags an sich Einfluss genommen werden kann. So kann beispielsweise überlegt werden, die Gewährung von (disponiblen) Unterhaltsarten an bestimmte Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu koppeln, um so einer (einseitigen) Lastenverteilung entgegenzuwirken. Entsprechende Überlegungen sind vor allem mit Blick auf § 242 BGB angezeigt, der erst für den künftigen (!) Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe an Bedeutung gewinnt. Hier ist die Prognosetätigkeit des Anwalts aufgrund dieses künftigen Zeitpunkts schon erschwert. Die Berücksichtigung von Präjudizien, die für die künftige Bewertung innerhalb einer
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Erneut dazu Bergschneider, a. a. O.; Dethloff, Familienrecht, a. a. O. Zur Gesamtwürdigung BGHZ 158, 81, 100. 260 Zur Gesamtwürdigung bei § 138 Abs. 1 BGB etwa BGHZ 158, 81, 100; BGH NJW 2013, 380, 381; NJW 2013, 457, Rn. 26; NJW 2014, 1101, Rn. 37 f.; NJW 2018, 2871, Rn. 20. In diesem Kontext die Störung der subjektiven Vertragsparität betonend, für die die Einseitigkeit der Lastenverteilung allein nicht genügt, u. a. BGH NJW 2018, 1015, Rn. 19; NJW 2020, 3243, Rn. 28 f. Abgestellt wird einerseits auf die objektive Seite, vor allem unter Berücksichtigung einseitiger Lastenaufbürdung; auf der objektiven Seite wird auch die Kernbereichslehre verortet. Ferner sei auf die subjektive Seite abzustellen, wo u. a. die mögliche Verhandlungsposition angesiedelt wird. Zum Vorstehenden Bergscheider, Verträge in Familiensachen, Rn. 146 ff. Siehe auch Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 31 f. Demgegenüber für eine generelle Vermutung einer gestörten Vertragsparität bei evident einseitiger Lastenverteilung Wellenhofer, NZFam 2020, 229 ff. 261 Vgl. Dethloff, Familienrecht, § 5, Rn. 38, bezüglich des Umgangs mit der Kernbereichslehre. 262 Vgl. etwa die Auflistung bei Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 147a. 263 Der Ehevertrag bedarf der notariellen Form (§ 1410 BGB) zu seiner Wirksamkeit. Selbstverständlich kann aber ein Anwalt gleichsam im Vorfeld einen für seinen Mandanten interessengerechten Vertrag entwerfen, der dann allerdings im Anschluss der Formwahrung nach § 1410 BGB bedarf. 259
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Gesamtbetrachtung von Relevanz sind, kann so ebenfalls wieder Einfluss auf die gestalterische Tätigkeit gewinnen. Die Gestaltung von Eheverträgen verdeutlicht damit noch viel prägnanter als das Beispiel der Angehörigenbürgschaft, dass eine solche Tätigkeit, die sich nicht darauf beschränken darf, Fallgruppennormen zu „widerlegen“/bzw. zu berücksichtigen, für den Anwalt wesentlich schwieriger und risikobehafteter ist. Sie erfordert eine gesonderte weitere methodologische Betrachtung. Das zeigt sich u. a. an einem zentralen Punkt, der bereits bei dem Beispiel der Angehörigenbürgschaft wie auch in Bezug auf die Eheverträge ausgemacht wurde. Es geht um „Ungleichgewichtslagen“. Während dieser Aspekt im Fall des Bürgschaftsvertrags noch „tatbestandlich verklausuliert“ war (Angehörigeneigenschaft), nimmt er in Bezug auf die Eheverträge und deren inhaltliche Kontrolle nach §§ 138 Abs. 1, 242 BGB zwar eine relevante Stellung ein,264 ist aber nicht „tatbestandlich eingegrenzt“. Es bedarf folglich einer besonderen methodischen Berücksichtigung der „Parität“ in der Herangehensweise. Diese kann zentral innerhalb der Vertragsgestaltung sein. (2) Fallvergleich bzw. typisierter Fallvergleich exemplifiziert hinsichtlich der Paritätsproblematik Aufgrund der besonderen Bedeutung der Paritätsproblematik, die immer wieder Bedeutung hatte, sollen daran die methodischen Schwierigkeiten um den Fallvergleich aufgezeigt, damit aber auch zentrale Erkenntnisse um den gestaltungsrelevanten Bereich bezüglich der Paritätsfragen gewonnen werden. (a) Einführung Gleichsam ein methodologischer „Zwischenschritt“ zwischen dem Umgang mit Fallgruppennormen und „freier“265 Einzelfallbetrachtung ist der Fallvergleich. Der Fallvergleich bzw. typisierte Fallvergleich wurde zuvor bereits als methodisches Mittel für unterschiedliche Situationen bezeichnet. Zum einen ist ein Fallvergleich etwa vorstellbar, wenn bei Vorliegen einer Fallgruppennorm dort eine weitere 264 Für die Überprüfung eines Ehevertrags nach § 138 Abs. 1 BGB folgert der BGH, dass eine Gesamtwürdigung nur zur Sittenwidrigkeit führen könne, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind, BGH NJW 2013, 380, 381 (Leitsatz 1). Der unausgewogene Vertragsinhalt könne dafür nur ein Indiz sein (S. 382). Siehe insoweit auch u. a. BGH NJW 2018, 1015, Rn. 19; NJW 2020, 3243, Rn. 28 f. Bezüglich der Ausübungskontrolle nach § 242 BGB wird von der Rechtsprechung auf die (Im-)Paritätsproblematik bei Eheverträgen nicht derart explizit eingegangen. Allerdings wird auch dort, trotz besonderen Abstellens auf den Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe, eine Berücksichtigung anfänglicher Imparität in die Gesamtabwägung einzustellen sein; vgl. Bergschneider, Verträge in Familiensachen, Rn. 148, der betont, es komme auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses wie den des Scheiterns der Ehe bei § 242 BGB an. Beide Zeitpunkte ebenfalls anführend etwa BGH NJW 2005, 2386, 2388. Jedoch dürfte der Imparität (bei Vertragsschluss) hier nicht die zentrale Stellung wie bei § 138 Abs. 1 BGB zukommen. 265 Selbstverständlich in zu begründender und zu kontrollierender Art und Weise.
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Konkretisierung notwendig sein sollte. Eine solche ist über einen Fallvergleich anhand einschlägiger Präzedenzfälle denkbar.266 Ein Fallvergleich bzw. typisierender Fallvergleich kommt aber u. a. auch dann in Betracht, wenn Fallgruppen vorliegen, innerhalb dieser es aber noch nicht zur Bildung einer Fallgruppennorm gekommen ist. Eine solche Herangehensweise mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen kann exemplarisch im Kontext mit den Generalklauseln anhand der mehrfach angesprochenen Problematik aufgezeigt werden, dem Umgang mit Fragen der Parität bzw. Imparität, verstanden als „Ungleichgewichtslage“ innerhalb von Vertragsverhandlungen.267 Der Topos der „Ungleichgewichtslage“ wurde sowohl im Zusammenhang mit der Angehörigenbürgschaft wie auch mit den Eheverträgen fast „selbstverständlich“ in die Überlegungen eingestellt. Dort war das u. a. nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass etwa bei der Bürgschaft diesbezüglich auf eine sich in der Rechtsprechung herausentwickelte „Fallgruppennorm“ zurückgegriffen wurde.268 Eine Berücksichtigung der Rechtsprechung ist aus anwaltlicher Sicht zudem aus den vielfach aufgezeigten Gründen grundsätzlich angezeigt. Die Schwierigkeiten um Fragen der Parität/Imparität eignen sich allerdings auch weitergehend dafür, eine vergleichende Denkweise in der methodischen Anwendung der Generalklauseln zu erörtern. Es geht u. a. um den Umgang empirischer, begrifflich nicht exakt fassbarer Probleme, den Einsatz von Fallgruppen als Orientierung und Grenzen, die eigenes Handeln „planbar(er)“ machen können, auch und unter Bezugnahme auf die relevanten Wertungsfaktoren. (b) Notwendigkeit des Umgangs mit Fallgruppen Da Fallgruppennormen, insbesondere im Kontext um die inhaltliche Kontrolle von Individualverträgen, vielfach nicht vorhanden sind, ist der Rückgriff auf Fallgruppen/Fallgruppenvergleiche aus gestalterischer Sicht oftmals angezeigt und auch notwendig. Das zeigt die Diskussion um die mögliche inhaltliche Kontrolle von Verträgen durch die Zivilgerichte gestützt auf §§ 138 Abs. 1, 242 BGB u. a. mit dem Hinweis
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So wiederum Ohly, AcP 201 (2001), 1, 40. Auf die Bestimmungsschwierigkeiten in Bezug auf die Begriffe „Parität/Imparität“, Ungleichgewichtslagen oder strukturelle Unterlegenheit, auf die verschiedentlich schon hingewiesen wurde, wird sogleich noch einzugehen sein. Dazu, dass Verhandlungsverfahren zum angemessenen Interessenausgleich führen können, allerdings nur, wenn u. a. annähernde Verhandlungsparität gegeben ist Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 61. Dort, S. 81, auch dazu, dass positionsorientiertes Verhandeln auf Maximierung des eigenen Freiheitsraums und auf die Begrenzung der materiellen Vertragsfreiheit der anderen Seite ausgerichtet ist. 268 Vgl. nochmals Teichmann, Vertragliches Schuldrecht, Rn. 524, wonach man die aus der Angehörigeneigenschaft folgende emotionale Verbundenheit auch als Fall der strukturellen Ungleichheit einstufen könne. 267
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auf das Vorliegen von Ungleichgewichtslagen269 ganz nachdrücklich. Zwar ergebe sich, so das Bundesverfassungsgericht, der sachgerechte Interessenausgleich aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner; habe aber einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen könne, bewirke dies für den anderen Vertragsteil eine Fremdbestimmung.270 Die insbesondere nach der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts271 aufgekommenen nachhaltigen Reaktionen272 entzündeten sich neben grundsätzlichen Fragen um die Einflussnahme der Grundrechte innerhalb von Privatrechtsverhältnissen u. a. auch daran, ob und in welcher Form eine (vermeintliche) Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien die Tür zu einer inhaltlichen (gerichtlichen) Kontrolle (mit) öffnen kann bzw. darf. Angesichts des Umstands, dass Fragen von Parität/Imparität aber mittlerweile einen festen Platz in der Rechtsprechung bei der Inhaltskontrolle von Verträgen über die Generalklauseln haben, muss sich aus anwaltlicher Sicht zunächst wieder der funktionale Blick auf das Recht durchsetzen. Das bedeutet, die (potentielle) Relevanz von Paritätsfragen für die Anwendung von Generalklauseln ist in das methodisch planerische Vorgehen einzustellen, will der Anwalt sich nicht regresspflichtig machen. Selbst beim Vorliegen von Fallgruppennormen, die sich auf Paritätsfragen beziehen,273 erst recht jedoch jenseits dieser, bedarf der Anwalt somit wieder möglichst 269
Vgl. in Bezug auf die Kontrolle von Eheverträgen u. a. BGH NJW 2014, 1101, 1105, zur subjektiven Vertragsparität; ferner BGH NJW 2013, 457, 460; NJW 2018, 1015, Rn. 19; NJW 2020, 3243, Rn. 29. Siehe außerdem u. a. BVerfG NJW 2001, 2248 (vertragliche Disparität); BVerfGE 103, 89 ff. = BVerfG NJW 2001, 957, 958 (gestörte Vertragsparität). Siehe auch Langenfeld/Milzer/Milzer, Eheverträge, § 5, Rn. 68 ff. Zur Rechtsprechung des BVerfG zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 292 ff. 270 BVerfGE 89, 214, 232. Siehe auch den Leitsatz (S. 214); danach müssten die Zivilgerichte gerade bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 I GG beachten. Daraus ergebe sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke seien. Auf die Abwehr von Fremdbestimmung nimmt das BVerfG gerade auch hinsichtlich der Inhaltskontrolle von Eheverträgen Bezug (NJW 2001, 957, 958). Eine weitere Bezugnahme erfolgt dort auf Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 3 Abs. 2 GG. Grenzen seien zu setzen, wenn der Vertrag nicht Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft sei, sondern eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehepartners widerspiegele. 271 BVerfGE 89, 214 ff.; siehe auch die Fußnote zuvor. 272 Siehe nur beispielhaft Adomeit, NJW 1994, 2467 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 296 ff.; Kohte, ZBB 1994, 172 ff.; Schapp, Privatautonomie und Verfassungsrecht, S. 83 ff.; Wiedemann, JZ 1994, 411 ff. 273 Grundsätzlich können auch Fallgruppennormen ausfüllungsbedürftig sein. Abgesehen davon zeigt die Problematik um die Eheverträge, dass die Kernbereiche „normmäßig“ aufbereitet waren, nicht jedoch die Paritätsfrage. Ausführlich zu Paritätsfällen Wagenknecht, Das System der rechtlichen Kontrolle von Eheverträgen, S. 123 ff.
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Maßstäbe, die eine (gewisse) Antizipierbarkeit eröffnen; diese Leistung kann durch Fallgruppen/Fallgruppenvergleiche befördert werden.274 (c) Eingrenzungsmöglichkeiten mittels Fallgruppen/Fallgruppenvergleichs Der Umgang mit der Paritätsproblematik ist für den Gestalter von besonderen Schwierigkeiten bezüglich der begrifflichen Fassbarkeit einerseits und der Handhabung von tatsächlichen wie rechtlichen Abläufen andererseits geprägt. Innerhalb der heftigen Vorwürfe gegen eine inhaltliche Kontrolle von Verträgen (auch) aufgrund von Ungleichgewichtslagen wird u. a. ins Feld geführt, Parität bzw. Imparität in Bezug auf die Vertragspartner sei nicht bestimmbar/messbar,275 nicht einmal empirisch feststellbar276. Zu viele Faktoren könnten Einfluss nehmen; dazu könnten neben wirtschaftlichen Umständen etwa auch intellektuelle Fähigkeiten, berufliche Stellung oder soziale Beziehungen gehören.277 Eine Saldierung sei kaum möglich.278 Es sind aber gerade diese vielschichtigen Möglichkeiten, die für den Anwalt vor allem in den Vertragsverhandlungen an unterschiedlichsten Stellen von besonderer Bedeutung waren. Innerhalb der vorliegenden Untersuchungen wurde deutlich, wie verschiedene Umstände eingesetzt werden könnten, um die Vertragsverhandlungen und damit das Vertragsergebnis im Sinne der Mandanteninteressen „zu lenken“.279 Beispiele dafür waren und sind Vorteile auf Kenntnisebene (rechtlicher und/oder tatsächlicher Art), wirtschaftliche Möglichkeiten, soziale Stellungen (Rollen!) unterschiedlicher Form. All dies kann und soll innerhalb der Vertragsverhandlung und 274 Zur Bildung von Fallgruppenvorschlägen, allerdings für die Kompensation ungleich verteilter Verhandlungsmacht in der Mediation, Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, S. 200 ff. 275 Siehe u. a. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 207 (zur Unbestimmtheit sozialer Macht); Limbach, KritV 1986, 165, 177 (keine überzeugenden, praktikablen Kriterien); Rittner, AcP 188 (1988), 101, 127 (Macht kann man nicht bestimmen); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 14 (keine Definition möglich); Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 237 (kein brauchbarer Maßstab). Siehe aber wiederum Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 99 ff., zum positivrechtlichen Gehalt der Begriffe. Noch grundsätzlicher Isensee, Vertragsfreiheit und Verfassung, 9, 25, der anführt, nehme man die Formel vom strukturellen (Un-)Gleichgewicht juristisch ernst, so würden die meisten Verträge am Ungleichgewicht der Partner zunichtegemacht. Ausführlich auch zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Bezug auf die staatliche Schutzpflicht bei Fremdbestimmung aufgrund „struktureller Unterlegenheit“ Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 78 ff., dort, S. 80, auch zur Problematik der Bestimmtheit bzw. Schärfe. 276 Spieß, DVBl 1994, 1222, 1227. 277 Schapp, Privatautonomie und Verfassungsrecht, 83, 93; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 52 (im Kontext mit der inhaltlichen Überprüfung von AGB); Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 236 ff. 278 Schapp, Privatautonomie und Verfassungsrecht, 83, 93. 279 Dazu, dass sich aus mangelnder rechtstechnischer Operationalität nicht schlussfolgern lasse, Imparität existiere nicht, Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 14.
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-gestaltung durchaus machtoptional im Sinne von verhandlungssteuernd vom Anwalt eingesetzt werden. Nicht ohne Grund spielten sie deshalb innerhalb diverser bereits erläuterter methodischer Schritte eine Rolle. Wenn der Anwalt aber für sein eigenes Handeln innerhalb der Vertragsverhandlung unterschiedliche Faktoren ausmachen kann, die als machtoptional und damit Ungleichgewichtslagen begründend von der Rechtsprechung aufgefasst werden könnten, sucht er, gerade angesichts der (Wert-)Ausfüllungsbedürftigkeit der Generalklauseln, nach entsprechenden Orientierungsformen.280 Dass sich solche aus Fallgruppen, vor allem aus typisierten Fallgruppen, ergeben können, folgt für die Paritätsfrage sogar grundsätzlich aus der Rechtsprechung selbst.281 So hat das Bundesverfassungsgericht in der Bürgschaftsentscheidung herausgestellt, die Rechtsordnung könne nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht mehr oder weniger beeinträchtigt sei. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit dürfe ein Vertrag nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden. Handele es sich jedoch um eine typisierte282 Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lasse, und seien die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so müsse die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen.283 Das Gericht selbst forderte also eine typisierte Fallgestaltung bezüglich einer „strukturellen Unterlegenheit“.284 Daneben muss zudem eine ungewöhnliche Belastung eines Vertragsteils treten.285 280 Nicht ohne Grund führt Langenfeld, Eheverträge, 6. Aufl., § 6, Rn. 79, aus, der Vertragsgestalter befinde sich so lange auf sicherem Boden, wie er sich an den Grundsätzen der Ehevertragsgestaltung nach Ehetypen orientiere. 281 Siehe dazu wiederum die Ausführungen etwa zur Angehörigenbürgschaft. Vgl. außerdem etwa HK-BGB/Dörner, § 138, Rn. 11 (Ausnutzung wirtschaftlicher Übermacht); MKBGB/Armbrüster, § 138, Rn. 53 (Abwehr der Ausnutzung von Machtpositionen, z. B. Monopolmissbrauch; vielfach besteht dabei ein Zusammenhang mit schweren Äquivalenzstörungen, ebenda, Rn. 35, 37); Staudinger/Fischinger (2021), BGB, § 138, Rn. 339 (Einsatz wirtschaftlicher Übermacht zur Fremdbestimmung bei Knebelungsverträgen). 282 Hervorhebung durch die Verfasserin. 283 BVerfGE 89, 214, 232; dort auch der Hinweis, dass dies aus der grundrechtlichen Gewährung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) folge. In Bezug auf die Eheverträge stellte das BVerfG bezüglich der Unterlegenheit auf „regelmäßige“ Situationen (NJW 2001, 957, 958) ab, bzw. hob hervor, dass (mit der Schwangerschaft) eine „typischerweise“ unterlegene Position gegeben sei (S. 959). Auch insoweit wird das „Typische“ betont, was nicht zuletzt in der Betonung des Vorliegens von Indizien zum Tragen kommt (vgl. BVerfG NJW 2001, 957, 959; NJW 2001, 2248). 284 Diesen Umstand auch herausstellend Dauner-Lieb, Vertragsgestaltung, 51, 59. 285 Vgl. dazu in Bezug auf die Kontrolle von Eheverträgen auch BVerfG NJW 2001, 957, 958 f. Dieses Erfordernis wurde bereits bei der Erörterung der „spezielleren“ Fallgruppennormen der Angehörigenbürgschaft sowie der Rechtsprechung zu den Eheverträgen aufgezeigt, was unmittelbar daraus folgte, dass diese jeweils Folgen der benannten Verfassungsgerichtsrechtsprechung sind.
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Mittels der „strukturellen Unterlegenheit“ bzw. der Situation der Unterlegenheit, mit der der Problembereich der Parität/Imparität angesprochen ist,286 verstanden als die Möglichkeit, über den Abschluss des Vertrags und seinen Inhalt tatsächlich eine freie Entscheidung treffen zu können,287 weist das Gericht aber den Weg (ebenfalls)288 zum Fallvergleich bzw. typisierten Fallvergleich. Eine typisierte Fallgestaltung kann, wie dies etwa in Bezug auf die Angehörigenbürgschaften (auch) geschehen ist, in Form einer Fallgruppennorm erfolgen, die in letzter Konsequenz eine spezielle Form von Fallvergleich ermöglichen kann. Die „strukturelle Unterlegenheit“ wurde dort schlussendlich an dem Angehörigenstatus und der daraus folgenden emotionalen Verbundenheit in der Situation der Bürgschaftsgewährung festgemacht.289 So können im Wege eines „Vergleichs“ auch andere den Angehörigen überfordernde Personalsicherheiten als sittenwidrig ausgemacht werden.290 Eine typisierte Fallgestaltung kann aber ebenso weniger „speziell“ im Wege der Bildung sonstiger typisierter Fallgruppen erfolgen, z. B. wenn an eine bestimmte (soziale) Rolle wie Mieter oder Arbeitnehmer angeknüpft wird291. Ist damit auch der Weg, Orientierungsmarken gerade für die vorsorgende Rechtspflege zu schaffen, eröffnet, so ist dem einzelnen Rechtsverwender doch dann wenig geholfen, wenn noch keine typisierbaren Fallgestaltungen vorliegen, an denen er sich ausrichten kann. So ist denn, das sei nochmals betont, die Begrifflichkeit der „strukturellen Unterlegenheit“ selbst wenig hilfreich.292 Diesbezüglich bietet die Verfassungsrechtsprechung aber aus einem ganz anderen Blickwinkel eine „Hilfestellung“. Indem sie nämlich überhaupt auf das Erfordernis 286 Im Grunde zeigt sich hier allerdings die auch von der Kritik an der Bürgschaftsrechtsprechung anführte Schwierigkeit des begrifflichen Umgangs mit der Problematik. Es ist u. a. nicht eindeutig begrifflich zu fassen, was etwa eine „strukturelle Unterlegenheit“ ist; das als Unklarheit anführend Rittner, NJW 1994, 3330, 3330. Siehe auch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 30, wonach die Ungleichgewichtigkeit als rechtstheoretische wie rechtspraktische Figur bei der Beurteilung von vertragstheoretischen ebenso wie bei Rechtsanwendungsfragen nichts verloren habe. Demgegenüber die Möglichkeit der inhaltlichen Ausfüllung sehend Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, S. 208 ff. 287 Vgl. BVerfGE 89, 214, 231. Zum damit zusammenhängenden materialen Verständnis der Vertragsfreiheit noch sogleich. Siehe zudem Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 9, der die formelle Parität als gleichberechtigte Mitgliedschaft in der Rechtsgemeinschaft bezeichnet, materielle Vertragsparität (vorläufig) als angemessene wirkliche Einflusschance der Beteiligten auf den Vertragsschluss. 288 Es ist zudem mit Blick auf die Handelsvertreterentscheidung des BVerfG (E 81, 242 ff.) durchaus möglich, dass die Gerichte auch a priori bestimmen, ob eine typisierbare Fallgestaltung vorliegt, das heißt losgelöst vom Einzelfall bei typisierender Betrachtung eine Ungleichgewichtslage annehmen; vgl. die Ausführungen bei Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 10. Siehe zudem die Überlegungen bei Grunsky, Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, S. 8. 289 Siehe wiederum Teichmann, Vertragliches Schuldrecht, Rn. 524. 290 Vgl. dazu, allerdings nicht unter Heranziehung eines Typenvergleichs, Kollrus, MDR 2014, 1357, 1358. 291 Vgl. Singer, JZ 1995, 1133, 1138. 292 Dazu erneut Rittner, NJW 1994, 3330, 3330; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 30.
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der Typisierbarkeit in Abgrenzung zu einer reinen Individualprüfung abstellte, hob sie die Grenze, wann der Topos der Ungleichgewichtslage (mit) Einfluss darauf nehmen kann, ob/dass es zu einer Inhaltsüberprüfung kommt, an. Der Rechtsgestalter kann daraus also zumindest die Orientierung entnehmen, dass eine Erheblichkeitsschwelle293 überschritten sein muss. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass der Vertragsgestalter grundsätzlich bei einem Vertragsschluss zwischen geschäftsfähigen Partnern annehmen darf, dass das Ergebnis „angemessen“ in dem Sinn ist, keiner sich (auch) auf eine „Ungleichgewichtslage“ berufenden inhaltlichen gerichtlichen Überprüfung „ausgesetzt“ zu sein.294 Das Arbeiten mit Fallgruppen/typisierten Fallgruppen kann namentlich für den Rechtsverwender als Teil der vorsorgenden Rechtspflege somit in unterschiedlichen Formen die (dringend) benötigte Hilfe bieten, wann es zu einer Kontrolle mittels ausfüllungsbedürftiger Generalklauseln kommen könnte. Dass auch beim Umgang mit Fallgruppen bei der Bewältigung der Paritätsproblematik immer der im Hintergrund stehende Wertungskontext mitberücksichtigt werden muss, zeigt sich nicht nur im Zusammenhang mit einer vorzunehmenden „Vergleichstätigkeit“, sondern vor allem bei Übergängen von der typischen hin zur Einzelfallbetrachtung.
293 Zum Vorliegen einer Erheblichkeitsschwelle Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 75; siehe außerdem, worauf Hanau (Fn. 171) auch verweist, Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 148, dazu, dass das Bundesverfassungsgericht nicht jede Disparität genügen lässt. Zum Vorliegen einer Erheblichkeitsschwelle, allerdings in Bezug auf die Mediation, wenn es um strukturelles Ungleichgewicht geht, Wendenburg, Der Schutz des Schwächeren in der Mediation, S. 213; die Erheblichkeitsschwelle müsse bei jeder einzelnen Fallgruppe gesondert begründet werden. Das Vorgehen und Arbeiten mit Erheblichkeitsschwellen sieht Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht?, S. 23, als bedenklich an. 294 Vgl. auch dazu die Überlegungen bei Thüsing, RdA 2005, 257, 259. Siehe ebenfalls Rittner, NJW 1994, 3330, 3330, der insoweit gegen Adomeit, NJW 1994, 2467 ff., argumentiert. Adomeit, S. 2469, sah angesichts der Bürgschaftsrechtsprechung bereits die Verzweiflung beratender Rechtsanwälte voraus. Demgegenüber macht Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht?, S. 23, mit Blick auf die Erheblichkeitsschwelle gerade das Problem aus, dass damit keine Berücksichtigung finden könne, ob jemand sein Übergewicht „verdient“ habe. Denkbar sei das etwa (vgl. S. 22), wenn eine Vertragsseite Zeit und Geld in die eigene „Aufklärung“ investiere. Solchen Umständen kann jedoch innerhalb eines Gesamtbewertungsvorgangs damit Rechnung getragen werden, dass der Wertungsfaktor „Selbstbestimmung“ auch beinhalt, sich zunächst selbst darum kümmern zu müssen, seine Interessen umgesetzt zu sehen. Das spricht wieder für die hier präferierte Vermutung der Angemessenheit. Es ist allerdings zuzugeben, dass in diesem Zusammenhang für den Anwalt Unsicherheitsfaktoren „lauern“ können.
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(d) Einzelfallbetrachtung (aa) Notwendigkeit Das Bundesverfassungsgericht lehnte es schon aus Gründen der Rechtssicherheit ab, einen Vertrag bei jedweder Störung des Verhandlungsgleichgewichts in Frage zu stellen und zu korrigieren;295 notwendig sei eben die zuvor beschriebene typisierbare Fallgestaltung296. Andererseits nahm das Bundesverfassungsgericht „auf dem Weg zur Bestimmung der typischen Situation“ selbst konkrete, auf den Einzelfall bezogene Erwägungen vor.297 So kann die Betrachtung der jeweiligen Einzelsituation das „erste“ Ergebnis produzieren, wonach/dass (dort) eine „typische“ Situation der Unterlegenheit vorliegt; es geht dann um die Feststellung, dass eine „typisierbare“ Fallgestaltung gegeben ist.298 Mit der Betonung einer Typisierbarkeit mögen zwar gewisse (im Grunde nicht leistbare) Saldierungsprozesse hinsichtlich der Bestimmung einer Ungleichgewichtslage im Einzelfall299 gestoppt werden, die (potentielle) Faktoren300 für eine Parität/Imparität im Einzelfall betreffen. Denn will man tatsächlich für eine Inhaltskontrolle eine typische Fallgestaltung fordern, müsste zumindest auch beim zu entscheidenden „Erstfall“ argumentativ bewältigt werden, dass diese Situation auch für spätere entsprechende Fälle als Maßstab dienen kann.
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BVerfGE 89, 214, 232. Zum Topos der typisierbaren Fallgestaltungen, die strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lassen, auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 362. Spieß, DVBl 1994, 1222, 1228, lehnt unter Bezugnahme darauf ausdrücklich eine Kontrollmöglichkeit in Bezug auf jedweden Vertrag ab. Eine einzelfallbezogene Paritätsprüfung sei von vornherein abzulehnen, das komme schon in § 138 Abs. 2 BGB zum Ausdruck. 297 Vgl. BVerfGE 89, 214, 230 f., siehe auch Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 10, der in Bezug auf die Bürgschaftsentscheidung ausführt, es gehe nunmehr offenbar um die Ungleichgewichtigkeit im konkreten Fall. Typisierende Betrachtungen hätten bei der Bürgschaft auch kaum eine Ungleichgewichtslage zu Tage fördern können. Demgegenüber zeigt Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 297, Fn. 49, den typisierenden Hinweis auf das mit 21 Jahren vergleichsweise jugendliche Alter der Beschwerdeführerin in BVerfGE 89, 214, 230 f. auf. Derartig typisierend ist das BVerfG auch, wenn etwa aus der Schwangerschaft beim Abschluss eines Ehevertrags typischerweise eine weit unterlegene Position gefolgert wird (NJW 2001, 957, 959); im Anschluss daran erfolgte jedoch eine Einzelfallbetrachtung. Vgl. aber auch in dem Kontext Dauner-Lieb, Vertragsgestaltung, 51, 59, die ausführt, zwischen den Partnern eines Ehevertrages lasse sich bei Vertragsschluss eine typische strukturelle Ungleichgewichtslage nicht feststellen (Hervorhebung bei Dauner-Lieb). 298 Siehe dazu Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 298; Singer, JZ 1995, 1133, 1138. 299 Vgl. dazu zur „Saldierungsproblematik“ wiederum Schapp, Privatautonomie und Verfassungsrecht, 83, 94. 300 Dabei ist interessant, dass das Bundesverfassungsgericht kurz darauf (BVerfGE 89, 214, 233) in Anlehnung an § 138 Abs. 2 BGB von „typische(n) Umstände(n)“ spricht, die zwangsläufig zur Verhandlungsunterlegenheit des einen Vertragsteils führten. Auch solche „Umstände“ scheinen demnach ausreichend zu sein. 296
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Nicht zuletzt wird in diesem Kontext auch wieder mit (sozialen) Rollen argumentiert.301 Dem Rechtverwender ist mit den vorstehenden Überlegungen zunächst kaum geholfen. Sie bedeuten für ihn hinsichtlich der Paritätsproblematik dann im Grunde, nicht anders mit der Konkretisierung der Generalklausel umzugehen wie auch bei sonstigen Problemen: Nach dem Blick auf Fallgruppen(-normen) sind letztlich Überlegungen bezüglich des Einzelfalls anzustellen und im Hinblick auf eine mögliche spätere richterliche Kontrolle ist ein entsprechendes (präventives) Verhalten auszuwählen.302 Das gilt erst recht, wenn sich, wie etwa innerhalb der Rechtsprechung zu den Eheverträgen, mit der Forderung nach der konkreten Feststellung zu einer unterlegenen Verhandlungssituation303 durchaus Bezugnahmen auf letztlich unterschiedliche allgemeine „Saldierungsfaktoren“304 wie Ausnutzung einer Zwangslage, soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit oder intellektuelle Unterlegenheit305 finden. Diese Faktoren mögen zwar auch jeweils typische Umstände für eine Verhandlungsunterlegenheit sein können.306 Gleichwohl ist damit ein Kaprizieren auf den Einzelfall hinsichtlich der Paritäts-/Imparitätsfeststellung durch den Vertragsgestalter möglich,307 wenn nicht gar notwendig. So wird er zu überlegen haben, ob gestalterisch eine Situation geschaffen werden kann, die sich einer „typischen“ Unterlegenheit entzieht; das ist dann wieder eine Einzelfallbetrachtung. Innerhalb des anwaltlichen methodischen Vorgehens heißt das somit insgesamt, dass der Anwalt im Bewusstsein dessen, dass Fragen der Parität/Imparität Einfluss auf die Inhaltskontrolle nach §§ 138 Abs. 1, 242 BGB haben (können), (vorhandene) 301 So führt Singer, JZ 1995, 1133, 1138, aus, zu den klassischen, weitgehend anerkannten Ungleichgewichtslagen gehörten das Miet- und Arbeitsrecht, außerdem das Kreditrecht, jedenfalls soweit es um das Verhältnis zwischen Banken und Privatkunden gehe. Kritisch demgegenüber etwa Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 297, Fn. 49, der unter Hinweis auf den Aspekt der strukturellen Beeinträchtigung gerade auf die Struktur der Verhandlungssituation verweist, also nicht wie Singer auf die gesamte Sonderbeziehung. Im Anschluss an die Überlegungen Leistners spricht jedoch nichts dagegen, in die Beurteilung der Verhandlungssituation Erkenntnisse um die Rolle mit ihren jeweiligen Erwartungen und Strukturen einfließen zu lassen. 302 Insofern ist es auch für den Rechtsverwender nicht hilfreich, wenn Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 297, davon spricht, die Methode des Ermittlungsvorgangs bezüglich der typisierten Situationen bleibe im Grundsatz den Zivilgerichten überlassen. 303 BGH NJW 2013, 380 ff. 304 Vgl. wiederum Schapp, Privatautonomie und Verfassungsrecht, 83, 94. 305 BGH NJW 2013, 380, 382, unter Hinweis u. a. auf OLG Celle NJW-RR 2009, 1302, 1304; Münch, DNotZ 2005, 819, 825 f.; siehe auch Bergschneider, FamRZ 2007, 1246. Die „Einzelfallausrichtung“ bei der (notwendigen) Kontrolle von Eheverträgen macht das BVerfG (NJW 2001, 957, 959) auch deutlich, wenn es zwar einerseits der Schwangerschaft eine Indizwirkung zuweist, andererseits unterschiedliche Faktoren wie etwa die berufliche Qualifikation aufführt, die einen Ausgleich der Unterlegenheit im Einzelfall bedingen können. 306 Vgl. wiederum BVerfGE 89, 214, 233. 307 Im Urteil des BGH (NJW 2013, 380 ff.) selbst taucht eine Begrifflichkeit, die sich auf „Typen“ bezieht, nicht auf.
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Fallgruppen(-normen), sonstige typische (typisierbare) Situationen308 zu erfassen und mit seiner zu gestaltenden Situation zu vergleichen hat. Seine Überlegungen können dann dahin gehen, im Vertrag Vorsorge dafür treffen zu müssen/zu wollen, dass die vertragliche Situation als „sicher“ diesen Gruppen zugehörig oder als nicht zugehörig vom Richter „erkannt“ werden.309 Sofern man außerdem, wie etwa in Bezug auf die Rechtsprechung zum Ehevertrag, letztlich eine grundsätzliche Einzelfallbetrachtung für möglich erachtet, muss auch dahingehend entsprechend gestalterisch Vorsorge getroffen werden. Eine solche kann nur, wie mehrfach betont worden ist, in Kenntnis der relevanten Wertungsfaktoren gelingen. (bb) Verbindung zu den Wertungsfaktoren Beispielhaft soll an der Paritäts-/Imparitätsproblematik das Zusammenspiel von Wertungsfaktoren, Fallgruppen(-normen) und Einzelfallbetrachtungen im Kontext der Konkretisierung von Generalklauseln aufgezeigt werden. Vor allem in Bezug auf eine mögliche gerichtliche Inhaltskontrolle über die §§ 138 Abs. 1, 242 BGB bietet die Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts310 die Grundlage für mögliche Rückschlüsse. Bereits mit der Bezugnahme auf die Entscheidung wird zunächst ein Umstand wieder deutlich: Relevante Wertungsfaktoren mögen zwar insbesondere unterschiedlichen rechtlichen Ordnungen (vor allem dem Grundgesetz und dem einfachen Recht) (abstrakt) entnommen werden können. Für die Frage, welche Faktoren im Einzelnen und auch mit welcher Gewichtung an Bedeutung gewinnen können, spielen jedoch erneut Präjudizien für die anwaltliche Herangehensweise eine entscheidende Rolle. So hat denn das Bundesverfassungsgericht zunächst wieder herausgestellt, die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen sei Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit; Art. 2 Abs. 1 GG gewährleiste die Privatautonomie als „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“.311 Die Privatautonomie sei zwar notwendigerweise begrenzt und bedürfe der rechtlichen Ausge-
308 Das können vor allem soziologische oder biologische Rollen sein. Insofern muss er ggf. eigenständige (antizipierende) Typisierungen vornehmen. 309 Das betrifft etwa die im Zusammenhang mit der Bürgschaftsrechtsprechung des BGH aufgeführte Widerlegbarkeit der Vermutung. 310 BVerfGE 89, 214 ff. 311 BVerfGE 89, 214, 231; Hervorhebung im Original unter Verweis auf Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, S. 1210 Rdnr. 58. Dies ebenfalls u. a. thematisierend BVerfGE 114, 1, 34; 115, 51, 67. Siehe auch bereits die Ausführungen in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (1) (c) (aa), S. 320 ff. Für die Eheleute – in Bezug auf Eheverträge – tritt nach Art. 6 Abs. 1 GG das Recht der Eheleute hinzu, ihre jeweilige Gemeinschaft nach innen in ehelicher und familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten (u. a. BVerfG NJW 2001, 957, 958 m. w. N.).
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staltung; der angemessene Betätigungsraum zur Selbstbestimmung durch den Einzelnen im Rechtsleben müsse aber eröffnet bleiben.312 Wertungsmäßig steckt dahinter zunächst eine weite, letztlich eine formale Eröffnung von Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie313; das jeweils Vereinbarte soll möglichst Geltung erlangen314. Wirken die Vertragsparteien als rechtlich gleichberechtigte Mitglieder der Rechtsgemeinschaft zusammen,315 ist das Ergebnis grundsätzlich (zunächst) als ein zu akzeptierendes anzusehen. Daraus darf der Anwalt die gestalterische Erkenntnis ziehen, sehr wohl die Interessen seines Mandanten, auch mit Blick auf eine potentielle Kontrolle durch ein Gericht, an den Anfang seiner gestalterischen Überlegungen zu stellen, also, wie mehrfach bereits betont, kein Denken in Grenzen an den Anfang seiner Herangehensweise zu setzen. Das betrifft auch die Sicht auf etwaige Situationen eines Verhandlungsungleichgewichts. Letztere sind mit Blick auf ein weiteres Wertungselement zu sehen. Das Bundesverfassungsgericht überlässt zwar einerseits im Vertragsrecht den sachgerechten Interessenausgleich dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner.316 Zu unterbinden sei jedoch eine einseitige Fremdbestimmung eines Vertragsteils; die Zivilrechtsordnung müsse reagieren, wenn eine typisierbare Fallgestaltung vorliege, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lasse und in der die Folgen des Vertrags für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend seien.317 Das folge aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG).318 312
BVerfGE 89, 214, 231. Für ein formales Freiheitsverständnis etwa Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 202 f.; Weischer, Das Grundrecht auf Vertragsfreiheit und die Inhaltskontrolle von Absatzmittlungsverträgen, S. 64, siehe auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 286. 314 Weischer, Das Grundrecht auf Vertragsfreiheit und die Inhaltskontrolle von Absatzmittlungsverträgen, S. 64, allerdings nicht in Auseinandersetzung mit der Bürgschaftsrechtsprechung. 315 Siehe nochmals zur formalen Parität Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 9. 316 BVerfGE 89, 214, 232; siehe auch u. a. BVerfG NJW 2011, 1339, 1341. Zum zu respektierenden Interessenausgleich beim Ehevertrag u. a. BVerfG NJW 2001, 957, 958. 317 BVerfGE 89, 214, 232; siehe auch BVerfG NJW 2011, 1339, 1341. Zur Schutzpflicht der Gerichte bei der Kontrolle von Eheverträgen, wenn erkennbar eine einseitige Lastenverteilung vorliegt, außerdem eine ungleiche Verhandlungsposition gegeben ist, u. a. BVerfG NJW 2001, 957, 958. Grundsätzlich Bedenken gegen die Ausweitung der staatlichen Schutzpflicht auf den rechtsgeschäftlichen Bereich äußernd Isensee, Vertragsfreiheit und Verfassung, 9, 27. Zu „Selbstbestimmungsdefiziten“ als Auslöser staatlicher Schutzpflichten Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 77. 318 BVerfGE 89, 214, 232; siehe auch BVerfG NJW 2011, 1339, 1341. Beim Ehevertrag treten u. a. Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 4 GG als Wertungsfaktoren hinzu (siehe BVerfGE NJW 2001, 957, 958, 959). Dazu, ob dieser Schutzpflicht 313
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Damit rückt das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung einer tatsächlichen Möglichkeit zur Wahrnehmung der eigenen Interessen mittels des Vertrags in den Fokus.319 Das geschieht jedoch nicht in der Form, dass dies von vornherein als Voraussetzung formuliert wird, die immer vorzuliegen habe. Denn die Konsequenz wäre dann, dass über die Zivilrechtsordnung, also ggf. über die Generalklauseln, stets sicherzustellen wäre, dass tatsächlich ein „Kräftegleichgewicht“ vorliegen würde. Das soll aber gerade nicht der Fall sein.320 Abgesehen davon, dass dies rechtspraktisch nicht leistbar ist, soll die Rechtsordnung nicht für alle Situationen Vorsorge treffen, in denen das Verhandlungsgleichgewicht in irgendeiner Form beeinträchtigt ist.321 Das, was auch schon im Zusammenhang mit der Erörterung um die Typisierbarkeit zum Ausdruck gekommen ist, ist die Notwendigkeit einer Erheblichkeitsschwelle. Vermieden werden sollen einseitige Fremdbestimmungen, die letztlich den Vertrag nur noch als Ausdruck der Interessenumsetzung einer Vertragsseite erscheinen lassen. Das, was dann bedeutsam wird, ist eine aus Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG322 folgende Schutzfunktion der Grundrechte323, ein Schutzauftrag, dem auch der Gesetzgeber und ggf. der die Generalklausel anwendende Richter genügen müssen.324 In Wahrnehmung dieses Schutzauftrags kann/muss es zu noch genügt werden kann, wenn es zum verstärkten Einsatz künstlicher Intelligenz kommen wird, Grapentin, NJW 2019, 181, 182 f. 319 Zu einem daran anknüpfenden materialen Verständnis von Privatautonomie und Vertragsfreiheit im Sinne tatsächlicher Entscheidungsfreiheit Canaris, AcP 200 (2000), 273, 296 m. w. N. Zum materialen Aspekt der Vertragsfreiheit (gerade in Abgrenzung zur Vertragsgerechtigkeit) auch Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23 f. Demgegenüber dies als Frage materialer Vertragsgerechtigkeit darstellend Singer, JZ 1995, 1333, 1337, Fn. 57; siehe auch diesbezüglich die Kritik bei Auer, S. 23, Fn. 41. Siehe dazu, dass Bedingungen für den Einzelnen zur Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sein müssen, auch BVerfG NJW 2001, 957, 958, unter Verweis auf BVerfGE 81, 242, 254 f. 320 Siehe auch Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 16 f., wonach „Macht“ als solches nicht Böses sei, jede von der Rechtsordnung zugelassene Macht ihren guten Sinn habe und ihn auch habe, wenn sie mit Verantwortung wahrgenommen werde. Übermacht und Missbrauch der Macht müssten verhindert werden. 321 BVerfGE 89, 214, 232. 322 Zur Schutzpflicht in Bezug auf Eheverträge, die aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 4 GG folgt, BVerfG NJW 2001, 957, 959. 323 Zur Schutzfunktion der Grundrechte Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225 ff.; siehe zudem AcP 200 (2000), 273, 200, wonach es bei der Bürgschaftsentscheidung darum geht, in die formale Privatautonomie des Gläubigers einzugreifen, um die materiale Privatautonomie des Bürgen zu schützen. Dazu, dass die Vertragsfreiheit von der staatlichen Schutzverpflichtung erfasst ist, auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 109. Zum Schutzaspekt siehe ebenso BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 1 BvR 240/98, Rn. 25. Ablehnend zur Anwendung der Schutzfunktion im Vertragsrecht etwa Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 67; kritisch ebenfalls Isensee Vertragsfreiheit und Verfassung, 9, 27. 324 Dazu, dass die Generalklauseln den Gerichten ermöglichen, die Erfüllung des primären gesetzgeberischen Schutzauftrags zu ergänzen, Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 232. Siehe auch BVerfGE 81, 242, 256.
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Grenzen in Bezug auf die (formale) Vertragsfreiheit kommen.325 Das Erfordernis tatsächlicher Entscheidungsfreiheit kann eine solche Grenze sein.326 Die Vertragskontrolle aufgrund von Generalklauseln (insbesondere §§ 138 Abs. 1, 242 BGB) ist also eine Grenzziehung der (formalen) Vertragsfreiheit (der „stärkeren“ Partei) u. a. aus Schutzgesichtspunkten hinsichtlich der („schwächeren“) Partei. U. a. vor diesem Hintergrund muss der Anwalt vorhandene Fallgruppen(-normen), die die Paritätsproblematik (mit) aufgreifen, würdigen. Er muss, soweit möglich, gestalterisch Vorsorge treffen, dass die in den Fallgruppen(-normen) zum Ausdruck kommende „Schutzbedürftigkeit“ des Vertragspartners „tatbestandlich“ nicht vorliegt, bzw. „erschüttert“ wird, das heißt deutlich wird, dass keine dort (typisierte) Situation vorliegt. Ein Beispiel dafür kann im Zusammenhang mit der widerlegbaren Vermutung bei der Angehörigenbürgschaft327 eine vertragliche Regelung sein, dass die Haftung des Bürgen auf bei Fälligkeit der Bürgschaftsschuld beim Bürgen vorhandenes Vermögen beschränkt sein soll.328 Dass „Widerlegungsarbeit“ zu leisten ist, erschließt sich somit aus der Kenntnis um den Wertungsfaktor „Schutzfunktion“. Der Umgang damit macht aber erneut das besondere Zusammenspiel von Wertungsfaktoren, möglichen Fallgruppen und einer Einzelfallbetrachtung deutlich. Vertragsgestalterische Vorsorge in der Form, dass es nicht zu einer eine Kontrolle (mit) veranlassenden imparitätischen Situation kommt, erfordert eine Ausrichtung auf den Einzelfall in Kenntnis möglicher typischer Situationen329. Der Einzelfall muss möglichst330 so gestaltet werden, dass er keinen 325 Auch wenn das BVerfG (E 89, 214, 233) davon spricht, die Zivilrechtswissenschaft sei im Ergebnis darüber einig, dass der Grundsatz von Treu und Glauben eine immanente Grenze vertraglicher Gestaltungsmacht bezeichne und die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle begründe (hingewiesen wird auf Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 70 ff.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 249 f.), legt es in seinem Vorgehen keine „immanente“ Grenze in der Form zugrunde, dass bereits von vornherein nur eine „begrenzte“ Vertragsfreiheit vom Schutzbereich insbesondere des Art. 2 Abs. 1 GG umfasst ist. Vielmehr formuliert das BVerfG u. a. durch die Bezugnahmen auf die Generalklauseln und durch den Hinweis, das geltende Recht halte Instrumentarien bereit, die es möglich machten, auf strukturelle Störungen der Vertragsparität angemessen zu reagieren (Rn. 55), ein Vorgehen, das bei der Realisierung des Schutzes durch das Ziehen von (externen) Grenzen ansetzt. Insoweit deckt sich dies mit den bisherigen Überlegungen zu einer formellen Vertragsfreiheit. 326 Weischer, Das Grundrecht auf Vertragsfreiheit und die Inhaltskontrolle von Absatzmittlungsverträgen, S. 67. 327 Tatbestandlich waren das Vorliegen einer Angehörigeneigenschaft sowie das Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung erforderlich. Daraus folgte die Vermutung, dass der Bürgschaftsnehmer die emotionale Verbundenheit in vorwerfbarer Weise ausgenutzt hat. 328 Diesen Weg als vertragsgestalterisch eröffnet ansehend etwa MK-BGB/Habersack, § 765, Rn. 29; PWW/Brödermann, BGB, § 765, Rn. 34; unter Verweis auf Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 2/II, § 60 II 3b. Siehe außerdem Gernhuber, JZ 1995, 1086, 1087, zur von einem Erwerb beim Bürgen abhängigen (aufschiebend bedingten) Bürgschaft. 329 Diese müssen, wenn noch nicht in Fallgruppen vertypt, ggf. sogar selbst prognostiziert werden.
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kontrollierenden Zugriff aus Gründen mangelnder Parität „erlaubt“. Ansatzpunkte können insoweit die vielfach „geschmähten“ Saldierungselemente sein, wenn sie einen gestalterischen Einfluss denn zulassen. So kann etwa, auch das wurde schon verschiedentlich deutlich, versucht werden, potentieller intellektueller Unterlegenheit mit entsprechender Aufklärungsarbeit zu begegnen, oder durch Vertragsverhandlungen zur Paritätsschaffung beizutragen331. Ganz wesentlich ist jedoch im Zusammenhang mit dem Umgang mit der Paritätsproblematik und den sie tragenden/begründenden Wertungsfaktoren, dass hier eine bereits innerhalb der Erörterung um die Typisierbarkeit der Ungleichgewichtslagen zum Ausdruck gekommene Vermutung weiterhin greift. Es geht um die Vermutung, wonach ein unter Geschäftsfähigen (rechtliches Können) geschlossener Vertrag zunächst für einen angemessenen Interessenausgleich spricht. Das kann somit weiterhin den Ausgangspunkt der anwaltlichen Überlegungen bilden.332
330 Angesichts der mangelnden begrifflichen Fassbarkeit bleibt jedoch stets ein Unsicherheitselement vorhanden. 331 Zur Schaffung von Parität bei Eheverträgen mittels anwaltlich geleiteter Vertragsverhandlungen Münch, FamRZ 2014, 805, 808; siehe auch BGH NJW 2014, 1101, 1106. Siehe außerdem bereits Koch, Schranken der Vertragsfreiheit im Familienrecht, 79, 88. Vgl. auch Langenfeld/Milzer/Milzer, Eheverträge, § 6, Rn. 111, der die Bedeutung des notariellen Verfahrens im Rahmen der Prüfung von § 138 BGB betont. Ein „gestrecktes“ Verfahren könne bei ungleicher Verhandlungsposition den im Rahmen des § 138 BGB erforderlichen Vorwurf der verwerflichen Ausnutzung der Ungleichgewichtslage entkräften helfen. Vgl. erneut die Überlegungen von Becker, Der unfaire Vertrag, S. 11, dass es trotz Vorliegens eines unfairen Vertrags denkbar sei, dass sich die Benachteiligung oder das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Wege der Nachverhandlung oder der richterlichen Moderation (§ 278 ZPO) abstellen ließen. Siehe aber auch Isensee, Vertragsfreiheit und Verfassung, 9, 25, der davon spricht, die Rechtssicherheit im Vertragswesen bräche zusammen, wenn der Indikator der ungestörten Parität das individuelle Aushandeln der Vertragsbedingungen sein sollte. Isensee stellt diese Überlegung allerdings nicht im Kontext mit der Auseinandersetzung um die Eheverträge dar, sondern im Zusammenhang mit der Bürgschaftsentscheidung des BVerfG (E 89, 214 ff.). Er führt weiterhin aus, eine solche Vorstellung von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit wäre „nichts als eine ridiküle Chimäre, die für einen Bazar passen mag, nicht aber für eine moderne Markt- und Wettbewerbsgesellschaft“. (Hervorhebung Zitat bei Isensee unter Bezugnahme auf Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 49 f.) 332 Die formale Vertragsfreiheit kann also sehr wohl zu einem „gerechten“ Vertrag führen, verstanden in dem Sinn (formaler Begriff), dass das freiverantwortlich Vereinbarte aufgrund der Freiwilligkeit gilt und als gerecht anzuerkennen ist (so Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 23). Allerdings, und insoweit wirken materiale Aspekte der Vertragsfreiheit als ergänzender Schutz der Vertragsfreiheit (Weischer, Das Grundrecht auf Vertragsfreiheit und die Inhaltskontrolle von Absatzmittlungsverträgen, S. 67), führt die materiale Vertragsfreiheit noch zu einer Stärkung einer formalen Vertragsgerechtigkeit, Canaris, AcP 200 (2000), 273, 286 f. Dadurch, dass, wenn auch ggf. „nur“ im Wege einer Kontrolle, die tatsächliche Entscheidungsfreiheit mit zum Tragen kommt, ist ein formales Vertragsgerechtigkeitsverständnis „gestärkt“ (Canaris, ebenda). Siehe im Übrigen auch dort dazu, dass eine materiale Vertragsgerechtigkeit, also eine solche, die auf einen „gerechten“ Leistungsaustausch abstellt, wesentlich heikler zu begründen sei.
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Der Gedankengang der „praktischen Konkordanz“, der für die Pflicht des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Privatrechtsordnung greift,333 bzw. die Notwendigkeit begründet, kollidierende Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung erfassen zu müssen,334 ist nämlich nicht zuletzt unter dem Aspekt bedeutsam, dass die Paritätsproblematik primär unter Schutzgesichtspunkten zu sehen ist. Grundsätzlich sollen die Vertragsparteien mit den Mitteln des Vertragsrechts selbst einen sachgerechten Interessenausgleich finden.335 So können sie über die „Infrastruktur“ des Gesetzes ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit nachkommen. Hier ist in erster Linie „Konkordanz“ herzustellen.336 Ein Handeln des Gesetzgebers bzw. des Richters über die Generalklauseln wird unter Paritätsgesichtspunkten erst dann angezeigt sein, wenn (einseitige) Fremdbestimmung droht. In Wechselwirkung zu sehen ist jedoch nicht die Eröffnung von jeweiligen Freiheiten, stets alle Interessen (inhaltlich) in dem Vertrag unterbringen zu können, sondern vielmehr (nur), dass sie „möglichst weitgehend wirksam werden“337, man überhaupt eine tatsächliche Entscheidungsfreiheit hat. Daraus spricht der Schutzauftrag, der in die Betrachtung der Wechselwirkung einzuschließen ist. Aus diesem folgt „nur“ eine Abfederung von erheblichen Paritätsproblematiken. Dass die Rechtsprechung der Paritätsfrage keine Bedeutung in der Form zumisst, dass nur bei dem grundsätzlichen Vorliegen von Parität ein von der Rechtsordnung zu akzeptierender Vertrag gegeben sein kann, zeigt sich noch an einem anderen Umstand: Virulent wurden Fragen des Verhandlungsgleichgewichts dann, wenn zugleich eine unangemessene Lastenverteilung ausgemacht worden war.338 Damit ist dem Vertragsgestalter jedoch nur bedingt geholfen. Denn die Bestimmung, wann eine unangemessene Lastenverteilung vorliegt, dürfte in Anbetracht der Vielgestaltigkeit möglicher Vertragsinhalte oftmals kaum, vor allem mit Blick auf den später entscheidenden Richter, jedenfalls schwieriger zu prognostizieren sein. Problematisch ist zwar, dass der Richter vielfach erst aufgrund der inhaltlichen Gestaltung des Vertrags die Paritätsfrage aufwerfen wird. Gleichwohl kann es gestalterisch „einfacher“ sein, Probleme aufgrund einer möglichen Imparität mittels 333
BVerfGE 89, 214, 232. BVerfGE 89, 214, 232. 335 BVerfGE 89, 214, 232. Siehe auch BVerfG NJW 2001, 957, 958, zu den Möglichkeiten der Gestaltung der höchstpersönlichen Beziehung durch Eheverträge. 336 Siehe auch dazu Weischer, Das Grundrecht auf Vertragsfreiheit und die Inhaltskontrolle von Absatzmittlungsverträgen, S. 67 f. Ablehnend in Bezug auf ein Problem der praktischen Konkordanz, das der Staat zu lösen habe, Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht, S. 66, die Vertragsfreiheit sei keine natürliche Freiheit, die vertragliche Abrede erlange nur Verbindlichkeit, wenn der Staat sie als verbindlich anerkenne. 337 BVerfGE 89, 214, 232. 338 Prägnant ist das für den Ehevertrag, vgl. nur BVerfG NJW 2001, 957, 958; 2001, 2248; BGH NJW 2014, 457, 459 f.; 2014, 1101, 1105. Bezüglich der Bürgschaft siehe wiederum BVerfGE 89, 214, 232. 334
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des Vertrags zu entkräften bzw. dort Elemente aufzunehmen, die die Vermutung stützen, dass ein von Geschäftsfähigen geschlossener Vertrag angemessen ist.339 Beispiele dafür wurden verschiedentlich genannt, so der Hinweis auf erfolgte Aufklärungen, stattgefundene Verhandlungen, Aufdeckung von Vertragszielen und -zwecken. All dies ist aber, um es nochmals zu betonen, eine Arbeit am Einzelfall, in die notwendigerweise die Berücksichtigung um die Wertungsfaktoren sowie die Fallgruppen(-normen) einfließt. (3) Einzelfallbetrachtung Bei der Anwendung von Fallgruppennormen und Fallgruppen wurde deutlich, dass diese stets auch in Zusammenhang mit einer Einzelfallbetrachtung steht. Eine solche ist erst recht angezeigt, wenn für die gestalterisch zu bewältigende Situation überhaupt keine Fallgruppen(-normen) gegeben sind. Eine solche Einzelbetrachtung bedarf nicht zuletzt des Umgangs mit den im jeweiligen Gestaltungsfall relevanten Wertungsfaktoren, z. B. solchen aus dem Grundgesetz oder dem einfachen Gesetz. Das erfordert wiederum eine „eigene“ methodische Herangehensweise. Diese soll jedoch nicht separat dargestellt werden, sondern im Anschluss vielmehr in einem Gesamtkontext der methodischen Herangehensweise des Anwalts beim Umgang mit Generalklauseln. Gerade weil Einzelfallbetrachtungen aber auch im Zusammenhang mit Fallgruppen(-normen) notwendig sind, sollen diese ebenfalls dort in die Überlegungen integriert werden. Es geht letztlich darum, unter Ausrichtung auf eine inhaltliche Kontrolle (von Verträgen) mittels Generalklauseln die Konkretisierung letzterer durch ein methodisches Vorgehen in mehreren Schritten zu erreichen. Dieses Vorgehen soll zum einen die Erkenntnisse um die Fallgruppennormen und die (allgemeinen) Fallgruppen berücksichtigen, andererseits auch dem Einzelfall Genüge tun, dies aber jeweils mit Hilfe von Kriterien, die ein möglichst rationales Vorgehen eröffnen. Aufgrund der prinzipiellen Bedeutung dieser Denkschritte, die auch prägend für einen anwaltlichen methodischen Umgang mit Generalklauseln sind, sind diese in grundsätzlicher Form darzustellen. b) (Grundsätzliche) Methodische Herangehensweise des Anwalts beim Umgang mit Generalklauseln Ausgehend von den zuvor gefundenen Ergebnissen lässt sich eine grundsätzliche methodische Herangehensweise entwickeln.340 339
Vielfach wird damit auch die Problematik um die ungleiche Lastenverteilung „entschärft“. 340 Vgl. auch die Ausführungen, die bereits in Teil 1 D. III. 2. b) bb) (2) (b) (dd), S. 344 ff., erfolgt sind. Die nachfolgenden Überlegungen beziehen sich zwar grundsätzlich auf „Generalklauseln“, sind allerdings vor allem auf die in der Vertragsgestaltung besonders relevanten §§ 138 Abs. 1, 242 BGB ausgerichtet.
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aa) Feststellung von Beteiligteninteressen (1) Feststellung der involvierten Mandanteninteressen Methodisch muss der Anwalt sich zunächst mit den Mandanteninteressen auseinandersetzen. Zwar sind die Interessen vielfach bereits „erfasst“ (am Beginn der Mandatsbearbeitung sowie in deren Fortgang), jedoch muss der Anwalt sie bezüglich des Umgangs mit den Generalklauseln gleichsam nochmals „rekapitulieren“. Das bedeutet im Besonderen: Welche Interessen des Mandanten sind (sollen) im Vertrag (ausdrücklich) fixiert (werden)? Das betrifft etwa die Bestimmung der Ansprüche, die der Mandant mittels des Vertrags gegen seinen Vertragspartner haben soll.341 Besonderes Augenmerk ist auf Interessen zu richten, die möglicherweise nicht ausdrücklich Einlass in den Vertrag (insbesondere den in der Regel zu erstellenden Vertragstext) finden (sollen). Das können zum einen Interessen sein, die gleichsam als „selbstverständlich“ zugrunde gelegt werden, z. B. seine eigenen Angelegenheiten „selbstbestimmt“ regeln zu wollen.342 Hier kann aber auch der Wunsch anzusiedeln sein, möglichst einseitig den eigenen Interessen zum Vorteil zu verhelfen. Außerdem sind gerade Interessen (mit) zu berücksichtigen, die vom Mandanten artikuliert worden sind, die aber „nur“ den Rang von Kausalfaktoren oder Motivlagen haben. Das können u. a. bestimmte Wertvorstellungen, z. B. religiöse Maßgaben, sein. Möglicherweise ist angesichts eines potentiellen Eingreifens einer Generalklausel auch eine weitere Interessenermittlung vonnöten, ein Vorgang, der innerhalb der Vertragsgestaltung jedoch nicht ungewöhnlich ist.343 Die Sachverhaltsermittlung, wozu auch die Interessenermittlung gehört, ist kein einmaliger, sondern ein kontinuierlicher Vorgang.344 Anlass für eine solche (weitere) Ermittlung können vor allem bestimmte Fallgruppen(-normen) geben. (2) Ermittlung der Interessen des potentiellen Vertragspartners sowie von Drittinteressen Zu ermitteln/berücksichtigen sind ebenfalls die Interessen des potentiellen Vertragspartners wie auch die relevanten (sonstigen) Drittinteressen.345 Auch dies muss
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Das betrifft vielfach ein Interesse, das zur Position geworden ist. Das bedeutet nicht, dass damit nicht die Einsicht verbunden sein kann/muss, dass man mit der anderen Seite ggf. Kompromisse eingehen muss, weil es sonst gar nicht zu einem Vertragsschluss kommen wird. 343 Hier kann wieder ein „Pendelblick“ vonnöten sein, gerade wenn später Fallgruppen(-normen) oder bewegliche Elemente zu berücksichtigen sind. 344 Das betrifft auch den Vorgang des gestalterischen Umgangs mit den Generalklauseln selbst. 345 Dazu, dass im Rahmen einer Abwägung nicht nur die Interessen der unmittelbar an dem Rechtsverhältnis Beteiligten, sondern ggf. auch die Interessen betroffener Dritter zu berück342
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ohnehin innerhalb eines methodischen Herangehens an die Vertragsgestaltung geschehen, so dass es vielfach wieder zu dem zuvor bereits benannten Rekapitulationsprozess kommen kann/wird. Die (erweiterten) Kenntnisse um die entsprechenden Interessen des Vertragspartners können sich vielfach aus Vertragsanbahnungssituationen, vor allem aus den eigentlichen Verhandlungen ergeben. Denkbar ist jedoch auch ein Zurückgreifen auf objektivierte Interessen, die auf den Vertragspartner zutreffen könnten. Das betrifft ebenfalls gerade die möglicherweise betroffenen Drittinteressen. Dritte346 können individuelle Personen, Gruppierungen, aber z. B. auch die „Allgemeinheit“ oder die „Öffentlichkeit“ sein.347 Vor allem bei letzteren kommt eine Interessenermittlung u. a. über Normierungen, also über objektivierte Maßstäbe, in Betracht. (3) Zwischenresümee Aus Sicht des Gestalters muss wieder bei den involvierten Interessen angesetzt werden. Die des Mandanten sollen mittels des Vertrags umgesetzt werden, die anderen Interessen des Vertragspartners oder Dritter können ggf. im Rahmen der Anwendung einer Generalklausel begrenzend wirken. Während die Interessen des Mandanten notwendig subjektiv zu bestimmen sind,348 können gerade Drittinteressen möglicherweise nur in objektivierter Form, z. B. aufgrund ihrer Fixierung in Normen, in die Überlegungen eingestellt werden. Ein Grund dafür wird vor allem sein, dass in anderer Form die Drittinteressen möglicherweise nicht im Planungsstadium zu ermitteln sind. bb) „Subsumtion“ unter den Gesetzestext der Generalklausel Obwohl zuvor die Generalklauseln u. a. dadurch charakterisiert wurden, dass eine unmittelbare Subsumtion unter sie nicht möglich ist, muss methodisch gleichwohl der Gesetzestext mitberücksichtigt werden. Das gilt zunächst und vor allem für die sichtigen sind, Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 250, im Zusammenhang mit der Konkretisierung des § 242 BGB. 346 Gemeint sind Personen, die nicht Vertragspartei werden sollen. 347 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Teil 1 D. I. 1., S. 256. 348 Dabei kann der Mandant selbstverständlich solche Interessen haben, die bereits in objektivierter Form formuliert sind. Schad, Die Verleitung zum Vertragsbruch – eine unerlaubte Handlung?, S. 60, führt im Zusammenhang mit dem Sittenwidrigkeitsbegriff innerhalb des Topos der Ermittlung der zu berücksichtigenden Interessen aus, die Interessen der Beteiligten seien objektiv zu ermitteln. Das ist an dieser Stelle jedoch zunächst kein Widerspruch. Es geht augenscheinlich darum, die Interessen so zu ermitteln, wie sie sind. Schad spricht auch davon, auf dieser Ebene seien die ermittelten Interessen noch nicht zu werten oder abzuwägen. Schad geht allerdings nicht aus der Sicht eines (Vertrags-)Gestalters vor. Seinen Ausführungen, wonach Moral- oder Sittlichkeitsanforderungen hinsichtlich eines Verhaltens nicht ein Interesse eines Beteiligten darstellten, ist von unserer Warte unter Zugrundelegung des Interessenbegriffs in der Vertragsgestaltung nicht zu folgen.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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Fälle, in denen das Vorliegen einer Generalklausel bejaht werden sollte, auch wenn die Generalklausel sich nur teilweise durch unbestimmte Rechtsbegriffe auszeichnet, sie teilweise aber eine Subsumtion unter einzelne Begriffe erlaubt.349 Dann muss der entsprechende zu gestaltende Sachverhalt (unter Einschluss der ermittelten Interessen) in Bezug auf diese Begriffe geprüft werden. Abgesehen davon können ggf. auch andere Begrifflichkeiten, wenn sie auch grundsätzlich unbestimmt sind, jedenfalls den maßgeblichen Anwendungsbereich der Norm eingrenzen. Das wird z. B. hinsichtlich von „Treu und Glauben“ in § 242 BGB in Erwägung gezogen.350 Das muss dann entsprechend bei der Anwendung der Norm auf den Gestaltungssachverhalt ebenfalls berücksichtigt werden. cc) Abgleich der Interessen mit Fallgruppennormen/Fallgruppen Da eine unmittelbare Subsumierbarkeit unter eine Generalklausel die Ausnahme ist, zudem allenfalls partiell in Betracht kommt, wird/muss der Hauptfokus des Anwalts als Gestalter im nächsten Schritt auf dem Abgleich der Interessen mit etwaigen Fallgruppennormen und Fallgruppen liegen. Dabei ist zunächst auf etwaige Fallgruppennormen abzustellen. Für den Gestalter geht mit solchen Fallgruppennormen die Möglichkeit zur „Subsumtion“ einher.351 Das bedeutet im Weiteren die Eröffnung eines bestimmten Antizipationshorizonts verbunden mit entsprechender Planungs- und damit Rechtssicherheit. Beim Abgleich der Interessen mit „bloßen“ Fallgruppen ist die Begrenzung auf „schlichte“ Subsumtionsarbeit bereits stark reduziert bzw. als solche nicht mehr möglich. Die bloßen Fallgruppen bilden lediglich ein Grobraster. So muss der Anwalt in Kenntnis der umzusetzenden Interessen und ihrer möglichen Ausgestaltung zunächst in eingrenzender Weise klären, ob damit eine bestimmte Fallgruppe tangiert sein könnte. Das kann beispielsweise hinsichtlich eines Vertrags zwischen einem marktdominierenden Partner und einer weiteren Partei die Fallgruppe der „Ausnutzung von Marktüberlegenheit“ sein. Die erste grobe Zuordnung zu einer Fallgruppe ist allerdings für die Gestaltungsarbeit an sich stark mit Unsicherheitsfaktoren behaftet. Vielmehr zeigt sich hier sehr deutlich der notwendige methodische Übergang zu der eigentlich zu erbringenden Leistung des Gestalters. Es geht um die
349 Siehe Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 667, wonach u. a. der Begriff des „Rechtsgeschäfts“ in § 138 BGB nicht unbestimmt ist. Eine Subsumtion ist dort also möglich. 350 Vgl. etwa die Ausführungen bei Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 242, Rn. 6, wonach Treue nach dem Wortsinn eine auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruhende äußere und innere Haltung gegenüber einem anderen bedeute; Glauben bedeute das Vertrauen auf eine solche Haltung. 351 Allerdings können sich auch innerhalb solcher Fallgruppennormen wieder unbestimmte Rechtsbegriffe finden.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Frage des Vorliegens und etwaigen Beeinflussens von wertenden Abläufen im Zusammenhang mit der Anwendung von Generalklauseln. dd) Aufdeckung/Erarbeitung der relevanten Wertungsfaktoren für die jeweilige Gestaltungssituation Dass bei der Anwendung von Generalklauseln Wertungen von Bedeutung sind, wurde mehrfach deutlich. Die Diskussionen um Wertungen im Kontext der Generalklauselanwendung drehen sich zumeist um die richterliche Tätigkeit. Das muss der gestaltende Anwalt selbstverständlich wieder in seiner Herangehensweise und seiner „Verwendung“ des Rechts berücksichtigen. Sein methodisches Herangehen hat dem somit erneut Rechnung zu tragen, ist aber vor allem auch abermals dahingehend zu untersuchen, inwiefern durch sein Tun eine „Beeinflussung“ der richterlichen Überprüfung durch einen „Zwang in die Methode“ möglich sein kann. Angesichts etwaiger unterschiedlicher Rahmenbedingungen (Vorliegen von Fallgruppennormen, Vorliegen bloßer Fallgruppen, Konstellationen, die sich keiner Kategorie zuordnen lassen bzw. jedenfalls abweichende Merkmale aufweisen), ist ein gestaffeltes Vorgehen angezeigt. (1) Klärung, was als Wertungsfaktor in Betracht kommt Wertungsfaktoren, die zu eruieren und ggf. gestalterisch zu aktivieren sind, können von unterschiedlichem Ursprung und von unterschiedlichem Gewicht sein. Welche Wertungsfaktoren in Betracht kommen können, ist im Einzelnen nicht unumstritten, kann zudem auch von der jeweilig zu berücksichtigenden Generalklausel abhängig sein. Ausgehend von den bisherigen Überlegungen werden jedoch unterschiedliche rechtliche Wertungsfaktoren maßgeblich sein: die Wertungen, die aus dem Grundgesetz folgen (mittelbare Drittwirkung der Grundrechte), Wertungen aufgrund europarechtlicher Vorgaben, insbesondere europarechtlicher Richtlinien, Wertungen, die im einfachen Gesetzesrecht Ausdruck gefunden haben.352 Umstritten ist nicht zuletzt, ob und inwieweit außerrechtliche Maßstäbe über die Generalklauseln rechtlich relevante Wertigkeitswirkungen entfalten können. Vor allem in Bezug auf die (inhaltliche) Vertragskontrolle über §§ 138 Abs. 1, 242 BGB wird eine solche Möglichkeit aber als eröffnet angesehen.353 In Anbetracht dessen, dass über die Generalklauseln (auch) eine flexible Reaktion eröffnet werden soll, die von der Gesetzgebung nicht immer in der Form zu leisten ist, spricht dies dafür, dem auch zu folgen. Allerdings kann, bevor auf die weiteren Schritte einzugehen ist, bereits hier für den Gestalter konstatiert werden, dass vor allem hinsichtlich des letzten Punkts eine Antizipierbarkeit jenseits von Fallgruppennormen oder zumindest von Fallgruppen kaum zu leisten sein wird. Schon aus dem Grund bietet es sich aus ge352 Vgl. zu § 138 BGB u. a. PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 17 ff.; zu § 242 BGB PWW/ Kramme, BGB, § 242, Rn. 13 ff. 353 Vgl. PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 21 ff.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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stalterischer Sicht an, zunächst nach „sicheren“ Anknüpfungspunkten für das Auffinden relevanter Wertungsfaktoren zu suchen. Insoweit sind wiederum in erster Linie Präjudizien und dabei im Besonderen die Fallgruppennormen von Bedeutung. (2) Fallgruppennormen und Wertungsfaktoren Liegen Fallgruppennormen oder jedenfalls partielle Fallgruppennormen vor, liegt eine „Beschränkung“ des eigenen Vorgehens als Rechtsverwender auf eine Subsumtion in Bezug auf diese vielfach nahe. Dass es sich dabei, zumindest innerhalb der methodischen Überlegungen, nicht bewenden darf, wurde bereits angesichts der mehrfach erwähnten Einzelfallbetrachtungen deutlich. Soweit es um die (etwaige) Erforschung von den den Fallgruppennormen zugrundeliegenden Wertungsfaktoren geht, ist ihre Kenntnis und Nutzung durch einen Vertragsgestalter differenziert zu betrachten. Findet sich der zu regelnde Sachverhalt (die zu berücksichtigenden Interessen des Mandanten; weiterer Beteiligter) im Sinne des Mandanten in der Fallgruppennorm wieder, wird eine Erforschung der die Norm tragenden Wertungsfaktoren vielfach unterbleiben, vor allem, wenn die Anwendung der Fallgruppennorm in der Rechtsprechung mittlerweile als „gefestigt“ angesehen werden kann. Eine Überlegung des Anwalts kann aber dahingehen, ob man in Kenntnis der Wertungsfaktoren nicht noch weitere, die Fallgruppennorm verstärkende Argumente in den Vertrag aufnehmen könnte. Zudem kann eine Kontrolle, ob das für den Mandanten gefundene Gestaltungsergebnis sich mit den die Fallgruppennorm stützenden Wertungsfaktoren „deckt“, aus weiteren Gründen angezeigt sein. Es geht um die Kontrolle, ob die Interessenumsetzung bezüglich des Mandanten tatsächlich von dem „Telos“ der Fallgruppennorm getragen wird. Umgekehrt ist die Auseinandersetzung um die Wertungsfaktoren jedenfalls dann notwendig, wenn durch die Fallgruppennorm eine Begrenzung der umzusetzenden Mandanteninteressen droht. Beispielhaft sei auf die Fallgruppennorm in Bezug auf die Angehörigenbürgschaft verwiesen. Ist der Bürgschaftsvertrag für den Gläubiger zu entwerfen, muss die durch diese Fallgruppennorm gezogene Grenze berücksichtigt werden. Einem Bürgschaftsvertrag mit einem Angehörigen, der letzteren krass finanziell überfordert, droht somit nach § 138 Abs. 1 BGB die Wirksamkeit versagt zu werden. Ein maßgeblicher Wertungsfaktor, der „hinter“ dieser Fallgruppennorm steht, ist die in Verbindung mit der grundgesetzlich gewährten Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) stehende staatliche Schutzpflicht, dass es mittels des Vertrags nicht zu einer Fremdbestimmung eines Vertragspartners kommen darf. Eine gestalterische Überlegung kann/muss nun dahin gehen, ob in Kenntnis dieses Wertungsmaßstabs letzterer nicht in der Weise „zurückgedrängt“ werden kann, dass die „Umstände“, auf die er sich bezieht, verändert werden, bzw. solche Umstände geschaffen werden, die andere Wertungsmaßstäbe im Sinne der Mandanteninteressen (z. B. vertragliche Selbstbestimmung über Art. 2 Abs. 1 GG) stärker in den
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Vordergrund treten lassen.354 Dass ein solcher Weg durchaus im Rahmen einer Angehörigenbürgschaft Berücksichtigung finden kann/muss, ergibt sich mit Blick auf die Bürgschaftsrechtsprechung schon daraus, dass die Fallgruppennorm nur eine Vermutung ausspricht.355 Gefordert wird vom Vertragsgestalter somit ein prognostischer Abwägungsprozess in Bezug auf die involvierten Interessen und die sie flankierenden Wertungsfaktoren. Dieser (prognostische) Abwägungsprozess, der notwendigerweise Auswirkungen auf die vorzunehmende vertragliche Gestaltung haben muss, ist eine grundsätzliche Herausforderung im Zusammenhang mit dem Umgang mit Generalklauseln. (3) Fallgruppen und Wertungsfaktoren Die Notwendigkeit zur Aufdeckung von Wertungsfaktoren kann sich beim Rückgriff auf Fallgruppen ebenfalls in unterschiedlicher Art und Weise ergeben. Vielfach finden sich relevante Wertungsfaktoren in der „Bezeichnung“ der Fallgruppe selbst, das heißt der vorzunehmende Vergleich, ob eine bestimmte gestalterische Situation zur Fallgruppe gehören könnte, erfolgt von Anfang an unter einem wertenden Topos. Als Beispiel kann insoweit die Fallgruppe angeführt werden, wonach solche Rechtsgeschäfte sittenwidrig nach § 138 Abs. 1 BGB sind, die die ethischen Grundlagen der Ehe und Familie missachten.356 Wertungsgrundlagen können hier u. a. Art. 6 GG oder Art. 2 GG sein. Vergleicht man aus anwaltlicher Sicht somit den zu gestaltenden Sachverhalt (die umzusetzenden Interessen) mit den die Fallgruppe stützenden Präjudizien, so ist selbst eine erste grobe Zuordnung zu diesen nicht möglich, ohne einen Abgleich mit den eigentlichen Wertungsfaktoren vorzunehmen. Ihre Feststellung ist also unerlässlich, um überhaupt einen solchen Abgleich tätigen zu können. Der darüberhinausgehende Vergleich, nämlich ob die Gestaltung/Interessenumsetzung tatsächlich als der entsprechenden Fallgruppe zugehörig betrachtet werden sollte, erfordert dann erneut einen weitergehenden Abwägungsprozess, der Interessen, „Umweltzustände“357, Wertungsfaktoren insgesamt einschließt. Sollte die potentiell relevante Fallgruppe nicht bereits in ihrer begrifflichen Bezeichnung Wertungselemente enthalten, so etwa bei der Fallgruppe der Kommerzialisierung persönlicher oder sachgebundener Entscheidungen,358 so sind erst recht, 354
Ein Beispiel ist die Aufnahme einer Klausel, dass eine Bürgschaft nur dann als Sicherheit zum Tragen kommen kann, wenn es zu Vermögensverschiebungen zwischen Schuldner und Bürgen gekommen ist. 355 Zur Vermutung BGH NJW 2001, 815, 815 (Leitsatz 3); siehe auch etwa BGH NJW 2001, 2466, 2467. 356 Dies als Fallgruppe innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB anführend HK-BGB/Dörner, § 138, Rn. 7. 357 Z. B. Familienstand, Anzahl der Kinder, Höhe des Verdienstes. 358 Dies wiederum als Fallgruppe innerhalb des § 138 Abs. 1 BGB anführend HK-BGB/ Dörner, § 138, Rn. 8.
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wie etwa auch beim Vorliegen von Fallgruppennormen, die für diese Gruppe maßgeblichen Wertungsfaktoren zu ermitteln. Denn auch bei einer begrifflich „fassbaren“ Fallgruppenbenennung wird die dadurch eröffnete Vergleichsbasis in der Regel erst dann verständlich sein, wenn die sie tragenden Wertungselemente hinzugezogen werden. Auch hier wird zudem vielfach ein abwägender Prozess unerlässlich sein, wenn mit Fallgruppen gearbeitet wird. Das gilt gerade dann, wenn unterschiedliche Wertungsfaktoren, die unterschiedlichen Interessen zugeordnet werden können, involviert sind.359 Daran schließt sich für den die Zukunft mittels des Vertrags gestaltenden Anwalt unweigerlich wieder die Problematik um die Prognostizierbarkeit der Abwägung an, die mit Blick auf die Drittinstanz ein anderer, nämlich der Richter treffen wird. Sobald sich der Abwägungsprozess jedoch strengen objektiven Maßstäben entzieht, muss der Anwalt die Schwierigkeit bewältigen, wie er aufgrund des Ergebnisses einer eigenen Abwägungstätigkeit Faktoren (gestalterisch) setzen kann, die innerhalb der Generalklauseln das (künftige) potentielle Urteil des Richters im Sinne der Mandanteninteressen lenken. (4) Umgang mit Wertungsfaktoren in gestalterischen Situationen ohne einschlägige Fallgruppennormen oder Fallgruppen Diese besondere Herausforderung an den Vertragsgestalter wird noch deutlicher, wenn er bei der Ermittlung und dem Umgang mit etwaigen relevanten Wertungsfaktoren mit einer derartig atypischen Situation konfrontiert ist, die weder eine Orientierung an einer Fallgruppennorm noch an einer Fallgruppe eröffnet.360 Dabei sei jedoch vorweggeschickt, dass, wie schon herausgestellt wurde, auch beim Umgang mit Fallgruppennormen und Fallgruppen die nachfolgenden grundlegenden Gedankenschritte vielfach Berücksichtigung finden müssen. Hier zeigen sich die Denkschritte, die den zuvor benannten „eigenen Abwägungsprozess“ mitprägen.
359 Beispielhaft kann hier wiederum die Paritätsproblematik genannt werden, bei der u. a. Schutzgesichtspunkte mit dem Recht auf freie Selbstbestimmung streiten. Ein weiteres Beispiel kann gerade in Bezug auf die benannte Fallgruppe der Kommerzialisierung persönlicher und sachgebundener Entscheidungen ausgemacht werden. Die dort angesiedelten Situationen sind etwa Zölibatsklauseln, Verpflichtung zum Religionswechsel oder die Verschaffung eines akademischen Titels gegen Entgelt (Beispiele aufgeführt bei HKBGB/Dörner, § 138, Rn. 8). Die insoweit involvierten Wertungsfaktoren können vielgestaltig und je nach Situation unterschiedlich sein. Etwa Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 GG können Einfluss bei der Beurteilung von Klauseln zur Religionszugehörigkeit nehmen. Hier zeigt sich auch wiederum die Notwendigkeit des Rückgriffs auf, aber ebenso die kritische Würdigung von, heranzuziehenden Präjudizien. 360 Für den besonders relevanten Bereich der Kontrolle von Verträgen aufgrund der Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1 und 242 BGB findet er aber in der Regel in der Form eine „Erleichterung“ als jedenfalls die Kontrolle anhand der Problematik um die Ausnutzung von Machtungleichgewichten zumindest kurz angezeigt ist.
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(a) Zuweisung von Bedeutung in Bezug auf die ermittelten Interessen Ausgehend von den im jeweiligen Gestaltungsfall ermittelten Interessen (Mandanteninteressen, Interessen des Vertragspartners, Dritt- und Allgemeininteressen) ist ihnen Bedeutung im Sinne von Wertigkeit zuzuordnen.361 „Wertigkeit“ ist hier, jedenfalls zunächst, nicht als eine solche zu verstehen, die den Interessen durch den Mandanten oder durch die andere Partei eingeräumt wird. Es geht vielmehr darum, ob die entsprechenden Interessen als rechtlich „geschützt“362 oder jedenfalls als rechtlich anerkannt im Sinne der Rechtsordnung zu akzeptieren sind. Eine derartige rechtliche „Flankierung“ kann vor allem aufgrund der Wertungen des Grundgesetzes erfolgen,363 oder aber durch die in den einfachgesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommenden Gewichtungen364. Problematisch ist für den prognostisch denkenden Anwalt, inwieweit er hinsichtlich der in den Vertrag involvierten Interessen eine Zuweisung von Wertigkeit nach außergesetzlichen Maßstäben vornehmen sollte. Sofern letztere jedoch noch nicht durch, zumindest vereinzelte, Präjudizien, eher allerdings durch Fallgruppen, oder jedenfalls durch (nachweisbare) gesellschaftliche Akzeptanz (Verkehrssitten,365 Handelsbräuche) eine Anerkennung durch Dritte gefunden haben, ist ein Rückgriff auf solche Maßstäbe nicht angezeigt. Die Beurteilung dessen, ob sich außerrechtliche Maßstäbe entwickelt haben, ist prognostisch durch den Anwalt ohne Eingehung eines hohen Haftungsrisikos nicht zu leisten. Vielfach finden sich zudem Überschneidungen, das heißt, einzelne Interessen können unterschiedliche (Wertungs-)Faktoren von unterschiedlicher Intensität366 auf sich vereinen. Beispielhaft kann wieder auf involvierte Interessen in Vorbereitung eines zu gestaltenden Ehevertrags hingewiesen werden. Die Schwangere, die im abzuschließenden Ehevertrag auf künftigen Altersunterhalt verzichten soll, kann für ihr Interesse, eine angemessene Versorgung auch nach der Scheidung im Vertrag wiederfinden zu können, die Wertungen aus Art. 2 Abs. 1 GG (Schutz vor Fremd-
361 Gerade bei Fallgruppennormen hat eine Zuweisung insoweit vielfach schon durch die Rechtsprechung stattgefunden. Mit der Subsumtion unter die entsprechende „Norm“ ergibt sich dann auch eine Erkenntnis um die die Interessen stützenden Wertungselemente, die man aber, etwa um Widerlegungsarbeit leisten zu können, in seine Überlegungen einstellen muss. 362 So Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 251, in Bezug auf den Umgang mit „Abwägungsmaterial“ im Zusammenhang mit der Konkretisierung des § 242 BGB. 363 Siehe auch dazu Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 251 f., dort wiederum hinsichtlich des § 242 BGB. Hier wird erneut die Drittwirkung der Grundrechte, die über die Generalklauseln transportiert wird, deutlich. 364 Ein Beispiel für letzteres kommt gerade innerhalb der Kernbereichslehre des BGH zur Kontrolle von Eheverträgen zur Geltung. Hier zeigt sich auch das Zusammenspiel von Fallgruppen und Wertungsfaktoren. 365 Auf diese weist nicht zuletzt § 242 BGB ausdrücklich im Normtext hin. 366 Z. B. solche des Grundgesetzes und des einfachen Rechts.
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bestimmung)367 und aus § 1578 Abs. 3 BGB (über die Kernbereichslehre des BGH) auf sich vereinen. (b) „Einstieg“ in den Umgang mit beweglichen Elementen Die soeben gemachten Überlegungen zeigen, dass sich aus der vielfachen rechtlichen Flankierung der involvierten Interessen bereits Hinweise auf die eigentliche Abwägung innerhalb der Konkretisierung ergeben können. So kann Interessen, deren Bedeutung durch das Grundgesetz abgesichert wird, ein besonderer Stellenwert zukommen. Der Abwägungsprozess muss jedoch unter Einbeziehung weiterer Umstände vorgenommen werden. Hier gewinnt der Umgang mit beweglichen Elementen an Bedeutung. Unter Rückgriff darauf geht es letzten Endes darum zu klären, ob die jeweilige Generalklausel auf den Einzelfall Anwendung findet. „Beweglichkeit“ wird vielfach damit in Verbindung gebracht, dass einzelne Elemente „zusammenspielen“, ein einzelnes durchaus prägend sein kann, oftmals aber auch Kombinationen vorzunehmen sind, also eine Gesamtwürdigung zu erfolgen hat.368 Das gilt vor allem für die eingreifenden Wertungsfaktoren selbst; eng damit zusammen hängt jedoch auch der Umgang mit den sie bedingenden tatsächlichen Faktoren. Ihr Zusammenwirken ist für das Zusammenspiel der Wertungsfaktoren bedeutend. Gestalterisch ist daran anschließend die Sichtweise angezeigt, in Kenntnis potentieller Wertungsfaktoren möglichst den Vertragsinhalt „zusammenzustellen“. Wenn aber auf den „Gesamtcharakter“369, die „Gesamtbetrachtung“ und damit einhergehend auf „bewegliche Elemente“ abgestellt wird, ist beim Umgang hiermit aus gestalterischer Sicht Folgendes zu beachten: Der eigentliche abwägende Vorgang, die Beurteilung der „beweglichen Elemente“ erfolgt in letzter Konsequenz durch den Richter, also die Drittinstanz. Dieser Vorgang ist, auch bei Vorliegen objektiver Elemente (Wertungsfaktoren, tatsächlicher Elemente), ein subjektiver. Objektivierungen, wie sie sich vor allem bei Fallgruppennormen finden, „entlassen“ nicht notwendigerweise aus einer Gesamtbetrachtung, zumal wenn die Fallgruppennormen selbst teilweise noch „Generalklauselcharakter“ haben. Es ist daher nochmals zu betonen, dass die Prognose für den 367 Hinzu tritt auch die Schutzpflicht gegenüber Schwangeren nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 4 GG; siehe BVerfG NJW 2001, 957, 959. 368 Siehe Darstellung bei MK-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 44 ff., in Bezug auf die Sittenwidrigkeit; dort allerdings nicht unter Betonung von Wertungsfaktoren. Zur Gesamtbetrachtung/Gesamtwürdigung bei § 138 Abs. 1 BGB u. a. auch BGH NJW 2019, 3636, Rn. 24; NJW 2008, 2026, 2027; NJW 1998, 2047, 2047; NJW 1989, 830, 831. Siehe ferner etwa HK-BGB/Dörner, § 138, Rn. 4; Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 8. Zur Einbeziehung des § 242 BGB in ein bewegliches System Canaris, Vertrauenshaftung, S. 302 f. Grundsätzlich zu Generalklauseln und einem flexiblen System Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 315 ff. 369 Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn. 7, zur Begründung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts. Siehe auch die Fußnote zuvor.
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Vertragsgestalter jenseits von Fallgruppennormen oder Fallgruppen eine unsichere ist, selbst im Bereich der letzteren vielfach nur eine eingeschränkte möglich sein kann. Abgesehen von einer damit notwendigerweise verbundenen Aufklärungsarbeit gegenüber seinem Mandanten, kann und muss die Aufgabe des Gestalters darin bestehen, gerade anknüpfend an potentielle „Elemente“370 vertragliche Umstände zu schaffen, auf die der Richter jedenfalls in seinem Abwägungsvorgang eingehen muss, will er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, relevante Aspekte übersehen zu haben und damit seinen Abwägungsvorgang „falsch“ oder zumindest angreifbar zu machen. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Richter seinen Abwägungsvorgang offenlegen muss.371 Für den Anwalt ist somit maßgeblich, welche Elemente, neben und mit den zuvor erörterten Wertungsfaktoren gestalterisch aufgegriffen und ggf. „beeinflusst“, wie Gewichtungen erzeugt und somit bewegliche Elemente „austariert“ werden können. (aa) Wertungsfaktoren, „Abstufungen“ von Wertungsfaktoren und Wechselwirkungen zu anderen Wertungsfaktoren Dass bei der vertraglichen Umsetzung von Interessen unterschiedliche, in die Konkretisierung der Generalklausel einfließende Wertungsfaktoren zum Tragen kommen, und dass damit oftmals bereits eine Wertungsabstufung verbunden ist (etwa grundgesetzliche Bewährung im Vergleich zur „nur“ einfachgesetzlichen Flankierung) wurde schon deutlich. Das muss der Anwalt selbstverständlich berücksichtigen. Gestalterisch interessant ist aber im Weiteren, dass auch Abstufungen in Bezug auf „gleichgewichtige“ Wertungsfaktoren, z. B. auf grundgesetzlicher Ebene, möglich sind. Im Besonderen kann das wiederum an der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbestimmung im Wege der Vertragsfreiheit einerseits (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem ebenfalls dort angesiedelten Schutz vor Fremdbestimmung über einen Vertrag andererseits exemplifiziert werden. Wie stark muss etwa die Freiheit, eigene Interessen unbeeinflusst von (späterer) staatlicher Kontrolle ausüben zu können, zugunsten von Schutzgesichtspunkten zurücktreten? Das Beispiel verdeutlicht auch noch ein Weiteres: Einzelne Wertungsfaktoren stehen vielfach im „Verbund“ mit anderen, was innerhalb einer (beweglichen) Gewichtung zu berücksichtigen ist. So kann für eine weitgehend unbeschränkte Vertragsfreiheit eine funktionierende Marktordnung streiten.372 Die vom Staat wahrzunehmende 370
Rechtlicher wie tatsächlicher Art. Wenn etwa für die Sittenwidrigkeit in § 138 Abs. 1 BGB auf eine Gesamtwürdigung von Inhalt, Motiv, Zweck und äußere Umstände abgestellt wird, so PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 28 m. w. N., ist für diesen „Tatbestand“ relevant, ob und welche Wertungsfaktoren zum Zuge kommen können. 372 Vgl. dazu u. a. auch eine These Grunskys, Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, S. 18: „Ein wirtschaftliches Kräftegleichgewicht zwischen den Vertragsparteien ist zur Wahrnehmung einer selbstbestimmten Vertragsfreiheit solange nicht erforderlich, als ein funktionierender Markt besteht. In diesem Fall sorgt der Wettbewerb dafür, daß es zu interessengerechten Vertragsbedingungen kommt.“ 371
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Schutzfunktion wiederum könnte „Verstärkung“ durch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) erhalten. Schließlich hängt das Zusammenspiel solcher Wertungsfaktoren, ihres Vorliegens an sich sowie ihrer Intensität, ganz wesentlich von den relevanten „Umweltfaktoren“ ab. Als Umweltfaktoren sollen alle Umstände bezeichnet werden, die gleichsam als zu subsumierender Sachverhalt in Betracht kommen. Dabei ist erneut zwischen solchen Umständen, die beeinflusst werden können, und solchen, die nicht beeinflusst werden können, zu unterscheiden. Beispiele für solche Umstände, auf die im gestalterischen Weg eingewirkt werden kann, sind, ob und in welchem Maß Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, oder ob die Aufdeckung unterschiedlicher Informationen (Interessen, Aufklärungsarbeit) erfolgt ist. Andere Faktoren lassen sich gestalterisch nicht ändern, so etwa Alter, Geschlecht oder Angehörigenstatut. Letzteres zeigt wiederum, dass damit sehr häufig bestimmte soziale Rollen verbunden sind. (bb) Gestalterischer Umgang mit beweglichen Elementen Da es das Ziel ist, dass der später urteilende Richter aufgrund der von ihm vorzunehmenden Gesamtbewertung zum selben Ergebnis gelangt wie der präventiv handelnde Anwalt, sind ausgehend von den zuvor angestellten Überlegungen gestalterische Einflussnahmen mittels eines flexiblen Systems im Besonderen in folgender Weise möglich: (aaa) Eigener wertender Vorgang Obwohl es aufgrund der funktionalen Ausrichtung des Anwalts in Bezug auf die Umsetzung der Mandanteninteressen darum geht, Vorsorge und Antizipation letztendlich auf den Abwägungsvorgang des Richters beziehen zu müssen, ist das nur möglich, wenn zunächst der Anwalt selbst den zuvor beschriebenen abwägenden Vorgang vornimmt. Nur nach Durchführung eines entsprechenden Vorgangs kann der Anwalt entscheiden, mit welchen gestalterischen Mitteln er ggf. Einfluss auf den „entscheidenden“ richterlichen Prozess nehmen kann. Dass damit vielfach eine „Verdopplung“ von „Unsicherheitsfaktoren“ einhergehen kann, ist in der Natur der „zweifachen Abwägung“ begründet. Gleichwohl bleibt mit dem mehrfach hervorgehobenen Versuch zum „Zwang des Richters in die Methode“ ein, wenn auch nicht völlig sicheres, Steuerungsinstrumentarium, auf das der Anwalt zugreifen kann. (bbb) Ausdrückliche Fixierung involvierter Interessen Da die Bewertung mittels eines flexiblen Systems zur Beurteilung eines konkreten Vertrags (gerade) über Generalklauseln erfolgt, sind als Bezugspunkte immer die involvierten Interessen zu berücksichtigen. Diese werden zum einen über not-
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wendig zu regelnde Vertragspunkte, das heißt die essentialia negotii transportiert.373 Bedeutsam ist aber weiterhin, ob nicht ggf. weitere Interessen, insbesondere die den Vertragsregelungen zugrundeliegende Motivationen und deren kausale Verknüpfung untereinander, in den Vertrag aufgenommen werden sollten. Das kann innerhalb einer Präambel geschehen, aber z. B. auch zur Einleitung einer einzelnen Vertragsklausel. Beispiel: „Zur Umsetzung des Interesses des (…) an (…) einerseits und zur Realisierung des Interesses des (…) an (…) andererseits treffen die Parteien folgende Regelung: (…).“
Mit solch einer Interessenoffenlegung und ggf. -gewichtung muss das Gericht sich im Rahmen einer Kontrolle auseinandersetzen. Das kann u. a. dafür bedeutsam sein, ob es innerhalb eines Vertrags zu einer unangemessenen Lastenverteilung gekommen ist. Zwar kann dadurch nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht gleichwohl z. B. in Bezug auf die Interessengewichtung einer Vertragsseite eine Fremdbestimmung374 annehmen könnte. Gleichwohl darf sich das Gericht nicht ohne weiteres gerade über Motivations- und Kausaloffenlegungen hinwegsetzen. Interessen jedweder Couleur sind somit ein wesentliches Element innerhalb des „flexiblen Systems“. Es sind auch Interessen, die gerade für den innerhalb des flexiblen Systems interessanten und diskutierten Topos der Folgenberücksichtigung375 von Bedeutung sind. Anschließend daran zeigt sich, dass Interessen ein/der relevante Anknüpfungspunkt im Zusammenspiel mit potentiellen Wertungsfaktoren sind, seien es solche aus dem Grundgesetz (z. B. Selbstbestimmung, Schutzbedürfnisse), dem einfachen Gesetz (z. B. die Kernbereichstheorie aus dem Familienrecht) oder dem außerrechtlichen Bereich (Sitten und Gebräuche). (ccc) Aufnahme von Wertungsfaktoren in den Vertrag Dass Wertungsfaktoren unterschiedlicher Art und in unterschiedlicher Intensität als bewegliche Elemente zur Konkretisierung von Generalklauseln zum Zuge kommen, wurde verschiedentlich deutlich. Gestalterisch kann man auf ihr Eingreifen an sich nicht modifizierend einwirken. Das Eingreifen von Wertungsfaktoren, die z. B. aus dem Grundgesetz oder dem Gesetz resultieren, kann vielfach nicht ausgeschlossen werden. Aus gestalterischer Sicht kann aber überlegt werden, ob ggf. auf bestimmte Wertungsfaktoren hingewiesen werden sollte. Das kann etwa in Bezug auf ein373 So kann sich unmittelbar aus dem Reglungsinhalt die Sittenwidrigkeit eines Vertrags nach § 138 Abs. 1 BGB ergeben, PWW/Ahrens, BGB, § 138, Rn. 25. Ebenso u. a. Erman/ Schmidt-Räntsch, BGB, § 138, Rn. 17; HK-BGB/Dörner, § 138, Rn. 4; Jauernig/Mansel, BGB, § 138, Rn. 10. 374 Die „klassischen“ Fälle sind insoweit vor allem wieder solche, die sich mit der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung beschäftigen. 375 Dazu, dass unbestimmte Normen für ein flexibles Reagieren der Gerichte etwa im Sinne der Folgenorientierung geradezu notwendig seien, Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 23.
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fachgesetzliche Regelungen oder bestimmte außergesetzliche Maßstäbe wie Handelsbräuche oder Verkehrssitten sinnvoll sein. Beispiel: „Dem Leistungsaustausch sollen die Handelsbräuche im Bereich der Industrieund Handelskammer (…) zugrunde gelegt werden.“
(ddd) Schaffung oder Modifizierung von „Umweltfaktoren“ Zuvor wurden „Umweltfaktoren“ als Umstände bezeichnet, die als zu subsumierender Sachverhalt in Betracht kommen, wobei solche Umstände nicht notwendigerweise, aber oftmals, beeinflussbar sind. Eine Beeinflussung solcher Faktoren kann in unterschiedlicher Art und Weise geschehen. Zunächst können selbstverständlich die eigentlichen vertraglichen Regelungspunkte als Konsequenz der eigenen Abwägungsarbeit (nochmals) modifiziert werden. Das kann etwa in Bezug auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung der Fall sein. Damit ist ein Aspekt angesprochen, der grundsätzlich auch schon die zu fixierenden Interessen betrifft. „Sonstige Umweltfaktoren“ können aber wiederum Umstände sein, die eigentlich nicht zum Regelungsbereich des Vertrags gehören, für die Beurteilung aber relevant sein können, so etwa die Vornahme von Vertragsverhandlungen. Diese sollten dann ggf. stattfinden und als Faktum auch in den Vertrag aufgenommen werden.376 Beispiel: „Nachfolgender Vertrag wird als Ergebnis der Verhandlungen vom (…) geschlossen.“
(eee) Resümee Die Kenntnis um bestimmte Wertungsfaktoren377 und auch das Wissen, dass man ihr Eingreifen ggf. gestalterisch (mit) beeinflussen kann/muss, führt nicht notwendigerweise dazu, hohe antizipatorische Sicherheit in Bezug auf spätere richterliche Entscheidungen zu erlangen. Ein Topos, der somit immer wieder ins Feld geführt werden kann, ist der der ggf. fehlenden Rechtssicherheit. Dies ist allerdings eine Problematik, die sich für die Anwendung von Generalklauseln niemals gänzlich auflösen lässt, sie liegt nicht zuletzt auch in der Flexibilitätsfunktion378 der Generalklauseln begründet. Der Anwalt muss daher im Wesentlichen methodisch bei einem Aspekt ansetzen, der verschiedentlich schon betont wurde: Die „Unsicherheiten“ beim Umgang mit Generalklauseln muss er kalkulatorisch in sein Handeln aufnehmen und diesbezüglich gegenüber dem Mandanten entsprechende Aufklärungsarbeit leisten. Unter Ausrichtung darauf, dass der Richter 376 Siehe diesbezüglich auch wieder Koch, Schranken der Vertragsfreiheit im Familienrecht, 79, 88 f., die in Bezug auf den Ehevertrag empfiehlt, „die für das Vertragsgleichgewicht sprechenden Aspekte festzuhalten und die bildungsmäßige, berufliche, soziale und wirtschaftliche Situation der Ehegatten zu dokumentieren.“ 377 Im Verbund mit der Kenntnis um bestimmte tatsächliche Faktoren. 378 Vgl. Ohly, AcP 201 (2001), 1, 7; Weber, AcP 192 (1992), 516, 521.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
seine Entscheidungsgründe aufdecken muss, muss das anwaltliche Hauptaugenmerk darauf liegen, entsprechende Einflussfaktoren zu schaffen. Das ist ihm in tatsächlicher Hinsicht in unterschiedlicher Form möglich, so etwa durch die Lastenverteilung im Vertrag. Andere Faktoren (insbesondere bestimmte „Rollen“ der Vertragsparteien, wie z. B. die biologische Rolle eines Verwandten) kann er grundsätzlich nicht beeinflussen. Bei all dem dürfen jedoch nicht die gestalterischen „Chancen“ außer Acht gelassen werden, die sich über die Generalklauseln eröffnen können. Die Generalklauseln, die zwar zwingendes Recht sind bzw. beinhalten, bieten für den Anwalt aufgrund der dort angelegten „Beweglichkeit“ mittels der Gesamtschau von Interessen, äußeren Faktoren und Wertungselementen durchaus gestalterische Möglichkeiten. Diese gestalterischen Möglichkeiten stehen auch unter dem Vorzeichen, die subjektiven Interessen des eigenen Mandanten umzusetzen. Gleichwohl besteht ein gravierender Unterschied zum sonstigen gestalterischen Umgang mit Interessen. Die gestalterischen Vorgänge sind innerhalb der Überlegungen zur Konkretisierung von Generalklauseln, die (auch) zwingendes Recht und damit Grenzen darstellen, auf diese Grenzen fokussiert. Der Gestalter will erreichen, dass die Grenzen nicht zum Nachteil seines Mandanten zum Tragen kommen. Dieser Gedankengang ist auch bei sonstigem zwingenden Recht vom Anwalt zu verfolgen, ist bei „starrem“ zwingenden Recht allerdings davon gekennzeichnet, solche Grenzen letztlich mit deren tatbestandlichen Vorgaben „akzeptieren“ zu müssen.379 Hier können die Generalklauseln eben aufgrund eines flexiblen Systems durchaus interessengerechter sein, weil u. a. eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Der „Preis“ dafür ist eingeschränkte Antizipierbarkeit und letztlich das Akzeptierenmüssen, dass am Ende einer Kontrollkette die subjektive Entscheidung des Richters stehen kann/wird. (5) Nochmaliger Rekurs auf Fallgruppennormen/Fallgruppen Der zuvor erörterte Umgang mit beweglichen Elementen in gestalterischen Situationen, innerhalb derer die Generalklauseln zur Anwendung kommen, macht einen kurzen Rekurs nochmals auf Fallgruppennormen und Fallgruppen notwendig. Zwar zeichneten sich Fallgruppennormen und Fallgruppen dadurch aus, dem Gestalter im Kontext mit den Generalklauseln eine höhere Sicherheit in Form von Antizipierbarkeit zu eröffnen. Eine Einzelfallbetrachtung sollte und durfte aber auch in diesen Fällen nicht ausgeschlossen sein. Sowohl bei Fallgruppennormen (z. B. über die Ausfüllung dort angelegter „unbestimmter Rechtsbegriffe“ oder im Zusammenhang mit Vermutungswiderlegungen) als auch beim Vorliegen von bloßen Fallgruppen, die im Besonderen zur vergleichenden Tätigkeit zwingen, ist ebenfalls ein Arbeiten mit beweglichen Elementen in vorgenannten Sinn angezeigt. Der gestalterische Spielraum in Bezug auf die Generalklauseln ist beim Vorliegen von
379 Dazu, dass auch zwingendes Recht „an Grenzen stoßen kann“, Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 47 ff.
D. (Funktionaler) Umgang mit dem Recht
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Fallgruppen, insbesondere von Fallgruppennormen, für den Anwalt infolge ihrer notwendigen Berücksichtigung jedoch „eingeschränkter“. c) Methodischer Umgang mit Generalklauseln – Beitrag für eine (Gesamt-)Methodik der Vertragsgestaltung Die Untersuchung des methodischen Umgangs mit Generalklauseln wurde angestoßen von deren oftmals zwingenden380 rechtlichen Begrenzungscharakter, der gleichwohl Gestaltungsoptionen bereithielt. Letztere ergaben sich insbesondere aufgrund der Offenheit der Generalklauseln und eines nicht zuletzt im Einzelfall vorzunehmenden Abwägungsprozesses. Methodisch fordert der gestalterische Umgang mit den Generalklauseln, vor allem der mit den relevanten §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, vom Anwalt ein „eigenes“ Vorgehen. Dabei zeigt sich zum einen, dass innerhalb dieses Vorgehens gleichsam „mikrokosmisch“ zuvor erarbeitete Erkenntnisse bezüglich einzelner Elemente einer anwaltlichen Methodik der Vertragsgestaltung aufzugreifen waren. Beispielhaft seinen nur die Ermittlung und Gewichtung von Interessen oder der funktionale Umgang mit dem Recht genannt. Dieses Aufgreifen entsprechender Erkenntnisse ist konsequent, ist doch der gestalterische Umgang mit Generalklauseln ein bedeutender Baustein innerhalb eines Gesamtgefüges einer anwaltlichen Methodik der Vertragsgestaltung. Da die Generalklauseln vielfach als Grenzen fungieren, zwingen, vor allem §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, dabei den Gestalter, gleichsam einen „Gesamtblick“381 auf den Vertrag zu werfen. Die damit verbundene Begrifflichkeit einer „Abschlusskontrolle“ wird wieder aufzugreifen sein. Der soeben benannte Gesamtblick fordert vom Gestalter abwägende Überlegungen, einen Umgang mit beweglichen Elementen, wobei letztere wiederum auch das Tor zur gestalterischen Interessenumsetzung bilden können. Nicht zuletzt mit Blick auf den Prozess des Umgangs mit beweglichen Elementen, eines Prozesses, der der Anwendung von Generalklauseln immanent ist, können aber Erkenntnisse auf eine abschließende (Gesamt-)Methodik der anwaltlichen Vertragsgestaltung übertragen werden. Es geht um die Methodik einer anwaltlichen Vertragsgestaltung als flexibles System.
380 381
Ggf. auch nur in „Teilbereichen“. Selbstverständlich kommt es über sie auch zur Kontrolle einzelner Vertragsklauseln.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung I. Folgerungen der Erkenntnisse um den methodischen Umgang mit Generalklauseln – Methodik der Vertragsgestaltung als „flexibles System“ Die zuvor vorgenommene Auseinandersetzung um den methodischen Umgang mit Generalklauseln ist nicht allein den damit verbundenen besonderen Herausforderungen innerhalb der Vertragsgestaltung geschuldet. Vielmehr lassen sich aus der vorherigen Diskussion um das dort anzuwendende Vorgehen (weitere) grundlegende Erkenntnisse hinsichtlich einer Methodik der anwaltlichen Vertragsgestaltung insgesamt folgern. Man kann die Auseinandersetzung um die Generalklauseln auch als „katalysatorische Gedanken“ in Bezug auf die zu entwickelnden Schritte einer Methodik der Vertragsgestaltung bezeichnen. Nach den bisherigen Ergebnissen kann ein (gesamt-)methodisches Vorgehen innerhalb der anwaltlichen Vertragsgestaltung in Kürze zunächst in den Schritten der Sachverhaltsermittlung, der Bestimmung der Sach- bzw. der Interessenziele des Mandanten382, ihrer „Übersetzung“ in die Rechtssprache („Rechtsziel“) und einem Abgleich der letzteren mit der gesetzlichen Infrastruktur (gesetzliches Normalstatut) ausgemacht werden. Die Nutzung der Infrastruktur zur eigenen (egoistischen) Interessenumsetzung bezieht sich sowohl auf das dispositive wie auch auf das zwingende Recht. Findet man dort „Lösungen“, wie die „Egoismen“ umgesetzt werden können, ist es vor dem Hintergrund der Interessenumsetzung grundsätzlich unerheblich, ob dabei auf zwingendes oder auf dispositives Recht zurückgegriffen wird.383 Geprägt wird dieses Vorgehen von der Funktionalität des handelnden anwaltlichen Vertragsgestalters. Diese Funktionalität kommt allerdings vor allem dann zum Tragen, wenn sich keine „Muster“ im Gesetz finden, die die Interessen seines Mandanten optimal abdecken, also ein „Gestaltungsbedarf“ ausgemacht wird. Es ist dann ein Bereich eröffnet, in dem durch Nutzung der grundsätzlich gewährten Vertragsfreiheit unter Schaffung von Gestaltungsvarianten nach (weiteren) Lösungen zu suchen ist. Sind solche Gestaltungsvarianten vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit auch vom Denkansatz her zunächst in jeder Form vorstellbar, die die umzusetzenden Interessen beinhaltet, so stoßen sie vor allem dann an ihre „Grenzen“, wenn ihnen zwingendes Recht384 entgegensteht. 382 Das betrifft auch die Interessenziele des potentiellen Vertragspartners, wobei man diese ebenso bereits unter die relevante Sachverhaltsermittlung fassen kann. 383 Selbstverständlich immer unter dem Vorbehalt, dass der potentielle Vertragspartner dem Vertragsschluss noch zustimmen muss. 384 Das zwingende Recht ist dann kein begehrtes Muster zur eigenen Interessenumsetzung, sondern eine Schranke bezüglich letzterer.
E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung
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Zwar kann ggf. auch beim Umgang mit (begrenzendem) zwingenden Recht innerhalb der Vertragsgestaltung gleichwohl ein Gestaltungsspektrum „eröffnet“ sein, so wenn der Mandant, nach entsprechender anwaltlicher Aufklärung, bewusst eine Vereinbarung eingeht, die gegen solch zwingendes Recht verstößt.385 Grundsätzlich wird jedoch der Anwalt, wie mehrfach betont, mittels der Vertragsgestaltung einen Vertrag zu entwerfen haben, der einer gerichtlichen Kontrolle standhält; zwingendes Recht ist dann als (notwendige) Grenze zu begreifen. Verträge, deren (rechtliche) Wirksamkeit an zwingendem Recht scheitern würde, müssten in der Regel als letztlich unzulässige bzw. ungeeignete Gestaltungsvariante aus den weiteren methodischen Überlegungen ausgeschlossen werden. Es war nicht zuletzt dieses Denken in Grenzen an dieser Stelle, das ebenfalls einen entscheidenden Aufhänger innerhalb der methodischen Untersuchungen zu den Generalklauseln bildete. Das betraf in erster Linie die für die Vertragsgestaltung besonders relevanten §§ 138 Abs. 1 und 242 BGB, die beide, jedenfalls zum Teil, zwingende Elemente enthalten. In ihrer „Grenzfunktion“ sind beide Generalklauseln vor allem dazu geeignet, gleichsam die erwähnte „Abschlusskontrolle“ in Bezug auf die entworfene vertragliche Gestaltungsvariante zu bilden. Dazu leistet nicht zuletzt das in ihnen angelegte flexible System einen maßgeblichen Beitrag, wonach innerhalb der Generalklauseln eine Gesamtbetrachtung gerade unter Einflussnahme unterschiedlichster Elemente, sowohl auf rechtlicher wie auf tatsächlicher Ebene, eröffnet ist. Gleichwohl, und nunmehr ist auch eine „Ausstrahlungswirkung“ des Umgangs mit den Generalklauseln386 bedeutsam, dürfen die im Zusammenhang mit dem flexiblen System der Generalklauseln gewonnenen (methodischen) Erkenntnisse nicht auf die Funktion der Generalklauseln als „Abschlusskontrolle“ reduziert werden. Damit würde der, auch innerhalb der methodischen Auseinandersetzung um diese bereits vielfach angesprochene, mögliche gestalterische „Input“ in Bezug auf diese Normen verkannt. Es wurden unterschiedliche Formen aufgezeigt, wie auf das Eingreifen der Generalklauseln gestalterisch Einfluss genommen werden kann, beispielhaft sei nur auf die Installierung einer Präambel zur Aufdeckung der involvierten Parteiinteressen verwiesen. Ein solcher gestalterischer Input geschah gerade auch vor dem Hintergrund, das flexible System der Generalklauseln wieder (funktional) zu nutzen, um schlussendlich den Mandanteninteressen zur Verwirklichung mittels eines (wirksamen) Vertrags zu verhelfen. Zentrale Topoi in diesem Kontext waren u. a. die Aufdeckung von relevanten (rechtlichen) Wertungsfaktoren, Inrechnungstellung von paritätischen bzw. imparitätischen Verhältnissen, unterschiedliche Gewichtungen von
385 Er kann z. B. darauf vertrauen, dass die Vereinbarung trotzdem eingehalten wird, etwa weil die andere Seite anderweitige außerrechtliche (soziale) Konsequenzen befürchtet. 386 Unter besonderer Fokussierung auf die §§ 138 Abs. 1, 242 BGB.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
(Partei-)Interessen387, aber auch z. B. die mögliche Berücksichtigung einer Folgenbetrachtung. Das Denken in den methodischen Schritten zu den Generalklauseln selbst zeigt in eigener Weise die Notwendigkeit eines „Pendelblicks“ zwischen unterschiedlichen in die Gesamtbewertung einfließenden Faktoren. Dieser „Pendelblick“ dient gerade der Beförderung individueller Interessen, nämlich ihrer möglichst optimalen Realisierung mittels Einflussnahme auf diese Faktoren (Gedanke der Funktionalität anwaltlichen Handelns). Ein Denken in Grenzen kann, obwohl Generalklauseln (insbesondere §§ 138 Abs. 1, 242 BGB) (auch) als solche verstanden werden können/müssen, so „aufgesprengt“ werden. Vor allem die Abläufe, die bei der Realisierung individueller Interessen im Zusammenhang mit den Generalklauseln den Blick auf das Vorliegen eines flexiblen Systems gelenkt haben, rücken dann jedoch noch eine viel grundlegendere Überlegung in den Fokus: Die einzelnen Denkschritte einer Methodik der anwaltlichen Vertragsgestaltung bilden selbst ein flexibles System. Das zeigt sich gerade bei Zugrundelegung eines Verständnisses eines flexiblen Systems in Anlehnung an die Überlegungen Heinrichs388 zu einem solchen. Danach geht es um ein flexibles wiewohl eingegrenztes System. Vorhanden ist eine begrenzte Zahl von (Wertungs-)Elementen, die eine Kontrolle „elastisch und gleichzeitig berechenbar macht“.389 Über ein solch flexibles System soll es möglich gemacht werden, aktuelle Entwicklungen aufzufangen; die vom System erzeugten Ergebnisse müssen rational überprüfbar sein. Ein solches System, so Heinrich, kann auch vom Gesetzgeber bei der Formulierung von Normen zugrunde gelegt werden.390 Gerade eine Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung, deren Ergebnis die „lex contractus“391 ist, soll eine „Kontrolle“ ermöglichen, ob der Anwalt einen Vertrag entsprechend dem anwaltsvertraglichen Auftrag geschaffen hat. Die insoweit intendierte „Berechenbarkeit“ (Kontrolle)392 geschieht über die Methodik durchaus
387
Einfluss können selbstverständlich auch Drittinteressen nehmen. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 210, unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass eine Entwicklung eines derartigen beweglichen Systems insbesondere für die Bereiche des Schadensersatz- und Bereicherungsrechts durch Wilburg erfolgte (Verweis bei Heinrich, Fn. 214, u. a. auf Wilburg, Elemente des Schadensrechts, passim, v. a. S. 26 ff.; Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, passim). Heinrich bezieht seine Überlegungen allerdings auf die Vertragskontrolle. 389 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 210. 390 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 210. 391 Also eine Form von „Normsetzung“ inter partes. 392 Eine solche geschieht nicht zuletzt deshalb um zu klären, ob der Anwalt seiner Verpflichtung aus dem Anwaltsvertrag fehlerfrei genügt hat; ansonsten kommen z. B. Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. 388
E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung
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innerhalb eines Systems, verstanden als „eine Menge von untereinander abhängigen Elementen und Beziehungen“393. Die einzelnen Schritte innerhalb der anwaltlichen Methodik sind dann gleichsam die „Wertungselemente“, anhand derer die Kontrolle (Fehlerfreiheit der anwaltlichen Leistung) eröffnet wird. Wie die bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, (müssen) innerhalb einer Methodik der anwaltlichen Vertragsgestaltung unterschiedliche Elemente zusammenspielen394, u. a. Interessen, tatsächliche, ggf. veränderbare, Gegebenheiten, rechtliche, u. U. beeinflussbare Rahmenbedingungen oder grundlegende gesellschaftliche Wertungen. Das (fehlerfreie) „Gelingen“ eines Vertrags, der in Umsetzung individueller Interessen rechtliche Anerkennung erfährt (Ziele der anwaltlichen Methodik), hängt also von einem solchen Zusammenspiel ab.395 Dabei können durchaus einige Elemente im Einzelfall besonderes entscheidend sein396, z. B. bestimmtes zwingendes Recht, wie etwa § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB in seiner Grenzfunktion. Das Vorhandensein unterschiedlicher methodischer Elemente, die in der Vertragsgestaltung Berücksichtigung finden müssen, ermöglicht einerseits eine rationale Überprüfung der anwaltlichen Leistung. Andererseits werden durch das variable Zusammenspiel die gestalterischen Möglichkeiten des Anwalts in ihren Entwicklungen nicht zu sehr eingeschränkt, eine gestalterische „Reaktion“ auf „Besonderheiten“ ist möglich. Das gilt in unterschiedlicher Hinsicht. So unterliegen zwar die einzelnen methodischen Schritte, die „Wertungselemente“, wie sich noch zeigen wird, einer bestimmten logischen Abfolge. Gleichwohl eröffnen sie Elastizität und auch „Mischungsverhältnisse“.397 Für die Elastizität spricht der vielfach angeführte „Pendelblick“ zwischen einzelnen methodischen Schritten. Hinzu kommt, dass grundsätzlich auf dem Weg zum zu entwerfenden Vertrag (es geht um die Schaffung künftigen Rechts) die „Mischungsverhältnisse“ durchaus variabel sind. Vielfach ergeben sich Möglichkeiten, auf die „Stärke“ einzelner methodischer Schritte Einfluss zu nehmen. Beispielhaft zu nennen sind das unterschiedlich starke Aufgreifen verschiedener Interessen, das Nutzen der Optionen beeinflussbaren Rechts oder die Veränderung der tatsächlichen Umstände.
393
Fuchs-Heinritz u. a./Epskamp, Lexikon zur Soziologie, Stichwort „System“. Vgl. dazu bei Wilburg, Entwicklung eines Beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht, S. 12. Wilburg führt in Bezug auf das Schadensrecht aus, bei letzterem ließe sich die Haftung nicht auf einen einheitlichen Gedanken, sondern auf ein Zusammenspiel von Gesichtspunkten zurückführen. 395 Interessen müssen z. B. kompatibel mit gesetzlichen Vorgaben sein, letztere hängen in ihrer Anwendung von individuellen Umständen ab, Interessen können angepasst oder verändert werden. 396 Vgl. dazu grundlegend im Zusammenhang mit einem beweglichen System im Schadensrecht Wilburg, Entwicklung eines Beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht, S. 13. 397 Begriffsanlehnung an Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1. Aufl., S. 82. 394
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
Man wird daher auch die einzelnen methodischen Schritte der Vertragsgestaltung als Teile eines „flexiblen Systems“ begreifen dürfen/müssen, mittels dessen auf dem Weg zur künftigen Rechtsgestaltung398 eine Vereinigung von Offenheit und Struktur erfolgt. Insbesondere mit Bezugnahme auf die Topoi des „flexiblen Systems“, auf die Berücksichtigung der Einflussnahme verschiedener (veränderbarer wie nicht veränderbarer) Faktoren sowie mit der Einnahme eines „Pendelblicks“ zwischen den jeweiligen methodischen (Prüfungs-)Punkten sollen die einzelnen methodischen Schritte innerhalb einer anwaltlichen Vertragsgestaltung (nochmals) zusammenfassend aufgegriffen und dargestellt werden. Innerhalb der Darstellung der einzelnen Schritte sollen dann die zu Beginn des Kapitels gefundenen Ergebnisse um diejenigen, die aus dem Vorliegen eines flexiblen Systems folgen, weiter ergänzt werden.
II. Die einzelnen Schritte einer Methodik anwaltlicher interessenorientierter Vertragsgestaltung 1. Sachverhaltsermittlung im weiten Sinn Von Seiten des Anwalts ist notwendigerweise der relevante Sachverhalt zu ermitteln. Die rechtliche Verpflichtung dazu folgt aus dem Anwaltsvertrag mit seinem Mandanten [§ 675 Abs. 1 BGB i. V. m. § 611 BGB (ggf. § 631 BGB)]. Methodisch steht diese Ermittlung am Beginn der einzelnen Phasen der Vertragsgestaltung. Die Sachverhaltsermittlung ist dabei im weiten Sinn zu verstehen. Sie umfasst nicht nur die Erfassung tatsächlicher Umstände. Vielmehr ist hier bereits die Basis zur Erfassung der (durch den Vertrag) umzusetzenden Interessen des Mandanten begründet. Das bedeutet, dass der relevante Sachverhalt nur adäquat erfasst ist, wenn dies (auch) bereits unter Ausrichtung auf die Mandanteninteressen erfolgt. Der Grund dafür liegt darin, dass es für die spätere Umsetzung der Mandanteninteressen ganz wesentlich darauf ankommt, in welchem sozialen Kontext sie begründet sind. Zu diesem gehören im Übrigen auch die Interessen des potentiellen Vertragspartners oder etwaige in sonstiger Weise involvierte Interessen. Gerade wegen der Bedeutung der Mandanteninteressen steht der methodische Schritt der Sachverhaltsermittlung nicht nur in einer ständigen Wechselbeziehung zum sogleich anzusprechenden Aspekt der Ermittlung der Interessenziele, sondern vielfach wird es zwischen beiden methodischen Punkten in der Herangehensweise zu Überschneidungen kommen.399
398
Man kann dies auch als Form von „Normsetzung“ verstehen; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 220. 399 Ohnehin sind die einzelnen methodischen Punkte nicht in ihrer Anwendung hermetisch voneinander separiert. Nicht ohne Grund wird das Bild des „Pendelblickes“ benutzt. Zum Wechselblick innerhalb der Methodik der Vertragsgestaltung auch Kunkel, Vertragsgestaltung, S. 62.
E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung
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Die Weite des Verständnisses einer Sachverhaltsermittlung in Verbindung mit der Ausrichtung auf den sozialen Kontext der Mandanteninteressen erklärt sich weiterhin, wenn man in der Vertragsgestaltung ein Denken innerhalb eines flexiblen Systems (mit) berücksichtigt.400 Indem der Sachverhalt weit ermittelt wird, verhindert man nicht nur ein unbotmäßiges verfrühtes Denken in Grenzen, vielmehr schafft man ggf. die Grundlage für gestalterische „Sachverhaltsoptionen“.401 Ein Beispiel dafür kann die Kenntnis um Finanzierungsmöglichkeiten im Falle einer Kreditgewährung sein. Diese Optionen können ein „Gelingen“ der weiteren methodischen Schritte bedingen, etwa innerhalb der später anstehenden Klärung, ob bzw. welche vertragliche Gestaltungsvariante rechtlich machbar ist. Im Anschluss vor allem an diese beispielhafte Situation wird aber des Weiteren deutlich, dass die Sachverhaltsermittlung kein einmaliger abgeschlossener Vorgang ist, sondern ggf. während des gesamten Gestaltungsprozesses (fort-)geführt bzw. „beeinflusst“ werden muss. Das Wissen darum wie auch um die Möglichkeiten, mittels der Einspeisung weiterer (Sachverhalts-)Faktoren402 vor allem die (rechtliche) Bewertung des Vertrags beeinflussen zu können, veranschaulicht, wie wichtig ein weites Verständnis der Sachverhaltsermittlung dafür ist, in funktionaler Weise den Mandanteninteressen über den Vertrag zur Umsetzung verhelfen zu können. 2. Bestimmung des/der Interessenziels/-ziele des Mandanten Zentral ist die Bestimmung des Interessenziels bzw. der Interessenziele des Mandanten innerhalb der methodologischen Überlegungen. Aufgrund der Weite möglicher Mandanteninteressen ist die Begrifflichkeit des „Interessenziels“ hierbei in unserem Sinn prägnanter als die des „Sachziels“. Die Bedeutung des Interessenziels ist für sämtliche methodischen Schritte der anwaltlichen Vertragsgestaltung prägend. Der Anwalt, der dem Mandanten aufgrund des Anwaltsvertrags gerade die Interessenumsetzung im rechtlich möglichen Bereich schuldet, muss sich an der Realisierung dieser Ziele (auch) unter Haftungsgesichtspunkten messen lassen. Die Relevanz der Interessenziele zeigt sich zudem in 400 Es sei noch einmal betont, dass es hier zunächst nicht um ein Denken in Grenzen geht. Vielmehr geht es darum, den freiheitlichen Möglichkeiten der Vertragsgestaltung in den einzelnen methodischen Schritten Rechnung zu tragen. Letztlich soll den individuellen Mandantenwünschen so weit als möglich Vorschub geleistet werden. Der „Erfolg“ kann sich dann u. a. darin zeigen, dass die Mandanteninteressen durch den Vertrag umgesetzt werden und der Vertrag zudem einer „Abschlusskontrolle“ mittels der Generalklauseln standhält. 401 Man schafft zusätzliche Faktoren, die die potentiellen „Mischungsverhältnisse“ auf dem Weg zum endgültigen Vertrag mitbedingen. 402 Beispielhaft kann man die Aufnahme (weiterer) Vertragsverhandlungen nennen, um so ggf. das Vorliegen einer paritätischen Situation herbeizuführen. Zur Schaffung von Parität bei Eheverträgen mittels anwaltlich geleiteter Vertragsverhandlungen siehe wiederum Münch, FamRZ 2014, 805, 808; dazu auch BGH NJW 2014, 1101, 1106. Siehe zudem schon Koch, Schranken der Vertragsfreiheit im Familienrecht, 79, 88.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
den sie tragenden Wertungsgrundlagen. Es sind die (jeweils) eigenen Interessen403, an die vor allem die Topoi der (grundgesetzlich geschützten) Selbstbestimmung (Art.2 Abs. 1 GG), aber auch der Selbstverantwortung anknüpfen. Aus diesen Gründen ist eine Fokussierung auf Egoismen innerhalb der (anwaltlichen) Vertragsgestaltung auch vom Grundsatz her nicht negativ zu bewerten, sondern vielmehr zu fordern. Nicht zuletzt deshalb kommt dem Anwalt im Zusammenhang mit der Erfassung, erst recht jedoch bei der Hilfe zur Bildung von Interessen eine besondere Verantwortung zu. Wie wichtig die Interessenziele innerhalb des flexiblen Systems einer Methodik der Vertragsgestaltung sind, zeigten bereits die soeben angesprochenen Aspekte. Eine breite Erfassung der Interessen des Mandanten, die u. a. auch die maßgeblichen Kausalfaktoren enthalten, eröffnet dem Anwalt unterschiedliche Einflussmöglichkeiten innerhalb der Vertragsgestaltung und damit ggf. ein flexibles Reagieren. So kann die Aufdeckung von Kausalfaktoren im Vertrag dessen rechtliche Bewertung beeinflussen, das zeigte sich gerade bei der Anwendung von § 138 Abs. 1 bzw. § 242 BGB. Umfangreiche Interesseneruierungen bieten ferner ggf. die Optionen für andere vertragliche Gestaltungen, lassen zudem eine wertungsmäßige Abstufung einzelner Interessen untereinander zu, wodurch ebenfalls im Zusammenhang mit anderen methodischen Schritten der Vertragsgestaltung „Reaktionspotential“ eröffnet ist. Das betrifft u. a. wieder den Anwendungsbereich der Generalklauseln, ist aber z. B. ebenfalls dafür bedeutend, welche potentiellen Gestaltungsvarianten dem Mandanten letztlich zu empfehlen sind. Aufgrund ihrer „Ausstrahlungswirkung“ auf unterschiedliche nachfolgende methodische Schritte hat die Ermittlung der Mandanteninteressen am Beginn der Phasen der anwaltlichen Vertragsgestaltung zu stehen. Sie muss jedenfalls im Anschluss, vielfach aber auch bereits schon im Verbund mit der Sachverhaltsermittlung erfolgen. Oftmals werden Interessen auch erst gebildet werden müssen. Selbstverständlich ist die Einflussnahme der Interessen auf die weiteren methodischen Schritte nicht einseitig. Der notwendige „Pendelblick“ zwingt dazu, im fortschreitenden Gestaltungsprozess ggf. die Interessen oder ihre Gewichtung neu zu überdenken. Die Weite des Interessenbegriffs gilt nicht nur in Bezug auf den Mandanten, sondern auch in Bezug auf den potentiellen Vertragspartner. Dessen Interessen sind ebenfalls, im für den Mandanten möglichen Rahmen,404 zu ermitteln. Dabei kann dies auch schon (teilweise) im Kontext mit der (weiten) Sachverhaltsermittlung geschehen. Die Interessen des potentiellen Vertragspartners können die gleiche „Ausstrahlungswirkung“ wie die Mandanteninteressen entfalten. Die Berücksichtigung anderer Interessen, ihre Einstellung in die weiteren methodologischen Überlegungen geschieht allerdings für den Anwalt aus seiner funktionalen
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Aus anwaltlicher Sicht gerade die des Mandanten. Kausalfaktoren als Interessen werden beispielsweise nicht ohne weiteres erkennbar sein. Etwas anderes kann sich im Zusammenhang mit einer rationalen Verhandlung ergeben. 404
E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung
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Sichtweise heraus, das heißt (allein) zu dem Zweck, in möglichst optimaler Weise die Interessen des eigenen Mandanten umzusetzen. 3. Bestimmung des Rechtsziels An die Erfassung der Interessen des Mandanten schließt sich mit Blick auf eine spätere „Verwendung“ des Gesetzes die „Übersetzung“ derselben405 in die Rechtssprache an.406 Eine „Übersetzung“ in die Rechtssprache erleichtert den notwendigen Abgleich der Interessen mit dem Gesetz und seinen Regelungen. Bereits im Übersetzungsprozess können zudem durch eine entsprechende Wissensvermittlung um die rechtlichen Bedeutungen und Hintergründe durch den Anwalt an seinen Mandanten machtoptionale Strukturen angelegt werden. Letztere können gerade hinsichtlich des anschließenden methodischen Schritts fortgesetzt werden, bieten zudem flexible Elemente innerhalb der anwaltlichen Methodik. 4. Abklärung der Möglichkeiten der rechtlichen Infrastruktur Der funktional agierende Anwalt, der mittels eines (wirksamen) Vertrags die Interessen seines Mandanten umsetzen will, benötigt die gesetzliche Infrastruktur (das gesetzliche „Normalstatut“)407. Sie zeigt ihm die Möglichkeiten auf, ob bzw. wie die Mandanteninteressen in einen rechtlichen Vertrag eingekleidet werden können. Da die „Verwendung“ des Rechts in erster Annäherung losgelöst von einem Denken in Schranken erfolgen sollte, kann man sich zunächst darauf beschränken abzuklären, welche „Muster“ (insbesondere Vertragstypen), neben den allgemeinen Vorschriften bezüglich des Abschlusses eines juristischen Vertrags, vorhanden sind, die die Mandanteninteressen abdecken könnten. Dabei muss, da es im ersten Schritt gerade um eine „schrankenfreie“ Sichtweise geht, noch keine Differenzierung in dispositives oder zwingendes Recht vorgenommen werden. Findet sich ein „Muster“, durch welches die Mandanteninteressen umgesetzt werden können, ist dessen Qualifizierung, immer vorausgesetzt der potentielle Vertragspartner stimmt später einer Gestaltung danach zu, nicht ausschlaggebend. Mit dem Prozess des Abgleichs der Mandanteninteressen mit den gesetzlichen „Angeboten“ ist vielfach eine Offenlegung der den Normen zugrundeliegenden 405
Sofern innerhalb der Formulierung der Rechtsziele eine Erörterung einer zu unterscheidenden Erfüllungs- bzw. Risikoplanung angedacht wird, wird eine solche hier nicht vorgenommen. Beide Bereiche betreffen die Interessen des Mandanten, deren Umsetzung in methodischer Hinsicht erläutert wird. Zur Erfüllungs- und Risikoplanung in der Vertragsgestaltung, allerdings mit anderen methodischen Akzentuierungen, Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 261 ff. 406 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 170, wonach der Anwalt die Sachziele zwar kennen, sie jedoch für seine eigene Arbeit in „Rechtsziele“ übersetzen muss. 407 Daneben hat auch die Kautelarpraxis verschiedene Vertragsstatuten entwickelt.
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rechtlichen Bedeutungen und ihrer Motive seitens des Anwalts gegenüber dem Mandanten verbunden bzw. notwendig. Darin ist die Fortführung der unter 3. angesprochenen machtoptionalen Strukturen angelegt. Denn im richtigen „Verstehen“408 der gesetzlichen Rahmenbedingungen liegt auch ein wesentlicher Umstand dafür begründet, seine Interessen ebenfalls zu verstehen. Häufig wird sich zudem, auch wenn das innerhalb einer ersten Annäherung an das gesetzliche Normalstatut gerade nicht zwingend vonnöten ist, eine Auseinandersetzung um den Charakter von Normen, also ob diese solche des dispositiven oder des zwingenden Rechts sind, ergeben. Damit wird der Blick dafür geweitet, dass man zur eigenen Interessenumsetzung auf bestimmte gesetzliche Muster zugreifen kann, die entscheidende Frage jedoch vielfach ist, ob man dies sollte oder gar muss. U. a. solche Kenntnisse, verbunden mit denen um die inhaltliche Bedeutung rechtlicher Normen, eröffnen dann die Sicht auf die weiteren Zusammenhänge, mittels derer anschließendes (sonstiges) methodisches Vorgehen begründet und für den Mandanten funktional genutzt werden kann. So wird in der anwaltlichen Vertragsgestaltung die rechtliche Ausgangslage nie ohne ein weiteres Handeln des Mandanten seine Interessen „befriedigen“. Das liegt schon begriffsnotwendig darin begründet, dass es um Vertragsgestaltung geht. Man benötigt also stets die Zustimmung des anderen Teils. Wesentlich relevanter ist aber, dass selbst beim Rückgriff auf gesetzliche409 Vertragstypen in der Regel immer eine Gestaltungsnotwendigkeit in der Form verbleibt, dass die konkreten Vertragsleistungen, wie etwa der Kaufpreis und die Kaufsache innerhalb von § 433 BGB, bestimmt werden müssen. Allein dieser Umstand ist schon ausreichend, um die (weitere) methodische Sicht auf unterschiedliche Gestaltungsvarianten und (nunmehr) ein potentielles Anlegen von (rechtlichen) Schranken, z. B. §§ 134, 138 BGB, lenken zu müssen. Darüber hinaus, und dann wird sich ein Arbeiten innerhalb eines flexiblen Systems in aller Deutlichkeit zeigen, wird auch im Übrigen ein Rückgriff auf vorgegebene Vertragstypen vielfach nicht den Mandanteninteressen ohne Änderungsbedarf entsprechen, jedenfalls oftmals dann nicht, wenn keine alltäglichen Vertragsgeschäfte gegeben sind. Hier stellt sich die Frage, wie Abweichungen vom gesetzlichen Normalstatut mit den gesetzlichen Vorgaben kompatibel zu machen sind. Vor allem dabei wird ein Rückgriff und ggf. flexibler „Einsatz“ anderer methodischer Elemente der Vertragsgestaltung (u. a. Kenntnis um Interessen, Wertigkeit derselben, Veränderung des „Sachverhalts“) von Bedeutung sein. Über das (gewonnene) Wissen um die rechtliche Ausgangslage, die dort angelegten Möglichkeiten und vor allem Freiheiten (sowohl über die grundsätzliche Vertragsfreiheit als auch über das Verständnis des dispositiven Rechts) ist in einem 408
Dieses ist auch für die Interessenbildung, soweit noch nicht erfolgt, von Bedeutung. Hier zeigt sich wiederum die Notwendigkeit eines „Pendelblicks“ zwischen den einzelnen methodischen Schritten. 409 Oder kautelarpraktische.
E. Methodik einer interessengeleiteten anwaltlichen Vertragsgestaltung
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nächsten methodischen Schritt dann zunächst der Umgang mit einem Gestaltungsbedarf zu begründen. 5. Feststellung von Gestaltungsbedarf Die Feststellung eines Gestaltungsbedarfs ist das Resultat eines Abgleichs der (vollständig) ermittelten Interessenziele des Mandanten mit den Möglichkeiten der gesetzlichen Infrastruktur. Dabei haben die Ausführungen unter Punkt 4. bereits deutlich gemacht, dass grundsätzlich „Bedarf“ an Gestaltung besteht, jedenfalls in Bezug die konkreten essentialia negotii und den zu erfolgenden Vertragsabschluss selbst. Je nachdem, wie komplex der zu regelnde Lebenssachverhalt ist, und je nachdem, wie sorgfältig die Mandanteninteressen ermittelt und über die rechtliche Infrastruktur aufgeklärt worden ist, kann sich darüber ein deutlicher Gestaltungsbedarf herauskristallisieren. Die mit letzterem vielfach verbundenen Mühen dürfen nicht unter Vernachlässigung der Interessenaufdeckung(-bildung) beim Mandanten reduziert werden. Es sind die über den Vertrag zu realisierenden Mandanteninteressen, die Ausdruck seiner Selbstbestimmung sind. Das Bewusstsein um die Notwendigkeit von Gestaltungsbedarf, aber auch um die grundsätzliche Möglichkeit seiner Umsetzung im Rahmen der Vertragsfreiheit, müssen den Umgang mit den erforderlichen nachfolgenden methodischen Schritten prägen. Dabei ist zunächst wieder bei einem vertragsfreiheitlichen Denken anzusetzen. 6. Herausbildung von Gestaltungsalternativen Ein vertragsfreiheitliches Denken heißt in einer weiten Ausrichtung, (zunächst) die umzusetzenden (Mandanten-)Interessen als solche in Vereinbarungsform zu „erfassen“ (Formulierung als Vertragsklauseln) und in einem nächsten Schritt nach potentiellen Grenzen, insbesondere rechtlicher und tatsächlicher Art zu suchen. Um eine interessengerechte Lösung für den Mandanten zu finden, sind diese Schritte jedoch nicht kategorisch zu trennen. Zu berücksichtigen ist vielmehr, das Ineinandergreifen der methodischen Schritte einer anwaltlichen Vertragsgestaltung und die sich darüber ergebenden Möglichkeiten des in der Methodik angelegten flexiblen Systems nicht ungenutzt zu lassen. Losgelöst von einem Denken in Grenzen werden zunächst insbesondere die innerhalb der Herausarbeitung der relevanten rechtlichen Infrastruktur ausgemachten Muster (Vertragstypen) die vielfach zu wählende Anknüpfungsvorgabe sein, um ggf. durch Modifizierung bzw. durch Kombination unterschiedlicher Muster410 eine Deckung mit den involvierten Mandanteninteressen zu erzielen. 410
Gemeint sind damit vor allem gemischte Verträge.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
In einer solch „flexiblen“ Betrachtung und Handhabung der rechtlichen „Angebote“ liegt in einem ersten Schritt wieder eine Fokussierung auf die eigenen Mandanteninteressen. Dieses Element innerhalb der Methodik wird dann einseitig betont, ein Vorgehen, das innerhalb eines nicht zuletzt auf Umsetzung von Egoismen angelegten flexiblen Systems411 einer Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung durchaus angezeigt ist. Das zeigt sich im Besonderen, wenn atypische Verträge412 entwickelt werden. Offen zu haltende Flexibilität im Denken und in der Herangehensweise zeigt sich aber dann vor allem im Umgang mit potentiellen Grenzen. Der Übergang zu einem (erforderlichen!?) Denken in Grenzen wird nach dem Durchlaufen der bisherigen methodischen Schritte und gerade bei der unmittelbaren Notwendigkeit der Herausarbeitung von Gestaltungsalternativen fließend einzusetzen haben, das heißt, Grenzen sind möglichst zunächst auch als Optionen in das Herangehen zu integrieren. Das bedeutet, die einzelnen herausgearbeiteten Gestaltungsvarianten (z. B. Vorschläge aufgrund von Vertragstypen, wobei einzelne Regelungen modifiziert worden sind, Schaffung von gemischten Verträgen, Bildung eines atypischen Vertrags) sind jeweils auf potentielle Grenzen hin zu untersuchen. Unproblematisch ist die Situation, in der eine bestimmte, die Interessen des Mandanten abdeckende Lösung keinen rechtlichen Bedenken unterliegt. Hier kann sich allerdings bei der notwendigen Berücksichtigung der Interessen der anderen Vertragspartei die Notwendigkeit ergeben, gleichwohl noch weitere Gestaltungsoptionen zu erwägen, die dann möglicherweise bestimmten rechtlichen Grenzen unterworfen sind. Die angesprochenen rechtlichen Grenzen können vor allem in Form von zwingendem Recht vorliegen, wenn solches einem präferierten Weg entgegensteht. Die „optionale Integration“ dieser Grenzen besteht dann zunächst darin, entsprechende Grenzen aufzuzeigen, die jeweilige „Lösungsalternative“ jedoch noch nicht sofort wegen mangelnder Deckungsgleichheit mit dem rechtlichen Rahmen zu verwerfen. Zum einen kann ggf. gestalterischer Einfluss auch auf das zwingende Recht genommen werden. Das wurde insbesondere in Bezug auf die Generalklauseln der §§ 138 Abs. 1, 242 BGB gezeigt, die gleichsam zudem als „Abschlusskontrolle“ hinsichtlich eines jeden einzelnen Lösungsvorschlags eingesetzt werden müssen. Das Ob und Wie der Einflussmöglichkeiten, z. B. die Veränderung von Umweltfaktoren, ist dann aufzuzeigen.
411 Ein solches lässt gerade das Hervortreten eines einzelnen Elements zu. Eine andere Frage ist, ob damit das durch die Anwendung des Systems (optimale Interessenumsetzung durch einen wirksamen Vertrag) angestrebte Ziel tatsächlich erreicht werden kann. 412 Genutzt wird dann „lediglich“ die grundsätzliche Infrastruktur des Gesetzes, wie z. B. die Regeln zum Vertragsschluss.
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Im Übrigen kann das Eingreifen von zwingendem Recht möglicherweise nur Teilen des Lösungsentwurfs entgegenstehen, nicht jedoch einem solchen in Gänze. Auch dieses „Resultat“ ist weiterhin als Option aufzufassen. Schließlich besteht zudem eine „Variante“ darin, eine bestimmte Gestaltung als rechtlich nicht wirksam umsetzbar aufzuzeigen, z. B. den Schenkungsvertrag nach § 516 BGB, der die Formvorgabe nach § 518 BGB nicht berücksichtigt. Die Option besteht dann z. B. darin, Mechanismen bezüglich der (rechtlich unwirksamen) Vereinbarung aufzuzeigen, die gleichwohl zur Beachtung des Versprechens führen können (etwa soziale Macht- und Kontrollmechanismen). Der Grund, potentielle rechtliche Grenzen (mit ihren Auswirkungen) im Verbund mit den jeweiligen Lösungswegen zunächst (nur) darzustellen, liegt darin, dass ein Vergleich zwischen verschiedenen Gestaltungsvarianten413 nicht möglich ist, wenn nicht auch ihre Begrenzungen in Rechnung gestellt werden. Findet sich keine rechtlich akzeptierte Gestaltungsalternative, die zur Gänze die Interessen des Mandanten abdeckt, muss unter Zuhilfenahme der Flexibilität der Methodik der anwaltlichen Vertragsgestaltung eine Lösung gesucht werden. So können beispielsweise Interessen(-gewichtungen) verändert oder Sachverhaltsumstände414 modifiziert werden. Ob und ggf. wie das geschieht, hängt von der Entscheidung des Mandanten ab, der dazu der Darstellung der Gestaltungsvarianten, ihrer Grenzen und der besagten Einflussfaktoren bedarf. Die Erforderlichkeit, unterschiedliche Gestaltungsvarianten (mit ihren etwaigen Grenzen) aufzuzeigen und die Lösungssuche über das flexible System der Methodik der Vertragsgestaltung zu forcieren, stellt sich in gleicher Weise, wenn die Interessen der anderen Vertragsseite415 gleichsam als „tatsächliche“ Grenze einer bestimmten, die Mandanteninteressen abdeckenden Gestaltungsvariante entgegenstehen. 7. Auswahl unter den Gestaltungsalternativen und Entwicklung der endgültigen Vertragsklauseln/des endgültigen Gesamtvertrags Der für den letztlich zu entwerfenden Vertrag bedeutsame Schritt besteht in konsequenter Fortführung der soeben angestellten Überlegungen darin, eine Auswahl unter verschiedenen Gestaltungsalternativen zu treffen. Das hat häufig unter der aufgezeigten Notwendigkeit der (Mit-)Berücksichtigung potentieller Grenzen zu geschehen. Das maßgebliche Kriterium bezüglich der Auswahl bilden die Mandanteninteressen. Letztere haben sich oftmals seit ihrer erstmaligen „Feststellung“ verändert bzw. erweitert, was zum einen die Folge anwaltlicher Aufklärung oder 413 Gemeint ist die Situation, in der keine Gestaltungsvariante die Interessen des Mandanten zur Gänze abdeckt. 414 Ein Beispiel dafür ist die Schaffung paritätischer Verhältnisse mittels Vertragsverhandlungen. Siehe dazu auch Wendland, Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, S. 61. 415 Wobei diese selbstverständlich auch Einfluss auf mögliche rechtliche Grenzen nehmen können, wie vor allem die Diskussion um die Generalklauseln gezeigt hat.
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5. Teil: Notwendigkeit einer anwaltlichen Methodik
(umfangreicher) Vertragsverhandlungen sein kann. Die Interessenveränderung kann ferner ebenso die Folge der aus den vorangegangenen methodischen Schritten gewonnenen Erkenntnisse sein, wie solche um die Machbarkeit, die Folgen bestimmter Gestaltungen oder der mit ihnen verbundene Aufwand bzw. die entstehenden Kosten. Anknüpfend an die durch die Interessen gelenkte Auswahl möglicher Gestaltungsalternativen hat die Entwicklung des schlussendlichen (Gesamt-)Vertrags mit seinen einzelnen Regelungspunkten bzw. Vertragsklauseln zu erfolgen. Zuvörderst müssen sich auch die einzelnen Regelungspunkte ebenso wie der Gesamtvertrag daran messen lassen, bzw. es hat eine Kontrolle dahingehend zu erfolgen, ob durch sie die gewünschte Interessenumsetzung gewährleistet wird. Ein (wesentliches) Interesse besteht in der Regel darin, eine Umsetzung der (Gesamt-)Interessen mittels eines rechtswirksamen (juristischen) Vertrags zu erreichen. Es muss daher bei der Formulierung, wie auch (nochmals) im Anschluss daran, eine Kontrolle erfolgen, ob die einzelnen Vertragsklauseln ebenso wie der (spätere) Gesamtvertrag als Gesamtgefüge rechtlich wirksam sind. Bedeutung haben innerhalb dieser Kontrolle neben „besonderen/speziellen“ Normen, z. B. solchen des Mietrechts, vor allem „allgemeine“ Vorschriften, u. a. §§ 134, 138, 242 BGB. Aus gestalterischer Vorsorge heraus ist zudem für den Fall, dass eine Klausel unwirksam ist, an die Installierung einer salvatorischen Klausel zu denken. Dabei hat die Kontrolle der einzelnen Klauseln/des Gesamtvertrags anhand rechtlicher Kategorien immer unter dem Postulat der optimalen Interessenumsetzung für den Mandanten zu erfolgen. Das liegt zwar in dem Sinn und Zweck der anwaltlichen Vertragsgestaltung begründet, folgt (ohnehin) konsequent aus den vorhergehenden methodischen Schritten, nicht zuletzt aus der (gewollten) Umsetzung der Rechtsziele. Gleichwohl kommt dem Topos der Interessenumsetzung innerhalb der Erstellung und der Kontrolle des (Gesamt-)Vertrags nochmals besondere Bedeutung zu. So kann die Schaffung einzelner, dann aber auch im Verbund (Gesamtvertrag) wirksamer juristischer Klauseln dazu führen, dass einzelne Interessenziele nicht (nicht optimal) umgesetzt werden. Dann muss416 ggf. nochmals geklärt werden, wie die subjektiven Interessen (des Mandanten) zu gewichten sind.417 Eng damit verbunden ist die Überlegung, dass im Kontext der (Gesamt-)Vertragserstellung ein (notwendiger) Abgleich mit den subjektiven Interessen nicht neben der rechtlichen Rück- und Gesamtkontrolle des Vertrags steht, sondern sich vielmehr mit ihr in einer Wechselwirkung befindet (Konsequenz des beweglichen Systems der Methodik der Vertragsgestaltung selbst). Das zeigt sich vor allem daran, dass die rechtliche Beurteilung der Klausel-/Vertragswirksamkeit oftmals von der individuellen Interessenlage abhängen und damit ggf. über diese auch gesteuert werden 416 Hier zeigt sich wiederum der enge Zusammenhang zur zu treffenden Auswahl der Gestaltungsalternative. 417 Vorstellbar ist etwa, dass der Mandant den juristischen Vertragsentwurf mit der für ihn daraus folgenden Interessengewichtung akzeptiert. Denkbar ist aber ebenso, dass der Mandant dann den Wunsch nach einer anderen juristischen Regelung hat.
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kann.418 Das zeigt sich im Besonderen im Zusammenhang mit der schon angesprochenen Kontrolle mittels „allgemeiner Vorschriften“, gerade mittels des § 138 Abs. 1 BGB. Über letzteren ist auch stets eine „Abschlusskontrolle“ in Bezug auf die Vertragswirksamkeit vorzunehmen. Auf die Möglichkeiten einer „Einflussnahme“ auf den § 138 Abs. 1 BGB über die Interessengewichtung und -aufdeckung (z. B. Installierung einer Präambel, Hinweis auf Vertragsverhandlungen) wurde verschiedentlich, nicht zuletzt auch im Kontext um den (eigenen) methodischen Umgang mit Generalklauseln, eingegangen. Innerhalb der Abschlusskontrolle muss schließlich auch eine Überprüfung dahingehend erfolgen, ob bestimmte Interessen, die rechtlich nicht umsetzbar sind,419 gleichwohl Aufnahme in den Gesamtvertrag finden können und ggf. müssen. Im „Extremfall“ wird420 nach Aufklärung des Mandanten sogar seine Entscheidung dahin gehen, einen rechtlich unwirksamen, lediglich sozial wirkenden Vertrag abzuschließen.421 Ohnehin ist die bewusste Inkaufnahme, einen rechtsunwirksamen Vertrag zu entwerfen, eine Handlungsoption. Neben der dabei notwendigen Aufklärungsarbeit des Anwalts gegenüber seinem Mandanten verbleibt jedoch die Problematik, ob der Anwalt an der Schaffung bestimmter rechtswidriger Verträge mitwirken sollte. Wesentlich relevanter ist die Aufnahme einzelner lediglich „sozial“ wirkender Vertragsklauseln422. Ein Beispiel dafür ist eine rein „psychologisch“ wirkende Kommunikations- oder Verhandlungsklausel. Auch die Schaffung solcher „sozialer Klauseln“ kann zur Interessenumsetzung angezeigt sein. Hier können sich nicht zuletzt soziale „Zwangsmechanismen“ als unterstützend auswirken, u. a. der gewünschte Erhalt bestehender Geschäftsverbindungen. 8. Niederschrift des Gesamtvertrags und Vornahme etwaiger Umsetzungshandlungen Die Niederschrift des Gesamtvertrags und die Vornahme etwaiger Umsetzungshandlungen (z. B. Registereinträge) sind gleichsam der Abschluss und die Umsetzung der Ergebnisse, die aus den vorangegangenen methodischen Schritten folgen. 418
Ein Beispiel dafür kann etwa sein, die vertragliche Lastenverteilung nochmals zu überdenken, um den Vertrag nicht an § 138 Abs. 1 BGB scheitern zu lassen. 419 Das Gewünschte kann rechtlich nicht realisiert werden, weil etwa zwingendes Recht entgegensteht (siehe nur das verschiedentlich angeführte Beispiel, dass der Mandant den Formvorgaben bezüglich eines Schenkungsversprechens nach § 518 BGB nicht genügen will). Vorstellbar sind auch soziale Abläufe, die sich rechtlicher Regelung und Zwang entziehen, z. B. soll die Zuneigung des Ehegatten trotz Trennungsvereinbarung erhalten bleiben. 420 Vgl. erneut den Umgang mit „geeigneten“ und „ungeeigneten“ Alternativen. 421 Wiederum sei auf unser Beispiel verwiesen, in dem der Enkel mit seinem Großvater einen Schenkungsvertrag schließen will, der nicht den Vorgaben des § 518 BGB genügt. 422 Dabei ist allerdings im Einzelfall darauf zu achten, dass nicht ungewollte Konsequenzen für den restlichen (als wirksam gewollten) Vertrag drohen, z. B. über §§ 139 f. BGB.
Schlussthesen (Mandanten-)Interessen und juristischer Vertrag stehen in einer Zweck-MittelRelation. Es sind die (Mandanten-)Interessen, die den relevanten (Ausgangs-) Maßstab in der anwaltlichen Vertragsgestaltung bilden. „Mittel“ ihrer Umsetzung kann und wird vielfach der juristische Vertrag sein. Er muss es aber nicht. Anwaltliche „Vertragsgestaltung“ muss immer auch für die Option rein sozialer Vereinbarungen offen sein. Eine Berücksichtigung sozialer Abläufe (insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Folgenorientierung), das Bewusstsein um die Verquickung von Interessen und sozialen Faktoren sowie die Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung sozialer Realität durch den juristischen Vertrag hat so früh als möglich innerhalb der anwaltlichen Tätigkeit hin zur Vertragsgestaltung einzusetzen und sämtliche Abläufe zu durchziehen. Ein entsprechendes Bewusstsein hat bei der Ermittlung des zu regelnden Sachverhalts anzusetzen, muss die Entwicklung potentieller Gestaltungsoptionen durchziehen und letztlich auch Einfluss auf eine Abschlusskontrolle des Vertrags, u. a. über § 138 Abs. 1 BGB, haben. Umzusetzende Mandanteninteressen sind notwendig (rein) subjektiv. Das Verständnis subjektiver Interessen ist denkbar weit. Es umfasst alles, was der Einzelne sich wünschen, was er begehren, was ihn motivieren kann. Interessen in der Vertragsgestaltung dürfen nicht mit der Frage der (vor allem juristisch bestimmten) Machbarkeit gleichgesetzt werden. Die Interessenbestimmung hat sich zunächst jedem (externen) Bewertungsvorgang zu entziehen. Eine Zuweisung von Wertigkeiten obliegt insoweit allein dem Mandanten. Seitens des Anwalts darf vor allem am Beginn seiner gestalterischen Tätigkeit kein Denken in Grenzen stattfinden. Die Weite der Mandanteninteressen ist grundsätzlich auch für den Interessenvertreter „Anwalt“ und die von ihm zu erfüllenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag (§ 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 bzw. § 631 BGB) der maßgeblichen Ausgangspunkt. Der Weite der Mandanteninteressen, vielmehr ihrer Umsetzung, muss der Anwalt ggf. im eigenen Interesse entgegentreten, um seinen eigenen Interessen gerecht zu werden, u. a. berufsrechtlichen Vorgaben (Stichwort: Problematik der Mitwirkung an einem rechtswidrigen Vertrag). Der vom Anwalt anwaltsvertraglich geschuldete Umgang mit den Mandanteninteressen ist im erheblichen Maß relevant für den (notwendigen) Umgang mit Rollenverständnissen in der Vertragsgestaltung. Ein Rückgriff auf objektivierte Interessen kann durch die subjektiven Wünsche des Mandanten determiniert sein. Da der Ausgangspunkt und der relevante Maßstab
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für den vertragsgestaltenden Anwalt die subjektiven Interessen sind, muss sich jeder Rückgriff auf objektivierte Interessen an diesem Maßstab messen lassen. Das gilt grundsätzlich auch für die Berücksichtigung rechtlicher Vorgaben/Rahmenbedingungen, selbst wenn diese (zu berücksichtigende?) Grenzen bilden. Dem gestalterischen Handeln wird ein weites Verständnis der Vertragsfreiheit im Sinne einer formalen Freiheitsgewährung zugrunde gelegt. Interessengerechte Vertragsgestaltung kann nicht bei Aussparung (auch) einer (rechts-)soziologischen Sichtweise auf den Vertrag gelingen. Es geht nicht um die „Verdrängung“ juristischer Kategorien, sondern um deren optimalen Einsatz bzw. deren Beurteilung als taugliches Gestaltungsmittel zur Interessenumsetzung im sozialen Kontext. In Kenntnis von Wirkungsort und Funktionen des Vertrags müssen im gestalterischen Kontext u. a. Fragen nach der Regelbarkeit sozialer Abläufe und den Möglichkeiten und Grenzen eines vielfach auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses angelegten (durchsetzbaren) Vertragsrechts, welches zur Interessenumsetzung eingesetzt werden soll, gestellt werden. Vor allem die Gestaltung von auf Dauer angelegten Vertragsverhältnissen verlangt vielfach die gesonderte Berücksichtigung sich entwickelnder Beziehungen, die etwa von „Erkaltungstendenzen“ zwischen den Vertragspartnern bedroht oder von sich verändernden Umweltbeziehungen (z. B. wechselnde Materialkosten bei Bauprojekten) beeinflusst sein können. Notwendig ist eine Integration einer relationalen Sichtweise in die Vertragsgestaltung. Für eine entsprechende Umsetzung gibt es kein relationales Vertragsrecht, wiewohl relationale Strömungen im deutschen Vertragsrecht vorhanden sind, z. B. in § 313 BGB. Die vertragliche Realisierung verlangt innerhalb einer relationalen Ausrichtung in der Regel nach Klauseln, die sich verändernde Beziehungen in vertragliche Formen „gießen“. Das kann u. a. mittels Kommunikationsklauseln, Verhandlungs- und Anpassungsklauseln möglich sein. Entsprechende Klauseln, z. B. Kommunikationsklauseln, können sich aber ggf. der juristischen Durchsetzbarkeit entziehen. Eine relationale Sichtweise auf den Vertrag verlangt oftmals eine Interessenabwägung eigener Art. Eine (eingeschränkte) anwaltliche Sichtweise auf die Vorteile juristischer Vertragsregelungen in der Form, dass diese in jedem Fall einer (erfolgreichen) gerichtlichen Kontrolle zu dem Zweck zugeführt werden können müssen, um eine staatliche Durchsetzbarkeit (sofern auf Leistung gerichtet) zu erreichen, ist zu vermeiden. Diesbezüglich muss für eine optimale Umsetzung der Mandanteninteressen im Einzelfall auch eine (kritische) Hinterfragung erfolgen. Ein „Beziehungserhalt“ (z. B. die gemeinsame Durchführung eines Großprojekts) erfordert eine Abwägung mit „typisch relationalen“ Gestaltungselementen, die ggf. nicht dem (durchsetzbaren) Weg insbesondere der Zwangsvollstreckung zugänglich sind. Solche Elemente können beispielsweise die Installierung nur psychologisch
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wirkender Klauseln oder der Umgang mit dem Gedanken des self-executing contracts sein. Zu denken ist auch an die Beförderung von Verhandlungsmechanismen u. a. durch Mediationsklauseln. Die intendierte „Gestaltung“ der Rechtspositionen von Dritten, die nicht Vertragspartei sind, ist den eigentlichen Vertragsparteien nur in einem sehr begrenzten Rahmen eröffnet. Möglichkeiten können sich aber beispielsweise neben dem Vertrag zugunsten Dritter über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ergeben. Auch bei letzterem sind „positive“ gestalterische Einflussnahmen ohne Beteiligung des Dritten vorstellbar. Am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zeigt sich weiterhin exemplarisch, wie sich die „Willensabhängigkeit“ von Rechtsfolgen hin zu einem „Reflex“ entwickeln kann, außerdem wie sich wiederum rechtliche und (auch) soziale Einwirkungen bedingen und Interessenkonglomerate gestalterisch bewältigt werden können. Eine „negative“ gestalterische Einflussnahme auf Dritte kann in engem Rahmen über die Ausnutzung gesetzlicher Reflexwirkungen erfolgen. Letztere ermöglichen eine Prognostizierbarkeit solcher Einflussnahmen. Drittinteressen als potentielle Grenzen der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten sind vor allem in Form von Lastwirkungen aufgrund der Ubiquität der Auswirkungen eines Vertrags im sozialen Kontext schwerer prognostizierbar und gestalterisch beeinflussbar. Vor dem Hintergrund einer weit zu verstehenden formalen Vertragsfreiheit sind die Anknüpfungspunkte für eine Grenzziehung durch Drittinteressen (Lastwirkungen) vielfach die Generalklauseln aus §§ 138 Abs. 1, 242 BGB. Sie erfordern ein gestalterisches Agieren innerhalb eines flexiblen Systems. Die Herausforderung für den Vertragsgestalter besteht dort u. a. darin, den potentiell kontrollierenden Richter „in die Methode zu zwingen“. Der Anwalt kann selbst zur Setzung und Gewichtung der im System relevanten beweglichen Elemente beitragen, beispielsweise durch Interessenaufdeckung innerhalb einer Präambel. Es ist anzustreben, dass der Richter nur bei entsprechender Berücksichtigung der gestalterisch gesetzten Elemente (im Interesse) des Mandanten rechtsfehlerfrei urteilt. Interessenwahrnehmung erfordert vom Anwalt zum einen im Verhältnis zum Mandanten gesteigerte kommunikative Fähigkeiten. Die dort eingesetzte Sprache und die in ihr enthaltenen Botschaften (Sach-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene) müssen bezogen auf die anwaltsvertraglich geschuldeten Leistungen von diesem reflektiert werden. Ohne entsprechende Reflexion kann dieser insbesondere nicht in geforderter Weise an der Informationsbeschaffung, der Interessenfindung und der Interessenbildung beim Mandanten mitwirken. Zu der Reflexion über die Sprache und die in ihr enthaltenen Botschaften muss das Problembewusstsein um die Verortung der umzusetzenden Interessen und den Wirkungsort des zu gestaltenden Vertrags treten: Beide betreffen soziale Realitäten.
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Die Berücksichtigung sozialer Realitäten muss wiederum mit Blick auf die Informationsbeschaffung, die Interessenfindung und -bildung erfolgen. Eine Offenheit des Denkens (auch) jenseits der Orientierung an juristischen Mustern (z. B. Vertragstypen) muss vom Anwalt (mit) erbracht werden. Beispielhaft und prägend steht dafür eine topische Herangehensweise bei der Sachverhaltsermittlung. Die Kommunikation zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten, gerade innerhalb von anwaltsvertraglich geschuldeten Vertragsverhandlungen, erfordert im Weiteren vom Anwalt ebenfalls einen erweiterten Blickwinkel, allerdings unter einer veränderten Ausrichtung. Verändert ist im Besonderen die Sicht auf Notwendigkeit und Umfang von Informations- und Interessenweitergabe. Beides erfolgt zuvörderst unter dem Gesichtspunkt der (einseitigen) Interessenwahrnehmung für den Mandanten. Ein Selektionsprozess diesbezüglich, vor allem zwischen den Topoi Informationspflicht, Notwendigkeit der Beziehungserhaltung/des Beziehungsaufbaus hinsichtlich der späteren Vertragsparteien sowie von (bewusster) Aussparung von Informationen zur Interessenumsetzung des Mandanten, ist unerlässlich. Bedeutsam ist für den für/mit seinen/seinem Mandanten verhandelnden Anwalt der Einsatz und die Nutzbarmachung vor allem der Sachebene der übermittelten Botschaften. Sie betrifft nicht nur das „Ob“ der Übermittlung von Informationen, sie ist auch die Plattform zentraler, dem Mandanten vom Anwalt geschuldeter Leistungen, wie die richtige Übermittlung relevanter Informationen oder die korrekte Cobzw. Decodierung von Mitteilungen. Informationen sind als Machtoptionen zu berücksichtigen. Zwingend ist deshalb (auch) die Beachtung der Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene von Botschaften. Das gilt insbesondere, wenn der Mandant selbst an den Vertragsgesprächen teilnimmt. Eine rationale Verhandlung mit Struktur kann in vielen Fällen der vorzugswürdige Weg sein, um die Mandanteninteressen, gerade unter Einschluss einer befriedenden Vertragswirkung sowie der Berücksichtigung von Interessen in ihrem gesamten (lebensweltlichen) Spektrum, zu realisieren. Für den Anwalt selbst kann das rationale Verhandeln Rollenkonflikte, Rollenmodifikationen und ggf. Haftungsgefahren (Dritthaftung aufgrund falscher Auskünfte gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten) befördern. Anwaltliches Handeln, vor allem im Verhältnis zum eigenen Mandanten, erklärt sich unter Nutzung soziologischer Rollenverständnisse als ein stark von Muss-Erwartungen im Dahrendorfschen Sinn geprägtes Vorgehen. Signifikant dafür stehen die anwaltsvertraglich geschuldeten Leistungen, bei deren Verletzung eine Haftung droht. Das anwaltliche Verhältnis zum potentiellen Vertragspartner seines Mandanten ist davon zu trennen. Es steht ebenfalls im Fokus einer Haftungsproblematik, der einer
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potentiellen (Dritt-)Haftung des Anwalts gegenüber diesem potentiellen Vertragspartner. Die juristische Bewältigung der Problematik hat eigenständige Bedeutung. Um den insbesondere anwaltsvertraglich begründeten Muss-Erwartungen des Mandanten als dessen Interessenvertreter genügen zu können, muss der Anwalt sich einem weitem Spektrum dessen öffnen, was die Gestaltung der vom Mandanten (sowie dessen Vertragspartner) später zu bekleidenden (Vertrags-)Rollen rollentheoretisch beinhalten kann. Die Reflexion entsprechender Erkenntnisse unterstützt eine interessengeleitete Verhandlungsführung, eine optimale Nutzung juristischer Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne der Mandanteninteressen sowie die Förderung der Akzeptanz des künftigen Vertragswerks. Zentrale Aspekte, die in die anwaltlichen Überlegungen einfließen sollten, sind u. a. die Bedeutung der Schaffung sanktionierbarer Erwartungen (Dahrendorf), das heißt die Gestaltung insbesondere gerichtlich feststellbarer und ggf. durchsetzbarer Vertragsrechte für den Mandanten (wie auch seiner Pflichten). Eine etwaige „Sozialisation“ des Mandanten im Sinne des Vertragsrechts („Wollen wie Sollen“; Parsons) ist erwägenswert, also die Mitwirkung daran, dass der Mandant rechtliche Rahmenbedingungen als tauglich akzeptiert. Bezüglich letzterem muss aber auf die Wahrung einer kritischen „Rollendistanz“ geachtet werden. Vor allem aber im Lichte der Vertragsfreiheit ist ein kreatives role-making (Turner) im Sinn der Kreation gegenseitiger individueller (Vertrags-)Erwartungen bedeutsam; es geht um die Schaffung einer „maßgeschneiderten“ Vertragsrolle für den Mandanten. (Auch) darüber hinaus ist es das Wissen um entsprechende Rollenerkenntnisse, die das Recht als vertragliches Gestaltungsmittel in Gänze nutzbar machen lässt. Insbesondere Fragen um das (tatsächliche) Funktionieren des Vertrags (z. B. als eigenes soziales System) erfordern die Öffnung zu entsprechenden wissenschaftlichen Strömungen, der Öffnung hin zu verschiedenen Rollenerkenntnissen. Der Umgang mit Rollenerkenntnissen fließt ebenfalls in die juristische Bewältigung potentieller Haftungsfragen im Verhältnis Anwalt (Interessenvertreter) – potentieller Vertragspartner des Mandanten ein. Anlass für eine Haftung kann vor allem eine falsche Auskunft (Rat, Empfehlung) des Anwalts innerhalb von Vertragsverhandlungen sein. Die „Rolle“ im Recht ist ein Element zur Bewältigung der Problematik um die Haftung für falsche Auskünfte; ein Rückgriff auf sie entbindet nicht von der Suche nach einem tragfähigen dogmatischen juristischen Fundament. Der relevante Haftungsgrund für falsche Auskünfte muss der besonderen Situation der Vertragsverhandlung, in die der Interessenvertreter „Anwalt“ für seinen Mandanten involviert ist, Genüge tun. Angemessene Berücksichtigung müssen insbesondere die Faktoren berufliche Stellung des Anwalts, Eintritt als Interessenvertreter in die Verhandlungen, kommunikativer Kontakt zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten finden.
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Allein die Stellung des Anwalts begründet eine Haftung für falsche Auskünfte etc. gegenüber dem potentiellen Vertragspartner des Mandanten nicht, wenn der Anwalt als Interessenvertreter in die Vertragsverhandlungen geht. Eine Auseinandersetzung mit der Auskunftshaftung findet sich in vielfacher Form in Rechtsprechung und Literatur. Die Elemente von beruflicher Stellung, Interessenvertretung, Situation der Vertragsverhandlung und Kommunikation lassen sich u. a. in (kritischer) Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen von Hopt (Berufshaftung), Jost (Fachmannseigenschaft und Kommunikation), Köndgen (Selbstbindung) und Canaris (Vertrauenshaftung) in konsequenter Weise in eine Haftung des Anwalts für falsche Auskünfte nach § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB integrieren. Integriert werden nicht zuletzt auch die Erkenntnisse um ein role-making zwischen Anwalt und potentiellem Vertragspartner des Mandanten. Vor allem die auf Dialogbasis aufgebauten Erwartungen des potentiellen Vertragspartners des Mandanten gegenüber dem Anwalt, die auf dessen (objektive) Fachmannseigenschaft Bezug nehmen, tragen zur Begründung einer Haftung des Anwalts bei. Zentral ist der Vorgang, dass der potentielle Vertragspartner des Mandanten in eine (modifizierte) Rollenbeziehung zum Anwalt der anderen Seite „hineingezogen“ wird, an die sich (berechtigte) Erwartungen an den Anwalt als juristischen (objektiven) Fachmann richten dürfen. Die Konsequenz für den verhandelnden Anwalt besteht u. a. darin, dass gerade im vielfach präferierten rationalen Verhandeln in besonderem Maße Haftungsgefahren für ihn nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB liegen können, vor allem wenn der Anwalt (rechtliche) Auskünfte erteilt. Die Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung muss die Gewährleistung der Interessengerechtigkeit für den Mandanten sicherstellen; namentlich am Anfang der methodischen Herangehensweise müssen (rein) egoistische Ausrichtungen des Mandanten stehen. Die Ausrichtung innerhalb einer funktionalen Vorgehensweise des Anwalts darf sich nicht vom Ansatz her an einem gleichsam überwölbenden Vertragsgerechtigkeitsverständnis orientieren, sondern an dem der benannten (egoistischen) Interessengerechtigkeit. Jedwede Frage einer von der Interessengerechtigkeit losgelösten Vertragsgerechtigkeit ist Teil eines Denkens in Grenzen, welches nicht am Anfang anwaltlicher Vertragsgestaltung stehen darf. Solche Grenzen müssen (notwendig) erst im weiteren Verlauf der Methodik Berücksichtigung finden. Die namentlich im zwingenden Recht liegenden Grenzen können nichtsdestotrotz auch (gewollte) Gestaltungsoptionen sein. Zentrale Bedeutung als Grenze, vor allem in Form einer Abschlusskontrolle, kommt den Generalklauseln (§§ 138 Abs. 1, 242 BGB) zu. Sie bieten gleichwohl
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eigene gestalterische Optionen für den Anwalt, welche wiederum eine eigene (Sub-) Methodik notwendig machen. Der gestalterische Umgang mit den Generalklauseln ist (wieder) ein solcher mit beweglichen Elementen innerhalb eines flexiblen Systems. Die Methodik anwaltlicher Vertragsgestaltung ist nicht nur in Bezug auf den Umgang mit Generalklauseln, sondern insgesamt als flexibles System aufzufassen.
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Stichwortverzeichnis Abschlusschancen 302 ff., 363 Abschlusskontrolle 985, 987, 996, 999 f. AGIL-Schema 592 ff., 599 ff. Allgemeinrolle 259 f., 335 ff., 342, 344 f., 349, 978 Alltagstheorien 386 f., 401 f., 404, 409, 411, 414, 427, 469 Angehörigenbürgschaft 940, 947 f., 951, 953 ff., 960, 967, 975 f. Anpassungsklauseln 215 ff., 245, 247 f., 251, 254, 395, 607, 914 Anpassungspflicht 228, 236 ff. Anwaltsvertrag 40, 46, 81 ff., 93, 98, 101, 104, 106, 108, 112, 254, 285, 287, 370, 373 ff., 383 f., 393 ff., 408, 415, 419, 426, 436, 440 ff., 455, 466, 468 f., 483, 491, 500 ff., 511, 528, 532 ff., 583 f., 590, 648, 651 f., 655, 674, 685 ff., 710 f., 732 ff., 742, 760 f., 806, 814, 832, 834, 865, 899, 902 ff., 988, 990 f., 1000 ff. Appellebene 458 ff. Aufklärungspflichten 87, 91, 94, 126, 185, 194, 437 ff., 447, 465, 742, 922 Auskunftsvertrag 701 ff., 717 ff., 724 ff., 788, 823 f. Auslegung 51, 60, 62, 96 ff., 103, 185 f., 223, 229, 231, 242 ff., 273 ff., 285 ff., 293, 295, 314, 323, 342, 365 ff., 424, 426, 451 ff., 455, 570, 664, 715, 732, 931 Außervertraglichkeit 117 ff., 140, 152, 188, 190, 201, 248, 616 ff., 787 Bedürfnisse 38, 67 ff., 70, 73, 120, 139, 164, 208, 292, 512, 529, 539, 555 ff., 559 ff., 563, 566, 568 f., 572 ff., 578 f., 582 ff., 586, 661, 665 f. Behaviorismus 179 ff., 194, 624 Beratung, rechtliche 92 ff., 415 ff., 481 ff., 680 f. Beratungspflicht 46, 92 ff. Berufsbezogenheit 714 ff., 749 ff., 761
Berufshaftung 734 ff., 787 f., 803 f., 806, 811, 824, 834, 845 Berufsrecht 106, 109 ff., 264, 446, 471, 479, 486, 491, 497 f., 511, 580, 584, 586, 590, 651, 696, 708, 735 ff., 744 ff., 800 f., 806, 814, 816, 832, 1000 Berufsrolle 490 ff., 530, 538, 586, 591, 648, 738 f., 741, 787 f., 794, 800 ff., 813 ff., 865, 895 Berufstätigkeit 401, 703 f., 707, 720, 757, 770, 785 Beweislast 143, 271, 367, 718, 721, 831 Beziehungsebene 175, 466, 583, 587 Beziehungsebene (Kommunikation) 376, 393, 428 ff., 449, 458 ff., 832 Botschaften 376, 381, 385, 407, 424 f., 428 ff., 457, 461 f., 469, 548, 784 Common contract norms 171 ff. Culpa in contrahendo 278, 694, 758, 826, 828 f., 841, 843 ff., 848, 858, 863 Discrete norms 174 ff. Dispositives Recht 54 ff., 124 ff., 134, 139, 144, 186, 285, 327, 516, 609 f., 622, 665 ff., 910, 924 f., 928, 986, 993 f. Dritteinwirkung 293 ff. Drittinteressen 255 ff., 899 f., 934, 971 f. Ehevertrag 54, 85, 308, 411, 952 ff., 963 ff., 978 Elemente, bewegliche 979 ff. Entscheidungsfreiheit 410, 919 ff., 967, 969 Erklärungshaftung 764 ff., 789, 826, 829, 834, 845 Fachmann 40, 44, 62, 65, 82, 92, 94 f., 103, 110, 266, 370, 374, 377, 380, 412, 436, 443, 464, 517, 532, 692, 720 f., 737 f., 741,
1050
Stichwortverzeichnis
744, 754, 760, 762 ff., 805, 807 f., 812, 818, 866 ff., 877 f., 882, 886 ff., 895, 897 Fallgruppen 54, 286 f., 337, 340 f., 345, 347, 349, 370, 694, 845, 848 f., 938 ff., 952, 956, 958 ff., 967, 970 ff., 976 ff., 980, 984 f. Fallgruppennorm 940 ff., 946 ff., 951 f., 954 ff., 960, 970, 973 ff., 984 f. Fallvergleich 942 f., 951, 955 f., 960 Fremdbestimmung 61, 328 f., 408, 566, 909, 919 f., 949 f., 957, 965 f., 969, 975, 980, 982 From status to contract 154, 530, 559, 662, 906 Funktion des Rechts 490, 512 ff., 571 Garantenstellung-/pflicht 691 ff., 896 f. Geltungsanspruch 773, 789 ff., 797, 800 Generalisierung 539, 548, 632, 634 ff., 641, 650, 820 Generalklauseln 53 ff., 57, 78, 117, 127, 260, 332, 369, 669, 696 f., 934 ff., 986 ff. Geschäftsgrundlage 186 ff., 222, 422, 448, 940 Gestaltungsalternativen 295, 395, 444, 620, 930, 995 ff. Gestaltungsbedarf 927 ff., 930, 986, 995 Gesten 538, 624 ff., 634 f. Gewalt, staatliche 211, 232, 259 Gewinnabführungsklausel 366 Gewohnheiten 165, 494, 506 ff., 526 f. Globalzession 309, 346 f., 349, 359 Gratifikation 560, 562 ff. Haftungsausschluss 275, 804 ff., 813 f. Handlungssystem 535, 537 f., 548 f., 598 ff., 605, 608 ff., 612 Identität 175, 596, 614, 636 f., 639, 642 f., 654, 660 Imparität siehe Parität Individualität 124, 533, 546 f., 621 ff. Informationsbeschaffung 86, 379 ff., 439, 770, 857, 874 f., 888 f. Informationsgefälle 438 f., 688 Informationslast 674, 687 f., 704 ff., 744, 775, 777 f., 792 f., 797, 875
Informationspflichten 198, 211, 213, 229, 248 ff., 438 ff., 710 Informationssicherheit 771, 774 ff., 778 Infrastruktur, gesetzliche 60, 924, 969, 986, 993, 995 Inhaltschancen 302 ff. Institutionalisierung 317 f., 509, 554 ff., 558, 564, 607, 666, 926 Institutsgarantie 322 ff. Institutsmissbrauch 355, 357 f. Interaktionssystem 545 ff., 549, 572 Interessenaufdeckung/-Interessenerforschung 84, 89, 94, 162 f., 179, 256, 340, 343, 379, 383 f., 413 f., 440, 465, 656 f., 661, 706, 904 ff., 981, 987, 995, 999 Interessenausgleich 523, 730, 916 ff., 949 f., 957, 965, 968 f. Interessenbildung 259, 405 ff. Interessenermittlung/-findung 89, 94, 379 ff., 406, 412 ff., 419, 684, 907, 971 f. Interessengewichtung 78, 104, 287, 293, 380, 704, 982, 999 Interessenvertreter 65, 79 ff., 89, 108, 117, 151, 205, 212, 261, 266 f., 269, 273, 278 f., 281, 291, 374, 389 f., 393 f., 424, 426, 428 f., 435, 438 f., 442, 445, 452, 455, 457, 464, 466, 468, 470, 482 ff., 486, 511, 528, 541, 543, 561, 568, 577 f., 582, 647 f., 674, 686, 692, 697, 699, 708, 729, 739 f., 744, 748 ff., 757, 759 ff., 774, 778, 782 f., 799 ff., 804 f., 807 ff., 813 ff., 829, 832, 854, 865, 867 ff., 877, 880, 885, 888, 895 ff., 899, 901, 1000 Interessenziel 913, 917, 923, 926, 928 f., 932, 986, 990 ff., 995, 998 Internalisierung 542, 546, 554 ff., 561, 563, 568, 579, 639, 645, 668 Kann-Erwartungen 479, 494, 507 ff., 516, 528, 556, 644, 671, 760 Kernbereichslehre (Ehevertrag) 953 f., 979, 982 Kommunikationspflichten 210 ff. Konfliktängste 811, 813 Konfliktvermeidung 79, 123, 125 f., 145, 214, 378, 519, 531, 609, 709, 712 Kontrollinstanz, staatliche 46, 95 f., 117, 190 ff., 195, 200, 204 ff., 260, 286, 292,
Stichwortverzeichnis 314, 433, 501, 518 f., 524, 531, 533, 566, 665 f., 899 f., 907, 911, 925 ff., 932 Kreativität 503, 621 f., 645 ff., 656 ff., 663, 670 ff., 716 Lastwirkungen 60, 296, 302 ff., 314, 316 f., 320, 323 f., 328 ff., 340, 342, 345, 359 ff., 367 ff. Lex contractus 44, 59, 194, 201, 988 Machtgefälle 380, 567, 604, 608 Machtoption 249, 465, 908 f., 911 f., 915, 929, 932, 959, 993 f. Mandantenschutzklausel 361 ff. Manipulation 431 f., 444 ff., 460 f., 465 f., 565, 921 Marktbezogenheit 744, 760, 798 ff. Mediationsklausel 198, 395 Muss-Erwartungen 479, 493 ff., 506 f., 511, 515 ff., 524 ff., 532 ff., 613, 671, 686 f., 699, 708, 710, 765, 856 Nachricht 375 f., 407 f., 423 ff., 435, 457, 459 f., 462 ff., 469 Neuverhandlungsklauseln 224 ff., 237, 242 ff. Neuverhandlungspflicht – formale 233 ff. – materielle 235 f. – qualifizierte 237 Normalstatut 275, 287, 293, 923 ff., 932, 986, 993 f. Normative Typen 391 ff., 412 Organ der Rechtspflege 80 f., 106, 108 f., 111, 344, 378, 481 541 ff., 558, 586, 590, 647, 687, 697, 699, 708 f., 715, 748, 750, 756, 801, 805, 807, 812, 817, 899, 901, 921 Parität 742, 917 f., 919 f., 950 f., 955 ff., 987 Pattern variables 572 ff., 580 ff. Persönlichkeitssystem 537 f., 543, 549 f., 555 f., 579, 583, 599, 601 Pflichtverletzung 211, 230, 234, 270, 468, 497 f., 522, 746 f., 758, 781 f., 785, 826, 856, 882 ff., 892 ff.
1051
Position 64 ff., 80, 84,88, 91, 257 f., 261 f., 293, 296, 380, 461 f., 464, 466 f., 472, 475 ff., 504, 509, 511 ff., 528, 530, 533, 541, 546, 551 f., 664, 647, 651, 662, 687, 696, 699, 707 f., 714, 723 f., 738 ff., 767, 783 ff., 797, 804, 806 ff., 813, 818, 832, 842, 854, 860, 862, 864 f., 873, 895, 899 ff., 903, 923 Positionssegment 476, 495, 760, 865 Präambel 63, 97, 99, 289 f., 292, 340, 344, 348, 982, 987, 999 Praktische Konkordanz 320, 325, 332, 354, 365, 969 Prävention 520 ff., 524, 529, 744, 963 Privatautonomie 57 ff., 264, 266, 268, 310 ff., 322, 350, 403, 608, 833, 949 f., 964 f. Privates Recht 318 ff. Profession 40, 117, 380, 457, 625, 694, 714, 734 ff., 807 ff., 812, 814 Prospekthaftung 862 f. Quasivertragliche Ansprüche 741 f., 747, 763, 781, 784 f., 803 f., 814 ff., 835, 895 Realität, soziale 271, 277, 382 ff., 387 ff., 411, 419 Rechtsfortbildung 274, 280, 282, 287 f., 291, 307, 330 f., 351 f., 501, 693, 696 f., 830 Rechtsmissbrauch 352 f., 357 f., 953 Rechtsprüfung 99 Rechtssicherheit 126, 133, 220, 525, 938, 959, 962, 973, 983 Rechtssystem 176, 179, 226, 483, 495, 539 ff., 543 f., 608 Rechtsvereitelung 306 f. Rechtsverständnis des Anwalts 95 ff. Rechtsverwendung 46, 60, 260, 298, 381, 399, 900, 924 ff., 930, 935, 937, 960 ff., 975 Rechtsziel 913, 986, 993, 998 Reflexwirkungen 135, 137, 139, 296 ff., 306 Relational norms 177 ff. Repression 119, 569, 659 f., 664 ff., 669 f. Risikoplanung 199, 287, 523, 525, 839, 874 f.
1052
Stichwortverzeichnis
Role-taking (siehe auch Rollenübernahme) 628, 630, 634 f., 644, 653 f., 658, 661, 719 Rolle – bei Dahrendorf 492 ff. – bei Parsons 550 ff. Rollenbeziehungen 581, 657, 756 f., 760 ff., 768, 803 ff., 820, 824, 855, 869 ff., 877 f., 880, 885 ff., 892, 895, 897 Rollendefinition 479, 663 f., 666 f. Rollendistanz 532, 534, 654 ff., 661, 668 f. Rolleninterpretation 663 f., 666 f. Rollenkonflikt 175, 468, 534, 570, 639, 708 ff., 743, 748 ff., 786, 804 f., 809 ff., 814 ff. Rollensegment 495, 865, 867 Rollenübernahme (siehe auch role-taking) 530, 538 f., 624, 628 f., 632, 635, 639, 800
Sachebene (Kommunikation) 377 ff., 409, 424 ff., 430, 435, 447 ff., 463 f. Sachverhaltsermittlung 86 ff., 94, 180, 196, 254, 267, 379 ff., 386 ff., 465, 467, 620, 907, 913, 923, 971, 986, 990 ff. Sachverhaltstypen 388 ff., 411 Sachwalterhaftung 754, 848, 884 Sachziel 104 f., 536, 907, 913, 917, 923, 928 f., 932 Salvatorische Klausel 103, 334 f., 998 Sanktion 119, 140, 155 f., 160, 170, 204, 226, 228, 248, 318, 446, 474 f., 479, 492 ff., 496 ff., 502 ff., 510 f., 516 ff., 526 ff., 531 f., 534 f., 540, 553, 556 ff., 560, 563 ff., 571 f., 585, 610, 614, 620, 634, 659, 671, 694, 745, 765, 787, 803, 811 ff., 817 Schutz (des Schwächeren) 51 f., 667, 669, 741, 845, 949, 967 Schutzpflichten – aus dem Grundgesetz 61, 323, 327, 975 – aus Schuldverhältnis 270, 276, 282, 747, 751 ff., 896 Selbstbestimmung 57, 60 f., 74, 204, 268, 312 f., 322 ff., 336, 352, 354, 403, 658, 660, 904 ff., 913, 917 f., 920 ff., 928, 950 f., 964 f., 975, 980, 982, 992, 995 Selbstbindung 786 ff. Selbstdarstellung 793 f., 797, 800
Selbstoffenbarungsebene (Kommunikation) 457 f. Selbstverwirklichung 61, 154, 322, 352, 531, 533 Self-enforcing contract 204, 247 ff., 254 Sicherster Weg 102 ff., 111, 139, 205, 232, 269, 273 f., 285, 292, 368, 452, 474, 519, 534, 666 f., 939 Signale 372, 375 f., 430, 450 f., 456, 548, 778 Signifikanz 626 ff., 631 Sitten 124, 168, 186 Sittenwidrigkeit 90, 110, 116, 136 f., 251, 332 ff., 358 f., 698 ff., 934 f., 947 ff., 940 f., 946 ff., 963 ff., 974 ff., 985 ff., 999 f. Solidarität 118 ff., 173 f., 176 f., 595 f., 609, 611, 615, 617 Soll-Erwartungen 479, 504 ff., 526 ff. Sonderverbindung 185, 279, 356 f., 763, 879 Sozialisation 538 f., 542 f., 549 f., 555, 558, 560 f., 563, 568 f., 571, 618, 630 ff., 634, 637, 642 f. Sprache 164, 376 ff., 457, 538, 548 f., 627 f., 637 Statuskontrakt 130 f. Strukturelle Unterlegenheit 351, 438, 949 f., 959 ff., 965 Symbol, signifikantes 626 ff. Symbole 539, 547, 569, 624, 627 ff., 634 f. Symbolischer Interaktionismus 622 ff., 647, 653, 660, 664, 669 ff. System – bewegliches (siehe auch System, flexibles) 236, 694, 998 – flexibles (siehe auch System, bewegliches) 340 ff., 358, 659 f., 981 ff., 986 ff. – kulturelles 537 ff., 555, 568, 599 – soziales 536 ff., 543, 544 ff., 549 ff., 553 ff., 559, 572, 577, 579, 581 ff., 595, 599 ff., 607 ff., 612 ff., 618 – symbolisches 547 f. Topik
396 ff., 412 ff.
Verantwortung 61, 438, 584, 638, 688, 694, 743, 745, 790 f., 802, 816 f., 875 f., 896, 906, 913, 918, 921, 992
Stichwortverzeichnis Verantwortungslast 791 f., 797, 802 Verbotsgesetz 340, 363 ff., 367 ff. Verfügungen 63, 263 f. Verhaltensorganismus 537 f., 543 Verhaltenssteuerung 512, 523 f., 629 Verhandeln – individualistisch 443 ff. – kompetitiv 443, 445 ff., 460 f., 583 f., 631, 678, 682 f. – kooperativ 447 ff., 460 f., 466, 678, 779 f., 799, 809, 815 ff., 897 – rational 461 ff., 531, 554, 568, 583, 587, 591, 604, 606, 614, 646 ff., 650, 653, 661, 678, 682, 706, 716, 744, 869, 897, 912, 922 Verkehrspflichten 695 ff., 736, 755, 757 Verpflichtungsgeschäft 265 ff. Vertrag – rechtssoziologisches Verständnis 113 ff. – rechtsunwirksamer 101, 106 ff., 117, 999 – relationaler 163 ff. – transaktionaler 163 ff. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 269 ff., 731 ff. Vertrag zu Lasten Dritter 267 ff., 294 f., 307, 328 f. Vertrag zugunsten Dritter 265 ff., 272, 294 f. Vertragsähnlichkeit 271, 276, 794 ff., 803, 870, 883, 896 Vertragsfreiheit 57 ff., 79, 123, 127 ff., 133 ff., 281 ff., 292, 310 ff., 319 ff., 336 ff., 345, 352 ff., 566, 617, 621 f., 660, 662, 667, 672, 901, 903, 909, 916 ff., 924, 926 ff., 932 f., 951, 965, 967, 975, 980, 986, 994 f. Vertragskontrolle 352 f., 929, 946 ff., 974
1053
Vertragsrecht, relationales 181 ff., 254 Vertrauen, persönliches 754, 789, 819, 829, 863 Vertrauenshaftung 764, 818 ff., 842, 863 Vertrauensschutz 51, 184, 276, 729 ff., 825 f., 836, 930 Vertrauenstatbestand 830 f., 834, 841, 858, 870 f. Voluntarismus 560 ff. Vorrechtlichkeit 314 ff. Weisungsgebundenheit 102, 104 Wertungsfaktoren 339 f., 944, 949 ff., 956, 964 ff., 987 Wertungsfreiheit 67 ff., 433 Wissenstransfer 763, 767 f., 770, 772 f., 776, 778, 781 Wünsche 38 ff., 56, 65 ff., 74 f., 85, 88 ff., 95, 101, 104 ff., 110, 126 f., 139, 143, 149, 205 f., 208, 256 ff., 261, 266, 285, 288, 290, 293, 298, 301, 382 ff., 408, 411, 444, 456, 467, 534, 546 f., 574, 621 f., 650 f., 684, 912 f., 1000 Zeichen 372, 375 ff., 381, 408, 421, 450 f., 456, 547, 556, 624, 627, 772 f., 790, 798 Zugangsbarrieren 525 Zukunftsorientierung 46 f., 51, 102, 142, 383, 900, 938 Zwangsgewalt (siehe auch Gewalt, staatliche) 128 Zweckkontrakt 127 ff. Zwingendes Recht 50 ff., 59, 61, 76 ff., 124 f., 327 f., 516, 519, 569, 576, 608, 666 ff., 910, 924 f., 930 ff., 950, 984 ff., 993 f., 996 f.